Faust trifft Auge: Mythologie und Ästhetik des amerikanischen Boxfilms [1. Aufl.] 9783839401910

Wen trifft der Schlag des Filmboxers? Den wahrnehmenden Körper im Kinosaal! Was die Erschütterungen des Boxfilms dort be

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German Pages 416 Year 2015

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Table of contents :
Inhalt
Einleitung. The Dawn of Man und die Schichtungen der Boxerfigur
Erste Achse: Mythologie des Opferkampfes
I. Rituell-imaginärer Modus und aktuelle Bildverkettung Genre und Gebrauchswert
II. Grenzmarkierungen
1. Einleitender Exkurs zum Randstatus des Boxens
2. Grenzgänger und Grenzüberscheiter: Westerner, Gangster, Boxer
III. Die drei Arten des boxerischen Opferkampfes
1. Berufsopfer
2. Passageritus
3. Totalopfer
Zweite Achse: Attraktion schlagender Körperlichkeit
I. Modus des Zeigens und ästhetischer Schock
II. Frühe Kampffilme
III. Könnens-Körper
IV. Über die wiederkehrenden Elemente des Kampfes
V. Kampfhaltungen
VI. Gewaltsame Überschreitungen
Dritte Achse: Reflexion erschütterten Daseins
I. Reflexiver Modus und virtuelle Bilder
II. Die Aufbruchzeiten der Boxfilmmoderne
1. Rückwendungen: Nostalgie und Typologie
2. Boxerwünsche: Intensive Disjunktionen
III. Dauernde Zwischenzeiten: Körper, Milieu, Glauben
1. Die Dauer des Opferkämpferkörpers
2. Grundlos abgründige Oberflächen: Physis und Milieu
3. Wünschbarkeiten: Kämpferglauben und Wahlfreiheit
Anhang
I. Filmographie
II. Bibliographie
III. Abbildungsverzeichnis
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Faust trifft Auge: Mythologie und Ästhetik des amerikanischen Boxfilms [1. Aufl.]
 9783839401910

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Stephan May Faust trifft Auge

Für Nicola

Stephan May (Dr. phil.) studierte Film- und Fernsehwissenschaften, Kunstgeschichte und Historische Anthropologie, danach Promotion im Graduiertenkolleg »Körper-Inszenierungen« und Lehraufträge an der FU Berlin; derzeit Marketing Management in der Wirtschaft.

Stephan May Faust trifft Auge Mythologie und Ästhetik des amerikanischen Boxfilms

Bibliografische Information der Deutschen Bibliothek Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Angaben sind im Internet über http://dnb.ddb.de abrufbar.

© 2004 transcript Verlag, Bielefeld Umschlaggestaltung: Markus Greter Druck: Majuskel Medienproduktion GmbH, Wetzlar ISBN 3-89942-191-4

Inhalt

Einleitung The Dawn of Man und die Schichtungen der Boxerfigur Uneinholbare Realität: die Boxerphysis Achsenmodell Material Boxerfigur und moderne Erfahrung Resonanzkörper: Affekt, Reflexion, Lesen 11

E r s te A c h s e : M y t ho l o g i e d e s O p f e r k a m p f e s I. Rituell-imaginärer Modus und aktuelle Bildverkettung

Genre und Gebrauchswert Opferkampf Populäre Mythologie: Identifikation im rituell-imaginären Modus 33 II. Grenzmarkierungen 47 1. Einleitender Exkurs zum Randstatus des Boxens

Boxen als Inszenierung aristokratischer Macht Boxen in den USA: Kultivierung des Randstatus 47 2. Grenzgänger und Grenzüberscheiter: Westerner, Gangster, Boxer

Grenzen im Western und im Gangsterfilm Zwei-Grenzen-Ordnung im Boxfilm 57

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III. Die drei Arten des boxerischen Opferkampfes 66 1. Berufsopfer

Energiekanalisierung Heilige Gewalt: Somebody up there likes me, Rocky Wie ein Mann sich macht: Männerselbstproduktion Zusammenfassung Schwerpunkt: Rocky und der Schock Muhammad Ali 69 2. Passageritus

Vatersuche Gangsterimago Schuld und Schulden: Überwindung der Gangsterimago Zusammenfassung Schwerpunkt: Weiblichkeit in Body and Soul 85 3. Totalopfer

Enthebung vom Lebenskampf ins Heilige: City for Conquest Gewaltsame Herstellung der bürgerlichen Kleinfamilie: The Champ Nach dem Vorbild Christi Spaltung in Opferideologen und Opferkörper: On the Waterfront Zusammenfassung Schwerpunkt: Spiegelstadium 1962 in Requiem for a Heavyweight 105

Z w e i t e A c h se : Attraktion schlagender Körperlichkeit I. Modus des Zeigens und ästhetischer Schock

Modernes Boxen: Dynamisierung durch Queensberry Rules Frühes Kino der Boxattraktionen Montage der Boxattraktionen Theorie des ästhetischen Schocks Mythischer Brennpunkt, Sensationsschock, ästhetischer Schock 127

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II. Frühe Kampffilme

Perseus Schmeling und das Optisch-Unbewußte Corbett vs. Courtney und Corbett vs. Fitzsimmons Exkurs zur Hauptattraktion Knockout: Verdichtung und Übersicht Die Aufführungen von The Corbett-Fitzsimmons Fight Das Erbe des frühen Kampffilms 145 III. Könnens-Körper

Exkurs zur Geschichte der boxerischen Körpertechnologisierung Die Attraktionen des Schauspielerkörpers Profane Magie: (Film-)Technik und Boxerkörper 164 IV. Über die wiederkehrenden Elemente des Kampfes

Rituelle Ordnung: die Horizontale und ihre Destruktion Innere Weite: Dunststau der Vertikalen, elektrischer Himmel Anklage gegen das Volk: Publikumsbilder Verschaltungen Pathosformeln 182 V. Kampfhaltungen

Schwere Flüchtigkeit: Body and Soul Körpersprache Erschöpfung: The Set-up, Fat City 202 VI. Gewaltsame Überschreitungen

Vom Boxen zum Bild des Boxens Durchbrochen: Ironie (Fight Club) und Kristalleis (Raging Bull) Masochistische Demonstrationen Sadistische Gesichtszerstörung Batailles Konzept der Überschreitung Was zum Denken zwingt 213

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D r i t te A c h se : R e f l e x i o n e r s c h ü t te r t e n D a s e i n s I. Reflexiver Modus und virtuelle Bilder

Abgründig: das Boxerdasein denken Das Allegorische und die Boxerfigur Filmische Zeit der Erschütterung Produktionsformen: Kino und Theorie Virtualitäten bei Benjamin und Deleuze 241 II. Die Aufbruchzeiten der Boxfilmmoderne 265 1. Rückwendungen: Nostalgie und Typologie

Nostalgie: die Farbe Rot in Rocky und Raging Bull Golden Gloves Decade Unter Druck: Body and Soul Versammlung der Boxertypen: The Set-up Am Ende der Eindeutigkeit 265 2. Boxerwünsche: Intensive Disjunktionen

Was ist Wunschkino? Intensität und kinematographisches «bigger-than-life» Boxergier: Champion 286 III. Dauernde Zwischenzeiten: Körper, Milieu, Glauben 310 1. Die Dauer des Opferkämpferkörpers

Distanzierter Blick in Fat City Das Bild Muhammad Alis Monumentalität in Raging Bull 310

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2. Grundlos abgründige Oberflächen: Physis und Milieu

Quarzeinschluß: Requiem for a Heavyweight Bindekraft: Theorie der Milieuoberfläche Ranziger Impressionismus: Fat City 326 3. Wünschbarkeiten: Kämpferglauben und Wahlfreiheit

Die Frage des Glaubens: Enigma Raging Bull Kasuistik, Apokalytik, Passion bei Scorsese Die Wahl der letzten Freiheit: Hustons Kämpferherzen Schuldig der Nichtwahl: Scorseses Tier Sehen und Freiheit I: Tullys profane Epiphanie Sehen und Freiheit II: La Mottas spirituelle Erlösung 344

Anhang I. Filmographie 375 II. Bibliographie 378 III. Abbildungsverzeichnis 414

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Einleitung The Dawn of Man und die Schichtungen der Boxerfigur Der Prolog von Stanley Kubricks 2001: A Space Odyssey bleibt im Gedächtnis. Er ist mit der anschließenden Weltraumhandlung durch ein aufsehenerregendes Montagemanöver verkoppelt. Ein weitverbreitetes Einführungsbuch in die Betrachtung des bewegten Bildes behauptet, es sei „wahrscheinlich der anspruchsvollste Match Cut der Geschichte“1. Die Behauptung ist doppeldeutig. Ihr Bezugsfeld ist einerseits die Filmgeschichte und andererseits die historische Dimension, die der ,Match Cut‘ herstellt. Unter dem Titel The Dawn of Man wohnen wir zunächst der Auseinandersetzung zweier Horden von Affenmenschen um ein Wasserloch bei. Der Konflikt wird schließlich durch einen frühen Schritt in der Waffenentwicklung entschieden. Im Siegesrausch kommt das frisch erfundene Schlaginstrument Knochen auch innerhalb der Triumphgebärde zur Geltung. Die Kamera konzentriert sich auf einen Affenmenschen, von dem man glaubt, er sei der Erfinder. Dieser Triumphator schleudert seinen Knüppel gegen den Himmel. Das Fallen des sich um die eigene Achse drehenden Gebeins und die Abwärtsbewegung einer länglichen Weltraumstation bilden sodann den berühmten ,Match Cut‘. Ein Schnitt überbrückt Jahrtausende. Er stellt den Zivilisationsprozeß als eine Angelegenheit der Werkzeugentwicklung dar. Kubricks eigentliches Wagnis besteht jedoch weniger darin, den enormen Zeitrum zwischen zwei Bilder zu spannen. Es handelt sich vielmehr um das Unterfangen, die mit dem ,Match Cut‘ gegebene Überschätzung der Werkzeuggenese innerhalb der Menschheitsgeschichte durch die Wendungen der folgenden Odyssee zu konterkarieren.2 1 2

Monaco 1980, S. 205. Der psychotische Computer HAL bremst die Euphorie der KIForschung der sechziger Jahre in ,menschlicher‘ Schwäche aus. Die psychodelische Reise am Ende liefert uns einer unvordenklichen Zeitdimension aus. Aber schon die Ironie der Affenkostüme und die Präsenz des schwarzen Monolithen, der mehr als der Konkurrenzdruck um das lebenswichtige Wasser für die Erfindung der Knochenkeule verantwortlich zu sein scheint, bilden Gegenstücke zur Werkzeuggenese.

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Der Versuch, eine Figur im Universum des Populären aufzusuchen und ihre Areale und Tempi zu erkunden, ist angewiesen auf Impulse, die von einem Außerhalb des engeren Wirkungsfeldes ertragreiche Sichtweisen evozieren: Denkanstöße, die es vermögen, die Terrains und zeitlichen Schichtungen der Figur aufzufächern. Für den Boxer – wie für jede andere Figur des populären Kinos – lassen sich derartige Impulse aus den Kraftfeldern anderer prominenter Leinwandgestalten gewinnen. Auf dieser Ebene interagiert der Faustkämpfer mit dem Gangster und dem Westernhelden, dem Arbeiter und der Prostituierten. Im filmischen Universum stößt man darüber hinaus auf konkrete Momente, die wesentlich abseitiger des Interessezentrums zu liegen scheinen, sich aber aus dieser Entfernung heraus als besonders produktiv erweisen. Im Kontakt mit der noch undifferenzierten Boxerfigur veranlassen diese Momente jene Art von Denkschub, der in der avancierten ästhetischen Theorie der Moderne mit Konzeptionen der Montage verbunden ist. Walter Benjamin begreift Montage als Prinzip der modulierten Unterbrechung. Die „Zäsur in der Denkbewegung“, für die das „dialektische Bild“ steht3, initiiert eine Implosion des Denkens. Sie wird daher – anders als etwa in der filmpraktischen und -theoretischen Arbeit Eisenseins – nicht in der Verkettung nach einem vorgezeichneten dialektischen Gesetz (der filmischen Zeit bzw. der Geschichte) aufgefangen: „Dialektik im Stillstand – das ist die Quintessenz der Methode“4. Gilles Deleuze, der Eisensteins Filmästhetik in diesem Sinne als ein Paradigma des klassischen Kinos verhandelt5, bestimmt derartig unversöhnliche Einschnitte als maßgebliche Verfahren auf allen Bildebenen des modernen Kinos: unschließbare Brüche, die unser Denken herausfordern.6 Montiert man die Boxerfigur im Geiste mit dem erwähnten Prolog aus 2001: A Space Odyssey ergibt sich eine Konstellation, die eine solchen Produktionsschub des Denkens stiften kann. Der ,Match Cut‘ provoziert das Experiment, den Faustkämpfer in die durch ihn gegebene Zeitspanne einzuordnen. Es bleibt beim Modus 3 4 5 6

Benjamin 1991e, S. 595. Benjamin 1991e, S. 1035. Vgl. Deleuze 1990, S. 53ff, 1991, S. 205ff. Vgl. Deleuze 226ff. Barthes (1990, S. 101) kritisiert Eisenstein und Brecht für die universalistischen Ansprüche, die sich in den totalisierenden Bewegungsgesetzen ihrer Arbeiten äußern.

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EINLEITUNG

des Experimentellen, denn die Boxerfigur läßt sich ohne weiteres weder innerhalb der Spanne noch in einer einzigen Relation zu ihrer Bauart fixieren. Immer andere Vergangenheitsschichten – ihre mythischen und ästhetischen Phantome – tauchen in dieser Konstellation auf. In die Vorgeschichte, noch vor die Knochenkeule, drängt der boxerische Verzicht auf die in der Menschheitsgeschichte gewonnene Distanz zum Gegner.7 In die Ära analytischer Körpertechnologisierung führen die spezialisierten Techniken des Kämpfens. Der selbstgewählte Kampf läßt an den antiken Agon freier Bürger ebenso wie an die amerikanische Freiheitsideologie denken. Die Ausbeutungsmotive des professionellen Pugilismus rufen das Gladiatorentum und gleichzeitig den Klassenkonflikt der industriellen Epoche ins Gedächtnis. Die symbolischen Ritualhandlungen verweisen uns auf die Entstehungszeit des neuzeitlichen Boxens im aristokratischen England des achtzehnten Jahrhunderts, wo der Faustkampf das Duell mit dem Degen in der Funktion des Ehrenhändels vorübergehend verdrängt.8 Die kapitalistischen Strategien, mit denen die Athleten vermarktet werden, versetzen uns indessen in die Gegenwart der Massenmedien. Das Boxen ist eine Variante der vielfach strapazierten Duellsituationen des amerikanischen Kinos. Hier wird mit ,Ehre‘ und ,Heldentum‘ als den Versatzstücken einer populären Mythologie jongliert. Das Boxen und seine medialen Reproduktionen forcieren Nostalgie und gleichzeitig eine Beschleunigung intensiver Stimuli, die mit der Reizproduktion des zwanzigsten und, wie es sich momentan darstellt, auch des einundzwanzigsten Jahrhunderts Schritt halten kann. Die Kampfabende bieten eine rituelle Gewalt, die uns unter der Herrschaft des Gewaltmonopols moderner Staatlichkeit rar geworden ist. Aber sie offerieren die Gewaltriten als ein auf seine mediale Verwertung ausgerichtetes Showspektakel, das in den heutigen Bildprogrammen willkürlich neben der Attraktion einer

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Überheblich, aber dennoch bedenkenswert, bezeichnet Peter Sloterdijk (1993) den modernen Action-Film als eine permanente Erinnerung an die große Leistung des Menschen, mit den Techniken des Werfens und Schießens Distanz in die Auseinandersetzung mit dem feindlichen Objekt einzuführen. Das Boxen ist nicht die Verneinung dieser Erinnerung, sondern diejenige der Waffen. Vgl. Schöffler 1986, S. 30ff.

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Raumstation oder derjenigen von Steinzeitmenschen erscheinen kann. Uneinholbare Realität: die Boxerphysis Diese zeitliche Schichtung macht den Boxer zu einer extraordinären Erfahrungsfigur der Moderne. Die Schichten sind die uneinheitlichen Plattformen, von denen aus uns die physischen Existenzweisen des Boxers entgegenschlagen. Ihrem Publikum eröffnen die Faustkampffiguren die Grenzerfahrung des sich dem Zugriff entziehenden Körpers. Während die Erschütterungen der Schläge eine Versicherung des eigenen Empfindens versprechen, die der Moderne andern Orts fremd zu sein scheint, bleibt etwas vom Schmerz im Blick des Zuschauers stumm zurück. Die Techniken der Gewalt stoßen zu frontal auf diejenigen des Umsorgens in den Rundenpausen. In Haltungen und Posen erfinden die Boxer sich selbst in den Augen der anderen, um sich im Symbolkosmos männlicher Aktion zu exponieren. Gleichzeitig jedoch verschiebt sich die Grenze der Handlungsfähigkeit an den Einfassungen von Sieg und Niederlage: Noch in den Momenten, in denen ein Kämpfer den anderen in seine Gewalt bringt, entgleitet uns beider Körperlichkeit in der zerklüfteten Fluchtlinie des Knockouts. Der Kampf verdichtet die Zeitlichkeit des schwitzenden, blutenden Fleisches und damit zugleich existentielle Lebensprobleme. Die Fragen des Verschleißes und des Alterns, die Anwesenheit von Kontrollverlust und Tod, dringen jenseits der Fäuste unheilbar in den Betrachter ein. Derart zeugt die Boxerfigur von dem, was an der Realität des Körpers uneinholbar ist. Es handelt sich um eine Realitätsdimension, die selbst virtuell bleibt und daher ständig auf Aktualisierungen (in rituell geteilten Mythen, fachmännischen Feststellungen, Gefühlen und Imagos) drängt, ohne jemals in ihnen aufzugehen. Der Körper bildet Medium und Bedingung unserer Erfahrung. Aber Körper und Erfahrung sind unserer Verfügung nicht gegeben. Stets bleibt ein unvordenkliches Residuum. Immer verharrt ein differentieller, aber undifferenzierter Rest jenseits unserer Horizonte und fordert von dort zur Bild- und Gedankenproduktion heraus. Auf die Dimension des Physischen, die hartnäckig außerhalb unseres Denkens liegt, geht die Konjunktur der Körpertheorie in den letzten Dekaden wesentlich zurück. Der Konjunkturantrieb besteht also nicht darin,

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EINLEITUNG

sich jener süßlich-utopischen Verirrung einer unverbrauchten Ressource des Spürens und Empfindens zu ergeben, auf deren Falschheit Max Horkheimer und Theodor W. Adorno nachdrücklich hingewiesen haben.9 Das physische Außen unseres Denkens ist keine natürliche Gegebenheit, die unabhängig von geschichtlicher Zeit existiert. Vielmehr konstituiert es sich in der historischen Dialektik von Zugriff und Entzug. Das ist die Bilanz, die Dietmar Kamper, einer der deutschen Pioniere der Körpertheorie, für das moderne Verhältnis zum Physischen zieht. Der Körper ist gleichermaßen Ort und Gedankenfigur sowohl grenzenloser Unterwerfung als auch renitenter Unverfügbarkeit. Je widerspenstiger sich die Zonen des Physischen erweisen, desto eifriger suchen die intelligenten Technologien der Macht nach Zugriffsmöglichkeiten. Aber je nützlicher sich diese Technologien und ihre Machtinteressen den Körper auch zurichten wollen, desto nachdrücklicher durchkreuzt das Körperreale ihre Wunschimagos. Damit ist kein Perpetuum mobile des Katastrophenausgleichs benannt, sondern lediglich der Punkt, an dem eine Reflexion auf eine moderne Körperlichkeit, ihre Katastrophen und Potentialitäten, einzusetzen hat.10 Wenn das Interesse im folgenden dem Körper der Boxerfigur gilt, dann in erster Linie unter der Kondition kinematographischer Zweidimensionalität. Jedes Körperbild des Boxfilms konstituiert sich mitsamt seinem besonderen Außen. Die aktuelle Konstruktion der Physis grenzt andere Konzeptionen des Boxerkörpers (und auch anderer Figuren) aus. Die Kadrierung ist Metapher und buchstäbliche Technik dieser Ausgrenzung. Gleichzeitig konstituiert sich das Körperbild in einem bestimmten Bezug auf sein Außen, über den es selbst bestimmbar wird. Montage und Mise-en-scène modulieren die ästhetischen Verfahren, welche die aktuelle Körperlichkeit in einer spezifischen Relation zur Virtualität der Boxerfigur formieren. Die Bandbreite der Relationen reicht von der Anerkennung bis zur mehr oder weniger subtilen Verdrängung der virtuellen Dimension. Auf Augenhöhe mit der theoretischen Erkenntnis in die Unverfügbarkeit des Physischen befindet sich das Körperbild, wenn es sein Außen 9 10

Vgl. Horkheimer / Adorno 1969, S. 209: „Der Körper ist nicht wieder zurückzuverwandeln in den Leib. Er bleibt die Leiche, auch wenn er noch so sehr ertüchtigt wird.“ Vgl. Kamper 1997, S. 407ff.

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mit den Mitteln ästhetischer Reflexion in dessen kategorialer Fremdheit anerkennt: ein absolutes Außen, das sich dem Sehen und dem Denken entgegenstellt, und dem sich Sehen und Denken im Gegenzug zu stellen hätten. Der Verdrängungsmechanismus, der dazu im Gegensatz steht, kann insofern subtil sein, als er stillschweigend voraussetzt, daß das Außen des Bildes nach ähnlichen Prinzipien funktioniert wie die aktuelle Bildstruktur: eine Verlängerung des Sichtbaren in ein relatives Außen, das unserem Blick im Moment entgeht, ihm aber jederzeit mit der Leichtigkeit einer Kamera- oder Schnittbewegung zufallen könnte.11 Kampers Diagnose der massenmedialen Bildproduktion läuft darauf hinaus, daß die Flut der Körperimagos das widerspenstige Körperreale flächendeckend leugnet. Der Körper wird zur Obsession eines entfesselten Imaginären, das letztlich der Fessel seines dominanten Phantasmas erliegt, alles möglich machen zu können.12 Das Mißtrauen gegenüber der Bildproduktion schlägt dabei in eine Kontaktsperre um. Kamper stellt sich darin in die Tradition der Dialektik der Aufklärung, daß populäre Bilder zu meiden sind.13 Die folgenden Analysen des Boxfilms suchen dagegen den ausführlichen Kontakt mit der ästhetischen Produktion des Films. Ihr Projekt ist es, die Bildbetrachtung, selbst dort, wo die Verdrängung des Außens jede Subtilität vermissen läßt, nicht im Rundumschlag einer generalisierenden Kritik verenden zu lassen. Indem sich die radikale Ablehnung Berührungen mit der populären Produktion versagt, bringt sie sich auch um die Gelegenheit – freilich eine mit dem Risiko der Selbsttäuschung beladene –, Bilder umzuformen. Bedeutsamer noch ist ihr Versäumnis, nach den Relationen zu einer uneinholbaren Realität des Körperbildes innerhalb der Filmwahrnehmung selbst zu fahnden. Denn diese Realitätsdimension ist das Potential der Umformung. Keines von beidem soll im folgenden wiederholt werden. Statt dessen bildet dieser Antagonismus die Grundlage der Analyse: Einerseits gewinnt das Kino 11 12

13

Vgl. Deleuze (1991, S. 300) zum hors-champ und seinen Grenzen. In kritischer Anlehnung an die Machbarkeitsutopien, die mit den elektronischen Medien verbunden sind, steht der Begriff des Virtuellen bei Kamper für die Illusion eines unbegrenzt Möglichen. Ich stütze mich dagegen auf Deleuze’ Virtualitätsbegriff, der vom Möglichen streng unterschieden ist. Die Begegnung mit dem Virtuellen ist eher Ohnmachts- als Allmachtserfahrung. Vgl. dritte Achse: I. Reflexiver Modus und virtuelle Bilder. Vgl. Kamper 1999, S. 23.

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EINLEITUNG

seine Bilder im Bezug auf unsere gewohnten Wahrnehmungen, Vorstellungen und Wunschbilder menschlicher Physis – der Welt überhaupt. Andererseits bringt es jedoch Verfahren hervor, die das Körperbild im Bruch mit dem Vertrauten – mit der Vertrauensbildung als solcher – neu erfinden. Es produziert fremde Körperlichkeiten, indem es die bekannten Bilder in Frage stellt. In seinen großen Momenten offeriert uns der Boxfilm nicht nur Zerstückelungen von Bewegungsabläufen, Variationen der Leidens- und Kampfhaltungen, Unzerstörbarkeit des deformierten Fleischmaterials, Zeitlupenblut oder surreale Landschaften der Haut, sondern gibt anhand ihrer reflexiven Modulation die ästhetische Realität der Filmboxerphysis als ein virtuelles Bild zu denken: als ein fernes und fremdes Außen. Achsenmodell Die Frage nach dem filmischen Boxerkörper differenziert sich in der vorliegenden Untersuchung entlang dieser drei Achsen: erstens des mythologischen Kontextes, zweitens des Spektakulären und drittens der ästhetischen Reflexion. Die Achsen lassen sich als Bildarten verstehen, insofern sich das Bild erst im Betrachter konstituiert – eine Vorstellung, die einem Begriff wie Filmerfahrung bereits inhärent ist. In der Filmerfahrung gibt es die Achsen nicht in reiner Form.14 Etwas von allen drei Achsen existiert in jeder Boxerkörperinszenierung. Die Beziehungen der Achsen sind somit dynamisch angelegt. Im Filmereignis stehen sie in energetischem Austausch miteinander, so daß verschiedene Konstellationen entstehen. Auch überlagern sie sich, was zu Mischformen führen kann. Aber es gibt Vorherrschaften, an denen sich das Achsenmodell orientiert. Seine Umsetzung will demnach sowohl der Komplexität des Filmeindrucks als auch den Ansprüchen analytischer Differenzierung gerecht werden. Die drei Teile dieser Arbeit bewegen sich jeweils an einer der drei Achsen entlang, ohne die Unreinheiten der Bilderfahrung zu liquidieren. Der jeweilige Achsenentwurf steht immer schon unter dem Einfluß der anderen Achsen. Jedem der drei Achsenkapitel sind einige Überlegungen vorangestellt, die den Erfahrungswert der entsprechen14

Zur Konzeption sich konkret überlagernder, aber dennoch analytisch separierter Bildarten vgl. Deleuze 1990, S. 102.

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den Körperbildart theoretisch grundieren. Die maßgeblichen Orientierungsmarken dieser Grundierung bilden die Zeitlichkeit der entsprechenden Bildart und der Modus, auf dessen Basis sich das Bild unserer Mimesis empfiehlt. Auf der ersten Achse genügt sich das Boxerbild in den aktuellen Verkettungen – d. h. in der imaginären Vergegenwärtigung – seiner populären Mythologie. Der historisch anthropologische Rekurs auf verschiedene Theorien des Rituellen (vor allem Karl Meulis, René Girards, Walter Burkerts und Emile Durkheims) dient zum einen dazu, die für die filmische Boxmythologie zentrale Kategorie des Opfers bzw. des Opferkampfes anthropologisch zu unterfüttern. Die Unterfütterung läßt sich über die am Ritual orientierte Genretheorie (Thomas Schatz) an das filmwissenschaftliche Feld anschließen. Zum anderen zeigt sich der entsprechende Bildmodus durch diesen Rekurs als rituell-imaginärer bestimmbar. Zunächst werden die Grenzmarkierungen der Boxerfigur ausgelotet und anschließend drei Arten von Opferkämpfen (Berufsopfer, Passageritus und Totalopfer) unterschieden, für welche die gleichen Prinzipien der Durchdringung und Überlagerung wie für das Achsenmodell gelten. Auf der zweiten Achse verdichtet sich die Gegenwart des Boxerbildes zur spektakulären Attraktion. Die einleitende Diskussion des Attraktionsbegriffs stützt sich auf die filmwissenschaftliche Debatte (Sergej M. Eisenstein, Tom Gunning) sowie auf Benjamins Theorie moderner ,Chocksignatur‘ und die sich darauf beziehenden literaturwissenschaftlichen Beiträge zum Plötzlichen (Karl Heinz Bohrer). Wir werden zunächst sehen, inwiefern der Boxspielfilm das Erbe des frühen Kampffilms (Fight Film) antritt und seine Attraktionen im Modus des Zeigens anbietet. Weiterhin steht die Konstruktion von Könnens-Körpern in den Trainingsszenen zur Debatte und mit ihr die Differenz von Boxerphysis und Schauspielerkörper. Der Schwerpunkt liegt jedoch auf den Erschütterungen der Boxsequenzen und den Elementen, aus denen sich der filmische Boxkampf zusammensetzt. Zu klären bleibt, inwieweit diese Körperspektakel die Ankündigungen der Opferkampfmythologie erfüllen, über sie hinausgehen oder gar mit ihnen brechen. Den Bruchformen sind die letzten beiden Kapitel des zweiten Teils gewidmet, die sich mit den ästhetisch reflexiven Konstellationen der Boxerhaltungen und der gewaltsamen Überschreitungen beschäftigen.

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EINLEITUNG

Die dritte Achse führt zu einer für die Boxerfigur spezifischen Abgründigkeit ihrer Zeichen. Abgründig wird das Körperbild, wenn es sich in die virtuellen Dimensionen koexistierender Vergangenheiten und Zukünfte aufspaltet und diese Spalten nicht mehr mythisch versiegelt. Die Theorie dieser achronologischen Zeitserien wird auf der Basis von Deleuze und Benjamins Virtualitätskonzeptionen erstellt. Sie erläutert das Produktionspotential des ästhetischreflexiven Modus, der die Rede von einem modernen Boxkino erst legitimiert. Die Filmanalyse betrifft zunächst die besonderen nostalgischen und typologischen Rückwendungen des Boxfilms auf seine eigene Geschichte und Mythologie. Auch die Wunschbewegung des Boxers und ihre Disjunktionen stehen zur Debatte. Anschließend gilt das Interesse den ästhetisch-reflexiven Verfahren, welche die drei großen Themen des modernen Boxfilms gleichzeitig zum Ausdruck bringen und in Frage stellen: Körper, Milieu und Glauben. Zur Diskussion stehen hier diejenigen Körperbilder, welche die Formationen des Boxfilms und seiner populären Sphäre reflektieren und damit lesbar machen. Material Die autorenorientiere Filmwissenschaft hat sich mit den einzelnen Arbeiten der bekannteren Schauspieler und Regisseure der entsprechenden Faustkämpferdramen in beträchtlichem Umfang beschäftigt. Aber als zusammenhängendes Feld oder gar Genre wird der Boxfilm trotz seines immensen Erkenntniswerts für die mythologische und ästhetische Untersuchung des amerikanischen Kinos eher vernachlässigt. Zwar liegen diverse Essays, Aufsätze oder Buchkapitel zu allgemeinen Problemen und Spezialfragen vor.15 Detaillierte Vergleichs- und Klassifikationsoperationen, insbesondere was die verschiedenen Körperbilder des Boxers betrifft, fehlen bisher jedoch. Neben den filmästhetischen und -geschichtlichen Zusammenhängen situieren sich die hier angestellten Analysen bisweilen explizit im Bezugsfeld des professionellen Boxsports, obwohl die aus15

Vgl. z. B. die Aufsätze von Cook 1982, Ardolino 1989, Recchia 1990, 1993, 1995, Büttner / Dewald 1992, Grindon 1996, Baker 1997 und die Buchkapitel in Bergan 1982, Conway 1999. Die Thesen dieser Autoren werden später in den entsprechenden Passagen diskutiert.

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gewählten Spielfilmproduktionen die Präsenz des spezialisierten Athletenkörpers in der Regel durch einen ihn darstellenden Schauspieler ersetzen. Den Beanstandungen seitens der Sportkundigen, diese Spielfilminszenierungen verstünden im Generellen nichts von ihrem Gegenstand, stehen ebenso viele Beteuerungen seitens der Filmschaffenden gegenüber, sich ausführlich mit dem professionellen Faustkampf auseinandergesetzt zu haben. Die anschließenden Überlegungen erwachsen aus der Erkenntnis, daß die produktivste Form der Vermittlung darin besteht, beide Seiten im Rahmen einer Mimesistheorie ernst zu nehmen: die filmischen Welten werden im schöpferischen Bezug auf andere Welten erschaffen.16 Als mimetische ist die Beziehung von Spielfilmkino und Boxen weder praktisch noch im theoretischen Nachvollzug dem Dogma des Gleichtakts überantwortet. Vielmehr sehen wir auf ein Feld der Ähnlichkeitsproduktion, das keineswegs einseitig perspektiviert ist, denkt man etwa an die ,filmreifen‘ Inszenierungen des sportlichen Showgeschäfts. Die Produkte dieses Feldes erlauben sich durchaus Freiheiten und Streifzüge ins Neuland, Verfälschungen und Strategien des Fälschens. Dabei müssen sich die Affinitäten zwischen Boxen und Film oder zwischen den verschiedenen Filmen kaum allein an der Oberfläche zeigen, insofern man die Möglichkeit struktureller Ähnlichkeiten im Feld der Mimesis in Betracht zieht. Erst vor diesem umfassenden Verständnis mimetischer Produktion werden schließlich auch offensive Absetzungen und fundamentale Differenzen bestimmen sowie die Ränder des Mimetischen erkennbar. Der mimetische Ansatz öffnet somit den analytischen Blick gegenüber der Geschichte des Boxens, der sportlichen und geschäftlichen Praxis, der Mythologie und Ästhetik. Insbesondere die öffentliche Person und das Bild des audiovisuell am besten dokumentierten Athleten – Muhammad Ali – dienen mir als wichtige Bezugspunkte der Spielfilmanalyse. Ohnehin spielt der professionelle Faustkampf, gerade aufgrund seines Randstatus als Gewaltsport bzw. dessen Kultivierung, in der Öffentlichkeit der Vereinigten Staaten eine wesentlich größere Rolle als in Europa (mit Ausnahme von vielleicht Großbritannien). Daher kann hier – beizeiten im Medium des Exkurses – auf ein breites Thesenspektrum zurück-

16

Zum Konzept des Mimentischen vgl. Gebauer / Wulf 1988a, S. 7.

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EINLEITUNG

gegriffen werden.17 Festzuhalten bleibt aber, daß die einzelnen Kinoproduktionen sich die Fragmente der Boxgeschichte nach ihren eigenen ästhetischen, technischen und geschäftlichen Maßstäben einverleiben.18 Dabei zeigen sie nur selten tiefgreifendes Engagement gegenüber den engeren oder weiteren Perspektiven der Boxfanatiker oder der Sportgeschichtsschreibung. An der Herausforderung der Boxerphysis hat die Kinematographie bereits in ihren frühesten Formen Anteil. Der Auftritt dieses Körpers in den Kampffilmen der ersten Kinodekade leitet eine bis heute währende Beziehung von professionellem Faustkampf und bewegtem Bild ein.19 Diese Beziehung bringt neben der Sportberichterstattung in Wochenschauen und später im Fernsehen, zahlreiche dokumentarische, essayistische und experimentelle Produktionen hervor. Darüber hinaus ist Boxen diejenige Sportart, der sich das fiktionale Kino häufiger als jeder anderen zuwendet.20 Obgleich aus anderen Filmnationen bemerkenswerte Beiträge zum Boxfilm zu verzeichnen sind21, handelt es sich vor allem um ein US-amerikanisches Phänomen. Die Konjunkturphasen des Faustkämpferdramas liegen in der Zeit des Tonfilms.22 Die vorliegende Untersuchung legt daher die Schwerpunkte auf die amerikanischen Produktionen seit den dreißiger Jahren. Die nähere Auswahl begründet sich zum Teil durch die mythologische und ästhetische Wirksamkeit. Das bedeutet eine weitgehende Beschränkung auf Filme, die wie Body and Soul, The Set up, Fat City, Rocky oder Raging Bull einen prägenden Einfluß auf nachfolgende Produktionen oder einen nachhaltigen Eindruck im filmhistorischen Gedächtnis hinterlassen haben. Zwingender jedoch wirken sich die Notwendigkeiten des Ana17

18 19 20 21 22

Vgl. etwa Oates 1988, Gorn 1986, Sammons 1988, Early 1994, 1999. Um den deutschen Diskurs des Boxens hat sich Junghanns (1995, 1997a, 1997b, 2001) besonders verdient gemacht. Luckas (2001a) hat kürzlich eine umfassende Betrachtung der Boxerfiguren in der Literatur vorgelegt. Vgl. Büttner / Dewald 1992, S. 217. Zu den frühen Kampffilmen vgl. Musser 1990, Streible 1994. Vgl. Zucker und Babich 1987. Z. B. Luchino Viscontis Rocco e i suoi Fratelli (Italien / Frankreich 1960) oder Takeshi Kitanos Kidzu Ritan (Japan 1996). Zucker / Babich (1987) und Grindon (1996) formulieren diesen Befund explizit. Der Rest der Forschung stimmt zumindest implizit in Filmauswahl und Ausrichtung des Erkenntnisinteresses mit ihm überein.

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lysekonzepts auf die Filmauswahl aus: Die anfänglichen Sondierungen des Untersuchungsfeldes führen zu einer Skizze des Achsenmodells, auf deren Grundlage sich die Selektion der Filme vorantreiben läßt, was wiederum die Konturen des Achsenkonzepts verschärft usw.23 Boxerfigur und moderne Erfahrung Mit Deleuze und Benjamin sind die Hauptlieferanten für das theoretische Fundament des Achsenmodells bereits benannt. Benjamins Diagnose der Moderne basiert auf einem Denken der Zeitlichkeit, die unserer Wahrnehmung durch die zunehmende Ballung von Industrie und Massen aufgezwungen wird. Angesichts der Serien von abrupten und intensiven Stimuli, der die Bewohner der großen Städte ausgesetzt sind, entwickelt er den Begriff des „Chocks“.24 Die Schockserien durchschlagen die traditionellen Erfahrungszusammenhänge, bringen sie in ihrer Verdoppelung und Beschleunigung zum Schwinden.25 Die Anpassung des menschlichen Reizschutzes an die verschärften Wahrnehmungsverhältnisse besteht nicht in einfacher Abstumpfung. Um der Gefahr einer permanenten Traumatisierung vorzubeugen, entwickelt sich das Bewußtsein – also jene psychische Instanz, die der Außenwelt am direktesten zugewandt ist – zum Schutzschild. Das Bewußtsein trainiert sich in der Gewöhnung des Alltags darauf, schnellstmöglich auf die Schocks zu reagieren, sie zu parieren. Damit schützt es tiefer liegende Schichten des Organismus vor den intensiven Stimuli.26 In der Folge konstatiert Benjamin nicht ohne Ironie: „Vielleicht kann man die eigentümliche Leistung der Chockabwehr zuletzt darin sehen: dem Vorfall auf Kosten der Integrität seines Inhalts eine 23

24 25

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Die tautologische Tendenz ist mir durchaus bewußt, weshalb das Modell – in diesem Punkt einigen Ansätzen der Genretheorie nicht unähnlich (etwa Altmans Arbeit zum Musical von 1987, vgl. dazu Schweinitz 1994) – einen lediglich relativen und nicht etwa absoluten Anspruch auf Vollständigkeit hat. Benjamin 1991, 1991a. Die Philosophie Paul Virilios (vgl. 1980, 1986, 1992, 1994) zentriert sich um das Problem der modernen Beschleunigung. Die Suche nach neuen (ästhetischen) Erfahrungsformen, die für Benjamin die Kehrseite dieses Problems bildet, steht dabei hinter der Emphase des Verschwindens und Schwindens zurück. Vgl. Benjamin 1991, S. 612, vgl. auch gl. Freud 1975, S. 235.

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exakte Zeitstelle im Bewußtsein anzuweisen. Das wäre eine Spitzenleistung der Reflexion. Sie würde den Vorfall zu einem Erlebnis machen.“27 Diese reduzierte Reflexion verbucht die Wahrnehmungsschocks in ebenso übersichtlichen wie oberflächlichen Registraturen. Zwar ist es die Leistung solcher Registraturen, die Unmenge der disparaten und intensivierten Reize (Signale und Gefahren des Verkehrs, Nachrichtenschwämme, Bilderflut, Reklame, Warenaustellung) zu ordnen und sich auch in ihnen intellektuell zurechtzufinden. Gleichzeitig werden sie dadurch jedoch von einer weitergehenden Reflexion innerhalb der gelebten Erfahrungsstruktur abgeschirmt.28 Bekanntlich konstruiert Benjamin seinen Standpunkt gegenüber den modernen Wahrnehmungssignaturen und ihrer Erfahrungsproblematik in einer ambivalenten Einstellung. Einerseits warnt er vor dem Verfall traditioneller Erfahrung. Denn die Vorherrschaft des Erlebnisses stellt die, wie es Miriam Bratu-Hansen formuliert, „Fähigkeit, Wahrnehmung mit Erinnern und Reflexion zu verbinden, Zusammenhänge zu sehen und zu fühlen“, fundamental in Frage, und dies angesichts der enorm beschleunigten Technikentwicklung und der sich ankündigenden Gefahr industrieller Massenvernichtung.29 Andererseits findet man emphatische Begrüßungen der Er27 28

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Benjamin 1991, S. 615 (Hervorh. meiners.). Thiessen hebt die in der Schockabwehr begründete Möglichkeit einer späteren Bearbeitung des vom Bewußtsein registrierten Ereignisses hervor: die nachträgliche Integration in den kollektiven Erfahrungszusammenhang. Vgl. 1997, S. 10ff u. 120ff. Die Verkümmerung der Erfahrung wird im übrigen befördert durch die moderne Informationspolitik, die Verdrängung der traditionellen Erzählung seitens der journalistischen Information. Letztere bereitet die beschleunigte und vergrößerte Menge der Ereignisse so auf, daß sie schnellstmöglich wahrgenommen werden können, sich jedoch gerade deshalb nicht in der Erfahrung niederschlagen: Ihre Grundsätze sind „Neuigkeit, Kürze, Verständlichkeit und vor allem Zusammenhangslosigkeit der einzelnen Nachrichten untereinander“. Benjamin 1991, S. 610-611, vgl. auch 1991f. Bratu-Hansen bzw. Bratze-Hansen, 1995, S. 258. (Der zitierte Artikel ist, wie ich annehme, aufgrund eines Druckfehlers unter dem Namen Miriam Bratze-Hansen erschienen und erscheint unter diesem Namen auch in meinem Literaturverzeichnis.) Vgl. auch BuckMorss 1992. Wie Bratu-Hansen bin ich mißtrauisch gegenüber der Funktion, die Susan Buck-Morss (S. 5) in Benjamins Rede von der ,Politisierung der Kunst‘ zu erkennen glaubt. Buck-Morss meint, der Kunst komme die Aufgabe zu, „to restore the instictual power of the human bodily senses for the sake of humanity’s self-

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fahrungsarmut vor. So dokumentieren es die Wendungen von der „Liquidierung des Traditionswertes am Kulturerbe“30 oder vom „destruktiven Charakter“, dessen „Bedürfnis nach frischer Luft [...] stärker [ist, d. Verf.] als jeder Haß“31. Denn die Verkümmerung traditioneller Erfahrung schafft eine Tabula rasa für das Neue. Die zerstörerischen Kräfte rufen Risse im althergebrachten Gefüge hervor, aus denen andere Erfahrungsformen und Sichtweisen hervorgehen können, welche der idealistischen Tradition nicht mehr verpflichtet sind und die überkommenen organischen Weltmodelle verabschieden. Benjamins Betrachtung verschiedener Schocktypen lädt vielseitig dazu ein, die Boxerfigur mit seiner Theorie der Moderne zu konfrontieren. Weil sich der Faustkämpfer den Stößen der gegnerischen Fäuste aussetzt, entspricht seine Gestalt kaum der Metapher des Fechters, die Benjamin von jenem französischen Dichter aufnimmt, der „die Chockerfahrung ins Herz seiner artistischen Arbeit hineingestellt“32 hat: „Die Psychiatrie kennt traumatophile Typen. Baudelaire hat es zu seiner Sache gemacht, die Chocks mit seiner geistigen und physischen Person zu parieren, woher sie kommen mochten. Das Gefecht stellt das Bild dieser Chockabwehr.“33 Der Boxerfigur sind Abwehr und Ausweichen zwar unverzichtbare Kampftechniken. Was aber von ihren Kämpfen mit Nachdruck im Gedächtnis bleibt, ist die physische Erschütterung. Die Szene in Raoul Walshs Gentleman Jim, in welcher der Protagonist gegen die Strömung des Menschenflusses auf der Straße geht und allen Zusammenstößen durch behende Meidbewegungen vorbeugt, ist insofern irreführend. Im Film wie im Sport ist Boxen „eher eine Sache des Geschlagenwerdens als des Schlagens“34. Der Boxer ist alles andere

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preservation, and to do this, not by avoiding the new technologies, but by passing through them.“ Vornehmlich das den Körpersinnen beigestellte Attribut des Humanen wie das ihrer Macht angehängte des Instinktiven lassen erkennen, daß hier die Bewahrung einer kulturellen Kontinuität angerufen wird, die Benjamin gerade verabschieden wollte. Sein Interesse an den neuen Medien richtet sich auf die durch sie beförderte Überschreitung des bisher Menschlichen – namentlich der idealistischen Tradition – und des vermeintlich konstant Instinktiven. Benjamin 1991a, S. 478. Benjamin 1991g, S. 396. Benjamin 1991, S. 616. Benjamin 1991, S. 616. Oates (1988, S. 29) über das professionelle Boxen.

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als ein Surfer, der auf der Flut verschiedenster Reize über weite Distanzen gleitet. Seine Lebensbewegung kulminiert im Erschütterungsraum des Rings, wo er den eigenen Körper den Riten des Opferkampfes und der Destruktion aussetzt. Der Boxer wird in Literatur und Film ständig als Metapher für bestimmte Lebensweisen, für kämpferische oder erschütterte Haltungen zur Welt, inszeniert.35 Um seine Figur jedoch zu begreifen, muß man sie ebenso innerhalb ihrer konkreten Kampfform bzw. deren ästhetischer Aufarbeitung aufsuchen.36 Gerade die Konsistenz des filmischen Faustkämpfers benötigt diese Methode. Denn das maschinell bewegte Fleisch und das fotografisch konstruierte Milieu fordern auf, den Anachronismen ihrer spezifisch filmischen Buchstäblichkeit zu begegnen. Im sportlichen Boxring sind die Quellen der Erschütterung die individuierten Körper, nicht die für die moderne Faktur maßgeblich verantwortlichen Maschinenprozesse. Die maskuline Physis wird innerhalb einer Situation aktiv, die der industriellen Reizproduktion Paroli bieten will. In der bisweilen nostalgischen Ritualisierung des Boxens avanciert der einzelne Männerkörper noch einmal zum Kraftzentrum des Geschehens.37 Im Boxkino hingegen, wo Schlag und Schnitt zusammenfallen, holt die Apparatur den nackten Körper ein und transformiert ihn in industrielle Bildstrukturen. Die Relationen von Körper und kinematographischer Maschine lauern wenigstens auf der Schwelle zum ästhetischen Bewußtsein. Der Film ist für Benjamin einer der Hauptvertreter der modernen Erfahrungsambivalenz. Einerseits hat der Film als technisch reproduzierbares Schockmedium gewichtigen Anteil an der modernen Reizinflation. Andererseits ist es die Suchbewegung nach neuen, der industriellen Epoche und ihrer Reflexion angemessenen Erfahrungsformen, die zur Intensität und Diskontinuität des Filmi-

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Zur literarischen Metapher des Lebenskampfes vgl. Luckas 2001a, S. 135. Oates (1988, S. 7) plädiert für die Buchstäblichkeit des Boxens. Andere Sportarten stehen im Ruf, den Menschen in eine andere Position als die des zentralen Kraftzentrums zu bringen: „Anstatt den Sportler gegen die Natur zu stellen, kommt es darauf an, die sportliche Bewegung mit der Natur zu entwerfen, in einem geduldigen Abwarten, Beobachten, listigen Mitgehen mit den Naturkräften, wie der Surfer die Entstehung einer Welle vorhersieht und sich in ihr Abrollen hineingleiten läßt.“ Gebauer / Wulf 1998a, S. 72.

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schen geleitet.38 Ins Kino findet Benjamin durch diese Bewegung jedoch nicht. Trotz der Bedeutung, die Arbeiten einiger berühmter Regisseure und die technischen sowie ästhetischen Eigenarten filmischer Konstruktion für sein spätes Denken einnehmen, ist er nie zum eigentlichen Kinogänger geworden. Seine Überlegungen gehen kaum aus filmanalytischen Zusammenhängen hervor, sondern stehen vor der zweiseitigen Ausrichtung sowohl geschichtsphilosophischer als auch kunstphilosophischer Gedankenfiguren. Deleuze hingegen gewinnt seine philosophische Betrachtung der kinematographischen Wahrnehmungs- und Gedächtnismodi aus der analytischen Nähe zu verschiedensten Kinoregionen.39 Die Zeitstrukturen der einzelnen Filme und Filmströmungen werden in eine detaillierte Klassifikation zwischen den Polen klassischer und moderner Filmästhetik eingebracht. Deleuze geht dabei auf Benjamins Frage nach moderner Erfahrung bzw. ihrer Armut nicht ein.40 Dennoch lassen sich die Kino-Bücher als eine konkrete Antwort auf die über fünfzig Jahre ältere Problemstellung lesen. Die Bildintensitäten beider Pole verbleiben nicht im Status von Erlebnissen, die schlicht verpuffen. Sie münden statt dessen in ein Denken der Differenzen in der Bildzeit, an denen sich ästhetische Erfahrung entfaltet. Darin zeichnet sich die Konzeption eines Zuschauers ab, der gelernt hat, die Intensitäten des filmischen Medium lesen. Die Strategie der folgenden Analysen ist es, zwischen Benjamins und Deleuze’ Gedanken eine Form der Filmreflexion zu entwickeln, die eine solche Erfahrung in sich trägt. Ich nenne sie ästhetisches Lesen: eine Reflexion, deren Bewußtsein nicht Schutzschild sein will, sondern den Schutz des Kinodispositivs zum Denken im Angesicht des sich wandelnden Bildes nutzt. Zumindest Nebenziele der Arbeit liegen darin, Benjamins Diagnose der Moderne im filmi38 39

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Vgl. Benjamin 1991a, Bratze-Hansen 1995. Abgesehen von den filmtheoretischen Strömungen, die in den KinoBüchern explizit diskutiert werden, spiegeln sich im Anmerkungsapparat weite Felder der filmanalytischen Debatten aus den Cahiers du cinéma und ihrem Umfeld. Benjamins Kunstwerk-Aufsatz wird nur im Zusammenhang mit dem Ende des Bewegungs-Bildes in der nationalsozialistischen Propaganda erwähnt. Vgl. Deleuze 1991, S. 337. In ihrer Analyse der kapitalistischen Produktion beleuchten Deleuze und Guattari die Dialektik der modernen Erfahrungsverhinderung (,ödipale‘ Strukturen) und der Freisetzung neuer Produktivkräfte zur Erfindung von neuen Erfahrungsformen. Vgl. Deleuze / Guattari 1974, 1992.

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schen Kontakt mit der Boxerfigur spezifizierend zu konkretisieren und Deleuze’ Klassifikation auszubauen, insbesondere was seine Gedanken zum Kino der Körper und der Gewalt betrifft. Das Hauptziel besteht jedoch darin, auf der Grundlage des ästhetischen Lesen zu Aussagen über die ausgewählten Boxfilme zu kommen. Die Strategien des Lesens lösen sich somit erst in der Analyse ein. Eine kurze theoretische Darstellung des Lektüreprinzips soll hier jedoch bereits gegeben werden. Resonanzkörper: Affekt, Reflexion, Lesen Die alleinig anwesenden Körper im Kino sind diejenigen der Zuschauer, in denen sich der überdimensionale Ausdruck der Boxerkörperbilder niederschlägt. Kracauer spricht angesichts der filmischen Audiovision von einem „Resonanz-Effekt“41 beim Zuschauer: „kinästhetische Reaktionen wie zum Beispiel Muskelreflexe, motorische Impulse und ähnliches“42. Im Unterschied zum Boxen, wo die Menschen ihre Erregung und Teilnahme am Ringgeschehen kundtun (Szenenapplaus, Mitfiebern, Zurufe, Aufspringen etc.), agiert das Kinopublikum seine Resonanzen deutlich weniger oder verhaltener aus.43 Die Vorstellung eines Resonanzkörpers liegt nahe, insofern man in ihr das Physische nicht abtötet. Der Film verwandelt Wahrnehmungsintensitäten in Ausdrucksintensitäten. Basierend auf der nach außen passiven Rezeptionshaltung ist die mimetische Resonanz im Kino eine in erster Linie innere Aktivität. Die sich wandelnde Boxerfigur drückt sich in den Zuschauerkörper ein, woraus eine Reihe innerer Zustände hervorgeht. Diesen Prozeß theoretisiert Deleuze in den Kino-Büchern unter dem Begriff des kinematographischen Affekts, den er aus der Bergsonschen Affektkonzeption ableitet. Der Körper ist nach Bergson das einzige Ding der materiellen Welt, welches das Lebewesen auch von innen wahrnimmt.44 Wahrnehmungstheoretisch entspricht der Affekt genau diesem Moment der Selbstwahrnehmung: „Er ist eine Koinzidenz von Subjekt 41 42 43

44

Kracauer 1985, S. 216. Kracauer 1985, S. 216. Das gilt in erster Linie für die westliche Kinotradition. Aber auch hier gibt es Ausnahmen wie z. B. die Kultfilme, die von ihren Verehrern während der Vorstellung kommentiert oder nachgespielt werden. Vgl. Bergson 1991, S. 1, 48-49.

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und Objekt oder stellt die Art dar, in der sich das Subjekt selbst wahrnimmt – oder vielmehr sich „von innen“ empfindet oder spürt (...).“45 Das filmische Bewußtsein der Boxerfigur konstituiert sich in der affektiven Resonanz in der Mimesis des Zuschauers. Der Begriff des Affekts scheint eine alltägliche Vorstellung zu bestätigen, nach der das Kino eine Emotionsmaschine darstellt.46 Zu einer grundlegenden Kategorie der Deleuze’schen Kinotheorie wird der Affekt jedoch, weil diese Vorstellung lediglich von einem seiner beiden Zustände gestützt wird, während sich der andere Zustand ihr entgegensetzt. Die Zustände sind durch die zeitliche Differenz, die Differenz zwischen Aktualität und Virtualität, unterschieden: „soweit sie sich in einem gegebenen Zustand und den entsprechenden realen Zusammenhängen aktualisiert haben (mit einem jeweiligen Raum-Zeit-Zusammenhang, hic et nunc, mit bestimmten Charakteren, Rollen und Objekten); und soweit sie für sich selbst zum Ausdruck kommen, außerhalb räumlich-zeitlicher Koordinaten, als Singularitäten in ihrer Einzigartigkeit und in ihren virtuellen Verbindungen.“47 Ein Gefühl kann der Affekt nur im aktuellen Zustand sein: die Erschöpfung des Boxers. Der virtuelle Affekt hingegen ist das Ausdruckspotential, das die Voraussetzung einer Aktualisierung im Gefühl erst bildet. Als solcher ist er aber kein Gefühl, sondern bloßer Ausdruck: die Haltung des Boxerkörpers, die sich in Erschöpfung aktualisiert. Diese bipolare Affektkonzeption funktioniert als eine der Kupplungen zwischen den beiden Kino-Bänden. Sie betrifft das klassische Kino des Bewegungsbildes, das zur Aktualisierung der Affekte in kontinuierlichen Verkettungen neigt. Der virtuelle Affekt aber ist der Umschlagplatz zum modernen Kino des Zeit-Bildes, das den kinematographischen Ausdruck in seinen potentialisierten Zuständen organisiert.48 Das für die Analyse des Boxfilms entworfene Achsenmodell sieht noch einen weiteren Zustand des Affekts vor. Wenn das filmische Kampfspektakel den Ausdruck zu einem plötz45 46 47 48

Deleuze 1990, S. 96. Ed S. Tans’ Untersuchung zur Identifikation und Empathie im Kino trägt diese Vorstellung im Titel: Emotion and the Structure of Narrative Film: Film as an Emotion Machine. Deleuze 1990, S. 144. Deshalb erscheinen Dreyer und Bresson im Bewegungs-Bild als Vertreter des Affektbildes und im Zeit-Bild als Paradigmen eines modernen Kinos, welches die Kategorie des Glaubens ästhetisch erneuert. Vgl. Deleuze 1990, S. 143ff; 1991, S. 215ff.

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lichen Augenblick verdichtet (der Schlag), besteht immer die Gefahr des bloßen Sensationsschocks. Der Ausdruck verpufft lediglich als ein Erlebnismoment im Sinne Benjamins. Er dringt nicht in die tieferen Erfahrungsregionen vor, weil er sich weder im Gefühl aktualisiert, noch als virtuelles Bild insistiert. Erfahrungstheoretisch ist der virtuelle Affekt die erste Dimension unserer Wahrnehmung. In Deleuze’ Klassifikation der kinematographischen Zeichen besitzt er den Status der Erstheit: „Sie betrifft das Neue in der Erfahrung, das Unverbrauchte, Flüchtige und dennoch Ewige.“49 Er stellt die erste Ausdrucksdimension eines jeden Bildes dar, wie es dem universalen Begriff des eingedrückten Ausdrucks entspricht. Es ist jedoch ein Mißverständnis, davon auszugehen, wir wären mit dieser Dimension ständig konfrontiert. Der virtuelle Affekt stellt zwar die Bedingung noch der konventionellsten Wahrnehmungsproduktion dar, aber im Alltag ist er eine verschüttete Dimension. Wir leben gewöhnlich in Aktualisierungen, und die direkte Begegnung mit einer Virtualität ist eine Besonderheit, auch wenn alle aktuellen Bilder ein virtuelles Double besitzen. Das Boxkino ist ein Ort dieser Begegnung, wenn es sich von den Verschüttungen des Alltags emanzipiert und seine Arenen und Milieus zu reinen Potentialitäten werden. Die Ausdruckselemente ergeben sich nicht den emotionalen Verkettungen, sondern treten als affektive Singularitäten auf: „Das Ausgedrückte - das heißt der Affekt - ist komplex, weil es sich aus allen Arten von Singularitäten zusammensetzt, die es entweder vereint oder in die es sich teilt. Deshalb wandelt es sich ständig und ändert seine Natur gemäß den Vereinigungen, die es bewirkt, und den Teilungen, denen es unterliegt. Solcherart ist das Dividuelle, das weder anwächst noch abnimmt, ohne seine Natur zu ändern.“50 Körper, Schlag und Gesicht, Milieuoberflächen und Rhythmen isolieren sich gegeneinander und gehen virtuelle Verbindungen ein. Die Ausdruckssingularitäten stellen sich in ihren Relationen ständig neu her. Ihre Teilungs- und Vereinigungsprozesse bringen somit ständig neue Bilder hervor. Ein vergleichbare ästhetische Produktionsform faßt Benjamin in Der Begriff der Kunstkritik in der deutschen Romantik als Reflexion: „Es wird also unter Reflexion das umformende – und nichts als

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Deleuze 1990, S. 137. Deleuze 1990, S. 147 (Hervorh. meiners.); vgl. S. 138.

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umformende – Reflektieren auf eine Form verstanden.“51 Die ästhetische Reflexion destruiert das sich identisch wähnende Ich, weil sie das Prinzip eines unpersönlichen Spaltungsprozesses ist. Sie spaltet sich permanent in ein Reflektierendes und ein Reflektiertes auf: die Boxerfigur und der Blick auf diese Figur. Das Reflektierte (die Boxerfigur) geht dem Reflektierenden (dem Blick) nicht voran. Beide sind das Produkt desselben Reflexionsprozesses, so wie jedes Körperbild dem Sehen nicht oder nur virtuell vorangeht, sondern sich im Sehen konstituiert.52 Der Reflexionsprozeß ist potentiell (also nicht zwangsläufig) unendlich: Das „reflektierende Denken“ vermag, „jede frühere Reflexion zum Gegenstand einer folgenden“ zu machen.53 Der Prozeß ist aber auch deshalb potentiell unbegrenzt, weil er den ästhetischen Gegenstand in immer anderen Aspekten reflektieren und damit stets neu reproduzieren kann. Es sei an diesem Punkt dahingestellt, ob diese radikale Spaltungskonzeption tatsächlich der romantischen Philosophie entspricht oder eine ,rettende‘ Umformung des Interpreten darstellt.54 Bedeutsam für unseren Zusammenhang ist dagegen, 51 52

53 54

Vgl. Benjamin 1991c, S. 20. Vgl. Benjamin 1991c, S. 63: „Der Indifferenzpunkt der Reflexion, an dem diese aus dem Nichts entspringt, ist das poetische Gefühl.“ Zu diesem Komplex vgl. Menninghaus (1987, S. 25-26) über das Erbe der Romantiker bei Jacques Derrida: „Das Spiel der Spiegelungen führt nämlich, konsequent gedacht, zu einem Abschied von dem, was Derrida ,Metaphysik der Präsenz‘ nennt. Diese Metaphysik der Präsenz, die in Jakobsons rudimentärer ,Theorie‘ des Parallelismus unbefragt in Kraft bleibt, lebt von der ausdrücklichen oder unausdrücklichen Annahme eines Seins, Sinns oder Geistes, die sozusagen an sich selbst sind, was sie sind, über eine vorgängige Präsenz verfügen, welche dann lediglich nachträglich in Zeichen repräsentiert wird. Diese ,klassische‘ Logik von Vor und Nach, Prä- und Re- wird von den Romantikern an dem dafür prädestinierten Begriff der Reflexion durchbrochen. Eine Spiegelung, eine Reflexion fügt sich in ihrem Verständnis nicht länger einem vorausgesetzten Gespiegelten, Reflektierten hinzu, vielmehr konstituiert die Bewegung der Reflexion – die ein Dual, eine gespaltene Figur der différence ist – allererst beides, das Reflektierende und das Reflektierte.“ Benjamin 1991c, S. 21. Bohrer (1989a) erkennt in Benjamins Romantik-Arbeit die Spannung dieser beiden Vorhaben: erstens der Aufwertung der romantischen Ästhetik als Widerstandspotential gegen die rationalistischpositivistische Moderne und zweitens eines Rettungsprojektes, in dem Benjamin die Grundsteine für seine eigene Ästhetik der Moderne gewinnt.

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daß sie in Benjamin Spätwerk im Zeichen der Montage und damit des Montagemediums Film steht, dessen Prinzip „auf dem Wechsel der Schauplätze und Einstellungen beruht, welche stoßweise auf den Beschauer eindringen.“55 Wie die Stellungen der Boxerfigur in der Montage ständig wechseln, läßt sich die filmische Reflexion nicht als eine stabile Instanz binden. Sie verbleibt nicht in einer einzigen Perspektive, in deren Blick dann verschiedene Gegenstände unter die gleiche Sichtweise fallen. Vielmehr kann sich in jedem Moment ein weitere Perspektive abspalten, die auf ein sich veränderndes Neues schaut oder auf die von einem anderen beweglichen Punkt geschaut wird. Treten die Boxerfiguren und ihre Welten in virtuellen Singularitäten auf, werden wir immer wieder auf ihre affektive Resonanz zurückgeworfen. Der reflexive Modus äußert sich in endlosen Frageschlaufen: Was hat es mit dem Kämpfer auf sich, der am Boden kauert? Welchen Eindruck hinterläßt das Milieu? Wir beginnen zu lesen. Die Lektüre geht jedoch nicht in der Aufnahme eines mittelbaren Sinns auf, in der das Bild zum Äquivalent einer Schriftkommunikation wird, wie man es aus den Traditionen der bildlichen Religionsvermittlung und der Bilderzählung kennt.56 Ästhetisches Lesen besteht vielmehr in einem reflexiv auf die Filmwahrnehmung – die affektive Selbstwahrnehmung des Resonanzkörpers im Angesicht des Films – bezogenen Denken. Das Prinzip des Lesens ist es weniger, die Identifikation und den mittelbaren Sinn zu blockieren, als sie in ihrer Spiegelung zu überschreiten. In dieser Hinsicht stellt das ästhetische Lesen die Entfaltung des reflexiven filmischen Bewußtseins und damit des Spaltungsprozesses dar.57 Der derart Lesende gewinnt eine Ahnung davon, was in Benjamins Surrealismus-Essay mit jener „Welt allseitiger und integraler Aktualität“58, die der Durchdringung von Leib und Bildraum entspringt, gemeint sein könnte. Konfrontiert mit immer neuen Bildkonstellationen verliert er ständig seinen Standpunkt. Er gibt 55 56 57

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Benjamin 1991a, S. 502. Vgl. dritte Achse: I. Reflexiver Modus und virtuelle Bilder. Zur bildlichen Religionsvermittlung und zur Bilderzählung vgl. Belting 1981 u. 1985. Vgl. Kappelhoff (1995/96, S. 6) über Benjamins Figur des Lesenden: „Dem Lesenden im Kino ist die Wirklichkeit des Sichtbaren und Hörbaren unmittelbar zu einer Form des Denkens und der Reflexion geworden.“ Benjamin 1991k, S. 309.

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ihn auf, um an den Veränderungen des Bildes entlangzugleiten und anhand ihrer andere bewegliche und vorläufige Plattformen zu erschließen, von denen aus neue Bilder sichtbar werden usw. Das Lesen, aus dem die folgenden Analysen hervorgegangen sind, ist aber insofern auf die Schrift bezogen, als es in die organisierte Produktion von Begriffen übergeht – ins geisteswissenschaftliche Schreiben. Das Lesen-Schreiben muß sich auch mit Bildern auseinandersetzen, deren Struktur die Tendenz hat, die Reflexion zu verhindern, seien es narzißtische Klischees, Sensationsschocks oder entleerte Ironie. Es bringt daher eigene Montagesequenzen hervor: Vergleiche und Verbindungen zwischen den Filmen oder zwischen Theorie und Film. Aber das Lesen-Schreiben bleibt auf die Momente der Lesbarkeit innerhalb des filmischen Materials angewiesen, die zum Denken drängen; gleichgültig ob diese Lesbarkeiten auf einer tief in die Bildstruktur eingelassene Reflexivität beruhen oder nur in einem Augenblick der Fremdheit im historischen Abstand aufblitzen. Ästhetisches Lesen ist daher niemals Verfügung über das Bild. Der Lesende bewegt sich stets zwischen dem Kämpfen um und dem Lauern auf ästhetische Erfahrung.59

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Das ,Auf-der-Lauer-Liegen‘ propagiert Deleuze im Fernsehinterview L’ABÉCÉDAIRE De Gilles Deleuze als die adäquate Haltung gegenüber dem ästhetischen Gegenstand.

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E r s te A c h s e : M y t ho l o g i e d e s O p f e r k a m p f e s

„Ich boxe mich durch. Ich mache den Sinn allen Lebens zu meinem Beruf. Das stand schon früh für 60 mich fest.“ Mike Tysen „Wer austeilt, muß auch einstecken können.“ Redensart

I. Rituell-imaginärer Modus und aktuelle Bildverkettung Genre und Gebrauchswert Die Frage nach dem Erfahrungswert einer populären Mythologie läßt sich als die nach ihrem Gebrauchswert stellen und somit an jene philosophische Untersuchung delegieren, die diese scharf in das Feld der industriellen Produktion von symbolischen Gütern vorgestoßen hat. Der Filmboxer kommt – man glaubt es kaum – in der Dialektik der Aufklärung vor. Allerdings enttäuscht die Kritik der ,Kulturindustrie‘ auch in seinem Fall nicht jene Leseerwartungen, die seitens der Autoren durch die flächendeckende Ablehnung populärer Produktion geprägt sind. Denn die Figur des Faustkämpfers ist ihnen vollständig austauschbar: „Jeder Kuß im Revuefilm muß zur Laufbahn des Boxers oder sonstiger Schlagerexperten beitragen, dessen Karriere gerade verherrlicht wird.“61 Horkheimer und Adorno sparen nicht mit exemplarischen Spitzen auf die Klischees des Kinos, um ihr Diktum „Kultur heute schlägt alles mit Ähnlichkeit“62 rezeptionsästhetisch zu untermauern. Theoretisch jedoch leitet es sich aus einem produktionsästhetischen Konzept ab, in welchem das Identitätsdenken verfehlter Aufklärung und die kategorische Herr60 61 62

Tysen in Torres 1992, Schutzumschlag. Horkheimer / Adorno 1969, S. 128. Horkheimer / Adorno 1969, S. 128.

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schaft des Tauschwerts der industriellen Warenform analog miteinander gehen.63 In der Befriedigung menschlicher Bedürfnisse hat die ,Kulturindustrie‘ deshalb keinen Gebrauchswert, weil ihre Produkte totalitaristisch der Verdinglichung im Sinne kapitalistisch entfesselter Zweckrationalität geweiht sind. Der im Ästhetischen anzustrebende Gebrauchswert liegt für Horkheimer und Adorno nicht mehr in der traditionellen Nützlichkeit eines Produkts. Seine Erzeugung beginnt statt dessen dort, wo sich ein Inkommensurables dem Nützlichkeitsdogma verweigert.64 Die dramaturgische Ökonomie des klassischen Kinos ist damit, wie es der zitierte Satz bereits an der Funktionalität einer Zärtlichkeit für die Laufbahn der austauschbaren Boxerfigur veranschaulicht, die Ausgeburt jener verheerenden „kapitalistischen Vernunft, die selbst noch im Bild die Lust an die Zwecke des Fortkommens schließt“.65 Was der Dialektik der Aufklärung abhanden kommt, wenn sie der Verabsolutierung des identifizierenden Denkens in der kapitalistischen Ratio konsequent folgt, ist der aufmerksame Durchlaß gegenüber dem Spezifischen einzelner populärmythologischer Felder. Der Verschluß wirkt gerade bezüglich der Boxerfigur stiefmütterlich, denn sie bietet aufschlußreiche Variationen auf die Exerzitien des Schlagens, die Horkheimer und Adorno am ,Normaldasein‘ im Spätkapitalismus zu erkennen meinen: „Die Haltung, zu der jeder gezwungen ist, um seine moralische Eignung für diese Gesellschaft immer aufs neue unter Beweis zu stellen, gemahnt an jene Knaben, die bei der Aufnahme in den Stamm unter den Schlägen des Priesters stereotyp lächelnd sich im Kreis bewegen. Das 63

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In Negative Dialektik (1994, S. 149) hat Adorno diese Entsprechung als Urverwandtschaft expliziert: „Das Tauschprinzip, die Reduktion menschlicher Arbeit auf den abstrakten Allgemeinbegriff der durchschnittlichen Arbeitszeit, ist urverwandt mit dem Identifikationsprinzip. Am Tausch hat es sein gesellschaftliches Modell, und er wäre nicht ohne es.“ Vgl. Kerstin Stolts Aufsatz Teddys Flaschenpost: Die Figur der Verdinglichung in Adornos Kritik der Massenkultur, dem die hier angestellte Lektüre der Dialektik der Aufklärung wichtige Teile des Grundgerüstes verdankt. Stolt trägt außerdem Indizien für einen Wandel in Horkheimers und Adornos totalitärer Kritik an der Massenkultur zumindest in Adornos Schriften zusammen. Horkheimer / Adorno 1969, S. 128.

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ERSTE ACHSE: MYTHOLOGIE DES OPFERKAMPFES Existieren im Spätkapitalismus ist ein dauernder Initiationsritus. Jeder muß zeigen, daß er sich ohne Rest mit der Macht identifiziert, von der 66 er geschlagen wird.“

Der Filmboxer hingegen lächelt niemals zur Begrüßung des Schlags in sein Gesicht, obgleich er ihn oftmals zu suchen scheint. Die Heroisierung – nicht die Verleumdung – des Schmerzes ist die Grundlage seiner Moral. Auch verläuft seine Identifikation mit der Macht darüber, daß er den Schatten seiner selbst (zurück-)schlägt, anstatt durch ein Schweigen der Fäuste aus den hierarchisierten Anforderungen seines Milieus auszubrechen. Am wichtigsten jedoch ist die ihm eigene Spiegelung der Warenform. Die Ausstellung des Selbstverkaufes verleiht seiner Figur das Zeug zur einer ähnlich dialektischen Bildlichkeit, wie sie Benjamin am Typus der modernen Prostituierten erkennt, die ihm „Verkäuferin und Ware in einem“67 ist. Die Differenzierung der Charakteristika populärer Filmprodukte und ihrer Figurentypen – nach Möglichkeit in den soziohistorischen Zusammenhängen ihrer Wirkung – ist das Projekt filmwissenschaftlicher Genreuntersuchungen. Wenn diese mittlerweile auf breiter Ebene zu einem Verständnis der Genres als Feldern von Ähnlichkeiten gefunden haben, meldet sich darin gerade die Abkehr von dem Versuch an, den Untersuchungsgegenstand universalistisch zu bestimmen. Die Neuorientierung verdankt sich allerdings in geringerem Maße einer Abgrenzung zur apodiktischen Kritik der ,Kulturindustrie‘ als der Revision eigener Ansätze und Methoden. Nach Jörg Schweinitz hat die Genretheorie ihr Unternehmen, Gattungsschemata nach den Gesetzen formaler Logik zu definieren, nicht nur aufgrund der Erkenntnis in den historischen Wandel von Genres und ihrer Wirkung aufgegeben, sondern auch deshalb, weil sich ein grundsätzliches Scheitern dieses Ansatzes immer mehr abzeichnete: Im Raster der formalen Logik sind die Genrefilme stets unterschiedlich, während sie in der Produktions- und Rezeptionspraxis verwandt erscheinen. Daher richtet sich die Aufmerksamkeit auf die Prinzipien von Wahrnehmung und Erfahrung, wie sie in Produktion und Rezeption am Werk sind. Mittels des menschlichen Vermögens

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Horkheimer / Adorno 1969, S. 138. Benjamin 1991e, S. 55.

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zur Erzeugung von Ähnlichkeiten arbeiten sowohl Filmschaffende als auch Zuschauer an der Herstellung der Genres mit.68 Für Schweinitz baut die standardisierte Filmproduktion zwar auf diesem Vermögen auf, vereinnahmt es aber nicht gänzlich im Selbstzweck kapitalistischer Nützlichkeitsratio. Noch unter industriellen Bedingungen demonstriert er Vertrauen in die Fruchtbarkeit menschlicher Mimesis, wenn er die Mortifizierung der Warenform hinter die Arbeit eines „lebendigen Genrebewußtseins“ zurückstellt. 69 Insbesondere in den Sektoren der Genretheorie, welche – wie bei Thomas Schatz – die Vorstellung einer maßgeblichen Genrepraxis mit der Kategorie des Rituellen verbinden, erweist sich der Gebrauchswert als feste Größe. 70 Rituale, mit Christoph Wulf verstanden als „symbolisch kodierte Körperprozesse [...], die soziale Realität erzeugen und interpretieren, erhalten und verändern“71, ge68

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Vgl. Schweinitz 1994. Die Erkenntnis, daß menschliche Lebensformen und Produkte nur selten nach den Prinzipien der formalen Logik, die selbst nur ein solches Produkt ist, funktionieren, ist keine für die Genretheorie exklusive, wohl aber verspätete Erkenntnis. Schweinitz selbst weist schließlich auf das Prinzip von Wittgensteins Familienähnlichkeiten hin, mit dem man die Ähnlichkeitsproduktion von Genres verstehen kann. Vgl. Schweinitz 1994, S. 113: „Erst das Genrebewußtsein verleiht dem ,Genre-Code‘ als Faktor innerhalb des filmkulturellen Diskurses lebendige Existenz. Erst das praktisch wirksame Genrebewußtsein sorgt dafür, daß das Konzept ,Genre’ sowohl bei der Filmproduktion als auch bei der Rezeption als Orientierungsgröße funktioniert.“ Bei Schweinitz steht die Dialektik der Aufklärung für eine „mit intellektuellem Abscheu“ (S. 103) belastete Sichtweise auf die Genreproduktion, die diese aus dem Feld der Reflexion ausgrenzt. Seine einer fortgeschrittenen Moderne in ihrer voreiligen Koppelung zweifelhaften Begriffe des ,Lebendigen‘ und der ,Kultur‘ fordern jedoch nahezu unüberhörbar dazu auf, Horkheimers und Adornos Tinitus vom Inkommensurablen als Begleitstimme im eigenen Ohr zu begrüßen. Diese Begrüßung findet vor allem auf der dritten Achse, aber auch in Teilen der zweiten Achse der vorliegenden Untersuchung statt. Zur Wechselwirkung der Dimensionen des Genrebewußtseins von Zuschauern und Produzenten vgl. auch Neale 2000, S. 31ff. Außer auf Thomas Schatz (1981), dem wohl einflußreichsten Vertreter des Ritualansatzes, weist Schweinitz (1994, S. 105) auf John Cawelti (1974) und Will Wright (1976) hin. Für den Boxfilm verfolgt Grindon (1996) diesen Ansatz explizit unter Berufung auf Schatz und Rick Altman (1987). Wulf 1997a, S. 1029.

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hören bekanntlich zu den frühesten Mechanismen menschlichen Gebrauchs überhaupt. Demnach impliziert die filmtheoretische Aktualisierung des Rituellen eine Rückkehr zu herkömmlichen, also an sozialem Nutzen orientierten, Gebrauchskonzeptionen, wie sie die traditionellen Wirkfelder des Rituals auszeichnen (Konstitution von Gemeinschaft, Arbeit an nationalen, ethnischen oder geschlechtlichen Identitäten, Kanalisierung der Gewalt, Regulation des Verhältnisses zwischen Menschen und mächtigeren Kräften etc.). Der Import der anthropologischen Kategorien in die Filmtheorie lohnt sich nicht nur, um zu verstehen, wie einflußreich traditionelle Ritualformen im Imaginären des Kinos und in unserer sozialen Praxis – besonders bezüglich genuiner Ritualfiguren wie dem Boxer – auch heute noch sind. Vielmehr geht es darum, mit diesem Verständnis das Fundament zu erstellen, von dem aus das ästhetische Lesen seinen anderen Gebrauchswert gewinnen kann. Dahinter steht die Initiative, kein Bild des Boxfilms, auch keines seiner klassischen Ausprägungen, für Umformungen im mimetischen Gebrauch verloren zu geben. Opferkampf Versucht man die Annäherung des modernen Faustkampfes an alte und älteste Formen ritueller Praxis, führt die öffentliche Regelung und Inszenierung der Körpergewalt auf das Terrain des Opfers, insofern man dieses durch das Kämpferische ergänzt: Für die Mythologie des Boxfilms ist der zentrale Begriff derjenige des Opferkampfes. Kämpfe, die in einen Opferritus eingebunden sind, haben eine lange Tradition, welche Ethnologie und klassische Philologie bis in die Totenkulte der heidnischen Antike verfolgen. Aus ihren Erkenntnissen läßt sich eine Vorstellung darüber gewinnen, wie die Gewaltenergie einer Gemeinschaft im Kampf kanalisiert werden kann. In seiner Untersuchung Der Griechische Agon: Kampf und Kampfspiel im Totenbrauch interpretiert Karl Meuli die Mechanismen antiker Kampfrituale unter Bemühung der psychoanalytischen Projektionstheorie aus Totem und Tabu.72 Nach Freud ruft in den frühen Gesellschaften der Tod einer wichtigen oder geliebten Person bei den Hinterbliebenen eine ambivalente Gefühlshaltung her72

Meuli 1968.

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vor: „Auch das Tabu der Toten rührt von dem Gegensatz zwischen dem bewußten Schmerz und der unbewußten Befriedigung über den Todesfall her. Bei dieser Herkunft des Grolles der Geister ist es selbstverständlich, daß gerade die nächsten und früher geliebtesten Hinterbliebenen ihn am meisten zu fürchten haben.“73 Meuli zeichnet die Strategie, das aus diesem Gegensatz erwachsende kollektive Gewaltpotential zu bewältigen, als eine energetische Bewegung, die in den Opferkampf mündet. Auf Schmerz und Trauer folgen Schuldgefühle und die Angst vor dem Zorn des Gestorbenen, davor, daß dieser sich als Dämon gegen die Lebenden zu richten droht.74 Schuldgefühle und Angst drängen dazu, nicht einen, sondern den Schuldigen für den Tod zu finden und ihn dem Toten als Opfer darzubringen, um ihn zu besänftigen.75 Unter den Bräuchen schließlich, die unter der Anrufung einer höheren, göttlichen Macht „mit der Ermittlung des Schuldigen zugleich seine Tötung bewirken“76 – zumindest aber seine Bestrafung –, findet sich unter anderem der Zweikampf mit den Fäusten.77 Meulis Theorie des Ordals ist durchaus anschlußfähig an René Girards einschlägige Studien zum Opfermechanismus. In Das Heilige und die Gewalt beschreibt Girard das Opfer als eine Methode, Gewalt in Gesellschaften einzudämmen, in denen ein verbindliches Gesetz sowie ein staatliches Gewaltmonopol und seine Vertreter, die die Bestrafung von Schuldigen für das Kollektiv vornehmen, (noch) nicht installiert sind.78 Der Opferritus kommt der Ausweitung der unreinen Gewalt zuvor, indem er sie als reine Gewalt auf das Opfer lenkt. Die Gemeinschaft festigt sich im kollektiven und kontrollierten Gewaltakt. Für Girard basiert jede Gesellschaft letztlich auf dieser Gründungsgewalt, zumindest in der Vergangenheit.79 Dorthin wünschen wir, die wir im modernen Rechtsstaat leben und uns auf Seiten des Gesetzes wähnen, die grausam anmutende Opfer-

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Freud 1974, S. 352. Vgl. Meuli 1968, S. 28-29. Diesen Schuldigen gibt es im Weltbild der betreffenden frühen Gesellschaften immer, weil ihnen – so Meuli – die Vorstellung eines natürlichen Todes fremd ist. Vgl. Meuli 1968, S. 26. Meuli 1968, S. 34. Vgl. Meuli 1968, S. 57. Vgl. Girard 1992. Vgl. Girard 1992, S. 458-459.

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logik. Aber verwandelt besteht das Opfer auch in der Moderne fort, unter anderem im modernen Boxen. Wenn sich Boxkämpfe im populären Gedächtnis über die Grenzen des Sportlichen hinaus erhalten, dann oftmals deshalb, weil sie in den Kontext einer umfassenden Inszenierung eingebettet sind.80 Einen kleinen Blitz des Ordalcharakters glaubt man in den Augen des Publikums immer noch zu verspüren, sobald Athleten zu Akteuren eines Stellvertreterkampfes für groß dimensionierte Konflikte zwischen Bevölkerungsschichten, Ethnien oder Nationen werden. Das Boxen begrenzt die Gewalt nicht nur durch ihre Sublimierung im Reglement, sondern ebenso durch die Distanzierung des Publikums vom Geschehen. Die Zuschauer lassen kämpfen. Auf sie warten spannende Vergnügen statt Schmerzen und Verletzungen. Auch dafür bekommen Boxer ihren Lohn ausgezahlt, daß sie stellvertretend Gewalt ausüben und ertragen und damit der Eskalation von Aggressionen entgegenwirken. Sie sind Opfer von Beruf. Der erfolgreiche Kämpfer demonstriert, wie aus der gesellschaftlichen Notwendigkeit des Opfers Kapital zu schlagen ist, der erfolglose, daß am Ende doch einer die Schuld begleichen muß. Populäre Mythologie: Identifikation im rituell-imaginären Modus Unter den Bedingungen der populären Mythologie sowie des industriellen Bewegungsbildes transformieren sich die traditionell rituellen Aspekte. Wie Meuli es für den antiken Opferkampf aufzeigt, umbaut der klassische Boxfilm das Boxereignis mit einer Mythologie – gleichwohl deutlich anderer Gehalte –, die das Erscheinen der Gewaltphysis, ihren Kampf bis zum Ende in Sieg oder Niederlage, sinnvoll macht. Vordergründig schwindet dieser Mythologie die kollektive Dimension. Das Opfer erfolgt innerhalb der fiktionalen Welt, obwohl sich Stellvertretermotive in ihr erhalten, in erster Linie für den individuellen Weg nach oben. Aber unter der Individualisierung des Opfernutzens erhält sich das Kanalisierungsgetriebe. Freilich gewähren das Tier- oder Menschenopfer und der boxerische 80

Historische Beispiele für solche Inszenierungen sind die Begegnungen zwischen Joe Louis und Max Schmeling oder die Kämpfe Muhammad Alis.

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Opferkampf die Entladung des Kollektives in einen realen Gewaltakt, der im Rahmen einer öffentlichen Inszenierung symbolisch ausgedeutet wird. Wenn jedoch Girard die Opferlogik in den basalen Mythen des Abendlandes offenlegt, betritt bereits er ein anderes Terrain der Mimesis. Auch der Boxspielfilm verzichtet auf den realen Gewaltakt, indem er ihn fiktional darstellt. Dennoch gehen die filmtheoretischen Ritualansätze treffend davon aus, daß auch in den lediglich von Filmblut befleckten Bahnen der Einbildungskraft die Kanalisierung von Aggression funktioniert.81 Die Darstellung mobilisiert die Opferkampfenergie über das ihr eigene Identifikationsangebot. Ein Rest des öffentlichen Zeigens der eigenen Person mag sich vor der Kinokasse erhalten haben, aber mit dem Imaginären des Kinos ist ein identifikatorischer Sog verbunden, der auf der Verleugnung der eigenen Teilnahme am Geschehen fußt. Für althergebrachte Opferrituale oder den heutigen Opferboxkampf mit seinem ,Sehen-Und-Gesehen-Werden‘ (und selbst für die in unseren Tagen praktizierten Makrorituale wie Kirchenfeste oder Staatsfeiern) gilt das Gegenteil. Die Ausstellung der eigenen Teilnahme sichert die Zugehörigkeit zur Gemeinschaft. Aber was im Opfer immer schon verdeckt wurde, ist sein eigentlicher, hinter dem mythischen Rahmen liegender Funktionsmechanismus. Im mythischen Weltbild regelt dies der Glauben an die göttliche Richtigkeit des Opfers. Je stärker der mythische Glauben schwindet, desto mehr ist es nötig, daß die Überzeugung von einer sekularen Schuld des Opferdelinquenten an seine Stelle tritt. Eine Gruppe kann ihre Krise nur dann in der Bestimmung eines Sündenbocks überwinden, wenn sie sich der dabei wirksamen Mechanismen und ihrer Willkür nicht bewußt ist. Die Verantwortung für die – wenn auch nicht körperliche Aggression – wird dem Opfer selbst angelastet.82 Demgegenüber hat das Boxmilieu Verantwortungsorgane für das Gewaltopfer entwickelt. Noch in den polarisiertesten Stellvertreterkämpfen zählt der Topos sportlicher Chancengleichheit. Ein Kampf kann nur spannend sein, wenn die Paarung ausgewogen ist. Die Anwendung des Fairneßpathos auch durch das Publikum ist Verantwortungspraxis. Anders im Spielfilm: Selbst Zuschauern, 81 82

Vgl. Schatz 1981, S. 29. Vgl. Girards (1988) Schrift zum Sündenbock.

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deren bürgerliche Weltsicht die Gewalt des Boxens ächtet (und die Beteiligung an gänzlich unsportlichen Menschenopfern sowieso untersagt), bietet zumindest der klassische Boxfilm, der die Gewaltbildexzesse des neueren Kinos nicht kennt, seine Entschärfungen an. Aber mit der realen Gewalt entledigt auch er sich noch nicht völlig der Verantwortungsproblematik. Was von ihr übrig bleibt, wird in den Netzen kausaler Motivation aufgefangen.83 Der Erschütterung der religiösen Glaubensfähigkeit beim modernen Menschen begegnet die klassische Filmästhetik durch die Unterfütterung des Handelns mit Innenwelten und ihren psychologischen Begründungen. Die Schuld ist nie per Gottesurteil zu ermitteln, sondern immer aus der dramatischen Entwicklung abzusehen – als Erfolgsschuld oder Schuld frei nach christlichen Motiven, die beide kompatibel zum bürgerlichen Wertsystem und seinen ,Sündenbock‘-Mechanismen sind. Unter diesen Anleitungen wird im Kino weniger auf religiöse bzw. quasi-religiöse Energie verzichtet als eine neue Glaubensform 83

Die zentralen Motivationsstränge erkennen die Neoformalisten in den schlüssig angelegten Beweggründen der Protagonisten. In The Classical Hollywood Cinema schreibt Bordwell (1985, S. 13): „Here in brief is the premise of Hollywood story construction: causality, consequence, psychological motivations, the drive toward overcoming obstacles and achieving goals. Character-centered – i.e., personal or psychological – causality is the armature of the classical story.“ Die Kausalität sogenannter narrativer Strukturen, das hebt Branigan (1992, S. 27) in seinem Buch über das Verstehen von Filmen hervor, ist keine formal logische. Sie beruht vielmehr auf der alltäglichen Erfahrung gesellschaftlicher Praxis: „upon broad cultural knowledge in judging which actions and transactions are acceptable as belonging together“. Danach bliebe ein Schlag im Kino eine Erschütterung des Körpers und die Oberfläche des Boxers die menschliche Haut, denn: „the spectator makes a judgment about probabilities based upon life as experienced through the probabilities of his or her society“ (Branigan 1992, S. 29-30). Sogar die exklusiv filmischen Elemente werden, spricht man wiederum mit Bordwell (1992, S. 7), durch den Verstand des gewöhnlichen Lebens gemeistert: „Entscheidend aber ist, daß selbst stilistische oder genrespezifische Konventionen immer noch mittels alltäglicher Denkmuster erlernt werden.“ Daher rührt auch Bordwells Betonung der Funktion von kognitiven Schemata, die kulturell bedingtes Wissen organisieren und dem Zuschauer im Prozeß des Filmverstehens verfügbar machen. Diese Schemata sind der Stoff, aus dem der Pragmatismus des Alltags gemacht ist. Von ästhetischer Erfahrung findet sich bei den Neoformalisten keine Spur.

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eingeübt. Medien der Übung sind nicht zuletzt Rhythmen. „Die Rhythmen sind die Schöpfer von Raum und Zeit, zumindest für das Subjekt; Raum und Zeit werden nur in dem Maße erlebt, wie sie in einer Hülle von Rhythmen materialisiert sind.“84 Der Paläontologe André Leroi-Gourhan betont die gestaltende Wirkung des Rituellen auf Einbildungskraft und Denkvermögen. Was er über die Rhythmen in der Frühzeit der Gattung sagt, gilt immer noch für das Boxgenre, wenn es sich auch nicht mehr um den gehenden, kämpfenden oder tanzenden Körper, sondern um die Körperbildbewegung handelt. Der Fokus auf das kinematographische Erbe des RituellRhythmischen macht derart ein Verständnis des filmisch Imaginären und seines Identifikationsmodus möglich, das auf dem physischen Effekt der Bildbewegung beruht: eine Ritualisierung der Filmform. Weil sich die psychologischen Motivationen in den verschiedenen Filmen des Boxgenres in sich ähnelnden Bildrhythmen verwirklichen, besteht der Zuschaueranteil selbst im klassischen Kino nicht in einer reduzierten kognitiven Aktivität, die narrative Informationen zur Geschichte zusammenbaut.85 Vielmehr initiieren die industriellen Bildrhythmen im Resonanzkörper die Aktualisierung der Bildraumzeit, indem sie das an Film und Alltag geschulte Körpergedächtnis mobilisieren, in Schwingung versetzen und gegebenenfalls überschreiten. Deleuze’ Begrifflichkeit des Sensomotorischen, mit der er die Verkettungen der Bildrhythmen zur kontinuierlichen Filmbewegung des klassischen Films bezeichnet, beruht auf dem Bergson entlehnten Modell des Körpers und seiner auf Handlung ausgerichteten, mehr oder weniger automatisierten Wahrnehmung: „Wenn sich die Welt um das Wahrnehmungszentrum krümmt, dann bereits unter dem Aspekt der Aktion, von dem die Wahrnehmung nicht zu trennen ist. Durch die Krümmung bieten mir die Dinge ihre nützliche Seite dar, während meine verzögerte, Aktion gewordene Reaktion ihre Verwendung erlernt.“86 Reize werden nach den Programmen sensomotorischer Schemata in Handlung überführt. Wenn der Boxfilm diese Wahrnehmungssignatur über weite Strecken imitiert, dann nicht allein in der strukturellen, sondern ebenso in der gegen84 85 86

Leroi-Gourhan 1988, S. 384. Diese reduzierte kognitive Aktivität macht für die Neoformalisten den Zuschauer aus. Vgl. Bordwell 1992. Deleuze 1990, S. 95.

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ständlichen Verdoppelung des Zentrums. Wie andere Gattungen des amerikanischen Kinos der Aktion setzt das Boxgenre die individualisierte Protagonistenphysis in den dynamischen Mittelpunkt seiner geschlossenen Bewegung.87 Die Zeit des Körperbildes ist das Präsens, denn die affektiven Werte gehen in die sich ständig fortsetzende Aktualität der sensomotorischen Verkettungen ein. Man kann von einer ,Hypergegenwart‘ sprechen, insofern die Ausdrucksketten des übergroßen Bildes nicht durch die typischen Stockungen des Alltags unterbrochen werden.88 Aus dieser Raumzeitmodulation heraus offeriert sich das Körperbild der narzißtischen Identifikation.89 Nun ist die Raumzeitkonstruktion, welche die Vergegenwärtigung und Zentrierung des Boxerkörpers erzeugt, wesentlich jüngeren Ursprungs als der von Meuli untersuchte Opferkampf oder ähnliche Rituale und weist gegenüber dessen althergebrachter ritueller Einstellung gewisse Widerstände auf. Wie andere Opferriten zeugt der antike Opferkampf im Totenkult von einer tief empfundenen Zugehörigkeit zu einer Welt, die von größeren Mächten beherrscht wird. Der Anrufung dieser Mächte gilt das Ritual. Ihrer Versöhnung das Opfer, weshalb es stets das Eingeständnis einer Ohnmacht – wenn auch im Glauben an die Richtigkeit der religiösen Handlung beschwichtigt – in sich trägt.90 Die Raumzeitkonstruktion des klas87 88

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Vgl. Elsaesser 1971. Weil der Film eine Realität biete, die aus dem Wunsch hervorgegangen oder zumindest von Wünschen durchwoben ist, spricht Baudry in Anlehnung an das psychoanalytische Verständnis des Traums von einem „Mehr-als-Realen“. Die kontinuierliche Bewegung des klassischen Kinos bildet dabei die Voraussetzung dafür, daß dieses „Mehr-als-Reale“ im illusionistischen Modus einer sicheren Subjektposition ungestört bleibt. Diese Form der Identifikation wird gewöhnlich aus Lacans Theorem des Spiegelstadiums abgeleitet: die Identifikation mit der mächtigeren Einheit des Spiegelbildes. Vgl. z. B. Mulvey 1980. Die narzißtische Identifikation basiert im Kino jedoch nicht auf einer starren Ordnung (der Körper, der Geschlechter, der Macht etc.), sondern auf einer geschmeidigen Inanspruchnahme des Bildflusses und seiner verschiedenen Positionen für die unterschiedlichen Ebenen narzißtischen Begehrens. Sie schöpft ihre hypnotische Macht gerade aus dieser Konsistenz: ein Fluidum, das die potentielle Brüchigkeit des Filmbildes zu überspülen vermag. Burkert (1987, S. 41) sieht dieses Eingeständnis noch im Opfer des erfolgreichen Jägers vertreten: „Denkwürdig freilich erscheint in

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sischen amerikanischen Kinos hat jedoch ihre Wurzeln in der Perspektive des Renaissance-Tiefenraums, der via Continuity in das bewegte Filmbild übertragen wird: homogener Raum, kontinuierliche Zeit.91 Während im Mittelalter die Einheit von Mensch, Natur und höheren Mächten noch intakt bleibt, ist die Zentralperspektive – mit Erwin Panofsky als „symbolische Form“92 gelesen – der kunstgeschichtliche Ausdruck der Loslösung des Menschen aus der Ordnung des gottgeschaffenen Kosmos.93 Indem sie sich der sichtbaren Welt zuwendet, errichtet sie im Bild ein Regime des Diesseits, das selten so heroisch-pragmatischen Niederschlag findet wie im Boxfilm, der nicht müde wird, uns mit Bildern von Schweiß und Blut zu soufflieren: In dieser Welt kannst auch du es schaffen – und zwar aus eigener Kraft. Die Emphase des selbstgemachten Weges scheint widersinnig allein deshalb, weil er in der Repetition seiner Verehrung mehr als ausgetreten wird. Das rituelle Genrespiel von Wiederholung und nur relativer Differenz verweist – bei aller kausalen Motivation und psychologischen Grundierung, die es der bürgerlichen Psyche verdaulicher machen,– ohnehin mehr auf eine Transformation von Glaubensenergie denn auf materialistische Erfahrung. Insofern stellt sich der klassische Boxfilm in die Tradition der perspektivischen Malerei, wenn er seine Körpermirakel in dieser Welt geschehen läßt. Panofskys Diagnose der Weltverschiebungen in der Renaissance liest sich bisweilen wie unter dem Einfluß des imaginären Kinosogs geschrieben: „Durch diese eigentümliche Übertragung der künstlerischen Gegenständlichkeit in das Gebiet des Phänomenalen verschließt die perspektivische Anschauung der religiösen Kunst die Region des Magischen, innerhalb derer das Kunstwerk selber Wunder bezeugt oder voraussagt, – sie erschließt ihr aber als etwas ganz Neues die Region des Visionären,

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dem Jagd-Opfer-Komplex ein Sinn für Gleichgewicht und Reziprozität: ein Beutemachen, das nicht zur Ausbeutung der Natur wird, weil man im Triumph das Bedenkliche ahnt, Autorität, die eben im Verteilen sich bewährt.“ Vgl. Heath 1986. Panovsky 1964. Joachim Ritter (1974) erläutert diesen Umbruch anhand der Kategorie der Landschaft, die als ästhetische erst mit der Loslösung des Menschen aus dem Kosmos entsteht.

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ERSTE ACHSE: MYTHOLOGIE DES OPFERKAMPFES innerhalb derer das Wunder zu einem unmittelbaren Erlebnis des Beschauers wird, indem die übernatürlichen Geschehnisse gleichsam in dessen eigenen, scheinbar natürlichen Sehraum einbrechen und ihn gerade dadurch ihrer Übernatürlichkeit recht eigentlich „inne“ werden lassen; und sie erschließt ihr die Region des im höchsten Sinne Psychologischen, innerhalb derer das Wunder sich nur mehr in der Seele der 94 im Kunstwerk dargestellten Menschen begibt.“

Der Genreritualtheoretiker Schatz erläutert, woher der identifikatorische Sog jenes Begehren gewinnt, das er in eine wirksame Glaubensform gießen kann, der sich der Begriff eines populären Mythos als angemessen erweist: Die Konfliktenergien des tatsächlichen, des gesellschaftlichen Diesseits sind die Motoren zur Verinnerlichung des Wunders. Schatz spricht von Strategien der Maskierung. Die typischen Konflikte eines Genres basieren auf gesellschaftlichen Problemen, deren politische Bearbeitung tiefgreifende gesellschaftliche Veränderungen (in den Eigentumsverhältnissen oder Institutionen) erforderte und die auf der Leinwand lediglich in einer symbolischen Sphäre ,gelöst‘ werden.95 Allein der Aufstieg des Boxers ist auf allgemeinster Ebene schon die Maskierung jenes Klassenkonflikts, dessen Zustände ihn in den Ring zwingen. Die rituelle Zelebration der Scheinlösung – der Sieg des Boxers im finalen Kampf, mit dessen Vehemenz die klassischen Inszenierungen in der Mehrzahl enden – verdeckt den unlösbaren Basiskonflikt im Ritual. Benjamins Bemerkung, nach der die Ästhetisierung der Politik „die Massen zu ihrem Ausdruck (beileibe nicht zu ihrem Recht) kommen“96 läßt, besitzt auch in den individualistisch gebauten Faustkampfsagen Evidenz. In der rituellen Beschwörung des in einem ausgedrückten und zugleich abgebogenen Begehrens lebt ein Rest vom Glauben an höhere Mächte: Das eigene Diesseits wird eingetauscht gegen das bildintensive Diesseits des populären Mythos, der ein letztlich unweltliches und übergeordnetes Gesetz, eine geradezu sublime Ordnung, für sich behauptet. Zusammen mit den abgewehrten Forderungen nach gesellschaftlichen Veränderungen addiert sich die Operation zur Nullsumme gesellschaftlicher Stabilität. 94 95 96

Panofsky 1964, S. 101. Vgl. Schatz 1981, S. 33. Benjamin 1991a, S. 506.

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Der These folgend, daß ein Genre nicht entleertes, sondern genutztes Ritual ist, sieht man mitnichten einer diffusen Bilderflut ins schwellende Auge, die Erlebnishunger zuschüttet, ohne die tieferen Regionen des Resonanzkörpers zu erreichen. Können Genres auf die sich wandelnden gesellschaftlichen Verhältnisse und Konfliktenergien im Detail reagieren, um deren Wunschenergie an ihre spezifischen Figurationen zu binden, hat man es kaum mit der immer gleichen Betonierung der Warenform zu tun. Das Ritual kann nur funktionieren, wenn in ihm Erfahrung sich performativ herstellt und wiederherstellt: tatsächliche Arbeit an der Relation von geteilten Mythen und eigner Persönlichkeit im rituell-imaginären Modus. In der Erfahrungsverankerung begründen sich sowohl die relative Beständigkeit als auch die Abrufbarkeit populärer Mythologie nicht allein durch das Kino, sondern auch durch die ideologischen Initiativen z. B. der Politik. In ihrem Effekt verständlich wird diese Verankerung nur einem Rezipienten, der sich der Identifikation nicht vollkommen verwehrt. Die Dialektik der Aufklärung dichtet sich mit bissiger Kritik dagegen ab. Wenn sie derart den Resonanzkörper beschneidet, trennt sie mit der Identifikation auch jede auf sie Bezug nehmende Lesbarkeit ab. Das Lesen der populären Mythen ist dagegen eine Produktivität des unkupierten Resonanzkörpers – im wackeligen Lauf zwischen den auf Dauer abstumpfenden Spießen geschärfter Ironie und den immer schon schlaffen Routen einer Gelehrsamkeit, die unter jedem genormten filmischen Baustein einen Taler kulturgeschichtlicher Interpretation aufzuspüren wünscht und damit droht, das ästhetische Unterscheidungsvermögen völlig aus dem eigenen Blick zu verlieren. Der Lesende der Mythologie geht auf nur tönernem Fuße, wenn er allein von den Brechungen und Spiegelungen des Genrerituals im rituellen Sujet des Boxens ausgeht, ohne sich dabei des reflexiven Einflusses der beiden anderen Achsen zu vergewissern. Er ist überdies ein Betrachter im historischen Prozeß und damit in der zeitlichen Differenz zur Gegenwart der überwiegenden Mehrzahl der Untersuchungsgegenstände. Innerhalb dieses temporalen Spalts kommt er auf die Bilder zurück, weniger um „zwischen ihren weitverstreuten Trümmern gelassen abenteuerliche Reisen [zu, d. Verf.] unternehmen“ als das Fundament der kinematographischen Boxerfigur nachzuvollziehen, das in den großen Momenten der beiden anderen Achsen zugunsten des Trümmerreisens zerschlagen wird. Dieses Fundament nachzuvoll-

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ziehen, bedeutet nicht, die Boxermythen nachzuerzählen, sondern die Bewegungsgesetze, in denen sie sich organisieren, ihre Ästhetik und Dramaturgie also, offenzulegen.

II. Grenzmarkierungen Abgrenzungen und damit Grenzmotive haben im Boxfilm zentrale Funktionen. Das mythologische Feld des Filmboxers läßt sich eingrenzen, indem man ihn selbst auf die Figuren der Grenze bezieht. Nach einem einleitenden Diskurs zum Randstatus des Boxens in den USA wird dieses mythologische Feld nachfolgend in drei Schritten konturiert: erstens im Bezug der Figur des Boxers auf die des Arbeiters, zweitens anhand der boxerischen Transformation des FrontierMythos und seiner individuellen Gewalt, die den Boxer dem Westernhelden und dem Gangster relationiert, drittens schließlich durch zwei filmische Pole (Raoul Walshs Gentleman Jim und David Finchers Fight Club), die das Feld von innen her markieren und zwischen denen die mythologische Region des kinematographischen Faustkämpfers sich aufspannt.

1. Einleitender Exkurs zum Randstatus des Boxens In den Industrieländern steht das Kino im Zentrum der populären Öffentlichkeit. Selbst nach einer Phase aufzehrender Konkurrenz mit dem Fernsehen in der Mitte des zwanzigsten Jahrhunderts stabilisiert sich der Film in sich gegenseitig stützenden Allianzen mit den neueren Bildschirmmedien. In der ersten Hälfte dieses Jahrhunderts ist das Kino nahezu unangefochten in seinem Status als industriell produziertes Bewegungsbild. Wegen seiner modernsten Reproduktionstechnologie eignet sich der Film im besonderen Maße für die nationale und internationale Vermarktung von Unterhaltungsprodukten, was unter anderem die frühen Kampffilme ausnutzen, um Boxbegegnungen optimal auszuwerten. Somit zeigen sich die frühen Spielarten des Kinos entscheidend beteiligt an der Genese einer neuen Form von Öffentlichkeit, der Unterhaltung ein Geschäftsbereich ist, der mehr und mehr mit industriellen Methoden bewirt-

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schaftet wird. Die Konzerne visieren Kundenmassen an. In ihrer Studie Babel & Babylon: Spectatorship in American Silent Film geht Miriam Hansen Wandlungen der neuen Öffentlichkeit und ihren ästhetischen sowie politischen Implikationen nach. Sie schreibt über die Publikumsstruktur vor 1905: „Audiences were as varied as the contexts in which films were originally shown – vaudeville and variety theaters, dime museums and penny arcades, summer parks, fair grounds, and traveling shows. What the audiences had in common was a striking distance from the genteel tradition that had dominated American culture since the end of the Civil War. Eluding the control of cultural and religious arbiters, a new public sphere had emerged with a whole range of commercial entertainments that flourished toward the turn of the century. Its constituency was a heterogeneous mass audience, mostly the new urban middle class, especially upwardly mobile white-collar workers and their families, as well as the more prosperous working class – anyone who could afford the admission prices, transportation, and leisure time. Access to this new public sphere was defined primarily in economic terms (with the exception of varying degrees of racial segregation), rather than by the exclusive standards of cultural tradition and social hierarchy. Concomitantly, the ideological orientation of the new entertainment forms, expecially vaudeville and amusement parks, was toward blurring any class divisions among its patrons, offering them participation in an 97 ostensibly classless, Americanized, community of leisure.“

Boxen als Inszenierung aristokratischer Macht Das professionelle Boxen reicht lediglich vom Rand her in diese neue Öffentlichkeit hinein. Der organisierte Faustkampf, der sich mit den Einwanderungsschüben des neunzehnten Jahrhunderts in den Städten der Ostküste verbreitet, untersteht bis ins folgende Jahrhundert regional sowie je nach Zeitabschnitt unterschiedlich gehandhabten Bevormundungen, Restriktionen und Verboten. Ein Grund dafür liegt in der Herkunft der Sportart aus dem Mutterland England.98 Zumindest für ein betont republikanisches Selbstbewußtsein ist die Abgrenzung gegenüber den Werten der alten Welt be97 98

Hansen 1996, S. 60-61. Vgl. Sammons 1988, S. 3ff, Gorn 1986, S. 56ff.

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deutsam, insbesondere nach dem zweiten Unabhängigkeitskrieg mit den Briten (1812-1814), dessen Ende die unmittelbare Nachbarschaft mit Kanada als britischer Kolonie auf unabsehbare Zukunft besiegelt. Genaugenommen handelt es sich aber nicht so sehr um die Auseinandersetzung zwischen ehemaliger Kolonialmacht und Kolonie, sondern um die Konfrontation verschiedener Gesellschaftsordnungen. So läßt sich beobachten, wie das Boxen auch in England mit dem Erstarken puritanisch-bürgerlicher Kreise zunehmend in die Kritik gerät. Denn eine Funktion der großen kommerziellen Veranstaltungen des Bare-Knuckles Prize Fightings im England des achtzehnten und auch des frühen neunzehnten Jahrhunderts ist die Inszenierung aristokratischer Herrschaft. Allerdings ist das Phänomen des Faustkampfes in dieser Zeit keinesfalls einseitig als Affirmation der ständischen Ordnung zu verstehen. In England erwirbt sich das Boxen schon in der ersten Hälfte des achtzehnten Jahrhunderts große Beliebtheit bei verschiedenen, auch oberen Bevölkerungsschichten. Der Faustkampf steht bei den von der Wettleidenschaft gepackten Teilen der Aristokratie schon aufgrund seines sensationellen Verlaufs in besserem Ruf als das Ringen. Und das Wettgeschäft – nicht etwa ein hehrer Moralkodex – ist der Einfluß, der die Festlegung von Regeln und ihre Einhaltung (,Fair Play‘) für die klare Entscheidung der Wette fordert.99 Hinzu kommt, daß das Boxen im Vergleich zum Ringen in seiner Anlage ein Kampf auf Distanz ist und damit dem Fechten näher steht. Deshalb kann es Eingang in die Ausbildung des englischen Adels finden und das Duell mit der Waffe im achtzehnten Jahrhundert zeitweise verdrängen.100 Als das Boxen dem Fechten den öffentlichen Platz derart streitig macht, kommt eine weitere Besonderheit des englischen Ehrenhändels auf. Duelle werden auch über die Standesgrenzen hinweg zwischen Angehörigen unterschiedlicher Schichten ausgetragen. Wiederholt sind sogar Berichte darüber zu finden, daß die gemeine Stadtbevölkerung einheimische und insbesondere ausländische Adelige an der Ausübung des Standesprivilegs hindert. Das Duell mit der Waffe wird bei Androhung oder Vollzug von Handgreiflichkeiten unterbunden. Aber auch in eigener Initiative legen Mitglieder 99 Vgl. von Krockow 1972, S. 13ff. 100 Vgl. Schöffler 1986, S. 30ff.

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der Aristokratie Perücke und Degen – die Attribute des höheren Standes – ab und verschaffen der Ehrensache mit ihren Fäusten Genugtuung. Dieser Zerfall der satisfaktionsfähigen Schicht rührt her – so Schöffler und ihm folgend auch von Krockow – aus der traditionellen Vermischung bürgerlicher und adeliger Schichten aufgrund des in England geltenden Erstgeburtsrechts.101 Die Kräfte, die im Feld des Faustkampfes auf Gleichberechtigung drängen, scheinen sich zunächst in den großen Boxbegegnungen der Epoche fortzusetzen. Diese Veranstaltungen sind, sowohl was die Logistik ihrer Organisation als auch das Profitinteresse der Veranstalter angeht, eine Spielart der frühen kapitalistischen Massenunterhaltung. In diesem Sinne wird ihnen die Utopie eines die Standesgrenzen überschreitenden Ereignisses nachgesagt. Das Boxpublikum weist zu dieser Zeit eine große Heterogenität von arm und reich auf, deren verschiedene Gruppierungen in der Dramatik des Kampfgeschehens dem Anschein nach miteinander verschmelzen. Aber die nur vorübergehende Grenzüberschreitung dient am Ende der Darstellung aristokratischer Hierarchien.102 Am Phänomen des Wettens wird besonders deutlich, wie der englische Faustkampf als Darbietung von Machtansprüchen funktioniert. Kleinere Wetten innerhalb von Spielen oder sportliche Aktivitäten gibt es bereits während des sechzehnten und siebzehnten Jahrhunderts (und auch schon davor) in unterschiedlichem Maße – unter anderem abhängig vom gesellschaftlichen Einfluß der Puritaner.103 In den Adelskreisen gedeiht das Wetten als eine Form des Zeitvertreibs. Die Wette ist im Sinne Benjamins „ein Mittel, den Ereignissen Chockcharakter zu geben“104, und somit geeignet, die Langeweile der tatenlosen Zeit, die noch im achtzehnten Jahrhundert exklusiv das Leben der Aristokratie kennzeichnet, zu durchbrechen. In diesem Jahrhundert erfährt das Wetten in Adelskreisen einen enormen Aufschwung. Sie zeigen sich aufgrund ihres Grundbesitzes lange Zeit als einzige in der Lage, wirklich hohe Summen ins Spiel zu bringen. 101 Vgl. Schöffler 1986, S. 24ff u. 65ff, von Krockow 1972, S. 24ff. 102 Vgl. Gorn 1986, S. 30: „Such a leveling was only temporary, of course, and by keeping the lines of patron and patronized clear, the rites of the ring ultimately reinforced hierachy.“ 103 Vgl. Brailsford 1992. 104 Benjamin 1991, S. 635 (Anmerkungsapparat).

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Gewinne oder Verluste sind nicht unbedeutend, aber das Wetten stellt für die damalige Oberschicht keine bloße Möglichkeit der einfachen Kapitalvermehrung dar. Auch geht es mitnichten in seinem spielerischen und lustvollen Gehalt auf. Denn das Wetten steht außerdem im Zusammenhang mit der aristokratischen Konvention, sich durch die Verschwendung von Gütern in der Konkurrenz mit anderen Adelsfamilien darzustellen.105 Mittels sportlicher Wettkämpfe wird die Rivalität der Familien immer mehr über Stellvertreterkämpfe ausgetragen. Das Boxen und darüber hinaus auch das Pferderennen oder die Läufe der sogenannten Footmen bieten der Aristokratie die Möglichkeit, sich zu messen, ohne selbst körperlichen Schaden zu nehmen. Im Rahmen des Patronizing kämpft der Boxer für eine Adelsfamilie, die ihm im Gegenzug finanzielle und gesellschaftliche Vorteile eröffnet. Die platzierte Wette ist eine exponierte Parteinahme des Wettenden für den Sportler. Sie grenzt die Rollen des Faustkämpfers, der seine körperliche Gesundheit riskiert, und seines adeligen Gönners, der lediglich sein Geld einsetzt, klar voneinander ab. Dem erfolgreichen Boxer winken ein gewisser sozialer Aufstieg und ansehnlicher Verdienst. Aber er streitet für die Ehre des Adeligen. Die aristokratische Vorherrschaft zeigt sich am deutlichsten dort, wo der Verlierende des Stellvertreterkampfes in Ungnade fällt.106 Das Wetten jedoch allein in der Tradition der Selbstdarstellung zu sehen, verstellt den Blick darauf, daß es einen Umgang mit Geld exponiert, in welchem der aristokratische Gestus und die Bedingungen des aufkeimenden Industriekapitalismus in spektakulärer Weise fusionieren. Aus seiner dem Arbeitersport bzw. dessen Utopie zugeneigten Sicht bringt es Helmut Wagner nicht ohne moralisierenden Unterton auf den Punkt: „Es handelt sich dabei um nichts anderes als um eine Verbindung kapitalistischer Spektulationsgesinnung 105 Hopf 1981, S. 152ff. 106 So geschieht es Jack Broughton, dem Liebling der Londoner Aristokratie, im besonderen des Duke of Cumberland, der schwindelerregende Summen auf ihn zu setzen pflegt. Als er 1750 von einem Mann namens Jack Slack besiegt wird, verliert er abrupt die Gunst Cumberlands, der 10000 Pfund auf ihn gewettet haben soll. Vgl. Schöffler 1986, S. 32, Brailsford 1992, S. 9ff. Nach seiner Niederlage ist das Boxen in Adelskreisen für kurze Zeit derartig unbeliebt, daß es sogar eine Renaissance des Waffenduells gibt. Vgl. von Krockow 1972, S. 24.

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mit der vornehmen Verachtung des Geldes durch die Aristokratie.“107 Diese Form frühkapitalistischer Geldwirtschaft, die sich im hohen Risiko des Wettens abzeichnet, charakterisiert ebenso die Spekulation mit Grund und Boden. Darin findet sich ein weiteres Betätigungsfeld des dem Boxen zugeneigten englischen Landadels – der Gentry. Im Zuge der steigenden Grundstücksnachfrage, die mit der Entwicklung der Textilindustrie einsetzt, wird der Handel mit Grundstücken zum lukrativen Geschäft: „Diese Spekulation, dem puritanischen Manufakturkapitalisten eine Sünde und ein Greuel, wird fast zu einem Lebenselement der englischen Aristokratie.“108 Die Sünde bezieht sich auf die Verachtung der Spekulation gegenüber der fleißigen, stetigen Arbeit, durch die der Puritaner den Weg zu Gott bestreitet; der Greuel auf die verschwenderische Bedrohung gegenüber der Stabilität ökonomischer Verhältnisse, die für den Erfolg des produzierenden Kapitals immer notwendiger wurde. Beides gilt für das Wettgeschäft, wo leicht erwirtschaftete Verdienste auf hohem Niveau an der Tagesordnung sind, wo aber auch immense Verluste, die zum destabilisierenden Ruin einer Adelsfamilie führen, vorkommen können.109 Im Brennpunkt des englischen Preisrings finden somit die Konflikte des gesellschaftlichen Umbruchs ihren Ausdruck. Das Boxen gerät in das Kritikfeuer des erstarkenden puritanischen Bürgertums.110

107 Wagner 1973, S. 59. 108 Wagner 1973, S. 59. Wagner leitet den Aufschwung des Wettens aus der verbreiteten Grundstücksspekulation ab. Die zeitliche Abfolge spricht aber eher für eine andere Interpretation. Schließlich setzt die Industrialisierung um 1760 ein. Zuvor werden jedoch schon horrende Beträge bei den sportlichen Wettbewerben gesetzt. Somit scheint die Spekulationsgesinnung eher aus dem Wetten hervorzugehen als umgekehrt. Die Gewinne aus den risikoreichen Grundstücksgeschäften haben danach sicherlich wiederum die Wettleidenschaft beflügelt. Überhaupt ist Sport schon zu Figgs, in jedem Fall aber zu Broughtons Zeiten ein lukratives und organisiertes Geschäft. Die Wettbewerbe sind von Seiten der Veranstalter neben der aristokratischen Selbstinszenierung durch ökonomische Strukturen geprägt, die sie zu einer frühen Form kapitalistischer Massenkultur machen. Vgl. Brailsford 1992, S. 43ff. 109 Vgl. Hopf 1981, S. 152ff. 110 Vgl. Gorn 1986, S. 29.

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Boxen in den USA: Kultivierung des Randstatus Auch in den USA stößt das Boxen und sein gesamtes Milieu auf die bürgerlich-puritanische Ablehnung. Der Faustkampf faßt in den urbanen Vierteln der Einwanderer Fuß und wird Teil einer bisweilen derben Unterhaltungssubkultur, deren Veranstaltungen in Saloons, alten Scheunen oder Häfen stattfinden. Im selben Zeitraum übernehmen die östlichen Metropolen eine führende Position in der Umgestaltung der amerikanischen Siedler- und Agrargesellschaft des achtzehnten Jahrhunderts zu einem modernen Industriestaat. Die besitzenden Bevölkerungsschichten sind dementsprechend an der Kontrolle der öffentlichen Sphäre zugunsten der Sicherung ihrer Lebensverhältnisse und ihres Eigentums interessiert. Sie streben den reibungslosen Ablauf der wirtschaftlichen Produktionsprozesse an. Daher stehen sie den Subkulturen der Arbeiterviertel im allgemeinen skeptisch gegenüber. Ihnen erscheinen die hedonistischen Züge des Publikums und das durch Wetten, Glücksspiel und andere streitbare Vergnügungen geprägte Umfeld als mögliche Vorstufe eines umfassenderen Kontrollverlustes. Die Angst vor der Störung der öffentlichen Ordnung ist aufgrund der noch unentwickelten zivilisatorischen Infrastruktur größer als in England. Aber die Feinde des Faustkampfes verschiedener Kontinente ähneln sich in ihrer Art, moralisierende Argumente für die eigenen Interessen zu instrumentalisieren. So wird das Wetten auf Menschen mit der skrupellosen Gier nach Geld identifiziert und das Boxen in die Nähe anderer zweifelhafter Milieus wie dem der Kriminalität oder der Prostitution gerückt, beides Topoi, die sich bis heute erhalten haben.111 Die rigoroseste Ablehnung richtet sich jedoch gegen die exponierte Gewalt des Boxens. In der Kritik an den gesundheitsgefährdenden Aspekten des Boxens sind oft Untertöne eines modernen Nützlichkeitsdenkens zu vernehmen, was hierzulande Brecht dazu veranlaßt hat, die offene Gewalt des noch nicht versportlichten Faustkampfes gegen die Hygienebewegung seiner Zeit ins Feld zu führen.112 Das amerikanische Boxen des neunzehnten Jahrhunderts muß auf das puritanische Arbeitsethos und die industrielle Produk111 Vgl. Sammons 1988, S. 3ff, zur öffentlichen Debatte um das Boxen im frühen achtzehnten Jahrhundert vgl. Gorn 1986, S. 56ff. 112 Vgl. Brecht 1995, v. a. S. 98-99.

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tionsrationalität wie ein unverschämter Verschleiß von arbeitstauglichen Männerkörpern wirken, zumindest solange diese Körper in den Produktionsprozessen noch gebraucht werden und dem Unternehmergeist die Rationalität des Show- und Sportgeschäfts verschlossen bleibt. Außerdem zeigt der Faustkampf, wie sich ein erfolgreicher Boxer als einzelner Mann aus den Massen der ,Lohnsklaven‘ erhebt – und zwar durch Gewalt. Zugegebenermaßen ist seine Gewalt nicht gegen die Begüterten, sondern gegen seinesgleichen gerichtet – das macht den Boxer zu einer tragischen Figur –, aber die Möglichkeit eines Umschwungs in der Zielrichtung scheint durchaus gegeben, zumal auch das Umfeld der Kämpfe durch Gewaltbereitschaft geprägt ist. Das Argument von der heroischen Kanalisierung der Leidenschaften im Boxsport ist hauptsächlich in der englischen Debatte schon vertreten,113 aber die Auffassung von der Kompensation der aggressiven Impulse des Publikums und der Bindung des Gewaltpotentials der Masse im Showereignis bestimmt diese Periode noch nicht.114 Um die Furcht vor einem Kontrollverlust gegenüber der erregten Menge zu verstehen, sollte man sich das Spektakel des BareKnuckles Prize Fighting vor dem Hintergrund der verzweigten und teils widersprüchlichen amerikanischen Gewaltkultur des neunzehnten Jahrhunderts vorstellen. Weite Teile des Landes sind noch vom Vigilantismus und von der Gewaltbereitschaft der Frontier bestimmt.115 Demgegenüber wirkt das Gewaltpotential des Faustkampfes recht beschaulich, und seine Ausstellung der individuellen 113 Vgl. Gorn 1986, S. 56ff. 114 Heute schwingt die Vorstellung einer kompensierenden Kanalisierung beim Nachdenken über das Boxen häufig mehr implizit mit, als sie deutlich herausgestellt würde. In unverdünnter Form läßt sie sich dort finden, wo die kompensierende Funktion der Massenkultur auf ihre schärfsten Kritiker stößt. Welchen Orts, wenn nicht in den Schriften Adornos (1997, S. 43) in ihrer flächendeckenden Ablehnung der Populärkultur, könnte man auf prägnante Äußerungen zur kompensatorischen Funktion der Leibesertüchtigung in der Moderne stoßen? Unnachgiebig rechnet er den Sport dem „Reich der Unfreiheit“ zu. Im Anschluß an Thorstein Veblen sieht er ihn „als Pseudo-Aktivität: als Kanalisierung von Energien, die anderwärts gefährlich werden könnten; als Investition sinnloser Tätigkeit mit den trugvollen Zeichen des Ernstes und der Bedeutung.“ 115 Zum Vigilantismus vgl. Brown 1975 u. 1994; zur Frontier vgl. Turner 1975, Billington 1977, Slotkin 1985.

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Gewalthandlung läßt sich durchaus mit der Ideologie der Selbstbehauptung jenseits der Zivilisation in Einklang bringen. In der gleichen Periode bringt jedoch die zivilisatorische Entwicklung im Osten die Notwendigkeit mit sich, das staatliche Gewaltmonopol zu festigen. In den Elendsvierteln der größeren Städte stauen sich mit den wachsenden Menschenmengen größere Aggressionspotentiale, die sich in den Unruhen der dreißiger, vierziger und fünfziger Jahre des neunzehnten Jahrhunderts entladen. Die Reaktion ist der Ausbau des Polizei- und Ordnungswesens, später auch der Nationalgarde.116 Der öffentliche Faustkampf zeigt sich in diesem Zusammenhang immer wieder als Problemfeld. Obwohl die Veranstaltungen durchaus nicht unstrukturiert und die Kämpfe nicht unreglementiert ablaufen, lassen sie gelegentlich Disziplin und Fair Play vermissen. Übergriffe des Publikums, die sich – durch Streitigkeiten um Wetteinsätze entfacht – zu handfesten Massenschlägereien ausweiten, sind keine Seltenheit.117 Infolgedessen erstaunt es nicht, daß es zu Verboten des Faustkampfes kommt. Dabei gibt es keine national einheitliche Strategie. Wenig überraschend auch, daß Verbote an der Ostküste besonders streng gehandhabt werden. Die Veranstalter weichen in den Süden und den Westen der USA aus. Aber auch dort sind oft nur Trainingskämpfe (,sparing exhibitions‘) erlaubt, und die Promoter sehen sich gezwungen, die großen Kämpfe an abgelegenen Orten (,out-of-the-way places‘) auszurichten. Viele dieser Boxveranstaltungen, die wegen ihrer Größe kaum geheim gehalten werden können, werden von offizieller Seite verhindert oder abgebrochen. Das Boxen und sein Milieu geraten außerdem in das Blickfeld der gleichermaßen sozial engagierten wie moralisierenden Reformbewegung, die auch zur Durchsetzung der Prohibition ihren Beitrag leistet. Bis zum Ende der zwanziger Jahre des folgenden Jahrhunderts dauern die Verbote und Restriktionen der professionellen Kämpfe an. Erst allmählich kann die Sportart in die Metropolen des Ostens zurückkehren und sich in den großen Arenen ansiedeln, für die stellvertretend der New Yorker Madison Square Garden – das ,Mekka des Boxens‘ – steht. Die moralisierenden Anfeindungen und Verbote haben öffentliche Boxveranstaltungen nie gänzlich verhin116 Vgl. Lane 1967, Richardson 1974, Brown 1994. 117 Vgl. Sammons 1988, S. 3-7.

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dern können. Das Boxen floriert schon vor seiner Legalisierung seit langem in den Grenzzonen des Gesetzes. Aber erst an der Ostküste, wo auch die überwiegende Mehrzahl der Boxfilme Hollywoods spielt, entfaltet der professionelle Pugilismus seine volle kommerzielle und soziale Blüte.118 Das Boxen wird ein Feld des modernen Massensports, der bis heute ein Massenmediensport ist. Die Massenmedien spielen eine bedeutsame Rolle bei der Konsolidierung des professionellen Faustkampfes innerhalb der amerikanischen Gesellschaft. In einigen wichtigen Zeitungen findet der Boxsport schon während seiner gesetzlichen Ächtung einflußreiche Fürsprecher, die selbst von seinem Sensationswert profitieren. Um die Jahrhundertwende bekommen diese traditionell dem Boxen wohlgesinnten Printmedien (etwa die National Police Gazette – die wohl wichtigste Sportzeitschrift des späten neunzehnten Jahrhunderts119 – und der San Francisco Examiner – das einflußreiche Boulevardblatt aus dem HearstImperium120, auf das sich Orson Welles’ Citizen Kane bezieht) Unterstützung durch das Kino. Filme sind sehr viel plastischer als das gedruckte Wort in der Lage, das Boxgeschehen auch entfernteren Interessenten nahe zu bringen. Mit ihrer massenmedialen Auswertung – zunächst im Film, dann im Radio und bis heute im Fernsehen – werden die großen Begegnungen für die erfolgreichen Athleten wesentlich lukrativer. Die Zielgruppen vergrößern sich enorm. Die Champions steigen zu nationalen Berühmtheiten auf.121 Trotz der sportlichen Infrastruktur, der medialen Lobby, der hohen Profite und der Massen von begeisterten Zuschauern hat der professionelle Faustkampf seinen Randstatus nie abschütteln können. Freilich hält die Kritik an seiner Gewalt bis in unsere Tage an, immer stärker untermauert durch medizinische Untersuchungen, die bestrebt sind, die Langzeitschäden der Erschütterungen nachzuwei-

118 119 120 121

Vgl. Sammons 1988, S. 16ff, S. 59ff. Vgl. Gorn 1986, S. 181, Streible 1994, S. 22. Vgl. Streible 1994, S. 35. Jack Dempsey gilt als der erste amerikanische Boxer, der mit Hilfe der Massenmedien (Zeitungen, Radio, Film) zum nationalen Idol auch jenseits der im eigentlichen Sinn am Sportlichen interessierten Bevölkerungsgruppen aufsteigt. Zu Dempseys Popularität vgl. Roberts 1988.

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sen.122 Immer wieder gibt es – bisweilen erfolgreiche – Plädoyers, die Regeln und die medizinische Kontrolle zu verschärfen. Auch Verbotsforderungen sind an der Tagesordnung. Einerseits wachen Verbände und Kommissionen über die sportliche Ordnung. Andererseits lösen Gerüchte und Skandale um – teils nachgewiesene – Konnexionen zum organisierten Verbrechen einander ab. Aber die Vermarktung des Boxens hat den Randstatus längst als ihr Kapital erkannt. Grenzüberschreitungen und Zwielichtigkeiten werden fachmännisch ausgeschlachtet und sogar kuliviert. Man meint, den Einfluß Hollywoods zu erkennen, wenn Kriminalität als Bestandteil der Unterhaltung vermarktet wird. Halbseidenes Publikum und fragwürdige Persönlichkeiten wie Frankie Carbo in den vierziger und fünfziger oder Don King seit den siebziger Jahren scheinen längst zu den wertvollsten Sensationen des Milieus zu gehören. Die massenmediale Inszenierung siedelt das professionelle Gewaltreservat in der attraktiven Spannung zwischen dem Amateurboxen, aus dem es seine Talente rekrutiert, und einer Halbwelt an, deren Schillern mit der populären Mythologie des amerikanischen Kinos in Austausch steht.123

2. Grenzgänger und Grenzüberscheiter: Westerner, Gangster, Boxer In der Fiktion historischer Zeit, innerhalb derer das amerikanische Populäruniversum seine mythischen Epochen situiert, erscheinen die Gangster und mit ihnen die Boxer – im großen und ganzen – nach den Westernhelden. Sie leben in mythischen Versionen des 122 Prof. Dr. med. Hans Grebe – Präsident der Ärztekommission des internationalen Amateurbox-Verbandes (AIBA) – macht mit seiner Abhandlung Die bösen Boxer: Ärztliche Gedanken zum Boxsport (1984) den Versuch, das Amateurboxen vom professionellen Faustkampf hinsichtlich des Gewaltpotentials grundlegend abzusetzen und damit zu legitimieren. Zum Verhältnis von Medizin und Boxen vgl. auch Cantu 1995, Sammons 1988, S. 245ff. 123 Rand- und Ausnahmestatus dokumentieren sich auch darin, daß die großen Boxbegegnungen seit den siebziger Jahren in den gigantischen Hotels der amerikanischen Spielenklaven stattfinden, vor allem in Las Vegas. Hier sind zwar auch Wetten und Glücksspiel gesellschaftsfähig geworden, gleichzeitig wird jedoch die räumliche Trennung vom Arbeitsalltag betont.

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zwanzigsten Jahrhunderts. Die immanente Zeitordnung der populären Mythologie referiert in manchem Sinn auf historische Begebenheiten, aber nicht allein – ein einfältiges Credo des Realismus anstimmend – zum Zweck einer Beglaubigung der eigenen Fiktionen, sondern wesentlich im Rahmen der Er- und Bearbeitung kollektiver Vergangenheit bzw. ihrer imaginären Transformationen. Die Positionen der männlichen Genrefiguren innerhalb der populärmythischen Zeitordnung bestimmen sich maßgeblich über ihre Relationen zum amerikanischen Gründungsmythos, der sich um das Motiv der Frontier spannt, dieser sich ständig nach Westen verlagernden Grenze der Zivilisation. Es ist ein Mythos der Männlichkeitsproduktion. Ein Konstitutivum des Produktionsprozesses ist die Grenzerfahrung der Wildnis, die den Amerikaner vom Europäer unterscheidet bzw. den Europäer zum Amerikaner macht. Auf dem neuen Territorium sowie in der Konfrontation mit Eingeborenen und unbezwungener Natur, die die Erschließung des neuen Kontinents mit sich bringt, sieht sich der Abkömmling der ,Alten Welt‘ seiner zivilisatorischen Standards entledigt. Er muß sich zunächst der Wildnis angleichen, sich ihren Gesetzmäßigkeiten beugen, um sie bezwingen zu können. Einerseits – wohl vordergründig – sind die temporäre Verwilderung und die ihr untrennbar anhaftende individuelle Gewalt Mittel zum Zweck, notwendige Übel also, die nach der Zivilisierung des Kontinents mit Scham behaftet und damit der Verdrängung anheim gegeben sind. Andererseits bezieht die neue Ordnung ihre Energie gerade aus der mehr oder weniger verdeckten Identifikation mit dem Wilden. Dieses Wilde ist eine Projektion der eigenen Perspektive auf das Fremde: ein mythisches Bild des Wilden. Im Mythos werden Verwilderung und Gewalt zu Quellen einer neuen, kraftvolleren Zivilisation, gereinigt von der Degeneration der alten Welt. Das Strukturgesetz der Reinigung hat Richard Slotkin auf die prägnante Formel Regeneration Through Violence gebracht.124 Der Mythos setzt Potentiale frei. Es handelt sich zum einen um Potentiale der nationalen Identitätsbildung – gerade auch in der Abgrenzung gegenüber dem Mutterkontinent Europa – und ihrer mitunter reflexiven Bearbeitung. Darüber hinaus bietet der Mythos Möglichkeiten der Legitimation bezüglich der Grausamkeiten der 124 Slotkin 1973 u. 1998, vgl. auch Ickstadt 1994.

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historischen Frontier, des Vigilantismus und der Vernichtungskriege gegen die Ureinwohner. Insofern das Grenzmotiv in den USA als ein Kernstück nationaler Identität funktioniert, reproduziert und variiert es sich auch und vor allem in den industriell geprägten Epochen nach dem Zeitalter der eigentlichen Frontier, die gegen Ende des neunzehnten Jahrhunderts offiziell als Vergangenheit gilt. Die Reproduktion reicht wie selbstverständlich bis in die ideologischen Felder der Politik.125 Grenzen im Western und Gangsterfilm Im Western – dem „amerikanische[n] Kino par excellence“126 – operiert der Mythos auf seinem augenscheinlichen Terrain. Das Genre führt seine Helden direkt an die Frontier des mythischen neunzehnten Jahrhunderts. Die Präsenz seiner visuellen Grenzzeichen – „the palisade of the desert fort; a mountain pass or a river, especially one whose name ist recognized as a boundary marker, like the Rio Grande; the white empty street of the town“127 – gemahnt stets an die mythische Opposition von Wildnis und Zivilisation.128 Der Westernheld wird zum Grenzgänger, weil er auf beiden Seiten handlungsfähig ist – in der Stadt und in der Wildnis.129 Im klassischen Kino verschaffen die weiten Einstellungen der Herausforderung des Westerns Raum.130 Die Bewegung in den wei125 John F. Kennedy macht die Suche nach neuen Grenzen und das Vordringen auf neue Territorien – bezüglich etwa der Erschließung des Weltraums nicht nur metaphorisch – zum expliziten Programm seiner Politik, als er eine New Frontier proklamiert. Vgl. Ray 1985, S. 248ff; Slotkin 1998, S. 1-3, 489ff. Erschreckend ist die Direktheit, mit der jüngst George W. Bush die Parolen des populärmythologischen Feldes (z. B. das ,dead or alive‘ des Westerns) abrufen kann, um Entschlossenheit und Notwendigkeit einer bestimmten Strategie zur Bekämpfung des internationalen Terrorismus zu bekunden. 126 Bazin 1975a, S. 111. 127 Slotkin 1998, S. 351. 128 Vgl. dazu Jim Kitses’ (1974, S. 65-66) Gegenüberstellung von „The Wilderness“ und „Civilization“ in oppositionellen Begriffspaaren, die sich an den drei übergeordneten Gegensätzen „The Individual“/„The Community“, „Nature“/„Culture“, „The West“/„The East“ orientieren. 129 Vgl. Cawelti 1974, S. 59. 130 Vgl. Calder 1974, S. 15.

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ten Raum treibt die Grenze und mit ihr das entsprechende Wertsystem westwärts. Die Themen des Genres sind der Fortschritt, die Verwandlung von Natur in Kultur, die Einführung des Gesetzes.131 Wo die Eisenbahn – im Western das technologische Symbol der neuen Ordnung – noch nicht fährt, steht der einzelne Männerkörper (mit seinem Pferd) für diese Bewegung und somit gegen Gesetzlose oder Wilde ein. Sein vitalistisches Prinzip, aus dem die Identität des Westerners hervorgeht, und damit seine Methode der Selbstbehauptung, auf deren rituelle Zelebration das Genre mit dem Showdown hinausläuft, bestehen in der individuellen Ausübung von gerechter bzw. mittels dramaturgischer Strategien gerechtfertigter Gewalt.132 Den Fokus der individuellen Gewalthandlung teilt der Western mit dem Gangstergenre, das zu Beginn der dreißiger Jahre in einer neuen Form – auch als Reflex auf die veränderte soziale Lage der Wirtschaftskrise – entsteht.133 Aber die Aktionsbedingungen des Gangsters sind in der mythischen Großstadt von The Public Enemy (1931), Scarface (1932) und Little Caesar (1933) völlig andere. Die Tiefe des Raums ist hier nur als Straßenschlucht zu haben. Der Gangster bewegt sich nicht auf einem dünn besiedelten Territorium, sondern in einer entwickelten Infrastruktur, die für das Zusammenleben von Menschenmassen gemacht ist. Das Individuum ist nicht die Instanz, die den zivilisatorischen Fortschritt und das Gesetz mittels Verwilderung und Gewalt bringt. Vielmehr muß der Gangster

131 Es kann kaum überraschen, daß der Western als das amerikanische Genre des Fortschritts gilt. Vgl. Slotkin 1998, S. 286ff, Rosow 1972, S. 8. Bemerkenswert ist jedoch der Blick Bazins (1975a, S. 120) auf die Gemeinsamkeiten des amerikanischen Kinos mit dem russischen Revolutionsfilm hinsichtlich ihrer Produktionsweisen der jeweiligen Ursprungsmythen, die sich um die Etablierung einer Ordnung formieren: „Wie die Eroberung des amerikanischen Westens ist auch die sowjetische Revolution eine Ansammlung historischer Ereignisse, die die Geburt einer Ordnung und einer Zivilisation markieren. Beide haben die für die Bestätigung der Geschichte notwendigen Mythen geschaffen, beide mußten die Moral wiederentdecken, sie mußten an der Quelle ihres Lebens, noch bevor eine Vermischung oder Verunreinigung stattfinden konnte, das Prinzip des Gesetzes wiederentdecken, das Ordnung in das Chaos bringt, den Himmel von der Erde trennt.“ 132 Vgl. Calder 1974, S. 16; vgl. auch Slotkin (1998, S. 352) über die mythische Gründungsgewalt im Western. 133 Vgl. Gregor / Patalas 1976, S. 207; Slotkin 1998, S. 255ff.

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seine Individualität erst in der Gewalthandlung gegen die Zivilisation und ihre Ordnungsmechanismen behaupten. Die Gewalt erwirbt sich einen zweideutigen Status. Zwar übernimmt der Gangsterfilm in gewisser Weise den Manichäismus des Westerns, aber er erreicht bei weitem nicht mehr das gleiche Legitimationsniveau für seine Gewalttätigkeiten und will dies auch nicht: „The Western hero’s redemption and success are linked to the triumph of progress and civilization over a criminality linked to barbarism. In the world of Public Enemy the party of order and progress is marginal; the real battle is between a „good“ gang that lives by the code of masculine loyalty and brotherhood, and a „bad“ gang that „schemes“ its way to power and tortures the helpness instead of going at it with 134 straightforward violence.“

Der eherne Vertrag zwischen der individuellen Gewalthandlung und einer ethischen Gesinnung, die letztlich im Dienst der Gesellschaft steht, wird aufgekündigt. Darin perspektiviert das Genre den Western, weil es sich die Frage stellt, was mit der gewaltsamen Virilität, die sich aus der mythischen Wildheit der Frontier speist, eigentlich geschieht, wenn sie zur Herstellung der Ordnung nicht mehr benötigt wird. Diese Frage sieht André Bazin bereits im Western anhand der widersprüchlichen Position des auf sich selbst gestellten Pioniers gegenüber der Allgemeingültigkeit des zivilisierten Gesetzes, dem er den Weg bahnt, aufkeimen: „Da, wo die individuelle Moral gefährdet ist, kann nur das Gesetz die Ordnung des Guten einführen und das Gute der Ordnung. Das Gesetz aber ist insofern ungerecht, als es vorgibt, eine soziale Moral zu garantieren, dabei jedoch die individuellen Verdienste jener ignoriert, die diese Gesellschaft gegründet haben.“135

134 Slotkin 1998, S. 264. 135 Bazin 1975a, S. 116. Bazin erkennt im Western außerdem die Problematisierung der noch starren Rechtsprechung in der Frühzeit des Gesetzes. Der Anspruch des Gesetzes auf Gültigkeit zeigt sich im rauen Klima des Westens als ein demonstrativer Zug, der zu Lasten einer differenzierten Gerechtigkeitsvorstellung geht. Vgl. dazu auch Calder 1974, S. 125.

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Dem Gangster ist Aggressivität bisweilen wie eine Natureigenschaft mitgegeben.136 Als solche revoltiert sie gegen den Zwang von Gesetz und Ordnung, dem der einzelne im städtischen Leben tagtäglich unterliegt. Daher bekommt die Aggressivität etwas Schillerndes. Das vitalistische Prinzip wird gegen die moderne Ordnung geltend gemacht, worin sich der Gewaltmythos zwar fortsetzt, aber in modifizierter Form.137 Die Gewalthandlung des Gangsters läßt sich mithin als Akt der individuellen Befreiung von den Einschränkungen der zivilisierten Gemeinschaft und der Disziplinierung des modernen Daseins verstehen. Denn die Gewalt ist hier nicht das Werkzeug der Freiheit, sondern diese selbst. Darauf weist bereits Robert Warshow hin, wenn er in seinem prominenten Essay The Gangster as Tragic Hero den Erfolg des Gangsters mit im buchstäblichen Sinn Verfügungsgewalt identifiziert: „Thus brutality itself becomes at once the means to success and the content of success – a success that is defined in its most general terms, not as accomplishment or specific gain, but simply as the unlimited possibility of aggression.“138 Die Großstadt als ,Dschungel‘, in dem man skrupellos sein muß, um sich durchzusetzen, ist das Phantasma des Gangsters. Es bringt eine enorme Karriere hervor, durch die er sich von der gleichförmigen Masse abhebt, richtet sich aber letztlich auf den eigenen Untergang. Der endliche Tod im Kugelhagel der Polizei in Little Caesar und Scarface ist, obwohl die Vertreter des Gesetzes zuvor eine dem Bandenkrieg untergeordnete Rolle spielen, kein ,Deus ex Machina‘. Er hat sich in jedem Detail des Milieus angekündigt: „So the civilisation which the Westerner held at bay now overwhelms the gangsterhero; the cowboy’s distant fears have become the gangster’s daily angst. The very buildings in which the gangster hides, the cars that he uses for murder and escape, the clothes, guns, phones, and other tools of his trade – all are emblems of a social order wich eventually must destroy him. And these emblems create a system of iconographic components which assume a special significance in the narrative. Thus the gangster’s urban milieu serves a dual function. On the one hand, it is a dark and often surreal arena of physical action and 136 Vgl. Schatz 1981, S. 86. 137 Vgl. Slotkin 1998, S. 265. 138 Warshow 1962a, S. 132. Vgl. Shadoian, 1977, S. 17.

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ERSTE ACHSE: MYTHOLOGIE DES OPFERKAMPFES violence and serves as an expressive extension of the gangster’s own sensibilities. But on the other hand, it represents the forces of progress and social destiny which the gangster cannot hope to conquer. The intangible forces of social order and civilisation which have created the 139 modern city certainly will crush a single anarchic malcontent.“

Der Zivilisationsprozeß ist auch in diesem Genre irreversibel, selbst wenn es vorübergehend so aussieht, als könne der Gangster seine archaischen Antriebe behaupten. Indem Schatz, von dem die zitierten Sätze stammen, den Gangster von vornherein auf verlorenem Posten operieren sieht, folgt er Warshows Interpretation vom tragischen Helden. Für Warshow verkörpert der Gangster eine spezifische Variante des unlösbaren Konfliktes zwischen Individuum und Gesellschaft in der westlichen Zivilisation: das Dilemma der Unvereinbarkeit der forcierten Forderung nach einem Individualismus, der sich über Erfolg herstellt, und des kollektiven Zwangs zum Konformismus innerhalb einer modernen Gesellschaft. Die Figur des Gangsters wäre dann die am Gewaltmythos orientierte Pervertierung jenes Strebens nach Erfolg, das der ,Amerikanische Traum‘ für Männer vorsieht.140 Das Erfolgsstreben ist zu einer unstillbaren Gier mutiert. „Die Gier ist Lebensgier.“141 Sie ist es im doppelten Sinne. Der Gangster giert nach einem guten Leben und trägt doch nur die entsprechenden Insignien (Geld, Frauen, Luxus) zusammen. Gleichzeitig verschlingt die Gier das Leben anderer. Zwei-Grenzen-Ordnung im Boxfilm Auch im Boxfilm werden die Kräfte des Frontiermythos wirksam, wenn der Faustkämpfer den individuellen Gewaltakt benötigt, um seine Männlichkeit zu bestätigen, zu erneuern oder allererst zu konstituieren. Das männliche Wild-Werden verlegt sich in das moderne Gewaltreservat des Sports. Die Filmboxer sind in ihrem Kampfstil 139 Schatz 1981, S. 85. Auf die ikonographischen Funktionen der urbanen Milieus sowie auf die modernen Waffen, Autos und Telefone weisen nahezu alle Untersuchungen zum Gangsterfilm hin. Vgl. exemplarisch Gabree 1981, S. 18ff, McAthor 1972, S. 29ff. 140 Rosow (1978, S. 22ff) bettet das Erfolgsstreben des Gangsters in eine umfassende Betrachtung des amerikanischen Erfolgsmythos in soziohistorischer Perspektive ein. 141 Böhringer 1998, S. 75-76.

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in der Mehrzahl ,Fighter‘ oder ,Puncher‘ und selten filigrane Techniker oder ,Stylists‘.142 Fast nie wird ihr technisches Können vor den Qualitäten des zähen Kämpfers herausgestellt. Die Feier der ,ursprünglichen‘ Gewalt als einer der Zivilisation entgegengesetzten Naturkraft trägt auch in diesen Kämpfertypen Züge eines vitalistischen Prinzips. Aber der Boxfilm setzt dem Gangstergenre, dessen Protagonist ein hoffnungsloser, dem Untergang geweihter Gewaltmensch ist, einen in gewisser Weise ,optimistischeren‘ Entwurf entgegen, indem er eine Zwei-Grenzen-Ordnung einrichtet. Das sportliche Gewaltreservat, dessen Grenzen durch jene anschaulichen Demarkationslinien symbolisch vertreten sind, die die Seile des Rings ins Bild schneiden, liegt im Spannungsfeld einer weiteren, größer dimensionierten Grenzordnung. In den vielen Produktionen, in denen Korruption und kriminelles Milieu eine Rolle spielen, finden wir diese Ordnung als eine Mutation derjenigen des Gangstergenres vor. Die familiäre Umgebung des Boxers, die durch die Regeln des friedlichen Zusammenlebens und damit der Zivilisation definiert ist, wird vom Wirkungsfeld des Kriminellen und seiner Gewaltherrschaft geschieden. Im Gangsterfilm ist das Gesetz vor der endlichen Wiederherstellung der Ordnung durch den Tod des Kriminellen nur marginal vertreten und auf die Ikonographie des urbanen Milieus verwiesen. Im Boxfilm erhalten Gesetz und Ordnung der Zivilisation mit der Familie eine eigene starke Stimme, so daß der Boxer manchmal wie in Golden Boy oder Body and Soul innerlich zerrissen zwischen beiden Seiten manövriert. Unter den Einflüssen der verschieden Interessen und Wertsysteme zeigen sich die Grenzen des sportlichen Feldes von großer Ambivalenz. Sie werden in bestimmter Hinsicht geachtet, in anderer verletzt. Geachtet werden sie, insofern das Genre im Unterschied zu dem der Martial Arts um die Hierarchie der Gewaltpraxen weiß. Der Athlet kann seine rein sportlichen Kampfvermögen nicht auf den Bereich jenseits des Rings ausweiten und die Welt mit Serien gekonnter Fausthiebe retten. Außerhalb des sportlichen Gewaltreservats gilt entweder das moderne Gesetz, das Gewalthandlungen nicht toleriert. Oder aber der Boxer sieht sich mit der Überlegenheit der Gangster konfrontiert. Als einzelner steht er einer organisierten 142 Vgl. Conway 1999, S. 96.

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,Gang‘ gegenüber, seine Fäuste treffen auf die mächtigeren Schußwaffen der Unterwelt. In Kid Galahad etwa schlägt der Boxer einen gefährlichen Gangster mit einem Schlag nieder und muß danach vor der Rache um sein Leben fliehen. In der anderen Richtung ist die Grenze jedoch durchlässig. Die Gangster dehnen ihre Macht auf den Ring aus und korrumpieren das Ethos des Faustkampfes: „Everywhere the fix is on, the fighter is cornerd, the game is rigged.“143 Obwohl das Filmboxen damit einen guten Teil vom Pathos der fairen und ehrlichen Auseinandersetzung unter Männern einbüßt, geht doch die Wertsphäre männlicher Ehre in ihm nicht völlig verloren. Sie ist in den lauteren, aber weniger mächtigen Figuren wie dem Trainer oder dem Cutman noch zu finden. Die Überhöhung des boxerischen Ehrenkodexes erhält sich also im Kontrast zum Verhalten der Gangster. Ein wiederkehrendes Motiv ist der unfaire Kampf bzw. die gewaltsame Bestrafung nach dem sportlichen Wettbewerb. In The Set Up und Champion stellen die Gangster den ungehorsamen Boxer – in Requiem of a Heavyweight ist es der Manager – nach der Boxveranstaltung in bzw. vor der verlassenen Arena. Sie demütigen ihn und das boxerische Wertsystem, indem sie ihn jenseits aller sportlichen Regeln zusammenschlagen. Die direkte Abfolge beider Gewaltprinzipien, des reglementierten und des regellosen, betont zwar vorderhand die utopische Dimension des Sports.144 Aber der Utopie haftet zumindest in den fatalistischen Regionen des Boxfilms auch etwas Ohnmächtiges und ideologisch Abgegriffenes an. Wenn auf die öffentliche Ausstellung der sportlichen Chancengleichheit die heimlichen Aktivitäten der Gangster folgen, wird die sportliche Veranstaltung zu einer Kulisse, hinter der eine ganz andere Inszenierung stattfindet. Symbolisch avanciert der Ring bzw. der sportliche Wettkampf im Boxfilm also zu einem Zwischenbezirk. Das Ethos des Reglements und der Puritanismus des täglichen Trainingsgeschäfts vertragen sich mit dem Wertsystem des familiären Milieus und über143 Grindon 1996, S. 55. 144 Zur Utopie des Sports vgl. Junghanns 1995, S. 108: „Wird der Sport weitergehend nicht nur als Vorbildsphäre für die gesellschaftliche Erziehung betrachtet, sondern zum Refugium übersteigert, wird er zu einer Art Zufluchtsort, wo die proklamierten Werte, nämlich die der Franzosen – Freiheit, Gleichheit, Gerechtigkeit und Brüderlichkeit – einzig noch gelten; er wird utopisch.“

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haupt mit der Sphäre zivilisierter Ordnung. In der Feier von Aggression und individueller Gewalthandlung scheint aber ebenso das Gesetz des Stärkeren auf, dessen gnadenlose Variante das korrumpierte Milieu kennzeichnet. Die Zwei-Grenzen-Ordnung bietet dem Stadtmenschen die Möglichkeit, männliche Wildheit und Aggression halbwegs in der Tradition des Westernhelden mit einem ehrenvollen Habitus zu verbinden. Unter etwaiger Gangsterherrschaft ist diese Kombination auf Dauer jedoch nicht zu praktizieren.

III. Die drei Arten des boxerischen Opferkampfes Die großen Gangsterfilme der dreißiger Jahre gehen aus heutiger Perspektive recht vorsichtig mit dem vitalistischen Prinzip Gewalt um. Sie binden es in einen Opferritus ein. Für Warshow mobilisiert der Schicksalsweg des Gangsters Identifikationen auf verschiedenen Ebenen. Zunächst bindet der enorme Aufstieg des Protagonisten Freiheitswünsche und Gewaltphantasien an sich. Am Ende hat aber auch sein Fall etwas Beruhigendes.145 Beruhigend vielleicht weniger, weil die filmische Wiederherstellung der Ordnung Ängste vor alltäglicher Kriminalität beschwichtigt, sondern eher, weil der Wunsch, aus den gewohnten Bahnen auszubrechen, im Scheitern des Gangsters nivelliert wird.146 Die Leben von Little Caesar, The Public Enemy und Scarface schaffen imaginäre Räume für die antizivilisatorischen Impulse des Individuums, ihre Tode bestätigen das angepaßte Dasein, indem sie von derartigen Impulsen, die in diesen Filmen unter der Herrschaft des modernen Gesetzes immer auch selbstzerstörerisch sind, entlasten. Deshalb kann man sagen, daß der Zuschauer das eigentliche Opfer erbringt. Er wird durch den vorgezeichneten Lebensweg des Gangsters angeleitet, den Teil seiner selbst zu opfern, der ihn aus der Gemeinschaft und zur Gewaltfreiheit drängt. Allerdings entsteht das Aggressionspotential hier nicht durch die Abwesenheit des Gesetzes, sondern gerade durch dessen einschränkende Macht. Das 145 Zum Muster von Aufstieg und Fall vgl. Kochenrath / Weichsel 1966, S. 15. 146 Vgl. Warschow 1962a, Vgl. auch Munby 1999, S. 23.

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Opfer funktioniert daher nur, weil der Tod des Gangsters zum heroischen Akt verklärt wird. Je erfolgreicher der Kriminelle durch seinen skrupellosen Habitus ist, desto näher rückt der Punkt, an dem die Dramaturgie umschlägt und die Gewalt sich gegen ihn richtet. Jetzt muß der Gangster für seine Karriere, mitunter auch für seinen professionellen Sadismus (Scarface), bezahlen. Der Punkt des Umschlags besteht in einer Inkonsequenz des individualistischen Gewaltwegs, in einer Schwäche des Gangsters für einen Familienangehörigen oder eine Frau.147 Sein Tod jedoch schafft im Anschluß den Raum, innerhalb dessen der absolute Anspruch auf Individualität gewahrt bleiben kann. Der Männlichkeitsmythos wäre zerstört, ergäbe sich der Protagonist den Gesetzeshütern. Der heroische Tod wird zur letzten Konsequenz des individualistischen Weges. Für die Identifikation in den meisten Boxfilmen klassischer Prägung gilt hingegen, was Aaron Baker für die Produktionen der Depressionszeit feststellt: „[...] the good guys are those who balance individual strength and initiative with the interests of the group.“ Diese Balance hält die Boxerfigur nur zum Teil aufgrund ihrer nur relativen, weil reglementierten, Gewaltfreiheit. Vor allem ist ihr Gut-Sein physisch erkauft in einer über das gesamte Drama verteilten Ratenzahlung. Der Karriereweg des Boxers stellt sich von Beginn an als Opferweg dar, offensichtlicher und körpergebundener als bei der Gangsterfigur. Auch der Boxer hebt sich als Individuum von der Masse ab, schon allein durch die Zweikampfsituation, besonders jedoch, wenn er in seinem Gewerbe erfolgreich ist und öffentliche Präsenz erlangt. Aber sein Erfolg stellt sich nicht allein über die ausgeübte Gewalt, sondern in ihrer Durchmischung mit am eigenen Leib erfahrenen Schlägen ein. Genaugenommen liegt das Erfolgsgeheimnis im richtigen Verhältnis dieser Mischung. Man sagt, daß Boxer erst dann in die Herzen des breiten Publikums Eingang finden, wenn sie selbst das berühmte ,Kämpferherz‘ zeigen, wenn sie also einstecken können, aber ihr Leiden im beherzten Kampf – im Wiederaufstehen – überwinden. Kampf und Opfer sind beim Boxer im Innersten miteinander verschränkt. In einem Milieu, das den Kampf präferiert, besteht die Schuld des Erfolgreichen darin, daß beim eigenen Weg nach oben unzählige andere Kämpfer auf der Strecke geblieben sind. Der Boxer setzt 147 Vgl. Schatz 1981, S. 93.

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aber nicht zum Höhenflug der Gangstergier an, sondern bleibt geerdet durch die körperliche Tortur. Weil er jede Sprosse auf der Erfolgsleiter physisch bezahlt, droht ihm nicht der abrupte Fall der kriminellen Karriere. Wie sich der Preis des Erfolgs in sein Körpergedächtnis einschreibt, demonstriert eine Szene in Body and Soul. Der Protagonist kehrt von seiner Kampftournee durch die Provinz mit einem Gesicht voller Blessuren und Narben zurück. Seine Geliebte tastet die einzelnen Verletzungen zärtlich ab, und der Boxer nennt die dazugehörigen Städte, in denen die entsprechenden Kämpfe stattgefunden haben. Der bekannte Gedanke vom Filmgesicht als einer Landschaft muß für diese Szene abgewandelt werden. Das Gesicht ist hier eine Landkarte, die als sensible Oberfläche des Körpergedächtnisses funktioniert: jede Berührung eine Kampferinnerung, jede Wunde eine Station auf dem Opferweg. Äußere Zwänge – ökonomische und kriminelle – mögen eine Rolle spielen, aber die Mehrheit der Inszenierungen zeigt das Opfer nicht als ein von außen auferlegtes Schicksal. In vielen Boxfilmen begibt sich der Protagonist suchend in die Extremsituationen des Trainings bzw. Kampfes. Das zentrale Problem auf dem Feld von Körper und Seele läßt sich deshalb nicht in der Opposition zweier entgegengesetzter Pole menschlicher Existenz formulieren, wie es Grindons Konfliktszenario ,Body versus Soul‘ nahe legt. Die eigentliche, den Filmboxer bestimmende Frage lautet keineswegs: „[...] can he overcome the deterioration of the body by cultivating his soul?“148 Vielmehr sind es die physischen Existentialerfahrungen, in denen sich so etwas wie eine innere Verfassung erst konstituiert. Drei elementare Arten des Opferkampfes – mit ihren jeweils entsprechenden Formen von Leidensbereitschaft bzw. Masochismus – lassen sich unterscheiden: erstens das Opfer der boxerischen Berufsethik, zweitens das Opfer des Passageritus und drittens das totale Opfer. Es gibt natürlich Überschneidungen und Mischformen der Opferarten. Aber über die Dominanz einer der drei Opferkampfweisen in der jeweiligen Inszenierung lassen sich auch drei Typen von Boxfilmen ausmachen.

148 Grindon 1996, S. 55.

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1. Berufsopfer Es ist kaum Zufall, daß die Berufsopfer-Boxfilme oftmals biographische Darstellungen von bekannten Profiboxern sind. Das Filmleben von Rocky Graziano (Somebody up there likes me), zumindest in einigen Aspekten auch das Bio-Pic von James Corbett (Gentleman Jim), insbesondere jedoch die Rocky-Filme – diese serielle Bearbeitung der Medienfigur Muhammad Ali – gehören in diese Kategorie. Das Berufsopfer des Boxers hat grundsätzlich zwei Seiten. Die eine betrifft die öffentliche Inszenierung des Kampfes als Opferritus. Auf diesen Höhepunkt im finalen Boxspektakel sind die Filme ausgerichtet. Die andere Seite des professionellen Opfers zeigt sich in der Bewegung der Ausrichtung. Sie betrifft den Kampf vor dem Kampf und damit die alltägliche Berufsethik des Boxers. Energiekanalisierung Der Sportforschung gilt der Sozialwissenschaftler Loïc Wacquant als Experte für das Selbstverständnis der boxerischen Existenzweise. Er bemüht sich, eine intensive Nähe zum Gegenstand herzustellen, indem er stark auf die eigenen Erfahrungen in einem Chicagoer Boxgym aufbaut. Aus seinem über dreijährigen Training und Leben unter den Boxern, vielen ihrer Äußerungen und mittels soziologischer Reflexionen konstruiert Wacquant die Weltsicht der Athleten. In dem Aufsatz Opfer: Über die Berufsethik des Preisboxers beschreibt er den Glauben der Faustkämpfer an die Notwendigkeit, ihre Energien zu kanalisieren und zu konzentrieren. In drei Bereichen ist es für den Gläubigen erforderlich, Enthaltsamkeit zu üben: in der Ernährung, der Sexualität und dem Sozialleben. Die dort gesparte Kraft soll dann sowohl die erfolgreichen Anstrengungen des täglichen Trainingsgeschäfts als auch diejenigen des außerordentlichen Abends im Ring erst ermöglichen.149 Alle drei Opfersektoren, wenn auch nicht unbedingt alle in derselben Inszenierung, lassen sich in den Berufsopfer-Filmen aufweisen. In Gentleman Jim wird das Diätmotiv benutzt, um die beiden verschiedenen Generationen von Faustkämpfern gegeneinander ab149 Vgl. Wacquant 2001.

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zugrenzen. John L. Sullivan – letzter Schwergewichtsmeister im Bare Knuckle Fighting – trinkt vorzugsweise Bier noch in der Vorbereitung auf seine Kämpfe. Auch hält er sich mit Holzfällen – seinem zivilen Gewerbe – in Form. Sein Gegner James Corbett – der erste Schwergewichtsmeister nach den modernen Queensberry Rules – verfolgt dagegen einen geregelten Trainingsplan und entsagt dem Alkohol. Das Opfer trägt im Falle Corbetts die Züge der systematischen Disziplinierung des Körpers, die gleichzeitig eine intellektuelle Überlegenheit zum Ausdruck bringen soll. Rocky hingegen drängt uns die Härte des boxerischen Tagesgeschäfts und die Kanalisierungsmythen pathetisch auf. Der Film heroisiert nicht nur die harte Trainingsarbeit des Faustkämpfers wie kaum ein anderer zuvor, sondern verschreibt sich auch dem Verzicht auf Sexualität vor dem großen Kampf. „No fooling around!“ ermahnt der Protagonist seine ohnehin nur verhalten lüsterne Freundin Adrian, wie es ihm sein Trainer aufgetragen hat. Sogar der überlieferte Diätbrauch, vor dem morgendlichen Lauf rohe Eier zu trinken, findet hier statt. Das Sozialleben des Boxers besteht in den Berufsopfer-Filmen zunächst in der Mobilisierung anderer Figuren für den eigenen Erfolg. Der Faustkämpfer ist nichts ohne sein Umfeld.150 Die an das kanalisierende Opfer gebundene Aufstiegsbewegung geht einher mit der Konstruktion einer sozialen Konstellation, die sich an den traditionellen Werten der Familie orientiert. In Gentleman Jim bilden die Eltern und Geschwister den Rückhalt des Athleten. In Rocky und Somebody up there likes me stellen die Protagonisten den Rückhalt erst her, indem sie die entsprechenden Figuren in ihr neues Leben integrieren. In beiden Filmen findet der Kämpfer Unterstützung in der ,guten‘ Frau, auch wenn sie der Gewalt und Geschäftspraxis des Boxens skeptisch gegenübersteht. Beide Protagonisten söhnen sich mit ihrer Vaterfigur aus und erlangen somit deren Segen für den großen Kampf, sei es vom leiblichen Vater oder seitens des väterlichen Trainers. Das Sozialleben ist somit ganz auf die Berufung abgestellt, die Figuren sind ihr unterstellt. Das Berufsopfer schreibt eine strenge Separation der Lebensbereiche vor. Das Training ist in fast allen Boxfilmen eine Klausurtagung der Männergesellschaft, abgeschieden von weltlichen Geschicken. Vor allem gegen Frauen sind die Übungsräumlichkeiten des Gyms abgeschottet. Weiblich150 Vgl. Baker 1997, S. 166-167.

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keit, so bestätigen es die Trainingslagerszenen in The Crowd Roars oder Body and Soul, bringt den stringenten Opferweg durcheinander. Abbildung 1: An seiner Seite — die Adrian (Talia Shire) steht ihrem lädierten Rocky (Sylvester Stallone) bei.

Die Details der Entsagung sind in den Berufsopfer-Filmen Ausdruck der fortschreitenden Durchdringung des Athleten mit seinem Milieu: Beweise der Zugehörigkeit zu einer Anerkennungsgemein-

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schaft, die sich über die gemeinsame rituelle Praxis der Opfermythen herstellt. Der Beweisgehalt besteht jedoch nicht in der bloßen Distinktion, sondern in einer qualitativen Differenz des Boxerdaseins zum Normalleben. Der Athlet entsagt den Versuchungen der äußeren Welt, um mittels des sportlichen Puritanismus auf eine höhere Ebene aufzusteigen. In den Berufsopfer-Produktionen sind es die Freuden des gewöhnlichen Daseins, die dem Boxen entgegengesetzt sind. Der Sinn der rituellen Enthaltung liegt – Wacquant erläutert es mit einem Hinweis auf Durkheims Theorie des Religiösen – darin, sich dem Heiligen zu nähern, indem man sich schlicht vom Profanen, von den Versuchungen des Normallebens also, entfernt.151 Darin zeichnet sich die quasireligiöse Haltung des Berufsopfers als in bestimmter Weise masochistisch ab. Nicht nur steigt der Wert des erreichten Ziels mit der Beschwerlichkeit des Weges. Die heilige Sphäre ist überhaupt nur über Opferbereitschaft zu erreichen. Die Befriedigung des Zugehörigkeitsverlangens ist untrennbar an das Leiden als seine notwendige Bedingung geknüpft.152 Heilige Gewalt: Somebody up there likes me, Rocky Einen besonderen Status nehmen dabei die Gewalt und ihre Umwandlung ins Heilige ein. Die Protagonisten in Somebody up there likes me und in Rocky kommen aus einem Milieu, das von unkontrollierter krimineller Gewalt durchdrungen ist. Kriminelle Gewalt ist also die Normalität ihrer Herkunft. Das Boxen verspricht für bei151 Vgl. Wacquant 2001, S. 29. Vgl. auch Durkheim 1981. 152 Auf die Übereinstimmungen zwischen Sport und Puritanismus – etwa hinsichtlich Leistungsbereitschaft und Askese – hat bereits von Krockow (1972, S. 28) hingewiesen. Reik (1977) unterscheidet zunächst die Dispositionen von Masochist und christlichem Heiligen prinzipiell dahingehend, daß der Masochist die sexuelle Lust im Leiden sucht, während der Heilige die sündige Begierde durch die Strafe und das Leiden abzuwehren sucht. In der Folge jedoch faßt er beide Suchbewegungen „nicht mehr im engeren oder beschränkteren sexuellen Sinn [...], sondern in dem weiteren der Lebenseinstellung oder Lebensanschauung, das will sagen als sozialen Masochismus“ (S. 413), in einigen Merkmalen zusammen, deren wichtigstes vielleicht die Erhebung über andere ist: „Der Stolz der Heiligen und Märtyrer, derselbe Stolz und derselbe himmlische Hochmut, den wir als ein besonders wichtiges Moment im sozialen Masochismus erkannten, äußerte sich auch im Hervorkehren der eigenen Überlegenheit gegenüber christlichen Mitstreitern.“ (S. 420)

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de die Chance, dem zu entkommen. In der Betonung der Chance ist eine Argumentationsweise amerikanischer Boxer aufgehoben, die Wacquant in seiner Schrift Through the Fighter’s Eyes: Boxing as a Moral and Sensual World wiedergibt.153 Die Profiboxer, die sich vielfach aus den unterprivilegierten und von Gewalt bestimmten Wohnvierteln rekrutieren, treten hier als Männer auf, denen ihre Lebensumstände und Möglichkeiten innerhalb sowie außerhalb des Rings klar vor Augen stehen. Sie entscheiden sich für ein Leben nach dem boxerischen Ehrenkodex und gegen die grenzenlose Gewalt der Straße. Unter anderen Vorzeichen als in der englischen Duelltradition erscheint hier der Verzicht auf Waffengewalt als ein zivilisatorisches und Leben rettendes Manöver. Die boxerische Konfrontation Mann gegen Mann ist ein Weg, der Selbstzerstörung durch die alltäglichen Gefahren (Drogen, Gewalt der Gangs, Gefängnis) zu entgehen.154 Auf der Leinwand entwickelt sich Rocky Balboa vom – zugegebenermaßen bereits gutmütigen – Schuldeneintreiber zum geachteten Sportler, und der filmische Rocky Graziano entrinnt dem Schicksal seiner Jugendfreunde, die der Straßengewalt erliegen. Beide Inszenierungen rekurrieren auf ein sozialkritisches Moment, indem sie mit der Darstellung der Slums, aus denen ihre Protagonisten stammen, auf den größeren Gewalthorizont des modernen Amerikas verweisen. Die maßlose kriminelle Gewalt – so die vorläufige Anklage – ereignet sich auf der Basis struktureller Gewaltvorausset-

153 Wacquant 1995. 154 Wacquant, der nach eigenen Angaben über drei Jahre mit den Boxern trainiert und gelebt hat, somit selbst zu ihresgleichen geworden sein will, scheint bisweilen die Distanz zum Untersuchungsgegenstand verloren zu haben, jene Fremdheit, die in der Annäherung an das Andere produktiv zu nutzten wäre. Wenn Wacquant über die Ehre des Boxers schreibt, drängt sich der Eindruck auf, die Ehre des Soziologen bestünde in einer tiefgehenden Identifikation mit dem Gegenstand, die bis zur völligen Integration in das entsprechende Milieu reicht. Dennoch handelt es sich um eine wertvolle Schrift, die gerade, indem sie die Haltungen der Boxer emphatisch assimiliert, den Eindruck der Isolation und Besonderheit des Boxmilieus gegenüber dem Rest der Gesellschaft anschaulich vermittelt.

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zungen, den Macht- und Ausbeutungsverhältnissen einer modernen Gesellschaft.155 Abbildung 2: He got hate — Rocky Graciano (Paul Newman) in Somebody up there likes me.

Aber die Boxerfigur wird auch hier stets an der Front des Klassenkampfes vorbeigeleitet. Wenn die Protagonisten sich der kontrollier155 Johann Galtung (1997, S. 915-916) hat den Begriff der strukturellen Gewalt für Ausbeutungsverhältnisse geprägt.

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ten Gewaltpraxis des Faustkampfes überantworten, bekämpfen sie nicht etwa die strukturelle Unterdrückung der gesellschaftlichen Basis. Der Mikrokosmos der Fairness bietet ihnen lediglich die Voraussetzungen, die Gewalt, die sie erfahren haben, und ihr so gewachsenes Aggressionspotential entlang der Berufsethik in eine positive Kraft für den individuellen Weg nach oben umzuwandeln. Dieses Prinzip offenbart der Trainer der Boxstaffel des Militärgefängnisses seinem neu entdeckten Talent in Somebody up there likes me: „You’ve got what a lot of fighters don’t have: hate. Let your hate do some good for you.“ Auf dieses Problem der Gewaltadressierung, das in vielen Berufsopfer-Boxfilmen lediglich in einer der Karriere förderlichen Abwandlung auftaucht, nimmt Oates in ihrem berühmten Essay On Boxing Bezug.156 Demzufolge sind Boxer voller Wut, aber nicht in der Lage, ihre Aggressionen an den richtigen Adressaten zu bringen. Die Athleten kämpfen miteinander, weil die eigentlichen Objekte der Wut außerhalb ihrer Reichweite liegen. Oates setzt ihre Interpretation zuerst auf der generellen Ebene von gesellschaftlichen Machtgefällen an: „Es gibt kein einziges politisches System, in dem das Schauspiel zweier miteinander kämpfender Männer nicht sofort, wenn auch absichtslos, für etwas anderes steht: für die politische Ohnmacht der meisten Männer (und Frauen). Man bekämpft, was einem am nächsten liegt, was verfügbar ist, was sich anbietet. Und wenn möglich, tut man es für 157 Geld.“

Dann aber entwickelt sie die Passage zu einer Anspielung auf die sozialen Verhältnisse der Moderne: „Wenn Boxer also allgemein voller Wut sind, müßte man schon sehr naiv sein, um nicht zu sehen warum. In den meisten Fällen gehören sie zu den Entrechteten unserer Wohlstandsgesellschaft, sie stammen aus

156 Ausgehend von Oates’ Essay taucht das Motiv der Gewaltadressierung an verschiedener Stelle auf, etwa bei Grindon 1996 oder Conway 1999. 157 Oates 1988, S. 67.

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FAUST TRIFFT AUGE den Armenvierteln, den Ghettos, in denen Wut und Zorn geeignetere 158 Verhaltensweisen sind als christliche Demut und Selbstverleugnung.“

Das Berufsopfer besteht nun genau darin, die Wut in Demut zu zügeln, den Zorn in kontrollierte sportliche Bahnen zu leiten. Aber das Boxen ist ein ,Bruderkampf‘: Hier treten Männer gegeneinander an, die aufgrund ihrer gesellschaftlichen Position solidarisch miteinander sein sollten. Die Schuld, die aus der gegen den ,Bruder‘ gerichteten relativen Gewaltfreiheit und dem auf diesem Wege gegebenenfalls erlangten Erfolg entsteht, fangen die Mechanismen des Berufsopfers in dreifacher Weise auf. Zunächst mündet die täglich erbrachte Opferarbeit, die den Erfolg bereits im Vorfeld legitimiert, in das noch größere Opfer des Kampfes. In ihren finalen Boxbegegnungen müssen Rocky Graziano und Rocky Balboa – im übrigen auch ihre Gegner – unbeschreibliche Schläge einstecken. Der größte Beweis von Zugehörigkeit und Männlichkeit führt die Protagonisten demzufolge in die Region des heroischen Masochismus. Ist die Maskulinität des Helden an seine Fähigkeit gebunden, Schmerzen zu ertragen und sich darin selbst zu überwinden, kann er sie nur in der Praxis des Schmerzes unter Beweis stellen. Zweitens greift auch gegenüber der Erfolgsschuld das Prinzip der Anerkennung. Durch die Riten fairer Auseinandersetzung wird der Ring zu einem Anerkennungsraum, in dem das Recht auf Chancen für beide Boxer noch in der asymmetrischen Situation zwischen Sieger und Verlierer Geltung beansprucht. Solange ein Boxer seinen Sieg fair erkämpft hat, kann er mit dem Respekt des Publikums, im besten Fall sogar des Verlierers, rechnen. Der ,gute Gewinner‘ bedankt sich bei seinem Gegner nach dem Kampf dafür, daß er sich an ihm beweisen konnte. Drittens erfährt die Erfolgsschuld im Rahmen des Stellvertreterkampfs eine völlige Umwertung: Als Symbolfigur schuldet der Boxer den Erfolg seinen eigenen Leuten. Sowohl Somebody up there likes me als auch Rocky verleihen dem individuellen Weg nach oben die kollektive Reichweite bereits anhand der täglichen Vorbereitungsarbeit. In der anderen, öffentlichen Seite des Berufsopfers kommt der Repräsentationsanspruch vollends zur Entfaltung. Im finalen Kampf erscheint der Boxer zwar als exponiertes Individuum, 158 Oates 1988, S. 67.

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kämpft und leidet aber nicht für sich allein, sondern für seine Anhänger, die an ihn glauben. Die kanalisierte, umgeleitete und gesäuberte Gewalt steht somit im Dienst der unterprivilegierten Gruppe. Somebody up there likes me beläßt es dabei, den Boxer als Hoffnungsfigur der Benachteiligten zu etablieren: Einer von uns hat es geschafft! Rocky hingegen schwingt sich zum Repräsentanten des ,Weißen Amerika‘ auf, weil er sich in die verkehrte Welt der ,großen weißen Hoffnung‘ begibt. Seit sich die weißen Athleten ihren schwarzen Kollegen im Preisring stellen, dominieren letztere die Ranglisten. Das Boxen bietet eine zwar beschränkte, aber symbolisch hochwirksame Umkehrung der gesellschaftlichen Machtverhältnisse. Es ist für rassistische Weiße schon eine Provokation, daß einer der ihren überhaupt von einem Schwarzen ins Gesicht geschlagen wird. Die schwarze Vorherrschaft insbesondere im Schwergewicht, das den ,Meister aller Klassen‘ stellt, bohrt sich tief ins weiße Selbstwertgefühl. Weiße Boxer mit Chancen auf den Titel gelten daher als sehr ertragreiches Geschäft, denn sie können das breite weiße Publikum mobilisieren. Die perfide Raffinesse von Rocky besteht darin, die schwarze Boxherrschaft (natürlich nur im Film) zu brechen, indem die Trumpfkarte Glauben ausgespielt wird. Der schwarze Schwergewichtsmeister Apollo Creed ist ein ebenso überragender wie überheblicher Athlet. ,Weiße Hoffnung‘ und ,amerikanischer Traum‘ sind für diesen professionellen Vermarkter seiner selbst nur noch mythische Klischees, gut fürs Geschäft, aber ohne Einfluß auf das Kampfgeschehen. Als sein nächster Herausforderer wegen einer Verletzung ausfällt, will der Champion die stereotypisierten Wunschenergien im Rahmen eines lukrativen Schaukampfes ausbeuten. Er wählt Rocky Balboa unbekannterweise als Gegner. Ausschlaggebend ist allein Balboas Kampfname: The Italian Stallion. Traditionell sind es die großen Boxer italienischer Abstammung, an die sich die ,Weiße Hoffnung‘ heftet, etwa die Namensvetter des Filmhelden: Rocky Graziano und Rocky Marciano. Auch Rockys Kampfstil ist diesen Vorbildern abgeschaut. Er ist ein Kämpfertyp mit großer Schlagkraft. Im überaus harten finalen Kampf läßt Rocky den ungläubigen Champion den Gehalt ,weißer Hoffnung‘ spüren und zwingt ihn, wie im übrigen auch alle Zuschauenden, durch sein eigenes physisches Opfer dazu, wieder an den amerikanischen Traum zu glauben. Creeds sportlicher Punktsieg geht verschütt unter

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dem moralischen Sieg Rockys, der den Kampf gegen den hohen Favoriten bis zum Ende durchgehalten hat. Wie ein Mann sich macht: Männerselbstproduktion Mit Wacquant läßt sich das Boxen als ein Milieu verstehen, das eine Form von Männlichkeit auf bestimmte Weise herstellt. Es handelt sich nicht um die Bearbeitung des Körpers als bloßes Ding. Der Boxer übernimmt eine aktive Rolle in der Produktion seiner selbst. Er arbeitet seine Haltung in der praktischen Auseinandersetzung mit seiner spezifischen Umwelt, ihren Werten und Mythen, heraus.159 Das Berufsopfer ist eine Lebensform, die sich immer wieder neu hervorbringen muß: „Denn das Opfer verlangt eine endlos wiederholte Hermeneutik der eigenen Bedürfnisse, Wünsche und Fähigkeiten, um sie zu regulieren und umzuformen, kurz, eine beständige Arbeit des Boxers an sich selbst (wie die Etymologie von „Askese“ nahe legt: askein – arbeiten).“160 Angesichts der Unterschiedlichkeit der hier postulierten Zeitlichkeit gegenüber derjenigen der klassischen Filmform stößt die Analogie zwischen boxerischer Habitusethik und kinematographischem Berufsopfer an ihre Grenzen. Zwar schaffen sowohl die Rocky-Serie als auch Somebody up there likes me ein Gefühl für die Länge des Aufstiegsweges und die Härte der boxerischen Arbeit. Aber Weg und Arbeit sind letztlich auf den einen Punkt, die schwerste Anstrengung von allen, gerichtet. Die klassischen Berufsopfer-Filme enden mit einem Höhepunkt der Boxkarriere. Ihre Dramaturgie führt Kohärenz herbei, wo endlose Wiederholung war. Die beständige Arbeit an sich selbst ersetzen sie dann doch durch den grandiosen Akt, in welchem Leiden, Wut und innere Konflikte in Gewaltenergie umgewandelt und nach außen gewendet werden. Auch die Filmboxer produzieren sich selbst. Aber sie tun es in der großen Geste. Sie überwinden sich selbst am Gegner im monumentalen Kampf am Ende.

159 Vgl. die Habitustheorie Bourdieus (1997, S. 103), vgl. auch die Umsetzung dieser Habitustheorie auf das Feld der Körpertechnologisierung bei Gebauer / Wulf, 1998a, 45ff. 160 Wacquant 2001, S. 26.

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Zusammenfassung Der Boxer rettet sein Leben, indem er sich der rituellen Praxis des Berufsopfers – allerdings nicht unbedingt in allen seinen Bereichen – unterstellt. Durch die tägliche Opferarbeit etabliert er sich im Boxmilieu und erhebt sich selbst auf ein quasi heiliges Niveau. Daher ist die Arbeit gekennzeichnet durch eine Art religiösen Masochismus. Die rituelle Praxis ist die erste Säule des Karriereaufstiegs, dessen zweite die Konstruktion einer neuen sozialen Konstellation nach traditionellem Muster (Integration der Frau, Aussöhnung mit der Vaterfigur) darstellt. Aufgrund des physischen Opfers und seiner heiligenden Qualität kann die Identifikation der Aufstiegsbewegung folgen, ohne wie beim Gangster auf einen bestrafenden Rückschlag hinauszulaufen. Seinen Höhepunkt hat der Aufstieg im finalen Kampf, dessen kollektive Dimension im Stellvertretermotiv gesichert ist. Der Kampf ist der größte Beweis der Leidensfähigkeit und damit der spezifischen Männlichkeit des Berufsopfers. Der religiöse Masochismus mündet in ein Gewaltspektakel des heroischen Masochismus. Mit seinem Sieg, sei er sportlicher oder moralischer Natur, opfert der Protagonist letztlich den Gegner und komplettiert die filmische Kohärenz sowie seinen Habitus in großer Geste. Wahrscheinlich kann kein einzelner Film die Zwanghaftigkeit dieser Kohärenz in der Weise zum Ausdruck bringen, wie sie in der Serie der fünf Rocky-Filme hervorsticht. Ihre Wiederholungsstruktur verdient daher gesonderte Aufmerksamkeit. Schwerpunkt: Rocky und der Schock Muhammad Ali Brett Conway sieht an den Boxerfiguren verschiedener Mediengenres (Autobiographien, Boxliteratur, Boxfilme) ausdrücklich bestätigt, was Kaja Silvermans psychoanalytische Gendertheorie für traditionelle Männlichkeit insgesamt behauptet. Nach ihr ordnet sich maskuline Identität um einen für die menschliche Psyche konstitutiven Mangel dergestalt an, daß sie ihn mittels selbstsicherer und handlungsfähiger Imagos und deren Verflechtung zu einer dominanten Erzählung (dominant fiction) leugnet. Die Leugnung erfordere es in der Folge, daß sich die vom Mangel bedrohte Männlichkeit

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immer wieder im potenten Selbstbild neu konsolidieren muß.161 Boxer, so Conway, seien Männer, deren Leben von traumatischer Erfahrung bestimmt ist und die daher einen auch im physischen Sinne engen Kontakt zum Unvermögen pflegen. Aber anstatt sich die grundsätzliche Zerissenheit des eigenen Selbst einzugestehen und bewußt mit ihr zu leben, versuchten die Athleten, ihre Traumata im Männlichkeitsbeweis des Kampfes zu überwinden. Das führe jedoch zu einer besonders offensichtlichen Form des Wiederholungszwangs im Beweisverfahren, denn ein etwaiger Sieg müsse in weiteren Kämpfen bestätigt werden. Außerdem bringe die Gewalt des Boxens selbst traumatische Erfahrung mit sich, womit ein endloser Kreislauf von seelischer Verwundung und Überwindungsversuchen gespeist werde.162 Aus Conways Interpretation ist an jeder Stelle die Präferenz moderner Psychologie vor dem archaisierenden Berufsopfer herauszuhören. Dabei übersieht die schematisch gehandhabte Argumentation die Differenziertheit der professionellen Habitusethik, vom Selbst-Bewußtsein, mit dem Boxer ihre eigene Situation gestalten, ganz zu schweigen.163 Auf die Rocky-Filme allerdings paßt das Schema exakt, weil ihre serielle Komposition ebenso formelhaft in der Männlichkeitsproduktion verfährt. Der Protagonist bezwingt seine seelischen Beschädigungen, indem er sie durch physische Wunden und sportlichen Erfolg ersetzt. Aber die Kette der Beweise reißt nicht ab. Noch in Teil fünf muß der gealterte Protagonist, inzwischen eigentlich Boxveteran, in den Kampf zurück, um von seiner Kraft Zeugnis abzulegen. Den Wiederholungszwang, den die fünf Serienteile artikulieren, versteht Jan Philipp Reemtsma auf einer historischen Matrix. In seinem Buch Mehr als ein Champion: Über den Stil des Boxers Muhammad Ali liest er Rockys Gegner als eine symbolische Manifestation dieses schwarzen Ausnahmeathleten: „Die Figur des Apollo Creed ist mit Ali-Attributen behängt, sie ist eine buchstäbliche Allegorie. Es kommen ihr Spruchbänder aus dem Mund mit Original-

161 Vgl. Silverman 1992. 162 Vgl. Conway 1999. 163 Conway bricht alle Boxphänomene, denen er sich annimmt, auf die allgemeine psychoanalytische Figur des Mangels herunter. Ihre Spezifika gehen dabei freilich verloren.

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zitaten [...]“164 Im Gegensatz zur etwas schwerfälligen Naturgewalt Rocky ist Creed, auch hier nach dem Vorbild des dreimaligen Weltmeisters aus Louisville in Kentucky, als Stylist mit krachenden ,Jabs‘ – das sind schnelle und harte Schläge mit der Führhand – und behender Beinarbeit dargestellt. Die Rocky-Serie avanciert zum Musterfall von Silvermans historisch dimensioniertem Argument, daß traumatische Großereignisse die dominante Erzählung auf breiter Ebene in Frage stellen und deren Produzenten zu einer ebenso umfassenden Reaktion herausfordern.165 „Die Figur ,Muhammad Ali‘ war ein kollektives Erlebnis, das – natürlich in Verbindung mit dem Vietnamkrieg, dem sich Ali verweigerte und der als ,nationales Trauma‘ öffentlich bezeichnet worden ist, – die USA vor, sagen wir ganz neutral: Bewältigungsprobleme stellte. Es brauchte fünf Kinofilme, alle fünf große Kassenerfolge, der erste von ihnen Träger von drei Oscars (nominiert für sechs weitere), um das ,Bild Muhammad 166 Ali‘ zu bewältigen.“

Interessant ist die zweifache Personifizierung des traumatischen Zusammenhangs anhand erstens der Medienfigur Ali und zweitens des Protagonisten der Rocky-Serie. Alis kalkuliert und gekonnt provozierendes Auftreten wird in weiten Teilen der USA ohnehin als Unverschämtheit empfunden. Darüber hinaus zapft er das aktivste politische Beben seiner Epoche an, als er den tradierten Komplex schwarzer Boxvorherrschaft und ,weißer Hoffnung‘ mit seinem zeitpolitischen Engagement in den Reihen der Black Muslims verknüpft – bis zum Höhepunkt der Kriegsdienstverweigerung.167 Er 164 Reemtsma 1997, S. 71. Stallone selbst bestätigt, daß Ali das Vorbild für Apollo Creed war. Die Figur Rocky hingegen stellt sich in seiner Darstellung als eine Mischung aus Rocky Marciano (inspiriert durch den Computerkampf Ali vs. Marciano) und einem unbekannten Boxer namens Chuck Wepner dar, den Ali 1975 nicht durch einen richtigen K.o. besiegen konnte. Vgl. Hauser 1991. 165 Vgl. Silverman 1992, S. 52ff. 166 Reemtsma 1997, S. 67. 167 Alis Stellungnahme bezüglich seiner bevorstehenden Einberufung („I ain’t got no quarrel with them Vietcong“) ist nicht zuletzt aufgrund ihres legeren, dem Thema scheinbar unangemessenen Tons berühmt geworden. Remnick (2000, S. 443ff) hält sie für eine spontane Reaktion, die Ali erst später, dann aber um so überzeugter mit Argumenten politisch untermauerte.

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verkörpert zwar zunehmend – wie kaum ein anderer des öffentlichen Lebens – Vietnam- und Rassentraumata in einer personalisierten Medienfigur, aber diese Bewegung ergießt sich nicht in eine konsistente Figuration: „Das Bild Muhammad Alis ist selber ein Vexierbild. Er war der böse und der gute Schwarze. Er appellierte an so ziemlich alle Ideale, die die amerikanische Tradition zur Verfügung hatte, nutzte sie aus und opponierte gegen sie. Er war selber ein Bündel aller der Widersprüche, die das Land prägten. Seine Pressekonferenzen waren fromm oder blasphemisch, er pries Amerika oder Afrika, er fühlte sich zu Hause in Erwartung von Zaire und machte gleichzeitig Kannibalenwitze, er sagte, der Titel ,Weltmeister im Schwergewicht‘ sei der bedeutendste der Erde und riet seinen Kindern öffentlich zu studieren, er verhöhnte seine schwarzen Gegner, wie es ihm gefiel, als submissive ,Uncle Toms‘ oder als ,blöde Nigger‘.“168

Die Rocky-Filme nehmen die Verkörperung als Offerte wahr, die nationalen Traumata in einem personifizierten Setting in einer Weise zu bearbeiten, die die Schockenergie des Vexierbildes bindet. Die Mission wird einem Doppelgänger des Vietnamveteranen und Gefangenenbefreiers Rambo überlassen.169 Ihr Prinzip ist es, sich Fragmente aus dem Vexierbild anzueignen, sie umzuwerten und vor allem die von Ali performierte Brüchigkeit unter Massen von nationalistischem Kitsch zu begraben. Eines der wichtigsten anzueignenden Fragmente stellt das inszenatorische Spiel der Gewaltadressierung dar. Ali selbst war ein unvergleichlicher Regisseur des Stellvertretermotivs. Seine großen Kämpfe bestritt er in der Mehrzahl gegen Schwarze, oft gegen Athleten, die aus sehr viel schlechteren Verhältnissen stammten als er selbst.170 In einigen seiner Auftritte kündigte Ali auch den Rest an Solidarität mit dem Gegner – die sportliche Anerkennungsgemeinschaft – auf, um die boxerische Kampfform zu politisieren. Der Ring war dann kein Anerkennungs168 Reemtsma 1997, S. 80. 169 Vgl. Reemtsma 1977, S. 67. 170 Bekanntlich stammte Ali nicht aus den Armutsvierteln, sondern aus einem Milieu, das in der Literatur oft mit schwarzer Mittelschicht bezeichnet wird, dessen Lebensstandard jedoch längst nicht mit dem der weißen Mittelschicht vergleichbar ist. Vgl. Remnick 2000, S. 141ff.

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raum mehr, sondern die Bühne des inszenierten Klassenkampfes. Ali baute sich seine sportlichen Gegner zu politischen Feinden zurecht. Leon Gasts When We Were Kings: The True Story of the Rumble in the Jungle stellt die wohl aufwendigste dieser Konstruktionen ebenso aufwendig für die Leinwand dar. Im Vorfeld des Weltmeisterschaftskampfes mit George Foreman, der 1974 in Kinshasa – der Hauptstadt von Zaire – stattfand, startete Ali eine regelrechte Diffamierungskampagne zur Anfertigung des Feindbildes. Mit der Begabung des Entertainers bewerkstelligte er es, den schwarzen Foreman als den Repräsentanten der weißen Welt hinzustellen. Ohnehin wurden seine schwarzen Gegner in den USA schon allein deshalb zu ,weißen Hoffnungen‘, weil es vielen Zuschauern gleichgültig war, wer The Greatest die Niederlage beibrachte, wenn es denn nur geschah. Ali nutzte die Polarisierung aus und hatte am Abend des Kampfes das ganze afrikanische Publikum mit Sprechchören hinter sich. When We Were Kings gibt der emphatischen Verehrung der Medienfigur Ali das Vorrecht vor einer kritischen Bestandsaufnahme. Die zweifelhaften Aspekte des gesellschaftlichen Hintergrunds von Zaire verharren im Status der Andeutung. Eine Leistung des Films ist es indessen, die verschiedenen Ebenen der Gegnerkonstruktion offen zu legen. In den Interviews deuten Beobachter Alis Verhalten als Suche nach kollektiver Unterstützung gegen den hohen Favoriten Foreman. In der psychischen Stütze allein geht die Kampagne aber nicht auf; auch nicht in der Notwendigkeit, sich medienwirksam die Erlaubnis zu verschaffen, seinen Bruder schlagen zu dürfen, wie sie die üblichen Beschimpfungen vor Kämpfen zum Ausdruck bringen. Der Film zeigt die Konstruktion des richtigen Gegners zusätzlich als Teil einer politisierten Inszenierung, in welcher der schwarze Ali den schwarzen George Foreman für die Sache der Schwarzen opfert. Die Rocky-Serie wiederum vereinnahmt Alis Begabung, seine Gegner zu fabrizieren, ohne dabei die eigenen Fabrikationen auf ihre Konstruiertheit befragen zu wollen. Die entleerte Künstlichkeit von Apollo Creeds Selbstinszenierung mit Attributen von Uncle Sam und George Washington steht im ersten Teil der schnörkellosen Ehrlichkeit des ,italienischen Hengstes‘ gegenüber. In jeder Folge hat Rocky den richtigen Mann vor den Fäusten. Das Problem der

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Gewaltadressierung kommt daher nicht auf. Stets handelt es sich um den unangezweifelten Repräsentanten nicht nur eines feindlichen Wertsystems, sondern eines anderen Volkes bzw. einer anderen Ethnie. Daher ist die Rocky-Serie ein exemplarischer Versuch, die Regeneration des ,Weißen Amerika‘ durch Gewalt gegen andere Rassen herbeizuführen.171 Conway sieht diesen Versuch, das Eigene auf Kosten des Anderen zu stärken, als gescheitert an, insofern „[...] the other races are absolutely never overcome since the same film has been remade four times [...].“172 Zumindest der distanzierte Betrachter wird ihm und damit auch Reemtsma darin zustimmen, daß die Wiederholungsstruktur nicht nur das Bedürfnis derartiger Regeneration gleichzeitig nutzt und stimuliert, sondern auch das Trauma als solches markiert. Für das mythologische Feld des Filmboxens und seines Opferkampfes ist jedoch die Art und Weise der Markierung von besonderem Interesse. Auf eine unheimliche Art beteiligt sich der Filmzyklus am Ali-Kult. Nachdem Rocky das Zerrbild Apollo Greed in der zweiten Folge besiegt hat, gleicht er sich ihm an. Im dritten Teil muß er gegen die Comicfigur Clubber Lang, gespielt von Mister T, antreten, die kein filigraner Techniker, sondern wie Rocky selbst ein Puncher und Fighter ist. Rocky geht jetzt bei Apollo Creed – inzwischen sind sie Freunde – in die Lehre und lernt das Unmögliche, nämlich zu tänzeln. Im Kampf schließlich wendet er die Taktik des Rope-a-Dope an, jenes Auspendelns an den Seilen, das Ali im Kampf gegen Foreman und dessen vernichtenden Ruf den Sieg brachte. Die Rocky-Filme versuchen somit eine massenmediale Abwandlung des rituellen Brauches, das Fleisch des besiegten Feindes zu essen, um sich dessen Stärke anzueignen. Sie verleiben ihrem Protagonisten die Innereien des traumatischen Vexierbildes Ali in einer Ordnung ein, die das Trauma umwerten und verdecken soll.173

171 Vgl. Martin 1995. 172 Conway 1999, S. 129. 173 Die Einstellung der amerikanischen Öffentlichkeit gegenüber Muhammad Ali hat sich grundlegend geändert. Spätestens als letzter Fackelträger, der das Feuer der Olympischen Spiele entzündet, wird der Exboxer zu einer angesehenen Figur des öffentlichen Lebens. Seine mediale Präsenz ist immer noch enorm, von kleineren Interviews bis zur öffentlichen Ehrung zum sechzigsten Geburtstag, dessen als Show angelegte Feier anerkennend auf die Vergangen-

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2. Passageritus Wie es der Begriff des Passageritus suggeriert, ist die Aufstiegsbewegung des Protagonisten hier gekoppelt an die Durchquerung der Boxerexistenz. Es kommt zu einer zweimaligen Überschreitung der Grenze zwischen familiärem und boxerischem Milieu. Die Passageritus-Produktionen besitzen daher stets den Charme einer dramatischen Adoleszenz. Zu Beginn verläßt der Protagonist die Familie, um sich im zweifelhaften Geschäft zu beweisen. Dabei wird der soziale Rollenkonflikt oft an ökonomischen Notwendigkeiten aufgehängt, wenn sich ein junger Mann wie in Body and Soul oder gar ein Kind wie in The Crowd Roars mit der Funktion des Familienversorgers überfordert sieht. Oft jedoch scheinen die Protagonisten gleichzeitig durch einen inneren Drang angetrieben zu werden. Dieses Phänomen ist wohl am deutlichsten in Golden Boy, wo die Familie als Beziehungsgefängnis inszeniert ist, dessen sowohl räumliche als auch emotionale Enge den Wunsch eskortiert, in das Spektakel körperlicher Gewalt und wilden Kampfes auszubrechen. Am Ende steht der Ausstieg aus dem Boxmilieu und mit ihm der Gewinn der ,guten‘ Frau. Das Aktionsprinzip der Protagonisten hat demnach kaum mehr die Reichweite des Westernhelden, der die erneuerte Zivilisation groß dimensioniert im individuellen Gewaltakt an die Frontier bringt. Die Regeneration durch Gewalt verfolgt der Passageritus-Boxer in viel kleinerem Maßstab, sobald er schließlich eine eigene familiäre Einheit begründet. Vatersuche „There is hardly a boxing picture wich doesn’t include a crook or two in the cast. Whatever the reality, the gangster in the movies is never far away from the fight-game. He is the third man in the fighter’s corner.“174 Ist Korruption auch in den Berufsopfer-Filmen zumindest latent vorhanden, beherrscht sie in den PassageritusProduktionen das Boxgeschäft. Spätestens nach einigen anfängliheit zurückblickt. Auch Sylvester Stallone fügt sich als Gratulant ins Programm. 174 Vgl. Bergan 1982, S. 15.

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chen Kampferfolgen gerät der Boxer an den Kriminellen, der die Herrschaft in der Boxszene der großen östlichen Metropolen – zumeist in New York – ausübt. Ohne ihn ist an Titelkämpfe und damit an das ganz große Geld nicht heranzukommen. Der Gangster übernimmt also das Management des Sportlers. Abbildung 3: Versuchung und Verführung — Gangster (Lee J. Cobb) und Exboxer (Marlon Brando) beim ungleichen Tausch in On the Waterfront.

Die Panoramen der Versuchung, die zwielichtige Manager oder Promoter dem Boxer offerieren, sind – so Edward Recchia – keine Demonstrationen abstrakten Reichtums: „It isn’t just a display of money; it’s an example of the power that money wields and the kinds of pleasure money can buy.“175 Auch sind die Versuchungen, die der sportlichen Opfermoral gegenüberstehen, hier nicht mehr die Genüsse des gewöhnlichen Lebens wie beim Berufsopfer. Der Boxer ist jetzt angezogen von den überdimensional aufgeblähten Verlockungen einer glitzernden Halbwelt: absolute Gewaltfreiheit, luxuriöses Leben, Nachtclub, Alkohol, Femme Fatale etc. 175 Vgl. Recchia 1993, S. 196.

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Um demgegenüber das antagonistische Prinzip zu dramatisieren, greifen die Inszenierungen auf Motive christlicher Erlösung und Reinheit zurück. Die Madonnenbilder in der familiären Wohnung in Golden Boy oder die Präsenz des Priesters und die kirchliche Hochzeit in The Crowd Roars versehen die Boxkarriere mit dem Emblem der Sünde. In Body and Soul schwingt noch einiges mehr von der Vorstellung des ,schwachen Fleisches‘ mit, wenn sich der Boxer in den schrecklich-schönen Netzen des Nachtlebens verfängt. Obwohl es den Ritus der Vertragsunterzeichnung gibt, ist das Verhältnis zwischen Boxer und Gangster somit kein rein geschäftliches und alles andere als zweckrational. Der Kontrakt mit dem Vertreter der Luxussphäre besitzt immer etwas vom Verkauf der Seele. Besiegelt wird ein Pakt, der den Boxer in den Bann eines mächtigen Ziehvaters schlägt. Dabei gibt es letztlich nur eine Vertragssicherheit: die Gier der Gangster. Insofern der Boxfilm insgesamt die verschiedensten paternalen Figuren versammelt (Promoter, Manager und Trainer, erfahrene Athleten, Journalisten und natürlich auch leibliche Väter), kann man sagen, daß er an den vielfachen Verzweigungen der Vatersuche mitarbeitet.176 Mit dem traditionellen Vaterbild der bürgerlichen Familie sind insbesondere drei Funktionen verbunden. Während die Mutter mit der Geborgenheit des Hauses, Trost und körperlicher Nähe assoziiert ist, soll der Vater erstens die Familie ökonomisch versorgen (Ernährer), er soll sie zweitens nach außen absichern (Beschützer), und drittens soll er den Kindern die nicht allein bedrohliche, sondern ebenso interessante Außenwelt vermitteln, zu der er aufgrund seiner Berufstätigkeit und seiner Rollenfunktionen in der Öffentlichkeit Zugang hat (Mentor).177 Die Passageritus-Filmboxer haben in der Regel leibliche Väter, die entweder abwesend sind (Kid Galahad) oder den traditionellen Funktionen aufgrund ihrer Schwäche im Familienverbund (The Crowd Roars, Body and Soul) oder aber ihrer weiblich-emotionalen Stärke (Golden Boy) kaum entsprechen. Zudem erfahren alle lauteren Figuren der paternalen Hierarchie, auch jene, die noch einigermaßen gut mit dem Leben fertig werden, eine gründliche Entwer176 Zur Vatersuche vgl. Lenzen 1991, S. 7ff. 177 In Anlehnung an Jost Triers (1947) etymologische Analyse des Begriffs Vater spricht Yvonne Ehrenspeck (2000) vom Nähren, Schützen und Zeigen (nutritio, protectio, deixis).

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tung durch die schillernde Machtposition an ihrer Spitze. Den Ehrlichen hängt nicht selten die Dummheit der Schafe an, mit denen Chaplin in Modern Times die Straßen der Großstadt bevölkert. In der Vater-Sohn-Beziehung, die Gangster und Boxer unterhalten, pervertieren schließlich die traditionellen Vaterschaftswerte in einer Bewegung ähnlich derjenigen, in der die kriminelle Karriere schon im Gangsterfilm das individuelle Erfolgsstreben deformiert. Abbildung 4: Umschwärmter Sieger — Killer McCoy (Robert Taylor) ist der kommende Mann in The Crowd Roars.

Eine der Beziehungsdimensionen ist stets das Besitzverhältnis. Zwischen dem enormen physischen Verschleiß auf der einen und der Macht des Geldes auf der anderen Seite richtet sich ein Prostitutionsmotiv ein. Was das Ernähren angeht, kehrt sich die Beziehung zwischen Vater und Sohn also um. Der Gangster beutet seinen Ziehsohn für den eigenen luxuriösen Unterhalt aus. Selbst in einer Beziehung annähernd gleichberechtigter Partnerschaft wie in derjenigen zwischen Killer McCoy und Jim Cain in The Crowd Roars ist es der Boxer, der seinen Körper im Ring zum Nutzen auch des Gangsters verbraucht. Weiterhin beschützt das Besitzverhältnis den Boxer vor den Ansprüchen anderer Krimineller. Er kann sich vor ihnen in einer Art ,behütet‘ fühlen wie ein Geschäftsmann, der einer 88

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Gang Schutzgeld bezahlt, um vor der anderen sicher zu sein. Eifersüchtiger als der Kapitalist seine Produktionsmittel bewahrt der Gangster sein Anlageobjekt vor geschäftsschädigenden Einflüssen. Die wichtigste pervertierte Vaterschaftsfunktion ist allerdings die des Mentors. Die Gangster haben eine regelrechte Bildungsfunktion für die Boxer, wenn sie ihnen die Gesetze des Milieus vermitteln. Die ,Tüchtigkeit‘, die sich die Athleten bei ihren Vorbildern abschauen, reicht weit über die Grenzen des Sportlichen hinaus. Denn diese Lektion hat mancher Filmboxer in der Schule der Gangster zu lernen: Um im Leben zurechtzukommen, braucht es ,schmutzige Tricks‘; die Welt ist nicht so übersichtlich und reglementiert wie der sportliche Faustkampf. Gangsterimago Die Kriminellen werden zu mächtigen Imagos, wie in Golden Boy, wo sich der Boxer Joe Bonaparte (William Holden) dem Bild des Gangsters Eddie Fuseli (Joseph Calleia) verschreibt. Die Auftritte des Kriminellen sind Demonstrationen von Potenz, die sich Bildraum und Handlungsachse fordernd aneignen. Die akkurate Erscheinung des idealen Bösewichts mit der Blume im Knopfloch und dem weißen Tuch in der Anzugtasche droht schon ins Lächerliche zu kippen, fängt sich dann aber in einem auffälligen Schwebezustand: „[...] an exact caricature of Bogart in pin-stripe suit, carnation and Snap-brim hat, snarling his lines with hand firmly rammed in suspiciously bulging pocket, inhabits the unsettling serio-comic ground between laughter and menace.“178 Im Laufe des Films wohnen wir einem Angleichungsprozeß zwischen Imago und Boxer bei. Im Dialog mit Reportern ist Bonaparte das Echo des Gangsters. Beide posieren für die Presse als Doppelfigur in gleichen Anzügen vor dem großen Wandspiegel. Spätestens wenn der eigentlich weichliche Protagonist sich gemeinsam mit dem entsprechenden Hut auch noch vergeblich die Härte im Auftreten anzueignen sucht, offenbart die Inszenierung ihre Strategie. Gemäß der Lacanschen Logik narzißtischer Identifikation richtet sich die Spiegelbeziehung zwischen Bonaparte und Fuseli als asymmetrisches Herrschaftsverhältnis ein. Der Wunsch nach Macht 178 Milne 1969, S. 118.

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führt zur Unterwerfung unter die Imago, deren Ansprüchen der Wünschende nicht genügen kann. 179 Wenn sich ein zwielichtiger Manager oder Promoter wie Eddie Fuseli vom Boxtalent leidenschaftlich angetan zeigt („I like a good boy, who could win the crown!“), handelt es sich kaum um rein private Intimität. Der Besitz des Athleten ist für den Gangster gleichzeitig ein Instrumentarium, sich selbst in ganzer Machtfülle öffentlich darzustellen. In dieser Selbstdarstellung treibt die Abstammung des Boxens aus der aristokratischen Machtinszenierung populärmythische Blüten. Diese tradierte Selbstdarstellung der adeligen Oberen mutiert unter den amerikanischen Verhältnissen. In den ländlichen ,Pflanzeraristokratien‘ des achtzehnten und der ersten Hälfte des neunzehnten Jahrhunderts bildet nicht Patronat, sondern Besitz den Rahmen der feudalen Verhältnisse. Dort sollen Sklaven im Rahmen von Wettbewerben zwischen den Plantagen für ihre weißen Herren im Bare-Knuckle Fighting angetreten sein.180 Spuren der althergebrachten Machtinszenierung sind noch wirksam, wenn Saloonbesitzer an der amerikanischen Ostküste des neunzehnten Jahrhunderts regional erfolgreiche Boxer aus in erster Linie kommerziellen Gründen verpflichten. Die Lokalmatadore stellen sich den herumreisenden oder gerade erst aus Europa angekommenen Herausforderern zu oftmals rüden Kämpfen.181 Die mediale Inszenierung des modernen Profiboxens nutzt auch diesen Motivstrang, um ihren Schauwert zu steigern. Wie die Halbwelt, die sie vertreten, sind große und undurchsichtige Selbstdarsteller unter den Promotern wie Don King seit den siebziger und acht179 Vgl. Lacan 1978, S. 225.: „Das menschliche Objekt ist ursprünglich vermittelt über den Weg der Rivalität, durch die Überreizung der Beziehung zum Rivalen, durch ein Verhältnis des Prestiges und der Prästation. Schon das ist eine Beziehung von der Ordnung der Entfremdung, da das Subjekt sich als Ich zunächst im Rivalen erfaßt.“ Vgl. Broser 1985. 180 Die widersprüchliche Forschungslage zu diesem Punkt faßt Luckas (2001a, S. 199ff) zusammen. Luckas und auch Sammons (1988, S. 31) erwähnen Kyle Onstotts Roman Mandingo, der im Sklavenmilieu spielt. Mit Profiboxer Ken Norton macht Richard Fleischer daraus 1975 einen Film, der – so Zucker und Babich (1987, S. 112) – „the emphasis on sex and violent action“ legt. 181 In Ron Howards Far and Away von 1992 spielt Tom Cruise einen solchen mittellosen Herausforderer, der seinen Lebensunterhalt in den Bare-Knuckle Fights der Saloons verdient.

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ziger Jahren des zwanzigsten Jahrhunderts zusätzliche Sensationen im Showgeschäft. Sie werden königgleich gesehen, prunkvoll und mit Hofstaat. Ihnen wird die Macht zugeschrieben, Athleten aufbauen oder zerstören zu können. Michael Curtiz’ Kid Galahad ist wahrscheinlich derjenige klassische Boxfilm, der den aristokratischen Habitus am augenscheinlichsten auf die Gangsterherrschaft überträgt. Der Boxmanager Nick Donati (Eward G. Robinson) ist ein Fürst des Luxuslebens. Er gibt rauschende Feste und läßt seine Rivalitäten in Stellvertreterkämpfen im Boxring austragen. Die Boxszenen etablieren zwischen den rivalisierenden Gangstern, die dem Ringgeschehen in den Ecken ihrer Athleten beiwohnen, eine tragende Blickachse. Jeder beobachtet das Verhalten des anderen bis zum Tausch bald rachsüchtiger, bald triumphierender Blicke. Zum tödlichen Showdown sind schließlich die Stellvertreter aus der Schlußlinie geräumt. Im allgemeinen sind die Relikte des aristokratischen Habitus beim Gangsterpromoter gepaart mit einer rationalistischen Geschäftstüchtigkeit, die eher auf bürgerliche Traditionen zurückgeht. „Doch das Leben ist nicht nur Kampf, sondern auch Glücksspiel. Die Leute setzen auf die Sieger. Das Spiel wird Geschäft. Der erfolgreiche Manager kauft einen Verlierer. Er sichert sich gegen die Risiken des Zufalls ab.“182 So sieht Böhringer die Geschäftslogik der korrupten Manipulation im Boxfilm. In Body and Soul findet diese Logik einen gänzlich auf sie reduzierten Repräsentanten. Die Figur des dubiosen Promoters Roberts (Joseph Pevney), in dessen Manipulationen sich Faustkämpfer Charlie Davis (John Garfield) verstrickt, ist sterilisiert von allen leidenschaftlichen Gangsterbräuchen. An die Stelle der aristokratischen Relikte tritt gänzlich das berechnende Kalkül. Roberts ist als beherrschter Charakter gezeichnet, der sich weder für Alkohol noch für Frauen interessiert und auch die Fassung nie verliert. Kriminelle Gewalt und ebenso die Verlockungen des Erfolgs gehören zwar in sein Umfeld, aber er benutzt sie mehr als Werkzeuge seiner Machenschaften, als er ihnen selbst verfallen wäre. Der Kriminelle funktioniert als rationalistische Figur. Er behandelt Boxer als Waren. In dieser Tendenz zum Rationalismus und nicht etwa im individuellen Machtanspruch, wie er den Gangster 182 Böhringer, 1998, S. 82.

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aus Leidenschaft kennzeichnet, ist Roberts gewissenlos. Seine ständigen Bemerkungen über Geld und Geschäft („Everything is addition and subtraction, the rest is conversation.“) bieten sich nicht nur dem Essayisten als attraktive Zitate an, sie erheben außerdem einen nachgerade metaphysischen Anspruch darauf, die Gesetze des Milieus zu formulieren.183 Das Gangstertum nimmt hier keine persönliche Vorbildfunktion mehr ein. Es wird zu einem kalten Betrieb, jenseits der emotionalen Vaterallüren, die sich in den PassageritusFilmen der Vorkriegsära so zentral erweisen. Roberts Kälte nivelliert jede Ambition, einen Menschen aus Fleisch und Blut darzustellen. Das Paternale vertritt er nur noch als abstraktes Prinzip. Schuld und Schulden: Überwindung der Gangsterimago Ein gründliches Mißverständnis liegt vor, wenn man die von vielen Passageritus-Filmen geführte moralisierende Anklage gegen das Boxen und sein Milieu als Heuchelei abtut, weil im selben Zuge die Schauqualitäten des Faustkampfes ausgebeutet werden. Zum einen handelt es sich um ein Kompositionsverfahren, das seine Pole durch ihre Gegensätzlichkeit verstärkt. Zum anderen sind beide Seiten ikonographische Elemente des mythischen Übergangsritus. Die entsprechende Identität konstituiert sich weder im alleinigen Bezug auf den reinen noch auf den unreinen Pol. Denn nur in ihrem Kraftfeld kann es jene Schuld geben, die für das Szenario der Mannwerdung unerläßlich ist. Die Welt wird so gebaut, daß der Protagonist dem moralischen Dilemma nicht auszuweichen vermag. Aufgrund des kriminellen Einflusses wird die Erfolgsschuld nicht mehr wie beim Berufsopfer in der boxerischen Anerkennungsgemeinschaft aufgefangen. Seinen Höhepunkt erlangt das Schuldmotiv, wenn der Protagonist seinen Gegner wie in The Crowd Roars, Golden Boy und Body and Soul durch den Faustkampf tötet. Er hält sich zwar an die sportlichen Regeln, ist jedoch bereits elementar schuldig, sobald er sich auf die Gesetze des korrupten und gewalttätigen Milieus einläßt. Oft trifft der Tod im Ring bzw. an den Folgeschäden des Kampfes einen alternden Athleten, den Geldmangel oder Schulden trotz akuter Ge183 Combs (1986, S. 25) weist auf die Höhepunkte in Roberts Dialogen hin.

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sundheitsgefahr nochmals in den Ring zwingen. Man gewinnt den Eindruck, daß der Tod des versagenden Kämpfers innerhalb der filmischen Männlichkeitsfabrikation auch dazu dient, ein untüchtiges Vorbild zu beseitigen: So ergeht es eben den Schwachen! Aber das ,survival of the fittest‘ besitzt immer ein moralisches Gegengewicht, das der Protagonist zu akzeptieren hat. Mehr noch: Wie nach der Energiequelle vitalistischer ,Wildheit‘ scheint er auch nach Schuld zu suchen. Golden Boy hat eine Absolutionsszene, in der sich die Logik von Schuld und Mannwerdung klärt. Nach dem finalen Kampf konfrontiert sich Joe Bonaparte mit dem Vater und den beiden Brüdern seines toten Gegners The Chocolate Drop. Die drei Männer bilden mit ihren unterschiedlichen Körperpositionen – stehend, sitzend, kauernd – eine nach rechts verschobene Figurenpyramide, deren Gesichter verschiedene Zustände des Schmerzes befallen. In der Stimmelodie eines Predigers antwortet der alte Vater des Toten auf die Schuldbekenntnisse des Protagonisten: „We are all just little people with a Bullit in every one of us. You got one too. And you got to care! Don’t try to run away from it!“ Nicht nur um die physischen Wunden des Kampfes, sondern ebenso um das moralische Trauma gruppiert sich die Identität des Passageritus-Boxers. Die Schuld auf sich zu nehmen und mit ihr zu leben, die richtigen Schlüsse aus ihr zu ziehen, sind dabei die bewußten Anforderungen ans Männerbild. Vom Tod des anderen ausgehend setzt in vielen Boxfilmen eine Isolationsbewegung ein, die den Protagonisten ganz auf sich zurückwirft. Allein treibt Killer McCoy in The Crowd Roars durch die Massen von Arbeitslosen in den Straßen. Schleppender Gang und Dreitagebart sollen die moralische Krise anzeigen. In Body and Soul setzt die Isolationsbewegung gleich zweimal ein. Die Tode von Freund Shorty und Boxerkollege Ben schneiden Charlie Davis von jedem sozialen Rückhalt ab. Diese Isolation führt zwar in die Krise, aber in eine notwendige: Sie ist die Geburtswehe der Männlichkeit, in der sich die Entscheidungssituation des letzten Boxspektakels ankündigt: auf sich allein gestellt sein und kämpfen. Im finalen Kampf kommt zum Männlichkeitsbeweis des Berufsopfers und seinem heroischen Masochismus noch eine gehörige Portion morali-

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scher Masochismus hinzu.184 Wenn sich der Boxer in dieser ärgsten Tortur ordentlich zusammenschlagen läßt, büßt er die Restschuld ab, die trotz der vorangegangenen Ratenzahlung übrig geblieben ist. Für den Passegeritus-Boxer führt jedoch keine Umgehungsroute am Sieg vorbei. Er muß die passive Opferhaltung in Aktivität umwandeln, indem er ein letztes Mal vitalistische ,Wildheit‘ mobilisiert. Mit dem Sieg durch einen fulminanten K.o. beweist der Boxer zwar sein Vermögen, die Gewalt erfolgreich an sich zu binden. Aber der Triumph ist damit keineswegs komplett. Das Problem der Gewaltadressierung ist in den Passageritus-Boxfilmen am konkretesten in die Figurenkonstellation übersetzt. Die sportlichen Gegner im finalen Kampf sind entweder gänzlich unwichtige Figuren oder Marionetten der Korruption. Die Boxer können die Gangster als ihre eigentlichen Widersacher mit physischen Attacken nur indirekt erreichen, indem sie sich wie in Body and Soul der Kampfabsprache entziehen und nicht freiwillig auf die Bretter gehen. Wenn die Dramaturgie am Ende den Gangsterpromoter wie in Rowdy Herringtons Boxfilm Gladiator in den Ring und vor die Fäuste des Athleten verfrachtet, folgt sie dem utopischen Wunsch, den Richtigen schlagen zu können.185 Gewöhnlich jedoch führt die mangelnde Schlagreichweite der Boxer gegenüber den Gangstern in eine Situation der Wahl. Die Protagonisten stehen schließlich vor der Entscheidung, welche Grenze sie überschreiten sollen: diejenige des Rings zum kriminellen Milieu hin, was bedeutet, selbst ein Gangster zu werden, oder diejenige zwischen korruptem Milieu und zivilisierter Welt, die sie anfangs schon einmal unter anderen Bedingungen hinter sich gelassen haben. Robert Siodmaks The Killers 184 Zu dieser Form des Masochismus, der auf die Befriedigung eines unbewußten Schuldgefühls zielt, vgl. Freud 1975a. Freud (S. 349) betont die Ablösung vom Sexuellen im engeren Sinn: „Die dritte Form des Masochismus, der moralische Masochismus, ist vor allem dadurch bemerkenswert, daß sie ihre Beziehung zu dem, was wir als Sexualität erkennen, gelockert hat. An allen masochistischen Leiden haftet sonst die Bedingung, daß sie von der geliebten Person ausgehen, auf ihr Geheiß erduldet werden; diese Einschränkung ist beim moralischen Masochismus fallengelassen.“ 185 Auch in Ridley Scotts Gladiatorenfilm gleichnamigen Titels stellt sich der Schurke dem Helden am Ende, allerdings zum unfairen Kampf. Der Zweikampf erscheint hier sogar innerdiegetisch als Einlösung einer Publikumsforderung des Publikums, das die ,richtigen‘ Gegner einander gegenüber in der Arena sehen will.

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führt uns vor, was dem Boxer geschieht, der die Grenze zum Gangstertum überschreitet und nicht alle ,guten‘ Werte – family values, wie Grindon sie nennt186, – hinter sich läßt. Vertrauen zu einer Figur des verdorbenen Milieus – aufrichtige Liebe zu einer Frau, die ihn später verrät, – bringt den Exboxer in eine aussichtslose Lage. Darum wissend ergibt er sich der Rache der feindlichen Gangster und wartet auf seinen Tod. Abbildung 5: Glückliche Wiedervereinigung — Vater (Lee J. Cobb), Boxer (William Holden) über die am Ende ,gute‘ Frau (Barbara Stanwyck) in Golden Boy.

In zuversichtlicheren Spielarten ist die Selbstopferung des Gangsters für seinen Ziehsohn, wie sie in Kid Galahad geschieht, die Ausnahme. In der Regel haben die Kriminellen schlicht deshalb das Nachsehen, weil die Boxer der Faszination der Gewaltfreiheit entsagen. In The Crowd Roars überläßt Killer McCoy die Bestrafung des Erpressers Pug Walsh der Polizei, den Hütern der modernen Ordnung. In Golden Boy siegt Joe Bonaparte in dem Moment über Eddie Fuseli, in dem er dessen Ohrfeige nach dem Kampf nicht mit 186 Vgl. Grindon 1996, S. 54.

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einem Gegenschlag beantwortet. Darin nistet sich der auf uns heute etwas lächerlich wirkende Optimismus der Passageritus-Filme insbesondere der Vorkriegsära ein, daß sie ihren Protagonisten erlauben, die Verlockungen ausschweifenden Lebens kennenzulernen, ohne ihnen zu erliegen, die Lektionen der Gangster zu verinnerlichen und dennoch die Schule abzuschreiben. Der letzte Schritt der Passage meint somit Abschied und Neuankunft. Am Ende wird das Boxen selbst geopfert. Der Boxer muß sich aus allen Abhängigkeitsverhältnissen freikämpfen und vom korrumpierten Milieu lossagen. Der Idealismus der Männerselbstproduktion ist noch greller als in den Berufsopfer-Filmen. Denn die große Geste der Selbstüberwindung am sportlichen Gegner wird gekoppelt mit einem überdeterminierten Befreiungsakt gegenüber der Gangsterimago. Die Selbstbefreiung bedeutet, in einem Zuge dem moralischen Fall wie dem körperlichen Verschleißopfer zu entgehen. Sie schließt aber ebenso mit ein, auf ,Wildheit‘ und individuelle Gewalt zu verzichten und sich dem Gesetz der Zivilisation erneut zu unterstellen. Das untrüglichste Zeichen für die Wiederankunft in der Zivilisation ist Gewinn der ,guten‘ Frau zwecks Familienbildung. Zusammenfassung Der Protagonist tritt aus äußerem (ökonomische Verhältnisse) und innerem (Adoleszentenproblematik) Drang in das Boxmilieu ein. Dort muß er auf der Grenze gehen zwischen Moral und Versuchung. Der Held sucht nach den Energien der mächtigen paternalen Imago und dem Reservoir an ,Wildheit‘, ohne ihren Verlockungen gänzlich zu verfallen. Er sucht ebenso nach einem gewissen Quantum an Schuld, um diese tragen zu lernen und schließlich im moralischmasochistischen Szenario des letzten Kampfes abzubüßen. Dort muß sich der Boxer aus dem Besitzverhältnis freikämpfen und die Gewalt aktiv gegen seinen Gegner richten. Außerdem sagt sich der Protagonist vom Milieu los und überwindet die pervertierte Vaterfigur. Weil der Held sich von den Versuchungen des Milieus, insbesondere der Gewaltfreiheit, abkehrt, richten sich Identifikation und Gewalt nicht gegen ihn. Das Boxen selbst wird geopfert. Mit ihrer Abfolge von erstens der Abtrennung vom alten familiären Zustand, zweitens der Schwellenphase innerhalb des Boxmilieus und drittens

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der Wiederangliederung an die zivilisierte Familienwelt auf neuem Niveau vollzieht diese Art des Boxfilms genau jene klassische Form des Übergangs, die Arnold van Gennep in seiner grundlegenden Untersuchung Les rites de passage beschreibt.187 Der Gewinn der ,guten‘ Frau dokumentiert die erneute Grenzüberschreitung zwischen den Milieus als Erfolg und markiert den Endpunkt der dramaturgischen Bewegung. Die Analyse der Opferkampflogik in den Passageritus-Produktionen wird daher im folgenden durch eine Untersuchung der Frauentypen des Boxfilms ergänzt, die sich an der Inszenierung antagonistischer (Weiblichkeits-)Prinzipien in Body and Soul orientiert. Schwerpunkt: Weiblichkeit in Body and Soul Die Passageritus-Bewegung des Boxerprotagonisten – insbesondere ihr Anfangs- und Endstadium, also die Ablösung vom familiären Milieu und der Wiedereintritt auf einem neuen Niveau, – läßt sich auch über die Relationen zu spezifischen Formen des Mütterlichen bestimmen. The Crowd Roars führt die Relationierung in modellhafter Klarheit vor Augen: zu Beginn die zärtliche Mutter-SohnDyade, die der trinkende Taugenichts von einem Vater geldgierig und selbstsüchtig – also kaum dem trennenden väterlichen Prinzip des Idealplans bürgerlicher Kleinfamilien entsprechend – zerstört, indem er den Sohn dem Boxgeschäft zuführt. Am Ende die eheliche Vereinigung des Boxers mit einer jener ,guten‘ Frauenfiguren, die Sylvia Harvey als „boring, potentially childbearing Sweethearts“188 verspottet. Die Attribute der Mütterlichkeit sind noch dort mit Rettung und Schutz assoziiert, wo sie sich an erfahrene Boxmilieufrauen wie Fluff Philipps in Kid Galahad heften. Wie der Boxer ist auch die „Knowing Woman“189 solange durch die Prostitutionsmechanismen des Milieus gefährdet, „unless they marry and reestablish their posi187 Van Gennep (1986) analysiert diese klassische Form in verschiedenen Funktionen (Hochzeit, Geburt usw.). Die dem PassageritusBoxfilm im eigentlichen Sinn ähnlichen Riten sind die der Initiation, die der Einführung junger Männer in die Gemeinschaft dienen. Vgl. dazu auch Gilmore 1991. 188 Harvey 1978, S. 25. 189 Grindon 1996, S. 62.

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tion in the family.“190 So bildet die kluge Lourna Moon in Golden Boy den Ort, an dem eine flottierende Mütterlichkeit zur Ruhe kommen kann, nachdem sie gar den männlichen Figuren (Vater, Gangster) anhing.191 Sie geht den von Grindon beschriebenen Rettungsweg, wenn sie den deprimierten Boxer nach dem finalen Kampf sorgend empfängt, und damit jenes umarmende Heimkehrmotiv verwirklicht, in dem die ,guten‘ Frauen des Boxfilms immer wieder aufgehen.192 Obwohl die Mutterschaft des Boxfilms demnach nicht unbedingt der Idee einer leiblichen Mutter verpflichtet ist, besitzt diese Idee im Rahmen der Opferkämpfe einen besonderen Status. Aus der Perspektive der leiblichen Mutter leidet im Ring ein Körper, der eins mit dem eigenen war. Mutterfiguren wohnen dem Kampf nur selten in der Arena bei. Da ihnen unvorstellbares Mitleiden zugeschrieben wird, liegt eine gewisse Konsequenz darin, es auszusparen. Umgekehrt ist es von extraordinärer Härte, wenn sich die Frau, die den Boxer geboren hat, gegen ihn wendet. So geschieht es in Body and Soul, wo die Mutter den Sohn zeitweise verstößt und sowohl Mitleiden als auch Anerkennung des Opfers und des Erfolgs verweigert. Von Beginn an werden hier etwaige Anflüge einer mütterlichen Geborgenheit überschattet durch die Bestimmung als gebieterischer Gewissensinstanz. Mit ihrem ebenso unerbittlichen wie verhärmten Ausdruck – oft in leichter Untersicht – streift die drohende Muttergestalt entlang der Grenze zur Horrorästhetik und bildet damit die andere Seite zur warmherzigen Weiblichkeit.193

190 Grindon 1996, S. 62. 191 Die fottierenden Attribute hängen zuerst dem zu liebevollen Vater an und auch der Innenausstattung seines Hauses, gehalten im Stil schwülstiger Gemütlichkeit, die an einen Wohnraum des neunzehnten Jahrhunderts erinnert. Seltsamer noch erscheint das Flottieren, wenn sogar der Kriminelle ,vermuttert‘. Vom Einkaufsbummel bringt Gangsterimago Fuseli dem Boxer Hemden sowie passende Krawatten mit und ist verärgert, als sein Schützling sich nicht erfreut zeigt über diese Fürsorglichkeit. 192 So etwa in der Schlußszene von Rocky, in welcher der Boxer und seine Geliebte einander rufend in die Umarmung finden. Zum Motiv der Heimkehr im allgemeinen vgl. Recchia 1993, S. 186-187. 193 Annette Brauerhoch (1996) spannt ihre Untersuchung der filmischen Mütterlichkeit zwischen diesen beiden Seiten auf, zwischen der guten und der bösen Mutter, zwischen Melodrama und Horror.

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Viel offensiver als The Crowd Roars, Kid Galahad oder Golden Boy formt Body and Soul das Spannungsfeld der Zwei-GrenzenOrdnung als einen Kampf antagonistischer Prinzipien und die Milieufiguren als deren Extensionen aus. Wie der Gangster Roberts das Geschäft vertritt, repräsentiert auf der anderen Seite die Mutter eine puritanische Moral, die weder Ab- noch Ausschweifungen duldet: paternales und maternales Prinzip. Gemeinsam ist beiden Repräsentanten eine gewisse Kälte, denn im Gegensatz zu den rundlichen Müttern in The Crowd Roars und Kid Galahad fehlt es der Mutterfigur hier an Wärme. Anders jedoch als Roberts, dessen Temperatur konstant unter Null bleibt und dessen Unterkühlung in seinen zynischen Bemerkungen sublimiert zum Ausdruck kommt, erleben wir die Mutter in Szenen, in denen sich Kälte und Verhärtung erst als Reaktionen auf das Geschehen sichtbar einstellen. Als ein Scheitelpunkt der Handlung wird der Prinzipienstreit im großen Maßstab seiner Vertretung angelegt, als ein regelrechter Aufmarsch der Repräsentanten: die Mutter, Jugendfreund Shorty und Good Girl Peggy auf Seiten des maternalen Prinzips; der Gangster Roberts, einer seiner Schläger, der korrupte Manager Quinn und Bad Girl Alice als paternale Fraktion. Der barocke Wohnsalon des luxuriösen Appartements, das sich Boxer Charlie Davis von seinen ersten noch ehrlich errungenen Erfolgen leisten kann, bildet das räumliche Zentrum, bestimmt vom Auftritt und Abgang der Figuren. Zunächst scheint das maternale Prinzip kurz vor seinem Triumph zu stehen, als Charlie und Peggy ihre Heiratspläne verkünden. Ein Viererblock der Freude möbliert das Bild. Als Roberts auftaucht, findet sich der Block jedoch durch die Rede vom Geschäft in Auflösung begriffen. Das Arrangement des Titelkampfes bleibt als Keil im Beziehungsgefüge zurück. Die Trauung wird auf unbestimmte Zeit verschoben. Die Mutter wandelt sich von der liebenswürdigen, fast warmen Begrüßung der anstehenden Hochzeit zur paralysierten Gestalt, als ihr Antagonisten Roberts auftaucht. In ihrem schwarzen Kleid wird sie als schweigende Senkrechte mal am Bildrand, mal im Hintergrund positioniert. Die Paralyse läßt sich nicht mehr als Ausdruck jenes moralisierenden Tadels verstehen, der ihre vorherigen Reden gegen den Faustkampf begleitet. Zwar möchte man den Blick auf den Umschlag voller Banknoten, den der Gangster ihrem Sohn als Vorschuß überreicht, als strafend interpretieren. Aber man sucht

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vergeblich nach Mißbilligung oder Abscheu in der Mimik. Der Gesichtsausdruck ist in Stasis verfallen. Die Erstarrung tilgt jedes Anzeichen eines Innenlebens von der Außenseite der Figur. Sie ist die Aufkündigung des melodramatischen Kontraktes zwischen Mutter und Sohn.194 Daß die Zwei-Grenzen-Ordnung in Body and Soul selbstbewußt als Kampf antagonistischer Prinzipien ausagiert wird, läßt sich überdies an der Opposition von Bad Girl und Good Girl nachweisen. Zucker und Babich, nach deren Ansicht die verbreitete Pendelbewegung zwischen rettender und verderbender Weiblichkeit auch für das Faustkämpferdrama typisch ist195, sehen den abgenutzten Kontrast der Weiblichkeitspole in Rossens Inszenierung neu belebt.196 Zweifelsohne rührt der Eindruck erneuerter Vitalkraft wesentlich daher, daß Body and Soul auf die Ästhetik des Film Noir zurückgreift, in welchem sich der Antagonismus zwischen Nurturing Woman und Femme Fatale im allgemeinen einer zuvor unbekannten Verdichtung zugeführt findet.197 Insofern Weiblichkeit in der bürgerlichen Ordnung der Geschlechter mit Natur assoziiert ist, trägt die Opposition der beiden Filmfrauentypen – darauf hat Kai Kaufmann in seiner Studie zum Film Noir hingewiesen198 – die Ambivalenzen bürgerlicher Naturphantasmen in sich. Die Phantasmen changieren zwischen einerseits der wilden, unbeherrschbaren Natur, die es zu bezwingen gilt, und andererseits der bereits unterworfenen, zivilisierten Natur. Im männlichen Blick auf die Sexualität der Frau kehrt die bipolare Struktur wieder. Gegenüber der wilden, unberechenbaren weiblichen Sexualität ist das aseptische Bild der rettenden Frau eine Strategie der Zähmung. Aber der Unterwerfungsanspruch gegenüber 194 Zur Paralyse und den Grenzen des Affekts vgl. Deleuze 1990, S. 141-142. 195 Vgl. Zucker / Babich 1987, S. 53-54. 196 Vgl. Zucker / Babich 1987, S. 65. 197 Place (1978, S. 50ff) spricht von einer Nurturing Woman des Film Noir. „She offers the possibility of integration for the alienated, lost man, into the stable world of secure values, roles and identities. She gives love, understanding (or at least forgiveness), asks very little in return (just that he come back to her) and is generally visually pasive and static.“ Vgl. Kaufmann 1997, S. 43ff. 198 Kaufmann (1997, S. 37ff) bezieht sich auf Sigrid Weigels (1990) Untersuchungen zu den Topographien der Geschlechter.

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Natur bzw. weiblicher Sexualität mündet in die Dynamik von Verdrängung und Wiederkehr. Derjenige Anteil, der sich der Zähmungsstrategie immer schon entzieht, wird aus dem Bild der guten Frau hinausgedrängt. Er kehrt jedoch in Bildern exotischer, bedrohlicher, faszinierender etc. Weiblichkeit wie den verschiedenen Ausprägungen der Femme Fatale zurück.199 Allerdings erscheint das wiederkehrende Verdrängte in weiten Teilen ebenso in der Formung durch das männliche Phantasma und dessen strukturelle Anforderungen: So funktioniert die verderbende Frau zum einen als Gefahrenmoment, welches die Manöver entweder der Überhöhung (Good Girl) oder der Bestrafung (Bad Girl) legitimiert, und zum anderen als Quelle der faszinierenden, auch sexuellen, Attraktion für Filmheld und Kinopublikum.200 Verdichtet nach den Mustern der Schwarzen Serie stehen sich in Body and Soul auf der einen Seite Peggys nicht zu blonde Haare, ihr zarter Knochenbau, die Liebenswürdigkeit und die exquisiten Manieren und auf der anderen Seite die erotisierten Gesten und triebhaften Blicke der Nachtclubsängerin Alice gegenüber. Die von Zucker und Babich attestierte Erneuerung der Genrekonventionen basiert im Falle des Good Girl auf einer der Frauenfigur mitgegebenen Selbsterkenntnis ihrer Position in der filmischen Ordnung. Traditionell läuft die Beziehung zwischen Filmboxer und Good Girl auf die ,romantic love‘ hinaus. Faustkämpfer und ,reine‘ Frau fügen sich in ein Komplementärverhältnis, dessen Strukturprinzip der naiven Maxime von den Gegensätzen, die sich anziehen sollen, zu folgen scheint: Die Attraktion der halbnackten, erregten und schwitzenden Gewaltphysis trifft auf eine gesittete und entkörperlichte Weiblichkeit.201 In The Crowd Roars kann man die energetische Qualität, die diese Art der Liebe ausmacht, als Bildzustand im Sujet eines Segelausflugs erleben. Die Komplementärkomposition der Geschlechter 199 Vgl. Weigel 1990, S. 123-124, 140-141. 200 Laura Mulveys Ursprungsaufsatz der feministischen Filmtheorie (1980) rekonstruiert bereits die filmische Logik der Überhöhung ,guter‘ Weiblichkeit und der Bestrafung ,schlechter‘ Frauen bei gleichzeitiger Schaulust an deren sexuellen Attraktionen. Place (1978, S. 45ff) hebt die Stärke und Unabhängigkeit der Femme Fatale als Bedrohung für die männliche Sexualität hervor. 201 Zur Abkehr von der ,romantic love‘ im Film Noir vgl. Kaufmann 1997, S. 78ff.

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gibt dem Bild ohnehin Stabilität, klar verwirklicht in der geglätteten Differenz der Kleidung: die Frau im strahlend weißen Segelanzug202, der Mann im eher dunklen, groben Tweedjackett. Die Miseen-scène ergeht sich in einer Abfolge harmonischer Arrangements. Die Montage bewegt sich kontinuierlich auf den Höhepunkt der Szene zu, der im unvermeidlichen Kuß des Paares liegt, eingebettet in die Zuwendung der Gesichter und Blicke. Im Profil aufgenommen bringen sie die Linienführung des Bildes zu einer Einheit in Symmetrie, die das Verhältnis der Geschlechter für den Moment nahezu zum ornamentalen Stillstand bringt. Man muß die ästhetische Disposition ernst nehmen in dem, was sie über Art und Grad des Gefühls verrät. Der ausgeglichene Bildzustand läßt keinen Raum für die Schlagseite sexueller oder kämpferischer Leidenschaft. In Body and Soul dagegen fügt sich das Good Girl nicht bruchlos in einen ausgeglichenen Bildzustand und somit nicht ohne Widerhaken in die Allianz des moralisierenden Prinzips. Wann immer Peggy spricht, praktiziert sie eine feine Sprachironie, gespickt mit doppelbödigen Andeutungen, die ihre Reinheit mit wissender Intelligenz um die eigene Position und sogar mit einer gehemmten Aggression gegen diese perforieren. Ist die ,gute‘ Frau für den Boxer, wie schon für den Westernhelden und den Gangster203, ein engelhaftes Bild der Rettung, zeigt sich das Good Girl hier nach dem Modell eines mit seiner Existenzweise hadernden Engels gebaut: durch den Mangel an sexueller Attraktivität aus der leiblichen Welt entrückt und gleichzeitig in latenter Unzufriedenheit in ihr zurückgelassen. Der ironische Modus setzt Peggy außerdem auf Distanz zur Sphäre der wilden Natur, die den Film auf der Fährte eines Raubtiermotivs durchzieht. In ihrer Perspektive manifestiert sich dieses Motiv lediglich in sublimierter Form, im geistreichen Filter einer Karikatur, die den Faustkämpfer als boxenden Tiger der Lächerlichkeit preisgibt. 202 Ein strahlendes Weiß liegt im Kino immer an der Grenze zum Unerträglichen. Seine Präsenz kann schnell in eine unangenehm sterile und blendende Intensität umschlagen: das Pure Licht des Projektors. Das ist hier nicht der Fall, weil das Weiß der Segel und der Kleidung das Bild niemals ganz ausfüllt, sondern immer noch von seinem komplementären Pol und zuweilen auch dem Hintergrund begleitet wird. Außerdem ist die Farbe des Bootes schon von einem Grauton durchmischt. 203 Vgl. Slotkin 1998, S. 262ff.

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Ihr Konterpart Alice weist dagegen – wie es Silver und Ursini in ihrem Antlitz erkennen – eine körperliche Nähe zum Animalischen auf: „Der dunkle Lippenstift und die hohen, scharfgezeichneten Augenbrauen verleihen ihrem Gesicht etwas raubtierhaftes.“204 Der Pelzmantel, eigentlich das Verlobungsgeschenk des Good Girl, sitzt erst an ihrem Körper am richtigen Platz. Traditionell hat die Femme Fatale des Film Noir eine Vorliebe für Rauchwaren.205 Die Übergabe des Nerzes ist in Body and Soul ein symbolischer Akt, der die Zeichen innerhalb der filmischen Ordnung zurechtrückt. Insofern sich im Verhältnis von Boxer und Bad Girl kämpferische und sexuelle Wildheit vermischen, bildet nicht Komplementarität sondern Affinität die Ausgangsebene ihres Beziehungsgefüges. Neben ungezähmter (Gewalt-)Leidenschaft vereint sie, daß beide im Milieu nach oben streben. Beide setzen dazu ihre beeindruckende Physis ein, sie verkaufen ihre Körper. Weiter reichen die Ähnlichkeiten jedoch nicht. Für die Femme Fatale gibt es keine Beschränkung der Mittel, wie sie der sportliche Ehrenkodex vorsieht. Und gerade in der Sphäre des Physischen manifestiert sich die bedeutendste Differenz. Der Boxer erhitzt sich in physischer Aktion. Körperhitze, aber auch die austretenden Flüssigkeiten und Dämpfe präsentieren ihn lebendigen Fleisches. Die einzige Flüssigkeit, mit der hingegen die Femme Fatale zu tun hat, ist der Alkohol, zu dessen Konsum sie den Faustkämpfer animiert. Ihre Bauelemente (Schminke, aufwendige Kleidung, Attribute wie Zigarette oder Schmuck) setzen sich zu einem ausdrücklich artifiziellen Charakter zusammen. Es geht nicht darum, daß alle Filmfiguren Konstruktionen sind. Vielmehr steht der unterschiedliche Gehalt der Konstrukte zur Debatte. Während die wilde Natur des Boxerkörpers – bei aller Maschinenmetaphorik und Körpertechnologisierung – organisch sein will, gehört das Bad Girl jenem anorganischen Reich der Ware an, in dem Benjamin Großstadthure und Mode ansiedelt.206 204 Silver / Ursini 2000, S. 113. 205 Vgl. Dyer 1978, S. 96. 206 Vgl. Benjamin 1991e, S. 111: „Hier hat die Mode den dialektischen Umschlageplatz zwischen Weib und Ware − zwischen Lust und Leiche − eröffnet. Ihr langer flegelhafter Kommis, der Tod, mißt das Jahrhundert nach der Elle, macht wegen der Ersparnis selbst den Mannequin und leitet eigenhändig den Ausverkauf, der auf franzö-

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Diese Differenz betrifft das Verhältnis des Faustkämpfers zu nahezu allen Frauenfiguren. Bereits im Phänomen der Nummerngirls ist sie angelegt. Boxer und Nummerngirls sind zunächst gleichermaßen Schauobjekte. Aber während die Athletenkörper im Kampf aufheizen und dampfen, kommt die Frau nur als unberührter Zeichenmast für das Schild, das über die Rundenzahl informiert, in den Unterbrechungen des Boxgeschehens zum Einsatz. Mit fortschreitendem Kampf wird der Kontrast immer größer: auf der einen Seite die geschundene Physis und auf der anderen Seite der unveränderte Körperzustand in Schminke, Frisur, Dress und hohen Schuhen hergerichtetem Äußerem. Im klassischen Boxfilm unterlaufen die arbeitenden Mütter (die Farmerin und Köchin in Kid Galahad, vor allem aber die Mutter als Waschfrau am Anfang von The Crowd Roars) noch am ehesten das Diktum des Weiblich-Anorganischen. Die Good Girls sind ihm völlig unterstellt. An ihnen erscheint das, was im Bild der Femme Fatale beunruhigendes Leben ist, in den schönen Schein porzellaner Zartheit gefaßt. Aber erst vor dem Hintergrund der von Boxer und Bad Girl geteilten Wildheit zeigt sich die bedrohliche Dimension der anorganischen Weiblichkeit. In ihrer Studie zur Femme Fatale in der nachromantischen Literatur hat Carola Hilms die widersprüchliche Konstruktion bereits für das Fin de siècle herausgestellt: „Eine solche, in den dekadenten Präsentationsformen des Weiblichen zu beobachtende Neigung zur anorganischen Natur, die noch in subtiler Form bis in die Haarmetaphorik der ,Hérodiade‘ gegenwärtig ist, steht in offenem Widerspruch zu der den Femme-fatale-Gestalten zugedachten Triebnatur und Urwüchsigkeit.”207 Daß allerdings dem „juwelenbesetzten Leib der Frau [...] jegliches Leben ausgetrieben”208 ist

sisch ,révolution‘ heißt. Denn nie war Mode anderes als die Parodie der bunten Leiche, Provokation des Todes durch das Weib und zwischen geller memorierter Lache bitter geflüsterte Zwiesprach mit der Verwesung.“ Und 1991n, S. 686-687: „In der Gestalt, die die Prostitution in den großen Städten angenommen hat, erscheint die Frau nicht nur als Ware, sondern im prägnanten Sinne als Massenartikel. Durch die artifizielle Verkleidung des individuellen Ausdrucks zugunsten eines professionellen, wie er als Werk der Schminke zustande kommt, wird das angedeutet.“ 207 Hilms 1990, S. 245. 208 Hilms 1990, S. 245.

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und sie allein deshalb dem Ende geweiht ist209, stimmt nicht einmal für diejenigen Bad Girls, die in den Detektivgeschichten des Film Noir den Tod finden. Der Tod stellt sich nicht in einer immanenten Konsequenz ein, die dem Hang zum Leblosen innewohnt. Vielmehr steht die Femme Fatale hier für ein beunruhigendes Eigenleben des Anorganischen – für die Verselbständigung der artifiziellen Maske –, das nur durch seine Vernichtung in einen eindeutigen Zustand transformiert werden kann.210

3. Totalopfer Das Totalopfer realisiert sich – in der Regel am Ende des jeweiligen Dramas – in einer Pose absoluter Hingabe. Obwohl sie in gewisser Weise ein Gegenstück zur Siegerpose des erschöpften Boxerkörpers darstellt, handelt es sich nicht um eine schlichte Verliererpose. 209 Hilms (1990, S. 245) veranschlagt solch innere Konsequenz: „Damit erleidet sie [die Femme Fatale, d. Verf.] dasselbe Schicksal wie Des Essantes’ vergoldete und mit Edelsteinen besetzte Schildkröte: Sie verendet.” 210 Zizek (1993, S. 144) macht eine ähnliche Gedankenfigur für das verwandte Phänomen der ,lebenden Toten‘ geltend: „Darin besteht das tiefste Paradox der,lebenden Toten‘: Es scheint, als sei der Tod mit seinem Leichengestank nur eine Verkleidung, unter der sich ein weit ,lebendigeres‘ Leben als unser gewöhnliches, alltägliches verbirgt.“ Im Entwurf zum Passagen-Werk beschreibt Benjamin (1991e, S. 118) das surrealistische Eigenleben des Anorganischen für fetischistische Phantasmen: „Im Fetischismus legt der Sexus die Schranken zwischen organischer und anorganischer Welt nieder. Kleidung und Schmuck stehen mit ihm im Bunde. Er ist im Toten wie im Fleisch zuhause. Auch weist das letztere ihm den Weg, im ersten sich einzurichten. Die Haare sind ein Konfinium, welches zwischen den beiden Reichen des Sexus gelegen ist. Ein anderes erschließt sich ihm im Taumel der Leidenschaft: die Landschaften des Leibs. Sie sind schon nicht mehr belebt, doch immer noch dem Auge zugänglich, das freilich je weiter desto mehr dem Tastsinn oder dem Geruch die Führung durch diese Todesreiche überläßt. Im Traum aber schwellen dann nicht selten Brüste, die wie die Erde ganz mit Wald und Felsen bekleidet sind, und die Blicke haben ihr Leben in den Grund von Wasserspiegeln versenkt, die in Tälern schlummern. Diese Landschaften durchziehen Wege, die den Sexus in die Welt des Anorganischen geleiten. Die Mode selbst ist nur ein anderes Medium, das ihn noch tiefer in die Stoffwelt lockt.“

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Vielmehr neigen die Konstruktionen der Pose dazu, die sportlichen oder karrieristischen Bewertungsmechanismen aus ihren Angeln zu heben und der Hingabe des Boxers einen heiligen Status einzuräumen. Die dramaturgischen Konstruktionsbewegungen sind recht verschieden, wodurch der Bereich des Totalopfers weniger über Detailähnlichkeiten bestimmbar ist als die Felder des Passageritus und des Berufsopfers. Gewöhnlich finden diese Bewegungen ihren Ausgang jedoch von einer Schwäche – eine Lebensuntüchtigkeit, Beschränktheit oder übermäßige Gutmütigkeit bis zur Dummheit –, die weniger ausgemerzt als in Richtung der geheiligten Totalopferposition transzendiert werden muß. Enthebung vom Lebenskampf ins Heilige: City for Conquest Schwächen sind dann besonders auffällig, wenn sie das Rollenklischee eines überaus harten Typs ereilen, wie dasjenige des City Boy. Unter diesem Begriff beschreibt Robert Sklar ein Männerbild, das die amerikanischen Studios in den dreißiger Jahren hervorbringen und über die gesamte klassische Phase Hollywoods ausbauen. Er sieht die neue Imago im wesentlichen in der Präsenz von drei Schauspielern in ihren verschiedenen Rollen verwirklicht. Als City Boys tätig sind Humphrey Bogart, John Garfield und, noch früher als diese beiden, der Star von The Public Enemy – James Cagney: „Cagney established a new cultural type on the American Screen and in the world’s imagination. It was the urban tough guy – small, wiry, savvy, and street-smart, a figure out of the immigrant ghettos and ethnic neighborhoods of Chicago and New York, a quintessential twentiethcentury American city denizen, with no exact parallel in the literary traditions and theatrical conventions from which bit and pieces were 211 drawn.“

City for Conquest scheint die für Cagneys Charaktere typische urbane Härte zunächst in Gestalt der Boxerfigur Danny Kenny zu bestätigen. Am Anfang steht die gedrungene Stadt. Der Blick tastet sich 211 Sklar 1992, S. 12. Zu Cagneys Härte bzw. derjenigen der von ihm verkörperten Charaktere vgl. auch Parish 1976, Neibaur 1989.

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an der Struktur eines Reliefs entlang, das aus den gestaffelten, sich beengend überlagernden Grauschattierungen der Hochhäuser mit ihren hunderten Fenstern besteht. Menschenmassen bevölkern die Straßen. Dazu können wir folgendes Motto lesen: „New York City – 1934 / Seven million people – they come like locusts from every nation on the globe, clawing and fighting their way to get one foot on a ladder that might lead them to success.“ Gleich im Anschluß behauptet sich der Protagonist beim Training gegen einen Rivalen. Abbildung 6: Opfert sich für seinen musikalischen Bruder auf — Danny Kenny (James Cagney) in City for Conquest.

Jenseits des Rings jedoch inkarniert Faustkämpfer Danny Sanftmut und Selbstlosigkeit. Er ist so reinen Herzens, daß in ihm eine enorme Leere klafft. Die Figur trägt an einem Phlegma der Güte, das antagonistisch zum Bild des aufwärts strebenden Athleten konzipiert ist. Nur für andere wird der Boxer, der das Kämpfen nicht liebt, im Preisring aktiv: um seinen Bruder (Athur Kennedy), den erfolglosen Komponisten, zu unterstützen und für die Geliebte (Ann Sheridan), die ihn für eine eigene Karriere als Tänzerin verläßt. Die männliche Position in diesem Liebesverhältnis läßt sich mit Grindon über die alttestamentliche Assoziation des Kampfnamens – Young Samson – bestimmen: „[...] physical strength finds a counterpoint in

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sexual weakness.“212 Wie der biblische Samson wird der Protagonist, der im Ring mit legalen Mitteln nicht zu bezwingen ist, beim Meisterschaftskampf geblendet. Sein Gegner läßt sich die Handschuhe mit einer verbotenen chemischen Substanz einreiben, die Danny auf Dauer halb erblinden läßt und damit seine Sportkarriere beendet. Erblindungs-Motive kommen im Boxfilm mehrfach vor, wohl auch weil Verletzungen der Augen (Quetschungen, Ablösungen der Netzhaut) zu den alltäglichen Gesundheitsrisiken des professionellen Faustkampfes gehören. Man sucht nicht lange nach Interpretationen, die Blindheit oder ihre Anbahnung nach der bekannten These Freuds in Das Unheimliche als Substitut für Kastration und Kastrationsangst deuten.213 Entscheidend für die Position des Totalopfers ist jedoch die Tranzendierung, die der Verlust physischer Potenz in City for Conquest erfährt, wenn die Erblindung auf ein neues Sehen hin überschritten wird. Danny, so stellt es der Bruder fest, kann die Dinge jetzt klarer sehen als andere mit gesunden Augen. Gemeint ist ein Sehen mit dem Herzen, das nur noch entfernt an antike Sehermythen erinnert. Denn ihm wohnt eine Rührseligkeit inne, die den Weichzeichner und das Fett auf der Linse, mittels derer die subjektiven Perspektiven der halbblinden Augen ihren Ausdruck finden, einer buchstäblichen Lektüre empfiehlt. Sein immenses Opfer legitimiert Danny schließlich darin, in einem seltsam seeligen Zustand demütiger Zufriedenheit zu verweilen. Es enthebt ihn von aller Notwendigkeit, sich für den Lebenskampf zu härten.214 212 Grindon 1996, S. 60. 213 Freud 1970, S. 254. Vgl. Conway (1999, S. 102) zur Erblindungsgefahr in Requiem for a Heavyweight. Fuller (1987, S. 181ff) interpretiert die vorübergehende Erblindung Muhammad Alis – damals eigentlich noch Cassius Clay – im Kampf gegen Sonny Liston, deren Ursache, sei sie äußerer oder psychischer Natur, bis heute ungeklärt ist, nach dem Freudschen Muster. 214 Ironie oder Konsequenz der Filmgeschichte, daß gerade City for Conquest dem Bild des City Boy Cagney die Kehrseite hinzufügt, indem der Film von den üblichen Anforderungen an die männliche Imago (Härte, clevere Meisterung des urbanen Milieus etc.) abkehrt und einen ,Mann ohne Begierde‘ heilig spricht? Denn City for Conquest war ein großangelegtes Projekt, das mit nahezu einjähriger Vorbereitung dazu dienen sollte, den neuen Status von Cagney als höchstbezahlten, gewinnbeteiligten Star bei Warner Brothers nach außen darzustellen. (Vgl. Sklar 1992, S. 100.) Die Darstellung des Neuen ist auf die darzustellende Figur umgeschlagen.

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Gewaltsame Herstellung der bürgerlichen Kleinfamilie: The Champ Eine vergleichbare Enthebung verwirklicht King Vidors The Champ von 1931 anhand seines ebenso gutmütigen wie unreifen Protagonisten Andy (Wallace Beery), der daran scheitert, seinem kleinen Sohn Dink (Jackie Cooper) ein alleinerziehender Vater zu sein. Die Spiel- und Trunksucht des ehemaligen Boxers sorgen für erbärmliche Lebensverhältnisse, die mittels einer immensen Vater-SohnLiebe, welche durchaus erfolgreich an den Zuschauer appelliert, melodramatisch ausgepolstert werden.215 Abbildung 7: Kampf auf verlorenem Posten — tragische Vater-SohnBeziehung in The Champ.

Als seine Exfrau Linda (Irene Rich) – inzwischen mit dem reichen Tony verheiratet – auftaucht und ihren Sohn zur Aufbesserung sei215 Der emotionale Effekt des Melodramatischen mißt sich daran, ob die Form, die das Gefühl auslösen soll, durch ihre Abnutzung desavouiert ist. Durgnat und Simmon (1988, S. 135) behaupten Gegenteiliges für Vidors Boxfilm noch fünfzig Jahre nach dessen Entstehung: „The Champ’s emotional wallop survives our awareness of Hollywood formulae.“

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ner Zukunftschancen zu sich nehmen will, versucht Andy ein Comeback in einem Titelkampf gegen den mexikanischen Champion, um die Gleichheit der Chancen herzustellen. Er gewinnt den Kampf, stirbt allerdings danach an seinen schweren Verletzungen. Baker sieht in The Champ eine Tradition der ideologisch verschleiernden Konfliktverlagerung am Werk, die in der amerikanischen Öffentlichkeit des neunzehnten Jahrhunderts Tradition hat. Er beruft sich auf Richard Slotkin, der in Gunfighter Nation darlegt, wie die rassistische Mythologie der Frontier in den 1870er Jahren von der Presse benutzt wurde, um die aufbegehrenden Interessen der Arbeiter gegenüber den Besitzenden zu diffamieren und den Klassenkampf imaginär in einen Rassenkampf zu verwandeln216: „More than fifty years later, The Champ still employs this strategy by shifting its focus from the class conflict between Andy and Tony to the fight between the white American boxer and the Mexican champ. In making this shift, the film also counts on audience antagonism toward Mexico left over from a recent conflict with the United States. In 1927, after the Mexican Congress passed legislation claiming a bigger share of the profits from oil that American companies were pumping in Mexico, Washington had threatened military intervention. The defeat of Mexico’s heavyweight champion provides a convenient means by which domestic class anger, fueled in American society by the Depression, can 217 be projected outward onto the racial other.“

Dieser Auslegung ist entgegenzuhalten, daß The Champ gegen den mexikanischen Boxer so gut wie keinen Haß mobilisiert, durch den die Umleitung der Konfliktenergie erst funktionieren könnte. Anders als etwa die Kontrahenten des Helden in der Rocky-Serie, die als Verkörperungen feindlicher und falscher Wertsysteme agieren, bleibt Andys Gegner eine unbedeutende, fast neutrale Nebenfigur, alles andere als verachtenswert dargestellt. Sein ideologisches Hauptmanöver vollzieht der Film dagegen auf der Ebene der Familienkonstruktion.218 216 Vgl. Slotkin 1998, S. 19ff. 217 Baker 1997, S. 163-164. 218 Die Literatur betont die Umkehrung der Verhältnisse, in welcher der Sohn verantwortungsvoller als der Vater agiert. Vgl. Durgnat / Simmon 1988, S. 128, Grindon 1996, S. 56.

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The Champ stellt klar, wer sterben muß, um der spätbürgerlichen Kleinfamilie den Weg zu bereiten.219 Obwohl der Protagonist kämpfend aktiv wird, besteht seine Haltung letztlich darin, sich selbst für das Glück des Kindes hinzugeben. Dabei lernen wir, wie noch der untüchtige Vater in gutem Gedenken abtreten kann. Nicht nur büßt er alle Schuld, die er als mangelhafter Ernährer und Mentor auf sich geladen hat, mit den Bestrafungen des finalen Boxspektakels ab. Die Hingabe erfolgt zudem in der Verkleidung eines letzten heroischen Aufbäumens gegen die eigene Schwäche. Die Reinigung des Berufsopfers wird zur Maske des Totalopfers, das wiederum die Gewalt der Familienzusammenführung maskiert. In Hinblick auf die Depressionszeit läßt sich sagen, daß die Opferhingabe den Gegenpol bildet zum verordneten Optimismus der Durchhaltefilme, der auf das erfolgreiche Aushalten und Durchkämpfen pocht. Aber das gleiche Muster findet sich noch in Franco Zeffirellis gleichnamigen Remake von 1979. Jene Momente vor dem Ende, in denen der bereits schwer gezeichnete Boxer sein Leiden auch auf das Drängen aller Beteiligten – vor allem des Sohnes – nicht durch eine Aufgabe beendet, lassen es offen, ob er den Kampf gewinnen oder in ihm sterben will. Wie im Vorbildfilm erreicht der Protagonist beides. Die Verbindung von Sieg und totalem Opfer ist hier markant in die Bewegung des Körpers gefaßt. Aus der erschöpften Siegerpose fällt der Boxer an den Rücken seines Trainers und bricht noch auf dem Weg aus der Halle gänzlich zusammen. In der Beweinungsszene in den Umkleideräumlichkeiten findet vor seinem auf der Boxerliege aufgebahrten Leichnam als letztes Bild die Vereinigung von Kind und Mutter abschließend statt. Nach dem Vorbild Christi Die Analogien der beiden Versionen von The Champ fördern in ihnen die Tendenz zutage, ihre Opferfigur – und mit ihr ein bestimmtes Männlichkeitskonzept – gegen das Eindringen historischer Zeit zu verfugen. Ähnlich wie in City for Conquest, wo Danny Kennys Zu-gut-sein-für-diese-Welt in ein Gut-sein-jenseits-des-Weltlichen 219 Der Opfertod einer die klare Konstellation störenden Figur ist eines der üblichen Muster bürgerlicher Melodramatik, denkt man etwa an den Tod des Dritten, der das Paar am Ende von Rebel without a Cause ermöglicht.

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transformiert wird, und anders als bei den Berufsopfer-Filmen, wo sich die Helden ein heiliges Reservat innerhalb einer sozialen Gemeinschaft erschaffen, oder den Inszenierungen des Passageritus, wo sie zwischen den sozialen Milieus wählen müssen, katapultiert die dramatische Bewegung die Protagonisten hier durch ihren Opfertod aus dem Sozialen heraus in die gesegnete Position. Der Eindruck von Zeitlosigkeit begründet sich aber noch aus einer anderen Richtung: aus der Anleihe bei der langen Tradition der Opferhingabe in der abendländisch-christlichen Bildgeschichte. Dieser Anleihe hat sich wohl keine filmische Interpretation der Boxerfigur so getreu verschrieben wie die Boxergemälde von Joseph Sheppard, die den Faustkämpfer nach dem Kampf in der christlichen Ikonographie der Kreuzabnahme zeigen: im Bildzentrum die sich windende Kontur des leblosen Körpers, der Kopf seitlich nach hinten abgeknickt. Die diesen Körper haltenden Griffe – traditionell unter den Achseln und an den Füßen angesetzt – gehören hier jedoch nicht den Jüngern Christi, sondern den Sekundanten des Boxers. Diese befördern ihren Schützling aus dem Ring hinaus, statt vom Kreuz herunter. An Stelle eines geschlungenen Tuchs kleiden Shorts die Lenden des Athleten. Seine Hände sind nicht von Nägeln durchstochen, sondern nach Art des Faustkampfes bandagiert. Die Wirkung dieser Komposition basiert auf der Spannung zwischen der Andacht der Kreuzabnahme und den Spezifika des Blutsports. Die typischen Boxattribute und auch die Figur des Gegners, die mit einem Handtuch über dem Kopf – eine Anleihe beim Gewand der Maria – dem Abtransport des geschlagenen Kontrahenten aus dem Hintergrund zuschaut, verweisen einerseits auf den Kampf, der zuvor stattgefunden haben muß. Andererseits implantiert die Kreuzabnahmen-Ikonographie unserer Vorstellungskraft den Leidensweg Christi, dessen Verweigerungshaltung gegenüber physischer Gewalt den Körperkampf in einem römischen Zirkus kaum vorsieht. Für Silverman widerspricht die Art von Leidensbereitschaft, die sich in der Nachahmung des Bildes Christi Bahn bricht, – mit Rekurs auf Theodor Reik unter dem Begriff des christlichen Maso-

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chismus verhandelt220 – der maskulinen Wertsphäre: „Insofar as such an identification implies the complete and utter negation of all phallic values, Christian masochism has radically emasculating implications, and is in its purest forms intrinsically incompatible with the pretensions of masculinity.“221 Die Totalopfer-Filme schwächen genau diese Negation ab, indem sie von der passiven Haltung des Vorbildes abweichen und die männliche Ordnung des Kampfes vorderhand aufrechterhalten. Ihre Unchristlichkeit besteht jedoch keineswegs darin, das tradierte Bild der christlichen Passion lediglich in der Kombination mit dem Spektakel und dem Pathos des Boxkampfes zu importieren und damit die christliche Reinform der Hingabe mit heroischen Zügen zu versehen. Unchristlich sind die Totalopfer-Produktionen in erster Linie nicht in dieser Differenz, sondern in ihrem Bemühen um Ähnlichkeit. Wie die Hingabe ist auch der Erlösungsanspruch des Vorbildes absolut: Alle Sünden dieser Welt nimmt der Gottessohn auf sich. Christus erbringt sein Opfer zwar in einer bestimmten sozialen Unterdrückungskonstellation, eröffnet mit ihm jedoch eine völlig neue Zeitdimension. Sein Tod markiert eine Zeitenwende. Nach ihm ist jedes weitere Opfer sinnlos und auch blasphemisch. Niemand kann nochmals die Sünden der Welt auf sich nehmen. Das Opfer Christi steht für das Ende 220 Vgl. Silverman 1992, S. 198: „The exemplary Christian masochist also seeks to remake him or herself according to the model of the suffering Christ the very picture of earthly divestiture and loss.“ Es ist insofern von einem pseudo-christlichem Masochismus zu sprechen, als der im Matthäus-Evangelium überlieferte Ausruf „Mein Gott, mein Gott, Warum hast du mich verlassen?“ dokumentiert, daß Christus selbst eigentlich nicht das physische Leiden sucht. Reik (1977, S. 408-409) betont demgegenüber jedoch jenen Strang biblischer Darstellung, der zur Nachahmung im Leiden auffordert: „Das Leiden wird willkommen geheißen als Gnadenmittel (I. Per. 2, 20) als ein Geschenk göttlicher Liebe (Hebr. 12, 5f.), als eine der messianischen Wehen, aus der die schmerzlose ewige Freude und Glorie geboren werden soll (Joh. 16, 29). Das Leben und Sterben Christi selbst wird zur Verklärung des Leidens und seiner Überwindung, der königliche Weg des Kreuzes am Weg, den alle Menschheit wandeln sollte. Christus weist die Seinen immer wieder auf die ewigen Strafen hin, welche die Sünder bedrohen, und auf die himmlische Belohnung für die, welche ihm folgen. Er verspricht, daß die, welche sich erniedrigen, erhoben werden, daß die Letzten die Ersten werden sollen, ermahnt alle, den Martertot nicht zu fürchten und der Auferstehung sicher zu sein.“ 221 Silverman 1992, S. 197-198.

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des Menschenopfers. Es kann in seiner ursprünglichen Form nicht wiederholt werden.222 Selbst die katholische Eucharistie hat – trotz ihres Anspruchs, das Brot als den Leib Christi und den Wein als sein Blut zu verzehren, – nicht die Funktion der schlicht nachahmenden Wiederholung, sondern die einer Teilhabe an der Ewigkeit des Opferaktes: die andächtige Vergegenwärtigung der Zeitenwende. Der Katholizismus erhält sich zwar eine Verbindung zur Energie des fleischlichen Opferaktes, aber stets im strengen Bezug auf seine spirituellen Dimensionen.223 Weil dagegen die Totalopfer-Produktionen die Konstellation des eigentlich unwiederholbaren christlichen Menschenopfers in völlig anderen Zusammenhängen nachahmen, wohnt ihnen ein ebenso demokratisierendes wie inflationäres Moment inne.224 Die Filme geben jedermann die Anleitung, sich an die herausragende Stelle des absoluten Opfers und seiner Erlösungsmacht zu phantasieren. Die Folgen liegen nicht allein in der Abnutzung dieser herausragenden Position durch ihre massenhafte Verwendung. Wo die Totalopfer-Produktionen die narzißtischen Identifikationsenergien mit dem Opfer ungebrochen mobilisieren und dergestalt die Zeichen der Vergegenwärtigung, wie sie die Eucharistie kennzeichnen, im imaginären Modus nivellieren, mißachten sie den Sinn des christlichen Opfers. Die Identifikation verbleibt im Zirkel der imaginären Wiederholung des Opfers. Dem Lesenden fällt die Frage nach der Verfaßtheit dieser Totalopfer-Welten und ihrer rituellen Mechanismen zu. Ihm dokumentiert sich dadurch eine Gesellschaft, die nicht imstande ist, das Menschenopfer aufzugeben. Gleichzeitig rufen die Filme den leidenden Körper in das Bewußtsein des Lesenden und 222 Schmidt-Biggemann (2001) erläutert diese Logik des christlichen Opfers. 223 Darin liegt eine gewisse Konsequenz, insofern der Glaube an Gott selbst eine Ungeheuerlichkeit ist. Es macht somit keinen Sinn, den kirchlichen Ritualen alle Ungeheuerlichkeiten zu nehmen, indem man sie in mehr oder weniger willkürliche Zeichensysteme umwandelt, die dem Alltagsbewußtsein unserer modernen Gesellschaften kompatibler erscheinen. 224 Die Demokratisierung ist im Grunde bereits im Phänomen des Märtyrers angelegt, auch wenn die Kirche die Hoheit der Heiligsprechung bewahrt und nur selten anwendet. Vgl. Reik 1977, S. 415: „Diejenigen, welche sich zum Christentum bekannt und dafür gestorben sind, haben sich durch ihre Tortur die ewige Krone erworben.“

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bewahren somit das Opfer davor, nicht als vakuumverpacktes Gedächtnisgut einer abstrakten Zeitenwende in der Erinnerung zu verblassen.225 Spaltung in Opferideologen und Opferkörper: On the Waterfront Jenseits des Widerspruchs von passiver und aktiver Haltung liegt ein anderes Merkmal des christlichen Masochismus, das reibungsloser mit dem Opferkampf der Boxerfigur zu fusionieren vermag. Der leidende Körper steht im Zeichen eines moralischen Aufbegehrens: „What is being beaten here is not so much the body as the ”flesh“, and beyond that sin itself, and the whole fallen world. This last target pits the Christian maochist against the society in which he or she lives, makes of that figure a rebel, or even a revolutionary of sorts. In this particular subspecies of moral masochism there would thus seem to be a strong heterocosmic impulse – the desire to remake the world in a226 nother image altogether, to forge a different cultural order.“

Eine Verschmelzung der Faustkämpfermythologie mit diesem revolutionären Leidensgestus trifft man in der Peripherie des Boxfilms in einer genauso gefeierten wie umstrittenen Produktion des amerikanischen Kinos der fünfziger Jahre an. In Elia Kazans und Budd Schuldbergs On the Waterfront findet sich die Boxmetaphorik anhand des Exboxers Terry Malloy (Marlon Brando) auf das Milieu der Hafenarbeiter übertragen, so daß der Opferkampf jenseits des Boxrings Fuß fassen kann. Malloys Kampf gegen die mafiösen Zustände der Gewerkschaftsorganisation, die die Arbeiter terrorisiert, führt zunächst auf das unkörperliche Terrain einer staatlichen Untersuchungskommission. Die Kommission und ihr Gerichtsraum, in dem der Exboxer seine Aussage macht, stehen für eine moderne Gesetzesordnung, die das Recht des Stärkeren auszuschließen scheint. Aber das Vertrauen in diese Ordnung ist stark erschüttert, 225 Einen solchen Leseimpuls, der die Erinnerung an die Marter des Kreuztodes in sich trägt, macht Kuschel (1999, S. 510-511) in der grotesken Wiederholung der Kreuzigung in Jorge Luis Borges’ Das Evangelium nach Markus aus. 226 Silverman 1992, S. 197-198.

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insofern sich die gesellschaftlich etablierte Spitze der Korruption der Strafverfolgung entziehen kann. Außerdem verläßt Malloy diesen Raum in den Augen der kriminellen Gewerkschafter und auch der redlichen Hafenarbeiter als Informant und Verräter. Daher entzieht er sich im Anschluß dem Polizeischutz, den Agenten des staatlichen Gewaltmonopols, kehrt in den rechtsfreien und physischen Raum des Hafens zurück und nimmt dort den Opferkampf wieder auf. Brian Neve begreift den Helden des Films als einen Vorläufer der Gegenkulturen der sechziger Jahre, für deren Protagonisten David Savran in Taking it like a Man: White Masculinity, Masochism, and Contemporary American Culture eine Konjunktur des pseudochristlichen Masochismus konstatiert.227 Wie Savran es für die Arbeiten von Judith Malina und Julian Beck – die Begründer von The Living Theatre – beschreibt, ist es auch in On the Waterfront die körperliche Tortur, aus der sich moralische Autorität ableitet.228 Kazan und Schulberg verankern diese Ableitung in der Schlußphase des Films und ihrem entscheidenden Umschlagpunkt tief in der Boxmetaphorik. Als Verräter isoliert, sucht Malloy die Konfrontation mit dem korrupten Gewerkschaftschef Johnny Friendly, was auf einen finalen Faustkampf hinausläuft. Beide begegnen sich zunächst in einer dem Boxen ähnlichen Kampfsituation: Nur zwei Akteure, die Arbeiter bilden das Publikum. Den entscheidenden Zugewinn an moralischer Autorität verzeichnet Malloy, als sein verlierender Kontrahent die Auseinandersetzung dem boxerischen Fairneßethos entfremdet und seine Handlanger hinzuruft, die den Exboxer in brutaler Übermacht zusammenschlagen. Als dieser wieder auf die Beine kommt, hat er die Arbeiter hinter sich. 1955 kritisiert Lindsay Anderson den finalen Faustkampf von On the Waterfront und die auf ihn folgenden Bilder als Ausdruck eines faschistischen Führerhungers, weil sich die Arbeiter, nachdem ihr krimineller Anführer entthront worden ist, „wie führungslose Schafe nach einem neuen Herren“229 umschauen. Sie folgen dem 227 Vgl. Neve 1981, S. 109, Savran 1998. 228 Vgl. Savran 1998, S. 142ff, 148: „Only by making him- or herself ,vulnerable and tender‘ is the martyr given the moral authority (and sympathy) to win hearts and minds for the revolution.“ 229 Anderson 1996, S. 73. Die 1955 in Sight and Sound erstmals veröffentlichte Kritik ist im gesellschaftspolitischen Kontext ihrer Zeit

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neuen starken Individuum – nämlich Terry Malloy – willig in die Lagerhalle. Noch im gleichen Jahr antwortet Robert Hughes auf diese Kritik, indem er die sozialkritischen Implikationen des Films zu einer detaillierten Verteidigungsschrift zusammenstellt.230 Peter Biskinds Aufsatz über die Politik der Macht in On the Waterfront hat einer solchen Verteidigung ein breiteres Fundament gerade auch hinsichtlich der Opferproblematik erstellt. Es kann allein aufgrund der flammenden Reden des im Arbeitermilieu engagierten Priesters, in denen Kreuzigungs- und Opfermotive in die Inflation getrieben werden, nicht verwundern, daß die Forschung die Bezüge auf christliche Themen mehrfach betont.231 Biskind beschreibt, wie Pater Barry (Karl Malden), verstärkt durch die moralische Instanz der ,guten‘ Frau (Eva-Marie Saint), an entscheidenden Stellen eingreift, um Malloys Weg im Opferkampf in die richtigen Bahnen zu leiten.232 Innerhalb des Opfermechanismus liegt daher eine Spaltung vor. Der Opferkörper selbst verfügt nicht über das ideologische Bewußtsein des Opfers. Für die Weltanschauungsproduktion ist Pater Barry zuständig. Der finale Kampf bildet die Klimax der Spaltungsdramaturgie. Der Priester redet auf den halb bewußtlos geprügelten Opferkörper ein wie Trainer und Manager in einer Person auf ihren am Boden liegenden Athleten. Unter seinen Anweisungen soll Malloy aus eigener Kraft wieder auf die Beine kommen, als hätte er, wenn er sich zu verstehen. Sie endet mit einer Anklage gegen die Zustände unter dem Einfluß des HUAC sowie seiner Informanten und mit dem Plädoyer für Abraham Polonsky, der unter Arbeitsverbot zu leiden hatte, weil er vor dem Untersuchungsausschuß standhaft geblieben war und weder seine Vergangenheit noch seine Mitstreiter verraten hatte. Von Andersons Vorwurf geht eine der dominanten Interpretationslinien der Forschung aus. Sie bezieht das Motiv des ,Informing‘ in On the Watefront auf das Verhalten Kazans und Schuldbergs vor dem HUAC, vor dem sie ihre ehemalige Mitgliedschaft in der Kommunistischen Partei zugegeben und einige Namen von Parteigenossen genannt haben. Vgl. Biskind 1975, Bohn 1985, Neve 1981, Fraser 1998. 230 Vgl. Hughes 1996. Hughes antwortet umgehend auf Andersons Kritik, ebenfalls 1955 in Sight and Sound. Seine Verteidigungsschrift plädiert für einen kühlen Kopf bei der Filmanalyse, der zwischen der Lebensgeschichte der Filmemacher und der Ästhetik des Untersuchungsobjektes zu trennen weiß. 231 Vgl. Biskind 1975, Hey 1979, Fraser 1998. 232 Vgl. Biskind 1975, S. 29.

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helfen ließe, den Kampf wie ein ausgezählter Boxer im Ring verloren. Nach dem Vorbild des Faustkämpfers vereinigt sich die moralische Autorität des Leidens mit der Mobilisierung letzter Kraft und einem unbändigen Willen. Die Zuordnung dieses Willens bewegt sich in der deutschen Synchronfassung unfreiwillig am Rand scharfsinniger Absurdität, wenn der geschundene Körper auf die Forderungen seines Chefideologen klagend mit einem „Was soll ich denn jetzt schon wieder tun.“ antwortet. Die Originalversion, der solche zufälligen Absurditäten genauso wie jegliche Ironie abgehen, präsentiert uns die Spaltung in einerseits Opferdenker und andererseits Opferkörper in ungebrochener Arbeitsteilung. Schuldbergs nach dem Film erschienener Roman Waterfront spitzt das Motiv der Spaltung einseitig zu, weil hier nicht Terry Malloy, sondern Pater Barry die Hauptfigur stellt. Der Roman endet mit einem längeren, resümierenden Einblick in das Innenleben des Priesters. Die zuerst aufkeimenden Zweifel und Gewissensbisse ersticken in der Beschwörung christlichen Martyriums: „I took these two, and, right or wrong, I made them dare as St. Ignatius dared when he chose the Coliseum, saying: ,I am God’s wheat: I am ground by the teeth of the wild beasts that I may end as the pure bread of Christ.‘ “233 Daß Kazans On the Waterfront nicht mit dem Tod des Opfers endet, ist eine optimistische Offenheit im Schicksal Terry Malloys, die Schulbergs Roman nicht mehr aufweist. Der Roman liefert die Strenge des Totalopfers nach, nivelliert jedoch die spektakuläre Pose des Opferkampfes. Es gibt hier keinen finalen Faustkampf zwischen dem aufbegehrenden Arbeiter und dem kriminellen Gewerkschaftsführer. Wochen nach der Sitzung der Untersuchungskommission findet man in einem Kalkfaß auf der Mülldeponie die Überreste einer nichtidentifizierbaren Leiche, deren noch erkennbare Stichwunden auf einen grausamen und qualvollen Tod schließen lassen: „No next of kin came forward. The lime-mutilated corpse was never identified. But the boys along River Street, pro mob and anti, knew they had seen the last of a pretty tough kid.“234

233 Schulberg 1987, S. 316. 234 Schulberg 1987, S. 308.

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ERSTE ACHSE: MYTHOLOGIE DES OPFERKAMPFES Abbildung 8: Zieht die Strippen in On the Waterfront — Pater Barry (Karl Malden) läßt lieber andere kämpfen.

Obgleich die filmische Version weder in der Deutlichkeit des Romans Einblick in die Psyche des Priesters gewährt, noch die Machtzwänge in der gleichen Stringenz auf den Tod Malloys zulaufen läßt, sieht Biskind Pater Barry auch hier als eine Figur unbarmherziger Indoktrination vorgeführt: „What emerges is an alarming picture of a ruthless crusader who manipulates others like chess

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pieces in the name of a higher good for which no price is too high, no sacrifice too great.“235 Dieses Bild, das aus der Kluft zwischen leitender Ideologie und leidender Physis auftaucht, veranschaulicht, wie der Opferkampf in On the Waterfront die Ausbeutungsverhälntisse der durch ihn angeprangerten Zustände wiederholt. Denn auch dem Opfer werden die Schwachen zugeführt, die nicht viel mehr als ihren Körper haben. Zusammenfassung Die Dramaturgie geht von einer Schwäche im Männlichkeitsbild aus und läßt sie bis zum totalen Opfer gleichzeitig masochistisch und heroisch wuchern. Die Leidensbereitschaft findet ihren höchsten Ausdruck in einer exponierten Pose. Entweder enthebt das Opfer den Protagonisten von den Bedingungen des Lebenskampfes hinein in eine melodramatische Intensität, die sich aus dem Zustand gesegneter Hingabe speist. Das kämpferische Moment des Boxens funktioniert dabei als die maskuline Garnitur der passiven Opferhingabe. Oder aber die Pose stilisiert den Helden mittels einer speziellen Variante pseudo-christlichen Masochismus zum Märtyrer und Revolutionär. Bei aller Leidenssuche bleibt hier vom Kämpferischen das aufbegehrende Moment im Zentrum, sei es ein Aufbegehren gegen die individuelle oder die kollektive Situation. Anders als in den Inszenierungen des Berufsopfers und des Passageritus ist die Männerselbstproduktion in den Totalopfer-Filmen nicht an einen expliziten Entscheidungsakt gebunden, der das Leben der Boxer rettet, sei es durch Etablierung im Sport oder durch Abkehr vom korrupten Milieu. Die Entscheidung fällt vielmehr unmerklich zugunsten der Hingabe aus. Dem Protagonisten erscheinen die Alternativen zum totalen Opfer in The Champ und City for Conquest verstellt zu sein. 235 Biskind 1975, S. 29. Biskind hebt hervor, daß die Manipulationsmethode Pater Barrys derart funktioniert, daß sie bei ihrem Manipulationsobjekt Terry Malloy den Glauben erweckt, es sei stets sein eigenes Bewußtsein, auf welches die Entscheidung zurückgehe, vor der Kommission auszusagen. Seine Manipulationsthese bezieht Biskind auf die Philosophie John Dewys, die ihm zufolge in ähnlicher Weise darauf baut, den Bürgern Instanzen zu implantieren, die sie veranlassen, eine von Experten entworfene Gesellschaftsarchitektur nicht tatsächlich aus eigenem Willen, sondern lediglich wie aus eigenem Willen mitzutragen. Vgl. auch Neve 1981, S. 110.

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Der implizite Charakter macht es der Identifikation leichter, dem Opferweg zu folgen als in On the Waterfront, wo das Problem der Wahlfreiheit in der Kluft zwischen Spaltung von Opferstratege und Opferkörper aufscheint. Die Betrachtung des Totalopfers schließt daher mit der Analyse eines Boxfilms, der die Situation der Entscheidung bzw. das Ringen um ein Bewußtsein der Wahlfreiheit des Opfers zum Thema hat. Schwerpunkt: Spiegelstadium 1962 in Requiem for a Heavyweight Rod Serlings Drehbuch Requiem for a Heavyweight wird zweimal von demselben Regisseur – Ralph Nelson – verfilmt, 1956 für das Fernsehen und 1962 für die Leinwand. Das Drama um die Figur des gealterten Schwergewichtlers ,Mountain‘ McClintock (Ire auf dem Bildschirm) bzw. Rivera (Mexikaner im Kino) beginnt mit dem Endpunkt klassischer Boxfilmdramaturgie: dem letzten Kampf im Ring und seinem unmittelbaren Nachspiel. Nach einem schweren Knockout untersucht ihn der Ringarzt und verkündet das Ende der Sportkarriere: zu viele Verletzungen im Laufe der Jahre, Erblindungsgefahr. In der Folge befindet sich Mountain – das Requiem im Titel deutet es bereits an – in einem Zustand nach dem Tod. Die Bar, in der sich die Boxveteranen treffen, nennt sich ,The Graveyard‘. Der Protagonist bewegt sich in einem luftleeren Zwischenraum, zwischen ungewisser Zukunft und den verlorenen Glücksfährten der Vergangenheit: „In 1952 they write me number five.“ Die Exposition der beiden Filme liest Frank Ardolino analog zum christlichen Kardinalopfer: „[...] Mountain is the battered and victimized boxer as crucified Christ trying to achieve a resurrection from the brutalizing fight game.“236 Für den Protagonisten geht es nicht um das schlichte Aufstehen nach einem von vielen Niederschlägen, sondern um die Auferstehung vom endgültigen Tod als Boxer. Das Auferstehungsmotiv verleiht dem lädierten Opferkörper die Qualität gesalbten Fleisches.237 Da dem Protagonisten jede Spur 236 Ardolino 1989, S. 59. 237 Die christliche Metaphorik faßt außerdem Fuß im Gebaren des Managers. Als väterlicher Freund des Boxers wird er zur Judasfigur, weil er seinen unbedarften Schützling wiederholt zugunsten der eigenen Haut verrät.

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von Bewußtsein für seine Situation abgeht, übersteigt er das Menschliche zunächst nicht in einem selbstlosen und mehr oder weniger offen gesuchten Opferakt, sondern unterläuft seine Grenze, wie es Serling im nachträglichen Kommentar zu seinem Drehbuch resümiert: „I wanted to analyze a human being who fought for a living but who was nonetheless a human being.“238 Abbildung 9: Früher im Ring, heute in ,The Graveyard‘ — Barbesuch von Exboxer (Anthony Quinn) und Trainer (Micky Rooney) in Requiem for a Heavyweight.

Im filmischen Dialog ist es der Ringarzt, dem dieser Befund als eine Mixtur aus zynischer und anklagender Rede in den Mund gelegt wird: „I’ve seen a lot of them. Thirty-eight years. When I first came in they used to lay them out in front of me. They were human beings then. They were young men. Do you know what it’s like now, Maish? Army? Now it’s like a guy who grades meat in a packing plant. They roll the

238 Serling 1958, S. 241.

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ERSTE ACHSE: MYTHOLOGIE DES OPFERKAMPFES carcasses down the line in front of him and he stamps them. Beef. Un239 derstand? Just a hunk of something inanimate.“

Analog zu dieser Diagnose findet Ardolino in den Tiermetaphern des Drehbuchs die Entmenschlichung konzentriert, welcher der Boxer durch den kapitalistischen Warenverkehr des korrupten Sportgeschäfts unterworfen ist.240 Jedoch spürt Ardolino den Anspielungen aufs entwertete Animalische über längere Strecken des Dramas nach, ohne dabei die Konsequenzen aus dem Zusammenkommen von Opfer- und Dehumanisierungsmotiven zu ziehen: Deren Kombination assoziiert die Boxerfigur mit dem Tieropfer. Genauer gesagt handelt es sich um eine neuzeitliche Perspektive auf das Tieropfer, deren halbseitige Säkularisierung den Protagonisten in seiner Position im Zwischenreich bestätigt. Denn nach Burkert gehört es in der Antike zum „Paradox des Opfervorgangs, daß das „Opfer“, das Tier, sich freiwillig der Gewalttat darbietet“241. In Requiem for a Heavyweight beruht der Vorwurf gegen den boxerischen Ausbeutungszusammenhang gerade auf umgekehrter Annahme: eine ohnmächtige Kreatur, die von anderen, ohne selbst die Zusammenhänge zu durchschauen, immer wieder geopfert wird. In der Fernsehfassung meistert der Protagonist (Jack Pallance) die Lage, vom Tieropfer hinein in ein neues Menschenleben. Als er am Ende in seine Heimatstadt zurückkehrt, um dort in der Jugendarbeit tätig zu werden, bewerkstelligt er es im selben Zuge, die heilige Todesweihe abzustreifen und den Mechanismen boxkapitalistischer Entmenschlichung zu entweichen. Die Kinofassung mit Anthony Quinn hingegen verbleibt auf der Opferlinie, transformiert aber den Opferstatus.242 In ihr herrschen insgesamt die gescheiterten Selbstentwürfe vor. Mountains Scheitern reflektiert sich im Versagen der Satellitenfiguren (die Schwäche und der Verrat des Managers, die Machtlosigkeit des Trainers und der Sozialarbeiterin). Der Terminus des Reflektierens benennt wörtlich das inszenatorische 239 240 241 242

Serling 1958, S. 187. Vgl. Ardolino 1989, S. 59-61. Burkert 1988, S. 33. Serling (1958, S. 244) selbst kritisiert das positive Ende der Bildschirmfassung, mit dem er den Forderungen der Fernsehproduzenten nachkommt, als „too blithely and too patly“. Vgl. auch Mayerle 1989.

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Programm. Permanent reden die anderen Figuren in Mountains Abwesenheit über sein Schicksal. Gleichgültig, wo er in der Filmwelt auftaucht, seine Figur reflektiert sich in den Anteil nehmenden Augen der anderen. Quinns Schauspiel bedient die Blicksituationen mit einem äußerst expressiven Stil, den er auf die stereotype Spannung zwischen dem ,Berg‘ von einem Schwergewichtlerkörper und dessen kindlich unbeholfenen Habitus abstellt. Die Schaltpunkte des Opferwegs markieren Szenen, in denen der Spiegel als optisches Gerät dergestalt zum Einsatz kommt, daß das Scheitern in verdrehten Gleichnissen zu Lacans Spiegelstadium gefaßt ist. Da der Filmanfang in einer langen subjektiven Perspektive besteht, sehen wir den benommenen Mountain zum ersten Mal, als ihn Manager und Trainer vor einen Spiegel schleppen. Wie das motorisch noch unentwickelte Kleinkind kann er sich vor ihm nicht ohne Hilfe halten.243 Sein völlig zerschlagenes Gesicht bietet einen entsetzlichen Anblick, worauf der dramatische Jingle im Off auch unverzüglich hinweist. Analog der theoretischen Entwicklung des Spiegelstadiums tritt an die Stelle der Stütze später eine idealisierende Mutterfigur.244 Die Sozialarbeiterin Grace Miller (Julie Harris), die dem Exboxer helfen will, bietet ihren Blick als Selbstentwurf an („Why don’t you see yourself as I see you?“). Sie zeigt sich dabei kaum so erfolgreich wie die Bestätigungsinstanz in Lacans theoretischem Archetyp der narzißtischen Identifikation. 243 Im ersten Entwurf des Spiegelstadiums spricht Lacan von einer menschlichen oder apparativen Stütze. Vgl. Lacan 1991a, S. 63. 244 Lacans Theorem der Spiegelphase entwirft die primäre Identifikation des Kleinkindes mit der mächtigeren Spiegelimago als ein narzißtisches Szenario, das alle folgenden sekundären Identifikationsprozesse mitbestimmt und aus dem ein Herrschaftsverhältnis zwischen Subjekt und Imago hervorgeht. Vgl. Lacan 1991a., Broser 1985. In der weiteren Ausarbeitung der Spiegelphase löst sich Lacan von biologistischen Wurzeln, indem er schon das frühkindliche Begehren an einen anderen dritten und nicht mehr allein an die motorische Überlegenheit des anderen im Spiegelbild bindet. Das Begehren richtet sich auf das idealisierende Begehren der Mutter bzw. Bezugsperson, die das Kind vor dem Spiegel stützt und es bei der primären Identifikation unterstützt: „Was sich umsetzt in dem Triumph der Aufnahme des Körperbildes im Spiegel, ist dies flüchtigste Objekt, welches nur am Rand erscheint: jedes Tauschen von Blicken, manifest darin, daß das Kind sich dem zuwendet, der ihm auf irgend eine Weise assistiert, und wär’s auch nur, daß er seinem Spiel assistiert.“ Lacan 1994, S. 13.

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Auch der Endpunkt von Mountains Opferweg ist durch eine Spiegelszene markiert. Für seinen Manager und ,Freund‘ Maish, der sich mit Wetten beim Gangstersyndikat verschuldet hat, wird er zum professionellen Wrestler. Den Boxer ins Wrestling abrutschen zu lassen, zu dieser Idee regen Serling die in den boxbegeisterten USA allgemein als traurig empfundenen Berichte über die zweite ,Karriere‘ von Joe Louis an.245 Dem langjährigen Schwergewichtschampion, der sich während des Zweiten Weltkriegs für sein Land öffentlich engagierte, setzen nach dem Ende seiner Boxkarriere enorme Steuerschulden zu. In den fünfziger Jahren beginnt er eine zweite Laufbahn als professioneller Wrestler. Da sich das Boxen aufgrund seiner existentiellen Kampfform pathetischer als andere Sportarten aus dem Wettkampfprinzip speist, schlagen die übertriebenen Schaukämpfe des Wrestlings, seine absurden Kostüme und albernen Grimassen, als entwürdigende Tiefschläge in die empfindlich tabuisierten Zonen des boxerischen Wertsystems ein.246 Die Suche eines Mannes nach der eigenen persönlichen Würde betrachtet Serling als die Basisprämisse von Requiem for a Heavyweight.247 So wie sich Boxfans weigern, das Wrestling als Parodie auf die von ihnen geliebte Männlichkeitsinszenierung zu verstehen, lehnt es Mountain zunächst ab, an den abgesprochenen Schaukämpfen teilzunehmen. Der Film zeichnet das Wrestling als einen Pariaraum schamloser und erniedrigender Ausstellung von Außenseiterkörpern vor einer aufgebrachten Zuschauermenge. Im Ring kämpfen bereits kleinwüchsige Athleten. In den Umkleideräumen sind die Sonderlinge in allerlei exotischen Kostümen versammelt, unter ihnen Mountain in einem lächerlichen Indianerkostüm vor dem Spiegel. Das Spiegelbild geht in diesem Film nie im narzißtischen Spiel von Erkennen und Verkennen in der Identifikation mit einer scheinbar handlungsmächtigen Imago auf. Diese letzte Szene entledigt 245 Das behauptet zumindest Earl Wilson, zitiert in Sander 1992, S. 118. 246 Das die Körpernormen sprengende Potential des Anderen in der ,Freakshow‘, wie es viele Filme beschwören, die dem Sujet des Zirkus und Varieté verbunden sind – allen voran die Arbeiten Fellinis –, verschwindet in Requiem for a Heavyweight hinter dem Entwürdigungskomplex. 247 Vgl. Serling 1958, S. 242: „Its basic premise was that every man can and must search for his own personal dignity.“

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sich der Lacanschen Skepsis vor dem Spiegel und plaziert ihn in jener eindeutigeren Tradition, in der das optische Gerät als Medium des Erkennens geschätzt wird.248 Sowohl in der Fernseh- als auch in der Kinofassung gruppiert sich das entscheidende Geschehen um einen Punkt der Realisation: „Face to face with manager Maish, he [Mountain, d. Verf.] realizes for the first time how he is being used and how the last shred of dignity that he clutches is being sold down the river.“249 Erst die Erkenntnis bringt die Möglichkeit der Wahl hervor, die der Protagonist der Fernsehversion zum Ausstieg nutzt. Auf der Leinwand wählt Mountain das totale Opfer und betritt den Wrestlingring für Maish. Indem er wählt, transformiert er sich vom ohnmächtigen Tieropfer zum Opferhelden. Die absolute Selbstentwürdigung führt ihn zur heiligen Weihe der christlichen Opferhingabe. Er wird dem Einen ähnlicher als ähnlich, wenn er auch das letzte für einen Sünder gibt. Nachdrücklicher als die Totalopfer in The Champ oder City for Conquest bewahrt die Kinofassung von Requiem for a Heavyweight – darin liegt eine große Leistung der Inszenierung – das Staunen vor dem Akt der Hingabe. Mit der entscheidenden Wahl setzt die Identifikation aus, und der Hingabeakt wird in seiner Unglaublichkeit lesbar.

248 Leonardo propagiert den Spiegel als ein Hilfsmittel des Malers, Fehler in der eigenen Arbeit zu erkennen. Vgl. Leonardo 1990, S. 378. Unter der Metapher der „Spiegelformen“ erkundet Kaltenecker (1996) die Spiegelungen der Männerbilder auch im klassischen Kino als Erkenntnismedien der Differenz. 249 Serling 1958, S. 243.

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Z w e i t e A c h se : Attraktion schlagender Körperlichkeit

„I’ve schooked up the world!“ Muhammad Ali nach seinem Sieg über Sonny Liston „The human body wasn’t made for the soul battered within the fight game!“ Der Trainer in Champion

I. Modus des Zeigens und ästhetischer Schock Modernes Boxen: Dynamisierung durch Queensberry Rules Boxkämpfe sind bevorzugte Gegenstände des frühen Films. Die Kampffilme der ersten Kinodekade – die so genannten Prize Fight Films oder einfach Fight Films – gehören zu den damals erfolgreichsten Produktionen.250 Der erste namhafte Boxer auf der amerikanischen Leinwand ist gleichzeitig der erste Champion im Schwergewicht nach den Queensberry Rules. Bereits 1894 agiert Gentleman Jim Corbett für einen Kampffilm vor Edisons Kamera, der noch für die Kinetoscope hergestellt wird. Corbett stellt somit in doppelter Hinsicht eine Symbolfigur des Übergangs in das Zeitalter modernen Boxsports dar: zum einen, was die massenmediale Auswertung der Kämpfe angeht, und zum anderen bezüglich der durch das neue Reglement bewirkten Veränderungen in der Boxtechnik, die der Schwergewichtler wie kein anderer Athlet seiner Zeit verkörpert. In den sechziger Jahren des neunzehnten Jahrhunderts kommen die Queensberry Rules, benannt nach dem Marquess of Queensberry, in England auf und setzen sich zur Jahrhundertwende gegen ältere Regelwerke wie die Brougthon Rules international durch.251 Die 250 Vgl. Musser 1990, S. 193ff. 251 Die Regeln sind im Anhang bei Butler 1972 verzeichnet. Vgl. auch S. 45ff, Brailsford 1988 S. 151ff, Gorn 1986, S. 202ff.

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wichtigsten Neuerungen, die dem Boxkampf sein modernes, bis heute bestimmendes Erscheinungsbild geben, sind eine neue Zeitregelung und die Verwendung von gepolsterten Handschuhen während des Kampfes. Nach der neuen Zeitregelung werden die Runden nicht mehr von Niederschlag zu Niederschlag gezählt, sondern sind jeweils drei Minuten lang mit einer Pause von einer Minute zwischen ihnen. Außerdem verkürzt sich die Zeit der Erholung nach einem Niederschlag. Hatten die Kontrahenten zuvor dreißig Sekunden, um zu regenerieren, bleiben ihnen jetzt nur noch zehn Sekunden. In einer halben Minute erholt sich ein Kämpfer von den meisten Schlägen, aber bei nur zehn Sekunden kann ein einziger ,Wirkungstreffer‘ den Kampf entscheiden. Gleichzeitig erhöht die Einführung der Handschuhe die Wahrscheinlichkeit von plazierten K.o.-Schlägen. Die Polsterung vermeidet zwar oberflächliche Verletzungen des Gegners – insbesondere im Gesicht – und trägt so zu einer vermeintlichen, weil nur äußerlichen Befriedung der boxerischen Gewalt bei. Eigentlich jedoch schützen die Fäustlinge in erster Linie die Hände, die zuvor bei Attacken zum Kopf stets bruchgefährdet waren. So werden Serien von Schlägen ins Gesicht des Gegners möglich. Der Kopf als der effektivste K.o.-Punkt stellt nun das Hauptangriffsziel dar. In dieser Hinsicht erhöht sich also das Gewaltniveau. Von je her werden die Attraktionswerte des Faustkampfes dem urbanen Leben zugeordnet.252 Im Gegensatz zum Ringsport, wo 252 Schöffler (1986, S. 23) schreibt schon mit Blick auf das BareKnuckle Fighting des achtzehnten und neunzehnten Jahrhunderts: „[...] das Aufkommen des Boxens [...] bedeutet den Niedergang des Ringens; der Übergang stellt kulturpsychologisch nach Haltung des aktiven wie des passiven Teilnehmers dar den Übergang aus ländlichem Tempo, ländlicher Genügsamkeit hinsichtlich Sensation zu städtischem Lebensgefühl, städtischem Verlangen nach Aufregung beim Spiel.“ Dieser Schlußfolgerung geht folgende Beschreibung voran: „Denn an Sensationen gibt es übergenug beim Boxen: Den oft weithin schallenden Schlägen, Hieben und Stößen wird dauernd von den erregten Zuschauern Beifall gezollt, das unablässige Sichtrennen und Wiederaufeinanderlosgehen läßt bald erkennen, auf welche Weise einer der Gegner die Entscheidung herbeizuführen sucht. Sehr bald nach Eintritt in den Ring kann es schon zu Verwundungen kommen, die den Fortgang zu äußerster Spannung führen. [...] Die sichtbaren Folgen empfangener Hiebe, das Bluten von Wunden, das Schwellen getroffener Stellen geben Sensationswerte, welche das Ringen nur in sehr geringem Umfang kennt.“ S. 22-23, Vgl. auch Kloeren 1985, S. 39-40.

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trotz mancher Wurf- und Hebeltechniken die schiebenden Bewegungen und festsetzenden Griffe – das „stumme Sichmessen der Kräfte“253 – im Vordergrund stehen, besitzt bereits das BareKnuckle Fighting hohen Attraktionswert, was Schlaggeräusche der bloßen Fäuste und blutende Wunden betrifft. Aber erst das Boxen nach den Queensberry Rules dynamisiert das Ringgeschehen derartig, beschleunigt die Schlagserien und anderen Körperrhythmen in solchem Maße, daß sich die zeitliche Signatur des Faustkampfes unter anderen Formen der Massenunterhaltung im zwanzigsten Jahrhundert behaupten kann. Bei allem technischen Können vormaliger Champions ist das vorherrschende Kampfprinzip zwischen einigermaßen gleichwertigen Gegnern bis dahin das der Zermürbung. Die Ausdauer auf lange Distanz und die Kapazität, Stöße – vorwiegend auf den Körper – hinzunehmen, sie zu verarbeiten und den Gegner mit eigenen Schlägen zu ermüden, all das ist von großer Bedeutung im BareKnuckle Fighting. Kämpfe zwischen ebenbürtigen Boxern dauern oft mehrere Stunden. Mit den Queensberry Rules erlangt das Ausweichen und die Ausnutzung des gesamten Kampfraumes eine ganz neue Bedeutung. Wollen sich die Kämpfer nicht auf einen umstrittenen Punktsieg verlassen, müssen sie sich bemühen, ihren entscheidenden Schlag in einer günstigen Situation anzubringen. Es gilt eine körperlich schwache Phase des Kontrahenten schnell auszunutzen, denn die Runden sind zeitlich begrenzt. Nach der Pause hat sich der Gegner womöglich wieder erholt, und die Chance ist vertan. Im selben Augenblick erhöht sich jedoch auch das Risiko, Opfer eines Überraschungstreffers zu werden. Die Spannung des Boxens lebt seitdem noch mehr als zuvor von dem Bewußtsein, daß sogar der schwächere Athlet den Kampf jederzeit durch eine beherzte Aktion oder einen glücklichen Schlag (den berühmten ,Lucky Punch‘) für sich entscheiden kann.254 Demnach wird es notwendig, die eigenen Angriffsaktionen genau vorzubereiten. Ein Boxer muß zügig und im richtigen Augenblick, wie es im Jargon heißt, ,in den Mann gehen‘ und den ,Infight‘, den Nahkampfbereich also, schnellstmöglich wieder verlassen.

253 Schöffler 1986, S. 22. 254 Zum ,Lucky Punch‘, zu seiner Technik und seiner Bedeutung im Boxuniversum, vgl. Luckas 2001.

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Frühes Kino der Boxattraktionen Es ist dieses dynamisierte Kampfgeschehen, durch welches das Boxen für das Kino der ersten Stunde attraktiv wird. Die frühen Kampffilme, die in den Jahren um 1900 auf der Leinwand zu sehen sind, tragen viele Merkmale dessen, was Tom Gunning als Kino der Attraktionen bezeichnet. Wenn er die Attraktion ein erregendes Spektakel nennt255, erinnert dies an Eisensteins berühmte, zuerst für das Theater formulierte und dann auf den Film fortgeschriebene Definition – die Attraktion als: „jedes aggressive Moment [...], das den Zuschauer einer sinnlichen oder psychologischen Einwirkung aussetzt, welche ihrerseits experimentell erprobt und mathematisch auf bestimmte emotionale Erschütterungen des Rezipierenden hin durchgerechnet wurde, wobei diese in ihrer Gesamtsumme einzig und allein die Möglichkeit einer Wahrnehmung der ideell-inhaltlichen Seite des Vorgeführten – der letztendli256 chen ideologischen Aussage – bedingen.“

Der aggressive Einschlageffekt, auf den der russische Regisseur mit Zuschreibungen wie „Druckausübung“ oder „Schlagbolzen“ abhebt257, macht die Attraktion zu einem Paradigma der Avantgarden des zwanzigsten Jahrhunderts.258 Eisensteins Verweise auf die Verwandtschaft zur Wahrnehmungsfaktur von ,Music-Hall‘ und Zirkus stehen bekanntlich für den revolutionären Anspruch, der „Knechtschaft einer unausweichlichen und einzig möglichen ,illusionistischen Abbildung‘“259 zu entkommen. Im frühen Kino und seiner Präsentationsform ist eine Abstammungslinie dominant, die mit der Entwicklung der Filmindustrie ins Abseits oder zumindest aus der direkten in die erzählte Wirksamkeit gerät. Im Vaudeville und ähnlichen öffentlichen Vergnügungseinrichtungen folgt Ereignis auf Ereignis, nicht allein filmischer Art, unverbunden oder in loser Überleitung. Die räumliche Struktur des Jahrmarktes, auf dem eine

255 256 257 258 259

Vgl. Gunning 1990a, S. 58: „exciting spectacle“. Eisenstein 1991a, S. 12. Vgl. 1991b, S. 18. Vgl. Eisenstein 1991b, S. 17. Vgl. Reisz / Millar 1988, Kappelhoff 1994, S. 16ff. Eisenstein 1991a, S. 13.

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Attraktion neben der nächsten zu finden ist, wird hier in eine zeitliche Abfolge übersetzt.260 Der Faustkampf, der als ,Rummelboxen‘ noch heute auf den Terrains volkstümlicher Vergnügung zu Hause ist, vermählt sich mit dem frühen Kino in den typischen Charakteristika der Attraktionsästhetik. Die Spektakularität des gezeigten Ereignisses kann von derjenigen der Filmtechnik nicht getrennt werden. Die physische Dynamik des Boxens eignet sich hervorragend dazu, den Attraktionsreiz des noch jungen Mediums, der zum großen Teil in der technischen Reproduktion von Bewegungen liegt, zu verstärken. Dabei sind die filmischen Verfahren des frühen Kinos – in diesem Fall vor allem die Frontalperspektive der unbewegten Kamera – darauf ausgerichtet, das spektakuläre Ereignis unumwunden darzubieten. Gunning spricht von einem kinematographischen Modus des Zeigens (display), der direkt an das Publikum adressiert ist.261 Diesem Modus kommt die von allen Seiten zugängliche Ausstellung des Faustkampfes auf dem Podest des Rings entgegen. Es korrespondieren also miteinander die Exposition der technischen Neuheit, der Bildmodus des Zeigens und die Schauqualitäten des Boxens, dessen Sensationalität noch durch die weitverbreiteten Verbote von öffentlichen Kämpfen gesteigert wird. Der spezielle Akt des Zeigens definiert die Zeitlichkeit des Ereignisses. Das noch junge Phänomen des technisch bewegten Bildes, das unvermittelt den Blick in eine andere Welt gewährt, und sein ebenso abruptes Verschwinden hat für Gunning den Effekt eines zeitlichen Hereinbrechens (temporal irruption).262 Die Diskontinuität der Präsentationsform potenziert sich anhand der boxerischen Tempowechsel und unerwarteten Attacken, die eine Struktur der Plötzlichkeit lancieren. Gunnings Bestimmungen – die gegenseitige Befruchtung von technischem und gezeigtem Spektakel, der Zeigemodus, die Diskontinuität – betreffen, so reibungslos sie sich dem Kampffilm auch assoziieren, die Attraktion des frühen Kinos im generellen. Das Eigentümliche der Boxattraktion im frühen Kino leitet sich direkt aus ihrem Gegenstand, den speziellen Rhythmen der Kämpferkörper, ab. Im Boxkampf finden sich verschiedene Rhythmen, welche Dis260 Noël Burch (1986, S. 489) spricht provozierend von einem ,primitiven‘ Kino, dessen Diskontinuitäten den institutionellen Modus der Repräsentation durchbrechen. 261 Vgl. Gunning 1996, S. 73. 262 Vgl. Gunning 1996, S. 77.

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kontinuität sogar in plötzlichen Ausweichbewegungen oder Showeinlagen bereitstellen. Rhythmen sind Wege, einen körperlich erfahrbaren Kontakt zur Welt herzustellen. Dieser Kontakt ist insofern gestaltend, als sich die menschlichen Welten erst mit ihm konstituieren.263 Abbildung 10: Wirkungstreffer — der Schlag als privilegierter Moment in Raging Bull.

263 Zur Gestaltungskraft der Rhythmen vgl. Leroi-Gourhan 1988, S. 384.

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In der Welt des Boxens dominiert die Rivalität der Körperrhythmen, an der das Kämpferische seinen komprimierten Ausdruck findet. Wenn auch nicht auf den Moment des Aufpralls beschränkt, laufen die Boxrhythmen doch auf den Schlag bzw. die Erschütterung hinaus. Der geglückte Schlag bzw. sein Aufprall ist ihr privilegierter Moment. Die Erschütterungsphysis entsteht im irreduziblen Antagonismus. Der Schlag stellt den Kontakt zwischen zwei Körpern her und siedelt die Erschütterung im Kontrast beider Seiten an, der gebenden und der nehmenden. Im Schlag, etwa im Unterschied zum Haltegriff des Ringens, erfährt die Zeitlichkeit des Kämpferischen den Höhepunkt ihrer Verdichtung zu einem dem Resonanzkörper zustoßenden Augenblick. Es hat eine völlig andere Wirkung, sobald wir die Faust nicht mehr einen Sandsack oder ähnliches Trainingsgerät treffen sehen, sondern ihren Aufschlag am menschlichen Körper(-bild) erleben. Wir vollziehen die Schlaggewalt am eigenen Körper nach, unabhängig davon, ob die Figuren, deren Körper kämpfen, unserer Identifikation nahestehen. Im Rekurs auf Murray Smith’ Untersuchung Engaging Characters264 verhandelt Thomas Morsch dieses Phänomen für das Kino der spektakulären Aktion unter dem Begriff der „somatischen Empathie“.265 Darunter versteht er einen unwillkürlichen Einfühlungsprozeß, in dem wir die Körperattraktionen der Leinwand „mehr reflexartig als bewußt vergleichend auf unsere eigenen Körper projizieren. Oder besser: Die wir uns qua unseres Wissens darüber, was es heißt, einen Körper zu besitzen, mimetisch aneignen.“266 Montage der Boxattraktionen Gunning formiert seine Anleihe bei Eisenstein nicht ohne die Unterscheidung der Attrakionsästhetiken. Der Mechanismus einer mathematischen Durchrechnung ist beim frühen Kino zuerst an den Kassen der Veranstalter relevant. Besehen vom propagandistischen Habitus der russischen Revolutionsfilme und Überprüfungsanspruch der Regie auf die ideologische Aussage hin wirkt es fast wie ein Akt 264 Smith 1995. 265 Morsch 1999, S. 30ff. 266 Morsch 1999, S. 34.

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der Verteidigung, wenn er dem frühen Film als populärer Massenunterhaltung die politisierend bewußtseinsbildende Intention, nicht etwa das bewußtseinsformende Potential, abspricht.267 Während Eisenstein seine Theorie mit Manifestcharakter ausstattet, ist Gunnings historisierend-analytischer Blick einzig darin programmatisch, ein emanzipatorisches Filmgeschichtsmodell zu etablieren. Die konzentrierte Beschäftigung mit dem frühen Film während der letzten drei Jahrzehnte findet parallel statt zu der ideologiekritischen Aufarbeitung des klassischen amerikanischen Kinos. Im Bestreben, die Frühzeit des Mediums nicht mehr als ,primitiven‘ Vorläufer des institutionalisierten Kinos zu betrachten, sondern als Epoche eigenen Rechts zu rehabilitieren, zeigt sich auch eine Strategie der Abgrenzung zur fragwürdig gewordenen klassischen Ästhetik. Die Merkmale des frühen Kinos (Diskontinuität, direkte Adressierung des bildlichen Exibtionismus, Modus des Zeigens) finden daher ihre Antagonismen in den Charakteristika des klassischen Modells (Kontinuität, voyeuristische Positionierung gegenüber kohärenten Filmwelten, rituell-imaginärer Modus).268 Gunning hebt ausdrücklich hervor, daß es sich bei Attraktionsästhetik und klassischer Ästhetik nicht um monolithische Blöcke handelt, die ohne Verstrickungen aufeinander folgen. Vielmehr existiert die Attraktion auch nach der Institutionalisierung der Filmindustrie und der damit zusammenhängenden Durchsetzung des klassischen Modells etwa in den Nischen spektakulärer Aktionen oder erotischer Inszenierungen weiter. Die dem einzelnen Film äußerliche Diskontinuität der Attraktionsabfolge im Vaudeville wird zu einem inneren Prinzip filmischer Montage und damit zum Gegenstand differenzierter Modulation. Eisensteins Arbeiten gehören zu den Vorbildern der klassischen Phase des amerikanischen Kinos. In den dreißiger Jahren übten seine Montagekonzepte großen Einfluß auf Hollywood aus. Ironie der Filmgeschichte, daß das Anliegen des russischen Pioniers, nicht nur die politische Ausrichtung, sondern die filmischen Potentiale seiner Konzeptionen in den Blick zu rücken, gerade hier so eindringlich Gehör gefunden hat.269 Die Diskussion in Fachkreisen des Studiosystems lief darauf hinaus, die 267 Vgl. Gunning 1990a, S. 59. 268 Vgl. Gunning 1996, S. 74-75. 269 Am Ende von Dramaturgie der Film-Form von 1929 formuliert Eisenstein (1979, S. 304) dieses Anliegen.

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Montagemodelle von ihrem politisierten Hintergrund zu lösen und sich in pragmatischer Tradition die handwerklichen bzw. stilistischen Aspekte zu Nutze zu machen.270 In der filmischen Inszenierung des Boxers hat sich diese Diskussion vielleicht nachhaltiger als anderswo niedergeschlagen. Die Attraktionen des Boxerkörpers bestimmen bereits im klassischen Boxfilm sowohl die Bilder des Trainings als auch die Darstellungen des Kampfes. Beide Szenentypen richten die verdichteten Gegenwarten des Körperbildes im Modus des Zeigens ein. Die sexuelle Attraktion des Schauspielerkörpers wird hier ohne Druck am Übungsgerät und dort unter Bedrängnis im Ring vorgeführt. Während dementsprechend die Trainingsszenen dazu neigen, die Körperbildrhythmen zu homogenisieren, bis hin zu zwar spektakulären, aber letztlich kontinuierlichen Montagesequenzen des Karriereaufstiegs, tendieren die furiosen Kampfszenen zu einer diskontinuierlicheren Abfolge verdichteter Gegenwartspunkte. Im Boxfilm sind es somit die Kampfszenen, die zur Destruktion der Alltagskoordinaten und sensomotorischen Verkettungen vordringen. Beide Wege des Boxfilmspektakels weiten hingegen das Attraktionsspektrum aus. Der Schlag bleibt eine Kernfigur der Erschütterungsphysis, aber andere Elemente der Inszenierung – „jedes aggressive Moment“ (Eisenstein) – erlangen große Bedeutung: die Blicke, Stellungen und Haltungen der Kämpferkörper, aber auch Elemente jenseits ihrer Präsenz, seien es andere Körper (z. B. die Gesichter der Zuschauer oder die Aktionen am Ringrand) oder unkörperliche Bausteine des Attraktionsraums (z. B. die Eisenbahnen, Zeitungsüberschriften und Hotelzimmer der Montagesequenz oder der Ring, der Gong und die Rundenanzeige bei den Kämpfen). Theorie des ästhetischen Schocks Die Ästhetik der filmischen Boxspektakel hat bisher wenig Beachtung gefunden, selbst in Forschungen, die sich in den letzten Jahrzehnten dezidiert um die mythologischen Strukturen des Faustkämpferdramas bemüht haben. Es erscheint merkwürdig, daß gerade das Spezifikum des Boxfilms, die Erschütterungsphysis in den Attraktionen des Kampfes zu konstituieren, so vernachlässigt worden ist. Daß die Attraktionsspektakel des Kinos jenseits der Filmwissen270 Vgl. Bordwell / Staiger / Thompson 1985, S. 74.

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schaft nicht selbstverständlich Eingang in die ästhetische Theorie unserer Tage gefunden haben, läßt sich an einem ihrer verdienten Vertreter demonstrieren. Grundsätzlich ist Martin Seels avanciertem Projekt beizupflichten, ästhetische Phänomene zu theoretisieren, indem eine Aisthetik als akademische Lehre der Wahrnehmung im allgemeinen von der Ästhetik als einem ihrer speziellen Felder unterschieden wird.271 Wie es eine solche Theorie als erstes Unterscheidungsmerkmal einfordert, hebt Seel gegen Zielorientierung und Pragmatik unserer gewöhnlichen Perzeption auf Vollzugsorientierung und Selbstbezüglichkeit der ästhetischen Wahrnehmung ab.272 Mit Blick auf die Relation von Boxen und Kino denkt man ad hoc an die speziellen Wahrnehmungssphären, in denen beide Veranstaltungen ihre Reizproduktion in der expliziten Abgrenzung vom Alltag – in besonderen Räumen und mit Ritualen des Anfangs und Endes – kultivieren. Aber Seel – auch darin ist ihm Recht zu geben – will ästhetische Wahrnehmung nicht in festgeschriebener Abhängigkeit von solchen abgegrenzten Erfahrungsräumen sehen. Er beschreibt sie statt dessen als „eine unter anderen Lebensmöglichkeiten, die von Zeit zu Zeit ergriffen werden kann, wie man von Zeit zu Zeit von ihr ergriffen wird.“273 Den Zeitcharakter des Ästhetischen selbst allerdings bestimmt er als ein „Verweilen“ und sogar eine „Kontemplation“.274 Diese Zeitform ist dem montierten Filmbild des Boxers nicht einmal vor oder nach dem Kampf zu eigen, womit beim Betrachter des Boxfilms – des Films überhaupt – die Bereitschaft der Zustimmung zu Seels Thesen endet. Tatsächlich braucht man nur eine einzige Attraktionsmontage des Ringgeschehens gesehen zu haben – die Erfahrung der real-sportlichen Inszenierung hätte in diesem Punkt einen vergleichbaren Effekt –, um zu erkennen, daß für Seels nähere Bestimmung des Zeitcharakters ästhetischer Wahrnehmung gilt, was Benjamin vor über einem halben Jahrhundert seinem französischem Kollegen Henri Bergson – dem Philosophen der Dauer – vorwirft: „Er meidet damit vor allem und wesentlich, derjenigen Erfahrung näherzutreten, aus der seine eigene Philosophie entstanden ist oder

271 272 273 274

Vgl. Seel 1996a, vgl. auch Mollenhauer / Wulf 1996. Vgl. Seel 1996a, S. 48ff; 2000, S. 44-45. Seel 2000, S. 44. Seel 1996a, S. 50ff; 2000, S. 56; vgl. auch 1996b.

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vielmehr gegen die sie entboten wurde. Es ist die unwirtliche, blendende Epoche der großen Industrie.“275 Ist die historische Wahrnehmungsrealität der industriellen Moderne bei Bergson noch aus seinen Beispielen – den Gläsern mit Zuckerwasser, den erbaulich fließenden Flüssen mit geruhsam vorbeiziehenden Schiffen und Vogelpflügen – getilgt, vollzieht Seel, der den Straßenverkehr und den Film in seinen Exempeln zu Wort kommen läßt276, ihre Verdrängung subtiler im theoretischen Entwurf des ästhetischen Modus. Um es klarzustellen: Nicht das bloße Vorkommen des Begriffs der Kontemplation, den Benjamin im Kunstwerk-Aufsatz angesichts der filmischen Schocksignaturen zusammen mit dem Akt der Versenkung in die Totalitäten klassischer Ästhetik zu entthronen gedenkt277, stößt hier auf Kritik, sondern die Implikationen seiner aktuellen Verwendung und insbesondere deren Mängel gegenüber einer angemessenen Betrachtung filmischer Spektakel. Denn angesichts einer Kampfinszenierung auf der Leinwand nimmt der Betrachter die Dinge nicht in „ihrer phänomenalen Fülle“278 wahr, sondern ist mit ihrer verdichteten Überfülle konfrontiert. Seel unterläßt es, dem Kontemplationsbegriff jene ihm traditionell implizite ruhende Distanz zum Geschehen auszutreiben, die nicht nur in den Attacken der Boxerkörper zustoßend zunichte gemacht wird, sondern auch dem ästhetischen Lesen filmischer Bilder nicht entspricht. Obgleich der durch Virillio und Flusser inspirierten Erkenntnis, daß eine – „angemessene Ästhetik der Medien [...] eine Sprache für das entwickeln [muß, d. Verf.], was es ausmacht – was es für einen Unterschied macht –, innerhalb wie außerhalb der Kunst in einer zunehmend medial beeinflußten Welt zu leben“279, schlagen sich die medialen Schockagenturen bei Seel nicht in angemessener Weise nieder.280 Aber nicht nur kann die ästhetische Diskontinuität moder275 Benjamin 1991, S. 608-609. 276 Zum Straßenverkehr vgl. Seel 1996a, S. 47; zum Film Seel 2000, S. 295ff. 277 Benjamin 1991a, v. a. Absatz XI-XV. 278 Seel 1996b, S. 267. 279 Seel 1996c, S. 123. 280 Gleiches gilt für die Schockserien des Alltags. Wo es bei Benjamin über den anwachsenden Straßenverkehr heißt: „Durch ihn sich zu bewegen, bedingt für den einzelnen eine Folge von Chocks und von Kollisionen. An den gefährlichen Kreuzungspunkten durchzucken ihn, gleich Stößen einer Batterie, Innervationen in rascher Folge.“

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ner Kunst lediglich dann für die Patenschaft ästhetischer Theorie in Anspruch genommen werden281, wenn die mediale und aisthetische Diskontinuität berücksichtigt wird, innerhalb, gegen oder neben welcher die Künstler und ihre Produkte wirksam werden. Vielmehr stellt gerade die Lösung eines Wahrnehmungsphänomens aus den geltenden Sinnkonstruktionen, die Seel für den ästhetisch-modernen Moment behauptet und die sich dem Boxfilmzuschauer angesichts einer den rituellen Rahmen sprengenden Körperbildattraktion in Vehemenz mitteilt, die beschauliche Sicherheit des traditionell kontemplativen Betrachters in Frage. Diese Lösung selbst vermag Schockform zu haben. In einer strukturellen Perspektive läßt sich derart mit der Figur des Schocks auch die des Traumas für die ästhetische Theorie nutzbar machen. Das pathologische Trauma ist ein Ereignis, das nicht in die Erfahrungsstruktur integriert werden kann und daher als Fremdkörper in den psychischen Systemen verharrt. Die Konzeption eines ,ästhetischen Traumas‘ als einem Ausnahmezustand der Wahrnehmung greift genau auf diese Struktur einer nicht-integrierbaren Isolationsfigur zurück, um die radikale Irritation des ästhetischen Moments zu umschreiben.282 Es handelt es sich jedoch nicht um einen Fremdkörper, der unintegriert im Unbewußten des Zuschauers verharrt. Seine Fremdheit ist ganz im Gegenteil (1991 S. 630), widmet sich der Betrachter bei Seel dem „Lichtspiel der Ampeln“ (1996a, S. 51). Die Differenz läßt sich – auch unter den deutschen Verhältnissen – kaum allein auf den Unterschied in der Signatur von Groß- und Kleinstadt zurückführen. Vielmehr scheint im Favoriten ,verweilende Kontemplation‘ der heimliche Wunsch sich anzukündigen, in der Restauration des sinnlich Empfindsamen das utopisch-homöopathische Heilmittel gegen die Inflation der Reize zu suchen. 281 Zu dieser Patenschaft vgl. Seel 1996d. 282 Vgl. Zizek 1999, S. 119: „Der Begriff des Traumas ist ein zentraler Aspekt des Bruches zwischen der Romantik und dem Klassizismus: wir lassen das harmonisch klassizistische Universum hinter uns, sobald irgendein traumatischer Kern nicht mehr in die symbolische Struktur des Kunstwerkes integriert werden kann.“ Hinzuzufügen ist diesem Gedanken jedoch, daß es die Struktur der ästhetischen Produktion selbst ist, die den traumatischen Kern konstituiert. Die Ästhetik besteht in der Inszenierung und im Ereignis des NichtIntegrierbaren. In diesem Sinn ist die ästhetische Isolationsfigur der Untersuchung Conways (1999) entgegenzuhalten, die den Begriff des Traumas als psychologisierendes Muster zum zentralen Konzept für die Betrachtung von Boxbiographien, -literatur und filmen erhebt.

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der Gegenstand des ästhetischen Bewußtseins und bildet die Keimzelle des Lesens. Daß der ästhetischen „Freiheit von jeder Sicht und jeder Deutung der Welt“283 somit die Wucht eines gelesenen Knockouts zukommen kann, weil sie eine – wenn auch vorübergehende, so doch im Moment fundamentale – Negierung unseres Selbst bedeutet, droht Seels ästhetischer Theorie hinter einer Erfahrung nach dem Modell des erbaulichen Ausflugs zu verschwinden, dessen Sinn es ist, „einmal die Sinne ohne die Bindung an die Schemata des Sinns vernehmen zu lassen.“284 Erst in den Variationen über Kunst und Gewalt nähert er sich einem radikaleren Verständnis des ästhetischen Moments: „Mit nur geringer Übertreibung läßt sich sagen, daß in dieser Bedeutung aller Kunst ein Moment des Gewaltsamen eignet: Ihre Werke zielen auf eine Animation, die das Publikum für eine wie immer kurze Zeit aus den Sicherheiten und Selbstverständlichkeiten der leiblichen wie geistigen Orientierung nimmt und so eine willkommene Störung seines Empfindens und Verstehens bewirkt. In diesem Sinn, aber auch nur in diesem, ist jede Ästhetik der Kunst eine Ästhetik der Gewalt: eine Auslegung der Macht, mit der ihre Werke eine Wirklichkeit hervorbringen, an 285 der sich die Lebenswirklichkeit ihrer Adressaten bricht.“

Damit sind aber die Spezifika einer spektakulären kinematographischen Montage noch nicht berücksichtigt. Denn die raumzeitlichen Diskontinuitäten des überlebensgroßen Filmbildes können diese „metaphorische Gewalt“286 der Kunst an die Grenze jenes buchstäblichen Kontaktes rücken, für den Benjamin den Begriff des Taktilen reserviert.287 Es scheint auf den ersten Blick verwunderlich, daß Seel außerhalb seiner Betrachtung der Kunst-Gewalt-Relationen an der Komtemplation festhält, insofern er das Konzept des ästhetischen Au283 284 285 286

Seel 1996b, S. 268. Seel 1996b, S. 268. Seel 2000, S. 302. Seel 2000, S. 302. Obwohl in diesem Text die Wirkung filmischer Gewaltszenen auch mit dem Begriff des Schocks bzw. Schockierens (S. 300) zu Wort kommt, finden Schockserien, Attraktionsmontagen und modulierte Spektakel hier keinen Eingang. 287 Vgl. Benjamin 1991a, S. 500-505.

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genblicks in Anlehnung an Karl Heinz Bohrer entwickelt.288 Denn dieser bezieht sein Augenblicks-Theorem hauptsächlich aus der Interpretation von Benjamins Arbeiten. Der Literaturwissenschaftler weiß die zeitliche Radikalität von Benjamins Philosophie stets zu nutzten, um die moderne Literatur mit einer ihrem, wie er es nennt, „absoluten Präsens“ angemessenen Theorie zu versehen und gegen die Übergriffe von Metaphysik oder universalistischer Geschichtsphilosophie zu verteidigen.289 Die Inkommensurabilität des durch die poetische Darstellung induzierten ästhetischen Augenblicks bestimmt bereits die Studie zum romantischen Brief. Dort ist es das Charakteristikum ästhetischer Subjektivität, sich nicht allein gegenüber den äußeren Sinnzusammenhängen sozialen Lebens zu verschließen, sondern sich darüber hinaus in den Relationen einander äußerlicher Affektzustände zu konstituieren. Zwischen den ,absoluten‘ Gegenwarten dieser Zustände klaffen unüberbrückbare Spalten und Risse, die dem kontemplativ sich Versenkendem und Verweilendem zu einer Grenzerfahrung werden. Die Überantwortung an den poetischen Text und seine Resonanzen im Akt der Lektüre bedeutet nichts weniger als die – wenn auch vorübergehende, so doch kompromißlose – Erschütterung und Auflösung der eigenen Subjektivität. Die Aufgabe bzw. der Verlust sozialer Sicherheit und subjektiver Selbstversicherung ist der Preis, der für eine ästhetische Befreiung von den Beschränkungen des Alltags gezahlt werden muß.290 Dennoch ist es Bohrer selbst, der Seel die Vorlage für die Favorisierung der kontemplativen Haltung liefert. Für das filmwissenschaftliche Denken instruktiv erweist sich das Rettungsmanöver des ambivalenten Terminus der Aura für die moderne Literatur und Malerei. Ihre Zertrümmerung, so Bohrer, könne Benjamin „ausschließlich an Beispielen des Kinos und der Photographie erläutern“291. Die Zerstörungsemphase habe vornehmlich geschichtsphilosophische Gründe, und eine ästhetische Theorie der modernen Literatur und Malerei müsse auf den Aura-Begriff nicht verzichten, zumal er Bestimmungen wie die kontemplative Haltung oder die Distanz zum

288 Vgl. z. B. Seel 1996b, S. 267; 1996d, S. 132ff. 289 Gemeint sind Texte von z. B. Virginia Woolf, Robert Musil, Samuel Beckett, Franz Kafka. Vgl. Bohrer 1994, S. 143ff. 290 Vgl. Bohrer (1989, S. 246) über den romantischen Brief. 291 Bohrer 1994, S. 182.

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Gegebenen enthalte, die auch für das Konzept des „absoluten Präsens“ zuträfen. Daß die ambivalente Kategorie Aura ohne tiefreichende Transformationsleistungen für keine Sphäre der Moderne gerettet werden kann, sei an dieser Stelle lediglich erwähnt .292 Für den hier darzustellenden Zusammenhang aufschlußreich ist der Rettungsversuch, weil sich in ihm erstens die traditionelle bürgerliche Skepsis gegenüber dem Terrain populärer Attraktionen zurückzumelden scheint. Zweitens und wichtiger verrät er tatsächlich etwas über die Differenz des Leseaktes in Literatur und Film. In der Literatur muß der Leseakt die Intensität des sprachlich verfaßten Augenblicks erst herstellen, indem er Vorstellungsvermögen und Körpergedächtnis an der sprachlichen Spur entlang aktiviert. Das Kino besitzt Schockpotential schon allein aufgrund der Wahrnehmungsintensität, mit der sich das Bild noch vor und jenseits des Lesens im Resonanzkörper niederschlagen kann: permanente Veränderung der montierten Licht- und Klangintensitäten. Ein ästhetischer Schockzustand ist jedoch erst dann gegeben, wenn diese Intensitäten den Spaltungsprozeß des Lesens initiieren. Mythischer Brennpunkt, Sensationsschock, ästhetischer Schock Erstarren die Prinzipien der ästhetischen Moderne zum Dogma eines Interpretationsverbotes, widerfährt dem Boxen eine Verkürzung, die strukturell derjenigen ähnelt, vor der Bohrer das Ästhetische schützen will: die Vereinahmung einer Phänomenalität durch die Ansprüche eines bestimmten Diskurses, nur daß es sich in diesem Fall nicht um die universalistischen Reklamationen der Geschichtsphilosophie handelt, sondern um die Anwartschaft der abso-

292 Zumindest Benjamins Bemerkungen zum moralischen Schock des Dadaismus und seine Kritik an Kubismus und Futurismus lassen vermuten, daß er Aura und Kontemplation auch außerhalb der photographischen Medien – wenn auch nicht mit dem Nachdruck des Films – in Frage gestellt sieht. Vgl. Benjamin 1991a., S. 503, Fußnote Nr. 30. Die Transformation hätte außerdem die Allgegenwart des Warenfetischs zu berücksichtigen, dessen Zugriff auf die Aura – etwa in der Verherrlichung von Warenmarken oder modernen Mythen – für Benjamin mit Fäulnis assoziiert ist.

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lutistisch gehandhabten ästhetischen Theorie selbst.293 In solcher Reduktion läßt sich ein vielfältig geschichtetes Phänomen wie das Boxen nicht ermessen. Gleiches gilt für die ästhetischen Schichtungen des Boxfilms. Vom Absolutismus ist also abzusehen zugunsten der Rückkehr zur hier gebauten, sich überlagernden Achsenkonstruktion.294 Die Plötzlichkeiten der filmischen Boxattraktion sind im Spannungsfeld der beiden anderen Achsen zu betrachten. Die Boxattraktion läßt sich zunächst generell rückbeziehen auf die Bahnen der Opferkampfmythologie. Für den antiken Opferkampf hält Meuli die Ermittlung des Schuldigen und damit den mythischen Glauben an die direkte und richtige Adressierung der Gewalt für wichtiger als den Charakter des Spektakels, mit dem der Zweikampf die Aggression der Zuschauer in Schaulust bindet. Für Homers Darstellung späterer groß angelegter, vergnüglicher Wettkämpfe im Rahmen von Totenfeiern konstatiert er dementsprechend die Verkümmerung dieser Religiosität: „Freilich gilt das Spiel dem Toten, aber kaum ein Wort erinnert daran; es ist eine leere Form, ein ganz den Lebenden gehörendes Fest geworden. Das ist homerische 293 Auf einen derartigen Absolutismus stößt man bei Hans Ulrich Gumbrecht, der die von Bohrer über Jahrzehnte hinweg entfaltete Augenblicksfigur in das Feld – nicht filmischer, aber zumindest sportlicher – Wahrnehmungsintensitäten trägt. Gumbrecht verwahrt sich dagegen, die Faszination des Sports mit anderen Methoden als denen einer ästhetischen Theorie zu beleuchten. Besonders die Soziologie gerät ihm zum Feindbild. In einer Kritik des dem Boxen gewidmeten Heftes der Zeitschrift Berliner Debatte Initial schreibt er (2001, S. N5): „Außerhalb der Reichweite soziologischer Analysen bleibt aber durchgängig die Faszination des klassischen Männerboxens.“ Und weiter: „Von Begriffen wie „kulturellem Kapital“, „Identitätsbildung“ und erst recht von Systemen moralischer Regeln ist die Ästhetik des Boxens denkbar weit entfernt. Aber vielleicht vergessen wir auch nur, daß dies für jede Art von Ästhetik gilt.“ Seiner strengen Forderung wird Gumbrecht alles andere als gerecht, wenn er sich dem Boxen in seinem Buch 1926: Ein Jahr am Rand der Zeit (2001a, S. 66ff) anekdotisierend nähert. Die Annäherung erfolgt freilich nicht in der nur mühsam zugänglichen Domäne des Soziologischen – dem in Training, Kampf und Leben praktizierten Boxerhabitus –, sondern in der gefälligeren Sphäre intellektueller Faszination am Faustkampf. 294 Unterstützung für diese Vorgehen findet man – um zumindest diesen Kreis zu schließen – in der Grundeinstellung Seels, genauer gesagt in seinem dynamischen Konzept, das jeweilige ästhetische Phänomen nicht einem einzigen Modus zuzuschlagen, sondern von verschiedenen ästhetischen Einstellungen auszugehen, die sich im Wahrnehmungsakt überlagern können. Vgl. Seel 1996d, S. 130ff.

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Art; weit entfernt vom alten, volkstümlichen Glauben ist diese Welt so diesseitig als nur möglich und von religiöser Gebundenheit in weitem Maße losgelöst.“295 Und da die Kämpfe „ursprünglich freie, mit dem Toten gleichberechtigte Männer ausgetragen“ haben, ist „die Entwicklung zum römischen Gladiatorenwesen [...] als sekundär zu betrachten“.296 Gewiß bricht das Gewaltspektakel auch im modernen Boxen nicht als göttlicher Entschluß über die Zuschauer herein, sondern als profanes Wettkampfspektakel. Dennoch lebt im Boxen noch der uralte Brauch, die Gewalt in der kollektiven Ritualpraxis zu erwarten, vorzubereiten und als Erfahrung zu teilen. Aber die Opferkampfqualitäten des professionellen Boxsports und insbesondere seiner medialen Reproduktionen gehen ebenso wesentlich auf den für Meuli gegenüber dem mythischen Ursprung sekundären Aspekt des Spektakulären zurück. Im Zeitalter der Massenmedien erreicht das Opfer ein völlig neues Niveau. Die medialen Gewaltrituale beteiligen den einzelnen nicht direkt, sondern arbeiten ohne die Not eines zwingenden Zusammenhangs mit den ohnehin flottierenden Aggressionspotentialen. Auch das Gewaltpotential desjenigen, der nicht an eine vom Fernsehen in der Rahmeninszenierung verordnete „Frage der Ehre“ oder „Rache des Bruders“ glaubt297, kann im lustvollen Boxspektakel abgeführt oder entfacht werden. Entladung und Animation rühren zuallererst von der kämpferischen Dichte des modernen Ringgeschehens her. Überträgt man diese Dialektik von mythologischer Kanalisierung und spektakulärer Entladung auf den Boxspielfilm und bringt die dritte Achse ästhetischer Reflexion vorwegnehmend in Anschlag, ergeben sich für die Attraktion drei Varianten. Die Bahnen 295 Meuli 1968, S. 19. 296 Meuli 1968, S. 17-18. Meulis Wertung erklärt sich zum Teil aus dem Bestreben, die eigene Interpretation als Innovation gegenüber dem bisherigen Stand der Forschung aufzuwerten, die das Argument vom Spektakel schon lange kennt, eben aus den Schriften Homers. Die Klärung der antiken Problematik ist nicht das Projekt dieser Arbeit. Ihre Erörterung dient hier als Anregung für die analytische Konstruktion der Opferkampfmechanismen im Boxfilm und als Ausweis ihrer langen Tradition. 297 So lauteten die Überschriften, unter die die beiden großen deutschen Privatsender zwei Weltmeisterschaftskämpfe – Henry Maske vs. Graciano Rocchigiani (1995, RTL) und Wladimir Klitschko vs. Chris Byrd (2000, SAT 1) – stellten.

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der populären Opferkampfmythologie kanalisieren die flottierende Gewaltenergie durch Identifikation und durch die Ankündigung des Kämpferkörpers. Die Attraktionskomplexe, aber auch einzelne Attraktionen (z. B. Leidenskörper, auffällige Gesten, rituelle Ordnung des Kampfes, Bilder der Arena usw.) lassen sich daher in ihrem Gehalt innerhalb der Logiken des Opferkampfes erschließen. Sie fungieren dann als die überdeterminierten Brennpunkte dieser Logiken. In anderer Hinsicht erfüllen die Körperattraktionen, insbesondere die Kampfspektakel, die mythologischen Ankündigungen gerade dann, wenn sie die Wahrnehmungskoordinaten des rituell-imaginären Modus aufsprengen. Kommen die Attraktionsspektakel über diese Destruktion jedoch nicht hinaus, handelt es sich um Serien bloßer Sensationsschocks, in denen die Gewaltenergie schlicht verpufft. Noch in dieser zweiten Variante bleibt die Attraktion der Opferkampfmythologie in einem Spiel von Entfesselung und Zähmung verpflichtet oder aber im technizistischen Blick für ihre filmtechnische Machart gebunden. In der dritten Variante löst sich die Attraktion aus dieser Verpflichtung, indem sie in ihren reflexiven Wendungen in Lesbarkeit, in einen ästhetischen Schock, umschlägt – sei es anhand eines sich in seinem Ausdruck verselbständigenden Attraktionselementes (etwa der Blutrausch des Publikums), einer modulierten Körperattraktionsserie (ästhetische Haltung) oder des isolierenden Grenzkontaktes zum pathologischen Schock in der Gewaltdarstellung (ästhetische Überschreitung). Die Zeit des Umschlags ist so plötzlich wie die verdichtete Gegenwart der Attraktion selbst. Sein Zeitpunkt indessen läßt sich nicht festlegen. Der Umschlag ins Denken muß nicht in der Dauer des Kinobesuchs stattfinden. Die Attraktion kann einen starken Nachbildeffekt auslösen: Ein Bild brennt sich unbemerkt in das Gedächtnis ein und aktiviert das Denken lange nach dem eigentlichen Wahrnehmungsereignis.

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II. Frühe Kampffilme Perseus Schmeling und das Optisch-Unbewußte Benjamins Kunstwerk-Aufsatz, in dem der Faustkampf kaum thematisiert wird298, enthält Passagen, die sich umstandslos auf das Filmbild des Boxers beziehen lassen. Zu ihnen gehört die Figur des Optisch-Unbewußten. Wenn die Kamera ihren Blick nicht mehr, wie Benjamin es gedanklich ausführt, auf den „Gang der Leute“, sondern auf die Motorik des Athleten richtet, erfahren wir weniger von der „Haltung im Sekundenbruchteil des Ausschreitens“ als von den Details der boxerischen Beinarbeit. Wie der Film uns Rechenschaft davon ablegt, was sich beim Griff nach Alltagsgegenständen wie Löffel oder Feuerzeug „zwischen Hand und Metall dabei eigentlich abspielt, geschweige wie das mit den verschiedenen Verfassungen schwankt, in denen wir uns befinden“, so kann er ebenso danach fragen, was zwischen der mit dem Handschuh gepolsterten Faust und dem Kopf genaugenommen geschieht und wie dieses Geschehen sich mit fortschreitender Kampfdauer verändert.299 Genau diese Fragestellungen sind Gegenstände der boxerischen Analyse von eigenen sowie fremden Bewegungsabläufen, für welche die Hilfsmittel Film und Video genutzt werden. Heute ist die Videoanalyse ein gebräuchliches Mittel der Körpertechnologisierung schon im Amateurlager und sogar in der Jugendarbeit. Gene Tunney, der in den zwanziger Jahren Weltmeister im Schwergewicht wird, ist einer der Pioniere der auf die Schwächen und Stärken seiner Gegner ausgerichteten Filmauswertung.300 Den in Boxkreisen und über ihre Grenzen hinweg wohl berühmtesten Beweis für die analytische Macht des Bewegungsbildes liefert ein anderer Schwergewichtler: Max Schmeling. Seine erste, aufgrund ihrer propagandistischen Aufladung aufsehenerregende Begegnung mit Joe Louis steht 1936 unter dem Einfluß des mechanischen Auges. Louis gilt der zeitgenössischen Öffentlichkeit als nahezu unschlagbar. Aber mit filmtechnischer Unterstützung, so liest 298 In der ersten Fassung wird er als Gegenstand des Daumenkinos erwähnt. Vgl. Benjamin 1991h, S. 456-457. 299 Alle zitierten Fragmente auf S. 500 in Benjamin 1991a. 300 So behauptet es die Fernsehdokumentation Les Rois Du Ring.

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man es in Schmelings Autobiographie, demonstriert dieser die Gültigkeit der boxerischen Losung, nach der jeder eine ,Achillesferse‘ besitzt. Der Deutsche entdeckt die Schwäche im Kampfverhalten seines designierten Gegners laut eigener Darstellung noch mit bloßem Auge – im Dezember 1935 aus der sicheren Position des Zuschauers beim Kampf des Amerikaners gegen Paolino Uzcudun im New Yorker Madison Square Garden. Der Presse gegenüber formuliert Schmeling an diesem Abend sein berühmt gewordenes „I have seen something!“, ohne zu verraten, was er eigentlich an Louis bemerkt hat. Mit seinem Team verschafft er sich anschließend einige Filme von dessen vergangenen Kämpfen, um seinen Stil im einzelnen zu studieren: „Im Vorführraum in Berlin hatten wir seine Begegnungen mit Baer, mit Carnera und vielen anderen immer wieder durchlaufen lassen, hatten die Zeitlupenversion fast Feld für Feld analysiert, eine sekundenschnelle Rechte dreißig, vierzig Mal betrachtet und uns aus immer neuen Sequenzen ein Bild davon zu machen versucht, wie Joe Louis meistens stand, wie er seine Füße hielt und aus welcher Distanz er mit Vorliebe schlug. [...] Jedesmal, wenn Joe mit der Linken seine kurzen, gefährlichen, oft zwei- bis dreimal wiederholten Haken schlug, ließ er im Anschluß daran den linken Arm fallen. Es war eine kaum merkliche, unbewußte Reaktion, und sie mochte nur dem auffällig sein, der dem Boxer zugleich versessen und ganz nüchtern, gewissermaßen mit dem Auge eines Naturwissenschaftlers, beobachtete. Die linke Gesichtshälfte von Louis stand dadurch für eine rechte Gerade einen Augenblick 301 lang offen.“

Die Rechnung geht im Juni 1936 ebenfalls in New York auf, allerdings nicht so glatt, wie es der Abriß der analytischen Aktivitäten glauben machen könnte. Schmeling beschreibt den Kampf mit einiger Dramatik. Er betont Härte sowie boxerische Klasse an seinem Gegner und damit an sich selbst.302 Erst in der zehnten Runde gelingt ihm die Ausführung des gefaßten Plans. Obwohl seine Schilderung sich somit bemüht, den Sieg nicht als reine ,Kopfleistung‘ erscheinen zu lassen, kann man sie in der Tradition jener Heldengeschichten sehen, in denen der Heros einem scheinbar übermächtigen 301 Schmeling 1995, S. 330-332. 302 Vgl. Schmeling 1995, S. 341ff.

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Gegner die Niederlage durch eine Verstandesleistung oder List beibringt. Einer seiner mythischen Vorgänger ist der antike Perseus, der ebenfalls ein optisches Hilfsmittel im Kampf seines Lebens nutzt. Bekanntlich sieht der griechische Held dem Schrecken der Medusa, dessen unmittelbarer Anblick seine Vorgänger versteinern ließ, nicht direkt ins Auge. Er entgeht der Versteinerung, die man als eine Metapher für den absoluten und endgültigen Verlust der Handlungsfähigkeit in Angst und Panik verstehen kann, indem er den spiegelnden Schild, den Athene zu seiner Ausrüstung beigesteuert hatte, zwischen sich und die Gefahr schiebt. Als Kracauer diese Situation in der Theorie des Films auf das Kino überträgt – „Die Filmleinwand ist Athenes blanker Schild.“303 –, hat er die realen Ausformungen jenes unermeßlichen Grauens im Sinn, für welche das Haupt der Medusa steht: Schrecken, die im direkten Kontakt eine Angst erzeugen, die uns entweder „lähmt und blind macht“304, oder sofortiges Handeln ohne detaillierte Überlegungen erfordern. Man kann aber den darin liegenden sehr alten Grundgedanken verallgemeinern, daß das optische Gerät eine neue Ebene der Konfrontation mit der Welt etabliert, wenn es sich zwischen diese und den Betrachter schiebt: Eine Ebene, die uns im direkten Kontakt – sei es aufgrund einer blockierenden Angst oder schlicht der pragmatischen Reduktion der Handlungssituation – verborgen bleibt. Im Film wird etwas sichtbar, was zuvor optischunbewußt war. Gertrud Koch nennt die in Benjamins Figur des OptischUnbewußten angelegte ästhetische Konzeption eine Entbergungsästhetik.305 Die an Heideggers Rede von der Technik als einem Entbergen des Seins erinnernde Begriffsschöpfung legt Augenmerk auf das Verhältnis des technischen Apparats zur Welt, der er seine Bilder abgewinnt. Insofern die Aufnahme das Aufgenommene verwandelt, ist das Verhältnis der Kamera zur Welt ein konstruktives. Es ist daher konstruktivistisch zu denken. Als optisch-unbewußte Dimension gerät die sichtbare Welt dem Kameraapparat zu einem unerschöpflichen Potential an Bildern: ein virtuelles Reservoir für sich differenzierende Entbergungen. Die auf der Leinwand entborgenen Boxerkörper sind demnach als Konstruktionen schon auf der Ebene 303 Kracauer 1985, S. 395. 304 Kracauer 1985, S. 395. 305 Vgl. Koch 1992, S. 47.

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des Bildes zu verstehen, nicht erst auf derjenigen eines interpretierenden Beobachters. Das filmische Produkt – die Reproduktion der kämpfenden Physis – hat eine eigene bildliche Realität. Allerdings bleibt das Optisch-Unbewußte des Films auf sein Herkunftsmilieu beziehbar. Es gibt daher Wege, diese bildliche Realität der vorfilmischen – der boxerischen oder allgemeiner der sozialen – Welt eng zu assoziieren. Eine solche Methode ist das Realitätsprinzip des Boxens. Die am Bild gemachten Beobachtungen werden in ihrem Wert getestet, wenn sich im Ernstfall des Kampfes zeigt, ob sie einen Vorteil einbringen. Leisten sie ihre Dienste nach Plan, bestätigt sich die Filmwahrnehmung.306 Sicherlich generiert das Milieu des Faustkampfes gerade in der Verbindung mit körpertechnischem Wissen feinfühlige Sensorien für die Ausdrucksdimensionen des Boxens. Letztlich erfordert jedoch die Frage nach den Einzelheiten der boxerischen Bewegungen innerhalb der analytischen Körpertechnologisierung klare Antworten. Das optische Gerät wird instrumentalisiert und die Entbergungen der sportlichen Praxis verfügbar gemacht. Die Beobachter transformieren ihr Gespür für den Ausdruck des Boxerbildes in die strategische Suche nach Lücken in der Verteidigung. Schmeling, der das Bild seines größten Gegners „zugleich versessen und ganz nüchtern, gewissermaßen mit dem Auge eines Naturwissenschaftlers“ seziert, verfolgt bei aller beobachterischen Offenheit von Anfang an ein definiertes Ziel. Die teleologische Ausrichtung verengt seinen Blick wie denjenigen des Perseus. Auch dieser tauscht sein gerade gewonnenes Sehen ein gegen eine andere Blindheit, nämlich die der zielgerichteten Auftragshandlung, die das Bild streng in ihrem Sinne – als das des zu tötenden Feindes – interpretiert. Kracauer hingegen folgt dem Aktionshelden Perseus gerade nicht in letzter Konsequenz. Er fordert statt dessen die Bilder als 306 Vergleichbares gilt für den Einsatz von Film- oder Videotechnik im Rahmen soziologischer Untersuchungen. Die Entdeckungen, die im Bild möglich werden, münden zuletzt mittels entsprechender Übersetzungstechniken in das soziologische Argument. Die Konstruktion tendiert auch hier dazu, das bildliche Ausdruckspotential in den Dienst zu nehmen. Im besten Falle wird die Medialität der Entbergung, die etwas sichtbar macht, was der teilnehmenden Beobachtung entgeht, dabei bedacht. Eine filmische Schule dieses Bedenkens ist der enthnographische Film, der seine Konstruktionen und Darstellungsformen reflektiert, ohne die Absicht Vereinahmung der fremden Welt und Aufgabe der Fremdheit.

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Selbstzweck. Die Verweigerungshaltung gilt gegenüber dem Zweck im herkömmlichen Sinn. Man erkennt die Isolationsfigur des ästhetischen Schocks. Innerhalb einer ästhetischen Theorie liest sich das Optisch-Unbewußte als Figur einer konsequenten Grenzziehung. Es handelt sich zunächst um die Grenze zur pragmatischen Alltagswahrnehmung, der Benjamin das Auge zuordnet. Aber in den eingefahrenen Sichtweisen und automatisierten Mustern des Alltags spiegeln sich die althergebrachten Deutungssysteme. Daher kommt auch hier jener Gedanke einer Ablösung aus dem Traditionszusammenhang, aus gelebten und institutionalisierten Zusammenhängen überhaupt, zum Tragen, die den ganzen Kunstwerk-Aufsatz bestimmt. Einer grundsätzlichen Inkommensurabilität der optisch-unbewußten Dimension wird man erst gewahr, wenn man sie nicht in ein Telos überführt und den Schock des Ungesehenen nicht in sportlicher Handlung oder einer anderen Pragmatik befriedet. In andauernder Fremdheit sieht sich dann das Auge mit einem virtuellen Bild konfrontiert, dessen Bindungen an außerfilmische Realitäten gekappt ist. Die Fremdheit geht aus der ästhetischen Reflexion hervor. Der extraordinäre Wahrnehmungsmodus ist derjenige der offenen, sich transformierenden Frage: Das „Was spielt sich zwischen den Körpern eigentlich ab?“ wird zu einem „Wie strukturieren die Körper die zweidimensionale Fläche?“ und umgekehrt. Der Blick findet sich auf die Komposition des Bildes zurückgeworfen, um ihren Eindruck immer wieder von neuem, aber in stets anderen Echos im Resonanzkörper zu erfahren. Das Bild hört nicht auf zu entbergen, weil es sich – nach dem Modell des Traumas – nicht in gewachsene Erfahrungskontexte integrieren läßt. Corbett vs. Courtney und Corbett vs. Fitzsimmons Die zeitige Vermählung von Boxen und Kino kann zum Teil auf die günstigen Rahmenbedingungen zurückgeführt werden, die frühe Filmproduzenten und -techniker im Faustkampf vorfinden. Eine einzige Kamera kann das klar umrissene und im Gegensatz zu anderen Sportarten eher kleine Feld des Geschehens im Ganzen erfassen. Die noch unbewegliche Optik findet ein Höchstmaß an physischer Dynamik auf engstem Raum vor. Und die relativ kurzen Einheiten der Boxrunden kommen den noch geringen Aufnahmekapazitäten der Technik entgegen. So verspricht Edison bereits im Jahre 1894

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dem amtierenden Schwergewichtsweltmeister Gentleman Jim Corbett 5000 $ für einen Knockout vor der Kamera, wenn er pünktlich in der vorherbestimmten sechsten Runde erfolgt. Der Film wird für die Kinetoscope produziert. Der Stand der Technik macht noch einige Anpassungen des Geschehens an die Kapazitäten der Aufnahme- und Abspielapparaturen nötig. Die Größe des Rings und die Länge der Boxphasen werden dem technischen Standard entsprechend gestaltet. Es entsteht ein Kampffilm über sechs Runden, die jeweils um eine Minute lang sind und einzeln auf nebeneinander plazierten Kinetoscopen angeboten werden.307 Später im Jahre 1930 berichtet der Ex-Champion in einer anekdotischen Schilderung von seinen Erlebnissen in Edisons Black Maria, dem legendären Studio des Kinopioniers, das durch sein aufklappbares Dach und seine schwarzen Wände die für das damalige Filmmaterial erforderliche Lichtsituation ohne Irritationen ermöglicht.308 In der Darstellung Corbetts erscheint der Kampf in mancher Hinsicht fingiert. Der Produktionsfirma kommt es weniger auf die Echtheit des Knockouts als auf sein Vorhandensein an. Corbett, der einen Ruf zu verlieren hat, will jedoch nach eigener Darstellung eine möglichst ,realistische‘ Version des Niederschlags geben und ihn deshalb nur zum Teil arrangieren. Er und sein Team fassen den Plan, für den Film einen Gegner zu finden, der zwar kein überragender Boxer ist, aber dem Schwergewichtler körperlich ebenbürtig erscheint. Corbett soll den Delinquenten dann im Sparring auf seine Kondition testen, um den Moment des Niederschlags bestimmen und vorhersagen zu können. Gleichzeitig darf der designierte Verlierer während der Sparringsrunden nichts von den tatsächlichen Qualitäten des Weltmeisters am eigenen Leib erfahren, damit er bis zuletzt an die Möglichkeit seines Sieges glaubt und überhaupt bereit ist, dem Unternehmen zur Verfügung zu stehen. Mit einem Mann namens Peter Courtney wird ein geeigneter Kontrahent bald gefunden. Auch im Training läuft alles nach Plan. Am Drehtag steht Corbett jedoch vor neuen Problemen. Er berichtet von seiner Überraschung darüber, wie drastisch die Kapazitäten der Aufnahmetechnik die Runden verkürzen und die Pausen verlängern. 307 Vgl. Musser 1990, S. 84ff, Streible 1994, S 56ff. 308 Der Artikel wird 1930 in einem Magazin namens New Mowie veröffentlicht. Ich nehme hier Bezug auf seinen erneuten Abdruck in American Film im Jahre 1982.

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Zwischen den etwa einminütigen Kampfphasen liegen Unterbrechungen von eineinhalb Stunden, um die Apparatur neu zu präparieren. Der Champion sieht sich dementsprechend einem stets erholten Boxdilettanten gegenüber. Er beschließt daher vor der sechsten Runde, in der der K.o. erfolgen soll, auf leichtere Handschuhe zu wechseln, um Courtney im richtigen Moment und genau vor der Kamera niederzuschlagen. In der besagten Runde stimmt zwar sein ,Timing‘, aber er trifft den zum Fallen bestimmten Mann nicht richtig: „I had a right-hand punch, with a little feint previous so that he would be in front of the camera, and I let it go. In my excitement I aimed a little too high, so that the blow didn’t drop him but it stager him, and I think what followed was the funniest thing I ever saw in my life. Courtney staggered away, with everybody yelling at him, ‚You’re out of fo309 cus!‘“

Das Filmteam unterbricht daraufhin die Aufnahme, und man bringt den noch benommenen Courtney wieder in das Sichtfeld der Kamera. Corbett schlägt auf das Signal des Filmteams hin noch einmal zu und landet diesmal einen Treffer: „It was a clean knockout, and Courtney dropped cold [...].“310 Im Unterschied zur Darstellung des ehemaligen Weltmeisters neigt Dan Streible in seiner ausführlichen Studie des frühen Kampffilms dazu, den rechtzeitig in der letzten Runde angebrachten K.o. als Zeichen für die grundsätzliche ,Schiebung‘ des Kampfgeschehens zu werten.311 Dafür spricht auch die wenig überzeugende Behauptung Corbetts, daß er und sein Team im Vorfeld nichts von den tatsächlichen Aufnahmebedingungen, sprich den langen Pausen zwischen den Dreh- bzw. Kampfphasen, gewußt haben wollen. In beiden Versionen zeigt sich indessen die zentrale Bedeutung des Knockouts. Seine Wertschätzung seitens der Produktionsfirma stellt sich als zutreffend heraus. Der Film unter dem Titel Corbett and 309 Corbett 1982, S. 34. 310 Und weiter: „[...] but I knew he would be all right in a minute. And he was. I tended to him myself, and he soon managed to get back to his feet. Then, to my surprise, he took me by the hand and said: ‚Say, Corbett, your’re pretty good! But I don’t think you could do it again!‘“ Corbett 1982, S. 34. 311 Vgl. Streible 1994, S. 59.

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Courtney before the Kinetograph, der auch einfach The CorbettCourtney-Fight genannt wird, ist so erfolgreich, daß er noch im Umlauf bleibt, nachdem sich 1896 die Projektionstechnik gegen die Kinetoscope durchgesetzt hat.312 Corbetts doch recht aufwendige Taktik von Trainings- und Kampfkontrolle – gleiches gilt noch für ihre bloße nachträgliche Behauptung – verehrt das kinematographische Vermögen, Bewegungen präzise aufzuzeichnen. Vielleicht offenbart sich in ihr weniger der unbedarfte Glauben an einen filmischen Abbildrealismus, als sie eine wirksame Vermarktungsstrategie des frühen Kampffilms retrospektiv unterstützt: nämlich die Beschwörung filmischer ,Authentizität‘. So sind die Boxfilmproduzenten der ersten Jahre schon allein deshalb an einer Verbesserung der Aufnahmetechnik und -logistik interessiert, weil damit reguläre Wettkämpfe unter den realen Bedingungen des Boxsports ins Bild können. Daher zielen die technischen Bestrebungen darauf ab, das Sportereignis lückenlos ins Bild zu bringen. Für den Erfolg dieses Kalküls gibt ein weiterer Film mit Gentleman Jim Corbett ein Beispiel, bei dem wiederum ein Knockout im Zentrum steht. Bei der Produktion aus dem Jahr 1897 handelt es sich um den ersten Kampffilm, der einen offiziellen Meisterschaftskampf kinematographisch überliefert. Die Begegnung zwischen Corbett und dem gebürtigen Briten sowie einstigen Hufschmied Bob Fitzsimmons kann daher nicht in ein Studio verlegt werden. Ihr Zeitreglement nimmt keine Rücksicht mehr auf das Fassungsvermögen der Technik. Auch die räumlichen Verhältnisse sind nur bedingt beeinflußbar. Der Versuch, den Ring zu verkleinern, um den Kampf und das Geschehen in den Ecken der Boxer gänzlich mit neu entwickelten Kameras erfassen zu können, scheitert am Widerstand des Ringrichters. Dennoch bietet die eigens für die Begegnung und ihre filmische Aufzeichnung angelegte Freiluftarena in Carson City im Bundesstaat Nevada der damaligen Technik nahezu optimale Bedingungen. Auf erhaltenen Fotos der Veranstaltung kann man den einem Faß ähnelnden hölzernen Unterschlag sehen, in dem die Kameras nahe am Ring untergebracht sind. Das Problem der immer noch geringen Kapazität der einzelnen Kameras lösen die Verant312 Vgl. Musser 1990, S. 84, Streible 1994, S. 56. Über die 5000 $ Erfolgsprämie für den Knockout hinaus wird Corbett auch an den weiteren Einnahmen beteiligt.

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wortlichen logistisch, indem sie verschiedene Aufnahmegeräte nacheinander starten lassen, um die gesamte Dauer des Ereignisses zu fotografieren. Dadurch entsteht auch hier die für den frühen Kampffilm übliche einzige Kameraperspektive.313 The Corbett-Fitzsimmons Fight wird einer der profitabelsten Kampffilme der Jahrhundertwende, wohl auch wegen der Marketingstrategie, die sein Erscheinen vorbereitet. Im direkten Vorfeld der Aufführungen wird die vermeintliche ,Authentizität‘ des Films vermarktet: Jeder, der den Kampf nicht vor Ort gesehen hat, kann die kinematographische Aufzeichnung im Kino mit eigenen Augen erleben. Selbst denjenigen, die bei der eigentlichen Veranstaltung dabei waren, ist die Möglichkeit gegeben, ihre Wahrnehmung im nachhinein angesichts des Films wiederzubeleben und zu überprüfen. Letzteres ist um so bedeutsamer, da der Kampf mit einem umstrittenen K.o. endet. Corbett geht in der vierzehnten Runde nach einem Schlag auf die Herzgegend bzw. auf den Solarplexus endgültig zu Boden. Hartnäckig hält sich jedoch im Anschluß das Gerücht, sein Gegner Fitzsimmons hätte nur durch ein Foul, durch ein unfaires Nachschlagen, gewonnen. Die breit angelegte Werbekampagne beruft sich deshalb auf die Genauigkeit und Unbestechlichkeit des mechanischen Auges, mit dessen Hilfe sich das Publikum eine eigene, von Augenzeugenberichten und Ringrichterentscheidungen unabhängige Meinung über den Kampfverlauf und sein Ende machen kann.314 Exkurs zur Hauptattraktion Knockout: Verdichtung und Übersicht Die Fetischisierung des K.o., die das Phänomen der frühen Kampffilme bestimmt, ist bis heute ungebrochen, gerade in der amerikanischen Boxtradition mit ihrer Liebe zur offensiven Konfrontation. Sie hängt mit der enormen zeitlichen Dichte und räumlichen Übersichtlichkeit des Faustkampfes zusammen – bzw. mit der Art, wie er selbst Verdichtung und Übersicht thematisiert. Beide Aspekte lassen sich nicht auf produktionstechnische Vorteile reduzieren, sondern

313 Vgl. Musser 1990, S. 194ff, Streible 1994, S. 80ff. 314 Zur Debatte bzw. Kampagne im Vorfeld des Films vgl. Musser 1990, S. 197-198, Streible 1994, S. 96ff.

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sind als signifikante Aspekte der boxerischen Inszenierung selbst zu lesen, die auch den Boxspielfilm bis heute beschäftigen. „Unvorstellbar: ein Boxer, zu einer Geraden ansetzend, der darüber nachdenkt, weshalb er jetzt, weshalb er überhaupt schlägt. Er ist dieser Schlag, ist diese Aktion.“315 Die eigentümliche Geschehensdichte des Boxens entsteht aus der Hypertrophie des physischen Alltagspragmatismus, seiner Effektivität und Zielorientierung. Offensive Gewalt, Schmerz und Verletzungsgefahr, die enorme Geschwindigkeit der Aktionen und die Enge des Rings lassen dem Athleten keine Zeit zur Reflexion. Der Abstand zwischen Reiz und Reaktion muß möglichst gering bleiben. Denkt ein Boxer im Moment der Attacke des Gegners darüber nach, mit welcher Bewegung er reagieren soll, ist er auf dem besten Wege, selbst getroffen zu werden. Die Selektion der Wahrnehmungsdaten, Grundvoraussetzung jeder zielgerichteten und erfolgreichen Handlung, erfährt eine besondere Strenge. Alles, was der jeweiligen Aktion oder Reaktion nicht dient, ist Ballast oder Umweg und damit gefährlich. Boxer brauchen die Fähigkeit, Kampfsituationen auf das Notwendige zu komprimieren. Sie müssen ein Gespür dafür entwickeln, die Stärken und Schwachstellen des Anderen zu registrieren. Angriffe des Gegners sollten schon im Ansatz erfaßt werden, um Bruchteile von Sekunden für die Konteraktion zu gewinnen. Eigene Attacken müssen dementsprechend ohne erkennbaren Ansatz und präzise durchgeführt werden. Langsamkeit und Ungenauigkeit sind Schwächen. Das Ziel des Faustkampfes ist es, die Körpertechniken des Gegners entweder durch geschicktes Ausweichen und Blocken in ihrer Wirkung zu schwächen oder durch eigene Aktionen zu stören. Das sensomotorische Vermögen des Kontrahenten darf nicht zur Entfaltung kommen. Der Boxer muß den Kampf machen, seinen Kampf. Er muß dem Gegner das eigene Bewegungsprinzip aufzwingen. Die Schläge wollen den Anderen in die Kampf- und damit Handlungsunfähigkeit zwingen. Boxen stellt sich dem Zuschauer somit als ein Realdrama der Handlungsfähigkeit dar. Der K.o. ist der vollständige – wenn auch zumeist vorübergehende – Verlust des Aktionsvermögens als ein Verlust der sensomotorischen Kontrolle. Die boxerische Herstellung eines überschaubaren Geschehens, dessen Gesetzmäßigkeiten klar definiert sind, ist eine besonders ent315 Meisenberg 1997, S. 44.

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schiedene Ausprägung dessen, was von Krockow als die „künstliche Komplexitätsreduktion“316 des Sports bezeichnet: Nur wenige Akteure auf engstem Raum, evidente Funktionen und Tätigkeiten. Die Begeisterung der Massen für den Sport in den Industriegesellschaften läßt sich immer auch als eine Gegenreaktion auf die zunehmende Abstraktion der modernen Lebensverhältnisse verstehen.317 Während die Gesellschaftsstruktur undurchschaubarer wird, scheint der Faustkampf einfachen, für jeden verständlichen Regeln zu unterliegen. Übersichtlichkeit und Einfachheit des Boxens mögen in vieler Hinsicht von rhetorischer Natur sein. Wer kann schon von den hinteren Reihen des Zuschauerraums einzelne Aktionen oder Treffer im Detail studieren? Und auch die Regeln des Boxens sind – zumal die Verbände sich vervielfältigt haben – nicht so simpel, wie es der erste Eindruck glauben macht. Dennoch, was sich selbst dem unbedarften Zuschauer noch im hintersten Winkel der Arena anschaulich mitteilt, ist der Ausgang des Kampfes, vorausgesetzt, er wird in seiner archaischen Form des Knockouts erzwungen.318 Das ,gute Auge‘, das im Ballsport die Begabung zur Übersicht benennt, muß der Boxer gegen eine gleich schwere ,Schlagmaschine‘ verteidigen. Die Rivalität in Sachen Übersicht kommt sehr deutlich an den symbolischen Manifestationen, die das Reglement generiert, zum Ausdruck. Seine Handlungsfähigkeit versucht der Faustkämpfer, gemeinsam mit dem aufrechten Gang zu bewahren, jenem Merkmal der Gattung, das ihr die entscheidenden Vorteile der Befreiung der Hände zum Greifen und des Mundes zum Sprechen, aber eben auch das offene Gesichtsfeld einbringt.319

316 Von Krockow 1974, S. 19ff. 317 Vgl. Plessner 1985, S. 53. Junghanns (1995, 1997b) sieht im Boxen kritisches Potential gegenüber der Moderne. 318 Schöffler (1986, S. 23-24) hebt Klarheit und Dramatik der Entscheidung neben der physischen Dynamik als Merkmale bereits des BareKnuckle Fighting hervor, die es bei der englischen Bevölkerung des achtzehnten Jahrhunderts beliebter als das Ringen machen: „Der langen Reihe berühmter Ringertreffen, die wegen der Unmöglichkeit, eine Entscheidung zu treffen, nach ermüdender Dauer abgebrochen worden sind, steht eine ebenso lange Reihe von Boxertreffen gegenüber, deren sensationeller Verlauf die Zuschauermenge in Raserei versetzt hat. [...] Betäubungen und plötzliches Knockout sind in jeder Sekunde möglich.“ 319 Inwieweit der Boxkampf den aufrechten Gang thematisiert, zeigt sich auch daran, daß zum Angriffskontakt nur die befreiten Glied-

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Am Ende des Faustkampfes liegt einer am Boden, der andere steht über ihm oder in der ,neutralen Ecke‘, behält aufrechte Haltung und Übersicht. Man tut gut daran, seitens des Publikums keine einseitige Einfühlung in den Sieger zu unterstellen. Ein sehr parteiischer Zuschauer mag zur Identifikation mit seinem Favoriten neigen. Aber der K.o. ist eine Situation, die sich aus dem Kontrast der beiden Extreme speist. Er bezieht seine größte Wirksamkeit aus der Oszillation zwischen den beiden Achsen der Identifikation mit dem triumphierenden und mit dem geschlagenen Mann, der Empathie mit dem stehenden und dem zu Boden gesunkenem Körper. Man sagt K.o.-Niederlagen nach, daß sie für die Boxerpsyche schwer zu verarbeiten sind, ganz zu schweigen von der Verminderung der Chancen auf weitere gute Kämpfe oder gar dem Verlust eines Titels. Die geschäftlichen und psychischen Folgen einer Niederlage können einen Athleten tatsächlich von der ,Bildfläche verschwinden‘ lassen oder seine öffentliche Präsenz zumindest vorübergehend stark einschränken. Wie kein anderes Element des Boxens bietet sich daher der K.o. an, ein (aufgrund der tatsächlichen Wirkung der Schläge nur zum Teil metaphorisches) Sinnbild für die heroische Selbstinszenierung männlicher Physis unter modernen Bedingungen abzugeben: noch unter Schock- bzw. Faustfeuer den entscheidenden Moment herbeizuführen oder – von der anderen Seite betrachtet – in diesem Moment nicht mehr zu bestehen. Die Angst, Zeit und Raum sowie den Rivalen nicht dominieren oder zumindest bewältigen zu können, ist zwar im Riß des Knockouts aufgehoben, sie füllt ihn jedoch nicht aus. Dieser Höhepunkt, die Hauptattraktion eines jeden Kampfes, liegt in der radikalen Diskontinuität, deren existentielle Verdichtung Oates in zeitlichen Kategorien faßt: „Wenn der Ringrichter bis Zehn zählt, so ist das eine Art metaphysische Zwischenzeit, in die der Boxer eindringen muß, wenn er nicht aus der maßen benutzt werden. Am Boden wird, in Differenz etwa zum Ringen, nicht weitergekämpft. Auch die leicht geduckte Haltung des Faustkämpfers, mit der der Hals und im Ansatz der Kopf zwischen den Schultern zu verschwinden drohen, ist keine Rückkehr in ein Stadium vor dem aufrechten Gang. Sie dient dem Schutz des Kopfes, dem Sitz der Wahrnehmungsorgane, vornehmlich auch der Augen. Diese spielen in der Koordination der Distanzen und Ausweichbewegungen beim Boxen, im Unterschied zum Erfühlen des Körperschwerpunktes beim Ringen, eine große Rolle.

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ZWEITE ACHSE: ATTRAKTION SCHLAGENDER KÖRPERLICHKEIT Zeit herausfallen will. Der Boxer, der auf den Füßen steht, befindet sich innerhalb der Zeit, der Boxer, der zu Boden geht, ist aus der Zeit 320 gefallen.“

Die Aufführungen von The Corbett-Fitzsimmons Fight In Kleine Geschichte der Photographie beruft sich Benjamin auf die Pflanzenreproduktionen Karl Blossfeldts, um eine bestimmte Phänomenalität des Optisch-Unbewußten zu veranschaulichen. Er beschreibt die seltsamen Bilder in ihrem phantasmatischen Gehalt: „So hat Blossfeldt mit seinen erstaunlichen Pflanzenphotos in Schachtelhalmen älteste Säulenformen, im Straußfarn den Bischofsstab, im zehnfach vergrößerten Kastanien- und Ahornsproß Totembäume, in der 321 Weberkarde gotisches Maßwerk zum Vorschein gebracht.“

Die Wirkungsgeschichte dieser Fotografien erzählt von nichts anderem als vom ästhetischen Schock. Blossfeldt fertigt seine Bilder zu Übungszwecken an. Sie dienen als Vorlagen für die Zeichenstunden und werden erst später als eigenständige ästhetische Objekte entdeckt. Eine Entdeckung, die den phantasmatischen Gehalt der Fotos erst in der Isolation von ihrem ursprünglichen Kontext und der Entfremdung von ihrer Referenz erschließt. Ähnliche Effekte stellen sich bei der Betrachtung längst vergangener Boxbegegnungen ein, wenn der historische Abstand das Interesse am Ergebnis und sonstigen sportlichen Fakten verblassen läßt. Diese gealterten Reproduktionen erinnern, zumal sie oftmals nur in falscher Bildgeschwindigkeit und in schlechter Qualität zu sehen sind, bisweilen mehr an den zuckenden Tanz zweier Insekten als an einen Boxkampf: helle und dunkle Schatten bald ineinander verhakt, bald gelöst, immer etwas fern durch den Mangel an heute üblichen Großaufnahmen, manchmal mit fremden Tonatmosphären versehen, die nicht vom Kampfabend stammen, so daß sich zwischen Ton und Bild ein Spalt einrichtet. In dieser Wirkung meldet sich eine gewisse Kontingenz zu Wort, in der sich die Konzeption des ästhetischen Schocks als ein uns zustoßender Moment bestätigt. Es ist die historische Distanz, die das Bild aus seinen Kontexten löst und in eine 320 Oates 1988, S. 19. 321 Benjamin 1991j, S. 372.

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Sphäre der Schwerelosigkeit versetzt, aus der es dem entfernten Betrachter als surreale Erscheinung widerfahren kann. Dagegen zeigt sich die zeitgenössische Presse bemüht, die frühen Kampffilme mit Zusammenhängen vornehmlich sportlicher Art zu umbauen.322 Dieses Bemühen steht dem Sensationspotential gegenüber, das aus dem Boxgeschehen, seiner filmischen Präsentationsform und den Gegebenheiten der noch jungen Technik hervorgeht. Die Aufführungen von The Corbett-Fitzsimmons Fight bringen beides in eine unentschiedene Konstellation, die sich zwischen der Absicherung der Zuschauerposition einerseits und der Diskontinuität des Attraktionskinos andererseits einrichtet. Sie entsprechen nicht in jeder Hinsicht dem herkömmlichen Ablauf im Cinema of Attractions. Zwar finden die Aufführungen von Kampffilmen im allgemeinen in einem durchaus vergleichbaren Ambiente statt. Aber insbesondere die Produktionen großer Begegnungen fügen sich nicht in ein gemischtes Unterhaltungsprogramm, sondern werden zu eigenen Veranstaltungen. Ein Meisterschaftskampf im Schwergewicht stößt nicht nur auf zu große nationale Beachtung, um zu einer Nummer von vielen im Vaudeville zu werden, er ist in der Regel auch zu lang dafür.323 The Corbett-Fitzsimmons Fight zeigt über die vierzehn dreiminütigen Runden mit den Rundenpausen von jeweils einer Minute hinaus zusätzlich noch einige Minuten des Geschehens vor und nach dem Kampf. Der Film kommt somit auf eine Länge von über einhundert Minuten.324 Er wird eines der ersten abendfüllenden Filmprogramme der New Yorker Academy of Music und geht anschließend in weitere Verwertungsschleifen bis hin zum Jahrmarkt ein.325 Der filmische Kampfverlauf wird nicht nur durch die dem Boxen eigene Zeitregelung immer wieder unterbrochen. Auch die Projektionstechnik bedingt alle vier Runden eine Pause von drei bis fünf Minuten für den Rollenwechsel auf dem einzigen Projektor. Hinzu kommen zahlreiche, unbeabsichtigte Jump Cuts, verursacht durch Risse der Kopien oder Probleme der nacheinander startenden 322 Vgl. Musser 1990, Streible 1994. 323 Die Aufführung des Kampffilms The Jeffries-Sharkey Fight von 1899 wurde in den Rundenpausen durch Vaudeville-Nummern ergänzt. Laut Musser jedoch eine Praxis, die nicht üblich war. Vgl. Musser 1990, S. 202. 324 Vgl. Musser 1990, S. 198, Streible 1994, S. 95. 325 Vgl. Streible 1994, S. 119ff.

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Kameras, etwa beim Übergang zwischen ihren Aufnahmephasen. Bemerkenswerterweise setzen die Veranstalter auf eine Vermittlungsinstanz, welche die Diskontinuitäten des Kampfes und auch die der Technik überbrückt. Die Vorführungen werden von einem Kommentator begleitet, der das Geschehen nicht nur erläutert, sondern auch dramatisiert, indem er entscheidende Aktionen ,live‘ hervorhebt.326 An der Funktion des Kommentars, den Kampf zu erklären und die technischen sowie sportlichen Brüche in der Kontinuität der Stimme aufzufangen, wird das Bestreben ersichtlich, den Film für ein breiteres, nicht unbedingt sachkundiges Publikum aufzubereiten. Gerade dieser Zuschauerschaft, die den gehobeneren Rahmen der Academy of Music dem rauheren Milieu des Boxens vorziehen mag, kann der kinematographische Illusionscharakter in besonderem Maße imponieren. Er gewährt ihnen einen reizvollen Blick in die fremde Welt des Faustkampfes, der verspricht, nach damaligem Standard nur wenig an Detailgenauigkeit vermissen zu lassen. Gleichzeitig jedoch sind sie durch das Zwischenschalten der Apparatur gegen das Geschehen im Bild und sein Umfeld abgesichert. Sie können also ,Athenes Schild‘ im Rahmen einer komfortablen Vergnügungskultur in Anspruch nehmen. Streible berichtet davon, daß die Attraktion des männlichen Körpers eine ansehnliche Menge von Frauen, denen die Welt des Boxens vor Ort in dieser Zeit nur schwer zugänglich ist, in die Vorstellungen früher Kampffilme lockt.327 Für den Faustkampf bedeutet die Transformation in die Zweidimensionalität die Erschließung völlig neuer Publikumsgruppen. Das Versprechen auf eine detailgenaue Dokumentation betrifft hingegen die gesamte Zuschauerschaft, insbesondere diejenigen, die tatsächlich an den sportlichen Dimensionen des Boxens interessiert sind. The Corbett-Fitzsimmons Fight kann es letztlich nicht einhalten. In der Signatur modernen Faustkampfes selbst prallen Entwicklungen und Plötzlichkeit, nachvollziehbarer Verlauf und unerwartete Aktionen aufeinander. Veränderungen im Kampfverlauf zeigen sich oft allmählich. So entscheidet sich die Konfrontation zwischen Corbett und Fitzsimmons in einem zwar überraschenden, aber doch nicht jähem Umschwung. Ab der neunten Runde macht sich beim Weltmeister, der überlegen nach Punkten führt und seinen Gegner 326 Vgl. Musser 1990, S. 198. 327 Vgl. Streible 1994, S. 21.

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schon zu Boden geschickt hat, Müdigkeit bemerkbar. Das Blatt wendet sich in den folgenden Runden unter Fitzsimmons heftigen Schlägen, mit denen er – selbst am Kopf blutend – den Körper Corbetts eindeckt. Bei aller Allmählichkeit des Wandels im Kampfverlauf kommt das Ende schließlich doch in einer schnellen und spektakulären Aktionsreihe. Frank Butler beschreibt sie in seinem Boxgeschichtsbuch folgendermaßen: „After breaking from a clinch in the center of the ring, Corbett feinted as if to start one of his left hooks for Bob’s jaw; but the challenger suddenly straightened himself up, shot out a long left towards the champion’s chin and feinted with his right; as Corbett’s hands came up in defence, Fitzsimmons made hist famous schift, changing feet and driving home a vicious right to the right of the heart and where the diaphragm begins, followed by a sickening left.“328

Woher Butler, der 1897 nicht in Carson City dabeigewesen sein dürfte, diese Präzision seiner Beschreibung auch nehmen mag, der Kampffilm wird sie ihm kaum ermöglicht haben. Nicht allein die Schnelligkeit der Schlagserie stellt die Ankündigungen der damaligen Marketingkampagne in Frage. Auch die Qualität der Bilder wird dem Anspruch auf Abbildrealismus alles andere als gerecht. Die Sicht ist verwaschen, unzählige Kratzer beeinträchtigen sie außerdem. Es gibt natürlich keinen Wechsel der Blickperspektive, wenn die Boxer ungünstig zur Kamera stehen. So sollen Teile des zeitgenössischen Publikums mit lautstarken Protesten und der Forderung nach einer Wiederholung der letzten Runden reagiert haben.329 Das Erbe des frühen Kampffilms Diejenige Linie des bewegten Bildes, die in der Folge die Tendenz zur lückenlosen Dokumentation, ,Authentizität‘ und Sicherung der Zuschauerposition verfolgt, stattet das Ende eines solchen Kampfes heutzutage mit Wiederholungen in verschiedenen Bildgeschwindigkeiten und Perspektiven aus. Sie führt über die Sportberichterstat328 Butler 1972, S. 55. 329 Vgl. Musser 1990, S. 198, der die New York Tribune vom 23. Mai 1897 zitiert. Vgl. auch Streible 1994, S. 121.

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tung der Wochenschauen direkt ins Fernsehen. Die boxerischen Realdramen der Handlungsfähigkeit sind zu televisionären Weltereignissen geworden. Hinter der heute üblichen mehrmaligen Repetition des Niederschlags steht neben dem Vorwand, die sportliche Situation zu klären, immer auch die Schaulust am extraordinären Wirkungstreffer des einen Boxers und an dem Moment der eintretenden Bewußtlosigkeit des anderen. (Sie tritt offener zutage in Kompilationen von K.o.-Szenen, die unter Titeln wie History’s Greatest Knockouts oder 30 Great One Punch Knockouts als Videoeditionen vertrieben werden.) Das Fernsehen führt somit neben seinen Dokumentationsabsichten im kleineren Bild, jedoch im großen kommerziellen Maßstab die Tradition fort, sportliche und technische Attraktion in ihrem Schauwert zu verbinden. Die Fernsehübertragungen der Kämpfe werden durch den Wechsel der Perspektiven und Einstellungsgrößen zwar zusätzlich dynamisiert und dramatisiert. Aber das befördert in der Regel die Übersicht über das Ringgeschehen und geht nicht zu ihren Lasten. Die Bildregie ist bestrebt, die sensomotorischen Bewegungsabläufe der Athleten im Detail vorzuführen, während professionelle Journalisten alle Einzelheiten und auch Hintergründe erklären und kommentieren. All das findet heute im Rahmen von groß angelegten Showkonzeptionen statt. Das deutsche öffentlich-rechtliche Fernsehen sowie die großen deutschen Privatsender SAT 1 und RTL haben mittlerweile ihre eigenen Rahmeninszenierungen für Boxabende. Ähnlich den Erklärungshilfen des frühen Kampffilms zielen sie darauf, weitere Publikumsschichten für den in einigen Bevölkerungsgruppen immer noch schlecht beleumundeten Faustkampf zu erschließen. Die Inszenierung in den Hallen ist auf ihren Fernseheffekt hin konzipiert: pompöse Einmärsche der Boxer, der Vortrag von Nationalhymnen durch Opern- und Musicalsänger, Lasershows, die Plazierung von Prominenten in den ersten Reihen am Ring usw. Es gibt Vorberichte – kleine Reportagen vom Training und auch so genannte ,HomeStorys‘ –, in denen die Boxer mit Persönlichkeit umkleidet werden. Die Inszenierung des Kampfes greift bisweilen auf Kompositionsmuster des Kinos zurück. Eines der prägnantesten Beispiele dafür ist sicherlich die televisionäre Abnutzung der Großaufnahme von der am Ring plazierten Frau des Boxers, auf deren Gesicht sich höchste Anspannung abzeichnet oder abzeichnen soll. Leider fügen sich auch die Kommentatoren der großen Sender (mit Ausnahme

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des nicht mehr aktiven Werner Schneiders) distanzlos in die Inszenierung ein. Dagegen hat der kleinere Spartensender Eurosport, bei dem die Übertragungen großer Kämpfe in eine zweite Verwertungsschleife eintreten, mit Werner Kastor einen hervorragenden Kommentator unter Vertrag, der sich gegenüber der bildlichen Darstellung als eigene Instanz einzubringen weiß. Neben der versierten Kommentierung des sportlichen Geschehens verleiht er dem Interessenkonflikt zwischen dem Anliegen der Boxfans, dem Kampf via Bildschirm beizuwohnen, und der aufgeblähten Rahmeninszenierung eine parteinehmende Stimme. Stellvertretend für die Boxinteressierten im engeren Sinne moniert er etwa die Aufführung von Nationalgefühl angesichts des gefährlichen Berufsboxens, das keiner der Athleten ohne Bezahlung betreiben würde. Auch verschafft er seinem Ärger über die eingeschnittenen Bilder der Boxerfrauen Luft, besonders dann, wenn sie so lang sind, daß ganze Situationen des Kampfes für unser Auge verloren gehen. Auf eine bildlich weitreichendere Reflexion von bestimmten Aspekten der Rahmeninszenierungen sowie der sportlichen, geschäftlichen und psychologischen Hintergründe, die dabei gleichzeitig die filmischen Darstellungsmittel angesichts des Boxspektakels auszureizen versucht, kann man in den ambitionierten Projekten des dokumentarischen Boxfilms hoffen. Eine gleichzeitig rasante und essayistische Form hat Leon Gasts When We Were Kings jüngst einer breiteren Öffentlichkeit nähergebracht. Reflexive Einstellungen gedeihen jedoch ebenso in den Nischen des Fernsehens, oftmals ausgehend von einem speziellen Modus der Reportage, der das Klischee vom ,Blick hinter die Kulissen‘ überschreitet, wenn sich das filmsiche Bewußtsein in seinen besten Momenten am Ausdruckswert des Boxmilieus und seiner Könnens–Körper entzündet.330 Einen anderen Erbteil der Attraktion des frühen Kampffilms tritt das Spielfilmkino an. Schon sehr früh – noch vor der Jahrhundertwende – entwickelt sich die Tradition der Fake Fight Films. Für sie steht zuvorderst die Produktion Sigmund Lubins. Seine Firma stellt 330 Ein Beispiel für diese Haltung, welche die entleerten Formen der Fernsehreportage mit Gespür für das Milieu auffüllt, ist Kleine Fäuste, harte Linke: Beobachtungen unter Boxkindern (1998) von Michael Busse und Maria-Rosa Bobbi. Diese Produktion im Auftrag von Radio Bremen in der Reihe Unter Deutschen Dächern beschäftigt sich mit dem Alltag deutscher Nachwuchsboxer am Sportgymnasium in Schwerin.

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kinematographische Faksimiles von großen Boxbegegnungen her. Für sie wird zwar der Kampfverlauf häufig nachgestellt, in der Regel aber von boxerischen Laien. Weil ihre Eintrittspreise deutlich niedriger liegen als die der ,echten‘ Kampffilme, erfreuen sie sich bei der ärmeren Bevölkerung großer Beliebtheit. Laut Musser werden sie „the poor man’s way to see the fight.“331 Da die Fake Fight Films aber keinen tatsächlichen Kampf zeigen, sind sie bei den Boxliebhabern umstritten. Die dem Boxen zugeneigte Presse äußert sich abschätzig über sie und warnt geradezu vor dem mit ihnen verbundenen Betrug.332 Dies geschieht in Allianz mit den Geschäftsinteressen der Veranstalter, Manager und Athleten, die die Filmrechte an ihren Kämpfen selbstverständlich desto gewinnbringender vermarkten können, desto größer ihr potentielles Kinopublikum ist. Die Faksimiles sind eben auch Konkurrenzprodukte der Filme von tatsächlichen Boxveranstaltungen im Wettbewerb um eine breite städtische Zuschauerschaft. Lediglich in ihrer Funktion, Kämpfe, deren Aufnahmen vor Ort mißglückt sind, nachzustellen, akzeptiert die ,Boxszene‘ die Faksimiles. Entgegen ihrer sonstigen Haltung spart die Police Gazette, das Fan-Organon der Zeit, nicht mit Lob für eine Produktion Lubins, für welche dieser die Athleten Fitzsimmons und Rublin einlädt, ihren Kampf, bei dessen Aufnahme die Kameras versagt haben, zu reproduzieren.333 Die üblichen Fake Fight Films haben hingegen wenig von dem, was einen Boxbegeisterten an der Sportart interessiert. Weder zeigen sie einen ,echten‘ Kampf, noch bieten sie die Bewegungsabläufe von professionellen Boxern. Aber abgesehen vom harten Kern der Boxkenner sind sie bei der städtischen Bevölkerung, die sich schnell an den Umgang mit der Heterogenität des frühen Kinos gewöhnt, durchaus als eigene Spielart populärer Unterhaltung anerkannt.334 Durch ihre günstigeren Produktionsbedingungen – die Möglichkeit, Runden zu wiederholen und die Lichtsituation zu modifizieren, – sind sie oftmals von besserer Bildqualität als die vor Ort aufgenommenen Kampffilme. Kurze Boxszenen, mehr oder weniger gestellt und nicht selten auf der Grenze zum Slapstick, kommen auch in den gemischten Programmen des Vaudeville, Jahr331 332 333 334

Musser 1990, S. 202. Vgl. Streible 1994, S. 229ff. Vgl. Streible 1994, S. 230ff. Vgl. Musser 1990, S. 202.

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marktes oder der Music Hall vor. Die Referenz auf ein konkretes Kampfereignis oder allgemein auf das professionelle Boxen weicht hier auf. Die Filme leben von einem loseren mimetischen Bezug auf das Realdrama der Handlungsfähigkeit und von der offenen Lust am Zusammentreffen körperlicher und filmischer Bewegung im Sinne des Kinos der Attraktionen. Diese Lust kultivieren die Attraktionsmontagen des entwickelten Boxspielfilms der dreißiger und vierziger Jahre im kalkulierten Spiel von Abgrenzung und Bezugnahme auf das vorherrschende klassische Modell der Kontinuität, Kausalität und Kohärenz.

III. Könnens-Körper Ein Film, der den Bewegungsabläufen von professionellen Boxern Raum gibt, zwingt selbst den unkundigen Zuschauer dazu, an die Beziehung des apparativ erzeugten Bewegungsbildes zur Welt, der es abgewonnen wurde, zu glauben. Eine dokumentarisch-essayistische Produktion wie When we were Kings evoziert unwillkürlich die Einsicht, daß sie ohne den Ausnahmekörper Muhammad Alis nicht möglich wäre. Die Einsicht nährt sich zwar wesentlich aus der selbstbewußt filmischen Feier von Alis Körper. Aber dennoch bleibt ein resistenter Kern des Glaubens zurück. Die (bildliche) Erfahrung des boxerischen Könnens-Körpers335 verharrt im individuellen Ausdrucksgedächtnis nicht zuletzt deshalb so widerstandsfähig, weil der Ausdruck der spezialisierten Physis das Produkt – eigentlich das Nebenprodukt – der jahrelangen Ausbildung und Technologisierung ist. Was für eine Geschichte hat diese Technologisierung? Exkurs zur Geschichte der boxerischen Körpertechnologisierung Es läßt sich eine lange Tradition der boxerischen Körpertechnologisierung verfolgen. Robert A. Hartley verzeichnet in der History & Bibliography of Boxing Books Lehrbücher des Faustkampfes schon

335 Der Begriff des Könnens-Körpers ist Gebauer / Wulf (1998a, S. 37) entlehnt.

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für das achtzehnte Jahrhundert.336 Die Technologisierung des Kampfkörpers reicht selbstverständlich weiter zurück. Wir wissen, daß der Faustkampf in der Antike Gegenstand eines organisierten Unterrichts ist.337 Dort hat der waffenlose Kampf von Mann gegen Mann noch eine direkte militärische Bedeutung, so daß Philostratos – vermutlich nicht ohne Übertreibung – behaupten kann, die Wettkämpfe seien Vorbereitung für den Krieg und umgekehrt.338 Das neuzeitliche Boxen, das in England entsteht, trägt hingegen sehr schnell die Merkmale modernen Sports. Die Techniken des BareKnuckels Fighting sind bald auf den Wettkampf spezialisiert und nicht auf den Ernstkampf der kriegerischen Konfrontation ausgerichtet. Der Boxkampf wird in immer engeren Reglements gefaßt, was die Spezialisierung der Körpertechniken vorantreibt. Um 1700 geht aus dem Raufringen zunächst eine Art Raufboxen hervor.339 Das Raufringen wiederum ist ein populärer Ableger des in die ritterliche Kampfschulung des Mittelalters integrierten Ringkampfes.340 Noch im sechzehnten Jahrhundert gehört das Ringen zur Ausbildung des ,Gentleman‘, aber für das siebzehnte Jahrhundert ist der Niedergang seiner Tradition in den höheren Schichten zu verzeichnen.341 Ein Grund dafür liegt im wachsenden Einfluß des Kontinents. In Anlehnung an die Autorität des europäischen Vorbilds Frankreich entwickelt der Adel auch in England – dem ,Mutterland des Sports‘ – ein zunehmend distinguiertes Verhältnis zu körperlichen Aktivitäten. Die Ächtung bestimmter physischer Tätigkeiten fällt nicht so extrem wie im französischen Absolutismus aus, sie ist jedoch ausgeprägt genug, um den sich am Boden wälzenden, ineinander verschlungenen Leibern des Ringens und Raufringens zu entsagen. Die englische Aristokratie übernimmt mehr und mehr die strengen Duellsitten des Kontinents, die den Ehrenzweikampf in höfischer Tradition ritualisieren und einem bis in die Einzelheiten geregelten Zeremoniell unterwerfen.342 Aus den Fecht336 Vgl. Hartley 1989. 337 Vgl. Decker 1995. 338 Vgl. Philostratos 1909. Elias (1984, S. 24) erwähnt Philostratos’ Interpretation. Er geht allerdings nicht davon aus, daß es sich um eine mythische Übertreibung handelt. 339 Vgl. Schöffler 1986, S. 16ff. 340 Vgl. Schöffler 1986, S. 17-18. 341 Vgl. Kloeren 1985, S. 1ff. 342 Zum Duell im Absolutismus vgl. Elias 1969.

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lehrbüchern verschwindet das Ringen gänzlich. Das Duell ist beschränkt auf den distanzierten Kampf mit der Fechtwaffe.343 Aufgrund ihrer Abstammung aus dem Ringen finden sich in den frühesten Varianten des neuzeitlichen Faustkampfes noch Handhabungen, die sich kaum mit unserem engen Verständnis der Sportart vereinbaren lassen. So wie das universal angelegte, aus dem Ernstkampf hervorgegangene Ringen Schlagtechniken beinhaltet, werden die Körper im Raufboxen getreten, gewürgt und geworfen. Diese technische Vielseitigkeit weicht zunehmend der Spezialisierung auf die Schlag- und Block- bzw. Ausweichtechniken. Denn die aristokratische Wettleidenschaft drängt auf ,Fair Play‘, das ,Fair Play‘ auf Regeln, die Regeln auf Spezialisierung. Die professionellen Preisboxer müssen sich anpassen, um im Geschäft zu bleiben. Außerdem gerät das aristokratische Duellfechten durch den königlichen Anspruch auf das Gewaltmonopol unter Druck. Dadurch wird das Boxen als Duellalternative attraktiv. Daraus wiederum resultiert ein Zwang zur allgemeinen Nobilitierung des Faustkampfes: Soll er einen würdigen Ersatz für das distinguierte, aber gefährlichere Fechten bieten, muß er von den ,Unsauberkeiten‘ seiner Herkunft gesäubert und mit einen klaren Reglement versehen werden.344 In der Boxgeschichtsschreibung steht der Name James Figg für die Generation des Übergangs. Der insbesondere in den zwanziger Jahren aktive Figg ist der erste englische Meister des Faustkampfes, so daß er als Father of Boxing gilt.345 Er ist professioneller Fechtund Boxlehrer und fungiert gleichzeitig als Veranstalter von Kämpfen in beiden Disziplinen, die in seinem Londoner Amphitheater stattfinden.346 In die dreißiger Jahre fällt eine der grundlegenden

343 Vgl. Kloeren 1985, S. 5, Schöffler 1986, S. 18-19. 344 Die zunehmende Spezialisierung der Techniken hat auch mit der abnehmenden Bedeutung der Kampfkraft des einzelnen Körpers in der kriegerischen Konfrontation, d. h. mit der Entwicklung der Waffentechnik zu tun. 345 Vgl. Andre / Fleischer 1993, S. 8. 346 Vgl. Butler 1972, S. 6-7, Kloeren 1985, S. 66ff. Die Nobilitierung, die das Boxen in dieser Ära erfuhr oder erfahren wollte, läßt sich von der professional card des geschäftstüchtigen Mannes ablesen. Auf der von seinem Freund – dem Maler William Hogarth – entworfenen Karte gab sich der Boxer den Titel Master of Ye Noble Science of Defence. Vgl. Butler 1972, S. 6-7, Abdruck der Karte S. 10. Eine Noblesse, die der Sportlehrer Herbert Sonnenberg (1996) noch für das Amateurboxen des zwanzigsten Jahrhunderts zu mobilisie-

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Zäsuren der Sportart. Der Boxmeister Jack Brougthon formuliert das erste umfassende Regelwerk, die Brougthon Rules, die den Ring über den langen Zeitraum von 1743-1838 als Standard des BareKnuckel Prize Fighting dominieren. Die virtuose Technik seines Stils wird immer wieder hervorgehoben und zwar auch im Vergleich mit den direkten Vorgängern der Ära Figg.347 Den für unseren Zusammenhang bedeutsamsten Einschnitt in der Geschichte der boxerischen Körpertechnologisierung markieren jedoch die Queensberry Rules. Denn mit der durch sie bewirkten Verschärfung der Knockoutgefahr und Dynamisierung des Kampfes erlangt die Ausbildung der Athleten einen neuen Stellenwert, was Franco Ruffini treffend vom „Boxschüler“ als dem neuen Boxertypus sprechen läßt.348 Mit diesem boxinternen Bedeutungszuwachs der Körperformung zeigt sich der Faustkampf wie der Sport überhaupt als ein Feld jener organisierten Körpertechnologisierung, die in der Moderne ein zuvor ungekanntes Operationsniveau erreicht.349 Foucaults einschlägige Studie der Disziplinargesellschaften hat ihre Prinzipien für Militär und Fabriken nachgewiesen.350 Die physische Leistungsfähigkeit wird durch analytische Beobachtung und systematisches Training gesteigert. Der moderne Sport verlangt vom Athleten wohl noch ausdrücklicher als das Militär vom Soldaten oder die Fabrik vom Arbeiter, ein gelehriger, bestenfalls begabter Körper zu sein. Er

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ren versucht, wenn er sein Lehrbuch unter dem Titel Fechten mit der Faust veröffentlicht. Zur Karriere von Jack Brougthon vgl. Andre / Fleischer 1993, S. 810 u. Butler 1972, S. 7-10. Die Broughton Rules selbst finden sich im Anhang bei Butler, vgl. auch Golesworthy 1971, S. 177. Sie schreiben die Unterbrechung des Kampfes nach einem Niederschlag, die bereits der praktizierte Normalfall war, offiziell fest und mit ihr die Zeitdauer der Erholung auf 30 Sekunden. Broughton benutzt auch schon Handschuhe, allerdings nur zu Trainingszwecken, um seinen teils adligen Schülern die unschöne Sichtbarkeit von Sparringsverletzungen zu ersparen. Ruffini 1995. Die institutionelle Organisation des amerikanischen Boxens mag hinter derjenigen anderer, etablierterer Sportarten zurückbleiben. (Vgl. Sammons 1988, S. 244.) Aber der Faustkampf besitzt unterhalb der offiziellen Ebene eine weit verzweigte privatwirtschaftliche Infrastruktur. In vielen kleinen Trainingseinrichtungen – den so genannten Gyms – bieten professionelle Trainer ihre Betreuung gegen Bezahlung an. Vgl. Foucaults 1977, S. 173.

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unterliegt einer strikten Fortschrittsideologie. Der einzelne Athlet erreicht praktisch nie seinen optimalen Zustand. Seine Fähigkeiten sind stets zu verbessern, auszubauen und zu verfeinern. Während der Körper mit fortschreitender Moderne nach und nach an Gebrauchswert innerhalb des industriellen Produktionsprozesses verliert, wird sein Können im Sport nicht nur gezüchtet, sondern als Fetisch verehrt. Unter den Bedingungen der Massenmedien können kleinste Unterschiede zwischen einem guten und dem besten Athleten für größte Differenzen in den Einkünften aus Preisgeldern, Fernsehrechten, Werbeverträgen etc. verantwortlich sein.351 Gleichzeitig nutzt der Sport in größerem Umfang und auch mehr auf den einzelnen ausgerichtet als die soldatische oder die industrielle Schulung das implizite Körperwissen der Athleten. Die individuellen Begabungen werden Gegenstände eines durchdachten Studiums, das auf ihre Verbesserung zielt. Der Sport fördert deshalb eine Form der Lust an der Körpertechnik, am Erwerb physischen Könnens. Allein die Umsetzung von vormals ungeschlachter Kraft in die Wirksamkeit von Schlagtechnik oder Meidbewegung bereitet Befriedigung. Aber erst der eigene Stil stiftet eine Identitätsschicht, die körperlich verankert ist. In den systematisierten Übungsprogrammen, die die Eigenheiten der Auszubildenden – die Keime ihrer Bewegungsstile – berücksichtigen, werden völlig neue Körper geschaffen. Noch die Stärkung der Leidensfähigkeit des Boxers, seines ,Kämpferherzes‘, ist eine Konsequenz abhärtender Ausbildung. In der schmerzhaften Übung erlernen die Athleten Techniken, die Erschütterungen zu verarbeiten. Alles, was uns am modernen Boxen begeistern kann, unterliegt demnach immer schon einer differenzierten Bearbeitung.

351 Das fetischisierende Ausmaß der sportlichen Körpertechnologisierung und die kapitalistische Vermarktung des Fetisches veranlassen bereits den Befürworter des solidarischen Arbeitersports Helmut Wagner (1973, S. 140) dazu, den entfesselten Sporttaylorismus für seine Nutzlosigkeit zu kritisieren: „Die raffinierteste, geradezu ,wissenschaftlich‘ durchgeführte Beobachtung der letzten Nuancen der Bewegung, die sorgfältigste Pflege der unscheinbarsten Kleinigkeit züchtet eine Hochleistung herauf, die in keinem Verhältnis zu dem Wert der aufgewandten Übungszeit und Energie steht.“

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Die Attraktionen des Schauspielerkörpers Mark Robsons The Harder They Fall konfrontiert das Boxvermögen des Protagonisten Toro Moreno mit demjenigen seines Trainers, der vom ehemaligen Schwergewichtsweltmeister Jersey Joe Walcott verkörpert wird. Zwar handelt The Harder They Fall gerade vom boxerischen Unvermögen Morenos, so daß die Differenz der Bewegungsvermögen der Darstellung des Unterschieds der Figuren dienen soll. Der Eindruck dieser Differenz ist jedoch so eindringlich, daß vor allem die Diskrepanz der darstellenden Körper – Schauspieler und Exboxer – anschaulich hervortritt. Wenn, wie Erika FischerLichte über den Schauspieler schreibt, „seine individuelle Physis, seine leibliche Präsenz die Bedingung der Möglichkeit für die Entstehung einer dramatischen Figur, für ihre Verkörperung“352 darstellt, sind der Figur mit dieser Physis auch Grenzen gegeben. Die Abwesenheit des Körpers, auf den sich eine fiktive Figur bezieht, ist die banalste aller Konditionen der darstellenden Künste. Die Frage gilt einzig und allein der jeweiligen Handhabung dieser Bedingung. Einige Spielfilmproduktionen versuchen, die Probleme und Potentiale des ,unsportlichen‘ Schauspielers zu umgehen, indem sie aktive oder ehemalige Boxer in Hauptrollen einsetzen (Max Baer in The Prizefighter and the Lady, Joe Louis in Spirit of Youth, Muhammad Ali, der sich selbst in The Greatest spielt). Da Boxspielfilme aber nur zum geringen Teil aus Boxszenen im engeren Sinn bestehen, ist in ihnen mehr schauspielerisches als sportliches Können gefragt.353 Es kommt vor, daß der Schauspielerkörper zumindest in den Kampfszenen durch einen Stuntkörper ersetzt wird.354 Der Standard des Boxspielfilms ist dies jedoch nicht. Boxproduktionen gelten vielmehr als große Herausforderung und Chance für Schauspieler. Kirk Douglas und Paul Newman etwa bewältigen den 352 Fischer-Lichte 2001, S. 4. Fischer-Lichte entwickelt den Begriff der Verkörperung im Rekurs auf Georg Simmels Philosophie des Schauspielers und Thomas J. Csordas Konzept des Embodiment. Vgl. Simmel 1987, Csordas 1997. 353 In den meisten Produktionen, die die Ästhetik des Boxfilms nachhaltig geprägt haben, agieren daher professionelle Athleten, wenn überhaupt, lediglich in Nebenrollen bzw. kurzen beglaubigenden Auftritten wie z. B. Joe Frazier in Rocky. 354 King Vidor (Vgl. Dowd / Shepard 1988, S. 127) berichtet beispielsweise davon, daß Wallace Beery in einigen Kampfszenen in The Champ von einem Double ersetzt wird.

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Durchbruch ihrer Karriere mit Faustkampfdramen.355 Boxfilme sind exemplarische Fälle von Starvehikeln. Neben der Boxerfigur – oder mehr noch auf ihrer halbnackten Matrix – erscheint eine andere Figuration: die Attraktionen des Schauspielerkörpers.356 Abbildung 11: Spielt sich selbst — Muhammad Ali in The Greatest.

Dem Risiko, die Figur des Athleten nur lächerlich ausfüllen zu können, begegnen die Schauspieler und das gesamte Produktionsteam in der Regel mit der Konstruktion einer eigenen nicht selten heroischen Trainingslegende.357 Die Vorbereitungsaktivitäten allein den 355 Zu Douglas vgl. Lacourbe 1985, S. 46ff, zu Newman vgl. Godfrey, 1978, S. 53, zu Erol Flynn vgl. Morris 1980, S. 88. 356 Zum Starsystem, seinem Rezeptionsmodus und zur Präsenz des Stars, die sich vor allem gegen die dramaturgische Geschlossenheit und den Illusionismus des klassischen Kinos sperrt vgl. Dyer 1979, Donald 1985, deCordova 1987, Hansen 1996, S. 245ff. 357 Vgl. Kirk Douglas 1988, S. 149: „Ich schonte mich nicht.“ Stets hat irgendjemand aus dem Team Erfahrungen mit dem Boxen aufzuweisen. John Huston und Robert Ryan haben in ihrer Jugend geboxt, andere – wie etwa Robert Wise – führen wenigstens ihre Recherchen in die Arena. Vgl. Pratley 1977, S. 177, Hammon 1985, S. 122, Beyer 1996.

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Notwendigkeiten von Marketingkampagnen geschuldet zu sehen, wäre dem Schauspiel gegenüber so ungerecht wie dem Bild, in das die Anstrengungen des Vorfeldes eingehen, unangemessen. Die mimetische Auseinandersetzung mit dem Boxsujet hat einen durchaus ernst zu nehmenden Anteil an der Konstruktion des filmischen Körpers. Sie bringt seltene Auswüchse hervor. Robert De Niros Gewichtsschwankung in Raging Bull ist dafür der wohl aufsehenerregendste Beleg. Pam Cook versteht De Niros Körperwandel für die Rolle Jake La Mottas als eine Methode, das beim Zuschauer enttäuschte Begehren des Starkörpers mit dem Schicksal des Protagonisten in tiefgehender Identifikation zu verschmelzen: „for those of us turned on by De Niro, the ,real’ loss of his beautiful body as an object for contemplation is disturbing, and undermines the sadistic desire to see that body punished and mutilated that the film activates. The loss of the actor’s body, known and desired before the film existed, drawing us to the film with the promise of the pleasure of seeing it, implicates us deeply in the tragic hero’s decline.“358

De Niros Extremschauspiel unterläuft aber nicht allein das sadistische Vergnügen an der Bestrafung der Figur, sondern die identifikatorische Verstrickung in die Welt der Figuren selbst. Als Starvehikel verehrt Raging Bull seinen Hauptdarsteller sowohl in der Kategorie schauspielerischen Könnens wie in derjenigen ebenso schillernder wie abgründiger Berufsleidenschaft. De Niro mag die Leichtigkeit seines ,Gewichtmachens‘ bekunden359, das Gefälle der Kilos läuft dennoch auf den Ruhm einer unglaublichen Leistung hinaus. Auch in anderen Boxfilmen stehen am Ende lädierte Körper. Aber der Blutmund in Champion oder die Gesichtsdeformationen in Rocky berühren uns nicht auf die gleiche Weise. Denn hier wissen wir, daß sie auf die Arbeit von Maskenbildnern und Beleuchtern zurückgehen. Raging Bull ist insofern ein Sonderling unter den Boxfilmen, als er uns durch die ,reale‘ Veränderung De Niros darin blockiert,

358 Cook 1982, S. 42. 359 Vgl. De Niro 1981: „I’m answering this question for the 6000th time. It was very easy. I just had to get up at 6.30 am and eat breakfast at 7 am in order to digest my food to eat lunch at 1 pm in order to digest my food to eat a nice dinner at 7 pm. So, it was three square meals a day – pancakes, beer, milk.“

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die Erinnerung an den schönen halbnackten Starkörper unbeschadet über den inszenierten Verfall der Boxerfigur hinweg zu retten. Abbildung 12: Nicht mehr im Schlachthof — im zweiten Teil der RockyPentalogie übt der Protagonist lieber am Plattformball.

Zum Fundament dieser Erinnerung tragen gemeinhin Trainingsszenen bei, deren Komposition sichtlich auf das physische Erscheinen des Schauspielers abgestellt ist. So sehen wir etwa Robert Taylor in The Crowd Roars am Plattformball. Er boxt fast eine halbe Runde um den vibrierenden Ball, so daß sein Oberkörper langsam und unter wechselnden Schlagrhythmen allseitig vom Objektiv erfaßt werden kann. Solche Trainingsszenen, denen die Spektakularität, Spannung und Aggressivität des Kampfes fehlen, assoziieren den Exhibitionismus der Boxerfigur mit jener Position filmischer Weiblichkeit, die Laura Mulvey an prominenter Stelle für den klassischen Hollywood-Film bestimmt.360 Mulvey greift bekanntlich auf grundsätzliche Zuschreibungen der bürgerlichen Geschlechtsopposition zurück. Die Frauenfigur wird innerhalb einer männlichen Begehrensstruktur zum passiven Schauobjekt sowohl des Protagonisten, der die Handlung aktiv trägt, als auch der Zuschauer. 360 Mulvey 1980.

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Die Idealisierung der Frauenfigur im Wunschfeld männlicher Phantasie deutet Mulvey innerhalb ihrer psychoanalytischen Hermeneutik als Fetischisierung. Die visuelle Überhöhung der weiblichen Charaktere dient dazu, die ,Andersartigkeit‘ der Frau zu entschärfen bzw. zu leugnen. Für das vorwärts strebende Drama und den agierenden Helden in seinem Zentrum werden die Fetische männlicher Schaulust jedoch zum Problem, weil sie stets drohen, „den Handlungsfluß in Momenten erotischer Kontemplation gefrieren“361 zu lassen. Eine dramaturgische Lösung des Problems – so Mulvey – besteht darin, der Frauenfigur den libidonös aufgeladenen Exhibitionismus als Beruf zuzuordnen. Mit dem Auftritt des professionellen ,Showgirl‘ erhält die sexuelle Attraktion Rahmen und Legitimation in der innerdiegetischen Bühnensituation. Wie die Figur des ,Showgirl‘ vereint auch der Filmboxer in seinen Kampf- und Trainingsszenen die Blicke anderer Charaktere und diejenigen der Zuschauer auf sich.362 Ein näherer Vergleich fördert indessen drei Unterschiede der Körperausstellungen zutage. Erstens läßt sich die Rolle des ,Showgirl‘ aufgrund der größeren Berufsähnlichkeit besser mit der Leinwanderscheinung der Filmdiva zur Deckung bringen als diejenige des Boxers mit dem Auftritt des männlichen Stars.363 Zweitens sind die Boxerfiguren nur selten in der La361 Mulvey 1980, S. 37. 362 Neale (1983) plädiert bereits dafür Mulveys Thesen für die Inszenierung von Männerkörpern zu nutzen. 363 Insbesondere die mit dem Beruf des Schauspielers verbundene Variation von Masken oder Kostümen und die darin enthaltene Lust am Verkleiden unterminieren die naturalistische Autorität des Spielfilmboxers. Als ein männliches Emblem dieser Verkleidungslust gilt der Filmgeschichte bis heute der Stummfilmstar Rudolph Valentino. Die Extreme der Publikumsreaktionen auf seine überwältigende Präsenz in den zwanziger Jahren waren geschlechtsspezifisch different. Hansen (1996, S. 243ff) erklärt den weiblichen Verehrungskult über das vielschichtige Schaulustangebot des Phänomens Valentino. Seine Rollen forcieren den Doppelweg von aktiver Handlung und passiver Zurschaustellung. Die prätentiösen Auftritte seines schönen Körpers und das in aufwendiger Kostümierung performierte Spiel von Ver- und Enthüllung machen ihn gleichermaßen zum sexuellen Schauobjekt und zur narzißtischen Identifikationsfigur für das weibliche Publikum. Währenddessen schlägt Valentino von männlicher Seite öffentlich Haß entgegen. Hansen untersucht, wie sein Film The Sheik, der die ethnische Andersartigkeit des Stars in ebenso exotischen wie freizügigen Kostümen ausnutzt, eine hysterische und vielfach auch aggressive Debatte um die sexuelle Attraktion und vor allem Ausrichtung des Stars auslöst. Zeitun-

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ge, ihre Sexualität zu instrumentalisieren.364 Die eigene sexuelle Ausstrahlung zu benutzen, zumindest aber sie zu kontrollieren oder bewußt wahrzunehmen, bleibt das zweifelhafte Privileg der Frauenfiguren. Diesen Befund bestätigt Body and Soul, wenn die gesamte Trainingscampszene einschließlich des schwitzenden Boxerkörpers nur der Rahmung aggressiver weiblicher Sexualität dient: der Angriff des Vamps. Der dritte Unterschied liegt darin, daß die Ausstellung der Boxerfigur an das kämpferische Handlungsvermögen gebunden bleibt. Der Boxer wird zum Schauobjekt nur als Agierender, auch wenn es sich um Probeaktionen im Training handelt. Die Posen, die Faustkämpfer für die Presse einnehmen, die Übungen, die sie vorführen, sind Demonstrationen virtueller Handlungsfähigkeit und Aggressivität. Profane Magie: (Film-)Technik und Boxerkörper „Let’s face it, the most accomplished movie-stars can’t hit or run to save their lives. [...] Still, put a movie-star in the spotlight of having to play and your movie needs ,magic’. [...]“365 Die notwendige ,Magie‘, von der Thomson spricht, beruht profanen Fähigkeiten. Das ist – neben den darzustellenden Körpertechniken des Boxers und den Darstellungstechniken des Schauspielers – die dritte Technikebene des Boxfilms: die industrielle (Film-)Technologie und ihre gen und Zeitschriften geben sich immer wieder für beleidigende Angriffe auf diesen Liebling der Frauen her. Bemerkenswerterweise versucht der athletische Star, diesen vermeintlichen Defekt zu beheben, indem er – wie Gumbrecht (2001a, S. 70) berichtet – auf eine dieser öffentlichen Beleidigungen mit der Herausforderung des anonymen Autors zum Ehrenhändel per Faustkampf reagiert: „Als diese Herausforderung ohne Antwort bleibt, organisiert Valentinos Freund Jack Dempsey einen auf dem Dachgarten des Hotels Ambassador ausgetragenen Kampf zwischen Valentino und dem New Yorker Sportreporter Buck O’Neill. Valentino schickt seinen Gegner in der dritten Runde des Kampfes zu Boden, doch durch diese Leistung gelingt es nur teilweise, sein öffentliches Image aufzupolieren.“ 364 Das gilt in erster Linie für die weißen Boxerfiguren. In Great White Hope und Ali sind sich die schwarzen Protagonisten, in beiden Fällen inspiriert durch den Lebenswandel der historischen Vorbilder, ihrer sexuellen Ausstrahlung sehr wohl bewußt. Die unbedarfte Sexualität ist Teil einer weißen Reinheitsphantasie. Vgl. Early 1994. 365 Thompson 1996, S. 13-14.

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professionelle Modulation durch das Filmteam. Die Imagos und die Sprache des Boxens sind von jeher durchsetzt von Zuschreibungen und Metaphern, deren Leitbilder in der industrielle Sphäre zu suchen sind. Allgegenwärtig ist die Rede von der ,Kampfmaschine‘ (,Fighting Mashine‘), in der unendliche Ausdauer und Kraft mit einem ungezähmten Zerstörungsdrang in eins fallen. Iron Mike Tysons Kampfname will uns davon überzeugen, daß der Namensträger ,Eisenfäuste‘ besitzt und selbst den schwersten Erschütterungen seiner Gegner widersteht.366 Und Smokin’ Joe Frazier evoziert aufgrund seiner unermüdlichen Kampfweise das Bild der Lokomotive.367 Die mit Joe Louis verbundene Maschinenmetaphorik ist in unserem Zusammenhang besonders ergiebig. Er ist nicht nur The Brown Bomber. Vielmehr bescheinigt Nat Fleischer – Boxexperte und Herausgeber des amerikanischen Boxmagazins The Ring – Louis’ Bewegungen zusätzlich eine „machine-like precision“368. Dies wäre das effektivste aller Boxvermögen, zerstörerisch wie eine moderne Explosionswaffe, jedoch nicht ungenau, wie die abgeworfene Bombe, sondern mit der kalten Präzision, die uns das amerikanische Militär heute anhand seiner Lenkwaffensysteme demonstriert. Diese Demonstration ist bekanntlich eine bildliche. Sie findet im Fernsehen statt. Und auch bei Louis wird die allgemeine Zuschreibung

366 Interessanterweise ist der frühe Tyson ein Boxer, der nur in wenigen Kämpfen viele Schläge einstecken muß, denn er bringt seinen Gegner in der Regel einen schnellen K.o. bei und muß demnach nicht, wie man sagt, über die Distanz gehen. Es heißt, daß viele seiner Gegner daher Angst mit in den Ring bringen, in den ersten Runden verkrampfen und ihm seine Sache so erleichtern. Übersteht ein Gegner – wie James Buster Douglas 1990 in Japan – den schnellen Knockout, kann Tyson in Schwierigkeiten geraten. Insofern ist der Kampfname entweder ungeschickt gewählt, oder er will etwas durch Beschwörung ausgleichen, was der Boxer eigentlich nicht besitzt: das Stehvermögen. 367 Vgl. die vierte Strophe von Volker Brauns Gedicht „Der Fight des Jahrhunderts (Report in 15 Runden)“ (1997, S. 74-75), das vom ersten Kampf zwischen Muhamad Ali und Joe Frazier handelt: „Clay, der Mann mit den schellsten Fäusten der Welt Trommelt auf Fraziers Schädel Der aber porscht vorwärts, eine Lokomotive Und bohrt mit geballter Kraft seinen Stump In Clays Lunge.“ 368 Fleischer zitiert nach Jeffrey 1996, S. 48.

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maschineller Präzision mit der Assoziation an optische Medien aufgefüllt: „Every move was a picture.“369 Die Verschmelzung von medientechnischen und kämpferischen Vermögen sind in unserer Bilderfahrung heute durch die Boxbilder des Fernsehens tief verankert. In der televisionären Boxberichterstattung wird die Überlagerung des Athletenkörpers durch die Bildtechnik, also die Erinnerung an ihren Anteil an der Darstellung, als aufdringlich und störend empfunden. Daher können die Produzenten des Bildes nur glänzen, indem sie sich dem Glanz des Sportlers unterordnen. Im Boxspielfilm verhält es sich anders. Denn die armseligen oder übertriebenen Schlagattacken und die überspitzten Meidbewegungen der meisten Darsteller verlangen nach mehr als nach filmtechnischer Kompensation. Der ,sportliche‘ Könnens-Körper kann sich auf der Ebene des Bildes nur herstellen, weil die Virtuosität von Kameramann und Cutter auf die Boxerfigur abfärben. Die Kombination von Schlag und Schnitt, in der Präzision und Vehemenz zusammenfallen, ist ihr Minimalstandard. Aber diese Virtuosität gewinnt auch eigene Attraktionswerte. Bereits in den klassischen Produktionen spielt sich die präzise Choreografie einzelner Montagekonstellationen in Vordergrund, wie etwa mittes des ,Match-on-Action‘-Verfahrens in The Crowd Roars: Der Protagonist lehnt in naher Bildgröße mit dem Rücken zur Kamera an den Seilen. Sein Gegner steht vor ihm und schlägt auf ihn ein. Dann springt die Optik um exakt neunzig Grad im Uhrzeigersinn, so daß die Kämpfer im Profil zu sehen sind. Kurz bevor eine der Attacken seines Gegners den Kopf des Boxers erreicht, springt die Kamera wieder in die alte Position zurück, in der wir den

369 Fleischer zitiert nach Jeffrey 1996, S. 48. Ein ähnliches Bild zeichnet der von Jeffrey ebenfalls zitierte Daniel M. Daniel. Ihm zufolge besitze Louis „a cerebellum which takes motion pictures, and wich can unroll those pictures whenever he wants it to. When he fights a man, that motion picture machine in the back of his noggin keeps taking films. Once taken, these films are analysed by Louis sub-conscious.“ Daniel zitiert nach Jeffrey 1996, S. 48. Jeffrey führt diese metaphorischen Konstruktionen auf den Einfluß einer neuen Fotokamera zurück, die unter dem Namen Magic Eye zur Dokumentation von Boxkämpfen der dreißiger und vierziger Jahre für The Ring benutzt wird. Die Kamera ist in der Lage, fünfzehn Bilder pro Sekunde aufzunehmen. So können Kampfszenen in Fotoserien, die an die Abfolge von Bildern auf einem Filmstreifen erinnern, festgehalten werden.

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Aufprall erleben. Das mittlere Bild ist weniger als eine Sekunde lang. In Konstellationen wie dieser keimt Bewußtsein um die Konstruktionsweise des filmischen Könnens-Körpers, auch wenn die Geschwindigkeit allzu tiefe Wurzelbildung verhindert. Eher noch lädt die versierte Handhabug der Filmtechnik zum lustvollen Technizismus ein, der die einzelnen Verfahren in einer Steigerungslogik der (Spezial-)Effekte einzuordnen weiß. Eine besondere Blüte dieses Technizismus im Feld des filmischen Faustkampfes ist der Beginn von Requiem for a Heavyweight – zweifellos einer der furiosesten Anfänge der Boxfilmgeschichte. Zunächst stehen Männer hintereinander gereiht an der Theke einer Bar und schauen, so verrät es der aufgeregte Sportkommentator im Off, die Fernsehübertragung eines Boxkampfes. Die Kamera fährt sie in der Richtung ihrer Blicke ab und erweckt damit beim Zuschauer den Wunsch, das Schauobjekt mit eigenen Augen zu sehen. Wie als kleiner Seitenhieb gegen das Fernsehen springt das Bild nicht auf den Apparat, sondern direkt ins kinematographische Kampfgeschehen. Der Geräuschpegel verändert sich vom gedämpften Klang kleiner Lautsprecher zu einer vollen und den Zuschauer umfassenden Tonatmosphäre. Die Kampfszene – sogar der K.o. – sind aus der subjektiven Perspektive des noch unbekannten Protagonisten aufgenommen. Kein geringerer als Muhammad Ali, damals noch unter dem Namen Cassius Clay, schlägt in unnachahmlicher Manier auf die schwankende Optik ein. Obwohl die subjektive Kamera wackelt und Unschärfen immer wieder die Treffer der Fäuste anzeigen, läßt sich die Bewegungsästhetik des jungen Ali destillieren. Es folgen einige Einstellungen, deren technische Originalität sich nicht in das Bemühen fügen will, den Knockout in der subjektiven Perspektive darzustellen. Beim entscheidenden Schlag gefriert Alis Bild. Zeitlupe und rollende Optik lassen nicht nur auf schwere Benommenheit am Boden schließen. Die besorgten und hektischen Gesichter der Sekundanten sowie die entsetzten Blicke der Zuschauer werden von einer Kamera eingefangen, die zwar mit ihren Bewegungen einen Mann, der aus dem Ring getragen wird, als Vorstellung hervorruft, jedoch in keinem Moment versucht, sich hinter dieser Vorstellung zu verbergen. Man nimmt ihre Operationen als Spektakel wahr, das wie der Auftritt des

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Meisterboxers ohne rituel-imaginäre Identifikation mit einem Charakter genossen werden kann. Die Demonstration filmtechnischer Vermögen erzählt immer auch von der industriellen Kraft des Kinos. Innerhalb dieses Kraftfeldes kann die Boxerfigur kaum mit einer ,money machine‘ (Body and Soul) gleichgesetzt werden, ohne die Assoziation zur kinematographischen Geld-, Präszisions- und Beschleunigungsmaschine hervorzurufen. Das klassische Boxkino tariert dieses Kraftfeld aus, indem es zwar ein Leben in ,Saus und Braus‘ vorführt, gleichzeitig jedoch die technische Kontrolle der Zeit gewährleisten will: der Lebenszeit seiner Figuren und der Erfahrungszeit der Zuschauer. Kein anderes Element des klassischen Repertoires verkörpert dieses Austarieren der Kräfte stärker als die Montagesequenz. Montagesequenzen, in denen die boxerischen Ausbildungszeiten zusammengefaßt werden, gehören zu den gängigsten Elementen des Boxfilms. Den Eindruck vom jähen Aufstieg des Helden („the rise“370) verbürgt das gemeinhin ebenso stereotype wie spektakuläre Verfahren, die filmische Zeit zu raffen, indem schablonenhafte Versatzstücke miteinander kombiniert werden: Knockouts und Übungseinheiten, Plakate und Schlagzeilen, alles unter der Kontinuität einer dramatisierenden orchestralen Musik.371 Zu den Filmen, in denen diese technische Versiertheit nicht in Routine umschlägt gehört Mark Robsons Champion. In den unbeholfenen Anfängen des ersten Trainings mit dem Springseil und an anderen Übungsutensilien weht hier der Hauch einer SlapstickChoreographie. Aber das Slapstick-Element wird dem Körperbild innerhalb von Sekunden zugunsten ebenso zielgerichteter wie effektiver Kampfaktionen ausgetrieben. Daß der gelehrige Athletenkörper das diametrale Gegenteil des widerständigen Slapstickkörpers darstellt, haben Keatons Battling Butler und Chaplins City Lights schon früh zum Gegenstand ihrer Beweisführung gemacht. In Battling Butler sperrt sich die widerspenstige Physis des zufällig ins Boxmilieu geratenen Protagonisten gegen die einfachsten Handlungen des Trainings. Noch das Anlegen der Boxhandschuhe birgt für Trainer und Helfer immense Hinder-

370 Grindon 1996, S. 58. 371 Recchia (1993, S. 195) betont die sozialen Veränderungen, die damit in der Welt des Boxers einhergehen.

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nisse.372 Der Film handelt weniger davon, daß sich der Novize das neue Milieu nicht anzueignen vermag, als vielmehr von einem Körper, der seinerseits nicht vom neuen Umfeld absorbiert werden kann. Der einzige Könnens-Körper, der in Battling Bulter zu bewundern bleibt, ist derjenige des Slapstick-Akrobaten. Aber sein Können ist ein Rätsel an Eigensinn, das die Regeln des Boxmilieus ad absurdum führt.373 Abbildung 13: Leistet Widerstand — Buster Keatons Slapstick-Körper in Battling Buttler.

In City Lights verbirgt sich der Könnens-Körper des Slapstiks hinter dem kindlich-absurden Ungeschick der Tramp-Figur. Denn die Darstellung des Ungeschicks basiert auf der Anmut jener für Chaplin typischen Bewegungsabläufe. Es sind diese Bewegungen, die sich den Regeln des Milieus widersetzen. Schon in den Umkleideräumen wirkt der kleine Slapstik-Körper in seinem anmutigen Ungeschick unendlich intelligenter als die großen schweren Boxerkörper. Später im Boxring initiiert die widerspenstige Physis einen wunderbaren mechanisierten Tanz.

372 Vgl. Moews 1977, S. 201. 373 Vgl. Grafe 1964.

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FAUST TRIFFT AUGE Abbildung 14: Fremdkörper zum Lachen in City Lights — Chaplins Blick und Körperhaltung gehören nicht ins Boxmilieu.

Der Tramp versteckt sich hinter dem großen Ringrichter, um den Angriffen seines Gegners zu entgehen. Wenn der Ringrichter versucht, aus dem Schlagfeld zu kommen, folgen ihm Charlie und damit auch sein Gegner in exakter Choreographie. Der synchrone Tanz der drei Akteure unterbricht nur in den Momenten, in denen der Tramp aus der Deckung schnellt und einen Schlag am Kopf seines Kontrahenten anbringt. Dieser ist mit der Zeit vom regelmäßigen Hin und Her der immer gleichen Schrittfolgen hypnotisiert. In automatisierter Trance folgt er den Bewegungen des Ringrichters, ohne daß sich Charlie noch dahinter aufhält. Die Hypnose überträgt sich auf unser Bewegungsgefühl. Und die Absurdität des Tanzes bricht in Lachen aus. Es ist die Regel, daß die sportlichen Lehrzeiten – seien es die Jahre zwischen Kind und Mann (The Crowd Roars) oder zumindest die Monate der Aufbaukämpfe (Golden Boy) – in einer so radikalen Weise komprimiert werden, daß ihre Bedeutung weit hinter den großen Momenten der wichtigen Kämpfe zurücksteht. Der Beweis der Handlungsfähigkeit im Preisring verdeckt die Anstrengungen des Handlungsfähig-Werdens und die Ausbildung des Könnens-

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Körpers. Die Rocky-Serie hingegen vertieft den Mythos der Ausbildung. Fünffach ist es die existentielle Vorbereitung auf den einen Kampf. Alle Rocky-Filme geben nicht allein der enormen Trainingsqual in ausufernden Bildfolgen Raum und zeigen den Körper ihres Helden als unendlich gelehrig. Die Vorbereitung ist in ihnen außerdem eine auf den jeweiligen Gegner mental und mythisch abgestimmte Angelegenheit.374 Rockys Gigantomanie der Vorbereitung trifft in Takeshi Kitanos Kids Return auf ihr heilsam lakonisches Gegenstück. Kitanos Montagesequenz, die zu den schönsten Passagen des Boxfilms gehört, beginnt recht unscheinbar mit den üblichen schnellen Rhythmen der Trainingsgeräte auf Bild- und Tonspur. Dann jedoch entsteht eine intelligente Choreografie der boxerischen Finessen – regelkonformer und irregulärer. Bei keinem dieser Kämpfertricks ist das filmische Verfahren dasselbe in Inszenierungsstrategie und Dauer. Manche sehen wir nur einmal in einer Sparringsszene (der Kniestoß vor das Bein des Gegners, der ihm das Gleichgewicht nimmt). Andere werden kurz in einer eingeschnittenen Kampfszene unter Beweis gestellt (das kleine ,Rope-A-Dope‘ an den Seilen). Wiederum andere werden mit längerem Vorlauf im Kampf wiederholt (das Einhaken unter dem Arm des Gegners, um ihn in die Ecke zu drehen). Oder aber sie sind nach Aktion und Wirkung in Trainings- und Kampfszene aufgeteilt (der Kopfstoß der behelmten Köpfe im Sparring und im Anschluß die Wunde am Kopf eines tatsächlichen Gegners). Die Lakonie, mit der die Fragmente hier im Bild erscheinen, spiegelt sich in der Haltung des Protagonisten, der sein Trickprogramm ohne jeden Anspruch auf Heldenverehrung versiert abspult und danach in seine Ecke schlendert. Die Montagesequenz von Kids Return verfolgt die absolute Einpassung des Körpers in die Geschehensstruktur von Training und Kampf. Die Präzision der Montage unterstützt die Darstellung virtuoser Körperbeherrschung. Anders als beim Slapstick-Körper von Batling Butler ist es also nicht das Körperverhalten, das einer Kongruenz von darzustellendem Milieu und Darstellungsakt Widerstand leistet. Statt dessen setzen die Unregelmäßigkeiten und Wechsel im 374 In der ersten Folge gilt es, ,hungrig‘ zu werden gegen den etablierten Weltmeister, im dritten Teil erfolgt die Komplettumerziehung vom ,Puncher‘ zum tänzelnden ,Stylist‘ und im vierten Abschnitt die Rückkehr zur Natur im Angesicht des hochtechnologisierten russischen Kämpfers.

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Bildfluß die Konventionen der klassischen Montagefolge außer Kraft, so wie die bisweilen unsauberen Tricks die Regeln des Kampfes unterlaufen. Es kommt kein einheitlicher Bildrhythmus zustande, wie er die Aufstiegs- und Ausbildungssequenzen gemeinhin kennzeichnet. Die technische Präzision bleibt gerade in ihrer Verweigerung gegen die Homogenität der Verfahren einsehbar. Mittels ihrer verschobenen Interpunktionen denaturalisiert die Bildmodulation die Rhythmuseffekte. Es entsteht ein maschineller unmechanischer Tanz. In ihm erscheint das Körperbild zwischen technischer Präzision und einer Anmut, die sich weniger als Attribut des Boxers denn als Eigenschaft der Konstruktion seiner Figur offenbart.

IV. Über die wiederkehrenden Elemente des Kampfes In ihrer generischen Wiederholung werden die Elemente des Kampfes zu mythischen Brennpunkten. Aber sie kehren auch in der Erinnerung nach dem Film wieder. Dann besteht die Chance auf Nachbildproduktion, auf eine Form ästhetischen Denkens. Das ist die Polarität, in der sich die wiederkehrenden Elemente des filmischen Boxkampfes, bewegen. Diese Elemente werden hier in fünf Schritten verhandelt: Auf die Betrachtung der Horizontalen der Attraktionsräume (1.) und ihrer Vertikalen (2.) folgen Beobachtungen zum äußeren Ring (3.), der in der Arena durch das Publikum gebildet wird. Nach einigen Bemerkungen über die Motive der Verschaltung des Kampfes mit der Handlungsdramaturgie (4.) schließt eine Betrachtung des inneren Rings (5.) an, in dem die pathetischen Gebärden der Boxer ihren Raum finden. Rituelle Ordnung: die Horizontale und ihre Destruktion „In the boxing Genre the ceremonial weigh-in, the impersonal refree, and the bare ring speak of equality, a rule-bound competition embematic of the culture of opportunity.“375 Die sportlichen Ritualhandlungen besetzen laut Grindon das für den Boxfilm typische Konfliktszenario von Chancengleichheit und Unterschiedlichkeit im 375 Grindon 1996, S. 55.

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gesellschaftlichen Machtfeld. Das Wiegen der Boxer und die Aktionen des Ringrichters setzen die Regeln des Wettbewerbs in ihr aktuelles Recht. Sie haben somit direkten und entscheidenden Einfluß auf das Ringgeschehen. Gleichzeitig jedoch bringen sie den Glauben an eine rituelle Ordnung zum Ausdruck, die sich um einen doppelten ,heiligen‘ Kern gruppiert, bestehend erstens aus den Opferkampfmythen und zweitens den „prägenden Prinzipien“376 des Sports – Leistung, Konkurrenz und Gleichheit –, die gleichzeitig diejenigen der industriellen Moderne sind.377 Die filmische Strukturierung des finalen Kampfes nutzt die rituelle Ordnung des Boxens sowohl in der Abfolge (Einmarsch der Boxer, Ankündigungen des Ringsprechers, Begrüßungsrituale, der Gong, Siegerehrung usw.) als auch in der räumlichen Konstruktion des Bildes. Den Attraktionsraum durchziehen wirkungsvolle Ordnungsmechanismen. Anhand der gegenüberliegenden Ecken der Boxer, aus denen diese am Beginn einer Runde in die Mitte des Rings kommen und in die sie an deren Ende wieder zurückkehren, wird gewöhnlich eine elementare Achse in der Horizontalen etabliert, die unsere Orientierung während des gesamten Kampfes gewährleistet. Die Totalen, die den Ring als hell erleuchtete Raute zeigen, erfassen die Achsenstruktur als graphisches Arrangement. Die Adressierung der Blicke ist, auch wenn der Überblick fehlt, an dieser räumlichen Ordnung ausgerichtet (Kid Galahad, Body and Soul). Obgleich die rituelle Ordnung auf Mechanismen der alltäglichen Orientierung aufbaut (Überblicksraum, geordnete Zeit, Handlungsprimat etc.) und die spektakulären Montagen des Kampfes diese Orientierung erschüttern oder außer Kraft setzen, findet demnach im Boxfilm nicht die Zerstörung der bloßen Alltagswahrnehmung und ihrer Koordinaten statt, wie Richard Dyer für den Action-Film argumentiert.378 Auch formiert sich die rituelle Ordnung nicht zum einfachen Widerspruch des Spektakels. Sie bildet statt dessen den Rahmen, der seine Überschreitung als eine heilige Dimension des filmischen Opferkampfes begrüßt. Daher läßt sich konstatieren, dass ein Attraktionsspektakel, welches über die rituelle Zerstörungswiederholung der horizontalen Gliederung nicht hinauskommt, letztlich 376 Von Krockow 1972. 377 Zum Begriff der rituellen Ordnung vgl. Bergesen 1998. 378 Dyer 2000, S. 18.

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an die Aktualität der Boxerimago und ihrer Entwicklung gebunden bleibt.379 Innere Weite: Dunststau der Vertikalen, elektrischer Himmel Die Ferne mag in den Silhouetten der Großstadt verbaut sein, aber mit der Verlagerung der Körperaktion in die Arena entsteht ein zweiter, nach innen gerichteter Typus der weiten Einstellung. Vom Portal des Veranstaltungsortes geht es in die relative Enge der Umkleidekabine und des Foyers als dem Vorraum, den die Massen passieren müssen. Den Wunsch nach Ausdehnung, den diese Durchquerung der Enge erweckt, lösen die weiten Einstellungen der kolossalen Halle ein, wenn auch nicht immer wie in Champion gleich zu Beginn der Kampfsequenz. Anders als die Totalen des Ringgeschehens sind diese Hallenlandschaften keine Überblicksbilder der Handlung. Es handelt sich statt dessen um Innenansichten im doppelten Sinne. Zum einen verdeutlicht die Verlagerung unter das Dach dieses speziellen Ortes, daß die Boxarena – im Gegensatz etwa zu den unzivilisierten Territorien des Westerns – nur eine Enklave der ,Wildheit‘ und Gewalt darstellt. Zweitens und damit zusammenhängend läßt sich die Arena als Bild einer Binnenperspektive lesen, als innerer Zustand der kinematographischen Wahrnehmung. Neben der akustischen Ebene, auf der die Zuschauer zur anschwellenden und abebbenden Masse verschmelzen, ist die Atmosphäre dieses Innenraums durch eine von Dunst verdickte Luft bestimmt, die das Licht nur mühsam durchdringen kann. Das Meer der Köpfe ist nur undeutlich zu erkennen. Von den Körpern nicht nur der Kämpfer steigen die Kondensationen auf. Der Orientierungsmechanismus der rituellen Achse, in der der Boxkampf immer wieder anhand der Ringecken geordnet wird, stellt sich wie im übrigen auch die Begrenzung des Rings – die Seile, die als waagerechte Linien im Bild erscheinen – im Bezug auf die Horizontale her. Dagegen vollzieht der aufsteigende Dunst die räumliche Ausdehnung des Physischen mit der Tendenz zur Vertikalen. 379 Thomas Morsch (1999, S. 43) beschreibt das Verhältnis des Rezipienten zu den somatischen Effekten des Action-Films als eines der rituellen Wiederholung.

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ZWEITE ACHSE: ATTRAKTION SCHLAGENDER KÖRPERLICHKEIT „Es gibt im griechischen Opfer gleichsam eine vertikale Achse, indem vom Altar das Feuer mit Fettdunst und Rauch zum Himmel steigt und so den Kontakt mit den Göttern herstellt – darum auch die Gebete beim Schlachten und Verbrennen –, und es gibt den horizontalen Kreis, der zugleich gezogen wird, eine geschlossene Linie, die trennt, wer dazugehört und wer nicht, wer zu essen bekommt und wer ausgeschlossen 380 bliebt.“

Die Entsprechung dessen, was Burkert einen „Kreis“ und eine „geschlossene Linie“ nennt, ist im Boxfilm keine Angelegenheit der Horizontalen im strengen Sinn. Denn die Arena ist ein Hexenkessel, der verjüngend auf den erleuchteten Ring zuläuft mit unzähligen erahnten Augenpaaren, deren Blicke der Verjüngung nach unten folgen. Und der Kessel schließt oben mit einer Kuppel ab, die verhindert, daß die aufsteigenden Körperdünste den Kontakt mit einem göttlichen Himmel herstellen können. Der Dunst wird von der Kuppel im Inneren der Arena zurückgehalten. Er staut sich unter dem Dach wie die Gewaltimpulse, die nach ritueller Entladung verlangen. Die furiosen Attraktionsmontagen, ihre spektakulären Verfahren des Match-on-Action und des Achsensprungs, gehen Beziehungen mit zwei Arten von Entladungsschocks ein: erstens selbstredend mit den Schlägen und Erschütterungen der Körper, zweitens – und für die Vorstellung eines Himmels wichtiger – mit den Blitzen der Fotokameras, die in Kid Galahad, Body and Soul oder Champion den Kader durchzucken. Während die Schläge mit dem dumpfen Aufprall, der sie auf der Tonspur auch begleitet, assoziiert werden, besitzen die Blitze eine gleißende und zischende Qualität. Sie sind Risse in der Bewegung des Körpers und des Bildes, in denen eine Parallelwelt aufblitzt. Den abgedunkelten, oft schwarzen Hintergrund zerreißen sie zur plötzlichen Öffnung zu einem anderen Himmel als den der antiken Götter: Es ist jener elektrische Äther mit seinen modernen Gottheiten der Massenmedien, Berühmtheiten und der industriellen Technologien.

380 Burkert 1988, S. 33.

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Anklage gegen das Volk: Publikumsbilder Benjamins Philosophie ist auch eine Phänomenlogie der Massen – ihrer Formationen, Bewegungen und Ansprüche, seien sie formuliert oder noch zu formulieren. Aber sie geht ebenso den Versprengungen der einzelnen in den gebrochenen Fakturen unübersichtlicher Lebensverhältnisse nach. In diesem Spannungsfeld begegnet ästhetische Erfahrung als der Wahrnehmungs- und Leseakt eines einzelnen den kollektiven Erfahrungsdimensionen ohne vorschnelle und festschreibende Vermittlung. Die Untersuchung dieser Dimensionen erschöpft sich nicht in der Analyse der modernen Bedingungen von (ästhetischer) Erfahrung (Schocksignatur, technische Reproduzierbarkeit). Sie beinhaltet darüber hinaus die Frage nach den gemeinschaftlichen Erfahrungsbräuchen, nach den Erfahrungszusammenhängen, die rituell im Kollektiv begangen werden. Jene traditionellen Erfahrungsweisen, die Benjamin im Verfall begreift, entfalten sich in der kollektiven Fusion willkürlicher und unwillkürlicher Erinnerung.381 In den Kalendern sind quantitative Zeitrechnung und feierliche Qualitäten miteinander verbunden. An bestimmten Daten – den Feiertagen mit ihren Festen und Kulten – setzen die Menschen das Gleichmaß der Zeit aus und praktizieren das kollektive Eingedenken.382 „Was die festlichen Tage groß und bedeutsam macht, ist die Begegnung mit einem früheren Leben.“383 An diesem früheren Leben hat die gemeinsam praktizierte Tradition Anteil. Der Film taucht hier gleichzeitig als das virtuelle Terrain neuer Erfahrungsformen und als der noch einzusetzende Vertreter der Massen auf. Unter der Forderung der ,Politisierung der Kunst‘ wird das Kino angedacht als der potentielle Ort, an dem der ersehnte Zusammenschluß profaner Erleuchtung und organisierter Konstruktion in massenhafter Wirkung sich vollziehen könne.384 Es schimmert ein in der Filmtheorie verbreiteter Gedanke durch, nach dem der 381 Vgl. Benjamin 1991, vor allem S. 609, S. 643 (Anmerkungsapparat). Vgl. auch Weber 2000. 382 Vgl. Benjamin 1991, S. 643. 383 Benjamin 1991, S. 639. 384 Diesen Zusammenschluß visiert Benjamin im Surrealismusessay an. Vgl. 1991k, S. 306ff. Im Kunstwerk-Aufsatz kann die Montage als die Figur der Konstruktion gelesen werden, während etwa die Passagen zum Optisch-Unbewußten für die filmischen Potentiale profaner Erleuchtung einstehen. Vgl. 1991a, S. 499-500.

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Film als erstes Medium der Masse ein Bild zu geben vermag.385 Deleuze relativiert diese Überlegung in seiner um fast fünfzig Jahre späteren Perspektive dahingehend, das sich lediglich das klassische Kino an diesem Bild versucht. Das Bewegungs-Bild, dessen Ende die Kinobücher in der faschistischen Verführung der Massen sehen, offeriert uns Volksgemeinschaften und revolutionäre Kollektive, Pöbelfluten und insbesondere im amerikanischen Film das Volk oder die Nation als Subjekt der bzw. einer (Fortschritts-)Geschichte – allerdings nie ohne seine herausragenden Repräsentanten.386 Das Zeit-Bild besitzt hingegen weder die Breitenwirkung des Bewegungskinos noch den Repräsentationsanspruch gegenüber Masse, Nation oder Volk: „Kurz, wenn es ein modernes politisches Kino gibt, dann auf der Basis, daß das Volk nicht mehr existiert oder noch nicht existiert ... das Volk fehlt.“387 Das moderne Kino ist auf der Suche nach einem Volk, einer unaufhörlichen Suche, die dem Volk die Möglichkeit bereit stellt, sich zu bilden und umzubilden. In ihrem mimetischen Bezug auf das Milieu sportlicher Ritualerfahrung stellen die Mehrzahl der Boxfilme ein Bild der Masse bereit. Manchmal deuten kurze Auftritte von Anhängern (die jüdische Nachbarschaft in Body and Soul) oder von familiären Fanclubs (Vater und Brüder in Gentleman Jim) auf das Leben jenseits des Rampenlichtes hin. Jedoch für die Ritualgemeinschaft des Publikums im Detail – für das Leben der Boxbegeisterten und für den Tag, an dem sie das Gleichmaß der Zeit aussetzen, – interessieren sich die zumeist auf die Faustkämpferfigur zugeschnittenen Dramen kaum. Die Einstellungen der Besuchermengen und noch mehr die Tonatmosphäre in der gefüllten Arena sind in erster Linie Elemente in der Modulation des Attraktionsspektakels. Der Kampf schlägt sich dort sowohl auf individuierten Gesichtern als auch in anonymen Zuschauerreihen nieder. Dabei kennt die Darstellung des anonymen Publikums im klassischen Kino zwei dominante Wege. Der erste besteht in der Synthetisierung des Protagonisten mit der Masse über das Stellvertretermotiv zu einer ethnischen, nationalen oder zumindest rituellen 385 Vgl. z. B. Kracauer 1985, S. 82-83. 386 Zum Ende des Bewegungs-Bildes vgl. Deleuze 1991, S. 215ff, zur Geschichtsauffassung des klassischen amerikanischen Kinos Deleuze 1990, S. 203ff. 387 Deleuze 1991, S. 279.

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Gemeinschaft. Wirkungsvoller als der bedingungslose, von Beginn an sichergestellte Beistand durch die Menge ist das Umschlagen aus einem Zustand der Ablehnung in lautstarke Unterstützung. Wenn sich das Publikum wie in Body and Soul oder Rocky der Eroberung durch den Helden ergibt, funktioniert das ,Kämpferherz‘ als Katalysator im Synthetisierungsprozeß. Der zweite Weg des anonymen Publikums ist der reizvollere, weil er in eine tiefe Kluft zwischen agierendem Individuum und Zuschauergemeinschaft führt. Golden Boy und The Set-up sind Filme, die ihre Publikumsbilder auf unterschiedliche Weise zum Topos der Anklage gegen die Schaulust am Boxen formieren. Abbildung 15: Aufgebrachte Menge — Das Publikum riecht die Schiebung in The Harder They Fall.

In Golden Boy bebt die Zuschauerschaft auf den Rängen. Gemäß der Ringpaarung von weißem und schwarzem Athleten wechselt die Montage zwischen der Erregung auf Gesichtern verschiedener Hautfarbe: ein wogender Blutrausch, der durch den Tod im Ring bestätigt wird. The Set-up läßt demgegenüber die einzelnen Besucher der Arena nicht in der berauschten Masse untergehen. Kleine Szenen der Eigenheiten einiger anonymer Zuschauer setzen sich zu einer präzisen Milieuzeichnung zusammen. Der Begriff Zeichnung, der

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eine scharfe Feder in sicherer Hand als sein Bild evoziert, kann neben seiner metaphorischen eine buchstäbliche für sich reklamieren. Die kinematographische Inszenierung hält sich an die zuvor von Maurice Zuberano angefertigten Storyboards.388 Lars Oliver Beier spricht treffend von einer „filmischen Kurzschrift“: „Ein Sportfan verfolgt mit den Augen das Geschehen im Ring und mit den Ohren die Radioübertragung eines Baseballspiels; ein Blinder läßt sich den Kampfverlauf in Schlag-Worten schildern; ein Mann ist von der Begeisterung seiner Frau fast noch mehr angewidert als von der Brutali389 tät der Boxer.“

Es sind genau diese Bildtypen, auf die – so erklärt es Martin Scorsese – Raging Bull verzichtet: „I wanted to do the ring scenes as if the viewers were the fighter and their impressions were the fighter’s – of what he would think or feel, what he would hear. Like being pounded all the time. And again, the very, very important thing about the fight scenes in the movie was that you never see the audience. You don’t get a shot of a guy going; “Kill him, kill him!” Or the overweigt woman eating as people are beaten and blood is flying. You know that she’s sitting there eating a frankfur390 ter and popcorn. None of that. None of that. Stay in the ring.“

Ein Bezug dieser Äußerung des Regisseurs auf den Filmeindruck muß einem Mißverstehen vorbeugen, das sich auf zwei falschen Fährten einzuschleichen droht. Erstens gibt es keine Identifikation im imaginären Modus mit der subjektiven Perspektive der Kämpfer, sondern eine somatische Empathie mit den einzelnen Verfahren, durch die sich die Innenansicht herstellt. Und die subjektive Sicht zerfällt in diese Verfahren, weil die somatische Empathie immer wieder von einer virtuosen Kombination von Technizismus und ästethetischer Reflexion (aufwendige Zoom-Fahrt-Kombination, Wechsel der Bildgeschwindigkeiten, Abstufungen und Verzerrungen auf der Tonebene) konterkariert wird. Die Schlagbilder sind von extraordinärer Härte durch den Hall des Aufpralls, die Schnittkom388 Vgl. Beier / Müller 1996, S. 141. 389 Beier 1996, S. 49-50. 390 Kelly 1991, S. 132-133.

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binationen usw. Aber sie finden in einem abstrakten Erschütterungsraum statt. Zweitens evozieren die Kampfszenen nicht das aktuelle Erinnerungsbild an die tradierten Zuschauertypen des Genres. Statt dessen ist der innere Ring des Boxgeschehens vom äußeren Ring des Publikums – mit Ausnahme einiger eingeführter Figuren wie der Boxerfrau oder der Gangster – befreit. Raging Bull ist nur insofern auf der Suche nach einem Volk, als die Frage nach einem adäquaten Zuschauer, dessen Resonanzkörper die Spannung zwischen höchster Taktilität und Abstraktion zu lesen vermag, in den Bildraum vordringt. Verschaltungen Dem für das klassische Modell maßgeblichen Konzept des ,Continuity‘ haftet die Ambivalenz eines Zwitterwesens an, da sich in ihm theoretische Implikationen und Maßstäbe der Fabrikation miteinander vermischen. Freilich ist Kontinuität eine traditionelle Kategorie der Geisteswissenschaften – in der Anthropologie, der Historiographie und der Ästhetik. Den Begriff des ,Continuity‘ scheint die Filmwissenschaft jedoch aus dem Vokabular der Produktionspraxis übernommen zu haben, um unter ihm die Konstruktion des klassischen Hollywoodfilms und seiner Vorläufer im Spannungsfeld von Produktionsansprüchen und Wirkungsweisen zu umreißen.391 Die detaillierte Analyse dieser Epoche und ihrer historischen Genese ist ein Vorzugsprojekt der neoformalistischen Schule um David Bordwell und Kristin Thompson. Deren einschlägige Studien weisen die Herstellung von Kontinuität auf im Grunde allen Ebenen des klassischen Bildes als einen zentralen Gestaltungsfaktor nach. Dabei werden jedoch die Ansprüche der Produktionspraxis an entscheidenden Stellen mit der filmanalytischen Sicht zur Deckung gebracht. Ihre Wirkungsbestimmung des klassischen Modells ent391 Das klassische Modell dominiert den amerikanischen Film seit spätestens 1917 und bis in die fünfziger Jahre. Vgl. Bordwell / Thompson / Staiger 1985. Die Forderung nach filmischer Kontinuität jedoch ist ein Topos schon innerhalb der handwerklich und technisch ausgerichteten Diskussion um 1910 – geführt in Handbüchern und Fachzeitschriften. Mit der Institutionalisierung des amerikanischen Kinos geht sie in einem umfassenden Regelsystem auf, an dessen normativen Geltungsanspruch uns Zuschreibungen wie ,falscher Anschluß‘ erinnern.

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lehnen die Neoformalisten dem ideologischen Leitsatz der Produzierenden, „to tell a story coherently and clearly“.392 In der Konsequenz tendieren sie dazu, Abweichungen vom Kontinuitätsmodell innerhalb der klassischen Phase im Einklang mit den filmpraktischen Quellen als Konventionsverstöße mit verwirrender Wirkung zu betrachten, sie also ex negativo zu bestimmen. Rick Altman kritisiert die Unzulänglichkeit dieses Ansatzes an Thompsons Konzept des bildlichen ,Exzesses‘ und fordert die Anerkennung anderer gleichwertiger ,Stimmen‘ neben dem klassischen Modell, die einer Betrachtung in ihren eigenen Wertigkeiten und Strukturmerkmalen bedürfen.393 Was sich hier anmeldet, ist ein altes Problem der Geisteswissenschaft, auf das bereits Ernst H. Gombrich in einem Aufsatz über die Stilkategorien der Kunstgeschichte für die Geschichtsschreibung der bildenden Kunst eingeht. Auch in den traditionellen Kategorien der Kunstwissenschaft wirkt die normative Kraft des Klassischen.394 Gombrich warnt jedoch davor, das emanzipatorische Vorhaben einer Befreiung von der herrschenden Norm mit der leeren Gleichwertigkeit der verschiedenen ästhetischen Modelle zu erkaufen, die nichts mehr von den Relationen weiß, die zwischen klassischen und nichtklassischen bzw. antiklassischen Kompositionen ausagiert werden.395 Instruktiv ist die Warnung in 392 Bordwell / Thompson 1993, S. 261. 393 Vgl. Altman 1992, S. 33. 394 Vgl. Gombrich 1985, der bekanntlich aufzeigt, daß für unterschiedliche Stile wie das Gotische und das Barocke ähnliche Stilkategorien verwendet werden. Die Kategorien haben ihren Ursprung in abfälligen Zuschreibungen, mit denen die betreffenden Stile in den Anfängen der Kunstgeschichte, die für Gombrich in der Renaissance liegen, als Abweichungen von der klassischen Norm bedacht werden. 395 Vgl. Gombrich 1985, S. 118. Bordwell geht auf Gombrichs Aufsatz im Rahmen seiner Problematisierung von Genrebegriff und Film Noir ein, ohne jedoch die Kategorie des Exzesses zu thematisieren. Vgl. Bordwell / Staiger / Thompson 1985, S. 74. Die Filmwissenschaft findet selbstredend eine völlig andere historische Situation vor als Gombrichs Kunstgeschichte. Zum einen verringert die breite Wirkung des klassischen Films die Chance eines ,unklassischen‘ Kinos in Abgeschiedenheit vom Einfluß Hollywoods – in den USA ohnehin, aber auch auf internationaler Ebene, – gegen Null. Zum anderen kann die Filmgeschichtsschreibung, wie an der Diskussion der Attraktionsästhetik des frühen Films ersichtlich wird, kaum vom Vorklassischen über das Klassische zu dessen Zersetzung voranschreiten. Darin empfehlen sich die Brüche der Filmgeschichte ei-

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diesem Zusammenhang, weil der von Gombrich im historischen Prozeß verortete Konflikt in der Binnenstruktur der klassischen Boxfilme wiederkehrt. Das sensomotorische Prinzip besteht in der Weiterleitung der Bildenergie, in der Überführung von Situation in Handlung, von Handlung in Situation.396 Die Wahrnehmungsintensitäten werden somit immer ins nächste Bild abgeleitet. Es gibt keine radikale Blockade, die das sensomotorische Band zu sprengen droht. Aber es handelt sich auch nicht um eine sich endlos gleichmäßig fortsetzende Verkettung, sondern um ein dramatisches Geschehen. Das Bild generiert Spannungen – gedehnte und geraffte – in den einzelnen Sequenzen, die den Spannungsbogen der kohärenten Gesamtdramaturgie speisen (je nach dem bereits perforiert durch kleinere Einlagen, wie kurze Kämpfe, Montagesequenzen, erotische Attraktionen, sich im Ansatz verselbständigende Momente etc.). Die dramatische Spannung innerer oder äußerer Handlung läuft vor dem finalen Kampf auf ihren Höhepunkt zu, auf einen kontrollierten Energiestau, der – so üben die klassischen Boxerbildrhythmen den Zuschauer ein – nach spektakulärer Auflösung verlangt. So gesehen ist die ekstatische Entladung, mit der uns die klassischen Boxfilme aus dem Saal entlassen, weniger der Bruch mit der Handlungsdramaturgie denn ihre Erfüllung. Das Prinzip, mit dem das klassische Motivationsnetz die Attraktionsenergie zu binden versucht, besteht in der Verschaltung des Geschehens innerhalb und außerhalb des Rings. Unmittelbar vor dem Kampfgeschen, oftmals in den Umkleideräumen wird die Exposition für den folgenden Attraktionsbeschuß und den unter ihm glücklich oder unglücklich handelnden Protagonisten formiert (The Champ, The Crowd Roars, Golden Boy, Kid Galahad, Body and Soul). Energetisch gestaltet sich die Rückkehr zum klassischen Modell weitaus problematischer als die Eröffnung des Sensationsfeuers. Schließlich entfesseln die Attraktionsmontagen die Schaulust, indem sie gleich zwei Ursprungsmythen zu einer ästhetisch modulierten Krise der Wahrnehmung miteinander verflechten: erstens der Protagonist und die letzte Mobilisierung der ,Frontier-Wildheit‘, zweitens das filmische Medium selbst und der Bezug auf die ungebändigte Bildlichkeit seiner Frühzeit. Hinzu nem Denken, das zu starr an einem kontinuierlichen Entwicklungsmodell festhält. 396 Vgl. Kapitel 9 und 10 von Das Bewegungs-Bild, Deleuze 1990.

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kommt, daß diese doppelte Beschwörung gemeinhin in der Asymmetrie des K.o.-Sieges ihr Ende findet. Der Knockout reißt das Bild gegenüber einem Zeitvakuum auf. Die Hyperaktivität der Körperbilder kommt abrupt im Gegensatz der jetzt statischen Körper zum Stillstand. Selbst wenn der Knockout durch musikalische oder andere Ankündigungen vorbereitet wird, entwickelt das Vakuum immense Kraft. Die klassischen Inszenierungen haben zwei grundlegende Weisen entwickelt, das Vakuum für eine Rückkehr zur Kohärenz zu nutzten. Entweder setzen sie vom Stillstand des K.o.-Sieges zu einer letzten Beschleunigung an, die sich konventionell nach den klassischen Maximen gestaltet. In einer mal ausführlicheren, oft jedoch raschen Bildfolge, in der sich das ,gute‘ Paar vereint und die Schurken bestraft werden, klären sie die Verhältnisse und decken das Vakuum zu, indem sie konsequent Restenergie abführen, bis wir unter Musik aus dem Saal entlassen werden (Golden Boy, The Crowd Roars, Body and Soul, Somebody up there likes me, Rocky). Oder – und dies sind wohl die interessanteren Fälle – sie lassen auf den Kampf ein anderes intensives Ereignis folgen, in dem er sich spiegelt. Es kann sich dabei um eine melodramatische Situation (The Champ) oder um eine weitere Duellsituation – oft unsportlicher Natur – (Kid Galahad, The Set-up) handeln.397 Die vielleicht schönste dieser Spiegelungen hat Champion zu bieten. Nach dem erbarmungslosen Kampf schleudert uns der schwer gezeichnete Boxer im Halbdunkel der Umkleidekabine, in die das Schwarz immer mehr 397 Auch am ,realen‘ Boxabend evozieren die Minuten nach einem K.o. am Ende eines spannenden oder sensationellen Kampfes häufig eine seltsame Stimmung. Auch hier versiegt die Quelle der intensiven Wahrnehmungsimpulse und der Spannung plötzlich in der Asymmetrie des Siegs. Die Faustkampfinszenierung fängt die Leere in der Ritualhandlung der Siegerehrung mit ihren Posen und Danksagungen und gegebenenfalls in einem noch im Ring geführten Interview mit dem Sieger auf. Während eventuelle Ausbrüche von Freude noch die Dynamik des Kampfes verlängern können, führen die Ritualhandlungen und die Verlagerung der Aufmerksamkeit auf das gesprochene Wort ein Tempo in den Saal ein, das wesentlich kompatibler mit dem alltäglichen Leben und daher mit dem anschließenden Lokalbesuch oder dem Heimweg ist. Es gibt allerdings auch die Variante, bei welcher nach dem großen Kampf noch kleinere Begegnungen auf dem Plan stehen. Sie läßt sich als Abebben beschreiben, insofern diese Begegnungen nicht spannender und aufregender sind als die Hauptkämpfe.

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vorzudringen scheint, eine dramatische Rede entgegen. Es mischt sich die Erschöpfung des Boxerlebens mit der Wut und der Anklage gegen seine Bedingungen, bis der Athlet schließlich tot zusammenbricht. Als der Trainer die Todesnachricht auf den Gang hinausträgt, bittet ein Journalist um einen Kommentar. Der Bruder des Verstorbenen antwortet im pastoralen Ton mit der Vorformulierung eines beliebigen Nachrufs: „... He was a credit to the fight game ...“ Beide Reden – die atemlose Emphase, zu welcher der Blutmund des Boxers am Rande von Irrsinn und Tod anhebt, und die betont feierliche Lesestimme, die uns den Allgemeinplatz eines Nekrologs nicht nahezubringen vermag, – reflektieren sich in ihrer Unterschiedlichkeit. In der letztlich unvermittelten Differenz prägt sich ein anderes Vakuum aus, das sich vom Ende des Films als starker Eindruck in die Erinnerung rettet. Darin liegt mehr als eine bloße Anspielung auf die Vakuumbildung, die gewöhnlich mit dem Ende des überdimensionalen Filmbildes verbunden ist. Diesen Leerraum vermag keine der vorangehenden Boxattraktionen zu füllen, im Gegenteil, er saugt die Kampfpassagen in sich auf, sobald die Erinnerung sich ihm zuwendet. Das Vakuum richtet eine Präsenz der Absenz ein und zeigt sich darin dem fliehenden Schockmodus der Boxattraktion und ihres Körpers wohl angemessener als die Abrundungen so vieler klassischer Produktionen. Einige Produktionen belassen es bei der Basisverschaltung von Exposition und Rückkehr: In Rouben Mamoulians Golden Boy hat allein der Kampfausgang – Sieg oder Niederlage für den Protagonisten – eine straff definierte Funktion innerhalb der umfassenderen Handlungsdramaturgie. Andere Verbindungen zwischen den kämpfenden Körpern und dem Jenseits des Rings, die sich üblicherweise über Dialoge in den Kampfpausen oder Blickinszenierungen herstellen, bleiben hier aus. Solche Reduktion der sensomotorischen Kuppelungen begünstigt die Emanzipation eines Elements, wie beim wogenden Publikumsrausch in Golden Boy. Die Willkür, die dieser Art des sensationellen Einbruchs eines anderen Bildes in die umfassende Dramaturgie eignet, geht engeren Vernetzungen zwar ab, was im Umkehrschluß jedoch auch eine strengere Bindung der Attraktionsenergie bedeutet. Für die differenzierte Verschaltung der eigentlich auf den sportlichen Wettbewerb reduzierten Aktionsform mit größeren dramaturgischen Zusammenhängen gibt es im wesentlichen wiederum zwei

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Möglichkeiten. Entweder hat das Verhalten des Boxers im Ring einen entscheidenden Anteil am endgültigen Verlauf des Dramas (The Champ). Oder aber der Aktionsstrang, der sich während des Kampfes außerhalb des Ringes abspielt, beeinflußt das Boxgeschehen maßgeblich (Kid Galahad). Im Übergewicht des ersten Falls liegt die Betonung auf dem inneren Konflikt, der Willenskraft und körperlichen Handlungsfähigkeit des Helden, bei der Vorherrschaft des zweiten Falls auf den Kräften des Milieus, die das Schicksal des Faustkämpfers bestimmen. Gewöhnlich greifen jedoch beide Möglichkeiten ineinander, wie in Richard Thorpes The Crowd Roars, wo sie nach dem althergebrachten Muster der ,Rettung in letzter Minute‘ aufeinander abgestimmt werden. Der Vater des Protagonisten Killer McCoy und seine Geliebte Sheila Carson, die gleichzeitig die Tochter seines Managers ist, werden von Gangstern entführt, um seine Niederlage zu erzwingen. Mittels der Entführungssituation398, läßt sich das Prinzip der Aktion, also der äußeren Bewegung, im Wechsel der Schauplätze zusätzlich steigern. Die verschiedenen Handlungsstränge werden über eine kontinuierliche Montage zueinander in Beziehung gesetzt, wenn etwa der suchende Blick des Boxers den Ortswechsel ankündigt oder der Kampfverlauf die Entführten in ihrem Kellergefängnis via Radio erreicht. Nach der Selbstbefreiung der Gefangenen läuft eine konvergierende Parallelmontage von Taxifahrt und Boxgeschehen auf die Ankunft der Frau in der Arena zu, die den Boxer aus der Zwangslage befreit. Diese Engführung von Handlungsdramaturgie und Ringgeschehen geht einher – darin liegt das wohl bemerkenswerteste Moment von The Crowd Roars – mit einem der elaboriertesten Attraktionsspektakel der dreißiger Jahre. Die Handlungsachse verschiebt sich ständig, springt und dreht sich mit den Boxern um sich selbst. Die Körper kommen der Kamera schnell näher und entfernen sich so abrupt von ihr, wie die Montage den Standpunkt wechselt. Die Handlung jenseits des Ringgeschehens tritt in ihrer Choreographie mit eigenem Attraktionswert hervor: So etwa die in ihrer Präzision auffällige Kamerafahrt auf den Revolver im Schulterhalter des Gangsters im Keller, die als subjektives Bild die Absicht von McCoy Senior zum Ausdruck bringt, sich der Waffe zu bemächtigen. 398 Vgl. Zucker / Babich 1987, S. 54: „[...] there’s often a kidnapping plot thrown in for good measure.“

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Oder das Aufeinandertreffen von Gangstervater und Tochter am Eingang in die Arena, wo ihre ineinander verhakten Körper eine halbe Drehung vollziehen; fast wie eine Situation des Klammerns im Boxkampf, aber klarer und zugleich behäbiger in der Bewegung. Gemäß der Spannung, welche die Entführungssituation handlungsdramaturgisch generiert, durchläuft das Kampfgeschehen eine sich steigernde Phasenmodulation in mehreren Stufen. Wie der Gong den Auftakt einer Runde markiert, leiten die Umschwünge im äußeren Geschehen die Verschärfungen des Körperbildspektakels ein. Spätestens parallel zur Taxifahrt der Frau werden Diskontinuitäten wie Jump Cuts Achsensprünge um einhundertachtzig Grad der Normalfall. Und nachdem die Frau eingetroffen ist, besteht der Attraktionsraum nur noch aus rapiden Serien von Boxerbildern und Großaufnahmen einzelner Zuschauer. Ihre Ankunft, ihr Bild ist des Boxers Rettung. Zuvor stellte die Forderung der Entführer die Bedingungen, unter denen der Held seine ,Nehmerqualitäten‘ unter Beweis stellen mußte. Die Konditionen äußerer Handlung produzieren also eine Konstellation, in der das Pathos der Boxerfigur erscheinen kann: ein Szenario der inneren Standhaftigkeit, in dem die Erschütterungsphysis ihre unendliche Leidensfähigkeit unter Beweis stellt. Pathosformeln Als befremdlich gilt gemeinhin, was man nicht versteht. Aber auch die Tatsache des Verstehens kann befremdlich sein. Das Befremden stellt sich ein, wenn uns die pathetischen Gebärden eines klassischen Filmboxers wie Killer McCoy in The Crowd Roars auch jenseits explizit psychologisierender Motivationen verständlich sind, wenn also der Abstand zwischen der Epoche eines alten Films und der unsrigen in der Verständlichkeit entkräftet zu sein scheint. Die simpelste Erklärung dieser Verständlichkeit ist eine, die das Befremden außer Acht läßt und schlicht „extrem stereotype Bildmuster“399 als den Grundstoff eines emotionalen Verstehens ansetzt, wie es Kay Kirchmann für den Action-Film vollführt. Es handele sich „hierbei im Sinne Aby Warburgs um visuelle ,Pathosformeln‘, um kulturell bereits tradierte, leichthin zugängliche und als bekannt vorauszusetzende Bildarchetypen von hohem Signal- und Wieder399 Kirchmann 1999, S. 59.

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erkennungswert, die eine große affektive Resonanz des Publikums sicherstellen sollen.“400 Der Rekurs auf Warburg erweist sich als ungenau, insofern sich dessen Konzept der Pathosformel einer verflachten Theorie der Stereotypisierung nicht ohne weiteres subsummieren läßt.401 Das besagte Befremden ist dieser Kunstbetrachtung inhärent, nicht zuletzt als Antrieb des eigenen Interesses, zuvorderst jedoch aufgehoben in jenem vor dem ästhetischen Objekt gewonnenen Bewußtsein einer merkwürdigen Vorzeitigkeit der Affekte. Die Pathosformeln – jene wiederkehrenden Darstellungselemente innerer Bewegtheit, die Warburg in der Antike erfunden und in der Renaissance wiederbelebt sieht,– sind die Ausprägungen eines überindividuellen ästhetisch-sozialen Emotionsgedächtnisses: „Wenn wir an einem Gegenstand etwas Anmutiges gewahren, das auch nur schwach an bestimmte Umrisse des ererbten Ideals erinnert, dann wird das lange verdunkelte Bild in eine Woge altererbten Gefühls getaucht ... der Sinnesreflex des lebendigen Gegenstandes verschmilzt vorübergehend mit dem subjektiven Phantasma – mit der schönen leuchtenden Erscheinung aus Zentillionen von Erinnerungen ... und so 402 findet das Rätsel von selbst seine Lösung: Erinnerung.“

Das Befremden vor der Verständlichkeit – so stellt es sich jetzt dar – speist sich aus einer uns vor dem alten Film erschleichenden Ahnung: Die Gefühle, die wir als unseren innersten Besitz annehmen, erfassen uns nicht ohne ein Vorleben. Wir scheinen weniger ihre Quellen, denn der Ort ihrer Transformationen zu sein. Nicht allein die Werkzeuge und Techniken, auch die Sprache und das, was uns innerlich bewegt, besitzt eine uns überschreitende Dauer. Keineswegs nur in ihrem spezifischen Vorkommen, das sie in der Aktualisierung im jeweiligen historischen Kontext erfahren, gehen uns die

400 Kirchmann 1999, S. 59. 401 Warburg kennt die Probleme der Ausdrucks- und Reizinflation durchaus. Die Inflation erkennt er am ,hohlen Pathos‘, das für ihn weite Teile der barocken Kunst charakterisiert. Darin sieht er jedoch eine Verfallstendenz der Pathosformel. Vgl. Gombrich 1985, S. 339-340. 402 Warburg zitiert nach Gombrich 1984, S. 324. Vgl. auch Warburg 2000, S. 3.

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Gefühlswelten voran403, sondern auch als potentielle Energie. Diese heute aufs engste mit dem Strukturalismus verknüpfte Erkenntnis404, wirft bereits vor dessen Zeit entscheidende Problemstellungen in jenem Feld auf, auf dem Lévi-Strauss tätig werden wird: im Feld der Ethnologie bzw. Anthropologie. Durkheim widmet sich in Die Elementaren Formen des religiösen Lebens der Frage, wie ein gegenwärtiges Kollektiv die bald latente, bald manifeste Verunsicherung bewältigen kann, die dadurch entsteht, daß das Kulturerbe als etwas Eigenes und doch auch Fremdes, Äußerliches und Vorausgehendes erfahren wird. Seine Antwort findet er in der Funktionsbestimmung des Rituals, ein Kollektiv über die Gemeinschaftsemotion zu konstituieren und zwar im Verhältnis zum Heiligen, das die Ahnen- und Götterwelt – also alle Produzenten des Vorgefundenen – miteinschließt.405 Warburg, das deutete sich bereits an, gibt eine völlig andere, aus der Sphäre ritueller in diejenige ästhetischer Erfahrung verweisende Antwort. Programm ist dabei kaum mehr die sichernde Aneignung im ekstatischen Gefühl, sondern ein ästhetisches Denken, das sich aus der Spannung von Empfindungsentladung und ihrer Reflexion generiert.406 403 Vgl. Warburg 1927, zitiert nach Gombrich 1984, S. 338: „Das antikische Dynamogramm wird in maximaler Spannung aber unpolarisiert in Bezug auf die passive oder aktive Energetik des nachfühlenden, nachsprechenden (erinnernden) überliefert. Erst der Kontakt mit der Zeit bewirkt die Polarisation. Diese kann zur radikalen Umkehr (Inversion) des echten antikischen Sinnes führen.“ 404 Vgl. Deleuze 1992, S. 27-28 (Hervorh. meiners.): „Deswegen stellt Lévi-Strauss die Struktur häufig als eine Art von idealem Reservoir oder Repertoire dar, worin alles virtuell nebeneinander existiert, aber worin die Aktualisierung sich notwendig nach ausschließenden Richtungen vollzieht, wobei immer partielle Kombinationen und unbewußte Auswahl impliziert sind. Die Struktur eines Bereiches freizulegen heißt, eine ganze Virtualität der Koexistenz zu bestimmen, die vor den Wesen, den Gegenständen und den Werken dieses Gebietes existiert.“ 405 Vgl. Durkheim 1981, S. 292. Vgl. auch Bergesen 1998, der sich auf diese Stelle bezieht. 406 Nicht als Engagement rationalistischer Aufklärung – darin ist Hans Ulrich Reck in seiner Kritik an Gombrichs Intellektueller Biographie Warburgs zuzustimmen –, vielmehr als eine Positionierung in der Dialektik der Aufklärung will sich dieses Programm verstanden wissen: „Der aktivierende Denkraum eröffnet sich allein zwischen der bannenden Magie des Bildlichen und der erledigenden Distanzierung von den aktivierenden Bildkräften, ohne welche das Bild als

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ZWEITE ACHSE: ATTRAKTION SCHLAGENDER KÖRPERLICHKEIT Abbildung 16: Tut nicht weh — wenn Sylvester Stallone und Carl Weathers für die Kamera von Rocky boxen.

Wenn der Boxfilm die hypertrophen Kampf- und Leidensgebärden wie in Rocky in eine hyperbolische Inszenierung des Nationalgefühls einbringt407 oder auch nur in ein individualisiertes Rettungsdrama wie in The Crowd Roars, scheint er der Variante ritueller Bestätigung zu folgen. Hier legitimieren die patriotischen Schwingungen, dort die Notwendigkeiten der Entführungssituation und der ausgestellte Sadismus der Gangster das Leiden des Protagonisten. Aber jenseits dieser rituell-imaginären Identifikation und allen Aktivitäten eines parierenden Reizschutzes zum Trotz kann das Spektakel Nachwirkungen auslösen, die das Bild nach dem Filmerlebnis gegenüber einem Raum des Denkens zu öffnen vermögen. Warburgs Konzeptionen und Methoden weisen Affinitäten mit der filmischen Montage und Attraktionsästhetik auf.408 Aber der Synergie emotiven Handelns gar nicht gedacht werden könnte.“ Reck 1991, S. 199 (Hervorh. meiners.). 407 Vgl. Reemtsma 1997, S. 67ff. 408 Die in ihrer Bedeutung im jeweiligen Kontext wandelnde Pathosformel sowie Warburgs berühmte Zusammenstellungen von Tafeln mit Abbildungen der Kunst aus verschiedensten Epochen stehen dem Prinzip der Montage nahe. Hoffmann (1980, S. 92) nennt diesbezüglich die Collage das „Instrument einer Methode, die in gleicher Weise heterogene und auf den ersten Blick beziehungslose E-

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Kunstwissenschaftler begegnet den Techniken der Massenreproduktion und der „elektrischen Augenblicksverknüpfung“ mit Skepsis. Nach seiner berühmten Formulierung „morden“ sie die Sphäre des Denkens.409 Aber es sind die blitzartigen Ausnahmezustände der Attraktionswahrnehmung – ihre Beschleunigung und Intensivierung der Reize –, die dem Gedächtnis die Boxerphysis als sprühendes Nachbild einbrennen. Dabei werden jedoch die Bildenergien nicht mehr, wie es Warburg für die Pathosformel der Malerei beansprucht, in einem Modus der „Andacht“ aufgefangen und damit aus der kontrolliert-traumatischen Ordnung des Rituellen in den „Denkraum der Besonnenheit“410 überführt. Vielmehr geht das Denken selbst aus einer ästhetischen Ordnung quasi-traumatischer Wiederholung hervor. Die energetische Programmierung dieser virulenten Engramme wird zu einem gewissen Teil in ihrer technischen Qualität einsehbar. Die unwillkürliche Wiederkehr des Kampfes in der Erinnerung nach dem Film bezeugt die industrielle Technik als eine fremde und unbeherrschte Macht im profanen Sinne. Die quasitraumatische Wiederholung der Bilder zeigt sich unkontrollierbar durch die Mechanismen der willentlichen Erinnerung. Und ohne die heilige Einigung des rituellen Rahmens bleibt diese fremde Macht unversöhnt mit der Erfahrungsstruktur. Jede aktualisierende Anbindung der affektiven Pathosformeln an das Umfeld verwirklicht ihren Ausdruck als konkrete Gefühle im individuellen Drama des Helden. Die wichtigsten Scharniere dieser lemente frei miteinander verknüpft“. Strukturell vergleichbar mit der Aufsprengung des raumzeitlichen Kontinuums durch die Attraktion steht die Reizintensität der Pathosformel in der Renaissance für eine Entgrenzung der Darstellung gegenüber den erstarrten Konventionen des späten Mittelalters: „Es war das Volkslatein der pathetischen Gebärdensprache, das man international und überall da mit dem Herzen verstand, wo es galt, mittelalterliche Ausdrucksfesseln zu sprengen.“ Warburg 1998c, S. 449. 409 Bereits die inflationären Tendenzen des Barocks führt Warburg auf die Verbreitung der Drucktechnik zurück. Vgl. Gombrich 1984, S. 340. Die Beschleunigung des industriellen Zeitalters schließlich nivelliert jenes Areal des Denkens zwischen den antagonistischen Kraftfeldern, die seine Kunstbetrachtung ausmachen: „Telegramm und Telephon zerstören den Kosmos. Das mythische und das symbolische Denken schaffen im Kampf um die vergeistigte Anknüpfung zwischen Mensch und Umwelt den Raum als Andachtsraum oder Denkraum, den die elektrische Augenblicksverknüpfung mordet.“ Warburg 1988, S. 59. 410 Warburg 1998b, S. 534.

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Anbindungen sind die Frauenfiguren im Publikum. Während des Kampfes in Rocky taucht Adrians Gesicht zum ersten Mal auf, nachdem ihr Geliebter nach einer starken Erschütterung in die Seile fällt, so als ob sie seinen Schmerz auch durch die Wände spüren könnte. Der eigentliche Höhepunkt der Kampfsequenz scheint in der Vereinigung mit der Frau zu bestehen. Als Rocky, nachdem er Schlag für Schlag von Apollo Creed niedergekämpft wurde, unter größten Anstrengungen wieder auf die Beine kommt, betritt Adrian die Halle. Aus der Entfernung sieht sie Rocky und wendet sich zunächst ab. Dann aber richtet sie den Blick auf den Ring, senkt ihn nach unten, schließt die Augen und findet wieder zurück zum gerichteten Blick. Das Gesicht der Frau ist der Reflektor der Pathosformeln. Erst in dieser Reflexion macht Rockys Leiden Sinn. Bereits die klassischen Produktionen stellen die Verbindung von körperlicher Erschütterung und Frauengesicht her. In Kid Galahad wird der Protagonist von seinem Gegner attackiert. Im Moment des Aufpralls wechselt die Montage auf das Gesicht der Frau, auf dem die Mimesis mit der Erschütterung des Geliebten sichtbar wird. Die Tränen in den Augen des hell ausgeleuchteten Good Girl stellen den Perlenschatz des Kämpferopfers. Noch die hervorgehobene Abwesenheit der Frau, ihr leerer Sitzplatz, in The Set-up dokumentiert ihre Position im Opferkampf. Ist die Frau derart der sinngebende Spiegel des Leidens, kann sie im Umkehrschluß zur Impulsquelle für den Boxer werden. Als Sheila Carson in The Crowd Roars in der Arena eintrifft, ist ihre strahlende Großaufnahme der entscheidende Revitalisator für den Boxer: Wo Erschöpfung war, bricht sich jetzt im Angesicht der Frau ein neuer Siegeswille erfolgreich Bahn. Gentleman Jim löst die Funktion der Impulsquelle von derjenigen der Leidenslegitimation ab und transformiert den weiblichen Affekt in eine für die Good Girls des klassischen Boxfilms seltene Begeisterung am Kampf. Sobald die Kamera die Frau – samt extravaganter Garderobe und auffälligem Hut stets in der ersten Reihe des Publikums – erfaßt, sehen wir sie in mimetischer Anspannung zum Ringgeschehen: Mit lustvollem Lächeln und gebanntem Blick nimmt sie die Bewegungsrhythmen des Kampfes mit den wiegenden Bewegungen auf und bestätigt somit den Vitalismus, den Walshs Film für das Boxen behauptet. Entgegen diesen aktualisierenden Anbindungen neigt die Nachbildproduktion grundsätzlich dazu, den leidensfähigen und leiden-

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den Körper von den legitimierenden Einbindungen in sein Umfeld abzulösen. Die Erinnerungswiederholung neigt dazu, den bestimmten Artikel gegen den unbestimmten zu vertauschen. Sie macht aus dem Protagonisten Killer McCoy schlichtweg einen Boxer: Ein Mann, den die Wucht eines Schlages in die Seile stolpern läßt. Ein Kämpfer, der am Boden nach Luft ringt, schwer atmend den Oberkörper anhebt, sich mit entschlossenem Blick aufstützt und an den Seilen hochzieht. Ein halb bewußtloser Athlet, zusammengesunken auf dem Hocker in seiner Ecke, benommen, langsam schwankend, um ihn herum die hektischen Arme seiner Sekundanten. Die Nachbildproduktion erstattet dem Ausdruck eine Potentialität zurück, die ihm in der klassischen Verkettung genommen wird. Allerdings bleibt die Erinnerung an diese „Superlative der Gebärdensprache“411 recht diffus im Vergleich mit ästhetisch avancierten Inszenierungen, die ohne Umweg auf die Haltung des Boxers reflektieren.

V. Kampfhaltungen Schwere Flüchtigkeit: Body and Soul So elaboriert ein Spektakel wie in The Crowd Roars im Umfeld der dreißiger Jahre auch erscheint, verglichen mit dem finalen Kampf von Robert Rossens Body and Soul – der wohl virtuosesten Montage der Boxattraktionen in der klassischen Phase – wirkt Thorpes Choreographie der Pathosformeln, vor allem jedoch die allzu offensichtlichen Konventionsverstöße, die ex negativo stark auf die Konvention bezogen bleiben (Oh, Ah, ein Achsensprung!), recht unbeholfen. Der Konflikt nimmt in Body and Soul nicht mehr den Umweg über eine zwar spektakuläre, aber dem Boxen äußerliche Aktionsreihe wie die Rettung in letzter Minute. Statt dessen nutzt der Film den kochenden Innenraum der Arena, um die bedrängte Binnenperspektive des Protagonisten Charlie Davis zu reflektieren. Mit einer unehrenhaften Kampfabsprache sowie dem dazugehörigen Gewissenskonflikt ausgestattet, begibt sich der Boxer in einen unengagierten Kampf. Als sich sein Gegner Marlow gegen die Vereinbarung plötzlich angreift, fällt Davis nicht allein die Erkenntnis des Verrats zu, sondern außerdem ein neues inneres Gewaltfeuer. 411 Warburg 1998a, S. 61.

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Den Umschlagpunkt markieren zwei Detailaufnahmen seiner auf Marlow starrenden Augen. Es gelingt ihm, die Last seiner korrumpierten, in Nachtclubs und mit falschen Freunden vergeudeten Vergangenheit in die zielgerichtete Bahn seines wahnwitzig wütenden Blicks zu bringen. Abbildung 17: Wahnsinnig wütend — Charlie Davis (John Garfield) mutiert im finalen Kampf von Body and Soul zum Tiger-Boxer.

Die Strategie der Inszenierung, die sich um diesen Höhepunkt kämpferischen Innenlebens herum formiert, verfolgt Konstraste auf zwei Ebenen, deren erste auch hier die Abfolge verschiedener Phasen darstellt. Eingeschläfert weniger vom trägen Kampf als von der Glätte der Montagesequenz, in der die ersten zwölf Runden zweier voneinander weg springender oder sich aneinander hängender Filmboxer zusammengefaßt sind, affiziert uns die anschließende Phase des Verrats um so nachdrücklicher. Eine Serie von konspirativen Gesichtern am Ringrand, deren Blickachsen als die Schienen des Verräterplans funktionieren, leitet das erste spektakuläre Stadium des Kampfes ein. Die Kontraststrategie besteht nicht zuletzt darin, diese Spektakularität vor dem Schlußakkord des Knockouts nochmals zurückzunehmen, indem das den gesamten Film durchziehende Tiermotiv in der letzten Runde belebt wird. „Davis is driving Marlow around the ring like a tiger stocking his prey.“, erklärt der 203

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Kommentator in die Stille der Halle. Mit dem letzten Angriff des ,Tiger-Boxers‘ bricht die erregte Menge ein zweites Mal über uns herein. Die zweite Ebene der Kontrastierungstrategie betrifft den Wechsel zwischen gegensätzlichen Bildästhetiken. Zum einen leuchten uns Großaufnahmen einzelner Figuren kunstvoll entgegen, deren Affekte mit zunehmender Dramatik eine enorme melodramatische Verdichtung erfahren. So fließt in der Phase des Verrats die Information zwar von Gesicht zu Gesicht, bis sie in die Aktion übergeht. Aber gleichzeitig stockt die mimetische Teilnahme an einem Effekt, den Deleuze mit Hinweis auf eine Bemerkung Epsteins beschreibt: „Sobald wir das Gesicht eines Feiglings, der sich anschickt zu fliehen, in Großaufnahme sehen, sehen wir die Feigheit in Person, ,das Gefühl als Sache‘, die Entität.“412 Obschon der hohen Schnittfrequenz erreicht die melodramatische Kompression hier eine solche Dichte, daß die Affekte für einen Moment auf nichts anderes als sich selbst verweisen: das Verräterrische, das Starrende der Augen usw. Die dazu gegensätzliche Bildästhetik entsteht aus der experimentellen Arbeit des Kameramannes James Wong Howe mit einer beweglichen Handkamera.413 In einigen Passagen schwinden die Identifizierungsmerkmale der Boxer: Oft sind ihre Gesichter nicht mehr zu erkennen und die Differenz der Grautöne ihrer Hosen verflüchtigt sich im Schatten. Die Handkamera fängt die ineinander wühlenden Körper bisweilen nur als Schemen ein. Einzelne Posen des Kampfes – wenn etwa einer der Männer nach einem Niederschlag am Boden kniet – werden schnell aus mehreren Richtungen und in verschiedenen Bildqualitäten abgeschritten. Es ist dies ein völlig anderes Verfahren der Entindividualisierung: Den Verdichtungen der Großaufnahmen zu Gefühlen als Sachen stehen die schemenhaften Posen eines namenlosen Boxerkörpers gegenüber. In der Kluft zur hypertrophen Deutlichkeit der melodramatischen Affektgesichter wird die Flüchtigkeit der Schemen denkbar. Es handelt sich jedoch um keine leichte Flüchtigkeit, wie man sie mit den 412 Deleuze 1990, S. 135. Vgl. 138-139. 413 Vgl. James Wong Howe in Higham 1970, S. 89: „On Body and Soul I myself got on roller-skates to shoot the boxing scenes and they pushed me around. I wanted an effect where the boxer ist knocked out and he looks up into a dazzle of lights; with a heavy, fixed camera, you’d never get that.“ Vgl. auch Stehen 1974, S. 215-216.

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Tanzfilmen des amerikanischen Kinos verbindet. Der Blick hebt nicht in einer anmutig schwebenden Choreographie vom Wahrnehmungsgrund ab. Wir haben es statt dessen mit der schweren, existentiellen Flüchtigkeit der Boxerphysis zu tun: Erschütterung des Wahrnehmungsgrundes. Das Denken der schweren Flüchtigkeit generiert eine Perspektive, in der die Haltung des Boxers lesbar wird. Haltung oder Habitus gelten der Anthropologie als die körperliche Einstellung des Subjekts gegenüber der Lebenswelt. Die Haltung wird in der Praxis erworben, in der Technisierung, Übung des Körpers, also in der Abstimmung auf die Gegebenheiten der sozialen Umwelt.414 Diese Umwelt ist zwar geordnet, und die Ordnung geht dem einzelnen voraus, aber das Subjekt muß die Ordnung, um lebens- und handlungsfähig zu sein, erst am eigenen Leib in einer subjektiven Ausprägung nachvollziehen und immer wieder korrigieren.415 Gebauer und Wulf verweisen in diesem Zusammenhang auf Bourdieus kritische Transformation des Kantischen Konstruktivismus in die Sphäre des Körperlichen: „Die sich vielfach ähnelnden Praxisformen mit ihrem Appell oder sogar Zwang zum Üben, Wiederholen, Nachahmen werden von den sozialen Subjekten aufgenommen, rezipiert, verarbeitet. Diese entwickeln eine subjektive Entsprechung zu den objektiven Strukturen, indem sie soziale Fertigkeiten und Fähigkeiten, praktisches Wissen, Dispositionen, Wahrnehmungs- und Bewertungsweisen ausüben und zu einem systematisch organisierten Gesamtkonstrukt ,,synthetisieren‘. Bourdieu bezeichnet das dabei entstehende Konstrukt mit dem Ausdruck ,Habitus‘. Wo Kant allen Sinneseindrücken ein transzendentales ,Ich denke‘ hinzufügt und ihnen auf diese Weise Kohärenz erteilt, findet man bei Bourdieu die Konstruktionen des Habitus, der mit Hilfe der Vernunft des 416 Körpers konstruiert wird.“

Am Tagesgeschäft des Boxers, jener „endlos wiederholte[n] Hermeneutik der eigenen Bedürfnisse, Wünsche und Fähigkeiten“417, ließe sich die Produktion einer speziellen Haltung nachweisen, welche die Welt der Erschütterungen und des Kampfes synthetisieren 414 415 416 417

Vgl. Gebauer / Wulf 1998a, S.38, Mauss 1989b, S. 202. Vgl. Gebauer / Wulf 1998a, S. 46-47. Gebauer / Wulf 1998a, S. 47, vgl. auch Bourdieu 1993, S. 97ff. Wacquant 2001, S. 26.

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will. Die ästhetische Haltung in Body and Soul vollzieht solche Zusammenführung nur in einer Hinsicht nach. Denn die Reihe der Körperzustände dokumentiert einerseits den Weg des individuellen Protagonisten durch seinen inneren Konflikt zum Sieg: eine durchaus idealistische Syntheseleistung im Kraft- und Willensakt. Andererseits jedoch überlassen die differenten Entindividualisierungen, mit ihren unüberbrückbaren, blitzartig auftauchenden Zwischenräumen, die Singularitäten des Körperbildes dem Dividuellen, so daß sich ihre Verbindungen potentialisieren. Die Boxerbildserien lassen sich dann als ein unpersönliches Drama virtueller Haltungsaffekte lesen, das nicht mehr auf die Nachbilder der Pathosformeln angewiesen ist, sondern direkt ins Denken einschießt: Das Müde und Schlaffe des Kampfes zu Beginn, das Schemenhafte der Erschütterung, das Geduckte des Tierboxers und schließlich das Wilde des Tigersprungs. Die Haltung dokumentiert in diesem Modus nicht die Syntheseleistung einer sozialen Praxis oder deren filmische Idealisierung, sondern löst den Spaltungsprozeß des ästhetischen Lesens aus. Körpersprache „,Wir wissen nicht einmal, wozu ein Körper in der Lage ist‘: in seinem Schlaf, seiner Trunkenheit, seiner Anspannung und seiner Widerstandskraft. Denken heißt begreifen, wozu ein nicht-denkender Körper in der Lage ist, nämlich begreifen, was seine Fähigkeit, seine Verhaltensweisen oder Stellungen sind. Durch den Körper (und nicht mehr durch Vermittlung des Körpers) vermählt sich das Kino mit dem Geist, mit 418 dem Denken.“

Das Denken des Körpers heißt im Boxfilm, die Sprache des Körperbildes zu lesen, eine Sprache, wie sie Benjamin in seiner frühen Sprachtheorie versteht: „Sprache bedeutet in diesem Zusammenhang das auf Mitteilung geistiger Inhalte gerichtete Prinzip in den betreffenden Gegenständen: in Technik, Kunst, Justiz oder Religion. Mit einem Wort: jede Mitteilung geistiger Inhalte ist Sprache, wobei die Mitteilung durch das Wort nur

418 Deleuze 1991, S. 244 (Hervorh. meiners.).

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ZWEITE ACHSE: ATTRAKTION SCHLAGENDER KÖRPERLICHKEIT ein besonderer Fall, der der menschlichen, und der ihrer zugrundelie419 genden oder auf ihr fundierten (Justiz, Poesie) ist.“

Es handelt sich nicht um die Körpersprache einer reduzierten Semiotik, die das Zeichen als Vermittlung eines ihm vorangehenden geistigen Gehalts ansetzt. Denn „das, was an einem geistigen Wesen mitteilbar ist, ist seine Sprache.“420 Nicht das geistige Wesen ist vor der Sprache schon gedacht, sondern die sprachlichen Formationen gehen dem voran, was sich vom geistigen Wesen mitteilt: Die Herausforderung des Denkens durch eine Sprache des Körpers bzw. Körperbildes. In Deleuze’ Absage an die Auffassung des Körpers als Vermittlungsinstanz liegt eine Entsprechung jener Wendung, in der Benjamins Sprachtheorie das in gegen das durch behauptet: „Es ist fundamental zu wissen, daß dieses geistige Wesen sich in der Sprache mitteilt und nicht durch die Sprache.“421 Zurückgeschlossen auf das Körperbild läßt sich sagen, daß das Denken sich nicht durch die Vermittlung der Körperhaltungen mitteilt, sondern unmittelbar in ihnen begründet ist. Ein geistiges Wesen liegt virtuell in den Zuständen des Körperbildes verborgen. Es ist ihnen nicht als ideelle Dimension übergeordnet. Vielleicht eindringlicher als andere Sprachen bestätigt die Sprache des Körperbildes Benjamins ebenso eigentümliche wie scharfsinnige Konzeption des Medialen, nach der das einzige, was sich in der Sprache mitteilt, sie selber – ihr virtuelles geistiges Wesen – ist: „Oder genauer: jede Sprache teilt sich in sich selbst mit, sie ist im reinsten Sinne das ,Medium‘ der Mitteilung. Das Mediale, das ist die Unmittelbarkeit aller geistigen Mitteilung, ist das Grundproblem der Sprachtheorie, und wenn man diese Unmittelbarkeit magisch nennen 422 will, so ist das Urproblem der Sprache ihre Magie.“

Magisch, so könnte man sagen, ist diese Sprache, weil sie uns genauso wenig wie der Körper zur Verfügung steht, um unser Denken zu vermitteln. Statt dessen widerfährt uns als unmittelbare Zeichenmaterie. Derart läßt sie uns den Kontakt mit ihren unerschlos419 420 421 422

Benjamin Benjamin Benjamin Benjamin

1991m, 1991m, 1991m, 1991m,

S. S. S. S.

140. 142. 142. 142-143.

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senen und unerschließbaren Zonen spüren, von denen wir nicht wissen, wozu sie in der Lage sind: „Denn gerade, weil durch die Sprache sich nichts mitteilt, kann, was in der Sprache sich mitteilt, nicht von außen beschränkt oder gemessen werden, und darum wohnt jeder Sprache ihre inkommensurable einzigartige Unendlichkeit inne. Ihr sprachliches Wesen, nicht ihre verbalen 423 Inhalte, bezeichnet ihre Grenze.“

Die ,Inkommensurabilität einzigartiger Unendlichkeit‘ zeigt eine Radikalisierung des Denkens an, welche ebenso die Dramen der Haltungen und Affektbilder in einigen Boxfilmen einfordern. Das Lesen konstituiert sich im Bezug nicht zum schlicht Ungedachten, sondern zum Undenkbaren des nicht-denkenden Körpers und seiner Modulationsphasen. Die Bemerkungen, mit denen Deleuze das durch den Körper des modernen Kinos gestiftete Zeit-Bild umreißt, lesen sich wie für die Boxerfigur gemacht: „Der Körper ist niemals einfach in der Gegenwart, er enthält das Vorher und Nachher, die Erschöpfung und die Erwartung. Die Erschöpfung, die Erwartung und sogar die Verzweiflung sind Verhaltensweisen des Körpers. [...] Das Verhalten des Körpers setzt das Denken in einen Bezug zur Zeit als ein Außen, das unendlich ferner ist als die äußere Welt. Vielleicht ist die Erschöpfung das erste und letzte Verhalten, weil es 424 zugleich das Vorher und Nachher enthält [...].“

Erschöpfung: The Set-up, Fat City The Set-up und Fat City sind zwei filmische Konstruktionen, die der Erschöpfung innerhalb der Sprache der Erschütterungsphysis zu besonderem Ausdruck verhelfen. In beiden Filmen sehen wir die Erschöpfung tief in das Körperbild eines gealterten Boxers eingesenkt. Gealtert sind hier Athleten, die das Alter von dreißig Jahren überschritten haben haben, ohne einen nennenswerten Titel zu erringen. Erschöpfung und Erschütterung sind die Folgen jahrelanger Kampfpraxis in und außerhalb des Rings: das Boxerleben.

423 Benjamin 1991m, S. 143. 424 Deleuze 1991, S. 244-245.

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Während The Set-up dem gealterten Boxer einen „Jungsiegfried, der nocht nichts von den Niederschlägen des Lebens weiß und nichts von der Tugend, wieder hochzukommen, wenn man am Boden liegt“425, gegenüberstellt, gleichen sich die Boxer in Fat City. Die Hautfarben des Protagonisten Billy Tully und seines mexikanischen Gegners Lucero sind unterschiedlich, ihre Bewegungsprinzipien hingegen kaum unterscheidbar.426 Sie stehen sich in gleichmäßig offenem Schlagabtausch gegenüber, taumeln gemeinsam durch den Ring oder aber klammern sich aneinander zu jenen Trugbildern der Solidarität, die plötzlich enden, wenn ein Kämpfer sich aus der Umarmung lösen kann, um den anderen mit einem Angriff zu überraschen. Die Angleichung der feindlichen Körper in Fat City reicht soweit, daß ihr Streben nach der Brechung des andern – zumindest aber das Bewußtsein dieses Strebens – in Frage steht. Das Schlagen gerät zum Automatismus der erschöpften Körper. In der Erschöpfung werden die beiden Figuren eins: beide hat die gleiche Zeit, die Dauer des Boxerlebens, geschlagen. Am desorientierten Blick des Protagonisten, der seinen Sieg nich zu realisieren vermag, kristallisiert sich das Denken der Erschöpfungshaltung. Wie in Body and Soul schiebt sich die Detailaufnahme der Boxeraugen zwischen die Betreuungsaktionen der Rundenpause. Aber anders als bei Charlie Davis werden wir nicht Zeugen einer gerichteten Blickbahn, auf der sich die Wut an den Gegner adressiert. Statt dessen trifft uns das wirre Starren eines entleerten Augenpaares. In Abwesenheit eines anderen Adressaten als uns selbst konfrontiert uns dieser Nullpunkt des filmischen Blicks mit dem Denkbild einer Erschöpfung. Das Körperbild hat jede Vermittlungsfunktion verloren. Die Zeitform dieses Bildes ist eine Ewigkeit ohne Willensenergie: Die Kraftlosigkeit als eigene zeitliche Dimension und nicht mehr als Situation des konkreten Kampfes. Es handelt sich um eine Sprache des Körpers. Aber die Körpersprache unterstellt sich nicht dem individuellen Drama des Protagonisten. Statt dessen verweist sie auf nichts als sich selbst, auf die Unmittelbarkeit ihres Ausdrucks. 425 Böhringer 1998, S. 86. 426 Vgl. Oates 1998, S. 16: „Der Boxer trifft in seinem Gegner auf ein altes Menschheitstrauma: auf einen Doppelgänger mit verkehrten Vorzeichen.“

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FAUST TRIFFT AUGE Abbildung 18: Abwesend in Fat City — Billie Tully (Stacy Keach) bekommt seinen großen Kampf kaum mit.

The Set-up entwirft ein völlig anderes Bild der Erschöpfung. Wise verknüpft das fortgeschrittene Alter seines Protagonisten Stoker Thompson mit dessen verzweifelten Willen, den Kampf gegen seinen jungen, aufstrebenden Gegner als letzte Chance auf ein paar lukrative Begegnungen am Ende der Karriere um jeden Preis zu nutzten. Durchkreuzt wird dieser Wille durch die Korruption des

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Milieus.427 Doch Stoker hält an seinen Gewinnchancen fest. Seine widerspenstige Kampfweise bringt mehr und mehr Körperstellungen hervor, die sich zu einer eindringlichen Haltung verdichten. Abbildung 19: Erschöpfungshaltung in The Set-up — Stoker Thomsen (Robert Ryan) verlangt sich für seinen letzten Kampf alles ab.

Die choreographische Arbeit mit John Indrisano – selbst ehemals aktiver Boxer –bildet Basis Kampfszenen.428 Die Boxerhaltung im eigentlichen entsteht aus der Brechung des boxerischen Könnens, 427 Vgl. Böhringer 1998, S. 85. 428 Vgl. Robert Wise in Beier / Müller 1996, S. 147.

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das der Akteur Robert Ryan in die Gestaltung der Figur einzubringen hat: „Wissen Sie, daß Bob Ryan früher geboxt hatte? Als er in Dartmouth studierte, wurde er Champion bei den Wettkämpfen, die zwischen den Colleges ausgetragen wurden. Bei einer Größe von 1 Meter 95 war er zwar recht hochgewachsen, doch mit einem Gewicht von 95 Kilo wog er weitaus weniger als die meisten Schwergewichtler. Wir mußten seinen Stil völlig verändern, denn er wirkte viel zu leichtfüßig. Er mußte das Tempo drosseln, ganz bewußt die Bewegungen verlangsamen, um Sto429 ker Thompson glaubwürdig spielen zu können.“

Die Kampfmontage verzichtet auf die Zeitraffung, der die Runden im Boxfilm gewöhnlich unterliegen. Jede der vier Runden ist sogar deutlich länger als die im Boxen üblichen drei Minuten. Zwischen ihnen erhält die Pause tatsächlich sechzig Sekunden Raum. Wir haben es nicht mehr mit einer spektakulären Metamorphose der Haltung wie in Body and Soul zu tun. Vielmehr konstituiert sich die Willenshaltung während dieses langgezogenen Kampfes in der endlosen Wiederholung ihrer verdichteten Gegenwarten. Der bald angeschlagen, bald entschlossen nach vorn geneigte Körper sucht Schutz hinter einer seltsamen Doppeldeckung, in der die Arme kraftlos vor Kopf und Bauch liegen. Das beharrliche Stolpern in der Vorwärtsbewegung und der unsichere Trippelschritt im Rückwärtsgang werden von den eigenen Angriffen durchbrochen, deren Schläge am Endpunkt einrasten, als wollten sie im Gegner steckenbleiben. Der Bewegungsapparat wirkt stets hölzern. Die Sprache der Erschöpfung und des Willens wird unmittelbar in der unaufhörlichen Wiederholung der Stellungsmomente und -details lesbar. Wir haben es nicht mehr mit der Synthese der Kampfmomente im Willensakt zu tun. Vielmehr eröffnet der Ausdruck des Willens eine virtuelle Zeitdimension, die sich nicht synthetisieren läßt und die darin zum Denken der Willenshaltung auffordert.

429 Robert Wise in Beier / Müller 1996, S. 149.

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VI. Gewaltsame Überschreitungen Boxer, Gegner, Zuschauer: Beim Boxen darf man einer offenen Gewalthandlung zusehen. Die Unterscheidung einer illegalen und verbotenen Gewaltsituation zu derjenigen des Boxens ist mit dem Topos der Wahlfreiheit gut eröffnet. Die Emphase der freien Entscheidung zum Boxen, relativiert sich zwar in der Tatsache, daß in den amerikanischen Ring in der Regel Männer steigen, die nicht viel mehr als ihren Körper haben. Sie verbraucht sich jedoch dadurch nicht. Es gibt immer Alternativen und sei es diejenige, dahin zu vegetieren. Für die Zuschauer äußert sich die Wahlfreiheit schon allein in der Ankündigung des Geschehens, das sie nicht unvorbereitet oder gezwungenermaßen trifft. Festzuhalten ist außerdem, daß sich im Boxring kein Athlet über seinen Gegner zum Täter erhebt und sein Gegenüber zum bloßen Opfer degradiert. Statt dessen führen die Bedingungen des Wettkampfes einen beständigen Wechsel von aktiver und passiver Haltung zur Gewalt herbei. Zudem installiert sich die Erlaubnis der Gewalt und ihrer lustvollen Erfahrung über soziale Vorrichtungen mit langer Tradition. Wenn die Boxinszenierung den Einbruch der außerhalb der Ringgrenzen verbotenen Gewalt mittels sportlichem Rahmen (Reglement, Fairness, fraternisierende Gesten, Schiedsrichter, Ringarzt usw.) kontrolliert herbeiführt, nutzt sie die tradierten Mechanismen ritueller Umkehrung und Überschreitung: „Es gibt keinen positiven Ritus, der nicht im Grund eine wirkliche Entweihung ist. Denn der Mensch kann keinen Verkehr mit den heiligen Wesen haben, wenn er nicht die Schranken überschreitet, die ihn gewöhnlich von ihnen getrennt halten. Wichtig ist nur, daß sich diese Ent430 heiligung unter Vorsichtsmaßnahmen vollzieht, die sie mildern.“

Während das staatliche Gewaltmonopol in allen innerstaatlichen Bereichen Gültigkeit beansprucht, ist der Boxring ein Ort, wo sich Menschen öffentlich schlagen und verletzten dürfen, wo sogar der Tod eines der Kontrahenten, sofern seine Herbeiführung den Regeln 430 Durkheim 1981, S. 457, vgl. auch Menninghaus (1999, S. 493-494), der die hier zitierte Textstelle Durkheims in seiner Ekel-Studie über Bataille anführt, auf die später noch zurückzukommen sein wird.

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entspricht, nicht bestraft wird. So profan sich das Boxen auch geben mag – in der Betonung des Geschäfts oder des SportlichAnalytischen – es enthält etwas vom uralten Wissen um die heilige Opfergewalt. Raumzeitlich begrenzt und streng ritualisiert, sanktioniert das Opfer Gewalthandlungen, die im Alltag verboten sind. Wie seine religiösen Gesetze unterscheidet auch das bald medienwirksam aufgeführte, bald quasi-religiös praktizierte Berufsethos des Boxers zwischen unreiner und reiner Gewalt. Gewalt gegen Gewaltlose, die selbst gar nicht kämpfen wollen, gegen in großem Gefälle Schwächere, gegen wesentlich Leichtere, Gewalt gegen Frauen, Gewalt gegen am Boden liegende, gegen Besiegte, maßlose Gewalt, all das ist verpönt und verboten im männlichen Profiboxring. Im sportlich-rituellen Rahmen kultiviert das Boxen die Gewaltanziehung und entfaltet die Attraktion des Kampfes. Wenn Gebauer vom Sport als einem „Spiel mit den Techniken des Körpers“431 spricht, gilt das für den Faustkampf daher nur mit Einschränkung. Spielerisches ist durchaus vorhanden. Die oftmals theatralische Selbstinszenierung der Beteiligten, die sichtbare Begeisterung an der Bewegung und am Wettbewerb seien in diesem Punkt als Indizien angeführt. Aber der Kampf dringt in dunklere Zonen vor. Unterlegenheit bringt dem Schwächeren im Faustkampf nicht nur die sportliche Niederlage, ausgedrückt in Punktwerten, ein. Im Boxen wird jede Unachtsamkeit oder Schwachstelle umgehend mit physischem Schmerz bestraft. Die Lücken in der Verteidigung werden gnadenlos ausgenutzt. Zeigt sich über dem Auge eines Kontrahenten eine Schwellung, zielt der Gegner so lange darauf, bis aus ihr eine Platzwunde wird. Anschließend schlägt er solange auf die Platzwunde ein, bis der Blutende aufgibt oder der Ringrichter den Kampf abbricht. Mehr als andere Sportarten, deren Gewaltpotentiale ebenfalls nicht zu unterschätzen sind, exponiert das Boxen die körperliche Gewalt als legitime Handhabe. Der Schmerz des Kontrahenten ist direkt intendiert und nicht etwa das letzte Mittel, den Gegner unfair und möglichst vom Schiedsrichter unentdeckt zu stoppen. Vom Boxen zum Bild des Boxens Weil das Boxen einer abgründigen, nicht mehr oder nur im äußersten Sinne spielerischen Lust an der Verletzung und offenen Körper431 Gebauer 1988, S. 151.

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aggressivität huldigt, bleibt etwas an seiner Gewalt – trotz der sportlich-rituellen Legitimation – nur schwer faßbar. Insbesondere für diejenigen Zuschauer, deren Alltag tatsächlich weitgehend frei von körperlicher Gewalt ist und die dem Boxmilieu (noch) fremd gegenüberstehen, ist die Beteiligung am Kampfabend mit dem Staunen über die eigene raumzeitliche Nähe zum Gewaltereignis verbunden. Den boxkundigen und regelmäßigen Zuschauern ist solches Staunen nicht durch Abstumpfung blockiert. Vielmehr steht an seiner Stelle neben der Gewaltlust die konkrete Praxis des boxerischen Wertsystems. Dieses System ordnet die Gewalt nicht nur und macht sie innerhalb seiner mythischen Welt sinnvoll, seine Praxis beinhaltet zudem aktive Verantwortungsmechanismen. Die sportlich-rituell gereinigte Entweihung der modernen Gewaltnorm wird in der Arena vom Zuschauerkollektiv getragen. Nicht paralysierte Hilflosigkeit, sondern aktive Partizipation an der Gewaltattraktion ist die Haltung des Publikums, das schon mit dem Zahlen des Eintrittsgeldes zu einem tragenden Teil des Kampfrituals wird. Angeblich soll Blut die Massen in Rage versetzen. Die in das sportliche Wertsystem Eingeübten wollen jedoch in der Mehrheit einen fairen Kampf von annähernd ebenbürtigen Gegnern sehen und ziehen dessen Spannung dem Spektakel der monströsen Zerstörung eines Athleten durch den anderen vor. Das verleiht auch der Gewaltgemeinschaft, die sich um und durch das Ringgeschehen konstituiert, ein Ethos, welches für ihr Selbstwertgefühl bedeutsam ist.432 Bei den Kampfabenden vor Ort kann man miterleben, wie die besonders dramatischen Szenen den Spannungszustand des Publikums intensivieren. Dazu gehören auch die noch für die letzten Reihen der Halle hervorstechend gewalttätigen Momente: Wenn ein Boxer von seinem Kontrahenten an den Seilen gestellt wird und in einen Schlaghagel gerät oder wenn eine Wunde am Kopf so stark blutet, daß die Haut beider Boxer rötlich eingefärbt zeigt. Das Publikum drängt jedoch nicht um jeden Preis auf eine exzessive Ausweitung 432 Vgl. Gorns Darstellung der Argumentation von R. Payne Knight – eines Fürsprechers des englischen Boxens aus der Perspektive der Gentry im frühen neunzehnten Jahrhundert: „Knight denied that violence alone rendered bloodsports interesting. Lovers of cockfighting or bullbaiting, took no pleasure in seeing livestock butchered in slaughterhouses, any more than men of the fancy enjoyed watching bloody mismatches,“ 1986, S. 57. Vgl. auch Junghanns 1997a, 146ff.

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der Gewalt hin. Das Pendant zu den Appellen an die Athleten, alle Energien einzusetzen, um zu gewinnen, sind jene Momente, in denen die Menge vom Ringrichter und von den Sekundanten verlangt, einen Kampf abzubrechen, weil einer der Boxer seine Verteidigungsfähigkeit verloren hat. Oates hat das Bild vom Publikum als einer Welle vorgeschlagen, deren Bewegung der Forderung bzw. Lust nach Gewalt entspricht, der aber auch Gegenwellen Widerstand leisten und sie in ihrer Richtung korrigieren.433 An diese vielschichtige Wellendynamik findet sich das Fernsehpublikum über Funk und Kabel nicht angeschlossen. Die Kombination aus räumlicher bzw. medialer Trennung einerseits und zeitlicher Übereinstimmung andererseits präpariert bei Liveübertragungen eher die Position der Zeugenschaft als diejenige der Teilhabe an der gezeigten Gewalt. Diese Installation eines noch transparenten Aufbaus von ,Athenes Schild‘ hat bereits die Tendenz, die Zuschauer von der ebenso eigenartigen wie konkreten Mitverantwortung für das Ringgeschehen zu entbinden. Die Entlastung wirkt zumindest in der Gegenwart des Kampfes. Die Gewissenspflicht kann nicht parallel zum Sehen in Aktion umgesetzt werden. Das mediale Dispositiv trennt das Sehen vom direkten Einfluß auf das gegenwärtige Verhalten der Akteure in der Arena ab. Mit verantwortlichem Handeln kann der Fernsehzuschauer lediglich zukünftige Kämpfe und auch sie nur indirekt beeinflussen, indem er seine Mißbilligung der bereits erfahrenen Gewaltpraxis gegenüber dem Sender oder anderen Machtinstanzen zum Ausdruck bringt – sei es durch den expliziten Protest oder die einfache Minderung der Einschaltquote. Dokumentarische Darstellungen des Faustkampfes und seiner Gewalt verstärken ,Athenes Schild‘ ins Opake, weil sie zur räumlich-medialen Trennung die Zeitverschiebung hinzufügen. Es gehört zur Ambivalenz der Schild-Metapher, daß sie etwas auf Distanz setzt, dessen bildliche Transformation um so tiefer in den Resonanzkörper eindringen kann. Wenn die fairen und unfairen Kampfaktionen im dokumentarischen Modus in Boxhistorie transformiert werden, ist eine mimetische Nähe zum Gewaltbild initiiert, in der sich die Potentiale der Faszination und Reflexion grundsätzlich – nicht unbedingt im konkreten Fall – die Waage halten. Das dokumentarische Kino forciert diese Nähe in der Intensivierung des Ausdrucks durch das technische Dispositiv. Dennoch ist die Ver433 Vgl. Oates 1988, S. 85.

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antwortungsproblematik, obgleich sie aus ihren zeitlichen Angeln gehoben und damit gegenüber ihrer Verzweigung geöffnet wird, kaum verabschiedet. Wenn auch nur entfernt, erinnert noch das Bild der sich vor Jahrzehnten schlagenden Körper an diejenigen, die sich morgen in einer der großen Arenen verletzten werden. Der Boxspielfilm hingegen stattet ,Athenes Schild‘ mit jener gehärteten Lackschicht aus, die das ausgiebige Spiegeln von Einzelheiten erleichtert. Trotz aller Mischformen und Konstruktionen von Ununterscheidbarkeit, trotz aller kritischen Reflexionen des Mediums auf seine Darstellungsmodi und Möglichkeiten versucht der Zuschauer immer noch, in einem letztlich zweipolig ausgerichteten Spektrum zu entscheiden, ob es sich um einen tatsächlichen oder für die Kamera gestellten Kampf handelt. Im Bewußtsein von Darstellungskonventionen und Sehgewohnheiten ist es zum wesentlichen Teil der entsprechende Film selbst, der zu dieser Entscheidung befähigt, sie generiert, gegebenenfalls verhindert oder ihre Möglichkeit in Zweifel zieht. Wenngleich ein solches Urteil keinen Anspruch auf Wahrheit erheben kann, ergeben sich aus ihm unterschiedliche Rezeptionsmodi. Der Glaube an das Gestellt-Sein der Szenerie läßt den Reiz der Zeugenschaft verblassen. Von welcher anderen Gewalt als der bildlichen ist man schon Zeuge, wenn man sich im klaren darüber glaubt, daß kein Mann wirklich geprügelt wird, die Heftigkeit der Faustschläge filmtechnisch verbürgt und die Blutmenge künstlich ist? Unter diesen Bedingungen können die Hemmschwellen des Sehens leichter fallen. Der Blick darf sich auch auf die Einzelheiten der Gewaltdarstellung richten und kann sich an ihnen entfalten. Schaut man auf das zwanzigste Jahrhundert zurück, zeichnen sich in einem aufgrund der Unterschiedlichkeit der Gegenstände etwas schiefen Vergleich von boxerischer Gewalt und ihrer Darstellung im Spielfilm zwei gegenläufige Tendenzen ab. Nachdem das Boxen sich mit den Queensberry Rules dynamisierte, war sein Gewaltpotential unter der oberflächlichen Befriedung durch Handschuhe und strenges Reglement zunächst in Hinsicht der Gefährdung des Kopfes und der Beschleunigung angestiegen. Aber seit seiner Legalisierung kann man auf lange Sicht eine Entwicklung zur Minderung der Gewalt im Ring erkennen. Die Anzahl der Runden für einen Kampf wird begrenzt, später nochmals von fünfzehn auf zwölf bei großen Begegnungen herabgesetzt. Unter Gesundheits-

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kontrollen und der Überwachung der Ringärzte wird der technische K.o. häufiger, was bedeutet, daß es schneller zu Kampfabbrüchen kommt, um gesundheitliche Risiken zu minimieren. Das staatliche Gewaltmonopol dringt somit Schritt für Schritt in das Boxterritorium ein.434 Weil Hollywood keine echten Kämpfe zeigt, kann es seinen Boxfilmen nicht nur ein Publikum erschließen, dem die Ächtung physischer Gewalt tiefer implantiert ist als den Boxfanatikern, sondern auch in diametral anderer Richtung voranschreiten. Gegenüber den frühen Fake Fight Films wissen die ausgereiften Attraktionsmontagen des klassischen Boxfilms ihre Schlagserien, extraordniären Treffer und Niederschläge akzentuierter ins Bild zu bringen. Aber erst die Boxproduktionen der letzten Dekaden sind von jener Inflation der Gewaltdarstellung geprägt, die das amerikanische Kino der Aktion spätestens seit Ende der sechziger Jahre auf breiter Ebene betreibt. Erst hier sieht man sich mit Gewaltbildern in pornographischer Aufdringlichkeit konfrontiert: Detailbilder von Körpern, die unter der Wucht eines Schlages geöffnet werden, so daß Blut meist spritzend aus ihnen austritt; Tongroßaufnahmen von Knochen, die durch den Aufprall der gegnerischen Faust zerbersten. Freilich erhöht sich die Schnittrate. Damit bestätigt sich jedoch die tradierte These nur zum Teil, daß die filmische Gewalt im Schnitt oder allgemeiner in der Entfesselung der Technik liegt – hier sei vor allem auf die Entwicklung der auditiven Apparaturen mit ihren Raumklängen verwiesen. Denn eine Steigerung des technischen Spektakels bedeutet keine automatische Zunahme der Gewaltintensität. Die bald kühle, bald spielerische Begutachtung der technischen Ausnahmemanöver hält sich jenseits einer Resonanz der eigentlichen Gewaltdarstellung auf. Eine Kampfszene kommt demnach nur dann als ein ergreifendes Gewaltbild im Resonanzkörper an, wenn die technische Vehemenz mehr in den Dienst einer somatischen Empathie oder anderen Mimesis mit dem Körperbild tritt, als sie eigenmächtig zu überbieten. Die Enthemmung der Mimesis gegenüber der Boxgewalt besteht gerade darin, die reflexartig am eigenen Leib nachvollzogenen Körperattacken innerhalb der Resonanzaktivität zu entfalten. 434 Vor dieser Entwicklung bietet eine unfaire, ,animalische‘ Gewaltaktion, wie Mike Tysons blutiger Biß in das Ohr seines Gegners Evander Holyfield, eine besonders medienwirksame Attraktion.

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Wenn sich auch der Boxfilm der technizistischen Spielerei nicht enthalten hat, seine Mythologie des Opferkampfes installiert als Gegengewicht zumeist das Wissen um die Verletzlichkeit des Körpers. Andererseits besitzt gerade die Einbindung des Kampfes in den mythologischen Kontext einen befriedenden Effekt gegenüber der somatischen Empathie mit den Körperstößen. Vor allem in den klassischen Inszenierungen der Opferkampfmythologie erfährt der aggressive Kampf eine Legitimation, durch die die Faustgewalt in einem Maße naturalisiert wird, daß sie schließlich zur Boxerfigur gehört, wie die Schwellung des Gesichts zum Wirkungstreffer. Neben dem Rückgriff auf die rituellen Legitimationsstrategien des realen Boxens selbst, speist sich die mythologische Naturalisierung erstens aus der motivierten Notwendigkeit des Sieges – gleichgültig ob für die gute Sache (The Crowd Roars) oder zusätzlich auch noch gegen den bösen Boxer (Rocky) – und zweitens aus der Heroisierung der boxerischen Haltung als widerstandsfähiger Erschütterungsphysis. Wie gesehen, konterkariert die Lesbarkeit dieser Haltung, wie sie in Body and Soul, The Set-up oder Fat City erscheint, die Zwänge der Naturalisierung. Das exklusive Privileg der Haltungsästhetik ist dies jedoch nicht. Denn auch gewaltsame Überschreitungen, die in ihrer Verbotsverletzung und Intensität nicht mehr durch die rituellen und motivierenden Mechanismen der Opferkampfmythologie sanktioniert sind, vermögen die Naturalisierungsstränge zu durchbrechen: die gewaltsame Überschreitung als ästhetisches Prinzip. Durchbrochen: Ironie (Fight Club) und Kristalleis (Raging Bull) Im Feld des Boxfilms sind es vor allem zwei Filme, deren schockierende Gewaltmomente sich in einem avancierten ästhetischen Konzept reflektieren: Raging Bull und Fight Club verneinen mit ihren Gewaltschocks nicht nur die generische Naturalisierung des Boxkampfes, sie sind ebenso selbstbezügliche Inszenierungen des Durchbrechens. Da beide Filme auch jenseits der Kampfszenen nicht dem klassischen Paradigma folgen, ist das, was durchbrochen wird, nicht die kontinuierliche Bewegung sensomotorischer Prägung. Was aber funktioniert dann als der jeweils vorherrschende spezielle Modus des Bildes bzw. seiner Rezeption, den die Gewaltschocks suspendieren?

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Die Qualität von Finchers Fight Club liegt darin, die spätmodernen Wahrnehmungs- und Lebensverhältnisse sowie die Abdichtung gegen Erfahrung, unter denen wir den namenlosen Erzähler in der Rückblende leiden sehen, innerhalb der Filmerfahrung zu thematisieren.435 Von Beginn an legt das Bild unter Ausschöpfung der entsprechenden Mittel, zuvorderst der Montage, ein enormes Tempo vor. Die Besonderheit liegt aber kaum in der bloßen Beschleunigung, sondern in der speziellen Ironie, die die rasanten Reizserien organisiert. Die Ironie verhindert auch, daß die Rasanz im Verfahren der Rückblende aufgefangen werden kann. Als strukturierter Blick in die Vergangenheit könnte der Rückblick einen Abstand zur Ereignisfolge schaffen, der mit dem führenden Geleit und der erklärenden Interpretation des Erzählers aufgefüllt wird. Hier aber stiftet die Stimme im Off nur scheinbar Kontinuität. Man versucht, ihre Erklärungen dem tradierten Rückblendeverfahren gemäß dankend entgegenzunehmen, aber ihre Rede produziert einen Überschuß an Sinn und Sinnfälligkeit in einer unablässigen Abfolge von Pointen. Die auf ihren sarkastischen Effekt formulierten Kommentare finden ihr Korrelat in den vielen kleinen szenischen Fragmenten, die – wie die Inszenierung der Wohnungseinrichtung aus dem Katalog oder der portionierten Welt in Flugzeug und Hotel – um keinen Preis auf Originalität verzichten wollen. Die Signatur dieser Abfolge von Pointen, die sich gegenseitig zu übertreffen suchen, verlangt dem Zuschauer einen intellektuellen Reaktionssport ab, bei dem die Aufmerksamkeit heiß läuft wie die Nervenbahnen der Computeranimation, vor der am Filmanfang die

435 Der Protagonist kann als die Karikatur des Benjaminschen Subjekts moderner Zivilisation gelesen werden: arm an Erfahrung in einer Welt, die jegliche Aura verloren hat, die nur noch aus einer Schwemme von Reproduktionen besteht. (Vgl. Benjamin 1991, 1991a.) Aber seine benebelte Schlaflosigkeit ist eher eine Metapher für die Anästhesie in einem Zeitalter, das durch Schutzzonen, Sicherheitsgurte und Schreibtischarbeit an strahlungsarmen Monitoren gekennzeichnet ist. Finchers Film zeigt eine Welt, in der sich die Körper in die klinischen Büroetagen der Informations- und Dienstleistungsgesellschaft einfügen müssen. Der Erlebnishunger, den der Protagonist in dieser Umwelt ausgebildet hat, geleitet zunächst seine Vorstellungskraft zu katastrophischen Ereignissen (Flugzeugabsturz) und schließlich ihn persönlich in den ,Fight Club‘.

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Titel erscheinen.436 Der Bewußtseins-Schild kann seinen Trainingsstand unter Beweis stellen, indem er die ironischen Stöße pariert. Dem darin Erfolgreichen schmeichelt Fight Club. Denn der Lohn ist Stolz für jeden abgefangen Seitenhieb. Weil derart die – ebenfalls nicht ohne Ironie mit Benjamin gesprochen – „Spitzenleistung der Reflexion“437 stets vom Anflug eines narzißtischen Rausches erfaßt wird, muß man schon ein sehr guter Verlierer sein, um zuzugeben, daß man der Pointenüberfülle selbst bei der zweiten und dritten Sichtung das Wasser nicht reichen kann. Immerhin winkt dem fairen Sportsmann die Chance, sich im Eingeständnis der eigenen ,Schwäche‘ einen beständigen Transfer zwischen dem Rausch und dem Denken des Rausches zu erschließen. Dabei wird er unterstützt von den Bildern der ganz und gar unsportlichen Kämpfe, die sich in wenigen Momenten gegen das dichte Ironiefeuer zu sperren vermögen, weil ihre Gewaltdarstellung nicht vollends im ironischen Modus pariert werden kann oder sich ihm zumindest nicht umstandslos offeriert. Nichts ist Raging Bull ferner als die Pointenserien von Fight Club, denn Scorsese überantwortet sich einer völlig anderen Form von Ironie. Seine Methode ist nicht der den Beifall zuerst erheischende und dann überbietende Sarkasmus, sondern die kristalline Spiegelung in der Filmgeschichte. Es ist oft darauf hingewiesen worden, daß sich Raging Bull als Kind des New Hollywood erweist, weil sich die Inszenierung des Lebens von Jake La Motta im cinephilen Bezug auf das klassische Kino konstituiert.438 Sie wendet sich damit an ein durch das Fernsehen weniger abstrakt wissendes als konkret filmerfahrenes Publikum. Der Unterschied zwischen einem erfahrenen und einem bloß wissenden Zuschauer läuft auf nichts weniger als auf die Differenz zwischen einer in ihrer Sammlermentalität verarmten Kennerschaft einerseits und der potentiellen Neuerfahrung der filmischen Vergangenheit andererseits hinaus. Er läßt sich an einer Gedankenfigur Kracauers verdeutlichen. Dieser beschreibt in seinem Aufsatz Die Photographie, was mit den Jahren anhand der Reproduktion der

436 Taubin (1999, S. 18) beschreibt Fight Club als einen „extremely agile, associative train of thought that can back up and hurtle forward and switch tracks in an instant“. 437 Benjamin 1991, S. 615. 438 Vgl. z. B. Cook 1982, S. 40.

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Großmutter geschieht.439 Ihre Zeitgenossen vermögen die „Raumerscheinung“440 Fotografie noch mit einem Gedächtnisbild zu verbinden. Auch wenn die alte Frau nicht mehr ist, versetzt diese Verbindung die Erinnernden noch in die Lage, die ihnen vertraute Person zu identifizieren. Mit der Zeit dringen immer weniger Gedächtnisspuren in das Foto der Großmutter ein. Den folgenden Generationen zerfällt ihre Gestalt in Teile. Das Foto versammelt jetzt als bloße „Raumerscheinung“ die Elemente ihrer äußeren Hülle, die für sich und nicht mehr als Attribute der bekannten Person Aufmerksamkeit einklagen: Krinoline, Chignons, Korsett. In ihrem Vergleich zum Gemälde, dem das Gedächtnisbild im Malen dauerhaft eingewoben ist, beläßt Kracauers zwischen Geschichts- und Kunstphilosophie angesiedelte Konstruktion diesen Effekt auf der Seite der Fotografie: ein Charakteristikum des Bildes, das ohne den Menschen apparativ hergestellt wird und den Raum vor der Linse ohne Wertung erfaßt. In der Tat ist an Fotos, etwa an Schnappschüssen, oft am interessantesten, was scheinbar zufällig mit ins Bild geraten ist. Aber der Zerfallseffekt erstreckt sich letztlich auf das breitere Terrain der populären Produktion, deren Bilderflut vom Gedächtnis nicht bewältigt werden kann. Bestimmte Regionen des Gedächtnisses selbst – sowohl des kollektiven als auch des individuellen – haben an ihm Anteil, weil ihnen die Vergangenheit fremd bleibt und nicht im integrierten Erinnerungsbild aktualisierbar ist.441 In diesen Regionen treten die Details der Darstellung in den eigenartigsten Ausdrucksdimensionen hervor und heben sich vom imaginären Kontinuum der Filmgeschichte und der filmischen Geschichten ab. Am Tweedjackett der vierziger Jahre fasziniert die steinerne Grobheit seiner Oberfläche und die sperrige Unförmigkeit des Schnitts, an der veralteten Rückprojektion die dem durch die technische Entwicklung verwöhnten Auge aufdringliche Verschiebung der Bildebenen. Dieser durch den historischen Abstand geschaffenen Öffnung des Bildes gegenüber dem ,Optisch-Unbewußten‘ begegnet der fetischistische Kenner mit dem erneuten Verschluß. Er pariert die sur439 Kracauer 1977b. 440 Kracauer 1997b, S. 24. 441 Eine filmische Darstellung einer Erinnerungsbewegung in einem Universum populärer Bilder, die eine fremde und gleichzeitig drängende Vergangenheit nicht zu aktualisieren vermag, ist Rainer Werner Fassbinders Lili Marleen. Vgl. May 2000.

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realen Schocks des Hervortretens, indem er die abgelösten Details in seine geordnete Sammlerregistratur abrufbarer Vergangenheit einordnet. Der Turban, den Cathy Moriati in Raging Bull in der ,Home-Movie‘-Sequenz am Pool trägt, gehört im Original zu Lana Turner, das Radio spielt im Hintergrund die Hits der vierziger und fünfziger Jahre usw. So viel sie auch an Daten gespeichert haben mag, diese Art der im Wissen besitzergreifenden Kennerschaft bleibt gegen die Neuerfahrung der Vergangenheit abgedichtet. Die Strategie, mit der Raging Bull dem Kenner die stützende Registratur entzieht, liegt in der Einschreibung des Verlustes in die Bildkomposition. Der Zuschauer braucht sich nicht wie in Fight Club dazu durchzuringen, die narzißtische Ekstase der Identifikation unter Bedrängnis aufzugeben, um das Denken ihrer Struktur zu gewinnen. Die Erfahrung des Verlierens ist hier die allgegenwärtige Kehrseite derjenigen des Findens. „The film, which has a minimal story line, is a complex tapestry of allusions in image and sound to a lost popular culture. It offers a challenge to the curiosity and the critical acumen of the cinéphile spectator, a come-on to those of us who are hooked on cinema. Jake La Motta’s life brushes against the history of cinema and popular music at certain mo442 ments, drawing us in like a puzzle to a game we can never win.“

Was diesen Worten Pam Cooks hinzuzufügen bleibt, ist erstens die Temperatur, durch welche die Liebe zum Kino davon abgehalten wird, sich im Liebesobjekt eindeutig zu erkennen. Dem Blick schlägt in Raging Bull eine immense Kälte entgegen, so daß noch der warmherzigste Liebhaber durch eine transparente Wand aus Eis von der Filmwelt getrennt bleibt. Statt in diese Welt identifikatorisch einzutauchen, ist er darauf verwiesen, eine andere Form der Mimesis zu entwickeln, am Eis entlangzugleiten und die in seinen Splittern gebrochene Vergangenheit zu erfahren. Zweitens weist Raging Bull in seinen Gewaltdarstellungen Momente auf, die das außerhalb der Kampfszenen inszenierte Verhältnis zur Vergangenheit aussetzen. Damit ist nicht einfach gemeint, daß die klassischen Boxfilme weder Scorseses Gewaltintensität noch die sie umsetzende Filmtechnik kennen. Denn die Filmboxkämpfe treiben außerdem eine ganz andere Form des Vergangenheitsverlustes an, wenn sie 442 Cook 1982, S. 40.

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die Gegenwart zum Schock verdichten und sich für den Augenblick von der Filmgeschichte, von jeder Vorstellung einer historischen Zeit überhaupt, losreißen.443 So unterschiedlich diese dominanten Bildmodi von Raging Bull und Fight Club auch sind, ihre jeweiligen Überschreitungen weisen einige Gemeinsamkeiten auf. Zunächst mobilisieren sie unseren Ekel – von Nietzsche bis Bataille das Symptom und die Konsequenz der Überschreitung444 –, oder aber sie beziehen sich zumindest auf eine Rhetorik des Ekels. Nicht allein durch die taktile und technisch-durchdringende Schlaghärte, sondern auch mit den traditionellen Kategorien des Ekels (Schleim, offene Wunden, Blut usw.) treiben sie die somatische Empathie bisweilen an die Grenzen des Erträglichen. Dieser Effekt verstärkt sich durch die Tatsache, daß menschliche Gesichter die maßgeblichen Objekte der Zerstörungsorgien darstellen. Weiterhin können die Überschreitungen nicht allein auf die reflexhafte Antizipation des Resonanzkörpers gegenüber der Körpergewalt und ihrer Ekelrhetorik zurückgeführt werden. Sie bestehen außerdem stets in einer gewaltsamen Machtanmaßung – am eigenen oder gegen den anderen Körper –, die aus dem rituellen Rahmen des Opferkampfes ausbricht. Dadurch kommt es zur radikalen Ausstellung einer Perversion, die ebenfalls in die Sphäre des Ekels drängen kann.445 443 Dieses Losreißen von jeder Vorstellung historischer Zeit ist die Gedankenfigur, die Karl Heinz Bohrer seit Jahrzehnten für die moderne Literatur propagiert. Vgl. z. B. Bohrer 1994. Es wird unten noch zu zeigen sein, wie die Intensität, die den Schock zu verantworten hat, in ein Denken des Schocks umschlägt. 444 Vgl. Menninghaus 1999. 445 Durch die Ausstellung der perversen Machtanmaßung und ihre Überschreitung kann die Lust an der Gewaltdarstellung in Ekel vor dem eigenen Lustempfinden umschlagen. Daher entbindet Ahtenes Schild den Spielfilmzuschauer nicht ohne weiteres von jenem Selbstekel, den Oates (1988, S. 106) als die dunkle Basis der Esoterik des Boxpublikums beschreibt: „Jeder Boxfanatiker, so sehr er sich auch an diesen Sport gewöhnt hat, wie viele Jahrzehnte er auch seiner Obsession gefrönt hat, weiß ganz genau, daß Boxen reiner Wahnsinn ist, auch wenn es Augenblicke großer Schönheit gibt. Dieses Wissen verbindet uns, und manchmal – ich wage es kaum zu sagen! – verbindet uns die Scham darüber. Wenn man sich ernsthaft auf diesen Sport einläßt, riskiert man, daß einen in manchen Momenten eine rein animalische Panik packt – das Gefühl, daß nicht nur etwas sehr Abscheuliches passiert, sondern daß wir, indem wir dem Geschehen zuschauen, zu Komplizen werden. Diese

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Die elementare Ähnlichkeit beider Filme diesbezüglich ist frappierend. Die wohl schockierendsten Gewaltmomente treten in Raging Bull und Fight Club in jeweils einer extrem masochistischen und einer ebenso vehementen sadistischen Situation auf. Mit anderen Worten, die Schockszenarien beider Filme beziehen ihren Ekeleffekt nicht einfach aus der Nähe der zerschlagenen und blutigen Kämpferphysis zum verwesenden Leichnam, den Winfried Menninghaus in seiner Studie zur Theorie und Geschichte des Ekels als die Chiffre seiner Bedrohung erkennt.446 Vielmehr ekelt auch die Darstellung des konkreten Versuchs, sich den Wunsch nach dieser Nähe entweder masochistisch am eigenen oder sadistisch am anderen, immer jedoch am schönen und starken Körper zu erfüllen. Es ist diese grenzüberschreitende Kombination (Ekelkategorien, Gesichtsdestruktion, Machtanmaßung, Perversion), die einerseits dazu herausfordert, nach psychologischen und mythologischen Erklärungen zu suchen, sich andererseits jedoch nicht in die Resultate dieser Suche integrieren läßt. Sie scheint unvereinbar mit unserem im alltäglichen Leben hervorgebrachten Habitus, mit unserer Erfahrung und unseren Ansichten auf dem Terrain menschlichen Verhaltens. Die selbstbezügliche Inszenierung der Überschreitung und ihres Hereinbrechens in den dominanten Bildmodus initiiert daher ein Denken oder Lesen der Überschreitung, was die Rede vom ästhetischen Schock erst sinnvoll macht. Masochistische Demonstrationen In seinem Text zum Masochismus beklagt sich Deleuze über die dumme und „alberne Überheblichkeit in der Einschätzung der Perversionen“447, die sich in dem bekannten Witz eingenistet hat, der von der Begegnung eines Masochisten und eines Sadisten berichtet: Wahrnehmung, diese Offenbarung, diese Schwäche oder dieser haarfeine Spalt in der Oberfläche unseres Selbst kann uns jederzeit treffen, unvorhergesehen und ohne daß wir es wollen; obwohl sie den Zuschauer mit großer Wahrscheinlichkeit dann packt, wenn er einen gewalttätigen Kampf sieht. Ich fühle dann einen Schwindel – eine Atemlosigkeit – einen Widerwillen, der sich nicht in Worte fassen läßt: einen rein körperlichen Ekel. Daß dieser Ekel sich genauso stark gegen einen selbst richtet, vielleicht hauptsächlich, braucht nicht betont zu werden.“ 446 Vgl. Menninghaus 1999, S. 7. 447 Deleuze 1997, S. 193.

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Der Masochist fleht sein Gegenüber an, ihn zu quälen, und der Sadist verneint das Verlangen. Der Sadist behält scheinbar das letzte Wort, aber – so denken wir es hinzu – er kommt damit gleichzeitig der Bitte des Masochisten nach. Der Witz suggeriert somit das Zusammentreffen zweier aufeinander abgestimmter Typen, zweier Module, die gemeinsam eine ideale Einheit ergeben. Eine solche Begegnung hält Deleuze für unmöglich, da die spezifischen Mechanismen und konkreten Situationen der beiden unterschiedlichen Perversionen miteinander unvereinbar sind: „Nie würde ein wirklicher Sadist ein masochistisches Opfer akzeptieren [...].“448 Denn ein Sadist empfindet keine Befriedigung, wenn das unterworfene und gequälte Opfer Lust an der Qual empfindet. Er wird immer darauf aus sein, die Lust des Opfers zu brechen und zu negieren. „Aber ebensowenig wird ein Masochist sich wirklich einen sadistischen Henker suchen.“449 Er sucht vielmehr nach einer Person, die im Sinne seines Phantasmas zum Henker erzogen werden kann. So hat nicht nur der Sadismus mit Kontrolle seitens des Perversen zu tun. Auch der Masochist strebt – zumindest in der Phantasie – die Kontrolle über die Situation des Quälens an. Er formt Situation und Henker in seinem Sinn, weshalb Deleuze von einem pädagogischen Unterfangen spricht. Zum Phantasma des Masochismus gehört allenfalls ein spezifischer Pseudosadismus, zu dem der Masochist seinen Henker erzieht und über den er sich mit ihm identifiziert. Und zum Phantasma des Sadismus gehört ein besonderer Pseudomasochismus, mit dem der Sadist die Leiden seines Opfers nachvollziehend genießt. Einen Masochisten und einen Sadisten zu einer sich ergänzenden Einheit zu verschmelzen, bedeutet daher eine verfälschende Abstraktion. Sie können Leiden und Lust nicht als gut portionierbaren Kuchen zwischen sich aufteilen. Beiden Perversionen werden „Umwelt, Fleisch und Blut“450 genommen, wenn man sie aus ihren speziellen Situationen und Phantasmen löst. Von beiden bleiben in der falschen Übereinstimmung des Witzes nur die entleerten und abstrakten Fragmente Lust und Quälen einerseits sowie Lust und Gequält-Werden andererseits übrig.

448 Deleuze 1997, S. 193-194. 449 Deleuze 1997, S. 194. 450 Deleuze 1997, S. 195.

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Deleuze, der die zwei Ordnungen perversen Begehrens überzeugend voneinander trennt, stellt sich nicht die Frage, unter welchen Bedingungen und mit welchen Konsequenzen, wenn nicht in Harmonie, Sadist und Masochist aufeinandertreffen könnten. Fight Club jedoch forscht danach in den Sphären des Kämpferischen, wenn er Tyler Durden – den Anführer der Masochistengemeinschaft – auf eine Figur mit ausgewiesener sadistischer Disposition treffen läßt. Als der Besitzer der Bar, in deren Keller die Kämpfe stattfinden, auf einer der Clubveranstaltungen auftaucht, wird er durch seinen Habitus sofort als Krimineller, als eine zeitgenössische Variante des Kinogangsters, erkennbar. Begleitet von einem bewaffneten Handlanger duldet sein einschüchternder Auftritt in Tonfall und Haltung – darin ist er den klassischen Vertretern der Zunft ähnlich – keinerlei Widerspruch. Aber in der Art neuerer Gangsterimagos trägt seine Sprache durchsetzt mit Kraftausdrücken („fucking“, „fuck“, „motherfuckers“, „stupid fuck“) eine Vulgarität zur Schau, die nicht leer dahingesagt ist, sondern tatsächliche Brutalität zum Ausdruck bringt. Etwas an dem stämmigen, untersetzten Mann deutet auf einen bevorstehenden Gewaltausbruch hin. Anders allerdings als etwa bei einer Figur der Bauart Eddie Fuselis in Golden Boy, die immer und überall droht, ohne von Drehbuch und Regie mit sichtbaren Gewaltaktionen ausgestattet zu werden, wissen wir in diesem Fall, daß etwas Schreckliches geschehen wird. Der Kinogangster hat von je her einen professionellen Zug zum Sadismus. Die Einschüchterung und das Quälen von Menschen gehören zu seinem Geschäft, sind ihm berufliche Mittel zum Zweck. Am Eindringling in Fight Club läßt sich diese Professionalität insofern beobachten, als er einerseits unter immenser Spannung zu stehen scheint, andererseits aber den Eindruck vermittelt, diese Spannung in eine kontrollierte Gewaltaktion umsetzen zu können. Aber der sadistische Gewaltakt ist anhand der Gangsterfigur über die pragmatischen Notwendigkeiten der Handlungssituation jenseits des Gesetzes hinaus immer auch als Demonstration ihrer Macht und damit ihrer speziellen Freiheitsform angelegt. Unter den Bedingungen archaischer Rivalität und unter den Augen gieriger Rivalen sind Gewaltfreiheit und Macht des Gangsters nichts, wenn sie nicht bewiesen und im Beweis immer wieder hervorgebracht werden. Über dem Abgrund der Gewaltfreiheit spannt das klassische Kino ein doppeltes Netz auf, innerhalb dessen Lagen der Ehrenkodex

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des ,guten‘ Gangsters mit der zensorischen Mäßigung innerhalb des Zeigemodus von Körperzerstörungen seitens der Filmproduktion verwoben ist.451 Das vormoderne Ehrgebot ist immer noch eine überlastete Schaltstelle der mafiösen Familienstrukturen, der schicksalhaften Freundschaftsbande und der Verwicklungen um Treue und Verrat, die zeitgenössische Gangsterfilme ausmachen. Zur Mäßigung der Gewaltdarstellung trägt es jedoch nicht mehr bei, weder auf der Handlungsebene der Figuren noch auf der Darstellungsebene der Produktion. Die Auftritte Joe Pescis in Scorseses Mafiafilmen – die sadistische Gewaltekstase in Goodfellas und ihre Wiederholung in Casino – legen ein eindringliches Zeugnis von diesem Wandel der Gangsterfigur ab. Abbildung 20: Gespaltene Persönlichkeit in Fight Club — Tyler Durden (Brad Pitt) ist die Wunschimago und das Alter Ego des namenlosen Erzählers (Edward Norton).

Der Konfrontation zwischen einer dieser neuen Gangsterimagos und Tyler Durden in Fight Club ist vordergründig phallisch geprägt, insofern die Frage im unterirdischen Clubraum steht, wessen Abgrund tiefer reicht und wessen Perversion die stärkere ist. Wenn aber Tyler Durden seinem Kontrahenten im Moment des Triumphes „You don't know, where I were! Lou! You don't know, where I were!“ 451 Zum Ehrenkodex vgl. Slotkin 1998, S. 264-265.

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samt Blutschmiere ins Gesicht krächzt, benennt er damit seinen eigentlichen Vorteil, der im Wissensvorsprung und in der besseren Einschätzung der Kampfbedingungen liegt. Die Verhärtung seines professionellen Erfahrungsschatzes zur blinden Gewohnheit macht den Gangster zum Verlierer der Begegnung. Sein Sadismus baut auf ein bestimmtes Verhältnis von Lust- und Realitätsprinzip auf, das der ,Fight Club‘ längst außer Kraft gesetzt hat. Während der Gangster sich auf die ,Normalität‘ seines vermeintlichen Opfers verläßt, hat dieses ihn als professionellen Sadisten und Gewalttäter erkannt und kann ihn so als Werkzeug der eigenen masochistischen Machtdemonstration gebrauchen. Vom Ende aus gelesen, ergeben die Details der Szene eine demonstrative Inszenierung masochistischer Kontrolle. Die respektlose Unterbrechung der Einschüchterungsrede lenkt die Aufmerksamkeit des Eindringlings. Gegenüber angekündigter Brutalität steht die aufreizende Pose: Mit den Händen an einer Stange oberhalb des Kopfes, gibt sich Tyler unbeeindruck lässig. An einige Einstellungen, die seine Hände abschneiden, heftet sich die Assoziation, er sei an den Handgelenken gefesselt und aufgehängt, präpariert für die bevorstehende Folter. Aber die Stellung ist freiwillig eingenommen, ganz und gar entspannt. Die buchstäbliche Offenheit in der Pose, die ostentativ darauf verzichtet, die Arme wie beim Boxen zum Schutz des Körpers einzusetzen, lädt den ersten Schlag des Gangsters in die ungeschützte Bauchpartie richtungsweisend ein. Das lustvolle Stöhnen nach jedem Hieb fordert zur Fortsetzung auf. Als der Gangster sich am erfolgreichen Ende von Einschüchterung sowie Bestrafung wähnt und, durch sein gutes Quantum körperlicher Arbeit außer Atem, vom kurzfristig reglosen Körper Tyler Durdens abläßt, schnellt dieser wie gespanntes Gummi hoch und heftet sich schreiend und blutspuckend an den schockierten und somit besiegten Mann. Diese letzte Aktivierung ekelhaften Schleims und der Ekel der perversen Grenzüberschreitung bedingen sich gegenseitig. Überschreitung bedeutet hier, daß das Leiden nicht mehr in der traditonellen paternalen Logik gebunden ist. Tyler Durden erbringt keinen heroischen Beweis durch das Aushalten von Schmerzen mehr wie es der Sadomsochismus des boxerischen Berufsopfers vorsieht. Das Lachen, mit dem er die Schläge des Gangsters begrüßt, ist völlig anderer Natur als das aufgesetzt spöttische Lächeln, mit dem Boxer ihren Gegnern zeigen wollen, daß ein ge-

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nommener Hieb sie nicht beeindruckt hat. Worüber Tyler Durden lacht, was er verhöhnt, ist – wie es Deleuze für das masochistische Begehren auseinandersetzt452 – der Name des Vaters selbst, die paternale Lust- und Gesetzesordnung, die jede Nähe zu Passivität und Schmerz verbietet, wenn diese nicht durch klassische Heldenwerte wie Ehre oder Härte legitimiert ist. Die begrüßten Schläge gelten dem Vaterbild – der Ähnlichkeit mit dem Vater. Anders jedoch als im traditionellen Setting bei Sacher-Masoch suchen die Masochisten in Fight Club nicht die Komplizenschaft einer unterkühlten Frau als ihrer Henkerin. Statt dessen setzt diese vaterlose Generation ihren Vaterhaß in die konkrete Demütigung paternaler Figuren um und verbleibt somit mit einem Bein in der ödipalen Arena.453 Tyler Durdens Sieg über den Gangster als einer sadistisch pervertierten Vaterfigur spiegelt sich in der bald folgenden Komplementärszene, in der die andere Persönlichkeitshälfte – der namenlose Erzähler (Edward Norton) – sich selbst schlagend über seinen Abteilungsleiter triumphiert. Anders verhält es sich mit dem masochistischem Höhepunkt in Raging Bull. La Motta will sich – Schmerzen über alle Maßen ertragend – noch ganz in die Logik des Berufsopfers stellen. Im vierten Kampf gegen Sugar Ray Robinson hat er die Verteidigungsfähigkeit bereits verloren und muß ungeschützt ganze Schlagserien einstecken. Anstatt aufzugeben, hält er sich auf den Beinen, bis der Kampf von den Offiziellen abgebrochen wird. Die Begeisterung des Radiokommentators, in der er La Mottas Haltung als spektakulärste Niederlage der Boxgeschichte anpreist, kann der Filmzuschauer im Schockmoment nicht wirklich teilen. Der Stolz, mit dem der demolierte Mann seinem siegreichen Gegner direkt nach dem Kampf sein „You don’t get me down!“ entgegenhält, ist ekelhaft nicht allein, weil er einem wahnwitzig lachenden Blutmund entstammt. Vielmehr speist sich der Ekel zudem aus der Überschreitung, also daraus, daß der reflexive Sadomasochismus hier der Nobilitierung durch die Berufsopfermythologie entrissen wird. Vom aufrechten Männerbild des Profiathleten – vom ,Kämpferherz‘ – bleibt hier nur die erbärmliche Unfähigkeit übrig, zuzugeben, daß ein Kampf verloren ist. Unfreiwillig entfremdet sich La Motta dem Namen des Vaters. Während Fight Club über Masochismus Macht demonstrie452 Vgl. Deleuze 1997, S. 269ff. 453 Zur vaterlosen Generation in Fight Club vgl. Boddy 2001.

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ren will, bekundet ihn Raging Bull als letzten Zufluchtsort einer in Ohnmacht beschädigten Männlichkeit. Während sich dort die siegreiche Perversion feiern läßt, wird hier die Pathologie des Berufsopfers ausgestellt. Sadistische Gesichtszerstörung Beide Filme haben ihren besonderen Hang zum Technizismus, der aber bei Scorsese ausgeprägter als bei Fincher ist. Denn Fight Club positioniert sich in den Momenten, in denen uns die gezeigte Gewalt nicht erschüttert, an der Grenze zum Splatterfilm, wo das Spiel mit unechten Ekelmaterien in einen Zustand des Lachens überschwappt.454 Raging Bull hingegen droht, der Entfesselung der Technikattraktion unter dem Fetisch Präzision zu verfallen. Die Perspektivsprünge, Wechsel in der Bildgeschwindigkeit, die Synthesen von Fahrt und Zoom bestechen im exakten ,Timing‘ und somit durch den Eindruck der Perfektion, den sie von dem hinter ihnen stehenden Produktionsapparat vermitteln. Noch aus dem Spritzen des Blutes ins Publikums spricht die Genauigkeit montierter Choreographie. Ein Gegengift zum Technizismus ist in beiden Filmen die Zerstörung des Gesichts, jener für uns und für das Kino gleichermaßen bedeutsamen Empfindungs- und Ausdrucksregion. In den zwei masochistischen Szenen hat die Zerstörung einen seltsamen Effekt, weil sie an überaus populären Gesichtern vollzogen wird. Natürlich weiß man, daß Schauspieler nicht für die perfekte Nachahmung des Kämpfens bezahlt werden und allein aufgrund ihres Berufs auf ihr Äußeres achten müssen, auch wenn seltsame Fälle von persönlichen Identifikationen der Akteure mit den zu spielenden Boxerfiguren vorkommen oder wenigstens behauptet werden. Aber wenn die Gesichter von Brad Pitt und Robert De Niro in Nahaufnahmen scheinbar der Zertrümmerung anheim fallen, bewegt sich das Schauen immer auch zwischen der Lust an der Vernichtung des Staraushängeschildes und dem Gefühl des Verlustes der kollektiv verehrten Männerschönheit.

454 Menninghaus (1999, S. 502) weist darauf hin, daß „Batailles Lachen [...] an sich selbst als Exkretion, als Analogon analsadistischexkrementeller Lust und damit als performative Durchquerung eines Ekeltabus bestimmt“ ist.

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Die sadistischen Szenen hingegen greifen die Schönheitsvernichtung auf der Ebene der Handlung auf. Aus Eifersucht zerstören die Protagonisten die schönen Gesichter ihrer Gegner (in Fight Club der namenlose Erzähler das Gesicht des blonden Clubmitglieds mit dem Spitznamen ,Angelface‘, das zuvor von Tyler Durden gelobt worden war, in Raging Bull La Motta das Gesicht seines Gegners Janiro, den seine Frau Vicki als gutaussehend bezeichnet hatte). Der innenansichtige Motivationsstrang der Eifersucht baut sich in beiden Fällen in den Situationen vor dem entsprechenden Kampf auf und zieht sich bis an den Rand des Kampfgeschehens, wo die jeweils dritte Figur der Eifersuchtskonstellation (Tyler Durden bzw. Vicki) plaziert ist. Seine Funktion besteht aber nicht in der Herstellung von Plausibilität, sondern darin, im Kontrast zur extremen Gewaltaktion das pathologische Mißverhältnis von Gefühlsregung und Handlung zu exponieren. Während die Eifersucht – angesichts der paranoiden Psyche in Raging Bull ohnehin, aber letztlich auch in Fight Club, wo der ironische Modus die Mimesis gegen jede melodramatische Anteilnahme desinfiziert, – kaum nachvollziebar ist, stößt die sadistische Grausamkeit in die sensiblen Zonen des Resonanzkörpers vor. An den Agierenden fällt in unterschiedlicher Weise die unbeirrbare Konsequenz auf: von Beginn an im Blick, alsbald auch in der Handlung ein ungeheurer Wille zur Zerstörung. La Mottas Serie von linken Kopfhaken treibt Janiro so zielstrebig durch den Ring, daß wir die Richtung bewußt realisieren. Finchers namenloser Erzähler nimmt die Initiation des ersten Blutgeschmacks so wissend lächelnd hin, daß sein Gegner die Ahnungslosigkeit schlechthin darstellt. Wo sich La Motta beeilt, ein handwerkliches Problem zu lösen, indem er Janiro an den Seilen zurechtstellt und dann mit einigen schnellen Hieben den gewünschten Effekt erzielt, fährt der namenlose Erzähler in Fight Club in aller Ruhe fort, nachdem er sich jeder Gegenwehr des Blonden entledigt hat. Wo Raging Bull den ansonsten wilden, unbeherrschten Kampfstil seines Protagonisten in dieser Aktionsreihe mit Beherrschung versieht und im Moment des Nasenbruchs mit der chirurgischen Präzision der Kamera vermählt, frönt Fight Club orgiastisch der Maßlosigkeit des Schlagens. Diese fast gemächliche Orgie ist eine der wenigen Passagen, in denen die Stimme im Off (ihre Rede von der Lust am Erschießen, von der Strandverseuchung und dem Rauchspeien) buchstäblich in ihrer per-

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perversen Machtanmaßung über den anderen Körper und ganz ohne Eigentlichkeit erscheint. Das Gesicht ist uns – vom Wert und der Empfindlichkeit seiner Organe ganz zu schweigen – das herausragende Merkmal menschlicher Individualität und Identität, seine Zerstörung ein Sakrileg von unvorstellbarem Ausmaß. Als filmästhetische Kategorie ist das Gesicht in der Großaufnahme das Ausdrucksbild schlechthin. Deleuze’ theoretische Konstruktion des kinematographischen Ausdrucks nimmt unter dem Begriff des Affektbildes ihren Ausgang vom Gesicht: „Seine Grenzen findet es [das Affektbild, d. Verf.] am einfachen Angstaffekt und am Verlöschen der Gesichter im Nichts.“455 Der Wille zur Zerstörung des Gesichts, erscheint demnach als Wille noch über diese Grenze des Angstaffektes hinauszugehen, die Ekelmaterie unter der Ausdrucksoberfläche aufzudecken. In den beiden Szenen bringt die ab einem bestimmten Punkt erzwungene völlige Wehrlosigkeit der Geschlagenen unserer Mimesis die Opferperspektive nahe. Während Scorsese das gemeine Publikum ausspart, leiten die schockierten Gesichter der Umstehenden in Finchers Inszenierung den Filmzuschauer in der Erschütterung an. Schlaggewalt ist in beiden Szenen wirksam. Der hallende Nasenbruch, der quellende Austritt von Zeitlupenblut456 in Raging Bull, die nach innen verzerrten und isolierten Schlaggeräusche und die Großaufnahmen von schwarzem Blutdickfluß in Fight Club aktualisieren unseren Ekel und unsere Angst um das eigene Antlitz. Es ist auch unser Gesicht, das da gerade verwüstet wird. Allein unter dem Schutz von Athenes Schild bestehen Chancen, sich zum entgegengesetzten Pol zu wagen. Wer sich den inneren Zerstörungsimpuls noch nie gestattet hat, kann sich durch Fincher oder auch Scorsese im Sakrileg unterweisen lassen. Jetzt sind wir es, die das Gesicht verwüsten. In diesem Changieren des geschockten Bewußtseins zwischen den Extremen, in die das Schockierende sich aufspaltet, 455 Deleuze 1990, S. 141-142. Diese Passage zur Grenze des Affektbildes erläutert Deleuze am Werk Ingmar Bergmans. 456 Insofern die Zeitlupe traditionell auf „psychische Erfahrungsformen“, insbesondere den Schmerz des männlichen Helden, verweist (Keiper 1999, S. 88), ist auch dieses Zeitlupenblut der Ausdruck einer Innenwelt. Allerdings gehört die dargestellte Psyche keinem der beiden Kämpfer. Es ist die kinematographische Wahrnehmung selbst, die sich hier im zeitlich gedehnten Blick auf den Blutfluß distanziert zu den Innenansichten der Boxer zu erkennen gibt.

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erlangt der Bildschock seine produktivste Wirksamkeit, wenn uns mehrere Richtungen der Überschreitung erreichen.457 Batailles Konzept der Überschreitung Raging Bull beläßt es dem Spott der Mafiosis, La Mottas Handlung zu kommentieren. Der Boxer selbst stolziert – so dumpf wie im gesamten Film – in Siegerpose durch den Ring. Dagegen wirkt der Erzähler in Fight Club beeindruckt von der eigenen Tat. Atemlos und ergriffen haucht er die Selbsterkenntnis seines Wunsches nach Zerstörung von Schönheit heraus: „I felt like destroying something beautiful.“ Nicht als persönliche Motivation des Charakters, sondern als ästhetische Figur gelesen, erfährt die Zerstörungsphantasie eine Öffnung gegenüber jener virulenten Ästhetik der Überschreitung, die Georges Bataille in seiner Schrift Die Erotik (L’erotisme) anpreist: „Die Schönheit, die in ihrer Vollendung das Animalische ausschließt, wird so leidenschaftlich begehrt, weil gerade sie durch den Besitz in animalischer Weise beschmutzt wird. Man verlangt nach ihr, um sie zu besudeln; nicht ihretwegen, sondern um jenes Geschmacks der Freude willen, der in der Gewißheit liegt, sie zu entweihen. Bei der Opferung wurde das Opfer so ausgewählt, daß seine Vollkommenheit die Grausamkeit des Todes erst recht fühlbar machte. Die menschliche Schönheit bringt in die Vereinigung der Körper den Kontrast der reinsten Menschlichkeit und des abscheulich animalischen Charakters der Organe hinein. [...] Die Schönheit ist in erster Linie deshalb wichtig, weil die Häßlichkeit nicht beschmutzt werden kann und weil das Wesen der Erotik die Beschmutzung ist. Die Menschlichkeit, das Kennzeichen des Verbots, wird in der Erotik überschritten. Sie wird überschritten, entweiht, beschmutzt. Je größer die Schönheit, desto 458 tiefer die Beschmutzung.“

In Einklang mit den „klassischen Ekelvermeidungsregeln“, aber auch mit den „Diagnosen Nietzsches und Freuds über die der ästhe457 Entsprechend Deleuze’ Affektkonzeption sind diese Momente des aufgespaltenen Schocks, also die jeweiligen Schockqualitäten, unteilbar und teilen sich dennoch ständig, aber nicht ohne dabei ihre Beschaffenheit zu ändern. Vgl. Deleuze 1990, S. 138, S. 147. 458 Bataille 1994, S. 140, vgl. Menninghaus 1999, S. 490-491.

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tischen Kultur eingeschriebenen Tabus“, errichtet Schönheit, so Menninghaus, „ein Gestalt gewordenes Verbot des Animalischen“.459 Nicht allein ihre Zerstörung als dessen Verletzung, sondern beides zusammen schätzt Bataille als einen Mechanismus der Intensitätsproduktion. Denn das energetische Übermaß der Mißachtung bleibt angewiesen und verwiesen auf die Grenze des Verbotenen, die mißachtet wird.460 Die anmaßenden Zerstörungen der schönen Gesichter in Fight Club und Raging Bull greifen auf die Rhetorik der Grausamkeit des religiösen Opfers zurück, ohne jedoch dessen Tradition zu verlängern. Die Überschreitung führt für Bataille in der modernen Welt nicht mehr zum Göttlichen, sondern wird auf sich selbst, auf ihre Bewegung des Überschreitens und das Überschrittene zurückgeworfen. Foucault hat dieses Bedingtsein in seinem Aufsatz Zum Begriff der Übertretung weniger als einen weitgehend unbewußten Automatismus der modernen Wunschökonomie, denn als eine herausfordernd kryptische Figur des Grenzdenkens entworfen: „Grenze und Übertretung verdanken einander die Dichte ihres Seins: Inexistenz einer Grenze, die absolut nicht überschritten werden kann; umgekehrt Sinnlosigkeit einer Übertretung, die nur eine illusorische, schattenhafte Grenze überschritte. Aber hat die Grenze eigentlich eine Existenz jenseits der Gebärde, die sie so siegreich überschreitet und leugnet? Was wäre sie denn danach und was könnte sie vorher gewesen sein? Und entäußert sich die Übertretung nicht selbst ganz, wenn sie die Grenze überschreitet, da sie ja nirgends sonst ist als zu diesem Zeitpunkt? Dieser Punkt nun, dieses sonderbare Sich-Kreuzen von Seinsformen, die außerhalb der Übertretung nicht existieren, sondern sich gänzlich in ihr austauschen, ist er nicht auch das, was sie ringsum überragt? Er wirkt wie die Verherrlichung dessen, was er ausschließt; die 459 Menninghaus 1999, S. 490. Mit Balázs (1982, S. 74) läßt sich sagen, das der ,gute‘ Held des Stummfilms in der Tradition dieses Verbots steht, denn hier herrscht Kongruenz zwischen einer bestimmten Form äußerlicher Schönheit und inneren Wertigkeiten: „Beim Film wirkt die Schöhnheit der Gesichtszüge als physiognomischer Ausdruck. Anatomische Form wirkt als Miene. Das Kantsche Wort: „Die Schönheit ist das Symbol des Guten“ verwirklicht sich im Film. Wo nur das Auge urteilt, wird Schönheit zum Zeugnis. Der Held ist äußerlich schön, weil er es innerlich ist. (Dabei kann die luziferische Schönheit des Bösen wie die Gottähnlichkeit des Antichrists ganz besonders unheimliche Wirkungen erzielen.)“ 460 Vgl. Menninghaus 1999, S. 492ff.

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FAUST TRIFFT AUGE Grenze öffnet sich gewaltsam auf das Unbegrenzte, wird plötzlich durch einen Inhalt verlegt, den sie von sich weist, und erfüllt von einer fremden Fülle, die bis in ihr Innerstes einbricht? Die Übertretung schiebt die Grenze bis an die Grenze ihres Seins. Sie bewirkt, daß sie angesichts ihres bevorstehenden Verschwindens aus dem Schlaf erwacht, sich in dem wiederfindet, was sie ausschließt (vielleicht eher noch, sich erstmals darin erkennt), daß sie ihre positive Wahrheit fühlt, während sie sie verliert. Und dennoch, kann sich die Übertretung in dieser Bewegung reiner Gewalt überhaupt auf etwas anderes hin entfesseln als auf das sie Fesselnde, auf diese Grenze und das, was sie umgrenzt? Wogegen richtet sich ihre Stoßrichtung und welcher Leere verdankt sie die freie Fülle ihres Seins, außer dem, was sie gewaltsam übertritt und das sie in dem Bereich versperren will, den sie selbst wie461 der verwischt.“

Bataille selbst sieht die Herausforderung im Werk De Sades, des Meisters der Überschreitung, auf uns zukommen.462 Jedoch seine bisweilen emphatischen Beschwörungen eines männlichen Sadismus, der sich in der Nähe einer traditionell virilen Heterosexualität aufhält463, können weder im literarischen Vorbild noch im Sadismus von Finchers oder Scorseses Inszenierungen verankert werden. Deleuze beschreibt den seltsam nüchternen Charakter der Negation und Beweisführung, durch den sich De Sades Helden jenseits dieser Virilität aufhalten: „Das ist die berühmte Apathie des Libertin, die Kaltblütigkeit des Pornologikers, welche Sade der erbärmlichen ,Begeisterung‘ des Pornographen entgegensetzt.“464 Und abgesehen davon, daß im Sich-Beschmutzen-Lassen – davon zeugen die beiden masochistischen Szenarios – eine mindestens genauso stark verbotene Überschreitung liegt wie in der aktiven Beschmutzerrolle, klingt Batailles Ruf nach viriler Besudelung auch in Fight Club und Raging Bull nur in verzerrtem Echo wieder. Finchers gleichermaßen verspielte wie pubertäre Jungengemeinschaft und noch mehr die Hilflosigkeit von Scorseses La Motta lassen eine affirmative Haltung zur klassischen Virilität kaum zu. Außerdem geben in beiden 461 Foucault 1988, S. 73-74. 462 Vgl. Bataille 1994, v. a. S. 173ff. 463 Menninghaus (1999, S. 490-491) hat entsprechendes Material aus den Schriften Batailles zusammengetragen, wo sich die Rollenverteilung der Geschlechter klar geregelt darstellt. Vgl. Bataille 1994, S. 140. 464 Deleuze 1997, S. 183.

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Filmen homosexuelle Bässe einen durchdringenden Ton an, in dessen Klangfarbe der Versuch, mit der Faust in den Körper des anderen Mannes einzudringen, in allzu deutlichen Konnotationen mitschwingt. In Raging Bull spricht La Motta das Mitschwingende direkt aus, sobald er der Presse vor dem Kampf öffentlich kundgibt, sein designierter Gegner Janiro sei so ansehnlich, daß er nicht wisse, „... whether to fight him or fuck him.“ Dennoch kann es nicht befriedigen, das Tabu der Homosexualität zur allumfassenden Begründungsfigur der Gewalt zu erheben, in der das verbotene sexuelle Begehren als Vernichtung des begehrten Objektes wiederkehrt, wie es Robin Wood für Raging Bull recht schematisch ausführt.465 Denn in der Logik der Überschreitung gibt die Wichtigkeit des Tabus, die Eindringlichkeit des Verbotes, den Intensitätswert seiner Verletzung an. Und in den betroffenen Szenen steht das Homosexualitätstabu – wie die Gebote und Verbote des boxerischen Berufsethos in Raging Bull oder die Gewohnheitsregel der bis dahin glimpflicheren Kampfresultate in Fight Club – hinter der gewaltsamen Überschreitung sadistischer und masochistischer Anmaßungen und ihrer Körper- bzw. Gesichtszerstörung zurück. Was zum Denken zwingt Menninghaus hebt die soziologische Dimension derjenigen Schriften Batailles hervor, die systematisch auf dominante Theorien des sozialen Opfers, auf Durkheim und Mauss, referieren, um über deren Konzeptionen hinauszugehen: „Der tonische Wechselrhythmus von Ekel und lustvoller ,Entladung‘ erlaubt es Bataille, die fundamentale ,violence‘ und Perversität des menschlichen=männlichen ,Begehrens‘ nicht länger – wie Freud – als archaisches Antidoton der Zivilisation anzusetzen, sondern als das erste und positive Konstituens des sozialen Lebens. Das dem Opfer und der rituellen Orgie eingeschriebene Moment der (scheinbar) unproduktiven Verausgabung materieller Ressourcen wird dabei gegen den Strich der soziologischen Vordenker gelesen. Bei Marcel Mauss dient es noch der Manifestation und Erhaltung von Machtpositionen, bei Bataille dagegen

465 Vgl. Wood 1983.

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FAUST TRIFFT AUGE erscheint es als reiner Akt souveräner sadistischer Destruktion jenseits 466 aller Ökonomie der Nützlichkeit.“

Sicherlich aktivieren die Gewaltszenen in Fight Club und Raging Bull die alltäglich eingeübten und eingeschliffenen Wertordnungen, indem sie sie erschüttern. Nichts reicht jedoch hier als Handlungsvorschlag ins soziale Feld, nicht mal in die wie auch immer entartete Boxarena. Um ihren bildlichen Gewalten in letzter Konsequenz zu folgen, läßt sich aus Foucaults Aufmerksamkeit für die Disposition von Batailles Sprache der ästhetische Gegenpol zur soziologischen Konzeption der Überschreitung entwickeln – gleichgültig, ob diese als der rituelle Umkehrmechanismus Durkheims oder der radikalere „Kern des Sozialen“467 gefaßt ist, wie Menninghaus die Bataillesche Intensitätsproduktion von Verbot und Überschreitung auch nennt. In dieser Sprache sieht Foucault die Überschreitung nicht einfach benannt, sondern ein Denken an der Grenze bzw. ein Denken der Grenze initiiert: „Kommt die Möglichkeit eines solchen Denkens nicht eigentlich auf uns in einer Sprache zu, die es uns als Denken entzieht und es auf die Unmöglichkeit von Sprache zurückwirft? Bis hin zu jener Grenze, wo das 468 Sein der Sprache in Frage steht?“

Der Perspektivenwechsel führt uns von einem Bild der Gewalt zur Gewalt des Bildes, dorthin, wo das Sein des Bildes in Frage steht. Dieser Passus ist wörtlich zu nehmen. Der gespaltene Bildschock 466 Menninghaus 1999, S. 494-495. 467 Menninghaus 1999, S. 492. 468 Foucault 1988, S. 78. In dieser Sprache erkennt Foucault eine Verdrängungsbewegung gegen die Selbstgewißheit des philosophierenden Subjektes zugunsten des philosophischen Sprechens. Vgl. S. 81: „Und mitten in diesem Schwinden des philosophierenden Subjekts dringt die philosophische Sprache vor wie in einem Labyrinth, nicht um das Subjekt wiederzufinden, sondern um (und in der Sprache selbst) bis an die Grenze dessen Verlust zu empfinden, d. h. bis zu jener Öffnung, wo sein Sein auftaucht, aber schon verloren, ganz außer sich ausgebreitet, seiner selbst entleert bis hin zum absolut Leeren, - eine Öffnung, die Kommunikation ist.“ Diese Sprache gilt ihm außerdem als Ausdruck eines nicht- und nach-dialektischen Zeitalters des Denkens. Vgl. S. 74-78. Was Foucault über die sprachliche Grenzerfahrung bei Bataille sagt, kann man freilich – die hier verwendeten Zitate geben eine Kostprobe – von seiner eigenen Sprache behaupten.

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bringt ein Denken hervor, das ihn im Echo seiner Wirkung auf den Mechanismus von Verbot und Überschreitung befragt. Gleichzeitig entzieht er sich der Befragung bzw. dem Denken, denn seine Bewegung führt an die Grenzen des Gedachten und des Denkbaren. Es ist die Definition der Schockerfahrung – auch der ästhetischen –, daß sie sich nicht in eine sinnvolle Struktur integrieren läßt, daß sie in gewisser Weise undenkbar bleibt. Daher setzt das Denken immer wieder von neuem an, sie zu begreifen, und wird so permanent an die Grenze seines eigenen Vermögens gedrängt. Es wird gezwungen, diese Grenze zu denken, jenseits derer nichts Göttliches oder Transzendentes zu finden ist, sondern nur ein fremdes Außen inistiert. Deleuze betrachtet diesen Zwang als eine Bedingung des modernen Denkens überhaupt: „Das Denken ist nichts ohne irgendetwas, das zu denken zwingt, das dem Denken Gewalt antut. Wichtiger als der Gedanke ist das ,was zu denken gibt‘; [...] Eindrücke, die uns zu schauen zwingen, Begegnungen, die uns zu interpretieren zwingen, Ausdrücke, die uns zu denken 469 zwingen.“

Aber gerade den Gewaltkörperbildern, mit denen das amerikanische Kino die Leinwände in den letzten Jahrzehnten weltweit hyperaktiviert, spricht er derartige Qualitäten ab: „Wenn die Gewalt nicht mehr die des Bildes und seiner Vibrationen, sondern die des Repräsentierten ist, fällt man in eine blutige Arbitrarität, und wenn die Größe nicht mehr die der Kompositionen ist, sondern reines Anschwellen des Repräsentierten, gibt es keine geistige Stimula470 tion und kein Entstehen des Denkens mehr.“

Die „kommerziellen Figurationen von Sex und Blut“ führen genauso wenig zu den Innovationen des Denkens wie die „experimentellen Abstraktionen“ mit ihren „,formalistischen Späßen‘“.471 Was hier mangelt gerät dort zur leeren Form: das ins Bild eingelassene,

469 Deleuze 1993, S. 79. 470 Deleuze 1991, S. 215. 471 Deleuze 1991, S. 206.

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unendliche Bewußtsein der eigenen ästhetischen Struktur – die Reflexion.472 Dennoch – das ist das Resultat der Analyse – muß die bildliche Reflexion gegenüber der Gewaltdarstellung nicht zwangsläufig machtlos bleiben. Sicherlich geht sie immer auf der Schwelle und läuft Gefahr, in einer Serie von bloßen Sensationsschocks zu verebben. Aber es ist diese Grenze, der sich die Darstellung annehmen muß, um uns zum Denken zu zwingen. In Fight Club ist der Zwang am Ende doch recht schwach, weil er auf halben Weg zur freundlichen Einladung mutiert. Denn die vorgebrachte Ablehnung der indrustriellen Konsumwelt und des entsprechenden Schönheitswahns biedern sich an, das Schockierende mit zuweilen geistreichen Schlingen nachträglich zu binden.473 Das Ironiefeuer holt die Überschreitungen und ihre durchbrechende Qualität ein Stück weit ein. In Raging Bull dagegen existieren „jene dunklen Zonen“, „wo die wirksamen Kräfte sich ausbilden, die auf das Denken wirken, die Bestimmungen, die uns zu denken zwingen“.474 Gerade der Mangel an Denken in der Figur La Mottas, seine ekelhafte Dumpfheit und unerschließbare Zwanghaftigkeit, zwingen zum Denken und entweichen ihm gleichzeitig. Das Lesen wird zur ästhetischen Schockerfahrung in diesem sich verzweigenden und nicht abreißenden Transfer zwischen einerseits dem Erfaßt-Werden durch das Bild (also Ekel, somatische Empathie und Faszination) und andererseits einem zweiten selbstreflexiven Modus, dem das erfassende Bild gleichzeitig zwingend und sich entziehend gegenübersteht. Diese Momenten durchschlagen das Kristalleis, das die Relation zur populären Vergangenheit in Raging Bull bestimmt. Das Zustoßen des Bildes negiert jede Ambition der Suche nach filmgeschichtlicher Vorzeit. Und Verlieren kann man nur dort, wo man zumindest zeitweise glaubt, fündig geworden zu sein. 472 Ein ähnliches Argument läßt sich aus dem Bacon-Buch (1995) destillieren, wo Deleuze einerseits die Gewaltdarstellung ächtet, die ohne eine Gewalt des Denkens auszukommen glaubt (S. 29), und andererseits die abstrakte Malerei kritisiert (S. 62-68). Sein dort zentraler Begriff der Sensation unterscheidet sich diametral von meinem Terminus des Sensationsschocks. Während letzterer in einer oberflächlichen Lust am Spektakel verpufft, bezeichnet die Deleuze’sche Sensation gerade den Bildmoment, in dem Wahrnehmung bzw. Empfinden und Denken zusammenfallen. 473 Vgl. Boddy 2001, S. 118. 474 Deleuze 1993, S. 78.

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D r i t te A c h se : R e f l e x i o n e r s c h ü t te r t e n D a s e i n s

„Die Menge strömte aus dem Madison Square Garden in jener tristen, nachdenklichen Stimmung, die sie immer dann ergreift, wenn es schlechte 475 Kämpfe gegeben hat.“ Irwin Shaw „He got back under the covers and perused the Mexican fight results in Ring magazine. While finding no mention of Arcadio Lucero, he noted with dismay the number of knockouts suffered in Mexico in a month’s time. There had been such a quantity the correspondent had amused himself with an array of synonyms: dumped, demolished, iced, polished off, put to sleep, embalmed, disposed of. And these unknown defeated Mexicans so depressed Tully that he knew, with terrible lucidity, that the sport was for madmen. He turned out 476 the light and dreamed he could not sleep.“ Leonard Gardner

I. Reflexiver Modus und virtuelle Bilder Abgründig: das Boxerdasein denken Die konventionelle Opposition, in die Requiem for a Heavyweight Boxen und Wrestling setzt – hier der ehrliche Kampf und dort das unehrenhafte Showspektakel – trifft man in Roland Barthes’ Aufsatz Die Welt, in der man catcht in der Umkehrung ihrer Wertmaßstäbe an: 475 Shaw 1981, S. 106. 476 Gardner 1996, S. 240-241.

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FAUST TRIFFT AUGE „Dieses Publikum weiß sehr genau den Catch vom Boxen zu unterscheiden; es weiß, daß das Boxen ein jansenistischer, auf dem Beweis eines herausragenden Könnens begründeter Sport ist; man kann auf den Ausgang eines Boxkampfs wetten: beim Catch hätte dies keinen Sinn. Der Boxkampf ist eine Geschichte, die vor den Augen des Zuschauers entsteht; beim Catch ist, ganz im Gegenteil, jeder Augenblick verständlich, nicht aber die Zeitdauer. Der Zuschauer interessiert sich nicht für das Ansteigen eines Vermögens, er wartet auf das momenthafte Bild bestimmter Leidenschaften. Der Catch verlangt also eine unmittelbare Leseweise der aneinandergereihten Bedeutungen, ohne daß es notwendig wäre, sie untereinander zu verbinden. Die kalkulierbare Zukunft des Kampfes interessiert den Freund des Catch nicht, während ein Boxkampf im Gegenteil immer ein Zukunftswissen impliziert. Anders gesagt ist der Catch eine Summe von Schauspielen, von denen keines eine Funktion für ein anderes hat: jeder Augenblick verlangt die totale Kenntnis einer Leidenschaft, die geradlinig und allein aufbricht, ohne 477 jemals bis zu der Krönung eines Ergebnisses anzudauern.“

Weil kein tatsächlicher Wettkampf stattfindet, sind die Zeichenelemente des Wrestlings von der Entwicklungslogik eines Kampfverlaufs befreit. Die maßlose Übertreibung im Gebaren der Akteure – so Barthes – bringt eine „totale Klarheit“478 der Zeichen hervor. Das Wrestling zeichnet sich durch „exzessive Gesten aus, die bis zum Höhepunkt ihrer Bedeutung aufgeladen werden“479. Die absolute „Evidenz der Rollen“480 nimmt das Publikum gefangen. „Im Catch existiert alles nur total, es gibt kein Symbol, keine Anspielung, alles ist erschöpfend angegeben; die Geste schneidet, indem sie nichts im Dunkeln läßt, jeden parasitären Sinn ab und präsentiert dem Publikum eine reine und volle Bedeutung, rund wie eine Natur. Diese Emphase ist nichts anderes als das volkstümliche, überlieferte Bild der 481 vollkommenen Verständlichkeit des Realen.“

477 478 479 480 481

Barthes Barthes Barthes Barthes Barthes

1986, 1986, 1986, 1986, 1986,

S. S. S. S. S.

37-38. 38. 38. 39. 46-47.

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Das Boxen hingegen scheint nicht das sich seiner selbst bewußte Bild, sondern die vollkommene Verständlichkeit des Realen selbst erzeugen zu wollen: tatsächlicher Wettkampf und übersichtliche Situation, Unmißverständlichkeit des Knockouts und ungespieltes Leiden etc. Daher funktioniert eine Übertragung der spezifischen Zeichenhaftigkeit des Wrestlings auf das Boxen nicht reibungslos, auch dann nicht, wenn man sie wie Conway für einen Boxer mit großem Showtalent wie Muhammad Ali anvisiert.482 Zwar stiftet Alis Jonglieren mit sportlichen und politischen Versatzstücken eine produktive Unruhe in den medialen Zeichenuniversen. Aber wie alle, womöglich sogar noch stärker als andere Boxer bleibt die Medienfigur Muhammad Ali auf das Realdrama des Kampfes mit seinen folgenschweren Erschütterungen bezogen.483 An den heutigen Bewegungen des unter der Parkinsonschen Krankheit zitternden Körpers kann man den Einsatz ablesen, den man im Boxen zu erbringen hat. Soweit bleibt Barthes’ Gegenüberstellung von Wrestling und Boxen in ihren Markierungen bestehen. Was ihr jedoch entgeht, ist jene zweite Strömung, in der sich die Ästhetik der Erschütterung zu erkennen gibt. Das Ereignis dieser Ästhetik erreicht uns vielleicht am ehesten in den fortgeschrittenen Stunden des Kampfabends, wenn nach der Hauptbegegnung die Kämpfe unbedeutender Athleten stattfinden und wenn die Männer vom Rundfunk wie bei Stoker 482 Diese Übertragung versucht Conway im Schlußwort seiner Untersuchung der Boxerfigur bezüglich der Selbstinszenierung Alis geltend zu machen. Vgl. Conway 1999, S. 135ff. 483 Vgl. Reemtsma 1997, S. 94: „Nichts von dem, was das Bild Muhammad Alis ausmacht, wäre denkbar ohne seine Boxkämpfe. Das ist nicht trivial, denn es gilt umgekehrt nicht: Wäre er nur Boxer gewesen (und kein PR-Genie, kein loud-mouth, aber auch kein Black Muslim, kein Kriegsdienstverweigerer, kein Verfasser schräger Verse, keiner, für den sich Bertrand Russell, Martin Luther King, Malcom X interessierten), wäre er trotzdem berühmt geworden. Er wäre nicht jene Person geworden, die die USA in den 60ern dermaßen verstört hat, aber eben doch ein berühmter Boxer. Mehr noch: Muhammad Alis Eigenschaften als Boxer dominieren und durchdringen alle anderere Teile seines öffentlichen Bildes. Mögen letztere, für sich genommen, auch bloß die glitzernden Funken irgendeines Reklamefeuerwerks sein, so steht doch dahinter, irgendwie düster-archaisch doch, der Faustkampf, das Kräftemessen, und aller modernen PR-Flüchtigkeit wird so etwas wie eine vorzeitliches Gütesiegel verpaßt.“

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Thompson in The Set-up ihre Übertragungstechnik bereits abgebaut haben. Stets jedoch taucht dieses Ereignis aus einer virtuellen Zwischenzeit auf: zwischen dem Ende der Hauptattraktion und dem Heimweg, zwischen den Kampfabenden, aber auch blitzartig zwischen den Runden, ja Schlägen. In der Ästehtik der Erschütterung offenbart sich das Scheitern aller Ansprüche, auf das Körperreale zuzugreifen. Die Zugriffsansprüche sind in bestimmten Zeichenkomplexen der boxerischen Inszenierung aufgehoben: etwa in den prahlerischen Selbstinszenierungen der Boxer, die den Sieg ankündigen sollen, oder in den performativen Gesten des Ringrichters, die eine Realität bestätigen oder setzen wie das Auszählen beim Knockout.484 Die Erschütterungen der Körper verhalten sich zu diesen Ansprüchen letztlich inkommensurabel. Die Gewalt und die Opfer des Kampfes lassen die theatralen Selbstinszenierungen der Boxer verblassen. Die Wucht des Physischen hölt die Zeichen aus, weil sie selbst uneinholbar bleibt. Daher überschreitet die Erschütterung die Inszenierung nicht auf eine höchste Stufe hin, in der sich die boxerische Existenz in ihrer ,letzten Wahrheit‘ zu erkennen gibt. Die Kämpferkörper sezten sich keineswegs als faßbare Leidens- oder Siegerphysis an ihre Stelle.485 Der Faustkampf gibt uns somit nicht die absolute Verständlichkeit des Realen und auch nicht, wie es Barthes für das Wrestling ausführt, das „Bild der vollkommenen Verständlichkeit des Realen“. Statt dessen konfrontiert uns das Boxen in seinen bedeutsamsten Momenten mit einer bestürzenden Fremdheit körperlicher Realität, welche die Ordnungen der Bilder und den heiligen Grund des Ritu484 Der Begriff des Performativen ist hier in der Tradition Austins (1986) verwandt. Der Ringrichter handelt durch symbolisch Prozesse. Erst wenn er die Zahl Zehn für die letzte Sekunde des Auszählens ausspricht und das entsprechende Zeichen gibt, ist der Kampf beendet. 485 Laut Elaine Scarry (1992) trennt Schmerz den leidenden Körper in einer radikalen und stummen Intimität von allen sozialen, kommunikativen und diskursiven Zusammenhängen ab. Das Boxen macht diese Intimität in einem demonstrativen Ausstellungsakt zum sozialen Ritual, innerhalb dessen sie verehrt und gedeutet wird. Aber eine Dimension des dargebotenen Rituals bleiben die isolierten Momente der unsagbaren Kämpferphysis. Sie rufen die Erschütterung des Körpers als absolute Grenze unserer mimetischen Anverwandlung ins Bewußtsein.

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als ständig von neuem aufbricht und perspektiviert. So sehr die Faustkampfinszenierung also auf den Grund des physischen Daseins auch vorstoßen will, die Zwischenzeiten der Erschütterungen produzieren eine ästhetische Abgründigkeit der Zeichen- und Körperereignisse. Das Allegorische und die Boxerfigur Von einer Abgründigkeit der Zeichenmaterie handelt Benjamins Theorie der Allegorie. Im Trauerspiel-Buch geht er von den Erschütterungen aus, welche die althergebrachten Weltdeutungssysteme durch die gesellschaftliche und wissenschaftliche Entwicklung in der Neuzeit erfahren. Er zeigt auf, wie diese Erschütterungen die eindeutige Bedeutungsordnung der tradierten Allegorese zertrümmern, welche unter Anleitung einer konventionalisierten Gelehrsamkeit jedem Sinnbild einen klaren Sinn zuweist. Die Wucherungen der Allegorie im Barock bringen in der Konsequenz jenen „Abgrund zwischen bildlichem Sein und Bedeuten“486 hervor, in dem „die facies hippocratica der Geschichte als erstarrte Urlandschaft dem Betrachter vor Augen“487 liegt. In der Sphäre des Physischen entspricht dieser Erstarrung das Leblose und Abgestorbene: „Die Geschichte in allem was sie Unzeitiges, Leidvolles, Verfehltes von Beginn an hat, prägt sich in einem Antlitz – nein in einem Totenkopfe aus. [...] Soviel Bedeutung, soviel Todverfallenheit, weil am tiefsten der Tod die zackige Demarkationslinie zwischen Physis und Bedeutung eingräbt.“488 Totenkopf und Leiche489 erscheinen somit als die verdichteten Embleme der grausamen „Majestät der allegori486 Benjamin 1991o, S. 342. Weigel (1997, S. 94ff) hebt die Figur des Abgrunds besonders hervor. Diese Figur jedoch auf den Nenner einer alles entscheidenden psychoanalytischen Perspektivierung im Spätwerk zu bringen, kann insofern nicht befriedigen, als Benjamins – durchaus freie – Anleihen bei Freud in eine Variation jener Gedankenfigur der den Denkraum öffnenden Zäsur eingehen, die sein gesamtes Denken durchzieht. Sie sind nicht etwa die letzte Höhe, von der aus sich die Passage bis hin zu den frühen Schriften wie ein gelöstes Rätsel erschließt. 487 Benjamin 1991o, S. 343. 488 Benjamin 1991o, S. 343. 489 Vgl. Benjamin 1991o. S. 391: „Denn von selbst versteht sich: die Allegorisierung der Physis kann nur an der Leiche sich energisch durchsetzen.“

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schen Intention: Zerstörung des Organischen und Lebendigen – Auslöschung des Scheins“.490 Die Allegorie entwertet die Dingwelt. Sie löst Zeichenfragmente aus ihren lebendigen organischen Kontexten heraus und tötet sie damit ab. „Das von der allegorischen Intention Betroffene wird aus den Zusammenhängen des Lebens ausgesondert: es wird zerschlagen und konserviert zugleich. Die Allegorie hält an den Trümmern fest.“491 Die Mortifikation ist schöpferisch. Denn als totes Zeichenmaterial fallen uns die Trümmer zu, um im Lesen zu einem neuen beunruhigenden Leben aufzusteigen. Zwischen den Trümmern und zwischen ihnen und Ihren Aktualisierungen in neuen Kontexten klafft die ästhetische Abgründigkeit. Sie ist die Kondition der Wiederbelebbarkeit.492 490 Benjamin 1991n, S. 669-670. Vgl. auch 1991o, S. 359: „Wird der Gegenstand unterm Blick der Melancholie allegorisch, läßt sie das Leben von ihm abfließen, bleibt er als toter, doch in Ewigkeit gesicherter zurück, so liegt er vor dem Allegoriker, auf Gnade und Ungnade ihm überliefert.“ 491 Benjamin 1991n, S. 666. 492 Zu Benjamins Allegoriekonzeption vgl. Naeher 1977, Menninghaus 1980, Kappelhoff 1995/96. Auf die Verwandtschaft zwischen Benjamins und Foucaults Sichtweise auf Barock und Renaissance ist mehrfach hingewiesen worden. Vgl. Menninghaus 1980, Schwarz 1981, Meiffert 1986, Weigel 1997, Gebauer / Wulf 1998. Durch das in der Renaissance übliche Lesen der Welt in ihren Ähnlichkeiten – so Foucault (1974, S. 61) – „erhalten das Denken und seine unendliche Mühe genau dort den ihnen eigenen Raum: in jenem Abstand werden sie in einem unbegrenzten Zickzackkurs zwischen dem Ähnlichen und dem Ähnlichen ihre Linie zu ziehen haben.“ Im allegorischen Verfahren des Barocks wähnt Benjamin (Benjamin 1991o, S. 343.) – wie gesagt – die „zackige Demarkationslinie zwischen Physis und Bedeutung“ eingegraben. Die Allegorie tötet ab, aber sie bewahrt in der Zertrümmerung und Mortifikation das im Zeitalter der Repräsentation (Foucault) verlorene mimetische Vermögen. Für Foucault zerschlägt die moderne Literatur das sprachliche Repräsentationssystem und läßt die Sprache in ihrem Sein – mit ihr das mimetische Vermögen – wiederkehren, ausgestattet jedoch mit der spezifisch modernen Erfahrung der Endlichkeit des Menschen: „Von innerhalb der als Sprache erlebten und durchlaufenen Sprache, im Spiel ihrer bis auf ihren Extrempunkt angespannten Möglichkeiten kündigt sich an, daß der Mensch ,endlich‘ ist und daß beim Erreichen des Gipfels jeden möglichen Sprechens er nicht zum Zentrum seiner selbst gelangt, sondern zur Grenze dessen, was ihn einschließt: zu jenem Gebiet, wo der Tod weilt, wo das Denken erlischt, wo die Verheißung des Ursprungs unendlich sich zurück-

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Im Spätwerk radikalisiert Benjamin die allegorische Intention angesichts des industiellen kapitalistischen Zeitalters. Die Figur dieser Radikalisierung ist die Hure: „Die gegenständliche Umwelt des Menschen nimmt immer rücksichtsloser den Ausdruck der Ware an. Gleichzeitig geht die Reklame daran, den Warencharakter der Dinge zu überblenden. Der trügerischen Verklärung der Warenwelt widersetzt sich ihre Entstellung ins Allegorische. Die Ware sucht sich selbst ins Gesicht zu sehen. Ihre Menschwerdung feiert sie in der Hure.“493 Auch der Boxer ist ein käuflicher und verkaufter Körper – oder mehr noch ein Körper, dessen Käuflichkeit offensiv zur Schau steht. Wie die Hure ist der Profiboxer, insbesondere der alternde Athlet, der in weiter Ferne von den Titelregionen kämpft, Fleisch gewordene Ware. Die Mythologien des Boxens (nicht zuletzt ihre filmischen Ausprägungen) nutzen die Warenform des Faustkämpfers als einen ihrer Topoi, den sie versiert in die Erzählung einbinden. In der allegorischen Intention jedoch sehen wir uns mit der uneinholbaren Realität des Waren-Körpers direkt konfrontiert.494 Ein ähnliches Spannungsfeld läßt sich für die Figur des Todes ausmachen. Der Tod ist im professionellen Faustkampf stets anwesend, auch wenn er sich am Kampfabend nur selten einstellt. Seine Präsenz unterliegt derselben Ambivalenz wie die Realität des Boxerkörpers, allerdings in der größtmöglichen Zuspitzung. Ihm haftet der Anspruch auf den letzten Moment existentieller ,Wahrheit‘ an, denn er markiert unzweifelhaft das Ende eines Daseins. Gleichzeitig ist uns nichts so sehr entzogen wie dieser Tod, selbst wenn er sich zieht.“ S. 458. Die moderne Erfahrung der Endlichkeit – des individuellen Menschen, aber auch jeder Konzeption von Mensch – gilt Foucault als Voraussetzung, den Menschen denken zu können, worin die Bestimmung der Humanwissenschaften liegt. Vgl. S. 377-384. 493 Benjamin 1991n, S. 671. 494 Seel (1995, S. 124) sieht das ästhetische Potential des Sports in der Zelebration des Unvermögens: „Der moderne Sport ist eine Zelebration des menschlichen Unvermögens, seiner selbst physisch (und auch psychisch) Herr zu werden. Im Sport feiert der Mensch mit seinen physischen Fähigkeiten zugleich die Grenze dieser Fähigkeiten – und damit eine Grenze seiner Macht über sich und die Welt.“ Die schlechten Kämpfe der abgewirtschafteten und chancenlosen Athleten überführen den Sport jedoch in den desillusionistischen Abgesang auf diese Feier. Die Professionalität der Kämpfer rückt in den Vordergrund. Sie besteht darin, so wenig wie möglich von ihrem verbrauchten Körper gegen die geringe Bezahlung einzutauschen.

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im Ring ereignet. Er ist die absolute Zäsur. An dieser Zäsur wiederholt sich die Spannung von Erzählung und Konfrontation. Entweder wird die Todesfigur eingefaßt in einen Boxermythos, der noch dem Ende des Lebens einen festen Platz in der mythischen Ordnung zuweist: die erzählte Zäsur. Oder aber die Zäsur des Todes stößt unserem Denken ohne eine solche Vermittlung zu, so daß uns die boxerischen Zeichen als ästhetische Trümmermaterie eines populären Universums zufallen. Dann betrifft der Tod die Zeichen selbst. Es stirbt die Gewißheit der existentiellen Inszenierung. Die Posen des ,Fighter‘ setzen sich nicht zur lebendigen ,Wildheit‘ in Person zusammen. Der ,Stylist‘ verkörpert die Virtuosität nicht ohne die Widerstände eines abgetöteten Rests. Die Aktionen des Ringrichters sind der personifizierten Fairneß entrückt. Und der Schlag ist kein Beweis für den eindeutigen Kontakt mit der Welt. Filmische Zeit der Erschütterung Der Boxspielfilm zeigt sich ohne Zweifel inspiriert durch die Kraft der boxerischen Erschütterungen. Die mythologischen Verkettungen der ersten Achse stutzen die Erschütterung zu einem Objekt ritueller Suche zurecht. Die Attraktionen der zweiten Achse wollen die Suche im spektakulären Kampf einzulösen. Wie bei allen anderen Dimensionen des professionellen Faustkampfes, in denen das Kino seine Anleihen vornimmt, werden diese Inspirationen in der produktiven Mimesis nach den kinematographischen Bedingungen transformiert. Somit ist das Spannungsfeld der existentiellen Frage hier in den Dimensionen des filmischen Bildes angelegt. Die Struktur der Opferkampfmythologie bleibt von der Erschütterung unbeeindruckt, obgleich sie diese als Motiv benutzt. Die Attraktionsspektakel haben bisweilen die Tendenz, die Erschütterung im Sensationsschock verpuffen zu lassen. An der Rhetorik der Kampfhaltungen und Überschreitungen wurde bereits ersichtlich, daß der ästhetische Schock nicht allein auf die Gewaltsensation oder die technische Kraft des Filmbildes vertraut. Statt dessen ist es die modulierte Reflexion auf die eigene Bildhaftigkeit, auf der die spezifisch ästhetische Erschütterung beruht. Das ,reale‘ Boxen mag zum Denken herausfordern, aber die Konstruktionen des Boxfilms bringen – in ihren großen Momenten – selbst ein genuin ästhetisch-reflexives Denken hervor, das zum Lesen zwingt.

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Wie in den klassischen Opferkampfmythen bleibt der Boxer, auch wenn ihm gelegentlich das Publikum zu fehlen scheint, eine populäre Figur des Makrorituellen und seiner Öffentlichkeit. Aber der Glaube an das Rituelle, an die große Identitätsstiftung der Makrorituale, ist erschüttert – innerhalb und außerhalb des Rings. Daher bewegen wir uns mit der Boxerfigur stets am Abgrund einer schwer faßbaren Erschütterungspräsenz, die in allen Ausdruckselementen spürbar ist, sich aber gleichzeitig dem Denken in ein fernes Außen entzieht.495 Die Elemente des professionellen Boxens und das Inventar der kinematographischen Opferkampfmythologie stellen immer noch die Region innerhalb des populären Universums dar, aus der sich die Boxerfigur speist. Aber das Verhältnis des filmischen Bewußtseins zu dieser populären Sphäre bildet sich im Zeichen der Erschütterung in anderer Weise heraus. Es besteht nicht mehr darin, Bilder aus dem Populäruniversum zu aktualisieren und zum Le495 Das Außen bzw. das Denken des Außens ist eine Denkfigur, die Deleuze im Rekurs auf Foucault entwickelt. Sein Buch über Foucault (Deleuze 1992a, S. 99-130) widmet ihr ein Kapitel. Foucault selbst (1993) bringt die Figur insbesondere mit der Sprache der modernen Literatur in Zusammenhang. Im Zeit-Bild (1991, S. 233) erläutert Deleuze anhand ihrer die neue Form des geistigen Automaten im modernen Kino: „Der Automat ist vom Außen abgeschnitten, und trotzdem gibt es ein viel weitreichenderes Außen, das ihn beleben wird.“ Die ästhetische Selbstreflexiviät des modernen Films begründet eine absolute Selbstreferentialität. Der bildliche Ausdruck entledigt sich jedes eindeutig vermittelnden (sensomotorischen oder dialektischen) Bezugs auf eine Außenwelt mit sozialem oder geschichtlichem Horizont. (Das Bewegungs-Bild hatte einen solchen Anspruch auf die gesellschaftliche Realität noch erhoben, denkt man etwa an die Anwartschaften Eisensteins gegenüber dem revolutionären Rußland.) Gleichzeitig konstituiert die moderne Filmästhetik jedoch ein neues radikaleres Außen von absoluter Undurchdringlichkeit: „Das Denken des Außen als das Undenkbare im Denken bemächtigt sich dieses derart gereinigten Automaten. Wir haben es hier keineswegs mit einer Verfremdung zu tun, sondern mit dem im eigentlichen Sinne kinematographischen Automatismus und seinen Konsequenzen, das heißt mit dem materiellen Automatismus der Bilder, der aus dem Außen ein Denken hervorbringt, das er als das Undenkbare unserem geistigen Automatismus aufdrängt.“ S. 233. Der Körper wird von Deleuze als eine solche Figur des absoluten Außen eingeführt, dem sich das Denken in seinem Innersten stellen muß: „Zwar denkt der Körper nicht, doch unnachgiebig und unbeugsam zwingt er zum Denken und zwingt das zu denken, was sich dem Denken entzieht – das Leben.“ S. 244.

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bensweg einer Boxerfigur zu verketten. Statt dessen konstituiert es sich im unmittelbaren Bezug auf die populäre Boxsphäre als einer virtuellen Trümmervergangenheit. Deshalb kann man sagen, daß der Boxerkörper „niemals einfach in der Gegenwart“ ist und daß „das Vorher und Nachher, die Zeit, in den Körper“ bzw. in das Körperbild direkten Einzug erhält.496 Der Boxer ist demnach nicht mehr Bewegungszentrum, sondern die Figur zeitlicher Schichtungen, die sich im jeweiligen Film in spezifischen Strukturen organisieren. Vergleichbar zu anderen Feldern des modernen Kinos, erweist sich somit die Zeit als die Obsession der Boxfilm-Moderne. Natürlich ist das Verhältnis von Körper, Bild und Zeit auf allen drei Achsen die zentrale Kategorie des Boxfilms. Aber erst auf der dritten Achse löst sich die Körperbild-Zeit von der mythischen Organisation in kontinuierlicher Bewegung und von der Verkürzung auf die Plötzlichkeit des Schlags. Die ästhetische Reflexion vollzieht sich jenseits der Attraktionsspektakel bzw. geht über sie hinaus. Die ästhetische Kategorie des Plötzlichen kann daher nicht mehr ohne weiteres mit dem Stakkato der Montage kurzgeschlossen werden. Sie erscheint in der Zeitdimension ästhetischer Erfahrung: den blitzartigen Umschlägen und Spaltungen der Reflexionsbewegung. Die Analysen der dritten Achse gliedern sich in zwei grosse Abschnitte. Der erste beschäftigt sich mit den Aufbruchzeiten des Boxfilms im doppelten Sinne: Aufbruch in die Moderne und Aufbruch der klassischen Struktur. Der zweite Abschnitt untersucht die eigentliche ästhetische Moderne des Boxfilms. Die Frage der Zwischenzeiten wendet sich hier an drei der großen Kategorien des Boxfilms: die Körperdauer, die Milieuinszenierung und den Kämpferglauben. Zuvor jedoch möchte ich die theoretische Basis der Analyse festigen, indem ich das Konzept eines genuin filmischen Denkens und den für die gesamte Arbeit elementaren Begriff einer kinematographischen Virtualität nachhaltig erläutere. Produktionsformen: Kino und Theorie Am Ende der Kinobücher, noch nach der Rekapitulation der Argumentation zu Bewegungs-Bild und Zeit-Bild, schließt Deleuze mit Bemerkungen zum Verhältnis von Kino und Theorie. Sein Anliegen 496 Deleuze 1991, S. 244.

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ist es, die Philosophie als einen Bereich der schöpferischen und erfinderischen Produktion zu begreifen, in welchem Theorie gemacht wird: „Doch ebenso wie ihr Gegenstand ist auch die philosophische Theorie eine Praxis. Keineswegs ist sie abstrakter als ihr Gegenstand. Sie ist eine Praxis der Begriffe, und es gilt, sie hinsichtlich anderer Praktiken, mit denen sie interferiert, zu beurteilen. [...] Aus diesem Grund besitzt die Praxis der Begriffe gegenüber anderen Praktiken keinerlei Vorrechte, sowenig wie ein Gegenstand gegenüber anderen Gegenständen Vorrechte hat. Gleichgültig ob es sich um Dinge, Wesen, Bilder, Begriffe oder um Ereignisse irgendwelcher Art handelt: sie alle bilden sich auf 497 der Stufe der Interferenz mit einer Vielzahl von Praktiken.“

Deleuze’ Denken sucht stets und in vielfältiger Weise den Kontakt zum außerhalb der Philosophie sich Ereignenden.498 Indem sie ihre Aufmerksamkeit anderen Praktiken zuwendet, betreibt die Philosophie Begriffsbildung im Angesicht eines Neuen – eines historisch Neuen oder neu entdeckter (Zeit-)Schichten im Bestehenden: „Die Begriffe des Kinos sind nicht im Kino ,gegeben‘. Und dennoch sind es die Begriffe des Kinos und nicht Theorien über das Kino. So daß es immer, zwischen Mittag und Mitternacht, einen Augenblick gibt, in dem man nicht mehr fragen sollte: Was ist Kino, sondern: Was ist Philosophie? Das Kino ist eine neue Praxis der Bilder und Zeichen und es ist Sache der Philosophie, zu dieser Praxis die Theorie (im Sinne begriffli499 cher Praxis) zu liefern.“

In Was ist Philosophie?, der letzten gemeinsam mit Felix Guattari verfaßten Schrift, in der die Frage wörtlich und programmatisch aufgenommen wird, findet sich der Entwurf der Paralleluniversen verschiedener Praktiken, die einander relationiert sind und miteinander kommunizieren, um eine dritte Praxis – die (Natur-)Wissenschaft – erweitert und konzeptionell ausgearbeitet:

497 Deleuze 1991, S. 358 . 498 Vgl. Balke 1998, S. 114ff. 499 Deleuze 1991, S. 358.

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FAUST TRIFFT AUGE „Die drei Denkformen kreuzen sich, verknüpfen sich, dies aber ohne Synthese oder Identifikation. Die Philosophie bringt mit ihren Begriffen Ereignisse zum Erscheinen, die Kunst errichtet mit ihren Empfindungen Monumente, die Wissenschaft konstruiert mit ihren Funktionen Sachverhalte. [...] Jedes auf einer Ebene geschaffene Element appelliert an andere heterogene Elemente, die auf den anderen Ebenen zu erschaf500 fen bleiben: das Denken als Heterogenese.“

Neben der vorausgesetzten Gleichberechtigung in der fruchtbaren Heterogenese der Praktiken (für die Untersuchung einer historischen Situation mögen gleichwohl Vorherrschaften und Führungsrollen relevant sein) benennt diese Passage jene zweite für Deleuze’ Verständnis des Denkens zentrale Einsicht, die oben bereits vorweggenommen wurde: Es gibt Denken außerhalb der Begriffe, ja sogar außerhalb der Sprache im linguistischen Sinne. Der Befund von Bewegungs-Bild und Zeit-Bild bestimmt den Film als ein spezifisch ästhetisches Denken in Bildern. Das begriffliche Denken sieht sich durch andere Orte des Denkens zur Produktion herausgefordert. Das Resultat der angenommenen Herausforderung ist in den Kinobüchern eine bis ins Detail nachgewiesene Affinität von Kino und Philosophie. Es handelt sich nicht um ein Verhältnis der Austauschbarkeit, und zwar in keiner der beiden Richtungen. Kino und Philosophie ersetzen sich nicht. Denn ihr Denken weist unterschiedliche Kräfte – ausgehend von Bild oder Begriff – und damit differente Erfahrungswerte auf.501 Die Bewegungs- und Zeitpraxis des Kinos ist unterschieden von den philosophisch praktizierten Begriffen der Bewegung und der Zeit. Aber zwischen den Filmen oder den Werken einzelner Autoren und bestimmten philosophischen Konzepten bestehen nicht nur thematische Überschneidungen, sondern ebenso strukturelle Verwandtschaften. 500 Deleuze 1996, S. 236-237. 501 Vgl. Deleuze 1996, S. 209-210: „Es ist nicht dasselbe Werden. Das sinnliche Werden ist jener Akt, durch den etwas oder jemand fortwährend anders-wird (und dabei bleibt, was er ist), Sonnenblume oder Ahab, während das begriffliche Werden der Akt ist, durch den das gemeinsame Ereignis selbst dem, was ist, ausweicht. Dieses ist die in einer absoluten Form gefaßte Heterogenität, jenes die in einer Ausdrucksmaterie eingebundene Alterität.“

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Man vermißt in dieser Unterscheidung der Denkformen die genuin filmwissenschaftliche Debatte um die enorme Sogwirkung, welche die kohärenten Bildbewegungen des klassischen Kinos auf den Zuschauer ausüben können: Der Film bringt eine neue Qualität des Imaginären in die Welt, wenn er seine übergroßen Perfektionskörper zelebriert und mit seinem Dispositiv die narzißtische Identifikation mit diesen Körpern nahelegt. Aber die totalisierende Bewegung der Bilder ist für Deleuze bereits eine Konfiguration des Denkens. Sie wird daher nicht mit der gewöhnlich aus Lacans Theorem der Spiegelphase abgeleiteten Einfühlung in eine verführerische Imago mächtiger Einheitlichkeit gleichgesetzt. Das Ganze eines klassischen Films ist dabei als ein Offenes konzipiert und hat einen indirekten Bezug zur Zeit.502 Die Auffassung eines bildlichen Denkens hat sich schon in der Epoche des Bewegungs-Bildes ihre Bahn gebrochen. Der zerebrale Schock Eisensteins ist das Modell, an dem die Denkbewegung des klassischen Kinos demonstriert wird.503 Und selbst das klassische amerikanische Kino des Aktionsbildes denkt nach den Kino-Büchern die Aktion eher als ihrer Entfesselung verfallen zu sein. Dieser als unkritisch bemängelte Standpunkt baut sich auf der Voraussetzung auf, die im Bewegungs-Bild behandelten Filme als wahrgenommene Wahrnehmung anzusehen.504 Einerseits befreit das Dispositiv des Kinos von den Notwendigkeiten des Alltags und errichtet den geschützten Raum der Rezeption, andererseits bieten die ausgewählten Filme Wahrnehmungsstrukturen, die nicht nur mehrfache Modulationsstufen durchlaufen haben, sondern auch die reflexive Spur dieser Modulation aufweisen. Das Bild erscheint hier immer schon als gelesenes. Man mag diese Konzeption mit dem Nachtrag versehen, daß die Befreiung des Zuschauers vom Alltag in der Theorie narzißtischer Filmidentifikation eine der Hauptkonditionen dafür darstellt, in die imaginäre Welt eintauchen zu können. Dementsprechend wäre das Kino nur potentiell reflexiv, ein Film nur unter bestimmten Bedingungen als wahrgenommene Wahrneh502 Die Konzeption des offenen Ganzen läßt sich als eine Korrektur der traditionell kunstheoretischen Kategorie des Ganzen lesen, wie sie Barthes (1990a) in der Kunsttheorie Diderots aufweist. 503 Vgl. Deleuze 1990, S. 53ff, 1991, S. 205ff. Vgl. auch Kappelhoff 1994, S. 18. 504 Den Vorwurf des Unkritischen erhebt Klippel 1995, S. 92.

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mung zu lesen. Freilich sind diese Bedingungen dort, wo das Kino zuvorderst in seinen rituellen Funktionen aufgeht, kaum gegeben. Was diesen Nachtrag hinsichtlich Deleuze’ Kinobüchern jedoch zu einer nach Athen getragenen Eule macht, ist die Perspektivierung, in der das Verhältnis von historisch überkommenem Bewegungs-Bild und zurückstrahlendem Zeit-Bild gedacht ist: „Es mußte erst das moderne Kino kommen, um das gesamte Kino noch einmal als das zu lesen, was es bereits war: abweichende Bewegungen und falsche Anschlüsse.“505 Nach dem Zweiten Weltkrieg wird das Scheitern des Bewegungskinos offensichtlich, und eine andere Form bildlichen Denkens taucht mit immer größerer Wirkung auf.506 Diese andere Denkform konstituiert sich im direkten Bezug zur Zeit als einer Virtualität. Ihre filmischen Zeit-Bilder aber zeichnen sich dadurch aus, den rituell-imaginären Identifikationsmodus zu zersetzen und jede totalisierende Denkkonfiguration zu unterlaufen oder zu sprengen und statt dessen kristalline, geschichtete oder serielle Formationen entstehen zu lassen. Virtualitäten bei Benjamin und Deleuze Die Erschütterung des modernen Boxfilms wirkt auf uns in einer unheimlichen Präsenz. Diese Präsenz ist nur denkbar als Potentialität, deren Zeitmodus keinesfalls die Gegenwart ist. Denn wäre sie allein gegenwärtig, würde sie in diesem Moment auch schon vergehen und hätte sich bereits erschöpft. Das Charakteristikum der Präsenz – ihr beunruhigender Effekt – besteht aber gerade darin, in unserer Aufmerksamkeit zu insistieren. Die Präsenz der Erschütterung ist virtuell – vergangen und zukünftig zugleich. Was nun ist unter dem Begriff des Virtuellen zu verstehen? In seinem Aufsatz Virtualität der Medien beschäftigt sich Samuel Weber mit jenen Begriffen der Philosophie Benjamins, die wie Lesbarkeit, (Un-)Mittelbarkeit oder auch Reproduzierbarkeit mit dem „Suffix -bar“ ausgestattet sind. Diese Termini bezeichnen Virtualitäten, „virtuelle Möglichkeiten, -barkeiten, die sich zwar aktualisieren können, aber sich dabei 505 Deleuze 1991, S. 61. 506 Vgl. Deleuze 1991, S. 205ff. Die historische Wendemarke der Nachkriegszeit kommt nicht ohne Ausnahme aus. Ozu und Dreyer gelten Deleuze als ästhetisch moderne Regisseure schon zu Stummfilmzeiten.

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nie erfüllen oder vergegenwärtigen“.507 Als reine Potentialitäten verbleiben die -barkeiten also im Modus des Virtuellen, auch wenn ständig Aktualisierungen aus ihnen hervorgehen. Ihr Prinzip verfolgt Weber in Abgrenzung zu Deleuze’ Virtualitäts-Konzept, dem er eine zwar unbeabsichtigte, aber dennoch politisch alarmierende Allianz mit der „werbeträchtige(n) Selbstanzeige der neuen Medien als einer grenzenlosen Welt der Virtualität“508 nachsagt. Diese Kritik basiert nicht allein auf einer Verkürzung, sondern auf einer Fehlinterpretation der Deleuze’schen Philosophie der Zeit.509 In Differenz und Wiederholung erläutert Deleuze, die Termini „aktualisieren, differenzieren, integrieren, lösen“ seien für biologische Aktualisierungsprozesse synomym zu verwenden.510 Weber konzentriert seine Beanstandung auf den Begriff der „lokalen Integration“ und auf die ihr verbundenen Kategorien der „globalen Bildung eines inneren Milieus“ und der „Problemlösung“511: „Solange jedoch das Virtuelle vorrangig als Prämisse einer zu aktualisierenden ,globale[n] Integration‘ konzipiert wird, so lange wird es – aller 507 Weber 1999, S. 43-44. 508 Weber 1999, S. 38. 509 Von einer asymmetrischen Verkürzung ist schon insofern auszugehen, als Weber seine Benjamin-Lektüre auf die breite Basis einer Passage vom Früh- zum Spätwerk stellt, während er sich auf Seiten Deleuze’ lediglich auf Differenz und Wiederholung aus dem Jahre 1968 bezieht. (Allerdings unterliegt bereits dieser Bezug der im folgenden aufzuzeigenden Fehleinschätzung des VirtualitätsKonzeptes.) In ihrem Denken der Virtualität ähneln sich Deleuze und Benjamin vor allem auch deshalb, weil beide von derselben Zeittheorie, nämlich derjenigen Henri Bergsons, beeinflußt sind. Der Einfluß Bergsons auf seinen deutschen Kollegen betrifft keineswegs allein Benjamins frühe Phase. Noch neben der Kritik an Bergsons Philosophie in späteren Schriften steht eine Zeitkonzeption, die der Gedächtnisarchitektur im genialen Frühwerk des Franzosen Matière et Mémoire (1896) einiges verdankt. Vgl. Hillach 2000, S. 215, Anmerkung 25. Bergsons Wirkung auf Deleuze ist freilich offensichtlicher, stammt doch von letzterem ein berühmter Bergson-Kommentar, der in Deutschland unter dem Titel Bergson zur Einführung (1989a) erschienen ist. In den Kinobüchern bildet die Zeitphilosophie, zurückgehend nicht allein auf Matière et Mémoire, sondern auf das Gesamtwerk Bergsons, einen der Grundpfeiler für die Theorie der kinematographischen Zeit. 510 Vgl. Deleuze 1989, S. 267. 511 Weber 1999, S. 37-38. Die anderen drei Termini sprechen auch in Webers Perspektive eher für eine Verwandtschaft zum Denken Benjamins.

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Digitalisierung zum Trotz – letztlich doch noch einer analogen Logik der Identität, der Repräsentation und der Ähnlichkeit unterstellt.“512 Daraus folgt für Weber die Komplizenschaft mit der Ideologie der neuen Medien: „Medien dürfen und sollen auflösen, entbinden, in Bewegung setzten, aber nur unter der Bedingung, daß solche Bewegungen den global-integrativen Machtbestrebungen und Interessen des Kapitals förderlich sind.“513 Weber stützt sich weiterhin, auf die Lektüre dieses wichtigen Fragments aus dem Konvolut N (Erkenntnistheoretisches, Theorie des Fortschritts) aus Benjamins Passagen-Werk: „Die Vor- und Nachgeschichte eines historischen Tatbestandes erscheinen kraft seiner dialektischen Darstellung an ihm selbst. Mehr: jeder dialektisch dargestellte historische Sachverhalt polarisiert sich und wird zu einem Kraftfeld, in dem Auseinandersetzung zwischen seiner Vorgeschichte und Nachgeschichte sich abspielt. Er wird es, indem die Aktualität in ihn hineinwirkt. Und so polarisiert der historische Tatbestand sich nach Vor- und Nachgeschichte immer von neuem, nie auf die gleiche Weise. Und er tut es außerhalb seiner, in der Aktualität selbst; wie eine Strecke, die nach dem apollnischen Schnitt geteilt wird, ihre 514 Teilung außerhalb ihrer selbst erfährt.“

Während sowohl Benjamins als auch Deleuze’ Philosophie von der spaltenden – der in Vor- und Nachgeschichte auseinandersetzenden – Wirkung der Zeit ausgingen515, kenne lediglich Benjamins Geschichtskonzeption keine Ziele. Ein Ziel – so ist Webers an dieser Stelle nur skizzierte Argumentation wohl zu deuten – soll mit Deleuze’ Kategorie der Problemlösung in der Aktualisierung assoziiert sein. Benjamins geschichtliche Zeit habe höchstens ein Ende, wie es – auch das sei ergänzend angemerkt – der Terminus der messianischen Zeit in einer theologischen Denkfigur bekräftigt. Webers Schlußfolgerung lautet: 512 Weber 1999, S. 38. 513 Weber 1999, S. 38. Die Ausleger dieses Vorwurfs, die bis dahin reichen, Deleuze Philosphie der Begünstigung eines VirtualitätsBegriffs zu bezichtigen, den sogar die Front Nationale verwende, lohnt es sich nicht im Detail zu wiederholen. 514 Benjamin 1991e, S. 587-588. 515 Vgl. Weber 1999, S. 46.

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DRITTE ACHSE: REFLEXION ERSCHÜTTERTEN DASEINS „Dieses Ende aber kommt nicht erst ,am Ende‘, sondern ist immer ,aktuell‘, immer potentiell ein ,jetzt‘. Denn das Geschichtliche entsteht erst für Benjamin, indem die Zeit zur ,Strecke‘ gebracht wird. Die ,Erfahrung‘ dieser Strecke durch ihre ,Teilung‘ wird immer ,außerhalb ihrer selbst erfahren‘. Im Gegensatz zu den Ausführungen von Deleuze bleibt die Aktualisierung bei Benjamin (und mithin auch die Virtualisierung) immer an eine Bewegung der Veräußerlichung gebunden. Das Mit516 teilen, nicht das Integrieren, hat das letzte Wort.“

Webers Interpretation der Benjaminschen -barkeiten erweist sich als durchaus fruchtbar. Seine Kritik an Deleuze ist jedoch unhaltbar, was sich anhand von zwei Aspekten evident machen läßt. Erstens verfehlt seine Argumentation die Bedeutung der „lokalen Integration“ und die der „Problemlösung“, wenn er Integration bezogen auf eine gegebene Welt und Lösung im Verhältnis zu einem gesetzten Problem versteht. Auf dieses Mißverständnis richtet sich bereits die vehemente Kritik am Begriffspaar möglich / wirklich, die Deleuze im Rekurs auf Bergsons Termini virtuell / aktuell formuliert. Wäre ein Problem bis ins letzte bekannt, hätte man auch die Lösung. Man kann auch sagen, daß ein Problem erst mit seiner Lösung völlig bekannt wird. Wenn man aber davon ausgeht, das sich die Lösung im ungelösten Problem abzeichnet, richtet man zwischen Lösung und Problem eine Beziehung der Ähnlichkeit ein. Die Lösung ähnelte dann dem Problem bzw. einem Teil des Problems, denn sonst könnte sie sich nicht in ihm abzeichnen. Sie wäre aber noch nicht wirklich, sondern lediglich möglich. Sie würde wirklich im Realisationsprozeß. Mit Deleuze gesprochen versagt sich das Begriffspaar möglich / wirklich dergestalt alle Wege, etwas über schöpferische Prozesse auszusagen. Denn woher kommt die Lösung bzw. die genaue Differenzierung des Problems? Die Lösung erschiene hier mit einem Mal als Möglichkeit und bräuchte nur noch mit dem Wirklichkeitszeichen versehen zu werden: ein mysteriöser und unglaubwürdiger Akt: „Immer wenn wir das Problem in den Begriffen des Möglichen und des Realen stellen, werden wir genötigt, die Existenz als pures Auftauchen, 516 Weber 1999, S. 46.

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FAUST TRIFFT AUGE reinen Akt und Sprung zu begreifen, der stets hinter unserem Rücken geschieht, dem Gesetz von allem oder nichts unterworfen. Welcher Unterschied kann dabei zwischen dem Existierenden und dem NichtExistierenden bestehen, wenn das Nicht-Existierende bereits möglich, im Begriff aufgesammelt ist, und zwar mit allen Merkmalen, die ihm 517 der Begriff als Möglichkeit zuschreibt.“

Man sieht sich anhand einer solchen Konzeption mit allen Schwierigkeiten konfrontiert, die Bergson und ihn interpretierend auch Deleuze mit dem Begriffspaar virtuell / aktuell ausräumen wollen. Das Virtuelle und das Aktuelle ähneln sich nicht. Sie sind elementar unterschieden. Gleichwohl haben beide Realität. Die Aktualisierung eines Virtuellen ist im Gegensatz zur Realisation eines Möglichen ein Prozeß der schöpferischen Hervorbringung. Denn in ihr differenziert sich das Virtuelle in einer aktuellen Verzweigung. Dennoch geht das Virtuelle nicht in der einen oder anderen Aktualisierung auf. Immer weitere Aktualisierungen können aus ihm hervorgehen, ohne es zu erschöpfen: Es ist undifferenziert, aber differentiell und drängt daher ständig auf seine Differenzierung.518 Für das Problem bedeutet das, daß es erst mit seiner Lösung in allen Differenzen aktuell wird. Die Lösung ist kein Verbindungsstück, das eine schon vorher in ihren Umrissen bekannte Lücke schließt. Die Umrisse der Lücke lassen sich nur vom gelösten Problem her bestimmen. Eine andere Lösung bringt ein anderes Problem hervor. In Differenz und Wiederholung spricht Deleuze vom „Auge, das ein Licht-„Problem“

517 Deleuze 1989, S. 267-268; vgl. auch 1989a, S. 119ff. 518 Vgl. Deleuze 1989a. S. 119ff. Zum Unterschied von Differentiation und Differenzierung vgl. Deleuze in Differenz und Wiederholung 1989, S. 265: „Während die Differentiation den virtuellen Inhalt der Idee als Problem bestimmt, drückt die Differenzierung die Aktualisierung dieses Virtuellen und die Konstitution der Lösungen (durch lokale Integrationen) aus. Die Differenzierung ist gleichsam der zweite Teil der Differenz, und man muß den komplexen Begriff Differentiation/zierung [différent/citation] prägen, um die Integrität oder Integralität des Objekts zu bezeichnen. tation und zierung [t und c] sind hier das Unterscheidungsmerkmal oder das phonologische Verhältnis der Differenz selbst. Jedes Objekt ist doppelt, ohne daß sich seine beiden Hälften ähneln, von denen die eine das virtuelle Bild, die andere das aktuelle Bild ist. Unpaarige ungleiche Hälften.“

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löst“.519 Aber vor dem Auge gab es das Licht-Problem, in der Weise, wie es das Auge löst, nicht bzw. lediglich virtuell. So verhält es sich auch mit der Welt, in welcher die globale Integration erfolgt. Die Aktualisierung ist eine globale Integration nur, insofern sie die Welt, in die sie sich integriert, im selben Akt hervorbringt.520 Es geht nicht um die Integration in eine vorhandene Welt, die beherrscht wird von einer einzigen unwandelbaren Macht wie in Webers Idee eines kapitalistischen „Gewinnstrebens“521, sondern um die schöpferische Hervorbringung oder Differenzierung von Welten: Mille plateaux, nicht ein einziges. Zweitens setzt Weber seine komparative Operation auf zwei unterschiedlichen Ebenen an. Der Vergleich bewegt sich zwischen der theoretischen Darstellung biologischer Prozesse, die stets der Integration verpflichtet sind, und der Konzeption dialektischer Bilder, die ein revolutionäres Moment enthalten. Benjamins Fokussierung des aufbrechenden Effekts, der in der Begegnung mit dem Virtuellen liegt, erklärt sich aus seiner Opposition gegenüber der Konservierung von Zeit und Welt in starren Modellen. Dazu zählen sowohl idealistische Vorstellungen von einem geschlossenen oder vollendeten Ganzen (einer Idee, eines Ideals und vor allem eines Kunstwerks) als auch die Zeitkonzeption des Historismus, welche die Vergangenheit als eine gegebene Totalität hinstellt, dessen Teile nur aufgefunden werden müssen, um es zu rekonstruieren. Gegenüber dem Historismus macht Benjamin in den Geschichtsphilosphischen Thesen die Sprengkraft des Virtuellen bekanntlich am nachdrücklichsten geltend: „Die Geschichte ist Gegenstand einer Konstruktion, deren Ort nicht die homogene und leere Zeit, sondern die von Jetztzeit erfüllte bildet.“522 Das „Kontinuum der Geschichte“ will er aufgesprengt wissen, Vergangenheiten aus ihm herausgesprengt.523 519 Deleuze 1989, S. 267. 520 Vgl. Deleuze 1989, S. 271. Deleuze rekurriert auf ein Beispiel aus der Embryologie: „Die Eiformen unterscheiden sich also in Ausrichtung, Entwicklungsachsen, in differentiellen Geschwindigkeiten und Rhythmen als den ersten Faktoren der Aktualisierung einer Struktur, die einen Raum und eine Zeit erschaffen, wie sie dem, was sich aktualisiert, entsprechen.“ 521 Weber 1999, S. 38. 522 Benjamin 1991l, S. 701. 523 Benjamin 1991l, S. 701. Wie im Kunstwerk-Aufsatz dominiert auch hier die Metaphorik des Klassenkampfes, was heute mitunter recht

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Benjamins Philosophie vertraut auf eine radikale Konzeption von Montage. Im Passagen-Werk avanciert der unversöhnte und gleichwohl durch Auswahl und Anordnung der Elemente modulierte Einschnitt zum Grundkonzept der geschichtsphilosophischen Konstruktion: das „dialektische Bild“ als „Zäsur der Denkbewegung“.524 In der ästhetischen Produktion seiner Epoche sucht Benjamin nach Geistesverwandten. So hebt er an der Theaterpraxis Brechts die

befremdlich wirkt. Diese Metaphorik einfach von den ästhetischen und geschichtsphilosophischen Gedankenfiguren, die uns verwertbarer erscheinen, abzutrennen, heißt jedoch, das in ihrer Verwendung aufgehobene Anliegen zu verschenken. Zum einen zielt die Kritik an vulgär-marxistischen Begriffen und an der Haltung der damaligen Sozialdemokratie auf die Ideologie eines sich allein über die technische Entwicklung automatisch einstellenden gesellschaftlichen Fortschritts, der auch wir noch nicht entkommen sind. Zum anderen birgt die marxistische Metaphorik den Versuch, ,Klassenkampf‘ als ein Feld des Denkens zu verstehen. Wer die Grenzen dieses Feldes als die klar gezogenen Begrenzungen seiner Wirkung versteht, vergibt die Chance, Philosophie nicht allein als Theorie politischer Aktion, sondern ebenso als eine Form politischen Handelns zu konzipieren. Daß Benjamin gesellschaftliche Veränderungen eben auch von einer Philosophie abhängen sieht, die eine Sprengung des Alten durch ein Neues denken kann, ohne dieses Neue in der Antizipation an das Bestehende zu verraten, eine Philosophie also, die das Neue als ein Undenkbares ins Zentrum des Denkens setzt, ist nach wie vor aktuell. Auch in diesem Punkt besteht sicherlich kein grundsätzlicher Unterschied zu Deleuze, selbst wenn appellierender Agitatismus und Fäkal-Polemik im moderateren Ton der Kino-Bücher gegenüber früheren Arbeiten wie Anti-Ödipus (Deleuze / Guattari 1974) und Tausend Plateaus (Deleuze / Guattari 1992) zurückstehen. 524 Benjamin 1991e, S. 595: „Zum Denken gehört ebenso die Bewegung wie das Stillstellen der Gedanken. Wo das Denken in einer von Spannungen gesättigten Konstellation zum Stillstand kommt, da erscheint das dialektische Bild. Es ist die Zäsur in der Denkbewegung. Ihre Stelle ist natürlich keine beliebige. Sie ist, mit einem Wort, da zu suchen, wo die Spannung zwischen den dialektischen Gegensätzen am größten ist. De(m)nach ist der in der materialistischen Geschichtsdarstellung konstruierte Gegenstand selbst das dialektische Bild. Es ist identisch mit dem historischen Gegenstand; es rechtfertigt seine Absprengung aus dem Kontinuum des Geschichtsverlaufs.“ Vgl. auch S. 572: „Diese Arbeit muß die Kunst, ohne Anführungszeichen zu zitieren, zur höchsten Höhe entwickeln. Ihre Theorie hängt aufs engste mit der der Montage zusammen.“

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Momente des Bruchs als solche der Konstruktion hervor.525 Im Kunstwerk-Aufsatz findet diese Montagekonzeption ihr Paradigma in der filmischen Wahrnehmung: in den Operationen der Kamera mit „ihrem Stürzen und Steigen, ihrem Unterbrechen und Isolieren, ihrem Dehnen und Raffen des Ablaufs, ihrem Vergrößern und Verkleinern“.526 Eine virtuelle Dimension ist in diesem Sinne erst erschlossen, wenn das Unterbrechen und Isolieren in der Montage nicht zurückgenommen, also nicht in einer neuen Kohärenz alter Struktur neutralisiert wird. Denn erst dann kann sich zwischen den Bildern ein Denkraum unsinnlicher Beziehungen in eigener Wertigkeit einrichten. Deleuze untersucht die Produktion einer solchen Zwischenzeit im modernen Kino: „zu einem gegebenen Potential muß man ein anderes, aber nicht irgendeines wählen, und zwar derart, daß sich die Potential-Differenz zwischen beiden herstellt, die Produzent eines dritten oder von etwas Neuem ist.“527 Das Verhältnis zwischen den Bildern ist damit inkommensurabel. Die Ausdruckssingularitäten isolieren sich gegeneinander ab. Ihr Zwischenraum wird nicht mit einer aktuellen Verkettung überbrückt und ruft deshalb ständig neue Verkettungsversuche hervor.528 Im Kino der Zeit breiten sich die potentialisierenden Zäsuren in allen Dimensionen aus: „im visuellen Bild, im akustischen Bild und zwischen akustischem und visuellen Bild.“529 Daran wird deutlich, daß es im modernen Kino nicht um integrative Prozesse der Aktualisierung geht, sondern um deren Unterwanderung, Zersetzung und Aufspaltung – um die Abgründigkeit der Zeichen also.

525 Vgl. Benjamin 1991i, S. 697-698. 526 Benjamin 1991a, S. 500. Allerdings läßt sich die Figur der Montage im Kunstwerk-Aufsatz im Gegensatz dazu an mancher Stelle als Technik zur Herstellung eines kohärenten filmischen Zusammenhangs lesen, was als Anspielung auf dominante Tendenzen der damals aktuellen Filmpraxis verstanden werden kann. Vgl. S. 485: „Die Direktiven, die der Betrachter von Bildern in der illustrierten Zeitschrift durch die Beschriftung erhält, werden bald darauf noch präziser und gebieterischer im Film, wo die Auffassung von jedem einzelnen Bild durch die Folge aller vorangegangenen vorgeschrieben erscheint.“ 527 Deleuze 1991, S. 234. 528 Vgl. Deleuze 1991, S. 236. 529 Deleuze 1991, S. 235.

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Das Kino der Bewegung dagegen operiert in Kategorien der Aktualisierung. Weniger Problematisierung denn Problemlösung ist sein Prinzip. Das amerikanische Kino und mit ihnen die klassischen Opferkampfmythen des Boxfilms stehen in der Tradition der organischen Komposition.530 Sie bringen Ketten von aktuellen Bilder hervor und integrieren sie in eine Welt bzw. in ein Milieu. In derselben Bewegung erschaffen sie Welt und Milieu oder wandeln sie in ihren Qualitäten. Es ist demnach die spezifische Ästhetik dieser Art von Kino, nicht etwa Deleuze’ Konzeption des Virtuellen im allgemeinen, die sich den Gesetzen von biologischen Integrationsprozessen strukturell verwandt zeigt. In der Evolution ist der Mensch dasjenige Wesen, das die Problemlösung am längsten in der Schwebe halten kann, weil sie sich nicht in einem biologischen Organ manifestiert, sondern in wandelbarer Technik. Aber dennoch sind alle biologischen Wesen im ,Alltag‘ des Lebens und Überlebens auf Momente der Integration in ein Milieu angewiesen, das sie im selben Akt in nicht aufhaltender Verzweigung schaffen oder transformieren. Man stelle sich eine Inkommensurabilität bei der Nahrungsaufnahme vor. Ein irrationaler Schnitt zwischen einem Lebewesen und potentieller Nahrung, der sich am Ende nicht in die Aktualisierung des Verspeisens auflöst, führt immer noch zum Tod durch Verhungern. Ästhetische Subjektivität unterliegt diesen Bedingungen freilich nicht. Im Denken oder in der filmästhetischen Erfahrung kann ein irrationaler Schnitt die Potentialität hervorbrin530 Vgl. Deleuze 1991, S. 50-51: „Die Komposition der BewegungsBilder hat Griffith als eine Organisation, einen Organismus, eine große organische Einheit verstanden. Das war seine Entdeckung. Der Organismus ist zunächst eine Einheit in der Vielfalt, das heißt eine Gesamtheit unterschiedener Teile: es gibt Männer und Frauen, Reich und Arme, Stadt und Land, den Norden und den Süden, Innen- und Außenräume usw. ... Diese Teile werden in binäre Relation gebracht, die eine alternierende Parallelmontage ausbilden, wobei, einem Rhythmus entsprechend, ein Bild aus dem einen Teil auf das aus dem anderen folgt. [...] Schließlich müssen die Teile noch aufeinander einwirken und reagieren, um zugleich zu zeigen, wie sie in Konflikt geraten und die Einheit des organischen Ensembles bedrohen – und wie sie den Konflikt überwinden und die Einheit wiederherstellen. Aus manchen Teilen gehen Handlungen hervor, die das Böse und das Gute gegeneinanderstellen, aus anderen laufen Handlungen aufeinander zu, die dem Guten zu Hilfe kommen: stets ist es die Duellform, die sich durch alle Stadien hindurch entwickelt und verschiedene Stadien durchläuft.“

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gen: eine unüberbrückbare Spaltung zwischen Boxerfigur und Steak: tausend Arten einem Steak zu begegnen. Die Bildzeit unterliegt somit einer virtuellen Serialisierung, die Deleuze auch ,Werden‘ nennt. Statt einer chronologischen Folge aktueller Bilder, bedeutet das Serielle die Aufspaltung des potentialisierten Bildes in immer neue achronologische Zeitserien. Benjamin will das „dialektische Bild“ in einer Weise konstruiert wissen, welche einen „Tatbestand“ nach „Vor- und Nachgeschichte immer von neuem, nie auf die gleiche Weise“ polarisiert.531 Dabei setzt er gegen eine sukzessive Denkbewegung, die stets Gefahr läuft, das Kontinuum der leeren Zeit lediglich zu wiederholen, die Konzeption einer „Dialektik im Stillstand“.532 Es ist das Widerstandspotential einer derartig stillstehenden Dialektik gegen die Denkbewegung, auf das die schöpferische Implosion des Denkens zurückgeht. Das Serielle entsteht, wenn uns ein Bild Widerstand leistet, wenn es den Blick irritiert oder sich uns als Problem offenbart. Hier läßt sich die Konzeption der ästhetischen Reflexion an diejenige der Zeit-Serie anlegen.533 Mit dem Bild transformiert sich auch die Frage, die es 531 Vgl. Benjamin 1991e, S. 587-588. Vgl. auch Deleuze 1991, S. 351: „das Vorher und Nachher betreffen nun nicht mehr die äußere empirische Sukzession, sondern die innere Qualität des in der Zeit Werdenden. Das Werden kann in der Tat als dasjenige bestimmt werden, was eine empirische Folge in eine Serie – ein Hervorsprudeln von Serien – transformiert.“ Das Serielle bzw. die Serie sind Grundfiguren des Deleuze’schen Denkens, die bis in die frühen Schriften – etwa Logik des Sinns (1993a, v. a. S. 57-63) oder Woran erkennt man den Strukturalismus (1992, v. a. S. 36-41) – zurückverfolgen lassen. Es geht stets um divergierende Reihen von Elementen, zwischen denen, also in deren verschobenen Bezügen, neue Serien entstehen. 532 Benjamin 1991e, S. 1035. 533 Die Vokabel der (ästhetischen) Reflexion nimmt in den Kinobüchern und auch in den übrigen Deleuze’schen Schriften keine zentrale Stellung ein. Im Anti-Ödipus und in Tausend Plateaus sprechen Deleuze und Guattari von einer sich ständig spaltenden SchizoProduktion statt von Reflexion. Vgl. 1974, 1992. Dem ist entgegenzuhalten, daß die ästhetische Reflexion, wie sie hier konzipiert ist, gerade eine besonders produktive Form von spaltender Produktion darstellt. Daß sich Deleuze bisweilen eher abwertend gegenüber der Reflexion und ihren Beschränkungen äußert, hängt mit seiner spezifischen Definition reflexiver Prozesse zusammen. Die Reflexion faßt er als eine Verdoppelung nach den Prinzipien des Imaginären und damit der Identifikation des einen Elements im reflektierenden anderen. Daher weist die Reflexion für ihn nicht die struk-

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uns stellt. Aus der unbeantwortbaren und deshalb ständig wiederholten Frage nach der Boxerexistenz gehen die Serien der Antwortversuche hervor, die wiederum andere, divergierende Serien zwischen sich bilden können. Gleichzeitig spaltet sich jedoch eine andere Fragehaltung ab, die sich auf die spezifische Form der Unbeantwortbarkeit, auf den besonderen Abgrund der Zeichen eines Films, richtet. Diese Fragehaltung besteht im Versuch die spezielle Serienproduktion zu denken und produziert darin wiederum neue Serien. Der Modus des Seriellen wird ästhetisch-reflexiv gegenüber der eigenen Produktionsstruktur. Diese Reflexion erfaßt den Resonanzkörper. Sie ist uns so unverfügbar und so wenig innerlich wie die Zeit: „Die einzige Subjektivität ist die Zeit, die in ihrer Gründung verstandene achronologische Zeit, während wir innerhalb der Zeit sind – und nicht umgekehrt. Die Aussage, wir seien innerhalb der Zeit, mag den Anschein eines Allgemeinplatzes haben, und trotzdem stellt sie das größte Paradox dar. Die Zeit ist nicht das in uns befindliche Innerliche, sie ist, ganz im Gegenteil, die Innerlichkeit, in der wird sind und leben, in der wir uns bewegen und uns verändern. [...] Die Subjektivität ist niemals die unsrige, denn sie ist die Zeit, das heißt die Seele oder der 534 Geist, das Virtuelle.“ turellen Verschiebungen auf, die ästhetische Reflexion so produktiv machen. Vgl. 1992, S. 36ff. Die ästhetische Reflexion, wie sie hier verstanden sein soll, bringt nicht nur solche Verschiebungen in der Brechung hervor, sondern setzt mit dem Lesen der Brechung stets zu neuen Verschiebungen an. Die zersetzt die Identifikation im imaginären Modus. Gleichwohl charakterisiert Deleuze die moderne Filmästhetik durch jene Spiegelungen (Kristallbild) oder Brüche (irrationaler Schnitt) im filmischen Bewußtsein, die ich im Sinne Benjamins als ästhetische Reflexivität begreife. Vgl. 1991, S. 95ff, 226ff. Er stellt darüber hinaus den Selbstbezug des Kinos auf seine intelligible Struktur ins Zentrum der Betrachtung. Vgl. 1991, S. 216: „Nach Artaud hat das Bild die Funktionsweise des Denkens zum Gegenstand, und die Funktionsweise des Denkens ist zugleich das wahrhafte Subjekt, das uns auf die Bilder zurückführt.“ 534 Deleuze 1991, S. 113. Rodowick (1997, S. 127ff) sieht diese Konzeption der Subjektivität in Verbindung mit Deleuze’ KantInterpretation. Tatsächlich ist Kants kritische Philosophie eine frühe Schrift (1990a, französische Erstveröffentlichung 1963), die bereits die Fremdheit des Ichs gegenüber seinem Double auf die Spaltung der Zeit zurückführt: „,Form des Inneren‘ bedeutet nicht nur, daß die Zeit uns innerlich ist, sondern daß unser Inneres uns selbst

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II. Die Aufbruchzeiten der Boxfilmmoderne 1. Rückwendungen: Nostalgie und Typologie Hollywood-Kino gibt Gelegenheit zur Flucht aus dem Alltag. Dieser verbreitete Gedanke erklärt sich erst aus der filmischen Spannung zwischen einerseits der (behaupteten) Differenz zum Gewöhnlichen und andererseits der strukturellen Ähnlichkeit mit der empirischen Wahrnehmung: Eine Welt der glitzernden Klischees, die anders zu sein vorgibt, sich dem Rezipienten aber ohne nennenswerte Widerstände ergibt. Das Boxerleben birgt Geheimnisse für die Nichtboxer in sich und weckt allein dadurch den Wunsch, an ihm imaginativ teilzuhaben. Der mit seiner Profession innig verbundene Topos einer echten und tiefgehenden Erfahrung macht den Boxer vielleicht noch anfälliger für den Befall durch Klischees als andere Figuren des populären Universums. Deleuze begreift das Klischee zunächst als den Prototyp des sensomotorischen Prinzips: eingeübte Automatismen, die das Handeln im Alltag erst effektiv machen.535 Schließlich gegen Ende des ersten Kino-Buches scheint er sich einer kulturkritischen Dimension des Begriffs zu nähern: „Die physischen – visuellen und akustischen – und die psychischen Klischees nähren sich gegenseitig. Damit die Leute sich selbst und die Welt ertragen, muß das Elend ins Innere des Bewußtseins gedrungen und das Innen dem Außen gleich geworden sein.“536 Diese These von der Allgegenwart der Stereotypien kann kaum gedacht werden ohne Erinnerung an die Dialektik der Aufklärung, für welche das allumfassende Organisationsniveau kapitalistischer Schematisierung kein Entkommen zuläßt.537 Dem an unentwegt spaltet, uns fortwährend entzweit: Eine Spaltung, die nicht bis zum Ende gelangt, da die Zeit kein Ende hat. Ein Taumel, ein Schwanken, das die Zeit konstituiert.“ S. 11. Diese KantInterpretation steht allerdings bereits im Zeichen der noch früheren Auseinandersetzung mit Nietzsche. Vgl. 1985a, S. 53ff (französiche Erstveröffentlichung 1962), vgl. auch Rodowick 1997, S. 130ff. 535 Vgl. Deleuze 1991, S. 35. 536 Deleuze 1990, S. 279. 537 Für Horkheimer / Adorno (1969) regiert bekanntlich die industrielle Paßform, der „Stein der Stereotypie“ als das „Brot, mit dem die

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ihr sich orientierenden Blick sind die glamouröse Emballage und der aufgesetzte Exotismus der Boxerfiguren banaler als Utensilien des Alltags. Die Filmproduktion – so erläutert es die Genretheorie – versucht, der Abnutzung ihrer Muster in der generischen Wiederholung vorzubeugen. Die Repetition benötigt eine bestimmte Art der Differenz, um beim Publikum, dessen Unterhaltungsbedürfnis und Erfahrungslust nach Neuem verlangt, erfolgreich zu sein. Es ist aber nicht damit getan, schlicht neue Varianten der symbolischen Konfliktszenarios auf dem gleichen Bewußtseinsniveau zu produzieren. Da das Publikum eigene Organe für die filmischen Muster ausbildet, tendiert die Entwicklung innerhalb eines Genres zu mehr Selbstbezüglichkeit.538 Spätere Filme beziehen sich auf die Muster ihrer Vorgänger und regen damit wiederum die Organe des Publikums an, sich zu erweitern und möglicherweise in sich zu spiegeln. Wie das amerikanische Kino insgesamt, wird auch der Boxfilm nach dem Zweiten Weltkrieg in dieser Weise ,traditionsbewußter‘. Er wendet sich in verschiedenen Formen – nostalgischen und typologischen – auf die Vergangenheit seines mythischen und ästhetischen Feldes zurück. Nostalgie: die Farbe Rot in Rocky und Raging Bull Neben Pathos ist Nostalgie für Grindon die zweite charakteristische Emotion des Boxfilms. Beide bedingen sich. Das männliche Pathos Kulturindustrie die Menschen speist“. (S. 133) „Dem Arbeitsvorgang in Fabrik und Büro ist auszuweichen nur in der Angleichung an ihn in der Muße.“ (S. 123) Wenn die Autoren im sogenannten Amüsement nur die „Nachbilder des Arbeitsvorgangs selbst“ (S. 123) vermuten, greifen sie auf eine im weiteren Kreis der Frankfurter Philosophie etablierte Gedankenfigur zurück, die Benjamin zuvor umgedreht gedacht hat, wenn er das Kino als Ort der Wahrnehmungsübung für die mechanisierte Arbeitswelt veranschlagt. Vgl. Benjamin 1991a, 1991. 538 Vgl. Schatz 1981, S. 36ff. Schatz spricht von Selbstreflexivität und unterstellt dabei einen gewissen Automatismus im Anwachsen derselben. Da der Begriff der Reflexion in unserem Zusammenhang nur bestimmten Formen der Selbstbezüglichlichkeit vorbehalten bleibt – nämlich denen einer ästhetischen Brechung, die das Genrebewußtsein durch serielle Leseproduktion aufsprengt – spreche ich hier von Selbstbezüglichkeit.

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der Faustkämpferdramen will dadurch gefallen, daß es sich weder den neuesten Moden noch dem Prinzip, das nach immer neuen Moden verlangt, ohne weiteres geschlagen gibt. Was die Favorisierung der Körperkraft und das althergebrachte Wertsystem angeht, ist der Boxerfigur ein Widerstand gegen die Moderne inhärent, der sich zwischen Trotz und unzeitgemäßer Irritation bewegt. Für neuere Produktionen des Boxfilms setzt Grindon das Nostalgische darüber hinaus als eine Perspektive auf die kinematographische Vergangenheit an: „By the 1970s the genre conventions themselves carry an antiquated simplicity wich evokes the classical studio period. The use of nostalgia for the sentimental (Rocky) to the self-conscious (Raging Bull) varies widely, but the genre regularly elicits a distinctive feeling of time lost.“539 Die sentimentale, also ungebrochene, Nostalgie von Rocky basiert darauf, das Unzeitgemäße des Faustkämpfers gefügig zu machen. Der Erfolg des Films geht nicht allein auf das zweifellos vorhandene handwerkliche Niveau, sondern zuvorderst auf die strategische Schlauheit der Inszenierung zurück. Denn Rocky kolportiert nicht einfach ein abgegriffenes Weltbild. Der Film ist vielmehr das Wiederbelebungs- und Erweckungsdrama der Boxklischeewelt. Wie in der Szene im Schlachthof, wo das rohe, blutige Fleisch nicht einfach dem gewöhnlichen Training dient, sondern Weckfunktion gegenüber dem Begehren und dem Willen besitzt, funktionieren die Opfer des Boxerkörpers als Energiequellen, welche die Versteifung des ,amerikanischen Traums‘ zum wiedergewonnenen Glauben verflüssigen sollen. Rückwendung von Rocky zur filmhistorischen Vergangenheit produziert nicht deren direktes Bild, sondern eine besondere Aktualisierung. Die Aktualisierung ist keine Kopie der klassischen Ästhetik. Stattdessen paßt sie das nostalgische Filmbild an die Anforderungen der siebziger Jahre an, etwa in Bildqualität, Schnittgeschwindigkeit, Körperspektakel und den humoristischen Situationen. Etwas an diesen eifrigen Anpassungen wird durch nichts davor geschützt, in kürzester Zeit zu veralten. Die Melodramatik des finalen Kampfes ist heute ein äußerlich versteinerter Korpus filmischen Gefühls. Aber noch gegenüber dem Betrachter unserer Tage bricht die starre Oberfläche in bestimmten Momenten auf, und das Pathos 539 Grindon 1996, S. 66.

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des Melodramatischen fließt wirksam aus: die Musik – die Streicher und Engelschöre, wenn Rocky sich langsam wieder hoch kämpft, oder die Parallelführung von Fausthieben und Takten bzw. Paukenschlägen – vor allem anderen aber die Farbe Rot. Die Dramaturgie des Roten verwirklicht das Wiederbelebungsmotiv vielleicht am klarsten. Wenn Rocky anfangs durch die Straßen streift, säumen nicht nur Müll und das obligatorische Solidaritätszeichen einer Menschengruppe, die um ein Feuer im Blechfaß steht, seinen Weg, sondern immer wieder die ziegelroten Fassaden des Arbeiterviertels. Rot kommt bis zum finalen Kampf nur in jenen bräunlichen oder bläulichen Tönungen vor, die uns aus den Filmproduktionen, die in den siebziger Jahren mit dem Farbmaterial von Technicolor arbeiten, vertraut sind: Die Pastellfarbe der Shorts beim einführenden Kampf und die Lampe in Rockys Appartement, ein warmer Stich in der Farbe von hölzernen Böden oder Wänden, das Braunrot eines Autos und des Frachtschiffes im Hintergrund des Hafens und immer wieder das Ziegelrot von Mauern und Kopfsteinpflastern. Aber in den Kampfszenen am Ende erscheint ein anderes, sattes Rot. Der rot-goldene Mantel von Rocky, die Mütze von Adrian, die blau-weiß-rote ,Stars-and-Stripes‘-Dekoration, rote Ringseile und rote Handschuhe, alle diese Elemente leuchten in strahlendem Rot. Korrelierend zum dramatischen Kampfgeschehen brennen sie in ihrer Farbe. Für Scorsese und sein Team – so der Regisseur im Interview – wird dagegen die Farbe Rot bei der Produktion von Raging Bull zum Problem: „Während der Vorbereitungen zu Raging Bull drehten wir ein paar 8-mm Aufnahmen von Bob beim Training in einer Sporthalle, und ich weiß noch, wie wir sie uns, auf eine Tür projiziert, in meiner Wohnung in der 57th Street ansahen und Michael Powell dabei auf dem Boden saß. Plötzlich sagte Michael: ,Irgendwas stimmt nicht, die Handschuhe dürften nicht rot sein.‘ Vor Jahren, 1975, hatte er mir, nachdem er Mean Streets zum ersten Mal gesehen hatte, geschrieben, daß er ihm gefallen habe, ich aber zuviel Rot benutzt hätte – und das von dem Mann, in dessen eigenen Filmen alles rot war und durch den ich überhaupt erst darauf gekommen bin! Aber bezüglich dieser Boxaufnahmen hatte er

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DRITTE ACHSE: REFLEXION ERSCHÜTTERTEN DASEINS recht, und unser Kameramann Michael Chapman wies ebenfalls darauf 540 hin, wie Farbe Bilder auch schwächen kann.“

Die schwarzweißen Bilder von Raging Bull bedeuten eine Annäherung an die Vorstellungsimpulse des historischen Sujets. Unsere Erinnerungen an das Boxen der vierziger und fünfziger Jahre sind – Lesley Stern führt diesen gängigen Gedanken in ihrem Buch The Scorsese Connection aus – Schwarzweiß, „partly because of grainy documentary footage and newspaper photographs and films like Body and Soul (1947) and Champion (1949)“.541 Raging Bull strebt aber nicht die Identität mit dokumentarischem Wochenschaumaterial oder den Kompositionen des klassischen Boxfilms an, sondern den bewußten Bezug auf diese beiden schwarzweißen Quellen in Zeiten verschwenderischen Farbgebrauchs. Der Entschluß, den Film schließlich in Schwarzweiß zu drehen, geht anteilig auf die Ende der siebziger und Anfang der achtziger Jahre verbreitete Sorge um die Farbbeständigkeit des gängigen Filmmaterials zurück. Aber hinter ihm steht auch das Vorhaben, sich von der allzu freigiebigen Farbgestaltung der zeitgenössischen Boxfilmproduktion – Scorsese erwähnt Rocky II, The Main Event und The Champ – abzusetzen.542 Die besondere Intensität des Schwarzweiß rührt hier jedoch daher, daß Farbe nicht schlicht abwesend ist. Darin liegt Sterns zweite, ungewöhnlichere Perspektive auf die Farbwirkung von Raging Bull, die sie an einem seltsamen Effekt in den Kampfszenen beschreibt: „The black-and-white film seems to vibrate with colour, most especially with red, though it is not the gloves that we see as coloured, but rather the redness of blood that we see spurting through the cuts and slashes, dripping of the rope, seeping through the black-andwhite images.“543 Eine derartige Farbvibration in der Schwärze des Blutes dürfte insbesondere einen Zuschauer erreichen, der Filmblut als rotes Bildvorkommen durch die Exzesse des Farbkinos bereits ausführlich kennengelernt hat. Auch in diesem Aspekt erweist sich Kälte als die Grundtemperatur des Bildes, in der filmhistorisches Bewußtsein zum Ausdruck kommt. Denn die Unterdrückung des Rot in einer Epoche, die sich von Filmfarbe gesättigt weiß, hat den 540 541 542 543

Scorsese in Thompson / Christie 1996, S. 122-125. Stern 1996, S. 18. Vgl. Scorsese in Thompson / Christie 1996, S. 122ff. Stern 1996, S. 18.

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Effekt einer Abkühlung, an der sich das Erinnerungsvermögen abarbeitet. Im Gegensatz zur Strategie von Konservierung und Wiederbelebung in Rocky lehrt uns die unterkühlte Kristallisation in Raging Bull, daß erst das verlorene bzw. aufgegebene Vergangenheitsbild einer Neuproduktion zufallen kann. Golden Gloves Decade Die Schlauheit von Rocky fällt weit hinter die ästhetischen Intelligenzen zurück, die den Boxfilm bereits nach dem zweiten Weltkrieg innervieren. Der Konjunktur der Faustkämpferfigur in dieser Epoche entstammen zahlreiche Produktionen, die als einzelne einen Abdruck im filmgeschichtlichen Gedächtnis hinterlassen haben. Zucker und Babich nennen den Zeitraum zwischen 1947 und 1957 die Golden Gloves Decade.544 Hinsichtlich des Innerverationspotentials der gemeinten Filme und auch ihres Erfolgs an den Kinokassen macht das Attribut Golden durchaus Sinn. Leicht mißverständlich indessen wird Zuckers und Babichs Benennungsvorschlag, wenn man ihn mit den berühmten amerikanischen Amateurboxwettbewerben verbindet, die unter dem Titel der Golden Gloves ausgetragen werden – interessiert sich Hollywood doch in erster Linie für den professionellen Faustkampf. Ironisch sogar wirkt die Bezeichnung angesichts der kinematographischen Film-Noir-Welten, die die besagte Dekade eröffnen: Body and Soul (1947), The Set-up (1949) und Champion (1949) lassen uns an allem anderen als an ,goldenen Zeiten‘ teilhaben. Durch die für den Film Noir charakteristische Atmosphäre der Bedrohung, Paranoia und Angst wird die existentielle Dimension der Boxerfigur dem verpflichtenden Gemeinplatz im Titel des bekanntesten der drei Filme – Körper und Seele eben – durchaus gerecht.545 544 Zucker / Babich 1987, S. 54. 545 Der Filmtitel erfreut sich großer Beliebtheit: Nicht nur die Biographen John Garfields greifen ihn im Titel (Swindell 1975) oder als Kapitelüberschrift (Morris 1977) auf. Auch der Sozialwissenschaftler Wacquant verdeutlicht mit einem Hinweis auf ihn die radikale Hingabe des Boxers an seinen Beruf bzw. seine Berufung. Vgl. Wacquant 2001, S. 22, Anmerkungsapparat. Es dürfte kaum Zufall sein, daß Grindons Aufsatz zum Boxfilmgenre den Titel in seiner Überschrift aufbietet. Bei genauerem Hinsehen stellt sich Body and Soul als diejenige Produktion dar, aus welcher sein Entwurf eines

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Robert Rossens und Abraham Polonskys Body and Soul gilt der Filmgeschichte als einer der Meilensteine im Boxgenre – nicht zuletzt aufgrund des Staraufgebots vor und hinter der Kamera.546 Unter den auch in Fragen der Filmgestaltung liberalen Bedingungen der neu gegründeten Enterprise Studios läßt das hochkarätige Team die Korruption des Boxmilieus im Klima der Schwarzen Serie wuchern. Im New Yorker Boxverband reagiert man auf die Darstellung der Machenschaften des gleichermaßen kriminellen wie unterkühlten Promoters Roberts mit Empörung.547 Zumindest was die Intention des Drehbuchautors Abraham Polonsky angeht, handelt es sich dabei um das Gefecht auf einem Nebenschauplatz. Er beabsichtigt explizit, die Inszenierung angesichts des Boxmilieus im allgemeinen und der Abstraktion skrupelloser Ausbeutung in der Gangsterfigur im besonderen als Kapitalismuskritik anzulegen. Als eines der letzten kann das Filmprojekt die gemäßigte Öffentlichkeit, die aus der Vereinigung verschiedenster Kräfte gegen die Bedrohung durch das nationalsozialistische Deutschland herrührt, für einen derartigen Kritikversuch nutzen. Nur wenig später gerät Body and Soul den Verfolgungen des HUAC (House Un-American Activities Committee) hinsichtlich der beteiligten Schauspieler, der sonstigen Zusammensetzung des Produktionsteams und auch der Stoßrichtung des Produkts selbst zum Musterfall der ,kommunistischen Verschwörung‘ in Hollywood.548 Diese Art der Politisierung im herkömmlichsten aller Sinne adelt einen Film in der Regel filmgeschichtlich, zumindest erhöht sie generischen master plot erwächst. Die Filmhandlung um den Boxer Charlie Davis weist alle zehn aufgeführten Entwicklungsschritte der idealen Formula in der richtigen Reihenfolge auf. Vgl. Grindon 1996. Auch mein Aufsatz „Body and Soul“: Wie ein Mann sich im klassischen Boxfilm macht (May 2001) verweist mittels des Filmtitels auf die existentielle Dimension des Boxfilms, die er handlich benennt. Die hier vorliegenden Passagen zu Body and Soul stellen die Überarbeitung dieses noch unausgereiften Satelliten dar. 546 Mitgewirkt haben neben dem Regisseur Robert Rossen und dem Drehbuchautor Abraham Polonsky ebenso Robert Aldrich als Regieassistent und Robert Parrish im Schnitt sowie der berühmte Kameramann James Wong Howe. Vgl. McGrath 1993, S. 96, Combs 1986, S. 25-26. 547 Vgl. Sammons 1988, S. 145. 548 Vgl. Casty 1969, S. 19ff, Sklar 1992, S. 183ff; McGrath 1993, S. 97ff.

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seine Frequenz als Schaltstelle der Erinnerung. Letzteres fördert auch Richard Combs in einem retrospektiven Artikel, allerdings indem er der Aufwertung des Films mit einem Hinweis auf die mythische Verfassung der Kapitalismuskritik entgegenzuwirken versucht: „Principally, of course, it is a seminal film about boxing as one of the ,rackets’, and as a statement of the populist ideology of men like Rossen and Polonsky, political writers with affiliations with 30s Communism behind them and the blacklist ahead of them, tilting at windmills like big business, the manipulation of the masses, and the economic exploitations of the dreams of honest men. Honesty and corruption are the bywords here: the economic arguments come laden with such moral dread, the study of the evils of capitalism is so individualistically focused, that it is no wonder the scenarios take off into the realms of sin 549 and perdition, temptation and redemption (...).“

Wenn die Handlung auch zugegebenermaßen in individualistischen Kategorien, stark aufgeladen mit christlicher Metaphorik, verbleibt, ist doch dem analysierenden Blick mehr zuzutrauen als eine reduziert ideologiekritische Perspektive – dies nicht zuletzt aufgrund der heute noch imposanten Revision von Body and Soul. Das Zutrauen muß sich nicht allein auf die allgemein bekannte Vorwegnahmeleistung des Film Noir berufen, dessen allgegenwärtiger Verfolgungswahn in den Fällen Polonsky und Rossen tatsächlich von der gesellschaftlichen Realität der ,Kommunistenjagd‘ eingeholt wird. Es soll hier demnach nicht darum gehen, die Erschütterung, die in der düsteren Ästhetik ihren Ausdruck findet, nach dem Modell eines historischen Traumas in einer gesellschaftlichen Ursache zu identifizieren, sei es die im Hollywoodfilm der Vorkriegsjahre aufgeschobene Depression oder die Erfahrung des industriellen Krieges.550 Das Zu549 Combs 1986, S. 25. 550 Silverman (1992) hat den Begriff des historischen Traumas, das in die dominante Fiktion einer bestimmten symbolischen Ordnung einfällt, filmtheoretisch geprägt: „The notion of historical trauma represents rather an attempt to conceptualize how history sometimes manages to interrrupt or even deconstitute what a society assumes to be its master narratives and immanent Necessity – to undo our imaginary relation to the symbolic order, as well as to the other elements within the social formation with which that or-

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trauen kann sich statt dessen auf eine andere Ebene der Politisierung gründen: auf die filmgeschichtlich reflexive Politik der Form, die der Eröffnungsfilm der Golden Gloves Decade betreibt. Eine abstrakte Liste der stilistischen und technischen Mittel der Schwarzen Serie wird hier, abgesehen von den bereits besprochenen Kampfszenen, keine großen Erneuerungen finden. In den tief gestaffelten Einstellungen mit ihren extremen Kameraperspektiven, den wohlhabend neobarocken oder ärmlich schlichten Appartements und auch in den ausufernden Schattenszenarios findet sich nur wenig, was 1947 nicht schon zum Standard des Noir-Stils gehört hätte. In seinem ästhetischen Erfahrungswert jedoch zeigt sich Body and Soul denkwürdig im Feld des Boxfilms. Denn der spezifischen Modulation der Noir-Verfahren erwachsen typologische Reflexionen auf den Filmboxer und seine Welt. Weil der folgende Film der Golden Gloves Decade – The Set-up von Robert Wise –, eine andere Form der Typologie ins Bild setzt, bietet sich ein Vergleich der Strategien an. Unter Druck: Body and Soul In seinen notes on film noir schreibt Paul Schrader: „A complex chronological order is frequently used to reinforce the feelings of hopelessness and lost time.“551 Schon zu Beginn von Body and Soul – nur einige rätselhafte Szenen gehen voran – fällt der Protagonist während seiner vermeintlichen Entspannungsphase direkt vor dem letzten großen Auftritt im Ring in einen phantasmatischen Schlaf. Bereits bandagiert und in Kampfkleidung sinkt er auf die Liege und murmelt im Einschlafen: „All gone down the drain. Everything der is imbricated.“ (S. 55) Schrader (1972) spricht davon, daß die verordnet optimistischen Filme der Depressionszeit die Tendenz zu einem dunklen Kino unterdrückt haben, bis sie sich im Film Noir, den Geist der Nachkriegsjahre – „[w]ar and post-war disillusionment“ (S. 9) – in sich aufsaugend, Bahn bricht. Diese bekannte These, daß der Film Noir die amerikanische Nachkriegssituation spiegelt, differenziert Kaufmann anhand zweier Linien. Er weist auf die Investigationen erstens der popularisierten Psychoanalyse und zweitens der wahnhaften Jagd auf Kommunisten und Liberale als gesellschaftliche Einflüsse hin, deren „Grundstruktur“ im Film Noir mit seiner allgemeinen Atmosphäre der Bedrohung ihr „direktes Korrelat“ finden. Kaufmann 1996, S. 4. 551 Schrader 1972, S. 11.

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down the drain. All these Years...“, woraufhin sich das verschwimmende Bild mit den Harfenklängen im Off zum unverkennbar stereotypen Zeichen der Rückblende zusammensetzt. Anschließend sehen wir die verlorenen Jahre als Drama einer Erinnerung, in der sich die Rätsel vom Anfang erst spät klären. Über die Technik der Rückblende, vor allem aber durch die Inszenierung des Träumens, wird die Bindung der filmischen Weltsicht an die Figur des Boxers recht offensichtlich. Sie gestaltet sich weniger subtil als andere übliche Verfahren, wie beispielsweise die ins Bild eingelassenen subjektiven Imagos von Golden Boy, kann dadurch aber ihre Deutlichkeit bis zur Bedrängnis ausbauen. Der Alptraum, der dem Protagonisten und damit auch uns in Body and Soul zustößt, steht unter dem Druck eines quälenden Vorlebens. Abbildung 21: Die Vergangenheit kommt über ihn — Charlie Davis (John Garfield) kurz vor der Rückblende in Body and Soul.

Die phantasmatische Ästhetik bestimmt jedoch nicht allein die als Traum ausgewiesene Passage. Schon vor dem Einsetzen der Rückblende, im verlassenen nächtlichen Trainingslager, baumelt ein Sandsack unter freiem Himmel über dem hölzernen Podest des Rings. Die Dominanz des Schwarz, die Schlagschatten, das bedrohliche Zirpen der Grillen rufen unweigerlich die Assoziation eines

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Schafotts hervor. Die Kamera bewegt sich schwebend auf ein Fenster zu und erfaßt zum ersten Mal den Boxer im nervösen Dämmerschlaf, aus dem er sogleich hochschreckt. Der Schreck setzt sich fort in die eilige Flucht zum Auto und eine schwindelerregende Fahrt auf einer hypnotisch schleudernden Straße, wie sie für den Film Noir typisch ist. Mit diesen nur wenigen Bildern etabliert Body and Soul bereits ein anderes Verständnis der kinematographischen Bewegung, als es die Boxfilme der Vorkriegsjahre ausmacht. Der Held ist nicht mehr das zwar geschundene und opfernde, aber letztlich stabile Zentrum der Bewegung. Statt dessen reißt die schlingernde Bewegung den Protagonisten innerlich wie äußerlich mit sich: „No charakter can speak authoritatively from a space which is being continually cut into ribbons of light.“552 Der für den Film Noir verbreitete Einfluß einer schicksalhaften Vergangenheit ist für Body and Soul in einem Schachtelverhältnis zu lesen.553 Der bildliche Druck teilt uns zwar das Innenleben des Helden mit, besteht aber gleichzeitig als der ästhetische Zustand der kinematographischen Wahrnehmung selbst: Das filmische Bewußtsein erzählt nicht, wie der Boxer seine Vergangenheit träumt, es träumt den Träumenden samt Alptraum. Der Begriff des Drucks ist mit Bezug auf die Theorie des Melodramatischen gewählt. Zu den zentralen Verfahren melodramatischer Filmästhetik zählen die Verdichtung und Überhöhung einfacher Gesten und Verhaltensweisen zu unerschöpflich bedeutungsschwangeren und bis zum Überschuß aufgeladenen Szenarios. Momente bewegter Emotionalität oder unlösbare Konflikte und Blockaden des Begehrens nehmen den Zuschauer in Beschlag: Binnenperspektiven unter der Last des Gefühls.554 Dem Schachtelverhältnis 552 Schrader 1972, S. 11. 553 Für Silver / Ursini (2000, S. 31), die unter anderem auch Body and Soul in ihrer Aufzählung der Noir-Vergangenheits-Filme nennen, ist Jacques Tourneurs Out of the Past die Produktion, deren Darstellung einer schicksalhaften bleiernen Zeit am eindringlichsten gerecht wird. 554 Vgl. Brooks 1995, S. 1-11, Elsaesser 1994. Elsaesser (S. 104) spricht von einer „Orchestrierung“ des Filmbildes, einer überwältigenden Vielstimmigkeit, die emotionale Teilnahme einfordert und „die für das gesamte amerikanische Kino – im wesentlichen ein dramatisches, spektakuläres Kino, das auf Breitenwirkung setzt – von fundamentaler Bedeutung“ ist. Die Inszenierung erlangt Intensität, indem verschiedene Kräfte miteinander kontrastiert werden und das

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entsprechend betrifft der melodramatische Druck in Body and Soul nicht allein die persönliche Psyche des Protagonisten, sondern ebenso die gleichsam überpersönliche Innenwelt des filmischen Bewußtseins selbst. Die Druckfunktion dieser zweiten Ebene läßt sich mit Peter Brooks Konzept eines „moral occult“555 erläutern, das er seiner Theorie des Melodramatischen zugrunde legt. „The moral occult is not a metaphysical system; it is rather the repository of the fragmentary and desacralized remnants of sacred myth. [...] a sphere of being where our most basic desires and interdictions lie, a realm which in quotidian existence may appear closed off from us, but which we must accede to since it is the realm of meaning and value.“556 Zu dieser virtuellen Sphäre, in der die mythischen Trümmer – auch des Opferkampfes, das sei in unserem Zusammenhang betont – in achronologischer Zeit koexistieren, erlangt der melodramatische Modus aktualisierenden Zugang über seine ungeheuren Komprimierungen und Hypertrophien des Ausdrucks. Und diese Druckverfahren besitzen stets die Tendenz zum selbstbewußten Umgang mit den mythischen Typisierungen, die sie dem „moral occult“ abgewinnen. Verfahren der Typisierung bzw. der Stereotypisierung übernimmt das Kino aus anderen Bereichen der populären Produktion und systematisiert sie nach den industriellen Maßgaben des sich zunehmend institutionalisierenden Herstellungskontextes. Eine Typologie – so wird der Begriff hier in seiner ersten Bedeutungsschicht aufgefaßt – liegt erst vor, wenn die bildlichen Typen mit dem Bewußtsein ihrer speziellen Typisierung ausgestattet sind. Bekanntlich ist Eisenstein einer der Pioniere typologischer Filmästhe-

Drama von einem Extrem ins andere umschlägt. Die Grundstruktur des Boxfilms von enormer Karriere und abruptem Absturz entspricht dem, was er über unsere Basisvorstellung des Melodramatischen sagt: „Wenn wir zum Beispiel in der Alltagssprache etwas melodramatisch nennen, dann meinen wir zumeist, daß menschliche Handlungen und emotionale Reaktionen einem übertriebenen Aufstieg-und-Fall-Muster folgen, meinen eine Bewegung vom Erhabenen zum Lächerlichen und eine perspektivische Verkürzung gelebter Zeit zugunsten von Intensität.“ (S. 105) 555 Peter Brooks 1995, S. 5. 556 Peter Brooks 1995, S. 5.

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tik, freilich unter völlig anderen Bedingungen als das amerikanische Kino. Die russischen Revolutionsfilme erfinden nicht nur neue Verfahren der Typisierung, wenn ihre Figuren in eine Stellvertreterfunktion gegenüber der entsprechenden gesellschaftlichen Gruppe eintreten. Mit ihrem revolutionären Pathos isolieren sie darüber hinaus den Ausdruck der Figuren in einer Schärfe, die sie als Typen denkbar macht: sowohl die Gesichter der aus dem Volk ausgewählten Modelle – der sogenannten Naturshchiki, die in Nebenrollen oder Einschüben zu sehen sind –, als auch die Gebärden der Hauptakteure, die Roland Barthes mit Brechts Konzeption des sozialen Gestus zusammenbringt.557 Heute erscheint diese Pathosform eher zweifelhaft, und wir stehen ihr gespalten gegenüber. Ihre Isolationsbewegung verschafft den Gesten einerseits einen ästhetischen Eigenwert, jenseits psychologisierender Motivationen und abgelöst von den Anforderungen der Handlungsdramaturgie.558 Andererseits 557 Über den sozialen Gestus schreibt Barthes in seinem Aufsatz Diderot, Brecht, Eisenstein (1990a, S. 98): „Er ist eine Geste oder eine Gesamtheit von Gesten (aber nie ein Gestikulieren), aus der sich eine ganze soziale Situation herauslesen läßt. Nicht alle Gesten sind sozial: An den Bewegungen eines Mannes, der eine Fliege verjagt, ist nichts sozial; aber wenn sich eben dieser Mann schlecht gekleidet, gegen Wachhunde wehrt, so wird der Gestus sozial; die Geste, mit der die Markentenderin die ihr gereichte Münze prüft, ist ein sozialer Gestus; der übertriebene Schriftzug, mit dem der Bürokrat der Generallinie seine Akten unterschreibt, ist ein sozialer Gestus. [...] Die Form, die Ästhetik und die Rhetorik können, wenn sie bewußt gehandhabt werden, für eine Gesellschaft stehen.“ Aus dem Beispiel kann man die beiden sich bedingenden Aspekte extrahieren, die den sozialen Gestus ausmachen. Der erste Punkt, so könnte man sagen, betrifft die Transformation der Geste zum Gestus: Die Geste muß in irgendeiner Form als solche aus ihrem Kontext heraustreten. Barthes spricht hinsichtlich der Generallinie von Übertreibung. Der zweite Punkt hebt auf das Soziale ab. Das Kompositionsverfahren muß sich an einer Kraft orientieren, die imstande ist, dem Gestus einen gesellschaftlichen Sinn zu implantieren. Bei Eisenstein entsteht diese Kraft aus einer auf den Klassenkampf abgestellten Sicht der Dinge. 558 Kappelhoff (1999, S. 203) argumentiert in diesem Sinn angesichts der Ästhetik Rainer Werner Fassbinders: „Der Zuschauer erhält keinen Zugang zur psychologischen Binnenlogik der Figuren und der dargestellten Interaktionen, sondern bekommt isolierte soziale Akte vorgestellt. Das alltägliche Verhalten, das Reden und Tun wird in der ästhetischen Bearbeitung einem Blick unterstellt, der in ein

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kann sich das Pathos seiner universellen Repräsentationsansprüche kaum entledigen, die es entweder gegenüber einer gesellschaftlichen Gegenwart, die im Typus zur Darstellung kommen soll, einer Zukunft, die sich in ihm anzukündigen gedenkt, oder einem universalistischen Strukturgesetz der Geschichte, als dessen Agent sich der Typus entpuppt, erhebt.559 Wo im Unterschied dazu Body and Soul einerseits einer Vorstellung individuellen Innenlebens verpflichtet bleibt, findet sich andererseits die dortige melodramatische Generalisierung von den Ansprüchen der Absolutvertretung zumindest gegenüber sozialen Realitäten enthoben. Zwar lassen sich einige Szenen auf der Matrix der sozialkritischen Ambitionen Polonskys in der Weise des sozialen Gestus lesen: die Art, mit der Gangster Roberts den mit Banknoten gefüllten Briefumschlag an seinen neuen Boxvasallen Charlie Davis übergibt, als Typus des skrupellosen Kapitalisten. Aber die eigentliche Richtung der Denkbewegung führt vom Typus in die populärmythologische Vergangenheit. Die düstere Melodramatisierung erwirbt sich eine gewisse Hellsichtigkeit gegenüber dem Universum des Boxfilms, wenn sie dessen Klischees in ihren Umrissen phantasmatisch entstellt in den Resonanzkörper eindrückt. Im Schatten der Mutterfigur und ihrer horrorästhetischen Grenzberührungen glaubt man alle drohenden Mütter der Filmgeschichte aufgehoben. Der ungemein schwächliche Vater scheint das Versagen aller filmischen Boxerväter in sich zu tragen. Und anhand der dringlichen Opposition von Good Girl und Bad Girl wähnt man die Frauentypen des Faustkämpferdramas inbegriffen ihrer Konstruktionsprinzipien aufgefächert.560 Das ist der Effekt einer zweiten Druckstufe: Sie evoziert nicht einfach Gefühlsregungen durch Verdichtungen, sondern läßt die Typisierung in Typologie umschlagen.561 absolutes Außen verlegt ist. Genau das trennt den sozialen Gestus als ästhetische Form von den Gesten des Alltags.“ 559 Auf diese Kritik läuft Barthes Argumentation hinaus. 560 Vgl. Büttner und Dewald (1992, S. 229), die auf die Typologie der Frauenfiguren hinweisen. 561 Bei Brooks (1995, S. 9) finden wir die Theorie der ersten Druckstufe: „pressure on the primary context is such that things and gestures are made to release occult eanings, to transfer significance into another context.“ Der primäre Kontext ist derjenige des Alltags, und der Druck erzeugt aus den gewöhnlichen Gesten und Zeichen

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Dieser zweite Druckgrad ist Benjamins Allegorie insofern verwandt, als er seine Typen als Vertreter eines Gefühls oder einer Haltung absterben läßt, um sie einem anderen irritierenden Leben zuzuführen. Die expressionistischen Einflüsse zeigen hier Wirkung. Die Verwandtschaft von amerikanischem Film Noir und deutschem expressionistischem Kino ist oft betont worden.562 Verhandelt man diese Verwandtschaftsangelegenheiten (wie oben die Frage nach den filmgeschichtlichen Neuerungen des Film Noir) nicht allein auf stilistischer oder handwerklicher Ebene, sondern in der Dimension ästhetischen Bewußtseins, rückt der Topos des dinglichen Lebens in den Blick. Zum Inventar expressionistischer Ästhetik gehört eine verstörende Belebung der Dingwelt, die nicht in der Geometrie psychologischer Motivation aufgehobenen ist.563 Während die Dinge zu leben scheinen, wirken die Figuren seelenlos, wie es sich in der Vorliebe für Wiedergänger, Somnambule und Maschinenmenschen ausdrückt.564 In Body and Soul sperren sich die Szenerien nicht so vehement gegen die Parameter unserer alltäglichen Erfahrung wie in den schiefwinkeligen Kompositionen und reduzierten Kostümen expressionistischer Abstraktion. Den Figuren hängt lediglich als Unterton der Eindruck anorganischer Materie an. Sie besitzen den Zug belebter Puppen. Zugleich seelenlos und monumental beseelt sind sie die Nervenpunkte eines filmischen Bewußtseins, dessen verzerrte Bewegung die ebenso mitreißende wie in die populärmythologische Vergangenheit mitgerissene Typologie verbürgt. Versammlung der Boxertypen: The Set-up Auf differente Weise zeigt sich das Kamerabewußtsein in Robert Wise’ The Set-up. Die Handlung des Films – entscheidende Ereigdas melodramatische Gefühlsbild. Er macht sie überhaupt erst bedeutsam, jenseits des automatisierten, unhinterfragten Alltagshandelns. Die hier angenommene zweite Druckstufe entsteht, wenn der sekundäre Kontext, also das Produkt des Brooks’chen Druckverfahrens, eine erneute Belastung erfährt und damit reflexiv auf die eigene Dichte und Verdichtung wird, so daß Kontakt zum virtuellen Jenseits der populärmythologischen Vergangenheit entsteht. 562 Vgl. Borde / Chaumeton 1955, Schrader 1972, Tuska 1984. 563 Vgl. Kurtz 1926, S. 66, Deleuze 1990, S. 77. 564 Vgl. Kurtz 1926, S. 66, Deleuze 1990, S. 78.

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nisse aus dem abgewirtschafteten Boxerleben des alternden Protagonisten Stoker Thompson – spielt an einem einzigen Kampfabend. An Anfang und Ende sehen wir eine öffentliche Uhr. Auf ihr sind während der zweiundsiebzig Minuten, die der Film lang ist, etwa ebenso viele Minuten vergangen. Von hier aus betrachtet will das Geschehen als Lebensausschnitt in ,Realzeit‘ gesehen werden. Der Bericht des Regisseurs von den akribischen Recherchen im Vorfeld des Films situiert die Konstruktion des Lebensausschnitts auf der Ebene des Milieubezugs. Die Beobachtungen des Regisseurs in „einer kleinen tank town arena irgendwo in Pennsylvania“565 sind die Grundlagen der filmischen Kurzschrift, mit der die Haupt- und Nebenfiguren in ähnlicher Weise wie das Boxpublikum charakterisiert werden566: über ihre Gaderobe, sei sie abgenutzt (Stoker) oder makellos (Gangster), mit Attributen wie dem Wattestäbchen, das der Betreuer im Mundwinkel trägt, durch prägnante Aussagen oder eine vielsagende Handbewegung, wie diejenige, mit der Stokers Manager seinen Streichholz am Plakat mit den Kampfpaarungen anzündet und dabei den Namen seines Boxers durchstreicht. Anders jedoch als bei den Publikumsbildern sind die stenographischen Elemente hier keine punktuellen Einschübe. Mit außerordentlicher Ökonomie verflechten sie sich statt dessen zum Handlungsgefüge. Anders als in Body and Soul wirkt das Schriftbild der Typisierung in keinem Moment verzerrt. Die Kurzschrift wird auch nie zur Eilschrift. Die Dauer eines jeden Details steht in ausgewogenem Verhältnis zu seiner Funktion. Gerade so viel als nötig wird verwandt, das Geschehen zu umreißen. Wie selbstverständlich wechselt der Blick von einem Szenendetail zum nächsten. Die Kamera folgt den Figuren durch den Raum, bis diese am vorläufigen Ende ihrer Episode den Kader an einem Punkt verlassen, an welchem bereits die nächste Handlungseinheit wartet. Dieses offenkundig gelenkte Vorwärtsfließen der Zeit schafft – im Unterschied zu anderen Arten filmischen Vorwärtsdrangs567 – eine Atmosphäre der Abgeklärtheit. In leere Routine schlägt der 565 Beier / Müller 1996, S. 133. 566 Zur filmischen Kurzschrift vgl. Beyer 1996, S. 49-50. 567 Beispielsweise im Gegensatz zu Hitchcocks ebenso pointierten wie turbulenten Elan, mit dem er seine Protagonisten durch die schottische Hochebene oder quer durch Amerika jagt. Vgl. Wood (1989, S. 274) über Hitchcocks The 39 Steps.

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abgeklärte Blick nicht um. Denn der Eindruck gelassener Distanz entsteht wesentlich durch den Umstand, daß die Kamera in ihren Manövern nicht verborgen, sondern fühlbar ist. Bei ihren Fahrten glaubt man, den Geist von Citizen Kane – Wise war der Cutter dieser Produktion – zu spüren. Wenn die Optik langsam am Mond der öffentlichen Uhr vorbei auf die abgetakelte Veranstaltungshalle mit dem Schriftzug Paradise City A.C. zu gleitet und sich dann nach unten auf die belebte Straße absenkt, wenn sie die Gangbewegung einer bereits verschwundenen Figur verlängert, indem sie ganz nah auf Stokers Namen auf dem Boxplakat fährt, dann zur Seite schwenkt und auf das erleuchtete geöffnete Fenster seines Hotelzimmers zu schwebt, in diesen Momenten dringt eine andere Zeit in die Realzeitinszenierung ein. The Set-up setzt eine besondere Markierung in der Ästhetik des Boxfilms, weil ein Splitter des Staunens, das diese autonome Kamera in uns erzeugt, auch dem Protagonisten mitgegeben ist. Der unaufhaltsame schicksalhafte Zeitfluß, an den die permanente Präzenz von Uhren stets erinnert, ist hier Ausdruck der Gesetze im Milieu beschleunigter Alterung, dessen Ökonomie der Film von Beginn an thematisiert. Die Last der Zweifel, die seinem alternden Körper allenthalben entgegengebracht werden, raubt Stoker den ,Tunnelblick‘, den ein Boxer vor seinem Kampf zur kämpferischen Sammlung benötigt.568 Mit selbst für einen Routinier zu langsamen Bewegungen wagt er den Blick auf sein Milieu. In der Gemeinschaftsumkleide, wo sich der lange Mittelteil zwischen Exposition und Boxsequenz hauptsächlich abspielt, widerfahren ihm die Haltungen der anderen Boxer vor dem Kampf: verschiedene Körperzustände, jung und siegesgewiss oder ängstlich, alt und resigniert oder gar deformiert. Trotz des geregelten Vorbereitungsablaufs – Boxer kommen und gehen – und obwohl die Kamera in ihrer Beobachtungsweise etwas von ihrem Fließen bewahrt hat, scheint hier die Handlung zu stagnieren. Eine Spur des Neorealismus bemächtigt sich der Studiowelt von RKO: „Wir haben es nunmehr mit einem Kino des Sehenden und nicht mehr mit einem Kino der Aktion zu tun.“569 Aber 568 Man kennt die Inszenierung dieses Tunnelblicks nicht nur von der Leinwand (z. B. aus Raging Bull), sondern heute vor allem auch von den großen Kampfinszenierungen des Fernsehens. 569 Deleuze 1991, S. 13.

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Stokers Blick ist stets von einer diffusen Vergangenheit erfüllt. Die Körperszenen um ihn herum appellieren ständig an seine persönliche Erinnerung. Der Blick ist auf unendlich gestellt, sinnend, manchmal verklärt. Die affektiven Wandel seiner Groß- und Nahaufnahmen zeigen an, wie die Vergangenheit über ihn zu kommen beginnt. Er stammelt Fragmente von Sätzen vor sich hin, die seine persönliche Vorzeit wachzurufen scheinen. Aber diese Auftakte setzen sich nie fort in eine ausformulierte Zeitlinie, die seiner individuellen Erinnerung Gestalt geben könnte – sei es auch als Alptraum wie in Body and Soul. Der Boxer bekommt die Geschichte seines Körpers, die Geschichte seines Alterns nicht in einer Rückblende zu fassen, auch nicht in dem Moment, in welchem er mit seinem eigenen Affekt im Spiegel konfrontiert ist. Etwas in der Vergangenheit ist zu mächtig, eine Erschütterung zu elementar, um im Erinnerungsbild erscheinen zu können. Die Kurzschriftmethode hat stets eine typisierende und generalisierende Tendenz. Zur Typologie wird sie erst, wenn sich die Handlungsverkettungen am sehenden Protagonisten und in seinen scheiternden Erinnerungsversuchen brechen. Das Scheitern zwingt immer wieder zurück zu den versammelten Boxerhaltungen, in deren Relationen sich die überpersönliche Dimension der Boxertypen virtuell aufspannt. Am Ende der Eindeutigkeit Insofern die Protagonisten in Body and Soul und The Set-up schlielßlich siegen und davonkommen, haben wir es nach einem Begriffsvorschlag Jon Tuskas weniger mit Film Noir als mit Film Gris zu tun.570 Von den Filmenden her erschließt sich das Grau keineswegs als Mittelmaß oder Durchschnitt, sondern als ein Zwischenareal, das die typologischen Verfahren perspektiviert. Das glückliche Ende in Body and Soul geht darauf zurück, daß sich das sozialkritische Engagement des Drehbuchautors in einer kruden Weise an der filmischen Form durchsetzt. Nach seinem Sieg wiederholt der Boxer unbeeindruckt von allen Drohungen einen Satz des Gangsters („Everybody dies!“) und entschwindet samt 570 Zur Unmöglichkeit von Respekt und Bewunderung vgl. Tuska 1984, S. 223, zu Body and Soul als Film Gris S. 226.

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,Good Girl‘ auf die Straße. Hinter dieser Auflösung steht eine seltsame Vereinigung zweier vermeintlich unversöhnlicher Einflüsse: zum einen der Konzession an die Bedingungen der Kinokassen, an denen der Star John Garfield, der dem Gangster trotzt und mit seiner Geliebten in die Nacht eintaucht, mehr wert ist als einer, der erschossen am Boden liegt. Und zum anderen Polonskys politischer Gesinnung, die sich gerade gegenüber dem hinter solchen Konzessionen stehenden System kritisch behaupten will. Polonsky geht davon aus, daß die Botschaft des Films erst durch eine positive Perspektive am Ende zu voller Wirkung kommt, weil sie sich derart gegen eine resignative Haltung sperrt. Seine Zuversicht rührt in ihrer Mischung aus Naivität und Unerschütterlichkeit.571 Die Gegenposition in der Auseinandersetzung um das Ende nimmt der Regisseur selbst ein. Rossen will den Protagonisten aufgrund seiner trotzigen Haltung gegenüber der kriminellen Macht erschossen sehen. Diese Variante scheint in ihrem Zynismus weniger naiv zu sein. Sie wirkt konsequenter, zumindest wenn man Brüche im ästhetischen Konzept als inkonsequent betrachtet. Gleichwohl besteht das Potential des Bruchs in einer gewissen Ironie, wenn auch einer unfreiwilligen. Kracauer versteht den Filmschluß als ein Traumende, das sich vom vorangehenden Alptraum explizit abhebt. „Ein traumhafter Sieg bestätigt so die tatsächliche Absenz eines solchen Ereignisses im realen Leben.“572 Das ist eine der Absicht des Drehbuchautors von Body and Soul diametral entgegenstehende Interpretation. Polonsky will mit seinem Einde einen positiven Typus als soziales Vorbild installieren. Das Vorbild hat einen Erfüllungsanspruch.573 Es soll von der Leinwand direkt in 571 Im Gegensatz zu Rossen wird Polonsky vor dem HUAC nicht zum Denunzianten, sondern bleibt standhaft, was ihm ein langes Arbeitsverbot einbringt. Dazu und zur Debatte um das Ende des Films vgl. Sklar 1992, S. 183ff. 572 Kracauer 1974, S. 255. 573 Der soziale Gestus ist demnach stets auf zwei Ebenen typologisch. Wenn er auf seine Struktur reflektiert und den Gestus bzw. Typus in seiner Konstruktion zu denken gibt, isoliert er einen Splitter gesellschaftlicher Realität in einem Bild, das ausdrücklich als in seinem Ausdruck selbstreferentielles und selbstreflexives Bild gelesen werden will. Wenn sich der Gestus oder Typus aber in einer Weise präsentiert, die einerseits beansprucht, den gesellschaftlichen Splitter im Bild in einzig möglicher Weise zu erfüllen, und andererseits an den positiv besetzten Typen – wie etwa am revolutionären

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die soziale Welt verweisen. Aber im Bruch mit der versierten populärmythologischen Typologie, die der Film ansonsten bietet, ist es seine eigene Karikatur. Während die Problematik von Typologie und Erfüllungsanspruch in Body and Soul eher unfreiwillig erscheint, ist sie in The Set-up ein wichtiges Thema des filmischen Dramas. Denn mit Stokers Gang von der Umkleide in die Arena vollzieht der Film auch den Übergang vom Stau der Erinnerung zur Aktion. Obgleich auch der Kampf vom Drama der Haltungen bestimmt ist, aktiviert sich damit eine zweite Bedeutungsschicht des Begriffs der Typologie, für die Erfüllungsansprüche zentral sind. Es handelt sich um die Typologie als jene zeitliche Denkform, wie sie die christliche Offenbarungstheologie auch über das Mittelalter hinaus bestimmt: „Hier bezieht sich ,Typos‘ nicht auf die Ordnung der Dinge im Raum, sondern auf die Gliederung der Zeit als Heilsgeschichte. Ein ,typisches‘ – d. h. vorbildliches – Vergangenes wird dabei zur Gegenwart als seinem ,Antitypus‘ (Gegenbild) in eine schöpferische Steigerungsbeziehung gesetzt und zwar in der Weise, daß letztere sich nicht auf bloße Nachahmung (imitatio) des Gewesenen beschränkt, sondern ihm vielmehr in 574 lebendiger Wiederholung Ergänzung und Erfüllung gewährt.“

Diese typologische Interpretation wird insbesondere als Bindeglied zwischen Altem und Neuem Testament gebraucht: Die Geschehnisse des Alten Testaments sind Vorläufer (Typen) der Ereignisse im Neuen Testament (Antitypen). Das Neue Testament erfüllt die alten Schriften und bringt sie in der Darstellung des Wirkens Christi zur Vollendung. Diese Erfüllungslogik funktioniert freilich nur auf der Basis des Glaubens, der die Verknüpfungen zwischen alt und neu trägt.575

Arbeiter bei Eisenstein – ein totalitärer Vorbildanspruch haftet, befinden wir uns im Kraftfeld einer Pädagogik, deren Zugriffsversuch auf die soziale Welt und damit auf den Zuschauer aufgrund ihrer Instrumentalisierung des Ausdrucks zweifelhaft erscheint. 574 Bohn 1988, S. 7. 575 Hans Blumenberg (1988, S. 143-144) erklärt das Aufkommen der typologischen Interpretationsweise von Altem und Neuem Testament aus der Legitimationsbedürftigkeit der neuen Religionsgemeinschaft.

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Das Finale von The Set-up funktioniert in diesem Sinne typologisch. Im Kampf wird der Boxer einen der zuvor in der Umkleidekabine versammelten Typen am eigenen Leib erfüllen. Der Mythologie des erfolgreichen Opferkampfes folgend almagamiert der Glauben hier mit der Kategorie des Willens.576 Wir werden Zeugen, wie Stokers Wille den Glauben gegen alle Wahrscheinlichkeit durch eine Selbsttäuschung erzwingt, die den Protagonisten für Böhringer der Figur des verzweifelten Spielers assoziiert: „Man muß sich täuschen, das heißt, wider alle Vernunft, Wahrscheinlichkeit und Erfahrung sich große Hoffnungen machen können, diesmal zu gewinnen, diesmal sei die Sache sicher.“577 Aber der Willens- und Glaubenssieg hat in The Set-up nicht das letzte Wort wie in Body and Soul. Das dramaturgische Konzept ist in mehrfacher Hinsicht konsequenter. Es verliert die typologische Reflexion nicht aus dem Blick. Außerdem läßt der Regisseur die Strafe für die Ungehorsamkeit auf dem Fuße folgen: „Als sie ihn endlich am Boden haben und wie den Gekreuzigten festhalten, zerschlägt ihm einer von ihnen mit einem Ziegelstein die Hand. Als Boxer ist damit gestorben.“578 Es bleibt aber im Unklaren, ob das Ende der Sportkarriere der heimliche Wunsch des Boxers und der Antrieb seines Siegeswillen ist. Drittens schließlich gehen auch den christlichen Motiven der letzten Sequenz jedewede Erfüllungsansprüche gegenüber sozialen Realitäten ab. Bei der ,Kreuzigung‘ und im abschließenden Bild, das Stoker im Schoße seiner Frau in der Ikonographie einer Beweinungsszene zeigt, hat das Bewußtsein der tradierten Haltungen den Vorrang vor psychologischer oder sozialkritischer Motivation.

2. Boxerwünsche: Intensive Disjunktionen Was ist Wunschkino? Somebody up there likes me – nach The Set-up der zweite Boxfilm unter der Regie von Robert Wise – ist die Inszenierung einer Wunschwelt. Die Struktur des Wunsches oder des Begehrens, wie 576 Oates (1988, S. 17) hält den Willen für die entscheidende Kategorie des Boxens. 577 Böhringer 1998, S. 84-85. 578 Böhringer 1998, S. 88.

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die psychoanalytischen Vokabeln désir und desire gewöhnlich aus dem Französischen und Englischen ins Deutsche übersetzt werden, hat eine augenscheinlich ödipale Exposition. Das Bio-Pic des italoamerikanischen Mittelgewichtschampions Rocky Graziano – so Zucker und Babich – „traces the boxer’s life from age 8, when his drunken father, a disillusioned fighter himself, uses the boy as a punching bag to amuse his alcoholic friends. Grazianio as a youth gets into deeper and deeper trouble with the law, going from one institution to another and later being dishonorably discharged from the army.“579 Die Verschiebung des paternalen Konflikts vom leiblichen Vater auf die Gesetze dieser Institutionen kommt – dem Grundprinzip klassischer amerikanischer Filmpsychologie entsprechend – nicht ohne paternale Vertreterfiguren aus. Rocky revoltiert – teils infantil, teils in seiner Unzähmbarkeit schillernd – gegen Polizisten, Richter, Vollzugsbeamte, Gefängnisdirektoren und Militärvorgesetzte. Schließlich – wieder einmal in Haft – gerät er an den Trainer der Gefängnisboxstaffel, der ihn in der Berufsopfer-Kanalisierung seiner Wunschenergie anleitet. Auch der Aufstieg im Boxmilieu birgt Schwierigkeiten, die überwunden werden müssen. Aber am Ende steht der Meistertitel und die Aussöhnung mit dem Vater, in dessen Fußstapfen der Sohn letztlich getreten ist, so daß eine zirkuläre Figur entsteht. Die Konstellationen der vorangegangenen Konfliktkette haben einen hysterischen Zug, insofern sich das hysterische Begehren nach der Theorie Lacans an einen Meister wendet, um gegen ihn zu rebellieren und den Meister durch die Nicht-Anerkennung seiner Position und der sie stützenden Machtstruktur in Frage zu stellen.580 So579 Zucker / Babich 1987, S. 133. 580 Vgl. Lipowatz (1982, S. 189) über das Lacansche Diskursmodell der Hysterie: „Die hysterische Person entlarvt das Verhältnis des Diskurses des Herrn zum Lusterleben. Ist das Wissen des Anderen in diesem der Sklave, der arbeitet, um die Mittel des Lusterlebens für den Herrn zu erzeugen, so ist im Diskurs der Hysterie das Wissen als Produkt am Platz des Lusterlebens. Indem das Subjekt, seinem Wesen nach hysterisch, zu der dominanten Stelle des Agenten gelangt, entfremdet es sich dem Herrnsignifikanten S1 am Platz des anderen, es weigert sich zu seinem Träger zu werden. Die hysterische Person zwingt den Anderen, ein Wissen zu erzeugen, um ihre Fragen zu beantworten. Sie bringt ihn durch ihre Fragen und Provokationen (oder durch Streik) dazu, seinerseits auf dieses Wissen

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mebody up there likes me inszeniert das Aufschaukeln einer Reaktionskette: Die Institutionen antworten mit Strafen, Einschüchterungen und weiteren Machtdemonstrationen, worauf Rocky mit immer neuen Provokationen reagiert. Eingefaßt und somit entschärft ist diese Kette jedoch von einem höheren Prinzip, welches schon im Filmtitel anklingt, der während Vor- und Abspann als Schlager aus dem Off ertönt und am Ende vom Protagonisten auf seinem triumphalen Einzug als Weltmeister in New York selbst ausgesprochen wird. Im Filmtitel findet das Wohlwollen eines übergeordneten Meisters Ausdruck, dem allein eine befriedigende Antwort auf die hysterische Rebellion zugestanden wird. Die Antwort liegt hier im gottgewollten Erfolg. Eigentlich soll James Dean für die Rolle des Rocky Graziano vorgesehen gewesen sein.581 Als Jim Stark ruft er in Rebel without a Cause das Bild des Vaters an, ohne die Antworten der einzelnen paternalen Figuren (Vater, Polizist) zu akzeptieren. Nach dem Tod Deans fällt die Wahl auf Paul Newman, welcher der Figur Grazianos eine demonstrativ nervöse Haltung mit zusammengezogen Schultern, den Händen in den Taschen und permanentem Tänzeln von einem auf den anderen Fuß verleiht. Was Beier an diesem Schauspiel als „gestischen und mimischen Aktionismus“582 kritisiert, der das Tempo des Films behindert, kann umgekehrt als Versuch gelesen werden, die hysterische Verfassung und ihren Widerstand gegen einen reibungslosen Lebenslauf mit den Mitteln des Method-Acting darzustellen.583 Die geglückte Kanalisierung der Energie nach den Prinzipien des Berufsopfers wird deutlich an der Haltungsveränderung innerhalb des Rings, wo die Vergeudung der Energie in gerichtete Aggression sich wandelt. neu-gierig und begierig zu werden.“ Dieses Wissen, so könnte man in Hinblick auf Somebody up there likes me sagen, besteht in den Demonstrationen der Macht, zu denen Rocky die jeweiligen Institutionen zwingt und in denen sie die repressive Seite ihres Herrschaftsanspruches offenlegen. Vgl. S. 197: „Im Diskurs der Hysterie wendet sich das Subjekt der Autorität zu, indem es diese herausfordert, sich zur Herrschaft zu transformieren.“ 581 Vgl. Landry 1983, S. 27; Zucker / Babich 1987, S. 133. 582 Beier 1996, S. 66. 583 Typisch für das Method-Acting ist dabei, daß die Methode des Schauspiels, also die Produktionsform, von dem, was sie darstellt oder produziert (der hysterischen Figur) unangestastet bleibt.

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FAUST TRIFFT AUGE Abbildung 22: Als Kind vom Vater zum Boxen gequält — der kleine Rocky Graciano (Paul Newman) in Somebody up There Likes Me.

Dennoch ist der übersichtliche Begehrensplan dieses Berufsopfermythos nicht alles, was den Kampf des Protagonisten mit seinem Milieu ausmacht. Der Film bringt außerdem – in einigen wenigen Momenten nur – eine schwer greifbare Qualität hervor, in der ein weniger kontrolliertes Verhältnis zum inszenierten Begehren auftaucht. Anteilig begründet liegt dieser Effekt in der großen Zahl der Konfrontationsszenen – in ihrer Wiederholungsstruktur also – die an irgendeinem Punkt mehr als ihre Summe zu ergeben scheinen. Sie

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führen in das Bild des Wunsches jene Art von Überschuß ein, den Deleuze und Guattari in Anti-Ödipus einen „Rest“ nennen, mit dem man jenseits der Verkettung einer Wunschenergie weiterhin arbeiten, konstruieren, produzieren kann.584 Vor allem aber lassen Miseen-scène und die mit einem Oskar belohnte Kameraarbeit die vorgeblich klare Darstellung eines hysterischen Innenlebens – selten zwar und dann beinah unmerklich – in eine Dimension abgleiten, in der die Dingwelt für die klassische Verständlichmachung des Protagonistendaseins nicht mehr zur Verfügung steht. Die Körper sind permanent im szenischen Gefüge eingesperrt. Sie müssen sich gegen zudringliche Innenräume in verzerrten Perspektiven und in vollen Straßen, die von langen Häuserreihen mit Schichten von Wäsche davor begrenzt werden, behaupten. Gitter und ihre Schatten sind genauso allgegenwärtig wie die feindlichen Vertreter der Ordnungsmacht, die Rocky und die anderen Mitglieder seiner Jugendgang in den gewaltsamen Haltegriff nehmen wollen. All das mag generell die Innenansicht des Protagonisten spiegeln und unterbauen. Manchmal jedoch, wenn ein Kopf bedrängt vom tiefschwarzen Hintergrund erscheint oder der Schmutz einer niedrigen Decke in stürzender Untersicht fühlbar wird, entledigt sich das Klaustrophobische der Repräsentationsfunktion und tritt uns seltsam seelenlos entgegen.585 584 Deleuze und Guattari (1974) entwickeln ihre Vorstellung eines solchen Restes gegenüber der Theorie des kapitalistischen Mehrwerts. Im Unterschied zum Mehrwert oder Profit ist der Rest einer Wunschfunktion nicht das überschüssige bzw. erwirtschaftete Kapital, welches am abstrakten Tauschwert gemessen und in dasselbe System der Produktion investiert wird. Vielmehr handelt es sich um einen afunktionalen, ausgestoßenen oder abgespaltenen Teil, der die Substanz für eine völlig neue Produktion in einer anderen Sphäre des Wünschens werden kann. Die Wunschproduktion lebt von diesen Resten, die den funktionierenden Strömen der Wunschenergie durch Einschnitte entnommen werden. Vgl. S. 53: „Dies ergibt sich, weil die Einschnitte nicht Resultat einer Analyse, sondern selbst Synthesen sind. Diese bringen die Teilungen hervor. Betrachten wir den Vorgang, wenn ein Kind die Milch wieder aufstößt: auch darin wird vom assoziativen Strom entnommen, von der signifikanten Kette abgetrennt, dem Subjekt ein ihm zukommender Rest zugeschlagen.“ 585 Beier (1996, S. 68) bemüht gar den Vergleich zu Citizen Kane (er nutzt dabei Bazins Beurteilung dieses Films), um das klaustrophobische Raumgefühl in Somebody up there likes me zu charakterisie-

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Beide der beschriebenen Dimensionen zeugen von einem Hiatus zwischen der kinematographischen Wunschkonstruktion und dem zuschauenden Resonanz-Körper. Die erste Ebene bietet sich zu deutlich an, um – obgleich einiger bewegender Situationen – eine dauerhafte Identifikation zu gewährleisten. Der historische Abstand zur Filmwelt der fünfziger Jahre, der uns einen Blick ähnlich dem des Exilierten nahelegt, dessen befremdete Sicht etwa für Kracauers Denken so bedeutend ist586, verstärkt diese den rituell-imaginären Modus störende Widerborstigkeit noch zusätzlich. Die zweite Dimension hingegen erfahren wir anhand jener sich der Aneignung entziehenden Bildereignisse, die uns in ihrer Intensität per se fremd bleiben. Diese Überlegungen gelten zwar der spezifischen Begehrenswelt von Somebody up there likes me, aus ihnen läßt sich aber eine erste allgemeine Hypothese ableiten, die nicht weniger als die fast selbstverständliche Quintessenz allen Nachdenkens über die Filmrezeption in sich trägt: Es gibt einen potentiellen Spalt zwischen dem, was die einen an Wünschen inszenieren, und dem, was die anderen im Kino sehen. „Der Zuschauer“, so bringt es Christian Metz auf den Punkt, „unterhält zum Film eine Objektbeziehung [...].“587 Ob diese Beziehung eine eindeutige oder zwiespältige ist, ob die potentielle Kluft zur in diesem Sinne ,objektiven‘ filmischen Wunschwelt in den Vordergrund rückt und sich serialisiert oder ob sie in der Identifikation überwunden wird und verstummt, ist abhängig von der ästhetischen Faktur des filmischen Bildes. Daß Filme Wunschwelten verhandeln, ist einer der gängigsten Gedanken innerhalb der Theoriebildung zum Kino. Aber er gehört genauso zu den Vermarktungskampagnen der Filmindustrie. Es ist hier weder der Ort, noch bleibt der Raum, allen Strängen dieses Gedankens zu folgen. Ich beschränke mich daher auf einige heuristische Markierungen, auf deren Basis die Erfahrung der intensiven Disjunktionen im Boxfilm gedacht werden kann. Den Bezugsrahmen innerhalb der Theorie des Wunsches bildet die Spannung der ren: ein „Lebensraum, der so beengt und hermetisch wirkt, daß Rocky überhaupt nur dann eine Chance zu haben scheint, wenn er gewaltsam ausbricht.“ 586 Explizit nimmt Kracauer (1971) die Perspektive des Exilierten für den Historiker in Anspruch. Vgl. dazu Koch 1996, S. 149f. 587 Metz 1994, S. 1013.

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psychoanalytischen Untersuchungen Freuds (bzw. ihrer Interpretation durch Lacan und Zizek) und deren Kritik durch Deleuze und Guattari. Das maßgebliche Vorhaben besteht darin, die psychologischen und philosophischen Theoreme für die Filmbetrachtung nutzbar zu machen. Demnach ist es weniger die Theorie Begehrens selbst als ihre bald oberflächlichen, bald tiefenstrukturellen Verwandtschaften mit den filmischen Wunschkonstruktionen, die zur Debatte stehen. Mit anderen Worten: Das Interesse gilt nicht dem Erklärungspotential und der Plausibilität der Wunschkonzeptionen hinsichtlich gesellschaftlichen Lebens, sondern einigen ästhetischen Valeurs und Potentialen der Boxfilm-Wunschwelten, die dem Denken des Begehrens auf die eine oder andere Weise korrespondieren. Freilich dient das tradierte Beziehungsnetz von Wunschtheorie und Filmwissenschaft dabei als Anleitung. Rechenschaft über dieses dichte Relationsgefüge geben insbesondere die Gleichsetzungen und differenzierten Vergleiche des Films mit dem Traum. Ihr Vorkommen reicht vom koketten Selbstbild Hollywoods als einer ,Traumfabrik‘ bis zu den avancierten Projekten filmwissenschaftlicher Theoriebildung, die gewöhnlich auf das psychoanalytische Verständnis des Traums rekurrieren.588 Im Unterschied zur Bedürfnisbefriedigung, die im Akt der (Selbst-)Versorgung mit dem entsprechenden Objekt liegt, bestimmt Freud den Traum in Die Traumdeutung als eine Wunscherfüllung halluzinatorischer Art. Grundlage dieser Bestimmung ist seine Definition des Wunsches. Die Erinnerungsbilder der Befriedigungserlebnisse in der Kindheit, welche durch die Hilfe der Bezugspersonen zustande kommen, werden mit der Gedächtnisspur der Bedürfniserregung verknüpft: „Sobald dies Bedürfnis ein nächstesmal auftritt, wird sich, dank der hergestellten Verknüpfung, eine psychische Regung ergeben, welche das Erinnerungsbild jener Wahrnehmung wieder besetzen und die Wahrnehmung selbst wieder hervorrufen, also eigentlich die Situation der ersten Befriedigung wiederherstellen will. Eine solche Regung ist das, was wir einen Wunsch heißen; das Wiedererscheinen der Wahrnehmung ist die Wunscherfüllung, und die volle Besetzung der Wahr588 Zur Tradition dieser Theoriebildung und der Rolle der psychoanalytischen Traumkonzepte vgl. Zeul 1994.

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FAUST TRIFFT AUGE nehmung von der Bedürfniserregung her der kürzeste Weg zur Wunsch589 erfüllung.“

Bleibt die „Wahrnehmungsidentität“590 von erinnerter und vorgefundener Situation aus, kann das Wünschen in einem primitiven (z. B. beim Kinde) oder pathologischen (z. B. in der Psychose) Zustand auf ein Halluzinieren des Gewünschten hinauslaufen. Während sich derartige Halluzinationen aus dem Wachleben des Erwachsenen durch die „Zensur zwischen Ubw und Vbw“591, die Freud einen „Wächter“592 nennt, in der Regel zurückgedrängt finden, ist der Traum ein Terrain der unbewußten Wunschbildproduktion: „Ist es nun nicht eine Unvorsichtigkeit des Wächters, daß er zur Nachtzeit seine Tätigkeit verringert, die unterdrückten Regungen des Ubw zum Ausdrucke kommen läßt, die halluzinatorische Regression wieder ermöglicht? Ich denke nicht, denn wenn sich der kritische Wächter zur Ruhe begibt – wir haben die Beweise dafür, daß er doch nicht tief schlummert –, so schließt er auch das Tor zur Motilität. Welche Regungen aus dem sonst gehemmten Ubw sich auch auf dem Schauplatz tummeln mögen, man kann sie gewähren lassen, sie bleiben harmlos, weil sie nicht imstande sind, den motorischen Apparat in Bewegung zu setzten, welcher allein die Außenwelt verändernd beeinflussen kann. Der Schlafzustand garantiert die Sicherheit der zu bewachenden Fes593 tung.“

Die wachende „Zensur zwischen Ubw und Vbw“ schützt vor dem psychotischen Realitätsverlust, der dem Halluzinieren im Alltag direkt Raum geben und damit die Möglichkeiten der Bedürfnisbefriedigung und ebenso der Selbstkontrolle im sozialen Feld aus den Angeln heben würde. Die psychoanalytische Theorie von der Herrschaft des Unbewußten situiert sich jedoch in einer eher umgekehrten Richtung, allerdings in bedeutsamer Verschiebung. Danach ist die Welt zwar nicht das halluzinatorische – also eindeutige und al589 590 591 592 593

Freud Freud Freud Freud Freud

1972, 1972, 1972, 1972, 1972,

S. 539. S. 539. S. 541. S. 541. S. 541.

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leinige – Produkt von Wünschen, aber die unbewußten Wunschregungen sind dennoch in allen unseren Handlungen und Denkvorgängen am Werk. Die sich überlagernden, ergänzenden oder widersprechenden Wünsche transformieren sich ständig gegenüber den Widerständen des Realen und den Verbindungen, die sie mit den Dingen eingehen. Deleuze und Guattari werden nicht müde, diese sich ständig transformierenden Verbindungen der Wünsche mit den Dingen zu betonen, die unsere Welten weitgehend unerkannt hervorbringen. Sie öffnen damit den Blick gegenüber den Spezifika der jeweiligen materialisierten Begehrensstruktur und generell gegenüber dem potentiell Neuen in der Wunschproduktion. Die Kritik gilt einer bestimmten (psychoanalytischen) Interpretationspraxis, jedes Phänomen auf eine abstrakte, vorher erstellte Wunschordnung zurückzuführen, die selbst nur ein historisches Produkt ist und – so die konkrete Diagnose – ein repressives dazu.594 Es ist diese Erkenntnis einer Verschränkung von Begehren und Dingen, die Benjamins unvollendetem Passagen-Projekt zugrunde liegt. Die Passagen-Arbeit versucht, die sich in der Objektwelt des neunzehnten Jahrhunderts ablagernden Wünsche als einen Traumzustand zu rekonstruieren, dessen verhängnisvolle Wunschbefangenheiten und Technikphantasmen auf das zwanzigste Jahrhundert einwirken.595 Auf durchaus ähnlichem Fundament steht Jean-Louis Baudrys These, daß der kinematographische Apparat selbst das Produkt eines Wunsches sei: „Ein auffällig bestimmter Wunsch, der darin besteht, von der Realität eine Position, einen Zustand zu erlangen, in dem das Wahrgenommene sich nicht von den Vorstellungen unterscheidet. Man kann annehmen, daß es genau dieser Wunsch ist, der die lange Geschichte der Erfindung des Kinos umtreibt: eine Simulationsmaschine zu fabrizieren, die in der Lage ist, dem Subjekt Wahrnehmungen darzubieten, die die Eigenschaften von Vorstellungen haben, welche als Wahrnehmungen aufgefaßt

594 Gemeint ist die in der psychoanalytischen Theorie zu einer „ziemlich ekelhaften artifiziellen Triangel“ (Deleuze / Guattari 1974, S. 62) erstarrte Struktur der bürgerlichen Kleinfamilie, deren Emblem Ödipus darstellt. 595 Vgl. Benjamin 1991e, v. a. das Exposé auf S. 45-59.

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FAUST TRIFFT AUGE werden – die Transformation von Gedanken durch bildliche Darstel596 lung.“

Die dieser Schlußfolgerung voranstehende Annahme der Nähe von Film und Traum erschöpft sich bekanntlich nicht allein in der Feststellung, daß kinematographische Bilder von Wünschen durchwoben sind. Die systematische Aufstellung der Verwandtschaften erstreckt sich weiter auf die Ähnlichkeiten der Dispositive von Kino und Schlaf (Hemmung der Motilität, absichernde Abschottung von der Außenwelt im verdunkelten Raum, regressiver Zustand etc.).597 Freilich sind auch die Unterschiede zwischen Film und Traum in der filmwissenschaftlichen Debatte dokumentiert, zum Teil bei Baudry selbst: Filme richten sich an die intakte Sinneswahrnehmung der Zuschauer. Daher konzipiert Baudry für das Kino ein Zusammenfallen von Wahrnehmung und Vorstellung, das die Tendenz hat, sich im Filmeffekt als illusionistische Wahrnehmung zu naturalisieren. Außerdem ist die Realitätsprüfung im Kino anders als im Traum nicht gänzlich ausgeschlossen.598 Darin stimmt Baudry mit seinem einflußreichen Kollegen Christian Metz überein. Metz fügt noch einen wichtigen Differenzpunkt hinzu, nach dem der von ihm so genannte diegetische oder fiktionale Film „sehr viel ,logischer‘ und ,konstruierter‘ als der Traum“599 ist. Daher sieht er den Film eher dem Tag- als dem Nachttraum verwandt.600 Daß weder Baudrys Dispositiv-Theorie noch Metz’ frühe Arbeiten der potentiellen Fremdheit filmischer Wunschkonstruktionen viel Bedeutung beimessen, liegt an einer bestimmten Konzeption von Identifikation. In Le signifiant imaginaire arbeitet Metz diese Konzeption in der Differenz von primärer Identifikation mit der Kamera bzw. dem filmischen Blick als solchem (bei Baudry mit dem Dispositiv) und darauf aufbauender sekundärer Identifikation mit den Figuren theoretisch aus.601 Der Gedanke gewinnbringender Spaltung in der Filmerfahrung kommt nicht auf, weil die Distanz 596 597 598 599

Baudry 1994, S. 1071. Vgl. Baudry 1994, S. 1068. Vgl. Baudry 1994, S. 1069ff. Metz 1994, S. 1023. Metz betont damit den Unterschied eines Produktes des Primärprozesses (Traum) und des Sekundärprozesses (Film). 600 Vgl. Metz 1994, S. 1031ff. 601 Vgl. Metz 1977.

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zwischen Zuschauer und Film nach dieser Konzeption entweder in narzißtischer Verschmelzung überwunden wird oder sich als Frustration auswirkt. Dem ersten Fall arbeitet die klassisch-kohärente Filmstruktur zu, weil sie den technischen Apparat hinter der lückenlosen Verkettung der Bilder und der Handlungsmacht des Helden verschwinden läßt. Für den zweiten Fall können Störungen in diesem System verantwortlich sein, womit Abweichungen, ähnlich wie im oben diskutierten neoformalistischen Exzeß-Theorem, in erster Linie negativ bestimmt werden. Während Benjamin – dahingehend läßt sich ein Zwischenstand resümieren – eine ebenso unbekannte wie vielschichtige Wunschwelt aus dem Ausdruck des Vergangenen ermitteln will, besteht hier die Tendenz, dem kinematographischen Dispositiv die narzißtischimaginäre Begehrensstruktur zu unterstellen. Vor allem Baudry drängt das Kino in die betonierte Flucht idealitischer Weltsicht.602 Die durch das kinematographische Dispositiv und die narzißtische Wunschstruktur erzwungene Vertrautheit bildet aber nur einen (wenn auch für das klassische Kino zentralen) Pol im Beziehungsspektrum des Zuschauers zu den von Wünschen durchwobenen Filmbildern. Der für die Erschließung des übrigen Spektrums wichtigste Punkt ist dagegen die potentielle Fremdheit der kinematographischen Wahrnehmung und ihrer Wunschästhetik, die von je her genauso mit dem Film assoziiert ist wie die Vorstellung einer Flucht ins Imaginäre. Unterschieden werden können dabei, auch mit Blick auf das einleitende Beispiel aus Somebody up there likes me, eine relative und eine absolute Fremdheit. Ein Plädoyer für die relative Fremdheit ist der Ausgangspunkt eines Aufsatzes von Hermann Kappelhoff zum melodramatischen Film: „Unterhaltungskultur ist der Versuch, jene Ewigkeiten zu simulieren, die man das Glück der Kindheit nennt. Insofern geht es um Praktiken mehr oder weniger regulierter und reflektierter Regressionsübungen. [...] Als niederes Zerstreuungsprinzip bürgerlicher Populärkultur ist diese Praxis schlecht beleumundet. Daß solche Übung nicht nur Flucht, sondern auch Bildungsreise durch die Landschaften fremder Subjektivi-

602 Vgl. Baudry 1993, S. 42.

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FAUST TRIFFT AUGE tät ist, dieses Ideal bürgerlicher Aufklärung gerät darüber in Vergessen603 heit.“

Die Widerständigkeit des Wunsches gegen unser Erkennen scheint im Entwurf relativer Fremdheit, der zwischen vertrauter (weil eigener) und fremder (weil anderer) Subjektivität unterscheidet, geschwächt zu sein. Das Fremde kann in der Regression besucht und kennengelernt werden. Allerdings bleibt es mit einem Fremdheitszeichen ausgestattet. In der Konzeption absoluter Fremdheit sind hingegen Formen radikalerer Widerständigkeit die treibenden Kräfte. Nichts ist fremder als der Wunsch. Man kann ihn sich nicht aneignen, weder intuitiv noch im theoretischen Manöver. Gegen die Domestizierungsversuche einer gewissen Tendenz in der psychoanalytischen Theorie erheben Deleuze und Guattari energischen Einspruch. Ihre Rede vom kosmischen Unbewußten, das kein Theater darstellt, auf dem immer dieselbe ödipale Szene gegeben wird, ist zunächst eine Hymne auf die „große Entdeckung der Psychoanalyse“: die „Wunschproduktion“.604 Aber in ihrer Konzeption besteht das Ziel des Begehrens nicht in der Herstellung einer Identität, weder einer Wahrnehmungsidentität noch einer halluzinatorischen Übereinstimmung oder einer narzißtischen Verdoppelung eines imaginären Ichs. Statt dessen sind die Wünsche in produktive Spaltungsprozesse verwickelt. Sie sind Produkte und Produzenten von Spaltungen, die immer schon in Gang sind: „In Wunschmaschinen funktioniert alles zur gleichen Zeit – begleitet aber von Pannen und Fehlzündungen, Stockungen, Kurzschlüssen, Unterbrechungen, von Zerstückelungen und Abständen, und zudem innerhalb einer Gesamtheit, deren Teile sich niemals zu einem Ganzen zusammenfügen lassen: weil die Einschnitte produktiv sind und selbst Vereinigungen bilden.“605

603 Kappelhoff 1998, S. 95. Von diesem Ausgangspunkt aus entwickelt Kappelhoff am Beispiel von Douglas Sirks Magnificent Obsession das Konzept eines Bildraums, in welchem die modulierten Zäsuren des filmischen Bewußtseins die Bildungsreise in die absolute Fremdheit ästhetischer Erfahrung umschlagen lassen. 604 Deleuze / Guattari 1974, S. 32. 605 Deleuze / Guattari 1974, S. 53.

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Die Disjunktionen sind fruchtbare Quellen einer Produktion, die Deleuze und Guattari maschinell nennen, weil sie der (historischen und individualgeschichtlichen) Konstitution eines Subjekts vorausgeht. Sie sind nicht die Zeichen eines Mangel oder Drohung der Kastration: „Die Formenorganisationen, die Subjektformationen [...] ,verohnmächtigen‘ das Begehren, unterwerfen es dem Gesetz und führen so den Mangel ein. Wenn ihr einen fesselt und dann auffordert: ,Sprich dich aus, Kamerad!‘, dann wird er doch wohl noch sagen dürfen, daß er nicht geknebelt sein will. Ohne Zweifel liegt darin die einzige Spontaneität des Begehrens: nicht unterdrückt, ausgebeutet, geknechtet, unterjocht sein zu wollen. Allerdings hat es noch nie Begehren aus NichtWollen gegeben. Nicht geknechtet sein zu wollen, ist absolut nichtssagend. Gebildet und zum Ausdruck gebracht wird dagegen Begehren von der Verkettung dadurch, daß sie den Plan konstruiert, der es möglich macht und in diesem Ermöglichen auch zur Wirkung bringt. Das Begehren ist nicht den Privilegierten vorbehalten, vorbehalten freilich auch nicht einer irgendwann einmal siegreichen Revolution. Das Begehren ist in sich immanenter revolutionärer Prozeß. Es ist konstruktivistisch, 606 nicht im geringsten spontaneistisch.“

In dieser Hinsicht konstruktivistisch haben wir uns auch das Gedächtnis vorzustellen, daß im Wünschen arbeitet: „Die Freudsche Formel ist umzukehren: Das Unbewußte ist herzustellen. Dabei handelt es sich weder um verdrängte Erinnerungsstücke noch um Phantasien oder Phantasmen. Man reproduziert keine Kindheitserinnerungen, man produziert, mittels stets aktueller Kindheitsblöcke, die Blöcke des Kind-Werdens.“607 Unterfüttern kann man diese Bemerkung aus den Dialogen zwischen Deleuze und Claire Parnet mit der Zeit-Konzeption der Kinobücher. Die Kindheitsblöcke sind ein Werden, d. h. sie besitzen eine bestimmte Dauer. Sie verändern sich innerhalb ihrer Verkettungen und mit jeder Neuverkettung. Aber die konstruktivistischen Verkettungen und Neuverkettungen sind Aktualisierungsprozesse einer virtuellen Vergangenheit. Diese virtuelle Vergangenheit erhält sich in sich selbst. Sie begleitet die aktuellen Blöcke als ihr virtuelles Double, als ein Potential, das mit 606 Deleuze / Parnet 1980, S. 104. 607 Deleuze / Parnet 1980, S. 86.

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den Zäsuren der Ketten ins Bewußtsein drängt.608 Eine vergleichbare Erfahrung kennt Benjamins Geschichtsphilosophie als das Aufblitzen eines Bildes „im Augenblick seiner Erkennbarkeit“.609 Die Metapher des Reisens scheint auch geeignet, der absoluten Fremdheit zu begegnen, jedoch nur insofern man sie vom Attribut der ,Bildung‘ befreit.610 Einen allzu sicheren Standpunkt suggeriert die Vorstellung einer organisierten und professionell betreuten Reisegruppe. Treffend scheint eher das Bild einer Trümmerreise, wie es Benjamin entwirft.611 Nicht die in den Blick eines Landschaftsparks eingefaßte Ruine ist ihr Modell, sondern das Kino verstanden als eine Maschine, deren technisch-ästhetisches Potential es ist, einen ganzen Kosmos von Einschnitten in die Wunschströme und von abgestoßenen Resten zu produzieren. Die filmische Wahrnehmung ist unmenschlich612, nicht allein weil sie von den Koordinaten des Alltagskörpers ablöst. Vielmehr vermag sie es darüber hinaus, in die montierten Bildketten des Begehrens abgründige Zwischenräume einzuführen. Ist der Wunsch 608 Vgl. Deleuze 1991, S. 95ff. 609 Benjamin 1991l, S. 695. 610 Nach einer Polemik von Deleuze und Guattari (1974, S. 69) ist die Herrschaft der ödipalen Strukturen im Feld der Psychoanalyse auch auf den Einfluß des humanistischen Bildungskanons zurückzuführen: „Es hat den Anschein, als sei Freud angesichts dieser Welt der wilden Produktion und des explosiven Wunsches zurückgeschreckt, als habe er hier um jeden Preis etwas Ordnung einführen wollen, eine nunmehr klassische Ordnung des alten griechischen Theaters. Denn was bedeutet: Freud entdeckt Ödipus im Verlauf seiner Selbstanalyse? Geschieht es in seiner Selbstanalyse, oder nicht vielmehr in seiner klassischen Bildung eines Goethe?“ 611 Vgl. Benjamin 1991a, S. 499-500. Die Trümmerreise findet sich begünstigt durch die historische Entwicklung von Kapitalismus und Industrie, deren Kind das Kino ist. Vgl. Benjamin 1991e, S. 59: „Die Entwicklung der Produktivkräfte legte die Wunschsymbole des vorigen Jahrhunderts in Trümmer noch ehe die sie darstellenden Monumente zerfallen waren. [...] Mit der Erschütterung der Warenwirtschaft beginnen wir, die Monumente der Bourgeoisie als Ruinen zu erkennen noch ehe sie zerfallen sind.“ Ähnlich wie Deleuze und Guattari (vgl. 1974, S. 43ff) geht Benjamin von einer Potenzierung nicht nur der Wunschströme, sondern der Einschnitte in sie durch die Entfesselung der Produktivkräfte aus. 612 Vgl. Deleuze 1990, S. 38: „Aber das einzige kinematographische Bewußtsein, das sind nicht etwa wir, die Zuschauer, noch der Held, das ist die Kamera, die bald menschliche, bald unmenschliche oder übermenschliche Kamera.“

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Produzent von afunktionalen Teilen auf verschiedensten gesellschaftlichen Feldern, obwaltet also im Kino die besondere Produktionsform der Inszenierung dieser Teile. Die Inszenierung ist, um Metz’ dritte Differenz zwischen Film und Traum nochmals aufzunehmen, offensichtlich konstruierter als der Traum. Sehr viel logischer als er ist sie aber nur, insofern die filmischen Wunschkonstruktionen ihre eigenen Logiken hervorbringen. Intensität und kinematographisches ,bigger-than-life‘ Vor der negativen Brandung des Film Noir, baut sich die Figur des Faustkämpfers für Recchia als ein Fels der Positivität auf: „In addition, the boxing film usually provides emblems representing all the attractions of the world that the boxer thinks he can win through his fists, and it almost always has a narrative structure confirming that those attractions – and that world – are finally not for the little guy. Yet in the face of that eternal ,nay‘, the boxer insists on the human race’s right to say ,yea‘.“613 Führt man sich jedoch vor Augen, in welchen Konstellationen sich der Boxer derart bejahend positioniert, verschiebt sich der Gehalt der Bejahung. Das ,Ja‘ scheint bisweilen weniger dem Anspruch auf „a piece of cake“614 als der Kette der Erniedrigungen und Bestrafungen, der Selbstopferungen und Selbstzerstörungen als solcher zu gelten. Die Bejahung gerät somit an jene Schwelle, die Reiks Masochismustheorie in einer Anleihe bei Goethes Faust benennt: „Der Masochist ist vom Stolz und Trotz des Prometheus geführt, selbst wenn er der Außenwelt als Ganymed erscheinen will. Unter der Maske des ewigen Ja bleibt er der Geist, der stets verneint.“615 Diese Form der Verneinung ist eher auf der Ebene der Inszenierung als auf derjenigen der Figur angesiedelt. So in Body and Soul, wo sich – darin der Mythologie des Film Noir folgend – neben der heroischen Leidensbereitschaft auch der Masochismus der Faustkämpferfigur im Verhältnis zur Femme Fatale verdichtet. Das Anklingen eines femininen Masochismus – so nennt Freud die männliche Neigung, „eine für die Weiblichkeit charakteristische Situation“616 aufzusu613 614 615 616

Recchia 1995, S. 22. Recchia 1995, S. 21. Reik 1977, S. 203. Freud 1975a, S. 346.

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chen – beschreiben Silver und Ursini in ihrem Bildband mit ausgewählten Standfotos aus Filmen der Schwarzen Serie. In die Rubrik Tödliche Frauen ordnen sie eine Komposition ein, von der sie das Verhältnis der Geschlechter (im legeren Vergleich mit einem Foto aus Sunset Boulevard) ablesen: „In Body and Soul (1947) liegt ein Ausdruck sinnlicher Freude auf dem Gesicht von Charlie Davis (John Garfield), als Alice (Hazel Brooks) seine Krawatte, in Vorbereitung weiterer physischer und psychischer Manipulationen, lockert. Ihre Position im Bild ist, wie die von Norma Desmond, dominant. Sie lehnt über dem liegenden Charlie, hält ihn quasi gefangen, doch anders als Joe Gillis hat Charlie nicht den Wunsch zu fliehen. Zusätzlich signalisieren Alices Kleid und ihr Make-up ihren Status als Spinnenfrau. Das schwarze Abendkleid und die dunklen Haare umrahmen die nackten, weißen Schultern, während Scheinwerferlicht auf ihr Haar fällt. Eine wie ein Insekt anmutende Brosche ist an ihrem Décolle617 té befestigt.“

Während ein katzenhaftes Raubtier mit einer gewissen Anmut assoziert ist, führt diese insektoide Seite des Tiermotivs in eine dunklere Gefahrenregion der Femme Fatale. Die Spinne saugt ihre Opfer aus. Charlie scheint Gefallen daran zu finden, sich der Spinnenfrau hinzugeben. Aber erst im gegenseitigen Bezug der Fangzähne des Raubtiers und der Vorstellung einer spinnenhaften ,Saugaktivität‘ kommt man der Attraktion der Frauenfigur auf die Spur. Geleit geben Zucker und Babich, die für die zweifelhaften Frauen des Boxfilms den Ausdruck Vamp verwenden.618 In der Anleihe beim Wortstamm der Bezeichnung für bluttrinkende Untote geht zweifellos ein ähnlicher Gedanke an unstillbaren Durst einher, wie er dem Spinnenkomplex innewohnt. Jedoch liegt gegenüber der insektoiden Gier und Verschlingung eine Verschiebung in der Assoziationskette vor, weil wir die Spinne im Gegensatz zum Vampir nicht wählerisch wähnen. Verloren ist, wer ihr ins Netz geht. Wie der Vampir, der das Blut des Menschen dem des Tieres und das schöne, junge Opfer einem alten und verbrauchten Körper vorzieht, zeigt sich jedoch Vamp Alice anspruchsvoll. Das Opfer ihrer weißen Haut und dunk617 Silver / Ursini 2000, S. 113. 618 Vgl. Zucker / Babich 1987, S. 65.

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len Lippen kann nur ein ökonomisch und physisch starker Mann sein. Eine weitere Vorstellungsverschiebung ergibt sich aus der aufschlußreichen Differenz zwischen fotographischer und filmischer Szene. Die Konstellation der Figuren kommt nämlich so, wie sie das von Silver und Ursini besprochene Standfoto zeigt, in Rossens Inszenierung gar nicht vor. Zwar trägt Alice das besagte Kleid mitsamt Insekten-Brosche am Abend vor Charlies letztem Kampf im Nachtclub. Auch neigt sie sich über den betrunkenen Protagonisten. Aber sie ermahnt Charlie im Auftrag des Trainers, Alkoholexzeß und Schlafmangel in der Nacht vor dem Kampf nicht zu übertreiben. Erst als der Protagonist die Ermahnungsrede mit einem energischen Griff nach ihrem Arm unterbricht, wird die sexuelle Dimension der Szene dominant. Der neue Zustand der Situation ist vom Wandel im Gesicht der Frauenfigur abzulesen. Den Blick auf den festen Griff des Boxers gerichtet, besetzt ein verständiges Lächeln Alices Gesicht. Es ist das Lächeln einer Komplizin. Charlie gibt sich der Spinnenfrau also nicht passiv hin, wie es das Standfoto suggeriert. Vielmehr sucht er aktiv nach ihren destruktiven Qualitäten. Das Bad Girl ist lediglich die Helferin seines selbstzerstörerischen Wunsches. Alices Anrede ,Champ‘ betont die Alphaposition des Protagonisten, die durch die Gangsterherrschaft im Boxmilieu stets in Gefahr ist, in eine Omegaposition zu kentern. Unfrei im Netz der ökonomischen und kriminellen Abhängigkeiten, erschließt sich Boxmeister Charlie die äußerste Freiheit der Selbstzerstörung, deren liebstes Objekt die herausragende Stellung als Champion ist. Die Destruktion greift außerdem die Autorität des moralischen Prinzips und seiner weilblichen Vertreter (Mutter und Good Girl) an: ,Friß mich, das Alphatier, und friß mein Gewissen gleich mit!‘ Das wäre die verbalisierte Formel der Wunschhaltung gegenüber der Spinnenfrau. Aber trotz des griffigen Profils dieses Lektürestrangs besitzt die Szene eine flottierende und dennoch durchdringende Qualität, die uns immer wieder von neuem affiziert und darin das Lesen nicht zur Ruhe kommen lässt.

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Elsaesser schreibt über die emotionale Orchestrierung des amerikanischen Kinos: „Wer sich je über die Ästhetik Hollywoods Gedanken gemacht hat, wird eine ihrer herausragenden Eigenschaften erkannt haben: die der direkten emotionalen Beteiligung – ob man diese nun als ein ,den dramatischen Situationen Resonanz verleihen‘ bezeichnet oder als ein ,Ausschlachten der Klischees‘ oder ob man eher abstrakt in Begriffen wie Identifikationsmuster, Empathie und Katharsis spricht. [...] Daher hängt die Erzeugung oder Wiederholung von Situationen, mit denen sich der Betrachter identifizieren und die er wiedererkennen kann (ob dieses Wiedererkennen bewußt oder unbewußt erfolgt, ist eine anderer Sache), in hohem Maße davon ab, inwieweit die Ikonographie (die ,Visualisierung‘) und die Qualität (Komplexität, Subtilität, Ambiguität) der Orchestrierung geeignet sind, transindividuelle, populärmythologische (und daher allgemein als trivial eingeschätzte) Erfahrungen und 619 Plotstrukturen zu transportieren.”

Was hat man sich nun unter einer solchen „direkten emotionalen Beteiligung” vorzustellen? Was ist der Mechanismus des filmischen Gefühls, und wie verhalten sich die Leseimpulse von Body and Soul ihm gegenüber? Zum ersten betreibt Hollywood – es sei daran erinnert, daß Elsaessers allgemeiner Gedanke zur Emotionalität des amerikanischen Kinos im Kontext seiner Überlegungen zum Melodrama steht – eine grundlegende Form der Intensivierung. Ihr Produkt ist ein ,bigger-than-life‘, dessen Ausdruckswerte anders, weil größer oder intensiver als der Alltag sind. Dabei kann die filmische Intensivierung Ausdruckswerte, die im Alltag in Unscheinbarkeit verschwinden, in den emotionalen Ausdruckskomplex einbringen. Zum zweiten sind uns die filmischen Ausdruckskomplexe oftmals sehr vertraut. Denn zumindest der Ausdruck der klassischen Hollywood-Ästhetik und ihrer Ausläufer ist gewöhnlich in den Strukturen der Alltagswahrnehmung organisiert. Außerdem begegnet der rezipierende Resonanz-Körper den „transindividuellen, populärmythologischen Erfahrungen und Plotstrukturen” in einer habituellen Einstellung, die sich nicht allein im Kino, sondern generell im Kontakt mit populärer Produktion herausbildet. Eine direkte emotionale Be619 Elsaesser 1994, S. 109.

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teiligung an diesen gänzlich mittelbaren Produkten kann es nur geben, wenn derart eingeübte sensomotorische Schemata aktiviert werden. Ihr Mechanismus besteht also in einem ausgeglichenen Verhältnis zwischen einerseits der Bildintensität jenseits des Alltags und andererseits einer Fortsetzung des Ausdrucks in motivierte und verständliche Gefühlswelten.620 Genau dieses Verhältnis gerät in der Szene zwischen Boxer und Spinnenfrau in Body and Soul aus den Fugen. Das ,bigger-than-life‘ wird mächtiger, aber nicht in einer Einschüchterungslogik des Begehrens, die uns Stars und Filmwelten als die Fetische unerreichbarer Sphären vorführt. Vielmehr erfaßt es den zweiten Pol des beschriebenen Ausgleichverhältnisses: Der Ausdruck überspült die sensomotorische Bahn. Wenn hier Distanz entsteht, dann nicht aus der künstlichen Minderung der Intensität durch einen Bewußtseinsschild, der auf eine ideologiekritische Perspektive abgestellt bleibt. Es ist umgekehrt die punktuelle Intensivierung des Ausdrucks, die das Gefühl in einen indirekten Status versetzt. Distanz herrscht nicht im Verhältnis zum Bild, sondern zum Gefühl. Die Intensivierungsmaschine steht nicht mehr im Dienste der (psychologisch motivierten) Emotion. Somit gilt hier, was Bohrer unter der Überschrift Intensität ist kein Gefühl für die moderne Ästhetik im Allgemeinen verhandelt: „Die Vorstellung ,Intensität‘ ist der Widerspruch zu einem innerlichen Verbundensein mit sich selbst, das der Zustand der Gemütlichkeit aus621 drückt.“ Bohrer führt diesen Unterschied an jener exemplarischen Feindschaft aller ,Gemütlichkeit‘ und ihrer idealistischen Identitätsvorstellungen aus, für die Friedrich Nietzsches ästhetische Theorie einsteht. Er konstatiert ein Mißverständnis in der Nietzsche-Rezeption, das in unserer Epoche ebenso Konjunktur hat wie um die Wende vom neunzehnten ins zwanzigste Jahrhundert: „Nietzsches objektivistisches Intensitätsprogramm ist nicht rezipiert worden. Es ist nicht verstanden worden, daß dieses Intensitätsprogramm keine subjektivistische Lebensform vorschlug, sondern ganz im Gegenteil eine objektive Ästhetik darstellte, die sagte: Intensität ist das Wissen von Intensität, ist eine

620 Vgl. Deleuze 1990, S. 193ff. 621 Bohrer 1988, S. 95

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FAUST TRIFFT AUGE intellektuelle Haltung, eine seelische Temperatur jenseits eines tauto622 logischen Naturalismus.“

Und diese intellektuelle Haltung geht aus der „Reflexion der Moderne selbst“623 hervor. Nach solcher Maßgabe ist Nietzsches berühmte Kritik am Werk Richard Wagners zu verstehen: Wo alle Intensitäten, die zum Denken führen, der rauschhaften Überwältigungsdramaturgie geopfert werden, rangiert die bloße Wirkungsästhetik vor der ästhetischen Reflexion.624 Nicht im „Sinnesrausch, sondern allein im Bewußtsein vom Scheinhaften des ästhetischen Scheins realisiert“ sich „der Begriff des Dionysischen“.625 So zieht Kappelhoff die Quintessenz aus Nietzsches Beanstandungen. Mit Bohrer stimmt er darin überein, daß der reflexive Selbstbezug des ästhetischen Bewußtseins nicht in der Identität einer privatistischen Innerlichkeit verendet, sondern über das ,Objektive‘ der ästhetischen Struktur und ihrer Tradition verläuft. In diesem Verlauf bringt die ästhetische Reflexion „einen Bruch, eine Spaltung, eine Schizophrenie im Denken“626 hervor. Der intensive Moment des Boxfilms, wie er hier verstanden sein soll, ist dementsprechend gleichzeitig das Produkt und der produzierende Keim einer ästhetischen Selbstreflexion. In ihr dichtet sich der intensivierte Ausdruck gegen seinen Kontext ab und zerschneidet als „kurzer Augenblick der Dissoziation“627 die mythischen Verkettungen. Die Reflexion führt blitzartig eine Kluft zwischen dem Ausdruck als solchem und seinen konkreten Aktualisierungen im Gefühl in das Bild ein. Zwischen dem Griff nach dem Arm der Frau, dem Wandel in ihrem Ausdruck, dem Komplizinnenlächeln, zwischen diesen Elementen der beschriebenen szenischen Konstellation klafft plötzlich der Abgrund eines potentialisierten WunschBildes. Die beunruhigende Virtualität des Zeichenkomplexes wirkt verstörender als seine Aktualisierung im selbstzerstörerischen Wunsch. Es ist also nicht allein der Schlag, der wie auf der zeiten Achse gesehen die Ströme des Boxerwünschens unterbrechen kann. 622 623 624 625 626 627

Bohrer 1988, S. 92. Bohrer 1988, S. 91. Vgl. Nietzsche 1983. Kappelhoff 1996, S. 77. Kappelhoff 1996, S. 77. Deleuze / Guattari 1974, S. 508.

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Der intensive Moment des Boxfilms ist eine mindestens gleichwertige Disruption, wenn er das Affektbild jenseits jedes technizistischen Spektakels mobilisiert. Etwas vom beunruhigenden Eindruck wird während des gesamten Films im Gedächtnis des Resonanz-Körpers zurückbleiben. Die starke Befremdung in dieser frühen Phase von Body and Soul lebt jedoch davon, daß das Wunschdreieck bestehend aus Boxer und den antagonistischen Weiblichkeitspolen noch nicht in übersichtlicher Weise etabliert ist. Die folgende Rückblende baut gegen die Ausdrucksüberspülung einen Damm aus Wiederholungen und Stationen des Wiedererkennens auf, welche die emotionale Beteiligung ganz im Sinne Elsaessers forcieren, indem sie die Funktion einer nach und nach erhellenden Entwicklungsbewegung bilden. Was aber geschieht mit der Wunschenergie, wenn eine Wiederholung nicht hinter einer sich später entfaltenden Entwicklungslinie verschwindet, sondern umgekehrt die Repetitionsstruktur die dramatische Genese regelrecht zu blockieren scheint? Boxergier: Champion Conway beschreibt die Wunschbahnen von Boxern als zirkuläre Strukturen von Herausforderungen und Beweisen. Die Athleten streben auf den Beweis ihres Könnens und damit ihrer Persönlichkeit im Ring bzw. in einem großen Kampf hin: Haben sie den Beweis jedoch erbracht und den Kampf oder gar einen Titel gewonnen, schließt sich eine Kette von weiteren Beweisen an, durch die das Erkämpfte verteidigt werden muß.628 Jeder siegreiche Beweis führt entweder auf einen besseren Platz in der Rangliste des entsprechenden Verbandes. Oder aber er erhält die bereits erlangte Vormachtstellung. Die wenigsten erfolgreichen Boxer scheiden wie Rocky Marciano durch einen bewußten Rücktritt auf dem Höhepunkt ihrer Karriere aus. Zumeist ziehen sie sich erst dann zurück, wenn sie in einem konkreten Beweisversuch am Gegner scheitern. Man kann diesem Anspruch auf allgemeine Regelhaftigkeit entgegenhalten, daß nicht die überindividuelle Kreisstruktur als solche, sondern das besondere – nicht selten recht kreative – Verhältnis, 628 Conway (1999, S. 49ff) demonstriert diese Struktur an der Biographie des Schwergewichtsweltmeisters Floyd Patterson.

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welches einzelne Boxer zu ihr einnehmen, den Reiz von Boxerbiographien ausmacht. Ebenso haben die vorangehenden Betrachtungen zur Opferkampfmythologie gezeigt, daß das klassische Kino die Kreisbewegung und ihre Wiederholungsstruktur in einem durchaus breiten Spektrum dramatisiert. Zweifellos rundet die Dramatisierung die soziale Härte ab, die das reale Boxerleben kennzeichnet. Immerhin jedoch findet der Boxfilm spezifisch filmische Methoden, seine Kreisstrukturen durch die Wiederholung eines intensiven Affektbildes zu brechen und damit zu denken. Spätestens Ende der vierziger Jahre bringt Mark Robsons Champion eine solche Methode auf die Leinwand.629 Das Inszenierungskonzept von Champion basiert darauf, zwei verschiedene ästhetische Prinzipien in Relation zueinander zu setzten: erstens eine zwar elegante, aber dennoch unnachgiebige Raffung der filmischen Zeit und zweitens das wiederholte Insistieren eines bestimmten Gesichtsausdrucks des von Kirk Douglas verkörperten Boxerprotagonisten Midge Kelly. Die potenzierte Dynamik des Films entsteht durch die besondere Handhabung der Rückblendenkonstruktion, die wie in Body and Soul vom finalen Kampf ausgeht. Bereits während der anfänglich gezeigten Begrüßungsrituale im Ring gefriert Kellys Antlitz beim Blick ins Publikum, wo sich die Opfer seiner Karriere in der Menge versammelt haben. Die Vergangenheit kommt über ihn, mit ihr jedoch keine melodramatische Verdichtung wie in Body and Soul, sondern eine beschleunigte Bewegung, die ihre kinematographische und daher unmenschliche Natur zur Schau stellt. Der erste Block im Boxmilieu erstreckt sich über beinahe zehn Minuten als Montagesequenz, die immer wieder in kleine ausformulierte Szenen mündet, um von dort zu einer neuen Serie von inein629 Ein frühes Beispiel für ein mentales Kreisbild ist Hitchcocks Stummfilm The Ring. Die Kreise der Herausforderung werden hier mit vielfältigen Kreismotiven konfrontiert. Vgl. Yacowar 1977, S. 6061, Patalas 1999, S. 36 und Barr 1999, S. 51: „The ring is, first, the boxing ring where Jack and Bob fight at the start of the film, and again at the end; second, the wedding ring, symbol of Jack’s marriage to Mabel; and third, the bracelet ‘ring’ which Bob has already given her, wich she likes to conceal below her sleeve, and which she will only discard at the film’s end when she affimrs her loyalty to Jack. The three rings mark out the progress of their realtionship.“

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ander geblendeten Bildern anzusetzen. Auch jenseits dessen herrscht die Überblendung als Verbindungsverfahren der Einstellungen vor, und ihre Herrschaft funktioniert ganz nach der klassischen Konvention der Zeitüberbrückung. Aber die Montage setzt die elliptische Darstellungsweise so dezidiert in Tempo um, daß eine andere Gewalt als die des Kampfes spürbar wird: eine bildliche Gewalt, die auch darin liegt, ein ganzes Boxerleben in Spielfilmlänge zu pressen. Die Ursache für den Tod des Helden am Ende bleibt auf diese Weise unentschieden zwischen zu vielen Schlägen und übermäßiger Überblendung angesiedelt. Abbildung 23: Ready to explode — Migde Kelly (Kirk Douglas) holt sich Energie aus den Augen seiner Feinde in Champion.

Als intensive Momente, die diese Zeitraffung unterbrechen, und damit als die Schaltpunkte der gesamten Dramaturgie funktionieren einige Großaufnahmen, in denen Douglas dem Boxer ein unnachahmliches Aufbegehren verleiht.630 In seiner Naivität benennt der 630 Vgl. Hallensleben 2001, S. 13-14: „,Der Mann mit dem hungrigen Gesicht‘ wurde der Schauspieler von der Boulevardpresse gerne genannt.“

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deutsche Verleihtitel Zwischen Frauen und Seilen exakt den exponierten Ort des aufbegehrenden Kämpfergesichts. Der Gesichtsausdruck stellt sich stets in der Reaktion auf auf die herablassende Haltung von Vamp Grace ein. Er fungiert dann als das Zeichen einer Affektmacht, die den Protagonisten zum Erfolg im Ring führt. Grace bildet das Mittelstück einer Typologie von Frauenfiguren, die der Boxer als Markierungen und Trophäen seines Aufstiegsweges sammelt. Die Typologie gehorcht einer Steigerungslogik: zuerst Ehefrau und Kellnerin Emma, dann Vamp Grace und schließlich Künstlerlin Palmer. Der Gehalt der treibenden Affektmacht ist somit Gier, was den Protagonisten der klassischen Boxerposition entrückt und der Gangsterimago angleicht.631 Wie die filmische Beschleunigung weniger auf die innerliche Hast des Protagonisten, denn auf das ahumane kinematographische Bewegungsvermögen verweist, ist das aufbegehrende Gesicht nicht der einfache Ausdruck eines inneren Zustandes. Die Gier scheint weniger aus einem wie auch immer gelagerten ,Inneren‘ der Figur zu stammen, denn als äußere Kraft vom Protagonisten Besitz zu ergreifen: eine Macht, welcher der affizierte Körper ausgeliefert ist. Darin korrespondiert die Darstellung also nicht mit der dem Hollywood-Kino gewöhnlich nahestehenden Konzeption einer bürgerlichen Seele als individuellem Innenleben. Das Bild zeigt sich eher der viel älteren, antiken Vorstellung von Affektwelten verwandt, die den Menschen von außen ergreifen.632 631 Vgl. Krutnik 1991, S. 190: „In Champion, the boxer-protagonist [...] becomes a ruthless egomaniac who, like the gangster-hero, seeks to rise to the top at the expense of all else (family, loved ones, etc.) [...].“ 632 Die Philosophie von Hermann Schmitz (vgl. 1965, S. 365-504) versucht, an diese Auffassung des Gefühls anzuknüpfen und darin die neuzeitliche Vorstellung eines unleiblichen und unräumlichen Innenlebens sowie die durch sie bedingte Spaltung von ausgedehntem Körper und unausgedehnter Seele zu kritisieren bzw. zu überwinden. Vgl. auch Böhme 1997. Auch der kinematographische Affekt ist keineswegs einer Vorstellung verpflichtet, die ein Seelenleben innen verortet und es im Gesicht als dem ,Spiegel der Seele‘ zum Ausdruck kommen sieht. Das ist eher die Affektkonzeption einer bestimmten Form von Film, die wie weite Teile des amerikanischen Kinos mit psychologischen Motivationen arbeitet. Aber das Innenleben geht genaugenommen auch hier dem Affekt als bildlicher Dimension nicht voran. Es konstituiert sich vielmehr durch den Affekt auf der Ebene des Bildes. Man muß sich nur die Methode

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DRITTE ACHSE: REFLEXION ERSCHÜTTERTEN DASEINS Abbildung 24: Wechselt die Frauen wie Hemden — der gierige Migde Kelly (Kirk Douglas) in Champion.

Die aufbegehrenden Boxergesichter von Champion erfahren letztlich jedoch keine Begründung in einer mythischen Affektvorstellung. Sie isolieren sich statt dessen gegen ihren Kontext ab, insbesondere im finalen Kampf, wo es für mehrere Augenblicke nichts als die Intensitäten des demolierten Boxergesichts mit den zugeschwollenen, aber besessenen Augen und einer ebenso blutenden wie entschlossenen Mundpartie gibt. Aber nicht allein in finaler Zuspitzung, sondern in ihrer Wiederholung bilden die Affektbilder gemeinsam mit der antagonistischen Beschleunigungsbewegung eine virtuelle Ausdruckskonstellation, in der die Kreisstruktur der boxerischen Beweiskette denkbar wird.

des Actors Studio vor Augen führen. Sie produziert den Ausdruck am Schauspielerkörper zwar über die Mobilisierung eines emotionalen Gedächtnisses, aber die Gefühle des Schauspielers decken sich nicht mit denen der zu spielenden Figur. Es ist eine konstruktivistische Methode, die zu einem bildlichen Affekt führt, der seine Referenz auf die Gefühlswelt des Schauspielers verloren hat und das Innenleben der Figur begründen soll.

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III. Dauernde Zwischenzeiten: Körper, Milieu, Glauben 1. Die Dauer des Opferkämpferkörpers Distanzierter Blick in Fat City „Everybody likes Ad. He gets along by the quarters and half dollars they give him around the gym. Sometimes young fighters box a round or two with him. That is like a drink of whiskey to him. It loosens his tongue and he tells the stories of his old fights, round by round. The fire still burns in his heart. His voice thins to a snarl and comes through his teeth with terrible energy. Slowly he works himself into a fighting rage. His tale breaks off, and a stream of curses follows. He dares any man present to raise his hands and fight him. Then at the peak of his fury the thread snaps. His face clears, like the sky after a rain. He shakes his head, smiles, and he is back again in that dim, hazy heaven, where the boys who liked to take it spend their 633 days.“

Dieser Mann, „who liked to take it“, ist eine von John Hustons Figures of Fighting Men. Die literarischen Skizzen von aktiven Athleten und Männern, die ihre ,große‘ Zeit hinter sich haben wie Ad, lassen sportliche Aspekte mit Splittern oder Entwicklungen von Lebenswegen verschmelzen. Nachhaltig in seiner Wirkung ist der nüchterne Grundton der Darstellung: Die gegenüber den Figuren scheinbar indifferente Prosa führt den Abstand in unser Lesen ein, in dem sich die Härte des Boxerdaseins als eine ästhetische Konstellation aufspannt. Der ,neutrale Blick‘ gilt auch als ein Hauptmerkmal von Hustons filmischem Werk. Daß es sich dabei um eine Qualität handelt, wird von Andrew Sarris bestritten. In seiner Schrift The American Cinema: Directors and Directions, die das Konzept der ,AuteurTheorie‘ schematisch zu einer Art Rangliste zurechtstuzt, beanstandet Sarris den Mangel an Engagement gegenüber den Figuren.634 633 Huston 1993, S. 253. 634 Vgl. Sarris 1996, S. 156-157: „Huston displayed his material without projecting his personality. His technique has always been

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Gegenposition zu Sarris bezieht Gaylyn Studlar, indem sie die objektivierte Haltung als bewußte Strategie von Hustons Filmästhetik begreift. Integrales Element dieser Strategie ist neben „the camera’s extreme detachtment“635 auch die Dialoginszenierung: „Babe recalls how scared he was when he first passed blood, and adds, ,What bothers me is getting my throat ruined.‘ He asks Ruben: ,How’s your nose? Can you breathe?‘ Ruben replies, ,Yeah, can’t you?‘ Babes says, ,Not on a wet day.‘ Their tone is matter of fact, without rancor, and marked by a detachment that matches the tone of Huston’s strate636 gies of film narration.“

Selbst wenn sich die Figuren weniger nüchtern verhalten und ihre Stimmen zur pathetischen Schicksalsrede aufschwingen (Oma) oder ins bedeutungsschwangere Philosophieren absenken (Tully), wird die Distanz nicht durchbrochen. Keine Figur schwingt sich zu der Stimme der Inszenierung auf. Jeder Charakter bleibt eine beobachtete Stimme unter anderen. Wie Ad in Figures of Fighting Men haben die Stimmen der Figuren keinen Anspruch auf die auktoriale Deutung ihres Lebens. In ihren Ansichten erscheinen die Charaktere stets etwas zweifelhaft, unglaubwürdig oder lächerlich. Aber auch oberhalb der Figuren gibt es keine unmißverständliche Deutungsmacht. In der Endmontage entfernt Huston eine bereits gedrehte Traumsequenz, die den gescheiterten Tully in seinen jungen Jahren als erfolgreichen Boxer zeigt.637 Solche Vergangenheitspartikel tauchen damit lediglich in Tullys Gesprächen mit den anderen Gelegenheitsarbeitern bei der Saisonernte auf. Die Erinnerungen sind in den Köpfen der Figuren verstreut – als kleine Mythen, die dann und wann im Dialog zum Vorschein kommen. Die Boxmythen erlangen den Status der Erzählung einer Erzählung, wenn die alten Männer des Milieus ihre Weisheiten zum Besten geben. In der Rauheit von Stimmen, deren Entstehungsorte lädierte Kehlköpfen sind, erzählen die Veteranen von Körpermythen: Urin, das so sauber wie frisches

evasive, his camera often pitched at a standoffish angle away from the heart of the action.“ 635 Studlar 1993, S. 187. 636 Studlar 1993, S. 193. 637 Vgl. Kaminsky 1978, S. 189.

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Trinkwasser erscheint; Haut, die so dick ist, daß sie unter der Wucht der Schläge nicht reißt. Fat City hält sich in der Abfolge der Ereignisse streng an die literaische Vorlage von Leonard Garnder. Obwohl jedoch diese Vorlage und das Drehbuch vom selben Autor stammen, weisen Roman und Film völlig verschiedene Verfahren in der Darstellung der Figuren auf. Der Roman liefert von Beginn an differenzierte Einblicke in die Gefühls- und Gedankenwelt der Charaktere. So begegnet der mit seinen 30 Jahren bereits alte Billy Tully dem jungen Boxtalent Ernie Munger in einer Mischung aus väterlichen Ratschlägen und einem Lebensneid, dessen Aggression sich im Duschraum am Blick auf den unverbrauchten Körper entzündet: „Beside him water streamed over Ernie Munger’s head. The boy’s shoulders were broad, his chest flat and hairless, his waist narrow, his arms and legs long and slender, and looking at his face, Tully regreted that he had not had a chance to hit it squarely. It was well formed and 638 callow, the forehead wide and high, the nose prominent.“

Sowohl im Roman als auch im Film begleiten wir Tully nach seiner ersten Begegnung mit Ernie Munger in die heruntergekommene Bar, wo er das Boxvermögen des Nachwuchstalentes anpreist. Aber wie jede offensichtliche Äußerung von Lebensneid fehlen in der Filmversion jene nach innen gewendeten Erläuterungen, wie sie das Buch in der nächsten Passage nachliefert: „On the bed in the dim light, hearing coughing from across the hall, he knew he had magnified Ernie Munger’s talents. He had done it in order to go on believing in his body, but he had lost his reflexes – that was all there was to it – and he felt his life was coming to a close. At one time he had believed the nineteen-fifties would bring him to greatness. Now they were almost at an end and he was through. He turned onto his side. On the worm linoleum lay a True Confession and a Modern Screen, magazines he once would not have thought could interest him, but in reading of seduction and betrayal, adultery, divorce and the sorrows of 639 stars, he found the sad sentiment of his love.”

638 Gardner 1996, S. 6. 639 Gardner 1996, S. 10-11.

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In Hustons filmischer Darstellung der Boxerschicksale tritt die distanzierte Kamera an die Stelle dieser Psychologismen – ein Austausch, wie er radikaler nicht sein könnte. Studlar schließt von ihrer Distanzdiagnose auf eine Form von Ironie, deren Potential sie auf den wenig weitreichenden Nenner ideologiekritischer Sentenzen bringt: „Showing the meager comforts to be derived from male camaraderie, Fat City refuses to celebrate the male body’s potential for aggressive power. Instead the film’s disturbing tensions suggest the very impossibility of the ideal based on the cult of the body even as it reveals the pernicious force still exerted by that necessarily aggressive ideal on economically marginalized, white working-class and minority men in 640 late twentieth-century America.“

Mit dieser Argumentation manövriert Studlar die filmische Ausdruckskraft auf eine quasi diskursive Ebene, auf der sie als Ideologiekritik handhabbar wird. Wir haben es jedoch mit einer reflexiven Bildhaftigkeit zu tun, deren Wirkung weiter reicht als ein subversiver Effekt gegenüber klassischen Männlichkeits-Imagos und deren Ironie die ideologiekritische Perspektive lediglich als einen begrüßenswerten Nebeneffekt generiert. Wo ist also die Distanz angesiedelt? Was ist ihr Potential? Fat City fehlt jene kontinuieliche emotionale Unterfütterung, durch die eine rituell-imaginäre Identifikation Stabilität gewinnen könnte. Die Distanz betrifft demnach den mythischen Modus, das geteilte Gefühl, nicht etwa das Bild als solches. Die bildliche Ausdruckskraft wird nicht geschwächt. Ganz im Gegenteil erlangt das Körperbild eine besondere Intensität, wenn Huston die durchschnittlichen Körper seiner wenig glamourösen Helden ohne glaubwürdige Psychologismen begleitet. Das Boxen ist nicht mehr der Raum der Wildheit und des unbändigen Siegeswillens. Aber im Kontrast zu den anderen Milieupartikeln in Fat City, geht vom Boxen immer noch eine gewisse Energie aus. Nicht die Arena, sondern das Gym ist der Ort dieser Energie. Die Trainingsstätte ist ein luftiger und lichtdurchfluteter Raum, in dem frische und kühle Farbtöne vorherrschen: Weiß, Türkis und 640 Studlar 1993, S. 179-181.

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Blautöne. Die älteren Männer schauen beim Training zu oder kümmern sich um die Betreuung ihrer Schützlinge und die alltäglichen Hilfsarbeiten wie das Bandagieren der Hände. Die Körperrhythmen der trainierenden Boxer erscheinen gegenüber der Boxfilmtradition in heilsamer Verkleinerung: Kleine Momente der Beschleunigung. Abbildung 25: Übt sich in Rhythmen — Ernie Munger (Jeff Bidges) mit Trainer Ruben Luna (Nickolas Colasanto) in Fat City.

Die Trainingsbewegungen im Hintergrund, am Bildrand oder bei einem kurzen Sparringskampf und ihre Geräusche beschleunigen den ansonsten langsameren Rhythmus dieses Films. Die Montage konfrontiert die Trainingsrhythmen stets direkt mit denen der anderen Milieus. Einmal erscheint das Boxgym im Anschluß an die schummrige Bar und zweimal nach der Feldarbeit. In diesen Rhythmusdifferenzen ist in Fat City das Bewußtsein um die fast unertäglich alltägliche Dauer der Körper angesiedelt. Die unverkleidete Modulation der Körperbildrhythmen setzt uns in einen direkten Bezug zur Zeit.

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Das Bild Muhammad Alis So stellt sich Hans-Thies Lehmann den Gründungsakt des Theaters vor: „Mit einem körperlichen Akt fängt bekanntlich alles an. Theater begann, als einer sich aus dem Kollektiv löste, vor es hintrat und etwas von sich hermachte: der Angeber, der booster, der seinen Körper, den vielleicht besonders schönen und starken Körper vorzeigt und ausstellt, sich kostümiert, von (eigenen) Heldentaten erzählt. Oder der Mutige, der aus dem schützenden Kollektiv herauszutreten wagt, einen anderen Raum jenseits und im Angesicht der Gruppe betritt. [...] Hybris läßt den Menschen aus dem Kollektiv in die Sichtbarkeit stürzen. Sie bedeutet Ausgesetztsein und Gefahr. Der Ort, der diese Gefährdung symbolisiert, ist die Bühne. Der Mensch als Mehr-als-er-selbst, der Mensch der Hybris hat und weckt in sich eine Art Abstand zu sich selbst. Selbsterhebung, die zugleich Überhebung über die anderen ist. So zieht er 641 Neid, Mißgunst und Rachewünsche auf sich: Preis des Hervortretens.“

Der exponierte Körper zieht die Blicke der anderen auf sich, die wie er den Energien des Begehrens unterliegen, die also ihrem Objekt gegenüber nicht unabhängig sein können. Insbesondere, wenn die Attraktion des Körpers aus ihren funktionalen und repräsentativen Einbindungen ausschert, sieht Lehman darin eine Formation des Opfers: „Er [der Performer, d. Verf.] bietet und bringt sich in gewisser Weise als ein Opfer dar: Ohne den Schutz der Rolle, ohne die Stärkung durch die idealisierende Ruhe des Ideals wird der Körper in seiner Gebrechlichkeit und Jämmerlichkeit, auch als erotisches Reizangebot und Provokation dem Gerichtshof der abschätzenden Blicke ausgeliefert.“642 Zu dieser Struktur jedoch, in welcher die Blicke der Zuschauer von gesicherten Positionen aus auf den ungesicherten exponierten Körper treffen, gehört ihre qualitative Umkehr. Im Angesicht der Physis, deren Präsenz nicht mehr durch Heldengeschichten oder andere Imagos protegiert wird, erkennen wir uns selbst im Opferakt wieder. Wir erlangen das Bewußtsein dar-

641 Lehmann 1999, S. 361-362. 642 Lehmann 1999, S. 380-381.

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über, daß wir das elementare Schicksal des begehrenden und vergehenden Körpers teilen.643 Bezieht man diesen Gedanken auf das filmische Medium, radikalisiert sich die Situation in dreifacher Weise. Zum ersten wird der Abstand zur Physis größer. Durch die Transformation ins kinematographische Bild werden uns selbst vertraute Körper fremd, bis hin zu ihren optisch-unbewußten Landschaften.644 Außerdem wird der Blick noch grausamer gegen die Oberfläche des Körpers, die sich dem forschenden Objektiv darbietet. Drittens schließlich sind die Bilder wiederholbar. Das bedeutet nicht allein die abrufbereite Konservierung des grausamen Blicks. Wichtiger noch ist die Perspektive der Dauer. Filmbetrachtungen von längeren Zeiträumen bringen Bilder aus verschiedenen Altern desselben Körpers zusammen und versetzen diesen Körper in eine kinematographische Zeit. Aus diesem Phänomen lebt die dokumentarische Gattung der Langzeitbeobachtung. Eines der fundamentalsten Potentiale des Films liegt darin, uns eine Dauer des Körpers zu geben. Gegenüber dieser bildlichen Körperzeit schwanken wir dazwischen, uns einerseits in der Problematik des gezeigten Lebens wiederzuerkennen und andererseits zu erahnen, daß wir uns die kinematographisch konstruierte Dauer nicht gänzlich aneignen können. Welcher Körper bietet eindringlicheres Material für eine filmische Dauer als der des Boxers? Seine Eignung wird an den audiovisuellen Reproduktionen desjenigen Athleten darstellbar, dessen Gestalt die Medien des zwanzigsten Jahrhunderts am umfassendsten dokumentiert haben: Muhammad Ali. Keine dokumentarische Produktion kommt in seinem Fall ohne das extreme Drama seines Körpers aus. Die Flut von Fernsehportraits, gleichgültig ob dreiviertelstündige Features oder zehnminütige Kurzreportagen, die parallel zum 643 Lehmann (1999, S. 381) spricht lediglich davon, daß der Zuschauer seiner Blicksituation bewußt wird. Ich hingegen gehe davon aus, daß dieses Bewußtsein nur ein Zwischenschritt zu jenem anderen Blick auf den ausgestellten Körper ist, in dem wir seine Vergänglichkeit ohne die Vermittlung einer Rolle im traditionellen Sinne auf uns beziehen. 644 Vor allem das Bild des eigenen Körpers, den wir gewöhnlich nicht sehen können, hat einen befremdenden Effekt. Anders als im Spiegel stehen wir unserem Film- oder Videobild in einer Zeitverschiebung gegenüber, die die Fremheit verstärkt.

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Erscheinen der neusten Spielfilmbiographie Ali (2001) von Michael Mann auf verschiedenen Kanälen zu sehen ist, bestätigt diese Beobachtung. Manns Spielfilm beschränkt sich auf die zehn Jahre zwischen den Kämpfen gegen Sonny Liston (1964) und gegen George Foreman (1974). Der Film handelt also vom ersten Gewinn des Titels im Schwergewicht und von seiner Wiedereroberung, nachdem Ali der Titel aufgrund seiner Kriegsdienstverweigerung aberkannt worden war. Die Beiträge jedoch, die sich in Kulturmagazinen mit dieser Produktion beschäftigen, versuchen, die Kompositionen und das Konzept des Spielfilms mit der ,größeren‘ Dauer des Vorbildes zu konfrontieren. Die dokumentarischen Partikel dieser Dauer werden nach dem Prinzip des eindruckvollsten Kontrastes aus dem Archiv zusammengestellt. Der behende und anmutige Körper des jungen Cassius Marcellus Clay trifft auf den an kranken Boxveteranen Ali.645 Diese Differenz mag noch dem unbedarftesten Blick aus dem Archiv verfügbarer Bilder ins Auge springen. Sie deutet dennoch die Dimension der Erfahrung an, welche die filmische Dauer von Alis Körper so ergreifend macht. Eine Seherfahrung, die nachhaltig über die Andeutung hinausgeht, bietet hingegen eine der längsten Dokumentationen des Phänomens Ali. Muhammad Ali: The Whole Story umfaßt sechs Teile, die jeweils sechzig Minuten lang sind. Die Dramaturgie der Videoproduktion unter der Regie von Gen Watabe und Lindsey Glennell folgt der Karriere des Boxstars. Am Ende der meisten Folgen steht einer der entscheidenden Kämpfe. In Deutschland ist Muhammad Ali: The Whole Story eine Art Weihnachtsklassiker auf dem kleinen Sportsender DSF. Die ohnehin verdichtete Zeit dieses Kompilationsfilms, der die Archivbilder mit neueren Interviews montiert, wird durch die Ausstrahlung seiner Folgen innerhalb nur weniger Tage erneut komprimiert. Während der Feiertage, die manchem Zuschauer viel Zeit zum Fernsehen geben, kann man hier die Dauer einer Welt erfahren. Die Kleidung, Frisuren und Haltungen der Boxwelt dauern, wie im übrigen auch das Filmmaterial, von den sechziger bis in die neunziger Jahre. Das Zentrum dieser Dauer bildet Alis Körper. Allein die boxerische Entwicklung ist sensationell: vom jugendlichen 645 Die Kulturmagazine Aspekte (ZDF, August 2002) und Kulturreport (ARD, August 2002) verfahren nach diesem Prinzip.

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Amateurboxer zum unverschämten Jungprofi; und dann nach seiner Zwangsboxpause tritt ein veränderter Schwergewichtler in den Ring, der einiges von der Leichtfüßigkeit seiner Jugend eingebüßt hat und diesen Verlust mit psychologischer Kampftaktik und ungeheurer Leidensfähigkeit ausgleicht; schließlich der boxerische Niedergang und die ersten Sympthome der Parkinsonschen Krankheit. Aber der Boxerkörper ist im Bild Alis untrennbar mit der politischen Dimension der Dauer verbunden. Die politische Rede, vor allem die politisierte Spruchpraxis, die heute als Sprechgesang und damit als Vorläufer des Rap betrachtet wird, bestimmen die Medienfigur Ali bis heute. Alis Körper bleibt auch nach der Aufgabe der aktiven Laufbahn ein öffentliches Bild. Aber die amerikanische Öffentlichkeit versucht jetzt, den einstigen Schock in das gesellschaftliche Gefüge zu integrieren. Der Exboxer wird zum Sonderbotschafter in humanitären Fragen. Mit dem Fortschreiten der Parkinsonschen Krankheit weichen die politisierten Reden und Gesten immer mehr einer Politik des Körpers. In späten Interviews oder bei seinem großen Auftritt als letzter Fackelträger bei der Olympiade 1996 in Atlanta sehen wir eine zitternde Physis mit einem hellwachen Verstand. Ali ist aus der Menge hervorgetreten in den Ring. Aus den Reihen der Boxer ist er hervorgetreten auf die politische Bühne. Aber von der Dauer seines Opferkämpferkörpers aus gesehen ist er unser Stellvertreter im Kampf mit der Zeit. Weil Muhammad Ali: The Whole Story so viele in Alter und Qualität verschiedene Materialien miteinander kombiniert, ist das Bewußtsein um die filmische Konstruiertheit der Dauer, darum also, daß es sich nicht um einen Körper, sondern ein Körperbild handelt, kaum zu unterdrücken. Aber der Film hat die Tendenz, das Bild Alis mit verschiedenen Techniken zu naturalisieren. Er vertraut auf eine strikt chronologische Aufbereitung und eine Erzählstimme im Off, um das sichere Geleit durch die Zeitschichten zu gewährleisten. Einige Kampfszenen sind mit instrumentalen Musikrhythmen unterlegt, so als bedrohte ihre stumme Dauer die Kommensurabilität des biographischen Historismus. Diese Verwendung von Musik legt den Vergleich zu jenem anspruchsvolleren Ansatz in der Bearbeitung von Alis Bild nahe, den einer der Cutter von Muhammad Ali: The Whole Story in seinem eigenen Filmprojekt verwirklicht. Leon Gasts When We Were Kings

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versteht es, über die Rhythmisierung des audiovisuellen Bildes die Beisterung für den Protagonisten zu entfachen.646 Gleichzeitig jedoch bietet die rhythmische Dimension Leseimpulse auf. Gasts Film, der den Kampf gegen Foreman im afrikanischen Kinshasa fokussiert, besteht aus der virtuosen Komposition von Szenen aus den beiden Boxerlagern, dem öffentlichen Auftreten Alis, Interviews und Darbietungen schwarzer Musiker, die für ein Festival in den Tagen vor dem Kampf engagiert sind (u. a. James Brown, Miriam Makeba und B. B. King). Gewiß bilden die Klänge der schwarzen Musik zusammen mit den Sprechgesängen von Alis Reden die musikalische Inspiration der Montage. Und auch hier brechen die musikalischen Rhythmen den Widerstand des dokumentarischen Materials. Allerdings ist die permanente Kombination verschiedenster Sprech-, Klang- und Körperrhythmen in einer Weise gehandhabt, die dem Resonanzkörper das Bewußtsein ihrer Rhythmizität implantiert. Eine der Implantationsmethoden basiert darauf, das Fingieren von Ereignissen vorzuführen. In einer Interviewpassage ist davon die Rede, daß der Geist einer alten Frau mit zittrigen Händen von Alis Gegner Besitz ergreift. Gast (er-)findet zu dieser Bessenheitsvorstellung ein Bild in Gestalt einer – allerdings jungen und vitalen – Sängerin, deren Bühnengebärden begleitet von den Trommel- und Atemrhythmen wie ein magisches Ritual erscheinen. Das augenscheinliche Fingieren ist überdies eine wichtige Dimension der filmischen Hauptfigur selbst. Alis gereimte Reden von seiner unbesiegbaren Schnelligkeit und von den Ringkämpfen mit Walen, Aligatoren und Felsen spielen mit der Aura des Mythischen. Es ist deshalb eine Verkürzung, die Indizien des Größenwahns und die gegen Foreman gerichteten Verhöhnungen als das authentische Bild von Alis Angst vor seinem übermächtigen Gegner zu lesen, wie es Norman Mailer in einem Interviewfragment suggeriert. Vielmehr sehen und hören wir dabei zu, wie Alis Reime in ihrem Ausdruck selbstreferentiell werden. Der rhythmische Sprechgesang enthebt die Rede aus der Realität eines Interviews oder einer Pressekonferenz in die Dimension poetischen Ausdrucks. Er ist somit nicht das schlichte

646 Leon Gast arbeitet neben Bernie Stone, Hank Nadler, Deborah Shaffer am Schnitt von Muhammad Ali: The Whole Story.

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Abbild einer empfunden Angst, sondern die poetische Bearbeitung einer mythischen Angstkonstellation. Diese Art, in der When We Were Kings das Rhythmusgespür mit dem Sinn für das Fingieren verbindet, spiegelt sich auf der Ebene der Montage in einem differenzierten Bewußtsein für die filmische Konstruktion von Zeit. Die Momentaufnahme des Hauptereignisses – des Kampfes in Kinshasa – entgleitet immer wieder in ein Mosaik von Zeitsplittern, die Gast über heterogene Materialien erschließt. Was den politischen Hintergrund betrifft, bedient er sich der Methode der Andeutung. Viele Passagen –– des Films richten sich explizit an Zuschauer, die ein profundes Wissen um die politischen Verhältnisse der sechziger und siebziger Jahre mitbringen – etwa die Wochenschaubilder der Kongokrise der sechziger Jahre mit dem afrikanischen Hoffnungsträger Patrice Lumumba, dessen Mörder Mobutu Muhammad Ali in den aktuellen Aufnahmen mit einem Bruderkuß begrüßt. 647 Freilich weckt dieses Verfahren der Andeutung das Bewußtsein für die Bauart filmischer Zeichen, insbesondere für ihren zweifelhaften Status in der Konstruktion von Geschichte.648 Bisweilen hat es den Anschein, daß das Andeutungsverfahren auch dazu dient, sich der Verantwortung zu entziehen, den politischen Kontext nuanciert auszuleuchten. Die Dauer des Körperbildes jedoch gewinnt durch die geistigen Verstrebungen der Ellipsen und Hinweise an virtueller Tiefe. When We Were Kings entwirft das Boxerleben als 647 Raoul Pecks Essayfilm Lumumba: La mort du prophète (1992) beschäftigt sich eingehend mit der Ermordung Lumumbas. Er unterzieht die verfügbaren Bildmaterialien aus den sechziger Jahren einer ausführlichen Reflexion, die When We Were Kings vermissen läßt. Außerdem beschäftigt sich Peck mit der zweifelhaften Rolle der UNO bei der Ermordung Lumumbas. 648 In ihren stärkeren Passagen vertraut auch Manns Spielfilmbiographie Ali auf das Verfahren der Anspielung. Einige Details im Verhalten und in den Begegnungen der von Will Smith gespielten Alifigur werden von der Inszenierung ausdrücklich hervorgehoben, ihre historischen Kontexte bleiben jedoch ungeklärt. Beispielsweise zeigt sich Ali nach seinem Sieg über Sonny Liston immer wieder mit weit aufgerissenem Mund dem Publikum. Daß diese Geste auf die allgemeine Drohung zurückgeht, dem Herausforderer werde an diesem Kampfabend das ,Maul gestopft‘, kann sich nur der wissende Zuschauer erschließen. Ein anderes Beispiel ist eine Szene mit den Vertretern der Nation of Islam, in denen die Gefahr, in der sich Ali befindet, lediglich in einem Blick aus dem Hintergrund aufscheint.

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ein unvollständiges Rhythmusgefüge. Das Körperbild wird zu einer flüchtigen Gestalt: eine Dauer, die uns erfaßt, selbst aber unfaßbar bleibt. Monumentalität in Raging Bull In ihren Bestrebungen, Fat City aufzuwerten, sucht Studlar den Gegenpol in Scorseses durch die Kritik exponierter Boxproduktion: „Nevertheless, in step with the cult of the body, Raging Bull entices the audience into agreeing that the decisive blow – the knockout punch – represents masculine truth in its most satisfying essence. Spectatorial pleasure is centered on the male body in its production of meaningful masculine violence.“649 Tatsächlich jedoch behauptet Raging Bull – nicht anders als Fat City – keine andere als eine bildliche Wahrheit, die durch das ästhetische Bewußtsein ihrer Grenzen gekennzeichnet ist. Die Spielfilmbiographie La Mottas ist ein Film, um dessen Produktion sich eine heroische Legende spinnt. Den Legendenkern bilden die körperlichen Identifikationsgesten gegenüber dem darzustellenden Sujet, die Regisseur und Hauptdarsteller für sich in Anspruch nehmen. Scorsese deutet seine enormen Anstrengungen als ein physisches Opfer, das ihm die Erkenntnis in eine für den Film elementare Identität einbringt: „Als mir klar wurde, worum es in Raging Bull geht, lag ich sofort erst einmal im Krankenhaus. Ich war zutode erschöpft. Aber ich bin durchgekommen, und dann habe ich gewußt, wie ich Raging Bull machen mußte. Ich habe auf einmal Jake La Motta verstanden: er war ich, ich war wie er.“650 Das physische Opfer des Hauptdarstellers ist hingegen deutlich auf der Leinwand zu sehen. Man mag diese Selbstdarstellungen als heroische Attitüde interpretieren, in der das Opfermotiv als ruhmreicher Baustein der Starimago funktioniert. Dennoch scheint es, als sei in die Figur La Mottas ein Wissen um den Zusammenhang von Körper und Opfer eingegangen, durch welches an der Boxerfigur eine besondere Dimension sichtbar wird.

649 Studlar 1993, S. 181-182. Studlar bezieht sich auf Cook (1982), die Raging Bull als ,nostalgisch‘ charakterisiert. Dabei vernachlässigt sie aber die von Cook angedeutete reflexive Haltung des Films zur populären Vergangenheit. 650 Scorsese in Maerker 1986, S. 57.

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FAUST TRIFFT AUGE Abbildung 26: Bild eines veränderten Bauchs — Jake La Motta (Robert DeNiro) mit seiner Kleinfamilie am eigenen Pool in Raging Bull.

Ähnlich den Filmen, die sich mit Muhammad Ali beschäftigen, ist Raging Bull eine obsessive Auseinandersetzung mit der extremen Dauer eines öffentlichen Körpers. Das Körperbild bleibt dabei aber in sich gespalten: in zum einen die Boxerfigur und zum anderen die Figur eines Filmschauspielers, dessen enorme physische Leistung zu keinem Moment aus unserem Bewußtsein verschwindet. Der Opferkampf des Boxers und die Opferpose des Schauspielers, der seinen Körper vor dem Blick der Kamera und des Publikums exponiert, verschachteln sich ineinander. Insofern die enorme Mutation des Körpers weder der einen noch der anderen Seite endgültig zugeschlagen werden kann, liegt ihre Monstrosität zwischen ihnen. Darin besteht einer der Keime für das Prinzip des Zwischenraums, auf das die Inszenierung von Raging Bull im Gesamten abzielt. Der Schauspieler De Niro, der über die Grenzen seiner Rolle in unseren Blick tritt, ist so wenig eine ,reale‘ Person wie die Figur La Mottas. Der Schauspieler ist wie der Boxer lediglich eine filmische Figur. Aber sie agiert auf einer anderen Ebene des Bildes: Die Figur des Schauspielers kann als ein Agent des filmischen Bewußtseins verstanden werden. Wenn La Motta beim Kampf gegen Sugar

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Ray Robinson in einer Kreuzigungspose in den Seilen liegt oder seinen Weltmeisterschaftsgürtel für den Pfandleiher zerlegt, schreiben wir diesem Agenten das höchste Bewußtsein um die symbolische Dimensionen dieser Szenen zu. Das Gegenteil trifft auf die Figur La Mottas zu. Der Boxer bleibt ohne Bewußtsein für seine Situationen und ihren Ausdruck. Zwischen dem hyperbolischen Bewußtsein der Komposition und dem bewußtlosen Protagonisten entsteht das Zeitdifferential des Lesens. In seinem Mangel an Bewußtsein ist Scorseses La Motta das Gegenstück zur Figur Muhammad Alis. Ali besitzt, darin sind sich so gut wie alle filmischen Darstellungen seiner Person einig, weitreichendes Bewußtsein für seine symbolischen Aktivitäten, für die symbolischen Dimensionen der amerikanischen Öffentlichkeit überhaupt: ein Opferkämpfer im Reich der Zeichen, der über die Absurdität eines blauäugigen, blonden Jesus und die rassistischen Grundlagen des Geschichtsunterrichts doziert. Vergleicht man auf der Matrix dieses Unterschieds den Eindruck des Schauspiels in Scorseses Raging Bull und Manns Ali, wird das Prinzip des Zwischenraums anschaulicher. Will Smith scheint zunächst in der Tradition De Niros zu stehen, insofern die Besprechungen und Marketingbeiträge zu Ali betonen, daß er enorm an Gewicht für die Rolle des Schwergewichtsmeisters zugenommen hat. Auch an der Legende des Schauspielers wird gesponnen, wenn Smith in Fernsehinterviews davon spricht, daß es eigentlich unmöglich sei, den Ausnahmeboxer zu spielen. Aber die Spaltungskeime der Körperpräsenz und der schauspielerischen Unmöglichkeiten werden hier nicht als ein ästhetisches Prinzip entfaltet. Manns Film konfrontiert das Schauspiel seines Stars nicht mit der bewußten Selbstinszenierung Alis, so daß sich der Darstellungsakt in der darzustellenden Selbstinszenierung bricht und sich die Konstruktion einer öffentlichen Person dem Denken offeriert. Stattdessen soll Smith dem Bild Alis so ähnlich wie möglich werden. Smith mag es gelingen, die Bewegungsabläufe, Choreographien und den Sprachduktus des Vorbildes in einer Weise zu imitieren, die selbst den Kenner des dokumentarischen Alis zu einer gewissen Anerkennung der schauspielerischen Leistung nötigt. Die Potentialität eines produktiven Zwischenraums bleibt in Ali dennoch unerreicht. In Raging Bull jedoch kommt es, gleichgültig was Regisseur und Star von ihren inneren Befindlichkeiten behaupten mö-

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gen, nicht zur Identitätsillusion. Der Film betreibt die konsequente Dissoziation zwischen filmischem Bewußtsein und bewußtloser Figur. Der Passionsweg des Boxers ist gleichzeitig hyperbolisch und stumm. Abbildung 27: Kreuzigung im Ring — Das Bewußtsein der Komposition in Raging Bull.

Die monströse physische Veränderung und die Dumpfheit des Fleisches sind aber nur eine Dimension des Körperbildes in Raging Bull. Denn in der Kombination mit Musikfragementen aus den Opern Pietro Mascagnis gewinnt die Titelfigur Momente, in denen sie einer seltsamen Schöhnheit relationiert ist. Auf diese Weise beginnt der Film mit einem Intermezzo aus Cavalleria Rusticana: „The prefatory slow motion opening shows Jake’s balletic shadow boxing in his trademark leopard skin robe with Mascagni’s music serving as elegiac accompaniment. La Motta seems powerful, primitive, elemental, and beautiful.“651 Eine ähnliche Komposition besitzt eine spätere Situation, in der sich La Motta in einem Dampfbad sein Kampfgewicht antrainiert. In beiden Szenen durchziehen Nebeloder Dampfschwaden den Kader und entrücken die Bilder aus dem 651 Ardolino 1989, S. 65.

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handlungsdramaturgischen Kontext. Die strengen Kompositionen der unbewegten Kamera negieren das Off als räumliche Verlängerung des Bildgeschehens und machen es somit zum alleinigen Ort von Mascagnis Musik und unserer affektiven Resonanz. Ist La Motta ansonsten über Brutalität und Gewalt definiert, gehen seine Körperrhythmen hier eine, wie es Ardolino zutreffend anmerkt, elegische Verbindung mit der musikalischen Ebene ein. Beide Szenen haben eine schwermütige und klagende Qualität. Denn die Schönheit ist in ihnen nur als die Spur einer Erinnerung zu haben, die noch dem erhitzten Boxerkörper nicht ohne Kälte begegnet. Selbst wenn die Boxerphysis im Kampf zu dampfen beginnt, handelt es sich in Raging Bull um eine siedende Kälte, wie bei Flüssigkeiten, deren Siedepunkt weit unter Null Grad Celsius liegt. Die beiden elegischen Szenen sind demnach monumental im doppelten Wortsinn. Sie sind ein Erinnerungszeichen (Monument). Und sie sind es in einer Gedächtnisformation von monumentaler Kälte. Eine dritte Passage, in der Mascagnis Musik ihre elegische Wirkung entfaltet, reflektiert in anderer Weise auf das Verhältnis zur Vergangenheit und auf die filmische Konstruktion von Körperlichkeit: Scorsese montiert ,Home-Movies‘ in der Ästhetik von farbigem Super 8 Material mit schwarzweißen Standfotos verschiedener Kämpfe. In den Fotos gefrieren dramatische Kampfszenen – energiegeladene Körper, Momente des Aufpralls – zu Momenten des Stillstands. Die ,Home-Movies‘ führen in ihren flüchtigen Aufnahmen und verblichenen Farben nicht nur den privaten Körper La Mottas ein. Sie etablieren auch eine andere Form von Körperbildbewegungen. Im Gestus des Amateurs zeigt Scorsese verwackelte Aufnahmen vom Pool und von Familienfesten, die im Kontrast zum professionellen Gestus der Kampffotos eine zerbrechliche Körperwelt zeigen. Mascagnis Opernklänge wirken jetzt ein wenig deplaziert, weil sie es nicht bewerkstelligen, die ,Home-Movies‘ zu monumentalisieren. Die Inszenierung des Amateurgestus bildet den kalkulierten Kontrapunkt zur Monumentalität der ansonsten vorherrschenden Gedächtniskonfiguration.

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2. Grundlos abgründige Oberflächen: Physis und Milieu Quarzeinschluß: Requiem for a Heavyweight Requiem for a Heavyweight – der Film, der Boxen und Wrestling gegenüberstellt, – schlägt die Gelegenheit aus, die Erschütterung der Zeichen in der Darstellung des Boxkampfes zu erforschen. Statt dessen führt er ein Abgründiges in die Dimension ein, die am weitesten vom Boxgeschehen entfernt zu sein scheint: ins Dekor. Diesbezüglich sind also an der subjektiven Perspektive des Protagonisten ,Mountain‘ McClintock zu Beginn des Films nicht die Aktivitäten des von Muhammad Ali gespielten Könnens-Körpers relevant, sondern eine die Dingoberflächen – Milieu und Körper – generell betreffende Bildqualität. Die Unschärfen, die mit einem ähnlichen Effekt wie Weichzeichner während dieser Kampfszenen über die Leinwand wischen, werden rückwirkend vom ersten Erscheinen der Hauptfigur in eine Ästhetik des Kontrastes eingesogen. Die Nahaufnahme, die ,Mountain‘ noch in der subjektiven Sicht zum ersten Mal im Spiegel zeigt, ist von außerordentlicher Härte. In voller Bildschärfe sehen wir das zerschlagene Antlitz, zerklüftet durch tiefe Wunden und barsche Schatten. Die Komposition dieses Films wird nie wieder so weich sein wie in den Sekunden der Unschärfe zu Beginn. Aber der Eindruck von Härte geht nicht allein auf den Stand der Schärfe zurück. Er ist vor allem ein Phänomen der kontrastreichen Schwarzweißfotografie von Kameramann Joseph Coffey. Mit ihr ist Weiches in der Dingwelt später nur noch zurückhaltend in der Präsenz weißer Bildflächen aufgehoben. Solche Flächen entstehen an elektrischen Lampen oder weißen Kleidungsstücken und an den Wänden einiger Räume in einem zwar leuchtenden, aber doch stumpfen und dadurch sanften Weiß. Überall wo es dunkler ist, herrscht dagegen Härte vor. Zwar liegt Härte auch schon in den Schlägen der anfänglichen Kampfszene, welche auf die subjektive Kamera eintrommeln. Jedoch abgesehen vom Unterschied zwischen akustischer und visueller Ebene handelt es sich um eine dumpfe Härte, die dem Geräusch der gepolsterten Boxhandschuhe entspricht. Die spätere Bildhärte

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wirkt hingegen klirrend und kantig wie die Blechbläser in einigen Jazzeinlagen, die sie aus dem Off begleiten. Der Spiegel funktioniert von hier aus betrachtet nicht mehr als Repräsentant gescheiterter Spiegelphasen. Er ist virtuell zersprungen in opake Splitter. Die Splitter ordnen sich auf den Dingen an wie auf der Tür des Umkleideraums, wo sie funkeln, oder sie setzen sich zu neuen Gebilden zusammen wie den undurchsichtigen Glasscheiben des Bürokastens im Sozialamt. Vor allem dringen sie als affektive Qualitäten in die dunkleren Oberflächen ein. Manche von diesen Oberflächen lassen Muster oder Maserungen erkennen, die für bestimmte Materialien typisch sind – etwa die lackierte Oberfläche der Spindreihen in der Arena, der Mamor in der Hotelhalle, das Holz im Aufzug usw. Aber betroffen von der allgemeinen Bildhärte besitzen die Muster und Maserungen nur den Status von Andeutungen. Sie sind leere Zeichen einer nicht vorhandenen stofflichen Vielfalt. Denn die Objektwelt scheint aus einem einzigen Material gemacht zu sein – aus hartem unversöhnlichem Quarz. Sie hängt untrennbar zusammen, geschliffen aus einem Stück Quarzkristall. An einigen Stellen verleihen die gleißenden Lichtreflexe ihrer Glätte etwas Silbriges, ansonsten schimmert sie in dunklen Abstufungen. Die Quarzreliefs sind oft kleinteilig. Das liegt zum Teil an der üppigen Ausstattung der Räume, in der die Komposition nicht zur Ruhe kommen kann. Vor allem aber hebt die Kontrasthärte die Kanten an den Dingen hervor. Die Nuanciertheit, die dergestalt entsteht, reicht bis zu einem Grad, an dem die Räume unübersichtlich werden. Das Auge kann das Appartement des Boxers, die Eingangshalle des Hotels und die Kneipe der Boxveteranen kaum erfassen. Der Blick haftet an Details, um dann wieder zur Bewegung der Körper zurückzukehren. Dieser Effekt wird durch andere Aspekte der Raumkonstruktion noch verstärkt. Das Gebäude der Arena, in dem Manager Maish dem Zugriff der Gangster zu entkommen versucht, wirkt – obwohl die Montage im Grunde kontinuierlich verfährt – wie ein Labyrinth. Wenn der Bildzustand auf der Flucht ständig durch die sich ablösenden Wandstrukturen und Lichteinfälle moduliert wird, scheint es, als bewege sich Maish nur durch das Labyrinth, um möglichst viele Ansichten der Quarzwelt in den Kader zu bringen. Man kann mit Deleuze von einem beliebigen Raum spre-

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chen.652 Die Relationen zwischen den Oberflächenelementen, den zersprengten, glatten oder geschliffenen Quarzen, stellen sich ständig neu her, und mit ihnen transformiert sich der Quarzeinschluß, der die Figuren gefangen hält. Belegt die Bildhärte einmal unseren Blick, kann man ihr nur schwer entgehen und ein für allemal auf die Handlungsebene zurückfinden. Sie geht auch an den Körperoberflächen nicht vorbei. Die von Schweiß oder Haarwasser nassen Haare sind dünne Glasstäbe, die beim geringsten Kontakt zu brechen drohen. Die Haut besteht gleichzeitig aus glänzendem Leder und aus schimmernder Bronze. Dabei forciert die Bildhärte eine im Verhältnis von Körper und Dekor angesiedelte somatische Empathie. Denn die Bronzehaut scheint nicht ausreichend vor der feindlichen Objektwelt zu schützen. Die Schnitte und Schnittnarben im Gesicht des Boxerprotagonisten – die sogenannten ,Cuts‘ – fordern auf der Grundlage des Boxwissens dazu auf, als Konsequenzen der Schläge begriffen zu werden. Aber im Bann der Quarzoberfläche avancieren sie zu Vorahnungen auf das, was den Körpern geschieht, wenn sie den Dingen zu nahe kommen. Selbst die Fasern der rauhen Anzugstoffe, die die Beleuchtung als kleine leuchtende Stacheln hervorstehen läßt, drohen die Haut zu zerschneiden. Bindekraft: Theorie der Milieuoberfläche Die Milieus sind die Lebensräume der Figuren. Die Figuren selbst gehören zu den Milieus. Die Körperbilder können sich nur in Relation zu den Elementen des Milieus konstituieren, namentlich dann, wenn sie wie so oft im Boxfilm durch den Eintritt einer Figur in eine neue Welt entstehen. Der Boxer erwirbt sich besondere Beziehungen nicht allein zu anderen Figuren, sondern ebenso zu den Dingen des Milieus – zu den Orten und Gegenständen des Trainings und des Kampfes. Diese Beziehungen können in Fetischisierungen 652 Vgl. Deleuze 1990, S. 153: „Ein beliebiger Raum ist keine abstrakte Universalie jenseits von Zeit und Raum. Es ist ein einzelner, einzigartiger Raum, der nur die Homogenität eingebüßt hat, das heißt das Prinzip seiner metrischen Verhältnisse oder des Zusammenhalts seiner Teile, so daß eine unendliche Vielfalt von Anschlüssen möglich wird. Es ist ein Raum virtueller Verbindungen, der als ein bloßer Ort des Möglichen gefaßt wird.“

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münden, die psychologisch motiviert sind. Am Hort der Fetischisierung etwa – in der Rocky-Pentalogie – gibt es keine Vorbereitung auf einen großen Kampf, die nicht Glaubensenergie aus einem überdeterminerten Milieuelement gewinnen will: das zurückeroberte ,Gym‘ und der neu entdeckte Schlachthof, die Übergabe der Glück versprechenden ,Stars-and-Stripes-Shorts‘ durch Apollo Creed vor dem Kampf gegen Clubber Lang, die Rückkehr zur ,Naturkraft‘ in der russischen Winterödnis usw. Die Mythologie des Boxfilms fordert – analog zum Mythos des ,Frontierman‘ – eine Angleichung der Körper an das Milieu. Die Angleichung schließt durchaus Äußerlichkeiten ein (Kleidung, Attribute etc.), zuvorderst jedoch betrifft sie die Anpassung der Verhaltensweisen an die Gesetze und Prinzipien des Lebensraums. Die äußerlichen Angleichungen sind die Zeichen dieser Verhaltensanpassung. Es sind zwei Seiten derselben Medaille, entweder zu sagen, daß die Gesetze und Prinzipien die Elemente des Milieus ordnen, oder aber, daß ihre Ordnungsweisen an der Disposition dieser Elemente zum Ausdruck kommen. Hier wirkt eine bestimmte Form von Bindekraft, die den Ausdruck des Lebensraums organisiert und mit ihm unsere Vorstellung und unser Denken der Faustkämpferwelt. Im klassischen Boxfilm ist die Milieuoberfläche insofern durchlässig, als unter ihr ein dichtes Gewebe aktueller Bedeutung liegt. In diesem Verhältnis von nur begrenzter Tiefe findet sich jedes Element gebunden an seine Begründung in der Handlungsdramaturgie. Die Bindung organisiert sich nach Maßgabe des Protagonistenschicksals, also nach den Aufgaben und Opfern, denen sich der handelnde Körper unterwirft. Diese Form von Bindekraft zeigt sich vielleicht dort am klarsten, wo ein Körper durch ein Arrangement von Milieudingen ersetzt wird, wie beim Stilleben der verlassenen Boxutensilien in Golden Boy. Als sich der Protagonist nach dem für seinen Gegner tödlichen Kampf in dessen Umkleideraum wagt, fällt unser Blick in seinem Point-of-view auf eine ebenso artifizielle wie menschenleere Komposition. Unten der Rand des Wassereimers mit dem Schwamm; am linken Bildrand der eine Handschuh auf dem Ende einer hölzernen Bank. Das Zentrum des Stilllebens bildet ein Hocker, auf dem der andere Handschuh, Wasserflasche und Vaselinedose angeordnet sind. Rechts schließt das Bild massiv mit dem dunklen Kasten einer Art von Schrank ab. Die Senkrechte seiner Außenkante wiederholt

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sich in den Beinen des Hockers und der länglichen Wasserflasche. Hinten an der Wand verschachteln sich die von zwei unterschiedlichen Lichtquellen produzierten Silhouetten des Arrangements auf dem Hocker ineinander. Beide Schatten werden von einer Schräglinie bestimmt, die sich nach links abneigt. In gemäßigter Neigung nimmt die hölzerne Bank ihre Richtung auf und verlängert sie ins Off. Das Stilleben ist durch diese Verlängerung zum linken Bildrand hin geöffnet. Für den Moment wirkt es, als liege dort der Leichnam. Es ist dieser abwesende Leichnam, den das Arrangement vertritt. Anders als etwa die Stillleben Yashiro Ozus, die ruhende und autonome Einschübe in den Fluß der filmischen Zeit bilden653, bleibt es eng eingebunden in die Handlungsdramaturgie und bis in das letzte Detail mit leicht zugänglicher Bedeutung aufgeladen. Gemeinsam mit dem Klang einer bedrückten Klarinette drückt es die Trauer und das Verlustgefühl der Angehörigen aus. Bereits in Body and Soul und The Set-up kann man sehen, daß die Milieuinszenierung eine gewisse Fremdheit und Eigenständigkeit besitzt und sich derart gegenüber einer strengen Indienstnahme durch die Handlungsdynamik zu emanzipieren sowie eine neue Form von Bindekraft zu entwickeln beginnt. Dennoch dringen diese typologischen Produktionen nicht zu radikal anderen Sichtweisen auf das filmische Boxmilieu vor. Wenn in Body and Soul ein Papier durch die ruhelosen Gassen weht, hängt an seiner Bewegung zwar die gesamte populärmythologische Tradition wehender Objekte (in erster Linie der Busch, der vom Wind durch die Westernstadt getrieben wird). Und The Set-up bietet sicherlich alle Bildelemente auf, die in den Möglichkeiten einer Studioproduktion der vierziger Jahre liegen, um uns von der Schäbigkeit des Boxerlebens zu überzeugen. Aber das darin geweckte Denkvermögen bleibt weitgehend abhängig von der Normierung populärer Versatzstücke und oftmals allzu vorhersehbar an deren Paßformen gebunden. Requiem for a Heavyweight setzt uns dagegen einer völlig andern Form von Bindekraft aus. Einer Kraft, die imstande ist, unsere Sicht an sich zu binden, indem sie unser Vorstellungs- und Denkvermögen entfacht: Man kann den Blick nicht mehr abwenden von diesen unerhörten Milieubildern und ihren ungeheuerlichen Körpern. Die Milieueindrücke können nicht nach den Gesetzen einer 653 Vgl. Richie 1974.

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reduzierten psychoanalytischen Hermeneutik mit den Gefühlswelten der Figuren verrechnet werden. Vielmehr bringen sie die Fremdheit einer kinematographischen Wahrnehmung zum Ausdruck, aus der die Figuren erst hervorgehen. Die Oberflächen lösen sich vom Sujet ab und treten in virtuelle Verbindungen zu den Handlungen der Figuren und den Schauplätzen oder Prinzipien des Milieus ein. Es liegt hier kein ausschließlicher „Primat des Optischen“654 vor, denn diese Verbindungen werden sehend gedacht und wie der beliebige Raum immer wieder hervorgebracht: der Quarzeinschluß und der symbolische Tod des Boxers, die Schnittgefahr der Quarzkanten und die Opferproblematik etc. Im klassischen Boxfilm verharrt die Bindekraft nie andauernd an der Oberfläche der Milieuelemente, sondern fügt sich stets auf das darunter liegende Laufband ihrer ständig vorangetriebenen Funktionen im Handlungs- und Emotionsgefüge. In Requiem for a Heavyweight wird die Oberfläche hingegen undurchlässig, zumindest für einen Blick, der gelernt hat, die neue Bindekraft zu begrüßen. Die undurchlässige Oberfläche verhindert den Zugang zur be654 Dieser Begriff ist Gertrud Kochs Kritik an Kracauers Glauben an die rettende Macht des kinematographischen Bildes gegenüber eigentlich paralysierenden Greul und Schrecken im allgemeinen, dem Holocaust im besonderen entnommen: „Kracauers Festhalten am Primat des Optischen, der Rettung der Wirklichkeit durch ihr Bild, stößt da an seine Grenze, wo sich das, was im Bild gerettet werden und anamnetische Solidarität mit den Toten erst ermöglichen soll, jeder bildlichen Vorstellung entzieht.“ (Koch 1996, S. 147) Den „über alles menschlich Erfahrbare im Sinne der Anschaulichkeit hinausgeschossenen Ereignissen der Vernichtungslager“ (Koch 1996, S. 146) kann die Verwandlung ins Bildhafte im Sinne einer bloßen Abbildung der Leichenberge, Lagereinrichtungen, im Grunde auch der Tötung selbst in keiner Weise gerecht werden. Die Kritik zielt zwar auf ein filmtheoretisches Konzept und nicht auf das Kino, sie wirft jedoch die grundlegende Frage nach den Darstellungspotentialen des Films auf: Wie steht es um die kinematographischen Verfahren, wenn es um Unvorstellbares, aber auch schon um das ästhetisch (mit Blick auf das Beispiel auch moralisch) weniger brisante Unsichtbare oder das schlicht Unsinnliche geht? In nüchterner Ausprägung trifft man diese Frage in dem berühmten Ausspruchs Brechts an, der von einer Realität berichtet, die in die Funktionale gerutscht ist. Diese Realität kann somit auf der Fotographie eines Rüstungsbetriebs nicht ohne weiteres zu sehen sein. Die Theorie der virtuellen Bilder versucht, darauf eine Antwort zu geben, die sich in den Analysen wie hier anhand des Quarzeinschlusses von Requiem for a Heavyweight ausdifferenziert.

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schränkten Tiefe eines unter ihr wirksamen Motivationsnetzes. Aber sie erschließt eine völlig andere, abgründige Tiefe, wenn der bindende aber ungebundene Oberflächenausdruck den Resonanzkörper aktiviert. Das Milieu verliert seine Begründungen und erwirbt sich damit Grundlosigkeit. Die neue Tiefe installiert sich maßgeblich in der Beziehbarkeit von Figurenkörper und Milieu. Einerseits erfahren die Körper eine buchstäbliche Angleichung an die Quarzwelt: Bronzehaut und Glashaar. Andererseits bleiben sie die exponierten Objekte unserer Mimesis, durch die die Objektwelt jenseits jeder Einfühlung in die Psychologie der Figuren unserem Empfinden zustößt. Ranziger Impressionismus: Fat City Über ein Charakteristikum, das er „sense of place“655 nennt, verortet Scott Hammen Fat City im Werkkorpus des Regisseurs John Huston: „It has a certain exoticism in the sense of its being alien to the average moviegoer, but it is not the glamorous exoticism of most Huston settings – Africa, Tobago, Mexico, Austria, or the rolling hills of Ireland. It is not, in short, a place that American viewers would dream of deliberately visiting themselves, but a place like the ones they close their eyes to if obliged to pass through them in the course of everyday life. Huston had put such a place on the screen only once before, in one of his best films, The Asphalt Jungle. That film, though, had portrayed the dark side of American city life as evoked by the MGM art departement. This time Huston and his cinematographer, Conrad Hall, were out in the unmanicured real world, recording the way the relentless California sun beat down on buildings and streets that were the home of people bat656 tered by poverty and alcohol.“

Diese Passage enthält bereits die elementaren Aspekte jener Milieuinszenierung, die Fat City von der Studioästhetik der meisten Boxfilme absetzt: ein abgeschieden Alltägliches, das wir nicht ertragen können und deshalb darüber hinweg sehen oder die Augen vor ihm schließen; die erbarmungslose Sonne, die es um so unerträglicher 655 Hammen 1985, S. 123. 656 Hammen 1985, S. 123.

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macht, und die Fremdheit, die aus dem Auftauchen des abseitig Profanen im Licht dieser Sonne erwächst. Die Inszenierung der Boxerwelt in Fat City hat beträchtlichen Widerhall gefunden, oftmals, wie in folgender Bemerkung von John McCarty, bezogen auf Hustons eigene Erfahrungen als jugendlicher Aktiver im Milieu: „Huston drew substantially upon his own experience as a club fighter on the Califonria circuit in the making of Fat City. He even went so far as to look up some old acquaintances from his early days as a boxer and cast them in small roles. As a result, Fat City has an ultra-realistic feel to it which is enhanced by Conrad Hall’s cinema-verité photography. As the film is about losers who spend much of their time hanging around indoors, in gyms and bars, Hall chose to shoot mostly under available light conditions, thereby eliminating any surface prettines or gloss to 657 the locations.“

Anders als einige Nebenfiguren sind die Hauptrollen der beiden Boxerprotagonisten – Stacy Keach als der gealterte Billy Tully und Jeff Bridges als der junge Ernie Munger – mit professionellen Schauspielern besetzt. Der dokumentarische Einfluß ist jedoch unverkennbar. Allerdings ähnelt die Kameraarbeit eher der Konzeption des direct cinema als, wie MacCarty schreibt, derjenigen des cinema verité. Natürlich spielen die Darsteller für die Spielfilmkamera bzw. für das Publikum. Aber die Inszenierung gleicht sich keineswegs den für das cinema verité üblichen Interaktionen zwischen Kamera und Akteuren an, indem sie versucht, den Eindruck zu erwecken, das Handlungsgeschehen käme erst durch die Anwesenheit des mechanischen Blicks oder des Filmteams in Gang. Die Kamera verhält sich stattdessen eher distanziert zu den Figuren. Dabei ist die spontanistische Mobilität der geschulterten Aufnahmegeräte, die sowohl das direct cinema als auch das cinema verité auszeichnet, in Fat City nicht anzutreffen. Die zumeist stehende und bisweilen verhalten bewegte Kamera überläßt sich den Eindrücken der Originalschauplätze unter den vorgefundenen Lichtbedingungen, ohne sie mit der verwischten und verwackelten Atmosphäre dokumentarischer Improvisation (living camera) auszustatten. Diese Strategie 657 McCarty 1987, S. 179-180, vgl. auch Huston selbst in Pratley 1977, S. 19, Pratley 1977, S. 177, Kaminsky 1978, S. 187.

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beweist sich bereits neben dem sensiblen Gespür für die Selektion der Bilder in der den Film einleitenden Passage: „Fat City opens with a roving montage sequence, wich offers a fluid, impressonistic view of the seedy side of Stockton, California. From skid row missions to urban ”renewal“ (demolition of existing structures), images of environmental change merge with those of human stasis.“658 Den Begriff des ,Impressionistischen‘ wie Gaylyn Studlar allein für die Eröffnungssequenz zu gebrauchen, heißt, ihn letztlich ungenutzt zu verschenken. Denn diese einleitende Montage der Impressionen, in der sich die Ansichten der heruntergekommenen Kleinstadt versammeln, ist nur der Auftakt einer ästhetischen Verwandtschaft größerer Reichweite. Die unzähligen Lichtreflexe etwa, die später zusammen mit den Bäumen das schimmernde Dach der Feldarbeiter bei der Nußernte bilden, erinnern an die Malerei Auguste Renoirs.659 Die Szene beginnt mit dem ganz ihnen gewidmeten Bild einer Baumkrone, die von der Erntemaschine geschüttelt wird, so daß ein Licht- und Blättermeer für wenige Sekunden in sich vibriert. Wie als Kommentar auf die impressionistische Bewegung des neunzehnten Jahrhunderts, die auf die Dynamisierung des Lebens in der Moderne antwortet, indem sie sich der Darstellung des flüchtigen Augenblicks, des Momentanen einer Wahrnehmung verschreibt, liefert Huston die industrielle Quelle der Dynamisierung – die Rüttelmaschine – gleich mit. Noch in der Nacht haben sich die Männer in fast völliger Dunkelheit zur Erntearbeit angeboten. Auf dem Feld dann überstrahlt gleißendes Sonnenlicht unsere Augen. Wie auf den frühen Gemälden Edouard Manets verleihen die Extreme der Beleuchtung der Komposition eine eigentümliche Flächigkeit, die sich auf Kosten der Details und der räumlichen Modellierung ausbreitet.660 658 Studlar 1993, S. 184. 659 Gemeint ist Renoirs Bild Tanz im ,Moulin de la Galette‘ (1876, Musée d’Orsay, Paris), über das Harald Keller (1993, S. 207-210) sagt: „Im Vordergrund der Moulin sind keine Baumstämme postiert, gleichwohl müssen die Gäste auch hier unter einem Laubdach sitzen, denn Sonnenflecken, Sonnenkringel und -tupfen spielen auch auf diesen Gestalten und ermöglichen so eine einheitliche Lichtführung durch das ganze Bild hin.“ 660 Gombrich (1997, S. 514) schreibt über Manets Gemälde Der Balkon (1868-1869, Musée d’Orsay, Paris): „Man sieht, daß den Künstler der Gegensatz zwischen dem vollen Licht im Freien und dem Halb-

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Die Inszenierungen der schummrigen Bars, die von den Charakteren in Fat City auch am hellichten Tage frequentiert werden, nutzen den Helligkeitskontrast im szenischen Zusammenhang. Sie sind – so erläutert es der Regisseur – der Keim der Lichtästhetik: „When you go into a bar it’s like stumbling into a theater. You can’t find your way until your eyes adjust themselves. There you reach around and try and find a barstool the same way you try to find a seat in a theater. That is what led Conrad and me to do the exteriors explosive skies and the background and interiors, which were all on the spot, almost in silhouettes.“661

Die Relation dieser durch das Licht bestimmten Inszenierung des Milieus und der Körperdarstellung läßt sich erschließen, wenn man die bisher lediglich angedeutete Verwandtschaft zwischen Hustons Film und impressonistischer Malerei als ein Spannungsfeld von Ähnlichkeit und Differenz mit drei wesentlichen Spannungspolen begreift. Der erste Pol betrifft die Fragen des Sujets und der Handlung. Die realistischen und naturalistischen Strömungen des neunzehnten Jahrhunderts erregen Aufsehen, weil sie die Palette des Darstellungswerten um Milieus erweitern, die in der akademischen Tradition keinen Stellenwert haben und ihr anrüchig erscheinen. Damit einher geht die Entwicklung neuer Techniken, aber ebenso das Bewußtsein einer neuen Darstellungsverantwortung im Sinne der Repräsentation sozialen Lebens.662 Die Malerei Manets, Monets, Renoirs und anderer Impressionisten hingegen steht für einen ästhetisch radikaleren Umbruch, weil sie dem Verständnis des ,Bildes als Bild‘ Vorschub leistet. Zwar verpflichtet sie sich der konkreten dunkel des Zimmers dahinter, das die Gestalten verschluckt, interessiert hat. Die Köpfe sind nicht nach der herkömmlichen Art mit Licht und Schatten modelliert – wir brauchen sie nur mit irgendeinem früheren Bild zu vergleichen, sei es mit Leonardos ,Mona Lisa‘, Rubens’ ,Kopf eines Kindes‘ oder Gainsboroughs ,Miss Haverfield‘. So verschieden alle diese Meister auch in ihrer Malweise waren, so ging es ihnen doch immer darum, den Eindruck von greifbarer Körperlichkeit zu schaffen, und gerade das erreichten sie durch die Abstufung von Licht und Schatten. Im Vergleich mit solchen Werken wirken Manets Formen flach. Die Dame im Hintergrund hat nicht einmal eine richtige Nase.“ 661 Huston in Kamminsky 1978, S. 189. 662 Vgl. Hauser 1953, S. 817ff.

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Wahrnehmung enger und schwärmerischer als andere Bewegungen. Gleichzeitig jedoch – man kann es in Wilhelm Worringers Buch zur Abstraktion nachlesen – bahnt sie den Weg der ästhetischen Moderne, indem sie die Beziehung von Realitätswahrnehmung und Darstellung an ihre Grenze treibt: „Und zwar bis zu jenem letzten Sublimierungsgrad künstlerischer Natursprachlichkeit, den wir Impressionismus nennen und der bewußt schließlich nur noch die Fähigkeit der Wiedergabe flüchtigster Netzhauteindrücke von der Erscheinungsweise dieser Natur als künstlerisches Endziel gelten lassen zu wollen scheint.“663 Die Basis der Sublimierung ist die strikte Reduktion der Darstellungsdimension. Die Lichtsituationen und Farbmomente werden von ihren Sujets abgelöst. In der auf eine Überwindung des Impressionismus ausgerichteten Sicht Max Raphaels stellt sich dieses Vorgehen ebenso kritisch wie deutlich dar: „Eine völlige Nivellierung des Inhalts (zugleich mit einer Erweiterung des Stoffkreises) auf ein Mittleres, auf ein Unbedeutendes, Belangloses; eine Nivellierung nicht nur des Stoffs, so daß man Kohlköpfe bevorzugt und alles zum Stilleben degradiert, sondern vor allem des Gehalts – das ist der Impressionismus.“664 Nicht allein „die Dinge treten zugunsten der Atmosphäre zurück“665, die Kontexte des gesellschaftlichen Lebens werden völlig ausgeschlossen: „Es fehlt aber auch jene Mannigfaltigkeit von Beziehungen, die über das individuelle Ich in größere Zusammenhänge hinausweisen: das Religiöse und das Soziale.“666 663 664 665 666

Worringer 1976, S. 19. Raphael 1989, S. 97. Raphael 1989, S. 101. Raphael 1989, S. 99. Raphaels Kritik am Impressionismus zielt jedoch nicht etwa auf die Funktionalisierung der Kunst durch die Belange des gesellschaftlichen Feldes im Sinne einer engagierten Abbildung sozialer Verhältnisse, sondern gerade auf die Absage an jede realistische und naturalistische Tendenz. Vgl. dazu seine Bemerkung über die Schwäche des Impressionismus, am Nullpunkt der ästhetischen Moderne, bei der Auflösung des organischen Zusammenhangs im sinnlichen Eindruck stehenzubleiben (S. 107): „Die Einheit aber war nicht eine organisch-gegenständliche, sondern stofflich-zuständliche. Man hatte den Organismus des Naturkörpers als Formträger verneint und ihn in die Atmosphäre aufgelöst. Ohne aus diesem Prozeß eine neue Kunstform gewinnen zu können, hat man ihn mit der Herstellung einer neuen Dingform abgeschlossen. Diese teilt das Geschick jedes anderen Dings, daß es keinen Bestand in sich selbst hat und sich in den Raum hinein verliert.“ Spe-

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Fat City dagegen nutzt den Zeitcharakter des Films, um die Diktatur der Impressionen zu unterlaufen. Die losgelösten Lichtsituationen entzünden jene gegenüber dem klassischen Boxfilm neue Bindekraft, die an der Oberfläche bzw. den Lichtreflexen und Schatten des Milieus haftet. Aber die räumlichen Strukturen und die Beziehungsgefüge der Figuren werden lediglich für eine bestimmte Dauer nivelliert: Die Körper verflachen bisweilen zu Silhouetten oder dunklen Flecken. Dann jedoch erspielen sich die Figuren, unterstützt von der Führung der Kamera, unsere Aufmerksamkeit, um manchmal am Ende der Szene oder in der nächsten Episode wieder in ihren bloßen Umrissen und Schatten zu verschwinden. Die Kraftfelder, die sich zwischen dem (zum teil exaltierten) Schauspiel und den abstrakten Lichtmilieus aufspannen, weisen die Beziehungen der Körperinszenierung zu ihrer ästhetischen Umgebung in ihren Eigengesetzlichkeiten aus. Deshalb fällt Fat City nicht hinter den „letzten Sublimierungsgrad künstlerischer Natursprachlichkeit“ des traditionellen Impressionismus zurück, sondern überschreitet ihn in der Gestaltung einer Welt, die sich ihrer filmischen Konstruktion bewußt zeigt. Rund um den zweiten Pol läßt sich die Wendung beschreiben, die der lebensbejahende Hedonismus der impressionistischen Bewegung – vor allem durch die Körperlichkeit der Figuren – in Hustons Film erfährt. Angesichts der Fernsicht des impressionistischen Malers auf die darzustellenden Lichtsituationen, die sich in dem Abstand, in der die Gemälde gesehen werden wollen, wiederholt, attestiert Raphael dem Impressionismus eine „bürgerlich-aristokratische Ästhetendistanz“667. In Arnold Hausers Sozialgeschichte der Kunst und Literatur stößt man auf einen ähnlichen Befund:

zifiziert wird diese Kritik später (S. 109): „Nicht daß sie die Dinge, aus denen die Empfindung resultierte, als solche wieder hinsetzte, um die Empfindung zu erwecken, ohne sie zu steigern oder in ein Allgemeines zu transponieren – nicht das ist der Vorwurf, den wir gegen sie erheben, sondern daß sie mit diesem Realismus nicht zur Gestaltung kam, Naturalismus blieb.“ 667 Raphael 1989, S. 99-100: „Man zog sich – höchstens umgeben von der ,Gruppe‘ seiner Getreuen (den i-a-nern) – in den ,Elfenbeintum der Artisten‘ zurück, ohne zu fühlen, daß diese bürgerlicharistokratische Ästhetendistanz einen auffälligen Kontrast zu der völligen Stupidität der Weltauffassung bildete.“

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FAUST TRIFFT AUGE „Der Impressionismus trägt auch durchaus keinen plebejischen Charakter, der das bürgerliche Kunstpublikum befremden konnte; er ist vielmehr ein „Aristokratenstil“, ist elegant und geistreich, nervös und empfindlich, sinnlich und genießerisch, auf Kostbarkeiten und Seltenheiten erpicht, auf streng persönliche Erlebnisse ausgehend, auf Erfahrungen der Einsamkeit und Abgeschiedenheit, auf Sensationen der überfeiner668 ten Sinne und Nerven.“

Fat City treibt dagegen das Angebot an diese filigranen und anspruchsvollen Organe an die Grenzen des Wohlgeschmacks: MilieuDelikatessen für den deformierten Gaumen. Statt der koloristischen Frische, die der Impressionismus vom farbtragenden Objekt unabhängig „als abstrakte, körperlose, immaterielle Farbenphänomene“669 mit verschiedenen Techniken auf die malerische Leinwand bringt670, herrschen hier wenig Farbsättigung und dichte Rauchschleier vor: „From Toulouse-Lautrec colors of Moulin Rouge and the nineteenthcentury whaling-print effect of Moby Dick througt the medieval tapestry textures of A Walk with Love and Death, this extreme and close concern with the overall visual effect of a film has been a Huston trademark. And so it is with Fat City: the color is deliberately faded, almost like a Fifties B-Feature in some such process as Trucolor, and the interiors are shot by Conrad Hall in a bluish haze, as though through the 671 atmosphere of a smoke-filled pool-hall.“

Während des ganzen Films hat es den Anschein, als könne Dunst nicht abziehen. Wind scheint kaum vorhanden zu sein in dieser Treibhauswelt, in der sich die Ausdünstungen der heruntergekommenen Stadt ansammeln. Der Titel Fat City – eigentlich eine um-

668 Hauser 1953, S. 938. 669 Hauser 1953, S. 935. 670 Eines der wirksamsten Verfahren ist zweifellos der Pointilismus, der die Leinwand mit einem Nebeneinander von Farbpunkten überzieht, die auf der Netzhaut des Betrachters zur ungetrübten Mischfarbe verschmelzen. 671 Taylor 1972, S. 168.

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gangsprachliche Redewendung für einen handgreiflichen Erfolg672, hier in Ironie gegenüber der Verliererwelt gebraucht – drängt sich in seiner wörtlichen Bedeutung auf. Vor allem die Körper scheinen – schwitzend im schäbigen Appartement oder beim Barbesuch in Spirituosen eingelegt wie Sardinen in Öl – die Quellen der Dünste zu sein. Ihre Temperatur steigt hier nicht wie in den klassischen Boxfilmen bis auf den finalen Siedepunkt in der Arena, auch nicht beim Boxkampf. Nichts kocht hier mehr. Es handelt sich eher um eine lauwarmen Brühe aus Alkohol, sinnlos vergeudetem Schweiß, etwas geronnenem Blut und kondensierter Hoffnung. Der Impressionismus dieser Welt ist ,ranzig‘. Die Eindrücke verwelken unter dem Licht eines feuchtwarmen, endlosen Sommers. Wenn die Sonne einmal nicht für Hitze sorgt, regnet es in Strömen, so daß Ernie Mungers Auto in einem aufgeweichten Feldweg steckenbleibt. Beim Versuch, seinen Wagen zu befreien, versinkt er im schlammigen Boden. Etwas Vergleichbares zu diesem Schlamm läßt sich in der impressionistischen Malerei des neunzehnten Jahrhunderts allerhöchstens aufspüren, wenn unsere Vorstellungskraft den Schäften von Monets Seerosen bis in den Morast am Grund des Teiches folgt. Diese Art von Vorstellungskraft, die nicht auskommt ohne Assoziationen, welcher auf der Tätigkeit des Gedächtnisses beruhen, bleibt dem Impressionismus jedoch fremd. Mit der Rolle des Gedächtnisses ist der dritte Pol im Spannungsverhältnnis von Fat City und Impressionismus angesprochen. Zur impressionistischen Malerei gehört – so Richard Hamann – „die Abneigung gegen Eindrücke, die auf frühere Erfahrungen bezogen werden sollen, die nicht in sich ihren Wert haben, sondern in der Anregung, sie auf Vorstellungen gesetzmäßig zu beziehen.“673 Statt die aus der Erfahrung schöpfende Vorstellungskraft zu entfachen, lädt die impressionistische Komposition – Monets Seerosen-Gemälde sind dafür ein treffendes Exempel – dazu ein, den Rhythmus der flächigen Bildstruktur über den Rand hinaus gedanklich zu verlängern: „Die Vereinheitlichung verschmäht bisweilen (vor allem bei Monet) auch den Rhythmus nicht, aber es ist der offene, raumlose Rhythmus, die zäsurlose Bewegung in Distanzen, ein Wohllaut mehr als ein Gebilde. Optisch aber ist 672 Vgl. Kamminsky 1978, S. 190: „,Fat City‘ – slang for ,having it made‘ – is used ironically in the film about a world of bars and hangouts filled with bums.“ 673 Hamann 1923, S. 18.

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die Einheit nur eine ornamentale, ein Ausschnitt, der das Bild als organische Einheit in demselben Sinn ersetzt wie der Farbfleck die Form.“674 Raphaels Bestimmung eines wohlklingenden Ornamentalen in der impressionistischen Malerei ruft Benjamins Kritik an Bergsons Philisophie der Dauer ins Gedächtnis: „Die durée, aus der der Tod getilgt ist, hat die schlechte Unendlichkeit eines Ornaments. Sie schließt es aus, die Tradition in sie einzubringen. Sie ist der Inbegriff eines Erlebnisses, das im erborgten Kleide der Erfahrung einherstolziert.“675 Mit Bergsons Zeitkonzeption wird der Impressionismus vielfach in Verbindung gebracht.676 Beide huldigen einem Strom der Zeit, in dem kein Moment dem anderen gleicht. „Das Leben, das man anbetete, wiederholte sich nicht.“677 Während aber der Impressionismus das Gedächtnis nivelliert, interessiert sich Bergsons Philosophie dafür, wie die Zeit in der Erinnerung umgearbeitet wird. Benjamins Beanstandung unterstellt jedoch, daß die ,durée‘ lediglich Fülle behauptet, wo sie als erfahrungsleere Zeit dahinfließt, weil in ihrer Konzeption die Renitenzen des Lebens fehlen. Der Tod, den die Dauer nicht kennen will, erscheint hier als Figur des absoluten Widerstandes gegen den Versuch, sich des Lebens in der Moderne zu vergegenwärtigen.678 Diese Kritik geht auf Horkheimer zurück, der den ahistorischen Ansatz seines französischen Kollegen und in der Folge dessen mangelndes Bewußtsein darüber moniert, daß alles Denken geschichtlich bedingt ist: „Unter dem Titel La pensée et le mouvant behandelt er [Bergson, d. Verf.] nur das Verhältnis des Gedankens zur ewigen Schöpferkraft; die geschichtlichen Mächte, welche Sinn und Inhalt der Gedanken tatsächlich ,bewegen‘, fallen nicht in den Bereich der positiven Metaphysik, die um ihrer verewigenden Funktion willen auf Selbsterkenntnis ver679 zichten muß.“ 674 675 676 677 678

Raphael 1989, S. 108. Benjamin 1991, S. 643. Vgl. Raphael 1989, S. 94, Hauser 1953, S. 990. Raphael 1989, S. 107. In Deleuze’ Transformation der Bergsonschen Kategorien für den Film erlangen die Figuren des Todes dagegen große Bedeutung. Vgl. Deleuze 1991, S. 149ff, S. 267ff. 679 Horkheimer 1968, S. 184.

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Aufgrund der metaphysischen Ausrichtung hält Horkheimer das Unterfangen Bergsons, die trügerische ,Verräum-lichung‘ der Zeit, die unter dem Einfluß der Naturwissenschaften um sich greift, durch die Konzeption einer gelebten, sich ständig wandelnden Dauer zu korrigieren, für nur beschränkt erfolgreich. Da das Postulat der kontemplativen Schau des unendlichen Lebensstromes die Endlichkeit des individuellen Lebens ausspart, verlängert Bergsons Denken die ehemalige Herrschaftsfunktion der Religion: „Der Metaphysiker Bergson unterschlägt den Tod. Wie nur je ein Theologe, der den Menschen das ewige Leben verspricht, will er die Tatsache des Todes durch das Gerede von einer ewigen Realität, mit der wir uns vereinigen könnten, hinwegeskamotieren und erweist so, daß sein Werk die gleiche Funktion ausübt wie die Religion und nach und neben ihr die moderne Philosophie: die Menschen über das, was ihnen auf der Erde widerfährt, durch die Vorspiegelung ihrer eigenen Ewigkeit zu 680 trösten.“

Die Moderne ist nicht mehr ohne weiteres imstande, an den Tod als eine zu passierende Scheidelinie in das jenseitige Reich Gottes zu glauben. Die Versicherungen der religiösen Todesvorstellung sind abhanden gekommen. Bergsons Anpassung an die Moderne besteht laut Horkheimer darin, die in der säkularen Sicht auf den Tod liegende Verunsicherung zu verleugnen, indem er die Teilhabe an der Ewigkeit schon zu Lebzeiten verspricht. Horkheimer mißbilligt in marxistischer Perspektive die Verschleierung der gesellschaftlichen Notwendigkeit und Möglichkeit, im Diesseits handelnd darauf zu drängen, die Verhältnisse zu verändern. Wenn Benjamin die Bergson-Kritik aufnimmt, geht es ihm jedoch in erster Linie um die Basis diesen Handelns – um Erfahrung in ihrer modernen Struktur. Weil uns der Tod der anderen und auch die Vorstellung des eigenen Todes in einer säkularen Welt ohne religiöse Vermittlung zustoßen, sind sie Figuren absoluter Zäsur. In der Situation des unmittelbaren Betroffenseins verlangt der Tod eines anderen nach mehr oder weniger neuen Techniken der Bewältigung. Dem Denken eröffnet sich jedoch – insbesondere in der Erin680 Horkheimer 1968, S. 188.

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nerung – die Chance, dieser Techniken der Bewältigung oder ihres Versagens im Verhältnis zur Tradition inne zu werden. Das Verhältnis zur Tradition steht vor allem deshalb zur Disposition, weil die religiösen Riten der Beerdigung beim schmerzhaftesten aller Übergangsphänomene noch gute Konjunktur verzeichnen. Aber dabei geht das Wissen um die Endlichkeit des Menschen nunmehr zwangsläufig einher mit der Einsicht in die Geschichtlichkeit und damit die Vorläufigkeit der Bewältigungstechniken, der Techniken des Lebens überhaupt. Foucault hat diesen Erkenntniszusammenhang als die spezifisch moderne Fähigkeit zur Analytik der Endlichkeit gefaßt.681 Mit Benjamin läßt sich insbesondere der Zeitcharakter der Todeszäsur gegenüber der Bergsonschen Dauer hervorheben. Das Leben ist nicht unendliches, gegenüber den existentiellen wie historischen Lebensfragen gleichgültiges Ornament, sondern eine Zeit, die gewaltigen Widerständen und Einschnitten ausgesetzt ist. Die Erfahrung des Todes der anderen zerteilt die eigene Dauer, bricht sie auf und hinterläßt Wunden, die niemals gänzlich heilen. Das Denken sieht sich anhand des vergehenden Körpers und des Todes mit einem Undenkbaren konfrontiert. An diesem Undenkbaren kann sich das Denken jedoch erneuern und potenzieren, wenn es die Figur des Todes und der alternden Physis als unüberwindbare Grenze in sein Innerstes stellt.682 Ist der Tod in der impressionistischen Malerei noch insofern von Bedeutung, als das Bild einen Moment aus dem Strom der Zeit gleichsam mortifizierend stillstellt683, befindet sich das filmische Medium in größerer Versuchung, dem Rausch eines einzigen großen Fließens der Eindrücke zu verfallen. Walter Ruttmans Berlin – 681 Vgl. Foucault 1974, S. 377ff, vgl. auch S. 384: „Die moderne Kultur kann den Menschen denken, weil sie das Endliche von ihm selbst ausgehend denkt.“ 682 Thomas Machos Todesmetaphern (1987) erheben das Kreisen und Durchqueren der Paradoxie, die ein Denken des Todes in sich trägt, zur Methode. 683 Vgl. Raphael 1989, S. 102: „Aber welcher Art ist diese Zeit? Sie ist der absolute Fluß, wie wir ihn wahrnehmen, wenn wir uns dem reinen Geschehen hingeben; die absolute Zeit; die Zeit als Ablauf. Aber dieser Verlauf wurde durch die Vereinzelung des Sehakts (Empfindungsakts) fixiert, stillgelegt. Während das Kosmische vibriert, die Bewegung abläuft, ist der Moment fix, das Bewegungsmotiv leblos und tot.“

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Sinfonie einer Großstadt stößt in den Schriften Kracauers auf diese Kritik. Was von der selbstgenügsamen Verschmelzung rein formaler und äußerlicher Bildbeziehungen mit dem in der Montage potenzierten Tempo der Großstadt bleibt, ist für Kracauer „ein Netz ornamentaler Beziehungen [...], die dazu tendieren, die Stelle der Objekte einzunehmen, von denen sie abgeleitet sind.“684 Der Gegenwartsrauch des ununterbrochenen Bildflusses behauptet Fülle, wo nur leere erfahrungsarme Zeit widerstandslos vorbeistreicht. Fat City gehört im Gegensatz dazu den weiten Regionen eines Kinos an, dessen Welten dem Tode verfallen sind. Aber die große Besonderheit der Milieuinszenierung liegt nicht so sehr im Bewußtsein der Sterblichkeit und des Alterns der Boxerphysis, wie sie begründet in der Todesgefahr und im Verschleiß des Kampfes den Boxfilm im allgemeinen ausmachen. Zwar erscheint die Todesverfallenheit der vergehenden Körper hier reflexiv intensiviert, wovon später noch zu sprechen sein wird. Das Charakteristikum der Milieudarstellung besteht jedoch eher darin, daß sich der Tod in den Milieus in einer Weise aufgehoben zeigt, die nicht wie in Golden Boy auf den abwesenden Leichnam einer Figur umgelegt werden kann. Es handelt sich vielmehr um eine beunruhigende allgegenwärtige Verfallspräsenz. Die ganze Filmwelt ist im Niedergang begriffen: „[...] gaps between buildings like missing teeth [...]“685, Schmutz in den Ecken der Wohnräume, ausgeblichenes Kolorit. Auch in Requiem for a Heavyweight lauert der Tod im Dekor, im luftdichten Einschluß des diamantharten Quarzkristalls. Fat City zeigt das morbide Schwinden einer bröckelnden und aufweichenden Lichtwelt. Beide Filme zeugen von der Präsenz einer unfaßbaren Erschütterung, die jedem Ornamentalen schon im Ansatz unversöhnliche Brüche einschreibt. In der virtuellen Abgründigkeit dieser Brüche verlieren sich Gedächtnis und Vorstellungskraft, ohne den Bildrhythmus in einfacher Fortsetzung des Sichtbaren verlängern zu können.

684 Kracauer 1985, S. 276-277, Vgl. auch S. 101. 685 Huston 1980, S. 339. Hammen (1985, S. 123) berichtet vom Abriß des Viertels nach den Dreharbeiten.

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3. Wünschbarkeiten: Kämpferglauben und Wahlfreiheit Fragen des Glaubens: Enigma Raging Bull Die Einsicht in die Unmöglichkeit, sich mit Jake La Motta zu identifizieren, bildet den roten Faden in den Besprechungen von Raging Bull.686 Einen metaphysischen Einschlag hinterläßt das stumpfe Rätsel der Boxerfigur bei Stanley Kauffmann: „Finally Raging Bull is ,about‘ what we see and hear, elevating its rather familiar materials through conviction and the gush of life. After sociopsychological explanations have limped on, the film, like some (though not most) good art works, is finally ,about‘ the fact that it incontrovertibly exists and, by existing, moves us.“687 Die Filmwirkung in einen Kunstfetisch zu verwandeln, dessen ontologische Wahrheit zum Gegenstand der Verehrung avanciert, bleibt unbefriedigend. Kauffmanns Emphase existentieller Erfahrung will dort das letzte setzende Wort sein, wo doch die Konstruktion des Enigmas zur Produktion von Gedanken herausfordert. Wood nimmt sich dieser Herausforderung an, indem er Freuds Theorie des Homosexualitätsverbots benutzt, um die unterschwellige Funktion des Verbotenen in der paranoiden Figurenpsyche zu erhellen. Dieser Operation sind zwei Argumente entgegenzuhalten. Zunächst enthält Raging Bull keinen versteckten Homosexual Subtext688. Ganz im Gegenteil nehmen die homophoben und homosexuellen Töne einen hyperbolischen Charakter an, vorzugsweise in den Passagen, die mit phallischen Analogien, etwa zwischen Faust und männlichem Geschlechtsteil, überfrachtet sind. Darüber hinaus leidet Woods Text darunter, die theoretischen Konstellationen allzu schematisch in der filmischen Inszenierung wiederzuerkennen. Er 686 Vgl. stellvertretend Dickstein 1994, S. 81: „Jake is opaque and boorisch but we’re locked in – he’s all we have. He gives and takes a mountain of abuse, and we cringe each time he does some awful, stupid thing that will only make matters worse.“ Kolker 2000, S. 211: „We are not given reasons for Jake La Motta’s behavior; rather we see it and hear it.“ 687 Kauffmann 1994, S. 51. 688 So lautet Woods (1983) Aufsatztitel.

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identifiziert die Freudschen Verbotsformeln auf der Ebene der Filmandlung, so daß vier Varianten von Verdrängung und entsprechender Verhaltensformung erscheinen: Das Boxen ist ein Milieu, das stark von homosexuellen Energien bestimmt ist, sie aber in Aggression umwertet. („Ich liebe ihn nicht – ich hasse ihn ja.“) Daraus geht einerseits eine hypermaskuline Selbstdarstellung gegenüber Frauen hervor („Ich liebe nicht ihn – ich liebe ja sie.“) und andererseits männlicher Größenwahn („Ich liebe überhaupt nichts und niemand.“, „Ich liebe nur mich.“). Viertens und – so Wood – wesentlich für Raging Bull fußt auch La Mottas paranoide Eifersucht auf unterdrückter Homosexualität. („Nicht ich liebe den Mann – sie liebt ihn ja.“)689 Diese Interpretation bietet zwar eine handliche Erklärung für das Verhalten der Figur an, sie wird jedoch den mythologisch-filmhistorischen Bezügen der Boxerfigur (etwa dem Eifersuchtsmotiv oder der Aggression im Verhältnis zur Konkurrenz mit den Gangstern) nicht gerecht. Noch schwerer wiegt, daß sie gegenüber der Ästhetik von Raging Bull völlig indifferent und auch überwiegend schweigsam bleibt. Auch hier ist der Vergleich mit der literarischen Vorlage geeignet, um die Bedingungen dieser Ästhetik ex negativo zu bestimmen. Sowohl La Mottas Autobiographie als auch Scorseses Film strukturieren sich über eine Serie von Gewaltereignissen zweier sich mischender und bedingender Formen: ausgeübte und erlittene Gewalt. Schon das Buch bezieht seine Attraktion aus der Tatsache, daß der Ich-Erzähler seine Taten nicht ständig rechtfertigt oder erklärt. Dennoch bietet es eine recht klare Deutung der außergewöhnlichen Vita an. Wichtiger als die Bekenntnisse von Omnipotenzgefühlen690 ist dabei die gegen Ende des Buches rekapitulierende Selbstinterpretation der diffusen Angst, die den Gewaltmenschen La Motta antreibt: „Most of all, I’d been afraid of God, fate, life – something – getting me all my life, and it finally had. I had never really believed in God – at least, I told myself I didn’t – I laughed at guys who went to church. I was too smart, too hip for religion. I would never admit to myself that I had any regard or fear of God. I had to think that way. First, because of 689 Freud 1973, S. 186-188 (alle Hervorh. d. Freud), vgl. Wood 1983, S. 62-64. 690 La Motta 1997, S. 4: „An icepick in my hand – and I was boss!“, S. 22: „With a gun, you’re the man.“

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FAUST TRIFFT AUGE all the rotten, terrible things I had done in my life; second, because how the hell is a guy supposed to get along with a God who tells you that harming another human is a cardinal sin, when all the time you’re thinking of dozens of ways of hurting, punishing, cutting up some guy to make a living. But let’s face it, my mother, like most Italian mothers, had drummed into me so hard and so often the fear of sin and the law of retribution when I was a kid that it became one of my biggest fears. I don’t care how tough a guy is, if you’re brought up by a parent who is always on her knees, praying for forgiveness for having had some silly thought, or for being forced to do some stupid little thing for the sake of the family that she thought was wrong, it gets you, and it sticks with you forever. You know you’re going to get it – sooner or later. And I’d been 691 looking for it all my life.“

Der familiäre und berufliche Niedergang, aber auch die Unnachgiebigkeit, die La Motta gegen sich selbst obwalten läßt692, und die immensen Erschütterungen – ,the punishment‘, wie Boxer es nennen, –, denen er sich im Ring aussetzt – all diese Schläge erscheinen im Spiegel seiner Selbstinterpretation schließlich als Manifestationen eines moralischen Masochismus christlicher Prägung. Die Boxerfigur bewegt sich in einem Zirkel von handgreiflicher Sünde und Buße, der sich am Ende im erlösenden Erkenntnisakt aufhebt: „Well, I’d gotten it all right. I figured He had his revenge. I felt paid up completely to man and God, and I had stopped being afraid.“ 693 Die wohl wichtigste dramaturgische Entscheidungen Scorseses sowie Robert De Niros und Paul Schraders als den Koautoren des Drehbuchs besteht darin, den moralischen Masochismus und die christlichen Motive der Buchvorlage nicht zu einer augenfälligen Innenansicht der Figur zu verbauen. Die Jugend La Mottas bildet nicht den Anfang eines alles in allem glücklichen Wandlungsdramas wie in Somebody up there likes me, sondern wird völlig ausgeblendet. Die gewandelte Haltung des Protagonisten am Ende bleibt dem rituell-imaginären Blick undurchsichtig. Scorseses besondere Stellung im New Hollywood definiert sich darüber, die populären Mythen (Phantasien individueller Gewalt und Erlösung, Erfolgs- und 691 La Motta 1997, S. 208. 692 Vgl. La Motta 1997, S. 178-179. 693 La Motta 1997, S. 208.

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Aufstiegsträume, Imagos von Gangstern, Prostituierten und Boxern) über ihre mehr oder weniger verborgenen christlichen Wurzelbestände hinaus mit sakralen, in der Regel katholizistischen, Kodes in eine ebenso offene wie reflektierte Konfrontation zu führen. Und die besondere Stellung seines Boxfilms innerhalb dieses Werks liegt darin begründet, diese Konfrontation mit einer ironischen Kälte zu versehen, die selbst die seelischen und physischen Extremzustände des mythischen Boxerlebens zu ästhetischen Figurationen vereist. Wenn es also in Raging Bull um die Mutationen populärmythologischer und christlicher Glaubensenergien geht, dann in einer profanen ästhetischen Wendung. Was aber sind die religiösen bzw. religionsphilosophischen Markierungslinien und Bezugsfelder von Scorseses Ästhetik? Kasuistik, Apokalytik, Passion bei Scorsese In der Besprechung von Raging Bull ist es üblich, wie Steven G. Kellman bemerkt, eine sich bald widersprechende, bald ergänzende Zweiheit aus dem Regisseur mit katholischem Hintergrund und dem calvinistisch geprägten Drehbuchautor zu konstruieren.694 Tatsächlich stellt es ein Leichtes dar, die verschiedenen Elemente der Boxinszenierung den beiden Seiten zuzuordnen. Der faire Wettbewerb, die harte, ehrliche Boxerarbeit und die Anklage gegen die Gewalt, die die Kehrseite der Gewaltfaszination bildet, entsprechen dann dem puritanischen Weltbild. Die Begeisterung für rituell strukturierte Sinnesfreuden und vor allem die liturgische Verhandlung von Sünde, Schuld und Vergebung erinnern an den Katholizismus. Dennoch – auch dieser Gesichtspunkt entgeht kaum einem Interpreten – verhält es sich schon allein deshalb komplizierter, weil der evangelische Schrader selbst einen katholischen Einfluß über seine Beschäftigung mit Robert Bresson in die Filmarbeit einbringt. Er gilt als Bewunderer des französischen Kollegen, und seine Analyse des Transcendental Style in den Filmen Ozus, Bressons und Dreyers weist ihn darüber hinaus als intimen Kenner seines Werkes aus.695 Dieses Werk ist bekanntlich stark vom Jansenismus beeinflußt, Bressons sprachlichen Zeugnisse zeigen sich von Bezügen auf 694 Vgl. Kellman 1994, S. 6. 695 Vgl. Schrader 1972.

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die Philosophie Pascals – des berühmtesten aller Jansenisten – durchzogen. Der evangelische Hintergrund Schraders bleibt aber insofern dominant als die katholische Bewegung des Jansesnismus der Reformation recht nahe steht. Die Jansenisten im Frankreich des siebszehnten Jahrunderts zeigen sich mit ihrer Frömmigkeit, Weltflucht und apodiktischen Sittenstrenge den Puritanern bzw. Calvinisten verwandt. Ihre geistige Produktion, deren Zentrum (bis zu seiner Auflösung durch den feindlich gesinnten französischen Staat im Jahre 1709) das Kloster von Port Royal bildet, situiert sich darüber hinaus von Beginn an in Opposition zu einigen innerkatholischen Strömungen, insbesondere zur Gesellschaft Jesu. Zuvorderst in der Auslegung der christlichen Gnadenlehre differieren die jansenistische und die jesuitische Lehre stark. In seiner bemerkenswerten Interpretation von Scorseses christlicher Inspiration schließt Peter W. Jansen696 den vermeintlichen Kreis, indem er von Mean Streets bis The Color of Money jesuitische Obertöne veranschlagt.697 Jansen stützt sich auf die erwähnte Differenz der jesuitischen und der jansenistischen Gnadenlehre, um den Hiatus zwischen Scorseses und Bressons Filmästhetik aufzuzeigen. Der Titel seines Essays – Schwarze Engel – benennt bereits jenen zentralen Figurentypus in Scorseses Filmen, der wesentlich durch eine jesuitisch inspririerte Zwangsverschränkung von Sünde und Gnade geprägt ist: „Das ist das göttliche Schicksal der schwarzen Engel, deren schwärzeste Verbrechen nur dazu angetan sind, den unversieglichen Quell der Gnade zu illuminieren, ihr Licht umso heller strahlen zu lassen. Die Gnade ist so unausweichlich wie die Sünde, göttliche Vergebung so zwangsläufig wie die Gewalt; das erste resultiert jeweils aus dem zweiten, und das zweite muß sein um des ersten Willen.“698 Die jansenistische Gnadenlehre, die Bressons Werk so stark beeinflußt hat, sieht dagegen gerade keine Zwangsläufigkeit von Gottes Gnade vor. Nach ihr ist nicht jeder Mensch begnadet. Die 696 Die Namensgleichheit zum Namenspaten des Jansenismus – dem niederländischen Theologen und Bischof Cornelius Jansen – dürfte dem Zufall geschuldet sein. 697 Vgl. Jansen 1986. 698 Jansen (1986, S. 37) verweist auch noch auf die Literatur François Mauriacs, dessen Roman Les anges noirs die Bezeichnung der Schwarzen Engel entlehnt ist.

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Erbsündenlehre fällt hier schwer ins Gewicht. Daher muß der Mensch von Gott erneut mit der ,Reinheit der Seele‘ bedacht werden. Aus sich selbst heraus, ist er nicht zum Guten fähig. Und Gottes Gnade – so Wilhelm Schmidt-Biggemann in seiner Schrift zur Philosophie Pascals – kann weder das Sakrament der Beichte noch eine andere irdische Handlung garantieren: „Die Vorstellung, mit Sicherheit begnadet zu sein, galt selbst schon als sündhaft.“699 Darin liegt auch der Unterschied zu den Puritanern, die ihren weltlichen Erfolg als Beleg der Gnade ansehen und die glauben, mit einem sittlichen Leben auf die Erlösung hinarbeiten zu können. Die Jansenisten streben hingegen eine reine, selbstlose Liebe zu Gott an. Aber Gott bleibt ihnen dennoch wesentlich verborgen. Es ist ein Deus absconditus. Die Schicksale der Bressonschen Protagonisten sind nach dieser Auffassung konstruiert. Obgleich der tiefen Begegnung mit Versuchung oder Sünde, trotz Demut und schwerster Buße bleibt der Beweis von Gottes Gnade aus oder in kryptischen Anspielungen verschlüsselt.700 Die jesuitische Gnadenlehre ist ,optimistischer‘. Trotz der Erbsünde ist die Gnade Gottes mit jedem von uns. Durch diese Gnade besitzt der Mensch einen freien Willen, sich für das Gute oder Böse zu entscheiden. Allein in dem, was gut oder böse ist, will der Jesuit den Menschen anleiten. Das ist das große pädagogische Projekt der Gesellschaft Jesu. Alles andere als weltflüchtig trägt man die jesuitische Lehre noch in die entlegensten Gebiete der Erde. Statt geschlossener Klöster baut man öffentliche Schulen. Innerhalb dieser Pädagogik und ihres Verhaltenskodexes zählen – darin zeigt sich eine Verwandtschaft zu den Mafiahierarchien des amerikanischen Kinos – in erster Linie Respekt und Gehorsam. Die jesuitische Morallehre „geht vom Sakrament der Beichte aus und betrachtet die kirchlichen Gebote wie juristische Vorschriften. Diese müssen befolgt werden, für die Folgsamkeit ist Liebe zum Gesetz oder zu seinem Urheber nicht unbedingt erforderlich (,Laxismus‘). Im Zweifelsfall soll der Beichtvater nach dem, was ihm kirchenrechtlich belegbar erscheint, zugunsten des

699 Schmidt-Biggemann 1999, S. 24-25. 700 Vgl. Buchka 1978, S. 15ff.

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FAUST TRIFFT AUGE Sünders entscheiden (,Prohabilismus‘), für diese Zweifelsfälle gibt es 701 Handbücher mit exemplarischen Fallösungen (,Kasuistik‘).“

Die „formal-juristische“ Einstellung zur Moral gibt den Jesuiten Raum, sich an die weltlichen Gegebenheiten anzupassen und realpolitisch zu verhandeln. Aber sie ist auch die Grundlage für jene geschickten Fallauslegungen und Winkelzüge, die der Jansenist Pascal in seinen Lettres Provinciales mit großartiger Ironie anzugreifen weiß.702 Der Scorsese-Interpret Jansen faßt das gesamte jesuitische Moralprinzip unter dem letzten der drei von Schmidt-Biggemann aufgeführten Begriffe zusammen: Das ,Kasuistische‘ erkennt er als die Grundierung eines für Scorseses Filme typischen Charakters: der „Opportunist“ 703 und „Kompromißler“704. Man kann Joey La Motta, den Bruder des Boxers in Raging Bull, zu dieser Gruppe zählen. Anders als der sture Jake, der die Gangster haßt, die ihn ausnutzen und brechen wollen, ist er ständig auf Vermittlung bedacht: ein Politiker in eigener familiärer Sache, ohne Engagement in rigorosen Unterscheidungen auf den Feldern von Moral oder Ehre. Sein Realitätssinn, der die Demütigungen durch die Mafiosis gemeinhin akzeptiert, gerät nur einmal außer Kontrolle, als er einen Gangster unteren Rangs zusammenschlägt, weil dieser die Frau seines Bruders begehrt. Der Prototyp der Diplomatie in eigener Sache ist nach Jansen der von Harvey Keitel verkörperte Junggangster aus Mean Streets: „Deshalb hat Charlie nicht das Format zum bedingungslosen oder autistischen Sünder. Vor Gott und um des eigenen Seelenheils willen verlegt er sich aufs Verhandeln, was das typische Geschäft des allzeit bußfertigen Sünders selbst im Augenblick der Sünde ist, und der Schmerz ist ihm nur einen Finger wert, nicht die ganze Hand, die Faust, die Travis [Taxi Driver, d. Verf.] über die Flamme hält, um sie zu stählen, oder die Jake La Motta (Raging Bull) in den Eiskübel stößt, um sie zu här705 Die zwischen Hand und Feuer ausgemachte Differenz der Figuten.“ 701 702 703 704 705

Schmidt-Biggemann 1999, S. 60-61. Vgl. Pascal 1990. Jansen 1986, S. 33. Jansen 1986, S. 33. Jansen 1986, S. 34-35.

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DRITTE ACHSE: REFLEXION ERSCHÜTTERTEN DASEINS rentypen entspricht einer entscheidenden Transformation im Werk Scorseses: „Von Mean Streets zu Taxi Driver: das ist der Weg vom zö706 gerlichen jesuitischen Politiker zum kasuistischen Täter [...].“

Der pragmatische Charlie aus Mean Streets verläßt sich noch ganz auf den, wie er es nennt „Trick vom Priester“, der darin besteht, die Buße als Kunstgriff zu praktizieren.707 Gut angewendet, verbürgt die Buße das Seelenheil zuverlässiger als jeder Ablaßhandel. Die Vergebung wird zur prohabilistischen Garantieleistung, wenn beim Sünder die Bereitschaft besteht, ein wenig von seinem Körper herzugeben. Charlie muß seinen Tribut für diese nachlässige Haltung entrichten. Zusammen mit seinen Freunden – den ,unschuldigen‘ Sündern Johnny Boy (Robert de Niro) und Teresa (Amy Robinson) – gerät er am Ende in den Kugelhagel der feindlichen Mafiosos. Nur er, so scheint es, überlebt den Angriff. Aber man hat den Eindruck, daß die Kugeln für ihn eine göttliche Strafe sind, während seine lebensuntüchtigen Freunde von ihrem Dasein ,erlöst‘ werden. Bei Scorsese ist der Segen Gottes erst mit denen, deren Sünden extreme Buße nach sich ziehen. Da die Sünde, „katholisch gewendet, eine Auszeichnung ist“708, kommt der pragmatische Charlie kaum in ihren Genuß. Er ist kein unbedarfter Frevler wie seine Freunde und auch kein konsequenter Gewalttäter wie Travis Bickle in Taxi Driver. Aber noch in dessen Konsequenz erhält sich nach Jansen das kasuistische Prinzip. Denn, so hat man sich die Begründung seiner Idee einer Transformation in Scorseses Werk und seiner Vokabel des „kasuistischen Täter[s]“ zu erschließen: Auch der irrsinnige Tatmensch Travis Bickle agiert aus der Sicherheit eines Glaubens heraus, der sich auf Präzedenzfälle stützt. Die Splitter dieser Vorbilder aus dem Glaubensfeld der ,regeneration through violence‘ setzt Travis vor dem Spiegel am eigenen Körpers zusammen: den Irokesenschnitt, die Vietnamjacke, die Waffenbeherrschung. Seine Haltung bringt dem jesuitischen Moment in der Begegnung mit den Gewaltmythen des amerikanischen Populäruniversums eine obssesive Verzerrung bei. Das jesuitische ,Contemplativus in actione‘, was so viel bedeutet, wie nicht allein im Gebet, sondern in al706 Jansen 1986. S. 42. 707 Vgl. Jansen 1986, S. 34. 708 Jansen 1986, S. 32.

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lem, auch den weltlichen Taten, mit Gott verbunden zu sein, erscheint hier in seiner gräßlichen Karikatur. Es ist nicht der christliche Gott der Vergebung, sondern ein archaischer Gott der Vergeltung, dem in der nach außen gerichteten Aggression gehuldigt wird. Und das Spektakel löscht das Kontemplative zugunsten der Gewaltaktion aus. Merkwürdig ist, daß Jansens Aufmarsch der Glaubensrichtungen nicht diejenige religiöse Strömung benennt, die dem spektakulären Kern der ,regeneration through violence‘ am nächsten steht. Die Endzeitmotive in Taxi Driver entgehen ihm nicht – neben dem Manichäismus vor allem das flüssige Element709. Aber explizit thematisiert Jansen die Apokalypse nicht. Dabei haben nur wenige Filme so deutlich wie Taxi Driver gezeigt, wie der amerikanische Mythos individueller Gewalt die Logik der Apokalypse umformt. Die Idee einer Offenbarung hat auf der Figurenebene nicht nur jede spiritualistische Komponente verloren. Auch ihre gewaltsame Seite entbehrt der konsequenten göttlichen Dimensionierung. Das Ende der Welt wird nicht mehr als göttliche Verfügung erwartet, sondern eigenhändig herbeigeführt. Auch stehen nicht alle Menschen vor Gottes Gericht. Vielmehr übernimmt es der Protagonist von Taxi Driver selbst, den Schuldigen zu bestimmen, ihn zu richten und das Urteil zu vollstrecken. Seinem Selbstverständis nach ist er der göttliche Racheengel. Uns erscheint er als der selbstgerechte Agent einer Vergeltung, die er personaliter verfügt hat. Als apokalyptischer Kleinbürger handelt Travis Bickle wie jeder Fanatiker: guten Gewissens – ohne Tricks. All das geschieht jedoch im Unterschied zum apokalytischen Weltende nur im kleinen. Nichts ist diesbezüglich aufschlußreicher als die private Anrichtung der Endzeit im eigenen Stadtviertel und die Rettung der einzigen Seele der Kinderprostituierten. Zwar liefern die Medien der privaten Säuberungsaktion die breite Öffentlichkeit nach und bestätigen damit deren Stellvertreterfunktion. Aber das Weltende verliert den absoluten Charakter des letzten Gerichts. Es ist nur vorläufig – eine Reinigung unter vielen.

709 Vgl. Jansen 1986, S. 33: „der sintflutartige Regen“, S. 42: „die Flut, die hinwegnimmt die Sünden der Welt“, S. 50: „die Blutfontänen“.

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Taxi Driver gilt gemeinhin als der Film Scorseses, in dem Schrader die Bresson’schen Weltsicht am stärksten eingebracht hat.710 Aber die beschriebenen Umformungen des Apokalyptischen anhand der Figur des Travis Bickle betonen eher die Differenz zum Jansenisten Bresson. Wo Scorsese auf das spektakuläre Ende fixiert ist, herrscht bei seinem französischen Kollegen eine Manie des bescheidenen Anfangs vor: ein permanentes Beginnen. Die Rückschläge und die zunehmende Isolation, die der Pfarrer in Le Journal d’un curé de Campagne (1950) erfährt, führen über den Zweifel zum erneuten Versuch zu glauben, um in immer tiefere Verzweiflung zu münden. Dennoch stirbt die Glaubensenergie nicht ab. Seine letzten Worte, die Gnade in allem behaupten, sind ein Glaubensbekenntnis, aber eines des spirituellen Schwerarbeiters gegenüber dem verborgenen Gott: „Die Rettung des Pfarrers ist keine höhere, sondern seine eigene; er hat nicht mit Verhärtung und Bitterkeit die Verbitterung der anderen beantwortet. Materialistisch ist Bresson darin, daß er auf dem Leiden insistiert.“711 Augenscheinlicher noch sind Differenzen in Dramaturgie und Bildästhetik. Le Journal d’un curé de Campagne faßt die alltäglichen Situationen und Gesten, in eine streng komponierte und gleichförmige Wiederholungsstruktur, die sich weitgehend gleichgültig gegenüber jeder Form von Spannungskurve verhält.712 Taxi Driver hingegen kündigt nicht nur seinen Höhepunkt über die wiederkehrenden Endzeitmotive atmosphärisch an, sondern bedient sich auch der traditionellen Strategie, die Veränderung der Hauptfigur mit der Zeit zuzuspitzen. Die Körperspektakel und opulenten Bilder Scorseses scheinen unvereinbar mit dem sprirituellen Purismus Bressons. Dem für Bresson typischen Verharren der Zeit – Schrader spricht von „stasis“713 – steht in Taxi Driver eine Figur gegenüber, die den Höhepunkt einer klassischen Handlungsdramaturgie im eigenen Leben nachspielt. Die Protagonisten Bressons folgen demütig dem Vorbild des christlichen Erlösers, so daß ihr Weg immer ein Passionsweg ist. Travis Bickle geht jede Form von Demut ab.

710 Vgl. Kolker 2000, S. 218ff. 711 Schädler, 1978, S. 112. 712 Vgl. Bazin 1998, S. 33, Schrader 1972, S. 61ff, Schädler 1978, S. 108. 713 Vgl. Schrader 1972, S. 82ff.

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Die größte Differenz besteht im unterschiedlichen Umgang mit der Sicherheit des Glaubens: Hier Travis, der Erwählte in absoluter Gewißheit, dort die Protagonisten Bressons, die sich in jedem Moment ihrer Passion mit dem Zweifel konfrontiert sehen. Bei Bresson ist die zentrale Kategorie nicht die sichere Erleuchtung, sondern die spirituelle Wahl: eine Form von Entscheidung bzw. Entscheidungsfähigkeit, die stets an die Grenzen des Denkens führt. Es ist diese Problematik der spirituellen Wahl, die auch im Zentrum der Glaubensfragen des modernen Boxfilms – insbesondere in Raging Bull – steht. Insofern kann man sagen daß Raging Bull diejenige Produktion Scorseses darstellt, die Bresson am nächsten steht.714 Aber noch ein knappes Jahrzehnt vor der Spielfilmbiographie La Mottas fokussiert Hustons Fat City die Wahlfreiheit der Boxerfigur. Wahl der letzten Freiheit: Hustons Kämpferherzen Der vielleicht verblüffenste Gedanke des jansenistischen Philosophen Pascal ist die Wette auf die Existenz Gottes, deren Einsatz das irdische Leben bildet. „Wer darauf setzt, daß Gott ist, gewinnt alles. Denn wenn Gott existiert, hat sich der Einsatz des Spielers, sich nach Gott zu richten, gelohnt; existiert Gott nicht, so ist nichts verloren, denn das tugendhafte Leben ist sein eigener Lohn.“715 In dieser Lesart der Wette durch Schmidt-Biggemann rangieren die utilitaristischen Berechnungen der Risikovermeidung vor der Kraft des Glaubens zu.716 Die Eigentümlichkeit, Glauben und Wetten miteinander zu konfrontieren, mag es nahelegen, in der Pascalschen Wette einen Taschenspielertrick zu sehen. Ihrer religiösen und philosophischen Tragweite kommt man jedoch erst auf die Spur, wenn man den Glauben an die erste Stelle rückt und die Figur des Deus absconditus berücksichtigt. Wo demjenigen, der erfolgreich auf einen 714 Combs (1981, S. 131) bemerkt diese Verwandtschaft: „The spirit is only evident in its absence, in Scorsese’s rigorously realistic black and white images, which refuse to pollute the concrete with the spiritual (or vice versa). Despite Taxi Driver’s pretensions to the title, Raging Bull may be his most Bressonian film.“ 715 Schmidt-Biggemann 1999, S. 97. 716 Schmidt-Biggemann (1999, S. 98) betont an der Pascalschen Wette das philosophische Manöver vor dem theologischen.

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Boxkampf wettet, sein Profit ausgezahlt wird, gibt es bei der Pascalschen Wette keine Gewinnmünze, die schon zu Lebzeiten den Einlaß in das Reich Gottes garantiert. Als Trick verstanden läuft das Fazit des Wettgedankens darauf hinaus, keine Wahl zu haben: Man muß den Trick anwenden, um auf die sichere Seite zu gelangen. Steht jedoch der unsichere Glauben an den verborgenen Gott im Vordergrund, handelt die Wette von der Problematik einer Wahl, die sich – so erläutert es Deleuze in den Kinobüchern – in jedem Moment des Lebens wiederholt: „Von Pascal bis Kierkegaard entwickelt sich eine sehr interessante Vorstellung: Die Alternative betrifft nicht die zu wählenden Glieder, sondern bezieht sich auf die Existenzweisen dessen, der wählt. Denn es gibt Entscheidungen, die man nur unter der Bedingung treffen kann, daß man überzeugt ist, keine Wahl zu haben: sei es im Namen einer moralischen Notwendigkeit (das Gute, die Pflicht), sei es im Namen einer sachlichen Notwendigkeit (ein Zustand, eine Situation) oder im Namen einer psychologischen Notwendigkeit (das Verlangen nach etwas). Die spirituelle Entscheidung wird zwischen der Existenzweise dessen, der – ohne es zu wissen – wählt, und der Existenzweise dessen getroffen, der weiß, daß er wählen muß. Es handelt sich gleichsam um die Wahl zwischen Wählen und Nicht-Wählen. Wenn ich mir der Wahl bewußt werde, gibt es also bereits Entscheidungen, die ich nicht mehr treffen kann, und Existenzweisen, die ich nicht mehr führen kann, nämlich all die, die ich nur in dem Bewußtsein führte, daß ich ,keine Wahl hatte‘. Nichts anderes besagt die Pascalsche Wette: das Alternieren der Glieder ist eben eine Bejahung der Existenz Gottes, ihr Leugnen und ihr Aufschub (Zweifel, Ungewißheit); aber die geistige Entscheidung liegt anderswo, nämlich zwischen der Existenzweise dessen, der ,wettet‘, daß Gott existiert, und der Existenzweise dessen, der auf die NichtExistenz Gottes setzt oder nicht wetten will. Pascal zufolge ist sich nur der erste bewußt, daß es darum geht zu wählen; die beiden anderen können ihre Wahl nur unter der Bedingung treffen, nicht zu wissen, 717 worum es geht.“

Unter dem Gesichtspunkt der Wahl untersucht Deleuze ein Kino der Existenzweisen. Wer wählt und wer heuchelt zu wählen oder keine Wahl zu haben? Die Existenzweisen der heuchlerischen Wahl las717 Deleuze 1990, S. 158-159.

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sen sich auch in Fat City und Raging Bull mit Leichtigkeit ausmachen. Das sind diejenigen die zu schwach für den Glauben und seine Haltung zur Wahl sind (Boxer Tully). Andere reden sich den Glauben (Trainer Ruben Luna oder Buffon, der junge schwarze Boxer, dessen Sprachduktus an Muhammad Ali erinnert718). Und Scorseses kasuistische Politiker befinden sich im Glauben, keine Wahl gegenüber den Realitäten zu haben und arrangieren sich wie Joey La Motta mit den Gegebenheiten. Die Mächte, nach der sich diese pragmatischen Unterhändler richten, repräsentieren die extremste Sektion der ,falschen‘ Wahl: Figuren, die das Böse gewählt haben. Das sind die Mafiosis, die nur frei sind in ihrer ersten Entscheidung, in das organisierte Verbrechen einzutreten, dann aber die Freiheit verlieren. Sie haben eine Existenzweise in gnadenloser Hierarchie und entgrenzter Gewalt gewählt, die ihnen keine Wahl mehr läßt.719 Diesen Existenzweisen steht die ,wahre‘ Wahl gegenüber, die Glauben und spirituelle Entscheidung bedeutet: „Diese Wahl definiert sich nicht durch das, was einer wählt, sondern durch die Kraft, die er besitzt, in jedem Moment wieder anzufangen, mit sich wieder anzufangen und sich auf diese Weise durch sich zu bestätigen, wobei jedesmal alles, was auf dem Spiel steht, wieder gesetzt wird.“720 Hier ist die Manie des Beginnens am Werk: nicht das besiegelnde Opfer der ,überkommenen‘ Menschen für den ,neuen‘ Menschen, der kommen wird, sondern eine permanente Erneuerung in einer unendlichen Befragung des eigenen Glaubens. Unzweifelhaft trägt die Ethik des boxerischen Berufsopfers Züge dieser Manie. Der Boxer erbringt seine Opfer für seine Existenzweise. Er bestätigt sich immer wieder von neuem die Zugehörigkeit zur heiligen Gemeinschaft seines Sports. In diesem Sinn 718 Huston (1980, S. 338) berichtet davon, daß sich Muhammad Ali beim Sehen des Films in dieser Figur wiedererkannt hat. 719 Vgl. Deleuze 1990, S. 160: „Aber warum sollte es nicht, statt einer Wahl des Bösen, die noch Verlangen wäre, in klarer Kenntnis der Ursachen eine Entscheidung ,für‘ das Böse geben? Bressons Antwort ist die gleiche wie die von Goethes Mephisto: Wir Teufel oder Vampire sind frei bei der ersten Tat, doch bereits Sklaven der zweiten. Das gleiche sagt (weniger gut formuliert) der gesunde Menschenverstand, ganz wie der Kommissar aus Pickpocket: ,Man kann nicht mehr aufhören.‘ Sie haben eine Situation gewählt, die Ihnen bereits keine andere Wahl mehr läßt.“ 720 Deleuze 1990, S. 160-161.

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schreibt Huston die Boxmetaphorik auf seine Figuren auch außerhalb des Sportlichen fort: „Personally I admire the down-and-outers depicted in the film, people who have the heroism to go on taking it on the chin in life as well as in the ring.“721 Sie sind nur scheinbar Verlierer: „Their defeat is everlasting ... and then they recover from this, they share this emotion for the moment and then they recover. And there’s that valor to ignore it and proceed. It’s the fighting heart ... I was left with love and admiration for these men.“722 Lesley Brill versteht diese Haltung als den ,wahren Optimismus‘ existentialistischer Protagonisten, den es nur in verzweifelten Situationen geben kann.723 Aber insofern das Scheitern in der Welt von Fat City unverhohlen vorprogrammiert ist, scheint es weniger um Optimismus als um Freiheit zu gehen.724 Die Figuren, die trotz aussichtsloser Lage weiterleben, gestatten sich jenes Quantum Freiheit, das sie befähigt zu wählen, obwohl ihre Situation die Wahl auszuschließen scheint. Sie sind entweder geschwätzig (der zukunftslose alternde Boxer Billy Tully), linkisch (der phlegmatische junge Boxer Ernie Munger) oder theatral (die Alkoholikerin Oma). Ihnen und ihren Beziehungen zu anderen Figuren hängt stets eine gewisse Jämmerlichkeit an, die Kris Kritoffersons ,Countrysong‘ Help Me Make It Through the Night mit wehmütigen Klängen einrahmt.725 721 Huston bei Phillips 2001, S. 42. 722 Huston bei Sweeney 2001, S. 47. Hustons Antwort auf die Frage der Interviewerin Louise Sweeny, warum die Verliererwelten seiner Filme kein Gefühl von absoluter Hoffnungslosigkeit hervorrufen, läßt sich als Explikation der Wahl zwischen Existenzweisen lesen: „Well, I’ve never found that in life. I’ve never felt utterly desolate for very long [a rumble of laughter] which is of course suicidal. I suppose that those who do feel it, that utter desolation, [think they] have only one recourse, whether they commit the act or not. But they can commit the act unconsciously, too, just the same. I think more people kill themeselves than ever we know.“ 723 Brill (1997, S. 203) bezieht die Vorstellung dieses ,wahren Optimismus‘ von Jean-Paul Sartre. 724 Zum vorprogrammierten Scheitern vgl. Kaminsky 1978, S. 189. 725 Unterdessen findet sich der aufrechte Heroismus in eine Nebenrolle verwiesen. Er tritt nur an der Figur des mexikanischen Boxers auf, der bereits verletzt in den Kampf geht und die Arena trotz der Niederlage erhobenen Hauptes verläßt, dabei stets schweigsam und professionell im Auftreten. Vgl. Kaminsky 1978, S. 1991. „He [Huston, d. Verf.] reserves his the greatest respect for the man who retains his dignity in spite of pain and disaster. In Fat City,

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Aber die bösartige Desavouierung bleibt aus: „Huston’s characters never suggest becoming Bressonian or Bunuelian saints, but in Fat City they achieve a kind of survivalist sublimity.“726 Eine letzte Freiheit und Würde besitzt zu jeder Zeit Geltung. Die warmherzige Ironie, mit der Fat City seine Figuren zeigt, ist vielfach gebrochen.727 Das gespaltene und sich spaltende filmische Bewußtsein bietet weder die durch Huston proklamierte Liebe zu den Charakteren zur ungebrochenen Identifikation an, noch will es dazu anleiten, den Glauben der Figuren zu übernehmen. Fat City – darin liegt die profane Wendung dieses Films – gibt die Glaubensform in ihrer spezifischen Bedingtheit zu denken: Denn was Jameson „survialist sublimity“ nennt, kann sich erst in dieser erschöpften und todgeweihten Welt beweisen. Vanitasmilieu und letzte Freiheit sind streng aneinander gebunden. Fat City denkt den Preis dieser speziellen Freiheitsform: Der Preis liegt darin, daß hier jeder Gedanke an eine Welt mit Zukunft, an ein Gelingen im Leben vom lädierten Pathos des Kämpferherzens absorbiert wird. Schuldig der Nichtwahl: Scorseses Tier Wahl und Freiheit, Wahlfreiheit, heißen die Themen, die Deleuze anhand des Affektbildes vom Bergsonschen Wahrnehmungsmodell herleitet: Im Universum der Bilder, das die Welt ist, gibt es besondere lebende Bilder. Weil diese Lebewesen Interessen haben, selektieren und filtern sie die anderen Bilder nach ihren Bedürfnissen. Wahrnehmen bedeutet, diese Bilder in ihrem Ausdruck und in ihrer Information zu reduzieren. Die Wahl der lebenden Bilder ist aber nicht nur Auswahl und Reduktion. Die Lebewesen führen Intervalle in das Universum der Bilder ein, Abstände zwischen Reiz und Reaktion, die bei den nach den Naturgesetzen miteinander reagierenden Bildern nicht gegeben sind. Je größer der Abstand, desto mehr Varianten der Reaktion entstehen und desto freier ist das Lebewesen.728 Der Mensch hat nach dem augenblicklichen Stand der Evolution den größten Abstand und this is the Mexican fighter, who never speaks and departs the stadium alone, well dressed and erect even after defeat.“ 726 Jameson 1994, S. 84. 727 Vgl. Hammen 1985, S. 122. 728 Vgl. Deleuze 1990, S. 84ff.

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damit das größte Maß an Indeterminiertheit. Der Abstand ist das Zeitdifferential, in dem sich das Denken entfalten kann. Wenn der Boxer in den Ring steigt, begibt er sich nicht nur in eine Situation, die das Zeitdifferential zwischen Reiz und Reaktion bis zur Nichtigkeit schrumpfen läßt. Er setzt darüber hinaus die Grundlage des Differentials – sein Gehirn – aufs Spiel. Abbildung 28: Hat alles riskiert, was er im Kopf hat — Muhammad Ali (hier ein Portrait aus The Greatest)

Die pragmatische, beinahe schematische, Konzeption einer Freiheit, die zwischen Reiz und Reaktion ihren Ort einnimmt, hat bei Deleu-

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ze jedoch eine emphatische Wendung. Der Affekt, die „Koinzidenz von Subjekt und Objekt“729, ist das, was den Abstand besetzt, ohne ihn endgültig zu füllen. Der virtuelle Affekt ist die Bedingung der Freiheit. Denn in seinem Fall ist der Ausdruck der Welt(en) nicht auf eine Aktualisierung (Handlung oder Gefühl) reduziert. Der virtuelle Affekt drängt auf die unendliche Produktion eines Denkens, das nicht aufhört, auf den wahrnehmenden Körper und seine Resonanzen zurückzukommen. Er ist die erste Dimension einer Subjektivität, die für Deleuze nicht in den Individuen angesiedelt ist, sondern diese übersteigt – die Zeit: „Die Subjektivität ist niemals die unsrige, denn sie ist die Zeit, das heißt die Seele oder der Geist, das Virtuelle. Das Aktuelle ist immer objektiv, doch das Virtuelle ist das Subjektive: es war zunächst der Affekt, den wir in der Zeit erleben; später die Zeit selbst, reine Virtualität, die sich in Affizierendes und Affiziertes aufteilt, ,Selbstaffektion durch sich selbst‘ als Bestimmung der Zeit.“730 Das Kino erscheint bei Deleuze als einer der privilegierten Erfahrungsorte des zwanzigsten Jahrhunderts, an dem wir das Bewußtsein einer überpersonalen maschinellen Subjektivität gewinnen können. Der Film ruft die Gedächtniskonfigurationen populärer Bilder auf und affiziert uns mit ihnen. Reflektieren Filme wie Fat City und Raging Bull auf ihre Stellung innerhalb der Gedächtnisregionen, stiften sie ein Bewußtsein der Wahl gegenüber ihrer eigenen Bildproduktion. Es geht nicht einfach darum, zwischen den Bildern zu wählen: Gangster oder Boxer. Vielmehr handelt es sich darum, das Verhältnis zu wählen, das wir gegenüber der bildlichen Vergangenheit und Zukunft einnehmen. Die Wahl betrifft die Existenzweise im Universum der Bilder: Akzeptieren wir die aktuelle Bildrealität oder glauben wir an die Transformierbarkeit der Bilder und Realitäten? Das Bewußtsein der Wahl und die Freiheit des Wählens bilden den bedeutsamsten Unterschied des Menschen zum Tier, auch wenn man heute von graduellen statt von absoluten Differenzen ausgeht, und die Grenzen daher nicht mehr so klar gezogen werden.

729 Deleuze 1990, S. 96. 730 Deleuze 1991, S. 113.

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DRITTE ACHSE: REFLEXION ERSCHÜTTERTEN DASEINS „Und Bresson fügt noch einen fünften Typus hinzu, einen fünften Protagonisten; das Tier – den Esel in Au hasard, Balthazar. Mit der Unschuld dessen, der nicht in der Lage ist zu wählen, kennt der Esel nur die Auswirkungen des Nicht-Wählens oder Wählens des Menschen, das heißt die Seite des Geschehens, die sich an den Körpern vollendet und sie vernichtet, ohne jene Dimension, welche die Erfüllung übersteigt – die spirituelle Entscheidung – erreichen zu können (aber auch ohne sie ver731 raten zu können).“

Bressons Esel steht aber für nur eine Schicht dieser fünften tierischen Klasse, der die Fähigkeit zur Wahl nicht offensteht. Balthazar ist ein Haustier, das von einem Besitzer zum anderen, von einer Lebenssituation in die nächste, wechselt und dabei den Pol des Erleidens in voller Reinheit verkörpert. Das wilde Tier, auf das die Tiermetaphern in Raging Bull rekurieren, stellt eine andere Schicht des fünften Wahltyps dar. Mary Pat Kelly sieht auch den ,wütenden Bullen‘, der die Ordnung des menschlichen Hauses – der Zivilisation – überschreitet, in jener Gnade, die Gott für seine primitiven Geschöpfe reserviert: „[...] they [Scorsese und De Niro, der Verf.] have taken apart this man, Jake La Motta, and reconstructed not the fighter of reality, but the figure of a man so unconscious of his own feelings and emotions that he can speak only through violence – a man Scorsese sees as almost another order of being. He cites St. Thomas Aquinas, who said that perhaps animals serve God better than men because they have no choice but to live their natures purely. Jake, for Scorsese, has that primal 732 quality.“

In der Konsequenz dieser Argumentation wird jedoch die Idee der Erlösung sinnlos, die Scorsese stets als zentrales Motiv seines Boxfilms betont. Die unschuldigen Tiere sind ihrer Natur nach erlöst, weil ihnen die Befähigung zur Sünde fehlt. Tatsächlich bilden die Reinheit des ,Tierischen‘ und die Faszination der ,Wildheit‘ hier jedoch lediglich zwei der Topoi, zwischen denen sich die Boxerfi-

731 Deleuze 1990, S. 161. 732 Kelly 1991, S. 121.

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gur bewegt.733 Als einen weiteren Bezugspunkt finden wir gerade die Sünde und mit ihr menschliche Wahlfreiheit und Glaubensfähigkeit vor. Um die spirituelle Problematik der Wahl in Raging Bull weiter aufzufächern, kann man La Motta in ein Vergleichsdreieck mit zwei anderen Reinheitsfiguren einbringen. Gemeint sind erstens der Inbegriff der spirituellen Entscheidung im Werk Bressons und Dreyers – Jeanne d’Arc – und zweitens jene Männerfigur der amerikanischen Populärmythologie, die Gerald Early ,white yokel‘ nennt, was soviel wie ,weißer Bauertölpel‘ – oder in der freundlicheren Version zumindest ,Landjunge‘ – bedeutet. Die Jungfräulichkeit Jeannes ist das Zeichen ihrer Nähe zu Gott. Nach dem Vorbild der Jungfrau Maria ist sie ohne Sünde. Dieser jungfräuliche Zustand findet sich nicht erst durch einen buchstäblichen Akt des Fleisches bedroht. Bereits der Zweifel im Glauben gefährdet Jeannes Unschuld. Deshalb legen Bresson und Dreyer so viel Gewicht auf den Moment, in dem sie zweifelt und widerruft. In diesem Moment verändert sich Jeannes Bild radikal. Sie wird den anderen Figuren ähnlicher, eingerückt in die Welt der Sünder, die einen Körper haben und den Schwächen des Fleisches verfallen.734 Der Gerichtsprozeß ist somit nicht nur Passion, sondern auch ein ewiger Kampf, in dem Jeanne ihre Unschuld gegen den Zweifel verteidigen muß. Passion und Kampf währen insofern ewig, als ihre Affekte virtuell bleiben. Die strikte ästhetische Abstraktion läßt sie in ihrem Ausdruck verharren. Bei Bresson und Dreyer ist Glauben keine mythische, sondern eine spirituelle Qualität. Die Filme laden nicht zum gefälligen Glauben ein, sondern zwingen zum Denken der Wahl. Wie naiv erscheint demgegenüber die Einladung des ,white yokel‘, seine mythische Reinheitsphantasie zu teilen. Early führt den Typus am Beispiel der Figur ,Kid Galahad‘ aus, dem Titelhelden des Romans von Francis Wallace und von zwei Verfilmungen, die bereits in den obigen Betrachtungen zur Opferkampfmythologie Erwähnung finden: 733 Junghanns (1997a, S. 134ff) zeigt für die Mythologie des Boxens, daß die Kehrseite der faszinierenden ,Wildheit‘ innerhalb der Tiermetapher stets in einer abstoßenden ,Primitivität‘ besteht. 734 Bei Dreyer wird Jeannes Blick nur während ihres Zweifels diesseitig. Ihr Blick ist den ganzen Film von Glauben erfüllt und scheint auf ein absolutes Außerhalb des Bildes, zu Gott, gewandt zu sein. Als sie zweifelt, schaut sie die anderen Figuren an.

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DRITTE ACHSE: REFLEXION ERSCHÜTTERTEN DASEINS „He does not wish to be tainted by boxing; it is simply the avenue by which he can seize the chance to remain stolidly agrarian, implacably at peace with a series of values that can scarcely be considered even conventional. His values are the gestures of folksy platitudes: He likes to eat, does not drink, likes to work in the open air, is by turns polite to and shy around women, believes in his country, and yearns for the family hearth. And the fact that he has become a decent boxer in the end is a sign that he might be corrupted by all this, might adopt another series of values that would allow him to dress fancy, go to 735 nightclubs, chase women and drink liquor.”

Für Early besitzt diese weiße Reinheits- und Unschuldsphantasie in ihrer wertenden Absetzung gegenüber anderen Männertypen und ihrem Ausschließlichkeitsanspruch auf natürliche Überlegenheit einen rassistischen Kern. Man mag seine bisweilen beleidigend wirkende Zuschreibung an Boxer wie Rocky Marciano, Max Schmeling, Max Baer und andere nicht teilen, als Konstruktion mythischer Herkunft ist die Figur des ,yokel‘ von Substanz, gerade was den Verleich von Kid Galahad und Raging Bull angeht. Der Passageritus von Kid Galahad führt den ,Landjungen‘ durch das Boxmilieu zurück ins Farmerleben. Zwar muß er, wie alle Protagonisten des Passageritus, physische Opfer im Ring erbringen, aber er bleibt von ihnen wie auch von den Verlockungen des Milieus (Geld, Frauen, Alkohol) innerlich völlig unberührt. Seine Reinheit ist dabei nicht das Produkt eines spirituellen Kampfes, sondern Bestandteil eines Naturgesetzes – einer naturalisierten Moral. Die Moralität ist dem ,white yokel‘ als etwas Ursprüngliches, Unzerbrechliches mitgegeben. Sie rückt ihn so weit wie möglich vom wilden, ,amoralischen‘ Pol der Natur ab. Genau darin liegt die Beweisfunktion der von Early beobachteten Zurückhaltung und Höflichkeit gegenüber den Frauenfiguren.736 Jeder Verdacht auf Triebhaftigkeit wird im Keim erstickt. Gewalttätig wird der Protagonist in Curtiz’ Filmversion zum ersten Mal, weil er die Ehre einer Frau verteidigen muß. Scorseses Boxerfigur ist hingegen die negative Karikatur des ,white yokel‘. Die Unbeholfenheit gegenüber Frauen schlägt hier 735 Early 1994, S. 7. 736 Early 1994, S. 7.

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nicht in Höflichkeit, sondern in abgründige Aggression um. Während Kid Galahad vom Gewaltsport unberührt bleibt, hat man bei La Motta den Eindruck, er sei lediglich im Ring keine allzu große Gefährdung der Allgemeinheit. Die verschiedenen Dimensionen der Gewalt und Aggression in Raging Bull verleihen den Tiermetaphern, die den gesamten Film durchziehen, ihren mehrdeutigen Status: Faszination und Verstörung.737 Verstörend sind die Gewaltausbrüche, weil Scorsese die tierischen Dimensionen mit den Maßstäben zwischenmenschlicher Beziehungen konfrontiert. Neben elementarer Schönheit und Energie handelt Raging Bull dieser konstitutiven Schuld: Der Mensch La Motta ist schuldig der Nicht-Wahl, die eine Form der ,falschen‘ Wahl darstellt. Er macht sich schuldig, nicht auf eine spirituelle Ebene des Wählens zu gelangen. Die spirituelle Perspektive des filmischen Bewußtseins ist zwischen diesen gegeneinander unversöhnten Kräften angesiedelt. Die affektiven Dimensionen, auf denen die jeweilige Spiritualität in Procès de Jeanne d’Arc und Raging Bull beruht, sind so unterschiedlich wie die verschiedenen christlichen Prägungen der Regisseure. Der Jansenist Bresson betreibt den Exorzismus des Gefühls. In Procès de Jeanne d’Arc entziehen die für Bresson charakteristischen Abstraktionen (Fragmentierung von Raum und Zeit, Bewegungsautomatismus der Darsteller) den Bildern jede emotionale Aktualisierung.738 Die spezifische Zeichenhaftigkeit, die daraus resultiert, läßt sich an den Tierbildern aus Procès de Jeanne d’Arc, wohl am klarsten aufweisen. Den Szenen, in denen ein Hund der verurteilten Jeanne zum Scheiterhaufen folgt oder Vögel über den Flammen fliegen, gehen die Ansprüche auf dramatische und spektakuläre Energien gänzlich ab. Als abstrakte Zeichen sind sie dem Kreuz verwandt, mit dem der Film endet. Sie verharren in ihrer kryptischen Erscheinung. Ob sie Symbole der Gnade Gottes sind oder schlicht neben Jeanne erscheinen und somit die unvermittelte Parallelwelt einer nichtmenschlichen Natur ausdrücken, bleibt unentschieden.739 737 Zu dieser Ambivalenz vgl. Ardolino 1989, S. 65. 738 Buchka 1978, S. 19: „Zu Recht verschmäht Bresson den dramatischen Schein von Passion. Für ihn ist aus diesem Wort alle Wärme der Leidenschaft gewichen, zurückgeblieben ist nur noch das Bewußtsein von Leid.“ 739 Vgl. Buchka 1978, S. 130.

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Der Katholizist Scorsese hingegen schwört der dramatischen und spektakulären Tradition des amerikanischen Kinos nicht ab, sondern entdeckt in ihr den Gegenstand eines spirituellen Bewußtseins. Insbesondere die spektakulären Gewalt- und Boxszenen besitzen eine vergleichbar strenge Abdichtung gegenüber äußeren Einflüssen wie die Ästhetik Bressons. Das Off ist in ihnen keine relative Verlängerung des sichtbaren Raums, sondern ein absolutes Außen, das die sichtbare Szenerie gegen den Kontext isoliert. Wir finden in Raging Bull nicht den Spannungsbogen der klassischen Opferkampfmythen vor. Statt dessen gehen Dramatik und Spektakel in die monströse Dauer des Boxerkörpers ein, innerhalb derer La Motta die tierische Energie und Reinheit mit der Zeit verliert. Die physische Deformation löst die Faszination des Tieres als Grenzwert unseres Empfindens ab. Noch in diesem Wandel der Dauer zielt Raging Bull auf die virtuellen Bilder des Körperspektakels. Sehen und Freiheit I: Tullys profane Epiphanie In Bressons Filmen sind es oftmals Figurationen des GefangenSeins, welche die existentielle Dimension der Wahlentscheidung akzentuieren. Die Hauptfigur begibt sich entweder in eine Lage, die sie völlig einzuschließen scheint, (Le Journal d’un curé de Campagne) oder aber sie ist tatsächlich inhaftiert (Un condamné à mort s’est échappé ou le vent souffle ou il veut und Procès de Jeanne d’Arc). Die Situation der Jeanne d’Arc ist der Musterfall dieser „Prison Metaphor“, wie Schrader den Komplex des Gefangen-Seins nennt.740 In seiner Untersuchung des Transcendental Style führt er aus, daß der Tod Jeannes nie in Zweifel steht. Durch den bekannten historischen Fall, der Bresson als Material dient, aber auch durch die filmische Umsetzung steht von Beginn an fest, daß die Angeklagte auf dem Scheiterhaufen brennen wird. Die Frage besteht nur darin, ob sie zum Tod gezwungen wird oder ob sie sich für das Matyrium entscheidet, weil sie die Existenzweise der Wahl und des Glaubens wählt. Ihre Wahl bedeutet, den Körper zu opfern. Die GefängnisMetapher wird zum extremen Modellfall jener westlichen Geisteshaltung, die das Verhältnis von Körper und Seele als eine Dichoto740 Schrader 1972, S. 88ff.

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mie gegensätzlicher, ja feindlicher, Prinzipien versteht. Für Jeannes starken Glauben ist ihre physische Existenz die einzige Schwäche, an der ihre Ankläger ansetzen können. Schrader bringt die extraordinäre Situation der heiligen Jungfrau auf das allgemeingültige Gesetz, nach dem der Körper das sündige Gefängnis der Seele darstellt: „The prison house of the body is the last impediment to the soul’s emancipation.“741 Für Marvin Zeman spitzt sich die christliche Rigidität in Bressons Filmen in einer Weise zu, in der ein Akt, der gemeinhin eine Todsünde darstellt, zum Gipfel der frommen Weltflucht und zur heroischen Speerspitze der spirituellen Wahl avanciert: die Selbsttötung.742 Die Entscheidung für den Tod ist folgerichtig nicht nur der letzte und größte Beweis des Glaubens, sie befreit zudem die Seele vom Körper. So gesehen zeugen Bressons Filme von einem letztlich unaufgelösten Widerspruch. Denn trotz allem ästhetischen Purismus richten auch sie sich an den Resonanzkörper, um ihn zu affizieren und zum Denken der spirituellen Dimension zu bringen. Auch seine Kompositionen vertrauen auf das kinematographische Dispositiv, das den Körper des Zuschauers mit dem um ein vielfaches größeren Bild konfrontiert. Der Widerspruch ist insofern reflektiert, als Bresson großen Wert darauf legt, die Freiheit des Sehens nicht durch Mechanismen der rituell-imaginären Identifikation zu beschränken, mit denen weite Teile des amerikanischen Kinos den Zuschauer gefangen nehmen wollen. Dennoch klingt das Mißtrauen – vielleicht sogar eine gewisse Unversöhnlichkeit – gegenüber der körperlichen Existenz nie ganz ab. Der Boxfilm mag bisweilen zu idealistischen Bildern körperlicher und seelischer Stärke neigen. Aber immerhin spielt er die Seele im allgemeinen nicht gegen den Körper aus, sondern begreift beide, im Sinne des Titels der berühmten Nachkriegsproduktion Body and Soul als untrennbare Konditionen des erschütterten Daseins. Die heilige Dimension der Boxerfigur ist, von einigen Produktionen des Totalopfers abgesehen, im Dieseits angesiedelt. Die Weltflucht des Faustkämpfers erschafft eine andere diesseitige, durch und durch physische Welt. Trotz aller Kritik am kapitalistischen Geschäft und den masochistischen Tendenzen stellt sich der Boxfilm im allge741 Schrader 1972, S. 89. 742 Vgl. Zeman 1971, Schrader 1972, S. 90.

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meinen in die große amerikanische Tradition der Weltbejahung. Selbst in den Filmen, welche die einfältigen Formen dieser Bejahung (Aufstiegsglaube, ,amerikanischer Traum‘) hinter sich lassen, bleibt er dieser Traditon treu: Fat City und Raging Bull binden die spirituelle Perspektive an die Physis ihrer Protagonisten und an bestimmte Formen des diesseitigen Sehens. Jeanne d’Arc sieht ,wahrhaft‘, indem sie zu Gott schaut. Die Augen und der übrige Körper sind unbedeutend für dieses Sehen, das auf eine andere Welt gerichet ist. Am Ende von Fat City und Raging Bull stehen hingegen Figuren, die ihre Welt mit veränderten Augen sehen. Obwohl das Leben ein Gefängnis des Scheiterns ist, suchen die Charaktere in Fat City ihre Freiheit nicht in der Selbsttötung. Trotz aller Todverfallenheit ihres Milieus wählen sie das Leben. Die letzte Szene des Films demonstriert, wie das Bewußtsein dieser Situation in die Sphäre der Figuren eindringt. Die beiden Boxerprotagonisten treffen ein letztes Mal aufeinander. Ernie Munger versucht zunächst, dem betrunkenen und heruntergekommenen Billy Tully aus dem Weg zu gehen, als wäre dieser ein Schatten, von dem er nicht eingeholt werden will. Weil sein Wagen nicht anspringt, muß er sich jedoch dem Schatten stellen. Sie setzen sich an die Bar eines Nachtcafés. Die länglichen Neonlichter versehen das Bild mit weißen, an den Rändern weichen Leerstellen. Auch die Farben des großen Gaststättenraums (ein tiefes Rot kombiniert mit Pastellgrün) intensivieren nochmals unsere Sensibilität für das impressionistische Milieu. An der Bar werden Munger und Tully von einem unendlich alten Mann bedient. Tully: „How’d you like to wake up in the morning and be him ... Waste! ... Before you can get rollin’, your life makes a beeline for the drain.“ Munger: „Maybe he’s happy.“ Tully: „Maybe we’re all happy“, zum alten Mann hinter dem Tresen, der zurücklächelt: „Right?“, dann wieder zu seinem Gesprächspartner: „Ya think he was ever young once?“ Munger: „No.“ Tully: „Maybe he wasn’t.“

Anschließend dreht Tully sich auf seinem Hocker um und schaut in den Raum. Das Bild springt aus seinem Rücken und erfaßt ihn frontal. Ein Zoom vergrößert das Gesicht, so daß es oben und unten vom

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Kader beschnitten wird. Etwas Ungeheures hat sich Tullys Blick bemächtigt. Mit einem Schnitt taucht das Objekt seines Sehens auf. Die Welt steht still. Das dafür verantwortliche Verfahren ist kein Standbild oder ,freeze frame‘, sondern ein Tableau vivant.743 Die Männer, die ein Schwenk an ihren Tischen hinten im Café erfaßt, bewegen sich für den Moment nicht. Stille herrscht auf der Tonspur. Noch einmal besetzt Tullys Blick den Kader. Und wiederum sehen wir im Anschluß den stillstehenden Cafébetrieb. Dann beginnt einer der Männer sich zu bewegen, und auch der Ton setzt wieder ein. Der alte Mann hinter der Bar kann als Allegorie der Körperzeit gelesen werden: das Alter in Person. Aber er ist gleichzeitig auch ein alter Körper mit langsamen, gebrechlichen Bewegungen. Das ist das kinematographische Vermächtnis der allegorischen Intention. Die Wahrnehmungen des Alltags können zu filmischen Allegorien zusammengestellt werden. Aber neben der Allegorese bieten sie sich als opake Fragmente an, die zwar unserer Welt angehören, aber den Markierungen und Orientierungen der Alltagswahrnehmung enthoben sind. So fordern sie zu einem anderen Sehen auf, zum ästhetischen Lesen ihrer Resonanzen. Eben diesen Prozeß können wir an Tully beobachten. Noch vor einem Moment ist der alte Mann Gegenstand eines zwar desillusionierten, aber der Form nach kontemplativen Dialogs über das Altern gewesen. Tully dreht sich um in Richtung des Raums und der Schock des ästhetischen Lesens stößt ihm zu. Die Positionierung seiner Augen im Bild erinnert an seinen letzten Auftritt als Boxer. Aber anders als bei diesem letzten Kampf ist sein Blick hier nicht der bloße Kristallisationspunkt der Erschöpfung. Statt dessen erahnen wir im Angesicht des ergriffenen Blicks die Dimensionen des Sehens. Was Tully sieht, ist ein Ausschnitt seiner alltäglichen Welt. Aber er sieht sie anders als gewöhnlich. Dieses Tableau vivant stellt demnach nicht die mythische oder allegorische Komposition des Lebens bzw. einer Lebensdimension dar, wie es in der Tradition der Lebenden Bilder üblich ist.744 Vielmehr handelt es sich um einen beliebigen Moment des alltäglichen Lebens, der dem Lesenden für einen flüchtigen Augenblick zum Tableau geworden ist: ein blitzar743 Vgl. Brill 1997, S. 196, S. 258 Anmerkung 8. 744 Zur Tradition der Lebenden Bilder vgl. Jooss 1999.

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tiger Stillstand der Zeit. „Tully experiences a little death or an epiphany. Through his consciousness, we witnees what Camus identified as the origin of the absurd, the confrontation between human need and the senseless silence of the world.“745 Abbildung 29: Kurz vor der Epiphanie — Billie Tully (Stacy Keach) mit dem jungen Ernie Munger (Jeff Bridges) am Ende von Fat City.

Wenn Tully hier jedoch eine Epiphanie erfährt, dann in ihrer profanen Gestalt. Der jansenistischen Gnadenlehre ist der ästhetische Moment nur insofern verwandt, als er wie die Gnade Gottes außerhalb unseres Besitzes und unserer Gewalt liegt. Er widerfährt dem Sehenden. Tullys Sehen richtet sich aber nicht auf ein göttliches Jenseits. Er entdeckt ein profanes Jenseits, den virtuellen Affekt, der jenseits unserer gewohnten Welten liegt. Ob hinter dem profanen Jenseits ein göttliches liegt ist eine Angelegenheit des Glaubens. Aber in im profanen Moment, der nicht den Mechanismen des Handelns unterliegt, findet die radikale Freiheit des Ästhetischen ihren 745 Brill 1997, S. 196. Auch Jameson (1994, S. 83) spricht von einer „chilling, soundlesse freeze-frame punctuation of the final sequence as Billy’s battered consciousness phases out of life-continuum for an unforgettable temps mort.“

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Ausdruck. Wenn wir Hustons lädierter Hauptfigur glauben können, ist die Begegnung mit ihr verstörend und unbehaglich: Ängstlich und noch unter Schock bittet Tully seinen ehemaligen Berufskollegen, noch länger mit ihm auszuharren. Sehen und Freiheit II: La Mottas spirituelle Erlösung Eine Konstellation des Sehens steht auch am Ende von Raging Bull. Mit einem Biblezitat widmet Scorsese den Film einem ehemaligen Lehrer auf der Filmschule: „So, for the second time, [the Pharisees] summoned the man who had been blind and said: ,Speak the truth before God. We know this fellow is a sinner‘ ,Wether or not he is a sinner, I do not know‘, he man replied. ,All I know is this: once I was blind and now I can see.‘“ John IX. 24-26 the New English Bible“

Das Zitat aus dem Evangelium des Johannes’ kann auf zwei Ebenen verstanden werden. Die erste Ebene betrifft unser Sehen im Verhältnis zur Filmfigur und bleibt damit recht allgemein. Die Figur des Sünders La Motta macht uns sehend. Denn die Figur ist der Gegenstand der ästhetischen Erfahrung von Raging Bull. Die zweite Ebene geht vom konkreten Ende des Films aus. Auf ihr läßt sich das Sehen mit dem Motiv der Erlösung verknüpfen. Dieses Motiv bauen die Katholiken Scorsese und De Niro in das Drama der Boxerfigur ein. Der Calvinist Schrader, der die erste Version des Drehbuchs erstellt, sieht eine andere Entwicklung vor. Für ihn sind die Hände der Hauptfigur – diese Instrumente des arbeitenden Menschen – die zentralen Körpermotive. Wie Travis Bickle in Taxidriver, der zuerst eine Hand in die Flamme hält und dann den ganzen Körper ins Feuergefecht führt, bringt La Motta seine gesamte Physis in den Opferkampf ein. Der abgesenkte Kopf und beide Boxerfäuste bilden dabei die Vorhut. Wenn der Protagonist sich über seine zu kleinen ,mädchenhaften‘ Hände beschwert oder sie ihm Eiswasser kühlt, verdichtet Raging Bull den Fetischismus der Boxwerkzeuge zu einem Bild, in dem männliche Unzulänglichkeit und Selbstbestrafung zusammenfallen. Die Gefängnisszene gegen Ende von Raging Bull

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entwirft Schrader als den Höhepunkt dieser Verdichtung: „It is the prison scene. Jake is in the cell and he’s trying to masturbate and is unsuccessful, because every time he tries to conjure up an image of a woman he’s known, he also remembers how badly he’s treated her, so he’s not able to maintain an erection. Finally he takes it out on his hands; he blames his hands and smashes them against the wall.“746 Der Regisseur und sein Star bauen das Drebuch jedoch um. Statt die Hände in einer Masturbationsszene zu verwerfen, fügen Scorsese und De Niro sie in die Wandlung des Protagonisten ein. Dem Nachbarn, der ihn zu Beginn des Films ein wildes Tier nennt, antwortet La Motta, indem er droht, seinen Hund zu fressen. Jetzt in Haft reagiert er auf die gleiche Zuschreibung seitens der Polizisten, indem er abschwört: „I’m not an animal!“ Der Schwur geht nicht ohne Exerzitien einher. Zwar sind auch in dieser Version die Fäuste in die Exerzitien eingebunden. Der Inhaftierte boxt gegen die Zellenwand. Vor allem aber dient der Kopf als Instrument der Buße. La Motta schlägt wieder und wieder mit der Stirn gegen die steinerne Wand. Die Verletzung zeichnet somit jene Stelle, an der die Katholiken zu Beginn der Fastenzeit das Aschekreuz empfangen, das sie zur Buße ermahnt. „Raging Bull is about a man who loses everything and the regains it spiritually.“747 Die Zeichen dieser Wandlung, die in der Gefängnisszene und im Anschluß auftreten, lassen sich wiederum auf zwei Ebenen verorten. Zum einen kann man die innere Wandlung in den traditionellen Kategorien des amerikanischen Melodramas interpretieren: La Motta erwirbt sich ein neues Verhältnis gegenüber den Menschen, denen er zuvor Leid angetan hat. Er kann die Auswirkungen seines Verhaltens auf die anderen jetzt sehen. Als Beleg dafür fungiert gemeinhin die Situation, in der er seinen Bruder um Vergebung bittet.748 In diesem Fall würde Raging Bull die katholi746 Schrader in Jackson 1990, S. 131. 747 Scorsese in Kelly 1991, S. 119. Schrader (in Jackson 1990, S. 133) hält daran fest, daß La Motta keine spirituelle Figur ist. Auf die Frage, ob es für sie Erlösung gebe, antwortet er: „Yes, but redemption through physical pain, like the Stations of the Cross, one torment after another. Not redemption by having a view of salvation or by grace, but just redemption by death and suffering, which is the darker side of the Christian message.“ 748 Vgl. Kelly 1991, S. 121.

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zistische Handhabung von Schuld und Vergebung, die Jansens Aufsatz dem Werk von Scorsese nachsagt, abschließend bestätigen, bestenfalls ihren Mechanismus vor Augen führen. Die zweite Ebene rekurriert auf ein völlig anderes Sehen, das mit der spirituellen Dimension des Films korreliert. Der Vergleich mit Procès de Jeanne d’Arc ist auch in diesem Punkt instruktiv. Während der ,Bulle‘ La Motta blind wütet, liegt die Passion für Jeanne d’Arc im spirituellen Kampf. Bressons Protagonisten stehen im Einklang mit der spirituellen Ebene des filmischen Bewußtseins, Scorseses Boxerfigur im Widerspruch. Der Wandel der Boxerfigur löst diesen Widerspruch am Ende insofern auf, als La Motta den Ring gegen die Bühne eintauscht und somit in ein anderes Verhältnis zur Existenzweise des Boxers und seiner populären Mythologie eintritt. Wenn La Motta eine Schlüsselszene aus On the Waterfront rezitiert, geht es daher weniger um den Gehalt des aufgesagten Textes, der gemeinhin als Reflexion auf den Bruderverrat interpretiert wird.749 Von größerer Bedeutung ist der Akt der Rezitation als solches: „A good actor (De Niro) plays a bad actor (La Motta) imitating a good actor (Brando) as he played a washed-up exfighter (Terry Malloy) who talks like a bumm but isn’t.“750 Diese Verschachtelungen des Schauspiels in der Schlußszene, auf die Morris Dickstein hinweist, sind die Zeichen für die profane Wendung des Erlösungsmotivs. Nicht die als Person verstandene Figur La Mottas ist erlöst, sondern die Figur als filmisches Konstrukt. Jetzt am Ende bewegt sie sich auf der spirituellen Ebene des filmischen Bewußtseins. La Motta ist zu einer Figur geworden, die begonnen hat, die Versatzstücke der populären Produktion zu lesen. Er ist nicht mehr nur Exboxer, sondern ebenso eine Figur, die Boxfilme sieht.751 Im Spiegel seiner Umkleidekabine schaut er sich selbst dabei zu, wie er die mortifizierten Reste der Film- und Literaturgeschichte am eigenen Körper vorübergehend zu einem anderen Leben erweckt. Die einzelnen Versatzstücke verbinden sich nicht zur kasuis749 Vgl. Friedman 1997, S. 124f. 750 Dickstein 1994, S. 82. 751 Rainer Werner Fassbinder sagt über seine Filme, daß sie nicht von Gangstern handeln, sondern von Figuren, die viele Gangsterfilme gesehen haben. Vgl. Fassbinder in Hughes / Riley 1975, vgl. auch Elsaesser 1996, S. 49.

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tischen Legitimation einer (Gewalt-)Handlung wie beim selbstgerechten Travis Bickle in Taxi Driver. Denn er bietet uns die Versatzstücke im Status gelesener Konstellationen dar. Abbildung 30: That's Entertainment — Jake La Motta auf dem Weg zur Erleuchtung im Nachtclub in Raging Bull.

In dieser profanen Wendung erlangt die Kategorie des Glaubens eine andere Bedeutsamkeit. Sie richtet sich an ein Sehvermögen, das gelernt hat die Wünschbarkeiten des populären Universums zu lesen – sie zu verkörpern und gleichzeitig zu reflektieren. Wünschbarkeiten sind keine formulierten Wünsche. Sie gehen nicht aus der Aktu-

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alisierung von Wunschenergie hervor. Sie sind vielmehr die versprengten und potenialisierten Wunschbilder, die sich in den virtuellen Schichten des populären Universums abgelagert haben. Wünschbarkeiten werden gefunden. Sie begegnen uns oder stoßen uns zu. Ebenso wichtig ist es jedoch, sie zu verlieren. An Wünschbarkeiten zu glauben, bedeutet an die Transformierbarkeit der populären Bilder zu glauben. In der Erfahrung, für welche die Boxerfigur steht, gehören die Wünschbarkeiten zu denjenigen Ausdrucksdimensionen, die sich uns entziehen und daher das ästhetische Lesen entfachen.

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Anhang I. Filmographie Avildsen, John G.: Rocky (USA 1976). Avildsen, John G.: Rocky V (USA 1990). Berkeley, Bubsy: They Made Me a Criminal (USA 1939). Bresson, Robert: Le Journal d’un curé de Campagne (F 1950). Bresson, Robert: Un condamné à mort s’est échappé ou le vent souffle ou il veut (F 1956). Bresson, Robert: Pickpocket (F 1959). Bresson, Robert: Procès de Jeanne d’Arc (F 1961). Bresson, Robert: Au Hasard Balthazar (F 1965). Cayton, William: Jack Johnson (USA 1970). Cein, John: Keep Punching (USA 1939). Chaplin, Charles: The Champion (USA 1915). Chaplin, Charles: City Lights (USA 1931). Chaplin, Charles: Modern Times (USA 1936). Coen, Joel: Fargo (USA 1996). Conway, Jack: Boom Town (USA 1940). Curtiz, Michael: Kid Galahad (USA 1937). Donen, Stanley, Gene Kelly: It’s Always Fair Weather (USA 1955). Donen, Stanley: Movie Movie (USA 1978). Dreyer, Carl Theodor: La Passion de Jeanne d’Arc (F 1928). Dreyer, Carl Theodor: Vredens dag (DK 1943) Dreyer, Carl Theodor: Ordet (DK 1955) Dreyer, Carl Theodor: Gertrud (DK 1964). Eason, B. Reeves: Truck Busters (USA 1943). Edison, Thomas; Laurie Dickson: Corbett and Courtney before the Kinetograph (USA 1894). Edison, Thomas; Enoch Rector, Samuel Tilden, Jr.: The CorbettFitzsimmons Fight (USA 1897). Eisenstein, Sergej M.: Staroe I Novoe (UDSSR 1929). Eisenstein, Sergej M.: Bronenosec Potemkin (UDSSR 1925). Enright, Ray: Slim (USA 1937). Farrow, John: She Loved a Firerman (USA 1938). Fincher, David: Fight Club (USA 1999). 375

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Fleischer, Richard: Mandingo (USA 1975). Fraser, Harry L.: Spirit of Youth (USA 1938). Gast, Leon: When We Were Kings: The True Story of the Rumble in the Jungle (USA 1996). Green, Alfred E.: Flowing Gold (USA 1940). Gries, Tom: The Greatest (USA 1976). Griffith, D. W.: Broken Blossoms (USA 1919). Hawks, Howard: Scarface (USA 1932). Herrington, Rowdy: Gladiator (USA 1992). Hill, Walter: Hard Times (USA 1979). Hitchcock, Alfred: The Ring (GB 1927). Hitchcock, Alfred: The 39 Steps (USA 1935). Hitchcock, Alfred: Rear Window (USA 1954). Horne, James: Any Old Port (USA 1932). Howard, Ron: Far and Away (USA 1992). Huston, John: The Asphalt Jungle (USA 1950). Huston, John: Moulin Rouge (USA 1952). Huston, John: Moby Dick (USA 1956). Huston, John: A Walk with Love and Death (USA 1969). Huston, John: Fat City (USA 1972). Jewison, Norman: F.I.S.T. (USA 1977). Karlson, Phil: Kid Galahad (USA 1962). Kazan, Elia: On the Waterfront (USA 1954). Keaton, Buster: Battling Butler (USA 1925/26). Kitano, Takeschi: Kids’ Return (J 1996). Kline, Herbert: The Fighter (USA 1952). Kotcheff, Ted: First Blood (USA 1982). Kubrick, Stanley: Spartacus (USA 1960). Kubrick, Stanley: 2001 A Space Odyssey (GB / USA 1968). LeRoy, Mervy: Little Ceasar (USA 1933). Levinson, Barry: The Natural (USA 1984). Litvak, Anatole: City for Conquest (USA 1940). Mamoulian, Rouben: Golden Boy (USA 1939). Mann, Michael: Ali (USA 2001). Nelson, Ralph: Requiem for a Heavyweight (USA 1956). Nelson, Ralph: Requiem for a Heavyweight (USA 1962). Neumann, Kurt: The Ring (USA 1952). Nichols, Mike: The Graduate (USA 1967). Parks, Gordon: Shaft (USA 1971).

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ANHANG

Parks, Gordon: Superfly (USA 1972). Parnet, Claire, Pierre-André Boutang: L’ABÉCÉDAIRE De Gilles Deleuze (F 1996) Peck, Raoul: Lumumba: La mort du prophète (F / D 1992). Ray, Nicholas: Rebel without a Cause (USA 1955). Ritt, Martin: The Great White Hope (USA 1970). Ritt, Martin: Sounder (USA 1972). Robson, Mark: Champion (USA 1949). Robson, Mark: The Harder They Fall (USA 1956). Rosé, Jean-Christophe: Les Rois Du Ring (F 1994) Rossen, Robert: Body and Soul (USA 1947). Rossen, Robert: The Hustler (USA 1961). Rowland, Roy: Killer McCoy (USA 1947). Ruttman, Walter: Berlin – Sinfonie einer Großstadt (D 1927) Scorsese, Martin: Mean Streets (USA 1973). Scorsese, Martin: Taxi Driver (USA 1976). Scorsese, Martin: Raging Bull (USA 1980). Scorsese, Martin: Goodfellas (USA 1990). Scorsese, Martin: Casino (USA 1995). Scott, Ridley: Gladiator (USA 2000). Sirk, Douglas: Magnificent Obsession (USA 1954). Siodmak, Robert: The Killers (USA 1946). Shelton, Ron: Play it to the Bone (USA 1999). Stallone, Sylvester: Rocky II (USA 1978). Stallone, Sylvester: Rocky III (USA 1981). Stallone, Sylvester: Rocky IV (USA 1985). Sturges, John: Right Cross (USA 1950). Sutherland, A. Edward: Steel against the Sky (USA 1941). Thorpe, Richard: The Crowd Roars (USA 1938). Toth, Andre de: Monkey on My Back (USA 1957). Van Dyke, W. S.: The Prizefighter and the Lady (USA 1933). Van Peebles, Melvin: Sweet Sweetback’s Baad Asssss Song (USA 1971). Vidor, King: The Champ (USA 1931). Visconti, Luchino: Rocco e i suo Fratelli (F / I 1961). Walsh, Raoul: They drive by Night (USA 1940). Walsh, Raoul: Manpower (USA 1941). Walsh, Raoul: Gentleman Jim (USA 1942).

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Watabe, Gen, Lindsey Glennell: Muhammad Ali: The Whole Story (USA 1996). Welles, Orson: Citizen Kane (USA 1941). Wellman, William A.: The Public Enemy (USA 1931). Wiene, Robert: Das Cabinett des Dr. Caligari (D 1919). Wilder, Billy: Sunset Boulevard (USA 1950) Wise, Robert: The Set-up (USA 1949). Wise, Robert: Somebody up There Likes Me (USA 1956). Zeffirelli, Franco: The Champ (USA 1979). Zieff, Howard: The Main Event (USA 1979).

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III. Abbildungsverzeichnis

Alle Abbildungen aus den Archiven des Filmmuseums Berlin und der Stiftung Deutsche Kinemathek.

Cover: Scorsese, Martin: Raging Bull (USA 1980). Covergestaltung: Markus Greter Abbildung 1: Avildsen, John G.: Rocky (USA 1976). Abbildung 2: Wise, Robert: Somebody up There Likes Me (USA 1956). Abbildung 3: Kazan, Elia: On the Waterfront (USA 1954). Abbildung 4: Thorpe, Richard: The Crowd Roars (USA 1938). Abbildung 5: Mamoulian, Rouben: Golden Boy (USA 1939). Abbildung 6: Litvak, Anatole: City for Conquest (USA 1940). Abbildung 7: Zeffirelli, Franco: The Champ (USA 1979). Abbildung 8: Kazan, Elia: On the Waterfront (USA 1954). Abbildung 9: Nelson, Ralph: Requiem for a Heavyweight (USA 1962). Abbildung 10: Scorsese, Martin: Raging Bull (USA 1980). 413

FAUST TRIFFT AUGE

Abbildung 11: Gries, Tom: The Greatest (USA 1976). Abbildung 12: Stallone, Sylvester: Rocky II (USA 1978). Abbildung 13: Keaton, Buster: Battling Butler (USA 1925/26). Abbildung 14: Chaplin, Charles: City Lights (USA 1931). Abbildung 15: Robson, Mark: The Harder They Fall (USA 1956). Abbildung 16: Stallone, Sylvester: Rocky II (USA 1978). Abbildung 17: Rossen, Robert: Body and Soul (USA 1947). Abbildung 18: Huston, John: Fat City (USA 1972). Abbildung 19: Wise, Robert: The Set-up (USA 1949). Abbildung 20: Fincher, David: Fight Club (USA 1999). Abbildung 21: Rossen, Robert: Body and Soul (USA 1947). Abbildung 22: Wise, Robert: Somebody up There Likes Me (USA 1956). Abbildung 23: Robson, Mark: Champion (USA 1949). Abbildung 24: Robson, Mark: Champion (USA 1949). Abbildung 25: Huston, John: Fat City (USA 1972). Abbildung 26: Scorsese, Martin: Raging Bull (USA 1980). Abbildung 27: Scorsese, Martin: Raging Bull (USA 1980). Abbildung 28: Gries, Tom: The Greatest (USA 1976). Abbildung 29: Huston, John: Fat City (USA 1972). Abbildung 30: Scorsese, Martin: Raging Bull (USA 1980).

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Aktuelle Titel der Reihe Kultur- und Medientheorie Landesverband der

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Februar 2004, 196 Seiten,

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