Festschrift für Alfred Bergmann zum 65. Geburtstag am 13. Juli 2018 9783110581140, 9783110579949

This Festschrift, edited by a distinguished team of renowned corporate lawyers, is dedicated to Professor Alfred Bergman

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German Pages 958 Year 2018

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Table of contents :
Vorwort
Alfred Bergmann zum 13. Juli 2018
Inhaltsverzeichnis
Insichgeschäft und Stimmverbot am Beispiel der GmbH
Der Bergmann-Senat Revisionsrechtsprechung im Gesellschaftsrecht am Anfang des 21. Jahrhunderts
Einziehung von GmbH-Geschäftsanteilen: Streifzug durch die Rechtsprechung des II. Zivilsenates des BGH
Unter welchen Voraussetzungen ist der an der betroffenen Drittgesellschaft beteiligte GmbH-Gesellschafter vom Stimmrecht gemäß 47 Abs. 4 Satz 2 GmbHG ausgeschlossen?
Erleichterung der Darlegungs- und Beweislast für ausgeschiedene Organmitglieder im Innenhaftungsprozess de lege lata?
Drahtseilakt ohne Sicherung? Die Haftung aus den Zahlungsverboten nach §§ 64 S. 1 GmbHG, 92 Abs. 2 AktG und die Deckung durch die D&O Versicherung
Kapitalmarktrechtliche Aspekte von Zusammenschluss- und Akquisitionsvorhaben
Die Beseitigung geheilter Beschlüsse nach § 242 Abs. 2 S. 3 AktG – Weckruf für eine Norm im Dornröschenschlaf
Die D&O-Individualversicherung
Die schwebende Nichtigkeit
Der Gesellschaftsvertrag der Fugger: Frühform des OHG-Rechts
§ 28 Abs. 1 HGB bei der vermögensverwaltenden Personengesellschaft
Stimmverbote nach § 47 Abs. 4 GmbHG ohne Interessenkonflikt?
Der Unterordnungskonzern – Terra Cognita?
Weisungsrecht und Berichtswege bei der Konzernleitung in Matrixstrukturen
Heilung unwirksamer Abfindungsklauseln
Und sie dreht sich doch! Ein Plädoyer für den gutgläubigen Erwerb des aufschiebend bedingt abgetretenen Geschäftsanteils
Nichtigkeit des Jahresabschlusses und Auswirkungen auf Folgeabschlüsse und Gewinnverwendung
Gemischte Unternehmensgegenstände von Personengesellschaften
Die Anfechtung als unentgeltliche Leistung – eine Allzweckwaffe des Insolvenzverwalters zur Massegenerierung?
Der Zweite Senat als Ersatzgesetzgeber
Einziehung und Abfindungszahlung in der Rechtsprechung des BGH
Managerhaftung für Kartellverstöße bei Maßnahmen des Informationsaustauschs mit Wettbewerbern
Die Legal Judgment Rule: ein Fall für die Wolfsschlucht
Gibt es unanfechtbare, aber gleichwohl nicht durchsetzbare Darlehenssicherheiten?
Die Einflussnahme von Aktionären auf die Zusammensetzung des Vorstands
Einstweiliger Rechtsschutz gegen die Ausführung noch zu fassender Gesellschafterbeschlüsse
Formbedürftigkeit der Kapitalerhöhung und verbundener Geschäfte
Anmerkungen zur Treuepflicht des Kleinaktionärs
EU-rechtliche Kapitalmarktinformationsvorschriften und mitgliedstaatliche Haftungsregeln – Möglichkeiten und Grenzen am Beispiel der Prospektverordnung (EU) 2017/1129
Differenzhaftung und verdeckte Mischeinlage/ verdeckte gemischte Sacheinlage
Kommunikation des Aufsichtsrats
Die Entwicklung der Rechtsprechung zum Zahlungsverbot
Treugebundene Zustimmungspflichten im GmbH-Recht
Neue Impulse für den Minderheitenschutz gegen Mehrheitsbeschlüsse
Die Entwicklung des Handels- und Unternehmensregisterrechts in der EU im Spannungsfeld von Publizität, Geheimhaltungsinteressen und Persönlichkeitsrecht
§ 166 HGB und das geltende Recht
Organhaftung bei Tochtergesellschaften in der Rechtsform der GmbH
The long and winding road to the online registration of companies
Vertrauensentzug durch Hauptversammlung oder Aufsichtsrat als wichtige Gründe der Vorstandsabberufung
Personalunion in einem Konzern mit monistisch strukturierter SE als Obergesellschaft
Geht nicht – geht doch: Warum es für die Lösung des Problems „Einziehung und Abfindung“ 59 Jahre brauchte
Die Verantwortung des GmbH-Geschäftsführers für Gesellschafterliste und Transparenzregister
Maximalharmonisierung und mitgliedstaatliche Gesetzgebung im europäischen Marktmissbrauchsrecht
Zur Enthaftung der Geschäftsführer bei Befolgung von Gesellschafterbeschlüssen. Überlegungen zu § 43 Abs. 3 Satz 3 GmbHG
Unternehmensexterne als Versammlungsleiter der Hauptversammlung
Intuition und Business Judgment
10 Jahre MoMiG: Die GmbH-Reform im Spiegel der Rechtsprechung des II. Zivilsenats des BGH
Der Schutz vor Fremdeinfluss auf Sportkapitalgesellschaften. Satzungsgestaltung im deutschen Profifußball im Lichte der 50+1-Regel
Pfändung und Insolvenzbeschlag vinkulierter Namensaktien
Kita-Rechtsprechung des BGH und Gewinnausschüttung
Geschäftsleiterhaftung in der Eigenverwaltung
Veröffentlichungen von VRiBGH a.D. Prof. Dr. Alfred Bergmann
Autorenverzeichnis
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Festschrift für Alfred Bergmann zum 65. Geburtstag am 13. Juli 2018
 9783110581140, 9783110579949

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Festschrift für Alfred Bergmann zum 65. Geburtstag

Festschrift für

ALFRED BERGMANN zum 65. Geburtstag am 13. Juli 2018

herausgegeben von

Meinrad Dreher, Ingo Drescher, Peter O. Mülbert und Dirk A. Verse

De Gruyter

ISBN 978-3-11-057994-9 e-ISBN (PDF) 978-3-11-058114-0 e-ISBN (EPUB) 978-3-11-058012-9 Library of Congress Control Number: 2018958582

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.dnb.de abrufbar. © 2018 Walter de Gruyter GmbH, Berlin/Boston Datenkonvertierung und Satz: Satzstudio Borngräber, Dessau-Roßlau Druck und Bindung: Hubert & Co. GmbH & Co. KG, Göttingen

www.degruyter.com

Vorwort Alfred Bergmann wuchs in einer Bergmannsfamilie in Essen auf. Nach dem Abitur begann er 1973 mit dem Jurastudium zunächst in Bochum, wechselte aber schon nach einem Semester an die Philipps-Universität nach Marburg. Dort wurde er im Jahre 1982 mit einem strafrechtlichen Thema promoviert und war nach dem Zweiten Juristischen Staatsexamen von April 1983 bis September 1987 als Hochschulassistent am Institut für Kriminalwissenschaften tätig. Die damit vorgezeichnete akademische Laufbahn, das Strafrecht und Marburg verließ er im Oktober 1987 gen Süden. Er wurde als Rechtsanwalt in Karlsruhe zugelassen; zugleich war er Mitarbeiter bei den Rechtsanwälten beim Bundesgerichtshof Prof. Dr. Brandner und Dr. Kummer und wandte sich dem Zivilrecht zu. In dieser Zeit gehörte er auch dem Kuratorium der Bankrechtlichen Vereinigung an. Im September 2000 folgte die Zulassung als Rechtsanwalt beim Bundesgerichtshof. Wenige Jahre später kam es zu einem neuerlichen Wechselfall im Juris­ tenleben von Alfred Bergmann: Am 29. Juli 2002 wurde er zum Richter am Bundesgerichtshof ernannt, als einer der wenigen Rechtsanwälte, die zum Bundesrichter bestellt wurden, und als einziger, der zuvor beim Bundesgerichtshof zugelassen war. Auch dort nahm er die Möglichkeit wahr, neue Rechtsgebiete zu entdecken: Er gehörte zunächst bis Ende November 2003 dem IX. Zivilsenat an, dem vornehmlich das Insolvenzrecht sowie das Berufsrecht der Rechtsanwälte und Steuerberater zugewiesen sind. Vom Dezember 2003 bis zum November 2010 war er Mitglied, seit 2007 als stellvertretender Vorsitzender, des für das Wettbewerbs-, Marken- und Urheberrecht sowie Transportrecht zuständigen I. Zivilsenats. 2009 und 2010 war er zugleich Mitglied des Kartellsenats. Am 17. November 2010 wurde er zum Vorsitzenden Richter am Bundesgerichtshof ernannt. Bis zu seinem Ruhestand im März 2017 leitete er den für Rechtsstreitigkeiten auf dem Gebiet des Gesellschaftsrechts und des Kapitalmarktrechts zuständigen II. Zivilsenat – ein neuerlicher Wechsel seines Tätigkeitsbereichs, aber gleichzeitig eine Rückkehr zu einem frühen zivilrechtlichen Interessengebiet, dem Gesellschaftsrecht. 2011 bis Ende 2016 war er zugleich Vorsitzender des Dienstgerichts des Bundes. Die Rechtsprechung des II. Zivilsenats prägte Alfred Bergmann nicht nur inhaltlich. Mit der ihm eigenen Gabe zur Moderation wurden aus den mündlichen Verhandlungen des Senats anspruchsvolle Rechtsgespräche und Diskussionen zwischen Richtern und Anwälten, die ausländische Besucher,

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Vorwort Vorwort

die an eine eher autoritäre Vermittlung der richterlichen Meinung gewöhnt waren, verblüfften, und die sie bewunderten. Die mündlichen Verhandlungen waren insoweit ein Spiegelbild von Senatsberatungen, bei denen Lösungen im Team unter der sanften Leitung des Vorsitzenden erarbeitet wurden. Charakteristisch für die richterliche Tätigkeit von Alfred Bergmann war die von ihm auch offen kommunizierte Haltung, mit dem Instrument der richterlichen Rechtsfortbildung eher zurückhaltend umzugehen, um dem Gesetzgeber nicht vorzugreifen. Diese Haltung hat dem Senat, wie etwa die viel diskutierte „Frosta“-Entscheidung zum Delisting (BGH NZG 2013, 1342) und das „IKB“-Urteil zur angefochtenen Aufsichtsratswahl (BGHZ 196, 195) zeigen, mitunter durchaus lebhafte Kritik eingetragen. Alfred Bergmann hat sich solchen inhaltlichen Auseinandersetzungen stets mit offenem Visier gestellt. Auf ungezählten Tagungen, etwa den Jahrestagungen der Gesellschaftsrechtlichen Vereinigung (VGR), ist er nicht müde geworden, die Rechtsprechung des Senats immer wieder präzise zu erläutern und vor manchen Überinterpretationen des Schrifttums zu bewahren. Ein besonderes Interesse verbindet Alfred Bergmann mit dem Sport, speziell dem Fußball (sein Tor beim Abschiedsspiel für den früheren BGH-Präsidenten Klaus Tolksdorf ist legendär und offensichtlich nur aufgrund eines Versehens nicht für das Tor des Monats nominiert worden). Für Verfahren, in denen Recht und Sport aufeinandertreffen, war er daher besonders berufen. Während seiner Zugehörigkeit zum I. Zivilsenat hat er beispielsweise neben vielen anderen die wegweisende Entscheidung zur Bezeichnung einer Sportveranstaltung als (Ereignis-)Marke (BGHZ 167, 278 – FUSSBALL WM 2006) verfasst und als Vorsitzender des II. Zivilsenats in sportrechtlichen Fällen selbst die Berichterstattung und die Abfassung des Urteils übernommen (z.B. BGHZ 207, 144 zu den Olympia-Nominierungsrichtlinien). Neben der rechtspraktischen Tätigkeit blieb Alfred Bergmann der Wissenschaft verbunden, nicht mehr im Strafrecht, sondern im Zivilrecht. Er verfasste Aufsätze, Kommentierungen und bis zur Ernennung zum Richter Rechtsprechungsanmerkungen im Gesellschaftsrecht, Wettbewerbsrecht und Insolvenzrecht. Auch an die Universität kehrte er zurück. 2005 erhielt er einen Lehrauftrag an der Johannes Gutenberg-Universität Mainz und wurde dort 2011 zum Honorarprofessor bestellt. Trotz der großen zeitlichen Beanspruchung durch sein Richteramt hat er sich nie gescheut, Vorlesungen und Seminare zu übernehmen; viele Jahrgänge Mainzer Jurastudenten hat er mit seiner gänzlich unprätentiösen Art beeindruckt. Zum Glück für die Mainzer Fakultät und ihre Studenten bleibt er ihr und ihnen auch nach seinem Ausscheiden aus dem Bundesgerichtshof erhalten. Mit seiner Verankerung auch in der Wissenschaft hat Alfred Bergmann als Vorsitzender des II. Zivilsenats den schon in der Vergangenheit gepflegten Austausch mit der Wissenschaft auf vorbildliche Weise fortgesetzt und weiter gefestigt – nicht nur auf zahlreichen Fachtagungen, sondern auch als Her-

Vorwort

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ausgeber renommierter Fachzeitschriften wie der Zeitschrift für Unternehmens- und Gesellschaftsrecht (ZGR), der Aktiengesellschaft (AG) und der Neuen Zeitschrift für Gesellschaftsrecht (NZG). Wie zu erwarten hat Alfred Bergmann zumindest einen Teil seiner durch das Ausscheiden aus dem Richteramt gewonnenen Zeit sogleich in den Dienst der Wissenschaft gestellt. Gerade erst hat er eine umfassende Analyse der neueren Rechtsprechung zum Personengesellschaftsrecht veröffentlicht (WM 2018, Sonderbeilage Nr. 1/2018), einem Gebiet, das wohl auch künftig einen Schwerpunkt seines Werkes bilden wird. Zudem hat er im Großkommentar zum Aktienrecht die Kommentierung der Vorschriften über die Satzungsänderung übernommen. Am 13. Juli 2018 hat Alfred Bergmann sein 65. Lebensjahr vollendet. Die Herausgeber und Autoren, über 50 Wissenschaftler und in der Praxis tätige Juristen, darunter viele seiner ehemaligen Kolleginnen und Kollegen des II. Zivilsenats, wollen ihn mit dieser Festschrift gebührend ehren und wünschen ihm weiterhin viel Schaffenskraft und Lebensfreude im Kreis seiner großen Familie und seiner Freunde. Dem Tätigkeitsgebiet des Jubilars im II. Zivilsenat entsprechend entstammen sämtliche Beiträge dieser Festschrift dem Gesellschaftsrecht oder stehen damit jedenfalls in engem Zusammenhang. Der Dank der Herausgeber für die reibungslose redaktionelle Unterstützung gilt dem Verlag de Gruyter, namentlich Frau Claudia Loehr und Herrn Jan Schmidt, sowie den Mitarbeitern an den Lehrstühlen Dreher, Mülbert und Verse, allen voran Frau Stephanie Averbeck-Rauch und den Herren Christoph Breuer, Leon Burkhart und Daniel Schneider.

Meinrad Dreher Ingo Drescher Peter O. Mülbert Dirk A. Verse

Alfred Bergmann zum 13. Juli 2018 Holger Altmeppen Gregor Bachmann Walter Bayer Falk Bernau Manfred Born Moritz Brinkmann Andreas Cahn Matthias Casper Meinrad Dreher Ingo Drescher Holger Fleischer Barbara Grüneberg Barbara Grunewald Mathias Habersack Stephan Harbarth Heribert Heckschen Andreas Heidinger Joachim Hennrichs Martin Henssler Godehard Kayser Roger Kiem Detlef Kleindiek Michael Kling Jens Koch Joachim Kummer Katja Langenbucher Dieter Leuering

Jan Lieder Hanno Merkt Peter O. Mülbert Andreas Pentz Markus Roth Ingo Saenger Volker Sander Carsten Schäfer Jessica Schmidt Karsten Schmidt Sven H. Schneider Uwe H. Schneider Ulrich Seibert Christoph H. Seibt Gerald Spindler Lutz Strohn Christoph Teichmann Rüdiger Veil Dirk A. Verse Eberhard Vetter Jochen Vetter Frauke Wedemann Simon Weiler Johannes Wertenbruch Heinz Wöstmann Hildegard Ziemons

Inhaltsverzeichnis Holger Altmeppen Insichgeschäft und Stimmverbot am Beispiel der GmbH . . . . . . . . 1 Gregor Bachmann Der Bergmann-Senat Revisionsrechtsprechung im Gesellschaftsrecht am Anfang des 21. Jahrhunderts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 17 Walter Bayer Einziehung von GmbH-Geschäftsanteilen: Streifzug durch die Rechtsprechung des II. Zivilsenates des BGH . 43 Falk Bernau Unter welchen Voraussetzungen ist der an der betroffenen Drittgesellschaft beteiligte GmbH-Gesellschafter vom Stimmrecht gemäß 47 Abs. 4 Satz 2 GmbHG ausgeschlossen? . . . . . . . . . . . . . . 63 Manfred Born Erleichterung der Darlegungs- und Beweislast für ausgeschiedene Organmitglieder im Innenhaftungsprozess de lege lata? . . . . . . . . 79 Moritz Brinkmann Drahtseilakt ohne Sicherung? Die Haftung aus den Zahlungsverboten nach §§ 64 S. 1 GmbHG, 92 Abs. 2 AktG und die Deckung durch die D&O Versicherung . 93 Andreas Cahn Kapitalmarktrechtliche Aspekte von Zusammenschlussund Akquisitionsvorhaben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 111 Matthias Casper Die Beseitigung geheilter Beschlüsse nach § 242 Abs. 2 S. 3 AktG – Weckruf für eine Norm im Dornröschenschlaf . . . . . . . . . . . . . . . . 127 Meinrad Dreher Die D&O-Individualversicherung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 145

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Inhaltsverzeichnis

Ingo Drescher Die schwebende Nichtigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 169 Holger Fleischer Der Gesellschaftsvertrag der Fugger: Frühform des OHG-Rechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 183 Barbara Grüneberg § 28 Abs. 1 HGB bei der vermögensverwaltenden Personengesellschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 199 Barbara Grunewald Stimmverbote nach § 47 Abs. 4 GmbHG ohne Interessenkonflikt? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 215 Mathias Habersack Der Unterordnungskonzern – Terra Cognita? . . . . . . . . . . . . . . . . . 227 Stephan Harbarth Weisungsrecht und Berichtswege bei der Konzernleitung in Matrixstrukturen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 243 Heribert Heckschen Heilung unwirksamer Abfindungsklauseln . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 259 Andreas Heidinger Und sie dreht sich doch! Ein Plädoyer für den gutgläubigen Erwerb des aufschiebend bedingt abgetretenen Geschäftsanteils . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 283 Joachim Hennrichs Nichtigkeit des Jahresabschlusses und Auswirkungen auf Folgeabschlüsse und Gewinnverwendung . . . . . . . . . . . . . . . . . 303 Martin Henssler Gemischte Unternehmensgegenstände von Personengesellschaften . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 321 Godehard Kayser Die Anfechtung als unentgeltliche Leistung – eine Allzweckwaffe des Insolvenzverwalters zur Massegenerierung? . . . . . . . . . . . . . . . 339 Roger Kiem Der Zweite Senat als Ersatzgesetzgeber . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 357

Inhaltsverzeichnis

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Detlef Kleindiek Einziehung und Abfindungszahlung in der Rechtsprechung des BGH . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 371 Michael Kling Managerhaftung für Kartellverstöße bei Maßnahmen des Informationsaustauschs mit Wettbewerbern . . . . . . . . . . . . . . . 391 Jens Koch Die Legal Judgment Rule: ein Fall für die Wolfsschlucht . . . . . . . . 413 Joachim Kummer Gibt es unanfechtbare, aber gleichwohl nicht durchsetzbare Darlehens­sicherheiten? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 435 Katja Langenbucher Die Einflussnahme von Aktionären auf die Zusammensetzung des Vorstands . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 443 Dieter Leuering Einstweiliger Rechtsschutz gegen die Ausführung noch zu fassender Gesellschafterbeschlüsse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 457 Jan Lieder Formbedürftigkeit der Kapitalerhöhung und verbundener Geschäfte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 473 Hanno Merkt Anmerkungen zur Treuepflicht des Kleinaktionärs . . . . . . . . . . . . . 509 Peter O. Mülbert EU-rechtliche Kapitalmarktinformations­vorschriften und mitgliedstaatliche Haftungsregeln – Möglichkeiten und Grenzen am Beispiel der Prospektverordnung (EU) 2017/1129 . . . . . . . . . . . 529 Andreas Pentz Differenzhaftung und verdeckte Mischeinlage/ verdeckte gemischte Sacheinlage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 541 Markus Roth Kommunikation des Aufsichtsrats . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 565 Volker Sander Die Entwicklung der Rechtsprechung zum Zahlungsverbot . . . . . . 583

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Inhaltsverzeichnis

Ingo Saenger Treugebundene Zustimmungspflichten im GmbH-Recht . . . . . . . . 603 Carsten Schäfer Neue Impulse für den Minderheitenschutz gegen Mehrheitsbeschlüsse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 617 Jessica Schmidt Die Entwicklung des Handels- und Unternehmensregisterrechts in der EU im Spannungsfeld von Publizität, Geheimhaltungsinteressen und Persönlichkeitsrecht . . . . . . . . . . . . 637 Karsten Schmidt § 166 HGB und das geltende Recht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 653 Uwe H. Schneider und Sven H. Schneider Organhaftung bei Tochtergesellschaften in der Rechtsform der GmbH . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 661 Ulrich Seibert The long and winding road to the online registration of companies . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 677 Christoph H. Seibt Vertrauensentzug durch Hauptversammlung oder Aufsichtsrat als wichtige Gründe der Vorstandsabberufung . . . . . . . . . . . . . . . . . 693 Gerald Spindler Personalunion in einem Konzern mit monistisch strukturierter SE als Obergesellschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 711 Lutz Strohn Geht nicht – geht doch: Warum es für die Lösung des Problems „Einziehung und Abfindung“ 59 Jahre brauchte . . . . . . . . . . . . . . . 729 Christoph Teichmann Die Verantwortung des GmbH-Geschäftsführers für Gesellschafterliste und Transparenzregister . . . . . . . . . . . . . . . . 743 Rüdiger Veil Maximalharmonisierung und mitgliedstaatliche Gesetzgebung im europäischen Marktmissbrauchsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 765

Inhaltsverzeichnis

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Dirk A. Verse Zur Enthaftung der Geschäftsführer bei Befolgung von Gesellschafterbeschlüssen Überlegungen zu § 43 Abs. 3 Satz 3 GmbHG. . . . . . . . . . . . . . . . . . 781 Eberhard Vetter Unternehmensexterne als Versammlungsleiter der Hauptversammlung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 799 Jochen Vetter Intuition und Business Judgment . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 827 Frauke Wedemann 10 Jahre MoMiG: Die GmbH-Reform im Spiegel der Rechtsprechung des II. Zivilsenats des BGH . . . . . . . . . . . . . . . 849 Simon Weiler Der Schutz vor Fremdeinfluss auf Sportkapitalgesellschaften – Satzungsgestaltung im deutschen Profifußball im Lichte der 50+1-Regel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 865 Johannes Wertenbruch Pfändung und Insolvenzbeschlag vinkulierter Namensaktien . . . . 885 Heinz Wöstmann Kita-Rechtsprechung des BGH und Gewinnausschüttung . . . . . . . 903 Hildegard Ziemons Geschäftsleiterhaftung in der Eigenverwaltung . . . . . . . . . . . . . . . . 923 Veröffentlichungen von VRiBGH a.D. Prof. Dr. Alfred Bergmann . . 937 Autorenverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 941

Insichgeschäft und Stimmverbot am Beispiel der GmbH Holger Altmeppen I. Einleitung Die Frage, was der Kern der gesellschaftsrechtlichen Stimmverbote sei, ist bis auf den heutigen Tag umstritten. Verbreitet ist die Annahme, es gehe letztlich um das Verbot, „Richter in eigener Sache“ zu sein.1 Soweit die Stimmverbote sich auf Rechtsgeschäfte mit dem Gesellschafter beziehen, wird auch auf den Gedanken des § 181 BGB hingewiesen.2 Doch sind die Einzelheiten unklar und umstritten. Hat der Ehegatte Stimmrecht bei der Entlastung des anderen? Ist der Gesellschafter stimmberechtigt, wenn es um ein Rechtsgeschäft mit einer Handelsgesellschaft geht, an welcher er beteiligt ist? Was sind Sozialakte und warum sind sie vom Stimmverbot ausgeschlossen, obwohl sie unzweifelhaft auch Rechtsgeschäfte mit dem Gesellschafter sein können? Wie verhält es sich mit einem Kommissionsvertrag oder Bürgschaftsvertrag der Gesellschaft mit einem Dritten, wenn ihr Gesellschafter der Kommittent oder der Hauptschuldner ist? Kann der Gesellschaftsvertrag eine Befreiung vom Stimmverbot erteilen? Der Verfasser erinnert sich gut an eine spannende Unterhaltung mit dem Jubilar anlässlich des unter seinem Vorsitz im Jahr 2013 ergangenen Urteils BGHZ 196, 312, in welchem der II. Zivilsenat eine sich über ein halbes Jahrhundert hinweg als herrschend verstehende Literaturmeinung als rechtsirrig entlarvt hat.3 Das Gespräch ging um den Wert der Rechtswissenschaft für die Rechtsprechung, der Jubilar ließ dabei Skepsis gegen eine Überbewertung von Rechtsdogmatik erkennen. Ein Vorgänger des Jubilars hatte 1 1/2 Jahrzehnte zuvor bereits vor der erheblichen Gefahr des aktionistischen Wissenschaftsbetriebs für das Revisionsgericht gewarnt, welche die gesamte Recht-

  Statt aller BGHZ 9, 157, 178; Karsten Schmidt Gesellschaftsrecht, 4. Aufl., 2002, S. 608.   Zöllner Die Schranken mitgliedschaftlicher Stimmrechtsmacht bei den privatrechtlichen Personenverbänden, 1963, S. 269. 3   Der II. Zivilsenat konnte sich gegen die hM zur Nichtigkeit von Verträgen unter Verstoß gegen § 57 AktG auf den schlichten Hinweis beschränken, dass § 62 AktG 1965 eine anderweitige Regelung i.S.d. § 134 BGB ist. 1 2

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Holger Altmeppen

sprechung bisweilen auf einen falschen Weg bringe.4 Genau betrachtet ist die Aufgabe der Rechtswissenschaft Systembildung über den Einzelfall hinaus, während die Gerichte bei der Gesetzesauslegung auf die gerade zur Entscheidung anstehende Problemlage beschränkt sind.5 Der Jubilar hat diese Aufgabenteilung stets geachtet. Ihm ist die folgende Untersuchung über das tragende Prinzip der Stimmverbote im Gesellschaftsrecht gewidmet, die das dem Gesetz zugrunde liegende System aufdeckt. Im Vordergrund steht das Stimmverbot in der GmbH, die Erwägungen sind aber auf die anderen übertragbar.

II.  Zum Stimmverbot bei Sozialakten 1. Ausgangslage § 47 Abs. 4 GmbHG schließt das Stimmrecht in vier Fällen aus: Entlastung, Befreiung von einer Verbindlichkeit, Vornahme eines Rechtsgeschäfts sowie Einleitung bzw. Erledigung eines Rechtsstreits.6 In Rechtsprechung und Lehre wird seit jeher darüber diskutiert, ob hinter der gesetzlichen Regelung ein allgemeines Prinzip steht, das in weiteren Fällen anzuwenden ist.7 In der grundlegenden Monographie von Zöllner heißt es dazu, die Stimmverbote seien auf nicht geregelte Fälle nach der „Grundregel“ auszudehnen, „… dass der zugrunde liegende Interessenkonflikt qualitativ und quantitativ dem gesetzlich geregelten entsprechen muss.“8 Im Zusammenhang mit „Sozialakten“ geht es umgekehrt um die Einschränkung der Stimmverbote. § 47 Abs. 4 S. 2 GmbHG soll betreffs der Vornahme eines Rechtsgeschäfts mit dem Gesellschafter teleologisch zu reduzieren sein, soweit der Betroffene nur diejenigen Interessen wahrnehme, die der Einzelne als Mitglied der Gesellschaftergemeinschaft in dieser verfolge, auch wenn er in besonderer Weise davon betroffen sei, Paradigma: Die Eigenwahl zum Geschäftsführer. Indem jeder einzelne seine persönlichen Vorstellungen

4  Über den Tag hinaus lesenswert zu kontraproduktivem Einfluss der Rechtswissenschaft auf die Rechtsprechung Röhricht ZGR 1999, 445 ff., 452 ff., 462 ff.: „Der Revisionsrichter ist kein Rechtswissenschaftler, … sondern auch zum Gegenspieler der Wissenschaft bestimmt.“ 5   Heck AcP 112 (1914), 93; Esser Vorverständnis und Methodenwahl in der richterlichen Rechtsfindung, 1972, S. 203; J. Braun Deduktion und Invention, 2016, S. 24 ff. 6   Ähnlich §§ 34 BGB, 43 Abs. 6 GenG, 136 Abs. 1 AktG. 7   BGHZ 68, 106 = NJW 1977 ,850; Scholz/Karsten Schmidt GmbHG, 11. Aufl. 2014, § 47 Rn. 99 ff.; Schäfer ZGR 2014, 731; Michalski/Römermann GmbHG, 3. Aufl. 2018, § 47 Rn. 81; Wilhelm Rechtsform und Haftung bei der juristischen Person, 1982, S. 59 ff. 8  So Zöllner Schranken, o. Fn. 2, S. 268.

Insichgeschäft und Stimmverbot am Beispiel der GmbH

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von diesen Interessen in die gesellschaftliche Willensbildung einbringe, wirke er in legitimer Weise an der Bestimmung des Gesellschaftsinteresses mit.9 2.  Zur Reichweite der teleologischen Reduktion bei Sozialakten Besteht im Grundsatz noch Einigkeit, dass das Stimmverbot des § 47 Abs. 4 S. 2 GmbHG bei Sozialakten teleologisch reduziert werden müsse, ist die Reichweite der teleologischen Reduktion heftig umstritten. Konsens besteht noch bei der Abberufung eines Gesellschafter-Geschäftsführers sowie bei der Einziehung seines Geschäftsanteils aus wichtigem Grund: Obwohl es sich dabei unzweifelhaft um Sozialakte handelt, soll der Betroffene einem Stimmverbot analog § 47 Abs. 4 unterliegen.10 Umstritten ist schon, wie es sich mit der Einforderung von Einlagen (§ 46 Nr. 2 GmbHG) verhält, zumal wenn nicht alle Gesellschafter in gleichem Umfang von der Entscheidung betroffen sind,11 bei der Zustimmung zur Übertragung vinkulierter Anteile,12 bei einer Satzungsänderung, die einem Gesellschafter besonders entgegenkommt,13 bei Kapitalerhöhungsbeschlüssen, vor allem wenn sie einem Gesellschafter entgegenkommen, etwa bei Bezugsrechtsausschuss,14 bei der Befreiung von einem Wettbewerbsverbot,15 beim Abschluss von Unternehmensverträgen mit dem Gesellschafter,16 bei

9  Eingehend Zöllner Schranken, o. Fn. 2, S. 149 ff.; Scholz/Karsten Schmidt, o. Fn. 7, § 47 Rn. 110; UHL/Hüffer/Schürnbrand GmbHG, 2. Aufl. 2014, § 47 Rn. 2; aus der Rechtsprechung RGZ 74, 276, 279; BGHZ 18, 205, 210; zuletzt BGHZ 190, 45 Tz. 16 = ZIP 2011, 1465: „Es entspricht dem Regelungszweck des § 47 Abs. 4 S. 2 Fall 1 GmbHG, für sog. körperschaftliche Sozialakte eine Ausnahme vom Stimmverbot zu machen.“ 10   RGZ 138, 98, 104; BGHZ 86, 177 = NJW 1983, 938; zuletzt OLG München ZIP 2017, 1467; aus dem Schrifttum s. Scholz/Karsten Schmidt, o. Fn. 7, § 47 Rn. 138; MüKoGmbHG/ Drescher, 2. Aufl. 2015, § 47 Rn. 162, 168 jew. mwN. 11  Für teleologische Reduktion des Stimmverbots die hM, BGH NJW 1991, 70; UHL/Hüffer/Schürnbrand, o. Fn. 9, Rn. 165; dagegen Baumbach/Hueck/Zöllner/Noack GmbHG, 19. Aufl. 2017, § 47 Rn. 93. 12   Für teleologische Reduktion die hM, vgl. MüKoGmbHG/Drescher, o. Fn. 10, § 47 Rn. 170 mwN; dagegen Baumbach/Hueck/Zöllner/Noack, o. Fn. 11, Rn 90: klassisches Rechtsgeschäft mit dem Gesellschafter. 13   Für teleologische Reduktion die hM, BGHZ 33, 189, 191; Scholz/Karsten Schmidt, o. Fn. 7, § 47 Rn. 113 jew. mwN; dagegen Baumbach/Hueck/Zöllner/Noack, o. Fn. 11, § 47 Rn. 90. 14  Für teleologische Reduktion die hM, MüKoGmbHG/Drescher, o. Fn. 10, § 47 Rn. 176; Lutter/Hommelhoff/Bayer GmbHG, 19. Aufl. 2016, § 47 Rn. 50; aA Baumbach/ Hueck/Zöllner/Noack, o. Fn. 11, § 47 Rn. 90. 15   Für teleologische Reduktion Scholz/Karsten Schmidt, o. Fn. 7, § 47 Rn. 113; diff. die hM, MüKoGmbHG/Drescher, o. Fn. 10, § 47 Rn. 179; UHL/Hüffer/Schürnbrand, o. Fn. 9, § 47 Rn. 159; dagegen Baumbach/Hueck/Zöllner/Noack, o. Fn. 11, § 47 Rn. 79. 16   Für teleologische Reduktion die hM, s. Scholz/Karsten Schmidt, o. Fn. 7, § 47 Rn. 115; UHL/Hüffer/Schürnbrand, o. Fn. 9, § 47 Rn. 192; dagegen Baumbach/Hueck/Zöllner/

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strukturändernden Beschlüssen nach dem UmwG, Paradigma: Verschmelzung mit einer vom Gesellschafter gehaltenen Gesellschaft.17 Als Zwischenergebnis ist festzustellen, dass der Begriff des Sozialaktes, für den das Stimmverbot des § 47 Abs. 4 S. 2 GmbHG in teleologischer Reduktion der Norm nicht gelten soll, umstritten ist und die hM ihre Prämisse nicht durchhält. So wird bei eindeutigen Sozialakten wie der Abberufung eines Gesellschafter-Geschäftsführers oder der Einziehung seines Geschäftsanteils aus wichtigem Grund die teleologische Reduktion im Ergebnis nicht befürwortet. Die grundsätzlich gebotene teleologische Reduktion des Stimmverbots bei Sozialakten dürfe nicht stattfinden, wenn die Abberufung oder Einziehung aus wichtigem Grund erfolgen soll: Dann soll das Stimmverbot, das zunächst teleologisch beschränkt wurde, ausnahmsweise wiederhergestellt werden.18 Auch bei Rechtsgeschäften ist die hM nicht konsequent. So soll das Stimmverbot nicht gelten, wenn es gar nicht um einen Sozialakt geht, die hM aber eine Ähnlichkeit dazu erkennt, etwa bei Abschluss des Dienstvertrages mit einem Gesellschafter-Geschäftsführer.19 3.  Die Verkennung der Historie zu den Stimmverboten Geht man den Stimmverboten historisch nach, wird ein grundlegender Irrtum der hM sichtbar, der sich auf Sozialakte bezieht: Diese hat der historische Gesetzgeber im Ansatz gar nicht von den Stimmverboten erfassen wollen, weil der Gesetzgeber des 19. Jahrhunderts die Verselbstständigung der juristischen Person noch nicht in der uns heute geläufigen Art und Weise nachvollzogen hat. Sozialakte waren für ihn „innere gesellschaftliche Angelegenheiten“, die nur in zwei Sonderfällen einem Stimmverbot unterliegen sollten, nämlich im Fall der Selbstentlastung oder der Befreiung von einer Verbindlichkeit (§ 47 Abs. 4 S. 1 GmbHG). Im Übrigen sollte es sein Bewenden mit dem Stimmverbot bei der Vornahme eines Rechtsgeschäfts mit dem Gesellschafter in der Rolle eines gewöhnlichen Dritten haben (§ 47 Abs. 4 S. 2 GmbHG). § 47 Abs. 4 GmbHG entspricht bis auf Abs. 4 S. 2 Alt. 2 (den es im HGB 1884 noch nicht gab) wörtlich dem Stimmverbot in Art. 190 Abs. 3, 221 Noack § 47 Rn. 90; Immenga/Werner GmbHR 1976, 53, 58 f.; eingehend dazu Roth/Altmeppen/Altmeppen GmbHG, 8. Aufl. 2015, Anh. § 13 Rn. 35 ff., 39. 17  Für teleologische Reduktion die hM, vgl. Scholz/Karsten Schmidt, o. Fn. 7, § 47 Rn. 114; UHL/Hüffer/Schürnbrand, o. Fn. 9, § 47 Rn. 189 f; aA Baumbach/Hueck/Zöllner/Noack, o. Fn. 11, § 47 Rn. 90. 18   Statt aller Zöllner Schranken, o. Fn. 2, S. 151. 19   S. schon RGZ 74, 276; BGHZ 18, 205, 210 = NJW 1955, 1716; BGHZ 190, 45 Tz. 15; Baumbach/Hueck/Zöllner/Noack, o. Fn. 11, § 47 Rn. 83; UHL/Hüffer/Schürnbrand, o. Fn. 9, § 47 Rn. 184; aA freilich Michalski/Römermann, o. Fn. 7, § 47 Rn. 249; Rowedder/ Schmidt-Leithoff/Ganzer GmbHG, 6. Aufl. 2018, § 47 Rn. 19; vgl. auch Scholz/Karsten Schmidt, o. Fn. 7, § 46 Rn. 75 jew. mwN.

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Abs. 2 HGB 1884. Grundlage war der Gesetzgebungsvorschlag des ROHG zur Aktienrechtsreform, aus dem Art. 190 Abs. 3, 221 Abs. 2 HGB 1884 entstanden sind. Der Vorschlag lautete: „Die Actionäre haben sich der Ausübung ihres Stimmrechts bei allen Beschlüssen zu enthalten, welche ... ihre Entlastung von einer der Gesellschaft gegenüber begründeten Verantwortlichkeit oder den Abschluss eines Rechtsgeschäfts seitens der Gesellschaft, an dessen Vortheilen sie noch in anderer Weise als in ihrer Eigenschaft als Actionäre betheiligt sind, betreffen.“20

Darauf beruht die Unterscheidung in § 47 Abs. 4 S. 1 und Abs. 4 S. 2 GmbHG. Für den Gesetzgeber der Aktienrechtsnovelle von 1884 waren Sozialakte noch gar keine Rechtsgeschäfte im Sinne der Stimmverbote.21 Deshalb war es für den Gesetzgeber des HGB von 1884 folgerichtig und zwingend, die Sozialakte der Entlastung und Befreiung von einer Verbindlichkeit ausnahmsweise einem Stimmverbot zu unterwerfen (Art. 190 Abs. 3, 221 Abs. 2 HGB 1884), weil die „Selbstentlastung“ und „Selbstbefreiung“ auch aus der Sicht des historischen Gesetzgebers – wenn auch keine Rechtsgeschäfte – solche Sozialakte waren, bei denen der Betroffene keinesfalls mitwirken durfte. Es blieben für das Stimmverbot im Übrigen nur die Rechtsgeschäfte mit dem Gesellschafter als Drittem.22 Erst der Gesetzgeber des BGB (§ 34) hat die rechtliche Verselbstständigung der juristischen Person von ihren Mitgliedern auch bei den Sozialakten der Selbstentlastung und Selbstbefreiung erkannt und diese zutreffend als Rechtsgeschäfte gegenüber dem Mitglied eingeordnet, die nicht besonders hervorzuheben seien.23 Nach allem ist der hM uneingeschränkt zu folgen, dass der davon betroffene Gesellschafter bei Sozialakten sein Stimmrecht ausüben kann, doch bedarf es dazu keiner teleologischen Reduktion des § 47 Abs. 4 S. 2 GmbHG: Das Stimmverbot ist auf Sozialakte nach historischer Auslegung schon gar nicht anzuwenden. Andererseits ist der Fall der Abberufung des Gesellschafter-Geschäftsführers oder die Einziehung seines Geschäftsanteils aus wichtigem Grund überhaupt kein Anwendungsfall des Stimmverbots, welches für diesen besonderen Sozialakt also auch nicht „wiederhergestellt“ werden muss.24 Es bedarf 20   Zur Entstehungsgeschichte der Aktienrechtsreform 1884 s. die Gesetzesmaterialien bei Schubert/Hommelhoff ZGR Sonderheft 4, 1985, zu diesem Gesetzgebungsvorschlag ebenda S. 235. 21  Eingehend v. Gierke Die Genossenschaftstheorie und die Deutsche Rechtsprechung, 1887, S. 714 ff.; Hachenburg LZ 1907, 463 f.; s. auch Hachenburg GmbHG, 5. Aufl., 1927, § 47 Anm. 17 ff. 22   Die Novelle des HGB von 1884 kannte die Verbotsvariante betreffs der Rechtsstreitigkeiten, § 47 Abs. 4 S. 2 Alt. 2 GmbHG noch nicht (eingehend zur Historie auch Wilhelm Rechtsform, o. Fn. 7, S. 75 ff.). 23   Mot. I S. 107 = Mugdan I S. 411 mit Hinweis auf RGZ 4, 296, 302: Stimmverbot des Vereinsmitglieds bei Selbstentlastung; s. auch Wilhelm Rechtsform, o. Fn. 7, S. 73 f. 24   So die hM, statt aller Zöllner Schranken, o. Fn. 2, S. 151.

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keiner Begründung dafür, dass ein Gesellschafter-Geschäftsführer, der aus (objektiv vorliegendem!25) wichtigem Grund abberufen werden soll, darüber nicht bestimmen kann. Deshalb formuliert § 712 BGB im Parallelfall, die Geschäftsführungsbefugnis werde aus wichtigem Grund durch Beschluss „der übrigen Gesellschafter“ entzogen. Die Vorstellung, der Betroffene könne dabei mitstimmen, hielt der Gesetzgeber des BGB mit Recht für abwegig.26 Nichts anderes gilt bei der Einziehung des Geschäftsanteils aus wichtigem Grund.27 4.  Der Dienstvertrag mit dem Gesellschafter-Geschäftsführer als „Sozialakt“ Die hM argumentiert, auch der Dienstvertrag des GesellschafterGeschäftsführers mit seiner GmbH sei kein Fall des Stimmverbots, weil letztlich ein Element des Sozialakts der Organbestellung.28 Die hM geht auf eine Entscheidung des Reichsgerichts aus dem Jahr 1910 zurück, in welcher die Bestellung in das Organamt und die Bestimmung der Konditionen des Anstellungsvertrages erstmals durcheinandergebracht wurden: „… bilden die Bestellung zum Geschäftsführer und der die Gehaltsregelung enthaltende Dienstvertrag einen einheitlichen, untrennbaren Akt, weil Anstellung und Dienstvertrag sich gegenseitig zueinander verhalten wie die Bestandteile eines einzigen Vertrags.“29

Gewiss hängt die Bereitschaft zur Übernahme des Geschäftsführeramtes von der Höhe des Gehalts ab, und eine Entscheidung der Gesellschafterversammlung darüber wird in der Regel in einem Zuge erfolgen. Und doch unterscheidet das Gesetz sehr genau zwischen dem Sozialakt der Bestellung zum Geschäftsführer, an welcher teilzunehmen sein Mitgliedschaftsrecht ist, und dem Austauschvertrag, der dem Kandidaten ein Gehalt vermittelt und deshalb nicht zu seiner Disposition stehen soll (§ 47 Abs. 4 S. 2 GmbHG). Das generalklauselartig verwendete Schlagwort vom Verbot, „Richter in eigener Sache“ zu sein,30 hilft kaum weiter: Wenn sich der GesellschafterGeschäftsführer selbst eine Tantieme i.H.v. 2 % des Jahresumsatzes zusprechen kann31 oder anderweitige Vergünstigungen wie etwa Pensionszulagen32, ist er unzweifelhaft „Richter in eigener Sache“, und doch soll er nach hM   Dazu zuletzt Altmeppen GmbHR 2018, 225 ff. mwN.   S. Mot. II S. 606 = Mugdan II S. 339: „… selbstverständlich mit Ausschluss des Gesellschafters, um dessen Abberufung es sich handelt.“ 27  Vgl. Wilhelm Rechtsform, o. Fn. 7, S. 90: „… aus der Natur der Sache.“ 28   Statt aller Scholz/Karsten Schmidt, o. Fn. 7, § 46 Rn. 75: „Bestandteil der inneren Organisation der Gesellschaft.“ 29   RGZ 74, 276, 280. 30   Dazu o. Fn. 1. 31   BGH DB 1977, 85. 32   BGHZ 18, 205. 25 26

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nicht dem Stimmverbot unterliegen, weil der Dienstvertrag „Bestandteil der inneren Organisation der Gesellschaft“ sei.33 Dabei wird verkannt, dass der historische Gesetzgeber nur ein einziges formales Abgrenzungskriterium kennt, von dem die Stimmverbote abhängen. Unzweifelhaft ist zwar der „Interessenwiderstreit“ Grundgedanke aller Stimmverbote. Dieser eher redundante Befund ist aber kein taugliches Abgrenzungskriterium. Der Gesetzgeber des BGB hat in den Gesetzesmaterialien zu § 34 BGB treffend hervorgehoben, dass die Stimmverbote des Gesellschaftsrechts ein auf die Entscheidung der Mitgliederversammlung abgewandeltes Verbot des Insichgeschäfts (§ 181 BGB) sind.34 Die Annahme, es gehe vor allem auch um das Verbot, „Richter in eigener Sache“ zu sein, ist nichts als ein Unteraspekt des Rechtsgedankens, den das Selbstkontrahierungsverbot enthält: Man darf nicht in der Weise „Richter in eigener Sache“ sein, dass man auf beiden Seiten des Rechtsgeschäfts steht! Denn dann ist man per se nicht tauglicher procurator seines Geschäftsherrn. Darauf, ob er seine Vertretungsmacht missbrauchen wird, kommt es nicht an, weil schon der formale Ausschluss von der Vertretung dies verhindert.35 Übertragen auf das Stimmverbot des Gesellschafters ist das allein entscheidende Kriterium, ob der Gesellschafter nicht nur auf Seiten der Gesellschaft, sondern auch auf der anderen Seite des maßgebenden Rechtsakts beteiligt ist: Dann ist seine Stimmabgabe im Willensbildungsorgan der Gesellschaft generell unwirksam, nicht nur bei missbräuchlicher Stimmrechtsausübung. Bei Abschluss eines Dienstvertrages der GmbH mit einem Gesellschafter ist dieser auf beiden Seiten des Rechtsgeschäfts beteiligt ist. Deshalb trifft ihn das Stimmverbot des § 47 Abs. 4 S. 2 Alt. 1 GmbHG.36 Die herrschende Meinung muss demgegenüber Abhilfe bei der Rechtsfigur des Stimmrechtsmissbrauchs oder der verdeckten Gewinnausschüttung suchen, was zu erheblichen Abgrenzungsschwierigkeiten führt.37   Statt aller Scholz/Karsten Schmidt, o. Fn. 7, § 46 Rn. 75.   S. dazu Prot. Mugdan I S. 617; Wilhelm JZ 1976, 674 ff.; ders. Rechtsform, o. Fn. 7, S. 68 f.; Flume BGB AT I/1,1977, S. 246 ff.; ders., BGB I/2, 1983, S. 220 ff. Nicht zutr. erfasst von Zöllner Schranken, o. Fn. 2, S. 263 ff., 269 f. und Schilling in FS Ballerstedt, 1975, S. 257, 270 f.: Das Verbot in § 181 BGB sei kein „allgemeines Prinzip“ zum Stimmrechtsausschluss. In Wirklichkeit ist es mit dem Stimmverbot identisch. 35  Vgl. zur Abgrenzung des § 181 BGB vom evidenten Missbrauch der Vertretungsmacht Flume BGB AT II, 4. Aufl. 1992, S. 819 f. 36   S. zum Parallelfall des § 34 BGB Mot. II, S. 107 = Mugdan II, S. 411: Stimmverbot bei Anstellungsvertrag mit Vereinsvorstand. 37   Im Fall BGH DB 1977, 85 hatte der BGH erwartungsgemäß die größte Mühe, einen Stimmrechtsmissbrauch unter dem Aspekt der Sachwidrigkeit oder Unzumutbarkeit einer Erfolgsvergütung in Gestalt einer Tantieme von 2 % des Jahresumsatzes festzustellen. Den Ausschlag sollte geben, dass die Zubilligung einer Umsatzprovision sich „... immerhin noch im Rahmen des wirtschaftlich Vertretbaren“ gehalten habe (BGH DB 1977, 85 f.). Welches Gehalt des Geschäftsführers als „wirtschaftlich vertretbar“ anzusehen ist, soll nach § 47 33 34

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An dieser Stelle ist festzuhalten, dass der Dienstvertrag mit einem Gesellschafter-Geschäftsführer mit dem Sozialakt der Bestellung ins Organamt nicht zu vergleichen ist, soweit es um das Stimmverbot geht. Sozialakte sind nämlich überhaupt nicht vom Stimmverbot erfasst, wohl aber Rechtsgeschäfte mit dem Gesellschafter, wenn dieser auf beiden Seiten des Geschäfts steht. Der Dienstvertrag mit dem Gesellschafter ist ein Schulbeispiel dafür.38

III.  Beteiligung „Dritter“ 1. Problematik Im direkten Fall der Stimmverbote geht es darum, dass der Gesellschafter selbst kein Stimmrecht haben soll, weil er von dem Rechtsakt betroffen ist. Von mittelbarer Betroffenheit spricht man, wenn zwar eine andere Person beteiligt, aber ein vergleichbarer Interessenkonflikt anzunehmen ist. Geregelt ist zwar noch, dass der Gesellschafter nicht stimmrechtsbevollmächtigt sein kann, wenn ihn selbst das Stimmverbot trifft (§ 47 Abs. 4 S. 1: „... darf ein solches auch nicht für andere ausüben.“). Keine Regelung erfahren hat jedoch der Fall, dass der Gesellschafter einen Stimmrechtsvertreter in der Gesellschafterversammlung für sich auftreten lässt. Die hM erkennt darin eine „Umgehung“ des Stimmverbots, der Vertreter habe analog § 47 Abs. 4 GmbHG kein Stimmrecht.39 Erkennt man den einzig tragenden Grund der Stimmverbote im Gesellschaftsrecht, ist dieser Fall selbstverständlich erfasst. Denn im Grundfall des Selbstkontrahierungsverbots kann der Vertreter keine andere Person als Stellvertreter bestellen und anschließend mit ihr das Rechtsgeschäft abschließen, gleich, ob die andere Person weisungsgebunden ist, ob sie Vertreter des Geschäftsherrn oder Vertreter des Vertreters i.S.d. § 181 BGB werden soll: In allen Fällen steht der vom Selbstkontrahierungsverbot Betroffene bei dem Rechtsgeschäft mit dem von ihm bestellten Vertreter auf beiden Seiten des Rechtsgeschäfts, und das ist der entscheidende Gedanke des § 181 BGB, der das Vertretergeschäft unabhängig davon für ungültig erklärt, ob ein Missbrauch der Vertretungsmacht stattfinden wird.40

Abs. 4 S. 2 GmbHG aber nicht dieser, sondern in der mehrgliedrigen GmbH die Gesellschafterversammlung ohne seine Mitwirkung entscheiden. 38  Zutr. Flume BGB AT I/1, S. 250; ders. BGB AT I/2, S. 231; Wilhelm Rechtsform, o. Fn. 7, S. 89,124; Rowedder/Schmidt-Leithoff/Ganzer, o. Fn. 19, § 47 Rn. 90; Michalski/ Römermann, o. Fn. 7, § 47 Rn. 249. 39  MüKoGmbHG/Drescher, o. Fn. 10, § 47 Rn 192; Lutter/Hommelhoff/Bayer, o. Fn. 14, § 47 Rn. 38 jew. unter Hinweis auf § 136 Abs. 1 S. 2 AktG; krit. Scholz/Karsten Schmidt, o. Fn. 7, § 47 Rn. 157: Umgehungsgedanke trage nur bei Weisungsgebundenheit des Vertreters. 40   Statt aller Flume BGB AT II, o. Fn. 35, S. 818 f.

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Übertragen auf das Stimmverbot gilt, dass der Gesellschafter auf beiden Seiten des Geschäfts steht, wenn er in der Gesellschafterversammlung der GmbH bei der Stimmabgabe vertreten wird, die ein Rechtsgeschäft der GmbH mit dem Gesellschafter betrifft, unabhängig davon, ob der Vertreter weisungsgebunden ist, ob die Vertretungsmacht eine rechtsgeschäftliche oder eine gesetzliche ist.41 2.  Bürgschaft, Vertrag zu Gunsten Dritter, Kommission Der Vertrag der GmbH mit einem Dritten kann für den Gesellschafter günstig sein, er insbesondere entscheidendes Interesse daran haben, ohne aber der Vertragspartner zu sein. Ist der Gesellschafter etwa der Hauptschuldner im Rahmen einer Bürgschaft, der Begünstigte eines Vertrages zu Gunsten Dritter oder der Kommittent bei dem Ausführungsgeschäft der GmbH mit dem Kommissionär, ist der Meinungsstand zum Stimmverbot des Gesellschafters eher verworren. Für den Fall der Bürgschaft wird das Stimmverbot überwiegend verneint,42 beim Kommissionsvertrag demgegenüber bejaht, wenn der Gesellschafter Kommittent ist,43 ebenso beim Vertrag zu Gunsten Dritter, wenn der Gesellschafter Begünstigter ist.44 Unzweifelhaft ist der Gesellschafter „Richter in eigener Sache“, wenn er in der Gesellschafterversammlung für Verträge mit einem Dritten abstimmt, deren Nutznießer letztlich allein der Gesellschafter ist. Einmal mehr zeigt sich aber, dass durch die „Generalklausel“, der Gesellschafter dürfe nicht „Richter in eigener Sache“ sein, die in der Dogmatik klare gesetzgeberische Wertung der Stimmverbote eher verwischt wird. Im Parallelfall des § 181 BGB wird sehr zu Recht von niemandem angenommen, der Vertreter könne seinen Geschäftsherrn bei dem Bürgschaftsvertrag mit dem Gläubiger nicht vertreten.45 Hier hilft nur die Rechtsfigur des evidenten Missbrauchs der Vertretungsmacht, wenn der Vertreter bei Abschluss des Bürgschaftsvertrages die Interessen seines Geschäftsherrn offenkundig verletzt. Übertragen auf das Stimmverbot ist die Stimmabgabe rechtsmissbräuchlich und nichtig, wenn der Gesellschafter für den Vertrag mit einem Dritten votiert, weil er einen ungerechtfertigten Sondervorteil erstrebt.46

  Insofern richtig Scholz/Karsten Schmidt, o. Fn. 7, § 47 Rn. 157.  Vgl. Immenga GmbHR 1977, 221; aA Roth/Altmeppen/Roth, o. Fn. 16, § 47 Rn. 76. 43  Scholz/Karsten Schmidt, o. Fn. 7, § 47 Rn. 151; Roth/Altmeppen/Roth, o. Fn. 16, § 47 Rn. 76. 44  Scholz/Karsten Schmidt, o. Fn. 7, § 47 Rn. 151. 45   Statt aller MüKoBGB/Schubert, 7. Aufl., 2015, § 181 Rn. 42. 46   Zu den Grenzen der Privatautonomie bei der Stimmabgabe eingehend BGH NJW 2016, 2739 Tz. 19 „Media/Saturn“; UHL/Hüffer/Schürnbrand, o. Fn. 9, § 47 Rn. 204; Scholz/Karsten Schmidt, o. Fn. 7, § 47 Rn. 26 ff. mwN. 41 42

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3.  Nahestehende Personen Paradigmatisch für die Gefahr, das dogmatisch allein maßgebende Abgrenzungskriterium zu verfehlen, ist die Argumentation im Zusammenhang mit nahestehenden Personen. Es sei „offensichtlich unbefriedigend“, dass beispielsweise die Anteile der Ehefrau oder der Kinder bei Interessenkollisionen in der Person des Mannes und Vaters nicht mit dem Stimmrecht ausgeschlossen seien.47 Die hM argumentiert, der materielle Interessenkonflikt müsse bei Angehörigen nicht generell vorhanden sein, die Abgrenzung führe zudem zu Rechtsunklarheiten.48 In der Tat können auch nahe Angehörige nicht mit dem Gesellschafter gleichgesetzt werden, ebenso wenig wie es bei Rechtsgeschäften des Vertreters mit dem Angehörigen um Insichgeschäfte (§ 181 BGB) geht. Die Kritiker übersehen, dass der generelle Ausschluss vom Stimmrecht – ebenso wie die generelle Einschränkung der Vertretungsmacht bei Insichgeschäften – an das entscheidende und klare Kriterium der Beteiligung auf beiden Seiten des Rechtsgeschäfts anknüpft, während etwa die Betroffenheit eines Angehörigen im Einzelfall daraufhin zu prüfen ist, ob der Vertreter (§ 181 BGB) oder der Gesellschafter (§ 47 Abs. 4 GmbHG) sein im Interesse des Angehörigen erfolgtes Vertretergeschäft oder seine so motivierte Stimmabgabe rechtsmissbräuchlich vorgenommen hat. 4.  Unternehmensverbindungen und gemeinschaftliche Beteiligungen Wenn eine Handelsgesellschaft oder ein anderweitiger Verband den Geschäftsanteil innehat, stellt sich die Frage, ob die Betroffenheit eines seiner Mitglieder auf den gesamten Verband „abfärbt“.49 Dies wurde früher vielfach angenommen,50 während man heute darauf abstellt, ob das befangene Mitglied auf die Willensbildung seines Verbandes beherrschenden Einfluss nehmen kann.51 Eine Minderheitsbeteiligung soll nicht genügen, auch dann nicht, wenn der Betroffene zugleich organschaftlicher Vertreter des Verbandes ist.52

 Roth/Altmeppen/Roth, o. Fn. 16, § 47 Rn. 81; U.H. Schneider ZHR 150 (1986), 609.  BGHZ 80, 69, 71 = NJW 1981, 1512; MüKoGmbHG/Drescher, o. Fn. 10, § 47 Rn. 203; Scholz/Karsten Schmidt, o. Fn. 7, § 47 Rn. 154 jew. mwN. 49   Wiedemann GmbHR 1969, 251. 50   Nachw. bei Scholz/Karsten Schmidt, o. Fn. 7, § 47 Rn. 159. 51  Statt aller BGHZ 153, 285, 291 = NJW 2003, 2314; MüKoGmbHG/Drescher, o. Fn. 10, § 47 Rn. 196 f.; Scholz/Karsten Schmidt, o. Fn. 7, § 47 Rn. 159. 52   BGH ZIP 2009, 2194 Tz. 7; MüKoGmbHG/Drescher, o. Fn. 10, § 47 Rn. 197 mwN; tendenziell anders Scholz/Karsten Schmidt, o. Fn. 7, § 47 Rn. 160, wenn der Betroffene organschaftlicher Vertreter ist. 47 48

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Bei genauer Betrachtung hilft abermals allein das dogmatisch maßgebende Abgrenzungskriterium der Beteiligung auf beiden Seiten des Rechtsgeschäfts. Dabei sind zwei Fallgruppen zu unterscheiden. Ist nicht der Verband, sondern nur sein Mitglied betroffen, kommt es entscheidend darauf an, dass dieses Mitglied nicht für den an sich unbefangenen Verband das Stimmrecht ausübt. Entgegen hM ist dies aber auch dann der Fall, wenn der Betroffene den Verband gar nicht beherrscht, aber bei seiner Stimmabgabe vertritt, mag der Betroffene der einzige oder einer von mehreren Vertretern sein. Genauer: Dieser Vertreter hat dann kein Stimmrecht für den Verband, weil er betroffen ist und auf beiden Seiten des Rechtsgeschäfts steht, mag er den Verband als Inhaber des Geschäftsanteils beherrschen oder nicht.53 Ist der Betroffene nicht der Vertreter des Verbandes, trifft die hM aber das Richtige, wenn sie auf beherrschenden Einfluss des Betroffenen auf den Verband abstellt: Dann ist er so zu behandeln wie der Vertreter des Verbandes bei der Stimmrechtsausübung, weil er darüber bestimmen kann und im Zweifel auch bestimmen wird, wie der Vertreter des Verbandes dessen Stimme in der Gesellschafterversammlung ausübt (§§ 18 Abs. 1 S. 3, 17 Abs. 2, 16 AktG analog). Der Verband unterliegt dann einem Stimmverbot (§ 47 Abs. 4 GmbHG), gleich, wer ihn in der Versammlung vertritt. In der zweiten Fallkonstellation hält der betroffene Verband keinen Geschäftsanteil an der GmbH, deren Gesellschafter ist aber an dem Verband beteiligt. Beispiele: Die GmbH will einen Kaufvertrag mit einer anderen Handelsgesellschaft („Drittgesellschaft“) abschließen, an welcher ein Gesellschafter der GmbH beteiligt ist. Abwandlung: Die GmbH will den Mietvertrag mit dieser Drittgesellschaft kündigen. Die hM argumentiert, es komme entscheidend darauf an, ob der Gesellschafter der GmbH bei deren Abstimmung über das Rechtsgeschäft mit der Drittgesellschaft deren Interessen den Vorrang einräume oder dies zu erwarten sei.54 Teilweise wird danach differenziert, ob die Drittgesellschaft eine Kapital- oder eine Personengesellschaft sei. In letzterem Fall greife das Stimmverbot immer, weil der Gesellschafter einer Personengesellschaft als deren Teilhaber generell vom Stimmverbot miterfasst werde.55 Weitere Differenzierungen lauten, das Stimmverbot verlange ein unternehmerisches Interesse des Gesellschafters in der Drittgesellschaft.56 Auch hier hilft nur das dogmatisch treffende Abgrenzungskriterium: Wer beherrschenden Einfluss auf die Entscheidung bei der Drittgesellschaft hat  Treffend Wilhelm Rechtsform, o. Fn. 7, S. 131 ff., 137.  MüKoGmbHG/Drescher, o. Fn. 10, § 47 Rn. 198; Scholz/Karsten Schmidt, o. Fn. 7, § 47 Rn. 163; UHL/Hüffer/Schürnbrand, o. Fn. 9, § 47 Rn. 145. 55   So Baumbach/Hueck/Zöllner/Noack, o. Fn. 11, § 47 Rn. 97; aA die hM, statt aller MüKoGmbHG/Drescher, o. Fn. 10, § 47 Rn. 199. 56  Scholz/Karsten Schmidt, o. Fn. 7, § 47 Rn. 164 mwN; zu Recht ablehnend MüKoGmbHG/Drescher, § 47 Rn. 199: „Kein geeignetes Abgrenzungskriterium“. 53 54

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und zugleich im Organ der GmbH bei der Entscheidung über das Rechtsgeschäft mit ihr mitwirkt, handelt auf beiden Seiten des Rechtsgeschäfts. Dies führt zum Stimmverbot (§ 47 Abs. 4 GmbHG). Das gilt auch für einseitige Rechtsgeschäfte, Paradigma: Kündigung des Mietvertrages der GmbH mit der Drittgesellschaft. Ist er deren Alleingesellschafter, liegt das Stimmverbot des Gesellschafters der GmbH bei deren Entscheidung über das einseitige Rechtsgeschäft gegenüber der Drittgesellschaft auf der Hand.57 Doch es genügt schon die Beherrschung der Drittgesellschaft.58 Wenn und weil der Gesellschafter der Herrscher über die Drittgesellschaft ist, besteht die Gefahr, dass er seine Entscheidung über die Kündigung, die er als Organmitglied in der Gesellschafterversammlung für die GmbH zu treffen hat, aus der Perspektive der Kündigungsgegnerin treffen wird, deren Herrscher er ist. Die Empfängerin der Kündigungserklärung wirkt an dem einseitigen Rechtsgeschäft zwar nicht direkt mit, insofern besteht ein relevanter Unterschied zu zweiseitigen Rechtsgeschäften mit einer Drittgesellschaft. Eine Beteiligung auf beiden Seiten des einseitigen Rechtsgeschäfts liegt aber vor, wenn die Kündigung, über die der Gesellschafter abstimmt, ihn selbst betrifft. Das ist nicht nur dann der Fall, wenn er Erklärungsgegner oder Einmann-Gesellschafter der Erklärungsgegnerin ist. Im Zweifel genügt die Beherrschung, weil sie die Entscheidung des Gesellschafters über die Kündigung in seiner Doppelrolle als Mitglied im Entscheidungsgremium und zugleich als Herrscher der Kündigungsempfängerin aus dem Gesichtspunkt der eigenen Betroffenheit von der Kündigung zu bestimmen geeignet ist, sei es, dass die Drittgesellschaft die Kündigung befürwortet oder fürchtet. Für gemeinschaftliche Beteiligungen (Erbengemeinschaft, Bruchteilsgemeinschaft, Gütergemeinschaft) gelten die dargelegten Grundsätze entsprechend. Der Vertreter der Gemeinschaft, der für sie das Stimmrecht ausüben will, kann dies nicht, wenn er zugleich der Betroffene ist, dem gegenüber das Rechtsgeschäft erfolgen soll: Dann steht er auf beiden Seiten. Dasselbe gilt aber auch, wenn der Betroffene die Stimmabgabe der Erbengemeinschaft maßgeblich bestimmen kann.59 Gilt in der Gemeinschaft das Einstimmigkeitsprinzip, kann der Betroffene richtiger Ansicht nach die Stimmabgabe der Gemeinschaft immer maßgeblich mitbestimmen.60

  Statt aller MüKoGmbHG/Drescher, o. Fn. 10, § 47 Rn. 199.  Zweifelnd MüKoGmbHG/Drescher, o. Fn. 10, § 47 Rn. 199, weil nicht sicher zu beurteilen sei, in welcher der Gesellschaften der Gesellschafter seine Interessen mehr verfolge. 59   Vgl. dazu BGHZ 116, 353, 358. 60  Scholz/Karsten Schmidt, o. Fn. 7, § 47 Rn. 161; Wiedemann GmbHR 1969, 252. 57 58

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IV.  Disponibilität der Stimmverbote 1. Meinungsstand Erkennt man, dass die Stimmverbote im Gesellschaftsrecht nur den Rechtsgedanken des Selbstkontrahierungsverbots auf Organentscheidungen der Gesellschafterversammlung übertragen, wenn ein Betroffener auf beiden Seiten des Rechtsakts steht, liegt die Disponibilität des Stimmverbots nahe. Denn der Geschäftsherr kann seinen Vertreter gerade vom Selbstkontrahierungsverbot befreien (§ 181 BGB). So nimmt nicht Wunder, dass diese Auffassung von Hachenburg noch dezidiert vertreten wurde: „Das Stimmverbot des Abs. 4 (sc. § 47 GmbHG) ist auch kein logisch zwingendes. Es folgt nicht aus dem Wesen der Abstimmung mit absoluter Notwendigkeit. Es kann einem Vertreter das Kontrahieren mit sich selbst gestattet werden (BGB. § 181). ... Das Stimmverbot ist in dem Interesse der Gesellschaft begründet. Ohne Rücksicht darauf, ob im Einzelfalle ein Missbrauch des Stimmrechts zu eigenem Vorteil oder zum Schaden der Gesellschaft vorliegt, ist es für die in Abs. 4 erwähnten Fälle ausgesprochen. Auf diese Schutzmaßregel kann die Gesellschaft wieder verzichten.“61

Der BGH zieht die Grenze dort, wo die Befreiung vom Stimmverbot gegen § 138 BGB verstoße, indem sich „... die anderen Gesellschafter in die Hand dessen begeben, der die Gesellschaft möglicherweise geschädigt hat, was insbesondere eine Rolle spielt, wenn es um die Geltendmachung von Ersatzansprüchen wegen Pflichtverletzung des Betroffenen oder um dessen Entlastung geht.“62 Die heute hM im Schrifttum differenziert danach, ob es um das „nicht disponible“ Verbot gehe, „Richter in eigener Sache“ zu sein oder um gewöhnliche Rechtsgeschäfte, bei denen eher der Rechtsgedanke des § 181 BGB hervortrete.63 2. Stellungnahme Die Differenzierung der heute hM64 ist unschlüssig. Es trifft nicht zu, dass etwa eine Selbstentlastung wegen des Verbots, Richter in eigener Sache sein, generell nicht zugelassen werden könne. Dies bestätigt die zutreffende Ansicht, nach welcher sich der Alleingesellschafter selbst entlasten darf.65 61   Hachenburg, GmbHG, 5. Aufl. 1927, § 47 Anm. 26; ebenso RGZ 89, 367, 383; RGZ 122, 159, 162. 62   BGH WM 1980, 649, 650; BGHZ 108, 21, 26 f. 63  MüKoGmbHG/Drescher, o. Fn. 10, § 47 Rn. 209 ff.; Scholz/Karsten Schmidt, o. Fn. 7, § 47 Rn. 173; Lutter/Hommelhoff/Bayer, o. Fn. 14, § 47 Rn. 37; aA Michalski/Römermann, o. Fn. 7, § 47 Rn. 342: stets unabdingbar. 64   Siehe die Nachw. o. Fn. 63. 65   Zutreffend MüKoGmbHG/Drescher, o. Fn. 10, § 47 Rn. 187; UHL/Hüffer/Schürnbrand, o. Fn. 9, § 47 Rn. 136; aA Zöllner Schranken, o. Fn. 2, S.184; Scholz/Karsten Schmidt, o. Fn. 7, § 47 Rn 105.

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Allerdings wird bei der Diskussion übersehen, dass die Zweite Kommission im Zusammenhang mit der Schwesterbestimmung in § 34 BGB die Disponibilität verneint, sie nämlich bewusst aus dem Katalog dispositiver Vorschriften (§ 40 BGB) gestrichen hat. In den Protokollen heißt es dazu: „Die Mehrheit erklärte sich damit einverstanden, dass der § 31 Abs. 3 (= § 34 BGB) nicht zitiert werden sollte, weil die in ihm gegebene Vorschrift ihrer Natur nach zwingendes Recht enthalte.“66

Mit Recht hat Flume daraus geschlossen, man dürfe im Rahmen des § 47 Abs. 4 S. 2 GmbHG nicht anders entscheiden, weil es um dieselbe Problematik gehe.67 Der elementare Unterschied zu § 181 BGB besteht bei den Stimmverboten darin, dass der Geschäftsherr seinem Stellvertreter die Befugnis zum Selbstkontrahieren jederzeit wieder nehmen kann, während die statutarische Ermächtigung, in Fällen des gesetzlichen Stimmverbots mitstimmen zu dürfen, auf eine unwiderrufliche und unbegrenzte Ermächtigung hinausläuft, die § 181 BGB jedenfalls nicht kennt.68 Bejaht man sie unter Hinweis auf die Disponibilität des § 181 BGB,69 hilft nur noch die Einzelfallprüfung, ob der vom Stimmverbot Befreite missbräuchlich abgestimmt hat.70 Die besseren Argumente sprechen für die Erwägungen der Zweiten Kommission, dass die Stimmverbote im Gesellschaftsrecht generell nicht disponibel sind.

V. Ergebnisse 1. Die Stimmverbote des § 47 Abs. 4 GmbHG beruhen auf dem Rechtsgedanken des § 181 BGB, es soll verhindert werden, dass der Betroffene in formalrechtlicher Hinsicht auf beiden Seiten des Rechtsakts steht, mag es sich um ein Rechtsgeschäft oder eine rechtsgeschäftsähnliche Maßnahme handeln. Dafür genügt es nicht, dass der Gesellschafter besondere Individualinteressen daran haben mag. 2. Sozialakte sind, dies ergibt die historische Auslegung, von vornherein nicht vom Stimmverbot erfasst, auch dann nicht, wenn sie Rechtsgeschäfte betreffen. Der Sozialakt der Entziehung einer Rechtsstellung aus wichtigem Grund wiederum hat mit dem Stimmverbot gar nichts zu tun, weil darüber immer nur die anderen Gesellschafter entscheiden (arg. § 712 BGB).

  Prot. VI S. 115.   Flume BGB AT I/2, o. Fn. 34, S. 225 f. 68  Treffend Flume, o. Fn. 67. 69   So konsequent Hachenburg, o. Fn. 21, § 47 Anm. 26. 70   Hachenburg, o. Fn. 21, § 47 Anm. 26. 66 67

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3. Der Aspekt des „Interessenkonflikts“ oder des „Richtens in eigener Sache“ hilft gerade in Grenzfällen nicht weiter, sondern verwischt die präzise Entscheidung für oder gegen das Stimmverbot. Der Gesetzgeber des § 34 BGB hat treffend erkannt, dass es dabei nur um die Übertragung des in § 181 BGB niedergelegten Gedankens in die Entscheidung der Gesellschafterversammlung geht, wenn ein Gesellschafter auf beiden Seiten des Rechtsakts betroffen ist. Mit Recht hat der Gesetzgeber des § 34 BGB auch entschieden, dass das Stimmverbot nicht zur Disposition stehen sollte, anders als das Verbot des Selbstkontrahierens (§ 181 BGB).

Der Bergmann-Senat Revisionsrechtsprechung im Gesellschaftsrecht am Anfang des 21. Jahrhunderts Gregor Bachmann I. Einführung Von Ende 2010 bis Anfang 2017 stand Alfred Bergmann an der Spitze des II., für das Gesellschaftsrecht zuständigen Zivilsenats des BGH. Damit trat er kein einfaches Erbe an. Der Senat ist bekannt für selbstbewusste, bisweilen kühne Rechtsfortbildung, die wiederholt Kontroversen und Kehrtwenden auslöste.1 Ihm standen durchweg Persönlichkeiten vor, die der Senatsrechtsprechung in unterschiedlicher Weise ihren Stempel aufgeprägt hatten. Neben nachgerade legendären Figuren wie Robert Fischer und Walter Stimpel galt dies auch für Bergmanns unmittelbare Vorgänger, Volker Röhricht und Wulf Goette.2 Ziel dieses Beitrages ist es nicht, den Jubilar als Person zu würdigen – dies ist bereits im Vorwort dieser Festschrift geschehen –, sondern das für die Rechtsprechung des Bergmann-Senats Prägende herauszustellen. Dabei geht es nicht darum, in Detektivarbeit den individuellen Einfluss des Vorsitzenden (oder anderer Senatsmitglieder) auf konkrete Urteile zu ermitteln.3 Ein solcher Ansatz stieße auf beachtliche Hürden, weil das Beratungsgeheimnis keinen Blick hinter den Schleier zulässt und Individualpublikationen, aus denen sich auf einen möglichen Einfluss einzelner Senatsmitglieder rückschließen ließe,4 hier nicht in ausreichendem Maße zur Verfügung stehen. Anliegen des Beitrags ist es ebenfalls nicht, die Senatsrechtsprechung in der fraglichen Periode im Detail nachzuzeichnen. Noch weniger geht es darum, Anekdotisches über den Senat oder seine Mitglieder zum Besten zu 1   Umfassend zur Rechtsfortbildung des Senats und ihren Ursachen Mülbert AcP 214 (2014), 188–300. 2  Zum Einfluss der jeweiligen Senatsvorsitzenden Ch. Weiß Der Richter hinter dem Recht – Kontinuität und Brüche in der Rechtsprechung des BGH zum GmbH-Recht mit Blick auf die Besetzung des II. Zivilsenats, 2014, S. 486–507. 3   Diesen Versuch unternimmt die Dissertation von Ch. Weiß (Fn. 2), S. 345 ff. 4   So das methodische Vorgehen bei Ch. Weiß (Fn. 2); ders. Jb JZivRWiss. 2014, S. 239– 273.

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geben.5 Die Fragestellung lautet vielmehr, ob man der Rechtsprechung des Bergmann-Senats eine methodologische oder, im weiteren Sinne, „politische“ Grundlinie zuschreiben kann, die sich über die Einzelheiten der jeweils entschiedenen Fälle hinaus als Bogen über die Ära spannt und die sich als Charakteristikum des Bergmann-Senats bezeichnen lässt. Als Ausgangspunkt und zugleich als Arbeitshypothese soll dabei die von einem Beobachter geäußerte Einschätzung dienen, dass sich der II. Zivilsenat unter dem Vorsitz Bergmanns „mehr judicial self-restraint“ als unter seinen Vorgängern auferlegt habe.6 Ausführlicher und stärker auf die Person bezogen liest sich das andernorts so: „Bergmann [wirkt] zurückhaltend, wohl überlegend und abwägend. Dementsprechend sucht er nicht die Rechtsfortbildung, wo diese seiner Meinung nach nicht unbedingt erforderlich ist, sondern orientiert die Rechtsprechung sehr nahe am Gesetzeswortlaut und den Äußerungen in den Gesetzesmaterialien. Dies erklärt die [...] Rechtsprechung unter Bergmann sehr treffend [...].“7

Diese Einschätzung, die von Kennern der Szene geteilt wird8 und die auch dem Selbstverständnis des Jubilars entsprechen dürfte,9 soll im Folgenden durch den Abgleich markanter Urteile der Bergmann-Ära erhärtet werden. Zuvor sind einige Worte zum Senat, seiner Aufgabe und seinem Vorsitzenden am Platz.

II.  Der Senat und sein Vorsitzender 1.  Das Personal des Bergmann-Senats Als Bergmann am 17.11.2010 den Senatsvorsitz übernahm, fand er dort mit Lutz Strohn und Gabriele Caliebe einen Kollegen und eine Kollegin vor, die noch unter seinem Vor-Vorgänger Röhricht in den Senat gelangt waren. Zu diesen hatten sich während des Vorsitzes seines Vorgängers Goette (ab 1.6.2005) die Bundesrichterin Angelika Reichart (ab 2005) sowie die Bundesrichter Ingo Drescher (2007) und Manfred Born (2010) gesellt, zu denen  – praktisch zeitgleich mit Bergmann – dann noch Thomas Sunder (2010) 5  Zum wissenschaftlich anspruchsvolleren Unterfangen, die vom Senat entschiedenen Fälle in einen narrativen Kontext einzubinden s. Fleischer NZG 2018, 241. 6   U. Seibert AG 2015, 593, 594. 7   Ch. Weiß (Fn. 2), S. 507. 8  Vgl. Hommelhoff (zitiert nach B. Schneider VGR 19 (2014), S. 17, 21 (Diskussionsbericht)); nuancierter Thiessen Rg 25 (2017), 46, 65, mit dem Hinweis, dass auch der Bergmann-Senat rechtsfortbildend aktiv geworden sei, „wobei hier wenigstens teilweise die Handschrift von Bergmanns Nachfolger Ingo Drescher zu spüren sein dürfte“. 9   Vgl. die Äußerung Bergmanns auf der VGR-Tagung 2013: Der Senat respektiere in seinen Entscheidungen die Zuständigkeiten des Gesetzgebers und sehe sich nicht dazu legimitiert, Legislativaufgaben zu übernehmen (zitiert nach B. Schneider (Fn. 8), S. 17, 21).

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stieß.10 Dieses Sechsergespann bildete, zusammen mit seinem Vorsitzenden, das Personal des Bergmann-Senats.11 Unter ihnen waren es vor allem Strohn und Drescher, die sich – als Berichterstatter und publizistisch – dem Kapitalgesellschaftsrecht widmeten. 2.  Die Aufgabe des Revisionsrichters Über die Rolle des Revisionsgerichts im Allgemeinen und diejenige des Bundesgerichtshofs im Besonderen ist viel geschrieben worden. Für die Tradition des II. Zivilsenats bedeutsam sind die Ausführungen, die der ehemalige Senatsvorsitzende und spätere BGH-Präsident Robert Fischer dazu gemacht hat. Nach Fischer muss die Rechtsprechung des BGH einen „konservativen Grundzug“ aufweisen und sich davor hüten, durch einfallsreiche Originalität zu glänzen.12 Gefordert seien Praktikabilität sowie „Behutsamkeit und Zurückhaltung“, indem sich das Gericht „auf den zur Entscheidung gestellten Sachverhalt beschränkt und davon absieht, durch rechtstheoretische Ausführungen über den so gesteckten Rahmen hinauszugreifen“.13 Fischer begründet dieses Mäßigungsgebot mit den begrenzten Erkenntnismöglichkeiten des Revisionsrichters, in denen er zugleich den wesentlichen Strukturunterschied zum Gesetzgeber sieht.14 Insbesondere wenn es rechtliches Neuland betrete, tue das Revisionsgericht gut daran, sich auf die Entscheidung des Einzelfalls zu begrenzen und von systematisierenden Ausführungen Abstand zu nehmen.15 Ließen sich Folgen und Tragweite der Rechtsprechung irgendwann verlässlich abschätzen, sei der Revisionsrichter allerdings gehalten, die schrittweise Entwicklung zu einem Abschluss zu bringen.16 Der Blick auf den Einzelfall dürfe ihm dann nicht den Mut zur gebotenen Rechtsfortbildung nehmen.17 Dass der Schritt über das Gesetz hinaus stets

10   Die zeitweilig ebenfalls dem Senat angehörenden Richter Löffler und Bender waren noch vor dem Amtsantritt Bergmanns ausgeschieden. Bundesrichter Nedden-Boeger gehörte dem Senat wenige Wochen unter dem Vorsitz von Bergmann an (31.1. – 6.3.2011). Er war für die temporär in den III. Senat versetzte Richterin Caliebe eingesprungen. 11   Erst unter Bergmann und nachdem dieser den Vorsitz praktisch schon aufgegeben hatte wechselten in den Senat die Richter Wöstmann (2016) und Bernau (2017) und die Richterin Grüneberg (ab 2017). Nach Bergmanns Ausscheiden trat dann noch Bundesrichter Sander hinzu; Strohn, Caliebe und Reichart verließen den Senat, Drescher übernahm den Vorsitz. 12   R. Fischer Gesammelte Schriften (Hrsg. Lutter u.a.), 1985, S. 3. 13   R. Fischer (Fn. 12), S. 3; s. auch S. 32 und S. 85: Zurückhaltung statt „glanzvoller Darbietung wissenschaftlicher Lehrmeinungen“ und S. 4: „Der Revisionsrichter ist kein Wissenschaftler“. 14  Vgl. R. Fischer (Fn. 12), S. 60 ff., 67 f. 15   R. Fischer (Fn. 12), S. 25, 35. 16   R. Fischer (Fn. 12), S. 25, 36. 17   R. Fischer (Fn. 12), S. 68.

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mit einem Wagnis verbunden ist, betont Fischer ausdrücklich.18 Dass der Weg zwischen strenger Gesetzesbindung und mutiger Rechtsfortbildung bisweilen einer Gratwanderung gleichkommt, haben später andere hervorgehoben.19 Den Kurs dafür muss jeder Senat neu für sich bestimmen. 3.  Die Stellung des Vorsitzenden Fragt man (ehemalige) Senatsvorsitzende nach ihrer Rolle, erhält man in der Regel die bescheidene Antwort, dass sie lediglich „primus inter pares“ (gewesen) seien. In der Tat verfügt der Senatsvorsitzende, wie jedes andere Senatsmitglied, nur über eine Stimme, die er zudem erst dann abgeben darf, wenn alle anderen votiert haben (vgl. § 197 Satz 4 GVG). Auch die Besetzung der sog. Sitzgruppen innerhalb des Senats erfolgt nicht (mehr) durch den Vorsitzenden, sondern durch Senatsbeschluss (§ 21g GVG).20 Zwar bestimmt der Vorsitzende die jeweiligen Berichterstatter, doch entscheidet auf Widerspruch eines Mitglieds auch hierüber das Gremium gemeinsam.21 Ungeachtet dieses Kollegialitätsprinzips gilt, dass der Senatsvorsitzende – nicht unähnlich dem Vorstandsvorsitzenden einer AG – innerhalb des Gremiums eine herausragende Stellung einnimmt, die ihn, je nach Führungsstil und persönlicher Autorität, dazu befähigt, die Richtung des Senats zu steuern.22 Dazu trägt der Umstand bei, dass er allen Sitzgruppen angehört und neben dem Berichterstatter derjenige ist, der mit den Akten am besten vertraut ist. Der Vorsitzende leitet nicht nur die mündliche Verhandlung, sondern auch die senatsinternen Beratungen, verfügt i.d.R. über mehr Erfahrung als die Kollegen und genießt als Repräsentant des Senats ein besonderes Prestige nach außen. Dass er es ist, der faktisch die anderen Senatsmitglieder beurteilt, dürfte seiner Rolle ebenfalls nicht abträglich sein. 4.  Die Vorgänger: Der Röhricht-Senat und der Goette-Senat Wie stark der Vorsitzende den Senat tatsächlich beeinflusst, hängt maßgeblich von seiner Persönlichkeit (und derjenigen der Beisitzer) ab. Während Robert Fischer eine nahezu erdrückende Autorität zugeschrieben

  R. Fischer (Fn. 12), S. 35 f.  S. Goette in Müller-Graff/H. Roth (Hrsg.), Die Praxis des Richterberufs, 2000, S. 17,

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20   Ausführlich zur Arbeitsweise der BGH-Zivilsenate (insbesondere des II. Zivilsenats) Goette (Fn. 19), S. 22 ff. 21   Ch. Weiß (Fn. 2), S. 251 unter Hinweis auf die „senatsinternen Mitwirkungsgrundsätze“. 22   Ch. Weiß (Fn. 2), S. 248 f.; s. auch Goette (Fn. 19), S. 28.

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wurde,23 lag es unter seinen Nachfolgern differenzierter. Lassen wir eine eingangs zitierte Stimme noch einmal sprechen, so sehen wir dem „vorsichtigen“ Karlheinz Boujong (1988–1996) den „pragmatischen“ Volker Röhricht (1996–2005) und diesem den „eigensinnigen“ Wulf Goette (2005–2010) folgen.24 Ob diese Kurzcharakterisierungen immer das Wesentliche treffen, soll hier nicht bewertet werden. Doch lohnt es sich, einen genaueren Blick auf die dem Bergmann-Senat vorausgehenden Senate und deren Vorsitzende zu werfen. Aus Raumgründen muss dieser Blick auf die unmittelbaren Vorgängersenate begrenzt bleiben, was sich auch dadurch rechtfertigt, dass sich aus diesen ein maßgeblicher Teil des Bergmann-Senats rekrutierte (s.o.). a) Der Röhricht-Senat Mit Volker Röhricht trat 1996 eine fachlich bewanderte, liberal gesinnte und international aufgeschlossene Persönlichkeit an die Senatsspitze.25 Wie diese sich die „Leitlinien revisionsrichterlichen Judizierens“ vorstellte,26 skizzierte sie in einer Rede anlässlich der Verleihung der Ehrendoktorwürde in Hamburg. Grundsätzlich für die Notwendigkeiten richterlicher Rechtsfortbildung empfänglich, betonte Röhricht darin deren Vorzüge gegenüber dem „sehr viel langsameren und schwerfälligen Gesetzgebungsverfahren“.27 Er warnte aber zugleich vor ihren Gefahren, weil der Revisionsrichter „nicht über die Möglichkeiten verfügt, die dem Gesetzgeber zur Verfügung stehen, der sich durch rechtstatsächliche Erhebungen die Sachkenntnisse zu verschaffen vermag, die erforderlich sind, um einen einigermaßen verläßlichen Überblick über die denkbaren Folgen seines Handels zu gewinnen“.28 In bewusster Anlehnung an die Maximen R. Fischers hielt Röhricht den Revisionsrichter daher zu „größter Zurückhaltung“ an, warb für knappe, streng auf den zu entscheidenden Fall konzentrierte Urteile sowie dafür, Freiräume privatautonomer Gestaltung nicht vorschnell „dichtzumachen“.29 Im Übrigen gelte: „Höchstrichterliche Rechtsprechung spricht durch ihre Entscheidungen und sonst gar nicht“.30

23   Vgl. nur Stimpel ZHR 147 (1983), 277: „Er hatte eigentlich immer Recht“; s. auch Ch. Weiß (Fn. 2), S. 249 f. 24   U. Seibert AG 2015, 593, 594. 25   Zur näheren Charakterisierung s. das Vorwort von Crezelius, Hirte und Vieweg in FS Röhricht, 2005, S. V. ff. 26   So die Zwischenüberschrift bei Röhricht ZGR 1999, 445, 453. 27   Röhricht ZGR 1999, 445, 455; auch schon R. Fischer (Fn. 12), S. 65 f., 69 f. 28   Röhricht ZGR 1999, 445, 457; auch schon R. Fischer (Fn. 12), S. 60 ff., 67 f. 29   Röhricht ZGR 1999, 445, 452, 456, 458. 30   Röhricht ZGR 1999, 445, 471.

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Während sich Röhrichts freiheitlicher Ansatz in Urteilen seines Senats klar ausmachen lässt,31 bewusst betriebene Deregulierung gar als Markenzeichen des (frühen) Senats gelten kann,32 sieht es mit der Zurückhaltung bei der Rechtsfortbildung etwas anders aus. Zwar hat der Senat unter Röhrichts Führung „überkomplizierte“ Begründungsansätze aus Vorgängerzeiten zurückgeschnitten,33 gleichzeitig aber eigene, mitunter gewagte Schritte zu neuem Richterrecht unternommen. Hervorstechend sind die Anerkennung der Rechtsfähigkeit der Außen-GbR (nebst Übernahme des OHGHaftungsmodells),34 die Ausformung ungeschriebener HV-Zuständigkeiten durch „offene“ Rechtsfortbildung35 oder die Einführung eines „Pflichtangebots“ beim Delisting.36 Insofern wird dem Senat ein „latenter Widerspruch“ zur methodologischen Grundposition seines Vorsitzenden attestiert.37 In der ihm gewidmeten Festschrift heißt es prägnant, Röhricht verkörpere „mehr den deutlich einflussreicheren Richter des common law mit der ihm inhärenten Befugnis zur ‚Rechtsfortbildung‘ als den klassischen ‚Normanwender‘ kontinentaleuropäischer Prägung“.38 b) Der Goette-Senat Diese Charakterisierung trifft auf Wulf Goette nicht zu. Mit ihm erhielt der Senat 2005 einen Vorsitzenden, der ihm bereits seit fast 15 Jahren angehörte und eine dementsprechende Erfahrung vorweisen konnte. Nicht weniger selbstbewusst als sein Vorgänger, hob auch er hervor, dass das 31   Vgl. insbesondere die Zulassung der GmbH & Co. KGaA (BGH v. 24.2.1997 – II ZB 11/96 = BGHZ 134, 392) und die Liberalisierung des Bezugsrechtsausschlusses (BGH v. 23.6.1997 – II ZR 132/93 = BGHZ 136, 133), ferner die ausdrückliche Anerkennung unternehmerischen Ermessens im Aktienrecht (BGH v. 21.4.1997 – II ZR 175/95 = BGHZ 135, 244). 32  Betont Röhricht ZGR 1999, 445, 477 („Rodungsarbeiten im Regelungsdschungel“; „Rückbildung von Überregulierungen“). 33   Röhricht ZGR 1999, 445, 477. Dies gilt vor allem für die Ersetzung des „qualifizierten faktischen Konzerns“ durch eine Durchgriffshaftung, s. BGH v. 24.6.2002 – II ZR 300/00 = BGHZ 151, 181 – KBV. 34   BGH v. 29.1.2001 – II ZR 331/00 = BGHZ 146, 341 – Weißes Roß. 35   BGH v. 26.4.2004 – II ZR 154/02 u. II ZR 155/02 = BGHZ 159, 30 – Gelatine I. Dazu Mülbert AcP 214 (2014), 188, 285: „Umschreibung für die Tätigkeit als Ersatzgesetzgeber“. 36   BGH v. 25.11.2002 – II ZR 133/01 = BGHZ 153, 47 – Macrotron. 37  So Mülbert AcP 214 (2014), 188, 286 m. Fn. 551. Der Widerspruch relativiert sich dadurch, dass Röhricht in dem erwähnten Grundsatzbeitrag (Fn. 26) nicht das Richterrecht an sich, sondern den richterrechtlichen Import wissenschaftlicher Modelle tadelt; s. auch dazu schon R. Fischer (Fn. 12). 38   Crezelius, Hirte und Vieweg in FS Röhricht, 2005, S. VI: „Der Wille zum großen Wurf – und nicht formales Denken – hat sein Berufsverständnis geprägt, denn Röhricht hat sich immer auch als „Gestalter“ und nicht als reiner „Streit-Entscheider“ begriffen“. Bestätigend auf Grundlage einer Analyse der Rechtsprechung des Röhricht-Senats Ch. Weiß (Fn. 2), S. 500 ff.

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Revisionsgericht „in erster Linie einen Einzelfall zu entscheiden hat“.39 Im Unterschied zum durchaus anglophilen Röhricht zeigte sich Goette von den Vorzügen britischen oder amerikanischen Rechts und Richtertums allerdings weniger beeindruckt,40 betonte vielmehr die Tugenden kontinentalen (Gesellschafts-)Rechtsdenkens – einschließlich des „bewährten Kapitalerhaltungssystems“41 – ebenso wie den Gehorsam des Richters gegenüber dem Gesetz (auch gegenüber dem für korrekturbedürftig gehaltenen).42 In alledem dürfte sich (auch) die unterschiedliche akademische Herkunft der beiden Richterpersönlichkeiten spiegeln.43 Bei Goette erkennt man zudem ein starkes Hingezogensein zu Hörsaal44 und Wissenschaft45 und – mit diesem verbunden – eine Betonung des Systemgedankens, d.h. der Notwendigkeit, für das vom (Revisions-)Richter gefundene Ergebnis eine „in die Gesamtrechtsordnung sich möglichst bruchlos einfügende Begründung“ zu geben.46 39   Goette RabelsZ 77 (2013), 309, 311 m. Fn. 5, mit der berechtigten Mahnung, abstrakte Aussagen in Urteilen nicht „wie Gesetzestexte, sondern immer vor dem Hintergrund des konkreten Falls“ zu lesen. 40  Wie sich an verschiedenen Bemerkungen zeigt, s. z.B. Goette in Schröder (Hrsg.), Die Reform des GmbH-Rechts, 2009, S. 11, 13; ders. DStR 2005, 561; ders. in Handwerkskammer Düsseldorf (Hrsg.), Das Unternehmerbild in der sozialen Marktwirtschaft und die Managerhaftung (Röpke-Symposion), 2009, S. 177: „Vieles, was aus Amerika kommt, ist nicht so gut, wie es uns verkauft wird“ (betr. D&O-Versicherung und Stock Options). 41  Siehe Goette RabelsZ 77 (2013), 309, 318 (und öfter). Prägende Grundsatzurteile des Goette-Senats betreffen denn auch die Kapitalaufbringung und -erhaltung, vgl. z.B. nur BGH v. 18.2. 2008 – II ZR 132/06 = BGHZ 175, 265 (Rheinmöve); BGHZ 180, 38 (Qivive); BGHZ 184, 158 (Eurobike); nähere Analyse bei Ch. Weiß (Fn. 2), S. 503 ff. 42  Vgl. Goette ZHR 162 (1998), 223, 229; ders. in Schröder (Fn. 39), S. 11, 17, 21, 23 (zum MoMiG). S. aber auch Goette ZGR 2008, 436, 448: Senat werde sich durch fehlerhaftes „wording“ einer Norm (hier: § 93 Abs. 1 Satz 2 AktG) nicht „in die Irre führen“ lassen. Zur dahinter liegenden Kontroverse um das „richtige“ Verständnis der Business Judgment Rule s. Goette RabelsZ 77 (2013), 309, 313 m. Fn. 9. 43   Röhricht hatte seine Lehrjahre bei Würdinger, Goette die seinen bei Flume verbracht. Ein Kontrast der Schulen wäre reizvoll, sprengte aber den Rahmen dieses Beitrags, weshalb es bei der Andeutung bewenden muss. 44  Dazu Goette RabelsZ 77 (2013), 309, 312 m. Fn. 8: „Die am Montag der Woche beratenen und verhandelten Sachen waren jeweils Gegenstand des Kolloquiums [scil. der Univ. Heidelberg] am darauffolgenden Mittwoch“. „Alles das, was ich in diesem Dialog [scil. in den Kolloquien der Univ. Heidelberg] gelernt und erfahren habe, ist regelmäßig noch bei der Absetzung der meist bereits im Tenor verkündeten Entscheidungen berücksichtigt worden.“ 45  Vgl. Goette RabelsZ 77 (2013), 309, 313: „Ich habe immer wieder [...] zum Telefonhörer gegriffen und mit befreundeten [...] Hochschullehrern Rechtsfragen sehr offen und vertrauensvoll diskutieren können“. Notorisch ist Goettes „schier unglaublich umfangreiche publizistische Tätigkeit“ (Ch. Weiß (Fn.2), S. 249). 46   Goette RabelsZ 77 (2013), 309, 312, 320 (unter betonter Bezugnahme auf Savigny); s. auch ders. (Fn. 19), S. 29: „Einordnung [...] in die vorgegebene Ordnung, Vermeidung von Wertungswidersprüchen, Systembildung“ als „Eckpunkte höchstrichterlicher Rechtsprechung“; daneben aber auch: „Weiterentwicklung bei neuen Fragen und Korrektur bei Irrtümern“.

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Systembindung und das Bemühen um dogmatische Stimmigkeit sind denn auch die Kennzeichen der Senatsrechtsprechung unter Goette. Wie die Vorgängersenate ist auch sein Senat rechtsfortbildend tätig geworden, allerdings mit weniger gestalterischem Impetus als dies teilweise unter den Vorgängern der Fall war. Echte richterrechtliche Paukenschläge finden sich in der GoetteZeit nicht, der Senat ist vielmehr selbst dort, wo er Neuland betritt, um die Einpassung in das Vorgegebene bemüht. Keine Ausnahme bildet die wohl spektakulärste Entscheidung der Ära, das Trihotel-Urteil,47 mit dem der Senat eine Kehrtwende in der Rechtsprechung zum existenzvernichtenden Eingriff vollzog. Das bisherige Modell einer eher frei geschaffenen richterrechtlichen Durchgriffshaftung wird verworfen, ohne dass der Senat zum komplexen Muster der Konzernanalogie („Autokran“ & Co.) zurückkehrt.48 Vielmehr sucht er einen Weg, der einerseits die Verankerung im positiven Recht vorweisen kann (§ 826 BGB), sich andererseits in das Kapitalschutzmodell des GmbHG einfügt, indem er dieses um einen außerbilanziellen Vermögensschutz ergänzt. 5.  Bergmann als Senatsvorsitzender Von seinen Amtsvorgängern unterscheidet sich Bergmann biografisch dadurch, dass er kein Eigengewächs der Justiz ist, sondern erst nach Anwalts­ tätigkeit auf der Richterbank Platz nahm. Bergmann kannte beim Amtsantritt also auch die „andere“ Seite. Vom Naturell zurückhaltender als seine Vorgänger,49 hat er sich publizistisch – ganz im Sinne des Röhricht’schen Petitums – weniger exponiert als diese. Das macht es schwer, eine Verbindungslinie zwischen seinen Rechtsaufassungen und den Entscheidungen des Senats zu ziehen, was indes auch nicht das Anliegen dieses Beitrags ist. Sichtbar zu machen ist der methodologische Grundtenor der Rechtsprechung seines Senats, was nunmehr anhand ausgewählter Urteile geschehen soll.

III.  Zentrale Entscheidungen 1.  Die Auswahl Allein die in der amtlichen Sammlung (BGHZ) veröffentlichten Judikate, die im Zeitraum des Bergmann-Vorsitzes (17.11.2010 – 28.2.2017) ergangen sind, summieren sich auf die beachtliche Zahl von 50. Sie alle zu analysieren, würde eine monografische Ausarbeitung erfordern. Betrachtet werden kön  BGH v. 16.7.2007 – II ZR 3/04 = BGHZ 173, 246.   Zu den verschiedenen Durchgriffsmodellen näher Bachmann in GroßKomm-AktG, 5. Aufl. 2017, § 1 Rn. 90, 102. 49  Bestätigend U. Seibert AG 2015, 593, 594. 47 48

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nen daher nur solche Entscheidungen, die zum Kapitalgesellschaftsrecht (im weiteren Sinne) ergangen sind, und die neben der Aufnahme in die amtliche Sammlung dadurch herausgehoben sind, dass sie von Bergmann selbst für die Vorstellung der Senatsrechtsprechung auf der alljährlichen VGR-Tagung ausgewählt wurden. Zieht man zudem eine gewisse Einarbeitungszeit ab und vernachlässigt die Zeit am Ende, während derer der Senat vom stellvertretenden Vorsitzenden geführt wurde, rechtfertigt sich eine Eingrenzung der Perspektive auf die Kernzeit des Bergmann-Vorsitzes von Ende 2011 bis Anfang 2016. Aus der Fülle der danach immer noch verbleibenden Entscheidungen habe ich sechs herausgegriffen, die dadurch hervorstechen, dass der zugrundeliegende Sachverhalt in der ein oder anderen Weise rechtsfortbildendes Potenzial bot – sei es, dass der Senat zu neuer Rechtsfortbildung herausgefordert wurde, sei es, dass er sich mit der Frage der Fortschreibung oder Preisgabe überkommener Rechtsfortbildung konfrontiert sah. Wie zu sehen sein wird, ist der Senat dabei keiner mechanischen Maxime gefolgt, etwa dergestalt, dass Rechtfortbildung tunlichst zu unterlassen oder hinter das Vorhandene nicht zurückzugehen sei. In ihrer Gesamtbetrachtung bestätigen die Entscheidungen gleichwohl die Arbeitshypothese eines zurückhaltend und bedächtig agierenden Spruchkörpers. 2.  Ausgewählte Urteile a)  Vergleich über Differenzhaftungsansprüche – BGHZ 191, 364 (2011) Die erste hier herauszugreifende Entscheidung, das sog. Babcock-Urteil, demonstriert das pragmatische Bemühen um eine sach- und praxisgerechte Lösung bei gleichzeitiger Nahführung am Gesetz.50 In dem Fall ging es u.a. um die Frage, ob sich Gesellschaft und Gesellschafter über Einlageansprüche – hier in Gestalt eines sog. Differenzhaftungsanspruchs – vergleichen können. Der Wortlaut der einschlägigen Norm (§ 66 AktG) verbietet die Befreiung von Einlageverpflichtungen, nicht jedoch den Vergleich darüber. Wie allgemein bekannt, können sich Vergleich und Befreiung in ihren Wirkungen jedoch entsprechen. Verschiedene Haftungstatbestände im AktG behandeln beide Tatbestände daher gleich, indem sie sowohl den Vergleich als auch den Verzicht nur unter erschwerten Bedingungen zulassen (vgl. §§ 50 Abs. 1, 93 Abs. 4 Satz 3, 117 Abs. 4 AktG). Der Senat war damit vor die Frage gestellt, diese (oder ähnliche) Schranken auch beim Vergleich über Einlageansprüche zur Anwendung zu bringen.

50   BGH v. 6.12.2011 – II ZR 149/10 = BGHZ 191, 364; dazu u.a. Verse ZGR 2012, 875, 886: „pragmatische Haltung“; Priester AG 2012, 525; Wieneke NZG 2012, 136 ff.

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Der Senat geht diesen rechtsfortbildenden Weg nicht, sondern bleibt bei einem wortgetreuen Verständnis, lässt dem Vorstand beim Vergleichsabschluss also weitgehend freie Hand. Er begründet dies u.a. mit der praktischen Überlegung, der Vorstand solle nicht gezwungen werden, trotz zweifelhafter Erfolgsaussichten unsichere Einlageleistungen einzuklagen.51 Der Senat lehnt es auch ab, den Vergleichsschluss an die Zustimmung der Hauptversammlung zu koppeln. Eine Analogie zu geschriebenen HV-Zuständigkeiten komme mangels Erfüllung der Analogievoraussetzungen nicht in Betracht,52 und eine (neue) „ungeschriebene“ Hauptversammlungskompetenz, wie sie frühere Senate verschiedentlich postuliert hatten, will der Bergmann-Senat nicht begründen.53 Die dem Vorstand mit dieser Begründung bescherte Freiheit überzeugt zwar nicht alle Kommentatoren,54 doch stößt das Ergebnis weithin auf Zustimmung, wobei man notiert, dass es auch „von dem praktischen Gesichtspunkt geleitet gewesen sein dürfte, die umständliche, zeitraubende und missbrauchsanfällige Einbeziehung der Hauptversammlung zu vermeiden“.55 b)  Gesellschafterausschluss und Abfindung – BGHZ 192, 236 (2012) Rechtsfortbildenden Charakter trägt dagegen die Entscheidung des Senats zum Wirksamwerden der Einziehung eines GmbH-Geschäftsanteils aus wichtigem Grund. Die Frage lautete, ob die Einziehung schon mit dem Einziehungsbeschluss wirksam wird, oder ob sie unter der aufschiebenden Bedingung der erfolgten Abfindungsleistung steht (sog. Bedingungslösung). In früherer Rechtsprechung hatte sich der Senat zum Parallelfall der Ausschließung aus wichtigem Grund für die Bedingungslösung ausgesprochen.56 Für den hier zu beurteilenden Fall der satzungsmäßig vorgesehenen Ausschließung wendet sich der Senat nunmehr davon ab und erklärt den Einziehungsbeschluss für sofort wirksam.57 Zur Sicherung des Abfindungsanspruchs des ausgeschlossenen Gesellschafters statuiert er eine anteilige Haftung der verbleibenden Gesellschafter.58   BGHZ 191, 364, 374.   BGHZ 191, 364, 375. 53   Vgl. BGHZ 191, 364, 376 (unter Hinweis auf BGHZ 159, 30, 44 – Gelatine I). 54   Kritisch etwa Fleischer AG 2015, 133, 142: „nicht unproblematisch“, weil „zu einer oberflächlichen Vergleichsvorbereitung [...] zu Lasten der Gesellschaftsgläubiger“ einladend; Cahn in Spindler/Stilz, 3. Aufl. 2015, § 66 Rn. 16. 55   Fleischer AG 2015, 133, 142; s. auch Weng DStR 2012, 862, 864. 56   Grundsätzlich BGH v. 1.4.1953 – II ZR 235/ 52 = BGHZ 9, 157, 168. Zu Hintergrund und Vorgeschichte dieses Falls s. Thiessen in Fleischer/Kalss/Vogt (Hrsg.), Bahnbrechende Entscheidungen – Gesellschafts-und Kapitalmarktsrechts-Geschichten, 2016, S. 203, 206 ff.; zur nachfolgenden Rechtsprechung Ch. Weiß (Fn. 2), S. 232 ff. 57   BGH v. 24.1.2012 – II ZR 109/11 = BGHZ 192, 236, 240 und Leitsatz 1. 58   BGHZ 192, 236, 243 mit Leitsatz 2. 51 52

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Ob die vom Senat gewählte Lösung in der Sache überzeugt, soll hier nicht diskutiert werden. Entscheidend ist, dass der über das Gesetz hinausgehende und die Leitlinie älterer Rechtsprechung umkehrende Schritt weniger spektakulär ist, als es den Anschein haben mag. Zum einen kam der Senat in der zu entscheidenden Frage um eine Rechtsfortbildung gar nicht herum. Denn auch die im Schrifttum mannigfach angebotenen Alternativlösungen, mit denen sich die Entscheidung auseinanderzusetzen hatte, mussten angesichts der lückenhaften Regelung in § 34 GmbHG zwangsläufig über das Gesetz hinausgehen. Zum anderen war der neue Weg nicht aus dem Nichts geboren, sondern bereits seit Jahren von Senatsmitgliedern vorgeprägt worden.59 So hatte schon R. Fischer Zweifel an der Praktikabilität der Bedingungslösung geäußert60 und Röhricht später einen Meinungsumschwung im Senat angedeutet,61 der dann von Goette und Strohn literarisch vorbereitetet wurde.62 Wie schon das Babcock-Urteil zeichnet sich auch dieses Urteil zudem durch eine pragmatische Note aus. Denn die Abkehr von der Bedingungslösung war vor allem dadurch motiviert, dass diese den Ausschluss des (im neuen Urteil ausdrücklich so genannten) „Störenfrieds“ erheblich er­schwerte.63 Und die als Preis dafür zu zahlende persönliche Gesellschafterhaftung entfernt sich nicht allzu weit vom Gesetz, trifft den (Mit-)Gesellschafter doch auch sonst bisweilen eine (Ausfall-)Haftung (vgl. nur §§ 24, 31 Abs. 3 GmbHG). Bemerkenswert ist schließlich, dass der Senat es in der Entscheidung bei der Lösung des konkreten Problems belässt und bewusst darauf verzichtet, ein darüber hinausreichendes System zu errichten, wie es etwa noch in BGHZ 9, 157 versucht worden war.64 Folgefragen stellte man sich erst, als diese tatsächlich auftraten und dem Senat das zur sachgerechten Entscheidung nötige Anschauungsmaterial lieferten.65

 Eingehend Ch. Weiß (Fn. 2), S. 442 ff.  Vgl. R. Fischer in FS W. Schmidt, 1959, S. 117, 127, 130 f., der allerdings noch eine Lösung durch den Gesetzgeber für erforderlich hielt. 61  Vgl. Röhricht in Röhricht/Priester/Schmidt (Hrsg.), JbFStR 1997/98, S. 239, 272. 62  Vgl. Goette in FS Lutter, 2000, S. 399, 400 ff. (und öfter); Strohn in MüKo-GmbHG, 1. Aufl. 2009, § 34 Rn. 72 ff.; s. auch Strohn DB 2012, 1193, 1197. 63   Vgl. BGHZ 192, 236, 243. 64   Kritisch und zugleich rechtfertigend R. Fischer (Fn. 12), S. 87. 65   Vgl. aus der nachfolgenden Senatsrechtsprechung BGH v. 29.4.2014 – II ZR 216/13 = BGHZ 201, 65 (zum vertraglichen Abfindungsausschluss); BGH v. 2.12.2014 – II ZR 322/ 13 = BGHZ 203, 303 (zu den Auswirkungen der Einziehung auf das Nennkapital); BGH v. 10.5.2016 – II ZR 342/14 = BGHZ 210, 186 (zur Treuepflicht der Abfindungspflichtigen). 59 60

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c)  Wirtschaftliche Neugründung – BGHZ 192, 341 (2012) Schwieriges Terrain musste der Senat bei der Frage der Haftungsfolgen einer unterbliebenen Offenlegung der „wirtschaftlichen Neugründung“ betreten.66 Die Rechtsfigur der „wirtschaftlichen Neugründung“, wonach die Aktivierung eines leeren GmbH-Mantels wie die Gründung einer neuen Gesellschaft zu behandeln ist, war von den Vorgängersenaten rechtsfortbildend entwickelt worden und gehörte seither zum festen Repertoire der Senatsrechtsprechung. Formuliert vom Boujong-Senat,67 war sie unter Röhricht ausgebaut68 und bei Goette feingeschliffen worden.69 Zum BergmannSenat gelangte die Frage, ob das Unterlassen der nach den Rechtsprechungs­ grundsätzen analog § 8 Abs. 2 GmbHG erforderlichen Versicherung über die Unversehrtheit des Stammkapitals eine unbegrenzte Unterbilanzhaftung zur Folge hat. Nach der Logik der Gründungsanalogie wäre diese Frage zu bejahen gewesen.70 Im Schrifttum wurde das Ergebnis aber als unverhältnismäßig empfunden und dem Senat daher eine zeitliche Haftungsbegrenzung anempfohlen, ohne dass recht klar wurde, wie diese dogmatisch zu begründen sei.71 Allerdings hatten sich auch grundsätzliche Stimmen gemeldet, welche den Fall zum Anlass nahmen, die immer schon vorhandene Fundamentalkritik an der Rechtsfigur zu beleben, und die vom Bergmann-Senat nun eine Preisgabe der „wirtschaftlichen Neugründung“ forderten.72 In dieser Situation entschied sich der Senat, den pragmatischen Mittelweg zu beschreiten. Weder warf er die von den Vorgängersenaten entwickelte Rechtsfigur über Bord, noch beschloss er, sie kompromisslos durchzuführen. Stattdessen kupierte er – wie es von der Praxis gefordert worden war – ihre Rechtsfolgen, indem er die Unterbilanzhaftung auf den Zeitpunkt begrenzte, in dem die wirtschaftliche Neugründung „erstmals nach außen in Erscheinung tritt“.73 In den Leitsätzen als „Klarstellung“ ausgeflaggt, wurde in den

66   BGH v. 6.3.2012 – II ZR 56/10 = BGHZ 192, 341 mit Bspr. Bachmann NZG 2012, 579; offenlassend zuvor noch BGH ZIP 2011, 1761. 67   BGH v. 16.3.1992 – II ZB 17/91 = BGHZ 117, 323, 330 ff. 68   Vgl. BGH v. 9.12.2002 – II ZB 12/02 = BGHZ 153, 158 und BGH v. 7.7.2003 – II ZB 4/02 = BGHZ 155, 318 („Fortführung von BGHZ 153, 158“). 69   Vgl. insbes. BGH v. 18.1.2010 – II ZR 61/09 = BGH DStR 2010, 763 (Sprachschule) m. Anm. Goette. 70  Eingehend Bachmann NZG 2011, 441 ff. (unter Prüfung aller Einwände und mit Auswertung des umfangreichen Dissertationsschrifttums); ferner Bayer in FS Goette 2011, S. 15 ff.; Krolop ZIP 2011, 305 ff., Hüffer NJW 2011, 1772 ff. 71   Vgl. etwa Peetz GmbHR 2011, 178 ff.; Kuleisa DB 2011, 575 ff.; ferner DNotI-Report 2011, 1, 5; die Parallele zur verdeckten Sacheinlage suchend Habersack AG 2010, 845 ff. 72  Insbes. K. Schmidt ZIP 2010, 857 ff.; weitere Nachweise bei Bachmann NZG 2011, 441, 445 (m. Fn. 82); ablehnend auch Mülbert AcP 214 (2014), 188, 257: „ohne Rechtsnot erfolgte besonders freie Rechtschöpfung“. 73   BGHZ 192, 341 (Leitsatz a).

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Gründen eingeräumt, dass damit an der streng am Gründungsrecht orientierten Linie der vorangegangenen Entscheidungen „nicht festgehalten“ werde.74 Dogmatisch lässt das Urteil ein Fragezeichen stehen. Zu der ausdrücklich beibehaltenen Analogie zu den Gründungsvorschriften passt es m.E. nicht, wenn gleichzeitig betont wird, dass die wirtschaftliche Neugründung mit der rechtlichen Gründung nicht gleichgesetzt werden kann.75 Denn: Fehlt es an der Vergleichbarkeit (wofür sich durchaus manches vortragen lässt76), muss die Analogie insgesamt scheitern; sind die Fälle aber doch vergleichbar, hat man ihre Rechtsfolgen zu akzeptieren.77 Mit seinem Modell einer Teilanalogie mit begrenzten Rechtsfolgen hat der Senat die „wirtschaftliche Neugründung“ von der hergebrachten Begründung gelöst und sie zu einem besonderen Kapitalschutzmodell für die Mantelbelebung umgeformt.78 Ins Bild des Bergmann-Senats passt das Urteil gleichwohl, denn es stößt weder um, noch erfindet es neu, sondern führt ein im Kern als gesetzeskonform angesehenes Modell einer sachgerechten Lösung im Einzelfall zu. Als Fortentwicklung, nicht als Änderung der Rechtsprechung ist das Urteil denn auch von den Senatsmitgliedern verstanden worden.79 d)  Insolvenzauslösende Zahlung (§ 64 S. 3 GmbHG) – BGHZ 195, 42 (2012) Auf den ersten Blick eine schlichte Auslegungsfrage zu beantworten galt es in der Entscheidung zu § 64 Satz 3 GmbHG.80 Nach der Norm haftet der Geschäftsführer für insolvenzauslösende Zahlungen, die er an Gesellschafter geleistet hat. Bei genauem Hinsehen barg indes auch dieser Fall rechtsfortbildendes Potenzial. Der mit dem MoMiG eingeführte Haftungstatbestand soll das traditionelle bilanzielle Schutzkonzept der §§ 30 ff. GmbH durch Elemente eines Solvenztests ergänzen.81 Allerdings war schon bald nach Verabschiedung der Norm klar geworden, dass sie den ihr zugedachten Zweck kaum erfüllen konnte, denn bezieht man Gesellschafterforderungen in die Liquiditätsbilanz ein, bleibt ihr Anwendungsbereich verschwindend gering; klammert man sie dagegen aus, droht ein Wiederaufleben der alten Recht  BGHZ 192, 341, 349.   BGHZ 192, 341, 350; fehlgehend insofern die den „Fundamentalunterschied“ zwischen rechtlicher und wirtschaftlicher Neugründung betonenden Stimmen im Schrifttum, s. Herresthal/Servatius ZIP 2012, 197 ff.; Adolff VGR 17 (2012), S. 49, 84 ff. 76   Eingehend und mit umf. Nachw. Bachmann NZG 2011, 441, 443 f. 77  Vgl. Bachmann NZG 2011, 441, 445: „teleologisch folgerichtig, ja zwingend“. 78  Vgl. Bachmann NZG 2012, 579, 580 f.; s. auch Ulmer ZIP 2012, 1265, 1268, 1272, der dem Ergebnis „bei wertender Betrachtung und unter Berücksichtigung weiterreichender außerordentlicher Haftungsgründe des GmbH-Rechts“ folgen will. 79   Ch. Weiß (Fn. 2), S. 371 (m. Fn. 2939), unter Hinweis auf persönliche Gespräche mit Senatsmitgliedern. 80   BGH v. 9.10.2012 – II ZR 298/11 = BGHZ 195, 42. 81  Vgl. BT-Drucks. 16/6140, S. 46 und dazu nur Schmidt in Scholz, GmbHG, 11. Aufl. 2013, § 64 Rn. 85. 74 75

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sprechungsregeln zum Eigenkapitalersatz, die der Gesetzgeber des MoMiG gerade beseitigen wollte.82 Der Senat stand damit vor der schwierigen Frage, ob er den Motiven des Gesetzgebers gegen den Wortlaut der Norm und unter Inkaufnahme von Systembrüchen zum Durchbruch verhelfen sollte. Dazu hätte er auf im Schrifttum angebotene Umdeutungen zurückgreifen können, die freilich einen richterrechtlichen Kraftakt erfordert hätten. Der Senat ging diesen Weg nicht, sondern beließ es bei der wort- und systemkonformen (engen) Interpretation.83 Dem naheliegenden Einwand, dass die Vorschrift bei dieser Auslegung zur Bedeutungslosigkeit verdammt sei, begegnete er mit dem Bemühen, zumindest begrenzte Anwendungsfälle ausfindig zu machen.84 Weitergehende Schützenhilfe, die der Norm eine echte Liquiditätsschutzfunktion beschert hätte, versagte er dem Gesetzgeber. Darin kommt ein Verständnis der Gewaltenteilung zum Ausdruck, dass sich in gleicher Weise im viel diskutierten Frosta-Beschluss manifestierte (dazu unten, IV.). Im vorliegenden Fall dürfte dieses Vorgehen jedenfalls dadurch mit-motiviert gewesen sein, dass derselbe Gesetzgeber, der für § 64 Satz 3 GmbHG verantwortlich zeichnete, dem Senat durch einen – von Bergmanns Amtsvorgänger nicht für möglich gehaltenen85 – „Nichtanwendungsbefehl“ (§ 31 Abs. 1 Satz 3 GmbHG) die Schranken richterlicher Gestaltungsmacht aufgezeigt hatte. e)  Organhaftung in der GmbH & Co. KG – BGHZ 197, 304 (2013) Gelegenheit, das Recht der GmbH & Co KG fortzuschreiben, bot sich dem Senat in einem 2013 zu entscheidenden Fall.86 Ein altbekanntes Problem dieser Rechtsform besteht darin, dass zwischen dem Geschäftsführer der Komplementär-GmbH und der KG kein rechtliches Band besteht, weshalb dieser für Pflichtverletzungen eigentlich nur der GmbH, nicht aber der KG gegenüber verantwortlich ist. Rechtsprechung und h.L. überbrücken die Lücke seit langem, indem sie dem Anstellungsvertrag zwischen Geschäftsführer und GmbH Schutzwirkung zugunsten der KG zusprechen.87 Im vorliegenden Fall wurde diese Konstruktion auf die Probe gestellt, denn zwischen GmbH und Geschäftsführer bestand (vermeintlich) kein Dienstvertrag. Der 82   Vernichtende Kritik daher bei Altmeppen ZIP 2013, 801, 807: Norm sei „absurd“ und „perplex“. 83   BGHZ 195, 42 Rn. 12 a.E. 84   Vgl. BGHZ 195, 42, 47. Ob diese Fälle praktische Relevanz entfalten, ist allerdings zweifelhaft, verneinend Altmeppen ZIP 2013, 801, 809, 810. 85  S. Goette ZHR 162 (1998), 223, 229: Der Gesetzgeber könne schlecht einen ‚Nichtanwendungserlass‘ verabschieden. 86   BGH v. 18.6.2013 – II ZR 86/11 = BGHZ 197, 304 mit Bspr. Bachmann NZG 2013, 1121. 87   Vgl. nur BGH v. 12.11.1979 – II ZR 174/77 = BGHZ 75, 321 = NJW 1980, 589; Hopt in Baumbach/Hopt, HGB, 36. Aufl. 2014, Anh. § 177a Rn. 28.

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Bergmann-Senat überwand diese Hürde mit der Überlegung, dass auch die Organstellung als solche in der Lage sei, drittschützende Wirkung zu entfalten.88 Das überzeugt, weil das Organverhältnis zwar ein gesetzlich ausgestaltetes, aber rechtsgeschäftlich begründetes Band darstellt. Der Senat ging noch einen Schritt weiter, indem er für die Geltendmachung des Ersatzanspruchs durch die KG auf einen Gesellschafterbeschluss auf GmbH-Ebene, wie ihn § 46 Nr. 8 GmbHG eigentlich verlangt, verzichtete.89 Zudem könne der Geschäftsführer nicht nur durch einen Beschluss der GmbH-Gesellschafter, sondern auch durch einen solchen der Kommanditisten von der Haftung befreit werden.90 Mit diesen klar rechtsfortbildenden Sätzen vervollständigte der Senat das Mosaik der GmbH & Co. KG zu dem einer einheitlichen Rechtsform, bei der es auf die unmittelbaren Beziehungen der Beteiligten zu „ihrer“ Gesellschaft nicht mehr ankommt.91 Gleichwohl bleibt der Senat auch in diesem Urteil auf eingefahrenen Gleisen, indem er die Figur des drittschützenden Vertrages nicht vollständig verabschiedet. Erneut zeigt sich der Respekt sowohl vor überkommenen Rechtsfiguren als auch vor dem zu weitergehenden Schritten berufenen Gesetzgeber. Dessen Sache wäre es, die aus der Praxis geborene Notlösung der GmbH & Co. KG durch eine Einheitsform nach dem Vorbild der LLC zu ersetzen und weitere Rechtsfortbildung damit überflüssig zu machen.92 f)  Bußgelderstattung – BGHZ 202, 26 (2015) Dass praxisnahe Rechtsprechung nicht mit Großkanzleifreundlichkeit gleichgesetzt werden darf, illustrierte der Senat mit einem Urteil, dem von industrienaher Seite z.T. mit Unverständnis begegnet wurde. In der Entscheidung befanden die Richter, dass die Erstattung von Geldstrafen an ein Vorstandsmitglied grundsätzlich nur mit Zustimmung der Hauptversammlung zulässig sei.93 Der Senat berief sich dazu auf die Wertung von § 93 Abs. 4 Satz 3 AktG, wonach ein Verzicht der AG auf Schadensersatzansprüche gegen Vorstandsmitglieder der Billigung durch die Aktionäre bedarf, im Übrigen erst nach drei Jahren erfolgen kann.   BGHZ 197, 304, 308, 309.   BGHZ 197, 304, 310. 90   BGHZ 197, 304, 315. 91   Einen (nicht überzeugenden) Rückschritt stellt insofern die spätere Entscheidung des Drescher-Senats dar, wonach Kommanditisten den Direktanspruch gegen den Komplementärgeschäftsführer nicht direkt sollen einklagen dürfen, s. BGH v. 19.12.2017 – II ZR 255/16 = BGH ZIP 2018, 276. 92   Für eine Personengesellschaft mit beschränkter Haftung Henssler in Verhandlungen des 71. DJT, 2016, Bd. II/1, O 55; zustimmend Bachmann in Verhandlungen des 71. DJT, 2016, Bd. II/2, O 161. 93   BGH v. 8.7.2014 – II ZR 174/13 = BGHZ 202, 26; dazu und zum Folgenden Bachmann BB 2015, 771, 774 f. 88 89

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Der Bergmann-Senat hat es sich mit der Entscheidung nicht leicht gemacht, wie die eingehende Begründung verdeutlicht.94 Gleichwohl vermochte er nicht alle Leser zu überzeugen. Kritiker monierten, dass die Entscheidung die Erstattung von Geldauflagen erheblich erschwere, obwohl diese dem Unternehmenswohl dienlich sei. Die Gesellschaft habe regelmäßig ein Interesse daran, Ermittlungsverfahren schnell und geräuschlos zu beenden, wofür die Erstattungszusage förderlich und ein Hauptversammlungsvorbehalt hinderlich sei.95 Das alles wird vom Senat nicht in Abrede gestellt, der sich nicht generell gegen die Erstattungsfähigkeit von Geldbußen ausgesprochen hat (was denkbar gewesen wäre), sondern sich lediglich weigerte, die in § 93 Abs. 4 Satz 3 AktG getroffene Wertentscheidung zu korrigieren. Erneut kommt darin ein Verständnis von Gewaltenteilung zum Ausdruck, das rechtspolitische Kritik – in diesem Fall an der Wertung von § 93 Abs. 4 Satz 3 AktG96 – nicht überhört, aber an die dafür zuständige Instanz verweist. Das Urteil steht auch nicht in Widerspruch zum oben geschilderten Babcock-Urteil, in dem die Analogie zu § 93 Abs. 4 Satz 3 AktG abgelehnt worden war.97 Denn im Unterschied zum dort behandelten Verhältnis zwischen Einleger und AG ist die Wertung des § 93 Abs. 4 Satz 3 AktG (= Vermeidung wechselseitiger Verschonung) bei der Erstattung von Geldauflagen zugunsten von Organmitgliedern unmittelbar einschlägig. Wenn der Senat im selben Urteil noch die zu diesem Zeitpunkt bereits umstrittene ARAG-Doktrin zitiert, wonach die Durchsetzung von Schadensersatzansprüchen gegen Vorstandsmitglieder die Regel sein soll,98 sollte das nicht überbewertet werden, weil das Zitat lediglich einen Teil des argumentativen Unterbaus bildet. Dennoch zeigt das Urteil, dass der Senat die Grundfesten der überkommenen Senatsrechtsprechung wenn nicht bekräftigen, so doch jedenfalls auch nicht aufgeben will. g)  Zwischenfazit und weitere Entscheidungen In der Gesamtsicht zeichnet sich damit eine Entscheidungslinie ab, die sich eng am Gesetz orientiert und nicht ohne Not zu neuer Rechtsfortbildung schreitet, dabei pragmatische Lösungen sucht, ohne Überkommenes von Bord zu werfen. Diese Linie ließe sich an weiteren Entscheidungen exem­ plifizieren, die hier nicht vertieft werden können, etwa dem Fresenius-Urteil,

94   Lediglich die Parallele zu den „Herausforderungsfällen“ (BGHZ 202, 26, 31) überzeugt nicht. 95  Eingehend Maier-Reimer EWiR 2014, 609 f.; ferner Fromholzer Börsen-Zeitung v. 20.9.2014, S. 13; Ch. Krebs FAZ v. 10.9.2014, S. 16; Krieger VGR 20 (2015), S. 13 (Diskussionsbeitrag). 96   Zu möglichen Reformansätzen s. Bachmann Gutachten E zum 70. DJT, 2014, E 48 ff. 97   S.o., III.2.a. 98   BGHZ 202, 26, 32 unter Zitat von BGHZ 135, 244 – ARAG/Garmenbeck.

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in dem die (praxisübliche) nachfolgende Genehmigung von Beraterverträgen mit Aufsichtsratsmitgliedern akzeptiert, vorzeitige Zahlungen aber – den Wertungen von § 113 f. AktG Gehör verschaffend – für pflichtwidrig erklärt wurden,99 ferner das Urteil zur Zulässigkeit der (ebenfalls praxisüblichen) vorzeitigen Wiederbestellung von Vorstandsmitgliedern,100 das Ision-Urteil, in dem strenge, aber gut nachvollziehbare Kriterien für den beachtlichen Rechtsirrtum formuliert werden,101 und schließlich das Geltl-Urteil, in dem der Senat die Vorgaben des EuGH zum Insiderrecht getreulich ins deutsche Recht überträgt.102

IV.  Insbesondere: Der Frosta-Beschluss (2013) Eine abschließende Bewertung des Bergmann-Senats kann nicht erfolgen, ohne eine Entscheidung zu würdigen, die wie keine andere des Senats für Aufruhr gesorgt hat: Der Frosta-Beschluss zum sog. Delisting.103 Obwohl nicht in die amtliche Sammlung aufgenommen, wurde keine Entscheidung des Bergmann-Senats so intensiv diskutiert, keine so stark kritisiert, wie dieser Beschluss zu den gesellschaftsrechtlichen Anforderungen an den Börsenrückzug. Trotz des Aufruhrs, den sie erzeugte, wird die genauere Analyse der Entscheidung zeigen, dass sie keinen Ausreißer darstellt, sondern in besondere und wie ich meine überzeugender Weise eine Senatsphilosophie bestätigt, die die Aufgabenteilung zwischen Legislative und Judikative strenger versteht, als das bei manchem Vorgängersenat der Fall war. 1.  Der Beschluss und seine Schelte In seinem Beschluss vom 8.10.2013 befand der Senat, dass der Widerruf der Zulassung von Aktien zum Handel im regulierten Markt weder eines Hauptversammlungsbeschlusses noch eines Pflichtangebots bedarf.104 Damit wurde eine Doktrin aufgegeben, die der Senat selbst elf Jahre zuvor (unter dem Vor  BGH v. 10.7.2012 – II ZR 48/11 = BGHZ 194, 14.   BGH v. 17.7.2012 – II ZR 55/11 = BGH NZG 2012, 1027. 101   BGH v. 20.9.2011 – II ZR 234/09 = BGH ZIP 2011, 2097. Irritationen der Praxis rührten aus einer zu sehr den Buchstaben verhafteten Lektüre der Urteilsgründe, s. Bachmann WM 2015, 105, 109; klarstellend dann BGH v. 28.4.2015 – II ZR 63/14 = BGH NZG 2015, 792, 794 f. 102   BGH v. 23.4.2013 – II ZB 7/09 = BGH NJW 2013, 2114. Korrekturen der EuGHAussagen hätten sich u.U. damit rechtfertigen lassen, dass diese (möglicherweise) auf Miss­ verständnissen fußen, die allerdings nur im Zusammenhang mit dem Vorlageverfahren erkennbar werden und der herrschenden Lesart daher verborgen bleiben, s. dazu Bachmann DB 2012, 2206 ff. 103   BGH v. 8.10.2013 – II ZB 26/12 = BGH NJW 2014, 146. 104   BGH v. 8.10.2013 – II ZB 26/12 = BGH NJW 2014, 146, 147. 99

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sitz von Röhricht) aus der Taufe gehoben hatte.105 Während die Beratungspraxis die mit dem Beschluss gewonnene Entscheidungsfreiheit begrüßte, stieß er in der Rechtswissenschaft auf z.T. scharfe Kritik, die in dem Verdikt gipfelte, die Entscheidung sei ein „Unglück“.106 Die verbale Ohrfeige, die Jahre zuvor (in anderem Zusammenhang) den damaligen Senatsvorsitzenden Röhricht getroffen hatte,107 wird Bergmann nicht unberührt gelassen haben. Sie wird allein deshalb fortgewirkt haben, weil sich der Vorwurf der Kritiker nicht darin erschöpfte, dass der Fall in der Sache falsch entschieden worden sei (mit solcher Art von Kritik müssen Revisionsrichter leben), sondern weitergehend lautete, dass die Richter ohne Not mit der rechtsfortbildenden Tradition des zweiten Zivilsenats gebrochen hätten.108 Die spätere „Korrektur“ durch den Gesetzgeber, mit dem dieser den vor „Frosta“ bestehenden Rechtszustand (partiell) wiederherstellte, scheint diese Kritik zu bestätigen. Handelt es sich bei „Frosta“ also um einen krassen Fall missglückter „Rechtsrückbildung“,109 der zugleich die These vom bedächtig vorgehenden Bergmann-Senat in Frage stellt? Die Antwort lautet: In „Frosta“ geht es nur am Rande um aktienrechtliche Fragen, eigentlich behandelt der Beschluss ein Methodenproblem.110 Der Senat hatte nicht darüber zu befinden, ob die Zustimmung der Hauptversammlung und ein Abfindungsangebot beim Delisting rechtsethisch geboten oder rechtspolitisch sinnvoll sind, sondern ob es für beides eine hinreichende Grundlage im geltenden Recht gibt. Diese Frage hat er verneint und den Ball damit dorthin gespielt, wo er hingehört und wo er dann auch prompt aufgegriffen wurde: in das Feld des Gesetzgebers. 2.  „Frosta“ als (überzeugende) Methodenentscheidung a)  Anlegerschutz: ja, aber wie? Es ist unbestritten, dass (Klein-)Anleger jedenfalls beim völligen Rückzug der Gesellschaft von der Börse schutzbedürftig sind. Diese Einsicht hat der   Vgl. BGHZ 153, 47 – Macrotron.   Habersack JZ 2014, 147, 148 (unter Zitat von Lutter JZ 2000, 50); beipflichtend Bayer ZIP 2015, 853, 856, der die Entscheidung selbst „betrüblich“ nennt (Bayer ZfPW 2015, 163, 225); zustimmend dagegen Thomale DStR 2013, 2529; Bachmann in GroßKomm-AktG (Fn. 47), § 3 Rn. 50; wohlwollend auch Mülbert AcP 214 (2014), 188, 217 („präzise Argumentation“); „konsequent“ findet K. Schmidt JuS 2014, 174, 176 die Entscheidung. 107  Vgl. Lutter JZ 2000, 50 und dazu Röhricht ZGR 1999, 445, 471: „So sollten wir nicht miteinander umgehen“. 108  Vgl. Bayer ZfPW 2015, 163, 208. 109   Vokabel nach H.-P. Westermann, der zwischen geglückter und missglückter Rechtsrückbildung unterscheidet, s. Westermann NJW 1997, 1 ff.; ders. in FS Zöllner, 1998, S. 607 ff.; vertiefend Frank Weber Anlässe und Methoden der Rechtsrückbildung im Gesellschaftsrecht, 2003. 110   So auch schon Auer JZ 2015, 71. 105 106

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Senat in „Frosta“ nicht in Abrede gestellt. Er hat vielmehr gesehen, dass der Gesetzgeber das Problem in § 39 BörsG a.F. ausdrücklich adressierte, indem er den Börsenrückzug gerade nicht voraussetzungslos zuließ, sondern unter die ausdrückliche Bedingung stellte, dass der Widerruf der Zulassung nicht dem Schutz der Anleger widerspricht. Die Ausgestaltung dieses Schutzes blieb den Börsenordnungen überlassen, denen nach ökonomischer Logik nicht unterstellt werden kann, ausschließlich den Interessen von Großaktionären verpflichtet zu sein.111 Die sach- und ortsnahen Börsenaufsichtsbehörden besaßen zudem die Möglichkeit, die Auslegung von § 39 Abs. 2 BörsG a.F. durch Verwaltungserlasse u.ä. zu konkretisieren. Wer sich als Anleger dadurch nicht hinreichend geschützt sah, konnte den Verwaltungsrechtsweg beschreiten, der nach Aussage des dazu befragten 8. Senats des BVerwG effektiven Rechtsschutz verbürgte.112 Anlass, offen an den Aussagen der Leipziger Kollegen zu zweifeln, hatte der II. Zivilsenat nicht, wobei nicht übersehen werden darf, dass die Okkupation öffentlich-rechtlicher Streitigkeiten durch Zivilgerichte im Verwaltungsrecht argwöhnisch beäugt wird.113 Der Revisionsrichter ist daher gut beraten, von lauter Kritik an anderen Senaten Abstand zu nehmen.114 „Frosta“ darf so gesehen auch als Respekt vor dem Verwaltungsrecht gelesen werden. Einen Grund, über den gesetzlichen Rahmen hinauszugehen, hätte es für den BGH gegeben, wenn der durch Börsen, BaFin und Verwaltungsgerichte gewährte Delisting-Schutz offensichtlich nicht ausreichend war. Aber das ließ sich, wie der Senat vorsichtig bemerkte, „nicht feststellen“.115 Dazu bezog er sich auf die einzige damals greifbare Studie, die keine zwangsläufigen Kursverluste festgestellt hatte. Diese Studie war, wie später erkannt wurde, methodisch angreifbar.116 Hätte der Senat sich deshalb über sie hinwegsetzen, sie gar durch eigene empirische Studien ersetzen müssen? Man mag diese Frage bejahen. Doch selbst dann blieb der Senat mit einer kaum überwindbaren, von seinen Kritikern übersehenen oder doch jedenfalls stark unterschätzten Hürde konfrontiert: Wie soll der „richtige“ Anlegerschutz beim Delisting aussehen? Dass sich über diese Frage trefflich streiten lässt, wurde alsbald nach dem Frosta-Beschluss deutlich, als in Wissen111   Dass die Börsen dabei Interessenkonflikten unterliegen können, die eine staatliche Regulierung erforderlich machen, versteht sich. Immerhin hatte die Börse Düsseldorf die Frosta-Entscheidung zum Anlass genommen, ihre Börsenordnung um eine Abfindungsobliegenheit zu ergänzen; zu Stimmen, die die Delegation des Anlegerschutzes an die Börsen als positiv bewertet haben s. Krolop Der Rückzug vom organisierten Kapitalmarkt (Delisting), 2005, S. 125 ff, 208 ff. 112   Vgl. BGH NJW 2014, 146, 149; eingehend dazu bereits Krolop (Fn. 110), S. 282 ff. 113  Monografisch dazu Kahl Droht die Entmachtung der Verwaltungsgerichtsbarkeit durch die Zivilgerichte?, 2016. 114  Vgl. R. Fischer (Fn. 12), S. 101. 115   BGH NJW 2014, 146, 149. 116  Vgl. Bayer ZfPW 2015, 163, 196.

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schaft und Politik eine kontroverse Debatte darüber einsetzte, wie die durch „Frosta“ gerissene Lücke am besten zu schließen sei. b)  Rechtsfortbildung à la carte? Ein Ausweg hätte sich dem Senat geboten, wenn dem Gesetz an anderer Stelle ein ausformuliertes Schutzmodell zu entnehmen gewesen wäre, das sich problemlos auf den Fall des Delisting hätte übertragen lassen. Das war aber nicht der Fall. Der Senat ist dieser Frage nicht ausgewichen, sondern allen im Schrifttum aufgestellten Hinweisschildern nachgegangen. Doch nach den bekannten Regeln der Methodenlehre führte eben keiner der eingeschlagenen Pfade zum Ziel.117 Recht eindeutig war das für den Vorschlag, Abfindungsangebot und Hauptversammlungszuständigkeit mit einer Analogie zum Formwechsel (§§ 190 ff. UmwG) zu begründen, denn die börsennotierte AG ist keine eigene Rechtsform und kommt dieser auch nicht gleich.118 Konstruiert wirkte der Versuch, die gewünschten Rechtsfolgen aus dem AktG mit der Begründung herauszulesen, der Großaktionär verschaffe sich mit dem Delisting einen „Sondervorteil“ i.S.v. § 243 Abs. 2 AktG.119 Gangbarer erschien eine Analogie zu § 29 Abs. 1 UmwG, wonach widersprechenden Aktionären bei der Verschmelzung einer börsennotierten AG auf eine nicht börsennotierte AG eine Abfindung anzubieten ist.120 Wenn beim „kalten“ Delisting eine Abfindung geschuldet ist, muss dann selbiges nicht auch und erst recht beim regulären Delisting gelten? Der Blick in die Entstehungsgeschichte zeigt aber, dass die Schaffung von § 29 Abs. 1 UmwG durch die Überlegung motiviert war, den vom BGH in „Macrotron“ „erfundenen“, scheinbar durch Art. 14 GG erzwungenen Anlegerschutz umgehungsfest zu machen. Nicht hingegen war eine abschließende Billigung des Macrotron-Modells intendiert, wie u.a. an der Weigerung des Gesetzgebers erkennbar wurde, die Aufzählung der Spruchverfahren im SpruchG um das Delisting zu erweitern.121 Mit anderen Worten: Ohne „Macrotron“ hätte es § 29 Abs. 1 S. 1 UmwG gar nicht gegeben. Die Analogie zu § 29 Abs. 1 UmwG wäre deshalb darauf hinausgelaufen, „Macrotron“ mit „Macrotron“ zu begründen – kein überzeugendes Ergebnis.122 Führt die Einzelanalogie nicht zum Ziel, durfte sich der Senat auch nicht – wie es das Schrifttum z.T. verlangt hatte123 – in eine Gesamtanalogie flüch  So auch Auer JZ 2015, 71, 73 ff.; zuvor – vom Senat mehrfach zitiert – Kiefner/Gillessen AG 2012, 645 ff. 118   Bachmann in GroßKomm-AktG (Fn. 47), § 3 Rn. 9. Mit eingehender Begründung BGH NJW 2014, 146, 147 und schon Krolop (Fn. 110), S. 100 ff. 119  So Wackerbarth WM 2012, 2977, 2079 f.; ablehnend Wieneke NZG 2014, 22, 23. 120  Dafür Habersack ZHR 176 (2012), 463, 464 f.; Klöhn NZG 2012, 1041, 1045. 121   Vgl. BGH NJW 2014, 146, 148. 122   Auer JZ 2015, 71, 75; Kiefner/Gillessen AG 2012, 645, 657 („Zirkelschluss“). 123  Etwa Bayer ZfPW 2015, 163, 210 f. („unproblematisch“). 117

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ten.124 Denn über den Umstand, dass die Einzelregeln des AktG und UmwG einen – hier nun einmal nicht gegebenen – Eingriff in die Verbandsstruktur voraussetzen, kommt man nicht dadurch hinweg, dass man sämtliche Einzelregeln zusammen wirft. Man hätte den Bogen vielmehr (noch) weiter spannen und kapitalmarktrechtliche Regeln in die Wertung mit einbeziehen müssen. Diese sehen bisweilen (aber eben nicht immer) eine Abfindungspflicht, doch niemals eine Hauptversammlungskompetenz vor. Der kleinste gemeinsame Nenner lautet lediglich, dass Anleger bei sie wirtschaftlich stark berührenden Transaktionen irgendwie schutzbedürftig sind. Ein konkretes Schutzmodell à la „Macrotron“ kann auf diese Weise nicht begründet werden. c)  Das BVerfG als Schulmeister Scheitert die gesetzesimmanente Rechtsfortbildung, bleibt dem BGH das Instrument der Rechtsfortbildung extra legem. Eine solche ist zulässig, wenn – wie es in „Macrotron“ angenommen worden war – verfassungsrechtliche Wertungen dazu nötigen. Das war nach dem klaren Votum des BVerfG im Fall MVS/Lindner125 nicht (mehr) der Fall. Das BVerfG hatte es dem BGH allerdings nicht verwehrt, das MacrotronModell auf einfachrechtlichem Wege zu begründen. In der Literatur war das als „carte blanche“ begriffen worden, von der der Bergmann-Senat hätte Gebrauch machen müssen.126 Doch entbindet ein verfassungsgerichtliches Plazet nicht von den Regeln der allgemeinen Methodenlehre. Wenn der Senat sich strikt an diese hielt, mag das auch an der schulmeisterlichen Art gelegen haben, mit der er zuvor von den Karlsruher Kollegen behandelt worden war. Musste sich der BGH in „DAT/Altana“ noch anhören, Art. 14 GG verkannt zu haben,127 und war er diesem Fingerzeig in „Macrotron“ brav gefolgt, so durfte er nunmehr erfahren, Art. 14 GG schon wieder missverstanden zu haben, diesmal in umgekehrter Richtung. Daher war es nachvollziehbar, wenn der Senat keine Neigung verspürte, weiter Lückenbüßer für einen entschlusslosen Gesetzgeber zu spielen. d)  Der BGH ist kein Gesetzgeber! Ein letzter Ausweg wäre geblieben: Rechtsfortbildung extra legem kommt auch jenseits verfassungsrechtlicher Zwänge in Betracht, wenn es gilt, unabweisbaren Bedürfnissen der Praxis oder rechtsethischen Geboten Rechnung  Vgl. Auer JZ 2015, 71, 73; Kiefner/Gillessen AG 2012, 645, 657.   Vgl. BVerfG v. 11.07.2012 – 1 BvR 3142/07, 1569/08 = BVerfGE 132, 99. Eingehend schon Krolop (Fn. 110), S. 88 ff. mit dem Fazit: „Nicht jeder aus institutionell-gesamtwirtschaftlicher Sicht oder wegen Billigkeitsgesichtspunkten wünschenswerte Vermögensschutz [muss] zum Schutzgegenstand von Art 14 GG gemacht werden“ (ebd., S. 120). 126  Vgl. Habersack JZ 2014, 147, 148; Bayer ZfPW 2015, 163, 214. 127   BVerfG v. 27.04. 1999 – 1 BvR 1613/94 = BVerfGE 100, 289. 124 125

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zu tragen.128 Weil die Rechtsprechung damit Gesetzgebungsbefugnisse usurpiert, ist hier jedoch höchste Zurückhaltung geboten.129 Eine Grenze ist dort erreicht, „wo eine detaillierte Regelung erforderlich wäre, die nur der Gesetzgeber treffen kann, da er allein über die dafür notwendigen Informationen und über die Legitimation zur Schaffung einer solchen Regelung verfügt“.130 Diese Grenze, die auch das BVerfG achtet, hätte der BGH mit einem selbst gebastelten Schutzmodell überschritten. Denn es ist eines, die Schutzbedürftigkeit der Anleger beim Delisting zu erkennen, ein anderes, dem Schutz in einer praktisch handhabbaren, gegenläufige Interessen einbeziehenden Weise Rechnung zu tragen. Die dabei zu beantwortenden Fragen sind mannigfaltig: Reicht ein Abfindungsangebot, oder ist zusätzlich ein Hauptversammlungsbeschluss (und wenn ja: mit welchen Mehrheiten?) vorzusehen? Bejahendenfalls: Sollte der HV-Beschluss einer materiellen Inhaltskontrolle unterworfen, muss er anfechtbar sein, braucht es Stimmverbote? Wer hat das Abfindungsangebot zu machen, wer darf es (wie) überprüfen, und – vor allem – wie ist die Höhe der Abfindung zu bemessen? All diese Fragen, über die post Frosta heftig gestritten wurde, zeigen, dass ein Gericht mit ihrer Beantwortung überfordert ist. 3.  Bruch mit der Senatstradition? Obwohl der Senat seine Entscheidung methodengerecht begründet hatte, musste er sich den Vorwurf gefallen lassen, mit der eigenen Tradition zu brechen, denn „seit der Errichtung des BGH im Jahre 1950 entsprach es dem Selbstverständnis des II. Zivilsenats des BGH, erkannte Schutzlücken im Wege einer richterlichen Rechtsfortbildung zu schließen“.131 Dies, so die Kritik, hätte er nicht nur in „Frosta“ tun müssen, vielmehr sei er auch in Zukunft (wieder) aufgerufen, „unzulängliche Leistungen des Gesetzgebers mit gesellschaftsrechtlichen Instrumentarien rechtsfortbildend zu schließen“.132 Denn so, wie sich die besseren richterrechtlichen Regeln zum Gesellschafterdarlehen gegenüber den schlechteren Regeln des Gesetzgebers durchgesetzt hätten, sollte sich der II. Zivilsenat bei unzulänglicher Gesetzgebung keineswegs „aus falsch verstandener Loyalität gegenüber dem demokratischen Gesetzgeber“ davon abhalten lassen, das nach seiner Überzeugung sachgerechte Ergebnis durch Urteilsspruch herbeizuführen.133   Vgl. nur Larenz Methodenlehre, 6. Aufl. 1991, S. 413 ff.  Aus verfassungsrichterlicher Sicht jüngst E. Haas in FS Landwehr, 2016, S. 423, 427 ff. 130   Larenz (Fn. 127), S. 427 f. (unter Hinweis auf Picker JZ 1988, 71); gleichsinnig R. Fischer (Fn. 12), S. 70. 131   Bayer ZfPW 2015, 163, 208 f. 132   Bayer ZfPW 2015, 163, 224. 133   Bayer ZfPW 2015, 163, 224 (Hervorhebungen im Original). 128 129

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Diesen Ausführungen kann so nicht zugestimmt werden. Sieht man einmal davon ab, dass der Bergmann-Senat mit seiner strengen Bindung an das Gesetz nur das praktizierte, was frühere, prominente Senatsvorsitzende gepredigt hatten,134 darf nicht übersehen werden, dass ältere Senatsmannschaften gerade da, wo sie mit kühner Rechtsfortbildung als Quasi-Gesetzgeber agierten, die Gesellschaftsrechtspraxis in schweres, manchmal kaum passierbares Fahrwasser brachten, was zu Kurskorrekturen, bisweilen auch zum Eingreifen des Gesetzgebers nötigte. Erinnert sei an die mäandernde Rechtsprechung zur GmbH-Gesellschafterhaftung („qualifizierter faktischer Konzern“),135 die bunte Blüten treibenden Figuren von „verdeckter Sacheinlage“136 und „wirtschaftlicher Neugründung“137, die das Grundbuch überfordernde Gewährung von Rechtsfähigkeit an die Außen-GbR138 und die das gesetzlich vorgesehene genehmigte Kapital zum Erliegen bringende „materielle Beschlusskontrolle“.139 Auch das als Musterbeispiel angeführte Richterrecht der Gesellschafterdarlehen verdient ein Fragezeichen, war dieses am Schluss doch so ausgeartet, dass ein scharfer Schnitt des Gesetzgebers nötig wurde, um es für die Praxis überhaupt noch handhabbar zu halten.140 Auch und gerade was den Delisting-Schutz angeht, sollte nicht übersehen werden, dass das durch „Frosta“ beseitigte Rechtsfortbildungsmodell keinesfalls ideal und daher von Anfang an erheblicher Kritik ausgesetzt gewesen war.141 Die Kritik gipfelte in der rhetorischen Frage, ob der BGH glaube, mit seinem Delisting-Konzept „der bessere Gesetzgeber“ zu sein.142 Der so Fragende gab dem Senat zu bedenken, dass es „mutiger und im Interesse einer geordneten Rechtsentwicklung vorzugswürdiger sein kann, mit der Formulierung von Rechtssätzen, die nicht im Gesetz stehen, und die sich   S.o., II.2. (R. Fischer) und II.4. a) (Röhricht).   Zur Kritik nur Röhricht ZGR 1999, 445, 464 ff., 467: „... zeigt exemplarisch, welche geradezu katastrophalen Folgen eine übereilte [...] richterrechtliche Regelbildung für die Praxis, die Rechtsprechung und ihre Zusammenarbeit mit der Wissenschaft zeitigen kann“. 136   Zur Kritik insbes. Wilhelm Kapitalgesellschaftsrecht, 3. Aufl. 2009, Rn. 293 ff. 137   S.o., III.2.c. 138   Die Grundbuchprobleme versuchte der Gesetzgeber später zu reparieren (vgl. § 899a BGB), die zu weitschießend formulierte Gesellschafterhaftung nahm der Senat selbst partiell zurück (vgl. BGHZ 150, 1). Erlösung verheißt jetzt (hoffentlich) die vom Gesetzgeber der 17. Legislaturperiode eingeleitete Neuregelung des Rechts der BGB-Gesellschaft. 139   Partiell korrigiert durch den Gesetzgeber (vgl. § 186 Abs. 3 Satz 4 AktG), im Übrigen revidiert durch BGH v. 23.6.2997 – II ZR 132/93 = BGHZ 136, 133 – Siemens/Nold, aufschlussreich dazu Röhricht ZGR 1999, 445, 469 ff. 140   Verteidigend aber Goette (Fn. 39), S. 19: „Dass wir ein Chaos veranstaltet hätten, in dem sich die Rechtssuchenden nicht mehr hätten zurecht finden können, das bestreite ich energisch“. 141   Umfangreiche Nachweise bei Auer JZ 2015, 71, 72. 142   So der Titelzusatz des Beitrags von Ekkenga ZGR 2003, 878; gegen das „Macrotron“Modell auch Krolop (Fn. 110), S. 89 ff.; zuvor Mülbert ZHR 165 (2001), 104, 117, 122, 124, 126. 134 135

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auch nicht mittelbar aus dem Gesetz ableiten lassen, etwas zurückhaltender umzugehen“.143 Diesen Mut hat der Senat in „Frosta“ bewiesen und den Gesetzgeber damit zu einem Handeln bewogen, welches nicht in der Wiederherstellung des Macrotron-Modells, sondern in der Schaffung eines neuen, kapitalmarktrechtlichen Anlegerschutzmodells endete. Wenn der Senat sich nach alledem etwas vorhalten lassen muss, dann dass er für Altfälle keinen Vertrauensschutz gewährt hat.144 Ob ein Revisionsgericht Übergangsfristen setzen kann, ist jedoch fraglich.145

V. Fazit Versucht man, nach allem eine methodische Summe der Rechtsprechung des Bergmann-Senats zu ziehen, so lassen sich, thesenartig und pointiert, folgende Aussagen treffen (Hinweise auf die hier erörterten Fälle jeweils in Klammern): (1) Der Bergmann-Senat entscheidet den Einzelfall. Auf weitergreifende Systementwürfe wird verzichtet, Folgefragen werden beantwortet, wenn sie sich stellen und das nötige Anschauungsmaterial vorliegt (Abfindung und Gesellschafterausschluss; wirtschaftliche Neugründung). (2) Der Bergmann-Senat ist kein Ersatz-Gesetzgeber. Rechtsfortbildung wird praktiziert, wenn sie unvermeidlich ist und das Recht Fingerzeige für die Ausgestaltung gibt (Abfindung und Gesellschafterausschluss; Organhaftung bei der GmbH & Co.); ansonsten wird Zurückhaltung geübt (Vergleich über Differenzhaftung). Der Senat nimmt etwaige Unvollkommenheiten in Kauf, wenn es viele Arten gibt, sie zu beseitigen und die Entscheidung darüber eine politische ist (Insolvenzverursachungshaftung des Geschäftsführers; Erstattung von Geldbußen; Anlegerschutz beim Delisting). (3) Der Bergmann-Senat ist konservativ. Überkommene, von früheren Senaten entwickelte Doktrinen oder Rechtsfiguren werden fortgeführt (Organhaftung in der GmbH & Co.; Erstattung von Geldbußen), aber im Zweifel restriktiv gehandhabt (ungeschriebene HV-Zuständigkeit) und bei Bedarf auf ein praxistaugliches Maß zurückgeschnitten (wirtschaftliche Neu-

  Ekkenga ZGR 2003, 878, 910.   Bayer ZfPW 2015, 163, 198. Den Vertrauensschutz betonend auch R. Fischer (Fn. 12), S. 25: „Die Rechtsprechung auf dem Gebiet des Gesellschaftsrechts ist [...] an die Ergebnisse ihrer eigenen Rechtsprechung gebunden; sie darf also nach Möglichkeit die Erwartungen einer von ihr selbst eingeleiteten Entwicklung nicht enttäuschen“. 145  Die Ankündigung von Rechtsprechungsänderungen bejahend R. Fischer (Fn. 12), S. 97 ff.; kritisch mit guten Gründen Ch. Weiß (Fn. 2), S. 539 ff. 143 144

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gründung). Bei Wegfall der die Rechtsfortbildung tragenden Gründe wird der Ball an den Gesetzgeber zurückgespielt (Anlegerschutz beim Delisting). (4) Der Bergmann-Senat ist pragmatisch. Er sucht die dogmatisch tragfähige Antwort, behält aber immer den Anwendungsbezug im Auge und gibt der praxisverträglichen Lösung im Zweifel den Vorzug (Vergleich über Differenzhaftungsansprüche; Abfindung bei Gesellschafterausschluss; wirtschaftliche Neugründung). Die Praxistauglichkeit findet Grenzen, wo eine klare Wertentscheidung des Gesetzes vorliegt, die aufzugeben oder zu überschreiten dem Gesetzgeber obliegt (Erstattung von Geldbußen; Organhaftung bei der GmbH & Co. KG). Fazit: Mögen andere Senatsbesetzungen zum Teil andere Akzente gesetzt haben, so fügt sich die Rechtsprechung des Bergmann-Senats am Ende gut in die lange Senatstradition ein. Mit Neugier wird zu beobachten sein, wie jüngere Senatsmannschaften diese Tradition fortsetzen.

Einziehung von GmbH-Geschäftsanteilen: Streifzug durch die Rechtsprechung des II. Zivilsenates des BGH Walter Bayer I.  Aktuelle BGH-Entscheidungen zur Einziehung von GmbH-Geschäftsanteilen Streitigkeiten im Zusammenhang mit der Einziehung von GmbHGeschäftsanteilen und der Ausschließung von GmbH-Gesellschaftern sind sehr prozessträchtig.1 Beredtes Beispiel sind einige ausgewählte BGH-Entscheidungen aus jüngerer Zeit: 1.  Wirksamkeit der Einziehung und Abfindungsleistung Mit dem Grundsatzurteil2 BGHZ 192, 2363 hat der II. Zivilsenat des BGH die bislang vorherrschende „Bedingungslehre“ in die Rechtsgeschichte verabschiedet.4 Durch BGHZ 210, 1865 hat der Senat die dogmatische Begründung seiner Richtungsentscheidung fortentwickelt und konkretisiert.6 Mit dieser Neuorientierung der Rechtsprechung und ihren Auswirkungen wollen wir uns näher unter II. auseinandersetzen.

1   So der stv. Vorsitzende des II. Zivilsenats des BGH Strohn VGR (Hrsg.) Bd. 22, 2017, S. 1, 10. 2   So auch Ulmer in FS Hoffmann-Becking, 2013, S. 1261, 1262. 3  BGH v. 24.1.2012 – II ZR 109/11, BGHZ 192, 236 = GmbHR 2012, 387 m. zust. Komm. Münnich. 4   In diesem Sinne auch Altmeppen in Roth/Altmeppen GmbHG, 8. Aufl. 2015, § 34 Rn. 20; vgl. bereits Altmeppen ZIP 2012, 1685, 1686 („Makulatur“). 5   BGH v. 10.5.2016 – II ZR 342/14, BGHZ 210, 186 = GmbHR 2016, 754. 6   Beide Begriffe („fortentwickelt“ und „konkretisiert“) finden sich bei Strohn (Fn. 1) S. 12 bzw. S. 10.

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2.  Einziehung und Konvergenzgebot Zwischenzeitlich musste BGHZ 203, 3037 im Interesse der Rechtssicherheit Verwirrungen beseitigen, die im Kontext des durch das MoMiG8 neu gefassten § 5 Abs. 3 S. 2 GmbHG („Die Summe der Nennbeträge aller Geschäftsanteile muss mit dem Stammkapital übereinstimmen“) entstanden waren und im Schrifttum sowie bei manchen Instanzgerichten zu geradezu abenteuerlichen Auffassungen geführt hatten. So findet sich in den Gesetzesmaterialien die „offenkundig nicht durchdachte“9 Formulierung, dass sich die Neuregelung „nicht nur auf das Gründungsstadium, sondern auch auf den weiteren Verlauf der Gesellschaft (bezieht)“, so dass ein „Auseinanderfallen der Summe der Nennbeträge der Geschäftsanteile und des Nennbetrags des Stammkapitals“ – wie im Falle der Einziehung – „künftig im Gegensatz zum geltenden Recht unzulässig“ sei und den Gesellschaftern im Falle einer Einziehung somit nur die Möglichkeit bleibe, „die Einziehung mit einer Kapitalherabsetzung zu verbinden, die Summe der Nennbeträge der Geschäftsanteile durch eine nominelle Aufstockung an das Stammkapital anzupassen oder einen neuen Geschäftsanteil zu bilden“.10 In „gehorsamer Anwendung der Gesetzesbegründung“11 haben sich dann in der Folgezeit einzelne Instanzgerichte12 und Teile des Schrifttums13 für den Fall einer nicht sofort beseitigten Divergenz für die Nichtigkeit des Einziehungsbeschlusses ausgesprochen, wiederum andere befürworteten dessen Anfechtbarkeit.14 Erst ein nachdrücklicher Appell15 von Ulmer („Ein Gespenst geht um“), die Gesetzesbegründung nicht zu ernst zu nehmen („Moral von der Geschicht: trau unbesehen keiner Begründung nicht“),16 da „es sich dabei [...] um eine wenig interessengerechte, systematisch und teleologisch fernliegende Wort-

7  BGH v. 2.12.2014 – II ZR 322/13, BGHZ 203, 303 = GmbHR 2014, 416 m. zust. Komm. Blunk/Rabe. 8   Gesetz zur Modernisierung des GmbH-Rechts und zur Bekämpfung von Missbräuchen (BGBl. I S. 2026). 9  So Altmeppen (Fn. 4), § 34 Rn. 79. 10   So Begr.RegE. BT-Drs. 16/6140, S. 31. 11  So Priester ZIP 2016, 1065. 12   LG Essen NZG 2010, 867 ff. [dazu Haberstroh NZG 2010, 1094 ff.]; LG Neubrandenburg ZIP 2011, 1214; OLG München v. 15.11.2011 – 7 U 2413/11, DNotI-Report 2012, 30 (LS). 13   Görner in Rowedder/Schmidt-Leithoff GmbHG, 5. Aufl. 2013, § 34 Rn. 26; Römermann DB 2010, 209 ff.; Heckschen NZG 2010, 521, 524. 14   Sosnitza in Michalski GmbHG, 2. Aufl. 2010, § 34 Rn. 122; Clevinghaus RNotZ 2011, 449, 461; Wanner-Laufer NJW 2010, 1499, 1502. 15   Siehe aber auch Lutter GmbHR 2010, 1177 ff. 16   Ulmer DB 2010, 321 ff.

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lautinterpretation [...] handelt“,17 hat einen Meinungsumschwung herbeigeführt.18 Der II. Zivilsenat des BGH hat sich unter dem Vorsitz des Jubilars in BGHZ 203, 30319 der hM angeschlossen20 und in schulmäßiger Exegese unter Heranziehung des (insoweit unergiebigen) Wortlauts, der Gesetzesmaterialien sowie insbesondere der Gesetzessystematik und des Normzwecks21 eine „überzeugende Klarstellung“22 vorgenommen, welche die aufgeschreckte Praxis beruhigt hat; vereinzelte Gegenstimmen23 haben heute keine Bedeutung mehr.24 Und in der Tat gibt es – wie der BGH ausführt – „gute Gründe dafür, die Entscheidung wie (nach der beschlossenen Einziehung) weiter verfahren werden soll, den Gesellschaftern zu überlassen“, etwa „den Ausgang eines Anfechtungsprozesses gegen den Einziehungsbeschluss oder eines Rechtsstreits über die Höhe der Abfindung abzuwarten“.25 Abgelehnt hat der BGH auch die Auffassung, dass der eingezogene Geschäftsanteil automatisch von der GmbH erworben werde26 oder die übrigen Geschäftsanteile automatisch aufgestockt27 werden.28 Ausdrücklich offen gelassen hat der BGH allein die Frage, ob die Einziehung des Geschäfts So Ulmer DB 2010, 321, 322.   Siehe nur Altmeppen in Roth/Altmeppen GmbHG, 7. Aufl. 2012, § 34 Rn. 83 ff.; Bayer in Lutter/Hommelhoff GmbHG, 18. Aufl. 2012, § 5 Rn. 6; Ulmer/Casper in Ulmer/ Habersack/Löbbe GmbHG, 2. Aufl. 2013, § 5 Rn. 24; Ulmer/Habersack in Ulmer/Habersack/Löbbe GmbHG, 2. Aufl. 2014, § 34 Rn. 65a; Strohn in MünchKommGmbHG, 1. Aufl. 2010, § 34 Rn. 65; Schäfer in Henssler/Strohn GesR, 2. Aufl. 2014, § 5 Rn. 7; Fastrich in Baumbach/Hueck GmbHG, 20. Aufl. 2013, § 34 Rn. 17b; Wicke in Wicke GmbHG, 2. Aufl. 2011, § 34 Rn. 3; vgl. weiter B. Braun GmbHR 2010, 82 ff.; OLG Rostock GmbHR 2013, 752, 753 ff.; vgl. in diese Richtung obiter auch OLG Saarbrücken GmbHR 2012, 209, 211 f. m. zust. Komm. Blunk/Rabe. 19   BGH v. 2.12.2014, BGHZ 203, 303 = GmbHR 2015, 416 m. zust. Anm. Blunk/Rabe; zust. auch J. Schmidt WuB 2015, 271. 20   BGHZ 203, 303 Rn. 22. 21   BGHZ 203, 303 Rn. 23 ff. Im Übrigen hat der BGH bekräftigt, dass nur voll eingezahlte Geschäftsanteile eingezogen werden dürfen: BGHZ 203, 303 Rn. 31 unter Verweis auf BGHZ 9, 157, 168 f. Siehe dazu auch Lutter/Kleindiek in Lutter/Hommelhoff GmbHG, 19. Aufl. 2016, § 34 Rn. 22 mwN. (unstreitig). 22  So Kleindiek NZG 2015, 489 ff.; zustimmend auch Wachter BB 2015, 785. 23   Kritisch immer noch Römermann EWiR 2015, 169, 170 („dogmatisch mehr als fragwürdige Lösung“); zweifelnd auch D. Schmidt/J. Stürner ZIP 2015, 1521 ff. (teleologische Reduktion notwendig). 24   Siehe aus dem aktuellen Schrifttum nur Lutter/Kleindiek (Fn. 21), § 34 Rn. 5; ausf. Altmeppen (Fn. 4), § 34 Rn. 78 ff.; vgl. weiter Priester ZIP 2016, 1065 ff.; Markowsky Die Einziehung von GmbH-Geschäftsanteilen, 2013, S. 258 ff. 25   So BGHZ 203, 303 Rn. 28. Siehe auch Bergmann VGR (Hrsg.) Bd. 21, 2016, S. 1, 7. 26   So etwa A. Meyer NZG 2009, 1201 ff.; Stehmann GmbHR 2013, 574 ff. 27  So insbesondere Lutter (in Lutter/Hommelhoff GmbHG, 18. Aufl. 2012), § 34 Rn. 3 ff.; Altmeppen (Fn. 18), § 34 Rn. 84 f. 28   BGHZ 203, 303 Rn. 29 („kein Bedürfnis“). Zustimmend Kleindiek NZG 2015, 489, 491 mwN. 17 18

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anteils in der neu einzureichenden Gesellschafterliste (vgl. § 40 Abs. 1 S. 1 GmbHG)29 – ausnahmsweise – zu vermerken ist.30 Dies wird vom Schrifttum zutreffend31 angenommen32 und sollte auch vom II. Zivilsenat bei nächster Gelegenheit bekräftigt werden. Die weitere – ebenfalls in BGHZ 203, 303 unentschiedene – Frage, „ob das Registergericht anlässlich eines späteren Eintragungsantrags darauf bestehen kann, dass die Divergenz zwischen der Summe der Nennbeträge der Geschäftsanteile und dem Stammkapital beseitigt wird“,33 wird etwa von Lutter/Kleindiek ausdrücklich verneint: Wenn es keine Pflicht gebe, die Divergenz innerhalb eines bestimmten Zeitraumes zu beseitigen,34 so dürfe auch das Registergericht „den Vollzug eines späteren Eintragungsantrags nicht davon abhängig machen, dass zunächst eine noch bestehende Divergenz [...] beseitigt wird“.35 Dies überzeugt. 3.  Einziehung oder Ausschließung aus wichtigem Grund Persönlich geprägte Auseinandersetzungen zwischen Gesellschaftern personalistisch strukturierter GmbHs spielen heute genauso wie in der Vergangenheit in der Praxis eine große Rolle. Dies gilt insbesondere auch in der Konstellation, dass eine eheliche oder nicht-eheliche Lebensgemeinschaft gescheitert ist – so im Sachverhalt des Urteils vom 24. September 2013,36 in dem der BGH eine langjährige Senatsrechtsprechung zur Konkretisierung eines zur Einziehung berechtigenden „wichtigen Grundes“ bekräftigt hat: Der Kläger hatte gemeinsam mit drei weiteren Gesellschaftern die bekl. GmbH gegründet, die ein Kino betreibt. Nachdem seine nicht-eheliche Lebensgemeinschaft mit der Mitgesellschafterin L. gescheitert war, kam es zu zahlreichen Pflichtverletzungen und zu einem tiefgreifenden Zerwürfnis, so dass ein sinnvolles Zusammenwirken der Gesellschafter nicht mehr zu erwarten war. Die gegen den von allen Mitgesellschaftern gefassten Einziehungs-

29   Zur Pflicht, die Gesellschafterliste nach Wirksamkeit der Einziehung zu korrigieren, nur Strohn in MünchKommGmbHG, 2. Aufl. 2015, § 34 Rn. 66 mwN. 30   Siehe BGHZ 203, 303 Rn. 26. 31   So auch J. Schmidt WuB 2015, 271, 274; Wachter BB 2015, 785. 32   Siehe nur Bayer in Lutter/Hommelhoff GmbHG, 19. Aufl. 2016, § 40 Rn. 20; Lutter/ Kleindiek (Fn. 21), § 34 Rn. 5a; Heidinger in MünchKommGmbHG, 2. Aufl. 2016, § 40 Rn. 27; Noack in Baumbach/Hueck GmbHG, 21. Aufl. 2017, § 40 Rn. 14; Wicke in Wicke GmbHG, 3. Aufl. 2016, § 40 Rn. 5. 33   So BGHZ 203, 303 Rn. 26. 34   Abw. wohl Bergmann: Möglicherweise gebe es eine gesetzliche Pflicht zur Anpassung der Nennbeträge, doch sehe das Gesetz eine Sanktion im Falle des Verstoßes nicht vor, „so dass ein fortdauerndes Auseinanderfallen demnach sanktionslos bliebe“ (vgl. den Diskussionsbericht bei Wentzell VGR (Hrsg.) Bd. 21, 2016, S. 17, 20). 35  So Lutter/Kleindiek (Fn. 21), § 34 Rn. 5 aE.; ebenso Wachter BB 2015, 785; J. Schmidt WuB 2015, 271, 274. 36   BGH GmbHR 2013, 1315 m. Komm. Werner.

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beschluss erhobene Anfechtungsklage hatte indes vor dem OLG Koblenz Erfolg, da zwar den Mitgesellschaftern ihrerseits kein „ihren eigenen Ausschluss rechtfertigendes Verhalten vorzuwerfen“, es aber auch nicht erwiesen sei, „dass das Zerwürfnis innerhalb der Gesellschaft zumindest überwiegend von dem Kl(äger) verursacht worden sei“.37 Der II. Zivilsenat korrigierte das OLG, wohl wissend, dass es „in erster Linie Aufgabe des Tatrichters (ist) zu beurteilen, ob im konkreten Fall ein wichtiger Grund vorliegt“. Allein der Tatrichter habe „die dafür maßgebenden Umstände festzustellen, zu würdigen und abzuwägen“.38 Allerdings bewertete der II. Zivilsenat die vom Berufungsgericht festgestellten Tatsachen dahin, dass „das Zerwürfnis [...] überwiegend vom Kl(äger) verursacht“ worden war.39 Denn die Unklarheiten, die im Hinblick darauf bestehen, wer das Scheitern der nicht-ehelichen Lebensgemeinschaft zu vertreten habe, seien nur insoweit von Bedeutung, „wie der daraus resultierende Konflikt von den Beteiligten in die Gesellschaft hineingetragen wurde“; ein solches Verhalten hatte das OLG indes allein im Hinblick auf den Kläger festgestellt.40 Aufgrund der nochmals bekräftigten Prämisse, dass „ein wichtiger Grund zum Ausschluss eines Gesellschafters“ dann besteht, wenn ein tiefgreifendes Zerwürfnis vorliegt, das von „dem betroffenen Gesellschafter zumindest überwiegend verursacht worden ist und in der Person des oder der die Ausschließung betreibenden Gesellschafter keine Umstände vorliegen, die deren Ausschließung oder die Auflösung der Gesellschaft rechtfertigen“,41 war der Rechtsstreit zur Entscheidung reif und der Senat hat die Klage gem. § 563 Abs. 3 ZPO abgewiesen. Das Urteil bestätigt die Linie der bisherigen – auch im Schrifttum allgemein gebilligten42 – Rechtsprechung43 und bringt daher nur insoweit eine gewisse neue Erkenntnis (die wohl auch nur der Grund für die Zulassung der Revision [vgl. § 543 Abs. 2 ZPO] sein kann), dass Konflikte in der privaten Lebensgemeinschaft von Gesellschaftern nur dann einen wichtigen Grund zur Einziehung/Ausschließung darstellen, wenn sie in die GmbH „hineingetragen“ werden und daraus ein innergesellschaftliches Zerwürfnis resultiert.44   So referierend BGH GmbHR 2013, 1315 Rn. 10.   So BGH GmbHR 2013, 1315 Rn. 14 unter Bezugnahme auf BGH GmbHR 1991, 362 und BGH GmbHR 2003, 583. 39   BGH GmbHR 2013, 1315 Rn. 18. 40   BGH GmbHR 2013, 1315 Rn. 19. 41   So BGH GmbHR 2013, 1315 Rn. 17 mit Verweis auf BGHZ 32, 17, 31 (dazu unten bei Fn. 43) sowie BGH GmbHR 1991, 362, 363 und BGH GmbHR 2003, 583. 42   Sosnitza in Michalski/Heidinger/Leible/J. Schmidt GmbHG, 3. Aufl. 2017, § 34 Rn. 40; Strohn in MünchKommGmbHG, 3. Aufl. 2018, § 34 Rn. 47; T. Fleischer in Henssler/ Strohn GesR, 3. Aufl. 2016, § 34 Rn. 6. 43   Siehe bereits grundlegend BGHZ 32, 17 = GmbHR 1960, 85 m. Anm. Pleyer; vgl. weiter BGHZ 80, 346, 352; BGH ZIP 2003, 759, 761 m. Anm. Kiem EWiR 2004, 65. 44   In diese Richtung auch zutreffend Nikoleyczik/Gubitz EWiR 2013, 173. 37 38

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4.  Nichtige Abfindungsregelung und Heilung Im Urteil vom 27. September 201145 korrigiert der II. Zivilsenat die Auslegung einer Abfindungsklausel46 und bekräftigt in diesem Kontext seine Rechtsprechung, wonach im Falle einer gem. § 138 BGB oder § 241 Nr. 4 AktG analog sittenwidrigen und damit nichtigen Satzungsregelung keine geltungserhaltende Reduktion stattfindet, sondern der ausscheidende Gesellschafter grundsätzlich zum vollen Verkehrswert abzufinden ist.47 Allerdings könne die Nichtigkeit der Abfindungsregelung analog § 242 Abs. 2 S. 1 AktG nicht mehr geltend gemacht werden, sofern die sittenwidrige Satzungsbestimmung in das Handelsregister eingetragen worden ist und seitdem drei Jahre verstrichen sind.48 Der II. Zivilsenat verweist hierbei auf seine grundlegende Entscheidung BGHZ 144, 365,49 in der nicht rechtsfortbildend festgestellt worden war, dass nicht nur nichtige Beschlüsse – einschließlich satzungsändernder Beschlüsse-,50 sondern auch nichtige Regelungen in der ursprünglichen Satzung im Sinne der Rechtssicherheit analog § 242 Abs. 2 S. 1 AktG geheilt werden können.51 Die nach ganz hM materiell-rechtliche Heilungswirkung im Sinne einer „dauerhaften Bestandskraft“52 ist allerdings speziell im Hinblick auf Abfindungsregelungen gravierenden Bedenken ausgesetzt: So würde sich die GmbH im Falle einer anfänglich sittenwidrigen, dann aber durch „Heilung“ wirksam gewordenen Abfindungsbeschränkung besser stellen als im Falle einer anfänglich wirksamen Abfindungsbeschränkung, die dann aber im Zeitverlauf zu einer unangemessenen Abfindung führt und für den ausscheidenden Gesellschafter einen Anspruch auf Anpassung an die neuen Verhältnisse im Wege der ergänzenden Vertragsauslegung begründet.53 Der II. Zivilsenat hat diese „Ungleichbehandlung“ im Urteil vom 27. September 2011 aufgegriffen, sich dabei allerdings nicht von seiner früheren Rechtsprechung und der Dogmatik der materiell-rechtlichen Heilungswirkung distanziert, sondern vielmehr ausgeführt, dass „die am Gesellschaftsvertrag beteiligten Personen [...] etwas Vernünftiges gewollt (haben)“, nämlich „eine   BGH GmbHR 2012, 92.   Dazu auch A. Herff GmbHR 2012, 621 ff. 47  BGH GmbHR 2012, 92 Rn. 12 unter Bezugnahme auf BGHZ 116, 359, 368 f. = GmbHR 1992, 257. Siehe hierzu auch Strohn (Fn. 42), § 34 Rn. 238. 48   BGH GmbHR 2012, 92 Rn. 12. 49   BGHZ 144, 365 = GmbHR 2000, 822 (zur Abfindungsbeschränkung bei Zwangseinziehung). 50   So bereits (für AG) BGHZ 99, 211, 217. 51   BGHZ 144, 365, 367 f.; zust. etwa Bayer (Fn. 32), Anh. § 47 Rn. 26 mwN. Siehe auch bereits BGH v. 16.9.1991 – II ZR 58/91, BGHZ 116, 359, 368 ff. (betr. Einziehung) m. Anm. Kleindiek WuB II C. § 34 GmbHG 2.92. 52   Siehe nur (zur AG) Hüffer/Koch AktG, 13. Aufl. 2018, § 242 Rn. 7 mwN. 53   Siehe nur BGHZ 123, 281, 284 f.; BGHZ 144, 365, 369; Strohn (Fn. 29), § 34 Rn. 241 mwN. 45 46

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auf Dauer wirksame und die Gesellschafter gleichbehandelnde Berechnung der Abfindung“.54 Im Schrifttum wird denn auch der BGH heute so verstanden, dass trotz Heilung einer anfänglich nichtigen Satzungsregelung an den ausscheidenden Gesellschafter nicht die bei Hinwegdenken der Heilung sittenwidrig niedrige Abfindung zu leisten ist, sondern in gleicher Weise wie im Falle einer nachträglich unzulässig gewordenen Abfindungsregelung eine Abfindung in angemessener Höhe.55 Nach einer verbreiteten Auffassung im Schrifttum soll eine Heilung gem. § 242 AktG (analog) allerdings von vornherein dann nicht in Betracht kommen, wenn Nichtigkeitsgründe betroffen sind, die den Gläubigerschutz betreffen.56 Dieser Standpunkt überzeugt, da hier eine Heilung bereits deshalb unangemessen und sachlich nicht überzeugend ist, weil der Gläubiger – anders als ein betroffenen Gesellschafter – den Eintritt der Heilungswirkung durch Klageerhebung nicht verhindern kann.57 Allein die zugunsten von Gesellschaftern eingreifende „Ausübungskontrolle“ erscheint hier nicht angemessen; vielmehr muss die Heilungswirkung des § 242 AktG (analog) im Hinblick auf nicht klageberechtigte Dritte teleologisch reduziert werden.

II.  Wirksamkeit der Einziehung und Leistung der Abfindung Die „bahnbrechende Entscheidung“58 BGHZ 192, 236 sowie die Folgeentscheidung BGHZ 210, 186 sind im Schrifttum nicht auf ungeteilte Zustimmung gestoßen. Auch sind manche Fragen noch unbeantwortet geblieben. Wir wollen uns daher die Problematik etwas näher betrachten. 1.  BGHZ 192, 236 Zum Sachverhalt: Der Geschäftsanteil des Klägers war im April 2001 mit den Stimmen des einzigen Mitgesellschafters aus wichtigem Grund eingezogen worden. Die innerhalb von zwei Jahren zu leistende Abfindung hat der Kläger bis zum Zeitpunkt der BGH-Entscheidung noch nicht erhalten. In einer Gesellschafterversammlung vom Februar 2007 hatte der Kläger erfolg  So BGH GmbHR 2012, 92 Rn 14.  Ausführlich Winkler GmbHR 2016, 519, 520 ff. („Erst-Recht-Überlegung“). Ebenso etwa Lutter/Kleindiek (Fn. 21), § 34 Rn. 86; Bayer (Fn. 32), Anh. § 47 Rn. 26 mwN.; vgl. weiter A. Herff GmbHR 2012, 621, 623. 56   Siehe nur O. Lange NZG 2001, 635, 640; Bacher/Spieth GmbHR 2003, 973, 978 f. mwN.; aktuell etwa auch Lutter/Kleindiek (Fn. 21), § 34 Rn. 96; Altmeppen (Fn. 4) § 34 Rn. 58; Fastrich in Baumbach/Hueck GmbHG, 21. Aufl. 2017, § 34 Rn. 32; dagegen indes Ulmer/Habersack (Fn. 18), § 34 Rn. 108 mwN. 57   So auch Strohn (Fn. 29), § 34 Rn 239. 58   So zutreffend Altmeppen ZIP 2012, 1685, 1686. 54 55

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los den Beschlussantrag gestellt, „den einzigen weiteren Gesellschafter R. auf Zahlung von 251.871,07 DM in Anspruch zu nehmen und den Kläger zur gerichtlichen Geltendmachung der Ansprüche zu ermächtigen“.59 Der BGH hat die Klage, die darauf abzielte, die ablehnenden Beschlüsse für nichtig zu erklären und festzustellen, dass die beantragten Beschlüsse gefasst wurden, abgewiesen,60 da der Kläger „entgegen der Rechtsauffassung des Berufungsgerichts in der Gesellschafterversammlung [...] kein Stimmrecht mehr (hatte)“.61 Zu diesem Ergebnis gelangte der II. Zivilsenat, weil die Einziehung bereits „mit der Bekanntgabe des Beschlusses an den Kläger wirksam“ geworden sei.62 Dies sei immer dann der Fall, wenn der Einziehungsbeschluss nicht analog § 241 Nr. 3 AktG nichtig sei, was insbesondere – in Übereinstimmung mit der bisherigen Senatsrechtsprechung – der Fall sei, „wenn bereits bei der Beschlussfassung feststeht, dass das Einziehungsentgelt nicht aus freiem, die Stammkapitalziffer nicht beeinträchtigenden Vermögen der Gesellschaft gezahlt werden kann“.63 Dies war hier indes nicht festgestellt und auch nicht behauptet worden. Die bislang hM, wonach das Wirksamwerden der Einziehung bei Fehlen einer abweichenden Satzungsregelung64 unter der aufschiebenden Bedingung einer Abfindungsleistung aus dem freiem Vermögen der GmbH steht,65 wird vom BGH nunmehr66 abgelehnt.67 Denn die Schwebelage, die nach der Bedingungslösung entsteht, habe – so der BGH – „erhebliche Nachteile“ für die GmbH und biete darüber hinaus „dem Gesellschafter einen Anreiz, seinen Lästigkeitswert zu steigern und das Abfindungsverfahren [...] in die Länge zu ziehen“.68 Die Bedingungslösung stelle im Übrigen „das Inter  So BGHZ 192, 236 Rn. 2.   Das LG Dresden hatte der Klage in vollem Umfang, das OLG Dresden im Hinblick auf die beantragte Feststellung stattgegeben (vgl. BGHZ 192, 236 Rn. 3). 61   So BGHZ 192, 236 Rn. 6. 62   BGHZ 192, 236 Rn. 4. 63   BGHZ 192, 236 Rn. 7 mit Verweis auf BGH v. 5.4.2011 – II ZR 263/08, ZIP 2011, 1104 Rn. 13; BGH v. 8.12.2008 – II ZR 263/07, ZIP 2009, 314 Rn. 7; BGH v. 19.6.2000 – II ZR 73/99, BGHZ 144, 365, 369 f. 64   Abw. Satzungsregelungen sind grundsätzlich zulässig: Siehe nur (für sofortige Wirksamkeit der Ausschließung) BGH GmbHR 2009, 313 Rn. 4 ff. sowie bereits (für freiwilligen Austritt) BGH GmbHR 2003, 1062. 65   Siehe nur Hueck/Fastrich in Baumbach/Hueck GmbHG, 19. Aufl. 2010, § 34 Rn. 43; Westermann in Scholz GmbHG, 10. Aufl. 2006, § 34 Rn. 60 mwN.; aus dem älteren Schrifttum etwa Hohner in Hachenburg GmbHG, 7. Aufl. 1977, § 34 Rn. 39 mwN.; ähnlich auch Lutter in Fischer GmbHG, 11. Aufl. 1985, § 34 Rn. 6; grundlegend RGZ 142, 286, 290 f. („Rechtsbedingung“); für die Ausschlussklage auch BGHZ 9, 157, 173. Weitere Nachw. (auch aus der umfangreichen Instanz-Rechtsprechung) in BGHZ 192, 236 Rn. 10. 66   Ausdrücklich offen gelassen wird die Streitfrage noch in BGH v. 14.9.1998 – II ZR 172/97, BGHZ 139, 299, 301 f.; vgl. dazu nur Roth ZGR 1999, 715 ff. 67   Näher BGHZ 192, 236 Rn. 11 ff. mwN. 68   BGHZ 192, 236 Rn. 15. 59 60

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esse des ausgeschiedenen Gesellschafters in den Vordergrund, obwohl er einer Einziehung aus wichtigem Grund im Gesellschaftsvertrag zugestimmt hat“ und wegen seiner antizipierten Zustimmung „weniger schutzwürdig“ ist, „als ein Gesellschafter, der ohne eine solche Bestimmung im Gesellschaftsvertrag ausgeschlossen wird“. Im Hinblick auf diese unterschiedliche Schutzwürdigkeit unterscheide sich die Einziehung des Geschäftsanteils von der Ausschließung eines Gesellschafters aus wichtigem Grund ohne gesellschaftsvertragliche Grundlage, bei der „nach der bisherigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs die Wirkung des Ausschließungsurteils von der Zahlung des Abfindungsentgelts abhängt“.69 Verworfen wird vom BGH70 auch die von Ulmer entwickelte alternative Konstruktion einer sofortigen Wirksamkeit der Einziehung unter der auflösenden Bedingung der (zulässigen) Zahlung der Abfindung bei Fälligkeit71 genauso wie die Idee, dem ausgeschiedenen Gesellschafter bei Nichtleistung der Abfindung das Recht zu geben, durch Auflösungsklage die Liquidation der GmbH herbeizuführen bzw. wieder in die GmbH aufgenommen zu werden.72 Zum Schutze des ausscheidenden Gesellschafters genüge es vielmehr, „die verbleibenden Gesellschafter selbst in die Haftung zu nehmen“73. 74 Interessant ist der neue dogmatische Ansatz für diese Lösung: Die verbleibenden Gesellschafter handelten treuwidrig, wenn sie anstelle einer Auflösung der GmbH diese fortsetzen und sich „den Wert des eingezogenen Geschäftsanteils auf Kosten des ausgeschiedenen Gesellschafters einverleiben, ihm aber eine Abfindung unter der berechtigten Berufung auf die Kapitalbindung der Gesellschaft verweigern“.75 In dieser Konstellation sei es „nicht unbillig“, die verbleibenden Gesellschafter „zum Ausgleich für den Abfindungsanspruch persönlich haften zu lassen“.76

69  BGHZ 192, 236 Rn. 16 unter Bezugnahme auf BGH v. 1.4.1953 – II ZR 235/52, BGHZ 9, 157, 174. 70   BGHZ 192, 236 Rn. 18 ff. 71   So grundlegend Ulmer in FS Rittner, 1991, S. 735, 748 ff.; vgl. weiter Ulmer in FS Priester, 2007, S. 771, 793 ff.; zustimmend Lutter in Lutter/Hommelhoff GmbHG, 17. Aufl. 2009, § 34 Rn. 48. 72   Hierzu nur Grunewald GmbHR 1991, 185, 186 mwN. 73   BGHZ 192, 236 Rn. 14. 74   Näher BGHZ 192, 236 Rn. 21 ff. In diese Richtung im Anschluss an Altmeppen in Roth/Altmeppen GmbHG, 3. Aufl. 1997, § 34 Rn. 22 bereits Goette in FS Lutter, 2000, S. 399, 410; zustimmend Pentz in FS Ulmer, 2003, S. 451, 469 ff.; Heckschen GmbHR 2006, 1254, 1256; Heidinger/Blath GmbHR 2007, 1184, 1187; vgl. weiter Strohn (Fn. 18), § 34 Rn. 76; de lege ferenda auch schon R. Fischer in FS W. Schmidt, 1959, S. 117, 130 f. Abl. indes bereits Ulmer (Fn. 71), S. 771, 780 ff. 75   BGHZ 192, 236 Rn. 21. 76   BGHZ 192, 236 Rn. 22.

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Der Fortbestand der Mitgliedschaft sei auch nicht deshalb erforderlich – so der II. Zivilsenat weiter –, damit der ausgeschlossene Gesellschafter seine (Klage-)Rechte gegen den Einziehungsbeschluss wahrnehmen könne; denn insoweit sei „von der weiteren Rechtsinhaberschaft auszugehen, um der verfassungsrechtlich gebotenen Rechtsschutzmöglichkeit Geltung zu verschaffen“.77 Unser Jubilar hat diese Richtungsentscheidung in dem traditionellen Rechtsprechungsüberblick der Gesellschaftsrechtlichen Vereinigung erläutert.78 Im Schrifttum ist BGHZ 192, 236 vielfach auf Ablehnung,79 überwiegend jedoch – jedenfalls im Ergebnis – auf Zustimmung gestoßen.80 Auf wenig Gegenliebe gestoßen ist allerdings bei vielen Autoren die dogmatische Herleitung der Haftung der verbliebenen Gesellschafter aus einer Treuepflichtverletzung.81 2.  BGHZ 210, 186 Doch hat der BGH im Urteil vom 10. Mai 201682 gerade diesen treuepflichtbasierten Ansatz konsequent fortgeführt und im Rahmen der konkreten Fallentscheidung eine Haftung für noch offene Teilleistungen der Abfindung iHv 300.000 Euro gegenüber dem ausgeschiedenen Gesellschafter im Ergebnis (vorläufig) verneint. Denn anders als noch vom Berufungsgericht angenommen, begründe nicht bereits der Umstand, dass die letzte Rate infolge zwischenzeitlicher bilanzieller Überschuldung der GmbH nicht gezahlt werden könne, eine Haftung der verbliebenen Gesellschafter.83 Auch 77  So BGHZ 192, 236 Rn. 24 unter Bezugnahme auf die Senatsentscheidungen v. 22.11.2011 – II ZR 229/09, BGHZ 189, 32 Rn. 8 (zum squeeze out) und v. 19.9.1977 – II ZR 11/76, NJW 1977, 2316. Abw. noch (zum squeeze out): Goette in FS K. Schmidt, 2009, S. 469, 473 ff.; ebenso Hüffer in Hüffer AktG, 9. Aufl. 2010, § 245 Rn. 7. Wie der BGH indes bereits Schwab in K. Schmidt/Lutter AktG, 2. Aufl. 2010, § 245 Rn. 28. 78   Bergmann VGR (Hrsg.) Bd. 18, 2012, S. 1, 6 f. 79  Abl. Ulmer/Habersack (Fn. 18), § 34 Rn. 62 ff.; Westermann in Scholz GmbHG, 11. Aufl. 2012, § 34 Rn. 56 ff.; Wicke (Fn. 32), § 34 Rn. 8 ff.; krit. auch H. F. Müller WuB II C. § 34 GmbHG 1.12. 80   Lutter/Kleindiek (Fn. 21), § 34 Rn. 7 ff., 49; Fastrich (Fn. 18), § 34 Rn. 44; Strohn (Fn. 18), § 34 Rn. 76 ff.; Sosnitza (Fn. 42), § 34 Rn. 83; ausf. Altmeppen (Fn. 4), § 34 Rn. 18 ff.; vgl. weiter Blath GmbHR 2012, 657, 662; Grunewald GmbHR 2012, 769, 770; Klöckner GmbHR 2012, 1325, 1330; Priester ZIP 2012, 658 ff.; Schockenhoff NZG 2012, 449, 450; J. Schmidt GmbHR 2013, 953, 954; Schneider/Hoger NJW 2013, 502, 504 ff. 81   Strikt abl. insbesondere Ulmer (Fn. 2), S. 1261, 1266 f.; ebenso Tröger VGR (Hrsg.) Bd. 19, 2013, S. 38 ff.; vgl. weiter J. Schmidt GmbHR 2013, 953, 955; dem Treupflichtwidrigkeitsansatz zustimmend indes Priester ZIP 2012, 658, 659; Schockenhoff NZG 2012, 449, 451. 82   BGH v. 10.5.2016 – II ZR 342/14, BGHZ 210, 186 = GmbHR 2016, 754 m. zust. Komm. Münnich. 83   BGH GmbHR 2016, 754 Rn. 21.

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die zwischenzeitliche Insolvenz der GmbH könne eine solche Haftung nicht ohne Weiteres begründen.84 Eine Haftung der verbliebenen Gesellschafter werde vielmehr erst in dem Zeitpunkt begründet, in dem „die Fortsetzung der Gesellschaft unter Verzicht auf Maßnahmen zur Befriedigung des ausgeschiedenen Gesellschafters als treuwidrig anzusehen“ sei.85 Allein „eine Verschlechterung der wirtschaftlichen Lage [...], die dazu führt, dass die Abfindung nicht mehr aus dem freien Vermögen geleistet werden kann“, begründe indes dann „keine persönliche Haftung der Gesellschafter, wenn sie die Gesellschaft auflösen und sich damit den Mehrwert nicht einverleiben“.86 Da bislang ein treuwidriges Verhalten nicht festgestellt worden sei, hat der BGH den Rechtsstreit an das OLG zurückverwiesen.87 In Vertretung des Jubilars führt Strohn im Rechtsprechungsüberblick der Gesellschaftsrechtlichen Vereinigung hierzu aus: „Im Rahmen der Liquidation wäre „der Abfindungsanspruch des ausgeschiedenen Gesellschafters [...] zu bedienen (gewesen), sofern ausreichendes Gesellschaftsvermögen [...] vorhanden ist“. Die Gesellschafter dürften in einem „gewissen Zeitfenster“ prüfen, welche Maßnahmen sie ergreifen. „Erst wenn (sie) völlig passiv bleiben oder gänzlich ungeeignete Maßnahmen einleiten, verstoßen sie gegen ihre Treuepflicht“.88 Diese Fortführung der BGH-Rechtsprechung hat indes zu keiner Beruhigung geführt, sondern im Gegenteil die Kritik am dogmatischen Lösungsweg des II. Zivilsenats neu befeuert.89 Insbesondere wird kritisiert, dass der Ausgeschiedene weiterhin das Geschäftsrisiko trage, obgleich er auf die Geschäftsführung keinen Einfluss mehr nehmen kann. Zur Verteidigung des BGH wird angeführt, dass sich der ausgeschiedene Gesellschafter darauf selbst eingelassen habe.90 Der II. Zivilsenat hat weiter ausgeführt, dass die Gesellschafter im Einziehungsbeschluss ein von der Satzung (sofortige Wirksamkeit) abweichendes Datum für das Wirksamwerden der Einziehung wählen können: Sollte hierin eine Satzungsdurchbrechung zu sehen sein, so wäre diese jedenfalls nur punktueller Natur und – da nicht gegen zwingendes Recht verstoßend – lediglich

  BGH GmbHR 2016, 754 Rn. 26.   BGH GmbHR 2016, 754 Rn. 23. 86   BGH GmbHR 2016, 754 Rn. 23. 87   BGH GmbHR 2016, 754 Rn. 35. 88   Strohn (Fn. 1), S. 12 f. 89   Scharf abl. gegenüber BGHZ 210, 186: Altmeppen ZIP 2016, 1557 ff. („Konzeptlosigkeit“); kritisch auch Wachter NZG 2016, 961 ff.; Fastrich (Fn. 56), § 34 Rn. 48 ff.; nach wie vor kritisch Westermann in Scholz GmbHG, 12. Aufl. 2018, § 34 Rn. 59; vgl. auch den kritischen Diskussionsbeitrag von H. F. Müller zum Referat von Strohn (Fn. 1) bei: Hansen, ebd., S. 21, 22. 90  So St. Schneider ZIP 2016, 2141, 2144. 84 85

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anfechtbar;91 eine Anfechtung komme indes nicht in Betracht, sofern – wie hier – alle Gesellschafter zugestimmt haben.92 3.  Einordnung der neuen BGH-Linie in die bisherige Senatsrechtsprechung In der bereits erwähnten rechtsfortbildenden Entscheidung93 vom 1. April 195394 gestattete der II. Zivilsenat des BGH im Anschluss an die jüngere Rechtsprechung des Reichsgerichts95 und die grundlegende Schrift von Franz Scholz96 eine Ausschließung des GmbH-Gesellschafters97 auch ohne satzungsmäßige Regelung aus wichtigem Grund.98 Verfahrensmäßig könne ein Ausschluss indes nicht durch bloßen Gesellschafterbeschluss, sondern – im Anschluss an A. Hueck99 – analog § 140 HGB nur durch Gestaltungsurteil herbeigeführt werden,100 nachdem die Gesellschafter mit satzungsändernder Mehrheit101 (wobei der Betroffene kein Stimmrecht hat102) die Ausschließung beschlossen haben.103 Als Mittel der Ausschließung komme „vornehmlich die Einziehung des Geschäftsanteils in Betracht“, indes dann nicht, wenn der Geschäftsanteil „nicht voll eingezahlt ist und sich niemand findet, der die Volleinzahlung an   Hierzu näher etwa Bayer (Fn. 32), § 53 Rn. 31 mwN.   BGH GmbHR 2016, 754 Rn. 17 unter Bezugnahme auf BGH ZIP 2010, 1437 Rn. 37. 93   H. Schneider GmbHR 1953, 74 spricht von einem „im besten Sinne rechtsschöpferischen Urteil“. 94   BGHZ 9, 157 = GmbHR 1953, 72 m. Anm. H. Schneider und F. Scholz = LM § 34 GmbHG Nr. 1 (R. Fischer). 95   Zitiert wird vorrangig RGZ 169, 330, 334; weiterhin wird verwiesen auf RG DR 1943, 812; RGZ 164, 257, 262; RGZ 128, 1, 15 ff.; RGZ 114, 212; RGZ 125, 114, 117 ff. Abl. allerdings Masur NJW 1949, 407 ff. 96   Scholz, Ausschließung und Austritt aus der GmbH, 1942; im Zeitpunkt von BGHZ 9, 157 bereits in 3. Aufl. vorliegend. 97   Zur Ausschließung zeitgenössisch auch Ganssmüller GmbHR 1956, 129 ff., 145 ff. 98   Obiter wird nicht nur die Ausschließung aus wichtigem Grund gestattet, sondern – als Gegenstück – auch der Austritt des GmbH-Gesellschafters aus wichtigem Grund: BGHZ 9, 157, 162 f; zust. Fischer in Scholz/Fischer GmbHG, 6. Aufl. 1962, § 15 Anm. 8 (mit der Erwartung, dass „dieses unabdingbare Recht eines jeden Gesellschafters“ bei der GmbHReform gesetzlich geregelt wird). 99   A. Hueck DB 1951, 108 und NJW 1951, 719. 100   BGHZ 9, 157, 164 ff. Dazu auch R. Fischer (Fn. 74), S. 117, 126 ff.; vgl. aus dem späteren Schrifttum auch Ulmer in Hachenburg GmbHG, 7. Aufl. 1979, Anh. § 34 Rn. 15; K. Schmidt GesR, 1. Aufl. 1986, § 35 IV 2 c) [S. 800]. 101   BGHZ 9, 157, 177; so später auch die hM; vgl. nur Ulmer (Fn. 100), Anh. § 34 Rn. 17; K. Schmidt (Fn. 100), § 35 IV 2 c) [S. 800]; aA noch (einfache Mehrheit): A. Hueck DB 1953, 776, 777; W. Schmidt in Hachenburg GmbHG, 6. Aufl. 1956, § 34 Anm. 18a; Scholz in Scholz GmbHG, 4. Aufl. 1960, § 15 Anm. 65. 102  BGHZ 9, 157, 178 (wird ausgeführt). Zustimmend Fischer in Scholz/Fischer GmbHG, 7. Aufl. 1970, § 38 Anm. 3 (zum Widerruf der Bestellung als Geschäftsführer aus wichtigem Grund). 103   Bestätigung in BGH WM 1964, 1188, 1190. 91 92

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Stelle des Auszuschließenden vornimmt“.104 Bei der Einziehung eines voll eingezahlten Geschäftsanteils sei „wieder § 30 Abs. 1 GmbHG zu beachten (§ 34 Abs. 3 GmbHG)“, so dass „das Entgelt [...] also nur aus dem über den Betrag des Stammkapitals hinaus vorhandenen Gesellschaftsvermögen geleistet werden (darf)“, wobei der Zeitpunkt der Erfüllung maßgeblich sei.105 Da die Ausschließung gegen den Willen des Gesellschafters erfolgt, dürfe dieser unmöglich dem Risiko ausgesetzt werden, „den Gegenwert für seinen Geschäftsanteil nicht sofort zu erlangen“, und zwar „gleichviel, ob die Gesellschaft die Abtretung des Geschäftsanteils oder dessen Einziehung wünscht“.106 Im Ergebnis stehe somit der „Einziehungsbeschluß [...] unter der gesetzlichen Bedingung, daß das Stammkapital erhalten bleibt“.107 Zur Absicherung der Abfindungsleistung sei wegen der fehlenden Haftung der Mitgesellschafter108 (!) die Wirksamkeit der Ausschließung – ebenso wie beim Einziehungsbeschluss gem. § 34 GmbHG109 – an die Bedingung der Zahlung der festgesetzten Abfindung zu knüpfen.110 Das Urteil ist im zeitgenössischen Schrifttum vielfach kritisch besprochen worden, allerdings aus unterschiedlichen Gründen:111 So hat insbesondere Wolfgang Schilling dem BGH ursprünglich vorgeworfen, er wende „die Generalklausel vom wichtigen Grund […] hier […] contra legem“ an.112 In die gleiche Richtung hatte zuvor schon Masur argumentiert,113 insbesondere aber auch eindringlich davor gewarnt, die Entscheidung RGZ 169, 330 „als richtungsweisend“ anzuerkennen, da dieses Urteil „auf der Nazi-Gesetzgebung (beruht)“ und somit „eine Konsequenz und eine praktische Durchführung einer verbrecherischen Irrlehre bildet“. Und weiter: „Solche Urteile sollte man so rasch wie möglich vergessen und vergessen machen, aber nicht das wiedergesundende Recht auf ihnen aufbauen“.114

104   BGHZ 9, 157, 168 f. Bestätigung durch BGH v. 2.12.2014 – II ZR 322/13, BGHZ 203, 303 Rn. 31 (unter Bezugnahme auf BGHZ 9, 157). 105   BGHZ 9, 157, 169 (mit Bezugnahme auf RGZ 133, 395; RGZ 136, 264; RGZ 142, 290; RGZ 168, 301 ff.; RG JW 1938, 1176; BGH v. 14.1.1953 – I ZR 169/51). 106   BGHZ 9, 157, 170. 107   BGHZ 9, 157, 173 mwN. 108   So ausdrücklich BGHZ 9, 157, 167. 109  So obiter BGHZ 9, 157, 173 unter Verweis auf RGZ 142, 290 und RGZ 150, 28 sowie die hL; vgl. nur Scholz in Scholz GmbHG, 2. Aufl. 1950, § 34 Anm. 6 aE.; Brodmann GmbHG, 2. Aufl. 1930, § 34 Anm. 5a; Hachenburg GmbHG, 5. Aufl. 1926, § 34 Anm. 14; dezidiert aA noch RGZ 125, 114, 121 f. 110   BGHZ 9, 157, 174 ff. 111  Vgl. Buchwald BB 1953, 457 ff.; Vogel BB 1953, 460 f.; Mangold/Mangold BB 1953, 398 f.; zustimmend aber (mit Ausnahme von Einzelheiten zum Verfahren) Scholz (Fn. 109), § 15 Anm. 65 mwN. („siegte die Rechtsethik über den Gesetzesbuchstaben“). 112   Schilling JZ 1953, 489, 491. Abl. auch Schilling in Hachenburg GmbHG, 6. Aufl. 1956, Allg. Einl. Rn. 25 aE. 113   Masur NJW 1949, 407 ff. 114   Masur NJW 1949, 407.

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In der Tat handelt es bei der Zitierung des Urteils des II. Zivilsenats des Reichsgerichts vom 13. August 1942 um einen kritikwürdigen Missgriff:115 Anders als die Vorinstanzen erachtete der Senat die Ausschließung eines „aus Deutschland ausgewanderte(n) Jude(n)“ durch Beschluss der Mitgesellschafter vom 27. August 1938 als wirksam, wobei formuliert wurde, dass „sich in der Zeit vom Dezember 1937 bis zum August 1938 die ablehnende Haltung des deutschen Volkes gegenüber dem Judentum erheblich verstärkt“ habe „und dies auch in der Gesetzgebung zum Ausdruck gekommen (sei)“.116 Daher könne der abweichenden Auffassung der bisherigen Rechtsprechung,117 wonach „in der Zugehörigkeit eines Gesellschafters zur jüdischen Rasse noch nicht ohne weiteres ein wichtiger Grund für die Auflösung einer (OHG) oder für die Ausschließung eines jüdischen Gesellschafters liege“,118 nach „Erlaß der verschärften Judengesetze“ nicht mehr gefolgt werden. Den Einwand des Klägers, dass für die Ausschließung allein „eine sittenwidrige Bereicherungsabsicht der übrigen Gesellschafter maßgeblich gewesen sei“, lässt der Senat nicht gelten, sondern erklärt: „Ist ein wichtiger Grund zur Ausschließung wegen der Rassezugehörigkeit […] zu bejahen, so wird er nicht dadurch hinfällig, daß die Beklagten etwa bewußt die zum Gesellschaftsvermögen gehörigen Grundstücke in der Auseinandersetzungsbilanz zu niedrig angegeben haben“.119 Im konkreten Fall sollte der ausgeschlossene Gesellschafter daher noch 173.832,35 RM in die GmbH einbezahlen. Schilling hat seinen abweichenden Standpunkt später aufgegeben.120 Auch das übrige Schrifttum hat die Position des II. Zivilsenats in der Folgezeit weitgehend übernommen,121 insbesondere nachdem der BGH seine Rechtsprechung in BGHZ 16, 317122 zwar bestätigt, zugleich aber – der heftigen Kritik an der „Bedingungslösung“123 entgegenkommend124 – ausgeführt hat, dass die Festsetzung des Werts der Abfindung im Ausschließungsurteil entbehrlich sei, wenn der Geschäftsanteil des auszuschließenden Gesellschafters   So zutreffend Schilling JZ 1953, 489, 491 Fn. 40.   RGZ 169, 330, 335. 117   Bezugnahme auf RGZ 146, 169, 177 und RG JW 1938, 1825. 118   Zitiert nach RGZ 169, 330, 336. Gegen RG JW 1938, 1825 allerdings schon Geßler in Schlegelberger HGB, 1. Aufl. 1939, § 140 Anm. 2: „zu eng“ 119   RGZ 169, 330, 337. 120   In seiner Anmerkung (JZ 1955, 331) zu der bestätigenden, aber auch einschränkenden Entscheidung BGHZ 16, 317, 322 ff. = GmbHR 1955, 127 m. Anm. Vogel. 121   So im Anschluss an Schilling JZ 1955, 331 auch W. Schmidt (Fn. 101), § 34 Anm. 18. 122   BGH v. 17.2.1955 – II ZR 316/53, BGHZ 16, 317 = GmbHR 1955, 127 m. Anm. Vogel = NJW 1955, 667 = LM § 61 GmbHG Nr. 2 (R. Fischer). 123   Kritisch gegenüber einem bedingten rechtsgestaltenden Ausschließungsurteil: Scholz GmbHR 1953, 75; Vogel BB 1953, 460; Mangold BB 1953, 399; A. Hueck DB 1953, 776, 777; aA H. Schneider GmbHR 1953, 74. 124   So auch die Wertung durch W. Schmidt (Fn. 101), § 34 Anm. 18a. 115 116

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„keinen Wert hat“ oder dieser nicht „alles in seinen Kräften Stehendende“ tut, „um die Ermittlung dieses Werts ohne nennenswerte Verzögerung der Ausschließung zu ermöglichen“.125 Eine rückblickende Bewertung muss zu dem Ergebnis kommen, dass der II. Zivilsenat des BGH mit der Anerkennung der Ausschließung aus wichtigem Grund auch ohne satzungsmäßige Vereinbarung den bereits in der jüngeren RG-Rechtsprechung angelegten Weg zur Problemlösung in angemessener Weise weiterbeschritten hat. Allerdings hätte er für diese sachgerechte Rechtsfortbildung nicht auf die anstößige, politisch motivierte Entscheidung RGZ 169, 330 rekurrieren müssen, da das Reichsgericht bereits in einer unverdächtigen Entscheidung vom 27. Juni 1940126 diesen Lösungsweg vorgezeichnet hatte, wenngleich dort noch formuliert worden war, dass die Ausschließung bislang nur für die Fallgruppe der kartellwidrigen GmbH127 oder der pflichtwidrigen Nichtleistung im Falle der Nebenleistungs-GmbH128 Anerkennung gefunden habe.129 Die Bedingungslösung wurde in der Folgezeit insbesondere in der Rechtsprechung vorherrschend,130 blieb indes im Schrifttum stets umstritten,131 und war – wie BGHZ 192, 236 überzeugend ausgeführt hat – im Ergebnis wenig sachgerecht.132 Insoweit ist die Rechtsprechungswende133 daher zu begrüßen. 4.  Aktueller Meinungsstand im Schrifttum und offene Fragen Als Alternative zum treupflichtbasierten Ansatz des BGH begründet insbesondere Altmeppen die Ausgleichspflicht in Parallele zu § 738 BGB als Folge der Anwachsung des Vermögenswertes des eingezogenen Geschäfts-

  So BGHZ 16, 317, 324 f.; bestätigt in BGH WM 1964, 1188, 1191.   RGZ 164, 257 (wird auch in RGZ 169, 330, 333 zitiert). 127  So RGZ 114, 216. Nur für diese Konstellation zustimmend Brodmann GmbHG, 2. Aufl. 1930, § 34 Anm. 5 b) aE.; im Übrigen könne die Rechtslage „nur durch das Gesetz geändert werden“. Gegen die Zulässigkeit einer Ausschließung aus wichtigem Grund ohne Satzungsgrundlage auch Hachenburg (Fn. 109), § 34 Anm. 18 („wäre Aufgabe des Gesetzgebers“), aber mit dem Vorschlag, die Mitgesellschafter sollten die Zustimmung des aus wichtigem Grund Auszuschließenden gerichtlich erzwingen. 128   So RGZ 125, 114; bestätigt durch RGZ 128, 1, 15 ff., vgl. weiter RGZ 73, 429; RG JW 1925, 1638; RGZ 108, 20, 23 f. Zur Dogmatik der fehlerhaften Nebenleistungsgesellschaft auch Ganssmüller GmbHR 1955, 172 ff. mwN. 129   RGZ 164, 257, 262. 130   Umfassende Nachw. bei Markowsky (Fn. 24), S. 150 Fn. 808. 131   Nachw. aus jüngerer Zeit bei Markowsky (Fn. 24), S. 153 Fn. 821. 132   BGHZ 192, 236 Rn 14 ff. 133   Siehe auch Strohn (Fn. 1), S. 10: „Der Senat hat insoweit seine Rechtsprechung durch Urteil vom 24.1.2012 – II ZR 109/11 geändert“. 125 126

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anteils bei den verbleibenden Gesellschaftern.134 Wiederum andere befürworten einen Bereicherungsanspruch135 oder suchen eine rechtsökonomische Begründung.136 Eine Jenaer Dissertation hat einen differenzierenden Ansatz verfolgt.137 Gegen alle dogmatischen Lösungsansätze lassen sich Einwände geltend machen, jedoch sind sämtliche Vorschläge nicht unvertretbar. Daher wird die Haftung der verbleibenden Gesellschafter vielfach in einer offenen richterlichen Rechtsfortbildung138 gesehen,139 eine Antwort, die dogmatisch allerdings wenig befriedigt, so dass der Verfasser dieses Beitrags der Anwachsungslösung zuneigt, gegen die doch eher formale und in der Sache letztlich wenig überzeugende Argumente vorgebracht werden.140 Ungeachtet all dieser dogmatischen Unterschiede wird ganz überwiegend analog §§ 24, 31 Abs. 3 GmbHG beim Haftungsausfall eines Gesellschafters eine Erhöhung der Haftungsquote der Übrigen angenommen.141 Nach wie vor offen bzw. umstritten sind folgende Fragen: Im Zuge der Neuausrichtung der Rechtsprechung durch BGHZ 192, 236 haben zahlreiche Literaturstimmen den Standpunkt eingenommen, dass auch bei anfänglicher Unfähigkeit, die Abfindung aus dem freien Vermögen leisten zu können, das Bedürfnis für eine Nichtigkeit des Einziehungsbeschlusses entfallen sei, da doch die verbleibenden Gesellschafter in gleicher Weise wie bei nachträglicher Unfähigkeit persönlich haftbar gemacht werden könnten.142 Der frühere stv. Senatsvorsitzende Strohn hat indes seine Zweifel an dieser Auffassung mit dem Argument begründet, dass die Ausfallhaftung der verbleibenden Gesellschafter nur das Risiko der Nichtleistung einer von der GmbH geschuldeten Abfindung auffangen solle, dieses Risiko indes gar nicht 134  Näher Altmeppen ZIP 2012, 1685, 1686 ff.; Altmeppen NJW 2013, 1025, 1026 ff. In diese Richtung bereits Pentz (Fn. 74), S. 451, 469 ff. 135   In diese Richtung Priester ZIP 2012, 658, 659; Trölitzsch KSwZ 2013, 53, 58. 136  So Tröger (Fn. 81), S. 23, 46 ff. 137   Markowsky (Fn. 24), S. 178 ff., 185 ff.: Mischung aus Treuepflichtverletzung und Bereicherungsanspruch. 138   So bereits im Anschluss an BGHZ 192, 236: Ulmer (Fn. 2), S. 1261, 1268; J. Schmidt GmbHR 2013, 953, 956 f. Bereits vor BGHZ 192, 236 in diesem Sinne auch Altmeppen (Fn. 18), § 34 Rn. 32. 139   So jüngst wieder St. Schneider ZIP 2016, 2141, 2143; vgl. auch Görner in Rowedder/ Schmidt-Leithoff GmbHG, 6. Aufl. 2017, § 34 Rn. 63; Sosnitza (Fn. 42), § 34 Rn. 83 mwN. 140   Sehr kritisch insbesondere Ulmer (Fn. 2), S. 1261, 1272 ff. 141   Grunewald GmbHR 2012, 769, 770; Schneider/Hoger NJW 2013, 502, 506; Scho­ ckenhoff NZG 2012, 449, 451; J. Schmidt GmbHR 2013, 953, 958; Ulmer (Fn. 2), S. 1261, 1269 f. 142   Siehe nur Altmeppen ZIP 2012, 1685, 1691 („evident“); Priester ZIP 2012, 658, 659 f; Schockenhoff NZG 2012, 449, 452; Blath GmbHR 2012, 657, 662; Schneider/Hoger NJW 2013, 502, 504; ebenso Fastrich (Fn. 18) § 34 Rn. 47; Lutter/Kleindiek (Fn. 21), § 34 Rn. 49a; Tröger (Fn. 81), S. 69 ff.; ausf. Markowsky (Fn. 24), S. 209 ff.; Fritz Die Zwangseinziehung von GmbH-Geschäftsanteilen, 2015, S. 92 ff.; abw. allerdings J. Schmidt GmbHR 2013, 953, 961 f.; Ulmer (Fn. 2), S. 1261, 1263.

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zur Entstehung gelange, wenn von vornherein die Unfähigkeit zur Abfindungsleistung aus freiem Vermögen feststehe. In dieser Konstellation seien die Gesellschafter aufgefordert, von der Einziehung Abstand zu nehmen oder die Finanzierung der Abfindung auf andere Weise sicherzustellen.143 Ob diese systematische Unterscheidung als Mittel der Problemlösung überzeugt, erscheint indes höchst fraglich.144 Zwar ist dem BGH im dogmatischen Ausgangspunkt noch uneingeschränkt zu folgen: Obgleich Zahlungen, die entgegen dem Verbot des § 30 GmbHG geleistet werden, heute generell nicht (mehr) als nichtig gem. § 134 BGB betrachtet werden,145 so ist doch ein Beschluss, dessen Durchführung gegen die Grundsätze der Kapitalerhaltung verstoßen würde, nichtig.146 Angesichts der oftmals bestehenden tatsächlichen Unsicherheit über die Fähigkeit zur Abfindungsleistung aus freiem Vermögen im Zeitpunkt der Zahlung wäre eine Ausnahme für den Einziehungsfall indes für die Praxis höchst hilfreich und angesichts der Ausfallhaftung der Mitgesellschafter auch ohne (Rechts-)Nachteile möglich. Allerdings hat der II. Zivilsenat in Ansehung der abweichenden Stellungnahmen in BGHZ 210, 186 ausdrücklich an seiner Rechtsprechung festgehalten, so dass man für die Durchsetzung der überzeugenderen „Gleichstellungsthese“ noch einen langen Atem benötigen wird. Noch nicht entschieden ist, ob auch Gesellschafter, die gegen die Einziehung gestimmt haben, für die Abfindung haftbar gemacht werden können,147 doch wird man dies sowohl mit dem Argument annehmen müssen, dass alle Gesellschafter vom Wertzuwachs des eingezogenen Geschäftsanteils profitieren,148 als auch vom BGH-Ansatz ausgehend, wonach alle Gesellschafter haftbar sind, wenn sie die GmbH treuwidrig fortführen.149 Doch stellt sich dann ein weiteres Problem: Soll dann für einen überstimmten Gesellschafter, der auch die treuwidrige Fortsetzung nicht verhindern kann,

 Näher Strohn (Fn. 42), § 34 Rn. 31.  Nach verbreiteter Auffassung sei eine erhebliche Rechtsunsicherheit vorprogrammiert: Schneider/Hoger NJW 2013, 502, 504; Schockenhoff NZG 2012, 449, 452; vgl. in diese Richtung auch Altmeppen (Fn. 4), § 34 Rn. 26; Fastrich (Fn. 18), § 34 Rn. 47. 145   Grundlegend BGHZ 136, 125, 129 mit zust. Anm. Bayer WuB II C. § 30 GmbHG 1.97; vgl. weiter Hommelhoff in Lutter/Hommelhoff GmbHG, 19. Aufl. 2016, § 30 Rn. 51 ff.; so nunmehr auch für Verstöße gegen § 57 AktG: BGH AG 2013, 431 m. zust. Bespr. Bayer/Scholz AG 2013, 426 ff.; in diesem Sinne auch schon ausf. Bayer in MünchKommAktG, 2. Aufl. 2000, § 57 Rn. 135 ff. (gegen die früher hM). 146  Siehe nur BGH AG 2012, 680, 681 mwN.; Bayer in MünchKommAktG, 4. Aufl. 2016, § 57 Rn. 221 mwN. (zur AG); vgl. zur GmbH nur K. Schmidt in Scholz GmbHG, 11. Aufl. 2013, § 45 Rn. 74 mwN. 147  Dagegen: Gubitz/Nikoleyczik NZG 2013, 727 ff.; Schockenhoff NZG 2012, 449, 451. 148  In diese Richtung auch Altmeppen ZIP 2012, 1685, 1691; Schneider/Hoger NJW 2013, 502, 506; J. Schmidt GmbHR 2013, 953, 957 f.; St. Schneider ZIP 2016, 2141, 2145; Wachter NZG 2016, 961, 967; Ulmer (Fn. 2), S. 1261, 1269. 149   Auch insoweit St. Schneider ZIP 2016, 2141, 2145. 143 144

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ein außerordentliches Austrittsrecht begründet werden?150 Und haften dann für diesen weiteren Abfindungsanspruch gleichfalls die noch in der GmbH verbleibenden Gesellschafter? Völlig ungeklärt ist auch, ob neu eintretende Gesellschafter, die weder am Einziehungsbeschluss mitgewirkt noch an der Fortführung (bislang) treuwidrig mitgewirkt haben, gleichfalls haftbar gemacht werden können.151 Unser Jubilar hat im Anschluss an das Referat von Tröger152 die Auffassung geäußert, dass auch in die GmbH „neu eintretende Gesellschafter von der persönlichen Haftung umfasst wären“: Es würden „alle haften, die handeln müssten“.153 Offen ist auch, inwieweit – über die unbestritten zulässige individualvertragliche Abbedingung hinaus154 – die persönliche Subsidiärhaftung in der Satzung abbedungen155 oder auf diejenigen Gesellschafter begrenzt werden kann, die für die Einziehung gestimmt haben.156 Ungeklärt ist weiterhin, ob für die haftenden Gesellschafter ein Regressanspruch gegenüber der GmbH begründet ist.157 Kontrovers diskutiert wird weiter, ob die von BGHZ 192, 236 formulierte Abgrenzung zu BGHZ 9, 157158 in dem Sinne zu verstehen ist, dass im Falle einer Ausschließung aus wichtigem Grund bei Fehlen einer Satzungsregelung an der Bedingungslösung festzuhalten sei159 oder ob auch in dieser Konstellation – ebenso wie bei der Einziehung – die Ausschließung von der Abfindung abzukoppeln und der ausgeschlossene Gesellschafter hinsichtlich seines Abfindungsanspruchs auf die subsidiäre Haftung der verbliebenen Gesellschafter zu verweisen sei.160 Trotz der vorsichtig-distanzierenden Ausführungen in BGHZ 192, 236161 überzeugen die Einwände gegen die Bedin-

150   In diesem Sinne insbesondere Altmeppen ZIP 2012, 1685, 1691 und ZIP 2016, 1557, 1561 f.; ähnlich auch Grunewald GmbHR 2012, 769, 771. 151  Dafür St. Schneider ZIP 2016, 2141, 2145; dagegen Schneider/Hoger NJW 2013, 502, 506. 152   Tröger (Fn. 81), S. 23 ff. 153   Zitiert nach Pfaffinger ebd., S. 79, 82. 154   Siehe nur BGHZ 210, 186 Rn. 32. 155   Dafür etwa Trölitzsch KSzW 2013, 55, 58; restriktiv Grunewald GmbHR 2012, 769, 771; gänzlich abl. Fastrich (Fn. 56), § 34 Rn. 47; zustimmend J. Schmidt GmbHR 2013, 953, 960. 156  Dafür Grunewald GmbHR 2012, 769, 772. 157   Siehe nur Wachter NZG 2016, 961, 968. 158   Nochmals BGHZ 192, 236 Rn. 16. 159  So Seibt in Scholz GmbHG, 12. Aufl. 2018, Anh. § 34 Rn. 43 ff.; ähnlich Ulmer/ Habersack (Fn. 18), Anh. § 34 Rn. 37. 160  Dafür Lutter/Kleindiek (Fn. 21), § 34 Rn. 65a; Altmeppen (Fn. 4), § 60 Rn. 99; Strohn (Fn. 42), § 34 Rn. 174; tendenziell auch Fastrich (Fn. 56), Anh. § 34 Rn. 14. 161   Siehe nochmals BGHZ 192, 236 Rn 16.

Einziehung von GmbH-Geschäftsanteilen

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gungslösung auch im Falle der Ausschließung; insoweit sollte die Linie von BGHZ 9, 157 bei nächster Gelegenheit endgültig aufgegeben werden.162

III. Schluss Die vom Gesetz nur unzureichend geregelte Einziehung von GmbHGeschäftsanteilen ist vom II. Zivilsenat des BGH in zahlreichen Grundsatzentscheidungen konkretisiert und den Bedürfnissen der Praxis angepasst worden. Dies gilt insbesondere auch für die unter dem Vorsitz des Jubilars getroffenen neueren Entscheidungen. Allerdings fehlt bis heute ein überzeugendes Gesamtkonzept. Hinzu kommt eine zusätzliche Rechtsschutzproblematik, wenn sich der ausgeschlossene Gesellschafter gegen eine (vermeintlich) unwirksame Einziehung wendet, jedoch in Folge einer vom Geschäftsführer vorgenommenen Änderung der Gesellschafterliste seine Gesellschafterrechte nicht mehr geltend machen kann (§§ 40, 16 GmbHG): Die Praxis einiger Instanzgerichte, die dem betroffenen Gesellschafter jeglichen einstweiligen Rechtsschutz verweigert, ist in höchstem Maße kritikwürdig und verfehlt.163 Der Praxis ist dringend eine sorgfältig durchdachte Regelung im Gesellschaftsvertrag anzuraten. Besser wäre eine vernünftige und umfassende Neuregelung von Einziehung und Ausschließung/Austritt durch den Gesetzgeber!

  In diesem Sinne auch Tröger (Fn. 81), S. 23, 65 ff.   Hierzu näher Bayer FS Marsch-Barner 2018 (speziell mit Kritik am Berliner KG) und Bayer/Selentin FS 25 Jahre DNotI, 2018 (dogmatisches Konzept). 162 163

Stimmrechtsausschluss nach § 47 Abs. 4 Satz 2 GmbHG

Unter welchen Voraussetzungen ist der an der betroffenen Drittgesellschaft beteiligte GmbH-Gesellschafter vom Stimmrecht gemäß 47 Abs. 4 Satz 2 GmbHG ausgeschlossen? Falk Bernau Gemäß § 47 Abs. 4 Satz 1 GmbHG ist ein Gesellschafter, welcher durch die Beschlussfassung entlastet oder von einer Verbindlichkeit befreit werden soll, vom Stimmrecht ausgeschlossen. Dasselbe gilt nach § 47 Abs. 4 Satz 2 GmbHG, wenn über die Vornahme eines Rechtsgeschäfts oder die Einleitung oder Erledigung eines Rechtsstreits gegenüber ihm zu beschließen ist. Danach hat ein Gesellschafter bei einer Beschlussfassung, welche die Vornahme eines Rechtsgeschäfts ihm gegenüber betrifft, kein Stimmrecht. Bezieht sich der Beschluss nicht auf ein Rechtsgeschäft zwischen der Gesellschaft und einem ihrer Gesellschafter, sondern auf ein Rechtsgeschäft zwischen der Gesellschaft und einer anderen Gesellschaft (nachfolgend Drittgesellschaft), an der ihr Gesellschafter ebenfalls beteiligt ist, scheidet eine unmittelbare Anwendung des § 47 Abs. 4 Satz 2 GmbHG aus. Jedoch kommt eine analoge Anwendung in Betracht, die jedoch voraussetzt, dass es die Beteiligung des GmbH-Gesellschafters an der Drittgesellschaft rechtfertigt, im Sinne des § 47 Abs. 4 Satz 2 GmbHG das Rechtsgeschäft der mit der GmbH kontrahierenden Drittgesellschaft als solche ihres Gesellschafters anzusehen. Das bedeutet aber auch, dass nicht jedes Rechtsgeschäft einer GmbH mit der Drittgesellschaft, an der einer ihrer Gesellschafter ebenfalls beteiligt ist, von dem Stimmverbot mittels einer analogen Anwendung der Vorschrift erfasst werden kann. § 47 Abs. 4 GmbHG findet über die ausdrücklich normierten Fälle hinaus nicht auf jeden Fall einer Interessenkollision oder auf jeden Fall in dem der Grundgedanke des Stimmverbots zum Tragen kommt, dass nämlich ein Gesellschafter nicht Richter in eigener Sache sein darf, entsprechende Anwendung. Eine solche Lösung ginge auf Kosten der Rechtssicherheit und könnte ein sachgerechtes Zusammenwirken der Gesellschafter entsprechend dem Gewicht ihrer Beteiligungen in Frage stellen.1   BGH, Urteil vom 20. Januar 1986 – II ZR 73/85, BGHZ 97, 28, 33 mwN.

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Näher untersucht werden soll hier die persönliche Reichweite des Stimmverbots für den GmbH-Gesellschafter bei der Abstimmung über ein Rechtsgeschäft der GmbH mit einer Drittgesellschaft, an der er ebenfalls beteiligt ist.

I.  Die Rechtsprechung des II. Zivilsenats Der II. Zivilsenat hat wiederholt ausgeführt, § 47 Abs. 4 Satz 2 GmbHG liege der Gedanke zugrunde, dass von einem selbst am Geschäft Beteiligten nicht zu erwarten sei, er werde bei seiner Stimmabgabe die eigenen Belange denen der GmbH nachstellen.2 Dieser Gedanke könne aber nicht immer bereits zu einem Stimmrechtsausschluss führen, wenn sich ein Gesellschafter überhaupt in einem Interessenkonflikt befinde; eine solche Lösung ginge auf Kosten der Rechtssicherheit und könne ein sachgerechtes Zusammenwirken der Gesellschafter entsprechend dem Gewicht ihrer Beteiligungen in Frage stellen. Das schließe es aber nicht aus, § 47 Abs. 4 Satz 2 GmbHG in bestimmten typischen Fällen sinngemäß anzuwenden, in denen ein Gesellschafter mit einem als Geschäftsgegner der GmbH in Aussicht genommenen fremden Unternehmen zwar nicht rechtlich identisch, wohl aber wirtschaftlich so stark verbunden sei, dass man sein persönliches Interesse dem dieses Unternehmens völlig gleichsetzen könne.3 Maßgebend hierfür sei das in der anderweitigen Beteiligung des Gesellschafters verkörperte Interesse, das bei Entscheidungen über Rechtsgeschäfte mit diesem Unternehmen eine unbefangene Stimmabgabe – wie in den unmittelbar in § 47 Abs. 4 Satz 2 GmbHG geregelten Fällen – in der Regel ausschließe und deshalb für die GmbH eine erhebliche Gefahr bedeute.4 Dabei komme es entscheidend auf die wirtschaftliche und unternehmerische Einheit des Gesellschafters mit dem Vertragspartner der GmbH an, wobei primär nicht die Frage der Leitungsmacht und damit der Entschlussfreiheit innerhalb dieses Unternehmens maßgeblich sei, sondern der Interessenwiderstreit des abstimmenden Gesellschafters im Hinblick auf ein ihn wirtschaftlich selbst betreffendes Geschäft.5 Andererseits reiche es für ein Stimmverbot nicht aus, wenn der Gesellschafter der GmbH an der anderen Gesellschaft nur eine geringe Beteiligung nach dem Vorbild des Minderheitskommanditisten oder -aktionärs halte. Ein solcher Gesellschafter möge mit dem Wohl und Wehe des anderen Unternehmens allein aufgrund seiner Beteiligung daran nicht immer so eng verbunden seien, 2   BGH, Urteil vom 9. Dezember 1968 – II ZR 57/67, BGHZ 51, 209, 215; Urteil vom 29. März 1973 – II ZR 139/70, NJW 1973, 1039, 1040. 3   BGH, Urteil vom 10. Februar 1977 – II ZR 81/76, BGHZ 68, 107, 109 f. 4   BGH, Urteil vom 10. Februar 1977 – II ZR 81/76, BGHZ 68, 107, 110. 5   BGH, Urteil vom 29. März 1973 – II ZR 139/70, NJW 1973, 1039, 1040 f.; Urteil vom 7. Februar 2012 – II ZR 230/09, ZIP 2012, 917 Rn. 32.

Stimmrechtsausschluss nach § 47 Abs. 4 Satz 2 GmbHG

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dass man ihn und das Unternehmen als Einheit betrachten und deshalb generell davon ausgehen könne, er werde sein hierdurch geleitetes Interesse bei einer Abstimmung über das der GmbH stellen.6 Diese Grundsätze hat der Senat zuletzt im Urteil vom 7. Februar 2012 zu Gesellschafterbeschlüssen einer GbR – unter dem Vorsitz des Jubilars – zustimmend bestätigt. Der Senat hat bislang obiter dictum ausgeführt, dass der Stimmrechtsausschluss gemäß § 47 Abs. 4 GmbHG dann eingreift, wenn ein Gesellschafter der GmbH als persönlich haftender Gesellschafter einer anderen Gesellschaft angehört und diese Geschäftsgegnerin der GmbH ist oder der Gesellschafter der GmbH als Alleingesellschafter einer juristischen Person, der Geschäftsgegnerin der GmbH, ist und diese wirtschaftlich ausschließlich als sein Unternehmen zu betrachten ist. Denn der Alleingesellschafter der Geschäftsgegnerin könne sich in seiner Eigenschaft als Mitglied der GmbH bei einem Geschäft zwischen beiden Unternehmen in einem Interessenwiderstreit befinden, der seine Stimmabgabe als Gesellschafter der GmbH zu deren Nachteil beeinflussen könne.7 Entschieden ist durch den Senat, dass das Stimmverbot greift, wenn der Gesellschafter der GmbH sämtliche Anteile an einer weiteren GmbH innehat, die als persönlich haftende Gesellschafterin wesentlich an einer GmbH & Co KG beteiligt ist, die Geschäftsgegnerin der GmbH ist,8 ferner auch, wenn mehrere Gesellschafter der GmbH sämtliche Geschäftsanteile der Drittgesellschaft innehaben, mit der die GmbH das Geschäft vornehmen soll.9 Nicht abschließend geklärt ist somit in der Rechtsprechung des II. Zivilsenats die persönliche Reichweite des Stimmverbots in den Konstellationen, in denen das Rechtsgeschäft der Sache nach unter § 47 Abs. 4 Satz 2 Fall 1 GmbHG fällt, der GmbH-Gesellschafter der Drittgesellschaft aber nicht als maßgebliches Mitglied (persönlich haftender Gesellschafter mit wesentlicher Beteiligung; Alleingesellschafter) angehört, an ihr aber auch nicht nur lediglich nach dem Vorbild des Minderheitsgesellschafters mit bloßen Anlageinteressen beteiligt ist. Es geht also um die Frage, unter welchen Voraussetzungen in einer zwischen diesen beiden Polen gelagerten Beteiligungsposition des Gesellschafters eine zum Stimmverbot führende persönliche Betroffenheit des Gesellschafters vorliegt und ob dabei eher aus Gründen der Rechtssicherheit eine rein formale Betrachtungsweise angezeigt ist oder aber eine auf den Zweck des Stimmverbots ausgerichtete Einzelfallbetrachtung, soweit dies mit der Rechtssicherheit vereinbar ist.10

6   BGH, Urteil vom 29. März 1971 – III ZR 255/68, BGHZ 56, 47, 53; Urteil vom 10. Februar 1977 – II ZR 81/76, BGHZ 68, 107, 110. 7   BGH, Urteil vom 29. März 1973 – II ZR 139/70, NJW 1973, 1039, 1040. 8   BGH, Urteil vom 29. März 1973 – II ZR 139/70, NJW 1973, 1039, 1041. 9   BGH, Urteil vom 10. Februar 1977 – II ZR 81/76, BGHZ 68, 107, 109. 10   BGH, Urteil vom 29. März 1973 – II ZR 139/70, NJW 1973, 1039, 1041.

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II.  Die Rechtsprechung der Oberlandesgerichte 1. Ein Teil der Oberlandesgerichte lässt für ein Stimmverbot eine erhebliche Beteiligung des GmbH-Gesellschafters an der Drittgesellschaft ausreichen, wenn er dort eine unternehmerische Funktion wahrnimmt. Das Stimmrecht ist danach aufgrund des abstrakt drohenden Interessenkonflikts ausgeschlossen. Nach einem Urteil des OLG Celle ist § 47 Abs. 4 GmbHG entsprechend anzuwenden und ein Stimmverbot anzunehmen, wenn der der betroffene Gesellschafter in beiden Gesellschaften Gesellschafter11 und Geschäftsführer ist. Eine Interessenkollision liege auf der Hand, da der Gesellschafter und Geschäftsführer sowohl der GmbH als auch der Drittgesellschaft das Wohl beider Gesellschaften im Auge haben und zwangsläufig das Interesse einer der beiden Gesellschaften vernachlässigen müsse. Nach dem Rechtsgedanken der Vorschrift solle das Stimmverbot eine Interessenkollision verhindern; das Gesetz wolle verbandsfremde Sonderinteressen von der Einwirkung auf Verbandsentscheidungen fernhalten. Deshalb sei – obwohl der Vorschrift kein allgemeines Prinzip zu entnehmen sei, dass beim Vorliegen jedweden Interessenkonflikts ein Stimmrechtsausschluss platzzugreifen habe – eine weite Auslegung oder auch eine Analogie angemessen.12 So genügt es nach Ansicht des OLG München für die Annahme eines Stimmverbots nicht, wenn der Gesellschafter an der Vertragspartnerin als Kommanditist, wenn auch mit 94 % der Kommanditanteile, ohne unternehmerischen Einfluss beteiligt ist. Das OLG München stellt mithin maßgeblich auf den fehlenden Einfluss bei der Willensbildung der Vertragspartnerin ab.13 Hingegen ging derselbe Senat des OLG München in einem vorhergehenden Rechtsstreit zwischen denselben Parteien davon aus, dass der Gesellschafter bei der Vertragspartnerin neben seiner Beteiligung von 94 % der Kommanditanteile auch maßgeblich an deren rechtsgeschäftlichen Willensbildung beteiligt war und nahm deshalb ein Stimmverbot an.14 Nach einem Urteil des KG ist § 47 Abs. 4 Satz 2 GmbHG entsprechend anzuwenden, wenn der Gesellschafter der GmbH zugleich zu 50 % Gesellschafter der Vertragspartnerin und auch deren alleiniger Geschäftsführer ist. Nach dem Rechtsgedanken der Vorschrift solle das Stimmverbot eine Interessenkollision verhindern, so dass eine weite Auslegung oder auch eine Analogie angemessen sei.15

11  Mit 10 % Gesellschafteranteil an der GmbH, Beteiligung an der Drittgesellschaft nicht mitgeteilt. 12   OLG Celle, Urteil vom 24. März 1999 – 9 U 196/98, NZG 1999, 1161, 1163. 13   OLG München, Urteil 26. Januar 2011 – 7 U 3764/10, GmbHR 2011, 590, 593. 14   OLG München, Urteil vom 2. März 2005 – 7 U 4759/04, NZG 2005, 554, 555. 15   KG, Urteil vom 8. Mai 2014 – 12 U 22/13, NZG 2015, 198 Rn. 12.

Stimmrechtsausschluss nach § 47 Abs. 4 Satz 2 GmbHG

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2. Hingegen sah das OLG Brandenburg in einem aktuellen Urteil die Voraussetzungen für ein Stimmrechtsverbot analog § 47 Abs. 4 Satz 2 GmbHG bei einer Mehrheitsbeteiligung des Gesellschafters in vergleichbarer Höhe in den beiden beteiligten Gesellschaften im konkreten Fall als nicht erfüllt an. Allein aus einer Beherrschung der Drittgesellschaft durch den GmbHGesellschafter lasse sich auf eine Interessenkollision jedenfalls dann nicht schließen, wenn der Gesellschafter zugleich die Mehrheit der Geschäftsanteile in der GmbH besitze, in deren Gesellschafterversammlung die Abstimmung vorgenommen werden solle. In einem solchen Fall sei nicht gewiss, in welcher Gesellschaft der Gesellschafter seine Interessen mehr verfolge.16 Das Stimmrecht ist danach nur dann ausgeschlossen, wenn eine Interessenkollision im konkreten Einzelfall zu befürchten ist.

III.  Das Meinungsbild im Schrifttum Die Literatur bietet eine Vielzahl von – sich teilweise überschneidenden – Lösungsvorschlägen in unterschiedlichen Facetten an, die sich deshalb zum Teil nur schwer kategorisieren lassen. 1.  Abstrakte Bewertung allein anhand der Beteiligungsquote/-verhältnisse Eine Orientierung allein am prozentualen Umfang der jeweiligen Beteiligung wird von Koppensteiner und Koppensteiner/Gruber befürwortet. Danach könne weder die Beherrschung der Drittgesellschaft noch eine erhebliche Beteiligung an derselben den Ausschlag geben. Beide Kriterien würden nichts darüber aussagen, die Interessen welcher Gesellschaft das Abstimmungsverhalten schließlich motivieren würden. Beherrsche jemand beispielsweise eine AG infolge einer erheblichen Beteiligung und halte er gleichzeitig nahezu alle Anteile einer GmbH, so sei keineswegs zu erwarten, dass er die AG zu Lasten der GmbH begünstigen werde. Auch die Wahrnehmung unternehmerischer Funktionen sei insignifikant. Sei etwa ein Kleinaktionär Vorstandsmitglied der Beteiligungs AG und außerdem Alleingesellschafter einer GmbH, dann sei eine Schädigung der GmbH nicht zu besorgen. Denn es könne nicht erwartet werden, dass der Betreffende gerade jene Gesellschaft schädige, deren Geschäftsergebnis voll bei ihm zu Buche schlage, während sich der Gewinn der Kontrahentin nur geringfügig bei ihm auswirke. Andererseits könne nicht ohne weitere Präzisierung darauf abgestellt werden, auf Seiten welcher Gesellschaft der größere Vorteil zu erwarten sei. Wegen der Vielzahl der möglichen Variablen – Gewinn aus dem Rechtsgeschäft für die jeweilige Gesellschaft, Höhe der Kapitalanteile, Höhe der   OLG Brandenburg, Urteil vom 5. Januar 2017 – 6 U 21/14, ZIP 2017, 1417 Rn. 78.

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Gewinnbeteiligung, Steuersatz – wäre eine solche Formulierung nicht geeignet, eine Regel zu liefern, die dem im Bereich der Stimmverbote besonders ausgeprägten Bedürfnis nach Rechtsanwendungssicherheit und -leichtigkeit genüge. Es müsse daher ein handhabbares Kriterium gewählt werden, das auch dem hinter der Zurechnung stehenden Rechtsgedanken entspreche, selbst wenn dabei Konzessionen an die „Richtigkeit“ des Ergebnisses im Einzelfall gemacht werden müssten. Von den Fällen persönlicher Haftung abgesehen, deren Behandlung sich sozusagen selbst rechtfertige, biete es sich an, auf den prozentualen Umfang der Beteiligung an beiden Gesellschaften abzustellen. Daran lasse sich im Regelfall ablesen, an welcher Gesellschaft der Betreffende stärker interessiert sei. Einem danach nicht stimmberechtigten Gesellschafter sei aber der Nachweis zu gestatten, dass ausnahmsweise keine Befangenheit zu befürchten sei. Damit ließen sich die Fälle lösen, wo die Beteiligungsquote an beiden Gesellschaften unwesentlich differiere.17 Auch Kuhn tritt für eine Abstufung orientiert am Beteiligungsumfang ein. Die entscheidende Frage sei, wie weit der Anwendungsbereich des § 47 Abs. 4 GmbHG bei der Beteiligung eines GmbH-Gesellschafters an einer Drittgesellschaft reiche. Sei der Gesellschafter an der Drittgesellschaft mit mehr als 50 % beteiligt, sei aufgrund des ersten Anscheins von einem Stimmverbot auszugehen, da er typischerweise Beschlüsse fassen und Weisungen erteilen könne. Dies könne widerlegt werden, wenn z.B. nachgewiesen werde, dass die Macht des Gesellschafters bei der Drittgesellschaft geringer sei und er zu diesen Maßnahmen nicht in der Lage sei, weil er beispielsweise Anteile mit geringerer Stimmenmacht halte oder wegen anderer Mehrheitserfordernisse. Bei genau 50 %-iger Beteiligung gelte dies hingegen nicht. Der GmbHGesellschafter könne dann bei der Drittgesellschaft grundsätzlich nur Maßnahmen unterbinden, nicht veranlassen, da er allein grundsätzlich keinen Beschluss fassen oder eine Weisung erteilen könne. Ein typischer Verlauf, der prima facie zu einem Stimmverbot führe, existiere dann nicht, vielmehr sei das Gegenteil der Fall, so dass grundsätzlich vom Stimmrecht auszugehen sei. Jedoch könne dieser typischer Verlauf widerlegt werden, wenn z.B. nachgewiesen werde, dass der Gesellschafter bei der Drittgesellschaft zugleich alleiniges Leitungsorgan oder zumindest einzelvertretungsbefugt und das Geschäft eines sei, für das ein Gesellschafterbeschluss nicht notwendig sei. Widerlegt wäre dieser typische Verlauf bei einer genau 50 %-igen Beteiligung auch, wenn die Geschäftsanteile an der Drittgesellschaft des betroffenen GmbH-Gesellschafters nachgewiesen mit einer stärkeren Stimmenmacht ausgestattet seien, die ihm erlaubten, Beschlüsse zu fassen und Weisungen an die Geschäftsführung zu erteilen. Eine Minderheitsbeteiligung an der Dritt-

17   Koppensteiner in Festschrift Schönherr, 1986, S. 205, 210 ff; Koppensteiner/Gruber in Rowedder/Schmidt-Leithoff, GmbHG, 5. Aufl. 2013, § 47 Rn. 60.

Stimmrechtsausschluss nach § 47 Abs. 4 Satz 2 GmbHG

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gesellschaft reiche grundsätzlich für sich genommen nicht für ein Stimmverbot aus.18 Peters/Strothmann nehmen einen generellen Stimmrechtsausschluss bei einer Beteiligung des GmbH-Gesellschafters an der Drittgesellschaft an. Es realisiere sich der Interessenkonflikt, der durch § 47 Abs. 4 GmbHG ausgeschlossen werden solle. Abstrakt sei nicht auszuschließen, dass der Gesellschafter die Interessen der zweiten Beteiligung über die Interessen der GmbH stelle.19 2. Beherrschung Nach Hüffer und Hüffer/Schürnbrand ist bei der notwendigen Konkretisierung der Interessenverknüpfung der Tatsache Rechnung zu tragen, dass sich der Ausschluss des Stimmrechts nicht mit einer am Einzelfall orientierten Interessenabwägung vertrage. Eine praktikable Lösung könne nur um den Preis gewisser Vergröberungen erzielt werden. Für die Frage des Stimmverbots in den Fällen, in denen der GmbH-Gesellschafter nicht maßgebliches Mitglied der Drittgesellschaft sei, sei deshalb auf die Beherrschung im Sinne des § 17 AktG abzustellen, die indizierende Bedeutung für die Interessenverknüpfung habe. Dies aber nicht, weil es auf die Beherrschung an sich ankäme, sondern weil derjenige, der in der Drittgesellschaft über eine entsprechende Position, besonders über die Stimmenmehrheit, verfüge, typischerweise in der Gefahr stehe, daraus resultierende Sonderinteressen in der GmbH durchzusetzen. Diese Lösung sei zwar nicht in allen Einzelfällen sachgerecht, habe aber den Vorzug, dem Gebot der Rechtsklarheit und Sicherheit am ehesten zu entsprechen, so dass auch kein Gegenbeweis zugelassen werden solle. Bei Beteiligungen, die eine Beherrschung im Sinne des § 17 AktG nicht vermitteln würden, blieben die mitgliedschaftlichen Treubindungen zu beachten, könne also der Beschluss bei deren Verletzung anfechtbar sein.20 Für Uwe H. Schneider ist der Grund der Zurechnung entscheidend, der darin bestehe, dass die abstrakte Interessenkollision gleich zu werten sei wie in den gesetzlich geregelten Fällen. Die bloße Mitwirkung an der Willensbildung und Entscheidungsfindung in der Drittgesellschaft könne hierfür nicht ausreichen. Daher sei der Gesellschafter einer GmbH nicht vom Stimmrecht ausgeschlossen, wenn über die Einleitung eines Rechtsstreits gegen eine AG abgestimmt werde und der Gesellschafter einige wenige Aktien an dieser Gesellschaft halte. Andererseits sei auch nicht Voraussetzung, dass der Gesellschafter die befangene Gesellschaft dauerhaft leite, mit ihr einen Konzern   Kuhn, EWiR 2015, 311, 312.   Peters/Strothmann in Festschrift Meilicke, 2010, S. 511, 522 f. 20   Hüffer in GroßKommGmbHG, 8. Aufl. 1997, § 47 Rn. 136; Hüffer/Schürnbrand in Ulmer/Habersack/Löbbe, GmbHG, 2. Aufl. 2014, § 47 Rn. 137. 18 19

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bilde oder sonstige unternehmerische Funktionen wahrnehme. Entscheidend sei vielmehr die abstrakte Gefährdungslage, nämlich dass der Gesellschafter aufgrund seiner Beteiligung an der Drittgesellschaft unmittelbar oder mittelbar einen beherrschenden Einfluss auf diese ausübe und damit die Einzelentscheidung der befangenen Drittgesellschaft bestimmen könne. Dem müsse es gleichstehen, dass der Gesellschafter bei der Drittgesellschaft als Organmitglied deren Geschäftsführung bestimme. Denn auch in § 181 BGB, den § 47 Abs. 4 GmbH ergänzen wolle, werde der Fall der Mehrfachvertretung dem Fall des Selbstkontrahierens gleichgestellt.21 Auch nach Ansicht von Hillmann ist maßgeblich auf die Beteiligungsverhältnisse abzustellen. Bei Mehrheitsbeteiligungen sei regelmäßig entsprechend der Abhängigkeitsvermutung des § 17 Abs. 2 AktG davon auszugehen, dass der Gesellschafter maßgeblichen Einfluss auf die Entscheidungsorgane der Gesellschaft besitze. Eine Minderheitsbeteiligung oder die Stellung als rein kapitalistisch beteiligter Kommanditist ohne unternehmerische Funktionen führe hingegen nicht zu einer Erstreckung des Stimmverbots der Drittgesellschaft auf den Gesellschafter.22 Roth verlangt eine interessenorientierte Handhabung des Stimmrechtsausschlusses, bei der nach der Intensität der Beteiligung zu differenzieren sei. Stehe die Drittgesellschaft im Interessengegensatz zur GmbH und sei das Mitglied GmbH-Gesellschafter, so hänge es vom wirtschaftlichen Gewicht der Mitgliedschaft ab, ob eine Interessenidentität angenommen werden könne. Im Zweifel seien die Grenzen des Stimmrechtsausschlusses eher weit als eng zu stecken. Bereits der potentielle Interessenkonflikt sei bis zum Beweis des Gegenteils für ausreichend zu erachten.23 Nach Auffassung von Casper ist der an der Drittgesellschaft beteiligte GmbH-Gesellschafter grundsätzlich nicht gehindert, sein eigenes Stimmrecht auszuüben, es sei denn, bei ihm bestehe aufgrund der unternehmerischen Beteiligung an der Drittgesellschaft und dem damit verbundenen wirtschaftlichen Interesse ein mit dem Interessenkonflikt der Drittgesellschaft vergleichbarer Interessenkonflikt. Dies dürfte für maßgeblich beteiligte Personen regelmäßig zu bejahen sein. Zumindest greife insoweit die Vermutungswirkung der §§ 17, 18 AktG ein. Unterliege schließlich alleine das Organmitglied der Drittgesellschaft der Interessenkollision, so sei diese (die Drittgesellschaft) nur dann von ihrem Stimmrecht ausgeschlossen, wenn das Organmitglied maßgeblichen Einfluss auf die Willensbildung der Drittgesellschaft habe, was bei Alleinorganen stets der Fall sei, bei mehreren Fremdorganen hingegen im Einzelnen darzulegen sei.24   Uwe H. Schneider, ZHR 150 [1986], 609, 617 f.   Hillmann in Henssler/Strohn, Gesellschaftsrecht, 3. Aufl. 2016, § 47 GmbHG Rn. 55. 23   Roth in Roth/Altmeppen, GmbHG, 8. Aufl. 2015, § 47 Rn. 83 ff. 24   Casper in Bork/Schäfer, GmbHG, 3. Aufl., § 47 Rn. 48. 21 22

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Schließlich stellt auch Schindler auf der Ebene unterhalb der alleinigen Gesellschafterstellung oder eines persönlichen Haftungsrisikos in der betroffenen Drittgesellschaft maßgeblich auf den faktischen Einfluss in der Drittgesellschaft ab, in Zweifelsfällen sei auch auf das Verhältnis der Beteiligungshöhe in der GmbH einerseits und der Drittgesellschaft andererseits heranzuziehen. Ein maßgeblicher Einfluss in der Drittgesellschaft sei jedenfalls dann anzunehmen, wenn der Gesellschafter diese im Sinne des § 17 AktG beherrsche, ohne dass es auf eine Unternehmereigenschaft ankomme. Dies könne auch bei knapper einfacher Mehrheit der Fall seien, ohne dass weitere Einflussmöglichkeiten hinzutreten müssten. Eine nur 50 %-ige Beteiligung in der Drittgesellschaft oder eine geringere Beteiligung reiche grundsätzlich nicht, wobei man hier gegebenenfalls eine Ausnahme machen müsse, wenn die wirtschaftlichen Interessen des Gesellschafters bei einer 50 %-igen Beteiligung diejenigen in der Gesellschaft selbst überwiegen würden und der Beschlussgegenstand einen Interessenkonflikt nahelege.25 3.  Das unternehmerische Interesse Für Zöllner und Zöllner/Noack – die zudem zwischen Personengesellschaften und juristischen Personen differenzieren – ist das unternehmerische Interesse in der Drittgesellschaft das maßgebliche Abgrenzungskriterium. Auf den Vergleich prozentualer Beteiligungen abzustellen entspreche nicht dem Normzweck der Stimmverbote. Zwar hänge das wirtschaftliche Interesse an der Abstimmung von der Höhe der Beteiligung an der GmbH und deren Relation zur Beteiligung an der Drittgesellschaft ab, jedoch könne dieses Interesse bei einer geringfügigen Beteiligung an einer großen Gesellschaft stärker seien als bei Innehabung aller Anteile an einer kleinen Gesellschaft. Auf die Maßgeblichkeit der Beteiligung im Sinne einer Beherrschung könne es daher nicht ankommen, sondern vielmehr darauf, ob derjenige, dessen Abstimmungsbefugnis in Frage stehe, in der Drittgesellschaft über finanzielle Interessen hinaus unternehmerische Funktionen wahrnehme, ob er also als Unternehmergesellschafter einzuordnen sei.26 Nach Auffassung von Villeda unterliegt der GmbH-Gesellschafter einem Stimmverbot, sofern seine Nähe zur Drittgesellschaft größer ist als zur GmbH, was zu vermuten sei, wenn er dort ein unternehmerisches Interesse habe. Eine Mehrheitsbeteiligung in der Drittgesellschaft sei ein Indiz dafür, aber nicht zwingende Voraussetzung. Das Indiz dürfte hingegen entkräftet

  Schindler in BeckOKGmbHG, 33. Edition, 1. November 2017, § 47 Rn. 136.   Zöllner, Die Schranken mitgliedschaftlicher Stimmrechtsmacht bei privatrechtlichen Personenverbänden, 1963, Seite 279 f.; Zöllner/Noack in Baumbach/Hueck, GmbHG, 21. Aufl. 2017, § 47 Rn. 97, 99. 25 26

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seien, wenn auch an der GmbH eine Mehrheitsbeteiligung bestehe, insbesondere wenn sie bedeutender sei als bei der Drittgesellschaft.27 4.  Interessenabwägung im konkreten Einzelfall Nach Drescher hängt unterhalb der Alleinherrschaft der Interessenkonflikt und damit ein Stimmverbot von den Besonderheiten des Einzelfalls ab. Das unternehmerische Interesse in der Drittgesellschaft sei kein geeignetes Abgrenzungskriterium. Allein aus der Beherrschung auch der Drittgesellschaft durch den GmbH-Gesellschafter könne nicht auf eine Interessenkollision geschlossen werden. Auch der Abgleich der Beteiligungsquote mit der Annahme eines größeren Einflusses bei der Gesellschaft, bei der der GmbH-Gesellschafter den höheren Anteil halte, sei kein geeignetes Kriterium, da dies zu pauschal sei und bei einer geringen Beteiligung an beiden Gesellschaften zu unplausiblen Ergebnissen, hingegen bei einer Beteiligung an beiden Gesellschaften mit über 50 % zu Zufallsergebnissen führe. Je höher die Beteiligung an der Drittgesellschaft sei, desto näher liege eine Interessenkollision. Das Beteiligungsverhältnis an der GmbH und der Drittgesellschaft sei zwar allein nicht ausschlaggebend, könne aber bei großer Diskrepanz einen Anhaltspunkt geben. Wenn die Drittgesellschaft eine GmbH sei und der Gesellschafter dort aufgrund der Beherrschung eher einen Zugriff auf die Leistung habe als in der GmbH, in der die Abstimmung anstehe, spreche dies für ein Stimmverbot. Die Stellung als Kommanditist der Drittgesellschaft genüge nicht. Eine knappe Mehrheit allein führe nicht zum Stimmverbot, wohl aber verbunden mit weiteren Einflussmöglichkeiten. Die persönliche Haftung für die Verbindlichkeiten der Drittgesellschaft führe jedenfalls bei den Stimmverboten wegen Befreiung von einer Verbindlichkeit und Einleitung oder Erledigung eines Rechtsstreits zum Stimmverbot, weil ein persönliches Interesse naheliege. Auch wenn der Gesellschafter in der Drittgesellschaft Geschäftsführungsaufgaben wahrnehme und an ihr beteiligt sei, sei von einer Interessenkollision auszugehen, die zum Stimmverbot führe. Beherrsche aber der Gesellschafter als Alleingesellschafter den (geschäftsführenden und persönlich haftenden) Komplementär einer KG bestehe ein Stimmverbot.28 Für Römermann ist der Ausgangspunkt der Normzweck des § 47 Abs. 4 GmbHG, nämlich gesellschaftsfremde Einflüsse von der Willensbildung der GmbH fernzuhalten. Der Gesellschaftstypus sei kein geeignetes Entscheidungskriterium, da der Gesellschafter einer befangenen Kapitalgesellschaft in gleicher Weise versuchen könne, deren Interessen über sein persönliches Stimmrecht zur Geltung zu verhelfen, wie der Gesellschafter einer befange  Villeda, AG 2013, 57, 70.   Drescher in MünchKommGmbHG, 2. Aufl. 2016, § 47 Rn. 199 f.

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nen Personengesellschaft. Der Gesellschafter mache sich die Interessen seiner Gesellschaft nicht nur dann zu eigen, wenn er persönlich hafte, weshalb die Fokussierung auf den Haftungsaspekt deshalb zu kurz greife. Es sei deshalb unabhängig vom Gesellschaftstypus die Interessenverknüpfung zwischen dem Gesellschafter und seiner Gesellschaft in den Blick zu nehmen. Die Beherrschung der Drittgesellschaft durch den Gesellschafter, also seine maßgebliche Beteiligung, sei Ausdruck der Machtverhältnisse. Eine eigenständige Bedeutung komme dem Beherrschungskriterium deshalb nicht zu, da für § 47 Abs. 4 GmbHG nicht Machtverhältnisse, sondern gesellschaftsfremde Interessen relevant seien. Die Beherrschung lasse aber regelmäßig auf eine nennenswerte Interessenverknüpfung schließen, so dass der Beherrschung Indizcharakter zukomme, was den Bedürfnissen der Praxis nach klaren und einfachen handhabbaren Kriterien diene. Ein weiteres Indiz sei die persönliche Haftung des Gesellschafters für Verbindlichkeiten der Drittgesellschaft. Auch unterhalb der Alleingesellschafterposition sei eine Abfärbung der Befangenheit auf den Gesellschafter denkbar, da es ebenso bei einer maßgeblichen Beteiligung zu einer Interessenverknüpfung kommen könne. Allgemeingültige Grundsätze ließen sich kaum aufstellen. Über rein finanzielle Interessen hinaus könnten weitere, unternehmerische Aspekte hinzutreten. Für eine Interessenverknüpfung könne das finanzielle Interesse ausreichen, so dass es zu weit gehe, die Abfärbung der Interessen der Drittgesellschaft nur bei weitergehenden Unternehmensinteressen des Gesellschafters anzunehmen.29 Für K. Schmidt besteht die entscheidende Frage darin, ob die Befangenheit der Drittgesellschaft, die eine Kapital- oder Personengesellschaft sein könne, auf den an ihr und an der GmbH beteiligten Gesellschafter durchschlage. Es gebe keinen Grundsatz, wonach die Beteiligung an einer Personengesellschaft prinzipiell strenger zu werten wäre als die an einer Kapitalgesellschaft. Das Ergebnis dürfe auch nicht aus formalen Erwägungen hergeleitet werden, sondern müsse sich aus dem Sinn des § 47 Abs. 4 GmbHG ergeben. Es gehe darum, ob die die Kollision begründenden Interessen, obgleich an sich bei einer Gemeinschaft oder Gesellschaft angesiedelt, den mit ihr verbundenen GmbH-Gesellschafter wie eigene Interessen zuzurechnen seien, ob sie ihn in rechtserheblicher Weise befangen machten. Dies sei zu bejahen, wenn anzunehmen sei, dass sich der Gesellschafter die Interessen bei der Stimmabgabe befangenen Gesellschaft oder Gemeinschaft zu eigen machen werde. Die Interessenverknüpfung sei das Zurechnungskriterium, weshalb weniger auf die Herrschaftsverhältnisse in der Gesellschaft als auf die Interessenverknüpfung abzustellen sei. Die Beherrschung der befangenen Drittgesellschaft durch den GmbH-Gesellschafter sei in jedem Fall schädlich, löse also das 29   Römermann in Michalski/Heidinger/Leible/J. Schmidt, GmbHG, 3. Aufl. 2017, § 47 Rn. 145 f.

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Stimmverbot aus. Dies beruhe nicht auf der Eigenbedeutung der Zurechnungstatbestandsbeherrschung, sondern auf der durch die Beherrschung indizierten Interessenkollision. Die Beherrschung sei für den Stimmrechtsausschluss damit zwar ausreichend, aber nicht erforderlich. Es genüge jede Beteiligung, die nennenswert genug sei, um einen Einfluss des Drittinteresses befürchten zu lassen. Da es auf die Interessenidentität und nicht auf die Herrschaftsverhältnisse in der Drittgesellschaft ankomme, sei zu erwägen, ob bereits eine erhebliche Beteiligung des GmbH-Gesellschafters an der Drittgesellschaft genüge, um das Stimmverbot ihm gegenüber durchschlagen zu lassen. Ein Stimmverbot für Kommanditisten einer befangenen Drittgesellschaft sei grundsätzlich auf unternehmerisch beteiligte Kommanditisten zu beschränken, z.B. Mehrheitsgesellschafter in der GmbH & Co. KG oder Kommanditisten mit Geschäftsführungsbefugnis und Prokura.30 Nach Wank besteht die Schwierigkeit, für diese Fälle ein formales und zugleich adäquates Kriterium zu finden darin, dass für die Entscheidung des Gesellschafters nicht nur die Art der Beteiligung in der Drittgesellschaft, sondern auch die Art seiner Beteiligung in der GmbH maßgeblich sei und er beide zueinander ins Verhältnis setzen werde. Dieser doppelten Variabilität könne ein Kriterium nur schwer gerecht werden, das nur auf die Verhältnisse in der Drittgesellschaft abstelle. Der befangene Gesellschafter werde in der GmbH für denjenigen Gewinntransfer stimmen, der ihm per Saldo den größeren Vorteil bringe. Maßgebliche Gesichtspunkte seien der Gewinn aus dem Rechtsgeschäft für die jeweilige Gesellschaft, die absolute Höhe des Kapitalanteils, die Höhe der Rendite, der Steuersatz oder die langfristige Unternehmensstrategie. Sei sein Vorteil bei der Drittgesellschaft größer, werde der Gesellschafter für ein der GmbH ungünstiges Geschäft stimmen. Der adäquate, aber nicht praktikable Rechtssatz müsse daher lauten, der Gesellschafter unterliege in der GmbH einem Stimmverbot, wenn das Geschäft für ihn auf Seiten der Drittgesellschaft vorteilhafter sei als auf Seiten der GmbH. Zur Formalisierung sei nach den einzelnen Gesellschaftsformen der Drittgesellschaft zu unterscheiden und eine Vermutungsregel entsprechend dem wahrscheinlichen Interessenkonflikt aufzustellen. Gehöre der GmbH-Gesellschafter der befangenen Drittgesellschaft nicht als maßgebliches Mitglied an (persönlich haftender Gesellschafter, Alleingesellschafter, Unternehmer-Kommanditist mit Einwirkungsmöglichkeit auf die Geschäftsführung), lasse sich aufgrund der doppelten Variabilität eigentlich keine allgemeine Vermutungsregel aufstellen. Die Lösung solle zum einen vorbeugend die Gefährdung erfassen, zum anderen auf die Vielgestaltigkeit der Fälle Rücksicht nehmen. Das Stimmverbot sei deshalb bei nicht unwesentlicher Kapitalbeteiligung zu bejahen. Der Gesellschafter habe aber die Möglichkeit

  K. Schmidt in Scholz/K. Schmidt, GmbHG, 11. Aufl. 2014, § 47 Rn. 163 f.

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des Gegenbeweises, dass die Beteiligung an der Drittgesellschaft seine Interessen an der GmbH aufgrund der Umstände nicht beeinflussen könne.31 Für Bayer kommt es bei der Frage des Stimmverbots in der Konstellation, dass der GmbH-Gesellschafter zugleich an der Drittgesellschaft maßgeblich beteiligt ist, auf die Besonderheiten des konkreten Falls an. Entscheidend seien nicht die Beteiligungsverhältnisse an der Drittgesellschaft, sondern der Aspekt der Interessenkollision.32 Nach Wicke kann bei Rechtsbeziehungen der GmbH mit einer Drittgesellschaft von einer zum Stimmverbot führen Interessenkollision auszugehen seien, wenn deren GmbH-Gesellschafter an der Drittgesellschaft erheblich beteiligt sei oder in dieser Geschäftsführungsaufgaben wahrnehme, allerdings nicht im Fall eines bloßen Fremdgeschäftsführers ohne eigene Beteiligung an der Drittgesellschaft.33 Ganzer hält einen Gesellschafter, der neben seiner Beteiligung an der GmbH noch weitere Anteile an anderen Gesellschaften hält, dann vom Stimmrecht für ausgeschlossen, wenn seine Interessen enger mit der Drittgesellschaft als mit der GmbH in der die Abstimmung erfolgt verbunden sind. Dazu sei jeweils eine Einzelbetrachtung erforderlich. Richtigerweise sei von einer hinreichend engen Interessenverknüpfung auszugehen, wenn der Gesellschafter alleine oder mehrere vom Konflikt betroffene Gesellschafter gemeinsam alle Anteile der Drittgesellschaft hielten. Im Übrigen seien insbesondere die Höhe des Anteils des Gesellschafters an der Drittgesellschaft, dessen Wert und Relation zur GmbH sowie die konkreten Beziehungen zwischen beiden Gesellschaften, die durch den Interessenkonflikt betroffen seien, zu beachten. Das Beherrschungsverhältnis zwischen Gesellschafter und Drittgesellschaft sei unbeachtlich. Die bloße Wahrscheinlichkeit der Orientierung am Interesse der Drittgesellschaft genüge, so dass ein Gegenbeweis ausscheide.34 5.  Eigene Stellungnahme Der Lösungsansatz einer konkreten Interessenabwägung im Einzelfall ist vorzugswürdig. Ausgangspunkt der Überlegungen muss sein, dass der gesetzliche Tatbestand in § 47 Abs. 4 GmbHG nicht sämtliche Fälle einer Interessenkollision erfasst, sondern nur bestimmte Fallgruppen des „Richtens in eigener Sache“. Unter Berücksichtigung des in der Vorschrift zum Ausdruck kommenden Rechtsgedankens, niemand solle als Richter in eigener Sache tätig sein, kom  Wank, ZGR 1979, 222, 226 ff.   Bayer in Lutter/Hommelhoff, GmbHG, 19. Aufl. 2016, § 47 Rn. 42. 33   Wicke, GmbHG, 3. Aufl. 2016, § 47 Rn. 14. 34   Ganzer in Rowedder/Schmidt-Leithoff, GmbHG, 6. Aufl. 2017, § 47 Rn. 72. 31 32

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men somit nicht alle Fällen einer Interessenkollision für ein Stimmverbot in Betracht, weil im Verband typischerweise auch Sonderinteressen des Gesellschafters verfolgt werden und damit auch ein sachgerechtes Zusammenwirken der Gesellschafter entsprechend dem Gewicht ihrer Beteiligung in Frage gestellt würde.35 Unterhalb der Schwelle des erforderlichen Interessenkonflikts für die Annahme eines Stimmverbots kann das Abstimmungsverhalten im Rahmen einer inhaltlichen Beschlusskontrolle am Maßstab der mitgliedschaftlichen Treuepflicht überprüft werden.36 Daher muss für die Annahme eines Stimmverbots aufgrund des Interessenkonflikts typischerweise damit zu rechnen sein, der Gesellschafter werde sich bei der Abstimmung von seinen eigenen Interessen leiten lassen und die Interessen der Gesellschaft hintenanstellen.37 Maßgebend ist deshalb, ob es sich um eine qualifizierte Interessenkollision handelt, also ein in der anderweitigen Beteiligung des Gesellschafters verkörpertes Interesse besteht, das bei Entscheidungen über Rechtsgeschäfte mit diesem Unternehmen eine unbefangene Stimmabgabe – wie in den unmittelbar in § 47 Abs. 4 Satz 2 GmbHG geregelten Fällen – in der Regel ausschließt und deshalb für die GmbH eine erhebliche Gefahr bedeutet.38 Das Rechtsgeschäft der GmbH mit der Drittgesellschaft muss also für die Annahme eines Stimmverbots des GmbH-Gesellschafters als Geschäft mit diesem anzusehen sein, ihn also die Chancen und Risiken des Geschäfts in ähnlicher Weise treffen, wie bei einem von ihm selbst mit der Gesellschaft abgeschlossenen Geschäft. Bei der Bewertung der für die Zurechnung des Geschäfts maßgeblichen Kriterien verbietet sich schon aufgrund der Vielgestaltigkeit der denkbaren Fallkonstellationen jede schematische Lösung, auch wenn eine solche aus Gründen der Praktikabilität und der Rechtssicherheit sicher wünschenswert wäre. Ein solcher Lösungsansatz ginge aber zu Lasten der Einzelfallgerechtigkeit. Entscheidend für die Bestimmung der Grenze zwischen einer (nur) inhaltsbezogenen Stimmkontrolle am Maßstab der mitgliedschaftlichen Treuepflicht und einem rigorosen Stimmverbot kann und muss allein sein, ob im konkreten Einzelfall ein Interessenwiderstreit in der Person des GmbHGesellschafters im Hinblick auf ein ihn wirtschaftlich selbst betreffendes Geschäft aufgrund seiner Beteiligung an der Drittgesellschaft besteht. Das gilt unabhängig davon, ob es sich bei der Drittgesellschaft um eine Personenoder Kapitalgesellschaft handelt. Diesen Interessenkonflikt bei der anstehenden Beschlussfassung für das konkrete Geschäft festzustellen, ist zuvörderst Sache des Tatrichters. Aus35   BGH, Urteil vom 29. März 1971 – III ZR 255/68, BGHZ 56, 47, 53; Urteil vom 10. Februar 1977 – II ZR 81/76, BGHZ 68, 107, 109. 36   BGH, Urteil vom 7. Februar 2012 – II ZR 230/09, ZIP 2012, 917 Rn. 33. 37   BGH, Urteil vom 21. Juni 2010 – II ZR 230/08, ZIP 2010, 1640 Rn. 16. 38   BGH, Urteil vom 7. Februar 2012 – II ZR 230/09, ZIP 2012, 917 Rn. 32.

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gangspunkt seiner Gesamtwürdigung der verschiedenen Kriterien unter Berücksichtigung der Natur des betroffenen Rechtsgeschäfts im konkreten Einzelfall muss es sein, gesellschaftsfremde Einflüsse und persönliche Interessen von der Willensbildung in der GmbH bezüglich des konkreten Beschlussgegenstands fernzuhalten. Eine generelle Betrachtungsweise ist hingegen abzulehnen, so dass allein ein abstrakt drohender Interessenkonflikt für die Annahme eines Stimmverbots in dieser Situation nicht genügt. Bei der Einzelfallbetrachtung kann nicht ein Kriterium allein den Ausschlag geben, weshalb auch kein Kriterium (allein) eine Vermutungswirkung für die Annahme eines Stimmverbots auslösen kann. Die zum Teil aufgeworfene Frage der Entlastungmöglichkeit des Gesellschafters stellt sich damit nicht. Dem wirtschaftlichen und unternehmerischen Interesse des betroffenen GmbH-Gesellschafters kommt in der Gesamtwürdigung eine hervorgehobene Stellung zu. Es ist also zu fragen, ob der Gesellschafter aufgrund seiner Beteiligung eine wirtschaftliche und unternehmerische Einheit mit der Drittgesellschaft bildet. Der immer zu beachtende Aspekt der Beherrschung der Drittgesellschaft durch den Gesellschafter gewinnt dabei an Gewicht, wenn ihm gerade aufgrund dieser Beherrschung ein Zugriff auf die Leistung ermöglicht wird. Das gilt auch, wenn aus dem konkreten Beschlussgegenstand ein persönliches Haftungsrisiko des Gesellschafters in der Drittgesellschaft folgt. Allein dem Verhältnis zwischen der Beteiligung des Gesellschafters an der Drittgesellschaft und der Beteiligung an der beschlussfassenden Gesellschaft kommt hingegen im Rahmen der Gesamtwürdigung keine ausschlaggebende Bedeutung zu. Dies ist ein allein auf die abstrakten Interessen des Gesellschafters bezogener Ansatz, der keine Antwort auf die Frage gibt, ob das Geschäft mit der Drittgesellschaft dem Gesellschafter aufgrund der damit für ihn verbundenen Chancen und Risiken zuzurechnen ist. Zudem muss in diesem Zusammenhang ohnehin auch das wirtschaftliche Gewicht der jeweiligen Beteiligung, mithin deren tatsächlicher Wert für den Gesellschafter, berücksichtigt werden. Nur ein großes Ungleichgewicht der beiden Beteiligungen zu Gunsten der Drittgesellschaft kann entscheidend für die Annahme eines konkreten Interessenwiderstreits herangezogen werden, wie auch, wenn einer nur kapitalmäßigen Beteiligung an der beschlussfassenden GmbH eine unternehmerische Beteiligung an der Drittgesellschaft gegenübersteht. Abschließend kann auch der Aspekt der Leitungsmacht und damit der Entschlussfreiheit innerhalb der Drittgesellschaft für sich allein gesehen kein wesentliches Kriterium sein. Der Gesellschafter wird auch ohne Leitungsmacht typischerweise keine Schwierigkeiten haben, ein vorteilhaftes Geschäft für sich – und damit auch für die Drittgesellschaft – in derselben durchzusetzen. Zudem lässt sich aus der Leitungsmacht ohne weitere Gesichtspunkte nichts für eine Prognose über die Zurechnung von Chancen und Risiken des Geschäfts mit der GmbH für den Gesellschafter herleiten.

Erleichterung der Darlegungs- und Beweislast für ausgeschiedene Organmitglieder im Innenhaftungsprozess de lege lata? Manfred Born I. Einführung Die Darlegungs- und Beweislast im Innenhaftungsprozess der Gesellschaft gegen ihre Organmitglieder (Geschäftsführer, Vorstände und Aufsichtsräte) liegt teilweise nicht, wie nach den allgemeinen Regeln, bei der Gesellschaft als Anspruchstellerin. Die Organmitglieder trifft die Darlegungs- und Beweislast dafür, dass sie die Sorgfalt eines ordentlichen und gewissenhaften Geschäftsleiters angewandt haben. Diese partielle Beweislastumkehr wendet der Bundesgerichtshof im Organinnenhaftungsprozess auch dann an, wenn der Beklagte bereits aus seiner Funktion ausgeschieden ist. Dies wird im Schrifttum mit der Begründung in Frage gestellt, bei einem ausgeschiedenen Organmitglied fehle eine im Vergleich zur Gesellschaft größere Sachnähe, insbesondere, weil der Ausscheidende sämtliche Unterlagen der Gesellschaft herausgeben müsse. Dieser Beitrag soll aufzeigen, dass die partielle Beweislastumkehr auch im Rechtsstreit mit dem ausgeschiedenen Organmitglied gerechtfertigt ist, weil ein unter Umständen bestehendes Informationsdefizit des Beklagten durch erhöhte Anforderungen an die Substantiierungspflicht der Gesellschaft im Rahmen ihrer sekundären Darlegungslast und durch einen materiellrechtlichen Informationsanspruch des ausgeschiedenen Organmitglieds ausgeglichen wird.

II.  Darlegungs- und Beweislast im Innenhaftungsprozess nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs 1.  Grundsätze der Darlegungs- und Beweislast im Innenhaftungsprozess Nach der allgemeingültigen ungeschriebenen Grundregel der Darlegungs- und Beweislast hat jede Partei, die den Eintritt einer Rechtsfolge geltend macht, die Voraussetzungen des ihr günstigen Rechtssatzes darzulegen

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und zu beweisen.1 Deshalb trägt der Anspruchsteller die Darlegungs- und Beweislast für die rechtsbegründenden, der Anspruchsgegner für die rechtsvernichtenden, rechtshindernden und rechtshemmenden Tatbestandsmerkmale.2 Verklagt dagegen die Gesellschaft eines ihrer Organmitglieder auf Schadensersatz wegen einer Pflichtverletzung, verschiebt sich dieses austarierte System deutlich zu Lasten des jeweiligen Beklagten. Für den Vorstand einer Aktiengesellschaft oder einer Genossenschaft und für den Aufsichtsrat einer Aktiengesellschaft gilt eine gesetzlich verordnete partielle Umkehr der Beweislast. Vorstandsmitglieder und Aufsichtsratsmitglieder trifft die Darlegungs- und Beweislast dafür, dass sie die Sorgfalt eines ordentlichen und gewissenhaften Geschäftsleiters angewandt haben (§ 93 Abs. 2 Satz 2, § 116 Satz 1 AktG, § 34 Abs. 2 Satz 2 GenG). Im GmbH-Recht findet sich nur für den Aufsichtsrat eine entsprechende gesetzliche Regel durch die Verweisung in § 52 Abs. 1 GmbHG. Für die Innenhaftung des Geschäftsführers einer GmbH (§ 43 Abs. 2 GmbHG) ist jedoch die entsprechende Anwendung der die Beweislastumkehr regelnden Normen des Aktien- und Genossenschaftsrechts in Rechtsprechung und Schrifttum anerkannt.3 In der konkreten Ausgestaltung durch die bis auf das Reichsgericht zurückgehende4 Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs trägt eine GmbH oder eine Aktiengesellschaft im auf § 43 Abs. 2 GmbHG bzw. § 93 Abs. 2 Satz 1 AktG gestützten Innenhaftungsprozess nach den Grundsätzen zu § 93 Abs. 2 Satz 2 AktG, § 34 Abs. 2 Satz 2 GenG die Darlegungs- und Beweislast nur dafür, dass und inwieweit ihr durch ein sich als möglicherweise pflichtwidrig darstellendes Verhalten des Organmitglieds in dessen Pflichtenkreis ein Schaden erwachsen ist, wobei ihr die Erleichterungen des § 287 ZPO zugute kommen können. Demgegenüber hat das beklagte Organmitglied darzulegen und erforderlichenfalls zu beweisen, dass es seinen Sorgfaltspflichten (§ 43 Abs. 1 GmbHG, § 93 Abs. 1 AktG) nachgekommen ist   BGH, Beschluss vom 25. Juni 2008 – II ZR 133/07, ZIP 2008, 1872 Rn. 4.   BGH, Urteil vom 14. Januar 1991 – II ZR 190/89, NJW 1991, 1052, 1053; BGH, Urteil vom 13. November 1998 – V ZR 386/97, ZIP 1999, 367, 369. 3   BGH, Urteil vom 4. November 2002 – II ZR 224/00, BGHZ 152, 280; BGH, Urteil vom 18. Juni 2013 – II ZR 86/11, BGHZ 197, 304 Rn. 22; Born in Krieger/Schneider, Handbuch Managerhaftung, 3. Aufl. 2017, Rn. 14.4; Oettker in Henssler/Strohn, GesR, 3. Aufl. 2016, § 43 GmbHG Rn. 57; Wicke in Wicke, GmbHG, 3. Aufl. 2016, § 43 Rn. 9; Zöllner/Noack in Baumbach/Hueck, GmbHG, 21. Aufl. 2017, § 43 Rn. 36 ff.; Altmeppen in Roth/Altmeppen, GmbHG, 8. Aufl. 2015, § 43 Rn. 111; Buck-Heeb in Gehrlein/Born/ Simon, GmbHG, 3. Aufl. 2017, § 43 Rn. 83; Kleindiek in Lutter/Hommelhoff, GmbHG, 19. Aufl. 2016, § 43 Rn. 52; Ziemons in Michalski/Heidinger/Leible/J. Schmidt, GmbHG, 3. Aufl. 2017, § 43 Rn. 471; Fleischer in Münchener Kommentar zum GmbhG, 2. Aufl. 2016, § 43 Rn. 270; Uwe H. Schneider/Crezelius in Scholz, GmbHG, 12. Aufl. 2014, § 43 Rn. 234; Paefgen in Ulmer/Habersack/Löbbe, GmbHG, 2. Aufl. 2014, § 43 Rn. 205.  4   Vgl. ausführlich Goette ZGR 24 (1995), 648 ff. 1 2

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oder kein Verschulden trifft, oder dass der Schaden auch bei pflichtgemäßem Alternativverhalten eingetreten wäre.5 Diese Zuweisung der Darlegungsund Beweislast gilt auch im Innenhaftungsprozess der Genossenschaft6 und für die Haftung des Aufsichtsrats nach § 116 AktG i.V.m. § 93 Abs. 2 Satz 1 AktG.7 Für die Frage der Beweislastverteilung ist es ohne Bedeutung, ob dem Organmitglied ein positives Tun oder das Unterlassen einer bestimmten Maßnahme vorgeworfen wird.8 2.  Darlegungs- und Beweislast im Innenhaftungsprozess gegen das ausgeschiedene Organmitglied Der II. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs wendet die soeben dargestellte Beweislastverteilung genauso an, wenn ein bereits ausgeschiedenes Organmitglied verklagt wird. Die Darlegungslast hingegen wird über die Grundsätze der sekundären Darlegungslast angepasst.9

III. Kritik Die Auffassung des Bundesgerichtshofs wird nach wie vor kritisch betrachtet. Neben den für den vorliegenden Beitrag irrelevanten Vorschlägen de lege ferenda,10 soll dem ausgeschiedenen Organmitglied mittels teleologischer Reduktion der gesetzlich angeordneten bzw. im Fall des Geschäftsführers einer GmbH entsprechend angewandten Beweislastumkehr im 5   BGH, Urteil vom 4. November 2002 – II ZR 224/00, BGHZ 152, 280; BGH, Beschluss vom 18. Februar 2008 – II ZR 62/07, ZIP 2008, 736 Rn. 5, 8; BGH, Urteil vom 1. Dezember 2008 – II ZR 102/07, BGHZ 179, 81 Rn. 20 – MPS; BGH, Urteil vom 22. Februar 2011 – II ZR 146/09, AG 2011, 378 Rn. 17; BGH, Urteil vom 15. Januar 2013 – II ZR 90/11, AG 2013, 259 Rn. 14; BGH, Urteil vom 14. Mai 2013 – II ZR 76/12, ZIP 2013, 1642 Rn. 15; BGH, Urteil vom 18. Juni 2013 – II ZR 86/11, BGHZ 197, 304 Rn. 22; BGH, Urteil vom 8. Juli 2014 – II ZR 174/13, BGHZ 202, 26 Rn. 33; so schon RG DR 1939, 723 m.N. 6   BGH, Urteil vom 3. Dezember 2001 – II ZR 308/99, ZIP 2002, 213, 214 f. – obiter; BGH, Beschluss vom 8. Januar 2007 – II ZR 304/04, ZIP 2007, 322 Rn. 28. 7   BGH, Urteil vom 1. Dezember 2008 – II ZR 280/07, AG 2009, 404 Rn. 42; BGH, Urteil vom 14. Mai 2013 – II ZR 76/12, ZIP 2013, 1642 Rn. 15. 8   BGH, Urteil vom 4. November 2002 – II ZR 224/00, BGHZ 152, 280, 284 juris Rn. 8. 9   BGH, Urteil vom 4. November 2002 – II ZR 224/00, BGHZ 152, 280, 285 juris Rn. 9; BGH, Beschluss vom 7. Juli 2008 – II ZR 71/07, AG 2008, 743 Rn. 5; BGH, Urteil vom 8. Juli 2014 – II ZR 174/13, BGHZ 202, 26 Rn. 33. 10   Für eine Gesetzesänderung spricht sich etwa aus Habersack ZHR 177 (2013), 782, 805; Reichert ZGR 46 (2017), 671, 678 f.; Rieger in Festschrift Peltzer, 2001, S. 339, 351; zur rechtspolitischen Diskussion um eine Einschränkung der Beweislastumkehr für ausgeschiedene Organmitglieder vgl. Meckbach NZG 2015, 580, 583 f.; Bachmann Gutachten E zum 70. DJT, 2014, S. E 32 ff., 37, der für ein verbessertes und gesetzlich geregeltes Einsichtsrecht plädiert; ihm folgend Bayer NJW 2014, 2546, 2550.

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Innenhaftungsprozess insoweit Erleichterung verschafft werden, als diese in Bezug auf die objektive Pflichtwidrigkeit seines Verhaltens nicht zur Anwendung gelangen soll. Zur Begründung wird insbesondere angeführt, der die Beweislastumkehr rechtfertigende Wissensvorsprung bzw. die gegenüber der Gesellschaft größere Beweis- und Sachnähe bestehe bei dem Ausgeschiedenen in der Regel nicht (mehr).11 Teilweise wird vertreten, dass die fehlende Tatsachennähe des ausgeschiedenen Organmitglieds Beweiserleichterungen rechtfertigen könne, ohne diese näher zu spezifizieren.12 Hier ist vorab klarzustellen, dass sich diese Diskussion nicht um die Zuordnung der Beweislast für eine „objektive Pflichtmäßigkeit“ oder „Pflichtwidrigkeit“ eines Verhaltens als solche dreht. Neben dem beanstandeten Tun oder Unterlassen selbst geht es allein um den Beweis der konkreten Umstände, auf die sich der Vorwurf des Fehlverhaltens gründet. Dagegen ist die Beurteilung, wie sich das Organ angesichts dieser Umstände verhalten durfte oder musste, eine Frage der rechtlichen Wertung.13 Eine verkürzte Bezeichnung dient lediglich der Vereinfachung.

IV.­  Ablehnung einer teleologischen Reduktion Eine teleologische Reduktion der § 93 Abs. 2 Satz 2 AktG, § 34 Abs. 2 Satz 2 GenG zum Schutz des ausgeschiedenen Organmitglieds ist weder zulässig noch besteht dafür ein Bedürfnis. Im Innenhaftungsprozess mit dem ausgeschiedenen Organmitglied bleibt, so zu Recht das überwiegende Schrifttum, die gesetzliche Beweislastverteilung anwendbar.14 Der durch 11   Dreher/Thomas ZGR 2009, 31, 44; Foerster ZHR 176 (2012), 221, 225 ff., 230 ff.; Ziemons in Michalski/Heidinger/Leible/J. Schmidt, GmbHG, 3. Aufl. 2017, § 43 Rn. 491 (Rückausnahme); Ziemons in Ziemons/Binnewies, Handbuch AG, Lfg. 74 November 2016, Rn. I 8.1027; Bürgers in Bürgers/Körber, AktG, 4. Aufl. 2017, § 93 Rn. 29; Hüffer AktG, 10. Aufl. 2012, § 93 Rn. 17a; Hopt/M. Roth in Großkomm. AktG, 5. Aufl. 2015, § 93 AktG Rn. 448; sympathisierend Habersack ZHR 177 (2013), 782, 794 f., 805; Hopt ZIP 2013, 1793, 1806; Rieger in Festschrift Peltzer, 2001, S. 339, 351; Ruchatz AG 2015, 1, 2; vgl. auch Bachmann Gutachten E zum 70. DJT, 2014, S. E 33. 12  So Mertens/Cahn in Kölner Kommentar zum AktG, 3. Aufl. 2010, § 93 Rn. 147; ähnlich Bachmann ZIP 2014, 570, 582; Tomasic in Grigoleit, AktG, 1. Aufl. 2013, § 93 Rn. 70. 13   So zutreffend Fleck GmbHR 1997, 237. 14   Bachmann Gutachten zum 70. DJT, 2014, S. E 35 f.; Bayer/Illhardt GmbHR 2011, 751, 754; Meckbach NZG 2015, 580, 584; Paefgen AG 2014, 554, 566; Born in Krieger/ Schneider, Handbuch Managerhaftung, 3. Aufl. 2017, Rn. 14.20; J. Koch in Born/Ghassemi-Tabar/Gehle, MünchHdb. GesR VII, 5. Aufl. 2016, § 30 Rn. 30; Seyfarth Vorstandsrecht, 2016, § 23 Rn. 43; Zöllner/Noack in Baumbach/Hueck, GmbHG, 21. Aufl. 2017, § 43 Rn. 44; Buck-Heeb in Gehrlein/Born/Simon, GmbHG, 3. Aufl. 2017, § 43 Rn. 83; Kleindiek in Lutter/Hommelhoff, GmbHG, 19. Aufl. 2016, § 43 Rn. 55; Schnorbus in Rowedder/Schmidt-Leithoff, GmbHG, 6. Aufl. 2017, § 43 Rn. 88; Uwe H. Schneider/ Crezelius in Scholz, GmbHG, 12. Aufl. 2014, § 43 Rn. 242; Paefgen in Ulmer/Habersack/

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sein Ausscheiden bedingte Informationsnachteil, dass er zunächst sämtliche Unterlagen der Gesellschaft herausgeben muss, wird dem Organmitglied dadurch ausgeglichen, dass die Gesellschaft bei Eingreifen der Grundsätze über die sekundäre Darlegungslast die Umstände, die die Pflichtwidrigkeit des Organhandelns begründen sollen, weitergehend substantiieren muss und dem Beklagten ein materielles Recht auf Einsicht in die für seine Verteidigung maßgeblichen Unterlagen und sonstigen Informationsträger zusteht. Das Organmitglied sollte allerdings während seiner Amtszeit präventiv dafür Sorge tragen, dass er sein Informationsrecht nach dem Ausscheiden effektiv nutzen kann. 1.  Eine teleologische Reduktion der gesetzlich angeordneten Beweislastverteilung scheidet bereits methodisch aus. Eine Rechtsfortbildung im Wege der teleologischen Reduktion setzt eine verdeckte Regelungslücke im Sinne einer planwidrigen Unvollständigkeit des Gesetzes voraus.15 Es ist fernliegend, dass der Gesetzgeber gerade den Regelfall der Anspruchsverfolgung gegen ein bereits ausgeschiedenes Organmitglied nicht bedacht hat.16 Wollte man die Beweislast zugunsten Ausgeschiedener verändern, führte dies zu dem fragwürdigen Ergebnis, dass (beinahe) jedes in Anspruch genommene Organmitglied entgegen der gesetzlichen Vorgabe in den Genuss einer solchen Privilegierung gelangen würde.17 Mit der vorgeschlagenen teleologischen Reduktion würde damit gerade das Gros der Fälle aus dem Anwendungsbereich der gesetzlichen Beweislastverteilung herausgenommen, um derentwillen die Vorschriften überhaupt geschaffen wurden. 2.  Für eine teleologische Reduktion besteht auch kein Bedürfnis. a) Nach der Rechtsprechung des II. Zivilsenats rechtfertigt sich die dargestellte Abweichung von dem Grundsatz der Beweislast des Anspruchstellers für sämtliche anspruchsbegründenden Umstände aus der Erwägung, dass das jeweilige Organmitglied die Umstände seines Verhaltens und damit auch die Gesichtspunkte überschauen kann, die für die Beurteilung der Pflichtmäßigkeit seines Verhaltens sprechen, während die von ihm verwaltete KorporaLöbbe, GmbHG, 2. Aufl. 2014, § 43 Rn. 211; Fleischer in MünchKomm zum GmbHG, 2. Aufl. 2016, § 43 Rn. 274; Dauner-Lieb in Henssler/Strohn, GesR, 3. Aufl. 2016, § 93 AktG Rn. 36; Koch in Hüffer/Koch, AktG, 13. Aufl. 2018, § 93 Rn. 56; Hölters in Hölters AktG, 3. Aufl. 2017, § 93 Rn. 270; Krieger/Sailer-Coceani in K. Schmidt/Lutter, AktG, 3. Aufl. 2015, § 93 Rn. 44; Fleischer in Spindler/Stilz, AktG, 3. Aufl. 2015, § 93 Rn. 224; Spindler in MünchKomm zum AktG, 4. Aufl. 2014, § 93 Rn. 188. 15   BGH, Urteil vom 21. Februar 2017 – XI ZR 185/16, NJW 2017, 1378 Rn. 65 m.w.N. 16  Vgl. Bayer/Illhardt GmbHR 2011, 751, 754; Born in Krieger/Schneider, Handbuch Managerhaftung, 3. Aufl. 2017, Rn. 14.20; J. Koch in Born/Ghassemi-Tabar/Gehle, MünchHdb. GesR VII, 5. Aufl. 2016, § 30 Rn. 30; Paefgen in Ulmer/Habersack/Löbbe, § 43 GmbHG Rn. 211. 17   Bachmann Gutachten E zum 70. DJT, 2014, S. E 36.

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tion in diesem Punkt immer in einer Beweisnot wäre.18 Diese so verstandene Sachnähe des Organmitglieds geht mit der Beendigung seiner Tätigkeit für die Gesellschaft nicht zwangsläufig verloren. Das ausgeschiedene Organmitglied hat zu den Beweggründen seines Handelns einen engeren Bezug als die Gesellschaft, was vor allem in den Fällen zum Tragen kommt, in denen der Vorwurf eine unternehmerische Entscheidung betrifft.19 Auf der anderen Seite ist die Gesellschaft im Prozess gegen das ausgeschiedene Organmitglied nicht automatisch in einer Position der größeren Beweis- und Sachnähe und damit in der Lage, die Pflichtwidrigkeit auch ohne Beweislastumkehr nachzuweisen.20 Das liegt bei nicht oder schlecht dokumentierten Vorgängen auf der Hand. Aber auch im Übrigen ist die Aufklärung potenzieller Organpflichtverletzungen durch interne Ermittlungen nicht nur zeit- und kostenintensiv,21 sondern es können bei der Auswertung von E-Mails oder bei der Mitarbeiterbefragung rechtliche Schranken zu beachten sein.22 b) Für eine teleologische Reduktion zu Gunsten ausgeschiedener Organmitglieder werden zu Unrecht die langen Verjährungsfristen von 5 bzw. 10 Jahren (§ 93 Abs. 6 AktG, § 43 Abs. 4 GmbHG, § 34 Abs. 6 GenG) angeführt. Denn diese treffen aktive und ausgeschiedene Organmitglieder in gleicher Weise. c) Eine Verschlechterung der Prozesssituation des Ausgeschiedenen gegenüber dem Aktiven tritt allerdings insoweit ein, als er keinen unmittelbaren Zugriff auf für seine Verteidigung eventuell erforderliche Informationsträger mehr hat, soweit er diese an die Gesellschaft herausgeben musste. Hauptargument für eine unterschiedliche Beweislastverteilung im Innenhaftungsprozess gegen aktive und ausgeschiedene Organmitglieder ist deshalb auch der mit dem Ausscheiden abgeschnittene Zugang zu den für die Verteidigung maßgeblichen Informationen. Dem Organmitglied ist es nicht erlaubt, vorsorglich die während seiner Amtszeit in seinen Besitz gelangten Informationsträger der Gesellschaft zum Zweck einer späteren Beweisführung aufzubewahren. Es ist dem scheidenden Organmitglied auch nicht erlaubt, die Urkunden und sonstigen Informationsträger zu behalten, die es für seine

  BGH, Urteil vom 4. November 2002 – II ZR 224/00, BGHZ 152, 280, 283 juris Rn. 6.   Fleischer in MünchKomm zum GmbHG, 2. Aufl. 2016, § 43 Rn. 270; Spindler in MünchKomm zum AktG, 4. Aufl. 2014, § 93 Rn. 188. 20  So Foerste ZHR 176 (2012), 221, 225 f. m.w.N. 21   Vgl. etwa Lüneborg/Resch NZG 2018, 209. 22  Vgl. Wilsing/Goslar in Krieger/Schneider, Handbuch Managerhaftung, 3. Aufl. 2017, Rn. 15.38 ff. 18 19

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Verteidigung benötigt, wenn sich bei seinem Ausscheiden bereits abzeichnet, dass Haftungsansprüche geltend gemacht werden sollen.23 Organmitglieder sind nach Beendigung ihrer Amtszeit gemäß §§ 675, 666, 667 BGB oder nach dem Grundgedanken dieser Regelungen verpflichtet, der Gesellschaft über die in ihren Besitz gelangten Informationsträger Auskunft zu erteilen und sie herauszugeben.24 Dies gilt auch für Duplikate oder Ko­pien.25 Die Gesellschaft hat ein berechtigtes Interesse daran, dass ihre Dokumente bzw. deren Mehrfertigungen und sonstige Informationsträger nicht bei ausgeschiedenen Organmitgliedern verstreut bleiben und in unbefugte Hände geraten können. Dabei geht es nicht nur um geheimhaltungsbedürftige, sondern auch um sonstige Informationen, die aus gegebenem Anlass einzeln oder in ihrer Zusammenstellung eine im vorhinein nicht abzuschätzende Bedeutung erlangen können.26 Gegen die Verpflichtung eines ausscheidenden Organmitglieds zur Rückgabe der in seinen Besitz gelangten Informationsträger spricht nicht die bloß abstrakte Möglichkeit, von der Gesellschaft noch wegen etwaiger Fehler der Amtsführung auf Schadensersatz in Anspruch genommen zu werden und dann zu seiner Verteidigung auf diese angewiesen zu sein, so dass er die Rückgabe „prophylaktisch“ bis zum Ablauf der Verjährungsfrist verweigern könnte.27 Das Herausgabeverlangen der Gesellschaft wird grundsätzlich auch nicht rechtsmissbräuchlich, wenn ein Organhaftungsprozess bereits anhängig ist und es sich auf diejenigen Informationsträger bezieht, in die dem Beklagten ein Einsichtsrecht zusteht (hierzu unten IV. 2. d) cc).28 Denn das Organmitglied hat kein Recht auf Herausgabe und damit in der geschilderten Konstellation auch kein Recht darauf, bei ihm verbliebene Informationsträger zu behalten. Die Herausgabepflicht gilt indes nicht ausnahmslos. Soweit das ausgeschiedene Organmitglied einen Anspruch auf Einsicht hat, ist ihm das Recht zuzubilligen, zur seiner sachgerechten Verteidigung Kopien zu fertigen.29 Danach 23  So Finkel/Ruchatz BB 2017, 519, 520 m.w.N.; Ziemons in Ziemons/Binnewies, Handbuch AG, Lfg. 69 August 2015, Rn. I 8.432; Bürgers in Bürgers/Körber, AktG, 4. Aufl. 2017, § 93 Rn. 29; ähnlich Freund NZG 2015, 1419, 1420 f.; a.A. Hauptmann AG 2017, 329, 330. 24   BGH, Urteil vom 3. Dezember 1962 – II ZR 63/60, BeckRS 1962, 31183056 = WM 1963, 161; BGH, Urteil vom 11. Juli 1968 – II ZR 108/67, WM 1968, 1325 juris Rn. 61; BGH, Beschluss vom 7. Juli 2008 – II ZR 71/07, AG 2008, 743 Rn. 3. 25   BGH, Beschluss vom 7. Juli 2008 – II ZR 71/07, AG 2008, 743 Rn. 9; a.A. Ziemons in Ziemons/Binnewies, Handbuch AG, Lfg. 69 August 2015, Rn. I 8.431. 26   BGH, Beschluss vom 7. Juli 2008 – II ZR 71/07, AG 2008, 743 Rn. 3. 27   BGH, Beschluss vom 7. Juli 2008 – II ZR 71/07, AG 2008, 743 Rn. 5; zustimmend Ruchatz AG 2015, 1, 2. 28   So etwa Ruchatz AG 2015, 1, 2; Fleischer in Spindler/Stilz, AktG, 3. Aufl. 2015, § 84 Rn. 82; Wiesner in Münch.Hdb.GesR IV, 4. Aufl. 2015, § 21 Rn. 102. 29  Vgl. Freund NJW 2015, 1419, 1420 f.; Grooterhorst AG 2011, 389, 397; Ruchatz AG 2015, 1, 4; vgl. zu § 810 BGB Habersack in MünchKomm zum BGB, 7. Aufl. 2017, § 810 Rn. 13.

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ist es als Verstoß gegen Treu und Glauben zu werten, wenn eine Gesellschaft von einem ausgeschiedenen Organmitglied während eines bereits anhängigen Innenhaftungsprozesses die Herausgabe von Kopien verlangt, auf deren Fertigung letzterer zur Beweisführung ohnehin einen Anspruch hat (dolo agit qui petit, quod statim redditurus est).30 Voraussetzung für ein Behaltendürfen solcher Kopien ist es, dass die Gesellschaft über die originalen Informationsträger verfügt und der Beklagte pflichtgemäß Auskunft gibt (§ 666 BGB), welche Kopien sich in seinem Besitz befinden. Unter diesen engen Voraussetzungen kann das in Anspruch genommene Organ im anhängigen Prozess die Herausgabe der zu seiner Verteidigung erforderlichen Kopien verweigern.31 d) Ein durch das Ausscheiden des Organmitglieds entstehendes Informationsdefizit wird jedoch dadurch kompensiert, dass die Gesellschaft im Rahmen ihrer sekundären Darlegungslast das sich als möglicherweise pflichtwidrig darstellende Verhalten stärker substantiieren muss (hierzu unter bb) und dass sie dem Beklagten in dem zu seiner Verteidigung erforderlichen Umfang Einsicht in die dafür maßgeblichen Informationen zu gewähren hat (hierzu unter cc).32 Zur Sicherung dieses Informationsrechts sollte das Organmitglied während seiner Amtszeit präventive Maßnahmen ergreifen (hierzu unter dd). aa) Die Gesellschaft hat auch gegenüber noch aktiven Organmitgliedern das schadensverursachende Verhalten des Geschäftsleiters in seinem Pflichtenkreis, das als pflichtwidrig überhaupt in Betracht kommt, sich also insofern als „möglicherweise“ pflichtwidrig darstellt, substantiiert darzulegen.33 Sie trifft insoweit eine sich an den Umständen des Einzelfalls orientierende Substantiierungspflicht.34 Eine weitergehende Substantiierung wird erforderlich, wenn der Gegenvortrag dazu Anlass bietet.35 Der Umfang der Substantiierungspflicht der Gesellschaft ist zudem abhängig von der Art des möglicherweise pflichtwidrigen Verhaltens und von der Art des eingetretenen Schadens.   Vgl. BGH, Urteil vom 21. Dezember 1989 – X ZR 30/89, BGHZ 110, 30 – Marder.  Weitergehend Freund NJW 2015, 1419, 1420 f. 32   BGH, Urteil vom 4. November 2002 – II ZR 224/00, BGHZ 152, 280, 285 juris Rn. 9; BGH, Beschluss vom 7. Juli 2008 – II ZR 71/07, AG 2008, 743 Rn. 5. 33  BGH, Urteil vom 4. November 2002 – II ZR 224/00, BGHZ 152, 280, 284 juris Rn. 8; Goette ZGR 24 (1995), 648, 671 ff.; Werner GmbHR 2013, 68, 69; Altmeppen in Roth/Altmeppen, GmbHG, 8. Aufl. 2015, § 43 Rn. 111; Ziemons in Michalski/Heidinger/ Leible/J. Schmidt, GmbHG, 3. Aufl. 2017, § 43 Rn. 474, 475; Paefgen in Ulmer/Habersack/ Löbbe, GmbHG, 2. Aufl. 2014, § 43 Rn. 208; Krieger/Sailer-Coceani in K. Schmidt/Lutter, AktG, 3. Aufl. 2015, § 93 Rn. 41. 34   Goette ZGR 24 (1995), 648, 671 ff.; Born in Krieger/Schneider, Handbuch Managerhaftung, 3. Aufl. 2017, Rn. 14.19; J. Koch in Born/Ghassemi-Tabar/Gehle, MünchHdb. GesR VII, 5. Aufl. 2016, § 30 Rn. 28; Oettker in Henssler/Strohn, GesR, 3. Aufl. 2016, § 43 GmbhG Rn. 59. 35   BGH, Beschluss vom 25. Juni 2008 – II ZR 133/07, ZIP 2008, 1872 Rn. 4. 30 31

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Die Intensität der Substantiierungspflicht der Gesellschaft kann herabgesetzt sein, wenn der Schaden typischerweise auf einem Verhalten beruht, das in den Verantwortungsbereich des betreffenden Organmitglieds fällt.36 Die Substantiierungspflicht der Gesellschaft kann ganz entfallen, wenn der Schaden, wie etwa in Fehlbestandsfällen, typischerweise auf einer Pflichtverletzung beruht.37 Behauptet die Gesellschaft, eine an sich wertneutrale Handlung sei pflichtwidrig, trägt sie eine gesteigerte Vortragslast. Die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs darf nicht in dem Sinn verstanden werden, dass jedes Handeln im Pflichtenkreis des Organmitglieds „möglicherweise“ pflichtwidrig ist. Der Bundesgerichtshof hat vielmehr ausgeführt, die Gesellschaft treffe die Darlegungs- und Beweislast für einen Schaden und dessen Verursachung durch ein Verhalten des Geschäftsleiters in seinem Pflichtenkreis, das als pflichtwidrig überhaupt in Betracht kommt, sich also insofern als „möglicherweise“ pflichtwidrig darstellt.38 Bei wertneutralen Handlungen, die als solche keinen ausreichenden Anhaltspunkt dafür liefern, dass das Organmitglied bei Vornahme der Handlung auch nur „möglicherweise“ seine Pflichten als Geschäftsleiter verletzt hat, hat die Gesellschaft daher weitere Umstände darzulegen, die zumindest den Anschein begründen, dass das Verhalten des Vorstandsmitglieds pflichtwidrig gewesen sein könnte.39 So reicht es etwa nicht aus, vorzutragen, dass die Vorstände einer Hypothekenbank in der Rechtsform einer Aktiengesellschaft Zinsderivategeschäfte abgeschlossen haben, wenn der Abschluss solcher Geschäfte einer Hypothekenbank in einem gesetzlich geregelten Umfang gestattet war. Die Gesellschaft legt ein möglicherweise pflichtwidriges Verhalten nur dann dar, wenn sie vorträgt, dass die Bank unter der Leitung ihrer Vorstände Zinsderivategeschäfte abgeschlossen hat, die über diesen gestatteten Umfang hinausgehen.40 bb) Die soeben dargestellte, für Prozesse gegen aktive und ausgeschiedene Organmitglieder gleichermaßen geltende Substantiierungspflicht der Gesell36   Born in Krieger/Schneider, Handbuch Managerhaftung, 3. Aufl. 2017, Rn. 14.10; Mertens/Cahn in Kölner Kommentar zum AktG, 3. Aufl. 2010, § 93 Rn. 142; Hopt/M. Roth in Großkomm. AktG, 5. Aufl. 2015, § 93 AktG Rn. 434 f. 37   Born in Krieger/Schneider, Handbuch Managerhaftung, 3. Aufl. 2017, Rn. 14.22; Ziemons in Michalski/Heidinger/Leible/J. Schmidt, GmbHG, 3. Aufl. 2017, § 43 Rn. 477; vgl. BGH, Urteil vom 4. November 2002 – II ZR 224/00, BGHZ 152, 280, 284 juris Rn. 8. 38   BGH, Urteil vom 4. November 2002 – II ZR 224/00, BGHZ 152, 280, 284 juris Rn. 8; vgl. die Darstellung von Goette ZGR 24 (1995), 648, 671 ff.; Paefgen in Ulmer/Habersack/ Löbbe, GmbHG, 2. Aufl. 2014, § 43 Rn. 208. 39   OLG Nürnberg, Beschluss vom 28. Oktober 2014 – 12 U 567/13, AG 2015, 91, 92 zur Reisekostenerstattung; Goette ZGR 24 (1995), 648, 671 ff.; Dauner-Lieb in Henssler/ Strohn, GesR, 3. Aufl. 2016, § 93 AktG Rn. 36; Schnorbus in Rowedder/Schmidt-Leithoff, GmbHG, 6. Aufl. 2017, § 43 Rn. 85; vgl. a.A. Fleischer/Bauer ZIP 2015, 1901, 1907 f.; Bauer NZG 2015, 549 ff. 40   BGH, Urteil vom 15. Januar 2013 – II ZR 90/11, AG 2013, 259 Rn. 16 f.

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schaft kann sich im Prozess gegen den Ausgeschiedenen über die Grundsätze der sekundären Darlegungslast verschärfen.41 Das ausgeschiedene Organmitglied kann von der Gesellschaft eine weitergehende Substantiierung der Umstände, die die Pflichtwidrigkeit seines Verhaltens begründen sollen, verlangen, sofern und soweit er aufgrund seines Ausscheidens außerhalb des von ihm vorzutragenden Geschehensablaufs steht und deshalb keine nähere Kenntnis der maßgeblichen Umstände mehr besitzt, während die Gesellschaft die wesentlichen Tatsachen kennt oder unschwer in Erfahrung bringen kann und es ihr zumutbar ist, nähere Angaben zu machen.42 Liegt eine solche Situation vor, muss das Organmitglied je nach den konkreten Umständen des Einzelfalls mehr oder weniger starke Anhaltspunkte dafür vortragen, dass sein Verhalten nicht pflichtwidrig war, um die sekundäre Darlegungslast der Gesellschaft auszulösen.43 Bei den an das Organmitglied zu stellenden Darlegungsanforderungen ist zu berücksichtigen, wieviel Zeit seit dem dem ausgeschiedenen Organmitglied vorgeworfenen, möglicherweise pflichtwidrigen Verhalten vergangen ist. Ob der Parteivortrag der Gesellschaft der sekundären Darlegungslast genügt, hat der Tatrichter im Einzelfall zu beurteilen. Dabei ist zu beachten, dass sich der Umfang der sekundären Darlegungslast der Gesellschaft einerseits nach der Intensität des Sachvortrags des beklagten Organs richtet und er andererseits seine Grenze in der Zumutbarkeit der die Gesellschaft treffende Offenbarungspflicht findet.44 Im Rahmen des Zumutbaren kann die Gesellschaft zu Nachforschungen verpflichtet sein.45 An die Erfüllung der sekundären Darlegungslast dürfen allerdings keine die Verteilung der Vortragslast umkehrenden Anforderungen gestellt werden.46 Bei Nichterfüllung der sekundären Darlegungslast durch die Gesellschaft gilt die Behauptung des Organs trotz ihrer mangelnden Substantiierung als unbestritten i.S.d. § 138 Abs. 3 ZPO.47 An der Verteilung der Beweislast ändert die sekundäre Darlegungslast nichts. 41   BGH, Urteil vom 4. November 2002 – II ZR 224/00, BGHZ 152, 280, 285 juris Rn. 9; BGH, Beschluss vom 7. Juli 2008 – II ZR 71/07, AG 2008, 743 Rn. 5; Werner GmbHR 2013, 68, 69; Kleindiek in Lutter/Hommelhoff, GmbHG, 19. Aufl. 2016, § 43 Rn. 55. 42   Vgl. BGH, Urteil vom 17. Januar 2008 – III ZR 239/06, NJW 2008, 982 Rn. 16 m.w.N.; BGH, Urteil vom 3. Mai 2016 – II ZR 311/14, GmbHR 2016, 806 Rn. 19 m.w.N.; BGH, Beschluss vom 5. Januar 2017 – VII ZR 184/14, BauR 2017, 721 Rn. 19. 43   Vgl. BGH, Urteil vom 13. Juni 2012 – I ZR 87/11, NJW 2012, 3774 Rn. 17 f.; BGH, Urteil vom 17. Dezember 2014 – IV ZR 90/13, NJW 2015, 947 Rn. 20. f.; vgl. das Beispiel von Krieger in Festschrift Uwe H. Schneider, 2011, S. 717, 720 f. 44   Born in Krieger/Schneider, Handbuch Managerhaftung, 3. Aufl. 2017, Rn. 14.2; BGH, Urteil vom 3. Mai 2016 – II ZR 311/14, GmbHR 2016, 806 Rn. 20 m.w.N. 45   BGH, Urteil vom 13. Juni 2012 – I ZR 87/11, NJW 2012, 3774 Rn. 18; BGH, Urteil vom 8. Januar 2014 – I ZR 169/12, BGHZ 200, 76 Rn. 18. 46   BGH, Urteil vom 18. April 2005 – II ZR 61/03, GmbHR 2005, 874, 875 f.; BGH, Urteil vom 3. Mai 2016 – II ZR 311/14, GmbHR 2016, 806 Rn. 20. 47   Vgl. BGH, Urteil vom 17. Januar 2008 – III ZR 239/06, NJW 2008, 982 Rn. 15; BGH, Urteil vom 13. Juni 2012 – I ZR 87/11, NJW 2012, 3774 Rn. 20.

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Genügt die Gesellschaft ihrer sekundären Darlegungslast, ist die weitere Beweisführung Sache des Organs. Die zum Bundesgerichtshof gelangten Fälle zeigen, dass von Seiten der Gesellschaft, schon um den Prozess zu gewinnen, häufig eher mehr vorgetragen wird als zu wenig und sie das dem Beklagten vorgeworfene pflichtwidrige Verhalten sehr ausführlich schildert.48 Es stellt sich daher aus diesem Blickwinkel die Frage, ob es sich bei der Diskussion über die an die Gesellschaft zu stellenden Substantiierungsanforderungen nicht um eine vorwiegend theoretische handelt. cc) Daneben wird der durch das Ausscheiden des Organmitglieds unter Umständen zu seinen Lasten eintretende Verlust des Zugriffs auf die erforderlichen Informationen durch ein ihm zukommendes materielles Informationsrecht ausgeglichen. Soweit zu seiner Verteidigung erforderlich, hat die Gesellschaft dem ausgeschiedenen Organmitglied Einsicht in die dafür maßgeblichen Unterlagen (verkörperte und elektronische) zu gewähren.49 Solange die Gesellschaft die Einsicht ohne rechtfertigenden Grund verweigert, kann sie sich entsprechend den Regeln über die Beweisvereitelung nicht auf die Beweislastumkehr berufen.50 Die konkrete Reichweite des Informationsrechts ist streitig51 und bedarf zur rechtssicheren Handhabe noch der weiteren Ausgestaltung durch die   Vgl. BGH, Urteil vom 4. November 2002 – II ZR 224/00, BGHZ 152, 280, 285 f. juris Rn. 12; BGH, Beschluss vom 18. Februar 2008 – II ZR 62/07, ZIP 2008, 736 Rn. 4, 5; BGH, Urteil vom 15. Januar 2013 – II ZR 90/11, AG 2013, 259. 49   BGH, Urteil vom 4. November 2002 – II ZR 224/00, BGHZ 152, 280, 285 juris Rn. 9; BGH, Beschluss vom 7. Juli 2008 – II ZR 71/07, AG 2008, 743 Rn. 5; zu hier nicht behandelten prozessualen Möglichkeiten vgl. Foerster ZHR 176 (2012), 221, 237; Grooterhorst AG 2011, 389, 390; Werner GmbHR 2013, 68, 69 f.; Krieger in Festschrift Uwe H. Schneider, 2011, S. 717, 722. 50   Bayer/Illhardt GmbHR 2011, 751, 754; Krieger in Krieger/Schneider, Handbuch Managerhaftung, 3. Aufl. 2017, Rn. 3.40; Kleindiek in Lutter/Hommelhoff, GmbHG, 19. Aufl. 2016, § 43 Rn. 55; Ziemons in Michalski/Heidinger/Leible/J. Schmidt, GmbHG, 3. Aufl. 2017, § 43 Rn. 491; Uwe H. Schneider/Crezelius in Scholz, GmbHG, 11. Aufl. 2014, § 43 Rn. 242; Hölters in Hölters, AktG, 3. Aufl. 2017, § 93 AktG Rn. 270 (Treu und Glauben); Krieger/Sailer-Coceani in K. Schmidt/Lutter, AktG, 3. Aufl. 2015, § 93 Rn. 44; Spindler in MünchKomm zum AktG, 4. Aufl. 2014, § 93 Rn. 188 (entsprechende Anwendung der Regeln des Arzthaftungrechts); Mertens/Cahn in Kölner Kommentar zum AktG, 3. Aufl. 2010, § 93 Rn. 147 (bis hin zur Umkehr der Beweislast); a.A. Werner GmbHR 2013, 68, 69, 73. 51  Vgl. Foerster ZHR 176 (2012), 221, 233 f.; Werner GmbHR 2013, 68, 71; Beschränkung durch die Beweislast: Krieger in Krieger/Schneider, Handbuch Managerhaftung, 3. Aufl. 2017, Rn. 3.40; ders. in Festschrift Uwe H. Schneider, 2011, S. 717, 726; Spindler in MünchKomm zum AktG, 4. Aufl. 2014, § 93 Rn. 188; ähnlich Freund NJW 2015, 1419, 1421; weitergehend: Seyfarth, Vorstandsrecht, 2016, § 23 Rn. 47; Deilmann/Otte BB 2011, 1291, 1293; Grooterhorst AG 2011, 389, 396; sehr weit, alle Unterlagen, auf die das Organmitglied in seiner aktiven Zeit zugreifen konnte: Finkel/Ruchatz BB 2017, 519, 522; Foerster ZHR 176 (2012), 221, 235; Ruchatz AG 2015, 1, 2 f. 48

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Rechtsprechung. Vom Einsichtsrecht jedenfalls nicht erfasst sind Unterlagen, die die Gesellschaft nach dem Ausscheiden des Vorstandsmitglieds hat anfertigen lassen, insbesondere solche, die dazu dienen, die Geltendmachung etwaiger Ansprüche zu überprüfen, wie etwa interne Untersuchungsprotokolle, Ergebnisse von Mitarbeiterbefragungen oder eingeholte Rechtsgutachten zur Frage der Organhaftung.52 Entgegen einer teilweise unter Berufung auf ein Urteil des Bundesgerichtshofs53 zur Kommanditgesellschaft geäußerten Auffassung im Schrifttum, ist die Gesellschaft nicht berechtigt, die Unterlagen nur einem zur Verschwiegenheit verpflichteten Sachverständigen zur Einsicht zugänglich machen.54 Die Einsichtnahme eines Sachverständigen kann gerade in einem Schadensersatzprozess die Einsichtnahme durch das Organmitglied nicht ersetzen, weil dieser die Bedeutung und Tragweite einzelner Unterlagen für seine Verteidigung am besten einschätzen kann.55 Nicht unüblich ist die Gewährung der Einsichtnahme in einem speziell hierfür eingerichteten Datenraum.56 Die Darlegungslast für die Erforderlichkeit der Einsicht zu seiner zweckentsprechenden Verteidigung liegt bei dem Beklagten,57 wobei die Darlegungsnot des Ausgeschiedenen berücksichtigt werden muss.58 Der Anspruch wird auf § 810 BGB sowie daneben auf § 242 BGB i.V.m. der nachwirkenden Treuepflicht gestützt.59 Deshalb sind die strengen Bezeichnungspflichten,

52   Deilmann/Otte BB 2011, 1291, 1293; Krieger in Festschrift Uwe H. Schneider, 2011, S. 717, 727 f.; Ruchatz AG 2015, 1, 3; Werner GmbHR 2013, 68, 71 f.; Krieger in Krieger/ Schneider, Handbuch Managerhaftung, 3. Aufl. 2017, Rn. 3.40; Seyfarth, Vorstandsrecht, 2016, § 23 Rn. 48; Spindler in MünchKomm zum AktG, 4. Aufl. 2014, § 93 Rn. 188. 53   BGH, Urteil vom 2. Juli 1979 – II ZR 213/78, DB 1979, 1837. 54   So etwa Hopt/M. Roth in Großkomm. AktG, 5. Aufl. 2015, § 93 AktG Rn. 448. 55   Hölters in Hölters, AktG, 3. Aufl. 2017, § 93 AktG Rn. 270. 56   Ruchatz AG 2015, 1, 4; Seyfarth, Vorstandsrecht, 2016, § 23 Rn. 47. 57   Krieger in Festschrift Uwe H. Schneider, 2011, S. 717, 726; Werner GmbHR 2013, 68, 71; Seyfarth, Vorstandsrecht, 2016, § 23 Rn. 46; Schnorbus in Rowedder/Schmidt-Leithoff, GmbHG, 6. Aufl. 2017, § 43 Rn. 88. 58   Bachmann Gutachten E zum 70. DJT, 2014, S. E 36. 59  Vgl. Grooterhorst AG 2011, 389, 395; Meckbach NZG 2015, 580, 582; Ruchatz AG 2015, 1, 2; Krieger in Krieger/Schneider, Handbuch Managerhaftung, 3. Aufl. 2017, Rn. 3.40; ausführlich ders. in Festschrift Uwe H. Schneider, 2011, S. 717, 722 ff.; J. Koch in Born/ Ghassemi-Tabar/Gehle, MünchHdb. GesR VII, 5. Aufl. 2016, § 30 Rn. 30; Altmeppen in Roth/Altmeppen, GmbHG, 8. Aufl. 2015, § 43 Rn. 111 (§ 810 BGB); Schnorbus in Rowedder/Schmidt-Leithoff, GmbHG, 6. Aufl. 2017, § 43 Rn. 88; Paefgen in Ulmer/Habersack/ Löbbe, GmbHG, 2. Aufl. 2014, § 43 Rn. 211 (§ 810 BGB); Fleischer in MünchKomm zum GmbHG, 2. Aufl. 2016, § 43 Rn. 274; Koch in Hüffer/Koch, AktG, 13. Aufl. 2018, § 93 Rn. 56; Hölters in Hölters, AktG, 3. Aufl. 2017, § 93 Rn. 270; Krieger/Sailer-Coceani in K. Schmidt/Lutter, AktG, 3. Aufl. 2015, § 93 Rn. 44 (unabhängig von § 810 BGB); Spindler in MünchKomm zum AktG, 4. Aufl. 2017, § 93 Rn. 188; Fleischer in Spindler/Stilz, AktG, 3. Aufl. 2015, § 93 Rn. 224; Mertens/Cahn in Kölner Kommentar zum AktG, 3. Aufl. 2010, § 93 Rn. 147.

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wie sie der Bundesgerichtshof bei der direkten Anwendung des § 810 BGB verlangt,60 nicht anwendbar. Das Informationsrecht entfällt nicht deshalb, weil die Gesellschaft ihrer sekundären Darlegungslast nachgekommen ist, sondern besteht daneben.61 Durch die Erfüllung des Informationsanspruchs entledigt sich die Gesellschaft nicht automatisch ihrer sekundären Darlegungslast.62 Die sekundäre Darlegungslast der Gesellschaft kann aber entfallen, weil deren Voraussetzungen aufgrund der verbesserten Informationslage des Organmitglieds nach der Einsicht nicht mehr gegeben sind, wenn und soweit der Beklagte durch die Einsicht wieder innerhalb des von ihm vorzutragenden Geschehensablaufs gestellt wurde (vgl. oben IV. 2. d) bb). Dies ist im Einzelfall zu prüfen. dd) Um den eben dargestellten Informationsanspruch effektiv nutzen zu können, muss das Organmitglied vorbeugen. Zum einen kann er alle maßgeblichen Entscheidungsgrundlagen und Entscheidungsprozesse dokumentieren und in der Gesellschaft archivieren.63 Weiter muss er sich den Zugriff auf die Dokumentation mittelbar sichern. Vorbehaltlich hier nicht erörterter vertraglicher Gestaltungsmöglichkeiten64 kann das Organmitglied bei Vorgängen, die Haftungsrisiken bergen, eine Metadokumentation über die Korrespondenz, Vermerke, Gesprächsnotizen, Vertragsentwürfe, Vorlagen etc. anfertigen. Erforderlich, aber auch ausreichend ist ein Verzeichnis der für mögliche Haftungsfälle relevanten papiernen oder elektronischen Unterlagen nebst deren Aufbewahrungs- bzw. Speicherort, um ggf. in der Lage zu sein, die von der Gesellschaft im Prozess vorzulegenden Urkunden genau zu bezeichnen.65 Dieses Verzeichnis muss soweit reduziert sein, dass es dem Herausgabeanspruch der Gesellschaft standhält. Damit kann dem von Foerster66 angesprochenen Problem begegnet werden, dass es nach langer Zeit nicht mehr möglich ist, die maßgeblichen Unterlagen aus der Erinnerung zu rekonstruieren.

  Vgl. BGH, Urteil vom 27. Mai 2014 – XI ZR 264/13, NJW 2014, 3312.  Ebenso Foerster ZHR 176 (2012), 221, 242. 62   So aber Foerster ZHR 176 (2012), 221, 231 f. 63   Finkel/Ruchatz BB 2017, 519; Foerster ZHR 176 (2012), 221, 236; Freund NZG 2015, 1419, 1424; Ziemons in Ziemons/Binnewies, Handbuch AG, Lfg. 74 November 2016, Rn. I 8.1026. 64  Vgl. Bachmann Gutachten E zum 70. DJT, 2014, S. E 37 m.w.N.; Meckbach NZG 2015, 580 ff. 65   Vgl. mit Unterschieden im Umfang der empfohlenen Dokumentation Deilmann/Otte BB 2011, 1291, 1293; Finkel/Ruchatz BB 2017, 519 ff.; Lange GmbHR 2015, 1252, 1260 f.; Loritz/Wagner DStR 2012, 2189, 2194; Meckbach NZG 2015, 580, 585; Ziemons in Michalski/Heidinger/Leible/J. Schmidt, GmbHG, 3. Aufl. 2017, § 43 Rn. 491; dies. in Ziemons/ Binnewies, Handbuch AG, Lfg. 69 August 2015, Rn. I 8.432a, I 8.579. 66  Vgl. Foerster ZHR 176 (2012), 221, 235; Ruchatz AG 2015, 1, 4. 60 61

Haftung aus Zahlungsverboten und Deckung durch D&O Versicherungen

Drahtseilakt ohne Sicherung? Die Haftung aus den Zahlungsverboten nach §§ 64 S. 1 GmbHG, 92 Abs. 2 AktG und die Deckung durch die D&O Versicherung Moritz Brinkmann Durch das MoMiG wurden bekanntlich einige Materien aus dem Gesellschaftsrecht in das Insolvenzrecht verlagert, so etwa das Gesellschafterdarlehensrecht und die Insolvenzantragspflicht. Formal im Gesellschaftsrecht verblieben ist das Verbot von Zahlungen nach Eintritt der Insolvenzreife aus § 64 GmbHG, § 130a HGB und § 92 Abs. 2 i.V.m. § 93 Abs. 3 Nr. 6 AktG. Der Sache nach handelt es sich allerdings auch bei diesen Tatbeständen um Insolvenzrecht, wie der EuGH im Jahr 2014 in der Rechtssache H ./. H. K.1 und Kornhaas2 bestätigt hat. Schon diese Zwitterstellung der sogenannten Zahlungsverbote, die gesetzes­ technisch und gerichtsorganisatorisch – für diese Ansprüche ist der II. Zivilsenat zuständig! – dem Gesellschaftsrecht zugeordnet sind, bei denen es sich aber materiell um Insolvenzrecht handelt, lassen sie als besonders geeignetes Thema für einen Beitrag aus der Feder eines Insolvenzrechtlers zur Ehrung des langjährigen Vorsitzenden des II. Zivilsenats erscheinen. Die §§ 64 GmbHG und 92, 93 AktG drängen sich aber auch deshalb als Thema auf, weil hier einige aktuelle Entwicklungen aufzuzeigen sind, die für das effektive Haftungsrisiko von Geschäftsführungsorganen von großer Bedeutung sind.

I. Überblick Zu Beginn soll die praktische Relevanz der Zahlungsverbote in Erinnerung gerufen werden. Anschließend wird der Anwendungsbereich dieser Vorschriften skizziert werden, um vor diesem Hintergrund schließlich insbesondere die derzeit umstrittene Frage zu beleuchten, inwieweit die D&O Versicherung des Organs etwaige Ansprüche, die vom Insolvenzverwalter gegen das Organ geltend gemacht werden, abdeckt. Hier wird sich erweisen, inwieweit der Geschäftsführer tatsächlich ohne Sicherung agiert.   EuGH, Urt. v. 04.12.2014 – C-295/13, ZIP 2015, 196.   EuGH, Urt. v. 10.12.2015 – C-594/14, NZI 2016, 48.

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II.  Bedeutung der §§ 64 GmbHG und 92 Abs. 2 AktG In der Praxis ist die Insolvenzverschleppung, also das Unterlassen der Antragstellung nach Eintritt der Insolvenzreife, trotz der Straf- und Haftungsbewehrung eher der Regel- als der Ausnahmefall.3 Über die Frage, warum die Geschäftsführer so anreizresistent sind, lässt sich lange spekulieren. Das mag an einem optimism bias,4 verstärkt durch einen (nicht nur bei Managern) verbreiteten Hang zur Selbstüberschätzung, liegen. Es könnte auch eine Rolle spielen, dass jedenfalls die Überschuldung als Auslöser der Antragspflicht gleichsam geruch- und geräuschlos eintritt. Während der Geschäftsführer den Eintritt der Zahlungsunfähigkeit etwas vereinfacht gesagt sofort dadurch spürt, dass der Griff in die Kasse ins Leere geht, wird er häufig nicht unmittelbar merken, dass die Gesellschaft in die Überschuldung gerutscht ist, denn sowohl der Vorzeichenwechsel bei der Fortführungsprognose als auch der Eintritt rechnerischer Überschuldung – dies sind die beiden Elemente des sogenannten zweistufigen Überschuldungsbegriffs5 – erfolgen gleichsam schleichend, jedenfalls ohne offensichtliche, mit Händen zu greifende Effekte zu erzeugen. In mehr oder weniger jedem Insolvenzverfahren wird der Insolvenzverwalter daher prüfen, ob gegen die Geschäftsleiter Ansprüche wegen Insolvenzverschleppung bestehen, und nicht selten wird diese Prüfung positiv ausfallen. Dabei werden heutzutage praktisch ausschließlich Ansprüche nach §§ 64 GmbHG, 92 Abs. 2 i.V.m. 93 Abs. 3 Nr. 6 AktG geltend gemacht. Die zivilrechtliche Insolvenzverschleppungshaftung nach § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. der seit dem MoMiG in § 15a InsO geregelten Insolvenzantragspflicht spielt in der Praxis kaum eine Rolle. Die Gründe hierfür seien kurz in Erinnerung gerufen: Im Jahr 1994 hatte der II. Zivilsenat über Ansprüche einer Gläubigerin wegen Insolvenzverschleppung zu urteilen, deren Insolvenzforderungen also erst nach Insolvenz­reife begründet worden waren, so dass es sich um eine sogenannte „Neugläubigerin“ handelte. Der II. Zivilsenat entschied, dass die Gläubigerin auch wegen der Schäden aus solchen Neuforderungen Ansprüche gegen den Geschäftsführer nach § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. mit der Insolvenzantragspflicht habe.6 Sie könne insoweit aber nicht nur ihren Quotenschaden, sondern ihren Kontrahierungsschaden, also ihr negatives Interesse, ersetzt ver-

 Vgl. Bitter/Röder ZInsO 2009, 1283, 1286 f.   Hiermit bezeichnet die psychologische Fachwelt eine den meisten Menschen eigene optimistische Verzerrung der Realität, vgl. insbesondere die Forschung von Tali Sharot, The optimism bias, 2012. 5   Vgl. nur Karsten Schmidt in K. Schmidt InsO, § 19 Rn. 13; ausführlich Drukarczyk/ Schüler in MüKo-InsO, § 19 Rn. 51 ff. 6   BGHZ 126, 181. 3 4

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langen, denn hätte das Organ die Antragspflicht erfüllt, wäre die Klägerin gar nicht erst Gläubigerin geworden. Zum Problem für die Rechtsdurchsetzung wird diese Rechtsprechung i.V.m. § 92 InsO. Nach dieser Vorschrift ist der Insolvenzverwalter befugt, die Ansprüche wegen Insolvenzverschleppung anstelle der Gläubiger, die materiellrechtlich Inhaber dieser Ansprüche sind, geltend zu machen und zur Masse zu ziehen. Aus der Außenhaftung der Organe wird durch § 92 InsO eine quasi-Innenhaftung gegenüber der Masse. In diesem Zusammenhang entschied der II. Zivilsenat im Jahr 1998, dass die Neugläubiger mit ihrem Kontrahierungsschaden nicht an dieser Haftungsabwicklung über die Masse teilnehmen.7 Sie würden ausschließlich einen Individualschaden erleiden, so dass diese Forderungen bei der Berechnung des vom Verwalter nach § 92 InsO zu verlangenden Quotenschadens nicht zu berücksichtigen seien. Diese Entscheidung bedeutete in der Praxis das Aus für die auf § 823 Abs. 2 BGB gestützte zivilrechtliche Insolvenzverschleppungshaftung. Denn nunmehr ist der Insolvenzverwalter gezwungen, sich schon im Zeitpunkt der Erhebung der Klage festzulegen, welche Ansprüche Alt- und welche Neuforderungen sind. Das macht ein Vorgehen aus § 823 Abs. 2 BGB für den klagenden Verwalter so kompliziert und risikoreich, dass es sich bei diesen Ansprüchen heute praktisch um totes Recht handelt.8 Nachdem der BGH so also eines der bis dato wichtigsten Instrumente der Insolvenzverwalter zur Wiederauffüllung der Masse – gewiss versehentlich – unbrauchbar gemacht hatte, „entdeckten“ die Insolvenzverwalter die §§ 64 GmbHG, 92 AktG und entwickelten aus diesen Vorschriften mit Unterstützung der Rechtsprechung eine weitaus mächtigere Waffe, die die Geschäftsführer einem enormen Haftungsrisiko aussetzt. Wer sich also wundert, warum die Haftung aus § 64 GmbHG in seiner Studienzeit praktisch keine Rolle spielte und wie es kommt, dass solche Klagen heute die Praxis dominieren, der findet in der skizzierten Rechtsprechung des II. Senats aus den neunziger Jahren die Erklärung.

III.  Der Anwendungsbereich der Zahlungsverbote Aus den Zahlungsverboten vorzugehen, ist für den Insolvenzverwalter nicht zuletzt deshalb so attraktiv, weil für die Bezifferung des Klageantrags die Berechnung und Darlegung einer hypothetischen Quote nicht erforderlich ist. Der Verwalter kann sich nach der Rechtsprechung im Ausgangspunkt   BGHZ 138, 211.   Karsten Schmidt in Karsten Schmidt/Uhlenbruck, Die GmbH in Krise, Sanierung und Insolvenz, Rn. 11.27. 7 8

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damit begnügen, die Zahlungen zu addieren, die das Organ nach Insolvenzreife veranlasst hat. 1.  Verbotene Zahlungen a)  Jede Masseminderung durch Geldleistung In die vom Insolvenzverwalter insofern vorzunehmende Addition ist jede masseschmälernde Geldleistung, gleichgültig ob in Form von Bar- oder Buchgeldzahlungen, einzubeziehen.9 Weil auch Kontokorrentverrechnungen erfasst sind, führen grundsätzlich auch Einziehungen von Forderungen über debitorische Konten zu einer haftungsbegründenden Zahlung, nämlich an die Bank, deren Saldenforderung hierdurch teilweise getilgt wird.10 Auch das bloße Weiterleiten von Geldern eines Dritten ist haftungsschädlich, was sich beispielsweise im Rahmen einer umsatzsteuerlichen Organschaft zeigt: Leitet der Geschäftsführer der Organträgerin an die Finanzverwaltung Beträge weiter, die der Organträgerin zuvor von einer Organgesellschaft als vereinnahmte Umsatzsteuer zur Verfügung gestellt wurden, so kann er hierfür nach § 64 S. 1 GmbHG haften, auch wenn die Gläubiger der Organträgerin gar nicht geschädigt wurden.11 Auch außerhalb der Organschaft illustriert das Umsatzsteuerrecht die enormen Risiken, die die Zahlungsverbote erzeugen, sehr anschaulich: Einerseits haftet das Organ nach § 69 i.V.m. § 34 Abs. 1 AO persönlich für die Erfüllung der steuerrechtlichen Pflichten der Gesellschaft, also auch für die Abführung vereinnahmter Umsatzsteuer. Andererseits kann aber gerade diese Abführung eine Zahlung i.S.v. § 64 GmbHG sein. Das sich aus dieser Situation ergebende Spannungsverhältnis ist nach wie vor grundsätzlich ungelöst, auch wenn der BGH im Jahr 2007 entschieden hat, dass ein den sozial- und steuerrechtlichen Pflichten entsprechendes Verhalten keine Haftung nach § 64 auslöst, weil es mit der Sorgfalt eines ordentlichen und gewissenhaften Geschäftsleiters vereinbar sei.12

9   Kleindiek in Lutter/Hommelhoff GmbHG, § 64 Rn. 16; Haas in Baumbach/Hueck GmbHG, § 64 Rn. 67; H.-F. Müller in MüKo-GmbHG, § 64 Rn. 144. 10   BGHZ 206, 52 Rn. 11; BGH ZIP 2016, 1119 Rn. 39; BGH ZIP 2011, 422 Rn. 26; BGH ZIP 2000, 1896; H.-F. Müller in MüKo-GmbHG, § 64 Rn. 146; Kleindiek in Lutter/ Hommelhoff GmbHG, § 64 Rn. 22. Zu der Frage, welche Rolle es spielt, wie die durch die Saldenrückführung wieder eröffnete Kreditlinie verwendet wird, jüngst Janssen ZInsO 2018, 1074. 11   BGH ZIP 2003, 1005. 12  Siehe hierzu Schlering Organverwantwortlichkeit für die Steuerentrichtung nach Insolvenzreife, 2018, S. 123 ff. Schlering schlägt vor, dass die Finanzverwaltungen die Steueransprüche unter Rückgriff auf § 222 AO stunden sollten.

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b)  Anrechnung einer massemehrenden Gegenleistung Eine der Kernfragen rund um die Zahlungsverbote betrifft das Problem, inwieweit Massemehrungen, die im Zusammenhang mit der Zahlung erfolgt sind, bei der Berechnung des Anspruchs haftungsmindernd anzusetzen sind. An dieser Stelle hat die jüngere Rechtsprechung des BGH der Haftung wegen verbotener Zahlungen zwar die allergrößten Härten genommen, das Haftungsrisiko ist aber immer noch erheblich. Die erwähnten Einschränkungen, die am Zahlungsbegriff ansetzen, betreffen einerseits den bargeldlosen Zahlungsverkehr, für den der BGH ein enorm komplexes Geflecht von Ausnahmen und Rückausnahmen gewoben hat. Andererseits kommt der BGH den Geschäftsleitern entgegen, indem er die Haftungsunschädlichkeit eines „Aktivtauschs“ anerkennt: Soweit im Zusammenhang mit der Zahlung eine Massemehrung erfolgt, soll dieser Aktivtausch keine Haftung begründen, selbst wenn der Massezufluss zum Zeitpunkt der Antragstellung nicht mehr vorhanden ist.13 „Damit der Massezufluss der an und für sich erstattungspflichtigen Masseschmälerung zugeordnet werden kann“, ist nach der Entscheidung des II. Senats vom 4. Juli 2017 ein „unmittelbarer wirtschaftlicher, nicht notwendig zeitlicher Zusammenhang“ erforderlich.14 Wann ein entsprechender Zusammenhang besteht, ist im Detail unklar.15 Der BGH hat es jedenfalls in seiner Entscheidung aus dem Juli 2017 ausdrücklich abgelehnt, die anfechtungsrechtlichen Regeln über das Bargeschäft (§ 142 InsO) entsprechend anzuwenden.16 In der Konsequenz dieser Rechtsprechung liegt es allerdings, dass ein vorheriger Massezufluss, also eine Vorleistung des anderen Teils, nicht befreiend wirkt.17 Denn bei einer Vorleistung ist es ja gerade nicht so, dass die Masse ihre Leistung erbringen musste, um die Gegenleistung zu erhalten. Und im Übrigen bleibt es auch nach diesem Urteil dabei, dass nicht verwertbare Gegenleistungen nicht angerechnet werden können. Von einem haftungsunschädlichen Aktivtausch geht der BGH allerdings nur aus, soweit die Gegenleistung bei Ansetzung von Liquidationswerten gleichwertig ist und die Gläubiger auf sie im Moment des Erhalts durch die

13   BGHZ 203, 218; BGH ZIP 2010, 2400; BGH ZIP 2003, 1005; Kleindiek in Lutter/ Hommelhoff GmbHG, § 64 Rn. 17 f. 14   BGH ZIP 2017, 1619 Rn. 11. 15   Bitter ZInsO 2018, 557, 584; Kleindiek in Lutter/Hommelhoff GmbHG, § 64 Rn. 18. 16   BGH ZIP 2017, 1619 Rn. 12. 17  Ebenso OLG München NZI 2017, 723, 725; Kleindiek in Lutter/Hommelhoff GmbHG, § 64 Rn. 19; Habersack/Foerster ZHR 178 (2014) 387, 408 ff.; Haneke NZI 2015, 499, 500 f.; Lind DB 2018, 1003, 1006; a.A. Haas in Baumbach/Hueck GmbHG, § 64 Rn. 71; Baumert NZG 2016, 379, 380 f., Casper ZIP 2016, 793, 796; H.-F. Müller DB 2015, 723, 726 f.

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Schuldnerin18 hätten zugreifen können. Weil die Leistung zu einer Verwertung durch die Gläubiger geeignet sein muss,19 können etwa Dienstleistungen oder Lieferungen zum sofortigen Verbrauch bestimmter Waren nicht angesetzt werden. Zusammenfassend ist zum Zahlungsbegriff festzuhalten, dass der BGH durch seine jüngere Rechtsprechung zwar der Haftung die ganz extreme Schärfe genommen hat, sie bleibt aber deutlich weiter als die Insolvenzverschleppungshaftung nach § 823 Abs. 2 BGB. Dies beruht im Kern darauf, dass die zivilrechtliche Insolvenzverschleppungshaftung einen Quotenschaden der Gläubiger ausgleichen soll, während für die Haftung aus § 64 S. 1 GmbHG oder §§ 92 Abs. 2 i.V.m. 93 Abs. 3 Nr. 6 AktG Verkürzungen der Aktivmasse ausreichen. Die Haftung aus den Zahlungsverboten ist nach der Rechtsprechung eben gerade kein Schadensersatzanspruch, sondern ein Ersatzanspruch eigener Art.20 Auf diese dogmatische Einordnung des Anspruchs durch die Rechtsprechung wird im Rahmen der Überlegungen zur Abdeckung durch die D&O-Versicherung zurückzukommen sein. 2.  Nach Eintritt von Zahlungsunfähigkeit oder nach Feststellung ihrer Überschuldung Nicht nur in gegenständlicher Hinsicht geht die Haftung wegen verbotener Zahlungen weiter, auch in zeitlicher Hinsicht ist ihr Anwendungsbereich größer als der der Insolvenzverschleppungshaftung nach § 823 Abs. 2 BGB. a)  Beginn der Haftung Die Haftung aus den Zahlungsverboten beginnt unmittelbar mit Eintritt der materiellen Insolvenz,21 also ab dem Zeitpunkt, zu dem die Gesellschaft zahlungsunfähig oder überschuldet ist, wobei letzteres in der Praxis fast immer zuerst eintritt. Die Insolvenzreife muss dem Geschäftsleiter allerdings wenigstens erkennbar gewesen sein. Denn auch die Haftung wegen Verstoßes gegen die Zahlungsverbote ist verschuldensabhängig. Da aber die Rechtsprechung eine Pflicht zur permanenten Selbstprüfung annimmt,22 wird der 18   BGH ZIP 2017, 1619 Rn. 18, auch schon BGH ZIP 2015, 71 Rn. 11. Anders früher BGH NJW 1974, 1088, 1089 und noch BGH NJW 2003, 2316 f., krit. zur Rechtsprechungsänderung Haas in Baumbach/Hueck GmbHG, § 64 Rn. 74. 19   BGH ZIP 2017, 1619 Rn. 18. 20  A.A. Karsten Schmidt in Scholz GmbHG § 64 Rn. 17, 21, 63, 68, ders. Karsten Schmidt/Uhlenbruck Die GmbH in Krise, Sanierung und Insolvenz Rn. 11.35. A.A. auch Altmeppen ZIP 2001, 2201, 2206. 21   BGHZ 143, 184 [188]; BGH ZIP 2009, 860. 22   BGH ZIP 2016, 1119 Rn. 33; vgl. auch Kleindiek in Lutter/Hommelhoff GmbHG, § 43 Rn. 33.

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Geschäftsführer sich nur in Ausnahmefällen darauf berufen können, dass er die Insolvenzreife der Gesellschaft nicht erkennen konnte. Eine solche Entlastung kann etwa dann gelingen, wenn ein Steuerberater oder ein Abschlussprüfer falsche Angaben gemacht hat, auf die sich das Organ nach einer eigenen (sorgfältigen) Plausibilitätskontrolle verlassen durfte.23 Gerade in Abgrenzung gegenüber der zivilrechtlichen Insolvenzverschleppungshaftung ist zu betonen, dass im Rahmen von § 64 GmbHG keine DreiWochen-Frist anerkannt wird.24 Der Geschäftsführer hat also grundsätzlich alle Zahlungen zu erstatten, die er ab Eintritt der Insolvenzreife veranlasst hat. Demgegenüber setzt die Haftung nach § 823 Abs. 2 BGB erst ab dem Zeitpunkt ein, in dem die Antragspflicht verletzt wurde.25 Dies ist aber erst nach Ablauf der Insolvenzantragsfrist der Fall, die eben gemäß § 15a Abs. 1 InsO bis zu drei Wochen beträgt. b)  Ende der Haftung Die Haftung aus den Zahlungsverboten kann aber nicht nur früher beginnen als die nach § 823 Abs. 2 BGB, sie kann auch später enden, jedenfalls nach der noch herrschenden Meinung. Die zivilrechtliche Insolvenzverschleppungshaftung findet ihr Ende in dem Moment, in dem ein Insolvenz­ antrag gestellt wird,26 denn dann hat sich der Schutzzweck des § 15a InsO erledigt. Das Organ haftet also nur für solche Quotenverminderungen, die bis zum Zeitpunkt der Antragstellung eingetreten sind. Demgegenüber geht die noch herrschende Meinung für die Zahlungsverbote davon aus, dass der Anwendungsbereich der Zahlungsverbote nicht schon mit Antragstellung, sondern erst mit Eröffnung des Insolvenzverfahrens endet.27 Um deutlich zu machen, dass diese unterschiedliche Anknüpfung zu erheblichen Unterschieden führen kann, ist zunächst darauf hinzuweisen, dass in Deutschland bei Unternehmensinsolvenzen im Schnitt 2,5 Monate zwischen Antragstellung und Eröffnung des Insolvenzverfahrens vergehen.28 Die Verzögerungen bei der Entscheidung über den Insolvenzan  BGH ZIP 2015, 1220 Rn. 28; BGH ZIP 2016, 1119 Rn. 34.   BGH ZIP 2009, 860; Kleindiek in Lutter/Hommelhoff GmbHG, § 64 Rn. 2; Haas in Baumbach/Hueck GmbHG, § 64 Rn. 60, 84 m.w.N. 25   S. nur Klöhn in MüKo-InsO, § 15a Rn. 159; Kleindiek in HK-InsO, § 15a Rn. 26; Kleindiek in Lutter/Hommelhoff GmbHG, Anh zu § 64 Rn. 76, 86. 26  BGHZ 110, 342, 361; BGH ZIP 1999, 967, 968; Karsten Schmidt/Herchen in K. Schmidt InsO, § 15a Rn. 35; Kleindiek in Lutter/Hommelhoff GmbHG, Anh zu § 64 Rn. 81. 27   OLG Brandenburg ZIP 2007, 724; Haas in Baumbach/Hueck GmbHG, § 64 Rn. 85; Kleindiek in Lutter/Hommelhoff GmbHG, § 64 Rn. 10, 12; Thole/Brünkmans ZIP 2013, 1097, 1100; Bitter ZInsO 2018, 557, 575; a.A. Altmeppen in Roth/Altmeppen GmbHG, § 64 Rn. 6; Brinkmann DB 2012, 1369; Karsten Schmidt in Scholz GmbHG, § 64 Rn. 25. 28   Richter, Verschleppte Eröffnung von Insolvenzverfahren, 2018, S. 38. 23 24

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trag beruhen nicht darauf, dass das Gericht so lange braucht, die Eröffnungsvoraussetzungen zu prüfen, sondern hängen mit dem Institut der Insolvenzgeldvorfinanzierung zusammen, das es ermöglicht, die Löhne und Gehälter, die in dem Zeitraum von bis zu drei Monaten nach Antragstellung zu zahlen sind, im Ergebnis zum überwiegenden Teil aus der Insolvenzgeldkasse zahlen zu lassen.29 Um diese Finanzierungsquelle möglichst vollständig auszuschöpfen, wird die Eröffnung des Insolvenzverfahrens in der Praxis regelmäßig entsprechend hinausgeschoben.30 In praktischer Hinsicht ist es also durchaus bedeutsam, ob die Haftung schon mit Antragstellung oder erst mit Eröffnung des Insolvenzverfahrens endet. Dies gilt jedenfalls dann, wenn das Organ auch während des Eröffnungsverfahrens noch die Geschäfte der Gesellschaft führt. Hierzu kommt es, wenn das Insolvenzgericht auf den Insolvenzantrag hin keinen vorläufigen starken Insolvenzverwalter einsetzt, sondern die vorläufige Eigenverwaltung beispielsweise im Rahmen eines sogenannten Schutzschirmverfahrens nach § 270b InsO anordnet. Auch wenn die Anordnung der vorläufigen Eigenverwaltung nach wie vor eher die Ausnahme als die Regel ist, haben diese Fälle doch seit der Reform der Insolvenzordnung durch das ESUG im Jahr 2012 deutlich zugenommen und betreffen insbesondere die größeren und wirtschaftlich interessanten Verfahren. Hingewiesen sei allerdings darauf, dass diese Relevanz vor allem prozessualer Natur ist. Denn die Vertreter der herrschenden Meinung, die die Anwendbarkeit bejahen, verweisen darauf, dass sich der Sanierungsgeschäftsführer für Zahlungen während der vorläufigen Eigenverwaltung regelmäßig auf § 64 S. 2 GmbHG bzw. § 92 Abs. 2 S. 2 AktG berufen könne.31 Denn wenn der Geschäftsführer zeigen kann, dass die Zahlungen während des Eröffnungsverfahrens für die Wahrung von Sanierungschancen notwendig waren, waren sie mit der Sorgfalt eines ordentlichen Geschäftsmanns i.S.v. §§ 64 S. 2, 92 Abs. 2 S. 2 AktG vereinbar, so dass er sie nicht zu ersetzen hat. Die Darlegungs- und Beweislast für das Eingreifen dieses Haftungsprivilegs trägt allerdings der Geschäftsleiter, so dass er zeigen muss, dass die Zahlung zum Erhalt von Sanierungs- oder Gesamtverwertungschancen ex ante notwendig erschien. Der Geschäftsführer trägt somit bei Zugrundelegung der herrschenden Meinung ein deutlich größeres Prozessrisiko, als wenn man mit der Gegenansicht annehmen würde, dass die Zahlungsverbote Zahlungen nach Antragstellung generell nicht mehr erfassen.

  Richter NJW 2018, 982, 985; Hunold NZI 2015, 785, 788.  Ausführliche dogmatische und rechtspolitische Kritik bei Richter, Verschleppte Eröffnung von Insolvenzverfahren, 2018. 31   Kleindiek in Lutter/Hommelhoff GmbHG, § 64 Rn. 13. 29 30

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Die Frage, ob die Zahlungsverbote auf solche Zahlungen anwendbar sind oder ob eine teleologische Reduktion zu befürworten ist,32 lässt sich nur entscheiden, wenn man fragt, ob es andere Haftungstatbestände gibt, die masseverkürzendes Verhalten des Organs in der (vorläufigen) Eigenverwaltung adressieren. Insoweit verdient das Urteil des BGH vom 26.4.201833 auch im hier zu untersuchenden Zusammenhang Beachtung. Der BGH hat in diesem Verfahren entschieden, dass der Geschäftsführer in der Eigenverwaltung wie ein Insolvenzverwalter, also entsprechend §§ 60, 61 InsO persönlich haftet. Durch diese haftungsrechtliche Gleichstellung des eigenverwaltenden Geschäftsleiters mit einem Insolvenzverwalter, die konsequenterweise auch auf das Eröffnungsverfahren zu erstrecken ist, ist die Rechtfertigung entfallen, die Zahlungsverbote noch nach Antragstellung anzuwenden. Insofern wird die genannte Entscheidung auch richtungsweisend für die Zukunft der Haftung nach § 64 S. 1 GmbHG und § 92 Abs. 2 AktG sein. Ein Bedürfnis für eine Verdoppelung des Haftungsregimes – §§ 60, 61 InsO analog neben §§ 64 S. 1 GmbHG 92 Abs. 2 i.V.m. 93 Abs. 3 Nr. AktG – ist nicht erkennbar, so dass der zeitliche Anwendungsbereich der Zahlungsverbote teleologisch zu reduzieren ist.

IV.  Deckung durch D&O Versicherung Es ist ein immer wieder zu beobachtender Vorgang, dass der Ausbau und die Scharfschaltung von Haftungstatbeständen mit einer gewissen Verzögerung eine Diskussion um die Abdeckung durch eine Versicherung nach sich zieht. 1.  Einordnung des Problems Man kann die Frage, ob die D&O Versicherung das Organ auch vor der Inanspruchnahme aus § 64 GmbHG schützt bzw. schützen sollte, aus mindestens drei Perspektiven betrachten: Zum einen kann man rechtsökonomisch fragen, ob es sinnvoll ist, die sich aus der Haftungsdrohung ergebenden Anreize zu normgemäßem Verhalten dadurch leerlaufen lassen, dass der Versicherer für den Anspruch aufkommt.34 Diese Sichtweise dürfte allerdings nicht weiterführen, denn bei diesem Effekt handelt es sich um ein ganz allgemeines Problem einer Haftpflichtversi32   S. a. Haas in Baumbach/Hueck GmbHG, § 64 Rn. 85; Brinkmann DB 2012, 1369; Bitter ZInsO 2018, 557, 591 f. De lege ferenda auch gefordert von Brinkmann/Denkhaus/ Horstkotte/Schmidt/Westpfahl/Wierzbinski/Ziegenhagen, ZIP 2017, 2430, 2431. 33   BGH, Urt. v. 26.4.2018 – IX ZR 238/1, BeckRS 2018, 7872; anders noch vorgehend OLG Düsseldorf ZIP 2017, 2211. 34   S. die ausführliche rechtsökonomische Analyse von Organhaftung und D&O Versicherung von Wagner ZHR 178 (2014), 227.

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cherung und insbesondere der D&O-Versicherung. Da diese grundsätzlich zulässig ist, ist nicht einzusehen, warum nun gerade für den Verstoß gegen die Zahlungsverbote eine Versicherung wegen der Auswirkungen auf die Verhaltensanreize ausgeschlossen sein sollte. Man könnte höchstens damit argumentieren, dass Verstöße gegen die Zahlungsverbote in der Praxis eher die Regel als die Ausnahme sind, so dass hier ein besonderes Bedürfnis für eine Anspannung der Anreize zu normgemäßem Verhalten besteht. Eine solche Argumentation wäre aber rechtspolitisch motiviert und kann daher für die Diskussion de lege lata kaum etwas beitragen. Zum Zweiten kann man die Interessen der Gläubiger in den Blick nehmen, die durch den Verstoß gegen die Zahlungsverbote geschädigt wurden. Das Privatvermögen des Organs wird sehr häufig nicht ausreichen, die teilweise enorm hohen Ansprüche zu befriedigen. Die Funktion der Ansprüche aus § 64 S. 1 GmbHG, § 130a HGB und §§ 92 Abs. 2 i.V.m. § 93 Abs. 3 Nr. 6 AktG – nämlich Aktivmasseverkürzungen rückgängig zu machen – liefe also ohne den Rückgriff auf die Versicherungssumme leer, da die Ansprüche dann häufig allenfalls teilweise erfüllt werden könnten. Dieses Argument ist insofern hilfreich, weil es zeigt, um wessen Schutz es jedenfalls auch geht – nämlich um den der Insolvenzgläubiger. Ausschlaggebend kann eine solche Argumentation aber nicht sein, denn sie ist ersichtlich vom Ergebnis her gedacht. Entscheidend kann nur ein dritter Ansatz sein, der die Frage als Problem der Auslegung des Versicherungsvertrags charakterisiert. Denn für die Frage, ob die Versicherung die Ansprüche abdeckt, können weder das Schutzbedürfnis der Insolvenzgläubiger noch die rechtsökonomischen Effekte eines Versicherungsschutzes ausschlaggebend sein. Maßgeblich ist allein die Auslegung des Versicherungsvertrags. 2.  Die Entscheidung des OLG Celle Diesen Ansatz hat denn auch das OLG Celle in einem Beschluss vom 1.4.201635 gewählt. Aufschlussreich ist diese Entscheidung nicht zuletzt deshalb, weil sie ein Gefühl für die Dimension des Haftungsrisikos vermittelt. Die Gesamtsumme der vom Verwalter erhobenen Forderungen belief sich immerhin auf mehr als 70 Mio. Euro. Hierüber hatte der Senat allerdings nicht zu entscheiden, denn die Hauptsache war durch einen Vergleich beendet worden, so dass es nur noch um eine Kostenentscheidung nach § 91a ZPO ging. In seiner jedenfalls insoweit knapp begründeten Entscheidung stellt das OLG fest, dass „einiges dafür spreche, dass die Klage in der Hauptsache kei-

  OLG Celle, Beschl. v. 1.4.2016 – 8 W 20/16, BeckRS 2016, 125428.

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nen Erfolg gehabt hätte, weil der Zahlungsanspruch aus § 64 S. 1 GmbHG kein vom Versicherungsvertrag erfasster Haftpflichtanspruch sei.“36 Diese These, die für große Unruhe in der Szene gesorgt hat,37 sei im Folgenden kritisch hinterfragt. 3.  Auslegung der Versicherungsbedingungen Ausgangspunkt der Überlegungen sind die AVB der D&O-Versicherung. In Ziff. 1 Nr. 1 der Muster AVB des Gesamtverbandes der Deutschen Versicherungswirtschaft e.V.38 heißt es hierzu: „Der Versicherer gewährt Versicherungsschutz für den Fall, dass ein gegenwärtiges oder ehemaliges Mitglied des Aufsichtsrates, des Vorstandes oder der Geschäftsführung der Versicherungsnehmerin oder einer Tochtergesellschaft (versicherte Personen) wegen einer bei Ausübung dieser Tätigkeit begangenen Pflichtverletzung aufgrund gesetzlicher Haftpflichtbestimmungen für einen Vermögensschaden auf Schadenersatz in Anspruch genommen wird.“

Wie man hört, berufen sich Versicherer seit der angesprochenen Entscheidung des OLG Celle verstärkt darauf, dass Ansprüche aus § 64 S. 1 GmbHG und § 92 Abs. 2 AktG keine Schadensersatzansprüche seien, sondern „Ansprüche eigener Art“. Da es somit nicht um den Ersatz von „Vermögensschäden“ i.S.v. Ziff. 1 Nr. 1 AVB gehe, komme eine Ersatzpflicht nicht in Betracht. Diese Argumentation ist offensichtlich stark begrifflich und formal. Sie muss sich daran messen lassen, dass es nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs für das Verständnis von AVB auf die Verständnismöglichkeiten des Versicherungsnehmers ankommt.39 Maßgeblich ist, „wie ein durchschnittlicher Versicherungsnehmer die AVB bei verständiger Würdigung, aufmerksamer Durchsicht und unter Berücksichtigung des erkennbaren Sinnzusammenhangs verstehen muss. Damit kommt es auf die Verständnismöglichkeiten eines Versicherungsnehmers ohne versicherungsrechtliche Spezialkenntnisse und damit – auch –

36   So hat im Ergebnis auch das OLG Düsseldorf entschieden (ZIP 2018, 1542), das sich in seinem Urteil ausführlich mit der Frage auseinander gesetzt hat. Leider ist diese Entscheidung nach Abgabe des Manuskripts ergangen und konnte nur noch vereinzelt in den Fußnoten berücksichtigt werden. 37   S. nur die warnenden Stellungnahmen von Cyrus NZG 2018, 7; Römer NZI Gastkommentar 2018/21. Einem Bericht der FAZ vom 24.4.2018 (abgedruckt in ZInsO 2018, Heft 19 IV) ist zu entnehmen, dass von 75 befragten Insolvenzverwaltern 59% angeben, dass die Versicherer unter Berufung auf die Entscheidung des OLG Celle „selten oder nie“ erstatten würden, weitere 32% sprechen von gelegentlichen Zahlungen. 38  https://www.gdv.de/resource/blob/6044/658f74bf7d24e9afbc21a885e95dda25/05-allgemeine-versicherungsbedingungen-fuer-die-vermoegensschaden-haftpflichtversicherungvon-aufsichtsraeten--vorstaenden-und-geschaeftsfuehrern--avb-avg--data.pdf 39   Allgemein zur Auslegung von AVB, Robert Koch VersR 2015, 133 ff.

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auf seine Interessen an (Senat, BGHZ 123, 83 [85] = NJW 1993, 2369; BGHZ 159, 360 [369 f.] = NJW 2004, 2589 und ständig).“40

Bei der D&O-Versicherung als Versicherung für fremde Rechnung muss man neben den Interessen des Versicherungsnehmers auch die Interessen des Versicherten berücksichtigen. Einem durchschnittlichen Geschäftsführer bzw. Vorstand wird bei Abschluss des Versicherungsvertrags kaum bewusst sein, dass es sich bei der Haftung aus § 64 S. 1 GmbHG technisch gesehen – jedenfalls nach der Rechtsprechung des BGH – nicht um einen Schadensersatzanspruch handelt.41 Er wird daher auch nicht erkennen, dass die Beschränkung der Versicherung auf Vermögensschäden für ihn eine Haftungslücke begründet. Zu überlegen ist allerdings, ob der der Ausdruck „Vermögensschaden“ als Rechtsbegriff eben doch in seiner technisch-juristischen Bedeutung zu verstehen ist und nicht in dem eher untechnischen Sinn einer haftungsmäßigen Inanspruchnahme. Auch eine solche Argumentation wäre aber nicht mit der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs vereinbar. Der für Versicherungssachen zuständige IV. Senat hat in einer Entscheidung aus dem Jahr 1999 zur Haftpflichtversicherung geurteilt, dass der Ausdruck „Schadensersatz“ in AHB so verstehen sei, dass er auch die Inanspruchnahme des Versicherten aus § 1004 BGB umfasse, auch wenn dieser Anspruch ein Beseitigungs- und eben kein Schadensersatzanspruch im technischen Sinn sei. Der Ausdruck „Schadensersatz“ sei kein in der Rechtssprache derartig fest umrissener Begriff, dass das allgemeine Sprachverständnis zurücktreten müsse. In der Umgangssprache beschreibe der Begriff allgemein den Ausgleich eines zuvor erlittenen Nachteils.42 Ähnlich hat der Senat im Jahr 2011 entschieden, indem er festgestellt hat, dass auch Aufwendungsersatzansprüche von der Haftpflichtversicherung erfasst sein können, wenn sie schadensersatzähnlichen Charakter haben, weil eine gesetzliche Pflicht zum Eingreifen bestand.43 Der Begriff des Schadensersatzanspruchs sei aus der insoweit maßgeblichen Sicht des Versicherungsnehmers nicht aufgrund einer abstrakten rechtlichen Einordnung im Vergleich zu einem Aufwendungsersatzanspruch zu verstehen, „sondern es komme für ihn maßgeblich darauf an, dass er mit dem durch Prämien erkauften Haftpflichtschutz gegen jede Inanspruchnahme geschützt ist, die weder er noch der geschädigte Dritte vermeiden kann.“ Vor dem Hintergrund dieser versicherungsrechtlichen Rechtsprechung erscheint die Ansicht, dass eine Deckung der Inanspruchnahme nach § 64 S. 1 GmbHG durch die D&O Versicherung ausscheide, da dies kein vom Versicherungsvertrag erfasster Haftpflichtanspruch sei, nicht überzeugend. Selbst   BGH NJW 2014, 377 Rn. 13.   AA OLG Düsseldorf ZIP 2018, 1542 [1545]. 42   BGH NJW 2000, 1194 Rn. 18; BGHZ 153, 182, 186. 43   BGH VersR 2011, 1509. 40 41

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wenn man die Rechtsprechung des II. Zivilsenats zu Grunde legt, nach der es sich bei § 64 S. 1 GmbHG nicht um einen Schadensersatzanspruch, sondern um einen Anspruch eigener Art handelt, ist es keineswegs ausgeschlossen, die Haftung des Organs als Inanspruchnahme wegen eines Vermögensschadens im Sinne der AVB zu verstehen.44 Ein anderes Ergebnis wäre im Gegenteil nicht mit der vielfach vom IV. Senat wiederholten Formel vereinbar, dass es bei der Auslegung von AVB auf die Verständnismöglichkeiten eines Versicherungsnehmers ohne versicherungsrechtliche Spezialkenntnisse und damit – auch – auf seine Interessen ankommt.45 Jedenfalls muss die zitierte Rechtsprechung Zweifel daran wecken, dass Ansprüche aus §§ 64 S. 1 GmbHG, 92 Abs. 2 AktG nicht von der Versicherung gedeckt sind. Bestehen aber bei der Auslegung mehrdeutiger Klauseln in Allgemeinen Geschäftsbedingungen Zweifel, so gehen diese gem. § 305c Abs. 2 BGB zu Lasten des Verwenders und führen damit zu der für den Verwender ungünstigen Deckung der Ansprüche.46 Hingewiesen sei in diesem Zusammenhang noch darauf, dass auch die Tatsache, dass die Ansprüche aus §§ 64 S. 1 GmbHG, 92 Abs. 2 AktG zwar formal der Gesellschaft zustehen, materiell aber dem Schutz der Insolvenzgläubiger dienen, nicht zu einem Ausschluss der Deckung durch die D&OVersicherung führt.47 Denn die D&O-Versicherung ist zwar eine Versicherung für fremde Rechnung i. S. v. § 43 VVG. Das bedeutet aber nicht, dass sie nur Schäden der Versicherungsnehmerin selbst, also der Gesellschaft, abdecken würde. Vielmehr erfasst sie auch Vermögensschäden Dritter, wie sich u.a. daraus ergibt, dass die AVB bei Vermögensschäden nicht danach differenzieren, wer der Geschädigte ist.48 Ein Ausschluss von Schäden Dritter wäre auch mit § 100 VVG unvereinbar. Aus diesem Grund ist übrigens für den heute aus den erläuterten Gründen praktisch irrelevanten Schadensersatzanspruch aus § 823 Abs. 2 BGB i. V. m. § 15a InsO nie bestritten worden, dass er von der D&O-Versicherung erfasst ist.49 Auch diese Situation spricht dafür, dass die D&O-Versicherung die zumindest teilweise funktionsäquivalenten Ansprüche aus § 64 S. 2 GmbHG und §§ 92 Abs. 2, 93 Abs. 3 Nr. 6 AktG mitumfasst. Der Wandel in der Klagepraxis der Insolvenzverwalter, die 44   Lange in Veith/Gräfe/Gebert Der Versicherungsprozess, 3. Aufl. 2016, § 21 Rn. 93 hält für entscheidend, ob der Anspruch auch als Schadensersatzanspruch nach § 43 Abs. 2 GmbHG 93 Abs. 2 AktG geltend gemacht werden könnte. Das wird nur im Ausnahmefall möglich sein, da die Aktivmasseverkürzung nur ausnahmsweise ein Schaden der Gesellschaft begründen wird. Siehe auch Cyrus NZG 2018, 7, 9. 45   BGHZ 123, 83, 85; BGH NJW-RR 2008, 189, 190. 46   Ausführlich zur Auslegung von AVB Robert Koch VersR 2015, 133. 47   AA OLG Düsseldorf ZIP 2018, 1542 [1545]. 48  Ziff. 1. 2 AVB setzt geradezu voraus, dass auch Außenhaftungsansprüche von der D&O-Versicherung erfasst sind. 49   Vielmehr ist der Anspruch unzweifelhaft ein Schadensersatzanspruch und als solcher erfasst, vgl. Lange D&O-Versicherung und Managerhaftung, § 8 Rn. 3.

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sich heute eben nicht mehr auf die zivilrechtliche Insolvenzverschleppungshaftung stützen, wäre sonst ein unbeabsichtigtes Geschenk an die Versicherer. 4.  Haftungsausschluss wegen wissentlicher Pflichtverletzung? Akzeptiert man die hier aufgestellte These, dass die D&O-Versicherung grundsätzlich auch Ansprüche wegen verbotener Zahlungen abdeckt, bleibt zu prüfen, ob sich der Versicherer mit Erfolg auf Ausschlussgründe berufen kann. Im Vordergrund steht hier die Frage, ob der Versicherer geltend machen kann, leistungsfrei zu sein, weil das Organ eine wissentliche Pflichtverletzung begangen hat. Der Hintergrund dieses auch vom beklagten Versicherer im Verfahren vor dem OLG Celle vorgetragenen Einwands ist, dass D&O-Versicherungsverträge typischerweise Klauseln enthalten, nach denen sich der Versicherungsschutz nicht auf Ansprüche wegen „wissentlicher Pflichtverletzung“ (dolus directus) der in Anspruch genommenen versicherten Person erstreckt (vgl. Ziff. 5 Nr. 1 AVB). Nach der jüngeren Rechtsprechung zum prozessualen Umgang mit diesen Ausschlüssen ist grundsätzlich der Versicherer darlegungs- und beweisbelastet. Er hat „[…] Anknüpfungstatsachen vorzutragen, die als schlüssige Indizien für eine wissentliche Pflichtverletzung betrachtet werden können. Erst wenn dieses geschehen ist, obliegt es dem Versicherungsnehmer im Rahmen seiner sekundären Darlegungslast, Umstände aufzuzeigen, warum die vorgetragenen Indizien den Schluss auf eine wissentliche Pflichtverletzung nicht zulassen.“50

Der vom BGH geforderte Vortrag von Anknüpfungstatsachen wird dem Versicherer nur dann leichtfallen, wenn er beispielsweise ein an das Organ adressiertes Schreiben eines Steuerberaters oder eines Wirtschaftsprüfers vorlegen kann, aus dem hervorgeht, dass die Gesellschaft insolvenzreif ist, so dass Insolvenzantrag gestellt werden müsse und Zahlungen einzustellen seien. So eindeutig werden die Fälle aber nur ausnahmsweise liegen. Der Vortrag von Anknüpfungstatsachen durch den Versicherer wäre allerdings dann nicht erforderlich, wenn die Fortführung einer insolvenzreifen Gesellschaft die Kardinalpflichten eines Geschäftsleiters verletzte. Kardinalpflichten sind die elementaren beruflichen Pflichten, „deren Kenntnis nach der Lebenserfahrung bei jedem Berufsangehörigen vorausgesetzt werden kann.“51 Bei einem objektiven Verstoß gegen solche Pflichten obliegt es umgekehrt dem Versicherten darzutun, dass und warum die Pflichtverletzung nicht wissentlich erfolgt ist.52   BGH ZIP 2015, 184.   BGH ZIP 2015, 184 Rn. 20. 52   BGH ZIP 2015, 184 Rn. 20 f. 50 51

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Im Ausgangspunkt erscheint es durchaus naheliegend, die Pflicht zur Stellung eines Insolvenzantrags bei Insolvenzreife als elementare Pflicht eines Geschäftsleiters, also als Kardinalpflicht einzuordnen.53 Die bloße Kenntnis von der Existenz eines entsprechenden Verhaltensgebots kann jedoch die Beweiserleichterungen dann nicht rechtfertigen, wenn dieses Verhaltensgebot an das Vorliegen bestimmter Tatsachen – hier: Vorliegen von Zahlungsunfähigkeit oder Überschuldung – geknüpft ist und eben nicht ganz allgemein gilt. Die Kenntnis von einer unter bestimmten Bedingungen existierenden Pflicht und die Kenntnis vom Vorliegen der Bedingungen müssen unterschieden werden. Eine wissentliche Pflichtverletzung verlangt neben der Kenntnis der verletzten Pflicht auch das Bewusstsein der Pflichtverletzung,54 das seinerseits die Kenntnis der erforderlichen Tatsachen voraussetzt. Eine Beweiserleichterung ist daher nur zu gewähren, wenn das Organ auch weiß, dass die entsprechenden Voraussetzungen der Antragspflicht vorlagen, denn sonst fehlt es an einem wissentlichen Pflichtverstoß. Der Versicherer müsste also immer noch zeigen, dass der Geschäftsleiter von der Insolvenzreife wusste. Die entscheidende Frage ist daher, ob sich auch die oben schon angesprochene Pflicht der Geschäftsleiter zur Überwachung der Finanzlage der Gesellschaft als Kardinalpflicht einordnen lässt, so dass sich das Organ im Deckungsprozess entlasten müsste. Unstreitig ist ein Geschäftsführungsorgan verpflichtet, sich permanent über die wirtschaftliche Lage der Gesellschaft zu vergewissern.55 „Bei Anzeichen einer wirtschaftlichen und finanziellen Krise einer GmbH hat ihr Geschäftsführer die Pflicht, sich durch Aufstellung eines Vermögensstatuts einen Überblick über den Vermögensstand zu verschaffen und notfalls unter fachkundiger Prüfung zu entscheiden, ob eine positive Fortbestehensprognose besteht.“56 Auch hinsichtlich dieser „Insolvenzerkennungspflicht“57 lassen sich gute Gründe für eine Einordnung als Kardinalpflicht anführen.58 Hierfür spricht insbesondere, dass diese Pflicht Ausfluss der generellen Pflicht der Geschäftsleiter ist, die Finanzlage der Gesellschaft fortwährend zu überwachen, und insofern zum Kernbereich der Aufgaben eines Geschäftsleiters gehört. Doch folgt aus der Einordnung der Überwachungspflicht als Kardinalpflicht noch nicht zwingend, dass dem Versicherer auch die Beweiserleichterungen hinsichtlich des Tatbestands der wissentlichen Pflichtverletzung im Rahmen des Deckungsprozesses zu gewähren sind. Denn der Geschäftsleiter 53   LG München ZIP 2015, 1634, 1636; Lange D&O-Versicherung und Managerhaftung, § 11 Rn. 36. 54   Dreher VersR 2015, 781. 55   BGH NJW 2007, 2118 Rn. 16. 56   OLG Oldenburg NZG 2008, 778; BGHZ 126, 181. 57   Klöhn in MüKo-InsO, § 15a Rn. 173. 58   So insb. Lange D&O-Versicherung und Managerhaftung, § 11 Rn. 36.

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ist nicht deshalb ersatzpflichtig, weil er die Überwachungspflicht verletzt hat, sondern weil er gegen die Zahlungsverbote verstoßen hat. Verstoß gegen die Kontrollpflicht und Verstoß gegen das Zahlungsverbot sind mit anderen Worten zweierlei. Der Verstoß gegen die Überwachungspflicht mag vorsätzlich gewesen sein, haftungsbegründend war er für sich nicht. Und dass das Organ vorsätzlich gegen die Überwachungspflicht verstoßen hat, bedeutet nicht zwangsläufig, dass es auch Vorsatz im Sinne von dolus directus im Hinblick auf den Verstoß gegen das Zahlungsverbot hatte. Anderes gilt nur dann, wenn dem Organ bewusst war, dass sich bei einer Erfüllung der Kontrollpflicht, also bei Überprüfung der finanziellen Situation der Gesellschaft, deren materielle Insolvenz herausgestellt hätte. Dies kann etwa der Fall sein, wenn ein wichtiger Kunde abgesprungen ist, Verhandlungen über den Einstieg eines Investors endgültig gescheitert sind oder wenn das Unternehmen plötzlich mit erheblichen Forderungen konfrontiert wird. Je stärker die Krisenanzeichen sind, umso leichter wird es dem Versicherer fallen zu zeigen, dass der Geschäftsleiter nicht nur seine abstrakten Pflichten zur Prüfung und Antragstellung, sondern ihm auch konkret bewusst war, diese Pflichten durch die Fortführung des Geschäftsbetriebs ohne Stellung eines Insolvenzantrags zu verletzen.

V.  Ergebnisse in Thesen und Ausblick Die Haftung nach §§ 64 S. 1 GmbHG und 92 Abs. 2 i.V.m. 93 Abs. 3 Nr. 6 AktG ist trotz der jüngeren Rechtsprechung immer noch ein scharfes Schwert. Ihr Anwendungsbereich geht in gegenständlicher wie in zeitlicher Hinsicht über die Insolvenzverschleppungshaftung nach § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 15a InsO hinaus. Auch wenn die Haftung aus §§ 64 S. 1 GmbHG und 92 Abs. 2 i.V.m. 93 Abs. 3 Nr. 6 AktG keine Schadensersatzhaftung im technischen Sinn ist, sondern ein Anspruch eigener Art, erfasst eine D&O-Versicherung grundsätzlich auch diese Ansprüche. Der Begriff „Vermögensschaden“ in den AVB ist kein fest umrissener Begriff der Rechtssprache, so dass es dabei bleibt, dass es auf die Verständnismöglichkeiten eines Versicherungsnehmers ohne versicherungsrechtliche Spezialkenntnisse ankommt. Einem durchschnittlichen Geschäftsführer oder Vorstand wird kaum die feinsinnige Unterscheidung der Rechtsprechung im Rahmen von §§ 64 S. 1 GmbHG und 92 Abs. 2 i.V.m. 93 Abs. 3 Nr. 6 AktG bekannt sein, vielmehr wird das Organ erwarten, dass grundsätzlich alle typischen Haftungsrisiken abgedeckt sind. In der D&O-Versicherung ist der Versicherer haftungsfrei, wenn der Versicherte mit dolus directus gehandelt hat. Der Vorsatz ist grundsätzlich vom Versicherer zu beweisen. Die Pflicht, bei Insolvenzreife der Gesellschaft die Zahlungen einzustellen und Insolvenzantrag zu stellen, ist allerdings eine

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Kardinalpflicht, bei deren Verletzung das Organ darzulegen hat, dass es nicht vorsätzlich gehandelt hat. Dies gilt aber nur dann, wenn festgestellt werden kann, dass das Organ Kenntnis von der materiellen Insolvenz hatte. Auch die den Geschäftsleiter permanent treffende Insolvenzerkennungspflicht lässt sich als Kardinalpflicht einordnen. Dass diese Pflicht vorsätzlich verletzt wurde, bedeutet aber nicht zwingend, dass auch der haftungsbegründende Verstoß gegen die Zahlungsverbote zwangsläufig vorsätzlich erfolgte. Anderes gilt nur, wenn das Organ bewusst die Augen vor der Insolvenz verschlossen hat. De lege ferenda sollte die Haftung der Geschäftsleiter in der Krise der Gesellschaft reformiert werden. Es sollte eine Reorganisationsverschleppungshaftung geschaffen werden, aufgrund derer die Geschäftsleiter auf Ersatz der Gesamtmasseminderungen in dem Zeitraum zwischen dem Beginn der Antragspflicht und der Einleitung eines Sanierungs- oder Insolvenzverfahrens haften.

Zusammenschluss- und Akquisitionsvorhaben

Kapitalmarktrechtliche Aspekte von Zusammenschluss- und Akquisitionsvorhaben Andreas Cahn I. Einleitung Alfred Bergmann hat als Vorsitzender des II. Zivilsenats des Bundesgerichtshofs das Aktien- und Kapitalmarktrecht maßgeblich mitgeprägt. Das gibt Anlass zu der Hoffnung, dass die folgenden Überlegungen zu einer Fragestellung, die beide Rechtsgebiete betrifft, sein Interesse finden werden. Akquisitionen und Unternehmenszusammenschlüsse werden typischerweise über einen längeren Zeitraum hin angebahnt und vorbereitet. Zur Verwirklichung eines solchen Vorhabens bedarf es zahlreicher Zwischenschritte, von den ersten Vorüberlegungen einzelner Vorstands- und Aufsichtsratsmitglieder, über Sondierungsgespräche mit Vertretern der Zielgesellschaft, die Beauftragung diverser Berater, die Erstellung von Machbarkeitsstudien, Vorstandsbeschlüsse über die Aufnahme von Verhandlungen, die Durchführung einer Due Diligence, die Ausarbeitung von Vertragsentwürfen, deren Billigung durch Vorstand und Aufsichtsrat der Gesellschaften bis hin zu einer etwaigen Zustimmung der Hauptversammlungen. Sind an solchen Vorhaben börsennotierte Gesellschaften beteiligt, stellt sich im Hinblick auf jeden derartigen Zwischenschritt die Frage, ob er Gegenstand einer Insiderinformation i.S.v. Art. 7 MAR ist, so dass die Insiderverbote des Art. 14 MAR und die Veröffentlichungspflicht nach Art. 17 MAR eingreifen. Das hängt davon ab, ob es sich bei dem betreffenden Zwischenschritt um eine nicht öffentlich bekannte präzise Information handelt, die im Falle ihres öffentlichen Bekanntwerdens geeignet wäre, den Kurs der Aktien oder anderer börsengängiger Finanz­ instrumente der beteiligten Gesellschaften erheblich zu beeinflussen. Nach Art. 7 Abs. 2 und Abs. 3 MAR ist insoweit jeder Zwischenschritt sowohl für sich genommen als gegenwärtiger Umstand als auch im Hinblick darauf zu beurteilen, ob er vernünftigerweise den Schluss auf die künftige Verwirklichung der Akquisition oder des Zusammenschlusses zulässt. Maßstab für die Beurteilung der Kurserheblichkeit ist dabei nach Art. 7 Abs. 4 Unterabs. 1 MAR jeweils das Verhalten eines verständigen Anlegers. Mit Blick auf die Chronologie eines Akquisitions- oder Zusammenschlussvorhabens stellt sich zunächst die Frage, ob und gegebenenfalls unter welchen

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Voraussetzungen bereits Vorgespräche einzelner Organmitglieder in herausgehobener Position, insbesondere der Vorstands- und Aufsichtsratsvorsitzenden der betroffenen Gesellschaften, Gegenstand einer Insiderinformation sein können. Zu untersuchen ist dabei namentlich, ob auch solche Absichten einzelner Organmitglieder betreffend eine Akquisition oder einen Zusammenschluss Gegenstand von Insiderinformationen sein können, die sich (noch) nicht in einem Beschluss des jeweiligen Organs manifestiert haben. Im Folgenden sind daher Fusionsplanung und Willensbildung in der Aktiengesellschaft mit Blick darauf zu analysieren, welche Bedeutung derartige Absichten von Organmitgliedern in gesellschaftsrechtlicher (dazu sogleich unter II. 1.) und kapitalmarktrechtlicher Hinsicht (dazu unten, II. 2.) haben.

II.  Fusionsplanung und Willensbildung in der Aktiengesellschaft 1.  Der Beschluss als Voraussetzung eines der Aktiengesellschaft zurechenbaren Organwillens In gesellschaftsrechtlicher Hinsicht ist das Ergebnis eindeutig. Die Aktiengesellschaft bildet ihren Willen und handelt durch ihre Organe; deren Wille und Handeln gelten daher als Wille und Handeln der juristischen Person. Die Organe wiederum bilden ihren Willen durch Beschlüsse. Dabei ist es im vorliegenden Zusammenhang unerheblich, ob man auf Grundlage der Organtheorie die Willensbildung und das Handeln der Organe als eigenes Verhalten der juristischen Person ansieht1 oder ihr, der Vertretertheorie folgend, die Willensäußerungen und das Handeln ihrer Organe zurechnet.2 Entscheidend ist allein, dass nicht Absichten und Entschlüsse der einzelnen Organmitglieder, sondern nur die als Beschluss manifestierte Willensäußerung des Gesamt­organs als Wille der juristischen Person gelten kann. Entgegen einer vom Oberlandesgericht Stuttgart3 in einem Verfahren wegen Marktmanipulation nach § 20a WpHG a.F. entwickelten Auffassung kann die zentrale Bedeutung eines Organbeschlusses auch nicht durch die Annahme einer sog. „verdeckten Beschlusslage“ überspielt werden. Das Oberlandesgericht erläutert zwar nicht, was es unter diesem Begriff versteht. Seine Ausführungen deuten indessen darauf hin, dass damit nicht lediglich Beschlüsse gemeint sind, die von den Mitgliedern des betreffenden Organs zunächst geheim gehalten werden. So heißt es in der erwähnten Entscheidung etwa, es spreche Einiges dafür, „dass am … auch der Aufsichts1   So etwa BGH WM 1958, 557, 561; 1987, 286, 287; MünchKommBGB/Reuter, 6. Aufl., 2012, § 26 Rn. 11 f., Soergel/Hadding, 12. Aufl., 1987, § 26 Rn. 2; Beuthien, NJW 1999, 1142. 2   So etwa Flume Die juristische Person, 1983, S. 377 ff. 3   Vgl. OLG Stuttgart ZIP 2014, 1829 f.

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rat der Beteiligungserhöhung de facto4 bereits „Grünes Licht“ erteilte und die anderslautenden Protokollnotizen … der Verklausulierung der wahren Absichten dienten…“.5 In ähnlichem Sinne hält das Oberlandesgericht als Fazit der Historie des Beteiligungsaufbaus in dem zugrunde liegenden Sachverhalt fest: „Bei Betrachtung dieses Geschehens- und Planungsablaufs liegt es nahe, dass zumindest der Vorstand … bereits seit 2005 die „Vision“ – so die Kammer im angefochtenen Beschluss – der Übernahme … hatte, dass sich diese aber spätestens im Laufe des Jahres 2006 zu einer beschlossenen Absicht verstärkte.“ Gesellschaftsrechtlich sind solche Absichten oder Visionen einzelner Organmitglieder, die sich noch nicht in einem Beschluss verfestigt haben, unbeachtlich. Für den Aufsichtsrat, dessen Zustimmung nach § 111 Abs. 4 Satz 2 AktG bei Zusammenschlüssen und bedeutenden Akquisitionen regelmäßig erforderlich ist, ist das ohne weiteres einsichtig. Beschlüsse des Aufsichtsrats der AG bedürfen zwar von Gesetzes wegen keiner Form; insbesondere müssen sie nicht schriftlich gefasst werden. Gesetzlicher Regelfall ist vielmehr die Beschlussfassung durch Abstimmung in der Sitzung. Nach § 108 AktG können Aufsichtsratsbeschlüsse aber nur ausdrücklich gefasst werden; eine konkludente Beschlussfassung kommt nicht in Betracht.6 Absichten und Entschlüsse von Aufsichtsratsmitgliedern, die außerhalb des Beschlussverfahrens gebildet und geäußert werden, sind daher rechtlich unverbindlich und entfalten selbst dann keinerlei Wirkung für die Gesellschaft, wenn sie von der Zustimmung aller Mitglieder getragen sind. Nichts anderes als für den Aufsichtsrat gilt im Ergebnis für den Vorstand. Zwar kann er – im Gegensatz zum Aufsichtsrat – seine Beschlüsse grundsätzlich auch konkludent fassen.7 Allerdings können die Satzung oder eine vom Aufsichtsrat oder vom Vorstand selbst erlassene Geschäftsordnung des Vorstands diese Möglichkeit ausschließen oder beschränken. Von dieser Möglichkeit wird zum einen im Interesse der Rechtsklarheit, zum anderen mit Blick auf die Einhaltung bestimmter Verfahrens- und Formerfordernisse wie der Einhaltung eines Quorums und der Möglichkeit schriftlicher Stimmabgaben, häufig Gebrauch gemacht. Aber auch ganz unabhängig von Formerfordernissen einer Geschäftsordnung können Beschlüsse des Vorstands nicht mit Absichten und Willensbekundungen von Vorstandsmitgliedern gleichgesetzt werden, die nicht in einen Beschluss des Organs und damit in eine verbindliche Entscheidung   Hervorhebung durch den Verf.   OLG Stuttgart ZIP 2014, 1829, 1832. 6   Vgl. BGHZ 10, 187, 194; BGHZ 41, 282, 286; BGH AG 2010, 632, 633 Rn. 14; MünchKommAktG/Habersack, 4. Aufl., 2014, § 108 Rn. 12 und KölnKommAktG/Mertens/ Cahn, 3. Aufl., 2013, § 108 Rn. 14, jeweils mit zahlr. Nachw. 7  OLG Frankfurt ZIP 1986, 1244, 1245; KölnKommAktG/Mertens/Cahn, 3. Aufl., 2010, § 77 Rn. 33. 4 5

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der Gesellschaft umgesetzt worden sind. Nur ein Beschluss hat als Wille der Gesellschaft rechtliche Bedeutung, nicht hingegen außerhalb des Beschlussverfahrens geäußerte oder gar nur innere Absichten der Organmitglieder. Derartige Absichten oder Absichtsbekundungen schließen vielmehr ein anderweitiges Abstimmungsverhalten bei einer nachfolgenden Beschlussfassung keineswegs aus und präjudizieren eine rechtlich verbindliche Entscheidung des Vorstands selbst dann nicht, wenn alle Vorstandsmitglieder sich vorab in bestimmtem Sinne geäußert haben mögen. Ebenso wenig können Entschlüsse, die einzelne Vorstandsmitglieder oder mehrere gesamtgeschäftsführungsberechtigte Vorstandsmitglieder innerhalb ihrer Ressortzuständigkeit fassen, als Wille der Gesellschaft gelten, denn auch ihnen fehlt es bis zur Umsetzung durch einen Vertretungsakt an rechtlicher Verbindlichkeit. Demgegenüber ist ein Vorstands- oder Aufsichtsratsbeschluss als Entscheidung des Organs eine rechtlich verbindliche Willensäußerung der Gesellschaft. Ein solcher Beschluss schließt zwar nicht aus, dass der Vorstand oder der Aufsichtsrat seine Entscheidung später revidiert, indem er den ursprünglichen Beschluss aufhebt und einen abweichenden Beschluss fasst. Im Gegensatz zu nicht als Beschluss gefassten Absichten und Entschlüssen von Organmitgliedern, die jederzeit und ohne Weiteres aufgegeben werden können, kann aber die Änderung oder Aufhebung eines Beschlusses nur durch einen weiteren Beschluss erfolgen, der seinerseits der Zustimmung derjenigen Zahl von Organmitgliedern bedarf, die für den ursprünglichen Beschluss erforderlich war. Ein einstimmig zu fassender Beschluss kann also nur mit den Stimmen aller Organmitglieder aufgehoben werden, ein Mehrheitsbeschluss nur mit den Stimmen der für den betreffenden Beschlussgegenstand erforderlichen Mehrheit.8 Hinzu kommt, dass die psychologische Schwelle, eine verbindlich gefasste und möglicherweise bereits gegenüber dem jeweils anderen Organ und engen Mitarbeitern bekanntgegebene Entscheidung zu revidieren, erheblich höher ist als die Hürde, bei einer Beschlussfassung im Anschluss an eine gremieninterne Diskussion abweichend von einer zuvor mehr oder weniger dezidiert geäußerten Meinung abzustimmen. Als Ergebnis lässt sich daher festhalten, dass Absichten einzelner oder aller Mitglieder der Verwaltung einer AG gesellschaftsrechtlich ohne Bedeutung sind, solange sie sich nicht in einem Beschluss des jeweiligen Organs manifestiert haben. Etwaige Absichten und Pläne, die einzelne Organmitglieder im Hinblick auf einen Unternehmenszusammenschluss oder eine Akquisition haben mögen, sind daher gesellschaftsrechtlich ohne Bedeutung. Vor einem 8   Die Auswirkungen werden insbesondere im Fall der Stimmengleichheit deutlich: Hier kommt ein zustimmender Mehrheitsbeschluss nicht zustande, auch wenn sich in Vorgesprächen eine Mehrheit oder sogar alle Gremienmitglieder für den Vorschlag ausgesprochen haben. Ist dagegen ein entsprechender Beschluss gefasst worden, ist ein Vorschlag, ihn abzuändern oder aufzuheben, selbst dann abgelehnt, wenn die Hälfte der Gremienmitglieder ihre Ansicht geändert hat.

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Vorstandsbeschluss kann selbst im Sinne einer nur vorläufigen, jederzeit wieder abänderbaren Absicht des Emittenten nicht die Rede sein. Aus der Einschaltung externer Berater lässt sich entgegen der Ansicht des OLG Stuttgart9 nicht folgern, es sei bereits eine Entscheidung über die Durchführung einer Akquisition oder eines Zusammenschlusses getroffen worden. Bei Unternehmenszusammenschlüssen und bedeutenden Akquisitionen muss sich der Vorstand im Vorfeld einer Beschlussfassung über die Durchführung eines solchen Vorhabens zunächst über die verfolgten strategischen Ziele, die Auswahl des Transaktionsziels, die grundsätzliche Durchführbarkeit des Vorhabens, die zweckmäßige Transaktionsstruktur und die voraussichtlichen Auswirkungen der Transaktion einschließlich der Integration oder Kooperation und die erreichbaren Synergievorteile mit der Zielgesellschaft nach erfolgreicher Durchführung des Vorhabens informieren, analysieren, ob und gegebenenfalls welche Nachteile sich aus der Akquisition ergeben können, und mögliche Vor- und Nachteile gegeneinander abwägen.10 Jeder dieser Themenkomplexe umfasst wiederum eine Vielzahl von Einzelfragen, namentlich der Finanzierung sowie der wirtschaftlichen und rechtlichen Rahmenbedingungen.11 Pflichtgemäß handelnde Organmitglieder werden sich dabei in aller Regel nicht allein auf ihre eigene Expertise verlassen dürfen, sondern auf den im Unternehmen vorhandenen Sachverstand zurückgreifen. Darüber hinaus wird angemessene Information regelmäßig die Einschaltung einer ganzen Reihe externer Berater, insbesondere Investmentbanker, Unternehmensberater und Rechtsanwälte, erfordern.12 Erstreckt sich ein Akquisitionsvorhaben von den ersten Überlegungen bis zu seiner Umsetzung über einen längeren Zeitraum, hat der Vorstand sich vor jedem Schritt des Prozesses über die Aktualität seiner Informationsgrundlagen zu vergewissern, wozu wiederum die wiederholte Abstimmung mit den eingeschalteten Beratern gehört. Eine solche Informationsbeschaffung einschließlich der Auswertung der erhobenen Informationen und der Berücksichtigung des Ergebnisses einer solchen Auswertung ist Voraussetzung eines im Sinne der Business Judgment Rule ordnungsmäßigen Entscheidungsprozesses. Aus dem Umstand, dass der Vorstand oder einzelne seiner Mitglieder zur Vorbereitung einer etwaigen Beschlussfassung Berater einschalten, kann daher nicht mehr gefolgert werden als eben dies, dass nämlich eine mögliche Entscheidung vorbereitet werden soll.

  OLG Stuttgart ZIP 2014, 1829.   Vgl. etwa Cahn in FS Stilz, 2014, S. 99, 100 ff. 11   Vgl. etwa die Checklisten bei Seibt in ders. (Hrsg.) Beck’sches Formularbuch Mergers & Acquisitions, 2. Aufl., 2011, A.I., S. 1 ff. 12  Siehe etwa Wiese/Sohns in Klamar/Sommer/Weber (Hrsg.), Der effiziente M & A-Prozess, 2013, S. 17, 26 f.; Hopt/Kumpan ZGR 2017, 765, 770 f. 9

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2.  Kapitalmarktrechtliche Bedeutung der organinternen Meinungsbildung sowie von Gesprächen oder anderen Maßnahmen im Vorfeld einer Beschlussfassung des Vorstands Daraus folgt zwar nicht ohne weiteres, dass Absichten einzelner Organmitglieder, die sich (noch) nicht in einem Beschluss manifestiert haben, sowie Gespräche oder andere Maßnahmen wie etwa die Einschaltung von Beratern im Vorfeld einer Beschlussfassung des Vorstands auch kapitalmarktrechtlich von vornherein unerheblich wären. Die vorstehenden Erwägungen zeigen aber, dass Absichten einzelner Organmitglieder und von ihnen im Vorfeld eines Beschlusses geführte Gespräche in Ermangelung jeglicher Verbindlichkeit für die Aktiengesellschaft nur unter besonderen Umständen einen Schluss auf künftige Entwicklungen und deren mögliche Kursrelevanz zulassen. Mit diesem Vorbehalt sind im Folgenden derartige Absichten und Umstände, die Teil eines gestreckten Sachverhalts wie etwa einer Akquisition oder eines möglichen Zusammenschlusses zweier Unternehmen sind, unter zwei Blickwinkeln auf ihre Bedeutung als Insiderinformation zu würdigen: Zum einen im Hinblick auf das (mögliche) Endergebnis des Geschehensverlaufs, den Unternehmenszusammenschluss. Bei ihm handelt es sich um ein zukünftiges Ereignis, das nur dann Gegenstand einer Insiderinformation sein kann, wenn sein Eintritt i.S.v. Art. 7 Abs. 2 hinreichend wahrscheinlich ist (dazu sogleich, a)). Absichten von Organmitgliedern und im Vorfeld einer Beschlussfassung des Vorstands geführte Gespräche oder andere Maßnahmen sind zum anderen als Zwischenschritte des gestreckten Sachverhalts, insbesondere als bereits eingetretene Umstände, auf ihre insiderrechtliche Bedeutung hin zu untersuchen (dazu unten, b)). a)  Akquisition oder Zusammenschluss als Gegenstand einer Insiderinformation über einen zukünftigen Umstand? Nach Art. 7 Abs. 1 lit. a) MAR sind Insiderinformationen nicht öffentlich bekannte präzise Informationen, die direkt oder indirekt einen oder mehrere Emittenten oder ein oder mehrere Finanzinstrumente betreffen und die, wenn sie öffentlich bekannt würden, geeignet wären, den Kurs dieser Finanz­instrumente oder den Kurs damit verbundener derivativer Finanzinstrumente erheblich zu beeinflussen, was sich gemäß Art. 7 Abs. 4 MAR danach beurteilt, ob ein verständiger Anleger die Informationen wahrscheinlich als Teil der Grundlage seiner Anlageentscheidung nutzen würde. Nach Art. 7 Abs. 2 MAR sind für Zwecke des Absatzes 1 der Bestimmung Informationen dann als präzise anzusehen, wenn Umstände gemeint sind, bei denen man vernünftigerweise erwarten kann, dass sie in Zukunft gegeben sein werden oder ein Ereignis, von dem man vernünftigerweise erwarten kann, dass es in Zukunft eintreten wird, sofern sie spezifisch genug sind, um

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einen Schluss auf mögliche Kursauswirkungen zuzulassen. Zwar definiert die MAR, ebenso wenig wie vormals § 13 WpHG a.F., die die dieser Vorschrift zugrunde liegende Marktmissbrauchsrichtlinie13 oder die zu deren Konkretisierung von der Kommission erlassene Durchführungsrichtlinie,14 unter welchen Umständen dies anzunehmen ist. Der zur Frage nach dem notwendigen Grad an Wahrscheinlichkeit geführte Streit ist aber bereits unter Geltung des früheren Rechts durch die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs und des Bundesgerichtshofs dahingehend entschieden worden, dass eine überwiegende Wahrscheinlichkeit (50% + x) des Eintritts des Umstandes erforderlich, aber auch ausreichend ist,15 und dieser Ansatz liegt auch der MAR zugrunde.16 Entscheidend ist daher, ob Überlegungen einzelner Organmitglieder, insbesondere des Vorstandsvorsitzenden und des Aufsichtsratsvorsitzenden im Hinblick auf eine Akquisition oder einen Unternehmenszusammenschluss, die noch nicht in einem Organbeschluss Niederschlag gefunden haben, als Grundlage für die Annahme ausreichen, der Zusammenschluss werde mit überwiegender Wahrscheinlichkeit in Zukunft durchgeführt werden. Diese Frage wird im Rahmen des Insiderrechts vor allem mit Blick darauf erörtert, unter welchen Voraussetzungen „Pläne, Vorhaben oder Absichten“ Gegenstand von Insiderinformationen sein können.17 Auch im Emittentenleitfaden ist im Zusammenhang mit mehrstufigen Entscheidungsprozessen ohne weitere Erläuterung von der „festen Absicht“ einer AG zur Übernahme einer anderen Gesellschaft die Rede.18 Da die Gesellschaft selbst und nicht ihre Organmitglieder Partei einer Übernahme, einer Transaktion oder anderer in ihrem Namen abgeschlossenen Geschäfte ist, können Pläne, Vorhaben oder Absichten von Organmitgliedern insiderrechtlich nur insoweit von Belang sein, als die Aussicht besteht, dass sie in entsprechendem Verhalten des Emittenten Niederschlag 13  Richtlinie 2003/6/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 28. Januar 2003 über Insider-Geschäfte und Marktmanipulation (Marktmissbrauch). 14  Richtlinie 2003/124/EG der Kommission vom 22. Dezember 2003 zur Durchführung der Richtlinie 2003/6/EG des Europäischen Parlaments und des Rates betreffend die Begriffsbestimmung und die Veröffentlichung von Insider-Informationen und die Begriffsbestimmung der Marktmanipulation. 15  Zur Marktmissbrauchs-RL EuGH ZIP 2012, 1282, 1284 ff., Rn. 41 ff.; dazu etwa Mennicke/Jakovou in Fuchs, WpHG, 2. Aufl., 2016, § 13 Rn. 25; Ritz in Just/Voß/Ritz/ Becker, WpHG, 2015, § 13 Rn. 93; Klöhn ZIP 2012, 1885, 1889 f.; ders., in Kölner Komm WpHG, 2. Aufl., 2014, § 13 Rn. 98, 100; Schall ZIP 2012, 1286, 1288; BGH NJW 2013, 2114, 2118, Rn. 29. 16  Klöhn/Klöhn, Marktmissbrauchsverordnung, 2018, Art. 7 Rn. 97; Hopt/Kumpan in Schimansky/Bunte/Lwowski, Bankrechts-Handbuch, 5. Aufl., 2017, § 107 Rn. 45; dies. ZGR 2017, 765, 774 f.; Bingel AG 2012, 685, 689. 17   Vgl. Klöhn/Klöhn, Marktmissbrauchsverordnung, 2018, Art. 7 Rn. 69; zu § 13 WpHG a.F. etwa Assmann/Schneider/Assmann, WpHG, 6. Aufl., 2012, § 13 Rn. 20. 18   BaFin, Emittentenleitfaden, 4. Aufl, 2013, III.2.1.1.1, S. 33.

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finden und sich in diesem Sinne als Pläne, Vorhaben oder Absichten des Emittenten qualifizieren lassen. In den einschlägigen Stellungnahmen bleibt allerdings durchweg offen, ob Pläne, Vorhaben oder Absichten einer Aktiengesellschaft voraussetzen, dass das dafür zuständige Organ, regelmäßig der Vorstand, einen entsprechenden Beschluss gefasst hat, wie das bei der – hier allerdings nicht in Rede stehenden – Unternehmensplanung i.S.v. § 90 Abs. 1 Nr. 1 AktG erforderlich ist,19 oder ob bereits Überlegungen im Vorfeld einer Beschlussfassung als Gegenstand einer Insiderinformation in Betracht kommen. Wollte man annehmen, dass bereits im Vorfeld einer Beschlussfassung Absichten einer Aktiengesellschaft vorliegen können, die als Gegenstand einer Insiderinformation in Betracht kommen, hätte das allerdings weitreichende Folgen. Bereits informelle Gespräche innerhalb des Vorstands oder des Aufsichtsrats könnten danach eine Absicht der AG begründen, die für den Fall ihrer Kursrelevanz als Insiderinformation zu qualifizieren und adhoc zu veröffentlichen wäre. Problematisch wäre dabei zunächst die Abgrenzung von Absichten einerseits und solchen Überlegungen von Vorstandsoder Aufsichtsratsmitgliedern andererseits, die noch nicht das Stadium einer Absicht erreicht haben. Einschätzungen oder Meinungsbekundungen von Organmitgliedern im Vorfeld eines Beschlusses sind rechtlich unverbindlich und werden von den Beteiligten regelmäßig auch nicht im Sinne einer Selbstbindung verstanden. Dementsprechend werden sie auch Äußerungen in einem frühen Stadium der Überlegungen andere Bedeutung beimessen als einer Diskussion im unmittelbaren Vorfeld einer Beschlussfassung. Würden an Äußerungen der zuerst genannten Art schwerwiegende Rechtsfolgen wie das Eingreifen des Insiderrechts geknüpft, wären der vom Gesetz vorausgesetzte unbefangene Meinungsaustausch und die offene Diskussion zwischen Vorstand und Aufsichtsrat und innerhalb der beiden Kollegialorgane20 über kursrelevante Themen erheblich beeinträchtigt. Die Gremienmitglieder müssten stets gewärtigen, möglicherweise die Schwelle zum Insiderrecht zu überschreiten, wenn sich ein (vorläufiger) Konsens abzeichnet, ohne verlässlich einschätzen zu können, wann ein Gericht ex post das Vorliegen einer kursrelevanten Information annehmen würde. Es wäre völlig offen, ob eine Absicht oder ein Plan ohne entsprechenden Beschluss das Einvernehmen aller Organmitglieder voraussetzen würde oder ob es ausreichen sollte, dass die Mehrheit des betreffenden Gremiums oder die Meinungsführer sich einig sind. Ebenso wäre offen, welchen Grad der Verfestigung die Erwägun19  Zur Beschlussfassung als Voraussetzung für das Vorliegen einer berichtspflichtigen Unternehmensplanung vgl. KölnKommAktG/Mertens/Cahn, 3. Aufl., 2010, § 90 Rn. 34; ausführlich zur insiderrechtlichen Behandlung der Unternehmensplanung Reichert/Ott in FS Hopt, Band 2, 2010, S. 2385, 2389 ff. 20   Vgl. dazu nur Ziff. 3.5 DCGK.

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gen der Organmitglieder erreicht haben müssen, damit eine „unternehmerische Vision“ oder eine Vorüberlegung in das Stadium einer „Absicht“ übergeht. In Anbetracht der Rechtsfolgen, die das Gesetz an die Verletzung kapitalmarktrechtlicher Pflichten knüpft, wäre die Rechtsunsicherheit, die mit einem Eingreifen des Insiderrechts bereits im Stadium unverbindlicher Meinungsäußerungen von Organmitgliedern verbunden wäre, in höchstem Maße bedenklich. Mindestens ebenso problematisch wäre aber auch das sehr frühzeitige Eingreifen der Pflicht zur ad-hoc-Veröffentlichung nach Art. 17 MAR, wenn man annehmen wollte, eine „Absicht“ oder ein „Plan“ ohne entsprechenden Gremienbeschluss könne kursrelevant sein. Das gilt zunächst mit Blick auf die Qualifikation eines tatsächlichen Einvernehmens aller oder mehrerer Organmitglieder als gegenwärtiger Umstand i.S.v. Art. 7 Abs. 1 lit. a, Abs. 2 MAR. Die Mitteilung, der Vorstandsvorsitzende oder der Vorsitzende des Aufsichtsrats verfolge das Ziel einer bestimmten Akquisition oder eines Zusammenschlusses mit einer anderen Gesellschaft oder auch der Vorstand oder die Mehrheit der Vorstandsmitglieder der X-AG seien sich darüber einig, dass eine solche Akquisition oder ein solcher Zusammenschluss erfolgen solle, würde die Gefahr der Irreführung des Kapitalmarkts bergen, denn ohne einen dahingehenden Beschluss sind derartige Absichten von Vorstands- oder Aufsichtsratsmitgliedern völlig unverbindlich. Eine entsprechende Veröffentlichung könnte bereits dann unrichtig werden, wenn einzelne Vorstandsmitglieder ihre Meinung ändern, ohne dass dies dem Gremium bekannt sein müsste. Qualifizierte man Absichten von Organmitgliedern auch ohne einen entsprechenden Beschluss als Insiderinformation über einen gegenwärtigen Umstand, könnte die ad-hoc-Publizität aber sogar noch deutlich früher als im Stadium solcher informellen Überlegungen eingreifen. Nach Art. 7 Abs. 2 MAR könnte die Veröffentlichungspflicht nämlich bereits dann bestehen, wenn mit hinreichender Wahrscheinlichkeit davon ausgegangen werden kann, dass die Gremienmitglieder derartige informelle Absichten in Zukunft fassen werden, etwa weil die „Vision“ eines Vorhabens oder von Mitarbeitern oder externen Beratern als Anregung präsentierte Szenarien positiv aufgenommen werden, so dass ein verständiger Anleger sich in Kenntnis solcher Überlegungen möglicherweise nicht zu einem sonst in Betracht gezogenen Kauf oder Verkauf von Finanzinstrumenten des betreffenden Emittenten entscheiden, sondern zunächst die weitere Entwicklung abwarten würde.21 Solche vorläufigen Überlegungen können indessen jederzeit modifiziert oder gänzlich aufgegeben werden und präjudizieren die Entscheidungsfindung rechtlich auch dann nicht, wenn ihre weitere Konkretisierung und spätere Umsetzung aus tatsächlichen Gründen wahrscheinlich erscheinen mag. Eine Pflicht zur Veröffentlichung in einem derart frühen Stadium eines möglichen 21

 Vgl. Klöhn ZIP 2012, 1885, 1887.

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Vorhabens würde daher für die Kapitalmarktteilnehmer einen Anreiz zur Spekulation auf höchst unsicherer Grundlage eröffnen. Zwar kann der Emittent nach Art. 17 Abs. 4 MAR auf eigene Verantwortung die Veröffentlichung einer Insiderinformation aufschieben, wenn die Voraussetzungen dieser Bestimmung erfüllt sind, zumal Unterabs. 2 der Bestimmung ausdrücklich klarstellt, dass ein solcher Aufschub auch im Hinblick auf Schritte eines zeitlich gestreckten Vorgangs zulässig ist. Ein solcher Aufschub setzt indessen eine Entscheidung des dafür beim Emittenten zuständigen Gremiums voraus,22 dessen Einschaltung in einem sehr frühen Stadium eines möglichen Vorhabens dann nicht unproblematisch ist, wenn die maßgeblichen Organmitglieder ihre Überlegungen noch nicht gegenüber Dritten offenlegen wollen. Aber selbst wenn der Emittent in einem frühen Stadium der Vorüberlegungen durchweg von der Selbstbefreiung nach Art. 17 Abs. 4 MAR Gebrauch machen könnte, muss doch bereits der Begriff der Insiderinformation so konkretisiert werden, dass eine sinnvolle ad-hocVeröffentlichung möglich wäre. Eine solche Möglichkeit bestünde jedoch nicht, wenn bereits die Wahrscheinlichkeit, dass der Vorstand des Emittenten in Zukunft Pläne, Absichten oder Vorhaben fassen wird, die sich aber noch nicht in einem Beschluss manifestieren, als Insiderinformation gelten könnte. So wäre etwa die Veröffentlichung, wahrscheinlich werde der Vorstand der X-AG in näherer Zukunft darüber beraten, ob Gespräche mit der Y-AG über einen möglichen Zusammenschluss aufgenommen werden sollten, für den Kapitalmarkt nicht hilfreich, sondern verwirrend. b)  Gespräche zwischen Organmitgliedern und andere Vorbereitungsund Sondierungsmaßnahmen im Vorfeld einer Akquisition oder eines Zusammenschlusses als Gegenstand einer Insiderinformation über einen gegenwärtigen Umstand? Absichten von Organmitgliedern und im Vorfeld einer Beschlussfassung des Vorstands geführte Gespräche oder andere Maßnahmen, wie etwa das Entwerfen von Vorschlägen für Dokumente oder die Einschaltung von Beratern, sind nicht nur im Hinblick auf das mögliche Endereignis – im vorliegenden Zusammenhang einen möglichen Zusammenschluss oder eine Akquisition – insiderrechtlich zu würdigen, sondern auch in ihrer Eigenschaft als bereits eingetretene und damit gegenwärtige Umstände, für deren

22   Vgl. dazu Klöhn/Klöhn, Marktmissbrauchsverordnung, 2018, Art. 17 Rn. 158 f.; zu Art. 15 Abs. 3 WpHG a.F. war umstritten, ob die Selbstbefreiung ipso iure eintrat (so etwa Assmann/Schneider/Assmann, WpHG, 6. Aufl., 2012, § 15 Rn. 165 a ff.; Klöhn in KölnKommWpHG, 2. Aufl., 2014, § 15 Rn. 312 ff.; Ihrig/Kranz, BB 2013, 451, 452 ff.) oder eine Entscheidung des Emittenten erforderte (so insbesondere die BaFin, Emittentenleitfaden, 4. Aufl., 2013, IV.3., S. 59).

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insiderrechtliche Bedeutung es daher jedenfalls nicht allein auf die Eintrittswahrscheinlichkeit des möglichen Endereignisses ankommt. Neben den – in den zur Rede stehenden Fällen ohne weiteres zu bejahenden – Merkmalen des Emittentenbezugs und der fehlenden öffentlichen Bekanntheit kommt es entscheidend darauf an, ob Gespräche zwischen Organmitgliedern und andere Vorbereitungs- und Sondierungsmaßnahmen Gegenstand einer präzisen Information sind (dazu sogleich, aa)) und ob eine solche präzise Information gegebenenfalls geeignet wäre, im Falle ihres öffentlichen Bekanntwerdens den Börsen- oder Marktpreis der von den betroffenen Gesellschaften begebenen Insiderpapiere wesentlich zu beeinflussen (dazu unten, bb). aa)  Vorliegen einer präzisen Information? Eine Insiderinformation ist nach Art. 7 Abs. 1 lit. a) MAR eine präzise Information. „Präzise“ ist eine Information nach Art. 7 Abs. 2 MAR dann, „wenn damit eine Reihe von Umständen gemeint ist, die bereits gegeben sind oder bei denen man vernünftigerweise erwarten kann, dass sie in Zukunft gegeben sein werden, oder ein Ereignis, das bereits eingetreten ist oder von den vernünftigerweise erwarten kann, dass es in Zukunft eintreten wird, und diese Information darüber hinaus spezifisch genug ist, um einen Schluss auf die mögliche Auswirkung dieser Reihe von Umständen oder dieses Ereignisses auf die Kurse der Finanzinstrumente oder des damit verbundenen derivativen Finanzinstrumente… zuzulassen“. Der Begriff „präzise“ umfasst danach zwei Elemente: Zum einen muss die Information gegenwärtige oder zukünftige Umstände/Ereignisse betreffen, zum anderen muss sie einen Schluss auf die mögliche Auswirkung der Information auf den Kurs zulassen. Wie Art. 7 Abs. 3 MAR im Anschluss an die Rechtsprechung des EuGH23 zu der im Wesentlichen gleichlautenden Definition des Begriffs der präzisen Information in Art. 1 Abs. 1 der Richtlinie 2003/124/EG klarstellt, ist auch ein Zwischenschritt in einem zeitlich gestreckten Vorgang eine Insiderinformation, falls er für sich genommen die Kriterien für eine Insiderinformation erfüllt. Dabei gilt im Rahmen von Art. 7 MAR ebenso wie nach früherem Insiderrecht,24 dass eine Information auch dann präzise sein kann, wenn offen ist, in welche Richtung sich der Kurs des betreffenden Finanzinstruments bei ihrem Bekanntwerden voraussichtlich bewegen würde.25 Der Umstand, dass ein Unternehmen Verhandlungen über einen Zusammenschluss in Betracht zieht oder unverbindliche Vorgespräche zur Sondie23   EuGH ZIP 2012, 1282, 1284, Rn. 31 ff.; BGH NJW 2013, 2114, Leitsatz 1 und 2216, Rn. 15 ff. 24   EuGH ZIP 2015, 627, 629, Rn. 34 ff. 25  Klöhn/Klöhn, Marktmissbrauchsverordnung, 2018, Art. 7 Rn. 87 ff.; Hopt/Kumpan ZGR 2017, 765, 773.

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rung von Rahmenbedingungen für solche Verhandlungen und deren Aussichten führt, kann unabhängig von dem möglichen Endereignis Gegenstand einer konkreten Information sein, weil bereits die Tatsache, dass überhaupt derartige Erwägungen angestellt oder Vorgespräche geführt werden, den Schluss auf mögliche Kursauswirkungen zulässt.26 Denkbar ist das etwa dann, wenn ein verständiger Anleger Anlass zu der Annahme gehabt hätte, das betroffene Unternehmen ziehe ausschließlich organisches Wachstum in Betracht und schließe Akquisitionen oder Zusammenschlüsse von vornherein aus, so dass bereits die bloße Erwägung, Akquisitions- oder Fusionsmöglichkeiten zu sondieren, als Ausdruck eines Strategiewechsels verstanden werden könnte. In aller Regel schließen Unternehmensleitungen größere Akquisitionen oder Zusammenschlüsse allerdings nicht grundsätzlich aus. Im Gegenteil ist selbst bei Unternehmen, die zu ihrer Wachstumsstrategie keine Aussagen machen, die Suche nach Übernahme- oder Zusammenschlussmöglichkeiten durchaus üblich. Überlegungen betreffend die mögliche Aufnahme von Gesprächen über solche Vorhaben und Sondierungsgespräche sind daher regelmäßig unter dem Aspekt eines Strategiewechsels keine präzisen Informationen i.S.v. Art. 7 Abs. 2 MAR. Überlegungen einzelner Vorstands- oder Aufsichtsratsmitglieder, möglicherweise eine Akquisition in Angriff zu nehmen oder in Verhandlungen mit einer anderen Gesellschaft über einen Zusammenschluss einzutreten oder Vorgespräche zur Sondierung der Aussichten für solche Verhandlungen können zum anderen im Hinblick auf das mögliche Endereignis einer Akquisition oder Fusion als Gegenstand einer Art. 7 MAR „präzisen“ Information in Betracht kommen. Das setzt allerdings voraus, dass eine Information hierüber spezifisch genug ist, um einen Schluss auf mögliche Auswirkungen auf den Kurs von der betreffenden Gesellschaft begebener Insiderpapiere zuzulassen. Anhaltspunkte für die insoweit maßgeblichen Erwägungen lassen sich der Entscheidung des Bundesgerichtshofs in der Rechtssache „Geltl“ entnehmen. Hier hat der Bundesgerichtshof die Überlegungen eines Vorstandsvorsitzenden, sein Amt niederzulegen, als nicht hinreichend konkret angesehen, weil sie noch keinen Schluss auf eine mögliche Kursauswirkung zulasse. Daran ändere auch die Mitteilung an seine Ehefrau nichts, weil die Information damit nicht über den engen persönlichen Bereich hinausgelangt sei.27 Ein anschließendes Gespräch des Vorstandsvorsitzenden mit dem Aufsichtsratsvorsitzenden zu einem einvernehmlichen Wechsel im Vorstandsvorsitz kam 26   Vgl. etwa BGH NJW 2013, 2114, 2117, Rn. 24; Mennicke/Jakovou in Fuchs, WpHG, 2. Aufl., 2016, § 13 Rn. 76; Ihrig/Kranz AG 2013, 515, 516; Wilsing/Goslar DStR 2012, 1709, 1710 f.; Klöhn ZIP 2012, 1885, 1890. 27   BGH NJW 2013, 2114, 2116 Rn. 19; zust. etwa Klöhn in KölnKommWpHG, 2. Aufl., 2014, § 13 Rn. 86.

Zusammenschluss- und Akquisitionsvorhaben

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demgegenüber nach Ansicht des Bundesgerichtshofs zwar grundsätzlich als Gegenstand einer Insiderinformation in Betracht; die Einordnung als konkrete Information i.S.v. § 13 Abs. 1 Satz 1 WpHG a.F. ließ der Bundesgerichtshof allerdings offen. Sie hänge davon ab, ob die Information „spezifisch bzw. präzise genug ist, um einen Schluss auf eine Auswirkung auf den Kurs der Aktien…“ zuzulassen.28 Diesen Aussagen des Bundesgerichtshofs lässt sich als Leitlinie entnehmen, dass es an der „Konkretheit“ (§ 13 Abs. 1 Satz 1 WpHG a.F.) bzw. „Präzision“ (Art. 1 Abs. 1 der Marktmissbrauchsrichtlinie) einer Information jedenfalls dann fehlt, wenn die weitere Entwicklung noch so ungewiss erscheint, dass eine Einschätzung möglicher Kursauswirkungen jederzeit durch neue Tatsachen wieder überholt sein könnte.29 Das Erfordernis der Konkretheit der Information soll verhindern, dass das Insiderrecht bloße Spekulation sanktioniert.30 Diese Erwägungen gelten auch für das Merkmal der präzisen Information nach Art. 7 MAR. Im Stadium unverbindlicher Überlegungen einzelner Organmitglieder und von Vorgesprächen zum Zweck der Sondierung fehlt es noch an einem Plan oder Vorhaben mit möglicher Kursrelevanz. Die Überlegungen und Vorgespräche dienen vielmehr erst der Vorbereitung einer Entscheidung darüber, ob ein Plan gefasst oder Vorhaben verfolgt werden soll. bb) Kurserheblichkeit? Wenn man entgegen den vorstehenden Erwägungen annehmen wollte, die Information über die von einzelnen Vorstands- oder Aufsichtsratsmitgliedern angestellten Überlegungen, möglicherweise eine Akquisition in Angriff zu nehmen oder Verhandlungen mit einer anderen Gesellschaft über einen Zusammenschluss einzutreten und über die bereits geführten Vorgespräche zur Sondierung von Rahmenbedingungen für solche Verhandlungen und deren Aussichten seien i.S.v. Art. 7 Abs. 2 MAR „präzise“, würde es aus den oben (aa) ausgeführten Gründen jedenfalls an der Eignung dieser Information fehlen, im Falle ihres öffentlichen Bekanntwerdens den Börsen- oder Marktpreis der von der betreffenden Gesellschaft begebenen Insiderpapiere erheb28   BGH NJW 2013, 2114, 2117, Rn. 21. Die Diktion des BGH ist insoweit missverständlich, als er die Information „konkret“ nennt, damit aber offensichtlich nicht das entsprechende Tatbestandsmerkmal des § 13 Abs. 1 Satz 1 WpHG a.F., sondern lediglich ein Element der sog. Kurspezifizität meint, die in Anlehnung an Art. 1 Abs. 1 der Richtlinie 2003/124/EG („…und diese Information darüber hinaus spezifisch genug ist, dass sie einen Schluss auf die mögliche Auswirkung …auf die Kurse von Finanzinstrumenten … zulässt“) in das Tatbestandsmerkmal „konkret“ i.S.v. § 13 Abs. 1 Satz 1 a.F. WpHG hineingelesen wurde, vgl. etwa Ritz in Just/Voß/Ritz/Becker, WpHG, 2015, § 13 Rn. 22. 29   Gellings, der gestreckte Geschehensablauf im Insiderrecht, 2015, S. 86; so bereits OLG Stuttgart NZG 2007, 352, 357; Möllers WM 2005, 1393, 1394. 30   Mennicke/Jakovou in Fuchs, WpHG, 2. Aufl., 2016, § 13 Rn. 72a;

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lich zu beeinflussen. Das gilt selbst dann, wenn man die Ausführungen des Europäischen Gerichtshofs, verständige Investoren stützten ihre Anlageentscheidungen auf alle verfügbaren ex-ante Informationen und müssten daher nicht nur die „möglichen Auswirkungen“ eines Ereignisses auf den Emittenten in Betracht ziehen, sondern auch den Grad der Wahrscheinlichkeit des Eintritts dieses Ereignisses,31 dahin versteht, dass für die Kursrelevanz eines bereits eingetretenen Ereignisses innerhalb eines gestreckten Geschehensablaufs keine Mindestwahrscheinlichkeit des Eintritts des (möglichen) künftigen Endereignisses erforderlich ist. Nach diesem Verständnis der Rechtsprechung ist die Kursrelevanz stets als Erwartungswert durch Multiplikation der erwarteten künftigen Auswirkungen des Zwischenschritts mit der Wahrscheinlichkeit des Eintritts dieser Auswirkungen zu berechnen.32 Lassen diese Auswirkungen einen hohen Kursausschlag erwarten, kann danach ein bereits verwirklichter Zwischenschritt selbst dann Gegenstand einer Insider­ information sein, wenn der Eintritt eines bestimmten kursbeeinflussenden Endereignisses nicht überwiegend wahrscheinlich ist.33 Selbst wenn man mit der soeben geschilderten Auffassung annehmen wollte, Marktteilnehmer könnten trotz mangelnder Kenntnis von den internen Planungen der beteiligten Unternehmen und den Details des Verhandlungsstandes die Kursrelevanz von Zwischenschritten mit Blick auf das Endergebnis einer möglichen Akquisition oder Fusion berechnen oder überschlägig einschätzen, muss der verständige Anleger doch aus dem Zwischenschritt zumindest gewisse Anhaltspunkte für die Beschaffenheit des Endereignisses und für die Wahrscheinlichkeit seines Eintritts entnehmen können. Ohne solche Anhaltspunkte ist eine „Berechnung“ oder auch nur eine begründete überschlägige Einschätzung des Produkts aus Eintrittswahrscheinlichkeit des (möglichen) künftigen Ereignisses und seiner Auswirkung auf den Fundamentalwert des Insiderpapiers34 nicht einmal annäherungsweise möglich. Erwartungen über die Kursrelevanz würden vielmehr lediglich auf subjektiven Erwartungen beruhen und hätten rein spekulativen Charakter.

  EuGH ZIP 2012, 1282, 1286, Rn. 55.   So zur MAR Klöhn/Klöhn, Marktmissbrauchsverordnung, 2018, Art. 7 Rn. 217 ff. 33   So das Verständnis des EuGH Klöhn ZIP 2012, 1885, 1891 und Schall ZIP 2012, 1286, 1288, die der BGH zustimmend zitiert, vgl. BGH NJW 2013, 2114, 2117, Rn. 25. Ebenso zu Art. 7 MAR Klöhn/Klöhn, Marktmissbrauchsverordnung, 2018, Art. 7 Rn. 199, 217. 34   So die Präzisierung dieses Faktors der sog. probability-magnitude-Formel bei Klöhn/ Klöhn, Marktmissbrauchsverordnung, 2018, Art. 7 Rn. 190 ff. 31 32

Zusammenschluss- und Akquisitionsvorhaben

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III. Fazit Die kaptalmarktrechtlichen Pflichten eines Emittenten im Rahmen von Zusammenschluss- oder Akquisitionsvorhaben sind nicht unabhängig von den gesellschaftsrechtlichen Grundlagen der internen Entscheidungsprozesse. Absichten einzelner oder aller Mitglieder der Verwaltung einer AG sind daher nicht nur gesellschaftsrechtlich, sondern regelmäßig auch kapitalmarktrechtlich ohne Bedeutung, solange sie sich nicht in einem Beschluss des jeweiligen Organs manifestiert haben. Von Absichten einer Aktiengesellschaft kann vielmehr frühestens dann die Rede sein, wenn ein Beschluss des für die betreffende Maßnahme zuständigen Organs vorliegt, bei Maßnahmen der Geschäftsführung also des Vorstands. Absichten einzelner Organmitglieder und von ihnen im Vorfeld eines Beschlusses geführte Gespräche lassen in Ermangelung jeglicher Verbindlichkeit für die Aktiengesellschaft allenfalls unter besonderen Umständen einen Schluss auf künftige Entwicklungen und deren mögliche Kursrelevanz zu.

Beseitigung geheilter Beschlüsse nach § 242 Abs. 2 S. 3 AktG

Die Beseitigung geheilter Beschlüsse nach § 242 Abs. 2 S. 3 AktG – Weckruf für eine Norm im Dornröschenschlaf Matthias Casper I.  Eine Norm im Dornröschenschlaf, Anliegen dieses Beitrages Alfred Bergmann hat dem II. Zivilsenat über sechs Jahre vorgestanden und in dieser Zeit umsichtig und mit ruhiger Hand geführt. Viele wichtige Entscheidungen zum Gesellschaftsrecht fallen in seine Amtszeit, die ein klares Gegenbild zum Dornröschenschlaf bildete, im Gegenteil mutig voranschritt. Das Urteil zum Delisting hat sogar stante pede den Gesetzgeber auf den Plan gerufen.1 Der nachfolgende Beitrag ist einer weniger spektakulären, aber dogmatisch nicht minder reizvollen Entscheidung gewidmet. In einem Beschluss vom 15.07.2014 (Az. II ZB 18/13 – BGHZ 202, 87) hatte der II. Zivilsenat seit längerer Zeit erneut die Möglichkeit, sich zur Heilung nichtiger Beschlüsse nach § 242 AktG zu äußern. Die Besonderheit der Entscheidung liegt darin, dass erstmals Anlass bestand, sich mit der Beseitigung schon geheilter Beschlüsse im Wege des Amtslöschungsverfahrens zu beschäftigen. Somit hatte sich der Senat mit einer Norm auseinanderzusetzen, die seit ihrer Einführung durch das Aktiengesetz 1937 zwar nicht in einen 100-jährigen, aber immerhin doch in einen fast 80-jährigen Dornröschenschlaf gefallen war, obwohl sie eine zentrale Funktion im Gefüge der Heilung nichtiger Beschlüsse durch Eintragung und Zeitablauf einnimmt. Nach § 242 Abs. 2 S. 3 AktG hat das Registergericht die Möglichkeit, den eingetragenen Beschluss auch nach Ablauf der drei Jahre und trotz der möglicherweise eingetretenen Heilung noch von Amts wegen zu löschen, sofern die Voraussetzungen des § 398 FamFG erfüllt sind. Danach muss der Beschluss „durch seinen Inhalt zwingende gesetzliche Vorschriften“ verletzen „und seine Beseitigung im öffentlichen Interesse erforderlich“ erscheinen. Die Funktion der Norm ist offenkundig. Der Gesetzgeber wollte sich mit der inhaltsgleichen Vorgängernorm in § 196 Abs. 2 S. 2 AktG 1937 eine Hintertür offenhalten, da die Heilung nichtiger Beschlüsse in Einzelfällen 1   BGH NJW 2014, 146 – Frosta, overruled durch § 39 Abs. 2–6 BörsG, vgl. dazu etwa Casper in FS Köndgen, 2006, S. 117 ff.

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über das Ziel hinauszuschießen vermag. Der Norm kommt mit anderen Worten eine Korrektivfunktion zu, was ihre zentrale Bedeutung im Gefüge des § 242 AktG verdeutlicht. Alfred Bergmann hat trotz seiner zeitaufreibenden Tätigkeit als Richter in Karlsruhe und als Hochschullehrer in Mainz immer wieder die Zeit gefunden, mit Wissenschaftlern und Praktikern die Bedeutung und Konsequenz der Entscheidungen seines Senats für das Gesellschaftsrecht zu diskutieren. Mehrfach ist er sogar bis ins ferne Münster gereist, um vier zentrale Urteile aus dem letzten Jahr vorzustellen und sodann, nach einem – oft kritischen – Kommentar einer der gesellschaftsrechtlichen Münsteraner Kolleginnen und Kollegen, mit dem Auditorium zu diskutieren. Angesichts dieser Offenheit bin ich mir gewiss, dass es mir der Jubilar nicht allzu übelnehmen wird, wenn ich mich in dem zu seinen Ehren gewidmeten Beitrag bisweilen auch kritisch mit der Entscheidung in BGHZ 202, 87 auseinandersetze und dabei zwei Thesen, die ich bereits vor 20 Jahren in den Raum gestellt habe,2 vor dem Hintergrund neuerer Entwicklungen abermals diskutieren werde. Denn neben der Entscheidung des II. Zivilsenats haben Sebastian Mock und Christian Betz praktisch zeitgleich mit dem Beschluss des BGH abermals zwei Monographien vorgelegt, die sich erneut grundlegend mit der Heilung nichtiger Beschlüsse auseinandersetzen.3 Diese neuere Entwicklung rechtfertigt es, die Tragfähigkeit der eigenen These von der Korrektivfunktion des § 242 Abs. 2 S. 3 AktG abermals zu verproben. Ziel des Beitrags ist es, einen Weckruf zu starten und die Norm aus ihrem Dornröschenschlaf wachzurütteln.

II.  Rückblick – wie alles begann und die Hecke wuchs Das aktienrechtliche Beschlussmängelrecht ist ein Klassiker wie ein Dauerbrenner. Dabei droht die unendliche Geschichte um die Bekämpfung der räuberischen Aktionäre andere Facetten der Debatte zu überlagern. Es erstaunt schon, dass der 72. Deutsche Juristentag in der Stadt des Reichsgerichts nur 18 Jahre nach der Debatte im Millenniumsjahr am identischen Ort praktisch dasselbe Thema zur Debatte stellt.4 Das aktienrechtliche Beschlussmängelrecht hatte auch schon in der aktienrechtlichen Reformdiskussion der   Casper Die Heilung nichtiger Beschlüsse im Kapitalgesellschaftsrecht, 1998, insbes. S. 234 ff. (im Folgenden als Casper Heilung zitiert). 3   Mock Heilung fehlerhafter Rechtsgeschäfte, 2014, insbes. S. 539 ff. sowie Betz Die Heilung nichtiger Hauptversammlungsbeschlüsse durch Eintragung und Zeitablauf, 2014 (im Folgenden Mock bzw. Betz Heilung); vgl. ferner Göz in FS Stilz, 2014, S. 179 ff. Zu nennen ist aber auch die jüngst erschienene Kommentierung in KölnKomm-AktG/Noack/ Zetzsche, Bd. 5 Teil 3, 3. Aufl. 2018, § 242. 4   Vgl. nur Koch Gutachten zum 72. DJT, 2018 (im Erscheinen) sowie Baums Gutachten zum 63. DJT, 2000, S. F 1 ff. 2

Beseitigung geheilter Beschlüsse nach § 242 Abs. 2 S. 3 AktG

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1920/30er Jahre eine wichtige Rolle gespielt und bereits den 34. DJT in Köln beschäftigt.5 Der II. Zivilsenat des Reichsgerichts hatte in mehreren Grundsatzentscheidungen herausgearbeitet, dass es neben den im HGB kodifizierten, anfechtbaren Beschlüssen auch solche Willensäußerungen der Generalversammlung gibt, die an so schwerwiegenden Mängeln leiden, dass sie nichtig sind.6 Diesen Rechtszustand wollte man mit § 195 AktG 1937 (heute § 241 AktG) festschreiben. Allerdings waren Befürchtungen laut geworden, dass mit der im AktG von 1937 ebenfalls erstmals kodifizierten Nichtigkeitsklage der Aktiengesellschaft auch noch nach Jahr und Tag für sie wichtige, bereits vollzogene Strukturänderungen entzogen werden können.7 Deshalb wurden verschiedene Einschränkungen der Nichtigkeitsklage erwogen. Die zum Ende der Weimarer Republik vorgelegten Entwürfe 1930/1931 nahmen diese Forderung jedoch nicht auf, sondern beschränkten sich auf einen enumerativen Katalog der Nichtigkeitsgründe.8 Demgegenüber wurde im Schrifttum schon vehement eine Befristung der Nichtigkeitsklage oder eine Heilungsnorm gefordert.9 Als Erfinder einer weiterhin möglichen Amtslöschung gilt heute Göppert, der diesen Vorschlag 1930 erstmals ansatzweise unterbreitete,10 bevor sie dann wieder prominent im Abschlussbericht des Arbeitskreises der Akademie für deutsches Recht auftauchte.11 Die Begründung zum Aktiengesetz von 1937 stellt ausführlich die verschiedenen Reformvorschläge vor. Diese reichten vom vollständigen Verzicht auf die

5   Wenn auch nicht schwerpunktmäßig, vielmehr ging es dort um die Reform des gesamten Aktienrechts. Interessant ist aber, dass der Gutachter Julius Lehmann bereits für eine Konvaleszenz nichtiger Beschlüsse, also wohl für eine Heilung wie aus dem BGB bekannt, eingetreten war, vgl. Lehmann Verhandlungen des 34. DJT, Bd. 1, 1926, S. 327 f. 6   Den Startschuss bildeten zwei Entscheidungen des I. Zivilsenats, vgl. RGZ 36, 134 (136 f.); RGZ 37, 62 (65); vgl. später sodann aus der Feder des II. Senats: RGZ 115, 378 (383); RG JW 1927, 1677 f.; RGZ 120, 29 (30 f.); auch die Denkschrift zum HGB scheint schon von nichtigen Beschlüssen auszugehen, vgl. Denkschrift HGB, 1896, S. 317; Hahn/ Mugdan Die gesamten Materialien zu den Reichs-Justizgesetzen, Bd. 6, 1897, S. 157 f.; aus dem Schrifttum nur A. Hueck Anfechtung und Nichtigkeit, 1926, S. 12 f., 26 ff., 233, 238; H. Horrwitz Das Recht der Generalversammlungen, 1913, S. 119. 7   Überblick über die Diskussion bei Casper Heilung, 1998, S. 14 ff. sowie bei Betz Heilung, 2014, S. 87 ff. 8   Vgl. §§ 136, 142 AktG-E 1931, abgedruckt bei Schubert Quellen zur Aktienrechtsform der Weimarer Republik, Bd. 2, 1999, S. 849, 875, 877, 890, 892. 9   Göppert BankArchiv 30 (1930/1931), S. 25 (28 f.); W. Horrwitz ZBlHR 8 (1933), S. 86 (88); weiterer Überblick zu der Diskussion bei Casper Heilung, 1998, S. 17 f.; Betz Heilung, 2014, S. 93 ff. 10   Göppert BankArchiv 30 (1930/1931), S. 25 (27 f.): „Interesse des Unternehmens … [verlangt] … Heilung“. Demgegenüber sieht Betz Heilung, 2014, S. 92 und Wolff ZBlHR 5 (1930), S. 325 (328 f.) als geistigen Vater der Heilungsnorm an. 11   Zweiter Bericht des Vorsitzenden des Ausschusses Aktienrecht, April 1935, wiedergegeben bei Schubert Akademie für deutsches Recht, Bd. 1, 1986, S. 505.

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Nichtigkeit zugunsten der bloßen Anfechtbarkeit,12 über die grundsätzliche Befristung der Nichtigkeitsklage auf drei oder fünf Jahre,13 bis hin zur Forderung, alles so zu lassen, wie es war.14 Die Begründung zum AktG 1937 betonte, insofern einen Mittelweg gefunden zu haben; gleichwohl verhält sie sich zum Inhalt der Vorläufernorm des § 242 Abs. 2 S. 3 AktG 1965 eher kryptisch.15 Die entscheidende Passage lautet: „Auch die dann eintretende Heilung hat nur die Wirkung, daß die Nichtigkeit nicht mehr von jedermann geltend gemacht werden kann. Das Registergericht kann auch dann noch den Beschluß gemäß § 144 Abs. 2 FGG. von Amts wegen als nichtig löschen, wenn es glaubt, daß die Beseitigung des Beschlusses, obwohl er bisher nicht angegriffen worden ist, im öffentlichen Interesse geboten ist. Diese Regelung dürfte den Vorzug haben, daß die Gesellschaft nach Eintragung und Zeitablauf damit rechnen kann, daß der Beschluß gültig ist; vor allem ist sie vor Nichtigkeitsklagen geschützt. Bestehen erhebliche Zweifel gegen die Gültigkeit des Beschlusses, kann sie den Registerrichter zu einer Nachprüfung veranlassen und ist damit vor Überraschungen gesichert. Auf der anderen Seite ist das öffentliche Interesse dadurch genügend gewahrt, daß ein solcher Beschluß auch nach seiner Heilung für die Parteien noch beseitigt werden kann, wenn es das öffentliche Interesse gebietet.“16 Dabei fällt zweierlei auf. Zum einen formuliert die Begründung an einer Stelle ausdrücklich im Einklang mit der amtlichen Überschrift und im Widerspruch zu der Formulierung in § 196 Abs. 2 S. 1 AktG 1937, dass der Beschluss gültig und nicht nur unanfechtbar wird, um sodann ausdrücklich den juristischen Terminus technicus der Heilung gleich mehrfach in den Mund zu nehmen. Andererseits sollen auch nach Ablauf der drei Jahre „Zweifel an der Gültigkeit bestehen können“, was wiederum ebenso wie der erste Satz des Zitats gegen eine Heilungsvorschrift und für eine bloße Verfristung der Nichtigkeitsklage sprechen könnte. Zum anderen wird bereits hier § 196 Abs. 2 S. 2 AktG 1937 zentral hervorgehoben, da mit ihm noch eine Korrektur trotz Eintritt der Heilung bzw. Verfristung vorgenommen werden kann. Berücksichtigt man ferner die Debatte in der Akademie Deutschen Rechts aus dem Jahre 1934, steht zu vermuten, dass der Vorschlag Göpperts und anderer Stimmen in der Akademie, die in Richtung Heilung argumentiert hatten, bei der Verabschiedung des § 196 Abs. 2 S. 2 AktG 1937 Pate gestanden hatten. Zwar hatte sich der maßgebliche Staatssekretär Franz Schlegelberger (1876–1970), der im Ausschuss Aktien12   Deutscher Juristentag/Ständige Kommission Bericht der durch den 34. DJT zur Prüfung einer Reform des Aktienrechts eingesetzten Kommission, 1928, S. 31 f. 13   Geiler Verhandlungen des 34. DJT, 1926, Bd. 2, S. 609 (676). 14   Deutscher Anwaltsverein Zur Reform des Aktienrechts, 1929, S. 168 (zur Frage 135 des durch das Reichsjustizministerium versandten Fragenbogens); Brodmann JW 1931, 775 (778); näher zum Ganzen Betz Heilung, 2014, S. 96 f. 15   Klausing Begründung zum AktG, 1937, S. 172 (174 f.). 16   Klausing Begründung zum AktG, 1937, S. 174 f.

Beseitigung geheilter Beschlüsse nach § 242 Abs. 2 S. 3 AktG

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recht als Gast anwesend war,17 zunächst noch gegen eine zeitliche Befristung der Nichtigkeitsklage oder gar eine Heilung ausgesprochen, sich dann aber kompromissbereit gezeigt.18 Letztlich hat sich bei der Abfassung somit wohl die Mehrheitsmeinung im Aktienrechtsausschuss durchgesetzt, die ihr Vorsitzender Kiskalt dahin zusammenfasst, dass schwere Bedenken gegen eine zeitlich unbefristete Nichtigkeitsklage bestanden und dass nach einer Ausschlussfrist von fünf Jahren der Beschluss unabhängig von seiner Eintragung ins Handelsregister „als geheilt gilt“.19 Bei eintragungspflichtigen Beschlüssen sollte die Frist sogar nur ein Jahr betragen. Aussagen zur möglichen Amtslöschung nach Eintritt der Heilung finden sich jedoch insoweit nicht; weshalb zu vermuten steht, dass § 196 Abs. 2 S. 2 AktG 1937 letztlich eine originäre Idee im RJM war. Nachdem sich die Heilungslösung im Reichsjustizministerium letztlich bei den besonders bedeutsamen, eintragungspflichtigen Beschlüssen durchgesetzt hatte, liegt die Vermutung nahe, dass man die so eingeführte zeitliche Begrenzung der Nichtigkeitsklage wieder einfangen sollte oder man sich zumindest eine Hintertür offenhalten wollte. Soweit es mit dem geheilten nichtigen Beschluss allzu unerträglich wurde, sollte – ein öffentliches Interesse vorausgesetzt – eine Löschung von Amts wegen möglich bleiben.20 Anders als Dornröschen, die immerhin 15 Jahre bis zu ihrem Jahrhundertschlaf hatte, fiel § 196 Abs. 2 S. 2 AktG schon alsbald nach Erblicken des Lichts der Welt in seinen Dornröschenschlaf und überstand so unbeschadet den schnellen Verfall des 1000-jährigen Reichs und wurde 1965 ohne besondere Diskussion als § 242 Abs. 2 S. 3 inhaltlich unverändert ins entnazifizierte und fortentwickelte Aktienrecht überführt.21 In der Gerichtspraxis zu § 144 Abs. 2 FGG (inzwischen § 398 FamFG) finden sich kaum Entscheidungen, die der Amtslöschung eines schon geheilten Beschlusses gewidmet sind. Auch die 2008 vorgenommene Umbettung des alten § 144 Abs. 2 FGG nach § 398 FamFG hat den normativen Ausgangsbefund unverändert gelassen. Veröffentlichte Gerichtsentscheidungen, die sich zentral mit der Funk  Betz Heilung, 2014, S. 97 (Fn. 302).   Vgl. die Wiedergabe seiner Äußerungen in der Sitzung des Aktienrechtsausschusses am 25.10.1934 bei Schubert Akademie für deutsches Recht, Bd. 1, 1986, S. 267 (269 f.), dort wird Schlegelberger wie folgt zitiert: „Ich will dem Gedankengang des Ausschusses Rechnung tragen und überlegen, wie verhindert werden kann, daß mit der Geltendmachung der Nichtigkeit Missbrauch getrieben werden kann.“ 19   Zweiter Bericht des Vorsitzenden des Ausschusses Aktienrecht, April 1935, wiedergegeben bei Schubert (Fn. 18), S. 505 ff. 20   Besonders deutlich die bei Klausing AktG, 1937, S. 175 wiedergegebene Begründung: „Auf der anderen Seite ist das öffentliche Interesse dadurch genügend gewahrt, daß ein solcher Beschluß auch nach seiner Heilung (…) noch beseitigt werden kann“ (Hervorhebung durch den Verf.). 21   Details und Nachw. bei Casper Heilung, 1998, S. 23 f. sowie Kropff Begründung zum Aktiengesetz von 1965, S. 328. 17 18

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tion des § 242 Abs. 2 S. 3 AktG auseinandersetzen, sind vor BGHZ 202, 87 nicht zu verzeichnen, auch in der Literatur wurde diese Vorschrift meist eher stiefmütterlich behandelt.

III.  Es gibt nur zwei Feen: Der ewig währende Streit um die materielle Rückwirkung der Heilung Die Wirkung des § 242 Abs. 2 S. 1 AktG ist seit jeher umstritten, was angesichts der kryptischen Begründung und der Divergenz zwischen dem Wortlaut des Abs. 2 S. 1 und der amtlichen Überschrift wenig verwundert. Es lassen sich im Wesentlichen zwei Meinungen herauskristallisieren.22 Früher dominierte die Auffassung, dass § 242 Abs. 2 S. 1 AktG nur die Verfristung der Nichtigkeitsklage und somit Bestandskraft des Beschlusses bewirke, die Nichtigkeit als solche aber bestehen bleibe, da das Registergericht nach § 242 Abs. 2 S. 3 AktG weiterhin zur Amtslöschung und somit zur Geltendmachung der Nichtigkeit befugt sei.23 Diese Auffassung hat in jüngerer Zeit in zwei Monographien neuen Zuspruch erhalten.24 Vorherrschend ist heute jedoch die Auffassung, nach der die Heilung eine materielle Veränderung der Rechtslage bewirke, die Nichtigkeit also rückwirkend entfalle und der Beschluss ebenso wie das formnichtige Rechtsgeschäft in §§ 311b Abs. 1 S. 2, 518 Abs. 2, 766 S. 3 BGB wirksam werde.25 § 242 Abs. 2 S. 3 AktG wird dann als privatrechtsgestaltender Akt der freiwilligen Gerichtsbarkeit qualifiziert, mit dem die Nich22   Ausf. Überblick zum Meinungsstand bei Casper Heilung, 1998, S. 140 ff. m.w.N. auch zu weiteren heute keine Rolle mehr spielenden Sondermeinungen. 23   So zum AktG 1937: Schlegelberger/Quassowski AktG, 3. Aufl. 1939, § 196 Anm. 3; Mestmäcker BB 1961, 945 (948); Herbig JW 1937, 851 (852); Teichmann/Koehler AktG, 2. Aufl. 1939, § 196 Anm. 2; Brennich Mangelhafte Hauptversammlungsbeschlüsse, 1939, S. 115 (117); zum AktG von 1965 auch Baumbach/Hueck AktG, 13. Aufl. 1968, § 242 Rn. 2; Cahn JZ 1997, 8 (11); Grigoleit/Ehmann, AktG, 2. Aufl. 2018, § 242 Rn. 7; vgl. auch Emde ZIP 2000, 1753 (1756 f.), der § 242 zu einer bloßen Publizitätsnorm degradieren will; im Rahmen der analogen Anwendung des § 242 im GmbH-Recht gegen eine materielle Wirkung auch noch Hachenburg/Ulmer, GmbHG, 8. Aufl. 1992, § 34 Rn. 103; der h.M. folgend aber jetzt UHL/Ulmer/Habersack, Großkomm-GmbHG, 2. Aufl. 2013, § 34 Rn. 108. 24   Betz Heilung, 2014, S 202 ff.; Mock Heilung, 2014, S. 553 ff. 25  MünchKomm-AktG/Hüffer/C. Schäfer, 4. Aufl. 2016, § 242 Rn. 3; Hüffer/Koch, AktG, 13. Aufl. 2018, § 242 Rn. 7; Großkomm-AktG/K. Schmidt, 4. Aufl. 1996, § 242 Rn. 1, 13; K. Schmidt/Lutter/Schwab, AktG, 3. Aufl. 2015, § 242 Rn. 14; Hölters/Englisch, AktG, 3. Aufl. 2017, § 242 Rn. 13; Großkomm-AktG/Wiedemann, 4. Aufl. 2006, § 181 Rn. 54; Casper Heilung, 1998, S. 145 ff.; MHdBAG/Austmann, 4. Aufl. 2015, § 42 Rn. 37; Frodermann/Jannott/Göhmann, Handbuch zum AktR, 9. Aufl. 2017, Kap. 9 Rn. 383; Wachter/ Wagner/Epe, AktG, 3. Aufl. 2018, § 242 Rn. 10; NK-AktR/Heidel, 4. Aufl. 2014, § 242 Rn. 2; Bürgers/Körber/Göz, AktG, 3. Aufl. 2014, § 242 Rn. 9; Göz in FS Stilz, 2014, 179 (183 f.); C. Schäfer Die Lehre vom fehlerhaften Verband, 2002, S. 247 ff. (294 ff.); Kiem Die Eintragung der angefochtenen Verschmelzung, 1991, S. 155 f.; Hommelhoff BFuP 1977, 507 (517); differenzierend KölnKomm-AktG/Noack/Zetzsche, 3. Aufl. 2018, § 242 Rn. 67 ff.

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tigkeit über § 241 Nr. 6 AktG wiederhergestellt wird. Die Rechtsprechung hat bisher nicht explizit zu dieser dogmatischen Grundsatzfrage Stellung genommen. In dem Beschluss aus dem Jahr 2016 ließ der II. Zivilsenat diese Frage vielmehr explizit offen26 und wollte damit wohl zum Ausdruck bringen, dass er sie bisher noch nicht entschieden habe. Richtig ist, dass die Rechtsprechung noch nie gezwungen war, sich ausdrücklich zu einer der beiden konträren Auffassungen zu bekennen. In älteren Entscheidungen tendierte die Rechtsprechung, zumindest der Sache nach, zu der weitergehenden Auffassung.27 Der tradierten Auffassung ist zuzugeben, dass der Wortlaut und die fortbestehende Möglichkeit zur Amtslöschung prima vista für eine bloße Bestandskraft streiten könnten. Diese Auslegung greift jedoch zu kurz. Mit der Formulierung „Heilung“ in der amtlichen Überschrift rekurriert der Gesetzgeber auf einen im bürgerlichen Recht und im GmbH-Recht (§ 15 Abs. 4 S. 2 GmbHG) eindeutig besetzten Begriff. Auch die historische Auslegung ergibt entgegen der kürzlich von Betz geäußerten These28 keinen gegenteiligen Befund, wie bereits unter II. gezeigt wurde. Die Möglichkeit einer Heilungsnorm stand bei Verabschiedung des § 196 AktG 1937 als Modell im Raum, der Gesetzgeber wollte gerade den Streit um die Nichtigkeit nach einem Ablauf von drei Jahren vermeiden. In der amtlichen Begründung zu § 196 AktG 1937 taucht das Wort Heilung gleich vier Mal auf, wird dort allerdings einmal dahin definiert, dass „auch die dann eingetretene Heilung … nur die Wirkung [habe], daß die Nichtigkeit nicht mehr geltend gemacht werden kann“.29 Allerdings wird im selben Atemzug betont, dass der Vorteil der Regelung darin liege, „daß die Gesellschaft nach der Eintragung damit rechnen kann, daß der Beschluß gültig“ ist.30 Damit bleibt festzuhalten, dass die historische Auslegung zwar kein eindeutiges Ergebnis ergibt, aber zumindest Hinweise auf eine materielle Wirkung beinhaltet, diese Interpretation also zumindest nicht ausschließt. Für diese Ansicht spricht vor allem auch der Normzweck des § 242 AktG: Rechtssicherheit, Rechtsklarheit und Rechtbefriedung31 werden nur dann wirksam erreicht, wenn nicht nur die Nichtigkeitsklage ausgeschlossen ist, sondern auch der Streit um eine eventu  BGHZ 202, 87 (Rn. 14) = ZIP 2014, 2237.  Vgl. BGH NJW 1989, 904 (905): Fristversäumung wirke „rechtsändernd, nämlich heilend“; BGHZ 99, 211 (216) = NJW 1987, 902: Kläger habe den geheilten Beschluss als „gesetzmäßig“ hinzunehmen; BGHZ 80, 212 (216) = NJW 1981, 2125: „Gültigkeit des Beschlusses“ nach Ablauf der drei Jahre; noch deutlicher zu § 242 Abs. 1 in BGH NJW 1996, 257 (258); OLG Stuttgart DB 2000, 1218 (1220): „fehlerfrei“; besonders deutlich im hier verstandenen Sinne OLG Frankfurt a.M. BeckRS 2014, 02429, das von „materiellrechtliche[r] Heilung“ spricht. 28   Betz Heilung, 2014, S. 98 ff. 29   Klausing AktG, 1937, S. 174 unten. 30   Klausing AktG, 1937, S. 175 oben. 31   So die bisher praktisch einhellige Meinung, vgl. nur BGHZ 365 (368) = NJW 2000, 2820; MünchKomm-AktG/C. Schäfer, 4. Aufl. 2016, § 242 Rn. 2; Spindler/Stilz/Casper, 26 27

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ell fortbestehende Nichtigkeit, etwa auf sekundärer Ebene wie z.B. bei Schadensersatzansprüchen, ausgeschlossen ist.32 Die fortbestehende Möglichkeit zur Amtslöschung steht dieser Interpretation ebenfalls nicht entgegen, da mit der Amtslöschung als privatrechtsgestaltendem Akt der freiwilligen Gerichtsbarkeit die Nichtigkeit im Einzelfall wiederhergestellt wird,33 sofern dies aufgrund der Schwere des ursprünglichen Fehlers und seiner möglichen Perpetuierung in der Zukunft geboten ist. Die Heilung führt somit zu einer auf den Zeitpunkt der Beschlussfassung rückwirkenden Beseitigung des Nichtigkeitsgrundes.34 Dieser Streit ist nicht nur ein dogmatisches Glasperlenspiel, sondern zentral für die Folgefragen wie die Befolgungspflicht geheilter Beschlüsse durch den Vorstand oder die Frage, ob die Initiatoren des geheilten Beschlusses noch für seine Verabschiedung in die Haftung genommen werden können.35

IV.  Lässt sich die Hecke nicht doch durchdringen? – Die Korrektivfunktion des § 242 Abs. 2 S. 3 AktG Der historische Gesetzgeber hatte einerseits die Bekämpfung des Missbrauchs der Nichtigkeitsklage vor Augen36 und wollte für Rechtssicherheit sorgen. Andererseits sollte die Möglichkeit bestehen bleiben, nichtige oder ehemals nichtige Beschlüsse noch zu beseitigen.37 Der Missbrauch der Nichtigkeitsklage liegt vor allem dann auf der Hand, wenn der Beschluss einen in der Vergangenheit liegenden, längst umgesetzten Sachverhalt betrifft. Paradigmatisch ist insoweit die vollzogene Kapitalerhöhung. Hier liegt es nahe, dass eine abermalige Korrektur des geheilten Beschlusses dem Interesse nach AktG, 4. Aufl. 2018, § 242 Rn. 4 jew. m.w.N.; zweifelnd jetzt aber Mock Heilung, S. 559 f.; einschränkend auch Betz Heilung, 2014, S. 163 ff. 32   Zur ebenfalls umstrittenen Frage der Befolgungspflicht geheilter Beschlüsse und einer möglichen Enthaftung vgl. nur Spindler/Stilz/Casper, AktG, 4. Aufl. 2018, § 242 Rn. 16 f. einerseits und Betz Heilung, 2014, S. 207 ff. und Mock Heilung, 2014, S. 561 ff., 568 ff. andererseits (jew. mit umfangreichen w.N.). 33   Zusammenfassend Spindler/Stilz/Casper, AktG, 4. Aufl. 2018, § 242 Rn. 12; zustimmend KölnKomm-AktG/Noack/Zetzsche, 3. Aufl. 2018, § 242 Rn. 85; a.A. Betz Heilung, 2014, S. 179 ff. 34  MünchKomm-AktG/Hüffer/C. Schäfer, 4. Aufl. 2016, § 242 Rn. 19; GroßkommAktG/K. Schmidt, 4. Aufl. 1996, Rn. 13; Hölters/Englisch, AktG, 3. Aufl. 2017, § 242 Rn. 13; Großkomm-AktG/Schilling, 3. Aufl. 1973, § 242 Anm. 1; Casper Heilung, 1998, S. 154 ff., Kiem Die Eintragung der angefochtenen Verschmelzung, 1991, S. 156; a.A. – von ihrem Standpunkt aus folgerichtig – die Vertreter der Verfristungslösung; wie hier aber auch KölnKomm-AktG/Noack/Zetzsche, 3. Aufl. 2018, § 242 Rn. 72 f.: Bestandskraft aller Vollzugsakte aus der Vergangenheit. 35   Vgl. den Nachw. in Fn. 32. 36   Insoweit zutreffend Mock Heilung, 2014, S. 560. 37   Vgl. bereits die Interpretation der Gesetzesmaterialien oben unter II.

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Rechtsfrieden und Rechtssicherheit zuwiderlaufen würde. Daneben existieren aber auch Beschlüsse, die sich immer wieder perpetuieren. Das Paradebeispiel bildet insoweit die mitbestimmungswidrige Wahlvorschrift für den Aufsichtsrat.38 Es liegt geradezu auf der Hand, insoweit zwischen schon vollzogenen Aufsichtsratswahlen und solchen zu unterscheiden, die in Zukunft noch anstehen. Ein weiteres Beispiel für diese Fallgruppe bildet der Sachverhalt von BGHZ 202, 87, der eine unter Umständen nichtige Satzungsklausel betraf, die die Vertretung der Aktionäre in der Hauptversammlung regelte. Schließlich lässt sich als dritte Fallgruppe die Konstellation ausmachen, in der der geheilte Beschluss noch gar nicht umgesetzt ist. Diese Fälle dürften in der Praxis eher selten sein; denkbar ist eine Ermächtigung an den Vorstand zum Verkauf wesentlicher Vermögensteile, die ausnahmsweise in die Satzung aufgenommen wurde oder eine auf fünf Jahre genehmigte Kapitalerhöhung, die noch nicht ausgeübt wurde. Zwar lässt sich den Gesetzesmaterialien und der Debatte im Vorfeld des § 196 Abs. 2 S. 2 AktG 1937 nicht mit Sicherheit entnehmen, dass der Gesetzgeber genau diese Fallgruppen vor Augen hatte;39 das ist letztlich aber auch nicht entscheidend, da ein Gesetz klüger als sein Schöpfer sein kann. Zumindest lässt sich dem Entstehungsprozess entnehmen, dass mit der verbleibenden Amtslöschung solche Fälle erfasst sein sollten, in denen die Nichtigkeit derart gravierend ist bzw. war, dass die Heilung keinen Fortbestand haben soll. Führt man sich vor Augen, dass die Heilung dann über das Ziel hinausschießen kann, wenn sich der Beschluss immer wieder perpetuiert und die Nichtigkeit zudem kaum zweifelhaft war, wird deutlich, dass dem § 242 Abs. 2 S. 3 AktG eine Korrektivfunktion zukommt.40 Erkennt man zudem an, dass eine Beseitigung der Heilung dann für die Gesellschaft wenig Probleme macht, wenn sie sich auf zukünftige Fälle bezieht, liegt es nahe, die Amtslöschung vor allem auf solche Konstellationen zuzuschneiden, in denen der Beschluss noch gar nicht umgesetzt ist oder aber sich in der Zukunft immer wieder perpetuiert. Damit ist auf der anderen Seite nicht gesagt, dass es in diesen Fällen quasi automatisch zu einer Beseitigung des geheilten Beschlusses kommt. Vielmehr sind die hohen Voraussetzungen des § 398 FamFG einzuhalten, da eine Amtslöschung nicht nur das Vorliegen einer Nichtigkeit nach § 241 Nr. 3 und 4 AktG vor Eintritt der Heilung voraussetzt,41 sondern auch im öffentlichen Interesse geboten sein muss. Das öffentliche Interesse folgt nicht bereits aus der geheilten Nichtigkeit als solche, wie dies teilweise

  Speziell dazu Göz in FS Stilz, 2004, S. 179 (180 ff.).   Vgl. den Nachw. oben unter II. mit Fn. 16. 40   Zweifelnd aber Betz Heilung, 2014, S. 184 ff. 41  § 242 Abs. 2 S. 1 AktG erstreckt sich zwar auch auf die Nichtigkeit nach § 241 Nr. 1, allerdings wird hier ein Bedürfnis nach Amtslöschung regelmäßig ausscheiden, vgl. Spindler/Stilz/Casper, AktG, 4. Aufl. 2018, § 242 Rn. 23. 38 39

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im Schrifttum vorgeschlagen wird.42 Es ist vielmehr gesondert zu prüfen, ob ein öffentliches Interesse an der Löschung besteht.43 Dabei ist entgegen der überwiegenden Auffassung das öffentliche Interesse nicht auf die Allgemeinheit oder sonstige außenstehende Personengruppen, wie Gesellschaftsgläubiger, Arbeitnehmer und potenzielle Anleger, zu begrenzen,44 sondern unter Einbeziehung des Interesses der Aktionäre und der Gesellschaft zu ermitteln.45 Anderenfalls könnte § 242 Abs. 2 S. 3 AktG seine Korrektivfunktion nur unzureichend erfüllen. Somit hat vor jeder Amtslöschung auch eine Abwägung zwischen dem Löschungsinteresse des Einzelnen, z.B. des von der geheilten Satzungsvorschrift betroffenen Aktionärs, und dem Interesse der Aktiengesellschaft bzw. der übrigen Gesellschafter an der Bestandskraft stattzufinden. Dieses abweichende Verständnis des öffentlichen Interesses gegenüber der allgemeinen Diskussion im FamFG rechtfertigt sich aus der Korrektivfunktion des § 242 Abs. 2 S. 3 AktG. Diese für das Normverständnis zentrale Korrektivfunktion des § 242 Abs. 2 S. 3 AktG ist im Übrigen unabhängig davon, ob man § 242 Abs. 2 AktG als die materielle Rechtslage verändernde Heilungsvorschrift oder als lediglich eine einen weitgehenden Bestandschutz vermittelnde Norm qualifiziert. Unabhängig davon, welche Ansicht man insoweit zur Heilungswirkung vertritt, bleibt nämlich festzuhalten, dass eine Beseitigung zumindest dann möglich bleiben muss, wenn die vormalige Nichtigkeit auf der Hand liegt und der Beschluss auch in der Zukunft immer wieder Wirkung zu entfalten droht.

V.  Aus Dornen werden Blumen: Amtslöschung ex nunc Die Korrektivfunktion der Amtslöschung lässt sich am besten dann entfalten, wenn man von einer Amtslöschung mit Wirkung ex nunc ausgeht.

42  Großkomm-AktG/K. Schmidt, 4. Aufl. 1996, § 241 Rn. 77, 84, 86; ähnlich Baums Eintragung und Löschung von Gesellschafterbeschlüssen, 1981, S. 116; tendenziell auch BGHZ 144, 365 (368) = NJW 200, 2819. 43   Ebenso MünchKomm-AktG/Hüffer/C. Schäfer, 4. Aufl. 2016, § 241 Rn. 78. 44  So aber BGHZ 202, 87 (Rn. 17): „nicht im Interesse einzelner Aktionäre“; OLG Frankfurt FGPrax 2002, 35; OLG Karlsruhe ZIP 1986, 711 (713); BayObLGZ 1956, 303 (311); KG JW 1936, 1383; Prütting/Helms/Holzer, FamFG, 4. Aufl. 2018, § 398 Rn. 8; Hüffer/Koch, AktG, 13. Aufl. 2018, § 241 Rn. 27; KölnKomm-AktG/Noack/Zetzsche, 3. Aufl. 2018, § 241 Rn. 169; und i.E. wohl auch Keidel/Heinemann, FamFG, 19. Aufl. 2017, § 398 Rn. 16. 45   Vgl. näher Casper Heilung, 1998, S. 240 ff.; zustimmend z.B. Bürgers/Körber/Göz, AktG, 3. Aufl. 2014, § 242 Rn. 9; der Sache nach auch MünchKomm-AktG/C. Schäfer, 4. Aufl. 2016, § 242 Rn. 24.

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Grundsätzlich wirkt die Nichtigkeit nach § 241 Nr. 6 AktG freilich ex tunc,46 ebenso wie ein nichtiges Rechtsgeschäft die mit ihm intendierten Rechtsfolgen von Anfang an nicht entfaltet. Eine Amtslöschung mit Wirkung ex tunc ist deshalb begründungsbedürftig, weshalb diese erstmals vor 20 Jahren vorgeschlagene These47 auch wiederholt auf Ablehnung gestoßen ist.48 Geht man allerdings von einer Wirkung der Heilung im Sinne der Veränderung der materiellen Rechtslage aus (oben III.) und erkennt zudem an, dass eine Korrektur der Heilung nur dann geboten ist, wenn der Beschluss trotz Ablauf der drei Jahre noch gar nicht umgesetzt ist oder aber – was die Regel sein wird – in der Vergangenheit schon vollzogen wurde und sich aber auch in der Zukunft erneut in einem Folgeakt zu perpetuieren droht, liegt die Amtslöschung mit Wirkung ex nunc insbesondere in den sog. Mischfällen geradezu auf der Hand.49 Als Beispiel sei abermals die mitbestimmungswidrige Wahlvorschrift zur Besetzung des Aufsichtsrats herausgegriffen, nach der der Aufsichtsrat bereits drei Mal gewählt worden ist, zwei Amtsperioden also schon komplett abgeschlossen sind, während die nächste, vierte Wahl in einem Jahr ansteht. Lehnt man die Amtslöschung wegen dieses Vergangenheitsbezugs nicht von vornherein ab, was bei einer klar mitbestimmungswidrigen Satzungsregel mit Blick auf das öffentliche Interesse jedoch selbst bei Auslegung mit der überwiegenden Auffassung50 kaum vertretbar wäre, würde eine Amtslöschung mit Wirkung ex tunc die Bestandskraft der Wahlen des Aufsichtsrats in der Vergangenheit gefährden. Ordnet das Registergericht die Amtslöschung hingegen nur mit Wirkung ex nunc an, so bleiben die Wahlen in der Vergangenheit rechtsgültig. Andernfalls müssten zumindest die beiden ersten Amtsperioden mittels der Lehre vom fehlerhaften Organ51 46   § 241 Nr. 6 AktG entfaltet vor allem dann konstitutive Wirkung, wenn das Registergericht die Voraussetzungen des § 398 FamFG zu Unrecht angenommen hat, zur Systematik von § 241 Nr. 6 und § 242 Abs. 2 S. 3 AktG vgl. auch Göz in FS Stilz, 2014, 179 (188). 47   Casper Heilung, 1998, S 244 f.; zustimmend MünchKomm-AktG/Hüffer/C. Schäfer, 4. Aufl. 2016, § 241 Rn. 86; KölnKomm-AktG/Noack/Zetzsche, 3. Aufl. 2018, § 241 Rn. 192. Für eine grds. ex-nunc-Wirkung nach Eintritt der Heilung auch Göz in FS Stilz, 2014, 179 (187 ff.); ebenso Hoffmann/Rüppell BB 2016, 1026 (1030). 48  Vgl. nur Bezzenberger ZHR 164 (2000), 641 (646); Mock Heilung, 2014, insbes. S. 576 f.; Betz Heilung, 2014, S. 179 ff., rechtspolitisch sympathisierend aber ders. Heilung, 2014, S. 365 f. 49   A.A. aber diejenigen, die meinen, dass der geheilte Beschluss weiterhin rechtswidrig ist und sich gar nicht in den Folgeakten perpetuieren könne, so neuerdings vor allem Mock Heilung, 2014, S. 500 ff., 576 f. Zu der hier nicht näher zu vertiefenden Frage der Auswirkung der Heilung von Folgeakten vgl. nur Casper Heilung, 1998, S. 166 f., dem folgend auch Betz Heilung, 2014, S. 206 ff. 50   Vgl. oben IV. m.N. in Fn. 44. 51   Vgl. dazu nur MünchKomm-AktG/J. Koch, 4. Aufl. 2016, § 250 Rn. 27; Schürnbrand Organschaft im Recht der privaten Verbände, 2007, S. 286 ff. jew. mit umfangreichen w.N.; für die Rechtspraxis bedauerlicherweise stark relativierend aber BGHZ 196, 195 (Rn. 18 ff.) = NJW 2013, 1535; vgl. krit. dazu nur Schürnbrand NZG 2013, 481 ff.

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gerettet werden. Für die laufende Periode wäre hingegen festzustellen, dass der Aufsichtsrat fehlerhaft gewählt worden ist, sodass sofortige Neuwahlen in einer außerordentlichen Hauptversammlung unvermeidlich wären. Amtshandlungen des Aufsichtsrats bis zur Neuwahl könnte man zumindest vor der Amtslöschung wiederum mittels der Lehre vom fehlerhaften Organ eine gewisse Bestandskraft angedeihen lassen, was allerdings auf Basis von BGHZ 196, 195 (Rn. 18 ff.) deutlich schwieriger werden könnte als bisher. Bis zur Neuwahl wäre der Aufsichtsrat in jedem Fall handlungsunfähig. Hier zeigt sich der Vorteil der Amtslöschung mit Wirkung ex nunc. Da die Wahlvorschrift zum Zeitpunkt der letzten Wahl des Aufsichtsrats gültig war, kann der Aufsichtsrat bis zum Ablauf der laufenden, dritten Wahlperiode weiter agieren, ohne dass irgendeine Form der Rechtsunsicherheit zu befürchten wäre. Für die Zukunft wird hingegen eine Wahl entgegen der Vorgaben des Mitbestimmungsrechts verhindert. Genau dies ist die Intention der Korrektivfunktion in § 242 Abs. 2 S. 3 AktG, die sich folglich nur dann sinnvoll entfalten kann, wenn man auch eine Amtslöschung ex nunc anerkennt. Dem wiederholt geäußerten Einwand, dass eine Amtslöschung ex nunc mit der durch § 242 AktG intendierten Rechtssicherheit nicht vereinbar sei,52 ist entgegenzuhalten, dass die Begrenzung der Wirkung der Amtslöschung für die Zukunft im Handelsregister zu vermerken ist.53 Demgegenüber will Göz der Amtslöschung nach § 398 FamFG stets nur eine Wirkung für die Zukunft zuerkennen, sodass es keiner Eintragung bedarf.54 Daran ist richtig, dass die Frage, ob es zu einer Amtslöschung mit Wirkung für die Zukunft kommt, nicht vom Ermessen des Registergerichts abhängen kann.55 An einer Eintragung ist aus Gründen der Rechtsklarheit hingegen festzuhalten, zumindest solange sich die hier vertretene Auffassung, dass eine Amtslöschung mit Wirkung bloß für die Zukunft möglich ist, noch nicht allgemein durchgesetzt hat. Der Vorschlag, die ex nunc-Wirkung nicht an den Tag der Eintragung der Amtslöschung, sondern an den „Zugang der vom Registergericht [der AG] übermittelten Löschungsabsicht anzuknüpfen“,56 ist aus Gründen der Rechtsklarheit ebenfalls abzulehnen, da dieser Vorgang nicht zweifelsfrei festgestellt werden kann und dann zudem zwingend mit diesem Datum ins Handelsregister eingetragen werden müsste. Damit bleibt die Frage zu beantworten, ob Beschlüsse, die in der Vergangenheit noch gar nicht umgesetzt worden sind, mit Wirkung ex tunc oder ex nunc zu löschen sind. Da eine Löschung mit Wirkung ex nunc ausreicht,   So z.B. MünchKomm-AktG/Hüffer, 3. Aufl. 2011, § 241 Rn. 86.   Formulierungsvorschlag mit Blick auf § 44 HRV bei Casper Heilung, 1998, S. 245. 54   Göz in FS Stilz, 2014. S. 179 (188 f.). 55  Zutreffend Göz in FS Stilz, 2014, S. 179 (189) in Abgrenzung zu Casper Heilung, 1998, S. 245: „im Einzelfall“. Damit war freilich kein Ermessen gemeint, wenngleich die Formulierung missverständlich ist, was ich Göz einräumen möchte. 56   So der Vorschlag von Göz in FS Stilz, 2014, S. 179 (188). 52 53

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um die Umsetzung zu verhindern, sprechen die besseren Gründe auch insoweit für eine Amtslöschung mit Wirkung für die Zukunft. Denn so wird vermieden, dass über Schadenersatzansprüche mit der Begründung, dass dieser Beschluss so nie hätte gefasst werden dürfen, noch gestritten werden kann, was mit Blick auf die Rechtsbefriedung dann wichtig ist, wenn das Vorliegen eines Nichtigkeitsgrundes nicht offenkundig ist.57 Sollte das öffentliche Interesse höchst ausnahmsweise sogar die Amtslöschung eines schon vollständig in der Vergangenheit umgesetzten Beschlusses gebieten, so wird insoweit besonders intensiv abzuwägen sein, ob eine Amtslöschung ex tunc notwendig ist, um die Bewahrung des Rechts zu gewährleisten. Nur insoweit ist ein Auswahlermessen des Registergerichts ausnahmsweise denkbar.

VI.  Doch der Prinz blieb aus: Keine rechtsmittelbewehrte Anregung der Amtslöschung? Die These des Verfassers, dass sich eine Korrektivfunktion des § 242 Abs. 2 S. 3 AktG nur dann voll entfalten lasse, wenn einzelne Aktionäre die Amtslöschung nicht nur i.S.d. § 26 FamFG anregen, sondern gegen eine zurückweisende Entscheidung auch Beschwerde erheben können,58 hat der II. Zivilsenat ausdrücklich verworfen.59 Der Senat führt zunächst aus, dass das Amtslöschungsverfahren allein dem Interesse der Allgemeinheit und nicht jenem einzelner Aktionäre an der Feststellung der Nichtigkeit von eingetragenen Beschlüssen der Hauptversammlung diene. Ein Beschwerderecht werde dem Amtsverfahren nicht gerecht. Berücksichtigt und akzeptiert man die wohl auch vom II. Zivilsenat anerkannte Korrektivfunktion des § 242 Abs. 2 S. 3 AktG, so bleibt zu fragen, ob der einzelne Aktionär nicht als Rechtswahrer benötigt wird.60 Zumindest vor Eintritt der Heilung ist dem einzelnen Aktionär diese Funktion durch die Anfechtungsbefugnis und die Möglichkeit, Nichtigkeitsklage zu erheben, zugewiesen. Nach Eintritt der Heilung will sich der II. Zivilsenat ganz auf die berufsständischen Organe iSd. § 380 Abs. 1 FamFG verlassen, die das Registergericht auch bei der Löschung nichtiger bzw. geheilter Beschlüsse unterstützen.61 In der Praxis sind dies in 57   Hierin liegt gerade der besondere Vorteil der Heilung, vgl. nur Casper Heilung, 1998, S. 149. 58   Casper Heilung, 1998, S. 255 ff.; ders. in Spindler/Stilz, AktG, 4. Aufl. 2018, § 242 Rn. 24. 59   BGHZ 202, 87 (Rn. 17 f.) im Anschluss an Kollhosser AG 1977, 117 (126 ff.); zustimmend Wilsing/Kleemann EWiR 2015, 5 (6). 60  Zu diesem Konzept vgl. nur Habersack/Stilz ZGR 2010, 710 (712), die von einer „Funktionärsklage mit polizeilichem Einschlag“ sprechen unter Berufung auf K. Schmidt AG 2009, 248 (254 f.) m.w.N. 61   BGHZ 202, 87 (Rn. 17).

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aller Regel die Industrie- und Handelskammern. Sie sind bei der Löschung in Zweifelsfragen anzuhören (§ 380 Abs. 2 S. 1 FamFG) und haben zudem ein eigenes, beschwerdebewehrtes Antragsrecht auf Löschung (§§ 398 i.V.m. 395 Abs. 1 S. 1 und § 380 Abs. 5 FamFG). Auch wenn keine gesicherten Daten zur Effizienz der Beteiligung der berufsständischen Organe vorliegen, steht doch zu vermuten, dass diese ihr Initiativrecht zur Beantragung der Amtslöschung nur höchst selten ausüben. Hierfür sprechen zwei Umstände: Zum einen haben die berufsständischen Organe weder die finanziellen noch die personellen Mittel, um für eine flächendeckende Überwachung von Handelsregistereintragungen Sorge zu tragen. Zum anderen sind sie am Eintragungsverfahren, bei dem die Registerkontrolle versagt und der nichtige Beschluss eingetragen wird, nur in Zweifelsfällen, nicht aber regelmäßig beteiligt. Oft haben sie von den Beschlüssen also gar keine Kenntnis und müssten systematisch alle Eintragungen ins Handelsregister auf mögliche zu löschende Fälle durchmustern. Deshalb sprechen gute Gründe dafür, nicht allein auf § 380 FamFG zu vertrauen, wenn man § 242 Abs. 2 S. 3 AktG aus seinem Dornröschenschlaf erwecken will. Der Aktionär soll ferner deshalb nicht schutzwürdig sein, da er drei Jahre Zeit gehabt habe, die Nichtigkeitsklage zu erheben.62 Dieses Argument hat durchaus eine Berechtigung, verkennt aber letztlich, dass es in der Praxis um die zweifelhaften Fälle geht, bei denen sich die Beteiligten der Nichtigkeit oft erst bewusst werden, wenn sich der Beschluss perpetuiert. Die Gefahr, dass die Aktionäre bewusst zuwarten und die Nichtigkeitsklage nicht erheben, um dann gegen die nach Anregung versagte Amtslöschung vorzugehen, ist sehr unwahrscheinlich. Es kommt hinzu, dass nach richtiger Auffassung nur solche Beschlüsse der Amtslöschung zugänglich sind, die sich in der Zukunft noch perpetuieren und nicht schon in der Vergangenheit vollständig umgesetzt sind.63 Da der Vorstand oder der Aufsichtsrat kaum gegen den Beschluss im Wege der Anregung vorgehen werden, und ferner nach Ansicht des BGB nicht beschwerdebefugt wären,64 bleibt de facto nur der Aktionär, der eine effektive Kontrollfunktion nach Eintritt der Heilung gewährleisten kann. Ob die Anregung beim Registergericht bzw. bei den berufsständischen Organen ohne Beschwerdebefugnis genügt, um die Korrektivfunktion des 62   BGHZ 202, 87 (Rn. 18 f.). Zu der wenig praxisrelevanten Frage, ob der Aktionär vor Eintritt der Heilung die Zurückweisung seiner Anregung mit der Beschwerde anfechten kann vgl. Wilsing/Kleemann EWiR 2015, 5 (6) m.w.N. zum Streitstand. 63   Vgl. oben IV. m.w.N. 64  Dabei hat die Gesetzesbegründung (Klausing AktG, 1937, S. 175 oben, vgl. den Abdruck oben unter II.) gerade die Gesellschaft vor Augen gehabt, die nach der Heilung noch die Löschung soll durchsetzen können. Dies spricht für ein Beschwerderecht zumindest der Organe der Gesellschaft, auch wenn sich den Gesetzesmaterialien nicht mit letzter Deutlichkeit entnehmen lässt, ob eine Anregung oder ein rechtsmittelbewehrter Antrag gemeint ist.

Beseitigung geheilter Beschlüsse nach § 242 Abs. 2 S. 3 AktG

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§ 242 Abs. 2 S. 3 AktG zu entfalten, bleibt abzuwarten, ist aber eher zu bezweifeln. Insoweit wäre es wünschenswert, wenn die Voraussetzungen des § 242 Abs. 2 S. 3 AktG bei einer künftigen Reform des aktienrechtlichen Beschlussmängelrechts klargestellt würden und ein beschwerdebewehrtes Antragsrecht zumindest für eine qualifizierte Minderheit von Aktionären eingeführt würde. Es könnte sich anbieten, insoweit an § 148 Abs. 1 AktG Maß zu nehmen, da auch hier dem Aktionär die Funktion eines Rechtswahrers im Interesse der Gesellschaft zugewiesen wird.

VII.  Der König könnte es richten: Rechtspolitische Reformvorschläge Der selbsternannte Arbeitskreis Beschlussmängelrecht hat sich vor nunmehr zehn Jahren dieser rechtspolitischen Reformdebatte angenommen.65 Seine Vorschläge zielen auf eine grundsätzliche Neukonzeption des Beschlussmängelrechts mit einer einheitlichen Anfechtungsklage, ohne aber die Unterscheidung zwischen bloß anfechtbaren und nichtigen Beschlüssen aufzugeben. Die Einzelheiten können hier nicht umfänglich gewürdigt werden. Mit Blick auf die Heilung nichtiger Beschlüsse, welche auch nach diesem Ansatz erforderlich bleibt, lauten die Änderungsvorschläge kurz zusammengefasst, dass künftig auch nicht eintragungspflichtige Beschlüsse der Heilung nach Ablauf von drei Jahren unterworfen werden sollen und die Heilung bei eintragungspflichtigen Beschlüssen bereits nach einem Jahr eintreten soll.66 Damit ist der Arbeitskreis zumindest hinsichtlich der Heilung wieder bei dem Vorschlag der Akademie des Deutschen Rechts aus dem Jahr 1935 angelangt, wenn man davon absieht, dass damals für nicht eintragungspflichtige Beschlüsse eine Heilungsfrist von fünf Jahren vorgeschlagen worden war.67 An der Möglichkeit zur Amtslöschung soll ohne inhaltliche Änderung festgehalten werden.68 Beide Vorschläge begegnen Bedenken. Der Aktiengesetzgeber hat sich 1937 zu Recht bewusst gegen die Heilung nicht eintragungspflichtiger Beschlüsse entschieden, obwohl im Vorfeld entsprechende Forderungen erhoben worden waren.69 Es ist zwar nicht zu bestreiten, dass die ewig drohende Nich AG 2008, 617–626. Das Gutachten für die wirtschaftsrechtliche Abteilung des 72. DJT von Jens Koch lag beim Abschluss dieses Manuskripts noch nicht vor. Rechtspolitische Würdigung des § 242 AktG auch Betz Heilung, 2014, S. 290 ff., der eine eher bestandschutzorientierte Lösung vorschlägt, die ihren Niederschlag in einer Ergänzung des § 398 FamFG finden soll. 66   Arbeitskreis Beschlussmängelrecht AG 2008, 617 (617 f., 620 f.). 67   Vgl. den Nachw. oben in Fn. 19. 68   Arbeitskreis Beschlussmängelrecht AG 2008, 617 (618, 621). 69   Vgl. den Nachw. oben in Fn. 9 ff. 65

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tigkeitsklage zu Rechtsunsicherheit führen und Erpressungspotential beinhalten kann. Gleichwohl fehlt es an der registergerichtlichen Kontrolle, die sehr oft die Eintragung von nichtigen Beschlüssen verhindert.70 Auch ist festzuhalten, dass keine vergleichbare Publizität des Beschlusses wie in den bisherigen Konstellationen des § 242 Abs. 2 AktG besteht. Den Aktionär insoweit auf die zum Handelsregister eingereichten Protokolle zur Hauptversammlung zu verweisen,71 ist wenig überzeugend, da es gerade nicht zu einer Bekanntmachung kommt. Wollte man diesen Weg gehen, wäre eine Veröffentlichung aller Beschlüsse der Hauptversammlung im elektronischen Bundesanzeiger oder zumindest auf der Homepage der AG zwingend geboten. Hinzu kommt, dass nicht eintragungspflichtige Beschlüsse nach Ablauf von drei Jahren oft erledigt sind. Insoweit genügt es, bei rechtsmissbräuchlichen Nichtigkeitsklagen das Rechtsschutzbedürfnis für eine Nichtigkeitsklage zu verneinen. Die Verkürzung der Heilungsfrist für eintragungspflichtige Beschlüsse von drei Jahren auf ein Jahr kann ebenfalls nicht überzeugen. Bei akuten, sofort umsetzungsbedürftigen Strukturänderungsbeschlüssen hilft auch diese Verkürzung in der Praxis wenig. Bei Beschlüssen wie Wahlvorschriften zum Aufsichtsrat, die sich immer wieder perpetuieren können, erweist sich die vorgeschlagene Jahresfrist hingegen als unangemessen kurz. Dabei muss man sich abermals vor Augen führen, dass die Heilungsvorschrift in § 242 Abs. 2 S. 1 AktG auch schwere materielle Mängel wie Gesetzesverstöße oder sittenwidrige Beschlüsse erfasst und somit zusammen mit § 20 UmwG eine seltene Ausnahmevorschrift darstellt,72 die auf einem historisch wohl austarierten Kompromiss basiert. Für eine zwingend gebotene Verkürzung der Zeitspanne, nach der die Heilung eintragungspflichtiger Beschlüsse eintritt, sind bisher keine ausreichenden Argumente vorgetragen worden. Da nach der Entscheidung des II. Zivilsenats ein Erwachen des § 242 Abs. 2 S. 3 AktG aus seinem Dornröschenschlaf kaum zu erwarten ist, ist meines Erachtens darüber nachzudenken, ob man die mit dieser Norm verbundene Korrektivfunktion deutlicher fasst und dabei zugleich klarstellt, dass es bei in der Vergangenheit schon vollzogenen Beschlüssen nicht darum gehen kann, das Fass erneut aufzumachen.73 Ein neugefasster § 242 Abs. 2 S. 3 AktG könnte wie folgt lauten: „Geheilte Beschlüsse können nach § 398 des Gesetzes über das Verfahren in Familiensachen und in den Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit (FamFG) von Amts wegen mit Wirkung für die Zukunft nur noch dann gelöscht werden, wenn der Beschluss noch nicht   Anderer Befund indes bei Betz Heilung, 2014, S. 117 ff.  So Arbeitskreis Beschlussmängelrecht AG 2008, 617 (621). 72   Zur international singulären Rechtslage näher Betz Heilung, S. 267 ff. 73   So tendenziell auch Betz Heilung, 2014, S. 307 ff., 312, der allerdings für eine konkrete Interessenabwägung in jedem Einzelfall plädiert. 70 71

Beseitigung geheilter Beschlüsse nach § 242 Abs. 2 S. 3 AktG

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umgesetzt ist oder sich in der Zukunft abermals perpetuieren kann und ein in § 241 Nr. 3 oder Nr. 4 bezeichneter Nichtigkeitsgrund vorlegen hat; neben den in § 380 FamFG genannten berufsständischen Verbänden sind auch die in § 249 Abs. 1 genannten Personen antragsbefugt, Aktionäre jedoch nur dann, wenn sie die Voraussetzungen des § 148 Abs. 1 S. 1 erfüllen“. Zudem wäre es wünschenswert, wenn § 242 Abs. 2 S. 1 AktG wie folgt formuliert würde: „Ein Hauptversammlungsbeschluss, der nach § 241 Nr. 1, 3 oder 4 nichtig ist, wird gültig, wenn der Beschluss in das Handelsregister eingetragen worden ist und seitdem drei Jahre verstrichen sind.“ Entsprechend wäre § 242 Abs. 1 AktG anzupassen.

VIII.  Und wenn sie nicht... : Fazit und Zusammenfassung Die Beseitigung geheilter Beschlüsse ist ein aktienrechtliches Ni­schenthema, das nur alle Jubeljahre beim BGH auf den Plan tritt. Die Vorschrift in § 242 Abs. 2 S. 3 AktG ist gleichwohl wichtig, da ihr eine Korrektivfunktion gegenüber der weiten Heilung nach § 242 Abs. 2 S. 1 AktG zukommt. Der II. Zivilsenat hat unter dem Vorsitz des Jubilars in seinem in BGHZ 202, 87 veröffentlichten Beschluss bedauerlicherweise noch nicht die Rolle des Prinzen übernommen, der diese Norm aus ihrem Dornröschenschlaf wachküsst – die Hecke hat sich als immer noch zu undurchdringlich erwiesen. Freilich sind die 100 Jahre auch noch nicht um, weshalb die Debatte noch weitergehen wird. Es bleibt zu wünschen, dass der Jubilar sich hieran im Besonderen sowie an dem Ringen um ein gutes Aktienrecht im Allgemeinen auch in Zukunft rege beteiligen wird. In diesem Sinne sei ihm die tradierte Formel ad multos annos zugerufen. Die wesentlichen Ergebnisse dieses Beitrages lassen sich in fünf Thesen festhalten: 1. Heilung im Sinne des § 242 Abs. 2 S. 1 AktG bedeutet nicht nur eine Verfristung der Nichtigkeitsklage und somit Bestandskraft, sondern eine echte Heilung wie im Zivilrecht, die bewirkt, dass der geheilte Beschluss gültig wird. Die in jüngerer Zeit gegen diese Meinung erhobenen Bedenken können nicht überzeugen, wesentlich neue Argumente wurden nicht ins Feld geführt. 2. Dies vor Augen kommt dem § 242 Abs. 2 S. 3 AktG eine wichtige Korrektivfunktion zu, die im Normtext nicht hinreichend deutlich wird. Eine Amtslöschung ist nur dann möglich, aber auch sinnvoll, wenn der geheilte Beschluss sich wie bei Satzungsvorgaben für die Wahl des Aufsichtsrats in der Zukunft immer wieder perpetuiert oder trotz Heilung noch nicht umgesetzt ist.

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3. Eingedenk dieser Korrektivfunktion ist das in § 398 FamFG geforderte öffentliche Interesse nicht nur als Interesse einer amorphen Allgemeinheit zu interpretieren. Vielmehr kommt es neben dem Interesse der Öffentlichkeit vor allem auch auf dasjenige, der an der AG beteiligten Personen an, also auch auf das der Aktionäre. Bei dieser Bestimmung des öffentlichen Interesses hat eine Abwägung zwischen der Bestandskraft und dem Interesse, dass der geheilte Beschluss sich in der Zukunft nicht perpetuieren soll, zu erfolgen. 4. Dieser Korrektivfunktion wird man dann gerecht, wenn man die Wirkung der Amtslöschung nach § 242 Abs. 2 S. 3 AktG auf die Zukunft begrenzt. 5. Neben den berufsständischen Organen iSd. § 380 Abs. 1 FamFG sind auch Aktionäre beschwerdebefugt, wenn ihre Anregung auf Amtslöschung zurückgewiesen wird. Rechtspolitisch sollte man erwägen, dies klarzustellen und ein vollwertiges Antragsrecht zu schaffen, das dann aber an die im Klagezulassungsverfahren des § 148 AktG normierten Minderheitenrechte anzuknüpfen ist.

Die D&O-Individualversicherung Meinrad Dreher I. Einleitung Die D&O-Versicherung ist auch in diesem Jahr durch prominente Fälle wie VW und Bilfinger1 im Gespräch. Seit ihrer Verbreitung in Deutschland, beginnend etwa mit den 1990er Jahren, sind D&O-Versicherungsverträge grundsätzlich Gruppenversicherungsverträge. Den Versicherungsvertrag schließt eine Gesellschaft – im vorliegenden Beitrag steht dafür eine AG – mit einem oder mehreren bzw. bei großen Risiken sogar sehr zahlreichen D&OVersicherungsunternehmen. Die Gesellschaft ist Versicherungsnehmer und verpflichtet sich zur Zahlung der Versicherungsprämie. Versicherte Personen sind die Organmitglieder der Gesellschaft sowie üblicherweise leitende Angestellte und gegebenenfalls weitere Personen in der Gesellschaft sowie in Tochtergesellschaften. Die D&O-Versicherung soll Fälle erfassen, in denen eine versicherte Person wegen einer bei Ausübung ihrer Tätigkeit begangenen Pflichtverletzung aufgrund gesetzlicher Haftpflichtbestimmungen für einen Vermögensschaden in Anspruch genommen wird. Die Literatur hat sich der D&O-Versicherung als solcher erst ca. um die Jahrtausendwende genähert.2 Seither hat die D&O-Versicherung in Deutschland wohl aufgrund ihrer Organnähe und ihrer rechtspraktischen Bedeutung sowie ihres breiten Aufmerksamkeitswerts in der Wirtschaft allgemein eine erhebliche literarische Durchdringung erfahren. Diese ist im Verhältnis zu der Marktbedeutung der D&O-Versicherung mit einem Prämienvolumen von nur bis zu etwa 500 Mio. Euro im Jahr3 gegenüber anderen Versicherungssparten stark überproportional. Lange Zeit ging es in Praxis und Theorie ausschließlich um den Inhalt der D&O-Versicherungsverträge, ihre Steuerungswirkung und Finanzierung. In letzter Zeit war Thema außer der Deckung bei vorsätzlichen und wissentli1   Vgl. zu beiden Fällen statt vieler Nachweise nur die Internet-Meldung in VW heute vom 26.2.2018: D&O von Bilfinger und die Ad hoc-Mitteilung der Bilfinger SE vom 20.2.2018. 2   Vgl. aus wissenschaftlicher Sicht ausf. zunächst Dreher ZHR 165 (2001), 293ff. und später die Habilitationsschrift von Thomas, Die Haftungsfreistellung von Organmitgliedern, 2010. 3  So Ihlas in Langheid/Wandt (Hrsg.), Band 3, 2. Aufl. 2017, D&O 320 Rn. 7 m.w.Nachw.

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chen Pflichtverletzungen4 in Bezug auf den Inhalt einer D&O-Versicherung aus Sicht der Praxis vor allem die verlockende, aber nicht sinnvolle Anreicherung der Haftpflichtkomponenten Schadenabwehr und Schadendeckung durch Zusatzkomponenten wie Übernahme von Kosten für Öffentlichkeitsberatung und sogar ärztlichen Behandlungen bei psychologischen Beeinträchtigungen sowie von Mediation. Neuerdings geht es zu Recht wieder um die Rückbesinnung auf die genannten Kernelemente der D&O-Versicherung, die durch solche Zusatzkomponenten nicht ausgehöhlt werden sollten.5 Besonderer Aufmerksamkeit bedarf bei D&O-Versicherungsverträgen die Frage von Interessenkonflikten durch die gleichzeitige Deckung von Abwehrschutz der Versicherten und von Ansprüchen der Gesellschaft als Versicherungsnehmer auf Innenhaftung gegenüber Versicherten. Unter anderem das hat systemimmanent dazu geführt, dass einzelne Marktteilnehmer getrennte Versicherungsverträge bei unterschiedlichen Versicherungsunternehmen für die zwei Hauptgruppen von Versicherten in einer Gesellschaft, nämlich Vorstandsmitglieder und leitende Angestellte – sowie unter Umständen weitere Personen in Tochtergesellschaften – einerseits und Aufsichtsratsmitglieder andererseits propagieren. Dieses sogenannte Two-TowerModell der D&O Versicherung ist aber aus zahlreichen Gründen nicht überzeugend.6 Ein anderer, sogar systemtranszendenter Ansatz geht dahin, die D&O-Versicherungsverträge als Individual- statt als Gruppenversicherungsverträge auszugestalten. Versicherungsnehmer und Versicherte sind in diesem Fall nicht mehr die Gesellschaften und ihre Organmitglieder – gegebenenfalls auch sonstige Personen –, sondern die im vorliegenden Beitrag im Zentrum stehenden Organmitglieder selbst. Derartige D&O-Individualversicherungsverträge – im Folgenden aus Vereinfachungsgründen meist als D&O-Individualversicherung bezeichnet – führen zu zahlreichen rechtlichen und rechtspraktischen Fragen. Sie bilden den Gegenstand der vorliegenden Untersuchung. Mit ihr hofft der Verfasser auf das Interesse des Jubilars, dem er insbesondere durch dessen langjährige und viele Studentengenerationen inspirierende Lehrtätigkeit an der Johannes Gutenberg Universität-Mainz dankbar verbunden ist. Vor dem Hintergrund ist im Folgenden zunächst nach den Grundlagen der D&O-Individualversicherung, nämlich der Rechtsnatur des Versicherungsvertrags sowie den Ursachen, Zielen und dem Differenzierungsbedarf bei der D&O-Individualversicherung zu fragen (unten II.). Dem folgt eine Betrachtung einzelner Problemfelder, die sich bei einem Systemwechsel von der D&O-Gruppenversicherung zu der D&O-Individualversicherung ergeben. Sie betreffen die Themen Versicherungssumme (unten III.), AVB (unten IV.),   Vgl. dazu z.B. Dreher VersR 2015, 781ff. und Thomas NZG 2015, 1409ff.   So zu Recht z.B. Mahnke VP 5/2017, 3, 4. 6   Vgl. ausf. Dreher in FS Baums, 2017, S. 325ff. 4 5

Die D&O-Individualversicherung

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Interessenkonflikte (unten V.), Komplexitätssteigerung (unten VI.) sowie Kosten und Steuern (unten VII.). Auf der Grundlage mündet der Beitrag in eine Gesamtbetrachtung der D&O-Individualversicherung (unten VIII.).

II.  Grundlagen der D&O-Individualversicherung 1. Rechtsnatur Die bisher den D&O-Markt nahezu vollständig dominierende D&OGruppenversicherung ist Fremdversicherung im Sinne der §§ 43ff. VVG. Eine Gesellschaft schließt als Versicherungsnehmer gemäß § 43 Abs. 1 VVG den D&O-Versicherungsvertrag im eigenen Namen für andere, die versicherten Personen.7 Anders ist die Rechtsnatur der D&O-Individualversicherung. Hier schließt eine natürliche Person ausschließlich für sich einen D&OVersicherungsvertrag ab und bezahlt auch selbst die Prämien an das D&OVersicherungsunternehmen. Mithin geht es in diesem Fall nicht um eine Fremd-, sondern um eine Eigenversicherung. 2.  Ursachen, Ziele und Differenzierungsbedarf bei der D&O-Individualversicherung Da die typische D&O-Versicherung Gruppenversicherung mit Gesellschaften als Versicherungsnehmern aus zahlreichen guten Gründen so entstanden ist und sich am Markt durchgesetzt hat, erscheint das Ziel einer D&O-Individualversicherung als Abweichung davon rechtfertigungs- oder zumindest erläuterungsbedürftig. Fraglich ist daher, aus welchen Gründen Einzelpersonen selbstfinanzierte D&O-Versicherungsverträge abschließen (sollen), wo doch jedenfalls zumindest in mittelständischen und großen Gesellschaften heute nahezu immer die Gesellschaft selbst einen D&OGruppenversicherungsvertrag abgeschlossen hat. Ausgangspunkt dafür, sich der Antwort zu nähern, ist eine Differenzierung, die auf den Ursachen und Zielen einer D&O-Individualversicherung beruht und die für die D&OIndividualversicherung zu zwei Fallgruppen führt: Der ergänzenden D&OIndividualversicherung oder der ersetzenden bzw. substitutiven D&O-Individualversicherung. Bei der ergänzenden D&O-Individualversicherung geht es darum, dass ein Organmitglied Lücken in der D&O-Gruppenversicherung schließen oder sich über die damit verbundene Deckung hinaus zusätzlichen D&OSchutz verschaffen will. In der Praxis kommt eine solche individuelle D&OAnschlussdeckung nicht vor. Praktische Bedeutung hat als D&O-Individu  Vgl. ausf. zur Rechtsnatur der D&O-Versicherung Dreher DB 2005, 1669, 1670f.

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alversicherung allein die sogenannte D&O-Selbstbehaltsversicherung. Mit ihr schließen Vorstandsmitglieder von Aktiengesellschaften die Lücke in der D&O-Gruppenversicherung. Denn sie müssen nach § 93 Abs. 2 S. 3 AktG einen Selbstbehalt in Höhe von „mindestens 10% des Schadens bis mindestens zur Höhe des eineinhalbfachen der festen jährlichen Vergütung des Vorstandsmitglieds“ selbst tragen.8 Eine solche ergänzende D&O-Individualversicherung kann, aber muss nicht im Interesse eines Organmitglieds liegen. Dies zeigen schon Stichworte wie Risikolage, Risikofreude und Vermögenslage, die zusammen mit anderen Kriterien in einer wertenden Gesamtschau zur Antwort auf die Frage nach der Sinnfälligkeit einer D&O-Individualversicherung im konkreten Einzelfall führen. Derartige D&O-Individualversicherungen bilden aufgrund ihres Ergänzungscharakters allerdings im Verhältnis zur D&O-Gruppenversicherung keine Alternative und damit auch nicht den Problemfall. Die zweite Fallgruppe, nämlich die der ersetzenden oder substitutiven D&O-Individualversicherung, betrifft Sachverhalte, in denen sich ein Organmitglied unabhängig von oder anstelle einer Gruppenversicherung eine D&O-Individualversicherung beschafft. Dabei gibt es grundsätzlich unproblematische Sachverhalte wie den, dass ein Interimsmanager von der beauftragenden Gesellschaft keinen D&O-Versicherungsschutz erhält oder erhalten kann. Gleiches gilt in den mittlerweile sehr seltenen Fällen, dass es eine Gesellschaft ablehnt, einen D&O-Gruppenversicherungsvertrag für ihre Organmitglieder zu schließen. Ganz anders stellt sich die Situation allerdings bei einer ersetzenden D&O-Individualversicherung dar, wenn der Abschluss einer individuellen D&O-Versicherung durch jedes Organmitglied als vorzugswürdige Alternative zu dem Abschluss einer D&O-Gruppenversicherung durch eine Gesellschaft empfohlen wird.9 Teilweise gilt eine solche Empfehlung, sich unabhängig von vorhandenen D&O-Gruppenversicherungsverträgen eine D&O-Individualversicherung zu beschaffen, insbesondere Mehrfachaufsichtsratsmitgliedern. Sie sollen sich so unabhängig von den Gegebenheiten der jeweiligen D&O-Gruppenversicherung in jeder Gesellschaft einen einheitlichen selbstständigen Versicherungsschutz erwerben.10 Ebenso wird dem „Geschäftsführer einer kriselnden GmbH“ der Abschluss einer zusätzlichen D&O-Individualversicherung empfohlen, um der erhöhten Risikolage im Hinblick auf Insolvenzdelikte zu begegnen.11 8   Vgl. zur D&O-Selbstbehaltsversicherung z.B. Gädtke/Wax AG 2010, 851ff.; Lange D&O-Versicherung und Managerhaftung, 2014, § 17; Ihlas in Langheid/Wandt (Hrsg.), Band 3, 2. Aufl. 2017, D&O 320 Rn. 127ff. 9   So z.B. von Schenck NZG 2015, 494, 500; Hendricks VP 6/2016, 20ff.; vgl. auch den Bericht über entsprechende Ratschläge von D&O-Versicherungsmaklern in ZfV 2015, 413f. 10  So von Schenck NZG 2015, 494, 500 und Fassbach Der Aufsichtsrat 2/2013, 26, 28. 11  So Lange GmbHR 2015, 1009, 1017; Cyrus NZG 2018, 7, 9 schlägt dagegen eine ausdrückliche Einbeziehung von Ansprüchen aus § 64 GmbHG und §§ 93 Abs. 3 Nr. 6, 92

Die D&O-Individualversicherung

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Empfehlungen dieser Art treffen in der Praxis auf Klagen oder zumindest Besorgnisse von Organmitgliedern dazu, dass sich in konkreten D&O-Schadenfällen Betroffene von D&O-Versicherungsunternehmen im Stich gelassen gefühlt oder Defizite in ihrem D&O-Versicherungsschutz verspürt haben. Diesen Personen sekundieren immer wieder ihre Rechtsberater, wenn sie bei oder über die D&O-Versicherungsunternehmen für ihre Mandanten nicht den gewünschten Erfolg hatten.12 Vor allem aber geht das Thema D&OIndividualversicherung von Marktteilnehmern in Maklerkreisen aus, die im D&O-Geschäft tätig sind. Ihnen würde sich mit der Verbreitung von D&OIndividualversicherungsverträgen ein neuer, kleinteilig geprägter Markt erschließen. Zu den natürlichen Personen als potentiellen Nachfragern nach D&O-Individualversicherungsschutz und damit zu diesem Markt haben nämlich nur sie selbst Zugang, nicht aber die großen D&O-Versicherungsunternehmen. Sie sind bisher nur als Direktanbieter oder maklervermittelte Anbieter von D&O-Gruppenversicherungsverträgen für Unternehmen tätig. Immer wiederkehrende, Aufmerksamkeit heischende Veröffentlichungen aus den Kreisen der drei genannten Gruppen in populären Wirtschaftszeitungen oder -magazinen führen prompt zu Nachfragen von Organmitgliedern im jeweiligen Gremium oder bei den Versicherungsabteilungen bzw. den unternehmenseigenen Versicherungsmaklergesellschaften, warum es zu D&OIndividualversicherungen keine Informationen oder sogar Empfehlungen gebe. Geht es um Fälle, in denen eine D&O-Individualversicherung an die Stelle einer D&O-Gruppenversicherung treten oder unabhängig von bestehenden D&O-Gruppenversicherungen einen „besseren“ Individualschutz bewirken soll, stellen sich zahlreiche rechtliche und tatsächliche Probleme. Sie sind im Folgenden zu thematisieren.

III. D&O-Versicherungssumme Ca. zwei Drittel aller D&O-Fälle betreffen die Innenhaftung mit hohen Schadenersatzforderungen der Gesellschaft gegen – in der Regel – frühere Organmitglieder. Fast immer geht es um die gleichzeitige Inanspruchnahme mehrerer Organmitglieder als Gesamtschuldner. Und fast alle – aus der Sicht der Anspruchsteller – erfolgreichen D&O-Fälle enden mit einem Vergleich. Abs. 2 AktG in die D&O-Gruppenversicherungsverträge vor; vgl. näher zur D&O-Versicherung in der Unternehmensinsolvenz z.B. Reuter in FS Pannen, 2017, S. 655ff. 12   Vgl. näher zu verbreiteten „Missverständnissen“ über die Schutzwirkung einer D&OVersicherung z.B. Sieg in Krieger/Schneider (Hrsg.), 3. Aufl. 2017, § 18 Rn. 18.28ff. und zur „Ernüchterung“ über die Wirkung der D&O-Versicherung in der Praxis z.B. Seyfarth Vorstandsrecht, 2016, § 25 Rn. 4, der den Abschluss einer D&O-Gruppenversicherung gleichwohl für „sinnvoll“ hält.

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Hinzu kommen in der Regel sehr hohe Anspruchsabwehr- oder Anspruchsdurchsetzungskosten. Damit sind die tatsächlichen Ausgangspunkte für jede Beschaffung von D&O-Versicherungsschutz beschrieben.13 Daraus ergibt sich aber zugleich entsprechend dem Motto der Praxis „viel hilft viel“ die Bildung einer ausreichenden Versicherungssumme als Zentralkriterium einer sinnvollen D&O-Absicherung.14 Die für D&O-Gruppenversicherungen üblichen Versicherungssummen kommen im Bereich der D&O-Individualversicherung schon aus Risikound Kostensicht nicht in Betracht. Viele potenzielle Versicherungsnehmer werden in einer D&O-Individualversicherung einen Vermögensschutz im Sinne der folgenden Leitlinie sehen: Im Schadenfall zahlt das D&O-Versicherungsunternehmen den Schaden, der Versicherungsnehmer behält sein Vermögen. Dies widerspricht allerdings der praktischen Erfahrung in D&OVersicherungsfällen. Jedenfalls bei Vergleichen, die Aktiengesellschaften und – wegen der dort geringeren gesellschaftsrechtlichen Anforderungen an eine Enthaftung der Geschäftsführer – nicht GmbHs betreffen, fordern die D&O-Versicherungsunternehmen und nicht nur die Anspruchsteller – zu Recht im Hinblick auf eine im Raum stehende schuldhafte Pflichtverletzung und die rechtlichen Schwierigkeiten einer Enthaftung – einen substantiellen finanziellen Eigenbeitrag aus dem persönlichen Vermögen des betreffenden Organmitglieds. Hinzu kommt, dass das am Markt erhältliche Angebot für die D&OIndividualversicherung dem tatsächlichen Bedarf an Versicherungssumme nicht entspricht.15 Das Angebot dürfte regelmäßig nur im einstelligen Millionenbereich liegen. Fallen wie üblich hohe Kosten für Rechtsverteidigung an, bleibt am Ende im Falle begründeter Schadenersatzansprüche keine ausreichende Deckung mehr. Selbst wenn im Einzelfall für Organmitglieder, die in gleichzeitig sehr großen und risikogeneigten Gesellschaften tätig sind, eine höhere Versicherungssumme am Markt realisierbar ist, stellt sich neben anderen Themen aus der Sicht des Versicherungsnehmers das der Kosten.16 Und aus der Sicht des Versicherungsunternehmens als Anbieter gilt der Grundsatz „Deckung schafft Haftung“. Dies begrenzt zusammen mit vielen Folgeproblemen die Neigung von Versicherungsunternehmen, mit zahlreichen Einzelpersonen in D&O-Versicherungsverträgen substanzielle Versicherungssummen zu vereinbaren, deutlich. Befürworter einer D&O-Individualversicherung sehen deren Vorteil darin, dass sie mit der ganzen Versicherungssumme ausschließlich dem einzelnen Versicherungsnehmer zugutekommt. Im Fall einer kumulativen   Vgl. näher Dreher in FS Baums 2017, S. 325, 326ff.   So schon Dreher in FS Baums 2017, S. 325, 326f. 15   Vgl. ausführlich Ihlas D&O, 2. Aufl. 2009, S. 335f. 16   Vgl. dazu auch Ihlas D&O, 2. Aufl. 2009, S. 335f. und unten VII. 13 14

Die D&O-Individualversicherung

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D&O-Individual- sowie Gruppenversicherung gelte dies auch dann, wenn eine bestehende D&O-Gruppenversicherung z.B. wegen einer Obliegenheitsverletzung oder eines Risikoausschlusses nicht greift oder summenmäßig ausgeschöpft ist. Dem steht allerdings unter anderem entgegen, dass das äußerst schwierige Zusammenspiel von D&O-Individualversicherung und D&O-Gruppenversicherung bei kollidierenden oder fehlenden Subsidiaritätsklauseln die Hoffnung auf eine subsidiäre Absicherung zunichtemachen kann,17 dass die Erwartung, in der eigenen „kleinen“ D&O-Individualversicherung bessere AVB, d.h. AVB ohne einen entsprechenden Risikoausschluss zu haben, an der D&O-Realität vorbeigeht18 und dass die Praxis das früher sehr bedeutende Problem des Durchschlagens von Obliegenheitsverletzungen, die einzelne von zahlreichen versicherten Personen begangen haben, auf andere versicherte Personen in der Gruppenversicherung heute z.B. über sogenannte Severability- oder Repräsentanten-Klauseln gelöst ist.19 Ein einschneidender Nachteil liegt für ein Organmitglied bei dem Abschluss eines individuellen D&O-Versicherungsvertrags vor allem in dem Zusammenspiel von geringer Versicherungssumme und gesamtschuldnerischer Haftung bei regelmäßig mehreren oder sogar zahlreichen Haftpflichtigen. Wird der Versicherungsnehmer einer individuellen D&O-Versicherung als Gesamtschuldner im Verhältnis zu seinem eigenen Haftungsanteil überschießend in Anspruch genommen, hat er zwar Ausgleichsansprüche nach § 426 Abs. 1 und 2 S. 1 BGB gegen die anderen Gesamtschuldner. Trifft er dabei aber auf Personen, die selbst entweder über keine oder keine ausreichende D&O-Versicherung oder entsprechendes Vermögen verfügen, trägt er das Regressrisiko allein.20

IV. D&O-AVB Für eine D&O-Individualversicherung wird auch ins Feld geführt, sie erlaube eine Ausrichtung der AVB auf die jeweiligen individuellen Bedürfnisse. Dies geht allerdings schon an der Tatsache vorbei, dass einem individuellen D&O-Versicherungsnehmer gegenüber den Versicherungsunternehmen als Anbietern jede – in der Regel durch ein großes Prämienvolumen und die Erwartung der Fortführung der Geschäftsbeziehung fundierte – Verhand  Vgl. dazu unten VI.   Vgl. dazu unten IV. 19   Vgl. als Auslöser den Heros-Fall BGH VersR 2011, 918 – Heros I; BGH VersR 2011, 1563 – Heros II; BGH VersR 2012, 1429 – Heros III und zur Lösung des Grundproblems z.B. Dreher/Thomas ZGR 2009, 31, 62ff. 69ff.; Gädtke r+s 2013, 313ff.; Ihlas in Langheid/ Wandt (Hrsg.), Band 3, 2. Aufl. 2017, D&O 320 Rn. 915ff.; Finkel/Seitz in Seitz/Finkel/ Klimke D&O-Versicherung, 2016, Ziff. 7 AVB/AVG Rn. 45ff. 20   Vgl. dazu z.B. Ihlas D&O, 2. Aufl. 2009, S. 336. 17 18

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lungsmacht fehlt, um eigene AVB durchsetzen zu können.21 Versicherungssummen und Prämienerwartungen bei solchen Versicherungsverträgen lassen für den Regelfall nur eine Zuordnung der Verträge zum Massengeschäft zu. In diesem gibt es aber keine individuell ausgehandelten AVB. Da D&O-Versicherungsverträge eine Laufzeit von nur einem Jahr haben, kommt es außerdem zu einem jährlichen sogenannten Renewal. Eine natürliche Person, deren Hauptinteresse nicht dem Gesellschafts- und Versicherungsrecht gilt und die daher nicht zu der Gestaltung von D&OVersicherungsverträgen selbst in der Lage ist, kann die Notwendigkeit und Möglichkeiten einer Anpassung von AVB in solchen Abständen nicht überblicken. Die Versicherungsnehmer sind daher ganz auf eine entsprechende Beratung durch Versicherungsvermittler angewiesen. Ob sie diese durch entsprechend fachkundige und daher teure Dritte erhalten, steht bei der Kleinteiligkeit der D&O-Individualversicherung im Falle ihrer Verbreitung anstelle von D&O-Gruppenversicherungen durchaus in Frage. Demgegenüber haben Gesellschaften entweder Zugang zu spezialisierten Maklern und/ oder eine eigene Versicherungsabteilung bzw. – so heute der Standard selbst bei mittelständischen Gesellschaften – eine eigene firmenverbundene Vermittlungsgesellschaft mit entsprechendem Know-how sowie zusätzlich mit einem Zugang zu einem entsprechend sachkundigen Fachverband.

V. D&O-Interessenkonflikte Im Zusammenhang mit der D&O-Individualversicherung wird regelmäßig darauf verwiesen, dass bei der D&O-Gruppenversicherung das D&OVersicherungsunternehmen auf Seiten sowohl der Gesellschaft als Versicherungsnehmer, die Innenhaftungsansprüche durchsetzen will, als auch der Organmitglieder als versicherten Personen stehe, gegen die sich diese Ansprüche richten und die sie daher mithilfe der D&O-Versicherung abwehren wollen. Diese Doppelrolle begründe bei den D&O-Versicherungsunternehmen einen Interessenkonflikt. Dem könne man nur entgehen, indem man sich einen eigenen D&O-Versicherungsschutz bei einem Versicherungsunternehmen beschaffe.22

21   Dieses Problem stellt sich selbst bei kleinen D&O-Gruppenversicherungsverträgen, vgl. Dreher in FS Baums, 2017, S. 325, 328f. 22   So z.B. Armbrüster NJW 2016, 897, 899, der die D&O-Individualversicherung jenseits der reinen Selbstbehaltsversicherung allerdings wegen der hohen Kosten und des mit der D&O-Individualversicherung verbundenen Eskalationspotentials – vgl. dazu sogleich – im Ergebnis nicht für sinnvoll hält, und Schilling VW 8/2014, 22, 23, der aber die Versicherungswirtschaft für den Abschluss einer Vielzahl von individuellen D&O-Versicherungsverträgen als „nicht darauf eingerichtet“ ansieht. Ausschließlich im Sinne nur der

Die D&O-Individualversicherung

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Zwar bildet die Grundannahme eines fehlenden Interessenkonflikts auf Seiten des D&O-Versicherungsunternehmens bei einer D&O-Individualversicherung eine abstrakt zutreffende Ausgangsthese. Aufgrund rechtlicher und tatsächlicher Umstände bleibt sie allerdings bloßes Postulat. Zu diesen Umständen gehört zunächst, dass schon die Annahme nicht trägt, jedes Organmitglied in einer Gesellschaft werde bei einer D&O-Individualversicherung am Ende einen Versicherungsvertrag bei einem anderen D&O-Versicherungsunternehmen abschließen als alle anderen Organmitglieder. Die begrenzte Zahl derjenigen Versicherungsunternehmen, die überhaupt D&ODeckungen anbieten – derzeit handelt es sich um etwa 50 Versicherungsunternehmen –, und die insgesamt ebenfalls geringe Zahl der auf D&O-Versicherungsverträge ausgerichteten Versicherungsvermittler würden bei einer Verbreitung der D&O-Individualversicherung dazu führen, dass praktisch in jeder Gesellschaft mehrere Organmitglieder ihren D&O-Versicherungsvertrag bei demselben Versicherungsunternehmen abgeschlossen hätten. Sollte es ausnahmsweise einzelne Organmitglieder geben, die selbst über eine substantielle D&O-Versicherungssumme verfügen, würde dies erst recht aufgrund der Beteiligung regelmäßig mehrerer Versicherungsunternehmen an solch umfangreichen D&O-Deckungen gelten. Hintergrund ist, dass bei einem D&O-Streitfall regelmäßig zahlreichen Personen eine Pflichtverletzung vorgeworfen wird, deren Interessen und daher auch deren rechtliche Interessenwahrnehmung ebenso regelmäßig gegenläufig sein werden. Bei einer Identität des D&O-Versicherungsunternehmens liegt es damit auf der Hand, dass die D&O-Individualversicherung keine Flucht vor dem befürchteten Interessenkonflikt ermöglicht. Dass eine solche Flucht überhaupt eine D&O-Individualversicherung statt einer D&O-Gruppenversicherung legitimiert, erscheint nicht nur im Hinblick auf die strukturell und generell der D&O-Versicherung aus diesen und anderen, zum Teil nachfolgend anzuführenden Gründen im Hinblick auf immanente Interessenkonflikte fraglich. Denn jeder Interessenkonflikt ist nur so lange ein Problem, als er nicht bewältigt ist. Genau dazu gibt es aber Rechtsgrundsätze wie die Verpflichtung jedes D&O-Versicherungsunternehmens, im Haftpflichtprozess die Interessen jeder versicherten Person so zu wahren wie ein beauftragter Anwalt und bei Interessenkonflikten die eigenen Interessen hintanzustellen.23 Zu dem beschränkten Kreis von D&O-Versicherungsunternehmen kommt als weiteres Problem hinzu, dass in D&O-Fällen zunehmend das InsVermeidung von Interessenkonflikten durch eine zusätzliche D&O-Individualversicherung dagegen Wirtz VP 3/2015, 7, 8 und Doganay/Wessel VP 6/2016, 3, 4f. 23   Vgl. BGH VersR 2007, 1116, 1117; Dreher in FS Baums, 2017, S. 325, 331 und ausführlich zum Kooperationsgebot der Versicherungsunternehmen bei einem Versicherungsvertrag Armbrüster Privatversicherungsrecht, 2013, Rn. 245, 266ff.

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titut der Streitverkündung gebraucht wird,24 wenn einzelne Organpersonen in Anspruch genommen werden, andere aber nicht. Auch dies führt in der Praxis dazu, dass immer mehr Personen und damit immer häufiger dieselben D&O-Versicherungsunternehmen in einem streitigen D&O-Fall rechtlich involviert sind. Ein ganz massives Problem besteht sub specie von Interessenkonflikten bei der D&O-Individualversicherung ferner im Verhältnis von Versicherungsnehmer und Versicherungsunternehmen. Es ist darin begründet, dass der bei der D&O-Gruppenversicherung beklagte Interessenkonflikt auch durch das in der Treuepflicht des Versicherungsunternehmens gründende Kooperationsgebot kompensiert wird. Danach ist das Versicherungsunternehmen bei der D&O-Gruppenversicherung zwar in unterschiedlichen Rollen tätig. Es verfolgt aber im Interesse der Versicherungsnehmer und der Versicherten jeweils das Ziel, die Versicherungssumme zu schonen. Die Einflussnahme des D&O-Versicherungsunternehmens ist daher vorprozessual, aber auch prozessual auf Konfliktvermeidung oder Konfliktbegrenzung gerichtet. Die festgestellte Mitverantwortlichkeit weiterer Personen würde das Versicherungsunternehmen schon deshalb nicht entlasten, weil sie ebenfalls versicherte Personen der D&O-Gruppenversicherung sind. Das Versicherungsunternehmen müsste deshalb ihren Haftungsanteil ohne Regressmöglichkeit ohnehin tragen. Bei der D&O-Individualversicherung entfällt die zuvor genannte, deeskalierend wirkende Interessenlage der Versicherungsunternehmen. Hier liegt es im Gegenteil im Interesse eines jeden Versicherungsunternehmens, einen D&O-Fall zu eskalieren, um möglichst viele andere selbstversicherte Organmitglieder mit ihren Versicherungssummen und damit deren D&OVersicherungsunternehmen in den Streit einzubeziehen.25 Ziel eines solchen Vorgehens ist es nämlich, den gesamtschuldnerischen Haftungsanteil des Versicherungsnehmers einzugrenzen. Mittel hierzu ist vor allem die Streitverkündung. Kommt es nämlich am Ende tatsächlich zu einem begründeten Schadenersatzanspruch, verteilt sich die Haftpflicht auf alle gesamtschuldnerisch haftenden, unter Umständen ebenfalls individuell versicherten Organmitglieder und damit auf deren D&O-Versicherungsunternehmen. Soweit Organmitglieder aber nicht oder nicht ausreichend versichert sind, geht es in einem Streitfall um die persönliche wirtschaftliche Existenz, was das Konfliktpotenzial bei den Betroffenen weiter steigert.

24   Vgl. dazu z.B. Kocher/von Falkenhausen AG 2016, 848ff.; Schilling VW 8/2014, 22f.; Wettich AG 2015, 681, 684. 25   Vgl. z.B. Lange D&O-Versicherung und Managerhaftung, 2014, § 3 Rn. 54ff.; tendenziell a.A., aber im Ergebnis nicht überzeugend Finkel/Seitz in Seitz/Fimkel/Klimke D&OVersicherung, 2016, Ziff. 1 AVB-AVG Rn. 10 und von Schenck NZG 2015, 500f.

Die D&O-Individualversicherung

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Einer weiten Verbreitung der D&O-Individualversicherung wäre daher eine Tendenz zur Konfliktvergrößerung statt zur Konfliktvermeidung inhärent. Erstere kommt aber nicht nur in dem Zusammenhang mit der prozessualen Aufarbeitung eventueller Schadenfälle, sondern auch bei der Schadenregulierung zum Ausdruck: Bei der D&O-Gruppenversicherung erfolgt keine Legalzession von Ansprüchen auf Gesamtschuldnerausgleich nach § 426 BGB zwischen mehreren haftpflichtigen versicherten Personen zugunsten des D&O-Versicherungsunternehmens, das Schadenersatzansprüche gegen eine versicherte Person erfüllt. Denn die anderen versicherten Personen sind nicht Dritte im Sinne von § 86 Abs. 1 VVG.26 Ihre Interessen sind durch den D&O-Gruppenversicherungsvertrag mitversichert. Diese Schranke greift bei der D&O-Individualversicherung dagegen nicht. Hier gehen Ausgleichsansprüche des Versicherungsnehmers gegen andere Organmitglieder nach § 86 Abs. 1 VVG auf das Versicherungsunternehmen über. Bei diesen Personen kann das Versicherungsunternehmen – oder der Versicherungsnehmer – daher anteilig regressieren.27 Zu der dem Versicherungsunternehmen gebotenen rigorosen Durchsetzung von Regressansprüchen bei Bestehen eines Haftpflichtanspruchs kommt daher in deren Vorfeld eine ebenso rigorose Konfliktstrategie zur Einbeziehung weiterer Personen in einen D&O-Streitfall vor allem durch Streitverkündung hinzu, bei denen das Versicherungsunternehmen oder der Versicherungsnehmer später möglicherweise regressieren kann.28 Beides liegt regelmäßig nicht im Interesse des Versicherungsnehmers einer D&O-Individualversicherung. Als – in der Regel ehemaliges – Organmitglied wird ihm eher daran gelegen sein, andere Mitglieder des Vorstands oder des Aufsichtsrats nicht in den Streit einzubeziehen. Außerdem stehen ihm diese Personen bei ihrer Einbeziehung in einen Rechtsstreit auch nicht mehr als Zeugen zur Verfügung. In dem Bemühen um die eigene Exkulpierung tragen sie möglicherweise sogar dazu bei, dass die Erfolgschancen der Schadenabwehr des Organmitglieds als Versicherungsnehmer seiner D&O-Individualversicherung sinken. Und aus der Sicht des Organmitglieds als Versicherungsnehmer widerspricht eine Konfliktstrategie seinen Interessen oft deshalb, weil die damit verbundenen Rechtskosten die Versicherungssumme aufzehren. 26   Keine Rolle spielt dagegen, dass es abweichend vom Wortlaut des § 86 Abs. 1 VVG bei der D&O-Gruppenversicherung als Fremdversicherung nicht um Ansprüche des Versicherungsnehmers, sondern um solche der versicherten Person ginge, vgl. dazu z.B. Möller/ Segger in Langheid/Wandt (Hrsg.), VVG, 2. Aufl. 2016, § 86 Rn. 77. 27   Vgl. dazu ausf. Lange D&O-Versicherung und Managerhaftung, 2014, § 3 Rn. 58 und § 18. 28   Sofern die anderen haftpflichtigen Personen nicht versichert sind, trägt der Versicherungsnehmer einer D&O-Individualversicherung sogar das Regressrisiko, wenn „sein“ Versicherer vollständig geleistet hat, die gesamtschuldnerische Haftung aber darüber hinausgeht; vgl. oben III.

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Ein weiterer Interessenkonflikt kann bei der D&O-Individualversicherung im Zusammenhang mit der Aufbereitung des Streitstoffes auftreten. Bei der D&O-Gruppenversicherung hat das Versicherungsunternehmen einen Auskunftsanspruch nach § 31 VVG gegen die Gesellschaft als Versicherungsnehmer, der durch AVB oft noch konkretisiert ist. Der Anspruch bezieht sich nach § 31 Satz 1 VVG ausdrücklich auf alle Auskünfte, „die zur Feststellung des Versicherungsfalles oder des Umfangs der Versicherungspflicht des Versicherers erforderlich“ sind. Einen solchen Anspruch gegenüber der Gesellschaft gibt es für das D&O-Versicherungsunternehmen bei der D&OIndividualversicherung nicht. Solange der Sachverhalt daher zumindest zum Teil noch tatsächlich unklar oder rechtlich streitig ist, wird das D&O-Versicherungsunternehmen dem Organmitglied als Versicherungsnehmer daher empfehlen, die Haftpflichtfrage gegenüber der Gesellschaft auszuprozessieren oder selbst streitanfällige Auskunftsansprüche mit zusätzlicher Kostenbelastung geltend zu machen. Auch dies kann daher die Versicherungssumme strapazieren, was nicht im Interesse des Versicherungsnehmers liegt.29

VI. D&O-Komplexitätssteigerung Die substitutive D&O-Individualversicherung führt dazu, dass an die Stelle einer einzigen D&O-Gruppenversicherung zahlreiche Versicherungsverträge treten. Bei einem fünfköpfigen Vorstand und einem neunköpfigen Aufsichtsrat geht es schon um mindestens 14 Versicherungsverträge. In einem Konzern mit mehreren oder sogar sehr vielen Tochtergesellschaften, die in Vorständen und Aufsichtsräten nicht sämtlich personengleich mit den Organen der Obergesellschaft besetzt sind, kommt es daher leicht zu einer Vielzahl von Versicherungsverträgen. Allein die bloße Zahl völlig unabhängiger Versicherungsverträge belegt schon die ganz erhebliche Komplexitätssteigerung, die damit bei einem Schadenfall in Bezug auf die Schadenabwehr oder Schadenregulierung einhergeht. Das praktisch wichtige D&O-Thema der Umstandsmeldung30 zeigt beispielhaft, dass die Abgabe einer solchen Meldung durch einen Versicherungsnehmer einer D&O-Individualversicherung, sofern diese – was in der Praxis kaum der Fall sein dürfte – solche Umstandsmeldungen überhaupt zulässt und der Versicherungsnehmer in der Lage ist, damit sachgerecht umzugehen, viele andere Versicherungsnehmer tatsächlich und rechtlich berühren 29   Zu dem zusätzlichen, für die Gesellschaft sehr nachteiligen Umstand, auf diese Weise eventuell vertrauliche Informationen an das Versicherungsunternehmen der (früheren) Organpersonen herausgeben zu müssen, vgl. z.B. Lange D&O-Versicherung und Managerhaftung, 2014, § 2 Rn. 26ff. sowie § 3 Rn. 60 und 63. 30   Vgl. dazu z.B. zuletzt Lüneborg/Resch AG 2017, 691, 697ff.

Die D&O-Individualversicherung

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kann. Eine Umstandsmeldung bedeutet, dass der Versicherungsnehmer dem Versicherungsunternehmen mitteilt, dass eine Inanspruchnahme, d.h. der Versicherungsfall im Sinne von claims made, aufgrund konkreter Umstände wahrscheinlich ist. Eine solche Meldung setzt eine tatsächlich und rechtlich herausfordernde Risikobewertung voraus. Ihre Folge ist, dass ein später auf dieser Grundlage tatsächlich erhobener Haftpflichtanspruch fiktiv in die zur Zeit der Abgabe der Umstandsmeldung laufende Versicherungsperiode fällt. Umstandsmeldungen können für den Versicherungsnehmer mit Vorund Nachteilen verbunden sein. Im vorliegenden Zusammenhang ist allein maßgeblich, dass die einzelnen Versicherungsnehmer bei den zahlreichen Versicherungsverträgen einen sehr unterschiedlichen Kenntnisstand über die rechtstatsächliche Lage, eine ebenso unterschiedliche Strategie in der Anspruchsabwehr und entsprechend unterschiedlich starke Positionen zur Durchsetzung dieser Strategie haben werden. Kundige – bzw. gut beratene – und einflussreiche Versicherungsnehmer können daher das Informationsgefälle unter Umständen über Umstandsmeldungen für sich nutzen, während anderen Versicherungsnehmern die mit einer Umstandsmeldung verbundenen Chancen entgehen oder sie sogar bei Bekanntwerden der tatsächlichen Grundlagen einer Umstandsmeldung im Rahmen der jährlichen Erneuerung ihres D&O-Versicherungsvertrags auf Ablehnung, Risikoausschlüsse oder ein erhöhtes Prämienniveau stoßen. Geht es in einem anderen Szenario um die Erhebung eines Anspruchs durch die Gesellschaft zum Beispiel gegen mehrere ehemalige Vorstandsmitglieder, werden diese in der Regel anderen ehemaligen und/oder derzeitigen Vorstandsmitgliedern und ehemaligen und/oder noch aktiven Aufsichtsratsmitgliedern den Streit verkünden. Diese Gemengelage bedeutet bildlich zunächst einen Kampf „allein gegen alle“ und damit nachfolgend zugleich einen „Kampf jeder gegen jeden“. Kein Versicherungsnehmer hat für sich allein – und mit seinem „eigenen“ D&O-Versicherungsunternehmen an der Seite, das seinerseits Regressinteressen hat – einen Anreiz zur Deeskalation von Konflikten und zur Schonung der Versicherungssumme.31 Auch der Abschluss eines Vergleichs würde mit einer Vielzahl unterschiedlicher Versicherungsunternehmen extrem schwer. Eine große Gruppe von heterogenen natürlichen Person auf der einen Seite und unter sich – anders als in der D&O-Gruppenversicherung – völlig unverbundenen Versicherungsunternehmen auf der anderen Seite dürfte kaum sinnvoll ergebnisorientiert zu moderieren sein. Ein weiteres und keineswegs nachrangiges Problem entsteht im Hinblick auf die Komplexitätssteigerung bei der ersetzenden D&O-Individualversicherung mit dem – sogleich näher anzusprechenden – Thema der Subsidiarität. Ausgangspunkt ist die allein realitätsgerechte Annahme, dass die Gesellschaften unabhängig davon, ob einzelne oder sogar zahlreiche Organ31

  Siehe oben V.

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mitglieder individuelle D&O-Versicherungsverträge haben, auch weiterhin einen D&O-Gruppenversicherungsvertrag abschließen werden. Hintergrund ist das ansonsten unversicherte Eigeninteresse.32 Bei einem Wegfall der D&O-Gruppenversicherung läge ein gewichtiger Nachteil aus der Sicht der Gesellschaften darin, dass zahlreiche Personen, die bisher üblicherweise zu dem Kreis der versicherten Personen einer D&O-Gruppenversicherung ebenso gehören wie solche Personen in Tochtergesellschaften, nicht mehr D&O-versichert wären. Hinzu kommen zahlreiche weitere Gründe, die aus der Sicht der Unternehmen für die Fortführung des Systems der D&O-Gruppenversicherung sprechen. Pars pro toto gilt dies für die leichtere Gewinnbarkeit neuer Organmitglieder bei Bestehen einer gesellschaftsfinanzierten D&O-Gruppenversicherung auf der Grundlage gut verhandelter AVB.33 Aus dem Bestehen sowohl einer D&O-Gruppenversicherung als auch einzelner oder zahlreicher D&O-Individualversicherungen folgt weiter ein Subsidiaritätsproblem. In der Regel enthalten D&O-Versicherungsverträge nämlich eine Subsidiaritätsklausel. Sie besagt im Grundsatz, dass eine Leistung aus dem Vertrag nicht oder nur nachrangig erfolgt, wenn der Versicherungsfall gleichzeitig in den Anwendungsbereich eines anderen Versicherungsvertrags fällt. Im Einzelnen gibt es bei Subsidiaritätsklauseln eine Vielzahl von Varianten mit sehr unterschiedlichen, für die Versicherungsnehmer bei Kollisionen oft nachteiligen Rechtsfolgen.34 Die Rechtsfragen von nicht aufeinander abgestimmten oder sogar kollidierenden Subsidiaritätsklauseln sind schon im Verhältnis von D&O-Gruppenversicherungs-

32   Vgl. schon Dreher ZHR 165 (2001), 293, 300 zum company reimbursement. Es betrifft den Anspruch der Gesellschaft als Versicherungsnehmer gegen das D&O-Versicherungsunternehmen, die eigene Freistellungsverpflichtung gegenüber einer versicherten Person in dem Fall, dass diese Dritten im Sinne der Außenhaftung haftpflichtig ist, zu erfüllen. Trotz des Eigeninteresses jeder Gesellschaft als Versicherungsnehmer bei einer D&O-Gruppenversicherung schon infolge dieses company reimbursement bleibt die D&O-Gruppenversicherung ihrer Rechtsnatur nach Fremdversicherung – vgl. dazu oben II. 1. – und sollte dies aus zahlreichen Gründen entgegen vereinzelt gebliebenen Empfehlungen zur Umwandlung in eine Eigenschadenversicherung – so Koch VP 9/2015, 10ff. – auch bleiben; vgl. dazu zu Recht ablehnend z.B. Wirtz/Seyer VP 5/2017, 18, 23 und zuletzt Cyrus NZG 2018, 7, 9ff. 33   Zu der Pflicht jedes Aufsichtsrats einer Gesellschaft, sich schon im Hinblick auf die Wirksamkeitsprüfung des Risikomanagementsystems und des internen Kontrollsystems einschließlich eines Compliance-Managementsystems nach § 107 Abs. 3 S. 2 AktG mit dem Bestehen eines sachgerechten D&O-Versicherungsschutzes und mit seiner jeweils ordnungsgemäßen Verlängerung zu befassen, vgl. Dreher VP 11/2015, 17 und ders. in FS Baums, 2017, S. 325, 332. 34   Vgl. ausführlich dazu z.B. Gädtke in Bruck/Möller, VVG, Band 4, 9. Aufl. 2013, AVBAVG 2011/2013 Ziff. 6 Rn. 3ff.; Finkel/Seitz in Seitz/Finkel/Klimke D&O-Versicherung, 2016, Ziff. 6 AVB-AVG Rn. 7ff.; Lange D&O-Versicherung und Managerhaftung, 2014, § 18 Rn. 89ff.

Die D&O-Individualversicherung

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verträgen zur anderen Versicherungsverträgen sehr komplex. Im Verhältnis mehrerer oder sogar zahlreicher Individualversicherungsverträge zu einem D&O-Gruppenversicherungsvertrag nimmt die Komplexität weiter erheblich zu.35 Eine Folge des Subsidiaritätsthemas könnte darin bestehen, der D&O-Individualversicherung einen der Vorteile zu nehmen, der regelmäßig von Apologeten eines solchen Systemwechsels für ihn angeführt wird: nämlich den Verlust der Vertraulichkeit. Die Antwort auf den Einwand, dass jeder zusätzliche D&O-Versicherungsvertrag de facto eine potentielle Inanspruchnahme provoziert,36 ist bisher immer, dass der Abschluss und der Gegenstand einer individuellen D&O Versicherung vertraulich bleibt. Eine zusätzliche Haftungsgefahr stelle sich nicht, wenn nur die natürliche Person als Versicherungsnehmer und das Versicherungsunternehmen die Existenz des D&O-Individualversicherungsvertrags kennen. Dabei wird zunächst übergangen, dass diese Vertraulichkeit mit entsprechendem neuen Konfliktpotential und oft ungewollten Störungen der „Atmosphäre“ zwischen den Beteiligten in jedem – auch nur potentiellen – Regressfall37 durchbrochen ist. Weiter bleibt unberücksichtigt, dass sich die Notwendigkeit einer solchen Durchbrechung schon zuvor in fast allen behaupteten Schadenfällen wegen einer gleichwohl bestehenden D&O-Gruppenversicherung oder anderer einschlägiger Versicherungsverträge wie der Strafrechtsschutzversicherung, der Rechtsschutzversicherung, der E&O-Versicherung bzw. P&I-Versicherung, d.h. einer Art Berufs- oder Dienstleistungs-Vermögensschadenhaftpflichtversicherung,38 der Vertrauensschadenversicherung, der Cyber-Versicherung oder der Betriebshaftpflichtversicherung, bei der nach § 102 Abs. 1 VVG die Außenhaftung der Organmitglieder wegen Haftpflichtschäden im Sinne einer Fremdversicherung mitversichert ist, stellt, um die Rechtsfolgen des Zusammentreffens von Subsidiaritätsklauseln zu prüfen. Unter den zahlreichen Umständen, die eine ganz erhebliche Komplexitätssteigerung bei einer – wie zuvor ausgeführt, allenfalls teilweise erwartbaren – Verbreitung der D&O-Individualversicherung bedeuten, zählt pars pro toto auch die Rechtsfrage der Regelung des Übergangs selbst. Keine natürliche Person als Versicherungsnehmer einer D&O-Individualversicherung hat die Verhandlungsmacht,39 ein D&O-Versicherungsunternehmen dazu zu bringen, eine wegen des Claims-made-Prinzips notwendige volle Deckungskontinuität im Verhältnis zu vorlaufenden D&O-Gruppenversicherungsverträ-

  Vgl. dazu Steinkühler VW 1/2017, 54, 55.   Vgl. zum Thema Versicherung schafft Haftung schon oben III. 37   Vgl. dazu oben V. 38   Vgl. dazu näher Dißars VersR 2009, 1340ff. und Ihlas in Langheid/Wandt (Hrsg.), Band 3, 2. Aufl. 2017, D&O 320 Rn. 220ff. 39   Vgl. dazu schon oben IV. 35 36

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gen zu vereinbaren.40 Jedes Organmitglied, das sich für einen Übergang von der D&O-Gruppenversicherung auf eine D&O-Individualversicherung in einer Gesellschaft ausspricht, muss daher damit rechnen, dass unter Umständen kein Versicherungsschutz für diejenigen Pflichtverletzungen besteht, die vor dem materiellen Beginn des individuellen D&O-Versicherungsvertrags erfolgt sind. Dass für solche Sachverhalte eine zuvor bestehende D&OGruppenversicherung in dem Umfang eine Nachhaftung begründet, ist schon angesichts der zum Teil sehr langen Zeiträume zwischen Pflichtverletzungen und claims made kaum erwartbar.

VII.  Kosten und Steuern In Bezug auf die Kosten der D&O-Individualversicherung führen deren Befürworter an, es entfalle der Prämienanteil für die Deckung des Unternehmensrisikos. Dabei wird jedoch übersehen, dass die kumulierten Kosten einer ersetzenden D&O-Individualversicherung nicht unter denen einer D&OGruppenversicherung liegen dürften. Dies gilt schon unabhängig davon, dass die zahlreichen einzelnen Versicherungsnehmer keine Prämienverhandlungsmacht haben und dass es in einem solchen Szenario keine Gleichverteilung der Attachment Points41 geben wird. Die fehlende grundsätzliche Kostenersparnis resultiert nämlich daraus, dass es bei D&O-Schadenfällen praktisch nie um die Haftung nur einer natürlichen Person und damit immer um eine gesamtschuldnerische Haftung gehen wird. Das D&O-Versicherungsunternehmen, das weder das Ob noch das Wie einer D&O-Absicherung der anderen Gesamtschuldner kennt, muss die Prämie der D&O-Individualversicherung also im Hinblick auf eine die Versicherungssumme jeweils ausschöpfende Gesamt- und nicht auf eine Teilschuld des Versicherungsnehmers berechnen. Außerdem hat das D&O-Versicherungsunternehmen in diesem Szenario anders als bei einem D&O-Gruppenversicherungsvertrag keinen Einfluss auf eine kostenmindernde Schadenabwehr und gegebenenfalls -regulierung durch die anderen Gesamtschuldner bzw. deren D&O-Versicherungsunternehmen. Im Gegenteil muss das fragliche Versicherungsunternehmen aus den bereits angeführten Gründen42 mit noch höheren Kosten für die Rechtsverfolgung rechnen als im Fall einer D&O-Gruppenversicherung. Schon aus diesen Gründen dürfte der Gesamtkostenaufwand einer entspre-

40   Vgl. zu diesem Problem schon bei der Aufteilung nur der D&O-Gruppenversicherung in einen Vorstands- und einen Aufsichtsratstower Dreher in FS Baums, 2017, S. 325, 334f. 41   Vgl. dazu Dreher in FS Baums, 2017, S. 325, 333f. 42   Siehe oben V. und IV.

Die D&O-Individualversicherung

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chenden D&O-Individualversicherung den einer D&O-Gruppenversicherung regelmäßig übersteigen.43 Die Bereitschaft der Organmitglieder zu dem Abschluss eines individuellen D&O-Versicherungsvertrags bestimmt sich nach den auf sie entfallenden individuellen Kosten. Da die D&O-Individualversicherung das Gesellschaftsinteresse nicht mehr schützt, muss jedes Organmitglied die Kosten seines D&O-Versicherungsvertrags allein und vollständig tragen. Eine Ersetzung des Aufwands durch die jeweilige Gesellschaft als Organträger kommt vor dem Hintergrund schon wegen eines fehlenden Unternehmensinteresses an dem Abschluss des Versicherungsvertrags nicht in Betracht. Zwar kann das Organmitglied die Kosten einer individuellen D&O-Versicherung steuerlich als Ausgaben bei seinen Einnahmen absetzen. Anders als bei einem D&O-Gruppenversicherungsvertrag entfällt damit aber die individuelle Kostenbelastung nicht; sie sinkt lediglich entsprechend dem jeweiligen persönlichen Steuersatz. Bei den tatsächlichen Kosten geht es abhängig von der Versicherungssumme, dem jeweiligen Risiko und der D&O-Marktlage, die derzeit eher niedrige D&O-Versicherungsprämien bedeutet, für viele Organmitglieder insbesondere bei kleinen und mittleren Gesellschaften jedenfalls um wahrnehmbare Beträge. So ist außerhalb von Sonderfällen wie Risiken in der Kreditwirtschaft oder mit USA-Berührung je nach Marktlage und Qualität des Versicherungsschutzes mit einem Kostenaufwand für jede Million Euro Versicherungssumme von ca. 1.000 bis max. 4.000 Euro Versicherungsprämie zu rechnen, wobei eine individuelle Absicherung mit einer geringeren Versicherungssumme als fünf Millionen Euro ohnehin nicht in Betracht zu ziehen ist, während für wesentlich höhere individuelle Versicherungssummen nur wenig Angebot verfügbar sein dürfte.

VIII. Gesamtbewertung Die Ergänzung einer D&O-Gruppenversicherung durch eine D&O-Individualversicherung kann in bestimmten, aber wenigen Fällen sinnvoll sein. Dabei geht es vor allem um die Selbstbehaltsversicherung von Vorstandsmitgliedern und um eine zumindest gefühlte zusätzliche Absicherung von Multifunktionsaufsichtsratsmitgliedern unter der Voraussetzung, dass sie bei dem Vertragsabschluss gut beraten sind und dass sie bei ihrer Tätigkeit in unterschiedlichen Aufsichtsräten mit von ihnen kaum beeinflussbaren D&O-Gruppenversicherungsverträgen Einschränkungen im D&O-Versicherungsschutz z.B. durch Risikoausschlüsse, Obliegenheitsverletzungen 43   Ebenso z.B. Ihlas D&O, 2. Aufl. 2009, S. 335f.; Lange D&O-Versicherung und Managerhaftung, 2014, § 3 Rn. 61.

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Dritter, zu geringe Versicherungssummen oder Nachhaftungsprobleme zur eigenen Absicherung begegnen wollen. Aufgrund einer Mehrzahl von Mandaten können die Kosten einer solchen individuellen und inhaltlich besonders guten D&O-Versicherung angemessen erscheinen.44 Im vorliegenden Zusammenhang geht es aber nicht um derartige zusätzliche, ergänzende und individuelle D&O-Versicherungsverträge, sondern um einen immer wieder empfohlenen Systemwechsel von der D&O-Gruppenversicherung zu der D&O-Individualversicherung für alle betroffenen Personen. In der Gesamtschau liegt ein solcher Wechsel zu einer ersetzenden oder substitutiven D&O-Individualversicherung im Interesse weder der Organmitglieder einer Gesellschaft noch der Gesellschaft selbst.45 Völlig außen vor bleibt bei dem Postulat eines Systemwechsels zudem das Interesse an der D&O-Versicherung sowohl der zahlreichen anderen versicherten Personen jenseits der Organmitglieder einer Gesellschaft als auch der Tochtergesellschaften. Er läge aufgrund der Kleinteiligkeit des D&O-Versicherungsgeschäfts und einer damit verbundenen außerordentlichen Komplexitäts- und Kostensteigerung bei der Vertragsanbahnung, -gestaltung, -durchführung und Schadenabwicklung auch nicht im Interesse der D&OVersicherungsunternehmen. Damit bleiben als Befürworter von substitutiven D&O-Individualversicherungen einzelne Marktteilnehmer, zu denen vor allem D&O-Makler und Rechtsberater gehören, sowie mit der Abwicklung konkreter D&O-Versicherungsfälle enttäuschte frühere versicherte Personen einer D&O-Gruppenversicherung und deren Rechtsberater. Trotz entsprechender Empfehlung durch diese Personenkreise zeigt der Markt aber keinerlei Tendenzen zu einem solchen Systemwechsel.46 Die bleibende Marktprägung durch die D&O-Gruppenversicherung hat zahlreiche Gründe, von denen die wichtigsten vorstehend angeführt sind. Der Abschluss eines gesellschaftsfinanzierten und in „einem überwiegend eigenbetrieblichen Interesse“ liegenden D&O-Gruppenversicherungsvertrags47 bedeutet für eine Gesellschaft und die versicherten Personen eine andere Qualität an Versicherungsschutz als sie durch eine D&O-Individual44   Ihlas D&O, 2. Aufl. 2009, S. 336 verweist aber auch für diesen Fall auf „unlösbare versicherungstechnische Probleme“ und eine „unbezahlbar hohe“ Versicherungsprämie für eine angemessene Versicherungs­summe. 45  Ebenso Gruber/Mitterlechner/Wax, D&O-Versicherung, 2012, § 2 Rn. 8; Lange D&O-Versicherung und Managerhaftung, 2014, § 3 Rn. 53 und 64; Ihlas D&O, 2. Aufl. 2009, S. 335f.; ders. in Langheid/Wandt (Hrsg.), Band 3, 2. Aufl. 2017, D&O 320 Rn. 123; dagegen lediglich die Vorteile einer D&O-Individualversicherung auflistend Klinkhammer VP 5/2017, 24, 25. 46  Nach Ihlas D&O, 2. Aufl. 2009, S. 335 liegt der Marktanteil von D&O-Individualversicherungsverträgen nach der Stückzahl „unter ein Prozent“ und nach den versicherten Personen „weit unter ein Promille“. 47   So die Wertung des BMF im Zusammenhang mit dem steuerlichen Betriebsausgabencharakter der D&O-Prämienleistung, vgl. Dreher in FS Baums, 2017, S. 325, 335f.

Die D&O-Individualversicherung

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versicherung erreichbar wäre. Die Gesellschaften werden daher unabhängig davon, ob einzelne Organmitglieder über einen individuellen D&O-Versicherungsvertrag verfügen, aus guten Gründen ihre D&O-Gruppenversicherungsverträge fortführen.48 Sofern große Risiken oder Sonderrisiken wie Haftpflichtansprüche im Bereich der Kreditwirtschaft bzw. mit USA-Berührung betroffen sind, dürfte ein individueller D&O-Versicherungsvertrag mit angemessenen AVB und Prämien ohnehin kaum erreichbar sein. Wie leicht ein Organmitglied schon bei der routinemäßigen Durchführung eines individuellen D&O-Versicherungsvertrags überfordert sein kann, zeigen pars pro toto die Stichworte Erfüllung von Anzeigeobliegenheiten, Ausübung von Gestaltungsrechten, Abgabe von Umstandsmeldungen, Verlangen nach Auffüllung der Versicherungssumme und Sicherung der Deckungskontinuität, jährliches Renewal mit AVB und Prämienverhandlungen. Gemäß dem vorstehend Ausgeführten sprechen zahlreiche Gründe gegen einen Systemwechsel weg von der D&O-Gruppenversicherung hin zu einer ersetzenden D&O-Individualversicherung. Zu den besonders wesentlichen Gründen gehören die Folgenden: Zunächst die fehlende Verhandlungsmacht des einzelnen Versicherungsnehmers im Verhältnis zu den Versicherungsunternehmen, was sich besonders nachteilig bei der Vertragsgestaltung und in potentiellen Schadensfällen auswirkt; sodann die bescheidene Versicherungssumme, die im Verhältnis zu Gruppenversicherungsverträgen im Rahmen einer individuellen D&O-Versicherung erzielbar und finanzierbar ist und sich in den üblichen Fällen gesamtschuldnerischer Haftung sehr nachteilig auswirken kann; weiter das erheblich gesteigerte Konfliktpotential in einem System der D&O-Individualversicherung, das nicht im Interesse von individuellen Versicherungsnehmern und Unternehmen liegt; und schließlich die Tatsache, dass die D&O-Versicherung aufgrund ihrer Komplexität und Einzelfallabhängigkeit tatsächlich und rechtlich zu den beratungsintensivsten Versicherungsarten zählt, so dass die damit verbundenen Aufgaben auf Seiten der Versicherungsnehmer kaum durch einzelne natürliche Personen, aber sehr gut und im Know-how gebündelt durch die Versicherungsabteilungen oder durch firmenverbundene Versicherungsmakler der Gesellschaften als Versicherungsnehmer zu erfüllen sind. Damit ist aber nicht gesagt, dass sich Organmitglieder allein auf den D&OGruppenversicherungsschutz „ihrer“ Gesellschaft verlassen sollen. Sie sollten vielmehr, soweit sie Vorstandsmitglieder sind, in ihren Dienstverträgen D&O-Versicherungsverschaffungsklauseln vereinbaren. Damit können sie das Ob und Wie ihres D&O-Versicherungsschutzes und vor allem auch die für sie sensible Frage der Aufrechterhaltung dieses Schutzes nach dem Ende

48

  Vgl. oben VI.

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der Organstellung beeinflussen.49 Geht es dagegen um Mitglieder eines Aufsichtsrats, fehlt zwar der Anknüpfungspunkt Dienstvertrag. An dessen Stelle könnte die Satzung treten. Dort ließe sich eine Pflicht der Gesellschaft, für einen angemessenen D&O-Versicherungsschutz für Organmitglieder zu sorgen, verankern. Für ein solches Vorgehen ist im Hinblick auf das Erfordernis einer ständigen Anpassung der AVB, der Versicherungssumme und der Versicherungsprämie zwar eine Regelung vorstellbar, die sich auf die Angabe einer Versicherungssumme mit einem Zusatz „bis zu“ beschränkt.50 Sie ist aber vor dem Hintergrund der inzwischen in verneinendem Sinn geklärten Debatte um den Vergütungscharakter der D&O-Prämienleistung durch die Gesellschaften zu sehen. Diese Debatte würde gesellschaftsbezogen durch eine Satzungsregelung wiedereröffnet, wofür auch aus der Sicht des Aufsichtsrats im Hinblick auf die nachfolgend genannten rechtlichen Gegebenheiten kein Anlass besteht. Für den Aufsichtsrat einer Gesellschaft ist nämlich die – in der Praxis bisher oft übersehene – Pflicht entscheidend, die Existenz eines sinnvollen D&O-Versicherungsschutzes in Wahrnehmung der Aufgaben des Aufsichtsrats zu überwachen und gegebenenfalls mit zu gestalten, auch wenn der Vorstand für den Abschluss des D&O-Versicherungsvertrags zuständig ist. Der Aufsichtsrat ist nämlich, wie bereits ausgeführt,51 nach § 107 Abs. 3 S. 2 AktG verpflichtet, entweder über den Prüfungsausschuss oder bei Fehlen eines solchen Ausschusses als Gesamtaufsichtsrat in regelmäßigen Abständen unter anderem die „Wirksamkeit des internen Kontrollsystems, des Risikomanagementsystems und des internen Revisionssystems“ zu überwachen. Davon umfasst ist auch das Compliance-Managementsystem. Die D&O-Gruppenversicherung hat nämlich die Funktion, Risiken einer Gesellschaft einzugrenzen und zu bewältigen. Und gleichzeitig ist das Bestehen einer angemessenen und rechtlich wirksamen D&O-Gruppenversicherung ein Element der in 49   Vgl. zu solchen Klauseln und ihrer Vereinbarung z.B. Cyrus NZG 2018, 7, 13f.; von Schenck NZG 2015, 494, 499; Hemeling in FS Hoffmann-Becking, 2013, S. 491, 506ff.; Lange D&O-Versicherung und Managerhaftung, 2014, § 22 Rn. 7ff. und § 16 Rn. 36; Fleischer in ders. (Hrsg.), Handbuch des Vorstandsrechts, 2006, § 12 Rn. 15; Seyfarth, Vorstandsrecht, 2016, § 25 Rn. 52f.; Beiner/Braun Der Vorstandsvertrag, 2. Aufl. 2014, Rn. 563; Lehmann r+s 2018, 6, 14. Zu dem Problem des möglichen Verlusts einer D&O-Deckung nach dem Ende der Organstellung vgl. Thomas VersR 2010, 281ff. Wenn HoffmannBecking ZHR 181 (2017), 737, 739 davon ausgeht, dass eine gesellschaftsfinanzierte D&O-Versicherung für die Personalgewinnung notwendig, aber das nur die Folge ihrer tatsächlichen Verbreitung ist, verwechselt er Ursache und Wirkung. Die Verbreitung der D&O-Versicherung ist deshalb so groß, weil das Vorhandensein einer solchen Versicherung Voraussetzung für die Gewinnung des Personals ist. Speziell zu Versicherungsverschaffungsklauseln für GmbH-Geschäftsführer vgl. z.B. Schnorbus in: Rowedder/SchmidtLeithoff GmbHG, 6. Aufl. 2017, § 43 Rn. 143. 50  So Hüffer/Koch Aktiengesetz, 12. Aufl. 2016, § 113 Rn. 2a. 51   Siehe oben VI.

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§ 107 Abs. 3 S. 2 AktG genannten Systeme. Ist der Prüfungsausschuss oder der Gesamtaufsichtsrat mangels Know-how nicht in der Lage, diese Prüfung selbst vorzunehmen, muss er sich zu der Erfüllung dieser Überwachungsaufgabe sachverständiger externer Hilfe bedienen.52 Aufgrund der vorgenannten Umstände, insbesondere der hohen Eskalationswirkung individueller D&O-Versicherungsverträge von Organmit­glie­ dern,53 den damit verbundenen erheblich nachteiligen Reputations­folgen, aber z.B. auch der Gefahr der Offenbarung vertraulicher Informationen der Gesellschaft,54 liegt der selbst nur zusätzliche Abschluss individueller D&O-Versicherungsverträge – abgesehen von Selbstbehaltsversicherungsverträgen von Vorstandsmitgliedern sub specie § 93 Abs. 2 S. 3 AktG nach einer Abwägung im Einzelfall – regelmäßig nicht im Unternehmensinteresse einer Gesellschaft. Die Verpflichtung des Aufsichtsrats in Wahrnehmung seiner Überwachungs- und Beratungsfunktion geht daher nicht nur dahin, den Abschluss und die Aufrechterhaltung eines wirksamen und angemessenen D&O-Gruppenversicherungsvertrags für die Gesellschaft durch den Vorstand sicherzustellen. Sie ist vor dem Hintergrund vielmehr weitergehend auch darauf gerichtet, durch die Beratung im Gremium und mit dem Vorstand darauf hinzuwirken, dass der Abschluss individueller D&O-Versicherungsverträge zusätzlich zu einer solchen im Unternehmensinteresse liegenden D&O-Gruppenversicherung möglichst unterbleibt, soweit es um D&O-Individualversicherungsverträge mit entsprechendem Konfliktpotential geht. Gehen nämlich, wie zuvor ausgeführt, mit der Verbreitung individueller D&O-Versicherungsverträge bei Organmitgliedern erhebliche tatsächliche und rechtliche Risiken für die Gesellschaft selbst einher, gebietet schon die Aufgabe des Aufsichtsrats, die Wirksamkeit des Risikomanagements im Sinne von § 107 Abs. 3 S. 2 AktG sicherzustellen, ein solches Vorgehen.

IX. Zusammenfassung 1. Individuelle D&O-Versicherungsverträge können Organmitglieder zu ihrer eigenen Absicherung selbst abschließen. Die Prämienzahlungspflicht trifft sie bei dieser Eigenversicherung selbst. 2. Nach der Funktion einer individuellen D&O-Versicherung lassen sich die ergänzende und die ersetzende D&O-Individualversicherung unterscheiden. In beiden Bereichen gibt es einige wenige unproblematische Fälle der 52   Vgl. näher zum Ganzen Dreher VP 11/2015, 17 und Dreher/Hoffmann ZGR 2016, 445ff. 53   Siehe oben VI. 54   Siehe oben V.

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individuellen D&O-Versicherung. Dies gilt z.B. für den Abschluss einer eigenen D&O-Versicherung zur Deckung des Selbstbehalts nach § 93 Abs. 2 S. 3 AktG oder für die eigene D&O-Versicherung eines Interimsmanagers für seine Tätigkeiten in immer wieder anderen Gesellschaften mit dort fehlendem, unangemessenem oder unklarem D&O-Versicherungsschutz. 3. Organmitglieder und deren Rechtsberater, die in konkreten D&O-Versicherungsfällen die Schadenabwicklung durch Versicherungsunternehmen aus ihrer Sicht als unbefriedigend empfunden haben, sowie am Vertrieb kleinteiligen Versicherungsgeschäfts interessierte Marktteilnehmer empfehlen immer wieder einen Systemwechsel von der D&O-Gruppenversicherung hin zu einer D&O-Individualversicherung für jedes Organmitglied. Diese Empfehlung gründet auf der Annahme, ein „eigener“ D&O-Versicherungsschutz des Organmitglieds vermeide Interessenkonflikte auf Seiten der Versicherungsunternehmen und stärke die Position des Versicherungsnehmers. Ein solcher Systemwechsel und damit der Abschluss individueller D&O-Versicherungsverträge durch Organmitglieder anstatt oder ungeachtet der verbreiteten D&O-Gruppenversicherungsverträge bildet den Gegenstand des vorliegenden Beitrags. 4. Ein solcher Systemwechsel von der D&O-Gruppenversicherung zu der ersetzenden D&O-Individualversicherung liegt im Interesse weder der Organmitglieder noch der Gesellschaften. a) Eine ersetzende D&O-Individualversicherung führt aus zahlreichen Gründen, insbesondere der gesamtschuldnerischen Haftung aller haftpflichtigen Personen im Schadenfall, regelmäßig zu zu niedrigen Versicherungssummen. Die Erwartung auf Seiten der Versicherungsnehmer, die eigene D&O-Absicherung diene dem Vermögensschutz, trügt oft. Die übliche Beendigung von Streitfällen durch Vergleich geht selbst bei D&OGruppenversicherungen – zumindest bei Aktiengesellschaften als Versicherungsnehmern – immer wieder mit einem finanziellen Eigenbeitrag der in Anspruch genommenen Personen einher. b) Die D&O-Individualversicherung führt zu einem kleinteiligen Massengeschäft. Dem Versicherungsnehmer fehlt dabei die im Bereich der D&OVersicherung besonders wichtige Verhandlungsmacht. Nachteilig davon betroffen sind die Vertragsgestaltung in Form der Festlegung der AVB, die Vertragsdurchführung und vor allem die Schadenabwicklung. c) Zu dem Fehlen von Verhandlungsmacht kommt regelmäßig das Fehlen von D&O-Know-how auf Seiten des Versicherungsnehmers hinzu. Dies ist besonders nachteilig, da die D&O-Versicherung zu den beratungsintensivsten Versicherungssparten zählt. Das Know-how der Versicherungsabteilung einer Gesellschaft oder ihrer firmenverbundenen Vermittlungsge-

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sellschaft lässt sich für individuelle Versicherungsnehmer am Markt kaum oder nur zu unverhältnismäßigen Kosten beschaffen. d) Die These, die D&O-Individualversicherung vermeide Interessenkonflikte, wie sie auf Seiten der D&O-Gruppenversicherung bei den Versicherungsunternehmen gegeben sind, bleibt aus zahlreichen tatsächlichen und rechtlichen Gründen bloßes Postulat. Bei der D&O-Individualversicherung kommt ein wesentlicher Konflikt zwischen den Interessen des individuellen Versicherungsnehmers und des D&O-Versicherungsunternehmens dadurch hinzu, dass der Anreiz für das Versicherungsunternehmen fehlt, die Versicherungssumme zu schonen. Es hat vielmehr ein Interesse daran, durch Streitverkündung die Gruppe der Gesamtschuldner zu vergrößern, um Regressansprüche zu ermöglichen, die bei der D&OGruppenversicherung gegen andere versicherte Personen ausgeschlossen sind. Damit ist der D&O-Individualversicherung anders als der D&OGruppenversicherung eine Tendenz zur Konfliktvergrößerung statt zur Konfliktvermeidung inhärent. e) Die Ersetzung einer D&O-Gruppenversicherung durch zahlreiche D&O-Individualversicherungsverträge führt zu einer erheblichen Komplexitätssteigerung. Dies folgt aus dem Nebeneinander vieler individueller D&O-Versicherungsverträge der Organmitglieder und von D&OGruppenversicherungsverträgen, die die Gesellschaften aus Gründen eines überwiegenden Unternehmensinteresses und des Schutzes der versicherten Personen, die nicht Organmitglieder sind, auch im Fall der Verbreitung individueller D&O-Versicherungsverträge weiterhin abschließen werden. Alle diese D&O-Versicherungsverträge sind nicht aufeinander abgestimmt und enthalten in der Regel unterschiedliche oder sogar kollidierende Subsidiaritätsklauseln. Für individuelle D&O-Versicherungsnehmer kaum zu bewältigen wäre außerdem das Problem einer vollen Deckungskontinuität im Systemwechsel zur D&O-Individualversicherung. f) Bei einem Systemwechsel von der D&O-Gruppenversicherung zu der D&O-Individualversicherung würde sich der Gesamtkostenaufwand trotz einer geringeren Absicherung der Versicherungsnehmer vergrößern. Eine Bereitschaft des Großteils der Organmitglieder, eine eigene D&O-Versicherung abzuschließen und zu finanzieren, die über eine Selbstbehaltsversicherung hinausgeht, ist auch aus diesem Grund nicht erkennbar. 5. Die bisher allein die Praxis dominierende Debatte um die D&O-Individualversicherung könnte Geschäftsführer und Vorstandsmitglieder für das Thema der eigenen D&O-Absicherung sensibilisieren. Konsequenz hiervon ist im Regelfall die Empfehlung zwar nicht zum Abschluss eines eigenen D&O-Versicherungsvertrags, aber zur Aufnahme einer D&OVerschaffungsklausel in den Dienstvertrag.

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6. Für Aufsichtsratsmitglieder kommt mangels Dienstvertrag eine solche Versicherungsverschaffungspflicht der Gesellschaft nicht in Betracht. Der Aufsichtsrat kann aber darauf hinwirken, die Pflicht der Gesellschaft, für einen angemessenen D&O-Versicherungsschutz zugunsten der Organmitglieder zu sorgen, in der Satzung der Gesellschaft zu verankern. 7. Im Übrigen und vorzugswürdig bildet für den Aufsichtsrat die Wirksamkeitsprüfung nach § 107 Abs. 3 S. 2 AktG in Bezug auf das Risikomanagement den maßgeblichen rechtlichen Anknüpfungspunkt zur Sicherstellung einer – auch eigenen – sachgerechten D&O-Absicherung. Die Prüfung eines solchen D&O-Versicherungsschutzes über die D&O-Gruppenversicherung der Gesellschaft gehört zu den Aufgaben jedes Aufsichtsrats im Rahmen seiner Überwachungspflicht. 8. Da die Verbreitung von individuellen D&O-Versicherungsverträgen bei Organmitgliedern einer Gesellschaft – abgesehen von Selbstbehaltsversicherungen – aufgrund zahlreicher erheblicher Nachteile für die Gesellschaft selbst bei Existenz eines sachgerechten D&O-Gruppenversicherungsvertrags nicht in deren Unternehmensinteresse liegt, ist der Aufsichtsrat in Wahrnehmung seiner Aufgaben nach § 107 Abs. 3 S. 2 AktG weiter verpflichtet, solche Risiken für die Gesellschaft dadurch zu vermeiden, dass er in den eigenen Beratungen und in denen mit dem Vorstand darauf hinwirkt, dass jenseits von Selbstbehaltsversicherungen der Abschluss zusätzlicher D&O-Individualversicherungsverträge mit entsprechendem Konfliktpotential durch einzelne Organmitglieder möglichst unterbleibt.

Die schwebende Nichtigkeit Ingo Drescher Die schwebende Nichtigkeit ist nicht, wie man meinen könnte, ein Zauberkunststück des II. Zivilsenats des Bundesgerichtshofs, sondern eine Formulierung in dem Urteil in der Sache Kirch gegen Deutsche Bank AG,1 die zu einer Diskussion in der Literatur geführt hat. Der Senat hat in dem genannten Urteil den Einwand der Revision, es führe zur Nichtigkeit gemäß § 241 Nr. 2 AktG, dass in der Endfassung des notariellen Protokolls nur das Datum der Hauptversammlung, nicht aber dasjenige der Fertigstellung des Protokolls angegeben sei und das Protokoll nicht unverzüglich i.S. von § 130 Abs. 5 AktG erstellt und zum Handelsregister eingereicht worden sein soll, zurückgewiesen, weil dies nicht unter einen der in § 241 AktG abschließend aufgeführten Nichtigkeitsgründe falle. Auch § 37 Abs. 2 BeurkG gehe davon aus, dass Ort und Tag der Wahrnehmungen des Notars nicht mit Ort und Tag der Errichtung bzw. Fertigstellung der Urkunde zusammenfallen müssten, ohne dass dafür eine Frist bestimmt sei. Selbst die für die Beurkundung einer Willenserklärung gemäß § 13 BeurkG erforderliche Unterschrift des Notars könne unbefristet nachgeholt werden. Solange eine in der Hauptversammlung begonnene Protokollierung gemäß § 130 AktG nicht abgeschlossen und deren Fertigstellung nicht endgültig unmöglich geworden sei, bleibe „die Nichtigkeit gemäß § 241 Nr. 2 AktG in der Schwebe.“

I.  Das Problem Dass die Nichtigkeit in der Schwebe bleibt, wird – weil es keine schwebende Nichtigkeit, sondern nur eine schwebende Unwirksamkeit gebe – dahin verstanden, dass die Wirksamkeit des Hauptversammlungsbeschlusses in der Schwebe bleibe, bis der Notar das endgültige Protokoll unterschrieben bzw. fertiggestellt habe.2 Daraus entstehen für Beschlüsse, die unverzüglich umgesetzt werden sollen, Schwierigkeiten, weil die Protokollierung noch nicht fertiggestellt und ihr Inhalt nicht bekannt ist.   BGH, Urteil vom 16.02. 2009 – II ZR 185/07, BGHZ 180, 9 Rn. 14.   Noack/Zetzsche in Kölner Kommentar zum AktG, 3. Aufl., § 241 Rn. 83; HoffmannBecking NZG 2017, 281 (289 f.); Roeckl-Schmidt/Stoll AG 2012, 225, (227). 1 2

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So ist der Anspruch auf den ausgeschütteten Gewinn am dritten auf den Hauptversammlungsbeschluss folgenden Geschäftstag fällig, soweit die Satzung nichts anderes bestimmt, § 58 Abs. 4 Satz 2 und 3 AktG. Wenn die Niederschrift noch nicht unterschrieben ist und erst mit der Unterschrift der Hauptversammlungsbeschluss wirksam wird, würden die Vorstandsmitglieder die Gewinne aufgrund eines unwirksamen Gewinnverwendungsbeschlusses auszahlen und sich möglicherweise schadenersatzpflichtig machen, jedenfalls wäre rechtsgrundlos ausgezahlt worden und müsste die Dividende nach § 62 Abs. 1 AktG womöglich zurückgefordert werden. Außer der wegen der gesetzlich geforderten Umsetzung am dritten Geschäftstag nach der Hauptversammlung besonders im Fokus stehenden Gewinnauszahlung können auch andere Hauptversammlungsbeschlüsse eine umgehende Umsetzung erforderlich oder wünschenswert machen. So möchte etwa ein frisch gewählter Aufsichtsrat häufig sofort noch am Abend der Hauptversammlung erste Beschlüsse fassen, ohne dem Einwand ausgesetzt zu sein, dass seine Wahl noch nicht wirksam und seine Beschlüsse aus diesem Grund unwirksam seien.3 Vor diesem Hintergrund einer zunächst bestehenden Unwirksamkeit des ansonsten ordnungsgemäßen Hauptversammlungsbeschlusses stellt sich die Frage, wie die Fertigstellung der Niederschrift auf den Beschluss wirkt. Dazu werden zwei Ansichten vertreten: dass die Fertigstellung der Niederschrift rückwirkend zur Wirksamkeit führt, so dass der Beschluss von Anfang an wirksam war,4 oder sie die Wirksamkeit erst ex nunc bewirkt, so dass die Vollziehung der gefassten Beschlüsse vor diesem Zeitpunkt unwirksam bleibt.5 Den Vorschlag, aus Anlass der Einführung von § 58 Abs. 4 Satz 2 AktG durch eine Ergänzung des § 130 AktG klarzustellen, dass die Beurkundung auf den Zeitpunkt der Beschlussfassung zurückwirkt, und so die Unklarheit zu beseitigen, hat der Gesetzgeber nicht aufgegriffen.6 Eine gesetzliche Regelung soll nach Auffassung des Rechtsausschusses nicht erforderlich sein: Die Problematik sei nicht neu wegen der beabsichtigten Fälligkeitsregelung für den Gewinnauszahlungsanspruch, sondern bestehe bereits nach dem bisher geltenden Recht. Rechtsprechung und Literatur gingen einhellig davon aus, dass die Fertigstellung der Niederschrift ex tunc auf den Tag und Moment des Hauptversammlungsbeschlusses zurückwirke. Die Praxis gehe wie selbstverständlich davon aus, dass der Abschluss der Protokollierung, die   Beispiele nach Hoffmann-Becking in Festschrift Hellwig, S. 153 (154).  In diesem Sinn Hoffmann-Becking NZG 2017, 281 (289 f.); Hoffmann-Becking in Festschrift Hellwig, S. 153 (159 f.); Roeckl-Schmidt/Stoll AG 2012, 225, (228); Heckschen/ Kreußlein NZG 2018, 401 (414 f.). 5   In diesem Sinn Habersack Beilage zu ZIP 22/2016, S. 23 (25). 6   Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Recht und Verbraucherschutz zum Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Aktiengesetzes (Aktienrechtsnovelle 2014), BT-Drucks. 18/6681 S. 14. 3 4

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zwar zeitnah, aber doch an einem anderen Tag nach der Hauptversammlung erfolgt, nicht entscheidend für die Frage sein könne, zu welchem Zeitpunkt der Hauptversammlungsbeschluss wirksam werde. Die Frage, ob bereits der Entwurf des Protokolls oder eine spätere Endfassung zur Beschlusswirksamkeit führe, würde vollends verwirren. Dies zeigten auch Auszahlungen der Dividende unmittelbar nach der Hauptversammlung und die Sitzung des neu gewählten Aufsichtsrats unmittelbar nach der Hauptversammlung, um seinen Vorsitzenden und dessen Stellvertreter zu wählen und die Ausschüsse des Aufsichtsrats zu besetzen. Das klingt, als handele es sich um ein in der Praxis längst befriedigend gelöstes, allenfalls noch akademisches Problem. Zu Recht wurde demgegenüber darauf hingewiesen, dass die Annahme einer einheitlichen Auffassung, die Fertigstellung der Niederschrift wirke zurück, auf schwachem Grund steht. Rechtsprechung dazu gibt es nicht; die Entscheidung Kirch gegen Deutsche Bank sagt nichts zu einer Rückwirkung der Fertigstellung der Beurkundung oder der abschließenden Unterschriftsleistung. Und im Schrifttum wird die Frage gerade streitig diskutiert. Dass die Praxis das Problem ignoriert, mag – weise – gesetzgeberische Zurückhaltung nahelegen, um nicht durch eine Regelung, die die Praxis nicht braucht, Probleme erst zu schaffen, wo sie die Praxis nicht hat. Tatsächlich wird zur praktischen Handhabung in Kommentaren und Handbüchern geraten, dass der Notar bereits unmittelbar nach der Hauptversammlung einen Entwurf unterzeichnet und so für alle Fälle für eine formgerechte vorläufige Beurkundung sorgt.7 Das löst das Problem aber nur scheinbar. Nach wie vor ist nicht geklärt, ob diese vorläufige Beurkundung, die nur selbständige Bedeutung erlangt, wenn der Notar zu einer Reinschrift nicht in der Lage ist, als wirksame Beurkundung anzusehen ist. Die Lösung über die Unterschrift unter den bloßen Entwurf setzt voraus, dass eine Beurkundung im Sinn von § 241 Nr. 2 AktG mit der Unterschrift und nicht erst mit der Entäußerung durch den Notar, also wenn er die Urkunde – genauer die Ausfertigung, weil die Originalurkunde beim Notar verbleibt – in Verkehr bringt, vorliegt. Nach der Rechtsprechung soll auch die vorsorglich unterzeichnete Niederschrift bis zur Entäußerung nur Entwurfscharakter haben.8 Außerdem können der Vorstand, der für die Gewinnausschüttung sorgt, und der Aufsichtsrat, der sich unmittelbar nach der Hauptversammlung zu einer ersten Sitzung trifft, ohne weiteres nicht wissen, ob die Beurkundungsperson bereits den Entwurf unterschrieben hat und welchen Inhalt er hat.

7  Z.B. Wicke in Spindler/Stilz, AktG, 3. Aufl., § 130 Rn. 60; aufgegriffen, aber für den Todesfall des Notars offengelassen BGH, Urteil vom 16.02.2009 – II ZR 185/07, BGHZ 180, 9 Rn. 11. 8   Habersack Beilage zu ZIP 22/2016, S. 23.

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Die Frage der Wirksamkeit des Beschlusses wird zwar regelmäßig nur auf die Fertigstellung eines richtigen Protokolls mit seiner Unterzeichnung und seine „Entäußerung“ durch das Inverkehrbringen einer Abschrift bezogen. Dieselben Fragen zur Wirksamkeit von Wahlbeschlüssen, Gewinnverwendungsbeschlüssen oder anderen Beschlüssen stellen sich aber auch hinsichtlich des Inhalts des Protokolls. Auch eine fehlerhafte Protokollierung nach § 130 Abs. 2 Satz 1 AktG hat die Nichtigkeit zur Folge, § 241 Nr. 2 AktG. Bevor der Vorstand eine Abschrift der Urschrift in Händen hält, kann er nicht sicher sein, dass die Niederschrift fehlerfrei ist. Zwar können solche Fehler nach § 44a Abs. 2 BeurkG auch nach der Fertigstellung der Niederschrift und der Entäußerung durch den Notar berichtigt werden.9 Bis zur Berichtigung und damit einem noch später liegenden Zeitpunkt stellt sich dann aber genauso die Frage der Wirksamkeit der Beschlüsse und damit der Vollzugshandlungen. Das gleiche gilt im Übrigen bei fehlender Unterschrift des Notars oder des Aufsichtsratsvorsitzenden. Die vergessene Unterschrift kann zeitlich unbeschränkt nachgeholt werden.10 Gewinnausschüttungen und Aufsichtsratssitzungen müssten daher richtigerweise bis zur Kenntnisnahme der Niederschrift durch den Vorstand und, wenn dabei ein Fehler festzustellen ist, ggf. auf unabsehbare Zeit bis zu einer Berichtigung unterbleiben.

II.  Wirksamkeit ex tunc oder ex nunc? Es ist nicht überraschend, dass alle, die sich mit dem Problem befassen, für eine Rückwirkung der Fertigstellung der ordnungsgemäßen Protokollierung auf den Zeitpunkt der Beschlussfassung aussprechen. Wer nicht schon nach dem bisherigen Recht eine Rückwirkung ex tunc annimmt, ruft deshalb nach dem Gesetzgeber11 oder verlangt, nachdem von dort Abhilfe nicht in Sicht ist, nach einer freien Rechtsfortbildung.12 Zur Übernahme von Legislativaufgaben ist der II. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs aus Respekt vor dem Gesetzgeber aber nicht mehr ohne große Not bereit,13 weshalb hier untersucht werden soll, ob das geschilderte Problem wirklich besteht.

  BGH, Urteil vom 10.10.2017 – II ZR 375/15, NJW 2018, 52 Rn. 24 ff.  Darauf ist schon bei BGH, Urteil vom 16.02.2009 – II ZR 185/07, BGHZ 180, 9 Rn. 14 hingewiesen. 11   Habersack Beilage zu ZIP 22/2016, S. 23 (25). 12   Mülbert in Großkommentar zum AktG, 5. Aufl., § 130 Rn. 73. 13   Bergmann in Schneider, Gesellschaftsrecht in der Diskussion 2013, S. 17 (21). 9

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1. Rückwirkung Von den Vertretern, die eine Rückwirkung der Fertigstellung des Hauptversammlungsprotokolls annehmen, wird darauf abgestellt, dass es sich bei dem nach Inhalt und Verfahren fehlerfrei gefassten und vom Versammlungsleiter ordnungsgemäß festgestellten, aber noch nicht zu Ende beurkundeten Hauptversammlungsbeschluss um einen Fall der Unwirksamkeit handele und vor Abschluss der Beurkundung der Beschluss danach schwebend unwirksam sei.14 Da das Aktiengesetz keine Regelung enthalte, ab wann die Rechtswirkungen eines Hauptversammlungsbeschlusses eintreten, falls die endgültige Wirksamkeit des Beschlusses durch zusätzlich erforderliche Tatbestandselemente erst einige Zeit nach der Hauptversammlung erreicht werden, sei auf die allgemeine Regel in § 184 Abs. 1 BGB zurückzugreifen, wonach die Wirksamkeit rückwirkend eintrete.15 Auch wegen des rechtsgeschäftlichen Charakters eines Beschlusses – der Hauptversammlungsbeschluss sei ein mehrseitiges Rechtsgeschäft – sei § 184 Abs. 1 BGB anwendbar. § 181 Abs. 3 AktG, wonach bei Satzungsänderungen die Wirksamkeit erst mit der Eintragung eintrete, schließe eine Rückwirkung schon nicht aus und stehe auch deshalb nicht entgegen, weil die Protokollierung des Hauptversammlungsbeschlusses eine geringer Bedeutung als die Eintragung einer Satzungsänderung habe und schutzwürdige Interessen Dritter bei der Protokollierung anders als bei der Registereintragung nicht entgegenstünden.16 Die entsprechende Anwendung von § 184 Abs. 1 BGB ist aus vielerlei Gründen zweifelhaft. Die fehlende Fertigstellung der Niederschrift ist schon gar kein Fall einer Unwirksamkeit des Beschlusses.17 Unwirksam sind Beschlüsse, wenn zur Abstimmung der Gesellschafter, also dem Beschluss, nach Gesetz oder Satzung noch ein Erfordernis hinzukommen muss und dieses fehlt,18 etwa die Zustimmung der Gesellschafter, ein Sonderbeschluss oder die Eintragung in das Handelsregister. Die in § 241 Nr. 2 AktG angeordnete Nichtigkeit betrifft aber den Beschluss selbst und nicht das Fehlen eines weiteren Erfordernisses, auch wenn der Gesetzgeber, wie die Aufzählung von Unwirksamkeitsgründen in § 241 AktG vor den einzelnen Nummern zeigt, nicht immer Nichtigkeit und Unwirksamkeit unterscheidet. Nimmt man dennoch Unwirksamkeit an, fehlt die Rechtsähnlichkeit der Genehmigung nach § 184 Abs. 1 BGB mit der Fertigstellung der Niederschrift. Die Zustimmung eines Dritten oder einer bestimmten Akti  Krieger NZG 2003, 366 (369); Hoffmann-Becking in Festschrift Hellwig S. 153 (158).   Hoffmann-Becking in Festschrift Hellwig S. 153 (159); Roeckl-Schmidt/Stoll AG 2012, 225 (228). 16   Hoffmann-Becking in Festschrift Hellwig S. 153 (161 f.) 17   Habersack Beilage zu ZIP 22/2016, S. 23 (24). 18   BGH, Urteil vom 10.11.1954 – II ZR 299/53, BGHZ 15, 177 (181); BGH, Urteil vom 13.07.1967 – II ZR 238/64, BGHZ 48, 141 (143). 14 15

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onärsgruppe zu einem Beschluss, der klassische Fall der schwebenden Unwirksamkeit eines Beschlusses, mag zwar mit der Genehmigung eines Rechtsgeschäfts nach § 184 Abs. 1 BGB vergleichbar sein. Mit der Fertigstellung einer notariellen Urkunde ist die Genehmigung aber nicht mehr zu vergleichen.19 Hinzu kommt, dass im Aktiengesetz für die Unwirksamkeitsfälle keine einheitliche Regelung besteht: es gibt sowohl Fälle, in denen etwa der Eintragung Rückwirkung zukommt (§ 217 Abs. 2 Satz 4 AktG, § 228 Abs. 2 Satz 1 AtG, § 234 Abs. 3 Satz 1 AktG, § 235 Abs. 2 Satz 1 AktG), als auch in denen eine Rückwirkung ausgeschlossen wird (§§ 189, 200 AktG, § 203 Abs. 1 Satz 1 AktG, §§ 211, 224, 238 AktG). Das lässt die Auswahl gerade der Rückwirkung gegriffen, eher der Not gehorchend erscheinen.20 Neben Rückwirkung und ausgeschlossener Rückwirkung gibt es schließlich auch Unwirksamkeitsfälle, in denen umgekehrt die Wirksamkeit hinausgeschoben ist, beispielsweise in § 217 Abs. 2 Satz 3 AktG, und gerade im wichtigen Fall der Satzungsänderung ordnet § 181 Abs. 3 AktG an, dass die Satzungsänderung erst mit Eintragung wirksam wird. Dass für die Satzungsänderung im Einzelfall bestimmt werden kann, dass sie rückwirkend in Kraft tritt, wenn ausschließlich gesellschaftsinterne Wirkungen bestehen,21 macht die Rückwirkung nicht zur Regel und entkräftet das Argument mit der aufgeschobenen Wirksamkeit in diesem wichtigen Fall daher nicht.22 Eine Anordnung der Rückwirkung müsste konsequenterweise auch in jedem Einzelfall schon mit oder in dem Beschluss getroffen werden Die entsprechende Anwendung von § 16 Abs. 1 Satz 2 GmbHG23 kommt nicht in Frage, weil diese Vorschrift allein die Legitimation des Neugesellschafters gegenüber der Gesellschaft betrifft und zur Fertigstellung der Beurkundung keinen Bezug hat.24 Auch ein Rückschluss aus dem Beweiszweck der Beurkundung auf eine Rückwirkung25 erscheint eher gegriffen als zwingend. 2.  Wirksamkeit ex nunc Die Wirksamkeit des Beschlusses mit der Fertigstellung der Niederschrift ex nunc wird damit begründet, dass die Beurkundung nach § 241 Nr. 2 AktG zum Beschlusstatbestand gehöre, weil die Nichtbeachtung des Formerfordernisses den Beschluss nichtig mache. Daher sei § 241 Nr. 2 AktG eine Aus19   Mülbert in Großkommentar zum AktG, 5. Aufl., § 130 Rn. 72; Habersack Beilage zu ZIP 22/2016, S. 23 (24 f.). 20   Mülbert in Großkommentar zum AktG, 5. Aufl., § 130 Rn. 73. 21   Hüffer/Koch, AktG, 13. Aufl., § 179 Rn. 28 mwN. 22   Habersack Beilage zu ZIP 22/2016, S. 23 (25.). 23   Roeckl-Schmidt/Stoll AG 2012, 225 (229). 24   Mülbert in Großkommentar zum AktG, 5. Aufl., § 130 Rn. 72. 25   Roeckl-Schmidt/Stoll AG 2012, 225 (229).

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formung des § 125 Satz 1 BGB. § 130 AktG ähnele damit § 766 Satz 1, 780 Satz 1 und 781 Satz 1 BGB, die die Unterzeichnung nicht genügen ließen, sondern die Übergabe der Urkunde verlangten. Fehle es an dieser Entäußerung, sei das Rechtsgeschäft formnichtig, was auch für Hauptversammlungsbeschlüsse gelte.26 Damit müsse auch gelten, was allgemein für formbedürftige Rechtsgeschäfte gelte: die Wirksamkeit trete erst mit der Erfüllung des Formerfordernisses ein.27 Auch diese Analogie ist mit Zweifeln behaftet. Die Beurkundung ist kein Teil des Beschlusstatbestandes. Ein nicht (ordnungsgemäß) beurkundeter Beschlusses kann geheilt werden, § 242 Abs. 1 AktG, ohne dass nach Heilung das Vorliegen eines Beschlusses in Frage steht. Der Beschluss ist die durch Abstimmung über einen Antrag erzielte Willensbildung und Äußerung der Versammlung.28 Zum Beschlusstatbestand gehören daher die Abstimmung, bei der Aktiengesellschaft noch die Feststellung des Abstimmungsergebnisses und seine Verlautbarung. Die notarielle Beurkundung als Dokumentation des Geschehens zählt nicht zu den Voraussetzungen, die erfüllt sein müssen, damit von einem Beschluss gesprochen werden kann. Vielmehr ist ein Beschluss nach § 241 Nr. 2 AktG nichtig, d.h. ohne Wirkung, wenn er nicht beurkundet ist. Dass ein Beschluss vorliegt, der Beschlusstatbestand also erfüllt ist, wird von § 241 Nr. 2 AktG daher vorausgesetzt. In der GmbH, die außer für Satzungsänderungen keine zwingende Protokollierung kennt, und in der Personengesellschaft werden zahlreiche Beschlüsse gefasst, die nicht dokumentiert werden, ohne dass das Vorliegen eines Beschlusses in Frage gestellt wird. Der Parallele zu § 766 Satz 1, 780 Satz 1 und 781 Satz 1 BGB steht dann entgegen, dass es bei der Protokollierung der Beschlüsse der Hauptversammlung nicht um die Abgabe einer Willenserklärung und ihre Form geht.29 Nicht der Beschluss muss in einer bestimmten, notariellen Form gefasst werden oder die Abstimmung in einer notariellen Form vorgenommen werden, vielmehr dokumentiert der Notar oder der Aufsichtsratsvorsitzende, was er als Abstimmung wahrgenommen hat.30

III.  Die Nichtigkeit in der Schwebe Eine Lösung sollte aus dem vorhandenen Beschlussmängelrecht selbst entwickelt werden. Die allgemeinen Vorschriften für Rechtsgeschäfte passen auf den Hauptversammlungsbeschluss als mehrseitigem Rechtsgeschäft nicht   Habersack Beilage zu ZIP 22/2016, S. 23 (24).   Habersack Beilage zu ZIP 22/2016, S. 23 (25). 28   Hüffer/Koch, AktG, 13. Aufl., § 241 Rn. 2. 29   Mülbert in Großkommentar zum AktG, 5. Aufl., § 130 Rn. 72. 30   BGH, Urteil vom 10.10.2017 – II ZR 375/15, NJW 2018, 52 Rn. 26. 26 27

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recht. Die §§ 241 ff. AktG enthalten gerade deshalb Sonderregeln. § 241 Nr. 2 AktG regelt auch die Nichtigkeit der fehlenden Beurkundung, § 130 AktG enthält keine Rechtsfolge. Nach dem Wortlaut von § 241 Nr. 2 AktG ist ein Beschluss überhaupt nur dann nichtig, wenn er nicht nach § 130 Abs. 1 und 2 Satz 1 und Abs. 4 beurkundet ist. Der Wortlaut spricht damit gegen eine fehlende Wirksamkeit vor Fertigstellung der Beurkundung; er lautet gerade nicht dahin, dass der Beschluss unwirksam (oder nichtig) ist, solange er nicht gehörig beurkundet ist – wie die Norm bei der Annahme von schwebender Unwirksamkeit verstanden wird.31 Nichtig ist der Beschluss nach der negativen Formulierung des § 241 Nr. 2 AktG nur, wenn er überhaupt nicht oder nicht gehörig beurkundet ist. Die Gleichstellung der noch nicht fertiggestellten Niederschrift mit einer nicht vorhandenen Beurkundung verengt auch den Blick auf die Verkörperung und versteht sie als die Beurkundung im Sinn von § 241 Abs. 2 AktG. Die Beurkundung der Hauptversammlung nach § 130 AktG ist aber – anders als die Beurkundung einer Willenserklärung – die Dokumentation eines längeren Vorgangs; sie ähnelt mehr dem Protokoll einer mündlichen Gerichtsverhandlung und enthält einen Bericht des Notars oder des Aufsichtsratsvorsitzenden über seine Wahrnehmungen. Zu protokollieren sind über Beschlüsse, die ihrerseits mit Abstimmung und Feststellung des Versammlungsleiters aus Teilakten bestehen, hinaus nicht beantwortete Fragen (§ 131 Abs. 5 AktG) und zur Niederschrift erklärte Widersprüche (§ 245 Nr. 1 AktG). Beurkundung im Sinn von § 241 Nr. 2 AktG ist daher der gesamte Vorgang der Dokumentation der Hauptversammlung, nicht nur das Ergebnis und der Abschluss des Beurkundungsverfahrens mit der Entäußerung der Urkunde. Nimmt man die negative Formulierung von § 241 Nr. 2 AktG wörtlich und behält im Blick, dass die Niederschrift den gesamten Vorgang von der Dokumentation der Angaben von § 130 Abs. 2 Satz 1 AktG, in der Praxis sogar vom Beginn der Versammlung an, bis mindestens zur Leistung der abschließenden Unterschrift nach § 130 Abs. 4 AktG umfasst, kann, wenn ein Notar anwesend war und eine Niederschrift gefertigt hat, nicht gesagt werden, es sei noch nichts oder nichtig bzw. unwirksam beurkundet worden, bis die Niederschrift fertiggestellt und unterschrieben ist. Beschlüsse, die in der Niederschrift mit den nach § 130 Abs. 2 Satz 1 AktG erforderlichen Angaben festgehalten sind, sind in diesem Zeitpunkt mit der schriftlichen Dokumentation auch festgehalten und „beurkundet“; die Niederschrift ist nur noch nicht unterschrieben und in den Verkehr gegeben worden, also noch nicht fertiggestellt. Daher ist der Beschluss nicht mangels Beurkundung zunächst einmal unwirksam, bis die Niederschrift unterschrieben ist, sondern   Ausdrücklich in diesem Sinn Hoffmann-Becking in Festschrift Hellwig S. 153 (158).

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ist im Gegenteil zunächst von Wirksamkeit auszugehen, wenn den Vorgaben von § 130 Abs. 2 AktG Genüge getan ist. Andernfalls wären alle Beschlüsse zunächst einmal unwirksam, weil die Unterschrift– nach Aufnahme von unbeantworteten Fragen und Widersprüchen – und die Entäußerung selbst bei zeitgleicher Niederschrift aller Vorgänge immer zeitlich nachfolgen. Von der Nichtigkeit eines Beschlusses wegen eines Beurkundungsmangels kann daher erst gesprochen werden, wenn feststeht, dass eine gehörige Beurkundung des gesamten Vorgangs nicht vorhanden ist,32 aber regelmäßig noch nicht, solange die Niederschrift nicht abgeschlossen ist. Vorher kann die Aussage, dass der Beschluss nicht nach § 130 Abs. 1 und 2 Satz 1 und Abs. 4 beurkundet ist, die nach der Formulierung von § 241 Nr. 2 AktG Voraussetzung der Nichtigkeit ist, nicht getroffen werden. Erst wenn feststeht, dass eine gehörige Beurkundung nicht vorliegt, kann daher gesagt werden, dass der Beschluss wegen eines Beurkundungsmangels nichtig ist. Bis dahin ist die Nichtigkeit „in der Schwebe“,33 weil sie nicht festgestellt werden kann und dazu keine sichere Aussage möglich ist. Da ein Beschluss aber nur nichtig ist, wenn er nicht gehörig beurkundet ist, liegt bis zu diesem Zeitpunkt noch keine Nichtigkeit vor. Dafür, dass ein Beschluss erst mit Hinzutreten eines weiteren Umstandes nichtig wird und es nicht schon mit der Abstimmung und der Beschlussfeststellung ist, gibt es gerade in § 241 AktG weitere Beispielsfälle. Das Modell ist dem Gesetz daher nicht fremd: nach § 241 Nr. 5 AktG tritt die Nichtigkeit eines Beschlusses ein, wenn ihn ein Urteil auf Anfechtungsklage hin rechtskräftig für nichtig erklärt hat, und nach § 241 Nr. 6 AktG, wenn die Eintragung eines Beschlusses im Verfahren nach § 398 FamFG gelöscht worden ist. Für beide Fälle besteht auch Einigkeit, dass das nachträgliche Ereignis zur Nichtigkeit ex tunc führt.34 Es spricht nichts dagegen, die fehlende Unterschrift oder die sonst nicht gehörige Beurkundung ebenso zu behandeln, nur dass an die Stelle der Nichtigerklärung bzw. der Löschung tritt, dass feststeht, dass keine ordnungsgemäße Protokollierung vorliegt und die gehörige Protokollierung nicht mehr erreicht werden kann, also endgültig unmöglich geworden ist.35 Eine solche Folgerung entspricht auch dem Zweck der Protokollierung und der „Sanktionierung“ von Fehlern durch die Anordnung der Beschlussnichtigkeit: Die Beurkundung dient der Rechtssicherheit und Transparenz und soll die Willensbildung der Hauptversammlung dokumentieren, damit   So schon BGH, Urteil vom 16.02. 2009 – II ZR 185/07, BGHZ 180, 9 Rn. 14.   BGH, Urteil vom 16.02. 2009 – II ZR 185/07, BGHZ 180, 9 Rn. 14. 34   K. Schmidt in Großkomm AktG, 4. Aufl., § 241 Rn. 71 und 98; Hüffer/Schäfer in Münchener Kommentar zum AktG, 4. Aufl., § 248 Rn. 14 und § 241 Rn. 86; Noack/ Zetzsche in Kölner Komm AktG, 3. Aufl., § 248 Rn. 34 und § 241 Rn. 190; Schwab in K. Schmidt/Lutter, AktG, 3. Aufl., § 241 Rn. 25 und 27. 35   In diese Richtung schon BGH, Urteil vom 16.02. 2009 – II ZR 185/07, BGHZ 180, 9 Rn. 14. 32 33

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keine Unklarheiten über Annahme oder Ablehnung von Anträgen und die gestellten Anträge unter den Beteiligten bestehen. Es liegt im Interesse der Gesellschaft, der künftigen Aktionäre und der Gläubiger, dass dies in ordnungsgemäßer und Streitigkeiten ausschließender Weise geschieht.36 Wenn eine Niederschrift angefertigt, aber noch nicht fertiggestellt ist, wäre es überschießend, zunächst einmal eine Zweckverfehlung zu unterstellen, solange die korrekte Fertigstellung noch möglich erscheint und wie im praktischen Regelfall auch geschieht. Wenn ein Beschluss nur und erst nichtig ist, wenn feststeht, dass er nicht ordnungsgemäß protokolliert ist, ist gerade, anders als bei anfänglich schwebender Unwirksamkeit, eine sofortige Wirksamkeit anzunehmen: wenn ein Notar oder in den nach § 130 Abs. 1 Satz 2 AktG möglichen Fällen der Aufsichtsratsvorsitzende während der Hauptversammlung ein Protokoll geführt hat, kann im Augenblick der Beschlussfassung nicht von einem nichtigen oder unwirksamen Beschluss gesprochen werden, weil erst später, wenn einmal feststeht, dass ein ordnungsgemäßes Protokoll nicht mehr erstellt werden kann, die Nichtigkeit festgestellt werden kann. Ist der Beschluss nur nach § 241 Nr. 2 AktG nichtig, wenn feststeht, dass er nicht gehörig beurkundet ist, tritt Nichtigkeit nur dann schon zum Zeitpunkt der Beschlussfassung ein, wenn bei der Hauptversammlung kein Protokoll geführt wird oder – außer in den Fällen, in denen die Beurkundung durch den Aufsichtsratsvorsitzenden genügt (§ 130 Abs. 1 Satz 2 AktG) – kein Notar zur Protokollierung anwesend ist.37 Dass die Niederschrift nicht sofort unterschrieben ist, hat in den übrigen Fällen noch keine Auswirkungen auf die Wirksamkeit des Beschlusses, weil die Unterschrift nachgeholt werden kann. Der Beschluss ist auch schon bis dahin wirksam. Nur wenn die Unterschrift etwa im Todesfall des Notars vor Unterzeichnung einer auch nur vorläufigen Niederschrift nicht mehr nachgeholt werden kann, tritt Nichtigkeit ein. Selbst dann, wenn die Unterzeichnung vergessen wird und eine Abschrift der Niederschrift in den Verkehr gebracht wird, sich der Notar der Beurkundung also „entäußert“, steht die Nichtigkeit des Beschlusses noch nicht fest. Die Unterschrift kann auch noch nach Entäußerung nachgeholt werden.38 Erst wenn der Notar oder der Aufsichtsratsvorsitzende sich weigert, die Unterschrift nachzuholen oder dazu nicht mehr in der Lage ist, ist der Beschluss ex tunc nichtig. Nichtigkeit soll nach der gesetzlichen Konzeption die Ausnahme bleiben. Das Interesse der Beteiligten an einer

36   BGH Urteil vom 10.10.2017 – II ZR 375/15, NJW 2018, 52 Rn. 47 und 61; BGH, Urteil vom 21.10.2014 – II ZR 330/13, BGHZ 203, 68 Rn. 17. 37   Zur sogenannten gespaltenen Beurkundung vgl. BGH, Urteil vom 19.05.2015 – II ZR 176/14 , BGHZ 205, 319. 38   So schon BGH, Urteil vom 16.02. 2009 – II ZR 185/07, BGHZ 180, 9 Rn. 14.

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ordnungsgemäßen Dokumentation geht dem Interesse an einer Beschlussvernichtung vor. Auch andere Unrichtigkeiten oder Auslassungen der Niederschrift können noch nach Entäußerung berichtigt werden, soweit die Wahrnehmung der Urkundsperson unrichtig wiedergegeben ist.39 Soweit die Urschrift wegen einer solchen Unrichtigkeit noch berichtigt werden kann, durch den Notar nach § 44a Abs. 2 BeurkG,40 durch den Aufsichtsratsvorsitzenden, der nicht die Verfahrensvorschriften des Beurkundungsgesetzes einhalten muss, formlos,41 steht noch nicht fest, dass der Beschluss nicht gehörig beurkundet ist, und ist er nicht nichtig. Auch hier tritt Nichtigkeit ex tunc erst ein, wenn feststeht, dass eine Nachholung oder Berichtigung durch die Urkundsperson nicht mehr möglich ist oder von dieser endgültig verweigert wird. Außer in diesen beiden Fällen steht die Nichtigkeit allerdings auch fest, wenn die Nichtigkeit durch ein rechtskräftiges Urteil festgestellt ist, weil kein Beteiligter an eine Berichtigung gedacht hat. Im zuletzt genannten Fall steht die Nichtigkeit aufgrund der Rechtskraftwirkung des Urteils fest, weil es für und gegen alle wirkt, § 249 Abs. 1 S. 1 AktG i.V.m. § 248 Abs. 1 Satz 1 AktG.42 Sogar wenn die Nichtigkeitsfeststellungsklage nach § 249 AktG bereits erhoben ist, kann die Niederschrift noch berichtigt werden. Schützenswerte Belange des Nichtigkeitsklägers werden nicht berührt; er kann kein schützenswertes Interesse daran haben, dass ein bloßer Formmangel bestehen bleibt. Das Interesse aller Beteiligten an einer richtigen Beurkundung des Willens der Hauptversammlung geht in jedem Fall vor. Davor, die Verfahrenskosten tragen zu müssen, bewahrt den Nichtigkeitskläger eine Erledigungserklärung nach Berichtigung.43

IV.  In der Schwebezeit Auf die Zeit der Unsicherheit, bis feststeht, ob ein Beschluss ordnungsgemäß protokolliert ist oder doch nichtig ist, können die zum Umgang mit einem anfechtbaren Beschluss bis zur Nichtigerklärung nach § 241 Nr. 5 AktG gefundenen Lösungen angewandt werden: solange der Beschluss nicht nichtig ist, weil ein nicht zu berichtigender Beurkundungsfehler nicht fest-

  BGH, Urteil vom 10.10.2017 – II ZR 375/15, NJW 2018, 52 Rn. 24 ff.   BGH, Urteil vom 10.10.2017 – II ZR 375/15, NJW 2018, 52 Rn. 24 ff. 41   Krieger NZG 2003, 366 (371 f.); Reger/Schiha AG 2018, 65 (68); Wicke in Spindler/ Stilz, AktG, 3.Aufl., § 130 Rn. 27 (mit Einschränkungen); aA Kubis in Münchener Kommentar zum AktG, 4. Aufl., § 130 Rn. 25; Schrick AG 2001, 645 (647); Wachter BB 2017, 2896 (2897); Heckschen/Kreußlein NZG 2018, 401 (411). 42   Vgl. BGH, Urteil vom 13.10. 2008 – II ZR 112/07, NJW 2009, 230 Rn. 8. 43   So im Ergebnis auch Heckschen/Kreußlein NZG 2018, 401 (412). 39 40

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steht, kann die Verwaltung von der Wirksamkeit des Beschlusses ausgehen und darf ihn umsetzen. Für den Gewinnverwendungsbeschluss bedeutet dies, dass der Gewinnverwendungsbeschluss, wenn er nicht aus anderen Gründen nichtig oder anfechtbar ist, zunächst als wirksam zu behandeln ist und die Dividende auszubezahlen ist, es sei denn, eine Beurkundung wurde unterlassen. Stellt der Vorstand nach Übersendung der Abschrift der Niederschrift fest, dass die Unterschrift fehlt oder der Gewinnverwendungsbeschluss nach § 130 Abs. 2 Satz 1 AktG nicht ordnungsgemäß beurkundet ist, hat er zunächst eine Berichtigung zu veranlassen. Ist sie nicht möglich oder wird sie endgültig verweigert, ist der Gewinnverwendungsbeschluss nichtig, § 253 Abs. 1 AktG, § 241 Nr. 2 AktG. Die von den Aktionären bezogene Dividende unterliegt der Rückforderung nach § 62 AktG, soweit nicht der Gutglaubensschutz nach § 62 Abs. 1 Satz 2 AktG eingreift.44 Das wird regelmäßig der Fall sein, wenn ein Notar oder der Aufsichtsratsvorsitzende mit der Protokollierung des Gewinnverwendungsbeschlusses befasst war. Die Aktionäre konnten nicht wissen, dass dann etwa eine Unterzeichnung unterbleiben würde oder bei der Beurkundung ein zur Nichtigkeit führender Fehler vorlag. Ein Haftungsrisiko des Vorstands besteht aus denselben Gründen nicht, wenn er für eine Beurkundung der Hauptversammlung gesorgt hatte und zwischen Hauptversammlung und Auszahlung der Dividende nicht erfahren hat, dass eine Unterzeichnung der Urschrift nicht mehr möglich war, also etwa der Notar verstorben ist und auch keine vorläufige Niederschrift unterzeichnet hat. Etwas schwieriger ist die Aufsichtsratswahl. Auch dieser Wahlbeschluss ist allerdings nur nichtig, wenn entweder die Protokollierung von vorne­ herein fehlt oder später feststeht, dass eine gehörige Niederschrift nicht mehr geschaffen werden kann. Da die Nichtigkeit wegen eines Beurkundungsmangels beim Wahlbeschluss danach die seltene Ausnahme ist, kann der Aufsichtsrat guten Gewissens unmittelbar nach der Hauptversammlung zusammentreten. Die Gefahr eines Beurkundungsmangels ist deutlich geringer als diejenige eines anderen, den Wahlbeschluss nichtig oder anfechtbar machenden Mangels. Wenn ausnahmsweise dennoch ein Beurkundungsfehler vorliegt und er auch nicht berichtigt werden kann, ist allerdings der Wahlbeschluss ex tunc nichtig mit der Folge, dass auch alle Beschlüsse des Aufsichtsrats nichtig sind, soweit die Stimmen der nichtig gewählten Aufsichtsratsmitglieder entscheidend waren.45 Wenn die Beschlüsse Außenwirkung hatten oder die Vorbereitung weiterer Hauptversammlungen betrafen, wird das Vertrauen in die Wirksamkeit der Wahl wie beim fehlerhaft bestell-

44 45

  Hüffer/Koch, AktG, 13. Aufl., § 253 Rn. 7.   BGH, Urteil vom 19.02. 2013 – II ZR 56/12, BGHZ 196, 195 Rn. 21.

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ten Organ geschützt.46 Auswirkungen dürfte die Nichtigkeit daher allenfalls bei gesellschaftsinternen Akten wie der Vorstandsbestellung haben.47 Auch insoweit mag aber ein schützenswertes Vertrauen neu bestellter Vorstände zu berücksichtigen sein, soweit die Bestellung vor Herausgabe einer Abschrift, die den Protokollierungsfehler erkennbar macht, lag. Besondere Haftungsrisiken – hier des Aufsichtsrats, der im Vertrauen auf eine ordnungsgemäße Wahl seine Tätigkeit aufgenommen hat – bestehen nicht. Das geringe Risiko, dass der Wahlbeschluss nichtig sein könnte, weil die Urkundsperson eine in der Hauptversammlung begonnene Beurkundung nicht mehr fertigstellen kann oder will, rechtfertigt es angesichts dieser beschränkten Auswirkungen nicht, von der sofortigen Aufnahme der Aufsichtsratstätigkeit abzusehen. Die schwebende Nichtigkeit sollte danach nicht als erschreckende, sondern als eher harmlose und vorübergehende Erscheinung des Rechtslebens wahrgenommen werden.

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  BGH, Urteil vom 19.02. 2013 – II ZR 56/12, BGHZ 196, 195 Rn. 22.   BGH, Urteil vom 19.02. 2013 – II ZR 56/12, BGHZ 196, 195 Rn. 23.

Der Gesellschaftsvertrag der Fugger

Der Gesellschaftsvertrag der Fugger: Frühform des OHG-Rechts Holger Fleischer Alfred Bergmann hat als Vorsitzender des II. Zivilsenats des Bundesgerichtshofs die höchstrichterliche Spruchpraxis zum Personengesellschaftsrecht maßgeblich mitgeprägt und vorangetrieben. Besonderen Wert legte er darauf, die Entscheidungen seines Senats aus erster Hand zu erläutern.1 Daher hoffe ich auf sein Interesse, wenn hier mit den besten Wünschen zu seinem 65. Geburtstag der Bogen geschlagen wird zu den Anfängen der Personenhandelsgesellschaften im Spätmittelalter. Betrachtet werden soll der Gesellschaftsvertrag der Fugger aus dem Jahre 1494, der als ältester überlieferter OHG-Vertrag ein zeitgeschichtliches Dokument ersten Ranges darstellt.2 Als solcher wird er in manchen Lehrbüchern zwar pflichtschuldig erwähnt3, aber fast nirgendwo ausführlicher gewürdigt.

I.  Zum heutigen Stand der Fugger-Forschung in Wirtschafts- und Rechtsgeschichte Das Handelshaus der Fugger und ihre Familiengeschichte haben in der historischen Forschung seit jeher große Aufmerksamkeit erhalten. Unterstützt durch die Einrichtung eines eigenen Familien- und Stiftungsarchivs im Jahre 1877, sind allein in der 1907 begründeten Schriftenreihe „Studien zur Fuggergeschichte“ rund 40 Veröffentlichungen unterschiedlichsten Zuschnitts

1   Vgl. zuletzt Bergmann, WM 2018, Heft 15, Sonderbeilage 1: „Neuere Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs zum Personengesellschaftsrecht“. 2  Anschaulich Pölnitz, Jakob Fugger, Kaiser, Kirche und Kapital in der oberdeutschen Renaissance, Bd. I, 1949, S. 57: „Jener 14. August 1494, an dem Ulrich, Georg und Jakob ihre Namen unter den ersten eigentlichen Fuggerschen Gesellschaftsvertrag setzten, und man ihre Siegel in das weiche Wachs drückte, ward ein denkwürdiges Ereignis in der deutschen Wirtschaft.“ 3  Vgl. Kübler/Assmann, Gesellschaftsrecht, 6. Aufl. 2006, § 2 I d, S. 5; Wiedemann, Gesellschaftsrecht, Bd. II: Recht der Personengesellschaften, 2004, § 8 I 3, S. 682; Wind­ bichler, Gesellschaftsrecht, 24. Aufl. 2017, § 11 Rn. 10.

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erschienen.4 Hinzu kommen monumentale wirtschaftsgeschichtliche Werke von Richard Ehrenberg5 und Jakob Strieder6, in denen die Fugger als frühkapitalistisches Unternehmen und Vorläufer moderner Wirtschaftsführer porträtiert wurden, ergänzt um voluminöse Biographien aus der Feder von Max Jansen7, Götz Freiherr von Pölnitz8 und Léon Schlick9. Dieser reichhaltige Strom an historischen und wirtschaftsgeschichtlichen Studien, der vor einem guten Jahrhundert einsetzte, ist bis heute nicht versiegt.10 Aus rechtsgeschichtlicher Sicht hat man vor allem den frühzeitlichen Monopolstreit untersucht11, der sich nicht zuletzt an der Handels- und Preispolitik der Fugger entzündet hatte: Ihr Geschäftsgebaren im Gewürz- und Metallhandel galt vielen als ausbeuterisch und illegitim, so dass der Name Fugger geradezu ein „Synonym für Wucherer“12 wurde. Dagegen harren die gesellschaftsrechtlichen Grundlagen des Fugger-Imperiums noch immer einer gründlicheren Aufarbeitung. Wie es scheint, haben die charismatischen Persönlichkeiten eines Jakob oder Anton Fugger Generationen von Historikern derart in ihren Bann gezogen13, dass die Handelsgesellschaft, der sie vorstanden, eine bloße Hintergrundkulisse blieb.14

4  Dazu Karg, in Burkhardt (Hrsg.), Augsburger Handelshäuser im Wandel des historischen Urteils, 1996, S. 308: „Niemand hätte sich 1907 träumen lassen, als das erste Heft der ‚Studien zur Fuggergeschichte‘ erschienen war, daß diese Reihe am Ende des Jahrhunderts auf über einen Regalmeter anwachsen würde.“ 5   Ehrenberg, Das Zeitalter der Fugger. Geldkapital und Kreditverkehr im 16. Jahrhundert, 2 Bände, 1896. 6   Strieder, Jakob Fugger der Reiche, 1926. 7   Jansen, Jacob Fugger der Reiche. Studien und Quellen, 2 Bände, 1910. 8   Pölnitz, Jakob Fugger. Kaiser, Kirche und Kapital in der oberdeutschen Renaissance, 2 Bände, 1949/51; ders., Anton Fugger, 5 Bände, 1958 bis 1971. 9   Schlick, Jakob Fugger, 1957. 10   Vgl. etwa Kellenbenz, Die Fugger in Spanien und Portugal. Ein Großunternehmen des 16. Jahrhunderts, 2 Bände, 1990; aus jüngerer Zeit der Sammelband von Häberlein (Hrsg.), Die Fugger: Geschichte einer Augsburger Familie (1367–1650), 2006, mit informativem und teils kritischem Überblick über die Fugger-Forschung in der Einleitung, S. 11 ff. 11   Vgl. etwa Crebert, Künstliche Preissteigerung durch Für- und Aufkauf, 1916; Nehlsen-von Stryk, ZNR 10 (1988), 1. 12   Cordes, in Handwörterbuch zur deutschen Rechtsgeschichte, 2. Aufl., Bd. I, 2008, Stichwort: Fugger und Welser, Sp. 1871, 1873. 13   Repräsentativ etwa Jansen, Die Anfänge der Fugger bis 1494, 1907, S. 7: „Wie reizvoll ist es, die Entwicklung eines Geschlechtes zu verfolgen, aus der Werkstatt eines Webers durch das weltumfassende Kontor zweier Kaufleute bis zum Palaste des Fürsten.“ 14   So die Mutmaßung von E. Lutz, Die rechtliche Struktur süddeutscher Handelsgesellschaften in der Zeit der Fugger, 1976, S. 2; zu dieser wichtigen Arbeit die Rezension von Krause, ZRG (GA) 95 (1978), 393.

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II.  Aufstieg der Fugger und Abschluss der ersten Gesellschaftsverträge 1.  Ein Handelshaus entsteht 1367 markiert gewöhnlich den Beginn der Fugger-Geschichtsschreibung: In diesem Jahr wanderte Hans Fugger, Sohn eines Bauern und Webers aus Graben am Lechfeld in Augsburg ein15 – „Fucker advenit“, wie es im Steuerbuch der Stadt bündig hieß.16 Sein Sohn, Jakob der Ältere, gelangte durch den Handel mit Webwaren und Metallen zu einem gewissen Vermögen. Weiter ausgebaut wurde das Handelshaus sodann unter der Leitung von Jakobs ältestem Sohn Ulrich (* 1441), der zusammen mit seinen Brüdern Markus (* 1448) und Georg (* 1453) erfolgreich Kontakte nach Italien und in die Niederlande sowie zur päpstlichen Kurie knüpfte. Der wahre Aufstieg der Fugger-Brüder begann aber erst, als ihr jüngster Bruder Jakob (* 1459) in das Handelshaus eintrat. Ursprünglich für den geistlichen Stand bestimmt, übernahm er nach einigen Lehrjahren in Venedig 1485 die Leitung der Innsbrucker Niederlassung.17 Mit großem Geschick und nicht minder großem Machtwillen schmiedete er ein monopolartiges Metallimperium und schuf ein dichtes Netzwerk zu Politik und Klerus. Vor allem vertiefte er die Beziehungen der Fugger zum Hause Habsburg; zu seinen größten Förderern gehörte der gleichaltrige spätere Kaiser Maximilian I. 2.  Fehlende Gesellschaftsrechtsgesetzgebung Als sich die Fugger-Brüder zu Beginn der 1490er Jahre anschickten, ihr Handelsunternehmen auf eine festere vertragliche Grundlage zu stellen, konnte von einer Gesetzgebung im modernen Sinne auf dem Gebiet des Gesellschaftsrechts noch keine Rede sein.18 Nennen könnte man auf Reichs­ebene allenfalls das Privileg von 1464, das Kaiser Friedrich III. der Reichsstadt Nürnberg in Fragen des Gesellschaftsrechts erteilt hatte: Es bildete die Grundlage für eine Unterscheidung zwischen vollhaftenden Hauptgesellschaftern einerseits und 15   Näher zu Folgendem Pölnitz, in Handwörterbuch der Sozialwissenschaften, Bd. 4, 1965, Stichwort: Fugger, S. 193 ff.; Rieckenberg, in Bayerische Akademie der Wissenschaften (Hrsg.), Neue Deutsche Biographie, Bd. 5, Stichwort: Fugger, Grafen, S. 707 ff. 16   So auch Jansen (Fn. 13), S. 8; ferner die Kapitelüberschrift bei Häberlein (Fn. 10), S. 17. 17  Anschaulich Strieder (Fn. 6), S. 56: „Der Theologe wurde zum Kaufmann; just wie etwa 300 Jahre später ein anderer Stern der deutschen Wirtschaftsgeschichte, wie Maier Amschel Rothschild, der zum Rabbiner bestimmt war, aber der Gründer einer Finanzdynastie wurde.“ 18  Dazu F.G.A. Schmidt, Handelsgesellschaften in den deutschen Stadtrechtsquellen des Mittelalters, 1883, S. 31 ff., ferner Peterka, ZHR 73 (1913), 387, 390 f.; E. Lutz (Fn. 14), S. 71 f.

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nur mit ihrer Einlage haftenden sonstigen Teilhabern andererseits, ohne jedoch eine umfassende Regelung vorzusehen.19 Auch das Augsburger Stadtrecht kannte trotz der hohen Ansammlung von Handelshäusern keine eigenständige Handelsgesetzgebung20; von den Gesellschaften handelte allein Art. 144 des sog. Stadtbuchs.21 Maßgeblich war daher das vertraglich geformte Gesellschaftsrecht, aus dem eine Kodifikation erst allmählich herausreifen sollte: „Man steckt noch im Mittelalter. Gesetze, Privilegien, Verträge, Gewohnheitsrecht bilden insgesamt das Recht. Dazwischen gibt es überall weite rechtsfreie Räume. Der Unterschied von Gesetz und Vertrag, von objektivem und subjektivem Recht ist erst in der Entwicklung begriffen.“22 3. Chronologie der Gesellschaftsrechtsverträge im Hause Fugger Vor diesem Hintergrund ist es umso wichtiger, einen Blick auf die Gesellschaftsverträge der Fugger zu werfen: „In einer Zeit, der ein ausgeprägteres genormtes Gesellschaftsrecht mangelte, in der aber mit dem zu Weltbedeutung sich entwickelnden Handel Unternehmen entstehen mußten, die in personeller und kapitalmäßiger Hinsicht über die Leistungsfähigkeit eines Einzelkaufmanns hinausgingen, waren Eigeninitiative und organisatorisches Talent von entscheidender Bedeutung, um das Fehlen von Gesellschaftsnormen durch klar ausgeprägte Gesellschaftsverträge auszugleichen.“23 a)  Ganerbschaft nach dem Tode Jakob des Älteren Als Jakob der Ältere im Jahre 1469 starb, setzte seine Witwe Barbara den Handelsbetrieb zusammen mit ihren erwachsenen Söhnen fort. Den rechtlichen Rahmen hierfür bot ihnen das Institut der Ganerbschaft24, eine fortgesetzte Erbengemeinschaft in Gestalt einer Gemeinschaft zur gesamten Hand.25 Erst elf Jahre später erschien den Brüdern Ulrich, Georg und Jakob – Markus war inzwischen gestorben – dieses erbrechtliche Korsett zu starr. Sie  Näher E. Lutz (Fn. 14), S. 72 ff.  Näher Peterka, ZHR 73 (1913), 387, 391 f.; Riebartsch, Augsburger Handelsgesellschaften des 15. und 16. Jahrhunderts, 1987, S. 42; ferner Pettinger, Vermögenserhaltung und Sicherung der Unternehmensfortführung durch Verfügungen von Todes wegen. Eine Studie der Frühen Augsburger Neuzeit, 2007, S. 140 f. 21   Einzelheiten bei v. Ciriacy-Wantrup, Familien- und erbrechtliche Gestaltungen von Unternehmen der Renaissance. Eine Untersuchung der Augsburger Handelsgesellschaften zur frühen Neuzeit, 2007, S. 158 ff. 22   Krause, ZRG (GA) 95 (1978), 396. 23   Simnacher, Die Fuggertestamente des 16. Jahrhunderts, 1960, S. 62 f. 24  Vgl. Pölnitz (Fn. 2), S. 56; Reinhardt, Jakob Fugger der Reiche aus Augsburg. Zugleich ein Beitrag zur Klärung und Förderung unseres Verbandswesens, 1926, S. 78 f.; Strieder (Fn. 6), S. 70. 25  Vgl. Ogris, in Handwörterbuch zur deutschen Rechtsgeschichte, 2. Aufl., Bd. I, 2008, Stichwort: Ganerben, Sp. 1928 m.w.N. 19 20

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errichteten stattdessen eine Handelsgesellschaft, der das Handelsgeschäft von der Ganerbschaft übertragen wurde: „Ulrich Fugger und seine geselschaft“, wie es in den Gerichtsbüchern der Stadt Augsburg hieß.26 Der Gesellschaftsvertrag ist nicht überliefert, vielleicht wurde er nur mündlich geschlossen.27 b)  Erster schriftlicher Gesellschaftsvertrag der Fugger-Brüder von 1494 Aufgrund der enormen Expansion der Fuggerschen Handels- und Bankaktivitäten in aller Welt hielt auch dieser Organisationsrahmen den praktischen Anforderungen kaum mehr stand.28 Wohl auf Jakobs Anregung29 schlossen die Brüder Ulrich, Georg und Jakob Fugger deshalb am 18. August 1494 ihren ersten schriftlichen Gesellschaftsvertrag unter der Kollektivbezeichnung „Ulrich Fugker und gebrudere von Augspurg“. Der Vertrag wurde im Anhang der Fugger-Biographie von Max Jansen 1910 erstmals der Forschung zugänglich gemacht.30 In seinem Einleitungssatz erklären Ulrich, Georg und Jakob Fugger, dass sie schon bisher einen „gemainen bruderlichen handel und gesellschaft gewerbe und hantierung miteinander freuntlich und bruderlich gehabt und getriben haben“ und diesen Handel nun auf der Grundlage des neuen Gesellschaftsvertrages fortsetzen wollten. Ob ihnen bei der Abfassung des Vertrages professionelle Juristen zur Seite standen, ist nicht geklärt. Gelegentlich vermutet man, Conrad Peutinger, rechtsgelehrter Humanist, langjähriger Augsburger Stadtschreiber und Hausjurist der großen Augsburger Handelshäuser31, habe beratend mitgewirkt.32 c)  Erneuerung des Gesellschaftsvertrages von 1502 Nach Ablauf der ursprünglich vorgesehenen Laufzeit von sechs Jahren wurde dieser Vertrag nicht sofort erneuert.33 Erst am 23. Dezember 1502 kam ein abermals auf sechs Jahre befristeter Folgevertrag zustande34, zeitgleich

 Dazu Reinhardt (Fn. 24), S. 79.   So die Mutmaßung von Reinhardt (Fn. 24), S. 79. 28  Vgl. Pölnitz (Fn. 2), S. 56, wonach die einfache juristische Prägung dieses lockeren Handelsverbands mit den verwickelten Geschäften bald nicht mehr Schritt hielt, obwohl die drei Brüder ohne Reibung zusammenwirkten. 29  Übereinstimmend in diesem Sinne Pölnitz (Fn. 2), S. 57: „wesentlich wohl Jakobs Werk“; Reinhardt (Fn. 24), S. 80. 30  Vgl. Jansen (Fn. 7), Bd. I, Anhang, S. 263–268; Original im Fugger-Archiv 31, 1 (Pergament mit drei anhängenden Siegeln, von denen eins abgerissen ist). 31   Monographisch zu ihm H. Lutz, Conrad Peutinger, 1958. 32   So die Mutmaßung bei Pölnitz (Fn. 2), S. 57 mit dem Zusatz: „Wenigstens gab es später Fälle, in denen Fugger sein Gutachten erbat und gebrauchte.“ 33   Zu den Gründen Jansen (Fn. 7), S. 32: „Wahrscheinlich waren lange Verhandlungen erforderlich, auch widerstrebende Kräfte zu überwinden, ehe man sich auf zum Teil neuer Grundlage einigte.“ 34   Ebenfalls abgedruckt bei Jansen (Fn. 7), Bd. I, Anhang, S. 268–270. 26 27

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mit einem Sondervertrag über die ungarischen Bergwerke der Fugger35, aus dem sich später die Fideikommissbildung des Fuggerhauses entwickelte.36 Der Gesellschaftsvertrag von 1502 wurde, nachdem er abgelaufen war, stillschweigend um weitere sechs Jahre verlängert. d)  Gesellschaftsvertrag von Jakob Fugger mit seinen Neffen von 1510 Als Georg Fugger 1506 und Ulrich Fugger 1510 gestorben waren, bedurfte es einer neuen Vertragsgrundlage, die am 30. Dezember 1512 zustande kam37: Jakob Fugger schloss mit seinen vier Neffen Raymund, Anton, Ulrich und Hieronimus einen Gesellschaftsvertrag ab, nachdem er die anderen Erben seiner verstorbenen Brüder abgefunden hatte. Fortan firmierte die Gesellschaft unter „Jacob Fugger und seiner gebrueder süne“ oder auf Italienisch „Jacobo Fugger e nepoti“. Zugleich wurde der Grundsatz der Gleichberechtigung aller Gesellschafter, der in dem brüderlichen Zusammenschluss von 1494 stets gegolten hatte, aufgehoben. Jakob schwang sich nun zum quasi-monarchischen Alleinherrscher „mit durchaus diktatorischer Rechtsstellung“38 auf und erklärte in dem Vertrag, dass ihn seine vier Neffen „für ain hauptherrn“ mit unbeschränkter Macht „erkennen und halten“ sollten und „nichts handlen noch thun, dann was ich inen bevilch und des macht oder gewalt gib“. Infolgedessen waren seine Neffen von der Geschäftsführung und Vertretung ausgeschlossen. Jakob bestimmte allein über Gewinnverteilung und Entnahmen; er konnte seine Mitgesellschafter jederzeit ausschließen: „Selten hat ein Herrscher einen Kronprinz so tief gedemütigt, wie dieser König im Reiche des Geldes dies hier seinen Neffen und Nachfolgern gegenüber tat.“39 4. Die Fugger als Prototyp einer Familiengesellschaft Die Handelsgesellschaft der Fugger ist ein Paradebeispiel für die Bedeutung des „familienrechtlichen Momentes“40 in der Herausbildung der modernen OHG.41 Nicht nur im altrömischen Recht, sondern auch im Hochmittelalter hatten die meisten Handelshäuser den Charakter von Familiengesellschaften.42 Ihre Namen waren allesamt Familiennamen (Peruzzi, Bardi, Medici, Welser, Fugger), ihre Gesellschafter überwiegend nahe Verwandte. Dies gilt   Auch dazu Jansen (Fn. 7), Bd. I, Anhang, S. 272–281.   Dazu etwa Simnacher (Fn. 23), S. 68 ff. 37   Überliefert bei Jansen (Fn. 7), Bd. I, Anhang, S. 289–295. 38   Reinhardt (Fn. 24), S. 89. 39   Strieder (Fn. 6), S. 80. 40   Peterka, ZHR 73 (1913), 387, 394. 41  Näher Peterka, ZHR 73 (1913), 387, 393: „Es ist längst erkannt worden, daß die oberdeutschen Handelsgesellschaften in engem Zusammenhange mit der Familie standen […]. Gerade in dieser Hinsicht bietet die Fugger-Gesellschaft die bedeutendste und reinste Form.“ 42   Dazu bereits Fleischer, NZG 2017, 1201, 1202 ff. m.w.N.; eingehend M. Weber, Zur Geschichte der Handelsgesellschaften im Mittelalter, 1889, S. 44 ff. 35

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auch und gerade für die süddeutschen Handelsgesellschaften des 15. und 16. Jahrhunderts in den Wirtschaftszentren Nürnberg und Augsburg.43 Ein Hauptgrund lag wohl darin, dass es in Ermangelung gesetzlicher Regelungen einer besonderen Vertrauensgrundlage für einen gesellschaftsrechtlichen Zusammenschluss bedurfte, wie sie ein Verwandtschaftsverhältnis in der Regel bietet.44 Im Hause Fugger waren die Familienbande sogar besonders eng geknüpft: Während die meisten anderen süddeutschen Handelsgesellschaften jener Zeit allmählich den Charakter reiner Familiengesellschaften verloren, indem sie Verschwägerte oder verdiente Handelsangestellte als Gesellschafter aufnahmen, duldete Jakob Fugger in seiner rigorosen Familienpolitik keine Ausnahme zu: „Fremdes Blut war aus der Leitung des Fuggerschen Unternehmens prinzipiell und ein für allemal ausgeschlossen.“45 Woher Jakob Fugger seine Anregungen für die Schaffung einer neuen Organisationsform nahm, ist nicht endgültig geklärt. Unter Hinweis auf seine Lehrzeit in Venedig und spätere Geschäftsreisen nach Italien mutmaßen manche, dass er dort die damals übliche compagnia palese kennen und in ihrer großen Brauchbarkeit für ein Verbandshandelsunternehmen schätzen gelernt habe.46 Ein anderer Autor will dies nicht ausschließen, hält es aber ebenso für denkbar, dass die Neuerung letztlich Jakobs erfahrungs- und erlebnisgesättigter Intuition entsprang: „Gewesenes und Gewordenes, Deutsches und Fremdes verband er schöpferisch zu einer unmittelbar der Praxis angepaßten Form.“47 Nach einer weiteren Literaturstimme bildete die südländische Handelsrechtsentwicklung eine wichtige Quelle für den Vertrag, doch sei zugleich die eigene Handschrift Jakobs unverkennbar: „[D]ie deutschen Fassungen, welche kein fremdes Wort aufweisen, und die eingehende 43  Bündig Isermann, in Lütge/Strosetzki (Hrsg.), Zwischen Bescheidenheit und Risiko, Wirtschaftsethik in der globalisierten Welt, 2017, S. 79: „Familiengesellschaften bildeten als Organisationsform eine ‚zentrale Grundkonstante‘ in den ökonomischen Zentren Nürnberg und Augsburg des 15. und 16. Jahrhunderts.“; ferner Becker, in Möllers (Hrsg.), Standardisierung durch Markt und Recht, 2008, S. 247, 258: „Die Augsburger Handelshäuser pflegten die Einheit von Familie und Geschäft, das heißt, sie führten ihre Unternehmen in Familiengesellschaften.“ 44   In diese Richtung Riebartsch (Fn. 20), S. 220; ferner Pettinger (Fn. 20), S. 141; früh schon Hacmann, ZHR 73 (1913), 47, 86: „Die primitiven Verhältnisse, insbesondere aber die durch die Unsicherheit der Zeit arg gefährdete Verkehrssicherheit, sowie der Umstand, daß das erforderliche Vertrauen eher, aber nicht ausschließlich bei den nächsten Angehörigen als bei Fremden zu finden war, machen es erklärlich, daß sich Konsortialverhältnisse zum Betriebe eines Handelsgewerbes leichter im Schoße der Familie als mit Außenstehenden bildeten.“ 45   Strieder (Fn. 6), S. 85; ähnlich Rehme, ZRG (GA) 47 (1927), 487, 525: „Allzeit war die Gesellschaft streng auf Mitglieder der Familie Fugger, und zwar auf wenige nächste Verwandte, beschränkt.“; ferner Ehrenberg (Fn. 5), Bd. 1, S. 196, 383; Peterka, ZHR 73 (1913), 387, 393 f., 426, 428. 46  So Reinhardt (Fn. 24), S. 80 f.; ähnlich Simnacher (Fn. 23), S. 65. 47   Pölnitz (Fn. 2), S. 57.

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Berücksichtigung der besonderen Verhältnisse der Fugger-Familie sind jedoch Zeichen der Ursprünglichkeit“48. Über die Klassifizierung des Fuggerschen Zusammenschlusses im System der Gesellschaftsrechtsformen kann man streiten. In der älteren Literatur liest man ganz überwiegend, die am 18. August 1494 ins Leben getretene Gesellschaft sei eine offene Handelsgesellschaft49, ja sogar „die erste offene Handelsgesellschaft Deutschlands“50. Das für die hiesigen Verhältnisse Neue erblickt ein Autor in drei Punkten: (a) Die Firma „Ulrich Fugger und seine geselschaft“ sei die erste Firma Deutschlands, (b) die neue Handelsgesellschaft werde eine offene, d. h. ihre Mitgliederliste sei offenkundig, (c) die drei Brüder vereinbaren durch Vertrag die Solidarhaft der Gesellschafter.51 Hiergegen mag man einwenden, es sei verfehlt, moderne Begriffe zur Bestimmung mittelalterlicher Verhältnisse heranzuziehen.52 Die dahinter stehende Grundfrage rechtsgeschichtlicher Methodik kann hier nicht vertieft werden.53 Für die Zwecke dieses Beitrags soll es bei dem pragmatischen Standpunkt von Karl Lehmann bewenden: „Gewiß kann man mittelalterliche Institute auch rein aus dem Geiste und der Denkweise ihrer Zeit darstellen, soll aber das Ziel erreicht werden, dem Leser klar zu machen, ob und wieweit eine Rechtserscheinung der Gegenwart bereits der Vergangenheit angehörte, so kommt man ohne den Gegenwartsbegriff nicht aus.“54

III.  Gesellschaftsvertragliche Regelungen des Innenverhältnisses Der Gesellschaftsvertrag der Fugger von 1494 wird im Rückblick oft hochgelobt: Die einzelnen Rechte und Pflichten der Gesellschafter seien in dem Fuggerschen Vertrage viel eingehender, schärfer und klarer ausgesprochen als in allen aus früherer Zeit bekannten Verträgen55; er rage durch die Sorgfalt der Regelung der inneren Geschäftsverhältnisse heraus und sei in   Peterka, ZHR 73 (1913), 387, 428.   In diesem Sinne etwa Peterka, ZHR 73 (1913), 387, 392: „Sie [= die Fugger-Gesellschaft] stellt vielmehr den Typus der offenen Handelsgesellschaft dar; Rehme, ZRG (GA) 47 (1927), 487, 523: „Ohne Zweifel liegt eine offene Handelsgesellschaft vor.“; Strieder (Fn. 6), S. 71. 50   Reinhardt (Fn. 24), S. 80. 51  So Reinhardt (Fn. 24), S. 81 f. 52   Kritisch auch aus anderen Gründen Cordes (Fn. 12), Sp. 1871, 1872: „Das Interesse der Rechtsgeschichte an den F.[uggern] und W.[elsern] galt zum einen der gesellschaftsrechtlichen Struktur ihrer Handelshäuser, doch eine systematisch überzeugende Einordnung muss scheitern: Die Gestaltungen waren so individuell, dass die heutigen gesellschaftsrechtlichen Typen als Charakterisierung wenig taugen.“ 53   Näher etwa Rehme, ZRG (GA), 47 (1927), 487, 491 ff. 54   Lehmann, ZHR 81 (1918), 475, 478. 55   Reinhardt (Fn. 24), S. 82. 48 49

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seinem juristischen Aufbau ziemlich hochstehend.56 Insgesamt umfasst der Vertrag fünfeinhalb eng beschriebene Buchseiten in dem Wiederabdruck bei Max Jansen57. Anders als moderne Gesellschaftsverträge kennt er noch keine Durchnummerierung der Artikel58; die einzelnen Regelungen beginnen allerdings jeweils mit dem Wort „Item“. 1. Vertragsdauer Die Eingangsbestimmung des Gesellschaftsvertrages vom 18. August 1494 sieht eine Vertragslaufzeit von sechs Jahre vor59 – eine Befristung, an der sich alle Folgeverträge der Fugger orientierten60, später freilich mit einer Verlängerungsklausel bei unterbliebenem Widerruf.61 Dieses Modell befristeter Verträge war typisch für die Praxis der süddeutschen Handelsgesellschaften jener Epoche, wobei die Regellaufzeit vier bis sechs Jahre betrug.62 Ungeachtet dieses Grundsatzes der Vertragsbefristung stellten sich die zumeist verwandtschaftlich verbundenen Gesellschafter regelmäßig auf eine längere Dauer der Gesellschaft ein, namentlich dann, wenn deren Kredit maßgeblich auf dem eingeführten (Familien-)Namen beruhte.63 Infolgedessen sind uns von den Fuggern und anderen großen Familiengesellschaften ganze Vertragsserien überliefert, die interessante Einblicke in die inneren Machtverhältnisse und Dynamiken jener Handelsgesellschaften gestatten.64 So veranschaulichen die Fugger-Verträge von 1494 bis 1510 die Kräfteverschiebung von einer Gesellschaft gleichberechtigter Brüder hin zu einem von Jakob Fugger allein dominierten Handelsverband.65

  Peterka, ZHR 73 (1913), 387, 392; gleichsinnig Simnacher (Fn. 23), S. 64.   Fn. 30. 58   Allgemein dazu E. Lutz (Fn. 14), S. 194 f. 59   „Erstlich das solche unsere handlung und geselschaft die nechsten sechs jare schirst nacheinander volgend stehend u pleybend […].“ 60  Vgl. E. Lutz (Fn. 14), S. 212 m.w.N. in Fn. 41. 61   „Wir wollen auch, dass diese unsere ordnung und vertrag, den wir uf sechs jat gestelt haben, dieweil wir nit wiederruefen oder ain andern vertrag oder ordnung machen, hinfüro und hinfüro besteen khraft und macht haben soll.“; dazu auch Peterka, ZHR 73 (1913), 387, 422: „Hierdurch wurde die Idee der Beständigkeit der Vereinigung zu entschiedenerem Ausdrucke gebracht.“ 62  Näher E. Lutz (Fn. 14), S. 209 ff. 63   In diesem Sinne E. Lutz (Fn. 14), S. 225 mit Fn. 225 unter ausdrücklich Bezugnahme auf die Fuggerverträge. 64   Näher dazu Häberlein, in Möllers (Hrsg.), Vielfalt und Einheit, 2008, S. 127, 132. 65   In diesem Sinne auch Häberlein (Fn. 64), S. 127, 133; von einer „offenen Handelscompagnie“ spricht Reinhardt (Fn. 24), S. 89 f. 56 57

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2. Unternehmensgegenstand Hinsichtlich der Unternehmenstätigkeit enthält der Fugger-Gesellschaftsvertrag von 1494 keine weitere Beschreibung oder Eingrenzung.66 Die Rede ist nur allgemein von „handel, gewerbe und hantierung“ und im weiteren Text wiederholt von „handel“. Solche und ähnlich generische Umschreibungen waren bei den Handelsgesellschaften des 15. und 16. Jahrhunderts – im Gegensatz zu den damaligen Bergwerksgesellschaften – durchaus üblich67 und angesichts der Vielgestaltigkeit des Fuggerschen Handels wohl auch vernünftig.68 Zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses waren sie nämlich längst keine gewöhnlichen Kaufleute mehr: „[V]ielmehr leiteten sie schon ein Bankgeschäft von bedeutendem Umfange, machten Geldgeschäfte mit den Großen und Größten der Erde und setzten Edel- und Halbedelsteine in die weite Welt ab. Aber das hinderte sie nicht, auch weiterhin den Handel mit Gegenständen aller Art zu treiben.“69 3. Geschäftsführung Die Geschäftsführung – ein Begriff, der damals noch nicht etabliert war70 – weist der Gesellschaftsvertrag von 1494 jedem der drei Brüder zur gleichberechtigten und vollständigen Wahrnehmung zu: „unser yeder soll gantzen vollen gewalt und macht haben in allen und yeden dingen den handel anrurend oder das dem handel und uns zu gut geschicht.“ Zur Illustration nennt der Vertrag Kauf und Verkauf von Waren, Einziehung von Forderungen und Begleichung von Gesellschaftsschulden. Besondere Erwähnung findet außerdem das Recht zur Einstellung und Entlassung von Hilfspersonen und Handelsangestellten: „Unser yeder soll auch macht haben unsers handels und geselschaft dyner und factor aufzenemen und zu dingen und diejenen, so wir itzo haben oder kunfticlich haben werden, zu urlauben, zuebezalen, andere an irer stat zdingen und auch uzu urlauben, wenn unser yeder will […].“ 66   Dies hervorhebend auch Peterka, ZHR 73 (1913), 387, 397: „Auffällig mag es sein, dass die ersten Fugger-Gesellschaftsverträge die zu pflegenden Geschäfte nicht namentlich anführen.“ 67  Näher E. Lutz (Fn. 14), S. 209: „Geschäftszweck und Geschäftsbereich werden in den allgemeinen Handelsgesellschaften so formuliert, daß keine detaillierte Bindung eintritt, wobei unklar bleibt, ob man in zeitgenössischer kaufmännischer Perspektive darin eine rechtliche Bindung gesehen hätte.“ 68  Ebenso Peterka, ZHR 73 (1913), 387, 397 mit dem Zusatz: „[A]ußerdem wollte man gewiß eine weitere Ausdehnung auf neue Geschäfte nicht hemmen.“ 69   Jansen (Fn. 7), S. 39. 70  Näher E. Lutz (Fn. 14), S. 322: „Das Wort ‚Geschäftsführung‘ taucht in der deutschen Rechtssprache erst sehr spät Ende des 18. Jahrhunderts auf. Die Gesellschaftsverträge kennen diesen Begriff nicht, treffen aber der Sache nach Bestimmungen, die die Geschäftsführungsbefugnis treffen.“

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Es gilt der Grundsatz der Einzelgeschäftsführung: Jeder Bruder soll tätig werden können, „als ob unser yeder der obristhaupthandler selbst were, auch in abwesen der anderen und sol uns alle sovil beruren und sein, als als ob wir alle solchs gehandelt hetten“. Eine Beschränkung der Geschäftsführungsbefugnis ist nicht vorgesehen,71 auch kein Bürg- und Leihverbot, wie es spätere Fugger-Verträge72 und andere Verträge süddeutscher Handelsgesellschaften kennen.73 Anlässlich der Erneuerung des Gesellschaftsvertrages von 1502 wird im Zusammenhang mit dem Sondervertrag über die ungarischen Bergwerke jedoch eine obligatorische Mitentschließung der anderen Gesellschafter für großvolumige Erwerbsgeschäfte eingeführt: „Sie mögen auch woll khaufen pergwerckh oder anderes, dass sie dem handel zue guet ansehen und bedunckhen wure, doch wa es ain grosse summa kaufgelts treffn wurde, so sollen sie es auch mit der anderen gesellschafter, oder mehrer tails wissebn und willen auch thun“. 4. Treuepflicht Der Gesellschaftsvertrag von 1494 nimmt – wie auch seine Folgeverträge – auf den „guten waren treuen und glauben“ Bezug und bildet insoweit einen frühen historischen Beleg für die gesellschaftsrechtliche Bedeutung des Treuegedankens.74 Ob dieses Treuegelöbnis nur zur Verstärkung der Vertragsbindung diente oder auch weitere Funktionen übernahm, ist nicht endgültig geklärt.75 Immerhin wird mit dem Gebot der Offenheit in allen Gesellschaftsangelegenheiten eine wesentliche Ausprägung des modernen Treuegedankens konkret ausbuchstabiert: „Was unser yeder in diesem unserm handel und geselschaft handelen wirdt, es sey mit kaufen verkaufen, hantirung, brieffen, schriften, puchern, registern und rechnung, sol er vor den andern nit verpergen und den andern, so sy des begern, unverporgen sein.“ In engem Zusammenhang mit dem Treuegelöbnis steht auch die Arglistklausel, mit der aller Gesellschafter versprechen, „on alle auszuge geverde und argelist“ zu handeln, die angesichts der vorherrschenden Verbalinter-

 Vgl. Peterka, ZHR 73 (1913), 387, 403.   Vgl. den Fugger-Gesellschaftsvertrag von 1512: […] darzu in kainer on mein gunst wissen und willen ganz kain burgschaft vergwisung verpflichtung versprechung noch einsatzung weder durch gelt noch liegende gueter weder mündlich schriftlich noch in ander weg weder für sich noch under inen selbs für mich noch ander frembd, und ob gleich solichs in was gestalt das were geschech, so soll doch dasselb ganz kain craft haben.“ 73  Näher E. Lutz (Fn. 14), S. 323 ff. 74  Gleichsinnig Peterka, ZHR 73 (1913), 387, 411: „interessantes historisches Dokument für die privatrechtliche Bedeutung des deutschen Treuebegriffs“; ferner Ciriacy-Wantrup (Fn. 21), S. 226; Riebartsch (Fn. 20), S. 231 ff.; Silberschmidt, Beteiligung und Teilhaberschaft – ein Beitrag zum Recht der Gesellschaft, 1915, S. 73 ff.; Simnacher (Fn. 23), S. 64 f. 75  Eingehend E. Lutz (Fn. 14), S. 171 ff. 71 72

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pretation jener Zeit eine wichtige Schutzfunktion übernahm.76 Außerdem verlangt der Gesellschaftsvertrag von 1494 im Hinblick auf die Geschäftsführung, dass ein jeder der drei Gesellschafter „in diesem handel und geselschaft getreulichen handelen und furnamen“.77 Der Vertrag von 1512 sieht schließlich noch eine Verschwiegenheitspflicht vor, indem er die Gesellschafter anhält, „des handels und geselschaft frumen zu fürdern und schaden zu wenden nach irem höchsten vermugen, dartzu den handel in guter und stiller gehaim behalten und niemants offenbarn“. 5. Wettbewerbsverbot Als weitere Ausprägung der Treuepflicht findet das Wettbewerbsverbot besondere Erwähnung: „Es sol auch unser keiner weder durch sich selbs für sich noch sunst mit yemands anderm einichen kaufmannshandel gewerb und geselschaft ausserhalb di die gedachten sechs jare haben noch treyben.“ Diese Klausel unterstreicht, dass die drei Brüder ihre gesamte Arbeitskraft in den Dienst der (Familien-)Gesellschaft stellen sollten.78 Welche Sanktion bei einem Verstoß gegen das Wettbewerbsverbot eingreifen soll, lässt der Gesellschaftsvertrag von 1494 ungeregelt.79 Die späteren Fugger-Verträge von 1591 und 1622 sehen hierfür den Ausschluss des pflichtvergessenen Gesellschafters vor.80 Allgemein bildet das Wettbewerbsverbot einen wichtigen Bestandteil der Gesellschaftsverträge süddeutscher Handelsgesellschaften des 15. und 16. Jahrhunderts.81 Entsprechende Konkurrenzklauseln fanden sich in den Verträgen für die Diener und Handelsangestellten.82

76   Allgemein dazu Fuhr, Zur Entstehung und rechtlichen Bedeutung der mittelalterlichen Formel ‚ane argeliste unde geverde“, 1959; speziell für ihre Verwendung in den Gesellschaftsverträgen des 15. und 16. Jahrhunderts E. Lutz (Fn. 14), S. 192 f.; ferner CiriacyWantrup (Fn. 21), S. 226. 77   Vgl. auch Peterka, ZHR 73 (1913), 387, 414. 78  Vgl. Jansen (Fn. 6), S. 31; Peterka, ZHR 73 (1913), 387, 413. 79   Dazu auch Amend-Traut, in Schumann (Hrsg.), Justiz und Verfahren im Wandel der Zeit, 2017, S. 55, 76. 80  Näher Peterka, ZHR 73 (1913), 387, 413 f. 81  Monographisch Swoboda, Das Wettbewerbsverbot unter Handelsgesellschaftern vorzugsweise nach deutschem Recht. Eine rechtsgeschichtliche Untersuchung, 1939; eingehend auch E. Lutz (Fn. 14), S. 307 ff.; ferner Ciriacy-Wantrup (Fn. 21), S. 227; Riebartsch (Fn. 20), S. 235 f. 82   Für ein Beispiel (Diener der Thurgos und Fugger) Jansen (Fn. 6), S. 379; näher auch Amend-Traut (Fn. 79), S. 76.

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6. Kapitaleinlage Der Gesellschaftsvertrag von 1494 gibt keine Auskunft über die Höhe der Einlagen eines jeden Gesellschafters.83 Aus anderer Quelle wissen wir, dass Ulrich 21.656 rheinische Goldgulden, Georg 17.177 und Jakob 15.552 Goldgulden als Kapitaleinlage zu Vertragsbeginn hatten.84 Jeder Gesellschafter soll seinen Kapitalanteil („haubtgut“) nebst Gewinn im Unternehmen belassen, jeder von ihnen nimmt am Gewinn und Verlust teil. Die Größe seines Gewinn- oder Verlustanteils richtet sich nach seinem Kapitalanteil zum Zeitpunkt der Abrechnung: „Was wir und unser yeder auf diesen tag im handel und gesellschaft hat und sich unter uns in der nechsten rechnung erfinden wirdt, haubtguts und gewynnung, das soll also im handel die gedachten zeit aus bleiben zu gleichem gewynn und verlust, doch nach anzall unseres yedes hauptguts, so unser yeder im handel hat und sich in rechnung erfinden wirdt.“ 7.  Aufwendungsersatz und Entnahmerecht Hinsichtlich des Aufwendungsersatzes unterscheidet der Gesellschaftsvertrag zwischen den Auslagen „des handels wegen“ und jenen „ausserhalb der geselschaft handlung […] für sich und von sein selbes wegen“: Jene sind ersatzfähig, diese muss der betreffende Gesellschafter alleine tragen. Differenziert fällt auch die Entnahmeregelung aus: Was jeder Gesellschafter „zu seiner notturft haushaltung und narung“ bedarf, kann er unter Anrechnung auf seinen Kapitalanteil entnehmen; sonstige Entnahmen bedürfen der Zustimmung der Mitgesellschafter, dürfen ein Viertel des Kapitalanteils nicht überschreiten und nur einmal während der Vertragsdauer erfolgen.85

IV.  Gesellschaftsvertragliche Regelungen des Außenverhältnisses Verglichen mit der eingehenden Regelung des Innenverhältnisses „ist die Berücksichtigung der Rechtslage der Gesellschaft nach außen wesentlich rückständig“86. 1. Firma Der Gesellschaftsvertrag von 1494 bestimmt im Anschluss an die Vertragsdauer sogleich den Gesellschaftsnamen: „Ulrich Fugker und gebrudere  Vgl. Riebartsch (Fn. 20), S. 264.  Vgl. Strieder (Fn. 6), S. 66. 85  Vgl. Peterka, ZHR 73 (1913), 387, 419 f. 86   Peterka, ZHR 73 (1913), 387, 420. 83 84

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von augspurg“. Dass nur der Älteste namentlich genannt wird, war damals durchaus üblich.87 Die zusammenfassende Bezeichnung „Firma“ fehlt einstweilen.88 Im Spätmittelalter stand die Ausbildung eines eigenen Firmenrechts noch aus89; auch das Wort Firma in seiner heutigen Bedeutung fand erst um 1800 Eingang in die deutsche Rechtssprache.90 2. Vertretung Unterentwickelt war des Weiteren die Frage der organschaftlichen Vertretung der Gesellschaft im Außenverhältnis. Sie wurde häufig nur mit Blick auf das Innenverhältnis geregelt.91 Eine scharfe Unterscheidung zwischen Geschäftsführung und Vertretung sollte sich erst viel später durchsetzen. Immerhin heißt es im Fugger-Gesellschaftsvertrag von 1494: „Und ob unser einer einich schrift oder verschreybung in handel gebe oder neme und auf sein person allein stünde, sol es nicht dessminder sovil sein, als ob es von oder auf uns alle verlautet und gestellt were, als wir dann vormals untzhere das auch also gehalten und gepraucht haben.“ Die Wirkung der Rechtshandlungen eines Gesellschafters soll also unmittelbar auch seine Mitgesellschafter treffen.92 Rechtstechnisch zum Ausdruck gebracht wird dies mit einer Fiktion der Gesamtvertretung.93 Im Gesellschaftsvertrag von 1512 liest man dann im Hinblick auf das neu eingeführte Bürg- und Leihverbot der Neffen Jakobs, dass ein hiergegen verstoßendes Rechtsgeschäft „ganz kain kraft haben“ soll. Ob damit nur das Innenverhältnis gemeint ist oder ob der Passus zugleich auf eine Beschränkung der Vertretungsmacht im Außenverhältnis abzielt, lässt sich nicht zweifelsfrei klären.94

 Vgl. E. Lutz (Fn. 14), S. 450.  Dazu Peterka, ZHR 73 (1913), 387, 398. 89  Eingehend Goldschmidt, Universalgeschichte des Handelsrechts, Bd. 1, 1881, S. 273 ff. 90  Näher E. Lutz (Fn. 14), S. 443 ff. 91  Vgl. E. Lutz (Fn. 14), S. 443. 92   Dazu auch Peterka, ZHR 73 (1913), 387, 403 f.: „In dieser vollkommenen Ausgestaltung der Vertretungsbefugnis äußert sich die rechtliche Rückwirkung des immer steigenden deutschen Handelsverkehrs, welcher das unvollkommene Vertretungsrecht des früheren deutschen Mittelalters überwinden mußte.“ 93   So auch Peterka, ZHR 73 (1913), 387, 420. 94  Dazu E. Lutz (Fn. 14), S. 330: „Da ein Gesellschaftsregister, aus dem die eingeschränkte Vertretungsbefugnis zu erkennen wäre, fehlte, mußten die Gesellschaften jedes Geschäft eines Hauptgesellschafters gegen sich gelten lassen, auch wenn es in Kompetenzüberschreitung abgeschlossen wurde. Vielleicht war in der Praxis die alleinige Entscheidungsbefugnis der Leiter der Fuggergesellschaft so bekannt, daß die Gesellschaft sich darauf berufen konnte.“ 87 88

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3. Haftung In der Haftungsfrage hüllt sich der Fugger-Gesellschaftsvertrag von 1494 in Schweigen.95 Er teilt diese Regelungsabstinenz mit vielen anderen mittelalterlichen Gesellschaftsverträgen, die hierzu ebenfalls nicht Stellung nehmen.96 Immerhin kann man aus dem schon erwähnten Nürnberger Privileg von 146497 schlussfolgern, dass die unbeschränkte persönliche und solidarische Haftung aller Gesellschafter der Handelsrechtspraxis des 15. und 16. Jahrhunderts entspricht.98 Für den Gesellschaftsvertrag von 1494 entnehmen manche die unbeschränkte Haftung aller drei Fugger-Brüder auch aus der gerade erwähnten99 wechselseitigen Bevollmächtigung.100

V.  Verzahnung gesellschafts- und erbrechtlicher Regelungen Hochinteressant sind die Fuggerschen Gesellschaftsverträge auch wegen ihrer engen Verzahnung gesellschafts- und erbrechtlicher Regelungen.101 Ganz im Vordergrund steht dabei der dynastische Erhalt des Familienunternehmens in den Händen der mitarbeitenden Hauptgesellschafter, welcher zu Lasten der Erben geht.102 Dementsprechend sieht der Fugger-Vertrag von 1494 vor, dass im Falle des Todes eines Gesellschafters vor Ablauf von sechs Jahren dessen Erben das Kapital noch drei Jahre im Geschäft lassen müssen. Die beiden überlebenden Gesellschafter sollen die Gesellschaft „ganz und gar verwalten, verwesen und regieren on meniglicher Widerrede“. Während diese Zeitspanne nehmen die Erben zwar noch am Gewinn und Verlust teil, müssen sich aber jeder Einflussnahme auf das Geschäft enthalten und die Schlussabrechnung ohne Wenn und Aber akzeptieren.103 Insgesamt nehmen   Dazu auch Peterka, ZHR 73 (1913), 387, 420; ferner Riebartsch (Fn. 20), S. 245 ff.  Vgl. Peterka, ZHR 73 (1913), 387, 421; Joseph Strieder, Zwei Handelsgesellschaftsverträge aus dem 15. und 16. Jahrhundert, 1908, S. 55. 97   Vgl. oben unter II. 2. 98  Näher E. Lutz (Fn. 14), S. 460 ff. 99   Vgl. oben unter IV. 2. 100   In diesem Sinne Rehme, ZRG (GA) 47 (1927), 487, 523; Peterka, ZHR 73 (1913), 387, 399: „[…] so liegt für die Fuggerschen Handelsgesellschaftsverträge noch ein weiteres Moment vor, welches die Grundlage unbeschränkter Haftung bildete. Es ist dies die weitgehende Vertretungsbefugnis jedes Gesellschafters bei Rechtsgeschäften im Bereiche des Gesellschaftsbetriebes, wie sie sich deutlich aus der Bestimmung des ersten Vertrages vom Jahre 1494 ergibt.“ 101  Näher Ciriacy-Wantrup (Fn. 21), S. 263 ff.; Pettinger (Fn. 20), S. 143 f. 102  Vgl. Strieder (Fn. 6), S. 72; pointiert Simnacher (Fn. 23), S. 66: „Schon von 1494 an wurden die Erben rücksichtslos zu Gunsten einer zielstrebigen Geschäftsführung der Handelsgesellschaft zurückgesetzt. Fremdes Blut, aber auch Frauen und Geistliche wurden ferngehalten.“ 103  Vgl. Rehme, ZRG (GA) 47 (1927), 487, 523 f.; Strieder, ZgStW 82 (1927), 337, 340. 95 96

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die Regelungen für den Todesfall eines Gesellschafters etwa die Hälfte des fünfeinhalbseitigen Gesellschaftsvertrags von 1494 ein. An anderer Stelle abzuhandeln ist schließlich das Verhältnis von Gesellschaftsvertrag und letztwilliger Verfügung der einzelnen Gesellschafter. Ein Lehrstück bilden insoweit die beiden Testamente von Jakob Fugger aus den Jahren 1521 und 1525104, zu denen es bereits eine ansehnliche rechtsgeschichtliche Aufarbeitung gibt.105

  Abgedruckt bei Jansen (Fn. 7), S. 306 ff. und S. 329 ff.  Monographisch Simnacher (Fn. 23), S. 104 ff. und passim.

104 105

§ 28 I HGB bei der vermögensverwaltenden Personengesellschaft

§ 28 Abs. 1 HGB bei der vermögensverwaltenden Personengesellschaft Barbara Grüneberg I. Einleitung Nach § 28 Abs. 1 Satz 1 HGB haftet bei Eintritt eines persönlich haftenden Gesellschafters oder Kommanditisten in das Geschäft eines Einzelkaufmanns die Gesellschaft für sämtliche im Betrieb des Geschäfts entstandenen Verbindlichkeiten des früheren Geschäftsinhabers (sog. Altverbindlichkeiten). Gemäß § 28 Abs. 1 Satz 2 HGB gelten die in dem Betrieb begründeten Forderungen den Schuldnern gegenüber auf die Gesellschaft übergegangen. Soweit keine abweichende Vereinbarung nach§ 28 Abs. 2 HGB Dritten gegenüber wirksam ist, hat dies für den Eintretenden zur Folge, dass er – als Gesellschafter oder Kommanditist der durch seinen Eintritt entstandenen offenen Handels- oder Kommanditgesellschaft – gemäß § 128, § 161 Abs. 2, §§ 171, 172 HGB persönlich für die Altverbindlichkeiten des früheren Geschäftsinhabers haftet. Ob § 28 Abs. 1 HGB auch auf den Eintritt in ein nichtkaufmännisches Unternehmen anwendbar ist und ob es insoweit ausreicht, dass durch den Eintritt nur eine Gesellschaft bürgerlichen Rechts und keine Handelsgesellschaft entsteht, ist in Rechtsprechung und Literatur umstritten. Die Frage stellt sich sowohl bei kleingewerblichen Unternehmen ohne Handelsregistereintragung als auch bei Unternehmen, die kein Handelsgewerbe betreiben und daher als solche auch durch den Eintritt eines Gesellschafters grundsätzlich keine Handelsgesellschaft werden können. Hierunter fallen insbesondere auch Unternehmen zur Verwaltung eigenen Vermögens wie etwa von (größeren oder mehreren) Immobilienobjekten.1 Diese nehmen unter den nichtgewerblichen Unternehmen allerdings insofern eine Sonderstellung ein, als der Gesetzgeber hier im Rahmen der Handelsrechtsreform im Jahr 1998 mit § 105 Abs. 2 HGB die Möglichkeit geschaffen hat, durch Eintragung der Firma im Handelsregister eine Handelsgesellschaft zu gründen. Im Folgenden soll daher der – höchstrichterlich noch nicht entschiedenen – Frage 1   Siehe dazu sowie zur Abgrenzung zu gewerblicher Tätigkeit etwa Kindler in Ebenroth/Boujong/Joost/Strohn, HGB, 3. Aufl. 2014, § 1 Rz. 33 ff.; K. Schmidt in MüKoHGB, 4. Aufl. 2016, § 1 Rz. 28.

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nachgegangen werden, ob und inwieweit § 28 HGB auf den Eintritt in ein eigenvermögensverwaltendes Unternehmen anwendbar ist.

II. Meinungsstand 1. Rechtsprechung a) Nach der älteren Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs setzt § 28 Abs. 1 HGB die Kaufmannseigenschaft des Einzelunternehmers im Rechtssinne voraus und findet daher keine Anwendung, wenn durch den Eintritt eines oder mehrerer Gesellschafter in den Betrieb keine Handelsgesellschaft sondern lediglich eine Gesellschaft bürgerlichen Rechts entsteht.2 Soweit der Bundesgerichtshof § 28 HGB in zwei Entscheidungen betreffend den Eintritt in das Geschäft eines Minderkaufmanns im Sinne von § 4 HGB a.F.3 sogar für unmittelbar anwendbar erachtet hat,4 handelte es sich ausweislich der Begründung um keine Ausnahme von dieser Rechtsprechung. Der Bundesgerichtshof verwies vielmehr darauf, dass auch der Minderkaufmann (nach damaligem Recht) nach § 4 HGB a.F. Kaufmann im Sinne des § 1, § 28 Abs. 1 HGB a.F. sei und es sich bei § 28 Abs. 1 HGB um keine von § 4 Abs. 1 HGB a.F. erfasste firmenrechtliche Vorschrift handele. Da der Beitrieb in beiden Fällen durch den Eintritt zu einem vollkaufmännischen Umfang erstarkt sei, sei mit dem Eintritt ipso iure auch eine Handelsgesellschaft entstanden und der Anwendungsbereich des § 28 Abs. 1 HGB somit unmittelbar eröffnet.5 Diese Begründung lässt sich auf ein Unternehmen zur Verwaltung eigenen Vermögens nicht übertragen, das mangels gewerblicher Tätigkeit weder als Kaufmann im Sinne von § 1 HGB anzusehen ist, noch durch Erstarken des Betriebs zu einem vollkaufmännischen Umfang ipso iure zu einer Handelsgesellschaft werden kann, sondern es hierfür gemäß § 105 Abs. 2 HGB der (konstitutiven) Eintragung der Firma in das Handelsregister bedarf. Für diesen Fall der Entstehung durch Eintragung hat der Bundesgerichtshof die Anwendung des § 28 HGB jedoch selbst dann verneint, wenn mit oder in unmittelbarem Zusammenhang mit dem Eintritt eine Eintragung in das Han2   BGH, Urteil vom 17. Dezember 1959 – VIII ZR 185/58, WM 1960, 259, 260; Urteil vom 7. Januar 1960 – II ZR 228/59, BGHZ 31, 398, 400 f.; Urteil vom 6. Juli 1966 – VIII ZR 92/64, WM 1966, 832, 833 ff.; Urteil vom 29. November 1971 – II ZR 181/68, WM 1972, 21, 22; Urteil vom 25. Juni 1973 – II ZR 133/70, WM 1973, 896, 899; Urteil vom 18. Januar 2000 – XI ZR 71/99, BGHZ 143, 314, 317 f.; Urteil vom 22. Januar 2004 – IX ZR 65/01, BGHZ 157, 361, 365. 3   § 4 HGB in der bis zum 30. Juni 1998 geltenden Fassung. 4   BGH, Urteil vom 17. Dezember 1959 – VIII ZR 185/58, WM 1960, 259, 260; Urteil vom 6. Juli 1966 – VIII ZR 92/64, WM 1966, 832, 833 ff. 5   BGH, Urteil vom 6. Juli 1966 – VIII ZR 92/64, WM 1966, 832, 833.

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delsregister erfolgt.6 Begründet hat er dies mit dem Wortlaut des § 28 HGB sowie damit, dass andernfalls eine Rechtsunsicherheit dahingehend entstünde, in welchem zeitlichen und sachlichen Kontext die Registereintragung erfolgen müsse, um die Anwendung von § 28 HGB zu rechtfertigen. b) In neueren Entscheidungen hat der Bundesgerichtshof dagegen zwar einerseits weiterhin auf diese bisherige Rechtsprechung verwiesen, andererseits aber auch wiederholt ausdrücklich offengelassen, ob eine analoge Anwendung des § 28 Abs. 1 HGB in Betracht kommt, wenn durch den Eintritt in einen Geschäftsbetrieb keine Personenhandelsgesellschaft sondern nur eine Gesellschaft bürgerlichen Rechts entsteht.7 Erfasst wären damit sämtliche Fälle des Entstehens einer Personengesellschaft durch Gesellschaftereintritt. Den Entscheidungen des Bundesgerichtshofs ist hierzu keine eindeutige Tendenz zu entnehmen. Einerseits können seiner Auffassung nach gute Gründe für eine analoge Anwendung angeführt werden, andererseits betont er aber auch den Grundsatz einer „notwendigerweise engen Auslegung des § 28 HGB“.8 In den zur Entscheidung stehenden Fällen konnte die Frage jeweils mangels Entscheidungserheblichkeit dahinstehen. In einem Fall war durch den Eintritt keine Personengesellschaft sondern eine Vor-GmbH entstanden,9 während in einem weiteren Fall nicht die Haftung für Altschulden des bisherigen Geschäftsinhabers sondern für diejenigen des Eintretenden in Rede stand.10 Zuletzt hat der Bundesgerichtshof eine analoge Anwendung des § 28 HGB beim Eintritt eines Rechtsanwalts in eine bisherige Einzelkanzlei jedenfalls wegen der besonderen persönlichen Ausgestaltung des Rechtsverhältnisses des Einzelanwalts zu seinen Mandanten sowie wegen der fehlenden Möglichkeit einer Haftungsbeschränkung durch Registereintragung gemäß § 28 Abs. 2 HGB verneint.11 2. Schrifttum In der Literatur wird die (meist analoge) Anwendung von § 28 Abs. 1 HGB auf den Eintritt in ein nichtkaufmännisches Unternehmen überwiegend für den Fall befürwortet, dass mit dem Eintritt eine offene Handelsgesellschaft oder Kommanditgesellschaft entsteht, sei es – wie in den obigen   BGH, Urteil vom 7. Januar 1960 – II ZR 228/59, BGHZ 31, 398, 400 f.   BGH, Urteil vom 18. Januar 2000 – XI ZR 71/99, BGHZ 143, 314, 318; Urteil vom 22. Januar 2004 – IX ZR 65/01, BGHZ 157, 361, 365 f.; Beschluss vom 23. November 2009 – II ZR 7/09, ZIP 2010, 2042 Rz. 5. 8   BGH, Beschluss vom 23. November 2009 – II ZR 7/09, ZIP 2010, 2042 Rz. 8. 9   BGH, Urteil vom 18. Januar 2000 – XI ZR 71/99, BGHZ 143, 314, 318. 10   BGH, Beschluss vom 23. November 2009 – II ZR 7/09, ZIP 2010, 2042 Rz. 6 ff. 11   BGH, Urteil vom 22. Januar 2004 – IX ZR 65/01, BGHZ 157, 361, 366 f.; Beschluss vom 17. November 2011 – IX ZR 161/09, ZIP 2012, 28 Rz. 20. 6 7

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Entscheidungen des Bundesgerichtshofs aus den Jahren 1959 und 1966 – ipso iure durch Erstarken eines bisher kleingewerblichen Unternehmens (§ 105 Abs. 1 i.V.m. § 1 Abs. 2 HGB) oder erst durch Handelsregistereintragung gemäß § 105 Abs. 2 HGB.12 Letzteres soll allerdings nur unter der Voraussetzung gelten, dass der Eintragungsantrag in engem zeitlichen Zusammenhang mit der Gründung gestellt wird13 bzw. der neue Unternehmensträger bei Geschäftsaufnahme eine Handelsgesellschaft ist.14 Eine weitergehende analoge Anwendung von § 28 Abs. 1 HGB auf sämtliche Fälle, in denen durch den Eintritt nur eine Gesellschaft bürgerlichen Rechts entsteht – sei es, weil die Gesellschaft kleingewerblich bleibt und die Gesellschafter keine Eintragung gemäß § 105 Abs. 2 HGB betreiben oder die Gesellschaft mangels gewerblicher Tätigkeit nicht eintragungsfähig ist – wird von der (noch) herrschenden Auffassung in der Literatur hingegen abgelehnt.15 Dagegen hält eine im Vordringen befindliche Gegenauffassung § 28 HGB als Ausdruck eines analogiefähigen allgemeinen Rechtsgedankens und unter Hinweis auf die Konsolidierung des Haftungsrechts der Gesellschaft bürgerlichen Rechts in der neueren Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs grundsätzlich bei jeder Gründung einer Personengesellschaft mit Einbringung eines Unternehmens für anwendbar.16 Teilweise wird dies dahingehend 12   Hopt in Baumbach/Hopt, HGB, 38. Aufl. 2018, § 28 Rz. 2; Bömeke in BeckOK, HGB, Stand 15. Januar 2018, § 28 Rz. 4; Canaris Handelsrecht, 24. Aufl. 2006, § 7 Rz. 88; Reuschle in Ebenroth/Boujong/Joost/Strohn, HGB, 3. Aufl. 2014, § 28 Rz. 17; Emmerich in Heymann, HGB, 2. Aufl. 1995, § 28 Rz. 14; Roth in Koller/Kindler/Roth/Morck, HGB, 8. Aufl. 2015, § 28 Rz. 5; Thiessen in MüKoHGB, 4. Aufl. 2016, § 28 Rz. 13 und 21 (de lege lata); Vossler in Oetker, HGB, 5. Aufl. 2017, § 28 Rz. 15 f.; Ries in Röhricht/Graf von Westphalen/Haas, HGB, 4. Aufl. 2014, § 28 Rz. 10; Burgard in Staub, HGB, 5. Aufl. 2009, § 28 Rz. 20; für unmittelbare Anwendung in erweiternder Auslegung K. Schmidt Handelsrecht, 6. Aufl. 2014, § 8 Rz. 87, 93. 13   Hopt in Baumbach/Hopt, HGB, 38. Aufl. 2018, § 28 Rz. 2; Roth in Koller/Kindler/ Roth/Morck, HGB, 8. Aufl. 2015, § 28 Rz. 5; Burgard in Staub, HGB, 5. Aufl. 2009, § 28 Rz. 20. 14   Thiessen in MüKoHGB, 4. Aufl. 2016, § 28 Rz. 13 und 21. 15   Hopt in Baumbach/Hopt, HGB, 38. Aufl. 2018, § 28 Rz. 2; Bömeke in BeckOK HGB, Stand 15. Januar 2018, § 28 Rz. 5; Canaris Handelsrecht, 24. Aufl. 2006, § 7 Rz. 88; Reuschle in Ebenroth/Boujong/Joost/Strohn, HGB, 3. Aufl. 2014, § 28 Rz. 16; Emmerich in Heymann, HGB, 2. Aufl. 1995, § 28 Rz. 14; Roth in Koller/Kindler/Roth/Morck, HGB, 8. Aufl. 2015, § 28 Rz. 5; Thiessen in MüKoHGB, 4. Aufl. 2016, § 28 Rz. 13 f. (nur de lege ferenda); Vossler in Oetker, HGB, 5. Aufl. 2017, § 28 Rz. 11; Ries in Röhricht/Graf von Westphalen/Haas, HGB, 4. Aufl. 2014, § 28 Rz. 9; Burgard in Staub, HGB, 5. Aufl. 2009, § 28 Rz. 21; Römermann BB 2003, 1084, 1086. 16  So insbesondere K. Schmidt, ausgehend von seiner These des Unternehmensträgers in ZHR 145 (1981), 2, 21 ff.; ders. Handelsrecht, 6. Aufl. 2014, § 8 Rz. 87 ff.; Lieb in Festschrift Westermann, 1974, S. 309, 315 ff., 324; ders. in MüKoHGB, 2. Aufl. 2005, § 28 Rz. 9 ff.; Ulmer ZIP 2003, 1113, 1116; ders. in MüKoBGB, 4. Aufl. 2004, § 714 Rz. 75; Schäfer in MüKoBGB, 7. Aufl. 2017, § 714 Rz. 75; Kleindiek in Festschrift Röhricht 2005, S. 315, 324 ff.; Petig/Gonzalez Jura 2009, 646, 649 f.; wohl auch Bruns ZIP 2002, 1602, 1607; Hüffer in Staub, HGB, 4. Aufl. 1995, § 28 Rz. 28; Grunewald JZ 2004, 683.

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eingeschränkt, dass eine Eintragung der Gesellschaft in das Handelsregister gemäß § 105 Abs. 2 HGB möglich sein müsse, weshalb eine Anwendung auf freiberufliche Unternehmen nicht in Betracht komme.17

III. Stellungnahme 1.  Unmittelbare Anwendung Eine unmittelbare Anwendung von § 28 Abs. 1 HGB auf den Eintritt in ein Eigenvermögen verwaltendes Unternehmen kommt bereits aufgrund des eindeutigen Wortlauts der Vorschrift, der ausdrücklich an den Eintritt in ein einzelkaufmännisches Geschäft anknüpft, nicht in Betracht. Diese ausdrückliche Anknüpfung steht auch einer in der Literatur vertretenen18 erweiternden Auslegung und unmittelbaren Anwendung der Vorschrift auf die Fälle entgegen, in denen die durch den Eintritt entstehende Gesellschaft (erst) durch Handelsregistereintragung gemäß § 105 Abs. 2 HGB zu einer Handelsgesellschaft wird. 2.  Analoge Anwendung Eine analoge Anwendung von § 28 Abs. 1 HGB setzt nach allgemeinen Grundsätzen eine planwidrige Regelungslücke sowie eine vergleichbare Interessenlage voraus.19 Eine Regelungslücke ist insoweit zu bejahen, als die Vorschriften des bürgerlichen Rechts, namentlich die §§ 705 ff. BGB, keine Regelungen zur Haftung für Altverbindlichkeiten bei Eintritt in ein nichtkaufmännisches Unternehmen enthalten. Diese Lücke ist auch planwidrig. Das gilt jedenfalls seitdem die Gesellschaft bürgerlichen Rechts als (teil-)rechtsfähig anerkannt ist20 und damit als eigenständiger Rechtsträger neben den Gesellschaftern selbst Inhaber von Forderungen sein oder Verpflichtungen unterliegen kann. Fraglich ist aber, ob und inwieweit die Interessenlage bei Eintritt in ein eigenvermögensverwaltendes Unternehmen mit derjenigen bei Eintritt in ein kaufmännisches Unternehmen vergleichbar ist. Voraussetzung dafür ist die Annahme, dass der Gesetzgeber bei einer Interessenabwägung nach den Grundsätzen, von denen er sich bei Erlass des § 28 Abs. 1 HGB hat leiten lassen, im Fall des Eintritts in ein eigenvermögensverwaltendes Unternehmen

  Eckart/Fest WM 2007, 196, 200.  Etwa K. Schmidt Handelsrecht, 6. Aufl. 2014, § 8 Rz. 84, 93. 19   Grüneberg in Palandt, BGB, 77. Aufl. 2018, Einleitung Rz. 48. 20   BGH, Urteil vom 29. Januar 2001 – II ZR 331/00, BGHZ 146, 341, 358. 17 18

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zum gleichen Abwägungsergebnis gekommen wäre.21 Das lässt sich indes nicht uneingeschränkt bejahen. a) Allerdings stehen die Gründe, aus denen der Bundesgerichtshof die analoge Anwendung von § 28 Abs. 1 HGB auf den Eintritt in eine Rechtsanwaltskanzlei verneint hat,22 einer Analogie im Fall der Eigenvermögensverwaltung nicht entgegen. Die mit der Verwaltung eigenen Vermögens verbundenen Rechtsverhältnisse zu Dritten werden in der Regel kaum durch eine persönliche Leistungserbringung seitens des Verwaltenden charakterisiert sein, die nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs eine Haftungserstreckung auf die neu gegründete Gesellschaft ausschließen könnte. Auch die ergänzende Begründung des Bundesgerichtshofs, dass Rechtsanwälte keine Möglichkeit der Haftungsbeschränkung durch Handelsregistereintragung gemäß § 28 Abs. 2 HGB hätten, greift jedenfalls insoweit nicht, als die vermögensverwaltende Gesellschaft durch Handelsregistereintragung gemäß § 105 Abs. 2 HGB registerfähig werden und damit eine Eintragung nach § 28 Abs. 2 HGB veranlassen kann. b) Sinn und Zweck des § 28 HGB sprechen allerdings für eine nur teilweise Übertragbarkeit auf das Entstehen einer vermögensverwaltenden Gesellschaft. aa) Welcher Regelungsplan und Normzweck des Gesetzgebers der Vorschrift des § 28 Abs. 1 HGB zugrunde liegen, ist unklar und insbesondere im Schrifttum umstritten. (1) Die Materialien zu § 28 Abs. 1 HGB sind insoweit nicht eindeutig.23 Ihnen ist lediglich zu entnehmen, dass der Gesetzgeber einerseits die Ähnlichkeit mit den Verhältnissen bei Eintritt in eine bereits bestehende Gesellschaft und die diesbezügliche Regelung des (heutigen) § 130 HGB vor Augen hatte, andererseits aber auch eine entsprechende Regelung wie für den Fall der Übertragung eines Handelsgeschäfts, des (heutigen) § 25 HGB, schaffen wollte. Begründet wurde dies damit, dass die Parteien bei Fortführung des alten Geschäfts unter Beteiligung des bisherigen (Allein-)Inhabers kaum die Absicht einer Trennung der alten und neuen Geschäftsschulden und -forderungen nach Außen hätten und eine Trennung stets zu Schwierigkeiten und Verwicklungen führen würde. Das „Naturgemäße“ sei, dass die Gesellschaft die Altschulden berichtige und die früher entstandenen Forderungen einziehe. Die Gläubiger des bisherigen Einzelkaufmanns dürften erwarten, dass

21  Vgl. BGH, Urteil vom 4. Dezember 2014 – III ZR 61/14, NJW 2015, 1176 Rz. 9 m.w.N. 22   BGH, Urteil vom 22. Januar 2004 – IX ZR 65/01, BGHZ 157, 361, 365 f.; Beschluss vom 17. November 2011 – IX ZR 161/09, ZIP 2012, 28 Rz. 20. 23   Hahn/Mugdan Denkschrift zum Entwurf eines HGB, 6. Band 1897, S. 220 f.

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sie sich an das Gesellschaftsvermögen halten können. Die Möglichkeit einer abweichenden Vereinbarung gemäß § 28 Abs. 2 HGB bestehe ebenfalls in Übereinstimmung mit § 25 HGB. Insofern gehe § 130 HGB zwar weiter, aber dort liege der Schwerpunkt nicht darin, welche Schulden als Gesellschaftsschulden anzusehen seien, sondern inwieweit die Gesellschafter für die Gesellschaftsschulden haften.24 Insgesamt ergibt sich daraus, dass der Gesetzgeber mit § 28 Abs. 1 HGB vor allem einer von ihm angenommenen Verkehrserwartung durch Schutz der Gläubiger- und Schuldnerinteressen gerecht werden, gleichzeitig aber auch mittels der Möglichkeit einer Haftungsbeschränkung gemäß § 28 Abs. 2 HGB der Privatautonomie der Gesellschafter Rechnung tragen wollte. (2) In der höchstrichterlichen Rechtsprechung werden dementsprechend auch mehrere Begründungen zu § 28 Abs. 1 HGB angeführt. Einerseits wird der Vorschrift der Gedanke der Haftung der neuen Gesellschaft aufgrund ihrer Unternehmens- bzw. Vermögensübernahme ent­nom­men. So wird darauf verwiesen, dass § 28 HGB der Gedanke des § 419 BGB a.F. zugrunde liege, dass, wer das Vermögen erhalte, auch für die Schulden aufkommen solle,25 und § 28 HGB dem Schutz der Gläubiger diene, die sich billigerweise an die Gesellschaft halten können müssten, auf die die Geschäftswerte übergegangen seien. Andernfalls werde das bisherige Geschäftsvermögen bei der Entstehung einer Gesellschaft gemäß § 124 Abs. 2, § 161 Abs. 2 HGB dem unmittelbaren Zugriff der (Alt-) Gläubiger entzogen, denen – anders als im Fall des § 25 HGB – auch nicht der Gegenwert des an den bisherigen Geschäftsinhaber geleisteten Kaufpreises verbleibe.26 Andererseits wird § 28 Abs. 1 HGB aber auch unter Bezugnahme auf die Materialien als Ergänzung zu § 130 HGB angesehen, weil es für die Haftung des Eintretenden keinen Unterschied machen könne, ob bereits eine Gesellschaft bestehe oder erst durch den Eintritt entstehe.27 (3) Im Schrifttum werden ebenfalls unterschiedliche Meinungen zu Sinn und Zweck des § 28 HGB vertreten. Nach der wohl herrschenden Meinung dient die Vorschrift dem Schutz des Rechtsverkehrs,28 wobei die dogmatische Begründung umstritten ist. Letztlich vermag jedoch keine der zahlreichen   Hahn/Mugdan Denkschrift zum Entwurf eines HGB, 6. Band 1897, S. 221.   BGH, Urteil vom 14. Juni 1961 – VIII ZR 73/60, NJW 1961, 1765, 1766. 26   BGH, Urteil vom 6. Juli 1966 – VIII ZR 92/64, WM 1966, 832, 834. 27   BGH, Urteil vom 6. Juli 1966 – VIII ZR 92/64, WM 1966, 832, 834; Beschluss vom 23. November 2009 – II ZR 7/09, ZIP 2010, 2042 Rz. 8. 28  Vgl. Canaris Handelsrecht, 24. Aufl. 2006, § 7 Rz. 82 ff., 91 ff.; Reuschle in Ebenroth/Boujong/Joost/Strohn, HGB, 3. Aufl. 2014, § 28 Rz. 2; Emmerich in Heymann, HGB, 2. Aufl. 1995, § 28 Rz. 8; Roth in Koller/Kindler/Roth/Morck, HGB, 8. Aufl. 2015, § 28 Rz. 2; Vossler in Oetker, HGB, 5. Aufl. 2017, § 28 Rz. 3 ff.; Burgard in Staub, HGB, 5. Aufl. 2009, § 28 Rz. 12 ff., insb. Rz. 16. 24 25

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dogmatischen Erklärungen – wie bereits Vossler29 und Burgard30 ausführlich dargelegt haben – vollständig zu überzeugen: –– Die zu § 25 HGB vertretene sog. Erklärungstheorie, die die dortige Erwerberhaftung mit einem Schuldbeitritt kraft sozialtypischen Verhaltens begründet,31 lässt sich schon bei § 25 HGB nicht mit der Möglichkeit einer anderweitigen Parteivereinbarung nach Absatz 2 der Vorschrift in Einklang bringen und liefe zudem letztlich auf eine bloße Fiktion hinaus.32 Ihrer Übertragung auf § 28 HGB steht außerdem entgegen, dass dieser keine Fortführung der Firma voraussetzt, womit es an einem maßgeblichen Anknüpfungspunkt für eine konkludente Erklärung zur Übernahme der Altschulden fehlt.33 –– Die sog. Rechtsscheintheorie begründet § 28 HGB mit dem Gedanken der Vertrauenshaftung, da durch das Verbleiben des bisherigen Alleininhabers im Unternehmen der Anschein einer unveränderten Fortführung des bisherigen Betriebes erweckt werde.34 In diese Richtung geht auch eine weitere Auffassung, der zufolge der Leitgedanke des § 28 HGB in der Kontinuität des Unternehmens nach außen durch Fortführung des Handelsgeschäfts liegt.35 Dagegen spricht jedoch, dass § 28 HGB weder voraussetzt, dass der bisherige Unternehmensinhaber weiterhin nach außen in Erscheinung tritt, noch dass eine auf ein etwaiges Vertrauen gestützte Vermögensdisposition der jeweiligen Geschäftspartner vorliegt. –– Die sog. Haftungsfondstheorie begründet die Haftung nach § 28 HGB in Anlehnung an § 419 BGB a.F. mit dem Gedanken der Vermögensüber­ nahme.36 Dem steht indes entgegen, dass die Haftung nach § 28 HGB einerseits nicht auf das übernommene Vermögen beschränkt ist und andererseits wiederum die Möglichkeit einer Haftungsbeschränkung nach § 28 Abs. 2 HGB besteht. –– Diese Möglichkeit der Haftungsbeschränkung widerspricht auch weiteren Auffassungen, die § 28 HGB mit dem Schutz der Altgläubiger in haftungsund vollstreckungsrechtlicher Hinsicht begründen, die andernfalls nur in den Gesellschaftsanteil des früheren Alleininhabers vollstrecken könnten,

  Vossler in Oetker, HGB, 5. Aufl. 2017, § 28 Rz. 3, § 25 Rz. 3 ff.   Burgard in Staub, HGB, 5. Aufl. 2009, § 28 Rz. 9 ff. 31   Säcker ZGR 1973, 261, 276, 282 f. 32  Vgl. Vossler in Oetker, HGB, 5. Aufl. 2017, § 25 Rz. 3; Burgard in Staub, HGB, 5. Aufl. 2009, § 25 Rz. 18; Reuschle in Ebenroth/Boujong/Joost/Strohn, HGB, 3. Aufl. 2014, § 25 Rz. 15. 33  Vgl. Vossler in Oetker, HGB, 5. Aufl. 2017, § 28 Rz. 3. 34   So etwa Hildebrandt/Steckhan in Schlegelberger, HGB, 5. Aufl. 1973, § 28 Rz. 1a. 35   Hopt in Baumbach/Hopt, HGB, 38. Aufl. 2018, § 28 Rz. 1. 36   Schricker ZGR 1972, 121, 151. 29 30

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hierfür die Gesellschaft kündigen müssten und zudem nur Zugriff auf das danach verbleibende Auseinandersetzungsguthaben hätten.37 –– Nach einer weiteren Ansicht soll § 28 HGB wie § 25 HGB auf der Notwendigkeit beruhen, einer typischerweise vereinbarten internen Schuldübernahme Außenwirkung zu verleihen.38 Diese Annahme einer typischen Vereinbarung bei Eintritt in ein Unternehmen beruht jedoch ebenso wie die Erklärungstheorie letztlich auf einer bloßen Fiktion ohne konkrete Anknüpfungspunkte. –– Andere Stimmen verstehen § 28 HGB unter Hinweis auf die Parallele zu § 130 HGB in den Materialien als Fall einer antizipierten Gesellschafterhaftung.39 Das widerspricht indes dem auch vom Gesetzgeber betonten unterschiedlichen Regelungsgehalt von § 28 HGB und § 130 HGB.40 § 130 HGB hat die Haftung des Gesellschafters für Verbindlichkeiten der Gesellschaft zum Gegenstand, wohingegen § 28 HGB die davon – gerade wegen ihrer eigenen Rechtsfähigkeit zu unterscheidende – Haftung der Gesellschaft betrifft, die lediglich mittelbar zu einer Haftung auch des eintretenden Gesellschafters nach § 28 Abs. 1, § 128 HGB führt. –– Schließlich liegt den §§ 25, 28 HGB nach K. Schmidt41 der von ihm entwickelte Gedanke der Haftungskontinuität als unternehmensrechtliches Prinzip zugrunde, dem zufolge Unternehmensverbindlichkeiten stets den Träger des Unternehmens treffen. Diese Theorie der Haftungskontinuität ist indes mit dem derzeit geltenden Recht unvereinbar, zumal § 28 HGB ebenso wie§ 25 HGB nicht als Kompensation der fehlenden rechtlichen Selbständigkeit des Unternehmens konzipiert ist und auch hier die zum einen nicht auf das Unternehmensvermögen beschränkte, zum anderen aber auch nach § 28 Abs. 2 HGB frei abdingbare Haftung der Gesellschaft der Annahme einer unternehmensbezogenen Haftungskontinuität widerspricht. (4) Letztlich verbleibt es daher dabei, dass – gestützt auf die Materialien und den Regelungsinhalt der Vorschrift – mit einer weiteren Auffassung in der Literatur42 davon auszugehen ist, dass der Gesetzgeber mit § 28 HGB lediglich eine pragmatische Regelung zum Schutz des Rechtsverkehrs ohne besondere 37  Vgl. Lieb in Festschrift Westermann, 1974, S. 309, 315, 324; ders. in MüKoHGB, 2. Aufl. 2005, § 28 Rz. 3; Kleindiek in Festschrift Röhricht 2005, S. 315, 323 f.; Petig/Gonzalez Jura 2009, 646, 647. 38  So Reuschle in Ebenroth/Boujong/Joost/Strohn, HGB, 3. Aufl. 2014, § 28 Rz. 12. 39   Säcker ZGR 1973, 261, 280, 283. 40  Vgl. Kleindiek in Festschrift Röhricht 2005, S. 315, 327 ff.; Römermann BB 2003, 1084, 1086. 41   K. Schmidt ZHR 145 (1981), 2, 21 ff.; ders. Handelsrecht, 6. Aufl. 2014, § 8 Rz. 93 ff. 42   Emmerich in Heymann, HGB, 2. Aufl. 1995, § 28 Rz. 8; Burgard in Staub, HGB, 5. Aufl. 2009, § 28 Rz. 12, 16; Vossler in Oetker, HGB, 5. Aufl. 2017, § 28 Rz. 5; Roth in Koller/Kindler/Roth/Morck, 8. Aufl. 2015, § 28 Rz. 2.

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dogmatische Begründung bezweckt hat, mit der er einerseits einer Verkehrsauffassung hinsichtlich der Übernahme betriebsbezogener Verbindlichkeiten und Forderungen entsprechen und dieser zum Schutz der Altgläubiger- und -schuldner sowie im Interesse der Sicherheit des Handelsverkehrs durch Klarstellung und Publizität hinsichtlich der Haftungsverhältnisse Rechnung tragen, andererseits aber durch die Möglichkeit eines vorrangigen Haftungsausschlusses zugleich die Privatautonomie der Parteien wahren wollte. bb) Dieser Regelungszweck greift bei einer Entstehung einer vermögensverwaltenden Gesellschaft nur eingeschränkt. (1) Einerseits dürfte es gerade dann, wenn der Gegenstand des bisherigen Betriebs in der Verwaltung von Eigenvermögen besteht, der Verkehrserwartung entsprechen, dass bei einem Wechsel des Vermögensträgers durch Einbringung des Vermögens in eine neu gegründete Gesellschaft auch die Haftung auf diesen neuen Vermögensträger übergeht, ebenso wie umgekehrt auch die durch die Verwaltung des Vermögens entstandenen Forderungen nunmehr gegenüber diesem Vermögensträger zu erfüllen sind. Des Weiteren erscheint es gerade auch im Fall der Vermögensverwaltung zum Schutz der Altgläubiger in haftungs- und vollstreckungsrechtlicher Hinsicht geboten, sicherzustellen, dass ihnen das haftende Vermögen nicht durch Überführung in das Gesamthandsvermögen entzogen und ihr Vollstreckungszugriff auf den ihnen danach verbleibenden Gesellschaftsanteil, konkret das letztlich verbleibende Auseinandersetzungsguthaben, reduziert und erschwert wird. Ferner lässt sich auch hier ergänzend der Bestandsschutz für die neu entstandene Gesellschaft anführen, die andernfalls eine Kündigung durch einen Altgläubiger zum Zwecke der Vollstreckung gewärtigen müsste. (2) Andererseits bleibt jedoch zu berücksichtigen, dass der Gesetzgeber bei seiner Interessenabwägung zu § 28 HGB nicht nur den Interessen der Gläubiger und Schuldner Rechnung tragen wollte, sondern auch der Privatautonomie der Parteien. Zu deren Schutz hat er ausdrücklich davon abgesehen, einen zwingenden Haftungsübergang wie in § 130 HGB anzuordnen, sondern hat sich auf ein Regel-Ausnahme-Verhältnis mit der Möglichkeit eines Haftungsausschlusses für die Gesellschaft und damit für die Gesellschafter gemäß § 28 Abs. 2 HGB beschränkt. Unabhängig davon, ob man diese Ausschlussmöglichkeit als essentiell für die Wahrung der Privatautonomie und des Gerechtigkeitsgehalts der Vorschrift43 oder aber als dem Zweck von § 28 Abs. 1 HGB widersprechend und daher sinnwidrig ansieht,44 ist daher davon 43   Canaris Handelsrecht, 24. Aufl. 2006, § 28 Rz. 84; Thiessen in MüKoHGB, 4. Aufl. 2016, § 28 Rz. 13. 44   Lieb in Festschrift Westermann, 1974, S. 309, 324; ders. in MüKoHGB, 2. Aufl. 2005, § 28 Rz. 10; K. Schmidt ZHR 145 (1981), 2, 26; dogmatische Bedenken auch BGH, Urteil vom 6. Juli 1966 – VIII ZR 92/94, WM 1966, 832, 834.

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auszugehen, dass jedenfalls der Gesetzgeber sie als wesentlichen Bestandteil der Haftungsregelung vorgesehen hat, so dass sie de lege lata auch zu berücksichtigen ist.45 Eine nach den Vorstellungen des Gesetzgebers bei § 28 HGB vergleichbare Interessenlage beim Eintritt in ein vermögensverwaltendes Unternehmen kann daher nur dann angenommen werden, wenn auch die dadurch entstandene Gesellschaft einen Haftungsausschluss entsprechend § 28 Abs. 2 HGB vornehmen kann. (3) Insoweit wird in der Literatur zwar zutreffend darauf hingewiesen, dass kleingewerbliche Unternehmen und vermögensverwaltende Gesellschaften nach § 105 Abs. 2 HGB generell die Möglichkeit haben, durch Eintragung ins Handelsregister den Status einer Handelsgesellschaft zu erlangen und damit auch eine Haftungsbeschränkung gemäß § 28 Abs. 2 HGB eintragen zu lassen.46 Danach könne der Eintretende eine solche Eintragung auch zur Bedingung für seine Beteiligung machen, um sich vor seiner mittelbaren Inanspruchnahme für Altverbindlichkeiten des früheren Inhabers zu schützen.47 Die bloße Möglichkeit eines solchen Vorgehens vermag die analoge Anwendung von § 28 Abs. 1 HGB jedoch nicht zu rechtfertigen, weil dies auf einen faktischen Rechtsformzwang hinausliefe.48 Die kleingewerbliche oder eigenvermögensverwaltende Gesellschaft bürgerlichen Rechts wäre damit gezwungen, zur Vermeidung ihrer Haftung für Altverbindlichkeiten des früheren Unternehmensinhabers in die Rechtsform einer Handelsgesellschaft zu wechseln. Das aber widerspräche dem erklärten Willen des Gesetzgebers, der mit § 105 Abs. 2 HGB ausdrücklich sowohl für Kleingewerbetreibende wie auch für Vermögensverwaltungsgesellschaften nur die Option des Wechsels in eine Personenhandelsgesellschaft schaffen, sie aber „keinesfalls“ in eine solche Rechtsform mit der Folge der Anwendung der strengeren und ihnen möglicherweise ungewohnten Regeln des Handelsrechts zwingen wollte.49 Dass eine Haftungsbeschränkung nach § 28 Abs. 2 HGB auch ohne Handelsregistereintragung durch individuelle Benachrichtigung der Gläubiger erfolgen kann, rechtfertigt keine andere Beurteilung.50 Ein solches Vorgehen stellt – insbesondere bei großen vermögensverwaltenden Unternehmen mit

  So auch K. Schmidt ZHR 145 (1981), 2, 26.   K. Schmidt BB 2004, 2801, 2807; NJW 2005, 2801, 2807; Kleindiek in Festschrift Röhricht 2005, S. 315, 331 f. 47  So Eckart/Fest WM 2007, 196, 197; Petig/Gonzalez Jura 2009, 646, 648. 48  Vgl. Canaris Handelsrecht, 24. Aufl. 2006, § 7 Rz. 88; Roth in Koller/Kindler/Roth/ Morck, HGB, 8. Aufl. 2015, § 28 Rz. 5; Thiessen in MüKoHGB, 4. Aufl. 2016, § 28 Rz. 13; Vossler in Oetker, HGB, 5. Aufl. 2017, § 28 Rz. 11; Burgard in Staub, HGB, 5. Aufl. 2009, § 28 Rz. 21. 49   BT-Drs. 13/8444, S. 63 sowie S. 28, 31–33, 40. 50   So aber Petig/Gonzalez Jura 2009, 646, 648. 45 46

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einer Vielzahl von Vertragsbeziehungen – keine ausreichende und zumutbare Möglichkeit der Haftungsbeschränkung dar.51 Ein Verweis allein darauf würde zu einer nicht gerechtfertigten Schlechterstellung nichtkaufmännischer Personengesellschaften gegenüber Handelsgesellschaften führen. (4) Der von § 28 Abs. 2 HGB bezweckte Schutz der Privatautonomie ist hingegen dann gewahrt, wenn im Zuge des Eintritts tatsächlich von der Eintragungsmöglichkeit des § 105 Abs. 2 HGB Gebrauch gemacht wird. In diesem Fall üben die Parteien damit die ihnen vom Gesetzgeber eingeräumte Rechtsformwahl aus und haben infolgedessen auch die Möglichkeit einer haftungsbeschränkenden Registereintragung. Die vom Bundesgerichtshof52 dagegen angeführten Gründe der Praktikabilität und Rechtssicherheit stehen dem nicht entgegen. Nach Ansicht des Bundesgerichtshofs ist in einem solchen Fall fraglich, innerhalb welchen Zeitraums die Eintragung in das Handelsregister erfolgen muss und ob sie darüber hinaus noch in einem irgendwie gearteten sachlichen Zusammenhang mit dem Abschluss des Gesellschaftsvertrages und dem Eintritt des Gesellschafters stehen muss. Zuzugeben ist, dass eine gewisse Rechtsunsicherheit dadurch entsteht, dass sich abstrakt kein genereller Zeitrahmen dafür festlegen lässt, innerhalb dessen die Eintragung noch als „im Zusammenhang mit dem Eintritt stehend“ angesehen werden kann. Die Situation entspricht insoweit aber derjenigen bei der Frage der Rechtzeitigkeit der Eintragung des Haftungsausschlusses gemäß § 25 Abs. 2 und § 28 Abs. 2 HGB. Ebenso wie dort kann daher auch hier nach Sinn und Zweck des § 28 Abs. 1 und Abs. 2 HGB eine ausreichende zeitliche Eingrenzung dahingehend erfolgen, dass die Eintragung der Gesellschaft so unverzüglich nach dem Eintritt des Gesellschafters und dem Entstehen bzw. der Gründung der Gesellschaft beantragt werden und erfolgen muss, dass auch eine gleichzeitig betriebene Eintragung nach § 28 Abs. 2 HGB noch Wirkung entfalten würde.53 Da mit dieser unverzüglich betriebenen Eintragung bereits der Wille der Vertragsparteien zum Ausdruck kommt, dass die neue Gesellschaft (nur) mit entsprechender Haftungsbeschränkung entstehen soll, ist ein zusätzlicher sachlicher Zusammenhang etwa in dem Sinne, dass die Eintragung der Gesellschaft mit Haftungsbeschränkung vom Eintretenden vertraglich zur Bedingung für den Eintritt gemacht wird, nicht erforderlich.

51  Vgl. Roth in Koller/Kindler/Roth/Morck, HGB, 8. Aufl. 2015, § 28 Rz. 5; Canaris Handelsrecht, 24. Aufl. 2006, § 7 Rz. 88. 52   BGH, Urteil vom 7. Januar 1960 – II ZR 228/59, BGHZ 31, 398, 400 f. 53   Vgl. BGH, Urteil vom 20. Januar 1992 – II ZR 115/91, WM 1992, 736, 738; Hopt in Baumbach/Hopt, HGB, 38. Aufl. 2018, § 28 Rz. 6, § 25 Rz. 15; Burgard in Staub, HGB, 5. Aufl. 2009, § 28 Rz. 20, § 25 Rz. 133 ff. auch zu der Frage, inwieweit Eintragungsverzögerungen der Gesellschaft anzulasten sind.

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cc) Der in der Literatur54 vertretenen weitergehenden analogen Anwendung von § 28 Abs. 1 HGB auf jegliche Entstehung einer Personengesellschaft, mithin auch einer vermögensverwaltenden Gesellschaft ohne zeitnah veranlasste Registereintragung gemäß § 105 Abs. 2 HGB, ist hingegen – jedenfalls de lege lata – nicht zu folgen. Sie lässt sich auch nicht mit der Anerkennung der (Teil-)Rechtsfähigkeit der Gesellschaft bürgerlichen Rechts und den nach Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs entsprechend anwendbaren Haftungsregelungen der §§ 128 ff. HGB, insbesondere des § 130 HGB,55 begründen.56 Dem steht bereits entgegen, dass – wie oben ausgeführt – § 28 HGB und § 130 HGB unterschiedliche Regelungsgegenstände haben. § 130 HGB betrifft die Haftung des Gesellschafters für Gesellschaftsverbindlichkeiten, während § 28 HGB die vorgelagerte Frage regelt, welche Verbindlichkeiten überhaupt als solche der neu entstehenden Gesellschaft anzusehen sind. Diese unterschiedlichen Regelungszwecke hat der Gesetzgeber bewusst zum Anlass genommen, bereits die Haftung der Gesellschaft mit der Schaffung des § 28 Abs. 2 HGB der Privatautonomie der Gesellschafter zu unterstellen. Infolge dessen lässt sich auch nicht generell argumentieren, § 28 Abs. 1 HGB finde ebenso wie § 130 Abs. 1 HGB seine Begründung und Rechtfertigung nicht in handelsrechtlichen Besonderheiten sondern in den Eigenheiten (sämtlicher) rechtsfähiger Personengesellschaften mit dem auf dem Prinzip der Akzessorietät aufbauenden Haftungsverfassung.57 Diese akzessorische Haftungsverfassung gilt zwar im Verhältnis zwischen dem Gesellschafter und der Gesellschaft. Sie greift aber nicht automatisch auch im Verhältnis zwischen der neu entstehenden Gesellschaft und dem bisherigen Einzelunternehmer. Dies hat der Gesetzgeber sogar für den Bereich der Handelsgesellschaften deutlich zum Ausdruck gebracht, indem er selbst dort die Entscheidung über eine solche „Akzessorietät“ mit § 25 Abs. 2 und § 28 Abs. 2 HGB letztlich den beteiligten Parteien überlassen hat. Zutreffend ist, dass die Begründung des Bundesgerichtshofs58 für die analoge Anwendung von § 130 HGB zumindest im Ansatz auf die Situation bei 54  Vgl. K. Schmidt NJW 2003, 1897,1903; Grunewald JZ 2004, 683; Arnold/Dötsch DStR 2003, 1398,1403; Eckart/Fest WM 2007, 196, 200; Petig/Gonzalez Jura 2009, 646, 648; Bruns ZIP 2002, 1602, 1607. 55   Dazu BGH, Urteil vom 27. September 1999 – II ZR 371/98, BGHZ 142, 315, 318 ff.; Urteil vom 29. Januar 2001 – II ZR 331/00, BGHZ 146, 341, 358; Urteil vom 7. April 2003 – II ZR 56/02, BGHZ 154, 370, 372 ff.; Urteil vom 22. Januar 2004 – IX ZR 65/01, BGHZ 157, 361, 368. 56  Vgl. Kleindiek in Festschrift Röhricht, 2005, S. 315, 325 f.; Burgard in Staub, HGB, 5. Aufl. 2009, § 28 Rz. 11; ablehnend auch Roth in Koller/Kindler/Roth/Morck, HGB, 8. Aufl. 2015, § 28 Rz. 5; Römermann BB 2003, 1084, 1086. 57   So der BGH zu § 130 HGB, Urteil vom 7. April 2003 – II ZR 56/02, BGHZ 154, 370, 376. 58   BGH, Urteil vom 7. April 2003 – II ZR 56/02, BGHZ 154, 370, 373 ff.

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Entstehung der Gesellschaft durch den Eintritt übertragbar ist: Ebenso wie der Beitretende erhält der Eintretende freien Zugriff auf das Gesellschaftsvermögen und damit auf das eingebrachte Vermögen des bisherigen Einzelunternehmens, das nicht zu Gunsten der Gläubiger als gebundenes Haftkapital garantiert ist. Zudem hat auch er Anteil an dem durch die bisherige Tätigkeit des Einzelunternehmers begründeten Vermögen, seiner Marktstellung und seinen Kundenbeziehungen. Im Hinblick darauf erschiene auch hier eine Kompensation dieser Vorteile durch die Übernahme der persönlichen Haftung des Eintretenden mittels Begründung einer Haftung der entstehenden Gesellschaft analog § 28 Abs. 1, § 128 HGB gerechtfertigt. Damit sähe sich ein Altgläubiger auch hier nicht dem mangels Registerpublizität u.U. besonders heiklen Streit über die Zeitpunkte der Forderungsentstehung und des Eintritts des neuen Gesellschafters ausgesetzt. Auf die – hier in Rede stehende – vermögensverwaltende Gesellschaft nicht übertragbar ist jedoch die weitere Erwägung des Bundesgerichtshofs, dass sich bei einer gewerblichen Gesellschaft der Übergang von der Rechtsform der offenen Handelsgesellschaft zu derjenigen des bürgerlichen Rechts sowie umgekehrt oft unmerklich vollziehe und dadurch ebenfalls eine erhebliche Unsicherheit der Haftungsverhältnisse begründet werde. Eine solche Unsicherheit besteht bei der eigenvermögensverwaltenden Gesellschaft nicht, da diese ohne Registereintragung gemäß § 105 Abs. 2 HGB stets nur eine Gesellschaft bürgerlichen Rechts ist und bleibt. Ebenso wenig greift der weitere Hinweis des Bundesgerichtshofs, der Gesetzgeber habe dort, wo er eine ausdrückliche Regelung für die in Rede stehende Konstellation des Beitritts zu einer bestehenden Gesellschaft getroffen habe, zumindest eine grundsätzliche Mithaftung des neuen Gesellschafters vorgesehen. Abgesehen davon, dass der Gesetzgeber etwa in Art. 26 Abs. 2 Satz 2 EWIV-VO selbst für den Beitritt in eine bereits bestehende Gesellschaft die Möglichkeit eines Haftungsausschlusses durch den Gesellschafts- oder Aufnahmevertrag und Eintragung ins Handelsregister vorgesehen hat, fehlt es für den Fall der Entstehung der Gesellschaft durch den Eintritt in ein Einzelunternehmen an einer den §§ 130, 173 HGB und § 8 Abs. 1 HGB vergleichbaren gesetzlichen zwingenden Haftungserstreckung. Da der Gesetzgeber hiervon nach den Materialien bewusst abgesehen hat und seitdem auch keine anderen Verlautbarungen seinerseits ersichtlich sind, kann folglich auch nicht – wie für die analoge Anwendung von § 130 HGB oder des ihm zugrundeliegenden Akzessorietätsprinzips erforderlich – angenommen werden, dass er bei einer Interessenabwägung zum gleichen Abwägungsergebnis gekommen und wie in § 130 HGB einen zwingenden Haftungsübergang angeordnet hätte. Letztlich stehen daher auch hier der unterschiedliche Regelungsgehalt von § 130 HGB und § 28 HGB sowie die Möglichkeit der Haftungsbeschränkung nach § 28 Abs. 2 HGB einer generellen Erstreckung der Haftung für Alt-

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verbindlichkeiten analog § 28 Abs. 1 HGB auf eine bürgerliche Gesellschaft ohne zeitnahe Registereintragung entgegen.59

III. Fazit Die Vorschrift des § 28 Abs. 1 HGB ist auf eigenvermögensverwaltende Gesellschaften dann analog anwendbar, wenn die durch den Eintritt entstehende Gesellschaft zeitnah mit dem Eintritt durch Eintragung in das Handelsregister gemäß § 105 Abs. 2 HGB zur Handelsgesellschaft wird und damit auch eine Haftungsbeschränkung gemäß § 28 Abs. 2 HGB noch rechtzeitig eingetragen werden könnte. Dagegen kommt eine analoge Anwendung der Vorschrift nicht in Betracht, wenn die Gesellschafter von einer Eintragung gemäß § 105 Abs. 2 HGB absehen. Die gegenteilige Auffassung widerspräche jedenfalls de lege lata dem vom Gesetzgeber beabsichtigten Schutz der Privatautonomie der Gesellschafter sowohl hinsichtlich der Wahl der Rechtsform als auch hinsichtlich der Beschränkung der Haftung der neu entstehenden Gesellschaft. Sie lässt sich daher auch nicht mit einer Erweiterung der höchstrichterlichen Rechtsprechung zur Rechtsfähigkeit der Gesellschaft bürgerlichen Rechts und zur entsprechenden Anwendung der §§ 128, 130 HGB begründen.

59  Vgl. Vossler in Oetker, HGB, 5. Aufl. 2017, § 28 Rz. 11; Canaris Handelsrecht, 24. Aufl. 2006, § 7 Rz. 88.

Stimmverbote ohne Interessenkonflikt?

Stimmverbote nach § 47 Abs. 4 GmbHG ohne Interessenkonflikt? Barbara Grunewald I. Einleitung § 47 Abs. 4 GmbHG legt fest, dass ein Gesellschafter bei einer Beschlussfassung kein Stimmrecht hat, wenn es um seine Entlastung geht, wenn er von einer Verbindlichkeit befreit werden soll, wenn es um die Vornahme eines Rechtsgeschäfts mit ihm oder um die Einleitung oder Erledigung eines Rechtsstreits gegen ihn geht. In allen diesen Fällen liegt auf der Hand, dass sich der betroffene Gesellschafter bei der entsprechenden Beschlussfassung meist in einem Interessenkonflikt befindet. Manchmal ist dies aber ausnahmsweise anders. Im Folgenden wird untersucht, ob das Stimmverbot dann gleichwohl gleichermaßen greift.

II.  Stimmverbote und Treuepflicht 1.  Die Kernaussagen von § 47 Abs. 4 GmbHG Die Interpretation von § 47 Abs. 4 GmbHG bereitet in vielen Punkten Schwierigkeiten. Einigkeit besteht aber in Bezug auf die Kernaussagen. Die Norm soll in Situationen, die typischer Weise auf einen Interessenkonflikt hindeuten, für eine von diesen Konflikten freie Beschlussfassung sorgen.1 Dies wird dadurch erreicht, dass der Gesellschafter, auf den sich der Konflikt bezieht, von der Abstimmung ausgeschlossen wird. Aufgezählt werden im Gesetz Situationen, in denen ein Stimmverbot gilt: Die Entscheidung über die Entlastung, die Befreiung von einer Verbindlichkeit, die Vornahme eines Rechtsgeschäfts und die Einleitung bzw. Erledigung eines Rechtsstreits mit dem betroffenen Gesellschafter.

1  Lutter/Hommelhoff/Bayer GmbHG 19. Aufl. § 47 Rn. 32; MünchKommGmbHG/ Drescher 2. Aufl. § 47 Rn. 130; Scholz/Karsten Schmidt GmbHG 11. Aufl. § 47 Rn. 100; Michalski/Heidinger/Leible/J. Schmidt/Römermann GmbHG 3. Aufl. § 47 Rn. 74; Baumbach/Hueck/Zöllner/Noack GmbHG 21. Aufl. § 47 Rn. 76.

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Einer der Hauptstreitpunkte bei der Interpretation der Norm ist die Frage, ob diese Aufzählung eher beispielhaft in dem Sinne zu interpretieren ist, dass Interessenkonflikte auch in anderen Situationen zum Stimmrechtsausschluss führen,2 oder ob die genannten vier Fälle abschließend zu verstehen sind.3 In letzter Zeit zeichnet sich eine Annäherung der Standpunkte ab. Wie jede Norm kann auch § 47 Abs. 4 GmbHG auf vergleichbare Fälle angewandt werden.4 Darüber hinaus will wohl niemand mehr gehen: Grund dafür ist eine zweite mögliche Absicherung der Gesellschafter gegen für die Gesellschaft nachteilige Beschlüsse: Die Anfechtbarkeit des Beschlusses wegen Verstoßes gegen die Treuepflicht.5 2.  Verhältnis der Treuepflichten zu den Stimmverboten Sofern ein Beschluss inhaltlich wegen eines Verstoßes gegen die Treuepflicht der Gesellschafter untereinander oder gegenüber der GmbH zu beanstanden ist, ist er anfechtbar.6 Diese Form der Beschlusskontrolle greift demgemäß immer dann ein, wenn sich ein Gesellschafter über diese Rücksichtnahmepflicht bei seiner Stimmabgabe hinwegsetzt. Es spielt keine Rolle, warum er dies tut, sei es z.B. dass er sich Sondervorteile erhofft oder aus einer gewissen Sturheit handelt. Der Vorteil dieser Art der Beschlusskon­trolle gegenüber Stimmverboten liegt damit auf der Hand: Der Beschluss wird überprüft, nicht das Verfahren, das zu ihm geführt hat. Es werden also nicht wie im Anwendungsbereich von § 47 Abs. 4 GmbHG pauschal gewissermaßen vorsichtshalber die Stimmen eines Gesellschafters nicht mitgezählt, weil er auf Grund eines möglichen Interessenkonflikts unsachlich entscheiden könnte, sondern es wird überprüft, ob er tatsächlich treuwidrig seine Stimme abgegeben hat. Da Stimmverbote in den geschilderten Situationen an einen potentiellen Konflikt anknüpfen, stellt sich die Frage, ob das Fehlen eines solchen Konflikts zur Folge hat, dass das Stimmverbot nicht greift. Der betroffene Gesellschafter hätte dann die Möglichkeit nachzuweisen, dass im konkreten Fall trotz Eingreifens des gesetzlich ausformulierten Tatbestands in seiner Per-

  Eher in diese Richtung Roth/Altmeppen/Roth GmbHG 7. Aufl. § 47 Rn. 55.  In diese Richtung MüchKommGmbHG Drescher (s.o. Fn. 1) § 47 Rn. 133, 134; Ulmer/Hüffer/Schürnbrand GroßKomm zum GmbHG 2. Aufl. § 47 Rn. 131; Römermann (s.o. Fn. 1) § 47 Rn. 81. 4  MüchKommGmbG/Drescher (s.o. Fn. 1) § 47 Rn. 133; Römermann (s.o. Fn. 1) § 47 Rn. 81; Scholz/Karsten Schmidt (s.o. Fn. 1) § 47 Rn. 101; Baumbach/Hueck/Zöllner/Noack (s.o. Fn. 1) § 47 Rn. 76. 5   Deutlich in diese Richtung etwa Heckschen GmbHRdsch 2016, 897, 898. 6  Statt aller Ulmer/Raiser GroßKomm zum GmbHG 2. Aufl. Anh. § 47 Rn. 132; Scholz/Karsten Schmidt (s.o. Fn. 1) § 45 Rn. 107; MüchKommGmbHG/Wertenbruch Anh. § 47 Rn. 140. 2 3

Stimmverbote ohne Interessenkonflikt?

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son kein Konflikt vorliegt. Ergänzt werden könnte dieser Vortrag durch den Hinweis darauf, dass eine Kontrolle des Beschlusses anhand der durch die Treuepflicht gezogenen Grenzen ja in jedem Fall möglich bleibe.

III.  Die Entscheidung über das Eingreifen von Stimmverboten Soll ein Gesellschafter unter Berufung auf § 47 Abs. 4 GmbHG von einer Abstimmung ausgeschlossen werden, muss in der Gesellschafterversammlung darüber entschieden werden. Sofern ein Versammlungsleiter vorhanden ist, muss dieser festlegen, wer abstimmen darf. Dies muss ihm ohne eine langwierige Recherche möglich sein, da von ihm eine sofortige Entscheidung erwartet wird. Das spricht ersichtlich dafür, die in § 47 Abs. 4 GmbHG genannten Tatbestandsmerkmale möglichst wörtlich zu nehmen. Denn das erleichtert einem Versammlungsleiter die Entscheidung über mögliche Stimmverbote, da alle in der Norm genannten Ausschlusstatbestände auf den Beschlussinhalt als solchen abstellen, der dem Versammlungsleiter selbstverständlich bekannt ist. Insoweit gibt § 47 Abs. 4 GmbHG trotz aller Auslegungsspielräume im Detail klare Linien vor: Ob es um die Entlastung oder um einen Rechtsstreit mit einem Gesellschafter geht, lässt sich relativ problemlos klären. Wendet der Betroffene demgegenüber ein, er unterliege keinem Interessenkonflikt, weil eine Sondersituation gegeben sei, würde es dem Versammlungsleiter vielfach nicht möglich sein, diese Aussage spontan zu überprüfen. Dem entspricht, dass die herrschende Meinung immer wieder betont, dass Aspekte der Rechtssicherheit für die Auslegung von § 47 Abs. 4 GmbHG eine besondere Rolle spielen müssen.7 Sollte kein Versammlungsleiter bestellt sein, wird die Situation für die Gesellschafter noch schwieriger. Nun müssen sie irgendeine Vorgehensweise entwickeln, wobei mit einiger Wahrscheinlichkeit davon auszugehen ist, dass umstritten bleiben wird, was nun eigentlich beschlossen wurde. Klar fassbare Kriterien sind jedenfalls auch in dieser Situation von Vorteil. Sie erhöhen die Chance, dass es doch zu einer Einigung unter den Gesellschaftern kommt.

IV. Konsequenzen 1.  Kein Stimmverbot bei Vorliegen eines beliebigen Interessenkonflikts Eine erste Konsequenz aus der Notwendigkeit über Stimmverbote ggf. rasch und daher ohne Rücksicht auf Besonderheiten des jeweiligen Falls ent7  MüchKommGmbG/Drescher (s.o. Fn. 1) § 47 Rn. 133; Ulmer/Hüffer/Schürnbrand (s.o. Fn. 3) § 47 Rn. 147; Scholz/Karsten Schmidt (s.o. Fn. 1) § 47 Rn. 101.

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scheiden zu müssen, liegt ganz auf der Linie der herrschenden Meinung. Die in § 47 Abs. 4 GmbHG aufgezählten Situationen sind abschließend zu verstehen.8 Erstrebt ein Gesellschafter in einer anderen Situation Sondervorteile (etwas im Rahmen einer Kapitalerhöhung, bei der nur er mithalten kann), greift das Stimmverbot nicht. Es bleibt bei der Beschlusskontrolle anhand der allgemeinen Regeln. 2.  Stimmverbote nach § 47 Abs. 4 GmbHG ohne Interessenkonflikte a)  Das generelle Eingreifen der Stimmverbote Auch die Widerlegung eines von § 47 Abs. 4 GmbHG vermuteten Interessenkonflikts in der Gesellschafterversammlung würde eine spontane Entscheidung über ein Stimmverbot in vielen Fällen unmöglich machen. Daher muss es im Grundsatz bei einem Ausschluss des Stimmverbotes trotz Fehlen des Konfliktes bleiben. Für den betroffenen Gesellschafter ist es nicht leicht, dieses Ergebnis zu akzeptieren. Natürlich steht auch ihm die Anfechtung des Beschlusses nach den allgemeinen Regeln offen. Aber es bleibt dabei, dass er jede Entscheidung hinnehmen muss, die sich im Rahmen der Treuepflicht hält. Gerade bei Beschlüssen über Investments sind die dadurch gezogenen Schranken sehr weit.9 b)  Die Ausnahmen aa) Kein Stimmverbot in der Einmann-GmbH und in der MehrpersonenGmbH, wenn alle Gesellschafter von dem Stimmverbot betroffen sind Eine Ausnahme von der geschilderten allgemeinen Regel (keine Widerlegung des in § 47 Abs. 4 GmbHG vermuteten Konflikts) gibt es allerdings: Die Beschlussfassung in der Einmann-GmbH.10 Hier ist ein Interessenkonflikt, gleichgültig um welchen Beschluss es geht, nicht denkbar. Die Interessen von Gesellschaft und Gesellschafter sind identisch. Nun kann man dies unter Hinweis darauf in Abrede stellen, dass sich hinter dem Gesellschaftsinteresse mehr verbirgt als die Interessen der Gesellschafter. So ließe sich etwa sagen, dass eine Entlastung des Gesellschaftergeschäftsführers in der Einmann-GmbH nicht möglich ist, da das Stimmverbot im Interesse der   Siehe dazu Fn. 3.   Siehe BGH NZG 2016, 781; MüchKommGmbG/Drescher (s.o. Fn. 1) Anhang § 47 Rn. 142; Ulmer/Raiser (s.o. Fn. 6) Anh. § 47 Rn. 132; Römermann (s.o. Fn. 1) § 47 Rn. 131. 10   BGHZ 105, 324, 333; BayOblG GmbHRdsch 1988, 389, 390; Altmeppen NJW 2009, 3757; Lutter/Hommelhoff/Bayer (s.o. Fn. 1) § 47 Rn. 33; Casper FS Hüffer 2010, S. 111, 125; MüchKommGmbHG/Drescher (s.o. Fn. 1) § 47 Rn. 187; Rowedder/Schmidt-Leithoff/Ganzer GmbHG 6. Aufl. § 47 Rn. 65; Ulmer/Hüffer/Schürnbrand (s.o. Fn. 3) § 47 Rn. 135; Roth/Altmeppen/Roth (s.o. Fn. 2) § 47 Rn. 78; Scholz/Karsten Schmidt (s.o. Fn. 1) § 47 Rn. 105; Baumbach/Hueck/Zöllner/Noack (s.o. Fn. 1) § 47 Rn. 94. 8 9

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Gläubiger der GmbH weiterhin gelten müsse.11 Doch ganz unabhängig von der Frage, ob diese weiteren Interessen von dem in § 47 Abs. 4 GmbHG verankerten Stimmverbot geschützt werden,12 muss es dabei bleiben, dass § 47 Abs. 4 GmbHG nicht eingreift. Denn schließlich gibt es keine andere Person in der GmbH, die diese Entscheidungen treffen könnte. Dem entspricht, dass für die Gläubiger nachteilige Entlastungsentscheidungen auch in der Mehrpersonengesellschaft hinzunehmen sind. Ihrem Schutz dienen die Regeln der Kapitalaufbringung und -erhaltung. Diese Ausnahme ist unter dem Aspekt der Rechtssicherheit offensichtlich unproblematisch: Ob eine Einmann-GmbH vorliegt oder nicht, kann der Versammlungsleiter problemlos feststellen. bb)  Kein Stimmverbot in der Mehrpersonen-GmbH, wenn alle Gesellschafter von einem Stimmverbot betroffen sind Der Erhalt der Entscheidungsfähigkeit der GmbH ist auch der maßgebliche Grund dafür, dass in der Literatur gesagt wird, dass das Stimmverbot nicht greift, wenn auf Grund ein und desselben Tatbestands das Stimmverbot bei allen stimmberechtigten Gesellschaftern in gleicher Weise greift.13 Ein Beispiel aus der Praxis gibt es bislang wohl nicht.14 Denkbar wäre die Beschlussfassung über eine Entlastung, sofern alle Gesellschafter an dem in Rede stehenden Geschehen beteiligt waren (etwa beide GesellschafterGeschäftsführer in einer Zwei-Personen-GmbH). Doch ist auch insoweit darauf zu achten, dass es sich wirklich um denselben Sachverhalt handelt.15 Sollte es je dazu kommen, dass bei einer Beschlussfassung zwar alle Gesellschafter nach § 47 Abs. 4 GmbHG vom Stimmrecht ausgeschlossen sind, dies aber auf unterschiedlichen Gründen beruht, würde der Stimmrechtsausschluss ebenfalls für alle Gesellschafter nicht greifen.16 Denn auch in diesem Fall besteht die Gefahr, dass die GmbH handlungsunfähig wird. Der 11  Scholz/Karsten Schmidt (s.o. Fn. 1) § 47 Rn. 105; wie hier MüchKommGmbG/Drescher (s.o. Fn. 1) § 47 Rn. 187. 12   Verneinend BGHZ 105, 324, 333; BGH NZG 2011, 950, 951. 13  Lutter/Hommelhoff/Bayer (s.o. Fn. 1) § 47 Rn. 33; MüchKommGmbHG/Drescher (s.o. Fn. 1) § 47 Rn. 188; Heckschen GmbHRdsch 2016, 897, 905; Ulmer/Hüffer/Schürnbrand (s.o. Fn. 3) § 47 Rn. 135; Römermann (s.o. Fn. 1) § 47 Rn. 97 ff.; Baumbach/Hueck/ Zöllner/Noack (s.o. Fn. 1) § 47 Rn. 94. 14  Rowedder/Schmidt-Leithoff/Ganzer (s.o. Fn. 10) § 47 Rn. 65 führt den Fall des OLG Brandenburg BeckRS 2016, 111779 an, dazu unten V. 2 c) cc). 15  Lutter/Hommelhoff/Bayer (s.o. Fn. 1) § 47 Rn. 33; Rowedder/Schmidt-Leithoff/ Ganzer (s.o. Fn. 10) § 47 Rn. 65; Ulmer/Hüffer/Schürnbrand (s.o. Fn. 3) § 47 Rn. 135; nach Baumbach/Hueck/Zöllner/Noack (s.o. Fn. 1) § 47 Rn. 94 ist bei der Entlastung eine gleiche Betroffenheit nicht denkbar; nach MüchKommGmbHG/Drescher (s.o. Fn. 1) § 47 Rn. 188 kann zwar keine Entlastung beschlossen werden, geschehe dies doch, sei der Beschluss aber nur anfechtbar. 16  Rowedder/Schmidt-Leithoff/Ganzer (s.o. Fn. 10) § 47 Rn. 65.

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Schutz übereinstimmter Gesellschafter liegt wiederum in der Möglichkeit, den Beschluss unter Berufung darauf, dass ein Verstoß gegen die Treuepflicht vorliege, anzugreifen. c) Einzelfälle aa) Rechtsnachfolge Ob ein Gesellschafter vom Stimmverbot erfasst ist, bestimmt sich danach, ob in seiner Person17 der Tatbestand von § 47 Abs. 4 GmbHG verwirklicht ist. Daher kann z.B. ein Gesellschafter in Bezug auf ein Rechtsgeschäft, das mit ihm geschlossen werden soll, auch dann nicht mitstimmen, wenn er nachweist, dass er die Forderungen aus diesem Geschäftsbereich bereits verkauft hat und daher an der Vertragsdurchführung kein Interesse mehr hat und somit auch keinem Interessenkonflikt mehr unterliegt. Dies kann und muss in der Gesellschafterversammlung nicht überprüft werden. Umgekehrt entfällt ein Stimmverbot, wenn zwar der Rechtsvorgänger, nicht aber der nunmehrige Gesellschafter, der als (Gesamt) Rechtsnachfolger in die Position seines Vorgängers eingerückt ist, von dem Stimmverbot betroffen ist.18 Auch insoweit müssen klare Regeln gelten. Man erbt keine Befangenheit.19 Andernfalls würde gerade bei älteren Gesellschaften die Rechtslage unübersichtlich. Auch in den Fällen der Einzelrechtsnachfolge bleibt es dabei, dass der Rechtsnachfolger in ein Stimmverbot seines Vorgängers nicht einrückt. Umgehungen (z.B. unentgeltliche Übertragung auf nahe Verwandte kurz vor der Abstimmung) sind denkbar und führen dann wie im Anwendungsbereich jeder anderen Norm zur Erstreckung der Regelung auf den jeweiligen Sachverhalt.20 bb)  Beteiligung des Betroffenen an einer Gesellschaft, die ihrerseits ebenfalls an der GmbH beteiligt ist Wenn Gesellschafter einer GmbH eine Gesellschaft ist, kann diese – etwa wenn es um den Abschluss eines Rechtsgeschäfts der GmbH mit ihr geht – 17  Vertreter sind ebenfalls erfasst, statt aller mit Unterschieden im Einzelnen MüchKommGmbHG/Drescher (s.o. Fn. 1) § 47 Rn. 190; Rowedder/Schmidt-Leithoff/Ganzer (s.o. Fn. 10) § 47 Rn. 63 ff.; Römermann (s.o. Fn. 1) § 47 Rn. 100 ff. 18   OLG München BeckRS 2012, 07660; MüchKommGmbHG/Drescher (s.o. Fn. 1) § 47 Rn. 204; Heckschen GmbHRdsch 2016, 897, 909 jeweils für Einzelrechtsnachfolger; a.A. Scholz/Karsten Schmidt (s.o. Fn. 1) § 47 Rn. 169 f. für Gesamtrechtsnachfolger. 19   Dem entspricht, dass Stimmverbote nach ganz herrschender Meinung nicht greifen, wenn nahe Verwandte oder Ehepartner betroffen sind. Stall aller BGH NJW 2003, 2314, 2315; MüchKommGmbHG/Drescher (s.o. Fn. 1) § 47 Rn. 203; Ulmer/Hüffer/Schürnbrand (s.o. Fn. 3) § 47 Rn. 151; Römermann (s.o. Fn. 1) § 47 Rn. 166 ff. 20   OLG Hamm GmbHRdsch 1989, 79; OLG München BeckRS 2012, 07660; Heckschen GmbHRdsch 2016, 897, 990 f.

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unstreitig selbst befangen sein.21 Schwieriger wird es, wenn nicht in der beteiligten Gesellschaft sondern in dem an ihr beteiligten Gesellschafter ein potentieller Interessenkonflikt liegt, also z.B. ein Rechtsgeschäft zwischen der GmbH und der Person abgeschlossen werden soll, die Gesellschafter der beteiligten Gesellschaft ist. In der Literatur wird die Ansicht vertreten, dass für an der GmbH beteiligte Personengesellschaften etwas anderes gelte als für beteiligte Kapitalgesellschaften.22 Diese Unterscheidung ist allerdings wenig zielführend. Zum einen können Gesellschaften ausländischer Rechtsform beteiligt sein, die sich in dieses Schema jedenfalls nicht problemlos einordnen lassen. Auch hängt ein möglicher Interessenkonflikt nicht an der Klassifizierung der beteiligten Gesellschaft als Personengesellschaft oder als juristische Person. Die herrschende Meinung stellt daher auch nicht auf diese Unterscheidung ab. Vielmehr soll die beteiligte Gesellschaft dann von dem Stimmverbot erfasst sein, wenn der Betroffene maßgeblichen Einfluss auf das Abstimmungsverhalten der Gesellschaft hat.23 Das überzeugt im Ausgangspunkt. Nur dann kann eine Gleichstellung des an der beteiligten Gesellschaft Beteiligten mit einem direkt Beteiligten erfolgen, wenn der Betroffene die beteiligte Gesellschaft entscheidend beeinflussen kann, sie also gewissermaßen in der Hand hat. Zu warnen ist davor, bei der Klärung dieser Frage ins Detail zu gehen.24 Ein Versammlungsleiter, der über Stimmverbote spontan zu entscheiden hat, muss sich an klare Regeln halten können. Lediglich die Berücksichtigung des Gesellschaftsvertrages der beteiligten Gesellschaft ist ihm zumutbar. Wenn sich aus diesem Vertrag nichts anderes ergibt (etwa der betroffene Gesellschafter hat kein Stimmrecht), ist für das Stimmverbot bei einer Kapitalgesellschaft eine Mehrheitsbeteiligung ausreichend aber auch erforderlich.25 Ob der Betroffene seine Mehrheit tatsächlich nutzt26 und wie in der beteiligten Gesellschaft bei früheren Abstimmungen gestimmt wurde bzw. ob Pool-Vereinbarungen vorliegen (könnten) oder gar welchen Inhalt sie haben,27 kann keine Rolle spielen. Dies gilt auch dann, wenn die Gesellschaft vorträgt, sie unterliege gerade wegen dieser Umstände keinem Interessenkonflikt.

  Römermann (s.o. Fn. 1) § 47 Rn. 136; Scholz/Karsten Schmidt (s.o. Fn. 1) § 47 Rn. 159.   So im Ausgangspunkt Baumbach/Hueck/Zöllner/Noack (s.o. Fn. 1) § 47 Rn. 96 ff. 23   BGH NZG 2012, 625, 626; BGH GmbHRdsch 2009, 1330; BGH WM 1976, 204; OLG Brandenburg BeckRS 2016, 111779; MüchKommGmbHG/Drescher (s.o. Fn. 1) § 47 Rn. 195; Rowedder/Schmidt-Leithoff/Ganzer (s.o. Fn. 10) § 47 Rn. 68; Ulmer/Hüffer/ Schürnbrand (s.o. Fn. 3) § 47 Rn. 142; Scholz/Karsten Schmidt (s.o. Fn. 1) § 47 Rn. 159. 24  A.A. Bacher GmbHRdsch 2001, 610, 612 ff. 25  Rowedder/Schmidt-Leithoff/Ganzer (s.o. Fn. 10) § 47 Rn. 68; Ulmer/Hüffer/Schürnbrand (s.o. Fn. 3) § 47 Rn. 143; auch Villeda AG 2013, 57, 67: widerlegliche Vermutung. 26  Scholz/Karsten Schmidt (s.o. Fn. 1) § 47 Rn. 160. 27   BGH NJW 2003, 2314, 2316 geht insoweit zu weit ins Detail. 21 22

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Bei Personengesellschaften ist entscheidend, ob der Betroffene geschäftsführender Gesellschafter ist, da die Gesellschafter kein Weisungsrecht haben.28 Auch für diese Gesellschaften spielt es keine Rolle, ob der geschäftsführende Gesellschafter in dem in Rede stehenden Fall tatsächlich auf das Abstimmungsverhalten der Gesellschaft Einfluss genommen hat. § 47 Abs. 4 GmbHG regelt einen abstrakten, keinen konkreten Konflikt und sichert so die praktische Handhabbarkeit der Norm gerade auch in einer konfliktträchtigen Gesellschafterversammlung ab. Ergänzt wird diese allgemeine Regel durch § 47 Abs. 4 S. 1 GmbHG, wonach Vertreter vom Stimmrecht ausgeschlossen sind, wenn sie selbst befangen im Sinne von § 47 Abs. 4 GmbHG sind.29 Dies gilt dann auch für persönlich haftende Gesellschafter, Geschäftsführer und Vorstände beteiligter Gesellschaften. cc)  Beteiligung des betroffenen GmbH-Gesellschafters an der Gesellschaft, mit der die GmbH ein Rechtsgeschäft abschließen will oder die von einer Verbindlichkeit befreit werden soll Es kommt auch vor, dass der GmbH-Gesellschafter auch an dem Vertragspartner der GmbH beteiligt ist. Auch dann stellt sich die Frage, ob er mit abstimmen darf, wenn es um den Abschluss eines Rechtsgeschäfts mit der Gesellschaft geht, an der er Anteile hält. Von § 47 Abs. 4 GmbHG ausdrücklich erfasst ist nur der Fall, dass das Geschäft mit dem Gesellschafter selbst abgeschlossen wird. Gleichzustellen ist aber die Situation, dass der Gesellschafter zwar rechtlich nicht Vertragspartner wird, faktisch aber eben doch. Bei einer Einmann-Gesellschaft liegt dies auf der Hand.30 Sollte es um die Einleitung eines Rechtsstreits oder die Befreiung von einer Verbindlichkeit gehen, sind die persönlich haftenden Gesellschafter der Drittgesellschaft ebenfalls vom Stimmverbot in der GmbH erfasst. Denn dann wird auch diese Personengruppe von ihrer persönlichen Haftung befreit.31

28  MüchKommGmbHG/Drescher (s.o. Fn. 1) § 47 Rn. 197; so auch BGH NZG 2012, 625, 626: Kommanditist war mit 94 % am Kapital beteiligt, trotzdem traf ihn kein Stimmverbot. 29   Der Wortlaut betrifft allerdings nur den Fall, dass der Vertreter auch Gesellschafter ist, s. allgemein BGH NJW 2009, 2300, 2303; Lutter/Hommelhoff/Bayer (s.o. Fn. 1) § 47 Rn. 38; MüchKommGmbHG/Drescher (s.o. Fn. 1) § 47 Rn. 190; Rowedder/SchmidtLeithoff/Ganzer (s.o. Fn. 10) § 47 Rn. 70; Ulmer/Hüffer/Schürnbrand (s.o. Fn. 3) § 47 Rn. 138 ff. 30   BGHZ 56, 47, 53 (obiter dictum); BGH NJW 1973, 1039, 1040 (obiter dictum); Lutter/Hommelhoff/Bayer (s.o. Fn. 1) § 47 Rn. 40; MüchKommGmbHG/Drescher (s.o. Fn. 1) § 47 Rn. 199; Roth/Altmeppen/Roth (s.o. Fn. 2) § 47 Rn. 83. 31  MüchKommGmbHG/Drescher (s.o. Fn. 1) § 47 Rn. 200.

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Unterhalb dieser Grenze empfiehlt die Literatur die Berücksichtigung einer Vielzahl von Aspekten. Es soll darauf ankommen, ob der GmbHGesellschafter ein unternehmerisches32 oder wirtschaftliches33 Interesse an der Vertragspartnerin hat, ob er sie beherrscht,34 an welcher Gesellschaft der GmbH-Gesellschafter ein größeres Interesse hat bzw. an welcher er höher beteiligt ist35 oder ob er an der Drittgesellschaft nicht nur finanziell beteiligt ist.36 Je höher die Beteiligung an der Drittgesellschaft ist, umso wahrscheinlicher soll eine Interessenkollision mit der Folge sein, dass das Stimmverbot greift.37 Auch soll das Wertverhältnis38 bzw. die konkrete Beziehung zwischen GmbH und Drittgesellschaft39 bzw. das wirtschaftliche Gewicht40 des Geschäfts eine Rolle spielen. Alle diese Kriterien sind ersichtlich schwer zu handhaben, zumal sie meist als Indiz verstanden werden, das auf Grund anderer Aspekte widerlegt werden kann. Wie schwierig die Bestimmung, ob ein Stimmverbot greift, bei Zugrundelegung der herrschenden Meinung ist, zeigt exemplarisch ein Fall des OLG Brandenburg.41 Eigentlich war der Sachverhalt nicht gerade komplex. Die X-GmbH, an der zwei Gesellschafter mit 49 % bzw. mit 51 % beteiligt waren, veräußerte eine Tochtergesellschaft an eine Aktiengesellschaft, an deren Alleingesellschafterin, wiederum einer GmbH, die beiden ebenfalls mit 51 % bzw. mit 49 % beteiligt waren. Die Veräußerung der Tochtergesellschaft war in der X-GmbH mit den Stimmen des Mehrheitsgesellschafters gebilligt worden. Hiergegen wandte sich der Minderheitsgesellschafter u.a. mit dem Argument, der Mehrheitsgesellschafter habe wegen eines Stimmverbots nicht mitstimmen dürfen. Das OLG versucht diesen Fall unter Rückgriff auf die Kriterien der herrschenden Meinung zu beantworten. Entscheidend war, ob § 47 Abs. 4 GmbHG in Bezug auf die Stimme des Mehrheitsgesellschafters eingreift. Das Urteil führt aus, dass dieser jedenfalls dann hätte mitstimmen dürfen, wenn

32  Scholz/Karsten Schmidt (s.o. Fn. 1) § 47 Rn. 164; Baumbach/Hueck/Zöllner/Noack (s.o. Fn. 1) § 47 Rn. 99. 33   Bacher GmbHRdsch 2001, 610 ,614; Lutter/Hommelhoff/Bayer (s.o. Fn. 1) § 47 Rn. 40. 34  Ulmer/Hüffer/Schürnbrand (s.o. Fn. 3) § 47 Rn. 147; Römermann (s.o. Fn. 1) § 47 Rn. 157; Scholz/Karsten Schmidt (s.o. Fn. 1) § 47 Rn. 193. 35  MüchKommGmbHG/Drescher (s.o. Fn. 1) § 47 Rn. 200 und Villeda AG 2013, 57, 70 sagen, dies sei ein Indiz. 36   Wank ZGR 1979, 222, 228, aber Möglichkeit des Gegenbeweises. 37  MüchKommGmbHG/Drescher (s.o. Fn. 1) § 47 Rn. 200; Rowedder/Schmidt-Leithoff/Ganzer (s.o. Fn. 10) § 47 Rn. 72; Wank ZGR 1979, 222, 226. 38  Rowedder/Schmidt-Leithoff/Ganzer (s.o. Fn. 10) § 47 Rn. 72. 39  Rowedder/Schmidt-Leithoff/Ganzer (s.o. Fn. 10) § 47 Rn. 72. 40  Roth/Altmeppen/Roth (s.o. Fn. 2) § 47 Rn. 84. 41   BeckRS 2016, 111779.

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der Verkauf direkt an die GmbH erfolgt wäre, die Alleingesellschafterin des Käufers war, da dann eine gleichmäßige Beteiligung an der veräußernden und an der erwerbenden Gesellschaft (jeweils 51 % bzw. 49 %) vorgelegen hätte. Durch die Zwischenschaltung der Aktiengesellschaft könne dieser Schluss aber nicht mehr gezogen werden. Daher müsse festgestellt werden, ob in der erwerbenden Gesellschaft ein Vorrang der Eigeninteressen des Gesellschafters gegenüber seinen Interessen an der veräußernden Gesellschaft zu erwarten wäre, ob „in der anderweitigen Beteiligung des Gesellschafters ein unternehmerisches Interesse verkörpert“ sei, wobei es nicht darauf ankomme, ob sich dieser Interessenkonflikt im Einzelfall tatsächlich auswirke. Zwar könne es sein, dass der Mehrheitsgesellschafter die erwerbende Aktiengesellschaft derart beherrsche, dass alle ihre Handlungen ausschließlich von ihm bestimmt würden. Aber das sei in der veräußernden GmbH nicht anders. Damit sei unklar, in welcher Gesellschaft der Mehrheitsgesellschafter seine Interessen mehr verfolge. Sodann folgt eine detailliere Schilderung der Kompetenzen und Einflussmöglichkeiten, die der Mehrheitsgesellschafter in der erwerbenden Aktiengesellschaft hat, die dann mit seiner Stellung in der veräußernden GmbH verglichen werden. Da dieser Vergleich nach Ansicht des OLG ergab, dass die Zugriffsmöglichkeiten für den Mehrheitsgesellschafter auf die Geschäftsführung der veräußernden GmbH in der Intensität denen auf die Aktiengesellschaft nicht nachstanden, kommt das OLG zu dem Schluss, dass es an einem besonderen unternehmerischen Interesse des Mehrheitsgesellschafters an der erwerbenden Aktiengesellschaft fehle und daher das Stimmverbot nicht greife. Solche Überlegungen anzustellen ist ein Versammlungsleiter in der aufgeheizten Stimmung einer konfliktreichen Gesellschafterversammlung ersichtlich nicht in der Lage, zumal er gar nicht unbedingt Jurist ist. Das Gesetz verlangt diese Erwägungen aber auch gar nicht. Das Stimmverbot greift nur bei der Veräußerung an den Gesellschafter. Es geht also schlicht nur um die Frage, ob die Veräußerung an eine Gesellschaft, an der der Gesellschafter beteiligt ist, der Veräußerung an den Gesellschafter gleich steht. Mit Einflussmöglichkeiten des Gesellschafters auf diese Gesellschaft oder seiner Interessenlage hat das nichts zu tun. Daher muss auch nicht geprüft werden, ob der Gesellschafter in dieser Drittgesellschaft früher mit anderen Gesellschaftern gemeinsame Sache gemacht hat, was eine Art Zusammenrechnung der Stimmen zur Folge haben soll.42 Vielmehr ist zu prüfen, ob wirtschaftliche Identität zwischen Gesellschaft und Gesellschafter besteht, ob also die Veräußerung an die oder von der Gesellschaft der Veräußerung an den oder von

  A.A. BGHZ 68, 107, 110.

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dem Gesellschafter entspricht. Ab einer Beteiligungsquote von 90 % wird man das wohl so sehen können.43 Nicht gefolgt werden kann daher auch einer älteren Entscheidung des BGH.44 Vertragspartner der GmbH war eine GmbH & Co. KG, an der die Komplementär-GmbH mit 50 % beteiligt war, die wiederum zu 100 % einem Gesellschafter der erwerbenden GmbH gehörte. Es ging um die Frage, ob dieser GmbH-Gesellschafter in der Gesellschafterversammlung der GmbH bei der Beschlussfassung über den Erwerb mit abstimmen durfte. Der BGH hat das verneint. Diese Gleichsetzung der Verkäuferin, also der GmbH & Co. KG, mit ihrem zu 50 % beteiligten Komplementär (der wiederum zu 100 % dem Gesellschafter der erwerbenden GmbH gehörte) ist nicht möglich. Diese Beteiligungsquote ist deutlich zu gering. Daran ändert auch die persönliche Haftung der Komplementär-GmbH für die Schulden der KG nichts. Andernfalls wären OHG-Gesellschafter und Gesellschafter bürgerlichen Rechts bei entsprechenden Rechtsgeschäften dieser Gesellschaft mit einer GmbH, an der diese Gesellschafter ebenfalls beteiligt sind, in der GmbH stets vom Stimmrecht ausgeschlossen.45 Unterhalb einer Beteiligungsquote von 90 % bleibt die Kontrolle anhand der gesellschafterlichen Treuepflicht, also die inhaltliche Überprüfung des Geschäfts. Auch das ist natürlich alles andere als einfach. Immerhin ist klar, dass im Rahmen unternehmerischer Entscheidungen – und um die geht es im Regelfall – der Ermessensspielraum der Gesellschafter weit ist.46 Das erleichtert die Beurteilung durch den Versammlungsleiter. Einwenden könnte man, dass der Schutz der Minderheit auf diese Weise reduziert wird. Das trifft zu, ist aber keine Besonderheit der hier in Rede stehenden Fallkonstellationen. Auch sonst ist die Minderheit außerhalb des Anwendungsbereichs von § 47 Abs. 4 GmbHG, also etwa bei Strukturmaßnahmen oder bei der Festlegung der Vergütung für den geschäftsführenden Gesellschafter, auf diesen Rechtsbehelf verwiesen.47 Dass dies zu besonderen Problemen geführt hätte, ist nicht bekannt.

  Dezidiert a.A. Peters/Strothmann FS Meilike 2010, S. 511, 522: Jede Beteiligung sei schädlich. 44   NJW 1973, 1039, 1040; ähnlich KG NZG 2015, 198. 45   So Ulmer/Hüffer/Schürnbrand (s.o. Fn. 3) § 47 Rn. 146; Wank ZGR 1979, 222, 227 sowie BGHZ 68, 107, 110 (obiter dictum). 46   S.o. Fn. 9. 47   Überblick und weitere Beispiele bei MüchKommGmbG/Drescher (s.o. Fn. 1) § 47 Rn. 165 ff., 171 f.; Ulmer/Hüffer/Schürnbrand (s.o. Fn. 3) § 47 Rn. 182; Römermann (s.o. Fn. 1) § 47 Rn. 245 ff. 43

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V. Zusammenfassung 1. Ob ein Stimmverbot nach § 47 Abs. 4 GmbHG eingreift, muss von dem Leiter der Gesellschafterversammlung möglichst problemlos in der Versammlung selbst feststellbar sein. 2. Daher spielt es keine Rolle, ob ein vom Stimmrecht nach § 47 Abs. 4 GmbHG ausgeschlossener Gesellschafter im Einzelfall nachweisen kann, dass er keinem Interessenkonflikt unterliegt. 3. Rechtsnachfolger eines vom Stimmrecht ausgeschlossenen Gesellschafters unterliegen nicht allein deshalb einem Stimmverbot, weil ihr Rechtsvorgänger vom Stimmrecht ausgeschlossen war.

Der Unterordnungskonzern – Terra Cognita? Mathias Habersack I. Einführung Ein vor nunmehr gut 27 Jahren erschienener Beitrag K. Schmidts hat dargelegt, dass das deutsche Konzernrecht sowohl in den Grundlagen als auch hinsichtlich der Konzerntypologie noch „unfertig“ sei, und dies vor allem am Beispiel des eine „terra incognita“ bildenden Gleichordnungskonzerns veranschaulicht.1 Obergerichtliche Entscheidungen aus neuerer Zeit geben nun Anlass, dem „Wesen“ des Unterordnungskonzerns nachzugehen und zu fragen, ob zumindest er eine „terra cognita“ bildet. In den mehr als sechs Jahren, in denen Alfred Bergmann das Amt des Vorsitzenden Richters des II. Zivilsenats des BGH innehatte, hat sich der Senat zwar nur vereinzelt zu konzernrechtlichen Fragen äußern müssen.2 Schon gar nicht hatte es der Senat mit Begriff und Tatbestand des Unterordnungskonzerns zu tun.3 Der Jubilar ist indes ein Kenner sowohl des Gesellschafts- als auch des Kartellrechts und dürfte schon deshalb Freude an konzernrechtlichen Überlegungen haben. Gerne blickt der Verfasser auf zahlreiche Begegnungen mit Alfred Bergmann zurück, beginnend noch vor Veröffentlichung des eingangs erwähnten Beitrags zum Gleichordnungskonzern,4 wiederbelebt mit Aufnahme der Lehrtätigkeit Alfred Bergmanns an der Universität Mainz im Jahr 2005 und intensi-

  K. Schmidt ZHR 155 (1991), 417 ff.   Den die Jahrestagung der Gesellschaftsrechtlichen Vereinigung traditionell eröffnenden Bericht über die Rechtsprechung des II. Zivilsenats des BGH hat Bergmann erstmals auf der 14. Jahrestagung am 18. November 2011 und letztmals auf der 18. Jahrestagung am 6. November 2015 erstattet; den Bericht auf der 19. Jahrestagung am 4. November 2016 hat Lutz Strohn als Stellvertretender Vorsitzender des II. Zivilsenats anstelle des erkrankten Senatsvorsitzenden erstattet. Die insgesamt sechs Jahresberichte weisen gerade einmal zwei Entscheidungen des II. Zivilsenats des BGH zu genuin konzernrechtlichen Fragen aus, nämlich BGH ZIP 2012, 1753 (Nachteilsausgleich bei Hauptversammlungsbeschluss) und BGH AG 2013, 680 (Anpassung von Genussscheinbedingungen nach Abschluss eines Beherrschungs- und Gewinnabführungsvertrags). 3   Zur geringen aktienrechtlichen Bedeutung des Konzerntatbestands s. unter II. 4   Alfred Bergmann war seinerzeit wissenschaftlicher Mitarbeiter von Rechtsanwalt beim BGH Hans Erich Brandner und ist gemeinsam mit diesem als Kommentator des § 1 UWG in der 1. Auflage des Großkommentars zum UWG hervorgetreten. Der Verfasser war seinerzeit wissenschaftlicher Mitarbeiter am Heidelberger Lehrstuhl von Peter Ulmer. 1 2

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viert mit dem im November 2010 erfolgten Wechsel Alfred Bergmanns vom I. Zivilsenat des BGH in den II. Zivilsenat des BGH.

II.  Aktien- und mitbestimmungsrechtliche Grundlagen 1.  Die Vorschriften der §§ 17, 18 AktG im Überblick Nach § 18 Abs. 1 S. 1 AktG bilden ein herrschendes Unternehmen und ein oder mehrere abhängige Unternehmen einen Unterordnungskonzern, wenn sie unter der einheitlichen Leitung des herrschenden Unternehmens zusammengefasst sind. Die Vorschrift knüpft damit an § 17 Abs. 1 AktG an, dem zufolge abhängige Unternehmen rechtlich selbständige Unternehmen sind, auf die ein anderes Unternehmen – das herrschende Unternehmen – unmittelbar oder mittelbar einen beherrschenden Einfluss ausüben kann. § 18 Abs. 1 S. 2 AktG bestimmt, dass Unternehmen, zwischen denen ein Beherrschungsvertrag (§ 291 AktG) besteht oder von denen das eine in das andere eingegliedert ist (§ 319 AktG), als unter einheitlicher Leistung zusammengefasst anzusehen sind. Während § 18 Abs. 1 S. 2 AktG unter den genannten Voraussetzungen das Bestehen eines Konzerns unwiderleglich vermutet, wird nach § 18 Abs. 1 S. 3 AktG widerleglich vermutet, dass ein abhängiges Unternehmen mit dem herrschenden Unternehmen einen Unterordnungskonzern bildet. 2.  Mitbestimmungsrechtliche Relevanz des Konzerntatbestands Dem Vorliegen eines Unterordnungskonzerns kommt aktienrechtlich so gut wie keine Bedeutung zu; namentlich finden §§ 311 ff. AktG auch bei bloßer Abhängigkeit und damit unabhängig vom Vorliegen eines Konzerns Anwendung. Bedeutsam ist der Tatbestand des Unterordnungskonzerns indes im Mitbestimmungsrecht. Ist nämlich die unternehmerische Mitbestimmung dazu bestimmt, den Arbeitnehmern die Partizipation an Entscheidungen des Aufsichtsrats zu ermöglichen, so ist es nur konsequent, derlei Partizipationsrechte in Fällen, in denen mehrere rechtlich selbständige Unternehmen eine wirtschaftliche Einheit bilden, sämtlichen Arbeitnehmern dieser Einheit auch und gerade in Bezug auf denjenigen Aufsichtsrat zuzusprechen, in dem für sämtliche Konzernunternehmen wesentliche Entscheidungen getroffen werden. Dieses Regelungsanliegen ist zwar nicht nur recht unvollkommen, nämlich durch Beschränkung des aktiven und passiven Wahlrechts auf im Inland beschäftigte Arbeitnehmer,5 sondern in den einzelnen mitbestimmungsrecht5  Eingehend Habersack/Henssler/Henssler, Mitbestimmungsrecht, 4. Aufl. 2018, § 3 MitbestG Rn. 40 ff.; zur Europarechtskonformität dieses Ansatzes s. EuGH NZG

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lichen Gesetzen auch höchst unterschiedlich verwirklicht. Immerhin sorgt es vermittels des in §§ 97 ff. AktG geregelten Statusverfahrens dafür, dass der Konzerntatbestand des § 18 Abs. 1 AktG bisweilen Gegenstand land- und obergerichtlicher Entscheidungen ist; unter den Voraussetzungen der §§ 70, 75 FamFG, das heißt auf Rechtsbeschwerde oder Sprungrechtsbeschwerde, kann das Statusverfahren sogar beim BGH ankommen. a)  MitbestG und Montanmitbestimmung Die klarste Konzernmitbestimmungsregelung enthält das MitbestG. Nach dessen § 5 Abs. 1 S. 1 gelten für den Fall, dass ein Unternehmen in einer der Rechtsformen des § 1 Abs. 1 Nr. 1 MitbestG (AG, KGaA, GmbH, Genossenschaft) herrschendes Unternehmen eines Konzerns im Sinne des § 18 Abs. 1 AktG ist, die Arbeitnehmer der Konzernunternehmen als Arbeitnehmer des herrschenden Unternehmens. In der Folge hat das herrschende Unternehmen auch dann einen paritätisch mitbestimmten Aufsichtsrat zu bilden, wenn es zwar nicht selbst, wohl aber unter Berücksichtigung der Arbeitnehmer der Konzerngesellschaften über mehr als 2000 Arbeitnehmer verfügt. Es besteht Einvernehmen darüber, dass es zu einer solchen Zurechnung von Arbeitnehmern weder im Falle eines Gleichordnungskonzerns im Sinne des § 18 Abs. 2 AktG noch bei bloßer Abhängigkeit im Sinne des § 17 Abs. 1 AktG kommt.6 Auch entspricht es zu Recht der ganz herrschenden Meinung, dass im Rahmen des § 5 Abs. 1 S. 1 MitbestG von dem aktienrechtlichen Begriff des Unterordnungskonzerns gemäß § 18 Abs. 1 AktG (unter Einschluss der Vermutungen des § 18 Abs. 1 S. 2, 3 AktG) auszugehen ist.7 Für das Eingreifen der Konzernmitbestimmung kommt es allein auf die einheitliche Leitung im Sinne des § 18 Abs. 1 AktG an; neben dem Vertrags- und Eingliederungskonzern erfasst § 5 MitbestG mithin auch den einfachen („faktischen“) Konzern.8 Ähnlich ist die Rechtslage nach § 1 Abs. 4 MontanMitbestG, § 3 MitbestErgG, während §§ 1, 2 MitbestErgG Abhängigkeit genügen lassen.9

2017, 949 (dazu Habersack NZG 2017, 1021 ff.); sodann LG Hamburg NZG 2018, 466; LG Dortmund NZG 2018, 468; LG Stuttgart AG 2018, 287. 6  Habersack/Henssler/Habersack (Fn. 5), § 5 MitbestG Rn. 10, 12 mit weit. Nachw. 7  BAG AG 2012, 632 Rn. 46; OLG Frankfurt a.M. ZIP 2015, 634, 635; Münch­ KommAktG/Gach, 4. Aufl. 2014, § 5 MitbestG Rn. 11; Habersack/Henssler/Habersack (Fn. 5), § 5 MitbestG Rn. 11, 35 ff., dort auch zu grenzüberschreitenden Sachverhalten, zur Teilkonzernregelung des § 5 Abs. 3 MitbestG, zu Gemeinschaftsunternehmen sowie zur Frage eines „Konzern im Konzern“. 8   Wohl unstreitig, s. Wißmann/Kleinsorge/Schubert/Wißmann, Mitbestimmungsrecht, 5. Aufl. 2017, § 5 MitbestG Rn. 33; GroßkommAktG/Oetker, 4. Aufl. 1999, § 5 MitbestG Rn. 17, 19. 9  GroßkommAktG/Oetker (Fn. 8), § 1 MontanMitbestG Rn. 29 ff., § 1 MitbestErgG Rn. 6 ff., § 2 MitbestErgG Rn. 2, § 3 MitbestErgG Rn. 4 ff.

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b) DrittelbG Die auf §§ 76 Abs. 4, 77a BetrVG 1952 zurückgehende Vorschrift des § 2 DrittelbG verzichtet im Unterschied zu § 5 Abs. 1 S. 1 MitbestG auf eine generelle Fiktion des Inhalts, dass die Arbeitnehmer von Konzerngesellschaften für die Anwendung des Mitbestimmungsrechts als Arbeitnehmer der Konzernspitze gelten. Sie regelt vielmehr die Frage des Wahlrechts der Arbeitnehmer und diejenige der Berücksichtigung von Arbeitnehmern der Konzerngesellschaften im Rahmen der Schwellenwerte des § 1 Abs. 1 DrittelbG jeweils eigenständig. So haben nach § 2 Abs. 1 DrittelbG bei der Wahl zum Aufsichtsrat des herrschenden Unternehmens eines Unterordnungskonzerns im Sinne des § 18 Abs. 1 AktG zwar auch die Arbeitnehmer der abhängigen Konzernunternehmen aktives und passives Wahlrecht. Die im Zusammenhang mit den Schwellenwerten des § 1 Abs. 1 DrittelbG – und damit der Anwendbarkeit des Gesetzes auf die Konzernspitze – interessierende Frage der Zurechnung der Arbeitnehmer von Konzerngesellschaften ist hingegen Gegenstand des § 2 Abs. 2 DrittelbG. Danach gelten die Arbeitnehmer eines Konzernunternehmens nur dann als solche des herrschenden Unternehmens, wenn zwischen den Unternehmen ein Beherrschungsvertrag oder ein Eingliederungsverhältnis besteht; im einfachen (faktischen) Unterordnungskonzern bestehen deshalb konzernweite Mitbestimmungsrechte nur dann, wenn die Konzernspitze auch unabhängig von der Zurechnung von Arbeitnehmern abhängiger Gesellschaften die Voraussetzungen des § 1 Abs. 1 DrittelbG erfüllt.10 c)  Europäisches Mitbestimmungsrecht Das europäische Mitbestimmungsrecht wählt hingegen, darauf sei hier nur kurz hingewiesen, einen anderen Ansatz. Zwar war sich auch der europäische Gesetzgeber, wie sich namentlich Art. 3 Abs. 2 lit. a) (i) der SE-Ergänzungsrichtlinie11 (auf den wiederum Art. 133 Abs. 3 GesR-Richtlinie12 für die grenzüberschreitende Verschmelzung verweist) klar entnehmen lässt, der Problematik der Konzernmitbestimmung bewusst. Denn danach haben auch die Tochter-Arbeitnehmer Mitwirkungsrechte im Rahmen der Wahlen zum Besonderen Verhandlungsgremium der Arbeitnehmer. Im Zusammenhang mit der Auffangregelung indes verzichten Art. 3 Abs. 4 S. 3 und Art. 7 10  Aus der reichhaltigen obergerichtlichen Rechtsprechung s. KG ZIP 2007, 1567 f.; OLG Zweibrücken NZG 2006, 32; OLG Düsseldorf AG 2017, 666; näher Habersack/ Henssler/Habersack (Fn. 5), § 2 DrittelbG Rn. 1, 12 ff.; Raiser/Veil/Jacobs/Veil, MitbestG und DrittelbG, 6. Aufl. 2015, § 2 DrittelbG Rn. 13 ff. 11   Die folgenden Ausführungen gelten entsprechend für die SCE-Ergänzungsrichtlinie. 12   Richtlinie (EU) 2017/1132 vom 14.6.2017 über bestimmte Aspekte des Gesellschaftsrechts, ABl. Nr. L 169/46; in dieser Konsolidierungsrichtlinie ist unter anderem die vormalige Richtlinie über die grenzüberschreitende Verschmelzung aufgegangen.

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Abs. 2 S. 1 lit. b) und c) der SE-Ergänzungsrichtlinie (und mittelbar Art. 133 Abs. 3 lit. e) GesR-RL, soweit dieser auf die genannten Vorschriften der SEErgänzungsrichtlinie verweist) auf die Zurechnung der Tochter-Arbeitnehmer; vielmehr soll es im Rahmen der Eingriffsschwellen ausschließlich auf die Arbeitnehmer der beteiligten Gesellschaften ankommen. Dem widerspricht es, dass §§ 15 Abs. 3, 34 Abs. 1 Nr. 2 und 3 SEBG13 und §§ 17 Abs. 3, 24 Abs. 1 MgVG durchweg nicht nur auf die Arbeitnehmer der beteiligten Gesellschaften (nach §§ 2 Abs. 2 SEBG, 2 Abs. 2 MgVG also die Arbeitnehmer der unmittelbar an der Gründung oder Verschmelzung beteiligten Gesellschaften), sondern zudem auf die Arbeitnehmer der Tochtergesellschaften – nach § 2 Abs. 3 SEBG, § 2 Abs. 3 MgVG Gesellschaften, auf die eine andere Gesellschaft einen beherrschenden Einfluss ausüben kann – abstellen. Begründet wird dies damit, dass nur so die bei den Aufsichtsratswahlen des herrschenden Unternehmens bestehenden Wahlrechte der Arbeitnehmer der Tochtergesellschaften gewahrt werden könnten, und damit letztlich mit einem der deutschen Konzernmitbestimmung verpflichteten „Vorher-Nachher-Prinzip“.14 Nachdem allerdings Art. 7 der SE-Ergänzungsrichtlinie und Art. 133 Abs. 3 GesR-RL die Voraussetzungen für das Eingreifen der Auffangregelung abschließend regeln, mag der darüber hinausgehende Ansatz des SEBG und des MgVG – nämlich die Berücksichtigung der Tochterarbeitnehmer – zwar mit der generellen Zielsetzung des deutschen Mitbestimmungsrechts im Einklang stehen;15 mit den Richtlinien ist er indes nicht vereinbar.16 Für die Zwecke des vorliegenden Beitrags kommt es hierauf freilich nicht an, stellen doch § 2 Abs. 3 SEBG, § 2 Abs. 3 MgVG auf die Möglichkeit des beherrschenden Einflusses und nicht auf einheitliche Leitung ab.

  Entsprechendes gilt für §§ 15 Abs. 3, 34 Abs. 1 Nr. 2 und 3 SCEBG.   Vgl. Begr. RegE, BR-Drucks. 438/04, S. 124 f., 136; Begr. RegE, BT-Drucks. 16/2922, S. 25; näher dazu MünchKommAktG/Jacobs, 4. Aufl. 2016, § 15 SEBG Rn. 9 f.; Habersack/ Henssler/Henssler (Fn. 5), § 15 SEBG Rn. 10. 15   Nicht zu verkennen ist allerdings, dass §§ 15 Abs. 3, 34 Abs. 1 Nr. 2 und 3 SEBG/ SCEBG und §§ 17 Abs. 3, 24 Abs. 1 MgVG insoweit über § 2 Abs. 2 DrittelbG hinausgehen, als sie die Berücksichtigung der Tochter-Arbeitnehmer nicht vom Bestehen eines Beherrschungsvertrags oder Eingliederungskonzerns abhängig machen, vielmehr beherrschenden Einfluss genügen lassen (s. §§ 2 Abs. 3 SEBG, 2 Abs. 3 SCEBG und 2 Abs. 3 MgVG). 16  Habersack//Henssler/Habersack (Fn. 5), § 34 SEBG Rn. 4, 18; Habersack/Henssler/ Henssler (Fn. 5), § 15 SEBG Rn. 10; Grobys NZA 2004, 779, 780 f.; ders. NZA 2005, 84, 90; aA MünchKommAktG/Jacobs (Fn. 14), § 15 SEBG Rn. 9 f., § 34 SEBG Rn. 11; Nagel/ Freis/Kleinsorge/Nagel, Die Beteiligung der Arbeitnehmer in der Europäischen Gesellschaft – SE, 1. Aufl. 2005, § 34 SEBG Rn. 8; Niklas NZA 2004, 1200, 1202 f.; Schubert RdA 2007, 9, 13 f. 13 14

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III.  Abhängigkeit und Unterordnungskonzern im Allgemeinen 1.  Abhängigkeit (§ 17 Abs. 1 AktG) Nach § 17 Abs. 1 AktG sind abhängige Unternehmen, wie erwähnt, rechtlich selbständige Unternehmen, auf die ein anderes Unternehmen – das herrschende Unternehmen – unmittelbar oder mittelbar einen beherrschenden Einfluss ausüben kann. Die Vorschrift steht im unmittelbaren Zusammenhang mit §§ 311 ff. AktG, die, sofern es sich bei der abhängigen Gesellschaft um eine AG oder KGaA handelt, für den Schutz der abhängigen Gesellschaft sowie ihrer Gläubiger und außenstehenden Aktionäre vor den mit der Abhängigkeit von einem Unternehmen verbundenen Gefahren sorgen sollen, etwa durch das (freilich unter dem Vorbehalt des Nachteilsausgleichs stehende) Verbot der nachteiligen Einflussnahme (§ 311 Abs. 1, 2 AktG) und durch die Pflicht des Vorstands der abhängigen Gesellschaft, einen Abhängigkeitsbericht zu erstellen, der die gesamten Verbundbeziehungen dokumentiert und sowohl vom Aufsichtsrat als auch vom Abschlussprüfer der abhängigen Gesellschaft zu prüfen ist (§§ 312–314 AktG).17 Der Abhängigkeitstatbestand setzt die Unternehmenseigenschaft auch desjenigen voraus, der über die Möglichkeit des beherrschenden Einflusses verfügt, und trägt damit dem Umstand Rechnung, dass der die Gesellschaft typischerweise kennzeichnende Gleichlauf von Gesellschafts- und Gesellschafterinteresse gestört ist, wenn ein maßgeblich beteiligter und über Einfluss verfügender Gesellschafter neben seinem Beteiligungsinteresse noch ein anderweitiges unternehmerisches Interesse verfolgt.18 Allerdings begnügt sich § 17 Abs. 1 AktG mit der bloßen Möglichkeit, einen beherrschenden Einfluss auszuüben. Lässt man die Frage, ob diese Möglichkeit ausschließlich gesellschaftsrechtlich vermittelt sein muss oder auch – jedenfalls ergänzend – auf sonstigen Umständen (etwa schuldrechtlichen Beziehungen zwischen Gesellschafter und Gesellschaft) beruhen kann, beiseite,19 so erklärt sich der Verzicht auf eine tatsächliche Ausnutzung des 17   Auf die abhängige GmbH finden §§ 311 ff. AktG hingegen (anders als §§ 15 ff. AktG) keine Anwendung; für den Schutz der Gesellschaft, der außenstehenden Gesellschafter und der Gläubiger sorgt vor allem das aus der mitgliedschaftlichen Treupflicht herzuleitende Schädigungsverbot, s. Ulmer/Habersack/Löbbe/Casper, Großkommentar zum GmbHG, 2. Aufl. 2016, Anh. § 77 Rn. 53 ff., 71 ff. mit weit. Nachw. 18  Näher zum „funktionellen“ Unternehmensbegriff der §§ 15 ff. AktG BGHZ 135, 107, 113; BGHZ 148, 123, 125 ff.; MünchKommAktG/Bayer, 4. Aufl. 2016, § 15 Rn. 7 ff.; Emmerich/Habersack/Emmerich, Aktien- und GmbH-Konzernrecht, 8. Aufl. 2016, § 15 Rn. 6 ff.; Hüffer/Koch, AktG, 13. Aufl. 2018, § 15 Rn. 8 ff.; GroßkommAktG/Windbichler, 5. Aufl. 2017, § 15 Rn. 10 ff. – Zur rechtspolitischen Beurteilung s. Habersack AG 2016, 691, 692; Fleischer/Koch/Kropff/Lutter/Vetter, 50 Jahre Aktiengesetz, 2015, S. 231, 239. 19   Näher dazu sowie zur Frage einer „kombinierten“ Beherrschung Emmerich/Habersack/Emmerich (Fn. 18), § 17 Rn. 14 ff. (16) mit weit. Nachw.

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beherrschenden Einflusses daraus, dass das Einflusspotential des Gesellschafters, der über ein anderweitiges unternehmerisches Interesse verfügt und damit unter einem Interessenkonflikt leidet, die Belange der abhängigen Gesellschaft und ihrer Gläubiger und außenstehenden Aktionäre zu gefährden vermag.20 In den Materialien zum AktG 1965 heißt es hierzu:21 „Nach dem Entwurf reicht es – wie schon jetzt die ganz herrschende Meinung annimmt – aus, wenn ein Unternehmen in der Lage ist, beherrschenden Einfluss auszuüben. Damit wird gleichzeitig der wesentlichste Unterschied zwischen dem Konzernbegriff und dem Abhängigkeitsbegriff verdeutlicht. Während es für den Konzern begriffswesentlich ist, daß die Leitung tatsächlich ausgeübt wird, genügt für ein Abhängigkeitsverhältnis bereits die Möglichkeit der Einflußnahme. […] Aus Gründen der Rechtsklarheit kann es nicht darauf ankommen, ob der beherrschende Einfluß mehr oder weniger wahrscheinlich ausgeübt wird.“

Die vorstehend wiedergegebenen Ausführungen in dem Regierungsentwurf dürfen freilich nicht darüber hinwegtäuschen, dass § 17 Abs. 1 AktG auch dann zur Anwendung gelangt, wenn das herrschende Unternehmen von seiner Möglichkeit, Einfluss zu nehmen, tatsächlich Gebrauch macht (andernfalls wären §§ 311 Abs. 2, 312 ff. AktG, die an tatsächliche nachteilige Einflussnahmen anknüpfen, überflüssig), und die tatsächliche Einflussnahme auf die abhängige Gesellschaft als solche noch nicht den Konzerntatbestand des § 18 Abs. 1 S. 1 AktG verwirklicht, dieser vielmehr, wie sogleich näher darzulegen sein wird, dadurch gekennzeichnet ist, dass herrschendes Unternehmen und abhängige Gesellschaft unter der einheitlichen Leitung durch das herrschende Unternehmen zusammengefasst sind; die tatsächliche Einflussnahme des herrschenden Unternehmens (mag sie aus Sicht der abhängigen Gesellschaft nachteilig oder von Vorteil sein) ist insoweit nur notwendige, nicht aber auch hinreichende Voraussetzung. 2.  Einfacher („faktischer“) Unterordnungskonzern (§ 18 Abs. 1 S. 1 AktG) Was sich hinter dem den Tatbestand des Unterordnungskonzerns kennzeichnenden Merkmal der „Zusammenfassung“ mehrerer rechtlich selbständiger Unternehmen unter der einheitlichen Leitung durch das herrschende Unternehmen verbirgt, ist zwar nach wie vor umstritten. Die Debatte konzentriert sich freilich auf die Frage, in welchem sachlichen Umfang die Leitung zu erfolgen hat, soll von einem Konzern gesprochen werden können.22 Nur noch vereinzelt vertreten ist der enge Konzernbegriff, dem zufolge es  GroßkommAktG/Windbichler (Fn. 18), § 17 Rn. 19.   Begr. RegE in Kropff, AktG, 1965, S. 31. 22   Näher GroßkommAktG/Windbichler (Fn. 18), § 18 Rn. 19 ff.; MünchKommAktG/ Bayer (Fn. 18), § 18 Rn. 28 ff.; Emmerich/Habersack/Emmerich (Fn. 18), § 18 Rn. 8 ff.; Schmidt/Lutter/Vetter, AktG, 3. Aufl. 2015, § 18 Rn. 6 ff.; Spindler/Stilz/Schall, AktG, 3. Aufl. 2015, § 18 Rn. 9 ff.; Grigoleit/Grigoleit, AktG, 1. Aufl. 2013, § 18 Rn. 5 ff. 20 21

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erforderlich ist, dass das herrschende Unternehmen für sämtliche zentralen unternehmerischen Bereiche (unter Einbeziehung insbesondere des Finanzwesens) eine einheitliche Planung im Sinne einer auf das Gesamtinteresse der verbundenen Unternehmen ausgerichteten Zielkonzeption aufstellt und bei den Konzerngliedern durchsetzt.23 Herrschend ist vielmehr der weite Konzernbegriff, nach dem es genügt, dass zumindest ein zentraler Bereich der unternehmerischen Tätigkeit – etwa das Finanzwesen – für den ganzen Konzern zentral durch die Konzernspitze koordiniert wird.24 Er hat sich insbesondere in der Rechtsprechung zu § 5 Abs. 1 S. 1 MitbestG etabliert.25

IV.  Einheitliche Leitung versus unkoordinierte Verwaltung multiplen Beteiligungsbesitzes 1.  Die Abgrenzungsaufgabe Ausgehend von dem weiten Konzernbegriff genügt es für das Vorliegen einheitlicher Leitung, dass das herrschende Unternehmen für die Unternehmensgruppe einen unternehmerischen Funktionsbereich koordiniert. Es versteht sich, dass es eines Weisungsrechts nicht bedarf;26 andernfalls verbliebe mit Blick auf die unwiderlegliche Konzernvermutung des § 18 Abs. 1 S. 2 AktG für § 18 Abs. 1 S. 1, 3 AktG kein Anwendungsbereich. Auch besteht Einvernehmen darüber, dass Konzernleitung „zentral“ und damit insbesondere durch Erteilung von Weisungen bzw. durch „Veranlassungen“ des herrschenden Unternehmens, aber auch „dezentral“, insbesondere vermittels personeller Verflechtungen, geschehen kann, solange nur auf einzelne Unternehmensbereiche durch Richtlinien über die zu verfolgende Unternehmenspolitik und durch Kontrolle ihrer Einhaltung planmäßig und dauerhaft leitender Einfluss ausgeübt wird.27 23   So namentlich Meier WPg. 1966, 570, 573; näher Gessler BB 1977, 1313, 1315 ff.; Semler DB 1977, 805, 807 ff. 24  Schmidt/Lutter/Vetter (Fn. 22), § 18 Rn. 11; MünchKommAktG/Bayer (Fn. 18), § 18 Rn. 30, 33; Hüffer/Koch (Fn. 18), § 18 Rn. 9 ff.; im Grundsatz auch Emmerich/Habersack/ Emmerich (Fn. 18), § 18 Rn. 14; für Maßgeblichkeit einheitlicher Finanzplanung KölnKommAktG/Koppensteiner, 3. Aufl. 2011, § 18 Rn. 17 ff.; ähnlich GroßkommAktG/Windbichler (Fn. 18), § 18 Rn. 24 ff. 25   BAG AG 1996, 367, 368; BayObLG AG 2002, 511; BayObLG NZG 1998, 509, 510; OLG Düsseldorf AG 2013, 720, 721; OLG Stuttgart AG 1990, 168, 169; näher Habersack/ Henssler/Habersack (Fn. 5), § 5 MitbestG Rn. 22 ff., Raiser/Veil/Jacobs/Raiser (Fn. 10), § 5 MitbestG Rn. 13, jew. mit weit. Nachw. 26   Unstreitig, s. statt aller Hüffer/Koch (Fn. 18), § 18 Rn. 12. 27  Wißmann/Kleinsorge/Schubert/Wißmann (Fn. 8), § 5 MitbestG Rn. 31; Habersack/ Henssler/Habersack (Fn. 5), § 5 MitbestG Rn. 24 mit weit. Nachw.; s. ferner Begr. RegE, in Kropff, AktG, 1965, S. 33: „Als Zusammenfassung unter einheitlicher Leitung muß es bereits angesehen werden, wenn die Konzernleitung die Geschäftspolitik der Konzern-

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Durchaus anspruchsvoll ist es freilich, im Einzelfall die einheitliche Leitung von der unkoordinierten Verwaltung multiplen Beteiligungsbesitzes abzugrenzen. Denn zwar trifft es im Ausgangspunkt zweifelsohne zu, dass es beispielsweise bei einer Vermögensholding an einheitlicher Leitung fehlt, während die Führungsholding gerade durch Wahrnehmung ihrer konzernweiten Steuerungsaufgabe gekennzeichnet ist.28 Doch ist es gerade die Frage, wo die Wahrnehmung von Beteiligungsrechten endet und in einheitliche Leitung übergeht. Dass nämlich auch die Gruppenspitze von ihren mitgliedschaftlichen Rechten Gebrauch macht und nicht nur die Geschäftsführung der einzelnen Beteiligungsgesellschaft kontrolliert,29 sondern beispielsweise die Geschäftsführer der Tochter-GmbH und Mitglieder des Tochter-Aufsichtsrats bestellt und abberuft, in der Gesellschafterversammlung der Tochter-GmbH nicht nur über Strukturmaßnahmen (Satzungsänderungen, Unternehmensverträge usw.), sondern auch über wesentliche Geschäftsführungsmaßnahmen mitentscheidet und im Aufsichtsrat der Tochter-AG vermittels Zustimmungsvorbehalten gemäß § 111 Abs. 4 S. 2 AktG an wesentlichen Tochtermaßnahmen mitwirkt, ist nicht nur das gute und selbstverständliche Recht eines dominierenden oder gar beherrschenden Gesellschafters, sondern im Zweifel sogar Ausfluss der Sorgfaltspflichten der Geschäftsleiter der Unternehmensspitze.30 2.  Konzernvermutung und Vermutungsbasis Die Praxis mag sich hier mit der Vermutung des § 18 Abs. 1 S. 3 AktG behelfen und annehmen, dass einheitliche Leitung durch enge personelle Verflechtungen, durch Einführung eines zentralen Cash Managements oder durch weitreichende und konzernweit einheitliche Zustimmungsvorbehalte indiziert werde.31 Soweit sie allerdings für die Widerlegung der Konzernvermutung die Feststellung von Tatsachen verlangt, „aus denen folgt, daß das herrschende Unternehmen von seinen Einflußmöglichkeiten keinen Gebrauch macht oder es an einer planmäßigen Leitung oder an einer Abstim-

gesellschaften und sonstige grundsätzliche Fragen ihrer Geschäftsleitung aufeinander abstimmt. Diese Abstimmung setzt kein Weisungsrecht voraus.“ 28  S. einstweilen nur Lutter in Lutter/Bayer, Holding-Handbuch, 5. Aufl. 2015, § 1 Rn. 50, 52; ferner Kraft/Kuhn in IDW, WP-Handbuch, 15. Aufl. 2017, Rn. C 162. 29   Deutlich Lutter/Bayer/Lutter (Fn. 28): Bloße Kontrolle erfüllt nicht einheitliche Leitung. 30   Näher zur Frage gruppenweiter Sorgfaltspflichten Habersack in Festschrift Möschel, 2011, S. 1175 ff.; Verse ZHR 175 (2011), 401 ff. 31   OLG Dresden AG 2011, 88; OLG Düsseldorf AG 2013, 720, 721; OLG Stuttgart AG 1990, 168, 169; LG Oldenburg ZIP 1992, 1632, 1636; näher Emmerich/Habersack/Emmerich (Fn. 18), § 18 Rn. 12, 14a f.

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mung der Unternehmenspolitik fehlt“,32 schießt dies über das Ziel hinaus. Nachdem nämlich die Einflussnahme auf die abhängige Gesellschaft auch dann, wenn sie nachteiliger Natur ist, für sich genommen noch keine einheitliche Leitung begründet, vielmehr auch bei bloßer Abhängigkeit begegnet,33 ist die Vermutungsbasis insoweit schief. Entsprechendes gilt entgegen beiläufig geäußerter Ansicht34 für den Umstand, dass ein Konzernabschluss – sei es nach §§ 290 ff. HGB oder nach IFRS – erstellt wird. Da die Pflicht zur Erstellung eines „Konzernabschlusses“ sowohl nach § 290 HGB als auch nach IFRS an die Möglichkeit des beherrschenden Einflusses anknüpft,35 ist sie wie auch ihre Erfüllung für die Abgrenzung zwischen bloßer Abhängigkeit und einheitlicher Leitung ersichtlich untauglich. Auch die Existenz eines gruppenweiten Risikomanagementsystems auf Ebene eines als Kapitalgesellschaft verfassten herrschenden Unternehmens ist keine hinreichende Vermutungsbasis, nachdem der Geschäftsleiter einer solchen Gesellschaft schon nach §§ 91 Abs. 2, 93 Abs. 1 S. 1 AktG, § 43 Abs. 2 GmbHG gehalten sein kann, auf Ebene der Beteiligungsgesellschaften angesiedelte Risiken in den Blick zu nehmen.36 3.  Maßgeblichkeit einer auf den Unternehmensverbund ausgerichteten Zielkonzeption Lässt man die Konzernvermutung des § 18 Abs. 1 S. 3 AktG beiseite und fragt man, was den Unterschied zwischen tatsächlicher Einflussnahme auf die abhängige Gesellschaft und einheitlicher Leitung ausmacht, so stößt man in Rechtsprechung und Schrifttum auf eine Reihe von Abgrenzungsformeln. Nach Ansicht des OLG Düsseldorf muss sich die „bestimmende Einflussnahme auf wesentliche Führungsfunktionen in einem einzelnen zentralen Konzernbereich“ in der Weise äußern, dass „die herrschende Gesellschaft die abhängige Gesellschaft ihren eigenen unternehmerischen Zielen unterwirft und dadurch deren Führungsentscheidungen maßgeblich beeinflusst, so dass von einer eigenständigen Verfolgung von Unternehmenszielen durch die abhängige Gesellschaft nicht mehr gesprochen werden kann“.37 Soweit es

32   So BayObLGZ 2002, 46, 50; ebenso OLG Düsseldorf AG 2013, 720, 721; s. ferner BayObLG NZG 1998, 509. 33   S. unter III. 1., IV. 3., V. 34   OLG Düsseldorf AG 2013, 720 Rn. 22; OLG München NZG 2009, 112, 114; Emmerich/Habersack/Emmerich, (Fn. 18), § 18 Rn. 14b; dagegen zu Recht K. Schmidt/Lutter/ Vetter (Fn. 18), § 18 Rn. 11; Spindler/Stilz/Schall (Fn. 18), § 18 Rn. 14; Grigoleit/Grigoleit (Fn. 18), § 18 Rn. 7. 35   Näher in Staub/Kindler, 5. Aufl. 2011, § 290 Rn. 19 ff.; Staub/Wüstemann/Wüstemann, 5. Aufl. 2011, § 315a Rn. 4. 36   S. bereits unter IV. 1. 37   OLG Düsseldorf AG 2013, 720 Rn. 22.

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in der Entscheidung weiter heißt, „dass für die Annahme einer einheitlichen Leitung bereits die bestimmende Einflussnahme auf wesentliche Führungsfunktionen in einem einzelnen zentralen Konzernbereich, z. B. bei Einkauf, Finanzen, Organisation, Personalwesen und Verkauf, genügt“,38 steht dies zwar insoweit im Einklang mit dem herrschenden weiten Konzernbegriff, als danach die Koordinierung eines von mehreren unternehmerischen Funktionsbereichen genügt, um einheitliche Leitung im Sinne des § 18 Abs. 1 S. 3 AktG zu begründen.39 Indes ist, worauf im Schrifttum zu Recht hingewiesen wird, für die Abhängigkeit der Blickwinkel des abhängigen Unternehmens entscheidend, während sich die „Zusammenfassung unter einheitlicher Leitung“ aus Sicht des leitenden Unternehmens beurteilt.40 Die Ausübung von Leitungsmacht kann eine Einzelmaßnahme darstellen, aber auch in planmäßige Zusammenfassung münden; nur im zweiten Fall handelt es sich um einheitliche Leitung im Sinne des § 18 Abs. 1 AktG.41 Die Einflussnahme als solche und erst Recht die Wahrnehmung von Gesellschafterrechten in mehreren abhängigen Gesellschaften genügen jedenfalls keineswegs, um einheitliche Leitung zu begründen;42 erforderlich ist vielmehr ein koordinierendes, auf Verwirklichung eines einheitlichen Gestaltungsziels gerichtetes Vorgehen. Nur so lässt sich erklären, dass, was im Ergebnis wohl allgemeine Meinung ist, eine reine Finanzholding, die nicht strategisch auf der unternehmerischen Ebene ihrer Beteiligung agiert, nicht einheitlich leitet im Sinne des § 18 Abs. 1 S. 1 AktG.43 Passgenauer ist deshalb die vom OLG Dresden44 in Anlehnung an Literaturstimmen45 entwickelte Formel, dass sich die abhängigen Gesellschaften „einer zentralen Leitung unter Entwicklung einer auf das Gesamtinteresse der verbundenen Unternehmen ausgerichteten Zielkonzeption unterstellen“ müssen, soll einheitliche Leitung zu bejahen sein. Daran trifft zu, dass herrschendes und abhängiges Unternehmen nur dann unter einheitlicher   OLG Düsseldorf AG 2013, 720 Rn. 21 mit weit. Nachw.   S. unter III. 2. 40  GroßkommAktG/Windbichler (Fn. 18), § 18 Rn. 21. 41  GroßkommAktG/Windbichler (Fn. 18), § 18 Rn. 21; ähnlich WP-Handbuch/Kraft/ Kuhn (Fn. 28), Rn. C 157. 42   Irrelevant deshalb die (nach Beweisaufnahme getroffene) Feststellung des OLG Düsseldorf (AG 2013, 720 Rn. 31), dass die Gesellschafterversammlung „tatsächlich keinen Einfluss auf die Geschäftsführung ausübt.“ 43  GroßkommAktG/Windbichler (Fn. 18), § 18 Rn. 25; s. ferner KölnKommAktG/Koppensteiner (Fn. 24), § 18 Rn. 23: „Wirtschaftliche Einheit und Planungseinheit (einschließlich der dazugehörenden Kontrolle) sind ein und dasselbe.“ 44   OLG Dresden NZG 2011, 462. 45  So oder ähnlich namentlich Emmerich/Habersack/Emmerich, Konzernrecht, 10. Aufl. 2013, § 4 Rn. 17; Hüffer, AktG, 10. Aufl. 2012, § 18 Rn. 12 a.E.; weitergehend sodann – freilich nicht überzeugend – Hüffer/Koch, 11. Aufl. 2014, 12. Aufl. 2016, 13. Aufl. 2018, § 18 Rn. 12, wonach „jede Form der Einflussnahme“ genügen soll. 38 39

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Leitung zusammengefasst sind,46 wenn die tatsächlich erfolgende Einflussnahme durch das herrschende Unternehmen auf Implementierung einer die Konzernglieder umfassenden einheitlichen Konzernpolitik zielt,47 die verbundenen Unternehmen mithin in ein übergeordnetes Gesamtunternehmensinteresse eingebettet sind.48 Beherrscht das herrschende Unternehmen mehrere abhängige Gesellschaften, muss deshalb die Einflussnahme über die unkoordinierte Wahrnehmung der Gesellschafterrechte in der einzelnen abhängigen Gesellschaft hinausgehen; erforderlich ist eine Koordinierung mit dem Ziel, auf Ebene der abhängigen Gesellschaften und bezogen auf zumindest einen unternehmerischen Funktionsbereich eine gleichförmige Unternehmenspolitik durchzusetzen, sei es zwischen dem herrschenden Unternehmen (soweit dieses operativ tätig ist) und einzelnen oder sämtlichen Konzerngliedern, sei es beschränkt auf einzelne oder sämtliche Konzernglieder, aber gesteuert durch das herrschende Unternehmen. Dies ist im Folgenden am Beispiel wesentlicher unternehmerischer Funktionsbereiche zu konkretisieren.

V.  Abgrenzung im Einzelnen 1. Finanzbereich Was zunächst den Finanzbereich anbelangt, so fehlt es jedenfalls dann an einheitlicher Leitung, wenn die Beteiligungsgesellschaften ihre Investitionsund Finanzierungsentscheidungen ebenso wie ihre Finanzplanung autonom und unbeeinflusst durch die Gruppenspitze tätigen, es an einem Cash Pooling und Cash Management-System fehlt und die Beteiligungsgesellschaften nicht nur jeweils eigene Bankverbindungen unterhalten, sondern sich zudem extern – insbesondere unter Inanspruchnahme von Drittdarlehen oder über den Kapitalmarkt – finanzieren. Auch spricht es gegen das Vorliegen einer einheitlichen Leitung, dass die Beteiligungsgesellschaften im Zusammenhang mit der Rechnungslegung und Abschlussprüfung jeweils ihre eigenen 46   Zur Frage, ob dem Merkmal der „Zusammenfassung“ ein eigenständiger Bedeutungsgehalt zukommt oder ob es sich bei dem Erfordernis der „Zusammenfassung unter einheitlicher Leitung“ um ein einziges, durch einheitliche Leitung geprägtes Merkmal handelt, s. einerseits (eigenständige Bedeutung verneinend) MünchKommAktG/Bayer (Fn. 18), § 18 Rn. 27; Grigoleit/Grigoleit (Fn. 18), § 18 Rn. 5); andererseits (eigenständige Bedeutung bejahend) Emmerich/Habersack/Emmerich (Fn. 18), § 18 Rn. 15 f. 47  Instruktiv Slongo, Der Begriff der einheitlichen Leitung als Bestandteil des Konzernbegriffs, Betriebswirtschaftliche Analyse und Folgerungen für einen Konzernbegriff de lege ferenda, 1980, S. 71 ff.; Theissen, Der Konzern, 2. Aufl. 2000, S. 34 ff., 127 ff. 48   So plastisch Spindler/Stilz/Schall (Fn. 22), § 18 Rn. 14. – Zur insoweit irrelevanten Frage, ob es ein „Konzerninteresse“ gibt, s. Hoffmann-Becking in Festschrift Hommelhoff, 2012, S. 433 ff.

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Prüfer und Berater mandatieren. Davon unberührt bleibt zwar die Pflicht des herrschenden Unternehmens zur Erstellung und Prüfung eines „Konzernabschlusses“, die freilich, wie erwähnt,49 nicht an einheitliche Leitung, sondern an Kontrolle anknüpft und deshalb nicht nur im Rahmen der Konzernvermutung des § 18 Abs. 1 S. 3 AktG, sondern auch und erst Recht im Rahmen des § 18 Abs. 1 S. 1 AktG gänzlich indifferent ist. Mit Blick hierauf ist es sub specie des § 18 Abs. 1 S. 1 AktG auch irrelevant, dass die Beteiligungsgesellschaften ihre Finanzkennzahlen nebst Investitionsplanung und Finanzierungsbedarf „nach oben“ melden, um dort die gruppenweiten Zahlen zu erfassen und gegebenenfalls auch das Gesamtinvestitionsvolumen der Gruppe feststellen zu können. Mit derlei gruppeninternen Informationserteilungen ist schon keine aktive, gestalterische Einflussnahme auf die investive oder operative Tätigkeit der Beteiligungsgesellschaften verbunden, solange es den Beteiligungsgesellschaften freisteht, den für die angestrebte Investition erforderlichen Kapitalbedarf autonom zu decken. Auch auf Finanzierungsentscheidungen der abhängigen Gesellschaft bezogene Zustimmungsvorbehalte (sei es zugunsten der Gesellschafterversammlung oder des Aufsichtsrats) sind grundsätzlich nur Ausprägungen der Gesellschafterstellung des herrschenden Unternehmens und vermögen deshalb als solche eine einheitliche Leitung nicht zu begründen. Dies gilt auch dann, wenn derlei Zustimmungsvorbehalte mehr oder weniger gleichförmig gegenüber allen oder mehreren Beteiligungsgesellschaften existieren. Einheitliche Leitung wird hierdurch erst dann begründet, wenn die Zustimmungsvorbehalte und ihre Handhabung eine Koordinierung des Finanzierungsverhaltens der Beteiligungsgesellschaften zur Folge haben. Daran fehlt es, wenn das herrschende Unternehmen kraft seines Einflusses auf Satzung oder Geschäftsordnung die Aufnahme bestimmter Darlehen oder die Begebung einer Anleihe an seine Zustimmung bindet, im Übrigen aber die Finanzierungsautonomie der Beteiligungsgesellschaften nicht beschränkt. Verhält es sich schließlich so, dass das herrschende Unternehmen den Beteiligungsgesellschaften Darlehen gewährt,50 so mag damit zwar eine mittelbare Einflussnahme auf Investitionsentscheidungen oder auch allgemein auf die operative Tätigkeit einhergehen, insbesondere dann, wenn die Darlehen nicht zweckfrei, das heißt nicht zur freien Verfügung durch die jeweilige Beteiligungsgesellschaften überlassen werden. Auch in diesem Fall fehlt es aber jedenfalls dann an einer im Rahmen des § 18 Abs. 1 S. 1 AktG unerlässlichen Koordinierung des Finanzierungsverhaltens der Beteiligungsgesell  S. unter IV. 2.   Im umgekehrten Fall eines upstream-Darlehens oder der Besicherung einer Verbindlichkeit des herrschenden Unternehmens gegenüber einem Dritten durch die Beteiligungsgesellschaft liegt gleichfalls einheitliche Leitung nicht vor, solange die Beteiligten nicht zu einem konzernweiten Cash Pooling und Cash Management übergehen. 49 50

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schaften, solange es deren autonomer Entscheidung überlassen bleibt, ob sie das Finanzierungsangebot des herrschenden Unternehmens annehmen. 2. Personalbereich Hinsichtlich der Personalpolitik ist zu unterscheiden. Was zunächst die Bestellung der Geschäftsleiter (Vorstandsmitglieder, Geschäftsführer) anbelangt, so ist sie mittelbar (so im Falle der Bestellung durch den Aufsichtsrat) oder unmittelbar (so bei Bestellung durch die Gesellschafterversammlung) Ausfluss der mitgliedschaftlichen Befugnisse des herrschenden Unternehmens. Einheitliche Leitung wird auch nicht dadurch begründet, dass das herrschende Unternehmen von diesen seinen Befugnissen bei sämtlichen Beteiligungsgesellschaften Gebrauch macht. Dies gilt an sich auch bei personellen Verflechtungen. Vor dem Hintergrund, dass bei Mehrfachmandaten streng zwischen den verschiedenen Organfunktionen zu unterscheiden und ein jedes Mandat im Interesse der jeweiligen Einzelgesellschaft zu führen ist,51 muss nämlich mit derlei Verflechtungen nicht notwendigerweise eine auf das Gesamtinteresse der verbundenen Unternehmen ausgerichtete Zielkonzeption einhergehen. Deshalb ist es auch nicht ausgeschlossen, die Konzernvermutung des § 18 Abs. 1 S. 3 AktG trotz des Bestehens personeller Verflechtungen zu widerlegen. Richtig ist freilich auch, dass die Vermutung durch personelle Verflechtungen weiter untermauert wird52 und an ihre Widerlegung dann umso größere Anforderungen zu stellen sind. In Bezug auf unterhalb des Leitungsorgans angesiedelte Angestellte der Beteiligungsgesellschaften fehlt es an einheitlicher Leitung, wenn die Anstellungsverträge nicht mit dem herrschenden Unternehmen, sondern mit der jeweiligen Beteiligungsgesellschaft geschlossen werden und die Konditionen von dieser autonom und ohne Bindung an Vorgaben des herrschenden Unternehmens festgesetzt werden, es also an „Konzernanstellungsverträgen“ und konzernweiten Tarifen fehlt. Wiederum gilt, dass die durch Zustimmungsvorbehalte vermittelte Mitsprache des herrschenden Unternehmens bei der Auswahl und Anstellung bestimmter leitender Angestellter einheitliche Leitung noch nicht zu begründen vermag, wenn und soweit diese nicht der Durchsetzung einer gruppenweiten Personalpolitik dient, sondern Teil einer auf die Verhältnisse der jeweiligen Beteiligungsgesellschaft zugeschnittenen Personalentscheidung ist.

51   Vgl. BGHZ 180, 105 Rn. 16: „Der Doppelmandatsträger hat vielmehr bei seinen Entscheidungen stets die Interessen des jeweiligen Pflichtenkreises wahrzunehmen“; am Beispiel von Verschwiegenheitsverpflichtungen BGH NZG 2016, 910 Rn. 31 ff.; dazu Habersack DB 2016, 1551 ff. 52   S. bereits unter IV. 2.

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3.  Operativer Bereich Die hinsichtlich des Finanz- und des Personalbereichs getroffenen Feststellungen lassen sich weitgehend auf den operativen Bereich übertragen. Auch insoweit gilt, dass die durch Zustimmungsvorbehalte begründete Teilhabe des herrschenden Unternehmens an bedeutenden Geschäftsführungsangelegenheiten (unter Einbeziehung von Maßnahmen der Unternehmensplanung) zunächst einmal Ausprägung des mit der Beteiligung verbundenen allgemeinen Einflusspotentials des beherrschenden Gesellschafters ist und einheitliche Leitung erst dann begründet, wenn derlei Instrumente dazu dienen, eine das Gesamtinteresse der verbundenen Unternehmen ausgerichtete Zielkonzeption zu entwickeln und umzusetzen; die unkoordinierte Mitsprache an wichtigen Angelegenheiten genügt insoweit nicht. Auch Gespräche des herrschenden Unternehmens mit den Geschäftsführungen der Beteiligungsgesellschaften zu Fragen der Unternehmensentwicklung nebst Einholung von Berichten zu Entwicklungen innerhalb der Beteiligungsgesellschaften sind sub specie des § 18 Abs. 1 S. 1 AktG irrelevant.53 Zwar trifft es zu, dass sich einheitliche Leitung „auch in der lockeren Form gemeinsamer Beratungen vollziehen (…) kann“.54 Zu verlangen ist insoweit allerdings, dass sich hinter der „Beratung“ der Geschäftsführung faktisch eine „Veranlassung“ zu einer vom Gesellschafter gewünschten Maßnahme verbirgt und diese Ausdruck einer koordinierenden Einflussnahme auf die Geschäftsführung der Beteiligungsgesellschaft ist.

VI. Resümee Die tatsächliche Einflussnahme des herrschenden Unternehmens (mag sie nachteiliger Art sein oder auch nicht) auf die abhängige Gesellschaft ist, dies sollte der Beitrag verdeutlicht haben, eine zwar notwendige, indes keineswegs hinreichende Voraussetzung für das Vorliegen einheitlicher Leitung. Soll ein Unterordnungskonzern begründet werden, muss die Einflussnahme vielmehr mit einer auf das Gesamtinteresse der verbundenen Unternehmen ausgerichteten Zielkonzeption für zumindest einen unternehmerischen Funktionsbereich einhergehen. Daran fehlt es, wenn das herrschende Unternehmen das ihm gesellschaftsrechtlich zustehende Einflusspotential für die Kontrolle der Geschäftsführungen der Beteiligungsgesellschaften nutzt,55 aber auch dann, wenn es die Geschäftsleiter der Beteiligungsgesellschaften 53  Vgl. am Beispiel der Vermögensholding und atypischen Holdinggesellschaften Lutter/Bayer/Lutter (Fn. 28), § 1 Rn. 50 f. 54   BayObLG NZG 1998, 509, 510; in diesem Sinne bereits Begr. RegE in Kropff, AktG, 1965, 33. 55  Lutter/Bayer/Lutter (Fn. 28): Bloße Kontrolle erfüllt nicht einheitliche Leitung.

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bestellt und über Zustimmungsvorbehalte an wesentlichen Geschäftsführungsangelegenheiten partizipiert, solange sich das Verhalten in der Einflussnahme auf die einzelne Beteiligungsgesellschaft erschöpft und es an einer die unternehmerischen Aktivitäten der Beteiligungsgesellschaften koordinierenden Einflussnahme fehlt. Für die Konzervermutung des § 18 Abs. 1 S. 3 AktG bedeutet dies, dass ihre erfolgreiche Widerlegung nicht von dem Nachweis abhängig gemacht werden kann, dass das herrschende Unternehmen von seinen Einflussmöglichkeiten keinen Gebrauch macht, mithin seine Kontroll- und Teilhaberechte als beherrschender Gesellschafter nicht wahrnimmt. Die Möglichkeit beherrschenden Einflusses wie auch die Wahrnehmung dieser Möglichkeit kennzeichnen vielmehr den Abhängigkeitstatbestand des § 17 Abs. 1 AktG, lassen indes nicht auf eine Interessenkoordinierung schließen.

Weisungsrecht und Berichtswege bei der Konzernleitung in Matrixstrukturen Stephan Harbarth I. Einführung Weltweit beherrscht der Konzern die Unternehmenspraxis.1 Unbeschadet der rechtlichen Selbständigkeit der einzelnen Konzerngesellschaften wird im Konzern meist eine einheitliche Leitung angestrebt. Die Konzernobergesellschaft wünscht regelmäßig die Befugnis, in die Konzerngesellschaften „hineinregieren“ zu können. Namentlich durch enge Liefer- und Leistungsbeziehungen, arbeitsteilige Konzentration von Funktionen wie etwa Forschung, Datenverarbeitung und Finanzierung und einen wirtschaftlich einheitlichen Auftritt am Markt sollen vor allem Rationalisierungseffekte ausgelöst werden.2 Da das gesetzliche Leitbild des Kompetenz- und Verantwortungsgefüges im Konzern dem Anforderungsprofil jedenfalls eines großen Konzerns in der Unternehmenswirklichkeit nicht entspricht, wird oftmals eine Konzernorganisationsstruktur geschaffen, die stärker auf die individuellen Bedürfnisse der jeweiligen Unternehmensgruppe zugeschnitten ist. Dies geschieht in der Praxis häufig mittels einer sog. Matrixstruktur. Der folgende Beitrag nimmt ausgewählte Fragen in den Blick, die sich bezüglich der Steuerung von Konzernen mit solcher Matrixstruktur ergeben; er vermag nicht alle denkbaren Konzernkonstellationen zu betrachten, sondern beschränkt sich auf die Darlegung allgemeiner Leitlinien mit Schwerpunkten beim faktischen AG- und GmbH-Konzern. Die Bedeutung, die dem II. Zivilsenat des BGH in den vergangenen Jahrzehnten bei der Weiterentwicklung des Konzern-, Organisa­ tions- und Haftungsrechts zukam, gibt Anlass zur Hoffnung, dass die nachfolgenden Überlegungen auf das Interesse des hochverdienten Jubilars stoßen könnten. Vor diesem Hintergrund wird im Folgenden nach einem näheren Problem­ aufriss (dazu II.) zunächst das Wesen von Matrixstrukturen im Konzern erörtert (dazu III.). Sodann wird das Weisungsrecht des Matrixmanagers betrachtet (dazu IV.) und auf die gesellschaftsrechtlichen Auswirkungen 1   Theisen, Der Konzern, 2. Aufl. 2000, S. 1; Lutter, Das unvollendete Konzernrecht, in: Festschrift für K. Schmidt, 2009, S. 1065, 1066. 2   Altmeppen, in: Münchener Kommentar AktG, 4. Aufl. 2015, § 311 Rn. 22 f.

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näher eingegangen (dazu V.), bevor der Frage nach Besonderheiten bei Aktiengesellschaften nachgegangen wird (dazu VI.) und die zentralen Ergebnisse kurz festgehalten werden (dazu VII.).

II. Problemaufriss 1.  Vielgestaltigkeit von Konzernen In der gelebten Wirtschaftspraxis finden sich unterschiedlichste Konzerngebilde.3 Die vielfältigen Erscheinungsformen von Unternehmensgruppen sind dabei meist nicht Folge stringenter, von vornherein geplanter Konzerngestaltung, sondern das Ergebnis zahlreicher über viele Jahre getroffener einzelner unternehmerischer Entscheidungen (z.B. durchgeführter Akquisitionen). Große Bedeutung für die Konzernstruktur haben auch sich ändernde Umweltbedingungen, denen eine fortlaufende Revision und Anpassung der Unternehmensstruktur und Verwaltungsorganisation folgt.4 2.  Ziel einheitlicher Konzernleitung Aus wirtschaftswissenschaftlicher Perspektive wird der Konzern – ungeachtet seiner rechtlichen Struktur – überwiegend als einheitliches Unternehmen verstanden.5 Um eine wirtschaftliche Einheit bilden zu können, bedarf es jedoch einer einheitlichen Leitung der Konzerngesellschaften. Voraussetzung hierfür ist neben einer gemeinsamen – nicht notwendigerweise alle zentralen unternehmerischen Bereiche umfassenden – Zielkonzeption für die Konzerngesellschaften deren einheitliche Steuerung.6 3.  Probleme bei einheitlicher Konzernleitung Die Verankerung und Umsetzung einer solchen für möglichst viele Konzerngesellschaften einheitlichen Zielkonzeption und die Steuerung der Konzerngesellschaften werden regelmäßig durch deren rechtliche Selbständigkeit 3   Emmerich/Habersack, Konzernrecht, 10. Aufl. 2013, § 4 Rn. 3; beispielhaft zu verschiedenen Konzernarten und Konzernstrukturen Liebscher, in: Münchener Kommentar GmbHG, 3. Aufl. 2018, Anhang zu § 13 Rn. 141 ff. 4   Wieneke, Leitungsstrukturen bei Integration in internationale Konzerne, in: VGR, Gesellschaftsrecht in der Diskussion 2010, S. 91 f. 5   Lutter, Das unvollendete Konzernrecht, in: Festschrift für K. Schmidt, 2009, S. 1065, 1067; Emmerich, in: Emmerich/Habersack, Aktien- und GmbH-Konzernrecht, 8. Aufl. 2016, § 18 AktG Rn. 5. 6   Zur Abgrenzung des „engen“ und des „weiten“ Konzernbegriffs siehe Bayer, in: Münchener Kommentar AktG, 4. Aufl. 2016, § 18 Rn. 28 ff.; Emmerich, in: Emmerich/Habersack, Aktien- und GmbH-Konzernrecht, 8. Aufl. 2016, § 18 AktG Rn. 10 ff.

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und das gesetzlich statuierte Kompetenz- und Verantwortungsgefüge vor Probleme gestellt. Dies beruht auf mehreren Faktoren: –– Das Konzernrecht ist in Deutschland lediglich partiell kodifiziert. Während für den Aktienkonzern umfangreiche Regelungen bestehen, ist dies für den GmbH-Konzern und den Personengesellschafts-Konzern nicht der Fall. –– Soweit für den Aktienkonzern kodifiziertes Recht besteht, ist dieses vornehmlich auf ein- und zweistufige Konzerne, nicht aber auf die in der unternehmerischen Praxis zumeist anzutreffenden vielstufigen Unternehmensverbindungen zugeschnitten.7 –– Einheitliche Strukturen innerhalb des Konzerns werden zusätzlich durch die Vielzahl der in der Konzernwirklichkeit anzutreffenden Gesellschaftsformen erschwert. Greifen bereits im nationalen Konzernrecht rechtsformabhängig unterschiedliche Vorgaben ein, gilt dies erst recht mit Blick auf Gesellschaften, die ausländischen Rechtsordnungen unterworfen sind. Erschwerend kommt hinzu, dass ausländische Rechtsordnungen konzernrechtliche Kodifikationen zumeist nicht kennen.8 –– Da das zur einheitlichen Konzernleitung notwendige Verantwortungs- und Kompetenzgefüge nicht durch das geltende Gesetzesrecht selbst abgebildet wird, schaffen sich die Konzerne in der unternehmerischen Wirklichkeit die gewünschten Strukturen zumeist mittels betriebswirtschaftlicher Organisationsmodelle und deren Einbettung in von der Rechtsordnung zur Verfügung gestellte Gestaltungsmöglichkeiten. Dies hat zur Folge, dass in der Praxis der (gesellschafts-)rechtliche Normalfall des Konzerns einerseits und die betriebswirtschaftlich erstrebte Organisation andererseits auseinanderfallen. Gerade bei internationalen Konzernen ist eine solche rechtsforminkongruente Struktur nahezu unvermeidbar.9 Wesentlicher Bestandteil der betriebswirtschaftlich gewünschten Organisation ist zumeist die Einrichtung sog. funktionaler Weisungsstrukturen und Berichtswege (etwa im Rahmen konzernweiter fachlicher Einheiten, wie z.B. in den Bereichen Finanzen oder Recht).10 Erst diese funktionalen Weisungsstrukturen und Berichtswege ermöglichen es, das gesetzliche Kompetenzgefüge der – rechtlich selbständigen – Konzerngesellschaften zu überwinden und die gewünschte, den individuellen Bedürfnissen angepasste konzerninterne

7   Emmerich, in: Emmerich/Habersack, Aktien- und GmbH-Konzernrecht, 8. Aufl. 2016, § 18 AktG Rn. 4. 8   Altmeppen, in: Münchener Kommentar AktG, 4. Aufl. 2015, Vorbemerkung Rn. 33; Koppensteiner, in: Kölner Kommentar zum AktG, 3. Aufl. 2004, Vorbemerkung vor § 291 Rn. 115 ff. 9   So auch Wieneke, Leitungsstrukturen bei Integration in internationale Konzerne, in: VGR, Gesellschaftsrecht in der Diskussion 2010, S. 91 f. 10   Seibt/Wollenschläger, AG 2013, 229.

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Hierarchie zu schaffen.11 Es bedarf mithin der Ausgestaltung eines rechtlichen Rahmens, der die Umsetzung der betriebswirtschaftlich gewünschten Struktur unter Wahrung der geltenden rechtlichen Vorgaben ermöglicht. 4.  Weisungsrechte und Berichtswege nach gesetzlichem Regelfall Wie Weisungsrechte und Berichtswege im Konzern nach der gesellschaftsrechtlichen Kompetenzordnung in ihrer gesetzlich angelegten Grundform verlaufen, sei anhand eines Beispiels illustriert (wobei zu Vereinfachungszwecken eine lediglich zweigliedrige Konzernstruktur betrachtet wird): Mit Blick auf die Strategie einer Konzerngesellschaft für ein bestimmtes Produkt würde sich der produktverantwortliche Mitarbeiter der Obergesellschaft an das Geschäftsführungsorgan der Obergesellschaft, dieses sich über die Gesellschafterstellung an das Geschäftsführungsorgan der Tochtergesellschaft, dieses sich sodann – gegebenenfalls über mehrere Hierarchieebenen vermittelt – an den produktverantwortlichen Mitarbeiter der Konzerngesellschaft wenden. Dass ein solches Prozedere äußerst umständlich ist, liegt auf der Hand. Wünschenswert ist aus Sicht der Praxis mithin ein Weisungsstrang, der es erlaubt, dass der produktverantwortliche Mitarbeiter der Obergesellschaft den zuständigen Mitarbeiter der Konzerngesellschaft unmittelbar instruiert. Hierzu bedarf es gleichsam des Überspringens zweier Kommunikationsschritte: des Kommunikationsschritts innerhalb der Obergesellschaft sowie des Kommunikationsschritts innerhalb der Konzerngesellschaft; es soll zumeist nur ein Kommunikationsschritt, nämlich der zwischen den Mitarbeitern von Obergesellschaft und Konzerngesellschaft, verbleiben. Spiegelbildlich verlaufen die Berichtswege: Im gesetzlichen Regelfall berichtet der zuständige Mitarbeiter der Konzerngesellschaft nicht dem Produktverantwortlichen der Obergesellschaft (was betriebswirtschaftlich häufig gewünscht ist), sondern – gegebenenfalls über mehrere Hierarchieebenen vermittelt – dem Geschäftsführungsorgan der Konzerngesellschaft, das wiederum den Gesellschafter der Konzerngesellschaft unterrichtet, also das Geschäftsführungsorgan der Obergesellschaft, das diese in der Gesellschafterversammlung der Konzerngesellschaft vertritt und die Information dann an den Produktverantwortlichen der Obergesellschaft weiterleitet.

11   Liebscher, in: Münchener Kommentar GmbHG, 3. Aufl. 2018, Anhang zu § 13 Rn. 149 f.

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III.  Matrixstrukturen im Konzern Auch wenn eine allgemeingültige Definition der Begriffe „Matrixstruktur“ bzw. „Matrixorganisation“ wohl nicht existiert,12 kann insoweit von einem im Wesentlichen übereinstimmenden Begriffsverständnis innerhalb der juristischen und betriebswirtschaftlichen Fachliteratur ausgegangen werden. Von einer Matrixstruktur ist dann zu sprechen, wenn innerhalb einer Gesellschaft oder unternehmensübergreifend im Konzern ein Organisationsaufbau gewählt wird, bei dem die Zuständigkeiten ohne Rücksicht auf die gesellschafts- und arbeitsrechtlichen Verantwortlichkeiten mehrdimensional an bestimmten Merkmalen oder Fachbereichen orientiert werden (beispielsweise einerseits an Produktgruppen und andererseits an Regionen). Dies sei an folgendem Beispiel grafisch verdeutlicht:

Abb.: Beispiel einer Region-Produkt-Matrix im Konzern

Eine derartige organisatorische Gliederung muss nicht zwangsläufig den gesamten Konzern oder die gesamte Gesellschaft erfassen, sondern kann auch zeitlich begrenzt, auf Teilbereiche beschränkt oder projektbezogen eingerichtet sein.13 Typischerweise wird eine zweidimensionale Struktur gewählt (s. vorstehende Abb.), es kann aber auch auf mehr Dimensionen zurückge12   Adži´c , Matrixstrukturen in multinationalen Unternehmen, 2006, S. 3; Knight, MatrixOrganisation: ein Überblick, in: Reber/Strehl, Matrix-Organisation, S. 83 f. 13   Töpfer, Betriebswirtschaftslehre, 2. Aufl. 2007, S. 1231; Witschen, RdA 2016, 38, 39.

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griffen werden.14 Klassische Gliederungseinheiten sind neben Produktgruppen und Regionen insbesondere Funktionen (etwa Beschaffung, Produktion und Verkauf) oder Projekte. Welche der mannigfaltigen Kombinationsmöglichkeiten15 gewählt wird, ist von den Bedürfnissen des betroffenen Unternehmens im Einzelfall abhängig. Die Gliederung in verschiedene strukturelle Dimensionen führt zu gezielten Überschneidungen bei der Zuständigkeit und der Verantwortung für die einzelnen Organisationseinheiten. Dies sei exemplarisch verdeutlicht: Während bei einer eindimensionalen Struktur die gesamten Unternehmensaktivitäten in der Region „Asien“ nur einem Abteilungsleiter unterstehen, der für alle Produkte eigenverantwortlich zuständig ist, treten im Beispiel einer RegionProdukt-Matrix Zuständigkeiten für die verschiedenen Produktsparten hinzu, die ebenfalls jeweils einem Abteilungsleiter zugeordnet sind. Die dadurch geschaffenen „Matrixzellen“ unterstehen dann nicht mehr der Führung eines einzelnen Abteilungsleiters, sondern werden im jeweiligen Fachbereich von den zuständigen Matrixmanagern gemeinsam geleitet (s. Abb. oben).16 Das Kompetenzverhältnis zwischen den Matrixmanagern kann dabei individuell bestimmt werden; auch eine ungleiche Kompetenzverteilung ist möglich.17 Wurde das Kompetenzverhältnis zwischen den Matrixmanagern nicht ausdrücklich geregelt, sieht sich der Arbeitnehmer im Fall mitein­ander unvereinbarer Weisungen aus den unterschiedlichen Fachbereichen unter Umständen vor einem Gehorsamskonflikt,18 der mit der naheliegenden Gefahr verbunden ist, dass es zu einer gegenseitigen Blockade der Matrixmanager kommt und letztlich keine der erteilten Weisungen ausgeführt wird.19 Ausdrückliche konzerninterne Regularien über den Umgang mit Zielkonflikten und widersprüchlichen Weisungen der Matrixmanager sind daher zu empfehlen und mit Blick auf eine klare Organisationsstruktur regelmäßig geboten. Der institutionalisierte Zwang zur Berücksichtigung der verschiedenen Blickrichtungen der Einheiten ermöglicht in der unternehmerischen Praxis fachlich ausgewogene Lösungen komplexer Probleme und führt insgesamt zu einer Optimierung der strategischen Entscheidungen.20 Gerade die durch   Klimmer, Unternehmensorganisation, 4. Aufl. 2015, S. 75.   Adži´c , Matrixstrukturen in multinationalen Unternehmen, 2006, S. 3; Knight, MatrixOrganisation: ein Überblick, in: Reber/Strehl, Matrix-Organisation, S. 83 f. 16   Maywald, Der Einsatz von Arbeitnehmern in Matrixstrukturen multinationaler Konzerne, 2010, S. 20. 17   Klimmer, Unternehmensorganisation, 4. Aufl. 2015, S. 77. 18   Maschmann, NZA 2017, 1557, 1560. 19  Eingehend zu widersprüchlichen Weisungen Birk, Die Arbeitsrechtliche Leitungsmacht, 1973, S. 268 ff., 275; vgl. auch im Folgenden unter IV. a.E. 20   Klimmer, Unternehmensorganisation, 4. Aufl. 2015, S. 77; Kolodny, Führung in einer Matrix, in: Reber/Strehl, Matrix-Organisation, S. 31, 35 f.; Prahalad, Konzept und Leis­ tungsfähigkeit mehrdimensionaler Organisationen, in: Reber/Strehl, Matrix-Organisation, S. 107, 109 f. 14 15

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die horizontale Hierarchie geförderte Aussprache von Meinungsverschiedenheiten begünstigt offene und transparente Entscheidungsprozesse und trägt zur Qualität der Problemlösung bei.21 Im Gegensatz zu eindimensionalen Strukturen ermöglicht es eine Matrixstruktur, Arbeitnehmer der verschiedenen Konzerngesellschaften flexibel in einer Organisationsstruktur zusammenzufassen.22 Dies erlaubt es, Fachkräfte effizienter einzusetzen und durch die Bündelung des Know-How der verschiedenen Fachabteilungen Synergieeffekte zu erzielen.23 Diese Möglichkeit der personellen Zusammenführung fördert zudem die Einrichtung und Verfolgung einheitlicher Konzern-Standards, die die verschiedenen Kompetenzgefüge, die aus den nationalen gesellschaftsrechtlichen Besonderheiten resultieren, überwinden und auf diesem Weg einen Beitrag zu einer einheitlichen Konzernleitung leisten.24

IV.  Weisungsrecht des Matrixmanagers Fraglich ist, wie gegenüber einem Angestellten von Tochter- und (Ur-) Enkelgesellschaften Weisungen erteilt werden können. Hierbei empfiehlt sich ein vom individuellen Kompetenzgefüge (welches maßgeblich durch die Rechtsform der Konzerngesellschaft beeinflusst wird) unabhängiges Weisungsrecht. Zur Gestaltung einer solchen rechtsformunabhängigen Weisungsstruktur kann das durch den Anstellungsvertrag begründete arbeitsrechtliche Weisungsrecht (Direktionsrecht25) herangezogen werden. Auf Grundlage des Direktionsrechts, dessen Inhalt und Grenzen durch § 106 GewO konkretisiert werden,26 ist der Arbeitgeber befugt, Inhalt, Ort und Zeit der Arbeitsleistung nach billigem Ermessen näher zu bestimmen, soweit diese nicht durch Arbeitsvertrag, Betriebsvereinbarung, Tarifvertrag oder gesetzliche Vorschriften festgelegt sind. Wer gegenüber dem Arbeitneh21   Prahalad, Konzept und Leistungsfähigkeit mehrdimensionaler Organisationen, in: Reber/Strehl, Matrix-Organisation, S. 107, 110 ff. 22   Maywald, Der Einsatz von Arbeitnehmern in Matrixstrukturen multinationaler Konzerne, S. 20. 23   Klimmer, Unternehmensorganisation, 4. Aufl. 2015, S. 73. 24   In diesem Sinne auch Seibt/Wollenschläger, AG 2013, 229 f. 25   Müller-Glöge, in: Münchener Kommentar BGB, 7. Aufl. 2016, § 611 Rn. 1016. 26   Joussen, in: BeckOK Arbeitsrecht, Stand: 3/2018, § 611 BGB Rn. 303 ff.; Preis, in: ErfK-ArbR, 18. Aufl. 2018, § 611 Rn. 1 ff.; an dieser Stelle kann lediglich das Direktionsrecht nach deutschem Arbeitsrecht in den Blick genommen werden; zum Direktionsrecht in anderen Rechtsordnungen Ranke, Arbeitsrecht in Frankreich, 1995, Rn. 97 ff; Rebhahn, in: Grundmann/Mazeaud, General Clauses and Standards in European Contract Law, 2006, S. 96 ff. (Großbritannien, Frankreich, Spanien und Italien); Henssler/Braun, Arbeitsrecht in Europa, 2. Aufl. 2007, S. 141 (Belgien), 241 (Dänemark), 324 (Finnland), 451 (Griechenland), 888 (Norwegen), 1118 (Portugal), 1232 (Schweden), 1279 (Schweiz), 1356 (Slowakische Republik), 1581 (Ungarn); rechtsvergleichend Kern, Das Direktionsrecht des Arbeitgebers im deutschen und türkischen Recht, 2014.

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mer vom Weisungsrecht Gebrauch machen kann, wird grundsätzlich durch den Arbeitgeber bestimmt, sofern arbeitsvertraglich keine Einschränkungen vorgenommen wurden. Die Ausübung des arbeitsrechtlichen Weisungsrechts muss nicht durch den Betriebsinhaber selbst erfolgen, sondern kann auch Dritten übertragen werden.27 Dabei wird zwischen dem sog. fachlichen Weisungsrecht und dem sog. disziplinarischen Weisungsrecht differenziert. Eine Ausübung des fachlichen Weisungsrechts ist auch durch Externe möglich, während das disziplinarische Weisungsrecht, zu dem etwa das Recht zur Abmahnung und das Recht zur Kündigung zählen, beim Vertragsarbeitgeber verbleiben sollte.28 Das fachliche Weisungsrecht ermöglicht es den von der Muttergesellschaft eingesetzten, nicht notwendigerweise bei dieser angestellten Matrixmanagern, direkt Weisungen gegenüber Arbeitnehmern der Tochtergesellschaft zu erteilen, die der Matrixzelle zugeordnet sind. Die arbeitsrechtliche Weisungsbefugnis ermöglicht somit eine verbindliche Weisung unterhalb der Geschäftsleitungsebene und wirkt dabei unabhängig von der Rechtsform der Beteiligungsgesellschaft. Da die Matrixmanager in aller Regel nicht in der Tochter-/Matrixgesellschaft angestellt sind, stellt sich die Frage, wie sich das aus dem Arbeitsvertrag zwischen den Arbeitnehmern und der Anstellungsgesellschaft resultierende fachliche Weisungsrecht auf sie erstrecken lässt. Insoweit kommen grundsätzlich mehrere Ansätze in Betracht: –– Es kann ein originäres, eigenes arbeitsrechtliches Weisungsrecht begründet werden. Dazu müssten entweder die Posten der Matrixmanager mit weisungsberechtigten Angestellten aus der Gesellschaft des anzuweisenden Arbeitnehmers besetzt oder mit letzterem ein weiterer Arbeitsvertrag geschlossen werden; mangels Rechtssubjektivität des Konzerns wäre für ein „eigenes“ arbeitsrechtliches Weisungsrecht ein weiterer Vertragsschluss zwischen dem Arbeitnehmer und derjenigen Konzerngesellschaft erforderlich, bei der der Matrixmanager fungiert. Neben dem Vertragsschluss mit der in das Arbeitsverhältnis hinzutretenden Konzerngesellschaft kann sich eine Neugestaltung des bestehenden Arbeitsvertrages mit der aktuellen Anstellungsgesellschaft anbieten, die einerseits eine Ruhensvereinbarung der Hauptleistungspflichten gegenüber der Anstellungsgesellschaft und andererseits eine Entsendungsvereinbarung beinhaltet.29 Da aus der

27   BAG NZA 2003, 1338, 1340; BAG NZA 2006, 597, 603; BAG NZA 2013, 961, 964; Linck, in: Schaub, Arbeitsrechts-Handbuch, 17. Aufl. 2017, § 45 Rn. 13. 28   Maschmann, NZA 2017, 1157, 1558; Seibt/Wollenschläger, AG 2013, 229, 235; eine rechtsgeschäftliche Vertretung bei der Kündigung durch einen Dritten wird unter besonderen Voraussetzungen jedoch für möglich gehalten, siehe dazu Müller-Glöge, in: Erfurter Kommentar zum ArbR, 18. Aufl. 2018, § 620 BGB Rn. 23 ff. 29   Zu den dabei auftretenden arbeitsrechtlichen Fragen wie der Fortführung der betrieblichen Altersvorsorge oder den Voraussetzungen für das Wiederaufleben des ruhenden

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Stellung als Vertragsarbeitgeber zusätzliche Verpflichtungen erwachsen und die angedachte Struktur die Komplexität erhöht, wird an der Vertragsschlussvariante in der Praxis regelmäßig kein Interesse bestehen. –– Ein originäres, eigenes fachliches Weisungsrecht bestünde außerdem, wenn der Matrixmanager oder seine Konzerngesellschaft selbst einen Anspruch gegen die in der Matrixzelle befindlichen Arbeitnehmer auf Erbringung der Arbeitsleistung hätte. Dies könnte im Wege eines Vertrages zugunsten Dritter (§ 328 BGB) erfolgen.30 Ein solcher Vertrag zugunsten Dritter wird regelmäßig in einem sog. Leiharbeitsvertrag zu sehen sein.31 Das Recht des Matrixmanagers zur Leistungsforderung kann bereits beim ursprünglichen Vertragsschluss vereinbart oder nachträglich durch Änderungsvertrag zugesagt werden.32 –– Ebenfalls denkbar ist die Möglichkeit der Abtretung des Anspruchs auf die Arbeitsleistung an den Matrixmanager.33 Zwar ist gemäß der Auslegungsregel in § 613 S. 2 BGB der Anspruch auf die Arbeitsleistung im Zweifel nicht übertragbar.34 Diese Auslegungsregel ist jedoch abdingbar; mit Zustimmung des Arbeitnehmers kann der Anspruch auf die Arbeitsleistung auf den Matrixmanager übertragen werden.35 Aus praktischer Perspektive wird daher der Anstellungsgesellschaft zu empfehlen sein, dass die Zustimmung des Arbeitnehmers für eine etwaige Übertragung des Anspruchs bei Bedarf schon mit dem Vertragsabschluss eingeholt wird; denkbar ist dabei etwa die Verwendung einer sog. „Matrixstrukturklausel“.36 –– Einfacher erscheint eine „Übertragung“ des Weisungsrechts im Rahmen des Rechts der Stellvertretung: Der Matrixmanager übt dann eigenständig das fachliche Weisungsrecht der Anstellungsgesellschaft in deren Namen gegenüber dem Arbeitnehmer aus.37 Aus diesem Grund bedarf es auch vor dem Hintergrund von § 613 S. 2 BGB nicht der Zustimmung des Arbeitnehmers; es gelten insoweit die allgemeinen Grundsätze des Stellvertretungsrechts. An die Offenkundigkeit des Handelns des Matrixmanagers Arbeitsverhältnisses und der Kündigung des Stammverhältnisses siehe näher Maywald, Der Einsatz von Arbeitnehmern in Matrixstrukturen multinationaler Konzerne, 2010, S. 35 ff. 30   Hamann, in: Schüren/Hamann, Arbeitnehmerüberlassungsgesetz, 4. Aufl. 2010, § 1 Rn. 72; Maschmann, NZA 2017, 1157, 1558. 31   Hamann, NZA-Beilage 2014, 3, 5; Walker, AcP 194 (1994), 295, 309 ff. 32   Gottwald, in: Münchener Kommentar BGB, 7. Aufl. 2016, § 328 Rn. 19; Hamann, in: Schüren/Hamann, Arbeitnehmerüberlassungsgesetz, 4. Aufl. 2010, § 1 Rn. 74. 33   Maschmann, NZA 2017, 1157, 1558. 34   Für diesen Fall kommt die Möglichkeit einer Änderungskündigung in Betracht, siehe im Detail dazu: Maywald, Der Einsatz von Arbeitnehmern in Matrixstrukturen multinationaler Konzerne, 2010, S. 127 f. 35   Joussen, in: BeckOK Arbeitsrecht, Stand: 3/2018, § 613 BGB Rn. 16 f. 36   Zur „Matrixstrukturklausel“ siehe im Detail Maywald, Der Einsatz von Arbeitnehmern in Matrixstrukturen multinationaler Konzerne, 2010, S. 126 f. 37   Maschmann, NZA 2017, 1157, 1558; Müller-Bonanni/Mehrens, ZIP 2010, 2228 f.

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für den Vertragsarbeitgeber sind dabei keine allzu hohen Anforderungen zu stellen; bei einmaliger Unterrichtung der Arbeitnehmer werden diese von dem stellvertretenden Charakter des Handelns des Matrixmanagers auch in Zukunft ausgehen können. Fehlt es an einer ausdrücklichen Vollmachtserteilung der Matrixmanager, ist das Vorliegen einer konkludenten Bevollmächtigung zu prüfen. Eine solche liegt vor, wenn die Anstellungsgesellschaft als Vertretene das Handeln der als Vertreter auftretenden Matrixmanager nicht nur kennt, sondern auch mit rechtsgeschäftlichem Willen billigt.38 Diese Willenserklärung ist mittels des Empfängerhorizonts im Einzelfall zu ermitteln (bei einer Innenvollmacht aus Sicht der Matrixmanager, bei einer Außenvollmacht aus Sicht der Arbeitnehmer).39 Liegt keine konkludente Bevollmächtigung vor, kommt eine Anwendung der Grundsätze der Duldungs-40 bzw. Anscheinsvollmacht in Betracht. Die schwierige Abgrenzung zwischen konkludenter Bevollmächtigung einerseits und Duldungsvollmacht andererseits ist dabei vor allem dogmatischer Natur; die Rechtsfolgen sind weitgehend identisch.41 Eine den Matrixmanagern erteilte Vollmacht ist grundsätzlich frei widerrufbar. Das arbeitsrechtliche Direktionsrecht der Geschäftsleitung der Anstellungsgesellschaft wird nicht durch die Bevollmächtigung der Matrixmanager verdrängt, sondern nur in Stellvertretung ausgeübt, sodass keine Gefahr eines endgültigen Verlusts der Weisungsbefugnis droht. Eine Entmachtung der Geschäftsleitung ist daher nicht zu befürchten. Fehlt eine ausdrückliche Kompetenzverteilung zwischen den Matrixmanagern, ist für den Konfliktfall durch Auslegung der Vollmacht im konkreten Einzelfall zu ermitteln, ob jeder Matrixmanager einzeln zu verbindlichen Weisungen berechtigt ist oder ob Weisungen im Sinn einer Gesamtvertretung nur gemeinsam von den Matrixmanagern ausgesprochen werden können. Bei der Bevollmächtigung mehrerer Stellvertreter wird wohl überwiegend die Auffassung vertreten, dass die Vertreter im Zweifel nur gemeinschaftlich zur Ausübung der Vollmacht berechtigt sind (Gesamtvertretung).42 Ob dies mit Blick auf die mit einer Matrixstruktur bezweckte Vereinfachung der Weisungs- und Kommunikationsstränge auch in der vorliegenden Konstellation angenommen werden kann, ist jedenfalls nicht frei von Zweifeln. Eine ausdrückliche Regelung ist mithin   Schäfer, in: BeckOK BGB, Stand: 11/2017, § 167 Rn. 15a; Schilken, in: Staudinger BGB, 2014, § 167 Rn. 29–29b. 39   Schilken, in: Staudinger BGB, 2014, § 167 Rn. 29. 40  Zur umstrittenen rechtsdogmatischen Einordnung der Duldungsvollmacht sei verwiesen auf Merkt, AcP 204 (2004), 638 ff. 41   Schäfer, in: BeckOK BGB, Stand: 11/2017, § 167 Rn. 15, 17; Schubert, in: Münchener Kommentar BGB, 7. Aufl. 2015, § 167 Rn. 102 f. 42   Reetz, in: BeckNotarHdb, 6. Aufl. 2015, Kap. F, Rn. 32; Kristic, in: Schulze/Grziwotz/Lauda, BGB, 3. Aufl. 2017, § 164 Rn. 10. 38

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zu empfehlen und unter dem Gesichtspunkt einer klaren Organisationsstruktur regelmäßig geboten. Auf die Risiken eines potentiellen Gehorsamskonflikts in der Person des angewiesenen Mitarbeiters wurde bereits hingewiesen (dazu oben unter III.).

V.  Gesellschaftsrechtliche Auswirkungen 1.  Delegation und delegationsbezogene Pflichten Die Vorstandsmitglieder einer AG und die Geschäftsführer einer GmbH sind grundsätzlich für die Leitung der Gesellschaft verantwortlich (§ 76 AktG, § 35 GmbHG). Die Vollmachtserteilung zur Wahrnehmung des fachlichen Weisungsrechts durch die Matrixmanager stellt insofern eine Delegation der Leitungsaufgabe der AG-Vorstandsmitglieder bzw. der GmbH-Geschäftsführer dar (mit der Besonderheit, dass in der Konzernhierarchie nicht „nach unten“, sondern „nach oben“ delegiert wird). Eine solche Übertragung von Leitungsaufgaben der Geschäftsleitung ist nach allgemeinen Grundsätzen nicht nur zulässig (unter Einschluss der Delegation auf Externe), sondern kann sich in Ausnahmefällen sogar zu einer Delegationspflicht verdichten, insbesondere wenn das Organmitglied nur so seiner Leitungsverantwortung gerecht werden kann.43 Die Delegation des fachlichen Weisungsrechts auf die Matrixmanager lässt dabei die Geschäftsleiterverantwortung der Organmitglieder nicht entfallen, sondern modifiziert deren Inhalt: Die unmittelbare Leitungs- und Handlungspflicht wandelt sich zu einer allgemeinen Aufsichts- und Kontrollpflicht.44 Eine haftungsvermeidende Delegation setzt grundsätzlich (1) die sorgfältige Auswahl hinsichtlich Qualifikation und Zuverlässigkeit (cura in eligendo), (2) die ordnungsgemäße Einweisung und Unterrichtung (cura in instruendo) und (3) die angemessene Kontrolle und Überwachung (cura in custodiendo) der mit der Leitungsaufgabe betrauten Person durch die Geschäftsleitung voraus.45 Diese Grundsätze lassen sich prinzipiell auch auf Konstellationen der Vollmachtserteilung zur Ausübung des arbeitsrechtlichen Direktionsrechts durch die Matrixmanager anwenden. In diesem Zusammenhang mag man sich die Frage stellen, ob der entsprechende Pflichtenkreis mit Blick auf die Pflicht zur sorgfältigen Auswahl der 43   Harbarth, ZHR 179 (2015), 137, 163; Krämer/Gillessen, in: Krieger/Schneider, Handbuch Managerhaftung, 3. Aufl. 2017, § 32 Rn. 113. 44   Harbarth, ZHR 179 (2015), 137, 163; Pelz, in: Hauschka, Corporate Compliance, 3. Aufl. 2016, § 20 Rn. 4. 45   Harbarth, ZHR 179 (2015), 137, 163; derselbe, ZGR 2017, 211, 215; derselbe, in: Krieger/Schneider, Handbuch Managerhaftung, 3. Aufl. 2018, § 28 Rn. 60; Pelz, in: Hauschka, Corporate Compliance, 3. Aufl. 2016, § 20 Rn. 4; Urban, GWR 2013, 106.

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Matrixmanager (cura in eligendo) eingeschränkt werden sollte. Hierfür ließe sich das Argument anführen, dass die entsprechende Entscheidung in der Praxis häufig über die Köpfe der Geschäftsleitung der Anstellungs-/Matrixgesellschaft hinweg durch die Konzernobergesellschaft getroffen werde. An der rechtlichen Situation ändert sich durch diesen tatsächlichen Befund indes nichts: Die Geschäftsleitungspflicht und damit auch die umfassende Verantwortung für die verschiedenen Aspekte der Delegation verbleiben beim Vorstandsmitglied bzw. Geschäftsführer der Konzerngesellschaft. Soweit ihm keine verbindliche Weisung erteilt wird, hat das Organmitglied eigenständig zu prüfen, ob eine pflichtkonforme Auswahl der Matrixmanager erfolgte, und erforderlichenfalls einzuschreiten. Das Organmitglied der Konzerngesellschaft wird durch die „blinde“ Verfolgung von Auswahlentscheidungen zur Person der Matrixmanager durch die Obergesellschaft nicht entlastet. Auch hinsichtlich der cura in instruendo sowie der cura in custodiendo gelten die allgemeinen Maßstäbe.46 Sowohl für die sorgfaltsgemäße Einweisung als auch für die sorgfältige Überwachung ist es von zentraler Bedeutung, die Aufgaben, Pflichten und Befugnisse der Matrixmanager (gerade auch im Hinblick auf Weisungen an die ihnen zugeordneten Arbeitnehmer der Konzerngesellschaft) eindeutig, korrekt und lückenlos zuzuordnen.47 Die Geschäftsleitung hat mithin auch die Matrixmanager einzuweisen und zu überwachen; sie kann sich für einzelne Aufgaben im Rahmen der Einweisung und Überwachung auch der Mithilfe Dritter bedienen. 2.  Rechtswidrige und unzweckmäßige Weisungen Eine Unternehmensführung über die Köpfe der Geschäftsleitung hinweg wäre unzulässig. Dies betrifft zunächst den Bereich rechtswidriger Weisungen. Aus der Legalitätsdurchsetzungspflicht, der Verpflichtung zur Durchsetzung rechtskonformen Verhaltens auf der Geschäftsleitungsebene nachgeordneten Hierarchieebenen,48 folgt die Pflicht der Organmitglieder, u.a. dafür Sorge zu tragen, dass rechtswidrige Weisungen von Matrixmanagern nicht befolgt werden. Die sich daraus ergebende Prüfungspflicht der Geschäftsleitung wird für die abhängige Gesellschaft als „lebenswichtig“ angesehen.49 Im Zusammenhang mit dem gesellschaftsrechtlich vermittelten Weisungsrecht aus § 308 AktG knüpft die hM die umstrittene Möglichkeit, die Mitarbeiter direkt an Weisungen der Konzernobergesellschaft zu binden, an die Voraussetzung, dass der Vorstand Mitarbeiter an der Ausführung unzulässiger Wei46   Siehe dazu im Detail Harbarth, in: Krieger/Schneider, Handbuch Managerhaftung, 3. Aufl. 2018, § 28 Rn. 62 ff. 47  Vgl. Urban, GWR 2013, 106, 108. 48   Siehe dazu im Detail Harbarth, ZHR 179 (2015), 137, 145 ff. 49   Vgl. etwa Emmerich, in: Emmerich/Habersack, Aktien- und GmbH-Konzernrecht, 8. Aufl. 2016, § 308 Rn. 66.

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sungen50 hindern kann.51 Dazu bedarf es eines entsprechenden Prüfungs- und Berichtssystems.52 Nichts anderes darf für die arbeitsrechtlich ergangenen Weisungen gegenüber den Matrixangestellten gelten. Eine Ausstattung der Matrixmanager mit dem arbeitsrechtlichen Weisungsrecht ist daher an die Bedingung zu binden, dass die Geschäftsleitung der Tochter-/Matrixgesellschaft gegenüber den Angestellten eine klare Prüfungs- und Berichtspflicht für Weisungen der Matrixmanager installiert. Für den Fall, dass ein Arbeitnehmer von der Rechtswidrigkeit einer Weisung der Matrixmanager ausgeht, muss dieser der Geschäftsleitung hierüber berichten, die nach anschließender Überprüfung im Falle der Rechtswidrigkeit die Befolgung der Weisung der Matrixmanager zu unterbinden hat. Fraglich ist, ob die Befolgung von Weisungen durch Matrixmanager auch dann unterbunden werden muss, wenn diese nicht rechtswidrig, sondern lediglich (aus Sicht der Geschäftsleitung der Konzerngesellschaft) unzweckmäßig sind. Aus der Legalitätsdurchsetzungspflicht lässt sich eine solche Verpflichtung nicht herleiten. Indes ist es mit der organschaftlichen Pflichtenbindung eines Geschäftsleitungsmitglieds unvereinbar, wenn sich dieses ausschließlich auf die Prüfung beschränkt, ob die Grenzen des Vertretbaren überschritten sind, ohne dafür Sorge zu tragen, dass innerhalb dieser Grenzen die von ihm für zweckmäßig gehaltene Entwicklung des Unternehmens vorangetrieben wird. Auch soweit lediglich die Frage der Zweckmäßigkeit von Weisungen betroffen ist, sind mithin die Berichtswege so auszugestalten, dass die Geschäftsleitung die an die Mitarbeiter erteilten Weisungen prüfen und erforderlichenfalls deren Ausführung unterbinden kann.53 3.  Abstimmungsprozesse innerhalb der Konzerngesellschaft Dies wirft die Frage auf, wie die Prozesse zum Austausch zwischen der Geschäftsleitung der Konzerngesellschaft und deren Mitarbeitern beschaffen sein müssen: Wenngleich die Geschäftsleitung ihre Aufgaben hinsichtlich der Steuerung der Arbeitnehmer der Gesellschaft auf andere (in diesem Fall Mitarbeiter der Obergesellschaft) delegieren darf, wird sie von ihren Pflichten mit Blick auf die Steuerung und Überwachung der Tätigkeit der betroffenen Mitarbeiter der Gesellschaft nicht völlig frei. Die Steuerung und Überwachung wiederum setzt voraus, dass die Geschäftsleitung der Konzernge50   Siehe dazu im Detail Krieger, in: Münchener Handbuch des Gesellschaftsrechts Bd. 4, 4. Aufl. 2015, § 71 Rn. 152 ff. 51   Koppensteiner, in: Kölner Kommentar zum Aktiengesetz, 3. Aufl. 2004, § 308 Rn. 18; Krieger, in: Münchener Handbuch des Gesellschaftsrechts Bd. 4, 4. Aufl. 2015, § 71 Rn. 158. 52   Henze/Lübke, Der Konzern 2009, 159, 163; Koch, in Hüffer/Koch AktG, 13. Aufl. 2018, § 308 Rn. 8; Leuering/Goertz, in: Hölters AktG, 3. Aufl. 2017, § 308 Rn. 46. 53   So wohl auch Maschmann, NZA 2017, 1157, 1561; Seibt/Wollenschläger, AG 2013, 229, 233, 237.

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sellschaft über die Aktivitäten des Mitarbeiters der Konzerngesellschaft im Bilde ist. Dies wiederum bedingt eine ad hoc-Einbindung der Geschäftsleitung durch den ihr nachgeordneten Mitarbeiter ebenso wie eine regelmäßige Unterrichtung über laufende Geschäftsvorgänge. Eine ad hoc-Einbindung ist erforderlich, wenn Zweifel an der Rechtmäßigkeit oder Zweckmäßigkeit der dem Mitarbeiter der Konzerngesellschaft von der Obergesellschaft vorgegebenen Handlungen oder Unterlassungen bestehen. Eine alleinige Begründung von ad hoc-Unterrichtungspflichten könnte indes das erforderliche Maß der Einbindung der Geschäftsleitung der Konzerngesellschaft nicht sicherstellen, weil auch außerhalb ad hoc-anzeigepflichtiger Vorgänge Maßnahmen und Entwicklungen derart gravierend sein können, dass es der Einbindung der Geschäftsleitung bedarf. Daher wird man parallel ein System der Regelberichterstattung des Mitarbeiters der Konzerngesellschaft gegenüber seiner Geschäftsleitung etablieren müssen. Aus Sicht der Geschäftsleitung der Tochter-/Matrixgesellschaft ist die Einrichtung einer Matrixstruktur mit fachlichem Weisungsrecht der Matrix­ manager insbesondere wegen der damit einhergehenden Kontrollpflichten in Bezug auf Weisungen der Matrixmanager mit zusätzlichen rechtlichen Herausforderungen und Organisationsaufwand verbunden. Dem steht die durch die organisatorischen Veränderungen ausgelöste Entlastungwirkung für die Geschäftsleitung im Rahmen operativer Entscheidungen gegenüber.54 Die Einführung doppelter Berichtswege (einerseits zu den Matrixmanagern, andererseits zur Geschäftsleitung der Anstellungsgesellschaft) geht für die Arbeitnehmer in der Matrixzelle mit einem höheren Verwaltungsaufwand und damit mit einer zeitintensiveren Berichterstattung einher.55 Diesem Mehraufwand in der Berichterstattung stehen organisatorische Vorteile, namentlich erzielbare Synergieeffekte, gegenüber.56

VI.  Besonderheiten bei Aktiengesellschaften? Da Vorstandsmitglieder einer Aktiengesellschaft anders als Geschäftsführer einer GmbH grundsätzlich keinen Weisungen unterworfen werden können,57 stellt sich die Frage, ob diese Weisungsfreiheit durch die Begründung von Weisungsrechten zugunsten von Matrixmanagern der Konzern­   Kolodny, Führung in einer Matrix, in: Reber/Strehl, Matrix-Organisation, S. 31, 35.   Seibt/Wollenschläger, AG 2013, 229, 237. 56   Schmidl, ZJS 2009, 453, 454; Kort, NZA 2013, 1318, 1319; allgemein zu Synergie und Organisationsstrukturen: Ropella, Synergie als strategisches Ziel der Unternehmung, 1989, S. 180 ff. 57   Dauner-Lieb, in: Henssler/Strohn, Gesellschaftsrecht, 3. Aufl. 2016, § 76 AktG Rn. 8 f.; Koch, in: Hüffer/Koch, AktG, 13. Aufl. 2018, § 76 Rn. 25; Spindler, in: Münchener Kommentar AktG, § 76 Rn. 22 f. 54 55

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obergesellschaft umgangen werden kann. Dies ist indes zu verneinen. Da die den Matrixmanagern erteilte Vollmacht zur Ausübung des arbeitsrechtlichen Direktionsrechts grundsätzlich frei widerruflich ist, können der Konzerngesellschaft Weisungen nur so lange erteilt werden, wie deren Vorstand die Vollmacht nicht widerruft. Die durch § 76 Abs. 1 AktG geschützte eigenverantwortliche Leitungsmacht wird durch die Bevollmächtigung von Matrixmanagern der Konzernobergesellschaft mithin nicht beeinträchtigt.

VII.  Ergebnisse 1. Das Ziel einer einheitlichen Konzernleitung wird regelmäßig durch die rechtliche Selbständigkeit der einzelnen Konzerngesellschaften und das gesetzlich statuierte Kompetenz- und Verantwortungsgefüge vor Pro­bleme gestellt. Insbesondere die gesetzlich vorgesehenen Weisungsrechte und Berichtswege sind für die einheitliche Leitung im Konzern zu umständlich und sollen durch die Schaffung einer konzerneinheitlichen Organisationsstruktur vereinfacht und den individuellen Konzernbedürfnissen angepasst werden. Beliebt ist dabei die Matrixstruktur, bei der die Zuständigkeit ohne Rücksicht auf die arbeits- und gesellschaftsrechtlichen Verantwortlichkeiten mehrdimensional an bestimmten Merkmalen oder Fachbereichen orientiert wird. 2. Die Matrixmanager sollen in der Lage sein, den Matrixangestellten ohne Umwege verbindliche Weisungen zu erteilen. Das arbeitsrechtliche Direktionsrecht ist von der Rechtsform der jeweiligen Gesellschaft unabhängig und eignet sich daher besonders für eine konzerneinheitliche Weisungsstruktur. Die Matrixmanager müssen dabei nicht in derselben Anstellungsgesellschaft wie die Matrixangestellten sein, sondern können das fachliche Weisungsrecht in Stellvertretung für die Anstellungsgesellschaft ausüben. 3. Die Vollmachtserteilung zur Wahrnehmung des fachlichen Weisungsrechts durch die Matrixmanager stellt eine Delegation der Leitungsaufgabe der AG-Vorstandsmitglieder bzw. der GmbH-Geschäftsführer dar. Diese lässt die Geschäftsleiterverantwortung nicht entfallen, sondern wandelt sie in eine allgemeine Aufsichts- und Kontrollpflicht. Haftungsvermeidende Voraussetzungen sind dabei die sorgfältige Auswahl, die ordnungsgemäße Instruktion und die angemessene Überwachung der Matrixmanager durch die Geschäftsleitung. 4. Im Rahmen dieser Kontrollpflicht muss die Geschäftsleitung dafür Sorge tragen, dass rechtswidrige Weisungen der Matrixmanager nicht umgesetzt werden. Bei der Ausstattung der Matrixmanager mit dem arbeitsrechtlichen Weisungsrecht muss sie daher gegenüber den Angestellten eine klare Prü-

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fungs- und Berichtspflicht für Weisungen der Matrixmanager installieren und im Falle der Rechtswidrigkeit einer Weisung deren Befolgung unterbinden. Mit Blick auf die organschaftliche Pflichtenbindung der Geschäftsleitung ist ein entsprechendes Vorgehen in Bezug auf unzweckmäßige arbeitsrechtliche Weisungen der Matrixmanager angezeigt. Parallel zu diesem spezifischen, auf rechts- und zweckwidrige Weisungen beschränkten Prüfungs- und Berichtssystem ist ein allgemeines Regelberichtssystem zu verankern, das eine regelmäßige Unterrichtung der Geschäftsleitung über die laufenden Geschäftsvorgänge gewährleistet und von den Einschätzungen der Arbeitnehmer unabhängige Prüfungen durch die Geschäftsleitung ermöglicht. 5. Die stellvertretende Ausübung des fachlichen Weisungsrechts durch die Matrixmanager verdrängt nicht das originäre Direktionsrecht der Geschäftsleitung. Die von den Matrixmanagern ausgesprochenen arbeitsrechtlichen Weisungen können vielmehr durch die Geschäftsleitung verworfen oder bereits vorab bei Vollmachtserteilung beschränkt werden. Die Vollmacht ist zudem durch die Geschäftsleitung frei widerrufbar, sodass sich aus Sicht der Konzerngesellschaft keine Schwierigkeiten der „Rückholung“ in Bezug auf das den Matrixmanagern eingeräumte Weisungsrecht ergeben. Daher droht durch die Ausstattung der Matrixmanager mit dem fachlichen Weisungsrecht auch keine Umgehung der Weisungsfreiheit der Vorstandsmitglieder einer Aktiengesellschaft. Die durch § 76 Abs. 1 AktG geschützte eigenverantwortliche Leitungsmacht wird durch die Bevollmächtigung nicht beeinträchtigt.

Heilung unwirksamer Abfindungsklauseln Heribert Heckschen Abfindungsklauseln sind in der Praxis ein bewährtes Mittel zur Senkung von Abfindungsansprüchen ausscheidender GmbH-Gesellschafter. Treiben es die Gesellschafter mit der Reduzierung der Abfindungshöhe im Vergleich zum tatsächlichen Wert der Geschäftsanteile zu weit, sind derartige Satzungsregelungen nichtig. Probleme entstehen, weil die grundsätzliche analoge Anwendung des § 242 Abs. 2 Satz 1 AktG auf die GmbH eine Heilung nichtiger Abfindungsklauseln durch bloßen Ablauf der dort geregelten DreiJahres-Frist bewirkt. Auch wenn die Praxis davon ausgeht, dass § 242 Abs. 2 Satz 1 AktG (analog) eine endgültige Heilung nichtiger Abfindungsklauseln zur Folge hat, mit der Folge der endgültigen Legalisierung auch unzweifelhaft sittenwidriger Abfindungsvereinbarungen, erweist sich genau diese Rechtsfolge bei genauerer Betrachtung als nicht geklärt. Der vorliegende Beitrag geht der genauen Reichweite der analogen Anwendung von § 242 Abs. 2 Satz 1 AktG auf nichtige Abfindungsklauseln in GmbH-Satzungen nach. Weiterhin wird insbesondere die Frage diskutiert, ob anfänglich nichtige und nachträglich unwirksame Abfindungsklausel in GmbH-Satzungen spezifische Mitwirkungspflichten der Gesellschafter bei der Korrektur derartiger Klauseln zur Folge haben können.

I. Abfindungsanspruch und statutarische Abfindungsbeschränkungen Dem Gesellschafter einer GmbH steht im Falle seines Ausscheidens ein Anspruch auf Abfindung zu.1 Der (körperschaftliche2) Anspruch auf Abfindung im Falle des Ausscheidens eines Gesellschafters zählt zudem zu den 1   Für die Abtretung zuletzt OLG Stuttgart, Urt. v. 15.3.2017 – 14 U 3 /14 Rn. 201 (zit. n. Juris), ZIP 2017, 868; Westermann in: Scholz, GmbHG, Band I, 12. Aufl. 2018, § 34 Rn. 25 (für Einziehung), Anh. § 34 Rn. 22 (für Austritt) und Rn. 52 (für Ausschluss); Fleischer in: Henssler/Strohn, GesR, 3. Aufl. 2016, § 34 GmbHG Rn. 17; Heckschen NZG 2010, 521, 526; ders. in: Heckschen/Heidinger, Die GmbH in der Gestaltungs- und Beratungspraxis, 4. Aufl. 2018, Kapitel 4 Rn. 605. 2  BGH, Urt. v. 16.12.1991 – II ZR 58/91 Rn. 12 (zit. n. Juris), BGHZ 116, 359 = GmbHR 1992, 257 = NJW 1992, 892 = EWiR 1992, 321 (m. Anm. Wiedemann); BGH,

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Grundmitgliedschaftsrechten.3 Das zentrale Problem der Abfindung ausscheidender Gesellschafter ist die Höhe des Abfindungsanspruchs. Hinsichtlich des gesetzlichen Regelfalls der Höhe der Abfindung formuliert der BGH: „Der Abfindungsbetrag ist nach dem vollen wirtschaftlichen Wert (Verkehrswert) des Geschäftsanteils zu bemessen, soweit der Gesellschaftsvertrag keine davon abweichende, seine Höhe beschränkende Abfindungsklausel enthält.“4 Beim „Verkehrswert“ handelt es sich um den Preis, der von einem Dritten für den Anteil im Zeitpunkt des Einziehungsbeschlusses gezahlt werden würde.5 Die gesetzlich geschuldete Abfindung nach dem Verkehrswert des Geschäftsanteiles ist von den Gesellschaftern regelmäßig nicht gewollt und grundsätzlich dispositiv.6 Abfindungsklauseln sind Regelungen in GmbHSatzungen, nach denen die Höhe der Abfindung aus der Gesellschaft ausscheidender Gesellschafter abweichend vom gesetzlichen Grundsatz der Abfindung zum Verkehrswert geregelt wird. Darüber hinaus sollte die Satzung die Modalitäten der Zahlung der Abfindung regeln.7 Abfindungsklauseln unterliegen aufgrund ihres körperschaftlichen Charakters der Auslegung anhand objektiver Umstände.8 Sie sind als Ausfluss der Satzungsautonomie unbestrittener Weise grundsätzlich zulässig.9 Dies gilt allerdings nur, soweit sie sich innerhalb der dafür entwickelten Grenzen bewegen.10 Der Anspruch auf Abfindung kann grundsätzlich weder vollständig ausgeschlossen noch übermäßig eingeschränkt werden.11 Einen Abfindungsausschluss hält der

Urt. v. 27.09.2011 – II ZR 279/09 Rn. 8 (zit. n. Juris), ZIP 2011, 2357 = NZG 2011, 1420 = GmbHR 2012, 92 = GWR 2012, 10 (m. Anm. Heinze). 3   BGH, Urt. v. 27.09.2011 – II ZR 279/09 Rn. 8 (zit. n. Juris), ZIP 2011, 2357. 4  BGH, Urt. v. 16.12.1991 – II ZR 58/91, BGHZ 116, 359 = GmbHR 1992, 257; OLG Stuttgart, Urt. v. 15.3.2017 – 14 U 3 /14 Rn. 202 (zit. n. Juris), ZIP 2017, 868. 5   Nach einigen Stimmen in der Literatur handelt es sich beim wirtschaftlichen Wert um den „Veräußerungswert“, vgl. Nachweise bei Westermann in: Scholz, GmbHG, Band I, 12. Aufl. 2018, § 34 Rn. 25 Fn. 144. 6   BGH, Urt. v. 19.6.2000 – II ZR 73/99 Rn. 23 (zit. n. Juris), BGHZ 144, 365 = NZG 2000, 1027 = NJW 2000, 2819 = GmbHR 2000, 822; OLG Stuttgart, Urt. v. 15.3.2017 – 14 U 3 /14 Rn. 202 (zit. n. Juris), ZIP 2017, 868; Ulmer/Habersack in: Ulmer/Habersack/Löbbe, GmbHG, 2. Auf. 2014, Bd. II, § 34 Rn. 82. 7   Ausf. Formulierungsbeispiele finden sich u. a. bei Heckschen in: Heckschen/Heidinger, Die GmbH in der Gestaltungs- und Beratungspraxis, 4. Aufl. 2018, Kapitel 4 Rn. 638 f. 8   BGH, Urt. v. 27.09.2011 – II ZR 279/09 Rn. 8 (zit. n. Juris), ZIP 2011, 2357. 9   BGH, Urt. v. 19.6.2000 – II ZR 73/99 Rn. 23 (zit. n. Juris), BGHZ 144, 365 = NZG 2000, 1027; Ulmer/Habersack in: Ulmer/Habersack/Löbbe, GmbHG, 2. Auf. 2014, Bd. II, § 34 Rn. 82. 10   BGH, Urt. v. 19.6.2000 – II ZR 73/99 Rn. 23 (zit. n. Juris), BGHZ 144, 365 = NZG 2000, 1027; OLG Stuttgart, Urt. v. 15.3.2017 – 14 U 3 /14 Rn. 235 (zit. n. Juris), ZIP 2017, 868; ausf. hierzu Ulmer/Habersack in: Ulmer/Habersack/Löbbe, GmbHG, 2. Auf. 2014, Bd. II, § 34 Rn. 89 ff. 11   BGH, Urt. v. 16.12.1991 – II ZR 58/91, BGHZ 116, 359 = GmbHR 1992, 257; Ulmer/ Habersack in: Ulmer/Habersack/Löbbe, GmbHG, 2. Auf. 2014, Bd. II, Anh. § 34 Rn. 66.

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BGH nur bei einer gemeinnützigen GmbH, für den Todesfall sowie im Rahmen sogenannter Mitarbeitermodelle für zulässig.12 Ohne dass es auf die Einzelheiten der Berechnung von Verkehrs- oder Veräußerungswert sowie der Berechnung nach abweichenden Satzungsregelungen ankommt, ist vorliegend entscheidend, dass die Berechnung des Abfindungsanspruchs nach einer Abfindungsklausel in der Praxis gerade darauf abzielt, einen Betrag zu erzielen, der unterhalb des Verkehrs- oder Veräußerungswerts des Geschäftsanteils des ausscheidenden Gesellschafters liegt. Im vorliegenden Beitrag werden Fragen zur Heilung von Abfindungsklauseln unabhängig davon behandelt, für welche Art des Ausscheidens eines Gesellschafters die Abfindung geregelt wird. Grundsätzlich gelten Ausführungen zum Abfindungsanspruch bei Einziehung entsprechend für die Abfindung bei Ausschluss.13 Hinsichtlich Abfindungsklauseln für den Austrittsfall muss zusätzlich der zwingende Charakter des außerordentlichen Rechts auf Austritt beachtet werden.14 Auch wenn in der Praxis hiervon abzuraten ist, muss die Satzung keine Abfindungsklauseln enthalten. So steht das Fehlen von Angaben zur Abfindung in der Satzung beispielsweise der Wirksamkeit einer Einziehungsklausel nicht entgegen.15

II.  Unwirksamkeit von Abfindungsklauseln Abfindungsklauseln sind nur in bestimmten Grenzen zulässig. Insbesondere der Nichtigkeitsgrund der Sittenwidrigkeit hat bei der Bewertung von Abfindungsklauseln erhebliche Relevanz. Als gesetzliche Grundlage werden in der Regel § 241 Nr. 4 AktG oder § 138 BGB16 angeführt. Die §§ 241 ff. AktG gelten grundsätzlich entsprechend im Recht der GmbH.17 Die Nichtigkeitsgründe des § 241 AktG werden daher auch auf die GmbH entsprechend angewendet. Die §§ 241 ff. AktG (analog) gelten allerdings ihrem 12  Ein Abfindungsausschluss ist auch nicht als Vertragsstrafe zulässig, BGH, v. 29.4.2014 – II ZR 216/13, BGHZ 201, 65 = ZIP 2014, 1343; vgl. zum Abfindungsausschluss m. w. N. Heckschen, in: Heckschen/Heidinger, Die GmbH in der Gestaltungs- und Beratungspraxis, 4. Aufl. 2018, Kapitel 4 Rn. 629. 13   Ulmer/Habersack in: Ulmer/Habersack/Löbbe, GmbHG, 2. Auf. 2014, Bd. II, Anh. § 34 Rn. 41. 14   Ulmer/Habersack in: Ulmer/Habersack/Löbbe, GmbHG, 2. Auf. 2014, Bd. II, Anh. § 34 Rn. 66. 15   Westermann in: Scholz, GmbHG, Band I, 12. Aufl. 2018, § 34 Rn. 25. 16   Vgl. BGH, Urt. v. 27.09.2011 – II ZR 279/09 Rn. 12 (zit. n. Juris), ZIP 2011, 2357. 17   BGH, Urt. v. 11.2.2008 – II ZR 187/06 Rn. 22, NZG 2008, 317; Roth in: Roth/Altmeppen, GmbHG, 8. Aufl. 2015, § 47 Rn. 91; Kaufmann NZG 2015, 336, 337; Wicke Anh. § 47 Rn. 1; vgl. auch Zöllner/Noack in: Baumbach/Hueck, GmbHG, 21. Aufl. 2017, Anh. § 47 Rn. 1.

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Wortlaut nach nur für Satzungsänderungsbeschlüsse.18 Danach wären nur durch Satzungsänderung eingefügte Abfindungsklauseln den Wirkungen des § 241 AktG unterworfen, nicht aber bereits in der Gründungssatzung vorhandene Abfindungsregelungen. Es sind allerdings keine Gründe ersichtlich, warum nachträglich durch Satzungsänderungsbeschluss eingefügte fehlerhafte Klauseln anders behandelt werden sollten als mangelhafte Klauseln der Gründungssatzung.19 Die §§ 241 ff. AktG gelten daher über ihren Wortlaut hinaus nicht nur auch im Recht der GmbH entsprechend, sondern ebenfalls für die Beurteilung der Gründungssatzung. Ohne dass hieraus ein Erkenntnisgewinn für die Rechtsanwendung folgen würde kann hinsichtlich der Gründungssatzung von einer doppelten Analogie gesprochen werden. Für die Beurteilung der Fehlerhaftigkeit von Abfindungsklauseln kommt es also nicht darauf an, ob die betreffende Klausel bereits in der Gründungssatzung enthalten war, oder erst durch eine Satzungsänderung in die bestehende Satzung eingefügt wird. In beiden Fällen finden §§ 241 ff. AktG grundsätzlich entsprechende Anwendung. Allerdings muss danach unterschieden werden, ob eine Abfindungsklausel bereits im Zeitpunkt ihrer Aufnahme in die Satzung unwirksam war (anfängliche Unwirksamkeit), oder ob sich eine erhebliche Diskrepanz zwischen Abfindungshöhe nach der Satzung und dem tatsächlichen wirtschaftlichen Wert des Geschäftsanteils (die eine Nichtigkeit begründet hätte, wenn sie von Anfang an vorgelegen hätte) erst mit der Zeit entwickelt (nachträgliche Unwirksamkeit). Das LAG Rheinland-Pfalz wählte bei einer stillen Beteiligung eines Mitarbeiters einer GmbH einen anderen Begründungsansatz zum Umgang mit kritischen Abfindungsklauseln.20 Es war geregelt, dass die stille Beteiligung „mit dem Ausscheiden des stillen Gesellschafters aus dem Arbeitsverhältnis aus der GmbH“ endete.21 Der Vertrag über die Vereinbarung der stillen Beteiligung sah vor, den Abfindungsbetrag um die bis dahin (aufgrund der stillen Beteiligung) erhaltenen Gewinnanteile und abzüglich etwaiger Verluste zu reduzieren, wenn der stille Gesellschafter/Arbeitnehmer das Arbeitsverhältnis vor dem 63. Lebensjahr ordentlich kündigt. In dieser Abfindungsbeschränkung sah das Gericht eine unzulässige Kündigungserschwerung im

18   Ulmer/Habersack in: Ulmer/Habersack/Löbbe, GmbHG, 2. Auf. 2014, Bd. II, § 34 Rn. 106. 19   BGH, Urt. v. 19.6.2000 – II ZR 73/99 Rn. 11 (zit. n. Juris), BGHZ 144, 365 = NZG 2000, 1027; Ulmer/Habersack in: Ulmer/Habersack/Löbbe, GmbHG, 2. Auf. 2014, Bd. II, § 34 Rn. 106. 20   LAG Rheinland-Pfalz, Urt. v. 21.8.2014 – 5 Sa 110/14, ArbuR 2014, 435. 21   LAG Rheinland-Pfalz, Urt. v. 21.8.2014 – 5 Sa 110/14, Rn. 6 (zit. n. Juris), ArbuR 2014, 435.

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Sinne von §§ 723 Abs. 3, 622 Abs. 6 BGB die zur Unwirksamkeit der Abfindungsklausel führt.22 1.  Anfängliche Unwirksamkeit (Nichtigkeit) Beispielsfall 1: A und B sind jeweils Alleingesellschafter der A- und B-GmbH. Beide GmbHs betreiben jeweils ein Unternehmen mit einem Verkehrswert von EUR 500.000. Die A-GmbH und die B-GmbH werden auf die dadurch zu gründende C-GmbH verschmolzen. Die Geschäftsanteile von A und B an der C-GmbH haben einen Verkehrswert von etwa EUR 500.00. Die Satzung der C-GmbH sieht vor, dass ein Gesellschafter im Falle seines Ausscheidens aus der Gesellschaft eine Abfindung in Höhe von 10 % des anteiligen Unternehmenswertes erhält. Abfindungsklauseln können aus unterschiedlichen Gründung ab dem Moment unwirksam sein, in dem sie in die Satzung aufgenommen werden.23 Typische Beispiele sind Sittenwidrigkeit gemäß § 241 Nr. 4 AktG analog oder § 138 Abs. 1 BGB24 und Gläubigerbenachteiligung gemäß § 241 Nr. 3 AktG analog (beispielsweise deutlich reduzierte Abfindung nur im Falle der Insolvenz eines Gesellschafters). Für den Nichtigkeitsgrund der Sittenwidrigkeit hat der BGH anschaulich formuliert: „Eine Beschränkung des Abfindungsanspruchs unterliegt den Grenzen des § 138 BGB. Sie ist dann als nichtig anzusehen, wenn die mit ihr verbundene Einschränkung des Abflusses von Gesellschaftskapital vollkommen außer Verhältnis zu der Beschränkung steht, die erforderlich ist, um im Interesse der verbleibenden Gesellschafter den Fortbestand der Gesellschaft und die Fortführung des Unternehmens zu sichern.“25 Ein derartiges Missverhältnis liegt im (zugegebenermaßen drastischen) Beispielsfall 1 vor, weil der Verkehrswert des Geschäftsanteils den statutarisch vorgesehenen Abfindungsbetrag um etwa ein Zehnfaches übersteigt. Auf die weiteren Einzelheiten kommt es vorliegend nicht an.26 Ist die Abfindungsklausel nichtig, bleibt die restliche nicht fehlerbehaftete Satzung wirksam. 22  LAG Rheinland-Pfalz, Urt. v. 21.8.2014 – 5 Sa 110/14, Rn. 42 (zit. n. Juris), ArbuR 2014, 435. 23   Ausf. hierzu Ulmer/Habersack in: Ulmer/Habersack/Löbbe, GmbHG, 2. Auf. 2014, Bd. II, § 34 Rn. 89–99; Heckschen in: Heckschen/Heidinger, Die GmbH in der Gestaltungs- und Beratungspraxis, 4. Aufl. 2018, Kapitel 4 Rn. 614 ff. 24  BGH, Urt. v. 19.6.2000 – II ZR 73/99 Rn. 23 (zit. n. Juris), BGHZ 144, 365 = NZG 2000, 1027; BGH, Urt. v. 27.09.2011 – II ZR 279/09 Rn. 12 (zit. n. Juris), ZIP 2011, 2357; vgl. auch OLG Stuttgart, Urt. v. 15.3.2017 – 14 U 3 /14 Rn. 237 (zit. n. Juris), ZIP 2017, 868. 25   BGH, Urt. v. 16.12.1991 – II ZR 58/91, BGHZ 116, 359 = GmbHR 1992. 26  Vgl. hierzu ausf. Westermann in: Scholz, GmbHG, Band I, 12. Aufl. 2018, § 34 Rn. 29 ff.; Heckschen in: Heckschen/Heidinger, Die GmbH in der Gestaltungs- und Beratungspraxis, 4. Aufl. 2018, Kapitel 4 Rn. 614 ff.

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Die Nichtigkeit oder Korrekturbedürftigkeit einer Abfindungsklausel führt nicht zur Unwirksamkeit einer Einziehungsklausel.27 Der ausscheidende Gesellschafter hat dann einen Anspruch auf Abfindung in Höhe des tatsächlichen wirtschaftlichen Werts seines Geschäftsanteils (Verkehrswert).28 Vielfach wird dies auf eine analoge Anwendung von § 738 Abs. 1 BGB gestützt.29 Die Nichtigkeit der Abfindungsklausel kann sich im Übrigen auch aus einer überlangen Auszahlungsfrist30 für die Abfindung sowie aus fehlenden Verzinsungsregelungen für den gestreckten Auszahlungszeitraum ergeben.31 2.  Ausübungskontrolle statt nachträglicher Nichtigkeit Beispielsfall 2: A und B sind jeweils Alleingesellschafter der A- und B-GmbH. Beide GmbHs betreiben jeweils ein Unternehmen mit einem Verkehrswert von EUR 100.000. Die A-GmbH und die B-GmbH werden auf die dadurch zu gründende C-GmbH verschmolzen. Die Satzung der C-GmbH sieht vor, dass ein Gesellschafter im Falle seines Ausscheidens eine Abfindung in Höhe des Buchwertes erhält. Das Unternehmen und die Vermögenswerte der C-GmbH entwickeln sich hervorragend. Im Verlauf der Zeit bilden sich stille Reserven in Höhe von EUR 1.800.000. Der Verkehrswert der beiden Geschäftsanteile beträgt daher mittlerweile etwa EUR 1.000.000, während ihr Buchwert bei etwas über EUR 100.000 liegt. Auf die nachträgliche Fehlerhaftigkeit von Abfindungsklauseln finden die §§ 241 ff. AktG keine (analoge) Anwendung.32 Die Nichtigkeit einer Abfindungsklausel setzt voraus, dass der die Nichtigkeit begründende Umstand bereits im Zeitpunkt der Aufnahme der Klausel in die Satzung vorlag.33 Eine

27  Heute wohl allgemeine Ansicht: Westermann in: Scholz, GmbHG, Band I, 12. Aufl. 2018, § 34 Rn. 36; Ulmer/Habersack in: Ulmer/Habersack/Löbbe, GmbHG, 2. Aufl. 2014, Bd. II, § 34 Rn. 107 (m. N. zu früher abweichender Ansicht in der Rspr.); Fleischer, in: Henssler/Strohn, GesR, 3. Aufl. 2016, § 34 GmbHG Rn. 20. 28   BGH, Urt. v. 27.09.2011 – II ZR 279/09 Rn. 12 (zit. n. Juris), ZIP 2011, 2357; Lutter/Kleindiek in: Lutter/Hommelhoff, GmbHG, 19. Aufl. 2016, § 34 Rn. 86; Fleischer in: Henssler/Strohn, GesR, 3. Aufl. 2016, § 34 GmbHG Rn. 17. 29   Lutter/Kleindiek in: Lutter/Hommelhoff, GmbHG, 19. Aufl. 2016, § 34 Rn. 86; Hueck/Fastrich in: Baumbach/Hueck, GmbHG, 21. Aufl. 2017, § 34 Rn. 22; Herff, GmbHR 2012, 621; Fleischer in: Henssler/Strohn, GesR, 3. Aufl. 2016, § 34 GmbHG Rn. 17. 30  Ausf. zur Tilgungsstreckung H.P. Westermann in: Scholz, GmbHG, Bd. I, 12. Aufl. 2018, § 34 Rn. 34. 31   Vgl. für ein Formulierungsbeispiel Heckschen in: Heckschen/Heidinger, Die GmbH in der Gestaltungs- und Beratungspraxis, 4. Aufl. 2018, Kapitel 4 Rn. 638. 32   Ulmer/Habersack in: Ulmer/Habersack/Löbbe, GmbHG, 2. Auf. 2014, Bd. II, § 34 Rn. 109. 33   BGH, Urt. v. 19.6.2000 – II ZR 73/99 Rn. 23 (zit. n. Juris), BGHZ 144, 365 = NZG 2000, 1027; OLG Stuttgart, Urt. v. 15.3.2017 – 14 U 3 /14 Rn. 237 (zit. n. Juris), ZIP 2017, 868; Ulmer/Habersack in: Ulmer/Habersack/Löbbe, GmbHG, 2. Auf. 2014, Bd. II, § 34

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Abfindungsklausel wird beispielsweise grundsätzlich nicht im Laufe der Zeit gläubigerbenachteiligend im Sinne des § 241 Nr. 3 AktG (analog). Tritt eine Diskrepanz zwischen dem tatsächlichen Wert des Anteils und der gemäß der Satzungsregelung zu zahlenden Abfindung erst nach Aufnahme der Klausel in die Satzung auf, kann diese Klausel nicht gemäß § 138 BGB, § 241 Nr. 4 AktG (analog) nichtig werden.34 Im Beispielsfall 2 war die Buchwertklausel im Zeitpunkt der Aufnahme in die Satzung der C-GmbH (Wirksamwerden der Verschmelzung, § 20 Abs. 1 UmwG) nicht zu beanstanden. Allerdings kann der Geltendmachung der Abfindungsklausel vom ausscheidenden Gesellschafter der Einwand des Rechtsmissbrauchs (§ 242 BGB35) bzw. der Änderung der Geschäftsgrundlage (§ 313 BGB) entgegen gehalten werden. Die Abfindungsklausel wird „im Wege der ergänzenden Vertragsauslegung an die neuen Verhältnisse angepasst“.36 Die Gerichte setzen die Abfindung in angemessener Höhe fest (sog. „Ausübungskontrolle“).37 Eine derartige Anpassung der Abfindungsklausel erfolgt – vereinfacht gesagt – wenn „dem Ausscheidenden38 (bzw. der Gesellschaft) mit Rücksicht auf die seit dem Vertragsschluss eingetretene Änderung der Verhältnisse das Festhalten an dieser Regelung unter Berücksichtigung der berechtigten Interessen der Mitgesellschafter nicht zugemutet werden kann.“39 Maßgeblich sind die gesamten Umstände des konkreten Falles,40 wobei jedoch ein gravierendes beziehungsweise grobes Missverhältnis stets erforderlich sein wird.41 Typische Fälle der gerichtlichen Anpassung der Abfindungshöhe sind dadurch geprägt, dass sich – wie in Beispielsfall 2 – der statutarische Abfindungsanspruch und der reale Verkehrs-/Veräußerungswert des Geschäftsanteils im Verlauf der Zeit in einem außergewöhnlichen Maße auseinanderentwickeln, ohne dass diese Entwicklung im Moment der Aufnahme der

Rn. 91; allgemein Armbrüster in: MünchKommBGB, 7. Aufl. 2015, § 138 Rn. 133 ff.; Mansel in: Jauerning, BGB, 16. Aufl. 2015, § 138 Rn. 3. 34   Ulmer/Habersack in: Ulmer/Habersack/Löbbe, GmbHG, 2. Auf. 2014, Bd. II, § 34 Rn. 91. 35   Lutter/Kleindiek in: Lutter/Hommelhoff, GmbHG, 19. Aufl. 2016, § 34 Rn. 87. 36   BGH, Urt. v. 27.09.2011 – II ZR 279/09 Rn. 13 (zit. n. Juris), ZIP 2011, 2357; OLG Stuttgart, Urt. v. 15.3.2017 – 14 U 3/14 Rn. 243 (zit. n. Juris), ZIP 2017, 868. 37   OLG Stuttgart, Urt. v. 15.3.2017 – 14 U 3 /14 Rn. 243 (zit. n. Juris), ZIP 2017, 868; Ulmer/Habersack in: Ulmer/Habersack/Löbbe, GmbHG, 2. Auf. 2014, Bd. II, § 34 Rn. 109. 38  Mit einer Anwendung der Grundsätze zur Ausübungskontrolle (zugunsten der Gesellschaft) auch auf eine nachträglich überhöhte Abfindung sympathisierend OLG Stuttgart, Urt. v. 15.3.2017 – 14 U 3 /14 Rn. 240 m. w. N. (zit. n. Juris), ZIP 2017, 868. 39   OLG Stuttgart, Urt. v. 15.3.2017 – 14 U 3 /14 Rn. 242 (zit. n. Juris), ZIP 2017, 868. 40   BGH, Urt. v. 27.09.2011 – II ZR 279/09 Rn. 15 (zit. n. Juris), ZIP 2011, 2357; OLG Stuttgart, Urt. v. 15.3.2017 – 14 U 3 /14 Rn. 245 (zit. n. Juris), ZIP 2017, 868. 41   BGH, Urt. v. 16.12.1991 – II ZR 58/91, BGHZ 116, 359 = GmbHR 1992, 257; OLG Stuttgart, Urt. v. 15.3.2017 – 14 U 3 /14 Rn. 244 (zit. n. Juris), ZIP 2017, 868.

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Abfindungsklausel in die (Gründungs-)Satzung abzusehen war.42 Würde im Beispielsfall 2 einer der Gesellschafter ausscheiden, so müsste er sich angesichts der besonders gravierenden Diskrepanz zwischen Verkehrswert (EUR 1.000.000) und Buchwert (etwa EUR 100.000) nicht mit der Abfindung nach dem Buchwert zufrieden geben. Die Bemessung der angemessenen Abfindung erfolgt unter Berücksichtigung der von den Beteiligten mit der Abfindungsklausel verfolgten Zwecke und der zwischenzeitlichen Änderungen der Verhältnisse, vor allem der Ertrags- und Vermögenslage der Gesellschaft.43 Die Maßstäbe zum Personengesellschaftsrecht gelten grundsätzlich auch für die GmbH.44 3.  Heilungs- oder Auffangklauseln Für den Fall der nachträglichen Unwirksamkeit einer Abfindungsregel hat es der II. Zivilsenat bereits 1978 für zulässig erachtet, eine (gerade) noch wirksame Abfindung festzulegen.45 Im Falle der anfänglichen Nichtigkeit würde eine derartige Regelung nicht die ohne Auffangregelung stattfindende Ausübungskontrolle durch das Gericht, sondern die Abfindung zum Verkehrswert ersetzen. Über die Zulässigkeit einer Heilungsklausel hinsichtlich einer anfänglich nichtigen Abfindungsklausel hatte der BGH 2011 zu entscheiden. Der Senat hat Heilungsklauseln für anfänglich nichtige Abfindungsklauseln zwar nicht explizit als zulässig anerkannt.46 Er hat jedoch im konkreten Fall entschieden, dass der anfänglich nichtige Teil der Abfindungsregelung (Abs. 1) und die wirksame Auffangregelung in Abs. 2 (für den Fall, dass die Regelung in Abs. 1 gesetzlich nicht zulässig ist) eine einheitliche Regelung der Abfindung darstellen, die als Gesamtregelung rechtlich unbedenklich sei.47 Bereits aus diesem Grunde könne eine analoge Anwendung von § 242 Abs. 2 Satz 1 AktG48 auf die anfänglich nichtige Abfindungsregelung in Abs. 1 nicht in Betracht kommen.49 Bei einem solchen Verständnis werde der Gleichbehandlung aller Gesellschafter Rech-

  OLG Stuttgart, Urt. v. 15.3.2017 – 14 U 3 /14 Rn. 242 (zit. n. Juris), ZIP 2017, 868.   BGH, Urt. v. 19.6.2000 – II ZR 73/99 Rn. 30 (zit. n. Juris), BGHZ 144, 365 = NZG 2000, 1027; vgl. für weitere Einzelheiten H. P. Westermann in: Scholz, GmbHG, Bd. I, 12. Aufl. 2018, § 34 Rn. 35. 44   OLG Stuttgart, Urt. v. 15.3.2017 – 14 U 3 /14 Rn. 241 (zit. n. Juris), ZIP 2017, 868. 45   BGH, Urt. v. 29.5.1978 – II ZR 52/77 Rn. 23 (zit. n. Juris), GmbHR 1978, 266 = DB 1978, 1971; vgl. das Formulierungsbeispiels bei Heckschen in: Heckschen/Heidinger, Die GmbH in der Gestaltungs- und Beratungspraxis, 4. Aufl. 2018, Kapitel 4 Rn. 638. 46   Wohl optimistischer Heinze GWR 2012, 10; Weitnauer/Grob GWR 2015, 353, 355. 47   BGH, Urt. v. 27.9.2011 – II ZR 279/09, Rn. 10 (zit. n. Juris), ZIP 2011, 2357. 48   Hierzu ausf. unten III. 49   BGH, Urt. v. 27.9.2011 – II ZR 279/09, Rn. 10 (zit. n. Juris), ZIP 2011, 2357. 42 43

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nung getragen, die unabhängig vom Zeitpunkt ihres Ausscheidens nach den gleichen Grundsätzen abgefunden werden.50 Weiter weist der Senat darauf hin, dass die Gesellschafter im Zweifel etwas Vernünftiges gewollt haben, nämlich eine auf Dauer wirksame und die Gesellschafter gleichbehandelnde Berechnung der Abfindung.51 Dies wäre allerdings nach der Auslegung des Berufungsgerichts gerade nicht der Fall gewesen: Werde die Regelung in Abs. 1 – wie vom Berufungsgericht angenommen – als anfänglich nichtig angesehen, sei ein ausscheidender Gesellschafter grundsätzlich zum vollen wirtschaftlichen Wert seines Geschäftsanteils abzufinden.52 Hiervon abweichend regele allerdings Abs. 2 die Abfindung nach dem Stuttgarter Verfahren.53 Nach der Auslegung des Berufungsgerichts erhalte der Gesellschafter jedoch immer dann eine sittenwidrig zu niedrige Abfindung, wenn er später als drei Jahre nach Eintragung der Satzungsbestimmung in das Handelsregister aus der Gesellschaft ausscheide und die Nichtigkeit bis dahin nicht geltend gemacht habe (§ 242 Abs. 2 AktG).54 Diese Lösung bewertet der Senat im Ergebnis als gerade nicht vernünftig und als nicht von den Gesellschaftern gewollt. Die Ausführungen des BGH sind nicht nur zutreffend, sie sind auch klarstellend dahingehend zu konkretisieren, dass Heilungs- beziehungsweise Auffangklauseln für anfänglich nichtige Abfindungsklauseln allgemein zulässig sind. Ein grundsätzliches Verbot geltungserhaltender Reduktion (wie es im AGB-Recht nach Rechtsprechung und h. L. besteht55) gibt es im GmbHRecht nicht. Eine nichtige Satzungsregel führt grundsätzlich nicht dazu, dass die übrige Satzung von diesem Mangel erfasst wird. So wird die Wirksamkeit einer Einziehungsklausel nicht dadurch berührt, dass eine dazugehörige Abfindungsklausel anfänglich nichtig ist.56 Dieses Ergebnis wird nicht erst über § 139 BGB erreicht.57 Es geht vorliegend nicht darum, die Gesellschafter für die Aufnahme einer sittenwidrigen Abfindungsklausel in die GmbH-Satzung zu sanktionieren. Nichtigkeit beziehungsweise nachträgliche Unwirksamkeit sollen vielmehr nur dazu führen, dass die Gesellschafter keine Gestaltung in die Satzung aufnehmen, wonach im Ergebnis ein Gesellschafter im Falle seines Ausscheidens eine objektiv eindeutig zu niedrige Abfindung   BGH, Urt. v. 27.9.2011 – II ZR 279/09, Rn. 14 (zit. n. Juris), ZIP 2011, 2357.   BGH, Urt. v. 27.9.2011 – II ZR 279/09, Rn. 14 (zit. n. Juris), ZIP 2011, 2357. 52   BGH, Urt. v. 27.9.2011 – II ZR 279/09, Rn. 12 (zit. n. Juris), ZIP 2011, 2357. 53   BGH, Urt. v. 27.9.2011 – II ZR 279/09, Rn. 12 (zit. n. Juris), ZIP 2011, 2357. 54   BGH, Urt. v. 27.9.2011 – II ZR 279/09, Rn. 12 (zit. n. Juris), ZIP 2011, 2357, für die Anwendbarkeit von § 242 Abs. 2 AktG m. V. a. BGH, Urt. v. 16.12.1991 – II ZR 58/91, BGHZ 116, 359, 368 f. und Strohn in: MünchKommGmbHG, 3. Aufl. 2018, § 34 Rn. 236 f. 55   Vgl. hierzu ausf. Basedow in: MünchKommBGB, 7. Aufl. 2016, § 306 Rn. 12 ff. 56   Vgl. hierzu H. P. Westermann in: Scholz, GmbHG, Bd. I, 12. Aufl. 2018, § 34 Rn. 36. 57   H. P. Westermann in: Scholz, GmbHG, Bd. I, 12. Aufl. 2018, § 34 Rn. 36 m. w. N. 50 51

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erhält. Nur in diesem Fall wird der Satzungsautonomie der Gesellschafter eine Grenze gesetzt. Wird dieses Ziel nicht mit dem Eingreifen des gesetzlichen Regelfalls (anfängliche Nichtigkeit) oder mit einer Ausübungskon­trolle durch das Gericht (nachträgliche Unwirksamkeit) erreicht, sondern mit einer Auffangregelung, dann entfällt die Rechtfertigung für eine Einschränkung der Satzungsautonomie der Gesellschafter. Diese Wertung rechtfertigt keine unterschiedliche Behandlung von Heilungsklauseln bei anfänglich oder nachträglich sittenwidrigen Abfindungsklauseln. Im Ergebnis wird die Notwendigkeit des Eingreifens der Nichtigkeitsnorm in beiden Fällen gleichermaßen verhindert. Die Auffangklausel führt dazu, dass ein Gesellschafter im Falle seines Ausscheidens nicht mit einer sittenwidrig niedrigen Abfindung abgespeist wird. Auch ein Vergleich mit unwirksamen Wettbewerbsverboten, bei denen eine geltungserhaltende Reduktion ebenfalls grundsätzlich zulässig ist,58 stützt das Ergebnis. Hierdurch wird das Wettbewerbsverbot auf ein gerade noch zulässiges Maß reduziert. Warum Wettbewerbsverbote in dieser Hinsicht wie Heilungsklauseln hinsichtlich nachträglich unwirksamer Abfindungsklauseln behandelt werden sollten, jedoch anders als Heilungsklauseln bezüglich anfänglich nichtiger Abfindungsregelungen, ist nicht erkennbar. 4.  Amtslöschung und Nichtigkeits(feststellungs-)klage zur Beseitigung anfänglich unwirksamer Abfindungsklauseln Anfänglich unwirksame Abfindungsklauseln können Gegenstand eines Amtslöschungsverfahrens sein: Ein in das Handelsregister eingetragener Beschluss der Gesellschafterversammlung einer GmbH kann gemäß § 398 i. V. m. § 397 FamFG nach § 395 FamFG als nichtig gelöscht werden, wenn er durch seinen Inhalt zwingende gesetzliche Vorschriften verletzt und seine Beseitigung im öffentlichen Interesse erforderlich erscheint. Die Amtslöschung gemäß § 398 FamFG kommt allerdings in der Praxis selten vor und ist trotz Möglichkeit einer Ermessensreduzierung auf Null im Einzelfall zur Wahrung der Interessen der Gesellschafter wenig geeignet59. Außerdem bezweckt § 398 FamFG ausschließlich die Ermöglichung von Löschungen, die im öffentlichen Interesse geboten sind.60 Daher besteht für einen Gesellschafter, der ein Interesse an der Löschung einer anfänglich nichtigen Abfindungsklausel hat, im Hinblick auf die Einleitung eines Amtslöschungsverfahrens nur die Möglichkeit, dieses gemäß § 24 FamFG anzuregen.

58   Gehle DB 2010, 1981, 1982 f.; zust. Heckschen in: Heckschen/Heidinger, Die GmbH in der Gestaltungs- und Beratungspraxis, 4. Aufl. 2018, Kapitel 4 Rn. 296. 59   Vgl. für das Amtslöschungsverfahren nach Heilung Winkler GmbHR 2016, 519, 522. 60   Zur Interessenabwägung Casper in: Spindler/Stilz, AktG, 3. Aufl. 2015, § 242 Rn. 23.

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Den Gesellschaftern bleibt als sicherstes Instrument zur Beseitigung nichtiger Abfindungsklauseln die Nichtigkeits(feststellungs-)Klage nach § 249 AktG (der auf die GmbH entsprechende Anwendung findet61). Die Bedeutung der Nichtigkeitsklage gemäß § 249 AktG analog für anfänglich unwirksame Abfindungsklauseln besteht vorrangig in ihrer heilungshemmenden Wirkung gemäß § 242 Abs. 2 Satz 2 AktG.62 Amtslöschungsverfahren und Nichtigkeits(feststellungs-)klage gemäß § 249 AktG analog sind nebeneinander möglich und schließen sich nicht aus.63

III.  Heilung gemäß § 242 Abs. 2 Satz 1 AktG analog 1.  Die grundsätzliche analoge Anwendung von § 242 Abs. 2 Satz 1 AktG Ist ein Hauptversammlungsbeschluss nach § 241 Nr. 1, 3 oder 4 AktG nichtig, so kann die Nichtigkeit gemäß § 242 Abs. 2 Satz 1 AktG nicht mehr geltend gemacht werden, wenn der Beschluss in das Handelsregister eingetragen worden ist und seitdem drei Jahre verstrichen sind. § 242 Abs. 2 Satz 1 ist auf die GmbH analog anwendbar.64 Die Heilung gemäß § 242 Abs. 2 AktG analog beschränkt sich nicht auf das Innenverhältnis, sondern wirkt auch gegenüber Dritten.65 Eine Abfindungsklausel, die an einem anfänglichen Mangel leidet, der gemäß § 241 Nr. 4 AktG (analog) deren Nichtigkeit begründet, wird also mit dem Ablauf von drei Jahren seit ihrer Eintragung in das Handelsregister in der Weise geheilt, dass ihre Nichtigkeit gemäß § 242 Abs. 2 Satz 1 AktG (analog) nicht mehr geltend gemacht werden kann.66 Dies ist bemerkenswert, verstößt es doch zunächst gegen das allgemeine Rechtsempfinden, einer 61  BGH, Urt. v. 25.11.2002 – II ZR 69/01, NZG 2003, 127; OLG Koblenz, Urt. v. 17.11.2005 – 6 U 577/06, Rn. 20 (zit. n. Juris), NZG 2006, 270; Dörr in: Spindler/Stilz, AktG, 3. Aufl. 2015, § 249 Rn. 6. 62   Diese Möglichkeit rechtfertigt nach der h. M. auch die drastische Wirkung der Heilung gemäß § 242 Abs. 2 Satz 1 AktG, vgl. Strohn in: MünchKommGmbHG, 3. Aufl. 2018, § 34 Rn. 239. 63   Otto in: Hahne/Schlögel/Schlünder, BeckOK FamFG, 26. Edition, Stand: 2.4.2018, § 398 Rn. 4. 64   BGH, Urt. v. 19.06.2000 – II ZR 73/99 Rn. 10 ff. (zit. n. Juris), BGHZ 144, 365 = NZG 2000, 1027; bei BGH, Urt. v. 27.09.2011 – II ZR 279/09 Rn. 10 (zit. n. Juris), ZIP 2011, 2357 kam es auf die Anwendung von § 242 Abs. 2 AktG noch nicht an. 65   BGH, Urt. v. 20.2.1984 – II ZR 116/83 Rn. 15 (zit. n. Juris), WM 1984, 473; Casper in: Spindler/Stilz, AktG, 3. Aufl. 2015, § 242 AktG Rn. 14; Hüffer/Schäfer in: MünchKommAktG, 4. Aufl. 2016, § 242 Rn. 20; Ulmer/Habersack in: Ulmer/Habersack/Löbbe, GmbHG, 2. Auf. 2014, Bd. II, § 34 Rn. 108. 66  BGH, Urt. v. 16.12.1991 – II ZR 58/91 Rn. 24 (zit. n. Juris), BGHZ 116, 359 = GmbHR 1992, 257.

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eindeutig sittenwidrigen Satzungsklausel allein durch Zeitablauf zu seiner uneingeschränkten Gültigkeit zu verhelfen. Eine derartige Behandlung insbesondere nichtiger Abfindungsklauseln führt zwangsläufig zu ungerechten beziehungsweise willkürlichen Ergebnissen.67 Im Aktienrecht ist dieses Ergebnis jedoch zu akzeptieren, resultiert die Regelung des § 242 Abs. 2 Satz 1 AktG doch aus der Intention, die zeitlich unbegrenzte Geltendmachung der Nichtigkeit von Hauptversammlungsbeschlüssen im Interesse der Rechtssicherheit einzuschränken.68 Das besondere Bedürfnis nach Rechtssicherheit resultiert aus der typischen Ausgestaltung der Aktiengesellschaft als Publikumsgesellschaft.69 Trotz Heilung kann die geheilte Abfindungsklausel allerdings gemäß § 242 Abs. 2 Satz 3 AktG analog nach § 398 FamFG von Amts wegen gelöscht werden.70 Ist bei Ablauf der Frist eine Klage auf Feststellung der Nichtigkeit des Hauptversammlungsbeschlusses rechtshängig, so verlängert sich die Frist gemäß § 242 Abs. 2 Satz 2 AktG, bis über die Klage rechtskräftig entschieden ist oder sie sich auf andere Weise endgültig erledigt hat. Die Heilung einer anfänglich nichtigen Abfindungsklausel kann daher durch Erhebung der Nichtigkeits(feststellungs-)klage gemäß § 249 AktG (analog) verhindert werden. Nach verbreiteter Ansicht greift die Heilung gemäß § 242 Abs. 2 Satz 1 AktG analog – unabhängig von ihrer konkreten Wirkung – nicht im Falle der Gläubigerbenachteiligung (§ 241 Nr. 3 AktG analog).71 Hierauf kommt es allerdings für die vorliegende Untersuchung nicht an. Entscheidend ist, dass überhaupt eine Heilung eintreten kann. 2.  Zwischenergebnisse als Grundlage der weiteren Untersuchung Für die weitere Untersuchung können folgende Aussagen festgehalten werden: 1. Eine wirksame Abfindungsklausel bewirkt grundsätzlich, dass ein ausscheidender Gesellschafter eine Abfindung in der dort vereinbarten Höhe erhält. 2. Eine nachträglich fehlerhafte Abfindungsklausel bewirkt, dass bei Geltendmachung der Abfindung das Gericht eine Abfindung in angemessener   Vgl. allgemein Casper in: Spindler/Stilz, AktG, 3. Aufl. 2015, § 242 AktG Rn. 4.   Hüffer/Schäfer in: MünchKommAktG, 4. Aufl. 2016, § 242 Rn. 2; Casper in: Spindler/Stilz, AktG, 3. Aufl. 2015, § 242 AktG Rn. 4. 69   Geißler NZG 2006, 527, 528. 70   Ulmer/Habersack in: Ulmer/Habersack/Löbbe, GmbHG, 2. Auf. 2014, Bd. II, § 34 Rn. 108; vgl. zur fortdauernden Befugnis zur Amtslöschung Hüffer/Schäfer in: MünchKommAktG, 4. Aufl. 2016, § 242 Rn. 23 f. 71   Vgl. nur Strohn in: MünchKommGmbHG, 3. Aufl. 2018, § 34 Rn. 239; Fleischer in: Henssler/Strohn, GesR, 3. Aufl. 2016, § 34 GmbHG Rn. 17. 67 68

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Höhe festsetzt („Ausübungskontrolle“). Eine nachträgliche Nichtigkeit bewirkt die nachträgliche Fehlerhaftigkeit nicht.72 3. Eine Klausel, die anfänglich so fehlerhaft ist dass sie gemäß (§ 138 BGB i. V. m.) § 241 Nr. 4 AktG analog nichtig ist, führt dazu, dass der gesetzliche Regelfall eingreift und ein ausscheidender Gesellschafter eine Abfindung in Höhe des tatsächlichen Werts (Verkehrswert oder Veräußerungswert) des Geschäftsanteils erhält.73 4. Die Nichtigkeit einer Abfindungsklausel nach § 241 Nr. 4 AktG (analog) kann gemäß § 242 Abs. 2 Satz 1 AktG (analog) mit Ablauf des dritten Jahres seit Eintragung im Handelsregister nicht mehr geltend gemacht werden. 5. Satzungsmäßige Auffangklauseln sind sowohl hinsichtlich anfänglich nichtiger, als auch bezüglich nachtäglich unwirksamer Abfindungsklauseln wirksam. 3.  Die Heilungswirkung nach § 242 Abs. 2 Satz 1 AktG analog a) Problemstellung Es stellt sich die Frage, welche Wirkung die Heilung gemäß § 242 Abs. 2 Satz 1 AktG analog für die Höhe des Abfindungsanspruchs hat. Die dargestellte Rechtsprechung und ganz überwiegende Literatur74 bleibt vor dieser Stelle der Darstellung stehen und diskutiert sie nicht näher. Es wird lediglich davon gesprochen, dass die Nichtigkeit gemäß § 242 Abs. 2 Satz 1 AktG (analog) geheilt werde.75 Auch die Praxis geht davon aus, dass die Heilung gemäß § 242 Abs. 2 Satz 1 AktG analog dazu führt, dass nach Heilung einem ausscheidenden Gesellschafter eine (häufig unbestritten sittenwidrige) Abfindung gemäß der rechtswidrigen Klausel zusteht. Die herrschende Meinung überträgt also die Wirkung von § 242 Abs. 2 Satz 1 AktG unbesehen auf die GmbH, ohne infrage zu stellen, ob dies im Rahmen der analogen Anwendung gerechtfertigt ist. Bei genauer Betrachtung zeigt sich, dass ein derartiges Ergebnis nur schwer vertretbar und in seinen praktischen Konsequenzen untragbar wäre. Ausgangspunkt der Überlegungen muss der Wortlaut von § 242 Abs. 2 Satz 1 AktG (analog) sein. Dieser lautet (an die vorliegende Konstellation angepasst):

72   Ulmer/Habersack in: Ulmer/Habersack/Löbbe, GmbHG, 2. Auf. 2014, Bd. II, § 34 Rn. 109. 73   Winkler GmbHR 2016, 519, 520. 74   Strohn in: MünchKommGmbHG, 3. Aufl. 2018, § 34 Rn. 239; Fleischer in: Henssler/ Strohn, GesR, 3. Aufl. 2016, § 34 GmbHG Rn. 17; Westermann in: Scholz, GmbHG, Bd. I, 12. Aufl. 2018, § 34 Rn. 36; Fastrich in: Baumbach/Hueck, GmbHG, 21. Aufl. 2017, § 34 Rn. 31; wohl auch Altmeppen in: Roth/Altmeppen, GmbHG, 8. Aufl. 2015, § 34 Rn. 58. 75   Vgl. z. B. Strohn in: MünchKommGmbHG, 3. Aufl. 2018, § 34 Rn. 236 f.

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Ist eine Abfindungsklausel in einer GmbH-Satzung nach § 241 Nr. 4 AktG (analog) nichtig, „so kann die Nichtigkeit nicht mehr geltend gemacht werden, wenn“ seit der Eintragung der Gründungssatzung oder der Satzungsänderung (welche die nichtige Abfindungsklausel enthält) in das Handelsregister „drei Jahre verstrichen sind“.

Bis zum Eintritt der Heilungswirkung besteht im Falle des Ausscheidens eines Gesellschafters ein Anspruch nach dem gesetzlichen Regelfall in voller Höhe des Verkehrswerts des Geschäftsanteils. Jedenfalls ein derartiger Anspruch scheidet mit Eintritt der Heilungswirkung aus.76 Andernfalls hätte § 242 Abs. 2 Satz 1 AktG analog im vorliegenden Fall überhaupt keine Wirkung, was einerseits der Rechtsprechung widerspräche, andererseits auch angesichts der im Grundsatz nicht zu beanstanden analogen Anwendung der §§ 241 ff. AktG (und damit der Heilungsvorschrift des § 242 Abs. 2 Satz 1 AktG) nicht angezeigt erscheint. Es kommen zwei Alternativen in Betracht: 1. Der Anspruch besteht in der in der Abfindungsklausel geregelten Höhe. Die anfänglich nichtige Abfindungsklausel wird durch § 242 Abs. 2 Satz 1 AktG (analog) in den Status einer wirksamen, nicht fehlerhaften Satzungsklausel gehoben. Hierin läge eine maximal konsequente (analoge) Anwendung des § 242 Abs. 2 Satz 1 AktG. 2. Die Klausel bleibt zwar nicht unwirksam. Es greift also nicht der gesetzliche Regelfall der Abfindung zum Verkehrswert ein. Der Anspruch wird allerdings wie im Falle der nachträglichen Fehlerhaftigkeit im Rahmen der gerichtlichen Geltendmachung einer „Ausübungskontrolle“ unterzogen. Das Gericht legt den Abfindungsbetrag in angemessener Höhe fest. Danach würde eine anfänglich nichtige, jedoch anschließend geheilte Abfindungsklausel wie eine nachträglich unwirksame Abfindungsklausel behandelt. Die Rechtsprechung musste sich zu dieser Frage noch nicht positionieren. In BGHZ 144, 36577 ging es um die Wirksamkeit des Ausschließungsbeschlusses. Die Frage der Höhe der Abfindung musste das Gericht nicht entscheiden.78 Inzwischen wird (im Sinne der zweiten möglichen Lösung) von mehreren Autoren vertreten, dass auch eine gemäß § 242 Abs. 2 Satz 1 AktG analog geheilte anfänglich unwirksame Abfindungsklausel nicht uneingeschränkt gilt, sondern wie eine nachträglich fehlerhafte Abfindungsklausel der Ausübungskontrolle unterliegt.79 Diese Ansicht gilt es, auf ihre Über  Geißler NZG 2006, 527, 529.   BGH, Urt. v. 19.6.2000 – II ZR 73/99, BGHZ 144, 365 = NZG 2000, 1027. 78   Heckschen in: Heckschen/Heidinger, Die GmbH in der Gestaltungs- und Beratungspraxis, 4. Aufl. 2018, Kapitel 4 Rn. 622. 79   Lutter/Kleindiek in: Lutter/Hommelhoff, GmbHG, 19. Aufl. 2016, § 34 Rn. 86 m. V. a. Strohn in: MünchKommGmbHG, § 34 Rn. 239 (der allerdings gerade nicht diese Ansicht vertritt); Winkler GmbHR 2016, 519 ff.; vgl. auch Heckschen in: Heckschen/Heidinger, Die GmbH in der Gestaltungs- und Beratungspraxis, 4. Aufl. 2018, Kapitel 4 Rn. 622; Geißler, NZG 2006, 527 ff. löst die Problematik letztlich über § 242 BGB; zust. Ulmer/Habersack 76 77

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zeugungskraft zu überprüfen. Auch die bereits erwähnte Entscheidung des BGH aus dem Jahr 201180 stützt den Ansatz, die vollkommene Legalisierungswirkung des § 242 Abs. 2 Satz 1 AktG analog auf nichtige Abfindungsklauseln kritisch zu reflektieren. Diese Entscheidung ist zwar bei genauerer Betrachtung nicht eindeutig. Sie zeigt allerdings, dass der BGH wohl nicht abgeneigt ist, die Vermeidung der willkürlichen Ergebnisse der Heilung gemäß § 242 Abs. 2 Satz 1 AktG über Auffangregelungen in der Satzung zuzulassen.81 Ob er auch bei Fehlen einer derartigen Auffangregelung bereit wäre, besagte Wirkung von § 242 Abs. 2 Satz 1 AktG durch eine restriktive analoge Anwendung in Frage zu stellen (wie in der Literatur in Gestalt der ersatzweisen Ausübungskontrolle vorgeschlagen), wird nicht deutlich. Hierauf kam es in der Entscheidung aufgrund der vorhandenen Auffangregelung in der Satzung nicht an. b)  Ausübungskontrolle trotz § 242 Abs. 2 Satz 1 AktG In der Literatur wurde bereits vereinzelt zu der hier diskutierten Problematik Stellung genommen. Zunächst spreche der Grundsatz der Gleichbehandlung dagegen, die Abfindung im Falle einer geheilten und einer nicht geheilten anfänglich unwirksamen in der Weise auseinanderfallen zu lassen, dass die Abfindung im ersten Fall deutlich niedriger ausfällt, als im zweiten Fall. Wenn Abfindungsklauseln, die zu Beginn rechtswirksam und erst später aufgrund der wirtschaftlichen Entwicklung unwirksam werden, gemäß den Grundsätzen der Vertragsauslegung anzupassen seien, so müsse dies erst recht bei einer Klausel gelten, die bereits von Anfang an nichtig gewesen sei.82 Der ausscheidende Gesellschafter, der den Folgen einer anfänglich unwirksamen Klausel ausgesetzt ist, sei einer viel größeren Ungerechtigkeit ausgesetzt, und folglich schutzbedürftiger.83 Hinzu komme, dass die Gesellschafter beziehungsweise die Gesellschaft in diesem Fall für einen besonders groben Rechtsverstoß (anfänglich sittenwidrige Klausel) belohnt würden.84 Vor diesem Hintergrund bestehe ein Gebot, den ausscheidenden Gesellschafter einer anfänglich nichtigen, später jedoch geheilten Abfindungsklausel nicht schlechter zu stellen, als wenn er unter Geltung einer nachträglich fehlerhaf-

in: Ulmer/Habersack/Löbbe, GmbHG, 2. Auf. 2014, Bd. II, § 34 Rn. 108, die einer Geltendmachung der geheilten Klausel den Missbrauchseinwand entgegenhalten möchten; 80   BGH, Urt. v. 27.09.2011 – II ZR 279/09, Rn. 11 ff. (zit. n. Juris), ZIP 2011, 2357. 81   BGH, Urt. v. 27.09.2011 – II ZR 279/09, Rn. 11 ff. (zit. n. Juris), ZIP 2011, 2357. 82   Winkler GmbHR 2016, 519, 523. 83   Winkler GmbHR 2016, 519, 523. 84   Winkler GmbHR 2016, 519, 523.

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ten Abfindungsklausel ausgeschieden wäre.85 Die Anregung beim Registergericht, die Amtslöschung einer nichtigen Abfindungsklausel vorzunehmen, helfe dem ausscheidenden Gesellschafter wenig.86 Dieser Argumentation ist zuzustimmen. Wie oben beschrieben widerspricht eine Heilung sittenwidriger Rechtsgeschäfte grundsätzlich den Wertungen unserer Rechtsordnung.87 Im Aktienrecht wird hiervon nur im Interesse der Rechtssicherheit abgewichen. Letztlich lässt sich daher die uneingeschränkte analoge Anwendung von § 242 Abs. 2 Satz 1 AktG auf die GmbH nur dann vertreten, wenn man der Ansicht ist, dass die mit § 242 Abs. 2 Satz 1 AktG verfolgte Rechtssicherheit im vorliegend diskutierten Fall den gleichen Stellenwert hat, der ihr hinsichtlich der Heilung nichtiger Hauptversammlungsbeschlüsse beigemessen wird. Andernfalls ist die vollkommene Legalisierungswirkung hinsichtlich sittenwidriger Abfindungsklauseln gerade nicht im Sinne des Gesetzgebers und eine analoge Anwendung daher ausgeschlossen. Die für die analoge Anwendung von § 242 Abs. 2 Satz 1 AktG auf nichtige Abfindungsklauseln in GmbH-Satzungen angeführte Rechtssicherheit ist allerdings für eine GmbH aufgrund ihrer im Vergleich zur AG nach dem gesetzlichen Leitbild personalistischeren Ausgestaltung nicht von ebenso großer Bedeutung.88 Die Erwägung, die Einzelfallgerechtigkeit (und den Widerspruch zur übrigen Rechtsordnung) pauschal hinter das Erfordernis nach Rechtssicherheit durch Eintritt der Heilungswirkung zurücktreten zu lassen, greift im GmbH-Recht daher nicht gleichermaßen durch, wie im Aktienrecht. Wenn zu § 242 AktG allgemein vertreten wird, dass die Wirkung dieser Vorschrift im konkreten Fall mit der Einzelfallgerechtigkeit in Widerspruch stehen kann89, dann wird man es im Rahmen einer analogen Anwendung auf nichtige Abfindungsklauseln im GmbHRecht nur insoweit damit bewenden lassen müssen, wenn nicht durch einfache Korrekturen ein rechtssicheres und gerechtes Ergebnis herbeigeführt werden kann. Die Ausübungskontrolle bewirkt genau eine solche rechtssichere und gerechte Abfindung eines ausscheidenden Gesellschafters. Es ist nicht überzeugend, dass ausgerechnet der stärkere Rechtsverstoß (anfängliche Nichtigkeit) durch Zeitablauf wirksam werden soll, der schwächere Rechtsverstoß (nachträgliche Fehlerhaftigkeit) hingegen nur in

  Geißler NZG 2006, 527, 529; Winkler GmbHR 2016, 519, 521; Heckschen in: Heckschen/Heidinger, Die GmbH in der Gestaltungs- und Beratungspraxis, 4. Aufl. 2018, Kapitel 4 Rn. 622. 86   Winkler GmbHR 2016, 519, 521. 87   Vgl. beispielsweise allgemein zu § 138 BGB (ohne Blick auf § 242 AktG) Armbrüster in: MünchKommBGB, 7. Aufl. 2015, § 138 Rn. 155: „Auch durch Zeitablauf wird die rechtliche Möglichkeit, die Sittenwidrigkeit geltend zu machen, nicht eingeschränkt.“ 88   Geißler NZG 2006, 527, 528; Winkler GmbHR 2016, 519, 521. 89   Casper in: Spindler/Stilz, AktG, 3. Aufl. 2015, § 242 Rn. 4. 85

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angemessener Weise angepasst.90 Eher das gegenteilige Ergebnis würde sich aufdrängen.91 Die allgemeine Anwendbarkeit der §§ 241 ff. AktG auf die Gründungssatzung wird damit begründet, dass für eine Ungleichbehandlung fehlerhafter Satzungsklauseln je nachdem, ob sie schon in der ursprünglichen Fassung enthalten waren, oder später hinzugekommen sind, ein Sachgrund fehle.92 Dann stellt sich aber die Frage, warum im Rahmen der dann stattfindenden analogen Anwendung von § 242 Abs. 2 Satz 1 AktG sachgrundlose Ungleichbehandlungen von anfänglich nichtigen und später geheilten Abfindungsklauseln im Vergleich zu nachträglich fehlerhaften Abfindungsklauseln ohne weitere Begründung möglich sein sollen. Auch der Aufwand, den ein potenziell später einmal betroffener Gesellschafter betreiben muss, spricht für dieses Ergebnis: Bei einer nur nachträglich fehlerhaften Abfindungsklausel können sich die Gesellschafter zurücklehnen und jedenfalls eine angemessene Abfindung erhalten. Im Falle einer sittenwidrigen Klausel, die absolut nichtig ist, muss ein Gesellschafter dagegen selbst aktiv werden, um nicht am Ende eine unbestrittener Weise sittenwidrig niedrige Abfindung zu erhalten. Der Wortlaut von § 242 Abs. 2 Satz 1 AktG spielt zwar im Rahmen einer entsprechenden Anwendung ohnehin nur eine eher untergeordnete Rolle. Die analoge Anwendung im GmbH-Recht kann sich ohne Probleme darauf beschränken, den Rechtsgedanken der Heilungswirkung auf Regelungen in GmbH-Satzungen zu übertragen. Allerdings würde selbst der Wortlaut von § 242 Abs. 2 Satz 1 AktG der hier dargestellten Lösung nicht nachhaltig widersprechen. Dort heißt es, die Nichtigkeit könne nicht geltend gemacht werden. Die hier vertretene Lösung zielt aber nicht darauf ab, die Abfindungsregelung entgegen § 242 Abs. 2 Satz 1 AktG für nichtig zu erklären. Vielmehr soll der Fall der anfänglichen Nichtigkeit nicht gesellschafterfeindlicher behandelt werden, als der Fall der nachträglichen Fehlerhaftigkeit. Die Heilung bewirkt danach, dass die Nichtigkeit nicht mehr geltend gemacht werden kann. An deren Stelle tritt jedoch richtigerweise eine Ausübungskontrolle. Das einzige wertungsmäßig richtige – und damit im Rahmen einer Rechtsfortbildung, worum es sich bei der Heilung gemäß § 242 Abs. 2 Satz 1 AktG analog handelt, vorzugswürdige – Ergebnis lautet daher: 1. Nichtigkeit der Klausel gemäß § 241 AktG bis zum Eintritt der Heilungswirkung. 2. Ab Eintritt der Heilungswirkung gemäß § 242 Abs. 2 Satz 1 AktG analog tritt an die Stelle der Nichtigkeit eine Ausübungskontrolle entsprechend des Falles der nachträglichen Unwirksamkeit.   So auch Geißler NZG 2006, 527, 529.   Geißler NZG 2006, 527, 529. 92   Ulmer/Habersack in: Ulmer/Habersack/Löbbe, GmbHG, 2. Auf. 2014, Bd. II, § 34 Rn. 106. 90 91

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IV.  Treuepflicht und unwirksame Abfindungsklausel – Gesellschafterpflicht zur Mitwirkung bei der Korrektur Das Ergebnis der bisherigen Ausführungen ist eine Ausübungskontrolle sowohl im Falle der nachträglichen Fehlerhaftigkeit, als auch nach Heilung der anfänglichen Unwirksamkeit von Abfindungsklauseln. Wie das erkennende Gericht die „angemessene Abfindung“ festlegen wird, lässt sich allerdings schwer vorhersehen. Es kann daher ein Interesse bestehen, eine im Laufe der Zeit – beispielsweise im Zuge des Wechsels des Beraters der Gesellschaft oder eines Gesellschafters – als anfänglich oder nachträglich unwirksam erkannte Abfindungsklausel zu korrigieren. Hinzu kommt, dass die hier vertretene Ausübungskontrolle auch im Falle anfänglich nichtiger und später geheilter Abfindungsklauseln keineswegs auf einer sicheren Rechtslage beruht. Vielmehr wird die Praxis weiterhin davon auszugehen haben, dass mit Ablauf der Drei-Jahres-Frist des § 242 Abs. 2 Satz 1 AktG (analog) eine vollständige Legalisierung nichtiger Abfindungsklauseln eintritt. Es entstehen jedenfalls dann Probleme, wenn die Unwirksamkeit einer Abfindungsklausel den Beteiligten erst dann auffällt, wenn ein Gesellschafter aus der GmbH ausscheidet oder seinen Abfindungsanspruch bereits (gerichtlich) einfordert. Bemerken die Beteiligten – beispielsweise im Zuge eines Beraterwechsels oder einer anderweitigen Satzungsänderung – eine anfänglich unwirksame oder nachträglich fehlerhafte Abfindungsklausel jedoch, bevor ein Gesellschafter ausgeschieden ist, stellt sich die Frage, wie mit der fehlerhaften Satzungsbestimmung weiter zu verfahren ist. Unabhängig davon, ob eine Abfindungsklausel anfänglich unwirksam oder nachträglich fehlerhaft ist, können die Gesellschafter die betreffende Abfindungsklausel durch satzungsändernden Beschluss durch eine fehlerfreie Klausel ersetzen. Jedenfalls zulasten eines Gesellschafters ist dies allerdings nur mit dessen Zustimmung möglich. Der Problematik ist daher vergleichsweise einfach zu begegnen, wenn alle Gesellschafter der erforderlichen Satzungsänderung zustimmen. Komplikationen entstehen jedoch, wenn sich einzelne Gesellschafter gegen die notwendige Satzungsänderung sperren. Es stellt sich die Frage, ob ein änderungswilliger Gesellschafter gegen die übrigen Gesellschafter einen Anspruch auf Mitwirkung an der Änderung einer rechtswidrigen Abfindungsklausel haben kann. Mangels ausdrücklicher Regelung dieser Problematik ist die naheliegendste Grundlage für einen derartigen Anspruch die allgemeine gesellschafterliche Treuepflicht.

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1.  Die Treuepflicht Die Inhaltliche Definition der Treuepflicht hängt von den Umständen des Einzelfalls ab und ist das Ergebnis einer Interessenabwägung.93 Auch wenn daher der genaue Aussagehalt der gesellschafterlichen Treuepflicht im Einzelfall schwer zu bestimmen ist94, so ist jedenfalls anerkannt, dass die Gesellschafter im Rahmen von Satzungsänderungen die Belange ihrer Mitgesellschafter zu beachten haben.95 Der einzelne Gesellschafter hat gegenüber der Gesellschaft und der Gesamtheit der Mitgesellschafter eine aus der Treuepflicht folgende Loyalitätspflicht. Diese verbietet es ihm, die genannten Personen unter Einsatz seiner Stimme zum eigenen Nutzen zu schädigen.96 Bei der Ausübung eigennütziger Rechte muss der Gesellschafter seine eigenen Interessen zwar nicht immer hintenanstehen lassen.97 Vielmehr ist hier eine Abwägung im Einzelfall maßgeblich.98 Aus der Treuepflicht folgt aber eine Pflicht des einzelnen Gesellschafters, an der Änderung einer unzureichenden Satzung mitzuwirken.99 Seibt formuliert, die dann erforderliche Mitwirkungshandlung habe sich am Grundsatz der Verhältnismäßigkeit zu orientieren und gebiete im Einzelfall nur eine minimalinvasive Satzungsänderung, um den Mangel entsprechend dem objektiven Gesellschafterwillen oder der sonstigen Gesamtlogik der Satzung zu heilen.100 Die Beurteilung einer Stimmrechtsbindung aufgrund der Treuepflicht muss immer unter Würdigung aller im Einzelfall relevanten Umstände erfolgen.101 2.  Abwägung unter Berücksichtigung der Interessenlage im Einzelfall a)  Nachträgliche Fehlerhaftigkeit Entsteht erst im Verlauf der Zeit ein grobes Missverhältnis zwischen dem tatsächlichen wirtschaftlichem Wert des Geschäftsanteils und der nach der   Raiser in: Ulmer/Habersack/Löbbe, GmbHG, Bd. I, 2. Aufl. 2013, § 14 Rn. 87.   Vgl. ausf. Seibt in: Scholz, GmbHG, Bd. I, 12. Aufl. 2018, § 14 Rn. 64 ff. 95   BGH, Urt. v. 5.6.1975 – II ZR 23/74 Rn. 12 (zit. n. Juris), BGHZ 65, 15 = NJW 1976, 191; Seibt in: Scholz, GmbHG, Bd. I, 12. Aufl. 2018, § 14 Rn. 98. 96   Bayer in: Lutter/Hommelhoff, GmbHG, 19. Aufl. 2016, § 14 Rn. 35. 97   Bayer in: Lutter/Hommelhoff, GmbHG, 19. Aufl. 2016, § 14 Rn. 35 98   BGH, Urt. v. 10.6.1991 II ZR 234/89, Rn. 7 (zit. n. Juris), GmbHR 1991, 362; Bayer in: Lutter/Hommelhoff, GmbHG, 19. Aufl. 2016, § 14 Rn. 35. 99   BGH, Urt. v. 25.9.1986 – II ZR 262/85, BGHZ 98, 276 = GmbHR 1986, 426; OLG München, Urt. v. 26.4.1991 – 23 U 5879/90, DStR 1992, 1102, 1103; Bayer in: Lutter/ Hommelhoff, GmbHG, 19. Aufl. 2016, § 14 Rn. 33 m. V. a. Nonn Zustimmungspflichten des Kapital-Gesellschafters, 1995, S. 94 ff.; Seibt in: Scholz, GmbHG, Bd. I, 12. Aufl. 2018, § 14 Rn. 98; Raiser in: Ulmer/Habersack/Löbbe, GmbHG, Bd. I, 2. Aufl. 2013, § 14 Rn. 95. 100   Seibt in: Scholz, GmbHG, Bd. I, 12. Aufl. 2018, § 14 Rn. 98. 101   Raiser in: Ulmer/Habersack/Löbbe, GmbHG, Bd. I, 2. Aufl. 2013, § 14 Rn. 95. 93 94

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Abfindungsklausel zu berechnenden Höhe des Abfindungsanspruchs und wird dies irgendwann bemerkt, kann ein Interesse der Beteiligten bestehen, die fehlerhafte Abfindungsklausel durch satzungsändernden Beschluss zu korrigieren. Sowohl ein potenzieller Abfindungsberechtigter als auch die übrigen Gesellschafter können ein Interesse daran haben, die Ausübungskontrolle nicht dem Gericht zu überlassen, sondern eine Korrektur der fehlerhaften Klausel vorzunehmen. Das OLG München führt die Treuepflicht im Zusammenhang mit der Herleitung der Ausübungskontrolle nachträglich unwirksamer Abfindungsklauseln als Argumentationshilfe an.102 Wenn aber (mit) aus der Treuepflicht folgt, dass einem Gesellschafter das Festhalten an einer zwar wirksamen, aber nachträglich sittenwidrig gewordenen Klausel nicht zugemutet werden kann, dann ist es auch naheliegend, eine Mitwirkungspflicht der Mitgesellschafter bei der Korrektur einer unwirksamen Abfindungsklausel aus der Treuepflicht herzuleiten. Ein berechtigtes Interesse einzelner Gesellschafter (oder der Mehrheit der Gesellschafter), die Festlegung einer angemessenen Höhe der Abfindung in der Satzung zu verhindern besteht nicht. Vielmehr wird im Wege der Satzungsänderung nur dem ursprünglichen Gesellschafterwillen nachträglich zum Durchbruch verholfen, eine vom gesetzlichen Regelfall abweichende, aber noch zulässige Festlegung der Abfindungshöhe zu regeln. Wenn das Gericht ohnehin die Anpassung der Klausel vornimmt, wenn der Abfindungsanspruch geltend gemacht wird, dann ließe sich schwer erklären, warum nicht ein Gesellschafter schon vor der eigentlichen Geltendmachung der (dann zu korrigierenden) Abfindung eine Korrektur der Abfindungsklausel verlangen können soll. Hierbei handelt es sich vielmehr um den einfacheren Weg, der im Zweifel eine gerichtliche Auseinandersetzung unwahrscheinlicher macht. Dies ist im Sinne aller Gesellschafter. Auch die Interessen der Gesellschaft werden durch eine derartige Satzungsänderung nicht tangiert. Dem Interesse daran, die rechtswidrige Abfindungsklausel in den Stand einer rechtmäßigen Satzungsregelung zu heben, stehen im Ergebnis keine schützenswerten Interessen der Mitgesellschafter entgegen. Es besteht also im Ergebnis grundsätzlich eine Verpflichtung jedes Gesellschafters, an der Änderung einer nachträglich unwirksamen Abfindungsklausel mitzuwirken. b)  Anfängliche Unwirksamkeit Im Zeitraum vor der Heilung besteht ein Interesse der Gesellschafter, dass ein ausscheidender Gesellschafter keine Abfindung nach dem vollen Verkehrswert erhält. Gerade im Fall der Gründungssatzung kommt hinzu, dass der Gesellschafter selbst an der sittenwidrigen Abfindungsklausel mitgewirkt   OLG München, Urt. v. 3.12.2009 – 23 U 2863/09, Rn. 36 (zit. n. Juris).

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hat. Wäre die Klausel nicht anfänglich unwirksam gewesen, sondern erst nachträglich fehlerhaft geworden, würde der Abfindungsanspruch unzweifelhaft vom Gericht festgelegt. Nun aber im Falle des stärkeren Rechtsverstoßes, der zur anfänglichen Nichtigkeit führt, den Gesellschafter selbst in den Genuss der deutlich höheren Abfindung nach dem Verkehrswert kommen zu lassen, ohne dass er verpflichtet ist, an einer Satzungsänderung mitzuwirken, ist nicht verständlich. Der Gesellschafter würde hier von der durch ihn selbst mitgestalteten sittenwidrigen Klausel profitieren. Auf Grundlage der hier vertretenen Meinung (Ausübungskontrolle nach Heilung) wird das Ob­struktionsinteresse eines potenziell ausscheidenden Gesellschafters zusätzlich dadurch verstärkt, dass er auch nach Eintritt der Heilung aufgrund der Ausübungskontrolle durch das Gericht noch eine höhere Abfindung erhalten würde, als wenn in der Satzung eine gerade noch wirksame Begrenzung des Abfindungsanspruchs geregelt ist. Bei verweigerter Mitwirkung an einer Satzungsänderung droht ihm nicht einmal, dass er nach Ablauf der Heilungsfrist eine sittenwidrig zu niedrige Abfindung erhalten würde. Auf der Grundlage der herrschenden Meinung – die in der Praxis für die Wahl der richtigen Strategie maßgeblich sein muss – besteht ein Interesse daran, den Eintritt der Heilungswirkung des § 242 Abs. 2 Satz 1 AktG (analog) zu verhindern. In dieser Situation eine Satzungsänderung in der Hoffnung zu verweigern, man selbst werde nach Eintritt der Wirkungen des § 242 Abs. 2 Satz 1 AktG analog schon nicht aus der Gesellschaft ausscheiden, bedeutet eine treuwidrige und rechtsmissbräuchliche Spekulation mit der Heilung grob rechtswidrigen Verhaltens. Man könnte erwägen, einem Anspruch auf Mitwirkung an einer hierauf gerichteten Satzungsänderung entgegenzuhalten, jedem Gesellschafter stehe es frei, den Eintritt der Heilungswirkung gemäß § 242 Abs. 2 Satz 2 AktG durch Erhebung der Nichtigkeits(feststellungs-)klage zu verhindern. Das Problem an dieser Lösung besteht allerdings darin, dass sie zwar einerseits aus der Perspektive jedes Gesellschafters günstig ist, weil er dann im Falle seines eigenen Ausscheidens mangels Abfindungsklausel zum Verkehrswert abgefunden würde. Allerdings ist diese Rechtsfolge andererseits aus der Perspektive jedes Gesellschafters, der im Ergebnis nicht aus der Gesellschaft ausscheidet ungünstig. Eine Abfindung eines anderen Gesellschafters zum Verkehrswert sollte gerade durch die Abfindungsklausel vermieden werden. Die Nichtigkeitsklage verhindert also im Ergebnis nicht nur die Heilung gemäß § 242 Abs. 2 Satz 1 AktG (analog), sondern pulverisiert auch die mit der Abfindungsklausel ursprünglich bezweckte Begrenzung der Abfindung endgültig. Ein Gesellschafter, der im Ergebnis eine interessengerechte Regelung der Abfindungsklausel bezweckt und nicht nur seinen eigenen Vorteil im Sinn hat, wird daher keine Nichtigkeitsklage erheben. Dann aber kann die Möglichkeit der Erhebung der Nichtigkeitsklage dem Anspruch auf Mitwir-

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kung an einer Korrektur einer anfänglich nichtigen Abfindungsklausel nicht entgegenstehen. Im Ergebnis bestehen auch im Falle der anfänglichen Unwirksamkeit keine schützenswerten Interessen der Gesellschafter, ihre Mitwirkung bei der Anpassung der Abfindungsklausel zu verweigern. Aus der Treuepflicht folgt daher eine Mitwirkungspflicht.

V.  Das Zusammenspiel von Amtslöschung, Nichtigkeitsklage und Mitwirkungspflichten bei der Korrektur anfänglich nichtiger Abfindungsklauseln Die Beteiligten haben nach hier vertretener Ansicht folgende Möglichkeiten zum Umgang mit anfänglich nichtigen Abfindungsklauseln: Die Heilung gemäß § 242 Abs. 2 Satz 1 AktG analog kann gemäß § 242 Abs. 2 Satz 3 AktG (analog) jedenfalls durch Erhebung der Nichtigkeits(feststellungs-) klage gemäß § 249 AktG (analog) verhindert werden. Möglich ist es auch, gemäß § 24 FamFG die Einleitung eines Amtslöschungsverfahrens anzuregen. Die Amtslöschung kann gemäß § 242 Abs. 2 Satz 3 AktG (analog) auch nach Eintritt der Heilung nach § 242 Abs. 2 Satz 1 AktG (analog) noch erfolgen. Auch eine Anregung hierzu bleibt dementsprechend möglich. Im Rahmen der Abwägung gemäß § 398 FamFG ist allerdings zu beachten, dass sich aufgrund der hier vertretenen Ausübungskontrolle nach eingetretener Heilung die Situation anders darstellt, als wenn mit der herrschenden Meinung eine vollkommene Legalisierung der nichtigen Abfindungsklausel angenommen wird. In unmittelbarer Anwendung hat § 242 Abs. 2 Satz 3 AktG den Zweck, im Einzelfall die Härten der Heilung gemäß § 242 Abs. 2 Satz 1 AktG abzufedern (Korrektivfunktion).103 Nach der Konzeption des § 242 Abs. 2 Satz 1 AktG gibt es nur zwei Fälle: Nichtigkeit oder vollkommene Legalisierung durch Heilung. Dass hierdurch im Einzelfall ungerechte Ergebnisse produziert werden können104 liegt auf der Hand, wird allerdings im Interesse einer rechtssicheren Lösung für die Behandlung nichtiger Hauptversammlungsbeschlüsse in der Aktiengesellschaft in Kauf genommen.105 Aus dieser Stellung von § 242 Abs. 2 Satz 3 AktG wird überzeugend – allerdings entgegen der herrschenden Meinung106 – hergeleitet, dass im Rahmen der Amtslöschung 103   Casper in: Spindler/Stilz, AktG, 3. Aufl. 2015, § 242 AktG Rn. 22; dies wird von der Literatur zu § 398 FamFG nicht näher beachtet, vgl. Heinemann in: Keidel, FamFG, 19. Aufl. 2017, § 398 Rn. 18. 104   Casper in: Spindler/Stilz, AktG, 3. Aufl. 2015, § 242 AktG Rn. 4. 105   Casper in: Spindler/Stilz, AktG, 3. Aufl. 2015, § 242 AktG Rn. 4. 106   Heinemann in: Keidel, FamFG, 19. Aufl. 2017, § 398 Rn. 18; Hüffer/Schäfer in: MünchKommAktG, 4. Aufl. 2016, § 242 Rn. 24; Koch, in: Hüffer/Koch, AktG, 13. Aufl. 2018, § 242 Rn. 8; Krafka in: MünchKommFamFG, 2. Aufl. 2013, § 398 Rn. 9.

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gemäß § 242 Abs. 2 Satz 3 AktG i. V. m. § 398 FamFG auch die Interessen der Aktionäre berücksichtigt werden müssen.107 Jedenfalls im Rahmen der analogen Anwendung von § 242 Abs. 2 Satz 3 auf die GmbH können die Interessen der Gesellschafter keine Berücksichtigung finden. Nach hier vertretener Ansicht erfolgt auch nach Eintritt der Heilung nur eine Ausübungskontrolle, nicht aber eine vollständige Legalisierung der nichtigen Abfindungsklausel. Die im Aktienrecht geltende „Alles-oder-Nichts-Lösung“ findet im GmbH-Recht daher (entgegen der herrschenden Meinung) keine Entsprechung. Folglich hat die Amtslöschung auch keine vergleichbare Stellung und kann daher (noch) restriktiver gehandhabt werden. Eine Ermessenreduzierung des Registergerichts wird man daher jedenfalls nicht mit Gerechtigkeitserwägungen hinsichtlich der willkürlichen Festlegung der Abfindungshöhe begründen können. Im Gegenteil wird die ausgewogene Lösung durch die Ausübungskontrolle – die im Einzelfall zu vertretbaren Ergebnissen kommt – und der nicht unerhebliche Zeitablauf seit Aufnahme der Klausel in die Satzung eher gegen ein Bedürfnis nach Amtslöschung sprechen. Immerhin war jedenfalls die nach einer etwaigen Amtslöschung wieder geltende Abfindung nach dem Verkehrswert von den Gesellschaftern niemals gewollt. Wollen die Gesellschafter auch nach Heilung eine niedrigere Abfindung vereinbaren, so steht ihnen dies frei und wird durch die oben entwickelten Mitwirkungspflichten aus der gesellschafterlichen Treuepflicht erleichtert. Die im Ergebnis restriktive Handhabung von § 242 Abs. 2 Satz 3 AktG analog i. V. m. § 398 FamFG passt auch zur hier vertretenen Annäherung der Wirkungen einer geheilten anfänglich nichtigen Abfindungsklausel an diejenigen einer nachträglich unwirksamen Abfindungsklausel. Bei letzterer findet überhaupt keine Amtslöschung statt. Es hat sich gezeigt, dass die hier vertretene modifizierte analoge Anwendung von § 242 Abs. 2 Satz 1 AktG im Falle der Heilung anfänglich nichtiger Abfindungsklauseln auch im Zusammenspiel mit Amtslöschung, Nichtigkeitsklage und Mitwirkungspflichten bei der Korrektur besagter Klauseln ein konsistentes System frei von Widersprüchen ergibt. Dies kann die herrschende Meinung für sich nicht behaupten. Nach ihr stellt ausgerechnet die wenig hilfreiche Anregung zur Amtslöschung nach § 242 Abs. 2 Satz 3 AktG (analog) i. V. m. § 398 FamFG das einzige Mittel zur Vermeidung einer sittenwidrig niedrigen Abfindung eines ausscheidenden Gesellschafters dar.108 Die knappe Begründung, ein betroffener Gesellschafter habe die Möglichkeit zur Nichtigkeitsklage verpasst, mag im Aktienrecht vertretbar sein, nicht jedoch im Recht der nach dem gesetzlichen Leitbild personalistisch geprägten GmbH.   Casper in: Spindler/Stilz, AktG, 3. Aufl. 2015, § 242 AktG Rn. 23.  Auch Winkler GmbHR 2016, 519, 522 bezeichnet die Anregung beim Registergericht als „kein adäquates Mittel“, um dem ausscheidenden Gesellschafter zu seinem Recht zu verhelfen. 107 108

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VI.  Zusammenfassung der Erkenntnisse 1.  Die analoge Anwendung von § 242 Abs. 2 Satz 1 AktG auf gemäß § 241 Nr. 4 AktG (analog) anfänglich nichtige Abfindungsklauseln bewirkt zwar, dass die Nichtigkeit einer Abfindungsklausel nicht mehr geltend gemacht werden kann. Ein ausscheidender Gesellschafter kann folglich nicht nach dem gesetzlichen Regelfall Abfindung in Höhe des tatsächlichen Verkehrswerts verlangen. Insofern kann von einer Heilung der Nichtigkeit gesprochen werden. Allerdings führt die Heilung analog § 242 Abs. 2 Satz 1 AktG nicht dazu, dass der Rechtsverstoß, der in der unwirksamen Abfindungsklausel zu sehen ist, endgültig legalisiert wird. Die Heilung bewirkt nicht, dass eine anfänglich nichtige Begrenzung der Abfindungshöhe durch Zeitablauf im Ergebnis einen sittenwidrig niedrigen Abfindungsanspruch zur Folge hat. 2. Die Heilung führt vielmehr nur dazu, dass die anfänglich nichtige Klausel in den Stand einer zwar wirksamen, jedoch der Ausübungskontrolle unterworfenen Abfindungsregelung gehoben wird. Wie bei nachträglicher Unwirksamkeit legt also das Gericht den Abfindungsanspruch in angemessener Höhe fest („Ausübungskontrolle“). Die Rechtsfolge von § 242 Abs. 2 Satz 1 AktG (analog) besteht darin, dass eine anfänglich nichtige, nachträglich geheilte Abfindungsklausel wie eine nachträglich unwirksame Abfindungsklausel behandelt wird. Sie ändert nichts daran, dass eine anfänglich unwirksame, jedoch geheilte Klausel mit den gleichen Argumenten angegriffen werden kann, wie eine anfänglich wirksame. 3.  Den Problemen im Zusammenhang mit unwirksamen Abfindungsklauseln kann durch Heilungs-/Auffangregelungen in der Satzung begegnet werden. Dies gilt sowohl für anfängliche als auch nachträglicher Unwirksamkeit. 4. Gesellschafter einer GmbH haben gegen ihre Mitgesellschafter einen Anspruch auf Mitwirkung an einer Korrektur einer unwirksamen Abfindungsklausel. Dieser Anspruch folgt aus der Treuepflicht. Der Anspruch besteht gleichermaßen hinsichtlich anfänglich und nachträglich unwirksamer Abfindungsklauseln.

Und sie dreht sich doch! Ein Plädoyer für den gutgläubigen Erwerb des aufschiebend bedingt abgetretenen Geschäftsanteils Andreas Heidinger * I. Einleitung Der Legende nach soll Galileo Galilei den Satz – „Und sie dreht sich doch!“ – beim Verlassen des Inquisitionsgerichts gemurmelt haben, nachdem er dem kopernikanischen Weltbild öffentlich abschwören musste. In der heutigen Zeit wage ich es, meinem Weltbild von dem gutgläubigen Erwerb eines Gegenstandes nach § 161 Abs. 3 BGB, über den aufschiebend bedingt verfügt wurde, nicht abzuschwören. Dabei schöpfe ich die Hoffnung dafür nicht auf dem Scheiterhaufen der Jurisprudenz verbrannt zu werden. Diese nährt sich insbesondere aus der persönlichen Erfahrung mit dem Jubilar bei zahlreichen gemeinsamen Vorträgen, Symposien und den dazugehörenden Abendveranstaltungen. Auch wenn er in der Sache manchmal sehr hartnäckig geradezu „uneinsichtig“ war, blieb er doch immer freundlich, menschlich angenehm und im persönlichen Umgang respektvoll. So wird der Jubilar (und hoffentlich auch alle anderen daran beteiligten Richter und Richterinnen des 2. Zivilsenats) mir „verzeihen“, wenn ich dem jetzt schon über sieben Jahre alten BGH-Beschluss1 gegen den gutgläubigen Zweiterwerb eines aufschiebend bedingt abgetretenen Geschäftsanteils weiterhin die Gefolgschaft verweigere. In der Sache bin ich inzwischen auch keineswegs allein,2 obwohl *  Rechtsanwalt und Referatsleiter für Handels-, Gesellschafts- und Steuerrecht beim Deutschen Notarinstitut in Würzburg. 1   BGH Beschl. v. 20. 09. 2011 – II ZB 17/10, GmbHR 2011, 1269 = ZIP 2011, 5. 2   Siehe dazu jüngst sehr ausführlich: Reymann in: FS 25 Jahre Deutsches Notarinstitut, 2018, S. 567 (570 ff.) m.w.N.; ebenso ablehnend: Seibt in: Scholz, GmbHG 12. Aufl. 2018 § 16 Rn. 80 ff. m.w.N. in Fn. 245; Winter in: Gehrlein/Born/Simon, GmbHG, 3. Aufl. 2017 § 16 Rn. 36; Brandes in: Bork/Schäfer, GmbHG, 3. Aufl. 2015, § 16 Rn. 76, ders., GmbHR 2012, 545, 549; eingehend Maier-Reimer in: FS Graf von Westphalen, 2010, S. 489 (491 ff.); Altmeppen in: FS Schurig, 2012, S. 1 ff.; ders. in: Roth/Altmeppen, GmbHG, 8. Aufl. 2015, § 16 Rn. 67 ff.; Bayer, GmbHR 2012, 1254 (1255); ders., notar 2012, 267 (270); ders. in: Lutter/Hommelhoff, GmbHG 19. Aufl. 2016, § 16 Rn. 84; Verse in: Henssler/Strohn, Gesellschaftsrecht 3. Aufl. 2016, § 16 GmbHG Rn. 65; Heidinger in: MünchKommGmbHG,

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einige Autoren schlicht vor der Übermacht einer BGH-Entscheidung zu resignieren scheinen3 (oder doch Angst vor dem Scheiterhaufen haben?). Nachfolgend sollen aber nicht die vielfältigen ablehnenden oder zustimmenden Stellungnahmen wiederholt, bewertet, bestärkt oder widerlegt, sondern die grundlegende Weichenstellung des BGH für den 2011 zu entscheidenden Fall aus der Regelung des § 161 Abs. 3 BGB i. V. m. § 16 Abs. 3 GmbHG als dogmatischer und systematischer Irrweg entlarvt werden.

II.  Die Sachverhaltsfalle 1.  Der registerrechtliche Beschluss des BGH Aufhänger des BGH-Beschlusses aus dem Jahre 2011 war ein registerrechtliches Problem der Gesellschafterliste nach § 40 GmbHG. Der BGH hatte darüber zu entscheiden, ob die Tatsache einer aufschiebend bedingten Abtretung des Geschäftsanteiles in einer Veränderungsspalte der Gesellschafterliste vermerkt werden kann oder nicht.4 Dies lehnte der BGH entgegen der wohl 3. Aufl. 2018, § 16 Rn. 336 ff.; ders. in: Heckschen/Heidinger, Die GmbH in der Gestaltungs- und Beratungspraxis, 4. Aufl. 2018, Kap. 13 Rn. 216 ff.; Herrler, NZG 2011, 1321, 1325; Omlor, DNotZ 2012, 179, 184 ff.; Frenzel, NotBZ 2011, 441, 441 ff.; Brandes, GmbHR 2012, 545, 547 ff.; Thomale/Gutfried, ZGR 2017, 61, 77; kritisch auch Löbbe in: GKGmbHG, 2. Aufl. 2013, § 16 Rn. 136 ff. 3   Für viele Wälzholz, MittBayNot 2011, 152 f. in Anm. zum BGH-Beschluss: „Mag man der Entscheidung zustimmen oder sie ablehnen. [...] ist es für die Praxis […] zu begrüßen. […] führt die BGH-Entscheidung vom 20.09.2011 zur weitgehenden Entwertung der Bedeutung des gutgläubigen Erwerbes […]. Dogmatisch lässt sich über die Richtigkeit der Entscheidung streiten […] in jedem Fall bleibt es unbefriedigend, dass der aufschieben bedingt Erwerbende besser geschützt ist als der zu Unrecht nicht in der Liste eingetragene Eigentümer; so im Ergebnis auch: Bayer, GmbHR 2011, 1254; Herrler, NZG 2011, 1321, 1322; Jeep, NWB 2012, 126, 129 f.; Löwe, BB 2011, 2836; Reymann in: BeckOGK BGB § 161 Rn. 72: „Die klare Positionierung des II. Zivilsenats des BGH legt es für die Rechtsund Gestaltungspraxis allerdings nahe, dass ein gutgläubiger Zweiterwerb nach Abs. 2, § 16 Abs. 3 GmbHG bis auf weiteres ausgeschlossen ist.“; Paefgen/Wallisch, NZG 2016, 801, 807: „Auf Grund dieser höchstrichterlichen Rechtsprechung wird eine auf Rechtssicherheit bedachte Beratungspraxis davon auszugehen haben, dass die Vermutungswirkung der Gesellschafterliste nicht den guten Glauben an das Fehlen von aufschiebend bedingten Vorverfügungen umfasst. Diese sind daher im Rahmen der Due Diligence zu prüfen und in Form einer Title-Garantie abzusichern.“ 4   Siehe zu Zulässigkeit und Umfang einer Veränderungsspalte ausführlich Heidinger in: Heckschen/Heidinger, Die GmbH in der Gestaltungs- und Beratungspraxis, 4. Aufl. 2018, Kap. 13 Rn. 411 ff.; die Verordnung über die Ausgestaltung der Gesellschafterliste (BGBl. 2018 I, S. 870) auf Grundlage des § 40 Abs. 4 GmbHG n.F. sieht in § 2 jetzt ausdrücklich eine Veränderungsspalte vor, in die nach § 2 Abs. 4 Veränderungen nach § 40 Abs. 1 S. 1 GmbHG umfassend eingetragen werden können. Siehe zum Verordnungsentwurf Cziupka, GmbHR 2018, R180; zur in Kraft getretenen Verordnung Szalai, GWR 2018, 250; 253 ff.; ders., NWB 2018, 2121, 2125 ff.; Freier, notar 2018, 292.

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h.M. in der Literatur5 ab. Neben den teilweise auch zweifelhaften aber an dieser Stelle nicht zu kritisierenden registerrechtlichen Argumenten (Registerklarheit gegen inhaltliche Vollständigkeit und Rechtssicherheit; fehlende Veränderung i.S.d. § 40 Abs. 1 GmbHG trotz Anwartschaftsrecht des Ersterwerbers, usw.) hat der BGH nur „hilfsweise“6 argumentiert, dass eine solche Kenntlichmachung auch nicht erforderlich sei, da ein gutgläubiger Erwerb im Fall der aufschiebend bedingten Abtretung gar nicht in Frage komme. Daher erscheint es für den zu entscheidenden Einzelfall nachvollziehbar, dass der BGH seine Entscheidung gegen den rechtsbeschwerdeführenden Notar im Ergebnis nicht als sonderlich streng und folgenschwer einstuft. 2.  Kein Urteil des BGH primär über materielles Recht Wäre die Wirksamkeit des Erwerbes von einem Geschäftsanteil durch einen gutgläubigen Käufer von einem langjährigen Listengesellschafter, der vielleicht sogar Gründungsgesellschafter war, zu beurteilen gewesen, wären die Wertungen des BGH vielleicht anders ausgefallen. Der Erwerber hätte nach – ungesicherter weil scheinbar nicht gefährdeter – Kaufpreiszahlung und viele Jahre später bei Bedingungseintritt der nicht in der Gesellschafterliste zu erkennenden Erstveräußerung feststellen müssen, dass er nie Inhaber des Geschäftsanteiles geworden ist. Diese Situation stellt sich vielfältig bei Treuhandverträgen. Hätte dann wirklich der nicht in der Gesellschafterliste eingetragene Treugeber aufgrund der gleich bei der Gründung im Treuhandvertrag vereinbarten aufschiebend bedingten Übertragung des Geschäftsanteiles wirksam den Geschäftsanteil erworben und der spätere gutgläubige Käufer ginge leer aus? Der Erwerber könnte zwar von dem Veräußerer – so dieser noch auffindbar und liquide ist – seinen Kaufpreis zurückerhalten aber den Geschäftsanteil von dem ebenfalls „gutgläubigen“ ehemaligen Treugeber nicht herausverlangen. Anhand eines solchen Sachverhaltes wäre dem BGH die Brisanz seiner registerrechtlichen Entscheidung für den Schutz des Rechtsverkehrs bewusst geworden. Weder der Käufer (Zweiterwerber) noch der Notar hätten eine Chance gehabt, die Gefahr zu erkennen und den Erwerber vor dem Verlust des Kaufpreises zu schützen. Dabei sind die Fälle der aufschiebend bedingten Abtretung eines GmbHGeschäftsanteiles auch praktisch häufig und sehr vielfältig. Mit meist relativ überschaubaren Fristen ist zunächst die schon fast den Standard darstellende aufschiebende Bedingung bis zur Kaufpreiszahlung zu nennen, mit der eine

  S. die ausführlichen Nachweise bei D. Mayer/Färber, GmbHR 2011, 785, 786 Fn. 19.   Reymann in: FS 25 Jahre Deutsches Notarinstitut, 2018, S. 567 (568) nennt dies „obiter dictum“. 5 6

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ungesicherte Vorleistung des Veräußerers vermieden werden soll.7 Gleiches gilt für die aufschiebende Bedingung zur Verhinderung einer Geschäftsanteilsabtretung vor Erteilung einer kartellrechtlichen Freigabe.8 Deutlich länger – meist viele Jahre – bemisst sich der Zeitraum bis zum Bedingungseintritt bei den Treuhandverträgen mit aufschiebend bedingter Rückübertragung des GmbH-Geschäftsanteiles bei Beendigung des Treuhandvertrages oder bei Insolvenz des Treuhänders.9 Aufschiebend bedingte Abtretungen ohne zeitliche Limitierung kommen in der Praxis auch als Rückfallklauseln im Zusammenhang mit vorweggenommener Erbfolge vor.10

III.  Die Systematische Einordnung 1.  Der Ausgangspunkt im BGB AT Der Allgemeine Teil des BGB enthält Sonderregelung, die grds. für alle zivilrechtlichen Vorgänge nach dem BGB und vergleichbare Vorgänge nach zivilrechtlichen Spezialgesetzen gelten. So befindet sich die allgemein gültige Regelung für aufschiebend bedingte Verfügungen in § 161 BGB. Grds. ordnet § 161 Abs. 1 BGB bei einer aufschiebend bedingten Abtretung eine Verfügungsbeschränkung des Eigentümers bzw. Inhabers des GmbH-Geschäftsanteils an. Wolf11 formuliert es so, dass „die Verfügungsmacht des Berechtigten bis zum Bedingungseintritt von dem Zeitpunkt der Vornahme des bedingten Rechtsgeschäfts an begrenzt“ ist. Bork12 wertet § 161 Abs. 1 BGB nicht nur als Beschränkung der Verfügungsmacht sondern als absolutes Verfügungsverbot. Einen anderen Ansatz aber mit gleichem Ergebnis für die hier aufgeworfene Frage wählt Altmeppen:13 Der Gesetzgeber habe, um der bedingten Verfügung schon dingliche Wirkung zu verleihen das juristische Instrument 7   Bayer, notar 2012, 267, 269; Reichert/Weller in: MünchKommGmbHG, 3. Aufl. 2018, § 15 Rn. 31; siehe hierzu auch BGH Urt. v. 25.3.1998 – VIII ZR 185/96, GmbHR 1998, 635 = ZIP 1998, 908. 8  Siehe etwa die entsprechende Klausel zum Vollzug im Muster von v. Schorlemer in: Beck’sches Formularbuch GmbH-Recht, 2010, D. III.; siehe auch Hauschild/Böttcher in: Hauschild/Kallrath/Wachter, Notarhdb. Gesellschafts- und Unternehmensrecht, 2. Aufl. 2017, § 24 Rn. 113 ff. 9   Reymann, GmbHR 2009, 343. 10   D. Mayer/Färber, GmbHR 2011, 785, 787. 11   Wolf in: Soergel, BGB, 13. Aufl. 1999, § 161 Rn. 1 mit Verweis auf Flume, Bürgerliches Recht Allg. Teil II, § 39 Rn. 3; für Verfügungsbeschränkung auch Westermann in: MünchKommBGB, 7. Aufl. 2015, § 161 Rn. 7 ff. 12   Bork in: Staudinger, BGB Neubearbeitung 2015 § 161 Rn. 1; so auch Reymann in: FS 25 Jahre Deutsches Notarinstitut 2018, S. 567, 581 f. 13   Altmeppen in: FS Schurig 2012, S. 1 ff.; ders. in: Roth/Altmeppen, GmbHG, 8. Aufl. 2016, § 16 Rn. 67 ff.

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der (relativ wirkenden) Rückwirkungsfiktion herangezogen. Damit werde die Rechtslage vorweggenommen, die bis zum Bedingungseintritt in der Schwebe sei. Für solche Fälle lag nach Ansicht von Altmeppen die Schutzwürdigkeit eines redlichen Zwischenerwerbers auf der Hand. 2.  Die Verweisung in § 161 Abs. 3 BGB Unabhängig von der divergierenden dogmatischen Einordnung der Einschränkung einer Zweitverfügung in § 161 Abs. 1 BGB gehen alle Autoren von einem umfassenden Verweis auf die Regeln für den gutgläubigen Erwerb in § 161 Abs. 3 BGB aus. Dabei finden „die Vorschriften zugunsten derjenigen, welche Rechte von einem Nichtberechtigten herleiten, […] Anwendung.“ und zwar ausdrücklich „entsprechend“. Auch der BGH selbst geht offenbar davon aus, dass es sich bei § 161 Abs. 3 BGB um eine dynamische Verweisung handelt, die auch später ins Gesetz aufgenommene Regelungen zugunsten derjenigen, die Rechte von einem Nichtberechtigten herleiten, in Bezug nimmt. In der Sache behandelt er § 16 Abs. 3 GmbHG jedoch so, als wäre § 161 Abs. 3 BGB ihm gar nicht vorgeschaltet, also letztlich doch wie eine statische Verweisung.14 Schon der gesunde Menschenverstand legt es nahe, dass § 161 Abs. 3 BGB gerade für die Konstellation der in § 161 Abs. 1 und 2 BGB geregelten fehlenden Verfügungsbefugnis auf Grund einer aufschiebend bedingten Verfügung, den gutgläubigen Erwerb vom Nichtberechtigten ermöglichen will. Neben dem Interesse des Anwartschaftsberechtigten musste der Gesetzgeber auch die schutzwürdigen Interessen des Zweiterwerbers berücksichtigen.15 Seinem allgemeinen Wertungsprinzip entsprechend, räumt er in § 161 Abs. 3 BGB diesem den Vorrang ein, wenn er gutgläubig war.16 Bayer17 formuliert den § 161 Abs. 3 BGB seinem offensichtlichen Wortlaut nach deutlicher: „Der Erwerber kann einen Geschäftsanteil […] durch Rechtsgeschäft wirksam auch von demjenigen erwerben, der bereits aufschiebend bedingt verfügt hat, aber noch als uneingeschränkt Berechtigter in der Gesellschafterliste eingetragen ist.“ Würden – wie der BGH argumentiert – nur diejenigen Normen Anwendung finden, die selbst einen gutgläubigen Erwerb bei fehlender Verfü-

14   S. dazu ausführlich Reymann in FS 25 Jahre Deutsches Notarinstitut, 2018, S. 567 (574) und schon ders. in: BeckOGK-BGB, Stand 1.2.2018, § 161 Rn. 64; vgl. auch ders. GmbHR 2009, 343, 344; Frenzel, NotBZ 2010, 129, 130. 15   Wolf in: Soergel, BGB, 13. Aufl. 1999, § 161 Rn. 10. 16   Wolf in: Soergel, BGB, 13. Aufl. 1999, § 161 Rn. 10. 17   Bayer in: Lutter/Hommelhoff, GmbHG 19. Aufl. 2016, § 16 Rn. 81; ebenso schon ders., GmbHR 2011, 1254, 1256.

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gungsbefugnis ermöglichen (z.B. § 366 HGB)18, würde es sich nicht um eine entsprechende sondern um eine direkte Anwendung handeln und die Verweisnorm des § 161 Abs. 3 BGB wäre schlicht überflüssig.19 So formuliert auch Bork20 einleitend allgemein für alle Fallgruppen, dass § 161 Abs. 3 BGB den Schutz des guten Glaubens beim Erwerb vom Nichtberechtigten auf das in § 161 Abs. 1 und 2 BGB vorgesehene Verfügungsverbot erstrecke. Diese Erstreckung sei notwendig, weil der Verfügende im Moment der Zwischenverfügung noch Berechtigter war. Auch der historische Gesetzgeber des BGB21 erläutert das Prinzip der damals noch in § 135 S. 1 und S. 2 BGB a.F. verorteten, aufschiebend bedingten Verfügung in diesem Sinne. Einerseits sollten künftige Rechtsverhältnisse im Voraus mit Sicherheit begründet werden können. Andererseits waren den Verkehrsrücksichten durch die in § 135 S. 2 BGB a.F. für entsprechend anwendbar erklärten Vorschriften zu Gunsten derjenigen, welche Rechte von einem Nichtberechtigten herleiten, hinreichend Rechnung zu tragen. Reymann22 spricht von einer „dynamische[n] Verweisungsnorm“, die den Rechtsschein- bzw. Schutzzweckgehalt der jeweiligen in Bezug genommenen Norm erweitert. Daher wird dadurch „notgedrungen“ auch auf die Neuregelung des „§ 16 Abs. 3 GmbHG Bezug [genommen] und dementsprechend der gutgläubige Erwerb von GmbH-Geschäftsanteilen [erfasst].“23 Anders ausgedrückt handelt es sich bei § 161 Abs. 3 BGB nicht um eine Rechtsgrundverweisung,24 welche die Erfüllung aller Tatbestandsvoraussetzungen auch der Norm verlangen würde, auf die verwiesen wird. 3.  Gesellschafterliste als geeigneter Rechtsscheinträger In diesem Zusammenhang ist auch die Aussage des BGH, dass die Gesellschafterliste kein geeigneter Rechtsscheinträger darstellt, weil in ihr die

18   Hierzu ausführlich Welter in: MünchKommHGB, 4. Aufl. 2018, § 366 Rn. 22 ff.; Lettl in: Ebenroth/Boujong/Joost/Strohn, HGB, 3. Aufl. 2015, § 366 Rn. 2 ff. 19   So im Ergebnis auch Reymann in FS 25 Jahre Deutsches Notarinstitut, 2018, S. 567, 574 f. 20   Bork in: Staudinger, BGB Neubearbeitung 2015 § 161 Rn. 14. 21  Siehe Mugdan, Die gesammelten Materialien zum Bürgerlichen Gesetzbuch für das Deutsche Reich, Bd. 1, 1899, S. 497 (Erste Kommission). 22   Reymann in: BeckOGK BGB, Stand: 01.02.2018, § 161 Rn. 72, konkret Bezeichnung in Rn. 72.2; ders. in FS 25 Jahre Deutsches Notarinstitut, 2018, S. 567, 574. 23   Reymann in: BeckOGK BGB, Stand: 01.02.2018, § 161 Rn. 72.2 mit Verweis auf Altmeppen in: Roth/Altmeppen, GmbHG, 8. Aufl. 2016, § 16 Rn. 64 in Fn. 133. 24   Heidinger in: MünchKommGmbHG, 3. Aufl. 2018, Rn. 16 Rn. 336 ff.; ders. in: Heckschen/Heidinger, Die GmbH in der Gestaltungs- und Beratungspraxis, 4. Aufl. 2018, Kap. 13 Rn. 216 ff.; Reymann in FS 25 Jahre Deutsches Notarinstitut, 2018, S. 567, 575 Fn. 63.

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Belastungen oder Verfügungsbeschränkungen nicht eintragungsfähig sind,25 nicht überzeugend. Dies zeigt der nachfolgende Vergleich mit dem Rechtsscheinträger „Besitz“. a)  Die Gesellschafterliste Die Gesellschafterliste weist grds. den formellen Gesellschafter einer GmbH aus, wenn sie richtig ist, auch den materiell-rechtlichen Gesellschafter; dies bedeutet nach der Zielsetzung des MoMiG26 den Inhaber des GmbH-Geschäftsanteiles also den Berechtigten.27 Somit geht ein gutgläubiger Dritter davon aus, dass er, unter den in § 40 GmbHG zur Unrichtigkeit der Liste geregelten Voraussetzungen, vom Listeninhaber gutgläubig erwerben kann. Die Gesellschafterliste schafft wegen § 16 Abs. 3 GmbHG einen Rechtsschein für die Inhaberschaft des Vollrechts und damit auch der Möglichkeit darüber zu verfügen.28 Sie weist das Bestehen der für die Verfügung erforderliche Rechtsmacht aus (sei es mit oder ohne dingliche Belastung). Der Rechtschein der Gesellschafterliste ist für die Inhaberschaft am Geschäftsanteil und der daraus entspringenden Verfügungsmacht umfassend. Davon zu trennen ist aber die Beurteilung, wie weit ein gutgläubiger Erwerb auf der Grundlage eines bestimmten Rechtscheinträgers im Gesetz verankert ist. Er kann trotz bestehenden Rechtsschein ausgeschlossen sein, vollumfänglich bejaht werden oder nur teilweise durchgreifen. So ist auf der Basis der Regierungsbegründung zum MoMiG derzeit allgemeine Meinung, dass der gutgläubige Erwerb nach § 16 Abs. 3 GmbHG in direkter Anwendung nicht über eine Verfügungsbeschränkung z.B. aus einer Vinkulierungsklausel hinweghelfen kann.29 Verweist aber das Gesetz in § 161 Abs. 3 BGB auf die entsprechende Anwendung der Norm über den gutgläubigen Erwerb vom Nichtberechtigten, ist darin die Anordnung der Möglichkeit eines gutgläubigen Erwerbs vom wegen aufschiebend bedingter Abtretung verfügungsbeschränkten Listengesellschafter zu sehen. Reymann30 bezeichnet dies elegant als „Erweiterung des Rechtsschein- bzw. Schutzzweckgehalts der jeweiligen in Bezug genommenen Norm“. Dafür ist es auch nicht erforderlich, dass jeweils die von § 161 Abs. 3 BGB angesprochene Norm so konstruiert ist,

  BGH Beschl. v. 20.09.2011 – II ZB 17/10, GmbHR 2011, 1269 Tz. 17 ff. = ZIP 2011, 5.   Gesetz zur Modernisierung des GmbH-Rechts und zur Bekämpfung von Missbräuchen v. 23.10.2008, BGBl. I 2008, 2026 ff. 27   Vgl. Begr. RegE-MoMiG, BT-Drucks. 16/6140, S. 37 ff., 43 f. 28  Siehe dazu ausführlich Heidinger in: Heckschen/Heidinger, Die GmbH in der Gestaltungs- und Beratungspraxis, 4. Aufl. 2018, Kap. 13 Rn. 115 ff.; ders. in: MünchKommGmbHG, 3. Aufl. 2018, § 16 Rn. 241 ff., 307. 29   Siehe ausführlich Heidinger in: MünchKommGmbHG, 3. Aufl. 2018, § 16 Rn. 319 ff. m.w.N. 30   Reymann in: BeckOGK BGB, Stand 01.02.2018, § 161 Rn. 1. 25 26

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dass sie auch bei ihrer direkten Anwendung den guten Glauben an die Verfügungsmacht schützen würde. b)  Der Besitz als Rechtscheinträger Dies zeigt am Deutlichsten der Gesetzgeber selbst, der den vom BGH mit keinem Wort erwähnten Vergleich mit dem gutgläubigen Erwerb bei Sachen heranzieht.31 Der Gesetzgeber sah nämlich in der Übereignung einer mit dem dinglichen Recht eines Dritten belasteten Sache die Verfügung eines teilweise Nichtberechtigten. Daher ordnete er mit dem heutigen § 936 BGB die Möglichkeit eines gutgläubig lastenfreien Erwerbs an.32 Hierunter zählt die Literatur bei § 936 BGB auch das Anwartschaftsrecht des aufschiebend bedingten Erwerbers nach § 161 Abs. 1 BGB.33 Nach dem Vorbild des Art. 306 ADHGB hatte bereits der erste Entwurf des § 878 BGB vorgesehen, dass mit der Erlangung des Eigentums „alle an der Sache bisher begründeten Rechte [erlöschen], wenn sie dem Erwerber bei dem Erwerbe nicht bekannt gewesen sind, [und] die Unkenntnis des Erwerbers auch nicht auf grober Fahrlässigkeit beruht hat“.34 Die Erste Kommission sah den Erwerb einer belasteten Sache als einen Erwerb vom teilweise Nichtberechtigten an und stützte die Regelung auf die „Erwägung, dass der teilweise Rechtsmangel für den Erwerber in gleicher Art unersichtlich ist, wie der totale Rechtsmangel“.35 Dies sollte nicht nur im Fall des Erwerbs vom Nichteigentümer, sondern auch dann gelten, wenn der Veräußerer Eigentümer der Sache war. In beiden Fällen also beruht das Erlöschen der belastenden Rechte auf denselben Wertungsgründen, die auch den Erwerb des Eigentümers vom Nichtberechtigten legitimieren. Die Zweite Kommission stellte diese Grundsätze nicht mehr in Frage.36 Vergleicht man den gutgläubigen Erwerb von Geschäftsanteilen mit dem gutgläubigen Erwerb an Sachen, zielt das Vertrauen des gutgläubigen Erwerbers bei Letzterem auf den Besitz als Rechtsscheinträger, den er vom Veräußerer erhalten muss (§§ 832, 936 BGB).37 Ebenso wie der Gesellschafterliste sieht man dem Besitz nicht ohne Weiteres an, dass er Rechtsscheinträger für das Eigentum und für den lastenfreien Erwerb (§ 936 BGB) sein kann.38 Das 31   So sehr ausführlich und überzeugend: Reymann in FS 25 Jahre Deutsches Notarinstitut, 2018, S. 567, 575 f.; Altmeppen in FS Schurig 2012, S. 1, 9. 32   Krüger in: BeckOGK BGB, Stand 01.02.2018, § 936 Rn. 1. 33   Siehe etwa Oechsler in: MünchKommBGB, 7. Aufl. 2017, § 936 Rn. 16 ff. m.w.N. 34   Krüger in: BeckOGK BGB, Stand 01.02.2018, § 936 Rn. 2. 35   Mugdan, Die gesammelten Materialien zum Bürgerlichen Gesetzbuch für das Deutsche Reich, Bd. 3, 1899, S. 193. 36   Mugdan, Die gesammelten Materialien zum Bürgerlichen Gesetzbuch für das Deutsche Reich, Bd. 3, 1899, S. 635. 37  Dazu Oechsler in: MünchKommBGB, 7. Aufl. 2017, § 936 Rn. 5 f.; Wiegand in: Staudinger, BGB Neubearbeitung 2017, Vor. §§ 932–936 Rn. 12 ff. und § 932 Rn. 14 ff. 38   Das sehen im Ausgangspunkt auch Mayer/Färber, GmbHR 2011, 785, 792 so.

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Gesetz regelt für diesen Fall anders als § 16 Abs. 3 GmbHG lediglich die Möglichkeit den gutgläubigen lastenfreien Erwerb vom Nichtverfügungsberechtigten zu verhindern, indem man den unmittelbaren Besitz nicht an den Erwerber übergibt. Das kann der Inhaber des Anwartschaftsrechtes aber nur steuern, wenn er sich beim aufschiebend bedingten Erwerb den Besitz selbst verschafft und nicht weitergibt.

IV.  Die Argumente des BGH 1.  Der Vergleich mit dem Grundbuch Mit dem gleichen dogmatischen Verständnis kann man die Argumente des BGH,39 dass die Gesellschafterliste kein Grundbuch, und daher anders als dort ein gutgläubiger Erwerb bei einer Verfügungsbeschränkung mangels Eintragungsmöglichkeit nicht zulässig sei, entkräften.40 Diese Aussage ist zwar im Grundsatz richtig und deckt sich auch mit dem Willen des MoMiG-Gesetzgebers.41 Die Einstufung der Gesellschafterliste als eher schwächerer Rechtsscheinträger im Vergleich zum Grundbuch steht aber der Annahme eines gutgläubigen Erwerbs am aufschiebend bedingten Geschäftsanteil nicht entgegen.42 Der hier zu beurteilende Fall der aufschiebend bedingten Übertragung eines Grundstückes ist allerdings schon wegen § 925 Abs. 2 BGB ausgeschlossen. Danach ist eine Auflassung unter einer Bedingung unwirksam. Bei aufschiebend bedingten Verfügungen über Grundstücksrechte gelten allerdings die §§ 892, 893, 1138, 1155 entsprechend.43 Ein vorsichtiger Anwärter kann daher einen gutgläubigen Erwerb verhindern. Denn zu seinem Schutz gegen einen Rechtsverlust durch gutgläubigen Erwerb Dritter ist die Eintragung der schwebenden Bedingung im Grundbuch zulässig.44 Außerdem kommt die Sicherung durch Eintragung einer Vormerkung nach § 883 Abs. 1 BGB in Betracht. § 16 Abs. 3 GmbHG lehnt sich nur teilweise an § 892 BGB an.45 So ist für den Geschäftsanteil anders als für das Grundstück in § 892 BGB nicht   BGH Beschl. v. 20.09.2011 – II ZB 17/10, GmbHR 2011, 1269 Tz. 20 = ZIP 2011, 5.   Reymann in FS 25 Jahre Deutsches Notarinstitut, 2018, S. 567, 576: der Vergleich bietet kein valides Argument. 41   Vgl. Begr. RegE-MoMiG, BT- Drucks. 16/6140, S. 38 f. 42   S. hierzu Lieder, JURA 2010, 857, 898; Reymann in: BeckOGK Stand 01.02.2018, § 161 Rn. 72.2.; ders. in FS 25 Jahre Deutsches Notarinstitut, 2018, S. 567, 572 und 576 f. 43   Bork in: Staudinger, BGB Neubearbeitung 2015 § 161 Rn. 15. 44   RGZ 76, 89, 91; BayObLG Beschl. v. 18.02.1986 – 2 Z 19/86, NJW-RR 1986, 697, 698; LG Nürnberg-Fürth Beschl. v. 28.10.1981 – 13 T 5567/81, MittBayNot 1982, 21, 22; Armbrüster in: Erman, BGB, 15. Aufl. 2017, § 161 Rn 6; Wolf in: Soergel, BGB, 13. Aufl. 1999, § 161 Rn 12; Winkler, MittBayNot 1978, 1, 2. 45   Vgl. hierzu schon Begr. RegE-MoMiG, BT- Drucks. 16/6140, S. 38. 39 40

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ausdrücklich geregelt, dass Verfügungsbeschränkungen gegenüber einzelnen Personen (nur) gegen einen gutgläubigen Erwerber gelten, wenn diese in der Gesellschafterliste eingetragen sind. § 892 BGB fingiert zu Gunsten und nicht zu Lasten des gutgläubigen Erwerbers die Richtigkeit und Vollständigkeit des Grundbuches.46 Öffentlichen Glauben genießt aber nur der Inhalt des Grundbuches.47 So stellt § 892 Abs. 1 S. 2 BGB gerade für das Grundbuch klar, wenn nur der Eigentümer im Grundstück steht, dass dann der Erwerb eines gutgläubigen Dritten nicht durch eine eventuelle Verfügungsbeschränkung ausgeschlossen ist. Diese weite Gefahr für den Inhaber eines Rechtes am Grundstück, hat der Gesetzgeber mit § 892 Abs. 1 S. 2 BGB als Sonderregelung für das Grundbuch dadurch eingeschränkt, dass die Verfügungsbefugnis (nur) dann dem Gutgläubigen Erwerber gegenüber wirksam ist, wenn diese im Grundbuch eingetragen wurde. Die Interessenabwägung beim Grundbuch kann also in drei Stufen dargestellt werden: 1. Verfügungsbeschränkungen des im Handelsregister eingetragenen Grundstückseigentümers könnten in den Fällen einer entsprechenden Anwendung der Vorschriften über den gutgläubigen Erwerb den gutgläubigen Erwerb des Grundstückes nicht verhindern. 2. Dies ist bei einem zwar sehr korrekt geführten Grundbuch wegen des reinen Rechtsscheintatbestandes „Eintragung“ aber zu weitgehend. Der Gesetzgeber hätte den gutgläubigen Erwerb trotz bestehender Verfügungsbefugnis im Grundbuch gänzlich ausschließen können oder durch eine Regelung über die unmittelbare Anwendung der Gutglaubensvorschriften gänzlich freigeben können. 3. Mit der Regelung in § 892 Abs. 1 S. 2 BGB regelt der Gesetzgeber einen Kompromiss. Er lässt einen gutgläubigen Erwerb trotz fehlender Verfügungsbefugnis originär bei jeder Form der Verfügungsbefugnis zu, Gleichzeitig gibt er aber ein Instrument an die Hand, dass den gutgläubigen Erwerb entgegen einer Verfügungsbeschränkung verhindert werden kann: die Eintragung im Grundbuch. Für die Gesellschafterliste ergibt sich m.E. daraus nicht der vom BGH gezogene Schluss,48 dass mangels einer dem § 892 Abs. 1 S. 2 BGB entsprechenden Regelung überhaupt kein gutgläubiger Erwerb bei Verfügungsbeschränkung möglich ist. Vielmehr ist bei der Gesellschafterliste nicht die Einschränkung geregelt, dass dem gutgläubigen Erwerber eine Verfügungs-

46   Herrler in: Palandt, BGB, 77. Aufl. 2018, § 892 Rn. 1; Berger in: Jauernig, BGB, 16. Aufl. 2015, § 892 Rn. 12; A. Staudinger in: Schulze, BGB, 9. Aufl. 2017, § 892 Rn. 27. 47   Gursky in: Staudinger, BGB, Neubearbeitung 2013, § 892 BGB Rn. 12; Artz in: Erman, BGB, 15. Aufl. 2017, § 892 Rn. 2 ff. 48   BGH Beschl. v. 20.09.2011 – II ZB 17/10, GmbHR 2011, 1269 Tz. 13 ff. = ZIP 2011, 5.

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beschränkung nur mit Eintragung in der Gesellschafterliste entgegengehalten werden kann. Mag man bei der Gesellschafterliste mit der Regierungsbegründung zum MoMiG49 die originäre Anwendung des § 16 Abs. 3 GmbHG nicht für geeignet halten vom Listengesellschafter trotz Verfügungsbeschränkung oder auch lastenfrei zu erwerben, so ist doch die entsprechende Anwendung aufgrund der im Gesetz enthaltenen konkreten Verweisung gerade nicht gesperrt. Kurzum hätte der Gesetzgeber den § 892 Abs. 1 S. 1 BGB nicht geschaffen, wäre ein gutgläubiger Erwerb eines Rechts am Grundstück vom nicht Verfügungsberechtigten in allen Fällen, in denen auf die Regelungen zum gutgläubigen Erwerb verwiesen wird, möglich. Auch wenn § 161 Abs. 3 BGB bei Grundstücken regelmäßig nicht in Frage kommt ist auf die vergleichbare Rechtslage für die Verfügungsbeschränkung bei Testamentsvollstreckung nach § 2211 Abs. 2. BGB und die Verfügung durch den Vorerben nach §§ 2113 Abs. 3 BGB zu verweisen.50 Reymann51 fasst diesen Zusammenhang deutlich zusammen. Ob die Verweisung nach § 161 Abs. 3 BGB zum Tragen kommt, richte sich allein danach, ob die Rechtsordnung bezüglich des Verfügungsobjekts eine Gutglaubensnorm wie § 16 Abs. 3 GmbHG oder § 892 BGB kennt. Ist dies der Fall, so werde der jeweilige Rechtsscheinträger dergestalt erweitert, dass er auch die absolute Verfügungssperre des § 161 Absatz 1 BGB überbrückt. Dabei mache es keinen Unterschied, ob grundsätzlich zumindest Schutz gegen relative Verfügungsbeschränkungen gewährt werde (so beim Grundbuch) oder nicht (so bei der Gesellschafterliste). In diese Richtung ist m.E. auch die Kommentierung von Kohler52 zu verstehen. § 892 Abs. 1 S. 2 BGB schütze in Ergänzung zu § 135 Abs. 2 BGB auch vor eintragbaren, relativen Verfügungsbeschränkungen, die weder aus dem Grundbuch ersichtlich noch dem Erwerber bekannt sind. Genannt werden vom Gesetz angeordnete Verfügungsbeschränkungen wie die in § 135 BGB und die häufigeren Anordnungen von Behörden oder Gerichten53 (§ 136 BGB). Diese schützen schon nach § 135 Abs. 2 BGB nicht gegenüber einem gutgläubigen Erwerb. Absolute Veräußerungsverbote gemäß § 133 BGB und sonst absolute Verfügungsbeschränkungen sollen in der Regel auch gegenüber gutgläubigen Erwerbern wirken und daher nicht eintragungsfähig sein. Absolute Veräußerungsverbote und oder sonst absolut wirkende Verfügungsverbote, die nicht gutglaubensresistent sind, wie dies etwa im Fall einer

  Siehe Begr. RegE-MoMiG, BT- Drucks. 16/6140, S. 38.   Heidinger in: MünchKommGmbHG, 3. Aufl. 2018, § 16 Rn. 332. 51   Reymann in: BeckOGK BGB, Stand: 01.02.2018, § 161 Rn. 72.2. 52   Kohler in: MünchKommBGB, 7. Aufl. 2017, § 892 Rn. 59. 53   Siehe zu den vielgestaltigen absoluten und relativen Verfügungsverboten Armbrüster in: MünchKommBGB, 7. Aufl. 2015, § 135 Rn. 2 ff. 49 50

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bedingten Verfügung wegen § 161 Abs. 3 BGB bereits in Verbindung mit § 892 Abs. 1 S. 1 BGB zutrifft,54 seien auch eintragungsfähig. Aufgrund seines besonderen Wortlautes wird bei § 81 InsO ein besonderer Inhalt der Norm und Umfang des möglichen gutgläubigen Erwerbs streitig diskutiert. Vorrang hat nach der Konzeption des § 81 InsO grundsätzlich der Schutz der Masse vor Verfügungen des Schuldners.55 Ausdrücklich auf das Grundbuch und die Regelung des § 892 BGB sowie das Schiffs- und Luftfahrtregister verwiesen wird in § 81 Abs. 1 S. 2 InsO für den gutgläubigen Erwerb ohne Mitwirkung des Insolvenzverwalters. Damit wird klargestellt, dass gutgläubiger Erwerb aus der Insolvenzmasse nur in diesen Bereichen möglich und mit Eintragung eines Insolvenzvermerkes verhindert werden kann.56 Dies folgt aus der gesetzlichen Wertung, dem gutgläubigen Erwerber nur in diesen eingeschränkten Bereichen ausnahmsweise Vorrang einzuräumen.57 Daher ist bei dieser Norm eine Anwendung auf die dort nicht genannte Gesellschafterliste streitig, m. E. eher abzulehnen.58 Die rechtsscheinträger- und schutzzweckerweiternde Wirkung dieser Norm ist eingeschränkt auf die dort genannten Register. 2.  Der gutgläubige lastenfreie Erwerb Der Begründungsversuch des BGH, dass § 16 Abs. 3 GmbHG nicht den guten Glauben an die Lastenfreiheit und daher auch nicht an die Verfügungsbefugnis schützt,59 geht m.E. fehl.60 Das Gericht erkennt selbst,61 dass sich die Fallgestaltungen der Belastung mit dinglichen Rechten von der hier zu beurteilenden Fallgestaltung unterscheidet. Denn Verfügungsbeschränkungen, die sich im Zusammenhang mit einem gutgläubigen bedingungsfreien Zweiterwerb ergeben, betreffen anders als dingliche Belastungen nicht den Geschäftsanteil als solchen, sondern lediglich die Verfügungsmacht des Veräußerers. Insofern ist systematisch zwischen Lastenfreiheit und fehlender Ver54   Walek, JZ 2012, 608, 612; Gursky in: Staudinger, BGB, Neubearbeitung 2013, § 892 Rn. 263 m.w.N. 55   Kuleisa in: HamburgerKommInsR, 6. Aufl. 2017 § 81 InsO Rn. 18; vgl. auch Ott/Vuia in: MünchKommInsO, 3. Aufl. 2013, § 81 Rn. 19; Kroth in: Braun, InsO, 7. Aufl. 2017, § 81 Rn. 1. 56   Kuleisa in: HamburgerKommInsR, 6. Aufl. 2017 § 81 InsO Rn 20; Sternal in: K. Schmidt, InsO, 19. Aufl. 2016, § 81 Rn. 20; Mock in: Uhlenbruck, InsO, 14. Aufl. 2015, § 81 Rn. 35. 57   Kuleisa in: HamburgerKommInsR, 6. Aufl. 2017 § 81 InsO Rn. 20; Ott/Vuia in: MünchKommInsO, 3. Aufl. 2013, § 81 Rn. 19. 58   S. dazu Heidinger in: MünchKommGmbHG, 3. Aufl. 2018, § 16 Rn. 321 und 332. 59   BGH Beschl. v. 20.09.2011 – II ZB 17/10, GmbHR 2011, 1269 Tz. 19 ff. = ZIP 2011, 5. 60   So auch Reymann in FS 25 Jahre Deutsches Notarinstitut, 2018, S. 567, 577, der dies als methodischen Lapsus bezeichnet. 61   BGH Beschl. v. 20.09.2011 – II ZB 17/10, GmbHR 2011, 1269 Tz. 19 = ZIP 2011, 5.

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fügungsbefugnis zu unterscheiden.62 Auch wenn sich des Öfteren vergleichbare Probleme in beiden Fällen ergeben und diese beiden rechtlichen Formen der Einschränkung der Inhaberschaft am Gesellschaftsanteil oft zusammen erörtert werden, dürfen sie doch nicht „über einen Kamm geschoren werden“. Der unsystematische Sprung zur satzungsmäßigen Vinkulierungsklausel in der Begründung des BGH63 trägt ebenfalls nichts zur Lösung dieses Falles bei. Dass die Gesellschafterliste nicht geeignet ist, den gutgläubigen Erwerb bei bestehender Verfügungsbeschränkung in direkter Anwendung zu ermöglichen, wird soweit ersichtlich nicht bestritten. Die hier gegebene entsprechende Anwendung von § 16 Abs. 3 GmbHG wegen der Verweisung in § 161 Abs. 3 BGB nur für den Fall der Verfügungsbeschränkung aufgrund einer aufschiebend bedingten Veräußerung des Geschäftsanteiles, wird davon in keiner Weise tangiert. 3.  Die fehlende Eintragungsmöglichkeit in der Gesellschafterliste Wie oben dargestellt muss der gutgläubige Erwerb vom nach § 161 Abs. 1 BGB nicht Verfügungsberechtigten nicht ausdrücklich in § 16 Abs. 3 GmbHG geregelt und diese Tatsache auch nicht eintragungsfähig sein.64 Es wäre zwar zum Schutz des Ersterwerbers wünschenswert, wenn eine Kennzeichnung des aufschiebend bedingten Erwerbs, sei es durch eine vorzeitige Zwischenliste (Doppelliste)65 oder durch einen Widerspruch,66 zugelassen würde. In der auf Basis der neuen Ermächtigung in § 40 Abs. 4 GmbHG erlassenen Verordnung über die Ausgestaltung der Gesellschafterliste67 wird ausdrücklich eine Vermerkspalte i.S. einer Veränderungsspalte vorgesehen. Diese wäre genau der richtige Ort für eine Liste, in der weiterhin der NochInhaber des Geschäftsanteiles als Gesellschafter ausgewiesen wird, in der Veränderungsspalte aber vermerkt sein kann: „am […] aufschiebend bedingt 62  Siehe Heidinger in: MünchKommGmbHG, 3. Aufl. 2018, § 16 Rn. 314 ff.; Heidinger in: Heckschen/Heidinger, Die GmbH in der Gestaltungs- und Beratungspraxis, 4. Aufl. 2018, Kap. 13 Rn. 192 ff. 63   BGH Beschl. v. 20.09.2011 – II ZB 17/10, GmbHR 2011, 1269 Tz. 19 = ZIP 2011, 5. 64   A.A. etwa Preuß, ZGR 2008, 676, 701; Zessel, GmbHR 2009, 303 305; D. Mayer, ZIP 2009, 1037, 1049 ff.; ausdrücklich gegen die Eintragungsmöglichkeit einer bedingten Verfügung in die Gesellschafterliste: Link, RNotZ 2009, 193, 220. 65   S. dazu ausführlich Heidinger in: Heckschen/Heidinger, Die GmbH in der Gestaltungs- und Beratungspraxis, 4. Aufl. 2018, Kap. 13 Rn. 212; siehe auch Osterloh, NZG 2011, 495. 66   Vehement befürwortend Altmeppen in FS Schurig 2012, S. 1, 13 f.: „von zwingender Richtigkeit.“ 67   BGBl. 2018 I, S. 870; der Bundesrat hat der Verordnung am 08.06.2018 zugestimmt, so dass sie nach Verkündung im Juni 2018 zum 1. Juli in Kraft getreten ist; siehe hierzu auch Cziupka, GmbHR 2018, R180; Szalai, GWR 2018, 250, 253 ff.; ders. NWB 2018, 2121, 2125 ff.; Freier, notar 2018, 292.

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abgetreten […]“. Damit kann sich der Ersterwerber schützen vor dem Verlust seiner Anwartschaft am Geschäftsanteil. Aber auch der Zweiterwerber kann durch Blick in die Gesellschafterliste erkennen, ob ein Verfügungsverbot nach § 161 Abs. 1 BGB besteht. Nach dem bisher erörterten Zusammenhang kann es m.E. aber nicht darauf ankommen, ob bei dem für die Inhaberschaft im Gesetz anknüpfenden Rechtsscheinträger der gute Glaube an die Verfügungsbefugnis nicht zerstört werden kann.68 Dies wäre zwar für die Praxis misslich, da dann ein Schutz des Ersterwerbers kautelarjuristisch schwieriger aber auch nicht unmöglich würde. Aber die Eintragungsfähigkeit ist nach dem oben im Vergleich zu anderen Rechtsscheinträgern Gesagten gerade nicht Voraussetzung für die Anwendung des § 161 Abs. 3 BGB i. V. m. § 16 Abs. 3 GmbHG. Entsprechende Anwendung heißt, dass auf der Basis des Rechtsscheinträgers für den gutgläubigen Erwerb vom Nichtberechtigten auch ein gutgläubiger Erwerb vom nicht Verfügungsberechtigten möglich ist. Anders als bei Vinkulierungsklauseln (die praktisch allerdings durch Überprüfung des Gesellschaftsvertrages erkennbar sind), ist wegen der ausdrücklichen Anordnung der entsprechenden Anwendung in § 161 Abs. 3 BGB hier auch ein gutgläubiger Erwerb vom nicht Verfügungsberechtigten möglich. Zum Schutz des Ersterwerbers sind in der Literatur vielfältige Sicherungsmechanismen entwickelt worden.69 Beispielhaft genannt werden können der Widerspruch,70 das Zwei-Listen-Modell,71 die Aufnahme einer satzungsmäßigen Vinkulierungsklausel,72 wonach Verfügungen ausgeschlossen sind, sobald ein Gesellschafter denselben Geschäftsanteil zum Zeitpunkt der Verfügung bereits aufschiebend bedingt veräußert hat und die Bedingung noch nicht eingetreten ist. Diese Vorschläge haben vor den Gerichten73 mit meist wenig überzeugenden Argumenten bisher kaum Zustimmung gefunden.   Altmeppen in FS Schurig 2012, S. 1, 7 bezeichnet dies als petitio principii.  Siehe dazu ausführlich Reymann in FS 25 Jahre Deutsches Notarinstitut, 2018, S. 567, 571; Mayer/Färber, GmbHR 2011, 785, 786; Heidinger in: MünchKommGmbHG, 3. Aufl. 2018, § 16 Rn. 332. 70   So schon Maier-Reimer in: FS Graf von Westphalen, 2010, S. 489 (S. 499 ff.); Frenzel, NotBZ 2010, 129, 133, Kamlah, GmbHR 2009, 841, 843 f.; Hellfeld, NJW 2010, 411, 412 f.; Schneider, NZG 2009, 1167, 1168; Schreinert/Berresheim, DStR 2009, 1265, 1268 f.; vgl. auch LG Köln, Beschl. v. 16.6.2009 – 88 T 13/09 – NZG 2009, 1195; dies nach wie vor erwägend: Westermann, in: MünchKommBGB, 7. Aufl. 2015, § 161 Rn. 21; vehement vertretend Altmeppen in FS Schurig 2012, S. 1, 13 f.: „von zwingender Richtigkeit“. 71  Favorisiert u.a. von Heidinger in: MünchKommGmbHG, 3. Aufl. 2018, § 16 Rn. 298 ff.; s. schon König/Bormann, ZIP 2009, 1913; Herrler, BB 2009, 2272, 2275; Wälzholz, MittBayNot 2010, 69 (69 f.); vgl. auch Reymann, NJW 2010, 305, 306. 72   Reymann in: BeckOGK BGB, Stand: 01.02.2018, § 160 Rn. 73.1. 73  Siehe etwa OLG München Beschl. v. 08.09.2009 – Wx 82/09, NZG 2009, 1192 = GmbHR 2009, 1211, Gesellschafterliste mit Vermerk über aufschiebend bedingte Abtretung eines Geschäftsanteils nicht zulässig; OLG Hamburg Beschl. v. 12.07.2010 – 11 W 51/10, NZG 2010, 1157 = GmbHR 2011, 32, kein gutgläubiger Erwerb nach § 161 Abs. 3 68 69

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Dennoch ist das Argument von Mayer/Färber,74 dem der BGH folgt, unergiebig, wenn sie darauf hinweisen, dass der Gesetzgeber auf einen Schutzmechanismus für den Ersterwerber gegen den gutgläubigen Erwerb des Zweit­ erwerbers verzichtet hat. Ein Schutz des gutgläubigen Zweiterwerbers gibt es im Gesetz schon gar nicht und ist auch kautelarjuristisch kaum realisierbar. Die von der Rechtsprechung daraus zu Unrecht abgeleitete Logik hat letztlich sogar Züge eines Zirkelschlusses.75 Die vom Gesetzgeber vorgesehenen oder systematisch konstruierbaren Schutzmechanismen gegen den gutgläubigen Erwerb vom Nichtberechtigten wie der Widerspruch oder eine neue Liste, die (auch) die Veränderung durch die aufschiebend bedingte Abtretung ausweist, werden (u.a. auch deshalb) abgelehnt, weil es im hier vorliegenden Fall der aufschiebend bedingten Abtretung gar keinen gutgläubigen Erwerb geben soll und solche Schutzmechanismen folglich nicht erforderlich sind. Der BGH76 lässt sogar die Frage dahinstehen, ob ein praktisches Bedürfnis nach einer zweiten Liste besteht, die den Tatbestand der aufschiebend bedingten Abtretung zum Schutz des Ersterwerbers öffentlich macht, und führt aus: „Denn ein aufschiebend bedingt abgetretener Geschäftsanteil kann nicht nach § 161 Abs. 3 BGB in Verbindung mit § 16 Abs. 3 GmbHG vor Bedingungseintritt von einem Zweiterwerber gutgläubig erworben werden.“ Umgekehrt soll ein gutgläubiger Erwerb in der hier vorliegenden Konstellation der Verfügungsbeschränkung nicht möglich sein, weil es dann für den Ersterwerber keine Schutzmechanismen gibt.77 Da die Verfügungsbeschränkung des Veräußerers nach der aufschiebend bedingten Geschäftsanteilsabtretung nicht in der Gesellschafterliste verlautbart werden kann, soll die Gesellschafterliste insoweit als Rechtsscheinträger ungeeignet sein.78

BGB, daher auch keinen Vermerk über aufschiebend bedingte Abtretung zulässig; LG Köln Beschl. v. 16.06.2009 – 88 T 13/09, NZG 2009, 1195 = GmbHR 2009, 1215, Widerspruch bei aufschiebend bedingter Abtretung zulässig; OLG München Beschl. v. 11.03.2011 – 31 Wx 162/10, NZG 2011, 473 = GmbHR 2011, 425 m. abl. Komm. Heidinger, kein gutgläubiger Erwerb möglich, daher auch kein Widerspruch zulässig; BGH Beschl. v. 20.09.2011 – II ZB 17/10, GmbHR 2011, 1269 gegen das Zwei-Listen-Modell; dazu Heidinger in: MünchKommGmbHG, 3. Aufl. 2018, § 16 Rn. 334 f. 74   Mayer/Färber,GmbHR 2011, 785, 793. 75  So schon die Kritik von Heidinger, GmbHR 2011, 425, 428, in der Besprechung des die Eintragung eines Widerspruches ablehnenden Beschlusses vom OLG München v. 11.03.2011 – 31 Wx 162/10, GmbHR 2011, 425. 76  BGH Beschl. v. 20.09.2011 – II ZB 17/10, GmbHR 2011, 1269 Tz. 14 ff. = MittBayNot 2012, 140, 151. 77   Altmeppen in: FS Schurig, 2012, S. 1, 13 spricht in diesem Zusammenhang von einem argumentum ad absurdum; Bayer GmbHR 2011, 1254 findet dies „geradezu abenteuerlich“. 78   Mayer/Färber, GmbHR 2011, 785, 793; BGH Beschl. v. 20.09.2011 – II ZB 17/10, GmbHR 2011, 1269 Tz. 16 ff. = MittBayNot 2012, 149, 151.

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V.  Die seltsamen Rechtsfolgen 1.  Der gutgläubige Erwerb zur Bedeutungslosigkeit verdammt Berücksichtigt man die Vielzahl der potentiellen Anwendungsfälle für § 161 Abs. 3 BGB i. V. m. § 16 Abs. 3 GmbHG erscheint es durchaus berechtigt, von einer „weitgehenden Entwertung der Bedeutung des gutgläubigen Erwerbs nach § 16 Abs. 3 GmbHG“79 durch den Beschluss des BGH von 2011 zu sprechen. Damit werden wieder die schwierigen Versuche erforderlich, den potentiellen Zweiterwerber zu schützen. Genannt werden in diesem Zusammenhang die Vermutungswirkung, die Chain of Title, die Verkäuferhaftung und allgemein die Due Diligence. Regelmäßig wird vom Veräußerer eine Garantie verlangt, dass der Geschäftsanteil dem Veräußerer – wie es die Regierungsbegründung ausdrückt80 – auch „zusteht“, genauer formuliert, dass er nicht nur berechtigter Inhaber ist, sondern auch über den Geschäftsanteil uneingeschränkt und wirksam verfügen kann. Aber auch eine Inanspruchnahme des Veräußerers aus dieser Rechtsmängelhaftung ist gegen den Willen des berechtigten Erwerbers oft mit großen Schwierigkeiten verbunden. Die Regierungsbegründung zum MoMiG81 bezeichnet dies insgesamt als ein schwerfälliges System mit unnötig hohen Transaktionskosten und Rechtsunsicherheiten. Mit dem Konzept des gutgläubigen Erwerbs auf der Grundlage der Gesellschafterliste als Rechtsscheinträger wollte der Gesetzgeber diesen Schwierigkeiten begegnen.82 Durch den schon fast systematischen Abbau der Bedeutung der Gesellschafterliste durch die Rechtsprechung83 werden die Ziele des Gesetzgebers konterkariert und damit eine Weiterentwicklung dieses Teilbereiches im Gesellschaftsrecht massiv behindert, wenn nicht sogar verhindert. Dies erstaunt umso mehr als der Gesetzgeber eine neue Transparenzinitiative auch für die Gesellschafterliste unternimmt. Das am 26. Juni 2017 in Kraft getretene Gesetz zur Umsetzung der Vierten EU-Geldwäscherichtlinie für den Geschäftsverkehr84 bringt für GmbHen erhebliche neue Meldepflichten an das neu geschaffene Transparenzregister. Diese können mit ordnungsgemäß geführten Gesellschafterlisten in vielen Fällen substituiert werden

 So Wälzholz, MittBayNot 2012, 149, 152 in seiner Entscheidungsbesprechung zu BGH Beschl. v. 20.09.2011 – II ZB 17/10, GmbHR 2011, 1269 = ZIP 2011, 5. 80   Begr. RegE-MoMiG, BT-Drs. 16/6140 S. 38 r.Sp. Mitte. 81   BT-Drs. 16/6140 S. 38 r.Sp. Mitte. 82   Dies sehen auch Mayer/Färber, GmbHR 2011, 785, 794 so, verneinen aber dennoch – und ihnen folgend der BGH – den gutgläubigen Erwerb beim aufschiebend bedingt abgetretenen Geschäftsanteil. 83   S. dazu auch schon Heidinger, GmbHR 2017, 273. 84   BGBl. 2017 I, S. 1822. 79

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(§ 20 GwG).85 Das BMJV legte im September 2017 in Ausnutzung der in § 40 Abs. 4 GmbHG neu eingefügten Ermächtigung einen Referentenentwurf für eine Gesellschafterlistenverordnung vor, welche die Publizitätsmöglichkeiten der Liste durch Einführung einer Veränderungsspalte etwas erweitert hat.86 Diese Gesellschafterlistenverordnung ist nun zum 01.07.2018 in Kraft getreten.87 Die darin vorgesehene Veränderungsspalte könnte m. E. systemkonform auch dazu genutzt werden, eine aufschiebend bedingte Abtretung einzutragen. Denn dadurch findet zwar noch keine Veränderung in der Person der Gesellschafter i.S. eines Inhaberwechsels statt. Dennoch lässt sich die Eintragung in dreierlei Hinsicht rechtfertigen: 1. Die Eintragungsfähigkeit des entstandenen Anwartschaftsrechts des aufschiebend bedingten Erwerbers lässt sich durch ein erweitertes Verständnis des Begriffes „Gesellschafter“ als „am Geschäftsanteil wie ein Gesellschafter Berechtigter“ begründen. 2. Das Anwartschaftsrecht schränkt den Umfang der Beteiligung, die der betroffene Geschäftsanteil vermittelt, ein und gehört deshalb zu den in § 40 Abs. 1 S. 1 GmbHG genannten in der Liste aufzunehmenden Tatsachen. 3. Die Grundprämisse des BGH ist falsch, dass eine neue Liste nur dann eingereicht werden kann, wenn eine Veränderung an den in § 40 Abs. 1 S. 1 GmbHG ausdrücklich genannten Tatsachen der Person des Gesellschafters oder des Umfangs der Beteiligung vorliegt. Inzwischen besteht eine breite Übereinstimmung in der Literatur und Rechtsprechung, dass die insoweit missverständliche Formulierung in § 16 Abs. 1 S. 1 GmbHG nicht den „Fall“ einer tatsächlich erfolgten Veränderung voraussetzt,88 sondern nur, dass sich die Listeneintragung auf die Person des Gesellschafters oder den Umfang seiner Beteiligung bezieht.89 In diese Richtung hat sich auch der Gesetzgeber mit der Neuregelung des § 40 Abs. 1 S. 2 2. HS. GmbHG90 ohne ersichtliche Notwendigkeit91 zur Umsetzung der neuen Geldwäsche85   Siehe dazu ausführlich Teichmann in dieser Festschrift S. 743; Heidinger in: Heckschen/Heidinger, Die GmbH in der Gestaltungs- und Beratungspraxis, 4. Aufl. 2018, Kap. 13 Rn. 361 ff. 86   BR-Drs. 105/18 v. 6.4.2018; der Bundesrat hat der Verordnung am 08.06.2018 zugestimmt. Siehe hierzu Cziupka, GmbHR 2018, R180. 87   BGBl. 2018 I, S. 870; siehe dazu Szalai GWR 2018, 250, 253 ff.; ders. NWB 2018, 2121, 2125 ff.; Freier notar 2018, 292. 88  S. dazu ausführlich Heidinger in: MünchKommGmbHG, 3. Aufl. 2018, § 16 Rn. 84 ff.; ders. in: Heckschen/Heidinger, Die GmbH in der Gestaltungs- und Beratungspraxis, 4. Aufl. 2018, Kap. 13 Rn. 423 ff. 89   Seibt in: Scholz GmbHG, 12. Aufl. 2018, § 16 Rn. 16 ff. 90   G v. 23.6.2017, BGBl. I S. 1822. 91   Seibert GmbHR 2017, R97, R98: das Vorhaben zum Anlass genommen, die Gesellschafterlisten der GmbH zu modernisieren; vgl. auch Seibert/Bachmann/Cziupka GmbHR

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richtlinie entschieden. Ist ein Gesellschafter selbst eine nicht eingetragene Gesellschaft (insbesondere die GbR) sind deren jeweilige Gesellschafter unter einer zusammenfassenden Bezeichnung mit Namen, Vornamen, Geburtsdatum und Wohnort in der Gesellschafterliste mit aufzunehmen. Jede Änderung im Bestand der GbR-Gesellschafter erfordert eine neue Liste,92 ohne dass sich bei der GbR selbst auf der Ebene der GmbH als relative Gesellschafterin und für den gutgläubigen Erwerb nach § 16 Abs. 3 GmbHG in ihrer Person oder im Umfang ihrer Beteiligung etwas ändert. 2.  Die untragbare Interessenabwägung Winter93 stellt fest, dass die Nichtanwendung von § 16 Abs. 3 GmbHG auf aufschiebend bedingt abgetretene Geschäftsanteile dem Grundgedanken des § 161 Abs. 3 BGB zuwider laufen dürfte; danach sei der Erwerber, der ein Recht kraft guten Glaubens auch vom Nichtberechtigten hätte erwerben können, erst recht schutzwürdig, wenn er es vom (noch) Berechtigten erwirbt.94 Es gibt eine Vielzahl von Gestaltungen für den Schutz des Ersterwerbers vor einer schädlichen Zwischenverfügung eines gutgläubigen Zweiterwerbers, die alle erfolgversprechender sind als die jetzige Rechtslage, die den ahnungslosen, sprich gutgläubigen Zweiterwerber „völlig schutzlos“ zurücklässt.95 Praktisch könnte jeder vermeintliche Ersterwerber sogar bei einer selbst wiederum aufschiebend bedingten Abtretung schon ein ungeschützter Zweiterwerber sein. Tritt die Bedingung beim Zweiterwerb vor der Bedingung vom Ersterwerb ein, ist der Zweiterwerb nach BGH unwirksam. Ist die Bedingungsreihenfolge (zufällig) umgekehrt hat der Zweiterwerber gutgläubig vom Nichtberechtigten erworben, jedenfalls, wenn er zum Zeitpunkt des Bedingungseintrittes noch gutgläubig ist. Ein sehr seltsames Ergebnis!

VI. Conclusio Die obigen Ausführungen zeigen, dass der BGH im Dschungel der Streitpunkte über die Gesellschafterliste den Kern der Regelung des § 161 Abs. 3 BGB aus den Augen verloren hat. Eine „Sonderdogmatik“ des § 161 BGB 2017, 1129 mit Verweis auf Begr. RegE Geldwäscherichtlinien-Umsetzungsgesetz, BT-Drs. 18/11 555, 891 und 131. 92  Reg.Begr. BT-Drs. 18/11555 S. 173; so schon: DNotI-Report 2011, 73; Seibt in: Scholz, GmbHG 11. Aufl. 2014, § 40 Rn. 17; Mayer, MittBayNot 2014, 24, 32. 93   Winter in: Gehrlein/Born/Simon, GmbHG 3. Aufl. 2017 § 16 Rn. 38. 94   So auch Ellenberger in: Palandt BGB 77. Aufl. 2018, § 161 Rn. 3 allgemein zu § 161 Abs. 3 BGB dann aber nur BGH Beschl. v. 20.09.2011 – II ZB 17/10, GmbHR 2011, 1269 zu § 16 Abs. 3 GmbHG unkommentiert rezitierend. 95   Dies verkennen Mayer/Färber, GmbHR 2011, 785, 794 a.E.

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zu Lasten der Gesellschafterliste zu kreieren ist weder erforderlich noch mit der vom Gesetzgeber gewollten, wachsenden Bedeutung der Gesellschafterliste vereinbar.96 Da der gutgläubige Erwerb nach aufschiebend bedingter Geschäftsanteilsabtretung in der BGH-Entscheidung von 2011 nur ein Hilfsargument gegen die Eintragung dieser Tatsache in der Gesellschafterliste war, erscheint es durchaus denkbar und wünschenswert, dass der BGH bei einem „echten Fall“ des angeblich gescheiterten gutgläubigen Erwerbes seine Rechtsprechung nochmals überdenkt und „klarstellend“ korrigiert. Die Frage, wie der aufschiebend bedingte Erwerber vor Verlust seiner durch § 161 Abs. 1 BGB eingeräumten Rechtstellung geschützt werden kann, ist unabhängig von der zu bejahenden Grundsatzfrage nach der Möglichkeit des gutgläubigen Erwerbes zu beantworten. Die Praxis hat diesbezüglich schon einige vielversprechende Lösungsansätze entwickelt. Lässt sich der BGH bis zur nächsten Gelegenheit zu einer Entscheidung zum gutgläubigen Erwerb eines aufschiebend bedingt abgetretenen Geschäftsanteiles von der hier vertretenen Ansicht überzeugen, bleibt mir nicht nur der Scheiterhaufen sondern auch die nach der Legende für Galileo Galilei trotz seines Widerrufs verhängte lebenslange Kerkerhaft97 erspart. Ich bin jedenfalls weiterhin davon überzeugt, dass die Erde rund ist, sich dreht und der aufschiebend bedingt abgetretenen GmbH-Geschäftsanteil gutgläubig erworben werden kann.

96  Zuletzt wurde die Gesellschafterliste im Rahmen der Meldepflicht zum Transparenzregister nach § 20 GwG wieder aufgewertet, s. dazu in dieser Festschrift ausführlich Teichmann, S. 743; Wicke, DStR 2011, 2356 spricht von vertaner Chance; Heidinger in: Heckschen/Heidinger, Die GmbH in der Gestaltungs- und Beratungspraxis, 4. Aufl. 2018, Kap. 13 Rn. 361 ff. 97   Geistige Kerkerhaft entspricht einem Schreibverbot.

Nichtigkeit des Jahresabschlusses und deren Auswirkungen

Nichtigkeit des Jahresabschlusses und Auswirkungen auf Folgeabschlüsse und Gewinnverwendung Joachim Hennrichs * I. Fragestellung Gewinnermittlung und Gewinnverwendung sind aufeinander bezogen. Das ist besonders deutlich bei der Aktiengesellschaft: Gegenstand der Beschlussfassung über die Gewinnverwendung ist der sog. Bilanzgewinn, wie er im festgestellten Jahresabschluss ausgewiesen ist (§ 174 Abs. 1 AktG). Ist der Jahresabschluss – genauer: die Feststellung des Abschlusses als korporationsrechtliches Rechtsgeschäft eigener Art1 – gem. § 256 AktG nichtig, ist gem. § 253 Abs. 1 Satz 1 AktG auch der Beschluss über die Gewinnverwendung nichtig; wird die Nichtigkeit des Jahresabschlusses nach Maßgabe des § 256 Abs. 6 AktG geheilt, heilt dies auch den Mangel des Gewinnverwendungsbeschlusses (§ 253 Abs. 1 Satz 2 AktG). Macht ein Aktionär die Nichtigkeit des Jahresabschlusses z.B. durch Klage auf Feststellung der Nichtigkeit geltend (§ 256 Abs. 7 i.V.m. § 249 AktG), gerät die Gesellschaft in eine schwierige Situation: Das gerichtliche Verfahren wird sich über mehrere Perioden hinziehen. Was aber geschieht in der Zwischenzeit? Beispiel: Die A-AG erstellt ihren Jahresabschluss auf den 31.12.01. Der Abschluss wird vom Abschlussprüfer uneingeschränkt testiert. Die Billigung des Abschlusses durch den Aufsichtsrat erfolgt am 15.3.02. Am 22.3.02 lädt die Gesellschaft zur Hauptversammlung ein. Am 22.4.02 erhebt Aktionär S Klage auf Feststellung der Nichtigkeit des Jahresabschlusses und stellt Gegenanträge für die Hauptversammlung. Vorstand und Aufsichtsrat der A-AG beurteilen die Einwände des S als haltlos, sie halten in ihren Stellungnahmen zu dem Gegenantrag des S den Jahresabschluss für fehlerfrei und wirksam. Die * Prof. Dr. Joachim Hennrichs ist Direktor des Instituts für Gesellschaftsrecht und Inhaber des Lehrstuhls für Bürgerliches Recht, Bilanz- und Steuerrecht der Universität zu Köln. Die nachstehenden Überlegungen beruhen auf einer Anfrage aus der Praxis. 1   BGH v. 15.11.1993 – II ZR 235/92 = BGHZ 124, 111, 116; V. Weilep/J.-H. Weilep, BB 2006, 147; Hennrichs/Pöschke in MünchKomm-AktG, 4. Aufl. 2018, § 172 Rn. 10.

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Hauptversammlung, die am 8.5.02 stattfindet, sieht das ebenso und beschließt die Gewinnverwendung wie von der Verwaltung vorgeschlagen. Die Dividende wird am 9.5.02 an die Aktionäre ausgezahlt. Am 6.6.02 erhebt S auch eine Nichtigkeitsfeststellungs- und Anfechtungsklage gegen den Gewinnverwendungsbeschluss. Die Klagen werden durch Urteil des zuständigen Landgerichts vom 3.6.03 abgewiesen. Dagegen legt S rechtzeitig Berufung ein. Das Berufungsgericht entscheidet am 3.7.04 gegen die A-AG und stellt die Nichtigkeit des Jahresabschlusses sowie des Beschlusses über die Gewinnverwendung fest. Wird die Nichtigkeit des Jahresabschlusses für das Geschäftsjahr 01 im Jahr 04 gerichtlich festgestellt, ist der Abschluss für 01 neu auf- und festzustellen.2 Dabei steht der gesamte Jahresabschluss erneut zur Disposition, d.h. es gelten uneingeschränkt wieder die allgemeinen bilanzrechtlichen und satzungsmäßigen Vorschriften. Namentlich können bilanzielle Wahlrechte und Schätzungsspielräume neu ausgeübt werden. Auch hinsichtlich der Rücklagendotierung oder Rücklagenauflösung sind die zuständigen Organe an die erste, nichtige Feststellung nicht gebunden.3 Freilich: Werden durch die Neufeststellung die Zahlen des Abschlusses für das Geschäftsjahr 01 geändert, stört dies die Bilanzkontinuität. Denn der (festgestellte und publizierte, seinerseits bereits „zurückliegende“) Abschluss für das Geschäftsjahr 02 baut ja auf dem bisherigen, später als nichtig beurteilten Abschluss 01 auf (§ 252 Abs. 1 Nr. 2 HGB). Führt dies deshalb auch zur Nichtigkeit der Folgeabschlüsse für 02 und 03? Ferner: Der Bilanzgewinn des ursprünglichen (nichtigen) Jahresabschlusses wurde im Geschäftsjahr 02 an die Aktionäre bereits ausgeschüttet.4 Wird später der nichtige Abschluss neu festgestellt und dabei wieder ein Bilanzgewinn ausgewiesen, fragt es sich, wie sich dies auf die Gewinnverwendung auswirkt. Erhalten die Aktionäre eine zusätzliche „zweite“ Dividende? Oder müssen sie sich die erste Dividende anrechnen lassen und wenn ja, auf welcher Rechtsgrundlage?

2   IDW RS HFA 6 Tz. 15; Koch in Hüffer/Koch, AktG, 13. Aufl. 2018, § 256 Rn. 33; Hennrichs ZHR 168 (2004), 383, 391; Hennrichs/Pöschke in MünchKomm-AktG (Fn. 1), § 172 Rn. 56 f. 3   Hennrichs/Pöschke in MünchKomm-AktG (Fn. 1), § 172 Rn. 62. 4   Dies ist ein Geschäftsvorfall des Geschäftsjahres 02 und wirkt sich erst in diesem (oder einem folgenden) Abschluss aus, vgl. W. Müller, ZHR 168 (2004), 414, 425 f. – Zu den Auswirkungen der Nichtigkeit des Jahresabschlusses für Folgeabschlüsse s. auch sogleich im Text.

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II.  Zu den Auswirkungen der Nichtigkeit des Jahresabschlusses auf Folgeabschlüsse 1. Grundsätzliches Ist ein Vorjahresabschluss nichtig, ist dies für sich genommen kein Nichtigkeitsgrund bezogen auf den Folge-Jahresabschluss.5 Die Nichtigkeit des Folgeabschlusses tritt vielmehr nur ein, wenn –– sich der ursprüngliche Nichtigkeitsmangel im Folgeabschluss wiederholt (Fehleridentität) oder –– der Folgeabschluss für sich genommen an einem eigenen Nichtigkeitsmangel i.S. des § 256 AktG leidet. 2.  Grundsatz der Bilanzkontinuität a) Fraglich ist, ob ein eigener Nichtigkeitsgrund bezogen auf den Folgeabschluss deshalb anzunehmen ist, weil der Folgeabschluss bei Nichtigkeit des Vorabschlusses den Grundsatz der Bilanzkontinuität (§ 252 Abs. 1 Nr. 1 HGB) beeinträchtigen kann. Gem. § 252 Abs. 1 Nr. 1 HGB müssen die Wertansätze in der Eröffnungsbilanz des (Folge-) Geschäftsjahres mit denen der Schlussbilanz des vorhergehenden Geschäftsjahres übereinstimmen (sog. Bilanzkontinuität). Bei Nichtigkeit des Vorjahresabschlusses gibt es rechtlich keine verbindlichen Schlussbilanzwerte.6 Man könnte allein darin, also im Fehlen rechtsverbindlicher Schlussbilanzwerte des Vorjahresabschlusses, bereits eine Verletzung der Bilanzkontinuität im Folgeabschluss sehen wollen,7 und zwar selbst dann, wenn der Nichtigkeitsgrund sich im Ergebnis gar nicht auf die einzelnen Wertansätze ausgewirkt hat und der neu erstellte Abschluss später wieder dieselben Wertansätze enthält wie der ursprüngliche (nichtige) Abschluss. Richtigerweise verlangt § 252 Abs. 1 Nr. 1 HGB aber allein eine tatsächliche Übereinstimmung der Wertansätze in Schluss- und Eröffnungsbilanz. Worauf es ankommt ist die faktische Kontinuität des Zahlenwerks, d.h. die Übereinstimmung der als Eröffnungsbuchungen vorgetragenen Werte mit denen der Schlussbilanz.8 Die rechtliche Wirksamkeit der kontinuierlichen Wertansätze ist nicht gefordert. Denn die Eröffnungsbilanz, in der sich die Nichtigkeit der Vorjahreszahlen zunächst auswirken würde, ist selbst ohnehin nicht festzustellen und für sie gilt § 256 AktG nicht. Festgestellt wird erst

  Koch in Hüffer/Koch, AktG (Fn. 2), § 256 Rn. 34 m.w.N.   Hense, WPg 1993, 716, 718. 7   So wohl Rölike in Spindler/Stilz, AktG, 3. Aufl. 2015, § 256 Rn. 95. 8   Zöllner in FS Scherrer, 2004, S. 355, 362. 5 6

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wieder die nächste Schlussbilanz und nur diese kann nichtig sein.9 Im Übrigen wäre die Annahme der Nichtigkeit des Folgeabschlusses selbst dann, wenn es aufgrund der Nichtigkeit des Vorabschlusses gar nicht zur Durchbrechung der Bilanzkontinuität kommt, ein „viel zu schweres Geschütz“.10 Allein der Umstand, dass der Vorjahresabschluss nichtig ist, begründet mithin für sich genommen keine Verletzung der Bilanzkontinuität. Eine Verletzung der Bilanzkontinuität kommt überhaupt nur in Betracht, wenn der nichtige Vorjahresabschluss neu festgestellt wird und dabei die Wertansätze gegenüber den bisherigen Zahlen geändert werden.11 b) aa) Wird der nichtige Vorjahresabschluss neu festgestellt und dabei nachträglich inhaltlich so geändert, dass sich andere Wertansätze ergeben als im nichtigen Abschluss, dann stimmen die Wertansätze der Eröffnungsbilanz des Folgejahres nicht mehr mit den nunmehr berichtigten Wertansätzen der Schlussbilanz der Vorjahresbilanz überein. Eine nachträgliche inhaltliche Änderung des Vorabschlusses entzieht dem Folgeabschluss, der auf den ursprünglichen Vorjahreszahlen beruht, nachträglich die Kontinuität. In diesen Fällen ist der Grundsatz der formellen Bilanzkontinuität gem. § 252 Abs. 1 Nr. 1 HGB durchbrochen. Fraglich ist, ob und unter welchen Voraussetzungen dieser Umstand zur Nichtigkeit des Folgeabschlusses führt. bb) Die wohl h.M.12 nimmt an, bei Nichtigkeit des Vorjahresabschlusses sei der Folgeabschluss schwebend unwirksam. Dieser Schwebezustand werde zugunsten voller Wirksamkeit beendet, wenn entweder die Nichtigkeit des Vorabschlusses geheilt oder dieser im Wesentlichen inhaltsgleich neu festgestellt werde, d.h. ohne Verletzung des Grundsatzes der Bilanzkontinuität (oben a). Werde der Vorabschluss dagegen mit anderen Wertansätzen neu festgestellt, sei dem Folgeabschluss die Bilanzkontinuität entzogen und der Folgeabschluss nichtig; der Schwebezustand des Folgeabschlusses werde in diesem Fall zugunsten einer endgültigen Unwirksamkeit beendet. Deshalb soll bei einer Neufeststellung des Vorabschlusses, die Änderungen der Wertansätze zur Folge hat, zur Wahrung der Bilanzkontinuität auch der Folgeabschluss neu zu erstellen sein – nebst neuer Prüfung, Feststellung, Vorlage an die Hauptversammlung und Offenlegung.

 Zutr. Zöllner, FS Scherrer, 2004, S. 355, 362.   Zöllner in FS Scherrer, 2004, S. 355, 366. 11  Zutr. Zöllner in FS Scherrer, 2004, S. 355, 365. 12  Vgl. Kropff, FS Budde, 1995, S. 341, 348 ff.; Koch in MünchKomm-AktG, 4. Aufl. 2016, § 256 Rn. 86; Rölike in Spindler/Stilz, AktG (Fn. 7), § 256 Rn. 95; Schwab in K. Schmidt/Lutter, AktG, 3. Aufl. 2015, § 256 Rn. 42; E. Vetter in Henssler/Strohn, GesR, 3. Aufl. 2016, § 256 AktG Rn. 26; Zöllner, FS Scherrer, 2004, S. 355, 365 f.; ebenso wohl Hense WPg 1993, 716, 718 (r. Sp. bei Fußn. 20); Waclawik in Hölters, AktG, 3. Aufl. 2017, § 256 Rn. 44. 9

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Namentlich Welf Müller und Tilman Bezzenberger haben sich demgegenüber dafür ausgesprochen, dass ein Verstoß gegen den Grundsatz der Bilanzkontinuität (§ 252 Abs. 1 Nr. 1 HGB) weder zur Nichtigkeit des Folgeabschlusses noch zu dessen schwebender Unwirksamkeit führen sollte.13 Vielmehr können (und müssen) etwaige Folgen der Nichtigkeit des Vorabschlusses in laufender Rechnung der Folgeabschlüsse berücksichtigt werden. cc) Zustimmung verdient die zuletzt genannte Auffassung14: Zunächst ist gegenüber der h.M. einzuwenden, dass das Konzept der schwebenden Unwirksamkeit von Abschlüssen, die auf einen nichtigen Jahresabschluss folgen, im Gesetz nicht vorgesehen ist. Das Gesetz kennt nur die Nichtigkeit und die Wirksamkeit (Bestandskraft) des Jahresabschlusses, wobei die Nichtigkeit allein aus den in § 256 AktG enumerativ genannten besonderen Gründen eintreten soll. Die Nichtigkeit des Vorjahresabschlusses ist in § 256 AktG aber nicht als Nichtigkeitsgrund genannt.15 Das Konzept der schwebenden Unwirksamkeit konstruiert zusätzliche Wirksamkeitshindernisse, die in § 256 AktG nicht vorgesehen sind.16 Ferner begründet ein etwaiger Verstoß gegen § 252 Abs. 1 Nr. 1 HGB richtigerweise keinen Nichtigkeitsgrund. Zunächst ist hervorzuheben, dass eine Durchbrechung des Grundsatzes der Bilanzkontinuität für sich genommen noch keinen Rechtsfehler bedeutet. Denn der Grundsatz des § 252 Abs. 1 Nr. 1 HGB steht (ebenso wie die anderen in § 252 Abs. 1 HGB genannten Grundsätze) unter dem Ausnahmevorbehalt gem. § 252 Abs. 2 HGB. Danach darf „in begründeten Ausnahmefällen“ von den Grundsätzen des § 252 Abs. 1 HGB abgewichen werden. Eine Durchbrechung des Grundsatzes der Bilanzkontinuität, die auf einer inhaltlichen Neufeststellung eines nichtigen Vorjahresabschlusses gründet, ist aber ein begründeter Ausnahmefall i.S. des § 252 Abs. 2 HGB.17 Denn die Neufeststellung des nichtigen Vorjahresabschlusses ist rechtlich geboten. Da die Neufeststellung oft erst zeitlich nach der Feststellung des Folgeabschlusses geschieht (weil der Nichtigkeitsgrund des Vorjahresabschlusses erst später gerichtlich verbindlich festgestellt wird), ist in solchen Fällen eine Durchbrechung des Grundsatzes der Bilanzkon13   W. Müller ZHR 168 (2004), 414, 424 f.; T. Bezzenberger in Großkomm-AktG, 4. Aufl. 2010, § 256 Rn. 282 ff.; ferner Hennrichs/Pöschke in MünchKomm-AktG (Fn. 1), § 172 Rn. 64a; IDW, WPH Edition, 15. Aufl. 2017, Abschn. B Rn. 341; ebenso Schulz in Bürgers/Körber, AktG, 3. Aufl. 2014, § 256 Rn. 24. 14   Hennrichs/Pöschke in MünchKomm-AktG (Fn. 1), § 172 Rn. 64a. 15  Zutr. T. Bezzenberger in Großkomm-AktG (Fn. 13), § 256 Rn. 282; IDW, WPH Edition (Fn. 13), Abschn. B Rn. 341. 16   T. Bezzenberger in Großkomm-AktG (Fn. 13), § 256 Rn. 284. 17  So Hense WPg 1993, 716, 718; Mock DB 2005, 987, 989; Winkeljohann/Büssow in Beck’scher Bilanzkomm., 11. Aufl. 2018, § 252 HGB Rn. 78; a.A. Kleindiek in GroßkommHGB, 5. Aufl. 2014, § 252 Rn. 10; Tiedchen in MünchKomm. Bilanzrecht, 2013, § 252 HGB Rn. 13.

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tinuität unausweichlich, es sei denn man statuiert stets eine Verpflichtung zur Folgeänderung auch aller Folgeabschlüsse,18 was so im Gesetz aber nicht deutlich angeordnet ist. Wendet man mithin in Fällen wie vorliegend § 252 Abs. 2 HGB an, ist von vornherein keine Rechtsverletzung und damit kein Nichtigkeitsgrund gegeben. Im Übrigen käme von den in § 256 AktG enumerativ genannten Nichtigkeitsgründen vorliegend nur § 256 Abs. 1 Nr. 1 AktG in Betracht.19 Dann müsste § 252 Abs. 1 Nr. 1 HGB eine Vorschrift sein, „die ausschließlich oder überwiegend zum Schutze der Gläubiger der Gesellschaft gegeben ist“. Zwar wird man dem Grundsatz der Bilanzkontinuität auch gläubigerschützende Aspekte zusprechen können. Dass es bei dem Grundsatz der Bilanzkontinuität aber „ausschließlich“ oder auch nur „überwiegend“ um Gläubigerschutz ginge, wie § 256 Abs. 1 Nr. 1 AktG voraussetzt, erscheint doch zweifelhaft.20 Schutzzweck des § 252 Abs. 1 Nr. 1 HGB ist es zum einen, die Informationsfunktion des Abschlusses abzusichern. Der Leser soll sich anhand einer kontinuierlichen Reihe von Abschlüssen über die Vermögens-, Finanz- und Ertragslage der Gesellschaft informieren können. In der „logischen Sekunde“ zwischen Schlussbilanz des Vorjahres (31.12., 24 Uhr) und der Eröffnungsbilanz des Folgejahres (1.1., 0 Uhr), soll keine Buchung, Änderung des Bilanz­ inhalts oder Bewertungsänderung vorgenommen werden dürfen.21 Dieser Informationsfunktion des Abschlusses ist aber genügt, wenn die Folgen der Nichtigkeit des Vorabschlusses im Folgeabschluss berücksichtigt und erläutert werden.22 Hinsichtlich der Zahlungsbemessungsfunktion des Abschlusses geht es dem Gesetz in § 252 Abs. 1 Nr. 1 HGB darum, Manipulationen der Gewinnermittlung zu verhindern. Vermögensgegenstände und Schulden sollen nicht in der logischen Sekunde zwischen dem alten und dem neuen Geschäftsjahr neu bewertet werden.23 Von solcherart Manipulation kann aber im vorliegenden Zusammenhang ersichtlich keine Rede sein. Denn die Durchbrechung der Kontinuität ist allein der Fehlerkorrektur im Vorabschlusses geschuldet. Im Übrigen kennt das Aktienrecht mit § 62 AktG und § 93 Abs. 3 Nr. 2 AktG eigene Instrumente zur Korrektur von Zahlungen, die auf der Grundlage eines nichtigen Abschlusses geleistet worden sind.24 Die Annahme der Nichtigkeit des Folgeabschlusses ist deshalb auch insoweit, also zur Wahrung der Zahlungsbemessungsfunktion des Abschlusses, nicht erforderlich.   So in der Tat Kleindiek und Tiedchen a.a.O. (s. Vornote).  Dafür Rölike in Spindler/Stilz, AktG (Fn. 7), § 256 Rn. 95. 20  Verneinend W. Müller, ZHR 168 (2004), 414, 424; IDW, WPH Edition (Fn. 13), Abschn. B Rn. 341. 21   Winkeljohann/Büssow in Beck’scher Bilanzkomm. (Fn. 17), § 252 HGB Rn. 3. 22   Schulz in Bürgers/Körber, AktG (Fn. 12), § 256 Rn. 24. 23   Winkeljohann/Büssow in Beck’scher Bilanzkomm. (Fn. 17), § 252 HGB Rn. 3. 24  Zutr. W. Müller, ZHR 168 (2004), 414, 424 f. 18 19

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Die hier vertretene Auffassung vermeidet schließlich praktische Folgeprobleme: Soweit ein schon länger zurückliegender Vorabschluss neu festgestellt werden muss, beispielsweise, weil nach einem mehrjährigen Rechtsstreit die Nichtigkeit des Jahresabschlusses erst Jahre später gerichtlich geklärt wird, dann zwingt die h.M. dazu, ggf. die ganze Reihe der Folgeabschlüsse neu aufzumachen. Dass dies für die Praxis einen erheblichen Aufwand bedeuten kann, liegt auf der Hand. Andererseits verlangen, wie gezeigt, weder die Informations- noch die Zahlungsbemessungsfunktion des Jahresabschlusses zwingend eine solch belastende Folgewirkung der Nichtigkeit eines Vorjahresabschlusses.

III.  Zu den Auswirkungen der Nichtigkeit des Jahresabschlusses auf die Gewinnverwendung 1.  Zum Anspruch auf Rückzahlung gem. § 62 AktG a) Bei Nichtigkeit des Jahresabschlusses ist auch der Beschluss über die Gewinnverwendung (§ 174 AktG) nichtig (§ 253 Abs. 1 Satz 1 AktG) und entsteht kein Dividendenanspruch der Aktionäre.25 Eine auf der Grundlage eines nichtigen Gewinnverwendungsbeschlusses bezogene Dividende ist deshalb „entgegen den Vorschriften dieses Gesetzes“ (sc.: des AktG) empfangen26 und gem. § 62 Abs. 1 Satz 1 AktG grundsätzlich zurück zu gewähren. Die Rückzahlungspflicht für bezogene Dividenden besteht gem. § 62 Abs. 1 Satz 2 AktG freilich nur, wenn die Aktionäre wussten oder infolge von Fahrlässigkeit nicht wussten, dass sie zum Bezug nicht berechtigt waren. Eine in gutem Glauben bezogene Dividende ist danach privilegiert und muss nicht zurückbezahlt werden.27 b) Bezugspunkt des guten Glaubens ist die Berechtigung, den Gewinnanteil beziehen zu dürfen.28 Dem Aktionär schadet schon einfache Fahrlässigkeit.29 Ein Tatsachen- oder Rechtsirrtum ist beachtlich, allerdings nur, wenn er seinerseits unverschuldet war.30 Der Aktionär ist insbes. dann nach § 62 25   Ehmann in Grigoleit, AktG, 2013, § 253 Rn. 7; Hennrichs/Pöschke in MünchKomm. AktG (Fn. 1), § 174 Rn. 43, 55; Grumann/Gillmann NZG 2004, 839, 843; Hense WPg 1993, 716, 720. 26   V. Weilep/J.-H. Weilep BB 2006, 147, 151. 27   Näher zum Merkmal der Gutgläubigkeit sogleich im Text. 28   Bayer in MünchKomm-AktG, 4. Aufl. 2016, § 62 Rn. 65; Cahn in Spindler/Stilz, AktG (Fn. 7), § 62 Rn. 27; Koch in Hüffer/Koch, AktG (Fn. 2), § 62 Rn. 13; Lange in Henssler/Strohn, Gesellschaftsrecht (Fn. 12), § 62 AktG Rn. 6. 29   Bayer in MünchKomm-AktG (Fn. 30), § 62 Rn. 64; Grigoleit/Rachlitz in Grigoleit, AktG, 2013, § 62 Rn. 5. 30   Bayer in MünchKomm-AktG (Fn. 30), § 62 Rn. 66; Grigoleit/Rachlitz in Grigoleit, AktG, 2013, § 62 Rn. 5; Koch in Hüffer/Koch, AktG (Fn. 2), § 62 Rn. 13.

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Abs. 1 Satz 2 AktG privilegiert, wenn er zwar im Ergebnis irrig, aber schuldlos von der Wirksamkeit des gefassten Gewinnverwendungsbeschlusses und von der Wirksamkeit des Jahresabschlusses ausgeht.31 aa) Hinsichtlich des Sorgfaltsmaßstabes ist die Kommentarliteratur teilweise sehr streng. Nach manchen Autoren soll Bösgläubigkeit bereits dann zu bejahen sein, wenn die Aktionäre von einer Klage gegen den Gewinnverwendungsbeschluss und/oder den Jahresabschluss wissen.32 Hat die Klage später Erfolg und wird der Ausschüttung damit die Grundlage entzogen, wäre hiernach die bezogene Dividende stets zurückzuzahlen. Andere formulieren immerhin etwas zurückhaltender und meinen, an der Gutgläubigkeit fehle es (nur), wenn der Aktionär begründeten Anlass habe, an der Ordnungsmäßigkeit des Jahresabschlusses oder des Gewinnverwendungsbeschlusses zu zweifeln.33 Sei der Gewinnverwendungsbeschluss angefochten oder der Jahresabschluss gerichtlich angezweifelt, fehle es „entsprechend § 122 BGB dann an der Gutgläubigkeit, wenn der Aktionär unter Berücksichtigung der bei ihm vorauszusetzenden Kenntnismöglichkeiten von der Anfechtung und von der Berechtigung der Gründe, auf die sie gestützt ist, hätte wissen müssen.“34 Ferner soll zwischen Groß- und Kleinaktionären zu differenzieren sein. Für erfahrene Großaktionäre seien die Sorgfaltsanforderungen höher als für nichtinstitutionelle Kleinanleger.35 bb) Richtigerweise kann eine Bösgläubigkeit der Aktionäre nicht allein aus der Kenntnis eines anhängigen Rechtsstreits über die Wirksamkeit des Jahresabschlusses abgeleitet werden. Mängel, die nach § 256 AktG zur Nichtigkeit des Jahresabschlusses und damit nach § 253 Abs. 1 Satz 1 AktG auch des Gewinnverwendungsbeschlusses führen, kann ein Aktionär regelmäßig nicht erkennen.36 Ebenso wenig kann ein Aktionär im Regelfall die Berechtigung von geltend gemachten Einwendungen gegen den Jahresabschluss beurteilen. Die skizzierte Meinung, die bei Kenntnis von einem Rechtsstreit über den Jahresabschluss stets Bösgläubigkeit annehmen möchte, würde dazu führen, dass in Fällen (wie dem Beispielsfall), in denen ein Jahresabschluss von einem Aktionär vor der   Bayer in MünchKomm-AktG (Fn. 30), § 62 Rn. 66.   So namentlich Bayer in MünchKomm-AktG (Fn. 30), § 62 Rn. 74 im Anschluss an Henze in Großkomm-AktG, § 62 Rn. 79 a.E.; ebenso Fleischer in K. Schmidt/Lutter, AktG (Fn. 12), § 62 Rn. 24; Lutter in FS Helmrich, 1994, S. 685, 695; Koch in Hüffer/Koch, AktG (Fn. 2), § 62 Rn. 13 (unter Hinweis auf den „Rechtsgedanken des § 142 Abs. 2 BGB“). 33   Cahn in Spindler/Stilz, AktG (Fn. 7), § 62 Rn. 27 (Hervorhebung nicht im Original); ebenso Laubert in Hölters, AktG, 3. Aufl. 2017, § 62 Rn. 14. 34   Cahn in Spindler/Stilz, AktG (Fn. 7), § 62 Rn. 27 (Hervorhebung nicht im Original). 35  Vgl. Bayer in MünchKomm-AktG (Fn. 30), § 62 Rn. 74; Fleischer in K. Schmidt/ Lutter, AktG (Fn. 12), § 62 Rn. 24; Koch in Hüffer/Koch, AktG (Fn. 2), § 62 Rn. 13; Cahn in Spindler/Stilz, AktG (Fn. 7), § 62 Rn. 27. 36  Zutr. Cahn in Spindler/Stilz, AktG (Fn. 7), § 62 Rn. 25. 31 32

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Hauptversammlung gerichtlich angegriffen und auf der Hauptversammlung durch Gegenanträge streitig erörtert wird, alle Aktionäre in Ansehung ihres Dividendenrechts bösgläubig wären. Das widerspricht dem Zweck des § 62 AktG. Die Vorschrift will durch die Privilegierung des gutgläubigen Dividendenbezugs die Attraktivität der Aktie als Anlageform sichern.37 Da bösgläubige Aktionäre sich gegenüber dem Rückgewähranspruch gem. § 62 AktG nicht einmal auf Entreicherung berufen könnten, ist die Verwendung von Dividenden bei Bösgläubigkeit mit erheblichen Risiken verbunden. Eine kleinliche und zu strenge Auslegung des Merkmals der Bösgläubigkeit würde die Attraktivität der Aktie als Anlageform erheblich gefährden und erpresserischen Aktionären ein weiteres Betätigungsfeld eröffnen. Anhaltspunkte dafür, wann Aktionäre bei einem geprüften Jahresabschluss von dessen Wirksamkeit ausgehen dürfen, können § 14 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 Satz 5 KStG entnommen werden. Danach gilt im Rahmen einer körperschaftsteuerlichen Organschaft für die Frage, ob der Gewinnabführungsvertrag richtig durchgeführt und der „richtige“ Gewinn abgeführt worden ist, die Fiktion der Nichterkennbarkeit eines Bilanzierungsfehlers, wenn der Abschluss vom Abschlussprüfer uneingeschränkt testiert worden ist (§ 322 Abs. 3 HGB). Die dahinterstehende, richtige Erwägung ist, dass der Kaufmann in Fragen der Bilanzierung nicht schlauer sein muss als der sachverständige Abschlussprüfer. Dieser Gedanke ist auch im vorliegenden Zusammenhang überzeugend. Stellt der Abschlussprüfer Mängel der Rechnungslegung fest, die möglicherweise zur Nichtigkeit des Jahresabschlusses führen, so darf er richtigerweise jedenfalls keinen uneingeschränkten Bestätigungsvermerk erteilen38 (ob der Bestätigungsvermerk in solchen Fällen ganz zu versagen ist oder ob eine Einschränkung zulässig ist, ist umstritten).39 Für die Aktionäre bedeutet das, dass jedenfalls dann, wenn zu dem streitigen Jahresabschluss ein uneingeschränkter Bestätigungsvermerk des Abschlussprüfers gem. § 322 Abs. 3 HGB vorliegt, sie die Dividende in gutem Glauben beziehen. Denn Fahrlässigkeit setzt mindestens Erkennbarkeit der Pflichtwidrigkeit voraus. Wenn aber selbst der sachverständige Abschlussprüfer keine Nichtigkeit des Jahresabschlusses erkannt hat, so ist die behauptete Nichtigkeit des Abschlusses für die Aktionäre erst recht nicht erkennbar. c) Wird die Nichtigkeit des Jahresabschlusses nach Maßgabe des § 256 Abs. 6 AktG geheilt, so heilt dies gem. § 253 Abs. 1 Satz 2 AktG auch den Mangel des Gewinnverwendungsbeschlusses. Die Heilung wirkt nach ganz   Cahn in Spindler/Stilz, AktG (Fn. 7), § 62 Rn. 25.  Zutr. T. Bezzenberger in Großkomm-AktG (Fn. 13), § 256 Rn. 217; Koch in Hüffer/ Koch, AktG (Fn. 2), § 256 Rn. 32; Kropff in FS Havermann, 1995, S. 321, 336 ff.; IDW, WPH Edition (Fn. 13), Abschn. B Rn. 342. 39   S. Vornote. 37 38

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h.M. zurück (ex tunc).40 Das bedeutet, die bezogene Dividende ist zu Recht bezogen. § 62 AktG ist nicht mehr einschlägig. 2.  Rechtsfolgen bei Neufeststellung des Jahresabschlusses Wird der nichtige Jahresabschluss neu erstellt, besteht, wie dargelegt, keine Bindung an die Wertansätze oder Rücklagenbewegungen des nichtigen Abschlusses. Der Bilanzgewinn des neuen Jahresabschlusses kann mithin von dem des nichtigen Abschlusses abweichen, also niedriger oder höher sein. Fraglich ist, wie sich eine erneute Feststellung des Jahresabschlusses auf den ursprünglichen Gewinnverwendungsbeschluss und die auf dessen Grundlage bezogene Dividende auswirkt: a) Nach allgemeinen Regeln entfalten Rechtsgeschäfte ihre Rechtswirkungen grundsätzlich erst mit ihrem Wirksamwerden (vgl. § 130 BGB). Für das Rechtsgeschäft „Feststellung des Jahresabschlusses“ bedeutet dies, dass auch dessen Rechtswirkungen erst mit der wirksamen Beschlussfassung der zuständigen Organe über die Feststellung eintreten. Ist die (erste) Feststellung gem. § 256 AktG nichtig, ist einstweilen kein rechtswirksamer Jahresabschluss vorhanden. Wird der Abschluss neu und nunmehr wirksam festgestellt, so wird dadurch erstmals ein wirksamer Jahresabschluss geschaffen. Diese erneute (zweite) Feststellung des Jahresabschlusses (Neuvornahme) entfaltet nach h.M. keine Rückwirkung.41 Folgt man dem, bedeutet dies für den früheren Gewinnverwendungsbeschluss, der auf der Grundlage des nichtigen Jahresabschlusses gefasst worden ist, dass dieser gem. § 253 Abs. 1 Satz 1 AktG weiterhin nichtig ist und daher ebenfalls neu gefasst werden muss.42 Bei der erneuten Beschlussfassung über die Gewinnverwendung besteht rechtlich ebenfalls keine Bindung an den ersten Beschluss, vielmehr ist es Sache der Hauptversammlung zu entscheiden, ob sie den nichtigen Beschluss inhaltlich wiederholen oder den Bilanzgewinn anders verwenden will.43

40   T. Bezzenberger in Großkomm-AktG (Fn. 13), § 256 Rn. 267; Koch in MünchKommAktG, 4. Aufl. 2016, § 256 Rn. 64; Heidel Aktienrecht und Kapitalmarktrecht, 4. Aufl. 2014, § 256 AktG Rn. 39; Hennrichs ZHR 164 (2004), 383, 389; Kowalski AG 1993, 502, 505; Rölike in Spindler/Stilz, AktG (Fn. 7), § 256 Rn. 74; E. Vetter in Henssler/Strohn, Gesellschaftsrecht (Fn. 12), § 256 AktG Rn. 27; a.A. (Heilung wirke nur ex nunc) Hense WPg 1993, 716, 720 Fn. 29. 41   T. Bezzenberger in Großkomm-AktG (Fn. 13), § 256 Rn. 260 m.w.N. 42  So explizit Koch in MünchKom-AktG (Fn. 43), § 256 Rn. 84; ebenso Drescher in Henssler/Strohn, § 253 AktG Rn. 5; Kropff in FS Budde, 1995, S. 341, 353. 43   Hennrichs/Pöschke in MünchKomm-AktG (Fn. 1), § 174 Rn. 58; Adler/Düring/ Schmaltz Rechnungslegung und Prüfung der Unternehmen, 6. Aufl. 2000, § 172 AktG Rn. 37.

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Entsprechend den allgemeinen Grundsätzen über Rechtsgeschäfte wirkt auch der neue Gewinnverwendungsbeschluss wiederum nur ex nunc, also nicht zurück.44 Der neue Gewinnverwendungsbeschluss würde danach also konstruktiv neue Gewinnauszahlungsansprüche der Aktionäre begründen, und zwar derjenigen Aktionäre, die zum Zeitpunkt der aktuellen Beschlussfassung über die Gewinnverwendung Aktionäre sind (was nicht notwendig dieselben Aktionäre sein müssen, die zum Zeitpunkt des ersten Gewinnverwendungsbeschlusses Aktionäre waren). b) Die bisherigen Überlegungen knüpfen an die allgemeinen Grundsätze der Rechtsgeschäftslehre an und wenden diese auf das Rechtsgeschäft der Feststellung des Jahresabschlusses an. Allerdings weist die Feststellung des Jahresabschlusses als „korporationsrechtliches [...] Rechtsgeschäft eigener Art“45 gegenüber den üblichen BGB-Rechtsgeschäften doch einige Besonderheiten auf. Namentlich die normative Verknüpfung von Jahresabschluss und Gewinnverwendung (§ 174 Abs. 1 Satz 1, § 253 Abs. 1 AktG) bewirkt, dass eine uneingeschränkte Anwendung der allgemeinen Grundsätze der Rechtsgeschäftslehre gesellschaftsrechtlich zu beträchtlichen Folgeproblemen führen würde: Wenn nämlich nach Neuvornahme der Feststellung des Jahresausschlusses über den Bilanzgewinn ein neuer Gewinnverwendungsbeschluss gefasst werden muss und dieser neue Dividendenauszahlungsansprüche der Aktionäre begründet, dann fragt es sich, wie sich diese neuen Ansprüche auf Dividende eigentlich zu den bereits ausgezahlten ersten Dividenden verhalten. Sollen etwa die Alt-Aktionäre, also die Aktionäre, die bereits bei der ersten Ausschüttung bedient worden sind, nunmehr nochmals eine zweite Dividende erhalten? Wie ist es mit den Neu-Aktionären, die bei der ersten Ausschüttung noch nicht Aktionäre waren und daher an der ersten Ausschüttung nicht partizipiert haben? aa) Bezogen auf die Alt-Aktionäre ist die Rechtslage immerhin für den Fall klar, dass diese beim Bezug der Erst-Dividende i.S. des § 62 Abs. 1 Satz 2 AktG bösgläubig waren. Denn dann sind sie gem. § 62 AktG zur Rückzahlung der empfangenen (Erst-)Dividende verpflichtet. Mit diesem Anspruch kann die Gesellschaft gegenüber den Aktionären, die aufgrund des neuen Gewinnverwendungsbeschlusses eine zweite Dividende verlangen, gem. §§ 387, 389 BGB aufrechnen (im Folgenden: Aufrechnungslösung). Waren die Aktionäre beim Bezug der Erst-Dividende demgegenüber gutgläubig (oder kann die insoweit beweisbelastete Gesellschaft46 die Bösgläubigkeit der Aktionäre nicht darlegen und beweisen), dann besteht keine Gegenforderung der Gesellschaft, mit der sie gegen die Forderung auf Zweit  Hennrichs/Pöschke in MünchKomm-AktG (Fn. 1), § 174 Rn. 58.   BGHZ 124, 111, 116 (Hervorhebung nicht im Original). 46   Statt aller Grigoleit/Rachlitz in Grigoleit, AktG, 2013, § 62 Rn. 5 m.w.N. 44 45

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Dividende aufrechnen könnte. Mangels Aufrechnungslage kommt in diesem Fall eine Aufrechnung nicht in Betracht. Auch gegenüber den Neu-Aktionären, also solchen Aktionären, die zur Zeit der ersten Ausschüttung noch nicht Aktionäre waren und die daher die erste Dividende nicht empfangen haben, kommt eine Aufrechnung nach allgemeinen Regeln vielfach nicht in Betracht. Zwar tritt ein Gesamtrechtsnachfolger des Alt-Aktionärs auch in die Pflichtenstellung gem. § 62 AktG ein; bei Bösgläubigkeit des Rechtsvorgängers könnte die Gesellschaft daher auch gegenüber dem Gesamtrechtsnachfolger aufrechnen. Für einen Einzelrechtsnachfolger gilt das dagegen nicht.47 Haben die Neu-Aktionäre ihre Aktien also im Wege der Einzelrechtsnachfolge (beispielsweise über die Börse) erworben, scheidet eine Aufrechnung der Gesellschaft gegen die Dividendenforderung gem. §§ 387, 389 BGB aus, weil der Rückzahlungsanspruch gem. § 62 AktG sich nur gegen die empfangenden (alten) Aktionäre richtet. Hiernach könnten also jedenfalls Einzelrechtsnachfolger der Altaktionäre aufgrund des neu zu fassenden Gewinnverwendungsbeschlusses ihre Dividende beanspruchen. bb) Die vorstehend skizzierte Aufrechnungslösung entspricht zwar den allgemeinen bürgerlich-rechtlichen Grundsätzen, führt aber dazu, dass die Gesellschaft eine Rückholung der ersten Dividendenzahlungen selbst dann versuchen müsste, wenn der neu festgestellte Jahresabschluss wieder einen Bilanzgewinn ergibt, obwohl in diesen Fällen materiell hinsichtlich des Ausschüttungsvolumens gar keine Änderung gegenüber dem ursprünglichen Jahresabschluss zu verzeichnen ist. Die Rückforderung von Dividende wäre für eine börsennotierte AG aber mit ganz erheblichen Belastungen und einem Rufschaden verbunden. Das mag aus Gründen des Kapital- und Gläubigerschutzes hinzunehmen sein, soweit auf der Grundlage des nichtigen Jahresabschlusses tatsächlich zu viel ausgeschüttet worden ist, sich bei der erneuten Feststellung des Jahresabschlusses also ein niedrigerer Bilanzgewinn als ursprünglich ergibt. Wenn aber die Ausschüttung der Höhe nach letztlich in Ordnung ging und sich der Bilanzierungsfehler auf die Höhe des Bilanzgewinns im Ergebnis gar nicht ausgewirkt hat, wäre ein Beharren auf der konstruktiven Rückabwicklungslösung eine unverhältnismäßige Belastung für die Gesellschaft und die Aktionäre. In der Literatur wird, soweit das Problem überhaupt erörtert wird, für solche Fälle vorgeschlagen, die bereits bezahlte Erst-Dividende auf den zweiten Dividendenanspruch „anzurechnen“ (im Folgenden: Anrechnungslösung).48 Die Forderung eines Aktionärs nach doppelter Dividende sei rechtsmiss-

  Grigoleit/Rachlitz in Grigoleit, AktG, 2013, § 62 Rn. 3.  Vgl. Zöllner in FS Scherrer, 2004, S. 355, 375 f. (Hervorhebung nicht im Original); ebenso im Ergebnis (aber ohne Begründung) Kowalski AG 1993, 502, 507. 47 48

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bräuchlich (§ 242 BGB),49 weil er auf seine Aktien die Dividende eben schon erhalten habe. Die Neufeststellung des Jahresabschlusses nebst neuer Beschlussfassung über die Gewinnverwendung führe bei der Gesellschaft nicht zu einer „wundersame[n] Geldvermehrung“,50 sondern der fragliche Gewinn sei eben schon verteilt worden. Diese „Anrechnung“ habe selbst dann zu erfolgen, wenn eine Aufrechnung gem. §§ 387, 389 BGB mangels Aufrechnungslage nicht möglich sei. Auch die Aktionäre, die die erste Dividende gutgläubig empfangen haben, könnten hiernach keine zweite Dividende mehr verlangen, ebenso wenig Neu-Aktionäre, die bei der ersten Auszahlung nichts bezogen haben. Geboten sei eine „Betrachtung auf die zum Bezug berechtigende Aktie“.51 Alle Aktionäre müssten sich „die auf ihre Aktien (!) als Gewinn erfolgten Zahlungen entgegenhalten lassen, gleichgültig ob diese Zahlungen von ihnen selbst oder von ihrem Rechtsvorgänger entgegengenommen worden sind“.52 Dadurch geschehe den Neu-Aktionären kein Unrecht, denn sie „konnten und mussten damit rechnen, dass Gewinn bereits ausgezahlt worden ist“,53 weshalb die bereits gezahlte Dividende bei der Preisbildung für die Aktie bereits berücksichtigt sei.54 Andere kommen zum gleichen Ergebnis, indem sie Rechtsgedanken der sog. Saldotheorie des Bereicherungsrechts anwenden wollen. Hiernach sei eine Saldierung aus „Billigkeitserwägungen“ vorzunehmen.55 Einem geltend gemachten Anspruch auf erneute Dividende könne „die Gesellschaft entgegenhalten, dass bereits – zwar rechtsgrundlos – erfüllt wurde (?) und der Rückforderungsanspruch entgegensteht, der lediglich mangels Bösgläubigkeit nicht durchsetzbar ist (?)“.56 Die zuletzt zitierte Formulierung macht freilich das Dilemma dieser Auffassung deutlich: Dass „bereits – zwar rechtsgrundlos – erfüllt“ worden sei, ist zivilrechtsdogmatisch angreifbar. Denn wenn der Rechtsgrund für die erste Dividendenauszahlung fehlt (weil der erste Gewinnverwendungsbeschluss nichtig ist), besteht gar keine erste Forderung auf Dividendenauszahlung, die erfüllt werden könnte; erfüllt werden kann nur die Leistungs49   S. auch J.-H. Weilep Die Nichtigkeit des Jahresabschlusses – Eine umfassende Analyse: Tatbestandsvoraussetzungen und Rechtsfolgen sowie straf- und zivilrechtliche Konsequenzen für Vorstand, Aufsichtsrat und Abschlussprüfer, 2011, S. 275; ferner V. Weilep/ J.-H. Weilep BB 2006, 147, 151 bei Fn. 44. 50   Zöllner in FS Scherrer, 2004, S. 355, 376. 51   J.-H. Weilep Die Nichtigkeit des Jahresabschlusses (Fn. 54), S. 278 (Hervorhebung nicht im Original). 52   Zöllner in FS Scherrer, 2004, S. 355, 376. 53   Zöllner in FS Scherrer, 2004, S. 355, 376. 54   J.-H. Weilep Die Nichtigkeit des Jahresabschlusses (Fn. 54), S. 278. 55   J.-H. Weilep Die Nichtigkeit des Jahresabschlusses (Fn. 54), S. 277 f. (Hervorhebung nicht im Original). 56   J.-H. Weilep Die Nichtigkeit des Jahresabschlusses (Fn. 54), S. 278 (Klammerzusätze nicht im Original).

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pflicht aus einem Schuldverhältnis (§ 362 BGB), an dem es mangelt, wenn das Rechtsgeschäft, aus dem die Auszahlungsforderung entstehen soll, nichtig ist. Und auch die Wendung, der Rückforderungsanspruch der Gesellschaft sei „lediglich (?) mangels Bösgläubigkeit nicht durchsetzbar“, ist ganz fraglich, denn immerhin beruht der Schutz des gutgläubigen Dividendenbezugs auf der besonderen aktienrechtlichen Vorschrift des § 62 Abs. 1 Satz 2 AktG. cc) Der skizzierten Auffassung, die eine Anrechnung der ersten Dividende auf den neuen Gewinnverwendungsbeschluss befürwortet (oben bb), ist zugute zu halten, dass sie sich um praktikable Lösungen für ein Problem bemüht, das im Gesetz jedenfalls nicht ausdrücklich geregelt ist. Die Anrechnungslösung steht allerdings zivilrechtsdogmatisch in einem Spannungsverhältnis zu allgemeinen Grund­sätzen des Aufrechnungsrechts und zur Wertung des § 62 Abs. 1 Satz 2 AktG. Denn die Anrechnung der Erst-Dividende gegenüber den Aktionären soll gerade auch dann erfolgen, wenn an sich gar keine Aufrechnungslage gegeben ist, und sie soll auch gegenüber gutgläubigen Dividendenempfängern wirken, obwohl § 62 Abs. 1 Satz 2 AktG den gutgläubigen Aktionär hinsichtlich der empfangenen Dividende eigentlich privilegieren will. Zudem ist nach diesen Ansichten stets ein neuer Gewinnverwendungsbeschluss erforderlich, selbst wenn der neu festgestellte Jahresabschluss denselben Bilanzgewinn ausweist wie der nichtige Abschluss. Auf dem Boden dieser Auffassung wäre dann konsequent wohl auch eine abweichende zweite Gewinnverwendungsentscheidung möglich, d.h. selbst bei Ausweis desselben Bilanzgewinns im neu festgestellten Jahresabschluss könnte die Hauptversammlung eine von der früheren Beschlussfassung abweichende Gewinnverwendung beschließen. Dies wiederum würde Folgeprobleme hinsichtlich der Erst-Dividende auslösen. Diese Einwände vermeidet eine andere Ansicht, die in den hier fraglichen Fällen die Heilungsvorschrift des § 253 Abs. 1 Satz 2 AktG analog anwenden will (im Folgenden: Heilungslösung). Wenn der neu festgestellte Jahresabschluss die alte Ausschüttung deckt, weil er denselben Bilanzgewinn ausweist wie der alte oder jedenfalls einen ausreichenden Bilanzgewinn, dann werde durch die Neufeststellung des Jahresabschlusses der alte (!) Gewinnausschüttungsbeschluss analog § 253 Abs. 1 Satz 2 AktG geheilt.57 Bezzenberger begründet die Analogie mit einem Erst-Recht-Schluss: „Was [...] für die passive Heilung durch bloßen Zeitverlauf bestimmt ist, muss für die aktive und tugendhaftere Neuvornahme des Jahresabschlusses erst Recht gelten, wenn und soweit auch der neue Abschluss die Ausschüttung hergibt.“58 57  So T. Bezzenberger in Großkomm-AktG (Fn. 13), § 256 Rn. 262; zust. Hennrichs/ Pöschke in MünchKomm-AktG (Fn. 1), § 174 Rn. 59; IDW, WPH Edition (Fn. 13), Abschn. B Rn. 139. 58   T. Bezzenberger in Großkomm-AktG (Fn. 13), § 256 Rn. 262; Bezzenberger a.a.O., Rn. 261, stützt seine Auffassung außerdem auf eine „[entsprechende] Anwendung der

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Diese Auffassung unterscheidet sich von der Anrechnungslösung (oben bb) dadurch, dass nach Bezzenberger der alte (!) Gewinnverwendungsbeschluss insoweit Bestand hat, als die Neufeststellung des Jahresabschlusses die erste Ausschüttung deckt. Damit erübrigt sich ein neuer Gewinnverwendungsbeschluss – genauer: ein neuer Gewinnverwendungsbeschluss wäre insoweit gar nicht mehr zulässig, würde er erneut gefasst, wäre das nur eine deklaratorische Wiederholung der alten Rechtsfolge59 – und mit ihm erübrigt sich dann auch die Folgeproblematik doppelter Ausschüttungen. Denn da es bei diesem Verständnis keinen neuen Gewinnverwendungsbeschluss gibt, sondern der alte geheilt wird, entstehen auch keine neuen Dividendenauszahlungsansprüche, sondern den alten Auszahlungen wird nachträglich der Rechtsgrund gegeben.60 Damit erübrigt sich eine Anrechnung der alten Zahlungen auf neue Auszahlungsansprüche. Die Ansicht von Bezzenberger kann damit zwanglos die auch von Zöllner u.a. für sachgerecht gehaltene Rechtsfolge begründen, vermeidet aber die Schwächen der Konstruktion von doppelten Dividendenansprüchen nebst der Notwendigkeit von Anrechnungslösungen, wo gesetzlich keine Aufrechnungslage gegeben ist. dd) Die Auffassung von Bezzenberger verdient Zustimmung.61 Der ErstRecht-Schluss zu § 253 Abs. 1 Satz 2 AktG ist überzeugend. In der Tat würde es nicht einleuchten, dem bloßen Nichtstun (Abwarten der Heilung) die Folge einer rückwirkenden Heilung der Nichtigkeit beizumessen (§§ 256 Abs. 6, 253 Abs. 1 Satz 2 AktG), der aktiven Fehlerkorrektur dagegen nicht. Vernünftigerweise sollten die Rechtsfolgen in beiden Fällen nicht unterschiedlich sein. Ergänzend mag folgende Überlegung angeführt werden: Rechtsgeschäfte erlangen zwar ihre gewollten Rechtswirkungen erst mit dem WirksamwerRegeln über die fehlerfreie Bestätigung anfechtbarer Hauptversammlungsbeschlüsse [...] (§ 244 [AktG])“, wonach die Bestätigung den ursprünglichen Beschluss heilt, der dadurch endgültig wirksam wird (s. BGHZ 157, 206 sowie LG Frankfurt a.M. NZG 2014, 142; Schilha/U. Wolf NZG 2014, 337, 338; Ehmann in Grigoleit, AktG, 2013, § 244 Rn. 5 f. m.w.N.). Diese zusätzliche Argumentation von Bezzenberger ist freilich angreifbar, weil § 244 AktG nur für anfechtbare Beschlüsse der Hauptversammlung gilt, nicht für nichtige Beschlüsse (Ehmann, ebda., Rn. 2). Auf die erneute Feststellung eines nichtigen Jahresabschlusses passt das eher nicht. Für die Bestätigung nichtiger Beschlüsse gelten vielmehr die allgemeinen Grundsätze des § 141 BGB (so Habersack/Schürnbrand in FS Hadding, 2004, S. 391, 393 f., 406 ff.). 59   T. Bezzenberger in Großkomm-AktG (Fn. 13), § 256 Rn. 262 meint, aus praktischer Sicht empfehle sich, „dass die Hauptversammlung vorsorglich einen erneuten Gewinnverwendungsbeschluss für das betreffende Geschäftsjahr fasst“; dabei könne auf den ursprünglichen Beschluss Bezug genommen werden. Das wäre von seinem eigenen dogmatischen Ausgangspunkt aus aber lediglich eine deklaratorische Bestätigung ohne neue Rechtsfolgen. 60   So i.E. auch J.-H. Weilep Die Nichtigkeit des Jahresabschlusses (Fn. 54), S. 278. 61  Ebenso Hennrichs/Pöschke in MünchKomm-AktG (Fn. 1), § 174 Rn. 59; IDW, WPH Edition (Fn. 13), Abschn. B Rn. 139.

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den des Rechtsgeschäfts. Für das Rechtsgeschäft der Feststellung des Jahresabschlusses bedeutet das, dass die gewollten Rechtsfolgen der Feststellung des Abschlusses vor der wirksamen Feststellung nicht eintreten. Von dem Wirksamwerden des Rechtsgeschäfts zu unterscheiden ist aber die gewollte Rechtsfolge, d.h. der Inhalt des Rechtsgeschäfts. Die Rechtsfolge des Rechtsgeschäfts kann im Rahmen der Privatautonomie durchaus zurückbezogen gewollt sein (s. auch § 141 Abs. 2 BGB).62 Anders formuliert: Es ist zivilrechtlich als Ausdruck der Privatautonomie grundsätzlich zulässig, Rechtsgeschäfte mit Rückwirkungsfolgen zu vereinbaren.63 Auf den vorliegenden Zusammenhang des Rechtsgeschäfts der (erneuten) Feststellung des Jahresabschlusses bezogen bedeutet das: die erneute Feststellung eines nichtigen Jahresabschlusses könnte mit der Maßgabe beschlossen werden, dass die Rechtsfolgen für die bereits vollzogene Gewinnausschüttung rückbeziehend auf den Zeitpunkt der ersten Feststellung gewollt sind. Die zweite Feststellung würde, so verstanden, dem seinerzeitigen ersten Gewinnverwendungsbeschluss rückwirkend den erforderlichen Rechtsgrund geben. Folgt man dem, so kann eine Rückabwicklung der ersten Ausschüttung vermieden werden, wenn und soweit bei der erneuten Feststellung des Jahresabschlusses wieder ein ausreichender Bilanzgewinn dargestellt wird. Hierzu können Vorstand und Aufsichtsrat ggf. auch freie Rücklagen auflösen.64

IV.  Zusammenfassung in Thesen Ein nichtiger Jahresabschluss ist neu auf- und festzustellen, wenn die Nichtigkeit des Jahresabschlusses gerichtlich festgestellt wird oder eine Heilung aus anderen Gründen nicht möglich ist oder nicht abgewartet werden soll. Bei der erneuten Feststellung ist der Abschluss in jeder Hinsicht wieder offen. Insbes. können verfügbare Rücklagen zusätzlich aufgelöst werden, 62   In § 141 Abs. 2 BGB wird die Zulässigkeit einer schuldrechtlichen Rückbeziehung der Rechtsfolgen als zulässig vorausgesetzt und in den Fällen der Bestätigung eines nichtigen Rechtsgeschäfts als grundsätzlich dem Parteiwillen entsprechend unterstellt (vgl. Ellenberger in Palandt, BGB, 77. Aufl. 2018, § 141 Rn. 8). Allerdings ist dies nur eine schuldrechtliche Rückbeziehung der Rechtsfolgen und (anders als bei § 244 AktG) keine echte Rückwirkung i.S. einer Wirksamkeit des ursprünglichen (bestätigten) Rechtsgeschäfts (s. Busche in MünchKomm-BGB (Fn. 46), § 141 Rn. 16 f.). 63   Vgl. auch BAG v. 17.8.2010 – 9 AZR 401/09 = BAGE 135, 222 (Tz. 19). Die Vereinbarung von rückwirkenden Rechtsfolgen ist außerdem z.B. im Rahmen von Unternehmens- oder Anteilskaufverträgen mit Stichtagen für den wirtschaftlichen Übergang in der Vergangenheit durchaus geläufig (vereinbarte schuldrechtliche Rückwirkung), vgl. z.B. den Fall FG Berlin-Brandenburg v. 11.12.2013 – 12 K 12136/12 = BB 2014, 1458; dazu auch Haarmann Freundesgabe für Franz Josef Haas, 1996, S. 163 ff. 64   Hennrichs/Pöschke in MünchKomm-AktG (Fn. 1), § 174 Rn. 59; IDW, WPH Edition (Fn. 13), Abschn. B Rn. 139.

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um einen ausreichenden Bilanzgewinn zu dotieren. Der Bilanzgewinn ist im neuen Abschluss nach wie vor als unverwendet auszuweisen, auch wenn tatsächlich auf der Grundlage des nichtigen Abschlusses eine Gewinnausschüttung stattgefunden hat. Welche Auswirkungen die Nichtigkeit des Jahresabschlusses auf Folgeabschlüsse hat, ist umstritten. Nach zutreffender Ansicht führt eine Durchbrechung des Grundsatzes der Bilanzkontinuität weder zur Nichtigkeit noch zur schwebenden Unwirksamkeit der Folgeabschlüsse. Etwaige Nichtigkeitsfolgen des ursprünglichen Abschlusses (z.B. Rückforderungs- oder Schadensersatzansprüche der Gesellschaft gem. §§ 62, 93 Abs. 2, Abs. 3 Nr. 2 AktG) sind vielmehr im letzten noch offenen Jahresabschluss (ertragswirksam) zu erfassen. Bei Nichtigkeit des Jahresabschlusses ist gem. § 253 Abs. 1 Satz 1 AktG auch der Beschluss über die Gewinnverwendung nichtig und entsteht kein Dividendenanspruch der Aktionäre. Dennoch ausgezahlte Dividenden sind nach Maßgabe des § 62 AktG grundsätzlich zurückzuzahlen. Gem. § 62 Abs. 1 Satz 2 AktG ist der gutgläubige Dividendenbezug allerdings privilegiert. Bösgläubigkeit der Aktionäre kann richtigerweise nicht allein aus der Kenntnis eines anhängigen Rechtsstreits über die Wirksamkeit des Jahresabschlusses abgeleitet werden. Hat der Abschlussprüfer den Abschluss uneingeschränkt testiert, dürfen die Aktionäre auf die Wirksamkeit des Jahresabschlusses vertrauen (Rechtsgedanke des § 14 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 Satz 5 KStG). Wird die Nichtigkeit des Jahresabschlusses gem. § 256 Abs. 6 AktG geheilt, heilt dies gem. § 253 Abs. 1 Satz 2 AktG auch die Nichtigkeit des Gewinnverwendungsbeschlusses. Die Ausschüttung erfolgt dann rückwirkend mit Rechtsgrund. Gleiches gilt in analoger Anwendung des § 253 Abs. 1 Satz 2 AktG, wenn der nichtige Abschluss fehlerfrei neu festgestellt wird und einen ausreichenden Bilanzgewinn ausweist. Was § 253 Abs. 1 Satz 2 AktG für den Fall der passiven Untätigkeit (Abwarten des Ablaufs der Heilungsfrist gem. § 256 Abs. 6 AktG) anordnet, muss erst recht gelten, wenn die Gesellschaft aktiv und rechtmäßig den Abschluss neu feststellt. Soweit in dem neu festgestellten Jahresabschluss wiederrum ein Bilanzgewinn ausgewiesen wird, der ausreicht, um die ursprüngliche Dividende zu decken, erfolgt die Ausschüttung hiernach rückwirkend mit Rechtsgrund und kann nicht zurückgefordert werden. Nur soweit der Bilanzgewinn des neu festgestellten Jahresabschlusses niedriger ist als in dem nichtigen Abschluss, ist die unberechtigt ausgeschüttete Differenz nach Maßgabe der §§ 62, 93 Abs. 2, Abs. 3 Nr. 2 AktG zu beurteilen. Danach kann eine Rückabwicklung der ersten Ausschüttung vermieden werden, wenn und soweit bei der erneuten Feststellung des Jahresabschlusses ein ausreichender Bilanzgewinn dargestellt wird. Hierzu können Vorstand und Aufsichtsrat ggf. auch freie Rücklagen auflösen.

Unternehmensgegenstände von Personengesellschaften

Gemischte Unternehmensgegenstände von Personengesellschaften Martin Henssler I. Einführung Im Gegensatz zum Recht der Kapitalgesellschaften ist das deutsche Recht der Personengesellschaften bis heute von der Trennung zwischen gewerblichen und freiberuflichen Unternehmen geprägt. Während die Handelsgesellschaften der OHG und KG grundsätzlich nur gewerblichen Unternehmen offenstehen, darf umgekehrt die Rechtsform der PartG nur von Angehörigen der Freien Berufe für ihre gemeinschaftliche Berufsausübung gewählt werden. Zwar gibt es sehr gute Gründe, den Angehörigen der Freien Berufe aufgrund ihrer hervorgehobenen Stellung und Bedeutung im Sozialgefüge1 eine rechtliche Sonderstellung zu gewähren und ihnen zugleich durch das jeweilige Berufsrecht besondere Pflichten aufzuerlegen. Im Gesellschaftsrecht ist dagegen die dort nur historisch erklärbare Trennung zwischen gewerblichen und freiberuflichen Unternehmen seit langem überholt. Die Zuordnung zu einem dieser Unternehmensgegenstände rechtfertigt weder eine Privilegierung noch eine Belastung des Unternehmens. Schaut man auf die Entwicklung im Kapitalgesellschaftsrecht, so ist die Notwendigkeit einer Angleichung im Recht der Personengesellschaften geradezu evident: Gibt es nämlich bei den Kapitalgesellschaften keinen Anlass für eine Trennung zwischen gewerblicher und freiberuflicher Ausrichtung, so muss erst recht bei den personalistisch strukturierten Personengesellschaften jede Unterscheidung nach dem gewerblichen oder freiberuflichen Unternehmenszweck aufgegeben werden. Denn wenn überhaupt, dann könnte die Freiberuflichkeit allenfalls die kapitalgesellschaftsrechtliche Haftungsprivilegierung in Frage stellen, wie dies ja auch bis in die erste Hälfte der 1990er Jahre vertreten wurde. Für die damit ohnehin gebotene grundlegende Neuordnung des Rechts der Personengesellschaften spricht zusätzlich, dass die überholte Trennung in der Praxis aufgrund einer zunehmenden Tendenz zu gemischten Unternehmensgegenständen zu wachsender Rechtsunsicherheit führt. Bei vielen Freien Berufen lässt sich aktuell ein Trend beobachten, neben originär   BVerfGE 46, 224, 231.

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freiberuflichen Tätigkeiten auch solchen Aktivitäten nachzugehen, die typischerweise als gewerblich eingestuft werden. Beobachten lässt sich diese Entwicklung etwa bei den wirtschaftsnahen Beratungsberufen. So werden Rechtsanwälte zunehmend als Projektleiter eingeschaltet und übernehmen dabei Aufgaben, die keinen Bezug zur Rechtsberatung aufweisen. Als Beispiel sei auf eine Fallkonstellation verwiesen, bei der eine Anwaltsgesellschaft das Mandat übernimmt, im Rahmen einer Unternehmensübernahme oder einer Fusion weltweit die wettbewerbsrechtliche Zustimmung der Kartellbehörden einzuholen. Die von dem Mandanten eingeschaltete Rechtsanwaltsgesellschaft wird hier mit der Einholung der Zustimmung der ausländischen Behörden ausländische Kooperationspartner oder sonstige sachkundige Anwaltsgesellschaften als „Subunternehmer“ beauftragen, so dass ihre freiberufliche anwaltliche Tätigkeit in den Hintergrund tritt. Außerdem gibt es eine Vielzahl von Großprojekten, etwa im Bau- oder Investitionsbereich, bei der die Fähigkeit zur Projektsteuerung, nicht dagegen die Lösung von Rechtsproblemen gefragt ist. Weitere Beispiele bietet der wachsende Bereich des „legal tech“. Parallele Entwicklungen lassen sich auch bei Steuerberatern, Wirtschaftsprüfern oder Unternehmensberatern beobachten. Aus dem Blickwinkel der gewerblichen Dienstleister gibt es seit jeher keine Sachgründe, sich nicht auch solcher Tätigkeiten anzunehmen, die typischerweise als freiberuflich angesehen werden. Sie werden sich im Gegenteil über die konkrete Zuordnung ihres Dienstleistungsangebots zu einem dieser Unternehmensgegenstände kaum Gedanken machen. Der Bedarf nach einer gebietsübergreifenden hochqualifizierten Beratung durch Experten wächst insbesondere aufgrund der neuen Technologien kontinuierlich. Es entstehen ganz neue Berufsbilder, etwa in Form von IT-Experten2 oder Datenschutzbeauftragten,3 die je nach Tätigkeitsschwerpunkt gewerblich oder freiberuflich ausgerichtet sein können. Der zweite Senat des BGH, als dessen Vorsitzender Alfred Bergmann in den letzten Jahren gewirkt hat, hat sich wiederholt Verdienste dadurch erworben, dass er das Recht der Personengesellschaften im Allgemeinen und dasjenige der freiberuflichen Berufsausübungsgesellschaften im Besonderen mutig entwickelt und so im Rahmen des aufgrund seiner Gesetzesbindung Möglichen die Lethargie des Gesetzgebers zumindest teilweise kompensiert hat. Der Verfasser hofft daher auf das Interesse des Jubilars, dem der Beitrag in hohem Respekt für sein berufliches Wirken und persönlicher Verbundenheit gewidmet ist.

  Vgl. BayObLG NZG 2002, 719 – Softwareentwickler.   Dazu BFHE 202, 336, 338 ff. = DStRE 2003, 1159.

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II.  Rechtliche Ausgangslage Für all diejenigen Unternehmer, die in dem eingangs geschilderten Grenzbereich zwischen gewerblicher und freiberuflicher Ausrichtung tätig werden, stellt sich ein ganzes Bündel von Rechtsfragen aus unterschiedlichen Fachdisziplinen. Die dem angelsächsischen Rechtskreis unbekannte Grenzziehung zwischen Gewerbetreibenden und Freiberuflern hat zunächst steuerrechtliche Bedeutung, da die Angehörigen der Freien Berufe anders als Gewerbetreibende nicht der Gewerbesteuer unterliegen. Zum zweiten entfaltet die Differenzierung die hier im Vordergrund stehende gesellschaftsrechtliche Relevanz, da einerseits die Handelsgesellschaften der §§ 105 ff. HGB nur den gewerblichen Unternehmen zur Verfügung stehen, die PartG andererseits nur von den Angehörigen der Freien Berufe für die gemeinschaftliche Berufsausübung gewählt werden kann. Zum dritten ergeben sich auch berufsrechtliche Implikationen, da etwa Ärzte, Rechtsanwälte, Steuerberater und Wirtschaftsprüfer kraft berufsgesetzlicher Vorgaben als Angehörige eines Freien Berufs qualifiziert werden. Gewerbliche (Zweit-)Tätigkeiten sind ihnen teilweise, so etwa Steuerberatern und Wirtschaftsprüfern, verwehrt, wobei sich allgemein gewisse Auflösungstendenzen bei der strikten Durchsetzung des Trennungskonzeptes erkennen lassen. Ein Sonderproblem ergibt sich dann, wenn eine originär freiberufliche Tätigkeit, die sich durch eine höchstpersönliche Leistungserbringung auszeichnet, auf gewerbliche Art und Weise ausgeübt wird. Das kann der Fall sein, wenn der Angehörige des Freien Berufs seiner Tätigkeit in einer atypischen Weise nachgeht, indem er eine größere Zahl von angestellten Mitarbeitern beschäftigt. Diese bislang insbesondere im Steuerrecht relevante Problematik, die bei vielen international tätigen Beratungsgesellschaften unter dem Stichwort des „Leverages“ zwischen Partnern und Associates diskutiert wird, ist bislang trotz massiver haftungsrechtlicher Konsequenzen kaum auf ihre gesellschaftsrechtliche Bedeutung hin untersucht worden. Das Gleiche gilt für die berufsrechtlichen Auswirkungen, obwohl hier sogar der existenzgefährdende Verlust der Zulassung drohen könnte. III.  Der Rechtsformzwang im Gesellschaftsrecht 1.  Der Rechtsformzwang bei Betrieb eines Handelsgewerbes (§ 1 Abs. 2 HGB, § 105 Abs. 1 HGB, § 1 Abs. 1 S. 2 PartGG) §§ 105 Abs. 1, 161 Abs. 2 HGB stellen die Handelsgesellschaften der OHG und KG nur für den Betrieb eines Handelsgewerbes im Sinne von § 1 Abs. 2 HGB zur Verfügung. Kleingewerbetreibenden im Sinne von § 2 HGB steht ein Wahlrecht zu. Entscheiden sie sich gegen eine Eintragung im Handelsregister, können sie ihre gemeinschaftliche Tätigkeit in der Rechtsform der

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GbR ausüben, solange ihr Geschäftsbetrieb nicht in kaufmännischer Weise eingerichtet ist. Übt ein Verband allerdings überhaupt kein Gewerbe, sondern etwa eine freiberufliche, karitative oder nicht auf Dauer angelegte Tätigkeit aus, so sind ihm die Handelsgesellschaften komplett verwehrt. Selbst eine freiwillige Eintragung in das Handelsregister ist nicht möglich, bei zu Unrecht erfolgter Eintragung hilft nach h. A. auch § 5 HGB nicht über die fehlende Gewerblichkeit hinweg.4 Die Gesellschaft ist vielmehr ungeachtet der Eintragung als GbR zu qualifizieren und allenfalls zu ihren Ungunsten bei einem entsprechenden Auftreten als Schein-OHG einzustufen. Betreibt die Gesellschaft dagegen ein „Handelsgewerbe“ im Sinne von § 1 Abs. 2 HGB, so ist diese Geschäftstätigkeit mit einem Rechtsformzwang zu Gunsten der OHG (bzw. KG) verknüpft. Bedarf die gewerbliche Tätigkeit eines in kaufmännischer Weise eingerichteten Geschäftsbetriebs, so entsteht die OHG ganz unabhängig von der hier nur deklaratorisch wirkenden Eintragung ins Handelsregister. Insoweit spielt es keine Rolle, ob die Gesellschaft neben dem Betrieb eines Handelsgewerbes noch in erheblichem Umfang eine karitative oder nicht auf Dauer angelegte Tätigkeit ausübt. Auf den Schwerpunkt kommt es insoweit nicht an.5 Selbst eine überwiegend karitative Ausrichtung kann die Qualifikation als OHG und damit die Anwendbarkeit der handelsrechtlichen Vorschriften, einschließlich der Buchführungspflicht, nicht verhindern. Dieser Rechtsformzwang ist schon zum Schutz des Rechtsverkehrs geboten, weil außenstehende Geschäftspartner in aller Regel gar nicht beurteilen können, ob und in welchem Umfang eine Gesellschaft mit einem in kaufmännischer Weise eingerichteten Geschäftsbetrieb zusätzlich noch nicht gewerbliche Zwecke verfolgt. Das gleiche gilt hinsichtlich der Normzwecke, die hinter der Anordnung der Buchführungspflicht stehen. Es wäre geradezu abwegig, die bereits isoliert aus dem gewerblichen Umfang folgende Verpflichtung zu transparenter Buchführung und Rechnungslegung nur deshalb wieder aufzugeben, weil zusätzlich (!) noch weitere Tätigkeiten wahrgenommen werden, der Geschäftsbetrieb damit insgesamt sogar noch umfangreicher ist. Umgekehrt verlangt § 1 Abs. 1 S. 1 PartGG nach seinem Wortlaut für die Gründung einer Partnerschaft die Ausübung einer freiberuflichen Tätigkeit durch Angehörige Freier Berufe. Die Vorschrift schließt zwar sonstige Gegenstände, etwa gemeinnützige (Neben-)Tätigkeiten, nicht ausdrücklich aus. Allerdings heißt es in § 1 Abs. 1 S. 2 PartGG ausdrücklich: „Sie (Die Partnerschaft) übt kein Handelsgewerbe aus.“ Daraus ist in der Gesamtschau 4   BGHZ 32, 313; Canaris Handelsrecht, 24. Aufl. 2006, § 3 Rn. 56; Koller/Kindler/Roth/ Morck/Roth, HGB, 8. Aufl. 2015, § 5 Rn. 3; a.A. MüKo-HGB/K. Schmidt, 4. Aufl. 2016, § 5 Rn. 21 ff. 5   Meilicke/Graf von Westphalen/Hoffmann/Lenz/Wolff/Lenz, PartGG, 3. Aufl. 2015, § 1 Rn. 86; K. Schmidt Gesellschaftsrecht, 4. Aufl. 2012, § 5 II. 3.; Henssler PartGG, 3. Aufl. 2018, § 1 Rn. 106; a.A. MüKo-BGB/Schäfer, 7. Aufl. 2016, § 1 PartGG Rn. 22.

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mit den Wertungen der §§ 105 Abs. 1, 1 Abs. 2 HGB zwingend zu folgern, dass jedenfalls dann, wenn der gewerbliche Tätigkeitsbereich für sich genommen die Ausübung eines Handelsgewerbes bedeutet, also einen in kaufmännischer Weise eingerichteten Geschäftsbetrieb erfordert, eine Einordnung als Partnerschaft nicht mehr in Betracht kommt. Ob und in welchem Umfang die dann als OHG (oder KG) zu qualifizierende Gesellschaft daneben noch freiberufliche Aktivitäten ausübt, spielt nach der Wertung der §§ 105 Abs. 2, 123 Abs. 2 HGB keine Rolle.6 Die Eintragung ins Partnerschaftsregister steht der Einstufung als OHG nicht entgegen. Die unterbliebene Eintragung der OHG ins Handelsregister wirkt hier nicht konstitutiv, sondern, wie § 123 Abs. 2 HGB verdeutlicht, nur deklaratorisch. Aus dem geschilderten Rechtsformzwang ergibt sich allerdings nur für einen Teilbereich der gemischten Unternehmensgegenstände eine Lösung. Offen bleibt auch bei diesem Verständnis die für die Praxis bedeutsame Behandlung solcher gewerblicher (Zweit-)Tätigkeiten, welche die Voraussetzungen des § 1 Abs. 2 HGB nicht erfüllen. So stellt sich zum einen die Frage, ob die Rechtsformen der OHG und KG einem Unternehmen über § 2 HGB auch dann offenstehen, wenn neben der kleingewerblichen Tätigkeit – eventuell sogar überwiegend – nicht-gewerbliche Tätigkeiten wahrgenommen werden. Aus dem Blickwinkel des PartGG ist demgegenüber zu überlegen, ob die Rechtsform der PartG auch dann gewählt werden kann, wenn der Unternehmensgegenstand neben den freiberuflichen Aktivitäten zusätzlich noch kleingewerbliche oder sonstige weder freiberufliche noch gewerbliche Tätigkeiten umfasst. 2.  Keine Geltung der Abfärbetheorie im Gesellschaftsrecht Im Steuerrecht wurde zur spezifisch steuerrechtlichen Bewältigung der Folgen freiberuflich-gewerblicher Mischtätigkeiten die sog. Abfärbetheorie entwickelt. Danach wird eine teils freiberufliche, teils gewerbliche Mitunternehmerschaft insgesamt als gewerbliche Tätigkeit besteuert. Der erzielte Gewinn wird also vollständig den Einkünften aus gewerblicher Tätigkeit zugeordnet.7 Um diese in aller Regel unerwünschte Konsequenz zu vermeiden, werden in der Praxis gewerbliche Tätigkeiten meist in eine gesonderte Gesellschaft, häufig in eine Kapitalgesellschaft (GmbH), ausgliedert. Im Handels- und Gesellschaftsrecht ist für vergleichbare Überlegungen aner-

6   Meilicke/Graf von Westphalen/Hoffmann/Lenz/Wolff/Lenz, PartGG, 3. Aufl. 2015, § 1 Rn. 86; K. Schmidt Gesellschaftsrecht, 4. Aufl. 2012, § 5 II. 3; Henssler PartGG, 3. Aufl. 2018, § 1 Rn. 106; a.A. MüKo-BGB/Schäfer, 7. Aufl. 2016, § 1 PartGG Rn. 22. 7   Vgl. statt vieler BFHE 140, 44, 46 = BStBl. II, 1984, 152; Herzig/Kessler DStR 1986, 451 sowie zur neueren Rspr. BFHE 247, 513 Rn. 43 ff. = NJW 2015, 1133.; v. Lersner DStR 2015, 2817 ff.

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kanntermaßen kein Raum.8 Ein Sachgrund, weshalb selbst untergeordnete gewerbliche Nebentätigkeiten über die Rechtsform entscheiden und einen Rechtsformzwang zu Gunsten von OHG und KG auslösen sollten, ist nicht ersichtlich. Die Abfärbetheorie ist vielmehr durch spezifisch steuerrechtliche Erwägungen motiviert, die primär aus Praktikabilitätsgründen eine einheitliche Besteuerung der Einkünfte sicherstellen wollen. Dementsprechend scheitert die Wahl einer PartG nicht von vornherein daran, dass die Partner auch vereinzelt untergeordneten Tätigkeiten nachgehen, die traditionell als gewerblich eingestuft werden. 3.  Die Geltung der Schwerpunkttheorie Bei Mischtätigkeiten, insbesondere auch der hier interessierenden Kombination von freiberuflicher und gewerblicher Tätigkeit, ist im Sinne einer Schwerpunkttheorie grundsätzlich auf die typische Tätigkeit bzw. den Schwerpunkt des wirtschaftlichen Handelns abzustellen.9 Maßgeblich ist, welche Tätigkeit nach dem „Gesamtbild“ dominiert. Auf dieser Grundlage hat das BayObLG für die Eintragungsfähigkeit einer KG, die im Schnittstellenbereich von gewerblicher und freiberuflicher Tätigkeit aktiv werden wollte, darauf abgestellt, ob das Tätigkeitsfeld insgesamt oder zumindest im Wesentlichen dem gewerblichen Bereich oder dem Bereich der Freien Berufe zuzuordnen ist.10 Nach Auffassung des BGH in einer bereits älteren Entscheidung ist der Inhaber eines „gemischten“ Betriebs nur dann Kaufmann, „wenn der (kaufmännische Bereich) für das Unternehmen charakteristisch und quantitativ nennenswert ist, das Gesamtbild des Unternehmens also durch (ihn) geprägt wird“.11 Sei die gewerbliche Tätigkeit dagegen lediglich von untergeordneter oder höchstens gleichrangiger Bedeutung im Vergleich zu der nicht gewerblichen Tätigkeit, könne der Inhaber nicht als Kaufmann behandelt werden. Nach diesen Grundsätzen schadet bei einer Handelsgesellschaft in der Rechtsform einer OHG oder KG bereits eine gleichrangige freiberufliche oder sonstige nicht gewerbliche Tätigkeit, nicht aber eine untergeordnete

8   Henssler PartGG, 3. Aufl. 2018, § 1 Rn. 103; Meilicke/Graf von Westphalen/Hoffmann/Lenz/Wolff/Lenz, PartGG, 3. Aufl. 2015, § 1 Rn. 84. 9  BGH NJW 2015, 61; BGH NJW 2011, 3036, 3037; vgl. dazu auch BVerfG NJW 2012, 993; 1999, 2967, 2968; BayObLG NZG 2002, 718; Baumbach/Hopt/Hopt, HGB, 38. Aufl. 2018, § 1 Rn. 20, 28; Oetker/Körber, HGB, 5. Aufl. 2017, § 1 Rn. 46; Henssler/ Strohn/Henssler, Gesellschaftsrecht, 3. Aufl. 2016, § 105 HGB Rn. 9; dagegen sollen nach Koller/Kindler/Roth/Morck/Roth, HGB, 8. Aufl. 2015, § 1 Rn. 15 und MüKoHGB/K. Schmidt, Bd. 1, 4. Aufl. 2016, § 1 Rn. 35 freiberufliche und gewerbliche Tätigkeit unbeschränkt nebeneinander ausgeübt werden können. 10   BayObLG NZG 2002, 718. 11   BGH NJW 1999, 2967, 2968.

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Tätigkeit dieser Art.12 Nur für Steuerberater- bzw. Wirtschaftsprüfer-GmbH und Co. KGs hat der BGH die Anwendung der Schwerpunkttheorie jüngst eingeschränkt. Aus den spezielleren berufsrechtlichen Bestimmungen der § 49 Abs. 2 StBerG und § 27 Abs. 2 WPO ergebe sich, dass die Rechtsform der KG auch dann gewählt werden könne, wenn die Gesellschaft neben der sie prägenden freiberuflichen Tätigkeit nur untergeordnete gewerbliche Treuhandtätigkeiten durchführe.13 Die Entscheidung, die im Ergebnis durchaus zu begrüßen ist, wirft allerdings die Frage auf, ob diese Privilegierung der Steuerberater und Wirtschaftsprüfer wirklich durch Sachgründe gerechtfertigt ist und damit dem Willkürverbot des Art. 3 Abs. 1 GG standhält. Davon unabhängig zeigt die Entscheidung deutlich, dass die Differenzierung zwischen gewerblicher und freiberuflicher Tätigkeit vom Gesetzgeber nicht kohärent umgesetzt wird und schon aus diesem Grund wenig plausibel ist. Eingeschränkt wird die Schwerpunkttheorie, wie bereits dargelegt wurde,14 durch den von § 105 Abs. 1 HGB angeordneten Rechtsformzwang. Bedarf nämlich der gewerbliche Teil der unternehmerischen Aktivitäten für sich genommen nach Art und Umfang eines in kaufmännischer Weise eingerichteten Geschäftsbetriebes, so ist die Gesellschaft unabhängig von ihrem Gesamtgepräge kraft Gesetzes OHG bzw. KG. 4.  Nicht gewerbliche Zweittätigkeiten einer Partnerschaft Ist damit der Anwendungsbereich der Handelsgesellschaften geklärt, so bleibt bei einer nicht ausschließlich, sondern nur schwerpunktmäßig betriebenen freiberuflichen Tätigkeit einer Personengesellschaft offen, ob den Gesellschaftern neben der GbR auch die Partnerschaftsgesellschaft zur Verfügung steht, wenn der nicht freiberufliche Teil keinen in kaufmännischer Weise eingerichteten Geschäftsbetrieb erfordert. Das PartGG geht zwar – wie eingangs erwähnt – ersichtlich von der Vorstellung aus, dass die Gesellschaft ausschließlich der Ausübung freiberuflicher Tätigkeit dient. Offensichtlich wurde aber den Mischtätigkeiten im Gesetzgebungsverfahren mangels praktischer Relevanz keine Aufmerksamkeit geschenkt, so dass dem Gesetz auch kein vollständiges Verbot jeglicher Zweittätigkeiten entnommen werden kann. Wollte man bereits vereinzelte, zwar nicht freiberufliche, aber erwerbsgerichtete Tätigkeiten zum Anlass für den Ausschluss der Rechtsform der Partnerschaft nehmen, so hätte dies eine massive Abwertung dieser Gesellschaftsform und erhebliche Rechtsunsicherheit zur Folge. Die Partner müssten befürchten, aufgrund von vereinzelten Tätigkeiten in einem rechtli12   Henssler/Markworth NZG 2015, 1, 4; Henssler NZG 2011, 1121; Koller/Kindler/ Roth/Morck/Roth, HGB, 8. Aufl. 2015, § 1 Rn. 24. 13   BGH NJW 2015, 61; dazu krit. Henssler/Markworth NZG 2015, 1, 5 f. 14   Dazu III. 1.

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chen Graubereich die Privilegien des § 8 Abs. 2 und 4 PartGG zu verlieren. Angesichts des fließenden Übergangs zwischen gewerblicher und freiberuflicher Ausrichtung und des in den Materialien betonten Charakters des deutschen Freiberuflichkeitsbegriffs als „soziologische Wortschöpfung“15 wäre dies für die Praxis ein untragbares Ergebnis, das der Gesetzgeber des PartGG ersichtlich nicht gewollt haben kann. Bei solchen vereinzelten Aktivitäten liegt mangels Dauerhaftigkeit keine gewerbliche Tätigkeit vor.16 Ebenso wie gemeinnützige Zweittätigkeiten sind sie den Angehörigen der Freien Berufe nicht generell verwehrt. Sie sollten daher der Wahl der Rechtsform der Partnerschaft auch nicht entgegenstehen. Allerdings muss nach der ratio des § 1 Abs. 1 PartGG der Schwerpunkt der unternehmerischen Tätigkeit jeweils die freiberufliche Tätigkeit sein, soll doch den Angehörigen der Freien Berufe gerade für ihre freiberufliche Tätigkeit eine zusätzliche Rechtsform zur Verfügung gestellt werden. Unschädlich ist auch eine untergeordnete vermögensverwaltende Tätigkeit, der neben einer überwiegenden freiberuflichen Ausrichtung nachgegangen wird. Hier entfällt nach der Schwerpunkttheorie die nach § 105 Abs. 2 S. 1 HGB an sich mögliche Eintragung als OHG oder KG. 5.  Dauerhafte kleingewerbliche Zweittätigkeiten einer PartG Übt die Gesellschaft dagegen dauerhaft, wenn auch nur im Sinne einer Nebentätigkeit, eine kleingewerbliche Tätigkeit i.S.v. § 2 HGB aus, passt nach geltendem Recht die Rechtsform der PartG nicht mehr. Solche Unternehmen können damit derzeit nur in der Rechtsform der GbR betrieben werden, da die Handelsgesellschaften selbst bei einer Eintragung ins Handelsregister nach der Schwerpunkttheorie nicht in Betracht kommen.17 Die Rechtsform der PartG soll nach dem insoweit klaren Regelungsanliegen kein Instrument zur dauerhaften Ausübung gewerblicher Tätigkeiten sein. Das folgt schon aus dem Umstand, dass zum Zeitpunkt des Inkrafttretens des Gesetzes wichtigen Freien Berufen, etwa Steuerberatern und Wirtschaftsprüfern, jegliche gewerbliche Zweittätigkeit verwehrt war. Eine entsprechende Regelungslücke im Sinne einer planwidrigen Unvollständigkeit liegt damit 15  Vgl. BT-Drs. 12/6152, 9: „(…), da es sich um eine soziologische Wortschöpfung handelt, bzgl. derer eine justiziable Begriffsfassung auf unüberwindbare Schwierigkeiten stößt.“. 16   Vgl. zum Gewerbebegriff Baumbach/Hopt/Hopt, HGB, § 1 Rn. 11 ff. 17  So auch Seibert/Kilian PartGG, 2012, § 1 Rn. 5; Beck AnwBl 2015, 381; Henssler PartGG, 3. Aufl. 2018, § 1 Rn. 108; a.A. Meilicke/Graf von Westphalen/Hoffmann/ Lenz/Wolff/Lenz, PartGG, 3. Aufl. 2015, § 1 Rn. 23, 88, der nur bei rein (klein-)gewerblicher Tätigkeit eine automatische Umwandlung in eine GbR bejaht, ansonsten aber eine untergeordnete gewerbliche Tätigkeit für unschädlich hält; ebenso MüKo-BGB/Schäfer, 7. Aufl. 2016, § 1 PartGG Rn. 21 f.

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nicht vor. Rechtspolitisch gesehen ist diese gesetzliche Wertung zwar höchst problematisch. Es ist aber Aufgabe des Gesetzgebers hier die entsprechenden Korrekturen vorzunehmen. Freilich gibt es auch insoweit Ausnahmen. Gehört nämlich eine gewerbliche Tätigkeit atypischerweise zum Berufsbild eines Freien Berufes, so darf ihr auch in einer Partnerschaft uneingeschränkt nachgegangen werden. Der BGH hat eine solche – dogmatisch an sich undenkbare – Konstellation etwa bei der Treuhandtätigkeit von Rechtsanwälten anerkannt.18 Ihre Bedeutung wird künftig mit der Fortentwicklung der Berufsbilder noch zunehmen. Dass es solche Konstellationen überhaupt gibt, zeigt allerdings erneut sehr deutlich, dass im Gesellschaftsrecht eine Anknüpfung an die Unterscheidung zwischen gewerblicher und freiberuflicher Tätigkeit verfehlt und dringend aufzugeben ist. 6.  Rechtsfolgen gemischter Unternehmensgegenstände einer Partnerschaft Die praktischen Konsequenzen dieser Rechtslage sind vor allem dann erheblich, wenn mit der Rechtsform eine Haftungsbeschränkung verbunden ist. Übt eine KG schwerpunktmäßig weder eine gewerbliche noch eine vermögensverwaltende Tätigkeit aus, so ist sie als GbR zu qualifizieren, wenn nicht die gewerbliche Tätigkeit schon für sich genommen einen in kaufmännischer Weise eingerichteten Geschäftsbetrieb erfordert. Es kommt damit zur unbeschränkten Gesellschafterhaftung. Nur die Steuerberatungs- bzw. Wirtschaftsprüfungs-KG behält aufgrund der geschilderten berufsrechtlichen Besonderheiten ihre bisherige Rechtsform auch bei einer nur untergeordneten Treuhandtätigkeit. Entsprechendes gilt für die PartG. Geht sie dauerhaft einer kleingewerblichen Tätigkeit (§§ 2, 123 Abs. 2 HGB) nach, so erfolgt eine formwechselnde Umwandlung in eine GbR gem. §§ 705 ff. BGB.19 Beim Betrieb eines Handelsgewerbes i.S.d. § 1 Abs. 2 HGB kommt es zum automatischen Rechtsformwechsel in eine OHG. Die Eintragung im Partnerschaftsregister ist wirkungslos.20 In beiden Fällen können die Haftungsprivilegien des § 8 Abs. 2 und 4 PartGG nicht mehr in Anspruch genommen werden. Die Praxis sollte diesen einschneidenden Folgen viel mehr Aufmerksamkeit widmen. Ganz unabhängig davon, welche Auffassung letztlich die Gerichte vertreten, müssen die entsprechenden Risiken soweit wie möglich reduziert und sensible Geschäftsbereiche in eine getrennte Gesellschaft ausgelagert werden.   BGH NZG 2016, 398.   Henssler PartGG, 3. Aufl. 2018, § 10 Rn. 38 f. 20   Meilicke/Graf von Westphalen/Hoffmann/Lenz/Wolff/Lenz, PartGG, 3. Aufl. 2015, § 1 Rn. 86; Henssler PartGG, 3. Aufl. 2018, § 10 Rn. 38 f.; a.A. MüKo-BGB/Schäfer, 7. Aufl. 2016, § 1 PartGG Rn. 19 ff., 22, solange im Sinne eines „Nebenzweckprivilegs“ die gleichzeitige gewerbliche Tätigkeit der freiberuflichen dient und ihr untergeordnet ist; vgl. auch K. Schmidt NJW 1995, 1, 3, 7. 18 19

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IV.  Die rechtlichen Folgen eines hohen Leverages Zusätzliche Brisanz gewinnen die geschilderten einschneidenden Folgen gewerblicher Nebentätigkeiten aufgrund der vor allem im Steuerrecht diskutierten Einordnung bestimmter Formen der Wahrnehmung freiberuflicher Tätigkeiten als gewerblich. 1.  Steuerrechtliche Bewertung a) Grundlagen Der BFH geht in ständiger Rechtsprechung davon aus, dass eine Personengesellschaft nur dann eine i.S.v. §  18 EStG als freiberuflich zu qualifizierende Tätigkeit entfaltet, wenn sämtliche Gesellschafter die Merkmale eines Freien Berufs erfüllen.21 Zu den anerkannten, auch in § 1 Abs. 2 PartGG aufgegriffenen Kernmerkmalen der Freiberuflichkeit zählt aber die persönliche Vertragserfüllung, die der besonders engen Vertrauensbeziehung zwischen dem Berufsträger und seinem Auftraggeber entspricht.22 Nach § 18 Abs. 1 Nr. 1 S. 3 EStG ist ein Angehöriger eines Freien Berufs gleichwohl auch dann noch freiberuflich tätig, wenn er sich der Mithilfe fachlich vorgebildeter Arbeitskräfte bedient, die die Arbeit des Berufsträgers jedenfalls in Teilbereichen ersetzen. Zum fachlich vorgebildeten Personal zählen in Rechtsanwalts- und Steuerberatungsgesellschaften insbesondere angestellte Rechtsanwälte und Steuerberater. Fachlich vorgebildet ist sowohl der Mitarbeiter, der dieselbe Qualifikation wie der Betriebsinhaber erworben, als auch derjenige, der eine weniger qualifizierte Berufsausbildung aufzuweisen hat.23 Setzt der Angehörige eines Freien Berufs Mitarbeiter ein, muss er dem freiberuflichen Charakter allerdings dadurch Rechnung tragen, dass er aufgrund eigener Fachkenntnisse leitend und eigenverantwortlich tätig wird.24 Nach dieser sog. „Vervielfältigungstheorie“ gehört es „zu den Wesensmerkmalen der selbständigen Tätigkeit, dass sie in ihrem Kernbereich auf der eigenen persönlichen Arbeitskraft des Berufsträgers beruht“. Nimmt die Tätigkeit einen Umfang an, der eine ständige Beschäftigung mehrerer Angestellter oder die Einschaltung von Subunternehmern erfordert, und werden den genannten Personen nicht nur untergeordnete, insbesondere vorbereitende oder

21   Vgl. statt vieler BFHE 223, 206, 211 f. = NZG 2009, 437, 438; BFHE 247, 513 Rn. 17 = NJW 2015, 1133; BFHE 252, 283 Rn. 11 = NZG 2016, 600. 22  Zum Begriff der Freiberuflichkeit eingehend Henssler PartGG, 3. Aufl. 2018, § 1 Rn. 54 ff. 23   BFH, Urt. v. 14.3.2007 – XI R 59/05, BeckRS 2007, 25011508. 24   BFHE 252, 283 Rn. 13 = NZG 2016, 600 für eine Ärzte-Gesellschaft; ferner BFH, Urt. v. 4.7.2007 – VIII R 77/05, BeckRS 2007, 25012417; BFHE 221, 238, 240 = NJW 2008, 3165; BFHE 223, 206, 211 = NZG 2009, 437, 438.

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mechanische Arbeiten übertragen, so ist sie steuerrechtlich als gewerblich zu qualifizieren.25 Das bedeutet etwa für einen Arzt, dass er eine höchstpersönliche, individuelle Arbeitsleistung am Patienten schuldet und deshalb einen wesentlichen Teil der ärztlichen Leistungen selbst erbringen muss.26 Werden die Gesellschafter einer Personengesellschaft teilweise freiberuflich und teilweise – mangels Eigenverantwortlichkeit – gewerblich tätig, so ist nach der bereits geschilderten „Abfärbetheorie“ ihre Tätigkeit gemäß § 15 Abs. 3 Nr. 1 EStG wiederum insgesamt als gewerblich zu qualifizieren.27 Bei einer Rechtsanwaltspartnerschaft ist nach diesen Grundsätzen darauf abzustellen, ob eine Überwachung der angestellten Rechtsanwälte durch die Partner sichergestellt ist und ob auch alle Partner noch in die persönliche Mandatsbearbeitung eingeschaltet sind. Fehlt es hieran, so unterliegt die Tätigkeit der anwaltlichen Berufsausübungsgesellschaft insgesamt der Gewerbesteuerpflicht. Die Steuerpflicht tritt rückwirkend ein, was zu erheblichen Belastungen führen kann.28 Zwar sind seit dem Veranlagungszeitraum 2001 die gewerbesteuerrechtlichen Auswirkungen durch die § 35 Abs. 1 EStG gemildert, da in transparent besteuerten Personengesellschaften eine pauschalierte (Hebesatz 3,8) Anrechnung der Gewerbesteuer auf die Einkommensteuer der Gesellschafter erfolgt. Abhängig vom jeweiligen Hebe­ satz der Gemeinde und unter der Voraussetzung, dass ein entsprechendes Einkommensteuerpotenzial zur Verfügung steht, kann die Minderung der Einkommensteuer sogar die zusätzliche Gewerbesteuerlast neutralisieren. Selbst dann bleiben aber Probleme in Bezug auf die quartalsweise im Voraus zu entrichtende Gewerbesteuer und die erst im Rahmen der jährlichen Veranlagung der Einkommensteuer im Nachhinein erfolgende Anrechnung der Gewerbesteuer.29 Von praktischer Bedeutung ist, dass der Freiberufler mit Überschreitung der Grenzen des § 141 AO (Umsatz von mehr als 600.000 Euro) buchführungspflichtig wird. Neben den damit verbundenen Mehrkosten für die Erstellung des nach § 4 Abs. 1 EStG erforderlichen Betriebsvermögensvergleichs im Gegensatz zur Einnahmen-Überschuss-Rechnung nach § 4 Abs. 3 EStG führt dies zu einer Gewinnrealisierung bei den noch ausstehenden Forderungen und damit zu einer höheren Einkommensteuerlast im Jahr des Wechsels der Gewinnermittlungsart. Insbesondere für die Vergangenheit kann die Umqualifizierung der Einkünfte daher eine problematische Belastung darstellen, wie sich in der Praxis insbesondere von Steuerberatungsgesellschaften wiederholt gezeigt hat. 25   BFHE 197, 442, 447 f. = NJW 2002, 990, 991 mit Anm. Durchlaub BRAK-Mitt. 2002, 62 und Olbing/Kamps AnwBl. 2002, 168. 26   BFHE 247, 195 Rn. 13 = DStR 2015, 30. 27   BFHE 247, 513 Rn. 21 = NJW 2015, 1133; Sterzinger NJW 2008, 20, 21. 28   Sterzinger NJW 2008, 20, 22 f. 29   Sterzinger NJW 2008, 20, 22 f.

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b)  Anforderungen an die Eigenverantwortlichkeit Die danach erforderliche eigenverantwortliche Tätigkeit setzt voraus, dass der Betriebsinhaber seine eigene Arbeitskraft so einsetzt, dass er in der Lage ist, für die von seinen Mitarbeitern erbrachten Leistungen die uneingeschränkte fachliche Verantwortung zu übernehmen.30 Dazu muss er in ausreichendem Umfang an der praktischen Arbeit teilnehmen; gelegentliche fachliche Überprüfungen der Mitarbeiter genügen nicht.31 Insbesondere reicht es zur Annahme der Eigenverantwortlichkeit einer Tätigkeit nicht aus, dass der Berufsträger gegenüber den Auftraggebern das Haftungsrisiko übernimmt. Ebenso wenig genügt es, dass berufsrechtliche Normen die „Eigenverantwortlichkeit“ der Tätigkeit vorschreiben, wie dies etwa bei Steuerberatern der Fall ist. Maßgebend ist vielmehr, dass auch die von den qualifizierten Mitarbeitern erbrachten Leistungen oder das zusammen mit diesen Mitarbeitern geschaffene Werk noch „den Stempel der Eigenpersönlichkeit“ des Berufsangehörigen tragen.32 Daran fehlt es, wenn wegen der großen Zahl der Aufträge und der Angestellten eine sorgfältige Mitarbeit des Berufsträgers nicht mehr möglich ist.33 Dem Begriff der eigenverantwortlichen Tätigkeit kommt bei den verschiedenen Gruppen der Freien Berufe ein unterschiedlicher Inhalt zu. Die Rechtsprechung beurteilt unter Berücksichtigung der Besonderheiten der jeweiligen Berufsgruppe, ob der Inhaber angesichts der Zahl der beschäftigten qualifizierten Mitarbeiter noch die Möglichkeit hat, deren Arbeit zu überschauen und zu überprüfen. Ist das nicht der Fall, so ist der Betrieb gewerblich. Ausschlaggebend ist im Zweifel die Entwicklungstendenz des Unternehmens, wobei eine große Zahl fachlich gleich gebildeter Mitarbeiter ein Indiz für einen Gewerbebetrieb ist.34 Soweit ersichtlich hat der BFH bislang für Rechtsanwaltsgesellschaften noch nicht entschieden, ab welchem Vielfachen das Verhältnis zwischen Partnern und angestellten Rechtsanwälten problematisch ist. Grundsätzlich dürfte aber davon auszugehen sein, dass eine leitende und eigenverantwortliche Tätigkeit ab einem Verhältnis von 1 : 5 kaum noch praktizierbar sein dürfte. Im anwaltsrechtlichen Schrifttum, das sich nur vereinzelt mit dieser Frage befasst,35 wird teilweise bereits ein Verhältnis von 1 : 3 als problematisch angesehen.   BFHE 117, 247, 250 f. = BeckRS 1975, 22003431 m.w.N.   BFHE 194, 206, 210 = DStRE 2001, 577, 578. 32   BFH, Urt. v. 14.3.2007 – XI R 59/05, BeckRS 2007, 25011508 m.w.N. 33   BFHE 177, 377, 383 f. = NJW 1995, 3078, 3080 für einen Arzt der Labormedizin; Blümich/Hutter, EStG, 140. EL 2018, § 18 Rn. 59; entscheidend sind die Verhältnisse des jeweiligen Einzelfalls, s. BFHE 198, 316 = NJW 2002, 3352 m.w.N. 34   BFH BFH/NV 1996, 463; Blümich/Hutter, EStG, 140. EL 2018, § 18 Rn. 60; Kupfer KÖSDI 90, 8066. 35  Feuerich/Weyland/Vossebürger, BRAO, 9. Aufl. 2016, § 2 Rn. 6. 30 31

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Generell erstaunt, dass in der anwaltlichen Praxis der Problematik der mit dem Leverage verbundenen Gewerbesteuerpflicht nur sehr wenig Beachtung geschenkt wird. Rechtsanwaltskanzleien werden bei Betriebsprüfungen eher selten von Seiten der Betriebsprüfer mit der Thematik konfrontiert. Der Grund für diese Zurückhaltung scheint ein rein praktischer zu sein: Die Gewerbesteuer ist eine kommunale Steuer und damit für die Betriebsprüfer des Finanzamts weniger interessant. Die Anrechnung auf die Einkommensteuer führt im Gegenteil gerade zu einer Minderung der Einkommenssteuer im Rahmen der Betriebsprüfung, an der die Prüfer naturgemäß kein Interesse haben. 2.  Gesellschaftsrechtliche Bewertung a)  Die Part mbB als freiberufliche Gesellschaft Welche Auswirkungen die geschilderte gewerbliche Art der Ausübung einer originär freiberuflichen Tätigkeit im Gesellschaftsrecht hat, ist – soweit ersichtlich – bislang im Schrifttum nicht thematisiert worden und erst recht nicht Gegenstand von Gerichtsentscheidungen gewesen. Auf den ersten Blick spricht manches dafür, die „Vervielfältigungstheorie“ ebenso wie die „Abfärbetheorie“ als spezifisch steuerrechtliche Konstrukte zu verstehen und sie daher im Gesellschaftsrecht nicht anzuwenden. Es gibt allerdings gewichtige Unterschiede. Während für die Abfärbetheorie primär Praktikabilitätserwägungen sprechen, die eine einheitliche Besteuerung nahelegen, geht es bei der Vervielfältigungstheorie darum, ob die Angehörigen der Freien Berufe in den Genuss der Privilegierung durch Freistellung von der Gewerbesteuer kommen sollen. Diese Privilegierung ist nämlich nur dann sachgerecht, wenn der Berufstätige nicht nur abstrakt eine typischerweise den Freien Berufen zuzurechnende Tätigkeit ausübt, sondern er auch konkret den besonderen Anforderungen an die Freiberuflichkeit gerecht wird. Ähnlich ist die Rechtslage aber derzeit im Gesellschaftsrecht. Insbesondere seit Einführung der Part mbB ist es im Gesellschaftsrecht zu einer Privilegierung der Freien Berufe gegenüber Gewerbetreibenden gekommen.36 Ob dem Angehörigen eines Freien Berufs gerade dieses gesellschaftsrechtliche Haftungsprivileg gewährt werden soll, kann durchaus mit einer gewissen Berechtigung daran geknüpft werden, dass der Beruf auch tatsächlich eigenverantwortlich wahrgenommen wird. Die Schlechterstellung der Gewerbetreibenden müsste anderenfalls willkürlich erscheinen. Verfassungsrechtliche Erwägungen gebieten es daher, den Angehörigen der Freien Berufe de lege lata die Rechtsform der PartG

36   Henssler, Verhandlungen des 71. DJT. Bd. II/1, O 69 f.; ders. PartGG, 3. Aufl. 2018, § 1 Rn. 59.

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einschließlich der Part mbB dann zu verwehren, wenn das Prinzip der Eigenverantwortlichkeit aufgrund eines hohen Leverages nicht mehr gewahrt wird. Dieses Ergebnis kann aus Sicht der Praxis sicherlich nicht zufriedenstellen. Rechtspolitisch gesehen bestätigt auch diese gesetzliche Schwachstelle, dass die PartG für gewerbliche Tätigkeiten geöffnet und die sachfremde Differenzierung zwischen freiberuflichen und gewerblichen Tätigkeiten im Gesellschaftsrecht aufgegeben werden muss. b)  Unvereinbarkeit mit dem versicherungsrechtlichen Konzept einer anwaltlichen Part mbB Speziell bei der Part mbB von Rechtsanwälten wirft ein Missverhältnis zwischen Partnern und angestellten Rechtsanwälten zudem besondere versicherungsrechtliche Fragen auf. Nach § 51a Abs. 2 BRAO gilt für die Berufsausübung in einer anwaltlichen Part mbB: (2) 1Die Mindestversicherungssumme beträgt 2 500 000 Euro für jeden Versicherungsfall. 2Die Leistungen des Versicherers für alle innerhalb eines Versicherungsjahres verursachten Schäden können auf den Betrag der Mindestversicherungssumme, vervielfacht mit der Zahl der Partner, begrenzt werden. 3 Die Jahreshöchstleistung für alle in einem Versicherungsjahr verursachten Schäden muss sich jedoch mindestens auf den vierfachen Betrag der Mindestversicherungssumme belaufen. Abs. 2 S. 2 des § 51a BRAO verknüpft den Versicherungsschutz in der Part mbB von Rechtsanwälten also mit der Anzahl der Partner, und trägt damit dem Umstand Rechnung, dass sich das Haftungsrisiko mit der Anzahl der Partner erhöht. Dieses Versicherungskonzept wird aber unterlaufen, wenn eine geringe Anzahl von Partnern die Mandatsbearbeitung einer Vielzahl von juristischen Angestellten überlässt. Es besteht damit bei einem hohen Leverage in einer Part mbB ein erhöhtes Risiko, dass die Rechtsprechung bei einem im Ergebnis mangels angemessener Maximierung unzureichenden Versicherungsschutz aufgrund eines angenommenen Verstoßes gegen die versicherungsrechtlichen Vorgaben das gesetzliche Haftungsprivileg verweigern könnte. c) Zusammenfassung Auch aus gesellschaftsrechtlicher Sicht ist damit ein hoher Leverage bei einer Berufsausübung in einer PartG mit erheblichen Risiken verbunden. Es droht die nicht nur steuerrechtliche, sondern auch gesellschaftsrechtliche Qualifizierung des Unternehmensgegenstands als gewerblich. Da diese Gewerblichkeit regelmäßig sogar den Schwerpunkt der Aktivitäten betrifft, zumindest aber dauerhaft praktiziert wird, sind Gesellschaften mit überhöhtem Leverage nach den entwickelten allgemeinen Grundsätzen als OHG

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oder GbR einzustufen. Bei der Part mbB von Rechtsanwälten besteht ein sogar noch gesteigertes Risiko, weil bei einer atypisch hohen Zahl angestellter Rechtsanwälte das Versicherungskonzept des § 51a Abs. 2 S. 2 BRAO unterlaufen werden kann. 3.  Berufsrechtliche Bewertung a)  Der Verbot der Ausübung unvereinbarer Zweittätigkeiten, §§ 7 Nr. 8, 14 Abs. 2 Nr. 8 BRAO Im Interesse einer Gesamtschau der Thematik sei abschließend ein kurzer Blick auf die berufsrechtlichen Konsequenzen eines hohen Leverages geworfen, wobei quasi stellvertretend für alle regulierten Berufe das anwaltliche Berufsrecht herangezogen wird. Die BRAO ist hinsichtlich der Ausübung gewerblicher Zweittätigkeiten eines Rechtsanwaltes relativ großzügig. Aufgrund einer Entscheidung des BVerfG37 ist die Ausübung einer gewerblichen Zweittätigkeit berufsrechtlich grundsätzlich zulässig und hat nicht den Widerruf der Zulassung nach § 14 Abs. 2 Nr. 8 BRAO zur Folge.38 Die gewerbliche Tätigkeit muss zwar nach §§ 7 Nr. 8, 14 Abs. 2 Nr. 8 BRAO mit der anwaltlichen Berufsausübung „vereinbar“ sein. Diese Anforderung bezieht sich allerdings auf echte Zweittätigkeiten eines Rechtsanwaltes, nicht auf die hier betroffene Spezialproblematik, bei der es „nur“ darum geht, dass eine originär anwaltliche Tätigkeit, nämlich die anwaltliche Mandatsbearbeitung, nicht eigenverantwortlich durch den anwaltlichen Vertragspartner, sondern durch angestellte Rechtsanwälte ausgeübt wird. Diese „gewerbliche Art“ der Ausübung einer originär anwaltlichen Berufstätigkeit ist bislang berufsrechtlich überwiegend nicht unter dem Blickwinkel des § 7 Nr. 8 BRAO diskutiert worden.39 Die anwaltsgerichtliche Rechtsprechung, die darauf abstellt, dass eine kaufmännisch-erwerbswirtschaftliche Tätigkeit eines Rechtsanwalts mit dem Anwaltsberuf dann unvereinbar ist, wenn sich hierbei eine konkrete Interessenkollision abzeichnet oder aber das Vertrauen in die Unabhängigkeit gefährdet wird, ist hier nicht einschlägig. Der Verstoß liegt vielmehr in der Unvereinbarkeit mit dem tradierten Bild der Freiberuflichkeit, das durch eine persönliche Leistungserbringung gekennzeichnet ist. Es geht damit um

  BVerfGE 87, 287, 329 = NJW 1993, 317, 321.   Anders ist die Rechtslage bei Steuerberatern und Wirtschaftsprüfern. Bei ihnen muss die gewerbliche Zweittätigkeit jeweils ausdrücklich von der zuständigen Kammer genehmigt werden. 39   Vgl. etwa Henssler/Prütting/Henssler, BRAO, 4. Aufl. 2014, § 7 Rn. 85 ff.; Feuerich/ Weyland/Vossebürger, BRAO, 9. Aufl. 2016, § 7 Rn. 88, vgl. aber ders. BRAO, 9. Aufl. 2016, § 2 Rn. 6; Gaien/Wolf/Göcken/Schmidt-Räntsch, Anwaltliches Berufsrecht, 2. Aufl. 2014, § 7 BRAO Rn. 74 ff. 37 38

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speziell steuerrechtliche Probleme, nämlich um die Frage, ob die Freistellung von der Gewerbesteuerpflicht bei dieser konkreten Art der Berufsausübung sachlich gerechtfertigt werden kann. Aus berufsrechtlicher Sicht kann ein vorzüglicher angestellter Rechtsanwalt das Mandat genauso gut, eventuell sogar besser betreuen als ein (überlasteter) Partner einer Anwaltsgesellschaft. Eine Vermutung, dass die Mandatsbearbeitung durch angestellte Rechtsanwälte aus Mandantensicht per se minderwertiger sein sollte, lässt sich nicht begründen. Berufsrechtlich gesehen gilt die Tätigkeit des angestellten Rechtsanwalts als absolut gleichwertig gegenüber der selbstständigen Berufsausübung. Anders lässt sich die generelle Zulässigkeit der Berufsausübung im Anstellungsverhältnis nicht verstehen. Der angestellte Anwalt ist zwar ebenfalls „unabhängig“, ihm fehlt aber gerade die steuerrechtlich relevante Eigenverantwortlichkeit. Festzuhalten ist, dass mangels „zweitberuflicher“ Tätigkeit der Widerrufsgrund des § 14 Abs. 2 Nr. 8 BRAO auch bei einem hohen Leverage nicht einschlägig ist. Aufgrund einer „Vervielfältigung“ der anwaltlichen Tätigkeit durch einen großen Stab angestellter Rechtsanwälte droht somit kein Zulassungsverlust. b)  Verstoß gegen die Generalklausel des § 43 BRAO? Einen rechtlichen Anknüpfungspunkt für berufsrechtliche Sanktionen könnte die allgemeine Generalklausel des § 43 BRAO bieten. Im berufsrechtlichen Schrifttum ist höchst umstritten, ob § 43 BRAO als Generalklausel eine Auffangfunktion zukommt, so dass die Rechtsanwaltskammern bei der Verhängung von Sanktionen auf diese dann zurückgreifen können, wenn andere Berufsrechtsnormen nicht einschlägig sind.40 Überzeugender erscheint es angesichts des verfassungsrechtlichen Bestimmtheitsgebotes, der Vorschrift nur eine Transportfunktion in dem Sinne zuzubilligen, dass gesetzliche Pflichten, die außerhalb der BRAO und der BORA normiert sind, über § 43 BRAO auch Gegenstand von berufsrechtlichen Sanktionen sein können.41 Im vorliegenden Kontext kommt der Generalklausel damit keine eigenständige Bedeutung als Sanktionsnorm zu. c)  Verstoß gegen § 2 BRAO? Denkbar bleibt schließlich ein Rückgriff auf § 2 BRAO, der keine Berufspflichten begründet, sondern eine programmatische Feststellung der Freiberuflichkeit enthält. Der Sache nach bringt der Gesetzestext zwei Mal inhaltlich das Gleiche zum Ausdruck, bereits aus der in Abs. 1 betonten 40   Für eine solche Auffangfunktion Kleine-Cosack BRAO, 7. Aufl. 2015, § 43 Rn. 9; dezidiert dagegen Henssler/Prütting/Prütting, BRAO, 4. Aufl. 2014, § 43 Rn. 23; Teichmann AnwBl 2011, 829. 41  Henssler/Prütting/Prütting, BRAO, 4. Aufl. 2014, § 43 Rn. 23.

Unternehmensgegenstände von Personengesellschaften

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Freiberuflichkeit folgt ja zugleich zwingend, dass die anwaltliche Tätigkeit kein Gewerbe ist. Im Schrifttum wird die hier relevante Problematik des Leverages teilweise im Kontext des § 2 BRAO thematisiert und die Arbeit in Großsozietäten als gewerblich eingestuft.42 Auch diese Literaturstimmen ziehen hieraus aber keinen Schluss auf ein berufsrechtlich unzulässiges Verhalten, sondern verweisen hinsichtlich der Konsequenzen eines Verstoßes gegen § 2 Abs. 2 BRAO auf die Rechtsprechung zu der spezielleren Regelung in § 7 Nr. 8 BRAO. Sie stufen den Verstoß gegen § 2 BRAO damit ebenfalls nicht als eigenständige Berufspflichtverletzung ein.43 Eine Rüge nach § 74 BRAO oder eine anwaltsgerichtliche Maßnahme nach §§ 113 ff. BRAO würde zudem ein mindestens fahrlässiges Handeln des Rechtsanwalts voraussetzen, das angesichts der unklaren Gesetzeslage derzeit bei einem zu hohen Leverage kaum angenommen werden könnte. Auch wenn somit die berufsrechtliche Bedeutung einer „Vervielfältigung“ der anwaltlichen Tätigkeit durch eine große Zahl von Mitarbeitern nicht abschließend geklärt ist, so spricht doch vieles dafür, jedenfalls eine pauschale Sanktionierung solcher Berufsausübungsformen abzulehnen. 4. Ergebnisse Zusammenfassend ist damit festzuhalten: 1. Ein hoher Leverage zwischen Partnern und angestellten anwaltlichen Mitarbeitern birgt in den Berufsausübungsgesellschaften der Freien Berufe die konkrete Gefahr in sich, dass die Tätigkeit steuerrechtlich als gewerblich eingestuft wird. 2. Gesellschaftsrechtlich kann ein hoher Leverage zur Folge haben, dass die Tätigkeit teilweise als gewerblich eingestuft wird und damit die haftungsrechtlichen Privilegien des § 8 Abs. 2 und 4 PartGG nicht mehr greifen. Diese Frage ist zwar von der Rechtsprechung bislang nicht geklärt, es besteht aber ein nicht unerhebliches Risiko, dass Gerichte nach der lex lata das Haftungsprivileg verweigern könnten. Bei einer Part mbB besteht zudem die Gefahr,

42  Feuerich/Weyland/Vossebürger, BRAO, 9. Aufl. 2016, § 2 Rn. 6; vgl. auch Gaier/ Wolf/Göcken/Wolf, Anwaltliches Berufsrecht, 2. Aufl. 2014, § 2 BRAO Rn. 48; krit. dazu Henssler/Prütting/Busse, BRAO, 4. Aufl. 2014, § 2 Rn. 22. 43  Feuerich/Weyland/Vossebürger, BRAO, 9. Aufl. 2016, § 2 Rn. 6; Gaier/Wolf/ Göcken/Wolf, Anwaltliches Berufsrecht, 2. Aufl. 2014, § 2 BRAO Rn. 47 f. deutet zwar „ab einer bestimmten Größenordnung“ einen Berufsrechtsverstoß an, weil „das Steuerungssystem nur noch eine Steuerung an betriebswirtschaftlichen Kennzahlen“ zulasse, nimmt aber nicht zu berufsrechtlichen Konsequenzen Stellung. Für die hier befürwortete rein steuerrechtliche Relevanz der Vervielfältigungstheorie Henssler/Prütting/Busse, BRAO, 4. Aufl. 2014, § 2 Rn. 22.

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dass das Versicherungskonzept des § 51a Abs. 2 BRAO durch eine zu geringe Maximierung der Versicherungssumme unterlaufen wird. 3. Aus dem Blickwinkel des anwaltlichen Berufsrechts ist ein hoher Leverage bislang nicht als sanktionierbarer Rechtsverstoß eingestuft worden. Es kann zwar nicht ausgeschlossen werden, dass Rechtsanwaltskammern die fehlende Eigenverantwortlichkeit als Verstoß gegen die Vorgabe des § 2 BRAO beanstanden. Berufsrechtliche Sanktionen erscheinen allerdings angesichts der ungeklärten Rechtslage wenig wahrscheinlich, da sie ein zumindest fahrlässiges Verhalten der Berufsträger voraussetzen.

V. Ausblick Insgesamt lässt sich feststellen, dass bei gemischten Unternehmensgegenständen, denen in der Praxis eine wachsende Bedeutung zukommt, die Schwächen des geltenden Rechts der Personengesellschaften kulminieren. Die verfehlte Trennung zwischen Handelsgesellschaften und freiberuflichen Rechtsformen führt zu einer erheblichen, rechtspolitisch unbefriedigenden Rechtsunsicherheit. Alle als Personengesellschaften organisierten Unternehmen, die in einem Grenzbereich zwischen beiden Unternehmensgegenständen tätig werden, sind derzeit dem Risiko des Verlustes ihrer gesellschaftsrechtlichen Haftungsbeschränkung ausgesetzt. Widersprüchliche gesetzliche Vorgaben im Berufs- und Handelsrecht machen es der Rechtsprechung zudem unmöglich, ein stimmiges Gesamtsystem zur Behandlung gemischter Unternehmensgegenstände zu entwickeln. Zusätzlich erschwert wird die nach dem geltenden Recht maßgebliche Abgrenzung zwischen Gewerblichkeit und Freiberuflichkeit durch eigenständige Entwicklungen im Steuerrecht. Es ist daher zu wünschen, dass der Gesetzgeber im Zuge der in dieser Legislaturperiode angestrebten Neuordnung des Rechts der Personengesellschaften die überholte Trennung zwischen gewerblichen und freiberuflichen Rechtsformen im Gesellschaftsrecht aufgibt.

Die Anfechtung als unentgeltliche Leistung – eine Allzweckwaffe des Insolvenzverwalters zur Massegenerierung? Godehard Kayser I. Einleitung Seit Jahren ist die Tendenz zu beobachten, immer dort, wo mehrere Anfechtungssachverhalte im Raum stehen, dem zunehmend mit Hindernissen gepflasterten Weg der Deckungs- und vor allem der Vorsatzanfechtung auszuweichen und zur Massegenerierung verstärkt die Vorschrift des § 134 Abs. 1 InsO fruchtbar zu machen. Neben der großzügig bemessenen Anfechtungsfrist und dem Fehlen oftmals nur schwer nachweisbarer subjektiver Voraussetzungen bietet dieser Ansatz den weiteren Vorteil, anstelle einer Vielzahl von im Vorfeld der Insolvenz befriedigten Insolvenzgläubigern nur einen Zahlungsempfänger in Anspruch nehmen zu müssen. In Folge wird das Bargeschäftsprivileg (§ 142 InsO) umgangen, das bei auf § 134 InsO gestützten Anfechtungen nicht vorliegen kann. Die Einschränkungen auf der Rechtsfolgenseite (§ 143 Abs. 2 InsO) werden als notwendiger Nachteil hingenommen. Unter dem reformierten Anfechtungsrecht wird sich diese Tendenz verstärken! Vor diesem Hintergrund lohnt es sich, die sogenannte Schenkungsanfechtung näher zu betrachten, systematisch einzuordnen und ihre Grenzen aufzuzeigen, zumal diese in den letzten beiden Jahren durch mehrere Grundsatzurteile neu abgesteckt worden sind.

II. Ausgangspunkte Der knapp gefasste § 134 InsO wirft eine Reihe von Fragen auf, die nur teilweise geklärt sind. Sie kreisen auf der Tatbestandsseite um den Rechtsbegriff der Unentgeltlichkeit, insbesondere den hierfür heranzuziehenden objektiven oder (auch) subjektiven Maßstab, bei Deckungen in Zwei-Personen-Verhältnissen um die Einordnung von Erfüllungshandlungen als entgeltliche oder unentgeltliche Leistung und um die um die rechtliche Behandlung der Teilunentgeltlichkeit. Zusätzliche Probleme werden aufgeworfen, wenn mehr als zwei Personen in den Zuwendungsvorgang eingeschaltet sind.

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1.  Normzweck der Schenkungsanfechtung Um sachgerechte Antworten auf die aufgeworfenen Fragen zu finden, ist zunächst der Normzweck der Vorschrift in den Blick zu nehmen. Freigebige Zuwendungen des Schuldners sind weniger schutzwürdig als ein Erwerb, für den der Empfänger und spätere Anfechtungsgegner ein ausgleichendes Vermögensopfer zu erbringen hat. Zuwendungen ohne Vermögensopfer soll der Empfänger innerhalb der Vier-Jahres-Frist billigerweise nicht auf Kosten der Gläubigergesamtheit behalten. Das ist die Grundaussage des § 134 Abs. 1 InsO, die auf der Rechtsfolgenseite durch die Begrenzung des Rückgewähranspruchs in § 143 Abs. 2 Satz 1 InsO gegen eine übermäßige Ausdehnung seiner Anwendung abgesichert wird: Zurückzugewähren ist das Empfangene grundsätzlich nur, soweit der Empfänger durch die unentgeltliche Leistung noch bereichert ist. Die Rückgewähr richtet sich indes gemäß § 143 Abs. 2 Satz 2 nach den allgemeinen Vorschriften, sobald der Empfänger weiß oder den Umständen nach wissen muss, dass die unentgeltliche Leistung die Gläubiger benachteiligt. Will man den Normzweck in Abgrenzung zu den anderen Anfechtungstatbeständen der Insolvenzordnung zusammenfassend umschreiben, kann man sagen, dass § 134 Abs. 1 InsO primär weder der Durchsetzung des Prinzips der Gleichbehandlung aller Gläubiger dient, was der besonderen Insolvenzanfechtung nach §§ 130, 131 InsO zu Grunde liegt,1 noch der Wahrung der prinzipiell gleichen Befriedigungschancen aller Gläubiger, auf die § 133 InsO abzielt,2 sondern dass die Norm die vorgenannten Vorschriften um eine Billigkeitsregel ergänzt: Der Masse wird, wenn es an einem Vermögensopfer des Empfängers fehlt, aus Billigkeitsgründen eine zusätzliche Anfechtungsmöglichkeit eingeräumt.3 Das Prinzip der Masserealisierung überwiegt in den Fallgestaltungen des § 134 InsO das jede Anfechtung mehr oder minder begrenzende Vertrauensschutzprinzip, weil das Vertrauen des Empfängers darauf, dass er das behalten kann, was er bekommen hat, mangels einer Gegenleistung weniger schutzwürdig erscheint.4 2.  Schenkungsanfechtung im Mehrpersonenverhältnis Das gilt auch, wenn mehr als zwei Personen auf der Empfängerseite an dem Zuwendungsvorgang beteiligt sind. Gerade in diesen Konstellationen ergeben sich für den Insolvenzverwalter mitunter überraschende Möglichkeiten der Massemehrung, die mit entsprechenden Risiken auf der Seite des Leistungsempfängers korrespondieren. Diese resultieren aus dem immer noch fehlenden materiellen Konzerninsolvenzrecht und sind in den von   BGH, Urt. v. 10.2.2005 – IX ZR 211/02, BGHZ 162, 143, 148 f.   BGH, Urt. v. 10.2.2005 – IX ZR 211/02, BGHZ 162, 143, 150 f. 3   BGH, Urt. v. 20.4.2017 – IX ZR 252/16, ZIP 2017, 1233 Rn. 10. 4   Bork NZI 2018, 1, 2; Ganter NZI 2015, 249. 1 2

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der Rechtsprechung anerkannten Konstellationen gerechtfertigt, weil es an einem überwiegenden Vertrauen des Leistungsempfängers fehlt.5 In jüngster Zeit wird teilweise vorgeschlagen, Mehrpersonenverhältnisse durch eine „bereicherungsrechtliche Brille“ zu betrachten,6 was der IX. Zivilsenat in der Vergangenheit in dieser Allgemeinheit stets abgelehnt hat.7 Dabei soll, so die dahinter stehende These, ein Gleichklang zwischen den bereicherungsrechtlichen Anweisungsfällen und der Anfechtung nach § 134 InsO hergestellt werden.8 Hierbei knüpft diese Meinung an ein Urteil an, in dem der Senat zur Begründung der Anfechtung gegenüber dem mit der Einziehung von Sozialversicherungsbeiträgen betrauten Sozialversicherer davon gesprochen hat, dass dem bereicherungsrechtlichen Leistungsbegriff in Mehrpersonenverhältnissen Leitbildfunktion zukomme.9 Die in jenem Urteil aufgezeigte Parallele betrifft aber nur die Bestimmung des Gegners einer Deckungsanfechtung nach §§ 130, 131 InsO und ist nicht verallgemeinerungsfähig. Gegen den insolvenzrechtlichen Grundsatz, dass jede Rechtshandlung selbständig auf ihre Ursächlichkeit für gläubigerbenachteiligende Folgen zu überprüfen ist, und zwar auch dann, wenn mehrere Rechtshandlungen gleichzeitig vorgenommen werden oder sich wirtschaftlich ergänzen,10 kann der bereicherungsrechtliche Vergleich nicht ins Feld geführt werden. Der Vorrang der Rückabwicklung im Leistungsverhältnis ist ein spezifisch bereicherungsrechtlicher Rechtsgrundsatz. Das anfechtungsrechtliche Verständnis ist ein anderes! a)  Zwischenperson als tauglicher Anfechtungsgegner? In Mehrpersonenverhältnissen stellt sich zum einen die Frage nach der Passivlegitimation des Zuwendungsempfängers, wenn er – wie etwa eine Gläubigerbank – Leistungsmittler ist, der die empfangene Leistung weitergegeben hat. Stehen auf der Empfängerseite mehrere Personen, ist nur sicher, dass gegenüber der Zwischenperson die Deckungsanfechtung nach §§ 130, 131 InsO ausscheidet. § 134 InsO konkurriert dann – wie etwa in dem von Senat kürzlich entschiedenen „Minderjährigen-Fall“11 – mit der Vorsatzanfechtung, an die in den Leistungsmittlerfällen erhöhte Anforderungen zu stellen sind: Selbst aus der positiven Kenntnis von der Zahlungseinstellung des Schuldners braucht der Leistungsmittler nicht wie sonst auf die Kenntnis von dem

  BGH, Urt. v. 19.7.2018 – IX ZR 307/16, ZIP 2018, 1601 Rn. 26, 28, 32.   Gehrlein DB 2017, 1761 ff. 7   Grundlegend BGH, Urt. v. 16.11.2007 – IX ZR 194/04, BGHZ 174, 228 Rn. 11, 33. 8   Gehrlein DB 2017, 1761. 9   Gehrlein DB 2017, 1761, 1762 unter Bezugnahme auf BGH, Urt. v. 3.4.2014 – IX ZR 201/13, ZIP 2014, 1032 Rn. 24. 10   Näher hierzu Kayser MünchKomm InsO, 3. Aufl. 2013, § 129 Rn. 55. 11   BGH, Urt. v. 7.9.2017 – IX ZR 224/16, ZIP 2017, 1863. 5 6

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Benachteiligungsvorsatz des Schuldners zu schließen.12 Der Bundesgerichtshof bestimmt die Anforderungen an die für § 133 Abs. 1 InsO erforderliche Kenntnis danach, ob der Zahlungsmittler als bloße Zahlstelle des Schuldners tätig wird, also am Zahlungsvorgang nur in technischer Funktion beteiligt ist (wie meist die Schuldnerbank) oder ob er im Eigen- oder Fremdinteresse aktiv an der Gläubigerbenachteiligung teilnimmt. Für den Erfolg der erstrebten Massemehrung durch Anfechtung gegen eine Zwischenperson, die sich auf eine Zahlstellenfunktion beschränkt hat, kann deshalb entscheidend sein, ob ihr gegenüber die „Schenkungsanfechtung“ durchgreift, obwohl an sie keine Schenkung im Sinne des § 516 Abs. 1 BGB erbracht worden ist. b)  Im Besonderen: Kreditinstitute als Anfechtungsgegner? Um etwa die Bank des Insolvenzgläubigers in der Insolvenz des leistenden Schuldners zum Quell einer Massegenerierung zu machen, kann man aber auch anders ansetzen: Der Gläubiger, dessen Forderung der spätere Schuldner unbar erfüllt hat, wird als Zahlungsmittler der Bank behandelt, wenn die Bank, was der Regelfall sein wird, den vom Schuldner bewirkten Zahlungseingang zur Rückführung eines Darlehens des Gläubigers eingesetzt hat. Dieser konstruktive Weg kann sich im Ausgangspunkt sogar auf Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs stützen.13 Der Senat hatte in einem die Zuwendung einer Lebensversicherungssumme durch den Schuldner an den späteren Anfechtungsgegner betreffenden Fall ausgeführt, dass – wenn es sich im Valutaverhältnis um eine unentgeltliche Leistung handele – die durch die Zwischenschaltung des Versicherers mittelbar gewährte Leistung anfechtungsrechtlich der unmittelbaren gleichstehe. Mittelbare Zuwendungen seien so zu behandeln, als habe die zwischengeschaltete Person an den Schuldner geleistet und dieser sodann an den Anfechtungsgegner. Daraus folgerte der Senat dann in jenem Fall, dass die anfechtbare Leistung in der dem Dritten, also dem Anfechtungsgegner – konstruktiv über den Schuldner – gezahlten gesamten Versicherungssumme zu sehen sei, nicht aber nur in der Summe der von dem Schuldner in anfechtbarer Zeit aufgebrachten Prämien. Der nun zu entscheidende Fall liegt nach den Wertungen dann doch anders. Der Senat hat deshalb dem anfechtungsrechtlichen Ansatz des Insolvenzverwalters eine Absage erteilt: Die unbare Zahlung des Schuldners auf das von seinem Gläubiger bei der Anfechtungsgegnerin debitorisch geführte Konto ist gegenüber dieser nur dann als mittelbare unentgeltliche Leistung anfechtbar, wenn der Wille des Schuldners darauf gerichtet war, seine Zahlung im Endergebnis der Bank zuzuwenden.14 Das wird praktisch niemals der Fall sein, es sei denn, Schuldner und Bank sind miteinander verbandelt.   BGH, Urt. v. 14.9.2017 – IX ZR 3/16, ZIP 2017, 2370 Rn. 21.   BGH, Urt. v. 23.10.2003 – IX ZR 252/01, BGHZ 156, 350, 356. 14   BGH, Beschl. v. 9.7.2015 – IX ZR 207/13, ZIP 2015, 1545 Rn. 2. 12 13

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Zur Klarstellung hat der Senat noch angefügt, dass hierfür das Wissen um die Überziehung des Kontos durch den Gläubiger nicht ausreiche. c)  Mehrheit von Leistenden In anderen Konstellationen steht die Person des Leistungsempfängers und damit auch dessen Passivlegitimation nicht in Frage. Dem Empfänger der Leistung stehen jedoch mehrere Personen gegenüber, meist der vertragliche oder gesetzliche Schuldner und ein Dritter, der – etwa im Konzernverbund – die Schuld des Vertrags- oder gesetzlichen Schuldners ausgeglichen hat. Beide kommen als Leistende im Sinne des Anfechtungsrechts in Betracht. Die Bestimmung der aktivlegitimierten Masse bestimmt sich nach objektiven Maßstäben aus Sicht des Empfängers.15 Im Innenverhältnis kann der Drittzahlung auch ein familiäres oder vertragliches Verhältnis zwischen dem Vertragsschuldner und der die Zuwendung ausführenden Person zu Grunde liegen. Rühren die Zahlungsmittel aus dem Vermögen des Vertragsschuldners her, wirft das bei Doppelinsolvenz auf der Seite der Leistenden zusätzliche Probleme auf. Die hauptsächlichen Fragen sind –– worin kann überhaupt außerhalb des Leistungsverhältnisses die ausgleichende Gegenleistung des befriedigten Gläubigers für die von dem Dritten empfangene Leistung liegen, und –– wie ist bei Doppelinsolvenz das Konkurrenzverhältnis zwischen möglichen Anfechtungsansprüchen des Insolvenzverwalters über das Vermögen des Vertragsschuldners und dem über das Vermögen des Dritten aufzulösen? aa)  Grundfall der Anfechtung von Drittzahlungen Nach § 267 Abs. 2 BGB kann der Gläubiger und spätere Anfechtungsgegner die Leistung des Dritten nur ablehnen, wenn sein Schuldner widerspricht, wozu es in den hier interessierenden Konstellationen meist nicht kommt. Nimmt der Gläubiger eines vertraglichen oder gesetzlichen Anspruchs die Leistung durch den Dritten entgegen, läuft er sehenden Auges in die Anfechtungsfalle des § 134 InsO, ohne ein probates Abwehrmittel in der Hand zu haben. Insbesondere kann er keinen Insolvenzantrag stellen, weil er, was § 14 InsO auch in der Fassung des Anfechtungsreformgesetzes16 weiterhin voraussetzt, keine Forderung gegen den Schuldner besitzt. Die ständige Rechtsprechung des Senats rechtfertigt dieses Ergebnis trotz der fehlenden Abwehrmöglichkeiten des Leistungsempfängers mit dem fehlenden Vertrauen, salopp formuliert mit Argument „wie gewonnen so zerronnen“.   BGH, Urt. v. 5.7.2018 – IX ZR 126/17, ZIP 2018, 1505 Rn. 14.   Gesetz zur Verbesserung der Rechtssicherheit bei Anfechtungen nach der InsO und nach dem AnfechtungsG v. 29.3.2017, BGBl. I 2017, 654. 15 16

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Denn auch bei Drittzahlungen ist ein Leistungsempfänger nur vermindert schutzwürdig, wenn sein Vermögen durch die angefochtene Leistung lediglich vermehrt und im Gegenzug nicht vermindert worden ist.17 Nach einer neueren Ansicht soll das nicht mehr gelten, seitdem der Senat im Zwei-Personenverhältnis die Freigebigkeit des Schuldners als das maßgebliche Abgrenzungskriterium für die Unentgeltlichkeit betont.18 Eine solche Freigebigkeit scheide aus, wenn sich der Schuldner gegenüber dem Forderungsschuldner „oder einer sonstigen Person“ zur Vornahme der Zahlung verpflichtet habe. Dieser vornehmlich auf Rechtsprechung des Reichsgerichts und ältere Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs gestützte Standpunkt schien durch die Urteile des Senats insbesondere in den Geschi-Brot Fällen19 überwunden gewesen zu sein. Dort ist explizit nachzulesen, dass es auf das Innenverhältnis zu dem Vertragsschuldner oder gesetzlichen Schuldners des Zahlungsempfängers gerade nicht ankommt.20 Auch in der Sache selbst überzeugt der „reaktivierte“ Ansatz nicht. Die Freigebigkeit ist ein im Subjektiven verankertes Hilfskriterium, um in einem Zwei-Personenverhältnis die Schenkung von dem entgeltlichen Vertrag abzugrenzen. Auf die Frage, ob ein Anfechtungsgegner, der zum Schuldner in keiner Rechtsbeziehung steht, schutzwürdig ist, gibt es keine Antwort. Hier kann nur zur Begrenzung der Anfechtung nach § 134 InsO nur maßgeblich sein, ob der Anfechtungsgegner im Gegenzug zu der angefochtenen Leistung eine dessen Vertrauen begründende Gegenleistung zu erbringen hat, und sei es auch an einen Dritten.21 bb)  Besonderheiten bei Doppelinsolvenz auf der Seite der Leistenden Sind auf der Seite des Leistenden sowohl über das Vermögen der zuwendenden Person als auch über das des vertraglichen oder gesetzlichen Schuldners des Anfechtungsgegners das Insolvenzverfahren eröffnet worden, konkurrieren zwei Massen um den anfechtungsrechtlichen Rückgewähranspruch aus § 143 InsO gegen den Leistungsempfänger. Die beiden Insolvenzverwalter sind mit ihren Ansprüchen aus Deckungsanfechtung einerseits und Schenkungsanfechtung andererseits weder Gesamtgläubiger noch Teilgläubiger. Es liegen konkurrierende Anfechtungsansprüche für verschiedene Insolvenzmassen vor, die sich allerdings, auch soweit beide begründet sind,

17   BGH, Urt. v. 3.3.2005 – IX ZR 441/00, BGHZ 162, 276, 280; BGH, Urt. v. 4.2.2016 – IX ZR 42/14, ZIP 2016, 478 Rn. 9; Bork NZI 2018, 1, 3. 18   Gehrlein DB 2017, 1761, 1765. 19   BGH, Urt. v. 3.3.2005 – IX ZR 441/00, BGHZ 162, 276. 20   BGH, Urt. v. 3.3.2005 – IX ZR 441/00, BGHZ 162, 276, 282. 21   So schon BGH, Urt. v. 15.4.1964 – VIII ZR 232/62, BGHZ 41, 298, 302; BGH, Urt. v. 4.3.1999 – IX ZR 63/98, BGHZ 141, 96, 99 f; BGH, Urt. v. 3.3.2005 – IX ZR 441/00, BGHZ 162, 276, 280; Bork NZI 2018, 1, 3.

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nur einmal durchsetzen lassen.22 Die Auflösung des Konkurrenzverhältnisses kann dadurch weiter erschwert sein, dass im Deckungsverhältnis ein Vergleich über den in jenem Verfahren geltend gemachten Rückgewähranspruch geschlossen wird, der nicht zu Lasten der anderen Masse gehen kann.23 Für das Verhältnis der Anfechtungsansprüche zueinander sind in diesen Konstellationen die Rechtsgrundsätze maßgeblich, die der Senat im „Doppelinsolvenzfall“ entwickelt hat.24 Auch diesem Urteil liegt nicht etwa die Erwägung zu Grunde, dass in Mehr-Personenverhältnissen die anfechtungsrechtliche Rückgewähr grundsätzlich wie eine bereicherungsrechtliche Rückgewähr vorzunehmen sei, also grundsätzlich der Vorrang des Leistungsverhältnisses gelte. Es ging dem Senat vielmehr darum, im Fall der Doppelinsolvenz einen Wettlauf der Insolvenzverwalter bei der Geltendmachung konkurrierender Anfechtungsansprüche aus dem Deckungsverhältnis (§§ 130, 131, 133 Abs. 1 InsO) und aus Schenkungsanfechtung (§ 134 InsO) zu verhindern. Da die Anfechtung einer mittelbaren Zuwendung voraussetzt, dass der Forderungsschuldner den Gegenwert der Leistung dem Zuwendenden zur Verfügung gestellt hat, erscheinen im Hinblick auf dieses Vermögensopfer die Belange der Gläubiger des Forderungsschuldners schutzwürdiger als diejenigen der Gläubiger des Leistungsmittlers.25 Gleicht bei Doppelinsolvenz der Anfechtungsgegner diese Nachteile aber nicht aus, kann von den Gläubigern des Leistungsmittlers kein weiteres Zurücktreten ihrer Interessen verlangt werden.26 Gerade dies verdeutlicht, dass es bei der Begründung der Durchsetzungssperre nicht um dogmatische Erwägungen oder Parallelwertungen zu bereicherungsrechtlichen Anweisungslagen geht, sondern allein um die Eröffnung eines in der Insolvenzpraxis handhabbaren Weges, der sicherstellt, dass ein Wettlauf um die Durchsetzung des anfechtungsrechtlichen Rückgewähranspruchs unterbleibt.27 Da mithin keine zusätzliche (negative) Anspruchsvoraussetzung für die Schenkungsanfechtung in Rede steht, liegt die Darlegungs- und Beweislast für die Erhebung und die sachliche Begründetheit des vorrangigen Anfechtungsanspruchs im Deckungsverhältnis beim Anfechtungsgegner.28

22  BGH, Urt. v. 6.11.2007 – IX ZR 194/04, BGHZ 174, 228 Rn. 33; BGH, Urt. v. 4.2.2016 – IX ZR 42/14, ZIP 2016, 478 Rn. 24. 23   BGH, Urt. v. 4.2.2016 – IX ZR 42/14, ZIP 2016, 478. 24   BGH, Urt. v. 16.11.2007 – IX ZR 194/04, BGHZ 174, 228; Zusammenfassung der Grundsätze in BGH, Urt. v. 4.2.2016 – IX ZR 42/14, ZIP 2016, 478 Rn. 12, 20. 25   BGH, Urt. v. 4.2.2016 – IX ZR 42/14, ZIP 2016, 478 Rn. 25. 26   BGH, Urt. v. 4.2.2016 – IX ZR 42/14, ZIP 2016, 478 Rn. 25. 27   BGH, Urt. v. 16.11.2007 – IX ZR 194/04, BGHZ 174, 228, Rn. 29. 28  BGH, Urt. v. 16.11.2007 – IX ZR 194/04, BGHZ 174, 228, Rn. 49; BGH, Urt. v. 4.2.2016 – IX ZR 42/14, ZIP 2016, 478 Rn. 13.

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Aus diesen Grundätzen zieht der Senat in seinem neuen Urteil die Konsequenz:29 Ein Vergleich über Anfechtungsansprüche im Deckungsverhältnis kann nicht zu Lasten der anderen Masse gehen, aus der heraus die unentgeltliche Leistung an den Anfechtungsgegner erbracht worden ist. Deshalb schließt bei Doppelinsolvenz der Vergleich im Deckungsverhältnis eine Schenkungsanfechtung durch den Insolvenzverwalter des Zahlungsmittlers nur insoweit aus, als der Anfechtungsgegner das anfechtbar Erlangte tatsächlich an die Masse des Vertragsschuldners zurückgewährt. 3.  Ausreichung eines Nachrangdarlehens als unentgeltliche Leistung? a)  Der vom BGH entschiedene Fall Die Anfechtung unentgeltlicher Leistungen weist auch Verbindungen zum Gesellschaftsinsolvenzrecht auf. In einem Fall der Doppelinsolvenz von Gesellschaft und Gesellschafter wollte der Insolvenzverwalter über das Vermögen des Gesellschafters einen Anspruch des Gesellschafters auf Rückzahlung eines Darlehens als einfache Insolvenzforderung (§ 38 InsO) zur Tabelle anmelden, was der Insolvenzverwalter über das Vermögen der Gesellschaft unter Hinweis auf § 39 Abs. 1 Nr. 5 InsO zurückwies. Der Fall bot dem Bundesgerichtshof Gelegenheit, seinen Standpunkt zur anfechtungsrechtlichen Behandlung von Gesellschafterdarlehen nach § 134 InsO klarzustellen.30 Konkret war die Frage zu beantworten, ob der klagende Insolvenzverwalter dem Nachrangeinwand des beklagten Insolvenzverwalters entgegenhalten konnte, die Hingabe des Darlehens sei wegen „Unentgeltlichkeit“ nach § 134 InsO anfechtbar. b)  Altes und neues Gesellschaftsinsolvenzrecht Den Ausgangspunkt der Überlegungen bildet die neue Rechtsprechung zum Austausch-Marktgeschäft.31 Danach wäre die Ausreichung eines Darlehens, wäre sie durch einen Nichtgesellschafter erfolgt, als entgeltliches Geschäft zu beurteilen gewesen. Zu klären war deshalb, ob sich aus der „Kapitalersatzfunktion“ des Gesellschafterdarlehens etwas Abweichendes ergibt. Der Bundesgerichtshof hatte das zum alten Rechtszustand vor dem MoMiG32 angenommen. Das Stehenlassen der Gesellschafterleistung, das zur Umqualifizierung in Eigenkapital führe, sei in der Insolvenz des Gesellschafters gegenüber der Gesellschaft als unentgeltliche Leistung anfechtbar.33   BGH, Urt. v. 4.2.2016 – IX ZR 42/14, ZIP 2016, 478 Rn. 24.   BGH, Urt. v. 13.10.2016 – IX ZR 184/14, ZIP 2016, 2483. 31   BGH, Urt. v. 15.9.2016 – IX ZR 250/15, ZIP 2016, 2329; dazu nachfolgend unter III.2. 32   Gesetz zur Modernisierung des GmbH-Rechts und zur Bekämpfung von Missbräuchen vom 23.10.2008, BGBl. I S. 2026. 33   BGH, Urt. v. 2.4.2009 – IX ZR 236/07, ZIP 2009, 1080 Rn. 17 ff. 29 30

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Schon ab Eintritt der „Krise“ war das Darlehen nach altem Recht nicht mehr vollwertig. Auf das neue Recht, das keine „Krise“ mehr kennt, sondern Darlehensforderungen der Gesellschafter gegen die Gesellschaft erst mit Verfahrenseröffnung abwertet und die dadurch auftretenden Lücken durch die „Fristenregelung“ des § 135 InsO schließt, können diese Rechtsprechungsgrundsätze, die ohnehin sehr weitgehend waren, nach Auffassung des Senats nicht übertragen werden. Dies kann an dieser Stelle nicht vertieft werden. Eine Kontrollüberlegung bestätigt das Ergebnis. Der Eintritt der „Krise“ lässt sich ex ante objektiv bestimmen, wenn auch mit großen Schwierigkeiten, weshalb dieser Anknüpfungspunkt vom Gesetzgeber bekanntlich abgeschafft worden ist. Ab der „Krise“ wurde das Darlehen mit allen Konsequenzen wie Eigenkapital behandelt. Nach neuem Recht wird der Gesellschafter in Bezug auf sein Darlehen hingegen bis zur Verfahrenseröffnung wie ein Dritter behandelt. Übertrüge man die Rechtsgedanken zum alten Recht auf den Rechtszustand nach dem MoMiG, würde der Anfechtungstatbestand des § 134 InsO zu Lasten des Gesellschafters ex post geschaffen. Das wäre systemfremd und zu weitgehend.

III.  Unentgeltlichkeit der Leistung Im Zentrum der Norm des § 134 InsO steht das Tatbestandsmerkmal der Unentgeltlichkeit.34 Eine Leistung ist – so lautet die in ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs verwendete Formel – unentgeltlich, wenn der Erwerb des Empfängers in seiner Endgültigkeit vereinbarungsgemäß nicht von einer ausgleichenden Zuwendung abhängt.35 Eine Vereinbarung über die Unentgeltlichkeit ist hierbei, anders als es § 516 Abs. 1 BGB für die Schenkung fordert, allerdings nicht nötig. Dieser kleine, aber feine Unterschied wirkt sich nicht zuletzt in Drei-Personenverhältnissen aus. Erfasste § 134 InsO nur Schenkungen im engeren Sinn, wäre der Tatbestand außerhalb einer Leistungsbeziehung kaum anwendbar. Die Eignung des § 134 InsO als probates Mittel zur Masseanreicherung wäre vielfach in Frage gestellt. Behandelte man hingegen jede rechtsgrundlose Leistung als unentgeltliche im Sinne des § 134 InsO, könnte die Eingangsfrage dieses Beitrages einschränkungslos bejaht werden. Wie häufig, ist auch hier eine mittlere Linie vorzugswürdig.

34  Grundlegend zur Unentgeltlichkeit in Zwei-Personen-Verhältnissen Ganter NZI 2015, 249 ff. 35   Kayser MünchKomm InsO, 3. Aufl. 2013, § 134 Rn. 17; BGH, Urt. v. 4.2.2016 – IX ZR 42/14, ZIP 2016, 478 Rn. 9.

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1.  Objektiver Maßstab als Ausgangspunkt Vom Normzweck her kann nicht zweifelhaft sein, dass zur Bestimmung der Unentgeltlichkeit grundsätzlich ein objektiver Maßstab anzulegen ist.36 Allerdings enthält schon die vorstehend genannte Grundformel mit dem Wort „vereinbarungsgemäß“ ein subjektives Element. Ohne dieses geht es nicht. Andernfalls würden vertragliche Vorleistungen des späteren Schuldners nach § 134 InsO rückabzuwickeln sein, nur weil die Gegenleistung – aus welchen Gründen auch immer – ausgeblieben ist.37 Im Vordergrund steht indes der objektive Maßstab. Da dem Leistungsempfänger im Anwendungsbereich des § 134 Abs. 1 InsO der Vertrauensschutz versagt wird, weil er keine gleichwertige Gegenleistung erbracht hat (vorstehend unter II.1.), ist zunächst zu fragen, ob er eine entsprechende Gegenleistung erbracht oder jedenfalls versprochen hat. Diese Frage zielt auf zwei jedenfalls im Ausgangspunkt objektiv zu beurteilende Umstände, die Gegenleistung an sich und die Äquivalenz der Gegenleistung. Soweit ein späteres Ausbleiben der Gegenleistung die entgeltliche Leistung nicht in eine unentgeltliche verwandelt, stellt das den objektiven Maßstab nicht in Frage. Eine „Um-Etikettierung“ einer Schenkung durch Benennung irgendeiner Gegenleistung in ein entgeltliches Geschäft ist allerdings nicht möglich. Die vereinbarte Gegenleistung muss bei objektiver Betrachtung den Anforderungen an eine solche entsprechen. Auf subjektive Vorstellungen der Vertragsparteien kann es hierbei nicht ankommen. 2.  Begrenzung der Schenkungsanfechtung durch subjektive Elemente? Bei der Beurteilung der Äquivalenz von Leistung und Gegenleistung fällt das Bild hingegen nicht mehr so eindeutig aus. Insoweit können subjektive Elemente mitbestimmend sein. a) Austausch-Marktgeschäft aa)  Vorbereitende Entscheidungen Die Behandlung subjektiver Elemente bei der Einordnung eines Rechtsgeschäfts als entgeltlich oder unentgeltlich hat den Senat schon in der Vergangenheit beschäftigt. Der Rolle des „Türöffners“ für die Begrenzung der Schenkungsanfechtung durch subjektive Elemente kommt einem Urteil zu, in dem über einen Vergleich zwischen dem Bauherren und dem schuldnerischen Bauunternehmen zu entscheiden war.38 In dem Entgegenkommen des 36   Kayser MünchKomm InsO, 3. Aufl. 2013, § 134 Rn. 22; Bork NZI 2018, 1, 2; Gehrlein JR 2017, 214, 215; a.A Ganter NZI 2015, 249, 256 f. 37   Kayser MünchKomm InsO, 3. Aufl. 2013, § 134 Rn. 17c mwN. 38   BGH, Urt. v. 9.11.2006 – IX ZR 285/03, ZIP 2006, 2391.

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Bauherrn, überhaupt etwas an den späteren Insolvenzschuldner zu leisten, kann, so Bundesgerichtshofs damals, eine den Verzicht des schuldnerischen Bauunternehmens auf Teile des Werklohns ausgleichende Gegenleistung liegen. Wird durch den Vergleich eine bestehende Ungewissheit durch gegenseitiges Nachgeben beseitigt, liegt in dem Forderungsverzicht deshalb im Regelfall keine unentgeltliche Leistung. Anders ist es allerdings, wenn – wie bei einem Notverkauf – der Schuldner in dem Vergleich feststehende oder leicht durchsetzbare Forderungspositionen preisgibt, nur um in der Krise dringend benötigte Liquidität zu gewinnen. Der Vergleichsinhalt darf den Bereich nicht verlassen, der bei objektiver Beurteilung ernsthaft zweifelhaft sein kann.39 Den Parteien wird also ein in der Parteivereinbarung wurzelnder Beurteilungsspielraum zugebilligt, solange sich ihre Vorstellungen an den objektiven Verhältnissen ausrichten und keine anfechtungsrechtlich bedenklichen Motive – wie beim Notverkauf – bestimmend werden. Entsprechendes gilt im Übrigen für die Fälle der Nachbesicherung eines Problemkredits auf Grund einer allgemeinen und deshalb nicht anfechtungsfesten Nachbesicherungsklausel, die unabhängig davon als entgeltlich einzuordnen ist, ob das Darlehen ohne die Nachbesicherung kündbar gewesen wäre oder nicht.40 Die Nachbesicherung eines Darlehens eines Kreditinstituts mag inkongruent sein, unentgeltlich ist sie nicht! Ein Gegenbeispiel bildete die Zahlung einer Vermittlungsprovision, die als unentgeltliche Leistung anfechtbar ist, soweit sie auf Scheingewinnen beruht, die den vermittelten Anlegern gutgeschrieben worden sind. Bei objektiver Betrachtung war in den wahrgenommenen Betreuungsdiensten für die betrügerisch agierende Schuldnerin kein objektiver Wert zu sehen.41 Diese Fälle verdeutlichen, dass es nicht um die Überfrachtung der Unentgeltlichkeitsprüfung mit subjektiven Merkmalen geht, auf die der Gesetzgeber bei § 134 InsO vollständig verzichtet habe,42 sondern um Korrekturüberlegungen, ohne welche die Anfechtung unentgeltlicher Leistungen nicht wertungsgerecht abgegrenzt werden kann. bb)  Der Anteilskauf-Fall Die vorstehend skizzierte Rechtsprechung bildet die Vorgeschichte und zugleich den Hintergrund zum sogenannten Anteilskauf-Fall.43 Dort hatten die Kaufvertragsparteien einen, wie sie meinten, zu Gunsten der späteren Masse zu niedrigen Kaufpreis vereinbart, der sich im Nachhinein aber als zu hoch erwies, weil – dies war im Revisionsverfahren zu Gunsten des Insolvenz  BGH, Urt. v. 9.11.2006 – IX ZR 285/03, ZIP 2006, 2391 Rn. 17.   BGH, Urt. v. 22.7.2004 – IX ZR 183/03, ZIP 2004, 1819; BGH, Urt. v. 1.6.2006 – IX ZR 159/04, ZIP 2006, 1362 Rn. 11. 41   BGH, Beschl. v. 21.12.2010 – IX ZR 199/10, NZI 2011, 107 Rn. 13. 42   So aber Bork NZI 2018, 1, 2. 43   BGH, Urt. v. 15.9.2016 – IX ZR 250/15, ZIP 2016, 2329. 39 40

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verwalters zu unterstellen – die von der Schuldnerin angekauften Geschäftsanteile schon bei Vertragsschluss gänzlich wertlos waren. Es war also eine Gegenleistung vereinbart; die Äquivalenz stimmte aber nicht, wenn ein objektiver Maßstab angelegt wurde. Der Bundesgerichthof hat das Geschäft dessen ungeachtet als entgeltlich angesehen.44 Unter Hinweis auf den Vertrauensschutzgesichtspunkt, der in den Fällen der Rückforderung unentgeltlicher Leistungen regelmäßig hinter das Prinzip der optimalen Verwertung des Schuldnervermögens zurücktreten müsse, ist hiergegen Kritik geäußert geworden, weil das gefundene Ergebnis zu den gesetzlichen Wertungsgrundlagen des § 134 InsO in Widerspruch stehe.45 Die Kritik hat insoweit Recht, als das Vertrauen des Schuldners bei der Abgrenzung von Anfechtungstatbeständen generell keinen Schutz verdient. Es ist deshalb irrelevant, ob der Schuldner von der Entgeltlichkeit oder Unentgeltlichkeit einer Leistung ausgeht. Hinsichtlich der Einbeziehung des übereinstimmenden Vorstellungsbildes der am Zuwendungsvorgang beteiligten Personen liegt es dagegen mitunter anders (vgl. vorstehend unter aa), so dass sich die Lösung durchaus in die bisherige Rechtsprechung einfügt: Auszugehen ist von dem Fall eines Austausch-Marktgeschäftes, also eines gegenseitigen Vertrages, der nicht anders zwischen Fremden und, um im Bild zu bleiben, auf einem „Markt“ abgeschlossen worden wäre. Dies ist bei natürlichem Verständnis für den Verkäufer auch dann ein entgeltliches Geschäft, wenn der erzielte Kaufpreis deutlich übersetzt ist. War hieran aus ex-postSicht gleichwohl etwa „faul“, was nicht offen zu Tage liegt, ist es Sache des Insolvenzverwalters, dies aufzuzeigen. Im Streitfall ergab sich hierfür nichts. b)  Rechtsgrundlose Leistungen Da eine Leistung nach § 134 InsO unentgeltlich ist, wenn der Erwerb des Empfängers vereinbarungsgemäß nicht von einer Gegenleistung abhängt, stellt sich die Frage, was gilt, wenn eine Vereinbarung gänzlich fehlt oder sie zwar getroffen, aber aus Rechtsgründen unwirksam ist. Ist bei § 134 InsO die rechtsgrundlose Leistung der unentgeltlichen gleichzustellen? Der Bundesgerichtshof hat die Frage im „Bearbeitungsgebühren-Fall“46 differenzierend beantwortet, indem er eine Verknüpfung mit der parallelen bereicherungsrechtlichen Rückabwicklung nach §§ 812 ff. BGB vornimmt: Der bereicherungsrechtliche Rückforderungsanspruch, der mit der rechtsgrundlosen Hingabe der angefochtenen Leistung sofort entsteht, führt zur Entgeltlichkeit der Leistung. In derartigen Konstellationen nimmt der Schuldner keine freigebige Zuwendung vor. Ist die Rückforderung hingegen nach §§ 814, 817 BGB ausgeschlossen, ist Raum für § 134 Abs. 1 InsO. Das Urteil umschreibt   BGH, Urt. v. 15.9.2016 – IX ZR 250/15, ZIP 2016, 2329 Rn. 22.   Bork NZI 2018, 1, 8. 46   BGH, Urt. v. 20.4.2017 – IX ZR 252/16, ZIP 2017, 1233. 44 45

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das mit der Formulierung, dass eine bewusste, in Kenntnis des Nichtbestehens erbrachte Leistung auf eine Nichtschuld stets eine unentgeltliche Leistung darstelle.47 Die Rechtsprechung nimmt mit der Anerkennung des gesetzlichen Anspruchs aus § 812 BGB als Kompensation eine Begrenzung des § 134 InsO vor. Existiert ein schuldrechtlicher Rückzahlungsanspruch, liegt keine kompensationslose Minderung des Schuldnervermögens vor.48 Offengeblieben in der bisherigen Rechtsprechung ist der Einfluss der Werthaltigkeit des Bereicherungsanspruchs in diesen Fällen. Die Rechtslage kann wohl nichts anders beurteilt werden als in dem Fall, dass der Schuldner ein Darlehen ausgezahlt hat, dessen Rückzahlung er vertraglich verlangen kann. Wie dort ist das Ausbleiben der Gegenleistung deshalb auch hier irrelevant, soweit es darum geht, die unentgeltliche Leistung von der entgeltlichen abzugrenzen.49 Weitere jüngere Senatsurteile bestätigen die vorgenannte Rechtsprechungslinie. Im „Minderjährigen-Fall“50 hatten die Eltern als Geschäftsführer der Schuldnerin in Ausnutzung ihrer gesetzlichen Vertretungsmacht für ihr Kind ein Konto ihrer damals 14jährigen Tochter zwischengeschaltet, um die Gesellschaftsgläubiger zu befriedigen. Der klagende Insolvenzverwalter hielt sich – im Ergebnis ohne Erfolg – an die Tochter. Der Bundesgerichthof hatte mehrere in den Vorinstanzen offengebliebene Tatbestandsvarianten (wirksamer Treuhandvertrag; unwirksamer Treuhandvertrag; faktischer Missbrauch des Kontos der Tochter) in Betracht zu ziehen. In allen denkbaren Konstellationen fehlte es an der Freigebigkeit, weil die empfangenen Leistungen unabhängig von ihrer rechtlichen Einordnung mit einem Rückgewähranspruch gegen die Tochter korrespondierten.51 3.  Garantieausschüttung des Kapitalanlageunternehmens Werden gewinnunabhängige Zahlungsversprechen erfüllt, obwohl die Gesellschaft keine Gewinne erzielt hat, ist das eine entgeltliche Leistung, die grundsätzlich nicht nach § 134 InsO anfechtbar ist.52 Vorliegend war die Einlagenrückzahlung jeweils entgeltlich, weil ihr ein vertraglicher Anspruch des Anlegers zu Grunde lag, der die Garantieverzinsung unter Anrechnung auf das Ergebnis der Gesellschaft vorsah. Die garantierten Zinsen waren daher das Entgelt für die Kapitalüberlassung. Es kann auch anders sein! Der   Zustimmend jetzt Bork NZI 2018, 1, 4 f.   BGH, Urt. v. 20.4.2017 – IX ZR 252/16, ZIP 2017, 1233 Rn. 16. 49  A.A. Bork NZI 2018, 1, 5; zur Teilunentgeltlichkeit vgl. nachfolgend unter 5. 50   BGH, Urt. v. 7.9.2017 – IX ZR 224/16, ZIP 2017, 1863 Rn. 18. 51   BGH, Urt. v. 7.9.2017 – IX ZR 224/16, ZIP 2017, 1863 Rn. 20. 52  BGH, Urt. v. 20.4.2017 – IX ZR 189/16, ZIP 2017, 1284; ebenso BGH, Urt. v. 20.7.2017 – IX ZR 7/17, ZInsO 2017, 1843 ähnlich BGH, Urt. v. 5.7.2018 – IX ZR 139/17, ZIP 2018, 1746. 47 48

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Fall unterscheidet sich von der bewussten Auszahlung von Scheingewinnen durch eine Schuldnerin an betrogene Anleger, die sich an einem im Schneeball-System operierenden, betrügerischen Kapitalanlageunternehmen beteiligt haben. Derartige Konstellationen werden von § 134 Abs. 1 InsO erfasst.53 4.  Unentgeltlichkeit bei Drittzahlungen a) Grundsätze In Konzernkonstellationen kommt es nicht selten zu Drittzahlungen, häufig durch die hierfür im Innenverhältnis zuständige Tochtergesellschaft. So lag es auch in dem vom Bundesgerichtshof jüngst entschiedenen Fall zur anfechtungsrechtlichen Rückforderung von Drittzahlungen.54 Ausgehend von der Aktivlegitimation des Insolvenzverwalters der Tochtergesellschaft55 soll an dieser Stelle der Frage nachgegangen werden, unter welchen Voraussetzungen die Unentgeltlichkeit bejaht werden kann. Vom Sachverhalt her glich der Fall weitgehend den dem Senat bereits bekannten Konstellationen. In seinem Grundsatzurteil aus dem Jahre 2005 („Geschi-Brot“)56 hatte der Senat folgende, nunmehr nochmals bestätigte Leitlinien aufgestellt: –– Eine Leistung, die der spätere Insolvenzschuldner zur Tilgung einer Forderung des Leistungsempfängers gegen einen Dritten erbringt, ist unentgeltlich, wenn der Empfänger keine ausgleichende Gegenleistung zu erbringen hat. –– Für die Frage, ob der spätere Insolvenzschuldner eine unentgeltliche Leistung erbracht hat, sind eine entsprechende Leistungsverpflichtung gegenüber dem Dritten, mit der Zahlung verfolgte wirtschaftliche Interessen oder Vorteile unerheblich; maßgeblich ist allein das Rechtsverhältnis zum Leistungsempfänger. –– Die Gegenleistung des Leistungsempfängers liegt in der Regel darin, dass er eine werthaltige Forderung gegen seinen Schuldner verliert. –– Die Entgeltlichkeit folgt nicht daraus, dass der Leistungsempfänger zu einem früheren Zeitpunkt seinerseits Leistungen an den Dritten – oder auf dessen Weisung an einen Vierten – erbracht hat, die eine Gegenleistung zu der nun erfüllten Forderung darstellen. –– Für die Beurteilung der Frage, ob der Leistungsempfänger eine werthaltige Gegenleistung erbracht hat, ist der Zeitpunkt der Vollendung des Rechtserwerbs (§ 140 Abs. 1 InsO) maßgeblich. 53   BGH, Urt. v. 11.12.2008 – IX ZR 195/07, BGHZ 179, 137; Überblick über die Rechtsprechung zum „Phoenix Kapitaldienst“ bei Kayser Höchstrichterliche Rechtsprechung zum Insolvenzrecht, 6. Aufl. 2012, Rn. 359 ff. 54   BGH, Urt. v. 25.2.2016 – IX ZR 12/14, ZIP 2016, 581. 55   S. hierzu vorstehend unter II. 2. c). 56   BGH, Urt. v. 3.3.2005 – IX ZR 441/00, BGHZ 162, 276.

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–– Ob der Leistungsempfänger die Wertlosigkeit seiner Forderung kannte, ist unerheblich. b)  Weitere Konkretisierungen Die Drittzahlung ist unentgeltlich, wenn der Schuldner des Zuwendungsempfängers im Zeitpunkt der Bewirkung der Leistung insolvenzreif (überschuldet oder zahlungsunfähig) ist.57 Dahinter steht die Überlegung, dass der Zuwendungsempfänger seinen Anspruch gegenüber diesem Schuldner nicht anfechtungsfest hätte durchsetzen können. Daraus ergab sich die Lösung im Ausgangsfall. Zwar hatte die Anfechtungsgegnerin dem Bericht des Insolvenzverwalters die Information entnommen, dass bei der Muttergesellschaft noch liquide Mittel in Höhe von 28.000 € vorhanden waren. Das half ihr aber nichts, weil die Muttergesellschaft gleichwohl insolvenzreif war.58 Bei Nachbesicherungen durch die Schuldnerin kommt es darauf an, ob der erloschene Nachbesicherungsanspruch gegen den Vertragsschuldner, etwa die Muttergesellschaft, im maßgeblichen Zeitpunkt (§ 140 InsO) durchsetzbar war.59 Die Besicherung einer fremden Forderung ist nicht deshalb entgeltlich, weil der Insolvenzschuldner als Sicherungsgeber mit der Gewährung der Sicherheit ein eigenes wirtschaftliches Interesse verfolgt, zum Beispiel den Fortbestand der Muttergesellschaft sichern will.60 Das Stehenlassen einer ungekündigten, aber kündbaren Darlehensforderung gegen den Dritten stellt ebenfalls keine zur Entgeltlichkeit führende Leistung dar, so dass es auf die Durchsetzbarkeit des Rückzahlungsanspruchs im Zeitpunkt der Nachbesicherung nicht ankommt.61 5.  Teilanfechtung nach § 134 Abs. 1 InsO bei Teilunentgeltlichkeit? Der Bundesgerichthof62 hatte jüngst über folgenden Fall zu entscheiden: Zwischen dem am 3. Dezember 2002 geschlossenen Grundstückskaufvertrag, der einen gesicherten Rückerwerbsanspruch der Verkäuferin vorsah (angefochtene Leistung), und dem am 1. November 2012 eröffneten Insolvenzverfahren über das Vermögen der Käuferin lagen fast zehn Jahre. Das vom Senat als Aussonderungsrecht behandelte Rücktrittsrecht der Verkäuferin war deshalb in zeitlicher Hinsicht nur nach § 133 Abs. 1 InsO, nicht nach § 134 Abs. 1 InsO anfechtbar. Gleichwohl ist dieser Fall hier anzusprechen. Wäre es innerhalb der Vier-Jahres-Frist zum Rücktritt gekommen,   BGH, Urt. v. 22.10.2009 – IX ZR 182/08, ZIP 2009, 2303.   BGH, Urt. v. 25.2.2016 – IX ZR 12/14, ZIP 2016, 581 Rn.11. 59   Ausweichend BGH, Urt. v. 1.6.2006 – IX ZR 159/04, ZIP 2006, 1362 Rn. 11 f. 60   BGH, Urt. v. 1.6.2006 – IX ZR 159/04, ZIP 2006, 1362 Rn. 14. 61   BGH, Urt. v. 7.5.2009 – IX ZR 71/08, ZIP 2009, 1122 Rn. 12. 62   BGH, Urt. v. 12.10.2017 – IX ZR 288/14, ZIP 2017, 2267. 57 58

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hätte Anspruchskongruenz zwischen § 133 Abs. 1 und § 134 InsO bestanden. Die zu § 133 Abs. 1 InsO erörterten Probleme stellen sich teilweise auch im Anwendungsbereich des § 134 Abs. 1 InsO, insbesondere ob eine Pflicht zur unentgeltlichen Rückübertragung gläubigerbenachteiligend sein kann, die im Übertragungsvertrag vorbehalten worden ist. Für den Streitfall hat der Senat dies bejaht. a)  Zweistufenprüfung bei Teilunentgeltlichkeit Eine teilweise unentgeltliche Leistung unterliegt überhaupt nur der Anfechtung nach § 134 InsO, wenn die Beteiligten den ihnen zustehenden angemessenen Bewertungsspielraum überschritten haben.63 Dies ist an Hand der konkreten Gegebenheiten zu beurteilen. Auf dieser ersten Prüfungsstufe entscheidet grundsätzlich die objektive Rechtslage darüber, ob die Leistung des Schuldners vollwertig durch einen Vorteil ausgeglichen wird und damit unentgeltlich ist. Grundsätzlich heißt aber auch, dass es die schon behandelten Ausnahmen gibt. Zur Unentgeltlichkeit wird man häufig bei Leistungen im Familienverbund gelangen, etwa bei Übertragungen an Abkömmlinge gegen Altenteilleistungen.64 Derartige Rechtsgeschäfte bilden das Gegenstück zu (entgeltlichen) Austausch-Marktgeschäften. b)  Herausgabe des Wertüberschusses Nur bei Annahme der Unentgeltlichkeit ist der Weg zu den Rechtsfolgen der Anfechtung (§ 143 InsO) eröffnet. Erst auf dieser zweiten Prüfungsstufe ist dann der Wertüberschuss der Leistung des Insolvenzschuldners zu ermitteln; nur dieser ist an die Masse zurückzuführen.65 Im eingangs geschilderten Fall hätte die Annahme fern gelegen, nur wegen der gewählten Rücktrittsklausel, die es der Käuferin verbot, Verwendungen auf das Grundstück dem Rückgewähranspruch entgegenzusetzen, die mit dem Rücktrittsrecht von vornherein belastete Übertragung als unentgeltliches Geschäft zu bewerten. Es lag ein entgeltliches Geschäft vor. Die Insolvenzanfechtung konnte deshalb unabhängig von dem abgelaufenen Anfechtungszeitraum nicht auf § 134 Abs. 1 InsO gestützt werden.

63   Kayser MünchKomm-InsO, 3. Aufl. 2013, § 134 Rn. 40; s. vorstehend unter III. 2. a) aa). 64   Kayser MünchKomm-InsO, 3. Aufl. 2013, § 134 Rn. 41. 65   Kayser MünchKomm-InsO, 3. Aufl. 2013, § 134 Rn. 42; Bork NZI 2018, 1, 8.

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IV.  Abwicklung des Anfechtungsanspruchs Am Ende des Beitrags soll die Rechtsentwicklung zu § 143 Abs. 2 InsO angesprochen werden, also die Rechtsprechung des Bundesgerichthofs zum Entreicherungseinwand. 1. Regelungssystematik Die Vorschrift des § 143 Abs. 2 InsO regelt in seinem Satz 1 die bereicherungsrechtliche Privilegierung und in seinem Satz 2 den Rückfall auf das Normalmaß der Haftung nach § 143 Abs. 1 InsO, also eine Haftungsverschärfung. Zu beiden Sätzen hat der Senat in letzter Zeit Stellung beziehen müssen. Auf die zur Haftungsprivilegierung entwickelten Maßstäbe soll an dieser Stelle nicht eingegangen werden.66 2.  Haftung nach dem Normalmaß Der Empfänger einer unentgeltlichen Leistung wird nach § 143 Abs. 2 Satz 2 InsO nicht mehr begünstigt, soweit er weiß oder den Umständen nach wissen muss, dass die unentgeltliche Leistung die Gläubiger benachteiligt. Es stellen sich zwei Fragen: Was gehört zum notwendigen Gegenstand der Kenntnis (oder fahrlässigen Unkenntnis)? Was bedeutet die Alternative „den Umständen nach wissen muss“? Beide Fragen hat der Bundesgerichtshof beantwortet.67 a)  Gegenstand der Kenntnis Die Benachteiligung kennt, wer weiß, dass das Vermögen des späteren Insolvenzschuldners nicht mehr ausreicht, um alle Verbindlichkeiten zu erfüllen, er also überschuldet ist (§ 19 InsO). Denn es liegt unter diesen Umständen auf der Hand, dass jede unentgeltliche Weggabe von Vermögen die Befriedigungsaussichten der Gläubiger weiter schmälert.68 Für die Überschuldung streiten regelmäßig die Indizien der Zahlungsunfähigkeit (§ 17 InsO) und der drohenden Zahlungsunfähigkeit (§ 18 InsO). Desweiteren muss sich die Kenntnis des Anfechtungsgegners, die zur Verschärfung seiner Rückgewähr führt, auf die Zugehörigkeit der empfangenen unentgeltlichen Leistung zu der den Gläubigern haftenden Vermögensmasse beziehen.69 Alles Weitere ist unerheblich!

  Grundlegend BGH, Urt. v. 27.10.2016 – IX ZR 160/14, ZIP 2016, 2326.   BGH, Urt. v. 8.9.2016 – IX ZR 151/14, ZIP 2016, 2376. 68   Kirchhof MünchKomm-InsO, 3. Aufl. 2013, § 143 Rn. 106. 69   BGH, Urt. v. 8.9.2016 – IX ZR 151/14, ZIP 2016, 2376 Rn. 12. 66 67

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b) Fahrlässigkeitsmaßstab In der Literatur wurde kontrovers diskutiert, ob mit der Formulierung in § 143 Abs. 2 Satz 2 InsO „den Umständen nach wissen muss“ der Fahrlässigkeitsmaßstab der groben oder der einfachen Fahrlässigkeit umschrieben wird. Der Bundesgerichthof hat diese Klassifizierungen nach dem Grad der Fahrlässigkeit nicht für den richtigen Ansatz gehalten. Es kommt vielmehr darauf an, ob dem Anfechtungsgegner Umstände bekannt sind, die mit auffallender Deutlichkeit dafür sprechen und deren Kenntnis auch einem Empfänger mit durchschnittlichem Erkenntnisvermögen ohne gründliche Überlegung die Annahme nahe legt, dass die Befriedigung der Gläubiger infolge der Freigebigkeit des Leistenden verkürzt ist.70 In diesem Fall muss der Empfänger „nach den Umständen“ wissen, dass die empfangene Leistung die Gläubiger benachteiligt.

V. Fazit Die mit den anderen Anfechtungsnormen mit Ausnahme des § 133 Abs. 2 InsO frei konkurrierende Schenkungsanfechtung ergänzt den Anfechtungsschutz in Konstellationen, in denen es unbillig wäre, die Leistung trotz der Insolvenz bei dem Zuwendungsempfänger zu belassen. Als Alternative zu §§ 130, 131, 133 Abs. 1 InsO oder gar als „Allzweckwaffe“ zur Massegenerierung taugt die Schenkungsanfechtung angesichts der vom Bundesgerichthof in den letzten Jahren entwickelten Schranken wenig. Eine Ausnahme macht die Rückabwicklung von Zahlungen, die im Konzernverbund erfolgt sind. Hier kommt es bei Drittzahlungen über den klassischen Anwendungsbereich der Schenkungsanfechtung hinaus zu einer deutlichen Ausweitung der Anfechtung, die aber gerechtfertigt ist, weil die Insolvenzordnung das Vertrauen des Leistungsempfängers auch in den sogenannten Konzernfällen nicht besonders schützt, wenn er kein Vermögensopfer erbracht hat, weil sein Anspruch im Deckungsverhältnis wirtschaftlich wertlos war.

70

  BGH, Urt. v. 8.9.2016 – IX ZR 151/14, ZIP 2016, 2376 Rn. 15.

Der Zweite Senat als Ersatzgesetzgeber Roger Kiem I.  Die Rolle des Zweiten Senats in der Weiterentwicklung des Gesellschaftsrechts 1. Einleitung Die Judikatur des für Gesellschaftsrecht zuständigen Senats des Bundesgerichtshofs ist bekanntlich reich an Entscheidungen, die – nicht selten in bahnbrechender Natur – das deutsche Gesellschaftsrecht maßgeblich verändert und in Teilen mutig weiterentwickelt haben. Dabei ist dem Zweiten Senat häufig die Rolle eines Ersatzgesetzgebers zugefallen, die er mit unterschiedlichem Grad an Wohlgefallen angenommen und ausgefüllt hat. Unter dem Vorsitz des Jubilars scheint diese judikatsbasierte Form der Fortentwicklung des geltenden Rechts ein jähes Ende genommen zu haben – jedenfalls entspricht das der Wahrnehmung manch eines Beobachters.1 Ob dem tatsächlich so ist, welche Rolle der Zweite Senat bei der Bewältigung mutmaßlicher Rechtslücken in den letzten Jahren eingenommen hat und wie das die Weiterentwicklung des deutschen Gesellschaftsrechts beeinflusst hat, soll im Folgenden näher beleuchtet werden. Dabei verbietet es der eng gesetzte Rahmen eines Festschriftenbeitrags, dies allumfänglich zu tun. Vielmehr soll anhand zweier Entscheidungen, die besonders kontroverse Erörterung im Schrifttum gefunden haben, das Thema behandelt werden: die so genannte „FRoSTA“-Entscheidung zum Anlegerschutz beim Delisting/Downlisting und die „IKB“-Entscheidung zu den Konsequenzen der fehlerhaften Aufsichtsratswahl. Sie stehen stellvertretend für eine Vielzahl unter dem Vorsitz des Jubilars ergangene Entscheidungen des Zweiten Senats und eigenen sich in besonderer Weise, die hier aufgeworfene Fragestellung näher zu beleuchten. Und nach dem persönlichen Eindruck des Verfassers galt und gilt ihnen auch das besondere Augenmerk des Jubilars.2

  Seibert AG 2015, 593 (594).   An dieser Stelle sei dem Jubilar für die vielen gemeinsam veranstalteten Seminare mit Studenten der Johannes Gutenberg Universität Mainz zu aktuellen gesellschaftsrechtlichen Themen gedankt, bei denen die Entscheidungen des Zweiten Senats immer ganz im Mittelpunkt standen. 1 2

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2.  Der Zweite Senat als Motor der Weiterentwicklung des Gesellschaftsrechts Die Rechtsprechung des Zweiten Senats war schon immer eine entscheidende Quelle der Weiterentwicklung des deutschen Gesellschaftsrechts. Seine Rolle ging häufig über die Entscheidung zweifelhafter Rechtsfragen hinaus; oft gesellte sich die fallübergreifende, konzeptionelle Weiterentwicklung von Teilaspekten des Gesellschaftsrechts hinzu. Dies hat dem Zweiten Senat mitunter den Vorwurf eingebracht, er mache zu großzügig von seiner Rechtsfortbildungsfunktion Gebrauch.3 Nicht selten hat die Rechtsprechung des Zweiten Senats auch notwendige Vorarbeiten für gesetzliche Regelungen erbracht, mit denen aufgetretene Problemlagen schlussendlich gesetzgeberisch bewältigt wurden. Zumeist wurden die herausgebildeten Rechtsprechungslinien dann schlicht in Gesetzesform gegossen. Jedenfalls lässt sich das deutsche Gesellschaftsrecht in seiner heutigen Gestalt und Ausformung nicht ohne die Ausprägung denken, die es durch die Rechtsprechung des Zweiten Senats erhalten hat. Und ein Blick auf das unbestreitbare Bedürfnis nach Anpassung und Weiterentwicklung des geltenden Rechts durch die Rechtsprechung mahnt, den Zweiten Senat nicht vorschnell einer zu großzügigen Wahrnehmung seiner Rechtsfortbildungsfunktion zu zeihen. 3.  Das Bedürfnis nach einer Reforminstanz jenseits des Parlaments Das Bedürfnis nach einer aktiven, der Weiterentwicklung des Rechts auch jenseits der formellen Gesetzgebungsarbeit aufgeschlossenen Judikative hat in den letzten Jahrzehnten spürbar zugenommen.4 Der Befund für das deutsche Gesellschaftsrecht, allem voran des deutschen Kapitalgesellschaftsrechts, ist insofern einigermaßen ernüchternd. Die großen Kodifikationen liegen Jahrzehnte zurück. So erinnern wir uns an Festakte zu „50 Jahren Aktiengesetz“. Seit dessen Inkrafttreten bis zum Beginn der 1990er Jahre trat die Reformbereitschaft des Gesetzgebers noch wenig zutage, möglicherweise war der Reformbedarf in dieser Zeitspanne auch überschaubar. Das hat sich mit dem Gesetz zur kleinen AG im Jahr 1994 geändert, womit bekanntlich eine Phase der Reform in Permanenz eingeleitet wurde. Damit hat der Gesetzgeber zwar auf den steigenden Veränderungsdruck reagiert. Aber das hat die Rolle des Zweiten Senats als Reparaturbetrieb des geltenden Rechts nicht geschmälert – im Gegenteil. Denn auch in der Gegenwart ist die Gesetzgebungsrealität im Wesentlichen durch einzelne Nachkorrekturen geprägt, die dafür in umso kürzeren Intervallen erfolgen. Reformgesetze beschränken sich dabei in aller Regel auf minimalste Eingriffe. Insbesondere die Umsetzung europäischer Reformvorhaben gerät häufig zu Stückwerk. Es   Fleischer NZG 2018, 241 (245).   Seibert AG 2015, 593 (594).

3 4

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fehlt eine systematische, inhaltlich stimmige Weiterentwicklung des geltenden Rechts – die konsequente Fortentwicklung des Gesellschaftsrechts oder seiner wesentlichen Teilgebiete „aus einem Guss“. All das ruft immer wieder den Zweiten Senat auf den Plan, wenn es um die Schließung zutage getretener Lücken oder schlicht um die Weiterentwicklung des geltenden Rechts im Einklang mit der Lebenswirklichkeit geht.

II.  Exemplarische Entscheidungen des Zweiten Senats 1.  Der FRoSTA-Beschluss a)  Der Entscheidungsinhalt Der wegweisende FRoSTA-Beschluss5 des Bundesgerichtshofs aus dem Jahr 2013 führte zu einer vollständigen Neuausrichtung der Rechtsprechung zum Minderheitenschutz beim Delisting/Downlisting. Auslöser war bekanntlich das Urteil des Bundesverfassungsgerichts,6 mit dem dieses der Fungibilität des Wertpapiers den Eigentumsschutz grundsätzlich aberkannte.7 Im Anschluss daran nahm der Bundesgerichtshof von seiner mehr als zehn Jahre lang praktizierten Macrotron-Rechtsprechung Abstand und legte fest, dass es über den dem Sachverhalt zugrundeliegenden Downlisting-Fall hinaus auch bei einem Delisting weder eines Hauptversammlungsbeschlusses noch eines Pflichtangebots an die Aktionäre bedarf.8 Der Zweite Zivilsenat sah sich nach dem vorausgegangenen Urteil des Bundesverfassungsgerichts an der Weiterführung seiner Macrotron-Rechtsprechung gehindert.9 Er begründete seine Entscheidung darüber hinaus damit, dass die Fristenlösung der Börsenordnungen einen ausreichenden Schutz der vom De-/Downlisting betroffenen Aktionäre darstelle und verneinte in der Folge eine Abfindungspflicht.10 Damit gab der Bundesgerichtshof den einst von ihm selbst im Wege der Rechtsfortbildung etablierten Ausgleichsanspruch der Anleger wieder auf. Im Ergebnis bedeutete es die vollständige Abkehr von seiner zuvor begründeten Rechtsprechung.

  BGH, Beschluss vom 8.10.2013 – II ZB 26/12, ZIP 2013, 2254 ff.   BVerfGE 132, 99 ff. 7   BVerfGE 132, 99 (121) Rn. 57. 8   BGH, Beschluss vom 8.10.2013 – II ZB 26/12, ZIP 2013, 2254 (2254) Rn. 2. Siehe auch: Wicke DNotZ 2015, 488 (491). 9   BGH, Beschluss vom 8.10.2013 – II ZB 26/12, ZIP 2013, 2254 (2254) Rn. 3. 10   BGH, Beschluss vom 8.10.2013 – II ZB 26/12, ZIP 2013, 2254 (2254 ff.). 5 6

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b)  Reaktionen im Schrifttum Der FRoSTA-Beschluss bedeutete für viele eine überraschende Wendung und erfuhr im Laufe der Jahre immer mehr Kritik. Und nicht selten fiel diese drastisch aus. So hielt beispielsweise Tüngler den durch den FRoSTABeschluss eingetretenen Rechtszustand schlicht für „unhaltbar“.11 Habersack bezeichnete die Entscheidung insbesondere aus der Kleinanlegerperspektive immerhin als „Unglück“.12 Bayer vertrat gar die Auffassung, die Entscheidung beruhe auf einer „eklatanten Fehlbewertung“ mit „dürftiger Argumentation“.13 Das Ganze gipfelte in dem Vorwurf, dass dem Zweiten Senat seine Rechtsfortbildungsfunktion entgegen seiner Tradition nicht mehr bewusst gewesen sei. Vielmehr habe der Bundesgerichtshof jeglicher Rechtsfortbildung „einen Riegel vorgeschoben“.14 Im Zusammenhang mit einer Gesetzesinitiative zu der Neureglung des Delisting im Jahr 2015 ist die Kritik dann erneut aufgeflammt. So wurde dem Zweiten Senat vorgeworfen, er habe mit seiner FRoSTA-Entscheidung die Delisting-Flut im Anschluss an die Rechtsprechungsänderung erst möglich gemacht15 und die Anleger schlicht ihrem Schicksal überlassen.16 Die Entscheidung habe zu einer Bereicherung der Großaktionäre auf Kosten privater oder zum Verkauf gezwungener institutioneller Anleger geführt.17 Aus diesem Grund wurde von mehreren Stimmen an den Gesetzgeber appelliert, die Rechtsprechung des Zweiten Zivilsenats in Fragen des Delisting zu „korrigieren“.18 c)  Reaktion des Gesetzgebers Dieser Aufgabe hat sich der Gesetzgeber bekanntlich dann auch angenommen und die gesetzliche Regelung zum Delisting auf neue Füße gestellt. Dass es eine schwere Geburt werden würde, war bereits im Verlauf der Beratungen zu der Aktienrechtsnovelle 2014 deutlich geworden, in deren Rahmen die ersten Anläufe zur Neugestaltung der Delisting-Regelung gemacht wurden. Es gab nämlich kaum einen Aspekt, über den nicht intensiv gestritten wurde – angefangen mit der Verortung der Delisting-Regelung bis hin zu den Rechtsschutzmöglichkeiten. Das Ergebnis ist bekannt: Aufgrund von zahlreichen noch offenen Fragen in Bezug auf die konkrete Ausgestaltung der   Focus-Money Nr. 11/2015.   Anm. zu BGH, Beschluss vom 8.10.2013 – II ZB 26/12, JZ 2014, 147 (148). 13   Bayer NZG 2015, 1169 (1171); Bayer ZfPW 2015, 163 (192). 14   Bayer ZfPW 2015, 163 (215). 15   Bayer/Hoffmann AG 2015, R55 (R55). 16   BT-Plenarprotokoll 18/97, S. 9312. 17   Zimmer/von Imhoff NZG 2016, 1056 (1056). 18   Bayer/Hoffmann AG 2015, R55 (R59); Fechner (SPD) in BT-Plenarprotokoll 18/97, S. 9314; Ullrich (CDU/CSU) in BT-Plenarprotokoll 18/97, S. 9313. 11 12

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Delisting-Regelung, der nicht länger aufzuschiebenden Aktienrechtsnovelle sowie eines engeren Zusammenhangs des Themenkomplexes Delisting mit den sonstigen finanzpolitischen Vorhaben der Bundesregierung wurde auf dessen Neukodifizierung im Rahmen der Aktienrechtsnovelle zum Schluss verzichtet. Im Zuge der Umsetzung der Transparenzrichtlinie-Änderungsrichtlinie19 ist die Diskussion um das Thema Delisting erneut aufgelebt. Dabei bildeten sich wiederum schnell divergierende Meinungen: mit Anhängern der Macrotron-Rechtsprechung einerseits und Stimmen, die für eine Abkehr plädierten, andererseits. Letztere forderten beispielsweise weitere Ausnahmen von der Abfindungspflicht und eine Vereinfachung der Anforderungen an die Angebotsunterlage.20 Zweifelsohne waren es eben diese Diskrepanzen, die den Gesetzgeber dazu veranlasst haben, die aktuelle Delisting-Regelung Ende 2017 einer Evaluation zu unterziehen.21 Und die gesetzliche Regelung des Anlegerschutzes beim Delisting/Downlisting ist trotz der langwierigen Gesetzesberatungen alles andere als ausgereift.22 d) Bewertung Die Beurteilung der FRoSTA-Entscheidung im Hinblick auf die Frage nach der Rechtsfortbildung im Allgemeinen und der Rolle des Zweiten Senats im Besonderen fällt vergleichsweise leicht. Das Gesetzgebungsverfahren zur angemahnten „Korrektur“ der Entscheidung illustriert auf anschaulichste Weise, wie schwerlich in diesem Fall Unternehmens- und Kleinanlegerinteressen in Einklang zu bringen sind. Noch bedeutender aber ist, dass sich im Gesetzgebungsverfahren ganz und gar unterschiedliche Lösungskonzepte gegenüber standen. Dieser Umstand bekräftigt, dass allein der Gesetzgeber zur Lösung des Problems des Rechtsschutzes beim Delisting/Downlisting tätig werden konnte. Das Gesetzgebungsverfahren ist der Rahmen und die Mitglieder von Bundestag und Bundesrat sind die von der Verfassung berufenen Protagonisten zur Entscheidung dieser Fragen. Ein Gericht musste sich 19   Richtlinie 2013/50/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 22. Oktober 2013 zur Änderung der Richtlinie 2004/109/EG des Europäischen Parlaments und des Rates zur Harmonisierung der Transparenzanforderungen in Bezug auf Informationen über Emittenten, deren Wertpapiere zum Handel auf einem geregelten Markt zugelassen sind, der Richtlinie 2003/71/EG des Europäischen Parlaments und des Rates betreffend den Prospekt, der beim öffentlichen Angebot von Wertpapieren oder bei deren Zulassung zum Handel zu veröffentlichen ist, sowie der Richtlinie 2007/14/EG der Kommission mit Durchführungsbestimmungen zu bestimmten Vorschriften der Richtlinie 2004/109/EG(1), ABl. L 294/13 vom 6. November 2013, S. 13. 20   Brellochs Stellungnahme vom 3.9.2015 für den Finanzausschuss, S. 19 ff. 21   Beschlussempfehlung und Bericht, BT-Drs. 18/6220, S. 79. 22   Siehe zu den Zweifelsfragen des geltenden Rechts und dem festgestellten Nachbesserungsbedarf nur Verse in Festschrift Baums, 2017, S. 1317 ff.

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bei dem Versuch einer Rechtsfortschreibung verheben, nachdem die verfassungsrechtliche Grundierung des bisherigen Schutzkonzepts weggefallen war. Deswegen ist die FRoSTA-Entscheidung in der Sache richtig, auch wenn viele mit ihr hadern. Denn es oblag von Beginn an der Legislative und nicht der Judikative, Entscheidungen von solcher Tragweite zu treffen. Insofern geht auch die Kritik von Bayer fehl, der Zweite Senat sei sich seiner traditionell ausgeübten Rechtsfortbildungsfunktion nicht hinreichend bewusst gewesen. Im Gegenteil hat der Zweite Senat mit der FRoSTAEntscheidung ein immens gutes Gespür dafür bewiesen, wann die Gestaltungsspielräume der richterlichen Rechtsfortbildung überstrapaziert werden. Das wäre bei einer Fortschreibung der Macrotron-Grundsätze leicht der Fall gewesen. Dabei spielt auch eine Rolle, dass der Zweite Senat seine Macrotron-Grundsätze ganz explizit auf ein bestimmtes Vorverständnis des aus Art. 14 GG folgenden Eigentumsschutzes gestützt hatte. Nachdem das Bundesverfassungsreicht diesem Vorverständnis den Boden entzogen hatte, hätte eine Beibehaltung der Rechtsprechungsgrundsätze einen anderen Begründungsansatz erfordert. Ein solcher Begründungswechsel bei gleichbleibendem Ergebnis wäre sicherlich mit einem spürbaren Autoritätsverlust des Gerichts einhergegangen. Der Geltungsanspruch einer die MacrotronGrundsätze schlicht fortschreibenden Gerichtsentscheidung hätte naturgemäß gelitten. Auch aus diesem Blickwinkel war es eine weise Entscheidung, die Neuausrichtung des Schutzes der Anleger beim Delisting/Downlisting dem Gesetzgeber zu überlassen. Wenn dem aber so ist, dann fragt sich, wo die mitunter äußerst heftige Kritik – verbunden mit dem Vorwurf, der Zweite Senat verweigere sich der von ihm zu erwartenden Rechtsfortbildung – eigentlich in ihrem Kern herrührt. Durch die Aufgabe der Macrotron-Grundsätze durch den Zweiten Senat war aus dem Anliegen des angemessenen Anlegerschutzes beim Delisting/Downlisting aus einem de lege lata zu lösenden Problem eine Gestaltungsaufgabe de lege ferenda geworden – jedenfalls, wenn man den nach den Börsenordnungen bestehenden Schutzrahmen als unzulänglich angesehen hat. Das wird mancher so empfunden haben, als sei dadurch der Kritik die Wirkkraft genommen worden. Das mag mit einer gefühlten oder tatsächlich bestehenden Kritikhierarchie zusammen hängen. Unzulänglichkeiten einer gesetzlichen Regelung aufzuzeigen, gilt womöglich als mindere Kritikstufe, weil lediglich rechtspolitischer Natur. Demgegenüber findet der Meinungsstreit über den überzeugenderen Begründungsansatz oder das zutreffende Auslegungsergebnis quasi auf einer höheren Ebene statt. Die teils überpointierte Kritik an der FRoSTA-Entscheidung legt noch eine weitere Vermutung nahe, die eher mit machttaktischen Aspekten zu tun hat. Man kann sich des Eindrucks nicht erwehren, dass die Kritik auch deshalb so überdeutlich ausfiel, weil der argumentative „Zugriff“ auf den Gesetzgeber nicht in ähnlicher Weise gesichert schien als auf den BGH. Und in der

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Tat belegt die Gesetzgebungsgeschichte zur Neuregelung des Anlegerschutzes beim Delisting/Downlisting, dass der in einem Gesetzgebungsverfahren öffentlich ausgetragene Streit über die angemessene Lösung ganz regelmäßig eine vollständig andere Dynamik entwickelt als der Diskurs in Fachzirkeln und -zeitschriften. Sein Ergebnis ist weniger klar vorgezeichnet, er lässt sich weniger gut steuern. Jedenfalls war es in diesem Fall tatsächlich so. Es versteht sich von selbst, dass diese Erwägungen – so sie denn tatsächlich vorlagen – nicht geeignet waren, den Zweiten Senat in eine Rechtsfortbildung in einer Situation zu zwingen, in der eher Zurückhaltung angezeigt war. 2.  Die IKB-Entscheidung a)  Der Entscheidungsinhalt Die IKB-Entscheidung des Zweiten Zivilsenats aus dem Jahr 201323 gilt als ein weiteres Beispiel für dessen Zurückhaltung im Hinblick auf die Weiterentwicklung des geltenden Rechts. Der zugrundeliegende Sachverhalt sei kurz in Erinnerung gerufen. Der Anfechtungskläger richtete sich gegen die Wahl der Mitglieder des Aufsichtsrats der Gesellschaft. Diese hatten ihr Amt noch während des laufenden Verfahrens niedergelegt. Und darin lag die Besonderheit des Falles und aus ihr ergab sich die folgende Rechtsfrage: hatte sich durch die zwischenzeitlich erfolgte Amtsniederlegung nicht der Streit erledigt oder – präziser – war dadurch nicht das Rechtsschutzbedürfnis des Anfechtungsklägers entfallen? Die Vorinstanz hatte das Rechtsschutzbedürfnis verneint, weil ein solches nur angenommen werden könne, wenn das in anfechtbarer Weise gewählte Aufsichtsratsmitglied in der Zeit bis zur Amtsniederlegung an Beschlüssen des Aufsichtsrats mitgewirkt hat und diese ohne seine Mitwirkung so nicht zustande gekommen wären. Es geht der Sache nach also darum, ob die Mitwirkung des fehlerhaft gewählten Aufsichtsratsmitglieds für das Zustandekommen des Beschlusses ursächlich war. Dazu hatte der Anfechtungskläger indessen nichts vorgetragen. Die Vorinstanz sah die primäre Darlegungslast insoweit beim Anfechtungskläger. Dem ist der Zweite Zivilsenat entgegengetreten. Er stellte zunächst fest, dass die Amtsbeendigung eines Aufsichtsratsmitglieds das Rechtsschutzinteresse des Anfechtungsklägers entfallen lassen kann, aber nicht muss. Ein fortbestehendes Rechtsschutzbedürfnis sei gegeben, wenn die Nichtigerklärung der Aufsichtsratswahl noch Einfluss auf die Rechtsbeziehungen zwischen der Gesellschaft, ihren Aktionären und den Mitgliedern von Vorstand und Aufsichtsrat haben könnte. Ein solcher Einfluss wird vom Bundesgerichtshof dann angenommen, wenn die Teilnahme des ausgeschiedenen Aufsichts-

  BGHZ 196, 195 ff.

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ratsmitglieds im Beschlussprozess kausal war. Dies hatte auch die Vorinstanz nicht anders gesehen. Allerdings kommt der Zweite Senat zu einer anderen Zuordnung der primären Darlegungslast für das Abstimmungsverhalten der Aufsichtsratsmitglieder und der Ursächlichkeit ihrer abgegebenen Stimmen für das Beschlussergebnis. Da der Anfechtungskläger in diese internen Vorgänge der Gesellschaft regelmäßig keinen Einblick habe, könne man ihm hierfür nicht die primäre Darlegungslast aufbürden. b)  Der unheilvolle Ausflug in die Welt des fehlerhaften Organs Hier hätte das Urteil eigentlich enden können und – das darf man vorwegnehmen – auch besser enden sollen. In jedem Fall hätte die Entscheidung nicht die fragwürdige Prominenz erlangt, die man ihr nun sicherlich beimessen muss: sie wäre höchstwahrscheinlich sogar namenlos geblieben und nicht als (weitere) IKB-Entscheidung in die Annalen eingegangen. Und zweifelsohne wäre dem Zweiten Senat die heftige Urteilsschelte erspart geblieben, die die Entscheidung ausgelöst hat. Denn die Feststellungen des BGH zur Verteilung der primären Darlegungslast erschließen sich sofort. Wie soll der Anfechtungskläger allen Ernstes etwas halbwegs Stichhaltiges zu Vorgängen innerhalb eines Gremiums vortragen können, dessen interne Abläufe dem gesetzlich geschützten Beratungsgeheimnis unterliegen? Indessen beginnt das Urteil hier für manche erst. Denn der Frage nach dem Rechtsschutzbedürfnis schließt sich eine ausführliche Diskussion darüber an, in welchen Konstellationen sich die Mitwirkung des anfechtbar gewählten Aufsichtsmitglieds auf die Rechtsverhältnisse der Gesellschaft konkret auswirkt. Ausgangspunkt ist dabei, dass der Senat die pauschale Anwendung der Lehre vom faktischen Organ auf den Fall eines anfechtbar gewählten Aufsichtsmitglieds verwirft. Stattdessen entwickelt der Senat für alle denkbaren Konstellationen der Mitwirkung eines anfechtbar gewählten Aufsichtsmitglieds bei den Handlungen des Aufsichtsrats Überlegungen zu den sich jeweils ergebenden Konsequenzen. Wohl als Handreichungen für die Anwendungspraxis gedacht, hängen diese Ausführungen merkwürdig in der Luft, weil für den konkreten Fall nicht entscheidungserheblich. Es mutet überaus seltsam an, dass die Entscheidung so zentral um diese Fragen kreist. Zwar hatte das OLG Düsseldorf als Vorinstanz auch auf die Lehre vom fehlerhaft bestellten Organ rekurriert und sie wohl auch auf den Fall des anfechtbar gewählten Aufsichtsmitglieds anwenden wollen. Damit hätte sich das OLG Düsseldorf im Ergebnis der herrschenden Literaturmeinung angeschlossen, wonach die Lehre vom fehlerhaft bestellten Organ auch auf anfechtbar gewählte Aufsichtsratsmitglieder anzuwenden ist.24 Damit ist 24   Schürnbrand Organschaft im Recht der privaten Verbände, 2007, S. 286 ff.; ders. NZG 2008, 609 (610 f.); Koch in Hüffer/Koch, AktG, § 101 Rn. 22; Habersack in MüKoAktG, § 101 Rn. 70 f.; ders. in Festschrift Goette, 2011, S. 121 (132 f.); Kiefner in KK-AktG, § 252

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das fehlerhaft bestellte Organmitglied, im konkreten Fall das Aufsichtsratsmitglied, bis zum Zeitpunkt der Amtsniederlegung oder bis zum Widerruf der Bestellung sowohl im Innen- als auch im Außenverhältnis vollumfänglich wie ein wirksam bestelltes Organmitglied zu betrachten. Indessen beruht das Urteil des OLG Düsseldorf nicht auf der Anwendung der Lehre vom fehlerhaften Organ. Vielmehr wird das Urteil auch auf eine „restriktivere“ Ansicht gestützt, die darauf abstellt, ob die Mitwirkung des anfechtbar gewählten Aufsichtsratsmitglieds ursächlich für das Zustandekommen des Aufsichtsbeschlusses war. Das liegt aber wiederum ganz auf der Linie des BGH. c)  Reaktion im Schrifttum Das Urteil ist bekanntlich größtenteils auf Ablehnung gestoßen. Die geäußerte Kritik soll hier nicht wieder in Gänze ausgebreitet, sondern nur in ihren wesentlichen Punkten nachgezeichnet werden. Die Kritik entzündete sich hauptsächlich daran, dass der Bundesgerichtshof der pauschalen Übernahme der Lehre vom fehlerhaften Organ auf das anfechtbar bestellte Aufsichtsratsmitglied eine klare Absage erteilte,25 was angesichts des im Schrifttum vorherrschenden Meinungsbildes nicht unbedingt überraschen kann.26 Dem Senat wurde in diesem Zusammenhang unter anderem vorgeworfen, er habe eine wertvolle Chance zur Institutionenbildung im Gesellschaftsrecht verspielt.27 Die von ihm vorgenommene Fallgruppenbildung wurde als undurchsichtig gegeißelt. Auch wurde die Inkonsistenz der Entscheidung moniert: So beharre der Bundesgerichtshof zwar grundsätzlich auf der Rückwirkung des Anfechtungsurteils auf den Zeitpunkt der Beschlussfassung und damit auf der grundsätzlichen Unwirksamkeit gefasster Aufsichtsratsbeschlüsse, bei der die Stimmabgabe des fehlerhaft bestellten Aufsichtsratsmitglieds ursächlich war, lasse aber für bestimmte Fälle Ausnahmen zu.28 Diese Durchbrechung des Grundsatzes der Anfechtungsrückwirkung in manchen Fällen sei systemwidrig und inkonsequent. Hinzu komme, dass der Zweite Zivilsenat in seinem Beschluss aus dem Jahr 2011 die Grundsätze der fehlerhaften Organbestellung auf den besonderen Vertreter für anwendbar erklärt habe, sodass die vorliegende Entscheidung auch im Hinblick hierauf als widersprüchlich anzusehen sei.29 Auch die unterschiedliche Behandlung des fehlerhaft bestellten Vorstands auf der

Rn. 11 ff.; Mertens/Cahn in KK-AktG, § 101 Rn. 107 ff.; Grigoleit/Tomasic in Grigoleit, AktG, § 101 Rn. 33; Bayer/Lieder NZG 2012, 1 (6 f.). 25   Brock NZG 2014, 641 (641, 646); Cziupka DNotZ 2013, 579 (581 f.); Lieder ZHR 178 (2014), 282 (289); Schürnbrand NZG 2013, 481 (484). 26   Siehe die Nachweise in Fn. 24. 27   Lieder ZHR 178 (2014), 282 (282, 285). 28  Dazu Werner WM 2014, 2207 (2208 ff.). 29   Schürnbrand NZG 2013, 481 (482).

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einen und des anfechtbar gewählten Aufsichtsratsmitglieds auf der anderen Seite sei inkonsequent.30 Die Entscheidung werde zudem aufgrund eines gestiegenen Anfechtungsrisikos den Bedürfnissen der Praxis nicht gerecht.31 Einen Beitrag zur Rechtssicherheit habe das Urteil durch seine Einzelfallkasuistik ebenfalls nicht leisten können.32 Die Liste der Kritikpunkte ließe sich fortsetzen. d) Bewertung Die IKB-Entscheidung ist in mehrerlei Hinsicht bemerkenswert. Wie bereits ausgeführt, hätte es der Befassung mit der Lehre vom fehlerhaften Organ zur Entscheidung der Sache gar nicht bedurft. Jedenfalls gilt das dann, wenn man – wie der Senat – nicht die pauschale Übernahme der Lehre vom fehlerhaften Organ auf das anfechtbar bestellte Aufsichtsratsmitglied befürwortet. Hier hätten die Ausführungen zur Darlegungslast ausgereicht. Wenn der Senat dann aber die Auswirkungen der Nichtigkeit und der Nichtigerklärung der Wahl eines Aufsichtsratsmitglieds auf die Beschlussfähigkeit und die rechtliche Wirksamkeit der Stimmabgabe in den Mittelpunkt seiner Entscheidung rückt, fragt sich schon, ob mit der Ablehnung der Anwendung der Lehre vom faktischen Organ auf das anfechtbar bestellte Aufsichtsratsmitglied nicht in der Tat eine Chance zur Weiterentwicklung des geltenden Rechts vertan wurde. Denn in dem Bemühen, dem Problem der anfechtbaren Wahl eines Aufsichtsratsmitglieds durch eine Interpretation der gesetzlichen Regelungen möglichst nahe an deren Wortlaut beizukommen, offenbart sich letztlich nur deren fehlende Stringenz. Die Ablehnung der Anwendung der Lehre vom faktischen Organ begründet der BGH im Wesentlichen mit dem Hinweis auf § 250 Abs. 1 AktG und die Verweisung auf § 241 Nr. 5 AktG.33 Danach könnten Wahlbeschlüsse von Anfang an nichtig sein oder mit Wirkung ex tunc für nichtig erklärt werden. Damit sei die Lehre vom faktischen Organ nicht in Einklang zu bringen. Das ist ein seltsam enges Verständnis der aktienrechtlichen Regelungen zur Nichtigkeit von Wahlbeschlüssen. Denn es geht um eine interessengerechte Regelung der Nichtigkeitsfolgen. Das ist aber ein universelles Problem, das sich bei jedem nichtigen Rechtsgeschäft stellt. Ein Blick auf die Lösungsansätze in benachbarten Regelungsgebieten zeigt, dass sich die interessengerechte Beschränkung der Nichtigkeitsfolgen durchgängig durchgesetzt hat. So vermeidet die Lehre von der fehlerhaften Gesellschaft die schwierige   Anm. zu BGH, Urteil vom 19.2.2013 – II ZR 56/12, NJW 2013, 1535 (1539).   Bayer in Fleischer/Koch/Kropff/Lutter (Hrsg.), 50 Jahre AktG, 2015, S. 199 (209). 32   Brock NZG 2014, 641 (641); Buckel/Vogel ZIP 2014, 58 (58 f.); Werner WM 2014, 2207 (2207, 2212). 33   BGHZ 196, 195 (202 f.) Rn. 20. 30 31

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Rückabwicklung der fehlerhaft errichteten Gesellschaft durch die Zuerkennung vorläufiger Bestandskraft. Und auch die Lehre vom fehlerhaften Organ glättet bei der fehlerhaften Vorstandsbestellung die mit einer Nichtigkeit einhergehenden gravierenden Folgen. Warum das für den Aufsichtsrat nicht in gleicher Weise gelten soll, erschließt sich nicht. Auch die gesetzlichen Vorschriften zur Gesellschaftsgründung oder zur Vorstandsbestellung sehen im Regelfall die Nichtigkeit bei ihrer Nichtbeachtung vor. Und leider ist auch zu konstatieren, dass der BGH mit der von ihm vorgenommenen Fallgruppenbildung selbst die besten Argumente für die Anwendung der Lehre vom faktischen Organ auf das fehlerhaft bestellte Aufsichtsratsmitglied liefert. Denn die von ihm dargelegten Auswirkungen der Mitwirkung des fehlerhaft bestellten Aufsichtsratsmitglieds bei Handlungen des Aufsichtsrats sind alles andere als widerspruchsfrei. So erschließt sich nicht, warum der später infolge der für die Beschlussfassung ursächlichen Mitwirkung des anfechtbar bestellten Aufsichtsratsmitglieds als nichtig erklärte Beschlussvorschlag des Aufsichtsrats für die Entscheidung der Hauptversammlung nicht relevant sein soll. Dass der Aufsichtsrat im Zeitpunkt der Beschlussfassung ordnungsgemäß besetzt ist, weil der angefochtene Wahlbeschluss bis zur Nichtigerklärung wirksam ist und erst rückwirkend unwirksam wird,34 gilt ja ganz allgemein für sämtliche unter Mitwirkung des anfechtbar gewählten Aufsichtsratsmitglieds vorgenommenen Handlungen und gefassten Beschlüsse des Aufsichtsrats. Bei den anderen Handlungen führt die Rückwirkung aber zur Nichtigkeit der betreffenden Handlung oder des Beschlusses. Ganz entscheidend dürfte aber sein, dass der BGH den mit der Lehre vom faktischen Organ verfolgten Zweck ausschließlich darin zu sehen scheint, das Vertrauen unbeteiligter Dritter zu schützen und den Schwierigkeiten bei einer Rückabwicklung von Dauerschuldverhältnissen zu begegnen.35 Das betreffe Aufsichtsratsbeschlüsse nicht in jedem Fall. Damit wird der Zweck der Lehre vom faktischen Organ unnötig verengt. Denn die Herstellung von Rechtssicherheit ist mindestens so entscheidend wie die Vermeidung von Schwierigkeiten bei der Rückabwicklung von Dauerschuldverhältnissen. Und genau hier liegt die große Schwäche der IKB-Entscheidung. Sie hat ungewollt die Anfechtung von Wahlbeschlüssen der Hauptversammlung zum Aufsichtsrat zu einem begehrten Unterfangen der professionellen Anfechtungskläger gemacht. Die Vielgestaltigkeit des Aufsichtsratshandelns macht Unternehmen extrem anfällig, wenn die – behauptete – Fehlerhaftigkeit der Wahl eines Aufsichtsmitglieds in Rede steht. Die IKB-Rechtsprechung gefühlt im Rücken hat das die Protagonisten beflügelt, denen die Erhebung der Anfechtungsklage ein Geschäftsmodell ist. Dies hat zu erheblicher Ver34 35

  BGHZ 196, 195 (204 f.) Rn. 25.   BGHZ 196, 195 (203) Rn. 21.

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unsicherung in der Praxis geführt.36 Die Möglichkeiten der Praxis, sich vor diesen Umtrieben zu schützen, sind allerdings begrenzt.37 Insgesamt ist die Ausgangslage daher außerordentlich unbefriedigend. Und in diesem Zusammenhang drängt sich ein weiterer Aspekt auf, auf den es hinzuweisen lohnt. Der Aufsichtsrat steht seit geraumer Zeit im Mittelpunkt der Verwirklichung unterschiedlichster gesellschaftspolitischer Anliegen. Die vom Gesetzgeber erzwungene Balance unterschiedlicher Constituencies verlangt aber nach rechtssicherer Bestellung der jeweiligen Repräsentanten der im Aufsichtsrat verankerten Lager. Gerade im mitbestimmten Aufsichtsrat ist die rechtssichere Hineinwahl von Anteilseignervertretern damit Grundvoraussetzung für die Verwirklichung der ihm gesetzlich zugeschriebenen Rolle.

III. Fazit Die beiden hier näher in den Blick genommenen Entscheidungen zeigen exemplarisch auf, welch bedeutende Schrittmacherstellung der Zweite Senat auch unter der Ägide des Jubilars bei der Weiterentwicklung des Gesellschaftsrechts eingenommen hat. Insoweit wäre es falsch, dem Zweiten Senat einen Mangel an Engagement bei der Fortentwicklung des geltenden Gesellschaftsrechts vorzuwerfen. Auch wäre es nicht zutreffend, gar einen Stillstand bei der Fortschreibung des Gesellschaftsrechts auszumachen. Wohl aber hat sich die Art und Weise, wie sich die Rechtsfortbildung vollzieht, unter dem Vorsitz des Jubilars gewandelt. So hat der Zweite Senat wenig Scheu gezeigt, dem Gesetzgeber den Ball im bildlichen Sinne zurückzuspielen, wenn dessen Tätigwerden erforderlich oder auch nur einer gerichtlichen Rechtsfortbildung vorzugswürdig erschien. So geschehen bei der Ausgestaltung des Anlegerschutzes beim Delisting/Downlisting mit der FRoSTA-Entscheidung. Und mit Abstand betrachtet erscheint das als eine souveräne Tat, die die der Legislative von der Verfassung zugewiesene Rolle als primäre Quelle der Rechtsetzung eindrucksvoll und mit Nachhall in Erinnerung gerufen hat. Seine ihm oft reflexhaft zugedachte Rolle als Ersatzgesetzgeber hat der Zweite Senat bei der IKB-Entscheidung nicht wahrnehmen wollen. Der Respekt vor dem vorhandenen Regelungsapparat des aktienrechtlichen Beschlussmängelrechts hat ihn – obgleich evident torsohaft und weiterentwicklungsbedürftig – vor einer systematisch stimmigen, die Nichtigkeitsfol-

  Kiefner in KK-AktG, § 252 Rn. 11 ff.   Siehe den Überblick über die in der Praxis erwogenen Absicherungsmaßnahmen bei Koch in Hüffer/Koch, AktG, § 101 Rn. 23. 36 37

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gen einhegenden Weiterentwicklung des geltenden Rechts zurückschrecken lassen. Ist nun der – primäre – Gesetzgeber aufgerufen, Abhilfe zu schaffen? Dieser dürfte sich dieser Art von Rechtsproblemen wohl kaum annehmen wollen. Die Bewältigung der Folgen der Nichtigkeit von Rechtsgeschäften und Rechtsakten ist typischerweise Rechtsprechung und Schrifttum überlassen. Und dass diese Aufgabenteilung im Großen und Ganzen funktioniert, belegen die weitgehende Anerkennung der Grundsätze der fehlerhaften Gesellschaft und der Lehre vom faktischen Organ auf den fehlerhaft bestellten Vorstand. Der Gesetzgeber ist also in der Vergangenheit gut damit gefahren, die konzeptionell schlüssige Bewältigung dieser Problemlagen Rechtsprechung und Schrifttum zu überantworten. Und so dürfte auch eine gewisse Erwartungshaltung bestanden haben, dass der Zweite Senat sich bei gegebenem Anlass dieser Aufgabe annimmt. Man muss es als bedauerlich bezeichnen, dass der Zweite Senat sich dieser Erwartung bei der Behandlung der Folgen der Anfechtung eines Wahlbeschlusses für den Aufsichtsrat nicht beherzter angenommen hat, obgleich er dazu auf Vorarbeiten im Schrifttum hätte zurückgreifen können, die breite Zustimmung erfahren haben. Ein Aufgreifen und Weiterspinnen dieser Vorarbeiten durch den Zweiten Senat hätte Rechtssicherheit schaffen und das Recht des Aufsichtsrats konzeptionell schlüssig weiter entwickeln können.38

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 Gleichsinnig Koch in Hüffer/Koch AktG, § 101 Rn. 22.

Einziehung und Abfindungszahlung in der Rechtsprechung des BGH Detlef Kleindiek I. Einführung Die Einziehung von GmbH-Geschäftsanteilen – in der Praxis von erheblicher Bedeutung – war dem Gesetzgeber des GmbHG nur vergleichsweise wenige Bemerkungen wert. Nach § 34 Abs. 1 GmbHG muss sie in der Satzung zugelassen sein, die freiwillige Einziehung ebenso wie die Zwangseinziehung. Die Voraussetzungen der Zwangseinziehung müssen in der Satzung festgelegt sein (§ 34 Abs. 2 GmbHG). In beiden Varianten bedarf es zur Wirksamkeit der Einziehung – soweit die Satzung nicht zulässigerweise eine andere Regelung trifft – eines Gesellschafterbeschlusses (§ 46 Nr. 4 GmbHG), für den die einfache Mehrheit genügt (§ 47 Abs. 1 GmbHG).1 Hinzukommen muss schließlich die Einziehungserklärung gegenüber dem Betroffenen sowie – bei der freiwilligen Einziehung – dessen Zustimmung. Angesichts der formellen Legitimation der Listeneintragung nach § 16 Abs. 1 GmbHG bedarf es zur „Umsetzung“ im Übrigen der Einreichung einer geänderten Gesellschafterliste zum Handelsregister.2 Mit der wirksamen Einziehung wird der betroffene Geschäftsanteil vernichtet. Er geht mit allen mit ihm verbundenen Mitgliedschaftsrechten und -pflichten unter, soweit sie sich nicht schon zuvor verselbständigt hatten.3 Der Wegfall des eingezogenen Geschäftsanteils führt zu einem Zuwachs der verhältnismäßigen Beteiligungsquoten der verbleibenden Gesellschafter; ihnen wächst anteilig der Wert des eingezogenen Geschäftsanteils zu.4 Dementsprechend mehren sich ihre Gesellschafterrechte und -pflichten. Der Betrag des Stammkapitals wird durch die Einziehung indes nicht berührt. Zwar stimmt die Summe der Nennbeträge der verbleibenden Anteile nicht länger mit der Stammkapitalziffer überein, wenn die verbliebenen Gesellschafter auf parallele Anpassungsmaßnahmen verzichten. Aber darin liegt kein zur Nichtig  Vgl. BGHZ 104, 66, 74.   Hierzu und zu den damit zusammenhängenden Rechtsschutzproblemen näher Kleindiek GmbHR 2017, 815, 816 ff; Otto GmbHR 2018, 123 ff. 3   BGHZ 139, 299, 302. 4   BGHZ 192, 236 Rn. 21. 1 2

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keit des Einziehungsbeschlusses führender Verstoß gegen das Konvergenzgebot des § 5 Abs. 3 Satz 2 GmbHG. Es kann im Zusammenhang mit der Einziehung eines Geschäftsanteils keine Geltung beanspruchen.5 All das ist heute gesicherte Erkenntnis.6 Lange ungeklärt waren jedoch Grundsatzfragen im Zusammenhang mit dem „Einziehungsentgelt“, das dem Inhaber des eingezogenen Anteils zusteht. Er hat einen Anspruch auf Abfindung in Höhe des vollen wirtschaftlichen Werts seines Geschäftsanteils, sofern die Satzung keine abweichende, die Höhe des Abfindungsanspruchs wirksam beschränkende Abfindungsklausel enthält. Aus § 34 Abs. 3 GmbHG ergibt sich immerhin, dass die Gesellschaft eine Abfindung nur aus freiem, nicht nach §§ 30, 31 GmbHG gebundenen Vermögen zahlen darf. Insoweit weist der Gesetzgeber den Gläubigerinteressen am Kapitalschutz in der Gesellschaft ersichtlich Vorrang gegenüber dem Interesse des Ausgeschiedenen an der Zahlung einer Abfindung aus dem Gesellschaftsvermögen zu. Und der BGH leitet in ständiger Rechtsprechung aus § 34 Abs. 3 GmbHG die Nichtigkeit des Einziehungsbeschlusses entsprechend § 241 Nr. 3 AktG ab, wenn bereits bei Beschlussfassung feststeht, dass die Gesellschaft als Schuldnerin der Abfindung diese bei Fälligkeit nicht aus freiem, die Stammkapitalziffer nicht beeinträchtigenden Vermögen zahlen kann; dann scheitert die Einziehung.7 Freilich ist die Berechtigung dieser Schlussfolgerung umstritten.8 Und sehr kontrovers wurde über Jahrzehnte hinweg auch die „benachbarte“ Frage debattiert, ob die tatsächliche Zahlung der Abfindung Wirksamkeitsvoraussetzung der Einziehung ist. Formuliert für den Fall der Zwangseinziehung aus wichtigem Grund in der Person des Betroffenen: Setzt sich dessen Interesse, seinen Anteil (und damit seine Mitgliedschaftsrechte) erst gegen Erfüllung des Abfindungsanspruchs einzubüßen, gegen das konfligierende Interesse der Mitgesellschafter und der Gesellschaft durch, den „Störenfried“ ab sofort nicht mehr dulden zu müssen? Wenn nicht: Trifft die verbleibenden Gesellschafter eine persönliche Einstandspflicht, wenn der von der Einzie-

  BGHZ 203, 303 Rn. 22 ff.   Zu (weiteren) Nachweisen und Einzelheiten s. etwa Altmeppen in Roth/Altmeppen, GmbHG, 8. Aufl. 2015, § 34 Rn. 5 ff; Fastrich in Baumbach/Hueck, GmbHG, 21. Aufl. 2017, § 34 Rn. 3 ff; Fritz Die Zwangseinziehung von GmbH-Geschäftsanteilen, 2015, S. 85 ff; Lutter/Kleindiek in Lutter/Hommelhoff, GmbHG, 19. Aufl. 2016, § 34 Rn. 2 ff; Markowsky Die Einziehung von GmbH-Geschäftsanteilen, 2013, S. 37 ff; Strohn in Münchener Kommentar GmbHG, 3. Aufl. 2018, § 34 Rn. 7 ff; Ulmer/Habersack in Ulmer/ Habersack/Löbbe, GmbHG, 2. Aufl. 2014, § 34 Rn. 14 ff; Westermann in Scholz, GmbHG, 12. Aufl. 2018, § 34 Rn. 7 ff. 7   BGHZ 192, 236 Rn 7. 8  Näher Lutter/Kleindiek in Lutter/Hommelhoff, GmbHG (Fn. 6), § 34 Rn. 49a m.w.N. zum Meinungsstand. 5 6

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hung Betroffene seinen Abfindungsanspruch gegen die Gesellschaft bei Fälligkeit nicht realisieren kann? Eben dies war Gegenstand zweier Grundsatzentscheidungen des BGH in den Jahren 2012 und 2016. Im ersten Urteil9 hatte der II. Zivilsenat die sog. „Bedingungslösung“, nach der die Wirksamkeit der Einziehung unter der aufschiebenden Bedingung vollständiger Zahlung der Abfindung stehen sollte, verworfen. Er nimmt seither (sofern der Einziehungsbeschluss nicht nichtig ist) die sofortige Wirksamkeit der Einziehung an, gekoppelt mit einer an bestimmte Voraussetzungen geknüpften, anteiligen Ausfallhaftung der verbliebenen Gesellschafter, wenn die Gesellschaft die fällige Abfindung mangels ungebundenen Vermögens nicht zahlen darf. In der Entscheidung aus 201610 hat er die Voraussetzungen dieser subsidiären Gesellschafterhaftung konkretisiert: es bedürfe der „Annahme eines treuwidrigen Verhaltens“ jener Gesellschafter. Während das Urteil aus 2012 ganz überwiegend auf Zustimmung gestoßen war,11 führte die Folgeentscheidung aus 2016 bei manchen Beobachtern zu Irritationen und Kritik. Wer in der ersten Entscheidung „eine großartige Lösung des durch die Jahrzehnte geschleppten Problems“ erkannte,12 interpretierte das Urteil aus 2016 als „Einführung einer zusätzlichen Treuepflichtkomponente in die Haftung der Verbliebenen“, was den Schutz des ausgeschiedenen Gesellschafters empfindlich einschränke.13 Jene Folgeentscheidung, so wurde von anderer Seite geltend gemacht, stelle „weniger eine Konkretisierung als vielmehr eine Umkehr des Regel-/Ausnahmeverhältnisses betreffend die persönliche Ausfallhaftung der verbleibenden Gesellschafter“ dar, die nunmehr einen „klaren Ausnahmecharakter“ besitze.14 Und auch aus den Reihen der Wissenschaft wurde „eine dogmatisch und wertungsmäßig nicht einzuordnende Kehrtwendung“ in der Rechtsprechung des II. Zivilsenats ausgemacht: Der Senat wisse heute offenbar gar nicht mehr, welchen „Kurs“ er halten solle.15 In seinem Urteil aus 2016 habe er die Vor-

  BGHZ 192, 236.   BGHZ 210, 186. 11   Nachweise (auch zu kritischen Stimmen) etwa bei Böhm Die Sicherung der Abfindung beim Ausscheiden aus der GmbH, 2016, S. 60 f; Strohn in MünchKomm GmbHG (Fn. 6), § 34 Rn. 75; Tröger in Gesellschaftsrechtliche Vereinigung (Hrsg.), Gesellschaftsrecht in der Diskussion 2013, 2014, S. 23, 29 f; Ulmer/Habersack in Ulmer/Habersack/ Löbbe, GmbHG (Fn. 6), § 34 Rn. 61. 12  So Priester ZIP 2012, 658. 13   Priester EWiR 2016, 393, 394; eine „ganz erhebliche Einschränkung der Ausfallhaftung“ erkennen auch Sosnitza in Michalski/Heidinger/Leible/J. Schmidt, GmbHG, 3. Aufl. 2017, § 34 Rn. 84; Wachter NZG 2016, 961, 965. 14  So F. Schaefer DStR 2016, 2116, 2117; andere Einschätzung aber bei St. Schneider ZIP 2016, 2141, 2145: Ausfallhaftung bleibe weiterhin „eher die Regel“. 15   Altmeppen ZIP 2016, 1557, 1559. 9

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aussetzungen der (haftungsbegründenden) Treuwidrigkeit „so diffus dargestellt …, dass die Praxis damit so gut wie gar nichts anfangen“ könne.16 Kann das sein? Noch dazu unter dem Vorsitz des Jubilars? Der folgende Beitrag versucht dem nachzugehen. Was hat der II. Zivilsenat genau geurteilt? Was ist der „Bauplan“ seines aktuell verfochtenen Konzepts?

II.  Die früher herrschende „Bedingungslösung“ In seiner Entscheidung aus 2012 hat der Senat der lange vorherrschenden „Bedingungslösung“ eine Absage erteilt und insofern lange bestehende Unsicherheiten beseitigt. Der Hintergrund jener „Bedingungslösung“ darf hier noch einmal in Erinnerung gerufen werden. 1.  Erstes Grundsatzurteil aus 1953: BGHZ 9, 157 Sie geht zurück auf eine Entscheidung des BGH aus dem Jahr 1953,17 in welcher der II. Zivilsenat das Junktim zwischen dem Verlust der Gesellschafterstellung einerseits und der Abfindungszahlung andererseits allerdings für die konkret zu beurteilende Fallkonstellation formuliert hatte: Für den Ausschluss eines GmbH-Gesellschafters, ohne dass hierfür entsprechende Satzungsvorsorge getroffen worden war. Der Senat hatte seinerzeit festgestellt, ein GmbH-Gesellschafter könne bei Vorliegen eines in seiner Person gegebenen wichtigen Grundes auch dann aus der Gesellschaft ausgeschlossen werden, wenn die Satzung zu dieser Möglichkeit schweige.18 Als Ausschließungsmittel bedürfe es der von der Gesellschaft zu erhebenden Ausschlussklage und eines rechtsgestaltenden Urteils, wobei der Gesellschaft ein Wahlrecht hinsichtlich der konkreten Verwertung des Geschäftsanteils des Ausgeschlossenen (Übertragung an Gesellschafter, Dritten oder die Gesellschaft selbst oder Einziehung des Anteils) einzuräumen sei.19 Weil dem Auszuschließenden in jedem Fall der volle Wert des Geschäftsanteils vergütet werde müsse, sei der Urteilsausspruch aber an die Bedingung zu knüpfen, dass der betroffene Gesellschafter binnen einer für den Einzelfall angemessen festzusetzenden Frist den im Urteil zu bestimmenden Gegenwert für seinen Geschäftsanteil erhalte.20 Dieses Junktim zwischen dem Verlust der Gesellschafterstellung einerseits und der Abfindungszahlung andererseits – seither unter dem Begriff der   Altmeppen ZIP 2016, 1557, 1558.   BGHZ 9, 157. 18   BGHZ 9, 157, 161 ff. 19   BGHZ 9, 157, 169 f. 20   BGHZ 9, 157, 174. 16 17

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„Bedingungslösung „ oder „Bedingungslehre“ diskutiert – war vom Senat freilich gerade für den Fall des Ausschlusses eines GmbH-Gesellschafters formuliert worden, ohne dass die Satzung eine solche Möglichkeit vorsah („ohne freiwillige Unterwerfung“).21 Vor diesem Hintergrund hatte namentlich Goette später herausgearbeitet, dass der II. Zivilsenat die „Bedingungslehre“ nur für den (Sonder-)Fall entwickelt hatte, in dem satzungsrechtlich keinerlei Vorsorge getroffen worden war, einen störenden Gesellschafter zwangsweise aus der Gesellschaft zu entfernen.22 2.  Verbreitete Schlussfolgerungen Gleichwohl entwickelte sich im Anschluss an jene Grundsatzentscheidung aus 1953 (auch in der instanzgerichtlichen Rechtsprechung) die überwiegende Ansicht, jene „Bedingungslösung“ finde auf sämtliche Fälle der Entfernung eines Gesellschafters aus der GmbH Anwendung.23 Sie gelte also auch für die für eine in der Satzung vorgesehene Ausschließung durch Gesellschafterbeschluss oder die (immer nur bei entsprechender Satzungsregelung mögliche) Zwangseinziehung des Geschäftsanteils, die mithin ebenfalls unter der aufschiebenden Bedingung der tatsächlichen Abfindungszahlung aus freiem Vermögen stehe. 3.  Die weitere Rechtsprechung des BGH Auf die Rechtsprechung des BGH konnte sich jene These indes zu keinem Zeitpunkt stützen, auch nicht auf nach BGHZ 9, 157 ergangene Judikate des II. Zivilsenats. Mehrfach hatte der Senat – für den Fall des Ausschlusses eines Gesellschafters durch Gesellschafterbeschluss und für die Kündigung eines Gesellschafters – festgestellt: Jedenfalls die Satzung könne anordnen, dass der Gesellschafter seine Gesellschafterstellung mit sofortiger Wirkung (also auch schon vor Zahlung seiner Abfindung) verliere.24 Im Übrigen nimmt der BGH in gefestigter Rechtsprechung – bis heute25 – die Nichtigkeit eines Einziehungsoder Ausschließungsbeschlusses entsprechend § 241 Nr. 3 AktG an, wenn bereits bei Beschlussfassung feststeht, dass die von der Gesellschaft geschuldete Abfindung nicht aus freiem, das Stammkapital nicht beeinträchtigendem   BGHZ 9, 157, 170 (Hervorhebung hier hinzugefügt).   Goette in Festschrift Lutter, 2000, S. 399 ff; s. auch dens. DStR 2006, 1901. 23   Zu Nachweisen s. BGHZ 192, 236 Rn. 10 und etwa Böhm (Fn. 11), S. 32 ff; Strohn in MünchKomm GmbHG (Fn. 6), § 34 Rn. 73; Tröger (Fn. 11), S. 23, 24 f. 24   BGH NJW 1983, 2880, 2881; BGH NZG 2003, 871; BGH NZG 2009, 221; s. auch schon BGHZ 32, 17, 22 f. 25  BGHZ 192, 236 Rn. 7; BGHZ 210, 186 Rn. 13; zuletzt BGH NZG 2018, 1069 Rn. 13 ff. 21 22

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Vermögen gezahlt werden kann.26 Auf jene Nichtigkeitsgrundsätze wurde auch dort zurückgegriffen, wo die Ausschließung nach der Satzung mit Zugang des Ausschließungsbeschlusses und unabhängig davon wirksam werden sollte, ob der betroffene Gesellschafter ein Entgelt beanspruchen kann.27 Indes blieb lange Zeit ungeklärt, ob die aus BGHZ 9, 157 abgeleitete „Bedingungslösung“ tatsächlich auf Fälle beschlossener Zwangseinziehung zu übertragen ist, wenn eine Satzungsregelung zum Wirksamkeitszeitpunkt der Einziehung gerade fehlt. Der II. Zivilsenat hatte dies wiederholt als „nicht entscheidungserheblich“ ausdrücklich offen gelassen.28 Mehrfach festgestellt wurde freilich, dass eine zu niedrig bemessene Abfindung die Wirksamkeit des (den Abfindungsanspruch herbeiführenden) Beschlusses selbst nicht berührt.29 4.  Alternative Vorschläge im Schrifttum Im Schrifttum war die lange vorherrschende These, die Einziehung stehe (vorbehaltlich abweichender Satzungsgestaltung) unter der aufschiebenden Bedingung vollständiger Abfindungszahlung, auch niemals unumstritten. Angesichts der massiven Probleme in der „Schwebezeit“ bis zum Bedingungseintritt (in der der betroffene Gesellschafter seine Mitgliedschaftsrechte nach der „Bedingungslösung“ nicht verloren hat) sprachen sich namhafte Gegenstimmen – wie auch Teile der obergerichtlichen Rechtsprechung – für eine sofortige Wirksamkeit der Einziehung aus.30 Welcher begleitenden Mechanismen es (unter dieser Prämisse) zum Schutz der Abfindungsinteressen des betroffenen Gesellschafters bedarf, wurde freilich kontrovers beurteilt.31 Eines der insoweit zur Diskussion gestellten Konzepte sah die Verpflichtung der Mitgesellschafter pro rata ihrer Beteiligung vor, dem ausgeschiedenen Gesellschafter die Abfindung zu zahlen, soweit die Gesellschaft wegen §§ 34 Abs. 3, 30 Abs. 1 GmbHG nicht leisten dürfe.32

26   S. schon BGHZ 9, 157, 173 f. und etwa BGHZ 144, 365, 369 f.; BGH NZG 2009, 439 Rn. 7; BGH NZG 2011, 783 Rn. 18 ff. 27   BGH NZG 2011, 783 Rn. 21. 28   So u.a. in BGHZ 139, 299, 302 und BGH DStR 2006, 1900 Rn. 3. 29   S. etwa BGHZ 112, 103, 111 unter Verweis auf BGH NJW 1973, 1606, 1607 und BGH NJW 1977, 2316, 2317. 30   Zu Nachweisen s. BGHZ 192, 236 Rn. 11. 31   S. den Überblick in BGHZ 192, 236 Rn. 12; Einzelheiten und Nachweise zum früheren Meinungsstand etwa auch bei Böhm (Fn. 11), S. 35 ff.; Strohn in MünchKomm GmbHG (Fn. 6), § 34 Rn. 73 f. 32  So schon vorzeiten Altmeppen in Roth/Altmeppen, GmbHG, 3. Aufl. 1997, § 34 Rn. 22; ihm folgend Goette in Festschrift Lutter, 2000, S. 399, 410; Strohn in MünchKomm GmbHG (Fn. 6) § 34 Rn. 76 f.; de lege ferenda bereits Rob. Fischer in Festschrift W. Schmidt, 1959, S. 117, 130 f.

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III.  Die aktuelle „Haftungslösung“ des BGH An eben diesen Ansatz hat der II. Zivilsenat des BGH in seinen eingangs erwähnten Leitentscheidungen aus 2012 und 2016 angeknüpft. 1.  Ausfallhaftung der verbleibenden Gesellschafter Im Urteil vom 24.1.201233 wurde festgestellt: Wenn ein Einziehungsbeschluss weder nichtig ist noch für nichtig erklärt wird, wird die Einziehung mit der Mitteilung des Einziehungsbeschlusses an den betroffenen Gesellschafter wirksam, nicht erst mit der Leistung der Abfindung (Leitsatz 1). Und (so Leitsatz 2): Die Gesellschafter, die den Einziehungsbeschluss gefasst haben, haften dem ausgeschiedenen Gesellschafter anteilig, wenn sie nicht dafür sorgen, dass die Abfindung aus dem ungebundenen Vermögen der Gesellschaft geleistet werden kann, oder sie die Gesellschaft nicht auflösen. Mit dieser „Haftungslösung“ verfolgt der BGH erklärtermaßen das Ziel, die bei der Anteilseinziehung widerstreitenden Interessen zu einem angemessenen Ausgleich zu bringen: Sie vermeide – einerseits – die erheblichen Nachteile der Schwebelage, die nach der „Bedingungslösung“ entstünde. Die verbleibenden Gesellschafter sollen die Gesellschaft sogleich ohne den von der Einziehung Betroffenen fortsetzen können. Demgegenüber belaste die „Bedingungslösung“ die Gesellschaft mit dessen weiterer Mitgliedschaft und stelle damit sein Interesse in den Vordergrund, obwohl er einer Einziehung aus wichtigem Grund im Gesellschaftsvertrag zugestimmt habe. Wegen seiner antizipierten Zustimmung zur Einziehung in der Satzung sei er indes weniger schutzwürdig als ein Gesellschafter, der – wie im Fall BGHZ 9, 157 – ohne eine solche Bestimmung im Gesellschaftsvertrag ausgeschlossen werde.34 Der Senat erkennt aber – andererseits – die Notwendigkeit an, den Abfindungsanspruch des Ausscheidenden zu schützen. Hierzu genüge es freilich, die verbleibenden Gesellschafter selbst anteilig in die Haftung zu nehmen, wenn – und dieses „wenn“ ist wichtig – sie nicht auf andere Weise für die Auszahlung der Abfindung aus freiem Gesellschaftsvermögen sorgten. Aus den Entscheidungsgründen: „Die Interessen der Beteiligten werden am besten dadurch ausgeglichen, dass die Gesellschafter, die den Einziehungsbeschluss gefasst haben, dem ausgeschiedenen Gesellschafter anteilig haften, wenn sie nicht anderweitig dafür sorgen, dass die Abfindung aus dem ungebundenen Vermögen der Gesellschaft geleistet werden kann, oder sie die Gesellschaft nicht auflösen. Den verbliebenen Gesellschaftern wächst anteilig der Wert des eingezogenen Geschäftsanteils zu. Sie müssten, wenn sie sich redlich verhalten und eine Unterdeckung nicht auf andere Art und Weise ausgleichen, etwa durch Auflösung von stillen Reserven oder eine Herabsetzung des Stammkapitals …, grundsätzlich die Gesell33 34

  BGHZ 192, 236.   BGHZ 192, 236 Rn. 16.

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schaft auflösen, um so die Gesellschaft in die Lage zu versetzen, den Abfindungsanspruch des ausgeschiedenen Gesellschafters soweit wie möglich zu erfüllen. Mit der Auflösung stellen sie den ausgeschiedenen Gesellschafter hinsichtlich seines Abfindungsanspruchs so, als sei er noch Gesellschafter. Sie verhalten sich treuwidrig, wenn sie sich dagegen mit der Fortsetzung der Gesellschaft den Wert des eingezogenen Geschäftsanteils auf Kosten des ausgeschiedenen Gesellschafters einverleiben, ihm aber eine Abfindung unter der berechtigten Berufung auf die Kapitalbindung der Gesellschaft verweigern.“35

Dem entschiedenen Fall lag die Klage eines von zwei Mitgliedern der beklagten GmbH zugrunde. Deren Satzung ließ die Zwangseinziehung aus wichtigem Grund in der Person des Betroffenen zu und sah für diesen Fall eine Abfindungszahlung binnen 24 Monate vor. Im Jahre 2001 beschloss die Gesellschafterversammlung die Einziehung des Geschäftsanteils des Klägers ohne dessen Zustimmung. Dieser Beschluss wurde später bestandskräftig, eine Abfindung aber nicht gezahlt. Im Februar 2007 beantragte der Kläger in einer Gesellschafterversammlung, zu der auch er eingeladen worden war, den einzigen (weiteren) Gesellschafter auf Zahlung eines bestimmten Betrages in Anspruch zu nehmen und den Kläger zur gerichtlichen Geltendmachung des Anspruchs zu ermächtigen. Der Vertreter des Klägers stimmte dafür, der Vertreter des (Mit-) Gesellschafters dagegen; eine förmliche Beschlussfeststellung durch einen Versammlungsleiter blieb aus. Der Kläger begehrte mit seiner Klage die Feststellung, dass die von ihm in der nämlichen Gesellschafterversammlung beantragten Beschlüsse gefasst worden sind. Sein Klagebegehren konnte überhaupt nur Erfolg haben, wenn er zum Zeitpunkt der Gesellschafterversammlung in 2007 noch Gesellschafter war. Er war vorsorglich zur Versammlung geladen worden, weil seinerzeit nicht rechtssicher geklärt war, ob die „Bedingungslösung“ galt, die Einziehung mangels Zahlung einer Abfindung also noch nicht wirksam geworden war. Und die Regelung des § 16 Abs. 1 Satz 1 GmbHG in der heutigen Fassung (formelle Legitimation kraft Eintragung in der aktuellen Gesellschafterliste) gab es damals noch nicht; für die Gesellschafterstellung in der Folge der Einziehung war die materielle Rechtslage ausschlaggebend. – Der BGH urteilte, dass die Einziehung mit Fassung des Einziehungsbeschlusses wirksam geworden sei. Damit stand fest: Der Kläger hatte in der Versammlung in 2007 nichts mehr zu suchen; er hatte dort auch nichts zu beantragen, denn er war längst kein Gesellschafter mehr. Seine Beschlussfeststellungsklage war abzuweisen. 2.  Zu den Voraussetzungen der subsidiären Gesellschafterhaftung Sein Konzept der anteiligen Ausfallhaftung der verbleibenden Gesellschafter für den Abfindungsanspruch des von der Einziehung betroffenen Anteils-

  BGHZ 192, 236 Rn. 21.

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inhabers (die „Haftungslösung“) hatte der Senat in jener Entscheidung aus 2012 entworfen, um das sofortige Wirksamwerden der Einziehung – und damit die Nicht-Geltung der „Bedingungslösung“ – zu kompensieren. Aber die persönliche Haftung des verbleibenden Gesellschafters für den Abfindungsanspruch des ausgeschiedenen war nicht Gegenstand des damaligen Klageverfahrens; die konkreten Voraussetzungen dieser Haftung mussten nicht dem „Praxistest“ des zu entscheidenden Falls unterzogen werden. Das war anders in der Folgeentscheidung vom 10.5.2016.36 Auch hier stand eine Zweipersonen-GmbH mit 50% : 50%-Beteiligung am Ausgangspunkt der Entwicklung, bestehend aus A (dem späteren Kläger) und B. Letzterer übertrug seine Anteile auf seine vier Söhne, die sich sodann mit A – gestützt auf eine Satzungsklausel, die eine freiwillige Einziehung zuließ – auf die Einziehung des Anteils des A gegen Abfindung einigten. Zugleich vereinbarte man: Die Abfindung sollte in drei Raten verteilt auf den Zeitraum von einem Jahr gezahlt werden. Zur Sicherung des Abfindungsanspruchs sollten zwei der Mitgesellschafter ihre Anteile an A verpfänden. Und die Einziehung sollte erst mit Zahlung der ersten Rate sowie der notariell beurkundeten Verpfändung der Geschäftsanteile wirksam werden. Die ersten beiden Abfindungsraten wurden gezahlt, die dritte indes nicht. Vielmehr teilte die Gesellschaft dem A bei Fälligkeit mit, wegen einer bilanziellen Überschuldung zur Zahlung nicht in der Lage zu sein. Rund 7 Monate später wurde das Insolvenz­ verfahrens über das Vermögen der Gesellschaft eröffnet. Mit seiner Klage verlangte A von den vier verbliebenen Gesellschaftern als Gesamtschuldner Zahlung der letzten Abfindungsrate. Jetzt also war entscheidungserheblich, unter welchen genauen Voraussetzungen die subsidiäre Gesellschafterhaftung für den Abfindungsanspruch des von der Einziehung Betroffenen steht. Der Senat hat diese Voraussetzungen konkretisiert – in Übereinstimmung mit den im Jahre 2012 entwickelten Grundsätzen und unter Wiederholung weiter Textpassagen der damaligen Entscheidungsgründe. Im ersten Leitsatz der Entscheidung heißt es: „Die persönliche Haftung der Gesellschafter nach den Grundsätzen des Senatsurteils vom 24.1.2012, BGHZ 192, 236 entsteht weder bereits mit der Fassung des Einziehungsbeschlusses noch allein aufgrund des Umstands, dass die Gesellschaft später zum Zeitpunkt der Fälligkeit gem. § 34 Abs. 3, § 30 Abs. 1 GmbHG an der Zahlung der Abfindung gehindert ist oder sie unter Berufung auf dieses Hindernis verweigert. Die persönliche Haftung der Gesellschafter entsteht erst in dem Zeitpunkt, ab dem die Fortsetzung der Gesellschaft unter Verzicht auf Maßnahmen zur Befriedigung des Abfindungsanspruchs des ausgeschiedenen Gesellschafters als treuwidrig anzusehen ist.“ Vor dem Hintergrund dieser Formulierung und angesichts der weiteren Feststellungen in den Entscheidungsgründen lässt sich das aktuelle Haf36

  BGHZ 210, 186.

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tungskonzept des BGH, das im Übrigen bei der Zwangseinziehung und der freiwilligen Einziehung gleichermaßen zur Anwendung kommt,37 wie folgt zusammenfassen: (1) Primäre Schuldnerin des Abfindungsanspruchs ist und bleibt die Gesellschaft. (2) Die nach der Anteilseinziehung verbleibenden Gesellschafter haften subsidiär pro rata ihrer Beteiligung unter bestimmten Voraussetzungen: (a) Sie haften nicht schon dann, wenn die Gesellschaft tatsächlich nicht zahlt. (b) Ihre Haftung entsteht auch nicht schon dann, wenn die Gesellschaft wegen §§ 34 Abs. 3, 30 Abs. 1 GmbHG nicht zahlen darf. (c) Sie haften erst, wenn die Gesellschaft wegen §§ 34 Abs. 3, 30 Abs. 1 GmbHG nicht zahlen darf und die Gesellschafter die Gesellschaft nicht auflösen, sondern sie (treuwidrig) fortsetzen, ohne zugleich für freies Vermögen zu sorgen, aus dem der Abfindungsanspruch bedient werden kann. (d) Die verbleibenden Gesellschafter haften auch, wenn sie die Voraussetzungen der §§ 34 Abs. 3, 30 Abs. 1 GmbHG „treuwidrig herbeigeführt“ oder aus sonstigen Gründen die Erfüllung des Abfindungsanspruchs „treuwidrig vereitelt“ haben.

IV.  Bewertungen und Folgerungen 1.  Die Gesellschaft als primäre Schuldnerin der Abfindungszahlung Mit Selbstverständlichkeit stellt der II. Zivilsenat fest, mit dem Wirksamwerden der Einziehung entstehe für den betroffenen Gesellschafter ein „Anspruch gegen die Gesellschaft auf Zahlung einer angemessenen Abfindung, soweit die Satzung nicht eine zulässige anderweitige Regelung enthält“.38 Die verbleibenden Gesellschafter sind im Konzept des BGH sekundäre Haftungsschuldner, deren Einstandspflicht nur unter bestimmten Voraussetzungen entsteht. Im Schrifttum wird der Ausgangspunkt der Überlegungen des Senats zu Recht fast ausnahmslos geteilt,39 wobei der Abfindungsanspruch über-

  BGHZ 210, 236 Leitsatz 2 und Rn. 24.   BGHZ 210, 236 Rn. 19 (Hervorhebung hier hinzugefügt). 39   Böhm (Fn. 11), S. 13; Fastrich in Baumbach/Hueck, GmbHG (Fn. 6), § 34 Rn. 22; Fritz (Fn. 6), S. 53 ff.; Grunewald GmbHR 2012, 769, 770; Lutter/Kleindiek in Lutter/ Hommelhoff, GmbHG (Fn. 6), § 34 Rn. 48a; Strohn in MünchKomm GmbHG (Fn. 6), § 34 Rn. 63; Tröger (Fn. 11), S. 23, 44 f.; Ulmer in Festschrift Hoffmann-Becking, 2013, S. 1261, 1273 ff.; Ulmer/Habersack in Ulmer/Habersack/Löbbe, GmbHG (Fn. 6), § 34 Rn. 74; Wachter NZG 2016, 961, 964; Westermann in Scholz, GmbHG (Fn. 6), § 34 Rn. 25. 37 38

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wiegend auf eine entsprechende Anwendung des § 738 Abs. 1 Satz 2 BGB gestützt wird.40 Einem ausgeschiedenen Gesellschafter steht kein verhältnismäßiger Anteil an den Gegenständen des Vermögens der Gesellschaft zu; er kann nicht deren Realteilung verlangen, sondern hat allein einen – gegen die Gesellschaft gerichteten – Geldanspruch in Höhe des Wertes seines eingezogenen Geschäftsanteils. Selbst in der Gesellschaft bürgerlichen Rechts richtet sich der Abfindungsanspruch nach § 738 Abs. 1 Satz 2 BGB in erster Linie gegen die Gesellschaft; deren Gesellschafter haften daneben für diese Gesellschaftsverbindlichkeit persönlich entsprechend § 128 HGB.41 Demgegenüber hat die These, als Folge der quotalen Anwachsung des Anteils des ausscheidenden Gesellschafters seien die verbleibenden Gesellschafter (auch) selbst – in der GmbH nicht anders als in der Personengesellschaft – Schuldner des Abfindungsanspruchs (zu dessen Erfüllung im Innenverhältnis zwischen der Gesellschaft und den Gesellschaftern primär das Gesellschaftsvermögen herangezogen werden solle),42 keine Gefolgschaft gefunden, zumal der zugrundeliegenden historische Ableitung nachdrücklich widersprochen worden ist.43 2.  Die sekundäre Gesellschafterhaftung: auslösende Umstände Akzeptiert man die Prämisse, dass sich der Anspruch auf Zahlung einer angemessenen Abfindung im Ausgangspunkt gegen die Gesellschaft richtet, ist von zentralem Interesse, unter welchen Voraussetzungen im Konzept des BGH die persönliche (Ausfall-)Haftung der verbleibenden Gesellschafter steht. a)  Tatsächliche Nichtzahlung Zustimmung verdient jedenfalls die Feststellung des Senats, die Gesellschafterhaftung werde nicht schon durch den Umstand ausgelöst, dass die Gesellschaft die Abfindung – auch wenn sie sie nach §§ 34 Abs. 3, § 30 Abs. 1 GmbHG zahlen dürfte – tatsächlich nicht zahle.44 Denn das kann vielfältige Gründe haben: So kann über die Höhe der geschuldeten Abfindung oder auch die Fälligkeit des Anspruchs leicht Streit entstehen. Dann muss der von der Einziehung Betroffene den geltend gemachten Abfindungsanspruch gegen die Gesellschaft ggf. mit gerichtlicher Hilfe durchzusetzen versuchen.

40   Zum Meinungsbild (mit Nachweisen) etwa Fritz (Fn. 6), S. 63; Markowsky (Fn. 6), S. 85 f. 41   BGH NZG 2011, 858 Rn. 11 f.; BGH NZG 2016, 1025 Rn. 9. 42   Altmeppen ZIP 2012, 1685, 1687 ff.; ders. NJW 2013, 1025, 1026 ff. 43   S. die Kritik bei Böhm (Fn. 11), S. 79 ff. und Fritz (Fn. 6), S. 56 ff.; ferner Markowsky (Fn. 6), S. 173 ff. 44   BGHZ 210, 236 Rn. 25; s. auch schon J. Schmidt GmbHR 2013, 953, 959; Ulmer in Festschrift Hoffmann-Becking, 2013, S. 1261, 1271.

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b)  Anteilige Ausfallhaftung Die persönliche Haftung der verbleibenden Gesellschafter für den Abfindungsanspruch des Ausgeschiedenen ist als anteilige Ausfallhaftung konzipiert. Der Senat spricht von „der subsidiären Haftung bei Ausfall der Gesellschaft“.45 Die Haftung setzt voraus, dass die Gesellschaft den fälligen Abfindungsanspruch – mangels freien Vermögens – gem. § 34 Abs. 3, § 30 Abs. 1 GmbHG nicht bedienen darf.46 Aber das allein genügt noch nicht. c)  „Treuwidriges Verhalten“ der verbleibenden Gesellschafter Denn der II. Zivilsenat hat in seiner Entscheidung aus 2016 klargestellt, die persönliche Haftung der Gesellschafter werde nicht schon allein dadurch ausgelöst, dass die Gesellschaft an der Zahlung der Abfindung zum Fälligkeitszeitpunkt gem. § 34 Abs. 3, § 30 Abs. 1 GmbHG objektiv gehindert sei oder sich doch jedenfalls auf dieses Hindernis berufe; erst ein „treuwidriges Verhalten“ der verbleibenden Gesellschafter begründe deren Haftung.47 Eine Kurskorrektur (oder gar „Kehrtwende“) gegenüber dem Urteil aus 2012 – im Sinne einer signifikanten Verschärfung der seinerzeit angenommenen Haftungsvoraussetzungen – dürfte damit aber nicht beabsichtigt sein. Dagegen spricht nämlich der nähere Vergleich der Entscheidungsgründe: Die Senatsentscheidung aus 2016 beschreibt, wann sich die verbleibenden Gesellschafter „treuwidrig verhalten“: Wenn sie – einerseits – dem von der Einziehung Betroffenen „unter berechtigter Berufung auf die Kapitalbindung der Gesellschaft die Abfindungszahlung verweigern“ und – andererseits – weder für einen Aufwuchs des ungebundenen Gesellschaftsvermögens sorgen noch die Gesellschaft auflösen, sondern sie fortsetzen. Die persönliche Haftung der Gesellschafter entstehe „in dem Zeitpunkt, ab dem die Fortsetzung der Gesellschaft unter Verzicht auf Maßnahmen zur Befriedigung des Abfindungsanspruchs des ausgeschiedenen Gesellschafters als treuwidrig anzusehen“ sei. Wenn die verbleibenden Gesellschafter die Gesellschaft (die den Abfindungsanspruch des Ausgeschiedenen mangels ungebundenen Vermögens nicht selbst bedienen darf) fortsetzten, „weil sie darin einen wirtschaftlichen Vorteil und einen Mehrwert für ihren Anteil erblicken“, dann entspreche es der Billigkeit, sie „zum Ausgleich des Mehrwerts für den Abfindungsanspruch persönlich haften zu lassen“.48

  BGHZ 210, 186 Rn. 32.   BGHZ 210, 186 Rn. 28. 47   BGHZ 210, 236 Leitsatz 1 und Rn. 22 f. 48   Alle Zitate aus BGHZ 210, 186 Rn. 23. 45 46

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Und auf eben diese Überlegung hatte der Senat schon in seinem Urteil aus 2012 die persönliche Gesellschafterhaftung gestützt, indem er dort – im Blick auf die Verbleibenden – formulierte: „Wenn die Gesellschafter die Gesellschaft fortsetzen, anstatt sie aufzulösen, weil sie darin einen wirtschaftlichen Vorteil und einen Mehrwert für ihren Anteil erblicken, ist es nicht unbillig, sie zum Ausgleich für den Abfindungsanspruch persönlich haften zu lassen, wenn die Gesellschaft ihn wegen der Kapitalbindung nicht erfüllen darf. Eine bei Fassung des Einziehungsbeschlusses unabsehbare persönliche Haftung ist damit nicht verbunden. Die Gesellschafter können ihre persönliche Inanspruchnahme durch Ausgleich der Unterdeckung oder durch die Auflösung der Gesellschaft vermeiden.“49

Kritiker der „Haftungslösung“ des BGH haben eingewandt, es sei ein „systematischer Bruch“, wenn – mit der sofortigen Wirksamkeit der (kraft Satzung zulässigen) Einziehung – vom „Vorrang des Fortsetzungsinteresses“ ausgegangen, die Gesellschafter dann aber gleichwohl auf die Auflösung der Gesellschaft verwiesen werde.50 Aber ein solcher Einwand verfängt schon deshalb nicht, weil das Haftungskonzept des BGH dem Fortsetzungsinteresse der verbleibenden Gesellschafter nicht den Vorrang vor dem Abfindungsinteresse des Ausgeschiedenen einräumt, sondern einen angemessenen Ausgleich der widerstreiten Interessen zum Ziel hat. Der Senat stellt der sofortigen Wirksamkeit der Einziehung die ggf. entstehende subsidiäre (anteilige) Einstandspflicht der Gesellschafter für den Abfindungsanspruch an die Seite, mit der aber gerade keine „bei Fassung des Einziehungsbeschlusses unabsehbare persönliche Haftung“ verbunden sein soll.51 Wird die Abfindung – wie in der Gestaltungspraxis wohl typischerweise – erst mit deutlichem Abstand zum Einziehungsbeschluss fällig und darf sie bei Fälligkeit mangels freien Vermögens nicht (oder nicht vollständig) gezahlt werden, so bleiben den Gesellschaftern Handlungsoptionen, um ihrer persönliche Inanspruchnahme zu entgehen. Die Gesellschafter können für freies Gesellschaftsvermögen sorgen, aus dem die Abfindung bedient werden darf: durch Gewährung verlorener Zuschüsse, durch Realisierung stiller Reserven (soweit vorhanden) oder (sofern überhaupt praktikabel) durch eine Kapitalherabsetzung. Alternativ können sie die Gesellschaft auflösen und abwickeln: um auf diese Weise das vorhandene Gesellschaftsvermögen zu verflüssigen und alsdann – nach Begleichung der sonstigen Gesellschaftsschulden – den Abfindungsanspruch soweit wie möglich zu erfüllen. Die verbleibenden Gesellschafter sind aber keineswegs gehalten, einen entsprechenden Auflösungsbeschluss zu fassen,52 auch nicht kraft (nachwirkender) Treupflicht dem Ausgeschiedenen gegenüber.53 Schon gar nicht verlangt   BGHZ 192, 236 Rn. 22.   Pentz/Maul in Festschrift Haarmann, 2015, S. 163, 176. 51   BGHZ 192, 236 Rn. 22. 52  Zutreffend Ulmer in Festschrift Hoffmann-Becking, 2013, S. 1261, 1267. 53   So aber Einhaus/Selter GmbHR 2015, 679, 683; Kort DB 2016, 2098, 2102 und 2105. 49 50

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der BGH von ihnen – um der persönlichen Ausfallhaftung zu entgehen – die Auflösung „gleichzeitig mit dem Einziehungsbeschluss“.54 Es steht ihnen vielmehr durchaus frei, die Gesellschaft fortzusetzen, ohne für einen Aufwuchs des ungebundenen Gesellschaftsvermögens zu sorgen. Doch können sie diese Option nur um den Preis ihrer persönlichen (anteiligen) Haftung für den Abfindungsanspruch des Ausgeschiedenen wählen, weil sie sich – in den Worten des BGH – den (von ihnen gesehenen) „wirtschaftlichen Vorteil und … Mehrwert für ihren Anteil“ nicht entschädigungslos zunutze machen dürfen. Schon in seiner Entscheidung aus 2012 hatte der Senat im Übrigen darauf verwiesen, dass den verbliebenen Gesellschaftern der Wert des eingezogenen Anteils anteilig zuwachse. Sie verhielten sich „treuwidrig“, wenn sie sich mit der Fortsetzung der Gesellschaft den Wert des eingezogenen Geschäftsanteils auf Kosten des ausgeschiedenen Gesellschafters einverleiben, ihm aber eine Abfindung unter der berechtigten Berufung auf die Kapitalbindung der Gesellschaft verweigern würden.55 Im Urteil aus 2016 heißt es der Sache nach übereinstimmend, das Vermögen der in der Gesellschaft verbleibenden Gesellschafter erhöhe sich schon infolge des Wegfalls des eingezogenen Geschäftsanteils um dessen Wert.56 Der Grund der (subsidiären) Gesellschafterhaftung liege darin, „dass die Gesellschafter weiterwirtschaften und sich dabei den Wert des eingezogenen Geschäftsanteils einverleiben, ohne dafür zu sorgen, dass der Gesellschafter, dessen Geschäftsanteil eingezogen worden ist, dafür angemessen entschädigt wird“.57 Auch diese Formulierungen verdeutlichen die der „Haftungslösung“ des BGH zugrunde liegenden Überlegungen: Zwar wächst den verbliebenen Gesellschaftern schon mit Wirksamkeit der Einziehung der wirtschaftliche Wert des eingezogenen Anteils ipso iure zu, weil sich ihre Beteiligungsquoten am Gesellschaftsvermögen durch den Wegfall des eingezogenen Anteils erhöhen. Aber in dieser „Anwachsung“ liegt (selbstverständlich) noch keine „treuwidrige Einverleibung“, denn die Gesellschaft schuldet dem Ausgeschiedenen die Abfindung in Geld; die passivierungspflichtige Abfindungsverbindlichkeit belastet das Gesellschaftsvermögen.58 Ist die Fälligkeit der Abfindungszahlung(en) aufgrund einer innerhalb oder außerhalb der Satzung vereinbarten Vereinbarung hinausgeschoben und verschlechtert sich bis zum Eintritt der Fälligkeit die Vermögenslage der Gesellschaft mit der Folge, dass der Abfindungsanspruch gefährdet wird, so realisiert sich ein vom Abfindungsgläubiger zu tragendes Risiko.59 Sofern die verbliebenen Gesellschafter   Das aber meint F. Schaefer DStR 2016, 2116.   BGHZ 192, 236 Rn 21. 56   BGHZ 210, 186 Rn. 23. 57   BGHZ 210, 186 Rn. 24. 58   S. dazu auch Zinger ZGR 2017, 196, 204 f. 59   Zutreffend BGHZ 210, 236 Rn. 23. 54

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aber nunmehr – statt die Auflösung zu beschießen – die Gesellschaft fortsetzen, ohne für einen Aufwuchs des Gesellschaftsvermögens zu sorgen, müssen sie „zum Ausgleich für den Abfindungsanspruch persönlich haften“.60 Ohne diesen Haftungsausgleich würden sie jetzt – aber auch erst jetzt – „treuwidrig“ agieren. In den Worten des BGH: Sie dürfen sich nicht „den Wert des eingezogenen Geschäftsanteils auf Kosten des ausgeschiedenen Gesellschafters einverleiben, ihm aber eine Abfindung unter der berechtigten Berufung auf die Kapitalbindung der Gesellschaft verweigern“.61 Anders gewendet: Die verbliebenen Gesellschafter haben nicht die Option, die Gesellschaft unter Aneignung des wirtschaftlichen Werts des eingezogenen Anteils fortzusetzen, den Ausgeschiedenen aber auf völlig ungewisse „bessere Zeiten“ zu vertrösten, in denen der Stand des Gesellschaftsvermögens die Bedienung des Abfindungsanspruchs möglicherweise wieder erlaubt. Sie haben nicht die Wahl, die Gesellschaft fortzusetzen, den Ausgeschiedenen aber „leer ausgehen (zu) lassen“.62 Entscheiden sie sich für die Fortsetzung, haften sie dem Abfindungsgläubiger persönlich. Wenn der BGH die anteilige Ausfallhaftung „erst in dem Zeitpunkt“ entstehen lässt, „ab dem die Fortsetzung der Gesellschaft unter Verzicht auf Maßnahmen zur Befriedigung des Abfindungsanspruchs … als treuwidrig anzusehen ist“, so wird man jenes Merkmal der Treuwidrigkeit nicht im Sinne der Einführung einer (im Vergleich zum Urteil aus 2012) „zusätzliche(n) Treuepflichtkomponente in die Haftung der Verbliebenen“ zu verstehen haben.63 Die Formulierung dürfte vielmehr zum Ausdruck bringen, dass den Gesellschaftern eine gewisse Überlegungszeit zugebilligt wird, um sich zwischen den bestehenden Handlungsoptionen zur Befriedigung des Abfindungsanspruchs des ausgeschiedenen Gesellschafters zu entscheiden (und die Entscheidung umzusetzen), bevor die Fortsetzung der Gesellschaft die Ausfallhaftung auslöst.64 Dass es bei einer solchen Deutung des Treuwidrigkeitsmerkmals auf die Umstände des jeweiligen Einzelfalls ankommen muss,65 versteht sich. d) Gesellschaftsinsolvenz Nach alledem folgerichtig ist die Feststellung des Senats,66 die Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen der Gesellschaft löse die persön-

  BGHZ 192, 236 Rn. 22.   BGHZ 192, 236 Rn. 21. 62   BGHZ 192, 236 Rn. 14. 63   So aber die Interpretation von Priester EWiR 2016, 393, 394. 64   Insoweit ähnliche Überlegungen bei Fastrich in Baumbach/Hueck, GmbHG (Fn. 6), § 34 Rn. 44 und 50. 65  Was Priester EWiR 2016, 393, 394 gerade einfordert. 66   BGHZ 210, 236 Rn. 26. 60 61

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liche Haftung der Gesellschafter noch nicht aus; denn nach § 60 Abs. 1 Nr. 4 GmbHG führt sie zur Auflösung der Gesellschaft. In ihrer Bedeutung noch nicht konturscharf ist freilich die sich anschließende Bemerkung, auch der Eintritt der materiellen Insolvenzreife – und damit die Auslösung der Antragspflicht nach § 15a Abs. 1 InsO – genüge noch nicht, sofern die Stellung des Eröffnungsantrags nicht „treuwidrig verzögert“ werde.67 Die rechtzeitige Stellung des Insolvenzantrags betrifft zunächst den Verantwortungsbereich der Geschäftsführer, nicht der Gesellschafter (§ 15a Abs. 1 InsO).68 Dem Senat scheinen Fälle vorzuschweben, in denen die Gesellschafter selbst Geschäftsführer sind oder auf die Geschäftsführer mit dem Ergebnis einwirken, dass die rechtzeitige Antragstellung unterbleibt. Insoweit bleibt abzuwarten, welches Fallmaterial ggf. an den BGH herangetragen wird, um jene „treuwidrige Verzögerung“ zu konkretisieren. e)  Vereitelung der Erfüllung des Abfindungsanspruchs Stimmig erscheint aber jedenfalls der Hinweis zum Abschluss der Senatsentscheidung aus 2016, die persönliche Haftung der verbleibender Gesellschafter trete auch schon dort ein, wo sie die Voraussetzungen der §§ 34 Abs. 3, 30 Abs. 1 GmbHG „treuwidrig herbeigeführt“ oder die (vollständige) Erfüllung des Abfindungsanspruch des Ausgeschiedenen „aus sonstigen Gründen treuwidrig vereitelt“ hätten.69 Ob die inflationäre Verwendung des Attributs „treuwidrig“ dem Erkenntnisinteresse dient, muss allerdings bezweifelt werden. Wo die Verschlechterung der Vermögenslage der Gesellschaft auf manipulativen Eingriffen der verbliebenen Gesellschafter beruht, etwa auf verdeckten Vermögensverlagerungen zu ihren Gunsten, hat sich schlicht nicht das allgemeine Gläubigerrisiko realisiert, das der Ausgeschiedene tragen muss. Entsprechendes gilt, wenn sich die Vermögenslage der Gesellschaft verschlechtert, nachdem die Gesellschafter die Bedienung des (fälligen) Abfindungsanspruchs des Ausgeschiedenen gezielt verzögert haben. 3. Auflösungsoption Problematisch ist indes eine in den Gründen beider Entscheidungen enthaltene, die Auflösungsoption betreffende Bemerkung: Mit der Auflösung – so der BGH in einer Formulierung, deren Bedeutung sich freilich nicht

67   BGHZ 210, 236 Rn. 26 unter Verweis auf Strohn in Münchener Kommentar GmbHG, 2. Aufl. 2015, § 34 Rn. 77. 68   Kort DB 2016, 2098, 2105. 69   BGHZ 210, 236 Rn. 35; ähnlich schon Tröger (Fn. 11), S. 23, 46 f.

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zuverlässig erschließt70 – werde „der ausgeschiedene Gesellschafter mit seinem Abfindungsanspruch so gestellt, als sei er noch Gesellschafter“.71 Der (primär gegen die Gesellschaft gerichtete) Abfindungsanspruch geht – vorbehaltlich einer wirksamen abweichenden Regelung in der Satzung – auf den vollen wirtschaftlichen Wert des eingezogenen Geschäftsanteils;72 maßgeblicher Stichtag für die Wertermittlung ist der Zeitpunkt des Wirksamwerdens der Einziehung.73 Der Anspruch des zu diesem Zeitpunkt (endgültig!) Ausgeschiedenen auf Abfindung ist – wie § 34 Abs. 3 GmbHG belegt – zwar kein normaler Drittgläubigeranspruch; in der Liquidation der Gesellschaft ist er erst nach den Ansprüchen der übrigen Gläubiger zu bedienen.74 Deshalb wird man in der Liquidation entsprechend § 73 Abs. 1 GmbHG – obwohl in der Befriedigung des Abfindungsanspruchs eines ehemaligen (ggf. schon vor Monaten oder gar Jahren ausgeschiedenen) Gesellschafters keine Verteilung von Vermögen im Sinne dieser Vorschrift liegt – auch das Sperrjahr abzuwarten haben,75 das gerade der Sicherung vorrangiger Drittgläubigeransprüche dient. Aber im Rahmen der Verteilung des Vermögens, das nach Bedienung bzw. Berücksichtigung der Drittgläubigeransprüche verbleibt, ist der Abfindungsanspruch des Ausgeschiedenen – nicht anders als ein noch nicht erfüllter mitgliedschaftlicher Anspruch eines Gesellschafters76 – vorab zu befriedigen. Der Abfindungsanspruch mindert also die zur Verteilung an die Gesellschafter zur Verfügung stehende Masse. Dem Ausgeschiedenen infolge der Auflösung hingegen nur noch – wie den verbliebenen Gesellschaftern – einen Anteil am Liquidationsüberschuss zubilligen zu wollen, ginge nicht an. Denn die Auflösung ist im hier in Rede stehenden Fall gerade nicht anstelle einer Einziehung beschlossen worden,77 sondern im Anschluss an die wirksame Anteilseinziehung (und mit zeitlichem Abstand zu dieser), um die drohende persönliche Haftung der verbliebenen Gesellschafter abzuwenden.

70   Eher fernliegend die Schlussfolgerung bei Görner DB 2016, 1626: Haftung der verbleibenden Gesellschafter nur für den Betrag, den der Ausgeschiedene bei rechtzeitiger Auflösung der Gesellschaft erhalten hätte. 71  So BGHZ 210, 236 Rn. 32 im Anschluss an BGHZ 192, 236 Rn. 21; hierzu kritisch schon Ulmer in Festschrift Hoffmann-Becking, 2013, S. 1261, 1272 und etwa Böhm (Fn. 11), S. 120 f.; Fritz (Fn. 6), S. 160 ff.; dem BGH beipflichtend indes St. Schneider ZIP 2016, 2141, 2144. 72   BGHZ 116, 359, 365; zur Wertermittlung s. Lutter/Kleindiek in Lutter/Hommelhoff, GmbHG (Fn. 6), § 34 Rn. 79 f. m.w.N. 73   Fritz (Fn. 6), S. 127 f.; Grunewald GmbHR 2012, 769, 770; Ulmer/Habersack in Ulmer/Habersack/Löbbe, GmbHG (Fn. 6), § 34 Rn. 78; Wachter NZG 2016, 961, 964. 74   Zutreffend BGHZ 192, 236 Rn. 22. 75  A.A. Fritz (Fn. 6), S. 161 f. 76  Dazu Kleindiek in Lutter/Hommelhoff, GmbHG (Fn. 6), § 72 Rn. 7. 77   S. zu einem solchen Fall Goette in Festschrift Lutter, 2000, S. 399, 407, 409.

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V. Fazit In seinen Entscheidungen aus 2012 und 2016 hat der BGH ein in sich schlüssiges Grundkonzept zur Lösung jenes Interessenkonflikts entwickelt, der bei der Einziehung von GmbH-Geschäftsanteilen typischerweise entsteht. Dabei knüpft das zweite Urteil bruchlos an das erste an. Zwar haben privatautonome Vereinbarungen der Gesellschafter Vorrang.78 Wo sie fehlen, trifft die verbleibenden Gesellschafter aber – unter den beschriebenen Voraussetzungen – eine anteilige Ausfallhaftung für den (gegen die Gesellschaft gerichteten) Abfindungsanspruch des von der Einziehung Betroffenen. Die Einziehung wird, sofern der Einziehungsbeschluss nicht nichtig ist, mit dessen Mitteilung an den Betroffenen wirksam; seine Wirksamkeit steht nicht unter der Bedingung vollständiger Abfindungszahlung. Die unzureichende Benennung der dogmatischen Grundlage jener Ausfallhaftung in den beiden BGH-Entscheidungen ist verbreitet kritisiert worden; der Senat beruft sich auf die „Billigkeit“.79 Die weiteren Entscheidungsgründe lassen aber allemal erkennen, von welchen Gedanken man sich hat leiten lassen: In Rede steht eine im Wege richterlicher Rechtsfortbildung80 entwickelte Ausfallhaftung der Gesellschafter, deren konkrete Ausgestaltung dem Ziel eines gerechten („billigen“) Ausgleichs der bei der Anteilseinziehung widerstreitenden Interessen verpflichtet ist.81 Die vom BGH geforderten Haftungsvoraussetzungen beruhen auf einer differenzierenden Risikoverteilung im Verhältnis der verbliebenen zum ausgeschiedenen Gesellschafter: Wenn die Verbliebenen ihre Gesellschaft (die die fällige Abfindung mangels ungebundenen Vermögens nicht selbst zahlen darf) fortsetzen (statt sie aufzulösen), ohne auf sonstige Weise für die Befriedigung des Abfindungsanspruch des Ausgeschiedenen zu sorgen, trifft sie eine persönliche Ausfallhaftung. Ausgelöst wird diese mithin durch das eigene Verhalten der Einstandspflichtigen, durch eine bestimmte, von ihnen tatsächlich getroffene Wahl zwischen verschiedenen Handlungsoptionen. Und sie findet ihre Rechtfertigung in einer (treuepflichtbasierten) Rücksichtnahmepflicht auf die schutzwürdigen Vermögensinteressen des von der Einziehung Betroffenen.82 Danach haften die verbleibenden Gesellschafter allerdings nicht schon immer dann, wenn die Gesellschaft (gleich aus welchen Gründen) die Zah-

  BGHZ 210, 186 Rn. 32.   BGHZ 192, 236 Rn. 22: „nicht unbillig“; BGHZ 210, 186 Rn. 23: „entspricht der Billigkeit“. 80  Insoweit übereinstimmend Fritz (Fn. 6), S. 144 ff.; J. Schmidt GmbHR 2013, 953, 956 f.; St. Schneider ZIP 2016, 2141, 2143; Ulmer in Festschrift Hoffmann-Becking, 2013, S. 1261, 1264, 1268. 81   Vom „Konzept des Interessenausgleichs“ spricht Tröger (Fn. 11), S. 23, 26. 82   Im Ansatz ebenso schon Tröger (Fn. 11), S. 23, 53 f. 78 79

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lung verweigert.83 Ebenso wenig entspricht es dem Konzept des BGH, den ausgeschiedenen Gesellschafter („garantieähnlich“) von sämtlichen Risiken eines nach der Anteilseinziehung eintretenden Vermögensverfalls bei der Gesellschaft zu entlasten.84 Das Risiko der Gesellschaftsinsolvenz hat der von der Einziehung Betroffene (der die hinausgeschobene Fälligkeit seiner Abfindung mitvereinbart hat) vielmehr ebenso zu tragen wie es ihn – ungeachtet dann fortbestehender Mitgliedschaft und Mitentscheidungsmöglichkeiten – nach der „Bedingungslösung“ belastet hätte. Zu einzelnen Details des BGH-Konzepts kann freilich auch anderer Auffassung sein, wer dem Senat im Grundsatz zu folgen bereit ist. Etwa hinsichtlich des Nichtigkeitsverdikts, wenn schon bei Fassung des Einziehungsbeschlusses feststeht, dass die Gesellschaft die Abfindungsanspruch nicht aus freiem Vermögen wird zahlen können.85 Und manche Folgefragen der „Haftungslösung“ hat der BGH noch nicht beantwortet. Etwa die nach der (umstrittenen)86 subsidiäre Einstandspflicht später hinzukommender Gesellschafter oder der (gebotenen) Zuweisung sekundärer Darlegungslasten.87 Der II. Zivilsenat hat bislang nur entschieden, was in 2012 und 2016 entscheidungserheblich war. Dass die beiden Urteile vor diesem Hintergrund „kaum schon das letzte Wort“88 sein können, steht außer Zweifel.

  Das aber fordert Wachter NZG 2016, 961, 965.   So aber Tröger (Fn. 11), S. 23, 55. 85   Lutter/Kleindiek in Lutter/Hommelhoff, GmbHG (Fn. 6), § 34 Rn. 49 m.w.N. 86  Vgl. Lutter/Kleindiek in Lutter/Hommelhoff, GmbHG (Fn. 6), § 34 Rn. 49 a.E. 87  Zur Verteilung der Darlegungs- und Beweislasten weiterführend Fritz (Fn. 6), S. 153 f.; St. Schneider ZIP 2016, 2141, 2143 f.; Tröger (Fn. 11), S. 23, 63 f. 88   Westermann in Scholz, GmbHG (Fn. 6), § 34 Rn. 60. 83 84

Managerhaftung für Kartellverstöße bei Maßnahmen des Informationsaustauschs mit Wettbewerbern Michael Kling Der folgende Beitrag ist an der Schnittstelle zwischen Gesellschaftsrecht und Kartellrecht angesiedelt. Der Jubilar hat in seiner langjährigen anwaltlichen und richterlichen Praxis eine umfassende Expertise in verschiedenen Teilrechtsgebieten des Wirtschafts- und Unternehmensrechts erworben, zu denen auch das Kartellrecht gehört. Mögen die folgenden Zeilen, die ihm anlässlich der Vollendung des 65. Lebensjahres vom Verfasser herzlich zugeeignet sind, auf sein Interesse stoßen.

I. Einleitung Das Thema „Compliance“ ist aus der heutigen Unternehmenspraxis nicht mehr wegzudenken.1 Sei es der Schmiergeldskandal bei Airbus oder der Dieselskandal bei Volkswagen2 – ungeachtet vielfältiger Bemühungen der Manager um rechtskonformes Verhalten der von ihnen geführten Unternehmen besteht offenkundig eine Tendenz zur Verstärkung der Compliance, um die stetig strenger werdenden behördlichen Anforderungen zu erfüllen und drohenden zivilrechtlichen Schadensersatzforderungen Dritter sowie ggf. strafrechtlichen Sanktionen3 entgegenzuwirken. Vor diesem Hintergrund ist es nicht verwunderlich, dass sogar in Branchen wie dem Bankengewerbe, das gegenwärtig von einem drastischen Stellenabbau geprägt ist, die „Regulierungsprofis“ in den Compliance-Abteilungen, in die man früher „eher die

  Instruktiver Überblick über die gesamte Entwicklung bei Unmuth AG 2017, 249 ff.   S. dazu auch das SPIEGEL-Interview mit EU-Wettbewerbskommissarin Margarete Vestager u.d.T. „Wir nehmen diesen Fall sehr ernst“, abrufbar unter http://www.spiegel. de/wirtschaft/soziales/eu-margrethe-vestager-zu-autokartell-nehmen-diesen-fall-sehrernst-a-1179760.html. 3   Im Zuge des VW-Skandals gab es u.a. Festnahmen und strafrechtliche Verurteilungen von führenden technischen Mitarbeitern in den USA. 1 2

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Mitarbeiter abgeschoben hat, die woanders nicht mehr gebraucht wurden“4, heute gefragter sind denn je.5 Die sog. Kartellrechtscompliance betrifft nur einen Ausschnitt, dafür aber einen besonders wichtigen und anspruchsvollen Teil der ComplianceProblematik,6 der in der Literatur intensiv diskutiert wird.7 Der zweite Teil des vorliegenden Beitrags behandelt bewusst nicht die besonders wettbewerbsschädlichen Hardcorekartelle, auf die sich die Presseberichterstattung und die Eigenberichterstattung der Kartellbehörden fokussieren. Vielmehr soll das Augenmerk auf die weniger „populäre“, dafür aber umso interessantere und schwierig zu beurteilende Frage gerichtet werden, wie Maßnahmen des Informationsaustauschs zwischen Unternehmen unter dem Gesichtspunkt der Kartellrechtscompliance zu bewerten sind. Zunächst soll geklärt werden, welche Haftungsgefahren bei Verstößen gegen die Kartellrechtscompliance bestehen. Anschließend wird unter diesem Blickwinkel der Informationsaustausch zwischen konkurrierenden Unternehmen untersucht.

II.  Die haftungsrechtliche Ausgangslage bei Kartellverstößen 1.  Grundsätzliches zur Bußgeldverantwortlichkeit von natürlichen Personen und Unternehmensträgern bei Kartellverstößen Im Fall von Kartellverstößen kann das BKartA gemäß § 81 GWB Bußgelder gegen natürliche Personen (§§ 9, 130 OWiG)8 sowie gegen die Unternehmensträger (§ 30 OWiG) verhängen. Für das deutsche Bußgeldrecht ist – abweichend vom europäischen Bußgeldrecht (s. Art. 23 VO 1/2003) – kennzeichnend, dass nicht die kartellrechtlichen Normadressaten (also die Unternehmen bzw. die wirtschaftliche Einheit) die Bußgeldtatbestände ver-

4  So eine Aussage des Partners der Frankfurter Personalberatung „Fricke Finance & Legal“, Patrick Riske, zitiert nach Kanning (nachfolgende Fn.). 5   Kanning Der Bankkaufmann hat ausgedient, FAZ online v. 2.11.2017, abrufbar unter http://www.faz.net/aktuell/beruf-chance/beruf/beruf-mit-wenig-zukunft-der-bankkaufmann-hat-ausgedient-15265168.html. 6   Zu den Wurzeln der Compliance im US-Kartellrecht der 1960er Jahre s. Unmuth AG 2017, 249 (250). 7   Paha/Ullmann CCZ, 2017, 63 ff.; Burholt MPR 2016, 1 ff.; Reimers/Brack/Schmidt CCZ 2016, 83 ff.; Steger WuW 2016, 49; Schröder CCZ 2015, 63 ff.; Stancke CCZ 2014, 217 ff.; Gronemeyer/Jorias WuW 2014, 18 ff.; Schmidt/Weck Kreditwesen 2014, 1139 ff.; Gehring/Kasten/Mäger CCZ 2013, 1 ff.; Kapp/Hummel CCZ 2013, 240 ff.; Brinker NZKart 2013, 341 f.; Karbaum AG 2013, 863 ff.; Karst WuW 2012, 150 ff.; Schmidt/Koyuncu BB 2009, 2551 ff.; Stancke BB 2009, 912 ff.; ders. VersR 2009, 1168 ff.; Dreher ZWeR 2009, 397 ff.; ders. VersR 2004, 1 ff.; Gromotke ZfV 2004, 583 ff. 8   Die Höchstgrenze beträgt eine Mio. EUR.

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wirklichen, sondern natürliche Personen.9 Die juristische Person ist selbst nicht handlungsfähig, sondern sie handelt durch ihre Organe bzw. Organwalter.10 Deshalb ist es konsequent, wenn den (rechtsfähigen) Unternehmen das Verhalten ihrer Leitungsorgane und Repräsentanten von Rechts wegen zugerechnet wird, was über § 9 i.V.m. § 30 OWiG geschieht.11 Somit ist die Verantwortlichkeit der für die juristische Person handelnden Organe entscheidend.12 Die Bußgeldobergrenze liegt gemäß § 81 Abs. 4 S. 2 GWB bei 10% des Umsatzes der wirtschaftlichen Einheit. Die Unternehmensgeldbuße gemäß § 30 OWiG ist rechtsdogmatisch betrachtet eine akzessorische Nebenfolge der Bebußung der natürlichen Person, die als Repräsentant des Unternehmens agierte.13 Der Sanktionszweck bzw. die Zufügung des Übels dieser Buße richtet sich aber allein an das Unternehmen.14 Demgegenüber folgt die bußgeldrechtliche Verantwortlichkeit für Kartellrechtsverstöße im EU-Kartellrecht unmittelbar aus den Artt. 101, 102 AEUV i.V.m. Art. 23 VO 1/2003. Es wird also ausschließlich an das Unternehmen bzw. genauer an den Unternehmensträger angeknüpft. Hierbei wird eine wirtschaftliche Betrachtung zugrunde gelegt. Die jeweils „handelnde“ wirtschaftliche Einheit – sei es ein einzelnes (rechtsfähiges) Unternehmen, sei es eine Konzern(ober)gesellschaft – wird für Wettbewerbsverstöße verantwortlich gemacht, und zwar bis zu einer Obergrenze von 10% des (Konzern-) Umsatzes. 2.  Vertiefung zum deutschen Kartellbußgeldrecht a)  Verbandsgeldbußen und persönliche Geldbußen gegenüber Leitungspersonen gemäß § 30 OWiG Die Vorschrift des § 30 Abs. 1 OWiG ermöglicht die Festsetzung von Geldbußen gegenüber juristischen Personen und Personenvereinigungen. Sie knüpft an eine Straftat oder Ordnungswidrigkeit eines Organs oder Vertre  Timmerbeil/Blome BB 2017, 1544 (1545).   Vgl. auch Bayreuther NZA 2015, 1239 (1241). 11   Dies betrifft die Organwalter der juristischen Person sowie die vertretungsberechtigten Gesellschafter der rechtsfähigen Personengesellschaften gleichermaßen. Demgegenüber werden Mitarbeiter der mittleren und unteren Hierarchieebenen von § 30 OWiG nicht erfasst, s. Timmerbeil/Blome BB 2017, 1544 (1545); die Möglichkeit einer Haftung von Prokuristen, Handlungsbevollmächtigten und leitenden Angestellten offenlassend BVerfG, Urt. v. 25.10.1966 – 2 BvR 506/63, BVerfGE 20, 323 Rn. 48. 12   BVerfG, Urt. v. 25.10.1966 – 2 BvR 506/63, BVerfGE 20, 323 Rn. 48; Thomas NZG 2015, 1409 (1410). 13   Kling/Thomas Kartellrecht, § 10 Rn. 48; s. auch Thomas NZG 2015, 1409 (1413): „Anknüpfungstat des Managers“. 14   Thomas NZG 2015, 1409 (1411). Zwangsläufig sind damit auch die Aktionäre des Unternehmens belastet, s. Thomas a.a.O., 1414. 9

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ters einer juristischen Person – sog. Leitungspersonen – an.15 Bei § 30 OWiG handelt es sich aus diesem Grund nicht um einen eigenständigen Ordnungswidrigkeitentatbestand.16 Nach der Rspr. des OLG Düsseldorf kann z.B. ein vorsätzlicher Verstoß des Geschäftsführers der Komplementär-GmbH einer GmbH & Co. KG gegen kartellrechtliche Bestimmungen der Kommanditgesellschaft zugerechnet werden.17 Ausgangspunkt für die Bemessung der Geldbuße gegen die KG als Nebenbeteiligte ist die Tat der Leitungsperson. Die Schuld der Leitungsperson bestimmt auch gegenüber der Nebenbeteiligten den Umfang der Vorwerfbarkeit und ist die Grundlage für die Bemessung des Bußgeldes.18 Wenn mehrere Leitungspersonen an derselben Straftat beteiligt waren, wird nur eine Geldbuße gegen den Verband festgesetzt, weil insoweit nur eine Tat i.S.d. § 30 Abs. 1 OWiG vorliegt.19 Grundlage für die Bemessung der Geldbuße ist dann die Schuld aller an der Anknüpfungstat beteiligten Leitungspersonen. b)  Die Haftung für Aufsichtspflichtverletzungen gemäß § 130 OWiG Auch in dem Fall, dass eine eigene Tatbeteiligung nicht feststellbar sein sollte, können Manager gemäß § 130 OWiG wegen Verletzung einer Aufsichtspflicht mit einem Bußgeld belegt werden. Hierfür muss die Kartellbehörde nachweisen, dass die betreffende Person die nötigen Aufsichtsmaßnahmen im Unternehmen – z.B. die Errichtung hinreichend effektiver Complianceprogramme etc. – unterlassen hat und es infolgedessen zu einem Kartellrechtsverstoß durch Mitarbeiter des Unternehmens kam.20 Wenn die Kartellbehörde feststellt, dass ein Unternehmensrepräsentant nach § 9 OWiG bzw. § 130 OWiG verantwortlich ist, kann eine Geldbuße gemäß § 30 OWiG auch gegen das Unternehmen selbst verhängt werden.21 Die selbständige Festsetzung einer Geldbuße gegen eine juristische Person wegen Verletzung der Aufsichtspflicht ihres Geschäftsführers (z.B. wegen einer verbotenen Preisabsprache) ist gemäß § 30 Abs. 4 OWiG selbst dann noch zulässig, wenn das gegen den Geschäftsführer eingeleitete Bußgeldverfahren eingestellt wurde, die Verfolgung der Ordnungswidrigkeit aus Rechtsgrün-

  BGH, Urt. v. 9.5.2017 – 1 StR 265/16, WuW 2017, 456 Rn. 111.   BGH, Urt. v. 5.12.2000 – 1 StR 411/00, BGHSt 46, 207 Rn. 15. 17   OLG Düsseldorf, Urt. v. 23.1.2014 – V-1 Kart 9-10/13 (OWi) –, juris Rn. 65 unter Hinweis auf BGH NStE Nr. 1 zu § 30 Rn. 64 m.w.N. 18   BGH, Urt. v. 9.5.2017 – 1 StR 265/16, WuW 2017, 456 Rn. 112; BGH, Urt. v. 14.2.2007 – 5 StR 323/06, wistra 2007, 222. 19  BGH, Urt. v. 9.5.2017 – 1 StR 265/16, WuW 2017, 456 Rn. 111; BGH, Beschl. v. 8.2.1994 – KRB 25/93, NStZ 1994, 346. 20   Kling/Thomas Kartellrecht, § 23 Rn. 116. 21   Kling/Thomas Kartellrecht, § 23 Rn. 117. 15 16

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den aber noch möglich gewesen wäre, weil die Verfolgungsverjährung für den Geschäftsführer noch nicht eingetreten ist.22 3.  Die zivilrechtliche Managerhaftung für Sorgfaltspflichtverstöße gemäß § 93 Abs. 2 AktG und § 43 Abs. 2 GmbHG a)  Organhaftung im Aktienrecht Vorstandsmitglieder einer Aktiengesellschaft, die ihre Pflichten verletzen, sind der Gesellschaft gegenüber gemäß § 93 Abs. 2 AktG zum Ersatz des daraus entstandenen Schadens als Gesamtschuldner verpflichtet. Ein Verstoß gegen die Sorgfalt eines „ordentlichen und gewissenhaften Geschäftsleiters“ (§ 93 Abs. 1 S. 1 AktG) bzw. gegen die deutsche business judgment rule (§ 93 Abs. 1 S. 2 AktG) liegt unstreitig nicht schon dann vor, wenn der Vorstand unternehmerische Fehlentscheidungen getroffen hat oder Irrtümern unterlag. Somit kann auch nicht jeder Leitungsfehler eine strikte Organhaftung begründen. Vielmehr muss das Vorstandsverhalten „schlechthin unvertretbar“ sein, also außerhalb des dem Vorstand zukommenden unternehmerischen Ermessens liegen.23 Bei Verstößen gegen das Kartellrecht ist das grds. der Fall, weil insoweit „die Handlungsoptionen der Geschäftsleitung durch rechtliche Verbote vorgezeichnet werden“.24 Ein möglicher Ausweg bestünde darin, bei unklarer Rechtslage25 Fehlentscheidungen oder Rechtsirrtümer26 der Organe – zumindest nach Einholung qualifizierten Rechtsrats – unter § 93 Abs. 1 S. 2 AktG zu fassen oder diese als entschuldigte Rechtsirrtü-

22   BGH, Beschl. v. 5.7.1995 – KRB 10/95, wistra 1995, 314 Rn. 11 ff. = WuW/E BGH 3015 = NStZ 1996, 147. 23   BGH, Urt. v. 12.10.2016 – 5 StR 134/15, ZIP 2016, 2467 Rn. 31 = NJW 2017, 578: „Letztlich ist eine Verletzung der Sorgfaltspflichten aus § 93 Abs. 1 Satz 1 AktG immer nur dann zu bejahen, wenn ein schlechthin unvertretbares Vorstandshandeln vorliegt (…); der Leitungsfehler muss sich auch einem Außenstehenden förmlich aufdrängen (…).“; grundlegend BGH, Urt. v. 21.4.1997 – II ZR 175/95, BGHZ 135, 244 Rn. 22 – ARAG/Garmenbeck; s. zur entsprechenden Anwendung dieser Grundsätze auf § 43 Abs. 2 BGH, Urt. v. 4.11.2002 – II ZR 224/00, BGHZ 152, 280 = NJW 2003, 358. Pflichtwidrig ist insbesondere auch das Betreiben von Geschäften, die von dem Unternehmenszweck nicht gedeckt sind, s. zum Abschluss von Zinsderivategeschäften BGH, Urt. v. 15.1.2013 – II ZR 90/11, Die AG 2013, 259 Rn. 16 = NJW 2013, 1958; BGH, Urt. v. 5.10.1992 – II ZR 172/91, BGHZ 119, 305 (332). 24   Koch AG 2012, 429 (430). 25  Allgemein zur Organhaftung bei unsicherer Rechtslage Verse ZGR 2017, 174 ff.; monographisch Harnos Geschäftsleiterhaftung bei unklarer Rechtslage, 2013. 26   Zu der hier nicht zu untersuchenden Streitfrage, ob Rechtsirrtümer infolge unklarer Rechtslage auf Pflichtenebene oder auf der Ebene des Verschuldens zu berücksichtigen sind, zugunsten des letzteren votierend Holle AG 2016, 270 (271 ff.); Verse ZGR 2017, 174 (192).

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mer zu qualifizieren, was nach der Rechtsprechung des BGH27 möglich ist.28 Dadurch entstünde allerdings ein Wertungswiderspruch zu der – freilich kritikwürdigen – Schenker-Rechtsprechung des EuGH29, der zufolge Rechtsirrtümer im europäischen Kartellbußgeldrecht grundsätzlich keine Haftungsmilderung nach sich ziehen. Ungeachtet dessen wären die so begründeten „Schlupflöcher“ wohl derart eng ausgestaltet, dass man nicht ernsthaft von einem „sicheren Hafen“ für die Geschäftsleiter sprechen könnte.30 Wegen der dem Management zukommenden Aufgabe, die Einhaltung der Gesetze zu wahren, kommt eine Organhaftung vor allem bei Verletzungen der Legalitätspflicht31 in Betracht. Namentlich der Abschluss von sog. Hardcorekartellen32 zählt zu den Pflichtverstößen, die nicht vom unternehmerischen Ermessen gedeckt sind. Aber auch für sonstige schuldhaft begangene Wettbewerbsverstöße kann letztlich nichts anderes gelten. Die Mitarbeiter der Aktiengesellschaft und externe Dienstleister sind in diesem Zusammenhang zwar nicht als Erfüllungsgehilfen des Vorstands, sondern als solche der Gesellschaft zu qualifizieren. Der Vorstand ist aber dazu verpflichtet, sie sorgfältig auszuwählen, einzuweisen und zu überwachen. Er ist außerdem nicht befugt, originäre Leitungsaufgaben auf Mitarbeiter unterhalb der Leitungsebene zu delegieren.

27   BGH, Urt. v. 20.9.2011 – II ZR 234/09, ZIP 2011, 2097 Rn. 16 = NZG 2011, 271 – ISION: „(...) An das Vorliegen eines unverschuldeten Rechtsirrtums sind strenge Maßstäbe anzulegen. Ein Schuldner muss die Rechtslage sorgfältig prüfen, soweit erforderlich Rechtsrat einholen und die höchstrichterliche Rechtsprechung sorgfältig beachten (...).“ Zu den Kriterien einer ordnungsgemäßen Plausibilitätsprüfung s. Buck-Heeb BB 2016, 1347 ff. 28   S. dazu Dreher Festschrift Konzen, 2006, S. 85 (96 f.); Bayer Festschrift K. Schmidt, 2009, S. 85 (92 f.); Koch AG 2012, 429 (430) mit Fn. 12; Karbaum AG 2013, 863 (866, 866). 29   EuGH, Urt. v. 18.6.2013 – Rs. C-681/11, ECLI:EU:C:2013:404 Rn. 37 ff. = WuW/E EU-R 2754 = NZKart 2013, 332 – Schenker & Co. u. a.; zu Recht kritisch Brettel/Thomas ZWeR 2013, 272 (297); s. dazu auch Kling/Thomas Kartellrecht, § 9 Rn. 123 ff., § 23 Rn. 28. 30   Nach der Rspr. verschiedener Strafsenate des BGH liegt eine Verletzung gesellschaftsrechtlicher Pflichten vor, wenn die in § 93 Abs. 1 AktG normierten äußersten Grenzen unternehmerischen Ermessens überschritten sind und damit eine Hauptpflicht gegenüber dem zu betreuenden Unternehmen verletzt wurde. Diese wird gleichsam „automatisch“ als so gravierend angesehen, dass sie zugleich eine Pflichtwidrigkeit i.S.v. § 266 StGB begründet, s. BGH, Urt. v. 12.10.2016 – 5 StR 134/15, ZIP 2016, 2467 Rn. 27 = NJW 2017, 578; BGH, Urt. v. 22.11.2005 – 1 StR 571/04, NStZ 2006, 221 = NJW 2006, 453; BGH, Urt. v. 21.12.2005 – 3 StR 470/04, BGHSt 50, 331 = AG 2006, 110. Danach besteht für eine gesonderte Prüfung der Pflichtverletzung als „gravierend“ bzw. „evident“ kein Raum. 31  Praktisch relevant sind grobe Verstöße wie riskante Finanzgeschäfte, Geldwäsche, Untreuehandlungen, aber auch Kartellrechtsverstöße. 32  Mit diesem Oberbegriff werden schlagwortartig die schwerwiegendsten Wettbewerbsverstöße, also Preisabsprachen, Quotenkartelle und Gebietsabsprachen, bezeichnet.

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b)  Organhaftung im GmbH-Recht Die Rechtslage bei der Organhaftung von GmbH-Geschäftsführern ist strukturell mit jener von Vorständen der AG vergleichbar. § 43 Abs. 1 GmbHG formuliert den Sorgfaltsmaßstab („die Sorgfalt eines ordentlichen Geschäftsmannes“), § 43 Abs. 2 GmbHG begründet wie § 93 Abs. 2 AktG eine Innenhaftung des Organwalters gegenüber der Gesellschaft bei dessen Missachtung. Ungeachtet der sonst bestehenden Unterschiede zwischen dem Aktien- und dem GmbH-Recht kann für das Problem der Managerhaftung für Kartellverstöße auf eine getrennte Darstellung verzichtet werden, da letztlich ein vergleichbarer Sorgfaltsmaßstab gilt. Nicht behandelt werden im Folgenden die Fragen der Arbeitnehmerhaftung.33 c) Schadenserfordernis Die organhaftungsrechtlichen Bestimmungen greifen nur insoweit ein, als durch das Organhandeln der Gesellschaft ein (Vermögens-)Schaden entsteht. Fraglich ist, worin der Schaden für die Gesellschaft liegt, der gemäß § 93 Abs. 2 AktG bzw. § 43 Abs. 2 GmbHG geltend gemacht werden kann. Klärungsbedürftig ist insbesondere, ob die der Gesellschaft auferlegten Geldbußen als ersatzfähige Schäden qualifiziert werden können, mit der Folge, dass gemäß § 93 Abs. 2 AktG bzw. § 43 Abs. 2 GmbHG ein Bußgeldregress gegenüber den Organwaltern statthaft wäre. 4.  Das Problem des Bußgeldregresses gegenüber Managern gemäß organhaftungsrechtlichen Vorschriften Die Zulässigkeit des Bußgeldregresses gemäß organhaftungsrechtlichen Vorschriften (§§ 93 Abs. 2 AktG, § 116 Abs. 1 AktG, § 43 Abs. 2 GmbHG) ist sehr umstritten und höchstrichterlich nicht geklärt. Die Diskussion hat sich anhand des vom ArbG Essen34 und vom LAG Düsseldorf35 entschiede33   S. dazu u.a. Bayreuther NZA 2015, 1239 ff.; LAG Düsseldorf, Urt. v. 27.11.2015 – 14 Sa 800/15, WuW 2016, 251 Rn. 260 bejaht eine Pflichtverletzung des Arbeitnehmers gemäß §§ 611, 280 Abs. 1, 241 Abs. 2 BGB im Fall von kartellrechtswidrigen Absprachen über Preise und die Zuteilung von Aufträgen. Die Kenntnis von Vorgesetzten und die Hinnahme oder das Mittragen des Verhaltens ändere nichts am Vorliegen einer arbeitsvertraglichen Pflichtverletzung, denn diese sei objektiv zu bestimmen, s. dazu BAG, Urt. v. 21.5.2015 – 8 AZR 116/14, NZA 2015, 1517 Rn. 31 = BB 2015, 3005. 34   ArbG Essen, Urt. v. 19.12.2013 – 1 Ca 657/13, NZKart 2014, 193; ArbG Essen, Urt. v. 19.12.2013 – 1 Ca 658/13, juris; vgl. zur Arbeitnehmerhaftung auch ArbG Essen, Urt. v. 19.12.2013 – 1 Ca 3569/12, WuW/E DE-R 4304. 35   LAG Düsseldorf, Teilurt. v. 20.1.2015 – 16 Sa 459/14, NZKart 2015, 277 = WuW/E DE-R 4668; LAG Düsseldorf, Teilurt. v. 20.1.2015 – 16 Sa 460/14, juris; vgl. zur Arbeitnehmerhaftung auch LAG Düsseldorf, Beschl. v. 20.1.2015 – 16 Sa 458/14, LAGE § 149 ZPO 2002 Nr. 2.

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nen „Schienenkartell-Falls“36 erneut entzündet; die mit Spannung erwartete Entscheidung des BAG vom 29. Juni 201737 brachte nicht die erhoffte Klärung, sondern endete mit einer Zurückverweisung an das LAG Düsseldorf zur Neuverhandlung und Entscheidung, namentlich in Bezug auf kartellrechtliche Vorfragen. Angesichts des Umstands, dass das deutsche Kartellbußgeldrecht die persönliche Bebußung von Leitungsorganen ausdrücklich vorsieht, erscheint die Frage nach der Zulässigkeit eines zusätzlichen gesellschaftsrechtlichen Bußgeldregresses auf den ersten Blick müßig zu sein. Vor dem Hintergrund, dass die Unternehmensgeldbußen regelmäßig wesentlich höher liegen als die Bußgelder für natürliche Personen,38 ist sie gleichwohl von erheblicher praktischer Bedeutung. Dies gilt insbesondere für Konzernsachverhalte: Bei der Ermittlung des Gesamtumsatzes wirtschaftlicher Einheiten wird gemäß § 81 Abs. 4 Satz 3 GWB der weltweite Umsatz aller natürlichen und juristischen Personen sowie Personenvereinigungen zugrunde gelegt, die als wirtschaftliche Einheit operieren. Die Bußgeldobergrenze beträgt nach § 81 Abs. 4 Satz 2 GWB 10% des Konzernumsatzes. In der Literatur wird zu Recht von einem „potentiell existenzvernichtenden Regressrisiko“39 gesprochen. Weiter besteht das Problem einer ggf. fehlenden oder nur begrenzten Absicherung durch D&O-Versicherungen.40 Es kann nämlich der Fall eintreten, dass der abzuwälzende Schaden – wie gezeigt ggf. dreistellige Millionenbeträge – die Deckungssummen der D&O-Versicherungen übersteigt. Außerdem können die Versicherungsverträge Haftungsausschlüsse für sanktionsbedingte Schäden unter Einschluss von solchen, die durch die Verhängung von Bußgeldern entstanden sind, enthalten.41 Letztlich drohten den (früheren) Leitungsorganen also extreme Haftungsgefahren bis hin zur wirtschaftlichen Existenzvernichtung, wenn man den

36   Das Urteil des LAG Düsseldorf hat im Schrifttum ein großes Echo hervorgerufen und meist Kritik erfahren, z.B. bei Bayreuther NZA 2015, 1239 ff.; Binder/Kraayvanger BB 2015, 1219 ff.; Thomas NZG 2015, 1409 ff.; Zimmer/Walther BB 2017, 629 (630 f.); Backhaus/Brand jurisPR-HaGesR, 6/2015 Anm. 3: „de lege lata weder tragfähig noch in der Sache überzeugend“. 37   BAG, Urt. v. 29. 6.2017 – 8 AZR 189/15, WuW 2018, 41 mit Anm. Thelen WuW 2018, 17 ff. = NZKart 2018, 57 mit Anm. Lotze/Heyers NZKart 2018, 29. 38   Koch AG 2012, 429 (430). Nicht selten werden dreistellige Millionenbeträge erreicht: Im „Schienenkartell-Fall“ hatte das BKartA gegen Tochtergesellschaften des ThyssenKrupp-Konzerns ein Bußgeld i.H.v. 191 Mio. € verhängt. 39   Gaul AG 2015, 109. 40  Ausführlich Thomas NZG 2015, 1409 (1416 ff.); s. auch Koch AG 2014, 513 (519), demzufolge sich die D&O-Versicherung speziell im Bereich des Kartellrechts als „weitgehend wirkungslos“ erweist. 41   Koch AG 2012, 429 (432) mit Nachweisen in Fn. 26; zum Verständnis dieses nicht eindeutigen Begriffs in Nr. 5.11 AVB-AVG und der Möglichkeit von carve backs Thomas NZG 2015, 1409 (1417).

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Bußgeldregress durch Anwendung organhaftungsrechtlicher Bestimmungen für zulässig hielte.42 Eine vom 70. DJT durch Beschluss geforderte43 und grundsätzlich zu befürwortende angemessene Begrenzung der Organhaftung im Gesellschaftsrecht44 wurde vom Gesetzgeber bisher nicht umgesetzt und ist mittelfristig wohl auch nicht zu erwarten. Vorzugswürdig ist es nach hier vertretener Auffassung, den Bußgeld­ regress gegenüber Gesellschaftsorganen grundsätzlich abzulehnen. Die Abwälzung von Kartellgeldbußen auf fremdnützig45 handelnde Vorstände und Geschäftsführer wird in der Literatur letztlich zu Recht als „unbefriedigend“46 bewertet. Da der Wortlaut der organhaftungsrechtlichen Bestimmungen eine Managerhaftung für Kartellverstöße jedoch erfassen könnte,47 fällt die Begründung für deren vollständige Herausnahme auf den genannten Haftungstatbeständen nicht leicht.48 Methodisch überzeugt wohl nur eine teleologische Reduktion von § 93 Abs. 2, § 116 Abs. 1 AktG und § 43 Abs. 2 GmbHG.49 Zur Begründung lässt sich anführen, dass Kartellbußen gegen die Träger von Unternehmen verhängt werden, um eben diese als Normadressaten des Kartell- und Bußgeldrechts zu rechtmäßigem Verhalten anzuleiten, d.h. um ihr Verhalten in Richtung der Einhaltung des Wettbewerbsrechts zu lenken.50 Die unternehmensbezogenen Bußgelder sind dabei allein an der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit der Unternehmen ausge  Ein „letztlich unausgewogenes Haftungskonzept“ moniert zu Recht Karbaum AG 2013, 863. 43  Zur Begrenzung der Innenhaftung von Organen und der Einführung satzungsmäßiger Haftungshöchstgrenzen de lege ferenda s. 70. Deutscher Juristentag in Hannover, Abteilung Wirtschaftsrecht, Reform der Organhaftung? – Materielles Haftungsrecht und seine Durchsetzung in privaten und öffentlichen Unternehmen, Beschlüsse Nr. 2 und 3 b, http://www.djt.de/fileadmin/downloads/70/140919_djt_70_beschluesse_web_rz.pdf, S. 17 (ebenfalls abgedruckt in AG 2014, R301). 44   Dafür z.B. Koch AG 2012, 429 (435 ff.); ders., AG 2014, 513 ff.; Fabisch ZWeR 2013, 91 (109, 119); Karbaum AG 2013, 863 (873); a.A. Schöne/Petersen AG 2012, 700 ff. 45   Zum Aspekt der Fremdnützigkeit des Geschäftsleiterhandelns s. Verse ZGR 2017, 174 (187): Die Gesellschaft profitiere vollumfänglich von den Chancen, die sich aus der fraglichen Handlung ergeben. 46   Ackermann ZWeR 2018, 1. 47  S. Koch AG 2012, 429 (432); Bayreuther NZA 2015, 1239 (2142 f.); Gaul AG 2015, 109 (110); s. zur Legalitätspflicht ferner BGH, Urt. v. 10.7.2012 – II ZR 48/11, BGHZ 194, 14 Rn. 9 ff. = ZIP 2012, 1807; BGH, Urt. v. 27.8.2010 – 2 StR 111/09, BGHSt 55, 266 Rn. 25 ff. = ZIP 2010, 1892; LAG Düsseldorf, Teilurt. v. 20.1.2015 – 16 Sa 459/14, NZKart 2015, 277 Rn. 149 = WuW/E DE-R 4668; Fabisch ZWeR 2013, 91 (97 f.). Dazu zählt auch die Beachtung des europäischen und deutschen Kartellrechts, s. LAG Düsseldorf, a.a.O., Rn. 149; Krause BB Beilage 2007, Nr. 7, 2; Fleischer ZIP 2005, 141. 48   LAG Düsseldorf, Teilurt. v. 20.1.2015 – 16 Sa 459/14, NZKart 2015, 277 Rn. 151, 155, 161 f. = WuW/E DE-R 4668. 49   Kling/Thomas Kartellrecht, § 23 Rn. 107; Thomas NZG 2015, 1409 (1416, 1419). 50  Vgl. EuGH, Urt. v. 7.6.1983 – verb. Rs. 100/80 bis 103/80, ECLI:EU:C:1983:158 Rn. 105 = Slg. 1983, 1825 – Musique Diffusion française; Gaul AG 2015, 109 (110). 42

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richtet. Müssten deren sorgfaltswidrig handelnde Manager dafür nach gesellschaftsrechtlichen Regeln akzessorisch in voller Höhe haften („gesetzliche Regresskette“ oder „Regressreflex“)51, träfe sie letztlich eine Sanktion, die weder an sie direkt adressiert noch in wirtschaftlicher Hinsicht auf sie zugeschnitten wäre.52 Diese Regressfolgen wären im Regelfall unverhältnismäßig stark.53 Außerdem würde der Regress der Unternehmensverantwortlichkeit zuwiderlaufen.54 Das Unternehmen würde nämlich „zur zwischengeschalteten ‚Zahlstelle‘, die lediglich das Insolvenzrisiko des Managers trüge“.55 De lege ferenda erscheint es zwar bedenkenswert, bezüglich der Verhaltenssteuerung ergänzend direkt bei den Geschäftsleitern anzusetzen, um eine effektive Kartellrechtscompliance zu erreichen.56 Dieser Ansatz ergäbe bei einer unbeschränkten, uferlosen Organhaftung mit Existenzvernichtungspotential jedoch keinen vernünftigen Sinn.57 Das Eingehen von unternehmerischen Risiken durch Manager sollte nicht aus Gründen vor exorbitanten Haftungsgefahren im Keim erstickt werden. Der historische Gesetzgeber der Aktienrechtsnovelle von 1937 hat zu Recht darauf hingewiesen, dass dem Vorstand durch eine zu strenge Haftung nicht „jeder Mut zur Tat genommen“ werden darf.58 Die Risikoverteilung im Innenverhältnis zwischen Geschäftsleiter und Gesellschaft ist im Übrigen eine grundlegend andere als im Außenverhältnis mit Dritten.59 Schließlich ist die Kartellrechtscompliance – anders als etwa das (Gewerbe-)Polizeirecht – nicht generell auf Gefahrenvermeidung ausgerichtet, sondern auf die Wahrung des Sorgfaltsmaß  Thomas NZG 2015, 1409 (1411).   Kling/Thomas Kartellrecht, § 23 Rn. 107. Die Schwere der Zuwiderhandlung (vgl. § 81 Abs. 4 S. 2 GWB) ist bei der Unternehmensgeldbuße anhand unternehmensbezogener Faktoren zu bestimmen, s. Thomas NZG 2015, 1409 (1412); a.A. Binder/Kraayvanger BB 2015, 1219 (1225 ff.). 53   So auch Koch AG 2012, 429 (433). 54  So Thomas NZG 2015, 1409 (1412) unter Rekurs auf die Gesetzesbegründung zu § 11 des österreichischen Verbandsverantwortlichkeitsgesetzes. 55  So Thomas NZG 2015, 1409 (1412). 56  So Koch AG 2012, 429 (432). 57  Treffend Ackermann NZKart 2018, 1 (2): „Eine Sanktion, die als Geldbuße sinnlos wäre, wird schlicht nicht dadurch sinnvoll, dass man sie in das zivilrechtliche Gewand der Organhaftung kleidet.“ Janssen Managerhaftung bei Kartellrechtsverstößen, 2013, S. 179 warnt überdies vor den Wettbewerb selbst schädigenden chilling effects. In der aktienrechtlichen Praxis kommt der unbeschränkte Regress bei hohen Haftungssummen offenbar nicht vor. Beispielsweise sollen im Fall Kirch/Deutsche Bank insgesamt 928 Millionen Euro Schadensersatz von der Deutschen Bank an die Kirch-Erben gezahlt worden sein, während sich der auf Regress in Anspruch genommene ehemalige Vorstandssprecher RolfErnst Breuer im Zuge eines Vergleichs mit der Deutschen Bank zu einer Zahlung von lediglich 3,2 Mio. Euro verpflichtete. Weitere 90 Mio. Euro soll die Deutsche Bank von Breuers D&O-Versicherung erhalten. 58   Amtliche Begründung zu § 84 AktG a.F., zitiert nach Klausing Gesetz über Aktiengesellschaften und Kommanditgesellschaften, 1937, S. 71. 59  Zutreffend Verse ZGR 2017, 174 (187). 51 52

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stabs des ordentlichen und gewissenhaften Geschäftsleiters im Bereich des unternehmerischen Wettbewerbsgeschehens ausgerichtet. Hier zeigt sich die gedankliche Nähe zum Gesellschaftsrecht, das die Eingehung von Risiken durch Geschäftsleiter nicht schlechthin untersagt, sondern an der business judgment rule misst. Für den Bereich der „spektakulären“ Preis- und Quotenkartelle ist die Forderung nach einer strengen Ahndung erwiesener Wettbewerbsverstöße gegenüber den Unternehmen und auch der Wunsch nach einem Bußgeldregress gegenüber den Managern rechtspolitisch nachvollziehbar. Denn kein Manager kann ernsthaft über die Unzulässigkeit von Absprachen im Irrtum sein, deren Wettbewerbsschädlichkeit dermaßen evident ist. Man muss sich aber vor Augen halten, dass es unterhalb dieser besonders schweren Form von Wettbewerbsverstößen eine Vielzahl weiterer – im Ergebnis kartellrechtlich unzulässiger – Verhaltensweisen gibt, bei denen die rechtliche Einschätzung ex ante keineswegs eindeutig ist.60 Man denke etwa an Formen der gemeinsamen (zentralen) Vermarktung von Produkten bzw. Rechten oder eben an den Informationsaustausch zwischen Unternehmen. Wer hier als Manager „unternehmerisches Neuland“ betritt, indem er Marktchancen für sein Unternehmen beherzt aufgreift, handelt insofern risikobehaftet, als die kartellrechtliche Unzulässigkeit – anders als bei Preiskartellen – nicht evident ist. Als Beispiel diene etwa die umstrittene Frage, ob und wenn ja in welchen Fällen eine „Koordinierung von Unternehmen über den Markt“ als von Art. 101 Abs. 1 AEUV, § 1 GWB verbotenes Kartell (oder aber als kartellrechtlich erlaubtes Parallelverhalten) anzusehen ist. Hinzu kommt in diesem Zusammenhang ein aus Managersicht enormes Leitungs- bzw. Steuerungsproblem, denn es ist nicht etwa so, dass Kartellrechtsverstöße immer von der Unternehmensspitze ausgehen oder gesteuert werden; vielmehr können dafür einzelne Abteilungen unterhalb der Leitungsebene verantwortlich sein (sog. lone operator).61 Die Unternehmen müssen für Wettbewerbsverstöße, die unterhalb der Leitungsebene begangen wurden, kraft Zurechnung bußgeldrechtlich einstehen. Es würde jedoch nicht überzeugen, die Leitungsorgane selbst für fahrlässig begangene Sorgfaltspflichtverstöße gemäß § 93 Abs. 2 AktG bzw. § 43 Abs. 2 GmbHG in Höhe des verhängten Unternehmensbußgelds akzessorisch verantwortlich zu machen. Der richtige Ansatz ist vielmehr auch hier derjenige, dass nur gegenüber Unternehmensleitern, denen ein Aufsichtspflichtverstoß zur Last fällt, seitens der Kartellbehörde ein eigenes persönliches Bußgeld verhängt wird. Dessen Obergrenze – die auf die gesellschaftsrechtliche Organhaftung

60 61

  Vgl. dazu auch Verse ZGR 2017, 174 ff.   S. dazu auch Karbaum AG 2013, 863 (874); Koch AG 2014, 513 (519).

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aber de lege lata nicht übertragbar ist –62 beträgt gemäß § 81 Abs. 4 Satz 1 GWB eine Mio. €.

III.  Die tatbestandlichen Voraussetzungen der Kartellverbote in Art. 101 Abs. 1 AEUV und § 1 GWB 1.  Vereinbarungen und abgestimmte Verhaltensweisen zwischen Unternehmen Die Kartellverbote richten sich vornehmlich an Unternehmen, denen der Abschluss wettbewerbsbeschränkender Vereinbarungen und die Praktizierung abgestimmter Verhaltensweisen untersagt wird. a) Der Begriff der Vereinbarung (engl. agreement) deckt sich im Wesentlichen mit dem Begriff des Vertrages, wie er den mitgliedstaatlichen Rechtsordnungen zugrunde liegt.63 Konstitutiv für diesen Begriff ist der zum Ausdruck gebrachte übereinstimmende Wille der Parteien hinsichtlich ihres wettbewerbsrelevanten Verhaltens.64 Für die Bindungswirkung der Willensübereinstimmung genügt es, wenn sie durch Beweggründe gesellschaftlicher, moralischer oder wirtschaftlicher Art gesichert ist. Sog. gentlemen’s agreements sind daher als Vereinbarungen i.S.d. Art. 101 Abs. 1 AEUV zu qualifizieren.65 Es wird weiter nicht danach unterschieden, ob die Vertragspartner auf der gleichen Wirtschaftsstufe (sog. horizontale Vereinbarung) oder auf verschiedenen Wirtschaftsstufen (sog. vertikale Vereinbarung) stehen.66 Der Begriff der Vereinbarung ist letztlich so vielgestaltig, dass es keinen abschließenden Katalog geben kann. Zu beachten ist, dass eine Vereinbarung nach der Rspr. durch stillschweigende Zustimmung (d.h. konkludent) zustande kommt, wenn die auf ein wettbewerbswidriges Ziel gerichtete Willensbekundung einer der Vertrags62   So aber Fabisch ZWeR 2013, 91 (111); wie hier dagegen Gaul AG 2015, 109 (116 f.); lediglich für den Fall der Ablehnung des vollständigen Regressausschlusses als argumentative Rückfallposition bejahend Dreher Festschrift Konzen, 2006, S. 85 (105). 63   Schröter in: Schröter/Jakob/Klotz/Mederer, Art. 101 AEUV Rn. 39. 64   Roth/Ackermann in: FK-KartR, Art. 81 Abs. 1 EG Grundfragen Rn. 158; Stockenhuber in: Grabitz/Hilf/Nettesheim, Art. 101 Rn. 91; Hengst in: Langen/Bunte, Art. 101 AEUV Rn. 77. 65   EuGH, Urt. v. 15.7.1970 – Rs. 41/69, ECLI:EU:C:1970:71, 9. Leitsatz = Slg. 1970, 661 – Chemiefarma; Stockenhuber in: Grabitz/Hilf/Nettesheim Art. 101 Rn. 97 ff.; Schröter/Voet van Vormizeele in: Schröter/Jakob/Klotz/Mederer Art. 101 AEUV Rn. 40; Paschke in: MüKoEuWettbR, Art. 101 AEUV Rn. 27. 66   EuGH, Urt. v. 30.6.1966 – Rs. 56/65, ECLI:EU:C:1966:38 = Slg. 1966, 281 (302) – LTM/ MBU; EuGH, Urt. v. 6.1.2004 – verb. Rs. C-2/01 P und C-3/01 P, ECLI:EU:C:2004:2 = Slg. 2004, I-23 Rn. 97 – Bundesverband der Arzneimittelimporteure (BAI) und Kommission/ Bayer (Adalat).

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parteien eine stillschweigende oder konkludente Aufforderung an die andere Seite darstellt, dieses Ziel gemeinsam zu verwirklichen; dies gilt insbesondere dann, wenn eine solche Vereinbarung auf den ersten Blick nicht im wirtschaftlichen Interesse der anderen Seite liegt.67 b) Die Kartellverbote untersagen ferner den Abschluss von aufeinander abgestimmten Verhaltensweisen (engl. concerted practices). Davon erfasst werden Formen der Koordinierung zwischen Unternehmen, die noch nicht bis zum Abschluss eines Vertrages im eigentlichen Sinne gediehen sind, die jedoch bewusst eine praktische Zusammenarbeit an die Stelle des mit Risiken verbundenen Wettbewerbs treten lassen.68 Es geht um eine tatsächliche Zusammenarbeit der Unternehmen mit dem Ziel, die Unsicherheit darüber, welche Haltung die Konkurrenten einnehmen werden, zu verringern.69 Abgestimmte Verhaltensweisen liegen wertungsmäßig zwischen den verbotenen wettbewerbsbeschränkenden Vereinbarungen und dem kartellrechtlich erlaubten bewussten Parallelverhalten. Art. 101 AEUV hindert die Wirtschaftsteilnehmer zwar nicht daran, ihr Verhalten nach den Gegebenheiten des jeweiligen Marktes auszurichten und dabei sowohl auf etwaige Veränderungen der wirtschaftlichen und rechtlichen Rahmenbedingungen als auch auf etwaige Veränderungen im Marktverhalten anderer Unternehmen intelligent zu reagieren.70 Die Vorschrift untersagt es aber, „solche Anpassungen unter Ausschaltung der Spielregeln eines freien Wettbewerbs vorzunehmen, etwa dadurch, dass Konkurrenten sich in Bezug auf ihr künftiges Marktver67   EuGH, Urt. v. 6.1.2004 – verb. Rs. C-2/01 P und C-3/01 P, ECLI:EU:C:2004:2 = Slg. 2004, I-23 Rn. 102 – Bundesverband der Arzneimittelimporteure (= BAI) und Kommission/Bayer (= Adalat). 68   EuGH, Urt. v. 14.7.1972 – Rs. 48/69, ECLI:EU:C:1972:70 Rn. 54 = Slg. 1972, 619 – ICI/Kommission; EuGH, Urt. v. 14.7.1972 – Rs. 51/69, ECLI:EU:C:1972:72 Rn. 25 u.ö. = Slg. 1972, 745 Rn. 25 – Bayer/Kommission; EuGH, Urt. v. 16.12.1975 – verb. Rs. 40/73 u.a., ECLI:EU:C:1999:356 Rn. 26/28 = Slg. 1975, 1663 – Suiker Unie; EuGH, Urt. v. 14.7.1981 – Rs. 172/80, ECLI:EU:C:1981:178 Rn. 12 = Slg. 1981, 2021 – Züchner/Bayerische Vereinsbank; EuGH, Urt. v. 27.9.1988 – verb. Rs. C-89/85 u.a., ECLI:EU:C:1994:12 Rn. 63 = Slg. 1993, I-1307 – Ahlström/Kommission; EuGH, Urt. v. 8.7.1999 – Rs. C-49/92 P, ECLI:EU:C:1999:356 Rn. 115 ff. = Slg. 1999, I-4125 = WuW/E EU-R 320 – Kommission/ Anic Partecipacioni SpA; BGH WuW/E DE-R 2408 Rn. 47 = WRP 2008, 1456 – Lottoblock. 69   EuGH, Urt. v. 31.3.1993 – verb. Rs. C-89/85 u.a., ECLI:EU:C:1994:12 Rn. 64 = Slg. 1993, I-1307 = EuZW 1993, 377 – Ahlström/Kommission. 70   EuGH v. 16.12.1975 – verb. Rs. 40/73 u.a., ECLI:EU:C:1999:356 Rn. 174 = Slg. 1975, 1663 – Suiker Unie u.a.; EuGH v. 14.7.1981 – Rs. 172/80, ECLI:EU:C:1981:178 Rn. 14 = Slg. 1981, 2021 – Züchner/Bayerische Vereinsbank; EuGH, Urt. v. 28.5.1998 – Rs. C-7/95 P, ECLI:EU:C:1998:256 Rn. 87 = Slg. 1998, I-3111 – Deere/Kommission; EuGH v. 8.7.1999 – Rs. C-49/92 P, ECLI:EU:C:1999:356 Rn. 117 = Slg. 1999, I-4125 – Kommission/Anic Partecipazioni; EuGH v. 8.7.1999, Rs. C-199/92 P, ECLI:EU:C:1999:358 Rn. 160 = Slg. 1999, I-4287 – Hüls AG/Kommission; EuGH, Urt. v. 23.11.2006 – Rs. C-238/05, Slg. 2006, I‑11125 Rn. 53 – Asnef-Equifax.

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halten untereinander abstimmen und sich auf diese Weise dem Wettbewerbsdruck sowie den damit einher gehenden Risiken des Marktes ein Stück weit entziehen.“71 Sollten sich konkrete Beweise für eine Verhaltensabstimmung nicht finden lassen, können die Kartellbehörden nach der Rspr. des EuGH72 auf das Parallelverhalten selbst im Wege des Indizienbeweises zurückzugreifen, wenn sich das Parallelverhalten „nur durch eine Abstimmung einleuchtend erklären lässt“. Ein Parallelverhalten kann als ein „wichtiges Indiz“ für eine abgestimmte Verhaltensweise fungieren, „wenn es zu Wettbewerbsbedingungen führt, die im Hinblick auf die Art der Waren, die Bedeutung und Anzahl der beteiligten Unternehmen sowie den Umfang des in Betracht kommenden Marktes nicht den normalen Marktbedingungen entsprechen.“73 Die theoretisch klare Unterscheidung zwischen verbotener Verhaltensabstimmung und erlaubtem Parallelverhalten erweist sich in der Fallpraxis nicht selten als kartellrechtlich schwierig einzuordnende „Grauzone“. Die damit einhergehende Rechtsunsicherheit in Bezug auf das zu beachtende Sorgfaltspflichtenprogramm im Rahmen der Kartellrechtscompliance vermag erhebliche Haftungsrisiken für den Vorstand zu begründen.74 c) Eine kartellrechtliche Verantwortlichkeit von Unternehmen begründet insbesondere die Teilnahme an Sitzungen, bei denen wettbewerbswidrige Vereinbarungen getroffen wurden, ohne dass sich der jeweilige Unternehmensvertreter offen dagegen ausgesprochen hat. Die stillschweigende Billigung einer rechtswidrigen Initiative begünstigt nach Ansicht des EuGH die Fortsetzung der Zuwiderhandlung bzw. sie verhindert ihre Entdeckung.75 Um dem Vorwurf einer Beteiligung an einer nach Art. 101 AEUV verbotenen Kartellabsprache wirksam entgegenzutreten, muss der in der Sitzung anwesende Unternehmensvertreter sich klar und eindeutig vom Inhalt der Sitzung distanzieren, um den Eindruck stillschweigender Zustimmung zu

71   GA Kokott Schlussanträge v. 19.2.2009 – Rs. C-8/08, ECLI:EU:C:2009:110 Rn. 70 – T-Mobile Netherlands BV u.a. 72   EuGH, Urt. v. 27.9.1988 – verb. Rs. C-89/85 u.a., ECLI:EU:C:1994:12 Rn. 71 f. = Slg. 1993, I-1307 – Ahlström/Kommission; EuGH, Urt. v. 28.3.1984 – verb. Rs. 29/83 und 30/83, ECLI:EU:C:1984:130 Rn. 16 = Slg. 1984, 1679 – CRAM und Rheinzink. 73   Grundlegend EuGH, Urt. v. 14.7.1972 – Rs. 48/69, ECLI:EU:C:1972:70 Rn. 64/67 = Slg. 1972, 619 – ICI/Kommission; zur vergleichbaren Abgrenzung unter § 1 GWB s. BGH WuW/E BGH 2182 – Altölpreise. 74   Vgl. auch Karbaum AG 2013, 863 (873). 75   EuGH, Urt. v. 28.6.2005 – verb. Rs. C-189/02 P u.a., ECLI:EU:C:2005:408 Rn. 142 f. = Slg. 2005, I-5425 – Dansk Rørindustri u.a./Kommission; EuGH, Urt. v. 22.10.2015 – Rs. C-194/14, ECLI:EU:C:2015:717 Rn. 31 = WuW 2016, 71 – AC Treuhand/Kommission; s. dazu Otto NZKart 2016, 454 ff.; Schröter/Voet van Vormizeele in: Schröter/Jakob/Klotz/ Mederer, Art. 101 AEUV Rn. 63; Hengst in: Langen/Bunte, Art. 101 AEUV Rn. 93.

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zerstören.76 Alternativ kann er die Sitzung auch verlassen77 oder es kann den Kartellbehörden unverzüglich Anzeige gemacht werden.78 2.  Die Wettbewerbsbeschränkung Die Kartellverbote verlangen das Vorliegen einer (horizontalen oder vertikalen, bezweckten oder bewirkten) Wettbewerbsbeschränkung. Dieser Begriff ist erfüllt, wenn die o.g. Koordinierungsformen zwischen Unternehmen dazu führen, dass Wettbewerbsbedingungen entstehen, die nicht den „normalen Marktbedingungen“ auf dem relevanten Markt entsprechen. „Nicht normal“ sind Wettbewerbsbedingungen wie etwa einheitliche Preise und Liefermengen bzw. Lieferströme, ferner Märkte ohne ein Hinzutreten oder Ausscheiden von Akteuren – letztlich also statische Zustände statt dynamischer Marktprozesse.79 Dies gilt für horizontale wie für vertikale Vereinbarungen und abgestimmte Verhaltensweisen gleichermaßen. Die Wettbewerbsbeschränkung muss entweder der Zweck oder die Wirkung der Maßnahme sein, wobei vorrangig geprüft ist, ob eine bezweckte Wettbewerbsbeschränkung vorliegt. In diesem Fall ist die Prüfung des Eintritts wettbewerbswidriger Wirkungen entbehrlich, da es für die Begründung eines wettbewerbswidrigen Zwecks ausreicht, wenn die untersuchte Verhaltensweise „das Potenzial hat, negative Auswirkungen auf den Wettbewerb zu entfalten“.80

76   EuGH, Urt. v. 19.3.2009 – Rs. C-510/06 P, ECLI:EU:C:2009:166 Rn. 119 = Slg. 2009, I-51843 – Archer Daniels Midland/Kommission; EuG, Urt. v. 8.7.2008 – Rs. T-99/04, S ECLI:EU:T:2008:256 Rn. 113 = Slg. 2008, II-1501 – AC Treuhand/Kommission; EuGH, Urt. v. 20.1.2016 – Rs. C-373/14 P, ECLI:EU:C:2016:26 Rn. 71 = WuW 2016, 176 = NZKart 2016, 131 – Toshiba Corporation/Kommission; EuG, Urt. v. 5.12.2006 – Rs. T-303/02, ECLI:EU:T:2006:374 Rn. 83 = Slg. 2006, II-4567 – Westfalen Gassen Nederland/Kommission. 77   Schröter/Voet van Vormizeele in: Schröter/Jakob/Klotz/Mederer, Art. 101 AEUV Rn. 60. 78   EuGH, Urt. v. 7.1.2004 – verb. Rs. C-204/00 P u. a., ECLI:EU:C:2004:6 Rn. 84 = Slg. 2004, I-124 – Aalborg Portland u.a./Kommission; EuGH, Urt. v. 28.6.2005 – verb. Rs. C-189/02 P u.a., ECLI:EU:C:2005:408 Rn. 142 f. = Slg. 2005, I-5425 Rn. 142 f. – Dansk Rørindustri u.a./Kommission; EuG, Urt. v. 8.7.2008 – Rs. T-99/04, Slg. 2008, II-1501 Rn. 113 – AC Treuhand/Kommission. 79   Kling/Thomas Kartellrecht, § 5 Rn. 91 und § 2 Rn. 15 ff., 25. 80   EuGH, Urt. v. 4.6.2009 – Rs. C-8/08, ECLI:EU:C:2009:343 Rn. 31 = Slg. 2009, I-4529 = WuW/E EU-R 1589 – T-Mobile Netherlands BV u.a. Damit ähnelt das Verbot bezweckter Wettbewerbsbeschränkungen in Art. 101 Abs. 1 AEUV den aus dem Strafrecht bekannten Gefährdungsdelikten, weil unerheblich ist, ob im konkreten Einzelfall bestimmte Marktteilnehmer oder die Allgemeinheit tatsächlich zu Schaden kommen, s. GA Kokott Schlussanträge v. 19.2.2009 – Rs. C-8/08, ECLI:EU:C:2009:110 Rn. 47 – T-Mobile Netherlands BV u.a.

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a) Ein wettbewerbswidriger Zweck liegt vor, wenn die untersuchte Vereinbarung oder abgestimmte Verhaltensweise nach ihrem Inhalt und Ziel sowie unter Berücksichtigung ihres rechtlichen und wirtschaftlichen Zusammenhangs konkret geeignet ist, zu einer Verhinderung, Einschränkung oder Verfälschung des Wettbewerbs innerhalb des Binnenmarktes zu führen.81 Eine entsprechende Absicht der Beteiligten ist kein notwendiges Element dieses Begriffs; eine vorhandene Absicht kann seitens der Kartellbehörden und -gerichte aber unstreitig berücksichtigt werden.82 Das Verbot von Vereinbarungen und Verhaltensabstimmungen allein wegen ihres wettbewerbswidrigen Zwecks rechtfertigt sich dadurch, dass bestimmte Formen der Kollusion zwischen Unternehmen ihrer Natur nach schädlich für das Funktionieren des Wettbewerbs sind. Wesentlich ist nach der Rechtsprechung des EuGH die „Feststellung (...), dass eine solche Koordinierung in sich selbst eine hinreichende Beeinträchtigung des Wettbewerbs erkennen lässt“.83 Der Begriff der bezweckten Wettbewerbsbeschränkung ist nach der Rspr. des EuGH eng auszulegen.84 Das wird damit begründet, dass nur bestimmte Formen der Kollusion zwischen Unternehmen ihrer Natur nach als schädlich für das gute Funktionieren des normalen Wettbewerbs angesehen werden können.85 Zu denken ist z.B. an den Fall, dass die Wettbewerber eine Grundabsprache tref81  EuGH, Urt. v. 4.6.2009 – Rs. C-8/08, ECLI:EU:C:2009:343 Rn. 27 = Slg. 2009, I-4529 = WuW/E EU-R 1589 – T-Mobile Netherlands BV u.a. (Abstellen auf die objektiven Ziele der abgestimmten Verhaltensweise unter Berücksichtigung des wirtschaftlichen und rechtlichen Zusammenhangs); GA Kokott Schlussanträge v. 19.2.2009 – Rs. C-8/08, ECLI:EU:C:2009:110 Rn. 72 – T-Mobile Netherlands BV u.a. 82   EuGH, Urt. v. 4.6.2009 – Rs. C-8/08, ECLI:EU:C:2009:343 Rn. 27 = Slg. 2009, I-4529 = WuW/E EU-R 1589 – T-Mobile Netherlands BV u.a.; EuGH, Urt. v. 8.11.1983 – Rs. 96/82 u.a., ECLI:EU:C:1983:310 Rn. 23 ff. = Slg. 1983, 3369 – IAZ International Belgium u.a./Kommission. 83   EuGH, Urt. v. 11.9.2014 – Rs. C-67/13 P, ECLI:EU:C:2014:2204 Rn. 57 = WuW/E EU-R 3082 = NZKart 2014, 399 – Cartes Bancaires (= CB); EuGH, Urt. v. 26.11.2015 – Rs. C-345/14, ECLI:EU:C:2015:784 Rn. 20 = NZKart 2016, 70 = WuW 2016, 74 – SIA „Maxima Latvija“/Konkurences padome; EuGH, Urt. v. 27.4.2017 – Rs. C-469/15 P, ECLI:EU:C:2017:308 Rn. 104 = NZKart 2017, 313 = WuW 2017, 382 – FSL-Holdings u.a./ Kommission (= Pacific Fruit). 84   EuGH, Urt. v. 11.9.2014 – Rs. C-67/13 P, ECLI:EU:C:2014:2204 Rn. 50, 58 = WuW/E EU-R 3082 = NZKart 2014, 399 – Cartes Bancaires (= CB); EuGH, Urt. v. 26.11.2015 – Rs. C-345/14, ECLI:EU:C:2015:784 Rn. 18 = NZKart 2016, 70 = WuW 2016, 74 – SIA „Maxima Latvija“/Konkurences padome; EuGH, Urt. v. 27.4.2017 – Rs. C-469/15 P, ECLI:EU:C:2017:308 Rn. 103 = NZKart 2017, 313 = WuW 2017, 382 – FSL-Holdings u.a./ Kommission (= Pacific Fruit); differenzierend GA Kokott Schlussanträge v. 19.2.2009 – Rs. C-8/08, ECLI:EU:C:2009:110 Rn. 44 – T-Mobile Netherlands BV u.a.: nicht zu enge, aber auch nicht zu weite Auslegung. 85   EuGH, Urt. v. 4.6.2009 – Rs. C-8/08, ECLI:EU:C:2009:343 Rn. 29 = Slg. 2009, I-4529 = WuW/E EU-R 1589 – T-Mobile Netherlands BV u.a.; EuGH, Urt. v. 20.11.2008 – Rs. C-209/07, ECLI:EU:C:2008:643 Rn. 17 = Slg. 2008, I-8637 = WuW/E EU-R 1509 – Beef Industry Development Society/Barry Brothers (= BIDS).

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fen, mit der sie ihr künftiges Marktverhalten daran binden, fortan nicht ohne vorherige wechselseitige Konsultation oder Information autonom am Markt tätig zu werden.86 b) Hat eine bestimmte Maßnahme keinen wettbewerbsbeschränkenden Zweck, dann ist weiter zu untersuchen, ob sie wettbewerbsbeschränkende Wirkungen entfaltet; für deren Vorliegen sind die Kartellbehörden beweispflichtig. Es kommt allein auf die tatsächlichen Auswirkungen auf den Wettbewerb an, wobei auch potenzielle Auswirkungen zu berücksichtigen sind. Das Bewirken wird anhand der fiktiven Wettbewerbsverhältnisse, die ohne die betreffende Maßnahme auf dem relevanten Markt bestünden, geprüft (sog. Als-ob-Wettbewerb).87 3.  Informationsaustausch zwischen Unternehmen als Wettbewerbsbeschränkung Der Informationsaustausch zwischen Wettbewerbern ist problematisch, weil dadurch eine vom Kartellrecht missbilligte Erhöhung der Transparenz und zugleich eine Verringerung der Wettbewerbsintensität zwischen aktuellen oder potenziellen Wettbewerbern bewirkt werden kann. Grundlage der Beurteilung ist das kartellrechtliche Selbständigkeitspostulat.88 Den Kartellverboten liegt die Prämisse zugrunde, dass jeder Wirtschaftsteilnehmer selbständig zu bestimmen hat, welche Politik er auf dem relevanten Markt zu betreiben gedenkt. Die Unternehmen haben zwar das Recht, sich dem festgestellten oder erwarteten Verhalten ihrer Mitbewerber mit wachem Sinn anzupassen. Verboten ist aber jede unmittelbare oder mittelbare Fühlungnahme zwischen konkurrierenden Unternehmen, die das Marktverhalten eines gegenwärtigen oder potentiellen Mitbewerbers beeinflussen kann bzw. die einen solchen Mitbewerber über das Verhalten ins Bild setzt, das man selbst auf dem betreffenden Markt an den Tag zu legen entschlossen ist.89 Auf diese Weise entstehen nämlich Wettbewerbsbedingungen, die nicht den „normalen 86   OLG Düsseldorf, Urt. v. 10.2.2014 – V-4 Kart 5/11 (OWi) – 2. Leitsatz – Melitta (juris). 87   Kling/Thomas Kartellrecht, § 5 Rn. 104. 88  EuGH, Urt. v. 16.12.1975 – verb. Rs. 40/73 u.a., ECLI:EU:C:1999:356 Rn. 173/174 = Slg. 1975, 1663 – Suiker Unie u.a.; EuGH, Urt. v. 14.7.1981 – Rs. 172/80, ECLI:EU:C:1981:178 Rn. 13/14 = Slg. 1981, 2021 – Züchner/Bayerische Vereinsbank; EuGH, Urt. v. 28.5.1998 – Rs. C-7/95 P, ECLI:EU:C:1998:256 Rn. 86 f. = Slg. 1998, I-3111 – Deere/Kommission; EuGH, Urt. v. 8.7.1999 – Rs. C-49/92 P, ECLI:EU:C:1999:356 Rn. 116 f. = Slg. 1999, I-4125 – Kommission/Anic Partecipazioni; EuGH, Urt. v. 8.7.1999, Rs. C-199/92 P, ECLI:EU:C:1999:358 Rn. 159 f. = Slg. 1999, I-4287 – Hüls AG/Kommission; EuGH, Urt. v. 23.11.2006 – Rs. C-238/05, ECLI:EU:C:2006:734 Rn. 52 f. = Slg. 2006, I‑11125 – Asnef-Equifax; EuGH, Urt. v. 4.6.2009 – Rs. C-8/08, ECLI:EU:C:2009:343 Rn. 33 = Slg. 2009, I-4529 = WuW/E EU-R 1589 – T-Mobile Netherlands BV u.a. 89   S. die Nachweise in der vorigen Fußnote sowie Kling/Thomas Kartellrecht, § 5 Rn. 76.

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Bedingungen“ des Marktes entsprechen. Konstitutiv für den Wettbewerb ist vielmehr ein Handeln der Unternehmen in Unsicherheit über die Absichten ihrer Konkurrenten.90 Maßnahmen des Informationsaustauschs über vertrauliche Geschäftsinformationen unter Wettbewerbern verstoßen demnach gegen die Kartellverbote, wenn und soweit sie den Grad der Ungewissheit über das fragliche Marktgeschehen verringern oder beseitigen und dadurch zu einer Beschränkung des Wettbewerbs zwischen den Unternehmen führen.91 Unerheblich ist in diesem Zusammenhang, ob ein solcher Informationsaustausch den Hauptgegenstand der Kontaktaufnahme darstellte oder nur anlässlich – oder gleichsam unter dem Deckmantel – einer Kontaktaufnahme stattfand, die für sich genommen keinen kartellrechtswidrigen Zweck hatte.92 Unbeachtlich ist außerdem, ob nur ein Unternehmen seine Wettbewerber einseitig über sein in Aussicht genommenes Marktverhalten informiert hat oder ob alle beteiligten Unternehmen sich gegenseitig über ihre jeweiligen Erwägungen und Absichten informieren.93 Denn wenn „ein einziges Unternehmen sich aus der Deckung wagt und seinen Konkurrenten vertrauliche Informationen über seine künftige Geschäftspolitik preisgibt, verringert sich dadurch für alle Beteiligten die Unsicherheit über das künftige Marktgeschehen und entsteht die Gefahr einer Verringerung des Wettbewerbs und eines kollusiven Verhaltens unter ihnen“.94

  Kling/Thomas Kartellrecht, § 2 Rn. 4, 13, § 5 Rn. 70.  EuGH, Urt. v. 28.5.1998 – Rs. C-7/95 P, ECLI:EU:C:1998:256 Rn. 90 = Slg. 1998, I-3111 – Deere/Kommission; EuGH, Urt. v. 2.10.2003, Rs. C-194/99 P, ECLI:EU:C:2003:527 Rn. 81 = Slg. 2003, I-10821 – Thyssen Stahl/Kommission; EuGH, Urt. v. 23.11.2006 – Rs. C-238/05, ECLI:EU:C:2006:734 Rn. 51, 62 = Slg. 2006, I‑11125 – Asnef-Equifax; EuGH, Urt. v. 4.6.2009 – Rs. C-8/08, ECLI:EU:C:2009:343 Rn. 35 = Slg. 2009, I-4529 = WuW/E EU-R 1589 – T-Mobile Netherlands BV u.a.; EuG, Urt. v. 10.11.2017 – Rs. T-180/15, ECLI:EU:T:2017:795 Rn. 52 = NZKart 2018, 44 – Icap plc u.a./ Kommission; Kommission, Entsch. v. 23.12.1977, Fall IV/29.176, ABl. EG 1978 Nr. L 70, S. 54 ff. Rn. 65 ff. – Vegetable Parchment (= Pergamentpapier); GA Kokott Schlussanträge v. 19.2.2009 – Rs. C-8/08, ECLI:EU:C:2009:110 Rn. 72 – T-Mobile Netherlands BV u.a. 92  EuGH, Urt. v. 6.4.2006 – C‑551/03 P, ECLI:EU:C:2006:229 Rn. 64 = Slg. 2006, I‑3173 – General Motors/Kommission; EuGH, Urt. v. 20.11.2008 – Rs. C-209/07, ECLI:EU:C:2008:643 Rn. 21 = Slg. 2008, I-8637 = WuW/E EU-R 1509 – Beef Industry Development Society/Barry Brothers (= BIDS). 93   GA Kokott Schlussanträge v. 19.2.2009 – Rs. C-8/08, ECLI:EU:C:2009:110 Rn. 54 – T-Mobile Netherlands BV u.a. 94   GA Kokott Schlussanträge v. 19.2.2009 – Rs. C-8/08, ECLI:EU:C:2009:110 Rn. 54 – T-Mobile Netherlands BV u.a. 90 91

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4.  Beispiele zum Informationsaustausch aus der Rechtsprechung a)  Informationsaustausch auf oligopolistisch strukturierten Märkten Die vorstehenden Grundsätze beanspruchen insbesondere dann Geltung, wenn der Informationsaustausch einen hochgradig konzentrierten oligopolistischen Markt betrifft, weil dieser dazu geeignet ist, „den Unternehmen Aufschluss über die Marktpositionen und die Strategien ihrer Wettbewerber zu geben und damit den noch bestehenden Wettbewerb zwischen den Wirtschaftsteilnehmern spürbar zu beeinträchtigen“.95 Im sog. engen Oligopol, in dem die auf dem betreffenden Markt tätigen Unternehmen ohnehin sehr viele Informationen übereinander besitzen, fallen zusätzliche Informationen über künftiges Marktverhalten gewissermaßen auf „fruchtbaren Boden“. Als Beispielsfall diene der Fall T-Mobile Netherlands, der vom EuGH im Jahr 2009 entschieden wurde.96 Eine einmalige Verhaltensabstimmung zwischen fünf Mobilfunknetzbetreibern in den Niederlanden wurde vom EuGH zu Recht als bezweckte Wettbewerbsbeschränkung qualifiziert. Konsequent entschied er, dass ein wettbewerbswidriger Zweck bereits dann vorliege, wenn die abgestimmte Verhaltensweise geeignet sei, den Wettbewerb innerhalb des Binnenmarktes zu verhindern, einzuschränken oder zu verfälschen.97 Denn eine Verengung „allein auf Verhaltensweisen, die einen unmittelbaren Einfluss auf die Endverbraucherpreise haben, würde dieser für den Binnenmarkt zentralen Vorschrift einen Großteil ihrer praktischen Wirksamkeit nehmen“.98 Entscheidend war, dass sich der Informationsaustausch auf bestimmte Wettbewerbsparameter (hier: die Provision der Vertragshändler) bezog.99 Die zeitlich koordinierte Verminderung der Provisionshöhe führte zu einer Verringerung der Ungewissheit über das Marktverhalten der Mitbewerber in Bezug auf die Vergütung der Dienstleistungen der Händler und somit zu einer Verringerung der normalen Risiken des Preiswettbewerbs,100 namentlich auf einem oligopolistisch strukturierten Markt. Vorstehendes gilt unabhängig von der Häufigkeit und Intensität des Austauschs, sodass auch eine einzige Kontaktaufnahme genügen kann, um eine 95   EuGH, Urt. v. 4.6.2009 – Rs. C-8/08, ECLI:EU:C:2009:343 Rn. 34 = Slg. 2009, I-4529 = WuW/E EU-R 1589 – T-Mobile Netherlands BV u.a. 96  EuGH, Urt. v. 4.6.2009 – Rs. C-8/08, ECLI:EU:C:2009:343 = Slg. 2009, I-4529 = WuW/E EU-R 1589 – T-Mobile Netherlands BV u.a.; dazu Schmidt/Koyuncu BB 2009, 2551 ff. 97   GA Kokott Schlussanträge v. 19.2.2009 – Rs. C-8/08, ECLI:EU:C:2009:110 Rn. 59 – T-Mobile Netherlands BV u.a. 98   GA Kokott Schlussanträge v. 19.2.2009 – Rs. C-8/08, ECLI:EU:C:2009:110 Rn. 60 – T-Mobile Netherlands BV u.a. 99   GA Kokott Schlussanträge v. 19.2.2009 – Rs. C-8/08, ECLI:EU:C:2009:110 Rn. 61 – T-Mobile Netherlands BV u.a. 100   GA Kokott Schlussanträge v. 19.2.2009 – Rs. C-8/08, ECLI:EU:C:2009:110 Rn. 62 – T-Mobile Netherlands BV u.a.

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kartellrechtlich verbotene Verhaltensabstimmung zu verwirklichen.101 Es gilt eine entsprechende Kausalitätsvermutung, deren Entkräftung den Beteiligten obliegt.102 b)  Die wechselseitige Übersendung von Preislisten zwischen Wettbewerbern Nach der Rspr. des EuGH103 gilt außerdem, dass die Übersendung von Vorab-Preismitteilungen mit Listenpreisen durch Unternehmen als abgestimmte Verhaltensweisen zu bewerten sind, die eine Einschränkung des Wettbewerbs im Sinne von Art. 101 AEUV bezwecken. Denn auf diese Weise entstehen ebenfalls Wettbewerbsbedingungen, die nicht den normalen Bedingungen des Marktes entsprechen. Der Informationsaustausch ermöglicht für jeden Beteiligten die Verringerung der Ungewissheit hinsichtlich des zu erwartenden Verhaltens seiner Konkurrenten. Weiter wird diskutiert, unter welchen Voraussetzungen öffentliche Verlautbarungen – sog. Signalling – als wettbewerbsbeschränkende abgestimmte Verhaltensweisen zu qualifizieren sind.104 Das ist der Fall, wenn sie in strategischer Weise als Mittel zur Verhaltenskoordinierung zwischen den Wettbewerbern eingesetzt werden, um Unsicherheiten über deren künftiges Verhalten zu beseitigen (bzw. umgekehrt Gewissheit zu schaffen). Dafür kann sprechen, dass eine Ankündigung besonders frühzeitig vorgenommen wird.105 Im Fall Ahlström hat der EuGH106 zu einem System vierteljährlicher Preisankündigungen gegenüber Abnehmern letztlich einen Wettbewerbsverstoß abgelehnt. Die Preisankündigungen stellten nämlich „eine Handlung auf dem Markt dar, die für sich genommen nicht geeignet ist, die Unsicherheit jedes Unternehmens darüber, welche Haltung seine Konkurrenten einnehmen werden, zu verringern. Im Zeitpunkt ihrer Vornahme durch das einzelne Unternehmen hat dieses nämlich keine Gewißheit über das künftige Verhalten der anderen Unternehmen.“

101   EuGH, Urt. v. 4.6.2009 – Rs. C-8/08, ECLI:EU:C:2009:343 Rn. 59, 61 = Slg. 2009, I-4529 = WuW/E EU-R 1589 – T-Mobile Netherlands BV u.a. 102  EuGH, Urt. v. 4.6.2009 – Rs. C-8/08, ECLI:EU:C:2009:343 Rn. 61 = Slg. 2009, I-4529 = WuW/E EU-R 1589 – T-Mobile Netherlands BV u.a. 103   EuGH, Urt. v. 11.12.2014 – Rs. C-286/13 P, ECLI:EU:C:2015:184 Rn. 134 = WuW/E EU-R 3272 – Dole Food und Dole Fresh Fruit Europe/Kommission; s. dazu auch Fiebig WuW 2016, 270 ff. 104   S. dazu Pahlen/Vahrenholt ZWeR 2014, 442 (452 ff.). 105  S. aus der Fallpraxis der Kommission s. Kommission, Entsch. v. 19.12.1984, Fall IV/29.725, ABl. EG 1985 Nr. L 85, S. 1 – Zellstoff sowie nachfolgend EuGH, Urt. v. 31.3.1993 – Rs. 89/85, ECLI:EU:C:1994:12 = Slg. 1993, I-1307 – Ahlström/Kommission. 106   EuGH, Urt. v. 31.3.1993 – Rs. 89/85, ECLI:EU:C:1994:12 Rn. 64 = Slg. 1993, I-1307 – Ahlström/Kommission.

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c)  Informationsaustausch über die Medien bzw. das Internet Erhebliche Abgrenzungsschwierigkeiten bereitet insbesondere der Austausch marktrelevanter Daten über die Medien oder das Internet. Was auf den ersten Blick wie ein „virtuelles Schaufenster“ aussieht (und damit kartellrechtlich als erlaubtes Parallelverhalten zulässig wäre), kann sich bei näherer Betrachtung im Einzelfall als unzulässige Verhaltensabstimmung entpuppen. Der gegenseitige Informationsaustausch kann nämlich auch in solchen Fällen ein Klima der Gewissheit zwischen den Wettbewerbern hinsichtlich ihres künftigen Verhaltens schaffen, sodass die Risiken des unbeeinflussten Wettbewerbs reduziert oder beseitigt werden.107 Die Europäische Kommission hat im Fall Container Shipping108 die regelmäßige Ankündigung geplanter Preiserhöhungen109 durch Unternehmen – sei es über eine Internetseite, über die Presse oder andere Medien – als abgestimmte Verhaltensweisen i.S.d. Art. 101 Abs. 1 AEUV qualifiziert. Zugleich entschied sie aber auch, dass die wettbewerbsrechtlichen Bedenken durch eine detailliertere Darstellung der Preiserhöhungen und damit eine verbesserte Transparenz für Kunden ausgeräumt werden könnten.110 Letzteres ist durchaus zweifelhaft, da sich die Transparenz im Internet nicht auf die Abnehmerseite beschränkt. Die Erhöhung der Transparenz führt typischerweise zur Verringerung von Wettbewerb und ist deshalb kartellrechtlich bedenklich.111 d)  Computergestützter Informationsaustausch zwischen Unternehmen Nach der Rspr. des EuGH gilt das Kartellverbot des Art. 101 Abs. 1 AEUV auch für computergestützte Verhaltensabstimmungsmaßnahmen. Konkret ging es in einem Fall um elektronische Mitteilungen im Rahmen eines gemeinsam betriebenen Online-Reisebuchungssystems, die zur Festlegung von Obergrenzen für Preisnachlässe führten.112 Der EuGH entschied überzeugend, dass die Unternehmen ab dem Zeitpunkt, zu dem sie von der 107  OLG Düsseldorf, Urt. v. 29.10.2012 – V-1 Kart 1–6/12 (OWi) –, NZKart 2013, 122 Rn. 115 = WuW/E DE-R 3889 – Silostellengebühren; nachgehend BGH, Beschl. v. 03.04.2014 – KRB 46/13 –, NZKart 2014, 513 = WuW/E DE-R 4317 = NJW 2014, 2806 – Silostellengebühren III. 108   Kommission, Entsch. v. 7.7.2016 – Fall AT.39.850, WuW 2016, 487 Rn. 45 ff. – Container Shipping. 109   Konkret ging es um die regelmäßige Mitteilung beabsichtigter Preiserhöhungen für container liner shipping prices über die unternehmenseigene Webseite, die Presse und auf andere Weise, sog. General Rate Increase Announcements (GRI). 110   Kommission, Entsch. v. 7.7.2016 – Fall AT.39.850, WuW 2016, 487 Rn. 77 ff., 84 ff.– Container Shipping. 111   Kling/Thomas Kartellrecht, § 2 Rn. 4, 13, § 5 Rn. 70. 112   EuGH, Urt. v. 21.1.2016 – Rs. C-74/14, ECLI:EU:C:2016:42 = WuW 2016, 126 = NZKart 2016, 133 – Eturas, 1. Leitsatz – Eturas UAB u. a./Lietuvos Respublikos konkurencijos taryba (= Lettische Reisebüros).

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vom Systemadministrator versandten Mitteilung Kenntnis erlangten, sich an einer aufeinander abgestimmten Verhaltensweise beteiligt hätten. Etwas anderes würde nur dann gelten, wenn sie sich öffentlich von dieser Verhaltensweise distanziert, sie bei den Behörden angezeigt oder andere Beweise zur Widerlegung dieser Vermutung wie etwa den Nachweis einer systematischen Gewährung eines über die fragliche Obergrenze hinausgehenden Preisnachlasses vorgelegt hätten.

IV. Fazit Die vorstehenden Ausführungen haben deutlich gemacht, dass sich aus den Kartellverboten in Art. 101 Abs. 1 AEUV und § 1 GWB eine „kartellrechtliche Informationsverantwortlichkeit“ ableiten lässt, die unmittelbar die betroffenen Unternehmen, mittelbar aber auch deren Leitungsorgane trifft. Im Rahmen der Kartellrechtscompliance haben sie dafür Sorge zu tragen, dass wettbewerbsrechtlich verbotene Maßnahmen des Informationsaustauschs unterbleiben. Die Geschäftsleiter haben zudem nach dem deutschen Bußgeldrecht eine persönliche Bußgeldhaftung bei Verstößen gegen Art. 101 AEUV und § 1 GWB zu gewärtigen, die neben der Bußgeldhaftung des Unternehmensträgers steht. Das Risiko eines organhaftungsrechtlichen Bußgeldregresses gemäß § 93 Abs. 2 AktG, § 43 Abs. 2 GmbHG wurde höchstrichterlich bislang nicht ausgeräumt. Problematisch ist außerdem, dass D&O-Versicherungen im Hinblick auf die vereinbarten Haftungshöchstgrenzen und etwaige Haftungsausschlüsse keinen absoluten Schutz vor der persönlichen Inanspruchnahme der Manager gemäß organhaftungsrechtlichen Grundsätzen bieten.113 Vor diesem Hintergrund ist die Forderung nach einer Begrenzung der Managerhaftung de lege ferenda berechtigt. Mit Blick auf die Unternehmensbinnenorganisation ist eine konsequente Durchsetzung der Kartellrechtscompliance einzufordern. Das gilt für sämtliche kartellrechtlich verbotenen Maßnahmen unter Einschluss der unzulässigen Formen des Informationsaustauschs zwischen Wettbewerbern.

  Wie hier Zimmer/Walther BB 2017, 629 (631).

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Die Legal Judgment Rule: ein Fall für die Wolfsschlucht Jens Koch I. Einführung Carl Maria von Weber ist den meisten heute nur noch als Komponist und Dirigent ein Begriff. Weniger bekannt sind seine Verdienste um das deutsche Gesellschaftsrecht. Tatsächlich hat er aber auch auf diesem Gebiet Bleibendes geschaffen, indem er uns in seiner Oper „Der Freischütz“ die „Wolfsschlucht“ geschenkt hat. Die düstere Vorstellung, die man mit diesem dunkel-klangvollen Begriff verbinden mag, ist heute noch viel treffender als im Jahr der Erstaufführung 1821, weil gerade die Gesellschaftsrechtler die Wolfsschlucht seitdem in einen juristischen Monsterfriedhof umgewidmet haben. Bereits in der 9. Auflage des Soergel aus dem Jahr 1962 hat Hermann Schultze-von Lasaulx dazu aufgefordert, das Scheusal der „faktischen“ Gesellschaft in die Wolfsschlucht zu werfen.1 Im Jahr 1989 ist Gerold Loos diesem Beispiel gefolgt und hat das Institut der verdeckten Sacheinlage dort entsorgen wollen.2 Im Jahr 2003 berichtete Carsten Schäfer, Peter Ulmer dabei beobachtet zu haben, wie dieser dem Scheusal der Doppelverpflichtungslehre dort den Todesstoß versetzt habe.3 Peter Ulmer wiederum dankte im Jahr 2015 dem Jubilar selbst dafür, den beschlussrechtlichen Bestimmtheitsgrundsatz in der Wolfsschlucht seinem verdienten Ende zugeführt zu haben.4 Tatsächlich setzte Alfred Bergmann damit aber nur eine Linie fort, die sein Vorgänger im Vorsitz des II. Zivilsenats, Wulf Goette, begründet hatte, der bereits die November-Entscheidung zur Vollwertigkeitsprüfung bei der gesellschaftsinternen Kreditvergabe dort erledigt hatte.5 Schließlich beschloss auch das versammelte Gesellschaftsrecht auf seiner jährlichen Tagung in Königstein, in Mittäterschaft unter der Rädelsführerschaft von Marcus Lutter die Societas Unius Privata in der Wolfsschlucht zur Strecke zu bringen.6 Um dem Jubilar   Schultze-von Lasaulx in Soergel BGB, 9. Aufl., 1962, § 705 Rn. 57.   Loos, BB 1989, 2147, 2151. 3   C. Schäfer, ZIP 2003, 1225. 4   Ulmer, ZIP 2015, 657, 662. 5   Goette, GWR 2009, 1, 2. 6  Diskussionsbericht Osterloh-Konrad, ZHR 179 (2015), 385, 389. 1 2

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in der Ungeheuerbekämpfung nicht nachzustehen, will auch der Verfasser dieses Beitrags in guter gesellschaftsrechtlicher Tradition ein Scheusal zur Strecke bringen, das Alfred Bergmann selbst schon dankenswert nah an die Klippe geführt hat: die Legal Judgment Rule.

II.  Die gedankliche Grundkonzeption 1.  Ausgangspunkt in der Business Judgment Rule Gedanklicher Ausgangspunkt der Legal Judgment Rule ist die Business Judgment Rule. Bei ihr handelt es sich sicherlich um eine legislative Erfolgsgeschichte. Auch ein Vorstandsmitglied, das noch nie einen Paragraphen gesehen hat, hat doch verstanden, dass es eine gute Sache ist, wenn sein Schiff im Safe Harbour der Business Judgment Rule angekommen ist.7 In kategorischem Hindsight Bias wird über diesen Wirkungserfolg oft vergessen, dass die Kodifizierung der Business Judgment Rule selbst auf einem fehlerhaften Legal Judgment beruhte.8 Vorrangiges Ziel des UMAG-Gesetzgebers von 2005 war es, die Aktionärsklage in § 148 AktG einzuführen. Da man befürchtete, dass damit eine signifikante Verschärfung der Vorstandshaftung einhergehe,9 hielt man es für erforderlich, mit der Festschreibung der Business Judgment Rule eine korrespondierende Haftungserleichterung entgegenzusetzen.10 Diese Einschätzung kann man heute getrost als legislativen Irrtum bezeichnen. Der Aktionärsklage braucht niemand mehr einen Todesstoß zu versetzen. Sie ist kränklich und schwach zur Welt gekommen und verdämmert wirkungslos im aktienrechtlichen Schattenreich.11 Der Beliebtheit der Business Judgment Rule hat dies keinen Abbruch getan. Gerade unter dem Vorzeichen einer ungesund verschärften Vorstandshaftung12 ist sie zum Lieblingskind von Wissenschaft und Praxis avanciert. Und tatsächlich erweisen sich ihre legislativen Leitmotive auch ohne das funktionierende Gegenstück der Aktionärsklage als überzeugend.13 Sie lauten, dass Vorstände nicht durch Haftungsgefahren in ihrer unternehmerischen Initia7   Vgl. zum Safe Harbour-Gedanken Fleischer in Spindler/Stilz AktG, 3. Aufl., 2015, § 93 Rn. 59 ff. 8   Vgl. zum Folgenden schon J. Koch in Kalss/Fleischer/Vogt, Bahnbrechende Entscheidungen, 2016, S. 91, 98 f. 9   So auch die fehlerhafte Prognose des Verfassers – vgl. J. Koch, ZGR 2006, 769, 791: „deutliche Verschärfung der Haftungssituation zu Ungunsten der Gesellschaftsorgane“. 10   RegBegr. UMAG, BT-Drucks. 15/5092, S. 19 ff. 11  Vgl. Hüffer/Koch AktG, 13. Aufl., 2018, § 149 Rn. 3; Rieckers/J. Vetter in Kölner Komm AktG, 3. Aufl., Band 3, 5. Teillieferung, 2014, § 149 Rn. 81 ff.; Schmolke, ZGR 2011, 398 ff. 12   Zu diesem heute nahe allgemein konsentierten Befund J. Koch, AG 2014, 513 ff. 13   Vgl. zum Folgenden Hüffer/Koch (Fn. 11) § 93 Rn. 9.

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tive beeinträchtigt werden sollen. Gerade eine solche Beeinträchtigung droht aber, wenn sie befürchten müssen, dass die Annahme eines haftungsbegründenden Pflichtenverstoßes an der Sorgfaltsvorgabe des § 93 Abs. 1 S. 1 AktG gemessen wird, die stark von subjektiven Erwägungen geprägt ist und speziell in der Rückschau noch weitergehend verzerrt werden kann.14 Die Lösung des § 93 Abs. 1 S. 2 AktG liegt darin, dem Vorstand einen Safe Harbour zu eröffnen. Wenn er bestimmte Regeln optimaler Entscheidungsfindung beachtet, nimmt das Gericht keine eigene Sorgfaltsprüfung vor. Es genügt, wenn der Vorstand vernünftigerweise annehmen durfte, auf der Grundlage angemessener Informationen zum Wohle der Gesellschaft zu handeln. Eingekleidet wird diese Regelung in die Figur des verwaltungsrechtlichen Ermessens: Dem Vorstand wird in diesem Fall eine Entscheidungsprärogative eingeräumt; spiegelbildlich wird die gerichtliche Prüfungsdichte reduziert.15 2.  Fortschreibung in der Legal Judgment Rule Von der solchermaßen begründeten Business Judgment Rule ist es nur ein kleiner gedanklicher Schritt zur Legal Judgment Rule. Wenn die Business Judgment Rule dem Umstand Rechnung tragen soll, dass Vorstände schwierige Entscheidungen zu treffen haben, ohne dass das Damoklesschwert der Haftung über ihnen schweben soll, dann liegt es in der Tat nahe, ihnen diese Erleichterung auch bei Rechtsfragen einzuräumen. Über deren Einschätzung besteht oft selbst in der Wissenschaft keine Einigkeit, so dass von einem Geschäftsleiter, der meist über keine juristische Ausbildung verfügt, nicht erwartet werden kann, dass er zu eindeutigen Ergebnissen gelangt. Deshalb soll es auch hier genügen, wenn er sich auf der Grundlage angemessener Informationen um juristische Klärung bemüht. Wenn er dabei zu einer Fehleinschätzung gelangt, soll diese keine Haftung auslösen, sondern jede Pflichtwidrigkeit verneint werden. Das ist der Grundgedanke der Legal Judgment Rule und dieser Grundgedanke hat unbestreitbar einen sehr berechtigten Kern. Das ist der Grund, warum sie bis heute trotz aller offensichtlichen Konstruktionsschwierigkeiten viele namhafte Befürworter findet.16 14   Vgl. dazu Fleischer in FS Wiedemann, 2002, S. 827, 829 ff.; J. Koch ZGR 2006, 769, 782 f.; Ott/Klein AG 2017, 209. 15   Vgl. zu den Einzelheiten Hüffer/Koch (Fn. 11) § 93 Rn. 8 ff., 15 ff. 16   Für eine direkte Anwendung des § 93 Abs. 1 S. 2 AktG Hopt/Roth in Großkomm AktG, 5. Aufl., 2015, § 93 Rn. 140; Bürkle, VersR 2013, 792, 793 ff.; Kocher, CCZ 2009, 215, 217; Nietsch, ZGR 2015, 631, 648 ff.; für eine entsprechende Anwendung Spindler in MüKoAktG, 4. Aufl., 2014, § 93 Rn. 75 ff.; ders. in FS Canaris II, 2007, S. 403, 421; Cahn, WM 2013, 1293, 1294 f.; ders., Der Konzern 2015, 105 ff.; Hasselbach/Ebbinghaus, AG 2014, 873 ff.; Winnen, Die Innenhaftung des Vorstands nach dem UMAG, 2009, S. 157 f.; für eine Anlehnung an diese Vorschrift Eckert in Wachter, 2. Aufl., 2014, § 93 Rn. 15; Bicker

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III.  Die Konstruktionsfehler 1.  Die Gesetzesmaterialien Ihren Ausgangspunkt nehmen diese Konstruktionsschwierigkeiten bereits in den Gesetzesmaterialien. Dort findet sich die Feststellung, dass die erste Voraussetzung der Business Judgment Rule, die unternehmerische Entscheidung, rechtlich gebundene Entscheidungen aus dem Anwendungsbereich ausklammern soll; bei rechtswidrigem Handeln könne es allenfalls am Verschulden fehlen.17 Das spricht deutlich gegen die Annahme einer die Pflichtwidrigkeit ausschließenden Legal Judgment Rule. Die Befürworter dieser Konstruktion versuchen diesen Einwand aber dadurch zu entkräften, dass sie die Materialien um eine Modifizierung ergänzen: Die Ausklammerung gebundener Entscheidungen sei nur dann vorzunehmen, wenn die rechtliche Bindung klar sei, nicht aber, wenn sie ungewiss sei.18 Diese Ergänzung ist aber nicht nur deshalb bedenklich, weil sie in den Materialien keinen Niederschlag findet, sondern mehr noch, weil die hier befürwortete Ausnahme der zweifelhaften Rechtslage so allgegenwärtig ist. Wer die Rechtswelt kennt, weiß, dass keine Vorgabe so klar sein kann, dass dem Juristen nicht Restzweifel verbleiben.19 Selbst durch eine höchstrichterliche Klärung werden diese Zweifel meist nicht beseitigt. Jedem Juristen sind die gängigen Begründungsmuster vertraut, dass der entschiedene Fall anders gelagert sei, dass sich das Normumfeld gewandelt hat und neuere Entwicklungen noch nicht berücksichtigt werden konnten. Wer in all diesen Fällen AG 2014, 8, 10 ff.; Thole, ZHR 173 (2009), 504, 521 ff.; jedenfalls für einen Beurteilungsspielraum auf Ebene der Pflichtwidrigkeit Fleischer (Fn. 7) § 93 Rn. 29 ff., 35 f.; Zöllner/ Noack in Baumbach/Hueck GmbHG, 21. Aufl., 2017, § 43 Rn. 23c; Ott, ZGR 2017, 149, 158 f.; für eine Einführung de lege ferenda Cichy/Cziupka, BB 2014, 1482, 1485; Seibt/ Cziupka, AG 2015, 93, 99; Seibt/Wollenschläger, ZIP 2014, 545, 552 f.; gegen diese Konstruktion Hüffer/Koch (Fn. 11) § 93 Rn. 19; Krieger/Sailer in K. Schmidt/Lutter AktG, 3. Aufl., 2015, § 93 Rn. 7, 34; Buck-Heeb, BB 2013, 2247 ff.; Harnos, Geschäftsleiterhaftung bei unklarer Rechtslage, 2013, S. 127 ff., 149 ff., 253 ff.; Hauger/Palzer, ZGR 2015, 33, 46 ff.; Holle, AG 2016, 270 ff.; J. Koch NZG 2014, 934, 938 f.; Krieger, ZGR 2012, 496, 497; Langenbucher in FS Lwowski, 2014, S. 333, 340 ff.; Paefgen, AG 2014, 554, 559 f.; Verse, ZGR 2017, 174, 192; jedenfalls für eine Zuordnung des Rechtsirrtums auf Verschuldensebene BGH AG 2011, 876 Rn. 16; BGH NZG 2015, 792 Rn. 28; Born in HdB Managerhaftung, 3. Aufl., 2017, Rn. 14.15; Henze/Born/Drescher, Aktienrecht – Höchstrichterliche Rechtsprechung, 6. Aufl., 2015, Rn. 687 ff.; Binder, AG 2012, 885, 888; ders., ZGR 2012, 757, 767 Fn. 49; Haertlein, ZHR 168 (2004), 437, 459 ff.; Strohn, ZHR 176 (2012), 137, 138; ders., CCZ 2013, 177 f.; ebenso wohl auch Bergmann in FS Tolksdorf, 2014, S. 11. 17   RegBegr. BT-Drs. 15/5092, S. 11; vgl. dazu auch Hüffer/Koch (Fn. 11) § 93 Rn. 16. 18   Vgl. statt vieler Bürkle, VersR 2013, 792, 794 f. 19   Vgl. auch Hasselbach/Ebbinghaus, AG 2014, 873, 875 f.: „Nur in wenigen für die Unternehmenspraxis wirklich relevanten und dabei eher wenig schwierigen Fällen wird es nämlich so sein, dass die komplexe deutsche Rechtsordnung eine eindeutige Vorgabe dazu enthält (…).“

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das weite unternehmerische Ermessen des § 93 Abs. 1 S. 2 AktG eröffnen will, dem erst die grob unverantwortliche Fehlentscheidung eine Grenze zieht,20 stellt die Rechtsfindung in einem ausgesprochen weiten Maße in das Ermessen von Vorständen. 2. Funktionsverkürzung Der eigentliche Konstruktionsfehler der Legal Judgment Rule liegt aber nicht in dieser Abweichung von den Gesetzesmaterialien, sondern darin, dass die Befürworter dieses Konstrukts die Funktionsweise der Business Judgment Rule zu Unrecht auf eine Teilfunktion verkürzen. Rechtliche Entscheidungen sind ebenso wie unternehmerische Entscheidungen schwer zu treffen und deshalb soll man dafür nicht haften.21 Das ist der eine richtige Gedanke, den die Befürworter einer Legal Judgment Rule fortschreiben wollen. Es ist aber ein unausrottbarer Irrtum, die Business Judgment Rule allein als haftungsrechtliche Regel zu begreifen. § 93 Abs. 1 S. 2 AktG entscheidet eben nicht allein darüber, ob ein Vorstand haftet, sondern die Vorschrift entscheidet auch darüber, ob die Entscheidung von einem Gericht überprüft und gegebenenfalls aufgehoben werden kann.22 Es bedarf nur einer kurzen Rückbesinnung auf die verwaltungsrechtlichen Ursprünge der Figur des Ermessens, um sich auch dieser Funktionsweise bewusst zu werden. Im Verwaltungsrecht entscheiden das Rechtsfolgenermessen und die korrespondierenden Beurteilungsspielräume auf Tatbestandsseite, denen eine Legal Judgment Rule am ehesten entsprechen würde, eben nicht über eine Haftung, sondern über den Bestand der Entscheidung.23 Klassische Beispiele sind etwa gerichtliche Beanstandungen von Prüfungsnoten oder von beamtenrechtlichen Beurteilungen.24 In diesen Entscheidungssituationen soll die gerichtliche Prüfungspflicht zurückgefahren werden, um der größeren Sachnähe und dem gesteigerten Sachverstand der Entscheidungsträger in der Verwaltung ebenso Rechnung zu tragen wie der fehlenden Wiederholbarkeit der Beur-

20   Vgl. zu diesem Maßstab Hüffer/Koch (Fn. 11) § 93 Rn. 23; Israel in Bürgers/Körber AktG, 4. Aufl., 2017, § 93 Rn. 15; Bachmann, ZHR 177 (2013), 1, 9; J. Koch, ZGR 2006, 769, 790. 21  Vgl. zu entsprechenden Verkürzungen etwa Dreher, ZHR 158 (1994), 614, 616; Thümmel, DB 1997, 1117, 1119. 22   Hüffer/Koch (Fn. 11) § 93 Rn. 13; Harnos (Fn. 16) S. 149 ff.; Holle, AG 2016, 270, 276 f.; J. Koch, AG 2009, 93, 97 ff.; Verse, ZGR 2017, 174, 192. 23   Ausführlich dazu bereits J. Koch, AG 2009, 93, 97 f. 24   Zum ersten etwa BVerwG NJW 2012, 2054 Rn. 6 ff., zum zweiten BVerwGE 153, 48 Rn. 9 ff. = NVwZ 2016, 1262, jeweils m.w.Nachw. Ausf. Überblick bei Sachs in Stelkens/ Bonk/Sachs VwVfG, 9. Aufl., 2018, § 40 Rn. 175 ff.

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teilungssituation.25 Hier sind die „Funktionsgrenzen der Rechtsprechung“ erreicht.26 Auf rechtliche Beurteilungen trifft keine dieser Begründungen zu. Gerade weil die Befürworter einer Legal Judgment Rule stets betonen, dass von Vorständen keine einwandfreie juristische Einschätzung erwartet werden könne, liegt es auf der Hand, dass sie in Rechtsfragen weder über größere Sachnähe noch über größeren Sachverstand verfügen.27 Ein Zivilgericht stößt auch nicht an seine Funktionsgrenzen, wenn es das macht, wozu es berufen ist: eine Norm auszulegen und anzuwenden. Schließlich lässt sich die rechtliche Beurteilung auch ohne weiteres wiederholen. Die Legal Judgment Rule überzeugt nur denjenigen, der die Business Judgment Rule ausschließlich haftungsrechtlich denkt. Für denjenigen, der dieses Konstrukt in seiner gesamten Tragweite erfasst, ist es dagegen ein sehr seltsamer Gedanke, dass ausgerechnet den Vorständen von Aktiengesellschaften bei der Beurteilung von Rechtsfragen ein Beurteilungsspielraum eingeräumt werden soll. 3.  Juristische Verwerfungen Zu welchen Verwerfungen diese Fehldeutung führt, soll folgendes Beispiel illustrieren: Die X-AG ist in eine Krise geraten. Der Vorstandsvorsitzende V erhält ein reguläres Fixgehalt von 1 Mio. € pro Jahr. Der Aufsichtsrat setzt sein Gehalt nach § 87 Abs. 2 AktG auf 800.000 € herab. Muss der Aufsichtsrat haften, wenn Richter R eine Herabsetzung auf 700.000 € für angemessen hält? Anspruchsgrundlage könnte hier § 116 S. 3 iVm § 93 Abs. 2 AktG sein, wonach Aufsichtsratsmitglieder zum Ersatz verpflichtet sind, wenn sie eine unangemessene Vergütung festsetzen. Diese Norm ist auch dann einschlägig, wenn die Vergütung nach § 87 Abs. 2 AktG herabgesetzt wird.28 Da dieser Tatbestand aber durch eine Reihe unbestimmter Rechtsbegriffe geprägt ist (unbillig; angemessene Höhe), leuchtet es jedem ein, dass der Aufsichtsrat nicht schon dann haften kann, wenn er nicht auf Heller und Pfennig genau mit der Einschätzung des Gerichts konform geht. Für die Befürworter einer

25   BVerwG NJW 2012, 2054 Rn. 6; BVerwGE 153, 48 Rn. 9 = NVwZ 2016, 1262; Aschke in BeckOK VwVfG, 39. Edition, Stand 1.4.2017, § 40 VwVfG Rn. 108 ff., 115 ff. 26   Vgl. BVerwGE 156, 148 Rn. 34 f. = NVwZ 2017, 160; Schmidt-Aßmann/Schenk in Schoch/Schneider/Bier VwGO, 23. EL, Januar 2012, Einl Rn. 188; Pernice-Warnke, WissR 47 (2014), 371, 377 ff. 27   Hauger/Palzer, ZGR 2015, 33, 47 f.; Langenbucher (Fn. 16) S. 340. 28   Hüffer/Koch (Fn. 11) § 116 Rn. 18; Spindler in Spindler/Stilz AktG, 3. Aufl., 2015, § 116 Rn. 56; Bauer/Arnold, AG 2009, 717, 730 f.; Diller, NZG 2009, 1006, 1009.

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Legal Judgment Rule ist die Sache danach klar: Auch die Herabsetzung nach § 87 Abs. 2 AktG muss § 93 Abs. 1 S. 2 unterfallen.29 Der II. Zivilsenat ist dieser Einschätzung unter dem Vorsitz von Alfred Bergmann nicht gefolgt, und warum er das nicht getan hat, wird klar, wenn man sich die andersgeartete Klagesituation vor Augen führt, über die er zu entscheiden hatte. In dem hier interessierenden Kern kann sie in stark vereinfachter Form auf folgende Gestaltung zusammengekürzt werden: Die X-AG ist in eine Krise geraten. Der Vorstandsvorsitzende V erhält ein reguläres Fixgehalt von 1 Mio. € pro Jahr. Der Aufsichtsrat setzt sein Gehalt nach § 87 Abs. 2 AktG auf 300.000 € herab. V hält das für unangemessen und klagt. Darf Richter R die Festsetzung des Aufsichtsrats korrigieren, wenn er selbst nur eine Herabsetzung auf 500.000 € für angemessen hält? Es ging in dieser Konstellation also nicht um die Haftung des Aufsichtsrats, sondern um den Bestand seiner Entscheidung. Würde es sich bei der Herabsetzung um einen Fall des § 93 Abs. 1 S. 2 AktG handeln, müsste das Gericht auch hier die Einschätzungsprärogative des Aufsichtsrats respektieren und dürfte sie nur dort korrigieren, wo eine gänzlich unverantwortliche Entscheidung getroffen wurde. Dass das nicht richtig sein kann, erschließt sich, wenn man sich in die Position des klagenden Vorstandsmitglieds hineinversetzt. Es liegt auf der Hand, dass die Ausgestaltung seiner Rechtsposition in einem kontradiktorischen Verfahren nicht in das Ermessen des Prozessgegners gestellt werden kann. Selbstverständlich muss die Rechtsfindung in dieser Situation dem Gericht vorbehalten bleiben und das ist nicht der Fall, wenn man eine Legal Judgment Rule analog § 93 Abs. 1 S. 2 AktG konstruiert. Diese Konsequenz hat auch der II. Zivilsenat gezogen und ein Ermessen des Aufsichtsrats verneint.30 Ist damit zugleich auch im erstgenannten Beispiel die unliebsame Folge verbunden, dass der Aufsichtsrat für eine Einschätzung, die von der des Gerichts abweicht, haften muss? Dieses Schreckensszenario, das von den Befürwortern einer Legal Judgment Rule immer wieder an die Wand gemalt wird, tritt deshalb nicht ein, weil als weiterer Prüfungspunkt einer Haftung nach § 93 Abs. 2 AktG auch zu untersuchen ist, ob den Entscheidungsträger ein Verschulden trifft. Ein Aufsichtsrat, der sich auf der Grundlage angemessener Informationen um eine sachgerechte Einschätzung bemüht hat, hat ohne ein solches Verschulden gehandelt, so dass ihn auch im ersten Fallbeispiel keine Haftung trifft. Das ist die Lösung des II. Zivilsenats, die 29   Vgl. etwa Fleischer (Fn. 7) § 87 Rn. 66; Schwennicke in Grigoleit AktG, 2013, § 87 Rn. 41; Seibt in K. Schmidt/Lutter AktG, 3. Aufl., 2015, § 87 Rn. 19a; Oetker, ZHR 175 (2011), 527, 540; Seibert in FS Hüffer, 2010, S. 953, 962 f.; Spindler, DB 2015, 908, 910. 30   BGHZ 207, 190 Rn. 45 f. = NJW 2016, 2136; s. auch Hüffer/Koch (Fn. 11) § 87 Rn. 27; Kort in Großkomm AktG, 5. Aufl., 2015, § 87 Rn. 440 ff.; Kruse/Busold, DStR 2017, 1608, 1609.

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der Vorsitzende Alfred Bergmann auch auf der VGR-Tagung im Jahr 2015 noch einmal näher erläutert hat. Während der Diskutant von Falkenhausen annahm, die Einholung von Rechtsrat sei bereits auf Ebene der Pflichten des Vorstands zu berücksichtigen, stellte Bergmann klar, dass der Senat Rechtsirrtümer des Vorstands dogmatisch beim Verschulden verankert sehe.31 4.  Einwände gegen die Zuordnung zur Verschuldensebene Von den Befürwortern einer Legal Judgment Rule wird dieser Einordnung entgegengehalten, dass es nicht sachgerecht sei, wenn die Rechtsordnung einem Entscheidungsträger, der sich nach bestem Wissen und Gewissen um eine sachgerechte juristische Einschätzung bemüht habe, ein pflichtwidriges Verhalten attestiere.32 Tatsächlich habe eine solche Einordnung auch handfeste negative Folgen, weil die Feststellung einer Pflichtwidrigkeit eine Abberufung nach § 84 Abs. 3 AktG rechtfertigen könne, die hier aber nicht angemessen sei.33 Der erste Einwand ist terminologisch ohne weiteres nachvollziehbar. An das daraus resultierende Störgefühl sollte sich aber jedermann, der sich seit 2002 mit dem Bürgerlichen Recht auseinandergesetzt hat, mittlerweile gewöhnt haben.34 Seit der Schuldrechtsreform hat die Feststellung der Pflichtwidrigkeit nichts mehr mit einem persönlichen Vorwurf zu tun, sondern umschreibt lediglich die Feststellung, dass eine rechtlich gebotene Leistung im Ergebnis nicht den Soll-Anforderungen genügt.35 Um diese abstrakte Formulierung zu veranschaulichen, sei folgendes Beispiel genannt: Wenn X dem Y seine Yacht verkauft und noch vor der Übereignung der Blitz einschlägt und die Yacht versinkt, dann hat X nach der Systematik des BGB pflichtwidrig gehandelt, auch wenn er „nichts dafür kann“. Es genügt, dass das objektiv vorgegebene Pflichtenprogramm nicht erfüllt wurde. Auf die fehlende Vorwerfbarkeit wird erst beim Vertretenmüssen Rücksicht genommen. Wer diesen gesetzlichen Sprachgebrauch verinnerlicht hat, der hat keine Probleme damit, dem Entscheidungsträger auch in den hier behandelten Fällen eine Pflichtwidrigkeit zu attestieren. In dieser Situation muss der Vorstand auch nicht befürchten, nach § 84 Abs. 3 AktG abberufen zu werden, weil diese Vorschrift nicht nur eine Pflichtwidrigkeit voraussetzt, sondern   VGR, GesR in der Praxis 2015, 2016, Diskussionsbericht Wentzell, S. 17, 21; ähnlich schon Bergmann (Fn. 16) S. 11. 32   Vgl. zu diesem Unbehagen etwa Ott, ZGR 2017, 149, 159: „Mit dem Stigma des möglichen Pflichtverstoßes belastet“. 33   Vgl. zu diesem Argument etwa Ihrig, WM 2004, 2098, 2102; Seibt, NZG 2015, 1097, 1100 f. 34   Vgl. zum Folgenden schon J. Koch, NZG 2014, 934, 939 Fn. 53; zust. Holle, AG 2016, 270, 277. 35   Vgl. dazu statt aller Ernst in MünchKommBGB, 7. Aufl., 2016, § 280 Rn. 15 ff. 31

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eine grobe Pflichtwidrigkeit, an der es fehlt, wenn der Entscheidungsträger sich um eine sorgfältige Abwägung bemüht hat.36 Eine Verortung auf der Verschuldensebene führt also in beiden Konstellationen zu einem sachgerechten Ergebnis.

IV.  Ursachen und Folgen der fortdauernden Fehlkonstruktion 1.  Rezeptionswiderstände in der Praxis Das größte Mysterium, das die Legal Judgment Rule umgibt, liegt in ihrer unkaputtbaren Langlebigkeit. Wenn der Verfasser dieser Zeilen sich einleitend vorgenommen hat, die Legal Judgment Rule in die Wolfsschlucht zu befördern, könnte man ihm entgegenhalten, dass der II. Zivilsenat unter seinem Vorsitzenden Alfred Bergmann diese Aufgabe schon vor langer Zeit erledigt habe. Dieser Einwand ist sehr berechtigt, aber wer die einschlägigen Veröffentlichungen verfolgt und wer insbesondere anwaltliche Schriftsätze studiert, wird feststellen, dass diese Fehlkonstruktion einfach nicht totzukriegen ist. Obwohl die Existenz einer Legal Judgment Rule schon in den Gesetzesmaterialien ausgeschlossen wurde, obwohl der BGH in mehreren Entscheidungen den Rechtsirrtum auf der Verschuldensebene angesiedelt hat37 und mehrere Senatsmitglieder in einzelnen Stellungnahmen diese Einordnung immer wieder bekräftigt haben,38 wollen viele von der Legal Judgment Rule nicht Abschied nehmen. Wenn man sich vor Augen führt, wie seismographisch die Praxis in anderen Zusammenhängen auf kleinste Fingerzeige in der höchstrichterlichen Rechtsprechung reagiert, reibt man sich verblüfft die Augen, wie hartnäckig an dieser Konstruktion festgehalten wird. Diese Hartnäckigkeit ist umso erstaunlicher, als nicht recht ersichtlich ist, welche Vorzüge damit verbunden sein sollen.39 In den praktisch relevanten Haftungsfällen gelangen beide Auffassungen zu denselben Ergebnissen (dazu im Folgenden unter VI). Unterschiede können sich im Wesentlichen nur in Inter- und Intraorganstreitigkeiten ergeben, wenn etwa ein einzelnes Organmitglied eine vom Gesamtorgan getroffene Entscheidung als rechtswidrig erachtet und dies durch eine Feststellungsklage geltend machen möchte.40 Aber ist es denn tatsächlich so, dass sich große Mengen von Inter- und Intra  Vgl. zu dieser Handhabung auch Hüffer/Koch (Fn. 11) § 93 Rn. 13; Harnos (Fn. 16) S. 150 ff.; Holle, AG 2016, 270, 277; Verse, ZGR 2017, 174, 192. 37   BGH AG 2011, 876 Rn. 16; BGH NZG 2015, 792 Rn. 28. 38   Vgl. aus den Nachw. in Fn. 16 insb. die Beiträge von Bergmann, Born, Strohn und Henze/Born/Drescher sowie den VGR-Diskussionsbeitrag von Bergmann (Nachw.: Fn. 31). 39   Vgl. auch Verse, ZGR 2017, 174, 192: „für den Geschäftsleiter praktisch bedeutungslos“. 40   Vgl. zu solchen Klagekonstellationen Hüffer/Koch (Fn. 11) § 108 Rn. 35 ff. 36

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organstreitigkeiten auf den Schreibtischen der Praktiker stapeln? Tatsächlich sind solche Klagen – wie die Gerichtspraxis zeigt – außerordentlich selten. Es sind die Haftungsklagen, die das Geschehen dominieren. Hier sind die Rezeptionswiderstände gegen Gesetzgeber und Rechtsprechung aber kaum zu erklären. Am ehesten dürfte sich dieses Phänomen aus der herkömmlichen Choreographie eines Anwaltsschriftsatzes erklären, die zumeist darauf abzielt, jede Voraussetzung eines Haftungstatbestands zu bestreiten und nicht darauf zu vertrauen, dass die letzte Voraussetzung – in diesem Fall das Verschulden – dem Mandanten den gebotenen Schutz verschaffen werde. Hinzutreten mag ein Kommunikationsproblem mit dem Mandanten, dem es nicht zu vermitteln sein mag, dass er auch bei gewissenhaftester Entscheidungsfindung nicht davor gefeit ist, dass ihm ein Gericht ein pflichtwidriges Verhalten attestiert.41 Wenn aber im Gefolge der Schuldrechtsreform die gesamte Zivilrechtsordnung mit diesem Kommunikationsproblem beschwert ist, dann ist es nicht recht einsichtig, warum davon für Vorstände eine Ausnahme gemacht werden soll, und zwar insbesondere dann nicht, wenn damit dogmatische Kollateralschäden einhergehen, die eine Rechtsordnung nicht hinnehmen kann. 2.  Folgeschäden der Falschetikettierung Ein weiterer Grund für das Festhalten an der Legal Judgment Rule könnte in der Befürchtung liegen, die Rechtsprechung könne an einen entschuldigenden Rechtsirrtum ähnlich strenge Maßstäbe anlegen, wie sie es in anderen Bereichen des Zivilrechts getan hat.42 Dort wird einem solchen Irrtum nur sehr selten eine entschuldigende Wirkung beigemessen,43 was in der Tat den hier in Frage stehenden Fallkonstellationen kaum gerecht würde. Gerade an diesem Punkt zeigt sich aber, welchen Schaden diese Fehlkonstruktion mit sich bringt. Das eigentliche Ärgernis an der Legal Judgment Rule liegt darin, dass ihre Befürworter ein ausgesprochen berechtigtes Anliegen verfolgen, dessen juristische Aufarbeitung aber seit vielen Jahren nur in kleinen Schritten vorankommt, weil es unter dem unzutreffenden Etikett der Legal Judgment Rule oder sonstigen Ermessensspielräumen vermarktet wird. Aus diesem Grund ist es bis heute nicht gelungen, klar zu umreißen, wo einem Vorstand eine rechtliche Fehleinschätzung haftungsrechtlich zum Vorwurf gemacht werden kann und wo dies nicht der Fall ist. Erst wenn die Legal Judgment Rule in der Wolfsschlucht endlich ihren letzten Atemzug getan hat, wird es gelingen, verlässlichere Standards zu formulieren, die sich in die 41  Deutlich Hasselbach/Ebbinghaus, AG 2014, 873, 877: „keinem Manager begreiflich zu machen“. 42   Vgl. etwa die Befürchtung von Hasselbach/Ebbinghaus, AG 2014, 873, 878. 43   Einzelheiten unter V 1.

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Rechtsprechung des II. Zivilsenats einfügen und dazu nicht von vornherein im Widerspruch stehen.

V.  Weichenstellung durch die ISION-Entscheidung 1.  Grundlegende Feststellungen Tatsächlich hat der II. Zivilsenat bereits Wege aufgezeigt, wie das Risiko einer fehlerhaften Rechtsermittlung zwischen Gesellschaft und Geschäftsleiter aufzuteilen ist. Zu nennen ist insofern namentlich die ISION-Entscheidung.44 Auch wenn die dort formulierten Anforderungen in einzelnen Passagen auf Kritik gestoßen sind,45 ist ihnen doch eine grundsätzliche Festlegung zu entnehmen, die in der Praxis durchaus für Entwarnung hätte sorgen können. Obwohl der BGH die Frage der juristischen Fehlbeurteilung der Verschuldensebene zuordnet, machen die einzelnen Verhaltensvorgaben doch deutlich, dass er damit keinesfalls die strengen Anforderungen, die im Bereich zivilrechtlicher Vertragspflichten angelegt werden,46 auf den Vorstand überträgt.47 Nach diesen Maßstäben wäre ein Geschäftsleiter nämlich nicht mit dem Argument durchgedrungen, er sei bei der Bildung der eigenen Rechtsauffassung mit gehöriger Sorgfalt vorgegangen,48 sondern es gilt bis heute die Formel, dass der Handelnde nur dann entlastet werde, wenn er mit seinem Unterliegen im Rechtsstreit nicht zu rechnen brauchte.49 In der ISION-Entscheidung hat der BGH eine solche Entschuldigung aber zugelassen und ihre Voraussetzungen näher umrissen.50 2.  Unterscheidung zwischen Innen- und Außenverhältnis Den Grund für diese abweichende Handhabung hat das Gericht nicht klar benannt, doch ist im Schrifttum herausgearbeitet worden, dass dafür eine Differenzierung maßgeblich sein dürfte, die schon bislang in der Judikatur   BGH AG 2011, 876 Rn. 16 ff.   Zusammenfassender Überblick bei Hüffer/Koch (Fn. 11) § 93 Rn. 43 ff. 46   Vgl. dazu etwa BGH NJW 1951, 398; BGH NJW 1983, 2318, 2321; BGH NJW 2006, 3271, 3272 f. und die zusammenfassende Darstellung von Harnos (Fn. 16) S. 257 ff. mwN auch zu den krit. Gegenstimmen. 47   Vgl. dazu schon Hüffer/Koch (Fn. 11) § 93 Rn. 44a. 48   Vgl. etwa BGH NJW 1951, 398; BGH NJW 1972, 1045, 1046; BGHZ 131, 346, 354 = NJW 1996, 1216, 1218. 49   BGH NJW 1951, 398; ähnlich schon RGZ 92, 376, 379. 50   Als unglücklich ist daher die auch in der ISION-Entscheidung anzutreffende Formulierung anzusehen, wonach den Vorstand grundsätzlich das Risiko treffe, die Rechtslage zu verkennen (BGH AG 2011, 876 Rn. 16; aufgegriffen in BGH NZG 2015, 792 Rn. 28; zu Recht krit. dagegen Cahn, Der Konzern 2015, 105, 106 ff.; Engert in GS Unberath, 2015, S. 91, 110 mit Fn. 59; Holle, AG 2016, 270, 278; Verse, ZGR 2017, 174, 186 Fn. 43). 44 45

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einzelner Senate angelegt war, nämlich die Unterscheidung zwischen Innenund Außenverhältnis.51 Tatsächlich hat der BGH die herkömmlich strengen Maßstäbe stets nur dort angewandt, wo es um die juristische Beurteilung im Rahmen des zivilrechtlichen Außenverhältnisses geht, namentlich zu einem externen Vertragspartner oder einem Deliktsgeschädigten. In diesem Verhältnis wurde der strenge Ansatz damit begründet, dass derjenige, der seine Interessen trotz zweifelhafter Rechtslage auf Kosten fremder Rechte wahrnehme, das Risiko der Fehleinschätzung nicht dem Verletzten zuschieben könne.52 Auf das Innenverhältnis eines Geschäftsführers zum Geschäftsherrn passt diese Argumentation nicht, weil er nicht im eigenen Interesse tätig wird, sondern Interessen Dritter wahrnimmt. Ihnen gegenüber kann sich die Abstandnahme von einem Geschäft ebenso als Pflichtverletzung darstellen wie dessen Vornahme.53 Diesen Unterschied hat der BGH in einer Entscheidung zum Verwalter einer Wohnungseigentümergemeinschaft ausführlich ausgearbeitet und damit eine großzügigere Enthaftung begründet.54 Welche Maßstäbe in einem solchen Fall für die irrtümliche Rechtsverletzung im Innenverhältnis gelten sollen, hat er aber nicht näher ausbuchstabiert, sondern sich mit der Feststellung begnügt, es genüge, wenn der fremde Interessenwalter seinen Rechtsstandpunkt mit der gehörigen Sorgfalt gebildet habe.55

VI.  Stolperfallen auf dem Weg zur Rechtsermittlung 1.  Rechtsermittlung und Rechtsbefolgung An dieser Stelle setzt die ISION-Entscheidung an und klärt darüber auf, welche Anforderungen an eine sorgfältige Prüfung zu stellen sind.56 Auch damit geht allerdings noch keine vollständige Klärung einher, weil die ISION-Entscheidung nur eine Station in der rechtlichen Beurteilung betrifft, nämlich die Rechtsermittlung. Es geht dort ausschließlich um die Frage, welche Anstrengungen vorzunehmen sind, um die Rechtslage herauszuarbeiten. Die auch nach der ISION-Entscheidung verbleibenden Schwierigkeiten setzen dort ein, wo die Rechtsermittlung zu keinem eindeutigen Ergebnis gelangt, sondern mehrere Deutungen möglich bleiben. Diese Situation tritt sehr häufig ein. Die Rechtswissenschaft ist keine exakte Wissenschaft, son  Vgl. zum Folgenden Holle AG 2016, 270, 278 ff.; zust. Engert (Fn. 50) S. 110 mit Fn. 59; Verse, ZGR 2017, 174, 187 f. 52   BGH NJW 1972, 1045, 1046. 53   BGHZ 131, 346, 354 = NJW 1996, 1216. 54   BGHZ 131, 346, 354 f. = NJW 1996, 1216. 55   BGHZ 131, 346, 354 f. = NJW 1996, 1216. 56   BGH AG 2011, 876 Rn. 16 ff. – sinnvoll präzisiert in BGH NZG 2015, 782 Rn. 28 ff. Überblick über den Meinungsstand und verbleibende Restunschärfen bei Hüffer/Koch (Fn. 11) § 93 Rn. 43 ff. 51

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dern das Handwerkszeug des Juristen ist die Sprache, so dass die Ambivalenz des Wortes, und zwar namentlich des verallgemeinerungsfähigen abstrakten Begriffs, eine zweifelsfreie Ausdeutung des Normenbestands meist nicht zulässt. Verstärkt wird diese Unsicherheit durch die fehlende Präzedenzbindung der Gerichte und die aus Haftungsgründen nachvollziehbare Tendenz der Rechtsberater, eher eine juristische Prognoseeinschätzung abzugeben als eine klare Handlungsempfehlung. In vielen Fällen wird die Beratung die Unsicherheit deshalb nicht beseitigen, sondern sie lediglich auf ein höheres Niveau heben. 2.  Ansätze zur Vermessung der Rechtsbefolgungspflicht in Gesetz und Rechtsprechung In dieser Situation hilft die Rechtsprechung des II. Zivilsenats nicht weiter und deshalb setzt an dieser Stelle der verbleibende Streit ein, welche Anforderungen an den Geschäftsleiter zu stellen sind.57 Zum Teil wird dieser Spielraum weit gezogen und dem Vorstand gestattet, jeden Standpunkt einzunehmen, der nicht geradezu unvertretbar ist.58 Nach einer Gegenauffassung, die mit unterschiedlichen Detailabweichungen vertreten wird, soll der Geschäftsleiter auf der Grundlage des Meinungsstands in Rechtsprechung und Schrifttum zu ermitteln suchen, welcher Auffassung ein Gericht wahrscheinlich folgen wird.59 In eine ähnliche Richtung geht die Forderung, der Vorstand müsse sich darum bemühen, die am besten vertretbare Rechtsauffassung zu ermitteln;60 das Gleiche gilt für die These, wonach er sich im System beweglicher Schranken zumindest dort an der herrschenden Meinung zu orientieren habe, wo eine gefestigte Rechtsprechung erkennbar sei.61 Die strengste Meinung will den Vorstand verpflichten, den sichersten Weg einzuschlagen und bei nicht zuverlässig auszuräumenden Zweifeln von der Maßnahme Abstand zu nehmen.62 Zu dieser Vielzahl von Ansätzen Stellung zu beziehen, fällt deshalb nicht leicht, weil es an juristischen Wegmarken fehlt, an denen sich die Beurteilung 57   Umfassender und detaillierter Überblick über den Streitstand bei Verse, ZGR 2017, 174 ff. 58   Spindler (Fn. 16) § 93 Rn. 83; ders. in FS Canaris, Bd. 2, 2007, S. 403, 421; Bachmann, WM 2015, 105, 109; Binder/Kraayvanger, BB 2015, 1219, 1222; Seibt/Wollenschläger, ZIP 2014, 545, 553; Zimmermann, WM 2008, 433, 435. 59   Hüffer/Koch (Fn. 11) § 93 Rn. 45a; Buck-Heeb, BB 2013, 2247, 2256; Holle AG 2016, 270, 279; Verse, ZGR 2017, 174, 188 ff. 60   Langenbucher ZBB 2013, 16, 22 f. 61   Drehers in FS Konzen, 2006, S. 85, 93. 62   Arden, Haftung der Geschäftsleiter und Aufsichtsratsmitglieder bei unklarer Rechtslage, 2018, S. 166 f.; H.-F. Müller DB 2014, 1301, 1306; vgl. auch U. Schmidt in Heidel, AktR, 4. Aufl., 2014, § 93 Rn. 13, der es aber an anderer Stelle genügen lässt, wenn die für die Gesellschaft günstigste Ansicht zugrunde gelegt wird.

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orientieren könnte. Das Gesetz sieht als Handreichung nur den Sorgfaltsmaßstab des § 276 Abs. 2 BGB vor, der für Detailableitungen wenig Anhaltspunkte bietet. Notgedrungen können sich die einzelnen Meinungsgruppen daher im Wesentlichen nur auf allgemeine Gerechtigkeits- und Zweckmäßigkeitserwägungen stützen, die kaum dazu angetan sind, in Zweifelsfällen eine trennscharfe Grenzziehung zu ermöglichen. Wer nach einer belastbareren Grundlage Ausschau hält, wird sie unterhalb der Gesetzesebene am ehesten in der höchstrichterlichen Rechtsprechung suchen. Auch hier lässt sich der BGH-Rechtsprechung der Zivilsenate in der Innenverhältniskonstellation aber allenfalls die Tendenz entnehmen, sie weniger streng zu handhaben als die Außenverhältniskonstellation. Klare formulierte Maßstäbe sind dagegen nicht erkennbar. Um der juristischen Beurteilung dennoch ein tragfähigeres Fundament zu legen, hat deshalb in einem neueren Beitrag Dirk Verse mit gewichtigen Argumenten dafür plädiert, den reichthaltigeren Meinungsfundus des Straf- und Ordnungswidrigkeitenrechts heranzuziehen, um auch die zivilrechtlichen Standards mit Inhalt zu füllen.63 Diesem Ansatz soll im Folgenden nachgegangen werden. Dazu soll zunächst untersucht werden, ob die strafrechtlichen Wertungsgrundlagen auch auf die Entscheidungssituation eines Geschäftsleiters passen, um sodann die Frage zu klären, ob sie auch mit sonstigen aktienrechtlichen Grundwertungen in Einklang stehen. 3.  Wertungstransfer aus dem Straf- und Ordnungswidrigkeitenrecht a)  Ansatzpunkte in der strafrechtlichen Diskussion Tatsächlich haben sich die Vertreter des Straf- und Ordungswidrigkeitenrechts schon eingehender als das Zivilrecht mit der Frage beschäftigt, wann ein Rechtsirrtum die Vorwerfbarkeit der Tathandlung beseitigen kann.64 Dort wird in den hier einschlägigen Fällen, die mit dem Begriff des „bedingten Unrechtsbewusstseins“ bzw. des „Unrechtszweifels“ umschrieben werden, von einer verbreiteten Auffassung angenommen, dass der Täter dann zu entschuldigen sei, wenn er seinen Rechtsstandpunkt mit der gebotenen Sorgfalt ermittelt habe, es im Lichte der höchstrichterlichen Rechtsprechung und des Meinungsstands im Schrifttum für wahrscheinlich halten dürfe, dass die Rechtmäßigkeit seines Handelns bestätigt werde und es ihm in der konkreten Entscheidungssituation auch nicht zumutbar gewesen sei, auf die fragliche Handlung zu verzichten.65 Das Zumutbarkeitsurteil wird überwiegend davon abhängig gemacht, wie groß die Nachteile sind, die dem Täter drohen,   Verse, ZGR 2017, 174, 181 ff.  Monographisch zur bereichsübergreifenden Systembildung schon Harnos (Fn. 16) S. 264 ff. 65   OLG Bremen NJW 1960, 163, 164; OLG Stuttgart NJW 2008, 243, 245; Joecks in MüKoStGB, 2. Aufl., 2011, § 17 Rn. 25 f., 54 f.; Rengier in Karlsruher Komm OWiG, 63 64

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wenn er die Handlung unterlässt, und wie wahrscheinlich es ist, dass sich die Handlung als rechtmäßig bzw. rechtswidrig erweist.66 Verse ergänzt im Anschluss an Roxin noch das weitere Kriterium, wie schwer die Rechtsgutsverletzung ist, die der Handelnde möglicherweise herbeiführt.67 Für das Gesellschaftsrecht zieht Verse aus diesen Kriterien in einem ersten Schritt die Folgerung, dass jedenfalls bei einem Regress für straf- und ordnungswidrigkeitenrechtliche Verstöße keine unterschiedlichen Maßstäbe gelten können, weil sonst an ein einheitliches Handeln unterschiedliche Verhaltensstandards herangetragen würden, deren Anreizwirkungen in Konflikt gerieten.68 In einem zweiten Schritt schlägt er vor, die strafrechtlich geprägten Ansätze auch auf andere Haftungskonstellationen ohne sanktionsrechtlichen Bezug zu transponieren, weil sie in verallgemeinerungsfähiger Form das abbildeten, worum es in der rechtlichen Grauzone einer unklaren Rechtslage gehe: Es solle das öffentliche Interesse an der Einhaltung der Gesetze mit der Handlungsfreiheit des Normadressaten zu einem angemessenen Ausgleich gebracht werden.69 b)  Vergleichbarkeit der zivil- und strafrechtlichen Ausgangslage? Für eine solche Einheitslösung spricht viel,70 doch ist sie auch nicht selbstverständlich. Es fehlt bereits an einem klar umrissenen strafrechtlichen Referenzmodell, da die Strafsenate des BGH sich diese Auffassung bislang nicht zu eigen gemacht haben.71 Auch kann die Vergleichbarkeit der zivil- und strafrechtlichen Entscheidungssituation unter vielerlei Gesichtspunkten mit einem Fragezeichen versehen werden: So kann etwa der besonders einschneidende pönale Charakter einer Sanktion dafür sprechen, im Strafrecht mildere Maßstäbe als im Zivilrecht anzulegen.72 Gerade umgekehrt könnte der fremd-

4. Aufl., 2014, § 11 Rn. 54; Vogel in Leipziger Komm StGB, 7. Aufl., 37. Lfg., 2002, § 17 Rn. 13; ausf. Darstellung bei Harnos (Fn. 16) S. 264 ff. 66   OLG Stuttgart NJW 2008, 243, 245; Vogel (Fn. 65) § 17 Rn. 69; Roxin, Strafrecht Allgemeiner Teil, Band I, 4. Aufl., 2006, § 21 Rn. 34. 67   Roxin (Fn. 66) § 21 Rn. 34; zust. Verse, ZGR 2017, 174, 183. 68   Verse, ZGR 2017, 174, 186 ff. 69   Verse, ZGR 2017, 174, 188 ff. 70   Vgl. zu solchen Vereinheitlichungstendenzen auch die derzeit angestellten Überlegungen, die ISION-Kriterien in das Strafrecht zu übertragen – s. dazu Eidam, ZStW 2015, 120, 141 f. 71   Vgl. etwa die strengeren Maßstäbe in BGHSt 27, 196, 202 = NJW 1977, 1784; BGH NStZ 1996, 338; dagegen tendiert BGH NJW 2007, 3078 Rn. 8 jedenfalls für Fälle einer „extrem unklaren Rechtslage“ in die Richtung der dargestellten Schrifttumsauffassung. 72   Auch diese Stufung ist allerdings nicht zweifelsfrei, wenn es um Fälle des Ordnungswidrigkeitenrechts geht, weil eine Geldbuße den Handelnden keinesfalls zwangsläufig mehr belastet als eine zivilrechtliche Ersatzfolge.

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nützige Charakter der Geschäftsführung dafür sprechen, im gesellschaftsrechtlichen Binnenverhältnis großzügiger zu sein (vgl. dazu die Ausführungen unter V 2). Versucht man den Wertungstransfer aus dem Strafrecht also in der Erwartungshaltung zu vollziehen, es könne in einer analogieähnlichen Situation die strafrechtliche Wertung auf den exakt vergleichbaren zivilrechtlichen Fall transponiert werden, stößt man auf konstruktive Widerstände. c)  Verschuldensprinzip zwischen Rechtsschutz und persönlicher Freiheit Und doch ist der Auffassung Verses zu folgen, weil er mit dem Wahrscheinlichkeitsmaßstab aus ex-ante-Perspektive auf eine grundlegende Wertung gestoßen ist, die bereichsübergreifende Gültigkeit beansprucht. Sie ist darin zu finden, dass Verhaltensstandards so umschrieben sein müssen, dass für die bestmögliche Einhaltung des Gesetzes Sorge getragen wird, ohne dass die Normadressaten gezwungen werden, einen breiten Sicherheitsabstand73 zu den gesetzlichen Vorgaben einzuhalten, um jeder Haftungs- oder Sanktionsgefahr zu entgehen. Es ist gerade die Aufgabe des Verschuldensprinzips, die persönliche Freiheit und damit auch die unternehmerischen Handlungsspielräume zu sichern, die ein Wirtschaftsakteur benötigt, um erfolgreich am Markt agieren zu können.74 Ungeachtet der Frage, ob dieser Maßstab für das Strafrecht tatsächlich flächendeckend das Richtige trifft, passt er deshalb doch jedenfalls auf den Geschäftsleiter einer Gesellschaft. Dieser stellt eben nicht seine Interessen über die eines anderen, sondern ist fremdnützig für einen anderen tätig und wird dabei oftmals in eine rechtfertigende Pflichtenkollision geraten, weil sich ein Unterlassen einer im Gesellschaftsinteresse gebotenen Maßnahme als ebenso pflichtwidrig darstellen kann wie sein positives Tun. Jedenfalls für eine solche Situation der Pflichtenkollision ist der von Verse vorgeschlagene Maßstab im Strafrecht unumstritten75 und auch in der Sache einigermaßen alternativlos. Aber selbst wo eine solche Pflichtenkollision nicht vorliegt, trifft der Wahrscheinlichkeitsmaßstab das Richtige. Wollte man mehr als eine sorgfältige Prüfung auf der Grundlage des bestehenden Meinungsstands verlangen, müsste das darauf hinauslaufen, dem Geschäftsleiter entsprechend den strengen zivilrechtlichen Maßstäben das Auslegungsrisiko aufzuerlegen. Gerade das hat der BGH für das Innenverhältnis fremdnütziger Verwaltungstätigkeiten aber verworfen und diesen Maßstab auch der ISION-Entscheidung

  Verse, ZGR 2017, 174, 183.   Benöhr, TVR 46 (1978), 1, 11 ff.; v. Caemmerer, Reform der Gefährdungshaftung, 1971, S. 11; ders., RabelsZ 42 (1978), S. 5, 24; Deutsch in FS Honig, 1970, S. 33, 39; Harnos (Fn. 16) S. 294. 75   Vgl. etwa Joecks (Fn. 65) § 17 Rn. 25 f.; Roxin (Fn. 66) § 21 Rn. 31 – jeweils mwN. 73 74

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augenscheinlich nicht zugrunde gelegt.76 Legt man stattdessen herkömmliche Sorgfaltsstandards an, drängt sich ein Wahrscheinlichkeitsmaßstab geradezu auf. d)  Der Wahrscheinlichkeitsmaßstab im Lichte des Meinungsstands Eine Bestätigung findet dieser Befund in dem Umstand, dass auch die Vertreter des Schrifttums ungeachtet aller Differenzen im dogmatischen Ausgangspunkt und in der Begrifflichkeit sich in der Sache mittlerweile doch ganz überwiegend ebenfalls einem solchen Wahrscheinlichkeitsmaßstab angenähert haben. Angesichts des oben dargestellten vielstimmigen Meinungsstands mag diese Aussage zunächst überraschen, doch nimmt man die einzelnen Aussagen genauer in den Blick, dann stellt man fest, dass es sich um eine der vielen Auseinandersetzungen handelt, in denen heftiger Streit zwischen Autoren herrscht, die in der Sache gar nicht weit auseinanderliegen. Als Ursprung vieler Missverständnisse erweist sich der Begriff der Vertretbarkeit, der mit sehr unterschiedlichen Inhalten gefüllt werden kann. Im Rahmen der juristischen Ausbildung wird dieser Begriff so weit ausgedehnt, dass selbst gegen eine gefestigte Rechtsprechung und herrschende Schrifttumsmeinung jede Rechtsposition eingenommen werden kann, die auch nur einen Hauch von Plausibilität in sich trägt. Ein solcher Maßstab ist hier selbstverständlich zu verwerfen. Wer dem Geschäftsleiter eine solche „Hörsaalvertretbarkeit“ einräumen wollte, würde die Rechtsanwendung gänzlich in das Belieben der Rechtsunterworfenen legen. Tatsächlich wird ein derart weit gefasster Vertretbarkeitsbegriff aber auch von kaum einem Autor zugrunde gelegt, sondern in fast allen Veröffentlichungen, die sich ausführlicher zu der Frage äußern, wird doch zumindest die Leitbildfunktion einer höchstrichterlichen Rechtsprechung nicht in Frage gestellt und auch die Orientierung an einer deutlich herrschenden Schrifttumsmeinung zumeist anerkannt.77 Nur dort, wo sich das Meinungsbild verschwommener darstellt, begegnen Aussagen, dass der Geschäftsleiter eine für die Gesellschaft günstige Sichtweise zugrunde legen dürfe.78

76   Wenn man die Rechtsprechung des BGH genauer in den Blick nimmt, stellt man fest, dass er selbst für zivilrechtliche Pflichten im Außenverhältnis nicht mehr alternativlos daran festhält – vgl. etwa die Rspr. zu unberechtigten Schutzrechtsverwarnungen (BGHZ 164, 1, 6 ff. = NJW 2005, 3141) oder der unberechtigten Geltendmachung von vertraglichen Ansprüchen (BGH NJW 2008, 1147 Rn. 13); weitere Beispiele und Nachw. bei Harnos (Fn. 16) S. 278 ff. 77   Vgl. etwa V. Berger, Vorstandshaftung und Beratung, 2015, S. 352 ff.; Bürkle, VersR 2013, 792, 801; Hasselbach/Ebbinghaus, AG 2014, 873, 879; Thole, ZHR 173 [2009], 521, 524 f. 78   Vgl. etwa Mertens/Cahn in Kölner Komm AktG, 3. Aufl., 2010, § 93 Rn. 75; V. Berger (Fn. 77) S. 357.

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Dass die Befürworter einer Vertretbarkeitsthese dennoch verbreitet in diesem unhaltbar weiten Sinne verstanden werden, hat zu einem großen Teil auch hier wiederum mit der unglückseligen Berufung auf eine vermeintliche Legal Judgment Rule zu tun. Wenn man den dort geltenden Maßstab zugrunde legen wollte, dass der Vorstand nach Einholung der nötigen Informationen jeden Standpunkt einnehmen dürfe, der nicht „grob unvernünftig“ sei,79 dann könnte man daraus in der Tat ein solch großzügiges Verständnis des „anything goes“ folgern. Hier zeigt sich, dass eine Legal Judgment Rule nicht allein deshalb abzulehnen ist, weil sie den Rechtsirrtum auf der Ebene der Pflichtwidrigkeit verortet und damit die gerichtliche Überprüfbarkeit ohne Not und Rechtfertigung beschränkt. Auch eine rein haftungsrechtlich gedachte Legal Judgment Rule trifft nicht das Richtige, weil der Gesetzgeber die Einhaltung von Gesetzen nicht gleichermaßen zur Disposition des Geschäftsleiters stellen kann wie unternehmerische Entscheidungen.80 Anders als für unternehmerische Entscheidungen fehlen ihm dabei auch keineswegs Richtlinien und Maßstäbe, sondern der Vorstand kann sich an eine doch einigermaßen zuverlässige Reling klammern, wenn man die Wahrscheinlichkeitsprognose an der Rechtsprechung und herrschenden Meinung ausrichtet und Zweifelsfälle zu seinen Gunsten entscheidet (vgl. dazu im Folgenden unter VI 4). Auch die Unterschiede zu anderen Standpunkten innerhalb des Meinungsspektrums lösen sich bei näherer Betrachtung schnell auf. Das gilt etwa für die oft zur eigenständigen „Theorie der beweglichen Schranke“ erhobene Auffassung Drehers, die ganz in dem oben beschriebenen Sinne darauf hinausläuft, dass der Vorstand gebunden ist, wenn im Lichte des Meinungsstands erkennbar ist, welchen Verlauf ein Rechtsstreit voraussichtlich nehmen wird, aber großzügigere Maßstäbe eingreifen, wo das nicht der Fall ist. Ebenso dürfte auch die „Optimierungsthese“ Langenbuchers, wonach der Geschäftsleiter sich bemühen müsse, die „bestmögliche“ Rechtsauffassung zu ermitteln, nicht dahingehend zu verstehen sein, dass die beste juristische Qualität an objektiven Maßstäben zu messen sei (welche sollten das sein?). Vielmehr kann es hier – wie Langenbucher in einem späteren Beitrag auch klargestellt hat81 – allein darauf ankommen, dass die Rechtsfindung am Maßstab der Rechtsprechung und herrschenden Meinung ausgerichtet wird. Und schließlich wird auch von denjenigen, die vom Vorstand verlangen, den sichersten Weg einzuschlagen, ein Sorgfaltsverstoß verneint, wenn er sich dabei an einer klar herrschenden Meinung oder einer obergerichtlichen Rechtsprechung orientiert.82 Eine grundsätzliche Zuweisung des Irrtumsrisikos an den   Vgl. zu diesem Maßstab schon die Nachw. in Fn. 20.   Vgl. dazu auch Verse, ZGR 2017, 174, 189 mit Fn. 48. 81   Langenbucher (Fn. 16) S. 344. 82  Vgl. Arden (Fn. 62) S. 166. 79 80

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Vorstand nach den Maßstäben des zivilrechtlichen Außenverhältnisses wird dagegen von niemandem vertreten. e) Zwischenfazit Als Zwischenfazit kann daher festgestellt werden, dass der von Verse herangezogene Wahrscheinlichkeitsmaßstab nicht nur im Strafrecht auf dem Vormarsch ist, sondern jedenfalls für das Innenverhältnis zwischen Gesellschaft und Geschäftsleiter heute auch schon im Zivilrecht von einer ganz herrschenden Meinung getragen wird. Der insofern bestehende Grundkonsens wird durch eine zum Teil etwas verschwommene Begrifflichkeit und die irreführende Berufung auf eine Legal Judgment Rule verdeckt. Als gedanklichen Ausgangspunkt wird man deshalb diesen Maßstab zugrunde legen können, um den Blick auf die Details zu richten, wo dann in der Tat auch noch Differenzen innerhalb des Meinungsspektrums sichtbar werden. 4.  Die maßgeblichen Wertungen a)  Wahrscheinlichkeit als das maßgebliche Kriterium Folgt man deshalb der Weichenstellung Verses, so muss Ausgangspunkt der juristischen Beurteilung zunächst die Rechtsermittlung am Maßstab der ISION-Entscheidung sein (dazu oben unter V 1). Gelangt sie zu keinem eindeutigen Ergebnis, so darf der Vorstand die solchermaßen formulierte Prognose zumindest seiner Einschätzung zugrunde legen, wie wahrscheinlich es ist, dass ein Gericht den von ihm eingenommenen Rechtsstandpunkt bestätigt. Das Wahrscheinlichkeitsurteil wird er zunächst auf die obergerichtliche Rechtsprechung stützen,83 sodann auf das Meinungsbild im Schrifttum. Je undeutlicher und unausgereifter sich der Streitstand darstellt, desto eher wird man dem Vorstand auch das Recht einräumen können, den für die Gesellschaft günstigsten Standpunkt zugrunde zu legen.84 Selbstverständlich wird diese Einschätzung in vielen Fällen nicht eindeutig ausfallen, weil etwa die Meinungslager ähnlich groß sind, weil das Meinungsbild von interessengetriebenen Stellungnahmen geprägt wird85 oder weil die rein zahlenmäßige Addition dem unterschiedlichen qualitativen Gewicht der Beiträge nicht hinreichend Rechnung trägt. Trotz all dieser Rest­unschärfen ist aber festzustellen, dass selbst dort, wo es an höchstrichterlicher Rechtsprechung fehlt, in den Kommentaren doch meist Einhelligkeit besteht, wel-

83  Jedenfalls die entschuldigende Wirkung einer Orientierung an höchstrichterlichen Entscheidungslinien ist heute weitgehend anerkannt – vgl. dazu etwa Hüffer/Koch (Fn. 11) § 93 Rn. 45 ff. 84   Vgl. dazu schon die Nachw. in Fn. 78. 85   Vgl. zu diesem Phänomen etwa Fleischer, NZG 2018, 241, 248.

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che Standpunkte als herrschend bezeichnet werden können. Wo das nicht der Fall ist, wird man von annähernd gleicher Wahrscheinlichkeit ausgehen können und im Zweifel zugunsten des Rechtsanwenders entscheiden. Dagegen genügt es nicht, dass der Berater dem eigenen Schriftsatz die höchste Plausibilität attestiert und in den gängigen Floskeln zu dem Schluss gelangt, eine herrschende Meinung sei „nicht hinreichend durchdacht“, oder „in sich widersprüchlich“. Die nachvollziehbare Haftungsaversion der Entscheidungsträger wird zusätzlich dafür sorgen, dass die Wahrscheinlichkeitsprognose nicht zu großzügig ausfällt. b)  Korrektur bei Gefahren für hochwertige Rechtsgüter Entsprechend den strafrechtlichen Wertungen (dazu unter VI 3a) sollte neben dem Wahrscheinlichkeitsurteil auch der Rang der geschützten Rechtsgüter in die Betrachtung einfließen. Es entspricht gängiger ökonomischer Lehre, dass Wahrscheinlichkeiten nie isoliert betrachtet werden dürfen, sondern stets im Lichte der damit einhergehenden Risiken zu messen sind.86 Auch jenseits aller theoretischen Modelle leuchtet es ein, dass man eine Verletzungswahrscheinlichkeit von 50% in Kauf nehmen mag, wenn geringwertige Vermögenswerte auf dem Spiel stehen, nicht aber, wenn es um Leib und Leben geht. Je höherwertiger das bedrohte Rechtsgut ist, desto eher wird man vom Geschäftsleiter die Abstandnahme verlangen können. c)  Minderung des Sorgfaltsmaßstabs bei geringwertigen Rechtsgütern? Fraglich ist, ob man diese Überlegung in der Weise umkehren kann, dass man den Geschäftsleiter auch bei überwiegend hoher Verletzungswahrscheinlichkeit vom Verschuldensvorwurf befreit, wenn kein überragend wichtiges Rechtsgut betroffen ist, die Gesellschaft vom Verzicht auf die Handlung aber gravierend getroffen würde.87 Aus Gründen der Symmetrie neigt man dazu, diese Frage zu bejahen, und auch in der Sache spricht viel für eine Abwägung. Es bleibt aber zu fragen, wie dies mit dem Legalitätsprinzip zu vereinbaren ist, das eine solche Abwägung nach herrschendem Verständnis nicht gestattet.88 Auch wenn das Legalitätsprinzip in der Rechtsprechung nicht in Frage gestellt wird,89 begegnet an dieser Stelle das stete Unbehagen, dass es bis heute noch nicht recht gelungen ist, aus dem Gesetz abzuleiten, warum der Vorstand im Verhältnis zur Gesellschaft seine Pflichten verletzen 86   Vgl. zu solchen ökonomischen Konkretisierungsansätzen des Fahrlässigkeitsbegriffs etwa Grundmann in MüKoBGB, 7. Aufl., 2016, § 276 Rn. 60 ff. 87   Hasselbach/Ebbinghaus, AG 2014, 873, 877; Verse, ZGR 2017, 174, 190. 88   Vgl. zum Legalitätsprinzip den Überblick bei Hüffer/Koch (Fn. 11) § 93 Rn. 6 ff. 89   Vgl. nur BGHZ 176, 204 Rn. 38 = NJW 2008, 2437; BGHSt 55, 266 Rn. 29 = NJW 2010, 3458; BGH NJW 2011, 88 Rn. 37; BGHZ 194, 26 Rn. 22 = NJW 2012, 3439; Spindler (Fn. 16) § 93 Rn. 73 f.

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soll, wenn er einen geringfügigen Rechtsverstoß begeht, der größten Nutzen verspricht.90 Wer dieses Unbehagen teilt, mag dazu neigen, jedenfalls dann einen großzügigeren Maßstab anzulegen, wenn die Rechtsverletzung nicht sehenden Auges begangen, sondern lediglich im vorgeschalteten Bereich der Wahrscheinlichkeitsprognose als juristisches Entwicklungszenario in Kauf genommen wird. Nimmt man die Legalitätspflicht dagegen so hin, wie sie in der Rechtsprechung verstanden wird, wird man dem Vorstand auch im Bereich der Wahrscheinlichkeitsprognose eine Nützlichkeitsabwägung versagen müssen.91 Katja Langenbucher hat den Gedanken einer „efficient choice of interpretation“ zu Recht als gedankliche Fortsetzung des „efficient breach of the law“ identifiziert und ihn mit dieser Begründung verworfen.92 Daran kann man in der Sache zwar begründete Zweifel hegen,93 aber diese müssen bei der vorgeschalteten Frage nach der bedingungslosen Legalitätspflicht ansetzen. Wer sie als gegebene Größe akzeptiert, wird beim Verschuldensvorwurf kaum andere Wege beschreiten können. d)  Bewusste Abwendung von höchstrichterlicher Rechtsprechung Damit eng verwandt ist die Frage, ob sich der Geschäftsleiter unter Umständen auch sehenden Auges zu einer gefestigten Rechtsprechung in Widerspruch setzen darf. Legt man hier einen Wahrscheinlichkeitsmaßstab an, so dürfte die Frage regelmäßig zu verneinen sein, weil die höchstrichterliche Rechtsprechung nur selten überraschende Volten schlägt. Trotzdem wird auch hier verbreitet ein entschuldigender Rechtsirrtum im Innenverhältnis anerkannt, da es dem Geschäftsleiter anderenfalls nicht möglich sei, einer für die Gesellschaft günstigen Rechtsansicht zum Durchbruch zu verhelfen.94 Auch das ist in der Sache völlig richtig, doch kann abermals kaum übersehen werden, dass dieser Standpunkt vom gedanklichen Ausgangspunkt der Legalitätspflicht nur schwer zu begründen ist. Unproblematisch ist der Widerspruch zur höchstrichterlichen Rechtsprechung deshalb immer nur in den Fällen, in denen sich ein Judikaturwechsel durch deutliche Signale

90   Vgl. die Zweifel bei Hüffer/Koch (Fn. 11) § 93 Rn. 6; monographisch: Brock, Legalitätspflicht, 2017; s. ferner Bicker, AG 2014, 8 ff.; Fleischer, ZIP 2005, 141 ff.; Hasselbach/ Ebbinghaus, AG 2014, 873 ff.; Langenbucher (Fn. 16) S. 342 ff.; Seibt, NZG 2015, 1097, 1100. 91   So auch Arden (Fn. 62) S. 166; Langenbucher (Fn. 16) S. 344 f. 92   Langenbucher (Fn. 16) S. 344 f. 93  Nachvollziehbar deshalb der Widerspruch von Hasselbach/Ebbinghaus, AG 2014, 873, 877 unter Verweis auf das gängige Beispiel des falsch parkenden Vorstands, das richtigerweise aber schon die strikte Legalitätspflicht widerlegen müsste. 94   Fleischer (Fn. 7) § 93 Rn. 30; Hopt/Roth (Fn. 16) § 93 Rn. 138; Dreher (Fn. 61), S. 93 f.; Hasselbach/Ebbinghaus, AG 2014, 873, 880; Langenbucher (Fn. 16) S. 345 f.; Verse, ZGR 2017, 174, 191.

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andeutet.95 Das ist insbesondere bei älteren Judikaten der Fall, deren Entscheidungsgegenstand mittlerweile in einem gewandelten Normenumfeld angesiedelt ist und die deshalb heute von einer ganz herrschenden Meinung im Schrifttum nicht mehr getragen werden. Auch hier muss aber davor gewarnt werden, anwaltliches Wunschdenken vorschnell zu einem Signal für einen anstehenden Rechtsprechungswechsel zu erhöhen. Wo das Schrifttum eine Änderung der Rechtsprechung fordert, die vom BGH aber konsequent verweigert wird, kann sich der Vorstand auf diese Ausnahme nicht berufen.

VII.  Erledigtes und Unerledigtes Eine Legal Judgment Rule gibt es nicht. Auch wenn sie als ewiger Wiedergänger in vielen Anwaltsschriftsätzen ins Rechtsleben zurückkehrt, findet sie in der Aktienrechtsordnung keine Grundlage und ist deshalb vom Gesetzgeber ebenso wie vom Bundesgerichtshof völlig zu Recht verworfen worden. Der II. Zivilsenat um Alfred Bergmann hat den Weg gewiesen, welche Maßstäbe stattdessen an Rechtsermittlung und Rechtsverfolgung anzulegen sind und wo diese Maßstäbe zu verorten sind. Diesen Weg gilt es weiter zu beschreiten. Auch nachdem die Legal Judgment Rule ihren letzten Atemzug getan hat, besteht an gesellschaftsrechtlichen Monstern, die es zu erledigen gilt, weiterhin kein Mangel. Der wünschenswerteste Kandidat wäre die existenzvernichtende Vorstandshaftung, die das unternehmerische Handeln in vielen Gesellschaften erheblich belastet und in ungesunder Weise Haftungsvermeidung zur obersten Richtschnur aller Geschäftsplanung erhoben hat. Getrieben wird diese Haftung durch die Figur der Compliance, die in den vergangenen Jahren zu einem sich selbst vermehrenden Monster mutiert ist, dem ebenfalls dringend Gegenkräfte entgegenwirken müssten. Alfred Bergmann hat mit deutlich sichtbaren Wirkungserfolgen dazu beigetragen, den Weg durch das Gesellschaftsrecht rechtssicherer zu gestalten. Dafür dankt ihm die gesellschaftsrechtliche Gemeinschaft und wünscht zugleich seinem Nachfolger Ingo Drescher, der nunmehr die Schar der höchstrichterlichen Drachentöter anführt, in seinen Bemühungen alles Gute.

95  Ähnlich Arden (Fn. 62) S. 167 ff.; Dreher (Fn. 61) S. 93 f.: Äußerungen von Senatsmitgliedern; V. Berger (Fn. 77) S. 356; solche Signale fordert auch Verse, ZGR 2017, 174, 191: obiter dicta oder – und insofern möglicherweise graduell etwas großzügiger als hier – Meinungsumschwung in der Literatur. Auch Hasselbach/Ebbinghaus, AG 2014, 873, 880 fordern im letztgenannten Fall noch „zusätzliche Anzeichen“ für eine mögliche Rechtsänderung. Eine „realistische Möglichkeit“ einer Neupositionierung verlangt Langenbucher (Fn. 16) S. 345 f.

Gibt es unanfechtbare, aber gleichwohl nicht durchsetzbare Darlehens­sicherheiten? Joachim Kummer I. Nach § 135 Abs. 1 Nr. 1 InsO ist eine Rechtshandlung anfechtbar, die Sicherung für die Forderung eines Gesellschafters auf Rückgewähr eines Darlehens im Sinne des § 39 Abs. 1 Nr. 5 InsO oder eine gleichgestellte Forderung gewährt hat, wenn die Handlung in den letzten zehn Jahren vor dem Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens (über das Vermögen der Gesellschaft, die weder eine natürliche Person noch eine Gesellschaft als persönlich haftenden Gesellschafter hat, bei der ein persönlich haftender Gesellschafter eine natürliche Person ist) oder nach diesem Antrag vorgenommen worden ist. Wie aber verhält es sich mit Sicherheiten, die noch früher bestellt worden sind? Können sie im Insolvenzverfahren über das Vermögen einer solchen Gesellschaft geltend gemacht werden, insbesondere ein Absonderungsrecht begründen? Die Frage stellt sich vor allem für nicht akzessorische Sicherheiten wie Grundschuld, Sicherungsübereignung und Sicherungsabtretung. Sie wird sich kaum jemals für die Bürgschaft der Gesellschaft stellen, die dem Gläubiger (Gesellschafter) in deren Insolvenz kaum nützlich ist, und auch selten für andere, im Lauf der Zeit ungebräuchlich gewordene akzessorische Sicherheiten wie Hypothek und Pfandrecht. Gleichwohl soll die Frage zunächst anhand der akzessorischen Sicherheiten untersucht werden, da hierfür ein gewisser Fundus in Gesetzgebung und Rechtsprechung existiert. Es liegt nahe, das Ergebnis dieser Untersuchung dann im Wege der Auslegung der Sicherungsabrede auf nicht akzessorische Sicherheiten zu übertragen. Zur Gesetzgebungsgeschichte ist festzuhalten, ohne dass dies unmittelbare Ansatzpunkte für die Lösung der Frage vermittelte: Bis zum 31.12.1998 hat ein Gesellschafterdarlehen in der Krise der Gesellschaft überhaupt keine Forderung des Gesellschafters gegen die Gesellschaft begründet.1 Die Insolvenzordnung brachte dann den Nachrang solcher Forderungen gemäß § 39 Abs. 1

1   § 32a Abs. 1 Satz 1 GmbHG; § 129a und § 172a HGB; Scholz, 9. Aufl., § 32a, 32b GmbHG Rz. 57.

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Nr. 5 InsO und die Anpassung des GmbHG und des HGB daran; wenn Darlehen in der Krise der GmbH gewährt oder stehen gelassen wurden und sich demzufolge in Eigenkapital verwandelten, wurden sie in der Insolvenz der Gesellschaft als nachrangige Forderungen zurückgesetzt,2 wobei die Gewährung von Sicherheiten hierfür anfechtbar war, wenn sie in den letzten zehn Jahren vor dem Eröffnungsantrag stattgefunden hatte3. Das MoMiG4 schaffte dann mit Wirkung ab 01.11.2008 die Rechtsfigur des Eigenkapitalersatzes ab und verzichtete auf die Krise als Tatbestandsmerkmal für den Nachrang der Gesellschafterdarlehen und die Anfechtbarkeit der Sicherheitenbestellung. Die Rechtsprechung hat zur Rechtslage zwischen 1999 und 2008, also unter dem Regime des Kapitalersatzrechts, entschieden,5 wenn ein Gesellschafterdarlehen durch Stehenlassen in der Krise zu funktionellem Eigenkapital werde und feststeht, dass der Gesellschafter seine vom Gesetz zurückgestufte Darlehensforderung nicht mehr durchsetzen kann und keinerlei Zahlung zu erwarten hat, sei er wegen Wegfalls des Sicherungszwecks auf Verlangen der Gesellschaft zur Freigabe der Sicherheit verpflichtet; dass der Gesellschafter im konkreten Fall keine Zahlung mehr zu erwarten hatte, stand dort aufgrund der Höhe der nicht zurückgesetzten Forderungen fest, womit sich in den Augen des II. Zivilsenats des Bundesgerichtshofs der Sicherungszweck erledigt hatte. Zur Rechtslage vor 1999 hatte der IX. Zivilsenat ebenso entschieden.6 Danach kann der Gesellschafter auf die Sicherheit nicht zurückgreifen und kein Absonderungsrecht im Konkurs geltend machen, wenn die gesicherte Forderung nicht begründet ist, insbesondere dann, wenn der Gesellschafter der GmbH die Darlehensmittel wie Eigenkapital belassen muss, denn nur so werde der Zweck des § 32a GmbHG erreicht; in der Folge müsse der Konkursverwalter die Gewährung der Sicherheit nicht einmal anfechten, sondern habe einen Einwand aus der Sicherungsabrede, zumindest aus ungerechtfertigter Bereicherung. Für die Zeit ab 01.11.2008 hat der IX. Zivilsenat dagegen die Rechtsfrage in BGHZ 193, 3787 ausdrücklich offen gelassen; er ist davon ausgegangen, dass der Insolvenzverwalter für den Fall der Anwendbarkeit der gesetzlichen Neuregelung die Sicherungsabtretung durchgreifend angefochten hatte, folglich nicht entschieden werden musste, ob dem Absonderungsrecht hiernach „unabhängig von der Insolvenzanfechtung die Anerkennung zu versagen wäre“8. Die Entscheidung des IX. Zivil-

  § 39 Abs. 1 Nr. 5 InsO.   § 39 Abs. 1 Nr. 5 InsO. 4   Gesetz zur Modernisierung des GmbH-Rechts und zur Bekämpfung von Missbräuchen vom 23.10.2008, BGBl. I 2008, 2026. 5   BGHZ 179, 278 = II ZR 213/07 vom 26.11.2009, ohne Mitwirkung des Jubilars. 6   BGHZ 133, 298, 305 = IX ZR 249/95 vom 19.09.1996. 7   = IX ZR 191/11 vom 28.06.2012. 8   aaO. Abschnitt 25. 2 3

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senats in ZIP 2013, 15799 geht auf das Problem nicht ein, hält aber fest, dass auf der Grundlage des § 135 Abs. 1 Nr. 1 InsO eine Anfechtung (nur) ausscheidet, wenn die Sicherheit mehr als 10 Jahre vor dem Eröffnungsantrag und mithin anfechtungsfest bestellt wurde.10 In der Literatur stehen sich zwei Auffassungen diametral gegenüber. Es wird vertreten, dass gerade der Ausfall des Gesellschafters aufgrund der Nachrangigkeit seiner Forderung den Sicherungsfall begründe.11 Andererseits wird vertreten, dass zwischen der Anfechtbarkeit der Sicherheitenbestellung und der Durchsetzbarkeit der gesicherten Forderung zu unterscheiden sei und die fehlende Durchsetzbarkeit auch zum ersatzlosen Wegfall der Sicherheit führe.12

II. Es muss überzeugen, dass akzessorische Sicherheiten wie Bürgschaft und Hypothek den Gläubiger gerade dann absichern, wenn er beim Hauptschuldner (Gesellschaft) wegen der Nachrangigkeit seiner Forderung und Erschöpfung der Masse nach Befriedigung der nicht zurückgesetzten Forderungen ausfällt. In allen Fällen verminderter Leistungsfähigkeit des Schuldners tritt der Sicherungsfall ein und steht dem Bürgen oder Hypothekenschuldner keine Einrede gegenüber dem Gläubiger zu, denn gerade für diese Fälle ist die Sicherheit ja bestellt.13 Die Akzessorietät kann nicht gegen den Sicherungszweck der Bürgschaft eingewendet werden.14 Bei einer Kollision zwischen beiden gewinnt im Interesse des Gläubigers der Sicherungszweck den Vorrang.15 Deshalb haftet der Bürge auch fort, wenn die Hauptschuld aus einem Grunde untergeht, der auf einen Vermögensverfall beim Hauptschuldner zurückzuführen ist.16 Ob das anders zu sehen ist, wenn die gesicherte Forderung aus rein rechtlichen Gründen untergeht, kann offen bleiben. Darum handelt es sich bei der hier untersuchten Situation nicht. Zum Verlust der Befriedigungsmög  = IX ZR 219/11 vom 18.07.2013.   aaO. Abschnitt 21. 11  exemplarisch Bitter ZIP 2013, 1497, 1501 ff.; Mylich ZHR 176 (2012) 547, 557 und ZIP 2013, 2444, 2447. 12  exemplarisch Brinkmann ZGR 2017, 708, 724 ff. und in: K. Schmidt/Uhlenbruck, Die GmbH in Krise, Insolvenz und Sanierung, 5. Aufl. 2016 Ziffer 2.131 ff. 13   Horn in: Staudinger, Bearbeitung 2013, § 767 BGB Rz. 48. 14   Horn aaO Rz. 49. 15   BGHZ 82, 323, 326/327 = VIII ZR 299/80 vom 25.11.1981 arg. insbesondere § 768 Abs. 1 Satz 2 BGB. 16   BGH aaO und WM 1956, 1209 = IV ZR 37/56 vom 20.06.1956 für den Fall, dass die schuldende Gesellschaft im Handelsregister als vermögenslos gelöscht wird. 9

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lichkeit beim Hauptschuldner (Gesellschaft) trägt zwar auch der gesetzlich angeordnete Nachrang der Darlehensforderung des Gesellschafters bei. Indessen bleiben Schuldnerin bzw. Insolvenzverwalter zur Befriedigung der Forderung in den Fällen verpflichtet, in denen die Masse dafür ausreicht. Diese Fälle mögen nicht allzu häufig sein. Gleichwohl steht damit fest, dass die Ursache für den Ausfall des Gesellschafters als Gläubiger letztlich in den unzureichenden Vermögensverhältnissen der Gesellschaft als Schuldnerin zu finden ist. Damit verhält es sich letztlich nicht anders als bei der beschränkten Erbenhaftung. Dort ist dem Gläubiger aus Rechtsgründen der Zugriff auf das Eigenvermögen des Erben verwehrt, der Nachlass aber (unterstellt) unzulänglich. Gleichwohl ermöglichen § 768 Abs. 1 Satz 2 und § 1137 Abs. 1 Satz 2 BGB dem Nachlassgläubiger ausdrücklich den Zugriff auf die Sicherheit. Im Übrigen kannte auch die Konkursordnung schon abgestufte Rangverhältnisse, zwar keine nachrangigen Forderungen, wohl aber Forderungen, die im Vergleich zu den gewöhnlichen Konkursforderungen bevorrechtigt waren.17 In zahlreichen Fällen hat die Masse nach deren Befriedigung nicht mehr für die Erfüllung der gewöhnlichen Konkursforderungen ausgereicht; es ist aber soweit ersichtlich nicht vertreten worden, dass deshalb auch eine dafür bestellte Bürgschaft erloschen wäre.

III. Der Annahme, Sicherheiten für Gesellschafterdarlehen seien aus Gründen außerhalb des § 39 Abs. 1 Nr. 5 InsO nicht durchsetzbar, ist zu widersprechen. 1. Dergleichen kann insbesondere nicht damit begründet werden, dass es sich bei der Darlehensforderung des Gesellschafters um eine unvollkommene Verbindlichkeit handelte. a) Die zurückgesetzte Darlehensforderung des Gesellschafters ist keine unvollkommene Verbindlichkeit (Naturalobligation). Diese ist dadurch gekennzeichnet, dass der Schuldner nicht zur Leistung gezwungen werden kann, nach (freiwilliger) Leistung aber das Schuldverhältnis für den Gläubiger einen Behaltensgrund darstellt, der Bereicherungsansprüche ausschließt. Darum handelt es sich bei den hier in Rede stehenden Forderungen aber nicht. Die schuldende Gesellschaft bzw. der Insolvenzverwalter bleiben in den – zugegebenermaßen nicht allzu häufigen – Fällen, dass die Masse nach Befriedigung der gewöhnlichen Insolvenzgläubiger noch etwas hergibt, zur Befriedigung auch der nachrangigen Forderungen ver  § 61 KO.

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pflichtet. Ihre Gläubiger genießen im Übrigen auch in verfahrensrechtlicher Hinsicht einige, wenn auch nicht alle Gläubigerrechte.18 Ist die Masse schon vorher aufgebraucht, so mag der Zahlungsanspruch des Gesellschafters wertlos sein; die Unzulänglichkeit des Gesellschaftsvermögens macht deren Verbindlichkeit aber nicht zur unvollkommenen. b) Vor allem aber trifft es nicht zu, dass für eine unvollkommene Verbindlichkeit keine Sicherheit bestellt und durchgesetzt werden könnte, insbesondere diese Unvollkommenheit im Sicherheitsfall stets eine Einrede im Sinne von § 768 Abs. 1 Satz 1 BGB usw. lieferte.19 Es gibt vielmehr unvollkommene Verbindlichkeiten, die dem Sicherungsgeber diese Einrede gewähren und andere, die sie ihm nicht gewähren, so dass der Gläubiger die Sicherheit realisieren kann. Entscheidend dafür sind die Gründe, die den Gesetzgeber dazu geführt haben, die gesicherte Verbindlichkeit als unvollkommene auszugestalten. Mithin kann die Beantwortung der Frage, ob die Sicherheit für eine unvollkommene oder für eine erzwingbare Verbindlichkeit bestellt worden ist, keine Lösung für unser Problem liefern. Nach § 656 Abs. 1 Satz 1 BGB wird durch das Versprechen eines Ehemaklerlohnes eine Verbindlichkeit nicht begründet; nach § 656 Abs. 2 BGB gilt dies auch für dafür bestellte Sicherheiten. Die Rechtsprechung entnimmt dem Gesetzeszweck nach den Vorstellungen des späten 19. Jahrhunderts eine sittliche Missbilligung dieses Gewerbes, die zu einer Einrede auch gegenüber dem Gläubiger als Sicherungsnehmer führt.20 Ebenso wird nach § 762 Abs. 1 Satz 1 BGB durch Spiel und Wette eine Verbindlichkeit nicht begründet; nach § 762 Abs. 2 BGB gilt dies auch für dafür bestellte Sicherheiten. Auch hier entnimmt die Rechtsprechung dem Gesetzeszweck eine Einwendung des Sicherungsgebers.21 Dies ist bei insolvenzrechtlich relevanten Tatbeständen völlig anders. Besonders deutlich zeigt sich dies bei der Restschuldbefreiung. Die davon betroffene Forderung wird zu einer unvollkommenen Verbindlichkeit;22 dies ergibt sich aus § 286 InsO, wonach der Insolvenzschuldner durch die Restschuldbefreiung von den im Insolvenzverfahren nicht erfüllten Verbindlichkeiten gegenüber den Insolvenzgläubigern befreit wird, und aus § 301 Abs. 3 InsO, wonach der Gläubiger nicht zur Rückgewähr verpflichtet ist, wenn   Henckel in: Jaeger/Henckel, 9. Aufl., § 39 InsO Rz. 4–8.  a.A. Olzen in: Staudinger, Bearbeitung 2015, Einleitung vor § 241 BGB Rz. 249. 20   BGH ZIP 1990, 1002 = IV ZR 160/80 in analoger Anwendung des § 656 Abs. 2 BGB auf einen Wechsel, der für das von einem Partnerschaftsvermittler geforderte Honorar begeben wurde. 21   RGZ 47, 48: Hypothek für Schuld aus Differenzgeschäft; RGZ 52, 39: Wechsel für Wettschuld; RGZ 52, 362: Bürgschaft und Pfand für Schuld aus Börsentermingeschäft; RGZ 140, 132: Bürgschaft für Schuld aus Börsentermingeschäft; KG WM 1989, 669, 673: Bürgschaft für Spielschuld. 22   Waltenberger, in HK, 9. Aufl., § 301 InsO Rz. 1. 18 19

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ihn der Schuldner gleichwohl befriedigt (Behaltensgrund). Nach § 301 Abs. 2 InsO werden jedoch die Rechte der Insolvenzgläubiger aus Bürgschaften, Vormerkungen und Absonderungsrechten durch die Restschuldbefreiung nicht berührt. Der Gesetzgeber will dem Schuldner die Vorteile der Restschuldbefreiung erhalten; er hat jedoch keine Bedenken dagegen, dass der Gläubiger aus anderen Quellen befriedigt wird. Dies entspricht der früheren Regelung in § 193 Satz 2 KO (Zwangsvergleich) und § 82 Abs. 1 Satz 2 VglO, die ebenfalls die Befriedigung der Gläubiger aus Drittsicherheiten für die nicht mehr durchsetzbare Forderung ermöglicht haben. 2.  Nebenbei: Es kann auch keine Rede davon sein, dass ein Gesellschafter, der der Gesellschaft ein Darlehen gewährt und sich länger als zehn Jahre vor dem Eröffnungsantrag dafür eine Sicherheit hat einräumen lassen, dabei in Umgehungsabsicht gehandelt hätte. Dieser Gesellschafter hätte schon bei Erhalt der Sicherheit damit rechnen müssen, dass die Gesellschaft mehr als zehn Jahre später – nicht aber vorher – insolvent wird. Dies erscheint nicht lebensnah.

IV. Es bleibt die Frage, ob es gleichwohl einen Grund gibt, Gesellschaftern mit Darlehensforderungen gegen die Gesellschaft den Zugriff auf eine Sicherheit zu verwehren, die sie länger als zehn Jahre vor dem Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen der Gesellschaft erworben haben. Es müsste sich im Sinne von Brinkmann nicht um die Anfechtbarkeit der Sicherungsgewährung, sondern um eine davon zu unterscheidende Nichtdurchsetzbarkeit der Sicherheit bzw. der gesicherten Forderung handeln. In diesem Sinne mag auch BGHZ 179, 27823 davon sprechen, dass der Gläubiger wegen der Höhe der insgesamt geltend gemachten Forderungen (nicht aus Rechtsgründen!) seine Darlehensforderung dauerhaft nicht mehr durchsetzen kann. Der Grund dafür kann nicht in einem fehlenden Sicherungszweck der Bürgschaft oder der Hypothek zu finden sein, denn Sicherheiten Dritter decken auch das Kapitalersatzrisiko24 bzw. das Risiko eingeschränkter Durchsetzbarkeit der gesicherten Forderung25 ab; auch hier gilt, dass sich in

  Abschnitt 17.  BGH WM 1996, 588 = IV ZR 245/94 vom 15.02.1996: jedenfalls dann, wenn der Bürge bei Übernahme der Bürgschaft weiß, dass der Darlehensgeber Gesellschafter einer GmbH ist und diese sich in einer finanziellen Krise befindet. 25   BGH NZG 2008, 595 Abschnitt 21 = XI ZR 331/07 vom 10.06.2008. 23 24

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diesem Fall gerade das mit der Bürgschaft besicherte Risiko verwirklicht.26 Er kann auch nicht in einem Erlöschen der Verbindlichkeit liegen, denn sie besteht jedenfalls nachrangig fort. Der Grund müsste also darin zu finden sein, dass der Gesetzgeber, etwa unter dem Aspekt unsolider Finanzierung, nicht nur das Darlehen des Gesellschafters, sondern auch die Sicherung eines solchen Darlehens durch die Gesellschaft mit einem Unwerturteil belegt hat, das deren Realisierung in der Insolvenz der Gesellschaft ausschließt. Dieses Unwerturteil müsste materiell-rechtlicher und nicht verfahrensrechtlicher Art sein und sich nicht aus § 135 Abs. 1 Nr. 1 InsO, sondern aus § 39 Abs. 1 Nr. 5 InsO herleiten. Indessen besagt letztere Vorschrift zur Sicherung nachrangiger Forderungen überhaupt nichts; es handelt sich um eine bloße Verteilungsregel.27 Erkennt man das nicht an, so müsste § 39 Abs. 1 Nr. 5 InsO im Hinblick auf die Durchsetzbarkeit der Forderung bzw. Sicherheit ein anderer Regelungsgehalt und eine andere gesetzgeberische Motivation zugrunde liegen als § 135 Abs. 1 Nr. 1 InsO. Dergleichen ist jedoch jedenfalls bislang nicht festzustellen. Insoweit werden vielmehr die unterschiedlichsten Auffassungen vertreten. Solange aber insoweit keine Klarheit herrscht, muss man annehmen, dass es eine gesonderte Nichtdurchsetzbarkeit neben der Anfechtbarkeit nicht gibt. Folglich sind Sicherheiten, die früher als zehn Jahre vor dem Eröffnungsantrag gewährt worden sind, auch tatsächlich durchsetzbar und nicht nur nicht anfechtbar. Sollte sich indessen ergeben, dass § 135 Abs. 1 Nr. 1 InsO die Anfechtbarkeit und § 39 Abs. 1 Nr. 5 InsO eine davon zu unterscheidende Nichtdurchsetzbarkeit regelt, so würde ein Unwerturteil aus letzterer Bestimmung die Gesellschaftssicherheit unabhängig davon treffen, wann sie bestellt worden ist. § 135 Abs. 1 InsO wäre dann schlicht überflüssig. Es hätte dann mit BGHZ 133, 298, 305 zu gelten, dass es der Anfechtung gar nicht bedarf, weil der Insolvenzverwalter dem Gesellschafter diesen Einwand unmittelbar aus der Sicherungsabrede, zumindest aber aus ungerechtfertigter Bereicherung entgegenhalten kann. Dem Gesetzgeber kann aber nicht unterstellt werden, eine überflüssige Bestimmung geschaffen zu haben. Dies führt im Ergebnis zu einer Verwertbarkeit der länger als zehn Jahre vor dem Eröffnungsantrag bestellten Sicherheit.

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  BGH aaO.   Bitter HIP 2015, 1998, 1999/2000.

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V. Für die in der Praxis ungleich wichtigeren nicht akzessorischen Sicherheiten kann nichts anderes gelten. Die Sicherungsabrede ist nach dem Grundsatz einer nach allen Seiten interessengerechten Beurteilung dahin auszulegen, dass die Verwertungsrechte des Gläubigers in gleichem Umfang wie bei einer akzessorischen Sicherheit bestehen. Auch hier ist nicht einzusehen, weshalb sich der Gläubiger auf eine Sicherung einlassen sollte, die zwar anfechtungsfest ist, aber versagt, wenn sein Ausfall letztlich darauf beruht, dass das Vermögen der Schuldnerin nicht hin reicht.

Einfluss von Aktionären auf die Zusammensetzung des Vorstands

Die Einflussnahme von Aktionären auf die Zusammensetzung des Vorstands Katja Langenbucher „Aktivistische Aktionäre machen Druck“, „Angriff der Fondskrieger“1 oder „manch einem CFO läuft es kalt den Rücken hinunter wenn aktivistische Aktionäre auftauchen“2 – so lesen sich Presseberichte zu einem Phänomen, welches insbesondere in den USA schon lange zum Alltag börsennotierter Gesellschaften gehört, in Europa aber erst in den Kinderschuhen steckt. Der rasche Wechsel gleich zweier Vorstandsvorsitzender des hessischen Unternehmens Stada im Anschluss an den Einstieg eines aktivistischen Aktionärs hat inzwischen auch in der juristischen Literatur zu ersten Überlegungen darüber geführt, ob (aktivistische) Aktionäre die Abberufung von Vorstandsmitgliedern erzwingen können.3 Dieser Frage soll im Folgenden in vier Schritten nachgegangen werden. Ein rechtsvergleichender Seitenblick widmet sich zunächst dem Mutterland aktivistischer Aktionäre, den USA, und kontrastiert die dort bestehenden Aktionärsrechte mit dem Rechtekatalog anderer Systeme (I.). Sodann wird das Phänomen aktivistischer Aktionäre knapp in einen ökonomischen Bezugsrahmen eingeordnet (II.). Auf dieser Basis lässt sich die deutsche Rechtslage ausarbeiten und zu den vorangegangenen Ausführungen in Bezug setzen (III.). Eine Stellungnahme zum Ausgangsfall schließt den Beitrag ab (IV.).

I.  Monistische Systeme: Boardzentrierte und aktionärszentrierte Rechtsordnungen Die Strategie aktivistischer Aktionäre beinhaltet häufig die Einwirkung auf das Management der betroffenen Gesellschaft. Das erfolgt bisweilen nur durch vorbereitende Gespräche mit Blick auf die Fortentwicklung des Unternehmens. Insbesondere bei Meinungsverschiedenheiten zwischen 1  http://www.wiwo.de/unternehmen/industrie/aktivistische-aktionaere-machendruck-anwaelte-der-aktionaere/9583104-2.html. 2  https://www.finance-magazin.de/finanzabteilung/investor-relations/aktivistischeaktionaere-nehmen-europa-ins-visier-1300791/. 3   Schockenhoff ZIP 2017, 1785.

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Aktionär und Verwaltung steht aber nicht selten eine personelle Veränderung im Raum. Geht es dabei um monistisch strukturierte Gesellschaften sind natürliches Ziel derartiger Bemühungen die Direktoren des Board. Das Druckpotential mit ihnen geführter Gespräche hängt unter anderem davon ab, welche Rechte den Aktionären mit Blick auf die personelle Zusammensetzung des board zustehen. Zu denken hat man dabei an Rechte zur Ernennung und Abberufung von Direktoren, aber auch an Rechte zur Nominierung potentieller Kandidaten und zur Einberufung einer außerordentlichen Hauptversammlung. Hier unterscheiden sich monistische Systeme durchaus untereinander und werden deshalb in boardzentrierte und aktionärszentrierte Systeme aufgeteilt. 1.  Das Recht von Delaware als Beispiel einer boardzentrierten Rechtsordnung Für die USA wird regelmäßig pars pro toto auf das Recht des Bundesstaates Delaware verwiesen, in welchem nach Presseberichten 64% der Fortune 500 Gesellschaften notiert sind.4 Wegen der dort verhältnismäßig schwachen Aktionärsrechte bezeichnet man Delaware häufig als boardzentriert. Aktionäre wählen zwar die Mitglieder des board und können sie auch abberufen.5 Diese Kompetenz wird aber durch schwache Aktionärsrechte mit Blick auf die Nominierung von Kandidaten und auf die Einberufung einer Hauptversammlung beeinträchtigt. So schlägt stets die Gesellschaft eine Kandidatenliste vor. Aktionäre können nicht gegen diese abstimmen, sondern sich in Ermangelung einer abweichenden Satzungsbestimmung6 nur enthalten.7 Das ist vor allem dann bedeutsam, wenn die Gesellschaft am System des sog. „plurality vote“ festhält. Hiernach ist für die Wahl der Direktoren nicht eine einfache Mehrheit von 50% erforderlich, sondern es gewinnt diejenige Kandidatenliste, welche die meisten Stimmen auf sich vereinigt.8 Aktionäre haben mangels abweichender Satzungsbestimmung weder das Recht, eine Hauptversammlung einzuberufen9 noch Gegenstände auf 4  https://technical.ly/delaware/2014/09/23/why-delaware-incorporation/; Bebchuk 118 Harv. L. Review (2005) 833, 844. 5   Bebchuk 118 Harv. L. Rev. (2005) 833, 851. 6   Bainbridge Corporate Law S. 263. 7   Bainbridge Corporate Law S. 262 f. Man bezeichnet das als „withhold the vote“, eine Strategie, die Aktivisten mit Blick auf deren Öffentlichkeitswirkung bisweilen androhen; vgl. Kraakman et al. S. 54. 8   § 216 (3) Delaware General Corporate Law (DGCL) („plurality vote“); hierzu Kraakman et al S. 54; allerdings scheint der Trend jedenfalls für größere Gesellschaften weg vom plurality voting und hin zum majority voting zu gehen, https://corpgov.law.harvard. edu/2016/06/01/iss-2016-board-practices-study/. 9  § 211 (b) DGCL: Hauptversammlung für die Wahl der Direktoren wird in den „bylaws“ bestimmt oder Wahl der Direktoren erfolgt durch schriftliches Zustimmungsver-

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die Tagesordnung zu setzen.10 Zwar gestattet § 240.14a-8 der SEC Rules11 bestimmten Aktionären12 je einen Vorschlag samt Erläuterung in die Hauptversammlungsunterlagen, die vor der Versammlung verschickt werden, aufnehmen zu lassen. Für Vorschläge zur Wahl von Direktoren ist aber eine dahingehende Satzungsbestimmung erforderlich („company-by-company proxy access“).13 Weitere Hindernisse treten hinzu: Der Vorschlag, das Management ganz oder teilweise zu ersetzen, führt in den USA nicht selten zu einem medienwirksamen „proxy contest“. Veränderungsfreudige Aktionäre müssen diesen selbst finanzieren, während die Gesellschaft die Kosten für das amtierende Management trägt, solange nicht eine abweichende Satzungsbestimmung gemäß § 113 DCGL besteht.14 Kommt die Abberufung eines Vorstandsmitglieds überhaupt auf die Tagesordnung, ist für die Abstimmung zwar nur eine einfache Mehrheit erforderlich15 und auch kein wichtiger Grund vonnöten.16 Eine Ausnahme gilt jedoch mit Blick auf weit verbreitete sog. „staggered boards“.17 Hierunter versteht man ein System, in dem jährlich neu gewählt wird, aber jeweils nur 1/3 der Sitze frei werden. Die Länge der Amtszeit variiert üblicherweise zwischen einem, zwei und drei Jahren. In diesem System erblickt man vor allem eine wichtige Abwehrmaßnahme mit Blick auf Unternehmensübernahmen, da ein erfolgreicher Bieter mehr als 13 Monate benötigt, um die von ihm gewünschte personelle Veränderung herbeizuführen. 18 Woran liegt das? Das Intervall zwischen zwei Hauptversammlungen darf von der Gesellschaft auf 13 Monate fixiert werden.19 Liegt ein „staggered board“ vor, steht nicht nur lediglich 1/3 der board Mitglieder zur Neuwahl an. Hinzu kommt, dass die übrigen Boardmitglieder in diesem Fall nur „for cause“, also mit wichtigem Grund, abberufen werden dürfen, vorausgesetzt dies wird überhaupt auf die Tagesordnung gesetzt.20 Entsprechend hängt das

fahren; § 211 (d) DGCL: zur außerordentlichen Hauptversammlung laden die Direktoren ein. 10   Strine 89 S. Cal. L. Rev. (2016) 1239, 1263. 11   CFR = Corporation Finance Rules. 12   Eligibel sind Aktionäre, die seit mindestens einem Jahr registriert sind und 1% der Aktien oder $2000.– der Marktkapitalisierung halten, https://www.law.cornell.edu/cfr/ text/17/240.14a-8#. 13   AFSCME v. AIG, 462 F.3d 121 (2d. Cir. 2006); ein Überblick findet sich bei: Parmiter/Partnoy Corporations S. 473. 14   Vor Inkrafttreten des § 113 DCGL: Bebchuk 118 Harv. L. Rev. (2005) 833, 856; zur gegenwärtigen Rechtslage: Parmiter/Partnoy Corporations S. 373 ff., 383. 15   § 141 (k) DGCL. 16   § 141 (k) DGCL. 17   § 141 (d) DGCL. 18   Bainbridge Corporate Law S. 266 f. 19   Reder/Meyers 69 Vand. L. Rev. En Banc (2016) 177, 178. 20   § 141 (k) DGCL.

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Druckpotential eines aktivistischen Aktionärs davon ab, wann (und welche) Personen zur Wiederwahl anstehen. 2.  Großbritannien und Frankreich als Beispiele aktionärszentrierter Rechtsordnungen Ganz anders verhält es sich in aktionärszentrierten Rechtsordnungen, wie insbesondere Großbritannien, aber auch Frankreich. Aktionäre dürfen in Großbritannien oder Frankreich21 Personen für das Board nominieren.22 In Großbritannien gilt das, in Ermangelung einer abweichenden Satzungsbestimmung, für jeden einzelnen Aktionär.23 Gewählt ist, wer eine einfache Mehrheit auf sich vereinigt.24 Die Abberufung ist in Großbritannien und Frankreich ebenfalls mit einfacher Mehrheit und ohne Vorliegen eines wichtigen Grundes25 zulässig,26 in Frankreich auch außerhalb der Tagesordnung.27 Der UK Corporate Governance Code empfiehlt außerdem die jährliche Neuwahl sämtlicher Direktoren. Auch hierin liegt ein gewisses Potential aktivistischer Aktionäre, Druck aufzubauen. Der französische Kodex empfiehlt hingegen ein Maximum von vier Jahren und zur Wahrung der Kontinuität „staggered boards“.28 Die Kompetenz von Aktionären, Punkte auf die Tagesordnung zu setzen sowie

  Art. L-225-18 Code de Commerce.   Enriques/Hansmann/Kraakman in: The Anatomy of Corporate Law, S. 51; in Frankreich besteht das board im monistischen System (La SA à conseil d’administration) aus vier Klassen von Mandatsträgern: die board Mitglieder, der Präsident des board, der Generaldirektor und der delegierte Generaldirektor, Dondero Droit des sociétés, S. 402; das dualistische System (La SA à directories et conseil de surveillance, „SA à l’allemande“) ähnelt unserem System, ist allerdings in Frankreich wenig verbreitet, Dondero Droit des sociétés, S. 431 f. 23   Enriques/Hansmann/Kraakman in: The Anatomy of Corporate Law, S. 58. 24   Enriques/Hansmann/Kraakman in: The Anatomy of Corporate Law, S. 58 f.; Kershaw Company Law in Context S. 221; Art. L-221-18 Code de Commerce (Frankreich). 25   Allerdings können Remunerationsansprüche fortbestehen, siehe Davies/Worthington Rn. 14-53 f. 26   Dondero Droit des sociétés, S. 426 (anders für den Direktor, erfolgt die Abberufung hier ohne „juste motif“, drohen Schadensersatzzahlungen, Dondero Droit des sociétés, S. 427); Enriques/Hansmann/Kraakman in: The Anatomy of Corporate Law, S. 61; Davies/Worthington Rn. 14–49; Kershaw Company Law in Context, S. 222; Art. L-225-18 Code de Commerce „révoqués à tout moment“ „ad nutum“ für die Mitglieder des Conseil d’administration; der président des Conseil d’administration kann hingegen nur durch den Conseil d’administration abberufen werden; Art. L-225-47: zwingende Regelung (Frankreich); widerrufen freilich die Aktionäre seine Bestellung, kann er nicht mehr Président sein: Dondero Droit des sociétés, S. 426; Section 168 Company Act 2006. 27   Art. L 225-105 Code de commerce. 28   Ziff. 13.1, 13.2 Kodex afep/MEDEF. 21 22

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Beschlussvorlagen zu Tagesordnungspunkten einzubringen findet sich europaweit einheitlich in Art. 6 Abs. 1a) der Aktionärsrechterichtlinie von 2007.29

II.  Die Bewertung aktivistischer Aktionäre als Ausdruck gesellschaftsrechtlicher Kritik Der Erfolg und das Druckpotential aktivistischer Aktionäre lassen sich freilich nicht ausschließlich auf deren Aktionärsrechte zurückführen, sondern werden zusätzlich durch Offenlegungsvorschriften des amerikanischen Kapitalmarktrechts30 und auch der Kapitalmarktkultur selbst beeinflusst. Die gesellschaftsrechtliche Beurteilung des Aktionärsaktivismus hängt hingegen ganz eng mit der Bewertung der Machtbalance zwischen Verwaltung und Aktionären zusammen. Wer diese als ausgewogen betrachtet, sieht aktivistische Aktionäre häufig als Fremdkörper in der Organverfassung. Wer hingegen Rechte der Aktionäre gegenüber der von diesen „isolierten“31 Verwaltung – ökonomisch gesprochen: der Eigentümer gegenüber dem Management oder der Prinzipale gegenüber den Agenten – für zu schwach hält, wird aktivistische Aktionäre als heilsame Behebung eines corporate governance Defizits begreifen. Nicht nur die US-amerikanische Debatte, sondern auch die Erwägungen des europäischen Gesetzgebers, jüngst abzulesen in der Aktionärsrechterichtlinie 2017, sind durch derartige Überlegungen deutlich beeinflusst. Ein kurzer Blick auf den dort vorgelegten Bezugsrahmen wird sich deshalb auch für die deutsche Diskussion als lohnend erweisen. 1.  Prinzipal-Agent-Konflikt als gedanklicher Ausgangspunkt Die Binnenstruktur der Aktiengesellschaft ist bekanntlich durch das Auseinanderfallen von (Aktien)eigentum und Kontrolle durch das Management gekennzeichnet. Das führt zu einer Ungleichgewichtslage im Zugriff auf Informationen. Das Management kann nicht nur Vor- und Nachteile der Unternehmensstrategie viel besser beurteilen als ein dem Tagesgeschäft fern29  2007/36/EU. Der Richtlinientext spricht von einem Recht der „Aktionäre einzeln oder gemeinsam“. 30   Zur sog. „wolf pack“ Strategie: Coffee/Palia The Impact of Hedge Fund Activism: Evidence and Implications, ECGI working paper no. 266/2014, S. 8, 23 ff.: Schedule 13D verlangt in den USA zwar die Veröffentlichung der Beteiligung bei Überschreiten einer 5% Beteiligungsschwelle. Hierfür wird dem Investor aber ein Fenster von 10 Tagen gewährt und derivative Positionen werden nicht gezählt; Versuche dies durch den „Brokaw Act“ abzukürzen sind bislang nicht vorangekommen (https://www.cnbc.com/2017/08/30/smallwisconsin-town-making-hedge-funds-very-nervous.html). Während dieses Fensters darf in den USA ohne Verstoß gegen Insiderhandelsverbote die Information über die Investition des aktivistischen Aktionärs weitergegeben und auf dieser Basis gehandelt werden. 31  „Insulated“.

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stehender Aktionär. Auch die Kompetenz und Selektion der Manager, deren Engagement für das Unternehmen, nicht opportunistisch für das eigene Fortkommen, entziehen sich meist der direkten Kontrolle durch die Aktionäre. In dieser Situation hat man unterschiedliche Strategien ersonnen, um derartige Informationsasymmetrien zu überwinden, erinnert sei an die Schlagworte „screening“ und „signalling“, an den „Markt für Unternehmenskontrolle“ und an die Versuche einen „Interessengleichklang“, etwa durch Vorstandsvergütung, herzustellen. Viele dieser Strategien hängen freilich davon ab, dass sich mindestens einige Aktionärsgruppen mit der Unternehmensführung überhaupt beschäftigen. Das versteht sich wiederum nicht von selbst. Je eher nämlich die Aktionärsstruktur durch Streubesitz gekennzeichnet ist, desto eher darf man den einzelnen Aktionär als „rational apathisch“ bezeichnen. Die Kosten, die er aufwenden müsste, um ein informiertes Urteil mit Blick auf das Management fällen zu können, stehen meist in keinerlei Verhältnis zu seiner Investition in (einige wenige) Aktien. Der rational apathische (Klein)aktionär wird eher verkaufen („exit“), und an anderer Stelle investieren, nicht selten freilich erst, wenn ein unterdurchschnittliches Management bereits ganz erhebliche Werte vernichtet hat. 2.  Die Neuentdeckung institutioneller Investoren als „monitoring agents“ durch die EU In dieser Situation richtet sich das Augenmerk des europäischen Gesetzgebers derzeit auf institutionelle Investoren, etwa große Versicherungen oder Pensionsfonds, und deren Stimmrechtsberater. Durch Offenlegungsvorschriften erhofft man sich deren „Sensibilisierung“, Bereitschaft zum „Dialog zwischen Gesellschaft und Aktionären“, „Mitwirkung“ und sogar eine „Rechenschaftspflicht gegenüber Interessenträgern und der Zivilgesellschaft“32. Ob das gelingen kann, steht hier nicht zur Debatte.33 Festzuhalten für die weiteren Überlegungen ist aber: Wer aktivistische Aktionäre als positiven Beitrag zu verbesserter Unternehmensführung begreift,34 versucht ebenfalls das Potential einer Aktionärsgruppe zu heben, für die ein Anreiz zum kostenintensiven Engagement mit Blick auf die Unternehmensführung einer Gesellschaft bestehen könnte. Ansatzpunkt hierfür ist freilich eher selten die unterstellte „Rechenschaftspflicht gegenüber Interessenträgern und der Zivilgesellschaft“,35 sondern viel eher das Geschäftsmodell aktivistischer Aktionäre.36 Deren Investition rechnet sich oftmals nur wenn es gelingt,   Erwägungsgrund (16) der Richtlinie 2017/828.  Kritisch Langenbucher FS Coester-Waltjen, 2015, S. 1147, 1151 f. 34   Siehe sogleich unter c). 35   Erwägungsgrund (16) der Richtlinie 2017/828. 36   Überblick bei Langenbucher RTDF 2016, 70, 71. 32 33

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Gesellschaften aufzuspüren, deren Management unterdurchschnittlich arbeitet und dabei von der beschriebenen Informationsasymmetrie zuungunsten der Aktionäre profitiert. Im Rahmen der eigenen Investition wird ein aktivistischer Investor versuchen, auf die Auswechslung dieses Managements einzuwirken. 3.  Aktivistische Aktionäre als motivierte „monitoring agents“ So überrascht es denn nicht, dass Befürworter aktivistischer Aktionäre die Frage in den Kontext einer „shareholder rights“ Theorie rücken.37 Findet die Diskussion vor dem Hintergrund einer boardzentrierten Rechtsordnung statt, wird auf die als schwach begriffenen Rechte von Aktionären verwiesen, die Verwaltung ihrer Gesellschaft zu kontrollieren. Die Möglichkeit, Direktoren auszuwechseln, gilt etwa vielen als Paradebeispiel für ein unabdingbares Recht des Aktionariats. Gelingt es aktivistischen Aktionären, dieses Ziel mit anderen Mitteln zu erreichen, wird angeregt, solche Strategien de lege lata zu unterstützen und sie de lege ferenda als Anlass zu einer Erweiterung von Aktionärsrechten zu nutzen. Nur als Fußnote sei auf einen Nebenkriegsschauplatz verwiesen, der mit den Instrumenten empirischer Disziplinen zu beurteilen ist: Die Frage, ob die Eingriffe aktivistischer Aktionäre primär kurzfristig ausgerichtet sind und deshalb auf Dauer wertvernichtend wirken, ist hoch umstritten. Empirische Evidenz liegt derzeit vor allem für die USA vor, muss aber wohl als noch offen bezeichnet werden.38 Die Gegenposition nehmen Vertreter der „director’s primacy“ Theorie ein.39 Für sie zeichnet sich die Aktiengesellschaft gerade durch die weitgehende Autonomie der Direktoren aus. Die Boardzentrierung, insbesondere des US amerikanischen Rechts, wird nicht als Defizit, sondern im Gegenteil als notwendige Voraussetzung effektiven Managements, klarer Organisationsstruktur und abgrenzbarer Hierarchieebenen verstanden. Über Erfolg oder Misserfolg eines Managements entscheidet nach dieser Lesart allein der Markt, nicht die Intervention einzelner Aktionärsgruppen. Der weiten Auslegung de lege lata und erst recht rechtspolitischer Initiativen zur Ausdehnung von Aktionärsrechten wird folglich ablehnend begegnet.

  Bebchuk 118 Harv. L. Rev. (2005) 833.   Bebchuk/Brav/Jiang 115 Colum. L. Rev. (2015) 1085; mit internationalen Nachweisen: Becht/Franks/Grant/Wagner Returns to Hedge Fund Activism: An International Study, ECGI – Finance Working Paper No. 402/2014. 39   Bainbridge 119 Harv. L. Rev. (2006) 1735; ders. 62 UCLA L. Rev. (2014) 66; ders. in: Hill/Thomas, Research Handbook on Shareholder Power, 2015, S. 231 ff. 37 38

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III.  Die Einordnung der Organverfassung des AktG in die Dichotomie board- oder aktionärszentrierter Rechtsordnungen Wie lässt sich die Verfassung der deutschen Aktiengesellschaft in den dargestellten Bezugsrahmen einordnen? Auf der Hand liegt zunächst einmal, dass es im dualistischen System den „Direktor“ als Ansprechpartner nicht gibt. Strebt man die Auswechslung der Verwaltung an, kann es stattdessen um Aufsichtsrats- oder um Vorstandsmitglieder gehen. 1.  Elemente der Aktionärszentrierung Mit Blick auf den Aufsichtsrat lässt sich das AktG als „aktionärszentriert“ bezeichnen.40 Seine Mitglieder werden von der Hauptversammlung mit einfacher Mehrheit gewählt, § 101 Abs. 1 S. 1, 133 Abs. 1 AktG. An die gemäß § 124 Abs. 3 S. 1 AktG vom Aufsichtsrat vorgelegten Wahlvorschläge ist die Hauptversammlung nicht gebunden. § 127 Abs. 1 S. 1 AktG gestattet es jedem Aktionär, 14 Tage vor der Versammlung begründungslos einen eigenen Nominierungsvorschlag zu unterbreiten. Die Amtszeit eines Aufsichtsratsmitglieds beträgt nach § 102 Abs. 1 S. 1 AktG höchstens fünf Jahre, die Norm ist aber satzungsdispositiv, auch kann die Amtszeit im Hauptversammlungsbeschluss modifiziert werden.41 Zur Abberufung von Aufsichtsratsmitgliedern ist nach § 103 Abs. 1 S. 1 AktG die Hauptversammlung zuständig. Das Gesetz verlangt eine Mehrheit von 75%, auch das ist satzungsdispositiv und kann bis auf 50% abgesenkt werden. Eines wichtigen Grundes bedarf es hierfür nicht. Flankierend besteht das Recht einer Aktionärsminderheit, die Einberufung einer Hauptversammlung und die Behandlung eines bestimmten Tagesordnungspunktes zu verlangen, § 122 Abs. 1 S. 1, Abs. 2 S. 1 AktG. § 122 Abs. 3 AktG sichert dieses Recht weiter ab, indem eine gerichtliche Ermächtigung der betreffenden Aktionäre zur Einberufung einer Hauptversammlung möglich ist, wenn ihrem Verlangen nicht entsprochen wird. 2.  Elemente der Boardzentrierung Das Tagesgeschäft der Aktiengesellschaft liegt im dualistischen System freilich vollständig in den Händen des Vorstands. Ordnet man dessen Stellung in den dargestellten Rahmen ein, ergibt sich auf den ersten Blick eine gleich doppelte „Boardzentrierung“. Der Vorstand ist vom Aufsichtsrat, nicht von den Aktionären zu bestellen und abzuberufen, § 84 Abs. 1, Abs. 3 AktG. Dadurch bringt das AktG eine der „director’s primacy“-Theorie ver  Fragen der Mitbestimmung bleiben dabei im Folgenden außer Betracht.  Schmidt/Lutter-Drygala § 102 AktG Rn. 7 f.

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gleichbare Prämisse zum Ausdruck: Beim Aufsichtsrat ist nämlich aus deutscher Sicht die Personalkompetenz besser und effizienter zu verorten als bei der Hauptversammlung. De lege ferenda finden sich freilich Vorschläge, die Zuweisung der Personalkompetenz – in Anlehnung an die Niederlande – jedenfalls für kapitalmarktferne Gesellschaften der Satzungsgestaltung zu öffnen.42 Mit Blick auf den Widerruf der Bestellung geht das AktG in der „Boardzentrierung“ sogar noch einen Schritt weiter. Diese erfordert nämlich nach § 84 Abs. 3 S. 1 AktG das Vorliegen eines wichtigen Grundes und stärkt damit die durch § 76 Abs. 1 AktG gewährte unabhängige und eigenverantwortliche Leitungsautonomie des Vorstands. Nach ganz herrschender Meinung kann weder die Satzung noch die Hauptversammlung dem Aufsichtsrat ein Recht zum jederzeitigen Widerruf der Bestellung einräumen oder bestimmte Gründe von vornherein als „wichtige“ festlegen.43 Auch hier findet man allerdings in der Literatur die Anregung, dies für kapitalmarktferne Gesellschaft behutsam satzungsdispositiv zu machen.44 Bei näherem Hinsehen enthält das AktG freilich mit § 84 Abs. 3 S. 2 AktG trotz dieser „doppelten Boardzentrierung“ ein zentrales Aktionärsrecht. Der Vertrauensentzug durch die Hauptversammlung, sofern er nicht aus offenbar unsachlichem Grund erfolgt, ist eines der drei benannten Regelbeispiele für den „wichtigen Grund“ zum Widerruf der Bestellung. Weder ein diesen Vertrauensentzug legitimierender wichtiger Grund noch ein Pflichtverstoß ist hierfür erforderlich.45 Zu erinnern ist außerdem an die bereits erwähnten Minderheitsrechte zur Einberufung einer Hauptversammlung.46 Dieses Recht ändert zwar nichts daran, dass der Aufsichtsrat die Entscheidung über den Widerruf der Bestellung trifft, die Hauptversammlung somit zur Durchsetzung ihres Wunsches auf ihn angewiesen ist.47 Die Aufnahme als Regelbeispiel verschiebt aber die Entscheidungslast, falls der Aufsichtsrat von einem Hauptversammlungsbeschluss abzuweichen wünscht.

 Schmidt/Lutter-Seibt § 84 AktG Rn. 3 mwN.  KK-Mertens/Cahn § 84 AktG Rn. 123; MüKo-Spindler § 84 AktG Rn. 125 f.; Bürgers/Körber-Bürgers/Israel § 84 AktG Rn. 27; Fleischer-Thüsing Hdb Vorstandsrecht § 5 Rn. 12; Janzen NZG 2003, 468, 470. 44  Schmidt/Lutter-Seibt § 84 AktG Rn. 4. 45   Die Kündigung des Anstellungsvertrages ist hiervon grundsätzlich zu trennen, kann aber vertraglich gekoppelt werden. Erfolgt der Widerruf der Bestellung allerdings mit Blick auf den Vertrauensentzug durch die Hauptversammlung, tritt die Beendigung des Dienstvertrags erst mit Ablauf der gesetzlichen Mindestkündigungsfrist ein, BGH NJW 1989, 2683. 46   Handelt es sich um einen Alleinaktionär oder um ganz wenige Aktionäre ist außerdem an die Vollversammlung gemäß § 121 Abs. 6 AktG zu erinnern. 47  MüKo-Spindler § 84 AktG Rn. 139. 42 43

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3.  Ausgewogene Balance Vergleicht man deshalb die Aktionärsrechte des deutschen AktG mit denen des US Rechts, insbesondere der „staggered boards“, wird sofort deutlich, dass die dort monierten Defizite im deutschen Recht nicht bestehen, sondern gerade umgekehrt eine durchaus ausgewogene Mischung aus Aktionärs- und Boardzentrierung zu beobachten ist. Für den Aufsichtsrat gilt eine umfassende Aktionärszentrierung, die Nominierungsrechte ebenso umfasst wie die Möglichkeit, eine Hauptversammlung einzuberufen und die Bestellung zu widerrufen. Mit Blick auf den Vorstand ergibt sich zwar eine Art doppelte Boardzentrierung: Den Aktionären fehlt die Kompetenz, den Vorstand zu bestellen und dessen Leitungsautonomie ist dadurch abgesichert, dass er nur bei Vorliegen eines „wichtigen Grundes“ abrufbar ist. Ein zentrales Aktionärsrecht wirkt dem aber entgegen, denn der Vertrauensentzug durch die Hauptversammlung gilt als „wichtiger Grund“. Eine interpretatorisch oder de lege ferenda zu bewältigende Korrektur dieser Machtbalance mit Blick auf ökonomische Kontrollüberlegungen drängt sich aus demselben Grund nicht auf. Den Aktionären, Eigentümern und Prinzipalen eröffnet das AktG mit Blick auf die Auswechslung des Managements nicht zuletzt deshalb effektive Einwirkungsmöglichkeiten, weil einer Minderheit die Möglichkeit zur Einberufung einer Hauptversammlung gewährt wird. Der in diesem Zusammenhang häufig zu beobachtenden Publizität mag man sogar einen Mechanismus zur Überwindung rationaler Apathie entnehmen.

IV.  Die Abberufung von Vorstandsmitgliedern durch den Aufsichtsrat auf Druck aktivistischer Aktionäre Aus den vorstehenden Ausführungen ließen sich bereits einige Schlussfolgerungen für unseren Anlassfall ziehen. Das Forum für aktivistische Aktionäre, denen an der Auswechslung des Managements gelegen ist, ist die Hauptversammlung. Die Einberufung einer Hauptversammlung zu diesem Zweck können aktivistische Aktionäre, deren Anteile den zwanzigsten Teil des Grundkapitals erreichen, durchsetzen und sich um eine Mehrheitsentscheidung bemühen. Gelingt es ihnen, einen Vertrauensentzug durch die Hauptversammlung zu bewirken, wird der Aufsichtsrat im Regelfall die Bestellung widerrufen, § 84 Abs. 3 AktG.48

48   Zum Vergleich übernahmerechtlicher Neutralitätspflicht und der Abwehr aktivistischer Aktionäre unter amerikanischem Recht Kahan/Rock Anti-Activist Poison Pills, ecgi working paper 364/2017, S. 9, 24.

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Anlass zu den hier vorgestellten Überlegungen hat nun freilich eine dem dualistischen System ganz eigene Fallkonstellation gegeben. Während im monistischen System regelmäßig direkt auf Boardmitglieder eingewirkt wird, um diese zum Rücktritt zu bewegen, haben die hier untersuchten Aktivisten nicht den Umweg über die Hauptversammlung gewählt, sondern unmittelbar versucht, den Aufsichtsrat zur Abberufung von Vorstandsmitgliedern zu bewegen. Auch dafür hält das AktG eine zunächst einmal eindeutige Antwort bereit. Der Widerruf der Bestellung ist unter drei Bedingungen zulässig: Die Aktivisten müssen eine Mehrheit der Aufsichtsratsmitglieder davon überzeugen, dass das betreffende Vorstandsmitglied seine Pflichten nicht hinreichend erfüllt, dieses Fehlverhalten erreicht die Schwelle eines wichtigen Grundes gemäß § 84 Abs. 3 AktG und der Aufsichtsrat trifft eine eigenständige Entscheidung im Unternehmensinteresse. Handelt der Aufsichtsrat nur, um dem Aktionär zu Willen zu sein oder gar um seine eigene Wiederbestellung zu sichern, ist der Widerruf der Bestellung hingegen unzulässig. Übrig bleibt eine in dieser Zuspitzung wohl theoretische Situation: Darf oder muss der Aufsichtsrat ein Vorstandsmitglied abberufen, wenn er hierzu selbst keinen Grund sieht, aber aktivistische Aktionäre negative Folgen prognostizieren, sollte ihrem Drängen nicht entsprochen werden? Das könnte etwa ein erheblicher Reputationsschaden durch mediale Aufmerksamkeit oder ein prognostizierter Kursschaden sein. Denkbar ist auch umgekehrt, dass ein Kursanstieg wahrscheinlich ist, wenn das betreffende Vorstandsmitglied das Unternehmen verlässt. Verletzt der Aufsichtsrat seine Pflichten, wenn er in dieser Situation die Bestellung nicht widerruft? Zum wertungsmäßigen Vergleich bieten sich zwei unterschiedliche Fallgruppen an. Ein Nachgeben gegenüber der Erpressung „räuberischer Aktionäre“ durch den „Abkauf“ einer Anfechtungsklage subsumiert die überwiegende Meinung jedenfalls dann unter § 71 Abs. 1 Nr. 1 AktG, wenn das mildere Mittel des § 246a AktG nicht verfügbar und der drohende Schaden schwer ist und unmittelbar bevorsteht.49 Überträgt man diesen Gedanken auf die Situation des Aufsichtsrats, den ein aktivistischer Aktionär unter Verweis auf einen Kurs-/Reputationsschaden zum Widerruf der Bestellung bewegen möchte, käme dies von vornherein nur in Betracht, wenn ein schwerer Schaden unmittelbar droht und kein milderes Mittel existiert. Neben dem „Abkauf“ einer Anfechtungsklage bietet sich freilich noch eine andere Situation als Vergleichsmaßstab an.50 Fordert die Belegschaft den Widerruf der Bestellung, hielt eine ältere Entscheidung des BGH die daraufhin ausgesprochene „Druckkündigung“ des Anstellungsvertrags für unwirk MüKo-Oechsler § 71 AktG Rn. 131 f.   Zu einer anderen Fallgruppe gehören hingegen rechtmäßige Abberufungsverlangen von Behörden, etwa der Finanzaufsicht, vgl. Fleischer DStR 2006, 1507, 1513 („rechtlicher Zwang“). 49 50

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sam.51 Eine spätere Entscheidung folgt dieser Linie, hielt sich freilich die Beurteilung einer Abberufung offen.52 Für diese gesellschaftsrechtliche Frage akzeptiert die herrschende Meinung im Grundsatz die Rechtmäßigkeit eines Widerrufs der Bestellung, wenn ein schwerer und unmittelbarer Schaden für die Gesellschaft droht und kein milderes Mittel besteht, um eine Einigung mit der Belegschaft herbeizuführen.53 Auch der Hinweis einer Hausbank, sie mache vom Widerruf der Bestellung die Verlängerung eines Kredits zugunsten eines insolvenzgefährdeten Unternehmens abhängig, kann die Rechtmäßigkeit einer „Druckabberufung“ begründen, wenn der drohende Schaden erheblich genug ist und kein milderes Mittel zur Verfügung steht.54 Für den Anlassfall des aktivistischen Aktionärs ergibt sich hieraus aber nur auf den ersten Blick ein weiterer Grund für den Vorstand, dem Drängen nachzugeben. Die „Druckabberufung“ auf Drängen eines Mehrheitsaktionärs beurteilt die herrschende Meinung nämlich genau umgekehrt.55 Ob anders zu entscheiden ist, wenn ein schwerer und unmittelbarer Schaden droht, wird für diese Fallgruppe nicht erwogen. Den Grund hierfür mag man in der aktienrechtlichen Normierung der Kompetenzen verschiedener Akteure erblicken. Während es nämlich in den zuerst genannten Fällen gleichsam um den Angriff eines stakeholders „von außen“ geht, erfolgt die Drohung des Aktionärs „von innen“. Im zuerst genannten Fall, so mag man argumentieren, hat der Aufsichtsrat sämtliche „Waffen“ zu mobilisieren, die ihm zur Verfügung stehen. Der zuletzt genannte Fall wäre nach dieser Lesart als Kompetenzüberschreitung eines aktienrechtlich explizit erfassten Akteurs zu begreifen, nicht als Druck „von außen“. Weil sich dieser kein Erpressungspotential außerhalb dieser Kompetenzordnung soll verschaffen dürfen, hätte der Aufsichtsrat weder Recht noch Pflicht, dem Druck nachzugeben. Die nur vermeintliche Ausnahme für den „Abkauf“ von Anfechtungsklagen lässt sich dann zwanglos einordnen. Der Anfechtungskläger macht von einem ihm eingeräumten Recht Gebrauch, der aktivistische Aktionär nutzt hingegen ein aktienrechtlich nicht erfasstes Erpressungspotential, wenn er beispielsweise eine medienwirksame und kursschädliche Debatte über Verfehlungen des betroffenen Vorstandsmitglieds ankündigt.

  BGHZ 34, 392; hierzu Fleischer DStR 2006, 1507, 1510.   BGH DStR 1999, 1537; Fleischer DStR 2006, 1507, 1510. 53   Fleischer DStR 2006, 1507, 1512 („aktienrechtliche Notstandslage“); Spindler/StilzFleischer § 84 AktG Rn. 120; Großkomm-Kort § 84 AktG Rn. 173; KK-Mertens/Cahn § 84 AktG Rn. 131; MüKo-Spindler § 84 AktG Rn. 136. 54   OLG München NZG 2006, 313; BGH NJR-RR 2007, 389; Fleischer DStR 2006, 1507, 1510; Spindler/Kaulich WuB II A. § 84 AktG 1.07; Goette DStR 2007, 262, 263; Krüger/ Achsnick EWiR 2007, 161 f. 55   BGH WM 1962, 811; Fleischer DStR 2006, 1507, 1513; KK-Mertens/Cahn § 84 AktG Rn. 128; Großkomm-Kort § 84 AktG Rn. 163; MüKo-Spindler § 84 AktG Rn. 138; a.A. Säcker FS G. Müller, 1981, S. 745, 751. 51 52

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Hätte sich deshalb der Aufsichtsrat ohne die Intervention des Aktivisten nicht zu einer Abberufung entschlossen, entsteht allein aufgrund des genannten Drucks kein hiervon unabhängiger wichtiger Grund gemäß § 84 Abs. 3 AktG. Dazu passt, dass die Kommunikation des Eindrucks der „Erpressbarkeit“ gegenüber einer bestimmten Gruppe dem Unternehmensinteresse kaum dienlich sein wird. Den zum Vergleich herangezogenen Fallgruppen des stakeholder-Drucks „von außen“ lässt sich allerdings doch ein Fingerzeig für die Pflichten des Vorstands in Situationen entnehmen, in welchen der Druck „von innen“ ausgeübt wird. Je höher nämlich der schwere und unmittelbar drohende Schaden, desto intensiver die Pflichtenbindung des Vorstands, nach milderen Mitteln zu suchen, um den „Innendruck“ abzumildern. Dazu zählen etwa Versuche, streitige Sachverhalte aufzuklären, zwischen Vorstand und aktivistischem Aktionär zu vermitteln oder alternative Szenarien aufzuzeigen. Auch die sorgfältige „public relations“ Arbeit gegenüber dem Markt darf man hierzu zählen. Das schließt mit Blick auf den aktivistischen Aktionär den Hinweis auf die Gleichbehandlungspflicht des § 53a AktG, auf § 117 AktG, drohende Verstöße gegen das Verbot der Marktmanipulation oder die Regeln über abgestimmtes Verhalten ein. Weiter hat sich der Aufsichtsrat sorgfältig über das tatsächliche Drohpotential zu vergewissern, insbesondere Informationen über die Strategie des Aktivisten einzuholen und etwa erfolgversprechende Reaktionsmöglichkeiten abzuwägen.

V. Ergebnis Die Beurteilung aktivistischer Aktionäre hängt im globalen Vergleich unter anderem mit der Ausprägung existierender Aktionärsrechte zusammen. Je geringer diese ausfallen, desto häufiger beobachtet man die Einordnung von Aktionärsaktivismus als heilsamen Versuch, diese Rechte zu stärken. So sind in boardzentrierten Rechtsordnungen, wie etwa dem Recht des USBundesstaates Delaware, Aktionärsrechte zur Ernennung und Abberufung des Managements schwach ausgebildet. Vor diesem Hintergrund erscheinen aktivistische Aktionäre nicht selten als positiver Beitrag zu guter Unternehmensführung. Das dualistische deutsche System lässt sich demgegenüber mit Blick auf Aktionärsrechte gegenüber dem Aufsichtsrat als aktionärszentriert bezeichnen. Mit Blick auf den Vorstand ist das deutsche System auf den ersten Blick doppelt boardzentriert. Bestellung und Abberufung des Vorstands sind Sache des Aufsichtsrats. § 84 Abs. 3 AktG („wichtiger Grund“) schützt zusätzlich die Leitungsautonomie des Vorstands und „isoliert“ diesen gegenüber Aktionären und Aufsichtsrat. Bei näherem Hinsehen liegt aber in der Möglichkeit eines Vertrauensentzugs durch die Hauptversammlung, kombi-

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niert mit Einberufungsrechten für eine Hauptversammlung ein starkes Aktionärsrecht. Die in rein „board“-zentrierten Rechtsordnungen beklagten GovernanceDefizite bestehen deshalb für das deutsche Recht nicht. Die Abberufung eines Vorstandsmitglieds in Reaktion auf Drängen aktivistischer Aktionäre stellt deshalb einen Pflichtverstoß des Aufsichtsrats dar, wenn dieser hiermit nur eine befürchtete negative Marktreaktion abwehren möchte, ohne selbst das betreffende Vorstandsmitglied für ungeeignet zu halten.

Einstweiliger Rechtsschutz gegen Gesellschafterbeschlüsse Einstweiliger Rechtsschutz gegen die Ausführung noch zu fassender Gesellschafterbeschlüsse Dieter Leuering Gesellschafterbeschlüsse können einschneidende rechtliche und tatsächliche Folgen für den überstimmten Gesellschafter haben. Insbesondere für einen Minderheitsgesellschafter kann daher ein dringendes Bedürfnis nach Gewährung einstweiligen Rechtschutzes bestehen, um seine Rechtsposition bis zur abschließenden gerichtlichen Klärung zu wahren. Zwei Rechtsschutzziele des einstweiligen Rechtschutzes werden in dieser Konstellation hergebrachterweise unterschieden: Das Verhindern einer unerwünschten Beschlussfassung und das Verhindern der Ausführung eines gefassten Beschlusses. Zäsur zwischen beiden Instrumenten soll die Beschlussfassung sein. Tatsächlich kann das Gericht aber bereits die Ausführung eines erst noch zu fassenden Beschlusses einstweilig untersagen.

I.  Bestandsaufnahme: Einstweiliger Rechtsschutz bei Mängeln eines Gesellschafterbeschlusses An der Schnittstelle des Gesellschaftsrechts zum Prozessrecht und dort insbesondere zu den Eilverfahren stößt man auf spannende Probleme. Alfred Bergmann ist bereits der Frage nachgegangen, unter welchen Voraussetzungen die Gesellschaft im Freigabeverfahren nach § 16 Abs. 3 UmwG die Ausführung einer beschlossenen Maßnahme trotz anhängiger Anfechtungsklage erreichen kann.1 Hier soll es umgekehrt um den Rechtschutz des (Minderheits-)Gesellschafters gehen, genauer: um die Frage, ob und inwieweit er einstweiligen Rechtschutz gegen die Ausführung von Beschlüssen der Haupt- oder Gesellschafterversammlung erlangen kann. Um ein Beispiel voranzustellen: Der herrschende Gesellschafter einer konzerneingebundenen GmbH beabsichtigt, einen Gesellschafterbeschluss herbeizuführen, mit dem der „konzernhörige“ Geschäftsführer der Gesellschaft angewiesen werden soll, eine Beteiligungsgesellschaft an einen Dritten zu veräußern. Der Minderheitsgesellschafter hält das Rechtsgeschäft für nachteilig, den Weisungsbeschluss wegen Verstoßes der Mehrheit gegen das Gesellschaftsinteresse für anfechtbar und will die Erteilung der Weisung bis zur abschließenden gerichtlichen Klärung der Angelegenheit untersagen lassen.   Brandner/Bergmann in FS Bezzenberger, 2000, S. 59 ff.

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1.  Einstweilige Regelung des Schwebezustands Die Hauptversammlung der AG und die Gesellschafterversammlung der GmbH treffen ihre Entscheidungen durch einfachen oder qualifizierten Mehrheitsbeschluss. Aus der Möglichkeit, überstimmt zu werden, folgt der Anspruch jedes einzelnen Gesellschafters, dass die Mehrheit bei der Beschlussfassung die gesetzlichen und satzungsmäßigen Vorgaben achtet.2 Gesellschafterbeschlüsse können aus vielerlei Gründen mangelhaft sein.3 Die Mängel können auf Rechtsverstößen beruhen, die im Beschlussverfahren begangen worden sind, sie können aber auch auf den Inhalt des Beschlusses bezogen sein. Ausnahmsweise führen die Mängel zur Nichtigkeit von Hauptversammlungsbeschlüssen; im Regelfall jedoch lediglich zur Anfechtbarkeit. Nichtige Beschlüsse sind von Anfang an unwirksam; eine Heilung ist nur in den Sonderfällen des § 242 AktG möglich. Anfechtbare Beschlüsse sind nicht per se nichtig, sondern kassierbar: sie entfalten zunächst die angestrebte Rechtswirkung, können aber durch Anfechtungsklage und -urteil rückwirkend vernichtet werden. Sie sind damit schwebend wirksam; die Frage ihrer endgültigen Wirksamkeit bleibt bis zur abschließenden gerichtlichen Klärung offen. Dasselbe gilt faktisch auch bei nichtigen Beschlüssen, die von Anfang an unwirksam sind: auch bei ihnen besteht bis zur abschließenden gerichtlichen Feststellung eine Rechtsunklarheit über die weitere Entwicklung.4 Die Möglichkeit, Beschlüsse der Gesellschafterversammlung einer Kontrolle im Hinblick auf ihre formelle und inhaltliche Rechtmäßigkeit hin zu unterziehen, zählt zu den zentralen mitgliedschaftlichen Rechten.5 Allerdings können weder die Anfechtungs- noch die Nichtigkeitsklage verhindern, dass bis zu einer rechtskräftigen Entscheidung irreparable Tatsachen geschaffen werden.6 Offensichtlich ist dies in Fällen, in denen der Beschluss im Wege des Abschlusses eines Rechtsgeschäfts mit einem Dritten (im Beispielsfall: die Veräußerung einer Beteiligung) ausgeführt wird, da eine erfolgreiche Beschlussmängelklage den Vollzugsakt nicht beseitigt.7 Bereits Alfred Hueck wies daher 1924 auf die Möglichkeit hin, den sich aus der Anfechtungsklage ergebenden Schwebezustand mittels einstweiliger Verfügung zu regeln.8 In 2   Baums, Gutachten F für den 63. DJT, 2000, S. F 17 f. sowie F 40; Bayer, VGR-Tagungsband 1999, 2000, 35, 36; Casper in: Spindler/Stilz, AktG, 3. Aufl. 2015, vor § 241 Rn. 7. 3   Überblick bei Noack/Zetzsche in: Kölner Komm. zum AktG, 3. Aufl. 2017, vor § 241 Rn. 20 ff. 4   Altmeppen in: Roth/Altmeppen, GmbHG, 8. Aufl. 2015, § 38 Rn. 68, Raiser in: Festschrift 100 Jahre GmbHG, 1992, 587, 601 f. 5   Winter in: K. Schmidt/Riegger, Gesellschaftsrecht 1999, 37, 40. 6   Noack/Zöllner in: Baumbach/Hueck, GmbHG, 21. Aufl. 2017, Anh. § 47 Rn. 195; Brandner/Bergmann, in FS Bezzenberger, 2000, 59. 7   Winter in: K. Schmidt/Riegger, Gesellschaftsrecht 1999, 37, 54. 8   A. Hueck, Anfechtbarkeit und Nichtigkeit von Gesellschafterbeschlüssen bei Aktiengesellschaften, 1924, S. 183; ein frühes Praxisbeispiel bei RG, JW 1882, 53.

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der Sache strebt der Gesellschafter an, den Gesellschaftsorganen einstweilig die Ausführung des seiner Ansicht nach rechtswidrigen Gesellschafterbeschlusses untersagen zu lassen. Dass diese Rechtsschutzmöglichkeit offensteht, kann heute als allgemein anerkannt gelten.9 Der Erlass einer einstweiligen Verfügung setzt als sicherbaren Anspruch einen Klageanspruch (Leistungsklage, Gestaltungsklage oder Feststellungsklage) voraus, dessen Rechtsverwirklichung und -durchsetzung gesichert werden sollen.10 Die Anfechtungsklage ist ihrer Natur nach Gestaltungsklage, die Nichtigkeitsklage dagegen (jedenfalls auch) Feststellungsklage.11 Deren Rechtsverwirklichung und -durchsetzung sollen gesichert werden. Der Antragsteller muss den zu sichernden prozessualen Anspruch schlüssig darlegen12 und, wie §§ 936, 920 Abs. 2 ZPO anordnen, glaubhaft machen. Dies mündet dann in der Formel, dass ein Verfügungsanspruch gegen die Beschlussausführung besteht, wenn der Beschluss bei summarischer Prüfung als nichtig oder anfechtbar erscheint.13 Antragsberechtigt ist nur, wer anfechtungsbefugt ist.14 Bei der GmbH ist grundsätzlich jeder Gesellschafter anfechtungsbefugt,15 bei der AG setzt die Anfechtungsbefugnis des Aktionärs in aller Regel voraus, dass er die Aktien schon vor der Bekanntmachung der Tagesordnung erworben hat, an der Versammlung teilnimmt und gegen den Beschluss Widerspruch zur Niederschrift erklärt, so § 245 Nr. 1 AktG. Da die einstweilige Verfügung einen Klageanspruch sichern soll, muss die Anfechtungsklage als Hauptsache fristgerecht erhoben werden.16 Allerdings ist es auch ausreichend, dass der Antragsteller glaubhaft macht, dass die Erhebung der Klage beabsichtigt ist,17 so dass der einstweilige Rechtsschutz bereits vorab beantragt werden 9   Drescher in: Münchener Komm. zur ZPO, 5. Aufl. 2016, § 935 Rn. 48; Schwab in: Lutter/K. Schmidt, AktG, 3. Aufl. 2015, § 246 Rn. 65; Waclawik, Prozessführung im Gesellschaftsrecht, 2. Aufl. 2013, Rn. 541; siehe auch § 42 Abs. 4 öGmbHG sowie dazu OGH, GES 2018, 180. 10   Drescher in: Münchener Komm. zur ZPO, 5. Aufl. 2016, § 935 Rn. 6. 11   Koch in: Hüffer/Koch, AktG, 13. Aufl. 2018, § 246 Rn. 8 sowie § 249 Rn. 10; ausf. Casper in: Spindler/Stilz, 3. Aufl. 2015, vor § 241 Rn. 8 ff. 12   Drescher in: Münchener Komm. zur ZPO, 5. Aufl. 2016, § 935 Rn. 12. 13  OLG Saarbrücken, GmbHR 2006, 987, 988; Englisch in: Hölters, AktG, 3. Aufl. 2017, § 243 Rn. 107; Ganzer in: Rowedder/Schmidt-Leithoff, GmbHG, 6. Aufl. 2017, Anh. § 47 Rn. 87; Happ, Die GmbH im Prozeß, 1997, § 25 Rn. 5; Koch in: Hüffer/Koch, AktG, 13. Aufl. 2018, § 243 Rn. 68; Hüffer/Schäfer in: Münchener Komm, zum AktG, 4. Auflage 2016, § 243 Rn. 154. 14   Zöllner/Noack in: Baumbach/Hueck, GmbHG, 21. Auflage 2017, Anh. § 47 Rn. 201. 15   Zöllner/Noack in: Baumbach/Hueck, GmbHG, 21. Auflage 2017, Anh. § 47 Rn. 136. 16  Nach Ablauf der Anfechtungsfrist ist einstweiliger Rechtschutz daher nicht mehr möglich, OLG Nürnberg GmbHR 1993, 588, 559. 17   Drescher in: Münchener Komm. zur ZPO, 5. Aufl. 2016, § 935 Rn. 48; Liebscher/ Alles, ZIP 2015, 1, 3; Zöllner/Noack in: Baumbach/Hueck, GmbHG, 21. Auflage 2017, Anh. § 47 Rn. 201.

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kann. In der Praxis erfolgt der Nachweis der Klageabsicht bspw. im Wege der anwaltlichen Versicherung, dass der Verfügungskläger bereits einen Auftrag zur Erhebung einer Anfechtungsklage erteilt hat. Ein individueller Rechtsnachteil muss nicht geltend gemacht werden, da es sich bei der Anfechtungs- und Nichtigkeitsklage um ein Instrument der objektiven Rechtmäßigkeitskontrolle von Gesellschafterbeschlüssen handelt.18 Zu beachten ist, dass das Freigabeverfahren nach § 246a AktG im Aktienrecht eine Sperrwirkung entfaltet; aus Sicht des Aktionärs ist eine einstweilige Verfügung jedenfalls dann nachrangig, wenn bereits ein solches Verfahren eingeleitet wurde.19 Der Verfügungsgrund liegt vor, wenn zu besorgen ist, dass dem Gesellschafter durch die Ausführung der beschlossenen Maßnahme schwerwiegende Nachteile drohen.20 Die materielle Rechtsposition, die den Verfügungsanspruch bildet, muss also gefährdet sein. Die Gefahr kann sich dabei aus dem Verhalten des Schuldners oder Dritter, aber auch aus sonstigen Umständen ergeben.21 Eine einstweilige Verfügung kommt auch zur Ausführung eines abgelehnten Beschlusses, der im Hauptsacheverfahren mit der kombinierten Anfechtungs- und positiven Beschlussfeststellungsklage angegriffen wird, in Betracht.22 Ob dabei tatsächlich der Verfügungsgrund „kaum glaubhaft zu machen sein“ wird,23 erscheint nicht unmittelbar als zwingend. 2.  Verhinderung einer unerwünschten Beschlussfassung Im Lichte des verfassungsrechtlichen Gebots der Gewährung effektiven Rechtsschutzes (Art. 19 Abs. 4 GG) kann die einstweilige Regelung des sich aus der schwebenden Wirksamkeit ergebenen Schwebezustands nicht ausreichen, wenn es bereits mit der Beschlussfassung selbst zu einer besonders schwerwiegenden, irreversiblen Beeinträchtigung der Interessen des Gesellschafters kommt. Es stellt sich daher die Frage, ob im Wege der einstweiligen Verfügung auch eine unerwünschte Beschlussfassung von vornherein verhin  Waclawik, Prozessführung im Gesellschaftsrecht, 2. Aufl. 2013, Rn. 544.   Koch in: Hüffer/Koch, AktG, 13. Aufl. 2018, § 243 Rn. 68 sowie ders. in: Staub, HGB, 5. Aufl. 2009, § 16 Rn. 43; Hüffer/Schäfer in: Münchener Komm. zum AktG, 4. Auflage 2016, § 243 Rn. 156; a.A. Schwab in: Lutter/K. Schmidt, AktG, 3. Aufl. 2015, § 246 Rn. 65 wegen des „Gebots prozessualer Waffengleichheit“. 20  OLG Jena, NZG 2017, 136, 137 (konkrete wesentliche und nicht wieder gutzumachende Nachteile); KG, GmbHR 2016, 416; OLG Jena, NZG 1998, 992; Ganzer in: Rowedder/Schmidt-Leithoff, GmbHG, 6. Aufl. 2017, Anh. § 47 Rn. 89. 21   Schlitt/Seiler, ZHR 166 (2002), 544, 561. 22   Drescher in: Münchener Komm. zur ZPO, 5. Aufl. 2016, § 935 Rn. 48 a.E.; Happ, Die GmbH im Prozeß, 1997, § 26 Rn. 8; Würthwein in: Spindler/Stilz, AktG, 3. Aufl. 2015, § 243 Rn. 281. 23  So Würthwein in: Spindler/Stilz, AktG, 3. Aufl. 2015, § 243 Rn. 281. 18 19

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dert werden kann, namentlich indem einzelnen Gesellschaftern die Stimmrechtsausübung in einer bestimmten Weise untersagt oder auferlegt oder die Beschlussfassung insgesamt unterbunden wird. Nach der früheren herrschenden Meinung wurde dieser Weg für unzulässig gehalten.24 Eine entsprechende richterliche Anordnung greife einerseits in die Willensbildung der Gesellschafter ein, was dem Grundsatz deren Selbstbestimmung widerspreche, und schaffe andererseits eine endgültige Regelung dergestalt, dass ein durch die einstweilige Verfügung verhinderter Gesellschafterbeschluss im Falle der Aufhebung der einstweiligen Verfügung nicht nachträglich zur Entstehung gelange (Verbot der Vorwegnahme der Hauptsache).25 Dagegen wird jedoch geltend gemacht, dass der verhinderte Beschluss jederzeit nachgeholt werden könne, weshalb keine irreversiblen Zustände geschaffen würden.26 Nach heute herrschender Ansicht ist die Anordnung, sein Stimmrecht in bestimmter Weise auszuüben bzw. nicht auszuüben, im Wege der einstweiligen Verfügung ausnahmsweise zulässig, wobei hierfür sehr hohe Anforderungen gelten;27 kritische Stimmen gibt es aber nach wie vor.28 In Hinblick auf den nach Art. 19 Abs. 4 GG zu gewährenden effektiven Rechtsschutz ist eine einstweilige Verfügung in diesem Fall bei einer eindeutigen Sachlage oder bei einer potentiellen besonders schwerwiegenden Beeinträchtigung der Interessen des Gesellschafters, die nicht auf andere Weise abgewendet werden können, eröffnet.29 Ansonsten ist der Gesellschafter, der sich vorläufig gegen eine anstehende Beschlussfassung wehren möchte, vorrangig auf einstweiligen Rechtsschutz gegen die Ausführung des in der Gesellschafterversammlung gefassten Beschlusses zu verweisen.30

  OLG Frankfurt a. M., BB 1982, 274; OLG Celle, GmbHR 1981, 264, 265 f.   OLG Koblenz, NJW 1991, 1119; v. Gerkan, ZGR 1985, 167, 168; Semler, BB 1979, 1533, 1536; Littbarski, Einstweiliger Rechtsschutz im Gesellschaftsrecht, 1996, S. 153. 26   Nietsch, GmbHR 2006, 393, 395 ff.; Werner, NZG 2006, 761, 763. 27   OLG Düsseldorf, NZG 2005, 633, 634; Buchta, DB 2008, 913, 914; Englisch in: Hölters, AktG, 3. Aufl. 2017, § 243 Rn. 106; Happ, Die GmbH im Prozeß, 1997, § 24 Rn. 1–13; Liebscher/Alles, ZIP 2015, 1, 3; Littbarski, Einstweiliger Rechtsschutz im Gesellschaftsrecht, 1996, S. 154; Noack/Zetzsche in: Kölner Komm. zum AktG, 3. Aufl. 2017, § 246 Rn. 250 ff.; Schlitt/Seiler, ZHR 166 (2002), 544, 574 f.; Waclawik, Prozessführung im Gesellschaftsrecht, 2. Aufl. 2013, Rn. 533; Werner, NZG 2006, 761, 763; Winter in: K. Schmidt/ Riegger, Gesellschaftsrecht 1999, 37, 58 ff. 28   Hüffer/Schäfer in: Münchener Komm. zum AktG, 4. Aufl. 2016, § 243 Rn. 153. 29   OLG Düsseldorf, NZG 2005, 633, 634; Liebscher/Alles, ZIP 2015, 1, 5. 30   OLG Koblenz, NJW 1986, 1692, 1693; Baums, Gutachten F für den 63. DJT, 2000, S. F 206 f.; Casper in: Spindler/Stilz, 3. Aufl. 2015, vor § 241 Rn. 19; Mertens/Cahn in: Kölner Komm. zum AktG, 3. Aufl. 2010, § 93 Rn. 238; Uwe H. Schneider/Sven H. Schneider in: Scholz, GmbHG, 11. Aufl. 2014, § 38 Rn. 74; Teichmann in: Gehrlein/Born/Simon, GmbHG, 3. Aufl. 2017, Anh. § 47 Rn. 85 f.; Witte/Gossen in: Mehrbrey, Handbuch Gesellschaftsrechtliche Streitigkeiten, 2. Aufl. 2015, § 20 Rn. 146. 24 25

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3.  Beschlussfassung als Zäsur Der Zeitpunkt der Beschlussfassung in der Gesellschafterversammlung wird als zeitliche Zäsur für die beiden vorstehenden Rechtsschutzziele betrachtet: Bis dahin kann – unter engen Voraussetzungen – ein Eingriff in die Willensbildung, also eine präventive Verhinderung der Beschlussfassung erfolgen, ab der Beschlussfassung richtet sich der einstweilige Rechtsschutz gegen die Ausführung des dann gefassten Beschlusses.31 – Dieselbe Sicht der Dinge besteht zum materiellen Recht, also letztlich zum Verfügungsanspruch: Der Anspruch des Gesellschafters, dass ein rechtswidriger Beschluss nicht ausgeführt wird, entsteht mit der Fassung des Beschlusses.32

II.  Untersagung der Ausführung eines noch zu fassenden Gesellschafterbeschlusses Die heute h.M., wonach ein Eingriff in die Willensbildung des Verbands ausnahmsweise und unter engen Voraussetzungen zulässig sein soll, will letztlich die Bedenken gegen eine etwaige Vorwegnahme der Hauptsache sowie den Eingriff in die Willensbildung des Verbandes einerseits und das Gebot der Gewährung effektiven Rechtsschutzes aus Art. 19 Abs. 4 GG in den Fällen, in denen eine besonders schwerwiegende Beeinträchtigung der Interessen des Gesellschafters drohen, andererseits, vermittelnd in Einklang bringen. Gerade bei den hier besonders einschlägigen Konflikten zwischen Mehrheit und Minderheit fällt die Beschlussfassung der Gesellschafterversammlung wegen des notwendigen zeitlichen Vorlaufs von Einberufung und Ankündigung der Tagesordnung nicht vom Himmel,33 sondern zeichnet sich ab. Auch wenn man anerkennt, dass der materiell-rechtliche Anspruch des Gesellschafters, dass ein rechtswidriger Beschluss nicht ausgeführt wird, erst

31  Anschaulich Römermann in: Michalski/Heidinger/Leible/J. Schmidt, GmbHG, 3. Auflage 2017, Anh. § 47 Rn. 599.; ferner Englisch in: Hölters, AktG, 3. Aufl. 2017, § 243 Rn. 105; Ganzer in: Rowedder/Schmidt-Leithoff, GmbHG, 6. Aufl. 2017, Anh. § 47 Rn. 87 f.; Würthwein in: Spindler/Stilz, AktG, 3. Aufl. 2015, § 243 Rn. 275, 279; Schlitt/ Seiler, ZHR 166, 544 (572); Teichmann in: Gehrlein/Born/Simon, GmbHG, 3. Aufl. 2017, Anh. § 47 Rn. 85 f.; Terlau in: Michalski/Heidinger/Leible/J. Schmidt, GmbHG, 3. Auflage 2017, § 38 Rn. 78 f.; Waclawik; Prozessführung im Gesellschaftsrecht, 2. Aufl. 2013, Rn. 445. 32   Baums, Gutachten F für den 63. DJT, 2000, S. F 205; Leuering in: Semler/Volhard/ Reichert, Arbeitshandbuch für die Hauptversammlung, 4. Aufl. 2018, § 47 Rn. 4. 33   Dass dies bei der Komplementär-GmbH einer Einheits-GmbH & Co. KG dennoch passieren kann, zeigt OLG Hamm, Urteil vom 7.3.2018 – 8 U 2/18 = BeckRS 2018, 7978 (einstweiliger Rechtschutz).

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mit der Beschlussfassung entsteht,34 stellt sich die Frage, ob nicht die Ausführung eines noch zu fassenden Beschlusses untersagt werden kann. In diesem Fall würde nicht in die Willensbildung der Gesellschafterversammlung eingegriffen werden. Die Gesellschafter mögen beschließen, was sie wollen – der gebildete Wille dürfte auf gerichtliche Untersagung hin nicht in die Tat umgesetzt werden. 1.  Unterscheidung zwischen Beschlussfassung und Beschlussausführung Der Hebel wird dabei zwischen Beschlussfassung und Beschlussausführung angesetzt. Beschlussfassung meint die interne Willensbildung innerhalb des Verbands nach den §§ 133 ff. AktG resp. §§ 47 ff. GmbHG und den in der Satzung vorgesehenen Regelungen. Wurde dieser Wille gebildet, ist danach zu unterscheiden, ob der Beschluss noch eines vollziehenden Aktes bedarf. Zahlreiche Beschlüsse bedürfen keiner weiteren Ausführung. Als Beispiele lassen sich die Feststellung des Jahresabschlusses durch die Gesellschafter gem. § 46 Nr. 1 GmbHG resp. § 173 Abs. 1 Satz 1 AktG35 sowie der Auflösungsbeschluss gem. § 60 Abs. 1 Nr. 2 GmbHG resp. §§ 119 Abs. 1 Nr. 8, 262 Abs. 1 Nr. 2 AktG36 anführen. Beschlüsse dieser Art entfalten mit ihrer Fassung die intendierte Rechtswirkung. Zahlreiche Beschlüsse bedürfen demgegenüber eines Ausführungsakts, der neben die Willensbildung tritt;37 dies dürfte für die überwiegende Zahl aller Beschlüsse gelten. Dies kann zunächst im Außenverhältnis notwendig sein, so wenn ein Beschluss zu seiner Wirksamkeit der Eintragung in das Handelsregister bedarf oder seine Umsetzung im Wege des Abschlusses eines Rechtsgeschäfts erfolgt. Ausführungsbedürftig sind auch Beschlüsse, die im Wege der Kundgabe an den Adressaten umgesetzt werden. Beispiele sind die Bestellung und Abberufung eines Geschäftsführers. Beide erfordern neben dem Gesellschafterbeschluss gem. § 46 Nr. 5 GmbHG eine rechtsgeschäftliche Erklärung gegenüber dem Geschäftsführer.38 Bedarf die Abtretung von Geschäftsanteilen nach dem Gesellschaftsvertrag der Genehmigung der Gesellschaft (§ 15 Abs. 5 GmbHG), kann die Ausführungshandlung entweder im Innenverhältnis (Kundgabe gegenüber dem Gesellschafter) oder im Außenverhältnis (Kundgabe gegenüber dem Erwerber) erfolgen. Auch die Entlastung ist in dem hier verwendeten Sinne ausführungsbedürftig, weil neben den Beschluss über die Entlastung noch deren Erteilung, also die   Oben Fn. 32.   Zur Rechtsnatur der Feststellung des Jahresabschlusses BGH, NZG 2009, 659 Rn. 15. 36   K. Schmidt in: Scholz, GmbHG, 11. Aufl. 2014, § 45 Rn. 23. 37   K. Schmidt in: Scholz, GmbHG, 11. Aufl. 2014, § 45 Rn. 23; Mülbert in: Großkomm. zum AktG, 5. Aufl. 2017, Vor § 118 Rn. 36. 38   K. Schmidt in: Scholz, GmbHG, 11. Aufl. 2014, § 45 Rn. 29; Zöllner/Noack in: Baumbach/Hueck, GmbHG, 21. Aufl. 2017, § 38 Rn. 28. 34 35

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Kundgabe gegenüber dem Adressaten, treten muss.39 Ebenso muss der Weisungsbeschluss der Gesellschafterversammlung aus dem Beispielsfall, um überhaupt zur Weisung zu werden, gegenüber dem Geschäftsführer kundgetan werden. Beschlussfassung und -ausführung fallen oftmals zusammen, wenn der oder die Adressaten bei der Beschlussfassung zugegen sind,40 wenn also bspw. der Geschäftsführer als Weisungsempfänger an der Gesellschafterversammlung teilnimmt. Eine separate ausführende Kundgabe ist in diesen Fällen nicht erforderlich – es sei denn, dass die Gesellschafter eine separate Ausführungshandlung vorsehen; darauf ist zurückzukommen. 2. Verfügungsanspruch Die Untersagung der Ausführung eines noch zu fassenden Beschlusses bedarf eines Verfügungsanspruchs. Verfügungsanspruch ist derjenige Anspruch, den der Antragsteller im Hauptsacheverfahren geltend machen will und der im Verfügungsverfahren gesichert werden soll.41 Da eine Anfechtungs- und Nichtigkeitsklage mangels angreifbaren Beschlusses zu diesem Zeitpunkt noch nicht erhoben werden kann, ist sie nicht der zu sichernde Klageanspruch. Es stellt sich daher die Frage, ob der Gesellschafter materiell-rechtlich einen vorbeugenden Unterlassungsanspruch gegen die Ausführung eines noch zu fassenden Beschlusses hat. Dieser könnte unter zwei Gesichtspunkten bestehen: als deliktischer Schutz der Mitgliedschaft sowie als Anspruch aus der Mitgliedschaft als solcher. a)  Deliktischer Schutz der Mitgliedschaft Die Mitgliedschaft in einem Verband, etwa einem Idealverein, einer GmbH oder einer AG, wird heute von der ganz h.M. als sonstiges absolutes Recht i.S. von § 823 Abs. 1 BGB anerkannt und ist damit deliktsrechtlich geschützt.42 Dies erlaubt dann den Rückgriff auf die allgemeine actio nega39   Mülbert in: Großkomm. zum AktG, 5. Aufl. 2017, Vor § 118 Rn. 36; a.A. Liebscher in: Münchener Komm. zum GmbHG, 2. Aufl. 2016, § 46 Rn. 138. 40   BGH, NZG 2003, 771; K. Schmidt, Gesellschaftsrecht, 4. Aufl. 2002, S. 440 („konkludente Ausführung“ des Beschlusses); Zöllner/Noack in: Baumbach/Hueck, GmbHG, 21. Aufl. 2017, § 38 Rn. 28 und 42. 41   Schuschke in: Schuschke/Walker, Vollstreckung und Vorläufiger Rechtschutz, 6. Aufl. 2016, § 935 ZPO Rn. 5. 42   BGHZ 110, 323, 327 f., 334 „Schärenkreuzer“ (zum Verein); grundlegend Habersack, Die Mitgliedschaft – subjektives und ‚sonstiges‘ Recht, 1996, S. 117 ff.; ferner Altmeppen in: Krieger/Uwe H. Schneider, Handbuch Managerhaftung, 3. Aufl. 2017, Rz. 7.29; Casper in: Spindler/Stilz, AktG, 3. Aufl. 2015, vor § 241 Rn. 16; J. Haeger in: Staudinger, BGB, Neubearb. 2017, § 823 B Rn. 148; Koch in: Hüffer/Koch, AktG, 13. Aufl. 2018, § 93 Rn. 64; Raiser/Veil, Recht der Kapitalgesellschaften, 6. Aufl. 2015, § 11 Rn. 17.

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toria, eine Abwehrklage kann also auf eine analoge Anwendung von § 1004 BGB gestützt werden.43 Hier schließt sich die Frage an, ob eine Pflichtwidrigkeit eines Gesellschaftsorgans eine deliktische Verletzung des Mitgliedschaftsrechts des einzelnen Gesellschafters darstellt.44 Zahlreiche Stimmen verneinen einen deliktischen Schutz des Innenverhältnisses der Gesellschaft, sehen also ein pflichtwidriges Verhalten der Verbandsorgane gegenüber dem einzelnen Mitglied als nicht vom deliktischen Schutz erfasst an.45 Nach gegenteiliger Auffassung ist auch das Innenverhältnis der Gesellschaft erfasst,46 weswegen der Aktionär einen deliktischen Anspruch auf Unterlassung der Ausführung eines anfechtbaren Beschlusses hat.47 Bejaht man den deliktischen Schutz, besteht im Vorfeld eines drohenden Schadensereignisses auch ein vorbeugender Abwehr- und Unterlassungsanspruch analog § 1004 BGB.48 b)  Verbandsrechtlicher Anspruch Neben dem deliktischen Schutz der Mitgliedschaft steht dem Aktionär nach der Holzmüller-Entscheidung des BGH ein mitgliedschaftliches Abwehrrecht zu:49 „Jeder Aktionär hat einen verbandsrechtlichen Anspruch 43   Ebbing in: Michalski/Heidinger/Leible/J. Schmidt, GmbHG, 3. Auflage 2017, § 14 Rn. 106; Merkt in: Münchener Komm. zum GmbHG, 3. Auflage 2018, § 13 Rn. 314; K. Schmidt, Gesellschaftsrecht, 4. Aufl. 2002, S. 645; ders., ZGR 2011, 108, 116 f.; dasselbe gilt im Fall des Eingriffs in den eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb, z.B. OLG Jena NZG 2014, 391. 44   K. Schmidt, Gesellschaftsrecht, 4. Aufl. 2002, S. 650; Koch in: Hüffer/Koch, AktG, 13. Aufl. 2018, § 93 Rn. 64. 45   Flume, Allg. Teil des Bürgerlichen Rechts, I. Bd./2. Teil: Die juristische Person, S. 307 und dort in Fn. 188; Hopt/Roth in: Großkomm. zum AktG, 5. Aufl. 2015, § 93 Rn. 628; Zöllner/Noack in: Baumbach/Hueck, GmbHG, 21. Auflage 2017, § 43 Rn. 65; K. Schmidt, ZGR 2011, 108, 116 f.; Spindler in: Münchener Komm. zum AktG, 4. Aufl. 2014, § 93 Rn. 307; Wagner in: Münchener Komm. zum BGB, 7. Auflage 2017, § 823 Rn. 308; Zöllner, ZGR 1988, 392, 430. 46   Altmeppen in: Krieger/Uwe H. Schneider, Handbuch Managerhaftung, 3. Aufl. 2017, Rz. 7.33; Mertens/Cahn in: Kölner Komm. zum AktG, 3. Aufl. 2010, § 93 Rn. 211; Götz/ Götz, JuS 1995, 106, 109; Koch in: Hüffer/Koch, AktG, 13. Aufl. 2018, § 93 Rn. 64; Sprau in: Palandt, BGB, 77. Aufl. 2018, § 823 Rn. 21 unter Berufung auf die h.M. 47   Casper in: Spindler/Stilz, AktG, 3. Aufl. 2015, vor § 241 Rn. 19 f.; J. Haeger in: Staudinger, BGB, Neubearb. 2017, § 823 B Rn. 148. 48   Ebbing in: Michalski/Heidinger/Leible/J. Schmidt, GmbHG, 3. Auflage 2017, § 14 Rn. 106; Reichert/Weller in: Münchener Komm. zum GmbHG, 3. Auflage 2018, § 14 Rn. 59; K. Schmidt, Gesellschaftsrecht, 4. Aufl. 2002, S. 646 sowie 649; auch wohl J. Haeger in: Staudinger, BGB, Neubearb. 2017, § 823 B Rn. 148. 49  Ausführlich Baums, Gutachten F für den 63. DJT, 2000, S. F 197 ff., insb. S. F 201; Flume, Allg. Teil des Bürgerlichen Rechts, I. Bd. / 2. Teil: Die juristische Person, S. 309 ff.; Habersack, Die Mitgliedschaft – subjektives und ‚sonstiges‘ Recht, 1996, S. 11 ff.; ferner Casper in: Spindler/Stilz, AktG, 3. Aufl. 2015, vor § 241 Rn. 14; Knobbe-Keuk, FS Baller­

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darauf, dass die Gesellschaft seine Mitgliedsrechte achtet und alles unterlässt, was sie über das durch Gesetz und Satzung gedeckte Maß hinaus beeinträchtigt.“50 Dieser Grundsatz wurde in den Entscheidungen Gelatine und Commerzbank/Mangusta bestätigt.51 Im Aktienrecht wird hieraus ein Anspruch des Aktionärs auf Unterlassung der Ausführung eines anfechtbaren Beschlusses abgeleitet.52 Die GmbHrechtliche Literatur ist zurückhaltender, dort steht in der Diskussion der Klagerechte des GmbH-Gesellschafters die actio pro socio nebst Klagerecht des Gesellschafters gegen den Geschäftsführer im Vordergrund;53 in den Grenzbereichen zeigen sich gelegentlich gewisse Unschärfen. Weniger Aufmerksamkeit erfährt das mitgliedschaftliche Abwehrrecht des Gesellschafters gegenüber dem Verband, das in der Sache gerade kein Anwendungsfall der actio pro socio ist.54 Bejaht wird es in der klassischen Holzmüller-Konstellation, wenn also die Geschäftsführung in den Zuständigkeitsbereich der Gesellschafterversammlung eingreift.55 Jenseits dessen soll eine Abwehrklage gegen die Gesellschaft wegen rechtswidrigen oder gar nur unzweckmäßigen Verhaltens des Organs innerhalb seines Aufgabenbereiches in aller Regel nicht offenstehen, der Gesellschafter wird auf seine Rechte aus § 50 GmbHG verwiesen, der ihm eine Einberufung der gegenüber der Geschäftsführung weisungsberechtigten Gesellschafterversammlung ermöglicht.56 Eine (Rück-)Ausnahme hiervon wird dann allerdings für Konstellationen angenommen, in denen der Gesellschafter aus dringenden Gründen auf einstweiligen Rechtsschutz im Vorfeld einer Gesellschafterversammlung angewiesen ist: Dem Gesellschafter ist es dann gestattet, einen Verfügungsantrag aus stedt, 1995, S. 239 ff.; Mülbert in: Großkomm. zum AktG, 5. Aufl. 2017, § 119 Rn. 125 und ausführlicher ders. dort in der 4. Aufl. 1999, vor §§ 118-147 Rn. 212 ff.; Mertens/Cahn in: Kölner Komm. zum AktG, 3. Aufl. 2010, § 93 Rn. 212; Zöllner, ZGR 1988, 392, 420 ff. 50   BGHZ 83, 122, 133. 51   BGHZ 159, 30, 33 ff.; BGH ZIP 2004, 1001; BGHZ 164, 249, 254. 52   Baums, Gutachten F für den 63. DJT, 2000, S. F 205 f.; Mertens/Cahn in: Kölner Komm. zum AktG, 3. Aufl. 2010, § 93 Rn. 238; Casper in: Spindler/Stilz, AktG, 3. Aufl. 2015, vor § 241 Rn. 15; Hölters in: Hölters AktG, 3. Auflage 2017, § 93 Rn. 383; Raiser in: Bayer/Habersack, Aktienrecht im Wandel, 2007, Bd. 2, Kap. 14 Rn. 79. 53  Zur actio pro socio z.B. Grunewald in: Fleischer/Kalss/Vogt, Enforcement im Gesellschafts- und Kapitalmarktrecht, 2015, 209 sowie Verse in: FS Uwe H. Schneider, 2011, 1325. 54   Baums, Gutachten F für den 63. DJT, 2000, S. F 199 ff.; K. Schmidt, Gesellschaftsrecht, 4. Aufl. 2002, S. 645. 55   Habersack, in: Emmerich/Habersack, Aktien- und GmbH-Konzernrecht, 8. Aufl. 2016, Anh. § 318 Rn. 31; Reichert/Weller in: Münchener Komm. zum GmbHG, 3. Aufl. 2018, § 14 Rn. 60; Merkt in: Münchener Komm. zum GmbHG, 3. Auflage 2018, § 13 Rn. 315; Böhm in: Münchener Handbuch des GesR (Bd. 3 – GmbH), 5. Aufl. 2018, § 31 Rn. 37; Verse, in Henssler/Strohn, GesR, 3. Aufl. 2016, Anh. § 13 GmbHG Rn. 54. 56   Reichert/Weller in: Münchener Komm. zum GmbHG, 3. Aufl. 2018, § 14 Rn. 60; Ebbing in: Michalski/Heidinger/Leible/J. Schmidt, GmbHG, 3. Auflage 2017, § 14 Rn. 108; weitergehend jedoch Happ, Die GmbH im Prozeß, 1997, § 26 Rn. 8.

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eigenem Recht anzubringen;57 anderenfalls könnte gerade in Fällen, in denen es dringend einer vorläufigen Regelung bedarf, kein Rechtsschutz erlangt werden, bevor die Gesellschafterversammlung als Beschlussorgan der Gesellschaft ordnungsgemäß zusammentreten kann.58 Bayer stellte im Jahr 2000 fest, dass die tatbestandlichen Voraussetzungen des mitgliedschaftlichen Abwehrrechts weitgehend ungeklärt sind59 – was nach wie vor zutrifft. Allgemein wird von einer vom BGH vorgenommenen Fortbildung des Rechts ohne Grundlage im Gesetz gesprochen.60 Allerdings hat der BGH bei anderer Gelegenheit ausgesprochen, dass jedes Mitglied einen Anspruch darauf hat, „dass der Vorstand seine Mitgliedschaftsrechte nicht verletzt. Geschieht das, so begründet das – ähnlich der positiven Vertragsverletzung – Schadensersatzpflichten, für die der Verein nach § 31 BGB haftet.“61 Der Gesetzgeber hat die Grundsätze der positiven Vertragsverletzung zwischenzeitlich in § 241 Abs. 2 BGB in Form von Schutzpflichten kodifiziert. Danach kann das Schuldverhältnis nach seinem Inhalt jeden Teil zur Rücksicht auf die Rechte, Rechtsgüter und Interessen des anderen Teils verpflichten. Die Schutzpflichten dienen dem Zweck, die Rechtsgüter einer Partei vor Verletzungen der anderen Partei zu schützen.62 Auf eine drohende positive Vertragsverletzung hätte der BGH den Unterlassungsanspruch im Holzmüller-Fall seinerzeit nicht stützen können, da den Schutzpflichten vielfach die Klagbarkeit abgesprochen, ein materieller Erfüllungsanspruch aus den Schutzpflichten also abgelehnt wird.63 Dass die Annahme eines „unterentwickelten Schutzanspruches“, der erst nach schuldhafter Verletzung zu einem Schadensersatzanspruch erstarkt, allerdings unzutreffend ist, haben jüngst Bachmann/Schirmer überzeugend dargelegt: Gerade mit Blick darauf, dass § 1004 Abs. 1 Satz 2 BGB ganz erhebliche Rechtsschutzlücken klaffen lässt, die nur ein Schutzanspruch aus Sonder57   Bauckelmann in: Rowedder/Schmidt-Leithoff, GmbHG, 6. Aufl. 2017, § 38 Rn. 27; Kleindiek in: Lutter/Hommelhoff, GmbHG, 19. Aufl., 2016, § 38 Rdn. 5; Zöllner/Noack in: Baumbach/Hueck, GmbHG, 21. Aufl. 2017, § 38 Rn. 71 (zur drohenden Abberufung des Gesellschafter-Geschäftsführers). 58   OLG Frankfurt am Main, NZG 1999, 213; OLG Köln GmbHR 2001, 629 (Ls.) = BeckRS 2001, 30154761. 59   Bayer, NJW 2000, 2609, 2614; Fehrenbach, Der fehlerhafte Gesellschafterbeschluss in der GmbH, 2011, S. 198. 60   Bayer, NJW 2000, 2609, 2613; Raiser in: Bayer/Habersack, Aktienrecht im Wandel, 2007, Bd. 2, Kap. 14 Rn. 80. 61   BGHZ 90, 92, 95 (zum Verein); gleichsinnig BGHZ 110, 323, 327 „Schärenkreuzer“; ebenso K. Schmidt, Gesellschaftsrecht, 4. Aufl. 2002, S. 553; Markwardt WM 2004, 211, 212; weitergehend Götz/Götz, JuS 1995, 106, 107: Haftung nicht ähnlich einer positiven Vertragsverletzung, sondern aus positiver Vertragsverletzung. 62   BGH, NJW 1983, 2813, 2814; Bachmann/Schirmer in: FS Canaris, 2017, S. 371, 394 f. 63   Nachweise zum Streitstand bei Olzen in: Staudinger, BGB, Neubearb. 2015, § 241 Rn. 553 ff.; ausführlich Bachmann/Schirmer in: FS Canaris, 2017, S. 371, 372 ff. sowie 384 ff.

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beziehung schließen kann, korrespondiert mit einer Schutzpflicht aus § 241 Abs. 2 BGB – jedenfalls seit ihrer positivrechtlichen Kodifizierung – grundsätzlich ein vorbeugender und bei Bedarf auch einklagbarer Schutzanspruch.64 Indem die Rechtsordnung das Bestandsinteresse unter Schutz stellt, will sie nicht nur sicherstellen, dass spätere Schäden ausgeglichen werden, sondern will sie primär verhindern, dass es überhaupt zu einer Verletzung kommt.65 Dem Gläubiger kann es in einer Sonderverbindung nicht verwehrt sein, eine Gefahr für eines seiner Rechtsgüter präventiv abzuwehren, denn die Schutzpflichten dienen gerade dem Ziel, diese Rechtsgüter vor Beeinträchtigung zu schützen.66 Der so verstandene vorbeugende Erfüllungsanspruch aus Schutzpflichten setzt voraus, dass durch eine erfolgte, andauernde oder bevorstehende Einwirkung des Schutzverpflichteten eine unmittelbare Gefahr, also eine drohende Verletzung für ein Rechtsgut des Inhabers besteht.67 Bachmann/Schirmer greifen Stürners Beispiel des Schülers einer Privatschule auf, der seine körperliche Integrität durch ein schadhaftes Ziegeldach gefährdet sieht.68 In hiesigen Zusammenhang könnte man beispielshaft den – wenn man es noch steigern wollte: in einer offensichtlich fehlerhaft einberufenen Gesellschafterversammlung gefassten – Weisungsbeschluss gegenüber unserem „konzernhörigen“ Geschäftsführer anführen, eine florierende ertragsstarke Beteiligungsgesellschaft zu einem symbolischen Kaufpreis von 1,– Euro an einen Dritten zu veräußern. Jedes Verbandsmitglied hat Anspruch darauf, dass die Verwaltung seine Mitgliedschaftsrechte nicht verletzt. Dies begründet eine Schutzpflicht, die – entsprechend den Überlegungen des BGH zur positiven Vertragsverletzung – denen aus § 241 Abs. 2 BGB jedenfalls ähnelt. Auch hier will die Rechtsordnung primär verhindern, dass es überhaupt zu einer Verletzung kommt. Damit ist den Aktionären und GmbH-Gesellschaftern dem Grunde nach ein vorbeugender und bei Bedarf auch einklagbarer Erfüllungsanspruch zuzusprechen.69 Zwar besteht kein umfassendes Mitgliedschaftsrecht auf gesetz- und satzungsmäßiges Verhalten der Verwaltung;70 Umfang und   Bachmann/Schirmer in: FS Canaris, 2017, S. 371, 394.   So nahezu wörtlich Bachmann/Schirmer in: FS Canaris, 2017, S. 371, 394. 66   Bachmann in: Münchener Komm. zum BGB, 8. Aufl. 2018, § 241 Rn. 109 (im Erscheinen). 67   Bachmann/Schirmer in: FS Canaris, 2017, S. 371, 394 f. 68   Stürner, JZ 1976, 384, 386. 69   Im Erg. ähnlich Fehrenbach, Der fehlerhafte Gesellschafterbeschluss in der GmbH, 2011, S. 205. 70   Zu dieser Einschränkung Baums, Gutachten F für den 63. DJT, 2000, S. F 201 ff.; Bayer, NJW 2000, 2609, 2611; Knobbe-Keuk, FS Ballerstedt, 1995, 239, 251 ff.; Fehrenbach, Der fehlerhafte Gesellschafterbeschluss in der GmbH, 2011, S. 206; Mertens/Cahn, in: Kölner Komm. zum AktG, 3. Aufl. 2010, § 93 Rn. 225; Raiser, in: Bayer/Habersack, Aktienrecht im Wandel, 2007, Bd. 2, Kap. 14 Rn. 19 und 78; Zöllner, ZGR 1988, 392, 421 f.; a.A. Paefgen, ZHR 172 (2008), 42, 75 ff. 64

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Grenzen dieser Einschränkung müssen hier jedoch nicht weiter entfaltet werden, da jedenfalls die (Nicht-)Ausführung rechtswidriger Gesellschafterbeschlüsse erfasst ist. Dieses mitgliedschaftliche Abwehrrecht kann auch vorbeugend geltend gemacht werden. 3.  Drohende Beschlussfassung Der Gesellschafter bedarf eines Verfügungsgrunds. Er liegt vor, wenn die objektiv begründete Gefahr besteht, dass durch Veränderung des status quo die Rechtsverwirklichung des Antragstellers mittels des im Hauptsacheprozess erlangten Urteils einschließlich dessen Vollstreckung vereitelt oder erschwert werden könnte.71 Hauptsache ist hier nicht die Beschlussmängelklage, sondern die vorbeugende Unterlassungsklage. Droht also, dass ein rechtswidriger Beschluss gefasst wird, kann derjenige, der hiergegen eine Beschlussmängelklage erheben kann, die Ausführung des noch zu fassenden Beschlusses gerichtlich einstweilig untersagen lassen. Ob die Fassung eines rechtswidrigen Beschlusses droht, hat das Gericht des einstweiligen Rechtschutzes zu beurteilen. In aller Regel wird man fordern müssen, dass die Versammlung bereits einberufen wurde. Geht die Einberufung vom Lager des Mehrheitsgesellschafters aus und begehrt ein Minderheitsgesellschafter einstweiligen Rechtschutz, wird die drohende Beschlussfassung in aller Regel offensichtlich sein.72 Ansonsten kann das angekündigte Stimmverhalten der Mitgesellschafter mittels eidesstattlicher Versicherung glaubhaft gemacht werden. 4.  Notwendige Modifikation der Beschlussinhalte Impossibilium nulla est obligatio. Wäre es der Gesellschaft nicht möglich, die Verfügung zu befolgen, dürfte sie nicht ergehen. Das ist indes nicht der Fall: Bedarf der Beschluss zu seiner Ausführung der Eintragung in das Handelsregister, des Abschlusses eines Rechtsgeschäfts oder der Kundgabe gegenüber einem nicht anwesenden Adressaten, kann das zur Vertretung der Gesellschaft berufene Organ diese Ausführungshandlung unterlassen. Aber auch, wenn der Adressat des Beschlusses während der Beschlussfassung anwesend ist, kann verhindert werden, dass Beschlussfassung und -kundgabe zusammenfallen und es zu einer „automatischen Beschlussausführung“ kommt: Die Gesellschafter können den Beschluss um den Vorbehalt ergänzen, dass er eines separaten Aktes der Umsetzung bedarf.73 Beispielsweise   Drescher in: Münchener Komm. zur ZPO, 5. Aufl. 2016, § 935 Rn. 15.   Kritisch dazu Noack/Zetzsche in: Kölner Komm. zum AktG, 3. Aufl. 2017, § 246 Rn. 250. 73   Seibt in: Scholz, GmbHG, 12. Aufl. 2018, § 15 Rn. 125. 71 72

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könnte der Geschäftsführer oder ein Gesellschafter beauftragt und ermächtigt werden, den Beschluss im Wege der schriftlichen Kundgabe gegenüber dem Adressaten auszuführen. Rechtlich ist solch eine Ermächtigung möglich.74 Die Gesellschafter geben mit diesem Vorbehalt kund, dass sie zum Zeitpunkt der Beschlussfassung keinen Vollzug beabsichtigen.75 5.  Verhältnis der verschiedenen Rechtschutzziele zueinander Abschließend ist zu fragen, wie sich das Rechtsschutzziel der Untersagung der Ausführung eines noch zu fassenden Gesellschafterbeschlusses zu den beiden hergebrachten Rechtschutzzielen, der Untersagung der Ausführung eines bereits gefassten Beschlusses sowie die Untersagung der Beschlussfassung, verhält. Die Antwort hierauf ergibt sich aus dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, dem die richterliche Anordnung zu genügen hat.76 Die angeordnete Maßnahme muss zur Sicherung erforderlich sein, sich aber auf den geringstmöglichen Eingriff beschränken; von mehreren möglichen Maßnahmen ist diejenige zu wählen, die für den Schuldner die geringste Beeinträchtigung bedeutet.77 Mit der Untersagung der Ausführung eines noch zu fassenden Gesellschafterbeschlusses ist kein Eingriff in die Willensbildung des Verbandes verbunden; sie bringt insoweit eine geringere Beeinträchtigung mit sich. Eine Verfügung dieses Inhalts genießt daher den Vorrang gegenüber der Verhinderung einer Beschlussfassung, bei der einzelnen Gesellschaftern die Stimmrechtsausübung in einer bestimmten Weise untersagt oder auferlegt oder die Beschlussfassung insgesamt untersagt wird. Kann also die Beschluss­ ausführung mit der Beschlussfassung zusammenfallen, ist die Ausführung des noch zu fassenden Gesellschafterbeschlusses zu untersagen und nicht in die Beschlussfassung selbst einzugreifen. Anders als bei dem Eingriff in die Willensbildung sind an die Begründetheit dieses Antrags keine erhöhten Anforderungen (wie eine potentiell besonders schwerwiegende Interessenbeeinträchtigung) zu stellen. Kann es nicht zu diesem Zusammenfallen kommen, sondern bedarf es als Ausführungsakt eines Außengeschäfts der Gesellschaft, ist abzuwägen, ob dem Gesellschafter zuzumuten ist, zunächst die tatsächliche Beschlussfassung abzuwarten. Ein Wettrennen ist indes nicht zumutbar. Droht bspw. die unmittelbare Umsetzung der beschlossenen Maßnahme durch Anmeldung zur Eintragung in das Handelsregister oder Vertragsschluss mit einem Drit-

  K. Schmidt in: Scholz, GmbHG, 12. Aufl. 2014, § 45 Rn. 30.   Siehe BGH NZG 2003, 771, 772 zur regelmäßig gegebenen „Vollzugsabsicht“. 76   Huber in: Musielak/Voit, ZPO, 15. Aufl. 2018, § 938 Rn. 6. 77   Mayer in: BeckOK ZPO, Stand: 1. März 2018, § 938 Rn. 6. 74 75

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ten, erscheint eine Untersagung der Ausführung des erst noch zu fassenden Gesellschafterbeschlusses als verhältnismäßig.

IV. Zusammenfassung 1. Jeder Gesellschafter hat Anspruch darauf, dass die Gesellschaftsorgane seine Mitgliedschaftsrechte nicht verletzen, allerdings mit der Einschätzung, dass ein umfassendes Mitgliedschaftsrecht auf gesetz- und satzungsmäßiges Verhalten der Verwaltung nicht besteht. Ein Verstoß hiergegen ähnelt zumindest der Verletzung einer Schutzpflicht aus § 241 Abs. 2 BGB. Schutzpflichten gewähren nach richtiger Auffassung einen vorbeugenden Erfüllungsanspruch. Hieraus folgt ein vorbeugendes Abwehrrecht des Gesellschafters gegen die Ausführung eines anfechtbaren oder nichtigen Beschlusses. 2. Dieser aus der Mitgliedschaft folgende Anspruch gegen die Ausführung eines anfechtbaren oder nichtigen Beschlusses kann im Wege des einstweiligen Rechtschutzes gesichert werden. Ob daneben auch ein inhaltsgleicher Anspruch aus dem deliktischen Schutz der Mitgliedschaft besteht, ist streitig. 3. Droht, dass ein rechtswidriger Beschluss gefasst wird, kann ein Gesellschafter die Ausführung des noch zu fassenden Beschlusses bis zur abschließenden gerichtlichen Klärung der Wirksamkeit des Beschlusses einstweilig untersagen lassen, sofern ihm durch die Ausführung der beschlossenen Maßnahme schwerwiegende Nachteile drohen. 4. Die einstweilige Untersagung der Ausführung eines noch zu fassenden Gesellschafterbeschlusses beinhaltet eine geringere Beeinträchtigung als der von der h.M. in engen Grenzen für zulässig gehaltene Eingriff in die Willensbildung des Verbandes und genießt daher Vorrang.

Formbedürftigkeit der Kapitalerhöhung und verbundener Geschäfte Jan Lieder I.  Zum Thema In der jüngeren Vergangenheit wird verstärkt über die Formbedürftigkeit von Beteiligungsverträgen, Gesellschaftervereinbarungen,1 Wandeldarlehen2 und Übernahmeverpflichtungsverträgen3 gerade im Zusammenhang mit der Kapitalerhöhung in der AG und GmbH nachgedacht. Im Zentrum der Diskussion stehen typischerweise die Regelungszwecke der jeweils tangierten Formvorschriften. Speziell zur notariellen Beurkundung der GmbHAnteilsübertragung hat sich der Jubilar in seiner umfangreichen Kommentierung in der 4. Auflage des Rowedder/Schmidt-Leithoff ausführlich geäußert.4 Besondere Aktualität erhält das Thema durch das ConsulTrust-Urteil des Kartellsenats des BGH vom 17.10.2017.5 Der Jubilar gehörte diesem Senat seit 1. Juli 2009 und damit mehr als ein Jahr länger an, als er Vorsitzender Richter des II. Zivilsenats war. Es besteht daher Anlass zur Hoffnung, dass der vorliegende Beitrag auf das Interesse des Jubilars und womöglich auch des sekundären Leserkreises dieser Festschrift stoßen wird. 1.  Aktueller Fall: ConsulTrust a) Sachverhalt Im Rahmen eines Schadensersatzprozesses gegen ehemalige GmbHGeschäftsführer war das Gericht in Form einer Zwischenfeststellungswiderklage mit der Frage konfrontiert, ob der Übernehmer des Erhöhungsbetrags bei einer GmbH-Kapitalerhöhung wirksam Gesellschafter geworden war.

  Tholen/Weiß GmbHR 2016, 915.   Hoene/Eickmann GmbHR 2017, 854. 3   Krampen-Lietzke RNotZ 2016, 20. 4   Rowedder/Bergmann in Rowedder/Schmidt-Leithoff, GmbHG, 4. Aufl. 2002, § 15 Rn. 12 ff., 36 ff. 5   BGH NZG 2018, 29; dazu Lieder EWiR 2018, 99. 1 2

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Daran zweifelten die Beklagten unter anderem6 deshalb, weil im Zusammenhang mit der notariell beurkundeten Übernahme der neuen Anteile noch ein Beteiligungsrahmenvertrag und eine Gesellschaftervereinbarung beurkundet und vom Notar verlesen worden sind, nicht aber weitere im Zusammenhang stehende Dokumente, die der notariellen Urkunde zu Informationszwecken beigefügt worden waren. Daraus suchten die Beklagten unter Berufung auf § 15 Abs. 4 GmbHG einen Formverstoß der – auf die neuen Geschäftsanteile bezogenen – Übernahmeerklärung herzuleiten und machten dementsprechend die Unwirksamkeit der Kapitalerhöhung geltend. b) Entscheidungsgründe Während sich das OLG Frankfurt a.M. als Berufungsinstanz noch ausführlich mit diesem Parteivorbringen auseinandergesetzt hatte,7 ließ der BGH die Frage auf sich beruhen und verwies stattdessen – im Anschluss an eine gefestigte Meinung in der Kommentarliteratur8 – darauf, dass etwaige Formmängel der Übernahmeerklärung infolge der späteren Eintragung der Kapitalerhöhung in das Handelsregister nicht mehr geltend gemacht werden können.9 Anders als eine vollends fehlende Übernahmeerklärung, mangelnde Geschäftsfähigkeit und eine fehlende Vollmacht können Mängel der Form der Übernahmeerklärung10 ebenso wenig geltend gemacht werden wie deren Anfechtbarkeit wegen Irrtums, arglistiger Täuschung oder anderer Willensmängel.11 2.  Einschlägige Formvorschriften Das ist im Ergebnis sicher zutreffend, lässt aber die entscheidende Frage nach der Formbedürftigkeit der Übernahmeerklärung nach Maßgabe des § 15 Abs. 4 GmbHG offen. Vor allem das Verhältnis zwischen dem Erfordernis der notariellen Beglaubigung nach § 55 Abs. 1 GmbHG und der notariellen Beurkundung nach § 15 Abs. 4 GmbHG bleibt ungeklärt. Neben diesen 6   In kartellrechtlicher Hinsicht monierten die Beklagten einen Verstoß gegen § 41 Abs. 1 GWB aF. Der BGH (NZG 2018, 29 Rn. 40 ff.) ließ dies nicht gelten und verwies zu Recht darauf, dass eine Verletzung gegen das Vollzugsverbot nur zur schwebenden Unwirksamkeit der Transaktion führe, die mit der Einstellung des Entflechtungsverfahrens durch das Bundeskartellamt rückwirkend entfallen sei. 7   OLG Frankfurt ZIP 2015, 1725 (1726 ff.); dazu Beck EWiR 2015, 765. 8   Das Gericht verweist auf Priester in Scholz, GmbHG, 11. Aufl. 2015, § 57 Rn. 63; Lieder in MüKoGmbHG, 2. Aufl. 2016, § 57 Rn. 78 ff.; Ulmer/Casper in Ulmer/Habersack/ Löbbe, GmbHG, 2. Aufl. 2016, § 57 Rn. 52 f.; Bayer in Lutter/Hommelhoff, GmbHG, 19. Aufl. 2016, § 57 Rn. 26. 9   BGH NZG 2018, 29 Rn. 34 f. 10   BGH NZG 2018, 29 Rn. 35 verweist auf Priester in Scholz, GmbHG, § 55 Rn. 83; Lieder in MüKoGmbHG, 2. Aufl. 2016, § 55 Rn. 131; Ulmer/Casper in Ulmer/Habersack/ Löbbe, GmbHG, § 55 Rn. 76. 11   Das Gericht nimmt Bezug auf BGH NZG 2008, 73 Rn. 22.

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beiden Vorschriften kommen in Abhängigkeit von den Umständen des konkreten Einzelfalls noch weitere Formregeln in Betracht; sie alle sind Gegenstand des nachfolgenden Überblicks. a)  Beschluss der Kapitalerhöhung Zunächst ist der Beschluss der Kapitalerhöhung aufgrund seines satzungsändernden Charakters bei der GmbH nach Maßgabe des § 53 Abs. 2 S. 1 GmbHG notariell zu beurkunden. Bei der AG ist gem. § 130 AktG eine notariell aufgenommene Niederschrift über die Verhandlung über die Beschlussfassung der Hauptversammlung zu beurkunden. b)  Übernahme- und Zeichnungserklärung Darüber hinaus verlangt § 55 Abs. 1 GmbHG für die Übernahme neuer GmbH-Geschäftsanteile eine notariell aufgenommene oder beglaubigte Erklärung des Übernehmers. Diese muss bei einem Neubeitritt neben dem Übernehmer, dem Nennbetrag und der Gesellschaft außerdem die aus der Satzung und im Zusammenhang mit der Kapitalerhöhung sich ergebenden Leistungspflichten enthalten (§ 55 Abs. 2 S. 2 GmbHG). Im Gegensatz dazu geschieht die Zeichnung junger Aktien nach Maßgabe des § 185 Abs. 1 AktG durch schriftliche Erklärung in Form eines Zeichnungsscheins. c)  Übertragung von Anteilsrechten Eine Formpflicht für mit der Kapitalerhöhung zusammenhängende Rechtsgeschäfte kann sich weiterhin aus § 15 Abs. 3 und Abs. 4 GmbHG ergeben. Die Formvorschriften kommen in Betracht, wenn es im weitesten Sinne um die Übertragung von (künftigen) GmbH-Anteilen und verbundene (Verpflichtungs-)Geschäfte geht. Das Aktienrecht kennt kein vergleichbares Formerfordernis. d) Vorgesellschaft Einen Sonderfall bildet die Kapitalerhöhung vor Eintragung der Gesellschaft im Stadium der Vorgesellschaft. Sowohl für die Vor-GmbH als auch für die Vor-AG ist man sich darüber einig, dass eine Kapitalerhöhung zulässig ist. Umstritten ist allein, ob sie als Satzungsänderung gem. §§ 53 ff. GmbHG, §§ 179 ff. AktG durchzuführen ist12 oder von allen Beteiligten in notarieller

12  Für die GmbH: Priester in Scholz, GmbHG, § 55 Rn. 30; Priester ZIP 1987, 280 (284 f.); Wicke, GmbHG, 3. Aufl. 2016, § 55 Rn. 3; Gummert in Henssler/Strohn, Gesellschaftsrecht, 3. Aufl. 2016, § 55 Rn. 9.

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Form der § 2 GmbHG, § 23 Abs. 1 AktG beschlossen werden muss.13 Mit Blick auf die mit der Erhöhung von Grund- und Stammkapital für die Gesellschafter verbundenen Lasten ist es schwerlich mit den berechtigten Interessen eines angemessenen Individual- und Minderheitsschutzes vereinbar, eine – wenn auch qualifizierte – Mehrheit über die Kapitalerhöhung entscheiden zu lassen. Stattdessen sprechen die besseren Gründe dafür, das den Kapitalgesellschaften eigene Mehrheitsprinzip von der wirksamen Errichtung der Gesellschaft mittels Anmeldung, Prüfung und Eintragung in das Handelsregister abhängig zu machen. Deshalb bestehen auch keine Bedenken gegen die Praxis, die Kapitalerhöhung nach allgemeinen Grundsätzen und unter der Bedingung der vorherigen Eintragung von AG oder GmbH in das Handelsregister zu beschließen.14 e)  Allgemeine Formvorschriften Schließlich kann sich die Formbedürftigkeit aus allgemeinen bürgerlichrechtlichen Bestimmungen ergeben. Das gilt etwa für die Verpflichtung zur Einlage eines Grundstücks nach § 311b Abs. 1 S. 1 BGB. Heute ist anerkannt, dass die Formvorschrift auf sämtliche Verpflichtungen zur Veräußerung oder zum Erwerb des Eigentums an einem Grundstück zur Anwendung gelangt, und zwar unabhängig davon, worin die Gegenleistung für die Übertragungspflicht besteht.15 Dementsprechend ist das Formerfordernis auch im Rahmen eines im Zusammenhang mit einer Kapitalerhöhung abgeschlossenen Verpflichtungsgeschäfts von Bedeutung.16

13  Für die GmbH: RG LZ 1918, 856; Hermanns in Michalski/Heidinger/Leible/ Schmidt, GmbHG, 3. Aufl. 2017, § 55 Rn. 59 f.; Lieder in MüKoGmbHG, § 55 Rn. 55; Ulmer/Casper in Ulmer/Habersack/Löbbe, GmbHG, § 55 Rn. 34; Ziemons in BeckOK GmbHG, 35. Ed. (Stand: 1.5.2018), § 55 Rn. 16; Wegmann in MHdB GesR III, 4. Aufl. 2012, § 53 Rn. 78; ähnlich Roth in Roth/Altmeppen, GmbHG, 8. Aufl. 2015, § 55 Rn. 9; Schnorbus in Rowedder/Schmidt-Leithoff, GmbHG, 6. Aufl. 2017, § 55 Rn. 25; für die AG: Schürnbrand in MüKoAktG, 4. Aufl. 2016, § 182 Rn. 75; zur Satzungsänderung allgemein Koch in Hüffer, AktG, 13. Aufl. 2018, § 41 Rn. 7; Körber in Bürgers/Körber, AktG, 4. Aufl. 2017, § 41 Rn. 10; K. Schmidt in GroßkommAktG, 5. Aufl. 2016, § 41 Rn. 126 f. 14   Für die GmbH: M. Arnold/Born in Bork/Schäfer, GmbHG, 3. Aufl. 2015, § 55 Rn. 8; Bayer in Lutter/Hommelhoff, GmbHG, § 55 Rn. 32; Lieder in MüKoGmbHG, § 55 Rn. 55; Roth in Roth/Altmeppen, GmbHG, § 55 Rn. 9; Ziemons in BeckOK GmbHG, § 55 Rn. 17; vgl. noch Ulmer/Casper in Ulmer/Habersack/Löbbe, GmbHG, § 55 Rn. 32; für die AG: K. Schmidt in GroßkommAktG, § 41 Rn. 127; a.A. Schnorbus in Rowedder/Schmidt-Leithoff, GmbHG, § 55 Rn. 25 m. Fn. 54. 15   Gehrlein in BeckOK BGB, 46. Ed. (Stand: 1.5.2018), § 311b Rn. 20; Grüneberg in Palandt, BGB, 77. Aufl. 2018, § 311b Rn. 15; Kanzleiter in MüKoBGB, 7. Aufl. 2016, § 311b Rn. 50 f.; Schumacher in Staudinger, BGB 2012, § 311b Rn. 155; Stadler in Jauernig, BGB, 16. Aufl. 2015, § 311b Rn. 15. 16  Vgl. Grotheer RNotZ 2015, 4 (5); Sieger/Schulte GmbHR 2002, 1050 (1053, 1054)

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II.  Formfreiheit und Formpflicht Bevor im Folgenden auf konkrete Anwendungsprobleme einzelner Formvorschriften eingegangen wird, seien einige grundsätzliche Bemerkungen zur Formfreiheit und Formpflicht vorausgeschickt.17 1.  Prinzip der Formfreiheit Ausgangspunkt ist das im deutschen Privatrecht vorherrschende Prinzip der Formfreiheit.18 Rechtsgeschäfte sind grundsätzlich ohne Einhaltung einer bestimmten Form gültig. Die Entscheidung für das Prinzip der Formfreiheit ist dem BGB-Gesetzgeber nicht leicht gefallen. Wie hart er mit sich gerungen hat, ist aus den Verhandlungen der 1. BGB-Kommission abzulesen.19 Dort werden die Vorteile einer allgemeinen Formpflicht klar herausgestellt: (1.) Abgrenzung des rechtlich relevanten von rechtlich irrelevantem Handeln (Klarstellungsfunktion), (2.) Schutz der Vertragsparteien vor Übereilung (Warnfunktion) sowie (3.) die Beweissicherung, Prozessvermeidung, -verkürzung, -vereinfachung (Beweisfunktion).20 Gleichwohl entschied sich der historische Gesetzgeber im Anschluss an das gemeine Recht sowie das Handels- und Prozessrecht21 für den Grundsatz der Formfreiheit, und verwies zur Begründung namentlich auf die praktischen Bedürfnisse des Rechts- und Handelsverkehrs. Eine mit der Einhaltung von Formvorschriften verbundene Verkehrserschwerung sollte tunlichst vermieden werden.22 Diese Einschätzung hat nichts an ihrer Aktualität verloren. Im Gegenteil bestätigt eine rechtsökonomische Analyse der Formfrage die rechtspolitische Sinnhaftigkeit, alltägliche Massengeschäfte, vor allem solche von geringer wirtschaftlicher Bedeutung, von sämtlichen Formerfor-

17   Die nachfolgenden Überlegungen basieren weitgehend auf Lieder Die rechtsgeschäftliche Sukzession, 2015, S. 325 ff. 18   Dazu allgemein Einsele in MüKoBGB, 7. Aufl. 2015, § 125 Rn. 1; Hertel in Staudinger, BGB, 2017, § 125 Rn. 3; Hefermehl in Soergel, BGB, 13. Aufl. 1999, Vor § 125 Rn. 1; Wendtland in BeckOK BGB, § 125 Rn. 1; Bork BGB AT, 4. Aufl. 2016, Rn. 1044; Flume, AT II, 4. Aufl. 1992, § 15 I 2; Heldrich AcP 147 (1941), 89 (90); Köbl DNotZ 1983, 207 f.; historisch v. Tuhr, AT II/1, Nachdruck 1957, S. 496 f.; eingehend auch Kübel in Schubert (Hrsg.), Recht der Schuldverhältnisse I, 1980, S. 291 ff. 19   Motive zum BGB, Bd. 1, 1888, S. 179. 20   Eine umfassende Zusammenstellung von Formzwecken findet sich bei Mankowski JZ 2010, 662 ff.; siehe ferner Heldrich AcP 147 (1941), 89 (91 ff.); vgl. auch Hertel in Staudinger, BGB, § 125 Rn. 35; kritisch zum dogmatischen Wert solcher Formzweckerwägungen Häsemeyer, Die gesetzliche Form des Rechtsgeschäfts, 1971, S. 164 ff. 21   Siehe die Zusammenstellung der wesentlichen Rechtslage in Motive zum BGB, Bd. 1, S. 178, 180. 22   Motive zum BGB, Bd. 1, S. 180.

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dernissen freizuhalten.23 Auch wenn manch ein Leser das anders sehen mag: „Man kann nicht an jede Supermarktkasse einen Notar setzen.“24 2.  Formbedürftigkeit besonders bedeutsamer Rechtsgeschäfte Umgekehrt dienen Formvorschriften der Verwirklichung privatautonomer Freiheit, indem sie bestimmte Rechtsgeschäfte aufgrund ihrer Bedeutung oder der mit ihnen verbundenen Gefahren an eine besondere Form binden oder von der Mitwirkung einer sachkundigen Person, typischerweise des Notars, abhängig machen.25 Sie bestehen „um der Freiheit willen“ und schützen die Privatautonomie als Institution gleichsam durch einen Eingriff in die Privatautonomie.26 Neben den Gesichtspunkten der Rechtsklarheit und Beweissicherung sind es vor allem die Risiken, die mit einer Realisierung des eigenverantwortlichen Selbstbestimmungsrechts des Einzelnen verbunden sind, welche durch Formerfordernisse abgemildert werden können.27 In diesem Sinne dienen Formvorschriften der verfassungsrechtlich als besondere Spielart der Rechtssicherheit im Rechtsstaatsprinzip (Art. 20 Abs. 3 GG) verankerten Sicherheit des Rechts- und Handelsverkehrs. Dieser Gedanke klingt auch in dem vielfach bemühten Diktum Rudolf von Jherings an:28 „Die Form ist die geschworene Feindin der Willkür, die Zwillingsschwester der Freiheit. Denn die Form hält der Verlockung der Freiheit zur Zügellosigkeit das Gegengewicht, sie lenkt die Freiheitssubstanz in feste Bahnen, daß sie sich nicht zerstreue, verlaufe, sie kräftigt sie nach innen, schützt sie nach außen.“

Auch aus rechtsökonomischer Perspektive ist anerkannt, dass Formvorschriften transaktionskostensenkende Wirkung entfalten können,29 namentlich durch den Abbau ineffizienter Informationsasymmetrien.30 Wenn die Beteiligten sich überhaupt nicht darüber bewusst sind, dass sie rechtsgeschäftlich tätig werden, oder sie sich über das Ausmaß der rechtlichen Impli-

23   Zur ökonomischen Analyse der Formfragen ausf. Lieder Die rechtsgeschäftliche Sukzession, S. 335 ff.; vgl. bereits v. Tuhr, AT II/1, S. 498: „jede Form, auch die leichteste, ist eine Erschwerung des rechtlichen Verkehrs“. 24   Bork BGB AT, Rn. 1044 Fn. 2; vgl. noch Heldrich AcP 147 (1941), 89 (91): „Ein Mann, ein Wort“. 25   Dazu näher Häsemeyer, Die gesetzliche Form des Rechtsgeschäfts, S. 169, 209; Heinrich, Formale Freiheit und materiale Gerechtigkeit, 2000, S. 61. 26   Zitat und Grundgedanke von Di Fabio DNotZ 2006, 342 (345). 27   Häsemeyer, Die gesetzliche Form des Rechtsgeschäfts, S. 169. 28   v. Jhering, Geist des römischen Rechts, Bd. II/2, 8. Aufl., Nachdruck 1954, S. 471; Hervorhebungen im Original weggelassen. 29   Dazu allgemein Ayres/Gertner Yale L.J. 99 (1989), 87 (123 ff.); Krimphove Das europäische Sachenrecht, 2006, S. 67 ff. 30  Dazu eingehend Hermalin/Katz/Craswell in Polinsky/Shavell, Handbook of Law and Economics, Vol. 1, 2007, S. 49.

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kationen einer Transaktion im Unklaren befinden, werden gerade unerfahrene Personen durch Formerfordernisse zunächst dafür sensibilisiert, dass sie sich überhaupt im rechtlichen Bereich bewegen (Klarstellungsfunktion); zudem werden sie durch Formregeln vor unbeabsichtigten Rechtsfolgen und übereilten Transaktionen bewahrt (Warnfunktion). Die Parteien können also offen in Verhandlungen eintreten, ohne befürchten zu müssen, vorschnell einer rechtlichen Bindung zu unterliegen.31 In diesem Lichte ist auch die Tätigkeit des Notars zu würdigen: Er agiert als Informationsintermediär, um zwischen den Vertragsparteien bestehende Informationsasymmetrien abzubauen32 und so übereilte und unüberlegte Rechtsgeschäfte zu unterbinden (Belehrungsfunktion). Namentlich im Zusammenhang mit statusrelevanten Vorgängen des Unternehmensrecht, wie z.B. Gründung von GmbH (§ 2 Abs. 1 GmbHG) und AG (§ 23 Abs. 1 AktG) und Abschluss von Umwandlungsverträgen (§ 6 UmwG), zielt die notarielle Beurkundung außerdem auf die Gewährleistung der materiellen Richtigkeit der gesellschafts- und umwandlungsvertraglichen Bestimmungen ab.33 Damit eng verbunden sind die Filter- und Kontrollfunktion des Notars, die auf eine Entlastung der Registergerichte gerichtet ist.34 3.  Implikationen für Rechtsetzung und Rechtsanwendung In diesen beiden Polen – Formfreiheit und Formpflicht – manifestiert sich der ambivalente Charakter von Formerfordernissen. Sie bewegen sich seit jeher in einem Spannungsverhältnis zwischen Verkehrssicherheit und Verkehrsleichtigkeit, das durch die konkrete Ausgestaltung der Formvorschriften aufzulösen ist. Es ist in erster Linie Aufgabe des Gesetzgebers, den Zielkonflikt zu einem angemessenen Ausgleich zu bringen. Mit Blick auf die Transaktionskosten der Formvorschriften ist zu berücksichtigen, dass die Motivation der Parteien, ein Rechtsgeschäft trotz der anfallenden Formkosten durchzuführen, mit dem Wert des Transaktionsgegenstands abnimmt.35 31   Zum Problem in einem anderen Zusammenhang Shavell Foundations of Economic Analysis of Law, 2004, S. 294 ff. 32   Vgl. etwa Arruñada Eur. J. L. & Econ. 3 (1996), 5 (9); Fleischer in FS Schäfer, 2008, S. 125 (135); Walz Sachenrechtliches Systemdenken im Wandel, 1990, S. 13; ausf. Knieper Eine ökonomische Analyse des Notariats, 2010; Knieper RNotZ 2011, 197 ff. 33   Vgl. BGHZ 105, 385 (395) zur Satzungsänderung; zur Gründung etwa Bayer in Lutter/Hommelhoff, GmbHG, § 2 Rn. 23; Cramer in Scholz, GmbHG, 12. Aufl. 2018, § 2 Rn. 10; ausf. Lieder ZIP 2018, 805 (806 f.); zur Umwandlung etwa BFH DB 1989, 663 f. (zu § 93c GenG aF); Drygala in Lutter, UmwG, 5. Aufl. 2014, § 6 Rn. 1; Hoger/Hoger in MHdB GesR VIII, 2018, § 8 Rn. 6; ausf. Lieder ZIP 2018, 1517 (1519 ff.). 34  Vgl. Cramer in Scholz, GmbHG, § 2 Rn. 10; Limmer in Spindler/Stilz, AktG, 3. Aufl. 2015, § 23 Rn. 8; Röhricht/Schall in Großkomm. z. AktG, § 23 Rn. 62; Roth in Roth/Altmeppen, GmbHG, § 2 Rn. 24; Lieder ZIP 2018, 1517 (1521). 35  Vgl. Krimphove Das europäische Sachenrecht, S. 65.

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Umgekehrt fallen Formkosten kaum ins Gewicht, wenn besonders wertvolle und (oder) volkswirtschaftlich besonders bedeutsame Vermögenspositionen betroffen sind. Aber auch der Rechtsanwender hat das Optimierungsproblem – Verkehrsleichtigkeit versus Verkehrssicherheit – im Rahmen der teleologischen Interpretation von Formvorschriften zu berücksichtigen. Da Formpflichten stets mit einer Erschwerung des Rechts- und Handelsverkehrs verbunden sind, bedürfen sie einer besonderen sachlichen Rechtfertigung.36 Daraus folgt nicht selten eine erhöhte Argumentationslast für eine teleologisch extensive Interpretation und eine analoge Anwendung. Ausschlaggebend ist – nach allgemeinen rechtsmethodischen Grundsätzen – aber primär der Normzweck der jeweils einschlägigen Formvorschrift.

III.  Beschluss der Kapitalerhöhung 1. Formzweck Die Frage nach dem Zweck der für den Kapitalerhöhungsbeschluss gem. § 53 Abs. 2 S. 1 GmbHG vorgesehenen notariellen Beurkundung ist gar nicht so leicht zu beantworten. a)  Meinungsstand Der II. Zivilsenat des BGH hat im Zusammenhang mit Auslandsbeurkundungen entschieden, dass der Formvorschrift nicht nur Beweisfunktion, sondern auch eine Warn- und Belehrungsfunktion innewohne.37 In einem späteren Judikat wird auf Zwecke der materiellen Richtigkeitsgewähr und die Prüfungs- und Belehrungsfunktion verwiesen.38 Das Schrifttum ist dem zum Teil kommentarlos gefolgt,39 andere erkennen den Formzweck des § 53 Abs. 2 S. 1 GmbHG ausschließlich in der Beweissicherung.40

 Ebenso Mankowski JZ 2010, 662 (663).   BGHZ 80, 76 (79). 38   BGHZ 105, 324 (338). 39   Priester in Scholz, GmbHG, § 53 Rn. 75; Wicke GmbHG, § 53 Rn. 13; Goette DStR 1996, 709, 712 f. 40   Harbarth in MüKoGmbHG, § 53 Rn. 68; Ulmer/Casper in Ulmer/Habersack/Löbbe, GmbHG, § 53 Rn. 49; Zöllner/Noack in Baumbach/Hueck, GmbHG, 21. Aufl. 2017, § 53 Rn. 71; K. J. Müller GmbHR 2007, 113 (114); Sieger/Schulte GmbHR 2002, 1050 (1052). 36 37

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b)  Stellungnahme: Beweisfunktion Tatsächlich ist eine über die Beweisfunktion hinausgehende Warn- und Belehrungsfunktion abzulehnen.41 Ausgangspunkt ist der Kapitalerhöhungsbeschluss als Beurkundungsgegenstand. Nach dem insofern klaren Wortlaut des § 53 Abs. 2 S. 1 GmbHG ist ausschließlich der Beschluss zu beurkunden. Die Beurkundung erfolgt als „sonstiger Vorgang“ nach Maßgabe der §§ 36, 37 BeurkG.42 Demgegenüber sind die von den Gesellschaftern abgegebenen Stimmen vom Beurkundungserfordernis nicht umfasst, mit dem Ergebnis, dass auch die Vorschriften über die Beurkundung von Willenserklärungen gem. §§ 8 ff. BeurkG nicht anwendbar sind. Das gilt selbst für die Satzungsänderung bei der Einpersonen-GmbH.43 Dementsprechend findet auch § 17 BeurkG, auf den der II. Zivilsenat in seiner ersten Entscheidung zum Thema verwiesen hat,44 keine Anwendung. Das hat der BGH in einer neueren Entscheidung zur Beurkundung der Hauptversammlung einer Aktiengesellschaft ausdrücklich klargestellt.45 Eine Belehrungsfunktion kann der Formvorschrift folglich nicht zukommen. Gleiches gilt im Ergebnis für die Warnfunktion. Die Formregel bezieht sich gerade auf den Beschluss als kollektive Willensbetätigung aller Mitglieder. Eine auf die Stimmabgabe des individuellen Gesellschafters bezogene Warnfunktion ist damit nicht in Einklang zu bringen. Daran vermag auch die gängige Praxis nichts zu ändern, nach Maßgabe der §§ 8 ff. BeurkG die Willenserklärungen der Beteiligten zu beurkunden. Zum einen erweist sich diese – zulässige46 – Vorgehensweise zuweilen als not41  So im Ergebnis schon Lieder in Fleischer/Kalss/Vogt, Aktuelle Entwicklungen im deutschen, österreichischen und schweizerischen Gesellschafts- und Kapitalmarktrecht 2012, 2013, S. 231 (240). 42   LG Essen BB 1982, 1821 (1822); OLG Celle NZG 2017, 422 Rn. 4; Bayer in Lutter/Hommelhoff, GmbHG, § 53 Rn. 16; Harbarth in MüKoGmbHG, § 53 Rn. 68; Hoffmann in Michalski/Heidinger/Leible/Schmidt, GmbHG, § 53 Rn. 70; Priester in Scholz, GmbHG, § 53 Rn. 69; Schnorbus in Rowedder/Schmidt-Leithoff, GmbHG, § 53 Rn. 58; Ulmer/Casper in Ulmer/Habersack/Löbbe, GmbHG, § 53 Rn. 49; Zöllner/Noack in Baumbach/Hueck, GmbHG, § 53 Rn. 71; Grotheer RNotZ 2015, 4; Röll DNotZ 1979, 644 (644 f., 657); für § 130 AktG ebenso BGHZ 180, 9 Rn. 11; 203, 68 Rn. 19. 43   OLG Celle NZG 2017, 422 Rn. 5. 44   BGHZ 80, 76 (79). 45   BGHZ 203, 68 Rn. 19. 46   Begr. RegE, BT-Drucks. V/3282, S. 37; OLG Köln BB 1993, 317 (318); Bayer in Lutter/Hommelhoff, GmbHG, § 53 Rn. 16; Priester in Scholz, GmbHG, § 53 Rn. 70; Trölitzsch in BeckOK GmbHG, § 53 Rn. 22; Mecke DNotZ 1968, 584 (611 f.); Röll DNotZ 1979, 644 (646, 657); abweichend Zöllner/Noack in Baumbach/Hueck, GmbHG, § 53 Rn. 70: „die Beurkundung von Satzungsänderungen darüber hinaus nach den §§ 8 ff. BeurkG (...) ist problematisch (...): Nach den §§ 36, 37 BeurkG sind (alle relevanten) Wahrnehmungen des Notars zu beurkunden, während sich Vorgehen nach §§ 8 ff. BeurkG auf Beurkundung der Willenserklärungen beschränkt. Dieses Defizit kann allenfalls durch eine Mischbeurkundung aufgefangen werden.“ Hervorhebung im Original weggelassen.

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wendig, wenn neben dem Beschluss noch weitere Erklärungen der Beteiligten zu beurkunden sind, wie zB die Übernahmeerklärung nach § 55 Abs. 1 GmbHG. Zum anderen entfaltet eine abweichende praktische Handhabung im Grundsatz auch keine Rückwirkung auf den bisher unverändert gebliebenen Wortlaut nebst Normzweck. Wenn die h.M. dem Formerfordernis bei Abschluss des Gesellschaftsvertrags nach § 2 Abs. 1 GmbHG außerdem Warn- und Belehrungsfunktion beimisst,47 dann liegt es daran, dass dort den Gründern die Bedeutsamkeit ihrer Willenserklärung eindringlicher vor Augen geführt werden muss. Sie überschreiten mit der Gründung der GmbH – gleiches gilt für die Gründung einer AG gem. § 23 Abs. 1 AktG48 – womöglich erstmals die Grenze zu einer professionellen unternehmerischen Betätigung. Dementsprechend sind – anders als im Falle einer Satzungsänderung nach § 53 Abs. 2 S. 1 GmbHG – bei der Gründung auch die Willenserklärungen der Gründer nach Maßgabe der §§ 8 ff. BeurkG zu beurkunden.49 Mit der Beteiligung an einer Satzungsänderung bewegen sie sich – ohne eine vergleichbare Grenze zu überschreiten – regelmäßig innerhalb des unternehmerischen Bereichs. Nach einer typisierten Betrachtung wird man sie tendenziell als geschäftserfahrener ansehen können, die nicht in gleichem Maße auf eine Belehrung des Notars angewiesen sind. 2.  Gesellschaftervereinbarung und Ermächtigungsbeschluss Diese auf die Beweissicherung beschränkte – restriktive – Interpretation des Formzwecks des § 53 Abs. 2 S. 1 GmbHG ist auch für die Frage nach der Formbedürftigkeit von auf Kapitalerhöhungen bezogene Gesellschaftervereinbarungen, Beteiligungs- und Stimmbindungsverträge sowie von Ermächtigungsbeschlüssen zur Verpflichtung der Gesellschaft gegenüber Dritten von Bedeutung.

  RGZ 149, 385 (395); Cramer in Scholz, GmbHG, § 2 Rn. 10; Heinze in MüKoGmbHG, 3. Aufl. 2018, § 2 Rn. 21; J. Schmidt in Michalski/Heidinger/Leible/Schmidt, GmbHG, § 2 Rn. 45; Ulmer/Löbbe in Ulmer/Habersack/Löbbe, GmbHG, 2. Aufl. 2013, § 2 Rn. 13. 48   RGZ 66, 116 (121); Körber in Bürgers/Körber, AktG, § 23 Rn. 1; Koch in Hüffer/ Koch, AktG, § 23 Rn. 1; Pentz in MüKoAktG, § 23 Rn. 26; Röhricht/Schall in Groß­ kommAktG, § 23 Rn. 62; A. Arnold in KöKoAktG, 3. Aufl. 2011, § 23 Rn. 6. 49   Fastrich in Baumbach/Hueck, GmbHG, § 2 Rn. 8; Heinze in MüKoGmbHG, § 2 Rn. 27 ff.; J. Schmidt in Michalski/Heidinger/Leible/Schmidt, GmbHG, § 2 Rn. 44; Grotheer RNotZ 2015, 4. 47

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a) Meinungsstand Sie führt nach einer vielfach vertretenen Auffassung50 im Ergebnis zur Formfreiheit von im Zusammenhang mit einer Kapitalerhöhung getroffenen schuldrechtlichen Vereinbarungen der Gesellschafter untereinander sowie zwischen den Gesellschaftern und der Gesellschaft. Doch auch abweichende Standpunkte werden noch immer zahlreich vertreten. Zum einen wird das Formerfordernis zuweilen unterschiedslos auf den bindenden Vorvertrag zur Satzungsänderung erstreckt.51 Zum anderen hält das Schrifttum nicht selten einen Beschluss der Gesellschafterversammlung für formpflichtig, mit dem der Geschäftsführer ermächtigt wird, die Gesellschaft zu einer Satzungsänderung (und damit auch zur Durchführung einer Kapitalerhöhung) zu verpflichten.52 b)  Stellungnahme: Formfreiheit Für eine notarielle Beurkundung ist in beiden Fallgestaltungen kein Raum.53 Beschränkt man den Formzweck auf die Beweissicherung, kommt es ausschließlich auf die rechtssichere Dokumentation des Kapitalerhöhungsbeschlusses an. Ob zugleich auch wirksam eine Verpflichtung zur Abstimmung begründet oder der Geschäftsführer zum Abschluss eines schuldrechtlichen Kausalgeschäfts verpflichtet wurde, ist für die Beweissicherung des später gefassten Kapitalerhöhungsbeschlusses ohne Belang. Eine gewisse Vorwirkung solcher Verpflichtungsgeschäfte, die mit der Einhaltung von Formvorschriften einherginge, kommt nur in Betracht, wenn man § 53 Abs. 2 S. 1 GmbHG eine darüber hinausgehende Warn- und (oder) Belehrungsfunktion beilegte. Das ist – wie soeben gezeigt54 – beim Gesellschafterbeschluss über die Kapitalerhöhung aber gerade nicht der Fall. Zudem ist zu bedenken, dass die zwischen den Gesellschaftern vereinbarten Nebenabreden keine Wirkung 50   Vgl. BGH ZIP 1983, 432 (433); OLG Koblenz ZIP 1986, 503 (504); OLG Saarbrücken AG 1980, 26 (27) zur AG; A. Arnold in Bork/Schäfer, GmbHG, § 53 Rn. 24; Harbarth in MüKoGmbHG, § 53 Rn. 69, 137, 143; Hoffmann in Michalski/Heidinger/Leible/Schmidt, § 53 Rn. 50, 52; Leitzen in Gehrlein/Born/Simon, GmbHG, 3. Aufl. 2017, § 53 Rn. 46; Roth in Roth/Altmeppen, GmbHG, § 53 Rn. 21a; Schnorbus in Rowedder/Schmidt-Leithoff, GmbHG, § 53 Rn. 84; Ulmer/Casper in Ulmer/Habersack/Löbbe, GmbHG, § 53 Rn. 42, 49; Zöllner/Noack in Baumbach/Hueck, GmbHG, § 53 Rn. 71 a.E.; Milch BB 2016, 1538 (1539 f., 1541); K. J. Müller GmbHR 2007, 113 (114). 51   K. Schmidt in Scholz, GmbHG, § 47 Rn. 46; Wicke GmbHG, § 53 Rn. 23; Ziemons in BeckOK GmbHG, § 55 Rn. 26. 52   Bayer in Lutter/Hommelhoff, GmbHG, § 53 Rn. 40; Priester in Scholz, GmbHG, § 53 Rn. 35; Fleck ZGR 1988, 104 (114); Hoene/Eickmann GmbHR 2017, 854 (855); nur referierend Leitzen in Gehrlein/Born/Simon, GmbHG, § 53 Rn. 46. 53  Knapp bereits Lieder in MüKoGmbHG, § 55 Rn. 157, 161a; Lieder in Fleischer/ Kalss/Vogt, Aktuelle Entwicklungen im deutschen, österreichischen und schweizerischen Gesellschafts- und Kapitalmarktrecht 2012, S. 231 (239 f.). 54   Siehe oben III 1 b.

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über den Gesellschafterkreis hinaus zeitigen.55 Sie zielen lediglich auf die Willensbildung innerhalb der GmbH ab und bedürfen zu ihrer Umsetzung eines – dann nach § 53 Abs. 2 S. 1 GmbHG formbedürftigen – Kapitalerhöhungsbeschlusses. Erst dieser Beschluss tritt nach außen in Erscheinung und muss daher im Interesse der Rechtssicherheit und Rechtsklarheit notariell beurkundet werden, nicht jedoch nur inter partes wirkende Gesellschaftervereinbarungen. Der auf Beweissicherung gerichtete Normzweck wird bei der Beschlussfassung über die Kapitalerhöhung in notarieller Form erfüllt. Was den Ermächtigungsbeschluss angeht, kann weiterhin die Wertung des § 167 Abs. 2 BGB fruchtbar gemacht werden.56 Der auf die Bevollmächtigung des Geschäftsführers abzielende Gesellschaftsversammlungsbeschluss bedarf nach diesem Rechtsgedanken nicht der Form des Rechtsgeschäfts, auf welches sich die Vollmacht bezieht. Zwar wird § 167 Abs. 2 BGB teleologisch reduziert, wenn der Vertretene durch die Bevollmächtigung rechtlich oder tatsächlich ebenso gebunden wird wie durch die Vornahme des formbedürftigen Rechtsgeschäfts,57 wie es zB bei einer unwiderruflichen Vollmacht zu Grundstücksgeschäften nach § 311b Abs. 1 S. 1 BGB58 oder zur Übernahme einer Bürgschaft nach § 766 S. 1 BGB59 der Fall ist. Allerdings führt der Ermächtigungsbeschluss keine unwiderrufliche Bindung herbei; vielmehr kann dem Geschäftsführer die Vertretungsmacht durch einen entgegengesetzten Beschluss wieder entzogen werden. Zudem unterscheidet sich der Formzweck der §§ 311b Abs. 1 S. 1, 766 S. 1 BGB insofern von § 53 Abs. 2 S. 1 GmbHG, dass jene Formvorschriften – anders als die hiesige – auch dem Übereilungsschutz der jeweils Verpflichteten zu dienen bestimmt sind.60 Auch der vereinzelt ins Feld geführte Hinweis auf das genehmigte Kapital nach § 55a GmbHG61 vermag eine Formpflicht nicht zu rechtfertigen. Zwar ist es richtig, dass die Ermächtigung der Geschäftsführer zur Aus  Sieger/Schulte GmbHR 2002, 1050 (1052).  Vgl. Hoffmann in Michalski/Heidinger/Leible/Schmidt, § 53 Rn. 50: argumentum a fortiori; im Ergebnis auch Milch BB 2016, 1539 (1540 f.). 57   Ellenberger in Palandt, BGB, § 167 Rn. 2; Maier-Reimer in Erman, BGB, 15. Aufl. 2017, § 167 Rn. 5; Schubert in MüKoBGB, § 167 Rn. 19; Rösler NJW 1999, 1150 (1151). 58   BGH NJW 1952, 1210 (1211); DNotZ 1965, 549 (550); OLG Karlsruhe NJW-RR 1986, 100 (101); Grüneberg in Palandt, BGB, § 311b Rn. 20; Kanzleiter in MüKoBGB, § 311b Rn. 45. 59   BGH NJW 1996, 1467 (1468); OLG Düsseldorf DNotZ 2004, 313; Horn in Staudinger, 2012, § 766 Rn. 1; Rohe in BeckOK BGB, § 766 Rn. 8; Flume, AT II, § 52, 2 a, b a.E. 60   Zu § 311b Abs. 1 S. 1 BGB: BGH NJW 2005, 2560 (2561); OLG Stuttgart, Urt. v. 26.09.2017 – 10 U 140/16, juris Rn. 49; Flume, AT II, § 52, 2 b; Kanzleiter in MüKoBGB, § 311b Rn. 1; Grüneberg in Palandt, BGB, § 311b Rn. 2; zu § 766 S. 1 BGB: Habersack in MüKoBGB, 7. Aufl. 2017, § 766 Rn. 1; Horn in Staudinger, § 766 Rn. 38; Stadler in Jauernig, BGB, § 766 Rn. 1; Sprau in Palandt, BGB, § 766 Rn. 1; Westermann in Erman, BGB, § 766 Rn. 1. 61  So Hoene/Eickmann GmbHR 2017, 854 (855 f.). 55 56

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nutzung eines genehmigten Kapitals nur aufgrund eines notariell beurkundeten, satzungsändernden Ermächtigungsbeschluss erfolgen kann.62 Allerdings zeitigen die Bevollmächtigung zum Abschluss eines schuldrechtlichen Verpflichtungsgeschäfts einerseits und die Einräumung eines genehmigten Kapitals andererseits ganz unterschiedliche Rechtsfolgen. Während die Bevollmächtigung die Geschäftsführer nur in die Lage versetzt, die GmbH im Verhältnis zu potenziellen Übernehmern schuldrechtlich zu binden, kommt es beim genehmigten Kapital zu einer nachhaltigen Verschiebung der gesellschaftsrechtlichen Zuständigkeit über die Durchführung der Kapitalerhöhung.63 Fortan sind die Geschäftsführer im Rahmen der erteilten Ermächtigung berechtigt, nach pflichtgemäßem Ermessen über Zeitpunkt und Umfang der Kapitalerhöhung sowie über die Ausgabe neuer Geschäftsanteile zu entscheiden.64 Ein Gesellschaftsbeschluss ist für die Durchführung der Kapitalerhöhung aufgrund genehmigten Kapitals nicht mehr notwendig.65 Darin unterscheidet sich die Ausnutzung eines genehmigten Kapitals von der Durchführung einer ordentlichen Kapitalerhöhung nach Verpflichtung der GmbH durch den Geschäftsführer aufgrund eines Bevollmächtigungsbeschluss. Ohne eine Beschlussfassung durch die Gesellschafterversammlung kann die Kapitalerhöhung – selbst bei Bestehen einer wirksamen schuldrechtlichen Bindung – nicht ins Werk gesetzt werden. Zudem kommt eine Bevollmächtigung der Geschäftsführer nur unter strengen Voraussetzungen in Betracht, und zwar nur für eine hinreichend bestimmte Kapitalerhöhung oder andere Satzungsänderung in einem konkreten Einzelfall,66 62   Hermanns in Michalski/Heidinger/Leible/Schmidt, GmbHG, § 55a Rn. 2; Lieder in MüKoGmbHG, § 55a Rn. 16, 18; Priester in Scholz, GmbHG, § 55a Rn. 7 ff., 10 ff.; Wicke, GmbHG, § 55a Rn. 3; Zöllner/Fastrich in Baumbach/Hueck, GmbHG, § 55a Rn. 8 f. 63   Zur Rechtsdogmatik näher Lieder in MüKoGmbHG, § 55a Rn. 2; Lieder ZGR 2010, 868 (892 ff.). 64  Vgl. M. Arnold/Born in Bork/Schäfer, GmbHG, § 55a Rn. 17; Hermanns in Michalski/Heidinger/Leible/Schmidt, GmbHG, § 55a Rn. 11; Lieder in MüKoGmbHG, § 55a Rn. 2; Casper in Ulmer/Habersack/Löbbe, GmbHG, § 55a Rn. 20 f.; Wicke, GmbHG, § 55a Rn. 13. 65   Nach zutreffender h.M. können die Gesellschafter den Geschäftsführern allerdings Weisungen erteilen; dazu ausf. Lieder in MüKoGmbHG, § 55a Rn. 30 ff.; Lieder ZGR 2010, 868 (902 ff.); Lieder DNotZ 2010, 655 (660 f.); im Ergebnis ebenso Bormann in Gehrlein/ Born/Simon, GmbHG, § 55a Rn. 44; Zöllner/Fastrich in Baumbach/Hueck, GmbHG, § 55a Rn. 3, 12 a.E.; Gummert in Henssler/Strohn, Gesellschaftsrecht, § 55a Rn. 26 f.; Kindler in FS Hoffmann-Becking, 2013, S. 669 (671 f.); Eggert GmbHR 2014, 856 (858 ff.); a.A. Hermanns in Michalski/Heidinger/Leible/Schmidt, GmbHG, § 55a Rn. 6, 11; Ziemons in BeckOK GmbHG, § 55a Rn. 52 ff.; Wicke, GmbHG, § 55a Rn. 7; Klett GmbHR 2008, 1312 (1315). 66   A. Arnold in Bork/Schäfer, GmbHG, § 53 Rn. 24; Bayer in Lutter/Hommelhoff, GmbHG, § 53 Rn. 41; Harbarth in MüKoGmbHG, § 53 Rn. 136; Hoffmann in Michalski/ Heidinger/Leible/Schmidt, GmbHG, § 53 Rn. 49; Priester in Scholz, GmbHG, § 53 Rn. 35;

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wie zB bei einer Kapitalerhöhung mit Fixbetrag.67 Insbesondere darf den Geschäftsführern kein weiter Ermessensspielraum eröffnet werden.68 Andernfalls würde die Grenze zur Schaffung eines genehmigten Kapitals verwischt, dessen Zulässigkeit an die besonderen Anforderungen des § 55a GmbHG geknüpft ist.69 Eine Änderung der gesellschaftsrechtlichen Kompetenzordnung findet gerade nicht statt. Die Verpflichtung der GmbH gegenüber dem Vertragspartner wirkt nur inter partes. Erst bei der Beschlussfassung über die Kapitalerhöhung durch die – weiterhin unmittelbar zuständige – Gesellschafterversammlung ist der Normzweck des § 53 Abs. 2 S. 1 GmbHG berührt. Aspekte der Rechtssicherheit und die Beweisfunktion knüpfen ausschließlich an die Beschlussfassung als solche an und zeitigen gerade keine Vorwirkung auf die schuldrechtliche Bindung der GmbH. Deshalb ist es im Ergebnis auch ohne Belang, dass die Verpflichtung zur Kapitalerhöhung gerichtlich durchgesetzt und nach § 894 ZPO vollstreckt werden kann.70 Da § 53 Abs. 2 S. 1 GmbHG keine Warn- und Belehrungsfunktion hat, verlangt die Interessenlage der Gesellschafter auch nicht nach einer analogen Anwendung des Formerfordernisses auf den Ermächtigungsbeschluss, der im Ergebnis zu einer schuldrechtlichen Verpflichtung führt. Maßgeblich ist allein die Beweisfunktion des § 53 Abs. 2 S. 1 GmbHG, der mit der notariellen Beurkundung des durch die Gesellschafterversammlung gefassten Kapitalerhöhungsbeschlusses hinreichend Rechnung getragen wird. 3. Formmängel Der unter Verletzung des § 53 Abs. 2 S. 1 GmbHG zustande gekommene Beschluss ist analog § 241 Nr. 2 AktG nichtig.71 Mit der Eintragung des Erhöhungsbeschlusses in das Handelsregister wird der Formverstoß analog § 242 Ulmer/Casper in Ulmer/Habersack/Löbbe, GmbHG, § 53 Rn. 42; Fleck ZGR 1988, 104 (110 ff.). 67   Zu den unterschiedlichen Gestaltungsmöglichkeiten siehe Lieder in MüKoGmbHG, § 55 Rn. 34 ff. 68  Zutreffend Harbarth in MüKoGmbHG, § 53 Rn. 136. 69   Von Bedeutung ist dieses Argument für die Unzulässigkeit einer sukzessiven Erhöhung des Stammkapitals in Tranchen aufgrund einer generellen Ermächtigung der Geschäftsführer; so Bayer in Lutter/Hommelhoff, GmbHG, § 55 Rn. 9; Lieder in MüKoGmbHG, § 55 Rn. 38; Roth in Roth/Altmeppen, GmbHG, § 55 Rn. 25; ausf. Priester NZG 2010, 81 ff.; offen gelassen von OLG München NZG 2009, 1274 (1275); a.A. (zur AG) bei ausdrücklicher Gestattung im Beschluss Bücker NZG 2009, 1339 ff.; Holzmann/Eichstädt DStR 2010, 277 (281); Schüppen ZIP 2001, 125 ff.; differenzierend Nietsch in FS Schneider, 2011, S. 873 (891 f.). 70   Harbarth in MüKoGmbHG, § 53 Rn. 138; Priester in Scholz, GmbHG, § 53 Rn. 35; Fleck ZGR 1988, 104 (115 f.); Hoene/Eickmann GmbHR 2017, 854 (856). 71   Bayer in Lutter/Hommelhoff, GmbHG, § 53 Rn. 18; Hoffmann in Michalski/Heidinger/Leible/Schmidt, GmbHG, § 53 Rn. 70; Lieder in MüKoGmbHG, § 57 Rn. 52; Ulmer/

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Abs. 1 AktG jedoch mit sofortiger Wirkung geheilt.72 Die Heilung führt zur materiellrechtlichen Gültigkeit des Erhöhungsbeschlusses73 sowie zur Entstehung fehlerfreier Gesellschaftsanteile.74 Zuvor stellt die Formnichtigkeit des Erhöhungsbeschlusses ein Eintragungshindernis dar, aufgrund dessen der Registerrichter die Eintragung verweigern muss. Wegen der Wertung des § 54 Abs. 3 GmbHG genießt der Beschluss keine Bestandskraft.75 Erst die Eintragung des Erhöhungsbeschlusses führt mit der heute h.M. Rechtsfolgen in Anlehnung an die Lehre von der fehlerhaften Gesellschaft herbei.76 Die Geltung dieser Grundsätze dient den Erfordernissen der Rechtssicherheit und des Verkehrsschutzes und hilft, Schwierigkeiten bei einer etwaigen Rückabwicklung fehlerhafter Strukturmaßnahmen zu vermeiden.77 Daraufhin steht die Fehlerhaftigkeit des Beschlusses weder einer Erhöhung des Stammkapitals noch der wirksamen Entstehung neuer Geschäftsanteile

Casper in Ulmer/Habersack/Löbbe, GmbHG, § 57 Rn. 42; Wicke, GmbHG, § 53 Rn. 13; a.A. Zöllner/Noack in Baumbach/Hueck, GmbHG, § 53 Rn. 43. 72   BGH NJW 1996, 257 (258); Bayer in Lutter/Hommelhoff, GmbHG, § 57 Rn. 23; Hermanns in Michalski/Heidinger/Leible/Schmidt, GmbHG, § 57 Rn. 54; Lieder in MüKoGmbHG, § 57 Rn. 53; Priester in Scholz, GmbHG, § 57 Rn. 44; Ulmer/Casper in Ulmer/Habersack/Löbbe, GmbHG, § 57 Rn. 41; Ziemons in BeckOK BGB, § 57 Rn. 56; Temme/Küperkoch GmbHR 2004, 1556 (1558). 73   Lieder in MüKoGmbHG, § 57 Rn. 53; (zur AG) Casper in Spindler/Stilz, AktG, 3. Aufl. 2015, § 242 Rn. 12; Göz in Bürgers/Körber, AktG, § 242 Rn. 9; Hüffer/Schäfer in MüKoAktG, § 242 Rn. 3; Koch in Hüffer/Koch, AktG, § 242 Rn. 7; K. Schmidt in GroßkommAktG, 4. Aufl. 2013, § 242 Rn. 1; Schwab in K. Schmidt/Lutter, AktG, § 242 Rn. 14; teilweise abweichend Heidel in NK-AktG, 4. Aufl. 2014, § 242 Rn. 2, 5. 74   OLG Stuttgart NZG 2001, 40 (44); Bormann in Gehrlein/Born/Simon, GmbHG, § 55 Rn. 78; Lieder in MüKoGmbHG, § 57 Rn. 53; Priester in Scholz, GmbHG, § 57 Rn. 48 a.E. 75   Ablehnend zur Lehre von der fehlerhaften Gesellschaft bzw. fehlerhaften Strukturmaßnahme etwa Lieder in MüKoGmbHG, § 57 Rn. 54; Ulmer/Casper in Ulmer/Habersack/Löbbe, GmbHG, § 57 Rn. 37; Kort Bestandsschutz fehlerhafter Strukturmaßnahmen im Kapitalgesellschaftsrecht, 1998, S. 204; im Ergebnis ebenso Priester in Scholz, GmbHG, § 57 Rn. 46; (zur Verschmelzung) BGH NJW 1996, 659 (660); a.A. noch Schilling in Hachenburg, GmbHG, 6. Aufl. 1959, § 55 Anm. 20; siehe ferner Zöllner/M. Winter ZHR 158 (1994), 59 (60). 76   Grundlegend (zur AG) Zöllner AG 1993, 68 (71 ff., 77 ff.); Zöllner/M. Winter ZHR 158 (1994), 59 ff.; dem (für die GmbH) im Grundsatz folgend OLG Stuttgart NZG 2001, 40 (44); Bayer in Lutter/Hommelhoff, GmbHG, § 57 Rn. 23, 25; Lieder in MüKoGmbHG, § 57 Rn. 55; Roth in Roth/Altmeppen, GmbHG, § 57 Rn. 11 ff.; Zöllner/Fastrich in Baumbach/Hueck, GmbHG, § 57 Rn. 28. 77   Lieder in MüKoGmbHG, § 57 Rn. 57; zustimmend Bormann in Gehrlein/Born/ Simon, GmbHG, § 55 Rn. 78; zur Problematik aus Sicht der Praxis instruktiv M. Winter, FS Ulmer, 2003, S. 699; vgl. noch zur Heilung des Formmangels einer Übernahmeerklärung BGH NZG 2018, 29 Rn. 35.

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entgegen.78 Anders als noch immer im Schrifttum79 vertreten beschränkt sich die Einlageschuld der Übernehmer nicht auf das nach § 77 Abs. 3 GmbHG zur Befriedigung der Gläubiger erforderliche Maß, sondern besteht in dem vollen, im Übernahmevertrag vereinbarten Umfang.80 Selbst wenn man mit der h.M. im Grundsatz eine Ausnahme für besonders schutzwürdige Interessen zulasse,81 sind solche im Fall eines Formverstoßes nicht berührt. Das hat der Kartellsenat des BGH in seinem eingangs erwähnten ConsulTrust-Urteil für Formmängel der Übernahmeerklärung ausdrücklich anerkannt82 und muss gleichermaßen für Mängel der Form des Kapitalerhöhungsbeschlusses gelten.

IV. Übernahmeerklärung Nach Maßgabe des § 55 Abs. 1 GmbHG muss die Übernahmeerklärung notariell aufgenommen oder beglaubigt werden. Die Annahmeerklärung der Gesellschaft bedarf keiner besonderen Form.83 Gleiches gilt für die vertragliche Zusicherung neuer Geschäftsanteile84 im Rahmen des gesetzlichen Bezugsrechts.85 78  OLG Stuttgart NZG 2001, 40 (44); Gummert in Henssler/Strohn, Gesellschaftsrecht, § 57 GmbHG Rn. 29; Lieder in MüKoGmbHG, § 57 Rn. 58; Zöllner/Fastrich in Baumbach/Hueck, GmbHG, § 57 Rn. 28; Priester in Scholz, GmbHG, § 57 Rn. 48; Ulmer/ Casper in Ulmer/Habersack/Löbbe, GmbHG, § 57 Rn. 46; ausf. Kort Bestandsschutz fehlerhafter Strukturmaßnahmen im Kapitalgesellschaftsrecht, S. 195 ff.; C. Schäfer Die Lehre vom fehlerhaften Verband, 2002, S. 422 ff.; a.A. noch BGHZ 139, 225 (231). 79   M. Arnold/Born in Bork/Schäfer, GmbHG, § 57 Rn. 15; Schnorbus in Rowedder/ Schmidt-Leithoff, GmbHG, § 57 Rn. 40; Ziemons in BeckOK GmbHG, § 57 Rn. 59. 80   Gummert in Henssler/Strohn, Gesellschaftsrecht, § 57 GmbHG Rn. 29; Lieder in MüKoGmbHG, § 57 Rn. 58; Priester in Scholz, GmbHG, § 57 Rn. 48; Ulmer/Casper in Ulmer/Habersack/Löbbe, GmbHG, § 57 Rn. 46; Kort Bestandsschutz fehlerhafter Strukturmaßnahmen im Kapitalgesellschaftsrecht, S. 211; unklar OLG Stuttgart NZG 2001, 40 (44). 81  Vgl. BGHZ 62, 234 (240 f.); 75, 214 (217 f.); Hermanns in Michalski/Heidinger/ Leible/Schmidt, GmbHG, § 57 Rn. 52, 55; dagegen Lieder in MüKoGmbHG, § 57 Rn. 58; allgemein K. Schmidt Gesellschaftsrecht, 4. Aufl. 2002, § 6 III 3 c aa; K. Schmidt AcP 186 (1986), 421 (444 ff., 449 ff.); Schwintowski NJW 1988, 937 (941 f.); C. Schäfer Die Lehre vom fehlerhaften Verband, 2002, S. 260 ff., 282 ff. 82   BGH NZG 2018, 29 Rn. 35; zustimmend Lieder EWiR 2018, 99 (100). 83  BGH WM 1966, 1262 (1263); OLG Frankfurt a.M. GmbHR 2015, 1040 (1041) – mit unrichtigem Zitat; Bayer in Lutter/Hommelhoff, GmbHG, § 55 Rn. 34; Lieder in MüKoGmbHG, § 55 Rn. 128; Roth in Roth/Altmeppen, GmbHG, § 55 Rn. 19; Ulmer/ Casper in Ulmer/Habersack/Löbbe, GmbHG, § 55 Rn. 73; Zöllner/Fastrich in Baumbach/ Hueck, GmbHG, § 55 Rn. 34. 84  Zur Zusicherung neuer Geschäftsanteile allgemein Lieder in MüKoGmbHG, § 55 Rn. 162 ff.; Priester in Scholz, GmbHG, § 55 Rn. 118; Roth in Roth/Altmeppen, GmbHG, § 55 Rn. 19; Schnorbus in Rowedder/Schmidt-Leithoff, GmbHG, § 55 Rn. 63; Ulmer/Casper in Ulmer/Habersack/Löbbe, GmbHG, § 55 Rn. 90 f.

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1. Formzweck85 Im Prinzip ist man sich darüber einig, dass § 55 Abs. 1 GmbHG darauf abzielt, den Rechtsverkehr und die Öffentlichkeit sowie die Gläubiger und künftige Gesellschafter über die Eigenkapitalbasis der Gesellschaft aufzuklären.86 Das Formerfordernis soll die Authentizität der Übernahmeerklärung sicherstellen, nicht aber den Übernehmer vor der übernommenen Verpflichtung warnen oder ihn sachkundig belehren.87 Der Formvorschrift kommt demnach Beweisfunktion zu, aber keine Warn- und Belehrungsfunktion. Was die Belehrungsfunktion angeht, folgt dies bereits aus dem Umstand, dass nach § 55 Abs. 1 GmbHG eine notarielle Beglaubigung ausreicht, die sich ausschließlich auf die Prüfung der Identität des Unterzeichners bezieht, aber keine Prüfung der inhaltlichen Richtigkeit der Erklärung umfasst (vgl. § 40 Abs. 2 BeurkG).88 Eine Belehrung nach § 17 BeurkG hat daher bei der Übernahmeerklärung ebenso wenig stattzufinden wie bei der Beurkundung des Kapitalerhöhungsbeschlusses nach Maßgabe der §§ 36, 37 BeurkG. Die notarielle Beglaubigung dient dem Nachweisinteresse des Rechtsverkehrs und zielt zudem auf den Schutz des Erklärungsempfängers – hier: der Gesellschaft – ab,89 nicht aber auf den Schutz des Erklärenden selbst.90 Im Übrigen unterscheidet sich § 55 Abs. 1 GmbHG von der in § 55 Abs. 2 S. 2 GmbHG angeordneten Formpflicht, die neu beitretende Gesellschafter vor zusätzlichen, mit einer Beteiligung aus dem Gesellschaftsvertrag folgenden Leistungspflichten warnen soll.91 Dieser weitergehende Formzweck des § 55 Abs. 2 S. 2 GmbHG steht in enger Verbindung mit dem Formerfordernis des § 2 Abs. 1 GmbHG bei Gründung der GmbH. Davon abgesehen ist ohne Belang, ob die Übernahmeerklärung vor oder nach der Fassung des Kapitalerhöhungsbeschlusses abgegeben wird. Denn auch eine vor Beschlussfassung

85   Lieder in MüKoGmbHG, § 55 Rn. 163; Priester in Scholz, GmbHG, § 55 Rn. 118; Schnorbus in Rowedder/Schmidt-Leithoff, GmbHG, § 55 Rn. 63. 86   BGH NJW 1977, 1151; OLG München NZG 2005, 756 (757) m. Anm. Bayer/Lieder EWiR 2005, 525; Hermanns in Michalski/Heidinger/Leible/Schmidt, GmbHG, § 55 Rn. 69; Lieder in MüKoGmbHG, § 55 Rn. 128; Priester in Scholz, GmbHG, § 55 Rn. 81; Schnorbus in Rowedder/Schmidt-Leithoff, GmbHG, § 55 Rn. 48; Ulmer/Casper in Ulmer/ Habersack/Löbbe, GmbHG, § 55 Rn. 73; Lieder DStR 2014, 2464 (2469); Krampen-Lietzke RNotZ 2016, 20 (22); Tholen/Weiß GmbHR 2016, 915. 87   Lieder in MüKoGmbHG, § 55 Rn. 128; zustimmend Krampen-Lietzke RNotZ 2016, 20 (22); Tholen/Weiß GmbHR 2016, 915. 88   Vgl. BGH NJW 1977, 1151. 89   Malzer DNotZ 2000, 169 (172). 90   Krampen-Lietzke RNotZ 2016, 20 (21). 91   Lieder in MüKoGmbHG, § 55 Rn. 128; Ulmer/Casper in Ulmer/Habersack/Löbbe, GmbHG, § 55 Rn. 99; Krampen-Lietzke RNotZ 2016, 20 (23).

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abgegebene – antizipierte – Übernahmeerklärung unterliegt den allgemeinen Formerfordernissen des § 55 Abs. 1 und Abs. 2 S. 2 GmbHG.92 2. Bevollmächtigung Unter Hinweis auf die Wertung des § 2 Abs. 2 GmbHG und das Formerfordernis des § 55 Abs. 1 GmbHG geht die einhellige Meinung davon aus, dass auch die Vollmacht zur Abgabe einer Übernahmeerklärung zumindest der notariellen Beglaubigung bedarf.93 Das erweist sich bei näherer Betrachtung – in Parallele zum Ermächtigungsbeschluss zugunsten der Geschäftsführer zum Zwecke einer Verpflichtung der GmbH zu einer Kapitalerhöhung94 – als unzutreffend.95 Normativer Ausgangspunkt ist § 167 Abs. 2 BGB, wonach die Vollmacht nicht der Form des Geschäfts bedarf, auf das sie sich bezieht. Eine teleologische Reduktion kommt nur in Betracht, wenn durch die Bevollmächtigung bereits eine rechtliche oder tatsächliche Bindung erzeugt wird und die einschlägige Formvorschrift den Einzelnen gerade gegen eine übereilte Entscheidung schützen will.96 Letzteres ist bei § 2 Abs. 1 GmbHG nach zutreffender hM97 der Fall, nach einhelliger Auffassung aber nicht bei § 55 Abs. 1 GmbHG.98 Aufgrund der unterschiedlichen Formzwecke der beiden Vorschriften kann auch die Wertung des § 2 Abs. 2 GmbHG nicht für eine teleologische Reduktion des § 167 Abs. 2 BGB in Anspruch genommen werden. Die Formregel dient dem präventiven Schutz der Mitgesellschafter und trägt damit den weitreichenden Rechtsfolgen der Beteiligung an einer GmbH-

92   Lieder in MüKoGmbHG, § 55 Rn. 158; Priester in Scholz, GmbHG, § 55 Rn. 117; Schnorbus in Rowedder/Schmidt-Leithoff, GmbHG, § 55 Rn. 62; Ulmer/Casper in Ulmer/ Habersack/Löbbe, GmbHG, § 55 Rn. 98; Zöllner/Fastrich in Baumbach/Hueck, GmbHG, § 55 Rn. 39; Krampen-Lietzke RNotZ 2016, 20. 93   KGJ 39, 127 (128 ff.); OLG Neustadt GmbHR 1952, 58; Bayer in Lutter/Hommelhoff, GmbHG, § 55 Rn. 34; Hermanns in Michalski/Heidinger/Leible/Schmidt, GmbHG, § 55 Rn. 69; Priester in Scholz, GmbHG, § 55 Rn. 81; Roth in Roth/Altmeppen, GmbHG, § 55 Rn. 19; Schnorbus in Rowedder/Schmidt-Leithoff, GmbHG, § 55 Rn. 48; Ulmer/Casper in Ulmer/Habersack/Löbbe, GmbHG, § 55 Rn. 75; Wicke, GmbHG, § 55 Rn. 12; Ziemons in BeckOK GmbHG, § 55 Rn. 109; Zöllner/Fastrich in Baumbach/Hueck, GmbHG, § 55 Rn. 19; Herrler DNotZ 2008, 903 (916). 94   Siehe oben III 2 b. 95   Der h.M. noch folgend Lieder in MüKoGmbHG, § 55 Rn. 130. Diese Auffassung wird aufgegeben. 96   Dazu im Einzelnen oben III 2 b. 97  RGZ 149, 385 (395); Cramer in Scholz, GmbHG, § 2 Rn. 10; Heinze in MüKoGmbHG, § 2 Rn. 65; J. Schmidt in Michalski/Heidinger/Leible/Schmidt, GmbHG, § 2 Rn. 45; Ulmer/Löbbe in Ulmer/Habersack/Löbbe, GmbHG, § 2 Rn. 13. 98   Siehe nochmals oben IV 1.

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Gründung Rechnung,99 die nicht ohne weiteres mit einer Kapitalerhöhung und der Übernahme neuer Geschäftsanteile gleichgesetzt werden kann. Nur im Rahmen des § 55 Abs. 2 S. 2 GmbHG geht es um den Individualschutz des neu beitretenden Übernehmers vor zusätzlichen Leistungspflichten. Demgegenüber dient das Formerfordernis des § 55 Abs. 1 GmbHG ausschließlich der Beweissicherung und dem öffentlichen Interesse; es soll Rechtsverkehr, Öffentlichkeit, Gläubiger und künftige Gesellschafter über die Eigenkapitalbasis der Gesellschaft aufklären. Der Übernehmer selbst ist hingegen nicht Schutzadressat der Vorschrift. Vielmehr wird das Nachweisinteresse der Gesellschaft geschützt, die über die Identität des Übernehmers Gewissheit haben soll. Dementsprechend kann eine mittels Bevollmächtigung erzeugte vorgelagerte Bindung des Übernehmers keine Formbedürftigkeit auslösen. Die vom Formerfordernis adressierten Verkehrsschutzgesichtspunkte werden durch die Vollmachtserteilung als solche nicht berührt. Der Normzweck des § 55 Abs. 1 GmbHG ist vielmehr erst dann einschlägig, wenn der Bevollmächtigte später tatsächlich im Namen des Übernehmers die Übernahmeerklärung abgibt. Erst diese Erklärung muss der notariellen Form genügen. Ohne Warn- und Belehrungsfunktion, die § 55 Abs. 1 GmbHG gerade nicht eignen, kommt eine teleologische Reduktion des § 167 Abs. 2 BGB und eine damit verbundene Erstreckung des Formerfordernisses auf die Vollmacht nicht in Betracht. Das entspricht letztlich auch der im Vordringen begriffenen Auffassung, wonach Übernahmeverpflichtungsverträge ebenfalls formfrei vereinbart werden können.100 Davon abgesehen kann die Dienstbarmachung des § 2 Abs. 2 GmbHG – entgegen der Auffassung des KG101 – auch nicht auf die vermeintliche Parallele zwischen GmbH-Gründung und Kapitalerhöhung gestützt werden. Richtig ist zwar, dass sich für Gründung und Kapitalerhöhung mit Blick auf den Kapitalschutz vergleichbare Rechtsfragen stellen. Das allein rechtfertigt es indes nicht, die Kapitalerhöhung – wie es früher nicht selten der Fall war102 – als Zusatzgründung zu begreifen.103 Abzulehnen ist insbesondere die früher vielfach vertretene Auffassung, wonach Gründungsvorschriften immer dann auf die Kapitalerhöhung entsprechend zur Anwendung gelangen sollen, 99   Heinze in MüKoGmbHG, § 2 Rn. 65; Pfisterer in Saenger/Inhester, GmbHG, 3. Aufl. 2016, § 2 Rn. 24; C. Schäfer in Bork/Schäfer, GmbHG, 3. Aufl. 2016, § 2 Rn. 41; J. Schmidt in Michalski/Heidinger/Leible/Schmidt, GmbHG, § 2 Rn. 45; Ulmer/Löbbe in Ulmer/ Habersack/Löbbe, GmbHG, § 2 Rn. 27. 100   Dazu sogleich unten IV 3. 101   KGJ 39, 127 (128). 102   So aber OLG Hamm GmbHR 1975, 83 (85); Brodmann, GmbHG, 2. Aufl. 1930, § 57 Anm. 2; Feine in Ehrenberg, Handbuch des gesamten Handelsrechts, Bd. 3, Abt. 3, 1929, S. 600; Lutter in Lutter/Hommelhoff, GmbHG, 17. Aufl. 2009, § 56 Rn. 2; Lutter GmbHR 2010, 1177 (1179). 103   Dazu und zum Folgenden schon Lieder in MüKoGmbHG, § 55 Rn. 12; Lieder DStR 2014, 2464 (2466).

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wenn die §§ 55 ff. GmbHG Regelungslücken aufweisen.104 Stattdessen ist für jede Gründungsvorschrift anhand ihres Normzwecks und der zugrunde liegenden Wertungen im jeweiligen Einzelfall genau zu prüfen, ob sie sich in das Regelungssystem der Kapitalerhöhung widerspruchsfrei einfügen lässt. In der Sache besteht der zentrale Unterschied der beiden Regelungskomplexe darin, dass die juristische Person durch Gründung und Übernahme von Geschäftsanteilen originär entsteht, während die Übernahme neuer Anteile im Rahmen der Kapitalerhöhung die juristische Person im Grundsatz unberührt lässt und sich die Kapitalerhöhung selbst unter Beteiligung von Nichtgesellschaftern durch bloßen Beitritt zu einer bereits bestehenden Rechtsform vollzieht.105 Dass sich auch der historische GmbH-Gesetzgeber von den Unterschieden zwischen Gründung und Kapitalerhöhung hat leiten lassen, folgt unschwer aus der wohldosierten Verwendung des Verweisungsmechanismus. Das Recht der GmbH-Kapitalerhöhung nimmt nur auf ganz bestimmte Vorschriften des Gründungsrechts Bezug; § 2 Abs. 2 GmbHG gehört gerade nicht dazu. Einer Anwendung auf die Kapitalerhöhung stehen im Übrigen die unterschiedlichen Formzwecke (Warn-, Belehrungs- und Beweisfunktion) im Vergleich zu § 55 Abs. 1 GmbH (ausschließlich Beweisfunktion) entgegen. Angesichts des derzeit abweichenden Meinungsstands ist der Praxis freilich nachdrücklich anzuraten, die Erteilung einer Vollmacht zur Abgabe einer Übernahmeerklärung vorsorglich notariell beglaubigen oder beurkunden zu lassen. 3. Übernahmeverpflichtungsvertrag Gleiches gilt für die schuldrechtliche Verpflichtung eines künftigen Übernehmers zur Abgabe einer Übernahmeerklärung.106 Denn die tradierte Auffassung verlangt nach wie vor analog § 55 Abs. 1 GmbHG eine notarielle Beglaubigung von Übernahmeverpflichtungsverträgen.107 Auch wenn die heute h.M. mit zutreffender Begründung für deren Formfreiheit eintritt,108   So aber RGZ 85, 311 (315); OLG Hamm GmbHR 1975, 83 (85).  Vgl. Ulmer/Casper in Ulmer/Habersack/Löbbe, GmbHG, § 55 Rn. 6; Lieder in MüKoGmbHG, § 55 Rn. 12; Lieder DStR 2014, 2464 (2466). 106   Ebenso die Empfehlung von Milch BB 2016, 1538 (1541), die zudem noch darauf hinweist, dass die damit verbundene Kostenlast durchaus überschaubar sei; für eine notarielle Beglaubigung auch Tholen/Weiß GmbHR 2016, 915 (916). 107  RGZ 149, 385 (395); M. Arnold/Born in Gehrlein/Born/Simon, GmbHG, § 55 Rn. 34; Inhester in Saenger/Inhester, GmbHG, § 55 Rn. 48; Wicke GmbHG, § 55 Rn. 12; Ziemons in BeckOK GmbHG, § 55 Rn. 100. 108   OLG München NZG 2005, 756 (757) m. zust. Anm. Bayer/Lieder EWiR 2005, 525 (526); Bayer in Lutter/Hommelhoff, GmbHG, § 55 Rn. 33; Lieder in MüKoGmbHG, § 55 Rn. 160; Priester in Scholz, GmbHG, § 55 Rn. 117; Roth in Roth/Altmeppen, GmbHG, § 55 Rn. 19; Schnorbus in Rowedder/Schmidt-Leithoff, GmbHG, § 55 Rn. 61; Ulmer/ 104 105

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fehlt es doch bisher an einer grundsätzlichen Klärung der Rechtsfrage durch die höchstrichterliche Rechtsprechung. Wiederum kommt es maßgeblich auf den Formzweck des § 55 Abs. 1 GmbHG an, der ausschließlich auf Beweissicherung abzielt, nicht aber dem Übereilungsschutz und der Belehrung der Übernehmer zu dienen bestimmt ist. Um die Öffentlichkeit und den Rechtsverkehr über die Kapitalausstattung der Gesellschaft aufzuklären, genügt es, die (später) auf Grundlage der Übernahmeverpflichtung vom Übernehmer tatsächlich rechtswirksam abgegebene Übernahmeerklärung notariell zu beglaubigen. Demgegenüber werden Verkehrsschutzgesichtspunkte bei der Verpflichtung der Gesellschafter untereinander nicht berührt. Formfrei sind daher nicht nur rein schuldrechtliche Vereinbarungen, sondern auch ausdrückliche oder konkludente gesellschaftsrechtliche Übereinkünfte zur Errichtung einer Vorbeteiligungsgesellschaft,109 die aus Gesellschaftern und Dritten bestehen kann, deren Handeln auf die Verfolgung eines gemeinsamen Zwecks – konkret: die gemeinsame Mitwirkung an einer Kapitalerhöhung sowie an einem darüber hinausgehenden gemeinsamen Projekt110 – gerichtet ist.111 Neuerdings plädiert eine differenzierende Auffassung dafür, Übernahmepflichten Dritter – im Gegensatz zu solchen der Gesellschafter – analog § 55 Abs. 2 S. 2 GmbHG stets der Formpflicht zu unterwerfen.112 Das ist abzulehnen.113 Wird keine zusätzliche Nebenleistung im Sinne dieser Vorschrift begründet und damit der Übereilungsschutz für neu beitretende Übernehmer gerade nicht aktiviert, muss es mit Blick auf den Formzweck des § 55 Abs. 1 GmbHG bei der Formfreiheit der Übernahmeverpflichtungserklärung bleiben. Auch wenn die schuldrechtliche Verpflichtung mit einem Nichtgesellschafter abgeschlossen wird, tangiert diese nur inter partes wirkende Bindung den Rechtsverkehr und die Öffentlichkeit als solche nicht. Dies ist erst mit der späteren Abgabe einer Übernahmeerklärung der Fall. Davon abgesehen spricht der in sich geschlossene Regelungskontext in rechtsmethodischer Hinsicht bereits gegen das Vorliegen einer planwidrigen Regelungslücke; Casper in Ulmer/Habersack/Löbbe, GmbHG, § 55 Rn. 99; Zöllner/Fastrich in Baumbach/ Hueck, GmbHG, § 55 Rn. 40; Hergeth/Mingau DStR 2001, 1217 (1220); Hoene/Eickmann GmbHR 2017, 854 (856); Lieder DStR 2014, 2464 (2469); Tholen/Weiß GmbHR 2016, 915 (916). 109   Aus der Rechtsprechung siehe OLG Schleswig DStR 2014, 2246; zum Konzept ausf. Lieder DStR 2014, 2464; Priester GWR 2014, 405; insgesamt kritisch Fallak/Huynh Cong NZG 2016, 1291. 110   Dazu ausf. Lieder DStR 2014, 2464 (2467 f.); vgl. auch Priester GWR 2014, 405 (407); (zur AG) Koch in Hüffer, AktG, § 185 Rn. 32. 111   Näher zur Formfreiheit Lieder DStR 2014, 2464 (2469 f.). 112  So Krampen-Lietzke RNotZ 2016, 20 (23). 113  Ebenfalls ablehnend zur differenzierenden Auffassung Hoene/Eickmann GmbHR 2017, 854 (857); Tholen/Weiß GmbHR 2016, 915 (916); vgl. weiter Ulmer/Casper in Ulmer/ Habersack/Löbbe, GmbHG, § 55 Rn. 99.

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die Interessenlage der Beteiligten ist nach dem Gesagten jedenfalls nicht vergleichbar. 4. Formmängel Leidet die Übernahmeerklärung an einem Formmangel, so entfaltet sie gem. § 125 S. 1 BGB keine Bindungswirkung zwischen den Vertragsparteien.114 Dass hier die allgemeinen Grundsätze der bürgerlichen Rechtsgeschäftslehre zur Anwendung kommen, folgt aus der Rechtsnatur des Übernahmevertrags, der nicht allein korporativen Charakter hat, sondern auch ein schuldrechtliches Element beinhaltet.115 Das hat inzwischen auch der II. Zivilsenat des BGH bestätigt.116 Durch die Einlageleistung allein wird der Formverstoß nicht geheilt.117 Denn die Erbringung des geschuldeten Einlagebetrags als solche führt nicht automatisch zur Erfüllung sämtlicher Gesellschafterpflichten. Das wird mit Blick auf §§ 3 Abs. 2, 23, 26 GmbHG besonders deutlich. Dementsprechend scheidet auch die Bildung einer – im Allgemeinen kontrovers beurteilten118 – Gesamtanalogie zu §§ 311b Abs. 1 S. 2, 518 Abs. 2, 766 S. 3 BGB aus. Stattdessen sind erbrachte Einlageleistungen nach bereicherungsrechtlichen Grundsätzen rückabzuwickeln.119 Dem steht auch die Lehre von der fehlerhaften Strukturmaßnahme nicht entgegen, die die Grundsätze der fehlerhaften Gesellschaft auf die Kapitalerhöhung überträgt.120 Denn der Abschluss des Übernahmevertrags steht nach der Wertung des § 54 Abs. 3 GmbHG 114   RGZ 50, 47 (48); Lieder in MüKoGmbHG, § 55 Rn. 131; Priester in Scholz, GmbHG, § 55 Rn. 82. 115   Bayer in Lutter/Hommelhoff, GmbHG, § 55 Rn. 34; Hermanns in Michalski/Heidinger/Leible/Schmidt, GmbHG, § 55 Rn. 66, 98; Lieder in MüKoGmbHG, § 55 Rn. 110 f.; Mülbert in FS Priester, 2007, S. 485 (487 ff.); Wachter DB 2016, 275 (278); Bieder NZG 2016, 538 (539); a.A. noch Amtliche Begründung zum GmbHG, 1891, S. 104; RGZ 82, 116 (121); BGHZ 45, 338 (345); 49, 117 (119). 116   BGH NZG 2015, 1396 Rn. 16; dazu Lieder EWiR 2016, 5. 117  RG Recht 1909 Nr. 3012; Hermanns in Michalski/Heidinger/Leible/Schmidt, GmbHG, § 55 Rn. 70; Lieder in MüKoGmbHG, § 55 Rn. 131, § 57 Rn. 77; Priester in Scholz, GmbHG, § 55 Rn. 82, § 57 Rn. 52; Ulmer/Casper in Ulmer/Habersack/Löbbe, GmbHG, § 55 Rn. 76; Zöllner/Fastrich in Baumbach/Hueck, GmbHG, § 55 Rn. 32. 118   Gegen ein allgemeines Prinzip der Heilung von Formfehlern Hagen in FS Brambring, 2011, S. 99 (105 ff., 109 ff.); Hertel in Staudinger, BGB, 2017, § 125 Rn. 108; Pohlmann, Die Heilung formnichtiger Verpflichtungsgeschäfte durch Erfüllung, 1992, S. 77 ff., 88; so auch schon RGZ 67, 208; 76, 3; a.A. W. Lorenz AcP 156 (1957), 381, 404 f. (Heilung aus Vertrauensschutzgründen); vgl. ferner den Vorschlag im Rahmen der 2. Lesung der XII. Kommission zum Gesetzentwurf des BGB, abgedruckt bei Jakobs/Schubert, Die Beratung des Bürgerlichen Gesetzbuchs, 1985, S. 683 f.; eingehend auch Heiss, Formmängel und ihre Sanktionen, 1999, S. 290 ff. 119   Lieder in MüKoGmbHG, § 55 Rn. 131; Priester in Scholz, GmbHG, § 55 Rn. 82; Ulmer/Casper in Ulmer/Habersack/Löbbe, GmbHG, § 55 Rn. 76. 120   Siehe nochmals oben III 3.

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unter dem Vorbehalt der Eintragung des Kapitalerhöhungsbeschlusses in das Handelsregister.121 Formmängel können demnach in vollem Umfang geltend gemacht werden. Erst mit der Eintragung der Kapitalerhöhung wird der gem. § 55 Abs. 1 GmbHG formnichtige Übernahmevertrag geheilt.122 Zwar werden weder die Übernahmeerklärung noch der Übernahmevertrag in das Handelsregister eingetragen. Das Prinzip der realen Kapitalaufbringung verlangt im Inte­ resse effektiven Gläubigerschutzes aber für die formunwirksame Übernahmeerklärung ebenso nach Bestands- und Verkehrsschutz wie im Fall eines formnichtigen Kapitalerhöhungsbeschlusses. Das gilt umso mehr, als Erhöhungsbeschluss und Übernahmevertrag eine Einheit bilden und gemeinsam für die Kapitalerhöhung erforderlich sind.123 Daher muss in beiden Fällen die Berufung des Übernehmers auf den Formmangel nach Eintragung der Kapitalerhöhung – gerade weil nur diese in das Handelsregister eingetragen und publik gemacht wird – ausscheiden. Das hat der Kartellsenat des BGH in Sachen ConsulTrust nun ausdrücklich klargestellt.124 In rechtsdogmatischer Hinsicht handelt es sich beim fehlerhaften Übernahmevertrag – ebenso wie beim fehlerhaften Kapitalerhöhungsbeschluss – um einen Unterfall der fehlerhaften Kapitalerhöhung, die als fehlerhafter Strukturmaßnahme in Anlehnung an die Grundsätze der fehlerhaften Gesellschaft behandelt wird.125 Anwendungsvoraussetzung ist neben der Eintragung des Kapitalerhöhungsbeschlusses, dass die fehlerhafte Erklärung vom

121   Hermanns in Michalski/Heidinger/Leible/Schmidt, GmbHG, § 57 Rn. 59 a.E; Lieder in MüKoGmbHG, § 57 Rn. 77; Priester in Scholz, GmbHG, § 57 Rn. 52; Ulmer/Casper in Ulmer/Habersack/Löbbe, GmbHG, § 55 Rn. 102 a.E; Kort Bestandsschutz fehlerhafter Strukturmaßnahmen im Kapitalgesellschaftsrecht, S. 197. 122   Hermanns in Michalski/Heidinger/Leible/Schmidt, GmbHG, § 55 Rn. 70; Lieder in MüKoGmbHG, § 55 Rn. 131, § 57 Rn. 77; Priester in Scholz, GmbHG, § 55 Rn. 83, § 57 Rn. 52; Schnorbus in Rowedder/Schmidt-Leithoff, GmbHG, § 55 Rn. 48; Ulmer/Casper in Ulmer/Habersack/Löbbe, GmbHG, § 55 Rn. 76; Zöllner/Fastrich in Baumbach/Hueck, GmbHG, § 55 Rn. 32. 123   Lieder in MüKoGmbHG, § 57 Rn. 78; C. Schäfer Die Lehre vom fehlerhaften Verband, S. 422. 124   BGH NZG 2018, 29 Rn. 35; dazu Lieder EWiR 2018, 99. Leitsatz 1 des Urteils lautet: „Nach der Eintragung der Kapitalerhöhung in das Handelsregister kann ein Mangel der Form der Übernahmeerklärung nicht mehr mit Erfolg gerügt werden.“ 125   M. Arnold/Born in Gehrlein/Born/Simon, GmbHG, § 57 Rn. 15; Bayer in Lutter/ Hommelhoff, GmbHG, § 57 Rn. 26; Gummert in Henssler/Strohn, Gesellschaftsrecht, § 57 GmbHG Rn. 30; Lieder in MüKoGmbHG, § 57 Rn. 78; Priester in Scholz, GmbHG, § 57 Rn. 53; Ulmer/Casper in Ulmer/Habersack/Löbbe, GmbHG, § 57 Rn. 52; Zöllner/Fastrich in Baumbach/Hueck, GmbHG, § 57 Rn. 27; Kort Bestandsschutz fehlerhafter Strukturmaßnahmen im Kapitalgesellschaftsrecht, S. 197; C. Schäfer Die Lehre vom fehlerhaften Verband, S. 422; abweichende dogmatische Begründung bei RGZ 82, 375 (378 f.); ebenfalls abweichend Hermanns in Michalski/Heidinger/Leible/Schmidt, GmbHG, § 57 Rn. 61 f.

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Übernehmer zurechenbar veranlasst worden ist.126 Das ist bei einem reinen Formmangel der Fall.127 In der Folge geht der neue Geschäftsanteil auf den Übernehmer über, der im Gegenzug in voller Höhe für die aus dem Übernahmevertrag resultierende Einlageleistung haftet, ohne dass es auf die Erforderlichkeit des Einlagebetrags zur Gläubigerbefriedigung iSd. § 77 Abs. 3 GmbHG ankäme.128 Schadensersatzansprüche der Übernehmer gegen die Gesellschaft sind ausgeschlossen.129

V. Übertragungskonstellationen In der Praxis werden im Zusammenhang mit Kapitalerhöhungen vielfach auch Übertragungspflichten in Bezug auf bestehende oder künftige Geschäftsanteile oder auch Bezugsrechte begründet. Ob die darauf bezogenen Rechtsgeschäfte dem besonderen Formerfordernis des § 15 Abs. 4 GmbHG genügen müssen, hängt wiederum von dessen Formzweck ab. 1. Formzweck a) Erschwerungsfunktion Im Ausgangspunkt ist man sich darüber einig, dass die Formerfordernisse für das schuldrechtliche Verpflichtungsgeschäft (§ 15 Abs. 4 GmbHG) und für das verfügende Vollzugsgeschäft (§ 15 Abs. 3 GmbHG) in erster Linie auf eine Erschwerung des spekulativen Handels mit Geschäftsanteilen gerichtet sind,130 der seinerseits mit dem gesetzlichen Leitbild der GmbH als persona-

126   Lieder in MüKoGmbHG, § 57 Rn. 81; Ulmer/Casper in Ulmer/Habersack/Löbbe, GmbHG, § 57 Rn. 53; Zöllner/Fastrich in Baumbach/Hueck, GmbHG, § 57 Rn. 27; im Ergebnis ebenso Hermanns in Michalski/Heidinger/Leible/Schmidt, GmbHG, § 57 Rn. 62; Priester in Scholz, GmbHG, § 57 Rn. 53. 127  Zur (mangelnden) Zurechnung ausf. Lieder in MüKoGmbHG, § 57 Rn. 81 ff.; Ulmer/Casper in Ulmer/Habersack/Löbbe, GmbHG, § 57 Rn. 53; M. Arnold/Born in Bork/Schäfer, GmbHG, § 57 Rn. 15 a.E. 128   Lieder in MüKoGmbHG, § 57 Rn. 79; Priester in Scholz, GmbHG, § 57 Rn. 54; Schnorbus in Rowedder/Schmidt-Leithoff, GmbHG, § 57 Rn. 40; Ulmer/Casper in Ulmer/ Habersack/Löbbe, GmbHG, § 57 Rn. 52; Kort Bestandsschutz fehlerhafter Strukturmaßnahmen im Kapitalgesellschaftsrecht, S. 197. 129   RGZ 82, 375 (381 f.); 88, 187 (190); Lieder in MüKoGmbHG, § 57 Rn. 79; Priester in Scholz, GmbHG, § 57 Rn. 54; a.A. Kort Bestandsschutz fehlerhafter Strukturmaßnahmen im Kapitalgesellschaftsrecht, S. 199, soweit das Stammkapital unberührt bleibt. 130   Amtliche Begründung zum GmbHG, 1891, S. 38; BGH NJW 1954, 1157; GmbHR 2008, 589 (590); Löbbe in Ulmer/Habersack/Löbbe, GmbHG, § 15 Rn. 43; Reichert/Weller in MüKoGmbHG, § 15 Rn. 16; ausf. Lieder Die rechtsgeschäftliche Sukzession, S. 351 ff.; kritisch Schlüter in FS Bartholomeyczik, 1973, S. 359 (361 f.).

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listische Kapitalgesellschaft nicht in Einklang zu bringen ist.131 Dass nicht nur die Abtretung von GmbH-Anteilen der notariellen Form unterworfen ist, sondern auch das hierauf gerichtete Kausalgeschäft, gewährleistet eine besonders effektive Verwirklichung des Formzwecks.132 Begründet doch schon das schuldrechtliche Verpflichtungsgeschäft die rechtliche Bindung, die im Klagewege durchgesetzt werden und zur Weiterreichung der mit dem Geschäftsanteil verbundenen wirtschaftlichen Chancen und Risiken führen kann. Die Formbedürftigkeit der Anteilsübertragung nach § 15 Abs. 3 GmbHG allein kann einen spekulativen Handel mit Geschäftsanteilen nicht verhindern. b)  Keine Beweisfunktion Diesem Formerfordernis für das Vollzugsgeschäft wird nach einhelliger Auffassung eine Beweisfunktion zugesprochen.133 Für das schuldrechtliche Kausalgeschäft ist das umstritten. Während höchstrichterliche Rechtsprechung134 und herrschende Lehre135 § 15 Abs. 4 GmbHG gleichermaßen einen Beweiszweck zuerkennen, lehnt eine im Vordringen begriffene Gegenauffassung136 einen über die Erschwerungsfunktion hinausgehenden Formzweck ab, und zwar mit Recht.137 Für die Zuordnung von Geschäftsanteilen, Legitimationsfragen (§ 16 Abs. 1 GmbHG) und den Gutglaubenserwerb (§ 16 Abs. 3 GmbHG) kommt es ausschließlich auf die Beweissicherung des verfügenden Vollzugsgeschäfts an. Von diesem ist das schuldrechtliche Ver-

131   Reichert/Weller in MüKoGmbHG, § 15 Rn. 16; Dyhr Das Formgebot bei der Übertragung von GmbH-Geschäftsanteilen (§ 15 Abs. 3 und 4 GmbHG), 1998, S. 41 f.; Lieder Die rechtsgeschäftliche Sukzession, S. 356 ff. 132   Amtliche Begründung zum GmbHG, 1891, S. 38: „Für die neue Gesellschaft wird die Formvorschrift auch auf obligatorische Geschäfte, welche zur Veräußerung von Geschäftsantheilen verpflichten, auszudehnen sein, da der spekulative Handel mit Gesellschaftsbetheiligungen, welcher hier verhindert werden soll, sich vornehmlich in Geschäften der bezeichneten Art zu vollziehen pflegt.“ 133   Amtliche Begründung zum GmbHG, 1891, S. 38; RGZ 164, 162 (170); BGHZ 13, 49 (51 f.); 75, 352 (353 ff.); Ebbing in Michalski/Heidinger/Leible/Schmidt, GmbHG, § 15 Rn. 112; Reichert/Weller in MüKoGmbHG, § 15 Rn. 16; Schlüter in FS Bartholomeyczik, S. 359 (361 f.). 134   BGHZ 13, 49 (50 ff.); 141, 207 (211 f.); BGH DStR 2006, 1378 (1379); NZG 2008, 377 Rn. 14. 135   Altmeppen in Roth/Altmeppen, GmbHG, § 15 Rn. 66; Ebbing in Michalski/Heidinger/Leible/Schmidt, GmbHG, § 15 Rn. 55; Pfisterer in Saenger/Inhester, GmbHG, § 15 Rn. 24; Reichert/Weller in MüKoGmbHG, § 15 Rn. 17. 136   Löbbe in Ulmer/Habersack/Löbbe, GmbHG, § 15 Rn. 43; Verse in Henssler/Strohn Gesellschaftsrecht, § 15 GmbHG Rn. 62; Armbrüster DNotZ 1997, 762 (772 f.); Liese GmbHR 2010, 1256 (1259); Tholen/Weiß GmbHR 2016, 915 (919); tendenziell auch Bayer in Lutter/Hommelhoff, GmbHG, § 15 Rn. 1. 137   Ebenso bereits Lieder/Villegas GmbHR 2018, 169 (171 f.).

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pflichtungsgeschäft nach dem – auch im GmbH-Recht geltenden138 – Trennungs- und Abstraktionsprinzip rechtlich verselbstständigt. Ob das Verpflichtungsgeschäft wirksam zustande gekommen ist, spielt für den Bestand und die Wirksamkeit des verfügenden Vollzugsgeschäfts keine Rolle. Der Beweiswert des Verpflichtungsgeschäfts ist demnach für Zuordnungs- und Legitimationsfragen ohne Belang. Dieser Einwand ist von der h.M. bisher nicht entkräftet worden. Stattdessen setzt sie139 die Formzwecke der beiden Absätze 3 und 4 in unzulässiger Weise gleich. c)  Keine Warn- und Belehrungsfunktion Außerdem wird darüber gestritten, ob § 15 Abs. 4 GmbHG neben der Erschwerungsfunktion noch eine Warn- und Belehrungsfunktion zukommt, wie es namentlich in der obergerichtlichen Rechtsprechung140 und im Schrifttum141 vertreten wird. Der BGH142 und die h.M. im Schrifttum143 lehnen die Anerkennung dieser weitergehenden Formzwecke hingegen zutreffend ab.144 Anhaltspunkte für eine Warn- und Belehrungsfunktion des § 15 Abs. 4 GmbHG finden sich weder im Gesetz noch in den Materialien.145 Auch in der Sache ist deren Anerkennung nicht gerechtfertigt, weil die Erwerber von GmbH-Geschäftsanteilen – anders als beispielsweise die Vertragsparteien eines Grundstücksgeschäfts – typischerweise geschäftserfahren sind und daher auch die wirtschaftliche Tragweite der Transaktion überblicken können.146 Freilich ist nicht zu bestreiten, dass § 17 BeurkG in der praktischen Anwendung zur Belehrung und Aufklärung der Beteiligten beiträgt und zugleich einen faktischen Schutz vor übereilten und unüberlegten Anteilszessionen bietet.147 Die beurkundungsverfahrensrechtliche Bestimmung 138  Zur Geltung des Grundsatzes bei der Übertragung von GmbH-Geschäftsanteilen vgl. nur Altmeppen in Roth/Altmeppen, GmbHG, § 15 Rn. 4; Reichert/Weller in MüKoGmbHG, § 15 Rn. 21; Seibt in Scholz, GmbHG, § 15 Rn. 90; Verse in Henssler/ Strohn, Gesellschaftsrecht, § 15 GmbHG Rn. 5. 139   Vgl. etwa Ebbing in Michalski/Heidinger/Leible/Schmidt, GmbHG, § 15 Rn. 112; Fastrich in Baumbach/Hueck, GmbHG, § 15 Rn. 30; Reichert/Weller in MüKoGmbHG, § 15 Rn. 16 ff.; Wicke GmbHG, § 15 Rn. 12. 140   OLG Stuttgart DB 1989, 1817; OLG München WM 1995, 670 (671). 141   Altmeppen in Roth/Altmeppen, GmbHG, § 15 Rn. 66; Ebbing in Michalski/Heidinger/Leible/Schmidt, GmbHG, § 15 Rn. 55; Fastrich in Baumbach/Hueck, GmbHG, § 15 Rn. 21; Wicke, GmbHG, § 15 Rn. 12; Barth GmbHR 2004, 383 (389); Walz/Fembacher NZG 2003, 1134 (1140). 142   BGH GmbHR 1996, 919 (920); 1997, 605 (606). 143   Löbbe in Ulmer/Habersack/Löbbe, GmbHG, § 15 Rn. 43; Reichert/Weller in MüKoGmbHG, § 15 Rn. 18. 144  Ebenso bereits Lieder/Villegas GmbHR 2018, 169 (171 f.); Lieder Die rechtsgeschäftliche Sukzession, S. 353. 145   Vgl. Amtliche Begründung zum GmbHG, 1891, S. 37 f. 146   Armbrüster DNotZ 1997, 762 (771); Lieder/Villegas GmbHR 2018, 169 (172). 147  Vgl. Kanzleiter ZIP 2001, 2105 (2106 ff.); Wicke ZIP 2006, 977 (980).

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schlägt indes nicht auf den materiellen Normzweck der Formvorschrift durch. Insofern muss es ausschließlich bei der vom historischen Gesetzgeber intendierten Erschwerungsfunktion bleiben. Der durch § 17 BeurkG vermittelte Schutz erweist sich als bloßer Rechtsreflex.148 2. Übertragungspflichten Dieser Formzweck ist selbstredend auch dann tangiert, wenn sich die Gesellschafter oder die GmbH im Zusammenhang mit der Kapitalerhöhung zur Übertragung eines Geschäftsanteils verpflichten. Die Formvorschrift des § 15 Abs. 4 GmbHG findet auf sämtliche Vereinbarungen Anwendung, die eine Erwerbs- oder Veräußerungspflicht für Geschäftsanteile begründen.149 Das gilt für eigene Anteile der GmbH150 ebenso wie für Anteile, die von einem Gesellschafter gehalten werden, aber auch für eine Vereinbarung, wonach – neben anderen Leistungen – nur wahlweise die Abtretung eines GmbH-Anteils verlangt werden kann.151 Davon abgesehen sind auch Putund Call-Optionen nach § 15 Abs. 4 GmbHG formbedürftig.152 Dabei handelt es sich um einseitige Abtretungs- bzw. Erwerbspflichten, denen keine Abnahme- respektive Veräußerungspflicht gegenübersteht. Der notariellen Form unterliegen weiterhin Vorerwerbs- und andere Übernahmerechte, die den Gesellschafter bei Vorliegen bestimmter Voraussetzungen zur Übertragung von Geschäftsanteilen verpflichten.153 Nichts anderes wird man für Mitverkaufspflichten annehmen müssen.154 Zwar ist unsicher, ob die Ver148  Speziell dazu BGH GmbHR 1997, 605 (606); Bayer in Lutter/Hommelhoff, GmbHG, § 15 Rn. 1; Görner in Rowedder/Schmidt-Leithoff, GmbHG, § 15 Rn. 2; Reichert/Weller in MüKoGmbHG, § 15 Rn. 18. 149  Zum breiten Anwendungsbereich der Formvorschrift vgl. Altmeppen in Roth/ Altmeppen, GmbHG, § 15 Rn. 70; Löbbe in Ulmer/Habersack/Löbbe, GmbHG, § 15 Rn. 49 ff.; Reichert/Weller in MüKoGmbHG, § 15 Rn. 82 ff. 150   Bayer in Lutter/Hommelhoff, GmbHG, § 15 Rn. 37 f., 54; Fastrich in Baumbach/ Hueck, GmbHG, § 15 Rn. 33 a.E; Löbbe in Ulmer/Habersack/Löbbe, GmbHG, § 15 Rn. 64; Seibt in Scholz, GmbHG, § 15 Rn. 65. 151  RG LZ 1913, 141; Ebbing in Michalski/Heidinger/Leible/Schmidt, GmbHG, § 15 Rn. 64; Löbbe in Ulmer/Habersack/Löbbe, GmbHG, § 15 Rn. 49; Seibt in Scholz, GmbHG, § 15 Rn. 50. 152   Vgl. BGH GmbHR 1963, 188 (189) obiter dictum; Ebbing in Michalski/Heidinger/ Leible/Schmidt, GmbHG, § 15 Rn. 74 ff., 83; Löbbe in Ulmer/Habersack/Löbbe, GmbHG, § 15 Rn. 52; Reichert/Weller in MüKoGmbHG, § 15 Rn. 93 ff.; Seibt in Scholz, GmbHG, § 15 Rn. 55; Sieger/Schulte GmbHR 2002, 1050 (1054). 153   Bayer in Lutter/Hommelhoff, GmbHG, § 15 Rn. 54; Löbbe in Ulmer/Habersack/ Löbbe, GmbHG, § 15 Rn. 62; Reichert/Weller in MüKoGmbHG, § 15 Rn. 94 f.; Seibt in Scholz, GmbHG, § 15 Rn. 54 f.; Verse in Henssler/Strohn, Gesellschaftsrecht, § 15 GmbHG Rn. 68 f. 154  Ebenso Weitnauer, HdB Venture Capital, 5. Aufl. 2016, Rn. 84; Grotheer RNotZ 2015, 4 (5); Hergeth/Mingau DStR 2001, 1217 (1219); Tholen/Weiß GmbHR 2016, 915 (919 f.).

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pflichtung sich realisieren wird, allerdings besteht eine zwangsläufige Bindung des Gesellschafters zur Veräußerung des Geschäftsanteils, soweit nur die in der Vereinbarung näher bestimmten Voraussetzungen eintreten. Dass auch bedingte und befristete Veräußerungs- und Erwerbspflichten das Form­ erfordernis auslösen, ist heute einhellig anerkannt.155 3.  Übertragung von künftigen Geschäftsanteilen Diese Vorausabtretung ist – in Übereinstimmung mit den allgemeinen Grundsätzen des Zessionsrechts156 – nach einhelliger Auffassung zulässig.157 Da hiermit in ökonomischer Hinsicht die Zuordnung des Geschäftsanteils vorweggenommen wird, gelangt § 15 Abs. 3 und Abs. 4 GmbHG zur Anwendung.158 Das ist auch deshalb gerechtfertigt, weil die Zuordnungsänderung durch die Entstehung des Anteils realisiert wird, ohne dass es eines weiteren Rechtsgeschäfts bedarf, das dem Formerfordernis unterworfen wäre. Die Vereinbarung der Vorausabtretung ist demnach das einzige Rechtsgeschäft, an welches die Formpflicht überhaupt anknüpfen kann. Die Anwendung des § 15 Abs. 3 und Abs. 4 GmbHG stellt sicher, dass dessen Regelungsziel auch bei der Übertragung künftiger Anteile effektiv verwirklicht wird. Zugleich liefert die Formbedürftigkeit ein Argument für die grundsätzliche Zulässigkeit der Vorauszession. Mit Blick auf die Geltung der Formvorschriften scheidet namentlich eine analoge Anwendung der §§ 41 Abs. 4, 191 AktG aus. Die aktienrechtlichen Vorschriften zielen darauf ab, die kapitalanlagespezifischen Gefahren des Emissionsschwindels zu verhindern.159 Diesem Risiko 155  OLG Karlsruhe GmbHR 1991, 19 (20); Ebbing in Michalski/Heidinger/Leible/ Schmidt, GmbHG, § 15 Rn. 64; Löbbe in Ulmer/Habersack/Löbbe, GmbHG, § 15 Rn. 49; vgl. weiter BGH NZG 2007, 547 f.; Altmeppen in FS Westermann, 2008, S. 771 (775). 156   BGHZ 7, 365 (367 f.); 26, 185 (188); 30, 149 (151); 88, 205 (206 f.); BGH NJW 2005, 1408; MDR 2017, 911 Rn. 17; Lieder in BeckOGK BGB, Stand: 1.9.2018, § 398 Rn. 149; Roth/Kieninger in MüKoBGB, § 398 Rn. 78; Westermann in Erman, BGB, § 398 Rn. 11. 157   Bayer in Lutter/Hommelhoff, GmbHG, § 55 Rn. 41; Bormann in Gehrlein/Born/ Simon, GmbHG, § 55 Rn. 73; Hermanns in Michalski/Heidinger/Leible/Schmidt, GmbHG, § 55 Rn. 103; Lieder in MüKoGmbHG, § 55 Rn. 148; Priester in Scholz, GmbHG, § 55 Rn. 120; Schnorbus in Rowedder/Schmidt-Leithoff, GmbHG, § 55 Rn. 66. 158   BGHZ 21, 242 (245); 21, 378 (383); 29, 300 (303); BGH GmbHR 1995, 119 (120); 1997, 405 (406); 1999, 707 (708 f.); Brandes in Bork/Schäfer, GmbHG, 3. Aufl. 2015, § 15 Rn. 43; Ebbing in Michalski/Heidinger/Leible/Schmidt, GmbHG, § 15 Rn. 122; Fastrich in Baumbach/Hueck, GmbHG, § 15 Rn. 24; Lieder in MüKoGmbHG, § 55 Rn. 148; Löbbe in Ulmer/Habersack/Löbbe, GmbHG, § 15 Rn. 122; Reichert/Weller in MüKoGmbHG, § 15 Rn. 42. 159   Zu § 41 Abs. 4 AktG: Drygala in K. Schmidt/Lutter, AktG, 3. Aufl. 2015, § 41 Rn. 36: primär Rechtssicherheit für Gründerhaftung; Pentz in MüKoAktG, § 44 Rn. 161, 165: Rechtssicherheit; Solveen in Hölters, AktG, 3. Aufl. 2017, § 41 Rn. 2: Verkehrssicherheit; Vedder in Grigoleit, AktG, 2013, § 41 Rn. 42: Aufklärung über Verlustdeckungshaftung und Sicherstellung der Gründerhaftung; zu § 191 AktG: BGH NJW-RR 1988, 803; Koch

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begegnet das GmbH-Recht durch Anwendung der Formvorschriften auf die Vorauszession, sodass für eine entsprechende Anwendung aktienrechtlicher Spezialvorschriften kein Raum ist. 4.  Übertragung von Bezugsrechten Die zutreffende h.M. gesteht den Gesellschaftern einer GmbH analog § 186 Abs. 1 AktG ein gesetzliches Bezugsrecht auf neue GmbH-Anteile zu.160 Nach seiner Rechtsnatur ist dieses Bezugsrecht als wesensgleiches Minus zum Geschäftsanteil zu charakterisieren.161 Vor diesem Hintergrund ist es auch nur konsequent, dass die gesetzlichen Vorschriften, die für die Abtretung von (bestehenden) GmbH-Anteilen gelten, sinngemäß auf das Bezugsrecht übertragen werden. Dementsprechend kann das Bezugsrecht der GmbH-Gesellschafter analog § 15 Abs. 1 GmbHG iVm. §§ 398, 413 BGB abgetreten162 und iVm. § 1922 Abs. 1 BGB vererbt163 werden. Mit einer solchen Übertragung wird der Zessionar in die Lage versetzt, im Zuge der nachfolgenden Kapitalerhöhung auf den Geschäftsanteil zuzugreifen. Aus wirtschaftlicher Perspektive steht die Abtretung des Bezugsrechts der Übertragung eines GmbH-Anteils gleich. Hier wie dort ist der Gefahr eines spekulativen Handels von Geschäftsanteilen und Bezugsrechten gleichermaßen durch die Anwendung der Formvorschrift des § 15 Abs. 3 und Abs. 4 GmbH zu begegnen. In methodischer Hinsicht sind die Regeln im Wege der Analogiebildung auf die Bezugsrechtsübertragung zu erstrecken.

in Hüffer/Koch, AktG, § 191 Rn. 1; Rieder/Holzmann in Grigoleit, AktG, § 191 Rn. 1; Schürnbrand in MüKoAktG, § 191 Rn. 1; Veil in K. Schmidt/Lutter, AktG, § 191 Rn. 1. 160   M. Arnold/Born in Bork/Schäfer, GmbHG, § 55 Rn. 21; Bayer in Lutter/Hommelhoff, GmbHG, § 55 Rn. 23; Bormann in Gehrlein/Born/Simon, GmbHG, § 55 Rn. 17; Lieder in MüKoGmbHG, § 55 Rn. 70 ff.; Priester in Scholz, GmbHG, § 55 Rn. 42 ff.; Wicke, GmbHG, § 55 Rn. 11; Zöllner/Fastrich in Baumbach/Hueck, GmbHG, § 55 Rn. 20; Fleischer GmbHR 2008, 673 (680); Rottnauer ZGR 2007, 401 (407 ff.); a.A. Roth in Roth/Altmeppen, GmbHG, § 55 Rn. 20 ff.; Schnorbus in Rowedder/Schmidt-Leithoff, GmbHG, § 55 Rn. 35; Ulmer/Casper in Ulmer/Habersack/Löbbe, GmbHG, § 55 Rn. 51 ff.; Wegmann in Münch. HdB GesR III, § 53 Rn. 15. 161   So schon Lieder in MüKoGmbHG, § 55 Rn. 79; vgl. auch Hermanns in Michalski/ Heidinger/Leible/Schmidt, GmbHG, § 55 Rn. 40; ferner Priester in Scholz, GmbHG, § 55 Rn. 53, der vom Bezugsrecht als Vorstufe des Geschäftsanteils spricht. 162   Lieder in MüKoGmbHG, § 55 Rn. 79; im Ergebnis ebenso Bayer in Lutter/Hommelhoff, GmbHG, § 55 Rn. 20; Hermanns in Michalski/Heidinger/Leible/Schmidt, GmbHG, § 55 Rn. 40; Priester in Scholz, GmbHG, § 55 Rn. 53; Roth in Roth/Altmeppen, GmbHG, § 55 Rn. 25; ablehnend – auf der Grundlage ihrer ablehnenden Haltung zum Bezugsrecht – Ulmer/Casper in Ulmer/Habersack/Löbbe, GmbHG, § 55 Rn. 55. 163   Kunz in Staudinger, BGB, 2017, § 1922 Rn. 255, 265; Lieder in Erman, BGB, § 1922 Rn. 33; Lieder in MüKoGmbHG, § 55 Rn. 79; zur AG Leipold in MüKoBGB, 7. Aufl. 2017, § 1922 Rn. 78.

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Die für das ungeschriebene Bezugsrecht bestehende – planwidrige – Regelungslücke ist angesichts der vergleichbaren Interessenlage, namentlich aufgrund des Verkehrsbedürfnisses nach einer Erschwerung der Übertragung des wirtschaftlichen Werts von Geschäftsanteilen und Bezugsrechten, durch eine entsprechende Anwendung des § 15 Abs. 3 und Abs. 4 GmbHG zu schließen.164 5.  Reichweite der Formbedürftigkeit Umstritten ist nun, in welchem Maße sich die Formbedürftigkeit nach § 15 Abs. 4 GmbHG auf weitere mit ihr in Zusammenhang stehende Rechtsgeschäfte erstreckt. Gerade im Hinblick auf Gesellschaftervereinbarungen und Beteiligungsverträge bereitet die Bestimmung der Reichweite der Form­ pflicht nicht unerhebliche Schwierigkeiten. Obgleich diese Rechtsgeschäfte weder nach § 53 Abs. 2 S. 1 GmbHG noch nach § 55 Abs. 1 GmbHG der notariellen Form bedürfen, könnte sich ihre Formbedürftigkeit aus § 15 Abs. 4 GmbHG ergeben. a) Vollständigkeitsgrundsatz Die zugehörige Diskussion wird unter der Überschrift Vollständigkeitsgrundsatz geführt. In der Sache geht es um die Frage, ob – und wenn ja – in welchem Umfang neben der unmittelbaren Übertragungspflicht noch weitere Rechtsgeschäfte in notarieller Form abgeschlossen werden müssen. Dazu gehen die Meinungen auseinander. Die in der höchstrichterlichen Rechtsprechung165 sowie überwiegend auch im Schrifttum166 vertretene Auffassung unterwirft der Formpflicht nicht nur die Abtretungsverpflichtung als solche, sondern auch sämtliche Nebenabreden, die nach dem Parteiwillen gleichermaßen Bestandteil der Übertragungsvereinbarung sein sollten. Die im Vordringen befindliche Gegenauffassung167 lehnt eine solche Erstreckung 164   Im Ergebnis ebenso Bayer in Lutter/Hommelhoff, GmbHG, § 15 Rn. 5, § 55 Rn. 20; Görner in Rowedder/Schmidt-Leithoff, GmbHG, § 15 Rn. 38; Lieder in MüKoGmbHG, § 55 Rn. 79; Löbbe in Ulmer/Habersack/Löbbe, GmbHG, § 15 Rn. 60, 129 a.E; Priester in Scholz, GmbHG, § 55 Rn. 53; Reichert/Weller in MüKoGmbHG, § 15 Rn. 42 a.E. 165   BGH NJW 1983, 1843 (1844); 2002, 142 (143); NZG 2017, 476 Rn. 27. 166   Altmeppen in Roth/Altmeppen, GmbHG, § 15 Rn. 70 ff.; Brandes in Bork/Schäfer, GmbHG, § 15 Rn. 24 ff.; Fastrich in Baumbach/Hueck, GmbHG, § 15 Rn. 30; Görner in Rowedder/Schmidt-Leithoff, GmbHG, § 15 Rn. 40 ff.; Pfisterer in Saenger/Inhester, GmbHG, § 15 Rn. 37 f.; so zumindest de lege ferenda auch Bayer in Lutter/Hommelhoff, GmbHG, § 15 Rn. 57, 58: de lege ferenda spricht indes viel für eine Einschränkung bzw. Aufgabe des § 15 Abs. 4; Winter in Gehrlein/Born/Simon, GmbHG, § 15 Rn. 41 ff. 167   Löbbe in Ulmer/Habersack/Löbbe, GmbHG, § 15 Rn. 82; Reichert/Weller in MüKoGmbHG, § 15 Rn. 113 ff.; Seibt in Scholz, GmbHG, § 15 Rn. 66b; Hadding ZIP 2003, 2133 (2137 ff.); Pohlmann GmbHR 2002, 41 (43); Tholen/Weiß GmbHR 2016, 915 (917 ff.); Schlüter in FS Bartholomeyczik, S. 359 (366 ff.).

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des § 15 Abs. 4 GmbHG hingegen ab und hält ausschließlich die unmittelbare Verpflichtung zur Anteilsübertragung für formbedürftig. Tatsächlich lässt sich der Vollständigkeitsgrundsatz mit Blick auf den beschränkten Formzweck des § 15 Abs. 4 GmbHG schwerlich halten. Da das Formerfordernis weder der Beweissicherung168 noch dem Übereilungsschutz oder der Belehrung169 zu dienen bestimmt ist, scheiden diese Aspekte zur Begründung einer Erweiterung des Anwendungsbereiches von vornherein aus. Unabhängig von einer etwaigen Beweisfunktion des § 15 Abs. 4 GmbHG wird geltend gemacht, dass die Erstreckung auf Nebenabreden im Interesse der Rechtssicherheit und Rechtsklarheit geboten sei. Das kann schon im Ansatz nicht überzeugen, wohnt der modernen – einschränkenden – Rechtsprechungslinie doch ein hohes Maß an Unsicherheit inne, weil im Einzelfall geklärt werden muss, welche Nebenabreden erfasst und welche auch formlos wirksam sind.170 Aus praktischer Sicht kann dieser Rechtsunsicherheit nur durch eine großzügige Handhabung des Formerfordernisses begegnet werden. Die vorsorgliche Aufnahme einer großen Zahl von Nebenabreden verursacht zusätzliche (Risikovermeidungs-)Kosten,171 die ohne Geltung des Vollständigkeitsgrundsatzes entfielen. Zugegebenermaßen lässt sich freilich davon sprechen, dass die Durchführung von Anteilstransaktionen durch den Vollständigkeitsgrundsatz – entsprechend dem anerkannten Normzweck des § 15 Abs. 4 GmbHG – weiter erschwert wird.172 Indes ist eine solche Erweiterung des Anwendungsbereichs zur Verwirklichung des genuinen Formzwecks letztlich nicht erforderlich, was selbst Vertreter der h.M. einräumen müssen.173 Folglich steht auch den damit verbundenen – erhöhten – Transaktions- und Risikovermeidungskosten keine greifbare Steigerung des gesamtwirtschaftlichen Nutzens gegenüber. Der Vollständigkeitsgrundsatz vermag daher auch aus rechtsökonomischer Perspektive nicht zu überzeugen. Ferner ist zu bedenken, dass es dem historischen GmbH-Gesetzgeber nicht darum ging, den Handel mit Anteilsrechten per se auszuschließen, sondern nur einen spekulativen Handel weitestgehend zu unterbinden. Dieses Regelungsziel wird aber bereits durch den Gang zum Notar erreicht, auch wenn ausschließlich die unmittelbare

  Siehe nochmals oben V 1 b.   Siehe nochmals oben V 1 c. 170   Vgl. die Zusammenstellung des Materials bei Reichert/Weller in MüKoGmbHG, § 15 Rn. 107 ff., 110 ff.; Altmeppen in Roth/Altmeppen, GmbHG, § 15 Rn. 72 ff.; Winter in Gehrlein/Born/Simon, GmbHG, § 15 Rn. 45; Bayer in Lutter/Hommelhoff, GmbHG, § 15 Rn. 54 ff., 57 ff. 171  Vgl. Seibt in Scholz, GmbHG, § 15 Rn. 66b. 172   Ebbing in Michalski/Heidinger/Leible/Schmidt, GmbHG, § 15 Rn. 89; Winter in Gehrlein/Born/Simon, GmbHG, § 15 Rn. 41, 43; Tholen/Weiß GmbHR 2016, 915 (918); Wiesner NJW 1984, 95 (97). 173  So Fastrich in Baumbach/Hueck, GmbHG, § 15 Rn. 30. 168 169

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Übertragungspflicht, nicht zugleich sämtliche Nebenabreden notariell beurkundet werden. Schließlich wird zur Begründung des Vollständigkeitsgrundsatzes angeführt, er gewährleiste, dass der Erwerbsvertrag nicht unnötig aufgespalten werde, weil Nebenabreden nicht vor der notariellen Beurkundung wirksam werden.174 Dass sich aus der mangelnden Formbedürftigkeit von Nebenabreden praktisch relevante Probleme ergeben könnten, ist indes schwerlich anzunehmen. Zum einen steht es den Vertragsparteien frei, den Vertragsschluss als solchen insgesamt vor dem Notar vorzunehmen und das Vertragswerk einheitlich in Kraft zu setzen. Zudem können Bindungen und salvatorische Klauseln vereinbart werden.175 Zum anderen lassen sich rechtliche Verwerfungen, die aus einem Zusammentreffen gültiger Nebenpflichten mit (noch) formungültigen Hauptpflichten resultieren mögen, mit dem allgemeinen zivilrechtlichen Instrumentarium lösen, namentlich § 139 BGB. b) Übernahmeerklärung Dessen ungeachtet wird sich die Praxis freilich an der Linie der höchstrichterlichen Rechtsprechung orientieren und die Vertragswerke umfassend notariell beurkunden müssen. Wird dieser Rat missachtet, kommt es regelmäßig zu gerichtlichen Auseinandersetzungen, wie die eingangs erwähnte ConsulTrustEntscheidung176 belegt. Dort ging es um die Frage, ob die – nur beglaubigte – Übernahmeerklärung aufgrund der im Zusammenhang mit der Kapitalerhöhung abgeschlossenen Gesellschaftervereinbarung, die unter anderem wechselseitige Andienungspflichten für Geschäftsanteile enthielt, nach Maßgabe des § 15 Abs. 4 GmbHG der notariellen Beurkundung bedurfte. Das OLG Frankfurt a.M. als Berufungsinstanz hat diese Frage verneint,177 aber im Hinblick auf die grundsätzliche Bedeutung dieser Rechtsfrage die Revision zugelassen,178 die den BGH freilich nicht dazu veranlasste, zu dem aufgeworfenen Problem eingehend Stellung zu nehmen. Der Kartellsenat löst den Fall unter Hinweis auf die Heilung eines etwaigen Formverstoßes der Übernahmeerklärung.179 Der Konflikt zwischen dem Formerfordernis für die Übernahmeerklärung (§ 55 Abs. 1 GmbHG) und für die Verpflichtung zur Anteilsübertragung (§ 15 Abs. 4 GmbHG) lässt den Vollständigkeitsgrundsatz umso weniger überzeugend erscheinen. Das zeigt sich besonders plastisch an den argumentativen

174   Wiesner NJW 1984, 95 (97); Ebbing in Michalski/Heidinger/Leible/Schmidt, GmbHG, § 15 Rn. 89; Fastrich in Baumbach/Hueck, GmbHG, § 15 Rn. 30. 175   Dazu sogleich unten V 5 b. 176   BGH NZG 2018, 29 Rn. 34; dazu Lieder EWiR 2018, 99. 177   OLG Frankfurt a.M. ZIP 2015, 1725 (1727); zustimmend Hermanns in Michalski/ Heidinger/Leible/Schmidt, GmbHG, § 55 Rn. 69 a.E; Lieder EWiR 2018, 99 (100). 178   OLG Frankfurt a.M. ZIP 2015, 1725 (1730). 179   Siehe nochmals oben IV 4.

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Schwierigkeiten des OLG Frankfurt a.M. Wenn das Gericht die maßgeblichen Unterschiede zwischen den Formzwecken des § 311b Abs. 1 S. 1 BGB, in dessen Anwendungsbereich der Vollständigkeitsgrundsatz ursprünglich entwickelt worden ist, und des § 15 Abs. 4 GmbHG herausarbeitet, wird deutlich, dass ohne Anerkennung einer Übereilungs- und Warnfunktion, die zwar § 311b Abs. 1 S. 1 BGB eigen ist, nicht aber § 15 Abs. 4 GmbHG, auch der Vollständigkeitsgrundsatz nicht zur Anwendung gelangen kann. Deutlich stellt der Senat heraus, was nicht allein gegen die Erstreckung der notariellen Beurkundung auf die Übernahmeerklärung spricht, sondern generelle Anerkennung verdient180: „Für die Beweisfunktion ist es ausreichend, wenn nur die Abtretungsverpflichtung selbst beurkundet wird. Auch für die Möglichkeit des Handels mit den Anteilen ist die Übernahmevereinbarung ohne jede Bedeutung.“

Hinzu kommt der Umstand, dass die Übernahmeerklärung für sich bereits formbedürftig ist. Selbst wenn man also dem Vollständigkeitsgrundsatz anhängt, spricht die besondere Formvorschrift des § 55 Abs. 1 GmbHG dafür, dass das dort festgeschriebene Formniveau (notarielle Beglaubigung) für die Übernahmeerklärung ausreicht und nicht durch andere Formerfordernisse überspielt werden kann. Das gilt umso mehr, als es sich beim Übernahmevertrag – auch wenn nunmehr selbst der BGH181 eine schuldrechtliche Komponente anerkennt – um ein primär körperschaftliches Rechtsverhältnis handelt.182 Der Übernahmevertrag ist Grundlage für die rechtliche Zuweisung der neuen Geschäftsanteile. Davon zu unterscheiden ist – wie oben gezeigt – der Übernahmeverpflichtungsvertrag, der einer Übernahmeerklärung als schuldrechtliches Kausalgeschäft vorausgehen kann. Aus rechtsdogmatischer Perspektive handelt es sich bei diesem obligatorischen Rechtsgeschäft um eine Nebenabrede, die auf Grundlage des Vollständigkeitsgrundsatzes dem Formerfordernis des § 15 Abs. 4 GmbHG unterworfen werden könnte, soweit darin eine unmittelbare Verpflichtung zur Abtretung eines GmbHGeschäftsanteils enthalten wäre. Dagegen sprechen freilich wiederum die im

  OLG Frankfurt a. M. ZIP 2015, 1725 (1727).  BGH NZG 2015, 1396 Rn. 16; ebenso Bayer in Lutter/Hommelhoff, GmbHG, § 55 Rn. 34; Hermanns in Michalski/Heidinger/Leible/Schmidt, GmbHG, § 55 Rn. 66, 98; Lieder in MüKoGmbHG, § 55 Rn. 111; Bieder NZG 2016, 538 (539); Wachter DB 2016, 275 (278); Mülbert in FS Priester, S. 485 (487 ff.); a.A. Schnorbus in Rowedder/SchmidtLeithoff, GmbHG, § 55 Rn. 46; Ulmer/Casper in Ulmer/Habersack/Löbbe, GmbHG, § 55 Rn. 72; Ziemons in BeckOK GmbHG, § 55 Rn. 97; Zöllner/Fastrich in Baumbach/Hueck, GmbHG, § 55 Rn. 31. 182  Insofern zutreffend BGHZ 49, 117 (119); 140, 258 (260); BGH NZG 2015, 1396 Rn. 13; Lieder in MüKoGmbHG, § 55 Rn. 110; Schnorbus in Rowedder/Schmidt-Leithoff, GmbHG, § 55 Rn. 46; Ulmer/Casper in Ulmer/Habersack/Löbbe, GmbHG, § 55 Rn. 72; Ziemons in BeckOK GmbHG, § 55 Rn. 97; Zöllner/Fastrich in Baumbach/Hueck, GmbHG, § 55 Rn. 31. 180 181

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Allgemeinen gegen den Vollständigkeitsgrundsatz angeführten Argu­mente.183 Im Ergebnis bleibt es also dabei, dass die Übernahmeerklärung allein der notariellen Beglaubigung bedarf, während der Übernahmeverpflichtungsvertrag im Grundsatz formfrei wirksam ist. Der notariellen Beurkundung bedarf allein die unmittelbare Verpflichtung zur Abtretung oder zum Erwerb eines GmbH-Anteils. Abschließend sei noch kurz auf eine Besonderheit des ConsulTrust-Falles hingewiesen. Die Parteien hatten sowohl in der Gesellschaftervereinbarung als auch im Beteiligungsvertrag eine salvatorische Klausel aufgenommen, wonach bei (teilweiser) Unwirksamkeit einer Vereinbarung diese im Übrigen aufrechterhalten werden sollte. Zudem hatten sich die Parteien verpflichtet, in Bezug auf den unwirksamen Teil eine Vereinbarung zu treffen, die dem wirtschaftlichen Ziel der unwirksamen Regelung möglichst nahekommt.184 In rechtlicher Hinsicht ist damit die Zweifelsregel des § 139 BGB185 abbedungen, und zwar auch für den Fall, dass die Vereinbarungen miteinander in einem wirtschaftlichen Zusammenhang stehen. Eine solche salvatorische Klausel stellt sicher, dass eine wegen § 15 Abs. 4 GmbHG formnichtige Vereinbarung, wie zB die Andienungspflicht in der Gesellschaftervereinbarung, nicht zugleich die Gesamtunwirksamkeit aller miteinander verbundenen Abreden zur Folge hat. Die kautelarjuristische Bedeutung einer solchen Klausel ist in diesem Kontext kaum zu überschätzen. 6. Formmängel Das schuldrechtliche Verpflichtungsgeschäft ist in Ermangelung der Form des § 15 Abs. 4 S. 1 GmbHG nach Maßgabe des § 125 S. 1 BGB formnichtig.186 Folgt man – entgegen der hier vertretenen Auffassung187 – dem Vollständigkeitsgrundsatz, werden von der Formnichtigkeit auch die im wirtschaftlichen Zusammenhang stehenden Nebenabreden erfasst. Die Wirksamkeit nicht in einem solchen Zusammenhang stehender Vereinbarungen bestimmt sich – vorbehaltlich einer abweichenden vertraglichen Regelung (salvatorische

  Siehe nochmals oben V 5 a.   Vgl. OLG Frankfurt a.M. ZIP 2015, 1725 (1727). 185  Zur grundsätzlichen Geltung der Vorschrift: OLG München BB 1995, 427 (428); OLG Karlsruhe GmbHR 1991, 19 (20); Ebbing in Michalski/Heidinger/Leible/Schmidt, GmbHG, § 15 Rn. 90; Reichert/Weller in MüKoGmbHG, § 15 Rn. 118. 186   RGZ 43, 136 (140); Bayer in Lutter/Hommelhoff, GmbHG, § 15 Rn. 63; Löbbe in Ulmer/Habersack/Löbbe, GmbHG, § 15 Rn. 96; Reichert/Weller in MüKoGmbHG, § 15 Rn. 118. 187   Siehe nochmals oben V 5 a. 183 184

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Klausel) – nach Maßgabe des § 139 BGB.188 Bereits ausgetauschte Leistungen sind nach bereicherungsrechtlichen Grundsätzen rückabzuwickeln.189 Allerdings wird dieser Formverstoß gem. § 15 Abs. 4 S. 2 GmbHG durch eine nach § 15 Abs. 3 GmbHG formgültige Abtretung des Geschäftsanteils geheilt. Maßgeblich ist ausschließlich die einseitige Leistungserbringung,190 die eine wirksame Erfüllung der Anteilsübertragung voraussetzt.191 Zudem müssen die Vertragsparteien im Heilungszeitpunkt auch noch am schuldrechtlichen Kausalgeschäft festhalten.192 Die Rechtsfolge der Heilungsvorschriften tritt mit Wirkung ex nunc ein193 und ist auf die Unbeachtlichkeit des Formmangels nach § 15 Abs. 4 S. 2 GmbHG beschränkt.194 Insofern unterscheidet sie sich von den Grundsätzen der fehlerhaften Kapitalerhöhung195 und der fehlerhaften Übernahmeerklärung,196 bei welchen eine Vielzahl (zurechenbarer) Mängel nach der Eintragung des Kapitalerhöhungsbeschlusses in das Handelsregister nicht mehr geltend gemacht werden kann.

VI.  Zusammenfassung der Ergebnisse 1. Formerfordernisse haben einen ambivalenten Charakter. Rechtspolitisch und rechtsökonomisch sinnvoll sind sie nur bei besonders bedeutsamen Rechtsgeschäften. Sie bewegen sich in einem Spannungsverhältnis von Verkehrssicherheit und Verkehrsleichtigkeit. Eine teleologische Ausdehnung von Formvorschriften bedarf einer besonderen Rechtfertigung, die primär aus den Formzwecken zu gewinnen ist. 2. Die notarielle Beurkundung des Kapitalerhöhungsbeschlusses nach § 53 Abs. 2 S. 1 GmbHG dient ausschließlich der Beweisfunktion, nicht zugleich auch der Warn- und Belehrungsfunktion. Deshalb bedarf weder der   Dazu oben V 5 b.   Ebbing in Michalski/Heidinger/Leible/Schmidt, GmbHG, § 15 Rn. 100; Reichert/ Weller in MüKoGmbHG, § 15 Rn. 119. 190  Zur Irrelevanz der Gegenleistung vgl. Reichert/Weller in MüKoGmbHG, § 15 Rn. 120. 191   Brandes in Bork/Schäfer, GmbHG, § 15 Rn. 35; Schnorbus in Rowedder/SchmidtLeithoff, GmbHG, § 15 Rn. 61; Reichert/Weller in MüKoGmbHG, § 15 Rn. 122. 192   BGHZ 127, 129 (135); OLG München GmbHR 1996, 607 (609); OLG Hamburg ZIP 2007, 1008 (1011); Löbbe in Ulmer/Habersack/Löbbe, GmbHG, § 15 Rn. 103; Reichert/Weller in MüKoGmbHG, § 15 Rn. 123; Seibt in Scholz, GmbHG, § 15 Rn. 71. 193   Bayer in Lutter/Hommelhoff, GmbHG, § 15 Rn. 64; Fastrich in Baumbach/Hueck, GmbHG, § 15 Rn. 36; Reichert/Weller in MüKoGmbHG, § 15 Rn. 132; Seibt in Scholz, GmbHG, § 15 Rn. 76; Winter in Gehrlein/Born/Simon, GmbHG, § 15 Rn. 51. 194  Vgl. Brandes in Bork/Schäfer, GmbHG, § 15 Rn. 38; Fastrich in Baumbach/Hueck, GmbHG, § 15 Rn. 36; Reichert/Weller in MüKoGmbHG, § 15 Rn. 125. 195   Siehe oben III 3. 196   Siehe oben IV 4. 188 189

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auf eine Kapitalerhöhung gerichtete (schuldrechtliche) Vorvertrag der notariellen Form noch der Beschluss der Gesellschafterversammlung, mit dem Geschäftsführer ermächtigt werden, die Gesellschaft zur Durchführung einer Kapitalerhöhung zu verpflichten. Für Formmängel gelten die Grundsätze von der fehlerhaften Kapitalerhöhung, die sich maßgeblich an die Lehre vom fehlerhaften Verband anlehnen. 3. Die notarielle Beglaubigung der Übernahmeerklärung nach § 55 Abs. 1 GmbHG dient ebenfalls ausschließlich Beweiszwecken, nicht zugleich auch der Warn- und Belehrungsfunktion. Entgegen der bisher einhelligen Auffassung kann eine Vollmacht zur Abgabe einer Übernahmeerklärung formfrei erteilt werden. Keiner besonderen Form bedarf grundsätzlich auch die schuldrechtliche Verpflichtung zur Abgabe einer Übernahmeerklärung. Für Formmängel gelten wiederum die Grundsätze von der fehlerhaften Kapitalerhöhung. 4. Die notarielle Beurkundung der schuldrechtlichen Verpflichtung zur Abtretung eines GmbH-Anteils nach § 15 Abs. 4 S. 1 GmbHG dient ausschließlich der Erschwerung des spekulativen Handels mit Geschäftsanteilen, nicht zugleich auch Beweiszwecken, der Warn- und Belehrungsfunktion. Unmittelbare Übertragungsverpflichtungen sind in jeder Spielart formbedürftig. Gleiches gilt für künftige Geschäftsanteile und Bezugsrechte der GmbH-Gesellschafter. Hingegen vermag der Normzweck des § 15 Abs. 4 S. 1 GmbHG den von der h.M. vertretenen Vollständigkeitsgrundsatz nicht zu tragen. In der Konsequenz bedarf auch eine Übernahmeerklärung, in deren Zusammenhang eine Übertragungspflicht für GmbH-Anteile begründet wird, ausschließlich der notariellen Beglaubigung nach § 55 Abs. 1 GmbHG. Formmängel werden nach § 15 Abs. 4 S. 2 GmbHG durch einen formwirksamen Vollzug der Anteilszession geheilt.

Anmerkungen zur Treuepflicht des Kleinaktionärs Hanno Merkt I. Einführung Alfred Bergmann hat als Vorsitzender Richter des für das Gesellschaftsrecht zuständigen II. Zivilsenats des BGH über viele Jahre maßgeblich an der Weiterentwicklung des richterrechtlichen Gesellschaftsrechts in Deutschland mitgewirkt. In diese Zeit fallen auch Entscheidungen, die zur Konturierung der Treuepflicht des Gesellschafters beigetragen haben, genannt seien nur die Aufgabe der Rechtsprechung zum Bestimmtheitsgrundsatz und zur Kernbereichslehre zugunsten der „Zweistufentheorie“ im Jahre 20141 und die Media-Saturn-Entscheidung von 2016.2 Die Festschrift zu seinen Ehren ist daher willkommener Anlass, einer Frage nachzugehen, die das deutsche Gesellschaftsrecht seit langer Zeit beschäftigt: Trifft den Kleinaktionär eine gesellschaftsrechtliche Treuepflicht gegenüber der Aktiengesellschaft und gegenüber seinen Mitaktionären? So gesichert es inzwischen erscheint, dass auch den Aktionär, und zwar den Mehrheits- ebenso wie den Minderheitsaktionär, eine gesellschaftsrechtliche Treuepflicht trifft, so unklar sind ihre Grenzen und insbesondere die Voraussetzungen, unter denen auch der Kleinaktionär in der Publikums-AG einer Treuepflicht unterliegt. Der folgende Beitrag gliedert sich in vier Teile. Zunächst (II.) soll kurz die Herleitung der Treuepflicht des Kleinaktionärs nachgezeichnet werden. Sodann (III.) soll ein Blick in andere Rechtsordnungen geworfen werden, um die Position des deutschen Aktienrechts einordnen zu können. Anschließend (IV.) werden die Voraussetzungen beleuchtet, unter denen eine Treuepflicht des Kleinaktionärs in Betracht kommen kann. Am Schluss (V.) sollen Risiken skizziert werden, die mit der flächendeckenden Erstreckung der Treuepflicht auf das gesamte Gesellschaftsrecht unter Einbeziehung von Publikumskleinaktionären verbunden sind.

  BGHZ 203, 77.   BGH NJW 2016, 2741 mit Anm. Wicke, dazu näher nachfolgend unter V. 2.

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II.  Zur Herleitung der Treuepflicht des Kleinaktionärs 1.  Genese der aktienrechtlichen Treuepflicht Bekanntlich haben wenige Rechtsfiguren einen derartigen Siegeszug3 durch das gesamte Gesellschaftsrecht zurückgelegt wie die Treuepflicht. Die Entwicklung ist vielfach beschrieben worden und sei hier nur knapp rekapituliert:4 Sie nahm ihren Ausgang noch vor dem Ersten Weltkrieg im Recht der Personengesellschaften, in denen die Treuepflicht der Gesellschafter untereinander (horizontal) und gegenüber der Gesellschaft (vertikal) gewissermaßen ihre Keimzelle fand.5 In der AG hingegen galt die unbeschränkte Mehrheitsherrschaft.6 Zwar postulierte bereits das Reichsgericht erstmals in seiner Viktoria-Entscheidung von 19317 in der Sache eine Treuepflicht des Mehrheitsaktionärs zur Berücksichtigung berechtigter Minderheitsbelange. Doch in der Rechtsprechung des BGH sollte es Jahrzehnte dauern, bis die Treuepflicht ins Aktienrecht vordrang, denn die „personenbezogene Arbeitsgemeinschaft“8 der Gesellschafter als Grundlage der Treuepflicht war im Kapitalgesellschaftsrecht nicht typübergreifend, sondern nur bei der GmbH zu finden. Konsequenterweise fand die Treuepflicht der Gesellschafter untereinander über lange Zeit nur im GmbH-Recht Berücksichtigung,9 am prominentesten in der ITT-Entscheidung von 1975.10 Für die AG wurde sie nur sehr zögerlich im Verhältnis der Aktionäre zur Gesellschaft angenommen,11 für das Verhältnis der Aktionäre untereinander hingegen abgelehnt.12 Noch 1976 heißt es in der Audi/NSU-Entscheidung, eine Treuepflicht unter Aktionären bestehe nicht im Sinne einer über die allgemeinen Rechtsgrundsätze der §§ 226, 242 und § 826 BGB hinausgehenden Bindung. Erst zwölf weitere Jahre später, im Jahre 1988 gelang der horizontalen Treuepflicht des Mehrheitsaktionärs gegenüber dem Minderheitsaktionär in der Linotype-Entscheidung des BGH schließlich der  So Verse, in: Bayer/Habersack (Hrsg.), Aktienrecht im Wandel, 2007, 579, 594.  Etwa Henze, BB 1996, 489; Kölner Kommentar AktG/Noack/Zetzsche, 3. Aufl., 2017, § 243 Rn. 258 ff. und 326 ff.; Nodoushani, Die Treuepflicht der Aktionäre und ihrer Stimmrechtsvertreter, 1997, 21 ff.; K. Schmidt, Gesellschaftsrecht, 4. Aufl., 2002, § 20 IV 2. 5   Etwa RG Warn. 1908, Nr. 511; RG LZ 1912, 545; RG JW 1913, 429; ferner Alfred Hueck, Der Treuegedanke im modernen Privatrecht, 1947, 14 f.; ders., Festschrift für R. Hübner, 1935, 72. 6   RGZ 68, 235, 243 ff. (Hibernia). 7   RGZ 132, 149, 163. 8  So Stimpel, in: Pehle/Stimpel, Richterliche Rechtsfortbildung, Heft 87/88 der Schriftenreihe der Juristischen Studiengesellschaft Karlsruhe, 1969, 15, 18. 9  Etwa BGHZ 9, 157, 163; 14, 25, 38; zum aktuellen Stand Münchener Kommentar GmbHG/Merkt, 3. Aufl., 2018, § 13 Rn. 88 ff. 10   BGH 65, 15, 18; dazu etwa Rehbinder, ZGR 1976, 387; Wiedemann, JZ 1976, 392. 11   BGHZ 14, 25, 38. 12   BGHZ 9, 157, 163; 18, 350, 365. 3 4

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Durchbruch im Aktienrecht.13 Bestätigt wurde Linotype vom BGH durch die kurz darauf ergangenen Entscheidungen in IBH/Scheich Kamel14 und BMW-AG.15 Und noch einmal sieben weitere Jahre nach Linotype sollte es dauern, bis der BGH in der Girmes-Entscheidung Gelegenheit erhielt, den vorläufigen Schlussstein in das imposante Treupflicht-Gewölbe16 einzufügen: Die Treuepflicht auch des Minderheits- bzw. Kleinaktionärs gegenüber den Mitaktionären.17 Allerdings hat der BGH den Schadensersatzanspruch wegen treuwidriger Stimmrechtsausübung des Minderheitsaktionärs an zwei Voraussetzungen geknüpft: Erstens muss die Treuepflicht vorsätzlich verletzt worden sein, und zweitens darf eine Verhinderung des Schadenseintritts durch Anfechtung des Hauptversammlungsbeschlusses in casu nicht möglich gewesen sein. Zugleich entschied der BGH, dass dann, wenn nicht ein einzelner Minderheitsaktionär, sondern nur eine Gesamtheit von ihnen, etwa im Wege der Stimmrechtsbevollmächtigung, über ein Minderheitenquorum oder eine Sperrminorität verfügt, die Treuepflicht für jeden von ihnen zumindest dann relevant wird, wenn die Stimmen zur Erreichung eines gemeinsamen Sachziels gebündelt werden. Nicht verschwiegen werden soll an dieser Stelle, dass inzwischen auch der deutsche Gesetzgeber im Rahmen der Bankenrettung nach der Finanzmarktkrise im Jahre 2009 die Treuepflicht des Aktionärs explizit in das Gesetz eingefügt hat, allerdings in einer Spezialvorschrift in § 7 Abs. 7 des Gesetzes zur Beschleunigung und Vereinfachung des Erwerbs von Anteilen an Risikopositionen von Unternehmen des Finanzsektors durch den Fonds „Finanzmarktstabilisierungsfonds – FMS“.18 Diese Vorschrift konkretisiert 13   BGHZ 103, 184; dazu etwa Drygala, EWiR 1988, 529; Friedrich, BB 1994, 89; Henze, ZIP 1995, 1473; Joussen, BB 1992, 1075; Kort, ZIP 1990, 294; Lutter, ZHR 153 (1989) 446; Wiedemann, JZ 1989, 447; ablehnend Martens, K. Schmidt (Hrsg.), Rechtsdogmatik und Rechtspolitik, 1990, 251. 14   BGH ZIP 1995, 1464. 15   BGHZ 127, 107, 111. 16   Dieses Bild stammt von Lutter, JZ 1995, 1053, 1055. 17   BGHZ 129, 136; dazu etwa Bungert, DB 1995, 1749; Hennrichs, AcP 195 (1995) 222; ders., NZG 2015, 41; Henze, BB 1996, 489; ders., ZHR 162 (1998) 186; Lamprecht, ZIP 1996, 1372; Lutter, JZ 1995, 1053; Marsch-Barner, ZIP 1996, 853; Rittner, EWiR 1995, 524; Schäfer, Festschrift für Hommelhoff, 2012, 939; ablehnend Flume, ZIP 1996, 161; Wilhelm, Festschrift für Ulrich Huber, 2006, 1019, 1027 ff. 18  § 7 Abs. 7 des Gesetzes zur Beschleunigung und Vereinfachung des Erwerbs von Anteilen an sowie Risikopositionen von Unternehmen des Finanzsektors durch den Fonds „Finanzmarktstabilisierungsfonds – FMS“ (Finanzmarktstabilisierungsbeschleunigungsgesetz – FMStBG) i.d.F. vom 23. Juni 2017, BGBl. 2017 I 1693: „Aktionäre, die eine für den Fortbestand der Gesellschaft erforderliche Rekapitalisierungsmaßnahme, insbesondere durch ihre Stimmrechtsausübung oder die Einlegung unbegründeter Rechtsmittel, verzögern oder vereiteln, um dadurch ungerechtfertigte Vorteile für sich zu erlangen, sind der Gesellschaft gesamtschuldnerisch zum Schadenersatz verpflichtet. Ein Aktionär kann nicht geltend machen, dass seine Stimmrechtsausübung für das Beschlussergebnis deshalb

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die Treupflicht der Aktionäre eines Kreditinstituts gegenüber der Gesellschaft im Fall von krisenbedingten Bankenrettungen unter Zuhilfenahme des Bundes. In solchen Fällen kann sich die Treupflicht auch des Kleinaktionärs zur Pflicht verdichten, das Stimmrecht in der Hauptversammlung so auszuüben, dass eine für den Fortbestand der Gesellschaft notwendige Kapitalmaßnahme nicht vereitelt wird.19 Nun lässt sich darüber streiten, ob der Gesetzgeber diese Vorschrift lediglich als Ausdruck einer allgemeinen richter- bzw. gewohnheitsrechtlich etablierten Treuepflicht des Aktionärs sieht oder ob es sich um eine Spezialvorschrift für einen Sonderfall handelt, in dem die Freiheit der Ausübung des Stimmrechts ganz ausnahmsweise hinter dem öffentlichen Interesse an der Verfahrensbeschleunigung der Bankenrettung zurücktreten muss.20 Immerhin wurde in den Beratungen im Bundesrat Bedenken geäußert, dass die Vorschrift sehr weitgehend in die Rechte der Aktionäre eingreife, um das angestrebte Ziel einer Verfahrensbeschleunigung zu erreichen und es fraglich erscheine, ob es der Regelung überhaupt bedürfe.21 2.  Zur funktionalen Legitimation und dogmatischen Grundlage der horizontalen Treuepflicht im Aktienrecht Mit der Ausweitung der horizontalen Treuepflicht auf die AG einher ging ein Wechsel in der Begründung. Bei der GmbH waren es zwei zentrale Argumente, mit denen eine horizontale Treuebindung der Gesellschafter begründet wurde: Erstens ihre meist personalistisch geprägte Struktur und damit ihre Nähe zu den Personengesellschaften, zweitens die Möglichkeit, durch Einflussnahme auf die Geschäftsführung die gesellschaftsbezogenen Interessen der Mitgesellschafter zu beeinträchtigen, was als Gegengewicht die gesellschaftsrechtliche Pflicht bedinge, auf diese Interessen Rücksicht zu nehmen.22 Beide Argumente erscheinen bei der AG problematisch. Die AG ist jedenfalls nach dem gesetzlichen Leitbild eine Publikumsgesellschaft mit einem anonymen Aktionärskreis. Zudem hat die Hauptversammlung grundsätzlich keinerlei Möglichkeit der Einflussnahme auf die Geschäftsführung (§ 76 Abs. 1, § 119 AktG). Das hinderte den BGH in Linotype indessen nicht, auch für aktienrechtliche Treuepflicht auf jene beiden Argumente zurückzugreifen: Zum einen könne auch eine AG ähnlich einer GmbH organisatorisch personalistisch ausgestaltet sein und daher einer Personengesellschaft nahe kommen. Für die Annahme der Treuepflicht sei nämlich die innere nicht ursächlich war, weil auch andere Aktionäre ihr Stimmrecht in gleicher Weise ausgeübt haben.“. 19   BT-Drucks. 16/12100 vom 3. März 2009, 12. 20   In diese Richtung argumentiertend Seibert, AG 2015, 593, 595. 21   BR-Drucks. 160/1/09 vom 27. Februar 2009, 4. 22   BGHZ 65, 15, 18.

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Struktur der Gesellschaft und nicht ihre Rechtsform maßgeblich.23 Zum anderen bestehe auch für Mehrheitsaktionäre die Möglichkeit der Einflussnahme auf die Interessen der Mitaktionäre, weshalb auch in der AG als Korrelat dieser Möglichkeit eine Pflicht zur Rücksichtnahme erforderlich sei.24 Sowohl die personalistische Struktur als auch die Einflussnahmemöglichkeit sind in der GmbH der Regelfall, hingegen in der AG die Ausnahme. Gleichwohl leitet der BGH aus beidem die Grundlage für eine allgemeine Treuepflicht des Mehrheitsaktionärs ab. Indessen hat sich nur das zweite Argument in der späteren Rechtsprechung zur aktienrechtlichen Treuepflicht durchgesetzt. In der Girmes-Entscheidung begründet der Bundesgerichtshof die Treuepflicht des Kleinaktionärs damit, dass dem Maß des Einflusses des Gesellschafters das Maß der Verantwortung mit der sich daraus ergebenden Pflicht zur Rücksichtnahme auf die Interessen der Gesellschaft und die gesellschaftsbezogenen Belange der Mitgesellschafter entsprechen müssen. Gelangt der Minderheitsaktionär in eine Einflussposition, deren Ausübung im Hinblick auf die gesellschaftsbezogenen Belange der Mitgesellschafter einer Kontrolle bedarf, kann der Minderheitsaktionär die aus dieser Position folgenden Rechte nur in den Grenzen seiner Treuepflicht geltend machen.25 Es ist also die Möglichkeit der Einwirkung des Kleinaktionärs auf die Interessen der Mitaktionäre, aus der seine Treuepflicht resultiert. Auch in der Literatur wird die aktienrechtliche Treuepflicht ganz allgemein mit der Notwendigkeit einer Korrelation von Einfluss und Verantwortung26 bzw. von Einflussmöglichkeit und Pflicht zur Rücksichtnahme auf Gesellschafterinteressen27 legitimiert. Freilich wird im Schrifttum nach wie vor auch die besondere Intensität des personalen Rechtsverhältnisses und dessen Verfestigung zur Organisation angeführt.28 Dieses am Gedanken der personalistischen Struktur orientierte Argument verliert allerdings beim Kleinaktionär in der Publikums-AG seine Überzeugungskraft. Daneben tritt als weiterer Legitimationsgedanke das Missbrauchsverbot, wobei das Verhältnis von Treuepflicht zum Missbrauchsverbot bislang ungeklärt ist.29 Verbreitet wird das Missbrauchsverbot als Bestandteil bzw. Ausfluss der Treuepflicht verstanden, weshalb etwa die missbräuchliche Anfechtungsklage zugleich eine Treupflichtverletzung darstelle.30

  BGHZ 103, 183, 195.   BGHZ 103, 183, 183, 194 f. 25   BGHZ 129, 136, 143 f. 26   Wiedemann, JZ 1989, 447 f. 27   Kölner Kommentar AktG/Zöllner, 2. Aufl., 1988, Einl. Rn. 169; Dreher, ZHR 157 (1993) 150, 155 f. 28   Münchener Kommentar BGB/Schubert, 7. Aufl., 2016, § 242 Rn. 190 m.w.N. 29   Weitere Ansätze bei K. Schmidt, Gesellschaftsrecht, 4. Aufl., 2002, § 20 IV 1. b), 588. 30  Etwa K. Schmidt, Gesellschaftsrecht, 4. Aufl., 2002, § 20 IV 3., 549 f. 23 24

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In der Frage der rechtsdogmatischen Begründung der horizontalen Treuepflicht des Aktionärs findet sich ein breites Meinungsangebot:31 Während manche die Treuepflicht als eine aus § 705 BGB folgende Förderungs-, Unterlassungs- sowie Loyalitätspflicht qualifizieren,32 ordnen andere sie als gesellschaftsrechtliche Verdichtung des allgemeinen Prinzips von Treu und Glauben bzw. als Unterfall von § 242 BGB ein.33 Wieder andere erkennen in ihr einen Unterfall der in jeder rechtlichen Sonderverbindung geltenden allgemeinen Rücksichtnahme- und Loyalitätspflicht.34 Und ebenso wird die Treuepflicht als Generalklausel verstanden, die Ergebnis richterlicher Rechtsfortbildung ist und deren Grundlage in unterschiedlichen Grundsätzen und Vorschriften zu finden ist.35 Der BGH versteht die Treuepflicht spätestens seit Linotype als rechtsformübergreifende Rechtsfigur aller Gesellschaftsformen an, die neben dem Vertrauensschutz die Elemente der Förderpflicht und die Einwirkungskontrolle im Sinne der Rechtsbegrenzungs- bzw. Schrankenfunktion umfasst, wobei die tatsächlichen Auswirkungen auf das Gesellschafterverhalten von der Realstruktur der Gesellschaft abhängig sei. Und in Girmes hat er die Einwirkungskontrolle auch auf das von einer qualifizierten Minderheit ausgehende und auf die Rechte der Mehrheit einwirkende Verhalten erstreckt. Allerdings wird im Schrifttum klarstellend ergänzt, dass bei der Publikums-AG nur die Schrankenfunktion der Treuepflicht von Bedeutung sei.36 Damit erweist sich das Konzept der Treuepflicht für die AG und insbesondere die Publikums-AG als äußerst flexibles und offenes, um nicht zu sagen weiches, schwer zu fassendes Konzept. Die für die Publikums-AG ins Spiel gebrachte Reduzierung des Inhalts der Treuepflicht auf die Schrankenfunktion legt nahe, dass es unterschiedliche Treuepflichten gibt, die sich nicht nur im Umfang, sondern auch inhaltlich voneinander unterscheiden. Und mit dem Hinweis auf die Realstruktur der Gesellschaft eröffnet das Konzept zumindest theoretisch die Option, im konkreten Fall eine Treuepflicht gegen Null schrumpfen zu lassen.

31  Näher Henze, BB 1996, 489, 491; Kölner Kommentar AktG/Noack/Zetzsche, 3. Aufl., 2017, § 243 Rn. 273 ff.; Nodoushani, Die Treuepflicht der Aktionäre und ihrer Stimmrechtsvertreter, 1997, 57 ff.; K. Schmidt, Gesellschaftsrecht, 4. Aufl., 2002, § 20 IV 3., 588 f.; Stephan Schneider, Gesellschafter-Stimmpflichten bei Sanierungen, 2014, 193 ff. 32  Etwa Lutter, AcP 180 (1980) 84, 102 ff., 108 ff.; ders., ZHR 153 (1989) 446, 454. 33   Hennrichs, AcP 195 (1995) 221, 228 ff.; so bereits Schmiedel, ZHR 134 (1970) 173, 182. 34   M. Winter, Mitgliedschaftliche Treuebindungen im GmbH-Recht, 1988, 13 f. 35   Hüffer, Festschrift für Steindorff, 1990, 59, 73 ff.; ders., ZHR 153 (1989) 85, 87 f. 36   Henze, BB 1996, 489, 492.

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3.  Schuldrechtliches versus verbandsrechtliches Denken Die skizzierte Entwicklung der gesellschaftsrechtlichen Treuepflicht lässt sich in einen größeren Zusammenhang stellen, der zugleich deutlich macht, welches Potential, aber auch welche Probleme mit einer solchen rechtsformübergreifenden richterrechtlichen Figur verbunden sind.37 Aus den Anfängen einer spezifisch auf die besondere Nähebeziehung der Gesellschafter in der Personengesellschaft gemünzten verbandsrechtlichen Verhaltenspflicht wurde ein Universalsystem entwickelt, das Treuepflichten in jeder denkbaren Dimension und Richtung umfasst, sowohl horizontal als auch vertikal, sowohl gegenüber den Gesellschaftern als auch gegenüber der Gesellschaft, sowohl in der Personen- als auch in der – personalistischen38 wie kapitalistischen – Kapitalgesellschaft, sowohl für den Mehrheits- als auch für den Minderheitsgesellschafter, sowohl in der geschlossenen als auch in der börsennotierten Gesellschaft und schlussendlich sogar im vor- und nachmitgliedschaftlichen Raum39 bzw. speziell in Sanierungssituationen.40 Damit wird die mitgliedschaftliche Treuepflicht zum zentralen Baustein eines allgemeinen Teils des Gesellschaftsrechts.41 Hinzu kommt, dass die Treuepflicht von ihren Proponenten als ein Institut von geradezu universeller Einsatzmöglichkeit verstanden wird, das das Potential habe, eine ganze Reihe von entwickelten gesellschaftsrechtlichen Rechtsfiguren zu ersetzen.42 Die Dynamik dieser Entwicklung veranschaulicht ein Zitat von Wiedemann, der schon 1976 meinte, die Vorstellung, dass eine Treuepflicht im Aktienrecht am Wesen der juristischen Person oder der Kapitalgesellschaft oder Körperschaft scheitere, erscheine als Begriffsjurisprudenz oder Rechtsmystik, ersteres so ziemlich das schlimmste Verdikt, das in der Rechtswissenschaft vorstellbar ist. Gewiss trifft es zu, dass Treuepflichten bei Verbänden im Unterschied zu reinen Innengesellschaften nicht bloß schuldrechtliche Pflichten sind, sondern organisationsrechtlich als Bestandteil des Mitgliedschaftsverhältnisses verstanden werden müssen.43 Und doch führt gerade die Betonung der Radizierung dieser Pflichten in der allgemeinen Loyalitätspflicht, die in § 242 BGB für alle Schuldrechtsverhältnisse statuiert und eben nur in Dauerschuld- und   Näher dazu Merkt, ZfPW 2018, Heft 3.   Zur personalistischen AG Reichert, Festschrift für Oppenhoff, 2017, 281. 39   Wittkowski, GmbHR 1990, 549; monografisch Martin Weber, Vormitgliedschaftliche Treuebindungen – Begründung, Reichweite und Vorauswirkung gesellschaftsrechtlicher Treuepflichten, 1999. 40   Reichert, NZG 2018, 134. 41   Ganz in diesem Sinne die Dissertationsschrift von Stephan Schneider, GesellschafterStimmpflichten bei Sanierungen, 2014, 192 ff., die sich bei der Behandlung der Treuepflicht praktisch völlig von Gesellschaftstypen löst. 42   Siehe nur die eindrucksvolle Litanei von „künftigen Anwendungsfällen“ der Treuepflicht bei Lutter, ZHR 153 (1989) 446, 458 ff. 43   K. Schmidt, ZGR 2011, 108, 118. 37 38

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insbesondere Verbandsverhältnissen an Intensität noch gesteigert ist, dazu, dass gesellschaftsrechtliches Denken und Argumentieren leicht in den Hintergrund gerät. Ist nämlich erst einmal etabliert, dass allen verbandsrechtlichen Rechtsverhältnissen „dem Grunde nach“ eine Treuepflicht innewohnt, so stellt sich nur noch die Frage nach Intensität und Schutzrichtung. In einem solchen Szenario trifft – untechnisch gesprochen – die Beweislast denjenigen, der im konkreten Einzelfall und in Abweichung vom Grundsatz eine Treuepflicht ablehnt. Die Universalität des mitgliedschaftlichen Treuepflichtkonzepts hat denn auch wenig überraschend zu der provozierenden Gegenthese geführt, dass der Kleinaktionär dann wohl kein Aktionär mehr sei, denn ihn könne wohl kaum eine Treuepflicht treffen.44 Und es ist hier eine Flanke eröffnet zum Kapitalmarktrecht. Denn mit der Figur der vormitgliedschaftlichen Treuebindung werden vor allem Verhaltenspflichten im Kapitalmarkt, namentlich beim Insiderhandel, beim Pakethandel und bei Übernahmeangeboten dogmatisch begründet.45 Die Grenze zwischen verbands- und kapitalmarktrechtlicher Treuebindungen wird fließend. Das Verbandsrecht gerät in den Zangengriff von Schuld- und Kapitalmarktrecht. Man könnte auch – in Anlehnung an eine plastische Formulierung von Karsten Schmidt46 – vom „Verbandsrecht ohne Verbandsrecht“ sprechen. Ergänzt sei, dass auch die Verallgemeinschaftung der Treuepflicht keineswegs spurlos am dogmatischen Bestand des Gesellschaftsrechts vorübergegangen ist. So wird die Grundsatzentscheidung des BGH vom 22. Oktober 2014 zur tradierten Lehre vom Kernbereich der Mitgliedschaft,47 noch wenige Jahre zuvor immerhin als „zeitlose Leistung“ des II. Zivilsenats in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts gerühmt,48 überwiegend so verstanden, dass diese Kernbereichslehre vollständig aufgegeben und die mitgliedschaftliche Treuepflicht stattdessen zum ausschließlichen Kontrollmaßstab für Mehrheitsbeschlüsse in der Personengesellschaft erklärt worden ist.49

44   Dazu und insbesondere zum Kleinaktionär als Verbandsmitglied Wiedemann, Ist der Kleinaktionär kein Aktionär?, in: Henssler (Hrsg.), Spätlese – Ausgewählte Veröffentlichungen aus der Zeit von 2004–2016 von Herbert Wiedemann, 2017, 102. 45   Siehe bereits Lutter, ZHR 153 (1989) 446, 458 f. (Insiderhandel), 462 f. (Pakethandel), 460 f. (Übernahmeangebote). 46   „Konzernrecht ohne Konzernrecht“, K. Schmidt, ZGR 2011, 108, 120. 47   BGHZ 203, 77. 48   Wiedemann, Gesellschaftsrecht II, 2004, 219. 49   Altmeppen, in: Gesellschaftsrechtliche Vereinigung (Hrsg.), Gesellschaftsrecht in der Diskussion 2015, 2016, 55.

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III.  Ausländische Rechtsordnungen: Alternativlösungen? Ein Blick ins Ausland mag deutlich machen, wo das deutsche Gesellschaftsrecht bei der Treuepflicht des Aktionärs heute steht. Um das Ergebnis vorwegzunehmen: Soweit ersichtlich ist keine andere Rechtsordnung in der Erstreckung von Treuepflichten auf die AG so weit gegangen wie das deutsche Recht. Keine andere Rechtsordnung hat die Treuepflicht mit vergleichbarer Stringenz und Konsequenz „universalisiert“ und damit – jedenfalls dem Grunde nach – auf sämtliche Erscheinungsformen von Aktionären erstreckt. Letztlich lässt sich das Spektrum in zwei Gruppen einteilen: In der ersten Gruppe finden sich vor allem dem common law zugehörige Rechtsordnungen, die von dem Grundsatz ausgehen, dass die Gesellschafter einer Kapitalgesellschaft keiner Treuepflicht unterliegen. So gilt nach englischem Recht50 sowie nach dem Recht der Mehrzahl der US-Gliedstaaten51 unverändert der common law-Rechtssatz, dass das Stimmrecht von jedem Gesellschafter so ausgeübt werden darf, wie es seinen persönlichen Interessen entspricht. Das Stimmrecht wird als Eigentumsrecht angesehen und kann auch eigennützig und zum Nachteil der Gesellschaft ausgeübt werden. Eine Treuepflicht des Gesellschafters gegenüber der Gesellschaft oder den Mitgesellschaftern besteht nicht.52 Nur unter engen Voraussetzungen wird davon abgewichen. So setzt die englische Rechtsprechung in bestimmten Konstellationen inhaltliche Grenzen. Der Gesellschafter muss im wohlverstandenen Interesse der Gesellschaft abstimmen (bona fide-Test). Allerdings wurde diese Einschränkung fast nur im Kontext von Satzungsänderungen angewendet und hat in der Praxis zudem ihre Bedeutung nahezu verloren. Ferner können Minderheitsgesellschafter seit einigen Jahren gem. Section 994 Companies Act 2006 im Falle ungerechtfertigter Benachteiligung (unfair prejudice) Rechtschutz beantragen. Und die Rechtsprechung einiger US-Gliedstaaten erlaubt in der close corporation die Überprüfung von unternehmerischen Entscheidungen, hinter denen die Gesellschaftermehrheit steht und die sich für die Minderheit nachteilig auswirken, anhand des Standards der business judgement rule.53 Hingegen hat der Supreme Court von Massachusetts eine Treuepflicht des 50   Ring/Otte, in: Triebel u.a. (Hrsg.), Englisches Handels- und Wirtschaftsrecht, 3. Aufl., 2012, 242 f. 51   Bauman, Corporations Law and Policy, 8. Aufl., 862; Merkt, US-amerikanisches Gesellschaftsrecht, 3. Aufl., 2013, Rn. 807; siehe auch Janke, Gesellschaftsrechtliche Treuepflichten, 2003, 105 ff.; Gruntz, Treuebindungen von Minderheitsaktionären - Eine vergleichende Analyse im deutschen und US-amerikanischen Recht, dargestellt am Phänomen der treuwidrigen Aktionärsklage, 1997, passim. 52   North West Transportation Co Ltd v Beatty (1887) 12 App Cas 589; Northern Countries Securities Ltd v Jackson & Steeple Ltd [1974] 1 WLR 1133, 1144; weitere Nachweise bei Ring/Otte, in: Triebel u.a. (Hrsg.), Englisches Handels- und Wirtschaftsrecht, 3. Aufl., 2012, 242 f. 53  Näher Merkt, US-amerikanisches Gesellschaftsrecht, 3. Aufl., 2013, Rn. 808.

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Mehrheitsgesellschafters gegenüber der Gesellschafterminderheit anerkannt, allerdings nur für die close corporation.54 Man kann das mit dem Gedanken begründen, dass die Mehrheit eine Stellung als Treuhänder der Minderheit übernimmt.55 Während die Rechtsprechung in einzelnen Gliedstaaten dieser Linie gefolgt ist, hat insbesondere der einflussreiche Supreme Court von Delaware es abgelehnt, eine solche Treuepflicht ohne gesetzliche Vorgaben einzuführen.56 Durchaus bemerkenswert an diesem Befund ist, dass der Minderheitenschutz im deutschen Aktienrecht nicht zuletzt auf rechtsvergleichende Untersuchungen zum US-amerikanischen Gesellschaftsrecht zurückzuführen ist,57 allerdings mit dem Unterschied, dass das deutsche Recht die Entwicklung deutlich über das US-amerikanische Vorbild hinausgeführt hat. Die zweite Gruppe von Rechtsordnungen, darunter vor allem solche des romanischen Rechtskreises, lehnt eine horizontale Treuepflicht ab. Hier wird vielmehr punktuell in Fällen des Machtmissbrauchs durch den Mehrheitsgesellschafter der Gesellschafterminderheit durch die Rechtsfigur des Machtmissbrauchs geholfen (abus de majorité, abuso de mayoría, abuso di maggioranza).58 Auch der österreichische Gesetzgeber steht einer flächendeckenden Treuepflicht im Gesellschaftsrecht eher reserviert gegenüber. In § 1186 Abs. 1 ABGB und § 112 Abs. 1 UGB hat er für die Gesellschafter der Gesellschaft des Bürgerlichen Rechts und der Offenen Gesellschaft lediglich die Mitwirkungspflicht und die Förderpflicht sowie in § 1187 S. 1 ABGB und § 112 Abs. 1 UGB das Verbot schädlicher Nebengeschäfte statuiert, ferner für unternehmerisch tätige Gesellschaften ein Wettbewerbsverbot (§ 1187 S. 2 ABGB, § 112 Abs. 2 UGB). Diese Zurückhaltung liegt auf einer Linie mit einer gewissen Skepsis, die man der Treuepflicht jedenfalls in namhaften Teilen der österreichischen Lehre entgegenbringt.59 Und in der Schweiz haben

54  Donahue v. Rodd Electrotype Co. of New England, Inc., 328 N.E.2d 505 (Mass. 1975); zutreffend Bungert, DB 1995, 1749: “… die der US-amerikanischen Treuepflichtkonzeption zugrundeliegende personalistische Gesellschaft …“. 55   So bereits Mestmäcker, Verwaltung, Konzerngewalt und Rechte der Aktionäre. Eine rechtsvergleichende Untersuchung nach deutschem Aktienrecht und dem Recht der corporations in den Vereinigten Staaten, 1958, 195 ff. 56   Nixon v. Blackwell, 626 A.2d 1366 (Del. 1993) und dazu Merkt, US-amerikanisches Gesellschaftsrecht, 3. Aufl., 2013, Rn. 811. 57   Mestmäcker, Verwaltung, Konzerngewalt und Rechte der Aktionäre, 1958, 342 ff.; Wiethölter, Interessen und Organisation der Aktiengesellschaft im amerikanischen und deutschen Recht, 1961, passim. 58   Nachweise bei Fleischer, Der Gesellschafter 2017, 362, 367; rechtsvergleichend ders., JZ 2003, 865. 59  Etwa Krejci, Gesellschaftsrecht, Band I, 2005, 198; Jabornegg, Festschrift für Krejci, 2001, 667; Torggler, Treuepflichten im faktischen GmbH-Konzern, 2007, 11, 13; Enzinger, Mehrheitsbeschlüsse bei Personengesellschaften, 1995, 269; anders Schauer, in: Kalss/ Nowotny/Schauer, Gesellschaftsrecht, 2. Aufl., 2017, Rn. 2/398.

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sich sowohl das Bundesgericht60 als auch die herrschende Lehre61 gegen eine mitgliedschaftliche Treuepflicht ausgesprochen.62 Dabei stützt man sich zur Begründung zum einen auf das Wesen der typischen AG als Kapitalsammelstelle ohne persönliche Bindung zwischen den Gesellschaftern und zum anderen auf die zwingenden Bestimmungen des gesetzlichen Aktienrechts (Art. 680 Abs. 1 OR). Aus diesen Bestimmungen folge das Verbot, weitere Nebenpflichten wie etwa eine mitgliedschaftliche Treuepflicht auf statutarischem Weg einzuführen.63 Und eine Grenze für die Ausübung des Aktionärsstimmrechts wird auch hier lediglich im Missbrauchsverbot gesehen.64 Der Schweizerische Bundesgesetzgeber schließlich hat die mitgliedschaftliche Treuepflicht in Art. 803 L OR zwar eingeführt, aber nur für die GmbH und mit dem Hinweis, dass es eben nur bei der GmbH, nicht jedoch bei der AG ein vergleichbar enges Vertrauensverhältnis gebe. Dem deutschen Weg einer Erstreckung der horizontalen Treuepflicht auf sämtliche Erscheinungsformen des Gesellschafters lässt sich vor diesem Hintergrund eine gewisse Radikalität nicht absprechen. Nun mag man einwenden, dass es sich letztlich nur um die dogmatische bzw. formale Einkleidung dessen handelt, was der Sache nach in allen Fällen als Einhegung der Mehrheitsmacht zu verstehen ist. Ob es unter funktionalen Gesichtspunkten in der Tat um dasselbe bzw. um etwas Funktionsgleiches geht, ob konkret Sachverhalte hier wie dort jedenfalls im Ergebnis identisch entschieden würden, kann in diesem engen Rahmen nicht geklärt werden. Ein gewichtiger Unterschied ist allerdings bereits hier nicht zu übersehen: Das Verhältnis von Regel und Ausnahme. Während die ausländischen Lösungen im Ausgangspunkt und mit einer gewissen Vorsicht die Treuepflicht auf die geschlossene Gesellschaft beschränken, in der Publikumsgesellschaft eine Treuepflicht grundsätzlich ablehnen und dort lediglich bei spezifischen Problemlagen des Machtmissbrauchs mit spezifischen Instrumenten arbeiten, nimmt unser Recht mit der ihm eigenen großen systematischen Kraft im Ausgangspunkt eine Treuepflicht auch des Kleinaktionärs an, die allerdings abhängig von der Realstruktur der Gesellschaft reduziert oder sogar minimiert wird. Der mutigere Weg ist gewiss der zweite. 60   BGE 91 II 298, 305, E 6a; weitere Nachweise bei Jung/Kunz/Bärtschi, Gesellschaftsrecht, 2016, 87. 61   Nachweise bei Jutzi, in: Kunz/Jörg/Arter (Hrsg.), Entwicklungen im Gesellschaftsrecht XI, 2016, 50, 68. 62   Überblick bei Jung/Kunz/Bärtschi, Gesellschaftsrecht, 2016, 87; Zürcher Kommentar OR/Jung, 2016, Art. 620 N. 189 ff.; einschränkend Basler Kommentar OR/Baudenbacher, 4. Aufl., 2012, Art. 620 N. 35: Treuepflichten in stark personalistisch strukturierten AGs und im Konzernverhältnis. 63   Jung/Kunz/Bärtschi, Gesellschaftsrecht, 2016, 87; vergleichbare Argumentation für das deutsche Recht mit Hinweis auf die abschließende Regelung in § 243 Abs. 2 AktG bei Meyer-Landrut, Festschrift für Häußling, 1990, 249, 251 und 257. 64   Jung/Kunz/Bärtschi, Gesellschaftsrecht, 2016, 454.

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IV.  Voraussetzungen einer Treuepflicht des Kleinaktionärs Kommen wir damit zu den tatbestandlichen Voraussetzungen, an die nach aktueller Rechtslage die Treuepflicht des Kleinaktionärs geknüpft ist. Kerngedanke der Treuepflicht ist – wie gesagt – die Korrelation von Rechtsmacht und Verantwortung, konkret für die Ausübung des Stimmrechts – in den Worten der Girmes-Entscheidung – „der Gleichlauf von Stimmacht und Verantwortlichkeit für die Treupflichtverletzung“.65 1. Vertrauensstellung? Mit dem klaren Bekenntnis von Rechtsprechung und Lehre zum Korrelations-Gedanken und zum Kriterium der Einwirkungsmöglichkeit ist für den Aktionär der Begründungsansatz über den Vertrauensgedanken erledigt. Das ist einerseits insofern kurios, als gerade der Vertrauensgedanke eigentlich und bis heute die Keimzelle der Treuepflicht bildet, was schon die Terminologie zeigt. Andererseits erscheint es konsequent, wenn man die Treuepflicht als universelle Pflicht des gesamten Gesellschaftsrechts konzipieren will. In der Literatur wurde zutreffend darauf hingewiesen, dass die körperschaftsrechtliche Treuepflicht in ihrer Wechselwirkung zum Mehrheitsprinzip zu verstehen ist und dass die Treuepflicht um vieles mehr dem Maß des Einflusses korrespondiert als dem Maß des persönlichen Vertrauens.66 Ebenso wurde hervorgehoben, dass die Möglichkeiten des Aktionärs zum Eingriff in mitgliedschaftliche Interessen von Mitaktionären regelmäßig nicht auf tatsächlich entgegengebrachtem Vertrauen beruhen, sondern vielmehr Rechtsfolge einer Beteiligungsquote oder einem Zusammenwirken mit anderen Mitaktionären sind.67 Für die Publikums-AG gilt dies in noch gesteigertem Maße. In der anonymen Publikums-AG, in der sich der Aktionärskreis andauernd ändert, ist Aktionärsvertrauen untereinander bestenfalls abstrakt vorstellbar und praktisch meist illusionär. Der Schweizer Gesetzgeber hat – wie darlegt68 – aus eben dieser Einsicht heraus eine Erstreckung der Treuepflicht über die GmbH hinaus auch auf den Aktionär abgelehnt. Letztlich fragt sich allerdings, ob die Idee der Treue und basierend auf ihr die Rechtsfigur der Treuepflicht überhaupt das richtige Instrumentarium darstellt, um Einflussverantwortung des Gesellschafters zu konzeptionalisieren und zu kanalisieren (Stichwort: Verantwortungsethik)69, oder ob man   BGHZ 129, 136, 146 (Girmes).  So bereits Zöllner, Die Schranken mitgliedschaftlicher Stimmrechtsmacht bei den privatrechtlichen Verbänden, 1963, 350; Kölner Kommentar AktG/Zöllner, 1. Aufl., 1985, Einl. Rn. 169; ihm insoweit folgend Dreher, ZHR 157 (1993) 150, 155. 67   Dreher, ZHR 157 (1993) 150, 155. 68   S.o. bei Fn. 64. 69   Der Begriff geht auf Wiedemann, ZGR 1980, 147, 155 ff. zurück. 65 66

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den Treuegedanken jedenfalls an diesem äußeren Ende des Spektrums gesellschaftsrechtlicher Treuepflichten nicht überfordert.70 Insoweit erscheint das in ausländischen Rechtsordnungen eingesetzte Institut des Missbrauchs möglicherweise überzeugender. Die zunehmende Diskussion zum Verhältnis von Treuepflicht und (Stimm-)Rechtsmissbrauch als Teilaspekt oder Unterfall der Treuepflichtverletzung71 zeigt, dass sich die Entwicklung hier noch im Fluss befindet.72 2.  Vom Minderheitsschutz zum Mehrheitsschutz Ein weiteres Pradoxon der Karriere der Treuepflicht besteht darin, dass sie einstmals als Instrument des Minderheitenschutzes gestartet war, als das sie herkömmlicherweise73 auch verstanden wird, dass sie aber spätestens durch Kochs Adler74 (für das Anfechtungsrecht) und durch Girmes (für das Stimmrecht) zum Instrument eines universellen Schutzes auch der mitgliedschaftlichen Interessen der Mehrheitsgesellschafter ausgebaut wurde.75 Während Minderheitenschutz als Funktion der Treuepflicht unmittelbar einleuchten mag, verhält es sich für den Mehrheitsschutz anders. Das zeigt wiederum der Rechtsvergleich. Keine andere Rechtsordnung ist so weit gegangen wie unser Recht mit der Indienstnahme der Treuepflicht für den Mehrheitsschutz. Während „minority oppression“ als Rechtsbehelf im angelsächsischen Rechtskreis etabliert ist,76 wäre dort ein komplementärer Rechtsbehelf der „majority oppression“ kaum vorstellbar. Im deutschen Recht gelangt man zum Mehrheitsschutz auf dem Umweg über die Mehrheitserfordernisse. Der BGH argumentiert in Girmes durchaus überzeugend, dass das Recht zur Auflösung der AG an eine gesetzlich oder statutarisch qualifizierte Mehrheit gebunden ist. Solange ein solcher Mehrheitsbeschluss fehle, kann „[…] eine Minderheit […] die Auflösung 70   Im Ergebnis ebenso Mülbert, Aktiengesellschaft, Unternehmensgruppe und Kapitalmarkt, 1996, 332, 348; Schiessl, VGR (Hrsg.), Gesellschaftsrecht in der Diskussion 1999, Band 2, 2000, 57; Bayer, Verhandlungen des 67. DJT, 2008, Gutachten E, 81 ff.; siehe auch Münchener Kommentar AktG/Hüffer/Schäfer, 4. Aufl., 2016, § 243 Rn. 55 f., die gegenüber dem Konzept der Treuepflicht des Aktionärs eine gewisse Ernüchterung feststellen. 71   Siehe etwa Kölner Kommentar AktG/Noack/Zetzsche, 3. Aufl., 2017, § 243 Rn. 342 ff. zum Verhältnis von Treuepflichtverletzung und Rechtsmissbrauch. 72   S.o. bei Fn. 23; in diese Richtung weisen auch Wiedemann, Gesellschaftsrecht, Band II, 2004, 198 und Fleischer, Der Gesellschafter 2017, 362, 367. 73  Statt vieler Robert Fischer, Der Minderheitenschutz im deutschen Aktienrecht, in: Minderheitenschutz bei Kapitalgesellschaften, Verhandlungen des 1. Deutsch-italienischen Juristenkongresses, Teil I, 1967, 59, 70. 74   BGHZ 107, 296; dazu Timm, ZIP 1990, 411; monografisch aus neuerer Zeit Mathieu, Der Kampf des Rechts gegen erpresserische Aktionäre, 2014. 75  Näher K. Schmidt, Gesellschaftsrecht, 4. Aufl., 2002, § 20 IV 3., 593 f. 76   Fleischer, Der Gesellschafter 2017, 362, 367.

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nicht erzwingen.“77 Wenn nun die Minderheit im Wege der Blockbildung den Sanierungsbeschluss verhindern könnte, würde sie auf „kaltem“ Weg erreichen, was ihr eigentlich mangels erforderlicher Stimmacht verwehrt ist: die Insolvenz und die anschließende Auflösung der Gesellschaft. Natürlich lässt sich füglich darüber streiten, ob die eigentliche Verantwortung für das Ende der Gesellschaft in solchen Situationen tatsächlich bei der Minderheit liegt oder nicht viel eher bei der Geschäftsleitung (und die hinter ihr stehende Gesellschaftermehrheit), die es so weit hat kommen lassen. Und wäre es möglicherweise legitim, dass die Minderheit mit ihrer Weigerungshaltung der Mehrheit die „Quittung“ dafür präsentiert, dass die Gesellschaft an den Abgrund geführt wurde? Man könnte es aber auch so sehen, dass die Entscheidung über das Ausmaß der Treuepflicht der Minderheit in die Hände der Gläubiger gelegt wird, denn letztlich bestimmen allein sie darüber, ob eine mehrheitsfähige Sanierungslösung präsentiert wird. Auch dieser Befund bereitet gewisses Unbehagen. Allerdings ist die Rechtsentwicklung im deutschen Aktienrecht auch insoweit noch keineswegs abgeschlossen. Nachdem inzwischen die Treuepflicht auch der Minderheit gegenüber der Mehrheit als fest etabliert angesehen werden kann,78 verlagert sich die Diskussion in jüngerer Zeit zu den Voraussetzungen, an die eine solche Treuepflicht geknüpft ist. 3.  Die Unsicherheit bezüglich der Frage nach der Einflussmöglichkeit: Zur Lehre von der wirkungsbezogenen Treuepflicht Ausdrücklich offen lassen konnte die Girmes-Entscheidung79 wegen des besonders gelagerten Sachverhalts die Frage, ob den Kleinaktionär lediglich eine qualifizierte, wirkungsbezogene Treuepflicht trifft, wie dies von Dreher80 vertreten wird. Der dahinterstehende Gedanke ist durchaus einleuchtend: Dreher möchte zunächst zwischen Mehrheitsaktionären und Inhaber von Sperrminoritäten, die stets eine Treuepflicht trifft, sowie sonstigen Minderheitsaktionären differenzieren. Innerhalb der Gruppe dieser sonstigen Minderheitsaktionäre sei wiederum zu differenzieren: Von der Treuepflicht erfasst würden nur jene Minderheitsaktionäre, die ihre Stimme bündeln, um ein gemeinsames Sachziel zu erreichen, um also mit der Bündelung eine bestimmte Wirkung zu erzielen. Das sei etwa dort der Fall, wenn sich die Minderheitsaktionäre auf eine einheitliche Stimmabgabe verständigen (Stimmbindung) oder wenn sie mit der Ausübung des Stimmrechts einen gesellschaftsfremden Vertreter beauftragen, der für die Abstimmung ein   BGHZ 129, 136, 152.   Münchener Kommentar GmbHG/Merkt, 3. Aufl., 2018, § 13 Rn. 95 m.w.N. 79   BGHZ 129, 136, 146 f. 80   Dreher, ZHR 157 (1993) 150. 77 78

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eigenes Konzept entwickelt oder den Aktionären ein bestimmtes Abstimmungsverhalten empfiehlt und der sich zur Durchsetzung seines Konzepts bzw. zur Abstimmung im Sinne des empfohlenen Abstimmungsverhaltens Stimmrechtsvollmachten erteilen lässt. Hingegen treffe den Aktionär, der von dem Bevollmächtigten lediglich um die Erteilung einer Weisung für die Stimmrechtsausübung gebeten werde und bei dem sich die Voraussetzungen für das Vorliegen einer Antrags- oder Sperrminorität zufällig ergeben, keine Treuepflicht. Die gleichförmige Stimmabgabe allein könne keine Treuepflicht auslösen. Erforderlich sei eine im Vorfeld der Stimmangabe liegende Sicherstellung der gleichförmigen Stimmrechtsausübung (Koalitionsbildung). Für die „Koalitionsaktionäre“ ergebe sich somit ein Gruppeneffekt, der jedem Beteiligten bei der zufälligen Parallelabstimmung, die zu einer Antrags- oder Sperrminorität führe, verschlossen bleibe.81 Gegen diese Differenzierung wurde geltend gemacht, dass grundsätzlich jeden Aktionär eine Treuepflicht treffe. Zu differenzieren sei also nicht zwischen Aktionären mit und ohne Treuepflicht. Dementsprechend treffe den Aktionär, der zufällig die Voraussetzungen einer Antrags- oder Sperrminorität erfülle, zwar keine gesteigerte Treuebindung. Doch unterlägen jene Aktionäre, deren Stimmen zu einem einheitlichen Block zusammengefasst würden, nicht lediglich einer Treuepflicht, die dem Maß ihrer Verantwortung entspräche, das sich aus der Möglichkeit ergebe, die sie mit ihrem jeweiligen Stimmrechtanteil nehmen könnten, sondern einer gesteigerten Treuepflicht.82 Nun mag man, wie dies im Schrifttum vielfach getan wurde, die Diskussion an dieser Stelle für höchst theoretisch und daher obsolet erklären, weil Fälle, in denen der einzelne Kleinaktionär wegen treupflichtwidriger Stimmabgabe in der Praxis kaum vorstellbar seien. Und dennoch führt die Frage, ob den Kleinaktionär in jedem Fall oder nur unter besonderen Voraussetzungen eine horizontale Treuepflicht trifft, zum Kern der modernen Treupflichtkonzeption. Umfassenden Schutz vor der Stimmacht des koalierenden Kleinaktionärs gewährt nur jener Ansatz, der ausnahmslos für jeden Kleinaktionär, der mit seiner Stimme zum Erreichen oder Überschreiten der Antrags- oder Sperrminorität beiträgt, eine Treuepflichtverletzung annimmt. Insofern erscheint die moderne Treuepflichtdoktrin durchaus plausibel. Allerdings lässt sich das Paradoxon, dass der Kleinaktionär mit minimaler Stimmmacht, der seiner Depotbank unbesehen Vollmachten gibt, zur Rechenschaft gezogen wird für einen gewaltigen Hebeleffekt, nur dadurch überwinden, dass dem Kleinaktionär die Stimmacht der mit ihm stimmenden Aktionäre zugerechnet wird. Darum geht es im Kern. Allerdings bedarf Zurechnung eines Zurechnungsgrunds. Und diesen Zurechnungsgrund mag   Dreher, ZHR 157 (1993) 150, 156 ff.  Etwa Timm, WM 1991, 481, 488 f.; Marsch-Barner, ZHR 157 (1993) 172, 184; Schöne, WM 1992, 209, 212; zweifelnd Lutter, EWiR 1991, 850, 851. 81 82

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man in der Wirkungsorientierung erkennen. Orientiert sich der Kleinaktionär bei seinem Stimmverhalten am Verhalten anderer Aktionäre, um eine bestimmte Wirkung, ein bestimmtes Ergebnis zu erzielen, dann muss er sich das Verhalten dieser anderen Aktionäre zurechnen lassen. Daraus folgt dann auch im Umkehrschluss, dass aus dem zufälligen Zustandekommen einer Sperrminorität für den einzelnen Minderheitsaktionär keine Treupflichtverletzung folgen kann. Denn hier fehlt es am Zurechnungsgrund.83 Ferner bestätigt sich der vorangehende Befund, dass es auch den Kleinaktionär gibt, dessen Treuepflicht gegen Null schrumpft. Er hat das Recht zum Desinteresse. Und eine aus der Treupflicht resultierende Pflicht zur Teilnahme an der Hauptversammlung, wenn zu befürchten ist, dass ein Fernbleiben zu vieler Aktionäre die AG lahmlegt, gibt es aus demselben Grund ebenfalls nicht.84

V.   Risiken einer Treuepflicht des Kleinaktionärs Schließlich sei noch auf zwei Risiken hingewiesen, die mit der Erstreckung der mitgliedschaftlichen Treuepflicht auf den Minderheitsaktionär verbunden sind. 1.  Unternehmerische Verantwortung der Gerichte? Wie zuvor ausgeführt, spricht der BGH in Girmes von einem „Verbot, eine sinnvolle und mehrheitlich angestrebte Sanierung aus eigennützigen Gründen zu verhindern.“85 Dies wird in der untergerichtlichen Rechtsprechung86 und von der im Schrifttum wohl herrschenden Auffassung87 so verstanden, dass die Treuebindung unter zwei kumulativen Voraussetzungen steht, nämlich zum einen, dass die Sanierung sinnvoll ist, und zum anderen, dass sie von der Aktionärsmehrheit angestrebt wird. Die zweite Voraussetzung folgt nach dem BGH daraus, dass das Recht zur Auflösung an eine qualifizierte Mehrheit gebunden ist. Da es in dem zugrundeliegenden Fall um eine von der Kapitalmehrheit getragene Sanierung ging, musste sich das Urteil nicht näher mit der Begründung des Mehrheitserfordernisses auseinandersetzen. 83   Im Ergebnis ebenso Dreher, ZHR 157 (1993) 150, 159; zu weitgehend hingegen Kölner Kommentar AktG/Zöllner, 1. Aufl., 1984, Einl. Rn. 169. 84   So aber Münchener Kommentar BGB/Reuter, 6. Aufl., 2012, § 38 BGB Rn. 45. 85   BGHZ 129, 136, 152. 86   LG Saarbrücken, BeckRS 2011, 12852. 87   Bungert, DB 1995, 1749, 1753; Haas, NJW 2010, 984, 985; Hennrichs, AcP 196 (1996) 221, 255 ff.; Jäger, NZG 1999, 238, 241; Münchener Handbuch Gesellschaftsrecht/Rieckers, 4. Aufl., 2015, § 17 Rn. 29; K. Schmidt, Gesellschaftsrecht, 4. Aufl., 2002, § 20 IV 3., 593 f.; von Schorlemer/Stupp, NZI 2003, 345, 348; Wilsing, EWiR 2014, 311, 312; Witte, WiB 1995, 548, 550; Ziegenhagen/Brägelmann, KSI 2013, 197, 200.

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In der Literatur werden nun Zweifel an dieser Voraussetzung laut. Aus den Mehrheitserfordernissen folge allenfalls, dass die Sanierung von nicht weniger als einem Viertel des bei Beschlussfassung vertretenen Grundkapitals angestrebt werden dürfe, um die Treuebindung des einzelnen Aktionärs zu bejahen. Denn eine qualifizierte Minderheit von mehr als 25 % könnte auch eine Auflösung der Gesellschaft verhindern. Daraus wiederum wird gefolgert, dass auf das Erfordernis einer Mehrheit, welche die Sanierung anstrebt, zu verzichten sei. Das Mehrheitserfordernis könne jedenfalls dann nicht überzeugen, wenn auszuschließen sei, dass bei einer Sanierung ein Gesellschafter schlechter stehe als bei einer sofortigen unausweichlichen Liquidation.88 Wer ohne weiteres aus der Gesellschaft ausscheiden könne und durch die Sanierung nicht schlechter gestellt würde als ohne sie und auch sonst kein anerkennenswertes Interesse vorweisen könne, der sei zur Rücksichtnahme verpflichtet. Das gelte sogar in dem Extremfall, in dem mehr als drei Viertel des bei der Beschlussfassung vertretenen Grundkapitals sich der Sanierung verweigern wolle.89 Nach dieser Konzeption entfernt sich allerdings die Treuepflicht sehr weit von ihrer Legitimationsgrundlage. Denn wenn in Sanierungssituationen auf das Mehrheitserfordernis verzichtet wird, geht es bei der Zustimmungs- oder Enthaltungspflicht gar nicht mehr um den Ausgleich zwischen konfligierenden Gesellschafterinteressen (Schutz der Minderheit vor der Macht der Mehrheit, Schutz der Mehrheit vor der Macht der Minderheit), sondern es geht darum, den Fortbestand der Gesellschaft gegen den Willen der Gesellschafter durchzusetzen, weil ein „wirtschaftlich sinnvolles Sanierungskonzept“ der „völligen Abwesenheit von schützenswerten Interessen“ gegenübersteht. Die Rechtsordnung dürfe, so wird argumentiert, eine „Liquidation nur um der Liquidation willen“, die Gewährung eines Rechts „zur Umsetzung rein destruktiver und objektiv willkürlicher Ziele“ nicht hinnehmen. Allerdings liegt hierin zum einen ein bedenklich massiver Eingriff in die Freiheit der Mitglieder, den eingegangenen Zusammenschluss mehrheitlich wieder aufzulösen.90 Zutreffend ist eingewendet worden, dass es wertungswidersprüchlich sei, den Gesellschafter zu einer bestandserhaltenden Maßnahme zu verpflichten, die er der Gesellschaft nicht schulde.91 Zum anderen wird durch dieses Verständnis der Treuepflicht gerade jene klare Entscheidung des Gesetzgebers in § 262 Abs. 1 S. 2 AktG konterkariert, dass den Gerichten nicht zugemutet werden soll, über den Sinn oder Unsinn einer Beendigung der Gesellschaft entscheiden zu müssen, eine Entscheidung, die angesichts der Vielzahl der zu   Reichert, NZG 2018, 134, 139.   Reichert, NZG 2018, 134, 142. 90   Stephan Schneider, Gesellschafter-Stimmpflichten bei Sanierungen, 2014, 218; Netwig, GmbHR 2012, 664, 667. 91   Kölner Kommentar AktG/Ekkenga, 3. Aufl., 2017, § 182 Rn. 17; ders., Der Konzern, 2015, 409. 88 89

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berücksichtigenden Faktoren mit erheblichen Schwierigkeiten verbunden ist. Darin dürfte das eigentliche Problem liegen: Die Komplexität dieser letztlich rein wirtschaftlichen Entscheidung führt zwangsläufig dazu, dass die Fehlerquote hoch sein dürfte. Wer mag beurteilen, ob die Mehrheit eine Sanierung „rein destruktiv“ und „objektiv willkürlich“ ablehnt. Gerichte würden praktisch unternehmerische Verantwortung übernehmen, ohne für die Folgen haftbar zu sein. Dass die Mehrheit eine Sanierung ablehnt, ist daher nicht lediglich ein (widerlegbares) Indiz für die Richtigkeit der Ablehnung,92 sondern unabdingbare Voraussetzung, die aus der Privatautonomie ebenso wie aus der Zuständigkeitsverteilung in der Gesellschaft folgt. Und all das gilt für den Kleinaktionär in gesteigertem Maße, denn mit wachsender Entfernung von der Geschäftsführung, mit steigendem Grad der Reduzierung auf die Rolle des reinen Kapitalanlegers stellt sich die inhaltliche Überprüfung des Abstimmungsverhaltens als Fremdkörper dar. Das wird besonders deutlich bei vollständigem Desinteresse bzw. beim Fernbleiben von der Hauptversammlung. 2.  Aufweichen der Anforderungen an die treuepflichtbedingte Zustimmungspflicht Verstärkt werden die zuvor geäußerten Bedenken gegen eine Ausweitung der Treuepflicht auf Situationen, in denen die Mehrheit nicht hinter der Sanierung steht, durch das Risiko, dass eine gewisse tatrichterliche Neigung bestehen könnte und vielleicht auch zu beobachten ist, die Anforderungen an eine treuepflichtbedingte Zustimmungspflicht aufzuweichen. Der MediaSaturn-Fall (der allerdings das GmbH-Recht betraf) hat dieses Risiko deutlich werden lassen. Hier hatte das OLG München die Stimmabgabe gegen die Zustimmung zu den fraglichen Standortmaßnahmen als treuwidrig qualifiziert, weil die Maßnahmen im Interesse der Gesellschaft gelegen seien und die Zwecke der Gesellschaft förderten.93 Zwar sei der Gesellschafter in seiner Stimmrechtsausübung grundsätzlich frei. Doch hätte bei den fraglichen Geschäftsführungsmaßnahmen grundsätzlich das Gesellschaftsinteresse im Vordergrund zu stehen. Dies sei bei der Abwägung der Gesellschafts- und der Gesellschafterinteressen, die sich nach dem Prinzip der Verhältnismäßigkeit richtet, zu beachten. Eine Wahrnehmung der Rechte sei treuwidrig, soweit sie nicht geeignet oder nicht erforderlich ist, die berechtigten eigenen Interessen des Gesellschafters zu wahren.94 Diesem sehr großzügigen Prü92  So Reichert, NZG 2018, 139 unter Verweis auf Seibt, ZIP 2014, 1909, 1914 sowie Münchener Kommentar AktG/Schürnbrand, 4. Aufl., 2016, § 182 Rn. 12. 93   OLG München, NZG 2015, 66 und dazu Hennrichs, NZG 2015, 41; Paefgen, ZIP 2016, 2293. 94   OLG München, NZG 2015, 66, 67; ähnlich jetzt OLG Düsseldorf, BB 2018, 590 und dazu Findeisen, BB 2018, 585, 588.

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fungsmaßstab, der ein sehr weites und tiefes Eingreifen in die Stimmrechtsausübung der dissentierenden Gesellschafter erlaubt, ist der BGH entgegen getreten, wobei er nochmal deutlich gemacht hat, wie streng die Anforderungen an eine Treuepflichtverletzung gefasst sind. Dass eine Maßnahme im Interesse der Gesellschaft liege, die Zwecke der Gesellschaft fördere und die Zustimmung dem Gesellschafter zumutbar sei, genüge nach der bisherigen Rechtsprechung des II. Zivilsenats des BGH nicht, um eine Zustimmungspflicht des Gesellschafters zu begründen oder eine entgegenstehende Stimmabgabe als unwirksam anzusehen. Aufgrund der Treuepflicht müsse nur dann in einem bestimmten Sinn abgestimmt werden, wenn die zu beschließende Maßnahme zur Erhaltung wesentlicher Werte, die die Gesellschafter geschaffen haben, oder zur Vermeidung erheblicher Verluste, die die Gesellschaft bzw. die Gesellschafter erleiden könnten, objektiv unabweisbar erforderlich sei und den Gesellschaftern unter Berücksichtigung ihrer eigenen schutzwürdigen Belange zumutbar sei, also wenn der Gesellschaftszweck und das Interesse der Gesellschaft gerade diese Maßnahme zwingend geböten und der Gesellschafter seine Zustimmung ohne vertretbaren Grund verweigere.95 Der Senat betont, dass die Zweckmäßigkeit der Stimmabgabe von den Gerichten nicht zu überprüfen sei. Ebenso wenig sei entscheidend, ob die Beweggründe nachvollziehbar oder zutreffend seien.96 Diese durchaus restriktive Linie ist zu begrüßen. Denn anderenfalls droht, dass die Treuepflicht dazu zwingt, einer Geschäftspolitik zu folgen, die von der Mehrheit vorgegeben wird, und von der man erst ex post erfahren wird, ob sie der materiellen Prüfung durch die Gerichte standhält.97 Und auch hier wiegen die Bedenken aus der Sicht des Minderheitsaktionärs aus den dargelegten Gründen besonders schwer.

VI. Schluss Die Erstreckung der im Personengesellschaftsrecht geborenen mitgliedschaftlichen Treuepflicht insbesondere in ihrer horizontalen Variante auf sämtliche Gesellschaftsformen bis hin zur Publikums-AG war ein ebenso konsequenter wie auch mutiger Schritt des deutschen Gesellschaftsrechts. International stellt die Treuepflicht in der Publikums-AG einen Solitär dar. Gerade hier, am äußeren Ende des Spektrums, sind noch einige Fragen offen, darunter die Frage nach dem Verhältnis der Treuepflicht zum Missbrauchsverbot sowie die Frage nach Reichweite und Begründung der Treuepflicht der Gesellschafterminderheit gegenüber der Mehrheit. Hinzuweisen ist auch 95   BGH NJW 2016, 2739 Rn. 13 mit Anm. Wicke; siehe auch OLG Brandenburg ZIP 2017, 1417. 96   BGH NJW 2016, 2739 Rn. 19. 97   Ähnlich bereits K. Schmidt, Gesellschaftsrecht, 4. Aufl., 2002, § 28 I 4. a), 801.

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auf Risiken, die mit der Treuepflicht des Minderheitsaktionärs aus einem Verzicht auf das Mehrheitserfordernis und einer Aufweichung der Anforderungen an die treupflichtbedingte Zustimmungspflicht resultieren können. Hier erweist sich, welche bedeutende Rolle der II. Zivilsenat des BGH unter dem Vorsitz des Jubilars gerade in jüngerer Zeit als Wächter und Verteidiger des freien Aktionärsstimmrechts eingenommen hat. Dafür sei ihm an dieser Stelle im Nachhinein gedankt.

EU-rechtliche Kapitalmarktinformations­ vorschriften

EU-rechtliche Kapitalmarktinformations­ vorschriften und mitgliedstaatliche Haftungsregeln – Möglichkeiten und Grenzen am Beispiel der Prospektverordnung (EU) 2017/1129 Peter O. Mülbert I. Einleitung Der nach dem Kollaps von Lehman Brothers einsetzende Regulierungs­ tsunami1 im EU-Finanzmarktrecht feiert in diesem Jahr sein zehnjähriges Jubiläum. Blickt man auf den im Kapitalmarktrecht zwischenzeitlich aufgetürmten Normenbestand, sind nicht zuletzt zwei Eigenheiten augenfällig: Zum einen bedient sich die EU fast durchweg des Instruments der Verordnung statt wie früher das der Richtlinie; eine wichtige Ausnahme bilden insoweit vor allem die revidierte Transparenzrichtlinie2 und die auch hierzulande unter dem englischen Akronym geläufige MiFID II3. Zum anderen bilden informationsbezogene Bestimmungen weiterhin ein Kernelement der kapitalmarktrechtlichen Regulierung. Das manifestiert sich einerseits in der Statuierung von (weiteren) Informations-, Offenlegungs- und Pub-­ lizitätspflichten, etwa in Gestalt des Art. 13 der unter dem partiellen (englischen) Akronym bekannten PRIIPs-VO4 sowie des Art. 6 der Leerver-

 Schon Mülbert ZHR 176 (2012), 369.   Richtlinie 2013/50/EU zur Änderung der Richtlinie 2004/109/EG des Europäischen Parlaments und des Rates zur Harmonisierung der Transparenzanforderungen in Bezug auf Informationen über Emittenten, deren Wertpapiere zum Handel auf einem geregelten Markt zugelassen sind, der Richtlinie 2003/71/EG des Europäischen Parlaments und des Rates betreffend den Prospekt, der beim öffentlichen Angebot von Wertpapieren oder bei deren Zulassung zum Handel zu veröffentlichen ist, sowie der Richtlinie 2007/14/EG der Kommission mit Durchführungsbestimmungen zu bestimmten Vorschriften der Richtlinie 2004/109/EG. 3   Richtlinie 2014/65/EU über Märkte für Finanzinstrumente sowie zur Änderung der Richtlinien 2002/92/EG und 2011/61/EU. 4   Art. 13 der Verordnung (EU) Nr. 1286/2014 über Basisinformationsblätter für verpackte Anlageprodukte für Kleinanleger und Versicherungsprodukte (PRIIP) gebietet, dass Kleinanlegern ein Basisinformationsblatt zu einem PRIIP rechtzeitig vor der Begründung einer vertraglichen Bindung zur Verfügung gestellt wird. 1 2

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kaufs-VO5,6 andererseits in Form von zwingenden Anforderungen an die Prozesse bei der Generierung oder/und an den Inhalt freiwilliger Informationen, etwa im Falle der Anlageberatung als einer Wertpapierdienstleistung nach Art. 24 Abs. 4 lit. a, 25 Abs. 2 MiFID II, der Tätigkeit als einer registrierten Ratingagentur7 und der Tätigkeit als Administrator oder Kontributor nach der Benchmark-VO8. Eine dritte Eigenheit, die bei etwas näherem Zusehen zu Tage tritt, besteht im weitestgehenden Fehlen von Haftungsbestimmungen auf der Ebene des Unionsrechts; eine Ausnahme bildet lediglich Art. 35a der RatingagenturenVO. Diese möglicherweise auch in Bedenken hinsichtlich des Fehlens einer Zuständigkeit der Union für die Harmonisierung des allgemeinen Zivilrechts gründende Lücke hat eine intensivere Diskussion darüber ausgelöst, ob das vom EuGH dem Art. 4 Abs. 3 EUV entnommene unionsrechtliche Effektivitätsgebot (effet utile) eine auch haftungsrechtliche Flankierung der unionsrechtlichen Informationsgebote erfordert, was jedenfalls in dieser Allgemeinheit freilich zu verneinen ist.9 Zudem war noch vor dem Lehmann-Kollaps eine informationshaftungsrechtliche Diskussion darüber in Gang gekommen, ob die im Jahre 2004 in Kraft getretene sogenannte MiFID I10 auch dem mitgliedstaatlichen zivilrechtlichen Haftungsrecht bestimmte Grenzen ziehen würde, genauer: ob diese Richtlinie den Anlass gibt für eine Rekalibrierung der mit einem Urteil aus dem Jahre 199311 eingeleiteten sogenannten Bond-

5   Art. 6 der Verordnung (EU) Nr. 236/2012 über Leerverkäufe und bestimmte Aspekte von Credit Default Swaps gebietet die Offenlegung signifikanter Netto-Leerverkaufspositionen in Aktien gegenüber der Öffentlichkeit. 6   Im weiteren Sinne gehören hierzu auch die neuen Pflichten zur Meldung an konzessionierte Transaktionsregister, die ihrerseits regelmäßig aggregierte Positionen der ihnen gemeldeten Arten von Geschäften zu veröffentlichen haben. Dazu Art. 9, 81 Abs. 1 der Verordnung (EU) Nr. 648/2012 über OTC-Derivate, zentrale Gegenparteien und Transaktionsregister (sog. EMIR), Art. 4, 12 Abs. 1 der Verordnung (EU) 2015/2365 über die Transparenz von Wertpapierfinanzierungsgeschäfen und der Weiterverwendung sowie zur Änderung der Verordnung (EU) Nr. 648/2012. 7  Verordnung (EG) Nr. 1060/2009 über Ratingagenturen, mit späteren Änderungen durch die Verordnung (EU) Nr. 513/2011 und die Verordnung (EU) Nr. 462/2013. 8   Verordnung (EU) 2016/2011 über Indizes, die bei Finanzinstrumenten und Finanzkontrakten als Referenzwert oder zur Messung der Wertentwicklung eines Investmentfonds verwendet werden, und zur Änderung der Richtlinien 2008/48/EG und 2014/17/EU sowie der Verordnung (EU) Nr. 596/2014. 9  S. etwa Mülbert in Assmann/Schneider/Mülbert (Hrsg.), Wertpapierhandelsrecht, 7. Aufl. 2019, Art. 15 VO Nr. 596/2014 Rz. 48; Sajnovits Financial-Benchmarks, 2018, S. 298 ff.; jedenfalls i.E. a.A. etwa Hellgardt AG 2012, 154, 156 ff.; ders. AG 2018, 602, 607 ff. 10   Richtlinie 2004/39/EG über Märkte für Finanzinstrumente, zur Änderung der Richtlinien 85/611/EWG und 93/6/EWG des Rates und der Richtlinie 2000/12/EG des Europäischen Parlaments und des Rates und zur Aufhebung der Richtlinie 93/22/EWG des Rates. 11   BGHZ 123, 126.

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Judikatur des 11. Zivilsenats des BGH.12 Nachdem der Senat dahingehenden Überlegungen eine Absage erteilte,13 nahm freilich die Diskussion um unionsrechtliche Schranken für mitgliedschaftliche Haftungsregimes – jedenfalls über die MiFID I hinaus – nie wirklich an Fahrt auf, und hierzulande nicht einmal für diese.14 Der Übergang zu einem sozusagen EU-rechtlich verordneten Kapitalmarktrecht scheint freilich Anlass zu geben, diesen Aspekt der informationshaftungsrechtlichen Dimension des unionsrechtlichen Kapitalmarktregimes erneut aufzugreifen. Der Übergang der EU vom Rechtsetzungsinstrument der Richtlinie zu dem der Verordnung bedeutet zwar nicht zwingend den Übergang zur Maximal- oder gar Vollharmonisierung,15 können doch auch Verordnungen ausdrücklich oder stillschweigend mitgliedstaatliche Abweichungsbefugnisse vorsehen. Gleichwohl entspricht es wohl verbreiteter – und zutreffender – Überzeugung, dass die EU mit der Wahl der Verordnung ein höheres Maß an unionsweiter Einheitlichkeit des hierdurch geschaffenen Rechtsrahmens herstellen möchte, als dies durch eine Richtlinie zu gewährleisten wäre.16 Es liegt auf der Hand, dass ein mitgliedstaatliches Haftungsregime dieses mit der Verordnung verfolgte Harmonisierungsziel jedenfalls im grenzüberschreitenden Kontext dann konterkarieren kann, wenn der haftungsbegründende Tatbestand strengere Anforderungen an das Verhalten von Emittenten oder sonstigen Unternehmen stellt, als die entsprechende Verordnung selbst. Mit dem Inkrafttreten der (neuen) Prospekt-VO (EU) 2017/112917 zum 21. Juli 2019 gerät dieses Konfliktpotential verstärkt in den Blick. Diese tritt nämlich an die Stelle der Prospektrichtlinie aus dem Jahre 200318 und der 12  Dazu zunächst Mülbert in Ferrarini/Wymeersch (eds.), Investor Protection in Europe, 2006, S. 299, 318 f.; ders. WM 2007, 1149, 1156 f.; ders. ZHR 172 (2008), 170, 176 ff. 13  Zunächst Ellenberger in FS Nobbe, 2009, S. 523 ff.; sodann BGHZ 191, 119 Rz. 47 a.E.; BGH WM 2013, 1983 Rz. 20. 14   Für die europäische Diskussion s. etwa Busch ERCL 13 (2017), 70. 15   Während die Maximalharmonisierung lediglich bei binnenmarktinternen grenzüberschreitenden Vorgängen strengeres mitgliedstaatliches Recht sperrt, gilt dies im Falle der Vollharmonisierung auch für rein innerstaatliche Vorgänge. 16   Dies folgt bereits aus dem in Art. 5 Abs. 4 EUV niedergelegten Verhältnismäßigkeitsgrundsatz, der es grundsätzlich gebietet, diejenige Handlungsform auszuwählen, die am eingriffsärmsten ist. Gemäß dieser sogenannten „Mittelhierarchie“ darf nur dann auf das Rechtsinstrument der Verordnung zurückgegriffen werden, wenn die mit der Regelung bezweckten Ziele nicht in gleicher Weise auch durch eine Richtlinie erreicht werden können. Dies ist insbesondere dann der Fall, wenn eine möglichst weitgehende Einheitlichkeit erreicht werden soll. 17   Verordnung (EU) 2017/1129 über den Prospekt, der beim öffentlichen Angebot von Wertpapieren oder bei deren Zulassung zum Handel an einem geregelten Markt zu veröffentlichen ist und zur Aufhebung der Richtlinie 2003/71/EG. 18   Richtlinie 2003/71/EG betreffend den Prospekt, der beim öffentlichen Angebot von Wertpapieren oder bei deren Zulassung zum Handel zu veröffentlichen ist, und zur Änderung der Richtlinie 2001/34/EG.

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zu deren Umsetzung ergangenen Vorschriften des WpPG, ohne ausdrücklich Änderungen des autonomen Haftungsregimes der §§ 21 f. WpPG vorzusehen, und ohne dass der deutsche Gesetzgeber insoweit unionsrechtlich implizit veranlassten Änderungsbedarf ausgemacht hätte;19 die neu eingefügten §§ 22a, 23a, 24a WpPG behandeln lediglich die Haftung für das WertpapierInformationsblatt (§§ 3a, 3b WpPG) und lassen die bestehenden Prospekthaftungsvorschriften gänzlich unberührt. Im Folgenden seien daher zunächst potentielle Konfliktfelder zwischen der Prospekt-VO und den §§ 21 f. WpPG skizziert (II.), um sodann für vier Verordnungen die je unterschiedliche Behandlung des Haftungsthemas vorzustellen und, darauf aufbauend, die möglichen Konfliktlösungsansätze zu entfalten (III.). Auf dieser Grundlage lassen sich dann auch die Auswirkungen der Prospekt-VO auf die §§ 21 f. WpPG näher ausloten.

II.  §§ 21 f. WpPG und Prospekt-VO (EU) 2017/1129: potentielle Konfliktlagen 1.  Innerstaatliche Konfliktlagen Eine Prospekthaftung nach den §§ 21 f. WpPG setzt einen inhaltlichen Fehler des Prospekts voraus, mithin einen unrichtigen oder unvollständigen Prospekt. Richtigkeit und Vollständigkeit eines Prospekts sind dabei aus dem Verständnishorizont des spezifischen Prospektadressaten zu beurteilen. Abzustellen ist dabei in einer generell-typisierenden Betrachtungsweise auf das „Publikum“, nicht auf die Sicht des einzelnen anspruchstellenden Anlegers. Das maßgebliche Publikum bestimmt sich von der Art der jeweiligen Anlage her, ist also nicht stets die gleiche homogene Masse. Bei einer Emission an ein breites Anlegerpublikum hat die Rechtsprechung herkömmlich auf einen durchschnittlichen Anleger abgestellt, der nicht unbedingt mit der in eingeweihten Kreisen („beteiligte Wirtschaftskreise“) gebräuchlichen Schlüsselsprache vertraut zu sein braucht, jedoch eine Bilanz zu lesen versteht.20 In jüngerer Zeit hat der BGH – möglicherweise auch unter dem Eindruck verbreiteter Kritik21 – diesen tradierten Verständnismaßstab auf Börsenzulassungsprospekte beschränkt, und für sonstige Wertpapierprospekte Folgendes postuliert:

19  S. Entwurf eines Gesetzes zur Ausübung von Optionen der EU-Prospektverordnung und zur Anpassung weiterer Finanzmarktgesetze, BT-Drs. 19/2435, S. 30 ff.; ebenso Beschlussempfehlung und Bericht des Finanzausschusses, BT-Drs. 19/3036. 20   BGH WM 1982, 862, 863; OLG Frankfurt WM 2004, 1831; AG 1999, 325, 326; WM 1994, 291, 295; OLG Düsseldorf WM 1984, 586, 592. 21   S. nur Groß, Kapitalmarktrecht, 6. Aufl. 2016, § 21 WpPG Rz. 41.

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„Wendet sich der Emittent auch an das unkundige und börsenunerfahrene Publikum, so kann von dem durchschnittlich angesprochenen (Klein-)Anleger nicht erwartet werden, dass er eine Bilanz lesen kann. Der Empfängerhorizont bestimmt sich daher in diesen Fällen nach den Fähigkeiten und Erkenntnismöglichkeiten eines durchschnittlichen (Klein-)Anlegers, der sich allein anhand der Prospektangabe über die Kapitalanlage informiert und über keinerlei Spezialkenntnisse verfügt“.22

In diesem Zitat tritt klar hervor, dass die Rechtsprechung die Maßfigur des verständigen Anlegers ohne Rückbindung an die prospektrechtlichen Vorgaben des Unionsrechts, in concreto diejenigen der Prospektrichtlinie 2003/71/ EG, entwickelt hat, so dass sie auch autonom darüber befinden kann, ob über prospektrechtlichen Mindestangaben hinaus zusätzliche Risikohinweise erforderlich sind, und ob die Prospektgestaltung einen irreführenden und mithin fehlerhaften Gesamteindruck vermittelt. Demgegenüber statuiert die Prospekt-VO in Art. 16 Abs. 1 UAbs. 1 nunmehr lapidar: „Auf Risikofaktoren wird in einem Prospekt nur insoweit eingegangen, als es sich um Risiken handelt, die für den Emittenten und/oder die Wertpapiere spezifisch und im Hinblick auf eine fundierte Anlageentscheidung von wesentlicher Bedeutung sind, wie auch durch den Inhalt des Registrierungsformulars und der Wertpapierbeschreibung bestätigt wird“.

Zudem wird vorgegeben, anhand welcher Kriterien die Wesentlichkeit eines Risikofaktors zu beurteilen ist (UAbs. 2), und dass nur die jeweils wesentlichsten Risikofaktoren für eine ihrerseits begrenzte Zahl von Risikokategorien im Prospekt zu nennen sind (UAbs. 3). Mit diesen detaillierten Vorgaben wäre es offenkundig ganz unvereinbar, würde man unter Berufung auf die Figur des verständigen Anlegers – und zumal des autonomen verständigen Anlegers – auf dem Umweg über die §§ 21 f. WpPG weitere Risikohinweise über Art. 16 Abs. 1 hinaus oder eine hiervon abweichende Darstellung im Prospekt verlangen.23 2.  Konflikte mit dem europäischen Pass Mit der Abkoppelung des mitgliedstaatlichen Prospekthaftungsrechts von den unionsrechtlichen Anforderungen an die Prospektgestaltung wird, dies kommt als weiterer Aspekt hinzu, das schon von der Prospektrichtlinie 2003/71/EG eingeführte Konzept des europäischen Passes für Wertpapierprospekte unterminiert. Dieser derzeit in den §§ 18, 19 WpPG umgesetzte   BGH WM 2012, 2147 Rz. 25.   S. auch Erwägungsgrund 54 der Prospekt-VO (EU) 2017/112): „Ein Prospekt sollte keine Risikofaktoren enthalten, die allgemeiner Natur sind und nur dem Haftungsausschluss dienen, denn jene könnten spezifischere Risikofaktoren, die die Anleger kennen sollten, verschleiern und so verhindern, dass der Prospekt die Informationen in leicht zu analysierender, knapper und verständlicher Form präsentiert“. 22 23

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und künftig in den Art. 24 ff. Prospekt-VO verwirklichte Mechanismus sieht bekanntlich vor, dass ein von einer zuständigen Aufsichtsbehörde gebilligter Wertpapierprospekt unionsweite Geltung hat, soweit er der ESMA und den zuständigen Aufsichtsbehörden der Aufnahmemitgliedstaaten notifiziert und ihm eine Übersetzung der Zusammenfassung beigefügt wird.24 Dem Emittenten soll es ermöglicht werden, die nationalen Kapitalmärkte möglichst kostengünstig, nämlich mit einem nur einmal erstellten Dokument in Anspruch zu nehmen, fast so, als existierte ein (einheitlicher) EU-weiter Kapitalmarkt. Dieses Ziel würde konterkariert, stünde es den Mitgliedstaaten offen, gewissermaßen auf dem Umweg über die Prospekthaftungsvorschriften zusätzliche Anforderungen an den Inhalt eines Prospekts oder etwa dessen Aufbau, Umfang oder Sprache zu etablieren. Wenn zwar ein von der zuständigen Aufsichtsbehörde gebilligter und von der BaFin notifizierter Prospekt für ein öffentliches Angebot von Wertpapieren oder die Zulassung von Wertpapieren an einem geregelten Markt zulässigerweise (!) Verwendung finden darf, die Wertpapierinhaber jedoch gleichwohl Prospekthaftungsansprüche nach § 21 bzw. § 22 WpPG25 unter Verweis auf den verständigen Anleger des deutschen Prospekthaftungsrechts geltend machen können, besteht die Gefahr, dass dies etwaige Nutzer des Europäischen Passes abschreckt, die bezweckte Wirkung der Regelungen mithin wirkungslos verpufft.

III.  Regelungsmuster und Konfliktlösungsansätze im Überblick 1. Regelungsmuster Mustert man die kapitalmarktrechtlichen Stufe 1-Verordnungen des PostLehman-Jahrzehnts unter dem Aspekt der zivilrechtlichen Haftung, lassen sich mindestens vier Regelungsmuster unterscheiden: –– Die Marktmissbrauchs-VO,26 auch bekannt unter ihrem englischen Akronym MAR, enthält keinerlei ausdrückliche Vorgaben für die mitgliedstaatlichen Haftungsregimes, die auf die von der Verordnung statuierten Verhaltenspflichten der Emittenten oder Dritter aufsetzen oder diese flankieren.  § 17 Abs. 3 WpPG; künftig Art. 24 Abs. 1, 27 Abs. 2, 3, 5 Prospekt-VO (EU) 2017/1129. 25   Zur Anwendbarkeit und Anwendung der §§ 21 f. WpPG im Falle des Passportings Mülbert/Steup in Habersack/Mülbert/Schlitt (Hrsg.), Unternehmensfinanzierung am Kapitalmarkt, 4. Aufl. 2019, Rz. 41.125 f. 26  Verordnung (EU) Nr. 596/2014 über Marktmissbrauch (Marktmissbrauchsverordnung) und und zur Aufhebung der Richtlinie 2003/6/EG des Europäischen Parlaments und des Rates und der Richtlinien 2003/124/EG, 2003/125/EG und 2004/72/EG der Kommission. 24

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–– In der Ratingagenturen-VO findet sich mit dem im Jahre 2013 durch die VO (EU) Nr. 462/20143 nachträglich eingefügten Art. 35 a eine eigenständige zivilrechtliche Haftungsvorschrift des Unionsrechts, die allerdings weitere zivilrechtliche Haftungsansprüche nach nationalem Recht nicht ausschließt (Abs. 5). –– Art. 11 der PRIIPs-VO sieht in Abs. 2 zunächst vor, dass ein PRIIP-Hersteller bei bestimmten Fehlern im Zusammenhang mit dem Basisinformationsblatt nach nationalem Recht auf Schadensersatz haftet, um in Abs. 4 klarzustellen, dass dadurch „keine weiteren zivilrechtlichen Haftungsansprüche im Einklang mit dem nationalen Recht“ verboten werden. –– Art. 11 der Prospekt-VO (EU) 2017/1129 schließlich statuiert eine Vorgabe für ein mitgliedstaatliches Prospekthaftungsrecht dahingehend, dass „je nach Fall zumindest der Emittent oder dessen Verwaltungs-, Leitungsoder Aufsichtsorgan, der Anbieter, die die Zulassung zum Handel an einem geregelten Markt beantragende Person oder der Garantiegeber für die Richtigkeit der in einem Prospekt und Nachträgen dazu enthaltenen Angaben haftet“ (Abs. 1 S. 1) und ergänzt dies einerseits dahin, dass Prospektverantwortliche der Prospekthaftung unterliegen (Abs. 2 UAbs. 1) und andererseits niemand lediglich aufgrund der Prospektzusammenfassung als solcher haftet (Abs. 2 UAbs. 2). Dies alles sah weithin und teils (nahezu) wortgleich auch schon Art. 6 der Prospektrichtlinie 2003/71/EG vor, was übrigens zugleich verdeutlicht, dass mit Bestimmungen nach Art des Art. 11 die Regelungsfunktion der Verordnung als unmittelbar geltendes Einheitsrecht in allen Mitgliedstaaten verfehlt wird. 2. Konfliktlösungsansätze Vor dem Hintergrund dieser Vielfalt an Regelungsmustern lassen sich zunächst zwei grundsätzlich verschiedene Ansätze zur Bewältigung des (potentiellen) Konflikts zwischen der materiellen Verhaltensnormierung auf Unionsebene und den nationalen Haftungssanktionen ausmachen. Der erste Ansatz besteht in der antizipativen Konfliktvermeidung durch den nationalen Gesetzgeber, indem er sein mitgliedstaatliches Haftungsregime von vornherein explizit an den von der Verordnung statuierten Verhaltenspflichten ausrichtet. Ein Beispiel hierfür bildet § 97 WpHG, der den objektiven Haftungstatbestand vollumfänglich als Verletzung der unionsrechtlichen Verhaltensanforderung – in concreto des Art. 17 MAR – ausformt.27 Im Ergebnis ebenso liegt es, wenn das mitgliedstaatliche Recht die an das unionsrechtliche Verhaltensgebot anknüpfende unionsrechtliche Haf27   Allerdings steht mit der Anknüpfung an ein in allen Mitgliedstaaten unmittelbar geltendes unionsrechtliches Verhaltensgebot eine Kollision aller entsprechenden nationalen Haftungsvorschriften im Raum. Was die Haftung nach § 97 WpHG wegen eines Verstoßes

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tungsnorm als lex specialis behandelt. Hieran ist der Mitgliedstaat auch nicht etwa dadurch gehindert, dass das Unionsrecht, wie in Art. 35 Abs. 5 Ratingagenturen-VO der Fall, weitere nationale Haftungsvorschriften ausdrücklich zulässt. Praktisch wird eine solche einseitige Zurückhaltung auch seitens der Gerichte freilich kaum geübt werden,28 und auch eine Konfliktminimierung dergestalt, dass für die sonstigen Anspruchsgrundlagen keine geringeren Anforderungen als für den unmittelbar aus Art. 35a Ratingagenturen-VO abzuleitenden Anspruch verlangt werden, ist wohl kaum zu erwarten.29 Der zweite Lösungsansatz ergibt sich aus dem Unionsrecht, genauer: aus dem Primat des Unionsrechts gegenüber entgegenstehendem nationalem Recht. Im Einzelnen lassen sich dabei drei – aus Sicht der mitgliedstaatlichen Rechtsordnungen unterschiedlich invasive – Konfliktlösungsmechanismen identifizieren: –– Eine durchgreifende Konfliktlösung zu Lasten des nationalen Haftungsrechts ergibt sich, soweit die Verordnung vollharmonisierenden Charakter für die gesamte mitgliedstaatliche Rechtsordnung hat, wenn also das nationale Recht an keiner Stelle, mithin auch nicht im Haftungsrecht, strengere oder auch, vorliegend freilich nicht von Interesse, mildere Verhaltensanforderungen vorschreiben darf, als die Verordnung vorsieht. Im Falle der Prospekt-VO (EU) 2017/1129 scheint dies auf den ersten Blick allerdings schon deswegen nicht in Betracht zu kommen, weil deren Art. 11 in Abs. 1 S. 1 ausdrücklich („zumindest“) und in Abs. 1 S. 2, Abs. 2 UAbs. 1 implizit lediglich bestimmte Mindestanforderungen an das nationale Prospekthaftungsregime vorgibt. Doch zum einen enthält Art. 11 in Abs. 2 UAbs. 2 und in Abs. 3 vollharmonisierende Vorgaben für die Ausgestaltung des Prospekthaftungsregimes. Zum anderen schließt dies ohnehin nicht aus, darauf wird sogleich noch zurückzukommen sein, dass den Vorschriften betreffend Inhalt, Gestaltung und Sprache eines Prospekts kraft Systematik und Telos ein vollharmonisierender, auch auf zivilrechtliche Prospekthaftungsvorschriften überwirkender Charakter zukommt. Für die PRIIPs-VO hingegen verbietet sich die Vollharmonisierungsannahme, wenn man die Öffnungsklausel des Art. 11 Abs. 5 dahingehend versteht, dass nicht lediglich weitere nationale Anspruchsgrundlagen zugelassen werden sollen, sondern dass diese Vorschriften jeweils auch

gegen die Ad hoc-Publizitätspflichten des Art. 17 MAR anbelangt, wird durch das neu eingeführte Inlandserfordernis eine einseitige Reduzierung der Kollisionslagen erreicht. 28   S. nur OLG Düsseldorf BKR 2018, 210 Rz. 26 ff. (Prüfung von Ansprüchen aus § 280 Abs. 1 BGB i.V.m. den Grundsätzen eines Vertrags mit Schutzwirkung zugunsten Dritter, § 826 BGB, § 823 Abs. 2 BGB und §§ 280 Abs. 1, 311 Abs. 3, 241 Abs. 2 BGB wegen Expertenhaftung). 29   Das OLG Düsseldorf BKR 2018, 210 Rz. 36 spricht dies bezeichnenderweise lediglich für § 823 Abs. 2 BGB an.

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einen weitergehenden bzw. strengeren Haftungstatbestand mit Blick auf die Pflichten eines PRIIP-Hersteller vorsehen dürfen. Freilich drängt sich letztere Interpretation schon für die PRIIPs-VO nicht unbedingt auf,30 und erst recht zweifelhaft ist dies für die Öffnungsklausel des Art. 35a Abs. 5 der Ratingagenturen-VO. –– Soweit einer Verordnung ein maximalharmonisierender Charakter auch für das nationale Haftungsrecht zukommt, darf der Aufnahmemitgliedstaat den objektiven Haftungstatbestand nicht strenger als die (auch) im Herkunftsmitgliedstaat unmittelbar geltenden unionsrechtlichen materiellen Verhaltensanforderungen ausgestalten. Im Ergebnis ist auch in diesem Fall eine klare Konfliktauflösung – zu Lasten des mitgliedstaatlichen (Haftungs-)Rechts – gewährleistet, jedoch beschränkt auf grenzüberschreitende Vorgänge. –– Soweit eine Verordnung lediglich auf eine Mindestharmonisierung abzielt, ist der nationale Gesetzgeber gleichwohl nicht gänzlich frei bei der Ausgestaltung des nationalen (Haftungs-)Rechts. Der in diesen Fällen berufene Konfliktlösungsmechanismus besteht im Rückgriff auf die Grundfreiheiten des AEUV, mithin der Prüfung, ob – und gegebenenfalls inwieweit – die nationalen Haftungsvorschriften als eine Beschränkung bei grenzüberschreitenden Aktivitäten zu bewerten sind und, soweit dies zu bejahen ist, ob sich diese Beschränkung in einer verhältniswahrenden Abwägung mit entgegenstehenden überragenden Allgemeininteressen rechtfertigen lässt.

IV.  Vollharmonisierung durch die Prospekt-VO (EU) 2017/1129 Die Zuordnung des Harmonisierungsgrads der Prospekt-VO (EU) 2017/1129 zu einer der drei vorgenannten Stufen ist aus Wortlaut, Regelungssystematik und Regelungsziel zu erschließen. Was die im Prospektrecht zentrale Vorschrift des Art. 16 zu den Risikofaktoren anbelangt, ist jedenfalls dieser nach Wortlaut und Regelungssystematik ein vollharmonisierender Charakter zuzuerkennen, und zwar auch mit Blick auf prospekthaftungsrechtliche Bestimmungen. Die Vorschrift begrenzt die Zahl der im Prospekt zu nennenden Risiken, wenn auch anhand qualitativer Kriterien, und macht präzise Vorgaben zu deren Darstellung im Prospekt. Unabweisbar wird diese Qualifizierung unter Einbeziehung des Art. 38 Abs. 1 lit. a, wonach die zuständige Behörde, mithin die BaFin, bei Verstößen gegen die Vorgaben des Art. 16 Abs. 1, 2, 3 verwaltungsbehördliche Sanktionen verhängen können muss. Denn es wäre nachgerade widersinnig, sollte das Prospekthaftungsrecht dem Prospektverantwortlichen zur Haftungsver30   Dies (wohl) implizit verneinend Buck-Heeb in Assmann/Schneider/Mülbert (Hrsg.), Wertpapierhandelsrecht, 7. Aufl. 2019, Art. 11 VO Nr. 1286/2014.

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meidung eine Prospektgestaltung aufgeben, die die BaFin wegen Verstoßes gegen Art. 16 sanktionieren müsste. Für die übrigen Inhalts- und Gestaltungsvorgaben ist der jeweilige Normtext zwar weniger eindeutig. Die Zusammenschau mehrerer Erwägungsgründe weist aber auch insoweit – und vorbehaltlich entsprechender Öffnungsklauseln für die Mitgliedstaaten31 – in Richtung einer Vollharmonisierung. Erwägungsgrund 5 ist in dieser Hinsicht eindeutig: „Es ist angemessen und notwendig, die beim öffentlichen Angebot von Wertpapieren oder deren Zulassung zum Handel an einem geregelten Markt geltenden Offenlegungsvorschriften in Form einer Verordnung festzulegen, damit sichergestellt ist, dass die Bestimmungen, die unmittelbare Pflichten für Personen beinhalten, die an öffentlichen Angeboten von Wertpapieren oder deren Zulassung zum Handel an einem geregelten Markt beteiligt sind, unionsweit einheitlich angewandt werden. Da ein Rechtsrahmen für Prospekte zwangsläufig Maßnahmen umfasst, die die genauen Anforderungen für sämtliche Aspekte von Prospekten regeln, könnten selbst geringe Unterschiede in dem bei einem jener Aspekte verfolgten Ansatz zu erheblichen Beeinträchtigungen bei grenzüberschreitenden Angeboten von Wertpapieren, bei Mehrfachnotierungen an geregelten Märkten und bei den Verbraucherschutzvorschriften der Union führen. Daher sollte durch den Einsatz einer Verordnung, die unmittelbar anwendbar ist, ohne dass nationales Recht erforderlich wäre, die Möglichkeit divergierender Maßnahmen auf nationaler Ebene verringert, ein kohärenter Ansatz sowie größere Rechtssicherheit sichergestellt und erhebliche Beeinträchtigungen verhindert werden“.

Nach Erwägungsgrund 27 soll die Harmonisierung der im Prospekt enthaltenen Informationen einen gleichwertigen Anlegerschutz auf Unionsebene sicherstellen, was freilich durch unterschiedlich strenge Prospekthaftungsregimes gerade unterlaufen würde. Erwägungsgrund 60 weist ebenfalls in diese Richtung, indem die Straffung der Kriterien für die Prüfung des Prospekts und der Regeln für die Billigungsverfahren der zuständigen Behörden mit der Wichtigkeit begründet wird, dass alle zuständigen Behörden einen konvergenten Ansatz verfolgen. Hierzu im klaren Widerspruch stünde es nämlich, würde die Harmonisierung des aufsichtsbehördlichen Prüfungsverfahrens durch materiell unterschiedliche nationale Prospekthaftungsregimes der Sache nach unterlaufen. Schließlich muss auch der Mechanismus des europäischen Passes und das mit ihm verfolgte Ziel dazu führen, der Prospekt-VO (EU) 2017/1129 einen grundsätzlich vollharmonisierenden Charakter zuzuerkennen. Auf den ersten Blick mag man zwar geneigt sein anzunehmen, dass die Zubilligung einer maximalharmonisierenden Wirkung genügt, um dieser Variante des europäischen Passes zur vollen Wirksamkeit zu verhelfen. Wenn etwa der BaFin ein von der zuständigen Behörde des Herkunftsstaats gebilligter Prospekt notifiziert und von diesem hierzulande Gebrauch gemacht wird, so das denkbare Argument, genüge es doch, diesen Prospekt nicht den gegebenenfalls

  Derzeit allein Art. 7 Abs. 7 UAbs. 2 Prospekt-VO 2017/1129.

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strengeren, weil am autonom-inländischen verständigen Anleger orientierten Anforderungen der §§ 21 f. WpPG zu unterwerfen. Doch würde die Qualifizierung als lediglich maximalharmonisierend im Ergebnis zu kurz greifen. Denn im Falle des europäischen Passes lässt sich nicht sinnhaft unterscheiden zwischen rein nationalen und Binnenmarktgrenzen überschreitenden Vorgängen. Der Pass setzt die Billigung eines Prospekts voraus, ist mithin objektgebunden und nicht personengebunden, und für diese Billigung kommt es nicht darauf an, ob der Prospekt (zunächst) rein innerstaatlich oder aber grenzüberschreitend Verwendung finden soll. Denn das Ersuchen des Emittenten auf Notifizierung des Prospekts kann zwar mit dessen Einreichung zur Billigung durch die zuständige Behörde des Herkunftsmitgliedstaats verbunden werden, kann aber auch noch später erfolgen.32 Folglich darf das nationale Haftungsrecht des für die Billigung zuständigen Herkunftsmitgliedstaats keine Anforderungen stellen, die über die inhaltlichen und gestalterischen Anforderungen der Prospekt-VO (EU) 2017/1129 hinausgehen. Andernfalls bestünde die Gefahr, dass das Prospekthaftungsrecht eines (anderen) Aufnahmemitgliedstaats gerade diese Abweichung nach oben von den unionsrechtlichen Vorgaben zum Anlass für Prospekthaftungsansprüche nimmt, so dass im Ergebnis der europäische Pass konterkariert würde. Allgemeiner gewendet: Um die gemeinschaftsweite Verkehrsfähigkeit des einen Objekts „Prospekt“ zu gewährleisten, genügt es nicht, den Anforderungen der Prospekt-VO (EU) 2017/1129 an Inhalt, Gestaltung und Sprache eines Prospekts eine lediglich maximalharmonisierende Wirkung zuzuerkennen. Das Konzept des europäischen Passes für den gebilligten Prospekt, mithin einen Gegenstand, gebietet es, so lässt sich resümieren, dass die mitgliedstaatlichen Prospekthaftungsvorschriften keine strengeren inhaltlichen und gestalterischen Anforderungen an Prospekte stellen dürfen, als dies die Prospekt-VO (EU) 2017/1129 tut. Diesem ist daher auch unter diesem Aspekt eine vollharmonisierende Wirkung zuzuerkennen. Der verständige Anleger im Prospektrecht ist jedenfalls ab dem 21. Juli 201933 derjenige der ProspektVO (EU) 2017/1129.

V. Schlussbemerkungen Mit der Prospekt-VO (EU) 2017/1129 wird eine Neuorientierung der mitgliedstaatlichen Prospekthaftungsregeln unabweisbar. Über einzelne   S. Art. 25 Abs. 1 UAbs. 1 ProspektVO 217/1129.   Schon bislang für die Maßgeblichkeit des Unionsrechts, in concreto der Prospekt­ richtlinie 2003/71/EG, Mülbert/Steup in Habersack/Mülbert/Schlitt (Hrsg.), Unternehmensfinanzierung am Kapitalmarkt, 4. Aufl. 2019, Rz. 41.39. 32 33

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ausdrücklich vollharmonisierende Bestimmungen, etwa den Art. 16 zu den Risikofaktoren, hinaus kommt ihren Vorschriften zu Inhalt, Gestaltung und Sprache eines Prospekts vorbehaltlich mitgliedstaatlicher Abweichungsbefugnisse vollharmonisierende Wirkung zu,34 und zwar auch für zivilrechtliche Prospekthaftungsansprüche, und ohne dass dies im Widerspruch zu Art. 11 stünde.35 Dementsprechend ist spätestens nunmehr das Leitbild des verständigen Anlegers als Maßfigur für die Anwendung mitgliedstaatlicher Prospekthaftungsvorschriften wie etwa der §§ 21 f. WpPG ausschließlich aus der Prospekt-VO (EU) 2017/1129 abzuleiten – sollte ein Rekurs auf diese Figur überhaupt noch veranlasst sein, enthält doch Art. 16 eine vollharmonisierend-abschließende Regelung zu den im Prospekt aufzunehmenden Risikofaktoren. Offenbleiben muss in dieser Skizze die Frage nach dem künftigen Schicksal von Bond. Immerhin wurde aber deutlich, dass sich die Frage „MiFID II 2. FiMaNoG36: Was wird aus Bond?“37 nicht mit einem schlichten Verweis auf die Prospekt-VO (EU) 2017/1129 erledigen lässt. Auch wenn der europäische Pass in Zeiten des Brexit zunehmend begehrt ist, macht es nicht nur einen rechtsqualitativen, sondern vor allem auch einen großen Wirkungsunterschied, ob der Pass wie im Falle der MiFID II dem Erbringer einer Wertpapierdienstleistung – der Anlageberatung – oder wie im Falle der ProspektVO (EU) 2017/1129 einem Objekt – dem gebilligten Prospekt – zukommt. Um die gemeinschaftsweite Verkehrsfähigkeit des einen Objekts „Prospekt“ herzustellen, genügt es anders als für das Passporting von Wertpapierdienstleistungsunternehmen (Stichwort: Anlageberatung nach MiFID II) gerade nicht, den Vorschriften der Prospekt-VO (EU) 2017/1129 betreffend Inhalt, Gestaltung und Sprache eines Prospekts eine lediglich maximalharmonisierende Wirkung zuzuerkennen. Über das Schicksal von Bond müssen mithin anderweitige Erwägungen entscheiden; die abschließende Klärung seines nunmehrigen Schicksals ist allerdings dem EuGH überantwortet.

34   Anderes gilt etwa für Art. 11 betreffend Prospekthaftungsfragen. Dieser enthält schon nach seinem klaren Wortlaut lediglich Mindestvorgaben. 35   Dazu schon III. 2. 1. – 2. UAbs. 1. 36   Zweites Gesetz zur Novellierung von Finanzmarktvorschriften auf Grund europäischer Rechtsakte (Zweites Finanzmarktnovellierungsgesetz – 2. FiMaNoG), BGBl. I v. 24.6.2017, Nr. 39 S. 1693. 37   In Anlehnung an den Titel „MiFID FRUG: Was wird aus Bond?“ von Ellenberger in FS Nobbe, 2009, 523.

Differenzhaftung und verdeckte Mischeinlage/Sacheinlage

Differenzhaftung und verdeckte Mischeinlage/ verdeckte gemischte Sacheinlage Andreas Pentz I. Einleitung Mit dem Jubilar verbindet den Verfasser eine langjährige Bekanntschaft, die sich durch dessen gesamte beeindruckende juristische Karriere zieht: Zunächst aus dessen Marburger Zeit als Assistent, zu der der Verfasser anfangs dort noch studierte, dann zu seiner Zeit als Rechtsanwalt, als beide (auch) noch dem Gewerblichen Rechtsschutz zugeneigt waren, später aus der gemeinsamen Tätigkeit am Rowedder, Kommentar zum GmbHG1 und schließlich, als der Jubilar bereits den Vorsitz des II. Zivilsenats inne hatte, durch gemeinsam durchgeführte Fortbildungsveranstaltungen für Fachanwälte für Handels- und Gesellschaftsrecht und eine durch den Bund veranstaltete Fortbildungsveranstaltung an der Richterakademie in Wustrau. Dem Verfasser ist es vor diesem Hintergrund eine besondere Freude, an der dem Jubilar gewidmeten Festschrift mitwirken zu können, und er hofft, mit dem gewählten Thema – den teilweise sehr umstrittenen Fragen der Differenzhaftung bei verdeckter Mischeinlage und verdeckter gemischter Sacheinlage – auf sein Interesse zu stoßen.

II.  Kapitalgesellschaftsrechtliche Einlagepflichten 1.  Aktienrechtliche Einlagepflichten Die Hauptverpflichtung der Aktionäre besteht nach § 54 Abs. 1 AktG in der Leistung der Einlage, deren Höhe durch den Ausgabebetrag der Aktien (§ 9 AktG) beschränkt wird. Die Einlagepflicht selbst entsteht mit der Übernahme der Aktien bei der Gründung oder der Zeichnung junger Aktien aus einer Kapitalerhöhung.2

1   Vgl. die Kommentierung der §§ 15, 34 von Rowedder/Bergmann in der 4. Aufl. des Rowedder GmbHG. 2   Koch in Hüffer/Koch AktG, 13. Aufl., § 54 Rn 2.

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Hinsichtlich des Inhalts der Einlagepflicht ist § 54 Abs. 2 AktG zu entnehmen, dass diese durch Einzahlung des Ausgabebetrags der Aktien zu erbringen ist, soweit nicht in der Satzung Sacheinlagen festgesetzt sind. Aus dieser Bestimmung wird verbreitet ein „Vorrang der Bareinlage“ abgeleitet,3 aus dem verschiedene weitere Rechtsfolgen abzuleiten sein sollen; auf diese Auffassung wird noch zurückzukommen sein (vgl. unter V. 2.b) bb) (2)). a)  Inhalt der Bareinlagepflicht Worauf die Bareinlageverpflichtung inhaltlich gerichtet ist und in welchen Formen sie erfüllt werden kann, wird in § 54 Abs. 3 AktG geregelt. Hiernach kann der vor der Anmeldung der Gesellschaft zu leistende Betrag (§§ 36 Abs. 2, 36a Abs. 1 AktG) nur in gesetzlichen Zahlungsmitteln oder durch Gutschrift auf ein Konto der Gesellschaft oder des Vorstands bei einem Kreditinstitut oder einem nach § 53 Abs. 1 S. 1 bzw. § 53b Abs. 1 S. 1 oder 7 KWG tätigen Unternehmen eingezahlt werden und dies muss zur (endgültigen) freien Verfügung des Vorstands erfolgen.4 Forderungen des Vorstands aus diesen Einzahlungen gelten als Forderungen der Gesellschaft.5 Spätere Leistungen auf die Resteinlage unterliegen diesen scharfen Anforderungen nicht mehr; es ist allerdings auch dann noch das umfassend zu verstehende Befreiungsverbot des § 66 AktG zu beachten.6 Die Ordnungsmäßigkeit der Barkapitalaufbringung ist Gegenstand des durch die Gründer zu erstellenden Gründungsberichts nach § 32 Abs. 1 AktG7 und der internen bzw. ggf. auch der externen Gründungsprüfung nach  33 Abs. 1, Abs. 2 Nr. 1 bis 3 AktG sowie der gerichtlichen Prüfung nach § 38 AktG. b)  Inhalt der Sacheinlagepflicht Die Sacheinlage wird in § 27 Abs. 1 S. 1 AktG definiert. Sacheinlagen sind hiernach solche Einlagen, die nicht durch die Einzahlung des Ausgabebetrags der Aktien zu leisten sind. Aus dieser negativen Abgrenzung folgt, dass alles, was nicht Bareinlage ist, eine Sacheinlage ist; tertium non datur. Unter   Vgl. vorläufig nur Koch in Hüffer/Koch AktG, 13.Aufl., § 54 Rn. 10.   Zum Erfordernis der endgültigen freien Verfügung ausf. Pentz in MünchKomm AktG, 4. Aufl., § 36 Rn. 47 ff.; Schall in GroßKomm AktG, 5. Aufl., § 36 Rn. 49 ff. 5   Zum historischen Hintergrund dieser Fiktion und zum heutigen Verständnis dieser Formulierung, wonach die Vorgesellschaft auch in diesem Falle als Kontoinhaber angesehen wird, vgl. Bungeroth in MünchKomm AktG, 4. Aufl., § 54 Rn. 81; Cahn/v. Spannenberg in Spindler/Stilz AktG § 54 Rn. 69; Drygala in KölnKomm AktG, 3. Aufl., § 54 Rn. 69; Fleischer in K. Schmidt/Lutter AktG, 3. Aufl., § 54 Rn. 54; Laubert in Hölters AktG, 3. Aufl., § 54 Rn. 15; mwN. 6   Statt anderer Bungeroth in MünchKomm AktG, 4. Aufl., § 54 Rn. 79 ff.; Henze in GroßKomm AktG, 4. Aufl., § 54 Rn. 128 ff.; zT krit. hierzu Servatius in Wachter AktG, 3. Aufl., § 54 Rn. 13. 7   Pentz in MünchKomm AktG, 4. Aufl., § 32 Rn. 13. 3 4

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Gesichtspunkten der Kapitalaufbringung stellt die Sacheinlage einen für alle betroffenen Interessengruppen gefährlichen Vorgang dar. Denn es besteht bei einer nicht hinreichenden Werthaltigkeit des Sacheinlagegegenstands die Gefahr, dass andere Aktionäre den Inferenten quer subventionieren, weil sie sich (im übertragenen Sinne) „zu teuer in die Gesellschaft einkaufen“, die Gesellschaft nicht das für sie erforderliche (Betriebs-)Vermögen erhält (eingelegtes Kapital als Betriebsfonds) und Gläubiger wegen einer nur unzureichenden Vermögensausstattung der Gesellschaft mit ihren Forderungen ausfallen (eingelegtes Kapital als Haftungsfonds).8 Dieser Gefahr begegnet das Aktienrecht mit einem präventiven Schutzsystem von Publizität und (Register-)Kontrolle. Sacheinlagen sind gem. § 27 Abs. 1 S. 1 AktG in der Satzung, gem. § 32 Abs. 2 AktG im Gründungsbericht und gem. §§ 37 Abs. 4 Nr. 1, 2 und 4, 37a AktG in der Anmeldung offenzulegen, Vorangegangen sein muss nach § 33 Abs. 1, 2 Nr. 4, 34 AktG eine interne und (vorbehaltlich § 33a AktG) externe Gründungsprüfung, auf deren Grundlage9 das Gericht seine der Eintragung der Gesellschaft im Handelsregister (§ 39 AktG) vorgeschaltete Prüfung nach § 38 Abs. 1 AktG durchführt und die Eintragung der Gesellschaft nur dann verfügt, wenn nach Prüfung aller formellen und materiellen Eintragungsvoraussetzungen10 eine ordnungsgemäße Errichtung und Anmeldung der Gesellschaft erfolgt ist.11 2.  GmbH-rechtliche Einlagepflichten Das GmbH-rechtliche System ähnelt dem aktienrechtlichen, ist aber, weil es sich bei der GmbH nicht um eine Publikumsgesellschaft, sondern um eine typischerweise personalistisch ausgestaltete Gesellschaft handelt, deutlich weniger scharf ausgestaltet: Worauf Bareinlagen (das Gesetz spricht seit dem MoMiG12 im GmbHG von Geldeinlagen) gerichtet sind und in welcher Höhe sie wie erbracht werden müssen, ergibt sich aus § 7 Abs. 2 S. 1 GmbHG sowie einer sinngemäßen Heranziehung des § 54 Abs. 3 AktG, auch hier sind im Rahmen der allerdings nach § 78 GmbHG nur durch die Geschäftsführer vorzunehmenden Anmeldung gem. § 8 Abs. 2 GmbHG Angaben zur Ordnungsmäßigkeit der Einlageleistungen erforderlich und auch hier ist, wie sich inzidenter aus § 9c GmbHG ergibt, die Ordnungs Zum Schutz der später hinzukommenden Aktionäre als dem Ursprung des aktienrechtlichen Sachgründungsrechts, zur Vermögensausstattung der Gesellschaft durch das gründungsrechtliche Kapitalaufbringungsrecht und zu der dort begrenzten Bedeutung des Haftungsfondsgedankens s. Pentz ZGR 2001, 904, 911 ff. 9   Pentz in MünchKomm AktG, 4. Aufl., § 38 Rn. 18. 10   Pentz in MünchKomm AktG, 4. Aufl., § 38 Rn. 17. 11   Pentz in MünchKomm AktG, 4. Aufl., § 38 Rn. 11. 12  Gesetz zur Modernisierung des GmbHG-Rechts und zur Bekämpfung von Missbräuchen (MoMiG) v. 23.10.2008, BGBl. I S. 2026. 8

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mäßigkeit der Kapitalaufbringung Gegenstand der gerichtlichen Prüfung. Sacheinlagen müssen nach § 5 Abs. 4 GmbHG ebenfalls in der Satzung bzw. gem. § 56 Abs. 1 GmbHG im Kapitalerhöhungsbeschluss festgesetzt werden und gründungsrechtlich13 Gegenstand eines Sachgründungsberichts sein. Nach § 7 Abs. 3 GmbHG sind Sacheinlagen vor der Anmeldung der Gesellschaft14 zur endgültigen freien Verfügung der Geschäftsführer zu bewirken und die Versicherung der anmeldenden Geschäftsführer muss sich nach § 8 Abs. 2 GmbHG hierauf beziehen; Sacheinlagen sind nach § 9c Abs. 1 S. 2 GmbHG auch hier ausdrücklich Gegenstand der gerichtlichen Prüfung. Soweit das GmbH-rechtliche Gründungsrecht in seiner Schärfe hinter dem aktienrechtlichen zurückbleibt, sollte dies nach den Materialien des GmbHG durch die kapitalaufbringungsrechtliche Mithaftung der übrigen Gesellschafter nach § 24 GmbHG und die kapitalerhaltungsrechtliche Mithaftung nach § 31 Abs. 3 GmbHG aufgefangen werden.15

III.  Verdeckte Sacheinlage Bei der verdeckten Sacheinlage kommt es in vielfacher Hinsicht zu einer Verletzung der gesetzlichen Vorgaben und sie tritt in unterschiedlichen Gestaltungen auf: 1.  Verletzung der gesetzlichen Vorgaben durch die verdeckte Sacheinlage Vereinbaren Gründer, wie dies früher teilweise sogar von den Gerichten selbst angeregt wurde,16 in einem ersten Schritt formal eine Bareinlage und beabsichtigen sie in einem zweiten Schritt, mit diesen Mitteln den Erwerb eines Vermögensgegenstands von einem der Gründer oder einer ihm gleichzustellenden Person durchzuführen, werden die zur Sicherstellung der Kapitalaufbringung gegebenen Sachgründungsvorschriften in mehrfacher Hinsicht verletzt: Die Gründer verlautbaren in der Satzung nicht das von ihnen 13   Für die Kapitalerhöhung gilt das Erfordernis eines Sachgründungsberichts nach zutr. Auffassung nicht, vgl. nur Schnorbus in Rowedder GmbHG, 6. Aufl., § 56 Rn. 30 mwN.; obiter auch BGH NZG 2004, 910, 911. 14   § 36a Abs. 2 S. 2 AktG sieht nach hM insoweit eine fünfjährige Frist vor, ausf. hierzu A. Arnold in KölnKomm AktG, 3. Aufl., § 36a Rn. 7ff.; Pentz in MünchKomm AktG, 4. Aufl., § 36a Rn. 9 ff., 13 ff.; Schall in GroßKomm AktG, 5. Aufl., § 36a Rn. 4 ff.; ebenso auch Kleindiek in K. Schmidt/Lutter AktG, 3. Aufl., § 36a Rn. 3 ff.; Koch in Hüffer/Koch AktG,13. Aufl., § 36a Rn. 4; Solveen in Hölters AktG, 3. Aufl., § 36a Rn. 5; Vedder in Grigoleit AktG, 1. Aufl., § 36a Rn. 4; Wachter in Wachter AktG, 3. Aufl., § 36a Rn. 10; Wardenbach in Henssler/Strohn GesR § 36a AktG Rn. 5. 15   Hierzu Verhandlungen des Reichstags Bd. 125 1890/92, Aktenstück Nr. 660 S. 3730. 16   Pentz in MünchKomm AktG, 4. Aufl., § 27 Rn. 75; ders. in Rowedder GmbHG, 6. Aufl., § 19 Rn.  98.

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tatsächlich Gewollte, sie legen den tatsächlich gewollten Vorgang im Rahmen des Gründungsvorgangs nicht offen und sie verhindern hierdurch die Werthaltigkeitskontrolle, der das Gesetz Sacheinlagegegenstände unterwerfen will. Mit Blick auf das kapitalgesellschaftsrechtlich geltende Normativsystem war es im Falle eines solchen, als verdeckte Sacheinlage umschriebenen Vorgangs nur konsequent, die Gesellschaft allein so anzuerkennen, wie sie nach ihren satzungmäßig ausgewiesenen Angaben zufolge mit ihrer Eintragung im Handelsregister als juristische Person entstanden war und derartigen Vereinbarungen ihr gegenüber17 nach bzw. im GmbH-Recht analog § 27 Abs. 3 AktG aF die Wirksamkeit abzusprechen.18 Nach der heutigen Definition in § 27 Abs. 3 S. 1 AktG bzw. § 19 Abs. 4 S. 1 GmbHG ist eine verdeckte Sacheinlage gegeben, wenn „eine Geldeinlage“ eines Aktionärs19 oder Gesellschafters „bei wirtschaftlicher Betrachtung und aufgrund einer im Zusammenhang mit der Übernahme der Geldeinlage getroffenen Abrede vollständig oder teilweise als Sacheinlage zu bewerten“ ist. Diese Definition ist, wie bereits an anderer Stelle dargelegt,20 verfehlt. Es geht – schon wegen der gebotenen objektiven Satzungsauslegung – nicht um die Bewertung einer Bar- bzw. Geldeinlage als Sacheinlage, sondern um die Erfassung von Umgehungsgeschäften, durch die die gesetzlich vorgegebenen Sacheinlagevorschriften unterlaufen werden sollen, und darum, diese einer Regelung zuzuführen. Auch unter dem Vorsitz des Jubilars21 ist der Bundesgerichtshof deshalb mit Recht von seiner bisherigen Umschreibung und damit davon ausgegangen, dass eine verdeckte Sacheinlage dann vorliegt, „wenn die gesetzlichen Regeln für Sacheinlagen dadurch unterlaufen werden, dass zwar eine Bareinlage beschlossen/verlautbart wird, die Gesellschaft aber bei wirtschaftlicher Betrachtung von dem Einleger aufgrund einer im Zusammenhang mit der Übernahme der Einlage getroffenen Verwendungsabsprache einen Sachwert erhalten soll“.22 Mit der „wirtschaftlichen Betrachtung“ 17   Pentz ZIP 2003, 2093, 2097; zu weit deshalb die Formulierung in BGHZ 155, 329 = NJW 2003, 3127 („Nichtigkeit“). 18   BGHZ 155, 329 = NJW 2003, 3127. 19   In das Aktienrecht hat der Begriff der Geldeinlage im Wege der Übernahme der in § 19 Abs. 3 GmbHG zu findenden Regelung durch das Gesetz zur Umsetzung der Aktionärsrechterichtlinie (ARUG) v. 30.6.2009, BGBl. I S. 2479, gefunden; näher hierzu Seibert in FS Maier-Reimer, 2010, S. 673, 681 f.; außerhalb des § 27 Abs. 3 AktG spricht das Gesetz von der Bareinlage, vgl. §§ 36a Abs. 1, 186 Abs. 3 S. 4, 204 Abs. 3 S. 2 AktG. 20   Pentz in FS K. Schmidt, 2009, S. 1265, 1273 f.; ders. in MünchKomm AktG, 4. Aufl., § 27 Rn. 89; ders. in Rowedder GmbHG, 6. Aufl., § 19 Rn. 102. 21   Vgl. BGH DStR 2016, 923 Rn. 28; BGH NZG 2012, Rn. 16. 22   Vgl. BGH DStR 2016, 923 Rn. 28; BGH NJW 2010, 1948 Rn. 11 – Adcocom mit Hinweis auf BGHZ 182, 103 Rn. 10 = NJW 2009, 3091 – Cash Pool II; BGHZ 180, 38 Rn. 8 = NJW 2009, 2375 – Qivive; BGHZ 175, 265 Rn. 10 = NZG 2008, 425 – Rheinmöve; BGHZ 173, 145 Rn. 14 = NJW 2007, 3425 – Lurgi I; BGHZ 170, 47 Rn. 11 = NJW 2007, 765; BGHZ 166, 8 Rn. 11 = NJW 2006, 1736 – Cash Pool I; BGHZ 155, 329, 334 = NJW 2003,

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ist dabei gemeint, dass es insoweit um die Erfassung des zu Grunde liegenden tatsächlichen Vorgangs vor dem Hintergrund der gesetzlichen Wertungsvorgaben geht, also um eine teleologische, auf das Erreichen des Gesetzeszwecks gerichtete Betrachtungsweise, nicht aber um eine wie auch immer geartete „kaufmännische“.23 Nach dem inzwischen normierten Recht der verdeckten Sacheinlage ist zudem erforderlich, dass es sich bei dem verdeckt eingelegten Vermögensgegenstand um einen scheinlagefähigen Gegenstand handelt;24 die notwendige Anrede unter den Beteiligten wird bei Vorliegen eines engen zeitlichen und sachlichen Zusammenhangs vermutet.25 Mit dem Abstellen auf die Formulierung des Bundesgerichtshofs geht es nicht darum, dem Gesetzgeber hinsichtlich des Tatbestands der verdeckten Sacheinlage die Gefolgschaft zu verweigern.26 Es handelt sich insoweit vielmehr um das durch die Gesetzesbegründung bestätigte27 Ergebnis einer Auslegung des in seiner Formulierung („Geldeinlage … aufgrund einer … Abrede … als Sacheinlage zu bewerten“) unklaren Gesetzestextes. 2.  Erstreckung der Lehre von der verdeckten Sacheinlage auf jede Sacheinlageform Die Lehre von der verdeckten Sacheinlage ist umfassend entwickelt. Sie erfasst nicht nur Vorgänge, die in der beschriebenen Weise – (vermeintliche) Einlageleistung mit anschließendem Rechtsgeschäft (Hin- und Herzahlen) – stattfinden, sondern auch den umgekehrten Vorgang, in welchem zunächst das Rechtsgeschäfts stattfindet und dann die hieraus resultierenden Mittel des Gesellschafters an die Gesellschaft zurückfließen (Her- und Hinzahlen).28 Geklärt ist weiterhin, dass nicht nur Leistungen des Gesellschafters, sondern ggf. auch solche von dritten Personen erfasst werden,29 und – das Vorliegen 3127; BGHZ 184, 158 Rn. 12 = NJW 2010, 1747 – Eurobike; NJW-RR 2008, 843 = NZG 2008, 311; S. auch BGH NZG 2012, Rn. 16. 23   Pentz in FS K. Schmidt, 2009, S. 1265, 1273 f. 24   Zu dieser (abweichend vom früheren Recht zu beantwortenden) Frage zu § 27 Abs. 3 und § 19 Abs. 4 GmbHG AktG Pentz in MünchKomm AktG, 4. Aufl., § 27 Rn. 92 ff.; ders. in Rowedder GmbHG § 19 Rn. 105 ff. 25   Pentz in MünchKomm AktG, 4. Aufl., § 104 f.; ders. in Rowedder GmbHG § 19 Rn. 115 f. 26   Hierzu auch Schall in GroßKomm AktG, 5. Aufl., § 27 Rn. 286. 27   Begr. RegE zum MoMiG, BT-Drucks. 16/6140 S. 40 f.; BGH NJW 2010, 1948 Rn. 11 – Adcocom mit Hinweis auf BGHZ 180, 38 Rn. 8 = NJW 2009, 2375 – Qivive; BGH NJW 2010, 1747 Rn. 15 – Eurobike; Bormann/Urlichs GmbHR-Sonderheft 2008, 37, 39; Pentz GmbHR 2009, 505, 507 f. 28   BGH DStR 2016, 923 Rn. 30; BGHZ 170, 47 = NZG 2007, 144 Rn. 11; BGH NZG 1998, 428, 429; BGHZ 113, 335, 344 = NJW 1991, 1754. 29   Vgl. hierzu statt anderer die Darstellung bei Henze/Born GmbH-Recht – Höchstrichterliche Rechtsprechung, 2013, Rn. 362 ff.; Benz in Spindler/Stilz AktG, 3. Aufl., § 27 Rn. 162 ff.; Koch in Hüffer/Koch AktG,13. Aufl., § 27 Rn. 31; Pentz in MünchKomm

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eines sacheinlagetauglichen Vermögensgegenstands vorausgesetzt30 – wird durch den Umgehungsschutz der verdeckten Sacheinlage auch gegenständlich jede weitere Form der Sacheinlage erfasst: a)  Verdeckte Mischeinlage/„teilweise verdeckte Sacheinlage“ Ebenso wie es die Mischeinlage gibt, bei der Gründer einen Teil der Einlage durch Sacheinlage und einen Teil durch Mischeinlage erbringen soll, gibt es auch die verdeckte Mischeinlage, bei der der Sacheinlageteil ganz oder teilweise nicht offengelegt und das gewollte Ergebnis auf anderem Wege herbeigeführt wird. Dieser auch als „teilweise verdeckte Sacheinlage“ bezeichnete Vorgang31 ist durch das Gesetz bereits wortlautgemäß erfasst, indem § 27 Abs. 3 S. 1 AktG bzw. § 19 Abs. 4 S. 1 GmbHG davon sprechen, dass die Geldeinlage vollständig „oder teilweise als Sacheinlage zu bewerten“ ist. b)  Verdeckte gemischte Sacheinlage Ferner gibt es, ebenso wie es die gemischte Sacheinlage gibt, bei der der Gründer einen Vermögensgegenstand einlegen soll, dessen Wert die von ihm übernommene Einlage betragsmäßig übersteigt und für dessen überschießenden Wert der betreffende Inferent deshalb eine Vergütung erhalten soll, auch die verdeckte gemischte Sacheinlage, bei der lediglich eine Bareinlage des Gründers verlautbart wird.32 c)  Abgrenzung: Gemischte Sacheinlage ohne Offenlegung des Vergütungsbestandteils Abzugrenzen ist die verdeckte gemischte Sacheinlage von der in der Satzung nicht hinreichend verlautbarten gemischten Sacheinlage, bei der zwar der Sacheinlagebestandteil der Abrede offengelegt, der dazugehörige Vergütungsbestandteil aber verschwiegen wird. Hierzu ist streitig, ob die unterlassene Offenlegung die Unwirksamkeit der Sacheinlagevereinbarung und eine Bareinlagepflicht des Inferenten zur Folge hat, auf die dann entsprechend § 27 Abs. 3 S. 3 AktG bzw. § 19 Abs. 4 S. 3 GmbHG der Wert des VermögensgeAktG, 4. Aufl., § 27 Rn. 197 ff; Fastrich in Baumbach/Hueck GmbHG, 21. Aufl., § 19 Rn. 46; Pentz in Rowedder GmbHG, 6. Aufl., § 19 Rn. 221 ff.; Schwandtner in MünchKomm GmbHG, 3. Aufl., § 19 Rn. 234 ff. 30   Zu dieser durch das MoMiG bzw. das ARUG veranlassten Rechtsänderung und die frühere Diskussion s. Pentz in MünchKomm AktG, 4. Aufl., § 27 Rn. 92 f.; ders. in Rowedder GmbHG, 6. Aufl., § 19 Rn. 105 f. 31   Vgl. nur Casper in Ulmer/Habersack/Löbbe GmbHG, 2. Aufl., § 19 Rn. 158; Pentz in Rowedder GmbHG, 6. Aufl., § 19 Rn. 148; Veil in Scholz GmbHG, 12. Aufl., § 19 Rn. 151. 32  Zu den Einzelheiten des Tatbestands der verdeckten gemischten Sacheinlage, auch zur Frage der Teilbarkeit der Leistung in diesem Zusammenhang, vgl. bei Gerlach, Die gemischte Sacheinlage, 2016, S. 152 ff., 156 ff.

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genstands angerechnet werden kann,33 oder ob die Sacheinlageverpflichtung als solche unberührt bleibt und lediglich die Frage zu klären ist, ob dem Inferent trotz der unterbliebenen Verlautbarung des Vergütungsbestandteils ein Vergütungsanspruch zusteht.34 Richtigerweise ist von der Wirksamkeit der verlautbarten Sacheinlagepflicht auszugehen und ein Vergütungsanspruch wegen der sonst unzutreffenden Darstellung der Vermögensausstattung der Gesellschaft zu verneinen.35

IV.  Differenzhaftung bei der verdeckten Mischeinlage/ „teilweise verdeckten Sacheinlage“ Bei der verdeckten Mischeinlage/„teilweise verdeckten Sacheinlage“, wenn also beispielsweise ein Gesellschafter auf die von ihm geschuldete Einlage in Höhe von 100.000 € einen entsprechenden Barbetrag zahlt und die Gesellschaft in einem zweiten Schritt von ihm auf der Grundlage eines abgesprochenen entsprechenden Kaufvertrags einen in dieser Höhe werthaltigen Vermögensgegenstand für einen Kaufpreis von 80.000 € erwirbt, stellt sich die Frage, wie die Anrechnung nach § 27 Abs. 3 S. 3 AktG bzw. § 19 Abs. 4 S. 3 GmbHG in dieser Gestaltung zu erfolgen hat. In Betracht kommen zwei Lösungen: Zum einen kann man vertreten, dass das Gesetz nur beim Tatbestand, nicht aber auch bei den Rechtsfolgen von „teilweise“ spreche, weshalb die Bareinlagepflicht insgesamt bestehen bleibe und nur der (niedrigere) Wert des verdeckt eingelegten Vermögensgegenstands hierauf angerechnet werde. Im vorstehenden Beispiel würde dies dazu führen, dass die Einlageschuld in Höhe von 100.000 € nicht erfüllt worden und hierauf allein der Wert des verdeckt eingelegten Vermögensgegenstands von 80.000 € anzurechnen wäre.36 In Höhe von 20.000 € bliebe der Kondiktionsanspruch des Gesellschafters, der auf die Einlageschuld dann insgesamt nicht befreiend gezahlt hätte, bestehen. Zum anderen können § 27 Abs. 3 S. 1 AktG bzw. § 19 Abs. 4 S. 1 GmbHG aber auch unter Abstellen auf den Terminus „teilweise“37 oder durch Hin-

33  So Habersack GWR 2010, 107, 108 f.; Bayer in Lutter/Hommelhoff GmbHG, 19 Aufl., § 5 Rn. 41; Wicke GmbHG, 3. Aufl., § 5 Rn. 15. 34   Einen Vergütungsanspruch trotz fehlender Festsetzung bejahend Stiller/Redeker ZIP 2010, 865, 869; verneinend dagegen Koch ZHR 175 (2011) 55, 79 f.; Pentz in GS M. Winter, 2011, S. 499, 502 ff., 515 ff. 35  Näher Koch ZHR 175 (2011) 55, 79 f.; Pentz in GS M. Winter, 2011, S. 499, 502 ff., 515 ff. 36   Hierfür noch Veil in Scholz GmbHG, 11. Aufl. Nachtrag MoMiG, § 19 Rn. 49 f.; wohl auch Krolop NZG 2007, 577, 578. 37   Schall in GroßKomm AktG, 5. Aufl., § 27 Rn. 326, 364,

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einlesen eines „soweit“38 dahin ausgelegt werden, dass die Rechtsfolgen der verdeckten Sacheinlage auf den als Kaufpreis zurückgezahlten Betrag zu beschränken sind.39 Im vorstehenden Beispiel wäre der Gesellschafter durch seine Zahlung in Höhe von 20.000 € von seiner Einlageverpflichtung durch Erfüllung befreit, in Höhe von 80.000 € durch Anrechnung nach Maßgabe von § 27 Abs. 3 S. 3 und 4 AktG bzw. § 19 Abs. 4 S. 3 und 4 GmbHG. Mit der heute ganz herrschenden Meinung ist die zweite Lösung als vorzugswürdig anzusehen. Ob sie bereits aus dem Wortlaut von § 27 Abs. 3 S. 1 AktG bzw. § 19 Abs. 4 S. 1 GmbHG folgt, ist zweifelhaft. Denn die (verfehlte)40 Definition, dass eine „Geldeinlage“, die aufgrund einer Abrede „vollständig oder teilweise als Sacheinlage zu bewerten ist“, und die hierzu ausgesprochene Rechtsfolge, dass „dies … nicht von der Einlageverpflichtung“ befreie, ist indifferent und lässt beide Lösungen zu. Für die ganz herrschende Meinung spricht jedoch – auch wenn die Mischeinlage im Grundsatz kapitalaufbringungsrechtlich als Ganzes gesehen werden muss – der Umstand, dass es nicht überzeugen würde, den Gesellschafter für einen Betrag haften zu lassen, der nicht an ihn zurückfließen sollte und auch nicht an ihn zurückgeflossen ist, sondern sich insoweit in der endgültig freien Verfügung des Vorstands bzw. der Geschäftsführer und damit in der Gesellschaft befindet.41 1.  Anrechnung bei Werthaltigkeit des verdeckt eingelegten Vermögensgegenstands Bei Werthaltigkeit des verdeckt eingelegten Vermögensgegenstands ergibt sich aus den vorstehenden Ausführungen, dass der Gesellschafter in Höhe des Baranteils (im vorstehenden Beispiel 20.000 €) durch Erbringung einer 38   Benz in Spindler/Stilz AktG, 3. Aufl., § 27 Rn. 193; Pentz in MünchKomm AktG, 4. Aufl., § 27 Rn. 137 ff.; Schall in GroßKomm AktG, 5. Aufl., § 27 Rn. 326, 364; Bayer in Lutter/Hommelhoff GmbHG, 19 Aufl., § 19 Rn. 93; Casper in Ulmer/Habersack/Löbbe GmbHG, 2. Aufl., § 19 Rn. 158 f.; Pentz in Rowedder GmbHG, 6. Aufl., § 19 Rn. 148 ff.; Sirchich von Kis-Sira in Gehrlein/Born/Simon GmbHG, 3. Aufl., § 19 Rn. 51; Veil in Scholz GmbHG, 12. Aufl., § 151 ff. 39   Heute ganz hM, vgl. Bormann/Urlichs GmbHR-Sonderheft MoMiG, 2008, S. 37, 39; Heinze GmbHR 2008, 1065, 1067; Benz in Spindler/Stilz AktG, 3. Aufl., § 27 Rn. 193; Schall in GroßKomm AktG, 5. Aufl., § 27 Rn. 326, 364; Pentz in MünchKomm AktG, 4. Aufl., § 27 Rn. 137 ff.; Bayer in Lutter/Hommelhoff GmbHG, 19 Aufl., § 19 Rn. 93; Casper in Ulmer/Habersack/Löbbe GmbHG, 2. Aufl., § 19 Rn. 158 f.; Pentz in Rowedder GmbHG, 6. Aufl., § 19 Rn. 148 ff.; Roth in Roth/Altmeppen GmbHG, 8. Aufl., § 19 Rn. 76; Schwandtner in MünchKomm GmbHG, 3. Aufl., § 19 Rn. 288; Sirchich von Kis-Sira in Gehrlein/Born/Simon GmbHG, 3. Aufl., § 19 Rn. 51; Veil in Scholz GmbHG, 12. Aufl., § 151 ff.; Verse in Henssler/Strohn GesR, 3. Aufl., § 19 GmbHG Rn. 62, jew. mwN. 40   Vgl. bei Fn. 22. 41   Pentz in MünchKomm AktG, 4. Aufl., § 27 Rn. 140; ders. in Rowedder GmbHG, 6. Aufl., § 19 Rn. 151.

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Bareinlage in dieser Höhe und hinsichtlich des Sacheinlageanteils (vorstehend 80.000 €) durch Anrechnung von seiner Einlageschuld befreit wird. Im Einzelnen geschieht vermögensmäßig bei der Gesellschaft bei Zugrundelegung des vorstehenden Beispiels Folgendes: Zunächst verfügt die Gesellschaft über eine auf der Aktivseite ihres Vermögensstatus ausgewiesene Bareinlageforderung in Höhe von 100.000 €. Zahlt der Gesellschafter (vorgeblich) auf seine Bareinlageschuld fließen der Gesellschaft 100.000 € im Kassenbestand zu. Außerdem wird ihre Einlageforderung in Höhe von 20.000 € erfüllt, sodass sie sich auf 80.000 € vermindert. Sie verfügt über ein Vermögen von 180.000 €. Auf der Passivseite des Vermögensstatus findet sich eine Verbindlichkeit dem Gesellschafter gegenüber aus § 812 Abs. 1 BGB, weil dieser 80.000 € nicht zur endgültigen freien Verfügung geleistet hat und seine Zahlung deshalb keine befreiende Wirkung gehabt hat.42 Die Gesellschaft verfügt über ein Nettovermögen in Höhe von 100.000 € (180.000 € – 80.000 €) und ist vermögensmäßig so ausgestattet, wie sie sein soll. Kommt es zur Anrechnung wird der Wert des verdeckt eingelegten Vermögensgegenstands (80.000 €) auf die Einlageforderung (80.000 €) angerechnet und bringt diese zum Erlöschen. Da die Gesellschaft damit den Vermögensgegenstand zum einen mit Rechtsgrund (§ 27 Abs. 3 S. 2 AktG bzw. § 19 Abs. 4 S. 2 GmbHG) durch den geleisteten Kaufpreis, zum anderen aber auch gleichsam ein weiteres Mal mit ihrer Einlageforderung (Anrechnung gem. § 27 Abs. 3 S. 3 und 4 AktG bzw. § 19 Abs. 4 S. 3 und 4 GmbHG) bezahlt hat, erlischt ihre Verbindlichkeit dem Gesellschafter gegenüber durch Entreicherung gem. § 818 Abs. 3 BGB.43 Die Gesellschaft verfügt über einen Vermögensgegenstand in Höhe von 80.000 € und einen Kassenbestand von 20.000 € und ist vermögensmäßig mit einem Vermögen von insgesamt 100.000 € so ausgestattet, wie sie sein sollte. 2.  Anrechnung bei mangelnder Werthaltigkeit des verdeckt eingelegten Vermögensgegenstands Schwieriger wird es bei einer für die Gesellschaft nachteiligen Differenzen zwischen von ihr gezahltem Kaufpreis und tatsächlichem Wert des Vermögensgegenstands, wenn also im vorstehenden Beispiel etwa der Vermögensgegenstand statt der hierauf gezahlten 80.000 € tatsächlich nur 70.000 € wert 42   Zum str., aber notwendigen Bestehens eines Kondiktionsanspruchs des Gesellschafters s. Pentz in MünchKomm AktG, 4. Aufl., § 27 Rn. 113, 118, 124; ders. in Rowedder GmbHG, 6. Aufl., §  19 Rn. 124, 129, 135 mwN. zum Streitstand. 43  Str., näher Pentz in FS K. Schmidt, 2009, S. 1265, 1276 ff.; ders. in MünchKomm AktG, 4. Aufl., § 27 Rn. 121 ff. und in Rowedder GmbHG, 6. Aufl., § 19 Rn. 132 ff. mwN., auch zur fehlenden Anwendbarkeit des § 819 BGB in diesem Zusammenhang, zu Letzterem auch Cavin, Kapitalaufbringung in GmbH und AG, 2012, S. 588 f.

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ist. Ungeachtet einer im Zusammenhang mit der verdeckten Mischeinlage getroffenen Abrede über einen Bar- und einen Sacheinlageanteil wird der Gesellschafter aufgrund der Vorgaben in § 27 Abs. 4 S. 3 und 4 bzw. § 19 Abs. 4 S. 3 und 4 GmbHG im Wege der Anrechnung nur in Höhe des tatsächlichen Werts von 70.000 € von seiner Bareinlagepflicht befreit. Betrachtet man auch hier die Vorgänge im Rahmen einer auf den Vorgang beschränkten Vermögensbilanz im Einzelnen, ergibt sich Folgendes: a) Ausgangslage Zunächst verfügt die Gesellschaft über eine Einlageforderung in Höhe von 100.000 €. b)  Zahlung durch den Gesellschafter Die Zahlung der 100.000 € durch den Gesellschafter auf seine Bareinlageverbindlichkeit führt vor der Anrechnung nach den vorstehenden Ausführungen gem. § 27 Abs. 4 S. 3 und 4 bzw. § 19 Abs. 4 S. 3 und 4 GmbHG zu einem Zugang in der Kasse in Höhe von 100.000 € und einer Befreiung von der Bareinlageverbindlichkeit des Gesellschafters in Höhe von 20.000 €; eine Befreiung von 30.000 € kommt nicht in Betracht, weil absprachegemäß 80.000 € an den Gesellschafter zurückfließen sollen und es deshalb in dieser Höhe an der Leistung zur endgültigen freien Verfügung fehlt. Die Gesellschaft verfügt mithin über ein Aktivvermögen von 180.000 € insgesamt, ist aber wegen der fehlenden Befreiungswirkung der Zahlung des Gesellschafters einer Verbindlichkeit aus § 812 Abs. 1 BGB in Höhe von 80.000 € ausgesetzt. Sie verfügt damit über ein Nettovermögen von 100.000 €, ist also vermögensmäßig ausgestattet, wie sie sein soll. c)  Situation nach Erwerb, aber vor Anrechnung aa) Problemstellung Erwirbt die Gesellschaft mit den Mitteln aus der Kasse den Vermögensgegenstand, verfügt sie vor Anrechnung über eine Einlageforderung in Höhe von 80.000 € und über einen Kassenbestand von 20.000 € sowie über einen Vermögensgegenstand im Wert von 70.000 €. Fraglich ist, wie hinsichtlich der aus Sicht der Gesellschaft zu viel geleisteten 10.000 € zu verfahren ist. Denn ohne wertmäßige Berücksichtigung dieser 10.000 € auf der Aktivoder der Passivseite des Vermögensstatus würde die Gesellschaft wegen der Forderung des Gesellschafters aus § 812 Abs. 1 BGB nur ein Nettovermögen von 90.000 € (= 80.000 € Einlageforderung + 20.000 € Kasse + 70.000 € Vermögensgegenstand – 80.000 € Verbindlichkeit aus § 812 BGB) aufweisen und stünde damit schlechter da, als sie dastehen sollte.

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bb)  Keine vertragsrechtliche Lösung Keine hinreichende Lösung bietet insoweit das Kaufrecht. Denn abgesehen davon, dass nicht jeder Minderwert einen Mangel darstellt44 und zunächst eine Auswahl zwischen den in § 437 BGB aufgezählten Möglichkeiten erforderlich wäre, stünde wegen § 441 Abs. 3 BGB nicht fest, ob hierdurch der Minderwert tatsächlich ausgeglichen werden könnte. Hinzu kommt, dass die Frage der Kapitalausstattung in diesem Falle in Widerspruch zu § 66 Abs. 1 AktG, § 19 Abs. 2 S. 1 GmbHG der Disposition der Beteiligten unterläge und auch die Verjährungsvorschriften des § 438 BGB, wie der Vergleich mit § 54 Abs. 4 AktG und § 19 Abs. 6 GmbHG zeigt, auf die Kapitalaufbringung nicht zugeschnitten sind. Das Mangelgewährleistungsrecht passt auf diese Situation nicht. Da die Gesellschaft den Kaufpreis wegen der ausdrücklichen Anordnung in § 27 Abs. 3 S. 2 AktG bzw. § 19 Abs. 4 S. 2 GmbHG mit Rechtsgrund gezahlt hat, kann die betragsmäßige Lücke auch nicht über § 812 Abs. 1 BGB ausgeglichen werden, ganz abgesehen davon, dass einem solchen nur schuldrechtlichen Anspruch entsprechende Bedenken mit Blick auf § 66 Abs. 1 AktG, § 19 Abs. 2 S. 1 GmbHG und § 54 Abs. 4 AktG und § 19 Abs. 6 GmbHG gegenüber § 195 BGB entgegenstünden. Das Problem der Zahlung eines über dem Wert des verdeckt eingelegten Vermögensgegenstands stellt sich mithin nicht erst im Rahmen der Anrechnung, sondern bereits auf der vorgelagerten Stufe. cc)  Sonstige Lösungsansätze Zur Auflösung dieses Dilemmas bieten sich drei Ansätze an: Zum einen könnte man daran denken, den Anspruch des Gesellschafters aus § 812 Abs. 1 BGB um 10 000 € zu kürzen, zum anderen könnte man an die Anwendung der Kapitalerhaltungsregeln denken und es kommt ein Differenzhaftungsanspruch in Höhe von 10.000 € in Betracht. Eine unmittelbare Berücksichtigung der 10.000 € bei der Einlageforderung scheidet demgegenüber aus; denn in Höhe von 20.000 € hat der Gesellschafter befreiend zur endgültigen freien Verfügung gezahlt, sodass diese nur in Höhe von 80.000 € offen steht. (1)  Keine bereicherungsrechtliche Lösung Der Ansatz über eine Kürzung des Bereicherungsanspruchs des Gesellschafters bereitet Probleme. Denn anders als im Rahmen der Anrechnung, bei dem die Gesellschaft wegen des Verlusts ihrer Einlageforderung den Vermögensgegenstand gleichsam doppelt zahlt und diese zweite Zahlung im

44   Vgl. hierzu nur Faust in Bamberger/Roth BGB, 45. Ed., § 434 Rn. 23a; Westermann in MünchKomm BGB, 4. Aufl., § 434 Rn. 11 (differenzierend), jew. mwN.

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Rahmen des § 818 Abs. 3 BGB berücksichtigt werden kann,45 wendet die Gesellschaft vor der Anrechnung nichts auf. Sie hat insoweit lediglich (mit Rechtsgrund) zu viel gezahlt. Zudem scheidet eine Anwendung des § 818 Abs. 3 BGB aus, wenn die Gesellschaft eigenständige Gegenansprüche in diesem Zusammenhang erwirbt,46 weshalb die Frage derartiger Ansprüche vorrangig zu prüfen ist. (2)  Keine kapitalerhaltungsrechtliche Lösung Als Ansprüche, die in diesem Zusammenhang zu prüfen sind, kommen zunächst solche aus dem Kapitalerhaltungsrecht in Betracht. Dies würde, was das Gründungsstadium angeht, zunächst voraussetzen, dass man sich der Auffassung anschließt, die das Eingreifen des Kapitalerhaltungsrechts auch schon in diesem Stadium bejaht,47 kann aber letztlich offen bleiben. Denn bei der GmbH würden Ansprüche nach § 31 Abs. 1 GmbHG voraussetzen, dass die überhöhte Gegenleistung zu Lasten des nach § 30 Abs. 1 GmbHG gebundenen Kapitals gegangen ist. Fehlt es hieran, wäre die Kapitalaufbringung hier – anders als bei der noch zu behandelnden Situation bei der verdeckten gemischten Sacheinlage, in der die Einlageforderung unberührt bleibt – aus den vorstehend dargelegten Gründen nicht gewährleistet. Dies zeigt, dass das Kapitalerhaltungsrecht zur Lösung der insoweit bestehenden Problematik nicht geeignet ist. (3) Differenzhaftung Die Lösung der Problematik liegt – entsprechend der Behandlung von Gesetzesumgehungen48 – darin, auf den betreffenden Sachverhalt genau diejenigen Regelungen anzuwenden, die durch die gewählte Gestaltung umgangenen werden sollten. Hätten die Gesellschafter im Falle der verdeckten Mischeinlage den gesetzlich vorgeschriebenen Weg der Offenlegung ihres Vorhabens gewählt, hätten sie die beabsichtigte Mischeinlage offengelegt. Im Falle einer fehlenden Werthaltigkeit des eingelegten Vermögensgegenstands wäre der Gesellschafter verpflichtet gewesen, eine Wertdifferenz durch bare

45   Wegen der Einzelheiten, auch zu § 819 Abs. 1 BGB, s. Pentz in MünchKomm AktG, 4. Aufl., § 27 Rn. 127; ders. in Rowedder GmbHG, 6. Aufl., § 19 Rn. 138; insoweit zust. Cavin, Kapitalaufbringung in GmbH und AG, 2012, S. 588 f. 46   Schwab in MünchKomm BGB, 7. Aufl., § 818 Rn. 134. 47   Bejahend etwa Priester ZIP 1982, 1141, 1146; Pentz in MünchKomm AktG, 4. Aufl., § 41 Rn. 44; K. Schmidt in GroßKomm AktG, 5. Aufl., § 41 Rn. 76; ders. in Scholz GmbHG, 12. Aufl., § 11 Rn. 62; verneinend die überw. Meinung, vgl. nur BGH NJW-RR 2018, 1087 Rn. 13 mwN; Heidinger in Spindler/Stilz AktG, 3. Aufl., § 41 Rn. 31; Ulmer/Habersack in Ulmer/Habersack/Löbbe GmbHG, 2. Aufl., § 11 Rn. 13, jew. mwN. 48   Grundlegend hierzu Teichmann, Die Gesetzesumgehung, 1962, S. 69.

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Zuzahlung auszugleichen.49 Dies spricht dafür, diese Grundsätze auch auf die vorliegende Gestaltung anzuwenden und hierüber zu einer entsprechenden Forderung der Gesellschaft (im Beispiel in Höhe von 10.000 €) zu kommen, unabhängig davon, wie sich die Wertrelationen bei einer Anwendbarkeit des § 441 Abs. 3 BGB auf das schuldrechtlichen (Umgehungs-)Geschäft verhalten hätten. Sofern der Gesellschafter die Differenz allerdings bereits auf diesem Wege ausgeglichen hat, ist seine Zahlung auch als eine solche auf die Einlageschuld anzusehen.50 d)  Auswirkungen bei der Anrechnung Mit der Anrechnung gem. § 27 Abs. 4 S. 3 und 4 bzw. § 19 Abs. 4 S. 3 und 4 GmbHG wird der Wert des verdeckt eingelegten Vermögensgegenstands auf die Einlageforderung angerechnet und bringt diese in entsprechender Höhe zum Erlöschen. Für das vorgenannte Beispiel bedeutet dies, dass die nach wie vor bestehende Bareinlageforderung damit in Höhe von 70.000 € erlischt und in Höhe der restlichen 10.000 € bestehen bleibt. Gleichzeitig vermindert sich die Bereicherungsforderung des Gesellschafters entsprechend den vorstehend unter V. 1. dargelegten Gründen über § 818 Abs. 3 BGB um 70.000 €, weil die Gesellschaft in dieser Höhe den Vermögensgegenstand gleichsam doppelt bezahlt hat. Die Gesellschaft verfügt damit vermögensmäßig über eine Einlageforderung von 10.000 €, einen Kassenbestand von 20.000 € Kasse, den Vermögensgegenstand mit einem Wert von 70.000 € sowie den Differenzanspruch in Höhe von 10.000 € und ist einem Bereicherungsanspruch des Gesellschafters in Höhe von 10.000 €51 ausgesetzt. Sie verfügt damit über ein Nettovermögen in Höhe von 100.000 € und ist vermögensmäßig mithin so ausgestattet, wie sie nach Maßgabe von § 27 Abs. 3 AktG und § 19 Abs. 4 GmbHG ausgestattet sein soll.

49  Näher zur Ausgleichspflicht vor und nach Eintragung der Gesellschaft Pentz in MünchKomm AktG, 4. Aufl., § 27 Rn. 41 ff, 44 ff., speziell zur Mischeinlage § 36 Rn. 83 f.; Schall in GroßKomm AktG, 5. Aufl., § 27 Rn. 206 ff., 210 ff., 221; § 36 Rn. 209. 50   Pentz in MünchKomm AktG, 4. Aufl., § 27 Rn. 141; ders. in Rowedder GmbHG, 6. Aufl., § 19 Rn. 152; wohl auch Casper in Ulmer/Habersack/Löbbe GmbHG, 2. Aufl., § 19 Rn. 160. 51   S. auch Verse in Henssler/Strohn GesR, 3. Aufl., § 19 GmbHG Rn. 62 mwN.

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V.  Differenzhaftung bei der verdeckten gemischten Sacheinlage? Hinsichtlich der Anrechnung bei der verdeckten gemischten Sacheinlage ist ebenfalls zu differenzieren: 1.  Anrechnung bei voller Wertdeckung Bei der verdeckten gemischten Sacheinlage bereitet die Anrechnung nach § 27 Abs. 3 S. 3 AktG bzw. § 19 Abs. 4 S. 3 GmbHG keine Probleme, wenn der verdeckt eingelegte Vermögensgegenstand wertmäßig sowohl die Einlageverbindlichkeit des Gesellschafters als auch die darüber hinausgehende weitere Leistung der Gesellschaft abdeckt. Schuldet der Gesellschafter beispielsweise der Satzung nach eine Bareinlage in Höhe von 100.000 €, ist aber tatsächlich geplant, dass die Gesellschaft von ihm einen Vermögensgegenstand im Wert von 150.000 € erwerben soll und in diesem Zusammenhang die von ihm geleisteten 100.000 € sowie weitere 50.000 € als Kaufpreis zurückfließen sollen, wird der Gesellschafter durch die Anrechnung von seiner Einlageverbindlichkeit befreit. 2.  Anrechnung bei mangelnder Wertdeckung a)  Partielle Anrechnung Wird dieser Wert (im Beispiel 150.000 €) nicht erreicht, stellt sich die Frage, ob der Wert des verdeckt eingebrachten Vermögensgegenstands zunächst auf die Sacheinlage und dann auf die durch die Gesellschaft zusätzlich erbrachte Leistung anzurechnen ist, oder ob umgekehrt zunächst von dem Wert des verdeckt eingelegten Vermögensgegenstands die weitere Leistung der Gesellschaft abzuziehen und nur die verbleibende Differenz im Wege der Anrechnung auf die Bareinlageverpflichtung gutzubringen ist. Schuldet der Gesellschafter beispielsweise der Satzung nach eine Bareinlage in Höhe von 100.000 €, ist aber tatsächlich geplant, dass die Gesellschaft von ihm einen Vermögensgegenstand im Wert von 120.000 € zu einem Kaufpreis von 150.000 € erwerben soll, fehlt rechnerisch ein Betrag von 30.000 €. Beginnt man mit der Berücksichtigung der Einlageverbindlichkeit und rechnet 100.000 € hierauf an,52 ist der Gesellschafter von seiner Einlageverbindlichkeit in voller Höhe befreit; in Höhe von 20.000 € ist es zu einem Aktivtausch gekommen und hinsichtlich der verbleibenden 30.000 € stellt sich die Frage nach etwaigen Zahlungsansprüchen der Gesellschaft. Zieht man dem-

52  In diesem Sinne Priester in FS Maier-Reimer, 2010, S. 525, 532 ff.; ders. in Scholz GmbHG, 11. Aufl., § 56 Rn. 66 Fn. 5; Fastrich in Baumbach/Hueck GmbHG, 19. Aufl. § 19 Rn. 56; wohl abw. jetzt ders. in Baumbach/Hueck GmbHG, 21. Aufl. § 19 Rn. 58.

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gegenüber zunächst den von der Gesellschaft zusätzlich gezahlten Betrag von 50.000 € vom Wert des verdeckt eingelegten Vermögensgegenstands ab, verbleibt für die Anrechnung ein Restbetrag von 70.000 € und damit eine noch nicht erfüllte Einlageforderung in Höhe der Differenz von 30.000 €. Im ADCOCOM-Fall53 hat der Bundesgerichtshof zum GmbH-Recht zu Recht ausgesprochen, dass die Anrechnung im Wege der zweiten Möglichkeit zu erfolgen hat. Denn der tatsächliche Zufluss an die Gesellschaft, um den es kapitalaufbringungsrechtlich nach wie vor geht, findet nur in Höhe desjenigen Betrags statt, den die Gesellschaft nicht selbst zahlt.54 Dies hat allerdings nichts mit einer teleologischen Reduktion der Anrechnungsvorschriften55 oder umgekehrt einer Ausweitung der Anrechnungsbestimmungen56 bzw. einer korrigierenden Auslegung57 zu tun, sondern folgt aus einer die Vorgaben des Kapitalaufbringungsrechts berücksichtigenden unmittelbaren Anwendung der Bestimmung.58 Denn es versteht sich von selbst, dass ein Vermögensabfluss bei der Gesellschaft kapitalaufbringungsrechtlich keine Wirkungen zugunsten des Inferenten zeitigen kann; berücksichtigungsfähig ist insoweit allein ein Vermögenszufluss. b)  Rechtslage bei fehlender Anrechenbarkeit aa)  Aktivtausch bei Wertdeckung zwischen zusätzlicher Leistung und verdeckt eingelegtem Vermögensgegenstand Deckt der Wert des verdeckt eingelegten Vermögensgegenstands nur den Wert der nach den vorstehenden Ausführungen primär zu berücksichtigenden zusätzlichen Leistung der Gesellschaft, liegt insoweit ein reiner Aktivtausch vor; eine Anrechnung erfolgt wegen Fehlens eines hierfür zur Verfügung stehenden Wertes nicht.

53   BGHZ 185, 44 = NZG 2010, 702 Rn. 49 ff.; zust. die ganz hM, vgl. nur A. Arnold in KölnKomm AktG, 3. Aufl., § 27 Rn. 114; Pentz in MünchKomm AktG, 4. Aufl., § 27 Rn. 136; Schall in GroßKomm AktG, 5. Aufl., § 27 Rn. 365 f.; Bayer in Lutter/Hommelhoff GmbHG, 19 Aufl., § 19 Rn. 91; Casper in Ulmer/Habersack/Löbbe GmbHG, 2. Aufl., § 19 Rn. 155; Pentz in Rowedder GmbHG, 6. Aufl., § 19 Rn. 147; Roth in Roth/Altmeppen GmbHG, 8. Aufl., § 19 Rn. 76; Schwandtner in MünchKomm GmbHG, 3. Aufl., § 19 Rn. 285 ff.; Veil in Scholz GmbHG, 12. Aufl., § 19 Rn. 148; Wicke GmbHG, 3. Aufl., § 19 Rn. 26a,, jew. mwN. 54   Statt anderer Pentz GmbHR 2010, 673, 679 ff. 55  In diesem Sinne allerdings Bayer in Lutter/Hommelhoff GmbHG, 19 Aufl., § 92; Schwandtner in MünchKomm GmbHG, 3. Aufl., § 19 Rn. 286. 56  Hierfür Bormann/Urlichs GmbHR-Sonderheft MoMiG 2008, S. 37, 40. 57  So M. Winter in Goette/Habersack, Das MoMiG in Wissenschaft und Praxis, 2009, 2.36. 58   Vgl. bereits Pentz GmbHR 2010, 673, 678 f.

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bb)  Differenzhaftung bei negativer Wertdifferenz zwischen zusätzlicher Leistung und verdeckt eingelegtem Vermögensgegenstand? Fraglich ist, wie es sich verhält, wenn der Wert des verdeckt eingelegten Vermögensgegenstands nicht einmal den Wert der primär zu berücksichtigenden zusätzlichen Leistung der Gesellschaft erreicht. Auf das vorstehende Beispiel bezogen wäre dies etwa dann der Fall, wenn der von der Gesellschaft für 150.000 € erworbene Vermögensgegenstand lediglich einen Wert von 20.000 € aufwiese. (1)  Aktivtausch im Wertdeckungsbereich Eine Anrechnung scheidet in dieser Gestaltung aus den vorgenannten Gründen aus. In Höhe von 20.000 €, soweit also der Wert des verdeckt eingelegten Vermögensgegenstands reicht, liegt nach der überzeugenden Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ein Aktivtausch vor.59 (2)  Ergänzende Ansprüche bei noch bestehender Wertdifferenz (aa) Meinungsstand Hinsichtlich einer dann noch immer bestehenden Wertdifferenz hat Bundesgerichtshof in dem ADCOCOM-Fall60 für die GmbH die Auffassung vertreten, dass – soweit gebundenes Kapital betroffen ist – in diesem Falle Ansprüche der Gesellschaft gem. §§ 30 Abs. 1, 31 Abs. 1 GmbHG in Höhe der Differenz zwischen dem tatsächlichen Wert des Vermögensgegenstands und dem gezahlten Kaufpreis bestehen. In der Literatur ist dem verbreitet zugestimmt worden.61 Bei der Aktiengesellschaft würde dies wegen der dort weiterreichenden Kapitalbindung bedeuten, dass jede Differenz zwischen Wert des Vermögensgegenstands und gezahltem Kaufpreis gem. §§ 57, 62 AktG auszugleichen wäre. Die in der Literatur allerdings herrschende Gegenmeinung62 stellt demgegenüber nicht auf das Kapitalerhaltungsrecht, sondern auf das Kapital  BGHZ 185, 44 = NZG 2010, 702 Rn. 60 – ADCOCOM.   BGHZ 185, 44 = NZG 2010, 702 Rn. 49 ff. 61   Altmeppen NJW 2010, 1955; Strohn DB 2012, 1157, 1141; Wolf, Die verdeckte Sacheinlage in GmbH und AG, 2013, S. 198 ff.; Pentz GmbHR 2010, 673, 679; GWR 2010, 285, 287; ders. in MünchKomm AktG, 4. Aufl., § 27 Rn. 136; ders. in Rowedder GmbHG, 6. Aufl., § 147; Schwandtner in MünchKomm GmbHG, 3. Aufl., § 19 Rn. 287; Veil in Scholz GmbHG, 12. Aufl., § 19 Rn. 149, jew. mwN. 62   Vgl., teilw. mit Unterschieden im Einzelnen, Bayer/Fiebelkorn LMK 2010, 304927; Kleindiek ZGR 2011, 334, 347 ff.; Koch ZHR 175 (2011) 55, 71 ff.; Benz, Verdeckte Sacheinlage und Einlagenrückzahlung im reformierten GmbH-Recht (MoMiG), 2010, S. 183 ff.; Gerlach, Die gemischte Sacheinlage, 2016, S. 168 ff.; A. Arnold in KölnKomm AktG, 3. Aufl., § 27 Rn. 114; Bayer in K. Schmidt/Lutter AktG, 3. Aufl., § 27 Rn. 87; Benz in Spindler/Stilz AktG, § 27 Rn. 196; Koch in Hüffer/Koch AktG,13. Aufl., § 27 Rn. 41; Polley 59 60

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aufbringungsrecht ab und vertritt die Auffassung, eine Differenz sei deshalb nach oder entsprechend den Grundsätzen der Differenzhaftung zu erstatten. Zur Begründung wird darauf abgestellt, dass es bei der verdeckten Sacheinlage letztlich um einen nicht abgeschlossenen Kapitalaufbringungsvorgang gehe und ein Eingreifen der Kapitalerhaltungsregeln hierauf ebenso wenig passe, wie als Sanktion für einen bei der Anrechnung fehlenden Zufluss.63 Die bei der verdeckte gemischte Sacheinlage vorgenommene Anrechnungssperre beruhe auf dem Gedanken, dass die nachträgliche Wertdeckung durch das Verkehrsgeschäft ausnahmsweise dann nicht anzuerkennen sei, wenn die damit einhergehende Vermögensmehrung sogleich durch den Abfluss der Vergütung wieder aufgezehrt werde; eine Anrechnung werde nur zugelassen, wenn in einer Gesamtbetrachtung der Wert der ursprünglichen Bareinlage gedeckt sei.64 Weiter wird argumentiert, die verdeckte gemischte Sacheinlage müsse parallel zur offenen gemischten Sacheinlage behandelt65 und dürfe dieser gegenüber nicht privilegiert werden66 bzw. es entstehe anderenfalls eine nicht akzeptable Schutzlücke.67 (bb) Stellungnahme (i)  Keine rechtlichen Vorgaben aus der Zuordnung der Lehre von der verdeckten Sacheinlage zum Kapitalaufbringungsrecht Im Rahmen einer Stellungnahme hierzu ist zunächst zu konzedieren, dass es bei der Lehre von der verdeckten Sacheinlage in der Tat um Fragen der Kapitalaufbringung geht. Richtig ist auch, dass im Falle der verdeckten Sacheinlage der zugrundeliegende Gesamtvorgang in den Blick genommen wird („wirtschaftliche Betrachtungsweise“ als teleologische, auf das Erreichen des Gesetzeszwecks ausgerichtete Betrachtungsweise). Für eine Zuordnung von Rechtsfolgen genügen diese abstrakten Feststellungen jedoch nicht. Maßgeblich ist vielmehr, ob die Anwendung der Differenzhaftung zur Vermeidung von sonst bestehenden Schutzlücken geboten ist und, was hiermit zusammenhängt, sie auf die in Rede stehende Situation passt. in NK-AktG, 4. Aufl., § 27 Rn. 63; Schall in GroßKomm AktG, 5. Aufl., § 167; Bayer in Lutter/Hommelhoff GmbHG, 19 Aufl., § 19 Rn. 92; Casper in Ulmer/Habersack/Löbbe GmbHG, 2. Aufl., § 19 Rn. 155; Vedder in Grigoleit AktG, 1. Aufl., § 27 Rn. 62; Ziemons in BeckOK GmbHG § 19 Rn. 186, jew. ­­mwN.; dem zuneigend auch Fastrich in Baumbach/ Hueck GmbHG, 21. Aufl., § 19 Rn. 58; ohne eigene Stellungnahme Solveen in Hölters AktG, 3. Aufl., § 27 Rn. 38b; Wicke GmbHG, 3. Aufl., § 19 Rn. 26a. 63   Kleindiek ZGR 2011, 334, 349 f. 64   Koch ZHR 175 (2011) 55, 71 ff. 65   Benz in Spindler/Stilz AktG, 3. Aufl., § 27 Rn. 196. 66   Benz in Spindler/Stilz AktG, 3. Aufl., § 27 Rn. 196; Schall in GroßKomm AktG, 5. Aufl., § 27 Rn. 367; Verse in Henssler/Strohn GesR, 3. Aufl., § 19 GmbHG Rn. 61, jew. mwN. 67   H.-F. Müller NZG 2011, 761, 763 f.

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(ii)  Berücksichtigungsreihenfolge bei der Anrechnung kein Argument gegen die Anwendung der Kapitalerhaltungsregeln Dass das Konzept der Mindermeinung zur Kapitalerhaltung68 für die Kapitalaufbringung nicht passt, kann nicht als Begründung gegen eine etwaige Anwendung der Kapitalerhaltungsregeln herangezogen werden. Die Gestaltungen unterscheiden sich zu grundlegend: Während es nach der zur Anrechnung vertretenen Mindermeinung69 darum ging, die Folgen einer hiernach (wegen des fehlenden Zuflusses systemfremd) angenommenen Anrechnung über eine Anwendung des Kapitalerhaltungsrechts auszugleichen, geht es bei dem vom Bundesgerichtshof gewählten Ansatz nicht um den Schutz der Einlageforderung, sondern um den Schutz des übrigen Vermögens der Gesellschaft. Insoweit fehlt es an der Vergleichbarkeit der Vorgänge. (iii)  Einlageversprechen des Gesellschafters als Ausgangspunkt Ausgangspunkt der Beantwortung der Streitfrage hat das satzungsmäßige Einlageversprechen des Gesellschafters zu sein. Denn dieses begrenzt, wie eingangs dargelegt, seine Haftung der Gesellschaft gegenüber. (iv)  Einlageanspruch mangels Anrechnung nicht berührt Tangiert wird dieses Einlageversprechen, wenn es wegen der fehlenden Werthaltigkeit des Vermögensgegenstands zu keiner Anrechnung kommt, in keiner Weise. Der Gesellschafter ist nach wie vor verpflichtet, die zugesagte Bareinlage zu erbringen, Anrechnungsfragen aus dem Recht der verdeckten Sacheinlage stellen sich insoweit nicht, die früher durch die (im GmbH-Recht analoge)70 Anwendung des § 27 Abs. 3 AktG gegenständlich und heute in § 27 Abs. 3 AktG bzw. § 19 Abs. 4 GmbHG wertmäßig geschützte Einlageforderung bleibt in der hier in Rede stehenden Gestaltung mangels Anrechnung vollständig unberührt. (v)  Differenzhaftung weder unmittelbar noch entsprechend anwendbar Da die Einlageforderung nicht tangiert wird, stellt sich die Frage, aus welchem Grund die Differenzhaftung eingreifen sollte. Denn der Sinn und Zweck der Differenzhaftung liegt darin, der Gesellschaft einen wertmäßigen Zufluss zu sichern, wenn der Wert des versprochenen Sacheinlagegegenstands im GmbH-Recht den Nennbetrag des hierfür übernommenen Geschäftsanteils (§ 9 Abs. 1 S. 1 GmbHG) bzw. im Aktienrecht den geringsten Aus-

  Nachweise bei Fn. 52.   Vgl. bei Fn. 52. 70   BGHZ 153 155, 329, = NZG 2003, 867. 68 69

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gabebetrag (sowie ein ggf. zu leistendes Aufgeld)71 nicht erreicht. In diesem Falle muss die Differenzhaftung eingreifen, weil die Gesellschaft inhaltlich keinen anderen Einlageanspruch besitzt und sie deshalb vor einer hierdurch drohenden Beeinträchtigung der Kapitalaufbringung geschützt werden muss. Entgegen einer verbreitet vertretenen Auffassung ist es nämlich nicht so, dass ein Gesellschafter primär zur Erbringung einer Bareinlage verpflichtet ist und eine Sacheinlagevereinbarung lediglich eine nach bestimmten Regeln zulässige datio in solutum (§ 364 Abs. 1 BGB) darstellt, mit der er der Gesellschaft zur Erfüllung einer vorrangig gedachten Geldschuld Werte zuführt, bzw. immer eine subsidiäre Bareinlagepflicht besteht72. Dass diese Auffassung nicht zutrifft, zeigt sich bereits an der früher für den Differenzhaftungsanspruch nach § 9 GmbHG geltenden fünfjährigen Verjährungsfrist, die – wenn der Differenzhaftungsanspruch denn materiell der Anspruch auf Bareinlage wäre – gem. § 195 BGB aF in 30 Jahren hätte verjähren müssen. Auch die Formulierung in § 9 Abs. 1 S. 1 GmbHG, der von „eine Einlage in Geld“ spricht, bestätigt die verbreitet vertretene Auffassung nicht. Denn die Differenzhaftungspflicht des Gesellschafters wurde ausweislich der Materialien als „Ausfluß der in seinem Einlageversprechen enthaltenen Deckungszusage“ angesehen und die mit § 9 Abs. 1 GmbHG statuierte Differenzhaftung als „eine ergänzende73 Einlage in Geld“ verstanden, die deshalb als „Einlage“ bezeichnet wurde, weil dadurch die Mithaftung der übrigen Gesellschafter nach § 24 GmbHG begründet werden sollte.74 Da die Sach- und die Bareinlageforderung zweierlei sind, scheidet eine unmittelbare Anwendung der Differenzhaftung in der hier in Rede stehenden Gestaltung von vornherein aus. Die gedankliche Parallele zur offenen gemischten Sacheinlage passt wegen des unterschiedlichen Einlagegegenstands und des vorliegend unberührt gebliebenen Bareinlageanspruchs nicht. In Frage stehen könnte lediglich eine entsprechende Anwendung der Differenzhaftung mit der Begründung, der Gesellschaft werde im Rahmen einer Gesamtbetrachtung kein Vermögen zugeführt, sondern im Saldo gleichsam Geld genommen. Eine solche Differenzhaftung in der hier in Rede stehenden Gestaltung, in der der Gesellschafter bei einer Bareinlageschuld von 100.000  € absprachegemäß einen Gegenstand mit einem angenommenen Wert von 150.000 € (tatsächlicher Wert jedoch nur 20.000 €) verdeckt einlegt   Statt anderer BGHZ 191, 364 = NZG 2012, 69 Rn. 16 f. – Babcock mwN., auch zur Herleitung der Differenzhaftung im Aktienrecht. 72  Zu diesen Auffassungen vgl. statt anderer mit Unterschieden in der Bewertung die Darstellungen bei Cavin, Kapitalaufbringung in GmbH und AG, 2012, S. 174; Benz in Spindler/Stilz AktG, 3. Aufl., § 27 Rn. 4; Pentz in MünchKomm AktG, 4. Aufl., § 27 Rn. 13 f.; Schall in GroßKomm AktG, 5. Aufl., § 27 Rn. 101; Schürnbrand in MünchKomm AktG, 4. Aufl., § 183 Rn. 12; Schwandtner in MünchKomm GmbHG, 3. Aufl., § 5 Rn. 65. 73   Hervorhebung nicht im Original. 74   Vgl. hierzu BT-Drucks 8/1347 S. 34. 71

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und hierfür die von ihm gezahlten 100.000 € zuzüglich weiterer 50.000 € von der Gesellschaft erhält, würde dazu führen, dass der Gesellschafter insgesamt 130.000  € (100.000 € offene Einlage + 30.000 € angenommene Differenzhaftung) an die Gesellschaft zahlen müsste. Handelt es sich um eine Einpersonen-GmbH und wurden die überschüssigen 30.000 € aus nicht nach § 30 Abs. 1 GmbHG gebundenem Vermögen geleistet, stellt sich die Frage, warum der Gesellschafter zu einer Zahlung von insgesamt 130.000 € verpflichtet sein sollte, wenn er lediglich 100.000 € zugesagt hat und den Betrag von 30.000 € jederzeit hätte entnehmen können, weil er als alleiniger Gesellschafter (vorbehaltlich des Eingreifens der Grundätze der Existenzvernichtungshaftung)75 bis zur Grenze des § 30 Abs. 1 S. 1 GmbHG mit dem Vermögen „seiner“ GmbH nach Belieben verfahren kann. Warum ihm dies im Rahmen einer verdeckten gemischten Sacheinlage zu versagen und er über die Differenzhaftung zur Rückerstattung auch von ungebundenem Vermögen verpflichtet sein soll, obwohl die zu schützende Einlageforderung durch den gesamten Vorgang unberührt geblieben ist und der Gesellschaft deshalb insoweit keine Beeinträchtigung droht, ist wertungsmäßig nicht zu begründen. Die Differenzhaftung dient nicht dazu, der Gesellschaft mehr als die versprochene Einlage zu verschaffen, sondern sie soll die Einlageforderung der Gesellschaft vor einer wertmäßigen Beeinträchtigung schützen, und ein solcher Schutz ist in der vorliegenden Gestaltung nicht veranlasst. cc)  Ergebnis: Anwendung der Kapitalerhaltungsregeln, flankiert durch die Regeln der verdeckten Vermögenszuwendung Die vorstehenden Überlegungen zeigen, dass es richtig ist, mit dem Bundesgerichtshof den Bereich, in dem sich – außerhalb der nach wie vor bestehenden Bareinlageforderung – der für die Gesellschaft nachteilige Vermögensaustausch abspielt, den allgemeinen Bestimmungen und nicht der Differenzhaftung zu unterstellen. Dies führt zur Anwendung der §§ 57, 62 AktG bzw. §§ 30, 31 GmbHG sowie – in der Mehrpersonengesellschaft – dazu, dass der überteuerte Erwerb des Vermögensgegenstands durch die Gesellschaft auch zu Schadensersatz- und Rückgewähransprüchen unter dem Aspekt der sog. treupflicht- und gleichbehandlungswidrigen verdeckten

75   Zu dem hierzu seit BGHZ 173, 246 = NZG 2007, – Trihotel geltenden, auf § 826 BGB gestützten Konzept s. BGH NJW-RR 2008, 629 Rn. 10 ff.; BGH NJW 2008, 655 Rn. 14  ff. (IX. Senat); NJW-RR 2008, 918 Rn. 10 ff. (IX. Senat); BGHZ 176, 204 = NZG 2008, 547 – Gamma; BGHZ 179, 344, = NZG 2009, 545 – Sanitary; BGH NZG 2012, 667; BGH NZG 2012, 1069; BGH NZG 2013, 827 Rn. 19 ff.; Heider in MünchKomm AktG, 4. Aufl., § 1 Rn. 78 ff.; Koch in Hüffer/Koch AktG,13. Aufl., § 1 Rn. 22 ff; Bitter in Scholz GmbHG, 12. Aufl., § 152 ff.; Liebscher in MünchKomm GmbHG, 3. Aufl., Anh. § 13 Rn. 518 ff.; Pentz in Rowedder GmbHG, 6. Aufl., § 13 Rn. 109 ff.

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Gewinnausschüttung bzw. verdeckten Vermögenszuwendung führen kann.76 Verbleibende Schutzlücken sind insoweit nicht ersichtlich.

VI. Zusammenfassung Zusammenfassend ist damit festzuhalten: 1. Mischeinlage a) Ungeachtet dessen, dass die Mischeinlage kapitalaufbringungsrechtlich als Einheit zu sehen ist, führt die bei der verdeckten Mischeinlage auf den Bareinlageteil geleistete Zahlung zur Befreiung des Gesellschafters von seiner Bareinlagepflicht in dieser Höhe. Im Übrigen führt der Wert des verdeckt eingelegten vollwertigen Vermögensgegenstands zur Befreiung von der Einlageverbindlichkeit im Wege der Anrechnung. b) Unterschreitet der Wert des verdeckt eingelegten Vermögensgegenstands den Wert der von der Gesellschaft hierfür erbrachten Gegenleistung, ist diese Differenz im Wege der Differenzhaftung auszugleichen. Ausschlaggebend für das Eingreifen der Differenzhaftung ist, dass sich der Vorgang wegen der Differenz zwischen Wert des Vermögensgegenstands und überschießender Leistung der Gesellschaft ausschließlich im Kapitalaufbringungsrecht abspielt und eine Anwendung schuldrechtlicher oder kapitalerhaltungsrechtlicher Bestimmungen auf diese Situation nicht zugeschnitten ist. Zudem entspricht die Situation derjenigen bei der offenen Mischeinlage. 2.  Verdeckte gemischte Sacheinlage a) Bei der verdeckten gemischten Sacheinlage erfolgt die Anrechnung aus Gründen der Kapitalaufbringung so, dass von dem Wert des verdeckt eingelegten Vermögensgegenstands zunächst die von der Gesellschaft hierauf erbrachte Leistung abzuziehen ist und für die Anrechnung nur eine dann noch verbleibende Differenz in Ansatz gebracht werden kann. Denn in Höhe der von der Gesellschaft selbst erbrachten Leistung fehlt es an dem kapitalaufbringungsrechtlich erforderlichen Zufluss bei der Gesellschaft. b) Deckt der Wert des vom Gesellschafter verdeckt eingebrachten Vermögensgegenstands nicht einmal den Wert der von der Gesellschaft zusätzlich erbrachten Gegenleistung, scheidet eine Anrechnung aus, weil insoweit lediglich ein Vermögensabfluss, aber kein Zufluss erfolgt. Soweit sich in dieser Gestaltung der Wert des Vermögensgegenstands und der Wert der von  Hierzu Pentz in Rowedder GmbHG, 6. Aufl., § 13 Rn. 63; § 29 Rn. 158 ff., 168 ff.

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der Gesellschaft hierfür erbrachten Leistung decken, liegt ein Aktivtausch bei der Gesellschaft vor. Eine Differenz zulasten der Gesellschaft ist gem. §§ 57, 62 AktG aktienrechtlich stets, GmbH-rechtlich nach §§ 30, 31 GmbHG nur bei Leistung aus dem gebundenen Kapital auszugleichen. Eine Anwendung der Differenzhaftung scheidet demgegenüber insoweit aus. Eine Parallele zur offenen gemischten Sacheinlage kommt nicht in Betracht: Eine unmittelbare Anwendung der Differenzhaftung scheidet wegen der unberührt gebliebenen Bareinlageforderung aus; eine entsprechende Anwendung scheitert daran, dass sie zu einer kapitalaufbringungsrechtlich nicht gebotenen, weil überhöhten Kapitalausstattung führen würde. Aufgabe der Differenzhaftung ist es nicht, der Gesellschaft mehr als die versprochene Einlage zu verschaffen, sondern die Einlageforderung der Gesellschaft soll hierdurch vor einer wertmäßigen Beeinträchtigung geschützt werden. Da die Einlageforderung in voller Höhe bestehen bleibt, ist ein solcher Schutz nicht veranlasst und die Differenzhaftung auf diese Situation nicht zugeschnitten. Mit der Rechtsprechung ist der Vorgang daher nicht dem Kapitalaufbringungsrecht, sondern dem Kapitalerhaltungsrecht zuzuordnen.

Kommunikation des Aufsichtsrats Markus Roth I. Einleitung Die Kommunikation des Aufsichtsrats1 ist im Aktiengesetz nur in Teilaspekten geregelt,2 freilich seit langem fest verankert. Es ist nach dem Gesetz der Aufsichtsrat, der nach § 171 Abs. 2 AktG den Bericht auf der Hauptversammlung zu erstatten hat und nach § 124 Abs. 3 Satz 1 AktG den Aktionären die Vorschläge der Verwaltung zur Neubestellung von Aufsichtsratsmitgliedern unterbreitet. In der börsennotierten Aktiengesellschaft hat nach § 161 AktG auch der Aufsichtsrat die Erklärung zum Deutschen Corporate Governance Kodex abzugeben. Aktuell als Entwicklungsthema des Aktienrechts angesehen wird der Investorendialog,3 der nach einer kontroversen Diskussion als Anregung in den Deutschen Corporate Governance Kodex aufgenommen wurde. Nachdem jüngst eine Marburger Dissertation einen Deutschen Stewardship Kodex vorgeschlagen hat,4 soll der Frage der Kommunikation des Aufsichtsrats hier näher nachgegangen werden. Der Jubilar hat als Vorsitzender des für das Gesellschaftsrecht zuständigen Senats des Bundesgerichtshofs die Rechtsprechung zum Aktienrecht maßgeblich geprägt und dabei auch Impulse für die rechtliche Erfassung und Beurteilung der Kommunikation des Aufsichtsrats gegeben.5

1   Der Jubilar leitete auf dem ZGR-Symposion 2012 „Corporate Governance in Deutschland und Europa“ das Podium der Referate von Katja Langenbucher und Markus Roth (Zentrale Akteure der Corporate Governance: Zusammensetzung des Aufsichtsrats – Zum Vorschlag einer obligatorischen Besetzungserklärung [Katja Langenbucher] bzw Information und Organisation des Aufsichtsrats [Markus Roth]). 2   Zur Regelung der Organisation des Aufsichtsrats in § 107 AktG GroßkommAktG/ Hopt/Roth, 5. Auflage, § 107 Rn. 5. 3   Hirt/Hopt/Mattheus AG 2016, 725. 4   Hein Stewardship-Verantwortung institutioneller Investoren, 2018, S. 336 ff. 5   Verwiesen sei insbesondere auf die Fresenius-Entscheidung des BGH, BGHZ 194, 14, und die Zurückweisung der Beschwerde gegen die Nichtzulassung gegen die Revision im Fall Piëch, BGH AG 2013, 90, weiter aber auch auf die Klarstellung, dass der Aufsichtsrat in gewissen Grenzen zur Selbstbefreiung von der Verschwiegenheitspflicht befugt ist, BGHZ 193, 110 Rn. 40, dazu auch sogleich.

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Die die Kommunikationsbefugnis eng verstehende Auffassung sieht den Aufsichtsrat als reines Innenorgan an.6 Einer Beschränkung des Aufsichtsrats auf den Dialog mit dem Vorstand steht neben den genannten Bestimmungen des Aktiengesetzes rein praktisch im Wege, dass es regelmäßig der Vorsitzende des Aufsichtsrats ist, der in den Satzungen der Aktiengesellschaften als Leiter der Hauptversammlung vorgesehen wird.7 Der Aufsichtsratsvorsitzende muss nach § 181 Abs. 1 Satz 1 AktG weiter gemeinsam mit dem Vorstand die Kapitalerhöhungen zur Eintragung in das Handelsregister anmelden, er muss ebenfalls gemeinsam mit dem Vorstand auf den Geschäftsbriefen der Gesellschaft angegeben werden, § 80 AktG. Allgemein stellt sich bei der Kommunikation des Aufsichtsrats die Frage einer Annexkompetenz8 bzw der Anwendung des allgemeinen Rechtsgrundsatzes, nach dem ein Organ diejenigen Kompetenzen haben muss, die es braucht, um seine Pflichten ausüben zu können.9 Da dem Aufsichtsrat nunmehr auch die Pflicht zur Prüfung der nichtfinanziellen Erklärung zukommt, stellt sich nicht nur die Frage einer Kommunikation auf der Hauptversammlung (unten III.), durch Abgabe der Entsprechenserklärung zum Deutschen Corporate Governance Kodex (unten IV.) sowie die Frage eines Dialogs mit institutionellen Investoren (unten V.), sondern neu auch die Frage des Dialogs mit sonstigen Stakeholdern (unten VI.). Hierfür ist zunächst der gesetzliche und institutionelle Rahmen sowie insbesondere dessen Entwicklung nachzuzeichnen (sogleich II.). Grundsätzlich besteht nicht nur die Notwendigkeit der Abgrenzung der Kompetenzen von Aufsichtsrat und Vorstand, sondern auch die Notwendigkeit der Klärung, ob und inwieweit beide Organe zugleich zuständig sein können.

6   So etwa E. Vetter AG 2014, 387, 389, in diesem Sinne im Zusammenhang einer Kommunikation mit Arbeitnehmern bereits Ensch Institutionelle Mitbestimmung und Arbeitnehmereinfluss, 1989 mit Verweis auf Lutter Information und Vertraulichkeit, 2. Auflage 1984, S. 137 f, der noch davon ausging, dass der Aufsichtsrat nicht gegen das Votum des Vorstands die Bekanntgabe eines Geschäftsgeheimnisses der Gesellschaft beschließen könne. Zutreffend billigt der BGH dem Aufsichtsrat in gewissen Grenzen die Selbstbefreiung von der Verschwiegenheitspflicht zu, BGHZ 193, 110 Rn. 40. 7  Hüffer/Koch AktG, 13. Auflage, § 107 Rn. 8. 8   So für die SE Schaper AG 2018, 356, 357. 9   Zum besonderen Vertreter RGZ 83, 248, 252 (für Einsichtsrecht gesetzliche Regelung entbehrlich, Verweis auf preußisches Landrecht: wem die Gesetze ein Recht geben, dem bewilligen sie auch die Mittel, ohne welche dasselben nicht ausgeübt werden kann).

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II.  Entwicklung des gesetzlichen und institutionellen Rahmens 1.  Ausschluss des Aufsichtsrats von der Geschäftsführung: AktG 1937 im internationalen Vergleich Für die Kommunikationskompetenz des Aufsichtsrats zentral ist seine Stellung in der Unternehmensverfassung der deutschen Aktiengesellschaft. Bis Mitte des 19. Jahrhunderts wurde das Kontrollorgan der Aktiengesellschaft auch in Deutschland häufig als Verwaltungsrat bezeichnet, erst das ADHGB von 1861 sprach von einem Aufsichtsrat, der mit dem ADHGB von 1870 dann auch verpflichtend wurde.10 Der zwingende Aufsichtsrat diente jedenfalls auch dem Schutz öffentlicher Interessen.11 Ausgestaltet wurde der Aufsichtsrat bis in die 1930er Jahre hinein als Verwaltungsrat, das ADHGB von 1884 hatte explizit zugelassen, dass dem Kontrollorgan durch die Satzung auch weitere Aufgaben übertragen werden können.12 Dies wurde bei Überführung der aktienrechtlichen Vorschriften in das HGB 1897 nicht geändert, so dass der führende handelsrechtliche Kommentar der Weimarer Zeit die Ausgestaltung des Aufsichtsrats als Verwaltungsrat für allgemein üblich hielt.13 Erst mit dem Aktiengesetz von 1937 erfolgte der die Organisationsverfassung der deutschen Aktiengesellschaft weiterhin prägende Ausschluss des Aufsichtsrats von der Geschäftsführung.14 International beruhte dies mittelbar auf einer Analyse des US-amerikanischen Gesellschaftsrechts, das zunächst in der von Ernst Heymann herausgegebenen Marburger Schriftenreihe zum Handels-, Gewerbe- und Landwirtschaftsrecht rezipiert wurde.15 In den USA war die director primacy bereits etabliert, noch heute ist dort wie nach § 119 Abs. 2 AktG die Hauptversammlung von der Geschäftsführung ausgeschlossen,16 zentral herausgearbeitet hat das eine Monographie von Zahn.17 Bereits zuvor wurde in einer in Marburg erschienenen Dissertation danach gefragt, ob nicht der Erfolg US-amerikanischer Gesellschaften darauf

  Näher und mwN GroßkommAktG/Hopt/Roth, 5. Auflage, § 95 Rn. 1 ff.   Lieder Der Aufsichtsrat im Wandel der Zeit, 2006, S 67 ff, 73, 104 f. 12   Zu Art 225 Abs. 3 ADHGB 1884 die Allgemeine Begründung, abgedruckt bei Schubert/Hommelhoff Hundert Jahre modernes Aktienrecht, 1985, S. 460. 13  Staub/Pinner HGB, 14. Auflage, § 246 Anm. 10. 14   Hierzu plastisch Thiessen AG 2013, 573, 574 f. 15  Arbeiten zum Handels-, Gewerbe- und Landwirtschaftsrecht, herausgegeben von Prof. Dr. Ernst Heymann, Elwert, Marburg, Nr. 20: Mez, Das Recht der amerikanischen Aktiengesellschaften, 1913. 16   Merkt US-amerikanisches Gesellschaftsrecht, 3. Auflage 2013, Rn. 617: Die Aktionäre können sich nur mit Vorschlägen und Empfehlungen an den Board wenden Fn. 20. 17   Zahn Wirtschaftsführertum und Vertragsethik im neuen Aktienrecht, 1934, S. 90 ff, 94 f. 10 11

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beruht, dass dort die Direktoren die Geschicke der Gesellschaften ohne Bindung an Weisungen der Hauptversammlung bestimmen.18 National ist als Begründung für den Ausschluss des Aufsichtsrats von der Geschäftsführung das Führerprinzip zu nennen,19 das in der zweigliedrigen Organisationsverfassung neben einer Vereinigung der Rollen des Vorstandsund Aufsichtsratsvorsitzenden nur implementiert werden konnte, indem neben den Aktionären auch der Aufsichtsrat von der Geschäftsführung ausgeschlossen wurde.20 Nicht von ungefähr dürfte die von Zahn rechtsvergleichend angelegte Monographie den deutschen Titel „Wirtschaftsführertum“ getragen haben.21 Zahn war bei Abfassen der Schrift bei einem Bankenverband beschäftigt, die Stärkung der Kontrolle bei Banken war wie nach der Weltwirtschaftskrise auch nach der Finanzkrise ein besonderes Thema.22 Die strikte Trennung von Geschäftsführung und Kontrolle im deutschen Aktiengesetz wurde aufgrund der geschichtlichen Entwicklung der 1930er Jahre23 in Österreich nachvollzogen und dort auch nach dem II. Weltkrieg nicht vollständig wieder aufgegeben. § 95 Abs. 5 Satz 2 öAktG sieht nunmehr allerdings einen umfangreichen, zwingenden Katalog von Zustimmungsvorbehalten vor,24 der teilweise von der Satzung zu konkretisieren ist und darüber hinaus auch ergänzt werden kann,25 ähnlich in jedenfalls zeitlichem Zusammenhang der Vorschlag des DGB aus den 1980er Jahren.26 Neben Österreich nannte die OECD als verbleibende Länder mit einem zwingenden zweistufigen System in Europa zunächst nur Polen und Estland,27 beide

18   Schmey Aktien und Aktionär im Recht der Vereinigten Staaten, Schriften zum Handels-, Gewerbe- und Landwirtschftsrecht, Nr. 54, 1930, S. 296 f. 19  So der Fokus von Thiessen in Görtemaker/Safferling (Hrsg) Die Rosenburg 2013, S. 204, 235, 236 ff. 20   Kritisch zu einer „Rückbildung“ des Aufsichtsrats von einem „Verwaltungsrat“ im eigentlichen Sinne noch Klausing Reform des Aktienrechts, S. 249, pointiert auch Thiessen AG 2013, 573, 574 f. 21   Rechtsvergleichend mit Blick auf den Ausschluss der Aktionäre von der Geschäftsführung freilich Zahn Wirtschaftsführertum und Vertragsethik im neuen Aktienrecht, 1934. 22  Näher Markus Roth ZGR 2011, 516, 531 ff. 23   Zur Deutsch-Österreichischen Rechtsangleichung auf dem Gebiet des Aktienrechts nach dem „Anschluss“ Kißkalt, Vorsitzender des Ausschusses für Aktienrecht der Akademie für Deutsches Recht, abgedruckt bei Schubert (Hrsg), Akademie für Deutsches Recht 1933–1945, Protokolle der Ausschüsse, Ausschuß für Aktienrecht, 1986, S. 529 ff. 24   Zu den einzelnen Ziffern Kalss in Doralt/Nowotny/Kalss Kommentar zum Aktiengesetz, 2. Auflage 2012, § 95 Rn. 107 ff, zum zwingenden Charakter Rn. 94. 25   Kalss in Doralt/Nowotny/Kalss Kommentar zum Aktiengesetz, 2. Auflage 2012, § 95 Rn. 81 ff. 26   Entwurf eines Gesetzes über die Mitbestimmung der Arbeitnehmer in Großunternehmen und Großkonzernen (Mitbestimmungsgesetz), beschlossen vom DGB-Bundesvorstand am 5.10.1982, abgedruckt RdA 1983, 41. 27   OECD Corporate Governance Factbook 2015, p 64, daneben als außereuropäische Länder Indonesien und Argentinien, nunmehr nach dem OECD Corporate Governance

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wie auch die Niederlande und Dänemark von Deutschland im zweiten Weltkrieg besetzt. Als weiteres Land, das traditionell nur ein zweistufiges System mit Vorstand und Aufsichtsrat vorgesehen hat, sind die Niederland zu nennen.28 Die Niederlande haben den deutschen Weg des zwingenden Ausschlusses des Aufsichtsrats von der Geschäftsführung nicht nachvollzogen, jedenfalls die größeren Gesellschaften von dieser Möglichkeiten allerdings keinen Gebrauch.29 In Dänemark besteht traditionell ein zweistufiges System mit Vorstand und Verwaltungsrat,30 vergleichbar den deutschen Sparkassen und der älteren deutschen Praxis, so dass sich dort die Frage des Ausschlusses von der Geschäftsführung nicht stellt. International ist so auch bei einem zweistufigen System das Kontrollorgan (Aufsichts- oder Verwaltungsrat) keineswegs zwingend und stets von der Geschäftsführung ausgeschlossen.31 Die Frage des Ausschlusses von der Geschäftsführung stellt sich erst recht nicht, wenn wie international ganz überwiegend ein einstufiges Modell gilt, dies auch wenn wie häufig in den USA der Verwaltungsrat ganz überwiegend nur aus nicht geschäftsführenden und unabhängigen Mitgliedern besteht.32 2.  Bedeutung des Ausschlusses von der Geschäftsführung für Kommunikationsaufgaben Für den Ausschluss von der Geschäftsführung fehlt es im Aktiengesetz und im Handelsgesetzbuch an einer einheitlichen Begrifflichkeit, es ergeben sich für den Aufsichtsrat, die Hauptversammlung und die Kommanditisten einer Kommanditgesellschaft verschiedene Folgen. Eine wesentliche praktische Bedeutung des Ausschlusses wurde in der Vorbereitung der Aktienrechtsreform nach 1933 zunächst explizit verneint. Nach Zahn hatten die Generalversammlungen in der Vergangenheit nur „höchst selten“ Anweisungen für die Geschäftsführung erteilt.33 Noch deutlicher äußerte sich der Vorsitzende der Aktienrechtskommission, der damalige Generaldirekter der Factbook 2017, p 93 zudem als europäische Länder auch Lettland und Russland, weiter China und Südafrika. 28   Nowak in Davies/Hopt/Nowak/van Solinge (eds), Corporate Boards in Law and Practice, 2013, p 429, 431. 29   Nowak in Davies/Hopt/Nowak/van Solinge (eds), Corporate Boards in Law and Practice, 2013, p 429, 579. 30  Dazu Hansen/Lønfeldt in Lekvall (ed), The Nordic Corporate Governance Model, 2014, p 115, 124 ff. 31   Zur nunmehr auch möglichen Wahl eines Aufsichtsrats Hansen/Lønfeldt in Lekvall (ed), The Nordic Corporate Governance Model, 2014, p 115, 127 f. 32   Rechtstatsächlich zu den USA Spencer Stuart Board Index 2017, p 16: in 60 Prozent der S&P 500-Gesellschaften ist der CEO der einzige nicht unabhängige director, durchschnittlich haben die boards dort 9,2 unabhängige und 1,6 nicht unabhängige director. 33   Zahn Wirtschaftsführertum und Vertragsethik im neuen Aktienrecht, 1934, S. 94.

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noch als Münchener Rück(versicherung) firmierenden Munich Re, Wilhelm Kißkalt. Kißkalt erklärte, dass ihm keine Fälle bekannt seien, in denen die Generalversammlung in die Geschäftsführung eingegriffen hätte.34 Verwiesen wurde so auf die psychologische Wirkung auf die Vorstände (die eine andere Einstellung gewinnen sollten als die Generaldirektoren alter Art, die sich, wenn vorteilhaft, hinter einem Generalversammlungsbeschluss versteckt haben sollen) und Aktionäre, die in den Vorstandsmitgliedern nicht mehr Angestellte, sondern die eigentlichen Unternehmer im Betrieb sehen sollten.35 Gänzlich anders36 liest sich die teilweise noch heute rezipierte Amtliche Begründung des Aktiengesetzes von 1937:37 „Die Entwicklung des Aktienwesens hat gezeigt, daß sich [...] zwischen der Verwaltung und der Hauptversammlung Gegensätze und Machtkämpfe herausgebildeten, die keineswegs zum Vorteil der Gesellschaft und des Wirtschaftslebens dienten.“ Als Gründe für die Gegensätze und Machtkämpfe wurde auf den fehlenden sachkundigen Einblick der Aktionäre in die Geschäfte sowie deren Abstellen auf die Belange des Kapitals verwiesen. In der Folge und auch nach dem Aktiengesetz 1965 ist die Hauptversammlung zu Entscheidungen in Fragen der Geschäftsführung nur auf Verlangen des Vorstands sowie in den gesetzlich besonders genannten Fällen38 befugt.39 Eine ungeschriebene Hauptversammlungszuständigkeit nimmt der Bundesgerichtshof nur ganz ausnahmsweise in den Holzmüller-Fällen an.40 Große praktische Bedeutung kam und kommt auch weiterhin dem zwingenden Ausschluss des Aufsichtsrats von der Geschäftsführung zu; bis 1937 hatten die Satzungen großer Gesellschaften dem Aufsichtsrat weitere Aufgaben und insbesondere die Oberleitung der Gesellschaft übertragen.41 Auch 34   Kißkalt in Schubert (Hrsg), Akademie für Deutsches Recht 1933–1945, Protokolle der Ausschüsse, Ausschuß für Aktienrecht, 1986, S. 47 f. Eine Frage nach Kenntnis solcher Vorgänge wurde von den Anwesenden verneint, dazu auch Markus Roth ZGR 2011, 516, 533. 35   Zahn Wirtschaftsführertum und Vertragsethik im neuen Aktienrecht, 1934, S. 94 f. 36   Zutreffend kritisch zur Rezeption nur von Gesetzgebungsmaterialien Thiessen AG 2013, 573, 576 f. 37   Klausing AktG 1937, S. 56 (Amtliche Begründung, Vierter Teil, Verfassung der Aktiengesellschaft (§§ 70–124), Vorbemerkung). 38  Anders in der KG, dort erstreckt sich die Geschäftsführungsbefugnis nicht auf Grundlagengeschäfte, dazu Roth in Baumbach/Hopt HGB 38. Auflage, § 164 Rn. 4. 39   Hinsichtlich der Kompetenzen der Hauptversammlung regelmäßig wiederkehrende Maßnahmen, Strukturentscheidungen bzw. Grundlagengeschäfte und Sonderfälle unterscheidend Großkomm/Mülbert 5. Auflage, § 119 Rn. 23 ff. 40   BGHZ 83, 122, dazu näher Großkomm/Mülbert 5. Auflage, § 119 Rn. 30 ff. 41   In der KG kann der Gesellschaftsvertrag dem Kommanditisten Geschäftsführungsbefugnis geben und die Geschäftsführung im Gesellschaftsvertrag sogar als Leistung der Kommanditeinlage vereinbart werden, Roth in Baumbach/Hopt HGB 38. Auflage, § 164 Rn. 7 f, weiter können Kommanditisten bevollmächtigt werden, dazu Roth in Baumbach/ Hopt HGB 38. Auflage § 170 Rn. 3.

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wenn man rückblickend mit guten Gründen skeptisch sein mag, ob einem nur mit nicht geschäftsführenden Personen besetzten Organ die Oberleitung anvertraut werden sollte, so erstaunt doch, dass sich hierüber bislang keine vertiefte Diskussion findet. Im hier interessierenden Zusammenhang ist dies nicht nachzuholen. Materielle Aufgaben sowie Kommunikationsaufgaben und -kompetenzen sich nicht decken, zu denken in Deutschland ist etwa an die Repräsentationsaufgabe des Bundespräsidenten. Bei einer Repräsentation des Aufsichtsrats bzw des beaufsichtigten Unternehmens ist so stets daran zu denken, dass die Kommunikationsrechte weiter gehen können als die Möglichkeit der Verpflichtung der Gesellschaft. Im Aktiengesetz 1937 fand sich im Vierten Teil des Ersten Buches über die Aktiengesellschaft nach den Abschnitten zum Vorstand sowie zum Aufsichtsrat noch ein gemeinsamer Abschnitt über Vorstand und Aufsichtsrat (Dritter Abschnitt, Gemeinsame Vorschriften für die Mitglieder des Vorstands und des Aufsichtsrats, §§ 100–101 AktG 1937). Dort war neben dem nunmehrigen § 117 AktG (damals § 101 AktG 1937) die Angabe der Vorstandsmitglieder und des Aufsichtsratsvorsitzenden auf den Geschäftsbriefen aufgeführt (nunmehr § 80 AktG). Bereits nach § 100 Satz 1 AktG 1937 (Namensangabe) mussten auf allen Geschäftsbriefen der Gesellschaft die sämtlichen Vorstandsmitglieder und der Vorsitzer des Aufsichtsrats mit dem Familiennamen und mindestens einem ausgeschriebenen Vornamen angegeben werden.42 Daneben hatte der Gesetzgeber des AktG 1937 die Kommunikation des Aufsichtsrats stärker in den Vorschriften zum Aufsichtsrat verortet. Die Pflicht des Vorstands zur Information des Aufsichtsrats war in der Vorläufernorm des § 111 AktG 1965 enthalten, in § 95 Abs. 2 AktG 1937. Danach konnte der Aufsichtsrat jederzeit vom Vorstand einen Bericht über die Angelegenheiten der Gesellschaft einschließlich ihrer Beziehungen zu einem Konzernunternehmen verlangen. Auch ein einzelnes Mitglied konnte einen Bericht, allerdings nur an den Aufsichtsrat als solchen verlangen, lehnte der Vorstand die Berichterstattung ab, so konnte der Bericht nur verlangt werden, wenn der Vorsitzer des Aufsichtsrats das Verlangen unterstützte. Es folgte die Pflicht zur Information der Aktionäre auf der Hauptversammlung über die Prüfung § 96 AktG 1937, nunmehr verknappt in § 171 Abs. 2 AktG 1965. Nach § 96 Abs. 1 AktG 1937 hatte der Aufsichtsrat den Jahresabschluss, den Vorschlag für die Gewinnverteilung und den Geschäftsbericht zu prüfen und der Hauptversammlung darüber zu berichten. Nach § 96 Abs. 2 AktG 42   AmtlBegr zu §§ 100, 101, abgedruckt bei Klausing, AktG 1937, S. 85 f.: Der Abschnitt bringt zwei Bestimmungen, die wesentliche Neuerungen gegenüber dem geltenden Recht enthalten. Zu den Mängeln des bisherigen Aktienrechts wird in erster Linie die Anonymität gerechnet. [...] Jeder, der mit der Gesellschaft in Verbindung steht, muss ohne weitere Nachforschung ersehen können, in wessen Händen die Geschicke der Gesellschaft liegen, der er sein Geld anvertraut oder mit der er Geschäfte schließen will.

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1937 hatte der Aufsichtsrat in seinem Bericht mitzuteilen, in welcher Art und in welchem Umfang er die Geschäftsführung der Gesellschaft während des Geschäftsjahrs geprüft hat und ob diese Prüfungen nach ihrem abschließenden Ergebnis zu wesentlichen Beanstandungen Anlass gegeben haben. Praktisch ist für die Kommunikation des Aufsichtsrats zu bedenken, dass der Aufsichtsratsvorsitzende regelmäßig von der Satzung als Leiter der Hauptversammlung vorgesehen ist,43 als solcher muss er jedenfalls während der Hauptversammlung mit den Aktionären kommunizieren. Ganz generell erleichtert es die Erfüllung der Aufgaben des Aufsichtsrats, wenn dieser bereits vor der Hauptversammlung das Gespräch jedenfalls mit den bedeutenderen Aktionären sucht. Dies erscheint für die sachgemäße Vorbereitung der nach § 124 Abs. 3 Satz 1 AktG allein vom Aufsichtsrat zu verantwortenden regelmäßigen Tagesordnungspunkte der Hauptversammlung (Wahl des Abschlussprüfers und Neuwahl von Aufsichtsratsmitgliedern) bei größeren Gesellschaften nachgerade unabdingbar. Erleichtert wird die Vorbereitung auch der nicht explizit allein dem Aufsichtsrat zugewiesenen Tagesordnungspunkte wie die Entlastung des Vorstands sowie das den Vorstand betreffende Vergütungssystem, also Aufgaben, die nach der aktienrechtlichen Organisationsverfassung allein dem Aufsichtsrat obliegen. Jedenfalls nahe liegt weiter eine Kommunikation bei sonstigen Aufgaben des Aufsichtsrats, zu beachten hat der Aufsichtsrat neben der Verschwiegenheitspflicht und der Gleichbehandlungspflicht auch die Entscheidung des Gesetzgebers, die Geschäftsführung allein dem Vorstand zu überantworten. 3.  Wandel des institutionellen Rahmens Anders als bei Erlass des AktG 1965 und auch des AktG 193744 dominieren heute in den größeren deutschen Aktiengesellschaften ausländische institutionelle Investoren,45 die deutschen Banken haben die von ihnen historisch gehaltenen Anteile an deutschen Aktiengesellschaften nach der Steuerreform der Jahrtausendwende weitgehend abgebaut, das Depotstimmrecht hat aufgrund verschiedener Reformen und der teils schon benannten Änderung der Anteilseignerstruktur signifikant an Bedeutung verloren. International hat diese Entwicklung bereits früher begonnen, insbesondere im Vereinigten Königreich, aber auch in den USA.46

  Dazu schon oben Fußnote 6.   Zur Flexibilität der deutschen Unternehmensverfassung Seibert AG 2015, 593. 45   Ernst & Young, Wem gehört der DAX?, April 2018, S. 4: Ausland 53,7 %, Inland 35,8 %, nicht zuordenbar 10,8 %. Institutionelle Anleger halten nach dieser Statistik 63 % der Aktien, 82 % befinden sich im Streubesitz, dort S. 3. 46   Armour/Skeel The Divergence of U.S. and UK Takeover Regulation, Regulation 30 (2007) 50, 55, 56. 43 44

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Institutionelle Investoren sind teilweise gesetzlich verpflichtet, in Hauptversammlungen abzustimmen, dies gilt insbesondere für internationale institutionelle Investoren, die mittlerweile die Mehrheit der Anteile an den großen deutschen Aktiengesellschaften halten. Diese Verpflichtung zur Stimmabgabe oder auch nur zur Publizität hat zur Herausbildung der Stimmrechtsvertreter (proxy advisor) geführt.47 Portfolioinvestoren mit national und international mehreren hundert Anlageunternehmen können nicht alle Entscheidungen selbst treffen. Dies ist nicht nur kostengünstig, es befördert auch die Herausbildung internationaler Standards, auch zur Corporate Governance48 und dabei auch zum Dialog der Unternehmensorgane mit den Investoren. Institutionelle Investoren haben teilweise gemeinsame Corporate Governance Kodizes (Council of Institutional Investors, CII),49 teilweise eigene Kodizes (CalPERS, Hermes),50 die jeweils einen Dialog direkt mit den Unternehmen, in die investiert wurde, vorsehen. Der Dialog mit den Unternehmen ist auch Gegenstand der Stewardship Kodizes, die nach englischem Vorbild zunehmend Verbreitung finden.51 Darüber hinaus aktuell weiter die Tendenz, dass der Aufsichtsrat stärker die Interessen der Öffentlichkeit aufnehmen soll. Vorgesehen sind solche Kontakte im UK Corporate Governance Code 2018, eventuell noch stärkere Bedeutung könnten sie künftig in Frankreich enthalten.

III.  Der Bericht des Aufsichtsrats und die Aufsichtsratstätigkeit betreffende Fragen Der Bericht des Aufsichtsrats in der Hauptversammlung bildete neben der Haftung der Aufsichtsratsmitglieder52 in den letzten Jahren zumindest zeitweise einen der Schwerpunkte der Rechtsprechung zum Recht des Auf47   Dazu monographisch Wünschmann Die Haftung und Regulierung in institutionellen Stimmrechtsberatern, 2015; Kuhla Regulierung institutioneller Stimmrechtsberater, 2014; Schwarz Institutionelle Stimmrechtsberatung, 2013; weiter Seibert in FS HoffmannBecking 2013, S. 1101, 1112 ff; Klöhn/Schwarz ZIP 2012, 149; Fleischer AG 2012, 2, siehe schon Uwe H. Schneider EuZW 2006, 289. 48  Speziell für deutsche Gesellschaften Glass Lewis, 2018 Guidelines Germany, für Eu­ropa Institutional Shareholder Services (ISS), Proxy Voting Guidelines 2018. 49  Council of Institutional Investors, The voice of corporate governance, Policies on Corporate Governance, September 2017. 50   The California Public Employees’ Retirement System (CalPERS), Governance and Sustainability Principles, April 2017; Hermes, Corporate Governance Principles, Germany, December 2017. 51  Dazu Hein Stewardship-Verantwortung institutioneller Investoren, 2018, S. 72–169. 52   ISION, dazu Großkomm/Hopt/Roth, 5. Auflage, § 93 Rn. 139 zum Kontrollermessen Großkomm/Hopt/Roth, 5. Auflage, § 111 Rn. 106 f, zum Ermessen bei der Geltendmachung von Schadensersatzansprüchen gegen (ehemalige) Vorstandsmitglieder auch Markus Roth Journal of Corporate Law Studies 8 (2008) 337, 364 ff.

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sichtsrats.53 Nach § 171 Abs. 1 Satz 2 AktG hat der Aufsichtsrat den Jahresabschluss, den Lagebericht und den Vorschlag für die Verwendung des Bilanzgewinns zu prüfen, bei Mutterunternehmen auch den Konzernabschluss und den Konzernlagebericht. Ist der Jahresabschluss oder der Konzernabschluss durch einen Abschlussprüfer zu prüfen, so hat dieser nach § 171 Abs. 1 Satz 2 AktG an den Verhandlungen des Aufsichtsrats oder des Prüfungsausschusses über diese Vorlagen teilzunehmen und über die wesentlichen Ergebnisse seiner Prüfung, insbesondere wesentliche Schwächen des internen Kontrollund Risikomanagementsystems bezogen auf den Rechnungslegungsprozess, zu berichten. Der Aufsichtsrat hat über das Ergebnis der Prüfung des Jahresabschlusses, des Lageberichts sowie des Vorschlags für die Verwendung des Bilanzgewinns, bei Mutterunternehmen auch des Konzernabschlusses und des Konzernlageberichts schriftlich an die Hauptversammlung zu berichten, § 172 Abs. 2 Satz 1 AktG. Der Aufsichtsrat hat in dem Bericht nach § 172 Abs. 2 Satz 2 AktG auch mitzuteilen, in welcher Art und in welchem Umfang er die Geschäftsführung der Gesellschaft während des Geschäftsjahrs geprüft hat; bei börsennotierten Gesellschaften hat er insbesondere anzugeben, welche Ausschüsse gebildet worden sind, sowie die Zahl seiner Sitzungen und die der Ausschüsse mitzuteilen. Der seit dem AktG 1937 so bezeichnete Bericht des Aufsichtsrats54 ist Ausfluss der Verantwortung der Aufsichtsratsmitglieder gegenüber den Aktionären. Gegenstand höchstrichterlicher Entscheidungen war der Bericht des Aufsichtsrats im Rahmen der Anfechtung der Entlastung von Vorstand und Aufsichtsrat.55 Die Anfechtung der Entlastung56 bildete jedenfalls zeitweise den Schwerpunkt der Anfechtung von Hauptversammlungsbeschlüssen.57 Nach Inkrafttreten des ARUG zum 1. September 2009 ergab sich ein deut-

53   Näher Großkomm/Hopt/Roth, 5. Auflage, § 111 Rn. 554 ff, meist instanzgerichtliche Rechtsprechung. 54   § 262e Abs. 3 HGB, eingeführt durch die Verordnung über das Aktienrecht, sprach von Bemerkungen zum Geschäftsbericht und einer Auskunft des Aufsichtsrats. 55   BGH AG 2010, 632 (erfolgreich) und BGHZ 194, 14 = AG 2012, 712 (Fresenius, nicht erfolgreich). 56   Materiell ist Voraussetzung, dass ein Verhalten gebilligt wird, dass einen schwerwiegenden und eindeutigen Gesetzes- oder Satzungsverstoß darstellt, BGHZ 194, 14 Rn. 9, weiter kommen Informationspflichtverstöße in Betracht, dort Rn. 24 ff. 57   Für die Zeit zwischen 2003 und Mitte 2007 haben Baums/Keinath/Gajek ZIP 2007, 1629, 1631, 1633, 1639 insgesamt mehrere hundert Beschlussmängelklagen erfasst, mit 39 Beschlüssen wurden Beschlüsse zur Entlastung von Vorstand und Aufsichtsrat am häufigs­ ten angegriffen, dies gilt auch für die Zeit von 2007 bis Mitte 2011 mit 83 Beschlüssen, Baums/Drinhausen/Keinath ZIP 2011, 2329, 2331, 2337.

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licher Rückgang der Beschlussmängelklagen,58 der weiterhin anhält.59 Dazu beigetragen dürfte die Fresenius-Entscheidung des BGH, nach der die Entlastung nicht anfechtbar ist, weil über Interessenkonflikte nicht im Bericht des Aufsichtsrats, sondern nur im Corporate Governance-Bericht informiert wurde,60 hierin wurde keine berichtspflichtige Abweichung vom Kodex gesehen. Bislang lediglich Gegenstand dogmatischer Erörterung ist die Zuständigkeit zur Beantwortung die Tätigkeit des Aufsichtsrats betreffender Fragen auf der Hauptversammlung. Zutreffend ist von einer Zuständigkeit des Aufsichtsrats für die Tätigkeit des Aufsichtsrats betreffenden Fragen auszugehen,61 insbesondere die Frage der Kontrolle und Vergütung des Vorstands, weiter die Auswahl neuer Aufsichtsratsmitglieder. Dass nach § 131 Abs. 1 Satz 1 AktG jedem Aktionär in der Hauptversammlung vom Vorstand auf Verlangen Auskunft zu geben ist, soweit dies zur sachgemäßen Beurteilung eines Gegenstandes der Tagesordnung erforderlich ist, steht dem nicht entgegen.62 Das Gesetz ist insoweit einschränkend auszulegen, dogmatisch liegt die Annahme einer Annexkompetenz des Aufsichtsrats nahe,63 die Ausgestaltung der Zuständigkeit für die Beantwortung von Fragen folgt zutreffend der internen Zuständigkeit in der Organisationsverfassung der Aktiengesellschaft. Der Dualismus der Kommunikation von Vorstand und Aufsichtsrat zeigt sich auch in § 176 Abs. 1 Satz 2 AktG, danach hat der Vorstand seine Vorlagen, der Vorsitzende des Aufsichtsrats den Bericht des Aufsichtsrats zu erläutern. Hieraus wird teilweise ein Recht des Aufsichtsratsvorsitzenden gefolgert, sich zu Fragen der Aktionäre zu äußern.64 Die gesetzliche Regelung verkürzt die innergesellschaftsrechtliche Zuständigkeit, die geübte Praxis wird der aktienrechtlichen Organisationsverfassung besser gerecht. Hintergrund der Regelung im AktG 1965 war die Zuständigkeit des Vorstands für Geschäftsführungsfragen.65 Das AktG 1937 wollte freilich 58   Baums/Drinhausen/Keinath ZIP 2011, 2329, 2331: 2007: 184, 2008: 215, 2010: 90, im ersten Halbjahr 2011: 28. 59  Zur Anzahl der Bekanntmachung von Beschlussmängelklagen im Bundesanzeiger sowie zur Zahl betroffener Gesellschaften Bayer/Hoffmann ZIP 2013, 1193, 1200 (2006 bis 2012) und fortgeführt bis 2016 dies. AG-Report 2017, 155, 156. 60   BGHZ 194, 14 Rn. 30. 61   Hoffmann-Becking NZG 2017, 281, 285, einen eigenen Auskunftsanspruch gegen den Aufsichtsrat als sachlich überzeugend ansehend Butzke Hauptversammlung, 5. Auflage 2011, Rn. G 28 mit Verweis auf Trescher DB 1990, 515 f, so de lege ferenda Großkomm AktG/Decher, 5. Auflage, § 131 Rn. 66. 62   So freilich die herrschende Meinung, statt aller Hüffer/Koch AktG, 13. Auflage, § 131 Rn. 7. 63  Dazu im Rahmen der Vertretung GroßkommAktG/Hopt/Roth, 5. Auflage, § 112 Rn. 54. 64   Hoffmann-Becking NZG 2017, 281, 285 f. 65   BegrRegE bei Kropff AktG 1965, S. 185.

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grundsätzlich die Stellung des Aufsichtsrats stärken,66 der Bundesgerichtshof hat es so zutreffend abgelehnt, Berichte über dessen Tätigkeit von einer Verlautbarung des Vorstands abhängig zu machen.67

IV.  Erklärung zum Deutschen Corporate Governance Kodex Die Verortung der Pflicht zur Abgabe der Entsprechenserklärung zum Deutschen Corporate Governance Kodex im Aktiengesetz (konkret: § 161 AktG) spricht für eine aktienrechtliche Sanktionierung fehlerhafter oder gar fehlender Entsprechenserklärungen.68 International findet sich die Pflicht zur Erklärung der Anwendung eines Corporate Governance Kodex und die Pflicht zur Erklärung über Abweichungen von diesem Kodex häufig in den Börsenzulassungsbedingungen.69 So sind es im Vereinigten Königreich die Listing Rules der London Stock Exchange, die die Erklärung über die Anwendung des UK Corporate Governance Code vorsehen. In den USA enthalten die Börsenzulassungsbedingungen der New York Stock Exchange sowie der Nasdaq sogar zwingende Vorgaben für die Ausgestaltung der Corporate Governance der an ihr notierten Gesellschaften, dies nicht zuletzt aufgrund von Vorgaben der USamerikanischen Börsenaufsicht, der Securities Exchange Commission (SEC). Aufgabe des Bundesgerichtshofs ist es, die aktienrechtliche Sanktion näher auszugestalten. In den Entscheidungen Kirch/Deutsche Bank und Umschreibestopp war jeweils die Anfechtung der Entlastung erfolgreich,70 anders beim bisherigen Schlusspunkt, der Fresenius-Entscheidung71 zu Beratungsverträgen von Aufsichtsratsmitgliedern bzw von Gesellschaften, an denen ein Aufsichtsratsmitglied beteiligt ist. Der Bundesgerichtshof hat in der FreseniusEntscheidung die Grundsätze der Umschreibestopp-Entscheidung bestätigt und geschärft. Danach ist die fehlende Erwähnung eines Interessenkonflikts im Bericht an die Hauptversammlung nur dann von Bedeutung, wenn ein objektiv urteilender Aktionär die Informationserteilung als Voraussetzung für die sachgerechte Wahrnehmung seines Teilnahme- und Mitgliedschaftsrechts an­sähe.72 Das Kriterium des objektiv urteilenden Anlegers baut darauf auf, dass der Deutsche Corporate Governance Kodex sich an börsennotierte Gesellschaften wendet, geschützt werden sollen die Interessen von Kapitalanlegern.   BegrRegE bei Kropff AktG 1965, S. 95 f.   BGHZ 64, 325, 331 (Bayer), dazu noch unten V., zur Selbstbefreiung des Aufsichtsrats von der Verschwiegenheitspflicht BGHZ 193, 110 Rn. 40. 68  GroßkommAktG/Leyens, 5. Auflage, § 161 Rn. 468 ff. 69   Im Vereinigten Königreich: Financial Conduct Authority, Listung Rules, LR 9.8.6 (5). 70   BGHZ 180, 9 (Kirch/Deutsche Bank) und BGHZ 182, 272 (Umschreibestopp). 71   BGHZ 194, 14 (Fresenius). 72   BGHZ 194, 14 Rn. 28, ähnlich BGHZ 182, 272 Rn. 18 (nicht geeignet, die Entscheidung eines objektiv urteilenden Aktionärs zu beeinflussen). 66 67

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V.  Erklärungen in der Öffentlichkeit Die Aufsichtsratsvorsitzenden großer Gesellschaften äußern sich nicht nur auf der Hauptversammlung, sondern auch in der Öffentlichkeit.73 Dies erfolgt insbesondere bei Unternehmen, die besonders im Fokus des öffentlichen Interesses stehen, sei es allein aufgrund ihrer Bedeutung, sei es aufgrund besonderer Probleme. Häufig erfolgen Äußerungen des Aufsichtsratsvorsitzenden bei akuten bzw sich entwickelten Krisen sowie auf oder im Umfeld der Hauptversammlung. Medien berichten nicht nur über den Bericht des Aufsichtsrats auf der Hauptversammlung, sondern auch über als Leiter der Hauptversammlung getätigte Äußerungen des Aufsichtsratsvorsitzenden. Gebilligt wurden Äußerungen des Aufsichtsrats in der Öffentlichkeit vom Bundesgerichtshof in der Bayer-Entscheidung.74 Der Bundesgerichtshof verweist allgemein auf die pflichtgemäße Amtsausübung und die Regelung der Verschwiegenheitspflicht durch das Aktiengesetz. Der Bundesgerichtshof erkennt den mehrheitlichen Wunsch der Aufsichtsratsmitglieder nach Geheimhaltung als besonders zu prüfendes Merkmal an,75 der entscheidende 2. Senat stand aber schon damals der Annahme, dass dem Vorstand die Stellung eines „Herrn der Geschäftsgeheimnisse“ zukommt,76 erkennbar skeptisch gegenüber.77 Insbesondere sprengt ein grundsätzliches Verbot, Gegenstand, Verlauf und Ergebnis von Aufsichtsratsverhandlungen zu offenbaren, den Rahmen des § 93 Abs. 1 Satz 2 AktG (jetzt § 93 Abs. 1 Satz 3).78 Vielmehr kann es gerade im Interesse des Unternehmens notwendig werden, eine im Aufsichtsrat besprochene Angelegenheit anderweit in einem geschlossenen Kreis oder auch öffentlich zu erörtern. Damit können Missverständnisse ausgeräumt und kann Gerüchten entgegen werden, weiter kann Unruhe vermeiden oder sonst die Beziehungen und das Bild der Gesellschaft nach innen und außen günstig zu beeinflussen werden. Wann dies der Fall ist, lässt sich nicht nach starren Regeln, sondern nur im Einzelfall entscheiden.79 Im Schrifttum wird häufig auf eine Qualifikation des Aufsichtsrats als Innenorgan verwiesen,80 vereinzelt auch in der Rechtsprechung,81 das trifft nach dem bisher Gesagten so aber nicht zu. Nicht nur historisch, sondern

 Kritisch E. Vetter AG 2016, 873, 876.   BGHZ 64, 325. 75   BGHZ 64, 325, 329. 76   BGHZ 64, 325, 329 f. 77   Sodann BGHZ 193, 110 Rn. 40, anders wohl noch die Wertung des RegE zum AktG 1965, abgedruckt bei Kropff AktG 1965, S. 185 (zum Auskunftsrecht des Aktionärs, § 131). 78   BGHZ 64, 325, 331. 79   BGHZ 64, 325, 331. 80   Oben Einleitung, Fußnote 5. 81   Etwa OLG Düsseldorf vom 24.3.2011, I-6 U 18/10 Rn. 108 (juris), siehe auch OLG Stuttgart AG 2012, 298, 303: grundsätzlich „Binnenorgan“. 73

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auch noch aktuell kommt dem Aufsichtsrat die Aufgabe zu, öffentliche Interessen zu sichern und hierfür auch mit der Öffentlichkeit zu kommunizieren. Der Bundesgerichtshof hatte schon in den 1990er Jahren in seiner Grundlagenentscheidung zu fehlerhaften Aufsichtsratsbeschlüssen entschieden, dass dem Aufsichtsrat mit den Überwachungs- und Kontrollaufgaben nach § 111 AktG zwar im Wesentlichen Funktionen mit Innenwirkung zugewiesen sind, allerdings zugleich darauf abgehoben, dass etwa mit der Bestellung von Vorstandsmitglieder auch Aufsichtsbeschlüsse einer breiten Öffentlichkeit bekannt werden.82 Zutreffend liegt es in der Kompetenz des Gesamtaufsichtsrats über Kommunikationsgrundsätze zu entscheiden.83 Das OLG Stuttgart hat sogar die Erklärung eines einfachen Aufsichtsratsmitglieds (Bunte-Interview) an sich unbeanstandet gelassen.84 Nach der Wertung der Tatsachen durch das Oberlandesgericht lag eine Pflichtwidrigkeit entweder in Kreditgefährdung der beaufsichtigten Gesellschaft oder in fehlendem Verständnis der Lage der beaufsichtigten Gesellschaft, so in der Folge auch der Bundesgerichtshof.85

VI. Investorendialog Beim sogenannten Investorendialog, dem Dialog auch des Aufsichtsrats mit institutionellen Investoren,86 handelt es sich um ein Entwicklungsthema des Aktienrechts,87 dies national und international.88 Hintergrund ist insbesondere die Vorbereitung der Hauptversammlung und hier die Alleinzuständigkeit des Aufsichtsrats für die Vorschläge der Verwaltung betreffend die Neubesetzung des Aufsichtsrats, aber auch für den Vorschlag der Verwaltung zur Wahl des Abschlussprüfers. Zuständig ist der Aufsichtsrat weiter für die Vergütung des Vorstandes, insbesondere wenn ein Vergütungsvotum der Hauptversammlung ansteht, sollte das Kontrollorgan im Voraus die Ansicht jedenfalls einer repräsentativen Anzahl von Aktionä  BGHZ 122, 342, 348.  GroßkommAktG/Hopt/Roth, 5. Auflage, § 107 Rn. 159. Zu Gefahren Weber-Rey NZG 2013, 766, 768 (Aufsichtsratsvorsitzender). Zu Kontrollpflichten und Kontrollermessen GroßkommAktG/Hopt/Roth, 5. Auflage, § 111 Rn. 106 ff. 84   OLG Stuttgart AG 2012, 298, 300 ff. 85   BGH AG 2013, 90. 86   Dazu GroßkommAktG/Hopt/Roth, 5. Auflage, § 107 Rn. 155 ff; GroßkommAktG/ Hopt/Roth, 5. Auflage, § 111 Rn. 567 ff. 87  So treffend Hirt/Hopt/Mattheus AG 2016, 725 dazu auch Seibt/Scholz AG 2016, 739,742 f. Allgemein zu Investor Relations Fleischer ZGR 2009, 505, auch zur Gleichbehandlung. 88  Instruktiv Strampelli Knocking on the Boardroom Door: A Transatlantic Overview of Director-Institional Investor Engagement in Law and Practice, abrufbar bei SSRN, auch mit Blick auf die Grenzen. 82 83

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ren einholen, um Reputationsschäden und spätere Korrekturen zu vermeiden. Auch beim Investorendialog zu beachten ist die besondere Rolle des Aufsichtsratsvorsitzenden. Sie ist im Gesetz bei Kapitalerhöhungen festgelegt, sonst nach der Begründung zum AktG 1937 anzunehmen,89 innere Ordnung ist im Gesetz bewusst unvollständig geregelt. Schwierigkeiten bereiten neben der grundsätzlichen Trennung von Geschäftsführung und Kontrolle nicht zuletzt die Wertentscheidungen des Aktiengesetzes 1937, die wegen der dort vorgenommenen Einführung des Führerprinzips für das geltende Recht ganz offensichtlich nicht ungeprüft und unverändert übernommen werden können.90 International ist ein Investorendialog üblich, er wird von institutionellen Investoren schlichtweg erwartet.91 Im Vereinigten Königreich ist der Investorendialog nicht nur im UK Stewardship Code, sondern konkreter auch im UK Corporate Governance Kodex verankert.92 Im Vereinigten Königreich hat bereits der Combined Code on Corporate Governance vom Juli 2003 vorgesehen,93 dass nicht nur der Vorsitzende des Verwaltungsrats (chairman des board), sondern jedenfalls auch der Sprecher der unabhängigen Verwaltungsratsmitglieder (senior independent director) regelmäßig an Gesprächen mit Aktionären teilnimmt.94 Ein Deutscher Stewardship Kodex95 könnte die Themen für eine Kommunikation und insbesondere die Grenzen schärfer konturieren.96 Entsprechend dem Zweck des Deutschen Corporate Governance Kodex könnte dabei auch die deutsche Unternehmensverfassung für ausländische Investoren verdeutlicht werden, dies mit besonderem Blick auf die Kommunikation mit deutschen Aktiengesellschaften. Ein solcher Ansatz ginge über die bislang gängigen Stewardship Kodizes hinaus, was sich zwanglos damit erklären lässt,

89   AmtlBegr zum AktG 1937, abgedruckt bei Klausing AktG 1937, S. 78, dazu Großkomm/Hopt/Roth, 5. Auflage, § 107 Rn. 118 ff. 90  Eine Bekanntgabe von Aufsichtsratsbeschlüssen durch den Aufsichtsratsvorsitzenden kraft Amtsstellung ablehnend noch Großkomm/Hopt/Roth, 4. Auflage, § 107 Rn. 113, § 112 Rn. 85, anders nun die 5. Auflage. 91   Council of Institutional Investors (CII), Policies on Corporate Governance, September 2017, 2.6, grundsätzlich dies berichtend CalPERS Governance and Sustainability Principles, April 2017, Shareowner engagement, p 5, speziell zu Deutschland Hermes Corporate Governance Principles, Germany, December 2017, shareholder participation in corporate decisionmaking (p 2). 92   UK Corporate Governance Code 2018, Provision 3. 93   Combined Code July 2003, Code Provision D.1.1. 94   Guidance on Board Effetiveness 2018, 35 ausführlicher noch UK Corporate Governance Code 2016, Code Provision E.1.1. 95   Hein Stewardship-Verantwortung institutioneller Investoren, 2018, S. 336 ff. 96   Dazu auch Strampelli Knocking on the Boardroom Door: A Transatlantic Overview of Director-Institional Investor Engagement in Law and Practice, p 28 ff. abrufbar bei SSRN.

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dass sich die spezifisch deutschen Fragen der Kommunikation mit zwei Verwaltungsorganen international meist nicht stellen. Ein Deutscher Stewardship Kodex sollte auf der Initiative Developing Shareholder Communication aufgebauen. Für die Frage der Ausgestaltung und des Inhalts des Dialogs mit institutionellen Investoren gilt der Vorrang der Entscheidung des Aufsichtsrats.97 In Betracht kommt ein Dialog insbesondere durch den Aufsichtsratsvorsitzenden und wenn dieser sein Amt hauptamtlich, etwa mit der Hälfte der üblichen Arbeitszeit, wahrnimmt. Vorgesehen werden kann in einer Kommunikationsordnung auch eine sogenannte one voice policy98 im Sinne einer Abstimmung öffentlicher Äußerungen. Die größere Distanz von der Geschäftsführung sollte den Äußerungen von Aufsichtsratsmitgliedern anzumerken sein, die sich auch insoweit keine Geschäftsführungsbefugnisse oder gar die Oberleitung anmaßen dürfen.99 Umgekehrt darf der Aufsichtsrat nicht dem Vorstand unterworfen werden,100 es ist der Aufsichtsrat, der die Vorstandsmitglieder bestellt und ggf auch wieder abberuft, ihm muss so auch eine Einschätzungsprärogative zukommen, welche Äußerungen im konkreten Einzelfall im Interesse der Gesellschaft liegen.

VII.  Kommunikation mit Stakeholdern Größere Bedeutung erlangt hat weiter die Corporate Social Responsibility,101 durch die Umsetzung der CSR-Richtlinie nun auch in Deutschland. Nach § 289b HGB haben bestimmte kapitalmarktorientierte Gesellschaften eine nichtfinanzielle Erklärung abzugeben, dies über Umweltbelange, Arbeitnehmerbelange, Sozialbelange, die Achtung der Menschenrechte sowie die Bekämpfung von Korruption und Bestechung, § 289c Abs. 2 HGB. Die betroffenen Gesellschaften haben die Lagebericht entsprechend zu erweitern, der Aufsichtsrat muss nunmehr nicht nur die Finanzkennzahlen, sondern auch andere Kennzahlen prüfen.102 Die in der nichtfinanziellen Erklärung zu behandelnden Themen können für das Ansehen des Unternehmens in der

 GroßkommAktG/Hopt/Roth, 5. Auflage, § 107 Rn. 159.   Koch AG 2017, 129, 132; E. Vetter AG 2014, 387, 392, ders. AG 2016, 873, 876. 99   Zu § 111 Abs. 4 Satz 1 AktG Großkomm/Hopt/Roth, 5. Auflage, § 111 Rn. 582 ff. 100   Zur Bayer-Entscheidung des Bundesgerichtshofs oben V. 101  Zu Frankreich auch Notat/Senard L’entreprise, objet d’interet collectif, Rapport aux Ministres de la Transition écologique et solidaire, de la Justice, de l`Économie et des Finances du Travail, 9 mars 2018. 102   Zu Pflichten des Aufsichtsrats Bachmann ZGR 2018, 231, 240 f.; Hennrichs ZGR 2018, 206, 222; Hommelhoff NZG 2017, 1361, 1364 ff.; Lanfermann BB 2017, 747; Hennrichs NZG 2017, 841; Kajüter DB 2017, 617; Böcking/Althoff Der Konzern 2017, 246, 247; Blöink/Halbleib Der Konzern 2017, 182; Kirsch/Huter WPg 2017, 1017. 97 98

Kommunikation des Aufsichtsrats

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Öffentlichkeit und damit für seinen weiteren Erfolg sogar besonders sensibel sein. Die nunmehr unter dem Stichwort Reputation Management103 bestehende Verantwortung auch des Kontrollorgans für das Ansehen der Gesellschaft in der Öffentlichkeit104 wurde so bereits als Teil der Überwachungsaufgabe des Aufsichtsrats anerkannt. Im Vereinigten Königreich soll der board künftig nicht nur mit den Aktionären, sondern auch mit Arbeitnehmern und anderen Stakeholdern kommunizieren.105 Dabei ist der Fokus auf das Gesamtorgan zu beachten, auch in Deutschland können Arbeitnehmervertreter nicht auf eigene Initiative hin den Betriebsrat über die Verhandlungen im Aufsichtsrat informieren. Die Information aufgrund des Entschlusses einzelner Aufsichtsratsmitglieder ist grundsätzlich von der Information aufgrund eines Beschlusses des Aufsichtsrats abzuschichten und abzugrenzen. So ist beispielsweise für die Fortbildung von Aufsichtsratsmitgliedern nunmehr weitgehend anerkannt, dass aufgrund eines Beschlusses des Gesamtaufsichtsrats weitergehende Ersatzmöglichkeiten bestehen.106 Bei Unternehmensskandalen kann es sich durchaus anbieten, dass der Aufsichtsrat mit engagierten Verbänden (Umweltverbänden, Antikorruptionsverbänden, Menschenrechtsverbänden) das direkte Gespräch sucht und so in der Öffentlichkeit Vertrauen aufbaut bzw. ein erschüttertes Vertrauen wiederherstellt.

VIII. Schluss Bei der Kommunikation des Aufsichtsrats und nicht nur beim Investorendialog allein handelt es sich um ein Entwicklungsthema des deutschen Aktienrechts. Die aktuellen internationalen Entwicklungen stellen die weiterhin maßgeblich durch das AktG 1937 ausgeformte deutsche Unternehmensverfassung auf den Prüfstand. Nach der hier vertretenen Auffassung verfügt das geltende Recht über hinreichende Flexibilität. Der Aufsichtsrat ist in seiner Kommunikation nicht auf den Kontakt mit dem Vorstand und den Bericht des Aufsichtsrats in der Hauptversammlung beschränkt. Er ist neben der

103   Seibt DB 2015, 171, ders. DB 2016, 2707; Fleischer DB 2017, 2015, zur Reputation des Unternehmens auch Klöhn/Schmolke NZG 2015, 689. 104   Zum öffentlichen Interesse als Grund für die Einführung des Aufsichtsrats schon oben Fußnote 10 mit Verweis auf Lieder Der Aufsichtsrat im Wandel der Zeit, 2006, S. 67 ff, 73, 104 f. 105   UK Corporate Governance Code 2018, Provision 5 The board should understand the views of the comany’s other Key stakeholders and describe in the annual report how it has engaged with the workforce and other stakeholders, and how their interests and the matters set out in Section 172 of the Companies Act 2006 have been considered the board’s discussions and decision making. 106   Näher GroßkommAktG/Hopt/Roth, 5. Auflage, § 113 Rn. 114 ff.

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Erklärung zum Deutschen Corporate Governance Kodex auch zur Beantwortung ihn betreffender Fragen auf der Hauptversammlung befugt und kann unter Beachtung der Grenzen insbesondere seiner Zuständigkeit mit Aktionären und anderen Stakeholdern sprechen.

Die Entwicklung der Rechtsprechung zum Zahlungsverbot Volker Sander Die Insolvenzantragspflicht wird seit jeher durch ein Zahlungsverbot flankiert, das – im Interesse der Gläubiger der Gesellschaft – den Erhalt der haftenden Vermögensmasse sichern soll. Für die GmbH ist dieses Zahlungsverbot, obwohl insolvenzrechtlich fundierte Norm, in § 64 Satz 1 GmbHG geregelt. Es gilt gleichermaßen für andere Gesellschaftsformen, bei denen eine Antragspflicht existiert.1 Wenn nachfolgend daher auf § 64 Satz 1 GmbHG eingegangen wird, geschieht dies zum einen unter Berücksichtigung auch der zu den Parallelnormen ergangenen Rechtsprechung und dient zum anderen der Vereinfachung. Wie das Schlagwort „Zahlungsverbot“ schon vorgibt, verbieten die betreffenden Vorschriften, „Zahlungen“ zu leisten. So einfach dieses Verbot sprachlich beschrieben ist, so schwierig erweist sich seine Anwendung, insbesondere die harmonische Einbettung in das Insolvenz­recht, für das beim BGH der IX. Zivilsenat verantwortlich zeichnet. Der Jubilar war schon auf Grund seiner Tätigkeit als Rechtsanwalt beim BGH mit dem Gesellschaftsrecht und dem Insolvenzrecht befasst und darüber hinaus nach seiner Ernennung zum Richter am BGH zunächst dem IX. Zivilsenat zugewiesen. Unter dem Vorsitz des Jubilars im II. Zivilsenat des Bundesgerichtshofes hat es im Jahr 2014 eine maßgebliche Änderung der höchstrichterlichen Rechtsprechung zum Zahlungsbegriff gegeben, die Ausgangspunkt einer noch andauernden Rechtsprechungsentwicklung ist. Weil das Zahlungsverbot, wie im ersten Teil des Beitrags dargestellt werden soll, schon über einen sehr langen Zeitraum nahezu unverändert gesetzlich verankert ist, soll im zweiten Teil die Entwicklung der Rechtsprechung zum Begriff der „Zahlung“ nachgezeichnet werden. Dabei wird die die Rechtsprechung seit langem lebhaft begleitende und befruchtende wissenschaftliche Diskussion unerwähnt bleiben, obwohl für den geneigten Leser die Einflüsse dieser Diskussion auf die Rechtsprechungsentwicklung schnell auszumachen sind. Abschließend soll im dritten Teil kurz auf Reaktionen zur Änderung der Rechtsprechung im Schrifttum und zwei Fragestellungen eingegangen

1   § 92 Abs. 2 Satz 1, § 93 Abs. 3 Nr. 6 AktG, § 34 Abs. 3 Nr. 4 GenG, § 130a Abs. 1 HGB.

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werden, die das zuvor schon erwähnte harmonische Miteinander von Insolvenz- und Gesellschaftsrecht betreffen.

I.  Die Entwicklung der Norm § 64 Satz 1 GmbHG findet seine Vorläufer im Recht der Aktiengesellschaft, namentlich in Artikel 241 Abs. 2 des Allgemeinen Deutschen Handelsgesetzbuchs vom 5. Juni 1869.2 Die Vorschrift hatte folgenden Wortlaut: Mitglieder des Vorstandes, welche außer den Grenzen ihres Auftrages oder den Vorschriften dieses Titels oder des Gesellschaftsvertrages entgegen handeln, haften persönlich und solidarisch für den dadurch entstandenen Schaden. Dies gilt insbesondere, wenn sie der Bestimmung des Artikels § 217 entgegen an die Aktionäre Dividenden oder Zinsen zahlen, oder wenn sie zu einer Zeit noch Zahlungen leisten, in welcher ihnen die Zahlungsunfähigkeit der Gesellschaft hätte bekannt sein müssen.

Durch das Gesetz betreffend die Kommanditgesellschaften auf Aktien und die Aktiengesellschaften vom 18. Juli 18843 wurde diese Vorschrift durch dessen Artikel 240 Abs. 2 und Artikel 241 Abs. 3 wie folgt ersetzt: Artikel 240 Abs. 2 Sobald Zahlungsunfähigkeit der Gesellschaft eintritt, muß der Vorstand die Eröffnung des Konkurses beantragen; dasselbe gilt, wenn aus der Jahresbilanz oder einer im Laufe des Geschäftsjahres aufgestellten Bilanz sich ergiebt, daß das Vermögen nicht mehr die Schulden deckt. Artikel 241 Abs. 3 Mitglieder [des Vorstandes], welche ihre Obliegenheiten verletzen, haften der Gesellschaft solidarisch für den dadurch entstandenen Schaden. Insbesondere sind sie in den Fällen des Artikels 226 Ziffer 1 bis 5, sowie in dem Falle einer nach der Zahlungsunfähigkeit oder Ueberschuldung der Gesellschaft (Art. 240 Abs. 2) geleisteten Zahlung zum Ersatze verpflichtet.

Angelehnt an diese Vorschriften hieß es dann in § 64 GmbHG vom 20. April 1892:4 Die Geschäftsführer haben die Eröffnung des Konkursverfahrens zu beantragen, sobald die Zahlungsunfähigkeit der Gesellschaft eintritt oder aus der Jahresbilanz oder aus einer im Laufe des Geschäftsjahres aufgestellten Bilanz Ueberschuldung sich ergiebt. Die Geschäftsführer sind der Gesellschafter zum Ersatze aller nach diesem Zeitpunkt geleisteten Zahlungen verpflichtet. Auf den Ersatzanspruch finden die Bestimmungen im § 44 Absatz 3 und 4 entsprechende Anwendung.

2   Bundesgesetzblatt des Norddeutschen Bundes Nr. 32 vom 12. August 1869, S. 379, 452. 3   RGBl. 123, 162 f. 4   RGBl. 477, 494.

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Bereits mit Gesetz vom 28. März 19305 fand der hier interessierende Teil der Vorschrift mit § 64 Abs. 2 Satz 1 GmbHG, bis auf ein den damaligen Schreibgewohnheiten geschuldetes „e“, seine bis heute gültige Gestalt: Die Geschäftsführer sind der Gesellschaft zum Ersatze von Zahlungen verpflichtet, die nach Eintritt der Zahlungsunfähigkeit der Gesellschaft oder nach Feststellung ihrer Überschuldung geleistet werden.

II.  Die Entwicklung der höchstrichterlichen Rechtsprechung Im Hinblick auf diese Kontinuität der Gesetzesfassung lohnt ein weit zurückreichender Blick auf die Entwicklung der Rechtsprechung zum Begriff der Zahlung. 1.  Das Reichsgericht Das Nachschlagewerk des Reichsgerichts zu § 64 GmbHG offenbart sechs Entscheidungen,6 von denen eine aus dem Jahr 1912 von näherem Interesse ist.7 Im Hinblick auf die aktienrechtlichen Parallelvorschriften muss eine weitere Entscheidung aus dem Jahr 1938 in den Blick genommen werden.8 Die Ausbeute relevanter höchstrichterlicher Erkenntnisse fällt im Vergleich zum heutigen Befassungsgrad des II. Zivilsenats mit § 64 Satz 1 GmbHG mager aus. a) Das der Entscheidung aus dem Jahr 1912 zu Grunde liegende Verfahren betraf einen sog. „Wiedergänger“. Der II. Zivilsenat des Reichsgerichts hatte sich mit dem Fall, in dem ein Konkursverwalter die beiden Liquidatoren einer als GmbH betriebenen Müllerei wegen nach Zahlungsunfähigkeit und Überschuldung geleisteter Zahlungen in Höhe von 237.464,39 M auf Zahlung eines Teilbetrags von 60.000 M in Anspruch nahm, bereits 1909 zu befassen und das die Klageabweisung bestätigende Urteil des OLG Karlsruhe aufgehoben, weil dieses zu Unrecht angenommen hatte, die Unterlassung der Konkursanmeldung sei den Liquidatoren nicht zum Verschulden anzurechnen.9 Im zweiten Anlauf erklärte das OLG Karlsruhe den Klageanspruch dem Grunde nach für gerechtfertigt und sprach dabei aus, dass die Ersatzpflicht sich nicht auf Zahlungen erstrecke, bezüglich derer die Gläubiger im Konkurse der Gesellschaft auf Grund früher bestellter Sicherheiten abgesonderte oder gemäß § 61 Nr. 1 bis 4 KO vorzugsweise Befriedigung zu   RGBl. 91, 94.   Nachschlagewerk des Reichsgerichts, Band 30 zu § 64 GmbHG. 7   RGZ 80, 105. 8   RGZ 159, 211. 9   RGZ 72, 285, 287 ff. 5 6

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beanspruchen gehabt hätten.10 Auf den Einwand der Beklagten, diese Einschränkung gehe nicht weit genug, weil es möglich sei, dass von den Liquidatoren namens der Gesellschaft Zahlungen geleistet worden seien, für die ein Gegenwert gleichzeitig oder später an die Gesellschaftskasse gelangt sei, erkannte das Reichsgericht, dass die Liquidatoren für die von ihnen geleisteten Zahlungen nur hafteten, soweit die Gesellschaft dadurch benachteiligt sei. Soweit für die Zahlungen ein Gegenwert in das Vermögen der Gesellschaft gelangt sei, könne man von einer Benachteiligung der Gesellschaft nicht reden.11 b) Der im Jahr 1938 entschiedene, die aktienrechtliche Parallelvorschriften betreffende Fall betrifft den wirtschaftlichen Zusammenbruch der HansaLloyd Werke A.G. Bremen im Jahr 1931. Carl F. W. Borgward und Wilhelm Tecklenborg hatten 1929 das Aktienpaket der in Zahlungsschwierigkeiten geratenen Bank J. F. Schröder erworben und wurden zu den alleinigen Vorstandsmitgliedern der Gesellschaft bestellt. Sie erwarben im Dezember 1931 die Betriebsgrundstücke und eine GmbH als Konsortialführerin „die lebendigen Teile des Unternehmens“, die anschließend von der Hansa-Lloyd und Goliath-Werke Borgwart & Tecklenborg oHG fortgeführt wurden. Betreffend die Hansa-Lloyd Werke A.G. wurde zunächst ein Vergleichsverfahren eingeleitet, das im April 1932 einen Vergleich zu Stande brachte, dessen Durchführung jedoch scheiterte. Im anschließenden Konkurs erhielten die Konkursgläubiger eine Quote von 22%. Der Kläger warf Borgward und Tecklenborg u.a. vor, diese hätten nach dem Eintritt der Zahlungsunfähigkeit der Gesellschaft noch Zahlungen aus deren Vermögen geleistet, wobei der Kläger insoweit Rechte als Gläubiger der Gesellschaft verfolgte und die Beklagten für den Ausfall seiner Forderungen haftbar machte.12 Die Vorinstanzen hatten die Klage abgewiesen; die Revision des Klägers führte zur Aufhebung und Zurückverweisung. Die Entscheidung des Reichsgerichts, deren Lektüre auch wegen weiterer Details dieses „Übernahmevorgangs“ lohnenswert ist, enthält in Bezug auf das hier interessierende Thema eine zentrale Aussage. Das Reichsgericht sah – mit dem Berufungsgericht – die Übertragung des Vermögens im Dezember 1931 im Hinblick auf den Gesetzeswortlaut nicht als „Zahlung“ an. Der Begriff stehe offensichtlich im Gegensatz zur Sachlieferung, die im Allgemeinen sogar neue flüssige Mittel hereinbringe.13 An anderer Stelle, wohlgemerkt aber zum Vorwurf einer verfrühten Aktienausgabe, führte das Reichsgericht zur Rechtsnatur des Anspruchs nach § 241 Abs. 3 und 4 HGB (später § 84 Abs. 3 und Abs. 5 Satz 1 AktG) aus, es handele sich um einen Schadenersatzanspruch besonderer Art, der einem Anspruch   RGZ 80, 104, 105.   RGZ 80, 104, 110. 12   RGZ 159, 211, 217, 219. 13   RGZ 159, 211, 234. 10 11

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auf Wertersatz für einen entzogenen Gegenstand an die Seite zu stellen sei. Der Anspruch gehe grundsätzlich auf Ersatz des vollen Betrags, welcher der Gesellschaft durch die Verfehlung der Vorstandsmitglieder entzogen worden sei. Die zur Verantwortung gezogenen Vorstandsmitglieder könnten sich nicht etwa schon damit entlasten, dass sie dartun und beweisen, die betreffende Verfehlung habe bisher keinen Schaden für die Gesellschaft zur Folge gehabt. Vielmehr könnten sie sich nur durch den Nachweis entlasten, dass eine Schädigung der Aktiengesellschaft als Folge der Pflichtverletzung überhaupt nicht mehr möglich sei, weil der zu Unrecht verausgabte Betrag oder doch wenigstens ein ihn ausgleichender Wert auf andere Weise endgültig in das Vermögen der Aktiengesellschaft gelangt sei. Der Inanspruchgenommene sei zum Ersatz aber nur gegen Abtretung der Ansprüche verpflichtet, die der ersatzberechtigten Gesellschaft aus den die Ersatzpflicht begründenden Vorgängen gegen Dritte zustünden.14 2. Bundesgerichtshof Entscheidungen zum Zahlungsverbot blieben auch in der Rechtsprechung des BGH zunächst rar. Die unmittelbar das Zahlungsverbot und die daraus resultierende Haftung betreffenden Entscheidungen mussten sich nicht tiefer mit dem Begriff der „Zahlung“ befassen, wobei im Jahr 1974 in einem obiter dictum ausgesprochen wurde, dass der Geschäftsführer sich durch den Nachweis entlasten könne, dass für die Zahlung ein Gegenwert in das Vermögen gelangt, der „dort voll erhalten“ geblieben sei. Bis in die 90er-Jahre hinein befasste sich die höchstrichterliche Rechtsprechung vorwiegend mit § 64 Abs. 1 GmbHG a.F. i.V.m. § 823 Abs. 2 BGB. Dabei wurden jedoch häufiger Bezüge zu § 64 Abs. 2 GmbHG a.F. hergestellt, die im Vergleich zur Entscheidung des Reichsgerichts aus dem Jahr 1938 eine Hinwendung zu einem stärker auf den Gesichtspunkt der Masseerhaltung orientierten Verständnis des „Zahlungsbegriffs“ dokumentieren (nachstehend a). Erst in den Jahren 1999 und 2000 änderte der II. Zivilsenat seine Rechtsprechung in die Richtung eines weiten Verständnis vom Zahlungsbegriff. Darüber hinaus stellte er anknüpfend an die Entscheidung aus dem 1974 fest, die Berücksichtigung eines Gegenwerts komme nur in Betracht, wenn dieser in das Gesellschaftsvermögen gelangt und dort erhalten verblieben sei (nachstehend b). Die höchstrichterliche Rechtsprechung der Jahre 2001 bis 2014 behält dieses Verständnis im Grundsatz bei und präzisiert den Zahlungsbegriff im Verhältnis zu § 64 Satz 2 GmbHG. Im Hinblick darauf, dass in Anspruch genommene Organe typischerweise nicht den Nachweis führen können, dass ein die Masseschmälerung ausgleichender Gegenwert in das Gesellschaftsvermögen gelangt ist und dort verblieb, musste bzw. konnte der BGH hierzu 14

  RGZ 159, 211, 229 f.

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kaum Fragen beantworten (nachstehend c). Dies änderte sich erst mit der Entscheidung des Bundesgerichtshofs vom 18. November 2014, mit der das Kriterium des „Verbleibs“ einer Gegenleistung aufgegeben wurde. Bei Licht betrachtet knüpfte der II. Zivilsenat mit dieser Entscheidung an die oben dargestellte Entscheidung des Reichsgerichts aus dem Jahr 1912 an, die indes ins Einzelne gehende Fragen des Ausgleichs einer Masseschmälerung noch nicht beantwortete. Dies wurde zwischenzeitlich für wichtige Fallgestaltungen unter Berücksichtigung insolvenzrechtlicher Wertungen nachgeholt (nachstehend d). a) Der BGH nahm in einem Urteil vom 18. März 1974 den vom Reichsgericht in der zuletzt genannten Entscheidung gesponnen Faden zur Rechtsnatur des Anspruchs auf. Der Entscheidung lag der Einwand der beklagten Geschäftsführerin zu Grunde, man habe in der Erwartung günstiger Geschäfte von der Konkursanmeldung abgesehen. Schon ein einziges Geschäft Mitte 1969 habe Vorjahresverluste im Wesentlichen ausgleichen können.15 Hierzu sprach der II. Zivilsenat aus, die Gesellschaft brauche lediglich darzulegen, dass ein zwischen Konkursreife und Konkursantrag gezahlter Betrag in der Konkursmasse fehle. Der Geschäftsführer könne sich, abgesehen vom Sorgfaltsbeweis, auch durch den Nachweis entlasten, dass ein Gegenwert in das Gesellschaftsvermögen gelangt und dort voll verblieben sei.16 Wohlgemerkt hatte das Gericht die nähere Konkretisierung des Zahlungsbegriffs nicht zu entscheiden, weil das Berufungsgericht seine Entscheidung auf § 43 Abs. 2 GmbHG gestützt hatte und ihm die Sache zur „tatrichterlichen Würdigung unter dem noch nicht erörterten Gesichtspunkt des § 64 Abs. 2 GmbHG“ zurückgegeben wurde. Mehr als zehn Jahre später, am 14. Oktober 1985, befasste sich der II. Zivilsenat wieder mit dem Zahlungsbegriff und ließ die vom Berufungsgericht im Sinne der reichsgerichtlichen Rechtsprechung beantwortete Frage, ob Zahlung wirklich nur eine Geldzahlung sein könne oder – ähnlich wie bei § 30 Abs. 1 GmbHG – jede Leistung, ausdrücklich offen.17 Eine sich im Schwerpunkt mit der Frage des Verschuldens des Geschäftsführers befassende Entscheidung des Jahres 1993 geht den Weg zu einem neuen Begriffsverständnis einen Schritt weiter, wenn diese von „masseschmälernden Leistungen der Gesellschaft in der Zeit unmittelbar vor der Eröffnung des Konkursverfahrens“ spricht.18 Kurz darauf wird – noch etwas distanziert und im Ergebnis offen lassend – festgestellt, dass nach herrschender Meinung unter „Zahlung“ über reine Geldzahlungen hinaus alle Leistungen gemeint seien, die das Gesellschaftsvermögen schmälerten, wobei streitig sei, ob auch das Einge  BGH, Urteil vom 18. März 1974 – II ZR 2/72, WM 1974, 412.   BGH, Urteil vom 18. März 1974 – II ZR 2/72, WM 1974, 412. 17   BGH, Urteil vom 14. Oktober 1985 – II ZR 276/84, ZIP 1986, 456, 459. 18   BGH, Urteil vom 1. März 1993 – II ZR 81/94, II ZR 61/92, ZIP 1994, 891, 893. 15 16

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hen neuer Verbindlichkeiten dazugehöre.19 Auf der sich abzeichnenden Linie der Rechtsprechung liegt auch eine das Verhältnis von Konkursanfechtung und Geschäftsführerhaftung beleuchtende Entscheidung vom 18. Dezember 1995, die den Zweck des § 64 Abs. 2 GmbHG a.F. in den Blickpunkt rückt, „eine vor der Konkurseröffnung eingetretene Schmälerung der Konkursmasse zugunsten der Konkursgläubiger auszugleichen“, ein neben dem Anfechtungsrecht stehendes „Mittel zur rationellen Wiederauffüllung der ihr vorher entzogenen Vermögenswerte“.20 Wiederum in einem die Haftung aus § 64 Abs. 1 GmbHG a.F. i.V.m. § 823 Abs. 2 BGB betreffenden Fall äußert sich der II. Zivilsenat zur Frage, ob „Zahlung“ auch die Belastung des Gesellschaftsvermögens mit einer Verbindlichkeit sein könne und stellt diese Frage verneinend fest, dass der Verwalter bei dieser Sichtweise in voller Höhe die festgestellten Neugläubigerforderungen zur Masse ziehen könne.21 b) In seiner Entscheidung vom 29. November 1999 wendet sich der II. Zivilsenat dem schon zuvor thematisierten weiten Verständnis des Zahlungsbegriffs zu. Der Begriff der „Zahlung“ sei weit auszulegen. Es mache keinen Unterschied, ob der Schuldner mit einem Barbetrag eine Forderung tilge oder ob mit einem auf ein debitorisches Konto eingezogenen Scheckbetrag auf Grund der Kontokorrentabrede der Kreditrückzahlungsanspruch der Bank getilgt werde.22 Unter Bezugnahme auf die Entscheidung vom 18. März 197423 führt der BGH aus, dass die Möglichkeit, über den Betrag bis zur Höhe der eingeräumten Kreditlinie wieder verfügen zu können, daran nichts ändere, weil der Scheckbetrag ja einerseits zum Nachteil der Gläubigergesamtheit in der Masse fehle und auf die Möglichkeit der weiteren Kreditausschöpfung im Hinblick auf den Zweck einer entstandenen Konkursantragspflicht nicht abgestellt werden könne. Dagegen sei die durch den Scheckeinzug ermöglichte Befriedigung anderer Gläubiger mit Mitteln des debitorischen Kontos keine weitere Zahlung, weil es insoweit lediglich zu einem masseneutralen Gläubigertausch komme.24 In einer Folgeentscheidung ließ der Senat offen, ob etwas anderes gelten würde, wenn der durch einen Scheckeinzug erweiterte Kreditrahmen für nach § 64 Abs. 2 Satz 2 GmbHG a.F. privilegierte Zahlungen oder zur Schaffung eines in das Gesellschaftsvermögen gelangten und dort voll erhaltenen gebliebenen Gegenwerts genutzt worden wäre.25

  BGH, Urteil vom 6. Juni 1994 – II ZR 292/91, BGHZ 126, 181, 194.   BGH, Urteil vom 18. Oktober 1995 – II ZR 277/94, BGHZ 131, 325, 328 f. 21   BGH, Urteil vom 30. März 1998 – II ZR 146/96, BGHZ 138, 211, 217. 22   BGH, Urteil vom 29. November 1999 – II ZR 273/98, BGHZ 143, 184, 186 f. 23   Oben Fn. 15. 24   BGH, Urteil vom 29. November 1999 – II ZR 273/98, BGHZ 143, 184, 187. 25   BGH, Urteil vom 11. September 2000 – II ZR 370/99, ZIP 2000, 1896, 1897. 19 20

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Anknüpfend an dieses Verständnis wurde die Frage der Masseverkürzung in der Entscheidung vom 8. Januar 2001, in der es um die Bezahlung einer Umsatzsteuerschuld aus einer (vermeintlichen) umsatzsteuerlichen Organschaft ging, in den Bereich des Verschuldens verlagert. Es ging namentlich darum, dass der Geschäftsführer der insolventen Organgesellschaft eine Umsatzsteuervorauszahlung an das Finanzamt geleistet hatte, deren Erstattung der Insolvenzverwalter nunmehr verlangte.26 Das Berufungsgericht hatte sich auf den Standpunkt gestellt, die Zahlung stehe mit der Sorgfalt eines ordentlichen Kaufmanns nicht in Einklang.27 Dies ließ der II. Zivilsenat nicht als rechtsfehlerfrei gelten, weil sich das Berufungsgericht nicht mit dem Vortrag des Beklagten auseinandergesetzt hatte, es habe in Wahrheit keine umsatzsteuerliche Organschaft bestanden und der Beklagte habe auf eine eigene Steuerschuld der Schuldnerin gezahlt. In diesem Zusammenhang wird ausgeführt: „Soweit Leistungen des Geschäftsführers in der Insolvenzsituation eine Masseverkürzung nicht zur Folge haben oder soweit durch sie im Einzelfall größere Nachteile für die Masse abgewendet werden (…), kann deswegen das Verschulden nach § 64 Abs. 2 Satz 2 GmbHG [a.F.] ausnahmsweise zu verneinen sein.“28 Nachfolgend heißt es, jedenfalls dann, wenn diese Zahlung in derselben Höhe auch im Konkursverfahren hätte geleistet werden müssen, fehle es an der Masseverkürzung, welche tatbestandliche Voraussetzung für den geltend gemachten Ersatzanspruch sei.29 Sollte die Organschaft bestehen, sprach der Senat überdies aus, läge – das endgültige Bestehen der Umsatzsteuerschuld unterstellt – in jedem Fall eine Masseverkürzung vor, weil die Schuldnerin den Aufwendungsersatzanspruch der Organträgerin befriedigt hätte.30 Die Entscheidung vom 31. März 2003 betraf ebenfalls die Zahlung von Steuern in einem Organkreis, diesmal jedoch der späteren Schuldnerin als Organträgerin, die entsprechende Beträge kurz zuvor von der Organgesellschaft erhalten hatte.31 Dem Ansatz des Berufungsgerichts, es handele sich bei wirtschaftlicher Betrachtung nicht um eine Masseschmälerung, erteilte der II. Zivilsenat eine Absage, weil der Umstand, dass bereits vor einem Vermögensabfluss (Steuerzahlung der Organträgerin) entsprechende Mittel von einem Dritten (der Organgesellschaft) zweckgebunden in das Gesellschaftsvermögen eingezahlt worden seien, nichts daran ändere, dass sowohl die Steuerverbindlichkeit als auch das im Voraus Geleistete nach Eröffnung eines Insolvenzverfahrens nur noch in Höhe der Insolvenzquote gedeckt

  BGH, Urteil vom 8. Januar 2001 – II ZR 88/99, BGHZ 146, 264, 266 f.   BGH, Urteil vom 8. Januar 2001 – II ZR 88/99, BGHZ 146, 264, 274. 28   BGH, Urteil vom 8. Januar 2001 – II ZR 88/99, BGHZ 146, 264, 275. 29   BGH, Urteil vom 8. Januar 2001 – II ZR 88/99, BGHZ 146, 264, 275 f. 30   BGH, Urteil vom 8. Januar 2001 – II ZR 88/99, BGHZ 146, 264, 276 f. 31   BGH, Urteil vom 31. März 2003 – II ZR 150/02, ZIP 2003, 1005, 1006. 26 27

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gewesen wäre.32 Für die Beurteilung der Rechtsprechungsentwicklung zum Zahlungsbegriff ist es vielleicht interessant, dass der Senat nicht etwa auf die gut zwei Jahre zuvor ergangene, in der amtlichen Sammlung veröffentlichten Entscheidung Bezug nahm, die die Frage einer Masseverkürzung im Kontext des § 64 Abs. 2 Satz 2 GmbHG a.F. behandelte,33 sondern auf die zuvor ergangene Entscheidung vom 11. September 2000.34 c) Dieses insolvenzrechtlich geprägte Verständnis vom Zahlungsbegriff behielt der II. Zivilsenat in seiner Rechtsprechung bis zum Jahr 2014 im Grundsatz bei. Soweit in der Entscheidung vom 8. Januar 2001 masseneutrale Handlungen dem Anwendungsbereich des § 64 Abs. 2 Satz 2 GmbHG zugeordnet wurden, wird in der Rechtsprechung bis 2007 eine Präzisierung vorgenommen. Die Entscheidungen, die in verschiedenen Konstellationen den masseneutralen Zahlungsverkehr vom masseverkürzenden Zahlungsverkehr abgrenzen, ordnen diese Thematik nunmehr dem Begriff der Zahlung zu. In der zum Zahlungsverbot nach § 130a Abs. 2 HGB a.F. ergangenen Entscheidung vom 5. Februar 2007, in der sich der beklagte Geschäftsführer auf § 130a Abs. 2 Satz 2 HGB a.F. mit dem Argument berief, die Zahlung eines Pauschalhonorars, offenbar für eine Beratung zu einer Sanierung der späteren Schuldnerin, sei zur Abwendung von Nachteilen für die Masse sachdienlich und erforderlich gewesen, kam der Senat auf die Entscheidung vom 8. Januar 2001 zurück und sprach – unter Verweis auf die Beweislastverteilung für den Ausnahmetatbestand eines Bargeschäfts nach § 142 InsO – aus, dass es Sache des Geschäftsführers sei darzulegen und zu beweisen, dass infolge einer unstreitig geleisteten Zahlung keine Masseschmälerung eingetreten sei. Gleichzeitig hat der II. Zivilsenat deutlich gemacht, dass die Voraussetzungen des § 142 InsO aber im Übrigen mit denen des § 130a Abs. 2 Satz 2 HGB „nicht völlig“ übereinstimmten.35 Zudem wurde zumindest in Betracht gezogen, dass im Hinblick auf eine mögliche teilweise Erforderlichkeit der abgegoltenen Leistungen die Privilegierung der auf diese entfallenden Aufwendungen rechtfertigen könnte.36 In einer kurz darauf ergangenen, ebenfalls § 130a Abs. 2 HGB a.F. betreffenden Entscheidung vom 26. März 2007 hatte sich der Senat mit Zahlungen aus Kreditmitteln zu befassen. Der Geschäftsführer der Komplementärin der Schuldnerin hatte Zahlungen zu Lasten eines debitorisch geführten Kontokorrentkontos im Umfang von 33.362,15 € geleistet, dessen Debet sich im Zahlungszeitraum um rund 13.000 € erhöht hatte. Das Berufungsgericht hatte der auf die Erstattung der

  BGH, Urteil vom 31. März 2003 – II ZR 150/02, ZIP 2003, 1005, 1006.   Oben Fn. 27. 34   Oben Fn. 24. 35   BGH, Beschluss vom 5. Februar 2007 – II ZR 51/06, ZIP 2007, 1501 Rn. 4. 36   BGH, Beschluss vom 5. Februar 2007 – II ZR 51/06, ZIP 2007, 1501 Rn. 5. 32 33

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Zahlungen gerichteten Klage stattgegeben.37 Dies ließ der II. Zivilsenat im Hinblick auf die Zahlungen nicht gelten, weil diese unter der Voraussetzung, dass die Bank nicht über Gesellschaftssicherheiten verfüge, die Gläubigergesamtheit nicht benachteiligten. Der Vorgang habe nur eine bloßen Gläubigertausch zur Folge.38 Der Senat legte dagegen den Fokus auf die auf dem Konto im selben Zeitraum eingegangenen Zahlungen in Höhe von gut 20.000 €, weil mit der Zulassung dieser Zahlungen die Verbindlichkeiten gegen der Bank zum Nachteil der Gläubigergesamtheit getilgt worden seien. Die primär auf Masseerhaltung zielende Sorgfaltspflicht des Geschäftsführers gemäß § 64 Abs. 2 Satz 2 GmbHG a.F. gebiete es, in einer solchen Situation ein kreditorisch geführtes Konto bei einer anderen Bank zu eröffnen, auf welches die Forderungen der Gesellschaft (zur gleichmäßigen Befriedigung ihrer Gläubiger) eingezogen würden.39 Die im Urteil vom 8. Januar 2001 enthaltenen Aussagen zu § 64 Abs. 2 Satz 2 GmbHG40 präzisierte der Senat in einer Entscheidung vom 5. November 2007, indem er bei einem masseneutralen Aktiventausch (Zahlung vom Bankkonto in die Barkasse) eine Zahlung verneinte und eine Entlastung des Geschäftsführers unter dem Gesichtspunkt des § 64 Abs. 2 Satz 2 GmbHG a.F. unter der Voraussetzung zuließ, dass durch eine Zahlung „größere Nachteile für die Insolvenzmasse“ abgewendet werden können.41 Der nächste Fall in der erkennbar schneller länger werdenden Liste der für den Zahlungsbegriff relevanten Entscheidungen des BGH betrifft eine insolvente Konzerngesellschaft, die von der Muttergesellschaft und verschiedenen Schwestergesellschaften Zahlungen in Höhe von 504.000 € auf ein Gesellschaftskonto erhielt und hiervon 329.980,44 € an Gläubiger, auch anderer Konzerngesellschaften, überwiesen hatte. Nach Abweisung der auf Erstattung der vom Konto der Schuldnerin geleisteten Zahlungen gerichteten Klage durch das Landgericht hatte das Berufungsgericht der Klage in Höhe von 320.980,44 € stattgegeben.42 Der Senat bestätigte die oben dargestellte Entscheidung vom 31. März 200343 gegen kritische Stimmen im Schrifttum und erachtete die Sicht des Berufungsgerichts, das in das Vermögen der Schuldnerin Geleistete müsse zur allgemeinen Befriedigung ihrer Gläubiger zur Verfügung stehen als rechtsfehlerfrei, es sei denn, die eingehenden Gelder würden auf einem Treuhandkonto verbucht, an dem ein Aussonderungsrecht für den jeweiligen Treugeber begründet wäre.44 Am 25. Januar 2010 hatte der

  BGH, Urteil vom 26. März 2007 – II ZR 310/05, ZIP 2007, 1006 Rn. 1 f.   BGH, Urteil vom 26. März 2007 – II ZR 310/05, ZIP 2007, 1006 Rn. 8. 39   BGH, Urteil vom 26. März 2007 – II ZR 310/05, ZIP 2007, 1006 Rn. 12. 40   Oben Fn. 27. 41   BGH, Beschluss vom 5. November 2007 – II ZR 262/06, GmbHR 2008, 142 Rn. 5 f. 42   BGH, Urteil vom 5. Mai 2008 – II ZR 38/07, ZIP 2008, 1229 Rn. 2 f. 43   Oben Fn. 32. 44   BGH, Urteil vom 5. Mai 2008 – II ZR 38/07, ZIP 2008, 1229 Rn. 10 f. 37 38

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Senat erneut45 Gelegenheit, seine Rechtsprechung zum masseneutralen Gläubigertausch bei Zahlungen von einem debitorisch geführten Kontokorrentkonto zu bestätigen, wenn die betreffende Bank nicht über die Zahlungen deckende Gesellschaftssicherheiten verfügt.46 In einer weiteren Entscheidung vom 25. Januar 2011 bestätigte der II. Zivilsenat seine Rechtsprechung zu Zahlungen aus einer (ungesicherten) Kreditlinie in einem Fall, in dem eine Zahlung an einen Sozialversicherungsträger von einem debitorisch geführten Geschäftskonto geleistet wurde; er gab dem Berufungsgericht in der „Segelanweisung“ auf, in der wiedereröffneten Verhandlung der Frage nachzugehen, ob zu Gunsten der Bank noch freie Sicherheiten bestanden, weil die Bank dann im eröffneten Verfahren abgesonderte Befriedigung verlangen könne und zur gleichmäßigen Befriedigung der Gläubiger nur noch eine geringere Vermögensmasse zur Verfügung stünde.47 Etwas versteckt bestätigt der Senat zudem die Sicht des Berufungsgerichts, dass eine Pflicht zur Umleitung eingehender Zahlungen auf ein kreditorisch geführtes Konto dann nicht besteht, wenn der Auszahlungsanspruch an den Gutschriften auf Grund einer Globalzession ohnehin an die Hausbank gefallen wäre.48 d) Einen Meilenstein in der Rechtsprechung markiert die Entscheidung vom 18. November 2014, in der die seit dem Urteil vom 18. März 1974 vertretene Sicht des II. Zivilsenats aufgegriffen wurde, ein für die Zahlung in das Vermögen der insolventen Gesellschaft gelangender Gegenwert müsse dort voll erhalten geblieben sein.49 aa) In dem § 130a Abs. 1 i.V.m. § 177a Satz 1 HGB betreffenden Fall der Entscheidung vom 18. November 2014 hatte die Muttergesellschaft der Schuldnerin für gut drei Monate ein Darlehen über 150.000 € zur Verfügung gestellt, das auch teilweise und gegebenenfalls mehrfach in Anspruch genommen werden konnte, wobei über die Auszahlung jeweils eine gesonderte Vereinbarung vorgesehen war. Anschließend wurden 150.000 € an die Schuldnerin gezahlt (29. September 2009), zurückgezahlt (9. Oktober 2009) und erneut ausgezahlt (16. Oktober 2009). Die auf Erstattung der Zahlung vom 9. Oktober 2009 gerichtete Klage wies das Berufungsgericht nach antragsgemäßer Verurteilung des Beklagten durch das Landgericht ab, weil die Schuldnerin durch die Rückzahlung des Darlehens einen erneuten Anspruch auf Auszahlung der Valuta erworben habe.50 Der Senat sprach zunächst aus, der   Vgl. bereits oben Fn. 24 und 37.   BGH, Urteil vom 25. Januar 2010 – II ZR 258/08, ZIP 2010, 470 Rn. 10. 47   BGH, Urteil vom 25. Januar 2011 – II ZR 196/09, ZIP 2011, 422 Rn. 25 bis 27. 48   BGH, Urteil vom 25. Januar 2011 – II ZR 196/09, ZIP 2011, 422 Rn. 9, 21. 49   Oben Fn. 16 und BGH, Urteil vom 18. Oktober 2010 – II ZR 151/09, ZIP 2010, 2400 Rn. 21 – Fleischgroßhandel. 50   BGH, Urteil vom 18. November 2014 – II ZR 231/13, BGHZ 203, 218 Rn. 2 bis 4, 7. 45 46

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Erstattungsanspruch entfalle nicht nur bei Erfüllung durch das Organ, sondern auch durch einen anderweitigen Ausgleich, der den Zweck der Ersatzpflicht erreiche, sei es, dass im Wege der Insolvenzanfechtung die Rückerstattung der Zahlung erreicht werde oder für die Zahlung ein Gegenwert in das Vermögen der Gesellschaft gelange und der Sache nach lediglich ein Aktiventausch vorliege.51 Ausdrücklich weist der Senat darauf hin, dass nicht jeder beliebige Massezufluss als Ausgleich zu berücksichtigen sei, sondern ein unmittelbarer Zusammenhang erforderlich sei, damit der Massezufluss der Masseschmälerung zugeordnet werden könne.52 Es sei dagegen nicht geboten, dass der Gegenstand des Massezuflusses auch bei Eröffnung des Insolvenzverfahrens noch vorhanden sei, soweit Entscheidungen des Senats anders zu verstehen sein sollten, werde hieran nicht festgehalten. Unter Verweis auf die Hansa-Lloyd-Entscheidung des Reichsgerichts53 wurde festgestellt, dass es nur auf den Masseausgleich ankomme und eine erneute Schmälerung der Masse ggf. zu einem neuem Erstattungsanspruch führe. Würde der Ausgleich nicht beachtet, würde es ggf. zu einer Vervielfachung des Erstattungsanspruchs kommen, obwohl die Masse nur einmal verkürzt worden sei.54 Die zufällige Verschlechterung der ausgleichenden Gegenleistung fiele schon nicht in den Schutzzweck der Erstattungspflicht.55 Auch deren Verarbeitung oder ähnliche Fälle des Verlusts verursachten keine Schutzlücken, weil regelmäßig der dadurch geschaffene Wert im Vermögen der Gesellschaft erhalten bleibe oder eine Gegenleistung erwirtschaftet werde.56 In Bezug auf den zu Grunde liegenden Sachverhalt stellt der Senat schließlich fest, dass offen bleiben könne, ob und ggf. unter welchen Umständen bereits durch die Begründung einer Forderung ein ausgleichender Wert endgültig in das Gesellschaftsvermögen gelangen könne, weil jedenfalls die Abrufmöglichkeit einer durchsetzbaren Forderung nicht gleichstehe. Die Masseverkürzung sei hier aber dadurch ausgeglichen, dass der zurückgezahlte Betrag wieder auf das Konto der Schuldnerin gelangt sei.57 bb) In dem nächsten den Zahlungsbegriff betreffenden Fall hatte die beklagte Geschäftsführerin Zahlungen auf globalzedierte Forderungen auf ein debitorisch geführtes Konto eingezogen. Der Insolvenzverwalter verlangte unter Abzug zweier Rücklastschriften und einen im Anfechtungswege von der kontoführenden Bank erlangten Betrag die Summe der verbleiben-

  BGH, Urteil vom 18. November 2014 – II ZR 231/13, BGHZ 203, 218 Rn. 9.   BGH, Urteil vom 18. November 2014 – II ZR 231/13, BGHZ 203, 218 Rn. 10. 53   Oben Fn. 14. 54   BGH, Urteil vom 18. November 2014 – II ZR 231/13, BGHZ 203, 218 Rn. 11. 55   BGH, Urteil vom 18. November 2014 – II ZR 231/13, BGHZ 203, 218 Rn. 12. 56   BGH, Urteil vom 18. November 2014 – II ZR 231/13, BGHZ 203, 218 Rn. 13. 57   BGH, Urteil vom 18. November 2014 – II ZR 231/13, BGHZ 203, 218 Rn. 16 f. 51 52

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den Gutschriften.58 Nach Klageabweisung durch das Landgericht verurteilte das Berufungsgericht antragsgemäß. Der Senat ließ die Revision der Beklagten zu und sprach am 23. Juni 2015 aus, dass der Einzug von Forderungen auf ein debitorisches Konto zwar grundsätzlich eine masseschmälernde Zahlung sei, dies für den Einzug sicherungshalber abgetretener Forderungen aber nicht gelte, wenn vor Insolvenzreife die Sicherungsabtretung vereinbart und die Forderung der Gesellschaft entstanden und werthaltig geworden sei.59 Die Verrechnung des infolge der Einzahlung auf dem Konto gutgeschriebenen Betrags schmälere die Masse nicht. Die zur Sicherheit an die Bank abgetretene und eingezogene Forderung stehe den Gläubigern nicht zur Verwertung zur Verfügung und der Geschäftsführer müsse die Verwertung zugunsten der Bank als ordentlicher Geschäftsmann nicht verhindern.60 Es wird dargelegt, dass die aus der Verwertungsbefugnis des Insolvenzverwalters resultierenden Massebeiträge nicht zu einer Teilverwertung zugunsten der Gläubiger führten. Die Umleitung der Zahlung auf ein anderes Konto bewirke zwar den Wegfall des Absonderungsrechts, das Organ handele aber auf Grund der mit dem Einziehungsrecht verbundenen Verpflichtung zur Weiterleitung des eingezogenen Betrags mit der Sorgfalt eines ordentlichen Geschäftsmanns, wenn er der Verpflichtung zur Weiterleitung nachkomme.61 Demgegenüber liege eine Masseschmälerung durch Zahlung vor, wenn eine Forderung erst nach Eintritt der Insolvenzreife abgetreten werde oder eine zur Sicherheit abgetretene Forderung erst nach diesem Zeitpunkt entstanden oder werthaltig geworden sei. Im ersten Fall trete die Masseschmälerung bereits mit der Abtretungsvereinbarung ein.62 Im zweiten Fall liege die Ursache für die Masseschmälerung nicht in der Abtretungsvereinbarung, sondern darin, dass die sicherungsabgetretene Forderung nicht mehr zu Gunsten des Schuldnervermögens, sondern zu Gunsten des Zessionars entstehe.63 Im dritten Fall, so der II. Zivilsenat unter Bezugnahme auf die anfechtungsrechtliche Rechtsprechung des IX. Zivilsenats, liege die Masseschmälerung darin, dass die (abgetretene und entstandene) Forderung zu Gunsten des Zessionars werthaltig geworden sei, wobei der Senat sehr wohl erkannte, dass hierdurch der Fortführung des Unternehmens nach Insolvenzreife enge Grenzen gesetzt werden.64 Ein masseneutraler Aktiventausch – und damit keine Zahlung – liege aber dann vor, wenn infolge der Verminderung des Debetsaldos sicherungsabgetretene werthaltige Forderungen frei würden und in das zur   BGH, Urteil vom 23. Juni 2015 – II ZR 366/13, BGHZ 206, 52 Rn. 1 bis 5.   BGH, Urteil vom 23. Juni 2015 – II ZR 366/13, BGHZ 206, 52 Rn. 11 f. 60   BGH, Urteil vom 23. Juni 2015 – II ZR 366/13, BGHZ 206, 52 Rn. 14. 61   BGH, Urteil vom 23. Juni 2015 – II ZR 366/13, BGHZ 206, 52 Rn. 15, 17 f. 62   BGH, Urteil vom 23. Juni 2015 – II ZR 366/13, BGHZ 206, 52 Rn. 20. 63   BGH, Urteil vom 23. Juni 2015 – II ZR 366/13, BGHZ 206, 52 Rn. 22. 64   BGH, Urteil vom 23. Juni 2015 – II ZR 366/13, BGHZ 206, 52 Rn. 23 f. 58 59

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gleichmäßigen Befriedigung aller Gläubiger bestimmte Vermögen der Gesellschaften gelangten.65 Liege danach infolge eines Absonderungsrechts der Bank keine masseschmälernde Leistung vor, ändere es am Fehlen des Anspruchs nichts, wenn das Absonderungsrecht nicht anfechtungsfest sei, denn der anfechtbare Erwerb habe zur Folge, dass die Verrechnung der Bank nach § 96 Abs. 1 Nr. 3 InsO mit der Verfahrenseröffnung insolvenzrechtlich unwirksam werde.66 Habe dagegen die Zahlung trotz der Globalzession zu einer Masseschmälerung geführt, entfalle der Ersatzanspruch nicht schon dadurch teilweise, dass die Bank nach den Zahlungseingängen Verfügungen über das Konto für Zahlungen an Gläubiger der Gesellschaft zugelassen habe, denn allein die Möglichkeit, einen zuvor ausgeschöpften Kreditrahmen in Anspruch zu nehmen, bewirke noch keinen Vermögenszufluss. Werde mit dem (neu eröffneten) Kredit eine Forderung getilgt, habe dies lediglich einen Gläubigertausch zur Folge. Nur wenn die frei werdenden Mittel – z.B. durch Abhebung oder Überweisung auf ein kreditorisch geführtes Konto – für die Gläubiger gesichert würden oder im Gegenzug zur Tilgung einer Forderung ein werthaltiger Gegenstand in die Masse gelange, könne der Ersatzanspruch wegen eines Aktiventausch entfallen.67 cc) Diese Rechtsprechung zu Zahlungen auf ein debitorisches Konto im Zusammenhang mit einer Globalzession bzw. einer Sicherungsübereignung wurde in ganz ähnlich gelagerten Fällen in den Entscheidungen vom 8. Dezember 2015,68 26. Januar 2016,69 3. Mai 201670 und 14. Juni 201671 bestätigt. In der zuerst genannten Entscheidung weist der II. Zivilsenat in seiner „Segelanweisung“ auf zwei Gesichtspunkte hin, die sich im Grunde aber schon aus der Entscheidung vom 23. Juni 2015 ableiten lassen: Bei der Zahlung einer Warenlieferung sei eine Masseschmälerung in Höhe des Warenwerts auch dann zu verneinen, wenn die Kaufpreisforderung erst nach Eintritt der Insolvenzreife entstanden oder werthaltig geworden sei.72 Allerdings könne bereits mit dem Erwerb der Sache zu Gunsten des Sicherungsnehmers eine Zahlung verbunden sein, es sei denn, der Kaufpreis werde mit Hilfe eines ungesicherten Kredits gezahlt.73

  BGH, Urteil vom 23. Juni 2015 – II ZR 366/13, BGHZ 206, 52 Rn. 26.   BGH, Urteil vom 23. Juni 2015 – II ZR 366/13, BGHZ 206, 52 Rn. 27 f. 67   BGH, Urteil vom 23. Juni 2015 – II ZR 366/13, BGHZ 206, 52 Rn. 31 bis 33. 68   BGH, Urteil vom 8. Dezember 2015 – II ZR 68/14, ZIP 2016, 364. 69   BGH, Urteil vom 26. Januar 2016 – II ZR 394/13, ZIP 2016, 1119. 70   BGH, Urteil vom 3. Mai 2016 – II ZR 318/15, InsBüro 2016, 428. 71   BGH, Urteil vom 14. Juni 2016 – II ZR 77/15, ZInsO 2016, 1934. 72   BGH, Urteil vom 8. Dezember 2015 – II ZR 68/14, ZIP 2016, 364 Rn. 24. 73   BGH, Urteil vom 8. Dezember 2015 – II ZR 68/14, ZIP 2016, 364 Rn. 26. 65 66

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dd) Wichtige weitere als Folge der durch das Urteil vom 18. November 2014 eingeleiteten Rechtsprechungsänderung aufgeworfene Fragen werden in der Entscheidung vom 4. Juli 2017 beantwortet.74 Der Insolvenzverwalter einer private limited by shares nach englischen Recht verlangte vom beklagten Director u.a. die Erstattung von Zahlungen in Höhe von 15.716,78 €, die an verschiedene Gläubiger, unter anderem ein städtisches Versorgungsunternehmen und Gehaltszahlungen, geleistet wurden.75 Das Berufungsgericht hatte unter Hinweis auf § 142 InsO angenommen, dass in unmittelbarem Zusammenhang mit diesen Zahlungen ein ausgleichender Gegenwert in das Vermögen der Schuldnerin gelangt sei und mit dieser Begründung die auf § 64 Satz 1 GmbHG gestützte Klage abgewiesen.76 Das ließ der BGH nicht gelten, weil entgegen einer in der Literatur vertretenen Ansicht die Regeln des Bargeschäfts nach § 142 InsO (a.F.) für die Beurteilung, ob der Masse ein ausgleichender Gegenwert zugeflossen sei, nicht entsprechend anwendbar seien.77 Für die verfahrensgegenständlichen Zahlungen wurde nachfolgend die Grundsätze eines möglichen Masseausgleichs konkretisiert: Die Bewertung eines Ausgleichs habe danach zu erfolgen, ob die Insolvenzgläubiger die Gegenleistung verwerten könnten, wenn zum maßgeblichen Zeitpunkt das Verfahren eröffnet wäre.78 Dies sei bei Arbeits- und anderen Dienstleistungen nicht der Fall, weil diese die für die Gläubiger verwertbare Aktivmasse nicht erhöhten.79 Bei Gegenleistungen, die mit Materiallieferungen verbunden seien, sei die in die Masse gelangende Gegenleistung grundsätzlich nach Liquidationswerten zu bemessen; ob dies bei gesichert erscheinender Fortführungsmöglichkeit des Unternehmens anders gesehen werden könne, ließ der Senat offen. Bei geringwertigen, typischerweise zum alsbaldigen Verbrauch bestimmten Gütern liege es fern, dass ein für die Gläubiger verwertbarer Gegenstand in die Masse gelange.80

III.  Stand der Diskussion, offene Fragen und Lösungsversuche Die mit der Entscheidung vom 18. November 2014 eingeleitete Rechtsprechungsänderung wurde im Schrifttum zahlreich – ganz überwiegend positiv – besprochen.81 Wer Fälle die Erstattungspflicht betreffend als Tatrichter   BGH, Urteil vom 4. Juli 2017 – II ZR 319/15, ZIP 2017, 1619.   BGH, Urteil vom 4. Juli 2017 – II ZR 319/15, ZIP 2017, 1619 Rn. 1. 76   BGH, Urteil vom 4. Juli 2017 – II ZR 319/15, ZIP 2017, 1619 Rn. 5. 77   BGH, Urteil vom 4. Juli 2017 – II ZR 319/15, ZIP 2017, 1619 Rn. 12 ff. 78   BGH, Urteil vom 4. Juli 2017 – II ZR 319/15, ZIP 2017, 1619 Rn. 18. 79   BGH, Urteil vom 4. Juli 2017 – II ZR 319/15, ZIP 2017, 1619 Rn. 19. 80   BGH, Urteil vom 4. Juli 2017 – II ZR 319/15, ZIP 2017, 1619 Rn. 20. 81  beispielhaft: Habersack/Foerster ZGR 2016, 153, 163; Schmidt NZG 2015, 129; Altmeppen ZIP 2015, 949; Casper ZIP 2016, 793, 803. 74 75

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bearbeitet hat, weiß wie schwierig es im Einzelfall war, in der mündlichen Verhandlung anwesenden Organen zu vermitteln, dass ihr Vorbringen zu ausgleichenden Gegenleistungen unberücksichtigt bleiben müsse, weil es ihnen nicht gelungen sei, deren Verbleib in der Masse zu belegen. Diese empfanden entsprechend die Belastung mit dem Erstattungsanspruch als häufig ruinöse Ahndung einer Pflichtwidrigkeit. Die Haftung der Organe war – zumindest theoretisch und in bestimmten Fallkonstellationen – zu einem effektiven Instrument der Masseanreicherung gediehen.82 So detailliert die bislang ergangenen Entscheidungen die praktisch sehr relevante Fallgestaltung der Rückführung eines gesicherten Kredits rechtlich bewerten, wird die bisherige Rechtsprechung demnach Ausgangspunkt einer weiteren Entwicklung sein, die im Hinblick auf die insolvenzrechtlichen Wertungen auch die Rechtsprechung des IX. Zivilsenats in den Blick nehmen muss. Dies liegt an der in der Entscheidung vom 18. November 2014 schon anklingenden Vielgestaltigkeit möglicher Masseverkürzungen und der diese ausgleichenden Gegenleistungen. Zwei offene Fragen sollen unter Berücksichtigung der hierzu im Schrifttum geführten Diskussion in diesem Zusammenhang aufgegriffen werden. 1.  Forderungen als ausgleichende Gegenleistung (sog. Aktiventausch) a) In der Entscheidung vom 18. November 2014 wurde für den Fall der Rückführung eines Kredits offen gelassen, ob bereits die Begründung einer Forderung – im konkreten Fall auf (erneute) Auszahlung des Kredits – eine ausgleichende Gegenleistung darstelle.83 Im Urteil vom 23. Juni 2015 wird diese Frage – ebenfalls für den Fall einer auf erneute Kreditauszahlung gerichteten Forderung – verneint.84 Demgegenüber hat der Senat ebenfalls in der Entscheidung vom 23. Juni 2015 ausgesprochen, dass ein masseneutraler Aktiventausch – und damit keine Zahlung – dann vorliege, wenn infolge der Rückführung eines Kredits sicherungsabgetretene werthaltige Forderungen frei würden und in das zur gleichmäßigen Befriedigung aller Gläubiger bestimmte Vermögen der Gesellschaften gelangten.85 Im Schrifttum wird unter Berücksichtigung der neuen Rechtsprechung angenommen, dass eine Forderung entweder stets mit ihrem jeweiligen Wert auf den Masseabfluss angerechnet werden könne86 oder zumindest dann, wenn diese (ausnahmsweise) „so gut wie Bargeld“ sei.87 Teilweise wird eine Anrechnung unter   H.-F. Müller DB 2015, 723.   Oben Fn. 57. 84   Oben Fn. 67. 85   Oben Fn. 65; zustimmend Habersack/Foerste ZGR 2016, 153, 169, die aber wohl die Frage der Beweislast unzutreffend beurteilen. 86   Altmeppen, ZIP 2015, 949, 951. 87   Kleindiek in Lutter/Hommelhoff, GmbHG, 19. Aufl., § 64 Rn. 20; Casper ZIP 2015, 793, 797; Schmidt, NZG 2015, 129, 133. 82 83

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Hinweis auf § 142 InsO generell abgelehnt, weil es sich im Hinblick auf das Risiko der Uneinbringlichkeit der Forderung nicht um einen endgültigen Vermögenszufluss handele und dieses Risiko nicht von den Gläubigern, sondern vom Geschäftsleiter zu tragen sei.88 b) Die scheinbar etwas unversöhnlich nebeneinanderstehenden Aussagen im Urteil vom 23. Juni 2015 lassen sich möglicherweise mit Hilfe einer für die Bewertung ausgleichender Gegenleistungen generell wichtigen Erwägung in der späteren Entscheidung vom 4. Juli 2017 erklären, die den Ausgleich davon abhängig macht, ob die Insolvenzgläubiger die Gegenleistung verwerten könnten, wenn zum maßgeblichen Zeitpunkt das Verfahren eröffnet wäre.89 Ein Anspruch auf Auszahlung eines verzinslichen Darlehens kommt daher als ausgleichende Gegenleistung ungeachtet der Frage, ob der Darlehensgeber im konkreten Fall den Darlehensvertrag kündigen kann, schon deswegen nicht in Betracht, weil der Rückzahlungsanspruch in der Gesellschaftsinsolvenz eine Masseverbindlichkeit gemäß § 55 Abs. 1 Nr. 2 InsO wäre und die Darlehensvaluta den Insolvenzgläubigern daher im Ergebnis nicht zur Verwertung zur Verfügung stünde.90 Daher fließt in diesen Fällen dem Gesellschaftsvermögen erst mit der erneuten Inanspruchnahme des Kredits ein ausgleichender Gegenwert zu. Genau dies ist aber anders zu beurteilen, wenn durch die Rückzahlung eines Kredits sicherungsabgetretene Forderungen frei werden, wenn die der Forderung zu Grunde liegende Gegenleistung bereits erbracht wurde und die Forderung auch im Übrigen werthaltig ist. Zu der im Schrifttum jenseits der grundsätzlichen Verwertbarkeit einer Forderung zu Gunsten der Insolvenzgläubiger angesprochenen Bewertungsfrage könnte eine Erwägung in der Entscheidung vom 18. November 2014 Relevanz erlangen. Dort wird ausgesprochen, dass der Geschäftsführer im Rahmen des § 64 Satz 1 InsO nicht für die zufällige Verschlechterung der Masse, sondern nur für durch das Organ veranlasste Massekürzungen hafte.91 Dementsprechend müsste dem Organ die Möglichkeit des Nachweises eröffnet sein, dass für die Masseschmälerung eine Forderung als Gegenleistung in das Gesellschaftsvermögen gelangt sei, die erst später ohne sein Zutun wert-

88   Habersack/Foerster ZGR 2016, 153, 182; Arnold in Henssler/Strohn, GesR, 3. Aufl., § 64 GmbHG Rn. 20; Haas in Baumbach/Hueck, GmbHG, 21. Aufl., § 64 Rn. 71. 89  Oben Fn. 78; vgl. zu dieser „Als-ob-Betrachtung“ auch Habersack/Foerster ZGR 2016, 153, 162 f. 90   BGH, Urteil vom 22. Januar 2004 – IX ZR 39/03, BGHZ 157, 350, 357; Spliedt ZInsO 2002, 208, 210; Lüdtke in HambKommInsR, 6. Aufl., § 35 Rn. 153; Wegener in Uhlenbruck, InsO, 14. Aufl., § 103 Rn. 29. 91   Oben Rn. 55.

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los geworden sei. Das Argument, bei einer Forderung handele es sich bis zur Zahlung des Schuldners nicht um einen „endgültigen Vermögenszufluss“ hält einer Überprüfung nach insolvenzrechtlichen Grundsätzen nicht stand. Die Forderung wäre mit ihrem tatsächlichen Wert in einer Überschuldungsbilanz zu berücksichtigen und würde – die Verfahrenseröffnung unterstellt – auch Bestandteil der Insolvenzmasse gem. § 35 Abs. 1 InsO. 2.  Zeitpunkt des Zuflusses der Gegenleistung Der BGH hat sich nach der Rechtsprechungsänderung im Jahr 2014 nur mit Fällen befasst, in denen es um einen nachträglichen Ausgleich einer Masseschmälerung ging. Diskutiert wird nunmehr, ob eine Masseschmälerung durch einen zeitlich vorher in die Masse gelangten Wert ausgeglichen werden kann.92 Mit Hilfe der früheren Rechtsprechung des II. Zivilsenats93 lässt sich diese Frage eindeutig verneinen. Der Zufluss des Gegenwerts in das Gesellschaftsvermögen bewirkt, dass der vorleistende Gläubiger mit seinem Anspruch auf die Gegenleistung Insolvenzgläubiger wird und damit nicht mehr vorrangig befriedigt werden darf.94 Anders kann man dies nur für einen unmittelbaren Leistungsaustausch Zug-um-Zug bei im Gegenseitigkeitsverhältnis stehenden Leistungen sehen. Hier ist davon auszugehen, dass derjenige, der seine Leistung zuerst erbringt, auf seine an sich bestehende Einrede aus § 320 Abs. 1 Satz 1, § 322 Abs. 1 BGB nur in der Erwartung der im Gegenzug – zumindest konkludent – angebotenen und vorhandenen Gegenleistung verzichtet. In dieser Situation kann es auf die Reihenfolge von Leistung und Gegenleistung nicht ankommen. Wird dagegen zu Gunsten des Gesellschaftsvermögens vorgeleistet – sei es auch mit dem Hinweis auf die sofortige Fälligkeit der Gegenleistung oder einem Zahlungsziel von wenigen Tagen – ist eine Masseverkürzung unbestreitbar vorhanden, wenn die Gläubigerforderung nach dem Empfang der Leistung unter Zurückstellung der Interessen anderer Gläubiger befriedigt wird. Der II. Zivilsenat hat belegt, dass der hinter dem Bargeschäftsprivileg (§ 142 InsO) stehende Schutzzweck den Interessen des Rechtsverkehrs dient, aber die Handlungsmöglichkeiten des antragspflichtigen Organs nicht jenseits der Vorschrift des § 64 Satz 2 GmbHG erweitern will.95 Diese strenge, aber mit insolvenzrechtlichen Wertungen übereinstimmende Sicht sieht sich dem Vorwurf ausgesetzt, damit

92  bejahend: Baumert NZG 2016, 379, 380 f.; Casper ZIP 2016, 793, 796; H.-F. Müller DB 2015, 723, 726 f.; verneinend: Haneke,NZI 2015, 499, 500 f.; Kleindiek in Lutter/ Hommelhoff, GmbHG, 19. Aufl., § 64 Rn. 19. 93   Oben Fn. 32 und 44. 94   Haneke NZI 2015, 499, 501. 95   BGH, Urteil vom 18. November 2014 – II ZR 231/13, BGHZ 203, 218 Rn. 14.

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würde in der Krise der (Fehl-)Anreiz gesetzt, aus der Masse vorzuleisten und diese damit (zusätzlich) dem Risiko der Uneinbringlichkeit der Gegenleistung auszusetzen.96 Diesem Argument kann indes nicht auf der Ebene des Zahlungsbegriffs, sondern nur mit einem Hinweis auf § 64 Satz 2 GmbHG begegnet werden, der die Möglichkeit einer über den konkreten Einzelvorgang hinausgehenden Sicht eröffnet,97 aber Vermögensabflüsse nur in engen Grenzen zulässt.98 Eine Argumentationslinie hierfür wäre in der Rechtsprechung des II. Zivilsenats schon vorhanden, denn auch bei einer noch fortbestehenden Einzugsermächtigung für globalzedierte Forderungen verlangt der BGH unter Hinweis auf § 64 Satz 2 GmbHG dem handelnden Organ nicht ab, den Drittschuldner unter Verstoß gegen seine Pflichten aus der Sicherungsabrede zur Barzahlung oder zur Zahlung auf ein kreditorisch geführtes Konto zu veranlassen.99 Hinter dieser Rechtsprechung steht wohl nicht nur der Gedanke, dass das Organ sich gegenüber seinem Kreditgeber vertragstreu verhalten darf, denn vertragstreu darf er sich gegenüber anderen Gläubigern im Interesse der Erhaltung des vorhandenen Vermögens auch nicht mehr verhalten.100 Es dürfte darüber hinaus auch darum gehen, dass das Organ bei einem solchen Verhalten Gefahr liefe, die Gesellschaft vom laufenden Geldverkehr unvermittelt abzuschneiden und ihrem Vermögen hierdurch am Ende größeren Schaden zufügt würde. Darüber hinaus kann es wohl auch dem Gläubigerinteresse verpflichteten Organ nicht angesonnen werden, treuwidrig das Sicherungsrecht der Bank zu unterlaufen. In ähnlicher Weise könnten sich möglicherweise Fallgestaltungen erfassen lassen, in denen dem Gesellschaftsvermögen für die Deckung bestimmter Verbindlichkeiten Mittel zweckgebunden zur Verfügung gestellt werden. Ist der betreffende Geldgeber in diesem Fall nachrangig zu befriedigen (§ 39 InsO) verbessert sich durch ein solches Vorgehen die Lage der übrigen Gläubiger. Ist der Geldgeber mit einem Rückzahlungsanspruch ebenfalls Insolvenzgläubiger, handelt es sich am Ende um einen bloßen Gläubigertausch, so dass es für die Würdigung des Vorgangs unter dem Gesichtspunkt des § 64 Satz 2 GmbHG letztlich auf die Frage ankommt, welche konkreten Zwecke verfolgt werden, wobei bei einem aus Gläubigerperspektive neutralen Vorgang kein Anlass besteht, zu strenge Maßstäbe anzulegen. Entsprechendes könnte auch für Erfüllungsleistungen auf Austauschverträge gelten. Würde das Organ die Gegenleistung nach Eintritt der Insolvenzreife in Anspruch nehmen und

  H.-F. Müller DB 2015, 723, 726 f.   So auch Kleindiek in Lutter/Hommelhoff, GmbHG, 19. Aufl., § 64 Rn. 19; aA Baumert NZG 2016, 379, 380. 98   BGH, Urteil vom 4. Juli 2017 – II ZR 319/15, ZIP 2017, 1619 Rn. 21. 99   Oben Fn. 61. 100   BGH, Urteil vom 8. Januar 2001 – II ZR 88/99, BGHZ 146, 264, 274 f. 96 97

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kurz darauf seinerseits Erfüllung verweigern, würde er sich ebenfalls dem Vorwurf der Treuwidrigkeit aussetzen oder sich gar wegen Eingehungsbetrugs strafbar machen. Da das Organ allerdings den Gesamtvorgang unter dem Blickwinkel des § 64 Satz 2 GmbHG rechtfertigen muss, liegt es nahe zu fordern, dass das Geschäft selbst dem wohlverstandenen Interesse der Insolvenzgläubiger entspricht.

Treugebundene Zustimmungspflichten im GmbH-Recht Ingo Saenger I. Einführung „Mitgliedschaftliche Treuebindungen im GmbH-Recht“1 sind seit langem anerkannt.2 Unklarheit besteht nach wie vor über Inhalt und Grenzen der sich daraus ergebenden Bindungen für GmbH-Gesellschafter. Dies belegt eine Reihe ober- und höchstrichterlicher Entscheidungen gerade aus jüngerer Zeit.3 Insbesondere hatte 2016 der BGH (Urt. v. 12.4.2016 – II ZR 275/14, MediaMarkt)4 Gelegenheit, zur Beschränkung der Stimmrechtsausübungsfreiheit eines GmbH-Gesellschafters aufgrund der Treuepflicht Stellung zu nehmen. Zu beurteilen war, ob der Mehrheitsgesellschafter der Konzernholding einer Gruppe von Elektronik-Fachmärkten bestimmten Standortmaßnahmen zustimmen musste. Der BGH verneinte dies und fasste die Voraussetzungen einer treugebundenen Zustimmungspflicht eines GmbHGesellschafters zu Erhaltungsmaßnahmen und zur Verlustvermeidung in folgendem Leitsatz zusammen: „Aufgrund der Treuepflicht muss der Gesellschafter einer Maßnahme zustimmen, wenn sie zur Erhaltung wesentlicher Werte, die die Gesellschafter geschaffen haben, oder zur Vermeidung erheblicher Verluste, die die Gesellschaft bzw. die Gesellschafter erleiden könnten, objektiv unabweisbar erforderlich ist und den Gesellschaftern unter Berücksichtigung ihrer eigenen schutzwürdigen Belange zumutbar ist, also wenn der Gesellschaftszweck und das Interesse der Gesellschaft gerade diese Maßnahme zwingend gebieten und der Gesellschafter seine Zustimmung ohne vertretbaren Grund verweigert.“5 Auch wenn das Gericht um eine Konkre  So der Titel der bereits 1988 erschienenen Heidelberger Dissertation von Martin Win-

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ter.

2   S. nur Roth/Altmeppen, GmbHG, 8. Aufl. 2015, § 13 Rn. 29 ff.; Lutter/Hommelhoff/ Bayer, GmbHG, 19. Aufl. 2016, § 14 Rn. 29 ff.; Baumbach/Hueck/Fastrich, GmbHG, 21. Aufl. 2017, § 13 Rn. 20 ff.; Michalski/Lieder, GmbHG, 3. Aufl. 2017, § 13 Rn. 131 ff.; MüKoGmbHG/Merkt, 3. Aufl. 2018, § 13 Rn. 88 ff.; Ulmer/Raiser, GmbHG, 2. Aufl. 2013, § 14 Rn. 76 ff.; Hk-GmbHG/Saenger, 3. Aufl. 2016, § 13 Rn. 19. 3   Die „Häufung“ belegt Hippeli, GmbHR 2016, 1257 anschaulich. 4   BGH NJW 2016, 2739. 5   BGH NJW 2016, 2739.

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tisierung der Treuepflicht bemüht war, bleibt diese Aussage abstrakt. Gerade weil der Sachverhalt Geschäftsführungsangelegenheiten und nicht Satzungsänderungen betraf, gibt sie Anlass zur näheren Betrachtung des „Systems“ treugebundener Zustimmungspflichten. Daher soll ein kurzer Blick auf die allgemeinen Grundlagen der gesellschaftsrechtlichen Treuepflicht gerichtet werden (II.), bevor auf ihre Ausprägung im GmbH-Recht (III.), die Erscheinungsformen in der Praxis (IV.) und ihre Durchsetzung (V.) eingegangen wird.

II. Grundlagen Gesellschaftern obliegt eine besondere Treuepflicht, die auch als Loyalitäts- oder Förderpflicht bezeichnet wird.6 Sie ist gesetzlich nicht geregelt und wurde von der Rechtsprechung bereits Anfang des 20. Jahrhunderts entwickelt.7 Die Treuepflicht besteht auch bei der GmbH gegenüber Gesellschaft und Mitgesellschaftern.8 Sie gründet auf der vertraglichen Verpflichtung und beruht im Wesentlichen auf der Überlegung, dass das Gesellschaftsverhältnis, anders als ein gewöhnliches Schuldverhältnis, nicht auf widerstreitenden Interessen aufbaut. Vielmehr dient es der Förderung eines gemeinsamen Zwecks, weshalb eine besondere persönliche Bindung zwischen den Beteiligten besteht.9 Abzugrenzen ist die mitgliedschaftliche Treuepflicht zwischen Gesellschaftern einerseits und gegenüber der Gesellschaft andererseits von organschaftlichen Treuepflichten, die Organmitgliedern wie Geschäftsführern gegenüber der Gesellschaft obliegen.10 Freilich ist die Treuepflicht als gesellschaftsrechtliche Generalklausel stets unter Bezug auf die konkreten Verhältnisse der Gesellschaft zu bestimmen.11 Sie gewährleistet den Ausgleich für die im Personenverband ermöglichte Einwirkung auf die Interessen der Mitgesellschafter.12 Prägend sind die Gesellschafterloyalität, die Pflicht zu 6  Baumbach/Hueck/Fastrich, GmbHG, 21. Aufl. 2017, § 13 Rn. 21. Vgl. hierzu und zum Folgenden auch Saenger, Gesellschaftsrecht, 4. Aufl. 2018, Rn. 136. 7   S. nur RG LZ 1912, 545; JW 1913, 29, 30. 8   BGHZ 9, 157 = NJW 1953, 780, 781; Roth/Altmeppen, GmbHG, 8. Aufl. 2015, § 13 Rn. 36 – 40; Lutter/Hommelhoff/Bayer, GmbHG, 19. Aufl. 2016, § 14 Rn. 30; Baumbach/ Hueck/Fastrich, GmbHG, 21. Aufl. 2017, § 13 Rn. 20; Michalski/Lieder, GmbHG, 3. Aufl. 2017, § 13 Rn. 140 ff.; Winter, Mitgliedschaftliche Treuebindungen im GmbH-Recht, 1988, S. 93 ff. 9  Grundlegend A. Hueck, Der Treuegedanke im modernen Privatrecht, 1947; dazu auch Lutter, AcP 180 (1980), 84, 102 ff. 10   Michalski/Lieder, GmbHG, 3. Aufl. 2017, § 13 Rn. 137 ff. 11  MüKoGmbHG/Merkt, 3. Aufl. 2018, § 13 Rn. 89; Baumbach/Hueck/Fastrich, GmbHG, 21. Aufl. 2017, § 13 Rn. 22 f. 12  Lutter/Hommelhoff/Bayer § 14 Rn. 20; Michalski/Lieder, GmbHG, 3. Aufl. 2017, § 13 Rn. 141.

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Zweckförderung und Schadensabwendung sowie die gebotene Rücksichtnahme auf die Belange der Mitgesellschafter.13 Dies bildet die rechtsdogmatische Grundlage.14 Aus der gesellschaftsrechtlichen Treuepflicht folgen Verhaltensregeln für die Ausübung von Rechten und sonstigen Befugnissen sowie die tatsächliche Einflussnahme innerhalb des Gesellschaftsverhältnisses zugunsten des Gesellschaftsinteresses.15 Eine präzise Abgrenzung der vielfältigen Treuepflichten ist abstrakt nicht möglich. Es lassen sich jedoch wiederkehrende Problemfelder und in der Rechtswirklichkeit auftretende Spannungsverhältnisse zwischen Gesellschaftern erkennen. Dabei ist die Anwendung der Treuepflicht als Ausfluss der mitgliedschaftsrechtlichen Stellung der Gesellschafter nicht an die Höhe der Beteiligung gekoppelt.16 So können im Interesse des Minderheitenschutzes Stimmrechte der Mehrheit eingeschränkt sein.17 Umgekehrt kann aber auch die Minderheit verpflichtet sein, bestimmte Mitwirkungs- und Kontrollrechte auszuüben, wenn dies im Gesellschaftsinteresse erforderlich und zumutbar ist. Begründet wird diese Einschränkung der Gesellschaftersouveränität mit der Notwendigkeit, das gesellschaftliche Zusammenwirken zu gewährleisten.18 Letztlich dient die Treuepflicht damit der effektiven Verfolgung der im Gesellschaftszweck zum Ausdruck kommenden Ziele.19 Auf diese Weise werden die Rechte jedes Gesellschafters modifiziert oder begrenzt.20 Dabei ist zwischen positiver und negativer Treuepflicht eines Gesellschafters zu unterscheiden.21 Aus positiver Sicht hat jeder Gesellschafter die Interessen der Gesellschaft in der durch den Vertrag bestimmten Weise wahrzunehmen, also die zur Förderung des gemeinsamen Ziels

13  Roth/Altmeppen, GmbHG, 8. Aufl. 2015, § 13 Rn. 36 – 40; Baumbach/Hueck/ Fastrich, GmbHG, 21. Aufl. 2017, § 13 Rn. 21; Michalski/Lieder, GmbHG, 3. Aufl. 2017, § 13 Rn. 131, 135; MüKoGmbHG/Merkt, 3. Aufl. 2018, § 13 Rn. 88; Ulmer/Raiser, GmbHG, 2. Aufl. 2013, § 14 Rn. 77. Vgl. hierzu und zum Folgenden auch Hk-GmbHG/ Saenger, 3. Aufl. 2016, § 13 Rn. 19 – 30. 14  Roth/Altmeppen, GmbHG, 8. Aufl. 2015, § 13 Rn. 30; Michalski/Lieder, GmbHG, 3. Aufl. 2017, § 13 Rn. 135. 15  Baumbach/Hueck/Fastrich, GmbHG, 21. Aufl. 2017, § 13 Rn. 20 f.; MüKoGmbHG/ Merkt, 3. Aufl. 2018, § 13 Rn. 88 („Generalklausel“). 16  Baumbach/Hueck/Fastrich, GmbHG, 21. Aufl. 2017, § 13 Rn. 22; Michalski/Lieder, GmbHG, 3. Aufl. 2017, § 13 Rn. 146; MüKoGmbHG/Merkt, 3. Aufl. 2018, § 13 Rn. 104. 17  Baumbach/Hueck/Fastrich, GmbHG, 21. Aufl. 2017, § 13 Rn. 24. 18  Baumbach/Hueck/Fastrich, GmbHG, 21. Aufl. 2017, § 13 Rn. 24; vgl. Michalski/Lieder, GmbHG, 3. Aufl. 2017, § 13 Rn. 173 zur Teilnahmepflicht bei Gesellschafterversammlung m.w.N. 19   Michalski/Lieder, GmbHG, 3. Aufl. 2017, § 13 Rn. 131. 20   Michalski/Lieder, GmbHG, 3. Aufl. 2017, § 13 Rn. 132 f. 21  Vgl. hierzu und zum Folgenden auch Saenger, Gesellschaftsrecht, 4. Aufl. 2018, Rn. 137.

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eingeräumten Mitwirkungsbefugnisse auch zu diesem Zweck auszuüben.22 Aus der negativen Pflichtenkomponente folgt, dass ein Gesellschafter alles zu unterlassen hat, was diese Interessen schädigt.23 Umfang und Intensität der Treuepflicht im Einzelfall richten sich zum einen nach der konkreten Ausgestaltung des gesellschaftlichen Zusammenschlusses, der „Realstruktur“,24 etwa der Anzahl der Gesellschafter, ihrem Verhältnis untereinander und dem Gesellschaftszweck, und zum anderen nach der Art und der gesellschaftlichen Funktion des ausgeübten Rechts.25 Der Inhalt der Treuepflicht wird durch eine Interessenabwägung bestimmt.26 Dabei ist zwischen uneigennützigen und eigennützigen Gesellschafterrechten zu unterscheiden.27 Zu uneigennützigen Gesellschafterrechten zählen solche, die Gesellschafter primär zur Verfolgung und Erreichung des vereinbarten gemeinsamen Zwecks und damit im Gesellschaftsinteresse wahrnehmen, insbesondere also die Geschäftsführung. Hier haben die Interessen der Gesamtheit Vorrang und können eigene Interessen der Gesellschafter nur insoweit verfolgt werden, als Gesellschaftsbelange nicht entgegenstehen.28 Eigennützige Mitgliedschaftsrechte sind Gesellschaftern dagegen zur Wahrnehmung ihrer eigenen Interessen eingeräumt. Dies gilt beispielsweise für die Vermögensrechte der Gesellschafter, wie das Gewinnrecht und das Recht auf Aufwendungsersatz. Der Geltendmachung dieser Rechte steht die Treuepflicht auch dann grundsätzlich nicht entgegen, wenn abweichende Interessen der Gesellschaft bestehen. Freilich gilt dies nur, solange der Gebrauch dieser Rechte zu dem mit ihrer Einräumung verbundenen Zweck nicht in Widerspruch tritt und Interessen von Gesellschaft oder Mitgesellschaftern nicht willkürlich verletzt werden.29 Soweit ein Gesellschafter berechtigte Eigeninteressen wahrnimmt, vermag die Treuepflicht also nicht, diese den Interessen der Gesellschaft oder der Mitgesellschafter unterzuordnen. Andererseits wirkt sich die Treuepflicht  Lutter/Hommelhoff/Bayer, GmbHG, 19. Aufl. 2016, § 14 Rn. 33 f.   Michalski/Lieder, GmbHG, 3. Aufl. 2017, § 13 Rn. 161 ff.; Lutter/Hommelhoff/ Bayer, GmbHG, 19. Aufl. 2016, § 14 Rn. 35. 24  Lutter/Hommelhoff/Bayer, GmbHG, 19. Aufl. 2016, § 14 Rn. 29; Baumbach/Hueck/ Fastrich, GmbHG, 21. Aufl. 2017, § 13 Rn. 22. 25  Vgl. hierzu und zum Folgenden auch Saenger, Gesellschaftsrecht, 4. Aufl. 2018, Rn. 138. 26  Baumbach/Hueck/Fastrich, GmbHG, 21. Aufl. 2017, § 13 Rn. 23. 27  Eingehend zur Unterscheidung MüKoBGB/Schäfer, 7. Aufl. 2017, § 705 Rn. 224; Lutter, AcP 180 (1980), 84, 115 ff. 28   BGHZ 37, 381 = NJW 1962, 1811; BGH NJW 1986, 584, 585; Baumbach/Hueck/ Fastrich, GmbHG, 21. Aufl. 2017, § 13 Rn. 26; Staudinger/Habermeier, 2003, BGB § 705 Rn. 51; MüKoGmbHG/Merkt, 3. Aufl. 2018, § 13 Rn. 116 ff.; Ulmer/Raiser, GmbHG, 2. Aufl. 2013, § 14 Rn. 87; Lutter, AcP 180 (1980), 84, 116. 29  Erman/Westermann, BGB, 15. Aufl. 2017, § 705 Rn. 49; MüKoBGB/Schäfer, 7. Aufl. 2017, § 705 Rn. 224; Baumbach/Hueck/Fastrich, GmbHG, 21. Aufl. 2017, § 13 Rn. 27. 22 23

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selbst bei der Ausübung von Minderheitenrechten aus.30 So kann sich im Extremfall sogar eine Pflicht des einzelnen Gesellschafters ergeben, das Stimmrecht in einer bestimmten Weise auszuüben.31 Dies gilt auch unabhängig von einer ausdrücklichen Regelung im Gesellschaftsvertrag, weil die Treuepflicht jedem Gesellschaftsverhältnis immanent ist.32

III.  Inhalt und Grenzen33 Auch für das Recht der GmbH hat die Rechtsprechung im Laufe der Zeit der Treuepflicht Konturen verliehen.34 Insbesondere können hieraus Zustimmungspflichten folgen, etwa zu einer Änderung des Gesellschaftsvertrags35 oder zur Abberufung eines Geschäftsführers,36 wobei aber eine restriktive Handhabung geboten ist.37 Gleichwohl haben die Gerichte nach wie vor und auch in jüngerer Zeit immer wieder zu entscheiden, ob GmbH-Gesellschafter auf der Grundlage ihrer Treuepflicht ihre Zustimmung zu Satzungsänderungen ebenso wie zu in der Gesellschafterversammlung zur Entscheidung gestellten Grundlagengeschäften und sonstigen Maßnahmen der Geschäftsführung erteilen müssen.38 Aussagen zur Reichweite von Treue- und Mitwirkungspflichten sind mit Blick auf die Wertungen möglich, die den zahlreichen Einzelentscheidungen zugrunde liegen. Auch wenn diese stets auf einer von den Gegebenheiten des Einzelfalls abhängigen umfassenden Interessenabwägung beruhen,39 ergibt sich folgendes Bild: Eine hohe Beteiligungsquote oder eine durch besondere Stimmrechte begründete Rechtsmacht führt in der Regel zu einer gesteigerten Pflicht zur Rücksichtnahme auf die Belange der Mitgesellschafter, da ein Mehrheitsgesellschafter stärker an die Treuepflicht gebunden sein wird als der Inhaber einer Sperrminorität.40 Dabei kann auch die reale Machtverteilung in der  MüKoGmbHG/Merkt, 3. Aufl. 2018, § 13 Rn. 104.   BGH NJW 2015, 2882, 2884; BGHZ 44, 40 = NJW 1965, 1960; BGHZ 98, 276 = NJW 1987, 189, 190; BGH NJW 2010, 65, 67 – Sanieren oder Ausscheiden. Zur Zustimmungspflicht speziell beim Ausschluss von Mitgesellschaftern Horn, AcP 181 (1981), 256, 272. 32   BGH NJW 2015, 2882, 2884; krit. zur Begründung aber Escher-Weingart, WM 2016, 1569, 1573. 33   Vgl. hierzu und zum Folgenden Hk-GmbHG/Saenger, 3. Aufl. 2016, § 13 Rn. 19–30. 34   BGHZ 65, 15 = NJW 1976, 191; BGHZ 98, 276 = NJW 1987, 189, 190. 35   BGHZ 98, 276 = NJW 1987, 189, 190 f. 36   BGH NJW 1991, 846. 37   BGHZ 44, 40 = NJW 1965, 1960; BGHZ 64, 253 = NJW 1975, 1410, 1411 („besonders gelagerte Ausnahmefälle“); OLG München ZIP 2016, 1832 ff. Dazu auch Hippeli, GmbHR 2016, 1257 mit weiteren Beispielen aus der Rechtsprechung. 38   Vgl. nur BGH NJW 2016, 2739. 39  Baumbach/Hueck/Fastrich, GmbHG, 21. Aufl. 2017, § 13 Rn. 23. 40  MüKoGmbHG/Merkt, 3. Aufl. 2018, § 13 Rn. 104. 30 31

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Gesellschaft durch faktische Einflussmöglichkeiten Auslöser für treuepflichtbedingte Verhaltensanforderungen sein.41 Auch die Dauer der Beteiligung kann Einfluss auf die Intensität der Treuepflicht haben. Eine gesteigerte Treuebindung kann sich in Abhängigkeit von der Realstruktur der Gesellschaft ergeben.42 Je stärker die Gesellschaft personalistisch geprägt ist, mithin von gegenseitigem Vertrauen der Gesellschafter untereinander lebt, umso höhere Anforderungen sind an die Ausübung gesellschaftsbezogener Rechte der Gesellschafter zu stellen.43 Umgekehrt kann auch die Verhinderungsmöglichkeit eines einzelnen Gesellschafters, etwa aufgrund einer Sperrminorität, bei wichtigen Strukturmaßnahmen eine Mitwirkungspflicht hervorrufen.44 Dabei ist die Verantwortung des Minderheitsgesellschafters umso stärker, je bedeutsamer die jeweilige Maßnahme für das Wohl der Gesellschaft insgesamt ist.45 Als Maßstab für einzelne Gesellschaftermaßnahmen wird der im öffentlichen Recht entwickelte Grundsatz der Verhältnismäßigkeit herangezogen. Eine Maßnahme muss somit geeignet und erforderlich sein, um ein legitimes Gesellschafterinteresse zu verfolgen. Die Durchsetzung des Interesses darf nicht außer Verhältnis zu etwaigen Nachteilen für die Gesellschaft oder Mitgesellschafter stehen.46 Eigennützige Rechte (Austritt, Gewinnbezugsrechte), für die eine graduell schwächere Treuepflicht besteht, sind zu unterscheiden von uneigennützigen Rechten (etwa Geschäftsführung), für die das Inte­ resse der GmbH im Vordergrund steht und die eine gesteigerte Treuepflicht begründen können.47

 Michalski/Lieder, GmbHG, 3. Aufl. 2017, § 13 Rn. 156.  Baumbach/Hueck/Fastrich, GmbHG, 21. Aufl. 2017, § 13 Rn. 22; Scholz/Bitter, GmbHG, 12. Aufl. 2018, § 13 Rn. 51. 43   BGHZ 9, 157 = NJW 1953, 780, 781; Baumbach/Hueck/Fastrich, GmbHG, 21. Aufl. 2017, § 13 Rn. 22. 44   BGHZ 98, 276 = NJW 1987, 189, 190 f.; MüKoGmbHG/Merkt, 3. Aufl. 2018, § 13 Rn. 116 ff. 45  MüKoGmbHG/Merkt, 3. Aufl. 2018, § 13 Rn. 121. 46  Baumbach/Hueck/Fastrich, GmbHG, 21. Aufl. 2017, § 13 Rn. 27; Michalski/Lieder, GmbHG, 3. Aufl. 2017, § 13 Rn. 159; Baumbach/Hueck/Zöllner/Noack, GmbHG, 21. Aufl. 2017, Anh. 47 Rn. 102; MüKoGmbHG/Merkt, 3. Aufl. 2018, § 13 Rn. 93. 47  Scholz/Seibt, GmbHG, 12. Aufl. 2018, § 14 Rn. 76; MüKoGmbHG/Merkt, 3. Aufl. 2018, § 13 Rn. 92. 41 42

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IV. Zustimmungspflichten48 Wegen des Grundsatzes der freien Stimmrechtsausübung können Zustimmungspflichten nur den Ausnahmefall darstellen.49 Gleichwohl sind sie auch für das Recht der GmbH anerkannt.50 Qualitativ sind dabei aber zwei Situationen zu unterscheiden, nämlich satzungsändernde Beschlüsse einerseits und solche, die Geschäftsführungsmaßnahmen im weitesten Sinne betreffen. 1. Satzungsänderungen Die Verfassung der GmbH ist maßgeblich geprägt durch ihre Satzung. Bei Satzungsänderungen sind treuepflichtbedingte Bindungen des Abstimmungsverhaltens ultima ratio und absolute Ausnahme, denn die privatautonome Entscheidungsfindung und Ausübung von Gesellschafterrechten wird hier am stärksten eingeschränkt.51 Zu beachten sind die besonderen Voraussetzungen der Verhältnismäßigkeit. Ein bestimmtes Abstimmungsverhalten muss für die Gesellschaft deshalb notwendig sein und das Gesellschaftsinteresse muss das des einzelnen Gesellschafters überwiegen. Weiterhin muss die Maßnahme unter Abwägung der übrigen Interessen für den betroffenen Gesellschafter auch zumutbar sein.52 In Rechtsprechung und Literatur finden sich vielfältige Konstellationen, in denen entsprechende Zustimmungspflichten bestehen können. So ist die Begründung zusätzlicher Leistungspflichten der Gesellschafter grundsätzlich zwar mit Blick auf die in § 53 Abs. 3 GmbHG angeordnete Einstimmigkeit solcher Entscheidungen bedenklich.53 Der BGH hat aber gleichwohl die Zustimmungspflicht zu einem Beschluss zur Kapitalerhöhung bejaht, der infolge einer Gesetzesänderung erforderlich wurde und auch nach den übrigen Umständen des Einzelfalls gerechtfertigt schien.54 Auch kann die Blo48  Vgl. hierzu und zum Folgenden auch Hk-GmbHG/Saenger, 3. Aufl. 2016, § 13 Rn. 31–56. 49  Bork/Schäfer/Casper, GmbHG, 3. Aufl. 2015, § 47 Rn. 22. 50   BGH NZG 2016, 781; ebenso bereits BGHZ 98, 276 = NJW 1987, 189, 190 f. unter Verweis auf die für die Anerkennung der Grundsätze über die gesellschaftsrechtliche Treuepflicht auf die Beziehungen der Gesellschafter einer personalistisch ausgestalteten GmbH grundlegende ITT-Entscheidung BGHZ 65, 15 = NJW 1976, 191; Winter, Mitgliedschaftliche Treuebindungen im GmbH-Recht, 1988, S. 167 ff.; Baumbach/Hueck/Fastrich, GmbHG, 21. Aufl. 2017, § 13 Rn. 29; Baumbach/Hueck/Zöllner/Noack, GmbHG, 21. Aufl. 2017, § 47 Rn. 110 ff. 51  Baumbach/Hueck/Fastrich, GmbHG, 21. Aufl. 2017, § 13 Rn. 29; Michalski/Lieder, GmbHG, 3. Aufl. 2017, § 13 Rn. 183. 52  Lutter/Hommelhoff/Bayer, GmbHG, 19. Aufl. 2016, § 47 Rn. 13. 53   Michalski/Lieder, GmbHG, 3. Aufl. 2017, § 13 Rn. 185. 54   BGHZ 98, 276 = NJW 1987, 189, 190 f. für den Fall drohender Amtslöschung gem. § 60 Abs. 1 Nr. 7 i.V.m. § 144a Abs. 4 FGG a.F., nunmehr § 399 Abs. 4 FamFG.

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ckade einer Kapitalerhöhung trotz eines daraus resultierenden Verlusts der Sperrminorität unzulässig sein, wenn ein Gesellschafter nicht in der Lage ist, sich hieran zu beteiligen.55 Ebenso kann sich in Sanierungsfällen, wenn also Maßnahmen zum Erhalt der Gesellschaft dringend geboten sind, ein anderer Maßstab ergeben, der die Rechte des einzelnen Gesellschafters stärker einschränkt. Ein Beschluss zur krisenbedingten Kapitalherabsetzung kann zustimmungspflichtig sein, wenn dies der einzig gangbare Weg zur Sanierung der Gesellschaft ist.56 Entsprechendes gilt, wenn eine Beschlussfassung über Investitionen erforderlich ist, um Maßnahmen zur Einhaltung öffentlichrechtlicher Vorgaben zu ergreifen, wie beispielsweise immissionsrechtlicher Bestimmungen, weil ansonsten die Existenz bedroht ist.57 Die Ausübung eines gesellschaftsvertraglich gewährten Widerspruchsrechts kann treuwidrig sein, wenn hierdurch eine erforderliche Umstrukturierungsmaßnahme verhindert würde.58 Ist im Gründungsstadium der GmbH die Eintragung im Handelsregister gefährdet, weil Gründungsmängel vorliegen, etwa eine verdeckte Sacheinlage in Rede steht, kann eine Pflicht zur Beseitigung solcher Mängel und die Zustimmung zur dazu erforderlichen Satzungsänderung bestehen.59 Ein durch den Mehrheitsgesellschafter herbeigeführter Auflösungsbeschluss verstößt gegen die Treuepflicht, wenn er unter Absprache mit der Geschäftsführung zu dem Zweck erfolgt, die Minderheit aus der Gesellschaft zu drängen und sich den Zugriff auf den Geschäftsbetrieb zu sichern.60 Eine vergleichbare und ebenfalls treuwidrige Ausübung des Stimmrechts liegt vor, wenn die Mehrheitsgesellschafterin über die Ausgliederung von Geschäftsteilen an eine ebenfalls von ihr kontrollierte Gesellschaft entscheidet, ohne hierfür einen angemessenen Gegenwert zu verlangen.61

55   Häsemeyer, ZHR 160 (1996), 109 ff.; Michalski/Lieder, GmbHG, 3. Aufl. 2017, § 13 Rn. 163. 56   BGHZ 129, 136 = NJW 1995, 1739, 1743 – Girmes (für die AG). 57  Hk-GmbHG/Puszkajler, 3. Aufl. 2016, Anh. § 47 Rn. 69; BeckOK GmbHG/Leinekugel, 33. Ed. 01.08.2017, Systematische Darstellungen – Beschlussanfechtung Rn. 85.7. 58   OLG Stuttgart, NZG 2000, 490. 59  BGHZ 155, 329 = NJW 2003, 3127, 3129 f. zu §§ 5 Abs. 4, 19 Abs. 5 GmbHG a.F.; Baumbach/Hueck/Fastrich, GmbHG, 21. Aufl. 2017, § 13 § 11 Rn. 8; Scholz/Bitter, GmbHG, 12. Aufl. 2018, § 13 Rn. 50; Scholz/Seibt, GmbHG, 12. Aufl. 2018, § 14 Rn. 98. 60   BGHZ 76, 352 = NJW 1980, 1278 f.; BGHZ 103, 184 = NJW 1988, 1579, 1581 – Linotype (zur AG); zu ähnlichen Fallkonstellationen Michalski/Lieder, GmbHG, 3. Aufl. 2017, § 13 Rn. 178 m.w.N. 61   OLG Stuttgart, DB 2001, 854, 859 f.

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2. Geschäftsführungsmaßnahmen In der Regel berühren die von der Satzung bestimmten Grundlagen der Gesellschaft die Interessen der einzelnen Gesellschafter weitaus stärker als „bloße“ Geschäftsführungsmaßnahmen. Demgegenüber kommt dem Gesellschaftsinteresse bei uneigennützigen Geschäftsführungsangelegenheiten besonders hohe Bedeutung zu. Es handelt sich regelmäßig um Rechte, die nicht allein im Interesse einzelner Gesellschafter bestehen. Das betrifft etwa auch Beschlüsse über die Gesellschaftsorganisation im Sinne von § 46 GmbHG. Auch wenn den Gesellschaftern ein unternehmerisches Ermessen zugestanden wird, dessen Ausübung keine Treuepflichtverletzung darstellt, solange sie mit der Sorgfalt eines ordentlichen Kaufmanns erfolgt,62 lassen sich zahlreiche Beispiele anführen, in denen die Interessenabwägung zu ihren Lasten ausfällt. So dürfen personelle Entscheidungen, die Bestellung und Abberufung von Geschäftsführern (§ 38 GmbHG), Aufsichtsräten, Prokuristen und Handlungsbevollmächtigten oder auch Wirtschaftsprüfern (§ 42a Abs. 1 S. 2 GmbHG) nicht von sachfremden Motiven geleitet sein, sondern haben im Gesellschaftsinteresse zu erfolgen. Treuwidrig kann etwa die Auswechslung der Geschäftsführung während eines Rechtsstreits gegen den (mit-) beschließenden Gesellschafter63 oder zu dem Zweck sein, einzelne Gesellschafter aus der Gesellschaft zu verdrängen.64 Die Entsendung eines Aufsichtsratsmitglieds65 kann ebenso unzulässig sein wie die Abberufung eines Abschlussprüfers,66 wenn sie ohne sachlichen Grund und entgegen den Interessen der Gesellschaft geschieht. Die Gesellschafter sind verpflichtet, an der Feststellung des Jahresabschlusses (§§ 42a Abs. 1 S. 1, 46 Nr. 1 GmbHG) mitzuwirken. Hierbei, und bei der Beschlussfassung über die Gewinnverwendung (§ 29 Abs. 1 GmbHG), sind die Interessen der Mitgesellschafter an der Gewinnausschüttung von besonderer Bedeutung. So kann die Entscheidung für eine überhöhte Rücklagenbildung gegen die Treuepflicht verstoßen, wenn sie einen Umfang annimmt, der den Ausschüttungsbedarf der Mitgesellschafter außer Betracht lässt.67 Gewinnansprüche des Gesellschafters im Verhältnis zur Gesellschaft können treuwidrig sein, wenn ihre Durchsetzung zu ernsthaften 62   OLG Düsseldorf, ZIP 1996, 1083, 1087; Scholz/Seibt, GmbHG, 12. Aufl. 2018, § 14 Rn. 67. 63   OLG München, NZG 1999, 407, 408. 64   BGH DStR 1994, 214 m. Anm. Goette; BGH GmbHR 1991, 62; Michalski/Lieder, GmbHG, 3. Aufl. 2017, § 13 Rn. 167 ff., 184 m.w.N.; Scholz/Seibt, GmbHG, 12. Aufl. 2018, § 14 Rn. 82. 65   RGZ 165, 68, 79. 66   BGH NJW-RR 1992, 167; GmbHR 1991, 568, 569. 67  OLG Hamm, GmbHR 1992, 458 f.; Scholz/Bitter, GmbHG, 12. Aufl. 2018, § 13 Rn. 54.

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Liquiditätsengpässen führen würde.68 Als Obergrenze ist deshalb stets auch auf den Liquiditätsbedarf der Gesellschaft zu achten, deren finanzielle Existenzgrundlage nicht entzogen werden darf.69 Entlastungsbeschlüsse gegenüber der Geschäftsführung können rechtswidrig sein, wenn die Geschäftsführung pflichtwidrig Maßnahmen zugunsten einer bestimmten Gruppe von Gesellschaftern getroffen hat,70 etwa wenn ein Mehrheitsgesellschafter dem Interessen der Gesellschaft entgegen die Verfolgung von Pflichtverletzungen verhindert71 oder ihm ungerechtfertigt Vorteile gewährt werden. 3. Kriterien Wenig praktikabel erscheinen die Kriterien, die in Rechtsprechung und Literatur zur Bestimmung des konkreten Inhalts der Treuepflicht herangezogen werden. Dies gilt besonders für die Begründung von Zustimmungspflichten, also den krassesten Eingriff in das grundlegende Recht der Stimmrechtsfreiheit. Gerade für Zustimmungspflichten zu Geschäftsführungsmaßnahmen hat der BGH im MediaMarkt-Urteil72 besonders hohe Anforderungen gestellt. Das Gericht betont, dass ein Gesellschafter grundsätzlich in der Ausübung seines Stimmrechts frei sei73 und eine Beschränkung nur im Ausnahmefall in Betracht komme.74 Auch habe grundsätzlich der Gesellschafter zu entscheiden, wie die Interessen der Gesellschaft gewahrt werden.75 Konkret orientiert sich der BGH an drei Kriterien, nämlich Schutzgütern, Erfordernis und Zumutbarkeit. Erstens erfolgt eine Eingrenzung der Schutzgüter, die überhaupt eine Zustimmungspflicht zu Geschäftsführungsmaßnahmen rechtfertigen können. Eine solche kommt nur „zur Erhaltung wesentlicher Werte“, welche die Gesellschafter geschaffen haben, oder aber „zur Vermeidung erheblicher Verluste, die die Gesellschaft bzw. die Gesellschafter erleiden könnten“, in Betracht.76 Dem wird man zustimmen können. Schwieriger gestaltet sich die Beurteilung der zweiten Voraussetzung, nämlich der der Erforderlichkeit der Maßnahme. Dass eine Geschäftsführung vielfältige Gestaltungsmöglichkeiten eröffnet, wobei nicht nur rechtliche, sondern vor allem auch (betriebs-) wirtschaftliche Gesichtspunkte maß68  Baumbach/Hueck/Fastrich, GmbHG, 21. Aufl. 2017, § 13 Rn. 27; Michalski/Lieder, GmbHG, 3. Aufl. 2017, § 13 Rn. 175. 69  Lutter/Hommelhoff, GmbHG, 19. Aufl. 2016, § 29 Rn. 22. 70  MüKoGmbHG/Merkt, 3. Aufl. 2018, § 13 Rn. 135. 71   OLG Düsseldorf, NZG 2001, 991, 994 f. 72   BGH NJW 2016, 2739. 73   BGH NJW 2016, 2739. 74   BGH NJW 2016, 2739, 2740. 75   BGH NJW 2016, 2739, 2740. 76   BGH NJW 2016, 2739, 2740.

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geblich sind, bedarf keiner näheren Begründung. Dies hat im Übrigen auch mit Berücksichtigung der Business Judgment Rule in § 93 Abs. 1 S. 2 AktG eine rechtliche Anerkennung erfahren. Den damit eröffneten unternehmerischen Entscheidungsspielraum erkennt der BGH durchaus an. Die in Rede stehende Geschäftsführungsmaßnahme muss nämlich „objektiv unabweisbar erforderlich“ sein.77 Die Messlatte wird also sehr hoch angelegt, so dass Anwendungsfälle selten sein dürften. Es stellt sich sogar die Frage, ob diese Schwelle überhaupt überschritten werden kann und sich in Geschäftsführungsangelegenheiten eine „objektiv unabweisbare“ Erforderlichkeit ex ante belegen lässt. Drittens werden auch an die Zumutbarkeit höchste Anforderungen gestellt. Allgemein gilt, dass Gesellschaftern eine Zustimmung unter Berücksichtigung ihrer eigenen schutzwürdigen Belange zumutbar sein muss.78 Das wird aber weiter dahin konkretisiert, dass eine Zustimmungspflicht nur in Betracht kommt, „wenn der Gesellschaftszweck und das Interesse der Gesellschaft gerade diese Maßnahme zwingend gebieten“ und der Gesellschafter seine Zustimmung „ohne vertretbaren Grund“ verweigert.79 Dies liest sich, als würde die (als zweite Voraussetzung genannte) objektiv unabweisbare Erforderlichkeit die Zumutbarkeit einer Stimmung zu „gerade dieser Maßnahme“ indizieren und dem Gesellschafter quasi die Beweislast des Vorliegens eines „vertretbaren Grundes“ für seine Verweigerung auferlegen. Der BGH betont, dass diese „hohen Anforderungen“ nicht nur für die Zustimmungspflicht zu Änderungen des Gesellschaftsvertrags, sondern gerade auch zu Maßnahmen der Geschäftsführung gelten.80 Ungeachtet des erforderlichen Schutzes der Selbstverantwortung der Gesellschaft stellt sich aber gleichwohl die Frage, ob es im Hinblick auf Geschäftsführungsmaßnahmen tatsächlich erforderlich ist, die Hürden so hoch zu errichten wie bei der Zustimmungspflicht zu einer Satzungsänderung.81 Vor allem irritiert das Erfordernis der Bestandsgefährdung.82 Auch wenn es sich um „Ausnahmefälle“ handeln wird und in jedem Fall „hohe Anforderungen“ zu stellen sind,83 soll es demgegenüber nach anderer Ansicht im Hinblick auf Geschäftsführungsmaßnahmen bereits ausreichen, dass ohne die Zustimmung erhebli-

  BGH NJW 2016, 2739, 2740.   BGH NJW 2016, 2739. 79   BGH NJW 2016, 2739. 80   BGH NJW 2016, 2739. 81   Ebenso Baumbach/Hueck/Fastrich, GmbHG, 21. Aufl. 2017, § 13 Rn. 29a. 82   Ebenso Baumbach/Hueck/Fastrich, GmbHG, 21. Aufl. 2017, § 13 Rn. 29a. 83  Bork/Schäfer/Casper, GmbHG, 3. Aufl. 2015, § 47 Rn. 23. 77 78

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che Interessen der Gesellschaft auf dem Spiel stehen.84 Andere weisen auf die Kriterien eines dringenden Erfordernisses und der Zumutbarkeit hin.85 Für die Beurteilung sowohl von Satzungs- als auch von Geschäftsführungsangelegenheiten werden sich „standardisierte“ Maßstäbe nicht finden lassen. Ebenso wird man Satzungsänderungen einerseits und Geschäftsführungsmaßnahmen andererseits nicht jeweils über „einen Kamm scheren“ können. Vielmehr muss es bei einer Abwägung von (kollektivem) Gesellschaftsinteresse einerseits und (individuellem) Gesellschafterinteresse andererseits bleiben. Dass Entscheidungen in Satzungsangelegenheiten, welche die Grundlagen der Gesellschaft betreffen, die Interessensphäre der Gesellschafter stärker berühren als Geschäftsführungsentscheidungen, mag die Regel sein, ist aber nicht zwingend. Geht es um die Zustimmung zu einer Geschäftsführungsmaßnahme, kann diese jedenfalls nicht schon unter Hinweis darauf erzwungen werden, dass eine beabsichtigte Maßnahme „erhebliche wirtschaftliche Bedeutung“ hat.86 Andererseits bedarf es hierfür aber auch nicht regelmäßig einer Bestandsgefährdung.87

V. Durchsetzung Die Rechtsfolgen eines Verstoßes gegen die Treuepflicht hängen von den Umständen des Einzelfalls ab88 und sind nicht unumstritten. Die treuwidrige Stimmabgabe89 eines Gesellschafters ist nach § 134 BGB nichtig und die Stimme bei der Beschlussfassung nicht mitzuzählen.90 Denn der Verstoß gegen gesteigerte Treuebindung ist stets rechtsmissbräuchlich.91 Der 84  Baumbach/Hueck/Fastrich, GmbHG, 21. Aufl. 2017, § 13 Rn. 29a. Die Grenzen wollen ebenso nicht so eng ziehen Bork/Schäfer/Casper, GmbHG, 3. Aufl. 2015, § 47 Rn. 23; Scholz/K. Schmidt, GmbHG, 11. Aufl. 2013, § 47 Rn. 30. 85  Bork/Schäfer/Casper, GmbHG, 3. Aufl. 2015, § 47 Rn. 23. 86   BGH NJW 2016, 2739, 2740. 87   So aber BGH NJW 2016, 2739, 2740. 88  Baumbach/Hueck/Fastrich, GmbHG, 21. Aufl. 2017, § 13 Rn. 30; Baumbach/ Hueck/Zöllner/Noack, GmbHG, 21. Aufl. 2017, Anh. § 47 Rn. 99 und 101; Ulmer/Raiser, GmbHG, 2. Aufl. 2013, § 14 Rn. 99. 89   Zu Fallgruppen vgl. MüKoGmbHG/Merkt, 23. Aufl. 2018, § 13 Rn. 111 ff. 90  BGH NJW 1988, 969, 970; NJW-RR 1993, 1253, 1254; Scholz/Seibt, GmbHG, 12. Aufl. 2018, § 14 Rn. 121; Scholz/K. Schmidt, GmbHG, 11. Aufl. 2013, § 47 Rn. 32; Baumbach/Hueck/Fastrich, GmbHG, 21. Aufl. 2017, § 13 Rn. 30; Baumbach/Hueck/Zöllner/Noack, GmbHG, 21. Aufl. 2017, § 47 Rn. 108 und Anh. § 47 Rn. 105; Ulmer/Raiser, GmbHG, 2. Aufl. 2013, § 14 Rn. 99; Hk-GmbHG/Puszkajler, 3. Aufl. 2016, Anh. § 47 Rn. 69; BeckOK GmbHG/Leinekugel, 33. Ed. 01.08.2017, Systematische Darstellungen – Beschlussanfechtung Rn. 85; a.A. aber MüKoGmbHG/Merkt, 3. Aufl. 2018, § 13 Rn. 188 f. und Korehnke, Treuwidrige Stimmen im Personengesellschafts- und GmbH-Recht, 1997, S. 143 ff. und 166 f., die lediglich Anfechtbarkeit annehmen. 91  Baumbach/Hueck/Zöllner/Noack, GmbHG, 21. Aufl. 2017, § 47 Rn. 108.

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Versammlungsleiter ist deshalb berechtigt, bei Feststellung des Beschluss­ ergebnisses treuwidrige Stimmen als nichtig zu behandeln.92 Beruht ein Gesellschafterbeschluss auf einer rechtswidrig mitgezählten Stimme, kann hiergegen bis zur förmlichen Feststellung durch den Versammlungsleiter im Wege der Feststellungsklage gerichtlich vorgegangen werden.93 Der Antrag ist darauf zu richten, festzustellen, wie der Beschluss ohne treuwidrige Stimmabgabe zustande gekommen wäre.94 Hingegen ist ein Gesellschafterbeschluss nach der Beschlussfeststellung nur noch im Rahmen und unter den besonderen Voraussetzungen der Anfechtungsklage entsprechend § 243 Abs. 1 und 2 AktG angreifbar.95 Auf der Treuepflicht basierende Handlungspflichten lassen sich im Wege der Leistungsklage durchsetzen. Ist bei der Mitwirkung an Gesellschafterbeschlüssen eine bestimmte Art der Stimmabgabe durch die Treuepflicht geboten, kann die Zustimmung mit der Erfüllungsklage geltend gemacht und nach § 894 ZPO erzwungen werden.96 Dabei kommt eine Klage namens der Gesellschaft durch die Gesellschafter ebenso wie eine Gesellschafterklage in Betracht.97 Auch besteht die Möglichkeit, eine einstweilige Verfügung zu erwirken.98 Ungeachtet einer anstehenden gerichtlichen Klärung können treuegebundene Zustimmungspflichten für Geschäftsführer erhebliche Unsicherheit bedeuten. Denn Gesellschafterbeschlüsse können auch einzelne Geschäftsführungsentscheidungen und Weisungen im Sinne von § 37 Abs. 1 GmbHG beinhalten.99 Nichtige Beschlüsse müssen Geschäftsführer aber nicht ausführen.100 Bereits festgestellte Beschlüsse sind hingegen erst nichtig, wenn

 Baumbach/Hueck/Zöllner/Noack, GmbHG, 21. Aufl. 2017, Anh. § 47 Rn. 121 f.  Baumbach/Hueck/Zöllner/Noack, GmbHG, 21. Aufl. 2017, Anh. § 47 Rn. 124; Ulmer/Raiser, GmbHG, 2. Aufl. 2013, § 14 Rn. 99. 94  Ulmer/Raiser, GmbHG, 2. Aufl. 2013, § 14 Rn. 99. 95   BGHZ 76, 352 = BGH NJW 1980, 1278, 1279; BGHZ 103, 184 = NJW 1988, 1579, 1581; Bork/Schäfer/Casper, GmbHG, 3. Aufl. 2015, § 47 Rn. 22; Baumbach/Hueck/ Fastrich, GmbHG, 21. Aufl. 2017, § 13 Rn. 29a und 30; Baumbach/Hueck/Zöllner/Noack, GmbHG, 21. Aufl. 2017, Anh. 47 Rn. 98 ff. 96  BGHZ 48, 163 = NJW 1967, 1963, 1966; Baumbach/Hueck/Fastrich, GmbHG, 21. Aufl. 2017, § 13 Rn. 30; Michalski/Lieder, GmbHG, 3. Aufl. 2017, § 13 Rn. 200; MüKoGmbHG/Merkt, 3. Aufl. 2018, § 13 Rn. 191; Ulmer/Raiser, GmbHG, 2. Aufl. 2013, § 14 Rn. 100. 97  Ulmer/Raiser, GmbHG, 2. Aufl. 2013, § 14 Rn. 100. 98   OLG Hamburg, NJW 1992, 186, 187; OLG Frankfurt a.M., GmbHR 1993, 161; OLG Hamm, GmbHR 1993, 163; Bork/Schäfer/Casper, GmbHG, 3. Aufl. 2015, § 47 Rn. 23; Ulmer/Raiser, GmbHG, 2. Aufl. 2013, § 14 Rn. 99; Scholz/K. Schmidt, GmbHG, 11. Aufl. 2013, § 47 Rn. 23 m.w.N. 99  Baumbach/Hueck/Zöllner/Noack, GmbHG, 21. Aufl. 2017, § 37 Rn. 20. 100  Baumbach/Hueck/Zöllner/Noack, GmbHG, 21. Aufl. 2017, § 37 Rn. 22; MüKoGmbHG/Stephan/Tieves, 2. Aufl. 2016, § 37 Rn. 34. 92 93

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sie auch wirksam angefochten sind.101 Bis zu einer gerichtlichen Entscheidung ist dennoch eine strikte Befolgungspflicht zu verneinen102 und müssen die Geschäftsführer die Erfolgswahrscheinlichkeit der Anfechtung selbst prüfen,103 was ein Risiko darstellen kann.

VI. Resümee Inhalt und Umfang der Treuepflicht lassen sich weder nach der Gesellschaftsform noch für eine konkrete GmbH objektiv definieren. Deren Reichweite lässt sich nur im Einzelfall aufgrund einer Interessenabwägung bestimmen. Soweit das Stimmrecht betroffen ist, kann hierfür der Beschlussgegenstand maßgeblich sein. Auch wenn Einschränkungen angesichts der Selbstverantwortung der Gesellschafter die Ausnahme bleiben müssen und hohe Anforderungen zu stellen sind, kann die Unterscheidung von uneigennützigen und eigennützigen Rechten den Ausschlag geben.

 Baumbach/Hueck/Zöllner/Noack, GmbHG, 21. Aufl. 2017, § 37 Rn. 22.  Baumbach/Hueck/Zöllner/Noack, GmbHG, 21. Aufl. 2017, § 37 Rn. 20; MüKoGmbHG/Stephan/Tieves, 2. Aufl. 2016, § 37 Rn. 122; Michalski/Lenz, GmbHG, 3. Aufl. 2017, § 37 Rn. 19; Bork/Schäfer/Jacoby, GmbHG, 3. Aufl. 2015, § 37 Rn. 18. 103  Baumbach/Hueck/Zöllner/Noack, GmbHG, 21. Aufl. 2017, § 37 Rn. 23. 101 102

Neue Impulse für den Minderheitenschutz gegen Mehrheitsbeschlüsse Carsten Schäfer I. Einführung In den letzten Jahren hat der II. Zivilsenat des BGH seine Rechtsprechung zu einem Dauerbrenner des Personengesellschaftsrechts, dem Minderheitenschutz gegen Mehrheitsbeschlüsse, geschärft und zu einem gewissen Abschluss gebracht, zumindest was die Auslegung von Mehrheitsklauseln in Personengesellschaftsverträgen betrifft. Ein Urteil, das unter der Senatsleitung des Jubilars am 21.10.2014 ergangen ist,1 sticht insofern hervor, zum einen, weil es den sog. Bestimmtheitsgrundsatz definitiv und unmissverständlich verabschiedet hat, dessen sich der Senat jahrzehntelang zur restriktiven Auslegung von Mehrheitsklauseln bedient hatte. Zum anderen, weil es recht umfangreiche Ausführungen enthält zu der vom Senat seit längerem so bezeichneten „zweiten Stufe“ zur Prüfung des „Umfangs der materiellen Wirksamkeit“ eines Beschlusses.2 Obwohl nicht entscheidungserheblich, werden sie im Schrifttum sehr lebhaft diskutiert und dabei sehr unterschiedlich interpretiert und bewertet.3 Gewiss hatte das Urteil Vorläufer,4 aber es bildet nicht nur die Basis für die gegenwärtige Rechtsprechung des Senats zu einem für die Praxis eminent wichtigen Thema und wurde deshalb auch mit besonderer Aufmerksamkeit bedacht; vielmehr hat es auch eine Reihe von Folgefragen und in der Gestaltungspraxis deshalb auch eine gewisse Ratlosigkeit ausgelöst.5 Dabei waren die entscheidungserheblichen Aussagen des Urteils im Grunde unspektakulär: Weil der Bestimmtheitsgrundsatz nicht   BGH – II ZR 84/13, BGHZ 203, 77 = ZIP 2014, 2231.   BGH – II ZR 84/13, BGHZ 203, 77 = ZIP 2014, 2231, Rn. 16. 3   Altmeppen in VGR (Hrsg.), Gesellschaftsrecht in der Diskussion 2015 (2016), S. 55; ders. NJW 2015, 2065 ff.; Goette/Goette DStR 2016, 74 (79); Heckschen/Bachmann NZG 2015, 531 (534 ff.); Kleindiek GmbHR 2017, 674; Priester EWiR 2015, 71 f.; ders. NZG 2015, 529 ff.; Risse/Höfling NZG 2017, 1131; Ulmer ZIP 2015, 657; Weber ZfPW 2015, 123 (126 f.); Wertenbruch DB 2014, 2875 (2876 f.); Schäfer ZIP 2015, 1313; Schiffer BB 2015, 584. 4   Zur Entwicklung Goette/Goette DStR 2016, 74 (76 ff.); MünchKommBGB/Schäfer, 7. Aufl. 2017, § 709 Rn. 86 ff. und Schäfer NZG 2014, 1401 f. – vorbereitende Überlegungen zur „Zweistufenlehre“ schon bei Goette in FS Sigle (2000), S. 145 ff. 5  Dazu Risse/Höfling NZG 2017, 1131. 1 2

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mehr gilt und die Anteilsübertragung keine Vertragsänderung ist, konnte in einer KG ein Beschluss darüber, ob der Abtretung eines Kommanditanteils zugestimmt wird, mit (einfacher) Mehrheit getroffen werden, obwohl die vertragliche Mehrheitsklausel allgemein gefasst war und diesen Fall somit nicht eigens erwähnte. Indessen soll hier keine weitere Urteilsrezension nachgeschoben werden;6 vielmehr sollen die keineswegs immer eindeutigen Konsequenzen des Urteils für wichtige Fragen des Minderheitenschutzes in der Personengesellschaft herausgestellt und diskutiert werden, und zwar vor dem Hintergrund der hohen Aufmerksamkeit, die das Urteil unverändert genießt.7 Der Beitrag folgt in seiner Gliederung dem vom Senat schon seit längerem angewandten Zweistufensystem aus formeller Legitimation und materieller Wirksamkeit eines Beschlusses (ohne diese freilich zu übernehmen, s. III. 1.). Auch in Bezug auf die Reichweite von Mehrheitsklauseln (erste Stufe) sind im Detail noch Fragen offen geblieben, so die Erstreckung einer allgemeinen Mehrheitsklausel auf Vertragsänderungen (dazu unter II. 2.) und ihre Geltung in Sonderfällen (Zweckänderung, Veränderung eines qualifizierten Mehrheitserfordernisses, dazu unter II. 3.). Auf der zweiten Ebene ist der Schutz unentziehbarer und unverzichtbarer Rechte zu thematisieren (III. 2.). Schließlich ist die vom II. Senat nach wie vor nicht explizit beantwortete Frage nach der Durchsetzung einer treupflichtbedingten Zustimmungspflicht nochmals aufzugreifen (III. 3.). – Der Beitrag ist Alfred Bergmann in herzlicher Verbundenheit gewidmet.

II.  Die erste Stufe 1.  Verabschiedung des Bestimmtheitsgrundsatzes Zum ersten Aspekt, dem endgültigen und definitiven Verzicht auf den sog. Bestimmtheitsgrundsatz, der zwischen gewöhnlichen und ungewöhnlichen Vertragsänderungen unterschied, braucht hier nur rekapituliert zu werden, dass nach allgemeinen Auslegungsregeln für eine derartige Differenzierung kein Raum ist und sie daher zu Recht aufgegeben wurde. Das Urteil ist mit seinen entscheidungserheblichen Aussagen denn auch ganz überwiegend auf Zustimmung gestoßen.8 Fest steht daher jedenfalls, dass eine Klausel, die allgemein auf Vertragsänderungen abzielt, im Grundsatz sämtliche irgend in Betracht kommenden Vertragsänderungen umfasst und es auf die Differenzierung zwischen gewöhnlichen und außergewöhnlichen Änderungen nicht   S. schon Schäfer NZG 2014, 1401 und ZIP 2015, 1313.   Pro toto: Kleindiek GmbHR 2017, 674. 8   Kleindiek GmbHR 2017, 674 (675); Priester EWiR 2015, 71 f.; Schäfer NZG 2014, 1401; Schiffer BB 2015, 584; Ulmer ZIP 2015, 657; Weber ZfPW 2015, 123 (126 f.); Wertenbruch DB 2014, 2875 (2876 f.). 6 7

Minderheitenschutz gegen Mehrheitsbeschlüsse

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(mehr) ankommt.9 Für die früher sog. ungewöhnlichen Vertragsänderungen gelten also keine verschärften Anforderungen mehr. 2.  Geltung einer Generalklausel auch für Vertragsänderungen? Nicht eindeutig ist allerdings, ob auf Basis der neuen Rechtsprechung eine Generalklausel („sämtliche Beschlüsse werden mit einfacher Mehrheit gefasst“) ausreicht, um auch vertragsändernde Beschlüsse mit (dann notwendigerweise einheitlicher) Mehrheit zu beschließen. Einerseits deckt die inzwischen übliche Formulierung des Senats auch diesen Fall mit ab, wonach eine Mehrheitsklausel nicht nur „gewöhnliche Beschlussgegenstände“ erfasse, sondern auch solche, die „die Grundlagen der Gesellschaft betreffen oder sich auf ungewöhnliche Geschäfte beziehen“.10 Und in Übereinstimmung hiermit haben sich (ehemalige) Senatsmitglieder dahin geäußert, dass die Frage im bejahenden Sinne als mitentschieden zu betrachten sei.11 Andererseits war das Thema, soweit ersichtlich, bislang noch nicht entscheidungserheblich; denn bei allen in jüngster Zeit beurteilten Fällen ging es entweder um andere Beschlussgegenstände oder es existierten ohnehin spezielle, auf Vertragsänderungen bezogene Mehrheitsklauseln.12 Richtigerweise wird man auch nach Verabschiedung des Bestimmtheitsgrundsatzes einen deutlichen Hinweis darauf verlangen müssen, dass das Mehrheitsprinzip auch für Vertragsänderungen gelten soll.13 Denn die kategorial unterschiedliche rechtliche Qualität von Vertragsänderungen (also einer dauerhaften Änderung der ‚Verfassung‘ der Gesellschaft) und allen anderen Entscheidungen ist auch im Rahmen der allgemeinen Auslegungsregeln relevant; im Kapitalgesellschaftsrecht findet sie ihren Ausdruck im Erfordernis einer qualifizierten Mehrheit (nur) für Satzungsänderungen (§ 53 GmbHG, § 179 AktG). Der unterschiedlichen rechtlichen Qualität dieser Entscheidungsgegenstände entspricht die Gestaltungspraxis, die für Vertragsänderungen typischerweise qualifizierte Mehrheitserfordernisse 9   Prägnant etwa Sigle in FS Hüffer (2010), S. 973 (974): „Was aber bislang den Kern des Bestimmtheitsgrundsatzes ausmachte, […] soll nun nicht mehr erforderlich sein.“ Näher Schäfer NZG 2014, 1401. 10   So etwa BGH – II ZR 84/13, BGHZ 203, 77 = ZIP 2014, 2231, Rn. 9. 11   Goette/Goette DStR 2016, 74 (77); Caliebe in VGR (Hrsg.), Gesellschaftsrecht in der Diskussion 2016 (2017), S. 130. 12   Insbes. ging es bei BGH – II ZR 98/10 um die Feststellung der Auseinandersetzungsbilanz, bei BGH – II ZR 84/13, BGHZ 203, 77 = ZIP 2014, 2231 um eine Anteilsübertragung, zudem enthielt der Vertrag eine auf Vertragsänderungen bezogene Mehrheitsklausel, so auch bei BGH – II ZR 68/11, NZG 2014, 302, bei BGH – II ZR 242/09, NZG 2011, 1432 und bei BGH – II ZR 251/10, NZG 2013, 57. 13   Schäfer NZG 2014, 1401 und MünchKommBGB/Schäfer (Fn. 4), § 709 Rn. 90; für immerhin empfehlenswert hält speziell auf Vertragsänderungen bezogene Klauseln Herchen in VGR (Hrsg.), Gesellschaftsrecht in der Diskussion 2016 (2017), S. 99.

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vorsieht. Hiermit übereinstimmend ist als prägende Aussage des Bestimmtheitsgrundsatzes denn auch nicht die Unterscheidung zwischen Geschäftsführungsmaßnahmen und Vertragsänderungen angesehen worden, sondern diejenige zwischen einfachen und ungewöhnlichen Vertragsänderungen.14 Eine Klausel, die sich schlicht auf „sämtliche Beschlüsse“ bezieht, umfasst also noch keine Vertragsänderungen, sofern der Vertrag nicht an anderer Stelle erkennen lässt, dass das Mehrheitsprinzip auch für Vertragsänderungen gelten soll. 3. Sonderfälle a)  Zweckänderung (Auflösung) Auf einen Sonderfall, der nicht von einer allgemeinen (auf Vertragsänderungen) bezogenen Mehrheitsklausel erfasst wird, sei hier noch hingewiesen, nämlich auf die Zweckänderung. Für sie enthält § 33 Abs. 1 S. 2 BGB die verbandsübergreifende Regel, dass – trotz allgemeiner Geltung des Mehrheitsprinzips (§ 33 Abs. 1 S. 1 BGB!) – ein einstimmiger Beschluss erforderlich ist. Die Regel ist zwar dispositiv (§ 40 BGB bezieht sich auch auf den kompletten § 33 BGB); doch kann einer allgemein auf Vertragsänderungen bezogenen Klausel kein eindeutiger Wille dahin entnommen werden, dass hierdurch gerade auch von § 33 Abs. 1 S. 2 BGB abgewichen werden soll, zumal die Zweckänderung vom Gesetzgeber zu Recht als besonders wichtig eingestuft und von sämtlichen anderen Entscheidungen abgegrenzt wird. Es handelt sich insofern also kraft gesetzlicher Wertung um eine (nochmals) andere Kategorie mit erhöhtem Legitimationsbedarf. Demgemäß ist für die gem. § 40 BGB zulässige Abweichung von § 33 Abs. 1 S. 2 BGB eine spezifische Klausel zu verlangen, die sich entweder allgemein auf die Zweckänderung bezieht oder zumindest auf die Auflösung als ihren (wohl) wichtigsten Anwendungsfall.15 b)  Herabsetzung eines qualifizierten Mehrheitserfordernisses als weiterer Sonderfall? Im Schrifttum findet sich gelegentlich auch heute noch der Hinweis, dass es sich bei der Herabsetzung eines qualifizieren Beschlussquorums um einen Sonderfall handele, der nicht schon aufgrund einer allgemein auf Vertragsänderungen bezogenen Mehrheitsklausel mehrheitlich entschieden werden

14   Prägnant etwa Sigle in FS Hüffer (2010), S. 973 (974): „Was aber bislang den Kern des Bestimmtheitsgrundsatzes ausmachte, […] soll nun nicht mehr erforderlich sein.“ Tendenziell wie hier auch Kleindiek GmbHR 2017, 674 (675). 15  Dazu nur Staub/Schäfer, 5. Aufl. 2009, § 131 Rn. 22; MünchKommBGB/Schäfer, (Fn. 4),Vor § 723 Rn. 18.

Minderheitenschutz gegen Mehrheitsbeschlüsse

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könne, sondern einer einstimmigen Entscheidung bedürfe.16 Die vertragsändernde Mehrheit würde insofern also nicht ausreichen. Der BGH hat indessen zu Recht entgegengesetzt entschieden: Eine Sperrminorität vermittelt keine individuellen Rechte (Sonderrecht, Kernbereichsrecht), sondern lediglich eine Minderheitsposition, die mit der entsprechenden Mehrheit abgesenkt werden kann.17 Das gilt allgemein bei qualifizierten Mehrheitserfordernissen: Das Quorum kann mit der von ihm selbst vorgeschriebenen Mehrheit wieder verändert werden.18 Nur eine entsprechende Minderheit, nicht aber jeder einzelne Gesellschafter kann somit die Herabsetzung verhindern.19

III.  Die zweite Stufe 1.  Zur Systematik: zwei oder drei Stufen? Auch das hier ins Zentrum der Überlegungen gestellte Urteil zur Anteilsübertragung bekräftigt erneut die Prüfung eines Mehrheitsbeschlusses auf zwei Stufen – formelle und materielle Legitimation. Wörtlich heißt es dort (Rn. 12): „Dass die Wirksamkeit der jeweiligen Mehrheitsentscheidung sowohl eine Prüfung ihrer formellen Legitimation durch eine Mehrheitsklausel auf der ersten Stufe als auch eine inhaltliche Prüfung auf der zweiten Stufe (materielle Legitimation) unter dem Aspekt einer etwaigen Verletzung der gesellschafterlichen Treuepflicht der Mehrheit gegenüber der Minderheit voraussetzt, gilt […] allgemein für alle Beschlussgegenstände, also auch bei […] Maßnahmen, die in den „Kernbereich“ der Mitgliedschaftsrechte bzw. in absolut oder relativ unentziehbare Rechte der Minderheit eingreifen […].“

Selbstverständlich kann man die Prüfungsfolge in dieser Weise ordnen, auch wenn der Gewinn aus dogmatischer Sicht wegen des heterogenen Gehalts der zweiten Stufe zweifelhaft erscheint.20 Ein Missverständnis wäre es aber, anzunehmen, bei der zweiten Stufe handele es sich um einen einheitlichen, also keiner weiteren Unterteilung bedürftigen Prüfungsschritt. Das ist

16   Altmeppen in VGR (Hrsg.), Gesellschaftsrecht in der Diskussion 2015 (2016), S. 60 f.; Risse/Höfling NZG 2017, 1131 (1134). 17   BGH – II ZR 251/10, ZIP 2013, 68, Rn. 37; BGH – II ZR 116/08, BGHZ 179, 13, Rn. 22 = NJW 2009, 669 – Schutzgemeinschaft II; zust. MünchKommBGB/Schäfer, (Fn. 4), § 709 Rn. 82; Wertenbruch NZG 2013, 641 (643 f.). 18   Zum GmbH-Recht: BGH – II ZR 54/78, BGHZ 76, 191 (196); GroßKommGmbHG/ Ulmer/Casper, 2. Aufl. 2016, § 53 Rn. 98; Scholz/Priester, GmbHG, 11. Aufl. 2015, § 53 Rn. 89; Zöllner ZGR 1982, 623 (632 f.). 19   Gleichwohl ist BGH – II ZR 260/51, BGHZ 8, 35 (worauf sich Altmeppen [Fn. 16] beruft) i.E. (Mehrheitsentscheidung unzureichend) unverändert zutr. (s.u. bei Fn. 27). 20   Zur Kritik K. Schmidt ZIP 2009, 737 (739); Schäfer ZGR 2009, 768 (775 ff.).

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vielmehr auch nach Ansicht des II. Senats nicht der Fall, wie aus der Fortsetzung der eben zitierten Stelle des Urteils (Rn. 12) klar hervorgeht: „In den zuletzt genannten Fällen der absolut oder relativ unentziehbaren Rechte ist bei der Prüfung auf der zweiten Stufe lediglich regelmäßig eine treupflichtwidrige Ausübung der Mehrheitsmacht anzunehmen, während in den sonstigen Fällen die Minderheit den Nachweis einer treupflichtwidrigen Mehrheitsentscheidung zu führen hat.“

Auch wenn es missverständlich ist, einen Mehrheitsbeschluss, der etwa einem Gesellschafter sein Stimmrecht (= relativ unentziehbares Recht) nimmt, „nur“ als treuwidrig zu titulieren (unten 2. b)), soll sich ein solcher Fall von Treuwidrigkeit hinsichtlich der Darlegungs- und Beweislast jedenfalls auch nach der Diktion des Senats klar von den „sonstigen“ Fällen unterscheiden: Während die Treuwidrigkeit beim Eingriff in ein „absolut oder relativ unentziehbares Recht“ demnach zu vermuten ist, soll in anderen Fällen die Minderheit die Darlegungs- und Beweislast treffen. Es handelt sich also in Wahrheit nicht um zwei, sondern um drei Stufen oder – nach gusto – um eine zweite Stufe mit zwei Zwischenstufen. 2.  Zum Schutz unentziehbarer und unverzichtbarer Rechte – das Rätsel um den Kernbereich der Mitgliedschaft a)  Begriffliches: Kernbereich oder unentziehbare Rechte? Wegen der folgenden Formulierung wird im Schrifttum gelegentlich angenommen, der Senat habe neben dem Bestimmtheitsgrundsatz auch die „Kernbereichslehre“ verabschiedet:21 „[…] stellt der Senat in seiner jüngeren Rechtsprechung allerdings nicht (mehr) darauf ab, ob ein Eingriff in den sogenannten „Kernbereich“ gegeben ist“ (Rn. 19). Es wäre indes ein Missverständnis, anzunehmen, der Senat wolle künftig ohne die Kategorie der unentziehbaren Rechte auskommen, also derjenigen Befugnisse, die (bislang) anerkanntermaßen nur mit Zustimmung des betroffenen Gesellschafters ganz oder teilweise entzogen werden können und deshalb zu den Kernbereichsrechten gezählt werden. Die Rede ist vom Stimmrecht, von den Vermögensrechten und der Geschäftsführungsbefugnis. Der Senat erwägt zwar kurz, ob unverzichtbare Rechte weiterhin anzuerkennen seien (Rn. 19), kommt darauf aber später nicht mehr zurück – und das zu Recht; denn die unverzichtbaren Rechte markieren schlicht die Grenzen der Privatautonomie (z.B. das Informationsrecht gem. § 118 Abs. 2 HGB) und ließen sich daher ohnehin nicht mit einem Federstrich beseitigen.22 Allerdings steht häufig nicht von vornherein fest, wann überhaupt von einem „Eingriff“ in ein solches Recht 21   So explizit Risse/Höfling NZG 2017, 1131 (1133); zuvor bereits Priester EWiR 2015, 71 (72); Ulmer ZIP 2015, 657 (658 f.); Wertenbruch DB 2014, 2875 (2876 f.). 22  Deutlich etwa Kleindiek GmbHR 2017, 674 (675); vgl. auch Altmeppen in VGR (Hrsg.), Gesellschaftsrecht in der Diskussion 2015 (2016), S. 60 f.

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auszugehen ist. Ob z.B. das Teilnahmerecht oder das Gesellschafterklagerecht („actio pro socio“) im Einzelfall unzulässig beschränkt wird oder nur hinsichtlich seiner Ausübungsmodalitäten betroffen ist, muss im konkreten Fall wertend ermittelt werden. Auf die unentziehbaren Rechte bezieht sich die Aussage im Übrigen ohnehin nicht – und gerade sie sind es ja, die den Kernbereich der Mitgliedschaft konstituieren, weil nur insofern ein eingreifender Beschluss mit Zustimmung der betroffenen Gesellschafter wirksam werden kann.23 Nur für sie kann demnach auch die „vermutete“ Treuwidrigkeit im Falle eines mehrheitlichen Eingriffs in Betracht kommen, von der in Rn. 12 des Urteils die Rede ist und die im weiteren Verlauf der Rn. 19 wie folgt beschrieben wird: „[…] kommt es bei Eingriffen in die individuelle Rechtsstellung des Gesellschafters […] letztlich maßgeblich immer darauf an, ob der Eingriff im Interesse der Gesellschaft geboten und dem betroffenen Gesellschafter unter Berücksichtigung seiner eigenen schutzwerten Belange zumutbar ist.“

Wie an anderer Stelle näher entfaltet,24 hat der Senat auch an dieser Stelle nicht etwa die Grundannahme aufgegeben, dass bestimmte Beschlüsse – wie etwa zur nachträglichen Beitragserhöhung (dazu sehr deutlich Rn. 17 des Urteils) – einer individuellen Zustimmung der betroffenen Gesellschafter bedürfen, um (ihnen gegenüber) wirksam zu werden. Vielmehr hat er damit in – allerdings intransparenter Weise – die Wirksamkeit des Beschlusses mit dem Bestehen einer treupflichtbedingten Zustimmungspflicht in Verbindung gebracht. Der Kernbereich der Mitgliedschaft besteht also auch nach der Rechtsprechung des Senats ebenso unverändert fort, wie dies für die (relativ) unentziehbaren Rechte gilt (mit denen er inhaltlich identisch ist). Diese Sicht wird im Schrifttum inzwischen überwiegend geteilt.25 Ob man die Verbindung zwischen Eingriff und Zustimmungsbedürftigkeit weiterhin als Kernbereichslehre bezeichnet, ist demgegenüber sachlich bedeutungslos. In der Sache kommt es vielmehr entscheidend darauf an, diejenigen Mehrheitsentscheidungen zu identifizieren, die als Eingriff in ein unentziehbares Recht anzusehen sind und deshalb nur mit Zustimmung der betroffenen Gesellschafter wirksam werden können. Auch dieser Rechtsanwendungsvorgang bedarf – jenseits der eindeutigen Fälle eines völligen oder partiellen Entzuges – einer wertenden Beurteilung im Einzelfall, die aber gewiss nicht dadurch entbehr-

23  Näher Schäfer ZGR 2013, 237 (257 f.) und MünchKommBGB/Schäfer, (Fn. 4), § 709 Rn. 93; s.a. Schiffer BB 2015, 584 (586); Weber ZfPW 2015, 123 (127). 24   Schäfer ZIP 2015, 1313 (1315); übereinstimmend Kleindiek GmbHR 2017, 674 (678). 25   Kleindiek GmbHR 2017, 674 (678); Goette/Goette DStR 2016, 74 (79 f.); Schiffer BB 2015, 584 (586); Weber ZfPW 2015, 123 (127); ebenso bereits Schäfer ZIP 2015, 1313 (1315) und (i.E.) Altmeppen in VGR (Hrsg.), Gesellschaftsrecht in der Diskussion 2015 (2016), S. 61 f.

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lich wird, dass man sie mit einem bestimmten Etikett versieht (oder ihr vorenthält). Ist danach eine Zustimmung erforderlich, kann diese ad hoc (durch Zustimmung zum Beschluss) oder im Voraus („antizipiert“) erklärt werden (worauf der Senat in Rn. 17 des Urteils noch einmal deutlich hinweist) oder ausnahmsweise durch eine aus der Treupflicht hergeleitete Zustimmungspflicht ersetzt werden (dazu unter 3.). Bei den unverzichtbaren Rechten ist demgegenüber jeder Eingriff per se unwirksam, ohne dass die Zustimmung des betroffenen Gesellschafters insofern etwas bewirken könnte. Hier kann es somit auch nicht auf eine Zustimmungspflicht und folglich darauf ankommen, ob der konkrete Eingriff im Gesellschaftsinteresse geboten und dem Gesellschafter zumutbar ist. b)  Zum Eingriff in unentziehbare Rechte Welche Rechte zu den unentziehbaren (und damit zum Kernbereich) gehören, wurde schon erwähnt; es handelt sich um das Stimmrecht, die Vermögensrechte und das Geschäftsführungsrecht.26 Weniger eindeutig ist hingegen, in welchen Fällen von einem „Eingriff“ in eines (oder mehrere) dieser Rechte auszugehen ist. Es ist nicht notwendig, dass sich der Mehrheitsbeschluss gezielt gegen einzelne Gesellschafter richtet, wie etwa beim völligen oder partiellen Entzug des Stimmrechts oder einer Veränderung des Gewinnverteilungsschlüssels. Freilich besteht in solchen Fällen kein Zweifel über die Eingriffsqualität. Denkbar ist vielmehr auch, dass sämtliche Gesellschafter betroffen sind, der Beschluss (in diesem Sinne) also nicht diskriminierend wirkt.27 Ein solcher Fall ist etwa die Fortsetzung einer aufgelösten Gesellschaft, wie BGHZ 8, 35 trotz heute teilweise überholter Begründung im Ergebnis zu Recht entschieden hat. Denn bei Rückumwandlung einer aufgelösten in eine werbende Gesellschaft wird der schon entstandene Anspruch auf anteilige Auszahlung des Auseinandersetzungsguthabens wieder vernichtet (also in ein Vermögensrecht eingegriffen), was nur mit der (individuellen) Zustimmung jedes einzelnen Gesellschafters in Betracht kommt.28 Ein anderes – freilich umstrittenes – Beispiel ist die nicht durch eine Vertragsklausel gedeckte Thesaurierungsentscheidung.29 Dass (ausnahmsweise) auch die Realstruktur darüber entscheiden kann, ob ein Eingriff vorliegt, zeigt das Beispiel der Aufnahme eines neuen Gesellschafters. Während diese bei der Publikumsgesellschaft gleichsam programmgemäß erfolgt und regelmäßig keinerlei Auswirkungen auf die Rechtsstellung der übrigen, häufig nur   Zuletzt nur MünchKommBGB/Schäfer, (Fn. 4), § 709 Rn. 93.   So im Ausgangspunkt zu Recht auch Altmeppen in VGR (Hrsg.), Gesellschaftsrecht in der Diskussion 2015 (2016), S. 60. 28  Staub/Schäfer, (Fn. 15), § 131 Rn. 66. 29  Dazu nur Staub/Schäfer, (Fn. 15), § 120 Rn. 41 ff. m.w.N.; Gegenauffassung bei MünchKommHGB/Priester, 4. Aufl. 2016, § 120 Rn. 82. 26 27

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mit Anlageinteresse und in geringem Umfang beteiligten Gesellschafter hat, ist die Rechtslage bei der personalistischen Gesellschaft, zumal mit kleinem Gesellschafterkreis, eine völlig andere. Hier sprechen gute Gründe dafür, dass etwa in der Dreipersonengesellschaft die Aufnahme eines weiteren Gesellschafters nicht mit vertragsändernder Mehrheit beschlossen werden kann, sondern der Zustimmung aller Gesellschafter bedarf.30 Fraglich ist schließlich, ob man bei unentziehbaren Rechten generell die Möglichkeit eines Entzugs aus wichtigem Grund anerkennen sollte. Kleindiek will nicht nur die Formulierung des II. Senats,31 „relativ unentziehbare, d.h. nur mit Zustimmung des einzelnen Gesellschafters oder aus wichtigem Grund entziehbare Mitgliedschaftsrechte“ in diesem Sinne verstehen, sondern hält es unter Berufung auf Robert Fischer in der Sache auch für geboten, Eingriffe in die Freiheit des Einzelnen in Anlehnung an die Kriterien zu rechtfertigen, die für den wichtigen Grund bei §§ 133, 140 HGB entwickelt worden seien.32 Auch wenn im Ergebnis vermutlich kein erheblicher Dissens bestehen dürfte, sollte doch als Ausgangspunkt festgehalten werden, dass die Möglichkeit zum Entzug eines Rechts – allein hierauf bezieht sich die zitierte Passage des II. Senats – nur dort besteht, wo das Gesetz ihn explizit zulässt, also in Bezug auf die Geschäftsführungs- (und Vertretungs-)Befugnis (§§ 117, 127 HGB). Für den Entzug des Stimmrechts oder eines Vermögensrechts ist nicht nur aus Rechtsgründen kein Raum (arg. e contrario); vielmehr besteht auch kein erkennbares Bedürfnis hierfür: Einerseits ist das Stimmrecht nicht nur für den Gesellschafter, sondern auch für die Funktionsfähigkeit des Verbands von zentraler Bedeutung. Andererseits kommt bei dessen wiederholter und gravierender treuwidriger Ausübung sogar die Ausschließung des Gesellschafters in Betracht (§ 140 HGB), so dass eine hinreichend effektive Sanktion zur Verfügung steht. Vermögensrechte können regelmäßig ohnehin erst nach einem entsprechenden Gesellschafterbeschluss (Gewinnverwendung, Auflösung, ggf. Umwandlung) ausgeübt werden, weshalb für eine missbräuchliche Ausübung nur in seltenen Fällen Raum sein dürfte; im Übrigen würde das Gleiche wie für das Stimmrecht gelten. Eine andere Frage ist, ob ein konkreter (sonstiger) Eingriff in ein unentziehbares Recht (der nicht in dessen Entzug besteht) aus wichtigem Grund in Betracht kommt. Aber diese Frage mündet unweigerlich in das Thema der Zustimmungspflicht: Ist der Gesellschafter nach den hierfür entwickelten Kriterien, die ebenfalls eine umfassende Abwägung zwischen Gesellschafts- und Gesellschafterinteresse verlangen (s.o. bei Fn. 24), zur Zustimmung verpflichtet, so mag der Eingriff   Näher MünchKommBGB/Schäfer, (Fn. 4), § 709 Rn. 93a.   BGH – II ZR 84/13, BGHZ 203, 77 = ZIP 2014, 2231, Rn. 11; ebenso bereits BGH – II ZR 245/05, BGHZ 170, 283, Rn. 10 – Otto. 32   Kleindiek GmbHR 2017, 674 (679) unter Bezugnahme auf Rob. Fischer in FS Barz (1974), S. 42 ff. 30 31

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auch ohne seine (erklärte) Zustimmung gerechtfertigt sein, so sieht es jedenfalls der II. Senat. Das ist aber keine Frage der materiellen Voraussetzungen, sondern der Durchsetzung einer solchen Pflicht (dazu unter 3.). Jedenfalls ist keine hinreichende Rechtfertigung dafür erkennbar, den Eingriff in ein unentziehbares Recht, außer bei Bestehen einer Zustimmungspflicht, auch noch bei Vorliegen eines – wie immer davon abzugrenzenden – wichtigen Grundes zuzulassen. c)  Brauchen wir neue „Leitplanken“? aa)  Zum begrüßenswerten Bemühen um klarere Konturen der Rechtswidrigkeit Das Stichwort ‚Interessenabwägung‘ leitet unmittelbar über zu der oft geäußerten Sorge um die Vorhersehbarkeit gerichtlicher Entscheidungen in Beschlussmängelstreitigkeiten. In der – allerdings unzutreffenden (oben 2. a)) – Annahme, der BGH habe den Schutz des Kernbereichs völlig abgeschafft, ist in der Praxis ein ausreichendes, und vor allem hinreichend rechtssicher bestimmbares, Schutzniveau angemahnt und sind jüngst Leitlinien („Leitplanken“) vorgeschlagen worden, um die Rechtmäßigkeit eines Beschlusses berechenbarer zu machen.33 Das Postulat höherer Rechtssicherheit ist insofern durchaus berechtigt, als der Ausgang der Prüfung, „ob der Eingriff im Interesse der Gesellschaft geboten und dem betroffenen Gesellschafter unter Berücksichtigung seiner eigenen schutzwerten Belange zumutbar ist“, auf die es nach dem Senat „letztlich immer“ ankommen soll, stark einzelfallbezogen und daher mit erheblichen Defiziten bei der Vorhersehbarkeit gerichtlicher Entscheidungen verbunden ist.34 Deshalb ist es im Ansatz begrüßenswert, typische Fallkonstellationen zu benennen, in denen einerseits ein Eingriff in ein Kernbereichsrecht vorliegt, und andererseits eine Zustimmungspflicht anzunehmen ist. Bei ihrem konkreten Vorschlag beschränken sich Risse/Höfling allerdings darauf, typische Voraussetzungen zu benennen, in denen eine Vermutung für die Rechtmäßigkeit eines Gesellschafterbeschlusses bestehe:35 (1) Über einen Beschlussgegenstand wird in der Gesellschafterversammlung beraten, der anfechtende Gesellschafter versäumt es aber, dort seine Gegengründe vorzutragen; (2) der Gesellschaftsvertrag enthält für den konkreten Gegenstand eine Mehrheitsklausel (die also genauer ist, als sie sein müsste) und (3) die beschlossene (Vertrags-)Regelung wird von Kautelarjuristen üblicherweise empfohlen.

  Risse/Höfling NZG 2017, 1131 (1133 ff.).   S. auch die Befürchtung einer Verwässerungsgefahr in Bezug auf den Minderheitenschutz bei Priester EWiR 2015, 71 und Ulmer ZIP 2015, 657 (659). 35   Risse/Höfling NZG 2017, 1131 (1134 f.). 33 34

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bb)  Präklusion bei Schweigen in der Gesellschafterversammlung? Was den ersten Punkt betrifft, so wird er allerdings nur dann relevant, wenn kein Eingriff in ein unentziehbares Recht (Kernbereich) oder Sonderrecht in Frage steht oder eine Beitragserhöhung (§ 707 BGB) beschlossen wird. Denn in all diesen Fällen geht es nicht um die inhaltliche Rechtswidrigkeit des Beschlusses, sondern um die individuelle Zustimmung der betroffenen Gesellschafter, deren Fehlen nicht im Wege der Beschlussanfechtung geltend gemacht zu werden braucht.36 Ob sie diese Zustimmung geben oder nicht, steht grundsätzlich in ihrem freien Ermessen; d.h. der Gesellschafter braucht, was bei Ausübung eigennütziger Rechte anerkannt ist, keinen guten Grund für seine Zustimmungsverweigerung, sofern er nicht ausnahmsweise einer Zustimmungspflicht unterliegt. Der BGH hat dies in seiner Media/SaturnEntscheidung sogar auf die Stimmrechtsausübung in Geschäftsführungsangelegenheiten übertragen.37 Das überzeugt zwar nicht, weil es die Grenzen zwischen eigennütziger und uneigennütziger Rechtsausübung verwischt. Jedenfalls für die Ausübung von Zustimmungsrechten, ebenso aber auch für die Ausführung des Stimmrechts bei Vertragsänderungen (die nicht in den Kernbereich eingreifen), gilt aber demnach: Wo der Gesellschafter für seine Verweigerung keinen Grund benötigt, kann man ihn auch nicht generell mit nachteiligen sekundären Folgen (Beweislastumkehr) belasten, wenn er in der Gesellschafterversammlung keine Gründe nennt. Bei Vertragsänderungen, die kein Zustimmungsrecht auslösen, gilt im Übrigen nach der Rechtsprechung, wie gesehen (oben III. 1.), ohnehin und allgemein eine Vermutung für die Rechtmäßigkeit des Beschlusses. Darüber hinausgehend eine Präklusion materiell-rechtlicher Einwendungen zu verhängen, falls diese nicht in der Gesellschafterversammlung erhoben worden sind, erscheint ohne gesetzliche Grundlage problematisch. Selbst das strengere Aktienrecht verlangt insofern lediglich, dass der dissentierende Aktionär seine Opposition durch Erklärung eines Widerspruchs notifiziert (§ 245 Nr. 1 AktG). Man wird es daher wohl bei dem allgemeinen Verwirkungseinwand bewenden lassen müssen. cc)  Spezifische Mehrheitsklausel Damit die bekannte Parömie „volenti non fit iniuria“ relevant wird, müsste eine Mehrheitsklausel den Genauigkeitsgrad einer „antizipierten“ Zustimmung zu einem bestimmten Beschlussinhalt erreichen, wie ihn der BGH namentlich für die Zustimmung zu Beitragserhöhungen verlangt.38 Nur einen 36   Dazu, dass vertragliche Anfechtungsfristen insofern wirkungslos bleiben: BGH – II ZR 282/05, NZG 2007, 381; Goette/Goette DStR 2016, 74 (82 f.); MünchKommBGB/Schäfer, (Fn. 4), § 709 Rn. 91 und § 707 Rn. 8, jew. m.w.N. 37   BGH – II ZR 275/14, ZIP 2016, 1220, Rn. 17. 38   Dazu mit zahlreichen Nachw. nur MünchKommBGB/Schäfer, (Fn. 4), § 709 Rn. 92 und § 707 Rn. 8.

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allgemeinen Beschlussgegenstand zu benennen (wie z.B. „Änderung des Unternehmensgegenstands“), wäre insofern allemal unzureichend.39 Soweit früher gelegentlich eine bloß gegenstandsbezogene Mehrheitsklausel (entsprechend dem überkommenen Bestimmtheitsgrundsatz) als „antizipierte“ Zustimmung zu sämtlichen auf ihrer Grundlage irgendwann zu fassenden Beschlüssen qualifiziert wurde,40 handelt es sich um eine heute überwundene Vorstellung; überzeugend ist allein eine Deutung der Mehrheitsklausel als Ermächtigung.41 Folglich wäre eine antizipierte Zustimmung zwar tatsächlich prinzipiell geeignet, auch denjenigen Gesellschafter zu binden, der einen späteren Mehrheitsbeschluss nicht billigt; eine nur gegenstandsscharfe Mehrheitsklausel reicht hierfür aber nicht aus. Um im Beispiel zu bleiben: Sieht der Gesellschaftsvertrag eine mehrheitliche Entscheidungsbefugnis für Änderungen des Unternehmensgegenstands allgemein vor, liegt darin noch keine Zustimmung zu späteren Beschlüssen; in Betracht kommt dies aber, falls der künftige bzw. erweiterte Unternehmensgegenstand bereits konkret umschrieben wird („Die Mehrheit kann beschließen, dass der Unternehmensgegenstand gem. § X um den Handel mit Fahrrädern erweitert wird.“). Mit dieser Einschränkung ist der Leitlinie also zuzustimmen. dd)  Verwendung von Musterklauseln Am schwierigsten praktisch zu handhaben dürfte das Kriterium der Üblichkeit einer Klausel sein, ausgedrückt in Empfehlungen durch die Kautelarjudikatur. Demnach ist ein Beschluss im Zweifel wirksam, wenn er eine empfohlene Musterklausel in den Gesellschaftsvertrag einführen will. Denn bei jeder Interessenabwägung gem. § 242 BGB, so die Autoren, sei Rücksicht auf die ggf. durch Beweiserhebung zu ermittelnde Verkehrssitte zu nehmen, also auf die „im Verkehr in einer größeren Zahl gleichartiger Fälle über einen gewissen Zeitraum nach einheitlicher Auffassung aller Beteiligten tatsächlich herrschende Übung“.42 Diese „kristallisiere“ sich in Fachliteratur und Formularbüchern. Das Kriterium dürfte deshalb nur einen begrenzten Anwendungsbereich haben, weil die Üblichkeit voraussetzt, dass die angestrebte Regelung übereinstimmend („einheitlich“), also von sämtlichen Formularbüchern als sinnvoller Interessenausgleich empfohlen wird. Aus vereinzelten Empfehlungen lässt sich also nichts herleiten. Aber wie soll im Prozess eine

  Anders anscheinend Risse/Höfling NZG 2017, 1131 (1135).   S. etwa Martens DB 1973, 413 (415); Immenga ZGR 1974, 385 (419). 41   So zu Recht bereits Leenen in FS Larenz (1983), S. 371 (376); ferner insbes. K. Schmidt ZHR 158 (1994), 205 (212 f.), 215 ff.; im Übrigen nur MünchKommBGB/Schäfer, (Fn. 4), § 709 Rn. 92 sowie eingehend schon Schäfer Der stimmrechtslose GmbH-Geschäftsanteil, 1997, S. 119 ff. 42  So Risse/Höfling NZG 2017, 1131 (1135) unter wörtlicher Bezugnahme auf BGH – V ZR 113/89, BGHZ 111, 110, dem das Zitat entstammt. 39 40

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Beweiserhebung hierzu aussehen? Im Übrigen mag auch zweifelhaft sein, ob eine einheitlich vorgeschlagene Regelung tatsächlich auf die konkreten Verhältnisse passt. Im AGB-Recht wird überdies eine Angemessenheitsvermutung bei von Dritten vorgeschlagenen und selbst bei von den beteiligten Verkehrskreisen allgemein ausgehandelten Musterbedingungen abgelehnt.43 Man mag nun einwenden, bei einer Verkehrssitte komme es auf Angemessenheit gar nicht an.44 Aber das Argument führt doch nur zu der Frage zurück, ob Verkehrssitte wirklich mit einer Vertragsmusterpraxis gleichgesetzt werden kann. Es bleiben also Zweifel: Zwar ist es gewiss ein Argument für die Rechtmäßigkeit einer beschlossenen Vertragsänderung, dass sie auf die Inkorporierung einer allseits empfohlenen Klausel zielte. Aber abgesehen davon, dass die Feststellung einer solchen Einheitlichkeit in vielen Fällen auf praktische Schwierigkeiten stoßen dürfte, erscheint es aus systematischen Gründen zweifelhaft, Gestaltungsempfehlungen mit einer in den einschlägigen Kreisen allgemein anerkannten Vertragspraxis ohne Weiteres gleichzusetzen; nur so ließe sich aber der Verzicht auf das Erfordernis einer (vermuteten) Angemessenheit ansatzweise rechtfertigen. ee) Fazit Insgesamt bleiben die vorgeschlagenen Leitlinien, so begrüßenswert das damit verfolgte Anliegen ist, von eher begrenzter Wirkung: Die Präklusion von (materiellen) Unwirksamkeitsgründen lässt sich nicht überzeugend darauf stützen, dass der beschlussanfechtende Gesellschafter diese nicht schon in der Gesellschafterversammlung vorgebracht habe. Ferner ist die Geltendmachung der Unwirksamkeit eines vertragsändernden Beschlusses zwar ausgeschlossen, wenn der Gesellschafter der beschlossenen Regelung schon vorab („antizipiert“) zugestimmt hat. Hierfür ist aber eine bloß gegenstandsbezogene Mehrheitsklausel (entsprechend dem überkommenen Bestimmtheitsgrundsatz) unzureichend. Endlich lässt sich der Umstand, dass eine bestimmte Regelung in den Formularbüchern einheitlich als sinnvoll und angemessen angesehen wird, zwar im Einzelfall gewiss berücksichtigen; eine generelle Vermutungsregel daraus herzuleiten, dürfte aber ausscheiden.

43   Dazu, dass von Dritten vorgeschlagene Musterbedingungen grundsätzlich wie AGB zu behandeln sind, s. nur Ulmer/Brandner/Hensen/Ulmer/Habersack, AGB-Recht, 12. Aufl. 2016, § 305 Rn. 59 und Rn. 74. Begrenzte Bereichsausnahmen finden sich nur noch für bestimmte Klauselwerke i.S.v. § 310 Abs. 2 BGB, und zwar in §§ 305a Nr. 1, 309 Nr. 7b, 8a BGB. 44  So Risse/Höfling NZG 2017, 1131 (1136).

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3.  Zur Wirkung der Zustimmungspflicht: Zustimmungsfiktion oder Leistungsklage? Es soll hier nicht diskutiert werden, unter welchen Voraussetzungen ausnahmsweise eine auf die Treupflicht gestützte Pflicht der Gesellschafter anzuerkennen ist, einer bestimmten Vertragsänderung zuzustimmen. Die Rechtsprechung nimmt dies schon seit langem an, wenn der Eingriff im Interesse der Gesellschaft geboten, insbesondere zur Erhaltung geschaffener Werte oder zur Abwendung drohender Verluste „objektiv unabweisbar“ erforderlich ist, und die Änderung dem betroffenen Gesellschafter unter Berücksichtigung seiner eigenen schutzwerten Belange zumutbar ist.45 Hierbei differenziert sie im Ansatz nicht zwischen Eingriffen in unentziehbare Rechte und sonstigen Vertragsänderungen, und scheint dieselben (strengen) Voraussetzungen neuerdings auch auf die Zustimmung zu Geschäftsführungsmaßnahmen anwenden zu wollen.46 Dass eine Zustimmungspflicht prinzipiell auch in Bezug auf Vertragsänderungen in Betracht kommt, kann also vorausgesetzt werden. Hier soll der Fokus auf die Folgefrage gelegt werden, wie eine solche Zustimmungspflicht durchzusetzen ist: Muss der Gesellschafter auf Zustimmung verklagt werden (mit Vollstreckung nach § 894 ZPO, also einer Zustimmungsfiktion erst aufgrund eines rechtskräftigen Leistungsurteils), bevor die Vertragsänderung wirksam werden kann? Oder kann die pflichtwidrig verweigerte Stimme bei der Beschlussfeststellung einfach unberücksichtigt bleiben oder sogar als Ja-Stimme bzw. Zustimmung fingiert werden? Der II. Senat folgt implizit schon seit jeher dem zweiten Model, ohne dies jemals begründet zu haben. Schon in der Grundsatzentscheidung von 1994 heißt es: „Diese Legitimation [des Mehrheitsbeschlusses] kann sich, wenn nicht schon der Gesellschaftsvertrag eine im voraus erteilte („antizipierte“) Zustimmung zu ganz bestimmten, mit Stimmenmehrheit möglichen Vertragsänderungen enthält […], aus der Verpflichtung des Gesellschafters ergeben, die in Frage stehende Maßnahme aus dem Gesichtspunkt seiner Treuepflicht im Gesellschaftsinteresse hinzunehmen.“47 Und genau diese Formulierung greift der Senat wörtlich in seinem hier im Fokus stehenden Urteil zur Anteilsübertragung wieder auf, wonach es „letztlich maßgeblich immer darauf an[kommt], ob der Eingriff im Interesse der Gesellschaft geboten und dem betroffenen

45   So etwa BGH – II ZR 262/85, BGHZ 98, 276 (279); BGH – II ZR 6/63, BGHZ 44, 40 (41); BGH – II ZR 3/69, WM 1972, 489; BGH – II ZR 16/73, BGHZ 64, 253 (258); BGH – II ZR 111/84, WM 1985, 195 (196); auch BGH – II ZR 18/94, ZIP 1994, 1942 (1943 f.); BGH – II ZR 354/03, ZIP 2005, 1455 (1456 f.). 46  BGH – II ZR 275/14, ZIP 2016, 1220, Rn. 13 ff.; zum Ganzen näher MünchKommBGB/Schäfer, (Fn. 4), § 705 Rn. 232. 47   BGH – II ZR 18/94, ZIP 1994, 1942 (1943).

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Gesellschafter unter Berücksichtigung seiner eigenen schutzwerten Belange zumutbar ist“ (oben bei Fn. 24). Aus der Ex-post-Perspektive des Revisionsgerichts ist das insofern nachvollziehbar, als nun ja höchstrichterlich geklärt ist, dass die Voraussetzungen der Zustimmungspflicht vorliegen. Und mit dieser Gewissheit mag es als ineffiziente Förmelei erscheinen, einer gegen den Beschluss gerichteten Klage nur deshalb zum Erfolg verhelfen, weil die beschlussfassenden Gesellschafter es versäumt haben, dem Anfechtenden per Leistungswiderklage auf Zustimmung in Anspruch zu nehmen. Wohl aus diesem Grund stimmt das jüngere Schrifttum dem II. Senat vielfach ohne Weiteres zu, wenngleich regelmäßig unter Hinweis auf den Ausnahmecharakter der Zustimmungspflicht.48 Nicht zutreffend wäre freilich die Annahme, dass der II. Senat die Frage einer Zustimmungsfiktion in solchen Fällen deshalb dahinstehen lassen könne, weil die verweigerte Zustimmung so oder so „durch Richterspruch“ überwunden werde.49 Verkannt wird dabei nämlich, dass nur ein rechtskräftiges, auf Abgabe der Zustimmungserklärung gerichtetes Leistungsurteil nach § 894 ZPO vollstreckbar ist, nicht jedoch ein Urteil, das die auf Feststellung der Unwirksamkeit eines Beschlusses gerichtete Klage deshalb abweist, weil es die Zustimmungsverweigerung für unbeachtlich hält. Ein solches abweisendes Feststellungsurteil enthält keine eindeutige und vorbehaltlose Verurteilung zur Abgabe einer Willenserklärung, wie es § 894 ZPO verlangt, der außerdem die formelle Rechtskraft voraussetzt, so dass sich die Fiktion nicht auf die Beschlussfassung zurückbeziehen lässt. Könnten die Gläubiger einer Zustimmungspflicht die geschuldete Erklärung stets ohne Weiteres fingieren, wäre eine Klage auf Zustimmung mangels Rechtsschutzbedürfnis sogar ausgeschlossen. Die Frage ‚Zustimmungsfiktion oder Leistungsklage auf Abgabe der Zustimmungserklärung‘ ist also durchaus relevant. Wie ist sie zu entscheiden? Prima vista steht die Lösung des BGH auf dogmatisch sicherem Grund; denn es entspricht im Ausgangspunkt ganz h.M., dass eine treuwidrig abgegebene Stimme als unwirksam anzusehen ist, der Versammlungsleiter sie also bei der Beschlussfeststellung nicht zu berücksichtigen braucht.50 Geht es nur um die Ausübung des Stimmrechts, reicht die Unwirksamkeit einer (Nein-) Stimme in der Regel ja auch aus, wenn und soweit nämlich das entsprechende 48   Speziell mit Blick auf BGH – II ZR 84/13, BGHZ 203, 77 = ZIP 2014, 2231 insbes. Kleindiek GmbHR 2017, 674 (677); auch Goette/Goette DStR 2016, 74 (83 f.); Altmeppen in VGR (Hrsg.), Gesellschaftsrecht in der Diskussion 2015 (2016), S. 62 betont zudem, dass die Gerichte – entgegen dem zu weit geratenen obiter dictum des II. Senats – keineswegs befugt seien, anstelle des seine Zustimmung verweigernden Gesellschafters stets das ihm noch Zumutbare zu definieren. 49  So Altmeppen in VGR (Hrsg), Gesellschaftsrecht in der Diskussion 2015 (2016), S. 63. 50   S. nur BGH – II ZR 164/81, BGHZ 83, 35 (36); BGH – II ZR 205/94, BGHZ 129, 136 (153); eingehend jüngst etwa KölnKommAktG/Noack/Zetzsche, 3. Aufl. 2017, § 243 Rn. 289 ff.

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Beschlussquorum ohne die ungültige Stimme erreicht wird. Einer Zustimmungsfiktion bedarf es hier also nicht. Nur ganz ausnahmsweise ist es für das Erreichen der erforderlichen Mehrheit erforderlich, die (treuwidrige) NeinStimme als Ja-Stimme zu werten. In solchen Fällen liegt es durchaus nahe, diesen zusätzlichen Schritt zu gehen: Liegt die Treuwidrigkeit gerade in der Abgabe einer Nein-Stimme oder einer Enthaltung, kommt also nur die JaStimme als treupflichtgemäßes Verhalten in Betracht, so gibt es keine durchschlagenden Gründe dagegen, die abgegebene Stimme auch als Ja-Stimme zu werten, sie also zu fingieren – insofern ist der Meinungsstand allerdings nicht mehr ganz so einhellig.51 Um eine grundlegend andere Ausgangskonstellation handelt es sich demgegenüber, sofern eine Zustimmung i.S.v. § 182 BGB (bei Eingriff in ein unentziehbares Recht oder Beitragserhöhung) erforderlich ist; denn diese Zustimmung ist (als selbständiges Rechtsgeschäft) ausnahmslos für die Wirksamkeit des Beschlusses erforderlich; die Verweigerung als unwirksam zu behandeln, wäre hier also allemal unzureichend. Deshalb ist hier ein anderes Prinzip zu beachten, welches sich deutlich in § 894 ZPO manifestiert. Die Vorschrift zeigt, dass die Abgabe von Willenserklärungen, gleichviel ob sie selbst Rechtsgeschäft oder nur Bestandteil eines solchen sind, letztlich nur die Sonderform einer Leistung ist, nämlich eine unvertretbare Handlung ohne Vollstreckungserfordernis. Wie allgemein bei Leistungspflichten, kommt eine (Selbst-)Vollstreckung durch den Gläubiger deshalb nicht in Betracht; vielmehr bedarf es einer formalisierten gerichtlichen „Feststellung“ der Pflicht zur Abgabe der Willenserklärung, nämlich durch rechtskräftiges Leistungsurteil, wie § 894 ZPO unmissverständlich klarstellt. Die Fiktion der Erklärung tritt danach nur durch ein Leistungsurteil und erst mit dessen formeller Rechtskraft ein; die Fiktion einer Erklärung allein mit Rücksicht auf die Pflicht zu ihrer Abgabe ist hiermit unvereinbar. – Welches dieser antagonistischen Prinzipien verdient also hier den Vorzug? Anders als es prima vista den Anschein haben mag, präjudiziert eine Antwort hierauf nicht die Verteilung der Beweislast: Auch der II. Senat, der die Treuwidrigkeit bei Eingriffen in unentziehbare Rechte „vermuten“ will (oben III. 1.), geht mit Selbstverständlichkeit davon aus, dass die Voraussetzungen einer Zustimmungspflicht allemal von der Mehrheit darzulegen und zu beweisen sind,52 was auch nicht zweifelhaft sein kann.53 Es bleibt also so oder so Sache der Mehrheit, die Voraussetzungen einer Zustimmungspflicht darzulegen und ggf. zu beweisen. Letztlich geht es also ‚nur‘ um die ange51   Dazu m.w.N. (mit aktienrechtlichem Hintergrund) Schäfer in FS Hommelhoff (2012), S. 954 f. 52   Siehe die Hinweise oben bei III. 1.; ferner etwa BGH – II ZR 81/59, NJW 1960, 434; BGH – II ZR 86/85, NJW 1987, 952 (953) – unter Hinweis auf den Ausnahmecharakter der Zustimmungspflicht. 53   So namentlich auch Kleindiek GmbHR 2017, 674 (677).

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messene Verteilung der Klagelast: Kann die Wirksamkeit eines Beschlusses erst dadurch erreicht werden, dass die Pflicht zur Erklärung der erforderlichen Zustimmung rechtskräftig feststeht, wie § 894 ZPO es vorsieht, so ist die Gesellschaftermehrheit zur Klage gezwungen, wenn sie einen Beschluss ausführen (lassen) will. Anderenfalls muss der Gesellschafter gegen den Beschluss klagen, und der zustimmungsbedürftige Beschluss ist mit Rücksicht auf die Zustimmungspflicht sogleich wirksam und kann von den Geschäftsführern umgesetzt werden. Die – im Ausgangspunkt auf Ulmer zurückgehende – aktuell vom Verf. hierzu vertretene Lösung lautet, dass bei Vertragsänderungen und erst recht beim Eingriff in unentziehbare Rechte am Grundsatz des (Leistungs-)Klageerfordernisses zwar festzuhalten ist, dass aber für Publikumsgesellschaften, wo ein solches Erfordernis auf praktisch nahezu unüberwindbare Hürden stößt, eine Ausnahme gelten muss.54 Nicht ausgeschlossen erscheint aber, auch für die gesetzestypische Personengesellschaft eine Ausnahme anzuerkennen – auf sie bezog sich auch die Entscheidung zur Anteilsübertragung (allerdings kam es auf die Frage dort nicht einmal ansatzweise an). Diskutabel ist dies insbesondere bei Eilbedürftigkeit der Beschlussausführung, namentlich in Sanierungssituationen; sie wird in Fällen, bei denen eine Zustimmungspflicht anzunehmen ist, nicht selten vorliegen. Der Weg über § 940 ZPO erscheint in solchen Fällen als zu steinig; denn das Verbot der Vorwegnahme der Hauptsache wird in der Gerichtspraxis nicht einheitlich gehandhabt55 und ist daher im Einzelfall mühsam auszuloten. Es müsste hier aber vorhersehbar und mithin generell durchbrochen werden; denn eine Fiktion der Zustimmung mit dem Ziel, den Beschluss sogleich umsetzen zu können, hat eine solche Vorwegnahme gleichsam naturgemäß zur Folge. Die widerstrebende Minderheit würde durch eine auf eilbedürftige Fälle begrenzte Zustimmungsfiktion auch nicht von der Möglichkeit abgeschnitten, ihre Einwände gerichtlich geltend zu machen (im Rahmen der Beschlussanfechtung). Zudem bleibt sie durch Schadensersatzansprüche geschützt, wenn sich später herausstellt, dass die Voraussetzungen einer Zustimmungspflicht zu Unrecht angenommen worden sind. Man wird für die Anwendung der Fiktion bei der Beschlussfeststellung freilich verlangen müssen, dass der Versammlungsleiter die Eilbedürftigkeit besonders feststellt. Andererseits darf die Effektivität einer solchen Haftung auch nicht überschätzt werden: die Naturalrestitution wird nach Durchführung einer Maßnahme nicht selten schon aus praktischen Gründen ausscheiden oder durch 54  MünchKommBGB/Schäfer, (Fn. 4), § 705 Rn. 241 – m.w.N. zum Meinungsstand (in Rn. 240). 55   Positive Ausnahme (Durchbrechung des Verbots) bei OLG Köln – 18 U 93/95, NJWRR 1997, 59; hierauf kann aber nicht vertraut werden. Vgl. zur Überwindung des Verbots der Vorwegnahme in der Hauptsache Kindl/Meller-Hannich/Wolf/Haertlein, ZPO, 3. Aufl. 2015, § 935 Rn. 35 ff.; a.A. Musielak/Voit/Huber, ZPO, 15. Aufl. 2018, § 940 Rn. 26.

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die Grundsätze des fehlerhaften Verbands eingeschränkt werden.56 Was das Verschulden der beschlussfassenden Gesellschafter bzw. Geschäftsführer anlangt, so sprechen allerdings gute Gründe für eine verschuldensunabhängige Haftung der (Mehrheits-)Gesellschafter analog § 945 ZPO, wenn man ihnen schon den Weg über § 940 ZPO erspart. Sie tragen also sowohl das Risiko, dass eine Zustimmungspflicht in Wahrheit nicht besteht, als auch das Risiko, dass die Eilbedürftigkeit der Beschlussausführung entgegen ihrer Einschätzung zu verneinen ist. In Fällen, bei denen eine sofortige Ausführung des Beschlusses nicht erforderlich erscheint, ist freilich wegen der begrenzten Effektivität einer Schadensersatzhaftung Zurückhaltung auch dann geboten, wenn diese verschuldensunabhängig ist. Der Mehrheit auch bei fehlender Dringlichkeit das Recht einzuräumen, ein Fait accompli durch Selbstvollstreckung der Zustimmungspflicht zu schaffen, ist schwer zu rechtfertigen – weder dogmatisch noch durch die Interessenlage. Im Ergebnis lässt sich eine vorsichtige Ausweitung der vom Senat angenommenen Zustimmungsfiktion auf eilbedürftige Beschlüsse, nicht aber deren allgemeine Anwendung, durchaus diskutieren – man sollte einer solchen Diskussion aber nicht durch implizite Entscheidungen oder durch die Behauptung ausweichen, dass es in der Beschlusssituation gar nicht auf das Problem ankomme.

IV.  Zusammenfassung in Thesen 1. Nach Aufgabe des Bestimmtheitsgrundsatzes ist geklärt, dass im Grundsatz sämtliche Beschlüsse aufgrund einer allgemeinen Mehrheitsklausel mehrheitlich gefasst werden können. Noch nicht entscheidungsrelevant war bislang die Frage, ob die Klausel einen allgemeinen Hinweis auf Vertragsänderungen enthalten muss, damit das Mehrheitsprinzip auch insofern gilt, allerdings scheint der Senat dies eher verneinen zu wollen. Richtigerweise wird man indessen auch nach Verabschiedung des Bestimmtheitsgrundsatzes einen deutlichen Hinweis darauf verlangen müssen, dass die Mehrheitsklausel für Vertragsänderungen gelten soll. 2. Weiterhin können Zweckänderungen, insbes. die Auflösung der Gesellschaft, mehrheitlich nur dann beschlossen werden, wenn die Mehrheitsklausel dies konkret vorsieht; das ergibt sich aus §§ 33 Abs. 1 S. 2, 40 BGB.

56  Zur Anwendbarkeit auf Vertragsänderungen s. nur MünchKommBGB/Schäfer, (Fn. 4), § 705 Rn. 360 ff. m.w.N.

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3.  Die Herabsetzung eines gesellschaftsvertraglichen qualifizierten Beschlussquorums bedarf keiner einstimmigen Entscheidung, wohl aber einer Mehrheit in Höhe des herabzusetzenden Quorums. 4. Auf der „zweiten Stufe“ ist zwischen Eingriffen in unverzichtbare Rechte, die per se unwirksam sind, Eingriffen in unentziehbare Rechte, die nur mit Zustimmung der betroffenen Gesellschafter wirksam sind, und (sonst) treuwidrigen Beschlüssen zu unterscheiden. Entgegen einem verbreiteten Eindruck hat der Senat die unentziehbaren Rechte – und damit den durch sie konstituierten Kernbereich der Mitgliedschaft – nicht in Frage gestellt, mag er sich auch vom Begriff „Kernbereich“ distanziert haben. 5. Ein (zustimmungsbedürftiger) Eingriff in ein unentziehbares Recht liegt jedenfalls bei einem vollständigen oder partiellen Entzug zu Lasten einzelner Gesellschafter vor, kommt aber (ausnahmsweise) auch bei nicht diskriminierenden Beschlüssen in Betracht. Die Möglichkeit zum Entzug eines unentziehbaren Rechts aus wichtigem Grund besteht nur dort, wo das Gesetz sie explizit einräumt (§§ 117, 127 HGB, ferner § 140 HGB). 6.  Eine wegen Eingriffs in ein unentziehbares Recht erforderliche Zustimmung der einzelnen Gesellschafter (iSv. § 182 BGB) kann antizipiert erteilt werden und – zumindest in bestimmten Fällen – durch eine Zustimmungspflicht ersetzt, dann also eine Zustimmungsfiktion angenommen werden. 7.  Im Grundsatz ist allerdings erforderlich, dass die Pflicht zur Zustimmung zu einer Vertragsänderung gerichtlich durchgesetzt wird, weil gem. § 894 ZPO erst ein formell rechtskräftiges Urteil, das auf Abgabe der Erklärung gerichtet ist, eine Zustimmungsfiktion bewirkt. Eine vorsichtige Ausweitung der vom BGH angenommenen Zustimmungsfiktion beim Vorliegen einer Zustimmungspflicht auf die gesetzestypische Personengesellschaft lässt sich für Fälle diskutieren, in denen die Beschlussausführung eilbedürftig (i.S.v. § 940 ZPO) ist. 8.  Tendenziell gerät die Rechtssicherheit in Gefahr, wenn es für die Wirksamkeit eines Mehrheitsbeschlusses, nach einer Formulierung des Senats, nur noch darauf ankommen soll, „ob der Eingriff im Interesse der Gesellschaft geboten und dem betroffenen Gesellschafter unter Berücksichtigung seiner eigenen schutzwerten Belange zumutbar ist“. Auch wenn der Senat nicht wesentlich von seiner bisherigen (und im Ausgangpunkt zutreffenden) Linie abgewichen ist, ist im Einzelfall schwer vorherzusagen, ob ein Eingriff in ein unentziehbares Recht, zumal bei nichtdiskriminierenden Beschlüssen, oder eine Zustimmungspflicht des überstimmten Gesellschafters vom Gericht bejaht werden wird. Es ist daher prinzipiell begrüßenswert, insofern Leitlinien für sicher wirksame bzw. unwirksame Beschlüsse zu entwickeln. Hierfür bislang vorgeschlagene Kriterien begegnen freilich Bedenken.

Handels- und Unternehmensregisterrecht in der EU

Die Entwicklung des Handelsund Unternehmensregisterrechts in der EU im Spannungsfeld von Publizität, Geheimhaltungsinteressen und Persönlichkeitsrecht Jessica Schmidt I. Einleitung Der Jubilar Alfred Bergmann hatte es während seiner Zeit als Vorsitzender des II. Zivilsenats unzweifelhaft mit zahlreichen hoch spannenden und komplexen Fragestellungen nicht nur aus dem Bereich des deutschen, sondern auch des europäischen Gesellschaftsrechts zu tun. Einer der wohl außergewöhnlichsten und schillerndsten Fälle dürfte aber wohl derjenige des transsexuellen GmbH-Geschäftsführers gewesen sein, der nach einer Geschlechtsund Namensänderung die entsprechende rückwirkende Änderung des Handelsregisters begehrte.1 Dieser große Aufmerksamkeit erregende Fall rückte den inhärenten Konflikt zwischen Registerpublizität und Persönlichkeitsrecht erstmals an prominenter Stelle in den Blickpunkt. Dabei handelt es sich freilich nur um einen Aspekt des generell bestehenden Spannungsfelds von Registerpublizität, Geheimhaltungsinteressen und Persönlichkeitsrecht. Der Beitrag nimmt dies zum Anlass, die Entwicklung des Handels- und Unternehmensregisterrechts in der EU vor dem Hintergrund dieses Spannungsfelds näher zu beleuchten.

II.  Die Entwicklung des Registerrechts in der EU und im EWR 1. Schritt 1: Harmonisierung der handelsrechtlichen Publizität und ihrer Wirkungen durch die PubRL 1968 Die Harmonisierung der handelsrechtlichen Publizität und ihrer Wirkungen war bereits zentraler Bestand der ersten gesellschaftsrechtlichen Richtlinie (sog. Publizitätsrichtlinie – PubRL 1968)2 aus dem Jahr 1968 (die   Dazu näher IV.2.   Erste RL 68/151/EWG des Rates v. 9.3.1968 zur Koordinierung der Schutzbestimmungen, die in den Mitgliedstaaten den Gesellschaften im Sinne des Artikels 58 Absatz 2 1 2

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2009 kodifiziert3 und 2017 zusammen mit anderen gesellschaftsrechtlichen Richtlinien in der GesRRL4 konsolidiert wurde). Die handelsrechtliche Publizität und ihre Wirkungen gehörte damit zu den ersten Bereichen, die überhaupt europäisch harmonisiert wurden. Grund war, dass man die Publizität von Informationen über Gesellschaften als wesentliches Fundament für die Gewährleistung der Schnelligkeit und Rechtssicherheit im (speziell internationalen) Geschäftsverkehr erachtete.5 In den damaligen sechs EWGMitgliedstaaten (Belgien, Deutschland, Frankreich, Italien, Luxemburg, Niederlande) bestand indes eine derart „verwirrende Vielfalt von Informationsquellen unterschiedlichster Wirkungsweise“,6 dass man eine diesbezügliche Rechtsangleichung für absolut vordringlich erachtete. Der Anwendungsbereich der PubRL 1968 wurde allerdings ganz bewusst ausschließlich auf Kapitalgesellschaften beschränkt (vgl. Art. 1 [G Art. 13 i.V.m. Anhang II GesRRL]). ErwG 1 und 3 begründeten dies mit der häufig grenzüberschreitenden Tätigkeit von Kapitalgesellschaften und dem aus der Haftungsbeschränkung auf das Gesellschaftsvermögen resultierenden besonderen Schutzbedürfnis der Gläubiger. Hintergrund war aber daneben nicht zuletzt, dass eine Angleichung im Bereich des Personengesellschaftsrechts im Hinblick auf dessen enge Verzahnung mit dem Privatrecht des jeweiligen Mitgliedstaats als nicht machbar erschien.7 Art. 2–7 PubRL 1968 (G Art. 14–28 GesRRL) harmonisierten die handelsrechtlichen Publizitätsobjekte, -instrumente und -wirkungen. Der in Art. 2 PubRL 1968 (G Art. 14 GesRRL) statuierte „Grundstock“ von offenzulegenden Angaben und Dokumenten umfasste neben der Satzung insbesondere auch Angaben zur Organbesetzung sowie zu einer etwaigen Sitzverlegung, Auflösung, Nichtigerklärung oder Liquidation; offenzulegen waren ferner – außer bei GmbH und geschlossenen Aktiengesellschaften des niederländischen Rechts – auch die Rechnungslegungsunterlagen.8 des Vertrages im Interesse der Gesellschafter sowie Dritter vorgeschrieben sind, um diese Bestimmungen gleichwertig zu gestalten, ABlEG v. 14.3.1968, L 65/8. 3   RL 2009/101/EG des EP und des Rates v. 16.9.2009 zur Koordinierung der Schutzbestimmungen, die in den Mitgliedstaaten den Gesellschaften im Sinne des Artikels 48 Absatz 2 des Vertrags im Interesse der Gesellschafter sowie Dritter vorgeschrieben sind, um diese Bestimmungen gleichwertig zu gestalten, ABlEU v. 1.10.2009, L 258/11. Ausdehnung auf die EWR-Staaten durch Beschluss des Gemeinsamen EWR-Ausschusses Nr. 56/2010 v. 30.4.2010 zur Änderung von Anhang XXII (Gesellschaftsrecht) des EWR-Abkommens, ABlEU v. 15.7.2010, L 181/24). 4   RL (EU) 2017/1132 des EP und des Rates v. 14.6.2017 über bestimmte Aspekte des Gesellschaftsrechts (Kodifizierter Text), ABlEU v. 30.6.2017, L 169/46. 5   Vgl. COM(63) 520, S. 5. 6   So prägnant Lutter GmbHR 1967, 109, 119 (mit ausführlicher Darstellung der Rechtslage in den einzelnen Mitgliedstaaten auf S. 110–118). 7  Vgl. Lutter/Bayer/J. Schmidt, Europäisches Unternehmens- und Kapitalmarktrecht, 6. Aufl. 2018, 18.10 m.w.N. 8   Dazu näher Lutter/Bayer/J. Schmidt (Fn. 7), 18.29 ff. m.w.N.

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Das Publizitätskonzept der PubRL 1968 basiert auf Register und Bekanntmachung als primären Publizitätsinstrumenten.9 Art. 3 Abs. 1 PubRL 1968 (G Art. 16 Abs. 1 GesRRL) verpflichtete die Mitgliedstaaten, für jede Gesellschaft eine Akte bei einem (zentralen oder dezentralen) Handels- oder Gesellschaftsregister anzulegen und alle offenzulegenden Angaben und Dokumente entweder darin zu hinterlegen oder direkt in das Register einzutragen. Darüber hinaus waren sie gem. Art. 3 Abs. 4 PubRL 1968 (G Art. 16 Abs. 5 GesRRL) in einem Amtsblatt bekanntzumachen (dies war in Deutschland der – damals natürlich in Papierform geführte – Bundesanzeiger).10 Ergänzend sah die PubRL 1968 als sekundäre Publizitätsmittel ein Recht auf Abschriften (Art. 3 Abs. 3 PubRL 1968 [G Art. 3 Abs. 4 PubRL 2009 G Art. 16 Abs. 4 GesRRL]) sowie die Pflicht zur Angabe bestimmter „Schlüsselinformationen“ auf Briefen und Bestellscheinen vor (Art. 4 PubRL [G Art. 26 GesRRL]).11 „Herzstück“ des gesamten Systems waren indes die in Art. 3 Abs. 5 und Abs. 6 PubRL 1968 (G Art. 16 Abs. 6 und Abs. 7 GesRRL) normierten Publizitätswirkungen, die gewährleisteten, dass der Rechtsverkehr nun europaweit sowohl auf das „Schweigen“ (negative Publizität) als auch auf das „Reden“ (positive Publizität) der Handelsregister vertrauen konnte.12 Da das Modell der PubRL 1968 materiell weitgehend von deutschen Vorbildern geprägt ist,13 konnte sich der deutsche Gesetzgeber im Rahmen der Umsetzung durch das KoordG14 auf punktuelle Änderungen in HGB, AktG und GmbHG beschränken.15 2. Schritt 2: Vervollständigung der Bilanzpublizität durch die 4. (Bilanz-) RL Wie bereits angemerkt, hatte die PubRL 1968 jedoch noch keine vollständige Publizität der Rechnungslegungsunterlagen gewährleistet. Hintergrund war, dass die Notwendigkeit und Zweckmäßigkeit einer Bilanzpublizität auch bei GmbH und geschlossenen Aktiengesellschaften heftig umstritten war.16 Die Traditionen in den Mitgliedstaaten waren insoweit sehr unterschiedlich: In Belgien und Italien bestand auch für GmbH-Bilanzen eine Offenlegungspflicht; in Frankreich und Deutschland hingegen nicht und die   Dazu näher Lutter/Bayer/J. Schmidt (Fn. 7), 18.15 ff. m.w.N.   Zudem verlangte § 10 Abs. 1 HGB a.F. die Bekanntmachung in mindestens einem anderen Blatt (dies waren i.d.R. überregionale Tageszeitungen). 11   Dazu näher Lutter/Bayer/J. Schmidt (Fn. 7), 18.23 ff. m.w.N. 12   Dazu näher Lutter/Bayer/J. Schmidt (Fn. 7), 18.47 ff. m.w.N. 13  Vgl. Habersack ZIP 2006, 445, 446; Lutter/Bayer/J. Schmidt (Fn. 7), 18.9. 14   Gesetz zur Durchführung der Ersten RL des Rates der Europäischen Gemeinschaften zur Koordinierung des Gesellschaftsrechts vom 15.8.1969, BGBl. I, 1146. 15  Vgl. Lutter/Bayer/J. Schmidt (Fn. 7), 18.9 m.w.N. 16   Vgl. zur Problematik etwa Fikentscher/Grossfeld (1964–65) 2 C.M.L. Rev. 259, 266; Kalbe AWD 1966, 466, 467; Lutter EuR 1969, 1, 6 f.; Van Ommeslaghe CDE 1968, 495, 556 ff. 9

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GmbH bzw. SARL wurde dort häufig gerade auch deshalb als Rechtsform gewählt.17 Ähnlich war die Situation in den Niederlanden, wo es damals noch keine GmbH gab,18 geschlossene Aktiengesellschaften aber von der Bilanzpublizität ausgenommen waren.19 Vor allem von französischer und deutscher Seite gab es daher vehementen Widerstand gegen eine Erstreckung der Bilanzpublizität auch auf die GmbH.20 Hierfür bestehe kein Bedürfnis, weil die Anteile nicht am Kapitalmarkt gehandelt werden, es sich häufig um Familienunternehmen handele und sie gewöhnlich nur innerhalb ihres Heimatstaats tätig seien.21 Wegen der erheblichen Unterschiede zwischen den mitgliedstaatlichen Rechtsordnungen würde eine Erstreckung der Offenlegungspflicht auch auf GmbH zudem statt zu gleichwertigen nur zu „betont ungleichwertigen Ergebnissen“ führen.22 Die Befürworter einer Bilanzpublizität auch bei GmbH argumentierten hingegen, dass eine Ausnahme einen erheblichen Rückschritt im Vergleich zu den Mitgliedstaaten, in denen eine solche Bilanzpublizität bereits bestand, bedeuten würde.23 Zudem hätten auch die Gläubiger von GmbH ein legitimes Interesse an Informationen über die finanzielle Lage der Gesellschaft; die Bilanzpublizität sei nicht nur bei Aktiengesellschaften, sondern generell bei allen Kapitalgesellschaften notwendiges Korrelat zur Haftungsbeschränkung.24 Man einigte sich schließlich auf den Kompromiss, GmbH und private Aktiengesellschaften niederländischen Rechts zunächst bis zur Harmonisierung des Bilanzrechts von der Offenlegungspflicht in Bezug auf die Rechnungslegungsunterlagen auszunehmen (Art. 2 Abs. 1 lit. f PubRL 1968). Der ursprüngliche Zeitplan, innerhalb von zwei Jahren eine solche Harmonisierungsrichtlinie zu erlassen (vgl. Art. 2 Abs. 1 lit. f S. 4 PubRL 1968), erwies sich jedoch schon bald als illusorisch. Die Verhandlungen waren vielmehr derart schwierig, dass die 4. (Bilanz-)RL25 erst am 25.7.1978 verabschie Vgl. Van Ommeslaghe CDE 1968, 495, 557.   Die besloten vennootschap (BV) wurde in den Niederlanden erst eingeführt durch das Wet houdende regeling van de besloten vennootschappen met beperkte aansprake-lijkheid v. 3.5.1971 (Stb. 1971, 286), vgl. dazu Lutter in FS Sanders, 1972, S. 81 ff.; Sanders AG 1971, 389, 393 f.; Stein ZHR 138 (1974) 101, 104, 112 ff. 19   Vgl. dazu Van Ommeslaghe CDE 1968, 495, 557 f. 20   Vgl. Äußerst kritisch etwa Bericht Rechtsausschuss BT-Drs. IV/2190, S. 2; Centrale für GmbH GmbHR 1963, 23 f.; dies. GmbHR 1964, 173 ff.; Würdinger GmbHR 1964, 151 ff. 21   Vgl. die Zusammenfassung der Argumente in COM(63) 520, S. 5. 22  Vgl. Lutter, Die Rechtsangleichung im Gesellschaftsrecht, S. 29 f.; ders. EuR 1969, 1, 6; Skaupy AG 1966, 13, 16; S. ferner auch BR-Drs. 111/1/64, S. 3. 23   Vgl. die Zusammenfassung der Argumente in COM(63) 520, S. 5. 24  Vgl. Van Ommeslaghe CDE 1968, 495, 557. 25  Vierte RL 78/660/EWG des Rates v. 25.7.1978 aufgrund von Artikel 54 Absatz 3 Buchstabe g) des Vertrages über den Jahresabschluß von Gesellschaften bestimmter Rechtsformen, ABlEG v. 14.8.1978, L 222/11. 17 18

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det werden konnte. Erst mit ihrer Umsetzung (die in Deutschland allerdings erst mit erheblicher Verspätung26 durch das BiRiLiG v. 19.12.198527 erfolgte) war zumindest grundsätzlich auch eine europaweite Bilanzpublizität für GmbH und geschlossene AG gewährleistet. Der damit erreichte Stand der Bilanzpublizität war allerdings noch immer fragmentarisch, da einerseits Konzerne nicht hinreichend abgebildet waren und andererseits die Kapitalgesellschaften & Co nicht einbezogen waren. Diese Lücken wurden erst durch die 7. (Konzernbilanz-)RL v. 13.6.198328 und die KapCoRiL v. 8.11.199029 geschlossen (die zwischenzeitlich zusammen mit der 4. (Bilanz-)RL in der EU-Bilanz-RL30 aufgegangen sind). 3. Schritt 3: Zweigniederlassungspublizität Mit der Zweigniederlassungsrichtlinie (ZNRL) vom 21.12.198931 wurden dann eine komplementäre Registerpublizität auch für Zweigniederlassungen geschaffen. Sie wurde in Deutschland durch das ZNRL-Gesetz v. 22.7.199332 umgesetzt. 4. Schritt 4: Elektronisierung Mit der RL 2003/58/EG33 wurde das europäische Registerrecht vom Papier- ins elektronische Zeitalter befördert: Seit dem 1.1.2007 müssen die Register in elektronischer Form geführt werden und auch die Bekanntmachung kann seitdem durch ein elektronisches Amtsblatt oder über eine zen-

26   Die Umsetzungsfrist war bereits am 31.7.1980 abgelaufen. Näher zu den Hintergründen Schulze-Osterloh ZHR 150 (1986) 403, 405. 27   Gesetz zur Durchführung der Vierten, Siebenten und Achten RL des Rates der Europäischen Gemeinschaften zur Koordinierung des Gesellschaftsrechts (BilanzrichtlinienGesetz − BiRiLiG) v. 19.12.1985, BGBl. I, 2355. 28   Siebente RL 83/349/EWG des Rates v. 13.6.1983 aufgrund von Artikel 54 Absatz 3 Buchstabe g) des Vertrages über den konsolidierten Abschluß, ABlEG v. 18.7.1983, L 193/1. 29   RL 90/605/EWG des Rates vom v. 8.11.1990 zur Änderung der RL 78/660/EWG und 83/349/EWG über den Jahresabschluß bzw. den konsolidierten Abschluß hinsichtlich ihres Anwendungsbereichs, ABlEG v. 16.11.1990, L 317/60. 30   RL 2013/34/EU des EP und des Rates vom 26.6.2013 über den Jahresabschluss, den konsolidierten Abschluss und damit verbundene Berichte von Unternehmen bestimmter Rechtsformen und zur Änderung der RL 2006/43/EG des EP und des Rates und zur Aufhebung der RL 78/660/EWG und 83/349/EWG des Rates, ABlEU v. 29.6.2013, L 182/19. 31   Elfte RL 89/666/EWG des Rates vom 21.12.1989 über die Offenlegung von Zweigniederlassungen, die in einem Mitgliedstaat von Gesellschaften bestimmter Rechtsformen errichtet wurden, die dem Recht eines anderen Staates unterliegen, ABlEG v. 30.12.1989, L 395/36. 32  Gesetz zur Durchführung der Elften gesellschaftsrechtlichen RL des Rates der Europäischen Gemeinschaften und über Gebäudeversicherungsverhältnisse v. 22.7.1993, BGBl. I, 1282. 33   RL 2003/58/EG des EP und des Rates v. 15.7.2003 zur Änderung der RL 68/151/ EWG des Rates in Bezug auf die Offenlegungspflichten von Gesellschaften bestimmter Rechtsform, ABlEU v. 4.9.2003, L 221/13.

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trale elektronische Plattform erfolgen.34 In Deutschland wurden diese Vorgaben durch das EHUG35 umgesetzt: Seit dem 1.1.2007 werden die Register elektronisch geführt und die Bekanntmachung erfolgt über das Unternehmensregister als zentrale europäische Plattform und den Bundesanzeiger als Amtsblatt.36 Der Zugang zu Informationen wurde damit erheblich vereinfacht und erleichtert – Registerinformationen waren nun zu jeder Tages- und Nachtzeit und von jedem beliebigen Ort nur noch ein paar Mausklicks entfernt. Die nationalen Register blieben aber einstweilen noch streng getrennt; wer europaweite Informationen haben wollte, musste sich diese aus den einzelnen nationalen Registern „zusammensuchen“. 5. Schritt 5: Vernetzung Dies änderte sich erst mit der im Juni 2017 erfolgten Vernetzung der mitgliedstaatlichen Register durch das Business Registers Interconnection System (BRIS)37 auf der Basis der BRIS-RL38 und BRIS-VO39.40 Über diese zentrale Europäische Plattform kann man nun komfortabel online gleichzeitig in allen mitgliedstaatlichen Registern suchen und auf die entsprechenden Registerdaten zugreifen. Weiterhin ungelöst ist allerdings das „Sprachenproblem“: Die Suchmaske ist zwar in allen Amtssprachen verfügbar, die Registerinhalte und Dokumente sind aber weiterhin (sofern die betreffende Gesellschaft nicht freiwillig in einer anderen Sprache offengelegt hat)41 in der Amtssprache des Heimatstaats. 6. Schritt 6: Integration in die GesRRL Im Sommer 2017 erfolgte zudem auch eine rechtstechnische Konsolidierung der Vorschriften zur Registerpublizität: Die bislang auf PubRL und ZNRL verteilten Vorgaben finden sich nun – systematisch stimmiger – gemeinsam in Titel I Kapitel III GesRRL.   Vgl. näher Lutter/Bayer/J. Schmidt (Fn. 7), 18.16, 18.19 f. m.w.N.  Gesetz über elektronische Handelsregister und Genossenschaftsregister sowie das Unternehmensregister (EHUG) v. 10.11.2006, BGBl. I, 2553. 36   Vgl. näher Lutter/Bayer/J. Schmidt (Fn. 7), 18.18, 18.22 m.w.N. 37  . 38   RL 2012/17/EU des EP und des Rates vom 13.6.2012 zur Änderung der RL 89/666/ EWG des Rates sowie der RL 2005/56/EG und 2009/101/EG des EP und des Rates in Bezug auf die Verknüpfung von Zentral-, Handels- und Gesellschaftsregistern, ABlEU v. 16.6.2012, L 156/1. Umgesetzt in Deutschland durch das BRIS-UG (Gesetz zur Umsetzung der RL 2012/17/EU in Bezug auf die Verknüpfung von Zentral-, Handels- und Gesellschaftsregistern in der Europäischen Union v. 22.12.2014, BGBl. I, 2409). 39  Durchführungs-VO (EU) 2015/884 der Kommission vom 8.6.2015 zur Festlegung technischer Spezifikationen und Verfahren für das System der Registervernetzung gemäß RL 2009/101/EG des EP und des Rates, ABlEU v. 10.6.2015, L 144/1. 40  Dazu Lutter/Bayer/J. Schmidt (Fn. 7), 18.17 m.w.N. 41   Vgl. zu dieser Option Lutter/Bayer/J. Schmidt (Fn. 7), 18.44 m.w.N. 34 35

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III.  Registerpublizität vs. Geheimhaltungsinteressen Wie schon aus der vorstehenden historischen Skizze deutlich wird, besteht generell, vor allem aber im Hinblick auf die Offenlegung der Bilanzen, ein inhärentes Spannungsverhältnis zwischen der Registerpublizität und dem Bestreben der Unternehmen, sensible Unternehmensdaten möglichst nicht preisgeben zu müssen, weil sie dadurch Wettbewerbsnachteile befürchten. 1.  Beschränkung des Zugangs zu den Registerdaten? Es gab daher von Anfang Bestrebungen, den Zugang zu den Registerdaten einzuschränken; zumindest „[d]er bloßen Neugierde“42 sollten Grenzen gesetzt werden. Die PubRL 1968 hatte allerdings – ebenso wie schon der erste Entwurf aus dem Jahr 1964 – für das Recht auf „Abschriften“ von Anfang an kein „berechtigtes Interesse“ verlangt (vgl. Art. 3 Abs. 3 PubRL 1968 G Art. 3 Abs. 4 PubRL 2009 G Art. 16 Abs. 4 GesRRL). Dies war insbesondere aus deutscher Sicht eine Neuerung, da § 9 HGB 1897 zwar die Einsicht in das Register selbst jedem gestattete, für Abschriften von den eingereichten Schriftstücken aber die Glaubhaftmachung eines berechtigten Interesses verlangte; die Vorschrift musste daher durch das KoordG43 entsprechend angepasst werden.44 Der EuGH hat zudem schon 1997 in der Rs. Daihatsu dargelegt, dass die RL gerade bestrebt ist, die Informationen jeder interessierten Person zugänglich zu machen.45 In der Rs. Axel Springer hat er dies dann nochmals bestätigt und dahingehend konkretisiert, dass jeder die Möglichkeit zur Einsichtnahme haben muss, ohne ein schutzbedürftiges Recht oder Interesse belegen zu müssen und dies insbesondere auch für Konkurrenten der betreffenden Gesellschaften gelte.46 2.  Vereinbarkeit der Bilanzpublizität mit den Unionsgrundrechten Nicht nur von Seiten der Praxis, sondern auch von Seiten der Wissenschaft wurden daher von Anfang an Bedenken im Hinblick auf die Vereinbarkeit der Bilanzpublizität mit den Unionsgrundrechten geltend gemacht. Mehrere mitgliedstaatliche Gerichte sahen sich schließlich zu entsprechenden Vorlagen an den EuGH veranlasst. 42  Vgl. Lamberth AWD 1964, 69, 70. Für das Erfordernis der Glaubhaftmachung eines berechtigten Interesses auch BR-Drs. 111/1/64, S. 3. 43   Fn. 14. 44   Vgl. dazu BegrRegE z. KoordG, BT-Drs. V/3862, S. 10. 45   EuGH v. 4.12.1997, Daihatsu, C-97/96, ECLI:EU:C:1997:581, Rz. 22. 46  EuGH v. 23.9.2004, Axel Springer, C-435/02 u. C-103/03, ECLI:EU:C:2004:552, Rz. 33 f.

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Zwei Vorlagen österreichischer Registergerichte scheiterten allerdings 2002 schon an der Vorlageberechtigung.47 In der Rs. Axel Springer entschied der EuGH dann aber doch in der Sache.48 Das Verlagshaus Axel Springer AG, das Einsicht in die Jahresabschlüsse eines Zeitungsverlags und eines Radiosenders nehmen wollte, hatte beim zuständigen Amtsgericht die Verhängung von Zwangsgeldern gegen diese Unternehmen beantragt, damit diese ihrer Offenlegungspflicht nachkämen. Als die Unternehmen sich gegen die Festsetzung der Ordnungsgelder wehrten, legten das LG Essen und das LG Hagen dem EuGH mehrere Fragen u.a. zur Vereinbarkeit der Offenlegungspflicht mit der Berufsausübungsfreiheit und dem Gleichbehandlungsgrundsatz vor. Der EuGH entschied überzeugend, dass die mit der Offenlegungspflicht verbundene Beschränkung des Rechts eines Unternehmens, bestimmte potenziell sensible Daten geheim zu halten, eindeutig gerechtfertigt sei.49 Die Offenlegungspflicht diene dem doppelten Ziel, einerseits Dritte vor den sich aus haftungsbeschränkten Rechtsformen ergebenden finanziellen Risiken zu schützen und andererseits hinsichtlich des Umfangs der Bilanzpublizität gleichwertige rechtliche Mindestbedingungen für alle Gesellschaften in Europa herzustellen.50 Im Übrigen erschienen die sich aus den Offenlegungspflichten ergebenden etwaigen Nachteile begrenzt, denn es sei zweifelhaft, ob diese Vorschriften überhaupt geeignet seien, die Wettbewerbsstellung der betroffenen Gesellschaften zu beeinträchtigen.51 Zudem sehe das europäische Bilanzrecht Ausnahmen für kleine Unternehmen sowie spezielle Geheimnisschutzklauseln vor (Art. 44, 45 der 4. (Bilanz-)RL bzw. Art. 17, 18 EU-Bilanz-RL52) und die Angaben im Lagebericht könnten allgemein gehalten sein (vgl. Art. 19 EU-Bilanz-RL), sodass es nicht erforderlich sei, bestimmte sensible Daten detailliert mitzuteilen.53 Ebenso überzeugend verneinte der EuGH auch einen Verstoß gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz dadurch, dass die Bilanzpublizität durch die KapCoRL54 auch auf kapitalistische Personengesellschaften erstreckt wurde; 47   EuGH v. 15.1.2002, Lutz, C-182/00, ECLI:EU:C:2002:19; EuGH v. 14.6.2002, Hermann Pfanner, C-248/01, ABlEG v. 28.9.2002, C 233/12. 48  EuGH v. 23.9.2004, Axel Springer, C-435/02 u. C-103/03, ECLI:EU:C:2004:552. Dazu Kiesel/Grimm DStR 2004, 2210 ff.; C.H. Schmidt GmbHR 2004, 1512 ff.; SchulzeOsterloh BB 2004, 2461; Volmer EWiR 2004, 1229. 49  EuGH v. 23.9.2004, Axel Springer, C-435/02 u. C-103/03, ECLI:EU:C:2004:552, Rz. 49. 50  EuGH v. 23.9.2004, Axel Springer, C-435/02 u. C-103/03, ECLI:EU:C:2004:552, Rz. 50. 51  EuGH v. 23.9.2004, Axel Springer, C-435/02 u. C-103/03, ECLI:EU:C:2004:552, Rz. 53. 52   Fn. 30. 53  EuGH v. 23.9.2004, Axel Springer, C-435/02 u. C-103/03, ECLI:EU:C:2004:552, Rz. 54 f. 54   Fn. 29.

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denn diese Gesellschaften bergen dieselben Risiken für Dritte, sodass es gerechtfertigt sei, dass der Vorteil der Haftungsbeschränkung auch bei ihnen mit einer angemessenen Offenlegung zum Schutz der Interessen Dritter einhergeht.55 Dieser Argumentation schloss sich dann in der Rs. Danzer 2006 auch das EuG an.56 3.  Effektive Sanktionierung von „Publizitätssündern“ Angesichts des verbreiteten Unwillens vieler Unternehmen, den Offenlegungspflichten nachzukommen, war zudem auch die effektive Sanktionierung von „Publizitätssündern“ immer wieder ein neuralgischer Punkt. Der Europäische Gesetzgeber hatte den Mitgliedstaaten von Anfang an explizit aufgegeben, geeignete Maßnahmen für den Fall vorzusehen, dass die Offenlegung der Rechnungslegungsunterlagen unterbleibt (Art. 6 Sps. 2 PubRL 1968 G Art. 28 lit. a GesRRL). Wie der Gerichtshof in der Rs. Berlusconi entschieden hat, gilt dies nicht nur für den Fall, dass die Offenlegung gänzlich unterbleibt, sondern auch für den Fall einer inhaltlich nicht dem EU-Bilanzrecht entsprechenden Offenlegung.57 Die Wahl des konkreten Sanktionsinstrumentariums bleibt damit zwar den Mitgliedstaaten überlassen; die Sanktion muss aber jedenfalls „wirksam, verhältnismäßig und abschreckend“ sein.58 Besonders drakonisch ist insofern etwa die Umsetzung im UK, wo beharrlichen Publizitätsverweigerern ggf. sogar die Amtslöschung droht.59 Ganz anders dagegen in Deutschland, wo das Sanktionsregime lange so ausgestaltet war, dass letztlich nur etwa 7 % (!) der Unternehmen ihrer Offenlegungspflicht nachkamen.60 Gem. § 335 HGB i.d.F.d. BiRiLiG61 wurde ein Zwangsgeld nämlich nur auf Antrag eines Gesellschafters, Gläubigers oder des (Gesamt-)Betriebsrats verhängt. Die Kommission initiierte deshalb 1990 55  EuGH v. 23.9.2004, Axel Springer, C-435/02 u. C-103/03, ECLI:EU:C:2004:552, Rz. 67 ff. 56   EuG v. 21.6.2006, Danzer ./. Rat, T-47/02, ECLI:EU:T:2006:167, Rz. 42 ff. 57   Vgl. EuGH v. 3.5.2005, Berlusconi, C-387/02, C-403/02 u. C-391/02, ECLI:EU:C:2005:270, Rz. 56 ff. 58   Vgl. EuGH v. 3.5.2005, Berlusconi, C-387/02, C-403/02 u. C-391/02, ECLI:EU:C:2005:270, Rz. 65; GA Cosmas, Schlussanträge v. 3.7.1997, Daihatsu Deutschland GmbH, C-97/96, ECLI:EU:C:1997:341, Rz. 20; Grundmann, Europäisches Gesellschaftsrecht, 2. Aufl. 2011, Rz. 282 f.; Lutter/Bayer/J. Schmidt (Fn. 7), 18.40. 59   Vgl. seit 1.10.2009: s. 1000(6) CA 2006, zuvor: s. 652(5) CA 1985); dazu Davies/Worthington, Gower’s principles of modern company law, 10th ed. 2016, 33.29; J. Schmidt ZIP 2007, 1712; dies. ZIP 2008, 2400 (jeweils m.w.N.). 60   Vgl. BT-Drs. 17/5028, S. 2; BT-Drs. 17/13221, S. 6; s. ferner auch das Mahnschreiben der Kommission v. 26.6.1990 (vgl. EuGH EuGH v. 29.9.1998, Kommission ./. Deutschland, C-191/95, ECLI:EU:C:1998:441, Rz. 18). 61   Fn. 27.

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ein Vertragsverletzungsverfahren gegen Deutschland und reichte schließlich 1995 Klage ein; wenige Monate später legte auch das OLG Düsseldorf dem EuGH in der Rs. Daihatsu die Frage nach der Europarechtskonformität der deutschen Regelung vor. Der EuGH stellte in beiden Verfahren unmissverständlich fest, dass ein Verfahren, bei dem die Sanktion nur auf Antrag einer bestimmten Person bzw. Personengruppe verhängt wird, nicht mit der RL vereinbar ist; denn die Offenlegung dient gerade dem Zweck, die Informationen jeder interessierten Person zugänglich zu machen.62 Deutschland könne sich auch nicht damit rechtfertigen, dass die Anwendung solcher Sanktionen auf sämtliche Gesellschaften, die ihren Abschluss nicht offenlegen, wegen ihrer großen Zahl für die deutsche Verwaltung erhebliche Schwierigkeiten schaffen würde.63 Der deutsche Gesetzgeber erweiterte das Antragsrecht daraufhin durch das KapCoRiLiG64 auf jedermann (§ 335a HGB i.d.F.d. KapCoRiLiG).65 Nachdem der Großteil der Unternehmen die Publizitätspflichten jedoch auch weiterhin beharrlich missachtete, wurde durch das EHUG66 ein Amtsverfahren – verbunden mit einer Prüf- und Meldepflicht des elektronischen Bundesanzeigers – eingeführt (§§ 329 Abs. 1 und 4, 335 HGB).67 Dieses hat eine deutliche Steigerung der Offenlegungsquote bewirkt: Diese liegt nunmehr seit Jahren konstant bei über 90 %,68 sodass die RL-Vorgaben nunmehr erfüllt sind.69 Das gilt auch nach der 2013 erfolgten Modernisierung des Ordnungsgeldverfahrens in §§ 335–335b HGB,70 deren erklärtes Ziel es war, einerseits weiterhin eine effektive Durchsetzung, andererseits aber auch die Milderung von Härten in Einzelfällen zu gewährleisten;71 zumal die Sanktionen für kapitalmarktorientierte Unternehmen durch die durch das

62  EuGH v. 4.12.1997, Daihatsu, C-97/96, ELI:EU:C:1997:581, Rz. 22 f.; EuGH v. 29.9.1998, Kommission ./. Deutschland, C-191/95, ECLI:EU:C:1998:441, Rz. 67. 63  EuGH v. 29.9.1998, Kommission ./. Deutschland, C-191/95, ECLI:EU:C:1998:441, Rz. 68. 64   Gesetz zur Durchführung der RL des Rates der Europäischen Union zur Änderung der Bilanz- und der Konzernabschlussrichtlinie hinsichtlich ihres Anwendungsbereichs (90/605/EWG), zur Verbesserung der Offenlegung von Jahresabschlüssen und zur Änderung anderer handelsrechtlicher Bestimmungen v. 24.2.2000 (Kapitalgesellschaften- und Co-RL-Gesetz – KapCoRiLiG), BGBl. I, S. 154. 65  Vgl. BegrRegE KapCoRiLiG, BT-Drs. 14/1806, S. 24; Lutter/Bayer/J. Schmidt (Fn. 7), 18.40 m.w.N. 66   Fn. 35. 67   Vgl. dazu die Nachweise bei Lutter/Bayer/J. Schmidt (Fn. 7), 18.40. 68   Vgl. BT-Drs. 17/5028, S. 2; BT-Drs. 17/13221, S. 6. 69  Vgl. Lutter/Bayer/J. Schmidt (Fn. 7), 18.40 m.w.N. 70   Gesetz zur Änderung des Handelsgesetzbuchs v. 4.10.2013, BGBl. 2013, 3746. 71   Vgl. Rechtsausschuss BT-Drs. 17/14203, S. 1.

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TrRLÄndUG72 neu eingeführten § 335 Abs. 1a–1d HGB deutlich verschärft wurden.73 Eine ähnliche Problematik ergibt sich auch im Hinblick auf die Sanktionierung von Verstößen gegen die Zweigniederlassungspublizität, denn insofern sind die Mitgliedstaaten ebenfalls verpflichtet, geeignete Maßregeln vorzusehen (Art. 40 GesRRL G Art. 12 ZNRL). Auf dem Prüfstand des EuGH stand in diesem Kontext 2013 in der Rs. Texdata74 die österreichische Regelung.75 Obgleich sie vergleichsweise „scharf“ ausgestaltet war, erachtete der Gerichtshof sie in einer ausführlich begründeten Entscheidung für unionsrechtskonform und machte damit nochmals plastisch deutlich, dass die europäischen (Bilanz-)Publizitätspflichten keineswegs nur „Papiertiger“ sein dürfen, sondern durchaus „Zähne“ haben müssen.76 Speziell vor diesem Hintergrund verbleiben freilich nach wie vor gewisse Zweifel, ob der insoweit existierende deutsche Sanktionsmechanismus unionsrechtskonform ist, denn da der Betreiber des elektronischen Bundesanzeigers nur auf der Basis der Registerdaten prüft (vgl. § 329 Abs. 1 S. 2 HGB), versagt auch das heutige System zumindest bei solchen Zweigniederlassungen, die sich der Registrierungspflicht vollständig entziehen, weitgehend.77

IV.  Registerpublizität vs. Persönlichkeitsrecht Erst in neuerer Zeit verstärkt in den Fokus gerückt ist das Spannungsfeld zwischen Registerpublizität und Persönlichkeitsrecht bzw. Datenschutz und Recht auf informationelle Selbstbestimmung. Bedeutung erlangt es speziell im Hinblick auf die durch Art. 14 lit. d GesRRL (G Art. 2 Abs. 1 lit. d PubRL 1968 G Art. 2 lit. d PubRL 2009) geforderten Angaben der Bestellung, des Ausscheidens sowie der Personalien der Organmitglieder. „Personalien“ meint jedenfalls mindestens Vorname, Name und Geburtsdatum, damit die betreffende Person klar identifiziert werden kann.78 Die Mitgliedstaaten verlangen in ihren nationalen Umsetzungsvorschriften darüber hinaus aber teilweise noch weitere Daten, z.B. Wohnort, Adresse, Beruf oder Nationalität.79 Aufgrund dieser personenbezogenen Daten können die Organmitglie72   Gesetz zur Umsetzung der Transparenzrichtlinie-Änderungsrichtlinie v. 20.11.2015, BGBl. I, 2029. 73   Vgl. zum Ganzen Lutter/Bayer/J. Schmidt (Fn. 7), 18.40 m.w.N. 74   EuGH v. 26.9.2013, Texdata, C-418/11, ECLI:EU:C:2013:588. 75   Dazu näher und m.w.N.: Lutter/Bayer/J. Schmidt (Fn. 7), 26.97. 76  Vgl. Bayer/J. Schmidt KSzW 2014, 69, 74; dies. BB 2014, 1219, 1231. 77   Vgl. zum Ganzen Lutter/Bayer/J. Schmidt (Fn. 7), 26.98 m.w.N. 78  Vgl. Lutter/Bayer/J. Schmidt (Fn. 7), 18.33. 79   In Deutschland verlangt § 40 Nr. 4 S. 1 lit. b HRV Familienname, Vorname, Geburtsdatum und Wohnort. Im UK muss bei directors gem. s. 163(1) CA 2006 grds. angege-

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der aber eben nicht nur identifiziert und ggf. kontaktiert werden, sondern sie lassen – ggf. auch erst im Zusammenhang mit weiteren Daten oder weiteren Recherchen – regelmäßig Rückschlüsse auf die persönlichen Verhältnisse oder frühere oder parallele geschäftliche Tätigkeiten des Betreffenden zu. Dass dies den Betreffenden nicht immer genehm ist und ggf. sogar beträchtliche negative Folgen haben kann, liegt auf der Hand. 1.  Die Problematik der Offenlegung von Privatadressen und die Rechtsentwicklung im UK So zeigen etwa die Erfahrungen im UK, dass die Offenlegung der kompletten Privatadresse der Organmitglieder zu erheblichen Problemen führen kann. Directors wurden dort häufig zum Ziel von wütenden Aktionären, verärgerten Kunden oder Protestgruppen sowie zunehmend auch Opfer von Identitätsdiebstählen. Im Zuge der großen Gesellschaftsrechtsreform durch den Companies Act 200680 wurde deshalb m.W.v. 1.10.2009 vorgesehen, dass directors bei allen Neueinträgen nur noch eine Zustellungsadresse offenlegen müssen (die zwar mit der Privatadresse identisch sein kann, aber nicht muss) (s. 163(1)(b) CA 2006).81 Im Hinblick auf Alteinträge (allerdings nur ab dem 1.1.2003) konnte der Zugang der Öffentlichkeit auf Antrag gesperrt werden, wenn die ernsthafte Gefahr bestand, dass der Antragsteller oder einer seiner Mitbewohner aufgrund der Aktivitäten einer Gesellschaft, deren director der Antragsteller ist oder war, Ziel von Gewalt oder Einschüchterung wird.82 Diese Maßnahmen erwiesen sich jedoch nicht als ausreichend, insbesondere wurden directors auch weiterhin in erheblichem Maße Opfer von Identitätsdiebstählen. Das Wirtschaftsministerium (BEIS)83 veröffentlichte deshalb im Februar 2018 einen Entwurf für eine Reform, die am 26.4.2018 in Kraft trat.84 Nun sind Sperranordnungen auch für die Alteinträge aus der Zeit vor dem 1.1.2003 möglich; außerdem entfällt für Anträge der Betroffenen das bisherige Gefährdungserfordernis, sodass eine Sperrung nun auch bei nicht aus der Gesellschaftssphäre stammenden Gefahren oder wegen des Risikos eines Identitätsbetrugs möglich ist.85 ben werden: Name, Adresse, Staat des Wohnsitzes, Nationalität, Beruf, Geburtsdatum. In Frankreich finden sich im Register Familienname, Vorname, Geburtsdatum und -ort, Nationalität und Adresse. 80   Ch. 46. 81   Vgl. dazu CA 2006, Explanatory Notes, para. 291. 82   S. 1088 CA 2006 i.V.m. r. 9(2)(a) The Companies (Disclosure of Address) Regulations 2009 (SI 2009/214). 83   Department of Business, Energy & Industrial Strategy. 84  The Companies (Disclosure of Address) (Amendment) Regulations 2018 (SI 2018/528). 85  Explanatory Memorandum, paras. 4.3, 7.2 ff. ().

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In Deutschland, wo nicht die komplette Adresse, sondern nur der Wohnort eingetragen wird86 (vgl. § 43 Nr. 4 S. 1 lit. b HRV), sind vergleichbare Probleme bislang nicht in größerem Umfang bekannt geworden. 2.  Registerpublizität und persönliche Verhältnisse: Die BGH-Entscheidung zum transsexuellen Geschäftsführer Die Offenlegung der Personalien der Organmitglieder ist aber auch insofern problematisch als daraus Rückschlüsse auf deren ganz persönliche private Verhältnisse gezogen werden können. Plastisch illustriert wurde dies durch das unter Vorsitz des Jubilars erlassene Urteil des II. Zivilsenats des BGH vom 3.2.201587 betreffend einen transsexuellen Geschäftsführer. James K., ein im männlichen Geschlecht geborener Geschäftsführer einer 2009 gegründeten GmbH, hatte 2012 die Zugehörigkeit zum weiblichen Geschlecht feststellen lassen und seinen Namen in Jill K. geändert. Das Registergericht trug auf Antrag als Änderung zu Nr. 1 in Spalte 4b unter Nr. 2 ein: „Geschäftsführer: K., Jill“; die Eintragung unter der laufenden Nr. 1 wurde gerötet. Die eingereichten Unterlagen (Namensänderungsbeschluss, Geburtsurkunde) und der Antrag selbst wurden nicht in den elektronischen Registerordner eingestellt. Jill K. beantragte, „James“ vollständig aus dem Register zu löschen; stattdessen dürfe es nur „Jill“ heißen, sodass die Veränderung nicht mehr als „neue Eintragung“ aus dem Register hervorgehe. Sie berief sich dafür auf das Offenbarungsverbot des § 5 Abs. 1 TSG. Der II. Zivilsenat entschied, dass aus § 5 Abs. 1 TSG kein Anspruch der Geschäftsführerin einer GmbH auf vollständige Löschung ihres ehemals männlichen Vornamens im Handelsregister folge. Es sei schon zweifelhaft, ob in der Handelsregistereintragung in der vorliegenden Form überhaupt ein „Offenbaren“ i.S.d. § 5 Abs. 1 TSG zu sehen sei.88 Jedenfalls aber stelle das öffentliche Interesse an der Verlässlichkeit der Eintragungen im Handelsregister einen besonderen Grund des öffentlichen Interesses i.S.d. § 5 Abs. 1 TSG dar, der eine Offenbarung erforderlich mache. Denn wie der II. Zivilsenat betont, gilt im Handelsregisterrecht das Prinzip „Was einmal publik gemacht wurde, kann nicht mehr rückgängig gemacht werden“.89 Aufgabe der Registerpublizität ist es gerade, die eingetragenen Tatsachen möglichst klar, zuverlässig und lückenlos wiederzugeben und damit insbesondere die zutreffende rechtliche Bewertung von Sachverhalten aus der Vergangen86   Vgl. DNotI-Report 2004, 89; Krafka/Kühn, Registerrecht, 10. Aufl. 2017, Rz. 971; Michalski/Heidinger/Leible/J. Schmidt/Tebben, GmbHG, 3. Aufl. 2017, § 10 Rz. 9. 87   BGH v. 3.2.2015 – II ZB 12/14, GmbHR 2015, 751. Dazu Lutter/Hommelhoff/Bayer, GmbHG, 19. Aufl. 2016, § 8 Rz. 3; Block LMK 2015, 371625; Kleefass EWiR 2015, 533 f.; J. Schmidt GmbHR 2015, R209 f. 88   Hierüber mag man freilich streiten, vgl. dazu J. Schmidt GmbHR 2015, R209. 89   Vgl. BGH v. 3.2.2015 – II ZB 12/14, GmbHR 2015, 751, Rz. 20.

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heit zu ermöglichen.90 Der II. Zivilsenat rekurrierte in seiner Entscheidung zudem dezidiert darauf, dass die Personalien der Geschäftsführer gem. Art. 2 lit. d PubRL 2009 (G Art. 14 lit. d GesRRL) zum Grundstock der europarechtlichen Publizitätsobjekte gehören und daher auch unionsrechtlich vorgegeben ist, dass diese Informationen jedermann zugänglich zu machen sind, ohne dass ein schutzwürdiges Recht oder Interesse belegt werden muss.91 In der Tat: Würde man James komplett aus dem Register löschen, so würde dieses für die Zeit vor der Vornamensänderung unrichtig und ein 2010 erteilter Registerauszug („Geschäftsführer seit 2009: James K.“) stünde im Widerspruch zu einem 2013 erteilten („Geschäftsführer seit 2009: Jill K.“). Wenn etwa 2013 ins Register Einsicht genommen würde, um Klarheit hinsichtlich der Rechtswirksamkeit eines im Jahr 2010 mit der GmbH geschlossenen Vertrags, der von James K. unterzeichnet wurde, zu erlangen, würde man im Register plötzlich lesen, dass 2010 eine Jill K. Geschäftsführerin war.92 Ganz erhebliche Probleme könnten sich überdies im Kontext der Publizitätswirkungen gem. § 15 HGB (bzw. Art. 16 Abs. 6 und Abs. 7 GesRRL) ergeben.93 Angesichts dessen ist dem II. Zivilsenat nachdrücklich zuzustimmen, dass das unionsrechtlich besonders geschützte Interesse des Rechtsverkehrs an der Zuverlässigkeit der Registereintragungen das Interesse des Betroffenen, dass aus dem Register kein Rückschluss auf seine Transsexualität möglich ist, überwiegt.94 Zumal die Änderung nicht aus dem kostenlos erhältlichen aktuellen Auszug, sondern nur aus dem kostenpflichtigen chronologischen Ausdruck ersichtlich ist und überdies gerade nicht explizit vermerkt wird, dass es sich um eine Namensänderung nach TSG handelt.95 3.  Registerpublizität und anderweitige bzw. frühere geschäftliche Tätigkeit: Die EuGH-Entscheidung in der Rs. Manni Problematisch ist die Offenlegung der Personalien ferner auch im Hinblick darauf, dass hieraus Rückschlüsse auf anderweitige bzw. frühere geschäftliche Tätigkeiten des betreffenden Organmitglieds gezogen werden können. Mit diesem Aspekt hatte sich der EuGH in der Rs. Manni zu befassen. Im Ausgangsfall hatte Herr Manni, der Geschäftsführer der italienischen Italiana Costruzioni Srl behauptet, dass diese Gesellschaft ihre Ferienhäuser   Vgl. BGH v. 3.2.2015 – II ZB 12/14, GmbHR 2015, 751 Rz. 20; Krafka/Kühn, Regis­ terrecht, 10. Aufl. 2017, Rz. 1; J. Schmidt GmbHR 2015, R209, R210. 91   Vgl. BGH v. 3.2.2015 – II ZB 12/14, GmbHR 2015, 751 Rz. 24. 92  Vgl. J. Schmidt GmbHR 2015, R209, R210. 93  Vgl. J. Schmidt GmbHR 2015, R209, R210. 94  Vgl. J. Schmidt GmbHR 2015, R209, R210; zustimmend auch Lutter/Hommelhoff/ Bayer, GmbHG, 19. Aufl. 2016, § 8 Rz. 3; Kleefass EWiR 2015, 533 f.; kritisch jedoch Block LMK 2015, 371625. 95  Vgl. J. Schmidt GmbHR 2015, R209, R210 m.w.N. 90

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nicht veräußern könne, weil die potentiellen Kunden aus dem Register ersehen könnten, dass eine früher von ihm geführte andere Gesellschaft in Insolvenz gefallen war. Er wollte daher, dass die Daten, die ihn mit der früheren Insolvenz in Verbindung brachten, gelöscht, anonymisiert oder gesperrt werden. Der EuGH entschied, dass Art. 6 Abs. 1 lit. e, Art. 12 lit. b und Art. 14 lit. a der DSRL96 i.V.m. Art. 3 PubRL 2009 (G Art. 16 GesRRL) dahingehend auszulegen sind, dass es ausnahmsweise gerechtfertigt sein kann, aus überwiegenden, schutzwürdigen, sich aus ihrer besonderer Situation ergebenden Gründen nach Ablauf einer hinreichend langen Frist nach Auflösung der betreffenden Gesellschaft den Zugang zu den im Register eingetragenen personenbezogenen Daten auf Dritte zu beschränken, die ein besonderes Interesse an der Einsichtnahme in diese Daten nachweisen.97 Der Gerichtshof legt insoweit allerdings mit Blick auf die essentielle Bedeutung der Registerpublizität strenge Maßstäbe an.98 Die Behauptung allein, dass die von der Italiana Costruzioni Srl errichteten Immobilien sich nicht veräußern ließen, weil die potenziellen Käufer dieser Immobilien Zugang zu den Registerdaten hätten, könne wegen des berechtigten Interesses der Käufer, über diese Informationen zu verfügen, nicht als ausreichender Rechtfertigungsgrund für Zugangsbeschränkungen angesehen werden.99 Wann genau eine Beschränkung der Einsicht ausnahmsweise doch gerechtfertigt sein kann, hat der EuGH allerdings leider nicht näher konkretisiert. Bemerkenswert ist aber in jedem Fall, dass er ausschließlich die ausnahmsweise Möglichkeit einer Einsichtsbeschränkung (nicht hingegen einer kompletten Löschung) in Erwägung zieht – und dies auch nur nach Auflösung der Gesellschaft und Ablauf einer hinreichend langen Frist. Obgleich die Entscheidung noch auf der Basis der DSRL erging, dürften diese Grundsätze auch im Rahmen der neuen DSGVO100 fortgelten.101 Anders als nach Art. 14 lit. a DSRL (wonach der Betroffene sein Privatinteresse darlegen musste) muss nach Art. 21 Abs. 1 S. 2 DSGVO nun zwar der Datenverarbeiter zwingende Gründe nachweisen, die die Interessen, Rechte 96   RL 95/46/EG des EP und des Rates v. 24.10.1995 zum Schutz natürlicher Personen bei der Verarbeitung personenbezogener Daten und zum freien Datenverkehr, ABlEG v. 23.11.1995, L 281/31 [Datenschutz-RL – DSRL]. 97  EuGH v. 9.3.2017, Manni, Rs. C-398/15, ECLI:EU:C:2017:197. Dazu Bayer/ J. Schmidt BB 2017, 2114, 2122; Frenz DVBl. 2017, 566 ff.; Horstmann ZD-Aktuell 2017, 05595; Lehofer ÖJZ 2017, 481 f.; Lutter/Bayer/J. Schmidt (Fn. 7), 18.36; Van der Bulck JDE 2017, 269 f. Zur Vorlage: Mantelero EDPL 2016, 231 ff. 98  Vgl. Bayer/J. Schmidt BB 2017, 2114, 2122; Lutter/Bayer/J. Schmidt (Fn. 7), 18.36. 99   EuGH v. 9.3.2017, Manni, Rs. C-398/15, ECLI:EU:C:2017:197, Rz. 63. 100   VO (EU) 2016/679 des EP und des Rates v. 27.4.2016 zum Schutz natürlicher Personen bei der Verarbeitung personenbezogener Daten, zum freien Datenverkehr und zur Aufhebung der RL 95/46/EG, ABlEU v. 4.5.2016, L 119/1 [EU-Datenschutz-Grundverordnung – EU-DSGVO]. 101  Vgl. Bayer/J. Schmidt BB 2017, 2114, 2122; Lutter/Bayer/J. Schmidt (Fn. 7), 18.36.

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und Freiheiten der betroffenen Person überwiegen (d.h. die Darlegungs- und Beweislast trifft nun den Datenverarbeiter).102 Für die hier interessierende Problematik dürfte sich dadurch jedoch nichts ändern, denn der vom EuGH in der Rs. Manni (ebenso wie schon vom BGH im Falle des transsexuellen Geschäftsführers) betonte grundsätzliche Vorrang des öffentlichen Interesses an der Registerpublizität bleibt hiervon unberührt.103

V. Resümee Seit dem ersten Harmonisierungsakt durch die PubRL 1968 hat sich die Registerpublizität in Europa erheblich fortentwickelt: Aus Aktenbergen sind inzwischen Datenfluten geworden und wer Informationen haben möchte, muss heute nicht mehr physisch beim Register vorstellig werden oder Papierdokumente anfordern, sondern hat mit ein paar Klicks oder Swipes 24 Stunden am Tag von überall auf der Welt aus Zugriff auf die nun auch miteinander vernetzten Register sämtlicher Mitgliedstaaten. Schon jetzt ist indes vorauszusehen, dass die Entwicklung hier wohl nicht stehen bleiben wird: Im „Company Law Package“ ist eine Neukonzeption der Registerpublizität i.S.e. „Nur Register“-Lösung vorgesehen.104 Darüber hinaus wird etwa immer wieder die alte Idee eines einheitlichen europäischen Registers (statt einer bloßen Vernetzung) diskutiert; zudem werden die weiteren technologischen Entwicklungen wohl auch am Registerrecht nicht vorbeigehen (so wird derzeit etwa über den Einsatz der Blockchain-Technologie nachgedacht)105. Die grundlegenden Prinzipien des europäischen Registerrechts, die der EuGH inzwischen durch seine Rechtsprechung weiter auskonturiert hat, sind indes unverändert geblieben und werden dies wohl im Wesentlichen auch in Zukunft bleiben: Die Registerpublizität und das öffentliche Interesse an der Zuverlässigkeit der Registereintragungen sind von essentieller Bedeutung. Registerpflichtige Unternehmen und deren Organmitglieder müssen akzeptieren, dass Unternehmens- und personenbezogene Daten in diesem Rahmen für jedermann zugänglich gemacht werden. Die Registerpublizität ist quasi der „Preis“ für den Marktzugang, insbesondere den Marktzugang mit Haftungsbeschränkung.  Vgl. dazu auch Plath/Kamlah, BDSG/DSGVO, 2. Aufl. 2016, Art. 21 DSGVO Rz. 3 ff.; Paal/Pauly/Martini, DS-GVO BDSG, 2. Aufl. 2018, Art. 21 DSGVO Rz. 35 ff.; Trentmann CR 2017, 26, 32. 103  Vgl. Bayer/J. Schmidt BB 2017, 2114, 2122; Lutter/Bayer/J. Schmidt (Fn. 7), 18.36; zweifelnd allerdings Horstmann ZD-Aktuell 2017, 05595. 104   COM(2018) 239. Dazu etwa Bock DNotZ 2018, 643, 655 ff.; Noack DB 2018, 1324, 1326 f.; J. Schmidt DK 2018, 229, 232 ff. 105   Vgl. dazu Bormann ZGR 2017, 621, 637 f.; Knaier GmbHR 2017, R305 ff.; Schrey/ Thalhofer NJW 2017, 1431, 1433; Wilsch DNotZ 2017, 761, 768, 777. 102

§ 166 HGB und das geltende Recht Karsten Schmidt I.  Zum Thema 1. Zueignung Der Titel dieses Beitrags impliziert eine These, die über juristische Schulweisheit hinausweist. Diese nämlich – die Schulweisheit – müsste uns sagen, dass der seit dem 1. Januar 1900 in Kraft befindliche § 166 HGB, sofern sich nicht höherrangiges Recht in den Weg stellt, selbstverständlich Bestandteil des geltenden Rechts, seine Modifikation oder Ersetzung damit also äußerstenfalls de lege ferenda zu diskutieren ist. Nachdem die gegenwärtige Bundesregierung im Koalitionsvertrag eine Überarbeitung des Personengesellschaftsrechts auf ihre Fahnen geschrieben hat,1 liegt diese Sichtweise nahe. Ausgangspunkt der nicht erst neuerdings geführten Reformdiskussion ist aber nicht nur die Frage nach einer Rückständigkeit des geltenden Rechts. Es geht vielmehr auch um die Überlegung, ob das geschriebene Recht das geltende Personengesellschaftsrecht überhaupt zutreffend abbildet oder ob Rechtserkenntnis und Rechtsfortbildung dem Gesetzwortlaut längst enteilt sind.2 Für diese Überlegung und für die Fortsetzung einer mit dem Jubilar seit Jahren freundschaftlich geführten Debatte über Rechtsfortbildung und Gesetzestreue im Gesellschaftsrecht3 eignet sich das in § 166 HGB geregelte Informationsrecht des Kommanditisten in geradezu herausforderndem Maße.

  Teil III Abschn. 3.   Schäfer in Verhandlungen des 71. DJT, Bd. I, 2016, S. E 9 ff.; Karsten Schmidt ZHR 177 (2013), 712 ff.; ders. ZHR 180 (2016), 411, 412 f. 3   Hinzuweisen ist namentlich auf die Berichte über „Gesellschaftsrechtliche Unternehmenspraxis“ von den „Steuerrechtlichen Jahresarbeitstagungen Unternehmen“ im Triumvirat mit Hans-Joachim Priester unter dem Vorsitz von Alfred Bergmann JbFStR 2012/2013, 2013, S. 387 ff.; 2013/2014, 2013, S. 351 ff.; 2014/2015, 2014, S. 351 ff.; 2015/2016, 2015, S. 311 ff.; 2016/2017, 2016, S. 323 ff; 2017/2018, 2017, S. 333 ff. 1 2

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2.  Zum Gesetzeswortlaut Der Gesetzeswortlaut ist klar und doch unergiebig. Nach § 166 Abs. 1 HGB kann ein Kommanditist die abschriftliche Mitteilung des Jahresabschlusses verlangen und dessen Richtigkeit unter Einsicht der Bücher und Papiere prüfen. Geht man vom Informationsrecht als dem Regelungsgegenstand aus, so offenbart schon dieser erste Absatz systematische Mängel, denn die Prüfung des Jahresabschlusses selbst kann nicht Mittel, sondern allenfalls Ziel des gesetzlich geregelten Informationsrechts, nämlich des Rechts zum Einblick in die „Bücher und Schriften“ sowie auf „Auskunft über die Angelegenheiten der Gesellschaft“. Die nach § 118 HGB einem von der Geschäftsführung ausgeschlossenen OHG-Gesellschafter zustehenden weiteren Rechte stehen dem Kommanditisten nach § 166 Abs. 2 HGB nicht zu. Wohl aber kann das Gericht nach Abs. 3, wenn wichtige Gründe vorliegen, jederzeit die Mitteilung einer Bilanz und eines Jahresabschlusses oder sonstige Aufklärungen sowie die Vorlegung der Bücher und Papiere anordnen. Die mit Abs. 3 verbundene gesetzgeberische Intention war eine doppelte: Die Vorschrift sollte das Informationsrecht erweitern und hierfür ein gerichtliches Verfahren bereitstellen.4 3.  Zum Rechtsbild der Kommanditgesellschaft Die in § 166 HGB beschriebenen Informationsrechte entsprechen denen des stillen Gesellschafters nach § 233 HGB.5 Das ist nach der Vorgeschichte des Handelsgesetzbuchs kein Zufall, hatte doch der Entwurf des ADHGB von 1861 die Kommanditgesellschaft bezüglich der Kommanditisten noch als eine veröffentlichte stille Gesellschaft behandelt.6 Die Fortentwicklung des Kommanditgesellschaftsrechts zu einer mitunternehmerischen Schwesterfigur neben der OHG ließ aber dieses Kommanditistenmodell allmählich hinter sich. Dass das aus § 166 Abs. 1 HGB ablesbare Bild vom Kommanditisten schief hängt, ist aus heutiger Sicht offenbar. Seit dem in BGHZ 132, 263 publizierten Urteil über die Beteiligung der Kommanditisten an der Bilanzfeststellung7 ist mit Händen zu greifen, dass es mit der bloßen „Mitteilung“

4   Vgl. Denkschrift in Schubert/Schmiedel/Krampe (Hrsg.) Quellen zum Handelsgesetzbuch von 1897, Bd. II/2 1988, S. 1043. 5   Die Verweisung des § 233 Abs. 2 HGB auf § 716 BGB statt auf § 118 HGB basiert auf der im Jahr 1997 vollzogenen Abstimmung auf das BGB von 1896; Art. 253 ADHGB hatte noch keine Vorgängernorm zu § 233 Abs. 2 HGB enthalten. 6  Vgl. Jander Komplementär und Kommanditist in der verbandsrechtlich verselbständigten Kommanditgesellschaft, 2010, S. 7 ff., 108. 7   Dazu etwa Roth in Baumbach/Hopt, HGB, 38. Aufl. 2018, § 164 Rn. 3; Priester in MünchKommHGB, 4. Aufl. 2016, § 120 Rn. 54 ff.; Sangen/Emden in MünchHdb. GesR II, 4. Aufl. 2014, § 21 Rn. 75 ff.; Karsten Schmidt Gesellschaftsrecht, 4. Aufl. 2002, S. 1539 f.;

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und nachträglichen Prüfung des festgestellten Jahresabschlusses nicht mehr getan sein kann. 4.  Klärungsbedarf auch bei § 166 Abs. 3 HGB Unklar geblieben ist auch das Verhältnis des dritten zum ersten Absatz. „Das in § 166 Abs. 3 HGB geregelte außerordentliche Informationsrecht ist“ – so berichtete jüngst Alfred Bergmann aus der Rechtsprechung des II. Zivilsenats8 – „nicht auf Auskünfte beschränkt, die der Prüfung des Jahresabschlusses dienen oder zum Verständnis des Jahresabschlusses erforderlich sind. Vielmehr erweitert § 166 Abs. 3 HGB das Informationsrecht des Kommanditisten bei Vorliegen eines wichtigen Grundes auch auf Auskünfte über die Geschäftsführung des Komplementärs allgemein und die damit zusammenhängenden Unterlagen der Gesellschaft“. Der Jubilar nimmt hiermit Bezug auf den in BGHZ 210, 363 veröffentlichten Beschluss vom 14.6.2016, dessen Leitsatz wohl ungeteilte Zustimmung gefunden hat:9 „Das in § 166 Abs. 3 HGB geregelte außerordentlich Informationsrecht des Kommanditisten ist nicht auf Auskünfte beschränkt, die der Prüfung des Jahresabschlusses dienen oder zum Verständnis des Jahresabschlusses erforderlich sind. Vielmehr erweitert § 166 Abs. 3 HGB das Informationsrecht des Kommanditisten bei Vorliegen eines wichtigen Grundes auch auf Auskünfte über die Geschäftsführung des Komplementärs allgemein und die damit im Zusammenhang stehenden Unterlagen der Gesellschaft.“ Im zugrundeliegenden Fall war die Witwe und Alleinerbin eines verstorbenen Kommanditisten an vier Windkraft-Kommanditgesellschaften beteiligt und verlangte, gestützt auf § 166 Abs. 3 HGB, Informationen über die Gründe unzureichender Umsetzung des Geschäftsmodells. Die Vorinstanzen hatten den auf § 166 Abs. 3 HGB gestützten Antrag zurückgewiesen, weil er nicht i.S. von § 166 Abs. 1 HGB auf die Mitteilung und Prüfung des Jahresabschlusses gerichtet sei. Die hiergegen gerichtete Rechtsbeschwerde hatte Erfolg. Der Bundesgerichtshof entschied, dass § 166 Abs. 3 HGB das Informationsrecht bei Vorliegen eines wichtigen Grunds über die bloße Prüfung des Jahresabschlusses hinaus erweitere, so dass das geltend gemachte Informationsrecht nicht a limine abzulehnen, sondern tatrichterlich zu prüfen war. Der BGH-Beschluss und die durch ihn ausgelöste Diskussion lässt unterschiedliche Verständnisse von der Funktion des § 166 Abs. 3 HGB erkennen: Walter Die Bilanzierungsrechte der Gesellschafter in der Kommanditgesellschaft, 2002, S. 16 ff. 8   Bergmann WM-Sonderbeilage 1/2018, S. 24. 9  Vgl. nur Roth in Baumbach/Hopt (Fn. 7), § 166 Rn. 10; Oetker in Oetker, HGB, 5. Aufl. 2017, § 166 Rn. 25; Casper/Selbach NZG 2016, 1324 ff.; Karsten Schmidt JuS 2017, 469; Wösthoff DB 2016, 2399 ff.

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–– Die herrschende Meinung erkennt in Absatz 3 eine Erweiterung des dem Kommanditisten nach § 166 Abs. 1 HGB nur beschränkt eingeräumten Informationsrechts im Fall eines wichtigen Grundes.10 –– Eine weitere Ansicht erkennt zwar die Erweiterung auf ein „jederzeit“ durchsetzbares außerordentliches Informationsrecht an, beschränkt dieses aber auf die in § 166 Abs. 1 HGB beschriebene Mitteilung und Prüfung des Jahresabschlusses.11 –– Eine vom Verfasser dieses Beitrags herrührende dritte Auffassung erkennt dem Kommanditisten nach materiellem Recht umfassende ordentliche und außerordentliche Informationsrechte zu und versteht § 166 Abs. 3 HGB rein verfahrensrechtlich als eine Spezialregelung zur Durchsetzung eines Informationsrechts in Form eines einstweiligen Rechtsschutzes“.12 Diese dritte Auffassung ist, weil sie dem § 166 Abs. 3 HGB keine materiellrechtliche Erweiterung des Informationsumfangs zuschreibt, mit der zweiten gleichgesetzt worden.13 Diese Gleichsetzung verkennt den elementaren Unterschied im Verständnis des allgemeinen Informationsrechts des Kommanditisten und damit die für die dritte Auffassung charakteristische Einbettung des § 166 Abs. 3 HGB in ein das Informationsrecht generell betreffendes Rechtsfortbildungsprogramm. Bedenkt man dies, so stellt sich heraus, dass der Kern des dem § 166 HGB innewohnenden Problems nicht im dritten, sondern im ersten Absatz der Vorschrift liegt, nämlich im Umfang der Informationsrechte.

II.  Wandel der Normsituation bei § 166 HGB Nicht zum ersten Mal wird hier vorgetragen, dass § 166 HGB das Innenrecht der Kommanditgesellschaft nicht mehr zutreffend abbildet14. Herbert Wiedemann hat die Auskunfts- und Einsichtsrechte von Gesellschaftern schon im Jahr 1980 zu den die Ausübung von Mitverwaltungs- wie auch Lösungsbefugnissen der Gesellschafter stützenden „mitgliedschaftlichen 10   BGHZ 210, 363 = NZG 2016, 1102; OLG München ZIP 2017, 1112, 1113; Grundwald in MünchKommHGB, 3. Aufl. 2012, § 166 Rn. 30; Autor? in Koller/Kindler/Roth/ Morck, HGB, 8. Aufl. 2015, § 166 Rn. 5; Oetker in Oetker (Fn. 9), § 166 Rn. 21; Haas/ Mock in Röhricht/v. Westphalen, HGB, 4. Aufl. 2014, § 166 Rn. 17; Rosner NZG 2014, 655 ff.; Bergmann WM-Sonderbeilage 1/2018, S. 24. 11   OLG Köln NZG 2014, 660; Weipert in EBJS, HGB, 3. Aufl. 2014, § 166 Rn. 40. 12   Karsten Schmidt Gesellschaftsrecht (Fn. 7), S. 1542; ders. Informationsrechte in Gesellschaften und Verbänden, 1984, S. 68 ff.; zust. Häublein in BeckOK HGB, 2015, § 166 Rn. 20, 23; s. auch Roth in Baumbach/Hopt (Fn. 7), § 166 Rn. 8. 13  Vgl. Schuhknecht/Irmler GWR 2016, 50 ff. 14  Vgl. Karsten Schmidt Gesellschaftsrecht (Fn. 7), S. 1540 ff.; vgl. jüngst wieder ders. NJW 2017, 3350, 3354.

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Grundrechten“ gezählt.15 Gleichzeitig hat er den in der gesetzlichen Behandlung der Kommanditisten angelegten tiefen Widerspruch herausgestellt, der zwischen den Mitverwaltungsrechten des Kommanditisten und seiner steuerlichen Behandlung als Mitunternehmer auf der einen und der Versagung eines allgemeinen Informationsrechts auf der anderen Seite bestehe.16 Diese Beobachtung, so nochmals Wiedemann, müsse „ein von § 166 HGB unabhängiges Auskunftsrecht zur Folge haben“.17 Dem ist – allemal im Vergleich mit § 51a GmbHG – zu folgen, ein Recht des Kommanditisten auf Information über die ihn betreffenden „Angelegenheit der Gesellschaft“ also generell zu bejahen.18 Die Vorgeschichte des § 166 HGB zeigt allerdings, dass ein im österreichischen ADHGB-Entwurf enthaltenes Recht dieser Art ausdrücklich als „zu weit“ abgelehnt, das hier neuerlich postulierte allgemeine Informationsrecht dem Kommanditisten also bewusst abgesprochen wurde.19 Wer vor diesem Hintergrund eine die Fortbildung des Informationsrechts tragende positivrechtliche Grundlage vermisst, sei darauf verwiesen, dass der Bundesgerichtshof auch dem GmbH-Gesellschafter gegen den erklärten Gesetzgeberwillen schon Jahrzehnte vor der Einführung des § 51a GmbHG ein ungeschriebenes Informationsrecht zuerkannt hatte.20 Die solche Rechtsfortbildung legitimierende Methode ist als institutionelle Fortbildung und Selbstbereinigung des Gesellschaftsrechts zu verstehen. Nicht zuletzt in der Lehrwerkstatt des Rechts der GmbH & Co. KG21 hat sich die Unausweichlichkeit dieser Fortentwicklung praeter legem erwiesen.22 Wegweiser und Ziel dieser Fortbildung ist eine Angleichung an das sich auf alle „Angelegenheiten der Gesellschaft“ erstreckende Informationsrecht nach § 51a GmbHG, freilich nicht durch analoge Anwendung dieser Bestimmung23, denn es geht nicht um krude Gesetzesanalogie, sondern um Herstellung eines institutionellen Einklangs der vom Gesetzgeber rechtsformspezifisch ausdifferenzierten Informationsrechte.

  Wiedemann Gesellschaftsrecht I, 1980, S. 276.   Ebd. S. 376 f. 17   Ebd. S. 377. 18   Karsten Schmidt Gesellschaftsrecht (Fn. 7), S. 1541 f. 19  Vgl. Lutz Protokolle der Kommission zur Berathung eines ADHGB, 1858 ff., S. 296 f. und dazu Karsten Schmidt Informationsrechte (Fn. 12), S. 67. 20   BGHZ 14, 53 = JZ 1955, 47 m. Anm. Schilling. 21   Dazu grundsätzlich Karsten Schmidt JZ 2008, 425 ff.; speziell zum Informationsrecht Binz/Sorg BB 1991, 785 ff. 22   Ebd. S. 432 f.; ähnlich Wiedemann Gesellschaftsrecht II, 2004, S. 260. 23   So etwa Roitzsch Der Minderheitenschutz im Verbandsrecht, 1981, S. 161; Schießel GmbHR 1985, 109, 110 f., dagegen Wohlleben Informationsrechte des Gesellschafters, 1989, S. 85 f.; Oetker in Oetker (Fn. 9), § 166 Rn. 3, 15; Hahn BB 1997, 741, 743 f. 15 16

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III. Folgerungen 1.  Zum BGH-Beschluss BGHZ 210, 363 Bezogen auf den eingangs herausgestellten BGH-Beschluss vom 14.6.2016 führen die hier angestellten Überlegungen im Ergebnis zu klarer Zustimmung. Ist das Informationsrecht des Kommanditisten nicht auf die Prüfung des Jahresabschlusses beschränkt und steht mit § 166 Abs. 3 HGB ein Beschlussverfahren zur „jederzeitigen“ Durchsetzung dieses Rechts aus wichtigem Grund zu Gebote, so konnten die Beschlüsse der Vorinstanzen keinen Bestand haben. 2.  Lex lata Der BGH-Beschluss ist ein neuer Beleg für die Kraft der Rechtsprechung, der defizitären Norm des § 166 HGB plausible Ergebnisse abzugewinnen. Die hier neuerlich unternommene Herausarbeitung eines konsistenten Gesamtkonzepts kann nicht Aufgabe singulärer Gerichtsentscheidungen sein. Die eingangs angedeutete Beobachtung, dass der Gesetzeswortlaut das „geltende“ Recht nicht überzeugend abbildet, beschreibt in Anbetracht der anstehenden Reformüberlegungen eine unverändert im Raum stehende Aufgabe. 3.  Lex ferenda Die anstehende Überarbeitung des Personengesellschaftsrechts wirft noch die bisher nicht beantwortete Frage auf, ob und in welcher Weise § 166 HGB neu gefasst werden soll. In Anbetracht der durchaus nicht unzeitgemäßen Judikatur und Literatur zu den Informationsrechten von Kommanditisten wird man dieses Thema – wie vielleicht die ganze Reform des Personengesellschaftsrechts24 – nicht als eine Aufgabe von höchster rechtspolitischer Dringlichkeit angehen müssen. Im Zuge einer Bereinigung des aus den Fugen geratenen Gesetzesrechts wird aber für besseren Einklang zwischen dem geschriebenen, dem rechtspolitisch „richtigen“ und dem als „geltend“ praktizierten Recht sorgen dürfen. Nahe liegt es, den Absatz 2 zu streichen und Absatz 1 in dem Sinne zu erweitern, dass jeder Kommanditist berechtigt ist, sich über die „Angelegenheiten der Gesellschaft“ durch Einsicht in deren Bücher und Schriften sowie durch Auskunftsersuchen zu informieren. Da der Umfang dieses Rechts im Einzelfall vom Umfang des Informationsinteresses abhängt,25 wird es dann einer zusätzlichen Regelung eines „außerordentli-

  Vgl. bereits zum 71. Deutschen Juristentag Karsten Schmidt ZHR 180 (2016), 411 f.   Karsten Schmidt Gesellschaftsrecht (Fn. 7), S. 625; Grundlagen bei Karsten Schmidt Informationsrechte (Fn. 12), S. 35 f. 24 25

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chen Informationsrechts“ nicht mehr bedürfen. Soll ein berechtigtes Anliegen des § 166 Abs. 3 HGB in die künftige Gesetzesfassung hinübergerettet werden, so wäre an die darin bereits gegenwärtig enthaltene Verfahrensregelung zu denken. Ob die Geltendmachung des Informationsrechts bei dem Registergericht auf das bisher in § 166 Abs. 3 HGB angelegte Eilverfahren aus wichtigem Grund beschränkt oder nach dem Vorbild der §§ 132 AktG, 51b GmbHG zu einem allgemeinen Instrument der Informationsrechtsdurchsetzung ausgebaut werden sollte, ist eine Frage der rechtspolitischen Einschätzung und wird von den insbesondere mit § 51b GmbHG gemachten Erfahrungen, also von noch zu leistender rechtstatsächlicher Aufarbeitung abhängen. 4. Vertragsgestaltung Über die Dispositivität des § 166 HGB ist viel schon geschrieben und sogar entschieden worden.26 Eine gesetzliche Klarstellung des Konzepts kann auch diese Diskussion vereinfachen. Bisher wird beispielsweise zu Vertragsregelungen gemahnt, die das Informationsrecht über den Zeitpunkt der Bilanzfeststellung hinüberretten, es also vor seinem Wegfall bewahren sollen.27 Ein Nachdenken hierüber wird aber nur wenig weiterhelfen. Der Informationsanspruch eines Gesellschafters endet, wenn das berechtigte Informationsinteresse erledigt,28 die Auskunft also gegeben oder die Einsicht in Unterlagen vorgenommen ist. Die Bilanzfeststellung als ein formaler Akt kann dem nicht gleichstehen. So einfach ist die Frage, wenn wir die durch den Wortlaut des § 166 HGB heraufbeschworenen und herbeigeschriebenen Scheinprobleme hinter uns lassen.

26   Vgl. nur OLG München Beck-RS 2018, 742; Roth in Baumbach/Hopt (Fn. 7), § 166 Rn. 18 ff.; Grunewald in MünchKommHGB (Fn. 10), § 166 Rn. 47 ff.; Oetker in Oetker (Fn. 9), § 166 Rn. 40 ff.; Weipert in EBJS (Fn. 11), § 166 Rn. 17; Casper in Staub, HGB, 5. Aufl. 2015, § 177 Rn. 57 ff.; Wohlleben (Fn. 24), S. 173 ff.; abwartend BGH NJW 1989, 225. 27   Voigt NJW 2009, 772 ff. 28  Vgl. Karsten Schmidt Informationsrechte (Fn. 12), S. 39; Wohlleben (Fn. 24), S. 188 ff.

Organhaftung bei GmbH-Tochtergesellschaften

Organhaftung bei Tochtergesellschaften in der Rechtsform der GmbH Uwe H. Schneider und Sven H. Schneider I. Einführung Nein, zahlreich sind die höchstrichterlichen Entscheidungen zu den besonderen Pflichten und zur Haftung des Geschäftsführers einer Tochtergesellschaft in der Rechtsform der GmbH nicht. Auch in der Lehre wird das Thema im Zusammenhang1 nur vereinzelt aufgegriffen. Nur für einzelne Sachverhalte werden die strangulierenden Haftungsrisiken für den Geschäftsführer, z.B. bei der Stellung von Sicherheiten zugunsten des herrschenden Unternehmens,2 beleuchtet. Das überrascht; denn die GmbH ist die typische Rechtsform von Tochtergesellschaften im Konzern und zwar in gleicher Weise bei Großkonzernen, bei mittelständischen Konzernen, bei Familienkonzernen und bei Kommunalkonzernen. An der mangelnden praktischen Bedeutung dürfte diese Lücke daher nicht liegen. Könnte ein Grund darin bestehen, dass sich keine Besonderheiten im Vergleich zur konzernfreien Gesellschaft ergeben? Das ist nicht der Fall; denn es gibt viele Unterschiede bei den tatsächlichen Voraussetzungen und bei den rechtlichen Grundlagen. Das zeigen die folgenden Fragen: Darf der Geschäftsführer der Tochtergesellschaft bei der Leitung des Unternehmens auch den Konzerninteressen folgen? Welche Pflichten hat der Geschäftsführer einer Tochtergesellschaft bei Gewährung eines Darlehens an das herrschende Unternehmen oder an Schwestergesellschaften? Gibt es bei einem regen konzerninternen Leistungsaustausch besondere Regeln für eine konzernspezifische Kapitalerhaltung mit einem zeitlich eingegrenzten Gesamtausgleich? Darf der Geschäftsführer für die Gesellschaft nachteilige, aber im Konzerninteresse liegende Weisungen der Gesellschafterversammlung umsetzen? Darf er sich an einer Konzernumlage beteiligen und diese an das 1   Siehe aber auch Altmeppen, Die Haftung des Managers im Konzern, 1998; Sven H. Schneider in Krieger/Uwe H. Schneider, Handbuch Managerhaftung, 2. Aufl., S. 255 ff.; Uwe H. Schneider in Scholz, GmbHG, 10. Aufl., § 43, Rz. 418; Kuntz, Der Konzern, 2007, 802; Drygala in Oppenländer/Trölitzsch, Handbuch der GmbH-Geschäftsführung, 2. Aufl., § 42. 2   Zuletzt etwa Kiefner/Bochum, NZG 2017, 1292; Verse, GmbHR 2018, 113.

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Uwe H. Schneider und Sven H. Schneider

herrschende Unternehmen abführen, obwohl sich die entstehenden Kosten aus Sicht der Tochtergesellschaft nicht rechnen? Darf der Geschäftsführer Know-how an das herrschende Unternehmen, das es zu eigenen unternehmerischen Zwecken nutzen will, weitergeben? Darf der Geschäftsführer der Tochtergesellschaft Geschäftschancen, die dem herrschenden Unternehmen zustehen, an sich ziehen? Die Beantwortung dieser Fragen zeigt, dass sich für den Geschäftsführer einer Tochtergesellschaft eine Vielzahl eigenständiger Fragen stellen. Dabei steckt der Geschäftsführer im undurchdringlichen, für ihn überaus gefährlichen Dschungel einer höchst kontroversen Diskussion über die Voraussetzungen der Abhängigkeitsbildung und der Konzerngründung3 und den Grenzen zulässiger Konzernleitung im GmbH-Konzernrecht.4 Davon handeln die folgenden Überlegungen, beschränkt auf die Innenhaftung des Geschäftsführers einer Tochtergesellschaft. Beim Versuch, diese Fragen zu beantworten, sind sich die Autoren der großen Verdienste von Alfred Bergmann als Senatspräsident des II. Senats des Bundesgerichtshofs und als Honorarprofessor an der Universität Mainz bei der Anwendung und Fortentwicklung des Gesellschafts- und Konzernrechts und als akademischer Lehrer bewusst. Verbunden ist dies mit dem Dank für viele gute Diskussionen und höchst anregende Gespräche.

II.  Die GmbH als Tochtergesellschaft Die GmbH als Tochtergesellschaft kommt in der Praxis in unterschiedlichen Prägungen vor. Der Geschäftsführer kann unmittelbar oder mittelbar an der Gesellschaft beteiligt sein. Die Gesellschaft kann schon als Tochtergesellschaft gegründet5 oder auch nachträglich zur Tochtergesellschaft geworden sein. Es kann sich um eine hundert prozentige Tochtergesellschaft, also eine GmbH mit nur einem Gesellschafter handeln, oder auch um eine mehrgliedrige Gesellschaft mit Minderheitsgesellschaftern. Entsprechend zu unterscheiden ist auch bei der Pflichtenlage des Geschäftsführers. Dabei richtet sich das Hauptinteresse in der Folge auf die mehrgliedrige Tochtergesellschaft im faktischen Konzern.

3   Siehe dazu den Überblick bei Emmerich in Scholz, GmbHG, 12. Aufl., Anh. § 13, Rz. 41 ff. 4   Siehe dazu den Überblick bei Altmeppen in Roth/Altmeppen, GmbHG, 8. Aufl., Anh. § 13, Rz. 144. 5   Liebscher, Konzernbildungskontrolle, 1995, S. 5; Liebscher, in MüKo, GmbHG, 2. Aufl., § 13 Anh., Rz. 190, 265; Altmeppen in Roth/Altmeppen, GmbHG, 8. Aufl., Anh. § 13, Rz. 142; Uwe H. Schneider, ZGR-Sonderheft 6/1986, S. 121.

Organhaftung bei GmbH-Tochtergesellschaften

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III.  Das Sonderrecht der GmbH als Tochtergesellschaft Bevor man sich die Pflichten und die Haftung des Geschäftsführers einer Tochtergesellschaft in der Rechtsform der GmbH besieht, sollte man sich zunächst vergegenwärtigen, dass der Konzern eine besondere Rechtsform für Unternehmen darstellt.6 Der Konzern selbst hat keine eigene Rechtsfähigkeit, kein eigenes Vermögen und keine eigenen Organe. Er besteht vielmehr aus einer Vielzahl von rechtlich selbständigen Konzerngesellschaften, die zueinander in einer Sonderrechtsbeziehung stehen. Im Konzernrecht – und das gilt auch für das GmbH-Konzernrecht – geht es daher nicht nur um den Schutz der Minderheitsgesellschafter und der Gläubiger, sondern um das Organisationsrecht einer besonderen Unternehmensform. Sowohl für die einzelne Konzerngesellschaft, als auch für das Verhältnis der Konzerngesellschaften untereinander und im Verhältnis zu Dritten, bestehen eine Vielzahl besonderer Regeln. Das gilt nicht nur für die konzernleitende Gesellschaft, sondern auch für die GmbH als Tochtergesellschaft. Die Regeln handeln von der Gründung der Abhängigkeit und des Konzerns, den Voraussetzungen beim herrschenden Unternehmen und bei den Tochtergesellschaften für die Gründung und der Leitung und Kontrolle der Konzernleitung, von der Vermögens- und Haftungsordnung und – was hier besonders interessiert – den Aufgaben sowie den Rechten und Pflichten der Geschäftsführer. Kodifiziert sind diese Regeln – von Ausnahmen abgesehen – nicht. Eine Ausnahme bilden etwa eigenständige konzernbezogene gesetzliche Regeln für die unternehmerische Mitbestimmung im Konzern, für die Konzernrechnungslegung und für die öffentlich-rechtlichen Pflichten, die den Konzernunternehmen und den jeweiligen Organmitgliedern auferlegt sind.7 Exemplarisch ist die Regelung in § 5 Abs. 1 MitbestG 1976. Danach gelten die Arbeitnehmer der Tochtergesellschaften, also auch einer Tochter-GmbH, für die Anwendung dieses Gesetzes als Arbeitnehmer des herrschenden Unternehmens. Das führt u.a. dazu, dass die Arbeitnehmer der Tochter-GmbH an der Wahl der Arbeitnehmervertreter zum Aufsichtsrat des herrschenden Unternehmens teilnehmen. Geht man hiervon aus, so hat man bei der beherrschten GmbH bei den Pflichten der Geschäftsführer zu unterscheiden –– zwischen dem Geschäftsführer bei einer Ein-Personen-GmbH, –– dem Geschäftsführer bei der mehrgliedrigen GmbH, die nur faktisch als Tochtergesellschaft geführt wird, ohne dass der Konzernierung aber die Minderheitsgesellschafter zugestimmt haben, und 6   Näher dazu Uwe H. Schneider in Mestmäcker/Behrens, Das Gesellschaftsrecht der Konzerne im internationalen Vergleich, 1991, S. 563. 7   Zu weiteren „Konzernprivilegien“: Liebscher in MüKo, GmbHG, 2. Aufl., § 13 Anh., Rz. 45.

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–– dem Geschäftsführer bei der mehrgliedrigen GmbH, die als Tochtergesellschaft gegründet oder nachträglich durch Gesellschafterbeschluss als beherrschte GmbH ausgestaltet wurde. Diese letztere Unterscheidung folgt aus dem Unterschied zwischen der Konzernierung im Aktienrecht und der Konzernierung im GmbH-Recht. Die Aktiengesellschaft ist konzernoffen. Sie kann also – jedenfalls nach h.M. – ohne Mitwirkung der Minderheitsgesellschafter durch das herrschende Unternehmen konzerniert werden. Die GmbH ist dagegen nicht konzernoffen.8 Bei der GmbH bedarf die Begründung der Abhängigkeit und die Gründung eines Konzerns nach starker Meinung der Mitwirkung der Gesellschafter. Die Einzelheiten sind streitig.9 Vor diesem Hintergrund stellt sich für die Geschäftsführer einer Tochtergesellschaft die Frage, ob ihnen nur Pflichten im Verhältnis zur eigenen Gesellschaft obliegen (dazu unter IV.) oder auch Pflichten im Verhältnis zum herrschenden Unternehmen und zu den Schwestergesellschaften (dazu unter V.).

IV.  Die Pflichten des Geschäftsführers einer Tochtergesellschaft im Verhältnis zur eigenen Gesellschaft 1.  Die Pflicht zur Unternehmensleitung Die wichtigste Aufgabe und Pflicht des Geschäftsführers ist im Verhältnis zur eigenen Gesellschaft die Geschäftsführung. Der Geschäftsführer hat Vorschläge für die Geschäftspolitik des Unternehmens zu entwerfen, diese den Gesellschaftern zur Entscheidung vorzulegen und die von den Gesellschaftern beschlossene Geschäftspolitik im Tagesgeschäft umzusetzen. Verletzt er schuldhaft die damit verbundenen Pflichten, wendet er nicht die Sorgfalt eines ordentlichen Geschäftsmannes an, so macht er sich gegenüber der Gesellschaft schadensersatzpflichtig, § 43 Abs. 2 GmbHG. Maßstab sind bei der konzernfreien GmbH die Interessen der Gesellschaft. Das gilt auch für den Geschäftsführer, der faktisch konzernierten und beherrschten GmbH. Dabei stellt sich die Frage, ob der Geschäftsführer auch Konzerninteressen verfolgen darf. Das ist in der Allgemeinheit der Fragestellung nicht zu beantworten; denn auf der einen Seite geht es um Maßnahmen im Konzerninteresse, die auch für die Tochtergesellschaft vorteilhaft sind.

8   Emmerich in Scholz, GmbHG, 12. Aufl., Anh. § 13, Rz. 48a, 50; Schnorbus in Rowedder/Schmidt-Leithoff, GmbHG, 6. Aufl., Anh. § 52, Rz. 40; Altmeppen in Roth/Altmeppen, GmbHG, 8. Aufl., Anh. § 13, Rz. 143. 9   Uwe H. Schneider, ZGR-Sonderheft 6/1986, S. 121, 131. Zum Streitstand siehe Altmeppen in Roth/Altmeppen, GmbHG, 8. Aufl., Anh. § 13, Rz. 128, 143.

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Was im Konzerninteresse liegt, kann zugleich auch im Gesellschaftsinteresse liegen. Auf der anderen Seite geht es um Maßnahmen, die zwar im Konzerninteresse liegen, aber für die Tochtergesellschaft nachteilig sind. Im zuerst genannten Fall ist zu bedenken, dass der Geschäftsführer auch bei einer Tochtergesellschaft in der Rechtsform der GmbH in Anwendung der Business Judgement Rule handelt. Danach steht dem Geschäftsführer bei unternehmerischen Entscheidungen ein weites unternehmerisches Ermessen zu. Das bedeutet, dass er nicht auf Ersatz von Schäden in Anspruch genommen werden kann, wenn sich die Maßnahme nachträglich als schadensbegründend herausstellt. Voraussetzung ist freilich, dass der Geschäftsführer vernünftigerweise annehmen durfte, auf der Grundlage angemessener Information zum Wohle der Gesellschaft zu handeln. Im Rahmen dieses unternehmerischen Ermessens kann der Geschäftsführer auch Konzerninteressen berücksichtigen. 2.  Schädigende Maßnahmen im Konzerninteresse Problematisch ist, ob der Geschäftsführer auch Maßnahmen ergreifen darf, die zwar im Konzerninteresse liegen, nicht aber im Interesse der Tochtergesellschaft. Um diese Frage beantworten zu können, sollte man sich die Unterschiede zwischen den konzernrechtlichen Regeln im Aktienrecht und den konzernrechtlichen Regeln im GmbH-Konzernrecht vor Augen führen. Im Zentrum der konzernrechtlichen Diskussion bei Abhängigkeit und im faktischen Konzern steht im Aktienrecht der Schutz der Minderheitsaktionäre und der Gläubiger der abhängigen Aktiengesellschaft. Hiervon handeln die Regeln im Dritten Buch des Aktiengesetzes. Dabei sieht § 311 AktG – jedenfalls in der Auslegung durch die h.M. – vor, dass der Vorstand der abhängigen AG zwar nachteilige Maßnahmen, die durch das herrschende Unternehmen veranlasst wurden, vornehmen darf. Das führt u.a. dazu, dass die Vornahme nachteiliger Maßnahmen durch den Vorstand nicht pflichtwidrig ist – und auch keine strafbare Untreue darstellt. Das gilt aber nur, wenn zugleich sichergestellt ist, dass der Nachteil binnen Jahresfrist ausgeglichen wird. Diese Privilegierung des herrschenden Unternehmens und deren geschäftsführenden Organmitgliedern im Aktienkonzernrecht besteht nicht, wenn das abhängige Unternehmen eine GmbH ist; denn § 311 AktG ist im GmbHKonzernrecht nicht analog anwendbar.10 Auch wenn die Satzung die einheitliche Leitung durch das herrschende Unternehmen gestattet, im Übrigen aber keine Regeln zum Schutz der Minderheitsgesellschafter vorsieht, ist jede 10  H.M., aber streitig: wie hier Habersack, in Emmerich/Habersack, Aktien- und GmbH-Konzernrecht, 8. Aufl., Anh. § 318, Rz. 6.

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Form von nachteiligen oder schädigenden Maßnahmen unzulässig.11 Das bedeutet, dass zu unterscheiden ist: –– Fehlt es an dem nach starker Meinung erforderlichen Beschluss der Gesellschafter zur Legitimation der Konzerngründung, so muss der Geschäftsführer die Eigenständigkeit der Gesellschaft sichern und darf diese nicht schädigen. –– Auch wenn die Gesellschaft als Konzerngesellschaft gegründet ist oder nachträglich zur Konzerngesellschaft umgestaltet wurde, gilt das strikte Schädigungsverbot. Das einzuhalten, gehört in der mehrgliedrigen Konzern-GmbH ebenfalls zu den Kardinalpflichten des Geschäftsführers.12 Nur unter Beachtung dieser Vorgaben, darf der Geschäftsführer Konzerninteressen verfolgen. 3.  Auszahlungen an das herrschende Unternehmen und an Schwestergesellschaften a)  Auszahlungen bei bestehender Unterbilanz Der Geschäftsführer darf Verträge aller Art nicht nur mit den Gesellschaftern, sondern auch mit dem herrschenden Unternehmen und den Schwestergesellschaften abschließen. Es ist ihm allerdings verboten, Zahlungen an Gesellschafter zu leisten, wenn eine Unterbilanz besteht, die Zahlung folglich aus dem gebundenen Vermögen erfolgt, eine Unterdeckung vertieft oder eine Überschuldung begründet oder vertieft wird, § 30 GmbHG. Dabei ist an alle Vermögenstransfers, an nicht verzinste Darlehen, die unentgeltliche Überlassung einer Grundschuld, die unentgeltliche Nutzungsüberlassung und die Erfüllung einer Verbindlichkeit des herrschenden Unternehmens, sei es, dass es unmittelbar oder mittelbar an der Gesellschaft beteiligt ist, zu denken.13 Die Geschäftsführer haften gegenüber der Gesellschaft (§ 43 Abs. 3 GmbHG). Und sie haften gegenüber den in Anspruch genommenen Gesellschaftern (§ 31 Abs. 6 GmbHG). Der Wirklichkeit des konzerninternen Leistungsaustauschs, des Zahlungsund Kreditverkehrs, etwa im Rahmen des konzerneigenen Cash Poolings, wird dies allerdings vielfach nicht gerecht. Eine isolierte Erfassung und Bewertung einer großen Zahl von konzerninternen Vertragsbeziehungen lässt sich nämlich nicht oder allenfalls mit größtem Aufwand durchführen. Deshalb wird die Ansicht vertreten,14 dass das für die konzernfreie Gesell  Liebscher, in MüKo, GmbHG, 2. Aufl., § 13 Anh., Rz. 391.   Altmeppen in Roth/Altmeppen, GmbHG, 8. Aufl., Anh. § 13, Rz. 142; Hommelhoff, ZGR 2012, 535, 554. 13   Zu weiteren Beispielen siehe Verse in Scholz, GmbHG, 12. Aufl., § 30, Rz. 21. 14   Hommelhoff, ZGR 2012, 535, 539, 544; Lutter/Hommelhoff in Lutter/Hommelhoff, GmbHG, 19. Aufl., Anh. zu § 13, Rz. 14. 11 12

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schaft bestehende Vollwertigkeits- und Deckungsgebot für Einzelmaßnahmen konzernspezifisch fortzuentwickeln sei. Die Einhaltung des Gebots sei im Konzern nicht auf die einzelnen Maßnahmen anzuwenden. Vielmehr sei ein ausgleichendes Gesamtsystem des konzerninternen Leistungsaustauschs zu entwickeln. Für die Ausgestaltung entsprechender Systeme seien die Geschäftsführer der Tochter- und Enkelgesellschaften zuständig und verantwortlich.15 Ein in dieser Weise fortentwickeltes Recht der konzernspezifischen Kapitalhaltung ist allerdings bisher im Gesetz nicht abgebildet. Es entspricht nicht dem geltenden Recht. Die höchstrichterliche Rechtsprechung geht deshalb, soweit ersichtlich, von einer Einzelbetrachtung aus.16 Und daran sollte sich auch der Geschäftsführer einer Tochtergesellschaft orientieren; denn er ist nicht nur mit der Rechtsunsicherheit über die weitere Fortentwicklung des Rechts der Kapitalerhaltung belastet, sondern auch rechtstatsächlich mit dem Risiko der Ausgestaltung eines entsprechenden ausgleichenden Gesamtsystems. Verlangt wird nämlich zu diesem Zweck ein Rahmenvertrag, der Aufwand und Ertrag berücksichtigt und zwar in der Weise, dass das Tochtervermögen im definierten Zeitraum trotz möglicher Schwankungen ungeschmälert erhalten werde. Das bedeutet aber, wenn man diesen Ansatz aufgreift, dass man eine zeitweise Unterdeckung akzeptiert. Und folgerichtig in diesem Zeitraum weder Ansprüche gegen die Gesellschafter noch Ansprüche gegen den Geschäftsführer entstehen. Das ist nach geltendem Gesetzes- und Richterrecht ein hochrisikoreiches Unterfangen für den Geschäftsführer der Tochter-GmbH. Der Tochtergesellschaft seien zwar die notwendigen Informationen zu geben, um die Entwicklung kontrollieren und nachsteuern zu können. Der Referenzzeitraum für den Gesamtausgleich wird aber auf ein ganzes Jahr ausgedehnt. Die notwendigen Kontrollen seien mindestens, man könnte auch sagen nur, alle drei Monate durchzuführen. Mit dem geltenden Recht ist dies nur schwerlich zu vereinbaren. Rechtspolitisch ist der Gedanke naheliegend. Dem Geschäftsführer der Tochtergesellschaft kann man aber bis auf weiteres nur abraten, sich auf solche rechtspolitischen Vorschläge einzulassen. Trotz aller praktischen Probleme hat der Geschäftsführer bei jeder einzelnen Maßnahme zu prüfen, ob sie bei der Gesellschaft zu einer Unterdeckung führt. Bei einer solchen Einzelbetrachtung gilt – um dies am Beispiel eines Darlehens an das herrschende Unternehmen zu verdeutlichen – das Folgende: Der Geschäftsführer verletzt seine Pflicht nicht, wenn er dem unmittelbar oder mittelbar beteiligten herrschenden Unternehmen bei bestehender Unterbilanz ein Darlehen gewährt, wenn es marktüblich verzinst und der 15   Lutter/Hommelhoff in Lutter/Hommelhoff, GmbHG, 19. Aufl. Anh. zu § 13, Rz. 16, § 30, Rz. 37. 16   Ebenso etwa Emmerich in Scholz, GmbHG, 12. Aufl., Anh. § 13, Rz. 81; Altmeppen in Roth/Altmeppen, GmbHG, 8. Aufl., § 30, Rz. 112; Strohn, DB 2014, 1535, 1539.

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Rückzahlungsanspruch im Augenblick der Auszahlung vollwertig ist.17 Maßstab ist dafür eine vernünftige kaufmännische Betrachtung. Fehlt es jedoch an den genannten Voraussetzungen, verletzt der Geschäftsführer seine Pflichten und er macht sich schadensersatzpflichtig, auch wenn man bei einer zeitlich eingegrenzten Gesamtbetrachtung einen Ausgleich vornehmen könnte. Ist der Rückzahlungsanspruch erst nach der Auszahlung nicht mehr gesichert, so wird dies nicht als eine nach § 30 GmbHG verbotene Auszahlung gewertet.18 Wenn aber – und damit verlängert sich die Pflicht des Geschäftsführers – in der Folgezeit ein erhöhtes Risiko der Uneinbringlichkeit entsteht, muss der Geschäftsführer eine Nachbesicherung verlangen oder das Darlehen gegebenenfalls fristlos kündigen.19 Um das sicherzustellen, hat er fortlaufend die Einbringlichkeit des Darlehens zu kontrollieren. In der Regel dürfte dies allerdings keine in Person durch den Geschäftsführer wahrzunehmende Pflicht sein. Zwar gehören die Implementierung eines wirksamen Compliance-Systems und deren fortlaufende Überwachung zu den nicht delegierbaren Aufgaben der Geschäftsführer. Die einzelne Maßnahme im Rahmen der Compliance-Organisation ist aber in der Regel auf Mitarbeiter übertragbar.20 Dabei spricht § 30 GmbHG zwar nur von Zahlungen an Gesellschafter, entsprechendes gilt aber auch für mittelbar „qualifiziert mehrheitlich“ beteiligte Gesellschafter und deren Tochtergesellschaften, also Schwestergesellschaften.21 Ausreichend soll im mehrstufigen Konzern sein, dass auf jeder Stufe mindestens eine 50%ige Beteiligung besteht.22 Im faktischen Konzern könnte bei Ausübung einheitlicher Leitung auch eine geringere Beteiligung ausreichen. Letzteres ist allerdings nicht höchstrichterlich geklärt. Stellt die Tochtergesellschaft für ein dem herrschenden Unternehmen von einem Dritten gewährten Kredit eine Sicherheit, so trägt die Tochtergesellschaft das Insolvenzrisiko des herrschenden Unternehmens für das gewährte Darlehen. Gewiss, die Tochtergesellschaft hat zwar einen Freistellungsanspruch. Dieser Anspruch ist aber in der Insolvenz des herrschenden Unternehmens wertlos. Daraus ergibt sich, entsprechend der Gewährung eines Darlehens, das Folgende: Auch bereits die Stellung der Sicherheit und nicht etwa erst die Inanspruchnahme, ist im Lichte des § 30 GmbHG zu werten.   BGH v. 01.12.2008 – II ZR 102/07, BGHZ 179, 71.   Begr. MoMiG, BT-Druck 16/6140, S. 41; BGH, GmbHR, 2009, 199, 202; Habersack in Ulmer/Habersack/Löbbe, GmbHG, 2. Aufl., § 30, Rz. 108; Verse in Scholz, GmbHG, 12. Aufl., § 30, Rz. 88. 19   BGH, GmbHR, 2009, 199. 20   LG München I., DB 2014, 766, 770; Spindler in MüKo, AktG, 4. Aufl., 2014, § 76, Rz.14 f., 18; Kleinert in FS Baums, 2017, S. 669, 678. 21   BGH, WM 2004, 1798; BGH, WM 2008, 1164; BGH, WM 2012, 843 = WuB II, L., § 30 GmbHG 1.12 mit Anm. Hans F. Müller; Born, WM Sonderbeil. 1/2013, 15. 22   Ekkenga in MüKo, GmbHG, 2. Aufl., § 30, Rz. 179. 17 18

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In seiner Entscheidung vom 21.03.2017 hat der II. Senat des BGH23 entschieden, maßgebend sei für die Frage, ob eine Auszahlung vorliege, bei einer dinglichen Sicherheit der Zeitpunkt der Bestellung und nicht der der nachfolgenden Verwertung. Der Geschäftsführer hat somit zwei Aufgaben. Er hat erstens zum Zeitpunkt der Stellung der Sicherheit das Ausfallrisiko zu prüfen und zu klären, ob der Freistellungsanspruch gegen das herrschende Unternehmen vollwertig ist. Das ist gewiss keine ganz leichte Aufgabe.24 Sie kann aber in der Regel delegiert werden. Der Geschäftsführer hat zweitens die Aufgabe, die Vermögensverhältnisse des Gesellschafters bzw. des herrschenden Unternehmens fortlaufend zu beobachten. Zwar entsteht der Anspruch nach § 30 GmbHG nicht, wenn die Unterbilanz erst später entsteht. Bei einer Verschlechterung der Kreditwürdigkeit hat er aber auf die Stellung von weiteren Sicherheiten oder auf die Freigabe der gestellten Sicherheit zu drängen. Andernfalls macht er sich schadensersatzpflichtig. Man kann sich vorstellen, in welcher ganz schwierigen Lage sich der Geschäftsführer befindet, der einerseits vom Wohlwollen des herrschenden Unternehmens abhängig ist und andererseits verlangt, dass weitere Sicherheiten gestellt werden. b)  Zahlungen aus dem freien Vermögen Der Geschäftsführer verletzt aber u.U. nicht nur seine Pflichten bei Zahlungen aus dem gebundenen Vermögen, sondern auch bei Zahlungen aus dem freien Vermögen. Zu denken ist auch in diesem Fall an direkte Vermögensübertragungen, aber auch an Verträge ohne angemessene Gegenleistung und die Weitergabe von Know-how.25 Zur Sicherung der Gleichbehandlung aller Gesellschafter dürfen nur, wenn ein Beschluss der Gesellschafter vorliegt, Zahlungen an einzelnen Gesellschafter erfolgen. Anders formuliert: Verdeckte Gewinnausschüttungen durch den Geschäftsführer an einzelne Gesellschafter sind, auch wenn sie aus dem freien Vermögen erfolgen, unzulässig.26 Das gilt auch im Konzern für Zahlungen an das unmittelbar oder mittelbar beteiligte herrschende Unternehmen oder Schwestergesellschaften. Die verdeckte Leistung ist nicht nur an die Tochtergesellschaft zurück zu gewäh-

  BGH, GmbHR 2017, 643, sowie dazu Verse, GmbHR 2018, S. 113.   Verse GmbHR, 2018, S. 113. 25   Sven H. Schneider, Informationspflichten und Informationssystemeinrichtungspflichten im Aktienkonzern, 2006, S. 186; Mader, Der Informationsfluss im Unternehmensverbund, 2016, S. 386. 26   Verse in Scholz, GmbHG, 12. Aufl., § 29, Rn. 119; Lutter/Hommelhoff in Lutter/ Hommelhoff, GmbHG, 19. Aufl., § 29, Rz. 49; a.A. BGH v. 23.06.1997 – II ZR 220/95, GmbHR 1997, 790, 791. 23 24

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ren. Vielmehr macht sich auch der beteiligte Geschäftsführer gegenüber der Gesellschaft schadensersatzpflichtig, etwa wenn der begünstigte Gesellschafter nicht in der Lage ist, den gewährten Vorteil herauszugeben. Zu denken wäre auch an eine Pflicht zum Schadensersatz gegenüber den anderen Gesellschaftern, sprich den Minderheitsgesellschaftern, die übergangen wurden. Dagegen spricht jedoch, dass dem Geschäftsführer nur Pflichten im Verhältnis zur Gesellschaft, nicht aber im Verhältnis zu den Gesellschaftern, obliegen.27 4. Konzernumlagen Im Konzern können einzelne Funktionen und Dienstleistungen beim herrschenden Unternehmen oder bei einer Tochtergesellschaft zusammengefasst sein. Dazu gehört die konzernweite Zusammenfassung der Datenverarbeitung, der Rechnungslegung, der Personalverwaltung, der konzernweiten Compliance, der Rechtsberatung, der Werbung und anderes mehr. Aufgabe des Geschäftsführers ist es zu fragen, ob eine solche konzernweite Zusammenfassung aus der Sicht der Tochtergesellschaft Sinn macht und die aufgrund hiervon durch die Tochtergesellschaft zu leistende Umlage dem Grunde und der Höhe nach gerechtfertigt ist. Ob Konzernumlagen eine nach § 30 GmbHG unzulässige verdeckte Gewinnausschüttung oder eine verbotene Zahlung aus dem freien Vermögen darstellen, verlangt eine genauere Betrachtung.28 Zu vielfältig sind nämlich die Praxis und die Phantasie der Konzernfinanzierer. Nicht umlagefähig, oder anders formuliert, eine nachteilige Maßnahme zu Lasten der Tochtergesellschaft, ist das Verlangen nach Erstattung der Kosten für die Konzernleitung, für die Gehälter der geschäftsführenden Organmitglieder und die Vergütung der Aufsichtsratsmitglieder des herrschenden Unternehmens, also die Kosten der Konzernüberwachung, aber auch die Kosten der Konzernmitbestimmung und der Konzernrechnungslegung.29 Solche Kosten entstehen grundsätzlich nicht aufgrund von Maßnahmen, die zumindest auch im Interesse der Tochtergesellschaften sind. Der Geschäftsführer darf daher hierfür keine Zahlungen an das herrschende Unternehmen leisten. Zulässig ist eine Umlage aber dann, wenn die Tochtergesellschaft einen gleichwertigen Vorteil aus den vom herrschenden Unternehmen erbrachten 27   Ebenso im Ergebnis, wenn auch mit anderer Begründung: Lutter/Hommelhoff in Lutter/Hommelhoff, GmbHG, 19. Aufl., § 29, Rz. 56; M. Winter ZHR 148 (1984), 595, 597, 599. 28   Zu allgemein: Liebscher in MüKo GmbHG, § 13 Anh., Rz. 250. 29   Ebenso für die verbundene AG: Altmeppen in MüKo, AktG, 4. Aufl., § 311, Rz. 280; Wiedemann/Fleischer in Lutter/Scheffler/Uwe H. Schneider, Handbuch der Konzernfinanzierung, 1998, § 29, Rz. 25 ff.; Habersack in Emmerich/Habersack, Aktien- und GmbHKonzernrecht, 8. Aufl., § 311, Rz. 49; Müller in Spindler/Stilz/Müller, AktG, 3. Aufl., § 311, Rz. 45; Grigoleit in Grigoleit, AktG, § 311, Rz. 41.

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Serviceleistungen zieht. Umlagefähig sind daher alle Arten von Kosten, aufgrund der beim herrschenden Unternehmen zusammengefassten Beratungsleistungen, wie etwa die gemeinsame Datenverarbeitung und die konzernweite Rechtsberatung. Bei der konzernweiten Forschung ist die Frage nach der Umlagefähigkeit davon abhängig, ob die Forschung auch dem Tochterunternehmen dient. Wenn daher der Geschäftsführer für Maßnahmen, die auch für die Tochtergesellschaften von Nutzen sind, anteilige Zahlungen leistet, so ist dies nicht pflichtwidrig. Das Entsprechende gilt für die Kosten für die konzernweite Compliance, die Überwachung des Zahlungsverkehrs im Kampf gegen Geldwäsche und die konzernweite Werbung. 5.  Compliance bei der Tochtergesellschaft Es ist selbstverständlich, dass sich der Geschäftsführer selbst an Recht und Gesetz halten muss. Zu den Aufgaben des Geschäftsführers gehört es aber gesellschaftsrechtlich, deliktsrechtlich, ordnungswidrigkeitenrechtlich, und gegebenenfalls strafrechtlich, auch dafür zu sorgen, dass sich die Gesellschaft und ihre Mitarbeiter rechtmäßig verhalten. Das gilt auch für den Geschäftsführer einer Tochtergesellschaft. Er hat zu diesem Zweck Mitarbeiter über entsprechende Gebote und Verbote zu informieren, sie zu überwachen und im Zweifel zu sanktionieren. Im Konzern gehört darüberhinaus zu den Aufgaben der Konzernleitung, Verletzungen von Recht und Gesetz konzernweit zu verhindern. Die Konzernleitung muss alle geeigneten und zumutbaren Maßnahmen ergreifen, um auch bei dem beherrschten Konzernunternehmen rechtmäßiges Verhalten der Mitarbeiter sicherzustellen.30 Das gilt nach nationalem Recht, ist aber auch internationaler Trend. Das bedeutet nicht, dass der Geschäftsführer der Tochtergesellschaft von seinen Compliance Pflichten befreit ist. Freilich beschränkt sich seine Aufgabe seinerseits auf die Überwachung der entsprechenden Tätigkeit durch das herrschende Unternehmen. Nur soweit das herrschende Unternehmen nicht tätig wird, muss er eingreifen. Er hat stichprobenartig zu ermitteln, ob die Aufgaben durch das herrschende Unternehmen auch angemessen wahrgenommen werden. Geht man hiervon aus, so folgen daraus auch Informationsrechte gegenüber dem herrschenden Unternehmen. Die Einzelheiten sollen hier nicht weiter vertieft werden. Die jüngste Entwicklung der konzernweiten Organisationspflichten wird an anderer Stelle noch ausführlicher zu analysieren sein. 30   Liebscher in MüKo, GmbHG, 13. Aufl., § 13 Anh., Rz. 233; Uwe H. Schneider/Sven H. Schneider, ZIP 2007, 2061; Uwe H. Schneider, NZG 2009, 1321; Verse, ZHR, 175 (2011) 401; Fleischer, CCZ 2008, 1, 3; Lutter in FS Goette, 2011, S. 289, 291; Beurskens in Baumbach/Hueck, GmbHG, 21. Aufl., Anhang GmbH-KonzernR, Rz. 60; abweichend: Hüffer in FS Goette, 2011, S. 299, 306.

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6.  Folgepflicht bei nachteiligen Weisungen der Gesellschafterversammlungen? a)  Folgepflicht bei unzweckmäßigen Maßnahmen Im Unterschied zum Vorstand der Aktiengesellschaft leitet der Geschäftsführer der GmbH das Unternehmen nicht in eigener Verantwortung. Vielmehr kann die GmbH-Gesellschafterversammlung dem Geschäftsführer in allen Bereichen der Unternehmensleitung (rechtmäßige) Weisungen erteilen. Der Geschäftsführer seinerseits ist verpflichtet, diesen Weisungen zu folgen.31 Das gilt auch, wenn er die Maßnahmen nicht für zweckmäßig hält; denn über die Zweckmäßigkeit entscheiden allein die Gesellschafter.32 Dies gilt auch im faktischen Konzern. Dabei unterliegt das herrschende Unternehmen aber einer umfassenden Stimmrechtsbeschränkung33 und zwar einerseits bei Beschlüssen über Rechtsgeschäfte zwischen dem herrschenden Unternehmen oder Schwestergesellschaften („Es gibt kein Konzernprivileg“)34 und der Tochtergesellschaft. Andererseits besteht nach herrschender Meinung ein Stimmverbot bei allen Beschlüssen, die sich auf Geschäftsmaßnahmen erstrecken, die einen Bezug zum herrschenden Unternehmen aufweisen.35 Nach anderer Ansicht36 bedürfen konzernleitende Beschlüsse der Gesellschafterversammlung der Zustimmung aller Gesellschafter. Das führt in der Praxis meist zum selben Ergebnis. Das bedeutet keineswegs das Ende der Konzernierung bei der GmbH, insbesondere das Ende der Konzernleitung durch Weisungen der Gesellschafterversammlung; denn erstens, gibt es eine Vielzahl von Maßnahmen, bei denen ein solcher Bezug fehlt und zweitens kann bei zulässiger Konzernierung das Stimmverbot des herrschenden Unternehmens in der Satzung ausgeschlossen oder modifiziert werden. Es gehört zu den Aufgaben verantwortlicher Satzungsgestaltung bei Gründung des GmbH-Konzerns, auf eine entsprechende Regelung, nämlich die Freistellung vom Stimmverbot für das herrschende Unternehmen in der Satzung hinzuwirken.37 Im Übrigen wird deutlich, dass eine mehrgliedrige   Lutter, GmbHR 2000, 301, 304.   OLG Frankfurt v. 07.02.1997 – 24 U 88/95, ZIP 1997, 450; Drescher, Die Haftung des GmbH-Geschäftsführers, 7. Aufl., S. 49. 33   Altmeppen in Roth/Altmeppen, GmbHG, 8. Aufl., Anh. § 13, Rz. 146 („§ 47 IV 2 ist die „Kardinalnorm“ für das GmbH-KonzernR“), 149; Habersack in Emmerich/Habersack, Aktien- und GmbH-Konzernrecht, 8. Aufl., Anh. § 318, Rz. 26; Uwe H. Schneider, ZHR, 150 (1986), 609, 631; a.A. Hommelhoff, ZGR 2012, 535, 563; Schnorbus in Rowedder/ Schmidt-Leithoff, § 52 Anh., Rz. 55; Ekkenga, Der Konzern, 2015, 409, 412. 34   Hüffer/Schürnbrand in GroßKomm-GmbHG, 2. Aufl., § 47, Rz. 170. 35   Altmeppen in Roth/Altmeppen, GmbHG, 8. Aufl., Anh. § 13, Rz. 137; Uwe H. Schneider in FS Hoffmann-Becking, 2013, S. 182. 36   Emmerich in Scholz, GmbHG, 11. Aufl., Anh. § 13, Rz. 72. 37   Zur Zulässigkeit der Beseitigung von Stimmverboten in der Satzung: Hüffer/Schürnbrand in GroßKomm-GmbHG, 2. Aufl., § 47, Rz. 199 ff. 31 32

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GmbH nur im Konsens aller Gesellschafter faktisch konzerniert werden kann. Ist die Satzung der GmbH an die Konzernlage angepasst und unterliegt das herrschende Unternehmen keinem Stimmverbot, kann und darf das herrschende Unternehmen durch Beschluss der Gesellschafterversammlung Maßnahmen der Konzernleitung durchsetzen. Das gilt für die Leitlinien der Konzernpolitik, für die Konzernfinanzierung, aber auch etwa für den Einkauf, den Vertrieb usw. Und das herrschende Unternehmen kann konzernleitende Einzelmaßnahmen durch Beschluss der Gesellschafterversammlung anweisen. Die Entscheidung über die Zweckmäßigkeit der Maßnahmen liegt allein bei der Gesellschafterversammlung und nicht beim Geschäftsführer. Der Geschäftsführer hat auch Maßnahmen umzusetzen, die er selbst für wenig zweckmäßig hält.38 b)  Keine Folgepflicht und kein Folgerecht bei rechtswidrigen Weisungen Weisungen der Gesellschafterversammlung sind aber nur in Übereinstimmung mit Gesetz und Satzung zulässig. Beschlüsse, die Weisungen an Geschäftsführer enthalten, die zwingenden Vorschriften des Steuer- und Abgabenrechts, des Bilanz-, Kartell- oder Umweltrechts usw. widersprechen, sind nichtig und unwirksam39. Für den Geschäftsführer besteht keine Folgepflicht. Wenn er gleichwohl entsprechende Weisungen ausführt, macht er sich, wenn er vorsätzlich oder fahrlässig handelt, gegenüber der Gesellschaft schadensersatzpflichtig.40 c)  Folgepflicht bei verdeckten Gewinnausschüttungen Unzulässig sind u.a. auch Weisungen, die zwingenden Vorschriften des Gesellschaftsrechts widersprechen. Zu denken ist insbesondere an Weisungen zu Maßnahmen, die zu Zahlungen aus den gebundenen Vermögen an das herrschende Unternehmen oder an Schwestergesellschaften führen. Solche Gesellschafterbeschlüsse sind nichtig. Für den Geschäftsführer besteht keine Folgepflicht. Wenn er gleichwohl entsprechende Zahlungen leistet, macht er sich gegenüber der Gesellschaft schadensersatzpflichtig. Problematisch sind Weisungen, Maßnahmen vorzunehmen, die eine verdeckte Gewinnausschüttung aus dem freien Vermögen vorsehen. Zu denken ist an Verträge mit dem herrschenden Unternehmen, ohne angemessene Gegenleistung. Dabei ist einerseits zu bedenken, dass das herrschende Unternehmen einem Stimmverbot unterliegt, wenn es nicht in der Satzung frei  A.A. wohl Zöllner/Noack in Baumbach/Hueck, GmbHG, 21. Aufl., § 37, Rz. 24.   BGHZ, 31, 258, 2278; Zöllner/Noack in Baumbach/Hueck, GmbHG, 21. Aufl., § 37, Rz. 22; Stephan/Tieves in MüKo, GmbHG, 2. Aufl., § 37, Rz. 34. 40   Uwe H. Schneider in Scholz, GmbHG, 11. Aufl., § 43, Rz. 127. 38 39

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gestellt ist, und andererseits die Gesellschaft geschädigt wird. Der entsprechende Beschluss der Gesellschafterversammlung ist, wenn das Stimmverbot abbedungen ist, nur anfechtbar. Da der Geschäftsführer damit rechnen muss, dass der Beschluss in der Folge angefochten wird, besteht jedenfalls vor Ablauf der Anfechtungsfrist keine Folgepflicht.41 Der Geschäftsführer verletzt nicht seine Pflichten, wenn er nach sorgfältiger Abwägung im Blick auf eine wahrscheinliche Anfechtung den Beschluss nicht ausführt oder im Gegenteil mit Blick auf das Interesse der Gesellschaft den Beschluss trotz Anfechtbarkeit ausführt.42 Es bleibt den Minderheitsgesellschaftern überlassen, den Beschluss anzufechten. 7.  (Mit-) Haftung des Geschäftsführers bei der Existenzvernichtungshaftung In der Entscheidung vom 16.07.2007 hat der II. Senat des BGH43 sich vom „qualifizierten faktischen Konzern“ verabschiedet und in Anknüpfung an § 826 BGB in dem planmäßigen Entzug von Gesellschaftsvermögen, das der vorrangigen Befriedigung der Gesellschaftsgläubiger dient,44 die Haftung der Gesellschafter im Verhältnis zur Gesellschaft gesehen. Es handelt sich dabei (nur) um eine reine Innenhaftung und nicht (auch) um eine Haftung im Verhältnis zu den Gläubigern der Gesellschaft. Damit stellt sich die Frage, ob auch der Geschäftsführer der Tochtergesellschaft und der Geschäftsführer des herrschenden Unternehmens bei einem relevanten Unterstützungsbeitrag als Anstifter oder Gehilfe gem. § 830 Abs. 2 BGB an dem existenzvernichtenden Eingriff teilnehmen und als Gesamtschuldner haften kann. Als Täter kommen die Geschäftsführer nicht in Betracht.45 Im Übrigen ist bei näherer Betrachtung zu unterscheiden: An anderer Stelle46 ist gezeigt worden, dass die besseren Argumente „gegen eine – faktisch automatische – Mithaftung des Geschäftsführers des Gesellschafters und des herrschenden Unternehmens sprechen. Es fehlt nämlich an einem eigenen Gehilfenbeitrag,

41   Zöllner/Noack in Baumbach/Hueck, GmbHG, 21. Aufl., § 37, Rz. 23; Stephan/Tieves in MüKo, GmbHG, 2. Aufl., § 37, Rz. 122; Uwe H. Schneider in Scholz, GmbHG, 11. Aufl., § 43, Rz. 31. 42   Fleischer in MüKo GmbHG, 2. Aufl., § 43, Rz. 278. 43   BGH v. 16.07.2007 – II ZR 3/04, BGHZ 173, 246, 252 („Trihotel“); BGHZ 176, 204 („Gamma“); kritisch Bayer in Lutter/Hommelhoff, GmbHG, 19. Aufl., § 13, Rz. 46; zum Stand der Diskussion: Altmeppen in Roth/Altmeppen, GmbHG, § 13, Rz. 77. 44   Zu den Fallgruppen: Schnorbus in Rowedder/Schmidt-Leithoff, GmbHG, Anh. § 52, Rz. 72; Altmeppen in Roth/Altmeppen, GmbHG, 8. Aufl., § 13, Rz. 83. 45   Altmeppen in Roth/Altmeppen, GmbHG, 8. Aufl., § 13, Rz. 105. 46   Sven H. Schneider in FS Uwe H. Schneider, 2011, S. 1177.

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weil der Geschäftsführer nur als Organ des Gesellschafters handelt.47 Er haftet danach nicht gegenüber der Tochtergesellschaft; denn die Tochtergesellschaft ist Dritter und nicht im Anwendungsbereich der Innenhaftung. Die Einzelheiten sind streitig. Anders ist die Lage wohl für den Geschäftsführer, der von der Existenzhaftung bedrohten Tochtergesellschaft. Wenn er an dem planmäßigen Entzug von Gesellschaftsvermögen mitwirkt, ist er nach herrschender Meinung zumindest Gehilfe, verletzt seine Pflichten gegenüber seiner eigenen Gesellschaft und haftet – auch – nach § 826 BGB.48

V.  Die Pflichten des Geschäftsführers einer Tochtergesellschaft im Verhältnis zu herrschenden Unternehmen Ob dem Geschäftsführer der Tochtergesellschaft auch Pflichten im Verhältnis zum herrschenden Unternehmen obliegen, ist umstritten, allerdings wenig diskutiert. Unter dem Stichwort „Konzerndimensionalität der Organpflichten“ wird in erster Linie gefragt, ob dem Geschäftsführer des herrschenden Unternehmens auch im Verhältnis zu den Tochtergesellschaften Leitungs- und Treuepflichten obliegen. Immerhin könnte man an die Rechtsprechung zu den Leitungspflichten des Geschäftsführers der Komplementär-GmbH im Verhältnis zur KG anknüpfen.49 Hier geht es aber um den umgekehrten Fall. Dabei dürfte es unstreitig sein, dass dem Geschäftsführer der Tochtergesellschaft keine Pflichten zur Unternehmensleitung gegenüber dem herrschenden Unternehmen auferlegt sind.50 Folgt man aber der Ansicht, dass im Verhältnis der Konzerngesellschaften zueinander eine Sonderverbindung besteht, so gilt es nicht nur im Verhältnis des herrschenden Unternehmens zu den Tochtergesellschaften, sondern auch umgekehrt im Verhältnis der Tochtergesellschaften zum herrschenden Unternehmen. Entsprechend hat der Geschäftsführer des Tochterunternehmens die Muttergesellschaft in vielfältiger Weise zu unterstützen, damit das herrschende Unternehmen seine Pflichten zur Konzernrechnungslegung, zur Konzernmitbestimmung und zur Wahrnehmung seiner kapitalmarktrechtlichen Pflichten erfüllen kann.51   Sven H. Schneider in FS Uwe H. Schneider, 2011, S. 1177; a.A. Bayer/Lieder, WM 2006, 1, 8; Vetter, BB 2007, 1965, 1969; Bayer in Lutter/Hommelhoff, GmbHG, 19. Aufl., § 13, Rz. 44; Altmeppen in Roth/Altmeppen, GmbHG, 8. Aufl., § 13, Rz. 105. 48  Ebenso Bayer in Lutter/Hommelhoff, GmbHG, 18. Aufl., § 13, Rz. 44; Emmerich in Scholz, GmbHG, 11. Aufl., Anh. § 13, Rz. 184. 49   Siehe etwa BGH v. 10.02.1992 – II ZR 23/91, GmbHR 1992, 303. 50   Kuntz, Der Konzern, 2007, 802, 809. 51   Siehe exemplarisch für die konzernweiten kapitalmarktrechtlichen Pflichten: Uwe H. Schneider in Assmann/Uwe H. Schneider, WpHG, 6. Aufl, § 21, Rz. 143. 47

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Pflichtwidrig im Verhältnis zum herrschenden Unternehmen dürfte auch sein, eine Wettbewerbstätigkeit aufzunehmen oder Geschäftschancen, die dem herrschenden Unternehmen zustehen, an sich zu ziehen.52

VI. Ausblick In diesem Beitrag ging es nicht darum, das Recht der Haftung der Organmitglieder von Konzernunternehmen auf neue Beine zu stellen. Ziel war es vielmehr, die Konzernsachverhalte für den Geschäftsführer der beherrschten GmbH zu ordnen, zu zeigen, um welche Sachverhalte es geht und auf die Haftungsrisiken aufmerksam zu machen.

52   Siehe dazu Uwe H. Schneider/Burgard in FS Ulmer, 2003, S. 579, 580; Tröger, Treupflicht im Konzernrecht, 2000, S. 37 ff.

Online-Registrierung von Gesellschaften

The long and winding road to the online registration of companies Ulrich Seibert I.  Von der SPE zur SUP Die von der Kommission im Jahr 2008 vorgeschlagene1 Europäische Privatgesellschaft (SPE) ist sanft entschlafen. Die Kommission hat den Vorschlag still und leise zurückgezogen.2 Da half es auch nicht, dass im Koalitionsvertrag für die 18. Wahlperiode die Wiederbelebung der SPE gefordert wurde.3 Es half auch nicht, dass der große Hommelhoff der Kommission das Recht absprach, den Vorschlag einfach so zurückzunehmen.4 Es hatte sich im jahrelangen Brüsseler Verhandlungsprozess einfach als zu hinderlich erwiesen, dass die SPE als supranationale Rechtsform Einstimmigkeit im Rat erforderte. Die Kommission hat sich deshalb auf einen trickreichen Weg verlegt: Mit dem Vorschlag für eine Richtlinie über Gesellschaften mit beschränkter Haftung mit einem einzigen Gesellschafter vom 9.4.20145 stellte sie die SUP6 vor, keine supranationale Rechtsform, sondern eine Harmonisierung des nationalen Rechts der Einpersonengesellschaft (bei uns also Einpersonen-GmbH), und für eine solche Harmonisierungsrichtlinie gilt das Mehrheitsprinzip. Dieser Entwurf enthielt Vorschläge u.a. zum Haftkapitalsystem (solvency test) und zur Online-Registrierung mit Mustersatzung von 1   Vorschlag für eine VO des Rates über das Statut der Europäischen Privatgesellschaft (KOM (2008) 396 endgültig vom 25.6.2008). 2  Die Rücknahme wurde im Anhang der Mitteilung „Effizienz und Leistungsfähigkeit der Rechtssetzung (REFIT): Ergebnisse und Ausblick“ (COM (2013) 685 final vom 2.10.2013, S. 10) angekündigt. 3   Koalitionsvertrag zwischen CDU, CSU und SPD zur 18. Legislaturperiode, S. 25. Im KoalV für die 19. Wahlperiode findet sich dasselbe Begehren von neuem, und die Bundesregierung wird sich natürlich mit Macht und Ernst dafür einsetzen, die Kommission zu einem Einlenken zu bewegen. 4   Hommelhoff GmbHR 2014, 177 ff. 5   COM(2014) 212 final vom 9.4.2014. 6  Umfassende Darstellung der Entwicklung bis zur gemeinsamen Ausrichtung vom 28. Mai 2015: Kindler The Single-Member Limited Liability Company (SUP), München 2016; ebenso ZHR 179 (2015) 330–384; Societas Unius Personae (SUP) Lutter/Koch (Hrsg.) ZGR Schriftenreihe 1, 2015; Moench Die Societas Unius Personae (SUP), Dissertation Frankfurt 2016.

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Einpersonengesellschaften sowie eine ausdrückliche Zulassung der Sitzaufspaltung.

II.  Widerstand formiert sich Ein erstes und rasch organisiertes Gespräch mit dem damaligen Präsidenten der Bundesnotarkammer Dr. Starke offenbarte sofort deutliche Widerstände. Allerdings versicherte die Kommission von Anfang an, dass es Deutschland durchaus erlaubt bleibe, die Notare in den Gründungsprozess einzuschalten – gewissermaßen als Anlaufstelle der Online-Registrierung, zumal ja der Notar sodann den Eintragungsantrag ebenfalls online an das Handelsregister weitergibt.7 Notar und Handelsregister können als Einheit betrachtet werden. Für den Online-Gründer wäre das völlig gleichgültig. Hauptsache, er kann die Gründung vom Ausland aus online vollziehen und es geht schnell. Den Notaren reichte es aber nicht, Teil des Eintragungsverfahrens zu bleiben, sie beharrten auf dem persönlichen Erscheinen und der Beibehaltung des bisherigen Verfahrensablaufs. Für eine OnlineRegistrierung bestehe, so sagte man, auch gar kein praktischer Bedarf. Es folgten zahlreiche Ratsarbeitssitzungen in Brüssel. Das BMJV stellte sich von Anfang an gegen Änderungen des bewährten Haftkapitalsystems. Ein Sonderfall der GmbH mit einem ganz anderen Haftkapitalsystem und einer am britischen Recht orientierten Solvenzbescheinigung schien nicht plausibel. Die Möglichkeit der Sitztrennung war natürlich ebenfalls ein Skandalon, entspricht aber bei genauem Hinsehen dem deutschen GmbH-Recht (§ 4a GmbHG).8 Das Anliegen der Online-Registrierung wurde allerdings grundsätzlich befürwortet. In der Begründung (zu Kapitel 4) hieß es deutlich „Die Richtlinie verpflichtet die Mitgliedstaaten, ein Eintragungsverfahren anzubieten, das vollständig auf elektronischem Wege aus der Ferne abgewickelt werden kann, ohne dass der Gründer persönlich vor den Behörden des Eintragungsmitgliedstaates erscheinen muss.“9 Das war das Credo, das sich durch alle späteren Verhandlungen und Entwürfe zog, es ging vornehmlich um die grenzüberschreitende präsenzlose Gründung. Es wurde als Zumutung empfunden, dass insbesondere das deutsche Recht es dem ausländischen Gründer abverlangt, anzureisen und vor einem deutschen Notar (oder kaum weniger umständlich vor einem deutschen Konsulat im Ausland) persönlich zu erscheinen, um eine Kapitalgesellschaft zu gründen. Für die Kommission 7  Vgl. zur Anmeldung beim Handelsregister durch den Notar: Teichmann GmbHR 2018, 1 (2). 8   Zur Entstehungsgeschichte im MoMiG s. Seibert MoMiG, RWS-Dokumentation 23, S. 56 ff. 9   COM(2014) 212 final vom 9.4.2014, S. 8.

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war das ein zukunftspolitisches Vorhaben mit Signalcharakter. Am 23. Mai 2014 befasste sich das Bundesratsplenum mit dem Richtlinien-Vorschlag.10 Erster Redner war Prof. Dr. Winfried Bausback, bayerischer Justizminister, ein scharfer Gegner des Vorhabens, zumal gewohnheitsgemäß das Land Bayern sehr eng mit der Bayerischen Notarkammer zusammen zu arbeiten scheint und die Vorschläge beider sich oft inhaltlich und verbal auffallend ähneln. Er stellte massiv die Rechtsgrundlage des Artikels 50 AEUV in Frage11 und verlangte Einstimmigkeit für das Vorhaben im Rat. Außerdem forderte er die Erhebung der Subsidiaritätsrüge.12 Dies fand im Plenum allerdings keine Mehrheit und auch der Bundestag hat innerhalb der vorgesehenen Frist keine solche Rüge erhoben. Am 11. Juli 2014 befasste sich der Bundesrat erneut mit dem Vorschlag der Kommission und erneut sprach der Staatsminister als erster: „Ist SUP super? Nein, gewiss nicht, soviel möchte ich gleich vorwegnehmen.“13 Herr Parlamentarischer Staatssekretär Lange aus dem BMJV versicherte als nächster Redner, dass auf die hohen Identifikationsstandards, die wir in Deutschland haben, nicht verzichtet werde, wollte der Kommission und ihrem Vorschlag aber doch noch eine Chance geben.14 Der Bundesrat beschloss auf bayerischen Vorschlag hin eine sehr kritische Stellungnahme.15 Bayern wandte sich nun an den Bundesjustizminister, man möge eine Sperrminorität in Brüssel gegen den Vorschlag organisieren.

III.  Sperrminorität und Hintergrundgespräche Eine Sperrminorität schien aber trotz vieler Hintergrundgespräche und reger „Geheimdiplomatie“ unserer Ständigen Vertretung in Brüssel sehr unsicher. Der einzige sichere Kandidat an unserer Seite war Österreich (später kamen als Wackelkandidaten noch Belgien, Spanien, Schweden und Ungarn hinzu) – denn die anderen Mitgliedstaaten hatten zwar auch Probleme, aber meist nicht dieselben wie Deutschland. Es war auch so, dass ca. zehn Mitgliedstaaten bereits national Online-Registrierungen in unterschiedlichster Art und Weise eingeführt hatten und begeistert von ihren Erfahrungen damit berichteten. In der Folgezeit schaltete sich Bayern immer wieder ein und begleitete auch die deutsche Delegation zu den Ratsarbeitsgruppen nach Brüssel. Sie schickten einen Ländervertreter als Aufpasser im Rahmen des dem Bundesrat zustehenden Beteiligungsrechts der Länder in EU-Angelegenheiten. Der Vertreter der Bundesregierung in Brüssel hatte   23. Mai 2014, Plenarprotokoll 922 des Bundesrats, S. 157.   Erörterung bei Moench aaO S. 15 ff. 12   23. Mai 2014, Plenarprotokoll 922 des Bundesrats, S. 158. 13   11. Juli 2014, Plenarprotokoll 924 des Bundesrats, S. 246. 14   11. Juli 2014, Plenarprotokoll 924 des Bundesrats, S. 248. 15   BR-Drs. 165/14 (Beschluss) (2). 10 11

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also stets einen bayerischen Schatten hinter sich, der ihm auch bei Gesprächen mit anderen Mitgliedstaaten misstrauisch auf den Fersen blieb. Es folgten informelle und vertrauliche Gespräche zwischen der damaligen italienischen Ratspräsidentschaft,16 den Briten, den Franzosen und uns: eine Lösung schien, den Entwurf massiv zusammenzustreichen und im Wesentlichen auf die Online-Registrierung zu reduzieren. Die Kommission, vertreten durch den niederländischen Referatsleiter Hooijer,17 zeigte Interesse. Man hatte Sorge, dass die Sozialdemokraten im Europaparlament das Projekt wegen der Sitzspaltungsfrage ganz kippen würden. Der Kommission ging es in erster Linie um die Online-Registrierung als Digital-Vorzeigeprojekt, die SUP war nur das Vehikel dafür. Damit wären auch die Eingriffe in unser Haftkapitalsystem fallen gelassen. Allerdings formierte sich in Deutschland eine doppelte Front gegen die Online-Registrierung: Sie bestand aus den Notaren, die fürchteten, dass die Registrierung künftig ganz an ihnen vorbeilaufen könnte, ein Dammbruch in ihr Geschäftsmodell, und den Ländern, die fürchteten, ungeordnete Registrierungsanträge aus dem Ausland zu bekommen und neues Personal einstellen zu müssen.18 Es war rasch klar: gegen diese massive Doppelfront konnte man das Vorhaben nur durchbringen, wenn die OnlineRegistrierung wie bisher19 über den deutschen Notar zum Handelsregister laufen würde, was ja auch absolut sinnvoll ist. Und die Kommission hatte – unsere Situation erkennend – dem frühzeitig zugestimmt. Damit lagen eigentlich für Deutschland sehr gut annehmbare Ergebnisse in greifbarer Nähe. Offenbar hatten die Notarverbände von den Hintergrundgesprächen mit der Kommission aber Wind bekommen. Ebenso hatten die Bayern über ihren Sitzungsvertreter vor Ort davon erfahren. Konsequent schickte der bayerische Justizminister Prof. Bausback am 15. Januar 2015 erneut an Justizminister Maas eine Beschwerdedepesche – und zugleich nachrichtlich an alle Landesjustizverwaltungen. Dies führte dazu, dass wir in Brüssel praktisch kaum noch Verhandlungsspielraum hatten und Gefahr liefen, ohne inhaltlich weiter Einfluss nehmen zu können, überstimmt zu werden.

IV.  Kritik von allen Seiten Aber auch aus anderer Richtung kam Kritik. So fragte der Abgeordnete der Grünen, MdB Schick, ob wir denn die Gefahren der Geldwäsche nicht sähen, was jedenfalls bei Gründung von Gesellschaften ohne ausreichende 16   Unter Leitung des sehr erfahrenen und kenntnisreichen Verhandlungsführers Marcello Bianchi, zugleich Vorsitzender des Corporate Governance Committees der OECD. 17   Jeroen Hooijer BOARD 6/2015, S. 245 ff. 18  S. Seibert GmbHR 14/2014, R209, R210. 19   § 378 Abs. 3 FamFG.

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Identitätskontrolle nicht von der Hand zu weisen war.20 Um dem Ansinnen der Kommission den Boden zu entziehen, trug die Bundesnotarkammer nun (am 22. Dezember 2014) eine Alternative zur Änderung der Richtlinie vor: Der Gründer könne sich an eine öffentliche Stelle im Ausland wenden und dort eine Vollmacht erteilen, mit der dann vor dem deutschen Notar ein Vertreter den Gründungsakt vollziehe. Eine durchsichtige Strategie, nur um zu verhindern, dass ein Stein aus dem Grundsatz der Pflicht zum persönlichen Erscheinen vor dem Notar gebrochen werde. Diese Argumentation litt aber an einem inneren Widerspruch, denn wenn die Beratungsfunktion des Notars bei der Gründung zur Monstranz erhoben wird, klingt es überraschend, dass dann die Vollmachtslösung, möglicherweise mit einem Bürovorsteher des Notars21 als Vertreter, bedenkenfrei sein soll. Es ging eben um Systemerhalt. In dieser aufgeladenen Stimmung war es nicht verwunderlich, dass der Deutsche Bundestag sich in seiner Stellungnahme gem. Art. 23 Abs. 3 GG vom 7. Mai 201522 ablehnend23 zu dem Richtlinien-Vorschlag äußerte und – entsprechend dem Koalitionsvertrag und einem besonderen Herzens-Anliegen des MdB Prof. Dr. Harbarth,24 damals Mitglied des Rechtsausschusses des Deutschen Bundestages, und Prof. Hommelhoff, beide Universität Heidelberg – das Wiederaufleben der Europa-GmbH (SPE) gefordert wurde.25 Mit letzterem Ansinnen blieb die Bundesregierung allerdings erfolglos in Brüssel. Folglich ließ auch Hommelhoffs Schüler Teichmann kein gutes Haar an der armen SUP: „Die Societas Unius Personae (SUP) – das hässliche Entlein des Europäischen Gesellschaftsrechts!?“ lautete ein in Mainz am 17.12.2014 gehaltener Vortrag.26 Allerdings gab es auch Lob im Rechtsausschuss für die von uns erreichten Verhandlungserfolge bezüglich der Online-Registrierung. 20   Schriftliche Frage Nr. 12/6 und 12/7 vom 2. Dezember 2014; so dann auch im Tagesspiegel vom 9.12.2014, S. 10. 21   Soweit berufsrechtlich zulässig. 22   Stellungnahme des Bundestags, 7. Mai 2015, Plenarprotokoll 18/103 des Deutschen Bundestags, S. 9878 (9883). 23   Zum Inhalt der beschlossenen Stellungnahme: Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Recht und Verbraucherschutz, BT-Drs. 18/4843, S. 3 ff.; darin wird Kritik u.a. an der geplanten Ein-Personen-Struktur, der Identitätsüberprüfung, der Sitzaufspaltung und dem damit einhergehenden Risiko der Umgehung der Mitbestimmung geübt. 24   Er sprach in der Plenarsitzung des Bundestages vom 7.5.2015 davon, dass „wir im Deutschen Bundestag ein kraftvolles Signal aussenden gegen die SUP und zugleich ein kraftvolles Signal aussenden für die SPE“, 7. Mai 2015, Plenarprotokoll 18/103 des Bundestags, S. 9879 f. 25   Wiederum lustig, da die SPE gerade auch am deutschen Widerstand gescheitert und überhaupt nicht zu erkennen war, wie die schwarz-rote Koalition bezüglich der alten Streitfragen plötzlich zu einer völlig neuen Haltung finden sollte. 26  Wirkungsvoll und originell; schön aber auch: „Schmuddelkind des Gesellschaftsrechts“, Seibert in Teil P Sitzungsbericht über die Verhandlungen des Deutschen Juristentages 2006, P 154 (nicht zur SUP, sondern damals zu einem Limited-Imitat im deutschen Recht).

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Der Deutsche Notarverein freilich attestierte der SUP: „Sie leistet somit einen substantiellen Beitrag (...) zum Zusammenwachsen Europas zu einem multikriminellen Binnenmarkt.“27 Massive Ablehnung kam auch vom DGB u.a. mit einem Papier vom 4.11.2014: „Die Societas Unius Personae (SUP): Ein Frontalangriff auf die Mitbestimmung und seriöse Unternehmensführung“. Man befürchtete durch die Möglichkeit der Sitzaufspaltung eine Flucht deutscher Unternehmen aus der Mitbestimmung: „Ein Briefkasten in London würde dann schon ausreichen, um die Mitbestimmung im Aufsichtsrat abzuschaffen.“28 Aus einem anderen Blickwinkel, aber in ähnliche Richtung gehend kam der Protest des Hauptverbandes der Deutschen Bauindustrie (März 2015), die SUP würde die Scheinselbständigkeit erleichtern. Man hatte offenbar die Vorstellung, ausländische Arbeitnehmer würden eine SUP gründen und dann in Deutschland als Einmannbetrieb und in Wahrheit als Arbeitnehmer arbeiten. Es war schwer auszumachen, weshalb gerade die Online-Gründung einer SUP gegenüber den bisherigen Gründungsmöglichkeiten hier völlig neue Gefahren bringen sollte. Man bat den Bedenkenträger, doch nochmal nachzudenken. Zusätzlich brachen aber am Fall der SUP auch noch Differenzen zwischen den anglo-amerikanischen und den kontinentaleuropäischen Rechtstraditionen auf.29 Insgesamt hatte sich eine idiosynkratische Angst vor der SUP in die Gemüter gefressen. Bundesminister Maas schrieb sehr kritische Worte an die zuständige Justizkommissarin Vera Jourová, bei denen man nur vermuten kann, dass sie auch an die Kritiker im Inland gerichtet waren. Nur der BDI positionierte sich deutlich positiver.30 In Brüssel erreichte derweil die deutsche Delegation eine Streichung der ausdrücklichen Regelung der Zulässigkeit der Sitzaufspaltung. Sie verhandelte ferner die Möglichkeit in den Entwurf, die Online-Registrierung aus dem Ausland heraus im Wege der Kombination einer Videokonferenz zu einem deutschen Notar und eines elektronischen Identifizierungsmittels durchführen zu dürfen. Dieses Ergebnis wurde in enger Abstimmung mit der Bundesnotarkammer und ihrem neuen Präsidenten Dr. Bormann31 erzielt, der sehr rasch verstanden hatte, dass Betonköpfigkeit und ein bloßes „njet“ nicht ausreichen würden und die Interessen der deutschen Notare und das System vorsorgender Rechtspflege mit hohen Qualitätsstandards am besten 27   Deutscher Notarverein e.V., Stellungnahme vom 30.4.2014 zum Entwurf einer Richtlinie über Gesellschaften mit beschränkter Haftung mit einem einzigen Gesellschafter, COM(2014) 212 final vom 9.4.2014. 28   Das Urteil des EuGH in Sachen Polbud (Rs. C-106/16) vom 25.10.2017 will nun aber genau das erreichen; wegen des BREXIT wird freilich ein Briefkasten in London nicht mehr erste Wahl sein. 29   Vgl. hierzu Teichmann GmbHR 1/2018, 1 (5). 30   Göhner/Kerber Schreiben vom 27. Februar 2015. 31   Dr. Jens Bormann, LL.M. (Harvard) wurde am 23. Januar 2015 in Berlin zum neuen Präsidenten der Bundesnotarkammer gewählt.

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durch fantasievolle Flexibilität gewahrt werden können. Die Zukunft lässt sich nicht aufhalten, man kann aber geschickt auf sie reagieren.

V.  Deutschland wird im Ministerrat überstimmt! Dem Ministerrat wurde am 28. Mai 2015 von der lettischen Präsidentschaft eine Fassung vorgelegt, die weitestgehend auf unsere Wünsche einging; nur beispielhaft sei aus den Erwägungsgründen zitiert: „(18) Provisions .. should not affect the right of Member States to maintain existing rules or enact new rules concerning possible verification of identification and legal capacity in order to provide for safeguards for the liability and trustworthiness of registers. Such rules may include, for example, the legality check via video-conference or other on-line means that provide a real time audio-visual connection.“32 Der Deutsche Bundestag hatte zuvor versucht, der Bundesregierung für ihre Verhandlungen weitere Handfesseln anzulegen, indem er in seiner Stellungnahme zu dem Richtlinien-Vorschlag die Bundesregierung aufforderte und gem. Art. 23 Abs. 3 GG verbindlich verpflichtete, den Vorschlag abzulehnen. Die ersten Entwürfe der Stellungnahme hatten uns auf eine Totalablehnung verpflichten wollen. Es ist uns in langen Gesprächen gelungen, das aufzuweichen auf „Nichtunterschreiten des erreichten Verhandlungsstandes“. Es lautete nun: „abzulehnen, sofern die unter italienischer und lettischer Ratspräsidentschaft erreichten Verbesserungen des Richtlinienvorschlags hinsichtlich der Online-Registrierung und des Eingriffs in das nationale GmbH-Recht nicht mindestens beibehalten und ein Verbot der Sitzaufspaltung nicht erreicht werden können“.33 Das war hinsichtlich der Online-Registrierung ein guter Kompromiss. Allerdings war das Verbot der Sitzaufspaltung nicht im Entwurf, also mussten wir gegen die Richtlinie stimmen. Auf der Sitzung der Ständigen Vertreter (AStV) am 8. Mai 2015 schien eine Sperrminorität gegen den Entwurf greifbar. Am 28. Mai 2015 fand der Wettbewerbsfähigkeitsrat statt. Ungarn wurde im letzten Moment noch – wohl nach intensiven bilateralen Bemühungen der Kommission – mit einem Text-Zugeständnis aus der Ablehnungsfront herausgebrochen, wonach die Mitgliedstaaten beim Verdacht betrügerischen Verhaltens im Online-Registrierungsverfahren doch ausnahmsweise das persönliche Erscheinen des Gründers vor einer nationalen Behörde sollten verlangen dürfen. Eine vernünftige Regelung. Auch Tschechien verabschiedete sich aus der Verweige32   Brussels, 21 May 2015, 8811/15 Limite – Proposal for General approach (Gemeinsame Ausrichtung). 33   Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Recht und Verbraucherschutz, BT-Drs. 18/4843, S. 5; Stellungnahme des Bundestags, 7. Mai 2015, Plenarprotokoll 18/103 des Deutschen Bundestags, S. 9878 (9883).

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rungsfront. Nur Österreich, Belgien, Spanien und Schweden stimmten mit Deutschland gegen den Richtlinien-Vorschlag. Deutschland wurde überstimmt, ein seltener Vorgang. Noch bemerkenswerter war, dass die Vertreter der zustimmenden Mitgliedstaaten Beifall klatschten und sich teilweise sogar umarmt haben. Das war natürlich bitter.34

VI.  Die Panama-Papers und das kümmerliche Ende der SUP Im Sommer des Jahres 2016 kam es dann zum sog. Panama-Papers-Skandal – bezüglich anonymisierter Briefkastenfirmen in Panama mit dem möglichen Zweck der Vermögensverschleierung. In diesen Strudel der Empörung geriet nun auch die kleine SUP. Diese Empörung bescherte uns im Weiteren das Transparenzregister,35 das jedenfalls für Deutschland wenig sinnvolle zusätzliche Bürokratie erzeugt, weil die zu erhebenden Daten bei uns durch verlässliche öffentliche Register zum größten Teil (bis auf Treuhandverhältnisse) bereits erfasst sind. Im Europaparlament wuchs die Ablehnung gegen die SUP. Diese war fachlich dürftig begründet und vornehmlich politisch motiviert. Der Berichterstatter im Rechtsausschuss des Europäischen Parlaments MdEP Luis de Grandes legte ein Arbeitsdokument vor, in dem die Sitzaufspaltung nicht nur gestrichen, sondern sogar ausdrücklich verboten wurde. Das wäre ein im Europarecht bis dahin unerhörtes negatives Statement zur Niederlassungsfreiheit von Gesellschaften gewesen. Insbesondere die Abgeordnete Evelyn Regner (S&D, Österreich) begrüßte die zwingende Sitzeinheit, blieb aber trotzdem insgesamt skeptisch und ablehnend. Die Widerstände waren nun so verfestigt und angesichts der Panama-Empörung war eine rationale Diskussion so erschwert, dass die SUP von der Kommission in den „freezer“ gelegt wurde. Und sie ist seither nicht wieder daraus hervorgeholt worden. Der JURI-Ausschuss (Rechtsausschuss) hat nie eine Stellungnahme beschlossen. Das Arbeitspapier von de Grandes wurde nie förmlich beschlossen. Die SUP war aber mittlerweile und wäre insbesondere bei Übernahme von de Grandes verzweifelten Kompromissversuchen so geschrumpft und gerupft, dass man gar nicht mehr genau sagen konnte, ob sie überhaupt noch einen vernünftigen Anwendungsbereich haben würde. Insofern ist ihr geräuschloses Verschwinden wohl kaum zu beklagen. Sie hätte nur noch als anwendungsarmes36 Pilotprojekt einer Online-Registrierung gedient. 34   Man hätte das Ergebnis wohl verhindern können, wenn nach dem sog. „alten Verfahren“ abgestimmt und gezählt worden wäre. Das hätte man besonders beantragen müssen, aber die europapolitischen Kreise in Deutschland hielten einen solchen Affront für untunlich. 35   Seibert/Bochmann/Cziupka GmbHR 2017, 1128. 36   FAZ vom 10. 6. 2016, S. 16: Ein-Personen-Gesellschaft rückt näher – ist für Mittelstand aber keine Lösung; Handelsblatt vom 12.8.2016, S. 10: Europas ungeliebte Ich-AG.

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Im Arbeitsprogramm der Kommission für das Jahr 2018 vom 24.10.201737 wurde im Anhang „Rücknahmen“ unter Nr. 10 bemerkt, dass man entsprechend früherer Äußerungen im Panama-Untersuchungsausschuss und nach Vorlage neuer Vorschläge (das unten noch erwähnte Company Law Package) den Richtlinien-Vorschlag zur SUP zurückzunehmen gedenke.

VII.  Der Fall (von) Eastman-Kodak Mit der SUP im Eisfach hatte sich das Thema Online-Registrierung natürlich nicht erledigt. Ende Juni 2016 fand der 29. Deutsche Notartag in Berlin statt mit dem Forums-Titel „Vorsorgende Rechtspflege – sichere Infrastruktur für den Rechtsverkehr“38 – damit waren die Kritikpunkte an der Online-Registrierung schon plakativ angesprochen. Speziell mit der SUP befasste sich am 1. Juli 2016 eine Podiumsdiskussion, an der als Moderator Notar Sebastian Herrler,39 ferner Prof. Dr. Peter Kindler, RA Prof. Dr. Dieter Leuering, für den BT-Rechtsausschuss die Abgeordneten Elisabeth Winkelmeier-Becker (CDU/CSU) und Dr. Johannes Fechner (SPD) sowie ich für das BMJV teilnahmen. Ich nahm die Gelegenheit wahr, dem überraschten Publikum eine kleine Anekdote zu erzählen. Steven Sasson arbeitete bei der Firma Kodak als junger Entwicklungsingenieur.40 Im Jahr 1975 hatte er die erste digitale Kamera entwickelt. Sie war so groß wie ein Toaster, hatte eine sehr geringe Auflösung von 0,01 Megapixel und nahm nur ganz wenige grobkörnige Schwarz-Weiß-Fotos auf, die auf einem Kassettenrekorder-Magnetband abgespeichert wurden. Er war sehr stolz. Er zeigte diese revolutionäre Maschine seinen Vorgesetzten – und der Vorstand entschied: Nein, wir verdienen unser Geld mit analoger Fototechnik, mit Fotomaterial auf Papier und mit Filmen. Diese Erfindung würde unser eigenes Geschäft angreifen. Die Firma Kodak entwickelte sich danach noch für einige Zeit weiter gut und hatte Mitte der Neunzigerjahre ungefähr 140.000 Angestellte. Von da an ging es aber rasant bergab bis zur Insolvenz Anfang des neuen Jahrtausends. Diese Geschichte zeigt uns, dass der Kodak-Vorstand erstens die Geschwindigkeit exponentieller technologischer Entwicklung völlig unterschätzt und dass er ferner die wahre Natur seines Geschäftsmodells falsch verstanden hatte. Das Geschäftsmodell war nicht analoges Fotografieren mit Papierausdruck, sondern es war das Festhalten von Bildern, Kodak war im Memory-Business. Das Medium dafür war aber austauschbar. Auch die Notare müssen sich   COM(2017) 650 final vom 24.10.2017, Annex 4.  Sonderheft der Deutschen Notarzeitung, München 2016, Festvortrag zu diesem Thema von R. Stürner, dort S. 35 ff. 39   Herrler Schlussworte, Sonderheft (aaO) S. 186. 40  Ausführlich: Diamandis/Kotler Bold, New York 2015, 4 ff. 37 38

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natürlich überlegen, ob sie die exponentielle technologische Entwicklung richtig einschätzen und ob ihr Geschäft wirklich darin besteht, Verträge auf Papier mit Siegel und Kordeln und in persönlicher Anwesenheit abzuschließen, oder ob es nicht vielmehr nur um Identifizierung und Beratung von Personen und rechtssichere Fixierung von Erklärungen geht, ob sie nicht einfach im Sicherheits- und Streitvermeidungsbusiness sind, wobei die verwendeten Medien völlig gleichgültig sind. So werden in Estland bereits 93% der OÜGründungen (vergleichbar mit der deutschen GmbH) online, allerdings ohne Notar, über das Gründungsportal „e-Business Register“ vorgenommen.41 Wer sich heute nicht bewegt, wird möglicherweise rasch disrupted.42 Wer nicht reagiert, wacht eines Morgens auf und wird nicht mehr gebraucht. „The only constant is change The rate of change is increasing If you do not disrupt yourself someone else will.“43

Zum Glück hat die Bundesnotarkammer in Herrn Dr. Jens Bormann44 einen beweglichen, technisch aufgeschlossenen und innovativen Kopf, der den Fehler des Kodak-Vorstandes nicht wiederholen wird.

VIII.  Digitale Agenda der Kommission Zum 2. Oktober 2015 lud die EU-Kommission zu einer Konferenz betreffend Digitalisierung und Gesellschaftsrecht45 nach Brüssel ein – sie wollte das Thema verbreitern, möglicherweise die SUP retten, möglicherweise aber schon den strategischen Boden für die Zeit nach einem Scheitern der SUP bereiten. Die Spannbreite des Themas ging von der Wiege bis zur Bahre des Lebens der Gesellschaft, und die Online-Registrierung steht natürlich als gute Fee an der Wiege. Erkennbar wurde, dass zwischen den Mitgliedern des Europaparlaments ein erheblicher Dissens zum SUP-Projekt bestand. Im März 2016 legte The Informal Company Law Expert Group (ICLEG), die von der Kommission am 26. Januar 2015 eingesetzt worden war, ihren

41   Teichmann GmbHR 2018, 1 (10); Hinweis: Das Verfahren zur Onlinegründung steht hier allerdings nur natürlichen Personen zur Verfügung, außerdem ist es auf eine Mustersatzung mit verschiedenen wählbaren Varianten beschränkt. 42   Man denke beispielhaft nur an den Einsatz von Blockchain-Technologie zur Transaktions- oder Dokumentensicherung – das wird derzeit noch für das Aktienwesen diskutiert, z.B. Spindler ZGR 2018, 17, 44 ff., Beurskens Audit Quarterly, 2017, S. 32 ff. – aber warum nicht auch für die Abtretung und die sichere Identifizierung der historischen Anteilseignerkette von GmbH-Anteilen? 43   Diamandis/Kotler aaO S. 265. 44   Bormann ZGR 2017, 621 ff. 45   Kritisch zu den Grundannahmen der Kommission, insbesondere in Bezug auf den Doing Business Report der Weltbank, siehe Böttcher DNotZ 2018, 4 ff.

Online-Registrierung von Gesellschaften

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Report on Digitalisation in Company Law vor. Prof. Teichmann und Prof. Fleischer waren für Deutschland in der 14-köpfigen Gruppe. Die Analyse: Das Gesellschaftsrecht, in alter Zeit entstanden, ist der rasanten technologischen Entwicklung nicht gefolgt.46 Sie sprachen sich über die SUP hinaus dafür aus, dass die EU den Mitgliedstaaten auferlegen solle, die „online formation of all national companies“ zu ermöglichen. Die Kommission war zuversichtlich, dass es technisch möglich sei, die Gründer mit hinreichender Sicherheit zu identifizieren. Natürlich sei Betrug immer möglich, wie ja auch mit den existierenden nicht-elektronischen Systemen. Es gehe darum, dies zu minimieren47 – nicht 100% auszuschließen. Schon im August 2015 veröffentlichte das BMJV eine Ausschreibung für ein breit ausgelegtes Gutachten zur Online-Registrierung.48 Dies geschah im Hinblick auf die möglicherweise bevorstehende SUP, aber auch im Bewusstsein, dass der Druck aus Brüssel selbst im Falle des Scheiterns der SUP zunehmen würde – man wollte vorbereitet sein, wenn der Wandel kommt. Die Ausschreibung gewann Prof. Christoph Teichmann, Würzburg, der sodann im Dezember 2016 sein Gutachten „Möglichkeiten einer Onlineregistrierung von Gesellschaften, vor allem aus dem Ausland, in einem System der vorsorgenden Rechtspflege“49 vorlegte. Mit dem Titel war sogleich die Richtung angedeutet: Man wollte nicht auf ein „nachsorgendes“ System umstellen, das erst einmal alle ungeprüft ins Register hineinlässt und dann bei Problemen hinterher die Schuldigen zur Rechenschaft zieht. Man wollte beim bewährten deutschen System der vorsorgenden Rechtspflege bleiben: Ein System also, das von vorneherein auf maximale Richtigkeit der Register achtet, was im Hinblick auf das Vertrauen des Rechtsverkehrs, die Gutglaubenswirkung des Registers und unsere gewachsene Rechtstradition absolut einleuchtend ist, was zugleich aber auch bedeutet, dass man die Notare als Vorprüfinstanz im Verfahren behalten will. Das Gutachten untersucht eine Reihe ausgewählter ausländischer Online-Verfahren bis hin zu Kanada und Neuseeland. Auch das Gründungsverfahren in Delaware wird behandelt, wo man gegen eine Eil-Gebühr von 1.000 Dollar die Eintragung in einer Stunde erhalten kann. Dazu hat sich auch der Digital-Experte des Axel SpringerVerlags Christoph Keese begeistert geäußert, der die vollelektronische Gründung einer Inc. in Delaware zusammen mit Freunden am Wochenende vom heimischen Küchentisch aus beschreibt50 – Zahlung mit PayPal. Freilich lief die Online-Gründung nicht direkt zum Delaware Office, sondern über einen

  Thiessen RG (25) 2017, S. 46, 50.   Report on Digitalisation in Company Law der ICLEG, Kapitel 8, Seite 17. 48   Siehe Ausschreibungstext vom 5. August 2015, veröffentlicht im Bundesanzeiger am 12.8.2015. 49   Vgl. aufbauend darauf auch: Teichmann GmbHR 2018, 1 ff. 50   Keese Silicon Germany – Wie wir die digitale Transformation schaffen, 2016, S. 219 ff. 46 47

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Service-Provider51. Teichmann kam zu dem Ergebnis, dass Online-Systeme mit vorsorgender Rechtspflege bisher grenzüberschreitend nicht wirklich sicher und überzeugend existierten. Der Einstieg in die Online-Gründung, so Teichmann, sollte in Deutschland über eine Internet-Plattform erfolgen, vorzugsweise von der Bundesnotarkammer organisiert, über die der Kontakt zu einem Notar hergestellt werden kann – online. Diese Website, so meine Forderung dazu, sollte eine Liste der in Frage kommenden Notare anbieten, wobei auch Sprachkenntnisse des Notars besonders berücksichtigt werden sollten. Der Amtssitz des Notars dürfte dabei keine Rolle spielen. Es müsste nach meinem Vorschlag zugleich angegeben werden, welcher Notar sofort oder binnen kürzester Frist zur Verfügung steht („Notar zur Zeit online“). Notare, die online sind, könnten in der Liste automatisch nach oben sortiert werden. Die Identifizierung gegenüber dem Notar würde, so Teichmann, über eine Online-Ausweisfunktion des Personalausweises bzw. über als gleichwertig geltende ausländische Identifizierungsmittel nach der europäischen eIDAS-Verordnung erfolgen. Zusätzlich solle die Identität im sog. Videoidentifizierungsverfahren geprüft werden. Der eigentlichen Beratung und Belehrung könne ein anschließendes Videobeurkundungsverfahren dienen, das dem allgemeinen Beurkundungsrecht unterliegt. Dieses elektronische Gründungsverfahren solle für eine erste Erprobungsphase nur für die UG (haftungsbeschränkt) eröffnet werden nach dem Musterprotokoll und nur für eine einzelne natürliche Person. Dieses Gutachten war sehr zurückhaltend, aber immerhin, wir waren gerüstet für die kommende Diskussion – eine Diskussion, die nicht aufzuhalten war und ist. Die Bundesnotarkammer erläuterte im März 2018 ihre Überlegungen, wie das im Detail ablaufen könnte. Um die Sicherheit der Identifikation der Beteiligten zu gewährleisten, soll eine eID, wie z.B. der deutsche Personalausweis mit Onlinefunktion, berührungslos über das Smartphone ausgelesen und an den Notar übermittelt werden. Das klingt schon mal innovativ. Der Notar ist mit dem Gründer über ein Videokonferenzportal (also das von der Bundesnotarkammer angebotene, oben beschriebene Eingangsportal) verbunden und vergleicht das aus der eID ausgelesene Foto mit dem Livebild der Videokonferenz. In der Videokonferenz erfolgt die Beratung durch den Notar, der mit dem Gründer die Urkunde erörtert (auf deutsch, englisch oder in einer anderen Sprache, die er beherrscht). Nach Zustimmung des Urkundsbeteiligten versieht der Notar das Gründungsdokument mit einer elektronischen Signatur und leitet das elektronische Übermittlungsverfahren mit dem Registergericht ein. Möglicherweise kann der Gründer auch eine per SMS zugesandte PIN ins System eingeben und damit seine Zustimmung bekunden. Das Verfahren erscheint möglich, es wird aber noch lange dau-

  „Harvard Business Service“.

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ern, bis alle Personalausweise mit einer eID-Funktion ausgestattet sind. Es gibt bereits eine App des BSI, die der Nutzer einmalig herunterladen muss und die durch Nutzung des in den gängigen aktuellen Smartphones enthaltenen NFC-Chips (NFC = „near field communication“) ein Auslesen der eID bereits durch Halten des Personalausweises in die Nähe des Smartphones ermöglicht. Diese App läuft derzeit (März 2018) aber nur auf AndroidGeräten. Mit Apple, dessen Geräte ebenfalls einen NFC-Chip enthalten, ist das BSI in Verhandlungen. Ein Auslesen des streng geschützten Photos aus dem Personalausweis zur Ermöglichung eines Abgleichs in der Videokonferenz ist auch noch nicht möglich. Es dürfte also noch dauern, bis ein solches System in Deutschland funktioniert und in ausreichendem Umfang angenommen wird. Die grenzüberschreitende Funktionalität dürfte noch länger dauern (eID auf ausländischen Personalausweisen etc.). Das alles klingt gut – wir müssen aber aufpassen, nicht so perfektionistisch zu sein, dass nachher wegen Umständlichkeit keiner von einem rundherum perfekten Verfahren Gebrauch macht.

IX.  EU-Company Law Package52 Im August 2017 hat die EU-Kommission einen Fragebogen, genannt Survey „EU Company law upgraded: Rules on digital solutions and efficient crossborder operations“ verschickt, auf den viele Verbände und Institutionen geantwortet haben. Neben Crossborder Mergers und vielem anderen wurde hier auch die Notwendigkeit einer Online-Registrierung abgefragt. Der Deutsche Anwaltverein zum Beispiel bezeichnete diese in seiner Antwort als unnötig auf europäischem Level. Diese Konsultation diente der Vorbereitung eines Rechtsetzungspakets der EU-Kommission. Ein wesentlicher Bestandteil dieses „company law packages“ sollten neben der Online-Registrierung Regelungen zur grenzüberschreitenden Mobilität von Unternehmen (grenzüberschreitende Verschmelzungen, Spaltungen und Sitzverlegungen) sein. Die Vorlage des „Pakets“ war für den November 2017 avisiert, wurde dann aber auf den Januar 2018 und immer weiter verschoben – man darf annehmen, wegen des Urteils des EuGH vom 25. Oktober 2017 in Sachen Polbud (Rs. C-106/16), in dem der EuGH die Schleusen so niederlassungsfreundlich weit geöffnet hatte? Aus deutscher Sicht umso mehr.53 Mit Datum vom 25. April 2018 ist schließlich das „company law package“ mit einem „Proposal for a Directive of the European Parliament and of the Council amending

52

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  Jeweils zum Digital-Teil des Package: Noack DB 2018, 1324; Knaier GmbHR 2018,   Siehe u.a. Schollmeyer ZGR 2018, 186 ff.

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Directive (EU) 2017/1132 as regards the use of digital tools and processes in company law“ vorgelegt worden. Es besteht aus zwei ausgearbeiteten Richtlinienvorschlägen, mit denen die kodifizierte Gesellschaftsrechtsrichtlinie von 2017 ergänzt werden soll.54 Der Richtlinienvorschlag zum DigitalTeil befasst sich im Kern mit der Online-Registrierung: Registrierungen von Gesellschaftsgründungen und Gründungen von Zweigniederlassungen sowie sonstige Registeranmeldungen müssen durch die Mitgliedstaaten online, d.h. ohne Erfordernis der physischen Anwesenheit ermöglicht werden. Dies hat zu geschehen unter Einsatz elektronischer Identifizierungsmittel des jeweiligen Mitgliedstaates iSd. Art. 3 Abs. 2 Verordnung (EU) Nr. 910/2014 bzw. eines gem. Art. 6 Verordnung (EU) Nr. 910/2014 anerkannten elektronischen Identifizierungsmittels eines anderen Mitgliedstaats (z.B. Online-Ausweisfunktion des deutschen Personalausweises). Fakultative Ausnahmeregelungen bestehen nur bei Betrugsverdacht und für eine im Annex I beigefügte Liste von Gesellschaften (für Deutschland wird dort die AG genannt); es soll wohl auch eine Ausnahmeregelung bzgl. Gesellschaftsgründungen mit Sacheinlagen möglich sein (vgl. Art. 13 f Abs. 4 lit. f). Bei uns wäre also die GmbH betroffen ­und zwar nicht nur die UG (haftungsbeschränkt) und nicht nur die Einpersonen-GmbH und schon gar nicht nur die innerdeutsche Gründung. Die Einbindung der Notare scheint nach den Erwägungsgründen möglich, ebenso eine Videokonferenz zur Identifizierung und Beratung (Erwägungsgrund 13: ‚verification by means of video-conference or other online means that provide a real-time audio-visual connection‘). All dies wird noch intensiv zu erörtern sein, zunächst auf Kommissionsebene, dann auf Ratsebene und zuletzt im Trilog.

X.  Koalitionsvertrag für die 19. Wahlperiode Auch in den Koalitionsvertrag vom 12. März 2018 der großen Koalition für die 19. Wahlperiode hat das Thema Online-Registrierung von Gesellschaften seinen Eingang gefunden: „Bei Onlineregistrierungen von Gesellschaften setzen wir uns – auch auf europäischer Ebene – für effektive präventive Kontrollen und zuverlässige Identitätsprüfungen ein, um die Richtigkeit der Eintragungen und den Vertrauensschutz öffentlicher Register zu gewährleisten; einfache Online-Anmeldungen lehnen wir ab.“55 Eine Vorgabe ganz im Sinne der Bemühungen des BMJV.

54   Die Kodifizierungsrichtlinie fasst sämtliche älteren Gesellschaftsrechtsrichtlinien in einer einzigen zusammen, also auch die Erste Gesellschaftsrechtsrichtlinie vom 9. März 1968 (68/151/EWG). 55   Koalitionsvertrag zwischen CDU, CSU und SPD zur 19. Legislaturperiode, S. 131.

Online-Registrierung von Gesellschaften

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Damit bleibt die Online-Registrierung von Gesellschaften auch über die Manuskriptabgabe (1. Mai 2018) hinaus aktuell und hat ihren langen und mühsamen Weg noch bei weitem nicht bis zum Ende beschritten. Stoff genug für einen weiteren Festschriftbeitrag: „Online Registration – The Sequel.“

Vertrauensentzug als wichtiger Grund der Vorstandsabberufung

Vertrauensentzug durch Hauptversammlung oder Aufsichtsrat als wichtige Gründe der Vorstandsabberufung Christoph H. Seibt* I.  Anlass der Beschäftigung Die aktienrechtliche Stellung des Vorstandes als eigenverantwortlicher Unternehmensleiter und die eingeschränkten Möglichkeiten seiner Abberufung durch den Aufsichtsrat sind Kernelemente der Corporate Governance-Struktur der deutschen Aktiengesellschaft.1 Trotz der enormen Strukturbedeutung der Abberufungskompetenz des Aufsichtsrats ist die wissenschaftliche Auseinandersetzung über ihre Konturierung in jüngster Zeit selten gewesen2 und höchstrichterliche Entscheidungen ebenso rar. Mit der unter dem Senatsvorsitz des Jubilars ergangenen Entscheidung des Bundesgerichtshofs vom 15. November 2016 (II ZR 217/15) wurde die bis dahin in der Literatur vertretene, von den Vorinstanzen3 aber infrage gestellte Auffassung zum Vertrauensentzug durch die Hautversammlung als wichtigem Grund für die Abberufung im Sinne des § 84 Abs. 3 AktG bestätigt.4 Die Entscheidung kann mit den Leitsätzen so zusammengefasst werden, dass –– der Beschluss der Hauptversammlung einer AG, einem Vorstandsmitglied das Vertrauen zu entziehen, nicht schon dann offenbar unsachlich oder willkürlich ist, wenn sich die Gründe für den Vertrauensentzug als nicht zutreffend erweisen; –– dieser Hauptversammlungsbeschluss nicht begründet werden muss; und –– die Anhörung des betroffenen Vorstandsmitglied grundsätzlich keine Wirksamkeitsvoraussetzung für den Widerruf der Bestellung ist.

*   Der Verfasser dankt Rechtsreferendar Dr. Alexander Brüggemeier, LL.B. sehr für seine wertvollen Vorarbeiten und Diskussionsfreude. 1  Fleischer AG 2006, 429; rechtsvergleichend Armour u.a. Anatomy of Corporate Law, 3. Aufl. 2017, S. 55. 2   S. aber insb. Fleischer AG 2006, 429. 3   OLG München BeckRS 2015, 116979; LG München I BeckRS 2014, 119298. 4   BGH NZG 2017, 261 = ZIP 2017, 278.

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Die Entscheidung hat zu Recht überwiegend Zustimmung,5 vereinzelt aber auch heftige Kritik erfahren.6 Nach Ansicht der Kritiker werde der Vorstand durch diese Entscheidung mit seiner an sich eigenverantwortlichen Leitungsbefugnis und unabhängigen Stellung in der Praxis leicht der „Willkür des Mehrheitsgesellschafters“ durch einen Hauptversammlungsbeschluss preisgeben.7 Die BGH-Entscheidung bietet Anlass, die Stellung des Vorstands und die Möglichkeiten seiner Abberufung durch den Aufsichtsrat erneut und unter Berücksichtigung der augenblicklichen rechtlichen und tatsächlichen Rahmenbedingungen zu analysieren. Dabei wird im Zentrum dieses Beitrags nicht nur – wie in der BGH-Entscheidung – die Vorstandsabberufung auf Basis des Vertrauensentzuges durch die Hauptversammlung, sondern die sich in der Beratungspraxis deutlich häufiger stellende Frage stehen, ob neben den in § 84 Abs. 3 S. 2 AktG beispielhaft („namentlich“) aufgeführten Fallgruppen – grobe Pflichtverletzung, Unfähigkeit zur Unternehmensführung und Vertrauensentzug durch Hauptversammlung – auch der Vertrauensentzug durch den Aufsichtsrat selbst zur Abberufung von Vorstandsmitgliedern aus wichtigem Grund berechtigt.

II.  Wertungsdifferenz und Wechselwirkungen zwischen Beendigung der Organstellung und der dienstrechtlichen Anstellung Die rechtliche Beziehung des Vorstands zur Gesellschaft wird geprägt durch den Dualismus von organisationsrechtlicher Bestellung und dienstrechtlicher Anstellung. Die Beendigung jeder dieser Rechtsbeziehungen bedarf gem. § 84 Abs. 3 S. 1 AktG bzw. § 626 Abs. 1 BGB eines wichtigen Grundes, der allerdings jeweils normspezifisch und vor allem mit Blick auf den jeweiligen Normzweck eigenständig zu konturieren ist.8 Im Ergebnis wird die Tatbestandsvoraussetzung des wichtigen Grundes bei § 84 Abs. 3 S. 1 AktG unternehmensfreundlich deutlich weiter gezogen als bei der Auslegung des für die außerordentliche Kündigung des Dienstverhältnisses relevanter Vorschrift des § 626 Abs. 1 BGB. Dieser Beitrag beschränkt sich auf die organisa5   K. Schmidt Diskussionsbeitrag in Jb FAfStR 2017/2018, 2018, S. 364; Heidel Diskussionsbeitrag in Jb FAfStR 2017/2018, 2018, S. 366; Tröger WuB 2017, 264; Bungert/Rogier EWiR 2017, 197; Knapp DStR 2017, 555; Hippeli jurisPR-HaGesR 4/2017 Anm. 2; Arnold DB 2017, 598. 6  Nach Schüppen, Diskussionsbeitrag in Jb FAfStR 2017/2018, 2018, S. 364, 366, hat die „Entscheidung […] für das deutsche Aktienrecht großen Schaden angerichtet“; entgegentretend Bergmann Diskussionsbeitrag in Jb FAfStR 2017/2018, 2018, S. 366 f.; ebenfalls kritisch Mense/Klie GWR 2017, 396. 7   Schüppen Diskussionsbeitrag in Jb FAfStR 2017/2018, 2018, S. 364. 8  Eingehend Tschöpe/Wortmann NZG 2009, 161.

Vertrauensentzug als wichtiger Grund der Vorstandsabberufung

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tionsrechtliche Perspektive, nämlich die Beendigung des Organamtes durch Widerruf der Bestellung („Abberufung“). Allerdings ergeben sich aus diesem Dualismus zwei Rückwirkungen auf die Möglichkeiten der Abberufung: (1) Nach richtiger Auffassung kommt es für die Abberufung lediglich auf die Interessen der Gesellschaft an, da die persönlichen, insbesondere vermögensrechtlichen Interessen des Vorstandsmitglieds (bereits) bei der Beendigung der dienstrechtlichen Anstellung, also bei der Kündigung des Dienstverhältnisses, zu berücksichtigen sind.9 (2) Darüber hinaus kann es angezeigt sein, bei der Auslegung eines Anstellungsvertrages, in dem eine differenzierungslose Koppelungsklausel zwischen dem Bestehen des Organamtes und des Anstellungsvertrages enthalten ist, eine restriktive ergänzende Vertragsauslegung bzw. teleologische Reduktion in dem Sinne vorzunehmen, dass z.B. der Vertrauensentzug durch die Hauptversammlung oder den Aufsichtsrat zwar einen wichtigen Grund für die Abberufung darstellt, trotz der Koppelungsklausel allerdings nicht zur automatischen Beendigung des Anstellungsvertrages führt. Dieses Verständnis ist ein wertungsbezogenes Ventil, das die für das Unternehmen notwendige Flexibilität in Bezug auf das Personal ihrer Unternehmensleitung, das für die zentrale Strategiefestlegung und -umsetzung verantwortlich ist, höher gewichtet als die Notwendigkeit eines bloßen Vermögensschutzes des Unternehmens durch ein einseitiges schuldvertragliches Lösungsrecht.

III.  Historische Normenentwicklung Der Blick auf die historische Normenentwicklung über die letzten etwa 200 Jahre bis zum heutigen § 84 Abs. 3 AktG zeigt eine Pendelbewegung von der ursprünglichen Betonung der Eigentümerstellung der Aktionäre und einer effektiven Kontrolle des Vorstandes durch den Aufsichtsrat hin zu einer Stärkung der Autonomie des Vorstandes:10 Nach dem Vorbild des Art. 31 Code de Commerce von 180711 ermöglichte § 227 Abs. 3 ADHGB, dem 9   Seibt in K. Schmidt/Lutter, AktG, 3. Aufl. 2015, § 84 Rn. 49; Fleischer in Spindler/ Stilz, AktG, 3. Aufl. 2015, § 84 Rn. 101 f.; Spindler in MüKoAktG, 4. Aufl. 2014, § 84 Rn. 128; Thüsing Handbuch des Vorstandsrechts, 1. Aufl. 2006, § 5 Rn. 9; Lutter/Krieger/ Verse Rechte und Pflichten des Aufsichtsrats, 6. Aufl. 2014, § 7 Rn. 366; Fleischer AG 2006 429, 439; Habersack DB 2015, 787, 789; die Rechtsprechung hält hingegen eine Berücksichtigung der Interessen des Vorstandsmitglieds im Rahmen der Abberufung für notwendig, s. BGH WM 1962, 811, 812; KG AG 2007, 745; OLG Stuttgart AG 2003, 211, 212; OLG Frankfurt ZIP 2015, 519, 520; für eine primäre Berücksichtigung der Gesellschaftsinteressen im Rahmen einer Interessenabwägung Koch in Hüffer/Koch, AktG, 12. Aufl. 2016, § 84 Rn. 34; Mertens/Cahn in KöKoAktG, 3. Aufl. 2010, § 84 Rn. 121; Kort in Groß­ kommAktG, 5. Aufl. 2015, § 84 Rn. 141. 10   Hierzu ausf. Fleischer AG 2006, 429 ff. 11  Hierzu Deutsch Aktienrecht im Wandel, Bd. 1, 2007, 3. Kapitel Rn. 35 m.w.N.

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späteren § 231 Abs. 3 HGB, in Anlehnung an das Auftragsrecht die jederzeitige Abberufung der Vorstandmitglieder ohne wichtigen Grund; die Kündigung des Anstellungsvertrages bedurfte allerdings bereits eines wichtigen Grundes.12 Mit der Aktienrechtsreform von 1937 wurde die Personalkompetenz für Bestellung und Abberufung der Vorstandsmitglieder beim Aufsichtsrat konzentriert13, die Bestellung auf maximal 5 Jahre zeitlich befristet und – als Ausgleich zur zeitlichen Befristung14 – das Recht zur Abberufung an das Vorliegen wichtiger Gründe gekoppelt (vgl. § 75 Abs. 3 S. 2 AktG 1937). Als wichtige, die Abberufung rechtfertigende Gründe wurden im Gesetz die grobe Pflichtverletzung und die Unfähigkeit zur Unternehmensführung beispielhaft aufgeführt; nach der damaligen Gesetzesbegründung sollte allerdings der Entzug des Vertrauens durch die Hauptversammlung „selbstverständlich stets ein wichtiger Grund“15 sein. In dieser Anerkennung des Vertrauensentzuges durch die Hauptversammlung als einem strengen („selbstverständlich stets“) wichtigen Grund für die Abberufung wurde der frühere Leitgedanke der Beauftragung des Vorstandes durch die Aktionäre als Eigentümer fortgeführt.16 Mit der Aktienrechtsreform von 1965 wurde – nachdem der BGH zuvor den Vertrauensentzug der Hauptversammlung als wichtigen Grund der Abberufung feststellte und dabei die starke Stellung der Hauptversammlung betont hatte17 – der Vertrauensentzug durch die Haupt Vgl. W. Schmidt in GroßkommAktG, 1939, § 75 Rn. 14.   § 182 Abs. 2 Nr. 4 HGB ermöglichte, der Hauptversammlung durch die Satzung das Recht zur Bestellung und Abberufung des Vorstands zu übertragen. Die Hauptversammlung war in typisierender Betrachtungsweise aufgrund ihrer Größe jedoch zu schwerfällig, um diese Entscheidungen zu treffen. Dies manifestierte sich auch in der damaligen Rechtspraxis, in welcher von der Möglichkeit des § 182 Abs. 2 Nr. 4 HGB kaum Gebrauch gemacht wurde und zumeist der Aufsichtsrat diese Kompetenzen wahrnahm, Amtl. Begr. zu § 75 AktG 1937, abgedruckt in Klausing Gesetz über Aktiengesellschaften und Kommanditgesellschaften auf Aktien, 1937, S. 61. 14   Amtl. Begr. zu § 75 AktG 1937, abgedruckt in Klausing Gesetz über Aktiengesellschaften und Kommanditgesellschaften auf Aktien, 1937, S. 62; s. auch Klausing ebd., Einleitung Rn. 71a f.; W. Schmidt in GroßkommAktG, 1939, § 75 Rn. 14; Bayer/Engelke Aktienrecht im Wandel, Bd. 1, 2007, 15. Kapitel Rn. 67. 15   Amtl. Begr. zu § 75 AktG 1937, abgedruckt in Klausing Gesetz über Aktiengesellschaften und Kommanditgesellschaften auf Aktien, 1937, S. 62. 16   Vgl. auch die Begründung der Aktienrechtsnovelle von 1884 Begr. RegE, Drucksache zu den Verhandlungen des Bundesraths des deutschen Reichs, 1883, Db. II N 74, S. 149.: „Als Organe der Gesellschaft leiten Vorstand und Aufsichtsrath ihre Stellung aus deren Auftrag ab. Sie sind Mandatare der Gesellschaft, und deshalb haben sie schon nach allgemeinen Rechtsgrundsätzen kein eigenes Recht, selbst wider den Willen der Gesellschaft für die Dauer der Wahlperiode in ihrer Stellung belassen zu werden“; s. auch Klausing Gesetz über Aktiengesellschaften und Kommanditgesellschaften auf Aktien, 1937, Einleitung Rn. 71a. 17  BGHZ 13, 188 („Entzieht die Hauptversammlung einem Vorstandsmitglied das Vertrauen, so ist das grundsätzlich ein wichtiger Grund, der die Abberufung dieses Vorstandsmitglieds rechtfertigt, ohne daß im Einzelfall festzustellen ist, ob die Entziehung des Vertrauens berechtigt war oder nicht. Der Grund hierfür liegt darin, daß die Stellung des 12 13

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versammlung aus nicht offenbar unsachlichen Gründen explizit als wichtiger Grund in § 81 Abs. 3 S. 2 AktG 1965 im Gesetzestext selbst kodifiziert. Allerdings ging diese Betonung der für eine Vorstandsbestellung erforderlichen Vertrauensgrundlage bei der die Eigentümer repräsentierenden Hauptversammlung einher mit der Betonung der Unabhängigkeit des Vorstandes. So heißt es in der Gesetzesbegründung zu § 81 AktG 1965, dass die Leitung unter eigener Verantwortung nur sichergestellt sei, wenn der Vorstand sicher sein könnte, „dass der Aufsichtsrat ihn nur bei erheblichen Verfehlungen und groben Nachlässigkeiten abberufen kann“.18 Der Gesetzgeber hat das Spannungsverhältnis zwischen der Eigentümerstellung der Aktionäre und der effektiven Kontrolle des Vorstandes durch den Aufsichtsrat einerseits und der eigenverantwortlichen Unternehmensleitung des Vorstandes andererseits durch die Beschränkung der Vorstandsabberufung auf das Vorliegen eines wichtigen Grundes in Ausgleich zu bringen versucht, also einem Rechtsinstitut, das in besonderer Weise wertungsoffen für die Veränderung rechtlicher, aber auch wirtschaftlicher, gesellschaftlicher, technologischer und politischer Rahmenbedingungen ist.

IV.  Einfluss derzeitiger Rahmenbedingungen auf die Normenauslegung 1. VUCA-Rahmenbedingungen Bereits im Rahmen der Aktienrechtsreform 1965 konstatierte der Gesetzgeber, dass „berücksichtigt werden [muss], daß die Gesellschaft sich wirtschaftlich betätigen soll und unter den heutigen schwer überschaubaren, ständig wechselnden und rasche Entschlüsse erfordernden Wirtschaftsverhältnissen ihrer Aufgabe nur gerecht werden kann, wenn für sachkundige entschlußfähige Geschäftsführung gesorgt ist“.19 Seither hat sich die wirtschaftliche Dynamik um ein Vielfaches erhöht und es finden vermehrt disruptive Entwicklungssprünge in Technologie, Politik und gesellschaftlicher Wertebildung statt. In den Sozial- und Wirtschaftswissenschaften wird diese jüngere Entwicklung durch die vier Leitbegriffe Volatility, Uncertainty, Complexity und Ambiguity („VUCA-Rahmenbedingungen“) beschrieben.20 Sie bedingt Vorstandes auf Vertrauen gegründet ist und daß seine Machtbefugnisse nur in dem ihm entgegengebrachten Vertrauen ihre Berechtigung finden. Deshalb brauchen Vorstandsmitglieder, die nicht mehr vom Vertrauen der Gesellschaft getragen werden, grundsätzlich nicht beibehalten zu werden.“). 18   Amtl. Begr. zum Entwurf eines Aktiengesetzes, Allgemeines, BT.-Drs. IV/171, S. 125. 19   Amtl. Begr. zum Entwurf eines Aktiengesetzes, Allgemeines, BT.-Drs. IV/171, S. 93. 20   S. bspw. Bennet/Lemoine HBR 01/2014, S. 27; Vielmetter/Sell Leadership 2020: The Six Megatrends You Need to Understand to Lead Your Company into the Future, 2014; vgl. auch Seibt DB 2016, 1978 f.

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u.a. eine stetige Reevaluierung und Readjustierung der Unternehmensstrategie, ein erhöhtes Maß an Agilität und Veränderungsbereitschaft bei der Strategieentwicklung sowie deren Umsetzung und eine insgesamt anpassungseffiziente, agile Unternehmensorganisation. Der Vorstand befindet sich deshalb in VUCA-Zeiten idealerweise in einem kontinuierlichen Prozess der Strategieanpassung an die sich wandelnden Rahmenbedingungen.21 Unter den VUCA-Rahmenbedingungen gewinnt die Reputation des Unternehmens (Corporate Reputation) selbst sowie vor allem auch der herausgehobenen Vorstandsmitglieder (CEO, CFO, COO) maßgeblich an Bedeutung für den Unternehmenswert und den Unternehmenserfolg.22 Die Reputation der Vorstandsmitglieder („Living Brand“) ist ein wichtiges Instrument zum Aufbau der Corporate Reputation und macht nach unterschiedlichen Studien knapp die Hälfte ihres Wertes aus, welche wiederum für knapp 60 % des Unternehmenswertes steht.23 Der hohe Wert der Corporate Reputation und des Ansehens der Vorstandsmitglieder erklärt sich insbesondere aus der Funktion, für die Stakeholder der Gesellschaft die Komplexität im Umgang mit dem Unternehmen zu reduzieren: Eine Vielzahl an Einzelinformationen über das bisherige Verhalten des Unternehmens und der Vorstandsmitglieder wird auf der Grundlage der Einschätzung der Stakeholder gebündelt und die Beibehaltung dieses Verhaltens in Form der Reputation auch für die Zukunft signalisiert.24 Dies manifestiert sich beispielsweise in besseren Refinanzierungsbedingungen am Kapitalmarkt oder bei Banken, in der Fähigkeit qualifiziertes Personal zu gewinnen oder in den Konditionen, zu denen das Unternehmen mit seinen Lieferanten und Abnehmern kontrahiert.25 Die zentrale Bedeutung des Vorstandes für (i) die kontinuierliche Strategieentwicklung, -umsetzung und -anpassung, (ii) die Stakeholderkommunikation und (iii) die Corporate Reputation26 korrespondiert mit der Kardinalpflicht des Aufsichtsrats, die Passgenauigkeit des Vorstandes für das Unternehmen ständig und insbesondere unter Berücksichtigung der sich wandelnden Rahmenbedingungen zu reevaluieren und die Vorstandsbesetzung ggf. anzupassen, und zwar auch unabhängig von Organamtszeiten („permanent board refreshment“).27 Dieser weitere, tatsächliche Bedeutungs-

  Hierzu ausführlich Seibt DB 2016, 1978, 1979 ff.; ders. DB 2018, 237 f. (These 1).   Seibt DB 2015, 171, 172 f.; ders. DB 2018, 237, 238 f. (Thesen 3 und 4); Klöhn/ Schmolke NZG 2015, 689, 691. 23   Weber Shandwick The Company behind the Brand: In Reputation We Trust, 2012, S. 2; Burson-Marsteller 21st Century CEO and Corporate Reputation Challenges, Executive Summary, 2005, S. 1; vgl. auch Seibt DB 2015, 171, 172 f. m.w.N. 24   Klöhn/Schmolke NZG 2015, 689, 690. 25   Seibt DB 2015, 171, 173. 26   Seibt DB 2018, 237, 238 (These 3). 27   Seibt DB 2018, 237, 240 (These 7). 21 22

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zuwachs bei der Wahrnehmung der Personalkompetenz durch den Aufsichtsrat reflektiert pars pro toto die insgesamt gestiegenen Anforderungen an die auch zukunftsausgerichtete, mitunternehmerische Tätigkeit des Aufsichtsrats (hierzu Ziffer 2). 2.  Rechtliche Rahmenbedingungen: Wandel der Rolle des Aufsichtsrats Die seit 1965 vorgenommenen Änderungen im Recht des Aufsichtsrats scheinen für sich genommen das aktienrechtliche Organisationsgefüge nur an einzelnen Punkten zu modifizieren, führen in ihrer Gesamtheit jedoch zu einer grundlegenden Verschiebung der Corporate Governance-Struktur hin zu einem mitunternehmerisch handelnden Aufsichtsrat und „Co-Kraftzentrum“ der Aktiengesellschaft. Relevante Beispiele für diese These sind:28 Der durch das KonTraG eingefügte § 90 Abs. 1 Nr. 1 AktG verpflichtet den Vorstand, über die „beabsichtigte“ (also zukünftige!) Geschäftspolitik und andere grundsätzliche Fragen der Unternehmensplanung an den Aufsichtsrat zu berichten. Damit wird die grundlegende Unternehmensplanung durch § 90 Abs. 1 Nr. 1 AktG zu einer gemeinsamen Aufgabe von Aufsichtsrat und Vorstand, wobei indes der Schwerpunkt noch immer beim Vorstand liegt.29 Auch nach Ziffern 3.2 und 4.1.2 DCGK hat der Vorstand die strategische Ausrichtung des Unternehmens zu entwickeln, mit dem Aufsichtsrat abzustimmen, umzusetzen und den Stand der Umsetzung regelmäßig mit dem Aufsichtsrat zu erörtern.30 Die vom Aufsichtsrat in seiner Struktur und Einzelanwendung festzulegende Vorstandsvergütung muss auf eine „nachhaltige Unternehmensentwicklung [ausgerichtet sein]“ (vgl. § 87 Abs. 1 S. 2 AktG) – Strategieumsetzung qua Vergütung. Darüber hinaus wurde aus der gem. § 111 Abs. 4 S. 2 AktG aF bestehenden Möglichkeit, in der Satzung oder durch den Aufsichtsrat wesentliche zustimmungspflichtige Geschäfte zu bestimmen, eine Pflicht, dies zu tun und mitunternehmerisch nach eigenem Zweckmäßigkeitsurteil zu handeln. Schließlich ist die Verantwortung für die Rechnungslegung (im weiten Sinne) deutlich gestiegen (vgl. §§ 111 Abs. 2 S. 3, 171 AktG, § 318 Abs. 1 S. 4 HGB).

28   So jüngst auch Seibt ManagerMagazin Heft 6/2018, S. 75; inhaltlich zuvor bereits Lutter DB 2009, 775; für einen umfassenden Überblick s. Lutter Aktienrecht im Wandel, Bd. 2, 2007, 8. Kapitel; Börsig/Löbbe in Festschrift Hoffmann-Becking, S. 125 ff.; Vetter 50 Jahre Aktiengesetz, 2015, 103 ff.; U.H. Schneider/S.H. Schneider AG 2015, 621. 29   Lutter DB 2009, 775. 30   Zur „Strategie-Kompetenz“ des Aufsichtsrats z.B. Lutter DB 2009, 775; Börsig/Löbbe in Festschrift Hoffmann-Becking, S. 125, 134; Hommelhoff ZGR-Sonderband 19/2016, S. 13, 19 f.; Vetter ZGR-Sonderband 19/2016, S. 103, 113 ff.; Seibt DB 2018, 237, 238; Drygala in K. Schmidt/Lutter, AktG, 3. Aufl. 2015 , § 111 Rn. 4; BegrRegE Kropff S. 120; Habersack in MüKoAktG, 4. Aufl. 2014, § 111 Rn. 39; Spindler in MüKoAktG, 4. Aufl. 2014, § 90 Rn. 25; Fleischer in Spindler/Stilz, AktG, 3. Aufl. 2015, § 90 Rn. 24.

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Dies alles verlangt ein erhöhtes bzw. verändertes Kompetenzprofil der Aufsichtsratsmitglieder sowie eine erhöhte Professionalität bei erhöhtem Zeit- und Ressourcenaufwand und führt gleichzeitig zu erhöhter Verantwortung und einem gestiegenen Haftungsrisiko.31 Seine Hauptaufgabe ist allerdings bei alledem regelmäßig zu überprüfen, ob der Vorstand im Hinblick auf die Unternehmensstrategie und die sonstige Managementkomposition (einschließlich des Aufsichtsrats) richtig zusammengesetzt ist oder ob es einer personellen Neubesetzung bedarf. Wegen der deutlich intensivierten Zusammenarbeit zwischen Vorstand und Aufsichtsrat gewinnt neben der fachlichen Zusammenarbeit auch der Aspekt einer effektiven und vertrauensvollen Zusammenarbeit zwischen den Organen an Bedeutung.

V.  Vertrauensentzug durch die Hauptversammlung 1.  Voraussetzungen und Verfahren Der Vertrauensentzug durch die Hauptversammlung stellt einen kodifizierten „wichtigen Grund“ dar, der den Aufsichtsrat gem. § 84 Abs. 3 S. 1 AktG zur Abberufung berechtigt (zweiaktiges Verfahren). Ein wichtiger Grund liegt mit der h.M. allgemein vor, wenn die Fortsetzung des Organverhältnisses zwischen Gesellschaft und Vorstand bis zum Ablauf der laufenden Amtszeit für die Gesellschaft unzumutbar ist.32 Der Beschluss der Hauptversammlung, dem Vorstand das Vertrauen zu entziehen, bedarf in fortschreibender Anlehnung an die Mandatstheorie keiner Begründung.33 Ein wichtiger Grund liegt gem. § 84 Abs. 3 S. 2 AktG hier lediglich dann nicht vor, wenn das Vertrauen aus offenbar unsachlichen Gründen entzogen worden ist.34 Die Unsachlichkeit muss

31  Z.B. Hommelhoff ZGR-Sonderheft 19/2016, S. 13, 17; U.H. Schneider/S.H. Schneider AG 2015, 621, 622, 624 f. 32   BGH DB 2007, 158; OLG Frankfurt ZIP 2015, 519, 521; OLG Stuttgart AG 2003, 211, 212; OLG Karlsruhe NZG 2000, 264, 265; Seibt in K. Schmidt/Lutter, AktG, 3. Aufl. 2015, § 84 Rn. 49; Fleischer in Spindler/Stilz, AktG, 3. Aufl. 2015, § 84 Rn. 100; Kort in GroßkommAktG, 5. Aufl. 2015, § 84 Rn. 140; Spindler in MüKoAktG, 4. Aufl. 2014, § 84 Rn. 128. 33   BGH NZG 2017, 261 Rn. 12, 16 f.; Kort in GroßkommAktG, 5. Aufl. 2015, § 84 Rn. 162; Seibt in K. Schmidt/Lutter, AktG, 3. Aufl. 2015, § 84 Rn. 50; Fleischer in Spindler/Stilz, AktG, 3. Aufl. 2015, § 84 Rn. 109; Spindler in MüKoAktG, 4. Aufl. 2014, § 84 Rn. 137; kritisch Schüppen Diskussionsbeitrag in Jb FAfStR 2017/2018, 2018, S. 364; vgl. auch öOGH AG 1999, 140, 141; grundsätzliche rechtspolitische Kritik an diesem Abberufungsgrund äußern Seibt in K. Schmidt/Lutter, AktG, 3. Aufl. 2015, § 84 Rn. 50; Raiser/Veil Recht der Kapitalgesellschaften, 6. Aufl. 2015, § 14 Rn. 40. 34   S. BGHZ 13, 188, 193; BGH NZG 2017, 261 Rn. 15; KG ZIP 2003, 1042, 1046; Fleischer in Spindler/Stilz, AktG, 3. Aufl. 2015, § 84 Rn. 110; Koch in Hüffer/Koch, AktG, 12. Aufl. 2016, § 84 Rn. 37; Spindler in MüKoAktG, 4. Aufl. 2014, § 84 Rn. 139; extensiv: Vedder in Grigoleit, AktG, 1. Aufl. 2013, § 84 Rn. 35.

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auf der Hand liegen und darf sich nicht erst aus einer Überprüfung ergeben,35 wobei die Beweislast für das Vorliegen offenbar unsachlicher Gründe das Vorstandsmitglied, nicht hingegen die AG, trägt.36 Auf der Grundlage dieses Hauptversammlungsbeschlusses37 kann der Aufsichtsrat eine Abberufungsentscheidung treffen. Ihm kommt hierbei eigenes Ermessen zu, und er profitiert hierbei von der Haftungsprivilegierung des § 93 Abs. 1 Satz 1 (i.V.m. § 116) AktG.38 Dies ergibt sich zum einen bereits aus dem Wortlaut von § 84 Abs. 3 S. 1 AktG („kann“), zum anderen aber auch aus dem systematischen Argument, dass der Aufsichtsrat auch ansonsten bei Vorliegen eines wichtigen Grundes ein (beschränktes) Ermessen hat, die Amtsbeendigung zu beschließen oder alternativ andere Maßnahmen zur Sanktionierung (z.B. Ressortveränderung, Herabsetzung der Vorstandsvergütung, Berücksichtigung des Umstandes bei der variablen Vergütung, Entscheidung zur Nicht-Wiederbestellung) zu treffen.39 Es handelt sich schließlich wie bei der Bestellung um eine komplexe, durch ihren prospektiven Charakter ausgezeichnete Entscheidung. Im Rahmen seiner Ermessensentscheidung hat der Aufsichtsrat neben dem sich im Hauptversammlungsbeschluss manifestierenden Willen der Aktionäre als Eigentümer das Unternehmensinteresse zu berücksichtigen.40 Er ist zwar nicht – auch nicht aus dem Gedanken des effektiven Rechtsschutzes – verpflichtet, das betroffene Vorstandsmitglied vor seiner Entscheidung anzuhören.41 Allerdings kann aus der Pflicht des Aufsichtsrats, eine den Anforderungen der §§ 116 i.V.m. § 93 Abs. 1 S. 2 AktG bei der Beschlussfassung entsprechende angemessene Informationsgrundlage sicherzustellen, eine Anhörungs-Obliegenheit abgeleitet werden.42 Die Außerachtlassung dieser Obliegenheit führt allerdings in keinem Fall zur Unwirksamkeit der Abberufung, sondern könnte lediglich etwaige Schadensersatzansprüche der Gesellschaft gegen den Aufsichtsrat   BGH NZG 2017, 261 Rn. 17.  BGH NZG 2017, 261 Rn. 40; Koch in Hüffer/Koch, AktG, 12. Aufl. 2016, § 84 Rn. 37; Dauner-Lieb in Henssler/Strohn ,GesR, 3. Aufl. 2016, § 84 AktG Rn. 32; a.A. bei Existenz eines Mehrheitsaktionärs Mielke BB 2014, 1035, 1037 f. 37   Kort in GroßkommAktG, 5. Aufl. 2015, § 84 Rn. 164; Seibt in K. Schmidt/Lutter, AktG, 3. Aufl. 2015, § 84 Rn. 51. 38   BGHZ 13, 188, 193; BGH NZG 2017, 261 Rn. 17; Seibt in K. Schmidt/Lutter, AktG, 3. Aufl. 2015, § 84 Rn. 51; Lieder, ZGR 2018, 523, 541 und 544. 39  Hierzu Seibt in K. Schmidt/Lutter, AktG, 3. Aufl. 2015, § 84 Rn. 51; vgl. auch Lieder, ZGR 2018, 523, 544. 40   Spindler in MüKoAktG, 4. Aufl. 2014, § 84 Rn. 127, 139; Kort in GroßkommAktG, 5. Aufl. 2015, § 84 Rn. 148, 167; Seyfarth Vorstandsrecht, § 19 Rn. 41; vgl. auch Lieder, ZGR 2018, 523, 541. 41   Offenlassend für den Fall der Verdachtskündigung: BGH NZG 2017, 261 Rn. 18; vgl. Fleischer in Spindler/Stilz, AktG, 3. Aufl. 2015, § 84 Rn. 126; ders. RIW 2006, 481, 485; Spindler in MüKoAktG, 4. Aufl. 2014, § 84 Rn. 122. 42  Vgl. Fleischer in Spindler/Stilz, AktG, 3. Aufl. 2015, § 84 Rn. 126; ders. RIW 2006, 481, 485; Spindler in MüKoAktG, 4. Aufl. 2014, § 84 Rn. 122. 35 36

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auslösen. Bei einem Alleingesellschafter oder einem (nahezu) einstimmigen Beschluss der Hauptversammlung kann der Aufsichtsrat nur bei Vorliegen außergewöhnlicher Einzelfallumstände von einer Abberufung absehen, um nicht seinerseits pflichtwidrig zu handeln.43 Die Rechte von Hauptversammlung und Aufsichtsrat zur Beendigung des Vorstandsamtes bei Vertrauensentzug durch die Hauptversammlung können weder durch die Satzung noch durch den Anstellungsvertrag beschränkt werden.44 De lege ferenda sollte allerdings für kapitalmarktferne Aktiengesellschaften in diesem Punkt Satzungsautonomie gestattet werden.45 2. Unternehmenspraxis Bei börsennotierten Unternehmen ist die Abberufung auf Grundlage eines das Vertrauen entziehenden Hauptversammlungsbeschlusses ein eher seltener Ausnahmefall. Eine Analyse der im Bundesanzeiger veröffentlichten Gesellschaftsbekanntmachungen der letzten 15 Jahre ergeben zwar etwa 100 Bekanntmachungen, darunter aber nur bei wenigen bekannten, wirtschaftlich bedeutenden Unternehmen.46 Daneben findet sich eine Reihe kleinerer Unternehmen, die in nicht wenigen Fällen jährlich über einen Vertrauensentzug durch die Hauptversammlung entscheiden. In der großen Mehrzahl der Fälle werden die zumeist von Minderheitsaktionären stammenden Anträge abgelehnt,47 in seltenen Einzelfällen aber auch angenommen.48 Die geringe Bedeutung des Vertrauensentzuges durch die Hauptversammlung als wichtigem Grund für die Abberufung liegt vor allem in dem erheblichen Reputationsverlust, zu dem die öffentliche Behandlung dieses Themas unabhängig von der letztendlichen Beschlussfassung sowohl beim betreffenden Vorstand als auch beim Unternehmen selbst führt. Zudem wird im Regelfall die Einberufung einer außerordentlichen Hauptversammlung notwendig sein, um relativ zügig die Beendigung des Vorstandsamtes herbeiführen zu können. Dies löst nicht nur erhebliche Kosten aus, sondern erzwingt bereits wegen der notwendigen Einhaltung der Formalvorschriften zur Einberufung einer Hauptversammlung einen Zeitverzug von mindestens 6–8 Wochen. Die wechselseitige Druckposition (Reputationsverlust gegen Reputationsverlust 43   Seyfarth Vorstandsrecht, § 19 Rn. 41; in diese Richtung auch Kraack, EWiR 2016, 660 (zu OLG Celle ZIP 2016, 1773). 44   Seibt in K. Schmidt/Lutter, AktG, 3. Aufl. 2015, § 84 Rn. 46; Spindler in MüKoAktG, 4. Aufl. 2014, § 84 Rn. 125. 45   Hierzu bereits Seibt in K. Schmidt/Lutter, AktG, 3. Aufl. 2015, § 84 Rn. 2 ff. 46   Bspw. TUI AG 2008, freenet AG 2008 oder Commerzbank AG 2009–2013. 47   Bspw. Commerzbank AG 2009–2013. 48  Bspw. Vertrauensentzug gegenüber dem Vorstandsvorsitzenden der Constantin Medien AG durch die Hauptversammlung 2017 oder gegenüber dem Vorstand der Pearl Gold AG durch die Hauptversammlung 2018.

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und Kosten) führt in aller Regel zum Absehen von einem Hauptversammlungsbeschluss und zur einvernehmlichen Amtsbeendigung.

VI.  Vertrauensentzug durch Aufsichtsrat 1.  Plädoyer für den Vertrauensentzug durch den Aufsichtsrat als Fallgruppe des wichtigen Grundes Die Vorstandsabberufung auf der Grundlage des Vertrauensentzuges durch die Hauptversammlung ist – wie die Praxis zeigt – kein hinreichend flexibles Instrument der Personalkompetenz des Aufsichtsrats. Es bietet sich vor dem Hintergrund der Kompetenzverschiebung zugunsten des Aufsichtsrats und der VUCA-Rahmenbedingungen stattdessen an, den Aufsichtsrat direkt – ohne zugrundeliegenden Hauptversammlungsbeschluss – einen Beschluss fassen zu lassen, mit dem er dem Vorstand das Vertrauen entzieht und die Abberufung aus dann wichtigem Grund vornimmt. Auch der Vertrauensentzug durch den Aufsichtsrat wird von der wertungsoffenen Tatbestandsvoraussetzung des wichtigen Grundes in § 84 Abs. 3 S. 1 AktG erfasst, bei dessen Auslegung die aufgezeigten Änderungen in der AG-Organisationsverfassung und die VUCA-Rahmenbedingungen zu berücksichtigen sind. Die Anerkennung der Fallgruppe des Vertrauensentzuges durch den Aufsichtsrat bewegt sich – wie generell die Auslegung von § 84 Abs. 3 S. 1 AktG – im Spannungsfeld zwischen Unabhängigkeit des Leitungsorgans und Einflussmöglichkeiten des Kontrollorgans qua Personalkompetenz. Es muss sichergestellt sein, dass es ein einseitiges, freies Lösungsrecht des Aufsichtsrats nicht gibt, denn dies gefährdete die Unabhängigkeit des Vorstandes über die Maßen und widerspräche der Grundwertung des Geschäftsführungsverbots für den Aufsichtsrat (§ 111 Abs. 4 Satz 1 AktG). Eine pauschale Ablehnung des Vertrauensentzuges durch den Aufsichtsrat als zulässiger Abberufungsgrund ist aber ebensowenig gerechtfertigt. Im Zentrum der Diskussion sollte stattdessen die Frage stehen, welche nachprüfbaren Gründe für den Entzug des Vertrauens durch den Aufsichtsrat erforderlich sind und als „wichtig“ qualifizieren.49 Die qualitative Intensität des Grundes muss sich an den gesetzlichen Regelbeispielen für einen wichtigen Grund orientieren. Nicht ausreichend sind jedenfalls einer Überprüfung nicht zugängliche innere Umstände („schlechtes Gefühl“), da der wichtige Grund dann zu einer der richterlichen Überprüfung unzugänglichen Behauptung des Aufsichtsrats entwertet würde. Den einer stärkeren Flexibilisierung der Unternehmensleitung entgegenstehenden Vermögensinteressen der jeweiligen Vorstandsmitglieder kann auf der Ebene des 49   Fonk Arbeitshdb Aufsichtsratsmitglieder, 4. Aufl. 2013, § 10 Rn. 303; vgl. auch öOGH RdW 1999, 595.

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Anstellungsvertrages, insbesondere durch restriktive Auslegung anstellungsvertraglicher Koppelungsklauseln, begegnet werden (s. bereits II.). Zudem können die Vorstandsmitglieder ihre Position gegenüber dem Aufsichtsrat durch kontinuierlichen Dialog mit wesentlichen Aktionären (also den Kon­ trolleuren des Aufsichtsrats) und sonstigen Stakeholdern stärken.50 Eine rechtsvergleichende Umschau zeigt, dass kurze Bestellungszeiten einen alternativen Ansatz zur Auflösung dieses Spannungsfeldes darstellen könnten. So ist es insbesondere in den USA und im Vereinigten Königreich verbreitet, die Möglichkeit des Leitungsorgans lediglich für ein Jahr zu bestellen.51 Allerdings führt die geringe Laufzeit der regulären Amtsdauer zu einer im Vergleich zum deutschen Recht (vgl. z.B. § 87 Abs. 1 S. 3 AktG) abweichenden, kurzfristig ausgerichteten Anreizstruktur (Problem des „short termism“). Die Übernahme einer solchen 1-Jahres-Bestellungspraxis verträgt sich als Regel nicht mit dem geltenden Recht52 und wäre auch ökonomisch nicht empfehlenswert. Stattdessen sollte vielmehr der mit Gründen unterlegte Vertrauensentzug durch den Aufsichtsrat als wichtiger Grund für die Abberufung anerkannt werden.53 Abzugrenzen sind diese Fälle einer Abberufung wegen Vertrauensentzuges durch den Aufsichtsrat von einer – in der Regel unzulässigen – Abberufung wegen einer Verkleinerung des Vorstandsorgans.54 Zwar kann auch diese die Folge sich ändernder (VUCA-)Rahmenbedingungen sein.55 Während im Fall der Abberufung wegen Vertrauensverlustes indes personenbezogene Gründe im Vordergrund stehen, wegen derer der Aufsichtsrat dem betreffenden Vorstandsmitglied die Unternehmensführung nicht mehr zutraut, beruht die Abberufung wegen Verkleinerung des Vorstandsorgans auf nicht individuell-personenbezogenen Änderungen der Organisationsstruktur, mithin auf rein unternehmensbezogenen Gründen. Allerdings ist zuzugeben, dass die Benennung des Abberufungsgrundes nicht für die Frage der Zulässigkeit entscheidend ist, sondern maßgeblich ist jeweils, welche Gründe hinter dem Schlagwort des Vertrauensentzugs oder der Vorstandsverkleinerung stehen.56 50   Hierzu und weiteren Handlungsoptionen des Vorstands Seibt ManagerMagazin, Heft 6/2018, S. 75. 51   Armour u.a. Anatomy of Corporate Law, 3. Aufl. 2017, S. 56; Fleischer AG 2006, 429, 432. 52   Seibt in K. Schmidt/Lutter, AktG, 3. Aufl. 2015, § 84 Rn. 14. 53   Vgl. bereits OLG München AG 1986, 234; Fonk Arbeitshdb Aufsichtsratsmitglieder, 4. Aufl. 2013, § 10 Rn. 303; kritisch dazu allerdings: Thüsing Hdb Vorstandsrecht, 2006, § 5 Rn. 25; Wiesner MünchHdbGesR, Bd. 4, 4. Aufl. 2015, § 20 Rn. 57; Lutter/Krieger/Verse Rechte und Pflichten des Aufsichtsrats, 6. Aufl. 2014, § 7 Rn. 366; aus österreichischer Perspektive bei massivem Vertrauensverlust Kalss in MüKoAktG, 4. Aufl. 2014, § 84 Rn. 270. 54   LG Frankfurt NZG 2014, 706; OLG Frankfurt NZG 2015, 514. 55   Habersack DB 2015, 787, 790. 56  Ebenso Kocher BB 2014, 1235; Habersack DB 2015, 787, 790; Koch in Hüffer/Koch, 12. Aufl. 2016, § 84 Rn. 35; Fleischer in Spindler/Stilz AktG, 3. Aufl. 2015, § 84, 113a; Kort in GroßkommAktG, 5. Aufl. 2015, § 84 Rn. 175a.

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2.  Gründe für den Vertrauensentzug durch den Aufsichtsrat Die Fallgruppe des mit Gründen unterlegten Vertrauensentzugs durch den Aufsichtsrat kann weiter in vier Unterfallgruppen differenziert werden: a)  Wegfall der persönlichen Passgenauigkeit des Vorstands wegen veränderter Rahmenbedingungen Signifikant veränderte Rahmenbedingungen können eine Abberufung wegen Vertrauensverlustes des Aufsichtsrats rechtfertigen. Anerkannt ist dies beispielsweise im Fall des Eintretens einer Unternehmenskrise, wenn der Vorstand nicht zu deren Bewältigung in der Lage ist,57 es sei denn es handelt sich um ein einmaliges (und sich voraussichtlich nicht wiederholendes) Versagen eines vorher erfolgreichen Vorstandsmitglieds.58 Gelangt der Aufsichtsrat im Rahmen seines kontinuierlichen Prozesses der Überprüfung der Vorstandszusammensetzung zu der Einsicht, dass einem der Vorstandsmitglieder die für die Leitung des Unternehmens notwendigen Kenntnisse oder Fähigkeiten (einschließlich der Teamfähigkeit) fehlen, kann er ihm das Vertrauen entziehen und ihn abberufen. Dies korrespondiert mit der Pflicht des Aufsichtsrats, bei der Bestellung eines Vorstandsmitgliedes auf der Grundlage einer eigenen unternehmerischen Entscheidung einen zu dem Unternehmen und seiner Kultur, der regionalen und sachlichen Ausrichtung, der derzeitigen Strategie und der Team-Zusammensetzung passendes Vorstandsmitglied zu finden.59 Dem Aufsichtsrat muss es in einer solchen Situation unabhängig von einer Pflichtverletzung des Vorstands möglich sein, die Zusammensetzung des Vorstandes an geänderte oder sich in Änderung befindliche Umstände anzupassen.60 Allerdings müssen hierfür objektive Anknüpfungspunkte von einigem Gewicht bestehen, um den Vorstand vor Willkür des Aufsichtsrats zu schützen. b)  Differenzen hinsichtlich der Geschäftspolitik Schwieriger zu beurteilen ist die Frage, ob Differenzen hinsichtlich der zukünftigen Strategie des Unternehmens (oder gar nur seiner Umsetzung) eine Abberufung rechtfertigen. Grundsätzlich hat der Vorstand ein weites, haftungsprivilegiertes Ermessen für die Entwicklung der Unternehmens-

  Seibt in K. Schmidt/Lutter, AktG, 3. Aufl. 2015, § 84 Rn. 49a.   OLG Köln NJW-RR 1989, 352; Spindler in MüKoAktG, 4. Aufl. 2014, § 84 Rn. 132; Fleischer in Spindler/Stilz AktG, 3. Aufl. 2015, § 84, Rn. 106. 59  Vgl. Seibt in K. Schmidt/Lutter, AktG, 3. Aufl. 2015, § 84 Rn. 11. 60   Mertens/Cahn in KöKoAktG, 3. Aufl. 2010, § 84 Rn. 121; Spindler in MüKoAktG, 4. Aufl. 2014, § 84 Rn. 134; Thüsing Hdb Vorstandsrecht, 2006, § 5 Rn. 22; Habersack DB 2015, 787, 790. 57 58

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strategie61 und kontroverse Diskussionen zwischen Vorstand und Aufsichtsrat gerade auch zu wesentlichen Themen sind Garant für eine angemessene Entscheidungsfindung. Also kann dem Vorstand in solchen Fällen weder die Verletzung einer Pflicht vorgeworfen werden, noch lässt sich aufgrund fehlender Kenntnisse eine grundlegende Unfähigkeit konstatieren oder geänderte Rahmenbedingungen feststellen, die eine personelle Neubesetzung erfordern. Vielmehr lässt sich zwischen dem Aufsichtsrat und dem Vorstand als Co-Machtzentren der Strategieentwicklung schlicht keine Einigkeit erzielen. Die Reichweite einer auf solchen Strategiedifferenzen gründenden Abberufungsmöglichkeit hat sich an der Aufgabenverteilung in der AG zu orientieren (IV.2.). Nach der überwiegenden Ansicht in der Literatur stellen jedenfalls unüberbrückbare Differenzen in grundlegenden Fragen einen wichtigen Grund für die Abberufung dar.62 Nach anderer Ansicht liegt hingegen kein wichtiger Grund vor, solange der Vorstand die Grenzen seines Leitungsermessens nicht überschreitet.63 Diese Auffassung wird der (veränderten) rechtlichen Kompetenzmatrix sowie den VUCA-Rahmenbedingungen allerdings nicht mehr gerecht. Zwar können einmalige und/oder substanzarme Unstimmigkeiten hinsichtlich der Unternehmensstrategie oder – noch weniger – ihrer Umsetzung keinen Widerruf der Bestellung rechtfertigen, da der Vorstand ansonsten faktisch zu abhängig vom Aufsichtsrat wäre und entgegen der Intention des Gesetzgebers der ständigen Gefahr einer Abberufung unterläge. Damit würde der Aufsichtsrat – entgegen der aktienrechtlichen Kompetenzordnung und der Wertungsentscheidung des Geschäftsführungsverbots (§ 111 Abs. 4 Satz 1 AktG) – zum Über-Leitungsorgan. 61   S. auch zu den einzelnen bei der Strategieentwicklung zu berücksichtigenden Facetten Seibt DB 2016, 1978, 1981; ders. DB 2018, 237. 62   OLG Stuttgart AG 2013, 599; OLG München AG 2012, 753; Fleischer AG 2006, 429, 440; ders. Spindler/Stilz AktG, 3. Aufl. 2015, § 84 Rn. 107; Seibt in K. Schmidt/Lutter, AktG, 3. Aufl. 2015, § 84 Rn. 49a; Kort in GroßkommAktG, 5. Aufl. 2015, § 84 Rn. 176; Spindler in MüKoAktG, 4. Aufl. 2014, § 84 Rn. 132; Mertens/Cahn in KöKoAktG, 3. Aufl. 2013, § 111 Rn. 33; Lutter/Krieger/Verse Rechte und Pflichten des Aufsichtsrats, 6. Aufl. 2014, § 7 Rn. 365; Thüsing Hdb Vorstandsrecht, 2006, § 5 Rn. 24; Seyfarth Vorstandsrecht, § 19 Rn. 28; Beiner/Braun Vorstandsvertrag, 2. Aufl. 2014, Rn. 156; Kropff NZG 1998, 613, 617; Semler Leitung und Überwachung der Aktiengesellschaft, 2. Aufl. 1996, Rn. 216; ders. ZGR 1983, 1, 24 ff. 63   Raiser/Veil Recht der Kapitalgesellschaften, 6. Aufl. 2015, § 14 Rn. 40; Goette in Festschrift 50 Jahre BGH, 2000, S. 123, 129; Koch in Hüffer/Koch, AktG, 12. Aufl. 2016, § 84 Rn. 36; Bürgers/Israel in Bürgers/Körber, AktG, 2. Aufl. 2011, § 84 Rn. 31; Wiesner in MünchHdbGesR, Bd. 4, 4. Aufl. 2015, § 20 Rn. 56; Tschöpe/Wortmann NZG 2009, 161, 166; zumindest im Grundsatz auch Fleischer AG 2006, 429, 440; mit ausführlicher Kritik zu dieser Einschränkung Fonk Arbeitshdb Aufsichtsratsmitglieder, 4. Aufl. 2013, § 10 Rn. 303; vgl. zum gleichlautenden § 75 Abs. 4 öAktG: öOGH GesRZ 1996, 112; bei bloßen Auffassungsunterschieden in Führungsfragen ablehnend Kalss MüKoAktG, 4. Aufl. 2014, § 84 Rn. 270.

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Erkennt der Aufsichtsrat jedoch, dass die vom Vorstand ausgearbeitete Strategie bereits in ihren Grundlagen die angemessene Renditeerwirtschaftung des Unternehmens gefährdet und ist es auch in ausführlichen Beratungen mit dem Vorstand (und ggf. Einschaltung externer Sachverständiger) nicht möglich, die grundlegende Ausrichtung der Strategie konsensual zu vereinbaren, muss der Aufsichtsrat eingreifen, dem Vorstand das Vertrauen als „ultima ratio“ entziehen und ihn abberufen können.64 Anderenfalls wäre die Einbindung des Aufsichtsrats in die zukünftige Strategieentwicklung weitgehend ausgehöhlt und er müsste sehenden Auges eklatante strategische Fehlentwicklungen hinnehmen, ohne den zu erwartenden Schaden von der Gesellschaft abwenden zu können.65 Der Weg über einen vertrauensentziehenden Hauptversammlungsbeschluss ist demgegenüber teuer, langwierig und mit unerwünschter Offenlegung von Unternehmensinterna und Beschädigung der Unternehmensreputation verbunden. Entsprechend der Reichweite von § 90 Abs. 1 Nr. 1 AktG kann diese Abberufungsbefugnis auf sämtliche Aspekte der Geschäftspolitik übertragen werden. Soweit dem Aufsichtsrat unternehmerische Mitverantwortung überantwortet wird, muss er die korrespondierenden Kompetenzen haben, um diese Mitverantwortung ausfüllen zu können. Primäres Instrument dafür ist seine Personalkompetenz. Anders als in Anlehnung an eine Entscheidung des österreichischen Obersten Gerichtshofes66 vertreten,67 ist die Abberufung auch nicht auf Differenzen in Strategie- und Personalfragen begrenzt. Es gibt keinen sachlichen Grund, lediglich diesen Teilbereich als wichtigen Grund anzuerkennen.68 c)  Dysfunktionale Zusammenarbeit Einen weiteren Grund für den Vertrauensentzug durch den Aufsichtsrat können Differenzen zwischen Vorstand und Aufsichtsrat darstellen, wenn diese auf nachprüfbaren äußeren Umständen beruhen und so erheblich sind, 64   Vgl. auch Fleischer AG 2006, 429, 440; ders. in Spindler/Stilz AktG, 3. Aufl. 2015, § 84 Rn. 107; Spindler in MüKoAktG, 4. Aufl. 2014, § 84 Rn. 132; Fonk Arbeitshdb Aufsichtsratsmitglieder, 4. Aufl. 2013, § 10 Rn. 303; Kropff NZG 1998, 613, 617; Thüsing Hdb Vorstandsrecht, 2006, § 5 Rn. 24; Beiner/Braun Vorstandsvertrag, 2. Aufl. 2014, Rn. 156; Semler ZGR 1983, 1, 28; im Grundsatz ebenfalls, aber voraussetzend, dass aufgrund nachprüfbarer Erfahrungen der Eindruck besteht, dem Vorstand fehle das nötige Gespür für eine erfolgreiche Unternehmensführung Seyfarth Vorstandsrecht, § 19 Rn. 28. 65   Semler ZGR 1983, 1, 29. 66  Vgl. öOGH GesRZ 1996, 112 („Auffassungsdifferenzen [in Führungsfragen] können zwar einen tauglichen Abberufungsgrund darstellen, dann nämlich, wenn die konkrete Auffassung des abzuberufenden Vorstandsmitglieds für das Wohl der Gesellschaft die falsche Auffassung, diejenige des Aufsichtsrats aber die richtige gewesen sein sollte“). 67   Fleischer AG 2006, 429, 440; ders. in Spindler/Stilz AktG, 3. Aufl. 2015, § 84 Rn. 107. 68  Mit gegensätzlicher Grundaussage die Herausnahme dieser Bereiche kritisierend Wiesner MünchHdbGesR, Bd. 4, 4. Aufl. 2015, § 20 Rn. 56.

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dass die Zusammenarbeit grundlegend in ihrer Funktionsfähigkeit (also eben „unzumutbar“) beeinträchtigt wird.69 Die loyale, vertrauensvolle und effektive Zusammenarbeit zwischen Aufsichtsrat und Vorstand zählt nämlich zu den Grundlagen einer funktionierenden Corporate Governance in der Aktiengesellschaft.70 Ohne diese wird das austarierte System der „Checks and Balances“ in der Regel nicht funktionieren und der nachhaltige Unternehmenserfolg nicht eintreten. Dabei muss es nicht zu nachweisbaren (groben) Pflichtverletzungen durch den Vorstand kommen.71 Es kann gerade der „Dienst nach Vorschrift“ oder die Häufung von „Missverständnissen“ Ausdruck der dysfunktionalen Zusammenarbeit sein. Der Aufsichtsrat ist auch hier nicht verpflichtet, zunächst einen Beschluss der Hauptversammlung über den Entzug des Vertrauens herbeizuführen, da anderenfalls geschäftsschädigender Zeitverzug eintreten und Geschäftsinterna an die Öffentlichkeit gelangen würde(n).72 d)  Schädigung der Unternehmensreputation Auch die Unternehmensreputation gefährdende oder bereits schädigende Verhaltensweisen des Vorstands können einen Grund für den Entzug des Vertrauens durch den Aufsichtsrat darstellen.73 Die Unternehmensreputation (als ein zentraler Vermögenswert der Gesellschaft) kann bereits durch Handlungen des Vorstands, die die Schwelle der Pflichtverletzung nicht überschreiten oder die das Unternehmen wegen ihres privaten Bezuges oder ihrer Vornahme im Rahmen früherer beruflicher Tätigkeit nur mittelbar betreffen, erheblich beeinträchtigt werden.

69   BGHZ 20, 239 Rn. 23; OLG München AG 2012, 753; vgl. auch das obiter dictum des BGH im Urteil vom 15.11.2016, NZG 2017, 261 Rn. 15; s. auch Kort in GroßkommAktG, 5. Aufl. 2015, § 84 Rn. 158; Mertens/Cahn in KöKoAktG, 3. Aufl. 2010, § 84 Rn. 126; Fonk Arbeitshdb Aufsichtsratsmitglieder, 4. Aufl. 2013, § 10 Rn. 303; Seyfarth Vorstandsrecht, § 19 Rn. 27, 29; Beiner/Braun Vorstandsvertrag, 2. Aufl. 2014, Rn. 153; Tschöpe/Wortmann NZG 2009, 161, 165 f. 70   Vgl. auch OLG München, AG 2012, 753; die Bedeutung des Vertrauens des Aufsichtsrats wird bereits im Rahmen der Gesetzesbegründung zur Aktienrechtsreform 1965 betont, S. Amtl. Begr. zum Entwurf eines Aktiengesetzes, Allgemeines, BT.-Drs. IV/171, S. 125. 71   Dazu OLG München AG 2012, 753; Seibt in K. Schmidt/Lutter, AktG, 3. Aufl. 2015, § 84 Rn. 49a; Spindler in MüKoAktG, 4. Aufl. 2014, § 84 Rn. 131. 72  Vgl. Mertens/Cahn in KöKoAktG, 3. Aufl. 2010, § 84 Rn. 126. 73   Kort in GroßkommAktG, 5. Aufl. 2015, § 84 Rn. 156, 172c; Seibt in K. Schmidt/Lutter, AktG, 3. Aufl. 2015, § 84 Rn. 49a; Fleischer AG 2006, 429, 440; ders. in Spindler/Stilz, AktG, 3. Aufl. 2015, § 84 Rn. 105; Spindler in MüKoAktG, 4. Aufl. 2014, § 84 Rn. 131; Koch in Hüffer/Koch, AktG, 12. Aufl. 2016, § 84 Rn. 36; Seyfarth Vorstandsrecht, § 19 Rn. 30; Thüsing Hdb Vorstandsrecht, 2006, § 5 Rn. 19; zur sog. Druckabberufung s. BGH DB 2007, 158; OLG München AG 2006, 337; Fleischer DStR 2006, 1507; zur sog. Verdachtsabberufung s. Schmolke AG 2014, 377 m.w.N.

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So können z.B. der Vorwurf des Insiderhandels auf eigene Rechnung74 oder die Beteiligung an Kartellabsprachen für einen früheren Arbeitgeber die Unternehmensreputation bei Veröffentlichung schwer beeinträchtigen. Auch wenn wesentliche Eigenkapital- oder Fremdkapitalinvestoren, wesentliche sonstige Stakeholder (z.B. Topkunden, Lieferanten oder Netzwerkpartner) oder marktführende Finanzanalysten (öffentlich) erhebliche Zweifel an der Kompetenz des Vorstandes äußern und so dessen Reputation und damit auch die Corporate Reputation mitschädigen, können diese Äußerungen einen wichtigen Grund für den Aufsichtsrat darstellen, um dem Vorstand das Vertrauen zu entziehen.75 3. Beurteilungsspielraum Nach überwiegender Auffassung steht dem Aufsichtsrat bei seiner Entscheidung, den Vorstand auf der Grundlage eines wichtigen Grundes abzuberufen, kein gerichtlich nicht überprüfbarer Beurteilungsspielraum zu.76 Hierbei ist nur zutreffend, dass dem Aufsichtsrat hinsichtlich der objektiven Tatsachen, die für einen wichtigen Grund vorliegen müssen, kein Beurteilungsspielraum zukommt. Anderenfalls würde die Unabhängigkeit des Vorstandes zu weitgehend eingeschränkt.77 Allerdings muss der Aufsichtsrat auf der Grundlage dieser objektiven Tatsachen nach der herrschenden Definition eines wesentlichen Grundes eine Entscheidung über die Zumutbarkeit für die Gesellschaft treffen. Die Zumutbarkeit richtet sich nach einer komplexen Abwägung der verschiedenen von einer Abberufung betroffenen Facetten des Unternehmensinteresses. Die mit in die Abwägung einzustellenden Aspekte des Unternehmensinteresses, die maßgeblichen Erwägungen und das Ergebnis der Abwägung müssen einem Beurteilungsspielraum des Aufsichtsrats unterliegen.78 Anderenfalls würde eine unternehmerische Entscheidung des Aufsichtsrats durch eine unternehmerische Entscheidung des Gerichts 74   Kort in GroßkommAktG, 5. Aufl. 2015, § 84 Rn. 157; Seibt in K. Schmidt/Lutter, AktG, 3. Aufl. 2015, § 84 Rn. 49a; Spindler in MüKoAktG, 4. Aufl. 2014, § 84 Rn. 131; vgl. zur Vornahme von Spekulationsgeschäften BGH WM 1956, 865. 75   Kort in GroßkommAktG, 5. Aufl. 2015, § 84 Rn. 172a; Seibt in K. Schmidt/Lutter, AktG, 3. Aufl. 2015, § 84 Rn. 49; ders. DB 2018, 237, 240 (These 7); Fleischer DStR 2006, 1507. 76   OLG Frankfurt NZG 2015, 514 Rn. 18; Koch in Hüffer/Koch, 12. Aufl. 2016, § 84 Rn. 34; Mertens/Cahn in KöKoAktG, 3. Aufl. 2010, § 84 Rn. 122; Kort in Großkomm AktG, 5. Aufl. 2015, § 84 Rn. 145; Spindler in MüKoAktG, 4. Aufl. 2014, § 84 Rn. 127; Wiesner MünchHdbGesR, Bd. 4, 4. Aufl. 2015, § 20 Rn. 51; Lieder, ZGR 2018, 523, 542. 77   Seibt in K. Schmidt/Lutter, AktG, 3. Aufl. 2015, § 84 Rn. 49. 78   Habersack DB 2015 ,787, 788 f.; Lutter/Krieger/Verse Rechte und Pflichten des Aufsichtsrats, 6. Aufl. 2014, § 7 Rn. 373; Krieger Personalentscheidungen des Aufsichtsrats, 1981, S. 138 f.; Habersack in MüKoAktG, 4. Aufl. 2014, § 116 Rn. 41; Seyfarth Vorstandsrecht, § 19 Rn. 43.

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ersetzt.79 Beispielsweise ist es zwar einer gerichtlichen Kontrolle zugänglich, ob sich die Rahmenbedingungen, die die geschäftliche Tätigkeit des Unternehmens dominieren, geändert haben. Lediglich einer eingeschränkten gerichtlichen Kontrolle unterliegt hingegen die auf diese Tatsachen gestützte Entscheidung des Aufsichtsrats, dem Vorstand das Vertrauen zu entziehen, weil er das Unternehmen bei diesen Rahmenbedingungen nicht optimal leiten kann. Letztlich spiegelt sich darin der Spielraum des Aufsichtsrats bei der Vorstandsbestellung.80 Insoweit muss eine Kontrolle auf Plausibilität und Vertretbarkeit ausreichen.81 4.  Anforderungen an den Aufsichtsratsbeschluss Die Anforderungen an den Aufsichtsratsbeschluss richten sich nach allgemeinen Grundsätzen.82 Es ist ein Beschluss des Aufsichtsratsplenums erforderlich, die Delegation an einen Ausschuss ist nach § 107 Abs. 3 S. 4 AktG nicht ausreichend. Der Aufsichtsratsbeschluss muss den Widerrufsgrund und den Widerrufszeitpunkt angeben; eine nähere Begründung des Widerrufsgrundes ist nicht erforderlich.83

VII.  Zusammenfassende Ergebnisse Der Vertrauensentzug durch den Aufsichtsrat ist als wichtiger Grund i.S.d. § 84 Abs. 3 S. 1 AktG anzuerkennen. Dies trägt den derzeitigen VUCARahmenbedingungen Rechnung und fügt sich in den insgesamt zu beobachtenden Wandel der Corporate Governance-Struktur mit dem Aufsichtsrat als einem mitunternehmerischen Co-Machtzentrum der Strategieentwicklung ein. Gründe für einen Vertrauensentzug durch den Aufsichtsrat sind vor allem (i) der Wegfall der Passgenauigkeit des Vorstandes wegen wesentlich veränderter Rahmenbedingungen, (ii) schwere Differenzen in Fragen der Geschäftspolitik, (iii) eine dysfunktionale Zusammenarbeit innerhalb des Vorstands oder mit dem Aufsichtsrat und (iv) eine nicht nur unerhebliche Schädigung der Unternehmensreputation. Die gerichtliche Kontrolle der im Rahmen von § 84 Abs. 3 S. 1 AktG notwendigen Abwägung ist auf Plausibilität und Vertretbarkeit beschränkt.

  Habersack DB 2015, 787, 788.   Seibt in K. Schmidt/Lutter, AktG, 3. Aufl. 2015, § 84 Rn. 11. 81   Habersack DB 2015, 787, 788. 82   Lutter/Krieger/Verse Rechte und Pflichten des Aufsichtsrats, 6. Aufl. 2014, § 11 Rn. 728 ff. 83   Seyfarth Vorstandsrecht, § 19 Rn. 48. 79 80

Personalunion im Konzern mit monistischer SE

Personalunion in einem Konzern mit monistisch strukturierter SE als Obergesellschaft Gerald Spindler I. Einleitung Die Europäische AG (SE) hat gerade in Deutschland immer mehr Verbreitung gefunden, so dass es nicht allzu lange dauern dürfte, bis Fälle zur SE die Gerichte beschäftigen werden – und auch den II. Zivilsenat, als dessen Vorsitzender der Jubilar nach seiner Zeit im I. Zivilsenat fungierte. Die vielseitigen Interessen des Jubilars können kaum angemessen in einem Festschriftenbeitrag reflektiert werden, doch kann man stets auf das Interesse und die Neugier des Jubilars zu neuen Phänomenen und Problemen hoffen. In diesem Sinne soll im Folgenden die besondere Problematik der Personalunion bei Konzernen mit einer monistisch strukturierten SE als Obergesellschaft beleuchtet werden, eine Organisationsstruktur, die dem deutschen Recht – im Gegensatz zu anderen Rechtsordnungen – lange Zeit fremd war. Die Verflechtung von Konzerngesellschaften durch eine Personalunion jeweils auf der Ebene der Geschäftsführung von Ober- sowie Untergesellschaft ist ein in der Wirtschaft verbreitetes und – wie noch zu zeigen sein wird – vom Gesetzgeber akzeptiertes Phänomen, um Konzerne zu leiten. Dabei bestehen keine Ausnahmen hinsichtlich der Rechtsformen: Sowohl Vorstandsmitglieder von Aktiengesellschaften sind gleichzeitig als Geschäftsführer von GmbHs (als Tochtergesellschaften) tätig, wie umgekehrt Geschäftsführer von GmbHs als Obergesellschaft gleichzeitig als Vorstandsmitglieder von Aktiengesellschaften (als Tochtergesellschaften). Die Personalverflechtung zwischen Konzerngesellschaften darf aber nicht dazu führen, dass ein geschäftsführendes Organmitglied quasi Richter in eigener Sache wird: So untersagt § 100 Abs. 2 Nr. 2 AktG, dass das geschäftsführende Organmitglied einer Tochtergesellschaft gleichzeitig Mitglied im Aufsichtsrat der Obergesellschaft ist. Andernfalls würde es sich dadurch mittelbar selbst kontrollieren, hätte es doch die Überwachung des konzernleitenden Vorstandes zur Aufgabe, der seinerseits der Geschäftsführung der Tochtergesellschaft Weisungen erteilen, zumindest auf sie Einfluss nehmen kann. Um diesen Kreislauf zu unterbinden, hat der Gesetzgeber explizit die Inkompatibilitätsvorschrift des § 100 Abs. 2 Nr. 2 AktG geschaffen.

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Umgekehrt liegt es auf der Hand, dass es keinerlei Bedenken gibt, dass ein geschäftsführendes Organmitglied der Obergesellschaft gleichzeitig überwachendes bzw. aufsichtsführendes Organmitglied bei der Tochtergesellschaft ist; im Gegenteil: oftmals ist die Personalunion Voraussetzung für den vom Gesetzgeber geduldeten Einfluss der Ober- auf die Tochtergesellschaft, etwa beim faktischen AG-Konzern nach §§ 311 ff. AktG. Während diese Regelungen in der klassischen deutschen, tradierten dualistischen Struktur der Aktiengesellschaft keine Probleme verursachen, da die Überwachungsebene klar von der Geschäftsführungsebene getrennt ist und die Inkompatibilitäten daher auch deutlich den jeweiligen Ebenen im Überund Unterordnungsverhältnis zugeordnet werden können, sieht dies für die monistisch strukturierte europäische AG (SE) anders aus. Da hier nicht mehr klar zwischen den Überwachungs- und Geschäftsführungsebenen getrennt wird, sofern nicht die Geschäftsführung vollkommen auf Dritte delegiert ist,1 können sich entsprechende Fragen einer Kompatibilität ergeben: Denn der deutsche Gesetzgeber hat in § 27 Abs. 1 Nr. 2 SEAG bestimmt, dass der gesetzliche Vertreter eines von der Gesellschaft abhängigen Unternehmens nicht Mitglied des Verwaltungsrats der beherrschenden SE sein darf – dabei ist diese Vorschrift offenbar fast wortgleich dem § 100 Abs. 2 Nr. 2 AktG entlehnt worden. Beim Worte genommen hätte dies zur Folge, dass die oben beschriebene Personalunion kaum noch möglich wäre, da jeder geschäftsführende Direktor des Verwaltungsrats2 und für den Fall der Führungslosigkeit3 jedes Mitglied des Verwaltungsrats einer Tochtergesellschaft nicht gleichzeitig Mitglied des Verwaltungsrates der Obergesellschaft sein dürfte; damit wäre nur noch eine Konzernleitung dergestalt möglich, dass leitende Angestellte bzw. Personen außerhalb des Verwaltungsrates der Obergesellschaft gleichzeitig geschäftsführende Organmitglieder einer Tochtergesellschaft sein dürften. Ob die Regelung tatsächlich in diesem strengen Wortsinn ausgelegt werden muss, erscheint indes zweifelhaft und soll im Folgenden näher beleuchtet werden. Dazu ist zunächst ein Blick auf den für monistische SE (nach deutschem Typus) gebildeten Verwaltungsrat und seine Organmitglieder sowie deren Rechte und Pflichten zu werfen (II.). Sodann ist konkret auf die Inkompatibilitätsvorschriften (III.) und die Regelungen zu konzernrechtlichen Verflechtungen (IV.) des SEAG einzugehen. Schließlich gilt es den 1   Zu den Möglichkeiten der Delegation nach Art. 43 SE-VO s. KölnKommAktG/Siems, 3. Aufl. 2010, Art. 43 SE-VO Rn. 17 ff. m.w.Nachw.; Habersack/Drinhausen/Verse, SERecht, 2. Aufl. 2016, Art. 43 SE-VO Rn. 15. 2  Geschäftsführende Direktoren sind grundsätzlich ausschließlich vertretungsberechtigt, § 41 Abs. 1 Satz 1 SEAG; dazu Habersack/Drinhausen/Verse, SE-Recht, 2. Aufl. 2016, § 41 SEAG Rn. 3. 3   § 41 Abs. 1 Satz 2 SEAG; Habersack/Drinhausen/Verse, SE-Recht, 2. Aufl. 2016, § 41 SEAG Rn. 4.

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rechtsvergleichenden Blick auf die Gestaltungen der monistischen Struktur in anderen europäischen Mitgliedstaaten zu richten (V.)

II.  Die Ausgestaltung des Verwaltungsrats als monistische Struktur der SE (deutscher Typus) Mit der Einführung der SE musste der deutsche Gesetzgeber eine bislang dem deutschen Aktienrecht fremde Form der Organisation auf der Überwachungs- und Leitungsebene einführen, den Verwaltungsrat bzw. die sog. monistische Struktur, da die SE-VO den Gründern bzw. Aktionären der SE die Wahl zwischen dem (tradierten deutschen) dualistischen und dem monistischen System belassen wollte, Art. 43 SE-VO. Der deutsche Gesetzgeber sah sich daher der Aufgabe gegenüber, die Rechte und Pflichten sowie die Besetzung des neuen Organs als eine Art „Mischung“ aus Aufsichtsrat und Vorstand zu konzipieren. Der deutsche Gesetzgeber hat hierzu einen hybriden Ansatz gewählt,4 indem auf den ersten Blick dem Verwaltungsrat als oberstes Organ sämtliche Kompetenzen, die zuvor Aufsichtsrat und Vorstand zustanden, zugewiesen werden. Einerseits hält § 22 Abs. 1 SEAG fest, dass der Verwaltungsrat die Gesellschaft leitet und die Grundlinien ihrer Tätigkeit bestimmt sowie deren Umsetzung überwacht, was wiederum eher § 76 AktG entspricht. Auch obliegt dem Verwaltungsrat die Organisation der Führung der Handelsbücher als auch die Einrichtung eines Risikofrüherkennungssystems gem. § 22 Abs. 3 S. 2 SEAG in Entsprechung zu § 91 Abs. 2 AktG – beides typische Pflichten des Vorstandes in der AG.5 Der Verwaltungsrat ist ebenfalls nicht auf eine Überwachung der geschäftsführenden Direktoren beschränkt, sondern kann auch Geschäftsführungsentscheidungen treffen. Andererseits sind ihm auch charakteristische Befugnisse des Aufsichtsrats zugewiesen, etwa nach § 22 Abs. 4 SEAG die Einsichtnahme in die Bücher und deren Prüfung, einschließlich der Erteilung des Prüfungsauftrags an die Abschlussprüfer. Sibyllinisch hält schließlich § 22 Abs. 6 SEAG fest, dass „Rechtsvorschriften, die außerhalb dieses Gesetzes dem Vorstand oder dem Aufsichtsrat einer Aktiengesellschaft Rechte oder Pflichten zuweisen, (...) sinngemäß für den

4   S. auch MünchKommAktG/Reichert/Brandes, 4. Aufl. 2017, Bd. 7, Art. 43 SE-VO Rn. 21 m.w.Nachw; Bachmann ZGR 2008, 779, 780 f.: „schwach monistisch“; s. auch Teichmann BB 2004, 53, 58 ff.; Marsch-Barner in GS Bosch 2006, 99, 104 f. 5  Zur schwierigen Abgrenzung der zwingenden Kompetenzen des Verwaltungsrats gegenüber der laufenden Geschäftsführung Ihrig ZGR 2008, 809, 813 ff.; MünchKomm AktG/Reichert/Brandes, Bd. 7, 4. Aufl. 2017, Art. 43 SE-VO Rn. 75 ff. m.w.Nachw; Habersack/Drinhausen/Verse, SE-Recht, 2. Aufl. 2016, Art. 43 SE-VO Rn. 12 f., 16; Spindler/ Stilz/Eberspächer, AktG, 4. Aufl. 2018 (im Erscheinen), Art. 43 SE-VO Rn. 12 ff.

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Verwaltungsrat (gelten), soweit nicht in diesem Gesetz für den Verwaltungsrat und für geschäftsführende Direktoren besondere Regelungen enthalten sind.“

Deutlicher kann der hybride Charakter des Verwaltungsrats nicht hervorgehoben werden, der Aufgaben des Aufsichtsrats und Vorstands in sich vereint. Doch kann durch die Wahl von einem oder mehreren geschäftsführenden Direktoren der Verwaltungsrat die operative Leitung der Gesellschaft delegieren. Die geschäftsführenden Direktoren führen demnach die Geschäfte der SE und sind zum Teil in ihrer Funktion dem Vorstand gleichgestellt, § 40 Abs. 2 S. 1, 3, Abs. 3 SEAG. Allerdings besteht einer der wesentlichen Unterschiede gegenüber dem dualistischen System darin, dass die geschäftsführenden Direktoren weisungsgebunden gegenüber dem Verwaltungsrat sind6 – einerlei, ob es sich um dem Verwaltungsrat angehörende oder „externe“ geschäftsführende Direktoren handelt. Deutlich wird dies auch daran, dass die geschäftsführenden Direktoren gem. § 40 Abs. 5 SEAG jederzeit abberufen werden können – anders als ihr Pendant im dualistischen System, das gem. § 84 AktG nur bei wichtigem Grund abberufen werden kann. Der Verwaltungsrat ist bei der Wahl von geschäftsführenden Direktoren nicht darauf beschränkt, Dritte bzw. Angestellte der Gesellschaft zu wählen; vielmehr kann er auch aus seiner Mitte geschäftsführende Direktoren bestimmen, die nach wie vor dem Organ Verwaltungsrat angehören und insofern eine Doppelrolle ausüben. Anders als in der dualistischen Struktur der deutschen AG kann daher in der monistischen Struktur der SE der Verwaltungsrat aus „outside directors“ im Sinne von überwachenden Organmitgliedern ebenso wie aus geschäftsführenden Mitgliedern bzw. Direktoren bestehen, den „inside directors“. Umgekehrt ist dem Verwaltungsrat nach Art. 43 SE-VO auch nicht verwehrt, nur Dritte als geschäftsführende Direktoren zu wählen.7 Allerdings müssen im Verwaltungsrat die nicht-geschäftsführenden Mitglieder stets gegenüber den geschäftsführenden Mitgliedern in der Mehrheit bleiben, § 40 Abs. 1 S. 2 SEAG. Das monistische Modell sieht daher nicht zwingend vor, dass der Verwaltungsrat nur die Geschäftsführung überwacht, sondern ermöglicht auch eine Mischung aus Überwachung und

  S. auch MünchKommAktG/Reichert/Brandes, Bd. 7, 4. Aufl. 2017, Art. 43 SE-VO Rn. 14 f., 88. 7  Zutr. Teichmann BB 2004, 53; Spindler/Stilz/Eberspächer AktG, 4. Aufl. 2018 (im Erscheinen), Art. 43 SE-VO Rn 19; Ihrig ZGR 2008, 809, 811; Bachmann ZGR 2008, 779, 784 f.; Lutter/Hommelhoff/Teichmann/Teichmann, SE-Kommentar, 2. Aufl. 2015, Art. 43 Rn 17; MünchKommAktG/Reichert/Brandes, Bd. 7, 4. Aufl. 2017, Art. 43 SE-VO Rn. 18; KölnKommAktG/Siems, 3. Aufl. 2010, Art. 43 SE-VO Rn. 24; Habersack/Drinhausen/ Verse, SE-Recht, 2. Aufl. 2016, Art. 43 SE-VO Rn. 15; aA offenbar Hoffmann-Becking ZGR 2004, 355, 371. 6

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Geschäftsführung;8 erforderlich ist einzig und allein, dass die geschäftsführenden Mitglieder nicht die Oberhand im Gremium gewinnen, so dass weiterhin eine gewisse unabhängige Überprüfung ihres Geschäftsgebarens möglich ist.9 Zweck dieser Regelung ist aber auch, dass die geschäftsführenden Mitglieder die anderen Verwaltungsratsmitglieder hinsichtlich ihrer operativen Entscheidungen immer wieder von der Richtigkeit ihrer Entscheidung konkret überzeugen müssen.10 Bei einer Gesamtbetrachtung kristallisiert sich als Ausgangspunkt für den deutschen Gesetzgeber damit nach wie vor das Leitbild des Aufsichtsrats heraus, angereichert durch strategische Entscheidungen und als fundamental empfundene Pflichten bzw. Befugnisse, die dem gesamten Gremium obliegen. Daher ist es auch konsequent, dass die geschäftsführenden Mitglieder des Verwaltungsrats gegenüber den nicht-geschäftsführenden Mitgliedern stets in der Minderheit bleiben müssen, da anderenfalls die Überwachungsfunktion des Gremiums „Verwaltungsrat“ nicht mehr ausreichend gewährleistet wäre. Eine stringente Differenzierung zwischen geschäftsführenden und nicht-geschäftsführenden Mitgliedern des Verwaltungsrats lassen jedoch die Inkompatibilitätsvorschriften bei der Besetzung des Verwaltungsrats vermissen. Die SE-VO bzw. das SEAG folgt damit zwar auf den ersten Blick dem weitgehend aus den angelsächsischen und romanischen Rechtskreisen bekannten Modell der monistischen Aktiengesellschaft ohne einen zwingenden Aufsichtsrat, allerdings mit der Besonderheit, dass der Verwaltungsrat selbst in der monistischen Struktur mehrheitlich überwachend tätig ist – was nicht unbedingt dem englischen Modell entspricht, dafür aber eher dem französischen Modell.11

8   Zu Erwägungen aus Corporate Governance Gründen zur Wahl interner geschäftsführender Direktoren Bachmann ZGR 2008, 779, 788 f., insbesondere zum „PDG“-Modell. 9   S. auch Habersack/Drinhausen/Verse, SE-Recht, 2. Aufl. 2016, § 40 SEAG Rn. 2, 11; MünchKommAktG/Reichert/Brandes, Bd. 7, 4. Aufl. 2017, Art. 47 SE-VO Rn. 32; Spindler/Stilz/Eberspächer, AktG, 4. Aufl. 2018 (im Erscheinen), Art. 43 SE-VO Rn. 9; Lutter/ Hommelhoff/Teichmann/Teichmann, SE-Kommentar, 2. Aufl. 2015, Art. 43 Rn. 62, 64. 10  Lutter/Hommelhoff/Teichmann/Teichmann, SE-Kommentar, 2. Aufl. 2015, § 40 SEAG Rn. 20. 11   Zur Vorbildfunktion Frankreichs für das SEAG S. Begr RegE zu § 22 SEAG, BTDruck. 15/3405 S. 36; Neye/Teichmann AG 2003, 169, 177; MünchKommAktG/Reichert/ Brandes, Bd. 7, 4. Aufl. 2017, Art. 43 SE-VO Rn. 22, dort auch zu Unterschieden.

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III.  Inkompatibilitätsvorschriften bei der Besetzung des Verwaltungsrats Wie oben schon angedeutet, sieht § 27 Abs. 1 SEAG eine Reihe von Inkompatibilitäten bei der Besetzung des Verwaltungsrates vor. Demnach gilt: „(1) Mitglied des Verwaltungsrats kann nicht sein, wer 1. bereits in zehn Handelsgesellschaften, die gesetzlich einen Aufsichtsrat oder einen Verwaltungsrat zu bilden haben, Mitglied des Aufsichtsrats oder des Verwaltungsrats ist, 2. gesetzlicher Vertreter eines von der Gesellschaft abhängigen Unternehmens ist oder 3. gesetzlicher Vertreter einer anderen Kapitalgesellschaft ist, deren Aufsichtsrat oder Verwaltungsrat ein Vorstandsmitglied oder ein geschäftsführender Direktor der Gesellschaft angehört.

Die Vorschrift ist dabei deutlich § 100 Abs. 2 AktG für die Inkompatibilität bei der Besetzung des Aufsichtsrats nachgebildet, mit einem fast gleichen Wortlaut. Der Leitbildcharakter des Aufsichtsrats bzw. seiner Besetzung wird schließlich auch aus der Begründung zu § 27 SEAG deutlich: „Absatz 1 greift die in § 100 Abs. 2 AktG für Aufsichtsratsmitglieder genannten Einschränkungen auf. Diese sollen für den Verwaltungsrat ebenso gelten, da die Mitglieder gegenüber den geschäftsführenden Direktoren eine vergleichbare Aufsichtsfunktion haben wie im dualistischen System der Aufsichtsrat gegenüber dem Vorstand.“12

Während diese Beschränkungen hinsichtlich der überwachenden Organmitglieder des Verwaltungsrats unmittelbar einleuchten, da niemand über sich selbst Richter sein soll,13 überrascht, dass der Gesetzgeber ohne jegliche Differenzierung sämtliche Verwaltungsratsmitglieder in die Inkompatibilität dem Wortlaut nach einbezieht – obwohl der Verwaltungsrat eben gerade nicht vollständig dem Aufsichtsrat entspricht und ihm ausdrücklich nach § 40 Abs. 1 SEAG auch geschäftsführende Direktoren als Verwaltungsratsmitglieder angehören können, sofern die Mehrheit des Verwaltungsrats weiterhin aus nicht-geschäftsführenden Mitgliedern besteht. Eine allgemeine Differenzierung nach der jeweiligen Funktion der Verwaltungsratsmitglieder sieht § 27 SEAG nicht vor. Dies überrascht umso mehr, als in der Praxis die Besetzung des Verwaltungsrats in der monistisch strukturierten SE mit geschäftsführenden Direktoren, die gleichzeitig gesetzlicher Vertreter eines von der Gesellschaft abhängigen Unternehmens sind, naturgemäß nicht unüblich ist.14 Nur für den Fall der Verwaltungsratsmitglieder

  Begr RegE BT-Drucks. 15/3405 S. 37 f.   Für § 27 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SEAG: Habersack/Drinhausen/Verse, SE-Recht, 2. Aufl. 2016, § 27 SEAG Rn. 12; Lutter/Hommelhoff/Teichmann/Teichmann, SE-Kommentar, 2. Aufl. 2015 ,§ 27 SEAG Rn. 11; Verse/Baum AG 2016, 235 (236 f.). 14   Vgl. Mayfair Vermögensverwaltungs SE, LL Global Resources SE, Recyc Commodities SE, DICP Capital SE. 12 13

Personalunion im Konzern mit monistischer SE

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in einer abhängigen SE (oder einer ausländischen Tochtergesellschaft mit monistischen System) wird für § 27 Abs. 1 Nr. 2 SEAG zwischen nichtgeschäftsführenden und geschäftsführenden Verwaltungsratsmitgliedern differenziert, da nur die geschäftsführenden Direktoren den gesetzlichen Vertretern entsprechen.15 Die Differenzierung zwischen geschäftsführenden Direktoren und nicht-geschäftsführenden Verwaltungsratsmitgliedern des beherrschenden Unternehmens wurde vormals lediglich andeutungsweise diskutiert,16 findet nun aber vermehrt Zustimmung:17 So schließe Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 nicht jede Teilhabe an dem Verwaltungsrat der Obergesellschaft aus, sondern lediglich die Bestellung zum nicht-geschäftsführenden (also kontrollierenden) Verwaltungsratsmitglied.18 Da wie aufgezeigt, die Besorgnis, Richter in eigener Sache zu sein, lediglich bei nicht-geschäftsführenden Mitgliedern der Obergesellschaft trägt, ist dem zuzustimmen. Gleiches gilt für § 27 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 SEAG. Auch hier greift das Argument der Funktionstrennung zwischen Geschäftsführung und Überwachung lediglich in Bezug auf nicht-geschäftsführende Verwaltungsratsmitglieder.19 Hiermit verwandt, aber nicht identisch, ist die Frage, ob sich § 27 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SEAG ebenfalls lediglich auf nicht geschäftsführende oder in strenger Anwendung des Wortlauts auf alle Verwaltungsratsmitglieder bezieht. In einheitlicher Auslegung mit § 100 Abs. 2 Nr. 1 AktG20 ist aufgrund des Verbotes der Konzentration von mit dem Aufsichtsratsmandat vergleichbaren Tätigkeiten davon auszugehen, dass lediglich nichtgeschäftsführende Verwaltungsratsmitglieder berücksichtigt

15  Spindler/Stilz/Eberspächer, AktG, 4. Aufl. 2018 (im Erscheinen), Art. 47 SE-VO Rn. 5; MünchKommAktG/Reichert/Brandes, Bd. 7, 4. Aufl. 2017, Art. 47 SE-VO Rn. 13; Engert/Herschlein NZG 2004, 459. 16   Zu § 27 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SEAG: Schönborn Die monistische SE, 2007, S. 239 f.; Habersack/Drinhausen/Verse, SE-Recht, 2013, § 27 SEAG Rn. 8; dem Gedanken nach auch S. Fischer Monistische Unternehmensverfassung, 2010 S. 183; die Thematik gänzlich auslassend: Lutter/Hommelhoff/Teichmann, SE-Kommentar, 2008 § 27 SEAG Rn. 11 ff.; ebenso MünchKommAktG/Reichert/Brandes, Bd. 7, 3. Aufl. 2012, Art. 47 SE-VO Rn. 31. 17  Insbesondere Habersack/Drinhausen/Verse, SE-Recht, 2. Aufl, 2016, § 27 SEAG Rn. 8 ff.; Verse/Baum AG 2016, 235 (236 ff.); weiterhin keine Ausführungen bei Lutter/Hommelhoff/Teichmann/Teichmann, SE-Kommentar, 2. Aufl. 2015, § 27 Rn. 11 ff.; MünchKommAktG/Reichert/Brandes, Bd. 7, 4. Aufl. 2017, Art. 47 SE-VO Rn. 31. 18  Habersack/Drinhausen/Verse, SE-Recht, 2. Aufl, 2016, § 27 SEAG Rn. 12; – f.); angedeutet bereits bei Schönborn, Die monistische SE, 2007, S. 239 f.; zur Anwendung von § 100 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 AktG auf die monistische Gesellschaft: S. Fischer Monistische Unternehmensverfassung, 2010 S. 183. 19   So auch Habersack/Drinhausen/Verse, SE-Recht, 2. Aufl, 2016, § 27 SEAG Rn. 13; Verse/Baum AG 2016, 235 (238). 20  Spindler/Stilz/Spindler, AktG, 4. Aufl. 2018 (im Erscheinen), § 100 Rn. 16; MünchKommAktG/Habersack, Bd. 2, 4. Aufl. 2014, § 100 Rn. 19.

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werden und geschäftsführende Mitglieder wie Vorstandsmandate zu behandeln und damit nicht von § 27 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SEAG umfasst sind.21 Die VO über die SE bestimmt in diesem Rahmen in Art. 47: „(2) Personen, die a) nach dem Recht des Sitzstaats der SE dem Leitungs-, Aufsichts- oder Verwaltungsorgan einer dem Recht dieses Mitgliedstaats unterliegenden Aktiengesellschaft nicht angehören dürfen oder b) infolge einer Gerichts- oder Verwaltungsentscheidung, die in einem Mitgliedstaat ergangen ist, dem Leitungs-, Aufsichts- oder Verwaltungsorgan einer dem Recht eines Mitgliedstaats unterliegenden Aktiengesellschaft nicht angehören dürfen, können weder Mitglied eines Organs der SE noch Vertreter eines Mitglieds im Sinne von Absatz 1 sein.“

Hieraus wird teilweise der Schluss gezogen, dass § 27 Abs. 2 SEAG nur klarstellenden Charakter habe, da von vornherein sämtliche Hinderungsgründe des § 100 Abs. 2 AktG Anwendung fänden.22 Dies erscheint jedoch in dieser Form missverständlich, da Art. 47 Abs. 2 SE-VO nicht nach den jeweiligen Funktionen in einem monistischen System differenziert – eine einfache Übertragung der nur für ein bestimmtes System (hier: dualistisches System) konzipierten Hinderungsgründe würde an der differenzierten Ausgestaltung der Leitungsorgane vorbeigehen.23 Art. 47 SE-VO nennt demgemäß in einem Atemzug alle verschiedenen Organe, offeriert damit von vornherein die Unterscheidung nach den jeweiligen Funktionen, da die Vorschrift sonst über die von ihr gewollte Verweisung in das nationale Recht weit hinaus ginge. Dies belegen auch die englischen und französischen Sprachfassungen von Art. 47 SE-VO, die jeweils auf „corresponding organ“ bzw. „l’organe correspondant d’une societe anonyme“ verweisen.24 Eine im Zusammenhang mit § 27 SEAG zu lesende Norm hinsichtlich der geschäftsführenden Direktoren enthält dagegen § 40 Abs. 1 S. 2 SEAG, wonach bei der Angehörigkeit von geschäftsführenden Direktoren zum Verwaltungsrat die nicht-geschäftsführenden Verwaltungsratsmitglieder nach wie vor die Mehrheit innehaben müssen. Interessanterweise hielt der Gesetz-

 Habersack/Drinhausen/Verse, SE-Recht, 2. Aufl. 2016, § 27 SEAG Rn. 8 f.   So KölnKommAktG/Siems, 3. Aufl. 2010, Anh. Art. 51 SE-VO § 27 SEAG Rn. 1. 23  Spindler/Stilz/Eberspächer, AktG, 4. Aufl. 2018 (im Erscheinen), Art. 47 SE-VO Rn. 3; im Ergebnis ebenso Habersack/Drinhausen/Verse, SE-Recht, 2. Auflage 2016, § 27 SEAG Rn. 2; unklar KölnKommAktG/Siems, 3. Aufl. 2010, Art. 47 SE-VO Rn. 18, der zwar je nach Organfunktion Art. 47 teleologisch reduzieren will, dies aber gerade für den monistischen Verwaltungsrat nicht für erforderlich hält (Rn. 23). 24   Darauf weist zu Recht Habersack/Drinhausen/Drinhausen, SE-Recht, 2. Aufl. 2016, Art. 47 SE-VO Rn. 12 hin; ebenso Spindler/Stilz/Eberspächer, AktG, 4. Aufl. 2018 (im Erscheinen), Art. 47 SE-VO Rn. 3; Lutter/Hommelhoff/Teichmann/Teichmann, SE-Kommentar, 2. Aufl. 2015, Art. 47 Rn. 8; anders aber wohl MünchKommAktG/Reichert/Brandes, 4. Aufl. 2017, Bd. 7, Art. 47 SE-VO Rn. 27. 21 22

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geber es nicht für erforderlich, diese Regelung näher zu begründen. Stattdessen findet sich in den Gesetzgebungsmaterialien nur der Hinweis, dass „Die Bestellung geschäftsführender Direktoren durch den Verwaltungsrat (...) dazu (dient), die Funktionen der Geschäftsführung und der allgemeinen Unternehmensleitung klar zu trennen. Zahlreiche Vorschriften des AktG setzen die funktionale Trennung von Geschäftsführung und Überwachung voraus. Dies reicht von der Zuweisung administrativer Funktionen wie der Handelsregisteranmeldung über die Regelungen der Nachgründung oder Leitung der Hauptversammlung bis hin zur Aufstellung des Abhängigkeitsberichts. Dies ist auch bei kleinen und mittleren Unternehmen oder Tochtergesellschaften europäischer Konzerne keine übermäßig belastende Struktur, denn der Verwaltungsrat kann dann ggf. aus einer Person bestehen und sich im Kern auf leitende und überwachende Aufgaben beschränken. Hingegen sind gerade kleine Tochtergesellschaften begriffsnotwendig konzernverbunden und bedürfen daher für das konzernrechtliche Kontrollsystem einer Zweiteilung von Geschäftsführung und Überwachung. Eine gesetzliche Zuweisung der Geschäftsführung an den Vorsitzenden des Verwaltungsrats (wie der P.D.G. in Frankreich) erscheint nicht sinnvoll, da hiermit eine besondere Machtfülle entsteht.25“

Daraus wird indirekt deutlich, dass der Gesetzgeber die Aufsichtsfunktion des Verwaltungsrats in erster Linie im Blick hatte. Auch im monistischen System sollte daher trotz der möglichen Vermischung der Überwachungsund Leitungselemente ein klares Übergewicht zugunsten der Überwachung fortbestehen. Festzuhalten bleibt aber auch, dass der Gesetzgeber eindeutig keine Unvereinbarkeit der geschäftsführenden Tätigkeit mit der Stellung als Verwaltungsratsmitglied annahm – solange eben die überwachenden Mitglieder im Verwaltungsrat in der Mehrheit sind. Die geschäftsführende Tätigkeit ist daher nicht per se ein Ausschlussgrund bzw. eine Inkompatibilitätsvorschrift für den Verwaltungsrat. Weitere Voraussetzungen hat der Gesetzgeber in § 40 SEAG (außer des Verweises auf § 76 Abs. 3 AktG) gerade nicht geschaffen.26

  Begr RegE BT-Drucks. 15/3405 S. 39.  S. auch KölnKommAktG/Siems, 3. Aufl. 2010, Anh. Art. 51 SE-VO § 40 SEAG Rn. 19 f.; MünchKommAktG/Reichert/Brandes, 4. Aufl. 2017, Bd. 7, Art. 43 SE-VO Rn. 109 ff.; Habersack/Drinhausen/Verse, SE-Recht, 2. Aufl. 2016, § 40 SEAG Rn. 12. 25 26

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IV.  Organmitgliedschaften im Konzern und Mitgliedschaft im Verwaltungsrat der Obergesellschaft-SE Das Gesetz selbst hat – wie schon § 100 Abs. 2 AktG – konzernrechtliche Verflechtungen durchaus vor Augen. So sieht § 27 Abs. 1 S. 2 SEAG dieselbe Begrenzung an Mandaten wie das Vorbild (§ 100 Abs. 2 S. 2 AktG) vor. Damit erkennt das Gesetz aus Sicht einer Tochtergesellschaft einerseits eine Personalunion von Verwaltungsratsmitglied in der abhängigen SE und (geschäftsleitende) Organmitgliedschaft in einem herrschenden Unternehmen expressis verbis an. Andererseits ist ebenso klar diejenige Lage vom Wortlaut erfasst, in der ein gesetzlicher Vertreter einer Tochtergesellschaft dem Verwaltungsrat der SE als Obergesellschaft als ein überwachendes Mitglied angehören soll; denn in dem Fall, in dem er nur allgemein eine überwachende Funktion ausüben würde, wäre er Richter in eigener Sache, da der gesetzliche Vertreter der Tochtergesellschaft wiederum von den Entscheidungen und Weisungen der geschäftsführenden Direktoren der SE als Obergesellschaft abhängt, sich somit unmittelbare Interessenkollisionen ergeben. Die Unabhängigkeit eines nicht-geschäftsführenden Mitglieds des Verwaltungsrats in der Mutter-SE soll nicht dadurch gefährdet werden, dass er gleichzeitig gesetzlicher Vertreter in einem abhängigen Unternehmen ist. Auch dies entspricht in vollem Umfang der aktienrechtlichen Rechtslage. Umgekehrt behandelt § 27 SEAG nicht die Situation, in der ein Verwaltungsratsmitglied bei einem abhängigen Unternehmen kein gesetzlicher Vertreter, sondern etwa selbst im Aufsichtsrat vertreten ist. Denn die Position als nicht-geschäftsführender Direktor im Verwaltungsrat einer abhängigen SE wird nicht als Funktion eines „gesetzlichen Vertreters“ im Sinne des § 27 Abs. 1 Nr. 2 SEAG begriffen27 – was wiederum der Rechtslage bei § 100 AktG entspricht. Dem steht der hier relevante Fall gegenüber, dass ein Verwaltungsratsmitglied geschäftsführender Direktor ist, gleichzeitig aber in Personalunion gesetzlicher Vertreter einer abhängigen Gesellschaft ist. Wie dargelegt, würde bei wörtlicher Anwendung von § 27 Abs. 1 Nr. 2 SEAG eine Inkompatibilität vorliegen, so dass diese Form der Konzernleitung ausgeschlossen wäre. Würde man dagegen allein auf § 40 Abs. 1 S. 2 SEAG abstellen, würde es genügen, dass die Mehrheit im Verwaltungsrat nach wie vor aus nichtgeschäftsführenden Direktoren besteht – die ihrerseits natürlich nicht gesetzliche Vertreter von abhängigen Gesellschaften sein dürfen. Wie oben dargelegt, spricht jedoch der Telos von § 27 Abs. 1 SEAG dafür, die Inkompatibilitätsvorschriften nur im Hinblick auf die nicht-geschäftsführenden Verwaltungsratsmitglieder zu beziehen. Schon in der Gesetzbe27  Statt vieler: Lutter/Hommelhoff/Teichmann/Teichmann, SE-Kommentar, 2. Aufl. 2015, § 27 SEAG Rn. 12; Teichmann BB 2004, 54.

Personalunion im Konzern mit monistischer SE

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gründung wird deutlich die Bezugnahme auf die Überwachung hervorgehoben, wenn es heißt, dass „gegenüber den geschäftsführenden Direktoren eine vergleichbare Aufsichtsfunktion“

ausgeübt wird wie im Verhältnis von Aufsichtsrat zu Vorstand.28 Auch hier zeigt sich deutlich der Bezug zur Überwachungsfunktion – mithin nicht auf die geschäftsführenden Direktoren. Offensichtlich ist dem Gesetzgeber hier nicht die Differenzierung zwischen externen und internen geschäftsführenden Direktoren bewusst gewesen und das Leitbild des Aufsichtsrats quasi „übermächtig“ geworden, um den monistischen Verwaltungsrat auszuformen. Gerade wenn man aber das Leitbild des Aktienrechts heranzieht, wird deutlich, dass der Gesetzgeber die Personalunion zwischen gesetzlichen Vertretern der AG (Vorstand) und einem geschäftsleitenden Organ einer Tochtergesellschaft nicht untersagen wollte. Entsprechende Inkompatibilitätsvorschriften enthält das AktG nicht – obwohl das Problem der Personalunion schon seit Langem bekannt war und ist. Zwar ist nicht zu leugnen, dass die Personalunion zwischen geschäftsleitenden Organen zu einigen Problemen der Interessenkollision führen kann; doch stehen hierfür die konzernrechtlichen Schutzmechanismen zur Verfügung, die dem Interesse der Tochtergesellschaft genüge tun. Aus Sicht der Obergesellschaft ist eine Personalunion oftmals das effektivste Mittel einer Leitung (und Überwachung) der Tochtergesellschaft, da das betreffende Organmitglied in seiner Hand unmittelbar die nötigen Befugnisse und Informationen vereinigt. Vor diesem Hintergrund hat auch der II. Zivilsenat des BGH in einem obiter dictum ohne Weiteres die Personalunion zwischen Vorstand und geschäftsleitenden Organ einer Tochtergesellschaft für zulässig gehalten.29 Berücksichtigt man daher das aktienrechtliche Leitbild, von dem der Gesetzgeber des SEAG erkennbar ausgegangen ist, kann auch für den Verwaltungsrat monistischer Prägung nichts anderes gelten, als dass die geschäftsführenden Direktoren personell identisch mit den geschäftsleitenden Organen von Tochtergesellschaften sein dürfen. Hierfür spricht auch die Kontrollüberlegung, dass vergleichbare Probleme nicht bestünden, wenn der Verwaltungsrat sich entschließt, keine Verwaltungsratsmitglieder zu geschäftsführenden Direktoren zu ernennen, sondern nur auf externe geschäftsführende Direktoren zurückgreift. In diesem Fall könnte keine Rede von einer Inkompatibilität sein, da diese externen Direktoren keine Mitglieder des Verwaltungsrats wären und somit ohne Weiteres in Personalunion die Funktion als geschäftsführende Direktoren wie auch diejenige des geschäftsleitenden Organmitglieds einer Tochtergesellschaft 28 29

  Begr RegE BT-Drucks. 15/3405, S. 37 f.   BGH vom 9.3.2009 – II ZR 170/07 Z 180, 105 Rn. 15 = NZG 2009, 744.

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wahrnehmen könnten. Wäre der Verwaltungsrat aber für Konzernkonstellationen derart in seiner Wahl beschränkt, wäre de facto die Option nach § 40 Abs. 1 SEAG ausgehebelt, erst recht wäre quasi durch die Hintertür der Verwaltungsrat doch weitgehend auf eine Aufsichtsratsfunktion reduziert – was der Intention der SE-VO und der durch sie ausdrücklich eingeräumten Optionen widerspräche. Auch im Hinblick auf die Wahlfreiheit des Verwaltungsrats müssen daher die Inkompabilitätsvorschriften europarechtskonform auf die nicht-geschäftsführenden Direktoren des Verwaltungsrats beschränkt bleiben. Bestärkt wird diese Überlegung dadurch, dass der geschäftsführende Direktor ohne Weiteres Weisungen z.B. gegenüber einem GmbH-Geschäftsführer als abhängiger Gesellschaft in seiner Eigenschaft als gesetzlicher Vertreter der SE (als beherrschende Gesellschaft) geben dürfte, die der Geschäftsführer zu befolgen hätte – aber nicht in Personalunion tätig sein dürfte. Wie dargelegt, bleibt die Überwachungsfunktion des Verwaltungsrats weiterhin durch das erforderliche Übergewicht der nicht-geschäftsführenden Direktoren erhalten – für die selbstverständlich die Inkompatibilität gilt. Es ist den geschäftsführenden Direktoren daher gerade nicht möglich, Beschlüsse im eigenen Interesse oder dem der Tochtergesellschaft durchzusetzen, wenn nicht der Rest des Verwaltungsrats von der Richtigkeit der Entscheidung überzeugt wurde. Die nach wie vor bestehende Überwachungsfunktion des Verwaltungsrats wird nicht zuletzt in den Erwägungsgründen (Nr. 14) der SE-VO selbst hervorgehoben.

V. Rechtsvergleichung 1. Österreich Am ehesten mit der deutschen Rechtslage, als ein Land, das traditionellerweise dem dualistischen System folgt, ist die Situation in Österreich vergleichbar. Auch hier wurde mit dem Bundesgesetz über das Statut der Europäischen Gesellschaft (Societas Europaea – SE) – (SE-Gesetz – SEG) das monistische System des Verwaltungsrats eingeführt. Noch deutlicher als in Deutschland stand hier das Bestreben im Vordergrund, auch im monistischen System die Überwachungsfunktion und die Beschränkung des Verwaltungsrats auf die strategischen Entscheidungen hervorzuheben. So dürfen zwar auch geschäftsführende Direktoren dem Verwaltungsrat angehören, jedoch nur in nicht-börsennotierten Unternehmen; Gesellschaften, die an einem geregelten Markt gelistet sind, müssen nach § 59 Abs. 2 SEG externe geschäftsführende Direktoren bestellen, eine Personalunion mit dem Verwaltungsrat ist hier explizit untersagt.

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Für die Besetzung des Verwaltungsrats enthält § 45 SEG zudem weitere Vorgaben. Von Interesse ist hier vor allem der Verweis in § 45 Abs. 3 SEG auf § 86 Abs. 2 Z 1 und 2 des österreichischen Aktiengesetzes (ÖAktG): „Mitglied des Aufsichtsrats kann nicht sein, wer 1.  bereits in zehn Kapitalgesellschaften Aufsichtsratsmitglied ist, wobei die Tätigkeit als Vorsitzender doppelt auf diese Höchstzahl anzurechnen ist, 2.  gesetzlicher Vertreter eines Tochterunternehmens […] der Gesellschaft ist […]“

Damit findet sich seit der Novellierung des SEG und des ÖAktG durch das Gesellschaftsänderungsgesetz von 200530 eine dem § 27 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 und Nr. 2 SEAG entsprechende Regelung. Lediglich auf das Verbot der Überkreuzverflechtung gemäß § 86 Abs. 2 Z 3 ÖAktG verweist § 45 Abs. 3 SEG nicht. Von dieser regulativen Entscheidung abgesehen birgt das SEG die gleichen Problemfelder wie das SEAG. Gemäß §§ 43 Abs. 1, 59 Abs. 1 Satz 2, Abs. 2 SEG können bei nicht börsennotierten Gesellschaften ebenfalls geschäftsführende und vertretungsberechtigte Direktoren Mitglied des Verwaltungsrats sein. Das österreichische Recht geht im Gegensatz zum deutschen Recht gemäß § 43 Abs. 1 SEG von Gesamtvertretung durch Verwaltungsrat und geschäftsführenden Direktoren aus. Die Funktionstrennung zwischen Aufsicht und Geschäftsführung ist dementsprechend stark verwischt.31 Eine Diskussion um die Differenzierung zwischen geschäftsführenden Direktoren und überwachenden Verwaltungsratsmitgliedern findet sich bislang nicht.32 Diese ist indes trotz Aufweichung der Funktionstrennung keineswegs entbehrlich: Zwar obliegt dem Verwaltungsrat auch die Leitung der Gesellschaft, den geschäftsführenden Direktoren aber keineswegs die Überwachung.33 Zudem macht der Verweis in § 45 Abs. 3 SEG auf die Regelung zur Zusammensetzung des Aufsichtsrats in § 86 ÖAktG deutlich, dass der österreichische Gesetzgeber bei der Inkompatibilitätsvorschrift den überwachenden Teil des Gremiums vor Augen hatte. Diese Tendenz kann insofern für das deutsche Recht fruchtbar gemacht werden, als sie den o.g. Schluss, § 27 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 und Nr. 2 SEAG lediglich auf die nicht geschäftsführenden Verwaltungsratsmitglieder anzuwenden, untermauert.

30   Gesellschaftsrechtsänderungsgesetz 2005 NR: GP XXII RV 927 AB 985 S. 112. BR: AB 7308 S. 723. 31  MünchKommAktG/Kalss, 4. Aufl. 2017, Bd. 7 Europäisches Aktienrecht – Die SE in Österreich, Rn. 32 f. 32  MünchKommAktG/Kalss, 4. Aufl. 2017, Bd. 7 Europäisches Aktienrecht – Die SE in Österreich, Rn. 26. 33  MünchKommAktG/Kalss, 4. Aufl. 2017, Bd. 7 Europäisches Aktienrecht – Die SE in Österreich, Rn. 40.

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2. Frankreich Auch in Frankreich wurde die SE-VO durch die „Loi Breton“ und in den Art. L229-1 ff. der Code de Commerce umgesetzt.34 Als Rechtsordnung, die traditionell dem monistischen System folgt, optional aber auch schon früher das dualistische System vorsah, verwundert es nicht, dass Art. L229-7 sich für den Verwaltungsrat auf einen weitgehenden Verweis auf die entsprechenden Regeln zur Société anonyme beschränkt. Für die Besetzung des „directoire“ als Pendant zum Verwaltungsrat beschränkt sich Art. L225-21 wiederum auf eine Begünstigung von Personalverflechtungen in Abs. 2: Article L225-21 Une personne physique ne peut exercer simultanément plus de cinq mandats d’administrateur de sociétés anonymes ayant leur siège sur le territoire français. Par dérogation aux dispositions du premier alinéa, ne sont pas pris en compte les mandats d’administrateur ou de membre du conseil de surveillance exercés par cette personne dans les sociétés contrôlées au sens de l’article L. 233-16 par la société dont elle est administrateur. Pour l’application des dispositions du présent article, les mandats d’administrateur des sociétés dont les titres ne sont pas admis aux négociations sur un marché réglementé et contrôlées au sens de l’article L. 233-16 par une même société ne comptent que pour un seul mandat, sous réserve que le nombre de mandats détenus à ce titre n’excède pas cinq.

Auch diese Regelungen erinnern eher an § 45 Abs. 3 S. 2 ff. öst.SEG und § 100 Abs. 1 Nr. 3 dt.AktG – nicht aber umgekehrt an Inkompatibilitäten von gesetzlichen Vertretern abhängiger Gesellschaften im Verwaltungsrat. Der wesentliche Grund hierfür liegt offenbar darin, dass das französische System hinsichtlich des monistischen Verwaltungsrats wesentlich weniger Gewicht auf die Überwachungs- denn auf die Leitungsfunktion legt. So hält für die Befugnisse des conseil d’administration Art. L225-35 fest: Article L225-35 Le conseil d’administration détermine les orientations de l’activité de la société et veille à leur mise en oeuvre. Sous réserve des pouvoirs expressément attribués aux assemblées d’actionnaires et dans la limite de l’objet social, il se saisit de toute question intéressant la bonne marche de la société et règle par ses délibérations les affaires qui la concernent. Dans les rapports avec les tiers, la société est engagée même par les actes du conseil d’administration qui ne relèvent pas de l’objet social, à moins qu’elle ne prouve que le tiers savait que l’acte dépassait cet objet ou qu’il ne pouvait l’ignorer compte tenu des circonstances, étant exclu que la seule publication des statuts suffise à constituer cette preuve.

  Loi n°2005-842 du 26 juillet 2005 – art. 11 (V) JORF 27 juillet 2005.

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Le conseil d’administration procède aux contrôles et vérifications qu’il juge opportuns. Le président ou le directeur général de la société est tenu de communiquer à chaque administrateur tous les documents et informations nécessaires à l’accomplissement de sa mission.

Im Gegenteil: der Verwaltungsrat kann seinem Präsidenten alle Machtbefugnisse des geschäftsführenden Direktors in eine Hand übertragen – oder einem Dritten: Article L225-51-1 La direction générale de la société est assumée, sous sa responsabilité, soit par le président du conseil d’administration, soit par une autre personne physique nommée par le conseil d’administration et portant le titre de directeur général. Dans les conditions définies par les statuts, le conseil d’administration choisit entre les deux modalités d’exercice de la direction générale visées au premier alinéa. Les actionnaires et les tiers sont informés de ce choix dans des conditions définies par décret en Conseil d’Etat. Lorsque la direction générale de la société est assumée par le président du conseil d’administration, les dispositions de la présente sous-section relatives au directeur général lui sont applicables.

Die Machtfülle, mit der der „PDG“ ausgestattet ist, zeigt nochmals deutlich Art. L225-56: I. – Le directeur général est investi des pouvoirs les plus étendus pour agir en toute circonstance au nom de la société. Il exerce ces pouvoirs dans la limite de l’objet social et sous réserve de ceux que la loi attribue expressément aux assemblées d’actionnaires et au conseil d’administration. Il représente la société dans ses rapports avec les tiers. La société est engagée même par les actes du directeur général qui ne relèvent pas de l’objet social, à moins qu’elle ne prouve que le tiers savait que l’acte dépassait cet objet ou qu’il ne pouvait l’ignorer compte tenu des circonstances, étant exclu que la seule publication des statuts suffise à constituer cette preuve. Les dispositions des statuts ou les décisions du conseil d’administration limitant les pouvoirs du directeur général sont inopposables aux tiers. II. – En accord avec le directeur général, le conseil d’administration détermine l’étendue et la durée des pouvoirs conférés aux directeurs généraux délégués.

Demgemäß besitzt der PDG sämtliche Befugnisse, sowohl intern als auch extern. Zwar beschränkt sich damit der restliche Verwaltungsrat (conseil d’administration) letztlich auch auf Überwachungsaufgaben, so wie der Verwaltungsrat monistischer Prägung im deutschen System vom Gesetzgeber weitgehend ausgestaltet worden ist; indes fehlen im französischen System hier deutliche Vorgaben, etwa eines Übergewichts nicht-geschäftsführender Direktoren. Letztlich wird dies aber dadurch erreicht, dass die Übertragung der Geschäftsführung nur auf den PDG selbst oder eben an Dritte stattfin-

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den kann, nicht aber auf mehrere geschäftsführende Direktoren innerhalb des conseils d’administration – eine Regelung, wie sie § 40 Abs. 1 dt.SEAG vorsieht, der die Mehrheit der nicht-geschäftsführenden Direktoren wahren will, wird dadurch überflüssig. Für die Position des „directeur générale“ sieht Art. L225-54-1 besondere Vorgaben vor, die aber wiederum eher die Personalverflechtung mit anderen Konzerngesellschaften erleichtern sollen (s. insbesondere Abs. 2): Article L225-54-1 Une personne physique ne peut exercer simultanément plus d’un mandat de directeur général de sociétés anonymes ayant leur siège sur le territoire français. Par dérogation aux dispositions du premier alinéa : – un deuxième mandat de directeur général ou un mandat de membre du directoire ou de directeur général unique peut être exercé dans une société contrôlée au sens de l’article L. 233-16 par la société dont il est directeur général ; – une personne physique exerçant un mandat de directeur général dans une société peut également exercer un mandat de directeur général, de membre du directoire ou de directeur général unique dans une société, dès lors que les titres de celles-ci ne sont pas admis aux négociations sur un marché réglementé.

Daraus wird deutlich, dass gerade dem geschäftsführenden Direktor ausdrücklich eine Organmitgliedschaft als geschäftsführendes Mitglied in einem abhängigen Unternehmen zugestanden wird. Eine Inkompatibilität wird hier nicht vorgesehen, so dass gerade auch der PDG ein Mandat in einer anderen Gesellschaft ausüben kann. Offenbar sieht es das französische Recht wieder als ausreichend an, dass mit der Geschäftsführung nur ein Mitglied des conseil d’administration beauftragt werden kann. Der rechtsvergleichende Befund zeigt daher deutlich, dass das deutsche System hinsichtlich des monistischen Verwaltungsrats und der Trennung von nicht-geschäftsführenden und geschäftsführenden Direktoren „nicht zu Ende“ gedacht ist; gerade die Übertragung auf den PDG oder einen Dritten führt zur klaren Überwachungsfunktion des conseil d’administration. 3. England Für England fällt der rechtsvergleichende Befund in ähnlicher Weise aus: Die Umsetzung der SE-VO erfolgte mit den „European Public Limited-Liability Company Regulation“ aus dem Jahre 2004, geändert durch die Regulations 2009.35 Ähnlich der „Loi Breton“ in Frankreich verweist Art. 78 der Regulations lapidar auf eine Gleichsetzung des „board of directors“ mit dem

  Statutory Instrument No.2009 No. 2004 S. dazu unten Annex.

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Personalunion im Konzern mit monistischer SE

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Begriff des „administrative organ“ im monistischen System (Art. 78 Abs. 3 iVm Abs. 4–6 der Regulation 2004). Dementsprechend kommt es wiederum auf die Regelungen im Companies Act 2006 zum „board of directors“ an.36 Hier finden sich indes kaum Regelungen, die auf Vorgaben zur Inkompatibilität in einer Konzerngruppe hindeuten könnten: Abgesehen davon, dass das kodifizierte englische Gesellschaftsrecht praktisch kaum Regeln zur „group of companies“ kennt, sehen die einschlägigen Artikel des Companies Act 2006 zum „Director“ keinerlei (negativen) Qualifikationsvorgaben vor, geschweige denn zu Doppelmandaten. Lediglich aus den Bestimmungen zur Vermeidung von Interessenkonflikten und zu den „Shadow directors“ ließen sich indirekt Vorgaben ableiten, die allerdings wiederum einzelfallabhängig wären. In diesem Zusammenhang hält aber Art. 251 Companies Act ausdrücklich fest: „(3) A body corporate is not to be regarded as a shadow director of any of its subsidiary companies for the purposes of— Chapter 2 (general duties of directors), Chapter 4 (transactions requiring members’ approval), or Chapter 6 (contract with sole member who is also a director), by reason only that the directors of the subsidiary are accustomed to act in accordance with its directions or instructions“

Auch hier wird wieder – vergleichbar dem französischen Recht etwa – deutlich, dass Rechtshandlungen innerhalb der verbundenen Unternehmensgruppe ausgenommen werden sollen, mithin in der Regel auch keine Interessenkonflikte aufgrund der Figur eines „shadow directors“ angenommen werden.37 In der Praxis ist es ähnlich wie in den USA zu einer Ausdifferenzierung von „inside und outside directors“ gekommen, bis hin zur Schaffung eines „chief executive officers“ – ohne dass dem indes eine rechtlich zwingende Festlegung zugrunde läge.38

VI. Zusammenfassung Als Telos von §§ 27 Abs. 1, 40 Abs. 1 S. 2 SEAG lässt sich daher festhalten, dass die überwachende Funktion des Verwaltungsrats erhalten bleiben muss – gleichzeitig aber die Beteiligung von geschäftsführenden Direktoren 36   Hier findet sich lediglich in Art. 173 die allgemeine Pflicht zur Bildung einer unbefangenen Meinung; keine Rolle spielen die Vorschriften über den secretary of the company, Art. 271 ff. des Companies Act. Hier handelt es sich nicht um einen den geschäftsführenden Direktoren vergleichbare Funktion, sondern eher um eine Art kombinierte Rechts- und Buchhaltungsfunktion. Zudem fehlt es hier an relevanten Inkompatibilitätsvorschriften. 37   Companies Act/Schall/Doralt sec 251 Rn. 4. 38   S. auch KölnKommAktG/Siems, 3. Aufl. 2010, Vor Art. 43 Rn. 8 m.w. Nachw.

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am Verwaltungsrat möglich ist und sein muss. Entscheidend ist das stetige Übergewicht der nicht-geschäftsführenden Direktoren. Von dieser Zielsetzung ausgehend muss in die Inkompatibilitätsvorschriften des § 27 Abs. 1 SEAG die Trennung von nicht-geschäftsführenden und geschäftsführenden Direktoren praktisch hineingelesen werden – auch hinsichtlich der Konzernzurechnung. Der Ausschlussgrund des § 27 Abs. 1 Nr. 2 SEAG findet demnach auf geschäftsführende Verwaltungsratsmitglieder keine Anwendung. Dies gilt genauso in konzernrechtlichen Konstellationen, so dass auch in der monistischen Struktur einer Personalunion keine Hindernisse entgegenstehen.

Einziehung und Abfindung im GmbH-Recht

Geht nicht – geht doch: Warum es für die Lösung des Problems „Einziehung und Abfindung“ 59 Jahre brauchte Lutz Strohn Am 24. Januar 2012 stand beim II. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs ein Fall zur Entscheidung an, dessen grundsätzliche Bedeutung ganz ohne Zweifel war. Es ging um die Frage, ob die Einziehung eines GmbH-Geschäftsanteils erst dann wirksam wird, wenn der betroffene Gesellschafter seine Abfindung erhalten hat. Dazu gab es noch keine höchstrichterliche Entscheidung. Der Senat hatte sich wohl zur Ausschließung aus wichtigem Grund geäußert und diese unter bestimmten Voraussetzungen für zulässig gehalten. Dazu gehörte eine Verknüpfung des Prozesses über die Ausschließung mit der Zahlung der Abfindung als aufschiebende Bedingung.1 Die Instanzrechtsprechung und das Schrifttum waren einmütig davon ausgegangen, dass die „alte“ Entscheidung zur Ausschließung auch für die Einziehung gelte. Jedenfalls hat das Verhältnis Einziehung und Abfindung für die Beratungs- und Prozesspraxis eine ebenso große Bedeutung wie die Ausschließung und die Abfindung. Dabei sind die wenigen Entscheidungen zu diesem Thema wie Masten einer Stromleitung. Sie halten die Leitung am Himmel, lassen sie aber in den Zwischenräumen mehr oder weniger durchhängen. Zwei wichtige Masten zum Thema Einziehung und Abfindung hat der II. Zivilsenat unter dem Vorsitz von Alfred Bergmann aufgerichtet. Deshalb nehme ich an, dass er sich über einige Bemerkungen dazu freuen wird.

I.  Vorgeschichte: Rechtsprechung des Reichsgerichts Bei Urteilen des Bundesgerichtshofs aus der Frühzeit seines Bestehens entspricht es dem Respekt vor dem Reichsgericht, auch dessen Judikatur in den Blick zu nehmen. Das Reichsgericht hatte in seinem Urteil vom 13. August 19422 die Auffassung von Scholz3 wiedergegeben, es sei ein in den   BGH, Urteil vom 1. April 1953 – II ZR 235/52, BGHZ 192, 236.   II 67/41, RGZ 169, 330, 333 f. 3   Ausschließung und Austritt eines Gesellschafters aus der GmbH, 1942. 1 2

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Grundsätzen von Treu und Glauben und der gesellschafterlichen Treuepflicht begründetes Erfordernis, dass ein Gesellschafter ausscheide, wenn in seiner Person wichtige Gründe vorlägen, aus denen seine weitere Mitgliedschaft für die Gesellschaft untragbar sei; dafür komme auch eine Einziehung in Betracht, selbst wenn sie im Gesellschaftsvertrag nicht vorgesehen sei. Das Reichsgericht hat diese Überlegung aufgegriffen, wenn auch in einem Fall, in dem es darum ging, ob ein Gesellschafter wegen Zugehörigkeit zur jüdischen Rasse ausgeschlossen werden konnte. Folgerichtig spielte die Abfindung in der Entscheidung des Reichsgerichts keine Rolle. Im Gegenteil verlangte die Gesellschaft von dem betroffenen Gesellschafter noch 173.832,35 Reichsmark. Zur Begründung der Einziehung ohne Satzungsregelung berief sich das Reichsgericht auf eine Auslegung des Gesellschaftsvertrags nach § 157 BGB. Es wollte aber wohl alle derartigen Fälle gleich behandeln, ohne den jeweiligen Gesellschaftsvertrag einzeln auszulegen: Eine solche Auffassung ließe sich mit § 34 GmbHG insofern in Einklang bringen, als es ohne weiteres als im Sinn eines jeden Gesellschaftsvertrages liegend angesehen werden muss, dass die Gesellschaft in Fällen unzumutbarer Belastung durch die Fortdauer der Mitgliedschaft eines Gesellschafters über Mittel verfügen soll, sich hiergegen zu schützen; zu diesem Ergebnis führt … § 157 BGB ...

Diese Linie hatte der Senat des Reichsgerichts – wenn auch ohne Bezug auf § 157 BGB – schon in seiner Entscheidung vom 2. Juli 19264 vertreten. Dort hatte er die Gründe aufgezählt, aus denen § 34 GmbHG nicht anwendbar sei. Sodann hatte er überraschend ausgeführt, dass von den Erfordernissen des § 34 GmbHG abgesehen werden könne, wenn es sich um die Ausschließung eines Gesellschafters aufgrund persönlicher Verhältnisse handle. Als solche persönlichen Verhältnisse hatte der Senat einen Austritt aus einem – damals noch rechtmäßigen5 – Kartell angesehen.6

II.  Ausschließung eines GmbH-Gesellschafters ohne Satzungsgrundlage Der noch junge II. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs fand also eine – wenn auch dogmatisch mäandernde und durchaus anfechtbare – Rechtsprechung des Reichsgerichts zur Zulässigkeit einer Ausschließung aus wichtigem Grund vor. Bahnbrechend an der Reichsgerichtsrechtsprechung war die   II 570/25, RGZ 114, 212, 218,   Zur geschichtlichen Entwicklung des Kartellrechts s. etwa Bechtold, GWB, 8. Aufl. 2015, Einführung Rn. 1 ff.; zur Kartellverfolgung heute s. Bundeskartellamt, Erfolgreiche Kartellverfolgung, 2016. 6   In einer Entscheidung vom 24. November 1933 – II 113/33, RGZ 142, 286, 290, hatte der Senat die Zahlung der Abfindung noch als eine gesetzliche Bedingung für die Wirksamkeit der Einziehung bezeichnet. 4 5

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Annahme, auf die Voraussetzungen des gerade für den Fall eines unzumutbar gewordenen Mitgesellschafters zugeschnittenen § 34 GmbHG komme es nicht an; eine Einziehung sei auch dann zulässig, wenn die gesetzlichen Voraussetzungen der Einziehung nicht erfüllt seien. Nach dem Wortlaut und dem Sinn und Zweck des § 34 GmbHG eröffnet diese Norm aber gerade die Möglichkeit der Lösung von einem Gesellschafter aus wichtigem Grund. Freilich soll diese Möglichkeit nur dann bestehen, wenn die Einziehung in der Satzung vorgesehen ist. Das war die Entscheidung des Gesetzgebers.7 Sie mag unbequem sein, ist aber nicht völlig praxisfern. Denn in derartigen Spannungsverhältnissen besteht für die übrigen Gesellschafter in aller Regel die Möglichkeit, die Gesellschaft aufzulösen, eine neue Gesellschaft – ohne den Quertreiber – zu gründen und dann von dieser die assets aus der Liquidationsmasse erwerben zu lassen. Gestaltet man das geschickt, verlieren die Gesellschafter der neuen Gesellschaft nicht unbedingt ihr Lebenswerk. Der II. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat sich für einen anderen Weg entschieden. Er hat die Rechtsprechung des Reichsgerichts nur im Ergebnis fortgeführt und dabei angenommen, eine Ausschließung aus wichtigem Grund (durch Urteil oder bei entsprechender Satzklausel durch Beschluss) sei unabhängig davon zulässig, ob die Einziehung im Gesellschaftsvertrag vereinbart sei.8 Als Grundlage dieses Rechtssatzes hat er nicht § 34 GmbHG oder eine Auslegung des Gesellschaftsvertrags herangezogen, sondern sich auf eine Rechtsanalogie gestützt.9 Auch dafür gibt es gute Gründe. Der eine betrifft die emotionale Befindlichkeit der Gesellschafter, der andere einen Rundblick über das Recht der Dauerschuldverhältnisse. 1.  Emotionale Befindlichkeit der Gesellschafter Dass die Zulässigkeit einer Einziehung nach § 34 Abs. 1 GmbHG an eine Klausel in der Satzung gebunden ist, soll die Gesellschafter u.a. davor warnen, dass sie in (ferner) Zukunft ihren Geschäftsanteil gegen ihren Willen verlieren können.10 Dieser Warnzweck betrifft vor allem die Regelung in § 34 Abs. 2 GmbHG. Danach findet die Einziehung ohne Zustimmung des Betroffenen nur statt, wenn deren Voraussetzungen entweder schon bei Gründung oder jedenfalls bei dem Beitritt des betroffenen Gesellschafters in der Satzung festgesetzt waren. Wer sich dieser Gefahr nicht aussetzen will, soll die Einziehung im Gesellschaftsvertrag nicht zulassen. Dieser Schutz ist

  Fleischer NZG 2018, 241, 245.   BGH, Urt. v. 1.4.1953 – II ZR 235/52, BGHZ 9, 157, juris Rn. 6 ff. 9   BGH, Urt. v. 1.4.1953 – II ZR 235/52, BGHZ 9, 157, juris Rn. 17. 10  Zum Schutz der übrigen Gesellschafter s. etwa Fritz, Die Zwangseinziehung von GmbH-Geschäftsanteilen, 2015, S. 18 ff. m.w.N. 7 8

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jedoch nur bedingt wirksam. Die Erfahrung zeigt, dass sich ein durchschnittlicher Gesellschafter von einer Einziehungsklausel in der Satzung nur unwesentlich beeindrucken lässt. Kommt man zusammen, um eine Gesellschaft zu gründen oder eine Person als neuen Gesellschafter aufzunehmen, ist das in der Regel ein Grund zum Feiern. Dass sich die frisch gebackenen Gesellschafter entzweien könnten und das vormals so gute Verhältnis zwischen ihnen erkalten, ja sich in das genaue Gegenteil verkehren könnte, vermögen viele nicht an sich heranzulassen, ebenso wenig wie sich Brautleute bei der Hochzeitsfeier nicht mit der Möglichkeit eines Ehekriegs und einer Scheidung befassen wollen. Gerade in Zwei-Personen-Gesellschaften besteht am Anfang ein vermeintlich gutes Vertrauensverhältnis. Wenn der Notar dann vorschlägt, man solle doch eine Einziehung aus wichtigem Grund vorsehen, wird das oft als lästige Formalität angesehen, deren man sich schnell entledigen will. Im Gründungs- oder Beitrittsstadium glauben jedenfalls viele Gesellschafter, dass die Voraussetzungen einer Einziehung in ihrer Person nicht verwirklicht werden könnten. Das ist sicher anders, wenn sich auf beiden Seiten Schlachtreihen von M&A-Anwälten positioniert haben und jedes Wort des Gesellschafts- oder Beitrittsvertrags auf die Goldwaage legen. Aber in der Realität überwiegen die Gesellschaften, die nicht einmal einen einzigen Anwalt zu Rate ziehen, sondern ihre gesellschaftsrechtlichen Angelegenheiten vom Steuerberater und ggf. dem Notar erledigen lassen. In diesen Fällen hat die Einziehungsklausel im Gesellschaftsvertrag oft keine abschreckende Wirkung. Fehlt umgekehrt die Klausel, wird man sich dessen erst bewusst, wenn man sie braucht. 2.  Systematik der Dauerschuldverhältnisse Der zweite Grund, warum auch bei Fehlen einer Satzungsregelung die Ausschließung aus wichtigem Grund möglich sein sollte, ist systematischer Art. Ein Vergleich mit den Regelungen über Dauerschuldverhältnisse zeigt, dass dort grundsätzlich eine Möglichkeit zur Ausschließung aus wichtigem Grund vorgesehen ist. Das gilt etwa für allgemeine Mietverhältnisse nach § 543 BGB, für Mietverhältnisse über Wohnraum nach § 569 BGB, für Dienst- oder Arbeitsverhältnisse nach § 626 BGB, für Personengesellschaften nach §§ 737, 723 BGB und für Personenhandelsgesellschaften mit der Klagemöglichkeit nach §§ 140, 133 HGB. Der Gesetzgeber des Schuldrechtsreformgesetzes hat diese Regelungen in § 314 BGB zusammengefasst. In der Begründung des Gesetzentwurfs11 heißt es dazu: Der Entwurf sieht mit § 314 RE eine allgemeine Vorschrift über die außerordentliche Kündigung von Dauerschuldverhältnissen vor. Es erscheint geboten, bei einer allgemei11   BT-Drucks. 14/6040, S. 177.; zur Gesetzgebungsgeschichte s. etwa Böttcher in Erman, BGB, 15. Aufl. 2017, § 314 Rn. 2.

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nen Überarbeitung des Leistungsstörungsrechts die Kündigung aus wichtigem Grund bei Dauerschuldverhältnissen in das Bürgerliche Gesetzbuch aufzunehmen. Dafür spricht sowohl die erhebliche praktische Bedeutung dieses Rechtsinstituts als auch die seit langem gefestigte Rechtsprechung zu seinem Anwendungsbereich. Der Entwurf übernimmt im Wesentlichen die bisherige Rechtsprechung. § 314 RE steht damit in einem Konkurrenzverhältnis zu zahlreichen Vorschriften des Bürgerlichen Gesetzbuchs und anderer Gesetze, in denen die Kündigung aus wichtigem Grund bei einzelnen Dauerschuldverhältnissen besonders geregelt ist. Diese Einzelbestimmungen sollen nicht aufgehoben oder geändert werden, sondern als leges speciales Vorrang vor § 314 RE haben.

Danach soll § 314 BGB lex generalis sein. Spezielle Kodifizierungen sollen vorgehen. In der Praxis ist das anders. Dass selbst gegen den Wortlaut der Norm ein Ausschließungsrecht aus wichtigem Grund angenommen wird, zeigt sich etwa an § 68 Abs. 1 GenG. Darin heißt es, die Gründe, aus denen ein Mitglied aus der Genossenschaft ausgeschlossen werden könne, müssten in der Satzung bestimmt sein. Dennoch nahm das Reichsgericht und nimmt eine starke Meinung im Schrifttum noch heute an, eine Ausschließung könne auch ohne entsprechende Satzungsklausel erfolgen.12 Hätte der Gesetzgeber ernst gemacht mit dem Wortlaut des § 68 GenG, so hätte er eine Klarstellung in das Gesetz schreiben müssen. Stattdessen hat er sich zu dem Meinungsstreit nicht geäußert. Bei diesem Sachstand hatte der II. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs genügend Gründe, um den Rechtssatz, bei Dauerschuldverhältnissen müsse die Ausschließung einer Vertragspartei aus wichtigem Grund möglich sein, auch auf die GmbH zu übertragen – trotz des § 34 GmbHG. Warum man einen Gesellschafter einer Gesellschaft bürgerlichen Rechts ohne Grundlage im Gesellschaftsvertrag ausschließen kann, dagegen einen Gesellschafter einer Gesellschaft mit beschränkter Haftung nicht, lässt sich nur schwer begründen. Das Motiv des Gesetzgebers war im Jahr 1953, als der II. Zivilsenat über die Ausschließung ohne Satzungsgrundlage zu entscheiden hatte, verblasst. Die Praxis hatte gezeigt, dass auch bei der GmbH eine Lösung von einem Gesellschafter, der in seiner Person einen wichtigen Grund gesetzt hatte, unabhängig von der Satzung möglich sein sollte. Dann aber galt der Grundsatz, dessen Erwähnung im Urteil vom 1. April 1953 dem Richter Kuhn zugeschrieben wird:13 Das Recht hat dem Leben zu dienen und muss die entsprechenden Formen zur Verfügung stellen. Ein pflichtbewusster Richter kann sich der Aufgabe, das Recht notfalls fortzuentwickeln, nicht entziehen.

12   RG, Urteil vom 13. August 1942 – R 67/41, RGZ 169, 330, 333 f.; Beuthien, Genossenschaftsgesetz, 15 Aufl. 2011, § 68 Rn. 2, 4a; aA Geibel in Henssler/Strohn, Gesellschaftsrecht, 3. Aufl. 2016, GenG § 68 Rn. 1, Fandrich in Pöhlmann/Fandrich/Bloehs, Genossenschaftsgesetz, 4. Aufl. 2012, § 68 Rn. 2 m.w.N. 13   BGH, Urteil vom 1. April 1953 – II ZR 235/52, BGHZ 9, 157, juris Rn. 15; Fleischer NZG 2018, 241, 245.

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3. Zwischenergebnis Eine Entscheidung, die auf diesen Grundsatz gestützt wird, ist viel stärker von den subjektiven Anschauungen der Richter abhängig als eine normale Entscheidung. Ist es schon dabei schwierig, einen Richter nach der Verkündung seines Urteils davon zu überzeugen, dass es nach den Regeln des juristischen Handwerks falsch sei,14 so wird das kaum gelingen, wenn man dabei gegen die Vorstellung des Richters vom Leben anrennen muss. Damit ist die Dualität von Ausschließung und Einziehung festgeklopft. Dementsprechend hat sich die ganz herrschende Meinung dieser Rechtsprechung angeschlossen.15

III.  Sicherung der gerechten Abfindung Sehr viel weniger zwingend ist dagegen die Lösung des II. Zivilsenats des Bundesgerichtshofs in der Frage der Abfindung. Hatte sich das Reichsgericht nur damit befasst, ob eine Einziehung auch ohne die Voraussetzungen des § 34 Abs. 1 und 2 GmbHG zulässig war, so hat der II. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs nun auch die Frage aufgegriffen, wie man die Abfindung daran anbinden kann. 1. Bedingungslösung Die Lösung hat er sich in seinem Urteil vom 1. April 195316 nicht leicht gemacht. Er hat im Ergebnis die Rechtsprechung des Reichsgerichts zur Einziehung unabhängig von den gesetzlichen Voraussetzungen fortgeführt, wenn auch mit anderer Begründung. Er ist jetzt davon ausgegangen, dass die Möglichkeit der Ausschließung nicht aus § 34 GmbHG zu entwickeln, sondern vor allem durch Rechtsanalogie aus einem allgemeinen Gedanken des Rechts abzuleiten sei; alsdann erscheine es zu eng, die Lösung des Problems allein mit den Mitteln des GmbH-Gesetzes zu suchen.17 Vor diesem Hintergrund hat der Senat die Fragen gelöst, die er sich gestellt hatte, nämlich die nach dem Mittel der Ausschließung – Beschluss oder Urteil – und der Abfindung: Alle diese Überlegungen ergeben, dass die aus wichtigem Grunde notwendige Ausschließung eines GmbH-Gesellschafters oftmals nicht bedingungsfrei vorgenommen werden

  So die Kritik von Altmeppen am Senatsurteil vom 10. Mai 2016, ZIP 2016, 1557 ff.   Strohn in MünchKommGmbHG, 3. Aufl. 2018, § 34 Rn. 103 m.w.N. 16   BGH, Urteil vom 13. April 1953 – II ZR 235/52, BGHZ 9, 157 Rn. 30. 17   BGH, Urteil vom 13. April 1953 – II ZR 235/52, BGHZ 9, 157, juris Rn. 17 ff. 14 15

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kann. Der Senat hält es darum angesichts aller aufgezeigten Umstände und Schwierigkeiten für richtig, als Ausschließungsmittel ein rechtsgestaltendes Urteil zu fordern, den Urteilsausspruch aber an die Bedingung zu knüpfen, dass der betroffene Gesellschafter von der GmbH oder durch sie binnen einer für den Einzelfall angemessen festzusetzenden Frist den im Urteil zu bestimmenden Gegenwert für seinen Geschäftsanteil erhält.18

Diese Bedingungslösung bezeichnet der Senat im folgenden Abschnitt seines Urteils selbst als ungewöhnlich. Er erwähnt aber nur beiläufig das Argument, das seine Kritiker später für die Gegenmeinung herangezogen haben. Durch die von der Bindung an § 34 GmbHG befreite Ausschließung sollte verhindert werden, dass ein für die Gesellschaft untragbar gewordener Mitgesellschafter in der Gesellschaft verblieb und sie damit in die Auflösung treiben konnte. Durch die Bedingung der Abfindungszahlung wurde aber gerade dieser Missstand befördert. Dazu sagt der Senat lediglich: … vor wie nach Rechtskraft des Ausschließungsurteils ist der Auszuschließende zwar noch Gesellschafter, aber er kann Maßnahmen, die der Durchführung seines Ausschlusses dienen, nicht vereiteln. Das folgt zunächst aus dem Vorliegen eines wichtigen Grundes und nach Rechtskraft des Urteils auch noch aus dem Rechtsgedanken der §§ 160, 162 BGB.

Was mit den Entscheidungen ist, die die Durchführung der Ausschließung nicht unmittelbar vereiteln, aber in das Gefüge der Gesellschaft massiv eingreifen, sagt der Senat nicht. Das ist problematisch. Wenn nämlich der ausgeschlossene Gesellschafter trotz der Ausschließung Gesellschafter bleibt, stehen ihm grundsätzlich auch die Rechte eines Gesellschafters zu, insbesondere das Stimmrecht.19 Jedenfalls hat der ausgeschlossene Gesellschafter ein Interesse daran, auf Entscheidungen Einfluss zu nehmen, die die Frage betreffen, ob die Gesellschaft freies, nicht der Bindung des § 30 GmbH unterliegendes Vermögen erwirtschaftet. Denn nur daraus kann die Gesellschaft die Abfindung zahlen. Die Gesellschafter sind grundsätzlich frei, eine aggressive Geschäftspolitik zu verfolgen und damit erhebliche Gewinne zu erwirtschaften oder aber ihren Geschäftsbetrieb auf kleiner Flamme zu führen und damit gerade ihre Geschäftsführergehälter zu erwirtschaften. Da der Anspruch auf ein Geschäftsführergehalt auf dem Geschäftsführeranstellungsvertrag beruht und dieser ein Austauschgeschäft ist, greift § 30 GmbHG bei Geschäftsführergehältern nur dann ein, wenn sie einem Drittvergleich nicht standhalten.20 Gibt es dagegen einen ausgeschlossenen Gesellschafter, der

18   AaO. Rn. 30; im Urteil vom 17. Februar 1955 – II ZR 316/53, BGHZ 16, 317, 325 nachjustierend für den Fall, dass der ausgeschlossene Gesellschafter nicht alles in seinen Kräften Stehende getan hat, um die Ermittlung der Höhe seiner Abfindung ohne nennenswerte Verzögerung der Ausschließung zu ermöglichen: dann Verurteilung ohne Bedingung. 19   Strohn in MünchKommGmbHG, 3. Aufl. 2018, § 34 Rn. 76, 173. 20   Habersack in Ulmer/Habersack/Löbbe, GmbHG, 2. Aufl. 2014, § 30 Rn. 58 ff.; Verse in Scholz/Verse, GmbHG, 12. Aufl. 2018, § 30 Rn. 30 f.

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darauf wartet, seine Abfindung zu erhalten, ändert sich die Rechtslage. Jetzt müssen die Gesellschafter jede sich ihnen bietende Möglichkeit nutzen, um bei der Gesellschaft freies Vermögen entstehen zu lassen, das als Abfindung ausgezahlt werden darf. Über die Frage, ob die Gesellschafter diese Pflicht erfüllen, wird es häufig zum Streit kommen. Dann aber wird man dem ausgeschlossenen Gesellschafter, bei dem die Bedingung für sein Ausscheiden noch nicht erfüllt ist, schwerlich das Stimmrecht absprechen können. Er wird vielmehr in allen Fragen mitstimmen dürfen, von denen die Durchsetzbarkeit seines Abfindungsanspruchs im weiteren Sinne abhängt.21 Bei dieser Rechtslage kann der ausgeschlossene Gesellschafter weiterhin für Unfrieden in der Gesellschaft sorgen. Es entsteht ein Schwebezustand, in dem unklar ist, bei welchen Fragen der ausgeschlossene Gesellschafter stimmberechtigt ist und bei welchen nicht und wie er sich im Übrigen zu verhalten hat. 2. Durchgriffslösung Ob diese Rechtsprechung auch für die Einziehung gelten soll, wie die ganz herrschende Meinung annimmt, war bisher noch offen.22 Jedenfalls für die Einziehung hat der II. Zivilsenat in seinen Urteilen vom 24. Januar 2012 und 10. Mai 201623 aber Klarheit geschaffen. Danach wird die Einziehung, wenn der Einziehungsbeschluss weder nichtig ist noch für nichtig erklärt wird, mit der Mitteilung des Beschlusses an den betroffenen Gesellschafter wirksam. Auf die Leistung der Abfindung soll es dabei nicht ankommen. Das Interesse des von der Einziehung betroffenen Gesellschafters an der Zahlung seiner Abfindung wird dadurch geschützt, dass die Mitgesellschafter dem ausgeschiedenen Gesellschafter anteilig haften, wenn sie nicht dafür sorgen, dass die Abfindung aus dem ungebundenen Vermögen der Gesellschaft geleistet werden kann, oder sie die Gesellschaft nicht auflösen. Als Rechtsgrund wird, auch schon im Urteil vom 24. Januar 2012,24 die Treuepflicht herangezogen. Der Verstoß der in der Gesellschaft verbleibenden Gesellschafter gegen die Treuepflicht soll darin bestehen, dass sie sich einerseits den Wert des eingezogenen Geschäftsanteils einverleiben und andererseits nicht dafür sorgen, dass

21   Kort Der Betrieb 2016, 2098, 2100; Strohn in MünchKommGmbHG, 3. Aufl. 2018, § 34 Rn. 173; enger A. Hueck DB 1953, 776, 777 f.; diesen Missstand vermeidet die Lehre von der auflösenden Bedingung der Abfindungszahlung, s. Ulmer in Festschrift Rittner, 1991, S. 735 ff.; ders. in Festschrift Priester, 2007, S. 775 ff; Ulmer/Habersack in Ulmer/ Habersack/Löbbe, GmbHG, 2. Aufl., § 34 Rn. 62 ff. 22   BGH, Urt. v. 24. Januar 2012 – II ZR 109/11, BGHZ 192, 236 Rn. 16. 23   II ZR 109/11, BGHZ 192, 236, und II ZR 342/14, BGHZ 210, 186. 24   II ZR 109/11, BGHZ 192, 236 Rn. 21.

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entweder genügend freies Vermögen der Gesellschaft zur Verfügung steht, um dem ausgeschiedenen Gesellschafter die Abfindung zahlen zu können, oder die Gesellschaft aufgelöst wird.25 Damit hat der Senat eine Zeitschiene eingezogen. Die Gesellschafter verhalten sich erst dann treuwidrig, wenn sie die Hände in den Schoß legen und sich passiv verhalten. Was von ihnen verlangt wird, ist ein aktives Tun. Sie sollen sich auf einen Weg verständigen, den Mangel der Gesellschaft an freiem Vermögen zu beseitigen, etwa durch eine Kapitalherabsetzung, oder die Gesellschaft auflösen. Im ersteren Fall fällt Kapital aus der Bindung des § 30 GmbHG heraus, im letzteren Fall fällt die Bindung des § 30 GmbHG insgesamt weg und das gesamte Vermögen der Gesellschaft steht – nach der Befriedigung der übrigen Gesellschaftsgläubiger – zur Zahlung der Abfindung bereit. Wenn die Voraussetzungen einer vereinfachten Kapitalherabsetzung nach §§ 58a ff. GmbHG nicht erfüllt sind und deshalb nur eine ordentliche Kapitalherabsetzung in Betracht kommt, dürfen die Gesellschafter auch das Sperrjahr des § 58 Abs. 1 Nr. 3 GmbHG abwarten, ehe sie die Abfindung auszahlen lassen. Das Gleiche gilt für das Sperrjahr nach § 73 GmbHG bei einer Liquidation.26 3. Würdigung Warum liegen zwischen den Entscheidungen des Bundesgerichtshofs vom 1. April 1953 und vom 24. Januar 2012 knapp 59 Jahre? Warum musste die Rechtspraxis so lange auf die Lösung des Problems warten? Eine – freilich nur vordergründige – Antwort auf diese Frage ergibt sich aus dem Zivilprozessrecht. Nach der darin verankerten Dispositionsmaxime sind die Parteien in aller Regel die Herren (oder Damen) des Verfahrens. Wo es keine Klageschrift gibt oder wo die Klage (wirksam) zurückgenommen worden ist, kann grundsätzlich kein Urteil ergehen, und wo keine Revision eingelegt wird, kann kein Revisionsurteil gefällt werden. Es wird also knapp 59 Jahre lang niemand den Versuch gewagt haben, die Abkopplung der Einziehung und/ oder Ausschließung von der Abfindungszahlung durch die Gesellschaft und die Ankopplung der Abfindung an die Gesellschafter durchzusetzen. Das wirft die weitere Frage nach dem Grund für diese Enthaltsamkeit auf. Warum ist in den zahlreichen Prozessen um die Wirksamkeit der Einziehung/Ausschließung und der Abfindung niemand auf die Idee gekommen, nicht (nur) die Gesellschaft, sondern (auch) die Gesellschafter persönlich zu verklagen und diesen Prozess bis vor den Bundesgerichtshof zu führen. Das kann

25 26

  II ZR 342/14, BGHZ 210, 186 Rn. 23.   BGH, Urt. v. 24.1.2012 – II ZR 109/11, BGHZ 192, 236, 24; aA Fritz, Rn. 10 S. 161 f.

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verschiedene Gründe haben: Entweder wird die Rechtslage, wie sie durch das erste Urteil geschaffen worden ist, akzeptiert oder man hat keine überzeugende Alternativlösung und glaubt deshalb, den Senat nicht umstimmen zu können. Häufig ist es auch eine Mischung von allem: Je eher man mit einem Judikat leben kann, umso weniger ist man bereit, Kosten und Zeit zu investieren, um eine Änderung zu erreichen, zumal wenn diese ebenfalls mit Nachteilen verbunden ist. Wie liegt es hier? Konnte die Rechtspraxis mit der Entscheidung aus dem Jahr 1953 leben oder konnte sie keine halbwegs überzeugende Alternativlösung herausarbeiten oder traute sie dem Bundesgerichtshof in all den Jahren keine Weiterentwicklung zu. a) Disponibilität Der II. Zivilsenat hat für die Ausschließung – für die Einziehung kann nichts anderes gelten – klargestellt, dass die Gesellschafter berechtigt sind, im Gesellschaftsvertrag eine eigene Lösung zu vereinbaren, die aufschiebende Bedingung also durch eine sofortige Wirksamkeit des Einziehungsbeschlusses zu ersetzen. Diese Rechtsprechungsmeinung beruhte auf einem Urteil aus dem Jahr 2003.27 Die Praxis hatte sie aber offensichtlich schon vorweggenommen. So finden sich in zahlreichen, auch älteren Gesellschaftsverträgen entsprechende Klauseln. Die Entkopplung der Abfindung von der Einziehung/Ausschließung ist zwar für den betroffenen Gesellschafter brandgefährlich, wenn nicht die Gesellschafter subsidiär haften. Oben wurde aber schon die emotionale Befindlichkeit der Gesellschafter beleuchtet. Sie werden im Gründungs- oder Beitrittsstadium häufig nicht ernsthaft damit rechnen, dass diese Satzungsklausel auf sie Anwendung finden wird. Hat man aber einmal eine Lösung in die Satzung aufgenommen, gilt nur noch diese, und eine Klage über grundsätzliche Fragen der Einziehung wäre von vornherein unbegründet. b)  Nichtigkeit der Einziehung/Ausschließung Ein weiterer Grund, warum es lange Zeit still war um die Rechtsprechung zur Einziehung und Ausschließung, könnte darin liegen, dass ein Einziehungs- oder Ausschließungsbeschluss analog § 241 Nr. 3 AktG nichtig ist, wenn schon bei der Beschlussfassung absehbar ist, dass die Abfindung nicht aus freiem Vermögen der Gesellschaft gezahlt werden kann. Im Falle der Nichtigkeit schulden aber weder die Gesellschaft noch die Gesellschafter eine Abfindung. Auch darauf hat der Senat erst in einer Entscheidung vom

27

  BGH, Urteil vom 30. Juni 2003 – II ZR 326/01, ZIP 2003, 1544, 1546.

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19. Juni 2000 hingewiesen.28 Aber auch das war offenbar schon von der Kautelarpraxis vorweggenommen worden, denn sonst hätte es früher eine Entscheidung des Bundesgerichtshofs dazu geben müssen. Die Anwendung des § 241 Nr. 3 AktG dürfte im vorliegenden Zusammenhang eine erhebliche Bedeutung haben. Denn es wird nicht selten vorkommen, dass schon bei der Beschlussfassung über die Einziehung nicht genügend freies Vermögen vorhanden ist, um die Abfindung – oder die erste Rate der Abfindung bei einer Stundung – zahlen zu können. Die Abfindung ist nach dem wahren Wert des Geschäftsanteils zu bemessen. Ob eine Unterbilanz vorliegt, richtet sich dagegen nach den fortgeschriebenen Buchwerten der Handelsbilanz. Stille Reserven sind also bei der Abfindung zu berücksichtigen, bei der Feststellung einer Unterbilanz dagegen nicht.29 Der Wert der Abfindung entwickelt sich damit tendenziell nach oben, die Buchwerte der Handelsbilanz bleiben tendenziell dahinter zurück. Hatte der von der Einziehung betroffene Gesellschafter einen verhältnismäßig großen Anteil, so tritt häufig die Sperre der §§ 34, 30 GmbHG schon von vornherein in Kraft und führt zur Nichtigkeit des Einziehungsbeschlusses. Zur Veranschaulichung: Eine GmbH hat drei Gesellschafter mit gleichen Anteilen, in der fortgeschriebenen Handelsbilanz sind 5.000.000 € freie Rücklagen oder Gewinnvorträge enthalten, der wahre Wert der Gesellschaft beträgt 21.000.000 € und die Satzung enthält keine Regelung zur Abfindungshöhe. Die Abfindung beliefe sich dann rechnerisch auf 21.000.000/3 = 7.000.000 €. Freies Vermögen hat die Gesellschaft aber nur iHv. 5.000.000 €. Sie dürfte also nach §§ 30, 34 GmbHG nur 5.000.000 € zahlen. Der Restanspruch iHv. 2.000.000 € bliebe offen. Dann wäre die Einziehung nichtig, da schon bei der Beschlussfassung erkennbar ist, dass die Abfindung nicht – voll – gezahlt werden kann. Eine Teilnichtigkeit nach § 139 BGB dürfte regelmäßig nicht dem Willen der Gesellschafter entsprechen. Denn auch wenn man den Geschäftsanteil teilen würde, so dass die Abfindung für den größeren Teil aus freiem Vermögen geleistet werden könnte, bliebe es dabei, dass der Gesellschafter mit dem kleineren Teil seines Geschäftsanteils noch Gesellschafter ist. Das aber wollen die Mitgesellschafter gerade vermeiden. c)  Mangel an Alternativen? Ein dritter Grund für die lange Abstinenz der Praxis in der Abfindungsfrage mag darin liegen, dass sich in dem Meinungsstreit, der dazu im Schrifttum ausgetragen wurde.30 keine eindeutige Alternative zu der Senatsent28   II ZR 73/99, BGHZ 144, 365, 369 f.; ebenso BGH, Urteil vom 28. Juni 2018, II ZR 65/16, ZR 2018, 1540 Rn. 14 ff. 29   BGH, Urteil vom 19. Juni 2000 – II ZR 73/99, BGHZ 144, 365, 369. 30  Dazu s. Ulmer/Habersack in Ulmer/Habersack/Löbbe, GmbHG, 2. Aufl., § 34 Rn. 59 ff.; Strohn in MünchKommGmbHG, 3. Aufl. 2018, § 34 Rn. 73 ff. 170 ff., 177.

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scheidung vom 1. April 1953 erkennen ließ. Es wurde fast alles vertreten, und keiner konnte von seiner Lösung sagen, dass sie zweifelsfrei die beste sei. Was die Praxis aber wohl unterschätzt hat, war die Innovationsfähigkeit des II. Zivilsenats in der Besetzung der Jahre 2012 und 2016, insbesondere ihres Vorsitzenden Alfred Bergmann (ohne dass damit gesagt werden soll, dass die frühere und die derzeitige Besetzung nicht weniger innovationsfreudig sind). Die (neue) Lösung des Senats war u.a. vom vormaligen Senatsvorsitzenden Goette, von Altmeppen und vom Verfasser dieser Zeilen vertreten worden.31 Damit gab es die begründete Hoffnung, dass auch der Senat sich dieser Lösung anschließen würde. Freilich ist die Trennung der Abfindung von der Einziehung nicht so schlank, wie es auf den ersten Blick erscheinen mag. Gerade die Lösung über die gesellschafterliche Treuepflicht erfordert jeweils eine genaue Analyse der einzelnen Problemlagen. Nicht die Einziehung, sondern das dabei zu Trage tretende Verhalten der in der Gesellschaft verbleibenden Gesellschafter kann die Treuepflicht verletzen.32 Es ist also auf der Zeitschiene zu prüfen, was die Gesellschaft und die Gesellschafter in Bezug auf die Abfindung unternehmen. Sie können aus der eigenen Kasse so viel an die Gesellschaft überweisen, dass die Grenze des § 30 GmbHG bei der Abfindung eingehalten werden kann. Das ist die unproblematischste Lösung. Sie können auch einen Geschäftsanteil neu begründen und an einen von ihnen oder an einen außenstehenden Dritten veräußern und den Erlös – aber ebenfalls unter Beachtung des § 30 GmbHG – an den ausgeschiedenen Gesellschafter auskehren. In dieser Variante entstehen aber Probleme, wenn die Klage des Gesellschafters gegen die Einziehung seines Geschäftsanteils Erfolg hat. Denn dann ist kein freier Geschäftsanteil mehr vorhanden, den man dem siegreichen Gesellschafter überlassen könnte. Ebenso wenig könnte ein neuer Geschäftsanteil gebildet werden, ohne das Stammkapital zu erhöhen. Die Gesellschafter können auch eine Kapitalherabsetzung beschließen. Auf diese Weise verringert sich das durch § 30 GmbH geschützte Stammkapital, und es können Mittel freiwerden, mit denen die Abfindung gezahlt werden kann. Dabei müssen – und dürfen – die Gesellschafter die einjährige Sperrfrist des § 58 Abs. 1 Nr. 3 GmbHG abwarten. Das heißt für den ausgeschiedenen Gesellschafter, dass er, ohne den Anspruch gegen die Gesellschaft gestundet zu haben, ein Jahr lang diesen Anspruch nicht geltend machen kann. Das Insolvenzrisiko steigt entsprechend. Problematisch ist auch die Annahme, die Gesellschafter

31   Goette in Festschrift Lutter, 2000, S. 399, 410; Altmeppen ZIP 2012, 1685, 1690 f.; Strohn in MünchKommGmbHG, seit der 1. Aufl., mittlerweile in 3. Aufl. 2018, § 34 Rn. 77, 174 32   S. den Leitsatz a) des Urteils vom 10. Mai 2016 – II ZR 342/14, BGHZ 210, 186.

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hafteten nicht, wenn die Gesellschaft aus anderen Gründen als der Entstehung einer Unterbilanz die Zahlung verweigert.33 Das soll zum allgemeinen Gläubigerrisiko des ausgeschiedenen Gesellschafters gehören. Für den abfindungsberechtigten Gesellschafter bedeutet das eine möglicherweise lange und mühsame gerichtliche Auseinandersetzung: Der erste Prozess richtet sich gegen den Einziehungsbeschluss als solchen, der zweite gegen die Abfindung dem Grunde und der Höhe nach. Dabei kann im Wege eines Hilfsvorbringens geklärt werden, ob der Abfindungszahlung § 30 GmbHG entgegensteht. Das kann sich aber von Tag zu Tag ändern. So kann zunächst genügend freies Vermögen vorhanden sein, um den Abfindungsanspruch in der vom Kläger beanspruchten Höhe erfüllen zu können. Dann kann sich die Vermögenslage derart verschlechtern, dass der Abfindungsanspruch nach § 34 Abs. 3, § 30 GmbHG gesperrt ist. Der klagende Gesellschafter muss dann den Rechtsstreit, soweit er sich um die Sperrwirkung der Unterbilanz dreht, in der Hauptsache für erledigt erklären. Verbessert sich Lage wieder, muss der Klageantrag möglicherweise erneut umgestellt werden.

IV. Ausblick Diese wenigen Beispiele zeigen, dass auch die neue Rechtsprechung des II. Zivilsenats des Bundesgerichtshofs den gordischen Knoten zwar durchschlagen hat, aber vielleicht nicht ganz in der Mitte. Das war wohl auch nicht anders möglich, weil der Knoten in der Mitte besonders dick war. Der Grundgedanke der neuen Rechtsprechung, dass die Gesellschafter persönlich haften, weil sie sich den Wert des eingezogenen Geschäftsanteils einverleiben und zugleich tatenlos zusehen, wie der von der Einziehung betroffene Gesellschafter seinen Abfindungsanspruch nicht durchsetzen kann, bleibt aber trotz der Schwierigkeiten im Detail überzeugend. Dementsprechend hat sich die mittlerweile herrschende Meinung der Auffassung des Senats angeschlossen.34 Damit dürfte das Kapitel Einziehung und Abfindung bis auf weitere Detailfragen abgeschossen sein. Es bleibt abzuwarten, ob der Senat diese Rechtsprechung auch auf die Ausschließung überträgt. Die Ausschließung unterscheidet sich zwar dadurch von der Einziehung, dass letztere im Gesellschaftsvertrag vorgesehen sein muss. Damit weiß der Gesellschafter, auf was er sich einlässt. Bei der Ausschließung ist das anders. Sie muss nicht in der Satzung erwähnt werden. Ob dieser Unterschied aber ausreicht, um die beiden Rechtsinstitute bezüglich der Abfindung unterschiedlich zu behandeln, erscheint zweifelhaft. Der Gedanke, dass sich die Gesellschafter den Wert des   BGH, Urt. v. 10.5.2016 – II ZR 342/14, BGHZ 210, 186 Rn. 25.   S. die Nachweise bei Strohn in MünchKommGmbHG, 3. Aufl. 2018, § 34 Rn. 75 Fn. 406. 33 34

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Geschäftsanteils des betroffenen Gesellschafters einverleiben, ohne dafür zu sorgen, dass die Abfindung gezahlt wird, passt auch auf die Ausschließung. Wie es weitergeht, entscheidet nicht mehr der Jubilar. Er hat aber Fußspuren hinterlassen, an denen sich die Nachfolger orientieren können.

Verantwortung für Gesellschafterliste und Transparenzregister

Die Verantwortung des GmbH-Geschäftsführers für Gesellschafterliste und Transparenzregister Christoph Teichmann I. Einführung Seit dem 26. Juni 2017 gibt es in Deutschland ein sog. Transparenzregister. Seine Einführung beruht auf der vierten europäischen Geldwäscherichtlinie (nachfolgend „GwRL“),1 die im deutschen Geldwäschegesetz (nachfolgend „GwG“) umgesetzt wurde2. Das Transparenzregister verzeichnet die „wirtschaftlich Berechtigten“ von Unternehmen, die als juristische Personen des Privatrechts oder als eingetragene Personengesellschaften organisiert sind. Das neue Register betrifft damit insbesondere die mehr als eine Million GmbHs und rund 125.000 Unternehmergesellschaften (haftungsbeschränkt), die in Deutschland existieren.3 Ihnen droht durch die Gesetzesänderung ein erheblicher bürokratischer Aufwand. Denn meldepflichtig ist nicht etwa der Anteilseigner, der als wirtschaftlich Berechtigter anzusehen ist; meldepflichtig ist die GmbH, vertreten durch ihren Geschäftsführer.4 Nach § 20 Abs. 1 S. 1 GwG ist die Vereinigung verpflichtet, die Angaben zu den wirtschaftlich Berechtigten einzuholen und diese Angaben anschließend zur Eintragung in das Transparenzregister mitzuteilen.5 Die Erfüllung der gesetzlichen Meldepflicht ist eine Geschäftsführungsmaßnahme, für die in der GmbH der Geschäftsführer zuständig ist. Zu seiner Entlastung regelt das GwG eine Verweisung auf die Gesellschafterliste: Die Meldepflicht gilt als erfüllt, wenn sich die Person des wirtschaftlich Berech1   Richtlinie (EU) 2015/849 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 20. Mai 2015 zur Verhinderung der Nutzung des Finanzsystems zum Zwecke der Geldwäsche und der Terrorismusfinanzierung, ABl EU, 05.06.2015, L 141/73 ff. 2   Neufassung gemäß BGBl. I, 24.06.2017, S. 1822 ff. 3   Zur Anzahl der in Deutschland eingetragenen GmbHs und UGs (haftungsbeschränkt) siehe Kornblum GmbHR 2018, 669, 676. 4   Die nachfolgenden Ausführungen gelten ebenso für die Unternehmergesellschaft (haftungsbeschränkt), die nicht jeweils mit genannt wird. 5   Im Folgenden wird jeweils verkürzt von einer Meldung an das Transparenzregister gesprochen. Genau genommen erfolgt die Mitteilung an den Bundesanzeigerverlag, der registerführende Stelle gemäß Transparenzregisterbeleihungsverordnung ist, näher Kotzenberg/Lorenz NZG 2017, 1325.

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tigten aus der Gesellschafterliste ergibt (§ 20 Abs. 2 GwG). Ergänzend regelt § 20 Abs. 3 S. 1 GwG eine Pflicht der Anteilseigner, ihrer Vereinigung die zur Erfüllung der Meldepflicht nötigen Angaben mitzuteilen. Ein GmbHGesellschafter muss der GmbH somit aus eigener Initiative mitteilen, dass und nach welchen Kriterien er in die Kategorie des „wirtschaftlich Berechtigten“ fällt. Damit scheint für den GmbH-Geschäftsführer alles beim Alten zu bleiben. Er kann sich wie gewohnt darauf beschränken, die Gesellschafterliste jeweils dann zu aktualisieren, wenn die Gesellschafter ihm eine einzutragende Veränderung mitteilen. Diese Vermeidung von Zusatzbelastungen ist rechtspolitisch erwünscht. Der Aufbau des neuen Registers soll auf Seiten der Unternehmen möglichst wenig bürokratischen Aufwand verursachen. Laut Gesetzesbegründung trifft den Geschäftsführer keine Nachforschungspflicht, selbst ein „Kennenmüssen“ der wahren Umstände sei unschädlich.6 Denn in erster Linie seien die Anteilseigner dafür verantwortlich, der Vereinigung die nötigen Angaben zu liefern. Rechtsdogmatisch bestehen allerdings Zweifel, ob der GmbH-Geschäftsführer seine Hände wirklich in Unschuld waschen darf, wenn er von den Gesellschaftern keine Informationen erhält und die Gesellschafterliste aus diesem Grund den wirtschaftlich Berechtigten nicht offenbart. Möglicherweise hat sich seine Pflichtenlage mit Einführung des Transparenzregisters gravierender verändert als die Gesetzesbegründung es wahrhaben will. Denn bislang diente die Aktualisierung der Gesellschafterliste nach § 40 GmbHG primär den Interessen der Gesellschafter. Wer nicht in der Liste steht, gilt nicht als Gesellschafter (vgl. § 16 Abs. 1 GmbHG). Die Gesellschafter hatten daher ein Eigeninteresse, die Liste stets aktuell zu halten. Das Transparenzregister hingegen dient dem öffentlichen Interesse. Es soll die Bekämpfung von Wirtschaftskriminalität verbessern. Wer wirtschaftlich Berechtigter ist, hat in diesem Kontext eher ein Interesse, diese Umstände nicht zu offenbaren. Gesellschafterliste und Transparenzregister fußen damit auf völlig unterschiedlichen Prämissen. Dennoch führen GmbHG und GwG nun diese unterschiedlichen Konzepte in ein und demselben Dokument – nämlich der Gesellschafterliste – zusammen.7 Vor diesem Hintergrund ist der Frage nachzugehen, inwieweit den GmbH-Geschäftsführer nach Einführung des Transparenzregisters eine gesteigerte Verantwortung für die Richtigkeit der Gesellschafterliste trifft. Dies geschieht in folgenden Schritten: Zunächst werden die Regelungsziele und Regelungsmechanismen von § 40 GmbHG und § 20 GwG verglichen (unter II.), sodann wird die besondere Verknüpfung von Transparenzregister   BT-Drs. 18/11555, 17. März 2017, S. 127 (RegBegr zu § 20 GwG).   Aus diesem Grunde beachtenswerte Grundsatzkritik gegenüber der geldwäscherechtlichen Verknüpfung bei Wachter GmbHR 2017, 1177, 1188 ff. 6 7

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und Gesellschafterliste beleuchtet (unter III.). Auf dieser Grundlage kann die gesteigerte Pflichtenlage des GmbH-Geschäftsführers herausgearbeitet werden (unter IV.). In einem Fazit werden daraus konkrete Handlungsempfehlungen für den GmbH-Geschäftsführer abgeleitet (unter V.).

II.  Regelungsziele und Regelungsmechanismen 1. Gesellschafterliste a)  Bedeutung der Gesellschafterliste im GmbH-Recht Die Gesellschafterliste führte bis zur GmbH-Reform des Jahres 2008 ein Schattendasein. Viele Listen waren fehlerhaft, weil die korrekte oder fehlerhafte Listenverwaltung keine unmittelbaren rechtlichen Folgen hatte.8 Seit 2008 ist die rechtliche Bedeutung der Gesellschafterliste gestiegen. Gemäß § 16 Abs. 1 GmbHG ist jetzt im Verhältnis zur Gesellschaft nur noch Gesellschafter, wer in der Gesellschafterliste steht.9 Wer dort nicht steht, hat bei Gesellschafterversammlungen kein Teilnahmerecht und bei Gewinnausschüttungen kein Gewinnbezugsrecht, selbst wenn er materiell-rechtlich Gesellschafter sein sollte.10 Außerdem stützt sich der gutgläubige Erwerb vom Nichtberechtigten auf den Rechtsschein der Gesellschafterliste (§ 16 Abs. 3 GmbHG). Der wahre Gesellschafter sollte daher tunlichst eine Änderung der Liste veranlassen, will er nicht Gefahr laufen, seinen Anteil an einen gutgläubigen Dritten zu verlieren. b)  Eigeninteresse des Gesellschafters als Anreiz zur Aktualisierung Die Neufassung des § 16 GmbHG nahm sich das Aktienregister für Namensaktien zum Vorbild. Allerdings wurde lediglich das Regelungsmuster des § 67 Abs. 2 AktG übernommen, wonach im Verhältnis zur Gesellschaft nur derjenige als Aktionär gilt, der im Aktienregister eingetragen ist.11 Die Meldepflicht des Aktionärs, der gemäß § 67 Abs. 1 S. 2 AktG der Gesellschaft die nötigen Angaben mitzuteilen hat, findet im GmbH-Recht keine Entsprechung. Die Erwartung des Gesetzgebers, dass sich der Gesellschafterbestand künftig jeweils aktuell und lückenlos aus der Gesellschafter  Uwe H. Schneider GmbHR 2009, 393; zu den daraus resultierenden Problemen nach altem Recht Paefgen in: Ulmer/Habersack/Löbbe, GmbHG, 2. Aufl. 2013, § 40 Rn. 18 f. 9   Zum System der relativen Gesellschafterstellung des § 16 Abs. 1 GmbHG Heidinger in: Heckschen/Heidinger, Die GmbH in der Gestaltungs- und Beratungspraxis, 4. Aufl. 2018, Kap. 8 Rn. 328 ff.; Wiersch ZGR 2015, 591, mit Vergleich zur Regelung in § 67 Abs. 2 AktG. 10   Uwe H. Schneider GmbHR 2009, 393; Heidinger (o. Fn. 9), Kap. 8 Rn. 329. 11   BT-Drs. 16/6140, S. 37 (Begr. zu § 16 GmbHG n.F.) spricht ausdrücklich vom „Regelungsmuster des § 67 Abs. 2 AktG“. 8

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liste ergeben werde, stützte sich in erster Linie auf das Eigeninteresse der Gesellschafter:12 Der Erwerber eines Geschäftsanteils werde für die Eintragung in der Gesellschafterliste Sorge tragen, weil er andernfalls im Verhältnis zur Gesellschaft nicht als Gesellschafter anerkannt werde. c)  Privatrechtlicher Sanktionsmechanismus Die GmbH-Reform 2008 verfolgte rechtspolitische Ziele, die über das Binnenrecht der GmbH hinausweisen. Der Gesetzgeber wollte schon damals eine Transparenz der Anteilseignerstrukturen herstellen und Geldwäsche verhindern.13 Mittelbar verbesserte die Reform auch den Schutz der Gläubiger, die sich nun mit höherer Richtigkeitsgewähr in der Gesellschafterliste über die Person der Gesellschafter informieren können.14 Diese im öffentlichen Interesse liegenden Ziele sind allerdings nur ein Reflex der Regelung. Stünden sie in deren Mittelpunkt, müsste der Text klare Pflichten und entsprechende Sanktionen formulieren. Stattdessen werden gerade die Gesellschafter als diejenigen, die über die relevanten Informationen verfügen, nicht ausdrücklich zur Mitteilung verpflichtet. Öffentliche Stellen haben auch keine Handhabe, um die gewünschte Transparenz zu erzwingen. Der Unterschied zeigt sich im Vergleich zum Handelsregister: Dort sind die Gesellschafter von Personengesellschaften zur Mitteilung bestimmter Informationen verpflichtet (vgl. § 108 HGB); die Einhaltung der Pflichten kann vom Registergericht mit der Festsetzung von Zwangsgeld durchgesetzt werden (vgl. § 14 HGB). Derartige Druckmittel fehlen im Bereich der Gesellschafterliste. Die Ordnungs-, Straf- und Bußgeldvorschriften des 6. Abschnitts (§§ 78 ff. GmbHG) enthalten keinerlei Sanktionen für die Einreichung einer unrichtigen Gesellschafterliste oder das Unterlassen einer Aktualisierung der Gesellschafterliste. Der Gesetzgeber hat lediglich mit § 40 Abs. 3 GmbHG eine zivilrechtliche Haftungsnorm zu Lasten des Geschäftsführers geschaffen. Sie begründet eine Haftung gegenüber demjenigen, dessen Beteiligung sich geändert hat, oder gegenüber den Gläubigern der Gesellschaft, wenn sie wegen der Pflichtverletzung einen Schaden erleiden. Der Gesetzgeber setzt also auf die Mittel des Privatrechts, um eine korrekte Führung der Gesellschafterliste zu erreichen.

  BT-Drs. 16/6140, S. 38 (Begr. zu § 16 GmbHG n.F.).   BT-Drs. 16/6140, S. 37 (Begr. zu § 16 GmbHG n.F.). 14   Uwe H. Schneider GmbHR 2009, 393; siehe auch D. Mayer MittBayNot 2014, 24. 12 13

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2. Transparenzregister a)  Beitrag zur Aufklärung von Geldwäschedelikten Das Transparenzregister hat einen grundlegend anderen Charakter. Es findet sich aus gutem Grund im GwG, denn das Wesen von Geldwäsche besteht gerade darin, die Herkunft von Geldern und die Nutznießer einer Finanztransaktion zu verschleiern.15 Geldwäsche setzt immer eine rechtswidrige Vortat voraus (§ 261 Abs. 1 S. 2 StGB), deren Erträge auf den verschiedensten Wegen in den legalen Wirtschaftskreislauf eingeschleust werden sollen.16 Die Verfügbarkeit präziser und aktueller Daten zum wirtschaftlichen Eigentümer ist daher, so die GwRL, eine wichtige Voraussetzung für das Aufspüren von Straftätern, die ihre Identität ansonsten hinter einer Gesellschaftsstruktur verbergen könnten.17 Nach Art. 30 GwRL sorgen deshalb die Mitgliedstaaten dafür, dass die in ihrem Gebiet eingetragenen Gesellschaften oder sonstigen juristischen Personen Angaben zu ihren wirtschaftlichen Eigentümern einholen. Diese Angaben sind in einem zen­tralen Register aufzubewahren. Zugang zu diesen Daten erhalten die zuständigen Behörden und zentralen Meldestellen, die Verpflichteten nach dem Geldwäscherecht (insbesondere Kreditinstitute) sowie „alle Personen oder Organisationen, die ein berechtigtes Interesse nachweisen können“.18 Juristische Personen sind als Vehikel zur Geldwäsche beliebt, weil sie auf den ersten Blick nicht erkennen lassen, wer im Hintergrund die Fäden zieht. Die formale Gesellschafterstellung ist nur ein Indiz, das in den problematischen Fällen eher zur Verschleierung beiträgt als sie aufzulösen. Die GmbHGesellschafterliste leistet daher nur einen recht bescheidenen Beitrag zur Geldwäschebekämpfung. Wer seine wahren Absichten verschleiern möchte, wird sich kaum offiziell als Gesellschafter eintragen lassen. Es kann seinen Einfluss auf anderem Wege geltend machen, beispielsweise durch Einsetzen eines Treuhänders oder durch Stimmbindungsverträge. Mit dem Transparenzregister will der Gesetzgeber derartige Schleier lüften. Gesucht werden die „Hintermänner“ der juristischen Personen,19 also diejenigen, die die Gesellschaft kontrollieren oder zumindest rechtlich die Möglichkeiten dazu haben. Diese Suche erstreckt sich nicht etwa auf diejenigen Vereinigungen, die konkret im Verdacht der Geldwäsche stehen, sondern   Vgl. die Definition in Art. 1 Abs. 3 GwRL sowie § 261 StGB.   Zu den verschiedenen Tathandlungen Eschelbach in: Graf/Jäger/Wittig (Hrsg.), Wirtschafts- und Steuerstrafrecht, 2011, § 261 StGB, Rn. 43 ff.; Mückenberger in: Esser/Rübenstahl/Saliger/Tsambikakis (Hrsg.), Wirtschaftsstrafrecht, 2017, § 261 StGB Rn. 54 ff. 17   Erwägungsgrund 14 GwRL. 18   Art. 30 Abs. 5 GwRL; hierunter können Nichtregierungs-Organisationen oder Fachjournalisten im Rahmen einer ernsthaften und sachbezogenen Recherchetätigkeit fallen, vgl. BT-Drs. 18/11555, S. 133. 19   Seibert GmbHR 2017, R 97, R 98. 15 16

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auf alle juristischen Personen des Privatrechts und auf die eingetragenen Personengesellschaften. Offenbar hegt der europäische Gesetzgeber die etwas naive Hoffnung, man könne anhand dieses Registers bei einer späteren Straftat auf einen Blick den Schuldigen finden. b)  Identifizierung des „wirtschaftlich Berechtigten“ Diejenige Person, auf die es ankommt, bezeichnet das Geldwäschegesetz als den „wirtschaftlich Berechtigten“; die EU-Richtlinie spricht etwas anschaulicher vom „wirtschaftlichen Eigentümer“ (Art. 3 Nr. 6 GwRL)20. Die genauere Umschreibung ist in GwG und GwRL identisch: Wirtschaftlich Berechtigter ist diejenige natürliche Person, „in deren Eigentum oder unter deren Kontrolle“ eine juristische Person oder eingetragene Personengesellschaft steht (§ 3 Abs. 1 Nr. 1 GwG). Allerdings sind „Eigentum“ oder „Kontrolle“ im Unternehmensrecht schillernde Begriffe. Die GwRL und ihr folgend das GwG arbeiten daher mit Typisierungen (Art. 3 Nr. 6 GwRL, § 3 Abs. 2 S. 1 GwG). Wirtschaftlich Berechtigter ist jede natürliche Person, die unmittelbar oder mittelbar mehr als 25 % der Kapitalanteile hält. Wirtschaftlich Berechtigter ist weiterhin, wer mehr als 25 % der Stimmrechte kontrolliert oder auf vergleichbare Weise die Kontrolle ausübt. Jeder, der auch nur eines dieser Kriterien erfüllt, ist ex lege wirtschaftlich Berechtigter. Ein Gegenbeweis, dass man mit 25 % des Kapitals im konkreten Fall nicht in der Lage sei, die Gesellschaft zu kontrollieren, ist nicht vorgesehen.21 In vielen Gesellschaften wird diese Regelungstechnik zu Mehrfachmeldungen führen. So gibt es in einer GmbH mit zwei Gesellschaftern, von denen der eine 26 % und der andere 74 % der Kapitalanteile hält, zwei wirtschaftlich Berechtigte im geldwäscherechtlichen Sinne. Denn beide Gesellschafter liegen oberhalb der Schwelle von 25 %. In anderen Fällen mag es mehrere Personen geben, die rechtlich als wirtschaftlich Berechtigte zu qualifizieren sind, obwohl es faktisch niemanden gibt, der die Gesellschaft alleine beherrschen kann.22 So wären in einer GmbH mit vier Gesellschaftern, von denen drei Gesellschafter zu je 30 % beteiligt sind, während ein vierter Gesellschafter 10 % des Kapitals hält, alle 30 %-Gesellschafter je für sich als wirtschaftlich Berechtigte zu melden. Sollte der 10 %-Gesellschafter laut Gesellschaftsvertrag ein Stimmgewicht von mehr als 25 % der Stimmen erhalten, wären sogar alle vier Gesellschafter je für sich als wirtschaftlich Berechtigter im Sinne des § 3 Abs. 1 GwG zu melden. Wurde das Stimmgewicht durch einen schuldrechtlichen Stimmbindungsvertrag verschoben, so gilt dasselbe. Das GwG unter  Englische Fassung: „beneficial owner“; französische Fassung: „bénéficiaire effectif“.   Fisch NZG 2017, 408, 409; Kaetzler in: Zentes/Glaab (Hrsg.), GwG, 2018, § 3 Rn. 28: unwiderlegliche Vermutung. 22   Assmann/Hütten AG 2017, 449, 455. 20 21

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scheidet nicht danach, ob der Einfluss gesellschaftsrechtlich oder schuldrechtlich vermittelt wird.23 Der Weg zur Kontrolle der Gesellschaft kann auch über schuldrechtliche Vereinbarungen wie Stimmbindungsvereinbarungen oder Treuhandverhältnisse führen.24 c)  Aufdeckung von Beteiligungsketten Wird ein GmbH-Geschäftsanteil von einer juristischen Person gehalten, erweist sich die Bestimmung des wirtschaftlich Berechtigten als noch schwieriger. Denn wirtschaftlich Berechtigter im Sinne des Gesetzes muss immer eine natürliche Person sein. Wäre eine juristische Person als wirtschaftlich Berechtigter anzusehen, weil sie mehr als 25 % des Kapitals oder der Stimmrechte hält oder auf andere Weise die Kontrolle ausübt, so muss die dahinterstehende natürliche Person ermittelt werden. Auf dieser zweiten Stufe geht es nicht mehr um Prozentzahlen, sondern nun kommt es auf den „beherrschenden Einfluss“ an. Zu ermitteln ist diejenige natürliche Person, die auf den Gesellschafter (der seinerseits juristische Person ist) einen beherrschenden Einfluss ausübt.25 Hierfür gelten die Grundsätze des Bilanzrechts: § 3 Abs. 2 S. 4 GwG verweist auf § 290 Abs. 2 bis 4 HGB, der den beherrschenden Einfluss als Voraussetzung für die Aufstellung eines Konzernabschlusses regelt. Auf dieser Stufe entscheiden insbesondere die Mehrheit der Stimmrechte oder das Recht, die Mehrheit der Mitglieder des Verwaltungs-, Leitungs- oder Aufsichtsorgans zu bestellen (§ 290 Abs. 2 Nr. 1 und Nr. 2 HGB), über die Kontrolle. d)  Mitteilungspflichten der Anteilseigner und der GmbH Adressat der gesetzlichen Meldepflicht zum Transparenzregister ist die Gesellschaft: Juristische Personen des Privatrechts und eingetragene Personengesellschaften müssen die nötigen Angaben zum wirtschaftlich Berechtigten einholen, aufbewahren, auf aktuellem Stand halten und der registerführenden Stelle melden (§ 20 Abs. 1 S. 1 GwG). Da ihnen diese Informationen nicht immer vorliegen, regelt das Gesetz eine Pflicht der Anteilseigner, die nötigen Angaben unverzüglich mitzuteilen. Diese Pflicht trifft „Anteilseigner, die wirtschaftlich Berechtigte sind oder von dem wirtschaftlich Berechtigten unmittelbar kontrolliert werden“ (§ 20 Abs. 3 GwG). Jeder Anteilseigner muss insoweit für sich selbst prüfen, ob auf ihn die Qualifizierung als wirtschaftlich Berechtigter zutrifft, und dies gegebenenfalls der Gesellschaft

 Dazu Kaetzler (o. Fn. 21), § 3 Rn. 41 ff., v.a. im Hinblick auf die GbR.   Assmann/Hütten AG 2017, 449, 456; Elsing notar 2018, 71, 74; Longrée/Pesch NZG 2017, 1081, 1087; Schaub DStR 2018, 871 ff.; Wicke DB 2017, 2528, 2532; Windeknecht DZWiR 2017, 551, 553 ff. 25   Assmann/Hütten AG 2017, 449, 455; Fisch NZG 2017, 408, 409. 23 24

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mitteilen. Die Gesellschaft ist dann ihrerseits nach § 20 Abs. 1 S. 1 GwG verpflichtet, diese Angaben dem Transparenzregister mitzuteilen. e) Sanktionen: Ordnungswidrigkeiten- und Strafrecht Wer Rechtspflichten verletzt, die sich aus dem Geldwäschegesetz ergeben, verfängt sich sehr schnell in dem umfangreichen Bußgeldkatalog des § 56 Abs. 1 GwG, der nicht weniger als 64 potenzielle Ordnungswidrigkeiten aufzählt. Ordnungswidrig handelt der Gesellschafter, der entgegen § 20 Abs. 3 GwG der Gesellschaft seine Position als wirtschaftlich Berechtigter nicht mitteilt (§ 56 Abs. 1 Nr. 54 GwG). Ordnungswidrig handelt auch die Gesellschaft, die entgegen § 20 Abs. 1 GwG die Angaben über den wirtschaftlich Berechtigten nicht einholt, nicht korrekt aufbewahrt, nicht auf aktuellem Stand hält oder nicht an das Transparenzregister meldet (§ 56 Abs. 1 Nr. 53). Auf der subjektiven Seite ist Vorsatz oder Leichtfertigkeit erforderlich (vgl. § 56 Abs. 1 GwG: „wer vorsätzlich oder leichtfertig…“). Handelt es sich um einen schwerwiegenden, wiederholten oder systematischen Verstoß, kann die Geldbuße bis zu einer Million Euro betragen; alternativ kann eine Geldbuße von bis zum Zweifachen des aus dem Verstoß erlangten wirtschaftlichen Vorteils verhängt werden (§ 56 Abs. 2 GwG). In allen übrigen Fällen kann sie immerhin noch bis zu 100.000 Euro betragen (§ 56 Abs. 3 GwG). Sodann kann ein Verstoß unter Nennung der verantwortlichen Person sowie unter Beschreibung des Verstoßes auf der Internetseite der Aufsichtsbehörde veröffentlicht werden (§ 57 GwG).26 Daneben ist für alle Beteiligten die Strafbarkeit des § 261 StGB zu bedenken. Wer ein Geldwäschedelikt begeht, muss mit Freiheitstrafe von drei Monaten bis zu fünf Jahren rechnen (§ 261 Abs. 1 S. 1 StGB). Aus diesem Grund wird ein wirtschaftlich Berechtigter, der die GmbH für Zwecke der Geldwäsche nutzen möchte, wenig Neigung verspüren, sich durch eine transparente Darstellung der Beteiligungsverhältnisse selbst ans Messer zu liefern. Die Sanktion bei Verletzung der Meldepflicht nach § 20 Abs. 3 GwG wird ihn nicht sonderlich abschrecken, da er mit dem eigentlichen Geldwäschedelikt ohnehin der Strafbarkeit nach § 261 StGB unterliegt. Anders liegen die Dinge für den GmbH-Geschäftsführer. Er könnte durch Versäumung der geldwäscherechtlichen Meldepflichten unversehens zum Mittäter eines Geldwäschedeliktes werden und damit gleichfalls dem strengen Strafrahmen des § 261 StGB unterliegen. Darauf wird zurückzukommen sein (unten IV.2.d).

26  Die Literatur spricht hier von einem „öffentlichen Pranger“ (Kotzenberg/Lorenz NZG 2017, 1325, 1330) bzw. von „naming and shaming“ (Schaub DStR 2017, 1438, 1443).

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III.  Verknüpfung von Gesellschafterliste und Transparenzregister 1.  Vermeidung von Doppelbelastungen Die Einführung des Transparenzregisters hat im deutschen Mittelstand große Besorgnisse ausgelöst:27 In Familienunternehmen möchte man nicht unbedingt alle Details der internen Herrschaftsverhältnisse offenlegen. Dies wird sich allerdings künftig nicht mehr vermeiden lassen. Denn die Meldepflicht des § 20 Abs. 1 GwG kennt keine Ausnahmen. Das GwG schränkt lediglich die Einsichtnahmemöglichkeiten ein, wenn die Begehung einer Straftat zu besorgen ist oder der wirtschaftlich Berechtigte minderjährig ist (§ 23 Abs. 2 Nr. 2 GwG).28 Ganz allgemein wendet sich die deutsche Wirtschaft jedoch gegen die bürokratische Belastung der Unternehmensträger, die künftig wegen der Meldepflicht gegenüber dem Transparenzregister von ihren Anteilseignern Informationen über den oder die wirtschaftlich Berechtigten einholen, aufbewahren und weiterleiten müssen.29 Im Bundesjustizministerium hat man die Sorgen vor zusätzlichen bürokratischen Lasten durchaus gesehen.30 Um Doppelbelastungen zu vermeiden, verknüpft das deutsche Geldwäschegesetz das Transparenzregister mit der Gesellschafterliste.31 Die Mitteilungspflicht an das Transparenzregister entfällt, wenn sich die nötigen Informationen aus bestimmten Dokumenten oder Eintragungen ergeben, die über das Handelsregister elektronisch abrufbar sind (§ 20 Abs. 2 GwG). Zu den Dokumenten, die über die Internetseite des Transparenzregisters elektronisch zugänglich gemacht werden und damit die Meldefiktion begründen, zählen die GmbH-Gesellschafterlisten (§ 22 Abs. 1 Nr. 4 GwG). Die Fiktion greift auch dann, wenn sich die Beteiligungsverhältnisse bei Kettenbeteiligungen aus mehreren elektronisch abrufbaren Gesellschafterlisten ablesen lassen.32 Diese Verweisungstechnik soll den Meldeaufwand speziell für die GmbH in erträglichen Grenzen halten. Gegenüber den europäischen Vorgaben hält man in Deutschland mit seinen „hochwertigen öffentlichen Registern – insbesondere den Handelsregistern“ einen Zwang zur Transparenz im Grunde für entbehrlich.33 Unionsrechtlich sieht sich der deutsche Gesetzgeber auch dazu berechtigt, die 27   Zu den Besorgnissen von Familienunternehmen eingehend Kotzenberg/Lorenz NJW 2017, 2433 ff. 28  Hierzu Kotzenberg/Lorenz NJW 2017, 2433, 2436 f. 29   Ein „bürokratisches Monster“ befürchten Friese/Brehm GWR 2017, 271, 273; Elsing notar 2018, 71, 73 spricht von einem „bürokratischen Drama bei Vereinen“. 30   Siehe nur Seibert GmbHR 2017, R 97 f. 31   Seibert GmbHR 2017, R 98, sowie Seibert/Bochmann/Cziupka GmbHR 2017, 1128. 32   Elsing notar 2018, 71, 73; ebenso das Bundesverwaltungsamt in seiner FAQ-Liste zum Transparenzregister, ebda. unter II.5. (www.bva.bund.de/DE/Organisation/Abteilungen/ Abteilung_ZMV/Transparenzregister/FAQ/faq_node.html). 33   Seibert/Bochmann/Cziupka GmbHR 2017, 1128.

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nationalen Register in der genannten Weise zu verknüpfen.34 An dieser Auffassung mag man gewisse Zweifel hegen, da Art. 30 Abs. 3 S. 1 GewRL von der Aufbewahrung „in einem zentralen Register“ spricht. Andererseits sollte die Speicherung an verschiedenen Orten im elektronischen Zeitalter in der Tat kein Problem mehr sein, vorausgesetzt die Verlinkung der Register ist praktisch ausreichend handhabbar. 2.  Anpassung des GmbH-Gesetzes an die geldwäscherechtlichen Transparenzanforderungen Um der Mitteilungsfiktion gerecht zu werden, hat der deutsche Gesetzgeber anlässlich der Neufassung des GwG auch das GmbH-Gesetz geändert. Die Gesellschafterliste wird künftig so aufbereitet, dass sie unmittelbar den Anforderungen an das Transparenzregister entspricht. In der GmbH-Gesellschafterliste sind die Gesellschafter daher mit der jeweiligen prozentualen Beteiligung am Stammkapital zu verzeichnen (§ 40 Abs. 1 S. 1 GmbHG).35 Hält ein Gesellschafter mehrere Geschäftsanteile, so ist der Gesamtumfang seiner Beteiligung am Stammkapital als Prozentsatz gesondert anzugeben (§ 40 Abs. 1 S. 3 GmbHG). Näheres regelt die Gesellschafterlistenverordnung vom 6. April 2018.36 Man mag die Angabe der prozentualen Anteile belächeln, da sich diese schon bislang unschwer aus den Nennwerten der Geschäftsanteile errechnen ließ. Indessen wird man die prozentuale Angabe schon deshalb regeln müssen, weil sich diese auch in der GwRL findet.37 Sie definiert den wirtschaftlichen Eigentümer anhand der Prozentgrenze (Art. 3 Nr. 6 GwRL) und verlangt für das Transparenzregister „präzise und aktuelle Angaben“ (Art. 30 Abs. 1 GwRL). Der Europäische Gerichtshof hat in einer frühen Entscheidung zur Publizitätsrichtlinie festgehalten, dass es nicht ausreicht, wenn sich eine eintragungspflichtige Tatsache lediglich indirekt aus den eingetragenen Angaben ermitteln lässt.38 Die Prozentangaben in der Gesellschafterliste sind daher im Sinne einer effektiven Richtlinienumsetzung durchaus zu begrüßen. Zum zweiten verbessert die Neufassung des § 40 Abs. 1 S. 2 GmbHG die Transparenz bezüglich solchen Gesellschaftern, die selbst Gesellschaften sind.39   BT-Drs. 18/11555, 17. März 2017, S. 125 (RegBegr vor § 18 GwG).   Wachter GmbHR 2017, 1177, 1186 ff.; Wegener notar 2017, 299, 305 ff. Zu ersten Streitfällen in der Gerichtspraxis König/Steffes-Holländer DB 2018, 818 f. sowie Lieder/ Cziupka GmbHR 2018, 231 ff. 36   Zu ihr Lieder/Becker, NotBZ 2018, 321 ff. 37   Demgegenüber sehen Lieder/Cziupka GmbHR 2018, 231, 232, insoweit keine unionsrechtliche Pflicht. 38   EuGH, Rs. 32/74 (Haaga), Slg. 1974, 12012, 1207 (Rn. 6). 39  Hierzu Birkefeld/Schäfer BB 2017, 2755, 2758 ff., Longrée/Pesch NZG 2017, 1081, 1084 ff., Schaub GmbHR 2017, 727, 728 ff., Wachter GmbHR 2017, 1177, 1179 ff. 34 35

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Handelt es sich um eingetragene Gesellschaften, so sind Firma, Satzungssitz, zuständiges Register und Registernummer in die Liste aufzunehmen. Zu den eingetragenen Gesellschaften gehören die OHG, die KG, die GmbH und die AG. Bei nicht eingetragenen Gesellschaften – also insbesondere bei Gesellschaften bürgerlichen Rechts (denkbar wären auch fälschlich nicht eingetragene OHG) – sind deren Gesellschafter unter einer zusammenfassenden Bezeichnung mit Name, Vorname, Geburtsdatum und Wohnort zu verzeichnen. Wie schon im Grundbuch (§ 47 GBO) und im Handelsregister (§ 161 Abs. 1 S. 2 HGB) muss auch hier das Fehlen eines GbR-Registers kompensiert werden. 3.  Grenzen der Mitteilungsfiktion Soweit die Gesellschafter einer GmbH keine vom gesetzlichen Normalfall abweichenden Regelungen getroffen haben, wird sich künftig der wirtschaftlich Berechtigte aus der Gesellschafterliste ergeben. Denn die Einflussmöglichkeiten in der GmbH orientieren sich regelmäßig am eingesetzten Kapital.40 Durch die prozentuale Angabe der Kapitalbeteiligung ist das Überschreiten des GwG-Schwellenwertes von 25 % für jedermann leicht erkennbar. Sonstige Aspekte, die eine Stellung als wirtschaftlich Berechtigter begründen könnten, bleiben allerdings unerkannt. Wenn der GmbHGesellschaftsvertrag beispielsweise einem Gesellschafter mehr Stimmrechte zuweist als es seinem Kapitalanteil entspricht, ist möglicherweise ein Gesellschafter als wirtschaftlich Berechtigter zu qualifizieren, dessen Kapitalanteil nicht über 25 % liegt. Nach dem Wortlaut des GwG greift die Mitteilungsfiktion in einem solchen Fall nicht. Es muss also eine gesonderte Mitteilung an das Transparenzregister erfolgen. Denn laut § 20 Abs. 2 S. 1 GwG müssen sich die Angaben zum wirtschaftlich Berechtigten aus den „in § 22 Absatz 1 aufgeführten Dokumenten und Eintragungen ergeben“. In § 22 Abs. 1 Nr. 4 GwG ist aber als Dokument nur die Gesellschafterliste genannt und nicht der Gesellschaftsvertrag. Der Gesellschaftsvertrag ist nur insoweit genannt als er bei einer Gründung nach § 2 Abs. 1a S. 2 GmbHG die Gesellschafterliste ersetzt (sog. Musterprotokoll).41 In allen übrigen Fällen erfasst die Mitteilungsfiktion des § 20 Abs. 2 GwG nicht den Inhalt des Gesellschaftsvertrages.42 Ebenso verhält es sich bei Verschiebungen der Kontrollverhältnisse durch Treuhandverträge, Stimmbindungsverträge, Nießbrauch oder andere Gestaltungen, die sich nicht aus der Gesellschafterliste ergeben. Ein Gesellschafter,   Vgl. das Stimmrecht gemäß § 47 Abs. 2 GmbHG  Obwohl das Musterprotokoll keine Prozentangaben enthält (hierzu: Heidinger/ Knaier in: Heckschen/Heidinger, Die GmbH in der Gestaltungs- und Beratungspraxis, 4. Aufl. 2018, Kap. 2 Rn. 216 ff.; Seibert/Bochmann/Cziupka GmbHR 2017, R89, R90; Wicke DB 2017, 2528, 2531 f.). 42   Schaub DStR 2017, 1438, 1441. 40 41

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der auf Basis derartige, Gestaltungen zum wirtschaftlich Berechtigten wird, muss dem Transparenzregister gemeldet werden. Die Mitteilungsfiktion greift hier nicht. Sie vermag daher insbesondere die Familienunternehmen nicht wirklich zu entlasten. Denn dort wählt man häufig – aus durchaus legitimen Gründen – Strukturen, bei denen der wirtschaftlich Berechtigte nicht unmittelbar aus der Gesellschafterliste erkennbar ist.43

IV. GmbH-Geschäftsführerpflichten 1. Gesellschafterliste a)  Verpflichtung zur Einreichung der Gesellschafterliste Die Verantwortung für die Gesellschafterliste trifft primär den Geschäftsführer.44 Er hat gemäß § 40 Abs. 1 S. 1 GmbHG unverzüglich nach Wirksamwerden jeder Veränderung in den Personen der Gesellschafter oder des Umfangs ihrer Beteiligung eine aktualisierte Gesellschafterliste zum Handelsregister einzureichen. Sollte ein Notar an einer derartigen Veränderung mitgewirkt haben, geht die Einreichungspflicht auf den Notar über (§ 40 Abs. 2 S. 1 GmbHG). In der Praxis wird der Geschäftsführer durch die Einbindung des Notars erheblich entlastet, da dieser an vielen Veränderungen im Bestand der Gesellschafter beteiligt ist (insb. bei Anteilsübertragung und Umwandlungen).45 Der Geschäftsführer ist allenfalls dann wieder zuständig, wenn der Notar seine Pflichten erkennbar vernachlässigen sollte.46 b)  Aktualisierung nur auf Mitteilung und Nachweis Nach § 40 Abs. 1 S. 2 GmbHG erfolgt eine Änderung der Liste auf Mitteilung und Nachweis. Der Geschäftsführer wird also nur dann tätig, wenn er von einem Gesellschafter eine Mitteilung erhalten hat.47 Zusätzlich zur Mitteilung bedarf es der Beifügung von Nachweisen. Zu den Pflichten des   Schaub DStR 2017, 1438, 1443; Kotzenberg/Lorenz NJW 2017, 2433, 2435 ff.   Siehe nur Heidinger in: MK-GmbHG, 2. Aufl. 2016, § 40 Rn. 87. 45   Streitig ist die Einreichungspflicht des Notars bei nur mittelbarer Mitwirkung (vgl. Altmeppen in: Roth/Altmeppen, GmbHG, § 40 Rn. 20 m.w.N.; Seibt in: Scholz, GmbHGesetz, 11. Aufl., § 40 Rn. 62). 46   Für eine Einreichungszuständigkeit des Geschäftsführers in derartigen Fällen BGH, II ZR 21/12, NZG 2014, 184, 188 (Rn. 33 ff.). In der Literatur ist die Frage umstritten (Nachweise bei Heidinger in: MK-GmbHG, 2. Aufl., 2016, § 40 Rn. 124 ff., der dafür plädiert, im Anwendungsbereich des § 40 Abs. 2 GmbHG ausschließlich den Notar in die Pflicht zu nehmen). Differenzierend Bayer in: Lutter/Hommelhoff, GmbHG, 19. Aufl., 2016, § 40 Rn. 33 sowie Rn. 68 ff. 47   Heidinger in: MK-GmbHG, 2. Aufl., 2016, § 40 Rn. 91; Seibt in: Scholz, GmbHGesetz, 11. Aufl., § 40 Rn. 40; Terlau in: Michalski/Heidinger/Leible/J. Schmidt, GmbHG, 3. Aufl., 2017, § 40 Rn. 15. 43 44

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Geschäftsführers gehört eine Plausibilitätsprüfung hinsichtlich der eingereichten Nachweise.48 Er ist dabei an die Unterlagen gebunden, die er von den Gesellschaftern erhalten hat. Es besteht für ihn weder eine Verpflichtung, sich aktiv um Informationen zu bemühen, noch eine Nachforschungspflicht im Hinblick auf mögliche Veränderungen.49 Erfährt er auf andere Weise als durch Mitteilung des Betroffenen von einer Veränderung, darf er diese nicht eigenmächtig dem Handelsregister mitteilen.50 Denn für die Wahrung ihrer Rechtsposition, die sich durch Änderung der Liste verändert (vgl. § 16 Abs. 1 GmbHG), sind die Gesellschafter selbst zuständig. „Herr der Liste“ sind die Gesellschafter, wie Uwe H. Schneider treffend feststellt.51 Darin manifestiert sich der oben (unter II.1.c) angesprochene privatrechtliche Charakter des Sanktionssystems der Gesellschafterliste. c)  Mitteilungspflicht der Gesellschafter aus Sonderrechtsverhältnissen Davon abweichend wird in der Literatur teilweise eine Mitteilungspflicht der Gesellschafter angenommen.52 Für eine pauschal anzunehmende Mitteilungspflicht bietet der Gesetzeswortlaut jedoch keinen Anhaltspunkt. Die systematische Auslegung zeigt, dass der Gesetzgeber von einer solchen Regelung bewusst abgesehen hat. Die Pflichten von Geschäftsführer und Notar sind eindeutig als solche sprachlich gekennzeichnet („haben … einzureichen“ bzw. „hat … einzureichen“). Wäre eine Mitteilungspflicht der Gesellschafter gewollt, so hätte dies ebenso formuliert werden müssen. In § 67 AktG, der seinerzeit für die GmbH-Novelle Pate stand, ist dies auch geschehen. Dort gab es ursprünglich keine Verpflichtung des Aktionärs, die Gesellschaft zu informieren. Durch das Risikobegrenzungsgesetz 2008 wurde § 67 Abs. 1 S. 2 AktG neu formuliert. Nunmehr ist der Aktionär ausdrücklich „verpflichtet“, der Gesellschaft die nötigen Angaben mitzuteilen.53 Eine derartige Formulierung fehlt im GmbH-Gesetz, obwohl § 40 GmbHG nur wenige Monate nach § 67 AktG geändert wurde. Die Gesetzesbegründung bestätigt, dass der Gesetzgeber die bereits erläuterte (oben II.1.) indirekte Wirkung für ausrei-

48   Heidinger in: MK-GmbHG, 2. Aufl., 2016, § 40 Rn. 91; Uwe H. Schneider, GmbHR 2009, 393, 395; Seibt in: Scholz, GmbH-Gesetz, 11. Aufl., § 40 Rn. 35, Rn. 44. 49   Bayer: in Lutter/Hommelhoff, GmbHG, 19. Aufl., 2016, § 40 Rn. 48. 50   Heidinger in: MK-GmbHG, 2. Aufl., 2016, § 40 Rn. 91; Uwe H. Schneider, GmbHR 2009, 393, 395; Seibt in: Scholz, GmbH-Gesetz, 11. Aufl., § 40 Rn. 35. 51   Uwe H. Schneider, GmbHR 2009, 393, 395. 52   Bayer in: Lutter/Hommelhoff, GmbHG, 19. Aufl., 2016, § 40 Rn. 54; Heidinger in: MK-GmbHG, 2. Aufl., 2016, § 40 Rn. 101; Wicke, GmbHG, 3. Aufl., 2016, § 40 Rn. 8. Gegen eine Mitteilungspflicht sprechen sich aus: Seibt in: Scholz, GmbH-Gesetz, 11. Aufl., § 40 Rn. 40; Zöllner/Noack in: Baumbach/Hueck, GmbH-Gesetz, 21. Aufl., 2017, § 40 Rn. 24. 53   Zur Entstehungsgeschichte Bayer in: MK-AktG, 4. Aufl., 2016, § 67 Rn. 37.

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chend hielt, die sich aus den Rechtsnachteilen für fälschlich eingetragene oder nicht eingetragene Gesellschafter ergibt.54 Die Konstruktion einer Pflicht gegenüber der Gesellschaft ergibt auch deshalb wenig Sinn, weil die Gesellschaft kein schützenswertes Interesse an der Richtigkeit der Gesellschafterliste hat. Sie kann sich im Verhältnis zu den Gesellschaftern stets auf den Inhalt der Liste stützen, selbst wenn diese materiell unrichtig sein sollte (vgl. § 16 Abs. 1 GmbHG). Die Gesellschafter nehmen daher mit der Mitteilung einer Veränderung ihre eigenen Interessen wahr. Es handelt sich nicht um eine Pflicht, sondern um eine Obliegenheit, der man zur Vermeidung von Rechtsnachteilen nachkommt.55 Von Dritten kann dieses Verhalten nur eingefordert werden, wenn sich dafür aus einem anderen Rechtsverhältnis eine Anspruchsgrundlage ergibt. Soweit der Betroffene mit der unterlassenen Mitteilung einen Vertragspartner (z.B. Erwerber des Geschäftsanteils oder Gläubiger) schädigt, ergeben sich Schadensersatzplichten aus diesem Rechtsverhältnis. Soweit Mitgesellschafter betroffen sind, kann die Treuepflicht korrigierend eingreifen. d)  Zivilrechtliche Haftung Die Verantwortung des Geschäftsführers für die Gesellschafterliste schlägt sich in der Haftungsnorm des § 40 Abs. 3 GmbHG nieder. Der Haftungstatbestand des § 43 GmbHG, der nur eine Haftung gegenüber der Gesellschaft begründet, wird hier um eine Haftung gegenüber einzelnen Gesellschaftern und gegenüber Gläubigern erweitert.56 Einen Schaden könnte diejenige Person erleiden, deren Beteiligung sich geändert hat, ohne dass dies in die Gesellschafterliste aufgenommen worden wäre. Neuen Gesellschaftern drohen Nachteile, da sie sich ohne Eintragung in der Gesellschafterliste gegenüber der Gesellschaft nicht auf ihren Status als Gesellschafter berufen können (vgl. § 16 Abs. 1 GmbHG). Außerdem muss derjenige, dessen Berechtigung nicht eingetragen ist, einen Rechtsverlust durch gutgläubigen Erwerb befürchten (vgl. § 16 Abs. 3 GmbHG). Zudem haftet der GmbH-Geschäftsführer gegenüber Gläubigern, denen durch die fehlerhafte Liste ein Schaden entstanden ist. Dieser kann sich namentlich daraus ergeben, dass Ansprüche gegen Gesellschafter bestehen und deren Identität sich anhand der Gesellschafterliste nicht zutreffend ermitteln lässt.

54   BT-Drs. 16/6140, S. 38 (Begr. Zu § 16 Abs. 1 GmbHG n.F.): „Durch die Neuregelung wird der Gesellschafterbestand stets aktuell, lückenlos und unproblematisch nachvollziehbar sein, denn es entspricht nun dem Eigeninteresse des Erwerbers, für die Eintragung in die Gesellschafterliste durch den Geschäftsführer Sorge zu tragen.“ 55  Zutreffend Zöllner/Noack in: Baumbach/Hueck, GmbH-Gesetz, 21. Aufl., 2017, § 40 Rn. 24. 56   Siehe nur Terlau in: Michalski/Heidinger/Leible/J. Schmidt, GmbHG, 3. Aufl., 2017, § 40 Rn. 44.

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Die Haftung setzt eine Pflichtverletzung und Verschulden voraus.57 Die Schadensersatzpflicht korrespondiert also mit der soeben dargestellten Pflichtenlage: Der Geschäftsführer ist gegenüber einem Gesellschafter oder Gläubiger nur dafür verantwortlich, dass er nach Mitteilung und Nachweis der Veränderung die geänderte Liste unverzüglich zum Handelsregister einreicht.58 Er haftet nicht für Veränderungen, die er zwar kannte, für die er aber vom betroffenen Gesellschafter keine Mitteilung mit Nachweisen erhalten hat. In der Praxis sind derartige Haftungsfälle bislang offenbar die Ausnahme geblieben. Das dürfte nicht allein „an der guten Beherrschbarkeit der Eintragungsinhalte“ liegen,59 sondern vor allem auch daran, dass die Geschäftsführer die Gesellschafterliste überhaupt nur auf Mitteilung und Nachweis ändern müssen. Das haftungsbegründende Verschulden fehlt insbesondere dann, wenn eine Veränderung dem Geschäftsführer nicht ordnungsgemäß mitgeteilt und nachgewiesen wurde.60 Beides hat sich durch Einführung des Transparenzregisters möglicherweise zu Ungunsten der Geschäftsführer verändert: Sowohl die geringere Beherrschbarkeit der Inhalte als auch die Pflicht zum aktiven Handeln erhöhen die auf den GmbH-Geschäftsführern lastende Verantwortung. 2. Transparenzregister a)  Verantwortung des Geschäftsführers für Pflichterfüllung der GmbH Das GwG nimmt primär die Gesellschaft in die Pflicht und nicht den Geschäftsführer: „Juristische Personen des Privatrechts und eingetragene Personengesellschaften haben die in § 19 Absatz 1 aufgeführten Angaben zu den wirtschaftlich Berechtigten dieser Vereinigungen einzuholen, aufzubewahren, auf aktuellem Stand zu halten und der registerführenden Stelle unverzüglich zur Eintragung in das Transparenzregister mitzuteilen.“ (§ 20 Abs. 1 S. 1 GwG). Die Verantwortung des GmbH-Geschäftsführers ergibt sich mittelbar aus seiner Stellung als Geschäftsführungsorgan und gesetzlicher Vertreter. Im Außenverhältnis muss er dafür Sorge tragen, dass die Gesellschaft ihren gesetzlichen Pflichten nachkommt (Legalitätspflicht).61 Ihn trifft insoweit die Pflicht zur ordnungsgemäßen Organisation und Überwachung des Unter-

57   Bayer in: Lutter/Hommelhoff, GmbHG, 19. Aufl., 2016, § 40 Rn. 80; Seibt in: Scholz, GmbH-Gesetz, 11. Aufl., § 40 Rn. 96. 58   Uwe H. Schneider, GmbHR 2009, 393, 396. 59  So Birkefeld/Schäfer, BB 2017, 2755, 2756. 60   Terlau in: Michalski/Heidinger/Leible/J. Schmidt, GmbHG, 3. Aufl., 2017, § 40 Rn. 44. 61  BGHZ 194, 26, 34; Ziemons in: Michalski/Heidinger/Leible/J. Schmidt, GmbHG, 3. Aufl., 2017, § 43 Rn. 63.

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nehmens.62 Somit ist er auch für die ordnungsgemäße Erfüllung der Meldepflicht nach § 20 Abs. 1 GwG zuständig. Die Gesetzesbegründung hebt die neu entstandene Compliance-Pflicht des GmbH-Geschäftsführers ausdrücklich hervor. Dieser müsse geeignete interne Organisationsmaßnahmen ergreifen, um die Beachtung der gesetzlichen Pflichten sicherzustellen.63 Dabei ist im Interesse der Gesellschaft stets das nach § 56 GwG drohende Bußgeld im Blick zu behalten. Unterbleibt die Mitteilung an das Transparenzregister vorsätzlich oder leichtfertig, trifft das Bußgeld zwar die Gesellschaft. Der Geschäftsführer muss ihr jedoch im Innenverhältnis den Schaden nach § 43 Abs. 2 GmbHG ersetzen. b)  Verpflichtung zur „Einholung“ von Informationen Im Falle der Gesellschafterliste wird der Geschäftsführer nur auf Mitteilung und Nachweis tätig (oben IV.1.b). Nach dem GwG dürfte das nicht genügen. Denn die GmbH ist verpflichtet, die Angaben zu den wirtschaftliche Berechtigten „einzuholen, aufzubewahren und auf aktuellem Stand zu halten“ (§ 20 Abs. 1 GwG). Diese Formulierung legt eine Pflicht zum aktiven Tun nahe,64 sodass ein GmbH-Geschäftsführer nicht allein in der Erwartung leben kann, seine Gesellschafter würden ihm die nötigen Informationen schon liefern. Die Gesetzesbegründung bemüht sich, diese Pflichtenlage zu relativieren:65 Die Pflicht der Unternehmen konzentriere sich „auf die Erfassung solcher Informationen, die den Vereinigungen bereits bekannt sind oder die ihnen durch den Anteilseigner mitgeteilt werden. Sie sind nicht zu eigenen Nachforschungen, möglicherweise eine längere Beteiligungskette hinab, verpflichtet.“ Die Literatur folgt dieser Äußerung weitgehend, häufig ohne die Frage überhaupt zu problematisieren.66 Dabei dürfte bisweilen der Wunsch der Vater des Gedankens sein. Zahlreiche Autoren aus der Praxis stehen der bürokratischen Zusatzbelastung ohnehin kritisch gegenüber und wollen im Interesse ihrer Mandanten nur allzu gerne an das Fehlen einer Nachforschungspflicht glauben.67 Andere Autoren äußern Bedenken und verweisen auf den Wort Scholz/Uwe H. Schneider, GmbHG, 12. Aufl., 2018, § 43 Rn. 360.   BT-Drs. 18/11555, 17. März 2017, S. 127 (RegBegr zu § 20 GwG). Ebenso Assmann/ Hütten AG 2017, 449, 458; Longrée/Pesch NZG 2017, 1081, 1083. Allgemein zur Compliance-Pflicht des GmbH-Geschäftsführers: Heidinger/Knaier (o. Fn. 40), Kap. 6 Rn. 9; Kort GmbHR 2013, 566. 64   Schaub DStR 2017, 1438, 1439. 65   BT-Drs. 18/11555, 17. März 2017, S. 127 (RegBegr zu § 20 GwG). 66   Vgl. etwa Longrée/Pesch NZG 2017, 1081, 1082. 67  Vgl. Kotzenberg/Lorenz NJW 2017, 2433, die aus ihrer kritischen Einstellung keinen Hehl machen, und S. 2434 ausführen, die Gesetzesbegründung betone „mehrfach“, dass keine Nachforschungspflicht bestehe. Insoweit „dürfte es genügen“, wenn sämtliche in die Wissenssphäre der Vereinigung gelangten Informationen geprüft würden. 62 63

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laut des § 20 Abs. 1 S. 1 GwG.68 Demnach „haben“ die Vereinigungen die Angaben zu den wirtschaftlich Berechtigten „einzuholen, aufzubewahren, auf aktuellem Stand zu halten“ und dem Transparenzregister „mitzuteilen“. Nach allen Gepflogenheiten der Gesetzgebung klingt das wie eine gesetzliche Verpflichtung, die sich eben nicht nur auf das Sammeln und Weiterleiten von Informationen bezieht, sondern auch auf deren Beschaffung. Gegen das Wortlautargument wenden sich Assmann/Hütten mit einer sprachlichen Analyse der GwRL.69 Der deutsche Gesetzgeber habe die deutsche Sprachfassung übernommen, die von der englischen und französischen Sprachfassung signifikant abweiche. Nach Art. 30 Abs. 1 S. 1 GwRL sorgen die Mitgliedstaaten dafür, „dass die in ihrem Gebiet eingetragenen Gesellschaften“ präzise und aktuelle Angaben „einholen und aufbewahren müssen“. In der englischen und französischen Sprachfassung steht an der Stelle von „einholen“ nur „obtain“ bzw. „obtenir“, was eher mit „erlangen“ oder „erhalten“ zu übersetzen wäre. In diesem Sinne sei der Wortlaut des § 20 Abs. 1 GwG teleologisch so auszulegen, dass die Unternehmen nur zur Entgegennahme von Informationen verpflichtet sind, nicht zu ihrer aktiven Beschaffung. Allerdings zeigt der weitere Kontext der anderen Sprachfassungen, dass auch dort von einer Verpflichtung die Rede ist: „obligation d’obtenir“ heißt es in der französischen Fassung, „are required to obtain“ in der englischen. Nach einer bloß passiven Entgegennahme klingt das nicht. Wer verpflichtet ist, Informationen zu erhalten, muss sich zumindest dann, wenn sie ausbleiben, möglicherweise doch aktiv um sie bemühen. Die französische Rechtspraxis sieht dies ebenso. Ein im Juni 2018 versandter Newsletter der Pariser Industrie- und Handelskammer hält fest: Die Geschäftsleiter der betroffenen Unternehmen müssen die nötigen Nachforschungen anstellen, um die wirtschaftlich Berechtigten zu ermitteln.70 In methodischer Hinsicht gilt: Nationales Recht ist so auszulegen, dass das mit der Richtlinie verfolgte Ziel erreicht wird.71 In Bezug darauf ist die deutsche Fassung sogar vorzugswürdig gegenüber den anderen Sprachfassungen. Denn sie kommt dem Ziel der Richtlinie, möglichst zuverlässig den wirtschaftlich Berechtigten zu ermitteln und dafür auch die Gesellschaft in die Pflicht zu nehmen, näher als die anderen Sprachfassungen. Selbst wenn die deutsche Sprachfassung und mit ihr der deutsche Gesetzgeber weiter gegangen sein sollten als von der Richtlinie gefordert, lässt sich dies nicht gegen den Wortlaut des GwG in Stellung bringen. Denn eine Pflicht, bei der Umsetzung einer Richtlinie möglichst restriktiv vorzugehen, gibt es im Unionsrecht   Bochmann DB 2017, 1310, 1312.   Assmann/Hütten AG 2017, 449, 458. 70  http://www.creda.cci-paris-idf.fr/info-debat/lettre%202018-10.html 71   Siehe nur EuGH, Rs. C-106/89 (Marleasing), Slg. 1990, I-4135, Rn. 8; zur richtlinienkonformen Auslegung allgemein W.-H. Roth in Riesenhuber (Hrsg.), Europäische Methodenlehre, 2. Aufl., 2010, § 14 (S. 393 ff.). 68 69

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nicht. Ganz im Gegenteil: Die Richtlinie ist möglichst effektiv umzusetzen. Das Unionsrecht zwingt also nicht zu einer restriktiven Auslegung des § 20 Abs. 1 S. 1 GwG. Und die deutsche Auslegungsmethodik liefert dafür auch keine Anhaltspunkte. Denn der Wortlaut ist eindeutig. Er spricht von einer Pflicht zur Einholung von Informationen. Dass es dem deutschen Gesetz mit dieser Verpflichtung ernst ist, bestätigt der Bußgeldkatalog:72 Ordnungswidrig handelt, wer entgegen § 20 Abs. 1 Angaben zu den wirtschaftlich Berechtigten nicht einholt (§ 56 Abs. 1 Nr. 53 GwG). Schon aus diesem Grunde sollte man die Verpflichtung, Informationen bei den Anteilseignern einzuholen, nicht auf die leichte Schulter nehmen. c)  Keine Entlastung durch den Notar Zur Beruhigung der Wirtschaft wurde im Gesetzgebungsverfahren weiterhin darauf hingewiesen, dass Änderungen der Gesellschafterliste zumeist vom Notar vorgenommen werden. Es entstehe daher „kein nennenswerter Extraaufwand“.73 Das mag aus pragmatischer Sicht zutreffen. Soweit der Notar seiner Aufgabe korrekt nachkommt, ist damit zugleich die Mitteilungspflicht der Gesellschaft qua Fiktion erfüllt. Damit ist die Angelegenheit für den Geschäftsführer aber nicht erledigt. Anders als im GmbH-Gesetz, wo er im Zuständigkeitsbereich des Notars zurücktritt, ist Adressat der geldwäscherechtlichen Mitteilungspflicht allein die Gesellschaft (vertreten durch den Geschäftsführer). Der Notar ist zur Mitteilung an das Transparenzregister nicht verpflichtet. Er ist auch nicht verpflichtet, im Auftrag der meldepflichtigen GmbH eine Meldung abzugeben oder dabei beratend tätig zu werden.74 Die notarielle Praktikerliteratur rät ihm auch dringend, sich aus dieser Frage herauszuhalten, um angesichts der drohenden Bußgelder und der mitunter komplizierten Aufklärung des Sachverhaltes keine unnötigen Haftungsrisiken einzugehen.75 Diese Warnungen aus notariellen Kreisen sollten einem GmbH-Geschäftsführer in den Ohren klingeln; denn ihn trifft im Ernstfall die Haftung, vor der hier gewarnt wird. Er ist originär für die korrekte Mitteilung an das Transparenzregister verantwortlich und zwar auch in denjenigen Fällen, für die GmbH-rechtlich der Notar zuständig ist. d)  Zivilrechtliche und strafrechtliche Verantwortung Verletzt die GmbH ihre Mitteilungspflicht in vorsätzlicher oder leichtfertiger Weise, droht ihr ein Bußgeld nach § 56 Abs. 1 Nr. 53 GwG. Das Buß-

72   Darauf weisen auch Bochmann DB 2017, 1310, 1312, und Schaub DStR 2017, 1438, 1440 sowie v. Schweinitz/Pichler in Zentes/Glaab (Hrsg.), GwG, 2018, § 20 GwG, Rn. 40, hin. 73   Seibert GmbHR 2017, R 97, R 98. 74   Elsing notar 2018, 71, 72; Wachter GmbHR 2017, 1177, 1189. 75   Elsing notar 2018, 71, 72.

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geld trifft zwar den Geschäftsführer nicht persönlich. Er ist aber kraft seiner Legalitätspflicht für die Einhaltung der gesetzlichen Regeln zuständig. Die Verletzung öffentlich-rechtlicher Pflichten ist zugleich eine Pflichtverletzung im Sinne des § 43 Abs. 1 GmbHG; sie kann also zu einer Schadensersatzhaftung im Innenverhältnis führen, wenn der Gesellschaft aus der Pflichtverletzung ein Schaden entsteht (§ 43 Abs. 2 GmbHG). Weiterhin schwebt über dem Geschäftsführer das Damoklesschwert des § 261 StGB. Wird über das Vehikel der GmbH Geldwäsche betrieben, so droht dem Geschäftsführer, der die tatsächliche Verfügungsgewalt über das Vermögen der GmbH innehat, eine Strafbarkeit als Mittäter. Denkbar erscheint auch eine Begehung durch Unterlassen, wenn man aus den geldwäscherechtlichen Verpflichtungen eine Garantenstellung ableitet.76 Eine Vorsatztat wird man dem Geschäftsführer zwar nicht vorhalten können, wenn er lediglich die Aktualisierung des Transparenzregisters versäumt hat. Denn die Vorsatzstrafbarkeit setzt voraus, dass der Täter die Vortat zumindest in groben Zügen kannte.77 Allerdings gibt es nach § 261 Abs. 5 StGB auch eine leichtfertige Tatbegehung, bei der dann Leichtfertigkeit auch hinsichtlich der Vortat genügt.78 Ein Täter handelt beispielsweise leichtfertig, wenn sich ihm die illegale Herkunft des Gegenstands geradezu aufdrängen muss.79 Indiz dafür können die Höhe des Betrags und das Auftreten des ursprünglichen Inhabers des vermögenswerten Gegenstandes sein.80 Wenn die Gesetzesbegründung meint, ein „Kennenmüssen“ der wahren Umstände sei für den Geschäftsführer unerheblich,81 so bewegt sich der Geschäftsführer dabei auf schmalem Grat. Denn die Indizien, die ihm andeuten, dass eine bislang nicht gemeldete Person zu den wirtschaftlich Berechtigten gehört, könnten sich bei späterer Tatbegehung – möglicherweise zusammen mit weiteren Verdachtsmomenten – zu einer leichtfertigen Mittäterschaft an der Geldwäsche auswachsen.

76   Für Garantenstellung: Ruhmannseder in BeckOK StGB, § 261, Rn. 50; Mückenberger in Esser/Rübenstahl/Saliger/Tsambikakis (Hrsg.), Wirtschaftsstrafrecht, 2017, § 261 Rn. 76; Neuheuser in MüKo/StGB, § 261, Rn. 105; dagegen: Nestler in Herzog, Geldwäschegesetz, § 261, Rn. 109. 77   Mückenberger (o. Fn. 16) § 261 Rn. 78; Eschelbach (o. Fn. 16), § 261 Rn. 64. 78   Wahl in Müller-Gugenberger/Bieneck (Hrsg.), Wirtschaftsstrafrecht, 5. Aufl., 2011, § 51 Rn. 44. 79   Hombercher JA 2005, 67, 69. 80  Hierzu ausführlicher Mückenberger in Esser/Rübenstahl/Saliger/Tsambikakis (Hrsg.), Wirtschaftsstrafrecht, 2017, § 261 Rn. 81; Wahl in Müller-Gugenberger/Bieneck (Hrsg.), Wirtschaftsstrafrecht, 5. Aufl., 2011, § 51 Rn. 44. 81   Vgl. oben Fn. 6.

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V.  Fazit und Handlungsempfehlung 1.  Paradigmenwechsel in der Pflichtenstellung des Geschäftsführers Das GwG schafft eine grundlegend neue Verantwortung für den GmbHGeschäftsführer. Er ist als Geschäftsführungs- und Vertretungsorgan für die korrekte Erfüllung der Mitteilungspflicht an das Transparenzregister verantwortlich. Diesem sind die jeweiligen „wirtschaftlich Berechtigten“ mitzuteilen, also jedenfalls Gesellschafter, die mehr als 25 % des Kapitals halten. Hinzu kommen Gesellschafter, die mehr als 25 % der Stimmrechte halten oder auf andere Weise die Gesellschaft kontrollieren. Durch eine Verknüpfung von Transparenzregister und Gesellschafterliste sollte der Geschäftsführer entlastet werden. Das ist im Ansatz zu begrüßen, darf aber nicht über die gesteigerte Pflichtenlage hinwegtäuschen. Die Gesellschafterliste wird GmbH-rechtlich nur auf Mitteilung und Nachweis durch die Gesellschafter ergänzt; und sie enthält keineswegs alle Angaben, die für die Bestimmung eines wirtschaftlich Berechtigten notwendig sind. Lediglich die prozentuale Kapitalbeteiligung wird aus der Liste erkennbar. Ergibt sich die Stellung als „wirtschaftlich Berechtigter“ aus anderen Kriterien, so ist eine gesonderte Mitteilung an das Transparenzregister erforderlich. Auf die Unterstützung des Notars, der dem Geschäftsführer im GmbH-Recht zahlreiche Veränderungen der Gesellschafterliste abnimmt, kann sich der Geschäftsführer im Bereich der Geldwäsche nicht blind verlassen. Denn die Pflicht zur Mitteilung an das Transparenzregister trifft die GmbH und nicht den Notar. Insgesamt hat durch die Verknüpfung von Gesellschafterliste und Transparenzregister ein Paradigmenwechsel stattgefunden. Während eine Unrichtigkeit der Gesellschafterliste bislang nur privatrechtliche Folgen hatte, ist die Mitteilungspflicht an das Transparenzregister öffentlich-rechtlicher Natur. Ihre Verletzung kann zur Verhängung von Bußgeldern gegen die Gesellschaft führen, für die der Geschäftsführer bei Sorgfaltspflichtverletzung gerade zu stehen hat (§ 43 Abs. 2 GmbHG), und die in Extremfällen den Grundstein zu einer Strafbarkeit nach § 261 StGB legen. 2.  Handlungsempfehlungen an den GmbH-Geschäftsführer Die rein praktische Entlastung, die der Gesetzgeber durch den Verweis auf die Gesellschafterliste gewährt, entlässt den Geschäftsführer rechtlich nicht aus der Verantwortung für eine korrekte Mitteilung an das Transparenzregister. Wenn die GmbH eine Mitteilung an das Transparenzregister in der Annahme unterlässt, die Gesellschafterliste gebe den oder die wirtschaftlich Berechtigten zutreffend wieder, so muss vorher sorgfältig geprüft worden sein, ob sich der meldepflichtige Inhalt tatsächlich vollständig aus der aktuel-

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len Gesellschafterliste ergibt. Denn nur dann greift die Mitteilungsfiktion des § 20 Abs. 2 GwG. Weiterhin sollte sich der Geschäftsführer im eigenen Interesse aktiv darum bemühen, dass die Gesellschafterliste den Stand der Beteiligungen jeweils aktuell und zutreffend widerspiegelt. Hierzu benötigt er Informationen von den Gesellschaftern. Diese sind zwar ihrerseits zur Mitteilung an die Gesellschaft verpflichtet. Darauf kann sich der Geschäftsführer aber nicht blind verlassen. Ihn trifft, wie die Analyse des Gesetzeswortlauts (oben IV.2.b) gezeigt hat, eine aktive Pflicht zur Einholung von Informationen. Dies ist ein Minus gegenüber einer Nachforschungspflicht.82 Der GmbH-Geschäftsführer muss daher keine eigenen Recherchen anstellen, um seinen Gesellschaftern bei deren eventuellen Machenschaften auf die Schliche zu kommen. Bloßes Zuwarten genügt allerdings auch nicht. Wenn die Anteilseigner von alleine Informationen liefern, die plausibel erscheinen, darf sich der Geschäftsführer damit zufrieden geben. Wenn von den Anteilseignern jedoch keine Informationen kommen, muss er nachhaken. Dem Geschäftsführer ist zu empfehlen, seine Gesellschafter regelmäßig zur Erfüllung ihrer Mitteilungspflichten aufzufordern und ihnen eine Handreichung zu geben, welche Aspekte sie dabei zu beachten haben. Dies gilt gerade in den zahlreichen kleinen GmbHs, deren Gesellschafter regelmäßig ihre geldwäschrechtlichen Pflichten überhaupt nicht kennen werden und den Begriff des „wirtschaftlich Berechtigten“ nicht eigenständig auslegen können. Die unterschiedlichen Konzeptionen von GmbHG und GwG werden offenkundig, wenn der Geschäftsführer auf anderem Wege als durch Mitteilung der Gesellschafter Kenntnis von Veränderungen erlangt, die Einfluss auf die Einstufung einer Person als „wirtschaftlich Berechtigter“ haben können. Ohne Mitteilung der Gesellschafter kann er die Gesellschafterliste nicht ändern. Die unrichtig gewordene Liste lässt allerdings die Mitteilungsfiktion entfallen. Der Geschäftsführer muss daher die neue Sachlage direkt dem Transparenzregister mitteilen. Schon die Ankündigung dieser Maßnahme dürfte im Regelfall genügen, um die säumigen Gesellschafter zur Einhaltung ihrer geldwäscherechtlichen Mitteilungspflichten zu bewegen. Aufmerksamkeit ist weiterhin geboten, wenn ein Anteilseigner seinerseits Gesellschaft und anderweitig juristische Person ist. Hier liegt für den Geschäftsführer offen zutage, dass die eingetragene Gesellschaft oder juristische Person nicht der wirtschaftlich Berechtigte sein kann. Denn wirtschaftlich Berechtigter ist immer eine natürliche Person. Die Mitteilungsfiktion ist zwar erfüllt, wenn sich anhand der öffentlich zugänglichen Gesellschafterlisten oder Handelsregistereintragungen die gesamte Beteiligungskette 82   Insoweit zutreffend v. Schweinitz/Pichler (o. Fn. 70), § 20 GwG, Rn. 41, deren weitere Ausführungen jedoch rechtspraktisch wenig hilfreich sind (unklar bleibt, wie man sich eine „aktive“ Pflicht zum „Entgegennehmen“ der Information vorzustellen hat).

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nachvollziehen lässt. Ob dies der Fall ist, muss der GmbH-Geschäftsführer jedoch aktiv prüfen. Nur dadurch lässt sich im Interesse der GmbH sicherstellen, dass sie qua Mitteilungsfiktion ihre geldwäscherechtlichen Pflichten erfüllt hat. Unterbleibt diese Prüfung, lässt sich bei einem späteren Geldwäschedelikt eine Strafbarkeit wegen Leichtfertigkeit nicht restlos ausschließen.

Harmonisierung und nationale Gesetzgebung im Marktmissbrauchsrecht

Maximalharmonisierung und mitgliedstaatliche Gesetzgebung im europäischen Marktmissbrauchsrecht Rüdiger Veil I. Einleitung Das Marktmissbrauchsrecht gelangt gelegentlich auch auf den Schreibtisch des Zivilrichters. Dabei handelt es sich vor allem um Klagen von Anlegern gegen Emittenten und deren Vorstände wegen Verletzung der Pflicht zur Veröffentlichung von Insiderinformationen. Der II. Zivilsenat des BGH hat sich im berühmten Fall Daimler/Geltl mehrere Male mit dieser Pflicht auseinandergesetzt. Unter dem Vorsitz von Alfred Bergmann entschloss er sich, den EuGH mit dem Fall zu beschäftigen.1 Auf die Vorlegungsfragen des Senats zum Begriff der Insiderinformation will ich nicht eingehen, sondern thematisieren, dass das Marktmissbrauchsrecht europäisiert ist. Dies war bereits der Fall, als der BGH über die Rechtssache Daimler/Geltl entschied, weil die deutschen Vorschriften über den Begriff der Insiderinformation und die Pflicht zu deren Veröffentlichung die Bestimmungen der Richtlinie 2003/6/EG (sog. MAD 2003) umsetzten. Nunmehr ist die Regelungsmaterie größtenteils EU-weit vereinheitlicht. Das Herzstück ist die Marktmissbrauchs-Verordnung der EU (MAR), die durch zahlreiche Rechtsakte der Kommission ergänzt wird. Nationale Vorschriften gibt es noch; die meisten gehen aber auf Regelungsaufträge der MAR zurück oder setzen die Vorgaben der Sanktions-Richtlinie der EU (CRIM-MAD) um, sind daher unionsrechtlich vorgezeichnet. Diese neue Welt des Marktmissbrauchsrechts wirft eine Fülle an methodischen Fragen auf, die über die im alten MAD 2003-Regime relevante richtlinienkonforme Auslegung hinausgehen. Ich möchte in diesem Alfred Bergmann zum 65. Geburtstag gewidmeten Beitrag das Verhältnis zwischen dem europäischen Regime in Gestalt von Level 1- und 2-Verordnungen auf der einen und nationalen Gesetzen und Verordnungen auf der anderen Seite behandeln: Wie viel Gestaltungsspielraum verbleibt den Mitgliedstaaten? Welche Rolle spielt in diesem Zusammenhang das europäische „Expertenrecht“ im neuen Marktmissbrauchsrechts?   BGH NZG 2011, 109.

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II. Regelungsmaterie Das Marktmissbrauchsrecht ist aufgrund der 2014–2016 erfolgten Reform komplexer geworden. Dies liegt hauptsächlich daran, dass auf sechs Regelungsebenen, drei europäischen und drei nationalen, eine Fülle an Vorschriften vorzufinden ist. An der Spitze steht die auf Level 1 des LamfalussyVerfahrens verabschiedete Marktmissbrauchs-Verordnung (MAR). Sie wird ergänzt durch 13 konkretisierende Rechtsakte der Europäischen Kommission, die auf Vorarbeiten der ESMA (sog. Technical Advice zu delegierten Rechtsakten und Entwürfe von Standards) zurückgehen (Level 2) und mit einer Ausnahme als Verordnungen der EU verabschiedet wurden (Durchführungsverordnungen und -richtlinie sowie delegierte Verordnungen). Hinzu kommen Leitlinien, die die ESMA zwecks einheitlicher Auslegung des Unionsrechts herausgibt, und Question and Answers (Q&A), die die ESMA zur Verbesserung der Kohärenz der Aufsichtspraktiken veröffentlicht. Die drei europäischen Regelungsebenen werden durch nationale Regeln ergänzt, die wiederum auf drei Ebenen anzutreffen sind: (i) Vorschriften im WpHG, die in erster Linie die Regelungsaufträge der MAR und die Vorgaben der Richtlinie über strafrechtliche Sanktionen (CRIM-MAD) umsetzen; (ii) Verordnungen des BMF (die WpAV und BaFinVerstMeldV); (iii) Auslegungshinweise der BaFin, die über ihre Verwaltungspraxis Auskunft geben,2 insbesondere sog. Frequently Asked Questions (FAQ), die die BaFin auf ihrer Internetpräsenz veröffentlicht.

III.  Die Bedeutung des Expertenrechts Die Auslegung des europäischen Rechts liegt in der Hand des EuGHs. Das Fallmaterial ist freilich überschaubar. Der EuGH hat bislang nur wenige kapitalmarktrechtliche Rechtssachen entschieden. Zum neuen Marktmissbrauchsrecht hat er sich noch gar nicht geäußert (wenngleich die Urteile Daimler/Geltl und Spector/Photogroup weiterhin relevant sind). Deshalb ist das Expertenrecht in Gestalt von Level 2- und 2-Maßnahmen der Kommission und ESMA von herausragender praktischer Bedeutung. Expertenrecht gab es bereits zu Zeiten des MAD 2003-Regimes. Es hatte freilich wenig Aufmerksamkeit bei den Gerichten gefunden. Der BGH hatte sich in seinen Daimler/Geltl-Entscheidungen mit den Auslegungen des früheren CESR zum Begriff der Insiderinformation gar nicht auseinander gesetzt, obwohl in der deutschen Literatur die erhebliche faktische Bedeu-

2   Den Emittentenleitfaden hat die BaFin noch nicht überarbeitet. Die zuletzt veröffentliche 4. Aufl. vom 22.7.2013 bezieht sich auf das alte MAD 2003-Regime.

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tung der Leitlinien als ein soft law-Instrument3 anerkannt war4 und der CESR sich zur Auslegung des Begriffs der Insiderinformation geäußert und dargelegt hatte, unter welchen Voraussetzungen die Veröffentlichung einer Insiderinformation aufgeschoben werden kann.5 1.  Leitlinien der ESMA Mittlerweile ist die behördliche Konkretisierung des EU-Rechts durch Leitlinien und Empfehlungen sekundärrechtlich legitimiert. Die ESMA hat die Befugnis, Leitlinien und Empfehlungen für die „zuständigen Behörden“ und Finanzmarktteilnehmer herauszugeben, um kohärente, effiziente und wirksame Aufsichtspraktiken zu schaffen und eine gemeinsame, einheitliche und kohärente Anwendung des Unionsrechts sicherzustellen.6 Die Leitlinien und Empfehlungen werden durch den Rat der Aufseher der ESMA (in dem nur die Vertreter nationaler Aufsichtsbehörden stimmberechtigt sind) beschlossen. Es gelten die allgemeinen Mehrheitserfordernisse, so dass Leitlinien und Empfehlungen auch gegen den Willen einzelner mitgliedstaatlicher Behörden verabschiedet werden. Die ESMA hat (auch in deutscher Sprache) zwei Leitlinien zur MAR herausgegeben, weil die MAR sie hierzu beauftragt hat: (i) die MAR-Leitlinien über den Aufschub der Offenlegung von Insiderinformationen7 und (ii) die MAR-Leitlinien über Informationen über Warenderivatemärkte oder verbundene Spot-Märkte im Hinblick auf die Definition von Insiderinformationen über Warenderivate.8 Darüber hinaus kann die ESMA weitere Leitlinien beschließen, wenn sie dies für erforderlich hält, um innerhalb des ESFS

3   Der frühere CESR hat mehrere Papiere zur Anwendung der MAD 2003 herausgegeben: (i) CESR, Level 3 – First Set Guidance and Information on the Common Operation of the Directive, CESR/04-505b; (ii) CESR, Level 3 – Second Set of CESR Guidance and Information on the Common Operation of the Directive to the Market, CESR/06-562b, July 2007; (iii) CESR, Level 3 – Third Set of CESR Guidance and Information on the Common Operation of the Directive to the Market, CESR/09-219, May 2009. 4  Vgl. Möllers ZEuP 2008, 480, 491 ff.; Hupka WM 2009 1351, 1358; Walla BKR 2012, 265, 267. Nach Ansicht des BVerwG ZIP 2011, 1313, 1316 geben die Äußerungen des CESR eine gemeinsame Rechtsauffassung der mit der Rechtsfrage befassten Behörden wieder, die eine Richtigkeitsvermutung für sich beanspruchen kann. 5   Der CESR hat insbesondere dargelegt, dass bei mehrstufigen Entscheidungsprozessen sowohl der Zwischenschritt („each stage of the process“) als auch das Endereignis („the overall process“) eine Insiderinformation sein könnten; vgl. CESR, Level 3 – Second Set of CESR Guidance and Information on the Common Operation of the Directive to the Market, CESR/06-562b, July 2007, S. 4 ff. 9 ff. 6   Vgl. Art. 16 Abs. 1 ESMA-Verordnung. 7   ESMA/2016/1478DE, 20.10.2016. 8   ESMA/2016/1480DE, 17.1.2017.

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kohärente, effiziente und wirksame Aufsichtspraktiken zu schaffen und eine gemeinsame, einheitliche und kohärente Anwendung des Unionsrechts sicherzustellen.9 Die Rechtsnatur der Leitlinien ist noch nicht abschließend geklärt. Ausgangspunkt für eine Antwort muss Art. 16 ESMA-Verordnung sein. Diese Vorschrift regelt, unter welchen Voraussetzungen die ESMA Leitlinien und Empfehlungen herausgeben kann. Ferner ordnet sie an, dass die BaFin und die Finanzmarktteilnehmer alle erforderlichen Anstrengungen unternehmen, um den Leitlinien und Empfehlungen nachzukommen.10 Bezüglich der nationalen Aufsichtsbehörden ist ein Comply-or-explain-Mechanismus vorgesehen: Eine nationale Aufsichtsbehörde hat binnen zwei Monaten nach der Herausgabe einer Leitlinie oder Empfehlung zu bestätigen, ob sie der Leitlinie oder Empfehlung nachkommt oder nachzukommen beabsichtigt. Andernfalls teilt sie dies der ESMA unter Angabe der Gründe mit.11 Im Falle eines Non-Comply veröffentlicht die ESMA diese Tatsache.12 Dieses Shaming soll die verstärkte Einhaltung der Leitlinien und Empfehlungen gewährleisten.13 Festzuhalten ist zunächst, dass der europäische Gesetzgeber die Interpretation kapitalmarktrechtlicher Regelungen in die Hände der ESMA gelegt hat. Leitlinien können zwar, wie auch Empfehlungen i.S.v. Art. 288 Abs. 5 AEUV, keine Rechte begründen, auf die sich Einzelne vor den nationalen Gerichten berufen können. Daraus folgt aber nicht, dass sie rechtlich wirkungslos sind. Dies hat der EuGH in der Rechtssache Grimaldi bezüglich Empfehlungen der Europäischen Kommission bereits anerkannt und dargelegt, dass die innerstaatlichen Gerichte verpflichtet seien, bei der Entscheidung der bei ihnen anhängigen Rechtsstreitigkeiten die Empfehlungen zu berücksichtigen, insbesondere dann, wenn diese Aufschluss über die Auslegung zu ihrer Durchführung erlassener innerstaatlicher Rechtsvorschriften geben oder wenn sie verbindliche gemeinschaftliche Vorschriften ergänzen sollen.14 Leitlinien i.S.v. Art. 16 Abs. 1 ESMA-Verordnung sind Handlungsinstrumente der ESMA, die abstrakt auf die Anwendung kapitalmarktrechtlicher Vorschriften und die Aufsichtskultur der mitgliedstaatlichen Behörden bezogen sind.15 Bereits aus dem Wortlaut folgt, dass die nationalen Aufsichtsbe-

  Vgl. Art. 16 Abs. 1 ESMA-Verordnung.   Art. 16 Abs. 3 UAbs. 1 ESMA-Verordnung. 11   Art. 16 Abs. 3 UAbs. 2 ESMA-Verordnung. 12   Art. 16 Abs. 3 UAbs. 3 ESMA-Verordnung. 13   Vgl. Erwägungsgrund 26 ESMA-Verordnung. 14   EuGH v. 13.12.1989 – Rs. C-322/88, Slg. I-1989, 4407 Rn. 18 – Grimaldi. 15  Vgl. Veil ZGR 2014, 544, 594. 9

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hörden und Finanzmarktteilnehmer verpflichtet sind, die Leitlinien bei der Auslegung von Unionsrecht zu berücksichtigen.16 In der Literatur setzt sich zudem die Auslegung durch, dass die nationalen Aufsichtsbehörden grundsätzlich auch gehalten sind, den Leitlinien zu entsprechen.17 Zweifelhaft ist, ob sie dabei völlig frei sind. Vorzugswürdig ist die Auslegung, dass sie wegen des Harmonisierungszwecks von Leitlinien und Empfehlungen nur aus berechtigten Gründen von ihnen abweichen dürfen. Dies kann beispielsweise in Betracht kommen, wenn Leitlinien/Empfehlungen nicht ausreichend den Besonderheiten nationaler Märkte Rechnung tragen. Auch ein nationales Gericht muss sich mit einer Leitlinie/Empfehlung beschäftigen. Es hat dabei den sekundärrechtlichen Konkretisierungsauftrag an die ESMA, eine gemeinsame, einheitliche und kohärente Anwendung des Unionsrechts sicherzustellen, zu berücksichtigen.18 Beurteilt es die Rechtsfrage abweichend von den Leitlinien, die die ESMA herausgegeben hat, hat das nationale Gericht die Angelegenheit dem EuGH vorzulegen. Für Finanzmarktteilnehmer kann sich schließlich aus Leitlinien und Empfehlungen ein Haftungsfreiraum ergeben, sofern sie schutzwürdiges Vertrauen in Anspruch genommen haben.19 Leitlinien und Empfehlungen sind daher ein starkes Konvergenzinstrument. 2.  Question & Answers Von Interesse ist ferner, dass die ESMA sog. „Q&As“ zum Marktmissbrauchsrecht herausgibt.20 Die Q&As werden ständig aktualisiert. Derzeit hat die ESMA zu 27 Fragen über die Anwendung des europäischen Markt-

16  Vgl. Frank Die Rechtswirkung der Leitlinien und Empfehlungen der Europäischen Wertpapier- und Marktaufsichtsbehörde, 2012, S. 121 ff.; Frank ZBB 2015, 213, 216; Möllers NZG 2010, 285, 289; Veil ZGR 2014, 544, 592 ff.; Brüggemeier Harmonisierungskonzepte im europäischen Kapitalmarktrecht, 2018, S. 62 ff. 17  Vgl. Frank Die Rechtswirkung der Leitlinien und Empfehlungen der Europäischen Wertpapier- und Marktaufsichtsbehörde, S. 121 ff.; Veil ZGR 2014, 544, 596 ff.; Kalss/ Oppitz/Zollner Kapitalmarktrecht. System, 2. Aufl. 2015, § 1 Rn. 67; Brüggemeier Harmonisierungskonzepte im europäischen Kapitalmarktrecht, 2018, S. 65 ff.; a.A. Schemmel Europäische Finanzmarktverwaltung. Dogmatik und Legitimation der Handlungsinstrumente von EBA, EIOPA und ESMA, 2018, S. 102 ff.; wohl auch Hitzer/Hauser BKR 2015, 52, 56. 18  Vgl. Frank Die Rechtswirkung der Leitlinien und Empfehlungen der Europäischen Wertpapier- und Marktaufsichtsbehörde, 2012, S. 168; Veil ZGR 2014, 544, 599; Brüggemeier Harmonisierungskonzepte im europäischen Kapitalmarktrecht, 2018, S. 69 f. 19  Vgl. Frank ZBB 2015, 213, 217 ff. 20  ESMA, Questions and Answers on the Market Abuse Regulation v. 21.11.2017, ESMA 70-145-111.

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missbrauchsrechts Antworten veröffentlicht.21 Der Zweck der Q&A besteht darin, gemeinsame, einheitliche und konsistente Aufsichtspraktiken bezüglich der Anwendung der MAR und ihrer Durchführungsrechtsakte herzustellen. Das Dokument der ESMA gibt Antworten zu Fragen, die von der Öffentlichkeit (Stakeholdern) und den nationalen Aufsichtsbehörden bezüglich der Anwendung des europäischen Marktmissbrauchsrechts gestellt wurden. Die ESMA begreift den Q&A-Mechanismus als ein praktisches Konvergenz-Instrument i.S.d. Art. 29 Abs. 2 ESMA-VO. Eine öffentliche Konsultation hält sie nicht für erforderlich. Allerdings durchlaufen Q&A innerhalb der ESMA einen formalisierten Prozess. Sie werden vor der Veröffentlichung durch den Rat der Aufseher beschlossen. Q&A sind in der ESMA-VO nicht explizit genannt. Die MAR und die anderen Level 1-Gesetzgebungsakte erwähnen diese Handlungsform ebenfalls nicht, und zwar weder in dem Sinne, dass die ESMA ermächtigt wird, zu einer bestimmten Regelung Q&A herauszugeben, noch in dem Sinne, dass die ESMA die Befugnis hat, zu dem betreffenden Gesetzgebungsakt oder zu einer ihn konkretisierenden Level 2-Maßnahmen bestimmte Q&A-Papiere zu entwickeln und zu veröffentlichen.22 Angesichts der beträchtlichen Differenzen in der Art der Regelsetzung und der verschiedenen Umsetzungsmechanismen erscheint es zweifelhaft, ob Q&A ähnlich wie Leitlinien und Empfehlungen der ESMA rechtlich relevant sein können. Eine subsidiäre Berücksichtigungspflicht könnte allein damit begründet werden, dass die ESMA die Q&A als ein Konvergenzinstrument versteht bzw. als ein praktisches Hilfsmittel ansieht, gemeinsame Aufsichtskonzepte und -praktiken in der EU zu fördern. Überzeugend ist das Argument aber nicht, weil das Verfahren nach Art. 29 Abs. 2 ESMA-Verordnung keine vergleichbare Legitimation begründet. Q&A sind weder rechtlich bindend noch begründen sie eine Pflicht für Marktteilnehmer, die Interpretation der ESMA bei der Anwendung einer Norm zu berücksichtigen. Die Steuerungswirkungen von Q&A sind rein faktischer Natur. Es handelt sich um ein schwaches Konvergenzinstrument sui generis.23

21   Vgl. ESMA, Questions and Answers on the Market Abuse Regulation v. 21.11.2017, ESMA 70-145-111; die Q&A sind auf der Internetpräsenz der ESMA (www.esma.europa. eu) abrufbar. 22   Das europäische Finanzmarktrecht besteht aus zahlreichen Level 1-Gesetzgebungsakten; es wurden die folgenden Level 1-Verordnungen und -Richtlinien untersucht: (i) Marktmissbrauchs-Verordnung; (ii) EMIR; (iii) CRR 575/2013; (iv) MiFID II/MiFIR; (v) Transparenz-Richtlinie. 23  Vgl. Veil ZBB 2018, 151 ff.

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IV.  Verhältnis der Rechtsquellen zueinander und Normenkonflikte 1. Hierarchien Das alte MAD 2003-Regime kannte bereits mehrere Regelungsebenen. Die Richtlinie 2003/6/EG und die sie ergänzenden Durchführungs-Richtlinien der Kommission waren allerdings nicht unmittelbar anwendbar. Außerdem bezweckten sie lediglich eine Mindestharmonisierung der mitgliedstaatlichen Rechtsvorschriften. In der Praxis genügte es daher in der Regel, sich der Vorschriften des WpHG und der Verordnungen des BMF zu vergewissern. Ob die Regeln richtlinienkonform auszulegen sind, wurde erst im Fall Daimler/ Geltl relevant, weil der deutsche Gesetzgeber zur Definition des Begriffs der Insiderinformation andere Termini verwandt hatte, als in der MAD 2003 vorgesehen waren, und nach der Richtlinie unterschiedliche Auslegungen des Begriffs der Insiderinformation in Betracht kamen.24 2. Normenkonflikte In der MAR 2014/2016-Welt haben die Anzahl der Rechtsquellen (mit unmittelbar anwendbaren Vorschriften) und die Anzahl der Normen beträchtlich zugenommen. Das Verhältnis der Gesetzgebungs- und Rechtsakte zueinander scheint auf den ersten Blick klar zu sein. Maßgeblich sind die Level 1-Verordnung (MAR), sodann (ggf.) die Level 2-Verordnung, ergänzend das WpHG und schließlich die Verordnungen des BMF. Dennoch können sich vielfältige Normenkonflikte ergeben. Dies liegt daran, dass die MAR (mit Ausnahme der Vorschriften, die Regelungsaufträge an die Mitgliedstaaten vorsehen) und die Level 2-Verordnungen der Kommission eine Voll- bzw. Maximalharmonisierung des Marktmissbrauchsrechts bezwecken,25 eine strengere nationale Regelung daher grundsätzlich nicht mehr zulässig ist. Dennoch finden sich im nationalen Recht Regelungen, die auf keine Vorgaben des EU-Rechts zurückgehen. Der deutsche Gesetzgeber hat im WpHG und in der WpAV Regelungen getroffen, ohne dazu ausdrücklich durch europäisches Recht ermächtigt zu sein. Dies wirft die Frage auf, ob er die Vorschriften verabschieden durfte. Über das Konzept der Voll- bzw. Maximalharmonisierung wurde viel geschrieben. Die Diskussion hat man bislang vor allem mit Blick auf die Vorund Nachteile von Mindestharmonisierung (die grundsätzlich einen Wettbewerb der Rechtsordnungen ermöglicht) und (einen Wettbewerb innerhalb

  Vgl. BGH NZG 2011, 109, Leitsatz mit zwei Vorlegungsfragen.  Vgl. Klöhn in Klöhn, Marktmissbrauchsverordnung, 2018, Einl. Rn. 50; Veil in Meyer/Rönnau/Veil, Handbuch Marktmissbrauchsrecht, 2018, § 3 Rn. 20. 24 25

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der EU ausschließende) Vollharmonisierung geführt.26 Es ist heute anerkannt, dass die Regulierungsstrategie der Voll- bzw. Maximalharmonisierung am besten geeignet ist, Transaktionskosten für Marktteilnehmer zu reduzieren und Wettbewerbsverzerrungen zu vermeiden.27 Ein EU-einheitliches Marktmissbrauchsrecht ist zudem am besten geeignet, Regulierungsarbitrage zu verhindern. Wie die Grenzen einer Voll- bzw. Maximalharmonisierung rechtsdogmatisch zu bestimmen sind, ist dagegen kaum erörtert. Bislang fehlte Anschauungsmaterial.28 Dies hat sich nun geändert, was an drei Beispielen zum neuen Marktmissbrauchsrecht veranschaulicht werden soll. a)  Anzeigepflicht für Personen, die für die Erstellung von Anlagestrategieempfehlungen oder Anlageempfehlungen verantwortlich sind Das erste Beispiel betrifft die Anzeigepflicht, die der deutsche Gesetzgeber in § 86 WpHG mit Blick auf short selling-Attacken29 mit dem 2. FiMaNoG verschärft hat, ohne dass dies durch das europäische Marktmissbrauchsrecht veranlasst worden war. Bestimmte Personen, die in Ausübung ihres Berufes oder im Rahmen ihrer Geschäftstätigkeit für die Erstellung von Anlagestrategieempfehlungen oder von Anlageempfehlungen30 oder deren Weitergabe verantwortlich sind, haben dies der BaFin bereits vor Erstellung oder Weitergabe der Empfehlungen anzuzeigen.31 Dies stärkt die Marktüberwachung  Vgl. Buchmann Umsetzung vollharmonisierender Richtlinien, 2008; Fleischer/ Schmolke NZG 2010, 1241 ff.; Gerner-Beuerle CMLJ 2012, 317 ff.; Gruber ZFR Spezial 2011, 1 ff.; Möllers ZEuP 2008, 480 ff.; Muhr Das Prinzip der Vollharmonisierung im Kapitalmarktrecht am Beispiel des Reformvorhabens zur Änderung der Transparenzrichtlinie, 2014; Brüggemeier Harmonisierungskonzepte im europäischen Kapitalmarktrecht, 2018; vgl. ferner mit Blick auf das Privatrecht Dreher JZ 1999, 105 ff.; Gsell/Herresthal (Hrsg.) Vollharmonisierung im Privatrecht, 2009. 27  Vgl. Brüggemeier Harmonisierungskonzepte im europäischen Kapitalmarktrecht, 2018, S. 74 ff. sowie S. 126 ff. zur Reduktion von Informationskosten. 28   Peter Mülbert hatte bereits 2007 die Diskussion angestoßen, ob die vollharmonisierende MiFID die nationalen Gerichte daran hindert, über die aufsichtsrechtlichen Vorgaben hinausgehende zivilrechtliche Pflichten bei der Anlageberatung rechtsfortbildend zu entwickeln, vgl. Mülbert WM 2007, 1149, 1157 (Bond-Judikatur werde durch die MiFID „gemeinschaftsrechtlich erledigt“). 29   Vgl. zu den Fällen Wirecard, Ströer und Aurelius sowie zu Regulierungsansätzen de lege lata und de lege ferenda Mülbert ZHR 182 (2018), 105 ff. 30   Diese Begriffe werden i.S.v. Art. 3 Abs. 1 Nr. 34 und Art. 3 Abs. 1 Nr. 35 MAR definiert. 31   Die Anzeigepflicht war zuvor in § 34c WpHG a.F. geregelt; die Reform hatte zur Folge, dass eine Anzeigepflicht nunmehr vor Erstellung oder Weitergabe von Anlageempfehlungen besteht. Die BaFin erhält somit Kenntnis von den Marktteilnehmern vor Veröffentlichung einer Analyse; ferner erweiterte der Gesetzgeber Pflichtangaben für Finanzanalysten, um deren Identifizierung und Überwachung zu erleichtern; eine Liste registrierter Finanzanalysten wird auf der Internetseite der BaFin veröffentlicht; die BaFin hat zudem die Befugnis, bei Verstößen gegen § 34c WpHG eine öffentliche Warnung auf ihrer Internet­ seite zu veröffentlichen, vgl. § 6 Abs. 9 WpHG. 26

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der BaFin. Die Anzeigepflicht setzt keinen Regelungsauftrag der MAR um. Allerdings sieht Art. 20 MAR unmittelbar anwendbare Vorschriften über die Erstellung von Anlagestrategieempfehlungen und Anlageempfehlungen vor, um das Vertrauen der Anleger in Empfehlungen zu stärken. Es stellt sich daher die Frage, ob der deutsche Gesetzgeber in diesem Bereich überhaupt eine Gesetzgebungskompetenz hat. Im ersten Zugriff mag man geneigt sein, die Frage wegen des vollharmonisierenden Ansatzes der MAR zu verneinen. Die MAR errichtet gem. Art. 1 einen „gemeinsamen Rechtsrahmen für Insidergeschäfte, die unrechtmäßige Offenlegung von Insiderinformationen und Marktmanipulation (Marktmissbrauch) sowie für Maßnahmen zur Verhinderung von Marktmissbrauch“.32 Wenn es sich dabei nach dem Willen des Gesetzgebers um einen „einheitlichen Rechtsrahmen“ handelt und dieser „Gegenstand“ abschließend auf europäischer Ebene geregelt ist, dürfte der deutsche Gesetzgeber eine Anzeigepflicht nicht vorsehen. Andererseits erscheint es mir zu kurz gegriffen, die Grenzen der Voll- bzw. Maximalharmonisierung allein aus Art. 1 MAR abzuleiten. Diese Vorschrift erfasst schlagwortartig die wichtigsten Arten des Marktmissbrauchs, ohne sie vollständig aufzuführen,33 namentlich Insidergeschäfte, die unrechtmäßige Offenlegung von Insiderinformationen und Marktmanipulationen. Mit den ebenfalls genannten „Maßnahmen zur Verhinderung von Marktmissbrauch“ dürften in erster Linie die aufsichtsrechtlichen Maßnahmen und Sanktionen gemeint sein. Um die Reichweite der Voll- bzw. Maximalharmonisierung zu bestimmen, ist es erforderlich, die Verbote, Pflichten und sonstigen Verhaltensanforderungen auszulegen: Wollte der europäische Gesetzgeber ein bestimmtes Verhalten einheitlich für die Mitgliedstaaten regeln? Um diese Frage zu beantworten, ist nicht nur auf den Gegenstand und die Zwecke der MAR, sondern auch auf den Regelungsansatz der einzelnen Vorschriften abzustellen. Der (eine nationale Gesetzgebung ausschließende) Rahmen europäischer Gesetzgebung bezüglich Anlagestrategieempfehlungen und Anlageempfehlungen wird durch Art. 20 MAR bestimmt. Diese Vorschrift sieht Verhaltensanforderungen für Personen vor, die Anlageempfehlungen oder andere Informationen, durch die eine Anlagestrategie empfohlen oder vorgeschlagen wird, erstellen oder verbreiten. Solche Personen haben dafür Sorge zu tragen, dass die Informationen objektiv dargestellt und ihre Interessen oder Interessenkonflikte offengelegt werden. Diese generalklauselartigen Anforderun32   Vgl. auch Erwägungsgrund 3 MAR zu „einheitlichen Regeln“ und dem „einheitlichen Regelwerk“. 33  Vgl. auch Klöhn in Klöhn, Marktmissbrauchsverordnung, 2018, Art. 1 Rn. 2 zur Unvollständigkeit der Vorschrift (Verstöße gegen das Empfehlungs- und Verleitungsverbot seien nicht erfasst).

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gen werden durch eine Level 2-Verordnung der Kommission konkretisiert,34 „um eine durchgehende Harmonisierung dieses Artikels sicherzustellen“.35 Das EU-Recht beschränkt sich folglich darauf, Sorgfalts- und Offenlegungspflichten gegenüber dem Kapitalmarkt vorzusehen. Dabei handelt es sich um ein einheitliches Pflichtenregime. Der deutsche Gesetzgeber dürfte daher keine strengeren aufsichtsrechtlichen Sorgfalts- und Publizitätspflichten vorsehen.36 Es könnte ihm aber erlaubt sein, Marktintegrität im Kontext von Anlagestrategieempfehlungen und Anlageempfehlungen sicherzustellen, indem er einen weiteren Regelungsansatz verfolgt. Die Anzeigepflicht hat mit den Offenlegungspflichten gemein, dass „durch mehr Transparenz die Integrität gestärkt“ wird.37 Die Anzeige bei der BaFin soll vom Markt als ein „Qualitätssiegel“ für seriöse Finanzanalysten verstanden werden.38 Dennoch unterscheidet sich die Anzeigepflicht gegenüber der Aufsichtsbehörde konzeptionell vom Regelungsansatz des Art. 20 MAR. Sie verbessert vor allem die Aufsicht über bestimmte Marktteilnehmer. Die BaFin wird in die Lage versetzt, das Kapitalmarktpublikum vor möglicherweise unseriösen Marktteilnehmern zu warnen.39 Die MAR beschränkt sich bezüglich der Marktüberwachung auf mindestharmonisierende Vorgaben.40 Der deutsche Gesetzgeber war daher durch die maximalharmonisierenden Bestimmungen der MAR nicht daran gehindert, Personen, die Anlageempfehlungen abgeben, zu verpflichten, sich vorher bei den nationalen Aufsichtsbehörden zu registrieren.

34   Delegierte Verordnung (EU) 2016/958 der Kommission vom 9. März 2016 zur Ergänzung der Verordnung (EU) Nr. 596/2014 des Europäischen Parlaments und des Rates im Hinblick auf die technischen Regulierungsstandards für die technischen Modalitäten für die objektive Darstellung von Anlageempfehlungen oder anderen Informationen mit Empfehlungen oder Vorschlägen zu Anlagestrategien sowie für die Offenlegung bestimmter Interessen oder Anzeichen von Interessenkonflikten, ABl. EU Nr. L160 v. 17.6.2016, S. 15 ff. 35   Vgl. Art. 20 Abs. 3 MAR. 36  Vgl. Mülbert ZHR 182 (2018), 105, 111 (der der Maximalharmonisierung sogar Bedeutung für das Zivilrecht beimisst). 37   Vgl. Begr. RegE 2. FiMaNoG, BT-Drucks. 18/10936, S. 216 f. 38   In diesem Sinne Brinckmann Änderungen in § 34a WpHG durch das 2. FiMaNoG: Lässt sich der Markt besser vor den Attacken der Shorties schützen?, Bucerius Law School, 18. Mai 2017 (abrufbar unter https://iukr.de/id-22-vortragsabend.html). 39   Die BaFin hat von dieser Befugnis am 12. März 2018 Gebrauch gemacht und eine Warnung mit dem Inhalt herausgegeben, dass die Viceroy Research Group gegen § 86 WpHG verstoßen habe; vgl. die auf der Internetpräsenz der BaFin veröffentlichte Warnung, abrufbar unter https://www.bafin.de/SharedDocs/Veroeffentlichungen/DE/Meldung/2018/meldung_180309_viceroy_research.html. 40  Die verwaltungsrechtlichen Befugnisse, Maßnahmen und Sanktionen sind in Art. 22 ff., 30 ff. MAR geregelt; die Regelungsaufträge sind mindestharmonisierender Natur; dies ist teilweise sogar ausdrücklich festgehalten, vgl. Art. 23 Abs. 1 MAR.

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b)  Berechtigte Interessen zum Aufschub von Insiderinformationen Im zweiten Beispiel stellt sich die Frage, ob das nationale Recht maximalharmonisierende Verordnungsvorschriften der MAR konkretisieren kann. Es betrifft die Befugnis des Emittenten, auf eigene Verantwortung die Offenlegung von Insiderinformationen für die Öffentlichkeit aufzuschieben, sofern die unverzügliche Offenlegung geeignet wäre, die berechtigten Interessen des Emittenten zu beeinträchtigen (Art. 17 Abs. 4 MAR). Diese Regelung wird auf europäischer Level 2-Ebene nicht konkretisiert. Die ESMA hat zwar Leitlinien zum Aufschub der Offenlegung von Insiderinformationen herausgegeben. Die Leitlinien nehmen aber nicht dazu Stellung, wie der Ausdruck der berechtigten Interessen abstrakt zu definieren ist. Stattdessen „bieten sie“ gem. Art. 17 Abs. 11 MAR „eine nicht abschließende indikative Liste der berechtigten Interessen des Emittenten, die von einer unverzüglichen Offenlegung von Insiderinformationen aller Wahrscheinlichkeit nach beeinträchtigt wären.41 Die Voraussetzungen eines Aufschubs der Offenlegung von Insiderinformationen werden in Deutschland seit jeher intensiv diskutiert. Auch zur neuen Rechtslage haben sich bereits zahlreiche Autoren geäußert. So wird mit Blick auf den Wortlaut der europäischen Norm vertreten, dass der Aufschub allein von den Interessen des Emittenten abhängig sei.42 Das BMF scheint anderer Meinung zu sein. Es hat in § 6 Satz 1 WpAV die alte Regelung des MAD 2003-Regimes beibehalten, dass berechtigte Interessen vorliegen, wenn die Interessen des Emittenten an der Geheimhaltung der Information die Interessen des Kapitalmarktes an einer vollständigen und zeitnahen Veröffentlichung überwiegen. Sollte die in der jüngeren deutschen Literatur von einigen Autoren vertretene Auslegung zutreffend sein, es sei allein auf die Interessen des Emittenten abzustellen, so wäre die Regelung in der WpAV wegen des maximalharmonisierenden Ansatzes des Art. 17 MAR unionsrechtswidrig und dürfte nicht angewandt werden.43 Das BMF hat nicht die Kompetenz, einer unionsrechtlichen Vorschrift in einer nationalen Verordnung einen unionsrechtlich nicht intendierten Bedeutungsinhalt beizumessen. Von Interesse ist in diesem Zusammenhang ferner, dass das BMF in § 6 Satz 2 WpAV geregelt hat, wann „insbesondere“ berechtigte Interessen vorliegen. Dies ist der Fall, wenn (Nr. 1) das Ergebnis oder der Gang laufen41   Vgl. ESMA, MAR-Leitlinien; Aufschub der Offenlegung von Insiderinformationen, ESMA/2016/1478 DE, 20.10.2016, S. 3. 42   Klöhn AG 2016, 423, 430 f.; Kumpan DB 2016, 2039, 2043; Poelzig NZG 2016, 761, 764; Retsch NZG 2016, 1201, 1202; Soehner BB 2017, 259, 260; a.A. Veil/Brüggemeier in Meyer/Veil/Rönnau, Handbuch Marktmissbrauchsrecht, 2018, § 10 Rn. 97. 43  In diesem Sinne Klöhn in Klöhn, Marktmissbrauchsverordnung, Art. 17 MAR Rn. 170 („unbeachtlich“).

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der Verhandlungen über Geschäftsinhalte, die geeignet wären, im Fall ihres öffentlichen Bekanntwerdens den Börsen- oder Marktpreis erheblich zu beeinflussen, von der Veröffentlichung wahrscheinlich beeinträchtigt würden und eine Veröffentlichung die Interessen der Anleger erheblich gefährden würde. Ferner liegen berechtigte Interessen vor, wenn (Nr. 2) durch das Geschäftsführungsorgan des Emittenten abgeschlossene Verträge oder andere getroffene Entscheidungen zusammen mit der Ankündigung bekannt gegeben werden müssten, dass die für die Wirksamkeit der Maßnahme erforderliche Zustimmung eines anderen Organs des Emittenten noch aussteht, und dies die sachgerechte Bewertung der Information durch das Publikum gefährden würde, wenn der Emittent dafür gesorgt hat, dass die endgültige Entscheidung so schnell wie möglich getroffen wird. Beide Beispiele entstammen den MAR-Leitlinien, die die ESMA gem. Art. 17 Abs. 11 MAR herausgegeben hat. Das BMF hat sie aber nicht wortlautgetreu übernommen. Am größten sind die Übereinstimmungen zwischen § 6 Satz 2 Nr. 2 WpAV und Rn. 8 c. MAR-Leitlinien. Der einzige Unterschied besteht darin, dass das BMF verlangt, dass die „sachgerechte Bewertung der Information durch das Publikum“ gefährdet wäre, während die ESMA auf die „korrekte Bewertung“ abstellt. Dagegen sind die Unterschiede zwischen § 6 Satz 2 Nr. 1 WpAV und Rn. 8a. MAR-Leitlinien größer. Die ESMA stellt nur darauf ab, dass das „Ergebnis“ von Verhandlungen wahrscheinlich gefährdet würde, während das BMF auch auf den „Gang laufender Verhandlungen über Geschäftsinhalte“ Bezug nimmt. Die Aufschubbefugnis ist also nach nationalem Recht tatbestandlich weiter konzipiert. Allerdings setzt die Regelung in der WpAV weiterhin voraus, dass das Ergebnis oder der Gang laufender Verhandlungen „im Fall des öffentlichen Bekanntwerdens den Börsen- oder Marktpreis erheblich beeinflussen würde“; in den MARLeitlinien ist davon nicht die Rede. Schließlich verlangen die MAR-Leitlinien der ESMA nicht, dass die „Veröffentlichung die sachgerechte Bewertung der Information durch das Publikum gefährden würde“. Die Regelungen der WpAV sind teilweise restriktiver als die MAR-Leitlinien der ESMA, teilweise weitergehend. Dies wirft die Frage auf, welches Regime Vorrang hat: die WpAV oder die ESMA-Leitlinien? Man ist auf den ersten Blick geneigt, die nationale Regelung für maßgeblich zu erklären, denn es handelt sich immerhin um eine verbindliche Rechtsvorschrift, während die ESMA-Leitlinien rechtlich nicht verbindlich sind, sondern lediglich eine Berücksichtigungspflicht der BaFin und Finanzmarktteilnehmer begründen. Die Leitlinien sind ein sekundärrechtlich legitimiertes soft law-Instrument. Andererseits hat die ESMA die Leitlinien über berechtigte Interessen herausgegeben, weil dies in Art. 17 Abs. 11 MAR, also einem europäischen Gesetzgebungsakt, vorgesehen ist. Sie hat den unionsrechtlichen Konkretisierungsauftrag umgesetzt, eine gemeinsame, einheitliche und kohärente Anwendung des Unionsrechts sicherzustellen. Das Unionsrecht geht davon aus, dass die

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ESMA in der Lage ist, Auslegungsregeln zu entwickeln, die den Willen des europäischen Gesetzgebers zum Ausdruck bringen.44 Ausgangspunkt für eine Antwort muss sein, dass allein der EuGH verbindlich über die Auslegung des Marktmissbrauchsrechts entscheidet. Sodann ist zu berücksichtigen, dass die ESMA einen Koordinierungsauftrag hat; sie soll mit Leitlinien eine gemeinsame und einheitliche Rechtsanwendung in der EU sicherstellen. Dies determiniert das Verhältnis zwischen europäischer und nationaler Ebene. Selbst wenn man annehmen würde, dass der nationale Verordnungsgeber noch befugt ist, konkretisierende Vorschriften zu europäischen Verordnungsvorschriften zu erlassen, ist davon auszugehen, dass die Auslegung der ESMA eher den Willen des europäischen Gesetzgebers widerspiegelt als die mitgliedstaatliche Rechtsvorschrift. Anders gewendet: Es spricht eine Vermutung dafür, dass die Leitlinien der ESMA den europäischen Gesetzesbefehl zutreffend auslegen. Damit ist die Frage beantwortet, ob es sinnvoll ist, dass das BMF in § 6 WpAV konkretisierende Bestimmungen getroffen hat. Die zusätzliche nationale Verordnungsregelung erhöht die Komplexität des Marktmissbrauchsrechts und ist nicht in der Lage, Auslegungszweifel zu klären. Wenn das BMF die Rechtssicherheit verbessern möchte, müsste dies durch nationales Verordnungsrecht geschehen, das die Auslegungen der Pariser Agentur eins-zueins übernimmt. Freilich wirft auch dies weitere Fragen auf und birgt Probleme. So leuchtet es nicht recht ein, warum das BMF in § 6 WpAV nur zwei Beispiele eines berechtigten Interesses aufgreift. Wäre es nicht konsequent, alle Beispiele der MAR-Leitlinien aufzugreifen und zu regeln? Schließlich verlangt eine nationale Rechtssetzung eine ständige Aufmerksamkeit des nationalen Regelgebers für die Entwicklungen in Paris. Sollte ESMA später die Leitlinien ändern, müsste dies möglichst zeitgleich im nationalen Verordnungsrecht nachvollzogen werden. c)  Anforderungen an die Veröffentlichung einer Insiderinformation Die Anforderungen an die Veröffentlichungen einer Insiderinformation werden durch die Durchführungsverordnung (EU) 2016/1055 der Kommission geregelt. Art. 2 dieser Verordnung sieht u.a. die Mittel für die Bekanntgabe von Insiderinformationen vor. Die Vorschrift enthält die prinzipienartige Vorgabe, dass Emittenten eine Insiderinformation mithilfe „technischer Mittel“ bekanntgeben. Dabei wird „unmissverständlich klar“, dass „die übermittelten Informationen Insiderinformationen sind“, die Identität des Emittenten, die Identität der mitteilenden Person, der „Gegenstand der Insi-

44   Vgl. auch Erwägungsgrund 43 ESMA-Verordnung, wonach die ESMA ein „Organ mit hochspezialisierter Fachkenntnis“ ist.

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derinformation“ sowie „das Datum und die Uhrzeit der Übermittlung an die Medien“. Diese Vorgaben sind technisch und dürften daher hauptsächlich in der Beratungs- und Aufsichtspraxis Aufmerksamkeit gefunden haben. Sie sind aber auch rechtswissenschaftlich von Interesse, weil sie dazu beitragen sollen, die Funktionsfähigkeit der Ad-hoc-Publizität zu gewährleisten. Die Standardisierung von Kapitalmarkt-Mitteilungen trägt maßgeblich dazu bei, dass Anleger die publik gemachten Informationen bewerten können. Mit rätselhaften Informationen können Anleger jedenfalls wenig anfangen.45 Dem deutschen Gesetzgeber waren die Anforderungen des Unionsrechts offenbar zu schemenhaft. § 4 WpAV sieht, im Einklang mit dem früheren nationalen Verordnungsrecht, zahlreiche Regelungen über den Inhalt der Veröffentlichung einer Insiderinformation vor. Die Anforderungen sind konkreter als die prinzipienartigen Vorgaben der Durchführungsverordnung. Anzugeben sind neben der „zu veröffentlichenden Information“ u.a. das „Datum des Eintritts der der Information zugrunde liegenden Umstände“, „eine kurze Erklärung, inwieweit die Information den Emittenten unmittelbar betrifft“, sowie „eine Erklärung, aus welchen Gründen die Information geeignet ist, im Fall ihres öffentlichen Bekanntwerdens den Kurs der Finanz­ instrumente erheblich zu beeinflussen“, die beiden letzteren Angaben aber nur, soweit sich dies nicht schon aus den Angaben zur zu veröffentlichenden Information ergibt. Der potentielle Normenkonflikt ist nunmehr ein anderer: Nationales Verordnungsrecht könnte im Widerspruch zu europäischem Level 2-Verordnungsrecht stehen. Die Regelung der WpAV wirft zunächst ein Schlaglicht auf die unzulängliche Regelung der Europäischen Kommission. Die prinzipienartigen Vorgaben der Durchführungsverordnung sind nicht in der Lage, europaweit ein einheitliches Mitteilungsformat vorzugeben. Sie stellen zudem nicht sicher, dass Emittenten die relevanten Informationen für Anleger nachvollziehbar zur Verfügung stellen. Wie soll ein Anleger beurteilen, warum die mitgeteilte Insiderinformation kursrelevant ist, wenn das Unionsrecht bloß fordert, es sei „unmissverständlich“ klarzustellen, dass „die übermittelten Informationen Insiderinformationen sind“? Es ist vor diesem Hintergrund rechtspolitisch nachvollziehbar, dass das BMF im WpAV die bisherige Regelung aufrechterhalten hat. Andererseits stellt sich hier noch schärfer die Frage, ob eine mitgliedstaatliche Regelung überhaupt zulässig ist, denn die Vorgaben der MAR werden bereits durch eine Level 2-Verordnung konkretisiert. Dies spricht dafür, dass die Konkretisierung ausschließlich auf europäischer Ebene erfolgt. Eine nationale Befugnis, rechtlich verbindliche Bestimmungen zu der Thematik zu verabschieden, besteht daher nicht. Das mitgliedstaatliche Recht mag wiederum von dem  Pointiert Leis Ad hoc wird mancher Unsinn publiziert, FAZ vom 21.12.2014.

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Anliegen getragen sein, die Rechtslage für Marktteilnehmer möglichst unverändert zu lassen. Ein Gewinn an Rechtssicherheit ist aber mit dem Verordnungsrecht des BMF nicht verbunden. d) Ergebnisse Die Beispiele potentieller Normenkonflikte zeigen anschaulich die Grenzen nationaler Rechtssetzung im neu geordneten Marktmissbrauchsrecht auf. Im Grundsatz gilt, dass die maximalharmonisierenden Vorschriften der MAR eine mitgliedstaatliche Gesetzgebung grundsätzlich ausschließen. Um die Reichweite der Maximalharmonisierung zu bestimmten, ist zu ergründen, ob der europäische Gesetzgeber einen Sachverhalt abschließend auf europäischer Ebene hatte regeln wollen. Dazu ist auf die Regelungszwecke, den Regelungsgegenstand und den Regelungsansatz des europäischen Rechts abzustellen. Besteht der Regelungszweck darin, die Integrität des Marktes sicherzustellen und sucht das europäische Recht dies durch Sorgfalts- und Offenlegungspflichten gegenüber dem Markt zu erreichen, sind strengere nationale Sorgfalts- und Offenlegungspflichten unzulässig, nicht jedoch Anzeigepflichten gegenüber den Aufsichtsbehörden, weil es sich um einen anderen Regulierungsansatz handelt, den der europäische Gesetzgeber nicht verfolgt hat. Im vollharmonisierten Marktmissbrauchsrecht kann daher ein gewisser Freiraum für weitergehende mitgliedstaatliche Gesetzgebung bestehen. Zulässig ist ebenfalls nationales Recht, das das Unionsrecht konkretisiert, sofern und soweit die Bestimmungen des nationalen Rechts im Einklang mit dem Unionsrecht stehen. Ob dies der Fall ist, ist schwierig zu beurteilen, und zwar selbst dann, wenn das nationale Recht sich darauf beschränkt, Leitlinien der ESMA in eine Verordnung zu übernehmen. Deshalb dürfte mit einer nationalen Konkretisierung in der Regel kein Gewinn an Rechtssicherheit verbunden sein.

V. Fazit Die Komplexität des europäischen Marktmissbrauchsrechts ist gewaltig. Dies erklärt sich nicht nur aus der Vielzahl der Normen, sondern auch aus den zahlreichen europäischen und nationalen Regelungsebenen. Trotz der Vereinheitlichung der Materie kann es Gründe dafür geben, dass nationale Gesetzgeber marktmissbräuchliches Verhalten weiterhin durch nationale Gesetze bekämpfen. Ein Vorteil der mitgliedstaatlichen Gesetzgebung ist, dass sie besser als die europäische Gesetzgebung in der Lage ist, den Besonderheiten der eigenen Märkte Rechnung zu tragen. Hinzu kommt, dass sie zu schnelleren Ergebnissen gelangt. Es soll zwar im europäischen LamfalussyVerfahren möglich sein, neuen Problemen zügig zu begegnen. Die Reali-

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tät sieht aber anders aus, was auch daran liegt, dass die Kommission Level 2-Maßnahmen, insbesondere delegierte Rechtskate, ohne eine Ermächtigung in einem Level 1-Gesetzgebungsakt nicht erlassen darf und die Level 3-Maßnahmen der ESMA bloß soft law-Instrumente sind. Nicht überzeugend ist es dagegen, wenn nationale Parlamente, Ministerien oder Aufsichtsbehörden das europäische Recht durch verbindliches nationales Recht konkretisieren. Es ist kaum anzunehmen, dass nationale Institutionen besser als die Kommission und die ESMA in der Lage sind, den Willen des europäischen Gesetzgebers zu ergründen und in verbindliche Vorschriften umzusetzen. Ihnen fehlt der supranationale Blick. Unproblematisch erscheint dagegen, dass die BaFin zu Auslegungsfragen von Marktteilnehmern Stellung nimmt. Es ist zwar in erster Linie eine Aufgabe der ESMA, durch Herausgabe von Leitlinien und Empfehlungen und mithilfe von Q&A für eine konsistente und möglichst einheitliche Auslegung zu sorgen. Von der Pariser Agentur ist aber nicht zu erwarten, dass sie für alle täglichen Probleme beim Umgang mit dem technischen Regelwerk sofort eine Antwort parat hat. Es ist sinnvoll, dass die BaFin ihre Verwaltungspraxis weiterhin den Marktteilnehmern kommuniziert. Die Europäisierung des Marktmissbrauchsrechts wird weiter voranschreiten. Es sollte nun untersucht werden, wie die Komplexität der Regelungsmaterie verringert werden kann. Die Marschroute ist durch das Marktmissbrauchsrecht und die vielen weiteren sog. Single Rulebooks (zum Prospektrecht, zu Leerverkäufen, Ratingagenturen, etc.) bereits vorgezeichnet: Idealerweise werden die Verbote, Gebote und sonstige Pflichten auf europäischer Ebene erfasst sein. Dies könnte mit einer europäischen Kodifikation geschehen. Ein European Securities and Markets Act würde in einem allgemeinen Teil die Prinzipien und allgemeine Verhaltensregeln (nach dem Vorbild des FCA Handbook) und in besonderen Teilen die konkreten Verhaltensregeln (Verbote und Offenlegungspflichten zur Bekämpfung von Marktmissbrauch; Primärmarkt- und Sekundärmarktpublizität; Sorgfalts-, Offenlegungs- und Organisationspflichten für Intermediäre) vorsehen. Der Level 2-Rechtssetzung sollte eine größere Bedeutung zukommen, als dies derzeit der Fall ist. Wenn sich aus Finanzinnovationen ein Regulierungsbedürfnis ergibt, sollten die Kommission und das Europäische Parlament in der Lage sein, zügig zu reagieren. Das nationale Recht würde sich dann darauf beschränken, die verwaltungs- und strafrechtlichen Sanktionen sowie privatrechtliche Ansprüche vorzusehen.

Zur Enthaftung der Geschäftsführer bei Befolgung von Gesellschafterbeschlüssen Überlegungen zu § 43 Abs. 3 Satz 3 GmbHG Dirk A. Verse I. Einführung Dass sich die Geschäftsführer einer GmbH dieser gegenüber haftbar machen, wenn sie schuldhaft eine gegen die Kapitalerhaltung (§ 30 Abs. 1 GmbHG) verstoßende Auszahlung vornehmen, versteht sich im Grunde von selbst und wird in § 43 Abs. 3 Satz 1 GmbHG eigens hervorgehoben. Erstaunlich wenig geklärt ist indes die Reichweite dieser Haftung, wenn der Auszahlung ein Gesellschafterbeschluss zugrunde liegt. In § 43 Abs. 3 Satz 3 GmbHG findet sich zwar eine Regelung für diesen Fall. Danach wird, soweit der Ersatz zur Befriedigung der Gläubiger der Gesellschaft erforderlich ist, die Ersatzpflicht der Geschäftsführer „dadurch nicht aufgehoben, dass dieselben in Befolgung eines Beschlusses der Gesellschafter gehandelt haben.“ Was aus dieser schon seit 1892 geltenden Vorgabe im Einzelnen folgt, ist aber auch heute noch in zentralen Punkten unklar. Die Unklarheiten ranken sich vor allem um zwei Fragen, denen im Folgenden nachgegangen werden soll: –– Fraglich ist zunächst, wann die Haftung im Sinne des § 43 Abs. 3 Satz 3 GmbHG „zur Befriedigung der Gläubiger der Gesellschaft erforderlich“ ist. Bedeutung kommt dabei insbesondere dem maßgeblichen Zeitpunkt zu: Im Zeitpunkt der Auszahlung mag trotz des Verstoßes gegen § 30 Abs. 1 GmbHG und der dadurch eingetretenen Unterbilanz noch genügend Gesellschaftsvermögen vorhanden sein, um alle Gläubiger zu befriedigen. Kommt es dagegen erst auf den späteren Zeitpunkt an, in dem die Haftung geltend gemacht wird, wird sich die Situation häufig ganz anders darstellen. –– Die zweite, grundsätzlichere Frage betrifft die Fälle, in denen die Haftung nicht zur Befriedigung der Gläubiger erforderlich ist. Scheidet eine Haftung der Geschäftsführer dann im Umkehrschluss zu § 43 Abs. 3 Satz 3 GmbHG generell aus, obwohl sie wegen des drohenden Verstoßes gegen

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Dirk A. Verse

§ 30 Abs. 1 GmbHG weder verpflichtet noch berechtigt waren, den Gesellschafterbeschluss auszuführen? Diese Fragen haben – wenngleich nur beiläufig – auch Alfred Bergmann in seiner Zeit als Vorsitzender des II. Zivilsenats des BGH beschäftigt.1 Ihm sind die folgenden Überlegungen in persönlicher Verbundenheit und Dankbarkeit gewidmet. Wie sich Alfred Bergmann in seiner Eigenschaft als Honorarprofessor in Mainz während und nach seiner Amtszeit am BGH in unzähligen Seminaren und Vorlesungen für die Mainzer Fakultät und ihre Studenten eingesetzt hat und weiterhin einsetzt, ist vorbildlich und verdient hohen Respekt. Der Verfasser dieser Zeilen hat von diesem Engagement als Fakultätskollege über Jahre hinweg ebenso profitieren dürfen wie viele Jahrgänge Mainzer Jurastudenten; auch in ihrem Namen sei dem Jubilar an dieser Stelle herzlich gedankt.

II.  Das Kriterium der Erforderlichkeit zur Gläubigerbefriedigung 1.  Allgemeines, Grundlagen Dass nach § 30 Abs. 1 GmbHG verbotene Auszahlungen „in Befolgung eines Beschlusses der Gesellschafter“ getätigt werden, ist eine keineswegs nur theoretische Konstellation. Man denke etwa an die Ausführung von Ausschüttungsbeschlüssen, obwohl kein verteilungs­fähiges Vermögen mehr vorhanden ist, oder an unausgewogene Austauschgeschäfte (verdeckte Vermögenszuwendungen) im Stadium der Unterbilanz, denen die Gesellschafter durch Beschluss zugestimmt haben. Zu beachten ist dabei, dass es anerkanntermaßen der Befolgung eines Gesellschafterbeschlusses gleichsteht, wenn die Geschäftsführer ohne förmliche Beschlussfassung im – auch stillschweigenden – Einverständnis aller Gesellschafter handeln.2 Namentlich Auszahlungen durch Geschäftsführer, die in Personalunion zugleich die alleinigen Gesellschafter der GmbH sind, sind daher so zu behandeln, als wären sie in Befolgung eines Gesellschafterbeschlusses vorgenommen worden.3 Wie sich unmittelbar aus § 43 Abs. 3 Satz 3 GmbHG ergibt, vermag das Vorliegen eines Gesellschafterbeschlusses (oder -einverständnisses) den Geschäftsführer jedenfalls dann nicht von seiner Haftung aus Abs. 3 Satz 1 zu befreien, wenn und soweit der Haftungsbetrag zur Befriedigung der Gläubiger der GmbH benötigt wird. Letzteres ist nach allgemeiner Ansicht zu beja-

1   S. insbes. BGHZ 193, 96 = NZG 2012, 667 Rn. 27; näher dazu unter II. 2. b) aa) und III. 2. 2   Allg.M., vgl. nur BGH NZG 2003, 528; Wicke, GmbHG, 3. Aufl. 2015, § 43 Rn. 15. 3   BGHZ 142, 92, 95 = NZG 1999, 1001; BGHZ 193, 96 = NZG 2012, 667 Rn. 27; Zöllner/Noack in: Baumbach/Hueck, GmbHG, 21. Aufl. 2017, § 43 Rn. 33.

Enthaftung der Geschäftsführer

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hen, wenn die Gesellschaft insolvent, d.h. zahlungsunfähig (§ 17 InsO) oder überschuldet (§ 19 InsO), ist oder ohne den Schadensersatz wäre.4 Darüber hinaus besteht weithin Einigkeit, dass Gleiches auch gelten muss, wenn aufseiten der Gesellschaft Zahlungsstockungen auftreten5 und deshalb auch nur ein Gläubiger bei Fälligkeit seiner Forderung nicht aus dem Gesellschaftsvermögen befriedigt werden kann.6 Die Darlegungs- und Beweislast für die Erforderlichkeit zur Gläubigerbefriedigung – auch darüber herrscht Einvernehmen – liegt bei demjenigen, der den Haftungsanspruch geltend macht, sei es die GmbH, ihr Insolvenzverwalter oder ein den Anspruch pfändender Gläubiger.7 2.  Die Frage des maßgeblichen Zeitpunkts im Besonderen a) Ausgangspunkt Wenig Klarheit besteht dagegen in der Frage, auf welchen Zeitpunkt es für die Beurteilung ankommt, ob die Haftung im Sinne des § 43 Abs. 3 Satz 3 GmbHG zur Gläubigerbe­friedigung erforderlich ist. In Betracht kommen einerseits der Zeitpunkt der verbotenen Auszahlung und andererseits der Zeitpunkt, in dem die Geschäftsführerhaftung geltend gemacht wird. Die Frage stellt sich nicht nur für § 43 Abs. 3 Satz 3 GmbHG, sondern auch im Rahmen weiterer Vorschriften des GmbHG, die an das Kriterium der Erforderlichkeit zur Gläubigerbefriedigung anknüpfen. So kann nach §§ 9b Abs. 1 Satz 1, 43 Abs. 3 Satz 2, 64 Satz 4 GmbHG auf Ersatzansprüche gegen die Geschäftsführer aus §§ 9a, 43 Abs. 3 Satz 1, 64 GmbHG nicht verzichtet werden, soweit die Haftung zur Gläubigerbefriedigung erforderlich ist. Auch die Haftung des gutgläubigen Auszahlungsempfängers (§ 31 Abs. 2 GmbHG) und die Ausfallhaftung der Mitgesellschafter (§ 31 Abs. 3 GmbHG) hängen von diesem Kriterium ab.

4   Vgl. die Bezugnahme in BGHZ 193, 96 = NZG 2012, 667 Rn. 27 auf H. Winter/Veil in: Scholz, GmbHG, 10. Aufl. 2006, § 9b Rn. 8 (nunmehr Veil in: Scholz, GmbHG, 12. Aufl. 2018, § 9b Rn. 8); zu der gleichen Formulierung in § 31 Abs. 2 GmbHG auch BGH NZG 2003, 1116, 1118; Verse in: Scholz, GmbHG, 12. Aufl. 2018, § 31 Rn. 43 m.w.N. 5   Vgl. abermals die Bezugnahme in BGHZ 193, 96 = NZG 2012, 667 Rn. 27 auf H. Winter/Veil (Fn. 4), § 9b Rn. 8; zu § 31 Abs. 2 GmbHG Verse (Fn. 4), § 31 Rn. 43 m.w.N. 6   Fleischer in: Münchener Komm. GmbHG, 2. Aufl. 2016, § 43 Rn. 295; Haas/Ziemons in: BeckOK GmbHG, 34. Ed. 2017, § 43 Rn. 347; Paefgen in: Ulmer/Habersack/Löbbe, GmbHG, 2. Aufl. 2014, § 43 Rn. 272; U.H. Schneider in: Scholz, GmbHG, 11. Aufl. 2014, § 43 Rn. 277. 7   Fleischer (Fn. 6), § 43 Rn. 295; Haas/Ziemons (Fn. 6), § 43 Rn. 347; U.H. Schneider (Fn. 6), § 43 Rn. 277.

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b) Meinungsstand aa)  Durchmustert man die BGH-Rechtsprechung zu der hier interessierenden Frage, zeigt sich ein überraschend uneinheitliches Bild. Speziell zu § 43 Abs. 3 Satz 3 GmbHG findet sich ein Urteil des II. Zivilsenats vom 23.4.2012, in dem der Senat offenbar den Zeitpunkt der Auszahlung für entscheidend hält und spätere Entwicklungen für unmaßgeblich erklärt. Wörtlich heißt es in dem Urteil: „Diese zusätzliche Haftung [scil. aus § 43 Abs. 3 Satz 1 GmbHG] besteht gemäß § 43 Abs. 3 Satz 3 GmbHG – da die Beklagten als Gesellschafter-Geschäftsführer so zu behandeln sind, als hätten sie in Befolgung eines Beschlusses der Gesellschafterversammlung gehandelt – aber nur dann, wenn der Ersatz zur Befriedigung der Gesellschaftsgläubiger erforderlich war. Dass der Ersatzbetrag jedenfalls später zur Gläubigerbefriedigung erforderlich geworden ist, reicht dagegen nicht aus (vgl. BGH NZG 2003, 528 = ZIP 2003, 945, 946; NZG 2008, 314 = ZIP 2008, 736 Rn. 11).“8

Die beiden in Bezug genommenen Entscheidungen des II. Zivilsenats vom 7.4.20039 und vom 18.2.200810 äußern sich jeweils zu der Parallelfrage, die sich nach §§ 9b Abs. 1 Satz 1, 43 Abs. 3 Satz 2 GmbHG bei einem nachträglichen Verzicht der Gesellschafter auf die Geschäfts­führerhaftung aus § 43 Abs. 3 Satz 1 GmbHG stellt. Beide Entscheidungen stellen, wenngleich jeweils nur in einem obiter dictum, auf den Zeitpunkt des Verzichts ab;11 die spätere Entwicklung soll auch nach diesen Entscheidungen außer Betracht bleiben. Zu § 31 Abs. 2 GmbHG hat der II. Zivilsenat demgegenüber mit Urteil vom 22.9.2003 genau entgegengesetzt entschieden. In diesem Urteil betont der Senat, dass es für die Erforder­lichkeit zur Gläubigerbefriedigung „nicht auf den Vermögensstatus zum Zeitpunkt der verbotenen Auszahlung, sondern denjenigen der tatrichterlichen Verhandlung über den Anspruch aus § 31 Abs. 2 GmbHG ankommt.“12

Eine Begründung dafür, warum der Senat im Rahmen von § 43 Abs. 3 GmbHG in der einen und im Rahmen von § 31 Abs. 2 GmbHG in der anderen Weise entscheidet, findet sich in keiner der angeführten Entscheidungen. Der Senat weist auf die Divergenz auch mit keinem Wort hin; man darf daher Zweifel haben, ob er sich ihrer überhaupt bewusst war.

  BGHZ 193, 96 = NZG 2012, 667 Rn. 27 (Hervorhebung vom Verf.).   BGH NZG 2003, 528 = ZIP 2003, 945. 10   BGH NZG 2008, 314 = ZIP 2008, 736. 11   BGH NZG 2008, 314 Rn. 11 („bei Fassung des Entlastungsbeschlusses“); BGH NZG 2003, 528 („zur Zeit des Haftungsverzichts); näher zu der letztgenannten Entscheidung noch unter II. 2. c) dd). 12  BGH NZG 2003, 1116, 1118 unter Berufung auf H. P. Westermann in: Scholz, GmbHG, 9. Aufl. 2000, § 31 Rn. 23. 8 9

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bb)  Die zuletzt genannte Entscheidung vom 22.9.2003 hat im Schrifttum zu § 31 Abs. 2 GmbHG breite Zustimmung gefunden. Man ist sich nahezu ausnahmslos einig, dass es für die Erforderlichkeit zur Gläubigerbefriedigung nicht auf den Auszahlungszeitpunkt, sondern auf die Geltendmachung des Erstattungsanspruchs ankommt.13 Nur ganz vereinzelt wird daneben auch dem Auszahlungszeitpunkt Bedeutung beigemessen, allerdings nur im Sinne einer Art Meistbegünstigung der GmbH: Für die Haftung nach § 31 Abs. 2 GmbHG soll es danach genügen, wenn der Erstattungsbetrag entweder bereits im Auszahlungszeitpunkt zur Gläubigerbefriedigung erforderlich war oder nachträglich erforderlich wurde.14 Die Position des BGH zu § 43 Abs. 3 Satz 3 GmbHG, dass allein der Auszahlungszeitpunkt maßgeblich sei, wird dagegen im Rahmen des § 31 Abs. 2 GmbHG nicht vertreten. Gleiches gilt für § 31 Abs. 3 GmbHG, der nach allgemeiner Ansicht in diesem Punkt genauso auszulegen ist wie Abs. 2.15 Nicht minder eindeutig ist das Meinungsbild im Schrifttum zu § 9b Abs. 1 Satz 1 GmbHG. Übereinstimmend geht man davon aus, dass es nicht auf den Zeitpunkt des Haftungsverzichts ankommt, sondern der Verzicht auch dann unwirksam ist, wenn der Haftungsbetrag erst nachträglich zur Gläubigerbefriedigung benötigt wird.16 Dass der BGH zu § 43 Abs. 3 Satz 2 i.V.m. § 9b Abs. 1 Satz 1 GmbHG abweichend entschieden hat, wird dabei erstaunlicher Weise gar nicht registriert. Was schließlich die Literatur zu § 43 Abs. 3 Satz 3 GmbHG betrifft, so wird die hier interessierende Frage in den neueren Kommentaren kaum

13   Ekkenga in: MünchKomm. GmbHG, 3. Aufl. 2018, § 31 Rn. 49; Fastrich, in: Baumbach/Hueck, § 31 Rn. 19; T. Fleischer in: Henssler/Strohn, Gesellschaftsrecht, 3. Aufl. 2016, § 31 Rn. 17; Habersack in: Ulmer/Habersack/Löbbe, 2. Aufl. 2014, § 31 Rn. 41, 43; Heidinger in: Michalski/Heidinger/Leible/J. Schmidt, § 31 Rn. 56; Kuntz in: Gehrlein/ Born/Simon, 3. Aufl. 2017, § 31 Rn. 25; Schmolke in: Beck-OK GmbHG, 34. Ed., Stand: 1.2.2018, § 31 Rn. 59; Thiessen, in: Bork/Schäfer, 3. Aufl. 2015, § 31 Rn. 50 f.; Verse (Fn. 4), § 31 Rn. 44; ebenso auch schon das ältere Schrifttum vor dem BGH-Urteil vom 22.9.2003, neben H. P. Westermann (Fn. 12) etwa Goerdeler/Müller in: Hachenburg, 8. Aufl. 1992, § 31 Rn. 38. 14  So im Ergebnis Pentz in: Rowedder/Schmidt-Leithoff, 6. Aufl. 2017, § 31 Rn. 28, der zwar im Ausgangspunkt den Auszahlungszeitpunkt für maßgeblich hält, aber zugleich annimmt, dass ein später eintretendes oder sich erhöhendes Bedürfnis zur Gläubigerbefriedigung noch anspruchserhöhend Berücksichtigung finden muss. 15   Statt aller Ekkenga (Fn. 13), § 31 Rn. 55; Fastrich (Fn. 13), § 31 Rn. 22; Habersack (Fn. 13), § 31 Rn. 54; Verse (Fn. 4), § 31 Rn. 51. 16  Allg.M., etwa Ulmer/Habersack in: Ulmer/Habersack/Löbbe, 2. Aufl. 2013, § 9b Rn. 13; Haas/Wigand in: Krieger/U.H. Schneider, Hdb. Managerhaftung, 3. Aufl. 2017, § 20.12; Herrler in: MünchKomm. GmbHG, 3. Aufl. 2018, § 9b Rn. 22; Schäfer in: Henssler/ Strohn, Gesellschaftsrecht, 3. Aufl. 2016, § 9b GmbHG Rn. 8; Tebben in: Michalski/Heidinger/Leible/J. Schmidt, 3. Aufl. 2017, § 9b Rn. 8.

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behandelt.17 Nur vereinzelt wird darauf hingewiesen, dass der BGH in dem Urteil vom 23.4.2012 den Auszahlungszeitpunkt als maßgeblich angesehen hat, und diese Entscheidung zustimmend zitiert.18 c)  Stellungnahme: Maßgeblichkeit des Zeitpunkts der Geltendmachung Bei näherer Betrachtung zeigt sich indes sehr deutlich, dass auch im Rahmen des § 43 Abs. 3 Satz 3 GmbHG allein die Ansicht zu überzeugen vermag, die auf den Zeitpunkt der Geltendmachung abstellt. aa)  Ein erstes Indiz für die Richtigkeit dieser Auffassung liefert bereits der Gesetzeswortlaut. Dieser hebt in § 43 Abs. 3 Satz 3 GmbHG ebenso wie in den angeführten Parallelvorschriften darauf ab, ob der Ersatzanspruch zur Gläubigerbefriedigung erforderlich „ist“, nicht darauf, ob er im Zeitpunkt der verbotenen Auszahlung bzw. (im Fall der §§ 9b Abs. 1 Satz 1, 43 Abs. 3 Satz 2 GmbHG) im Zeitpunkt des Haftungsverzichts erforderlich war.19 bb) Dass diese Formulierung kein Zufall ist, bestätigt ein Blick in die Gesetzesmaterialien zu § 43 Abs. 3 Satz 3 GmbHG. Daraus ergibt sich, dass die seit 1892 geltende Vorschrift an das aktienrechtliche Vorbild der Art. 226 Abs. 3, 241 Abs. 4 ADHGB in der Fassung der Aktienrechtsnovelle 1884 angelehnt ist.20 In diesen Vorschriften, die sich heute in ähnlicher Form in § 93 Abs. 5 Satz 1 und 3 (i.V.m. § 116) AktG wiederfinden, war bestimmt, dass die Gläubiger, soweit sie von der AG keine Befriedigung erlangen können, Organhaftungs­ansprüche gegen Vorstands- und Aufsichtsratsmitglieder in bestimmten Fällen (u.a. bei Verstößen gegen die Kapitalerhaltung) selbständig geltend machen können und die Organmitglieder dem nicht entgegenhalten können, dass die Auszahlung auf einem Beschluss der Generalversammlung beruht.21 Diese aktienrechtlichen Bestimmungen, die aus der Perspektive des Gläubigers formuliert sind und ihm ein eigenes Verfolgungsrecht gewähren, gehen ganz offensichtlich von der Situation aus, dass der Gläubiger in dem Zeitpunkt, in dem er den Anspruch gegen das Organmit-

17   Deutlich aber aus dem älteren Schrifttum Brodmann, GmbHG, 2. Aufl. 1930, § 43 Anm. 3 a); Scholz, GmbHG, 1. Aufl. 1928, § 43 Anm. IV 2: Auf den Auszahlungszeitpunkt kommt es nicht an; es genügt, wenn die Unzulänglichkeit des Gesellschaftsvermögens nachträglich eintritt. 18   Haas/Ziemons (Fn. 6), § 43 Rn. 347; Ziemons in: Michalski/Heidinger/Leible/ J. Schmidt, 3. Aufl. 2017, § 43 Rn. 514 (jeweils ohne Begründung). 19   Ebenso – jeweils zu § 31 Abs. 2 GmbHG – Ekkenga (Fn. 13), § 31 Rn. 49; Verse (Fn. 4), § 31 Rn. 44. 20  Stenogr. Berichte über die Verhandlungen des Reichstags, VIII/1, 1890/92, Aktenstück Nr. 660, S. 3750 re. Sp. (Begr. zu § 44 GmbHG-E). 21   Art. 226 Abs. 3, 241 Abs. 4 ADHGB in der Fassung der Aktienrechtsnovelle 1884, abgedruckt bei Schubert/Hommelhoff, Hundert Jahre modernes Aktienrecht, 1985, S. 399, 401.

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glied verfolgt, von der Gesellschaft keine Befriedigung erlangen kann – ohne Rücksicht darauf, ob dies bereits im Zeitpunkt der verbotenen Auszahlung der Fall war. Dass es auf Letzteres ankommen könnte, ist daher im Aktienrecht zu keiner Zeit vertreten oder auch nur erwogen worden. cc)  Dass der Zeitpunkt der Geltendmachung und nicht schon derjenige der verbotenen Auszahlung maßgeblich sein muss, ergibt sich aber vor allem und mit aller Deutlichkeit auch aus Sinn und Zweck der Regelung. Indem § 43 Abs. 3 Satz 3 GmbHG (ebenso wie die genannten Parallelvorschriften) den Vorrang der Gläubigerbefriedigung anordnet, trägt die Vorschrift dem Umstand Rechnung, dass der schuldhaft gegen § 30 Abs. 1 GmbHG verstoßende Geschäftsführer auch bei Ausführung eines Gesellschafterbeschlusses (selbstverständlich!) weniger schutzwürdig ist als die Gläubiger der Gesellschaft, die durch die Kapitalerhaltung gerade vor einem drohenden Ausfall ihrer Forderungen geschützt werden sollen. Das Schutzbedürfnis der Gläubiger ist aber offensichtlich auch dann – und völlig unvermindert – betroffen, wenn der Haftungsbetrag zwar noch nicht im Auszahlungszeitpunkt, wohl aber zu dem späteren Zeitpunkt, in dem die Haftung geltend gemacht wird, zur Gläubigerbefriedigung benötigt wird. Es gibt nicht den geringsten Grund dafür, den gegen § 30 Abs. 1 GmbHG verstoßenden Geschäftsführer ausgerechnet in dieser Situation als schutzwürdiger einzustufen als die Gläubiger und ihn aus der Haftung zu entlassen. dd)  Wenn der BGH in den angeführten Entscheidungen aus den Jahren 2003, 2008 und 2012 zu § 43 Abs. 3 Satz 3 und §§ 9b Abs. 1 Satz 1, 43 Abs. 3 Satz 2 GmbHG gleichwohl zu dem gegenteiligen Ergebnis gelangt ist, beruht dies offenbar schlicht auf einem Missverständnis, das seinen Ursprung in dem Urteil vom 7.4.2003 hat und sich dann in den weiteren Entscheidungen fortgesetzt hat. In dem Urteil vom 7.4.2003 wird zunächst (zutreffend) angeführt, dass ein Verzicht auf Ersatzansprüche der GmbH nur zulässig ist, „soweit nicht der Verzicht [1.] auf eine gem. § 30 GmbHG verbotene Auszahlung an einen Gesellschafter-Geschäftsführer hinausläuft (…) oder [2.] gem. § 43 Abs. 3 GmbHG unverzichtbare Ersatzansprüche zum Gegenstand hat.“22

Da es in dem konkreten Fall nicht um den Verzicht auf einen Anspruch aus § 43 Abs. 3 GmbHG ging, liegt der Fokus des Senats dabei offenbar auf dem ersten Teil der Aussage. Im unmittelbaren Anschluss fährt der Senat fort: „Sind diese Grenzen zur Zeit des Haftungsverzichts gewahrt, so bleibt es bei dessen Wirksamkeit auch dann, wenn der Schadensersatzbetrag später zur Gläubigerbefriedigung benötigt wurde (vgl. Senat, NZG 2002, 1170 = ZIP 2002, 2128 [2130]).“

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  BGH NZG 2003, 528 unter 2. a) (Gliederungsziffern eingefügt vom Verf.).

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Diese Aussage ist unbestreitbar richtig, soweit es um den Verzicht auf einen Anspruch gegen einen Gesellschafter-Geschäftsführer geht, der nicht dem § 43 Abs. 3 GmbHG unterfällt. Der Verzicht ist in diesem Fall nur an § 30 Abs. 1 GmbHG zu messen, und für diese Vorschrift kommt es unstreitig allein auf die Vermögenslage im Zeitpunkt der Auszahlung, hier also des Haftungsverzichts, an.23 Nur von diesem Fall (Verzicht auf einen nicht von § 43 Abs. 3 GmbHG erfassten Anspruch) handelt auch die in Bezug genommene Entscheidung aus dem Jahr 2002.24 Der für die weitere Entwicklung entscheidende Fehler des Urteils vom 7.4.2003 liegt nun darin, dass durch die Erwähnung des § 43 Abs. 3 GmbHG im vorausgehenden Satz der Urteilsgründe der Eindruck entsteht, als komme es auch für diese Bestimmung allein auf den Zeitpunkt des Haftungsverzichts an. Eben dies ist aus den genannten Gründen nicht überzeugend und durch die in Bezug genommene Entscheidung von 2002 auch in keiner Weise gedeckt. Aber mit dem Urteil vom 7.4.2003 war die Aussage auch für § 43 Abs. 3 GmbHG in der Welt, und der Senat hat sie dann ohne neuerliche Reflektion in die Entscheidung vom 18.2.2008 übernommen.25 Das Urteil vom 23.4.2012 hat sie schließlich, gewissermaßen als konsequenter Folgefehler, auch auf § 43 Abs. 3 Satz 3 GmbHG übertragen.26 d) Ergebnis Als erstes Ergebnis der Untersuchung ist nach alledem festzuhalten: Für die Beurteilung, ob die Haftung zur Gläubigerbefriedigung erforderlich ist, kommt es – entgegen der Rechtsprechung des II. Zivilsenats zu § 43 Abs. 3 GmbHG, aber in Übereinstimmung mit der Rechtsprechung des Senats zu § 31 Abs. 2 GmbHG – nicht auf den Zeitpunkt der verbotenen Auszahlung an, sondern auf denjenigen der Geltendmachung der Haftung. Eine Enthaftung des Geschäftsführers scheidet folglich auch dann aus, wenn die Unzulänglichkeit des Gesellschaftsvermögens erst nach der verbotenen Auszahlung eintritt.27

23  Allg.M., etwa Ekkenga (Fn. 13), § 30 Rn. 88; Habersack (Fn. 13), § 30 Rn. 44; Hommelhoff in: Lutter/Hommelhoff, 19. Aufl. 2016, § 30 Rn. 17; Verse (Fn. 4), § 30 Rn. 53. 24   BGH NZG 2002, 1170, 1172 = ZIP 2002, 2128, 2130. 25   BGH NZG 2008, 314 = ZIP 2008, 736 Rn. 11. 26   BGHZ 193, 96 = NZG 2012, 667 Rn. 27. 27  Zu weiteren Einzelheiten, namentlich dazu, auf welchen Zeitpunkt es im Prozess ankommt (letzte mündliche Verhandlung), und zu den daraus folgenden Konsequenzen, s. noch unter IV.

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III.  Rechtslage bei fehlender Erforderlichkeit zur Gläubigerbefriedigung 1. Fragestellung § 43 Abs. 3 Satz 3 GmbHG trifft unmittelbar nur die Aussage, dass der der Auszahlung zugrundeliegende Gesellschafterbeschluss keine enthaftende Wirkung hat, soweit die Haftung zur Gläubigerbefriedigung erforderlich ist. Aber wie verhält es sich in dem umgekehrten Fall, in dem die Haftung nicht zur Gläubigerbefriedigung benötigt wird? Lässt sich § 43 Abs. 3 Satz 3 GmbHG dann im Umkehrschluss entnehmen, dass der Gesellschafterbeschluss stets enthaftende Wirkung hat, obwohl der Geschäftsführer ihn nach § 30 Abs. 1 GmbHG nicht hätte ausführen dürfen? Ein Blick in Rechtsprechung und Schrifttum zeigt, dass auch in dieser Frage erhebliche Unsicherheit besteht. 2. Meinungsstand In der Rechtsprechung finden sich dazu, soweit ersichtlich, keine näher begründeten Ausführungen, sondern nur knappe, im Ergebnis uneinheitliche Andeutungen. In dem bereits angeführten BGH-Urteil vom 23.4.2012 geht der II. Zivilsenat offenbar von dem genannten Umkehrschluss aus: „Diese zusätzliche Haftung [scil. aus § 43 Abs. 3 Satz 1 GmbHG] besteht gemäß § 43 Abs. 3 Satz 3 GmbHG – da die Beklagten als Gesellschafter-Geschäftsführer so zu behandeln sind, als hätten sie in Befolgung eines Beschlusses der Gesellschafterversammlung gehandelt – aber nur dann, wenn der Ersatz zur Befriedigung der Gesellschaftsgläubiger erforderlich war.“28

Diese Formulierung lässt sich nur so verstehen, dass bei fehlender Erforderlichkeit zur Gläubigerbefriedigung der Geschäftsführer durch das Gesellschaftereinverständnis enthaftet werden soll. Demgegenüber liest man in einem Urteil desselben Senats vom 9.12.2014, das sich ebenfalls auf die Haftung nach § 43 Abs. 3 GmbHG bezieht: „Das Einverständnis der Gesellschafter mit den Entnahmen entlastet den Bekl. nicht. Der Bekl. musste als Geschäftsführer der Komplementär-GmbH unabhängig von Weisungen der Gesellschafter von GmbH oder KG dafür sorgen, dass das Stammkapital der GmbH nicht angegriffen wurde.“29

28   BGHZ 193, 96 = NZG 2012, 667 Rn. 27 (Hervorhebung vom Verf.). Ebenso auch schon BGHZ 142, 92, 96 = NZG 1999, 1001, 1002 („… käme eine Geschäftsführerhaftung der Bekl. zu 2 nach § 43 Abs. 3 Satz 3 GmbHG nur insoweit in Betracht, als der Schadensersatz zur Befriedigung der Gläubiger der Klägerin erforderlich ist.“). 29   BGH NZG 2015, 225 Rn. 13; vgl. auch schon BGH NJW 1994, 2149, 2152.

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Von der Einschränkung, dass die Haftung nur bei Erforderlichkeit zur Gläubigerbefriedigung bestehe, ist in diesem Urteil keine Rede.30 Auch die (wenigen) Stellungnahmen im Schrifttum zu unserer Frage sind uneinheitlich. Teilweise wird in § 43 Abs. 3 Satz 3 GmbHG der Beleg gesehen, dass der Geschäftsführer sich auch bei Verstößen gegen zwingende Vorschriften auf den Gesellschafterbeschluss berufen könne, sofern der Ersatz nicht zur Gläubigerbefriedigung benötigt wird.31 In der neueren Kommentarliteratur ist dagegen die Ansicht verbreitet, dass § 43 Abs. 3 Satz 3 GmbHG nur einen schmalen Anwendungsbereich habe; ein Gesellschafterbeschluss, der einer nach § 30 Abs. 1 GmbHG verbotenen Auszahlung zugrunde liegt, sei nämlich in der Regel analog § 241 Nr. 3 AktG nichtig und könne schon deshalb nicht enthaften.32 Für eine Enthaftung nach § 43 Abs. 3 Satz 3 GmbHG (genauer: im Umkehrschluss zu dieser Vorschrift) bleibe daher nur der schmale Bereich, in dem der Beschluss nicht nichtig war, weil im Zeitpunkt der Beschlussfassung noch kein Verstoß gegen § 30 Abs. 1 GmbHG vorlag, sondern erst später im Zeitpunkt der Ausführung des Beschlusses gegen die Kapitalerhaltung verstoßen wird.33 3.  Beschlussnichtigkeit als entscheidendes Kriterium? Die zuletzt genannte Ansicht sieht sich indes durchgreifenden Bedenken ausgesetzt. Schon die Prämisse, dass Gesellschafterbeschlüsse, die einer gegen § 30 Abs. 1 GmbHG verstoßenden Auszahlung zugrunde liegen, regelmäßig nichtig seien, trifft bei Licht besehen nicht zu. Allein der Umstand, dass der Gesellschafterbeschluss eine Auszahlung vorsieht, die im Zeitpunkt der Beschlussfassung mit § 30 Abs. 1 GmbHG unvereinbar ist, begründet keineswegs die Nichtigkeit des Beschlusses. Vielmehr ist nach ganz herrschender und zutreffender Ansicht ein derartiger Beschluss grundsätzlich weder nichtig noch anfechtbar, sondern nur so lange nicht vollziehbar, bis sich die Auszahlung (wegen zwischenzeitlich eingetretener Deckung des Stamm-

30  Diese Abweichung von BGHZ 193, 96 = NZG 2012, 667 Rn. 27 lässt sich nicht einfach damit erklären, dass in dem Fall BGH NZG 2015, 225 die Erforderlichkeit zur Gläubigerbefriedigung offenkundig war, weil der Anspruch im Insolvenzverfahren geltend gemacht wurde. Nach der (hier abgelehnten) Ansicht des BGH wäre die Erforderlichkeit zur Gläubigerbefriedigung nur zu bejahen gewesen, wenn dieses Bedürfnis schon im Auszahlungszeitpunkt bestand; dies war aber nicht festgestellt. 31   So aus dem älteren Schrifttum Brodmann (Fn. 17), § 43 Anm. 4a. 32   Fleischer (Fn. 6), § 43 Rn. 296; Haas/Ziemons (Fn. 6), § 43 Rn. 345; Ziemons (Fn. 18), § 43 Rn. 511; Zöllner/Noack (Fn. 3), § 43 Rn. 52. Allerdings erkennen auch diese Autoren an, dass der Geschäftsführer bei Nichtigkeit des Gesellschafterbeschlusses ausnahmsweise den Einwand der unzulässigen Rechtsausübung erheben kann; s. dazu noch unten III. 4. a) bb) mit Fn. 37. 33   Haas/Ziemons (Fn. 6), § 43 Rn. 346; Ziemons (Fn. 18), § 43 Rn. 512.

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kapitals) wieder mit § 30 Abs. 1 GmbHG vereinbaren lässt.34 Da sich die Vermögenslage der GmbH jederzeit ändern und der Beschluss bei einer Verbesserung der Vermögenslage doch noch ausgeführt werden kann, wäre es evident überschießend, den Beschluss grundsätzlich als nichtig anzusehen. Für eine Beschlussnichtigkeit ist daher, wenn überhaupt, allenfalls ausnahmsweise Raum. Die überwiegende Ansicht erkennt eine solche Ausnahme (nur) an, wenn der Auszahlungsbeschluss seinem Inhalt nach geradezu auf einen Verstoß gegen die Kapitalerhaltung abzielt.35 Entscheidend ist aber letztlich ein anderer Einwand. Die Frage der Enthaftung des Geschäftsführers kann richtigerweise schon im Ansatz nicht davon abhängen, ob man den Auszahlungsbeschluss wegen der Unzulässigkeit der Auszahlung (ausnahmsweise) als nichtig oder nur als nicht vollziehbar qualifiziert. Die Pflicht des Geschäftsführers ist in beiden Szenarien dieselbe: Er darf den Beschluss nicht ausführen, solange und soweit dies gegen § 30 Abs. 1 GmbHG verstößt. Die von der angeführten Ansicht getroffene Differenzierung danach, ob schon der Auszahlungsbeschluss wegen Verstoßes gegen § 30 Abs. 1 GmbHG nichtig ist (dann keine Enthaftung) oder nur die Ausführung des Beschlusses gegen § 30 Abs. 1 GmbHG verstößt (dann Enthaftung, soweit der Ersatz nicht zur Gläubigerbefriedigung erforderlich ist), leuchtet daher nicht ein, da sie für die Beurteilung des Verhaltens des Geschäftsführers irrelevant ist. In beiden Fällen verstößt der Geschäftsführer gleichermaßen gegen die Kapitalbindung, und dieser Verstoß ist um nichts weniger gravierend, wenn der zugrundeliegende Gesellschafterbeschluss nicht nichtig, sondern „nur“ nicht vollziehbar ist. 4.  Entwicklung einer differenzierenden Lösung a)  Einwand der unzulässigen Rechtsausübung als zutreffender Ansatzpunkt aa)  Den Schlüssel zur zutreffenden Lösung liefert vielmehr die Erkenntnis, dass es Fälle gibt, in denen sich die GmbH in treuwidriger Weise zu ihrem eigenen Vorverhalten in Widerspruch setzt, wenn sie dem Geschäfts34   Ekkenga (Fn. 13), § 30 Rn. 281; Fastrich (Fn. 13), § 30 Rn. 66; Habersack (Fn. 13), § 30 Rn. 118; Heidinger (Fn. 13), § 30 Rn. 140; Schmolke (Fn. 13), § 30 Rn. 205; Verse (Fn. 4), § 30 Rn. 119; Wicke (Rn. 2), § 30 Rn. 18. 35   Ekkenga (Fn. 13), § 30 Rn. 281; Habersack (Fn. 13), § 30 Rn. 118; Heidinger (Fn. 13), § 30 Rn. 140; Pentz (Fn. 13), § 30 Rn. 52; Schmolke (Fn. 13), § 30 Rn. 205; ferner K. Schmidt in: Scholz, GmbHG, 11. Aufl. 2014, § 45 Rn. 74 („wenn die Verletzung des § 30 Gegenstand des Beschlusses [also intendiert] oder nach Lage der Dinge unvermeidbar ist“); zweifelnd Fastrich (Fn. 13), § 30 Rn. 66. Speziell zur Nichtigkeit von Einziehungsbeschlüssen, wenn bei der Beschlussfassung feststeht, dass die sofort fällige Abfindung nicht aus ungebundenem Vermögen bezahlt werden kann, BGHZ 192, 236 = NZG 2012, 259 Rn. 7; BGHZ 210, 186 = NZG 2016, 742 Rn. 13; BGH GmbHR 2018, 961 Rn. 13; im Schrifttum str., abl. etwa Fritz, Die Zwangseinziehung von GmbH-Geschäftsanteilen, 2015, S. 92 ff. m.w.N.

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führer vorhält, er habe den (nichtigen oder nicht vollziehbaren) Gesellschafterbeschluss nicht ausführen dürfen. In solchen Fällen kann der Geschäftsführer, soweit seine Haftung nicht zur Gläubigerbefriedigung erforderlich ist, dem Anspruch der GmbH aus § 43 Abs. 3 Satz 1 GmbHG den Einwand der unzulässigen Rechtsausübung (venire contra factum proprium) entgegenhalten. Ein solches selbstwidersprüchliches Verhalten der GmbH liegt freilich nicht immer schon dann vor, wenn der verbotenen Auszahlung ein Gesellschafterbeschluss zugrunde liegt. Im Gegenteil liegt dieser Vorwurf fern, wenn die Gesellschafter bei der Beschlussfassung gar nicht erkannt oder billigend in Kauf genommen haben, dass die Ausführung ihres Beschlusses gegen § 30 Abs. 1 GmbHG verstößt – etwa wenn sie bei Fassung eines Ausschüttungsbeschlusses davon ausgegangen sind, dass noch genügend ungebundenes Vermögen vorhanden ist, oder wenn sie bei der Zustimmung zu einem Vertragsabschluss zwischen der GmbH und einem Gesellschafter angenommen haben, dass das Geschäft einem Drittvergleich standhält. In solchen Fällen verhält sich die GmbH nicht widersprüchlich, wenn sie den Geschäftsführer, der den Verstoß seinerseits erkennen musste, nach § 43 Abs. 3 Satz 1 GmbHG in Haftung nimmt. Wenn hingegen die Gesellschafter bei der Beschlussfassung erkannt oder billigend in Kauf genommen haben, dass die Ausführung ihres Beschlusses gegen § 30 Abs. 1 GmbHG verstößt (z.B. weil der Geschäftsführer sie vor der Beschlussfassung darauf aufmerksam gemacht hat), stellt sich die Situation anders dar. Unter diesen Gegebenheiten wäre es treuwidrig, wenn die GmbH, die sich das Verhalten ihres Organs Gesellschafterversammlung zurechnen lassen muss, versuchen würde, die Verantwortung für den Beschluss auf den Geschäftsführer abzuwälzen und den Geschäftsführer nun doch wegen der Auszahlung in Anspruch zu nehmen, obwohl die Gesellschafter den Verstoß sehenden Auges in Kauf genommen haben und der Ersatz nicht für die Gläubigerbefriedigung benötigt wird, sondern letztlich nur den Gesellschaftern zugutekäme. bb) Bestätigung findet die vorstehende Beurteilung durch einen Seitenblick auf Recht­ sprechung und Schrifttum zur allgemeinen Geschäftsführerhaftung nach § 43 Abs. 2 GmbHG. Für die Haftung aus § 43 Abs. 2 GmbHG ist längst anerkannt, dass der Geschäftsführer in Fällen, in denen sein Handeln auf einem für ihn nicht verbindlichen, nichtigen Gesellschafter­ beschluss beruht (z.B. einem Beschluss, Steuern zu hinterziehen oder Sozialversicherungs­ beiträge nicht abzuführen), dem Ersatzanspruch der GmbH den Einwand der unzulässigen Rechtsausübung entgegenhalten kann, wenn sämtliche Gesellschafter36 mit seinem pflichtwidrigen Verhalten 36  Zu der Frage, ob auch ein Mehrheitsbeschluss genügt, s. noch gesondert unter III. 4. b).

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einverstanden waren.37 Es gibt keinen Grund, im Rahmen des § 43 Abs. 3 Satz 3 GmbHG anders zu entscheiden, soweit – wie in der hier betrachteten Fallgruppe – der Ersatz nicht zur Gläubigerbefriedigung benötigt wird.38 Denn in diesem Fall stehen sich, nicht anders als im Rahmen des § 43 Abs. 2 GmbHG, lediglich die Interessen der Gesamtheit der Gesellschafter und des Geschäftsführers gegenüber, und dieser Interessenausgleich kann konsequenterweise nicht anders vorgenommen werden als in den Fällen des § 43 Abs. 2 GmbHG. cc) Nur am Rande sei bemerkt, dass die vorstehend getroffenen Feststellungen auch durch einen Wertungsabgleich mit § 31 Abs. 6 GmbHG bestätigt werden. Diese Vorschrift gewährt bekanntlich den Mitgesellschaftern des Auszahlungsempfängers, die nach § 31 Abs. 3 GmbHG in Ausfallhaftung genommen worden sind, einen Regressanspruch gegen den schuldhaft auszahlenden Geschäftsführer. Auch in diesem Zusammenhang wird ganz überwiegend anerkannt, dass der Geschäftsführer den Gesellschaftern den Einwand der unzulässigen Rechtsausübung wegen widersprüchlichen Verhaltens entgegenhalten kann, wenn sie in Kenntnis des Verstoßes gegen § 30 Abs. 1 GmbHG für die Auszahlung gestimmt haben.39 Dieser Befund belegt abermals, dass – soweit es allein um das Verhältnis zwischen Gesellschaftern und Geschäftsführer geht – die fehlende Rechtsverbindlichkeit des Gesellschafterbeschlusses den Geschäftsführer nicht daran hindert, sich darauf zu 37   BGH NJW 1974, 1088, 1089; Fleck GmbHR 1974, 224, 227; Haas/Ziemons (Fn. 6), § 43 Rn. 280; Paefgen (Fn. 6), § 43 Rn. 217; U. H. Schneider (Fn. 6), § 43 Rn. 134 ff.; Ziemons (Fn. 18), § 43 Rn. 401; Zöllner/Noack (Fn. 3), § 43 Rn. 35; wohl auch Fleischer (Fn. 6), § 43 Rn. 278, der zwar die Voraussetzungen für das Vorliegen einer unzulässigen Rechtsausübung nicht definiert, aber auf U.H. Schneider und Zöllner/Noack a.a.O. Bezug nimmt; ferner – mit Einschränkung auf Fälle, in denen der Ersatzanspruch nicht zur Gläubigerbefriedigung erforderlich ist – Haas/Wigand (Fn. 16), Rn. 20.54; Mennicke NZG 2000, 622, 625 f. 38   So andeutungsweise auch Haas/Ziemons (Fn. 6), § 43 Rn. 281 und Ziemons (Fn. 18), § 43 Rn. 402: In den Fällen des § 43 Abs. 3 GmbHG könne der Haftung der Einwand der unzulässigen Rechtsausübung „allenfalls“ entgegenstehen, soweit der Ersatzanspruch nicht zur Befriedigung der Gesellschaftsgläubiger erforderlich ist. Abw. aber Mertens in: Hachenburg, GmbHG, 8. Aufl. 1997, § 43 Rn. 78 und U. H. Schneider (Fn. 6), § 43 Rn. 136: Bei Verstößen gegen die Kapitalerhaltung sei der Einwand der unzulässigen Rechtsausübung generell ausgeschlossen (allerdings jeweils ohne gesonderte Berücksichtigung des hier interessierenden Falls, dass der Ersatz nicht zur Gläubigerbefriedigung benötigt wird). 39   Ekkenga (Fn. 13), § 31 Rn. 85; Fastrich (Fn. 13), § 31 Rn. 30; Habersack (Fn. 13), § 31 Rn. 69; Heidinger (Fn. 13), § 31 Rn. 110; Kuntz (Fn. 13), § 31 Rn. 45; Pentz (Fn. 13), § 31 Rn. 60; Schmolke (Fn. 13), § 31 Rn. 100, 104; Verse (Fn. 4), § 31 Rn. 83; im Erg. ähnlich, aber mit abw. Begründung Hommelhoff (Fn. 23), § 31 Rn. 34 (kein Verschulden des Geschäftsführers gegenüber den Gesellschaftern, wenn er diese auf den drohenden Verstoß hingewiesen hat). Für alleinige Anwendung des § 254 BGB Diers in: Saenger/Inhester, GmbHG, 3. Aufl. 2016, § 31 Rn. 90; Thiessen (Fn. 13), § 31 Rn. 109; offenlassend Altmeppen in: Roth/ Altmeppen, GmbHG, 8. Aufl. 2015, § 31 Rn. 42 (§ 254 BGB oder Einwand der unzulässigen Rechtsausübung).

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berufen, dass die Gesellschafter den Verstoß gegen § 30 Abs. 1 GmbHG billigend in Kauf genommen haben.40 b)  Einwand der unzulässigen Rechtsausübung nur bei Billigung durch sämtliche Gesellschafter? In einem nicht unwesentlichen Punkt bedürfen die getroffenen Feststellungen zum Einwand der unzulässigen Rechtsausübung allerdings noch der Präzisierung. Kann der Geschäftsführer diesen Einwand dem Anspruch aus § 43 Abs. 3 Satz 1 GmbHG nur entgegenhalten, wenn sämtliche Gesellschafter den Verstoß billigend in Kauf genommen haben, oder genügt es, dass eine den Beschluss tragende Gesellschaftermehrheit den Verstoß gebilligt hat? Die Frage stellt sich zum einen in Fällen, in denen einzelne Gesellschafter gegen den Auszahlungsbeschluss gestimmt oder an der Beschlussfassung nicht teilgenommen haben, und zum anderen dann, wenn zwar alle Gesellschafter zugestimmt haben, einzelne von ihnen aber nicht erkannt haben, dass die Ausführung des Beschlusses zu einem Verstoß gegen § 30 Abs. 1 GmbHG führt. In der oben angeführten Paralleldiskussion zu § 43 Abs. 2 GmbHG wird allgemein verlangt, dass sämtliche Gesellschafter den Verstoß gefordert oder gebilligt haben müssen.41 Begründet wird dieser Standpunkt mit Belangen des Minderheitenschutzes. Entschiede man anders – so die Überlegung –, hätte es die Mehrheit in der Hand, durch das Veranlassen einer rechtswidrigen Maßnahme auf Kosten des Gesellschaftsvermögens mittelbar auch die Minderheit zu schädigen.42 Diese Überlegung leuchtet unmittelbar ein und ist auch auf den vorliegenden Kontext übertragbar. Auch hier würde es die Rechte der integren Minderheit, die den Verstoß nicht gebilligt hat, in einer durch nichts zu rechtfertigenden Weise verkürzen, wenn man zu ihren Lasten den Anspruch der GmbH gegen den schuldhaft handelnden Geschäftsführer ausschlösse. Die GmbH verhält sich daher nicht treuwidrig, wenn sie den Geschäftsführer in Anspruch nimmt, um die Rechte der Minderheit zu wahren. Allerdings könnte man auf den ersten Blick einwenden, dass die Versagung des Einwands der unzulässigen Rechtsausübung im Ergebnis nicht nur – wie beabsichtigt – der Gesellschafter­minderheit zugutekommt, son  Da es im Rahmen des § 31 Abs. 6 GmbHG anders als im Fall des § 43 Abs. 3 GmbHG nicht um einen Anspruch der GmbH, sondern um einen Anspruch des einzelnen Gesellschafters geht, kommt es hier freilich nur auf die Kenntnis des jeweiligen einzelnen Gesellschafters an. Der Regress des wissenden Gesellschafters gegen den Geschäftsführer nach § 31 Abs. 6 GmbHG scheidet daher unabhängig davon aus, ob auch die übrigen Gesellschafter den Verstoß gegen § 30 Abs. 1 GmbHG billigend in Kauf genommen haben. Zur abweichenden Rechtslage in Bezug auf § 43 Abs. 3 GmbHG s. sogleich im Text. 41   S. abermals die Nachw. in Fn. 37. 42   Fleck GmbHR 1974, 224, 227. 40

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dern auch der Mehrheit, da auch diese von der erfolgreichen Inanspruchnahme des Geschäftsführers durch die GmbH profitiert. Die Gesellschafter­ mehrheit hat diesen Schutz aber ganz offensichtlich nicht verdient, wenn sie den Geschäftsführer sehenden Auges zu einer gegen § 30 Abs. 1 GmbHG verstoßenden Auszahlung veranlasst hat. Bei näherem Hinsehen ergibt sich daraus aber kein tragfähiges Argument dafür, dem Geschäftsführer doch den Einwand der unzulässigen Rechtsausübung zuzugestehen. Die zutreffende Lösung liegt vielmehr darin, dass der Geschäftsführer gegenüber der GmbH nach § 43 Abs. 3 Satz 1 GmbHG haftbar ist, aber nach § 255 BGB nur Zug um Zug gegen Abtretung des Ersatzanspruchs zu leisten braucht, den die GmbH ihrerseits gegen die Gesellschaftermehrheit wegen (vorsätzlicher) Verletzung der mitgliedschaftlichen Treuepflicht hat. Dass der GmbH ein solcher Anspruch zusteht, wenn die Gesellschaftermehrheit den Geschäftsführer sehenden Auges zu einer gegen § 30 Abs. 1 GmbHG verstoßenden Auszahlung veranlasst und dadurch der Gesellschaft einen Schaden zugefügt hat, sollte nicht zweifelhaft sein.43 Auf diese Weise ergibt sich eine in jeder Hinsicht interessengerechte, stimmige Lösung: Der GmbH ist (im Interesse des Minderheitenschutzes) nicht der Anspruch gegen den Geschäftsführer abgeschnitten; dieser kann sich aber seinerseits an die Gesellschaftermehrheit halten, die ihn sehenden Auges zu der verbotenen Auszahlung veranlasst hat. c) Ergebnis Das zweite Ergebnis der Untersuchung lautet somit: In Fällen, in denen die Haftung des Geschäftsführers nach § 43 Abs. 3 GmbHG nicht zur Gläubigerbefriedigung erforderlich ist, kann der Geschäftsführer zwar nicht generell einwenden, dass seinem Handeln ein Gesellschafterbeschluss zugrunde liegt. Wenn die Gesellschafter aber bei der Beschlussfassung wussten oder billigend in Kauf genommen haben, dass die Ausführung des Beschlusses gegen § 30 Abs. 1 GmbHG verstößt, kann der Geschäftsführer dem Anspruch aus § 43 Abs. 3 GmbHG den Einwand der unzulässigen Rechtsausübung entgegenhalten. Dies gilt aber nur, wenn sämtliche Gesellschafter den Verstoß 43  Dies gilt jedenfalls für solche Gesellschafter, die sich durch die Auszahlung selbst einen Vorteil verschafft haben, richtigerweise aber auch für diejenigen, die den Verstoß billigend in Kauf genommen haben, ohne selbst die Auszahlung zu empfangen. Für Letztere hat der BGH zwar die Ausfallhaftung nach § 31 Abs. 3 GmbHG als abschließend bezeichnet; BGHZ 142, 92, 96 = NZG 1999, 1001, 1002; BGHZ 150, 61, 66 f. = NZG 2002, 520, 521. Dies ist aber im Schrifttum auf berechtigte Kritik gestoßen; s. dazu mit Unterschieden im Einzelnen etwa Noack JZ 1999, 1173, 1174; Cahn ZGR 2003, 298, 313 f.; Bayer, in Festschrift Röhricht, 2005, S. 25, 39 ff.; Habersack [Fn. 13], § 31 Rn. 60 m.w.N. Jedenfalls in Fällen, in denen – wie hier – der Verstoß gegen § 30 Abs. 1 GmbHG nicht nur fahrlässig, sondern vorsätzlich begangen wird, ist der Ausschluss einer Haftung aus Treuepflichtverletzung nicht zu rechtfertigen. Alternativ ist bei Vorsatz i.Ü. auch an § 826 BGB zu denken; Schmolke (Fn. 13), § 31 Rn. 83.

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gebilligt haben. Hat nur eine den Beschluss tragende Mehrheit den Verstoß gebilligt, bleibt die Haftung des Geschäftsführers bestehen; dieser kann aber nach § 255 BGB verlangen, dass ihm die GmbH ihren Ersatzanspruch gegen die Gesellschaftermehrheit aus (vorsätzlicher) Treuepflichtverletzung abtritt.

IV.  Prozessuale Konsequenzen Zur Abrundung des Bildes sei zu guter Letzt noch ein Blick auf die Konsequenzen geworfen, die sich aus den Ergebnissen der Untersuchung für die prozessuale Geltendmachung von Ansprüchen aus § 43 Abs. 3 Satz 1 GmbHG ergeben. Nach den getroffenen Feststellungen kann sich der Geschäftsführer nur dann zu seiner Enthaftung auf den Gesellschafterbeschluss berufen, wenn (1.) der Ersatz nicht zur Gläubiger­befriedigung erforderlich ist und (2.) die Gesellschafter nicht nur die Auszahlung als solche, sondern auch den damit verbundenen Verstoß gegen § 30 Abs. 1 GmbHG billigend in Kauf genommen haben. Nur wenn auch diese zweite Voraussetzung erfüllt ist, wird folglich die Frage, ob der Ersatz zur Gläubigerbefriedigung benötigt wird, überhaupt entscheidungs­erheblich. Ist die Erforderlichkeit zur Gläubigerbefriedigung entscheidungserheblich, kommt es für diese Frage wie dargelegt nicht auf den Zeitpunkt der Auszahlung, sondern denjenigen der Geltendmachung des Anspruchs aus § 43 Abs. 3 Satz 1 GmbHG an. Für den Fall der gerichtlichen Geltendmachung des Anspruchs ist damit, wie der BGH zu § 31 Abs. 2 GmbHG entschieden hat, die „tatrichterliche Verhandlung über den Anspruch“ gemeint,44 genauer gesagt die letzte mündliche Verhandlung in der Tatsacheninstanz.45 Letzteres wird zwar teilweise kritisch gesehen, da dem in Anspruch genommenen Geschäftsführer bzw. (im Fall des § 31 Abs. 2, 3 GmbHG) dem Gesellschafter auf diese Weise eine lange Prozessdauer zugutekommt, wenn sich die Vermögenslage der GmbH während des Prozesses verbessert.46 Das ist aber bei Licht besehen kein Anlass zur Kritik, sondern schlicht die Konsequenz der gesetzlichen Regelung, die Haftung von einem bestehenden Bedürfnis zur Gläubigerbefriedigung abhängig zu machen. Die GmbH wird dadurch auch nicht in bedenklicher Weise belastet, da sie den Rechtsstreit für erledigt erklären kann, wenn der Anspruch nach Eintritt der Rechtshängigkeit infolge einer Verbesserung der Vermögenslage der Gesellschaft entfällt.   BGH NZG 2003, 1116, 1118.   So – jeweils zu § 31 Abs. 2 GmbHG – Ekkenga (Fn. 13), § 31 Rn. 49; Habersack (Fn. 13), § 31 Rn. 43; Heidinger (Fn. 13), § 31 Rn. 56; Kuntz (Fn. 13), § 31 Rn. 25; Verse (Fn. 4), § 31 Rn. 44; ferner – zu § 9b Abs. 1 Satz 1 GmbHG – Herrler (Fn. 16), § 9b Rn. 27. 46   Fastrich (Fn. 13), § 31 Rn. 19; ähnlich Pentz (Fn. 13), § 31 Rn. 28. 44 45

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Ist die Klage rechtskräftig abgewiesen worden, weil die Haftung im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung nicht zur Gläubigerbefriedigung erforderlich war (und der Geschäftsführer deshalb mit dem Einwand der unzulässigen Rechtsausübung durchdringen konnte), ist die GmbH im Übrigen nicht gehindert, innerhalb der Verjährungsfrist erneut Klage erheben, wenn sich ihre finanzielle Lage verschlechtert hat und der Haftungsbetrag nun doch zur Gläubigerbefriedigung benötigt wird.47 Die Rechtskraft des abweisenden Urteils steht der neuen Klage nicht entgegen, da Streitgegenstand nur die Verpflichtung zum Schadensersatz im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung war.

V.  Zusammenfassung der Ergebnisse 1.  Ein GmbH-Geschäftsführer, der schuldhaft gegen die Kapitalerhaltung (§ 30 Abs. 1 GmbHG) verstoßen hat und deshalb nach § 43 Abs. 3 Satz 1 GmbHG in Anspruch genommen wird, kann sich nach § 43 Abs. 3 Satz 3 GmbHG nicht auf die Befolgung eines Gesellschafterbeschlusses berufen, soweit der Schadensersatz zur Gläubigerbefriedigung erforderlich ist. Maßgeblicher Zeitpunkt für die Beurteilung der Erforderlichkeit zur Gläubigerbefriedigung ist – entgegen der Rechtsprechung des II. Zivilsenats zu § 43 Abs. 3 GmbHG, aber in Übereinstimmung mit einer Entscheidung desselben Senats zu der Parallelfrage im Rahmen des § 31 Abs. 2 GmbHG – nicht der Zeitpunkt der verbotenen Auszahlung, sondern derjenige der Geltendmachung der Haftung. Der Umstand, dass trotz der eingetretenen Unterbilanz im Zeitpunkt der verbotenen Auszahlung noch genügend Gesellschaftsvermögen vorhanden war, um alle Gläubiger zu befriedigen, kann den Geschäftsführer daher nicht entlasten, sofern sich die Vermögenslage der GmbH nachträglich verschlechtert und der Ersatz nun doch zur Gläubigerbefriedigung benötigt wird. Im Prozess kommt es hierfür auf den Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung in der Tatsacheninstanz an. 2.  Ist der Ersatz nicht zur Gläubigerbefriedigung erforderlich, lässt sich aus § 43 Abs. 3 Satz 3 GmbHG nicht pauschal der Umkehrschluss ziehen, dass der Geschäftsführer durch den (wegen § 30 Abs. 1 GmbHG nicht vollziehbaren, u.U. sogar nichtigen) Gesellschafterbeschluss enthaf­ tet wird. Sofern allerdings die Gesellschafter nicht nur die Auszahlung als solche beschlossen haben, sondern dabei auch erkannt oder billigend in Kauf genommen haben, dass die Ausführung ihres Beschlusses gegen § 30 Abs. 1 47   Habersack (Fn. 13), § 31 Rn. 43; Heidinger (Fn. 13), § 31 Rn. 56; Herrler (Fn. 16), § 9b Rn. 27; Schmolke (Fn. 13), § 31 Rn. 59; Tebben (Fn. 16), § 9b Rn. 8; Verse (Fn. 4), § 31 Rn. 44.

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GmbHG verstößt, kann der Geschäftsführer seiner Inanspruchnahme den Einwand der unzulässigen Rechtsausübung wegen widersprüch­lichen Verhaltens (venire contra factum proprium) entgegenhalten. Dies gilt jedoch nur, wenn sämtliche Gesellschafter den Verstoß gebilligt haben. Hat nur eine den Beschluss tragende Mehrheit den Verstoß gebilligt, bleibt die Haftung des Geschäftsführers bestehen; dieser kann aber nach § 255 BGB verlangen, dass ihm die GmbH ihren Ersatzanspruch gegen die Gesellschaftermehrheit aus (vorsätzlicher) Treuepflichtverletzung abtritt. 3. Im Ergebnis kann sich der Geschäftsführer somit gegenüber dem Anspruch aus § 43 Abs. 3 Satz 1 GmbHG nur dann auf den Gesellschafterbeschluss berufen, wenn (1.) der Ersatz im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung nicht zur Gläubigerbefriedigung erforderlich ist und (2.) sämtliche Gesellschafter nicht nur die Auszahlung als solche, sondern auch den damit verbundenen Verstoß gegen § 30 Abs. 1 GmbHG billigend in Kauf genommen haben.

Unternehmensexterne als Versammlungsleiter der Hauptversammlung Eberhard Vetter I. Einleitung Der Vorsitzende Richter des zweiten Zivilsenats des Bundesgerichtshofs kann am Ende seines Berufslebens auf eine lange erfolgreiche berufliche Tätigkeit zurückblicken. Bei Alfred Bergmann, dem dieser Beitrag aus Anlass seines 65. Geburtstags in hoher Wertschätzung und mit allen guten Wünschen gewidmet ist, weist das berufliche Tätigkeitsfeld eine außergewöhnliche Bandbreite auf. Wer eine solche Strecke erfolgreicher beruflicher Tätigkeit vorweisen kann, wird sich nicht lange mit der Rückschau auf vergangene Zeiten aufhalten wollen, sondern eher den Blick in die Zukunft werfen und dabei vielleicht auch an neue persönliche Herausforderungen denken. Welche berufliche oder sonstige Perspektive der Jubilar für sein künftiges Leben verfolgen wird, lässt sich für den Verfasser dieses Festschriftbeitrags noch nicht erkennen. Aber es ist kaum zu erwarten, dass er eine Aufgabe suchen wird, die ihn täglich an regelmäßige Arbeitszeiten und einen festen permanenten Arbeitsplatz bindet. Deshalb sei ihm an dieser Stelle eine verantwortungsvolle – und mitunter durchaus spannungsreiche – Aufgabe „in einer gespannten und hektischen Atmosphäre“1 mit wechselnden Einsatzorten in deutschen Großstädten vorgestellt, für die er beste fachliche und persönliche Voraussetzungen mitbringt. Gesucht wird eine Person, die „hohes Ansehen genießt“2; zudem sind gute juristische Kenntnisse äußerst hilfreich, vorzugsweise auf dem Gebiet des Aktienrechts. Weiterhin ist ein ausreichend stabiles Selbstbewusstsein erforderlich, um in einem größeren Saal vor einigen 100 oder gar mehr als 1000 Menschen auch nach intensiver mehrstündiger Debatte und mitunter hitzigen Phasen der verbalen Auseinandersetzung die Ruhe und Neutralität zu bewahren. Schließlich bedarf es eines hohen Maßes an Durchsetzungskraft und persönlicher Unabhängigkeit, um die verantwortungsvolle Aufgabe streng orientiert an der Sache nach Möglichkeit innerhalb eines überschaubaren Zeitrahmens von in der Regel nicht mehr   BGH v. 20.3.1995 – II ZR 205/94 – „Girmes“, BGHZ 129, 136, 163.   OLG Frankfurt v. 18.3.2008 – 5 U 171/06 – „Kirch./.Deutsche Bank“, AG 2008, 417, 418. 1 2

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als 4–6 Stunden,3 in jedem Fall aber vor Mitternacht zu Ende zu bringen4. Diesem anspruchsvollen Anforderungsprofil wird Alfred Bergmann, der an der Entwicklung des geltenden Aktienrechts in den letzten Jahren maßgeblichen Anteil hat5 und der über eine nicht zuletzt in den Sitzungen des zweiten Zivilsenats des Bundesgerichtshofs wie auch in zahlreichen Fachtagungen erprobte souveräne Verhandlungsführung verfügt, zweifelsfrei gerecht. Vor diesem Hintergrund mag der Jubilar, der sich als Vorsitzender des zweiten Zivilsenats des BGH wiederholt mit Fragen der Hauptversammlung befasst hat6, erwägen, ob er sich nicht in dem einen oder anderen Fall als externer Versammlungsleiter einer Hauptversammlung7 oder als ihr Vorsitzender8 zur Verfügung stellen will. Die Rolle ist durchaus bedeutsam aber erstaunlicherweise im AktG nur stiefmütterlich geregelt. Sie wird, wie sich aus §§ 118 Abs. 4, 122 Abs. 3 Satz 2, 130 Abs. 2 Satz 1 und 3 sowie 131 Abs. 2 Satz 2 AktG ergibt, gleichwohl vorausgesetzt, ohne dass das Gesetz zur Person des Versammlungsleiters sachliche Vorgaben enthält.9

II.  Der praktische Bedarf für einen externen Versammlungsleiter In börsennotierten Gesellschaften und wohl auch in den meisten übrigen Aktiengesellschaften wird die Leitung der Hauptversammlung im Wege der Satzungsregelung oder durch eine Regelung in der Geschäftsordnung für die Hauptversammlung gemäß § 129 AktG in die Hände des Aufsichtsratsvorsitzenden gelegt.10 Auch der Gesetzgeber scheint, wie § 130 Abs. 1 Satz 3 und Abs. 5 AktG erkennen lassen, dies als den Regelfall zu betrachten. Trotz dieses weit verbreiteten aber keineswegs zwingenden Regelungsmodells besteht 3   Siehe z.B. Begründung de RegE des UMAG, BT-Drucks. 15/5092, S. 17; Ziff. 2.2.4 Deutscher Corporate Governance Kodex; BGH v. 8.2.2010 – II ZR 94/08 – „Biotest“, BGHZ 184, 239 Rn. 20. 4   BVerfG v. 20.9.1999 – 1 BvR 636/95, ZIP 1999, 1798, 1800 – „Wenger/Daimler Benz“; BGH v. 8.2.2010 – II ZR 94/08 – „Biotest“, BGHZ 184, 239 Rn. 24. 5  Siehe dazu die jährlichen Berichte des Jubilars zur Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs in den Jahren 2011 bis 2015, jeweils veröffentlicht in den Tagungsbänden der Gesellschaftsrechtlichen Vereinigung. 6   Bergmann Die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs, in: Gesellschaftsrechtliche Vereinigung (Hrsg.) Gesellschaftsrecht in der Diskussion 2014, 2015, S, 1; 13; Bergmann Die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs, in: Gesellschaftsrecht in der Diskussion 2015, 2016, S. 1, 8 ff. 7   So die Formulierung in §§ 118 Abs. 4, 130 Abs. 2 Satz 3 und 131 Abs. 2 Satz 2. 8   So die Formulierung in §§ 122 Abs. 3 Satz 2 und 130 Abs. 2 Satz 1. 9   Siehe zudem § 129 Abs. 4 Satz 2 AktG, der durch das NaStraG im Jahre 2001 gestrichen wurde. 10   Marsch-Barner in Marsch-Barner/Schäfer, Handbuch börsennotierte AG, 4. Aufl. 2018, Rz. 33.20; Mülbert in Großkomm. AktG, 5. Aufl. 2017, § 129 Rz. 111; Wilsing/von der Linden ZIP 2009, 641, 648; Rechtstatsachen bei Bayer/Hoffmann AG 2012, R339.

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in der Praxis hin und wieder die Notwendigkeit einen externen Dritten für diese Funktion zu gewinnen.11 Zu dieser Situation kommt es etwa, wenn der von der Satzung zum Versammlungsleiter bestimmte Aufsichtsratsvorsitzende aus persönlichen, beruflichen oder zeitlichen Gründen daran gehindert ist die Leitung der Hauptversammlung zu übernehmen. Infolge der Internationalisierung der Wirtschaft und der Besetzung von Aufsichtsräten mit Mitgliedern ausländischer Herkunft gibt es gelegentlich auch Aufsichtsratsvorsitzende, die nicht in ausreichendem Maße der deutschen Sprache mächtig sind, die die maßgeblich Sprache der Hauptversammlung ist.12 Auch wenn die Versammlungsleitung durch einen fremdsprachigen Aufsichtsratsvorsitzenden mit Hilfe eines Dolmetscher zulässig ist,13 sind ausländische Aufsichtsratsvorsitzende wegen mangelnder Sprachkenntnisse – in der Praxis jedenfalls bei voraussehbar spannungsgeladenen Hauptversammlungen – gerne bereit die Leitung der Hauptversammlung im Interesse eines fehlerfreien Verfahrensablaufs trotz persönlicher Anwesenheit im eigenen Interesse und im Interesse der Teilnehmer der Hauptversammlung sowie zur Vermeidung von übersetzungsbedingten Verfahrensfehlern in die Hände eines deutschsprechenden Versammlungsleiters zu geben.14 Bisweilen entsteht der Bedarf an einem unternehmensexternen Versammlungsleiter aber auch deshalb, weil einzelne Aktionäre Bedenken gegen die Person des Aufsichtsratsvorsitzenden als satzungsmäßigem Versammlungsleiter haben oder Zweifel an seiner unabhängigen Versammlungsleitung hegen und in der Hauptversammlung seine Abwahl beantragen.15 Aber auch der Aufsichtsratsvorsitzende selbst kann, soweit Tagesordnungspunkte zur Behandlung und Beschlussfassung anstehen, die mit schweren Vorwürfen gegen seine Person verbunden sind, auch wenn darin nicht automatisch ein Grund zu seiner Abberufung liegt,16 vorsorglich die Leitung der Hauptver-

11   Siehe z.B. Kubis in Münchener Komm. AktG, 4. Aufl. 2018 § 119 Rz. 106; Pliquett Die Haftung des Hauptversammlungsleiters, 2015, S. 15; Wilsing/von der Linden ZIP 2009, 641, 646. 12   Mülbert in Großkomm. AktG, 5. Aufl. 2017, § 129 Rz. 272; Wicke in Spindler/Stilz, AktG, 3. Aufl. 2015, § 119 Anh. Rz. 2. 13   OLG Hamburg v. 12.1.2001 – 11 U 162/00 – „Spar Handels-AG“, AG 2001, 359, 363; Drinhausen in Hölters, AktG, 3. Aufl. 2017, § 129 Anh. Rz. 2; Hüffer/Koch AktG, 13. Aufl. 2018, § 129 Rz. 18; Wicke, NZG 2007, 771. 14  Siehe z.B. auch Butzke Die Hauptversammlung der AG, 5. Aufl. 2011, D Rz. 7; Gehling/Pickert in Semler/Volhard/Reichert, Arbeitshandbuch für die Hauptversammlung, 4. Aufl. 2018, § 9 Rz. 16. 15   Siehe z.B. OLG Bremen v. 13.11.2009 – 2 U 57/09, AG 2010, 256; LG Köln v. 6.7.2005 – 82 O 150/04 – „Felten und Guilleaume AG“, AG 2005, 696; LG Frankfurt/M v. 11.1.2005 – 3 – 5 O 100/04, AG 2005, 892. 16   OLG Frankfurt/M v. 20.10.2010 – 23 U 121/08 – „Deutsche Bank“, AG 2011, 36, 40.

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sammlung insgesamt oder bei der Behandlung dieses Tagesordnungspunktes ablehnen.17 Mitunter steht aber auch bei einem Einberufungsverlangen eines Aktionärs nach § 122 Abs. 1 AktG oder im Rahmen eines Verlangens auf Ergänzung der Tagesordnung der Hauptversammlung nach § 122 Abs. 2 AktG für den antragstellenden Aktionär die Unabhängigkeit und Neutralität des Aufsichtsratsvorsitzenden als satzungsmäßigem Versammlungsleiter bei der Leitung der Hauptversammlung in Zweifel, sodass der Aktionär gemäß § 122 Abs. 3 Satz 2 AktG zugleich die gerichtliche Bestellung eines neutralen Versammlungsleiters beantragt.18

III.  Übernahme des Amtes des externen Versammlungsleiters 1.  Benennung des externen Versammlungsleiters Vielfach sieht die Satzung vor, dass der Aufsichtsratsvorsitzende im Falle seiner Verhinderung selbst den Versammlungsleiter benennt. Mitunter kommt das Benennungsrecht auch erst dann zum Tragen, wenn auch der stellvertretende Aufsichtsratsvorsitzende verhindert ist. Zwingend ist diese Reihenfolge keinesfalls, denn die Leitung der Hauptversammlung ist – anders als im österreichischen Recht19 – keine Aufgabe, die kraft Gesetzes mit dem Aufsichtsratsvorsitz verbunden ist.20 Damit scheidet die automatische Anwendung von § 107 Abs. 1 Satz 3 AktG nach zutreffender aber umstrittener Ansicht aus;21 sie kann aber durch die Satzung angeordnet wer17   Siehe z.B. Marsch-Barner in Marsch-Barner/Schäfer, Handbuch börsennotierte AG, 4. Aufl. 2018, Rz. 33.22b; Wilsing/von der Linden ZIP 2009, 641, 649. 18   Butzke in Großkomm. AktG 5. Aufl. 2017, § 122 Rz. 89; Rieckers in Spindler/Stilz, AktG, 3. Aufl. 2015, § 122 Rz 56; zuletzt z.B. OLG Köln v. 16.6.2015 – 18 Wx 1/15 – „STRABAG“, AG 2015, 716; LG München I v. 14.7.2017 – 5 HK O 14714/16 – „Karwendelbahn AG“, AG 2018, 206, 209. 19   § 116 Abs. 1 öAktG. 20   LG München v. 29.3.2007 – 5HKO 11176/06 – „Bayerische Hypo- und Vereinsbank“, AG 2007, 830, 831; LG Hamburg v. 4.11.1980 – 1 O 216/80, AG 1981, 137, 138; HoffmannBecking in Münchener Hdb AG, 4. Aufl. 2015, § 37 Rz. 34; Marsch-Barner FS Brambring, 2011, S. 267, 281; Max AG 1991, 77, 79; Mülbert in Großkomm. AktG, 5. Aufl. 2017, § 129 Rz. 111; Pliquett Die Haftung des Hauptversammlungsleiters, 2015, S. 63. 21   KG v 6.12.2010 – 23 AktG 1/10 – „Vanguard AG“, AG 2011, 170, 172; Butzke in Großkomm. AktG, 5. Aufl. 2017, § 129 Rz. 111; Gehling/Pickert in Semler/Volhard/Reichert, Arbeitshandbuch für die Hauptversammlung, 4. Aufl. 2018, § 9 Rz. 13; HoffmannBecking in Münchener Hdb AG, 4. Aufl. 2015, § 37 Rz. 34; Hüffer/Koch AktG, 13. Aufl. 2018, § 129 Rz. 18; a.A. Drinhausen in Hölters AktG, 3. Aufl. 2017, Anh. § 129 Rz. 2; Ek Praxisleitfaden für die Hauptversammlung, 3. Aufl. 2018, Rz. 255; Kubis in Münchener Komm. AktG, 4. Aufl. 2018 § 119 Rz. 108; Noack/Zetzsche in Kölner Komm. AktG, 3. Aufl. 2011, § 130 Rz. 303; Martens Leitfaden für die Leitung der Hauptversammlung einer AG, 3. Aufl. 2003, S. 45; wohl auch Mutter AG 2013, R161.

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den. Enthält die Satzung keine weiteren Vorgaben hinsichtlich der Person des Versammlungsleiters etwa die Beschränkung der Auswahl auf den Kreis der Aufsichtsratsmitglieder, ist der Aufsichtsratsvorsitzende in seiner Wahl grundsätzlich frei; der Versammlungsleiter braucht kein Aktionär zu sein.22 Er ist allerdings zur sorgfältigen Auswahl einer für diese Aufgabe geeigneten Person verpflichtet, will er sich nicht dem Risiko der persönlichen Haftung unter dem Vorwurf der culpa in eligendo aussetzen. Trifft der Aufsichtsratsvorsitzende keine Entscheidung, ist die Hauptversammlung aufgerufen selbst den Versammlungsleiter zu wählen. Mitunter sieht die Satzung auch vor, dass im Fall seiner Verhinderung nicht der Aufsichtsratsvorsitzende, sondern der Aufsichtsrat oder in mitbestimmten Gesellschaften die Aufsichtsratsmitglieder der Anteilseigner den Leiter der Hauptversammlung bestimmen.23 Dazu bedarf es eines Beschlusses des Aufsichtsrats. Sofern die Satzung nicht anderes vorsieht, kann auch ein unternehmensfremder Dritter gewählt werden. Ist der Aufsichtsrat z.B. wegen unvorhergesehener Verhinderung des Aufsichtsratsvorsitzenden und weiterer Aufsichtsratsmitglieder gemäß § 108 Abs. 3 Satz 2 AktG nicht beschlussfähig, scheidet die Bestellung durch den Aufsichtsrat aus. In diesem Fall hat die Hauptversammlung selbst den Versammlungsleiter zu wählen. 2.  Wahl des externen Versammlungsleiters Ist der nach der Satzung vorgesehene Aufsichtsratsvorsitzende als Versammlungsleiter verhindert oder steht er aus sonstigen Gründen selbst nicht zur Verfügung und stehen auch die nach der Satzung bestimmten oder von ihm benannten Personen als Versammlungsleiter ebenfalls nicht zur Verfügung, bedarf es der Wahl eines Versammlungsleiters durch die Hauptversammlung, um ordnungsgemäße Beschlüsse fassen zu können. Da der Versammlungsleiter eine zwingende Voraussetzung für die Durchführung einer Hauptversammlung ist, bedarf es für seine Wahl keiner Ankündigung zur Tagesordnung.24 Für die Wahl reicht die einfache Mehrheit der abgegebenen Stimmen aus.25

22   Butzke Die Hauptversammlung der AG, 5. Aufl. 2011, D Rz. 5; Hoffmann-Becking in Münchener Hdb AG, 4. Aufl. 2015, § 37 Rz. 35; Wilsing/von der Linden ZIP 2009, 641, 646. 23   Bayer/Hoffmann AG 2012, R339, 341. 24   Ek Praxisleitfaden für die Hauptversammlung, 3. Aufl. 2018, Rz. 257; Gehling/Pickert in Semler/Volhard/Reichert, Arbeitshandbuch für die Hauptversammlung, 4. Aufl. 2018, § 9 Rz. 14; Hüffer/Koch AktG, 13. Aufl. 2018, § 129 Rz. 20; Mülbert in Großkomm. AktG, 5. Aufl. 2017, § 129 Rz. 113; Wicke in Spindler/Stilz AktG, 3. Aufl. 2015, Anh. § 119 Rz. 3. 25   Ihrig FS Goette, 2011, S. 205, 209; Hüffer/Koch AktG, 13. Aufl. 2018, § 129 Rz. 20; Kubis in Münchener Komm. AktG, 4. Aufl. 2018, § 119 Rz. 111.

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Vielfach schweigt die Satzung, wer in diesem Fall die Versammlungsleitung für die Durchführung der Wahl des Versammlungsleiters, die sogenannte provisorische Versammlungsleitung, übernehmen soll. Mitunter wird vorgeschlagen, dass die Versammlungsleitung vom Vorsitzenden des Vorstands übernommen wird, bis der Versammlungsleiter für diese Hauptversammlung gewählt ist.26 Ob sich eine derartige Kompetenz als Annex-Kompetenz aus der Zuständigkeit des Vorstands zur Einberufung der Hauptversammlung (§ 121 Abs. 2 AktG) ableiten lässt,27 ist nicht völlig zweifelsfrei.28 Der Versammlungsleitung durch den Vorstandsvorsitzenden könnte – und sei sie auch nur vorübergehend – entgegengehalten werden, dass dieser nicht über die für die Versammlungsleitung notwendige Unabhängigkeit verfügt. Da die provisorische Versammlungsleitung zur Wahl des Versammlungsleiters jedoch keinen Sachbeschluss betrifft, in dem die institutionellen Gegensätze zwischen Vorstand und Aktionären aufeinandertreffen, schlagen diese Bedenken im Ergebnis nicht durch. Allerdings besteht die Notwendigkeit zur Wahl eines Versammlungsleiters nicht selten deshalb, weil voraussehbar ist, dass eine spannungsgeladene Hauptversammlung bevorsteht und die nach der Satzung berufenen Versammlungsleiter nicht zur Verfügung stehen. Da die Spannungen und Kontroversen meist gerade in der Geschäftsverantwortung des Vorstands ihre Ursache haben, kann die vorläufige Versammlungsleitung durch den Vorstand nicht empfohlen werden. Hierdurch würde die Gefahr bestehen, dass die Kontroversen bereits bei der Wahl des Versammlungsleiters zum Ausbruch kommen. Die Übernahme der provisorischen Versammlungsleitung durch den protokollführenden Notar scheidet in jedem Fall aus29 und kann auch nicht durch die Satzung angeordnet werden.30 Dem Versammlungsleiter kommen nicht nur Ordnungsbefugnisse zu, sondern er hat auch Entscheidungen zum Ablauf des Verfahrens und Feststellungen über das Ergebnis der Wahl zu 26   Drinhausen in Hölters AktG, 3. Aufl. 2017, Anh. § 129 Rz. 2; Kubis in Münchner Komm. AktG, 4. Aufl. 2018 § 119 Rz. 111; Marsch-Barner in Marsch-Barner/Schäfer, Handbuch börsennotierte AG, 4. Aufl. 2018, Rz. 33.22; Wicke in Spindler/Stilz AktG, 3. Aufl. 2015, Anh. § 119 Rz. 3. 27   KG v. 6.12.2010 – 23 AktG 1/10 – „Vanguard AG“, AG 2011, 170, 172; Hüffer/Koch AktG, 13. Aufl. 2018, § 129 Rz. 20; Mülbert in Großkomm. AktG, 5. Aufl. 2017, § 129 Rz. 113; Theusinger/Schilha BB 2015, 131, 132. 28  Siehe Ziemons in K. Schmidt/Lutter, AktG, 3. Aufl. 2015, § 129 Rz. 55; wohl auch Wilsing/von der Linden ZIP 2009, 641, 644. 29   Anders § 116 Abs. 1 öAktG, das die provisorische Versammlungsleitung durch den protokollführenden Notar zwingend anordnet, sofern der Aufsichtsratsvorsitzende und sein Stellvertreter ausfallen. 30   KG v. 6.12.2010 – 23 AktG 1/10 – „Vanguard AG“, AG 2011, 170, 172; Ek Praxisleitfaden für die Hauptversammlung, 3. Aufl. 2018, Rz. 258; Marsch-Barner in Marsch-Barner/ Schäfer, Handbuch börsennotierte AG, 4. Aufl. 2018, Rz. 33.22; Wicke in Spindler/Stilz AktG, 3. Aufl. 2015, Anh. § 119 Rz. 2.

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treffen (§ 130 Abs. 2 Satz 1 AktG). Dies verträgt sich nicht mit der Rolle des Notars, der die Niederschrift über die Hauptversammlung zu führen hat.31 Andere Stimmen sehen die Versammlungsleitung für die Wahl des Versammlungsleiters der Hauptversammlung in der Verantwortung der Aktionäre und schlagen ausgehend von einem entsprechenden parlamentarischen Grundsatz eine Satzungsregelung vor, dass das älteste Mitglied die Versammlungsleitung übernimmt.32 Ein solcher Grundsatz ist im Aktienrecht jedoch nicht bekannt und auch nicht anzuerkennen. Angesichts der Bedeutung der Wirksamkeit der Wahl des Versammlungsleiters und der Tatsache, dass in einer Hauptversammlung mitunter bereits die Wahl des Versammlungsleiters die Gemüter der Beteiligten erhitzen kann und deshalb eine versierte Person die Leitung übernehmen sollte, ist dieser Vorschlag im Regelfall auch nicht zu empfehlen.33 Für die Satzung besteht hinsichtlich der Bestimmung der provisorischen Versammlungsleitung weitgehender Gestaltungsspielraum. Aus praktischen Gründen ist eine Satzungsregelung vorzugswürdig, die die vorläufige Versammlungsleitung dem Aktionär oder Aktionärsvertreter überträgt, der in der Hauptversammlung die meisten Stimmen vertritt. Sofern der Beschluss der Hauptversammlung über die Wahl des Versammlungsleiters im Wege der Klage erfolgreich angegriffen wird, lässt sich aus dem IKB-Urteil des BGH im Jahre 201334 ableiten, dass Mängel der Wahl nicht die Wirksamkeit der vom Versammlungsleiter festgestellten Hauptversammlungsbeschlüsse bewirken.35 3.  Gerichtliche Bestellung des externen Versammlungsleiters In Ausnahmefällen kommt auch die Bestellung des Versammlungsleiters durch das Gericht in Betracht. § 122 Abs. 3 Satz 2 AktG sieht ausdrücklich

31   KG 6.12.2010 – 23 AktG 1/10 – „Vanguard AG“, AG 2011, 170, 172; Hüffer/Koch AktG, 13. Aufl. 2018, § 129 Rz. 20; Mülbert in Großkomm. AktG, 5. Aufl. 2017, § 129 Rz. 110. 32   Wachter in Wachter AktG, 3. Aufl. 2014, § 129 Rz. 42; Ziemons in K. Schmidt/Lutter, AktG, 3. Aufl. 2015, § 129 Rz. 54; siehe auch LG Ravensburg v. 8.5.2014 – 7 O 51/13 KfH 1 – „Ehlebracht AG“, AG 2014, 910, 910, 911; früher bereits Eckardt in Geßler/Hefermehl/ Eckardt/Kropff, AktG, 1974 Vorb. § 118 Rz. 33; Rechtstatsachen bei Bayer/Hoffmann AG 2012, R339, 341. 33  Ebenso Herrler in Grigoleit, AktG, 2013, § 129 Rz. 26; Hoffmann-Becking NZG 2017, 281, 282; Hüffer/Koch AktG, 13. Aufl. 2018, § 129 Rz. 20; Marsch-Barner in MarschBarner/Schäfer Handbuch börsennotierte AG, 4. Aufl. 2018, Rz. 33.22; warnend auch Höreth AG 2011, R318. 34   BGH v. 19.2.2013 II ZR 56/12 – „IKB“, BGHZ 196, 195 Rn. 25. 35   Arnold/Gayk DB 2013, 1830, 1833; Hüffer/Koch AktG, 13. Aufl. 2018, § 129 Rz. 19; Kubis in Münchener Komm. AktG, 4. Aufl. 2018 § 119 Rz. 108; Tielmann/Gahr BB 2013, 1548, 1550; siehe zuvor bereits generell E. Vetter ZIP 2012, 701, 709.

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vor, dass das Gericht im Fall der Ergänzung der Tagesordnung auf Antrag eines Aktionärs oder im Fall der Einberufung einer Hauptversammlung durch einen Aktionär den Versammlungsleiter bestellen kann. Der Sinn dieser Regelung ist offenkundig. Kommt der Vorstand einem Einberufungsverlangen einer Minderheit nach § 122 Abs. 1 AktG nicht nach oder lässt er das Verlangen auf Ergänzung der Tagesordnung nach § 122 Abs. 2 AktG unbeachtet, ist der Minderheitsaktionär zwar berechtigt die Hauptversammlung einzuberufen bzw. selbst die Ergänzung der Tagesordnung bekannt zu machen. In diesem Fall bleibt aber gleichwohl die Frage offen, ob der von der Satzung vorgesehene Versammlungsleiter bei der Leitung der Hauptversammlung sowie der Behandlung des von dem Minderheitsaktionär durchgesetzten Tagesordnungspunkts die notwendige neutrale Versammlungsleitung aufbringt. In Übereinstimmung mit der obergerichtlichen Rechtsprechung36 hat das Oberlandesgericht Köln im Jahre 201537 unter Berufung auf § 122 Abs. 3 Satz 2 AktG die gerichtliche Bestellung eines externen Versammlungsleiters auch für den Fall anerkannt, dass bei einem Tagesordnungspunkt, der vom Vorstand im Wege des Ergänzungsverlangens nach 122 Abs. 2 AktG in die Tagesordnung aufgenommen worden war und sich der Antrag nach § 122 Abs. 3 Satz 1 AktG damit erledigt hatte. Das OLG hat es ausreichen lassen, dass „konkrete Anhaltspunkte“38 vorlagen, dass der von der Satzung vorgesehene Aufsichtsratsvorsitzende als Versammlungsleiter die Hauptversammlung nicht mit der notwendigen Unabhängigkeit und Neutralität führen würde bzw., dass er zu dem zusätzlichen Tagesordnungspunkt eine Beschlussfassung der Hauptversammlung nicht zulassen würde.39 Über den Wortlaut von § 122 Abs. 3 Satz 1 AktG hinaus wird man die gerichtliche Bestellung eines Versammlungsleiters als Notmaßnahme auch dann zulassen müssen, wenn die Satzung keinen Versammlungsleiter bestimmt und auf Grund der Stimmenverhältnisse in der Hauptversammlung absehbar oder zu besorgen ist, dass eine Beschlussmehrheit zur Wahl eines Versammlungsleiters nicht zustande kommt (Blockadesituation). Derartige gerichtliche Eingriffe in die inneren Verhältnisse der AG und das Selbstorganisationsrecht der Hauptversammlung können allerdings nur in seltenen

36   OLG Düsseldorf v. 11.4.2013 – I-3 Wx 36/13, AG 2013, 468, 469; OLG Hamburg v. 16.12.2011 – 11 W 89/11, AG 2012, 294; zustimmend Rieckers in Spindler/Stilz, AktG, 3. Aufl. 2015, § 122 Rz 57; Schatz EWiR 2015, 599, 600; strenger demgegenüber Theusinger/ Schilha NZG 2016, 56, 58. 37   OLG Köln v. 16.6.2015 – 18 Wx 1/15 – „STRABAG“, AG 2015, 716. 38   Siehe auch OLG Zweibrücken v. 3.12.1996 – 3 W 171/96, AG 1997, 140, 141. 39   Exemplarisch etwa OLG Karlsruhe v. 16.6.2014 – 11 Wx 49/14, ZIP 2015, 125, 127; siehe auch Butzke Die Hauptversammlung der AG, 5. Aufl. 2011, D Rz. 11.

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Ausnahmefällen in Betracht kommen; in der Publikumsaktiengesellschaft scheiden sie aus.40

IV.  Rechtliche Stellung des Versammlungsleiters 1. Aufgaben Das AktG enthält keine Vorschrift über die rechtliche Stellung des Versammlungsleiters der Hauptversammlung. Sie lässt sich deshalb nur indirekt aus seiner Funktion ableiten. Aufgabe des Versammlungsleiters der Hauptversammlung einer AG ist es für eine sach- und ordnungsgemäße Erledigung der Tagesordnung zu sorgen und entsprechende Hauptversammlungsbeschlüsse herbeizuführen.41 2.  Organstellung des Versammlungsleiters Das Landgericht Ravensburg hat im Jahre 200442 die Organeigenschaft des Leiters der Hauptversammlung ohne nähere Begründung aber in Übereinstimmung mit einem Teil des Schrifttums43 abgelehnt. Im Schrifttum ist die dogmatische Einordnung des Leiters der Hauptversammlung der AG umstritten. Legt man den im Gesellschaftsrecht maßgeblichen und von Schürnbrand als institutionell-funktional bezeichneten Organbegriff44 zugrunde, ist von einem Gesellschaftsorgan auszugehen, wenn es sich bei der fraglichen Einrichtung um einen Zuständigkeits- und Verantwortungskomplex dreht, dessen Existenz sich unmittelbar aus der Verbandsverfassung ergibt.45 Dies trifft auf den 40  Siehe auch Rieckers in Spindler/Stilz, AktG, 3. Aufl. 2015, § 122 Rz 57; a.A. AG Frankfurt/M v. 17.12.1987 – 72 AR 433/86, AG 1989, 38; LG Marburg v. 18.5.2005 – 4 T 2/05, AG 2005, 742, 743. 41   BGH v. 11.11.1965 – II ZR 122/63, BGHZ 44, 245, 251; Butzke Die Hauptversammlung der AG, 5. Aufl. 2011, D Rz. 19; Mülbert in Großkomm. AktG, 5. Aufl. 2017, § 129 Rz. 125; Schürnbrand Organschaft im Recht der privaten Verbände, 2007, S. 137. 42   LG Ravensburg v. 8.5.2014 – 7 O 51/13 KfH 1 – „Ehlebracht AG“, AG 2014, 910, 911; zustimmend z.B. Knapp/Lepperdinger DStR 2015, 1252, 1255; Theusinger/Schilha BB 2015, 131, 137; Wardenbach GWR 2014, 503. 43   Bachmann AG 1999, 210, 211 Fußn. 24; Bachmann EWiR 2000, 157, 158; Drinhausen/Marsch-Barner AG 2014, 757, 766; Kubis in Münchener Komm. AktG, 4. Aufl. 2018 § 119 Rz. 184; Marsch-Barner FS Brambring, 2011, S. 267, 271, 281; von der Linden NZG 2013, 208, 210; Pliquett Die Haftung des Hauptversammlungsleiters, 2015, S. 102; Reger in Bürgers/Körber, AktG, 4. Aufl. 2017, § 129 Rz. 48a; Theusinger/Schilha BB 2015, 131, 136. 44   Schürnbrand Organschaft im Recht der privaten Verbände, 2007, S. 44; Schürnbrand NZG 2014, 1211, 1212. 45   Siehe z.B. Flume Die juristische Person, 1983, S. 377; Schürnbrand Organschaft im Recht der privaten Verbände, 2007, S. 43.

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Leiter der Hauptversammlung zu.46 Ungeachtet der spärlichen normativen Grundlagen der Aufgaben und Rechte des Versammlungsleiters der Hauptversammlung ist er doch eine vom AktG stillschweigend vorausgesetzte und zwingend erforderliche Einrichtung, die aus eigenem Recht weisungsfrei die Leitung der Hauptversammlung wahrnimmt und bei der Beschlussfeststellung unmittelbar für die Gesellschaft tätig wird.47 Der Versammlungsleiter wird durch körperschaftsrechtlichen Organisationsakt in sein Amt berufen, dessen gesetzlich vorgesehene Zuständigkeiten durch die Satzung nicht geändert werden können.48 Der Versammlungsleiter ist sowohl Wächter als auch Vollzieher des Funktionsauftrags Hauptversammlung,49 denn ohne ihn können von ihr keine wirksamen Beschlüsse gefasst werden.50 Zum gleichen Ergebnis gelangt man, wenn man den vom BGH in mehreren Entscheidungen angewandten Organbegriff zugrunde legt, der auf die organisatorische Eingliederung der Einrichtung und die Wahrnehmung von Aufgaben für die Gesellschaft abstellt.51 Die Integration des Leiters der Hauptversammlung in die Verbandsordnung ist – unabhängig von der Art, wie er in sein Amt berufen ist – offensichtlich. Die Leitung der Versammlung der Verbandsmitglieder und die Feststellung ihres durch Beschlussfassung gebildeten Willens ist seine zentrale Aufgabe. Mit der Verkündung der Hauptversammlungsbeschlüsse tritt der Versammlungsleiter zudem als Vertreter im Außenverhältnis auf.52 Die Organstellung des Leiters der Hauptversammlung wird als korporatives Rechtsverhältnis zur Gesellschaft mit der Annahme des Amtes begründet.53 Daneben wird zwischen der Gesellschaft und dem Versammlungsleiter 46   Heidel in Heidel Aktienrecht und Kapitalmarktrecht, 4. Aufl. 2014, vor §§ 129–132 Rz. 18; Mülbert in Großkomm. AktG, 5. Aufl. 2017, § 129 Rz. 124; Poelzig AG 2015, 476, 478; Reinicke Rechtsstellung, Rechte und Pflichten des Vorsitzenden einer Hauptversammlung, Diss. Hamburg 1982, S. 25; Schürnbrand Organschaft im Recht der privaten Verbände, 2007, S. 146; Schürnbrand NZG 2014, 1211, 1212. 47   Reinicke Rechtsstellung, Rechte und Pflichten des Vorsitzenden einer Hauptversammlung, Diss. Hamburg 1982, S. 25; Schürnbrand Organschaft im Recht der privaten Verbände, 2007, S. 142; siehe aber Pliquett Die Haftung des Hauptversammlungsleiters, 2015, S. 100. 48   Schürnbrand Organschaft im Recht der privaten Verbände, 2007, S. 146. 49   Martens WM 1981, 1010. 50   Heidel in Heidel Aktienrecht und Kapitalmarktrecht, 4. Aufl. 2014, vor §§ 129–132 Rz. 18; Mülbert in Großkomm. AktG, 5. Aufl. 2017, § 129 Rz. 124; Poelzig AG 2015, 476, 478; Reinicke Rechtsstellung, Rechte und Pflichten des Vorsitzenden einer Hauptversammlung, Diss. Hamburg 1982, S. 36; Schürnbrand Organschaft im Recht der privaten Verbände, 2007, S. 146; Schürnbrand NZG 2014, 1211, 1212; Stützle/Walgenbach ZHR 155 (1991), 516, 521. 51   BGH v. 15.12.1954 – II ZR 322/53, BGHZ 16, 17, 25; BGH v. 25.2.1965 – II ZR 287/63, BGHZ 43, 261, 263; BGH v. 6.3.1997 – II ZB 4/96, 135, 48, 52; ebenso Flume Die juristische Person, 1983, S. 377. 52   Schürnbrand NZG 2014, 1211, 1212. 53   Poelzig AG 2015, 476, 479; Reger in Bürgers/Körber, AktG, 4. Aufl. 2017, § 129 Rz. 48a; Schürnbrand NZG 2014, 1211, 1212; Theusinger/Schilha BB 2015, 131, 138; Har-

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unabhängig davon, auf welcher Grundlage er sein Amt übernommen hat, ein gesetzliches Schuldverhältnis mit auftragsähnlichem Inhalt begründet,54 aus dem sich besondere Rechte und Pflichten ergeben.55 Insofern ist durchaus eine Parallele zur Situation des Aufsichtsratsmitglieds gegeben, das nach zutreffender Ansicht ebenfalls in einem korporativen wie einem gesetzlichen Schuldverhältnis zur Gesellschaft steht.56 Davon zu unterscheiden ist die Frage, ob das gesetzliche Schuldverhältnis durch vertragliche Regelungen hinsichtlich der Vergütung und Haftung ergänzt wird bzw. ergänzt werden darf.57 Ob sich aus der Anerkennung der Organeigenschaft des Versammlungsleiters der Hauptversammlung ein weiterer konkreter Erkenntnisgewinn ableiten lässt, wird später zu erörtern sein.58 3.  Befugnisse des Versammlungsleiters Auf Grund seines Amtes stehen dem Versammlungsleiter der Hauptversammlung nach vorherrschender Ansicht die Leitungs- und Ordnungsbefugnisse zu, die er braucht, um seine Aufgabe ordnungsgemäß erfüllen zu können.59 Diese Befugnisse kommen dem Versammlungsleiter kraft Gesetzes aus eigenem Recht zu, ohne dass es insoweit eines entsprechenden Hauptvernos AG 2015, 732, 740 zum Unterzeichner der HV-Niederschrift i.S.v. § 130 Abs. 1 Satz 1 AktG; wohl auch von der Linden NZG 2013, 208, 211; a.A. Heidel in Heidel Aktienrecht und Kapitalmarktrecht, 4. Aufl. 2014, vor §§ 129–132 Rz. 71; Pliquett Die Haftung des Hauptversammlungsleiters, 2015, S. 119 bei gerichtlicher Bestellung. 54  Ebenso Drinhausen/Marsch-Barner AG 2014, 757, 767; Poelzig AG 2015, 476, 479; Reger in Bürgers/Körber, AktG, 4. Aufl. 2017, § 129 Rz. 48a; a.A. LG Ravensburg v. 8.5.2014 – 7 O 51/13 KfH 1 – „Ehlebracht AG“, AG 2014, 910, 911; Heidel in Heidel Aktienrecht und Kapitalmarktrecht, 4. Aufl. 2014, vor §§ 129–132 Rz. 71. 55   Z.B. ordentliche und gewissenhafte Ausführung, § 276 Abs. 1 BGB; Auskunftspflicht, § 666 BGB; Herausgabepflicht, § 667 BGB; Aufwendungsersatz, § 670 BGB. 56   E. Vetter in Marsch-Barner/Schäfer, Handbuch börsennotierte AG, 4. Aufl. 2018, Rz. 29.2; siehe aber auch mit Unterschieden im Einzelnen Habersack in Münchener Komm. AktG, 4. Aufl. 2014 § 101 Rz. 67; Hopt/Roth in Großkomm. AktG, 4. Aufl. 2005, § 101 Rz. 92 ff.; Hüffer/Koch AktG, 13. Aufl. 2018, § 101 Rz. 2. 57   Siehe dazu unten unter V. und VII. 58   Siehe unten unter VII.2. 59  BGH v. 8.2.2010 – II ZR 94/08 – „Biotest“, BGHZ 184, 239 Rn. 16; BGH v. 11.11.1965 – II ZR 122/63, BGHZ 44, 245, 248; OLG Frankfurt/M v. 20.10.2010 – 23 U 121/08 – „Deutsche Bank“, AG 2011, 36, 41; OLG Frankfurt/M v. 8.2.2006 – 12 W 185/05 – „T-Online International“, AG 2006, 249, 251; LG Stuttgart v. 27.4.1994 – 7 KfH O 122/93 – „Daimler-Benz“, AG 1994, 425; LG Frankfurt/M v. 22.2.1984 – 3/9 O 123/83, AG 1984, 192, 194; Butzke Die Hauptversammlung der AG, 5. Aufl. 2011, D Rz. 20; Herrler in Grigoleit, AktG, 2013, § 129 Rz. 29; Hüffer/Koch AktG, 13. Aufl. 2018, § 129 Rz. 22; Kubis in Münchener Komm. AktG, 4. Aufl. 2018 § 119 Rz. 124; Martens WM 1981, 1010; Mülbert in Großkomm. AktG, 5. Aufl. 2017, § 129 Rz. 125; Schürnbrand Organschaft im Recht der privaten Verbände, 2007, S. 137.

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sammlungsbeschlusses bedarf.60 Aus diesem Grund ist es auch unbeachtlich, auf welchem Weg der Versammlungsleiter in sein Amt berufen worden ist. Die Hauptversammlung kann ihm seine Befugnisse weder beschneiden noch diese an sich ziehen. In der Sache handelt es sich bei den Kompetenzen des Versammlungsleiters um ein Bündel von Leitungs- und Ordnungsbefugnissen, wie z.B. die Eröffnung und Schließung der Hauptversammlung, die Leitung der Debatte und der Abstimmung sowie der Feststellung der Beschlüsse, die Behandlung von Anträgen sowie Ordnungsmaßnahmen bei Störungen bis hin zum Saalverweis.61 Was die Ausübung seiner Befugnisse anbetrifft, hat sie der Versammlungsleiter nach pflichtgemäßem Ermessen62 wahrzunehmen und dabei den Grundsatz der Neutralität, das Gebot der Gleichbehandlung und Sachdienlichkeit und das Verhältnismäßigkeitsprinzip zu beachten.63 4.  Besondere Entscheidungssituation des Versammlungsleiters Bei vielen Leitungs- und Ordnungsmaßnahmen des Leiters der Hauptversammlung ist ihm nach herrschender Ansicht Ermessen eingeräumt, das er pflichtgemäß und nach den vorgenannten Kriterien auszurichten hat.64 Das Ermessen hat er sachgerecht auszuüben.65 Zur Vermeidung von Missverständnissen ist klarzustellen, dass es sich hierbei nicht um unternehmerisches Ermessen handelt, wie es dem Vorstand gemäß §§ 76 und 93 Abs. 1 Satz 2

60   Heidel in Heidel Aktienrecht und Kapitalmarktrecht, 4. Aufl. 2014, vor §§ 129–132 Rz. 18; Herrler in Grigoleit, AktG, 2013, § 129 Rz. 29; Kubis in Münchener Komm. AktG, 4. Aufl. 2018, § 119 Rz. 124; Marsch-Barner in Marsch-Barner/Schäfer, Handbuch börsennotierte AG, 4. Aufl. 2018, Rz. 33.24; Mülbert in Großkomm. AktG, 5. Aufl. 2017, § 129 Rz. 125; Schürnbrand Organschaft im Recht der privaten Verbände, 2007, S. 144; Stützle/ Walgenbach ZHR 155 (1991), 516, 520. 61   Siehe z.B. Butzke Die Hauptversammlung der AG, 5. Aufl. 2011, D Rz. 19 ff.; Drinhausen in Hölters AktG, 3. Aufl. 2017, Anh. § 129 Rz. 7 ff.; Martens Leitfaden für die Leitung der Hauptversammlung einer AG, 3. Aufl. 2003, S. 456 ff.; Ziemons in K. Schmidt/ Lutter, AktG, 3. Aufl. 2015, § 129 Rz. 65 ff. 62   BGH v. 8.2.2010 – II ZR 94/08 – „Biotest“, BGHZ 184, 239 Rn. 18, 21 und 22; Wicke NZG 2007, 771; wohl auch von der Linden NZG 2013, 208, 211. 63   BGH v. 8.2.2010 – II ZR 94/08 – „Biotest“, BGHZ 184, 239 Rn. 16; OLG Frankfurt/M v. 20.10.2010 – 23 U 121/08 – „Deutsche Bank“, AG 2011, 36, 40; Ek Praxisleitfaden für die Hauptversammlung, 3. Aufl. 2018, Rz. 273; Hüffer/Koch AktG, 13. Aufl. 2018, § 129 Rz. 22; Kubis in Münchener Komm. AktG, 4. Aufl. 2018, § 119 Rz. 122; Marsch-Barner FS Brambring, 2011, S. 267, 275; Wicke in Spindler/Stilz AktG, 3. Aufl. 2015, Anh. § 119 Rz. 5; Ziemons in K. Schmidt/Lutter, AktG, 3. Aufl. 2015, § 129 Rz. 63. 64   BGH v. 8.2.2010 – II ZR 94/08 – „Biotest“, BGHZ 184, 239 Rn. 22; Marsch-Barner in Marsch-Barner/Schäfer, Handbuch börsennotierte AG, 4. Aufl. 2018, Rz. 33.29a; Wicke in Spindler/Stilz AktG, 3. Aufl. 2015, Anh. § 119 Rz. 5. 65   BGH v. 8.2.2010 – II ZR 94/08 – „Biotest“, BGHZ 184, 239 Rn. 22.

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AktG eingeräumt ist.66 Der Leiter der Hauptversammlung hat keine unternehmerischen Entscheidungen zu treffen, auch wenn eine gewisse Parallelität nicht zu leugnen ist, die sich daraus ergibt, dass er nicht selten Entscheidungen „unter Unsicherheit“ zu tätigen hat. Mitunter hat der Versammlungsleiter auch offene Sach- und Rechtsfragen zu beurteilen und zu entscheiden, die in der Kürze der zur Verfügung stehenden Zeit weder in sachlicher noch in rechtlicher Hinsicht mit hinreichender Gewissheit geklärt werden können. Seine Entscheidung ist dabei oftmals für die Wirksamkeit des Hauptversammlungsbeschlusses von ausschlaggebender Bedeutung. Bei der Beurteilung einer Rechtsfrage steht dem Versammlungsleiter kein Ermessen zu. Ob die gesetzlichen oder satzungsmäßigen Voraussetzungen vorliegen, um eine bestimmte Entscheidung hinsichtlich der Rechte der Aktionäre oder des Verlaufs der Hauptversammlung treffen zu dürfen, richtet sich nach der objektiven Rechtslage und nicht nach dem Ermessen des Versammlungsleiters. Gleichwohl muss ihm ein gewisser Beurteilungsspielraum eingeräumt werden, innerhalb dessen seine Entscheidung einer gerichtlichen Überprüfung nur eingeschränkt offensteht.67 Ob ein Aktionär generell teilnahme- und stimmberechtigt ist oder nicht68 (z.B. Vorlage einer wirksamen Vollmacht im Fall der Vertretung, ordnungsgemäße Mitteilung nach § 20 Abs. 1 oder 4 AktG oder §§ 33, 38 WpHG69), ob ihm wegen eines Interessenkonflikts in einer konkreten Beschlussfassung das Stimmrecht nach § 136 AktG zu versagen ist70 oder ob etwa ein Antrag auf Durchführung einer Sonderprüfung nach § 142 AktG, auf Geltendmachung von Ersatzansprüchen nach § 147 AktG und auf Bestellung eines besonderen Vertreters ausreichend substantiiert ist,71 lässt sich in der Hauptversammlung ad hoc oftmals nicht befriedigend klären. Gleichwohl muss der Versammlungsleiter in der Hauptversammlung kurzfristig, spätestens vor der Abstimmung eine Entscheidung treffen. Entsprechendes gilt, wenn es z.B. um die Frage geht, ob ein konkreter Beschlussantrag eines Aktionärs noch von der bekanntgemachten Tagesordnung gedeckt ist und damit über ihn abgestimmt werden darf oder nicht.

66  Ebenso Gehling/Pickert in Semler/Volhard/Reichert, Arbeitshandbuch für die Hauptversammlung, 4. Aufl. 2018, § 9 Rz. 7; Pliquett Die Haftung des Hauptversammlungsleiters, 2015, S. 73; Poelzig AG 2015, 476, 479; Schürnbrand NZG 2014, 1211, 1213. 67  Ebenso Schürnbrand NZG 2014, 1211, 1213. 68   Drinhausen/Marsch-Barner AG 2014, 757, 759; Heidel in Heidel Aktienrecht und Kapitalmarktrecht, 4. Aufl. 2014, vor §§ 129–132 Rz. 23. 69   Siehe z.B. VG Frankfurt v. 4.11.2015 – 7 K 4703/15, ZIP 2015, 165, 168 zu §§ 21, 25 WpHG a.F. 70   Drinhausen/Marsch-Barner AG 2014, 757, 761; OLG Köln v. 9.3.2017 – 18 U 19/16 – „STRABAG“, ZIP 2017, 1211, 1218. 71   Beispielhaft OLG Köln v. 9.3.2017 – 18 U 19/16 – „STRABAG“, ZIP 2017, 1211, 1215; LG Köln v. 14.1.2016 – 91 O 31/15 – „STRABAG“, AG 2016, 513, 514.

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Nach welchen Maßstäben der Versammlungsleiter die offenen Fragen zu entscheiden hat, ist nicht abschließend geklärt. Im Zusammenhang mit der Frage ordnungsgemäßer Stimmrechtsmitteilungen nach § 20 AktG oder §§ 33 und 38 WpHG ist etwa die Entscheidung des OLG Stuttgart zu nennen. Danach sind die Leitungsorgane der AG verpflichtet, im Grundsatz dafür zu sorgen, dass in der Hauptversammlung keine Rechte aus Aktien ausgeübt werden, die nicht bestehen.72 Nachforschungspflichten sind jedoch nur bei entsprechendem Anlass gegeben. Diese Pflichten treffen, soweit sich entsprechende Zweifel am Tag der Hauptversammlung einstellen, auch den Leiter der Hauptversammlung.73 Wenig weiterführend ist in diesem Zusammenhang die Ansicht, der Versammlungsleiter habe seine Entscheidung an der Prognose auszurichten, wie ein etwaiger Anfechtungsprozess gegen den entsprechenden Hauptversammlungsbeschluss ausgehen würde.74 Eine belastbare Prognose über den Ausgang eines Anfechtungsverfahrens lässt sich z.B. im Fall des umstrittenen Teilnahme- und Stimmrechts eines Aktionärs kaum abgeben. Wenn das Teilnahme- und Stimmrecht zu Unrecht verwehrt wurde, droht die Anfechtungsklage durch den betroffenen Aktionär; wird es zu Unrecht gewährt, ist mit Anfechtungsklagen der übrigen Aktionäre zu rechnen.

V.  Die Vergütung des externen Versammlungsleiters 1.  Vertragliche Abreden zur Übernahme der Versammlungsleitung Ob neben dem korporativen Rechtsverhältnis zwischen dem Versammlungsleiter und der Gesellschaft sowie dem ergänzenden gesetzlichen Schuldverhältnis75 noch ein vertragliches Verhältnis besteht, hängt von den Umständen des Einzelfalls ab. Nicht selten steht bereits geraume Zeit vor dem Tag der Hauptversammlung fest, dass die nach der Satzung zur Leitung der Hauptversammlung berufene Person wie auch die ersatzweise berufenen Personen nicht als Versammlungsleiter zur Verfügung stehen oder nicht zur Versammlungsleitung bereit sind. In diesem Fall ist typischerweise der Vorstand bestrebt, frühzeitig eine geeignete Person für die Aufgabe des Versammlungsleiters zu gewin-

  OLG Stuttgart v. 15.10.2007 – 20 U 19/07 – „Dr. Scheller Cosmetics“, AG 2008, 124,

72

128.

73   Brellochs AG 2016, 157, 168; Butzke Die Hauptversammlung der AG, 5. Aufl. 2011, E Rz. 48; Drinhausen/Marsch-Barner AG 2014, 757, 761; Schilha in Bürgers/Körber, AktG, 4. Aufl. 2017, § 26 WpHG Rz. 3. 74   Martens Leitfaden für die Leitung der Hauptversammlung einer AG, 3. Aufl. 2003, S. 39. 75   Siehe oben IV.2.

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nen, die dann der Hauptversammlung zur Wahl vorgeschlagen werden kann. Gelegentlich geht die Initiative aber auch von einem Aktionär aus, der ein verständliches Interesse daran hat, dass die Hauptversammlung ohne Komplikationen vonstattengeht und ihre Beschlüsse nicht wegen Verfahrensfehlern dem Risiko der Anfechtbarkeit ausgesetzt sind. Zwangsläufig kommt dabei auch die Frage der Vergütung der Tätigkeit zur Sprache, da die Leitung einer Hauptversammlung keine kraft Gesetzes vergütungspflichtige Tätigkeit darstellt und die Satzung dazu keine Bestimmung enthält. Bei Übernahme der Versammlungsleitung durch einen erfahrenen Rechtsanwalt, was in der Praxis der häufigste Fall der externen Versammlungsleitung ist, wird regelmäßig eine Vergütung vereinbart. 2.  Auftraggeber des Versammlungsleiters a) Aktionär Beruht die Übernahme des Amtes des externen Versammlungsleiters auf einer Initiative eines Aktionärs – typischerweise eines maßgeblich beteiligten Aktionärs – sei es, dass z.B. ein entsprechend erfahrener Rechtsanwalt von der Hauptversammlung auf Vorschlag des Aktionärs gewählt wird oder dass die beantragte gerichtliche Bestellung nach § 122 Abs. 3 Satz 2 AktG auf einen Vorschlag des Aktionärs zurückgeht, wird die Vergütung regelmäßig von dem Aktionär geschuldet. Der Vergütungsanspruch des Versammlungsleiters beruht auf dem zugrundeliegenden Geschäftsbesorgungsvertrag zwischen ihm und dem Aktionär (§ 675 BGB).76 Für die Rechtsbeziehung zwischen der AG und dem Versammlungsleiter hat dies keine Relevanz. b)  Gerichtliche Bestellung Im Fall seiner gerichtlichen Bestellung nach § 122 Abs. 3 Satz 2 AktG steht dem Versammlungsleiter gegen die Gesellschaft kein Vergütungsanspruch zu.77 Allerdings hat der der antragstellende Aktionär nach Durchführung der Hauptversammlung gemäß § 122 Abs. 4 AktG einen Kostenerstattungsanspruch gegen die Gesellschaft, der unter anderem auch die Vergütung für den externen Versammlungsleiter umfasst.78

76   Von der Linden NZG 2013, 208, 210; Marsch-Barner FS Brambring, 2011, S. 267, 281; Pliquett Die Haftung des Hauptversammlungsleiters, 2015, S. 118. 77   Von der Linden NZG 2013, 208, 211; Pliquett Die Haftung des Hauptversammlungsleiters, 2015, S. 117; a.A. Poelzig AG 2015, 476, 479. 78  Ebenso Kubis in Münchner Komm. AktG, 4. Aufl. 2018 § 122 Rz. 73; von der Linden NZG 2013, 208, 211; Noack/Zetzsche in Kölner Komm. AktG, 3. Aufl. 2011, § 122 Rz. 126; Werner in Großkomm. AktG, 4. Aufl. 1993, § 122 Rz. 78.

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c)  Aufsichtsratsvorsitzender oder Aufsichtsrat Steht dem Aufsichtsratsvorsitzenden nach der Satzung das Recht zur Benennung des Versammlungsleiters zu oder obliegt die Aufgabe dem Aufsichtsrat als Kollegialorgan, ist auch die Zuständigkeit und Vertretungsmacht des Aufsichtsratsvorsitzenden bzw. des Aufsichtsrats gegeben, um die unternehmensexternen Person mit der Versammlungsleitung zu betrauen und mit ihr im Namen der AG die Honorarabrede zu treffen; insoweit liegt eine aus der Satzung abgeleitete und mit der Funktion verbundene Annexkompetenz vor. Der Vergütungsanspruch des Versammlungsleiters gegenüber der Gesellschaft folgt aus dem mit der Annahme des Amtes begründeten Geschäftsbesorgungsvertrag gemäß §§ 632 i.V.m. 675 BGB; insoweit wird das gesetzliche Schuldverhältnis ergänzt. d) Vorstand Besondere Gesichtspunkte sind zu berücksichtigen, wenn der Vorstand die Person aussucht, die der Hauptversammlung zu Wahl zum Versammlungsleiter vorgeschlagen wird. Der Vorstand hat im Rahmen seiner Verantwortung gemäß § 121 Abs. 2 AktG die notwendigen Vorkehrungen für die Hauptversammlung zu treffen, was unter anderem auch den Abschluss von Verträgen mit entsprechenden Dienstleistern einschließt. Zweifel bestehen jedoch, ob die gesetzliche Vertretungsmacht des Vorstands überhaupt zum Vertragsabschluss mit dem vorgesehenen Versammlungsleiter berechtigt, denn die Gestellung eines Versammlungsleiters ist keine Angelegenheit der Gesellschaft. Darüber hinaus ergeben sich weitere Bedenken. Handelt es sich bei der Person um den Rechtsberater des Vorstands, bestehen hinsichtlich der neutralen Verhandlungsführung grundsätzlich dieselben Bedenken, wie sie sich auch gegenüber dem Vorstand als Leiter der Hauptversammlung ins Feld führen lassen,79 und zwar unabhängig davon, ob der Rechtsberater den Vorstand zu einzelnen Punkten der Tagesordnung bereits konkret beraten hat (§ 43a Abs. 4 BRAO) oder nicht.80 Im Hinblick auf die generelle Rechenschaftspflicht des Vorstands sowie seine Auskunftspflicht gegenüber den Aktionären nach § 131 AktG ist der vom Vorstand im Namen der Gesellschaft beauftragte Versammlungsleiter hinsichtlich seiner Neutralität und Unabhängigkeit in gleicher Weise Zweifeln ausgesetzt wie die Mitglieder des Vorstands selbst. Die Besorgnis der Befangenheit kommt im Übrigen in glei-

79  Siehe z.B. Hoffmann-Becking in Münchener Hdb AG 4. Aufl. 2015, § 37 Rz. 35; von der Linden NZG 2013, 208, 209; Mülbert in Großkomm. AktG, 5. Aufl. 2017, § 129 Rz. 110; Wilsing/von der Linden ZIP 2009, 641, 644; siehe aber auch OLG Hamburg v. 19.5.1989 – 11 U 62/89, AG 1990, 394, 396. 80   A.A. wohl Wilsing/von der Linden ZIP 2009, 641, 649.

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cher Weise zum Tragen, wenn der Vorstand eine neutrale Person beauftragt, die Versammlungsleitung zu übernehmen und mit ihr im Namen der AG die Honorarabrede trifft. Angesichts der geschilderten Bedenken und zur Vermeidung von Anfechtungsrisiken kann deshalb nicht empfohlen werden, die Mandatierung der für die Versammlungsleitung vorgesehen Person durch den Vorstand vorzunehmen. Keine Bedenken bestehen jedoch, wenn der Vorstand die von einem Aktionär bezahlte Vergütung eines Versammlungsleiters erstattet. 3.  Beschluss der Hauptversammlung Keine realistische Alternative ist die Hauptversammlung mit der Festlegung der Vergütung des von ihr zu wählenden Versammlungsleiters zu befassen, auch wenn insoweit keine Zweifel an ihrer Zuständigkeit bestehen.81 Entscheidend ist aber, dass die Wahl des Versammlungsleiters zu Beginn der Versammlung zügig und ohne langwierige Diskussion durchgeführt werden muss, um schnellstens die Behandlung der Tagesordnung aufnehmen zu können. Es ist indessen kaum zu erwarten, dass die Beschlussfassung der Hauptversammlung zur Festlegung der Vergütung des Versammlungsleiters ohne zeitraubende Diskussion erfolgen wird. Die Befassung der Hauptversammlung mit der Beschlussfassung über die Vergütung des Versammlungsleiters scheidet deshalb aus praktischen Gründen ebenfalls aus. Es wäre zulässig, die Vergütung des externen Versammlungsleiters in der Satzung zu regeln.82 In der Unternehmenspraxis lassen sich entsprechende Regelungen allerdings nicht finden. Dies ist nicht verwunderlich. Die angemessene Vergütung des externen Versammlungsleiters lässt sich abstrakt nur schwer bemessen, da die Höhe der Vergütung sehr von der konkreten Situation in der bevorstehenden Hauptversammlung abhängt. In der Praxis wird sich die Vergütung eines externen Versammlungsleiters, der anstelle des plötzlich erkrankten Aufsichtsratsvorsitzenden eine Hauptversammlung mit unspektakulärer Tagesordnung zu leiten hat, meist deutlich von der Vergütung für die Leitung einer Hauptversammlung unterscheiden, die z.B. von Minderheitsverlangen nach § 122 Abs. 1 und 2 AktG, verfeindeten Aktionärslagern und rechtlich umstrittenen Beschlussgegenständen geprägt ist. Vor diesem Hintergrund scheidet die Festlegung der Vergütung des Versammlungsleiters in der Satzung aus praktischen Gründen aus.

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  Ebenso OLG Köln v. 31.1.2013 – 18 U 21/12 – „Solarworld“, ZIP 2013, 516, 519.   OLG Köln v. 31.1.2013 – 18 U 21/12 – „Solarworld“, ZIP 2013, 516, 519.

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VI.  Entscheidungsszenario des Versammlungsleiters 1.  Entscheidungsnot des Versammlungsleiters Der Versammlungsleiter der Hauptversammlung übt ein wichtiges Amt aus und trägt große Verantwortung hinsichtlich des ordnungsgemäßen Ablaufs der Hauptversammlung und der Bestandskraft der Hauptversammlungsbeschlüsse. Fehleinschätzungen, wie z.B. die unberechtigte Ablehnung des Stimmrechts eines Aktionärs wegen vermeintlicher treuwidriger Stimmabgabe83 oder nach § 20 Abs. 7 AktG bzw. § 44 Abs. 1 Satz 1 WpHG wegen vermeintlicher Verletzung von Mitteilungspflichten, die (objektiv) unzulässige Anerkennung des Stimmrechts des Aktionärs wegen falscher Beurteilung des Vorliegens eines Stimmrechtsverlustes, das Übersehen der Wortmeldung eines Aktionärs oder der unberechtigte Wortentzug können für die AG gravierende rechtliche und wirtschaftliche Folgen auslösen, wenn der Hauptversammlungsbeschluss erfolgreich angefochten wird.84 Gleiches gilt, wenn der Versammlungsleiter bei der Abstimmung die Stimmabgabe eines Aktionärs irrtümlich nicht berücksichtigt hat. Die Gefahr, dass dem Versammlungsleiter trotz sorgfältiger Vorbereitung Fehler bei der Leitung unterlaufen, ist nicht zu vernachlässigen. Entscheidungen müssen typischerweise ad hoc und unter hohem Zeitdruck sowie nicht selten in angespannter und hektischen Atmosphäre85 getroffen werden. Sie lassen regelmäßig keine umfassende Klärung der Sach- und Rechtslage und der bestehenden Handlungsalternativen zu. Die Notwendigkeit zu Adhoc-Entscheidungen unter hohem Zeitdruck und begrenzten Ressourcen sind ein immanentes Merkmal der Leitung einer Hauptversammlung, das zum Schutz der Versammlungsleitung wie auch bei der Frage der persönlichen Verantwortung des Hauptversammlungsleiters, nicht unberücksichtigt bleiben darf.86 Er trifft seine Entscheidungen zudem im Unterschied z.B. zum Aufsichtsrat nicht im Gremium, sondern allein; insoweit kann durchaus von der Einsamkeit des Versammlungsleiters gesprochen werden. Der unternehmensexterne Versammlungsleiter sieht sich neben dem generellen hohen Entscheidungsdruck erschwerten Arbeitsbedingungen ausgesetzt. Während der Aufsichtsratsvorsitzende als satzungsmäßiger Versammlungsleiter üblicherweise die in der Hauptversammlung zu erwartenden Kontroversen und Schwierigkeiten kennt und mit der Organisation sowie   Marsch-Barner ZHR 157 (1995), 172, 189.  Weitere Beispiele bei Pliquett Die Haftung des Hauptversammlungsleiters, 2015, S. 51 ff. 85   BGH v. 20.3.1995 – II ZR 205/94 – „Girmes“, BGHZ 129, 136, 163; siehe auch Butzke Die Hauptversammlung der AG, 5. Aufl. 2011, D Rz. 6; Max AG 1991, 77, 94; Schürnbrand NZG 2014, 1211, 1213; für Unbeachtlichkeit hingegen von der Linden NZG 2013, 208, 211. 86   Poelzig AG 2015, 476, 483 und 485; Schürnbrand NZG 2014, 1211, 1213. 83 84

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den Beratern der Gesellschaft vertraut ist und sich weitgehend auf deren Prüfungsergebnisse und Handlungsempfehlungen verlassen darf, trifft dies für den externen Versammlungsleiter nicht in gleicher Weise zu. Typischerweise kennt er die Berater und Mitarbeiter der Gesellschaft nicht. Ist er z.B. auf Grund eines Minderheitsantrags nach § 122 Abs. 3 Satz 2 AktG vom Gericht zum Versammlungsleiter ernannt worden, kann er sich auch nicht automatisch auf die vertrauensvolle Zusammenarbeit mit den Mitarbeitern und Beratern der Gesellschaft und deren Expertise verlassen und auf die Unterstützung durch das Back-office vertrauen, sondern muss oftmals die notwendigen Entscheidungen ohne entsprechende Vorarbeiten alleine treffen. Der umsichtige unternehmensexterne Versammlungsleiter wird deshalb im Regelfall unabhängig von den Mitarbeitern und Beratern der Gesellschaft ausschließlich oder zumindest auch auf einen Stab eigener Berater zurückzugreifen. 2.  Entscheidungen des Versammlungsleiters bei rechtlicher Unsicherheit Nicht selten steht der Versammlungsleiter vor dem Problem, dass eine bestimmte für die Durchführung der Hauptversammlung relevante Rechtsfrage höchstrichterlich noch nicht entschieden ist und in der Hauptversammlung auch nicht befriedigend geklärt werden kann oder die tatsächlichen Voraussetzungen einer bestimmten Rechtsnorm mangels ausreichender Informationen nicht festgestellt werden können. Damit fehlt eine klare gesicherte rechtliche Grundlage, auf die sich der Versammlungsleiter angesichts des ungeklärten Rechtsproblems bei seiner Entscheidung stützen kann. Auch wenn nach ständiger BGH-Rechtsprechung der Schuldner das Risiko des Verkennens der Rechtslage zu tragen hat,87 dürfen in der besonderen Entscheidungssituation der Hauptversammlung die Anforderungen an die objektive Sorgfalt des Versammlungsleiters bei unklarer Rechts- und Sachlage nicht zu hoch angesetzt werden.88 Der Umstand, dass der nach der Entscheidung des Versammlungsleiters von der Hauptversammlung gefasste Beschluss ex post im Anfechtungsverfahren vor Gericht keinen Bestand hat, erlaubt keinen zwingenden Rückschluss auf eine fehlerhafte und sorgfaltswidrige Versammlungsleitung. Die Problematik weist eine gewisse Parallele mit der Entscheidungslage der Unternehmensleitung bei unklarer Rechtslage auf. Im Jahre 2008 hatte 87   BGH v. 15.1.2013 – II ZR 44/12, Juris Rn 16; BGH v. 20.9.2011 – II ZR 234/09 – „ISION“, AG 2011, 876 Rn. 16; BGH v. 29.6.2010 – XI ZR 308/09, ZIP 2010, 1335; BGH v. 12.7. 2006 – X ZR 157/05, WM 2006, 2011; BGH v. 11.1.1984 – VIII ZR 255/82, BGHZ 89, 296, 303. 88   Im Grundsatz auch Hüffer/Koch AktG, 13. Aufl. 2018, § 129 Rz. 23; siehe auch Tielmann/Gahr AG 2016, 199, 206; demgegenüber aber OLG München v. 27.8.2008 – 7 U 5678/08, AG 2008, 864, 865.

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der BGH entschieden, dass für die Beurteilung einer Pflichtverletzung des Geschäftsführers einer GmbH auf die „konkrete Entscheidungssituation“ abzustellen ist, in der er die Pflicht hat, „alle verfügbaren Informationsquellen tatsächlicher und rechtlicher Art auszuschöpfen“89. Die Informationspflicht des Geschäftsleiters ist demnach begrenzt, wenn in der konkreten Situation eine benötigte Information nicht verfügbar ist und sie auch nicht mit angemessenem Aufwand eingeholt werden kann.90 Diese Grundsätze lassen sich nicht direkt auf die Situation des Leiters der Hauptversammlung übertragen; sie sind aber für die weiteren Überlegungen hilfreich. Dem Versammlungsleiter stehen für seine Entscheidungen nur begrenzte Ressourcen und insbesondere nur ein sehr begrenzter zeitlicher Rahmen zur Verfügung, die Sach- und Rechtslage zu klären oder klären zu lassen, sodass oftmals summarische Prüfungen unumgänglich sind.91 Soweit es um juristische Ratschläge von Mitarbeitern oder Beratern der Gesellschaft geht, die ihn aus dem Back-office oder direkt auf der Bühne unterstützen, fehlt es regelmäßig nicht nur an der schriftlichen Form des Ratschlags, sondern auch an der ausreichenden Zeit, um eine umfassende Plausibilitätsprüfung durchzuführen, wie sie vom BGH von der Unternehmensleitung bei schriftlich erteiltem Rechtsrat verlangt wird.92 Diese Grundsätze lassen sich nicht auf den Leiter der Hauptversammlung übertragen. Weiterhin kommt hinzu, dass der Versammlungsleiter seine Entscheidung nicht aufschieben kann, um zusätzliche Informationen einzuholen oder weitere Recherchen durchzuführen, sondern in jedem Fall eine Entscheidung treffen muss.93 Auch in der Untätigkeit des Versammlungsleiters kann bereits ein fehlerhaftes Verhalten liegen, das zur Anfechtbarkeit eines Hauptversammlungsbeschlusses führt. Vor diesem Hintergrund ist auf die konkrete Situation und das Entscheidungsdilemma des Leiters der Hauptversammlung abzustellen. Es muss ausreichen, wenn er seiner Entscheidung – gegebenenfalls nach kurzer Unterbrechung der Hauptversammlung – eine Rechtsauffassung zugrunde legt, die nach einer summarischen Prüfung plausibel erscheint 89   BGH v. 14.7.2008 – II ZR 202/07, ZIP 2008, 1675 Rn. 11; siehe auch Spindler AG 2013, 889, 893; BGH v. 28.4.2015 – II ZR 63/14, AG 2015, 535 Rn. 28. 90   Aus der Vielzahl der einschlägigen Stellungnahmen siehe nur Bayer ZGR 2012, 757, 772; Buck-Heeb BB 2016, 1347; Krieger ZGR 2012, 496, 501; Kiefner/Krämer AG 2012, 498, 500; siehe auch die Stellungnahmen von Bergmann und Goette im Diskussionsbericht von Schneider in: Gesellschaftsrechtliche Vereinigung (Hrsg.) Gesellschaftsrecht in der Diskussion 2013, 2014, S, 17, 18. 91   Siehe zur Eilbedürftigkeit im Rahmen der Vorstandsentscheidungen z.B. Buck-Heeb BB 2013, 2247, 2256; Fleischer ZIP 2005, 141, 150. 92   BGH v. 28.4.2015 – II ZR 63/14, AG 2015, 535 Rn. 30; BGH v. 20.9.2011 – II ZR 234/09 – „ISION“, AG 2011, 876 Rn. 18; BGH v. 14.5.2007 – II ZR 48/06, AG 2007, 548 Rn. 16. 93   Darauf weist zu Recht – auch Poelzig AG 2015, 476, 485 hin; siehe auch Schürnbrand NZG 2014, 1211, 1213.

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und sich im Rahmen der Bandbreite vertretbarer Entscheidungen hält. Ist etwa zu einer bestimmten Rechtsfrage, die für die Beschlüsse der Hauptversammlung Relevanz hat, keine höchstrichterliche Entscheidung bekannt, ist die vom Versammlungsleiter verfügte Leitungs- oder Ordnungsmaßnahme sorgfaltsgemäß, wenn er dabei auf ein instanzgerichtliches Urteil vertrauen kann. Liegen z.B. zum Stimmrechtsausschluss eines Aktionärs wegen Interessenkonflikts zwei widersprüchliche OLG-Urteile vor, handelt der Versammlungsleiter im Rahmen seiner Leitungskompetenz ordnungsgemäß sowohl, wenn er bei der Abstimmung die Stimmabgabe des Aktionärs zulässt, als auch, wenn er sie ablehnt; es kann von ihm nicht erwartet werden zu eruieren, wie der BGH die Rechtsfrage höchstwahrscheinlich entscheiden würde. Nicht jede Entscheidung des Versammlungsleiters, die später im Rechtsstreit zur erfolgreichen Anfechtung eines Hauptversammlungsbeschlusses führt, darf auch als Pflichtverletzung eingestuft werden. Oder anders gewendet, der Umstand, dass eine Entscheidung des Versammlungsleiters als sorgfaltsgemäße Versammlungsleitung qualifiziert wird, hindert nicht die erfolgreiche Anfechtung des darauf basierenden Hauptversammlungsbeschlusses. Dem Versammlungsleiter ist damit ein Entscheidungsspielraum zuzugestehen, der vom Gericht bereits bei der Frage der objektiven Pflichtverletzung – und nicht erst bei der Beurteilung des Verschuldens94 – zu respektieren ist.95 Der allgemeine zivilrechtliche Grundsatz, dass der Rechtsirrtum hinsichtlich der objektiven Rechtslage auf der Ebene des Verschuldens zu berücksichtigen ist, lässt sich auf den Leiter der Hauptversammlung wegen seiner besonderen Situation nicht übertragen. Entscheidungen des Leiters der Hauptversammlung, die im Rahmen der Vertretbarkeit liegen, stellen keine Verletzung seiner Pflichten als Versammlungsleiter dar.96 Angesichts der gebotenen Neutralität des Versammlungsleiters darf im Übrigen im Unterschied zu Entscheidungen des Vorstands, der auf das Wohl der Gesellschaft verpflichtet ist (§ 93 Abs. 1 Satz 2 AktG), nicht generell darauf abgestellt werden, ob die Leitungsentscheidung im Interesse der Gesellschaft ist. Der Versammlungsleiter ist letztlich den Interessen aller 94   So jedoch die h.M. im Rahmen der Vorstandshaftung BGH v. 28.4.2015 – II ZR 63/14, AG 2015, 535 Rn. 30; BGH v. 20.9.2011 – II ZR 234/09 – „ISION“, AG 2011, 876 Rn. 16; BGH v. 14.5.2007 – II ZR 48/06, AG 2007, 548 Rn. 18; z.B. Buck-Heeb BB 2013, 2247, 2254 ff.; Harnos Geschäftsleiterhaftung bei unklarer Rechtslage, 2013, S. 129 ff.; Hüffer/ Koch AktG, 13. Aufl. 2018, § 93 Rz. 19; Poelzig AG 2015, 476, 484. 95   Ebenso wohl Mülbert in Großkomm. AktG, 5. Aufl. 2017, § 129 Rz. 252; Reger in Bürgers/Körber, AktG, 4. Aufl. 2017, § 129 Rz. 48a; siehe auch Pliquett Die Haftung des Hauptversammlungsleiters, 2015, S. 120. 96  Zur kontroversen Parallelfrage im Bereich der Vorstandshaftung bei unsicherer Rechtslage siehe z.B. Bachmann WM 2015, 105, 109; Harnos Geschäftsleiterhaftung bei unklarer Rechtslage, 2013, S. 149 ff., 274 ff.; Hopt/Roth in Großkomm. AktG, 5. Aufl. 2015, § 93 Rz. 140; Koch AG 2009, 93, 97 ff.; Verse ZGR 2017, 174, 178 ff.; Hüffer/Koch AktG, 13. Aufl. 2018, § 93 Rz. 19.

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Aktionäre verpflichtet.97 Deshalb muss er – abgesehen vom Fall der Obstruktion – z.B. auch einen ordnungsgemäßen Antrag eines (Minderheits-) Aktionärs auf Absetzung des von der Verwaltung beantragten Beschlusses über eine geplante Kapitalerhöhung zur Abstimmung stellen oder über einen Beschluss zur Geltendmachung von Ersatzansprüchen und zur Bestellung eines besonderen Vertreters trotz persönlicher Zweifel abstimmen lassen, auch wenn damit für die Gesellschaft Nachteile oder erhebliche Folgekosten verbunden sind.

VII.  Die Haftung des Leiters der Hauptversammlung 1. Vorbemerkung Angesichts dieser Ausgangssituation stellt sich die Frage, ob und unter welchen Voraussetzungen der Leiter der Hauptversammlung persönlich für Fehler bei der Versammlungsleitung oder für fehlerhafte Ordnungsmaßnahmen haftet. Die Frage ist im Schrifttum umstritten. Die Rechtsprechung hat sich – soweit ersichtlich – abgesehen vom einer erstinstanzlichen Entscheidung im Jahre 2014, der eine außergewöhnliche Konstellation zugrunde lag, mit der Thematik noch nicht befasst. Dabei soll die Erörterung einer Haftung nach § 826 BGB außer Betracht bleiben. In der Unternehmenspraxis wird sie kaum vorkommen.98 Für die weiteren Überlegungen ist zu berücksichtigen, dass dem Leiter der Hauptversammlung bei der Wahrnehmung seiner Aufgabe sowohl ein breites Ermessen eingeräumt ist und zudem eine Einschätzungsprärogative zusteht. Ferner ist bei der Prüfung des Vorliegens einer Sorgfaltspflichtverletzung der Umstand einzubeziehen, dass seine Entscheidungen typischerweise in angespannter und hektischer Atmosphäre und kurzfristig getroffenen werden müssen. Ob die auf der Grundlage seiner Entscheidung getroffenen Hauptversammlungsbeschlüsse anfechtbar sind, ist für die Frage der Haftung nicht ausschlaggebend. Vor diesem Hintergrund erscheint eine Haftung des Leiters der Hauptversammlung für Fehler relativ selten. 2.  Gesellschaftsrechtliche Haftung Die wenigen verstreuten aktienrechtlichen Vorschriften zum Leiter der Hauptversammlung enthalten keine Regelung zu seiner Haftung. Auf Grund dieses normativen Defizits liegt ein Blick auf die Haftung der Mitglieder von 97  Ebenso Gehling/Pickert in Semler/Volhard/Reichert, Arbeitshandbuch für die Hauptversammlung, 4. Aufl. 2018, § 9 Rz. 8. 98   Siehe dazu näher z.B. Hüffer/Koch AktG, 13. Aufl. 2018, § 129 Rz. 25; von der Linden NZG 2013, 208, 212; Theusinger/Schilha BB 2015, 131, 136.

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Vorstand und Aufsichtsrat nahe. Demgemäß sprechen sich vereinzelte Stimmen im Schrifttum für eine Haftung des Versammlungsleiters gemäß §§ 116 i.V.m. 93 AktG aus.99 Die ganz überwiegende Meinung im Schrifttum100 wie auch das LG Ravensburg101 lehnen eine aktienrechtliche Haftung des Leiters der Hauptversammlung hingegen ab. Auch wenn dem Leiter der Hauptversammlung Organeigenschaft zukommt, sind die Voraussetzungen zur Anwendung der Vorschriften der §§ 93 und 116 AktG nicht gegeben. Soweit der Aufsichtsratsvorsitzende oder ein anderes Aufsichtsratsmitglied die Versammlungsleitung übernimmt, handeln sie nicht als Organwalter im Rahmen der gesetzlichen Überwachungspflicht des Aufsichtsrats gemäß § 111 Abs. 1 AktG, sondern auf Grund der ihnen durch die Satzung zusätzlich übertragenen Funktion.102 Was den unternehmensexternen Versammlungsleiter anbetrifft, scheidet ungeachtet der Frage, ob überhaupt eine Regelungslücke besteht, eine Analogie zu den §§ 93, 116 AktG jedenfalls mangels vergleichbarer Interessenlage erkennbar aus; die bloße Organstellung des Leiters der Hauptversammlung reicht für eine analoge Anwendung der aktienrechtlichen Haftungsnormen nicht aus.103 Im Ergebnis kommt damit eine aktienrechtliche Haftung bei einem Fehlverhalten des Versammlungsleiters – unabhängig davon, auf welcher Grundlage er sein Amt ausübt – nicht in Betracht. 3.  Schuldrechtliche Haftung a) Haftungsgrundlage Infolge des Schuldverhältnisses, das kraft Gesetzes zwischen der AG und dem Versammlungsleiter unabhängig von der Art der Bestellung besteht,104 liegt bei Fehlern des Versammlungsleiters bei der Wahrnehmung seiner Auf99   Drygala in K. Schmidt/Lutter, AktG, 3. Aufl. 2015, § 107 Rz. 22; Rose NZG 2007, 241, 245. Pliquett Die Haftung des Hauptversammlungsleiters, 2015, S. 68. 100   Drinhausen/Marsch-Barner AG 2014, 757, 767; von der Linden NZG 2013, 208, 209; Poelzig AG 2015, 476, 478; Reger in Bürgers/Körber, AktG, 4. Aufl. 2017, § 129 Rz. 48a; Theusinger/Schilha BB 2015, 131, 137. 101   LG Ravensburg v. 8.5.2014 – 7 O 51/13 KfH 1 – „Ehlebracht AG“, AG 2014, 910, 911. 102   Harnos AG 2015, 732, 740; Hoffmann-Becking in Münchener Hdb AG, 4. Aufl. 2015, § 37 Rz. 42; von der Linden NZG 2013, 208, 210; Marsch-Barner FS Brambring, 2011, S. 267, 281; Theusinger/Schilha BB 2015, 131, 136. 103  Ebenso Harnos AG 2015, 732, 740; Heidel in Heidel Aktienrecht und Kapitalmarktrecht, 4. Aufl. 2014, vor §§ 129 – 132 Rz. 71; Marsch-Barner FS Brambring, 2011, S. 267, 281; Poelzig AG 2015, 476, 479; im Ergebnis auch Pliquett Die Haftung des Hauptversammlungsleiters, 2015, S. 104; a.A. Mülbert in Großkomm. AktG, 5. Aufl. 2017, § 129 Rz. 248; unscharf Schürnbrand Organschaft im Recht der privaten Verbände, 2007, S. 146 „allgemeine Maßstäbe organschaftlicher Haftung“. 104   Drinhausen/Marsch-Barner AG 2014, 757, 767; von der Linden NZG 2013, 208, 211.

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gabe eine Haftung nach § 280 Abs. 1 BGB wegen Verletzung seiner Pflichten nahe. Die Vorschrift ist nach allgemeiner Ansicht nicht nur auf vertragliche sondern auch auf gesetzliche Schuldverhältnisse anwendbar.105 Nimmt der Versammlungsleiter seine Aufgabe zur Leitung der Hauptversammlung nicht ordnungsgemäß wahr, liegt eine Pflichtverletzung vor, die die persönliche Haftung auf Schadensersatz gemäß §§ 276, 280 BGB gegenüber der Gesellschaft hinsichtlich der ihr daraus entstehenden finanziellen Folgen begründet, sofern ihn dabei ein Verschulden trifft.106 Leichte Fahrlässigkeit reicht aus. b) Haftungsbeschränkung Im Fall der Pflichtverletzung des Versammlungsleiters, stellt sich die weitere Frage, ob ihm nicht eine Haftungsprivilegierung zugutekommt. Verschiedene Autoren sprechen sich für eine Haftung allein im Fall grober Fahrlässigkeit oder bei vorsätzlichem Verhalten aus.107 Aus welcher Rechtsgrundlage die Haftungsbeschränkung resultieren soll, lassen jedoch die meisten Autoren offen. Wird der Versammlungsleiter tätig, ohne dass er von der Gesellschaft für seine Tätigkeit vergütet wird,108 begründet die Unentgeltlichkeit der Amtsübernahme keine automatische Haftungsbeschränkung. Auch im Fall des Auftrags i.S.v. § 662 BGB haftet der Auftragnehmer vorbehaltlich entgegenstehender Absprachen bereits bei leichter Fahrlässigkeit.109 Für den Leiter der Hauptversammlung, der zur Gesellschaft auch in einem gesetzlichen – auftragsähnlichen – Schuldverhältnis steht,110 kann ungeachtet seiner besonderen Entscheidungssituation nichts anderes gelten.111 Zulässig wäre eine vertragliche Haftungsbeschränkung, die für den Fall ihrer Bestellung mit der als Versammlungsleiter vorgesehenen Person und 105   BGH v. 25.10.2012 – I ZR 162/11, MDR 2013, 1054 Rdn. 52; Grüneberg in Palandt BGB, 77. Aufl. 2018, § 280 Rz. 9; Stadler in: Jauernig, BGB, 16. Aufl. 2015, § 280 Rz. 2; Westermann in Erman BGB, 15. Aufl. 2017, § 280 Rz. 5. 106   Von der Linden NZG 2013, 208, 211; Poelzig AG 2015, 476, 479; Reger in Bürgers/ Körber, AktG, 4. Aufl. 2017, § 129 Rz. 48a; Theusinger/Schilha BB 2015, 131, 136; a.A. Heidel in Heidel Aktienrecht und Kapitalmarktrecht, 4. Aufl. 2014, vor §§ 129 – 132 Rz. 71. 107   Bachmann EWiR 2000, 157, 158; Drinhausen/Marsch-Barner AG 2014, 757, 767; von der Linden NZG 2013, 208, 212; Marsch-Barner in Marsch-Barner/Schäfer, Handbuch börsennotierte AG, 4. Aufl. 2018, Rz. 33.29a. 108   Die Vergütung durch einen Dritten steht der Unentgeltlichkeit im Verhältnis zur AG nicht entgegen. 109   Siehe nur Berger in Erman BGB, 15. Aufl. 2017 § 662 Rz. 24; Mansel in: Jauernig, BGB, 16. Aufl. 2015, § 662 Rz. 14; Sprau in Palandt BGB, 77. Aufl. 2018, § 662 Rz. 11. 110   Siehe oben IV.2. 111  Ebenso von der Linden NZG 2013, 208, 211; Poelzig AG 2015, 476, 485; a.A. Drinhausen/Marsch-Barner AG 2014, 757, 767; Wicke in Spindler/Stilz AktG, 3. Aufl. 2015, Anh. § 119 Rz. 16; siehe auch Schürnbrand NZG 2014, 1211, 1213.

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der Gesellschaft vereinbart wird.112 Mangels Anwendbarkeit der §§ 93, 116 AktG auf den Leiter der Hauptversammlung ergeben sich insoweit bis zur Grenze von § 276 Abs. 3 BGB keine Einschränkungen. Was die Vertretung der Gesellschaft beim Abschluss der Vereinbarung zur Haftungsbeschränkung anbetrifft, so ist zu differenzieren. Bestimmen im Verhinderungsfall der Aufsichtsratsvorsitzende oder der Aufsichtsrat den Versammlungsleiter, umfasst ihre Zuständigkeit im Sinne einer Annexkompetenz nicht nur die Vereinbarung der Vergütung, sondern auch einer Haftungsbeschränkung zugunsten des Versammlungsleiters. Im Fall der gerichtlichen Bestellung gemäß § 122 Abs. 3 Satz 2 AktG kommt es zu keiner Vereinbarung mit der Gesellschaft. Damit ist auch kein Raum für eine vertragliche Haftungserleichterung zugunsten des bestellten Versammlungsleiters. Wird der Versammlungsleiter durch die Hauptversammlung gewählt, sei es, dass die nach der Satzung bestimmten Personen nicht zur Verfügung stehen, sei es, weil der satzungsmäßige Versammlungsleiter zuvor von der Hauptversammlung abgewählt worden ist, käme für eine Haftungsbeschränkung die Hauptversammlung in Betracht, die hierüber im Zusammenhang mit der Wahl entscheidet. Dies erscheint indessen wenig praxisnah. In den anderen Fällen ist die Frage der aktienrechtlichen Zuständigkeit ungeklärt. Soweit vereinzelt unter Hinweis auf § 78 Abs. 1 Satz 1 AktG die Zuständigkeit des Vorstands angenommen wird,113 kann dem nicht zugestimmt werden. Die Bestimmung des Versammlungsleiters liegt ebenso wie die Versammlungsleitung selbst außerhalb des Kompetenzbereichs des Vorstands; Gleiches muss auch für die die Frage der Vereinbarung einer Haftungsbeschränkung gelten. Der Vorstand kann weder mit dem von der Hauptversammlung gewählten oder gerichtlich bestellen Versammlungsleiter eine Haftungsbeschränkung vereinbaren noch mit dem Aufsichtsratsvorsitzenden, der die Leitung der Hauptversammlung kraft Satzungsregelung ausübt. Die Entscheidung hierüber liegt allein bei der Hauptversammlung, die hierüber im Wege der Satzungsregelung oder – theoretisch – durch Beschluss entscheidet. Es steht außer Zweifel, dass auch eine generelle Beschränkung der Haftung des Leiters der Hauptversammlung in der Satzung zulässig ist.114 Angesichts der weitgehend ungeregelten Stellung des Versammlungsleiters steht § 23 112   Drinhausen/Marsch-Barner AG 2014, 757, 768; Hüffer/Koch AktG, 13. Aufl. 2016, § 129 Rz. 25; von der Linden NZG 2013, 208, 211; Marsch-Barner FS Brambring, 2011, S. 267, 281; Poelzig AG 2015, 476, 482; Wicke in Spindler/Stilz AktG, 3. Aufl. 2015, Anh. § 119 Rz. 16; a.A. Heidel in Heidel Aktienrecht und Kapitalmarktrecht, 4. Aufl. 2014, vor §§ 129–132 Rz. 73. 113   Von der Linden NZG 2013, 208, 211. 114  Hüffer/Koch AktG, 13. Aufl. 2018, § 129 Rz. 25; Poelzig AG 2015, 476, 487; Reger in Bürgers/Körber, AktG, 4. Aufl. 2017, § 129 Rz. 48a; Theusinger/Schilha BB 2015, 131, 140.

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Abs. 5 AktG nicht entgegen. In der Praxis kommen jedoch, soweit ersichtlich, entsprechende Satzungsregelungen nicht vor. Dies mag daran liegen, dass der Regress gegenüber dem Leiter der Hauptversammlung wegen fehlerhafter Versammlungsleitung unüblich war. Der Vorteil einer solchen Satzungsregelung wäre, dass sie für alle Versammlungsleiter gelten würde, unabhängig davon, wie sie in ihr Amt berufen worden sind. Die Satzungsregelung würde damit z.B. in gleicher Weise für den Aufsichtsratsvorsitzenden als den typischen Versammlungsleiter wie für den von der Hauptversammlung ad-hoc gewählten als auch für den gerichtlich bestellten Versammlungsleiter gelten. Für die Annahme eines – grundsätzlich zulässigen – stillschweigenden Haftungsausschlusses zugunsten des Versammlungsleiters ist indessen kein Raum. Die Rechtsprechung lehnt eine künstliche „Willensfiktion“ ab und verlangt konkrete Anhaltspunkte für eine entsprechende Vorstellung der Beteiligten;115 zumindest, dass sich der Geschädigte einem Ansinnen auf Haftungsfreistellung „billigerweise nicht hätte versagen können“116. Davon kann im Fall der Leitung der Hauptversammlung nicht gesprochen werden. Im Übrigen spricht nach Ansicht des BGH regelmäßig auch das Bestehen einer Haftpflichtversicherung für den Schädiger gegen eine stillschweigende Haftungsbeschränkung.117 c) Haftpflichtversicherung Angesichts der festgestellten Unsicherheiten bei der Vereinbarung einer Haftungsbeschränkung zugunsten des Versammlungsleiters erscheint der Abschluss einer Haftpflichtversicherung sinnvoll. Ob die in den meisten Gesellschaften bestehende sog. D&O-Versicherung, die die Mitglieder von Vorstand und Aufsichtsrat erfasst, auch die Tätigkeit des Leiters der Hauptversammlung abdeckt, ist ungeklärt.118 Angesichts der fehlenden gesetzlichen Verknüpfung von Aufsichtsratsvorsitz und Versammlungsleitung gilt dies auch, soweit die Leitung der Hauptversammlung vom Aufsichtsratsvorsitzenden gemäß der Satzung selbst übernommen wird. Es ist deshalb ratsam, ausdrücklich die Leitung der Hauptversammlung, unabhängig davon, von

  BGH v. 11.2.1964 – VI ZR 271/62, NJW 1964, 860; BGH v. 14.11.2002 – III ZR 87/02, WM 2003, 85, 86; Grüneberg in Palandt BGB, 77. Aufl. 2018, § 276 Rz. 37; Berger in Erman BGB, 15. Aufl. 2017 § 662 Rz. 25. 116   BGH v. 18.12.1979 – VI ZR 52/78, NJW 1980, 1681, 1682; BGH v. 14.11.2002 – III ZR 87/02, WM 2003, 85, 86. 117   BGH v. 18.12.1979 – VI ZR 52/78, NJW 1980, 1681, 1682; BGH v. 13.7.1993 – VI ZR 278/92, NJW 1993, 3067, 3068. 118   Drinhausen/Marsch-Barner AG 2014, 757, 768; zurückhaltend von der Linden NZG 2013, 208, 212; Reger in Bürgers/Körber, AktG, 4. Aufl. 2017, § 129 Rz. 48a. 115

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wem und auf welcher Grundlage sie im Einzelfall ausgeübt wird, als versicherte Tätigkeit in die Deckung der D & O Versicherung einzubeziehen.119

VIII. Schluss Die Leitung einer Hauptversammlung ist eine Aufgabe, die den Versammlungsleiter nicht selten vor besondere Herausforderung stellt. Bei sorgfältiger und fachgerechter Vorbereitung werden entsprechende Vorkehrungen getroffen, die im Fall des Eintritts von Sondersituationen zum Tragen kommen. Gleichwohl lassen sich nicht alle Schwierigkeiten vorhersehen oder bereits im Voraus erkennen. Mitunter wird der Versammlungsleiter auch mit Ausnahmesituationen konfrontiert, die er spontan meistern muss. Liegt die Leitung der Hauptversammlung nicht in den Händen des Aufsichtsratsvorsitzenden, der mit der Gesellschaft und ihrer Hauptversammlungsorganisation vertraut ist, sondern übernimmt eine unternehmensexterne Person den Vorsitz, ergeben sich hieraus möglicherweise zusätzliche Probleme. Für einen erfahrenen Versammlungsleiter lassen sich auch schwierige Klippen, wie sie in einer kontroversen und nicht selten emotionsgeladenen Hauptversammlung auftreten können, meistern. Dabei sind die Besonderheiten des erheblichen Zeitdrucks und der begrenzten Informationsmöglichkeiten hinsichtlich der Sach- und Rechtslage, die für die Entscheidungen des Versammlungsleiters typisch sind, entscheidende Kriterien, um die Entscheidungen des Versammlungsleiters mit Blick auf die Frage der persönlichen Haftung unter dem Gesichtspunkt der Sorgfaltspflichtverletzung angemessen beurteilen zu können. Ob ein vom Versammlungsleiter festgestellter Hauptversammlungsbeschluss vor Gericht erfolgreich angefochten worden ist, ist für die Frage der ordnungsgemäßen Versammlungsleitung und der persönlichen Verantwortlichkeit des Versammlungsleiters nicht entscheidungserheblich.

119   Siehe auch Heidel in Heidel Aktienrecht und Kapitalmarktrecht, 4. Aufl. 2014, vor §§ 129–132 Rz. 74; von der Linden NZG 2013, 208, 212; Poelzig AG 2015, 476, 488.

Intuition und Business Judgment Jochen Vetter* I. Einleitung In den letzten Jahren und gerade auch während der Amtszeit des Jubilars als Vorsitzendem des II. Zivilsenats des BGH waren ein Schwerpunkt der gesellschaftsrechtlichen Diskussion und Praxis Fragen rund um die Sorgfaltspflichten des Vorstands, die Business Judgment Rule und die Haftung des Vorstands bei Verletzung seiner Pflichten.1 Der Verfasser durfte den Jubilar als kluge, weitsichtige und mit einem sehr guten Bauchgefühl und „common sense“ ausgestattete Persönlichkeit kennenlernen, die die Gabe hat, intuitiv sehr schnell auch im persönlichen Bereich anspruchsvolle Probleme zu analysieren und angemessen darauf zu reagieren. Ihm sollen die folgenden Überlegungen zum Umgang der Juristen mit intuitiven Entscheidungen und der Business Judgment Rule gewidmet werden. In Folge der scharfen materiellen Haftung von Vorstandsmitgliedern und der Möglichkeit, bei Ermessensentscheidungen nach § 93 Abs. 1 S. 2 AktG in den Genuss des sicheren Hafens der Business Judgment Rule zu gelangen, bemühen sich Unternehmenslenker – nicht unbeeinflusst von den Juristen – um eine möglichst sachliche Begründung ihrer Entscheidung auf der Basis einer umfangreichen Sachverhaltsermittlung und einer ausführlichen Bewertung der Handlungsalternativen. Gerade auch im Hinblick auf eine potenzielle gerichtliche Überprüfung wird auf objektive Überprüfbarkeit der Entscheidung großer Wert gelegt. Die Juristen empfehlen, bei unternehmerischen Entscheidungen Aufbereitung und Abwägung der Informationen sowie die auf dieser Basis ergehende Beurteilung nachvollziehbar zu dokumentieren.2 Zwar wird keine Rechtspflicht zu umfassender Dokumentation gesehen; sie *   Der Verfasser dankt seinem wissenschaftlichen Mitarbeiter, Herrn Max Gärtner für die Unterstützung bei der Sichtung des Materials und wertvolle Diskussionen. 1   Hinzuweisen sei nur auf die Urteile BGH Urteil v. 22.02.2011 – II ZR 146/09; BGH Urteil v. 20.09.2011 – II ZR 234/09 („Ision“); BGH Beschluss v. 15.09.2014 – II ZR 112/13 („Sparkassenvorstand“). 2   Vgl. nur Hopt/Roth Großkomm AktG, 5. Aufl. 2014, § 93 Rn. 125, 438; Mertens/Cahn Kölner Komm AktG, 3. Aufl. 2010, § 93 Rn. 36; Spindler Münchener Komm AktG, 4. Aufl. 2014, § 93 Rn. 58; Kock/Dinkel NZG 2004, 441 (447 f.).

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wird jedoch empfohlen, um den Nachweis, auf Grundlage angemessener Information zum Wohle der Gesellschaft gehandelt zu haben, führen und sich gemäß § 93 Abs. 1 S. 2 AktG enthaften zu können.3 Darüber hinaus wird ein Vorteil einer umfassenden Dokumentation in der Verbesserung der Qualität der Entscheidungsfindung gesehen, da sie eine intensive Reflexion der Entscheidungen durch den Vorstand fördert.4 Die Dokumentation soll neben dem Resultat alle der Entscheidung zugrunde liegenden Überlegungen einschließlich Gegenargumenten und „dissenting votes“ und den, gegebenenfalls auch kontroversen, Diskussionsprozess umfassen,5 wobei sich der Umfang der Dokumentation an der Komplexität der Entscheidung orientieren soll.6 Die zugrunde liegenden Argumente sollen ebenso erfasst werden wie etwaige Rechtsmeinungen und eigene Plausibilitätsprüfungen.7 Die genannten Dokumentationsgegenstände sollen aus schriftlichen Unterlagen nachvollzogen werden können.8 Vergleichbare Dokumentationsempfehlungen lassen sich auch im betriebswirtschaftlichen Schrifttum finden.9 Das ist eine verständliche und im Grundsatz gute Entwicklung. Die Frage ist allerdings, ob diese objektive Art der Entscheidungsaufbereitung, ‑findung und ‑dokumentation nicht bei einem Teil der zu treffenden Entscheidungen zu suboptimalen Ergebnissen führen kann. Für Intuition und Subjektivität bleibt bei der Art der Entscheidungsfindung und -dokumentation, wie sie die Juristen empfehlen, entgegen der Betonung von Instinkt, Erfahrung, Phantasie und Gespür für künftige Entwicklungen in der Regierungsbegründung zum UMAG10 kaum Raum. Das folgende Beispiel gibt Anlass, an der Zweckmäßigkeit dieses von Juristen empfohlenen Umgangs mit Entscheidungen zu zweifeln: In den Achtziger Jahren ließ eine amerikanische Konsumentenzeitschrift verschiedene Sorten von Marmelade von erfahrenen Degustatoren testen. Einige Jahre später wiederholte ein Psychologieprofessor das Experiment mit seinen Studenten. Das Resultat war beinahe identisch: Auch die Studenten bevorzugten dieselben Marmeladen wie die Experten. Anschließend wiederholte der Psychologieprofessor das Experiment mit einer zweiten Gruppe von Studenten, die allerdings im Gegensatz 3   S. nur Krieger/Sailer-Coceani K. Schmidt/Lutter, AktG, 3. Aufl. 2015, § 93 Rn. 41; Mertens/Cahn Kölner Komm AktG, 3. Aufl. 2010, § 93 Rn. 36; Weiss/Buchner WM 2005, 162 (171). 4   Spindler Münchener Komm AktG, 4. Aufl. 2014, § 93 Rn. 58. 5   Vgl. hierzu Hauschka AG 2004, 461 (464 f.); Lutter ZIP 2007, 841 (845). 6   Hölters Hölters, AktG, 3. Aufl. 2017, § 93 Rn. 36; vgl. Lutter Kremer/Bachmann/ Lutter/v. Werder, DCGK, 7. Aufl. 2018, Rn. 622. 7   Buck-Heeb BB 2016, 1347 (1355); Hoffmann/Schieffer NZG 2017, 401 (402). 8   S. nur Hölters Hölters, AktG, 3. Aufl. 2017, § 93 Rn. 36. 9   S. etwa. Graumann/Grundei DBW 65 (2005), 652 (655). 10   Begr. des RegE UMAG, BT-Drucksache 15/5092, S. 11 f.; s. auch Faßbender NZG 2015, 501 (503).

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zur ersten Gruppe gebeten wurden, einen Fragebogen auszufüllen, in dem sie ihre Bewertungen detailliert begründen sollten. Das Erstaunliche war, dass diese zweite Bewertung zu einer völlig anderen Rangliste führte. Manche derjenigen Marmeladen, die von den Degustatoren und der ersten Gruppe von Studenten am besten bewertet worden waren, bekamen jetzt die schlechtesten Noten.11 Im Privatleben kennen wir viele Situationen, die wir, häufig recht ordentlich, ohne umfangreiche PowerPoint-Präsentationen und Abwägung der Pros und Cons richtig entschieden haben. Am wichtigsten ist vermutlich die Entscheidung für den passenden Lebenspartner. Offenbar können Menschen auch bei sehr wichtigen Entscheidungen intuitiv und subjektiv, ohne objektiv nachprüfbare Kriterien zu richtigen Ergebnissen kommen. In einem Buch über Denk- und Verhaltensfehler wird von einem CEO berichtet, der mit folgenden Worten wiedergegeben wird: „Ich kann es nicht in Worte fassen, was das ist, aber wenn ich durch den Betrieb gehe, merke ich sofort, in welchen Abteilungen es rundläuft und in welchen nicht. Wenn ich Leute einstelle, merke ich schon nach Sekunden, ob es funktionieren wird. Wenn ich mit Lieferanten verhandle, weiß ich intuitiv, wer versuchen wird, mich übers Ohr zu hauen. Und wenn ich eine Firma akquiriere, sagen mir die tausendseitigen Berichte der Investmentbanken weit weniger als ein kurzer Rundgang durch den Betrieb.“ Auf die Frage, wo er dies gelernt habe, antwortet der CEO: „Eine Reihe guter Chefs, von denen ich so einiges abschauen konnte. Und natürlich habe ich im Verlauf meiner Karriere tausend Fehler gemacht und daraus gelernt.“12 Werden Manager nicht auch gerade wegen ihrer Erfahrung, ihrem unternehmerischen Gespür und ihrer Intuition ausgewählt? Im Folgenden soll der Frage nachgegangen werden, ob für unternehmerische Ermessensentscheidungen allein Umstände berücksichtigt werden dürfen, die objektiv, rational, dokumentierbar und einer objektiv-rationalen Überprüfung zugänglich sind, oder ob nicht auch Intuition, subjektive Wertungen und Einschätzungen, kaum in Worte zu fassende Erfahrung und Bauchgefühl eine Rolle spielen dürfen (nachfolgend II.). Es werden die Gefahren einer solchen Subjektivität (III.) und Möglichkeiten, diesen zu begegnen (IV.), untersucht. Abschließend wird auf die Frage eingegangen, ob die Business Judgment Rule des § 93 Abs. 1 S. 2 AktG auf solche intuitiven Entscheidungen Anwendung findet. Diese Fragen werden in der Rechtswissenschaft bisher allenfalls am Rande behandelt. Der Beitrag will dabei keine Abkehr von dem Bestreben propagieren, unternehmerische Entscheidungen auf objektive Kriterien zu stützen und nachvollziehbar zu begründen. Er will 11   S. hierzu Lehrer How we decide, 2003, S. 133 ff.; dazu auch Dobelli Die Kunst des klugen Handelns, 3. Aufl. 2015, S. 174. 12   Dobelli Die Kunst des klugen Handelns, 3. Aufl. 2015, S. 141.

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vielmehr fragen, ob es Grenzen dieses Ansatzes gibt, die man kennen sollte, gerade um den vollen Nutzen aus objektivierten und nachvollziehbar dokumentierten Entscheidungen ziehen zu können.

II.  Bedarf an Intuition 1.  Grenzen rationaler Entscheidungen a)  Fehlen objektiver Informationen Eine objektiv begründbare Entscheidung setzt objektiv analysierbare Informationen voraus. Die sorgfältige Ermittlung der Informationsgrundlage ist eine der wesentlichen Voraussetzungen, die die Business Judgment Rule für eine Enthaftung des Vorstands nach § 93 Abs. 1 S. 2 AktG vorgibt.13 Problematisch wird die Erfüllung dieser Anforderung dann, wenn objektives Informationsmaterial schlichtweg nicht vorliegt und auch nicht zu beschaffen ist. Dies kann bspw. bei neuartigen Problemen der Fall sein, bei denen nicht auf dokumentierte Erfahrungswerte zurückgegriffen werden kann, oder in Situationen, in denen schneller Handlungsbedarf besteht. Das Fehlen objektiver Informationen kann und darf im Geschäftsleben aber nicht zu einem Entfall der Handlungsfähigkeit führen. Unternehmerische Entscheidungen müssen gleichwohl weiterhin getroffen werden. b)  Beurteilung der Zukunft Ein Sonderfall des Fehlens einer objektiven Informationsgrundlage sind Entscheidungen, bei denen es auf die Beurteilung der Zukunft ankommt. Bei Entscheidungen, für die es Erfahrungswerte gibt, insbesondere solche, für die es vergleichbare Szenarien in der Vergangenheit gab, sind objektive Analysen und Vergleiche möglich und hilfreich. Für die Beurteilung der Zukunft, insbesondere für Entwicklungen und Sondersituationen, für die es keine Präzedenzfälle gibt, gilt das nicht oder jedenfalls nicht in gleicher Weise. Als Beispiele ist auf die Entwicklung von Aktienkursen, globalpolitische Entwicklungen, Wirtschaftszyklen und das Entstehen von Finanz- und sonstigen Krisen zu verweisen. Auch hierzu gibt es viele selbstberufene Experten und scheinbar objektive Analysen. Häufig werden diese jedoch von der Wirklichkeit überholt. Bezeichnend ist insoweit, wie wenige Finanzexperten die Finanzkrise von 2007/2008 vorhergesehen haben.

13  Vgl. Hüffer/Koch, AktG, 13. Aufl. 2018, § 93 Rn. 20; Mertens/Cahn Kölner Komm AktG, 3. Aufl. 2010, § 93 Rn. 32; Krieger/Sailer-Coceani K. Schmidt/Lutter, AktG, 3. Aufl. 2015, § 93 Rn. 17.

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c)  Beurteilung von Personen und ihres Verhaltens Ähnlich wie im privaten Bereich wird man auch im geschäftlichen und beruflichen Umfeld enge Mitarbeiter, mit denen man vertrauensvoll zusammenarbeiten muss, selten nach rein objektiven Kriterien auswählen wollen. Es ist nicht stets der am besten ausgebildete und erfahrenste Kandidat, mit dem man sich eine erfolgreiche und angenehme Zusammenarbeit vorstellen kann. Gerade bei der Beurteilung des Charakters kommt eine nüchterne Analyse von objektiven Kriterien an ihre Grenzen. Zum einen sind subjektive Kriterien wie Authentizität, Sympathie, Vertrauen sowie Kompatibilität in der Art der Kommunikation und des Herangehens an Probleme für eine gedeihliche und erfolgreiche Zusammenarbeit unerlässlich. Zum anderen ist es schwierig, derartige Kriterien präzise auf den Punkt zu bringen und einem anderen nachvollziehbar zu beschreiben und zu begründen. Dies zeigt sich schon an den umgangssprachlichen Umschreibungen für einen solchen „persönlichen Fit“: „die Chemie muss stimmen“ und der Kandidat muss „auf derselben Wellenlänge funken“. Hinzu kommt, dass die Fähigkeiten zur Beurteilung charakterlicher Eigenschaften und sonstiger subjektiver Kriterien sehr unterschiedlich ausgeprägt sind. Dies erschwert den Austausch über und die Überprüfung derartiger subjektiver Beurteilungen. Gerade bei der Beurteilung von Personen besteht darüber hinaus, ähnlich wie bei der beschriebenen Marmeladenverkostung, einerseits die Schwierigkeit, eine objektiv nachprüfbare, auch Dritte überzeugende Begründung für die eigene Einschätzung zu geben, und zum anderen das Risiko, dass eine Entscheidung, die ausführlich und objektiv nachprüfbar zu begründen ist, anders ausfällt als eine Entscheidung, bei der dem Entscheider ein weiter persönlicher Beurteilungsspielraum eingeräumt wird, ohne dass er seine Entscheidung detailliert schriftlich begründen muss. Auch das Verhalten anderer Personen lässt sich nicht klar und objektiv prognostizieren. So hängt zum Beispiel bei einem Unternehmensverkauf im Wege der Auktion die Frage, welchen Preis unterhalb des eigenen, regelmäßig nach weitgehend objektiven Kriterien bestimmten Grenzpreises ein Kaufinteressent bieten sollte, maßgeblich davon ab, wie er das entsprechende Verhalten der Wettbewerber einschätzt. Hierfür fehlt es häufig an objektiven Entscheidungskriterien, da die strategischen Pläne, Synergiepotenziale und Alternativen des Wettbewerbers nicht bekannt sind. Trotzdem muss eine Einschätzung vorgenommen werden. Die Schwierigkeit, das Verhalten Dritter abzuschätzen, hat primär zwei Gründe: Zum einen fehlen typischerweise die Informationen, die dem Dritten vorliegen. Zum anderen haben Psychologie und Verhaltensökonomie gezeigt, dass sich Marktakteure nicht am Idealtypus des reinen homo oeconomicus orientieren. Persönliche Interessen, Überzeugungen, Erfahrungen, Prägungen und Neigungen spielen nicht nur bei privaten, sondern auch geschäftlichen Entscheidungen eine erhebliche

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Rolle, nicht nur der ökonomische Nutzen, der mit einer Handlungsalternative generiert werden kann.14 In diesem Zusammenhang sind die subjektiven Einschätzungen von Teammitgliedern häufig nicht deshalb besonders hilfreich, weil sie einen höheren objektiven Überzeugungsgrad haben, sondern weil der oder die Betreffende sehr erfahren ist und auf eine Vielzahl ähnlicher Entscheidungssituationen verweisen kann. d) Informationsüberfluss Nicht nur das Fehlen objektiver Informationen bringt eine Entscheidung anhand rationaler Kriterien an ihre Grenzen. Auch im umgekehrten Fall, wenn eine Vielzahl an potentiell verwertbaren Informationen vorhanden ist, führt eine objektiv-analytische Entscheidung nicht zwangsläufig zum besten Ergebnis. Dazu der Hinweis auf Experimente eines Teams um den Psychologen Ap Dijksterhuis: Er teilte (etwas vereinfacht) Versuchsteilnehmer in zwei Gruppen. Beide erhielten dieselben Informationen, die für eine bestimmte Entscheidung relevant waren. Danach wurde Gruppe 1 gebeten, vor der Entscheidung eine bestimmte Zeit mit den Informationen zu arbeiten und diese zu analysieren. Gruppe 2 sollte dieselbe Zeit mit einer anderen Aufgabe verbringen, die ihre volle Aufmerksamkeit in Anspruch nahm. In vielen Fällen entschieden die Teilnehmer der Gruppe 2 besser als die der Gruppe 1. Dieser Effekt hing maßgeblich von der Zahl der zur Verfügung gestellten Informationen ab. Wurden beispielsweise vier Informationen über ein bestimmtes Auto gegeben, fand Gruppe 1 häufiger als Gruppe 2 das beste Auto heraus. Wurden hingegen 12 Informationen über jedes Auto gegeben, lag Gruppe 2 deutlich vorne.15 Das Experiment legt nahe, dass die kognitiven Fähigkeiten des Menschen und damit dessen Möglichkeit zur Verarbeitung von Informationen offenbar beschränkt sind. Die vollumfängliche Berücksichtigung sämtlicher verfügbarer Informationen stößt bei einer großen Fülle an Daten mitunter an die Belastungsgrenze der menschlichen Verarbeitungskapazität. Nach der von Dijksterhuis entwickelten sog. „unconscious-thought-theory (UTT)“ sinkt die Effizienz bewusst-reflektierenden Denkens mit der Komplexität der zu beurteilenden Materie. Bei Entscheidungen, die auf umfangreichen und vielschichtigen Informationen beruhen, stelle die Nutzung des Unterbewusstseins die effektivere Form der Entscheidungsfindung dar. Durch Intuition könne eine ungleich größere Menge an Information verarbeitet werden als durch bewusstes Denken. Dem besten Resultat könnten komplexe Entscheidungen dann zugeführt werden, wenn die Aufnahme der 14   Ausführlich etwa Beck Behavioral Economics – Eine Einführung, 2014; Thaler The Winner’s Curse: Paradoxes and anomalies of economic life, 1994; außerdem etwa Holtfort VW 2011, 507. 15   Dijksterhuis/Bos/Nordgren/van Baaren Science 2006, S. 1005; dazu auch Hamann ZGR 2012, 817 (828 f.); Mutter AG 2007, R223 f.

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Information bewusst erfolgt, deren Beurteilung aber dem Unterbewusstsein überlassen wird.16 Obwohl die Theorie Dijksterhuis durchaus umstritten ist17, gelten einige seiner Befunde als allgemein anerkannt, so bspw. der Umstand, dass das Unterbewusstsein in der Lage ist, wesentlich größere Informationsmengen zu bewältigen.18 e)  Entscheidungen, die von ethischen Wertungen abhängen Kommt auf das Unternehmen die Anfrage zu, eine gemeinnützige Organisation zu unterstützen, nach einer Naturkatastrophe für die Opfer zu spenden oder einen in Not geratenen Mitarbeiter zu unterstützen, stellt sich die Frage, inwieweit bei der Reaktion subjektive ethische Überzeugungen mitberücksichtigt werden dürfen und sollen. Hier ist umstritten, ob der Vorstand überhaupt berechtigt ist, bei der Geschäftsleitung und -führung ethische Ziele als solche zu verfolgen. Eine verbreitete Auffassung propagiert, dass ethische Ziele nur insoweit verfolgt werden dürfen, als sie Unternehmenswert und Rendite erhöhen,19 wofür auch die Reputation des Unternehmens von maßgeblicher Bedeutung ist20. Auf Basis dieser Auffassung stellt sich die Frage subjektiver Einschätzungen nur im Hinblick auf die Abschätzung der zukünftigen Auswirkungen des Verhaltens auf Unternehmenswert und Rendite. Wenn man dagegen mit der Gegenmeinung die Berücksichtigung ethischer Wertungen als solche, unabhängig davon, ob sie sich wirtschaftlich lohnen, zulässt21, bildet diese subjektive Wertentscheidung einen elementaren Teil der unternehmerischen Entscheidung (was nicht heißt, dass sie nicht näher zu begründen wäre; hierzu nachfolgend unter IV.3.).

16  Vgl. zum Ganzen Dijksterhuis/Bos/Nordgren/van Baaren Science 2006, 1005; Hamann ZGR 2012, 817 (828 f.); Mutter AG 2007, R223. 17   Waroquier/Marchiori/Klein/Cleeremans Judgment and Decision Making 2009, 601; Aczel/Lukacs/Komlos/Aitken Judgment and Decision Making 2011, 351. 18   Hamann ZGR 2012, 817 (830). 19   Fleischer Spindler/Stilz, AktG, 3. Aufl. 2015, § 76 Rn. 38 f., 45; derselbe ZGR 2017, 411 (415); Empt Corporate Social Responsibility, 2004, S. 195 ff.; Kort NZG 2012, 926 (929); derselbe Großkomm. AktG, 5. Aufl. 2015, § 76 Rn. 99; Lübke FS Müller-Graff, 2015, S. 266 (269 ff.); Reiner ZVglRWiss 2011, 443 (474); noch weitergehend Mülbert AG 2009, 766 (772 f.), der verlangt, dass sich gemeinnützige Aktivitäten quantitativ positiv auf den Unternehmenswert auswirken müssen. 20   Betriebswirtschaftliche empirische Untersuchungen haben gezeigt, dass die Reputation einen ganz erheblichen Teil des Unternehmenswerts ausmacht und erheblichen Einfluss auf die Ertragskraft hat, dazu mit weiteren Hinweisen etwa Fleischer BB 2017, 2016, 2020 f.; Seibt DB 2015, 171 ff. 21   Müller-Michaels/Ringel AG 2011, 101 ff.; Simons ZGR 2018, 316, 329 ff.; Hüffer/ Koch, AktG, 13. Aufl. 2018, § 76 Rn. 30 ff.; Uwe. H. Schneider BB 1983, 205 (213 f.); J. Vetter ZGR 2018, 338, 344 ff.

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2.  Gefahr der Verschleierung von subjektiven Entscheidungskriterien In all diesen Beispielen und Konstellationen würde die Gefahr suboptimaler Entscheidungen erhöht, würde man die Entscheider auf objektive, eindeutig belegbare und klar dokumentierbare Entscheidungskriterien begrenzen. Trotzdem ist erstaunlich, dass in Vorstands- und Aufsichtsratsvorlagen kaum auf die Grenzen objektiver Entscheidungskriterien und die Notwendigkeit der Berücksichtigung subjektiver Einschätzungen hingewiesen wird. Vermutlich liegt der Grund in der Furcht, sich im Hinblick auf eine sorgfältige Entscheidungsfindung und die Beachtung der Voraussetzungen der Business Judgment Rule angreifbar zu machen und persönliche Haftungsrisiken zu erhöhen. Auch wenn Entscheidungen rein objektiv begründet werden, kann man sich teilweise des Eindrucks nicht verwehren, dass Manager aus Furcht vor Subjektivität für objektiv nicht nachweisbare Entscheidungskriterien Entscheidungsgrundlagen objektivieren (lassen), um dann auf Basis einer scheinbar unangreifbaren Grundlage ihre Entscheidung zu treffen. Beispiele: –– Bei Unternehmensbewertungen, bei denen der „objektive“ Unternehmenswert ermittelt wird, kommt es auf eine Vielzahl subjektiver Beurteilungen der Zukunft an. Wie wird das globale Wirtschaftswachstum und das Wachstum der eigenen Industrie in mehreren Jahren sein, wie erfolgreich wird sich das Unternehmen behaupten, wie werden sich Zinsen und Löhne entwickeln usw.? Diese Einschätzungen werden, teilweise gestützt auf die subjektiven Einschätzungen tatsächlicher oder vermeintlicher Experten, in Bewertungsmodelle eingespeist, die anschließend eine deutlich objektivere Anmutung haben, die Notwendigkeit subjektiver Beurteilungen aber wesentlich schwieriger erkennen lassen und entsprechend weniger Anlass zu deren kritischer Hinterfragung geben. –– Ethisches Verhalten wird teilweise aus Furcht vor dem Vorwurf von Sorgfaltspflichtverletzungen und Untreue mit einer tatsächlichen oder angeblichen Steigerung der Reputation des Unternehmens begründet.22 Die eigentliche ethische Wertentscheidung wird nicht offen gelegt und kann daher vom Aufsichtsrat nicht kritisch hinterfragt werden. –– Bei Personalentscheidungen ist wichtig, dass die Chemie stimmt. Trotzdem werden sie aus Furcht vor einem Missbrauchsvorwurf fast immer auf rein objektive Kriterien gestützt. Niemand möchte sich vorwerfen lassen, dass der abgelehnte Kandidat nur wegen seines Geschlechts, Alters oder seiner Nationalität nicht zum Zug gekommen ist.

22   Was allerdings von einer verbreiteten Meinung im Schrifttum wie gezeigt in der Tat gefordert wird, s. Fn. 19.

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Mehr Mut zur Subjektivität kann damit zu einer ehrlicheren und transparenteren Gestaltung des Entscheidungsprozesses führen. Überwachungsgremien haben eher die Möglichkeit, subjektive Entscheidungskriterien zu identifizieren, nachzuvollziehen und auf Missbrauch zu überprüfen.

III.  Gefahren und Grenzen von subjektiven Entscheidungskriterien Die vorstehenden Überlegungen und Beispiele legen nahe, dass Intuition – richtig genutzt – durchaus ein probates Mittel zur unternehmerischen Entscheidungsfindung sein kann. Dass Intuition in großem Umfang durch Führungskräfte genutzt wird, wurde bereits empirisch bestätigt.23 Bemerkenswert ist dabei, dass von Intuition mit steigender Führungsebene proportional mehr Gebrauch gemacht wird, im Top-Management also häufiger als auf niederen Hierarchiestufen.24 Allerdings sind mit subjektiven, intuitiven Entscheidungen Gefahren verbunden, denen sich die Mitglieder von Leitungs- und Überwachungsgremien bewusst sein müssen. Zudem bestehen objektive Grenzen für subjektive Entscheidungen. Nur bei Kenntnis dieser Risiken und Grenzen lassen sich zweckmäßige Leitlinien für den Umgang mit Subjektivität entwickeln. 1.  Missbrauch und Bequemlichkeit Im Gegensatz zur objektiven, anhand allgemeingültiger Kriterien gefassten Entscheidung ist der subjektiven Einschätzung zu eigen, dass sie einer anderen Person nicht vollumfänglich erklärt werden kann und damit nicht intersubjektiv nachvollziehbar ist.25 Eine unabhängige Überprüfung beispielsweise durch den Aufsichtsrat, ob die Entscheidung sorgfältig getroffen wurde und im Ergebnis im Unternehmensinteresse liegt, ist nur eingeschränkt möglich. Deshalb besteht das Risiko, dass unter dem Deckmantel der Intuition Erwägungen in die Entscheidung mit einfließen, die bei objektiver Analyse redlicherweise nicht hätten mitberücksichtigt werden dürfen. Subjektivität kann daher missbraucht werden, eine Entscheidung der objektiven Kontrolle zu entziehen, um ein gewünschtes Ergebnis zu erzielen, das

23   Agor The logic of intuitive decision making, 1986, zitiert nach Holtfort VW 2011, 507 (Fn. 14). 24  Ebd. 25   Weber FS Krystek, 2009, S. 6; Grundei/v. Werder AG 2005, 825 (831).

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unter Heranziehung objektiv-rationaler Kriterien nicht zu rechtfertigen gewesen und bei Offenlegung der wahren Gründe nicht gebilligt worden wäre.26 Es besteht daher die Gefahr, dass sachfremde Überlegungen im Entscheidungsergebnis ihren Niederschlag finden. Dies kann insbesondere bei Personalentscheidungen relevant werden. Missbraucht werden kann das Berufen auf Intuition auch dadurch, dass auf diese Weise eine umfassende Sachverhaltsermittlung und rationale Analyse der entscheidenden Aspekte umgangen wird. Mit der Berufung auf Intuition und unternehmerische Erfahrung kann eine nachlässige Vorbereitung einer unternehmerischen Entscheidung verdeckt werden. 2.  Urteilsverzerrungen und Gefahren von Heuristiken Eine weitere Gefahr der subjektiven Entscheidungsfindung liegt in der mitunter fehlerhaften Selbstwahrnehmung der Entscheidungsträger. Untersuchungen hierzu liefert insbesondere die Forschung im Schnittfeld zwischen Ökonomie und Verhaltenswissenschaften.27 Intuitive Entscheidungen werden neben der Erfahrung aus vergleichbaren Fällen insbesondere durch Heuristiken beeinflusst. Unter Heuristiken werden Regeln verstanden, mit denen Problemlösungsprozesse beschrieben werden, wobei das Prinzip der Vereinfachung entscheidend ist.28 Laienhaft kann man Heuristiken als Denkabkürzungen oder Daumenregeln bezeichnen. Mit intuitiven Entscheidungen und insbesondere Heuristiken können allerdings auch Denkfehler verbunden sein. Es werden unter anderem die folgenden Phänomene benannt, die die Qualität intuitiver Entscheidungen beeinträchtigen können: –– Der „overconfidence bias“: Insbesondere in Zusammenhang mit M&ATransaktionen wurde festgestellt, dass Manager dazu tendieren, ihr persönliches Urteilsvermögen zu überschätzen. Das übertriebene Selbstvertrauen mancher Unternehmenslenker führt oftmals zu Fehlinvestitionen.29 –– Eng damit zusammen hängt die Hybris-Hypothese, die zeigen soll, dass vor allem bei Unternehmenskäufen das Management des Käuferunternehmens der Annahme ist, den Wert des Zielunternehmens besser einschätzen zu können als ein effizienter Markt.30 26  Auf das Missbrauchsanfälligkeit intuitiver Entscheidungen hinweisend Fleischer Spindler/Stilz, AktG, 3. Aufl. 2015, § 93 Rn. 71b; Fleischer ZHR 172 (2008), 538 (553); Hamann ZGR 2012, 817 (831 ff). 27   Allgemein zur Methode der Behavioral Economics Camerer/Malmendier Diamond/ Vartiainen (Hrsg.), Behavioral Economics and Its Applications, 2007, S. 235 ff. 28   Gigerenzer/Gaissmaier Funke (Hrsg.), Enzyklopädie der Psychologie Band 8: Denken und Problemlösen, 2006, S. 329 (333). 29   Zum Ganzen Malmendier/Tate CEO Overconfidence and Corporate Investment, 60 Journal of Finance (2005), 2661; Fleischer ZHR 172 (2008), 538 (541). 30   Roll 59 Journal of Business, 1986, 197.

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–– Der „availability bias“: Nach dieser sog. Verfügbarkeitsheuristik wird die Beurteilung eines Ergebnisses von der Verfügbarkeit einer bestimmten Information im Bewusstsein beeinflusst, sodass aktuelle oder auffälligere Aspekte verstärkt berücksichtigt werden.31 Dies bedeutet, dass Informationen, die im Gedächtnis einer Person präsenter und damit verfügbarer sind, eher als wichtig eingestuft werden, was zu erheblichen Fehleinschätzungen führen kann.32 –– Überlappungen weist der availability bias mit dem „Falscher-KonsensEffekt“ auf: Hat man zu einem bestimmten Problem Überlegungen angestellt, so sind die Ergebnisse einem leicht abrufbar, weswegen man davon ausgeht, dies sei für andere Personen ebenso der Fall.33 –– Der Primär- und Rezenzeffekt: Verschiedene Eigenschaften und Eindrücke hinterlassen eine unterschiedliche Wirkung in der Beurteilung abhängig davon, in welcher Reihenfolge sie wahrgenommen werden. Beispiel: In einer Umfrage wurden zwei Personen vorgestellt: Alain ist intelligent, fleißig, impulsiv, kritisch, stur und neidisch; Ben ist neidisch, stur, kritisch, impulsiv, fleißig und intelligent. Auf die Frage, wen sie sympathischer finden oder mit wem sie lieber im Aufzug stecken bleiben wollten, entschieden sich die meisten der Befragten für Alain, obwohl die Beschreibungen genau identisch sind und sich lediglich die Reihenfolge der Eigenschaften unterscheidet.34 –– Die Affektheuristik: Je größer der Raum ist, der der Subjektivität bei der Entscheidungsfindung belassen wird, umso größer ist die Gefahr, dass das Ergebnis von im Vorhinein bestehenden, nicht kritisch hinterfragten Gefühlen oder politischen oder ethischen Grundüberzeugungen beeinflusst wird. Diese können leicht sachliche Argumente überlagern. Beispiele sind die Einstellung zu Atomkraft, Gentechnologie, Biogemüse, Glyphosat oder Privatschulen. Befragungen zu Einschätzungen unterschiedlicher Technologien sollten eigentlich zu homogenen Ergebnissen führen, sofern die verfügbaren Informationen zu Risiken und Nutzen gleich sind. Tatsächlich war in Befragungen einer Studie das Gegenteil der Fall, was den Autor der Studie zu dem Schluss verleitete, dass wir alle Marionet-

  Grundlegend zum „availability bias“ Tversky/Kahnemann Judgment under Uncertainty: Heuristics and Biases, 185 Science (1974), 1124 (1127 f.); vgl. auch Möllers/Kernchen ZGR 2011, 1 (10). 32  Vgl. Hamann ZGR 2012, 817 (827). 33   Dobelli Die Kunst des klugen Handelns, 3. Aufl. 2015, S. 222. 34  Hierzu auch Kahnemann Thinking, Fast and Slow, 2012, S. 82 f.; plastisch auch Dobelli Die Kunst des klugen Handelns, 3. Aufl. 2015, S. 93 ff. mit Verweis auf Asch Journal of Abnormal and Social Psychology 41, 1946, 258 ff., von dem das Beispiel von Alain und Ben stammt. 31

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ten unserer Gefühle sind und der emotionale Schwanz mit dem rationalen Hund wackle.35 Heuristiken als „Gefahren“ zu verstehen, wäre allerdings ein falscher Schluss. Durch die Anwendung solcher Faustregeln gelangen wir gelegentlich zu besseren Ergebnissen als Personengruppen, die in einer vergleichbaren Situation nicht auf Heuristiken zurückgreifen (können). Beispiel: Amerikanischen und deutschen Studenten wurde die Frage vorgelegt, ob San Diego oder San Antonio mehr Einwohner habe. 62% der amerikanischen, aber 100% der deutschen Studenten beantworteten die Frage richtig (San Diego), obwohl sie wenig von San Diego wussten und von San Antonio möglicherweise noch nie gehört hatten. Die deutschen Studenten wendeten die sog. Rekognitionsheuristik an und schätzten die ihnen bekannte Stadt größer ein als diejenige, von der sie noch nie gehört hatten. Die amerikanischen Testteilnehmer kannten hingegen beide Städtenamen, sodass sie aufgrund ihrer Kenntnis die Rekognitionsheuristik nicht anwenden konnten.36 Zugleich ist dies ein Beispiel für die sogenannte „information bias“, wonach ein Übermaß an (insbesondere nicht relevanten) Informationen die Qualität der Entscheidungsfindung verschlechtern kann.37 3. Grenzen a)  Ausschluss bei Widerspruch zu Rationalität Raum für Intuition kann im unternehmerischen Bereich allerdings nur da bestehen, wo die Regeln der Logik und grundlegende Erfahrungssätze nicht verletzt werden. Dies unterscheidet die geschäftliche von der privaten Entscheidung. Intuition kann dann herangezogen werden, wenn Objektivität an ihre Grenzen stößt. Sie soll allerdings Fakten und Informationen nicht ersetzen. Wissenschaftliche Erkenntnisse und allgemeine Lebenserfahrung bilden die äußerste Grenze für Subjektivität. Es besteht kein Bedürfnis, das Bauchgefühl eines Managers, das sich gegen sämtliche wissenschaftliche Prognosestandards richtet, als im unternehmerischen Bereich schützenswert anzuerkennen. Sich auf das „Orakel von Delphi“38 zu verlassen, ist bei der Unternehmensführung nicht angezeigt.

35  Ausführlicher Kahnemann Thinking, Fast and Slow, 2012, S. 139 ff.; plastisch auch Dobelli Die Kunst des klugen Handelns, 3. Aufl. 2015, S. 65 ff. 36  Vgl. Gigerenzer Bauchenscheidungen, 14. Aufl. 2008, S. 15; Gigerenzer/Gaissmaier Funke (Hrsg.), Enzyklopädie der Psychologie Band 8: Denken und Problemlösen, 2006, S. 329 (341); Hamann ZGR 2012, 817 (827). 37   Hierzu etwa Dobelli Die Kunst des klugen Handelns, 3. Aufl. 2015, S. 33 ff. 38  Vgl. dazu in Zusammenhang mit § 93 Abs. 1 S. 2 AktG Spindler Münchener Komm AktG, 4. Aufl. 2014, § 93 Rn. 53.

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b)  Vornahme von strategischen oder operativen Maßnahmen Jedenfalls im Grundsatz wird die Wahrnehmung einer Handlungsmöglichkeit allein auf objektiv belast- und nachprüfbare Fakten gestützt werden müssen. Beispiel: Die Durchführung eines Unternehmenskaufs setzt eine klare, objektiv überprüfbare Entscheidungsgrundlage voraus. Im Vergleich zur Unterlassensalternative muss die Akquisition die Generierung eines Mehrwerts erwarten lassen, der die mit einer solchen Option stets verbundenen Kosten und Risiken übersteigt. Zwar kann es bei der Beurteilung der Chancen und Risiken auch auf subjektive Einschätzungen ankommen; für die Durchführung einer solchen Transaktion kann es jedoch nicht ausreichen, dass der Vorstand ein „gutes Gefühl“ hat. Insofern wären Vorstände schlecht beraten, dem Beispiel von Jack Welsh, dem langjährigen (sehr erfolgreichen) CEO von General Electric, zu folgen, der sich rühmte, sich bei M&A-Transaktionen primär auf sein Bauchgefühl verlassen zu haben39, sofern die Sinnhaftigkeit der Transaktion nicht auch durch objektive Fakten zu rechtfertigen ist. Anderes kann gelten, wenn eine Entscheidung zwingend in kurzer Zeit, die für eine Analyse der objektiven Fakten nicht ausreicht, getroffen werden muss. Im Gegensatz dazu ist die Berücksichtigung von unternehmerischem Gespür tendenziell eher denkbar bei der Frage, ob der Vorstand von einer solchen Transaktion absieht, obwohl die vorgelegte Präsentation zu einem positiven Mehrwert kommt. Hier kann ein „schlechtes Gefühl“ eines erfahrenen Managers oder ein objektiv nicht begründbares Misstrauen gegenüber dem Verkäufer oder dem Management der Zielgesellschaft mitunter ausschlaggebende Bedeutung dafür haben, von der Transaktion Abstand zu hehmen. c)  Gebundene versus Ermessensentscheidungen Für subjektive Einschätzungen und Beurteilungen ist im Rahmen von Ermessensentscheidungen, nicht dagegen bei gebundenen Entscheidungen Raum. Die Anforderungen des Rechts sind objektiv zu ermitteln. Schon aus rechtsstaatlichen Gründen muss der Staat die von Bürgern und Unternehmen zu befolgenden Regeln in einer objektiven Art und Weise vorgeben.40 Die zur Ermittlung der Verhaltensge- und -verbote erforderlichen Informationen müssen objektiv verfügbar sein; objektiv nicht behebbare Informationsdefizite sind kaum denkbar. Subjektiv kann allerdings die freiwillige Ausdehnung von gesetzlichen Ge- oder Verboten zur Vermeidung illegitimen (nicht illegalen) Verhaltens begründet werden.   Näher hierzu Fleischer ZHR 172 (2008), 538 (552).   Zum rechtsstaatlichen Bestimmtheitsgebot nur Maunz/Dürig GG, 81. EL September 2017, Art. 20 Rn. 58 ff.; Antoni Hömig/Wolff GG, 11. Aufl. 2016, Art. 20 Rn. 12. 39 40

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IV.  Handlungsempfehlungen für den Umgang mit Subjektivität Die vorstehend aufgeführten Risiken und Grenzen von Intuition zeigen, dass die subjektive Einschätzung von Unternehmenslenkern auch zu Fehlentscheidungen führen kann, die bei objektiver Analyse der zur Verfügung stehenden Informationen möglicherweise hätten vermieden werden können. Um die Vorteile subjektiver Entscheidungsfindung fruchtbar zu machen, müssen ihre Grenzen beachtet und ihre Risiken minimiert werden. Es stellt sich daher die Frage, wie mit Subjektivität im Rahmen der unternehmerischen Entscheidungsfindung verfahren werden sollte, um die vorstehend beschriebenen Gefahren zu mindern. 1. Transparenz Ein Eckpfeiler im sachgemäßen Umgang mit Subjektivität bei unternehmerischen Entscheidungen ist Transparenz. Sie ist das stärkste Mittel zur Reduktion der Gefahren intuitiver Entscheidungen. Vom Entscheider ist zu fordern, dass er dem ihn überwachenden Gremium, sei es der Gesamtvorstand oder der Aufsichtsrat, sowohl das „Ob“, also den Umstand, dass die Entscheidung maßgeblich auf Intuition beruht, als auch das „Wie“, namentlich die subjektiven Entscheidungskriterien offenlegt. Die Offenlegung der Einbeziehung subjektiver Aspekte in die Abwägungsentscheidung ist in mehrfacher Hinsicht zweckdienlich. Zunächst wird dadurch die Überprüfbarkeit der Entscheidung für gesellschaftsinterne Stellen überhaupt erst ermöglicht. Auch wenn diese Prüfung nicht in vollem Umfang anhand objektiver Kriterien erfolgen kann, ist dennoch für Dritte ersichtlich, dass sich das Vorstandmitglied im konkreten Fall (auch) auf subjektive Aspekte verlassen hat. Das Aufsichtsgremium kann jedenfalls prüfen, ob die vorstehend dargestellten Grenzen der Berücksichtigung subjektiver Einschätzungen eingehalten wurden. Zugleich wird es gewarnt und kann besonders kritisch prüfen, ob ein Interessenkonflikt vorliegt oder Aspekte berücksichtigt wurden, die nicht im Unternehmensinteresse liegen. Ein ehrlicher Umgang mit der Berücksichtigung unternehmerischer Erfahrung und Intuition bei der Entscheidungsfindung fördert darüber hinaus die Akzeptanz subjektiver Entscheidungen. Der Entscheider, der die Zuhilfenahme seines „Bauchgefühls“ offenlegt, trifft womöglich eher auf Verständnis als ein solcher, der seine Intuition hinter einer objektivierten Begründung zu verstecken versucht. Darüber hinaus ist ein Verstecken subjektiver Wertungen hinter scheinbar objektiven Kriterien sorgfaltswidrig, da die Begründung nicht wahrheitsgemäß ist und eine Kontrolle der Entscheidungsfindung erschwert. Die Deklarierung der intuitiven Entscheidung als solche stellt insofern den ersten Schritt dar, den das Mitglied der Geschäfts-

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leitung im Umgang mit Subjektivität bei der Entscheidungsfindung gehen muss. 2.  Begründung, warum eine rein rationale Entscheidungsfindung suboptimal wäre Im nächsten Schritt ist das „Warum“ der intuitiven Entscheidung zu erläutern. Der Entscheider hat darzulegen, aus welchen Gründen er im konkreten Fall einen Bedarf an Intuition gesehen hat, warum also die Grenzen der Rationalität hinsichtlich des von ihm zu beurteilenden Sachverhalts erreicht sind und eine Entscheidung auf Basis rein objektiver Kriterien suboptimal wäre. Die Gründe können wie gezeigt vielfältig sein; sie reichen von den Grenzen objektiver Entscheidungskriterien über den Mangel an objektiv belastbaren Informationen und der Begründung, warum diese nicht beschafft werden können, bis – ausnahmsweise – hin zu schlichtem Zeitmangel, eine umfangreiche Analyse der objektiven Entscheidungsgrundlagen, möglicherweise unter Einschaltung von Spezialisten, durchzuführen. Auch dieser Begründungszwang mindert das Risiko von Missbrauch und erleichtert eine Überprüfung des Entscheidungsverhaltens zumindest auf die Plausibilität. 3.  Offenlegung und Abgrenzung objektiver und subjektiver Entscheidungskriterien Es gibt wenige Entscheidungen, die rein subjektiv getroffen werden dürfen. In der Regel sind zunächst die objektiven Entscheidungskriterien herauszuarbeiten. Dazu gehört in jedem Fall die Bestimmung der zur Verfügung stehenden Handlungsalternativen. Es mag sein, dass diese objektiven Entscheidungsgrundlagen allein noch keine ausreichende Basis für eine optimale Entscheidung bieten; mitberücksichtigt werden müssen sie aber in jedem Fall. Der Entscheider muss seine Entscheidung also auch auf Basis der objektiven Merkmale vorbereiten und auch die objektiven Entscheidungskriterien in seine Abwägung miteinbeziehen. Kommt er zu dem Ergebnis, dass diese allein keine optimale Entscheidung ermöglichen, muss er die subjektiven Kriterien formulieren und in den Abwägungsprozess mit einbeziehen. Subjektive Kriterien sind zwar nicht objektiv überprüfbar. Ihre Richtigkeit kann nicht bewiesen, wohl aber – wenn auch in unterschiedlichem Umfang – präzisiert, erläutert und plausibilisiert werden. Beispiel: Bei Personalentscheidungen ist die Aussage „ich habe ein ungutes Gefühl“ weniger präzise als die Aussage „mir erschien der Bewerber im Gespräch als nicht authentisch“. Die fehlende Authentizität kann möglicherweise weiter präzisiert werden anhand bestimmter Aussagen oder Verhaltensweisen des Bewerbers. Hilfreich kann die Klarstellung sein, ob eine subjektive Schlussfolgerung aus einem bestimmten Verhalten, beispielsweise der Antwort eines Bewerbers

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auf eine bestimmte Frage, oder der Gesamtschau des Verhaltens gezogen wird. Beruft sich der Entscheider auf seine Erfahrung, sollte versucht werden, die Erfahrung durch Offenlegung der vergleichbaren Entscheidungssituationen nachzuweisen. Dabei ist zu beachten, dass eine Plausibilisierung von Intuition nicht grenzenlos möglich und in Einzelfällen schnell an ihre Grenzen stoßen kann. Abstrakte Aussagen sind kaum möglich. Allerdings dürfte es Entscheidern und Kontrollgremien in der konkreten Situation nicht schwer fallen, eine gemeinsame Linie zu finden, inwieweit die subjektiven Entscheidungskriterien präzisiert und erläutert werden können. Wie bei auf rein objektive Kriterien gestützten Entscheidungen ist auch bei Entscheidungen unter Berücksichtigung des unternehmerischen Gespürs eine nachvollziehbare Dokumentation der Entscheidungsfindung unter Darlegung der Entscheidungsalternativen und -kriterien sowie der Abwägung zu empfehlen.41 Das gilt gerade auch für die Defizite einer Entscheidung allein auf Basis der objektiven Entscheidungskriterien sowie die herangezogenen subjektiven Entscheidungskriterien und, soweit möglich, deren Erläuterung. So müssen die strengen Anforderungen des § 93 Abs. 1 S. 2 AktG bspw. auch bei gemeinnützigen Aktivitäten des Vorstands, insbesondere Spenden, beachtet werden. Ob die Belange Dritter wirklich schutzwürdig sind und die in Aussicht gestellte Maßnahme geeignet ist, deren Situation zu verbessern, bedarf sorgfältiger Prüfung auf Basis einer angemessenen Informationsgrundlage. Auch wenn die wirtschaftlichen Folgen der Maßnahme nicht allein maßgeblich sind, muss der Vorstand sie abschätzen und bei seiner Entscheidung mit bedenken, so wie er auch bei sonstigen unternehmerischen Entscheidungen alle Vor- und Nachteile mitberücksichtigen muss.42 Das Erfordernis der Offenlegung der subjektiven Entscheidung und der Entscheidungskriterien dient neben der Erleichterung einer externen Überprüfung auch der Qualitätssicherung der Entscheidung selbst: Indem dem subjektiv entscheidenden Geschäftsleiter ein gewisser Begründungsaufwand abverlangt wird, wird diesem zugleich vor Augen geführt, wo die Schwächen seiner Lösung liegen könnten. Der Offenlegungs- und Begründungszwang hindert den Entscheider, unreflektiert ein bestimmtes Ergebnis anzunehmen oder eine bestimmte Maßnahme zu treffen. Die Gefahr von Selbstüberschätzung und Urteilsverzerrungen kann dadurch gemindert werden. Der Entscheider wird gezwungen, sich mit seiner Entscheidung und der Art und Weise ihres Zustandekommens auseinanderzusetzen und seine Entscheidung im Sinne eines „Fundierungschecks“ im Lichte analytisch-objektiver Kriterien kritisch zu hinterfragen.43   S. hierzu bereits oben unter I.   Mertens/Cahn Kölner Komm. z. AktG, 3. Aufl. 2010, § 76 Rn. 34; Hüffer/Koch, AktG, 13. Aufl. 2018, § 76 Rn. 33; J. Vetter. ZGR 2018, 338, 367 f. 43  Vgl. Grundei/v. Werder AG 2005, 825 (831); v. Werder DB 1995, 2177 (2181). 41 42

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4.  Externe Überprüfung durch Überwachungsgremium Die Überprüfung von intuitiv gefassten Entscheidungen stellt eine Herausforderung dar. Während dem subjektiven Entscheider das Vertrauen in seine Intuition den Entscheidungsprozess vereinfachen soll, erschwert es Dritten die Überprüfung eines sorgfältigen Entscheidungsprozesses. Als Überprüfungsinstanzen treten in Bezug auf Vorstands- und Geschäftsführungsentscheidungen im gesellschaftsinternen Bereich der Aufsichtsrat oder Beirat und als externe Stellen (staatliche) Gerichte auf. Auf die Schwierigkeiten intersubjektiver Nachvollziehbarkeit intuitiver Entscheidungen wurde bereits hingewiesen.44 Es wird daher zu Recht angemerkt, dass eine eingehende Nachprüfung intuitiv gefasster Entschlüsse nicht in Betracht komme.45 Allerdings schließt dies eine Prüfung der Plausibilität der unternehmerischen Entscheidungsfindung nicht aus. Wie gezeigt müssen auch subjektive Vorstandsentscheidungen auf einer hinreichenden objektiven Informationsgrundlage beruhen; zudem müssen objektive Gründe erkennbar sein, warum diese Grundlage nicht ausreicht, um eine optimale Entscheidung zu treffen. Die herangezogenen subjektiven Entscheidungskriterien sind zu benennen und, soweit möglich, zu plausibilisieren. Es sind genau diese Aspekte, die durch den Aufsichtsrat im Rahmen seiner Überwachungstätigkeit bzw. durch die Gerichte, etwa bei der Beurteilung der Haftung eines Vorstandsmitglieds, jedenfalls auf ihre Plausibilität46 hin überprüft werden können. Letztlich geht es bei der Überprüfung subjektiver Entscheidungen um die Frage nach deren Vertretbarkeit. Die den Entschluss überprüfende Person, gleich ob Aufsichtsratsmitglied oder Richter, muss im Ergebnis nicht die gleichen Schlüsse ziehen wie der Vorstand; sie muss allerdings in die Lage versetzt werden, das Ergebnis als ein solches anzuerkennen, das sich im Rahmen des unternehmerischen Ermessens des § 93 Abs. 1 S. 2 AktG hält.47

V.  Anwendbarkeit der Business Judgment Rule Abschließend soll der Frage nachgegangen werden, ob sich auch der subjektiv entscheidende Geschäftsleiter auf die Business Judgment Rule gemäß § 93 Abs. 1 S. 2 AktG berufen kann. Deren erste Voraussetzung, das Vorliegen einer unternehmerischen Ermessensentscheidung, wird bei denjenigen   Vgl. auch Weber in FS Krystek, 2009, S. 6.   Grundei/v. Werder AG 2005, 825 (831). 46   Zur Plausibilitätskontrolle i. R. d. § 93 Abs. 1 S. 2 AktG OLG Köln, Beschluss v. 22.02.2010 – 18 W 1/10, I 18 W 1/10 = ZIP 2010, 1799. 47   Vgl. zur Vertretbarkeit i. R. d. § 93 Abs. 1 S. 2 AktG etwa Spindler in Münchener Komm AktG, 4. Aufl. 2014, § 93 Rn. 54 ff; Redeke ZIP 2011, 59 (62). 44 45

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Entscheidungen, bei denen Intuition mitberücksichtigt werden kann, stets vorliegen, da gebundene Entscheidungen nicht subjektiv entschieden werden können (s. dazu bereits oben III.3.c)). Trotzdem ist umstritten, ob der sichere Haftungshafen der Business Judgment Rule auch bei subjektiv getroffenen Entscheidungen offen steht. Soweit überhaupt Stellung genommen wird, überwiegt im Schrifttum die Auffassung, die eine Enthaftung des Vorstandsmitglieds bei einer intuitiv gefassten unternehmerischen Entscheidung über die Business Judgment Rule nicht zulassen will.48 Eine an verhaltenswissenschaftlichen Erkenntnissen ausgerichtete Untersuchung des § 93 Abs. 1 S. 2 AktG hat sich eingehend mit dieser Frage befasst: Obwohl eingeräumt wird, dass intuitive Entscheidungen mitunter besser ausfallen mögen als analytisch reflektierte, dürfe der Vorstand bei ersteren mangels Möglichkeit der intersubjektiven Nachvollziehbarkeit nicht im Sinne des § 93 Abs. 1 S. 2 AktG „vernünftigerweise annehmen“, auf der Grundlage angemessener Information gehandelt zu haben.49 Es wird darauf hingewiesen, dass die intersubjektive Nachvollziehbarkeit für die Ausübung der Überwachungstätigkeit des Aufsichtsrats essentiell sei.50 Allerdings sind diese Einwände nicht unwidersprochen geblieben. So wird teilweise vertreten, auch eine Entscheidung nach Bauchgefühl, die auf den vorhandenen Informationen und entsprechenden Erfahrungen beruht, könne von anderen nachvollzogen werden.51 Schließlich sei der Vorstand auch bei intuitiven Entscheidungen nicht von seiner Pflicht enthoben, die Entscheidungsgrundlage sorgsam zu ermitteln.52 Im Ergebnis ist der zweitgenannten Auffassung zu folgen. Die Forderung nach einer Unanwendbarkeit des § 93 Abs. 1 S. 2 AktG auf intuitive Entscheidungen kann weder von der dogmatischen Begründung noch vom praktischen Ergebnis überzeugen: –– Zunächst überzeugt es nicht, den Normzweck des § 93 Abs. 1 S. 2 AktG primär oder gar ausschließlich in der Sicherung der Nachvollziehbarkeit und Überprüfbarkeit von Vorstandsentscheidungen zu sehen.53 In erster Linie bezweckt die Business Judgment Rule die Schaffung eines sicheren Hafens für Vorstandsmitglieder; eine Lähmung der unternehmerischen 48   Dies vertreten Spindler Münchener Komm AktG, 4. Aufl. 2014, § 93 Rn. 44; derselbe AG 2013, 889 (891); Brömmelmeyer WM 2005 Heft 44, 2065 (2067); Graumann ZGR 2011, 293 (298); derselbe ZCG, 2015, 197 (203); Hamann ZGR 2012, 817 (833). 49   Hamann ZGR 2012, 817 (833); dem folgend Spindler Münchener Komm AktG, 4. Aufl. 2014, § 93 Rn. 44; derselbe AG 2013, 889 (891). 50   Grundei/v. Werder AG 2005, 825 (831); s. auch Fleischer Spindler/Stilz, AktG, 3. Aufl. 2015, § 93 Rn. 71b, der allerdings intuitive Entscheidungen grundsätzlich bis zu einem gewissen Grad von § 93 Abs. 1 S. 2 AktG gedeckt ansieht. 51   Hopt/Roth Großkomm AktG, 5. Aufl. 2014, § 93 Rn. 80. 52   Semler Leitung und Überwachung der Aktiengesellschaft, 2. Aufl. 1996, Rn. 73. 53   Hamann ZGR 2012, 817 (832).

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Risikobereitschaft, die eine reine Erfolgshaftung mit sich brächte, soll vermieden werden.54 Die Risikobereitschaft des Vorstands soll durch § 93 Abs. 1 S. 2 AktG gerade gestärkt werden.55 Über die Wahrung des Interesses des Entscheiders an Haftungsvermeidung hinaus geht es dabei um eine proaktive Förderung guter Unternehmensführung (dazu nachfolgend noch ausführlicher). –– Im Übrigen können auch intuitive Entscheidungen zwar nicht auf Richtigkeit, wohl aber auf Nachvollziehbarkeit und Plausibilität überprüft werden. Durch die Orientierung an den vorstehend unter IV. entwickelten Leitlinien zum Umgang mit Subjektivität kann ein hinreichendes Maß an Nachvollziehbarkeit sichergestellt werden. Bei deren Beachtung dürfen Vorstands- und Aufsichtsratsmitglieder „vernünftigerweise annehmen, auf der Grundlage angemessener Information […] zu handeln“. Der Vorstand muss gerade auch subjektive, intuitive Entscheidungen gegenüber dem Aufsichtsrat verantworten und begründen, soweit sie einer Begründung zugänglich sind. Auch bei intuitiven Entscheidungen gibt es (allerdings nicht allein maßgebliche) objektive Entscheidungskriterien, die wie bei jeder anderen Entscheidung offen gelegt und abgewogen werden müssen. Dass sich das zusätzlich mitberücksichtigte intuitive Entscheidungskriterium einer vollumfänglichen intersubjektiven Überprüfung entzieht, schließt eine Nachvollziehbarkeit der Entscheidungsfindung und eine Überprüfung auf Plausibilität nicht aus. Auch bei objektiven Entscheidungen, die auf komplexen technischen oder betriebswirtschaftlichen Vorarbeiten beruhen, werden Aufsichtsratsmitglieder, wenn auch aus anderen Gründen, an die Grenzen einer Überprüfung der Entscheidung gelangen und sich auf eine Prüfung der Plausibilität beschränken müssen. –– Bei einer Anwendung der Business Judgment Rule auf Entscheidungen unter Berücksichtigung von Intuition ist auch das Bedenken nicht stichhaltig, der Vorstand könnte versuchen, dem strikten Erfordernis intersubjektiver Nachvollziehbarkeit durch nachträgliche Rationalisierung seiner intuitiven Entscheidung gerecht zu werden.56 Dafür besteht gerade kein Anlass mehr. Der Vorstand verschlechtert seine Haftungssituation ja nicht dadurch, dass er offen legt, in welchem Umfang seine Entscheidung auf subjektiven Einschätzungen beruht. Durch die Anwendbarkeit der Business Judgment Rule wird ein Anreiz gesetzt, Entscheidungen ehrlich zu begründen, was umgekehrt die Überprüfung durch den Aufsichtsrat erleichtert. 54   Mertens/Cahn Kölner Komm AktG, 3. Aufl. 2010, § 93 Rn. 13; Hopt/Roth Großkomm AktG, 5. Aufl. 2014, § 93 Rn. 61; Fleischer Spindler/Stilz, AktG, 3. Aufl. 2015, § 93 Rn. 60. 55  Hüffer/Koch, AktG, 13. Aufl. 2018, § 93 Rn. 9. 56  So Hamann ZGR 2012, 817 (833).

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–– Nicht übersehen werden darf die verhaltenssteuernde Wirkung der Antwort auf die Frage, ob die Business Judgment Rule auch bei intuitiv getroffenen Entscheidungen Anwendung findet. Entscheidungsträger haben angesichts der sehr scharfen materiellen Haftung des § 93 AktG ein berechtigtes Interesse daran, in den Genuss des § 93 Abs. 1 S. 2 AktG zu kommen. Die Versagung seiner Anwendbarkeit würde einen Anreiz setzen, intuitive Entscheidungskriterien generell auszublenden. Wie gezeigt (oben unter II.) gibt es aber Entscheidungen, die auf einer rein objektiven Basis nicht optimal getroffen werden können. Verweigerte man den Geschäftsleitern bei derartigen Entscheidungen den sicheren Hafen des § 93 Abs. 1 S. 2 AktG, würde ein Anreiz zu suboptimalen unternehmerischen Entscheidungen gesetzt. Warum sollte ein Gesetzgeber in solch gravierender Weise schädlich in die Unternehmensführung eingreifen? –– § 93 Abs. 1 und 2 AktG betrifft zwar primär Haftungsfragen. Letztlich geht es aber nicht primär und jedenfalls nicht allein um Haftung und deren Vermeidung, sondern um die Förderung einer guten Unternehmensführung. Die Haftungsregeln entfalten eine präventive Wirkung, die Geschäftsleiter einerseits zu sorgfältigem Handeln animieren sollen.57 Andererseits soll ihnen die Angst vor Haftung nicht die Bereitschaft zu unternehmerischen Entscheidungen, die stets auch Risiken für das Unternehmen bergen, nehmen. Letzterem dient gerade der § 93 Abs. 1 S. 2 AktG. Ziel ist damit die Förderung guter, im Unternehmensinteresse liegender Entscheidungen.58 Diesem Normzweck liefe eine Auslegung zuwider, die in bestimmten Entscheidungssituationen zu einem suboptimalen Ergebnis führt. –– Das hier befürwortete Verständnis des § 93 Abs. 1 S. 2 AktG wird auch von der Regierungsbegründung zum UMAG gestützt, die anerkennt, dass unternehmerische Entscheidungen häufig auch auf „Instinkt, Erfahrung, Phantasie und Gespür für künftige Entwicklungen und einem Gefühl für die Märkte und die Reaktion der Abnehmer“ beruhen und sich dies nicht vollständig durch objektive Information ersetzen lasse.59 Es ist daher im Ergebnis festzuhalten, dass die Business Judgment Rule auch auf Entscheidungen anzuwenden ist, die unter Berücksichtigung subjektiver, intuitiver Einschätzungen getroffen werden. Selbstverständlich sind die Voraussetzungen des § 93 Abs. 1 S. 2 AktG auch bei solchen Entscheidungen im Einzelnen zu prüfen. Der Entscheidungsträger muss subjektiv davon ausgehen, zum Wohl der Gesellschaft zu handeln. Gerade bei subjektiv getroffenen Entscheidungen, beispielsweise der Verfolgung gemeinnütziger  Ausführlich Wagner ZHR 178 (2004), 227 (251 ff.).   Binder ZGR 2007, 745 (763 f.); Fleischer Spindler/Stilz, AktG, 3. Aufl. 2015, § 93 Rn. 71b; Fleischer ZHR 172 (2008), 538 (553). 59   Begr. des RegE UMAG, BT-Drucksache 15/5092, S. 11 f.; s. auch Faßbender NZG 2015, 501 (503). 57

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Zwecke60, kann es sich lohnen, genauer zu prüfen, ob sich der Entscheider in einem Interessenwiderstreit befand.61 Die Erfüllung der Voraussetzung, dass der Entscheider „vernünftigerweise davon ausgehen durfte, auf der Grundlage angemessener Information zum Wohle der Gesellschaft zu handeln“, kann durch Beachtung der unter IV. dargestellten Handlungsempfehlungen sichergestellt werden. Dies bedeutet nicht, dass subjektiver, nur begrenzt überprüfbarer Intuition unbeschränkt Tür und Tor geöffnet würden. Es gibt eine Vielzahl unternehmerischer Entscheidungen, die allein auf der Grundlage objektiver Kriterien zu treffen sind und bei denen für ein subjektives Element kein Raum ist. Es gibt aber eben auch andere Entscheidungen.

VI. Zusammenfassung Es gibt auch im unternehmerischen Bereich Entscheidungen, bei denen die Gefahr suboptimaler Ergebnisse erhöht würde, wenn man die Entscheider auf objektive, klar dokumentierbare und intersubjektiv überprüfbare Entscheidungskriterien begrenzte. Die Qualität solcher Entscheidungen kann durch die Berücksichtigung von Intuition und unternehmerischem Gespür erhöht werden. Wenn dem so ist, sollten Entscheidungsträger im Unternehmensinteresse ermutigt werden, bei Entscheidungen auch ihre Intuition mit zu berücksichtigen und dies offensiv zu vertreten. Mit der Berücksichtigung subjektiver Kriterien bei unternehmerischen Entscheidungen sind Gefahren verbunden, die über Missbrauch und die Camouflage von Trägheit und Faulheit bei der Erarbeitung und Bewertung der objektiven Entscheidungskriterien hinausgehen. Zudem gibt es objektive Grenzen der Berücksichtigung von Intuition; insbesondere dürfen subjektive getroffene Entscheidungen der Rationalität nicht widersprechen. Im Bereich der Legalitätspflicht müssen die Auslegung von Ge- und Verboten rein objektiv erfolgen. Beim Umgang mit Subjektivität sollten Leitlinien beachtet werden. Insbesondere sollten subjektive Entscheidungskriterien offengelegt und nicht kaschiert werden. Auch die Unzulänglichkeit rein objektiver und der Bedarf an subjektiven Entscheidungskriterien sollten offen gelegt werden. Ebenso wie objektive Entscheidungskriterien sollten auch subjektive Kriterien für 60  Beispielhaft etwa die Verurteilung eines Aufsichtsratsvorsitzenden wegen Untreue, der Spenden für einen Sportverein veranlasste, dessen Präsident er selbst war (BGH v. 6.12.2001 – 1 StR 215/01, NJW 2002, 1585); näher hierzu m.w.N. J. Vetter, ZGR 2018, 338, 368 f. 61   Zu diesem teilweise als eigenständiges ungeschriebenes Tatbestandsmerkmal des § 93 Abs. 1 S. 2 AktG angesehenen Kriteriums s. etwa Hüffer/Koch, AktG, 13. Aufl. 2018, § 93 Rn. 25; Krieger/Sailer-Coceani K. Schmidt/Lutter, AktG, 3. Aufl. 2015, § 93 Rn. 19 m.w.N., s. auch Begr. des RegE UMAG, BT-Drucksache 15/5092, S. 11.

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die Entscheidungsfindung klar angesprochen, im Rahmen des Möglichen plausibilisiert und bei der Abwägung gewichtet werden. § 93 Abs. 1 S. 2 AktG findet grundsätzlich auch auf unternehmerische Entscheidungen Anwendung, die unter Berücksichtigung von Erfahrung, Intuition und unternehmerischem Gespür getroffen werden.

10 Jahre MoMiG: Die GmbH-Reform im Spiegel der Rechtsprechung des II. Zivilsenats des BGH Frauke Wedemann Das MoMiG feiert in diesem Jahr seinen 10. Geburtstag: Es wurde am 23.10.2008 im Bundesgesetzblatt verkündet und ist am 01.11.2008 in Kraft getreten. Das Zusammentreffen dieses Geburtstags mit dem Festjahr des Jubilars lädt ein zu einer Analyse des Widerhalls, den das MoMiG in der Rechtsprechung des II. Zivilsenats des BGH gefunden hat. Dabei stellen sich spannende Fragen: Welche Gegenstände der Reform erwiesen sich als besonders konfliktträchtig? In welchen Gebieten setzte der II. Zivilsenat besondere Akzente? Inwieweit trug er der Intention des Gesetzgebers bzw. der Verfasser der Gesetzesmaterialien1 Rechnung? In welchen Bereichen sind Fortentwicklungen herausgebildeter Rechtsprechungslinien zu erwarten? Vor dem Hintergrund dieser Fragen unternimmt der vorliegende Beitrag einen Streifzug durch die Rechtsprechung des II. Zivilsenats zum MoMiG. Die Basis bildet eine thematische Einordnung der Judikate. Insgesamt hat der Senat vom 23.10.2008 (Verkündung im Bundesgesetzblatt) bis zum 01.03.2018 (Erstellung dieses Beitrags) 54 Entscheidungen erlassen, die das Stichwort „MoMiG“ beinhalten. Klammert man die beiden Entscheidungen aus, die lediglich Bücher zitieren, deren Titel das Wort „MoMiG“ umfasst, verbleiben 52 Entscheidungen.

I. Unternehmergesellschaft Die Spezifika der haftungsbeschränkten Unternehmergesellschaft (UG), dem „Überraschungscoup“2 des MoMiG, haben den II. Zivilsenat bislang dreimal beschäftigt. In zwei Entscheidungen ging es um die Auswirkungen des Sacheinlagenverbots des § 5a Abs. 2 Satz 2 GmbHG: Der BGH judizierte zum einen, dass dieses Verbot der Neugründung einer UG im Wege der Abspaltung entgegensteht;3 zum anderen stellte er klar, dass das Verbot 1  Zur Bedeutung der Gesetzesmaterialien vgl. die Beiträge bei Fleischer Mysterium „Gesetzesmaterialien“, 2013. 2  So Römermann GmbHR 2007, R193; Seibert GmbHR 2007, 673, 674. 3   BGH NJW 2011, 1883.

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für eine den Betrag des Mindestkapitals nach § 5 Abs. 1 GmbHG erreichende oder übersteigende Erhöhung des Stammkapitals nicht gilt.4 Das dritte Urteil befasste sich mit der Rechtsscheinhaftung bei geschäftlichem Handeln mit dem unrichtigen Rechtsformzusatz „GmbH“.5 Betrachtet man die große Verbreitung der UG – am 01.01.2016 gab es 115.644 UG6 –, mag es verwundern, dass die Einführung der UG nicht zu einer höheren Zahl an BGH-Entscheidungen geführt hat. Maßgeblich für die relativ geringe Konfliktträchtigkeit dürfte sein, dass der Gesetzgeber die UG nicht als neue Rechtsform, sondern als GmbH mit einigen Besonderheiten ausgeformt hat.7 Der Umfang von Neuerungen mit Streitpotential ist damit stark eingeschränkt.

II.  Sitz der Gesellschaft In dem am 27.10.2008 – kurz vor Inkrafttreten des MoMiG – erlassenen Trabrennbahn-Urteil8 sowie einem weiteren Urteil vom selben Tag9 konstatierte der II. Zivilsenat, dass der Gesetzgeber zum Internationalen Privatrecht der Gesellschaften bislang noch keine Regelung getroffen habe, insbesondere § 4a GmbHG i.d.F. des MoMiG keine Regelung über die Anerkennung ausländischer Gesellschaften mit Verwaltungssitz im Inland enthalte. Zur Begründung verweisen die Urteile – ohne weitere Erörterungen – lediglich auf einen Beitrag von Kindler10. Es steht zu erwarten, dass der BGH jedenfalls bei der Begründung seiner Sichtweise bei Gelegenheit nachbessern wird. Zwar ist es ohne Weiteres zutreffend, dass § 4a GmbHG keine Regelung über die Anerkennung ausländischer Gesellschaften mit Verwaltungssitz im Inland enthält (und nur diese Frage war in den beiden Urteilen entscheidungserheblich). Näherer Begründung bedarf aber die These, dass der Gesetzgeber zum Internationalen Privatrecht der Gesellschaften bislang noch keine Regelung getroffen habe, denn um den kollisionsrechtlichen Gehalt des § 4a GmbHG kreist im Schrifttum – mittlerweile – eine lebhafte Debatte.11

  BGHZ 189, 254.   BGH NJW 2012, 2871. 6   Kornblum GmbHR 2016, 691, 692. 7   Vgl. zu dieser Ausgestaltung Seibert GmbHR 2007, 673, 674 f.; Wedemann WM 2008, 1381. 8   BGHZ 178, 192 Rn. 22. 9   BGH ZInsO 2009, 149. 10   Kindler AG 2007, 721, 725 f. 11  Für einen aktuellen Überblick über den Meinungsstand vgl. Cziupka in Scholz, GmbHG, 12. Aufl. 2018, § 4a Rn. 24. 4 5

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III.  Staatliche Genehmigung Das MoMiG hat durch die ersatzlose Streichung von § 8 Abs. 1 Nr. 6 GmbHG a.F. und § 37 Abs. 4 Nr. 5 AktG a.F. die Eintragung der GmbH bzw. AG im Handelsregister von einer ggf. erforderlichen staatlichen Genehmigung vollständig abgekoppelt. Die damit verfolgte Intention erkennt der II. Zivilsenat an und trägt ihr auch in anderen Bereichen Rechnung, in denen sich die Frage nach der Relevanz staatlicher Genehmigungen im Handelsregisterverfahren stellt. So hat er entschieden, dass das Registergericht im Amtslöschungsverfahren nicht zu prüfen hat, ob die Erteilung einer Prokura gegen § 7 ApoG verstößt,12 und zur Begründung u.a. angeführt: „Für eine strikte Trennung des registerrechtlichen Verfahrens von der Prüfung öffentlich-rechtlicher Gewerbevorschriften spricht schließlich auch die ersatzlose Streichung der wichtigsten bisherigen geschriebenen Ausnahmen in § 8 Abs. 1 Nr. 6 GmbHG a.F. und § 37 Abs. 4 Nr. 5 AktG a.F. durch das MoMiG mit dem erklärten Ziel des Gesetzgebers, die Gründung von Kapitalgesellschaften durch Vereinfachung des Eintragungsverfahrens zu erleichtern.“13

IV. Geschäftsanteil Die Neuregelung zur Teilung von Geschäftsanteilen14 bildete den Gegenstand einer Entscheidung des II. Zivilsenats. Hierbei setzte er das Regelungsanliegen des Gesetzgebers konsequent um: Unter Bezugnahme auf die Begründung des Regierungsentwurfs15 konstatierte er, dass der Gesetzgeber mit der Streichung des § 17 GmbHG die Teilung freigeben, also erleichtern und nicht erschweren wollte, und kam dementsprechend zu dem Schluss, dass damit die Durchführung einer Teilung entsprechend dem gestrichenen § 17 GmbHG durch Veräußerung mit Zustimmung der Gesellschafter weiterhin möglich ist, soweit der Gesellschaftsvertrag keine gegenteilige Regelung enthält.16 In einem Urteil zu einer anderen Neuregelung zur Gestaltung der Geschäftsanteile17 folgte der II. Zivilsenat der Regierungsbegründung hingegen nicht: Der BGH hatte sich hier mit der außerordentlich strittigen Frage zu befassen, ob ein Einziehungsbeschluss auch dann wirksam sein kann, wenn durch die Einziehung eine Divergenz zwischen der Summe der   BGH NZG 2017, 1226.   BGH NZG 2017, 1226 Rn. 24. 14   Vgl. hierzu Wedemann WM 2008, 1381, 1383. 15   Regierungsentwurf eines Gesetzes zur Modernisierung des GmbH-Rechts und zur Bekämpfung von Missbräuchen (MoMiG), BT-Drs. 16/6140, S. 45. 16   BGH NZG 2014, 184 Rn. 25. 17   BGHZ 203, 303. 12 13

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Nennbeträge der verbleibenden Geschäftsanteile und dem Stammkapital entsteht, oder ob in diesem Fall der Einziehungsbeschluss nichtig oder jedenfalls anfechtbar ist. Kern des Problems bildet die Neufassung von § 5 Abs. 3 Satz 2 GmbHG, wonach die Summe der Nennbeträge aller Geschäftsanteile mit dem Stammkapital übereinstimmen muss. Zudem heißt es in der Begründung des Regierungsentwurfs: „Bei der Einziehung des Geschäftsanteils eines anderen Gesellschafters gem. § 34 GmbHG bleibt […] das Stammkapital gleich, obwohl sich die Summe der Nennbeträge der Geschäftsanteile auf Grund der Einziehung des einen Geschäftsanteils verringert. Ein solches Auseinanderfallen der Summe der Nennbeträge der Geschäftsanteile und des Nennbetrags des Stammkapitals ist künftig im Gegensatz zum geltenden Recht unzulässig. […] Um eine solche, nach dem neu gefassten § 5 Abs. 3 Satz 2 GmbHG unzulässige Abweichung zu vermeiden, bleibt den Gesellschaftern die Möglichkeit, die Einziehung mit einer Kapitalherabsetzung zu verbinden, die Summe der Nennbeträge der Geschäftsanteile durch eine nominelle Aufstockung an das Stammkapital anzupassen oder einen neuen Geschäftsanteil zu bilden“.18 Der II. Zivilsenat vertrat die Auffassung, dass der Wortlaut des § 5 Abs. 3 Satz 2 GmbHG für die Lösung des Problems unergiebig sei.19 Das Gesetz sage nicht, wie sich das Konvergenzgebot des § 5 Abs. 3 Satz 2 GmbHG auf die Einziehung auswirkt, die in § 34 GmbHG eigenständig geregelt sei. Aus der Begründung des Regierungsentwurfs des MoMiG lasse sich für die zu lösende Frage ebenfalls nichts Entscheidendes herleiten.20 Es bleibe dort offen, aus welchem Grund die Verfasser des Gesetzentwurfs meinten, bislang sei das Auseinanderfallen der Summe der Nennbeträge der verbleibenden Geschäftsanteile und des Stammkapitals zulässig gewesen, mit dem Inkrafttreten des MoMiG sei es dagegen unzulässig geworden. Im Ergebnis verneinte der BGH in der Folge das Vorliegen eines Anfechtungs- oder Nichtigkeitsgrundes. Das Urteil bietet Anlass für erhebliche Kritik an den Verfassern des Gesetzentwurfs: Sie haben die „Normsituation“21 falsch interpretiert, sodass ihre Vorstellungen im Gesetzestext keinen hinreichenden Niederschlag gefunden haben und der BGH diesen somit keine Rechnung tragen konnte.22

18   Regierungsentwurf eines Gesetzes zur Modernisierung des GmbH-Rechts und zur Bekämpfung von Missbräuchen (MoMiG), BT-Drs. 16/6140, S. 31. 19   BGHZ 203, 303 Rn. 23. 20   BGHZ 203, 303 Rn. 24. 21  Begriff von Larenz/Canaris Methodenlehre der Rechtswissenschaft, 3. Aufl. 1995, S. 150. 22  Vgl. Kleindiek NZG 2015, 489, 493 f.

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V. Gesellschafterliste Die Neufassung der §§ 16 Abs. 1, 40 GmbHG hat neben einer intensiven Debatte im Schrifttum23 zu einer recht umfangreichen Judikatur des II. Zivilsenats geführt. Abgesehen von der intertemporalen Problematik (keine Rückwirkung)24 und einer – offengelassenen – Frage zu den Notargebühren25 hatte der Senat sich bereits mit einer erheblichen Zahl von Einzelaspekten zu befassen, wie das folgende Tableau amtlicher Leitsätze26 von fünf Urteilen vor Augen führt: –– Die Umnummerierung abgetretener Geschäftsanteile in der Gesellschafterliste ist dann zulässig, wenn jeder Geschäftsanteil durch die Angabe der bisherigen Nummerierung zweifelsfrei zu identifizieren bleibt.27 –– Das Registergericht ist berechtigt, eine Gesellschafterliste zurückzuweisen, die entgegen § 40 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 Satz 1 GmbHG keine Veränderungen in den Personen der Gesellschafter oder des Umfangs ihrer Beteiligung ausweist, sondern solche nur ankündigt.28 –– Das Registergericht darf die Aufnahme einer mit einem Testamentsvollstreckervermerk versehenen Gesellschafterliste ablehnen.29 –– Das Registergericht darf eine zum Handelsregister eingereichte Gesellschafterliste nicht schon deshalb zurückweisen, weil sie von einem Notar mit Sitz in Basel/Schweiz eingereicht worden ist.30 –– Der Geschäftsführer ist zu einer Korrektur einer unrichtigen, vom Notar nach § 40 Abs. 2 Satz 1 GmbHG eingereichten Gesellschafterliste befugt. Der Geschäftsführer muss dem Betroffenen vor der Einreichung einer korrigierten Gesellschafterliste Gelegenheit zur Stellungnahme geben. Wenn der Betroffene der Korrektur widerspricht, ändert das nichts an der Berechtigung des Geschäftsführers, bei Fehlern für eine Berichtigung der Gesellschafterliste zu sorgen, solange nicht der Betroffene im Wege des

23   Für einen Überblick vgl. Seibt in Scholz, GmbHG, 12. Aufl. 2018, § 16 Rn. 16 ff.; Noack in Baumbach/Hueck, GmbHG, 21. Aufl. 2017, § 40. 24   BGH NZG 2010, 908. 25   Ungeklärt konnte der BGH die Frage lassen, ob den Notaren für die Erstellung der Gesellschafterliste eine Betreuungsgebühr nach dem früheren § 147 Abs. 2 KostO zustand, siehe BGH NZG 2012, 388 Rn. 25; Beschluss vom 14.02.2012 – II ZB 19/10 –, juris; WM 2013, 670 Rn. 18. 26   Zur – nicht immer unproblematischen – höchstrichterlichen Leitsatzpraxis im Gesellschaftsrecht eingehend Fleischer ZIP 2018, 605. 27   BGH NZG 2011, 516. 28   BGHZ 191, 84. 29   BGH NJW 2015, 1303. 30   BGHZ 199, 270.

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einstweiligen Rechtsschutzes erreicht, dass dem Geschäftsführer die Einreichung einer geänderten Gesellschafterliste untersagt wird.31 –– Weigert sich das Registergericht wegen formaler Beanstandungen, eine von einem Notar eingereichte Gesellschafterliste in den Registerordner aufzunehmen, hat der Notar ein eigenes Beschwerderecht.32 Der II. Zivilsenat hatte zudem über eine mögliche „Fernwirkung“ der notariellen Kompetenzerweiterung bei der Erstellung der Gesellschafterliste zu befinden: Er entschied, dass eine nach dem GmbHG erforderliche Beurkundung auch nach dem Inkrafttreten des MoMiG durch einen ausländischen Notar vorgenommen werden kann, sofern die ausländische Beurkundung der deutschen gleichwertig ist.33 Trotz dieser recht umfangreichen Rechtsprechung gibt es noch eine Vielzahl offener, von der Registerpraxis heterogen gehandhabter Fragen.34 Dieser Befund hat im Jahr 2017 den Gesetzgeber auf den Plan gerufen, der im Zuge der Umsetzung der Vierten EU-Geldwäscherichtlinie35 § 40 GmbHG insbesondere um einen neuen Absatz 4 ergänzte, welcher das Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz ermächtigt, durch Rechtsverordnung nähere Bestimmungen über die Ausgestaltung der Gesellschafterliste zu treffen.

VI.  Gutgläubiger Erwerb von Geschäftsanteilen Eine Vielzahl von Streitfragen ist mit dem gutgläubigen Erwerb von Geschäftsanteilen verbunden.36 Die wissenschaftliche Debatte war bisher äußerst lebhaft, wie auch die große Zahl von Dissertationen37 und Aufsät  BGH NZG 2014, 184.   BGH NZG 2011, 516. 33   BGHZ 199, 270. 34   So die Begründung des Regierungsentwurfs zum Gesetz zur Umsetzung der Vierten EU-Geldwäscherichtlinie, zur Ausführung der EU-Geldtransferverordnung und zur Neuorganisation der Zentralstelle für Finanztransaktionsuntersuchungen, BT-Drs. 18/11555, S. 174. 35  Gesetz zur Umsetzung der Vierten EU-Geldwäscherichtlinie, zur Ausführung der EU-Geldtransferverordnung und zur Neuorganisation der Zentralstelle für Finanztransaktionsuntersuchungen v. 23.06.2017 (BGBl. I S. 1822). 36  Für einen aktuellen Überblick vgl. etwa Fastrich in Baumbach/Hueck, GmbHG, 21. Aufl. 2017, § 16 Rn. 26 ff. 37  Etwa Altgen Gutgläubiger Erwerb von GmbH-Geschäftsanteilen, 2010; Heilemann Der gutgläubige Erwerb von Geschäftsanteilen einer GmbH, 2014; Leeser Gutgläubiger Erwerb von GmbH-Geschäftsanteilen nach dem Regierungsentwurf des MoMiG, 2008; Müller-Knoche Der gutgläubige Erwerb von GmbH-Geschäftsanteilen nach geltendem und künftigem Recht, 2010; Omlor Verkehrsschutz im Kapitalgesellschaftsrecht – Ein Beitrag de lege lata et ferenda zum System des gutgläubigen Erwerbs von GmbH-Geschäftsanteilen, 2010; Rieg Erwerb vom Nichtberechtigten und Liste der Gesellschafter, 2012; Röber Gutgläubiger Erwerb von GmbH-Anteilen, 2011; Wagner, Johannes Der gutgläubige Erwerb 31 32

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zen38 zu diesem Thema zeigt. In jüngerer Zeit flacht sie allerdings erheblich ab. Der BGH hatte sich mit der Thematik bislang erst einmal zu befassen. Er judizierte, dass ein aufschiebend bedingt abgetretener Geschäftsanteil nicht nach § 161 Abs. 3 BGB i.V.m. § 16 Abs. 3 GmbHG vor Bedingungseintritt von einem Zweiterwerber gutgläubig erworben werden kann.39 Die unterinstanzliche Rechtsprechung ist bislang ebenfalls nicht allzu üppig, zumeist geht es um die Zuordnung eines Widerspruchs zur Gesellschafterliste.40 Bisher gibt es also eine beachtliche Diskrepanz zwischen dem Umfang der wissenschaftlichen Diskussion und demjenigen der Rechtsprechung.

VII.  Verdeckte Sacheinlage sowie Hin- und Herzahlen Die durch das MoMiG eingeführten Regelungen zur verdeckten Sacheinlage und zum Hin- und Herzahlen (§ 19 Abs. 4, Abs. 5 GmbHG), die der Gesetzgeber mit dem ARUG auch im Aktienrecht verankert hat (§ 27 Abs. 3, Abs. 4 AktG), sorgen nicht nur für eine Fülle an Publikationen41, sondern auch für eine Vielzahl von Entscheidungen des II. Zivilsenats. Von besonderer Brisanz war bei der verdeckten Sacheinlage im Hinblick auf Art. 14 Abs. 1 Satz 1 GG und das verfassungsrechtliche Rückwirkungsverbot die intertemporale Problematik: Im ADCOCOM-Urteil judizierte der II. Zivilsenat, dass die in § 3 Abs. 4 EGGmbHG angeordnete rückwirkende Anwendung von § 19 Abs. 4 GmbHG keinen durchgreifenden verfassungsrechtlichen Bedenken begegnet.42 Beim Hin- und Herzahlen nahm er ohne Weiteres eine Rückwirkung der Neuregelung aufgrund § 3 Abs. 4 EGGmbHG an.43

von Geschäftsanteilen im Recht der GmbH, 2010; Wagner, Vanessa Sofia Verkehrsschutz beim redlichen Erwerb von GmbH-Geschäftsanteilen, 2011; Wiersch Der gutgläubige Erwerb von GmbH-Anteilen, 2009. 38  Für einen Überblick über die außerordentlich umfangreiche Aufsatzliteratur siehe etwa die Schrifttumshinweise bei Heidinger in Münchener Kommentar zum GmbHG, 2. Aufl. 2015, § 16 GmbHG vor Rn. 1, der 42 Aufsätze auflistet; ferner Fastrich in Baumbach/Hueck, GmbHG, 21. Aufl. 2017, § 16 vor Rn. 26. 39   BGHZ 191, 84. 40   Zur Zuordnung eines Widerspruchs zur Gesellschafterliste OLG Celle NZG 2017, 1030; OLG Nürnberg NZG 2014, 1347; KG NZG 2013, 755; Brandenburgisches OLG, Beschluss vom 10.09.2012 – 7 U 125/12 –, juris; KG ZIP 2010, 2047; LG Köln NZG 2009, 1195. Zum gutgläubigen Zweiterwerb bei aufschiebend bedingter Übertragung eines Geschäftsanteils OLG München NZG 2011, 473. Zur Dreijahresfrist OLG München NZG 2009, 1192. 41  Für einen aktuellen Überblick vgl. Schwandtner in Münchener Kommentar zum GmbHG, 3. Aufl. 2018, § 19 vor Rn. 162 sowie vor Rn. 314. 42   BGHZ 185, 44. 43   BGHZ 182, 103 Rn. 19, 24.

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Im Übrigen hatte der II. Zivilsenat über eine außerordentlich breite Palette von Einzelfragen zu befinden, wie die folgende Zusammenstellung (nicht-) amtlicher Leitsätze von neun Urteilen zeigt: –– Die Grundsätze der verdeckten Sacheinlage (§ 19 Abs. 4 GmbHG in der Fassung vom 23. Oktober 2008) finden auf Dienstleistungen, welche ein GmbH-Gesellschafter nach Leistung einer Bareinlage entgeltlich erbringen soll, keine Anwendung. Ebenso wenig liegt in dem o.g. Fall ein der Erfüllung der Einlageschuld entgegenstehendes Hin- und Herzahlen der Einlagemittel (§ 19 Abs. 5 GmbHG in der Fassung vom 23. Oktober 2008) vor, sofern der Inferent diese nicht für die Vergütung seiner Dienstleistungen „reserviert“.44 –– Die Grundsätze der verdeckten Sacheinlage finden auf Dienstleistungen, die der Bezieher neuer Aktien im zeitlichen Zusammenhang mit einer Kapitalerhöhung entgeltlich für die Aktiengesellschaft erbracht hat oder durch eine von ihm abhängige Gesellschaft hat erbringen lassen, keine Anwendung (Fortführung von BGH, 16. Februar 2009, II ZR 120/07, BGHZ 180, 38 – „Qivive“). Entgeltliche Dienstverträge zwischen der Gesellschaft und dem Inferenten sind im Aktienrecht nicht verboten.45 –– Die Einzahlung der Einlage auf ein Konto, das in einen dem Inferenten zuzurechnenden Cash-Pool einbezogen ist, ist eine verdeckte Sacheinlage, wenn der Saldo auf dem Zentralkonto des Cash-Pools im Zeitpunkt der Weiterleitung zulasten der Gesellschaft negativ ist, andernfalls liegt ein Hin- und Herzahlen vor. Inwieweit bei einer als verdeckte Sacheinlage zu behandelnden Einzahlung der Inferent die nicht wirksam erbrachte Einlage noch einmal leisten muss, hängt davon ab, ob und in welcher Höhe die Gesellschaft durch die Einlagezahlung von einer Forderung des Inferenten befreit wird, die sie ohne diese Einlagezahlung aus ihrem Vermögen erfüllen könnte.46 –– Zahlt der Gesellschafter den Einlagebetrag (hier: aus einer Kapitalerhöhung) nach Fassung des Kapitalerhöhungsbeschlusses ein zweites Mal an die Gesellschaft verbunden mit der Anweisung, die Zahlung an ihn zur Tilgung seiner Bereicherungsforderung aus einem ersten, fehlgeschlagenen Erfüllungsversuch zurück zu überweisen, liegt darin eine verdeckte Sacheinlage in Form des Hin- und Herzahlens.47 –– Eine verdeckte Sacheinlage einer Altforderung des Gesellschafters liegt sowohl dann vor, wenn erst die geschuldete Bareinlage eingezahlt und sodann zur Tilgung der Gesellschafterforderung zurückgezahlt wird, als auch dann, wenn in umgekehrter Reihenfolge erst die Gesellschafterforde  BGHZ 180, 38.   BGHZ 184, 158. 46   BGHZ 182, 103. 47   BGH NJW 2012, 3035. 44 45

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rung getilgt und der erhaltene Betrag sodann ganz oder teilweise als Bareinlage zurückgezahlt wird.48 –– Die Erfüllung der fortbestehenden Geldeinlagepflicht des Inferenten bei verdeckter Einbringung einer Forderung kann im Falle einer Kapitalerhöhung gelingen, wenn der Inferent nachweist, dass seine Forderung gegen die Gesellschaft im Zeitpunkt der Anmeldung der Kapitalerhöhung oder, falls später, im Zeitpunkt der Befreiung der Gesellschaft von der entsprechenden Verbindlichkeit vollwertig war, d.h. ihr Wert (mindestens) den Betrag der übernommenen Geldeinlagepflicht erreicht hat.49 –– Die Anrechnung des Wertes der verdeckt eingelegten Sache auf die fortbestehende Bareinlageverpflichtung nach § 19 Abs. 4 Satz 3 GmbHG darf im Fall der verdeckten gemischten Sacheinlage nicht zu Lasten des übrigen Gesellschaftsvermögens gehen. Daher ist vor einer Anrechnung von dem tatsächlichen Wert der eingelegten Sache der Betrag abzuziehen, der von der Gesellschaft aus dem Gesellschaftsvermögen über den Nominalbetrag der Bareinlage hinaus als Gegenleistung (hier: Kaufpreis für Lizenzen) aufgewendet worden ist.50 –– Bestand oder entsteht im Zeitpunkt einer verdeckten gemischten Sachkapitalerhöhung eine Unterbilanz oder war die Gesellschaft sogar bilanziell überschuldet, können auf den Teil der Gegenleistung der Gesellschaft, der den Nominalbetrag der Bareinlage übersteigt, §§ 30, 31 GmbHG Anwendung finden.51 –– Liegt ein Hin- und Herzahlen vor, befreit dies den Inferenten von seiner Einlageverpflichtung nur dann, wenn die besonderen Voraussetzungen des § 19 Abs. 5 GmbHG n.F. erfüllt sind, also eine die Einlagepflicht substituierende Vereinbarung getroffen wird, die auf ihrer Grundlage erbrachte Leistung durch einen vollwertigen, jederzeit fälligen oder durch fristlose Kündigung fällig werdenden Rückzahlungsanspruch gegen den Inferenten gedeckt ist und der Geschäftsführer diese Umstände bei der Anmeldung nach § 8 GmbHG angibt.52 –– Die Bezahlung von Beratungsleistungen vor Leistung der Einlage ist keine verdeckte Finanzierung durch die Gesellschaft im Sinn eines rechtlich dem Hin- und Herzahlen gleichstehenden Her- und Hinzahlens, wenn eine tatsächlich erbrachte Leistung entgolten wird, die dafür gezahlte Vergütung einem Drittvergleich standhält und die objektiv werthaltige Leistung nicht aus der Sicht der Gesellschaft für sie unbrauchbar und damit wertlos ist.53

  BGH WM 2016, 602; BGH GWR 2016, 208.   BGH GWR 2016, 208. 50   BGHZ 185, 44. 51   BGHZ 185, 44. 52   BGHZ 182, 103. 53   BGHZ 184, 158. 48 49

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–– Auch nach der Reform der Kapitalaufbringungsvorschriften durch das MoMiG kann in den Fällen, in denen mit dem „her“ gezahlten Geld eine „Darlehensschuld“ des Inferenten gegen die Gesellschaft begründet wurde, in der späteren Rückzahlung des „Darlehens“ eine Tilgung der Einlageschuld liegen.54 Insgesamt erweist sich die Thematik – wenig überraschend – damit als äußerst konfliktträchtig. Manche der klärungsbedürftigen Fragen sind allerdings nicht erst durch die Neuregelung entstanden, wie etwa der Evergreen „Was kann den Gegenstand einer verdeckten Sacheinlage bilden?“55

VIII. Kapitalerhaltung Mit besonderer Spannung wurde nach Inkrafttreten des MoMiG auf das erste Urteil des II. Zivilsenats zu den reformierten Kapitalerhaltungsvorschriften gewartet: Wie würde der Senat darauf reagieren, dass das MoMiG in § 30 Abs. 1 Satz 2 GmbHG sowie § 57 Abs. 1 Satz 3 AktG einen „Nichtanwendungserlass“56 bezüglich des November-Urteils aus dem Jahre 200357 festschreibt?58 Bereits einen Monat nach Inkrafttreten der Reform war es soweit: Der II. Zivilsenat warf das November-Urteil kurzerhand „in die Wolfsschlucht“59 und kehrte unter Berufung auf § 57 Abs. 1 Satz 3 AktG zur bilanziellen Betrachtungsweise zurück.60 Selbst für Altfälle hielt er an seiner früheren gegenteiligen Auffassung nicht fest und folgte dem Gesetzgeber auf ganzer Linie: Unter Bezugnahme auf die Regierungsbegründung des MoMiG konzedierte er, dass die Rückkehr zur bilanziellen Betrachtungsweise keine

54   BGH, Beschluss vom 13.12.2016 – II ZR 317/15 –, juris (Leitsatz von der Verfasserin). So auch bereits BGHZ 182, 103 Rn. 22. 55  Vgl. BGHZ 180, 38 Rn. 8: „Um eine verdeckte Sacheinlage handelt es sich nach der Rechtsprechung des Senats, wenn die gesetzlichen Regeln für Sacheinlagen dadurch unterlaufen werden, dass zwar eine Bareinlage vereinbart wird, die Gesellschaft aber bei wirtschaftlicher Betrachtung von dem Einleger aufgrund einer im Zusammenhang mit der Übernahme der Einlage getroffenen Absprache einen Sachwert erhalten soll (vgl. BGHZ 155, 329, 334; 166, 8 Tz. 11; 170, 46 Tz. 11; 173, 145 Tz. 14). Entsprechendes gilt bei verdeckter Einbringung sonstiger Gegenstände, welche als Sacheinlage eingebracht werden könnten, wie z.B. eine vor Begründung der Einlageschuld entstandene Altforderung des Inferenten (vgl. BGHZ 113, 335, 341; 132, 133, 144; 152, 36, 42; 166, 8 Tz. 12 ‚cash-pool‘). Die Neufassung des § 19 Abs. 4 GmbHG durch das MoMiG ändert daran insoweit nichts.“ 56   So etwa Gehrlein BB 2008, 846, 849. 57   BGHZ 157, 72. 58   Zu diesem eindrucksvollen Beispiel für das Wechselspiel zwischen Gesetzgebung und Rechtsprechung vertiefend Fleischer/Wedemann AcP 209 (2009), 597, 604 ff. 59   Goette GWR 2009, 1, 2. 60   BGHZ 179, 71.

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konstitutive Neuregelung begründet, sondern lediglich – gegen das November-Urteil – klarstellt, was seit jeher anerkannt war.61 In vier Folgeurteilen bekräftigte der II. Zivilsenat die Rückkehr zur bilanziellen Betrachtungsweise62 – wenn auch manchmal mit „Bauchgrimmen“63. Allerdings handhabt er die bilanzielle Betrachtungsweise nicht strikt. Im Urteil zum sog. Dritten Börsengang der Telekom entschied er, dass die Übernahme des Prospekthaftungsrisikos des Aktionärs durch die Gesellschaft eine Leistung an diesen darstelle, die grundsätzlich nur durch eine Freistellungsvereinbarung ausgeglichen werden könne; ein Eigeninteresse der Gesellschaft an der Platzierung der Altaktien oder nicht bezifferbare Vorteile bildeten nach der maßgeblichen bilanziellen Betrachtungsweise keine ausreichende Kompensation für die Übernahme des Haftungsrisikos.64 Kritik rief die argumentative Berufung auf die bilanzielle Betrachtungsweise in verschiedener Hinsicht65 hervor: So ließ das Urteil etwa eine Begründung vermissen, warum als Leistungsgegenstand jedwede Zuwendung, als ausgleichsfähige Gegenleistung aber lediglich bilanziell messbare Vorteile in Frage kommen.66 Ferner genügte die vom BGH aufgezeigte Möglichkeit des Ausgleichs mittels einer Freistellungsvereinbarung selbst nicht dem Kriterium der Bilanzierbarkeit, denn Freistellungsansprüche sind nach allgemeinen Regeln erst aktivierbar, wenn die betreffende Verbindlichkeit entstanden und der Höhe nach bezifferbar ist.67 Zwei Urteile68 zur Bestellung einer dinglichen Sicherheit durch die Gesellschaft für ein Darlehen des Gesellschafters bei einem Dritten boten dem BGH Gelegenheit zur Nachbesserung. Diese nutzte er partiell: Er stellte klar, dass die Rückkehr zur bilanziellen Betrachtungsweise nicht bedeutet, dass Vorgänge, die sich nicht in der Handelsbilanz auswirken, aber unstreitig eine „Auszahlung“ darstellen, nicht unter das Regime des § 30 GmbHG bzw. § 57 AktG fallen.69 Vielmehr sind auch diese Vorgänge – und damit auch die Bestellung einer dinglichen Sicherheit – erfasst. Wie der BGH aus  BGHZ 179, 71 Rn. 12. Vgl. auch Goette GWR 2009, 1, 2.   BGHZ 190, 7 Rn. 25; NZG 2012, 1030 Rn. 12; BGHZ 213, 224 Rn. 16 ff.; NZG 2017, 658 Rn. 16, 19. 63   Vgl. NZG 2017, 658 Rn. 19: „Der Gläubigerschutz durch Kapitalerhaltung ist insoweit geschwächt. Diese Schwächung beruht aber auf der Entscheidung des Gesetzgebers, einen Tausch von vorhandenen Vermögenswerten in einen Anspruch gegen den Gesellschafter zuzulassen.“ 64   BGHZ 190, 7 Rn. 13 ff. 65   Insgesamt vier Kritikpunkte werden benannt von Fleischer/Thaten NZG 2011, 1081, 1082. 66   Fleischer/Thaten NZG 2011, 1081, 1082. Vgl. auch Kiefner/Bochum NZG 2017, 1292, 1295 f.; Nodoushani ZIP 2012, 97, 103 f. 67   Fleischer/Thaten NZG 2011, 1081, 1082; Nodoushani ZIP 2012, 97, 105. 68   BGHZ 213, 224; NZG 2017, 658. 69   BGHZ 213, 224 Rn. 16 ff.; NZG 2017, 658 Rn. 16, 19. 61 62

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führte, würde „eine strikte Orientierung an den Bilanzierungsgrundsätzen für die Handelsbilanz […] diesen Fallgestaltungen nicht gerecht, vielmehr ist mit dem ‚bilanziellen‘ Denken eher eine wirtschaftliche Betrachtungsweise gemeint.“70 Mit dieser – überzeugenden71 – Sichtweise stellte sich das Gericht nicht gegen den MoMiG-Gesetzgeber, denn diesem ging es nicht darum, schon das Vorliegen einer Auszahlung i.S.d. § 30 Abs. 1 Satz 1 GmbHG einer bilanziellen Betrachtung zu unterwerfen, wie sich schon daran zeigt, dass die Begründung des Regierungsentwurfs72 die Auskehr stiller Reserven zweifelsfrei als Auszahlung qualifiziert.73 Wenig geglückt sind hingegen nach wie vor die Erörterungen des BGH zur Möglichkeit des Ausgleichs durch eine Freistellungsvereinbarung. Er führte hierzu aus, dass im Fall eines vollwertigen Freistellungsanspruchs der vom Gesetzgeber mit der bilanziellen Betrachtungsweise zugelassene „Aktiventausch“ vorliege, der nach § 30 Abs. 1 Satz 2 GmbHG eine Bewertung als Auszahlung ausschließe.74 Diese Argumentation leidet weiterhin u.a. daran, dass Freistellungsansprüche, wie bereits ausgeführt,75 erst aktivierbar sind, wenn die betreffende Verbindlichkeit entstanden und der Höhe nach bezifferbar ist.76

IX. Eigenkapitalersatzrecht Als wegweisend für die Rechtsprechung zur Neugestaltung des Eigenkapitalersatzrechts erwies sich das Urteil „Gut Buschow“77 von Januar 2009. Hier judizierte der II. Zivilsenat, dass das Eigenkapitalersatzrecht in Gestalt der Novellenregeln (§§ 32a, 32b GmbHG a.F.) und der Rechtsprechungsregeln (§§ 30, 31 GmbHG a.F. analog) auf „Altfälle“, in denen das Insolvenzverfahren vor Inkrafttreten des MoMiG eröffnet worden ist, weiterhin Anwendung findet.78 In weiteren zwölf Entscheidungen79 kam der II. Zivilsenat seither   BGH NZG 2017, 658 Rn. 16.   So auch die h.L., vgl. etwa Fastrich in Baumbach/Hueck, GmbHG, 21. Aufl. 2017, § 30 Rz. 33, 40, 62; Verse in Scholz, GmbHG, 12. Aufl. 2018, § 30 Rn. 18a; a.A. Thiessen in Bork/Schäfer, GmbHG, 3. Aufl. 2015, § 30 Rz. 35. 72   Regierungsentwurf eines Gesetzes zur Modernisierung des GmbH-Rechts und zur Bekämpfung von Missbräuchen (MoMiG), BT-Drs. 16/6140, S. 41. 73   Verse GmbHR 2018, 113, 115. 74   BGHZ 213, 224 Rn. 19; NZG 2017, 658 Rn. 19. 75   Oben Text zu Fn. 67. 76   Zur Kritik an dem vom BGH angenommenen „Aktiventausch“ vgl. Becker ZIP 2017, 1599, 1600; Kiefner/Bochum NZG 2017, 1292, 1293, 1295 f.; Verse GmbHR 2018, 113, 117. 77   BGHZ 179, 249. 78   Zur intertemporalen Problematik vgl. Wedemann GmbHR 2008, 1131, 1134. 79  BGHZ 179, 278; BGHZ 179, 285; Urteil vom 26.01.2009 – II ZR 216/07 –, juris; BGHZ 180, 38; NZG 2009, 782; NJW 2009, 2883; NZG 2010, 701; NZG 2010, 905; NJW 2011, 844; NZG 2011, 1355; NZG 2012, 545; NZG 2013, 1028. 70 71

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zu dem Ergebnis, dass die Eigenkapitalersatzregelungen des MoMiG aus intertemporalen Gründen keine Anwendung finden, und maß die Fälle am alten Recht. Die Rechtslage vor Geltung des MoMiG wurde zudem in drei Urteilen thematisiert, in denen das Eingreifen der aus den früheren Rechtsprechungsregeln folgenden Durchsetzungssperre verneint wurde – sei es mangels Erfüllung der tatbestandlichen Voraussetzungen80, sei es mangels Anwendbarkeit aus intertemporalen Gründen81. In den letztgenannten Judikaten akzeptierte der BGH explizit die Aufhebung der Rechtsprechungsregeln durch den Gesetzgeber und wiederholte dies in einem Urteil aus dem Herbst 201782. Zum neuen Recht finden sich bislang lediglich zwei Entscheidungen: zur Nachrangigkeit des Darlehensrückzahlungsanspruchs eines ausgeschiedenen Gesellschafters83 sowie von Ansprüchen der Gesellschafter auf Rückzahlung der Einlage84 nach § 39 Abs. 1 Nr. 5 InsO. Insgesamt lässt sich damit feststellen, dass das Ziel des MoMiG, das sehr unübersichtliche und redundante Recht der eigenkapitalersetzenden Gesellschafterhilfen zu entschlacken und zu vereinfachen,85 in der Rechtsprechung des II. Zivilsenats Niederschlag gefunden hat: Während das alte Recht auch noch nach seiner Aufhebung für sehr viel Streitstoff sorgte, erwies sich das neue Recht bislang als wenig konfliktträchtig.

X.  Zahlungen nach/vor Insolvenzreife Hinsichtlich § 64 Satz 1 GmbHG fielen die MoMiG-bezogenen Ausführungen des II. Zivilsenats bislang überwiegend recht unspektakulär aus: In vier Entscheidungen wies er darauf hin, dass die Bestimmung inhaltsgleich mit § 64 Abs. 2 Satz 1 GmbHG a.F. ist.86 Eine Entscheidung konstatierte die Inhaltsgleichheit darüber hinaus in Bezug auf das gleichartige Zahlungsverbot des § 92 Abs. 2 Satz 1 AktG (= § 92 Abs. 3 Satz 1 AktG a.F.).87 Jedoch findet sich auch zu § 64 Satz 1 GmbHG Bemerkenswertes. Der Beschluss, mit dem der II. Zivilsenat dem EuGH die Frage vorlegte, ob § 64 Satz 1 GmbHG/§ 64 Abs. 2 Satz 1 GmbHG a.F. als insolvenzrechtliche Vorschrift i.S.d. Art. 4 Abs. 1 EuInsVO zu qualifizieren ist, nahm Bezug auf die Begründung des   BGH NZG 2011, 745 Rn. 16.   BGH NZG 2012, 194 Rn. 11; NZG 2013, 1334 Rn. 30. 82   BGH NZG 2018, 100 Rn. 24. 83   BGH NZG 2012, 194 Rn. 13 ff. 84   BGH NZG 2018, 100 Rn. 24. 85  Vgl. Wedemann WM 2008, 1381, 1384. 86   BGH NZG 2009, 550 Rn. 12; BGHZ 187, 60 Rn. 11; NZG 2015, 101 Rn. 9; NZG 2016, 550. 87   BGH NZG 2009, 550 Rn. 12. 80 81

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Frauke Wedemann

MoMiG-Regierungsentwurfs zu § 64 Satz 3 GmbHG.88 Der II. Zivilsenat ist sich hier mit den Verfassern des MoMiG-Regierungsentwurfs einig: § 64 GmbHG stellt eine insolvenzrechtliche Vorschrift i.S.d. Art. 4 Abs. 1 EuInsVO dar. Für Erstaunen sorgt der Umfang der Judikatur zur durch das MoMiG neu eingeführten Regelung des § 64 Satz 3 GmbHG: Während diese Norm den Gegenstand einer außerordentlich lebhaften, facettenreichen wissenschaftlichen Debatte bildet,89 hat sie den II. Zivilsenat bislang nur einmal beschäftigt.90 Das Urteil bot ihm aber immerhin Gelegenheit, drei Fragen in Bezug auf § 64 Satz 3 GmbHG zu klären: „1. Die Zahlungsunfähigkeit wird durch eine Zahlung an den Gesellschafter nicht im Sinn des § 64 Satz 3 GmbHG verursacht, wenn die Gesellschaft bereits zahlungsunfähig ist. 2. Bei der Ermittlung der Zahlungsunfähigkeit nach § 64 Satz 3 GmbHG ist eine fällige Forderung des Gesellschafters in der Liquiditätsbilanz zu berücksichtigen. 3. Im Fall des § 64 Satz 3 GmbHG kann die Gesellschaft die Zahlung an den Gesellschafter verweigern.“91 Unterinstanzliche Judikatur ist ebenfalls äußerst rar.92 Mitunter fließt § 64 Satz 3 GmbHG in strafrechtliche Urteile ein, wobei die Interpretation der Norm keine besonderen Schwierigkeiten bereitet.93 Wie beim gutgläubigen Erwerb von Geschäftsanteilen gilt es somit zu konstatieren: Es gibt bislang eine beachtliche Diskrepanz zwischen dem Umfang der wissenschaftlichen Diskussion und demjenigen der Rechtsprechung.

XI. Zusammenfassung 1. Als besonders konfliktträchtig haben sich die Regelungen des MoMiG zur verdeckten Sacheinlage und zum Hin- und Herzahlen erwiesen, die neun Entscheidungen des II. Zivilsenats auslösten. Recht umfangreich ist darüber hinaus die Rechtsprechung des Senats zur neugestalteten Gesellschafterliste (sechs Entscheidungen; in weiteren drei Entscheidungen hat er eine Frage zur Gesellschafterliste offengelassen). 2. Angesichts der großen Intensität der wissenschaftlichen Diskussion überrascht, dass der gutgläubige Erwerb von Geschäftsanteilen sowie § 64

  BGH NZG 2015, 101 Rn. 9.  Für einen aktuellen Überblick vgl. etwa Haas in Baumbach/Hueck, GmbHG, 21. Aufl. 2017, § 64 Rn. 122 ff. 90   BGHZ 195, 42. 91   So die Leitsätze von BGHZ 195, 42. 92   LG Berlin GmbHR 2010, 201; OLG München ZIP 2010, 1236; OLG Celle ZIP 2012, 2394. 93   OLG Stuttgart ZIP 2009, 1864; BGHSt 54, 52 Rn. 29; BGH NStZ 2017, 722. 88 89

10 Jahre MoMiG

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Satz 3 GmbHG jeweils bislang nur den Gegenstand einer Entscheidung des II. Zivilsenats bildeten. 3. Die geringe Konfliktträchtigkeit der Spezifika der UG (drei Entscheidungen) dürfte darin begründet sein, dass der Gesetzgeber die UG nicht als neue Rechtsform, sondern als GmbH mit einigen Besonderheiten ausgeformt hat. 4. Bei der Kapitalerhaltung ist der II. Zivilsenat dem MoMiG-Gesetzgeber gefolgt und – sogar für Altfälle – zur bilanziellen Betrachtungsweise zurückgekehrt, wie er mittlerweile in insgesamt fünf Urteilen judiziert hat. Allerdings ist die argumentative Berufung auf die bilanzielle Betrachtungsweise bisweilen problematisch. 5. In insgesamt 13 Entscheidungen kam der II. Zivilsenat zu dem Ergebnis, dass die Eigenkapitalersatzregelungen des MoMiG aus intertemporalen Gründen keine Anwendung finden. Die Rechtslage vor Geltung des MoMiG thematisierte er zudem in drei weiteren Urteilen. Zum neuen Recht finden sich bislang lediglich zwei Entscheidungen. 6. Die Neuregelung zum Sitz der Gesellschaft hat eine Debatte über ihren kollisionsrechtlichen Gehalt ausgelöst, die der II. Zivilsenat in zwei Urteilen von 2008 noch nicht hinreichend aufgearbeitet hat. 7. Der gesetzgeberischen Intention, die der Abkopplung der Eintragung von GmbH und AG im Handelsregister von einer ggf. erforderlichen staatlichen Genehmigung zugrunde liegt, trägt der Senat auch in anderen Bereichen Rechnung, in denen sich die Frage nach der Relevanz staatlicher Genehmigungen im Handelsregisterverfahren stellt (eine Entscheidung). 8. In vier Entscheidungen wies der Senat auf die Inhaltsgleichheit von § 64 Satz 1 GmbHG mit § 64 Abs. 2 Satz 1 GmbHG a.F. bzw. von § 92 Abs. 2 Satz 1 AktG mit § 92 Abs. 3 Satz 1 AktG a.F. hin. Bei § 64 Satz 1 GmbHG nahm der II. Zivilsenat darüber hinaus Bezug auf die Begründung des MoMiG-Regierungsentwurfs und qualifizierte die Norm als insolvenzrechtliche Vorschrift i.S.d. Art. 4 Abs. 1 EuInsVO.

Schutz vor Fremdeinfluss auf Sportkapitalgesellschaften

Der Schutz vor Fremdeinfluss auf Sportkapitalgesellschaften Satzungsgestaltung im deutschen Profifußball im Lichte der 50+1-Regel Simon Weiler I. Einführung 1.  Sport und (Gesellschafts-)Recht Sport ist kein rechtsfreier Raum1, auch wenn manche Funktionäre dies erst nach und nach realisieren.2 Alfred Bergmann hat in seiner Zeit als Vorsitzender des II. Zivilsenats nicht nur das Gesellschaftsrecht geprägt, sondern auch maßgeblich dazu beigetragen, rechtliche Leitplanken für den Sport aufzustellen. Unter anderem wirkte er an Grundlagenentscheidungen des Sportrechts zur Umsetzung der Disziplinarmaßnahme eines übergeordneten Dachverbandes gegenüber dem Mitglied eines nachgeordneten Vereins (Fußball, SV Wilhelmshaven)3, zum Schadensersatz wegen Nichtnominierung zu Olympischen Spielen (Peking 2008, Dreispringer Charles Friedeck)4, zur Bindungswirkung der Aufhebung einer gegen ein Vereinsmitglied ver-

1   Die Lehre vom rechtsfreien Raum besagt, dass es Bereiche der Beziehungen zwischen Menschen gibt, welche die Rechtsordnung ungeregelt lässt. In der Literatur findet sich als Beispiel hierfür neben Liebe, Freundschaft und Religion oft auch der Sport – allerdings ohne vertieftes Eingehen. Vgl. hierzu Pfister, Der rechtsfreie Raum des Sports, S. 461, mit zahlreichen Nachweisen. Als aktuelles Beispiel für die Einwirkung des Rechts auf den Sport mögen die beihilferechtlichen Entscheidungen der Kommission betreffend den niederländischen und spanischen Profifußball dienen, wonach unter anderem die Einstufung von Real Madrid und FC Barcelona als steuerprivilegierte Organisationen ohne Erwerbszweck eine unerlaubte Beihilfe darstellt, vgl. EU-Kommission, Pressemitteilung IP/16/2401 u. 2402 v. 4.7.2016, EuZW 2016, 526. 2   So zitiert Streinz SpuRt 2000, 221 (Fn. 4) den vormaligen Vizepräsidenten des DFB, Franz Beckenbauer, in Bezug auf die EU-Kommission mit den Begriffen „Ansammlung gescheiterter Existenzen“ und „Nieten“. 3   BGH, Urt. v. 20.9.2016 – II ZR 25/15, NZG 2016, 1315; hierzu ausf. Stöber NZG 2017, 95; Walker NZG 2017, 1241. 4   BGH, Urt. v. 13.10.2015 – II ZR 23/14, NZG 2015, 1282.

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hängten Vereinsmaßnahme durch ein Vereinsgericht (Berufsboxer)5 und zum Recht auf Auflösung einer bestimmten Vereinsabteilung (Rudern)6 mit. Die hiesige Untersuchung soll diese Tätigkeit des Jubilars an der Schnittstelle von Gesellschafts- und Sportrecht widerspiegeln. 2. Problemaufriss Die Neigung professioneller Fußballclubs, im Lichte einer wachsenden Kommerzialisierung und Professionalisierung ihre Lizenzabteilungen in Kapitalgesellschaften umzuwandeln, eröffnet Investoren die Möglichkeit, sich an solchen Clubs zu beteiligen. Medienunternehmen, Vermarktungsgesellschaften, Sportartikelhersteller und sonstige Investoren versuchen immer häufiger, durch Beteiligungen an Sportunternehmen ihre strategische Position im Wettbewerb zu verbessern und/oder ihr Anlageportfolio lukrativ zu erweitern. Die Clubs können mit Hilfe der eingeworbenen Mittel die Infrastruktur verbessern und idealerweise auch den sportlichen Erfolg mehren. Verbände und Ligaorganisationen hingegen versuchen, die Einflussnahme von Investoren zu begrenzen, um den sportlichen Wettbewerb zu schützen. Daneben wird in den letzten Jahren vermehrt aus Kreisen der Clubs selbst bzw. von deren Mitgliedern und Fans ein Schutz vor übermäßigem Einfluss von Investoren im Sinne eines Erhalts der „Fußballkultur“ gefordert.7 In den letzten Wochen und Monaten eskalierte in diesem Kontext der mit großer medialer Aufmerksamkeit8 begleitete Streit um den Erhalt der sog. „50+1“Regel, welche auf Verbandsebene den bestimmenden Einfluss der Vereine gegenüber Investoren sichern soll.9 Vor diesem Hintergrund beschäftigt sich die hiesige Untersuchung mit der Frage, wie deutsche Fußballvereine und ihre Mitglieder – ggf. über die verbandsseitig geforderten Schutzmechanismen hinaus – durch Gestaltung der Vereinssatzung und der Gesellschaftsverträge der Fußballkapitalgesell5   BGH, Urt. v. 23.4.2013 – II ZR 74/12, BGHZ 197, 162 = NZG 2013, 713 (Berufsboxer); hierzu u.a. dazu NZG 2015, 1377, 1384. 6   BGH, Urt. v. 19.2.2013 – II ZR 169/11, NZG 2013, 466; dazu Wagner NZG 2015, 1377, 1379. 7   So wehren sich bspw. Mitglieder von Hannover 96 seit Monaten vehement gegen eine Übernahme durch den Investor Martin Kind, vgl. nur www.sueddeutsche.de vom 3.11.2017, 20:11 Uhr („Neuer Anlauf gegen Kind-Übernahmepläne bei Hannover 96“) und vom 7.3.2018, 17:48 Uhr („Neue Podiumsdiskussion im Fanstreit bei Hannover 96 geplant“). 8   Siehe z.B. www.sueddeutsche.de vom 8.3.2018, 16:45 Uhr („50+1 – Der deutsche Fußball ringt um seine heilige Regel“) und vom 14.3.2018, 13:03 Uhr („Mehr als 1000 Fangruppen bestehen auf 50+1“). Zuletzt hat sich die Mehrheit der Proficlubs der 1. und 2. Bundesliga für einen Erhalt der Regel ausgesprochen, vgl. www.sueddeutsche.de vom 22.3.2018, 19:02 Uhr, und Süddeutsche Zeitung vom 23.3.2018, S. 34 („50+1 bleibt“). 9   Ausf. hierzu sogleich, Teil II.2.

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schaften vor übermäßigem Fremdeinfluss geschützt werden können. Dabei werden insb. die gegenwärtig bestehenden gesellschaftsrechtlichen Strukturen und Satzungen der 18 Bundesligaclubs der Saison 2017/2018 auf ihre Tauglichkeit zum Schutz vor Fremdeinfluss untersucht und Handlungsmöglichkeiten – auch und gerade im Hinblick auf die mögliche Aufhebung der „50+1“-Regel – diskutiert. 3.  Struktur der Bundesligaclubs a)  Professionalisierung durch Umwandlung Traditionell sind Sportklubs in Deutschland in der Rechtsform des eingetragenen (Ideal-)Vereins nach §§ 21 ff. BGB organisiert. Im professionellen Sport, namentlich im Berufsfußball, ist jedoch seit Jahren eine klare Tendenz hin zu einer Überführung der Lizenzspielerabteilungen in Kapitalgesellschaften zu beobachten. Wesentliche Motive hierfür sind die Professionalisierung, die Möglichkeit der Veräußerung von Anteilen an Investoren einschließlich eines Börsengangs sowie die mit dem Streit um die Zulässigkeit der Rechtsform eines eingetragenen Vereins im Profifußball verbundenen Unwägbarkeiten.10 Die Umsetzung einer derartigen Umstrukturierung erfolgt regelmäßig in Form einer Ausgliederung der Lizenzspielerabteilung nach den Vorschriften des Umwandlungsgesetzes entweder zur Aufnahme auf eine zuvor schon gegründete Tochterkapitalgesellschaft des eingetragen Vereins (§§ 123 Abs. 3 Nr. 1, 126 ff. UmwG) oder zur Neugründung auf eine im Rahmen der Ausgliederung neu entstehende Gesellschaft (§§ 123 Abs. 3 Nr. 2, 135 ff. UmwG).11 In der Saison 2017/2018 waren von den 18 Clubs der Bundesliga drei als eingetragener Verein, vier als Aktiengesellschaft, fünf als GmbH und sechs

10  Sofern die wirtschaftliche Tätigkeit des Vereins überwiegt und nicht einen bloßen „Nebenzweck“ darstellt, ist der Verein wegen Rechtsformverfehlung im Vereinsregister von Amts wegen zu löschen, § 395 FamFG. Vor diesem Hintergrund wurde 2016 eine (letztlich nicht erfolgreiche) Anregung auf Löschung des FC Bayern München e.V. beim Vereinsregister des Amtsgerichts München gestellt. Hierzu (der Antragsteller) Leuschner NZG 2017, 16 sowie Wettich GWR 2016, 403. Wegweisend ist hier der sog. „Kita-Beschluss“ des BGH v. 16.5.2017 – II ZB 7/16, NZG 2017, 705. Zum Ganzen Baumann/Sikora, Hand- und Formularbuch des Vereinsrechts, 2. Aufl. München 2017, § 4 Rn. 19 ff.; Gubitz/Hildebrand NZG 2017, 495; Schockenhoff NZG 2017, 931. 11   Siehe nur Habersack, Gesellschaftsrechtliche Fragen der Umwandlung von Sportvereinen in Kapitalgesellschaften, in Scherrer (Hrsg.), Sportkapitalgesellschaften, 1997, 45. Im Jahr 2017 haben u.a. der VfB Stuttgart und – aus der 2. Bundesliga – der VfL Bochum eine Ausgliederung durchgeführt.

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als GmbH & Co. KGaA strukturiert. Einziger börsennotierte Bundesligaclub ist derzeit die Borussia Dortmund GmbH & Co. KGaA.12 b)  Investoreneinfluss im deutschen Profifußball Bei einer Reihe von Bundesligaclubs haben sich Wirtschaftsunternehmen als Investoren engagiert. So ist die zum VW-Konzern gehörende AutoVision GmbH mit dem Sitz in Wolfsburg ausweislich der Gesellschafterliste vom 29. Juli 2011 Alleingesellschafterin der VfL Wolfsburg – Fußball GmbH. Die Bayer 04 Leverkusen Fußball GmbH gehört zu 94 % einer Erste K-W-A Beteiligungsgesellschaft mbH und – mutmaßlich aus grunderwerbsteuerlichen Gründen – zu 6 % direkt der Bayer AG.13 An der FC Bayern München AG sind – neben dem e.V. – die adidas AG, die Audi AG und die Allianz SE mit jeweils 8,33 % der Aktien beteiligt. Die Daimler AG hat 11,75 Prozent der Anteile der VfB Stuttgart 1893 AG für 41,5 Millionen Euro erworben.14 Daneben finden sich Privatpersonen, die sich an Proficlubs beteiligen. So gehören Dietmar Hopp, Mitgründer der SAP SE, ausweislich der Gesellschafterliste vom 12.10.2006 96 % der TSG Hoffenheim Fußball-Spielbetriebs GmbH. Der Unternehmer Martin Kind plant, die Mehrheitsanteile des Vereins an der Hannover 96 Management GmbH zu übernehmen, welche Komplementärin der am Spielbetrieb der Bundesliga teilnehmenden Hannover 96 GmbH & Co. KGaA ist.15 Und beim derzeitigen Drittligisten 1860 München hält der saudische Investor Hasan Ismaik seit Juni 2011 über sein Unternehmen HAM International Limited 49 % der Aktien der TSV München von 1860 GmbH & Co. KGaA.

II.  Vorgaben von DFB und DFL 1.  Die Struktur von DFB und DFL Der Deutsche Fußball-Bund e.V. (DFB) mit Sitz in Frankfurt am Main ist der Dachverband von 21 Landesverbänden in der Bundesrepublik Deutschland, denen wiederum ca. 25.000 Fußballvereine angehören. Der DFL Deutsche Fußball Liga e.V. (DFL e.V.) mit dem Sitz in Frankfurt am Main ist der   Vgl. zu Konzernstruktur und Corporate Governance der Borussia Dortmund GmbH & Co. KGaA Weber GmbHR 2013, 631, 635 ff. 13   Gegenstand des Unternehmens der Bayer Leverkusen Fußball GmbH ist bezeichnenderweise u.a. der Einsatz als Werbeträger der Bayer AG. 14   www.sueddeutsche.de vom 2.6.2017, 18:08 Uhr („VfB Stuttgart mit finanziellem Rückenwind in die Bundesliga“) und vom 15.2.2018, 17:15 Uhr („VfB-Suche nach zweitem Investor dauert an“). 15   Siehe nur www.sueddeutsche.de vom 1.8.2017, 13:30 Uhr („Kinds nächster Schritt: 51 Prozent zum Schnäppchenpreis“). 12

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früher als „Ligaverband“ bezeichnete Zusammenschluss der lizenzierten Vereine und Kapitalgesellschaften der Fußball-Lizenzligen Bundesliga und 2. Bundesliga. Er ist ordentliches Mitglied des DFB. Daneben besteht die DFL Deutsche Fußball Liga GmbH (DFL GmbH), welche das operative Geschäft des DFL e.V. führt und deren einzige Gesellschafterin der DFL e.V. ist. 2.  Die sog. „50+1“-Regel und ihre Ausnahmen Die sog. „50+1“-Regel soll verhindern, dass ein Dritter die Mehrheit an einer am Spielbetrieb der Lizenzligen teilnehmenden Fußballkapitalgesellschaft innehat bzw. – bei Vorliegen der Gesellschaftsform KGaA – beherrschenden Einfluss auf die Fußballmannschaft ausüben kann. Dies ist ausschließlich den Muttervereinen vorbehalten, bei denen es sich um die traditionell gewachsenen Idealvereine handelt, die vorher am Spielbetrieb der Liga teilgenommen haben. Die (insb. europarechtliche) Zulässigkeit einer solchen Beschränkung von Beteiligungsmöglichkeiten ist jedoch höchst umstritten, weshalb die „50+1“-Regel in ihrer gegenwärtigen Ausgestaltung möglicherweise nicht gerichtsfest ist.16 Auch aus diesem Grund wird immer wieder die Abschaffung der Regel gefordert.17 Konkret bestimmen derzeit § 16c Abs. 3 DFB-Satzung und § 8 Abs. 3 der Satzung des DFL e.V., dass eine Kapitalgesellschaft nur dann eine Lizenz für die Lizenzligen und damit die Mitgliedschaft im DFL e.V. erwerben kann, wenn ein sog. Mutterverein mehrheitlich an ihr beteiligt ist. Dieser muss über eine eigene Fußballabteilung verfügen und sportlich für die Teilnahme an einer Lizenzliga qualifiziert sein, wenn sich die Kapitalgesellschaft erstmals für eine Lizenz bewirbt.18 Der Verein muss zudem rechtlich unabhängig sein, das heißt es darf kein Rechtsträger auf ihn einen rechtlich beherrschenden oder mitbeherrschenden Einfluss ausüben können (vgl. § 8 Abs. 2 Satzung DFL e.V.). Ein Mutterverein ist nach diesen Vorschriften dann mehrheitlich an der Gesellschaft beteiligt, wenn er über 50 % der Stimmenanteile zuzüglich mindestens eines weiteren Stimmenanteils in der Versammlung der Anteilseigner verfügt. Wird die Lizenzmannschaft in der Rechtsform einer KGaA geführt reicht es aus, wenn der Mutterverein oder eine von ihm zu 100 % beherrschte  Ausf. zur Zulässigkeit der „50+1“-Regel Schaefer, Die Vereinbarkeit der „50+1“Regel mit dem Europarecht, Baden-Baden 2012; Stöber BB 2015, 962. 17   So etwa von Karl-Heinz Rummenigge, dem Vorstandsvorsitzenden der FC Bayern München AG, oder den Investoren Martin Kind (Hannover 96) und Hasan Ismaik (1860 München), vgl. nur www.sueddeutsche.de vom 8.3.2018, 16:45 Uhr („50+1 – Der deutsche Fußball ringt um seine heilige Regel“). Zur Kritik an diesem System vgl. bereits FAZ v. 25.1.2004, S. 19. 18   Zum Lizenzierungsverfahren der DFL ausf. Straub, in: Schriftenreihe des Württembergischen Fußballverbandes Nr. 45, S. 65 ff. 16

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Tochtergesellschaft die Stellung des Komplementärs innehat.19 In diesem Fall genügt ein Stimmenanteil des Muttervereins von weniger als 50 %, wenn auf andere Weise sichergestellt ist, dass er eine vergleichbare Stellung hat wie ein an der Kapitalgesellschaft mehrheitlich beteiligter Gesellschafter. Dies setzt insbesondere voraus, dass dem Komplementär die kraft Gesetzes eingeräumte Vertretungs- und Geschäftsführungsbefugnis uneingeschränkt zusteht. Vor diesem Hintergrund ist die GmbH & Co. KGaA die im Zuge einer solchen Ausgliederung am häufigsten gewählte Rechtsform.20 Allerdings enthalten die Statuten auch eine Ausnahmeregelung, die sogenannte „Lex Leverkusen“.21 Danach entscheidet das Präsidium des DFL e.V. über Ausnahmen vom Erfordernis einer mehrheitlichen Beteiligung des Muttervereins, wenn ein Rechtsträger seit mehr als 20 Jahren den Fußballsport des Muttervereins ununterbrochen und erheblich gefördert hat. Dies setzt allerdings voraus, dass der betreffende Rechtsträger in Zukunft den Amateurfußballsport in bisherigem Ausmaß weiter fördert und die Anteile an der Kapitalgesellschaft nicht weiterveräußert bzw. nur an den Mutterverein kostenlos rückübereignet. Ein Verstoß gegen diese Bestimmungen führt zum Lizenzentzug. Die Bayer AG und der TSV Bayer Leverkusen haben von dieser Ausnahmeregelung als Erste Gebrauch gemacht. Später hat der Volkswagen-Konzern mit Zustimmung des DFB-Ligaausschusses eine Mehrheitsbeteiligung an der in eine GmbH umgewandelten Lizenzspielerabteilung des VfL Wolfsburg erworben.22 Dietmar Hopp ist ausweislich der Gesellschafterliste vom 12. Oktober 2006 mit einer Beteiligungsquote von 96 % an der TSG Hoffenheim Fußball-Spielbetriebs GmbH beteiligt. Gemäß Gesellschafterliste vom 30. Januar 2015 hält auch die Red Bull GmbH mit Sitz in Fuschl (Österreich) 99 % der Geschäftsanteile der RasenBallsport Leipzig GmbH. Mangels der Einhaltung der entsprechenden Fristen ist die „Lex Leverkusen“ hier aber nicht anwendbar. Zum Zwecke der Beachtung von 50+1 enthält § 8 Abs. 5 Unterabs. 2 der Satzung der Gesell19   Zur „50+1“-Regel speziell bei der KGaA siehe u.a. Lieder/Hoffmann AG 2016, 704, 709; Weber GmbHR 2013, 631; Wieneke/Fett, in: Bürgers/Fett, Die Kommanditgesellschaft auf Aktien, § 10 Rn. 29b. 20   Weber GmbHR 2013, 631; so hat der Ballspielverein Borussia 09 e. V. Dortmund seinen Lizenzspielbetrieb in die Borussia Dortmund GmbH & Co. KGaA ausgegliedert. Der Ballspielverein Borussia 09 e. V. Dortmund hält lediglich 5,53 % der Aktien der GmbH & Co. KGaA, aber 100 % der Anteile an der Komplementärgesellschaft Borussia Dortmund Geschäftsführungs-GmbH (vgl. http://aktie.bvb.de/BVB-Aktie/Aktionaersstruktur, Abruf vom 17.9.2018). 21   § 16c Abs. 3 Unterabs. 5 und 6 DFB-Satzung sowie § 8 Abs. 3 Unterabs. 5 und 6 Satzung des DFL e.V. 22   WGZ-Bank/Deloitte & Touche (Hrsg.), FC €uro AG 2001, S. 43. Vgl. darüber hinaus bereits FAZ v. 15.2.1999, S. 42; FAZ v. 21.5.1999, S. 38 („VW betreibt die freundliche Übernahme des VfL“); FAZ v. 17.6.2000, S. 37.

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schaft daher ein Mehrstimmrecht, welches dem Verein mindestens 50 % plus eine Stimme der Gesamtstimmenzahl sichert. Dieses Mehrstimmrecht ist jedoch auflösend bedingt auf Aufhebung der „50+1“-Regel oder Erteilung einer Ausnahmegenehmigung durch den Ligaverband (= DFL e.V.) oder den DFB. 3.  Verbot von Mehrfachbeteiligungen Sofern sich ein Investor an mehr als einem am gleichen Wettbewerb teilnehmenden Sportunternehmen beteiligt, entsteht eine Interessenkollision. Dieses sog. „Multi-Club Shareholding“ birgt die Gefahr einer direkten oder indirekten Einflussnahme auf Spielergebnisse. Die Verbände versuchen, derartigen Konstellationen durch eine Begrenzung von Mehrfachbeteiligungen entgegen zu wirken.23 Nach § 8 Abs. 6 der Satzung des DFL e.V. in der Fassung aus dem Jahr 2015 darf niemand unmittelbar oder mittelbar mit einer Beteiligung von 10 % oder mehr der Stimmrechte oder des Kapitals an mehr als einer Kapitalgesellschaft der Lizenzligen beteiligt sein. Unabhängig von der Beteiligungshöhe darf niemand unmittelbar oder mittelbar (i.S. eines beherrschenden Einflusses gemäß § 17 AktG oder bei Halten einer Beteiligung für Rechnung eines Dritten) mit Kapital oder Stimmrechten an mehr als drei Kapitalgesellschaften der Lizenzligen beteiligt sein, sofern die Beteiligungen nicht vor dem 4. März 2015 erworben wurden. Die Kapitalgesellschaften der Lizenzligen sind im Rahmen des rechtlich Möglichen und Zumutbaren verpflichtet, durch geeignete Maßnahmen auf die Einhaltung der vorstehenden Beschränkung hinzuwirken, wobei eine Kapitalgesellschaft, welche – wie namentlich im Fall der Börsennotierung – die Zusammensetzung ihres Anteilseignerkreises nicht beeinflussen kann, für Verstöße ihrer Anteilseigner gegen die Mehrfachbeteiligungsbeschränkung nur verantwortlich ist, wenn sie an dem Verstoß aktiv und schuldhaft mitgewirkt hat. Die Einzelheiten regelt die Lizenzierungsordnung des DFL e.V. (LO). 4.  Sonstige Regelungen Zusätzlich verbieten § 16c Abs. 3 Unterabs. 4 der DFB-Satzung sowie § 8 Abs. 3 Unterabs. 3 der Satzung des DFL e.V. jegliche Beteiligungen der Klubs untereinander (sog. „Cross-Ownership“). Nach diesen Vorschriften dürfen Lizenzvereine und Kapitalgesellschaften weder unmittelbar noch mittelbar an anderen Kapitalgesellschaften der Lizenzligen beteiligt sein; dies gilt für die Mitglieder von Organen der Kapitalgesellschaften bzw. der Lizenzvereine mit Ausnahme des jeweiligen Muttervereins entsprechend. Als 23

  Ausf. hierzu Verf., Mehrfachbeteiligungen an Sportkapitalgesellschaften, Berlin 2006.

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mittelbare Beteiligung der Kapitalgesellschaft gilt auch die Beteiligung ihres Muttervereins an anderen Kapitalgesellschaften. Flankierend zum Gebot der Mehrheitsbeteiligung des Muttervereins erfordert die Erfüllung der rechtlichen Kriterien für eine Lizenzerteilung durch eine am Spielbetrieb teilnehmende Kapitalgesellschaft unter anderem, dass ein Entsenderecht für Mitglieder des Aufsichtsrats bzw. eines anderen Kontrollorgans nur dem Mutterverein eingeräumt werden darf. Der Mutterverein soll in diesem Kontrollorgan außerdem mehrheitlich vertreten sein, vgl. § 4 Ziff. 10 LO. Denkbar sind Interessenkollisionen und unzulässiger Fremdeinfluss aufgrund von Beteiligungen an Klubs auch auf Ebene der Spieler. Dementsprechend setzt gemäß § 13 Abs. 2 lit. g der Lizenzordnung Spieler des DFL e.V. (LOS) eine Spielerlaubnis für Fußballprofis grundsätzlich voraus, dass diese versichern, weder direkt noch indirekt über Anteile und/oder über Optionen für Anteile an lizenzierten Kapitalgesellschaften der deutschen Lizenzligen zu verfügen und solche Anteile bzw. Optionen während der Dauer ihres Vertrages auch nicht zu erwerben. Der Erwerb von Anteilen des eigenen Klubs hingegen ist gestattet, allerdings besteht in diesem Fall eine Anzeigepflicht gegenüber der Kapitalgesellschaft und dem DFL e.V. bzw. der DFL GmbH. Zur Verhinderung von Fremdeinfluss bzw. Interessenkollisionen müssen Bewerber gemäß § 4 Ziff. 4 LO ferner in ihrer Satzung oder dem Gesellschaftsvertrag sicherstellen oder sich hierzu verpflichten, dass Mitarbeiter oder Mitglieder von Organen von Unternehmen, die zu mehreren Lizenznehmern/Muttervereinen oder mit diesen verbundenen Unternehmen in wirtschaftlich erheblichem Umfang in vertraglichen Beziehungen im Bereich der Vermarktung, einschließlich des Sponsorings, oder des Spielbetriebs stehen und/oder an ihnen beteiligt sind, nicht Mitglied in Kontroll-, Geschäftsführungs- und Vertretungsorganen des Lizenznehmers sein dürfen, wobei Konzerne und die ihnen angehörigen Unternehmen als ein Unternehmen gelten. Ebenso dürfen Mitglieder von Geschäftsführungs- oder Kontrollorganen eines anderen Lizenznehmers keine Funktionen in Organen des Lizenznehmers übernehmen (Inkompatibilitätsregelung). Der Bewerber muss sich in seiner Satzung oder dem Gesellschaftsvertrag schließlich der Satzung, dem Statut, den Ordnungen und Durchführungsbestimmungen des DFL e.V., des DFB und seiner Regional- und Landesverbände sowie den Entscheidungen und den Beschlüssen der Organe dieser Verbände und der DFL GmbH als Beauftragte des DFL e.V. unterwerfen (§ 4 Ziff. 3 LO).

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III.  Satzungsmäßige Vorkehrungen gegen Fremdeinfluss Strukturell gibt es bei den als Kapitalgesellschaft organisierten Clubs zwei Ansatzpunkte, um unter Berücksichtigung der geschilderten Vorgaben von DFB und DFL satzungsmäßige Vorkehrungen gegen Fremdeinfluss zu implementieren: zum einen auf Ebene des Muttervereins, zum anderen Maßnahmen im Gesellschaftsvertrag der am Spielbetrieb teilnehmenden Kapitalgesellschaft. 1. Idealverein Nach der „50+1“-Regel muss der Mutterverein stets die Entscheidungshoheit über die Fußballkapitalgesellschaft behalten. Dabei wird der Verein durch seinen Vorstand vertreten, welcher seinerseits an die Vereinssatzung gebunden ist. Die Satzung des Vereins wiederum ruht in der Hand der Mitglieder und ist gemäß § 33 Abs. 1 Satz 1 BGB nur mit einer Mehrheit von drei Vierteln der bei einer ordnungsgemäß einberufenen Mitgliederversammlung anwesenden Mitglieder änderbar. Während bei den am Spielbetrieb teilnehmenden Fußballkapitalgesellschaften der Einfluss der Vereinsmitglieder mediatisiert ist, also nur noch indirekt besteht, haben sie beim Verein eine direktere Mitwirkungskompetenz. Dementsprechend ist die Vereinssatzung das erste und unmittelbarste Mittel, den Einfluss von Dritten auf den Club zu kontrollieren. Ein Paradebeispiel für diesbezügliche Möglichkeiten ist die Satzung des FC Bayern München e.V. In § 3 Abs. 3 stellt diese zunächst fest, dass der Verein Mehrheitsaktionär der FC Bayern München AG ist und sein Anteil die Hälfte aller Aktien zuzüglich einer Aktie nicht unterschreiten darf. Die „50+1“-Regel ist somit schon auf der Ebene des e.V. mit Bindungswirkung für den Vorstand abgebildet. Im Übrigen unterwirft sich der Verein der Satzung und den Ordnungen des DFB (§ 4 I Abs. 1), den Vorschriften des Regional- und Landesverbandes (§ 4 I Abs. 3) sowie den Regeln des Ligaverbandes (§ 4 I Abs. 4). In § 4 I Abs. 2 ist ferner die Inkompatibilitätsregelung des § 4 Ziff. 4 LO wiedergegeben. Nach § 15 Abs. 5 Satz 4 der Vereinssatzung sind der Präsident und der Erste Vizepräsident zudem geborene Mitglieder des Aufsichtsrats der FC Bayern München AG. Das wesentlichste Mittel zur Begrenzung von Fremdeinfluss ist jedoch die Regelung in § 12 Abs. 1 Unterabs. 3 der Vereinssatzung, welche die Vorstandsmitglieder in dieser Hinsicht in ihren Handlungsmöglichkeiten stark beschränkt. Für die Zustimmung zu einer Kapitalerhöhung bei der FC Bayern München AG und für sonstige Entscheidungen, durch die ein Gesellschafter der AG allein oder zusammen mit einem Unternehmen des gleichen Konzerns eine Beteiligung von mehr als 20 % des Kapitals oder der Stimmrechte erhält oder durch die die Anteile oder Stimmrechte des Vereins unter die Grenze von 70 % sinken, bedürfen

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die Vertreter des Vereins in der Hauptversammlung der AG der Zustimmung der Mehrheit der Präsidiumsmitglieder des Vereins und einer Dreiviertelmehrheit der Mitgliederversammlung. Damit soll die Beteiligungsstruktur der Fußball-AG im Wesentlichen in der Hand der Vereinsmitglieder bleiben. Demgegenüber können die Mitglieder des Muttervereins nicht durch Einzelweisungen mittels Mehrheitsbeschluss Einfluss auf das Vorstandshandeln nehmen. So hat das OLG Celle zur Entscheidungszuständigkeit des Vorstands von Hannover 96 über den Antrag auf Gewährung einer Ausnahme von der „50+1“-Regelung zu Gunsten des Investors Martin Kind entschieden, dass die Mitgliederversammlung eines eingetragenen Vereins den Vorstand durch Mehrheitsbeschluss nicht zu einem Tun oder Unterlassen bestimmen kann, wenn in der Satzung des Vereins die diesbezügliche Entscheidung ausdrücklich dem Vorstand übertragen worden ist und eine Satzungsänderung mit dem Ziel der Beschränkung der Befugnisse des Vorstands nicht die erforderliche Mehrheit gefunden hat.24 2. Aktiengesellschaften Am Spielbetrieb der Bundesliga nahmen in der Saison 2017/18 vier Aktiengesellschaften teil, nämlich die FC Bayern München AG, die Eintracht Frankfurt Fußball Aktiengesellschaft, die HSV Fußball AG sowie die VfB Stuttgart 1893 AG.25 Aufgrund des in § 23 Abs. 5 AktG verankerten Prinzips der Satzungsstrenge fällt es bei der AG schwerer als bei der GmbH, den Investoreneinfluss über die Satzung zu beschränken. Nach dieser Vorschrift darf die Satzung von den Regelungen des Aktiengesetzes nur abweichen, wenn dies ausdrücklich zugelassen ist. Auch ergänzende Bestimmungen sind nur zulässig, soweit nicht das Gesetz eine abschließende Regelung enthält.26 Abweichungen von den gesetzlichen Vorgaben wie z.B. die Vereinbarung von Vorkaufsrechten, Mitverkaufspflichten, etc. sind somit in weiten Teilen nur über sog. Aktionärsvereinbarungen, d.h. neben der Satzung bestehende schuldrechtliche Gesellschaftervereinbarungen zwischen den Aktionären möglich.27 Die Satzung kann die Unterwerfung unter die DFB-Regularien beinhalten (vgl. § 4 Ziff. 3 LO). In Betracht kommt ein dynamischer Verweis (z.B. § 4 Satzung FC Bayern AG). Alternativ kann das gesamte Regelungspaket abgebildet werden (siehe bspw. § 22 Abs. 4 bis 8 Satzung Eintracht Frankfurt AG). Die Satzung der FC Bayern München AG stellt zudem in § 4 Abs. 5   OLG Celle, Beschl. v. 28.8.2017 – 20 W 18/17, NZG 2017, 1191.   Hinweis: Alle untersuchten Gesellschaften werden im Folgenden mit einer verkürzten Bezeichnung benannt. 26  Vgl. Röhricht, in: Großkomm-AktG, § 23, Rn. 167 ff. 27   Hierzu umfassend D. Mayer MittBayNot 2006, 281; Noack NZG 2013, 281. 24 25

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klar, dass der FC Bayern München e.V. „Mutterverein“ im Sinne der Statuten des DFB ist. Die Regelungen zur Inkompatibilität aus § 4 Ziff. 4 LO sind u.a. abgebildet in § 22 Abs. 4 Satzung Eintracht Frankfurt AG. Das vielleicht wichtigste Mittel zur Verhinderung von Fremdeinfluss bei der Aktiengesellschaft ist die Schaffung vinkulierter Namensaktien im Sinne von § 68 Abs. 2 AktG. Damit ist die Übertragung von Aktien von der Zustimmung der Gesellschaft abhängig, welche grundsätzlich der Vorstand erteilt (§ 68 Abs. 2 Satz 2 AktG; so z.B. in § 7 Abs. 1 Satzung FC Bayern AG). Alternativ kann auf Basis von § 68 Abs. 2 Satz 3 AktG die Zustimmungskompetenz an den Aufsichtsrat oder die Hauptversammlung delegiert werden (siehe z.B. § 5 Abs. 2 Satzung Eintracht Frankfurt AG; § 4 Abs. 4 Satzung HSV AG; § 6.5 Satzung VfB Stuttgart AG). Letzterenfalls liegt die Zustimmung in der Hand des Vereinsvorstands als Vertreter des Mehrheitsaktionärs. Negativ im Sinne eines Schutzes vor Fremdeinfluss kann sich hingegen die Schaffung von genehmigtem oder bedingtem Kapital auswirken, weil es – je nach Ausgestaltung – dadurch in der Hand des Vorstandes liegt, Aktien an Investoren auszugeben. So sieht z.B. § 4 Abs. 5 Satzung HSV AG ein genehmigtes Kapital in Höhe von ca. 14 % des Grundkapitals vor, wobei der Vorstand der AG mit Zustimmung des Aufsichtsrates über einen Bezugsrechtsausschluss entscheiden kann. Darüber hinaus besteht die Möglichkeit, auf Grundlage von § 237 AktG eine Zwangseinziehung für den Fall von Verstößen gegen die verbandsseitigen Schutzmechanismen der „50+1“-Regel und/oder des Verbots von Mehrfachbeteiligungen oder Cross-Ownership vorzusehen. So lässt § 6 Abs. 2 lit. d) der Satzung der Eintracht Frankfurt AG eine Zwangseinziehung von Aktien zu, wenn ein Aktionär gegen § 8 Abs. 6 der Satzung des DFL e.V. verstößt. § 23 Abs. 1 lit. c) der Satzung der HSV AG benennt die Fälle einer unzulässigen Mehrfachbeteiligung i.S.v. § 8 Abs. 6 der Satzung des DFL e.V. ebenfalls als wichtigen Grund für eine Zwangseinziehung. Eine Einziehungsregelung gekoppelt mit einer (bloßen) Buchwertabfindung (wie etwa in § 6 Abs. 3 der Satzung der Eintracht Frankfurt AG) muss sich jedoch an der Rspr. des BGH zu den Grenzen von Abfindungsbeschränkungen messen lassen.28 Der Einfluss des e.V. zu stärken vermögen Entsendungsrechte zum Aufsichtsrat, welche bei der AG auf Basis von § 101 Abs. 2 AktG zulässig sind. Zu beachten ist jedoch die in § 101 Abs. 2 Satz 4 AktG gezogene Grenze, 28   Grundlegend zur GmbH BGH DNotZ 1992, 526; siehe ferner BGH DB 1993, 1616; BGH ZIP 2011, 2537. Vgl. darüberhinaus BGH NZG 2013, 220 zu den Grenzen von satzungsergänzenden Verträgen bei der AG, wenn in die Eigentumsposition des Gesellschafters eingegriffen wird, z.B. wenn er vereinbarungsgemäß entgeltlich erworbene Aktien bei seinem Ausscheiden unentgeltlich auf die Gesellschaft übertragen soll; dazu Noack NZG 2013, 281.

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wonach Entsendungsrechte für maximal ein Drittel der Aufsichtsratsmitglieder eingeräumt werden dürfen. Dementsprechend regelt z.B. § 9 Abs. 1 Satz 2 Satzung Eintracht Frankfurt AG, dass der Eintracht Frankfurt e.V. ein Drittel der Aufsichtsratsmitglieder entsendet. § 10.2 der Satzung der VfB Stuttgart AG gewährt dem e.V. ein Entsendungsrecht für zwei von neun Aufsichtsratsmitgliedern, während § 7 Abs. 2 Satzung HSV AG zumindest den Präsidenten des e.V. als geborenes Mitglied des sechsköpfigen Aufsichtsrates benennt. Der Vorstand der AG ist grundsätzlich autark und leitet die Gesellschaft unter eigener Verantwortung, § 76 AktG. Ein Einfluss auf die Geschäftsleitung der AG durch Dritte wie insb. Fremdkapitalgeber (sog. financial covenants) ist unter dem Blickwinkel dieser Vorschrift unzulässig, wenn sich der Vorstand dem Weisungsrecht eines Dritten unterwirft.29 Die Hauptversammlung kann i.Ü. über Fragen der Geschäftsführung grds.30 nur entscheiden, wenn der Vorstand es verlangt, § 119 Abs. 2 AktG. Allerdings kann die Satzung um die Stellung des Aufsichtsrates zu stärken bestimmte Arten von Geschäften einem Zustimmungserfordernis unterwerfen, § 111 Abs. 4 Satz 2 AktG. Im Verweigerungsfall entscheidet die Hauptversammlung mit Dreiviertel-Kapitalmehrheit, vgl. § 111 Abs. 4 Sätze 3 ff. Eine Steuerung ist – in dem im Lichte der Satzungsstrenge möglichen Maß – auch durch Anpassung von Mehrheitserfordernissen denkbar. So sieht § 17 Abs. 2 der Satzung der Eintracht Frankfurt AG (auf Basis von § 179 Abs. 2 Satz 2 AktG) vor, dass Strukturmaßnahmen nur mit einer Mehrheit von 85 % des bei der Beschlussfassung vertretenen stimmberechtigten Grundkapitals erfolgen können. Wahlen zum Aufsichtsrat bedürfen nach § 17 Abs. 3 der Satzung ebenfalls einer Mehrheit von 85 % der Stimmen (vgl. §§ 101 Abs. 1 Satz 1, 133 Abs. 1, 2 AktG). 3. KGaA Die Kommanditgesellschaft auf Aktien ist gekennzeichnet durch ihre Kapitalmarktfähigkeit bei gleichzeitiger Einschränkung des Fremdeinflusses, eingeschränkter Mitbestimmung der Arbeitnehmer im Aufsichtsrat und weitgehender Satzungsautonomie.31 Sie ist damit die ideale Rechtsform, um – über die Stellung als persönlich haftender Gesellschafter – einerseits bestimmenden Einfluss ausüben zu können, andererseits aber gleichwohl Zugang   Vgl. nur Fleischer, in: Spindler/Stilz, Aktiengesetz, 3. Auflage 2015, § 76 Rn. 79.  Eines Beschlusses der Hauptversammlung bedarf es darüber hinaus in den Fällen der Veräußerung des gesamten Gesellschaftsvermögens gemäß § 179a AktG und den sog. „Holzmüller“-Fällen, vgl. hierzu insb. BGH NJW 1982, 1703 (Holzmüller); BGH NJW 2004, 1860 (Gelatine). 31  Vgl. Binz/Sorg/Mayer/Beier in: Binz/Sorg, Die GmbH & Co. KG, 12. Auflage 2018, § 28 Rn. 11 ff. 29 30

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zum Kapitalmarkt zu erhalten. Hinzu kommt die für die KGaA bestehende Sonderregelung im Rahmen von 50+1. Wie bereits dargestellt reicht es aus, wenn der Mutterverein oder ein von ihm zu 100 % beherrschtes Tochterunternehmen die Stellung des Komplementärs hat und uneingeschränkt vertretungs- und geschäftsführungsbefugt ist.32 Aus diesen Überlegungen heraus haben viele Clubs die Rechtsform der GmbH & Co. KGaA gewählt, in der Bundesliga namentlich Borussia Dortmund GmbH & Co KGaA, Hannover 96 GmbH & Co. KGaA, Werder Bremen GmbH & Co. KGaA, FC Augsburg 1907 GmbH & Co KGaA, Hertha BSC GmbH & Co. KGaA und 1. FC Köln GmbH & Co. KGaA.33 Auch bei den als KGaA organisierten Clubs erfolgt eine Unterwerfung unter die DFB- und DFL-Regularien (z.B. § 21 Satzung Werder Bremen KGaA, § 19 Satzung Hertha BSC KGaA, § 3 Satzung 1. FC Köln KGaA; § 4 Satzung Hannover 96 KGaA; § 1 Abs. 4 ff. und § 3 Abs. 1 Satzung FC Augsburg KGaA; in aller Kürze auch § 1 Abs. 6 Borussia Dortmund KGaA). Die Regelungen zur Inkompatibilität (§ 4 Ziff. 4 LO) finden sich in § 20 Satzung Borussia Dortmund KGaA, § 23 Satzung Werder Bremen KGaA, § 4 Satzung 1. FC Köln KGaA, § 11 Abs. 3 Satzung Hannover 96 KGaA und § 22 Satzung FC Augsburg KGaA. Die Machtstrukturen in der KGaA hängen im Wesentlichen von der Regelung des Binnenverhältnisses von Komplementär und Kommanditaktionären ab. § 278 Abs. 2 AktG verweist hierfür grundsätzlich auf das Organisationsrecht der Kommanditgesellschaft. Danach ist der Kommanditaktionär insbesondere von Geschäftsführung und Vertretung ausgeschlossen, § 278 Abs. 2 AktG, §§ 164, 170 HGB. Nachdem im Recht der Personengesellschaften das Innenverhältnis jedoch weitgehend dispositiv ist, darf ein Kommanditaktionär organschaftliche Geschäftsführungsbefugnisse übernehmen, wenn dies im Gesellschaftsvertrag zugelassen ist. Organschaftliche Vertretungsmacht kann ihm jedoch nach zwingendem Recht nicht eingeräumt werden. Bei der KGaA ist andererseits eine stärkere Einflussnahme der Kommanditaktionäre auf die Geschäftsführung möglich und vom Gesetzgeber gewollt und angeordnet als bei den Aktionären einer AG. Den Kommanditaktionären steht nämlich wie den Kommanditisten der Kommanditgesellschaft bei außergewöhnlichen Geschäften ein Widerspruchsrecht zu, § 278 Abs. 2 AktG, § 164 HGB. Dieses Widerspruchsrecht beinhaltet nach ganz überwiegender Auffassung ein vorheriges Zustimmungsrecht der Kommanditaktionäre bzw. der Hauptversammlung als Organ der Kommandit­ 32   Siehe soeben, Teil II.2. Vgl. ferner Habel/Strieder NZG 1998, 929; Siebold/Wichert SpuRt 1998, 138 ff.; Wagner VZG 1999, 469, 476 ff.; Weber GmbHR 2013, 631, 633 ff. 33  Siehe Fett/Stütz NZG 2017, 1121, 1124.; Herfs in: Münchener Handbuch des Gesellschaftsrechts Bd. 4, 4. Auflage 2015, § 76 Rn. 5 f. Weitere Beispiele aus dem Bereich des Profi-Fußballs sind die SpVgg Greuther Fürth GmbH & Co. KGaA oder die Eintracht Braunschweig GmbH & Co. KGaA.

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aktionäre. Bei außergewöhnlichen Geschäften muss daher grds. zuvor ein zustimmender Beschluss der Hauptversammlung eingeholt werden. Da die Regelung entsprechend der allgemeinen personengesellschaftsrechtlichen Grundsätze jedoch dispositiv ist, kann Abweichendes in der Satzung verankert werden. Zur Reduzierung des Fremdeinflusses ist es daher bei der KGaA von entscheidender Bedeutung, das gemäß § 278 Abs. 2 AktG, § 164 HGB bestehende Widerspruchsrecht der Kommanditaktionäre bei außergewöhnlichen Geschäften auszuschließen, wie etwa in § 5 Abs. 4 Satzung Borussia Dortmund KGaA, § 5 Abs. 5 Satzung Werder Bremen KGaA, § 16 Abs. 3 Satzung Hertha BSC KGaA, § 12 Abs. 2 Satzung 1. FC Köln KGaA oder § 12 letzter Absatz Satzung Hannover 96 KGaA. Demgegenüber stellt § 7 Abs. 3 Satzung FC Augsburg KGaA klar, dass die persönlich haftende Gesellschafterin zu außergewöhnlichen Geschäften eines Zustimmungsbeschlusses der Kommanditaktionäre bedarf. Umgekehrt bietet es sich an, die Stellung der persönlich haftenden Gesellschafter im Vergleich zur gesetzlichen Regelung jedenfalls nicht zu schwächen. Angesprochen ist insbesondere § 285 Abs. 2 Satz 1 AktG, wonach Grundlagenbeschlüsse der Hauptversammlung (etwa über Satzungsänderungen, Strukturmaßnahmen, Übertragung des Gesellschaftsvermögens oder Unternehmensverträge i.S.v. §§ 291 ff. AktG) der Zustimmung der persönlich haftenden Gesellschafter bedürfen. Vor diesem Hintergrund gebietet § 6 Abs. 4 Unterabs. 2 der Satzung der Hertha BSC KGaA, dass die der Komplementärin kraft Gesetz eingeräumten Vertretungs- und Geschäftsführungsbefugnisse selbst dann nicht eingeschränkt werden dürfen, wenn die zugrunde liegenden Vorschriften dispositiv sind. Der persönlich haftende Gesellschafter kann seinerseits gemäß §§ 278 Abs. 3, 111 Abs. 4 Satz 2 AktG für bestimmte Arten von Geschäften einem Zustimmungserfordernis des Aufsichtsrats unterworfen werden, so etwa umgesetzt in § 6 Abs. 4 Satzung Borussia Dortmund KGaA, § 5 Abs. 4 Satzung Werder Bremen KGaA, § 9 Abs. 2 Satzung Hertha BSC KGaA, § 12 Satzung Hannover 96 KGaA, § 7 Abs. 4 Satzung FC Augsburg KGaA. Die Übertragbarkeit von Aktien lässt sich auch bei der KGaA durch Schaffung vinkulierter Namensaktien einschränken (§§ 278 Abs. 3, 68 Abs. 2 AktG). So bedarf nach § 8 Abs. 3 Satzung 1. FC Köln KGaA jede Verfügung über Aktien der Zustimmung der Hauptversammlung, die nur erteilt werden darf, wenn durch die Verfügung kein gegen die Regularien des DFB verstoßender Zustand hergestellt wird. § 7 Abs. 2 Satzung Hannover 96 KGaA macht die Übertragung von Aktien – abweichend von § 68 Abs. 2 Satz 3 AktG – von der Zustimmung der Gesellschafter abhängig, wobei offen bleibt, ob damit alle Gesellschafter durch rechtsgeschäftliche Erklärung oder – was die Kommanditaktionäre betrifft – die Hauptversammlung durch Mehrheitsbeschluss zustimmen muss.

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Zu Verschiebungen in der Anteilseignerstruktur können auch bedingte und/oder genehmigte Kapitalia beitragen. So sieht § 5 Abs. 3 Satzung Borussia Dortmund KGaA ein genehmigtes Kapital i.H.v. 23 Mio. Euro vor. § 4a der Satzung der Hertha BSC KGaA beinhaltet ein bedingtes Kapital zur Bedienung von Wandlungsrechten aus einer Anleihe. Auch Entsenderechte zum Aufsichtsrat sind – unter Beachtung von § 4 Ziff. 10 LO – denkbar, obschon der Aufsichtsrat der KGaA mangels Einflussmöglichkeit auf die Zusammensetzung des Geschäftsführungs- bzw. Vertretungsorgans im Vergleich zum Aufsichtsrat der AG deutlich weniger Einfluss hat. § 7 Abs. 1 Satz 2 der Satzung der Werder Bremen KGaA erlaubt bspw. dem e.V. die Entsendung von zwei von sechs Aufsichtsratsmitgliedern. Außerdem müssen mindestens die Hälfte aller Aufsichtsratsmitglieder zugleich Mitglieder des e.V. sein (§ 7 Abs. 1 Satz 3) und zwischen dem Aufsichtsrat der KGaA und dem bei der Verwaltungs-GmbH bestellten fakultativen Aufsichtsrat muss Personenidentität bestehen (§ 7 Abs. 3 Unterabs. 2). § 17 Abs. 2 der Satzung der Hertha BSC KGaA benennt die Präsidiumsmitglieder des e.V. als geborene Mitglieder des (fakultativen) Beirats der KGaA. Bei der Hannover 96 KGaA werden zwei von acht Aufsichtsratsmitgliedern vom e.V. entsandt, haben ausweislich § 13 Abs. 3 Satz 2 Satzung Hannover 96 KGaA jedoch kein Stimmrecht. Auch bei der KGaA können gesetzliche Mehrheitserfordernisse verändert werden. So sieht § 22 Abs. 4 Satzung Hannover 96 KGaA bspw. vor, dass Kapitalerhöhungen, Änderungen des Gesellschaftszwecks und die Aufnahme neuer Geschäftszweige eines Beschlusses der Hauptversammlung mit einer Mehrheit von 85 % der Stimmen bedürfen. Im Übrigen sind auf die KGaA über die Verweisungsnorm § 278 Abs. 3 AktG zahlreiche Vorschriften über die Aktiengesellschaft anwendbar, weshalb insoweit auf die Ausführungen in Ziffer III.2. zur AG verwiesen werden kann. So sind bspw. auch bei der KGaA Regelungen zur Zwangseinziehung für den Fall von Verstößen gegen die verbandsseitigen Schutzmechanismen denkbar. 4. GmbH Aufgrund der deutlich größeren Flexibilität in der Gestaltung der Satzung bietet die GmbH im Vergleich zu AG oder KGaA die besten Möglichkeiten, über die Satzung den Dritteinfluss von Investoren zu begrenzen. Umgekehrt haben die Gesellschafter einer GmbH aufgrund der jederzeitigen Möglichkeit zur Bestellung und Abberufung der Geschäftsführer gepaart mit der ihnen zukommenden Weisungsbefugnis einen direkteren Zugriff auf das operative

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Geschäft als bei den alternativen Rechtsformen.34 Dies mag ein Grund dafür sein, dass neben RB Leipzig auch Bayer Leverkusen, der VfL Wolfsburg und 1899 Hoffenheim, welche allesamt (zu Gunsten des Bayer-Konzerns, des VW-Konzerns bzw. Dietmar Hopp) von der „Lex Leverkusen“35 Gebrauch gemacht haben, allesamt in der Rechtsform einer GmbH strukturiert sind. Daneben nahm 2017/2018 mit der Borussia VfL 1900 Mönchengladbach GmbH lediglich eine weitere GmbH am Spielbetrieb der Bundesliga teil. Zunächst finden sich bei den als GmbH organisierten Bundesligaclubs eine Reihe von Maßnahmen, welche auch die Aktiengesellschaften nutzen, wie etwa die Unterwerfung unter die Verbandsregeln (§ 16 Satzung Hoffenheim GmbH; § 11 Abs. 1 f. Satzung RB Leipzig GmbH; § 3 Satzung Borussia Mönchengladbach GmbH; § 3 Satzung VfL Wolfsburg GmbH; § 4 Satzung Bayer Leverkusen GmbH) und Regelungen zur Inkompatibilität (§ 17 Satzung Hoffenheim GmbH, § 11 Abs. 3 Satzung RB Leipzig GmbH; § 6 Satzung Borussia Mönchengladbach GmbH; § 10 Satzung VfL Wolfsburg GmbH; § 12 Satzung Bayer Leverkusen GmbH). § 11 Abs. 5 Satzung RB Leipzig GmbH stellt überdies klar, dass der RasenBallsport Leipzig e.V. Mutterverein im Sinne der Statuten des DFB ist (obschon er nur 1 % der Geschäftsanteile hält). Eine Vinkulierungsklausel, welche die Verfügung über Geschäftsanteile von der Zustimmung aller Gesellschafter abhängig macht, enthält § 10 Abs. 1 Satzung RB Leipzig GmbH. Damit kann auch der mit nur 1 % am Stammkapital beteiligte e.V. eine Übertragung der Geschäftsanteile durch die Red Bull GmbH (theoretisch36) verhindern. Angesichts der 100 %-Beteiligung des VW-Konzerns an der VfL Wolfsburg GmbH amüsant mutet § 12 Satz 1 und 2 der Satzung VfL Wolfsburg GmbH an, wonach Anteile ausschließlich an den anderen Gesellschafter übertragen werden können und Übertragungen von der Volkswagen AG an den VfL Wolfsburg e.V. kostenfrei erfolgen. Richtig eingesetzt vermag eine Vinkulierungsklausel allerdings in der Tat die Übertragung von Anteilen mit dinglicher Wirkung effektiv zu verhindern. Flankierend ist die Aufnahme einer sog. „change-of-control“-Klausel ratsam, welche auf Gesellschafterebene die Veräußerung von Anteilen an der

  Zur Weisungsbefugnis der Gesellschafter vgl. exemplarisch Altmeppen, in: Roth/Altmeppen, GmbHG, 8. Auflage 2015, § 37 Rn. 6 ff. 35   Hierzu ausf. soeben, Teil II.2. 36   Nach Medienberichten hatte der beim Amtsgericht Leipzig unter VR 4730 eingetragene RasenBallsport Leipzig e.V. im Jahr 2016 lediglich 17 stimmberechtigte Mitglieder, die im Wesentlichen aus dem „Dunstkreis“ des Sponsors Red Bull GmbH kommen sollen, vgl. u.a. Die Zeit online vom 13.9.2017, 14:19 Uhr („Sie brauchten nur acht Jahre“) und Leipziger Volkszeitung online vom 2.3.2016, 8:45 Uhr („RB Leipzig bestätigt Pläne für StadionNeubau bei Bundesliga-Aufstieg“). 34

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beteiligten Investorengesellschaft mit einer Zwangseinziehung sanktioniert, um auch indirekte Veränderungen im Gesellschafterkreis zu verhindern.37 In § 11 Satzung Hoffenheim GmbH findet sich eine Vinkulierungsklausel kombiniert mit einem Ankaufsrecht. Die Zustimmung zu Anteilsverfügungen liegt in der Hand der Gesellschafterversammlung, so dass Dietmar Hopp letztlich hierüber entscheiden kann. Der Verein sichert sich jedoch mit seinem Anteil von 4 % am Stammkapital über § 11 Abs. 2 der Satzung ein Ankaufsrecht für den Fall, dass Herr Hopp seine Anteile veräußern will. Als Gegenleistung wäre in diesem Fall jedoch gemäß § 15 Abs. 2 der Satzung der volle Verkehrswert zu zahlen, eine (gesellschaftsrechtlich mögliche) Beschränkung der Abfindung/Gegenleistung ist nicht vereinbart. Eine solche Gestaltung ließe sich auch umgekehrt zu Gunsten des Vereins denken. Als Beratungsgremium ist teilweise ein Beirat installiert (wie etwa auf Basis von § 8 der Satzung der Hoffenheim GmbH als rein beratender Beirat). Ein solcher Beirat oder auch ein fakultativer Aufsichtsrat hat jedoch grundsätzlich keinen Einfluss auf den Gesellschafterkreis. Allerdings lässt sich die Position eines derartigen Gremiums bei der GmbH durch die Zuweisung von Verwaltungsrechten wie etwa der Zuständigkeit für die Bestellung und Abberufung der Geschäftsführer stärken, weshalb § 4 Ziffer 10 Satz 2 LO zum Schutz des Geistes von 50+1 vorsieht, dass der Mutterverein in einem etwa bestehenden Kontrollorgan mehrheitlich vertreten sein soll. Mittels vom Gesetz abweichend vereinbarter satzungsmäßiger Mehrheitserfordernisse kann der Einfluss des Vereins reduziert werden, indem z.B. einem Investor trotz Minderheitsbeteiligung für bestimmte Maßnahmen ein Vetorecht eingeräumt wird, was der Intention von 50+1 eindeutig widerspricht. So räumt die Satzung der RB Leipzig GmbH zwar dem Verein zur Einhaltung der Verbandsregeln trotz einer Minimalbeteiligung am Stammkapital ein Mehrstimmrecht in Höhe von 50 % plus einer Stimme der Gesamtstimmenzahl ein (§ 8 Abs. 5 Unterabs. 2 Satzung RB Leipzig GmbH); andererseits hat sich der Investor aber ein Vetorecht bei der Bestellung und Abberufung von Geschäftsführern gesichert, indem die Satzung hierfür eine Dreiviertelmehrheit der Stimmen verlangt (§ 6 Abs. 1 Satz 2 Satzung RB Leipzig GmbH). Neben den schon bei AG und KGaA zum Einsatz kommenden Mitteln wie etwa der Zwangseinziehung im Falle von Verstößen gegen bestimmte Vorgaben der Verbände und/oder der Satzung des Muttervereins bestehen bei der GmbH weitergehende Gestaltungsmöglichkeiten. So können etwa die Geschäftsanteile des e.V. mit einem Mehrstimmrecht versehen werden. So sieht wie bereits geschildert § 8 Abs. 5 Unterabs. 2 Satzung RB Leipzig GmbH vor, dass der e.V. als Mutterverein i.S.d. DFB- und DFL-Regularien 37  Zu „change-of-control“-Klauseln siehe nur Jaeger, in: MüKoGmbHG, 2. Auflage 2016, § 35 Rn. 450.

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unabhängig vom Nennbetrag der von ihm gehaltenen Geschäftsanteile mindestens 50 % plus eine Stimme der Gesamtstimmenzahl zustehen, solange er einen oder mehrere Geschäftsanteile der GmbH hält. Eine derartige Regelung wäre auch bei Wegfall de „50+1“-Regel ein effektiver Schutz vor zu viel Fremdeinfluss. Die Geschäftsführung kann im Innenverhältnis nicht nur mittels des allgemeinen Weisungsrechts der GmbH-Gesellschafter, sondern auch über satzungsmäßige oder in einer Geschäftsordnung oder dem Geschäftsführerdienstvertrag verortete Zustimmungserfordernisse relativ eng an die Entscheidungen der Gesellschafter gebunden werden. So enthält bspw. § 7 Satzung Borussia Mönchengladbach GmbH einen derartigen Zustimmungskatalog, welcher sich – in einer Konstellation mit mehreren Gesellschaftern – als eine vom Investor nicht zu beeinflussende Leitlinie für die Führung der Geschäfte eignen kann. Bei der Borussia Mönchengladbach GmbH ist zudem ein (fakultativer) Aufsichtsrat gebildet, dessen Mitglieder ausweislich § 8 Abs. 2 Satz 3 Satzung Borussia Mönchengladbach GmbH mit den Mitgliedern des beim e.V. gebildeten Aufsichtsrats übereinstimmen. Ein gegenläufiges Beispiel für die Stärkung des Einflusses eines Investors ist § 9 Abs. 1 Satz 2 der Satzung des (der Ausnahmeregelung der „Lex Leverkusen“ unterliegenden) VfL Wolfsburg GmbH, wonach zehn von zwölf Mitgliedern des fakultativen Aufsichtsrats von der Volkswagen AG entsandt werden.38

IV.  Zusammenfassende Analyse Die rechtstatsächliche Betrachtung der bestehenden Satzungen aller am Spielbetrieb der Bundesliga teilnehmenden Kapitalgesellschaften hat gezeigt, dass sich ein wirksamer Schutz vor einem übermäßigen Einfluss von Investoren am effektivsten durch eine Doppelstrategie bewerkstelligen lässt: Nachdem die Satzung der Kapitalgesellschaft letztlich durch die Vertreter der Vereine ggf. im Zusammenwirken mit bereits beteiligten Investoren in den von DFB und DFL gesetzten Grenzen jederzeit änderbar ist, sollte erster Ansatzpunkt die Vereinssatzung sein. Darin kann der Vorstand insbesondere für strukturrelevante Veränderungen auf Ebene der Kapitalgesellschaft wie die Übertragung von Anteilen, die Änderung der Satzung oder die Auf38   Hierin dürfte jdf. ein Verstoß gegen den Wortlaut von § 4 Ziff. 10 LO zu erblicken sein, wonach ein Recht, Mitglieder in den Aufsichtsrat bzw. ein anderes Kontrollorgan zu entsenden („Entsenderecht“) nur dem Mutterverein eingeräumt werden darf, der überdies in dem Kontrollorgan mehrheitlich vertreten sein soll. Ob die Vorschrift allerdings sinnvollerweise auch auf eine am Spielbetrieb der Bundesliga teilnehmende Kapitalgesellschaft Anwendung finden kann, welche – wie die VfL Wolfsburg-Fußball GmbH – bereits zu 100 % einem Konzern gehört, erscheint fraglich.

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nahme neuer Gesellschafter im Rahmen einer Kapitalerhöhung an ein – ggf. mit qualifizierter Mehrheit zu beschließendes – Mitgliedervotum gebunden werden. Zweiter Ansatzpunkt ist die Fußballkapitalgesellschaft. Zunächst gilt hier, dass der e.V. zum Schutz seines Einflusses eine qualifizierte Kapitalmehrheit von 75 % behalten sollte, um über Strukturmaßnahmen wie Satzungsänderungen oder Umstrukturierungen grundsätzlich eigenständig entscheiden zu können. Im Übrigen ist hinsichtlich der Gestaltung der Satzung rechtsformspezifisch zu unterscheiden: –– Bei Aktiengesellschaften kann die Position des Vereins - soweit im Lichte des Prinzips der Satzungsstrenge möglich – wie in Ziffer III.2. dargestellt insbesondere durch die Schaffung vinkulierter Namensaktien, die Regelung von Gründen für eine Zwangseinziehung, Entsenderechte zu Gunsten des Vereins, die Veränderung von Mehrheitserfordernissen und die Anordnung von Zustimmungserfordernissen des Aufsichtsrats für bestimmte Maßnahmen gestärkt werden. –– Ergänzend sollten bei Clubs in der Rechtsform einer GmbH & Co. KGaA – jedenfalls solange die 50+1 Regel in ihrer derzeitigen Ausgestaltung eine 100 %-Beteiligung des e.V. an der Komplementärgesellschaft verlangt – wie in Ziffer III.3. näher ausgeführt die Rechte des Komplementärs gestärkt und gleichzeitig die Rechte der Kommanditaktionäre eingedämmt werden. –– Bei der GmbH könnte darüberhinaus eine Vinkulierungsklausel gepaart mit einem Ankaufsrecht zu Gunsten des Vereins mit einer niedrig zu bemessenden Gegenleistung sicherstellen, dass bereits einem Investor gehörende Anteile nicht frei an einen beliebigen Dritten veräußert werden können. Darüber hinaus sind aufgrund der Flexibilität in der Gestaltung des Innenverhältnisses weitere Maßnahmen wie die Schaffung von Quoren für bestimmte Entscheidungen und die Implementierung von detaillierten Zustimmungserfordernissen zu Gunsten des Vereins denkbar. Zusammenfassend gibt es also eine Reihe von Regelungsoptionen zum Schutz vor Fremdeinfluss. Dabei besteht aus Sicht der investorenkritischen Vereinsmitglieder aktuell dringender Handlungsbedarf, diese Maßnahmen zu implementieren, nachdem der dauerhafte Erhalt der „50+1“-Regel aus rechtlicher wie auch aus tatsächlicher Sicht zweifelhaft erscheint. Ist nämlich erst einmal ein wesentlicher Teil oder gar die Mehrheit der Anteile an einen Investor verkauft, bleibt für den Verein und seine Mitglieder kaum mehr eine Möglichkeit, sich einen bestimmenden Einfluss dauerhaft zu sichern. Abschließend bleibt festzuhalten, dass sich der Schutz vor Fremdeinfluss bei denjenigen Idealvereinen, welche aktuell noch selbst am Spielbetrieb der Lizenzligen teilnehmen, am einfachsten umsetzen lässt. Zunächst liegt schon eine Ausgliederung der Lizenzspielerabteilung allein in der Hand der

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Mitglieder, die hierüber mit Dreiviertelmehrheit der abgegebenen Stimmen entscheiden, §§ 103 Satz 1, 125 Satz 1 UmwG. Weitergehend bestünde die Möglichkeit, präventiv eine Ausgliederung dauerhaft zu verhindern: Gemäß § 149 Abs. 1 UmwG kann ein Verein nämlich nur an einer Spaltung teilnehmen, wenn seine Satzung nicht entgegensteht. §§ 103 Satz 2, 125 Satz 1 UmwG eröffnen ferner die Möglichkeit, die Ausgliederung von einer größeren als der Dreiviertelmehrheit der abgegebenen Stimmen abhängig zu machen. Insofern könnte – bei entsprechenden Mehrheitsverhältnissen – ein Ausgliederungsverbot oder ein strengeres Mehrheitserfordernis in die Vereinssatzung aufgenommen werden verbunden mit einer Regelung, wonach die Änderung oder Aufhebung dieser Regelung wiederum einer bestimmten, größeren Mehrheit oder gar Einstimmigkeit bedürfte, vgl. §§ 33 Abs. 1, 40 Satz 1 BGB. Es liegt damit letztlich in der Hand der Mitglieder, eine Ausgliederung dauerhaft zu verhindern oder zumindest im Vorfeld einer geplanten Ausgliederung darauf hinzuwirken, möglichen Dritteinfluss durch eine entsprechende Gestaltung der Gesellschaftsverträge zu kontrollieren. Hier wie auch bei allen anderen diskutierten Möglichkeiten zur Verhinderung übermäßigen Fremdeinflusses gilt es jedoch, die Kehrseite der Medaille nicht aus den Augen zu verlieren: Abgesehen von dem nicht zu vernachlässigendem Risiko der Zweckverfehlung eines am Spielbetrieb der Profiligen teilnehmenden eingetragenen Vereins39 wird mit dem Schutz der „Fußballkultur“ nämlich regelmäßig auch eine Begrenzung der finanziellen Ressourcen und damit ein Verlust der sportlichen Wettbewerbsfähigkeit im Vergleich zu anderen europäischen Ligen einhergehen. Ob die Mitglieder der Vereine dies wirklich dauerhaft in Kauf nehmen wollen, wird sich zeigen. Es dürfte in der Bundesliga jedenfalls auch abseits des Platzes spannend bleiben.

  Siehe oben, Fn. 10.

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Pfändung und Insolvenzbeschlag vinkulierter Namensaktien Johannes Wertenbruch I.  Einleitung und Problemstellung Nach § 851 Abs. 1 i.V.m § 857 Abs. 1 ZPO ist ein Recht der Pfändung unterworfen, soweit es übertragbar ist. Der Ausschluss der Übertragbarkeit eines grundsätzlich übertragbaren Rechts durch Vereinbarung i.S.d. § 399 Alt. 2 i.V.m. § 413 BGB hat gem. § 851 Abs 2 i.V.m. § 857 Abs. 1 ZPO keine Wirkung in der Zwangsvollstreckung. Zur Insolvenzmasse gehört gem. § 35 Abs. 1 InsO das gesamte Vermögen, welches dem Schuldner zur Zeit der Eröffnung des Verfahrens gehört und er während des Verfahrens erlangt. Aktien und auch Namensaktien sind grundsätzlich frei veräußerlich (§ 68 Abs. 1 AktG). Nach § 68 Abs. 2 AktG kann die Satzung der AG aber die Übertragung an die Zustimmung der Gesellschaft binden.1 Bei der GmbH besteht diese Möglichkeit auf Grundlage des § 15 Abs. 5 GmbHG. Die Zustimmung zur Veräußerung einer statutarisch vinkulierten Namensaktie erteilt gem. § 68 Abs. 2 Satz 2 AktG der Vorstand. Es ist aber eine abweichende Satzungsbestimmung dahin gehend möglich, dass der Aufsichtsrat oder die Hauptversammlung über die Erteilung der Zustimmung beschließt (§ 68 Abs. 2 Satz 3 AktG). Zudem kann die Satzung der AG die Gründe festlegen, aus denen die Zustimmung verweigert werden darf (§ 68 Abs. 2 Satz 4 AktG). Auch bei der Zwangsvollstreckung in Aktien muss von vornherein unterschieden werden zwischen der Pfändung, durch die eine Beschlagnahme dieses subjektiven Rechts bewirkt wird, und der anschließenden Verwertung durch Veräußerung mit nachfolgender Erlösauskehrung an den Vollstreckungsgläubiger in Höhe seiner titulierten Forderung gegen den betreffenden Aktionär. Dieselbe Unterscheidung gilt für das Insolvenzverfahren. Auch hier ist der Insolvenzbeschlag auf Grundlage der Massedefinition des § 35 Abs. 1 InsO von der Frage zu trennen, unter welchen Voraussetzungen der Insolvenzverwalter die dem Insolvenzschuldner gehörenden vinkulierten Namensaktien durch Veräußerung verwerten darf. Das Reichsgericht (RG)

1   Vgl. zu den Motiven und zur Ermessensfreiheit bei der Freigabeentscheidung H. P. Westermann in Festschrift U. Huber, 2006, S. 997 ff.

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hat in der Entscheidung RGZ 37, 139 aus dem Jahre 1896, also vor Inkrafttreten des BGB und der ZPO in der Fassung vom 1.1.1900, für das rechtsgeschäftlich bestellte Pfandrecht (Vertragspfand) eine Lösung entwickelt, nach der die Verpfändung zwar trotz Vinkulierung zulässig, aber die Verwertung durch den Sicherungsnehmer im Wege des Pfandverkaufs an die Zustimmung der AG gebunden sein soll.2 Nach 1900 ging die herrschende Meinung zunächst davon aus, dass eine statutarische Vinkulierung auf die Zwangsvollstreckung nicht durchschlage. Die nunmehr im Vordringen befindliche Literaturauffassung sieht zwar die Pfändung trotz Vinkulierung als unbeschränkt zulässig an. Die Verwertung durch Pfandverkauf hänge dann aber von der Zustimmung der AG ab. Damit wird von der neueren Lehre in Bezug auf die Zwangsvollstreckung in vinkulierte Namensaktien im Ergebnis die Auffassung vertreten, die das RG im Jahre 1896 für das rechtsgeschäftliche Pfandrecht an Aktien begründet hat.

II.  Die Entscheidung RGZ 37, 139 zur Verpfändung vinkulierter Namensaktien vor 1900 In dem der Entscheidung RGZ 37, 139 aus dem Jahre 1896 zugrundeliegenden Fall hatte der spätere Konkursschuldner Aktien einer Zuckerfabrik verpfändet und als Faustpfand an den Sicherungsnehmer übergeben. Nach dem Statut dieser Aktiengesellschaft war die Veräußerung einer Aktie nur mit Einwilligung der Gesellschaft zulässig und gültig. Die Veräußerung musste dem Vorstand der AG angezeigt und durch Vorlegung der „darüber sprechenden Urkunden“ glaubhaft nachgewiesen werden. Der Vorstand war dann verpflichtet, „nach Persönlichkeit und Verhältnissen des neuen Erwerbers“ zu prüfen, ob dessen Eintritt „dem Interesse und den Wünschen der Gesellschaft entspricht“. Im Anschluss an diese Prüfung war ein Beschluss der Generalversammlung über die Bewilligung oder die Versagung der Aufnahme einzuholen. Für den Fall der Verweigerung der Zustimmung hatten die Aktionäre der Zuckerfabrik-AG das statutarische Recht, zu verlangen, dass die Aktien zu einem auf Grundlage eines festgelegten Verfahrens zu bestimmenden Preis abgenommen werden. Die Aktionäre waren nach der Satzung dieser AG verpflichtet, für jede Aktie eine Fläche von fünf Magdeburger Morgen mit Zuckerrüben zu bebauen oder bebauen zu lassen und den Ertrag an die Fabrik abzuliefern. In RGZ 37, 139 klagte, nachdem der verpfändende Aktionär in Konkurs geraten war, der Konkursverwalter gegen den Sicherungsnehmer auf Feststellung der Verpflichtung zur Herausgabe der Aktien an die Konkursmasse und berief sich insoweit auf eine Ungültigkeit der Verpfändung. Das RG ging demgegenüber davon aus, dass die sta  Vgl. dazu nachfolgend II.

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tutarische Beschränkung der Veräußerung der Aktien nicht gegen die Zulässigkeit einer Verpfändung spreche. Der Zweck des Pfandrechts bestehe zwar darin, dem Pfandgläubiger die Befriedigung seiner Forderung zu sichern und eventuell auch zu verschaffen, weshalb eine Verpfändung regelmäßig nur an veräußerlichen Gegenständen möglich sei. Die statutarische Vinkulierung führe aber nicht zur generellen Unzulässigkeit der Veräußerung der Aktien, sondern es werde vielmehr die Wirksamkeit einer konkreten Veräußerung von der Zustimmung der AG abhängig gemacht. In Bezug auf die Frage der Verpfändung von vinkulierten Aktien müsse, so das RG, zwischen der Verpfändung und dem Verkauf der Aktie zum Zwecke der Verwertung unterschieden werden. Der Zweck der Vinkulierung – im konkreten Fall die Sicherung des Interesses der Gesellschaft an den statutarisch vorgesehenen Rübenlieferungen – werde durch die Verpfändung allein noch nicht tangiert. Denn der Sicherungsgeber bleibe Aktionär und zur Rübenlieferung verpflichtet. Erst die Verwertung der verpfändeten Aktien im Wege eines Pfandverkaufs berühre das Interesse der AG und stelle daher ein zustimmungsbedürftiges Geschäft dar.

III.  Ausschluss der Verpfändung vinkulierter Namensaktien durch § 1274 Abs. 2 BGB Nach § 1274 Abs. 1 Satz 1 BGB erfolgt die Bestellung eines Pfandrechts an einem Recht nach den für die Übertragung des Rechts geltenden Vorschriften. Der BGB-Gesetzgeber von 1900 strebte insoweit eine einfache Lösung an.3 Abweichend von dem vor 1900 für den Fall RGZ 37, 139 noch geltenden Recht des Vertragspfands wurde durch § 1274 Abs. 2 BGB angeordnet, dass ein Pfandrecht an einem Recht nicht bestellt werden kann, soweit das Recht nicht übertragbar ist. Für die Anwendung des § 1274 Abs. 2 BGB kommt es nicht darauf an, ob der Ausschluss der Übertragbarkeit auf Gesetz oder Rechtsgeschäft beruht. Die Verpfändung eines Rechts ist daher auch dann ausgeschlossen, wenn die Abtretung gem. §§ 399 Alt. 2, 413 BGB durch rechtsgeschäftliche Vereinbarung ausgeschlossen ist.4 Bei der Verpfändung vinkulierter Namensaktien hängt demnach – anders als von RGZ 37, 139 entschieden – nicht erst die Verwertung durch Pfandverkauf von der Zustimmung der AG ab, sondern vielmehr schon die vertragliche Bestellung dieses Sicherungsrechts. Im Falle der Erteilung der Zustimmung durch die AG ist   Mugdan Band III, S. 950.   Vgl. Staudinger/Wiegand, BGB, Neubearbeitung 2009, § 1274 Rn. 30; Soergel/Habersack, BGB, 13. Aufl. 2001, § 1274 Rn. 12; MünchKomm.BGB/Damrau, 7. Aufl. 2017, § 1274 Rn. 14; BeckOGK.BGB/Leinenweber, Stand: 01.04.2018, § 1274 Rn. 34; Erman/J. Schmidt, BGB, 15. Aufl. 2017, § 1274 Rn. 7. 3 4

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eine spätere Pfandverwertung durch Verkauf nicht mehr genehmigungspflichtig. Die Verpfändung vinkulierter Namensaktien ohne Zustimmung der AG hat eine absolute Unwirksamkeit zur Folge.5 Die von RGZ 37, 139 vertretene Trennung zwischen unbeschränkt zulässiger Verpfändung und zustimmungspflichtiger Pfandverwertung kann daher auf Grundlage des BGB keine Geltung mehr beanspruchen.

IV.  Die Entscheidung RGZ 70, 64 – fehlende Wirkung der statutarischen Vinkulierung im Konkurs des GmbH-Gesellschafters In dem der Entscheidung RGZ 70, 64 aus dem Jahre 1908 zugrundeliegenden Fall ging es um die Frage, ob der Konkursverwalter des im Konkurs befindlichen GmbH-Gesellschafters auf Auflösung der GmbH nach § 61 Abs. 1 GmbHG klagen konnte. Das RG verweist zunächst darauf, dass die Regelung des § 61 GmbHG dem Schutze der vermögensrechtlichen Interessen der Gesellschafter diene und die Konkursmasse nach § 1 KO das gesamte der Zwangsvollstreckung unterliegende Vermögen des Gemeinschuldners umfasse. Da die GmbH-Geschäftsanteile im Fall des RG statutarisch vinkuliert waren, kam es auf die Frage an, ob diese Veräußerungsbeschränkung auf den Konkurs durchschlug. Insoweit führt das RG aus, dass die Anwendbarkeit des § 15 Abs. 5 GmbHG, „wie aus dem Wortlaute und Zusammenhange sowie aus der Begründung des Gesetzes hervorgeht“, sich auf eine freiwillige Veräußerung des Geschäftsanteils durch den Gesellschafter im Rahmen eines Rechtsgeschäfts unter Lebenden beschränke.6 Nach der Begründung zum GmbHG7 hielt es der GmbH-Gesetzgeber nicht für zweckmäßig, die Veräußerung der GmbH-Geschäftsanteile gesetzlich an die Genehmigung der betreffenden GmbH zu binden. Es sei vielmehr dem Gesellschaftsvertrag zu überlassen, die Verfügungsbefugnis der Gesellschafter zu beschränken, sofern dies nach den Verhältnissen als wünschenswert angesehen werde.8 § 15 Abs. 5 GmbHG eröffne die Möglichkeit der Beschränkung der freiwilligen

5   BGH NJW 1964, 243; BGH NJW 1978, 813, 814; Staudinger/Wiegand, BGB (Fn. 4), § 1274 Rn. 30; Soergel/Habersack, BGB (Fn. 4), § 1274 Rn. 12; BeckOGK.BGB/Leinenweber, (Fn. 4), § 1274 Rn. 34; Erman/J. Schmidt, BGB (Fn. 4), § 1274 Rn. 7. 6   RGZ 70, 64, 66. 7   Entwurf eines Gesetzes betreffend die Gesellschaften mit beschränkter Haftung nebst Begründung und Anlagen, 1891, S. 60. 8   Entwurf eines Gesetzes betreffend die Gesellschaften mit beschränkter Haftung nebst Begründung und Anlagen, 1891, S. 60; RGZ 70, 64, 66.

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Veräußerung, während die Veräußerung in der Zwangsvollstreckung auch nicht durch den Gesellschaftsvertrag beschränkt werden dürfe.9 Dass in der Begründung zum GmbHG nur die Unwirksamkeit der Vinkulierung in der Zwangsvollstreckung erwähnt wird, steht nach Ansicht des RG einer entsprechenden Rechtsfolge im Konkursverfahren nicht entgegen.10 Denn der Zweck der unbeschränkt zulässigen Anteilsveräußerung in der Zwangsvollstreckung bestehe darin, die Interessen der Gläubiger zu wahren.11 Insoweit sei der Zwangsvollstreckung das Konkursverfahren gleichzustellen, weil auch die zwangsweise Verwertung der Masse durch den Konkursverwalter kraft Gesetzes und damit unabhängig vom Willen des Gesellschafter-Schuldners im Interesse seiner Gläubiger erfolge.12

V.  Die ältere Literatur zur Unwirksamkeit der Vinkulierung der Aktie in Zwangsvollstreckung und Konkurs Eugen Ulmer13 bezeichnet die statutarische Vinkulierung der Aktie als „Übertragungsschranke“. In der Zwangsvollstreckung und im Konkurs „falle“ diese Schranke aber zugunsten der Gläubiger des Aktionärs.14 Nach Ansicht von Flechtheim15 gilt die vom RG in der Entscheidung RGZ 37, 139 dargelegte Auffassung zur Zulässigkeit der Verpfändung der vinkulierten Namensaktie ohne Zustimmung der AG und Abhängigkeit der Pfandveräußerung von der Zustimmung der AG nicht für die Pfändung und Verwertung dieser Aktien. Aufgrund des Inkrafttretens des § 1274 Abs. 2 BGB am 1.1.1900 sei die Entscheidung RGZ 37, 139 auch für die Verpfändung der vinkulierten Namensaktie nicht mehr maßgebend.16 Uhlenbruck17 verweist darauf, dass die Vinkulierung der Namensaktie nur die rechtsgeschäftliche Übertragung beschränke und keine Wirkung in der Zwangsvollstreckung und im Konkurs habe. Wenn die AG im Fall der Pfändung einer vinkulierten Aktie oder im Konkurs des Aktionärs ein Interesse an der Verhinderung des Eintritts bestimmter Personen habe, dann müsse sie die Voraussetzungen für

9   Entwurf eines Gesetzes betreffend die Gesellschaften mit beschränkter Haftung nebst Begründung und Anlagen, 1891, S. 60; RGZ 70, 64, 66. 10   RGZ 70, 64, 67. 11   RGZ 70, 64, 67. 12   RGZ 70, 64, 67. 13   Ulmer in Festschrift Schmidt-Rimpler, 1957, S. 261, 265. 14   Im Ergebnis ebenso Knur in Festschrift Flume, 1978, Bd. II, S. 173, 183; Kossmann BB 1985, 1364 ff. 15  Düringer/Hachenburg/Flechtheim, 3. Aufl. 1930-1935, § 222 Anm. 6. 16  Düringer/Hachenburg/Flechtheim (Fn. 16), § 222 Anm. 6. 17   Uhlenbruck DB 1967, 1927 ff.

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eine Anteilseinziehung nach § 237 AktG (Amortisation) schaffen und eine Abfindung zahlen.18

VI.  BGHZ 32, 151 und BGHZ 65, 22 zur fehlenden Wirkung der Vinkulierung in Zwangsvollstreckung und Konkurs bei GmbH-Anteilen 1.  Beschränkung der Vinkulierungswirkung auf freiwillige Veräußerungen – BGHZ 32, 151 In der Entscheidung BGHZ 32, 151 stellt der BGH fest, dass eine auf Grundlage von § 15 Abs. 5 GmbHG gesellschaftsvertraglich vorgesehene Vinkulierung von Geschäftsanteilen sich auf die freiwillige Veräußerung beschränke, die ein Gesellschafter durch Rechtsgeschäft unter Lebenden vornehme.19 Andere Beschränkungen seien nicht zulässig. Dies gelte insbesondere für die Fälle der Einzelzwangsvollstreckung und des Konkurses.20 Eine Satzungsbestimmung, nach der Geschäftsanteile überhaupt nicht oder nur mit Zustimmung der GmbH pfändbar sein sollen, ist nach Auffassung des BGH gem. § 134 BGB nichtig.21 2.  Fehlende Wirkung der Vinkulierung in der Zwangsvollstreckung gem. § 851 Abs. 2 i.V.m. § 857 Abs. 1 ZPO – BGHZ 65, 22 In der Entscheidung BGHZ 65, 22 verweist der BGH zunächst darauf, dass die Pfändung des GmbH-Geschäftsanteils dem Gläubiger die Möglichkeit verschaffe, sich durch Veräußerung dieses Vermögensgegenstands im Wege der öffentlichen Versteigerung oder des freihändigen Verkaufs wegen seiner titulierten Forderung zu befriedigen.22 Diese Möglichkeit werde dem Gläubiger nicht durch eine gem. § 15 Abs. 5 GmbHG gesellschaftsvertraglich vorgesehene Anteilsvinkulierung genommen.23 Rechtsgrundlage für die fehlende Wirkung der Vinkulierung in der Zwangsvollstreckung sei § 851 Abs. 2 i.V.m. § 857 Abs. 1 ZPO.24 Die Regelung des § 15 Abs. 5 GmbHG gelte als Ausnahme vom Grundsatz des § 137 Satz 1 BGB nur für die freiwillige Veräußerung des GmbH-Geschäftsanteils.25 Durch § 851 Abs. 2 i.V.m.

  Uhlenbruck DB 1967, 1927 ff.   BGHZ 32, 151, 155. 20   BGHZ 32, 151, 155. 21   BGHZ 32, 151, 155 unter Berufung auf RGZ 142, 373, 376. 22   BGHZ 65, 22, 24. 23   BGHZ 65, 22, 24 f. 24   BGHZ 65, 22, 24. 25   BGHZ 65, 22, 24 unter Verweis auf BGHZ 32, 151, 155. 18 19

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§ 857 Abs. 1 ZPO räume das Gesetz der Befriedigung des GesellschafterGläubigers den Vorrang vor dem berechtigten Interesse der Gesellschaft ein, das Eindringen fremder Personen in die Gesellschaft ohne ihre Zustimmung zu verhindern.26 Ein Schutz vor Überfremdung könne, so der BGH, aber grundsätzlich durch eine Satzungsregelung herbeigeführt werden, die (auch) im Falle der Pfändung eine Einziehung des betreffenden Geschäftsanteils gegen Zahlung einer Abfindung vorsehe.27 Eine derartige statutarische Regelung nehme dem Gesellschafter-Gläubiger die Möglichkeit, sich durch Veräußerung des Geschäftsanteils im Rahmen der Zwangsvollstreckung zu befriedigen, und verweise ihn stattdessen auf das von der GmbH zu zahlende Einziehungsentgelt.28 Durch die Geltendmachung eines statutarischen Einziehungsrechts vernichte die GmbH zwar den Geschäftsanteil als Pfändungsgegenstand, dies sei aber in rechtlicher Hinsicht deshalb zulässig, weil der Gläubiger durch die Anteilspfändung keine bessere Rechtsstellung erlangen könne als der Gesellschafter selbst.29 Es handele sich insoweit nicht um eine unzulässige Verfügung des Gesellschafter-Schuldners über den Pfändungsgegenstand, sondern um die Auswirkung einer für alle GmbH-Gesellschafter geltenden Satzungsregelung, die für den einzelnen Gesellschafter – ebenso wie für den Pfändungsgläubiger – den Inhalt und die Grenzen seiner mitgliedschaftlichen Rechtsstellung bestimme.30 Durch die Begründung des Einziehungsrechts der GmbH in der Satzung entstehe der Geschäftsanteil von vornherein nur mit dieser Belastung.31 Der Unterschied zwischen einer solchen statutarischen Einziehungsregelung und einer nach § 851 Abs. 2 i.V.m. § 857 Abs. 1 ZPO nicht gegenüber einem Pfändungsgläubiger wirksamen Vinkulierung bestehe darin, dass die Einziehung sich gerade und in erster Linie gegen den Inhaber richte, während die Vinkulierung den Geschäftsanteil in der Hand des Inhabers unverändert bestehen lasse.32 Von einer Einziehung des Geschäftsanteils auf Grundlage der Satzung werde der Pfändungsgläubiger nur mittelbar betroffen; denn es handele sich um eine schlichte Folge der Abhängigkeit seiner Rechtsstellung von der des Gesellschafter-Schuldners.33

  BGHZ 65, 22, 25.   BGHZ 65, 22, 25. 28   BGHZ 65, 22, 25. 29   BGHZ 65, 22, 25. 30   BGHZ 65, 22, 25. 31   BGHZ 65, 22, 25. 32   BGHZ 65, 22, 25. 33   BGHZ 65, 22, 25. 26 27

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3.  Zustimmende Literaturauffassung Auch die Literatur zur Zwangsvollstreckung in GmbH-Geschäftsanteile geht überwiegend davon aus, dass eine statutarische Anteilsvinkulierung i.S.d. § 15 Abs. 5 GmbHG aufgrund der Regelung des § 851 Abs. 2 i.V.m. § 857 Abs. 1 ZPO weder die Pfändung noch die vollstreckungsrechtliche Verwertung durch Verkauf beschränke.34 Ein Schutz vor Überfremdung kann nach dieser Auffassung bei der GmbH nur dadurch erreicht werden, dass die Satzung (auch) für den Fall einer Pfändung eine Anteilseinziehung vorsieht mit der Folge des Ausscheidens des Gesellschafter-Schuldners und einer Auskehrung des Einziehungsentgelts an den Gesellschafter-Gläubiger in Höhe der titulierten Forderung.

VII.  Die neuere Literaturauffassung zum Zustimmungserfordernis der AG bei der Verwertung gepfändeter vinkulierter Aktien In der neueren Literatur zur Behandlung von vinkulierten Namensaktien in der Zwangsvollstreckung wird dagegen überwiegend die Auffassung vertreten, dass zwar eine Pfändung unbeschränkt und zustimmungsfrei zulässig sei, eine Verwertung durch Verkauf dann aber nur mit Genehmigung der AG erfolgen könne.35 Diese Auffassung beruft sich insbesondere darauf, dass 34  Ulmer/Habersack/Löbbe, GmbHG, 2. Aufl. 2013, § 15 Rn. 328 ff.; Scholz/Seibt, GmbHG, 12. Aufl. 2018, § 15 Rn. 202; Baumbach/Hueck/Fastrich, GmbHG, 21. Aufl. 2017, § 15 Rn. 63; MünchKomm.GmbHG/Reichert/Weller, 3. Aufl. 2018, § 15 Rn. 539; Roth/Altmeppen, GmbHG, 8. Aufl. 2015, § 15 Rn. 62; Rowedder/Schmidt-Leithoff/Görner, GmbHG, 6. Aufl. 2017, § 15 Rn. 150; Michalski/Heidinger/Leible/J. Schmidt/Ebbing, GmbHG, 3. Aufl. 2017, § 15 Rn. 243; Henssler/Strohn/Verse, GesR, 3. Aufl. 2016, § 15 GmbHG Rn. 131; Wicke GmbHG, 3. Aufl. 2016, § 15 Rn. 32; Wertenbruch Haftung von Gesellschaften und Gesellschaftsanteilen in der Zwangsvollstreckung, 2000, S. 658; Karsten Schmidt GmbHR 2011, 1289, 1294; a.A. Lutter/Hommelhoff/Bayer, GmbHG, 19. Aufl. 2016, § 15 Rn. 100; Liebscher/Lübke ZIP 2010, 241 f. 35  Großkomm.AktG/Merkt, 4. Aufl. 2008, § 68 Rn. 294 ff.; MünchKomm.AktG/Bayer, 4. Aufl. 2016, § 68 Rn. 113; Lutter/Drygala in Kölner Komm. z. Aktiengesetz, 3. Aufl. 2012, § 68 Rn. 55; Spindler/Stilz/Cahn, AktG, 3. Aufl. 2015, § 68 Rn. 35 f.; Hüffer/Koch, AktG, 13. Aufl. 2018, § 68 Rn. 11; Lutter/K. Schmidt/Bezzenberger, AktG, 3. Aufl. 2015, § 68 Rn. 20; Grigoleit/Rachlitz in Grigoleit, AktG, 2013, § 68 Rn. 17; Manteufel in Münchener Handbuch des Gesellschaftsrechts, Band 7, 5. Aufl. 2016, § 130 Rn. 26 ff.; Stöber Forderungspfändung, 16. Aufl. 2013, Rn. 1605; Prütting/Gehrlein/Flury, ZPO, 9. Aufl. 2017, § 822 Rn. 5; Stein/Jonas/Würdinger, ZPO, Band 8, 23. Aufl. 2017, § 822 Rn. 2; Zöller/ Stöber, ZPO, 31. Aufl. 2016, § 821 Rn. 4; Kindl/Meller-Hannich/Wolf/R. Koch, Zwangsvollstreckungsrecht, 3. Aufl. 2015, 4. Zwangsvollstreckung in Gesellschaftsanteile Rn. 24; Schrandt in Handbuch Zwangsvollstreckungsrecht, 1. Aufl. 2013, Rn. 1111; Bork in Festschrift Henckel, 1995, S. 23, 32 ff.; Liebscher/Lübke ZIP 2010, 242 ff.; a. A. Baumbach/ Lauterbach/Albers/Hartmann, ZPO, 76. Aufl. 2018, Anh. § 859 Rn. 3; Karsten Schmidt GmbHR 2011, 1289, 1294; Wertenbruch Haftung von Gesellschaften und Gesellschafts-

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§ 851 Abs. 2 ZPO nicht anwendbar sei, weil die Vinkulierung der Aktie eine Inhaltsbestimmung darstelle, die in gleicher Weise für den Aktionär gelte.36 Zudem wird ins Feld geführt, durch eine unbeschränkte Veräußerung in der Zwangsvollstreckung könne der von der Vinkulierung betroffene Aktionär mit einem am Erwerb der Aktien interessierten Dritten eine Zwangsvollstreckung fingieren und dadurch zum Nachteil der AG die Veräußerungsbeschränkung umgehen.37 Der Großteil der Autoren dieser neueren Lehre nimmt an, die Zustimmung dürfe von der AG nur aus wichtigem Grund versagt werden.38

VIII.  Meinungsstand im insolvenzrechtlichen Schrifttum In der Insolvenz des Inhabers vinkulierter Namensaktien stellt sich die Frage, ob diese Gesellschaftsanteile zur Insolvenzmasse i.S.d. § 35 InsO gehören und vom Insolvenzverwalter im Rahmen der Verwertung nach § 159 InsO ohne Zustimmung der AG veräußert werden können. Von der ganz h.L. im insolvenzrechtlichen Schrifttum wird dies bejaht.39 Verwiesen wird insoweit insbesondere auf die Rechtsprechung des BGH40 zur Parallelproblematik der Behandlung von vinkulierten GmbH-Geschäftsanteilen in Zwangsvollstreckung und Insolvenz.41 Ein Unterschied zwischen GmbHGeschäftsanteilen und Namensaktien wird insoweit nicht geltend gemacht.

anteilen in der Zwangsvollstreckung, 2000, S. 621 ff.; wohl auch Musielak/Voit/Becker, 15. Aufl. 2018, § 859 Rn. 18. 36  Großkomm.AktG/Merkt (Fn. 35), § 68 Rn. 294 ff.; MünchKomm.AktG/Bayer (Fn. 35), § 68 Rn. 113; Spindler/Stilz/Cahn, AktG (Fn. 35), § 68 Rn. 35 f.; Manteufel in Münchener Handbuch des Gesellschaftsrechts, Band 7 (Fn. 35), § 130 Rn. 26 ff.; Bork in Festschrift Henckel, 1995, 23, 32 ff.; Liebscher/Lübke ZIP 2010, 245 ff. 37  Großkomm.AktG/Merkt (Fn. 35), § 68 Rn. 294 ff.; MünchKomm.AktG/Bayer (Fn. 35), § 68 Rn. 112 f.; Lutter/Drygala in Kölner Komm. AktG (Fn. 35), § 68 Rn. 55. 38  Großkomm.AktG/Merkt (Fn. 35), § 68 Rn. 294 ff.; MünchKomm.AktG/Bayer (Fn. 35), § 68 Rn. 113; Kölner Komm. z. Aktiengesetz/Lutter/Drygala (Fn. 35), § 68 Rn. 55; Hüffer/Koch, AktG (Fn. 35), § 68 Rn. 11; Grigoleit/Rachlitz in Grigoleit, AktG (Fn. 35), § 68 Rn. 17; Manteufel in Münchener Handbuch des Gesellschaftsrechts, Band 7 (Fn. 35), § 130 Rn. 26 ff.; Bork in Festschrift Henckel, 1995, S. 23, 32 ff.; Liebscher/Lübke ZIP 2010, 242 ff. 39   Karsten Schmidt/Büteröwe, InsO, 19. Aufl. 2016, § 35 Rn. 25; MünchKomm.InsO/ Peters, 3. Aufl. 2013, § 35 Rn. 251; MünchKomm.InsO/Bergmann/Gehrlein, 3. Aufl. 2013, § 84 Rn. 19; Kübler/Prütting/Bork/Holzer, InsO, 69. Lfg. 2016, § 35 Rn. 68; Uhlenbruck/ Zipperer, InsO, 14. Aufl. 2015, § 159 Rn. 35 (Ausnahme bei beabsichtigter Veräußerung an einen für die AG untragbaren Dritten); a. A. Heckschen Insolvenzrecht in der Gestaltungspraxis, 2. Aufl. 2018, Rn. 334; Skauradszun, NZG 2012, 1244, 1245 ff. 40   Vgl. dazu oben IV. 1 f. 41   Vgl. MünchKomm.InsO/Bergmann/Gehrlein (Fn. 39), § 84 Rn. 19; Kübler/Prütting/ Bork/Holzer, InsO (Fn. 39), § 35 Rn. 68.

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IX.  Die Einordnung der Anteilsvinkulierung als mitgliedschaftsrechtliche Inhaltsbestimmung Zuzustimmen ist der neueren Lehre, soweit hervorgehoben wird, dass die statutarische Vinkulierung der Namensaktie eine Inhaltsbestimmung darstellt, das heißt zum Inhalt der Mitgliedschaft des Aktionärs als Gesamtheit aller Rechte und Pflichten aus dem Mitgliedschaftsverhältnis gehört.42 Die Beschränkung der Veräußerung der Namensaktie beruht demnach nicht auf einer rechtsgeschäftlichen Vereinbarung zwischen der AG und dem einzelnen Aktionär. Wesentliche Folge der Zurechnung der Vinkulierung zum Inhalt der Mitgliedschaft ist, dass im Falle der Erteilung der Zustimmung durch die AG zu einem konkret beabsichtigten Veräußerungsgeschäft der Erwerber die betreffenden Aktien insoweit nicht lastenfrei erhält, sondern in gleicher Weise wie bislang der übertragende Aktionär und etwaige Vorgänger für eine künftige Veräußerung die Zustimmung der AG benötigt. Die Aktien können also nicht ohne diese Beschränkung und daher in dieser Hinsicht nicht mit einem anderen Inhalt erworben werden. Die Notwendigkeit einer Zustimmung für die Veräußerung im Rahmen der Verwertung in der Zwangsvollstreckung nach Pfändung kann aber gleichwohl nicht auf diese dogmatische Einordnung der Vinkulierung als Inhaltsänderung gestützt werden. Denn Grundlage für den in Rede stehenden Inhalt ist keine gesetzliche Bestimmung, sondern die Satzung der AG und damit ein Rechtsgeschäft i.S.d. § 851 Abs. 2 i.V.m. § 857 Abs. 1 ZPO. Das gesetzliche Grundprinzip ist bei der AG eben – wie bei der GmbH – die freie Veräußerlichkeit der Beteiligung. Diese kraft Gesetzes gegebene freie Verfügungsmöglichkeit wird durch eine auf Rechtsgeschäft basierende Inhaltsänderung eingeschränkt, sofern nach der Satzung eine Zustimmung der AG im konkreten Veräußerungsfall erforderlich ist. Entscheidend für die Anwendung des § 851 Abs. 2 i.V.m. § 857 Abs. 1 ZPO ist demnach, dass die unzweifelhaft gegebene Inhaltsbestimmung – anders als bei den Personengesellschaften43 – nicht auf Gesetz, sondern auf einem Rechtsgeschäft in Gestalt der AG-Satzung beruht.

X.  Das Umgehungsargument der neueren Lehre Soweit als Begründung für die Notwendigkeit einer Zustimmung der AG bei der Veräußerung von vinkulierten Namensaktien im Rahmen einer Zwangsvollstreckung ins Feld geführt wird, dass ein veräußerungswilliger 42  MünchKomm.AktG/Bayer (Fn. 35), § 68 Rn. 39; Mülbert in Festschrift Nobbe, 2009, S. 691, 714 ff.; Bork in Festschrift Henckel (Fn. 35), S. 23, 33 f. 43   Vgl. dazu unten XI. 1.

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Aktionär die Veräußerungsbeschränkung gemeinsam mit einem am Erwerb der Aktien interessierten Dritten durch eine fingierte Zwangsvollstreckung umgehen könnte,44 muss schon bezweifelt werden, ob eine derartige Umgehung in der Praxis durchführbar ist. Denn zunächst müsste entweder durch Scheingeschäft i.S.d. § 117 Abs. 1 BGB das Bestehen einer Forderung gegen den Aktionär simuliert oder – im Falle des tatsächlichen Bestehens einer Forderung – die Nichterfüllung verabredet werden. Mit überschaubarem Aufwand könnte der Dritte zwar anschließend einen Mahnbescheid und dann einen rechtskräftigen Vollstreckungstitel in Form des Vollstreckungsbescheids erlangen. Die Beantragung eines Pfändungsbeschlusses beim Vollstreckungsgericht stellt ebenfalls eine relativ einfach zu überwindende Hürde dar. Damit sind die in Bezug auf die Aushebelung der statutarischen Vinkulierung kollusiv zusammenwirkenden Protagonisten aber keineswegs am Ziel. Es zeigt sich jetzt vielmehr eine erste gravierende Schwachstelle des von der neueren Lehre geltend gemachten Umgehungsarguments. Bei Zugrundelegung der Rechtsprechung zur GmbH und der hergebrachten Literaturauffassung können die gepfändeten vinkulierten Aktien zwar ohne Zustimmung der AG veräußert werden. Eine gesicherte Rechtsposition hat ein pfändender Gläubiger aber nur insoweit, als ihm auf Grundlage des vollstreckungsrechtlichen Prioritätsprinzips45 bei der Verteilung des Verwertungserlöses der Vorrang im Verhältnis zu nachfolgenden Pfändungspfandrechten und selbstverständlich vor dem Gesellschafter-Schuldner gebührt. Der Vollstreckungsgläubiger hat dagegen von vornherein keinen Anspruch auf Veräußerung der gepfändeten Aktien an ihn selbst. Die Verwertung erfolgt entweder durch Versteigerung gem. § 804 ZPO oder durch freihändigen Verkauf nach § 821 ZPO durch eine vom Vollstreckungsgericht beauftragte Person.46 Der Pfändungspfandgläubiger kann zwar mitbieten. Wird er aber von einem anderen Kaufinteressenten überboten, so hätte sich eine bloß fingierte Zwangsvollstreckung jedenfalls für ihn nicht gelohnt. Entsprechendes gilt für den freihändigen Verkauf. Denn auch hier müssen die Aktien selbstverständlich an den Meistbietenden veräußert werden. Abgesehen davon sind alle Vereinbarungen und Erklärungen der an der fingierten Pfändung der Aktien beteiligten Personen sittenwidrig i.S.d. §§ 138, 826 BGB und treuwidrig i.S.d. § 242 BGB mit der Folge, dass die AG im Falle des Gelingens der Umgehung gegenüber dem Erwerber der Aktien 44  Großkomm.AktG/Merkt (Fn. 35), § 68 Rn. 297; MünchKomm.AktG/Bayer (Fn. 35), § 68 Rn. 112; Hüffer/Koch, AktG (Fn. 35), § 68 Rn. 11; Kölner Komm. z. Aktiengesetz / Lutter/Drygala (Fn. 35), § 68 Rn. 55. 45  Vgl. dazu BGHZ 52, 99, 105; MünchKomm.ZPO/Gruber, 5. Aufl. 2016, § 804 Rn. 31 ff.; Musielak/Voit/Becker, ZPO (Fn. 35), § 804 Rn. 15; Saenger/Kemper, ZPO, 7. Aufl. 2017, § 804, Rn. 12 ff. 46   Vgl. dazu Wertenbruch Haftung von Gesellschaften und Gesellschaftsanteilen in der Zwangsvollstreckung (Fn. 34), S. 619 f.

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den „dolo agit“-Einwand aus § 242 BGB erheben kann. Das Vorliegen eines kollusiven Zusammenwirkens zwischen dem Aktionär und einem am Eintritt in die AG interessierten Dritten muss die AG zwar darlegen und beweisen. Aber auch dann, wenn der Vorstand der AG – und insbesondere einer Familiengesellschaft – die finanziellen Verhältnisse der einzelnen Aktionäre nicht kennt und von finanziellen Schwierigkeiten nicht zwingend etwas erfährt, so dürfte doch auffallen, dass in der hier in Rede stehenden Umgehungskonstellation die Zwangsvollstreckung in die vinkulierten Aktien nicht von einem Kreditinstitut oder der Finanzverwaltung, sondern von einem Privatgläubiger betrieben wird, der in erster Linie gar nicht an dem ihm zustehenden Anteil am hypothetischen Veräußerungserlös, sondern vielmehr am Eintritt in die AG interessiert ist. Die AG hat hier die Möglichkeit und auch Anlass, hinsichtlich der persönlichen Liquidität des betreffenden Aktionärs Nachforschungen anzustellen. Die Umgehung einer statutarischen Vinkulierung durch fingierte Zwangsvollstreckung dürfte daher eher ein theoretisches Problem sein. Schließlich rechtfertigt die rein tatsächliche Möglichkeit, dass ein an die Vinkulierung gebundener Aktionär in kollusivem Zusammenwirken mit einem Dritten mit Hilfe einer fingierten Pfändung das Zustimmungserfordernis umgeht, nicht die Versagung der durch § 851 Abs. 2 ZPO eröffneten freien Veräußerung zu Lasten aller echten Vollstreckungsgläubiger der Aktionäre. Der nicht völlig auszuschließende Missbrauch eines Rechts durch dessen Inhaber mit der Folge der Schädigung eines Dritten ist generell keine ausreichende Grundlage für eine Aberkennung dieses Rechts mit Wirkung für alle redlichen Berechtigten. Dem Missbrauch eines Rechts ist im konkreten Einzelfall vielmehr durch eine Anwendung der §§ 138, 826, 242 BGB zu begegnen. Das ist auch die Lösung bei Vorliegen eines Missbrauchs im Zusammenhang mit der Auslösung von gesellschaftsvertraglichen Einziehungs- bzw. Ausschlussregelungen, die für die Fälle der Pfändung der Mitgliedschaft und der Insolvenz eines Gesellschafters die Einziehung des Anteils bzw. – bei der Personengesellschaft – den Ausschluss des betreffenden Gesellschafters vorsehen.47 Die theoretische Möglichkeit einer fingierten Zwangsvollstreckung rechtfertigt hier nicht das Verdikt der Nichtigkeit dieser verbreiteten und in jeder Hinsicht interessengerechten Gestaltung von Gesellschaftsverträgen. Es ist stattdessen davon auszugehen, dass eine fingierte Zwangsvollstreckung in die Mitgliedschaft aufgrund des Eingreifens von §§ 138, 242 BGB die Einziehung des Anteils bzw. den Ausschluss des Gesellschafters nicht auslöst.

  Vgl. dazu XI. 1.

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XI.  Wesentlicher Unterschied zwischen Personengesellschaft und AG beim Gläubigerzugriff auf den Anteilswert 1.  Die Kündigungsrechte aus § 725 BGB und § 135 HGB als Konsequenz der gesetzlichen Anteilsvinkulierung bei der Personengesellschaft Bei der Zwangsvollstreckung in die Mitgliedschaft eines Gesellschafters einer Personengesellschaft spielt § 851 Abs. 2 i.V.m. § 857 Abs 1 ZPO deshalb keine Rolle, weil der Gesellschaftsanteil bei der BGB-Gesellschaft, PartG, OHG und KG schon gesetzlich nicht ohne Zustimmung der anderen Gesellschafter veräußerlich ist.48 Der Anteil an einer Personengesellschaft ist wegen gesetzlicher Vinkulierung grundsätzlich von vornherein kein übertragbares Recht i.S.d. § 851 Abs. 1 i.V.m. § 857 Abs. 1 ZPO. Etwas anderes gilt nur dann, wenn der Gesellschaftsvertrag der Personengesellschaft die freie Veräußerlichkeit der Anteile vorsieht. Dann ist die Beteiligung selbstverständlich gem. § 851 Abs. 1 i.V.m. § 857 Abs. 1 ZPO auch unbeschränkt pfändbar und durch Pfandveräußerung verwertbar.49 Da der Gläubiger eines Gesellschafters der Personengesellschaft aber nach dem elementaren bürgerlichrechtlichen Grundsatz der unbeschränkten Vermögenshaftung in Zwangsvollstreckung und Insolvenz die Möglichkeit des Zugriffs auf den durch den Anteil verkörperten Vermögenswert haben muss, sieht § 725 BGB für die BGB-Gesellschaft und § 135 HGB für die OHG/KG50 sowie die Partnerschaftsgesellschaft51 die Möglichkeit der Kündigung der Gesellschaft vor. Der Gesellschafter-Gläubiger kann nach erfolgreicher Pfändung des Anteils an einer BGB-Gesellschaft durch Kündigungserklärung nach § 725 Abs. 1 BGB die Auflösung und Liquidation der Gesellschaft bewirken mit der Folge der Eröffnung des Zugriffs auf den Anteil des Gesellschafters am Liquidationsüberschuss in Höhe seiner titulierten Forderung.52 Sieht der Gesellschaftsvertrag für den Fall der Kündigung der Gesellschaft durch einen Pfändungsgläubiger den Ausschluss des betreffenden Gesellschafters gegen Abfindung vor, so kann der Pfändungsgläubiger auf diesen Vermögensgegenstand zugreifen. Bei der OHG/KG und PartG führt die Kündigung durch einen Privatgläubiger des Gesellschafter-Schuldners gem. § 131 Abs. 3 Satz 1 Nr. 4 HGB ohnehin zum Ausschluss des betreffenden Gesellschafters bei Fortset48  Vgl. dazu Großkomm.HGB/Schäfer, 5. Aufl. 2009, § 105 Rn. 294; MünchKomm. HGB/K. Schmidt, 4. Aufl. 2016, § 105 Rn. 213; MünchKomm.BGB/Schäfer, 7. Aufl. 2017, § 719 Rn. 27; Erman/Westermann, BGB, § 719 Rn. 7 f.; Westermann/Wertenbruch, Handbuch Personengesellschaften, 64. Lfg. März 2016, Rn. I 639. 49  Vgl. Westermann/Wertenbruch, Handbuch Personengesellschaften (Fn. 48), Rn. I 650a. 50   Bei der KG i.V.m. § 161 Abs. 2 HGB. 51   I.V.m. § 8 PartGG. 52   Vgl. zu den Einzelheiten Wertenbruch Haftung von Gesellschaften und Gesellschaftsanteilen in der Zwangsvollstreckung (Fn. 34), S. 487ff.

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zung der Gesellschaft. Die Personengesellschaft kann darüber hinaus schon die Kündigung durch den Gesellschafter-Gläubiger dadurch vermeiden, dass der Gesellschaftsvertrag (auch) für den Fall der Pfändung des Anteils und der Insolvenz des Gesellschafters einen Ausschluss des betreffenden Gesellschafters gegen Zahlung einer Abfindung anordnet.53 2.  Systematischer Zusammenhang zwischen § 851 Abs. 2 ZPO und fehlender Kündigungsmöglichkeit des Aktionärsgläubigers bei der AG Ein § 725 BGB oder § 135 HGB entsprechendes Kündigungsrecht des Gesellschafter-Gläubigers im Falle der Pfändung von Aktien sieht das AktG – und auch das GmbHG – nicht vor. Der Gläubiger eines Aktionärs oder eines GmbH-Gesellschafters kann also nach Pfändung der Mitgliedschaft nicht durch Kündigung der Gesellschaft auf einen dem betreffenden Gesellschafter zustehenden Anteil am Liquidationsüberschuss bzw. auf eine Abfindung zugreifen. Dies stellt aber weder eine Unvollständigkeit (Lücke) noch eine Systemwidrigkeit im Bereich des Aktienrechts und des GmbH-Rechts dar. Denn auf ein derartiges gesetzliches Kündigungsrecht ist der Gläubiger eines Gesellschafters bei der AG und der GmbH von vornherein gerade deshalb nicht angewiesen, weil die Anteile grundsätzlich frei übertragbar i.S.d. § 851 Abs. 1 ZPO sind und die Beschränkung der freien Veräußerung durch statutarische Vinkulierung – wie vom BGH wiederholt zu Recht für die GmbH entschieden54 – nach § 851 Abs. 2 i.V.m. § 857 Abs. 1 ZPO in der Zwangsvollstreckung keine Wirkung hat. § 851 Abs. 1 und Abs. 2 i.V.m. § 857 Abs. 1 ZPO und die gesellschaftsrechtlichen Bestimmungen der §§ 725 BGB, 135 HGB belegen im Zusammenhang mit der fehlenden Existenz derartiger Gläubiger-Kündigungsvorschriften im AktG und im GmbHG, dass der Gesetzgeber stringent zwischen gesellschaftsvertraglicher (bei der AG und GmbH) und gesetzlicher (bei der Personengesellschaft) Beschränkung der Veräußerlichkeit des Gesellschaftsanteils unterscheidet.55 Die damit übereinstimmenden Entscheidungen BGHZ 32, 151 und BGHZ 65, 22 beruhen auf dieser gesetzlichen Systematik und nicht auf Besonderheiten der GmbH im Vergleich zur AG. Aber auch bei der AG und GmbH kann das gesetzliche Grundmodell durch eine gesellschaftsvertragliche Einziehungsregelung  Staudinger/Habermeier, BGB, Neubearbeitung 2003, § 725 Rn. 16; MünchKomm. BGB/Schäfer (Fn. 47), § 725 Rn. 7; Erman/Westermann, BGB, 15. Aufl. 2017, § 725 Rn. 6; Ebenroth/Boujong/Joost/Strohn/Lorz, HGB, 3. Aufl. 2014, § 135 Rn. 22; GroßKomm. HGB/Schäfer (Fn. 48) § 135 Rn. 25 ff.; MünchKomm.HGB/K. Schmidt (Fn. 48), § 135 Rn. 29. 54   Vgl. dazu oben VI. 1 f. 55   Vgl. dazu auch Wertenbruch Haftung von Gesellschaften und Gesellschaftsanteilen in der Zwangsvollstreckung (Fn. 34), S. 625 ff.; a.A. Bork in Festschrift Henckel (Fn. 38), S. 23, 32 ff. 53

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abgeändert werden, die sich in erster Linie gegen den Gesellschafter richtet und vom nur mittelbar betroffenen Gesellschafter-Gläubiger hingenommen werden muss.56

XII.  Überfremdungsschutz durch statutarische Einziehung (Amortisation) vinkulierter Namensaktien im Pfändungsund Insolvenzfall In der Literatur wird insbesondere von Karsten Schmidt57 und Uhlenbruck58 zutreffend darauf hingewiesen, dass eine statutarische Anteilsvinkulierung aufgrund der nach § 851 Abs. 2 i.V.m. § 857 Abs 1 ZPO fehlenden Wirkung in der Zwangsvollstreckung einen Schutz vor Überfremdung nur dann in ausreichendem Maße gewährleisten könne, wenn sie durch eine Satzungsbestimmung ergänzt werde, die (auch) im Falle der Pfändung des Anteils eine Einziehung gegen Zahlung einer Abfindung vorsieht.59 So wie die Personengesellschaft eine Gläubigerkündigung (§ 725 BGB bzw. § 135 HGB) durch eine gesellschaftsvertragliche Ausschlussklausel verhindern kann, so kann die AG dieses Ziel durch Aufnahme eines pfändungsbedingten Einziehungsrechts nach § 237 AktG erreichen. Die statutarische Anteilsvinkulierung muss daher durch ein derartiges Einziehungsrecht ergänzt werden, um einen vollumfänglichen Schutz gegen Überfremdung zu gewährleisten.60 Dass die AG im Einziehungsfall eine Abfindung zahlen muss, ist – ebenso wie bei der Personengesellschaft im Falle des pfändungsbedingten Ausschlusses des Gesellschafters – der Preis für die Verhinderung des Eindringens unerwünschter Personen in die Gesellschaft und damit letztlich nur ein Finanzierungsproblem. Wenn die AG eine derartige Einziehung zum Zwecke der Befriedigung des Aktionärsgläubigers – insbesondere wegen des damit verbundenen Abflusses von Liquidität – vermeiden will, dann muss sie gemeinsam mit dem betreffenden Aktionär die Pfändung der vinkulierten Aktien durch Erfüllung der titulierten Forderung oder Vereinbarung eines Tilgungsplans mit Sicherung verhindern. Abgesehen davon bestehen gegen das von der neueren Lehre vertretene Durchschlagen der Anteilsvinkulierung auf die Zwangsvollstreckung erhebliche Bedenken in Bezug auf die praktische Durchführung. Auch wenn die AG – wie von mehreren Autoren vertreten61 – die Zustimmung zur Veräuße-

  Vgl. dazu unten XII.   Karsten Schmidt, GmbHR 2011, 1289, 1294 f. 58   Uhlenbruck, DB 1967, 1927, 1929. 59  Baumbach/Hueck/Fastrich, GmbHG (Fn. 34), § 15 Rn. 61. 60   Karsten Schmidt, GmbHR 2011, 1289, 1294 f. 61   Vgl. dazu oben VII. 56 57

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rung nach Pfändung oder in der Insolvenz des Gesellschafters nur bei Vorliegen eines wichtigen Grundes verweigern darf, ist die Verwertung der vinkulierten Aktien in dem Fall erst einmal blockiert, in dem die AG für eine oder mehrere geplante Veräußerungen die Zustimmung einfach nicht erteilt. Der Aktionärsgläubiger müsste dann also nach Inkaufnahme der mit der Erwirkung des Vollstreckungstitels gegen den Aktionär verbundenen Aufwendungen unter Umständen im Rahmen eines weiteren Rechtsstreits, nun gegen die AG, gerichtlich klären lassen, ob die Zustimmung erteilt werden muss. Auch aus diesem Grund ist es erforderlich und angemessen, die AG auf die Möglichkeit der Anteilseinziehung nach § 237 AktG zu verweisen, sofern die Zwangsvollstreckung nicht durch freiwillige Gläubigerbefriedigung abgewandt werden kann und das Eindringen fremder Personen unbedingt verhindert werden soll.

XIII.  Behandlung vinkulierter Namensaktien in der Insolvenz Da die vinkulierten Namensaktien im Rahmen der Einzelzwangsvollstreckung unbeschränkt pfändbar sind und für die Pfandverwertung durch Veräußerung keine Zustimmung der AG erforderlich ist,62 gehören sie in der Insolvenz des Aktionärs zur Insolvenzmasse (§ 35 Abs. 1 InsO) und können bei der Verwertung nach § 159 InsO zustimmungsfrei veräußert werden.63 Entscheidende Grundlage dafür ist, dass die Vinkulierung der Aktien – anders als das generelle Zustimmungserfordernis bei den Personengesellschaften – nicht auf Gesetz, sondern auf der Satzung und damit auf einem Rechtsgeschäft beruht.64 Nach § 728 Abs. 2 Satz 1 BGB führt die Insolvenz eines Gesellschafters der BGB-Gesellschaft zur Auflösung der Gesellschaft, sofern der Gesellschaftsvertrag für diesen Fall nicht die Fortsetzung unter Ausschluss des betreffenden Gesellschafters anordnet. Für die OHG/ KG ordnet § 131 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 HGB den Ausschluss des insolventen Gesellschafters bei Fortsetzung der Gesellschaft an. Die dem auf diese Weise ausscheidenden Gesellschafter zustehende Abfindung fällt in die Insolvenzmasse. In Bezug auf die gesellschaftsrechtliche Auseinandersetzung bei der betreffenden Personengesellschaft gilt insolvenzrechtlich die Sonderregelung des § 84 InsO. Vorschriften, die den §§ 728 Abs. 2 Satz 1 BGB, 131 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 HGB entsprechen, sind im AktG nicht enthalten und § 84 InsO   Vgl. oben IX.   Karsten Schmidt/Büteröwe, InsO, 19. Aufl. 2016, § 35 Rn. 25; MünchKomm.InsO/ Peters, 3. Aufl. 2013, § 35 Rn. 251; MünchKomm.InsO/Bergmann/Gehrlein, 3. Aufl. 2013, § 84 Rn. 19; Kübler/Prütting/Bork/Holzer, InsO, 69. Lfg. 2016, § 35 Rn. 68; Uhlenbruck/ Zipperer, InsO (Fn. 39), § 159 Rn. 35 (Ausnahme bei beabsichtigter Veräußerung an einen für die AG untragbaren Dritten). 64   Vgl. oben XI. 62 63

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bezieht sich nur auf die Personengesellschaft und Bruchteilsgemeinschaft. Dies beruht eben auf der Beschränkung der statutarischen (rechtsgeschäftlichen) Vinkulierung der Aktien auf die freiwillige Veräußerung durch den Aktionär. Das Nichtbestehen eines Zustimmungserfordernisses ist zudem auch bei der Verwertung der vinkulierten Aktien in der Insolvenz des Aktionärs deshalb in jeder Hinsicht interessengerecht, weil die Satzung der AG auch für den Fall der Insolvenz des Aktionärs eine Einziehung (Amortisation) der Aktien nach § 237 AktG gegen Entgelt vorsehen kann. Das ist auch im Insolvenzfall die der gesetzlichen Systematik entsprechende und angemessene Lösung. Die AG muss also, wenn die Vinkulierung der Aktien einen umfassenden Überfremdungsschutz garantieren soll, sowohl für den Pfändungsals auch für den Insolvenzfall eine Einziehung gegen Entgelt vorsehen. Dieses Entgelt und auch schon der darauf bezogene Anspruch des Aktionärs fallen in die Insolvenzmasse.

XIV. Zusammenfassung Vinkulierte Namensaktien sind – ebenso wie GmbH-Geschäftsanteile – gem. § 851 Abs. 2 i.V.m. § 857 Abs. 1 ZPO unbeschränkt pfändbar und können ohne Zustimmung der AG durch Pfandveräußerung verwertet werden. Die AG muss, wenn sie einen umfassenden Überfremdungsschutz sicherstellen will, (auch) für den Pfändungsfall ein Einziehungsrecht i.S.d. § 237 Abs. 1 AktG in der Satzung vorsehen. Das von der AG zu zahlende Einziehungsentgelt steht dem Pfändungsgläubiger in Höhe seiner titulierten Forderung zu. Entsprechendes gilt in der Insolvenz des Aktionärs. Die vinkulierten Namensaktien fallen gem. § 35 Abs. 1 InsO in die Insolvenzmasse und die Verwertung ist nach § 159 InsO durch Veräußerung ohne Zustimmung der AG zulässig. Einen Überfremdungsschutz kann nur ein (auch) auf diesen Fall bezogenes statutarisches Einziehungsrecht nach § 237 AktG gewährleisten. Das Einziehungsentgelt fällt in die Insolvenzmasse.

Kita-Rechtsprechung des BGH und Gewinnausschüttung Heinz Wöstmann I. Seit den 70iger Jahren des vorherigen Jahrhunderts stieg das Engagement von Eltern im Rahmen der Betreuung und Erziehung der Kinder im Vorschulalter. Der Bedarf nach Betreuungseinrichtungen wuchs unter anderem deshalb, weil die Eltern ihre Kinder in einem immer jüngeren Lebensalter betreuen lassen wollten. Das Mindestalter der Kinder wurde herabgesetzt. Ab dem 1. August 2013 wurde durch § 24 Abs. 8 SGB VIII auch den Kindern vom vollendeten ersten Lebensjahr bis zur Einschulung ein Rechtsanspruch auf einen Kindergarten-/Krippenplatz eingeräumt. In Berlin war neben einem zunehmenden Angebot von gewerblichen Trägern von Kindertagesstätten ab 2005 auch ein deutlicher Anstieg von Kindertagesstätten betreibenden Vereinen feststellbar. Das Amtsgericht Charlottenburg, bei dem für Berlin die Vereinsregisteraufgaben konzentriert sind, nahm die Rechtsauffassung ein, dass Kita-Vereine wirtschaftlich tätig seien und nicht ins Vereinsregister eingetragen werden könnten. Die dagegen eingelegten Rechtsmittel, über die seinerzeit noch das Landgericht Berlin entschied, waren erfolgreich. Das Amtsgericht Charlottenburg blieb jedoch bei seiner Rechtsauffassung und ab Inkrafttreten des FamFG war dann das Kammergericht für die Rechtsmittel zuständig. Das Kammergericht schloss sich der Auffassung des Amtsgerichts Charlottenburg an und wies die Rechtsmittel gegen die verweigerten Eintragungen ins Vereinsregister zurück.1 Es nahm an, dass Kindertagesstätten betreibende Vereine auf einen wirtschaftlichen Geschäftsbetrieb gerichtet seien, die bei den fraglichen Antragstellern nicht nur funktional untergeordnet gewesen seien und nicht nur geringen Umfang gehabt hätten.2 Andere Oberlandesgerichte folgten dem nicht. Zum Teil wurde verneint, dass der Betrieb einer Kindertagesstätte ein Wirtschaftsbetrieb sei, weil kein Gewinn zu erwarten und eine staatliche Finanzierung vorhanden seien.3   zur Historie Sdorra npor 2017, 45f.   z.B. KG MDR 2016, 403. 3   OLG Brandenburg NZG 2015, 922; ähnlich OLG Schleswig SchlHA 2013, 231. 1 2

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Teilweise wurde angenommen, dass der Betrieb einer Kindertagesstätte zwar eine unternehmerische Tätigkeit sei, die aber nur Nebenzweck zum Hauptzweck der Bildung und Erziehung der Kinder sei, jedenfalls, wenn sich die wirtschaftlichen Aktivitäten in einem überschaubaren Rahmen hielten.4 Wegen dieser Divergenzen in der Rechtsprechung der Oberlandesgerichte hat dann das Kammergericht in drei Verfahren die Rechtsbeschwerde zum Bundesgerichtshof zugelassen. II. Im vom Bundesgerichtshof leitend entschiedenen Fall5 hatte der seit 1995 im Vereinsregister eingetragene Verein in seiner Satzung festgelegt, dass er ausschließlich und unmittelbar gemeinnützige Zwecke im Sinne der Abgabenordnung verfolgt. Diese Zwecke sollten auf dem Gebiet der Erziehung und Jugendberatung erreicht werden, insbesondere durch Projekte wie Elterninitiativ-Kindertagesstätten oder Selbsthilfeprojekte für Jugendliche und junge Erwachsene. Der Verein sollte selbstlos tätig sein und nicht in erster Linie eigenwirtschaftliche Zwecke verfolgen. Der Vorstand arbeitete ehrenamtlich. Der Verein hatte elf Mitglieder und betrieb zum hier fraglichen Zeitpunkt neun Kindertagesstätten mit einer Größe von jeweils 16 bis 32 Kindern. Er war mit Bescheid des Finanzamts von der Körperschaftssteuer und Gewerbesteuer befreit, weil er ausschließlich und unmittelbar steuerbegünstigten gemeinnützigen Zwecken im Sinne der §§ 51ff AO diente. Im zweiten Verfahren6 handelte es sich um einen 1971 gegründeten Verein mit ähnlichen Satzungsbestimmungen wie im ersten Fall. Auch dieser Verein war vom Finanzamt als gemeinnützig im Sinne der §§ 51ff AO anerkannt. Er hatte zum maßgeblichen Zeitpunkt 16 Mitglieder. Bei ihm waren ca. 695 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter hauptamtlich beschäftigt. Die Verwaltung wurde von 33 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern in der Geschäftsstelle durchgeführt. Der Verein betrieb 24 Kindertagesstätten, in denen insgesamt durchschnittlich 2.400 Kinder betreut wurden. Er war zudem Träger von Kinder- und Jugendfreizeitstätten. Neun Kinder- und Jugendstätten, drei Schülerclubs und vier Schulstationen wurden von ihm betrieben. Er beteiligte sich an schulbezogenen Jugendsozialarbeiten. Er betrieb des Weiteren Ganztagsbereiche in drei Grundschulen. Zudem bot er Betreuungsprojekte im Rahmen der Berufsorientierung und Seminare, Arbeitsgemeinschaften und Weiterbildungskurse an. Im dritten Verfahren7 handelte es sich um einen 1998 in das Vereinsregister eingetragenen Verein. Die Satzung war ähnlich ausgestaltet wie in den beiden anderen Verfahren. Der Verein hatte neun Mitglieder und betrieb zunächst   OLG Hammn NJW-RR 2017, 743; ähnlich OLG Stuttgart npor 2015, 27.   BGH, Beschluss vom 16. Mai 2017 – II ZB 7/16, NJW 2017, 1943, z.V.i. BGHZ vorgesehen. 6   BGH, Beschluss vom 16. Mai 2017 – II ZB 6/16, npor 2018, 21. 7   BGH, Beschluss vom 16. Mai 2017 – II ZB 9/16, juris. 4 5

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einen Hort mit zunächst 32 Kindern, nunmehr aber mit 250 Kindern. Auch dieser Verein war vom Finanzamt als gemeinnützig im Sinne der §§ 51 ff AO anerkannt. In allen drei Fällen leitete das Amtsgericht Charlottenburg das Amtslöschungsverfahren ein. Der Widerspruch dagegen und die Beschwerde zum Kammergericht blieben erfolglos. Im Rechtsbeschwerdeverfahren wurden vom Bundesgerichtshof die angegriffenen Beschlüsse und Verfügungen aufgehoben und die Löschungsverfahren eingestellt. Diese Entscheidungen des Bundesgerichtshofs sind intensiv besprochen worden.8 Im Deutschen Bundestag haben die Entscheidungen des BGH zu einer deutlichen Reaktion des Gesetzgebers geführt. Aus dem Gesetzentwurf zur Erleichterung unternehmerischer Initiativen aus bürgerschaftlichen Engagement und zum Bürokratieabbau bei Genossenschaften sind die Vorschläge zur Änderung des § 22 BGB herausgenommen worden. Damit sollte für Vereine, die z.B. Kindertagesstätten und Dorfläden betreiben, die Erlangung der Rechtsfähigkeit vereinfacht werden. Der Rechtsausschuss hat in seiner Beschlussempfehlung an das Plenum des Deutschen Bundestags ausgeführt, dass nach der Entscheidung des BGH unternehmerische Initiativen aus bürgerschaftlichen Engagement als Verein im Sinne des § 21 BGB eintragungsfähig seien und dies auch für nicht als gemeinnützig anerkannte Initiativen wie z.B. Dorfläden gelte. Deshalb bedürfe es der geplanten Änderungen des § 22 BGB nicht.9 III. Maßgebend für die der Frage nach der Rechtswidrigkeit der Amtslöschung ist, ob der Verein (noch) ein solcher ist, dessen Zweck nicht auf einen wirtschaftlichen Geschäftsbetrieb gerichtet ist (§ 21 BGB). 1. § 21 BGB ist eine sehr weit formulierte Norm, die viel Platz für Interpretationen eröffnet, welche auch sogleich nach Inkrafttreten des BGB einsetzten.10 Es wurde versucht, mit dazu entwickelten Theorien die Norm in den Griff zu bekommen. Die zuletzt von K. Schmidt begründete typologisch-teleolo8   Die Urteile reichten von „Die besprochene Entscheidung … ist nicht nur von dogmatischer Stringenz, sondern auch von Weisheit geprägt“ (Zwade JurisPR-BGHZivilR 13/2017 Anm. 1; Fischer JurisPR-SteuerR 34/2017 Anm. 1) über „Gottlob gibt es Gerichte, die ihre Gestaltungsaufgabe souverän rechtsfortbildend wahrnehmen“ (Fischer JurisPR-SteuerR 34/2017 Anm. 1) über die „BGH-Entscheidung ……ist zu begrüßen“ oder „höchst zu begrüßen“ (Beuthien npor 2017, 137, 139) aber auch „Dogmatisch vermag die Entscheidung des BGH weder in der Begründung noch im Ergebnis zu überzeugen. Rechtspolitisch ist sie jedoch zu begrüßen und hätte wohl auch schwerlich anders ausfallen können“ (Terner RNotZ 2017, 508, 514) bis hin zu eine „unstimmig begründete Rechtsprechung, die zudem noch einige für die Praxis wichtige Fragen offen lässt“ (Segna ZIP 2017, 1881, 1889). 9   BT-Drs. 18/12998 S. 20. 10   Nachweise dazu bei Schmidt Rpfleger 1972, 286.

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gische Theorie hat sich als herrschend herausgebildet, Auch das Kammergericht hatte sich in den angegriffenen Entscheidungen ihr angeschlossen. Nach übereinstimmender Auffassung stellt aber keine dieser Theorien ein allgemein gültiges Auslegungskonzept für § 21 BGB zur Verfügung. K. Schmidt hat in seiner Untersuchung „Die Abgrenzung der beiden Vereinsklassen“, mit der er die heute herrschende typologisch-teleologische Theorie begründet hat, ausgeführt: „Die Bestandsaufnahme der zur Abgrenzung der beiden Vereinsklassen anzuwendenden Rechtsgrundsätze ergibt ein nicht sehr erfreuliches Bild. Das ohnehin umstrittene … gesetzgeberische Konzept leidet bei der Rechtsanwendung im Einzelfall unter Unklarheiten, die … nicht mehr restlos zu beseitigen sind. Das … gewählte typologische Verfahren soll nicht als ideale Methode der Rechtsanwendung schlechthin verstanden werden.“11 Deshalb hat der II. Zivilsenat sich an bereits ergangenen Entscheidungen des Reichsgerichts und des Bundesgerichtshofs angelehnt und sich streng an die klassischen juristischen Auslegungsmethoden gehalten. 2. Bei der Prüfung der Eintragungsfähigkeit des Vereins in Betracht zu ziehen ist neben der Satzung, die hier keinen Anhalt für eine Führung eines wirtschaftlichen Geschäftsbetriebs gab, aber auch, in welcher Form der Verein tatsächlich tätig ist. Der Verein hatte im zu entscheidenden Fall seit seiner Gründung das Angebot an Kita-Plätzen erheblich erweitert. a) Zunächst war zu prüfen, ob der Verein einen wirtschaftlichen Ge-­ s­chäftsbetrieb hatte. Die Voraussetzungen für das Vorliegen eines wirtschaftlichen Geschäftsbetriebs im Sinne der §§ 21 und 22 BGB sind erfüllt, wenn der Verein planmäßig, auf Dauer angelegt und nach außen gerichtet, d.h. über den vereinsinternen Bereich hinausgehend, eigenunternehmerische Tätigkeiten entfaltet, die auf die Verschaffung vermögenswerter Vorteile zugunsten des Vereins oder seiner Mitglieder abzielen.12 Dies hat der II. Zivilsenat aufgrund der Feststellungen des Kammergerichts mit dem Betrieb der Kindertagesstätten angenommen. Zum Teil wird auf dieser Ebene argumentiert, es liege bereits kein wirtschaftlicher Geschäftsbetrieb vor, wenn nur maximal kostendeckende Entgelte erhoben werden13 und/oder öffentliche Fördergelder gezahlt werden14. Der II. Zivilsenat hat sich insofern der Rechtsprechung angeschlossen, dass eine Gewinnerzielungsabsicht nicht erforderlich ist, um von einem wirtschaftlichen Geschäftsbetrieb auszugehen. Schon das Reichsgericht hatte   Schmidt Rpfleger 1972, 343, 353.   st. Rspr. BGHZ 15, 315, 319 f.; 45, 395, 397; BGHZ 85, 84, 92 f. m.w.N. 13   Beuthien npor 2017, 137ff; ders. ZGR 2018, 1, 15; Terner RNotZ 2017, 508, 5011f. 14   OLG Brandenburg MDR 2015, 902. 11 12

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auch die Möglichkeit der Vermeidung von Nachteilen als ausreichend angesehen, um einen wirtschaftlichen Geschäftsbetrieb zu bejahen.15 Der Blickwinkel des Gläubigerschutzes als ein zu berücksichtigendes Auslegungskriterium bei der Vereinsklassenabgrenzung spräche bei einem nicht auf Gewinnerzielung ausgerichteten Verein wohl eher gegen die Eintragung in Vereinsregister, da das Insolvenzrisiko höher einzuschätzen wäre als bei einem Verein, der mit seinen Aktivitäten Gewinne erwirtschaftet. Aus dem im angegriffenen Beschluss festgestellten Sachverhalt war nicht ersichtlich, ob mit den Kindertagesstätten Gewinne erwirtschaftet wurden oder nicht. Das Kammergericht hatte in seiner Entscheidung angenommen, dass der Verein mit dem Betrieb der Kindertagesstätten einen Wirtschaftsbetrieb führe. Diese Annahme war von der Rechtsbeschwerde nicht angegriffen worden. Ohne weitere Aufklärung hätte der II. Zivilsenat gar nicht über diesen Punkt abschließend anders entscheiden können. Angesichts seiner Rechtsauffassung zu den weiteren Voraussetzungen lag hierin auch kein Schwerpunkt, um den Fall entscheiden zu können. Der V. Zivilsenat des BGH hat Kindergärten und Kindertagesstätten, die von Gemeinden oder Kirchen betrieben werden, kostenrechtlich nicht als wirtschaftliche Unternehmen im Sinne des § 144 KostO a.F. jetzt § 91 Abs. 1 GNotKG angesehen, und sich insoweit der hier besprochenen Rechtsprechung des II. Zivilsenats angeschlossen, weil Fürsorge, Erziehung und Bildungsvermittlung im Vordergrund stehen.16 Die Entscheidung ist aber rein kostenrechtlich motiviert. Es geht um Gebühren für einen Notar, die ermäßigt werden, wenn die notarielle Angelegenheit nicht wirtschaftliche Unternehmen z.B. des Bundes, eines Landes, einer Gemeinde oder Kirche betrifft. b) Es stellt sich danach die Frage, ob jede Führung eines wirtschaftlichen Geschäftsbetriebs einer Eintragung als Idealverein entgegensteht. Mit Zweck und Tätigkeit eines Idealvereins ist es auch unter Berücksichtigung der Schutzzwecke der §§ 21 und 22 BGB nicht unvereinbar, wenn dieser einen wirtschaftlichen Geschäftsbetrieb führt. Ein Verein kann auch dann ein nichtwirtschaftlicher Verein sein, wenn er zur Erreichung seiner ideellen Ziele unternehmerische Tätigkeiten entfaltet, sofern diese dem nichtwirtschaftlichen Hauptzweck zu- und untergeordnet und Hilfsmittel zu dessen Erreichung sind.17 aa) Diese Auslegung durch die bisherige Rechtsprechung, der sich der II. Zivilsenat angeschlossen hat, findet ihre Stütze in den Gesetzesmaterialien. Nach dem Willen des historischen Gesetzgebers sollten nur solche Ver  RGZ 154, 343, 351.   BGH NJW-RR 2017, 1016. 17   sog. Nebenzweckprivileg; vgl. RGZ 83, 232, 237; 133, 170, 176; 154, 343, 354; BGHZ 15, 315, 319; 85, 84, 92 f. m.w.N.; BVerwGE 105, 313, 316 f.; BVerwG, NJW 1979, 2265. 15 16

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eine nicht als Idealvereine eintragungsfähig sein, deren ausschließlicher oder Hauptzweck auf den Betrieb eines wirtschaftlichen Geschäftsbetriebs gerichtet ist.18 Der II. Zivilsenat hat die wirtschaftliche Tätigkeit des Kita-Vereins als dem nichtwirtschaftlichen Hauptzweck des Vereins zu- und untergeordnet und als Hilfsmittel zu dessen Erreichung angesehen. Sie unterfiel deshalb dem sogenannten Nebenzweckprivileg und machte den Verein daher nicht zu einem wirtschaftlichen Verein. Der II. Zivilsenat hat für die Beurteilung dieser Frage der Anerkennung des Vereins als gemeinnützig im Sinne der §§ 51 ff. AO eine entscheidende Bedeutung beigemessen. Damit hat der Senat aber nicht die Eintragungsfähigkeit eines Vereins mit der steuerlichen Anerkennung selbst, also dem entsprechenden Bescheid der Finanzbehörde, gleichgesetzt. Dem entsprechend hat der II. Zivilsenat auch ausdrücklich ausgeführt, dass die Voraussetzungen der Anerkennung als gemeinnützig im Sinne der §§ 51 ff. AO nicht automatisch gleichbedeutend damit sind, ob ein Verein nicht auf einen Geschäftsbetrieb im Sinne des § 21 BGB ausgerichtet ist. Er hat vielmehr die Möglichkeit angesprochen, dass trotz einer vorliegenden Anerkennung als gemeinnützig im Sinne des Steuerrechts gegebenenfalls eine Eintragung des Vereins abzulehnen sein kann.19 Über das tatsächliche Wirtschaften des konkreten Vereins war – von seiner Rechtsauffassung her folgerichtig - kaum etwas vom Kammergericht festgestellt oder von dem beteiligten Verein im Verfahren vorgetragen worden. Mit der steuerlichen Anerkennung des Vereins als gemeinnützig konnte der II. Zivilsenat seiner Entscheidung aber den Sachverhalt zu Grunde legen, der Voraussetzung für die steuerliche Anerkennung des Vereins als gemeinnützig war. Auf dieser Grundlage hat der Senat eine Indizwirkung aufgrund des Bescheids der Finanzbehörden angenommen und dabei auch gleichzeitig die Registergerichte und deren Prüfungsmöglichkeiten im Blick gehabt. Diese sollten nicht mit ihrer begrenzten personellen und sachlichen Ausstattung gezwungen werden, die Überprüfung der Tatsachen vorzunehmen, die die darauf spezialisierte Steuerbehörde in gleicher Weise und besser dafür gerüstet vornimmt. Das schließt es nicht aus, dass bei Kenntnis entgegenstehender Umstände eine Eintragung auch trotz steuerlicher Anerkennung zu versagen sein kann. bb) Bei der Auslegung des § 21 BGB ist der Wille des Gesetzgebers von erheblicher Bedeutung. Über die erkennbare Regelungsabsicht und die von ihm bewusst getroffenen Wertentscheidungen des historischen Gesetzgebers darf sich die Auslegung nicht hinwegsetzen, es sei denn, heutige Verfassungs-

18   Mugdan Die gesammelten Materialien zum Bürgerlichen Gesetzbuch für das Deutsche Reich, Bd. S. 604, 827. 19   BGH NJW 2017, 1943 Rn. 33.

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grundsätze oder anerkannte Rechtsprinzipien stünden entgegen.20 Letzteres kann unschwer ausgeschlossen werden. Die Gesetzgebungshistorie zeigt, dass der Gesetzgeber den gemeinnützigen Verein als einen Regelfall eines Idealvereins angesehen hat, der nicht auf einen wirtschaftlichen Geschäftsbetrieb gerichtet ist. Der der letztlich Gesetz gewordenen Fassung des § 21 BGB vorhergehende Entwurf des § 21 BGB lautete, dass „Vereine zu gemeinnützigen, wohlthätigen, geselligen, wissenschaftlichen, künstlerischen oder anderen nicht auf einen wirthschaftlichen Geschäftsbetrieb gerichteten Zwecken“ die Rechtsfähigkeit durch Eintragung in das Vereinsregister erlangen.21 Mit der Gesetz gewordenen Fassung des § 21 BGB, wonach für die Eintragungsfähigkeit des Vereins allein darauf abgestellt wird, dass der Verein nicht auf einen wirtschaftlichen Geschäftsbetrieb gerichtet ist, sollten die gemeinnützigen Vereine nicht aus dem Anwendungsbereich dieser Norm herausgenommen werden.22 Es sollten lediglich die Vereine als Idealverein im Sinne des § 21 BGB ausscheiden, deren ausschließlicher oder Hauptzweck auf einen wirtschaftlichen Geschäftsbetrieb gerichtet ist.23 Gegen diese Argumentation des II. Zivilsenats wird eingewandt, dass das Gemeinnützigkeitsrecht der Abgabenordnung nicht gleichzusetzen sei mit dem in den Gesetzesmaterialien gebrauchten Begriff des gemeinnützigen Vereins. Das Gemeinnützigkeitsrecht der AO verfolge ganz andere Zwecke. Es ziele darauf ab, gemeinwohlbezogenes Engagement mit den Mitteln des Steuerrechts anzuregen und anzuerkennen. Die Begründung zum Entwurf eines Gesetzes zur Erleichterung unternehmerischer Initiativen aus bürgerschaftlichen Engagement und zum Bürokratieabbau bei Genossenschaften habe ausgeführt, dass eine gesetzliche Regelung, nach der jeder steuerbegünstigte Zweck in der Rechtsform des eingetragenen Vereins verfolgt werden könne, nicht zweckmäßig wäre und sich das Merkmal der Gemeinnützigkeit nicht eigne als Eintragungsvoraussetzung für Vereine.24 Zwar weicht die Begrifflichkeit des historischen Gesetzgebers von der des heutigen Steuerrechts ab, aber nicht in einer engeren Weise, sondern weitergehend. Die in § 52 AO aufgeführten Zwecke, die als steuerrechtlich gemeinnützig anzusehen sind, unterfallen alle unschwer der Vorstellung des historischen Gesetzgebers von der Eintragungsfähigkeit eines Idealvereins.

  Larrenz/Canaris Methodenlehre der Rechtswissenschaft, 3. Aufl., S. 139.   Mugdan Die gesammelten Materialien zum Bürgerlichen Gesetzbuch für das Deutsche Reich, Bd. I, S. LIX. 22   Vgl. RGZ 83, 231, 236; Soergel/Hadding, BGB, 13. Aufl., §§ 21, 22 Rn. 19. 23   Mugdan aaO S. 604. 24  vgl. Terner RNotZ 2017, 508, 512; Segna ZIP 2017, 1881, 1884. 20 21

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Es wurde damals erwogen, dass der Verein dazu berufen sei, „Aufgaben zu lösen, die für den Staat von großer Bedeutung sind, an die er aber nicht selbst und unmittelbar herantreten kann“25. Dementsprechend ist der eingetragene Verein als sich in einer das „Gemeinwohl unmittelbar berührenden Sphäre“ bewegend angesehen worden.26 In einem letztlich abgelehnten Antrag eines Abgeordneten war sogar - für die damalige Zeit bemerkenswert – von einem „Grundrecht“, einen Verein zu gründen, die Rede.27 Daneben war für den Senat natürlich von Bedeutung, ob durch den inzwischen eingetretenen Zeitablauf seit 1900 eine andere Einschätzung geboten ist, weil die Verhältnisse sich verändert haben. Das Bedürfnis der Vereine, finanzielle Mittel für die Verwirklichung ihrer Vereinsziele zu erwirtschaften, ist im Verhältnis zu 1900 eher gestiegen.28 Davon ist grundsätzlich auch die Begründung zum Entwurf eines Gesetzes zur Erleichterung unternehmerischer Initiativen aus bürgerschaftlichen Engagement und zum Bürokratieabbau bei Genossenschaften ausgegangen. Soweit in diesem Entwurf die Auffassung vertreten wird, eine gesetzliche Regelung, nach der jeder steuerbegünstigte Zweck in der Rechtsform des eingetragenen Vereins verfolgt werden könne, sei nicht zweckmäßig, war dies für den II. Zivilsenat nicht von Bedeutung. Die Senatsentscheidung steht nicht in Widerspruch zu dieser Begründung, da vom II. Zivilsenat nicht die steuerliche Anerkennung selbst als Voraussetzung für die Eintragung angesehen worden ist. Im Übrigen befand sich der Gesetzentwurf noch in der parlamentarischen Beratung und war deshalb noch nicht zur Auslegung heranzuziehen und ist letztlich ja auch fallen gelassen worden. Jetzt ist hingegen zu bemerken, dass sich der Gesetzgeber bei der Verabschiedung des Gesetzes zur Erleichterung unternehmerischer Initiativen aus bürgerschaftlichem Engagement und zum Bürokratieabbau bei Genossenschaften ausdrücklich der Auslegung des § 21 BGB durch den II. Zivilsenat angeschlossen hat.29 cc) Auch Sinn und Zweck des § 21 BGB verbieten es dem Idealverein nicht, einen wirtschaftlichen Geschäftsbetrieb zu führen. Der II. Zivilsenat hat darauf abgestellt, dass der Gesetzgeber als Gegenstück zum Idealverein die Gesellschaften (AG, GmbH etc.) vorgesehen hat. Den Gegensatz hat der Gesetzgeber darin gesehen, dass deren Gesellschafts-

  Mugdan aaO S. 400.   Mugdan aaO S. 401. 27   Mugdan aaO S. 600. 28   Waldner/Wörle-Himmel in Sauter/Schweyer/Waldner, Der eingetragene Verein, 20. Aufl. Rn 47. 29   BT-Drs. 18/12998 S. 20. 25 26

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interesse ihr Handeln bestimmt, das auf Geschäftsgewinn und den wirtschaftlichen Vorteil des Einzelnen abzielt.30 Gerade in diesem Punkt unterscheidet sich aber der als gemeinnützig anerkannte Verein. Nach § 55 AO dürfen nicht in erster Linie eigenwirtschaftliche Zwecke verfolgt werden. Mittel der Körperschaft dürfen nur für die satzungsmäßigen Zwecke verwendet werden. Die Mitglieder dürfen keine Gewinnanteile und in ihrer Eigenschaft als Mitglieder auch keine sonstigen Zuwendungen aus Mitteln der Körperschaft erhalten. Die Mitglieder dürfen bei ihrem Ausscheiden oder bei Auflösung oder Aufhebung der Körperschaft nicht mehr als ihre eingezahlten Kapitalanteile und den gemeinen Wert ihrer geleisteten Sacheinlagen zurückerhalten. Der Verein muss seine Mittel grundsätzlich zeitnah für die steuerbegünstigten satzungsmäßigen Zwecke verwenden. Das Interesse des als gemeinnützig im Sinne der §§ 51 ff. AO anerkannten Vereins ist damit gerade nicht auf die Erzielung eines im Verein verbleibenden Geschäftsgewinns ausgerichtet, da die erwirtschafteten Mittel zeitnah dem gemeinnützigen Zweck zugeführt werden müssen. Eine Kapitalanhäufung im Verein ist damit ausgeschlossen. Aufgrund des Ausschüttungsverbotes ist auch die Erzielung eines wirtschaftlichen Vorteils für den Einzelnen jedenfalls im Wege von – bei Gesellschaften üblichen – Gewinnausschüttungen nicht möglich. Das sind nach Auffassung des II. Zivilsenats die wesentlichen tatsächlichen Umstände, die die Eintragungsfähigkeit des Kita-Vereins hier begründeten. Damit wird deutlich, dass die im Wirtschaftsbetrieb erzielten unter Umständen erheblichen Gewinne dem idealen Zweck zu- und untergeordnet sind. Hiergegen wird eingewandt, dass das Gemeinnützigkeitsrecht nach §§ 51 ff. AO keine Anhaltspunkte für die Vereinsklassifizierung biete, da auch Gesellschaften mit beschränkter Haftung als gemeinnützig anerkannt werden können, dieses also rechtsformneutral sei.31 Die Kindertagesstätten könnten genauso in der Rechtsform einer gGmbH geführt werden. Dieses Argument trägt unter dem Blickwinkel des Art. 9 Abs. 1 GG nicht. Dieses Grundrecht schützt unter anderem das Recht, Vereine zu bilden. Wenn das Gesetz dem Einzelnen in Ausgestaltung des Rechts aus Art. 9 Abs. 1 GG eine bestimmte Form des Zusammenschlusses eröffnet, ist daraus nicht der Schluss gerechtfertigt, die ausgestaltenden Normen müssten einschränkend ausgelegt und der Zugang damit beschränkt werden, weil auch die Möglichkeit bestehe, die gewünschte Tätigkeit in anderer (gesellschaftsrechtlicher) Form zu verwirklichen. Vielmehr ist der Einzelne frei, unter den eingeräumten Möglichkeiten die ihm als günstigste erscheinende zu wählen. Soweit dagegen die Kritik erhoben wird, der II. Zivilsenat habe Art. 9 GG überdehnt, weil er davon ausgehe, dass dieses Grundrecht einen Anspruch auf 30 31

  Mugdan aaO S. 401.   so z.B. Reichert Vereinsrecht, 13. Aufl., Rn. 163; Segna ZIP 2017, 1881, 1884.

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eine bestimmte Rechtsform – hier den Vereinsstatus – gewähre,32 geht diese Kritik am Inhalt der Entscheidung vorbei. Der Senat hat keinen Anspruch auf Eintragung als Verein aus Art. 9 GG ohne Vorliegen der einfach-rechtlichen Voraussetzungen angenommen, sondern lediglich die Ausstrahlungswirkung des Grundrechts auf die Auslegung des § 21 BGB im Blick gehabt. dd) Gegen eine Einordnung des Kita-Vereins als Idealverein sprach auch nicht der Umfang des Geschäftsbetriebs. Der Gesetzgeber ging davon aus, dass auch ein solcher Verein in das Vereinsregister einzutragen sei, der neben seinen ideellen Hauptzwecken ein wirtschaftliches Geschäft betreibe, um sich hierdurch die zur Erreichung jener Zwecke erforderlichen Mittel zu verschaffen.33 Eine Größenbegrenzung ist der Gesetzesbegründung nicht zu entnehmen. Zum Teil wird geltend gemacht, dass der Umfang des Wirtschaftsbetriebs im Verhältnis zum Vereinszweck begrenzt sein müsse. Dabei wird auf den Inhalt eines Antrags des Abgeordneten von Strombeck im Gesetzgebungsverfahren verwiesen. Dieser hatte eine klarstellende Formulierung des § 21 BGB beantragt, und ausgeführt, dass viele unter anderem gemeinnützige Vereine einen „kleinen wirthschaftlichen Geschäftsbetrieb“ oder einen „unbedeutenden Restaurationsbetrieb“ nebenbei haben.34 Dieser Antrag ist jedoch abgelehnt worden.35 Es spricht nichts dafür, dass dies das Verständnis des historischen Gesetzgebers war. Denn die Ablehnung ist damit begründet worden, dass der Antrag von Strombeck’s, der eine Erweiterung des Zugangs zum Vereinsstatus zu erreichen versuchte, „eine Klarstellung nur in niederem Maße“ als die Regierungsvorschläge darstelle.36 Diese sahen keine Umfangsbegrenzung für den wirtschaftlichen Geschäftsbetrieb vor, wenn mit den erworbenen Mitteln der Vereinszweck verfolgt werde. Soweit in diesem Zusammenhang darauf abgehoben wird, der Gesetzgeber habe nur Skat-, Kegel-, Sauf- und Rauchvereine im Blick gehabt,37 ist dies nicht den Gesetzesmaterialien zu entnehmen. Diese Formulierung ist vom Abgeordneten Stadthagen gebraucht worden, um seinen Antrag zu begründen, das Vereinsrecht aus dem BGB zu streichen. Dieser Antrag wurde ebenfalls abgelehnt.38 Schließlich ist eine Größenbegrenzung nicht aus dem Begriff des Nebenzweckprivilegs selbst abzuleiten. Der Senat hat dies bewusst als sogenanntes

  Segna ZIP 2017, 1881, 1884.   Mugdan aaO S. 604. 34   Mugdan aaO S. 997. 35   Mugdan aaO S. 999. 36   Mugdan aaO S. 999. 37   Segna ZIP 2017, 1881, 1884; Terner RNotZ 2017, 508, 512. 38   Mugdan aaO S. 995 32 33

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Nebenzweckprivileg bezeichnet. Es handelt sich um keine Begrifflichkeit, die der Gesetzgeber verwendet hat. Er ist deshalb zur Auslegung nicht geeignet. Im Ergebnis sind die Größe und der Umfang des wirtschaftlichen Geschäftsbetriebs allein nicht aussagekräftig, ob dieser dem sogenannten Nebenzweckprivileg unterfällt.39 c) Es stellt sich dann die Frage, ob ein Verein auch mittels des wirtschaftlichen Geschäftsbetriebs unmittelbar, d. h. mit dem Wirtschaftsbetrieb selbst, seine ideellen Zwecke verfolgen darf, um noch eintragungsfähig nach § 21 BGB zu sein. Wenn ein Verein – nach dem Willen des historischen Gesetzgebers – die Mittel in der erforderlichen Höhe zur Verwirklichung seiner ideellen Zwecke erwirtschaften darf,40 dann kann ihm auch nicht verwehrt werden, den ideellen Zweck unmittelbar mit seinen wirtschaftlichen Aktivitäten zu erfüllen. Der II. Zivilsenat hat geprüft, ob der Schutzzweck des § 21 BGB in einem solchen Fall einer Eintragung des Vereins entgegensteht. Sinn und Zweck der §§ 21, 22 BGB verbietet dies jedenfalls dem als gemeinnützig im Sinne der §§ 51 ff. AO anerkannten Verein nach Auffassung des II. Zivilsenats nicht.41 Auch insoweit hat der Senat die der steuerlichen Anerkennung als gemeinnützig zu Grunde liegenden Tatsachen in die Bewertung einbezogen. Den Vorschriften der §§ 21 und 22 BGB liegt der gesetzgeberische Gedanke zugrunde, aus Gründen der Sicherheit des Rechtsverkehrs, insbesondere des Gläubigerschutzes, Vereine mit wirtschaftlicher Zielsetzung auf die dafür zur Verfügung stehenden handelsrechtlichen Formen zu verweisen und die wirtschaftliche Betätigung von Idealvereinen zu verhindern, soweit es sich nicht lediglich um eine den ideellen Hauptzwecken des Vereins dienende wirtschaftliche Betätigung im Rahmen des sogenannten Nebenzweckprivilegs handelt. Diese gesetzgeberischen Erwägungen tragen der Tatsache Rechnung, dass bei einer nach außen gerichteten wirtschaftlichen Betätigung Gläubigerinteressen in besonderem Maße berührt werden und dass diese Interessen in den für juristische Personen des Handelsrechts und andere Kaufleute geltenden Vorschriften eine weit stärkere Berücksichtigung gefunden haben als in den Bestimmungen des Vereinsrechts. Während bei einem Idealverein Gläubiger-

39   Schmidt, Rpfleger 1972, 343, 351; Schauhoff/Kirchhain ZIP 2016, 1857, 1865; Reuter NZG 2008, 881, 886; vgl. Soergel/Hadding, BGB, 13. Aufl., §§ 21, 22 Rn. 35; MüKoBGB/ Reuter, 7. Aufl., § 21 Rn. 20; Otto in Stöber/Otto, Handbuch zum Vereinsrecht, 11. Aufl., V Rn 69. 40  aA Stöber Handbuch zum Vereinsrecht, 11. Aufl., Rn. 69; Leuschner Das Konzernrecht des Vereins, 2011, S. 172 f.; Soergel/Hadding, BGB, 13. Aufl., §§ 21, 22 Rn. 36. 41   Beuthien WM 2017, 645, 646; Schauhoff/Kirchhain ZIP 2016, 1857, 1865; Reuter NZG 2008, 881, 887; aA Schmidt Rpfleger 1972, 343, 351.

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schutzbestimmungen nur begrenzt vorhanden sind42, unterliegt eine juristische Person des Handelsrechts in erster Linie im Interesse der Gläubiger zwingenden Vorschriften. Dazu gehören z. B. Regelungen über eine Mindestkapitalausstattung, über Bilanzierungs-, Publizitäts- und Prüfungspflichten sowie über die – unbeschränkbare – Vertretungsmacht ihrer organschaftlichen und bevollmächtigten Vertreter. Hinsichtlich der Kapitalausstattung hat der Gesetzgeber die Bedeutung dadurch relativiert, indem er die Unternehmergesellschaft mit einem Mindestkapital von 1 € nach § 5a GmbHG zugelassen hat.43 Wenn ein Verein einen wirtschaftlichen Geschäftsbetrieb in einer bestimmten Größe unterhält, um die erforderlichen Mittel zur Erreichung des ideellen Zwecks zu erwirtschaften, entstehen keine größeren Gefahren für den Rechtsverkehr, wenn mittels des Geschäftsbetriebs unmittelbar der ideelle Zweck verfolgt wird. Das Insolvenzrisiko z. B. erhöht sich nicht. Eine zwangsnotwendige Ausdehnung des Geschäftsbetriebs mit höheren Risiken für den Geschäftsverkehr ist damit auch nicht verbunden.44 Eine Verlagerung von wirtschaftlichen Aktivitäten auf einen Idealverein ist nicht zu erwarten, wenn der Verein als gemeinnützig anerkannt ist, da die Einhaltung der Voraussetzungen des § 55 AO und insbesondere das Verbot der Gewinnausschüttung an die Mitglieder einer solchen Gefahr entgegenstehen. Es wird zudem der Anreiz gesenkt, erhebliche unternehmerische Risiken einzugehen.45 Mögliche Gläubiger wissen auch von vornherein, dass der Verein keine garantierte Mindestkapitalausstattung hat. Fehlvorstellungen sind insoweit nicht zu erwarten. Dabei hat der Senat auch in die Betrachtung einbezogen, dass die Einhaltung der Voraussetzungen der Anerkennung als gemeinnützig im Sinne der §§ 51 ff. AO und damit einhergehend unter anderem auch das Ausschüttungsverbot durch die Finanzverwaltung in effektiverer Weise überwacht werden, als den Registergerichten dies mit ihrer Sach- und Personalausstattung möglich ist. Dabei hat der II. Zivilsenat Missbrauchsfälle im Blick gehabt. Solche könnten z.B. überhöhte Vergütungen für Angestellte sein, die zugleich Vereinsmitglieder sind, wie auch eine Gewinnanhäufung im Verein, um bei dessen Auflösung diese doch an die Mitglieder auszuschütten.

42  Insolvenzantragspflicht des Vorstands und die Liquidation des Vereins (vgl. § 42 Abs. 2, §§ 51–53 BGB) 43   Frey NJ 2017, 291. 44   vgl. in diesem Sinne Beuthien WM 2017, 645, 646; Schauhoff/Kirchhain ZIP 2016, 1857, 1865; aA im Ergebnis Leuschner NZG 2017, 16, 19. 45   Schauhoff/Kirchhain ZIP 2016, 1857, 1862; Leuschner npoR 2016, 99, 100; kritisch Beuthien WM 2017, 645, 648.

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Es ist aber darauf hinzuweisen, dass die Kontrolle durch die Finanzverwaltung eine Verfahrensfrage ist und keine materiell-rechtliche. Sollte es notwendig sein, muss das Registergericht die Umstände für die Eintragungsfähigkeit des Vereins selbst ermitteln. Die Eintragung als Verein kann nicht deshalb abgelehnt werden, weil das Registergericht nicht hinreichend ausgestattet ist, um die erforderlichen Prüfungen vorzunehmen.46 Dies würde mit Art. 9 GG kollidieren. Auch an dieser Stelle hat der II. Zivilsenat die steuerliche Anerkennung selbst nicht zur Voraussetzung der Eintragung des Vereins gemacht. IV. Der II. Zivilsenat hat für die Eintragungsfähigkeit eines einen wirtschaftlichen Geschäftsbetrieb führenden Vereins als Voraussetzung angesehen, dass die erwirtschafteten Gewinne dem ideellen Zweck zugeführt werden und nicht einen wirtschaftlichen Vorteil für die Vereinsmitglieder darstellen. Hierfür hat er das Ausschüttungsverbot von Gewinnen an Mitglieder als zentrale Voraussetzung angesehen und insofern die steuerliche Anerkennung des Vereins als gemeinnützig wegen der dafür erforderlichen Selbstlosigkeit nach § 55 AO als Indiz für eine tatsächliche Einhaltung dieses Erfordernisses bewertet. Mangels Vortrags der Parteien und Feststellungen durch die Vorinstanz musste der II. Zivilsenat sich nicht mit der Frage befassen, wie weit dieses Ausschüttungsverbot reicht. Ein vollständiges Ausschüttungs- bzw. Zuwendungsverbot an Vereinsmitglieder kommt nicht in Betracht. Nicht jede noch so geringe Zuwendung an Vereinsmitglieder stellt die Ausrichtung eines einen wirtschaftlichen Geschäftsbetrieb führenden Vereins auf einen ideellen Zweck hin in Frage. Ausgangspunkt der Überlegungen ist insoweit der Wille des Gesetzgebers, der lediglich den Verein nicht mehr als eintragungsfähig ansah, dessen ausschließlicher oder Hauptzweck auf einen wirtschaftlichen Geschäftsbetrieb gerichtet ist.47 Entscheidend sind insofern stets die Umstände des Einzelfalls. Insbesondere wird die Geringfügigkeit an der Relation zwischen dem Umfang der wirtschaftlichen Tätigkeit des Vereins und dessen Größe zu messen sein. Ein Weihnachtsessen oder Geburtstagsgeschenke in geringem Umfang werden auch dem historischen Gesetzgeber vor 1900 schon nicht fremd gewesen sein. Das Steuerrecht hat zur Gemeinnützigkeit Kriterien für diesen Problemkreis entwickelt. Ein Verein wird sich insoweit auf sicherem Terrain bewegen, wenn er diese Grenzen nicht überschreitet. Diese Schlussfolgerung wird aus den Ausführungen des II. Zivilsenats zur Bedeutung der steuerlichen Anerkennung des Vereins als gemeinnützig abzuleiten sein. Er hat die steuerliche Anerkennung als gemeinnützig nicht gleichgesetzt 46 47

  Leuschner NJW 2017, 1919, 1921.   Mugdan aaO. S. 400.

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mit dem Vorliegen der Voraussetzungen für die Eintragungsfähigkeit des Vereins. In der logischen Folge hat der II. Zivilsenat damit die Zuwendung, die steuerrechtlich unschädlich für die Anerkennung als gemeinnützig ist, zivilrechtlich ebenfalls als für die Eintragungsfähigkeit unschädlich angesehen. Entscheidend bleiben aber die zivilrechtlichen Erwägungen und nicht steuerrechtliche. Es stellt sich deshalb die Frage, wie die steuerrechtlich zu diesem Problem entwickelten Kriterien zivilrechtlich bewertet werden müssen. Nachfolgend werden einzelne Fallgestaltungen unter diesem Gesichtspunkt untersucht. 1. Förderung eigenwirtschaftlicher Interessen Nach § 55 Abs. 1 AO erfolgt eine Förderung nur dann selbstlos, wenn dadurch nicht in erster Linie eigenwirtschaftliche Zwecke verfolgt werden.48 Dieser Grundsatz gilt für die zivilrechtliche Frage der Eintragungsfähigkeit eines Vereins in gleicher Weise. Wenn der wirtschaftliche Geschäftsbetrieb nur dazu dient, direkt oder indirekt durch Gewinnerwirtschaftung eigenwirtschaftliche Zwecke zu verfolgen, fehlt es an einem Hauptziel, einen ideellen Zweck zu verfolgen. Dann steht die Privatnützigkeit im Vordergrund und dies steht der Eintragungsfähigkeit eines solchen Vereins entgegen. Es ist dabei aber eine genaue Einzelfallprüfung erforderlich. Nicht jeder wirtschaftliche Vorteil für Mitglieder des Vereins macht diesen automatisch zu einem wirtschaftlichen Verein. Wenn z. B. ein Kita-Verein für Vereinsmitglieder ebenfalls Kindertagesstättenplätze anbietet und dies gegebenenfalls auch vergünstigt, liegt deshalb noch nicht automatisch ein wirtschaftlicher Verein vor. Hier ist genau zu prüfen, ob der wirtschaftliche Zweck des Betriebs der Kindertagesstätten im Vordergrund steht oder der damit verbundene ideelle Zweck nicht den Hauptzweck darstellt. Das Angebot an die Mitglieder stellt sich insoweit ebenfalls als Verfolgung des ideellen Zwecks dar. Der wirtschaftliche Vorteil an die Mitglieder insbesondere bei verbilligtem Angebot der Plätze für sie ist hier im Einzelfall zu gewichten. Bei einem Verein, der allein mit dem wirtschaftlichen Geschäftsbetrieb auf die Verschaffung von Arbeitsplätzen für die Vereinsmitglieder angelegt ist, ist eine Eintragungsfähigkeit nicht gegeben, selbst wenn die Arbeitsverträge und die Arbeitsbedingungen den üblichen Konditionen entsprechen. Das könnte z.B. der Fall sein, wenn Musiker einen Verein mit einem Musikschulbetrieb gründen, der nur darauf gerichtet ist, die Musiker zu beschäftigen.49 Allein der Umstand, dass mit dem Musikschulangebot ein allgemein anerkannter ideeller Zweck verbunden ist, bedeutet nicht, dass nicht die Förderung der   BFHE 157, 132.  vgl. Segna ZIP 2017, 1881, 1887.

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wirtschaftlichen Interessen der Mitglieder des Vereins, hier der Musiker, im Vordergrund stehen kann. Denkbar kann in einem solchen Fall eine Eintragung als Verein nur sein, wenn die Verfolgung eines ideellen Zwecks als Hauptzweck tatsächlich feststellbar ist. Besondere Bedeutung bei der Bewertung wird auch der Frage beizumessen sein, wie gegebenenfalls eingeworbene Gewinne verwendet werden, ob diese z. B. gegebenenfalls über variable Vergütungsvereinbarungen stets bei den angestellten Musiklehrern verbleiben oder anderweitig für den ideellen Zweck eingesetzt werden. Sollte aber die Versorgung eines Gebiets mit einem Musikförderungsangebot im Mittelpunkt stehen, in dem sonst kein solches Förderungsangebot besteht, aber eine Nachfrage dafür vorhanden ist, kann gegebenenfalls der ideelle Zweck zivilrechtlich betrachtet in den Vordergrund treten. Für die Dorfläden betreibenden Vereine dürfte dies ein wesentlicher Aspekt für eine Eintragungsfähigkeit als Verein sein. Soweit nicht eine direkte Gewinnausschüttung erfolgt und keine Gewinnansammlung im Verein, stellt zwar der Betrieb eines Dorfladens einen wirtschaftlichen Geschäftsbetrieb dar. Dies beinhaltet zugleich, dass sich das Versorgungsangebot für die Vereinsmitglieder auch als Wahrung ihrer wirtschaftlichen Interessen darstellt, da sie dann für den Einkauf ihrer Lebensmittel keine kosten- und zeitintensiven längeren Fahrten zurücklegen müssen. Gleichwohl ist hier von einem damit zugleich verfolgten ideellen Zweck der Versorgung der Bevölkerung insbesondere in ländlichen Gegenden mit Lebensmitteln auszugehen. Der Hauptzweck des Vereins liegt nicht in der Wahrung der wirtschaftlichen Interessen der einzelnen Mitglieder, sondern unbeschadet des Umstands, dass eine steuerrechtliche Anerkennung als gemeinnützig nicht in Betracht kommt, in der Lebensmittelversorgung in strukturschwachen Gebieten.50 Diese Auslegung ist aufgrund des Willens des Gesetzgebers geboten. Dieser hat auf die beabsichtigten Änderungen des § 22 BGB verzichtet, weil er nach der Entscheidung des Bundesgerichtshofs vom 16. Mai 2017 davon ausging, dass Dorfläden betreibende Vereine trotz fehlender steuerlicher Anerkennung als gemeinnützig als Vereine eintragungsfähig sein sollen.51 2. Verwaltungskosten Steuerrechtlich ist die Selbstlosigkeit nicht mehr gegeben, wenn die eingeworbenen Mittel nicht überwiegend für die satzungsmäßigen steuerbegünstigten Zwecke, sondern zur Deckung der Verwaltungskosten und der zum Erhalt von Spenden betriebenen Öffentlichkeitsarbeit (Spendenwerbung) verwendet werden. Die Steuerbefreiung wird gewährt, um steuerbegünstigte Zwecke zu fördern. Dieses Ziel wird verfehlt, wenn die Körperschaft 50 51

 ähnlich Leuschner NJW 2017, 1919, 1922.   BT-Drs. 18/12998 S. 20; BT-PlProt 18/243 S. 25092ff.

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die Spenden weitgehend nicht für ihre satzungsmäßigen steuerbegünstigten Zwecke, sondern für die eigene Verwaltung und die Spendenwerbung einsetzt. Das Gesetz enthält jedoch keine absoluten oder prozentualen Obergrenzen für die Verwaltungskosten und die Aufwendungen für die Spendenwerbung. Entscheidendes Kriterium ist deshalb, ob bei Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalles das Ausgabeverhalten der Körperschaft angemessen ist. Angemessen ist ein Ausgabeverhalten, wenn es wirtschaftlich sinnvoll ist und dazu beiträgt, dass ein möglichst hoher Anteil der Mittel unmittelbar und effektiv den hilfsbedürftigen Personen zugutekommt. Zu berücksichtigen ist auch, ob sich die Körperschaft noch in der Aufbauphase befindet, in der sie zunächst und in der Regel unvermeidbar einen sehr hohen Anteil ihrer Mittel für die Verwaltung und Spendenwerbung verwenden muss.52 Dieser Grundsatz kann für die Eintragung als Verein nicht uneingeschränkt übernommen werden. Wenn der Verein im Hauptzweck ein ideelles Ziel verfolgt, kommt es nicht darauf an, welchen Umfang der wirtschaftliche Geschäftsbetrieb haben muss, um die für die Vereinszweckverwirklichung erforderlichen Mittel einzuwerben.53 Wenn dafür erhebliche Verwaltungskosten und Werbungskosten anfallen, stellt das für sich genommen die Verfolgung des ideellen Zwecks als Hauptziel und damit die Eintragungsfähigkeit nicht in Frage. Besonderes Augenmerk ist jedoch insbesondere darauf zu legen, ob sich die hohen Kosten der Verwaltung letztlich als verdeckte Gewinnausschüttung an Vereinsmitglieder darstellen. Wenn jedoch ein Mittelfluss an die Vereinsmitglieder auch mittelbar nicht vorliegt, weil die Werbeauftragsnehmer keine Vereinsmitglieder sind und die Verwaltungskosten nicht an Vereinsmitglieder als Löhne fließen, kommt auch bei sehr hohen Verwaltungskosten eine Eintragung als Verein in Betracht, selbst wenn die steuerliche Anerkennung als gemeinnützig bereits nicht mehr möglich ist. 3. Zuwendungen an Vereinsmitglieder Zuwendungen an Mitglieder eines Vereins sind steuerrechtlich nur sehr begrenzt mit dem Grundsatz der Selbstlosigkeit in Einklang zu bringen. Zu dem in § 55 Abs. 1 Nr. 1 S. 2 AO ausgesprochenen Verbot, Mitgliedern Gewinnanteile und sonstige Zuwendungen, die auf der Mitgliedschaft beruhen, zukommen zu lassen, gehören auch verdeckte Gewinnausschüttungen.54 Eine verdeckte Gewinnausschüttung ist auch eine verhinderte Vermögensmehrung, die dadurch entsteht, dass Leistungen für ein zu geringes Entgelt erbracht werden.55 Verbotene Zuwendungen an Mitglieder oder Personen,   BFH DStR 1998, 1674   BGH NJW 2017, 1943 Rn 28ff. 54   BFH BStBl 2012, 226; BFH/NV 2014, 984. 55   BFH BStBl 2013, 1024; BFH/NV 2014, 984. 52 53

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die ihnen nahe stehen, sind nicht nur gewinnähnliche Zuwendungen, sondern wirtschaftliche Vorteile aller Art (auch ersparte Aufwendungen), die die Körperschaft den Mitgliedern unentgeltlich oder verbilligt durch Einsatz ihrer Vermögenswerte gewährt.56 Verboten ist auch sog. Aufwendungsersatz, der, pauschal gezahlt, über die tatsächlichen Aufwendungen hinausgehen kann. Es reicht, wenn die Zuwendungen mit Blick auf die Mitgliedschaft solchen Personen gewährt werden, die den Mitgliedern nahe stehen. Als Zuwendung wie z.B. Geschenke dürfen Mitglieder nur Annehmlichkeiten erhalten, die allgemein üblich bei der Betreuung von Mitgliedern sind und nach der Verkehrsauffassung als angemessen anzusehen sind. Eine Wertgrenze ist nicht geregelt, wird aber in Anlehnung an R 19.6 LStR derzeit bei 60 € gesehen.57 Außerdem erlaubt § 58 Nr. 8 AO die Finanzierung geselliger Zusammenkünfte, die im Vergleich zu ihrer steuerbegünstigten Tätigkeit von untergeordneter Bedeutung sind. Diese steuerlich sehr engen Grenzen sind auch für die zivilrechtlich vorzunehmende Bewertung der Eintragungsfähigkeit grundsätzlich maßgebend. Jede Zuwendung an die Mitglieder eines Vereins, der einen wirtschaftlichen Geschäftsbetrieb führt, wird sich als Gewinnausschüttung darstellen und den Verein dann zu einem wirtschaftlichen Verein machen. Bei der Frage der Angemessenheit einer Annehmlichkeit z.B. eines Geschenks und einer Vereinsfeier wird jedoch ein anderer Ansatz zum Tragen kommen müssen, als der steuerrechtliche. Vereinsfeiern, Geburtstags- oder Weihnachtsgeschenke werden auch dem historischen Gesetzgeber vor 1900 bereits geläufig gewesen sein, ohne dass er Einschränkungen der Eintragungsfähigkeit eines Vereins insoweit erwogen hätte. Die Wertgrenzen des heutigen Steuerrechts waren ihm naturgemäß unbekannt. Die Angemessenheit von Geschenken oder Vereinsfeiern werden deshalb nicht an absoluten Grenzen zu messen sein, sondern im Verhältnis zur Größe des Vereins und dem Umfang seiner Aktivitäten wie auch dem jeweiligen Anlass z.B. für das Geschenk. Eine Vereinsfeier z.B. zum 100. Gründungsjubiläum darf einen kostspieligeren Rahmen haben als eine jährlich stattfindende. 4. Aufwendungsersatz und Vergütung Die Zahlung von Aufwendungsersatz und Vergütung sind steuerlich für die Anerkennung als gemeinnützig zulässig, wenn die erforderliche satzungsrechtliche Fundierung gegeben ist und die Leistungen angemessen sind.58

  BFH/NV 2012, 1478.   Klein/Gersch, AO, 13. Aufl., § 55 Rn. 16. 58   Klein/Gersch, AO, 13. Aufl., § 55 Rn. 22ff mwN. 56 57

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Für das Vereinsrecht gilt nach § 27 Abs. 3 S. 1 BGB, dass das Auftragsrecht für die Geschäftsführung des Vorstandes Anwendung findet. Für Mitglieder und Dritte gilt dies bereits nach den allgemeinen Regeln des Auftragsrechts. Aufwendungen im Sinne des nach § 27 Abs. 3 S. 1 BGB entsprechend anwendbaren Auftragsrechts sind alle Vermögensopfer mit Ausnahme der eigenen Arbeitszeit und Arbeitskraft, die der Beauftragte zum Zwecke der Ausführung des Auftrags freiwillig, auf Weisung des Auftraggebers oder als notwendige Folge der Auftragsausführung erbringt. Dazu zählen alle Auslagen des Beauftragten, insbesondere für Reisekosten, Post- und Telefonspesen, zusätzliche Beherbergungs- und Verpflegungskosten etc. Sie sind erstattungsfähig, soweit sie tatsächlich angefallen, für die Ausführung der übernommenen Tätigkeit erforderlich sind und sich in einem angemessenen Rahmen halten. Alle darüber hinaus bezogenen Leistungen sind Vergütung, d.h. offenes oder verschleiertes Entgelt für die geleistete Tätigkeit als solche. Verdeckte Vergütung sind insbesondere auch sämtliche Pauschalen, die nicht tatsächlich entstandenen und belegbaren Aufwand abdecken, wenn sie nicht Ersatz für Kosten sind, die mit der in Frage stehenden Tätigkeit typischerweise für den Beauftragten verbunden sind und in dieser Höhe üblicherweise pauschal, ohne Einzelnachweis erstattet werden. Auch im letztgenannten Fall handelt es sich aber um eine verdeckte Vergütung, wenn die Kosten, zu deren Abdeckung die betreffende Pauschale im allgemeinen gedacht ist, in dem konkreten Amt oder Auftrag regelmäßig nicht anfallen. Dies kann etwa bei Sitzungs- oder Tagegeldern in Betracht kommen, die üblicherweise zur pauschalen Abgeltung der Kosten auswärtiger Unterbringung und Verpflegung gezahlt werden, wenn diese Leistungen schon auf anderem Wege vom Auftraggeber, etwa durch Beherbergung und Beköstigung im eigenen Hause, erbracht werden. Entsprechendes gilt für andere Pauschalen. Keine Aufwendung im Sinne der § 27 Abs. 3 S. 1, § 670 BGB ist vor allem die für die Wahrnehmung der übernommenen Aufgabe eingesetzte Arbeitszeit und Arbeitskraft und das dadurch voraussehbar bedingte Vermögensopfer in Form anderweitig entgehender Verdienstmöglichkeiten. Dies folgt aus der in § 27 Abs. 3 S. 2 BGB bestimmten Unentgeltlichkeit der Vorstandstätigkeit. Leistungen, die zur Abgeltung dieses Opfers erbracht werden, sind rechtlich Vergütung, d.h. Entgelt für die übernommene Tätigkeit, mögen sie auch häufig anders, etwa als Aufwandsentschädigung o.ä., bezeichnet werden. Vergütung im Sinne von Arbeitsentgelt sind deshalb auch die Beträge, die sich der Inhaber eines Vereinsamtes dafür zahlen lässt, dass er durch die Übernahme seines Amtes zeitweise verhindert ist, seine Arbeitskraft im eigenen Beruf oder Unternehmen einzusetzen.59

  BGH NJW-RR 1988, 745, 746; vgl. auch BGH NJW-RR 2008, 842.

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Die Satzung kann aber nach § 40 BGB vorsehen, dass die Vorstandstätigkeit in Abänderung des § 27 Abs. 3 S. 2 BGB vergütet wird. Dies war vom Gesetzgeber auch so gewollt.60 In der Zahlung einer angemessenen Aufwandsentschädigung für Mitglieder und den Vorstand und Vergütungen für Vorstandstätigkeiten kann deshalb auch bei einem einen wirtschaftlichen Geschäftsbetrieb führenden Verein nicht eine Gewinnausschüttung erblickt werden, die einer Eintragung als Verein entgegenstehen kann. Dabei ist durchaus ein strenger Maßstab anzulegen. Die Enquete-Kommission des Bundestags hat aufgrund von Untersuchungen festgestellt, dass die überwiegende Mehrheit von in gemeinnützigen Organisationen Tätigen keine finanzielle Vergütung für ihre geleistete Arbeit als Anerkennung erwartet. Dem entsprechend hat die Enquete-Kommission direkte Vergütungen als Strategie für die Anerkennung bürgerschaftlichen Engagements als ungeeignet angesehen.61 Steuerrechtlich entscheidend ist für die Angemessenheit, ob ein Vermögensvorteil zugewendet wird, der bei Anwendung der Sorgfalt eines ordentlichen und gewissenhaften Geschäftsführers einem Nichtmitglied nicht gewährt worden wäre.62 Es dürfen nur erforderliche und wirtschaftlich sinnvolle Tätigkeiten entlohnt werden. Ob eine Vergütung „angemessen“ ist, richtet sich auch nach der Art der Tätigkeit für die gemeinnützige Körperschaft und danach, was der Steuerpflichtige sonst verdient.63 Diese Grundsätze können auch zivilrechtlich zur Anwendung kommen. Die Ehrenamtspauschale nach § 3 Nr. 26a EStG, wonach Einnahmen aus nebenberuflichen Tätigkeiten im Dienst oder Auftrag einer juristischen Person des öffentlichen Rechts oder einer unter § 5 Absatz 1 Nummer 9 des Körperschaftsteuergesetzes fallenden Einrichtung zur Förderung gemeinnütziger, mildtätiger und kirchlicher Zwecke (§§ 52 bis 54 der Abgabenordnung) bis zur Höhe von insgesamt 720 Euro im Jahr steuerfrei sind, kann auch insoweit als Indiz dafür angesehen werden, dass darunter liegende Beträge ohne konkrete abweichende Anhaltspunkte als Vorstandsvergütung nicht als unangemessene Gewinnausschüttung angesehen werden können, die einen Verein zu einem wirtschaftlichen machen. Die Enquete-Kommission des Deutschen Bundestags „Zukunft des Bürgerschaftlichen Engagements“ hat ihren Vorschlag zur Einführung eines solchen Steuerfreibetrags damit begründet, dass bei einem bürgerschaftlichem Engagement üblicherweise Aufwand in der (jetzt gesetzlich festgelegten) Höhe entsteht und deshalb typisierend eine Einkunftserzielungsabsicht verneint werden kann.64 Diese Vorschläge sind   BT-Drs. 17/11316.   BT-Drs. 14/8900 S. 130. 62   BFH BStBl 1988, 301; 1992, 690. 63   Klein/Gersch, AO, 13. Aufl., § 55 Rn. 24 mwN. 64   BT-Drs. 14/8900 S. 319f. 60 61

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vom Gesetzgeber aufgegriffen worden und haben zur Einführung des § 3 Nr. 26a EStG geführt.65 Maßgeblich bleibt aber der Einzelfall. Wenn sich der wirtschaftliche Geschäftsbetrieb (nur) auf einen Gewinn in dieser gesetzlich normierten Höhe pro Jahr beläuft, der Verein sonst keinen ideellen Zweck verfolgt und der gesamte Gewinn als Vergütung für den Vorstand gezahlt wird, ist der Verein kein ideeller mehr. 5. Darlehen Verdeckte Gewinnausschüttungen, die der steuerlichen Anerkennung als gemeinnützig entgegenstehen können, können im Zusammenhang mit der Gewährung von Darlehen auftreten. Wenn der Verein Darlehen an seine Mitglieder ausgibt, stellen von marktüblichen Bedingungen abweichende Vereinbarungen etwa im Hinblick auf zu niedrige Zinsen steuerlich eine verdeckte Gewinnausschüttung dar.66 Bei der Darlehensgewährung von Mitgliedern an ihren Verein stellt die Rückzahlung einschließlich der Zinsen keine verdeckte Gewinnausschüttung dar, wenn dies zu marktüblichen Konditionen geschieht.67 Diese steuerlichen Grundsätze sind auch für die zivilrechtliche Beurteilung im Rahmen der Prüfung der Eintragungsfähigkeit eines einen wirtschaftlichen Geschäftsbetrieb führenden Vereins geeignet. Verdeckte Gewinnausschüttungen über Darlehensgewährungen können einem einen wirtschaftlichen Geschäftsbetrieb führenden Verein die Eintragungsfähigkeit nehmen.

65   BT-Drs. 16/5985 S. 11; kritisch zum Anwendungsbereich des § 3 Nr. 26a EStG Kolbe DStR 2009, 2465. 66   Wallenhorst in R. Wallenhorst/Halaczinsky, Die Besteuerung gemeinnütziger und öffentlich-rechtlicher Körperschaften, 7. Aufl., C Rn 95. 67   Hüttemann Gemeinnützigkeit und Spendenrecht, 3. Aufl., 4.88.

Geschäftsleiterhaftung in der Eigenverwaltung Hildegard Ziemons I. Der IX. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat unlängst entschieden, dass der Geschäftsführer einer GmbH in Eigenverwaltung für die Verletzung insolvenzspezifischer Pflichten (auch) analog §§ 60, 61 InsO haftet.1 In dieser ausführlich begründeten Entscheidung hat der Bundesgerichtshof der Gegenansicht, die eine Anwendung der für den Insolvenzverwalter geltenden Haftungsnormen auf die Geschäftsleiter des Insolvenzschuldners in Eigenverwaltung ablehnt,2 eine Absage erteilt. Begründet wird die Geschäftsleiterhaftung analog §§ 60, 61 InsO vom BGH damit, dass eine Regelungslücke bestehe, die im Rückgriff auf allgemein für Geschäftsleiter geltende Haftungstatbestände nicht angemessen ausgefüllt werden könne. §§ 60, 61 InsO seien analog anzuwenden, da der Geschäftsleiter in der Eigenverwaltung einer Gesellschaft über Befugnisse verfüge, die seine Stellung weitgehend dem Amt eines Insolvenzverwalters annähere. Er übe gleich einem Insolvenzverwalter für die Insolvenzschuldnerin die Verfügungsbefugnis aus. Rechtsgrund für dessen Haftung sei die dem Insolvenzverwalter verliehene Handlungsmacht, die eine persönliche Haftung erfordere. Diese Erwägungen hätten ebenso für den kraft Anordnung der Eigenverwaltung in den Rechts- und Pflichtenkreis des Insolvenzverwalters einrückenden Geschäftsleiter zu gelten. Das Bedürfnis einer verschärften Haftung nach insolvenzrechtlichen Grundsätzen leitet der IX. Zivilsenat außerdem daraus ab, dass den Geschäftsleitern ungeachtet der zur Insolvenz führenden früheren unternehmerischen Misserfolge die – letzte – Möglichkeit zur Sanierung des Unternehmens in Eigenregie eingeräumt werde, eine   BGH vom 26.4.2018 – IX ZR 238/17, WM 2018, 962 = ZIP 2018, 977.   Vgl. etwa Landfermann in Kayser/Thole, InsO, 8. Aufl. 2016, § 270 Rz. 32; Undritz in K. Schmidt, InsO, 19. Aufl. 2016, § 270 Rz. 20, 22; Baumert in Braun, InsO, 7. Aufl. 2017, § 60 Rz. 4; Lohmann in Kayser/Thole, InsO, 8. Aufl. 2016, § 60 Rz. 3; Spliedt in K. Schmidt/Uhlenbruck, Die GmbH in Krise, Sanierung und Insolvenz, 5. Aufl. 2016, Rz. 9.136 ff.; Spliedt in FS Vallender (2015), 613 (529 ff.); Jacoby in FS Vallender (2015), 261 (276 ff.); Kebekus/Zenker in FS Kübler (2015), 331 (337 ff.); Undritz, BB 2012, 1551 (1554); Thole/Brünkmanns, ZIP 2013, 1097 (1104 f.); Haas, ZHR 178 (2014), 603 (610 ff.); Bachmann, ZIP 2015, 101 (105 ff.); Skauradszun/Spahlinger, DB 2015 2559 (2562). 1 2

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erhöhte Risikobereitschaft gezügelt und einer Sanierung um jeden Preis entgegengewirkt werden müsse. Im Übrigen ließen sich eine Eigenverwaltung ausschließende Nachteile für die Gläubiger nicht ausschließen, wenn die Verfahrensbeteiligten haftungsrechtlich einen geringeren Schutz als im Regelverfahren genießen würden.3 Die analoge Anwendung der Insolvenzverwalterhaftung auf die Geschäftsleiter des eigenverwalteten Insolvenzschuldners wird von einem Teil der Lehre bereits seit einiger Zeit befürwortet4. Argumentativ wird dabei vor allem auf den Einzelgläubigerschaden, der beispielsweise durch Verletzung von Aus- oder Absonderungsrechten entsteht, und weniger auf den Gesamtgläubigerschaden abgestellt. Hier ist nicht der Ort, sich damit auseinanderzusetzen, ob diese neuere Entscheidung des Bundesgerichtshofs richtig und zutreffend begründet ist. Der Beitrag befasst sich vielmehr mit den Fragen, ob dem gemäß § 60 InsO haftenden Geschäftsleiter des eigenverwaltenden Schuldners (und im Regelverfahren dem Insolvenzverwalter) bei unternehmerischen Entscheidungen im Rahmen der Unternehmensfortführung eine an die Business Judgement Rule angelehnte Insolvency Judgement Rule zu Gute kommt und ob seine Ersatzpflicht durch die Zustimmung der Gläubigerorgane zu der schadensverursachenden Maßnahme ausgeschlossen wird.

II. Grundlagen 1.  Pflichten und Haftung des Insolvenzverwalters im Regelverfahren a) Jedes Insolvenzverfahren hat die gemeinschaftliche und bestmögliche Befriedigung der Gläubiger zum Ziel. Der Insolvenzverwalter muss seine Entscheidungen am Insolvenzzweck ausrichten;5 Leitlinie und Maßstab seines Handelns ist daher die gleichmäßige und bestmögliche Befriedigung der Gläubiger.6 Hieraus resultieren u. a. die Pflicht zur Inbesitznahme der Masse einschließlich der (gerichtlichen) Geltendmachung von Forderungen, die Pflicht zur Erhaltung, Bewahrung und ordnungsgemäßen Verwaltung   BGH vom 26.4.2018 – IX ZR 238/17, WM 2018, 962 = ZIP 2018, 977.   Tetzlaff in MünchKomm. InsO, 3. Aufl. 2014, § 270 Rz. 179 f.; Fiebig in HambKomm. InsO, 6. Aufl. 2017, § 60 Rz. 43; Flöther in Kübler, Handbuch Restrukturierung in der Insolvenz, 2. Aufl. 2015, § 18 Rz.27 ff.; Bitter/Baschnagel, ZInsO 2018, 557 (571 ff.); Madaus, KTS 2015, 113 (125 f.); Marotzke, KTS 2014, 113 (117 f.); Flöther, ZIP 2012, 1833 (1842); Hoffmann, NZI 2010, 798 (804 f.). 5   Uhlenbruck, FS K. Schmidt, 2009, S. 1603 (1617). 6   BT-Drucks. 12/2443, S. 108, re. Sp.; BGH v. 16.3.2017 – IX ZR 253/15, WM 2017, 776; BGH v. 21.4.2005 – IX ZR 281/03, BGHZ 163, 32; BGH v. 11.5.2006 – IX ZR 247/03, BGHZ 167, 363; Ganter/Lohmann in MünchKomm. InsO, 3.  Aufl. 2013, § 1 Rz. 20; Sternal in Kayser/Thole, InsO, 8.  Aufl. 2016, § 1 Rz. 3. 3 4

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der zur Insolvenzmasse gehörenden Gegenstände einschließlich der Abwehr unberechtigter Forderungen und die Pflicht zur Verwertung und Verteilung der Masse, sofern die Gläubigerversammlung nichts anderes beschließt.7 Der Insolvenzverwalter muss außerdem die Rechte der Insolvenzgläubiger, insbesondere der Aus- und Absonderungsberechtigten, und der Massegläubiger beachten.8 b) All diese Pflichten sind mit der Sorgfalt eines ordentlichen und gewissenhaften Insolvenzverwalters zu erfüllen (§ 60 Abs. 1 Satz 2 InsO). Dieser verbal an § 43 Abs. 1 GmbHG und § 93 Abs. 1 Satz 1 AktG angelehnte Sorgfalts- und Verschuldensmaßstab weist insoweit die Besonderheit auf, dass den Umständen der Verwaltertätigkeit wie einer erforderlichen Einarbeitungszeit oder den Rahmenbedingungen (etwa unvollständige Geschäftsunterlagen) Rechnung getragen wird.9 Nach Ansicht des Bundesgerichtshofs endet diese „Schonfrist“ (Einarbeitungszeit) sechs Wochen nach der Bestellung zum vorläufigen Insolvenzverwalter.10 Werden die insolvenzspezifischen Pflichten schuldhaft verletzt, haftet der Insolvenzverwalter den Beteiligten auf Schadensersatz. Beteiligte sind die durch die insolvenzspezifischen Pflichten Begünstigten, also vor allem Insolvenz- und Massegläubiger, Aus- und Absonderungsberechtigte, aber auch der Insolvenzschuldner.11 Der Insolvenzverwalter unterliegt daher grundsätzlich einer Außenhaftung. „Grundsätzlich“, weil dies uneingeschränkt nur für Einzelschäden gilt, die bei einzelnen Beteiligten und nicht bei der Masse eingetreten sind. Soweit es sich um einen Gesamtschaden handelt, kann der Ersatzanspruch während des laufenden Insolvenzverfahrens nur von einem neuen (Sonder-)Insolvenzverwalter geltend gemacht werden (§ 92 InsO). Für die Darlegungs- und Beweislast gelten die allgemeinen Regeln einschließlich sekundärer Darlegungslast; eine Umkehr der Beweislast findet nicht statt.12 c) Zu den insolvenzspezifischen Pflichten gehört auch die dem Insolvenzverwalter gegenüber neuen Geschäftspartnern (also Massegläubigern) obliegende Pflicht, Masseverbindlichkeiten nicht zu begründen, wenn er voraus-

7   Vgl. dazu Brandes/Schoppmeyer in MünchKomm. InsO, 3. Aufl. 2013, § 60 Rz. 11 ff.; Thole in K. Schmidt, InsO, 19. Aufl. 2016, § 60 Rz. 9 ff. 8   Vgl. dazu Brandes/Schoppmeyer in MünchKomm. InsO, 3. Aufl. 2013, § 60 Rz. 39 ff. 9  Begr. RegE InsO BT-Drucks. 12/2443, S. 129; Weitzmann in HambKomm. InsO, 6. Aufl. 2017, § 60 Rz. 9. 10   BGH v. 26.6.2014 – IX ZR 162/13, WM 2014, 1434 = ZIP 2014, 1448. 11   Vgl. nur Gerhardt in Henckel/Gerhardt, InsO, 2007, § 60 Rz. 22; Thole in K. Schmidt, InsO, 19. Aufl. 2016, § 60 Rz. 6; Brandes/Schoppmeyer in MünchKomm. InsO, 3. Aufl. 2013, § 60 Rz. 39 ff. 12   BGH v. 15.10.2015 – IX ZR 296/14, WM 2016, 225.

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sichtlich nicht zur Erfüllung in der Lage ist.13 Verletzt der Insolvenzverwalter diese Pflicht schuldhaft, ist er gemäß § 61 InsO zum Schadensersatz (negatives Interesse) verpflichtet; die Beweislast für fehlendes Verschulden obliegt dem Insolvenzverwalter14. § 61 InsO verlangt vom Insolvenzverwalter, dass er eine plausible Liquiditätsplanung erstellt und diese bis zum Zeitpunkt der Begründung der Verbindlichkeit ständig überprüft und aktualisiert. Hierzu muss er aufgrund der aktuellen Liquiditätslage der Masse, der realistischen Einschätzung noch ausstehender offener, in angemessener Zeit realisierbarer Forderungen und der künftigen Geschäftsentwicklung für die Dauer der Fortführung eine Prognose erstellen; gefordert werden von der Rechtsprechung insbesondere präzise Berechnungen zu den Einnahmen und den zu leistenden Ausgaben.15 Nur insoweit als die Pflichtverletzung bei Begründung der Verbindlichkeit in Rede steht, ist § 61 InsO lex specialis zu § 60 InsO.16 2.  Pflichten des Schuldners in der Eigenverwaltung Das insolvenzspezifische Pflichtenheft und die damit korrespondierende Außenhaftung gelten sowohl für den Insolvenzverwalter als auch für den Schuldner in Eigenverwaltung sowie – mittelbar – für den für diesen handelnden Geschäftsleiter, wobei in der Eigenverwaltung die Insolvenzanfechtung und die Anzeige der Masseinsuffizienz dem Sachwalter vorbehalten sind, §§ 280, 285 InsO. Die Eigenverwaltung ist außerdem dadurch geprägt, dass der Insolvenzschuldner (und der für diesen handelnde Geschäftsleiter) bei nicht zum gewöhnlichen Geschäftsbetrieb gehörenden Geschäften sowie bei anderen Geschäften auf gerichtliche Anordnung nach Antrag der Gläubigerversammlung oder eines Gläubigers der Zustimmung des Sachwalters bedarf und dieser im Übrigen ein Widerspruchsrecht hat, §§ 275 Abs. 1, 277 Abs. 1 und 2 InsO.17 Der Sachwalter kann außerdem die Kassenführung an sich ziehen, § 275 Abs. 2 InsO. Hauptaufgaben des Sachwalters sind die Prüfung der wirtschaftlichen Lage des Schuldners und die Überwachung der Geschäftsführung des Schuldners, § 274 Abs. 2 InsO.  Vgl. Gerhardt in Henckel/Gerhardt, InsO, 2007, § 61 Rz. 5.   BGH v. 6.5.2004 – IX ZR 48/03, BGHZ 159, 104; Gerhardt in Henckel/Gerhardt, InsO, 2007, § 61 Rz. 23 ff.; Schoppmeyer in MünchKomm. InsO, 3. Aufl. 2013, § 60 Rz. 44, 46. 15   BGH v. 6.5.2004 – IX ZR 48/03, BGHZ 159, 104. 16  BGH v. 25.9.2008 – IX ZR 235/07, ZIP 2008, 2126 = WM 2008, 2174; Thole in K. Schmidt, InsO, 19. Aufl. 2016, § 61 Rz. 1. 17   Das Gesetz spricht insoweit jeweils von der Begründung von Verbindlichkeiten, aber jeder Geschäftsabschluss bzw. Vertrag begründet auch eine Verbindlichkeit, sei es die Pflicht zur Zahlung von Geld oder zur Erbringung einer Leistung bzw. Lieferung einer Sache. 13 14

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Im Regelverfahren wie in der Eigenverwaltung bedürfen für das Insolvenz­ verfahren bedeutsame Rechtshandlungen der Zustimmung des Gläubigerausschusses, §§ 276, 160 ff. InsO; in beiden Verfahrensarten sind außerdem die Einflussmöglichkeiten der anderen Gesellschaftsorgane (Anteilseignerversammlung, Aufsichtsrat) auf die Geschäftsführung suspendiert (vgl. § 276a InsO für die Eigenverwaltung). 3. Betriebsfortführung Im Regel- wie im Eigenverwaltungsverfahren obliegt die Entscheidung, ob das Unternehmen des Insolvenzschuldners fortgeführt und saniert werden soll, sei es durch Sanierung des insolventen Rechtsträgers, sei es im Wege einer übertragenden Sanierung, oder ob es liquidiert und verwertet werden soll, der Gläubigerversammlung. Vorläufiger Insolvenzverwalter wie auch vorläufiger Eigenverwalter sind daher ebenso wie im eröffneten Verfahren vor dem entsprechenden Beschluss der Gläubigerversammlung im Berichtstermin zur Betriebsfortführung verpflichtet. Im Rahmen der Betriebsfortführung und der damit verbundenen bzw. angestrebten Restrukturierung und Sanierung obliegt dem Insolvenzverwalter bzw. dem Geschäftsleiter des eigenverwaltenden Schuldners die Unternehmensleitung und werden von ihm unternehmerische Entscheidungen getroffen.18 Diese Entscheidungen müssen auf bestmögliche Erhaltung der Masse und Massemehrung (Ausfluss der Pflicht zur Masseverwaltung) ausgerichtet sein,19 und – als Kehrseite – müssen Masseminderungen vermieden werden. Nicht mit den Pflichten eines Insolvenzverwalters vereinbar sind daher nicht nur insolvenzzweckwidrige Maßnahmen, die im Falle der objektiven Evidenz und Erkennbarkeit der Insolvenzzweckwidrigkeit für den Geschäftspartner unwirksam sind,20 sondern auch solche, die zwar mit dem Insolvenzzweck noch vereinbar sein mögen, aber der Pflicht des Insolvenzverwalters, im Interesse der bestmöglichen Befriedigung der Gläubiger das zur Insolvenzmasse gehörende Vermögen zu bewahren und ordnungsgemäß zu verwalten sowie zu verwerten, zuwiderlaufen.21

  Vgl. dazu Berger/Frege/Nicht, NZI 2010, 321 (321).   BGH v. 16.3.2017 – IX ZR 253/15, WM 2017, 776 = ZIP 2017, 779; BGH v. 16.7.2015 – IX ZR 127/14, WM 2015, 1644 = ZIP 2015, 1645; BGH v. 3.3.2016 – IX ZR 119/15, WM  2016, 617 = ZIP 2016, 727; Berger/Frege, ZIP 2008, 204 (208). 20   Vgl. nur BGH v. 25.4.2002 – IX ZR 313/99, BGHZ 150, 353. 21   BGH v. 26.6.2014 – IX ZR 162/13, WM 2014, 1434 = ZIP 2014, 1448; Berger/Frege/ Nicht, NZI 2010, 321 (324). 18 19

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4.  Sorgfalts- und Verschuldensmaßstab Während für den Insolvenzverwalter im Regelverfahren zumindest zeitweilig ein vom ordentlichen Geschäftsleiter im Sinne von § 43 GmbHG, § 93 AktG abweichender Sorgfalts- und Verschuldensmaßstab gelten mag (oben B. I. 2.), gilt dies nicht für den Geschäftsleiter des eigenverwaltenden Schuldners. Er kennt das Unternehmen, dessen finanzielle Situation, die Branche etc. und benötigt daher weder Einarbeitungs- noch Schonzeit. Das gilt auch dann, wenn die Geschäftsleitung mit Blick auf die (angestrebte) Eigenverwaltung neu besetzt wurde. Das Gesetz verlangt auch sonst vom neuen Geschäftsleiter, dass er vom ersten Tag an dem Sorgfaltsmaßstab des ordentlichen und gewissenhaften Geschäftsleiters gerecht wird.

III.  Insolvency Judgement Rule 1.  Geltung der Insolvency Judgement Rule Es stellt sich die Frage, ob diese Sorgfaltspflichten und die an ihre schuldhafte Verletzung anknüpfende Haftung gemäß § 60 Abs. 1 InsO durch die sog. Insolvency Judgement Rule (oder eine Business Judgement Rule für Insolvenzverwalter) relativiert werden, indem ein der gerichtlichen Kontrolle entzogener unternehmerischer Ermessensspielraum begründet wird. Im Aktien- wie im GmbH-Recht liegt eine Pflichtverletzung nicht vor, wenn der Geschäftsleiter eine unternehmerische Entscheidung unter Beachtung der Legalitätspflicht auf der Grundlage angemessener Information zum Wohle der Gesellschaft und in sog. gutem Glauben sowie ohne Eigeninteressen und sachfremde Einflüsse trifft.22 Eine starke, im Vordringen befindliche Auffassung bejaht die Anwendung einer auf die Besonderheiten des Insolvenzverfahrens angepassten Business Judgement Rule, bei der das Handeln zum Wohl der Gesellschaft durch ein Handeln zum Wohl der Insolvenzmasse ersetzt wird.23 Dies wird von einem 22  Dazu ausführlich: Ziemons in Michalski/Heidinger/Leible/J. Schmidt, GmbHG, 3. Aufl. 2017, § 43 Rz. 134 ff.; Ziemons in Ziemons/Binnewies, Handbuch Aktiengesellschaft, Stand Nov. 2016, Rz. I 8.715, je m.w.N. Vgl. auch BGH v. 14.7.2008 – II ZR 202/07,WM 2008, 1688 = ZIP 2008, 1675; BGH v. 3.11.2008 – II ZR 236/07, WM 2009, 26 = ZIP 2009, 223; BGH v. 22.2.2011 – II ZR 146/09, WM 2011, 752 = ZIP 2011, 766; BGH v. 18.6.2013 – II ZR 86/11, BGHZ 197, 304; BGH v. 21.4.1997 – II ZR 175/95, BGHZ 135, 244. 23   Thole in K. Schmidt, InsO, § 60 Rz. 14; Rein in Nerlich/Römermann, InsO, Stand Dez. 2017, § 60 Rz. 79; Weitzmann in HambKomm. InsO, 6. Aufl. 2017, § 60 Rz. 32; Zimmer in Beck/Depré, Praxis der Insolvenz, 3. Aufl. 2017, § 47 Rz. 16; K. Schmidt, AG 2006, 601; Berger/Frege/Nicht, NZI 2010, 321 (323); Berger/Frege, ZIP 2008, 204 (207 ff.); Brinkmann, DB 2012, 1369 (1369 f.); Baumert, DB 2017, 1704 (1704); Leichtle/Theusinger, NZG 2018, 251 252 Erker, ZInsO 2012, 199 (201); Becker, NZI 2017, 436 (437); Adam, VersR

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Teil der Lehre abgelehnt,24 da das dem Insolvenzverwalter im Rahmen der Unternehmensfortführung eingeräumte Ermessen dazu führe, dass es einer Business Judgement Rule nicht bedürfe, und andererseits eine Pflichtverletzung trotz Vorliegens von deren Voraussetzungen zu bejahen sei, wenn die mit dem Insolvenzverfahren verfolgten Ziele außer Acht gelassen würden.25 Der Bundesgerichtshof hat sich hierzu noch nicht geäußert. In mehreren Entscheidungen26 hat der IX. Zivilsenat lediglich ausgesprochen, dass dem Insolvenzverwalter ein Ermessensspielraum zustehe. Dogmatisch ist die Insolvency Judgement Rule in § 60 Abs. 1 Satz 2 InsO angelegt. Der Gesetzgeber wollte bei Schaffung dieser Haftungsnorm dem Vorbild des § 93 AktG folgen.27 Die seit 2006 in § 93 Abs. 1 Satz 2 AktG kodifizierte Business Judgement Rule war auch schon zuvor ein im Rahmen von § 93 Abs. 1 AktG etabliertes Korrektiv,28 das in der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs in der ARAG-Garmenbeck-Entscheidung anerkannt wurde.29 Es ist daher anzunehmen, dass der Gesetzgeber in § 60 Abs. 1 Satz 2 InsO auch eine den Besonderheiten des Insolvenzverfahrens angepasste Business Judgement Rule implementieren wollte. Soweit die eine Insolvency Judgement Rule ablehnende Ansicht meint, dass eine Pflichtverletzung trotz Vorliegens von deren Voraussetzungen zu bejahen sei, wenn die mit dem Insolvenzverfahren verfolgten Ziele außer Acht gelassen würden, verkennt sie, dass zu deren Voraussetzungen gehört, dass der Handelnde bona fide im Interesse der Gesellschaft bzw. im Insolvenzverfahren im Interesse der bestmöglichen und gleichmäßigen Befriedigung der Gläubiger (= Insolvenzzweck) handeln muss. Mithin ist festzuhalten, dass es auch im Insolvenzrecht ein der Business Judgement Rule vergleichbares Instrument gibt und dass eine Pflichtverletzung des Insolvenzverwalters bzw. des Geschäftsleiters des eigenverwaltenden Schuldners nicht vorliegt, wenn der Insolvenzverwalter bzw. der Geschäftsleiter eine unternehmerische Entscheidung unter Beachtung der Legalitätspflicht auf der Grundlage angemessener Information in sog. guten 2012, 1226 (1228); vgl. auch Uhlenbruck, FS K. Schmidt, 2009, S. 1603 (1616 ff.); Undritz, NZI 2007, 65 (71). 24   Brandes/Schoppmeyer in MünchKomm. InsO, 3. Aufl. 2013, § 60 Rz. 90a; Desch/ Stranz in Fridgen/Geiwitz/Göpfert, BeckOK InsO, 10. Ed. 2018, § 60 Rz. 63; Lüke in Kübler/Prütting/Bork, InsO, Stand Febr. 2009, § 60 Rz. 37; Jungmann, NZI 2009, 80 (passim). 25   Brandes/Schoppmeyer in MünchKomm. InsO, 3. Aufl. 2013, § 60 Rz. 90a. Dem zustimmend Desch/Stranz in Fridgen/Geiwitz/Göpfert, BeckOK InsO, 10. Ed. 2018, § 60 Rz. 63. 26   BGH v. 16.3.2017 – IX ZR 253/15 WM 2017, 776 = ZIP 2017, 779; BGH v. 10.1.2013 – IX ZR 172/11, WM 2013, 471 = ZIP 2013, 531; BGH v. 25.4.2002 – IX ZR 313/99, BGHZ 150, 353. 27   BT-Drucks. 12/2443, S. 129. 28   BT-Drucks. 15/5092, S. 11 f. 29   BGH v. 21.4.1997 - II ZR 175/95, BGHZ 135, 244.

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Glauben zum Wohle der Insolvenzmasse unter Beachtung des Insolvenzzwecks sowie ohne Eigeninteressen und sachfremde Einflüsse trifft. 2.  Voraussetzungen einer Insolvency Judgement Rule Diese Haftungsprivilegierung im Rahmen des unternehmerischen Ermessens setzt aber stets voraus, dass das unternehmerische Handeln des Insolvenzverwalters auf einer sorgfältigen Ermittlung der Entscheidungsgrundlagen beruht.30 Dies ist nur dann der Fall, wenn der Insolvenzverwalter in der konkreten Entscheidungssituation alle verfügbaren Informationsquellen tatsächlicher und rechtlicher Art ausschöpft und auf dieser Grundlage die Vor- und Nachteile der bestehenden Handlungsoptionen sorgfältig abschätzt und den erkennbaren Risiken Rechnung trägt; diese für die Geschäftsleiterhaftung aufgestellten Grundsätze31 beanspruchen gleichermaßen für die Haftung gemäß § 60 InsO Geltung. Außerdem muss der Insolvenzverwalter vernünftigerweise annehmen dürfen, zum Wohle der Insolvenzmasse und im Interesse der bestmöglichen und gleichmäßigen Befriedigung der Gläubiger zu handeln. „Vernünftigerweise“ wird vom Bundesgerichtshof und in der Lehre dahingehend verstanden, dass die Beurteilung des (konkreten) Geschäftsleiters im Zeitpunkt der Entscheidungsfindung aus (objektiver) Sicht eines (typisierten) ordentlichen Geschäftsleiters vertretbar erscheinen muss.32 Um das Kriterium „zum Wohle der Insolvenzmasse unter Beachtung des Insolvenzzwecks“ zu erfüllen sind im Rahmen der Betriebsfortführung Ausgaben auf die zur Betriebsfortführung notwendigen Ausgaben zu beschränken bzw. auf solche, die der mit der Betriebsfortführung beabsichtigten Vermehrung der Masse dienen. Da die Legalitätspflicht auch bei unternehmerischen Entscheidungen beachtet werden muss, ist der Anwendungsbereich der Insolvency Judgement Rule nicht eröffnet, wenn als Folge der unternehmerischen Entscheidung die aus § 61 InsO resultierende die Massegläubiger schützende Pflicht verletzt wird. Entsprechendes gilt, wenn dadurch die Rechte von aussonderungsberechtigten oder absonderungsberechtigten Gläubigern beeinträchtigt oder vereitelt werden.   Zum Geschäftsführer: BGH v. 3.11.2008 – II ZR 236/07, ZIP 2009, 223 = WM 2009,

30

26.

31   BGH v. 18.6.2013 – II ZR 86/11, BGHZ 197, 304; BGH v. 14.7.2008 – II ZR 202/07, ZIP 2008, 1675 = WM 2008, 1688; vgl. auch BGH v. 12.10.2016 – 5 StR 134/15, ZIP 2016, 2467 = WM 2017, 24. 32   BGH v. 12.10.2016 – 5 StR 134/15, ZIP 2016, 2467 = WM 2017, 24; Mertens/Cahn in KölnKomm. AktG, 3. Aufl. 2010, § 93 Rz. 23; Spindler in MünchKomm. AktG, 4. Aufl. 2014, § 93 Rz. 59; Krieger/Sailer-Coceani, in K. Schmidt/ Lutter, AktG, 3. Aufl. 2015, § 93 Rz. 18; Hölters in Hölters, AktG, 3. Aufl. 2017, § 93 Rz. 39; Ziemons in Ziemons/Binnewies, Handbuch AG, Stand Nov. 2016, Rz. I 8.727.

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3.  Gerichtliche Überprüfbarkeit unternehmerischer Entscheidungen Liegen die Voraussetzungen der Business Judgement Rule (§ 93 Abs. 1 Satz 2 AktG analog) nicht vor, begründet dies zwar keine Vermutung für ein sorgfaltswidriges Handeln des Geschäftsleiters, indiziert aber ein solches.33 Im Gesellschaftsrecht entspricht es der einhelligen Meinung, dass es dann Sache des Geschäftsleitungsmitglieds sei, darzulegen und zu beweisen, dass es pflichtgemäß gehandelt habe;34 entsprechend müsse dann das Gericht feststellen, dass das Geschäftsleitungsmitglied pflichtgemäß bzw. pflichtwidrig im Sinne von § 93 Abs. 1 AktG bzw. § 43 Abs. 1 GmbHG gehandelt habe.35 Vor dem Hintergrund, dass der Gesetzgeber von einer Umkehr der Beweislast zu Lasten des Insolvenzverwalters abgesehen hat, gilt dies nicht im Rahmen der Haftung gemäß § 60 InsO (oben B. II. 2.). Hier kommt lediglich eine sekundäre Darlegungslast des in Anspruch genommenen Insolvenzverwalters in Betracht. Wenn die Voraussetzungen der Business Judgement Rule nicht vorliegen, ist im Rahmen der Geschäftsleiterhaftung gemäß § 93 AktG bzw. § 43 GmbHG kein Raum für unternehmerisches Ermessen.36 Überträgt man dies auf die Haftung des Insolvenzverwalters für unternehmerische Entscheidungen im Rahmen von § 60 InsO, bedeutet das, dass der einer gerichtlichen Überprüfung entzogene Bereich von Entscheidungen des Insolvenzverwalters deutlich kleiner ist, als dies in den bisherigen Entscheidungen des IX. Zivilsenats37 anklingt, in denen – ohne nähere Einschränkungen – von einem Ermessen des Insolvenzverwalters gesprochen wird. Umso mehr kommt es darauf an, ob die Haftung des Insolvenzverwalters bzw. des Geschäftsleiters des eigenverwaltenden Schuldners durch sein Handeln sanktionierende, d.h. diesem zustimmende, Beschlüsse der Gläubigerorgane oder in der Eigenverwaltung auch des Sachwalters ausgeschlossen wird.

33   Vgl. zum Aktienrecht: Hopt/Roth in Großkomm. AktG, 5. Aufl. 2015, § 93 Rz. 67, 116; Mertens/Cahn in KölnKomm. AktG, 3. Aufl. 2010, § 93 Rz. 15; Krieger/Sailer-Coceani in K. Schmidt/Lutter, AktG, 3. Aufl. 2015, § 93 Rz. 14; Spindler in MünchKomm. AktG, 4. Aufl. 2014, § 93 Rz. 40. 34   Krieger/Sailer-Coceani in K. Schmidt/Lutter, AktG, 3. Aufl. 2015, § 93 Rz. 14; Fleischer in Spindler/Stilz, AktG, 3. Aufl. 2015, § 93 Rz. 65; Spindler in MünchKomm. AktG, 4. Aufl. 2014, § 93 Rz. 40; Ziemons in Michalski, GmbHG, 3. Aufl. 2017, § 43 Rz. 158. 35   Krieger/Sailer-Coceani in K. Schmidt/Lutter, AktG, 3. Aufl. 2015, § 93 Rz. 14; Spindler in MünchKomm. AktG, 4. Aufl. 2014, § 93 Rz. 40; U. H. Schneider in Scholz, GmbHG, 11. Aufl. 2014, § 43 Rz. 60. 36   BGH v. 18.6.2013 – II ZR 86/11, BGHZ 197, 304; BGH v. 14.7.2008 – II ZR 202/07, ZIP 2008, 1675 = WM 2008, 1688; U. H. Schneider in Scholz, GmbHG, 11. Aufl. 2014, § 43 Rz. 60; Habersack, ZHR 177 (2013), 782 (798). 37   BGH v. 16.3.2017 – IX ZR 253/15 WM 2017, 776 = ZIP 2017, 779; BGH v. 10.1.2013 – IX ZR 172/11, WM 2013, 471 = ZIP 2013, 531; BGH v. 25.4.2002 – IX ZR 313/99, BGHZ 150, 353.

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IV.  Ausschluss der Haftung durch Zustimmung der Gläubigerorgane oder des Sachwalters 1.  Enthaftung durch Zustimmung des Sachwalters Zur Vornahme bestimmter Geschäfte bedarf der eigenverwaltende Schuldner der Zustimmung des Sachwalters (oben B. II.). Der Sachwalter ist funktional einem Aufsichtsrat vergleichbar. Und ebensowenig, wie der Vorstand durch die Zustimmung des Aufsichtsrats enthaftet wird, wird der Geschäftsleiter des eigenverwaltenden Schuldners durch die Zustimmung des Sachwalters enthaftet. Vielmehr haftet der Sachwalter ggf. neben dem Geschäftsleiter, §§ 274 Abs. 1, 60 InsO. Nicht geklärt und ersichtlich nicht diskutiert ist die Frage, ob dem Geschäftsleiter ein pflichtwidriges Unterlassen vorgeworfen werden kann, wenn der Sachwalter die Zustimmung zu einer im Rahmen der Betriebsfortführung sinnvollen und zur Massemehrung geeigneten Maßnahme verweigert oder von seinem Widerspruchsrecht Gebrauch macht. Ein Eskalationsmechanismus, wie er in § 111 Abs. 4 Satz 3 bis 5 AktG (Ersetzung der Zustimmung des Aufsichtsrats durch einen Beschluss der Hauptversammlung) vorgesehen ist, fehlt; die sonst bei Fehlverhalten des Sachwalters vorgesehenen gerichtlichen Maßnahmen (Verhängung von Zwangsgeld, Entlassung, §§ 58 Abs. 2, 59 InsO) sind nicht zielführend. Richtigerweise wird man hier ein Verschulden des Geschäftsleiters verneinen, wenn eine an sich gebotene Maßnahme nicht vorgenommen wird, weil der Sachwalter seine Zustimmung verweigert oder ihr widerspricht. 2.  Enthaftung durch Zustimmung der Gläubigerversammlung bzw. des Gläubigerausschusses a) Im Aktienrecht ist der Vorstand enthaftet, wenn seine Handlung auf einem gesetzmäßigen Beschluss der Hauptversammlung, etwa einem Vorlagebeschluss zu einer Geschäftsführungsmaßnahme gemäß § 119 Abs. 2 AktG, beruht. In gleicher Weise ist der Geschäftsführer einer GmbH nicht ersatzpflichtig, wenn er mit Zustimmung oder auf Weisung der Gesellschafterversammlung handelt. Stets tritt die enthaftende Wirkung aber nur ein, wenn die Anteilseignerversammlung über alle entscheidungsrelevanten Umstände richtig, vollständig und umfassend informiert wird.38 Im Insolvenzverfahren 38   BGH v. 15.1.2001 – II ZR 124/99, BGHZ 146, 288; Ziemons in Ziemons/Binnewies, Handbuch Aktiengesellschaft, Stand: Nov. 2016, Rz. I 8.1048; Krieger/Sailer-Coceani in K. Schmidt/Lutter, AktG, 3. Aufl. 2015, § 93 Rz. 63; Fleischer in Spindler/Stilz, AktG, 3. Aufl. 2015, § 93 Rz. 272; Spindler in MünchKomm. AktG, 4. Aufl. 2014, § 93 Rz. 244; Hopt/Roth in Großkomm. AktG, 5. Aufl. 2015, § 93 Rz. 488 f.; Ziemons in Michalski/Heidinger/Leible/J. Schmidt, GmbHG, 3. Aufl. 2017, § 43 Rz. 394; U. H. Schneider in Scholz,

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haben die Gesellschaftsorgane keinerlei Bedeutung für Geschäftsführungsmaßnahmen, vgl. für die Eigenverwaltung § 276a InsO. Eine der Gesellschafter- bzw. Hauptversammlung ähnliche Funktion haben im Insolvenzverfahren die Gläubigerversammlung und der Gläubiger­ ausschuss. Im Berichtstermin entscheidet die Gläubigerversammlung über Betriebsfortführung oder Stilllegung, § 157 InsO. Der Gläubigerausschuss oder, wenn ein solcher nicht existiert, die Gläubigerversammlung muss besonders bedeutsamen Rechtshandlungen des Insolvenzverwalters bzw. des eigenverwaltenden Schuldners zustimmen, § 160 InsO ggf. i.V.m. § 276 InsO. Daher stellt sich die Frage, ob der Insolvenzverwalter bzw. der Geschäftsleiter des eigenverwaltenden Schuldners enthaftet wird, wenn er mit Zustimmung des Gläubigerausschusses bzw. der Gläubigerversammlung handelt. b) In einer zu § 82 KO ergangenen Entscheidung hat der VI. Zivilsenat befunden, dass ein Beschluss der Gläubigerversammlung bzw. des Gläubigerausschusses nur insoweit entlastende Wirkung haben könne, als diese Zustimmung gesetzlich vorgeschrieben sei und als es darum gehe, ob eine vom Insolvenzverwalter vorgeschlagene Maßnahme vertretbar sei. Sofern besondere Umstände (z.B. unzutreffende Information oder überstürzte Veräußerung des Unternehmens an einen Hauptgläubiger) vorliegen, sei eine persönliche Haftung gleichwohl möglich.39 In der Lehre ist das Meinungsbild uneinheitlich. So wird vertreten, dass die Zustimmung des Gläubigerorgans lediglich Indiz für sorgfältiges oder jedenfalls nicht pflichtwidriges Verhalten sei40. Nach anderer Ansicht könne eine Zustimmung nur bei zustimmungspflichtigen Maßnahmen enthaften, nicht aber bei Zustimmungsbeschlüssen, die gesetzlich nicht vorgesehen seien.41 Nach zutreffender Ansicht hat ein zustimmender Beschluss des Gläubigerorgans in Bezug auf Beteiligte, die in diesem vertreten sind (Insolvenzgläubiger und absonderungsberechtigte Gläubiger, sowie – in der Gläubigerversammlung – der Insolvenzschuldner), unabhängig davon, ob der Insolvenzverwal-

GmbHG, 11. Aufl. 2014, § 43 Rz. 125; Paefgen in Ulmer/Habersack/Löbbe, GmbHG, 2. Aufl. 2014, § 43 Rz. 224. 39   BGH v. 22.1.1985 – VI ZR 131/83, ZIP 1985, 423 = WM 1985, 422. 40   Lohmann in Kayser/Thole, InsO, 8. Aufl. 2016, § 60 Rz. 37; Andres in Andres/Leithaus, InsO, 3. Aufl. 2014, §§ 60/61 Rz. 32; Desch/Stranz in Fridgen/Geiwitz/Göpfert, BeckOK InsO, 10. Ed. 2018, § 60 Rz. 62; Gerhardt in Henckel/Gerhardt, InsO, 2007, § 69 Rz. 148. 41   Gerhardt in Henckel/Gerhardt, InsO, 2007, § 61 Rz.  144 f., 147 f.; Rein in Nerlich/ Römermann, InsO, Stand: Dez. 2017, § 60 Rz. 71 f. Enger: Thole in K. Schmidt, InsO, 19. Aufl. 2016, § 60 Rz. 26 (nur bei Beschlüssen des Gläubigerorgans, bei denen diesem die Entscheidung nicht aber lediglich die Zustimmung vorbehalten ist). Abw. Brandes/Schoppmeyer in MünchKomm. InsO, 3. Aufl. 2013, § 60 Rz. 98 ff. Unklar: Baumert in Braun, InsO, 7. Aufl. 2017, § 60 Rz. 22 mit Fn. 86.

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ter zur Einholung der Zustimmung verpflichtet ist oder nicht, enthaftende Wirkung.42 c) Im Gesellschaftsrecht beruht die haftungsausschließende Wirkung eines Anteilseignerbeschlusses nicht nur darauf, dass der Geschäftsleiter zur Ausführung rechtmäßiger Beschlüsse verpflichtet ist, sondern auch auf dem Gedanken, dass die Gesellschaft arglistig handelt (venire contra factum proprium), wenn sie ihre Geschäftsleiter für die (im Übrigen sorgfältige) Ausführung eines von der Anteilseignerversammlung gefassten Beschlusses auf Schadensersatz in Anspruch nimmt.43 Dass die haftungsausschließende Wirkung eines Beschlusses des zuständigen Gläubigerorgans nicht auf der Ausführungspflicht, sondern auf dem Gedanken des venire contra factum proprium beruht, lässt sich auch der BGH-Rechtsprechung44 entnehmen. Dort ging es um Beschlüsse nach §§ 160 ff. Inso (§§ 133 f. KO), zu deren Ausführung der Insolvenzverwalter nach allgemeiner Ansicht nicht verpflichtet ist. Es ist daher davon auszugehen, dass ein einer Geschäftsführungsmaßnahme des Insolvenzverwalters zustimmender und im Übrigen rechtmäßiger (d.h. nicht insolvenzzweckwidriger) Beschluss der Gläubigerversammlung bzw. des Gläubigerausschusses den Insolvenzverwalter im Grundsatz enthaften kann. Voraussetzung hierfür ist, dass das Gläubigerorgan vom Insolvenzverwalter richtig und umfassend informiert wurde, wozu auch die Unterrichtung über etwaige Handlungsalternativen und die finanziellen und wirtschaftlichen Auswirkungen gehört, und die Ausführung des Beschlusses ihrerseits nicht sorgfaltswidrig ist. Die Haftungsbefreiung kann nicht gegenüber Aussonderungsberechtigten und gegenüber Massegläubigern eintreten, da diese weder im Gläubigerausschuss noch in der Gläubigerversammlung repräsentiert sind. Gegenüber dem Insolvenzschuldner tritt sie nur in Bezug auf Beschlüsse der Gläubigerversammlung ein, da dieser dem Gläubigerausschuss nicht angehört. Bei der Eigenverwaltung kommt die letztgenannte Ausnahme nicht zum Zuge, da dem eigenverwaltenden Schuldner der die Grundlage des Beschlusses des Gläubigerausschusses bildende Vorschlag seines Geschäftsleiters zuzurechnen ist.

42   Lüke in Kübler/Prütting/Bork, InsO, Stand Febr. 2009, § 60 Rz. 47; Sinz in Uhlenbruck, InsO, 14. Aufl. 2015, § 60 Rz. 103; Klopp/Kluth/Pechartscheck in Gottwald, Insolvenzrechtshandbuch, 5. Aufl. 2015, § 23 Rz. 13. 43   Fleischer in Spindler/Stilz, AktG, 3. Aufl. 2015, § 93 Rz. 264; Hölters in Hölters, AktG, 3. Aufl. 2017, § 93 Rz. 294; Fleischer in MünchKomm. GmbHG, 2. Aufl. 2016, § 43 Rz. 275; Paefgen in Ulmer/Habersack/Löbbe, GmbHG, 2. Aufl. 2014, § 43 Rz. 214; Zöllner/Noack in Baumbach/Hueck, GmbHG, 21. Aufl. 2017, § 43 Rz. 33; Canaris in ZGR 1978, 207 (209); vgl. auch RG v. 24.4.1900 – VIa 456/99, RGZ 46, 60; BGH v. 18.3.1974 – II ZR 2/72, WM 1974, 412. 44   BGH v. 22.1.1985 – VI ZR 131/83, ZIP 1985, 423 = WM 1985, 422.

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V. Zusammenfassung In der Eigenverwaltung einer als Kapitalgesellschaft verfassten Insolvenzschuldnerin haften deren Geschäftsleiter den Beteiligten analog § 60 InsO. Im Regelverfahren wie in der Eigenverwaltung ist die der Business Judgement Rule nachgebildete Insolvency Judgement Rule anwendbar, wonach eine Pflichtverletzung im Sinne von § 60 InsO nicht vorliegt, wenn der Insolvenzverwalter im Regelverfahren bzw. der Geschäftsleiter des eigenverwaltenden Insolvenzschuldners eine unternehmerische Entscheidung unter Beachtung der Legalitätspflicht auf der Grundlage angemessener Information in sog. guten Glauben zum Wohle der Insolvenzmasse unter Beachtung des Insolvenzzwecks sowie ohne Eigeninteressen und sachfremde Einflüsse trifft. Hierbei können die zur Konkretisierung dieser Merkmale im Gesellschaftsrecht gewonnenen Erkenntnisse entsprechend herangezogen werden. Handelt der Insolvenzverwalter im Regelverfahren oder der Geschäftsleiter in der Eigenverwaltung mit Zustimmung der Gläubigerversammlung oder des Gläubigerausschusses, hat der diesbezügliche zustimmende und im Übrigen rechtmäßige Beschluss grundsätzlich enthaftende Wirkung. Auch insoweit kann zur Bestimmung der Einzelheiten auf die im Kapitalgesellschaftsrecht gewonnenen Erkenntnisse zurückgegriffen werden.

Veröffentlichungen von VRiBGH a.D. Prof. Dr. Alfred Bergmann Dissertation ––

Das Unrecht der Nötigung (§ 240 StGB), Berlin 1983 (Strafrechtliche Abhandlungen, N.F. Bd. 49)

Kommentierungen –– –– –– –– ––

§ 1 UWG (Schutz der Mitbewerber – Konkurrentenbezogene Unlauterkeit), in: Großkommentar zum UWG, 1. Auflage (zusammen mit Brandner) Rowedder/Schmidt-Leithoff, GmbHG, 4. Aufl. 2002 (§§ 15, 34 GmbHG) MünchKomm. InsO, 2. Aufl. 2007/08 (§§ 84, 135, 136, 138; zusammen mit Stodolkowitz) Harte-Bavendamm/Henning-Bodewig, UWG – Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb, 2. Aufl., 2009 (Vorbemerkungen zu §§ 8 ff., § 8 Rdn. 1–85, § 8 Rdn. 239–337) Ebenroth/Boujong/Joost/Strohn, HGB, 4. Aufl., (§§ 110 bis 113)

Abhandlungen –– –– –– –– –– –– –– –– –– –– –– –– ––

Tatbestandsalternativen beim Glücksspiel – BayObLG, NJW 1979, 2258, in: JuS 1983, 668 (zusammen mit D. Meurer) Zur strafrechtlichen Beurteilung von Straßenblockaden als Nötigung (§ 240 StGB) unter Berücksichtigung der jüngsten Rechtsprechung, in: JURA 1985, 457 Zeitliche Geltung und Anwendbarkeit von Steuerstrafvorschriften – Ein Beitrag zur Parteispendenproblematik, in: NJW 1986, 233 Steuerhinterziehung durch verdeckte Parteispenden einer Kapitalgesellschaft – BGH, NJW 1987, 1273, in: JuS 1987, 864 Strafrecht: Ohrfeigen, in: JuS-Lernbogen 7/87 L 53 Gewaltbegriff und Verwerflichkeitsklausel, in: JR 1988, 49 (zusammen mit D. Meurer) Die Grundstruktur des rechtfertigenden Notstandes (§ 34 StGB), in: JuS 1989, 109 Einwilligung und Einverständnis im Strafrecht, in: JuS 1989, L 65 Der Verbotsirrtum und der Irrtum im Bereich der Schuld, in: JuS 1990, L 17 Anfechtungsklage und Registersperre, in: Festschrift für Gerold Bezzenberger, 2000, S. 59 (zusammen mit Brandner) Die Schenkung von Gesellschaftsanteilen, in: Festschrift für Walter Sigle, 2000, S. 327 (zusammen mit Brandner) Zur Zulässigkeit „gesetzeswiederholender“ Unterlassungsanträge, in: Festgabe für Otto Teplitzky, WRP 2000, 842 (zusammen mit Brandner) Zur Zuteilung von Aktienemissionen an Privatanleger, in: Festschrift für Martin Peltzer, 2001, S. 17 (zusammen mit Brandner)

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Veröffentlichungen von VRiBGH a.D. Prof. Dr. Alfred Bergmann Schiedsfähigkeit von Beschlussmängelklagen – Gestaltungsmöglichkeiten in der Satzung (GmbH), RWS-Forum: Gesellschaftsrecht 2001, S. 227 „Im Falle eines Falles“ – Verhalten nach Komplikationen und Behandlungsfehlern, in: Der Arzt und sein Recht (ArztuR), 2001, 74 Zur Reichweite des Erschöpfungsprinzips bei der Online-Übermittlung urheberrechtlich geschützter Werke, in: Festschrift für Willi Erdmann, 2002, S. 17 Beweisprobleme bei rechtsgeschäftlichem Handeln im Internet, in: Gedächtnisschrift für Dieter Meurer, 2002, S. 643 Die Verwaltungsbefugnis des Insolvenzverwalters über einen zur Insolvenzmasse gehörenden GmbH-Geschäftsanteil, in: Insolvenzrecht im Wandel der Zeit, Festschrift für Hans-Peter Kirchhof, 2003, S. 15 (ferner abgedruckt in: ZInsO 2004, 225) Selektive vertikale Vertriebsbindungssysteme im Lichte der kartell- und lauterkeitsrechtlichen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs und des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaften, ZWeR 2004, 28 Das Kennzeichen in der Insolvenz, in: Verschuldung, Haftung, Vollstreckung, Insolvenz, Festschrift für Gerhart Kreft, 2004, S. 207 Die Ware als Marke, in: Neueste Entwicklungen im europäischen und internationalen Immaterialgüterrecht, hrsg. von Baudenbacher/Simon, 2005, S. 231 Die Zulassung der privaten Vervielfältigung, in: Festschrift für Eike Ullmann, 2006, S. 23 Ein Jahrzehnt deutsche Rechtsprechung zum Markengesetz – Entwicklungen und Perspektiven, GRUR 2006, 793 Rechtserhaltende Benutzung von Marken, MarkenR 2009, 1 Zur alternativen und kumulativen Begründung des Unterlassungsantrags, in Festschrift für Klaus-Jürgen Melullis, GRUR 2009, 224 Richtlinienkonforme Auslegung im Unlauterkeitsrecht am Beispiel der Irreführung durch Unterlassen nach § 5a UWG, in: Festschrift für Achim Krämer, 2009, S. 163 Verletzung von Informationspflichten als irreführende Geschäftspraxis nach dem UWG 2008, in: Juristische Studiengesellschaft Karlsruhe, Jahresband, 2010, S. 169 Die aktuelle gesellschaftsrechtliche Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs, in: Gesellschaftsrecht in der Diskussion 2011, Jahrestagung der Gesellschaftsrechtlichen Vereinigung, 2012, S. 1 Die aktuelle gesellschaftsrechtliche Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs, in: Gesellschaftsrecht in der Diskussion 2012, Jahrestagung der Gesellschaftsrechtlichen Vereinigung, 2013, S. 1 Miturheber als Gesellschafter, in: Festschrift für Joachim Bornkamm, 2014, S. 737 Zum Irrtum über die Rechtmäßigkeit aufgrund anwaltlicher Auskunft, in: Festschrift für Klaus Tolksdorf, 2014, S. 11 Die aktuelle gesellschaftsrechtliche Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs, in: Gesellschaftsrecht in der Diskussion 2013, Jahrestagung der Gesellschaftsrechtlichen Vereinigung, 2014, S. 1 „TOOOR!“ – Der Fußballsport in Entscheidungen des Bundesgerichtshofs, in: Festschrift für Wolfgang Schlick, 2015, S. 113 Familien- und erbrechtliche Aspekte in der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs im Gesellschaftsrecht, in: Walter Bayer/Elisabeth Koch (Hrsg.), Personen- und Kapitalgesellschaftsrecht an den Schnittstellen zum Familien- und Erbrecht, 2015, S. 9 Die aktuelle gesellschaftsrechtliche Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs, in: Gesellschaftsrecht in der Diskussion 2014, Jahrestagung der Gesellschaftsrechtlichen Vereinigung, 2015, S. 1 Neuere Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs zum Personengesellschaftsrecht, WM 2018, Sonderbeilage Nr. 1/2018

Veröffentlichungen von VRiBGH a.D. Prof. Dr. Alfred Bergmann

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Urteilsanmerkungen –– –– –– –– –– –– –– –– –– –– –– –– –– –– –– –– –– –– –– –– ––

OLG Hamm, Urteil vom 23. Juni 1982 – 6 Ss 1381/91, in: JR 1983, 295 (Einziehung von Druckschriften trotz Verjährung) BGH, Urteil vom 8. Mai 1989 – II ZR 229/88, in: EWiR § 165 HGB 1/89, S. 695 (zur Treuepflicht des Kommanditisten) OLG Hamburg, Urteil vom 12. Juni 1987 – 1 U 64/80, in: EWiR § 32 KO 1/89, S. 909 (zivilrechtliche Fragen einer Bilanzhilfe) BGH, Urteil vom 19. Februar 1990 – II ZR 268/88, in: EWiR § 30 GmbHG 3/90, S. 479 (zu § 30 GmbHG bei einer Publikumskommanditgesellschaft) BGH, Urteil vom 11. November 1991 – II ZR 44/91, in: EWiR § 23 AGBG 1/92, S. 111 (zur Anwendung des AGBG auf vorformulierten Gesellschaftsvertrag) BGH, Urteil vom 5. Oktober 2000 – I ZR 224/98 – Verbandsklage gegen Vielfachabmahner, EWiR § 1 UWG 6/01, S. 335 (zur gegen einen mehrfach abmahnenden Rechtsanwalt gerichteten Verbandsklage) BGH, Urteil vom 13. Februar 2001 – XI ZR 197/00, in: BGHReport 2001, S. 295 (Unwirksamkeit zu Gunsten einer Bank begründeter formularmäßiger Entgelte) EuGH, Urteil vom 30. März 2006 – C-259/04, in: jurisPR-WettbR 6/2006 Anm. 1 (Schutz einer aus einem Personennamen bestehenden Marke) EuGH, Urteil vom 27. April 2006 – C-145/05, in: jurisPR-WettbR 10/2006 Anm. 1 (Markenrechtliche Verwechslungsgefahr) BVerfG, Beschluss vom 22. August 2006 – 1 BvR 1168/04, in: jurisPR-WettbR 12/2006 Anm. 1 (Vererblichkeit vermögenswerter Bestandteile des postmortalen Rechts am eigenen Bild) BGH, Urteil vom 5. Dezember 2006 – X ZR 76/05 – Simvastatin, in: jurisPR-WettbR 2/2007 Anm. 5 (Patentverletzung nach Ablauf der Schutzdauer) BGH, Urteil vom 1. März 2007 – IX ZR 261/03, WM 2007, 1183, in: WuB IV A § 675 BGB 3.07 (Belehrungspflichten des Anwalts über Handlungsalternativen) BVerfG, Beschluss vom 3. Januar 2007 – 1 BvR 1936/05, in: jurisPR-WettbR 10/2007 Anm. 4 (Verfassungsbeschwerde eines als urheberrechtlicher Störer verurteilten Presseunternehmens) BVerfG, Beschluss vom 21. August 2006 – 1 BvR 2047/03, in: jurisPR-WettbR 7/2007 Anm. 1 (Namensschutz für Pseudonyme bei der Domainregistrierung und allgemeines Persönlichkeitsrecht) BGH, Urteil vom 12. Dezember 2007 – IV ZR 130/06, in: jurisPR-WettbR 5/2008 Anm. 4 (Unlautere Handlungen gegenüber Verbrauchern nach Vertragsschluss) EuGH, Urteil vom 22. November 2007 – C-328/06, in: jurisPR-WettbR 12/2008 Anm. 1 (Löschung einer „notorisch bekannten“ Marke) EuGH, Urteil vom 23. November 2006 – C-315/05, in: jurisPR-WettbR 1/2008 Anm. 4 (Lebensmittelrechtliche Haftung des Vertreibers eines alkoholischen Getränks wegen fehlerhafter Angabe des Alkoholgehalts) BGH, Urteil vom 13. März 2008 – IX ZR 136/07, WM 2008, 1560, in: WuB IV A § 675 BGB 1.09 (Zu den Sorgfaltspflichten eines Rechtsanwalts bei Vorliegen eines eingeschränkten Mandats) EuGH, Urteil vom 10. April 2008 – C-102/07, in: jurisPR-WettbR 1/2009 Anm. 1 (Markenverletzung durch als Dekoration verwendetes Zwei-Streifen-Motiv) BVerfG, Beschluss vom 26. Februar 2008 – 1 BvR 2327/07, in: jurisPR-WettbR 4/2009 Anm. 2 (Versäumnis der rechtzeitigen Einlegung einer Anhörungsrüge) BGH, Urteil vom 18. Dezember 2008 – IX ZR 179/07, WM 2009, 324, in: WuB IV A. § 675 BGB 4.09 (Pflicht des Rechtsanwalts zu Hinweis auf neuere höchstrichterliche Rechtsprechung)

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Veröffentlichungen von VRiBGH a.D. Prof. Dr. Alfred Bergmann BGH, Beschluss vom 11. November 2008 – KvR 17/08, in: jurisPR-WettbR 9/2009 Anm. 3 (zur unbilligen Behinderung eines Franchisenehmers durch Bezugsbindung an den Franchisegeber) EuGH, Urteil vom 16. Juli 2009 – C-385/07, in: jurisPR-WettbR 11/2009 Anm. 1 (Missbrauch einer marktbeherrschenden Stellung durch die „Duales System Deutschland GmbH“) EuGH, Urteil vom 14. September 2010 – C-48/09, in: jurisPR-WettbR 12/2010 Anm. 1 (Markenschutz von technisch bedingten Warenformmarken)

Herausgeber ––

10 Jahre SE – Erreichter Stand – verbleibende Anwendungsfragen – Perspektiven, ZHR Beiheft 77, 2015 (in Gemeinschaft mit Kiem, Mülbert, Verse, Wittig)

Autorenverzeichnis Holger Altmeppen, Dr., Universitätsprofessor an der Universität Passau Gregor Bachmann, Dr., LL.M., Universitätsprofessor an der Humboldt-Universität zu Berlin Walter Bayer, Dr., Universitätsprofessor an der Friedrich-Schiller-Universität Jena Falk Bernau, Dr., Richter am Bundesgerichtshof in Karlsruhe Manfred Born, Richter am Bundesgerichtshof in Karlsruhe Moritz Brinkmann, Dr., LL.M., Universitätsprofessor an der Rheinischen FriedrichWilhelms-Universität Bonn Andreas Cahn, Dr., Universitätsprofessor an der Goethe-Universität Frankfurt am Main Matthias Casper, Dr., Universitätsprofessor an der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster Meinrad Dreher, Dr., LL.M., Universitätsprofessor an der Johannes Gutenberg-Universität Mainz Ingo Drescher, Dr., Vorsitzender Richter am Bundesgerichtshof in Karlsruhe, Honorarprofessor an der Eberhard Karls Universität Tübingen Holger Fleischer, Dr., Dr. h.c., LL.M., Direktor am Max-Planck-Institut für ausländisches und internationales Privatrecht in Hamburg, Affiliate Professor an der Bucerius Law School in Hamburg Barbara Grüneberg, Richterin am Bundesgerichtshof in Karlsruhe Barbara Grunewald, Dr., Universitätsprofessorin an der Universität zu Köln Mathias Habersack, Dr., Universitätsprofessor an der Ludwig-Maximilians-Universität München Stephan Harbarth, Dr., LL.M., Rechtsanwalt in Mannheim, Honorarprofessor an der Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg Heribert Heckschen, Dr., Notar in Dresden, Honorarprofessor an der Technischen Universität Dresden Andreas Heidinger, Dr., Rechtsanwalt, Referatsleiter beim Deutschen Notarinstitut in Würzburg Joachim Hennrichs, Dr., Universitätsprofessor an der Universität zu Köln Martin Henssler, Dr., Universitätsprofessor an der Universität zu Köln Godehard Kayser, Dr., Vorsitzender Richter am Bundesgerichtshof in Karlsruhe, Honorarprofessor an der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster Roger Kiem, Dr., LL.M., Rechtsanwalt in Frankfurt am Main, Honorarprofessor an der Johannes Gutenberg-Universität Mainz Detlef Kleindiek, Dr., Universitätsprofessor an der Universität Bielefeld Michael Kling, Dr., Universitätsprofessor an der Philipps-Universität Marburg Jens Koch, Dr., Universitätsprofessor an der Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn Joachim Kummer, Dr., Rechtsanwalt beim Bundesgerichtshof in Karlsruhe Katja Langenbucher, Dr., Universitätsprofessorin an der Goethe-Universität Frankfurt am Main Dieter Leuering, Dr., Rechtsanwalt in Bonn, Honorarprofessor an der Heinrich-HeineUniversität Düsseldorf Jan Lieder, Dr., LL.M., Universitätsprofessor an der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg Hanno Merkt, Dr., LL.M., Universitätsprofessor an der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg

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Autorenverzeichnis

Peter O. Mülbert, Dr., Universitätsprofessor an der Johannes Gutenberg-Universität Mainz, Direktor des Instituts für deutsches und internationales Recht des Spar-, Giround Kreditwesens an der Universität Mainz Andreas Pentz, Dr., Rechtsanwalt in Mannheim, Honorarprofessor an der Universität Mannheim Markus Roth, Dr., Universitätsprofessor an der Philipps-Universität Marburg Ingo Saenger, Dr., Universitätsprofessor an der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster Volker Sander, Richter am Bundesgerichtshof in Karlsruhe Carsten Schäfer, Dr., Universitätsprofessor an der Universität Mannheim Jessica Schmidt, Dr., LL.M., Universitätsprofessorin an der Universität Bayreuth Karsten Schmidt, Dr., Dr. h.c. mult., Universitätsprofessor an der Bucerius Law School in Hamburg Sven H. Schneider, Dr., LL.M., Rechtsanwalt in Frankfurt am Main Uwe H. Schneider, Dr., Dr. h.c., em. Universitätsprofessor an der Technischen Universität Darmstadt, Direktor des Instituts für deutsches und internationales Recht des Spar-, Giro- und Kreditwesens an der Johannes Gutenberg-Universität Mainz Ulrich Seibert, Dr., Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz in Berlin, Honorarprofessor an der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf Christoph H. Seibt, Dr., LL.M., Rechtsanwalt in Hamburg, Honorarprofessor an der Bucerius Law School in Hamburg Gerald Spindler, Dr., Universitätsprofessor an der Georg-August-Universität Göttingen Lutz Strohn, Dr., Rechtsanwalt, Richter am Bundesgerichtshof a.D., Honorarprofessor an der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf Christoph Teichmann, Dr., Universitätsprofessor an der Julius-Maximilians-Universität Würzburg Rüdiger Veil, Dr., Universitätsprofessor an der Ludwig-Maximilians-Universität München Dirk A. Verse, Dr., M. Jur., Universitätsprofessor an der Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg Eberhard Vetter, Dr., Rechtsanwalt in Köln Jochen Vetter, Dr., Rechtsanwalt in München, Honorarprofessor an der Universität zu Köln Frauke Wedemann, Dr., Universitätsprofessorin an der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster Simon Weiler, Dr., Notar in München Johannes Wertenbruch, Dr., Universitätsprofessor an der Philipps-Universität Marburg Heinz Wöstmann, Richter am Bundesgerichtshof in Karlsruhe Hildegard Ziemons, Dr., Rechtsanwältin beim Bundesgerichtshof in Karlsruhe