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German Pages 544 [549] Year 1985
Reinhard Opitz Faschismus und Neofaschismus
Akademie-Verlag • Berlin 1984
Erschienen im Akademie-Verlag, DDR-1086 Berlin, Leipziger Straße 3-4 © 1984 by Verlag Marxistische Blätter GmbH, Frankfurt am Main Lizenznummer: 202 • 100/266/84 Druck: Plambeck & Co Druck und Verlag GmbH, 4040 Neuss Umschlag: Max Bertholl Bestellnummer: 754 447 8 (6871) • LSV 0235 Der Vertrieb dieser Ausgabe ist nur in den sozialistischen Ländern gestattet. 01950
Inhalt
Erster Teil I. Zur Entstehung der „völkischen" Richtung im politischen Kräftespektrum der bürgerlichen Gesellschaft .
5
Neuer imperialistischer Ideologiebedarf. Momente seiner Herausbildung: Sozialdarwinismus und Rassismus
7
Antisemitismus
21
Das „völkische" Demagogiemodell
26
„Völkische" Parteigründungen
29
Österreich
31
Ein Pseudonym namens „Daniel Frymann"
35
II. Entstand die NSDAP „autonom"?
41
Interessenspalt im Großkapital - „Erfüllungspolitik" und „Katastrophenpolitik"
42
Putschistenkreise und die Thüle-Gesellschaft des Freiherrn von Sebottendorff
46
„Deutschvölkisch und sozialistisch" - „Deutsche Arbeiterpartei (DAP)", „Deutschsozialistische Partei (DSP)"
51
Konterrevolution in München: Die Hauptleute Röhm und Mayr und ein „tüchtiger" V-Mann namens Hitler
56
Hitlers Auftrag in der „DAP"
63
Der Kapp-Putsch und die „Ordnungszelle Bayern"
67
Führer-Suchanzeigen „Mitteleuropa" und „Donau-Konföderation" - das Monopolkapital schmiedet Pläne
70 74
„Volkserhebung" gegen Frankreich? Widersprüche im Lager der „vaterländischen" Kräfte und Umorganisierung der SA
78
Diktaturpläne beim Monopolkapital und in der Reichswehr und der Münchener Ludendorff-Hitler-Putsch vom 8./9. November 1923
84
III. Gab es in der NSDAP einen „linken" Flügel?
94
Eduard Stadtler und die „Solidarier"
95
Die Strasser-Richtung
106
Zuspitzung der Flügelkämpfe im deutschen Faschismus . . . Ernst Niekischs „Widerstandsbewegung" - oder was heißt „nationalrevolutionär" ?
145 150
IV. Wie hingen im deutschen Faschismus der Antisemitismus, die Judenverfolgungspolitik und die Juden Vernichtung mit den Interessen des Monopolkapitals zusammen?
192
„Feindfreier Herrschaftsraum"
192
Grundlegender Nenner, Funktionen und Phasen des Antisemitismus und der „Judenpolitik" des deutschen Faschismus.
199
Die letzten Monate des Krieges - warum jetzt noch Massenvernichtung?
231
Zweiter Teil V. Zu Begriff und Entwicklungstendenzen des Neofaschismus in der Bundesrepublik
238
„Neo"-Faschismus
239
Die ersten Nachkriegsjahre. Die „Bruderschaft" FrankeGrickschs und Hasso von. Manteuffels, ihre Geheimarmee und ihre „Europa"-Konzeption
243
Organisatorische Zentren, Vorstöße und Versuche neofaschistischer „Europa"-Orientierung
257
Goebbels' Staatssekretär taucht wieder auf - die Verschwörung des Werner Naumann
266
Jahre einer Redynamisierung des Neofaschismus
282
Herausbildung der gegenwärtigen Konstellation im Neofaschismus der Bundesrepublik
297
„Solidaristen", „Nationale Sozialisten", „Nationalrevolutionäre"
310
Das Ideologiemuster und strategische Zielrichtungen der „ Neuen Rechten"
318
VI. Zur Rekonstitution des „Völkischen" in der Literatur der „nationalen Welle"
351
Anmerkungen
371
Personenverzeichnis
538
Erster Teil I. Zur Entstehung der „völkischen" Richtung im politischen Kräftespektrum der bürgerlichen Gesellschaft
In der Regel setzen Darstellungen der Geschichte des deutschen Faschismus - so wenig es solche bis heute allerdings überhaupt als Gesamtdarstellungen gibt 1 - mit der Gründung der NSDAP bzw. DAP (Deutsche Arbeiter-Partei) im Januar 1919 ein. Aber man versteht vom deutschen Faschismus insgesamt wie auch von dieser Parteigründung so gut wie nichts, solange man nicht zuvor verstanden hat, weshalb es bereits seit den letzten Jahrzehnten des vorigen Jahrhunderts im politischen Richtungs- und Parteienspektrum des kaiserlichen Deutschland wie des benachbarten habsburgischen Österreich (und auch, wenngleich in geringerem Grade, einiger anderer europäischer Länder) zur Ausbildung einer eigentümlich neuartigen, von Anfang an besonders demagogisch auftretenden und sich qualitativ von allen bislang bekannten Parteirichtungen auf irritierende, schwer einzuordnende Weise abhebenden Richtung kam, derjenigen, die sich schon vor dem ersten Weltkrieg zunehmend selber die „völkische" nannte.2 Die Ursachen des Aufkommens dieser Richtung erschließen sich aber wiederum erst, wenn man sich vergegenwärtigt: die aus dem Ubergang des Kapitalismus der freien Konkurrenz in sein imperialistisches (monopolkapitalistisches) Stadium resultierenden neuartigen Interessen des nunmehr - wie für Deutschland allgemein datiert wird, ab etwa 1890 - imperialistischen Großkapitals und seinen hieraus wieder hervorgehenden, entsprechend neuartigen (nun spezifisch imperialistischen) politischen Ideologiebedarf einerseits und die historische Hauptschwierigkeit, auf die das imperialistische Großkapital namentlich in Deutschland bei der innenpolitischen Durchsetzung seiner neuartigen Interessen, beim Versuch, auch das gesamte Volk in sie einzubinden, stieß (und den dadurch sich noch einmal um gleichsam eine weitere Umdrehung modifizierenden politischen Ideologie- oder Demagogiebedarf), andererseits.3 Man kann den Faschismus nicht ohne den Imperialismus verste5
hen - eine einfache, freilich nur zu oft außer acht gelassene Wahrheit; man kann ihn aber auch nicht ohne die historisch je konkreten, länderspezifisch und situationsbedingt differierenden innenpolitischen Durchsetzungsprobleme der Interessen des Imperialismus verstehen, das heißt nicht ohne sein jeweiliges nationales Integrations- (oder, was nicht ganz dasselbe, wohl aber das daran Wesentliche bezeichnet: Massenbasis-)Problem. Worin bestanden die neuartigen Interessen des imperialistisch gewordenen Großkapitals? Lenin hat sie in seiner Imperialismus-Definition 4 auf die entscheidenden Punkte gebracht: Der Kapitalexport gewinnt für die innerhalb der Kapitalistenklasse in der Periode des Monopolkapitalismus herrschend gewordene Gruppierung des „Finanzkapitals" - das aus der Verschmelzung von monopolistischem Industrie- und monopolistischem Bankkapital hervorgeht - im Unterschied zum Warenexport besondere Bedeutung. Es bilden sich „internationale monopolistische Kapitalistenverbände, die die Welt unter sich teilen", aber „die territoriale Aufteilung der Erde unter die kapitalistischen Großmächte ist beendet". Daraus folgt unmittelbar Lenins Theorie der imperialistischen Kriege: Von nun an mußten daher die kapitalistischen Großmächte und internationalen Kapitalistenverbände, da einerseits die Ausdehnung in ausbeutungsfähige und für Kapitalanlagen profitable Gebiete und mithin auch deren Besitz zur Bedingung optimaler Kapitalverwertung und des weiteren eigenen ökonomischen Wachstums geworden ist, andererseits aber kein Land auf der Erde mehr zur Verfügung steht, das nicht schon einer der Großmächte gehört oder von ihr als „Einflußsphäre" beansprucht wird, untereinander von Zeit zu Zeit „Erdneuverteilungskriege" führen; durch sie wird ihr Anteil am Besitz der Erdoberfläche jeweils dem zwischen ihnen entstandenen - notwendig im Verlaufe der Zeit (auf Grund der ungleichmäßigen Entwicklung der kapitalistischen Länder) sich verändernden - ökonomischen Stärkeverhältnis angepaßt, was nur immer gewaltsam erfolgen kann. 5 Das deutsche Finanzkapital war im Zuge des mit der Reichseinigung (und insbesondere dann mit dem ihr 1872 folgenden „Gründerkrach" und der anschließenden langanhaltenden Depressionsperiode) einsetzenden ökonomischen Konzentrationsprozesses rasch herangewachsen und erstarkt und hatte bis zum ersten Weltkrieg die bislang führende Industriemacht England im Anteil an der Weltindustrieproduktion überholt und Frankreich weit hinter sich gelas6
sen; aufgrund der späten Nationalstaatsbildung war es aber erst 1884 zu aktiver Kolonialpolitik übergegangen und stieß in seinem territorialen Expansionsstreben bald an die Grenzen der Einflußsphären der älteren Kolonialmächte. 6 So war es vom Ende des Jahrhunderts an zunehmend elementar an einer solchen Erdneuverteilung - und damit an der Vorbereitung auf einen Erdumverteilungskrieg - interessiert. 7 Welcher neue politische Ideologiebedarf aber ergab sich daraus?
Neuer imperialistischer Ideologiebedarf. Momente seiner Herausbildung: Sozialdarwinismus und Rassismus Es war nun zum dringlichen innenpolitischen Interesse des Monopolkapitals geworden, auch die Bevölkerung - von der man sich in einem solchen Kriege getragen wissen und auf die man sich auch schon bei seiner Vorbereitung stützen mußte - hinter der eigenen Kriegsflagge möglichst geschlossen und möglichst begeistert zu versammeln. Bereits 1891 hatten die Konzerne der Schwerindustrie an der Ruhr auf Initiative des Krupp-Direktors Alfred Hugenberg gemeinsam mit gleichfalls expansionsinteressierten Kreisen des Handelskapitals und dem als Nationalheld gefeierten „Kolonialpionier" und blutbesudelten Massenschlächter von Deutsch-Ostafrika, Carl Peters, eigens einen Verband zur Förderung des Gedankens deutscher Weltausdehnung und Weltmachtpolitik ,,in Europa und über See" sowie zur Propagierung insbesondere ihrer eigenen Expansionszielprogramme und zur „Bekämpfung aller der nationalen Entwicklung (d.h. diesem Weltherrschafts- und Weltkriegsdrang) entgegengesetzten Richtungen" ins Leben gerufen: den „Alldeutschen Verband"; 8 diesem war es vor allem darum zu tun, sogenannte „Multiplikatoren" - Professoren, Lehrer, Pfarrer (vorzugsweise protestantische) und Journalisten - in seinen Reihen zu organisieren, um über sie den zum „alldeutschen" Sendungsbewußtsein und imperialistischen Welteroberungswillen pervertierten „nationalen Gedanken" in breitere Volksschichten tragen zu lassen. Der bisherige bürgerlich-liberale Nationalismus oder liberale Patriotismus bedurfte angesichts der monopolkapitalistischen Expansionsinteressen nun also einer Korrektur, mußte imperialistischer 7
Nationalismus werden. Worin bestand der Unterschied zwischen dem Nationalgedanken des älteren Liberalismus und dem imperialistischen Nationalismus? Darin, daß der Nationalgedanke des vorimperialistischen Liberalismus noch, wie der frühe Liberalismus insgesamt, in bezug zum Gleichheitsgedanken der Aufklärung stand und die deutsche Reichseinigung während der gesamten ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts von den meisten liberalen Patrioten noch namens eines jeder Nation zustehenden, gleichsam natürlichen Rechts (Naturrechts) auf ihren eigenen Staat gefordert wurde. Jetzt aber wurde genau das Gegenteil benötigt, ein Nationalgedanke nämlich, aus dem das „Recht" der eigenen Nation auf die Beseitigung der Eigenstaatlichkeit anderer Nationen und auf deren politische Beherrschung resultierte. Man kann den Operationsprozeß, der hier vonnöten war, sehr schön am Beispiel eines Aufsatzes von Friedrich Naumann aus dem Jahre 1908 über das „Ideal der Freiheit" studieren, in dem er (da wohl gerade im Bildungsbürgertum durchaus nicht alle Liberalen ihn von sich aus vollzogen) ausdrücklich vorgenommen wird. Naumann schrieb damals gegen diejenigen, für die noch immer „diese Art von Freiheitsideal nicht erloschen" sei, das da meine, „die Einheit Italiens, die Souveränität Serbiens, die Autonomie der Bulgaren, die Freiheit der Polen und die Unabhängigkeit der nordafrikanischen Raubstaaten" seien „ungefähr dieselbe Sache" und es „müßte sich der wackere deutsche Freiheitsmann gleichzeitig für alle bedrückten Armenier, Aschantis und Irländer erwärmen": Dies sei „der Internationalismus der früheren Demokratie, die für die Entwicklung des staatlichen Großbetriebes noch kein Verständnis hatte. Es ist weltpolitische Kleinstaaterei, eine Gesinnung, die nichts anderes ist als die Übertragung des Kleinbürgergeistes und seiner Kleinlichkeit auf die Verhältnisse der Staaten. Die Geschichte selbst hat aber längst gegen diesen Geist entschieden. Man mag sie als hart und kalt schelten, das wird ihr gleich sein, denn sie ist ja in der Tat gefühllos. Die Geschichte lehrt, daß der Gesamtfortschritt der Kultur gar nicht anders möglich ist als durch Zerbrechung der nationalen Freiheit kleinerer Völker Mit anderen Worten: Ein Stück des alten kleinbürgerlichen Freiheitsideals muß ins Wasser geworfen werden, damit man den technischen Kulturgedanken voll ausdenken und ihm dienen kann. Es ist kein ewiges Recht der Menschen, von Stammesgenossen geleitet zu werden. Die Geschichte hat entschieden, daß es führende Nationen gibt und solche, die geführt werden, 8
und es ist schwer liberaler sein zu wollen, als die Geschichte selbst es ist." 9 Und wie nach außen, so auch nach innen. War der Kampf des älteren Liberalismus und liberalen Nationalismus um die Einheit der Nation noch ein Kampf gegen die Fürstenherrschaft und für bürgerliche - das bedeutete aber damals objektiv: Erweiterung der allgemeinen - Freiheitsrechte, so verlangte die politische Bedarfslage des imperialistisch gewordenen Großkapitals nun nach einem Nationalismus, der nicht erweiterte Freiheitsrechte, sondern die Forderung nach politischer Subordination, nationaler „Willensgeschlossenheit" und Hingabefreudigkeit für die eine „gemeinsame", inhaltlich vorgegebene „nationale Sache" der Expansion rechtfertigte und Versuche sozialer Interessenwahrnehmung seitens der nicht zur Mitformulierung der „nationalen Ziele" zugelassenen Bevölkerungsklassen oder gar politische Kritik an jenen Zielen und Widerstand gegen sie ins Licht des „Antinationalen", „Vaterlands"feindlichen, zu rücken vermöchte; damit aber gewann der Nationalismus nun eine ausgesprochen denunziatorisch-antidemokratische Stoßrichtung und Funktion und wurde zur Hauptformierungsideologie gegen Sozialisten, Altliberale, ja noch „gemäßigte" Imperialliberale sowie jedwede aus Humanitätshemmungen oder anderen Gründen sich den säbelrasselndsten „vaterländischen Kreisen" nicht zugesellende sonstige Partei oder Denkrichtung. Wie aber ließ sich die Forderung nach solch absoluter politischer „Geschlossenheit der Nation", vor der der Parteigedanke als solcher - ein Kind schließlich des Liberalismus und also des Bürgertums selbst - jetzt in den Verdacht des national Unbesonnenen, wenn nicht überhaupt Unvaterländischen, geriet, wie ließ sich erst recht der Anspruch, zur Herrschaft über andere Völker berechtigt zu sein, denn nun aber auch massenwirksam begründen, d. h. ideologisch plausibel machen? Und eben hier setzen die Probleme ein. Tatsächlich hatte sich der zügellose Machtwille der imperialistischen Bourgeoisie längst seinen gleichsam spontanen und authentischen ideologischen Ausdruck geschaffen, und zwar in Gestalt des Sozialdarwinismus: der Übertragung also der naturwissenschafdichen Entdeckung Darwins auf die menschliche Gesellschaft - die Evolution der Arten im Tier- und Pflanzenreich ergibt sich aus der organischen Anpassung ihrer je widerstandsfähigsten Exemplare an veränderte, ungünstigere Lebensbedingungen (denen die schwächeren erliegen), und das den Fortschritt von niederen zu je nächsthöhe9
ren Gattungen hervorbringende Entwicklungsgesetz bestehe mithin in der fortwährenden, .natürlichen Auslese" der im täglichen Kampf ums Uberleben Stärkeren und somit „Lebenstüchtigeren". Das Leben selbst also - in der Interpretation der Sozialdarwinisten - ein ewiger „struggle for life", „Kampf ums Dasein", Kampf aller gegen alle ums „Uberleben", den nur derjenige besteht, der sich in ihm als der Stärkere und damit zugleich als der höhere, überlebensberechtigte Typus erweist, gegen den die Schwächeren, ihm Unterlegenen, „lebensgesetzlich" kein Recht anzumelden haben: Was konnte einem tüchtigen, kapitalkräftigen, zur Umwandlung der Welt in eine Vermehrungsstätte für sein Kapital im Vollgefühl des ökonomisch und militärisch erstarkenden nationalen Imperialismus aufbrechenden Unternehmer mehr nach dem Herzen sein als diese auf eine nackte Faustkampfmoral und die Verkündung des „Rechtes des Stärkeren" als einzigen ,,lebensgemäßen" Rechtes hinauslaufende biologistische Philosophie, die nur vordergründig eine Anwendung der Darwinschen Naturerkenntnisse auf die Gesellschaft war, in Wahrheit aber nichts anderes als die Projektion des Gewaltgesetzes des Kapitals selbst und seiner Sicht der Welt als Markt, ewige Ringkampfstätte der auf Leben und Tod ausgetragenen Kapital-Konkurrenz, in die Natur- und Sozialgeschichte. Diese triviale Brutalphilosophie vom „Lebenskampf", als dessen „natürliches" Antriebsmotiv der Wille zur „Selbstbehauptung" im Uberlebenskampf als Stärkerer und also der „Wille zur Macht" galt (letztlicher somit geradezu als Vitalitätskriterium, und „Selbstbehauptung" als der einzige Orientierungswert „gesunden" Lebens überhaupt), fand ihren sie in anspruchsvolleres Dunkel erhöhenden und gleichzeitig zu ihren schärfsten Konsequenzen zuspitzenden Künder in Friedrich Nietzsche. 10 Nietzsche trieb die Vorstellungen von der „natürlichen Auslese" im „Kampf aller gegen alle" nun zur Forderung und zum hymnisch gefeierten Ideal der „Züchtung" einer „höheren, stärkeren" Art, des sich in seinem „Willen zur Macht" durch keine „Sklavenmoral des Mitleids und der Humanität" mehr gehemmt fühlenden, sich durch mitleidlosen Lebenskampf-Egoismus, Härte und Grausamkeit auszeichnenden „Übermenschen" voran, eines „Herrenmenschen", der sich „jenseits von Gut und Böse" seines Lebensrechtes zur Versklavung der Schwächeren bewußt sei und von ihm Gebrauch mache, - einer „Herrenrasse", 11 die in einem Zeitalter bevorstehender „großartiger Kriege" zur weltbeherrschenden Erdregierung würde: der „blonden Be10
stie". Was aber war der offenkundige Mangel dieser unverhohlenen, den imperialistischen Bedürfnissen so ganz auf den Leib geschneiderten Machtphilosophie, sobald man sie unter dem Gesichtspunkt ihres Funktionswertes als politische Integrationsideologie betrachtete? Sie wies in dieser Hinsicht gleich zwei schwerwiegende Defizite auf. Das erste bestand darin, daß sich von ihrem zynischen Amoralismus, ihrer programmatischen Absage an alle Moral zugunsten offener Verherrlichung des nackten Machtgedankens allenfalls noch von denjenigen dynamischen Unternehmerfamilien, deren Weltsicht sie wiedergab, abgesehen - die für den morbiden Kitzel solch schockierender Frivolität empfänglichen Söhne des Bildungsbürgertums und heruntergekommenen, daher ohnehin fatalistisch gestimmten Adels faszinieren und in ihren Bann ziehen ließen (dies freilich in erheblicher Zahl), nicht aber die „einfachen" Volksschichten, die Masse der „kleinen Leute", auf die es bei der politischen Integration oder inneren Festigung der prospektiven Kriegsgesellschaft doch gerade ankam. Nicht von ungefähr hatten sich alle bisherigen politischen Integrationsideologien der Geschichte betont werthaft gegeben, die jeweils verteidigten Herrschaftsverhältnisse im Namen von allgemeinen Werten gerechtfertigt, die den Beherrschten die Brücke zur Identifikation mit den Herrschenden in vermeindich ihrem eigenen Interesse boten und sie zugleich einem moralischen Nötigungszwang zu ihr aussetzten; die nichtbürgerlichen „unteren" Volksschichten standen in Deutschland bis zum Jahrhundertende und darüber hinaus entweder noch tief unter dem Einfluß der jahrhundertelang ihnen als verbindlich vermittelten chrisdichen Moralvorstellungen oder aber unter dem Einfluß aufklärerisch-liberaler und proletarischer Moral, waren durchweg also einer jeweiligen Moralität sehr viel fester verbunden als die zu weltläufigem moralischem Indifferentismus neigenden Oberschichten. Eine politische Herrschafts-Rechtfertigungsphilosophie, die sich ostentativ jedweden Anscheins moralischer Wertorientierung begab, also konnte gerade bei der „Masse des einfachen Volks" nicht verfangen, zumal sie den in der gesellschaftlichen Realität sich als die Schwächeren Erlebenden ja den erbarmungslosen Umgang mit ihnen seitens der Stärkeren, der Besitzenden, ansagte und ihn rechtfertigte, ohne daß sie irgendeinen Trost für die Schwächeren - den sie 11
vielmehr ausdrücklich als lebenswidrige Sentimentalität zurückwies - bereithielt; sie bot ihnen keinerlei Identifikationsmöglichkeit mit den Stärkeren, den „Herren", war also als Integrationsideologie wahrhaft untauglich. Das zweite, hiermit engstens zusammenhängende Defizit aber lag darin, daß Selbstbehauptungs- und Uberlebenskampf von der sozialdarwinistischen Philosophie ja als das Gesetz des Lebens schlechthin bezeichnet wurden, sie das Gesetz also auch eines jeden einzelnen Lebewesens waren, aber eine in lauter einzelne Uberlebenskämpfer zerrissene Gesellschaft des Krieges aller gegen alle ja nun genau das Gegenteil dessen darstellte, worum es dem Großkapital zu tun war (das das Recht, ausschließlich dem eigenen Machtegoismus zu folgen, natürlich nur sich selbst, aber doch nicht auch den hinter seinen Zielen zu formierenden und für sie zu funktionalisierenden Volksklassen zuerkannt sehen wollte). Der Sozialdarwinismus also vermochte nicht, das vom imperialistischen Nationalismus benötigte kollektive Subjekt des „Lebenskampfes" nach außen, die „Nation", zu konstituieren; sie zerfiel ihm, von seiner eigenen Prämisse her, daß Leben Lebenskampf sei, in lauter individuelle Subjekte, die ihren je eigenen Kampf führten und für deren Formierung zu einer national geschlossenen Kampfgemeinschaft er in sich selbst keine Begründung bereithielt; er taugte, in dieser ursprünglichen Form, also auch nicht zur ideologischtheoretischen Rechtfertigung der innenpolitischen Stoßrichtung des imperialistischen Nationalismus gegen vaterlandsvergessenen „Parteienhader" und „Klassenkampf" - ja, er enthielt noch nicht einmal Kautelen dagegen in sich, daß sich auch Arbeiter und Angehörige anderer sozial benachteiligter Schichten auf seine Lebenskampfweltsicht berufen und ihr eigens „Lebensrecht" zum Kampf gegen die Stärkeren und zum Zusammenschluß gegen sie aus ihr herleiten konnten (und es gab damals durchaus derartige Tendenzen zu sozialdarwinistischer Argumentation in der Arbeiterbewegung, gegen die Marx heftig anging, 12 die beim Kapital aber natürlich gleichwohl Beunruhigung auslösen mußten und ihm die politischen Schwachseiten des Sozialdarwinismus signalisierten). Es gehört nun zu den heute sicher als schockierend empfundenen, doch zum Verständnis der Herausbildung der „völkischen" Richtung und des Faschismus äußerst wichtigen und daher zur Kenntnis zu nehmenden Wendungen oder Sachverhalten der politischen Ideologiengeschichte, daß der Sozialdarwinismus diese seine beiden 12
Funktionsmängel als Integrationsideologie - also die Abwesenheit eines jeden Werthaftigkeitsscheins und seine Unfähigkeit, ein kollektives, klassenübeigreifendes nationales Lebenskampfsubjekt zu konstituieren - ausgerechnet dadurch zu überwinden vermochte, daß er sich mit dem „modernen" Rassismus verband. Vielleicht zunächst ein Wort dazu, weshalb hier von „modernem" Rassismus die Rede ist. Natürlich gab es Rassismus, wenn man darunter ein Ressentiment gegen fremdartige Menschen und auf ihm sich aufbauende Vorurteilsketten, die darauf hinauslaufen, ihnen mindere Qualitäten oder „Barbarentum" qua Stammesveranlagung zuschreiben zu können, in der Geschichte der Völker nur allzu häufig und seit undenklichen Zeiten. Doch erst in der Mitte des 19. Jahrhunderts wurde in Europa von den Verteidigern der feudalen Adelsvorrechte und aristokratischen Besitzherrschaft im Kampf gegen den Aufstieg von Demokratie und Proletariat jenes seit altersher leicht anrufbare Ressentiment zu einer Weltgeschichtserklärung, einer allgemeinen Geschichtstheorie, die mit Wissenschaftsanspruch nämlich pseudo-naturwissenschafdicher Begründung - auftrat, hochformuliert; und es erfüllte in dieser zu einem quasi-naturwissenschaftlichen Geschichtsbild generalisierten und systematisierten neuen Form bald auch eine historisch neuartige, nämlich - ungeachtet ihrer noch feudalaristokratischen geistigen Geburtshelfer - imperialistische Funktion: wurde imperialistischer Rassismus.13 Das markanteste Startsignal hierzu hatte das 1853-55 in Frankreich von Joseph Arthur Graf Gobineau veröffentlichte vierbändige Buch „Die Ungleichheit der Menschenrassen" gegeben, das in Frontstellung gegen den Egalitätsgedanken der Demokratie eine „natürliche Ungleichheit" der Menschen vermittels der These behauptete, daß es unterschiedlich wertvolle Menschenrassen gäbe, um dann die Wertunterscheidung der Rassen wie folgt in ein Argument gegen die Demokratie zuzuspitzen: Aller Kulturverfall käme von der „Bastardisierung" - der Vermengung „wertvoller" Rassen mit „minderwertigen" - , das Volk jedoch sei bastardisiert, die Kultur daher nur durch die Herrschaft derjenigen Geschlechter, die über Generationen hin ihre Rasse „rein" gehalten haben (also den Adel), aufrechtzuerhalten.14 Oder nur andersherum: Alles Unheil käme von der Gleichheit, da sie mit Bastardisierung identisch sei, diese aber Kulturverfall und vor allem den Verlust der Herrschaftsfähigkeit der Nation bedeute. Und Gobineau ist der erste, der den Versuch unternimmt, im Sinne dieses ja nur allzu durchsichtig im Kontext der ak13
tuellen Klassenauseinandersetzungen des damaligen Frankreich stehenden Argumentationsansatzes die gesamte Weltgeschichte in seinem - deshalb vier Bände benötigenden - „Werk" als eine Geschichte des Kampfes „edler" Rassengegen „minderwertige" zu rekonstruieren; er ist der erste, der Geschichte also nunmehr generell als Rassenkampfgeschichte interpretiert und damit zum Begründer des „theoretischen" („modernen") Rassismus wird. 15 Dabei ist aufschlußreich, daß sich Gobineau enttäuscht darüber äußert, daß (Alexis de Tocqueville weist ihn in einem Brief auf den Grund dafür hin) sein Buch große Resonanz nur bei den Sklavenbesitzern der amerikanischen Südstaaten findet (die sich an Gobineauschen Sätzen wie etwa dem begeistern, daß „niedere Rassen" „nicht zivilisierbar" und nur dazu geeignet seien, den, .höheren Rassen" als „belebte Maschinen zu nützlicher Arbeit" zu dienen); 16 so wenig stand für ihn selbst die kolonialistische Außenanwendung und so sehr die antidemokratische Innenanwendung des rassistischen Geschichtsbilds im Vordergrund seiner eigenen Motive und seiner Aufmerksamkeit, was man als einen zwar nur äußerlichen, empirisch-biographischen, doch symptomatischen, in die richtige Richtung führenden Hinweis darauf nehmen sollte, daß die antidemokratische Stoßrichtung ins Innere der eigenen Nation in der Tat die primäre Funktion des „modernen" Rassismus ist. Allerdings, der Imperialismus, der von der zweiten Jahrhunderthälfte an in nur phasenverschobenem Tempo in Großbritannien und Frankreich und Deutschland gleichermaßen sich entwickelt und durchsetzt, ist Kapitalexport- und Ausdehnungsdrang über die Erdkugel hin und Reaktion, Antidemokratismus, Aufklärungs- und Liberalismuswiderruf nach innen in untrennlicher Einheit, und das vom Grafen Gobineau zur schon hoffnungslosen Verteidigung noch der Feudalkaste mitten im Triumphjahrhundert und im Triumphland des Großbürgertums geschneiderte Theoriegewand hatte in der Tat Ärmel für beides. Der Imperialismus also brauchte in dieses Gewand nur hineinzuschlüpfen und konnte - mit der kleinen Modifikation, versteht sich: die „Rasse" der jeweiligen eigenen Nation zur weltedelsten zu erklären - nunmehr gleichrangig Kriege und Versklavungsabsichten gegenüber anderen Ländern und Völkern und den Krieg gegen seine politischen Widersacher im eigenen Lande nahtlos mit ein und derselben - rasse,,theoretischen" - Argumentation rechtfertigen; er konnte so seine inneren Gegner auf den Nenner der äußeren bringen und damit beide in einem einzigen 14
Feindbilde zusammenziehen. Mit diesem „modernen Rassismus also verband sich nun der Sozialdarwinismus. Und was leistete diese Fusion? Sie lieferte ihm das vom Imperialismus benötigte kollektive „Lebenskampf-Subjekt: die jetzt in Ubereinstimmung mit seinem eigenen Biologismus pseudo-naturwissenschaftlich konstituierbare, nämlich rassistisch begründete „Nation"; die Subjekte des sozialdarwinistischen „Lebenskampfes" sind nunmehr die „Rassen" oder rassisch verstandene Nationen. Und sie erlaubte ihm, die gesamte abgeworfene traditionelle Wertsphäre wieder zurückzuholen und sich aufzustülpen. Denn das rassistische Grundaxiom von der Wertungleichheit der Rassen war ja seinem ganzen Sinne nach nur die Einladung dazu, der „eigenen" Rasse sämtliche nur erdenklichen menschheitsnützlichen Eigenschaften, idealen Tugenden und Wertideen zuzuschreiben, und ihr „Daseinskampf" mit den „moralisch minderwertigeren" Rassen mußte daher nun aber auch nicht mehr im häßlichen Namen der Macht erfolgen, sondern konnte nun wieder namens aller altvertrauten - nur eben jetzt bei der eigenen Rasse lokalisierten und von ihr zu verteidigenden - höchsten Menschheitswerte, namens alles „Edlen und Guten", geführt werden. Auch der dem ursprünglichen Sozialdarwinismus immanenten Möglichkeit, daß die sozial Beherrschten sich ihrerseits auf das „Lebenskampf-Gesetz berufen und zur Selbstorganisation ihres Überlebenskampfs übergehen, war mit der Proklamation der „Rasse" zum Subjekt des Lebenskampfs und ihrer Definition als „Blutsgemeinschaft", mit der Herleitung ihrer Homogenität und Unteilbarkeit also aus dem gemeinsamen „Blut", nunmehr ein Riegel vorgeschoben; denn „gleiches Blut" erhebt sich nicht gegen „gleiches Blut", dies wäre jetzt ein selbstzerstörerischer, „lebenswidriger" Kampf innerhalb des kämpfenden Geschichtssubjekts selbst, wäre Verrat am Uberlebenskampf der eigenen „Blutsgemeinschaft" gewesen. Der Rassismus wiederum gewann durch die Verbindung mit dem Sozialdarwinismus erst seine wirklich radikal-biologistische - ideologiegeschichtlich nun wahrhaft „moderne", imperialistische Grundlegung 17 und mit ihr seine dynamische Aggressivität. Denn jetzt waren die Rassen nicht nur „wertverschieden", sondern ihr Kampf gegeneinander, in dem es nur ein Siegen oder Unterliegen gab, war jetzt ein „Lebensgesetz", und die als „minderwertig" dargestellten „Rassen" waren, da der „Daseinskampf" und der „Wille 15
zur Macht" auch ihr Gesetz war, nun gerade besonders gefährlich und mußten namens der höheren Menschheitswerte von den „kulturtragenden" Rassen unterworfen und in ihrem Einfluß für die Menschheit „unschädlich" gemacht werden. So sehr der Rassismus dem Sozialdarwinismus also wieder zu einem moralischen Mäntelchen und Werthaftigkeitsschein verhalf, so sehr schob dessen eigener Amoralismus, die nackte Faustkampfmoral und die Deutung des Lebens als eines ewigen Kampfes darum, als der „Stärkere" zu überleben, sich dem Rassismus nun insgesamt als seine eigene philosophische Herleitungsgrundlage unter - und blieb dies bis heute. Aller imperialistische Rassismus hat die genuine Brutalphilosophie des Imperialismus, den Sozialdarwinismus, zu seinem (bis zur Gegenwart letztendlich durch nichts anderes ersetzbaren) philosophischen Boden. 1 8 Die Geschichtsforschung hat es lange Zeit unterlassen, sich die Frage zum Thema zu machen, wie es denn nun aber zu einer so starken Ausbreitung dieses Rassismus in Deutschland von den letzten Jahrzehnten des vorigen Jahrhunderts an kommen konnte. Inzwischen liegen allerdings doch einige erste Untersuchungen darüber vor, 1 9 und seither steht fest, daß sich dieser Prozeß so „spontan", wie es mangels genauerer Kenntnis bislang zumeist einfach angenommen wurde, keineswegs vollzogen hat; vielmehr gab es durchaus organisierende Zentren seiner Ausbreitung, die planmäßig darauf hinarbeiteten, den Rassismus in die Öffentlichkeit zu tragen und im Bewußtsein möglichst breiter Bevölkerungsschichten zu verankern. Und die rührigste und zugleich mächtigste dieser Zentralen war der „Alldeutsche Verband". Der „Alldeutsche Verband" inspirierte die Gründung unzähliger Vereinigungen, die sich in unterschiedlichster Organisationsform oft in der logenartigen Form eines „Geheimordens", aber ebenso auch als jedermann zugängliche Studienzirkel oder aktivistische „ B ü n d e " - mit „Germanenkunde" zu dem einen einzigen Zwecke beschäftigten, in ihrer jeweiligen Mitgliedschaft - und vermittelt durch sie in der Öffentlichkeit - ein rassisches Höherwertigkeitsgefühl und einen aus ihm abgeleiteten Weltherrschaftsanspruch der Deutschen hochzuzüchten. 20 Der „Alldeutsche Verband" verfügte aber auch über die größte wissenschafdiche und zugleich „populärwissenschaftlich"-gossenagitatorische Propagandazentrale des Rassismus in Deutschland in Gestalt des Verlages seines bayerischen Landesvorsitzenden J. F. Lehmann. Der Münchener Verlag J . F. 16
Lehmann, in dem die hochrenommierte „Münchener Medizinische Wochenschrift", das damals einschlägige und fast obligatorische Fachblatt aller Ärzte in Deutschland, erschien, nutzte sein Ansehen als wissenschaftlicher Fachverlag, um nach Kräften das Eindringen des Rassismus in die deutsche Anthropologie und Medizin initiativ zu fördern ; 2 1 er richtete aber auch - und offenbar ohne Beeinträchtigung seines wissenschaftlichen Ansehens - in seinem Hause schon in den frühen zwanziger Jahren eine „rassenpolitische Abteilung" ein, die in Massenauflagen rassistische Flugschriften und AgitationsHilfsmittel (von der Schautafel bis zu Lichtbildervorträgen) vertrieb. 22 Freilich sei darauf hingewiesen, daß sich der Hang zur rassistischen Begründung des Expansionismus im deutschen Unternehmertum allerdings in der Tat auch „spontan", und zwar schon sehr früh, nämlich mit dem Aufkommen von Expansionsgelüsten bei ihm überhaupt eingestellt hatte - also noch vor der vollen Ausbildung des Imperialismus und sogar noch vor der Reichseinigung als der Voraussetzung jeder kraftvolleren Expansionspolitik. Um vor allzu schematischen Datierungen und der falschen Vorstellung zu warnen, es müßten sich etwa immer erst die ökonomischen Strukturen schon ausgebildet haben, ehe die ihnen entsprechenden Ideologien entstehen können (vielmehr ist es gerade eine Eigentümlichkeit der Ideologien, den objektiven Strukturen oft vorgängig zu sein und ihrer Durchsetzung gegen zuwiderstehende Rechts- und Moralnormen den Weg zu bahnen), hier nur ein einziges Belegbeispiel dafür aus einer Schrift von Friedrich List - dem „ersten Industrie-Syndikus der deutschen Geschichte", wie Theodor Heuss ihn zutreffend nannte - aus dem Jahre 1846. List, dessen Feder den Interessen rheinischer Industriekreise um den Kölner Bankier Gustav v. Mevissen wie auch süddeutscher Kapitalkreise verpflichtet war, schrieb bereits damals: „Es ist kaum einem Zweifel unterworfen, daß die germanische Rasse durch ihre Natur und ihren Charakter von der Vorsehung vorzugsweise zur Lösung der großen Aufgabe bestimmt ist, die Weltangelegenheiten zu leiten, wilde und barbarische Länder zu zivilisieren und die noch unbewohnten zu bevölkern.. ." 23 Hier also findet sich bereits die ideologische Substituion von „Kapital" durch „Rasse" (denn es war natürlich das Kapital und nicht das wie immer zur Musterrasse hochgeschmeichelte, aber nichtsdestoweniger - und nur desto mehr - im Untertanenstatus gehaltene Volk, das sich zur „Leitung der Weltangelegenheiten" beru17
fen fühlte, in fremden Ländern zu investieren beabsichtigte, sie „zivilisieren" und - besetzen wollte). 24 Wie sehr es den Industriellen gerade der Schwerindustrie an der Ruhr um das Vordringen des Rassismus im öffentlichen Bewußtsein zu tun war und wie zielstrebig sie es förderten, dafür gibt es ein besonders anschauliches Beispiel aus dem Jahre 1903. In diesem Jahr veranstaltete der Stahlindustrielle Krupp ein öffentliches Preisausschreiben, das die beste Arbeit über „die Anwendung von Erkenntnissen der Abstammungs- und Erblichkeitslehre auf das soziale Leben" zu prämiieren versprach. Aus dem Wettbewerb ging als preisgekrönter Sieger eine Arbeit von Schallmayer hervor, die, Galtons „Eugenik" aufgreifend, zum wissenschaftsgeschichtlichen Ausgangspunkt der Entwicklung der sogenannten „Rassenhygiene" in Deutschland wurde. 2 5 Ab 1904 brachte der Verlag J. F. Lehmann das von Alfred Ploetz und Fritz Lenz redigierte,, Archiv für Rassenund Gesellschaftsbiologie' (die spätere Zeitschrift „Rasse und Volk") heraus, Organ der bald danach, 1905, gegründeten „Gesellschaft für Rassenhygiene". 26 Der Verleger J. F. Lehmann wurde zum Entdecker, Förderer und drängenden Anreger der späteren maßgeblichen Rassentheoretiker des Nazismus, an ihrer aller Spitze Hans F. K. Günthers, des berüchtigten „Rassengünthers", den Lehmann unmittelbar nach dem ersten Weltkrieg von sich aus initiativ anstieß und geradezu beschwor, seine dann 1922 erschienene „Rassenkunde des deutschen Volkes" zu schreiben, die das Standardwerk und die parteioffizielle Grundlage des sogenannten späteren NS-Rassismus wurde. 2 7 Der Mann aber, der zuvor die für den deutschen Imperialismus entscheidende Schlüsselstellung der Umschrift des Gobineauschen Rassismus auf die Machtansprüche ausschließlich des deutschen Kapitals vollbracht hatte, war der aus Deutschenverehrung von England nach Deutschland umgesiedelte britische Ex-Offizier Houston Stewart Chamberlain. Er heiratete 1908 in Deutschland Richard Wagners Tochter Eva, 28 zog ins Bayreuther Wagner-Haus ein und verfaßte hier nicht nur (bis zu seinem Tode, im Jahre 1927) einen Großteil seiner übelsten rassistischen und weltkriegsanfeuernden Schriften, sondern konnte sich in ihnen auch auf Wagners eigene Germanen-Verherrlichung und Juden-Verunglimpfung berufen und durfte sich, in herzlichem Einvernehmen mit der Wagner-Familie, als Biograph Wagners betätigen, - was man beim Hören der Wagnerschen Musik nie vergessen sollte, weil sie erst dann zu ver18
stehen ist und es sich einem dann erschließt, daß es den Imperialismus eben auch in der Musik - und zwar, von den Textvorlagen ganz abgesehen, als Musik - gibt. 29 Chamberlains bereits 1899 erschienenes Hauptwerk „Die Grundlagen des 19. Jahrhunderts" hatte die von Gobineau noch der „weißen Rasse" kollektiv zugeschriebene Eigenschaft, der alleinige „Kulturträger" der Erdbevölkerung zu sein, weiter eingeengt auf das „Germanentum" und sie in ihm wiederum insbesondere den „Deutschen" zugesprochen mit der Schlußfolgerung, daß also „die Deutschen" berufen seien, „die gesamte Erdkugel zu beherrschen". 30 Das genau war es, was die aggressivsten Kräfte des deutschen Imperialismus zu dieser Zeit brauchten und hören wollten. 1913 verbindet sich deshalb nunmehr auch in aller Öffentlichkeit der Vorsitzende des „Alldeutschen Verbandes", Heinrich Claß, mit eben jenem Houston Stewart Chamberlain und bringt mit ihm gemeinsam im Verlag J. F. Lehmann eine rassistische Zeitschrift unter dem Titel „Deutschlands Erneuerung" heraus, 31 deren erstes Heft mit einem programmatischen Aufsatz des Ploetz-Schülers Professor Fritz Lenz „Zur Erneuerung der Ethik" (auf rassistischer Grundlage nämlich) eröffnet und ein Jahr später, mit Weltkriegsbeginn, zu Tausenden von Exemplaren unter den deutschen Soldaten an der „Front" verbreitet wird. 32 Was aber war nun das Dilemma des deutschen Großkapitals bei all dieser doch eigentlich mächtig betriebenen und ja durchaus nicht erfolglosen ideologischen Agitation? Es tritt schlagartig in den Blick, sobald wir uns nur einmal die Reichstagswahlergebnisse der Sozialdemokratie in der Zeit von der Aufhebung der Sozialistengesetze im Jahre 1890 an bis zum Beginn des ersten Weltkrieges ansehen. Hier die Zahlen, - ich beginne mal, aus Vergleichsgründen, mit den Ergebnissen der beiden letzten Reichstagswahlen vor der Aufhebung der Sozialistengesetze: Sie betrugen für die Sozialdemokratie in den Wahlen des Jahres 1884 9,7 Prozent, bei den Wahlen von 1887 sinkt der Stimmenanteil dann ab auf 7,1 Prozent. In den Reichstagswahlen von 1890, den ersten nach der Aufhebung der Sozialistengesetze, aber schnellt er hoch auf 19,7 Prozent, 1893 dann auf 23,3 Prozent, 1898 ist er auf 27,2 Prozent angestiegen, 1903 auf 31,7 Prozent, 1907 beträgt er 29 Prozent, 1912 erreicht er die Rekordhöhe von 34,8 Prozent. (Zahlen nach W. Mommsen, Deutsche Parteiprogramme [Deutsches Handbuch der Politik, Bd. 1], München 1960, S. 791-793) 19
Das war mehr als ein des Drittel deutschen Volkes. Was hieß das aber? Das hieß, man hatte ja nun alles versucht, man hatte es mit den Sozialistengesetzen versucht, man hatte es umgekehrt mit der Politik der „Sozialreform von oben", und man hatte es mit der Kombination von beidem versucht. Es hatte aber alles nicht dazu geführt, die Arbeiter von der Sozialdemokratie abzubringen. Und auch die gesamte eben vorgestellte rassistische Agitation hatte das nicht vermocht. Konnte man aber mit einem Volk, das zu mehr als einem Drittel der Sozialdemokratie anhing - einer doch damals noch weitgehend marxistisch orientierten, entschieden kriegsgegnerischen Partei - , in den Weltkrieg gehen? War das eine zuverlässige innere Basis für ihn? Gewiß, die spätere Entwicklung hat gezeigt, daß dann auch der einfache imperialistische Nationalismus ausreichte, um im Jahre 1914 die Bewilligung der Kriegskredite von der Sozialdemokratie zu erhalten und zumindest anfangs einen großen Teil auch der Arbeiterschaft in den Kriegsbegeisterungstaumel mithineinzureißen und damit jene „Geschlossenheit" (das „Wunder vom August 1914") herzustellen, von der die Nationalisten aller Schattierungen in den Weimarer Jahren dann so unermüdlich wie gleichsam von der Erweckungsstunde und Verheißung der Nation ebenso nostalgisch wie aggressiv schwärmten. Doch war das 1890, 1900 und noch 1912 eigentlich so vorauszusehen, ließ sich jedenfalls darauf bauen? In den Augen des Großkapitals zog vielmehr hier die höchste Gefahr für alles herauf, worum es ihm ging. Und die Bemühungen sowohl der Konservativen und Nationalliberalen wie auch der Politiker der freisinnigen Parteien und der späteren Fortschrittlichen Volkspartei, den Arbeitern auf unterschiedlichste Art und Weise den Sozialismus als „Irrweg" auszureden, verfingen immer weniger, wie die Entwicklung der Wahlergebnisse zeigte. Mit bloßer Verstärkung der Versuche, in der Arbeiterschaft frontal gegen den Sozialismus aufzutreten, war also offenkundig nichts mehr auszurichten. Und hier nun kommt, zur Bewältigung dieses Problems, das die innenpolitische Hauptfrage für die imperialistische Großbourgeoisie war, eine neue strategische Antwort auf - eigentlich schon ab Anfang der achtziger Jahre, doch an Aktualität gewinnend und sich verdeudichend in dem Maße, in dem das Potential der Sozialdemokratie anschwillt und tendenziell mit der gesamten Arbeiterschaft identisch wird, nämlich die Antwort: Man darf eben nicht mehr vor den Arbeitern den Eindruck erwecken, ihnen den Sozialismus über20
haupt ausreden zu wollen, was sie nur in ihrem Mißtrauen gegen den Sprecher bestärkt und sie noch mehr der Sozialdemokratie zutreibt, vielmehr müsse man versuchen, sie im Namen des Sozialismus für die äußeren und inneren Hauptziele des Imperialismus und vor allem zur Aufopferungsfreudigkeit für seinen Krieg zu gewinnen. 33
Antisemitismus Wie bringt man das Kunststück fertig, die Arbeiterschaft im Namen des Sozialismus für den Imperialismus zu gewinnen? Es kommt jetzt zur Ausbildung eines Agitations- oder Demagogiemodells, das dies leisten soll, und zwar dadurch, daß es alle diejenigen neuartigen Elemente der imperialistischen Demagogie, die wir bisher behandelt haben - also den imperialistischen neuformulierten Nationalismus, den Sozialdarwinismus und den Rassismus - , aufnimmt, sie aber mit einem weiteren, gleichfalls seit der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts in neuartiger, wiederum spezifisch imperialistischer Gestalt aufgenommenen und sich ausbreitenden ideologischen Element kombiniert: dem „modernen", nämlich nunmehr rassistisch begründeten Anstisemitismus. Mehr noch als beim Rassismus selbst muß hier wohl aber zunächst wieder angesichts der weitverbreiteten, oft geradezu programmatischen und nicht selten sehr zweckbewußten Leugnung einer speziell imperialistischen Erscheinungsform und Funktion des Antisemitismus ausdrücklich dargelegt werden, weshalb es berechtigt und notwendig ist, von imperialistischem Antisemitismus (im Unterschied etwa zum mittelalterlichen) zu sprechen. Zumeist wird der Antisemitismus ja als etwas dargestellt, was es in angeblich unveränderter Form seit altersher gegeben habe, seit dem ersten Kreuzzug jedenfalls, zu dem Papst Urban II. im Jahre 1095 zwecks Eroberung Palästinas aufrief, und den Pogromen gegen die „Christusmörder", die die Kreuzzügler auf dem Wege dahin veranstalteten. Seither fungierte der jederzeit leicht zu Pogromen anstachelbare Antisemitismus in der Tat über die Jahrhunderte hin als ein probates Mittel in den Händen der jeweils herrschenden, aufkommenden Volkszorn von ihren Palästen auf die Juden abzulenken, indem man ausstreute, daß sie durch ihre fremden Bräuche, ihr Festhalten an ihrer nichtchristlichen Religion, irgendwelche ihnen unterstellte Handlungen oder auch ihre bloße Anwesenheit den Unwil-
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len Gottes über das Land gebracht und irgendein jeweiliges Unglück oder vom Volk als drückend empfundene Mißstände heraufbeschworen hätten. Dieser religiös begründete Antisemitismus hatte zur Voraussetzung seiner Funktionsfähigkeit als Volkszornventil also eine entsprechend starke Verankerung des Volks in christlichem Glaubensfanatismus, er war ein Instrument in der Hand von Landesherren, die ihre Herrschaftsstellung ihrerseits mit Hilfe der christlichen Kirchen religiös-legitimistisch rechtfertigten und das Volk von der Geistlichkeit in einem Glauben halten ließen, der auf solche Zwecke zugeschneidert war - damit aber auch grundsätzlich gegen die „Sünde" der nicht „gottgefälligen" Existenz aufwiegelbar - , ein Herrschaftsinstrument also in der Funktion der Verteidigung feudaler und christlich-legitimistisch apologisierter Herrschaftsverhältnisse (und dies in einigen Ländern Europas bis in die Anfänge des 20. Jahrhunderts hinein). Seine Funktionstauglichkeit mußte dementsprechend aber auch in dem Maße abnehmen und außer Kraft geraten, in dem mit dem aufsteigenden Bürgertum sich Säkularisierung und Aufklärung durchsetzten und im Volk ausbreiteten. Dem Antisemitismus kam daher zur Zeit des frühen Liberalismus auch keine bürgerliche Funktion zu. Er gewinnt eine bürgerliche Funktion jedoch im Verlaufe des 19. Jahrhunderts. Als Ressentiment tief eingefressen gerade auch in die Mentalität des Kleinbürgertums, das unter den beengenden Verhältnissen der deutschen Fürstenstaaten und eines feigen Großbürgertums in seiner Mehrheit ja weit weniger aufgeklärt als bigott herangewachsen war und im Biedermeierrock individual-ehrgeizig um Aufstieg und Emporkommen des einen über den je anderen kämpfte, hatte er schon in den ersten Jahrzehnten des Jahrhunderts, als in einigen deutschen Fürstenstaaten die alten Judendiskriminierungsgesetze erstmals gelockert und zum Teil aufgehoben wurden, zu pogromartigen Ausschreitungen in deutschen Städten („Hep-HepKrawalle" in Würz bürg, Frankfurt, Heidelberg, Hamburg etc.) und zu judenfeindlichen Reaktionen von Handwerkergilden, Handelskammern und anderen Berufsständevertretungen geführt, aus denen nun der Konkurrenzehrgeiz vor allem des kleinen Wirtschaftsbürgertums und der strebsamen Kontorschreiber- und Beamtenfamilien sprach. Am frühesten wohl verband sich der bürgerliche Nationalismus in den deutschen „Burschenschaften" und der „Turnerbewegung" mit den von Männern wie dem „Turnvater" Jahn oder Ernst Moritz Arndt gleichermaßen in ihn hineingewobenen Anti22
semitismus, der im nationalistischen Kontext nun aber großbürgerlich-antidemokratische Funktion gewann, da sich jetzt mit dem nicht so sehr seiner Religion wegen, sondern als Feind und Störenfried der „Nation" gebrandmarkten „ J u d e n " auch alles, was dem zunehmend ins Bündnis mit Bismarcks Preußen drängenden Großbürgertum nicht genügend „national" schien - insbesondere damals der am Vorrang der Verfassung - vor der Einheitsfrage festehaltende Teil des Liberalismus-, identifizieren ließ; seither kommt es deshalb zu „Anwendungen" eines Antisemitismus, die dem Liberalismus und der Demokratie gelten (denen vom Standpunkt des feudalkonservativen und neuen großbürgerlich-konservativen Illiberalismus aus nun „jüdischer" - in er Meinung von: a- oder antinationaler „ G e i s t " zugeschrieben wird, - „jüdisch" also in seinem Sprachgebrauch nun zu einem Synonym wird für eine ihm verhaßte aufklärerische - in seiner Ausdrucksweise: „zersetzende" - , politische Geisteshaltung, wofür u. a. die Geschichte der Heinrich-Heine-Kritik reichhaltiges Belegmaterial bietet). Als der dem deutsch-französischen Krieg von 1870/71 folgende kurzlebige „Gründerboom" im „Gründerkrach", dem Zusammenbruch all der vielen im ersten Anstiegsoptimismus gegründeten neuen mitderen und kleinen Unternehmen, endet und sich Enttäuschung und ohnmächtiger Zorn des um seine Geldanlagen gebrachten mittelständischen und kleinen Wirtschaftsbürgertums in geballter Wucht gegen die Nutznießer seines Bankrotts und Aufkäufer der ruinierten Betriebe, die mächtigen Industriekonzerne und Banken, zu wenden drohen, handhabt das Großkapital erstmals die Ventilfunktion des hinreichend verbreiteten und also auch ansprechenden Antisemitismus in großem Stil zu seinen Güsten; und zwar nunmehr gegenüber dem mittleren und kleinen Bürgertum, indem es in einer gewaltigen antisemitischen Agitationskampagne die Schuld am „Gründerkrach" den Juden zuschieben läßt - ein Vorgang, der nur wenige Jahre später seine fast genaue Analogie in Frankreich findet, wo der Zusammenbruch der „Panama-Gesellschaft", eine für das französische Wirtschaftsbürgertum ähnlich große Katastrophe, eine antisemitische Welle auslöst, die zur „Dreyfus-Affaire" (1896) und den ersten Manifestationen der Ausbildung auch einer französischen rassistisch-völkischen und im Fluchtpunkt faschistischen Richtung (Ernest Renan, Charles Maurras u. a.) führt. Im Jahre 1873, exakt dem Jahr des „Gründerkrachs", findet in Deutschland die von Wilhelm Marr verfaßte Schrift „ D e r Sieg des 23
Judenthums über das Germanenthum" Massenverbreitung, in der Deutschland als das „abendländischen Neu-Palästina" dargestellt wird, in dem sich die Juden des den Franzosen vom siegreichen Deutschland abverlangten Gold-Tributes bemächtigt und an die Spitze des „corrumpierenden Gründerthums nach dem Kriege" gesetzt hätten und in dem mittels ihrer Emanzipation „das Handwerk" der Großindustrie geopfert worden sei, so daß der „1800 Jahre währende" Krieg „der Juden gegen die Germanen" nunmehr, 1873, mit dem „Sedan" des „Germanenthums" geendet habe. 3 4 Dieser Schrift folgt schon 1879 eine weitere Schrift Marrs mit dem nun genau umgekehrten, mobilisierenden Untertitel „ D e r Weg zum Sieg des Germanenthums über das Judentum" und dem appellativen Haupttitel „Wählet keine Juden!", die als parteipolitischen Hauptrepräsentanten des nicht wählbaren „Judenthums" den linken Nationalliberalismus und als seine allgemeine politische Verkörperung den Parlamentarismus anprangert. 35 Solche Umlenkung des in der gesamten langen Depressionszeit der siebziger und achtziger Jahre anhaltenden Unmuts der mittelständisch-kleinbürgerlichen und bäuerlichen Wählerschichten, an die diese Schriften ausdrücklich adressiert waren, auf die politischen (teils durchaus selbst kapitalistischen) Widersacher der reaktionärsten Kräfte des Großkapitals vermittels des Ferments Antisemitismus vermochte inmitten und gar schon gegen Ende des neunzehnten Jahrhunderts im Kleinbürgertum und selbst bei den ländlichen Schichten freilich nur noch zu funktionieren und den unerläßlichen Mindestschein des für sie selbst Glaubbaren zu erzeugen, wenn die funktionsnotwendigerweise zu behauptende Verabscheuungswürdigkeit und Gefährlichkeit der Juden nicht mehr aus ihrer - im Zeitalter der sich durchsetzenden religiösen Indifferenz und Toleranz gleichgültig werdenden - Konfessionszugehörigkeit, sondern aus einer dem Geist des Jahrhunderts entsprechenden, einer „naturwissenschafdichen" Begründung hergeleitet war. Wilhelm Marr, der im gleichen Jahr, in dem seine zweite Schrift erscheint, zum Gründer der ersten antisemitischen „Bewegung" in Deutschland, der „Antisemiten-Liga", wird und als der Schöpfer des Wortes Antisemitismus oder zumindest doch als derjenige, der es in den politischen Sprachgebrauch einführte, gilt, 36 ist der erste, der daher nun programmatisch den Rassismus zur einzig zulässigen Begründungsgrundlage des Antisemitismus erklärt und folglich in seinen zahllosen Schriften nichts mehr immer wieder betont, als daß die Frage der 24
Zugehörigkeit zum Judentum keine Frage der Religion, sondern der „ R a s s e " und des aus ihr resultierenden „Rassencharakters" und „Rassengeistes" sei, worin er nun rasch, von Eugen Dühring 3 7 bis Chamberlain, Nachsprecher findet. Erst damit aber war der an sich ja in der Geschichte so weit zurückverfolgbare Antisemitismus endgültig in den ideologischen Kontext eines ausgesprochen aggressiven und dynamischen Imperialismus eingetreten und zu dessen Funktion geworden: Der Rassismus, auf dessen „theoretischen" Boden er jetzt gestellt wurde, hatte sich zur gleichen Zeit und schon vor ihm ja seinerseits mit dem Sozialdarwinismüs, der vitalen Aggressions- und Bracchialgewaltsphilosophie des Imperialismus, verbunden und hieraus allein sein Renommé als „Naturwissenschaft" gewonnen; diese imperialistische Urphilosophie drang mit der rassistischen Untermauerung des Antisemitismus deshalb nun aber auch in diesen selbst ein, ihr „ L e benskampf"-Weltbild und -Imperativ wurde nun auch seine philosophische Grundlage und „Moral", womit er nun auch ihre eigene aggressive, auf Leben oder Tod gehende und grundsätzlich kein Ende kennende Dynamik annahm. Mit diesem rassistisch-sozialdarwinistisch begründeten, „ m o dernen" Antisemitismus also verknüpften - um hier den Exkurs in seine Entwicklungsgeschichte zu beenden - nun diejenigen, denen es um die Integration der Arbeiterschaft in den imperialistischen Kriegswillen zu tun war, ihre nationalistisch-rassistische Argumentation. Und zwar ergänzte er einerseits das germanophile Rassenkampfweltbild um die Aussage, die den „hochwertigen" Ariern oder Germanen weltgeschichtlich am feindlichsten gegenüberstehende, „minderwertigste", sie daher aber auch am hinterhältigsten bekämpfende und ihnen gefährlichste Rasse seien die „ J u d e n " . Diese antisemitische Präzisierung des Rassenfeindbildes ließ er nun aber zugleich auch andererseits mit dem Ziel der innenpolitischen Sozialismusbekämpfung untrennlich zusammenfallen und sie auf diese praktische Konsequenz hinauslaufen. Daraus ergab sich ein ganz bestimmtes, in der Geschichte richtungskonstitutiv werdendes politisches Demagogiemodell, das Modell der „völkischen Sozialismusdemagogie".
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Das ,,völkische" Demagogiemodell Wie sah das Modell dieser Demagogie in seinen Hauptzügen aus? Es soll hier, seiner Bedeutung für die Geschichte der völkischen Richtungsbildung wegen, paradigmatisch rekonstruiert werden. Es warb stets durch die vorangeschickte oder auch beliebig oft in den Argumentationsablauf eingeflochtene Versicherung um Gehör, daß im sozialistischen Wollen der Arbeiterschaft sich nur deren berechtigte Interessen und gerechten Bestrebungen ausdrückten, der Sozialismus daher auch längst zum Ziel aller Einsichtigen, jedenfalls aber des hier Sprechenden, geworden sei. Es setzte ein mit dem Argument, daß jedoch der gegenwärtige marxistische Sozialismus von einem grundlegenden geschichtstheoretischen Irrtum oder Denkfehler ausgehe, nämlich der Meinung, daß das letztendlich alle Geschichte bewegende letzte, unteilbare Subjekt die Klasseninteressen oder Klassen seien, die Geschichte dementsprechend also eine Geschichte von Klassenkämpfen wäre. In Wirklichkeit aber - und nun die Gegenposition - sei dieses letzte unteilbare geschichtsbewegende Subjekt gerade ein die Klassen je national unauflöslich zusammenbindendes, sie zur Einheit verschmelzendes Element. Was könnte das sein? Was kann einerseits offenkundige Teile, die Klassen, in sich enthalten und doch als Ganzes die überhaupt letzte, nicht weiter teilbare Größe sein? Dies sei: das Blut!, daher aber sei alle Geschichte nicht eine Geschichte von Klassenkämpfen, sondern der Kämpfe von „Blutsgemeinschaften", das heißt von „Rassen" beziehungsweise von rassisch zu verstehenden Nationen. Bis hierhin war dies nur mit der Aussage des uns schon geläufigen rassistisch-sozialdarwinistisch begründeten Nationalismus identisch. Nim aber schließt sich die Einführung des rassistischen Antisemitismus in der folgenden, besonderen Weise an: Die hinterhältigste und der germanischen Rasse feindlichste Rasse der „Juden" führe ihren Kampf um die Vernichtung der Germanen, die das Haupthindernis (als die, .tüchtigste" Rasse) auf ihrem Wege zur ersehnten Herrschaft über die Welt seien, hauptsächlich mit zwei für sie rassenspezifischen, ihrem rasseneigenen Geist entsprechenden Mitteln der „Zersetzung": dem,,Internationalismus", den sie in die germanische Rasse und vor allem das deutsche Volk hineinzutragen versuche, um deren Kampfwillen im ewigen Lebenskampf der Rassen zu lähmen, 26
und dem,,Klassenkampfgedanken", der den Versuch darstelle, auch die Kampffähigkeit des feindlichen Volkes von innen her zu paralysieren, indem er es in einander sich bekämpfende Teile zerreißt. ,.Internationalismus" und „Klassenkampf" - aber das waren doch die Hauptideen und Grundorientierungen des Sozialismus. Eben, setzte die Argumentation fort, und was sei also daran zu erkennen? Daß dieser gegenwärtig in der Arbeiterschaft verbreitete marxistische Sozialismus gar nicht ihr eigener, sondern ein vom Judentum mittels der Sozialdemokratie in sie hineingetragener, „jüdisch verfälschter" Sozialismus sei, der die Aufgabe habe, die Überlebenskraft des deutschen Volkes im ewigen Daseinskampf durch seine eigene Arbeiterschaft zerstören zu lassen. Schon deshalb könne er doch aber gar nicht im Interesse der deutschen Arbeiter selbst liegen und also auch nicht ihr Sozialismus sein. Was aber sei dann wohl von sozialistischen Führern zu halten, die ihnen täglich die gegen das eigene Volk zielenden jüdischen Kampfparolen vom „Internationalismus" und „Klassenkampf" einzutrichtern versuchen? Es könne nur eine Schlußfolgerung geben: Sie seien Agenten des auf die Zerstörung des deutschen Volks sinnenden schlimmsten äußeren Rassenfeindes - und in der Tat: Viele von ihnen seien selbst Juden, Marx war Jude, habe den Marxismus im Interesse seiner Rasse als geniales Instrument zur Umfunktionierung der Arbeiterklasse der germanischen Völker ersonnen - , zur Umfunktionierung der stärksten inneren Kraft der germanischen Völker in unfreiwillige Kampfbataillone gegen sie selbst und für den Triumph des Judentums in seinem Kampf um die Beherrschung der Welt. Denn ein von fremdrassigen Zielsetzungen freier, nicht jüdisch verfälschter, also wirklich eigener Sozialismus bekenne sich doch selbstverständlich zum nur einfach „lebensgesetzlichen" Kampf seines Volkes - hier also deutlich der Sozialdarwinismus der ein ewiger Kampf der Rassen „um Raum" auf dieser Erde sei-hier also unverhohlen der nur rassistisch verbrämte imperialistische Sinn des Ganzen; er nehme an diesem Kampf teil und trage aus innerster Überzeugung zum Siege seines Volkes und dessen höchstmöglicher militärischer Stärkung bei, sei also kein „internationalistischer", sondern ein „nationaler" Sozialismus. Und ein solcher nicht „jüdisch verfälschter", also auch vom fremdrassigen „Klassenkampf"-Denken freier Sozialismus ist dann auch ein nicht nur auf eine einzige Klasse bezogener - und damit die Klassen gegeneinan27
der treibender sondern ein am ganzen, in seiner Blutseinheit und blutsbedingten Schicksalsgemeinschaft unteilbaren Volk orientierter, daher ein nicht klassenmäßiger, sondern ein volks-„ganzheidicher", ein „völkischer" Sozialismus. Jedoch: Die sozialen Ungerechtigkeiten und Benachteiligungen, die die Arbeiter derzeit empfänden, erregten ihre Empörung zu Recht, die Ausbeutung, die sie und die Marxisten anklagen, gäbe es in der Tat. Nur sei es wieder die Verschlagenheit des Marxismus, sie zwar zum Kampfe dagegen anzustacheln, ihnen jedoch zu verbergen, wo sie herrühre. Denn alle Ausbeutung und entwürdigende Benachteiligung der Arbeiter habe ihre Ursache darin, daß das Judentum sich in seinem Kampf um die Zersetzung der Lebenskraft der germanischen Rasse nicht auf das Eindringen in die Arbeiterschaft in Gestalt des Marxismus beschränkt habe, sondern ebenso auch ins deutsche Kapital selbst eingedrungen sei. Dort bilde es nun neben dem rechtschaffenen, tüchtigen, deutschen, redlich für die notwendige Deckung des Güterbedarfs der Nation sorgenden „schaffenden" Kapital das rücksichtslose, egoistische, n u r - s e i n e m jüdischen Geiste entsprechend - verantwortungslos auf seinen eigenen Gewinn ausgehende „raffende" Kapital, insbesondere im das Judentum vor allem anziehenden Großkapital; es bringe mit seinem trivialen „Materialismus", seinem „Zinswucher" und seiner Profitgier nun immer mehr das gesamte Kapital in Verruf und infiziere es mit seiner Unmoral. Schlußfolgerung: Wolle die deutsche Arbeiterschaft zu einem nicht mehr jüdisch verfälschten, zu ihrem eigenen, einem „deutschen" Sozialismus gelangen, dann sei die Voraussetzung seiner Errichtung, daß sie seine jüdisch-marxistische Fremdvariante aus ihren eigenen Reihen und das Judentum insgesamt gemeinsam mit allen „gesunden", an der „Arterhaltung" der Rasse interessierten und zum Kampf für sie willigen Kräfte aus dem „deutschen Volkskörper" ausrotte. Der Weg zur Verwirklichung des „wahren", des „nationalen" Sozialismus führe nur über die Vernichtung seiner fremdrassig- „internationalistischen*' Verfälschung. 38 Damit war die Argumentationsleistung vollbracht, im Namen von Sozialismus zur Bekämpfung und Zerschlagung des Sozialismus aufrufen und mobilisieren zu können und zugleich alle innen- und außenpolitischen Feinde und präsumptiven Aggressionsopfer des deutschen Imperialismus im Bilde eines einzigen Feindes, des „ J u dentums", zusammenzuziehen. Mit diesem Demagogieschema war 28
es jetzt möglich, den Marxismus auf der einen Seite und die „Wallstreet" als angebliches Eldorado des „raffenden Kapitals" auf der anderen Seite zu einer letztlich einzigen, unter einer gemeinsamen Decke steckenden verschworenen Gemeinschaft gegen die „germanische Rasse" und das „Deutschtum" zu erklären, alle anderen unliebsamen politischen Erscheinungen gleichfalls auf diesen einen einzigen Weltverschwörungsnenner (Liberalismus auf den Nenner „raffendes Kapital", Parlamentarismus auf den Nenner „zersetzender jüdischer Geist" usw.) zu bringen und zugleich doch bei alledem vermittels des Edelgütezeichens „arisch" eine Generalabsolution und Freifahrtermächtigung für das deutsche Großkapital selbst in der Hand zu behalten.
,, Völkische"
Parteigründungen
Auf der Basis dieses Demagogiemodells versuchten nun Kreise des deutschen Kapitals seit Ende des vorigen Jahrhunderts, Arbeiterparteien ins Leben zu rufen. Was zunächst nur ein demagogisches Argumentationsschema war, schlug damit um in ein Organisationen konstituierendes politisches Mobilisierungsmodell. Das Richtungseigentümliche der hieraus hervorgehenden Organisationen lag darin, daß das sie konstituierende richtungsspezifische ideologische Grundparadigma nicht aus dem Stoffe nur einer einfachen Ideologisierung von Interessen bestand, sondern ein ausgesprochen demagogisches Argumentationsschema, eben das Schema der völkischen Sozialismusdemagogie, war, und: die aus seiner Umsetzung in eine praktische Sammlungsstrategie nun entstehenden „völkischen Parteien" waren daher aber auch in einer qualitativ charakteristischen, auf ihren Formtypus durchschlagenden und sie eben hierin von den übrigen Parteien eigentümlich abhebenden Weise demagogische Mobilisierungen. Der erste Gründungsversuch dieser Art datiert aus dem Jahre 1878. Es war der Versuch des intim mit Kaiser Wilhelm II. befreundeten und ihm zuarbeitenden Berliner Hofpredigers Adolf Stoecker, eine „Christlichsoziale Arbeiterpartei" auf antiseminitischer Basis zu gründen. Diese Partei geriet allerdings schon am Gründungstage nicht ganz programmgemäß, denn zwar war die Gründungsversammlung außerordendich gut besucht, es waren zu Stoeckers eigener Überraschung tausend Teilnehmer erschienen, doch 983 dieser 29
insgesamt genau 1000 Teilnehmerstanden auf einmal auf, sangen die „Internationale" und nahmen eine Resolution zugunsten der Sozialdemokratie an - weshalb Stoecker denn auch nach knapp drei Jahren, in denen er vergeblich versucht hatte, Arbeiter für seine Partei zu gewinnen, resigniert das Wort „Arbeiter" aus dem Parteinamen strich und die Partei als nunmehr nur „Christlichsoziale Partei" mit mehr Erfolg bis 1918 weiterführte - als eine Partei, die sich auf antisemitischen Stimmenfang im Kleinbürgertum verlegte. 39 Doch es folgten bald andere derartige Gründungen, auch wenn sie alle ganz ähnlich wie die Stoecker-Partei die Erfahrung machen mußten (die ja dann später auch die N S D A P machte), daß sich mit diesem völkisch-antisemitischen Demagogiemodell weit weniger Arbeiter als Mittelständler anziehen ließen, so daß sich viele von ihnen später denn auch gleich von vornherein schwergewichtig auf die Agitation im städtischen Mittelstand und in der Landbevölkerung konzentrierten, zumeist freilich um Einbrüche in die Arbeiterschaft weiter bemüht blieben. Hier ein Uberblick über die wichtigsten Parteien dieser Art, die bis zum Beginn des 1. Weltkriegs gegründet wurden: 1880, ein Jahr nachStoeckers Gründungsversuch, entsteht die „Soziale Reichspartei"; 1889 die „Antisemitische Deutschsoziale Partei", aus der 1890, durch Spaltung, die „Antisemitische Volkspartei" (ab 1893: Deutsche Reformpartei) und die „Deutschsoziale Partei" hervorgehen; 1894 kommt es, durch Fusion, zur „Deutschsozialen Reformpartei", aus der nach abermaliger Aufspaltung wieder die „Deutschsoziale Partei" und die „Deutsche Reformpartei" entstehen, die sich schließlich am 22. März 1914 zur „Deutschvölkischen Partei" vereinigen. Das Modell, nach dem alle diese Parteien argumentierten, war unabhängig davon, ob sie ihren Adressaten in den Mittelschichten, auf dem Lande oder in der Arbeiterschaft suchten, durchweg mehr oder minder das gleiche. Zum Beleg dafür ein Zitat aus den „Grundsätzen" der „Deutschsozialen Partei" vom Jahre 1905. Hier hieß es: „ D i e Partei erstrebt, daß Schädigungen des Gemeinwohls durch die wirtschafdiche Macht des Großkapitals verhindert werden", was wie folgt in eine praktische Handlungsorientierung umgesetzt wurde: „Als eine zersetzende Kraft auf allen Gebieten unseres Volkslebens hat sich das staatsfremde jüdische Volk erwiesen. Um die Arbeit des deutschen Volkes gegen Ausbeutung zu schützen, erscheint uns der Kampf gegen die Macht des Judentums als eine sittliche, po30
litische und wirtschaftliche Notwendigkeit." 4 0 Diese Grundfigur, zunächst anklagend vom Großkapital zu sprechen, dann aber als Weg zur Heilung der Übel den Kampf gegen das Judentum zu empfehlen, ist die charakteristische demagogische Figur, die sich in der Argumentation aller dieser Parteien - in ihren Programmen und Schriften vielfach zu belegen - wiederfindet. Alle diese Parteien standen aber nun wiederum ihrerseits in enger Tuchfühlung mit dem „Alldeutschen Verband", waren zum Teil von ihm direkt inspiriert worden, ihre führenden Mitglieder waren meist engstens mit ihm verflochten. So war zum Beispiel Theodor Fritsch, einer der prominentesten Führer der „Antisemiten-Liga" und der „Deutschsozialen Partei" sowie Herausgeber der 1895 von ihm gegründeten „Antisemitischen Correspondenz", der engste Mitarbeiter von Heinrich Claß im „Alldeutschen Verband". Bis zum ersten Weltkrieg brachten es diese Parteien im Deutschen Reich allerdings nicht zu allzu großen Erfolgen. Immerhin verfügte im Jahr 1907zum Beispiel Stoeckers „ChristlichsozialePartei" über 16 Reichstagsmandate, was ungefähr 250000 Wählerstimmen entsprach, und die „Deutschsoziale Partei" hatte 7 Sitze inne. Zum Vergleich dazu: Die Sozialdemokratie war mit 43 Mandatsträgern im Reichstag vertreten. Die nationalistische Integration des Bürgertums vollzog sich im wesentlichen - und funktionierte weiterhin * über die bisherigen großen bürgerlichen Parteien, wobei sich die rassistische und auch die antisemitische Demagogie allerdings auch in deren Argumentation einzuflechten begann und sie sich in eben dem Maße den ausgesprochen „völkischen" Strömungen näherten. So nahm zum Beispiel die „Deutschkonservative Partei", die Partei des großen Landbesitzes und der reaktionärsten Schwerindustriellen, im Jahre 1892 das Bekenntnis zum Antisemitismus nun ausdrücklich in ihr damals verabschiedetes neues Programm („Tivoli-Programm") auf. 4 1 Was den nur relativen Erfolg der völkisch-antisemitischen Parteineugründungen bis zum ersten Weltkrieg in Deutschland angeht, so sahen die Dinge in Österreich allerdings anders aus.
Österreich Zu Österreich muß man wissen, daß es aus der Sicht der „Alldeutschen" ein fürs Aufgehen im angestrebten Großdeutschland vorge31
sehenes Land, also künftiger Reichsbestandteil war; die österreichischen „Alldeutschen" - denn sonst wären sie keine gewesen - sahen und wünschten das nicht anders, sie waren daher aber auch nur der österreichische Arm des „Alldeutschtums" im Reich, seine Filialbewegung in Österreich, und verhielten sich entsprechend. Hier in Österreich aber hatten völkisch-antisemitische Bewegungen und Parteien schon in der Zeit vor dem ersten Weltkrieg, nämlich schon seit der Jahrhundertwende, einen weit größeren Erfolg als im Deutschen Kaiserreich und nahmen schon viel früher, tendenziell zumindest, den Charakter von Massenbewegungen an. Warum? Weil im Vielvölkerstaat der österreichisch-ungarischen Habsburger-Monarchie, anders als in Deutschland, die Präsenz eines bunten Gemenges verschiedenster Nationalitätenangehöriger zum Alltagsbild der Städte gehörte - Deutsche und Ungarn, Tschechen, Slowaken, Slowenen, Serben, Kroaten und sehr viele aus Ostpolen eingewanderte Juden (neben alteingesesseneren und etablierteren) auf den Straßen etwa Wiens zu sehen waren; daher ließ sich aber den Deutsch-Österreichern, der im Habsburgerreich bei weitem privilegiertesten und bestsituierten Nationalitätengruppe, die seine Führungsschicht stellte, auch sehr viel leichter einreden, daß alle Gebrechen und Mißlichkeiten des morschen Kaiserstaats nur von der die eigene Tüchtigkeit immer wieder um ihre durchschlagende Wirkung im Staate bringenden Verquickung mit den augenfällig ärmeren und deshalb von ihnen verächtlich als „untüchtig" und „minderwertig" angesehenen Nationalitäten kämen und die vollständige Trennung von ihnen und die eigene staatliche Vereinigung mit den „Reichsdeutschen" daher auch die beste Lösung wäre. Unter allen verachteten ärmeren Nationalitäten und Volksgruppen dieser Donau-Monarchie war nun aber die allerärmste - und daher ihnen allerverächtlichste - diejenige der fast nur auf Straßenhandel angewiesenen ostpolnischen Juden, so daß sich im Bilde dieser verachtetsten Gruppe, des „Juden", ihre Gesamtverachtung für die im österreichischen Kaiserreich lebenden übrigen Nationalitäten am wirkungsvollsten zusammenziehen ließ. Bereits um 1900 existierten in Österreich daher große völkisch-antisemitische Strömungen, die unter den Deutsch-Österreichern Massenanhang aufwiesen und teils parteiförmig organisiert waren, teils als „Bewegungen" auftraten. Eine der wichtigsten unter ihnen war die vom Gutsbesitzer Georg Ritter von Schönerer geführte „Alldeutsche Bewegung", die im 32
Sinne des „Alldeutschen Programms" für den Zusammenschluß aller Deutschen in einem Reich warb und in einem Atemzuge damit gemäß ihrem Leitspruch, .Durch Reinheit zur Einheit" -antisemitische Agitation mit Parolen wie den folgenden betrieb: „ O h n e Juda, ohne Rom, wird gebaut Germaniens D o m " ; oder ein Slogan, dessen Funktion es deutlich ist, den neuen, rassisch begründeten Antisemitismus einzuhämmern: „ D i e Religion ist einerlei, im Blute liegt die Schweinerei" (das also war Marr, nun auf einen Agitationsvers gebracht). Diese,,Alldeutsche Bewegung" Schönerers verlangte bereits im Jahre 1900 im Wiener Parlament, eine Prämie für jeden „niedergemachten" Juden auszusetzen. Ihr Organ war das „Alldeutsche Tageblatt"; sie brachte aber auch ein satirisches Blatt unter dem Namen „ D e r Scherer" heraus, das schon im Mai 1899 bei seinem Start mit dem Hakenkreuz auf dem Titelblatt erschien. 42 Eine noch größere zweite, in Parteiform organisierte derartige Bewegung war die „Christlich-Soziale Partei", die vom Wiener Oberbürgermeister Dr. Karl Lueger geführt wurde und Stoeckers „Christlichsozialer Partei" in Berlin ähnelte; sie betrieb gleichfalls eine vorwiegend antisemitische Mobilisierung, gewann unter den Deutsch-Österreichern jedoch anders als Stoecker im „Reichsgebiet" außerordendiche „Popularität" und entsprechenden Zulauf. Eine weitere derartige Agitationsströmung von großem Masseneinfluß verkörperte der „Ostara-Orden" von Jörg Lanz von Liebenfels, dem Industrielle eine Burg, die „Ordensburg Werfenstein" gekauft hatten, auf deren Turm er ab 1907 die Hakenkreuzfahne wehen ließ. Dieser „ O r d e n " wirkte vor allem durch seinen in Form reißerischer pornographischer Kioskheft-Literatur verbreiteten, auf die Erregung von Sexualphantasien ausgehenden Antisemitismus. Er brachte in einer Auflage von Hunderttausenden von Exemplaren das „rassenkundliche" Magazin „ O s t a r a " heraus, das Losungen ausgab wie „ F ü r die Ausrottung des Tiermenschen (Affling) und die Entwicklung des höheren Neumenschen", das planmäßige „Zuchtwahl" und „Rassenhygiene" durch „Sterilisierungen" forderte und auch schon nach Konzentrationslagern („Deportationen" der „Minderwertigen", der „Äfflinge", in den „Affenwald") rief und in mythologischen Umschreibungen bereits den Gedanken an Liquidationen aufreizte („Bringt Frauja Opfer dar, bringt ihm dar die Schrättlingskinder"); aber auch die völkisch-demagogische Funktion dieser ganzen üblen Schmutzproduktion blitzte in ihm jäh auf, wenn es die Forderung erhob, „dem sozialistischen Klassen33
kämpf durch den Rassenkampf bis aufs Kastrationsmesser zu begegnen". 4 3 Im Jahre 1904 wurde in Trautenau für die damals zur österreichisch-ungarischen Monarchie gehörenden Länder Böhmen und Mähren, in denen es zu einer kritischen Arbeitsmarktsituation, Entlassungen und Streiks gekommen war, auf Anregung böhmischmährischer Unternehmer, die am Aufbrechen der von der Sozialdemokratie propagierten Streiksolidarität der deutschen und tschechischen Arbeiter interessiert waren, eine weitere völkische Partei unter dem Namen „Deutsche Arbeiterpartei (DAP)" gegründet. Diese Partei trat in der aktuellen Situation, die zu ihrer Gründung geführt hatte, im deutschen Teil der böhmisch-mährischen Arbeiterschaft mit dem Losungsruf an, daß ,,der deutsche Arbeiter in Böhmen und Mähren" den „anderen Deutschen in diesen Ländern, auch wenn sie Apotheker oder Industrielle seien, noch immer näher als dem tschechischen Arbeiter" stehe und der „Internationalismus der Sozialdemokratie" nur, ,den tschechischen Arbeitern" nutze, jedoch „für die Deutschen Mitteleuropas von unermeßlichem Schaden" sei. Der Führer dieser neuen Partei, Rudolf Jung, verkündete als Alternative zu diesem schädlichen,,internationalistischen" Sozialismus, ganz in den Bahnen des völkischen Demagogierasters, einen „nationalen Sozialismus", der die Errichtung einer „national-sozialistischen Volksgemeinschaft" erstrebe, die gegen „Tschechen, Juden und Fremdvölkische" gerichtet sein müsse. Die Mitglieder dieser DAP, die 1919 dann zum unmittelbaren Vorbild der Münchner DAPGründung wurde, nannten sich in ihren Flugschriften schon vor 1914 „Nationalsozialisten", und 1918-noch ehe in München überhaupt die DAP gegründet war - benannte sich diese Partei bereits in „Nationalsozialistische Partei" um. 4 4 Worum es aber auch ihr mit allem „nationalen Sozialismus" im Ziel zu tun war und woher deshalb auch bei ihr von allem Anfang an der Wind wehte, kann man gut dem Hauptwerk Rudolf Jungs entnehmen, der sich - wieder ehe Hitler auf der politischen Bühne erschien- zum Theoretiker des, .nationalen Sozialismus" machte (und bei der Münchner DAP-Gründung dann beratend Pate stand). Sein programmatisches Buch „Der nationale Sozialismus. Seine Grundlagen, sein Werdegang und seine Ziele" beginnt mit den Sätzen: „Karl der Große hatte noch alle germanischen Stämme im heutigen Frankreich, Oberitalien und Deutschland in einem Staate vereinigt. Unter seinem Sohne Ludwig begann jedoch dieses Reich schon zu 34
verfallen . . . " Der dann weiter ausgeführten traurigen Verfallsgeschichte wird die Losung vom „Alldeutschland der Zukunft" entgegengestellt, dessen Erkämpfung alles im übrigen in diesem Buche nach völkischer Manier Behandelte - von der „ Volksgemeinschaft" über das „jüdische Weltherrschaftsstreben" bis zur notwendigen „Brechung der Zinsknechtschaft" und zur Unterscheidung von „Schaffern" und „Raffern" - nur funktional zugeordnet ist. 4 5
Ein Pseudonym ,,Daniel Frymann" Wenn es jetzt aber jemanden geben sollte, der einwerfen möchte, aber so exzessive und primitive antisemitische Agitationsparolen wie zumindest diejenigen des „Ostara"-Ordens könnten doch nichts mit Interessen des Großkapitals zu tun gehabt haben, dann sei auf ein Buch verwiesen, das im Jahre 1912 Heinrich Claß, der Vorsitzende des „Alldeutschen Verbandes", der politische Sachwalter der Interessen der größten Ruhrkonzerne und engster Vertrauensmann Alfred Hugenbergs, unter dem Pseudonym Daniel Frymann und dem Titel „Wenn ich der Kaiser w a r ' " veröffenlicht hat. 1912 war, wie erwähnt, ein Jahr, in dem die Reichstagswahlergebnisse der Sozialdemokratie das Großkapital alarmierten und sich im übrigen auch wieder stärkere Unzufriedenheit und politische Unruhe im mittelständischen Wirtschaftsbürgertum und ein Linkstrend im Kleinbürgertum bemerkbar machten (die erstmals an Reichstagswahlen teilnehmende „Fortschrittliche Volkspartei" erzielte auf Anhieb 12,3 Prozent der Stimmen). In dieser Situation stellten die reaktionärsten Kreise der Großbourgeoisie Erwägungen an, ob man mit der kaiserlichen Monarchie überhaupt weiterhin auskommen werde oder ob nicht nach Formen der Diktatur innerhalb der Monarchie gesucht werden müsse. Heinrich Claß, der zu diesen Kreisen gehörte, gab solchen Erwägungen in seinem Buch Ausdruck, indem er etwa erörterte, daß der Kaiser unverzüglich ein Fünfklassenwahlrecht einzuführen habe und für den Fall, daß er das nicht tue, ein Diktator eingesetzt werden müsse. 46 Unter der Vorspiegelung, daß der Verfasser selbst ein von der damaligen Unzufriedenheit des mittelständischen Bürgertums und nicht zuletzt von Unmut über das Großkapital erfaßter Bürger sei (was die Wahl des Pseudonyms erforderlich machte, das erst später enttarnt wurde 4 7 ), versuchte dieses Buch, jenen unruhig geworde35
nen, für das Großkapital integrationsstrategisch so wichtigen, sich emotional aber nun in Distanz zu ihm begebenden Schichten das gesamte innen- und außenpolitische Zielprogramm des „Alldeutschen Verbandes" in öffentlich bislang nie riskiertem Klartext als den rettenden Ausweg zu suggerieren - nach gehörigem eigenem Aufgreifen aller ihrer Unmutsstimmungen. Es ist daher ein erstrangiges Dokument für die damaligen Ziele der hinter Claß stehenden Kapitalkreise. Eben deshalb aber ist besonders interessant, wie dieses Buch die Wendung von seinen dick aufgetragenen Anklagen der „Geldherren", des von den großen Industriekonzernen und Banken betriebenen ,,Machtmißbrauchs" und des für den Mittelstand immer ruinöser werdenden „Kapitalismus" zur Empfehlung ausgerechnet des Interessenprogramms der expansivsten Kreise des Monopolkapitals vollführt. Dies geht folgendermaßen vonstatten. Nachdem die „großkapitalistische Entwicklung der letzten Jahre", die ,Großindustriellen Betriebe", das „Großbankwesen" und der „Größt-Grundbesitz" überzeugend genug unter Anklage versetzt sind und namentlich den „Großbanken" attestiert worden ist, daß die Zeiten vorüber seien, wo sie durch ihre Förderung von Industrieunternehmungen Nützliches „im Sinne der Allgemeinheit" leisteten, sie mit ihrem unmäßig angehäuften Kapital heute vielmehr nur noch Unternehmungen förderten und ins Leben riefen, „die direkt schädlich sind", dasie(Musikins Ohr des Mittelstandes) „unser Volksleben durch die Zerstörung tüchtiger Stände des Bürgertums untergraben", 48 geht es dann wie folgt weiter:, ,Mit wahrhaft genialer Intuition" habe jedoch Gobineau, „dieser germanische Seher", schon die Ursachen des Verfalls der antiken Völker erkannt: „die Zersetzung dürch jüdisches Blut und jüdischen Geist", und ein „anderer Nichtdeutscher, H. St. Chamberlain", sei jetzt zu „ähnlichen Schlüssen" gelangt; niemand könne seither mehr bezweifeln, „daß der Jude zu allem taugen mag, nur nicht zum politischen Führer und Berater seines Gastvolkes". Juden aber seien heute die führenden Männer sowohl der Nationalliberalen wie der Fortschrittsparteiler wie der Sozialdemokraten wie der Gewerkschaften, der Presse und des Kulturlebens, sie arbeiteten gemeinsam daran, die Nation zu zerreißen, und das Zentrum sei durch seine Tolerierung und Verteidigung der Juden in diese Arbeit miteingebunden. Solange aber nicht dieser „Urgrund des Übels", die von all diesen Kräften aus „jüdischem Geiste" betriebene „Zer36
setzung" erkannt und ihr ein Ende gesetzt sei (worin leider auch Wilhelm II. enttäuschte), werde die Nation weiter dem von ihnen angestrebten Ziel, dem „Chaos", entgegentreiben. Sich vor den einen oder anderen dieser zersetzenden Juden aber etwa schützend mit dem Argument stellen zu wollen, er sei doch gar nicht jüdischer Religion, sei ebenso abwegig wie die Meinung des Zentrums, die gegen die Juden erforderlichen „Maßregeln" seien Angriffe auf die Religionsfreiheit und müßten deshalb abgewehrt werden; denn: „Das A und O der Maßregeln gegen die jüdische Zersetzung l a u t e t . . . : Die Rasse ist der Quell der Gefahren..." 4 9 Und auf Grund solch glücklich geleisteter Schuldzuweisung für all das, was nur anfangs der Gegenstandskatalog mittelständischen Unbehagens am Großkapital war und sich nun unter der Hand in dessen eigenes innenpolitisches Feindbild, sein Unbehagen an der Demokratie überhaupt, umgedreht hat, an die Juden gelangt Heinrich Claß, der Vorsitzende des „Alldeutschen Verbandes", derpolitische Interessenvertreter des Ruhr-Großkapitals par excellence, im Jahre 1912 zur Aufstellung der folgenden Grundforderung: ,,Die Forderung muß sein: die landansässigen Juden werden unter Fremdenrecht gestellt. Die Vorfrage lautet: wer ist Jude, und schon sie muß mit Härte beantwortet werden, indem man zwar den Glauben als ursprüngliches Erkennungszeichen ansieht, aber die Rassenangehörigkeit ins Auge faßt und auch den vom jüdischen Glauben Abgewandten als Juden behandelt, gleichzeitig auch für die Nachkommen von Mischehen an dem alten germanischen Grundsatze festhält, daß sie der .ärgeren Hand' folgen. Man müßte, um durchzuschlagen, bestimmen: Jude im Sinne des geforderten Fremdenrechts ist jeder, der am 18. Januar 1871 der jüdischen Religionsgemeinschaft angehört hat, sowie alle Nachkommen von Personen, die damals Juden waren, wenn auch nur ein Elternteil jüdisch war oder ist. . . . Als Jude würde also nach dem obigen Vorschlage behandelt z. B. der Enkel eines im Jahre 1875 zum Protestantismus übergetretenen Juden, dessen Tochter einen Nichtjuden, z.B. Offizier geheiratet hatte. Dies klingt im Sinne unserer bisherigen Nachgiebigkeit unerhört, ist es aber den Tatsachen gegenüber nicht: denn die Erfahrung lehrt, daß solch ein Kind rassig wirklich der ärgeren Hand folgt. Im vollen Bewußtsein dessen, was damit verlangt ist, wird diese Begriffsbestimmung vorgeschlagen, ja gerade im Hinblick auf die verhängnisvolle Rolle der Halbblütigen, durch deren Vermitt37
lung der jüdische Geist, jüdische Gesinnung als Naturfolgen jüdischen Blutes in die obersten Schichten unseres Volkes eingedrungen sind und einzudringen drohen .. ." 50 Und daran schließt sich nun folgender detaillierter Forderungskatalog für die im „Frenulenrecht" festzulegenden Bestimmungen an: „Den Juden bleiben alle öffentlichen Ämter verschlossen, einerlei ob gegen Entgelt oder im Ehrenamt, einerlei ob für Recht, Staat und Gemeinde. Zum Dienst in Heer und Flotte werden sie nicht zugelassen. Sie erhalten weder aktives, noch passives Wahlrecht. Der Beruf der Anwälte und Lehrer ist ihnen versagt; die Leitung von Theatern desgleichen. Zeitungen, an denen Juden mitarbeiten, sind als solche kenntlich zu machen; die andern, die man allgemein .deutsche' Zeitungen nennen kann, dürfen weder in jüdischem Besitz stehen, noch jüdische Leiter und Mitarbeiter haben. Banken, die nicht rein persönliche Unternehmen einzelner sind, dürfen keine jüdischen Leiter haben. Ländlicher Besitz darf in Zukunft weder in jüdischem Eigentum stehen, noch mit solchen Hypotheken belastet werden. Als Entgelt für den Schutz, den die Juden als Volksfremde genießen, entrichten sie doppelte Steuern wie die Deutschen." 51 Doch auch dies schloß sich an: „Wer in den Juden Angehörige einer fremden Rasse sieht, die trotz der Teilnahme an allen Gütern unserer Kultur nicht zu Deutschen geworden sind, . . . der muß es begrüßen, daß unter den Juden selbst die nationalistische Bewegung, der sog. Zionismus mehr und mehr Anhänger gewinnt. Man kann vor den Zionisten nur Hochachtung haben; sie bekennen offen und ehrlich, daß ihr Volk ein Volk für sich i s t , . . . sie erklären auch ohne Rückhalt ein wirkliches Aufgehen der jüdischen Fremdlinge unter ihren Gastvölkern für unmöglich kraft des Naturgesetzes der Rasse, das stärker ist als das äußerliche Sich-Anpassen... Die Zionisten bestätigen durchaus, was die auf dem Standpunkt der Rasse stehenden Gegner der Juden längst behaupten... die Wahrheit, die sie verkünden, kann nicht mehr mundtot gemacht werden. Deutsche und jüdische Nationalisten sind in bezug auf die Unzerstörbarkeit der jüdischen Rasse einer Meinung.. ." 5 2 Das war ein Hinweis, dessen geschichtliche Bedeutung sich erst später zeigen sollte. Der Forderung nach einer Antijuden-Gesetzgebung korrespon38
dierte in diesem Buch aber auch eine ganz analoge nach einer Antisozialisten-Gesetzgebung. Sie las sich so: „Man greife zurück auf den Entwurf des Sozialistengesetzes, den Bismarck im Jahre 1878 dem Reichstag vorgelegt hat und lasse ihn Gesetz werden ohne die Verwässerungen, die damals vom Parlament beliebt wurden. Danach wäre zu verbieten alles, was Bestrebungen dient, die darauf ausgehen, die bestehende Staats- und Gesellschaftsordnung zu untergraben oder solches befürchten lassen; also Versammlungen, Vereine, Zeitungen, Zeitschriften solcher Tendenz werden nicht geduldet, im übrigen müssen alle die Vorbeugungsmaßregeln eingeführt werden, die der Entwurf vom September 1878 vorsah." Und auch hier war es mit der allgemeinen Forderung nach einem Ausnahmegesetz nicht genug. Hier der darüber hinausgehende, mit der Forderung nach einem „Fremdenrecht" für die Juden nun argumentativ verknüpfte, nämlich völkisch-antisemitisch begründete Forderungskatalog: „Eine Mauserung der Sozialdemokratie unter jüdischer Führung ist ausgeschlossen, auch eine langsame Abwendung vom Internationalismus. Es heißt deshalb, der Masse die Gelegenheit zur Umkehr oder zum Haltmachen dadurch zu bereiten, daß man sie von der jetzigen Führerschaft befreit, indem alle Reichstags- und Landtagsabgeordneten, alle Parteibeamten, alle Herausgeber, Verleger, Redakteure sozialistischer Zeitungen und Zeitschriften, alle sozialistischen Gewerkschaftsführer - kurz alle im Dienste der sozialistischen Propaganda stehenden aus dem Deutschen Reiche ausgewiesen werden; dasselbe gilt natürlich auch für alle Anarchisten. Man wird nicht sentimental sein dürfen, wo die Befreiung des Volkes von den Treibern in die Verwilderung verlangt wird; wer sich selbst für volklos erklärt - etwas anderes ist der .internationale' Sozialdemokrat nicht - , wer sich darin gefällt, immer wieder die unversöhnliche Feindschaft gegen Staat, Gesellschaft und Monarchie zu verkünden, der darf sich nicht darüber wundern, wenn diese endlich die Geduld verlieren. Ein solcher Feind seines Vaterlandes hatte längst das Recht verwirkt, als gleichberechtigter Bürger mit allen Rechtsgarantien behandelt zu werden und dabei unter dem Schutze der Gesetze seine zerstörende Arbeit der Volksverhetzung verrichten zu könen. Wenn ihm jetzt die Türe des verhaßten Vaterlandes gewiesen wird, so geschieht ihm ja nach seiner Meinung gar nichts Schlimmes; er mag in den gepriesenen Ländern der angeblich echten 39
Freiheit sein Glück versuchen - vom Deutschen Reiche sei er ausgestoßen, wie er sich von ihm geschieden hat. Wird der sozialistischen Bewegung so durch Ausweisung der Führer und durch Unterdrückung der Presse die geistige Leitung entzogen, wenn man das Wort geistig in diesem Zusammenhange nicht für entweiht hält, so muß natürlich damit gerechnet werden, daß damit der Sozialismus keineswegs tot ist. Der Kampf ist aufgenommen und beginnt, und der Staat muß entschlossen sein, von den Verteidigungsmitteln Gebrauch zu machen, die das neue ,Umsturzgesetz' ihm verleiht: jeder neu auftretende Führer muß des Landes verwiesen werden, wenn er revolutionär wirkt; jede parteilos gegründete Zeitung, die Miene macht, sozialistisch im Sinne der Staatsfeindlichkeit zu werden, muß unterdrückt werden; jede Versammlung ist aufzulösen, die im Sinne der sozialistischen Propaganda mißbraucht zu werden droht." 5 3 Zugleich aber enthielt das Buch auch den Satz: „Eine radikale Arbeiterpartei, die auf dem Boden des Staates, der Nation, der Monarchie steht, kann unser öffentliches Leben verdauen, vielleicht sogar ganz gut gebrauchen.. . " 5 4 In späteren Auflagen (als die Monarchie nicht mehr zur Debatte steht) wird ihn Claß durch den Hinweis verdeudichen, daß eine solche Partei die „Nationalsozialistische Deutsche Arbeiterpartei" ist. 55
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II. Entstand die NSDAP „autonom"?
Es ist ja nun aber eine weitverbreitete Meinung, daß die NSDAP zunächst einmal ohne Zutun des Kapitals entstanden sei und erst später mit ihrem Anschwellen etwa ab 1930 vom Großkapital umworben und schließlich instrumentalisiert wurde oder, so Otto Strasser, 56 dann von Hider und Göring ans Großkapital „verraten" worden sei. Etwas anderes zu behaupten, gilt als der geradezu schlimmste Ausdruck „manipulations"- oder „agententheoretischen" Denkens. Das Erstaunliche ist, daß sich diese Auffassung gegen alle längst durchaus bekannten, veröffendichten und daher jedermann zugänglichen Fakten beharrlich hält. Was sind diese Fakten, die in Diskussionen meist heruntergespielt, wenn nicht überhaupt ignoriert werden? Die Integrationskraft des bürgerlichen Nationalismus, der sich in den Augen des Kapitals im Kriegsbegeisterungstaumel des August 1914 noch einmal so durchschlagend bewährt hatte, war bereits ab 1916 spürbar zurückgegangen. Es kam zu deudicher Unzufriedenheit, Streiks und Antikriegsdemonstrationen in der Arbeiterschaft, und mit der Novemberrevolution war er außer Kurs geraten, waren er selbst und die kriegstragenden bürgerlichen Parteien diskreditiert. Jetzt strömten die Truppen revolutioniert von den Fronten zurück, angesteckt vom Bazillus der Oktoberrevolution, so daß man sie, wo es nur ging, gar nicht direkt nach Hause ließ, sondern sie erst in großen Lagern aufzufangen und dieses „gefährliche" innenpolitische Potential wieder vaterländisch und antisozialistisch aufzumöbeln versuchte. Uberall im Lande hatten sich Arbeiter- und Soldatenräte gebildet. Jetzt also war der Bedarf an besonders sozialdemagogischen Ideologen sprunghaft gestiegen, und zwar in allen Teilen des Kapitals. Alle Fraktionen des Kapitals waren sich einig darin, daß die Novemberrevolution niedergeschlagen werden müsse, und arbeiteten in diesem Punkt miteinander zusammen. Diesen Sachverhalt bezeugt etwa die Einmütigkeit, mit der alle 41
Fraktionen des Großkapitals zu dem von Hugo Stinnes, dem Ruhrkönig, und Karl Helfferich, dem Mann der Deutschen Bank, angeregten 500-Millionen-Reichsmark-Fonds der „Antibolschewistischen Liga" beisteuerten, aus dem das „Generalsekretariat zum Studium und zur Bekämpfung des Bolschewismus" unterhalten und jedwede antikommunistische Betätigung, sowohl die handgreiflich-aktivistische der Freikorps und sonstigen Wehrverbände wie die propagandistische von Parteien, unzähligen „vaterländischen" Vereinen und Presseorganen, subventioniert wurde. 57 Einig war man sich in der Aufstellung sowohl der Freikorps zur Niederwerfung der Revolution wie auch der „Grenzschutztruppe O s t " zur Fortführung des Krieges in den baltischen Ländern und gegen Sowjetrußland, wie dies im Oktober 1918 in dem zwischen Wilhelm Groener und Friedrich Ebert geschlossenen Abkommen, das zur Grundlage der verhängnisvollen Zusammenarbeit der ersten Weimarer Nachkriegsregierungen mit der Reichswehrführung wurde, festgelegt worden war. 5 8 Und doch war durch den verlorengegangenen Krieg zugleich im Großkapital selbst der Interessenspalt tiefer denn je wieder aufgebrochen. Und dies hatte bereits begonnen, als sichtbar geworden war, daß sich der Krieg nicht mehr gewinnen ließ und Entscheidungen fällig würden.
Interessenspalt im Großkapital - „Erfüllungspolitik" ,,Katastrophenpolitik "
und
Zu dieser Zeit, im Verlaufe des Jahres 1917, hatte sich bereits herauskristallisiert, daß eine Fraktion des deutschen Monopolkapitals, an deren Spitze vor allem die Chemie- und Elektrokonzerne standen, bereit war, zugunsten der Rettung ihrer vorrangigen Kriegsziele, die den Erdölvorkommen von Rumänien bis zum Persischen Golf galten und somit im Osten lagen, den Westmächten einen Friedensschluß zwecks Verhinderung der sonst abzusehenden vollständigen Niederlage und bedingungslosen Kapitulation anzubieten, und zwar auf Kosten der Annexionen und Kriegsziele im Wösten, die in erster Linie (wenn auch natürlich nicht nur) die Kriegsziele der Ruhrkonzerne waren. Als im Juli 1917 diese Fraktion des Monopolkapitals, auf die sich im Verlaufe des Krieges zunehmend die Sozialdemokratie, das Zentrum und die von ihren ureigenen politischen 42
Repräsentanten geführte Fortschrittliche Volkspartei orientiert hatten, die berühmte „Friedensresolution" im Reichstag initiierte und sie mit Hilfe dieser drei Parteien durchzusetzen vermochte, 5 9 da schrie der andere Teil des Kapitals entsetzt auf und schleuderte der Reichstagsmehrheit und Konkurrenz im Großkapital das brandmarkende Wort vom „Verrat der nationalen Interessen" entgegen und versuchte gegen dieses „feige Kapitulantentum" noch im letzten Augenblick eine Volksbewegung aller „Nationalgesinnten" in Gestalt der „Deutschen Vaterlandspartei" unter der Führung des ostpreußischen Landschaftsdirektors Wolfgang Kapp und des Militaristen-Idols Admiral v. Tirpitz ins Leben zu rufen. 6 0 Als freilich nur knapp ein Jahr später selbst der Abgott aller Alldeutschen, Militaristen und Durchhaltefanatiker, General Ludendorff, eingestehen mußte, daß die Parole vom „Siegfrieden" nicht zu realisieren war, und er nun selbst den sofortigen Waffenstillstand verlangte, waren weder er noch die Alldeutschen bereit, das national wenig ansehnliche Geschäft des Vollzuges dieses Bankrotts auch selbst auf sich zu nehmen. Jetzt waren sie vielmehr auf einmal daran interessiert, der konkurrierenden Fraktion - die seit 1880 vergeblich versucht hatte, das Wilhelminische Herrschaftsbündnis von Schwerindustrie und ostelbischem Junkertum aufzubrechen und aus der Macht abzulösen 61 - das Ruder zwecks Kapitulationsvollzuges zu übergeben. Sie sorgten in aller Eile nun selbst dafür, daß an Stelle des zurücktretenden Reichskanzlers Graf Hertling der Wunschkandidat der „neuen Industrie", Prinz Max von Baden, zu seinem Nachfolger berufen und hastig die Parlamentarisierung der Reichsregierung durch Ernennung parlamentarischer Staatssekretäre vollzogen wurde und damit die Einbindung von Sozialdemokratie, Zentrum und Fortschrittspartei in die Verantwortung für die künftigen Regierungshandlungen. Als Ludendorff vom Posten des Generalquartiermeisters zurücktrat, wurde der ein Jahr vorher von ihm aus dem Amt gejagte General Groener, der auf Drängen der rheinisch-westfälischen Rüstungskonzerne wegen einer gegen ihre Kriegsgewinne gerichteten Denkschrift unter aufsehenerregenden Umständen als Chef des Kriegsamts entlassen worden und ein Freund von Carl Duisberg war, 6 2 an seine Stelle berufen. Und nachdem Prinz Max von Baden in den ersten Tagen der Novemberrevolution erkannt hatte, daß das ursprüngliche Ziel, einen politischen Führungswechsel unter Beibehaltung der Monarchie durchzuführen, nicht mehr erreichbar war, 43
die Revolution sich vielmehr nur noch werde eindämmen lassen, wenn der Kaiser geopfert wird, und er folglich die Kanzlerschaft und die vollziehende Gewalt an Friedrich Ebert als den Führer der stärksten Reichstagsfraktion übertrug, da war die faktische Macht in Deutschland tatsächlich in die Hände der mit dem traditionellen Machtbündnis von Schwerindustrie und Junkertum konkurrierenden finanzkapitalistischen Fraktion der „neuen" Industrien und der mit ihnen verbundenen Banken (an ihrer Spitze die „Deutsche Bank") übergegangen, die sich auf die breite Massenbasis der Anhängerschaft der drei Parteien der klassischen „Weimarer Koalition" stützen konnte. Dem Selbstbewußtsein der dynamisch aufsteigenden Chemieund Elektrokonzerne entsprach es aber natürlich nicht, die ihnen von der Konkurrenz nach deren eigener Intention nur vorübergehend überlassene politische Macht wieder aus der Hand zu geben. Sie waren vielmehr entschlossen, sie auch nach der Erledigung des unrühmlichen Geschäfts der Annahme der Kapitulationsbedingungen und des schwierigen der Revolutionsbekämpfung und inneren Stabilisierung zu behalten, um sie dann zur Durchsetzung ihrer eigenen außen- und innenpolitischen Vorstellungen zu nutzen. Ihr seit zwei Jahrzehnten erbittert geführter Kampf mit der Schwerindustrie um die Kriegsziel- und Bündnisorientierung des Deutschen Reiches hatte sich in seiner Substanz ebensowenig erledigt wie die innenpolitische Streitfrage des Verhältnisses zum ostelbischen Großgrundbesitz, und in den Augen der „neuen Industrien" war es nach der Kriegsniederlage der schwerindustriell-junkerlichen Konkurrenz vielmehr in beiden Fragen nun endlich Zeit zu einer Kurswende in ihrem Sinne; es war daher nicht verwunderlich, daß in Ruhrindustrie und Ostelbiertum größtes Unbehagen gegenüber der Aussicht gerade auch auf eine zwar die Novemberrevolution mit den vereinten Kräften des Kapitals niederschlagende, doch in den Händen der finanzkapitalistischen Konkurrenz verbleibende und ohne die mit ihr verbündete Sozialdemokratie sowie Zugeständnisse an sie und die Gewerkschaften niemals parlamentarisch zu regierende Republik herrschte und es in ihnen starke Kräfte gab, die der Meinung waren, daß diese sich abzeichnende Republik so rasch wie möglich, am besten noch ehe sie sich stabilisieren könne, wieder weggeputscht werden müsse. Tatsächlich trug das unter dem Namen „Gemeinwirtschaft" von den beiden ersten Weimarer Koalitionsregierungen und ihrem 44
Reichswirtschaftsminister Rudolf Wisseil verkündete wirtschaftsund industriepolitische Reformprogramm deutlich die Handschriftzüge des einstigen Mitarbeiterkreises Walther Rathenaus in der „Kriegsrohstoffabteilung" 63 und des mit ihm kooperierenden Kreises von Wehrmachtsführern um Wilhelm Groener und seinen Lieblingsnachwuchsoffizier Kurt v. Schleicher, denen es, ähnlich wie den Chemie- und Elektrokonzernen, um die Rationalisierung, Kontrolle und notfalls gar Verstaatlichung der Schwerindustrie zu tun war. 64 Diese Kreise aber waren seit jeher auch die Träger des Plans, die verschuldeten ostelbischen Rittergüter in rentable Betriebsgrößen und „ Wehrbauern"-Höfe aufzusiedein (ein Plan, der nach dem Scheitern der Volksabstimmung über die Fürstenenteignung im Jahre 1925 zunächst zurückgestellt werden mußte, dann aber von Brüning und von Schleicher wieder aufgegriffen wurde und jeweils zu ihrem Sturz beitrug). 65 Am unmittelbarsten und heftigsten jedoch war sofort mit der Kapitulationserklärung der Monopolgruppenkampf um die außenpolitische Nachkriegsorientierung - d. h. um die Strategie des Wiederaufstiegs aus der Niederlage in eine neue Weltmachtstellung - ausgebrochen; denn hier standen sich, unbeschadet aller durch den Kriegsausgang entstandenen neuen weltpolitischen Konstellationen, unverändert die alten Interessenfronten gegenüber, die von der Sache her unvermeidlich (da keine Fraktion des deutschen Monopolkapitals ihre Expansionsziele etwa aufgegeben hatte) in der Frankreichfrage d. h. der Frage eines Antiost-Expansionspakts mit Frankreich unter Ausschluß der USA aus einem künftigen „Großeuropa" oder eines solchen Pakts unter Ausschluß und Isolation Frankreichs mit Unterstützung der U S A oder auch Englands - aktuell aufeinanderprallen mußten. Der Vaterlandsverrats-Aufschrei der an Westexpansion und einem Krieg gegen Frankreich interessiert gebliebenen Kreise der Ruhrindustrie aritikulierte sich jetzt im Anklageruf „Erfüllungspolitik", den die Befürworter des westeuropäischen Bündniskonzepts mit dem Gegenvorwurf „Katastrophenpolitik" konterten.
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Putschistenkreise und die Thüle-Gesellschaft des Freiherrn von Sebottendorff Bereits ab Januar 1919 versammelten sich in Berlin um Ludendorffs Adjutanten und strategischen Chefdenker Oberst Max Bauer der Kreis der Organisatoren des „Wegputschens" der Republik. 66 Zu diesem „Ludendorff-Kreis" gehörten außer Max Bauer, der zugleich ein Vertrauter von Hugo Stinnes und dessen Verbindungsmann zu Ludendorff war, sowie Ludendorff selbst (der sich zu dieser Zeit noch im schwedischen Exil aufhielt, jedoch über Bauer mit dem Kreis in Verbindung stand): der Befehlshaber des Reichswehrgruppenkommandos I, General Walther Freiherr von Lüttwitz; der ihm unterstellte diensthabende Kommandeur der Berliner Gardekavallerie-Schützendivision, Hauptmann Waldemar v. Pabst; der Kommandeur der „Marinebrigade Ehrhardt", Hermann Ehrhardt; der Führer des Freikorps Potsdam, Franz v. Stephani; der ostpreußische Landschaftsdirektor und ehemalige Mitvorsitzende der „Deutschen Vaterlandspartei", Wolfgang Kapp; aber auch der Großagrarier, völkische Publizist und damalige DNVP-Politiker Ernst Graf von Reventlow; der Kali-Industrielle Arnold Rechberg vom Wintershall-Konzern; der baltendeutsche Emigrant und Verbindungsmann zu russischen Exilkreisen (sowie spätere frühe Geldvermittler Adolf Hiders) Erwin v. Scheubner-Richter und der internationale Spion und Berater Max Bauers in auswärtigen Angelegenheiten I. T . Trebitsch-Lincoln. 67 Ab August 1919 bauten die Verschwörer neben ihrem streng konspirativen Kreis auf der Grundlage des von Kapp eingebrachten Gerippes der alten „Vaterlandspartei" auch eine „legale" Propagandaorganisation unterdem Namen „Nationale Vereinigung" auf, deren Führung v. Pabst übernahm, der soeben wegen eines voreilig auf eigene Faust mit seiner Gardekavallerie-Schützendivision von Potsdam aus unternommenen Marschs auf Berlin (den v. Lüttwitz, seiner mangelhaften Vorbereitung wegen, im letzten Augenblick selbst stoppen ließ) seines militärischen Postens enthoben worden war. 6 8 Pabst war derjenige Reichswehr-Offizier, bei dem sich am 12. Januar 1919 der auf Vorschlag von Stinnes zum Leiter des „Generalsekretariats zum Studium und zur Bekämpfung des Bolschewismus" ernannte Eduard Stadler melden ließ, um ihm in dieser seiner Eigenschaft die Ermordung Rosa Luxemburgs und Karl Liebknechts zu empfehlen, und derdreiTage später, am 15. Januar, den Gebrüdern 46
Pflugk-Hartung und dem Soldaten Runge den Befehl hierzu erteilte. 69 An Geld hatte dieser Putschistenzirkel keinen Mangel. Denn es stand hinter seinem „öffentlichen" Arm, der „Nationalen Vereinigung", nicht nur ein Teil der Gönner der alten Vaterlandspartei und der ihm von Stadtler gewiß nicht verschlossene Zustrom von Mitteln der „Antibolschewistischen Liga", 7 0 sondern vor allem auch der ebenfalls 1919 in Berlin von den reaktionärsten Schwerindustriellen, Gutsbesitzern und Militärs gegründete mächtige „Nationale Klub 1919 e. V. Berlin", in dem die Finanzgewaltigen des Alldeutschtums - von Stinnes, Kirdorf und Flick bis zu Oldenburg-Januschau - nahezu vollzählig versammelt waren; nicht nur war dessen Präsident, der Ex-General Oskar v. Hutier, ein enger Freund und einstiger militärischer Günstling Ludendorffs, sondern Ludendorff gehörte ihm auch selbst an. 71 In Bayern war die Situation aus der Sicht des Großkapitals freilich ab Ende des Jahres 1918 und besonders dann in der ersten Hälfte des Jahres 1919eine doppelt furchtbare. Denn hier war am 7. November 1918 Kurt Eisner als Vorsitzender des Münchener Arbeiter- und Soldatenrates bayerischer Ministerpräsident geworden, und nach seiner Ermordung am 21. Februar 1919 war es im April 1919 zur Ausrufung der von ihm selbst nur eher als Zielidee beschworenen „Räterepublik" durch Ernst Toller, Erich Mühsam und Gustav Landauer gekommen. Nichts begreiflicher also, als daß Bayerns Industrielle, Bankherren und Landadlige ganz besonders leidenschafdich an einem sofortigen Umsturz derpolitischen Verhältnisse interessiert waren, ihnen hierzu jedes Mittel gerade gut genug schien und sie dadurch in eine Affinität zum Putschistenkreis in Berlin gerieten, auch wenn manche von ihnen eigendich gar nicht so sehr preußisch-reichsdeutsch, sondern bayerisch-wittelsbachisch gesonnen und blau weiß-monarchistische Reaktionäre waren. Für das Verständnis der Frühgeschichte der NSDAP und mancher späteren Auseinandersetzungen und Differenzierungen in ihr ist es wichtig, sich diese elementare und akute Sinnesübereinstimmung sämtlicher Fraktionen der bayerischen Reaktion mit dem putschistischen Antirepublikanismus des durch und durch preußisch-reichsdeutsch orientierten Berliner Kapp-Ludendorff-Kreises gegenwärtig zu halten. 7 2 Die Zusammenarbeit von bayerischen und wilhelminisch-alldeutschen Kapitalkreisen hatte freilich auch schon eine weit
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zurückreichende Tradition, und aus ihr waren bereits in den Weltkriegsjahren die Keime der im Januar 1919 in München gegründeten DAP hervorgegangen. Als die anfängliche Kriegsbegeisterung in der Arbeiterschaft schon von der Mitte des Jahres 1916 an merklich abgenommen hatte und in Kriegsmüdigkeit und sich wieder zu Worte wagende Kriegsgegnerschaft umzuschlagen drohte, hatte der 1912 in der Form einer Geheimloge zum Zwecke der Pflege und Ausbreitung des alldeutschen rassistischen Germanenkults gegründete „Germanenorden" 7 3 eine der Wiederaufstachelung des Kriegswillens in der Arbeiterschaft dienende antisemitisch-demagogische „Arbeiter-Ausschuß"-Bewegung unter dem Dachnamen „Freier Ausschuß für einen deutschen Arbeiterfrieden" ins Leben gerufen; zu deren Führung stellte ach der Leiter des gelben, .Werkvereins" auf der Kruppschen „Großschiffwert AG Weser" in Bremen, der Schlosser Wilhelm Wahl, zur Verfügung. 74 Sie betrieb eine hetzerische Panikagitation gegen „Marxisten, Bolschewisten, Pazifisten, Juden und Freimaurer" und vermochte bis Anfang des Jahres 1918 in Westund Norddeutschland insgesamt ca. 300000 Arbeiter zu gewinnen. 7 5 Auf seiner Weihnachtstagung 1917 erteilte der Germanenorden seinem Mitglied Rudolf Freiherr von Sebottendorff mit dem Beinamen von der Rose den Auftrag, nunmehr auch eine bayerische „ O r densprovinz" (wir würden sagen: einen Landesverband) des Germanenordens aufzubauen. 76 Dieser Sebottendorff war ein über weitreichende Verbindungen verfügender hochstaplerischer Abenteurer, der eigentlich Adam Alfred Rudolf Glauer oder auch Erwin Torre hieß, 77 1911 in die Türkei ausgewandert und während des Balkan-Krieges 1912/13 Leiter des türkischen Roten Halbmondes war, von sich behauptete, in Istanbul von einem Baron Heinrich von Sebottendorff adoptiert worden zu sein, 78 es zur Würde eines Meisters des Rosenkranz-Ordens gebracht hatte und 1917, nach anderen Angaben auch schon früher mit einem großen Vermögen unbekannter Herkunft nach Deutschland zurückgekehrt war. 79 Sebottendorff vollzog ihre Gründung umgehend noch im Januar 1918 80 und wählte zu ihrem „Decknamen" auf Vorschlag des Münchener Bildhauers Walter Nauhaus, der dem Gertnanenorden bereits seit dessen Gründung angehörte, den Namen „Thüle-Gesellschaft. Orden für deutsche A r t " . 8 1 Zum Symbol der Gesellschaft bestimmte er das Hakenkreuz hinter einem senkrecht stehenden 48
blanken Schwert 82 und zum Ordensabzeichen eine von der Firma Ecklöh in Lüdenscheid hergestellte Bronzenadel mit einem von zwei Speeren durchkreuzten Hakenkreuz - in der Ausführung für die weiblichen Ordensmitglieder, die „Ordensschwestern", mit nur einem „einfachen" goldenen Hakenkreuz. 8 3 Im Juli 1918 erwirbt die Thüle-Gesellschaft (resp. der Germanenorden) vom Verlag Franz Eher Nachf. die in München bislang als Boulevardblatt im Straßenhandel vertriebene Tageszeitung „Münchener Beobachter", 8 4 deren Chefredakteur nunmehr v. Sebottendorff wird, der sie bewußt als „Sportblatt" aufzieht, damit sie „ i n die Hände der Jugend käme" und das Blatt auf diese Weise zugleich „unbeobachteter seine Propaganda treiben" könnte; 85 den Namen ändern die Thule-Leute ab 9. August 1919 für die inzwischen nun auch aufgezogene „Reichsausgabe" in „Völkischer Beobachter" ab. 8 6 Die Gebrüder Walterspiel, Thüle-Mitglieder und Hoteliers, 87 stellen der Thüle-Gesellschaft ihr renommiertes Münchener Hotel „Vier Jahreszeiten" zur Verfügung, 88 in dessen „Sportclub-Räumen" sie nunmehr ihren ständigen Sitz aufschlägt (und in denen auch - entgegen der offiziellen Angabe im Impressum - die Redaktion des „Münchener Beobachter" ihr tatsächliches Quartier bezieht 89 ). In dieser Sebottendorffschen Thüle-Gesellschaft finden wir nun schon eine Menge von Leuten, deren Namen aus der späteren NSDAP-Geschichte geläufig sind, beieinander. Es gehören ihr u. a. an: der Verlagsbuchhändler und Vorsitzende des Alldeutschen Verbandes in München, J . F. Lehmann, den Sebottendorff in seinen Erinnerungen als das „aktivste und vorwärtstreibende Element des ganzen Kreises" bezeichnet und dessen „Alldeutscher Verband" ebenfalls im Hotel „Vier Jahreszeiten" residierte; 90 der Seifmadeökonom, Betonbau-Diplomingenieur und einstige selbständige (doch wohl gescheiterte) Industrielle Gottfried Feder, 9 1 der in der Thüle-Gesellschaft erstmals sein Demagogiegebräu von der „Brechung der Zinsknechtschaft" vorträgt; 92 der Schüler und Assistent Professor Karl Haushofers, des führenden Propagandisten der imperialistischen Expansionswissenschaft „Geopolitik", Rudolf Heß; 9 3 der völkische Schriftsteller und (seit Dezember 1918) Herausgeber des Antisemitenblatts „ A u f gut Deutsch", Dietrich Ekkart; 94 das Vorstandsmitglied des Bayerischen Industriellenverbandes und bayerischen Alldeutschen Verbandes Dr. Paul Tafel (später Führer des „Bayerischen Ordnungsblocks"); 9 5 der Redakteur („Sportjournalist") des „Münchener Beobachter", Karl Harrer; 9 6 49
der Zahnarzt Dr. Friedrich Krohn (Besitzer jener 2500 Bände zählenden „nationalsozialistischen Bibliothek", die man Hider dann später, als er Werbeobmann der DAP geworden ist, zwecks Einübung in die völkische Ideologie zum Studium empfehlen und die er zwischen Herbst 1919 und Sommer 1921 durcharbeiten wird; 9 7 der Exil-Baltendeutsche und Hauptmitarbeiter an Eckarts Antisemitenblatt, Alfred Rosenberg; 98 der Betriebsleiter der den ,,Münchener Beobachter" herstellenden Druckerei, Hans Georg Grassinger; 99 der Jurastudent Hans Frank 100 usw., doch ebenso auch erlauchte Adelige, an ihrer Spitze Gustav Franz Maria Prinz von Thum und Taxis, 101 des weiteren etwa die Baronin Adelheid von Mikusch, 1 0 2 Wilhelm Freiherr von Wittgenberg nebst Gattin, 103 Hans Hermann Freiherr von und zu Bodemann, 104 Franz Karl Freiherr von Teuchert, 105 Ernst Freiherr von Lützelburg, 106 Franz Freiherr von Feilitzsch, 107 Friedrich Wilhelm Freiherr von Seidlitz, 108 Freiherr von Löffelholtz, 109 Freiherr von Reitzenstein 110 und, als Sekretärin der Gesellschaft, Gräfin Heila von Westarp 111 . Diese vornehmen Herrschaften beschlossen, kaum daß die Thule-Gesellschaft gegründet war, nach dem Vorbilde der in Norddeutschland vom Germanenorden geschaffenen Wahlschen Arbeiterausschuß-Bewegung nun auch in Bayern einen derartigen „Arbeiter"-Ausschuß unter dem Namen „Freier Arbeiterausschuß für einen guten Frieden" auf die Beine zu bringen, und da es ja ein Arbeiterausschuß sein sollte und er folglich von einem Arbeiter repräsentiert sein mußte, gewann Thüle-Mitglied Dr. Paul Tafel hierfür den als Werkzeugausgeber in den Münchener Eisenbahn-Werkstätten beschäftigten Eisenbahnschlosser Anton Drexler. Dieser hatte sich seit längerem einem antisemitischen Zirkel angeschlossen, war 1917 auch der „Deutschen Vaterlandspartei" beigetreten und gehörte ihr drei Monate lang an, hatte sich dann im Januar 1918 dazu bewegen lassen, in der Tagespresse einen vaterländischen Durchhalteaufruf gegen den Streik der Münchener Munitionsarbeiter unter seinem Namen zu veröffendichen und war also bereits bewährt und hinreichend vertrauenswürdig. 112 Drexler hob den Ausschuß als Münchener Ortsgruppe des Wahlschen Ausschusses am 7. März 1918 gemeinsam mit 28 Eisenbahnerkollegen, die dem Aufruf zur Gründungsversammlung gefolgt waren, in einem Münchener Gasthof offiziell aus der Taufe, brachte seine Mitgliederzahl in den folgenden Monaten bis Kriegsende aber nicht über vierzig hinaus. 113 Der Aufbau der Thüle-Gesellschaft war demgegenüber erfolgrei50
eher. Er war im Sommer 1918 so weit vorangeschritten, daß die neue Ordensprovinz am 7. August 1918 in Anwesenheit der beiden Vorsitzenden des Germanenordens ihre Weihe als Loge erhielt und Sebottendorff zu deren „Meister" bestimmt wurde. 114 Am 1. November 1918 verfugte der Germanenorden in Bayern über insgesamt etwa 1500 Mitglieder, darunter die Thüle-Gesellschaft in München über rund 250. 1 1 5 Am 10. November 1918 trat die Thüle-Gesellschaft unter Sebottendorffs Vorsitz in München zusammen, um über die neue Lage, die durch die Proklamation der Republik im Reich und die vom Arbeiter- und Soldatenrat in Bayern gewählte Eisner-Regierung entstanden war, zu beraten. Sie faßte zwei Beschlüsse: Bei vollständigem eigenem Rückzug als Gesellschaft ins Unsichtbare erstens unverzüglich einen „Kampfbund" zu schaffen, dessen Aufstellung und Leitung v. Sebottendorff übernahm, dessen Waffen J . F. Lehmann beschaffte und dessen Waffen-Hauptdepot im Hotel „Vierjahreszeiten" in den Räumen der Thüle-Gesellschaft untergebracht wurde. 116 Zweitens: Kurt Eisner - getreu der von Eduard Stadtler in Berlin ausgegebenen Devise: „der Republik ihre Köpfe nehmen!" zu ermorden. 117 Die Leitung des ersten, mißlingenden Anschlags auf Eisner am 4. Dezember 1918 in Bad Aibling übernahm v. Sebottendorff selbst (den tödlichen Pistolenschuß, der Eisner am 21. Februar 1919 auf dem Wege zum Münchener Landtagsgebäude - wo er seinen Rücktritt erklären wollte - traf, gab der in der Thüle-Gesellschaft verkehrende Graf Arco-Valley ab). 1 1 8
,,Deutschvölkisch und sozialistisch" ,,Deutsche Arbeiterpartei (DAP)", ,,Deutschsozialistische Partei (DSP)" Ende Dezember 1918 reiste v. Sebottendorff zur , Jultagung" des Germanenordens nach Berlin und kehrte von ihr mit dem Auftrag an die Thüle-Gesellschaft zurück, in Bayern eine „deutsch-sozialistische" Partei ins Leben zu rufen, 119 deren fürs gesamte Reichsgebiet konzipierten und an die Logenprovinzen weitergegebenen Gründungsaufruf er mitbrachte. 120 Die Kernsätze dieses Aufrufs lauteten: „ . . . dem deutschen Volke die wirkliche Freiheit zu schaffen, ist eine Deutsch-Sozialistische Partei zu bilden. Deutschvölkisch und sozialistisch." Und: „Die Deutsch-Sozialistische Partei ist eine Par51
tei der kapitalschwachen Schichten des Volkes, also der Arbeiter, Beamten, Handlungsgehilfen, Handwerker, Kleingewerbler und Bauern, der Lehrer, Siedler, Techniker.... Der falsche Judensozialismus und die Interessenwirtschaft müssen wie Spreu vor dem Winde verfliegen." 121 Die Absicht zur Gründung einer solchen völkisch-sozialismusdemagogischen Partei datierte im Germanenorden schon vom Herbst 1918, als die Kriegsniederlage und der mit ihr akut ansteigende Bedarf an antisemitischer Demagogie gegenüber Arbeiterschaft und Kleinbürgertum absehbar geworden waren. Der nunmehr fertiggestellte und von der Ordensleitung den Logen ausgehändigte Aufruf, den der Hannoveraner Maschinenbauingenieur Alfred Brunner als „Entwurf zur Gründung der Deutschsozialistischen Partei auf judenreiner und kapitalloser Grundlage" verfaßt hatte, 122 war offenbar schon in den letzten Monaten vor Kriegsende erarbeitet und dann ausgefeilt worden; und auch die Thule-Gesellschaft in München hatte bereits im Oktober 1918 ihrem Mitglied Karl Harrer vom „Münchener Beobachter" den Auftrag erteilt, im Rahmen der Loge nebenderenbisherigenzahlreichen,,Ringen", die auf den verschiedensten „Sachgebieten" rassistische „Germanenkunde" trieben, 123 nun auch einen „Arbeiterring" zu bilden und aus dessen Mitte heraus wiederum einen „Politischen Arbeiterzirkel", aus dem (als ihrer Keimzelle und zugleich künftigen Steuerungszentrale im Hintergrund) eine „Deutsche Arbeiterpartei" hervorgehen sollte. 124 Harrer, der den „Arbeiterring" konstituierte und dessen Leitung übernahm, 125 war zwecks Bildung des „Politischen Arbeiterzirkels" am 2. Oktober 1918 wiederum an den schon über Dr. Tafel in Sachen „Arbeiterausschuß" mit der Thüle-Gesellschaft in Verbindung stehenden Anton Drexler herangetreten 126 und hatte mit ihm und dem von Drexler hinzugewonnenen Lokomotivführer in den Münchner Eisenbahnwerkstätten, Michael Lotter, sowie einem knappen Dutzend weiterer Arbeitskollegen Drexlers im Oktober 1918 den Zirkel ins Leben gerufen. 127 Seine Mitglieder mußten sich bei der Aufnahme verpflichten, auch der aus ihm heraus zu schaffenden „Deutschen Arbeiterpartei" beizutreten, 128 und Harrer führte Drexler sowie Michael Lotter nun auch in aller Form in die Thüle-Gesellschaft ein. 129 Seit November 1918 bereiteten sich die Mitglieder des nach konspirativen Regeln zusammentreffenden 130 „Politischen Arbeiterzirkels", die von Feder131 und Harrer durch 52
Vorträge in die Kunst der Umlenkung antikapitalistischen Arbeiter-Unbehagens in Antisemitismus eingewiesen wurden, 132 auf ihre Rolle als künftige Kader einer völkischen Arbeiterpartei vor. Sebottendorff mußte deshalb, von Berlin zurückgekehrt, die Parteigründungs-Order der Logen-Leitung zuallererst mit Karl Harrer besprechen;133 man kam überein, den hier schon herangediehenen, das Potential der berwährtesten bisherigen Arbeiter-Kollaborateure versammelnden Ansatz nun auch unverzüglich hierfür zu nutzen, den „Arbeiterzirkel" aber freilich im Sinne seiner Konzeption weiterhin unabhängig von einer solchen Parteigriindung aufrechtzuerhalten und selbst fortzuentwickeln. 134 Am 5. Januar 1919 wurde im Münchener Gasthaus „Fürstenfelder Hof" die „Deutsche Arbeiter-Partei (DAP)" in Anwesenheit von ca. 25 ihr beitretenden Versammlungsteilnehmern, hauptsächlich Kollegen Drexlers und Lotters aus den Münchener Eisenbahn-Hauptwerkstätten, gegründet und zu ihren Vorsitzenden Hairer und Drexler bestimmt. 135 Am 18. Januar 1919 folgte im Rahmen der Thüle-Gesellschaft im Hotel „Vierjahreszeiten" die Neukonstitution des „Politischen Arbeiterzirkels" zu einem nunmehr „nationalsozialistischen .Deutschen Arbeiterverein'" 136 mit Karl Harrer als „Reichsvorsitzendem" und Anton Drexler als „stellvertretendem Reichsvorsitzendem" und zugleich „Leiter der Münchener Ortsgruppe". 137 Diese beiden Gründungen von durchaus nur ördicher Bedeutung, die zudem die für München nicht gerade eindrucksvolle Zahl von zusammengenommen kaum dreißig Arbeitermitgliedern aufzuweisen hatten, konnten natürlich weder dem für die gesamte bayerische Ordensprovinz zuständigen v. Sebottendorff, noch gar dem Germanenorden insgesamt und Brunner in Hannover als ein Hinderungsgrund dafür gelten, nunmehr in allen Teilen und Städten des Reichs, wo nur immer Voraussetzungen hierfür gegeben waren, den Aufbau örtlicher Parteiorganisationen im Sinne des Dezember-Aufrufs und unter dem dort empfohlenen Namen anzuregen. So sorgten, während Brunner nun in Nord- und Westdeutschland zur Gründung von Ortsgruppen der später reichsweit zu konstituierenden „Deutschsozialistischen Partei" überging (so etwa in Hannover, Bielefeld, Leipzig, Berlin, Kiel, Düsseldorf, Duisburg und Wanne-Eickel), 138 der Germanenorden und Sebottendorff analog dazu auch in Bayern für die Entstehung von DSP-Ortsgruppen, z. B. der Nürnberger Gruppe unter dem Vorsitz des Lehrers Julius 53
Streicher; 139 sobald die ab Ende Februar für die Thule-Leute aufgrund des Eisner-Mords und der ihm folgenden Wochen der Räteregierung gebotene Zurückhaltung in sichtbaren parteipolitischen Aktivitäten sich mit der Niederschlagung der Räterepublik in den ersten Maitagen 1919 wieder erübrigt hatte, machte sich Sebottendorff zum Initiator der Gründung nun auch einer „Deutschsozialistischen Arbeitsgemeinschaft" in München, 140 aus der noch Ende Mai 1919 die Münchener Ortsgruppe der „Deutschsozialistischen Partei" unter der Führung des Buchdruckers des „Münchener Beobachter " Hans Georg Grassinger hervorging, 141 zu deren offiziellem Organ Sebottendorff nunmehr den „Münchener Beobachter" deklarierte und deren führende weitere Vorstandsmitglieder Max Sesselmann, 142 Dr. Friedrich Wieser143 und Hanns Georg Müller 144 sämtlich Redakteure des „Münchener Beobachter" waren und zugleich der Thüle-Gesellschaft bzw. dem Germanen- oder Wälsungerorden angehörten145. (Die „Reichsausgabe" des im Münchener Verbreitungsgebiet seinen eingeführten Namen vorerst weiterhin beibehaltenden „Münchener Beobachter" erhielt, da er nun zum offiziellen überregionalen DSP-Organ geworden war, ab 9. August 1919, wie erwähnt, den Namen „Völkischer Beobachter" 146 ). Auch die „Deutschsozialistische Partei", die sich schließlich auf einem Parteitag vom 23. bis 25. April 1920 in Hannover reichsweit konstituierte147 und zur schon im Mai 1918 in „Deutsche Nationalsozialistische Arbeiterpartei" umbenannten, inzwischen über ganz Österreich ausgedehnten ehemaligen DAP Rudolf Jungs die Verbindung aufnahm, 148 war aber wiederum nur eine der neben der DAP hochgezogenen antisemitisch-sozialismusdemagogischen Sammlungsorganisationen. Eine der Intention nach noch viel breiter angelegte Unternehmung gleichen Musters hatte am 18. Februar 1919 der „Alldeutsche Verband" im Anschluß an eine zweitägige eigene Tagung in Bamberg, auf der er vom, J-Ausschuß" ausgearbeitete „Richtlinien für die Bekämpfung des Judentums" annahm, 149 mit der Gründung des „Deutschvölkischen Schutz- und Trutzbundes (DSTB)" gestartet. 150 Bereits im Oktober 1918 hatte er zwecks sofortiger Aktivierung der antisemitischen Agitation in seinem eigenen Rahmen einen als,,J-Ausschuß" abgekürzt titulierten Sonderausschuß „für die Judenfrage" unter der Leitung seines stellvertretenden Verbandsvorsitzenden Konstantin Freiherr v. Gebsattel und mit u. a. J. F. Lehmann, Theodor Fritsch, Adolf Bartels, Paul Langhans und Alfred Roth, dem „Bundeswart" des „Reichshammer54
bundes" und Sozialsekretär des „Deutschnationalen Handlungsgehilfenverbandes", als Mitgliedern gebildet. 151 Dieser Bund war als Zusammenfassung sämdicher damaligen völkischen Organisationen und Gruppen - deren Zahl in Deutschland ca. 200 betrug - und als ihre Zusammenführung auf dem Nenner extrem antisemitischer Antikapitalismus-Demagogie zu einer aktivistischen politischen Massenbewegung für den Republiksturz konzipiert und abermals in der Doppelform einer öffentlichen Organisation (die am 1. Oktober 1919, nach vielfach recht schwierigen Einigungsverhandlungen, endgültig den Namen „Deutschvölkischer Schutz- und Trutzbund" annahm) und eines sie steuernden logenartigen Geheimverbands unter dem Namen „Deutsche Gemeinschaft" (dessen den Mitgliedern nicht genannter Leiter der auch den DSTB führende v. Gebsattel war) aufgezogen. 1 5 2 Der „Deutschvölkische Schutz- und Trutzbund" erklärte zu seinem Verbandsabzeichen das Hakenkreuz und zu seiner politisch-programmatischen Grundlage in seinem Statut das „Kaiserbuch" von Daniel Frymann alias Heinrich Claß aus dem Jahre 1912. 153 Und er wurde von den Initiatoren der D A P und der DSP - von denen einige, wie z. B. Gottfried Feder, Dietrich Eckart und Julius Streicher, selbst zu seinen aktivsten Mitarbeitern wurden 154 - keineswegs etwa als abträgliche Konkurrenzunternehmung empfunden, sondern von Sebottendorff etwa geradezu emphatisch mit der Begründung begrüßt, daß „beschlossen worden" sei (wohl von seinen alldeutschen Hintermännern und Taufpaten), ihn , ,zu einem Kampfmittel auszugestalten", mit dessen Hilfe „nunmehr im ganzen Reiche der offene Kampf gegen die Juden eröffnet werden" solle. 155 Als knapp drei Jahre später dieser umfassendste und keineswegs erfolglose Versuch der putschistisch-antirepublikanischen Kreise des Großkapitals, sich mittels antisemitischer Demagogie eine Massenbasis zu verschaffen 156 (binnen des ersten Jahres konnten 100 000 Mitglieder gewonnen werden, und die Zahl stieg 1920-1922 weiter an 1 5 7 ), in der bisherigen Organisationsform nicht mehr fortführbar war wegen der aktiven Verwicklung des „Deutschvölkischen Schutz- und Trutzbundes" in den Rathenau-Mord 158 und seines daraufhin im Sommer 1922 erfolgenden Verbots in Anwendung des Republikschutzgesetzes, da kamen die meisten seiner ördichen Gruppen denn nun auch entweder der Ende Dezember 1922 gegründeten „Deutschvölkischen Freiheitspartei" Graefes und Ludendorffs 1 5 9 oder der nunmehr schon überregional profilierteren 55
NSDAP, insbesondere in Norddeutschland, als Aufbauzellen zugute.
Konterrevolution in München: Die Hauptleute Röhm und Mayr und ein „tüchtiger" V-Mann namens Hitler Für die Thüle-Gesellschaft in München stand seit dem 6./7. April 1919, als Ernst Toller in seiner Eigenschaft als neuer Vorsitzender des Zentralrates der bayerischen Arbeiter-, Bauern- und Soldatenräte (in Amtsnachfolge des soeben - deshalb - zurückgetretenen Ernst Niekisch) in Bayern die Räterepublik ausgerufen hatte, die Vorbereitung des bewaffneten Sturzes des Rätesystems freilich vor allen weiteren Bemühungen um politische Organisationsbildungen ganz im Vordergrunde ihrer nun erst zu ihrem Höhepunkt treibenden Aktivitäten. Sebottendorff, der den „Thule-Kampfbund" in zwei unabhängig voneinander operierenden Abteilungen aufgebaut hatte, von denen sich die eine mit der Rekrutierung und Ausschleusung von Freiwilligen für das bereits seit Januar 1919 zum Zwecke eines Marsches auf München außerhalb Bayerns im thüringischen Ort Ohrdruf auf Veranlassung Noskes und auf Reichswehrkosten aufgestellte „Freikorps Epp" beschäftigte, die andere, der sogenannte „Nachrichtendienst", mit politischer Spionage und Attentaten in Bayern 160 - Sebottendorff also ließ sich nun von der nach Bamberg ausgewichenen Regierung Hoffmann, die zwar Noskes Angebot, Reichswehr-Exekutionstruppen in Bayern einmarschieren zu lassen, aus Furcht vor einer antipreußischen Reaktion der „bayerischen Volksseele" abgelehnt hatte, jedoch dafür nur um so mehr auf den Sturz der Toller-Regierung von innen her setzte, 161 seiner Darstellung zufolge „den Auftrag" erteilen, „die Gegenrevolution mit allen Mitteln zu organisieren", wodurch, wie er hinzufügt, nunmehr „alle Handlungen des Kampfbundes als legal gedeckt" waren. 162 Am Palmsonntag, dem 13. April 1919 schlägt der Kampfbund zu. Er putscht, abgestimmt mit der Bamberger Regierung und Teilen der Münchener Garnison, 163 gegen die Räterepublik, nimmt Erich Mühsam und alle auffindbaren Mitglieder der Räteregierung gefangen, löst damit jedoch nur aus, daß nun die bayerischen Kommunisten unter Levine und Levien und die von Rudolf Egelhofer geführte „Rote Armee", die damals 38000 Mann 56
zählt, 164 zur Verteidigung der - bislang von ihnen mit Skepsis betrachteten - Räterepublik übergehen, den Putsch niederschlagen, die Regierungsmacht übernehmen und es damit zur zweiten, zur kommunistischen Phase der Räterepublik kommt. Nun hat auch die Regierung in Bamberg nichts mehr gegen die Annahme von Noskes Reichswehr-Hilfsangebot 16S und auch nichts mehr gegen die bislang von ihr untersagte Aufstellung bewaffneter Freiwilligenverbände in Bayern. Sie erläßt jetzt, einen Tag nachdem gescheiterten Thule-Putsch (am 14. April 1919), eine „Volkswehrproklamation", in der sie Bayerns Bevölkerung gegen die Räteregierung zu den Waffen ruft (und aus der die „Einwohnerwehren" hervorgehen), 166 und sie willigt nun auch in die Bildung von Freikorps ein. 1 6 7 Sebottendorff reist nach Bamberg und läßt sich am 19. April 1919 von der Regierung Hoffmann und ihrem Militärminister Schneppenhorst die Vollmacht zur Aufstellung eines Freikorps ausstellen. 168 Aus dem bisherigen illegalen Thule-Kampfbund wird das berüchtigte „Freikorps Oberland", das Thule-Hauptmann Beppo Römer in Eichstätt zum Marsch gegen die Räteregierung und die Rote Armee zusammenstellt und mit dessen militärischem Oberbefehl Sebottendorff den Major Ritter von Bekh betraut. 1 6 9 Als Stichtag des koordinierten Einmarschs der von Generalleutnant Ernst von Oven geführten preußischen Reichswehrtruppen („Generalkommando Oven"), der Truppen der bayerischen Gegenregierung unter Generalmajor v. Möhl („Oberkommando Möhl"), des Freikorps Epp, des Freikorps Oberland, der Ehrhardt-Brigade und anderer Freikorps in die von der Räteregierung kontrollierten Gebiete Bayerns wird mit der Gegenregierung in Bamberg der 1. Mai 1919 abgestimmt. Die Truppen veranstalten, als sie nach bis zum 4. Mai sich hinziehenden Gefechten mit Egelhofers Verbänden München endgültig in ihre Gewalt gebracht haben, ein blutiges Terrormassaker unter der Arbeiterschaft, die in ihrer überwiegenden Mehrheit hinter der Räteregierung gestanden und für sie gekämpft hatte. 1 7 0 Bis zu diesen Tagen war die D A P nur eine der vielen antisemitisch-sozialismusdemagogischen Organisationsgründungen von Germanenorden und Alldeutschen, und keineswegs die bedeutendste, sondern eher die am wenigsten vorangekommene, zumal Harrer und Drexler während der Rätezeit keine öffentlichen Versammlungen gewagt hatten und sie daher auch noch immer bei ihrer anfänglichen Mitgliederzahl stagnierte; 171 mit dem Einmarsch der Truppen Möhls, Ovens und Epps in München nahm nun allerdings - und zu57
nächst außerhalb von ihr - ein anderer Handlungsfaden seinen Anfang, der sich in ihre weitere Geschichte bald hineinwob und jenes dynamische Element in sie trug, dem sie verdankte, die jetzt erst, Ende Mai 1919, neben ihr von der Thüle-Gesellschaft gegründete und zunächst durchaus aussichtsreichere Münchener DSP schon im Verlaufe des folgenden Jahres zu überflügeln und sich ihr gegenüber als erfolgreicher zu erweisen. Und das lag hauptsächlich daran, daß sich im Führungsstab des wenige Tage nach der Einnahme Münchens, am 11. Mai 1919, gebildeten „Reichswehrgruppenkommendos IV", das nunmehr die faktische Exekutivgewalt in Bayern übernahm und in das das Freikorps Epp eingegliedert, somit in einen offiziellen Reichswehr-Bestandteil umgewandelt wurde, 1 7 2 zwei Offiziere befanden, mit denen es eine besondere Bewandtnis hatte. Der eine von ihnen, der als v. Epps rechte Hand und Beschaffungsoffizier mit dem Freikorps Epp in München eingerückt war, war der einstige königlich-bayerische Hauptmann Ernst Röhm. Er war schon im April 1919 seinem ehemaligen Regiments-Vorgesetzten v. Hörauf 173 nach Ohrdruf in Thüringen gefolgt, dort unverzüglich der engste Vertraute und politische Berater des Obersten v. Epp geworden, hatte in dieser Stellung noch vor dem Aufbruch des Freikorps nach München über v. Lüttwitz den Kontakt zum Kapp-Ludendorff-Kreis in Berlin aufgenommen und war zu dessen Vertrauensmann im Freikorps Epp (aller Vermutung nach mit Wissen v. Epps) geworden und blieb dies erst recht auch in der nun neugebildeten bayerischen Reichswehrführung, in die er gemeinsam mit v. Epp aufstieg. 174 Er übernahm im neuen Reichswehrgruppenkommando die für die Vorbereitung eines Putsches und die unauffällige Sondierung des Terrains für ihn geradezu ideale Position: die Leitung der Abteilung Ib, der nicht nur die Bewaffnung und sonstige Ausrüstung des Reichswehrkommandos selbst, sondern auch der Zeitfreiwilligenverbände und der Einwohnerwehren und der „Kontakt zu den vaterländischen Verbänden" oblag. 175 Zugleich wurde Röhm auch zum Stabschef des Münchener Stadtkommandanten Herrgott ernannt, und in dieser Funktion fiel ihm nicht nur der nach dem Einmarsch zunächst maßgebliche Einfluß auf alle wichtigen personalpolitischen Entscheidungen im Münchener Justiz- und Verwaltungsapparat zu (wovon er ausgiebigen Gebrauch durch Lancierung zuverlässiger Vertrauenspersonen in die für die Abdekkung antirepublikanischer Aktivitäten wichtigen Schlüsselstellun58
gen machte 176 ), sondern auch die Verantwortung für die „Säuberung" und Neuorganisation der Münchener Polizei, des „Wachregiments" München und des „Sicherungsdienstes" sowie für die Aufstellung aller bayerischen Einwohnerwehren; 177 aufgrund dieser in seiner Hand zusammenlaufenden Einflußpositionen war er der für den Berliner Kapp-Kreis wichtigste Vertrauensmann und zentrale Verantwortliche für ganz Bayern geworden. 1 7 8 Der andere Offizier war der Röhm dienstunterstellte Hauptmann Karl Mayr, der bis Kriegsende dem bayerischen Generalstab angehört hatte, Feders „Kampfbund für die Brechung der Zinsknechtschaft" als Mitglied beigetreten 179 und der führende Kopf der Unterabteilung Ib/P des Reichswehrgruppenkommandos, seiner „Nachrichtenabteilung" (resp. auch „Aufklärungsabteilung" oder „Presse- und Propagandaabteilung") 180 war, deren Leitung er ab September 1919 auch nominell übernahm. 1 8 1 Auch er unterhielt wie auch der Chef des Reichswehrgruppenkommandos IV und bisherige Befehlshaber der bayerischen Regierungstruppen (und dann bald bayerische „Landeskommandant"), General Arnold Rittervon Möhl, derüber seinen Verbindungsoffizier Adam mit v. Lüttwitz in Kontakt stand 182 - vertrauliche Verbindungen zum Berliner Kapp-Kreis und arbeitete daher nun engstens mit Röhm zusammen. Und da es aus leicht einsehbaren Gründen zu den konspirativen Grundsätzen des Kapp-Kreises gehörte, in den einzelnen Reichswehrgruppenkommandos, Freikorps, und sonstigen paramilitärischen Verbänden mit der Aufgabe des ständigen Kontakthaltens zu ihm niemals deren oberste Führer selbst, sondern stets nachgeordnete, weniger auffallende Offiziere zu betrauen, so übte Hauptmann Karl Mayr, der von seiner Spionageabteilung aus über die unauffälligsten Möglichkeiten hierfür verfügte, die Funktion des Vermittlungsglieds zwischen den Verschwörern in Berlin und ihren Mitverschwörern in der bayerischen Reichswehrführung aus. 1 8 3 Es versteht sich nun aber, daß sich Röhm und Mayr vor dem Hintergrunde ihrer geheimen gemeinsamen Verantwortung für die Vorbereitung Bayerns auf den Tag X eines vom Berliner Kapp-Kreis im gesamten Reichsgebiet auszulösenden Putschs nicht nur ganz besonders für das von der Thüle-Gesellschaft aufgestellte „Freikorps Oberland" interessieren mußten, den unter Bayerns paramilitärischen „vaterländischen" Verbänden damals bei weitem größten und aufgrund seiner Verknüpfung mit dem April-Aufstand des ThuleKampfbundes zudem in der „nationalen Rechten" legendären und 59
zugleich erwiesen rabiatesten Wehrverband, und somit auch für seine Steuerungszentrale, die Thüle-Gesellschaft, mit der die führenden bayerischen Militärs freilich schon bei der Vorbereitung des Schlages gegen die Räterepublik so vertrauensvoll zusammengearbeitet hatten, daß sie das Hauptquartier der konterrevolutionären Truppen nach der Einnahme Münchens im Hotel „Vierjahreszeiten" aufschlagen ließen, 184 sich hier auch das neue Reichswehrgruppenkommando konstituierte, spätestens seither alle seiner Führung angehörenden Offiziere also mit ihr auch bekannt waren; sondern sie mußten sich ebenso auch - unter dem noch frischen Eindruck einer fast geschlossen für die Räterepublik kämpfenden Münchener Arbeiterschaft - für jeden Versuch interessieren, in diese gefürchtete „ r o t e " Arbeiterschaft einzubrechen, in ihr selbst konterrevolutionäre Brückenköpfe, Stoßtrupps und Putschkombattanten zu schaffen, mithin also auch für das Thule-Experiment „Deutsche Arbeiterpartei". Der für die Ausbildung der Schulungsoffiziere und Propagandisten des Reichswehrgruppenkommandos verantwortliche Propagandahauptmann Karl Mayr war von der Durchschlagskraft der ihm aus dem „Feder-Kampfbund" geläufigen „Thule"-Methode, revolutionäre Stimmungen antisemitisch zu kanalisieren und sie damit wieder in die politischen Bahnen der „nationalen" und antidemokratischen Kräfte zurückzulenken, persönlich so überzeugt und hielt ihre Anwendung bei der Rückverwandlung der aus seiner Sicht erschreckend anarcho-kommunistisch verwildert aus dem Kriege zurückkehrenden Truppen in wieder „national" verwendungsfähige Soldaten für so dringlich, daß er auf den von ihm organisierten Ausbildungslehrgängen für Reichswehrpropagandisten Feder und andere Antisemiten als Referenten auftreten 185 und die politischen Schulungsoffiziere der bayerischen Reichswehr auf die Strategie einer hemmungslosen antisemitischen Agitation innerhalb der Truppeneinheiten trimmen ließ. 186 Was die von ihm als gleichermaßen dringlich angesehene offensive Anwendung dieser Methode auch in der Arbeiterschaft anging, so konnten ihm seine Freunde und Mitarbeiter von der Thüle-Gesellschaft freilich auch noch im Sommer 1919 nur sagen, daß das diesem Zweck dienende Experiment D A P allen redlichen Bemühungen und auch kleineren Erfolgen 1 8 7 zum Trotz bislang über den Stand einer der vielen damaligen Hinterzimmerparteien nicht hinausgediehen sei. 1 8 8 Und da war es Karl Mayr, der Rat wußte. 60
Im September 1919 189 erteilt Hauptmann Karl Mayr dem Gefreiten Adolf Hider den militärischen Dienstbefehl, eine Versammlung der D AP aufzusuchen. 190 Hitler führt den Befehl aus und wird nach dem Besuch dieser Versammlung - die bisheriger Datierung zufolge am 12. September 1919 im Münchener „Stemeckerbräu" stattfand, gemäß neuester Belegfunde womöglich aber auch erst am 3. Oktober 1919 191 - nicht nur umgehend Mitglied der DAP, sondern sofort auch zu deren „Propagandaobmann" ernannt. 192 Wieso war der Reichswehrhauptmann Karl Mayr in der Lage, Hitler einen solchen Befehl zu erteilen? Das war so gekommen: Als am 1. und 2. Mai 1919 v. Epps Truppe in München einrückte, waren aus der Max-II.-Kaserne in München-Oberwiesenfeld, in der das soeben noch dem Befehl der Räteregierung unterstehende und formell der „Roten Armee" zugehörige 2. bayerische Infanterieregiment lag, in dem auch der Gefreite Hitler - in den vergangenen Wochen, wie alle seine Kameraden, mit roter Armbinde 1 9 3 - Dienst tat, vereinzelte Gewehrschüsse auf sie abgegeben worden. 1 9 4 Sofort wurde daher, sobald die Militärs München endgültig in der Hand hatten, ein strenger Untersuchungsausschuß über das Regiment eingesetzt, der herausfinden sollte, wer geschossen hatte und wo vor allem sich überhaupt im Regiment der „roten Nester" befänden. Unter den zuvor von Epps Truppe bereits wahllos auf Verdacht Verhafteten hatte sich auch Hider befunden, der auf Fürsprache von Vorgesetzten, die seine schon damals laut bramarbasierende nationalistische und antisemitische Gesinnung kannten, 195 jedoch wieder freigelassen worden war. 1 9 6 Dieser Gefreite Adolf Hitler erwies sich nun jedoch bei seiner Vernehmung durch die Untersuchungskommission als ein so umfassend aussagefreudiger und eifriger Kameradendenunziant, 197 daß die Vernehmungsoffiziere aus Hauptmann Mayrs Uberwachungsgruppe den Eindruck gewannen, einen solchen Mann gut gebrauchen zu können, weshalb man ihm antrug, in die Dienste der „Nachrichtenabteilung" zu treten. Hider ging darauf ein, wurde „V-Mann" (also Spitzel, in der schonenderen Sprache der Dienststelle „Vertrauensmann") der Abteilung Ib/P und als solcher daher von nun an auch auf deren Mitarbeiter- und Gehaltslisten geführt. 198 Die größte Sorge bereitete den reaktionären Reichswehrführern zu dieser Zeit freilich der revolutionierte, linksanfällige Geist der Truppe. Karl Mayr hatte deshalb auch Schnellkurse für die Ausbil61
dung geeigneter Offiziere und Mannschaftsgrade zu „antibolschewistischen" Propagandisten (die nicht „politische Bildungsoffiziere" wurden, wozu sich Hitler in „Mein Kampf" beförderte, 199 sondern nur rasch für den sofortigen Einsatz in der Truppe wie vor allem auch den Truppenauffanglagern geschulte Redner waren 200 ) einrichten lassen. Und zu solch einem Kurs kommandiert die Abteilung Ib/P, da es hier um eine der für die Reichswehr brennendsten Fragen ging, auch bald ihren frisch angeworbenen V-Mann Hitler ab. 2 0 1 Hier, auf diesem Rednerschnellkurs der Reichswehr, hört Hitler zum ersten Mal in seinem Leben Gottfried Feder sprechen (dem er später in „Mein Kampf" attestieren wird, durch seine Vorträge erst die Bedeutung des Antisemitismus für die Auseinandersetzung mit dem Marxismus begriffen zu haben), 202 hier wird von den Lehrgangsteilnehmern im Anschluß an Feders Vorträge die Notwendigkeit einer im Sinne solcher Ausführungen „an die breite Masse" herankommenden Partei diskutiert, 203 und hier, auf diesem Kurs, fällt Hitler nun allerdings zum zweiten Mal auf. Diesmal nicht als Kameradenverräter, sondern als Redner. Insbesondere einer seiner Lehrer, der Historiker Karl Alexander v. Müller, macht seinen einstigen Schulkameraden Karl Mayr mit hymnischen Lobesworten auf das „rhetorische Naturtalent" Hitler aufmerksam, 204 und die Urteile der übrigen Dozenten lauten nicht viel anders. 2 0 5 Das aber wiederholt sich und steigert sich, als Hitler unmittelbar nach dieser Ausbildung Ende Juli 1919 zum praktischen Einsatz im Heimkehrerauffanglager Lechfeld abkommandiert und einem hierfür aufgestellten 23köpfigen „Aufklärungskommando" zugeteilt wird. Die obligatorischen Berichte der Angehörigen des Kommandos an die Abteilung Ib/P betonen übereinstimmend - wie etwa auch der Bericht des Kompanieführers der agitierten Truppe und Leiters des Lagers Lechfeld, Oberleutnant Bendt - die große Wirkung der „fesselnden" Ansprachen Hitlers, der sich als „ein geborener Volksredner" erweise, „die Leute in geradezu begeisterte Stimmung zu bringen" verstehe und dem mehr noch als dem Kommandoführer Beyschlag, wie es in einem dieser Bereichte heißt, der „Heldenanteil" am Erfolg des Aufklärungskommandos zukomme. 2 0 6 Die Berichte sind zu Händen von Hauptmann Mayr verfaßt, der sich für diesen tüchtigen Gefreiten, der bei der „ M a s s e " anzukommen vermag - das auf den Reichswehrkursen und im „Feder62
Kampfbund" so heiß diskutierte Thema 207 - , zunehmend zu interessieren beginnt und sich vornimmt, ihn zu engerer Mitarbeit in seiner Abteilung heranzuziehen und auf den nächsten Reichswehrlehrgängen sogar als Referenten einzusetzen (was im Januar und Februar 1920 dann auch erfolgt). 208 Ab September 1919 läßt er den nach München zurückgekehrten Hitler nun gelegentlich Ausarbeitungen über die beste propagandistische Behandlung einzelner Fragenkomplexe anfertigen (so eine vom 10. September 1919 zur „Siedlungsfrage", 20 ' dann eine zur „Judenfrage"), 210 die er jeweils mit dem Ausdruck seiner vollen persönlichen Zustimmung weiterleitet 211 und damit nicht nur dem rhetorischen Geschick seines Propagandisten Hitler nunmehr beispielgebenden Charakter und Hitler somit auch eine gewisse Kompetenz zuerkennt, sondern zugleich auch seine eigene politische Übereinstimmung mit den dort der Reichswehrpropaganda empfohlenen Agitationsmustern dokumentiert. 212
Hitlers Auftrag in der „DAP" Als Mayr mit dem Problem der von Feders ,,Thule"-Leuten nicht zufriedenstellend über die Rampe gebrachten DAP konfrontiert ist, weiß er also, daß er unter den Mitarbeitern seiner Abteilung über einen vorzüglichen, nun schon mehrfach bewährten und allseits gelobten Agitator mit Instinkt für Massenwirkung verfügt, von dem einiges erwartet werden kann. Bereits ab Juli 1919 hatte er damit begonnen, die DAP durch Mitarbeiter seiner Abteilung auffüllen und in Schwung bringen zu lassen. 213 Von Hitlers Rückkehr aus dem Lechfeld-Einsatz bis zu Mayrs Befehl an ihn, sich die DAP-Versammlung im „Sterneckerbräu" einmal „anzusehen" und hierüber „Bericht zu erstatten", 2 1 4 vergehen kaum - oder bestenfalls gut vierzehn Tage. Und dieser Dienstbefehl hatte nichts mit einem ,,Überwachungs"-Auftrag im Sinne eines Bespitzelungs- oder „Verfassungsschutz"-Auftrages zu tun. Er war die Anweisung Mayrs an seinen für Massenpropaganda talentiertesten und instinktsichersten Mitarbeiter, sich eine öffendiche DAP-Versammlung einmal daraufhin anzusehen, was da, unter propagandatechnischem Gesichtspunkt, bislang falsch gemacht wird und anders zu machen wäre. Die selbst für eine kleine Hundert-Mann-Partei völlig ungewöhnliche, angesichts der Thule-Hintergrundsteuerung der D A P , die 63
noch ein Höchstmaß an kaderpolitischem Mißtrauen gebot, jedoch unter jedwedem anderen Umstand schon ganz undenkbare sofortige Ernennung eines erstmals auftauchenden Versammlungsbesuchers mag er auch einen Eindruck hinterlassenden Diskussionsbeitrag gehalten haben 215 - zum „Werbeobmann" der Partei dürfte wohl als bloßer Sachverhalt beredt genug davon zeugen, daß die Thule-Obleute der D AP von Mayr durchaus über die Mission seines Sendlings ins Bild gesetzt waren, sie guthießen und als Hilfe begrüßten. 216 Hider kann jedenfalls von nun an - man bedenke das Außergewöhnliche, jedwedem militärischen Usus zuwiderlaufende dieses Umstands - seine gesamte neue Tätigkeit als DAP-Propagandaobmann, die er noch im September aufnimmt, von der Reichswehrkaserne aus, in der er wohnen bleibt, ausüben - mit Genehmigung seiner militärischen Dienstvorgesetzten und unter Benutzung der Schreibmaschinen und sonstigen technischen Hilfsmittel der Kaserne. 2 1 7 Dies hält bis zum Erwerb eines Raumes für die Einrichtung einer ,,DAP-Hauptgeschäftsstelle" - gleichfalls im „Sterneckerbräu", in einem seiner Nebenzimmer - Ende Dezember 1919 an; 2 1 8 Hider bleibt dabei auch jetzt weiterhin Soldat, hat sein Quartier in der Kaserne, ist für die DAP-Arbeit offensichdich weitgehend freigestellt und ist im Januar und Februar 1920 dann auch in der merkwürdigen Doppelrolle eines inzwischen Beachtung auf sich ziehenden DAP-Führers einerseits (der sich vor der eigenen DAP-Mitgliedschaft als „Maler", auch als „Schriftsteller" ausgibt 219 ) und eines der Reichswehr angehörenden Lehrgangsreferenten im Dienste der Propagandaabteilung des Reichswehrgruppenkommandos andererseits zu beobachten, bis er im März 1920, da diese Doppelrolle unhaltbar wird, schließlich den Militärdienst quittiert. 220 Doch nicht nur dies. Hauptmann Karl Mayr schickt, sobald Hitler zum DAP-Propagandaobmann ernannt ist, nunmehr systematisch einen Mitarbeiter seiner Propagandaabteilung nach dem anderen Hider in die DAP nach: beginnend mit Hermann Esser, Mayrs eigenem Pressereferenten, 221 über Max Amann, Hitlers ehemaligem Regimentsfeldwebel, 222 bis zu Rudolf Schüßler, Hitlers Unterfeldwebel und unmittelbarem Vorgesetzten in der Kaserne (in dessen Dienstbüro die DAP-Geschäftsstelle bis zur Anmietung des Raums im „Sterneckerbräu" untergebracht war, und der Ende 1919, mit Anstellungsdatum zum 1. Januar 1920, zum ersten hauptamtlichen DAP-Geschäftsführer wird) 223 und, neben anderen, bis zum Offiziersstellvertreter Karl Beggel, einem V-Mann-Kollegen Hitlers. 2 2 4 64
Und das Gleiche tut auch, aus den ihm zugänglichen, ein sehr viel größeres Reservoir darstellenden „zuverlässigen" Militärkreisen heraus, der Hauptmann Ernst Röhm, der sich später dieser Reichswehrentwicklungshilfe für die D A P in seinen „Erinnerungen eines Hochverräters" mit den Worten rühmen wird, er habe damals „ z u jeder" Versammlung „irgendeinen Freund, hauptsächlich aus dem Kreise der Reichswehr, der Partei zuführen" können, sodaß „auch wir Mitstreiter von der Reichswehr viele Bausteine zu dem Aufstieg der jungen Bewegung legen" konnten, 225 und der die außerordentliche Bedeutung, die er und der mit ihm verschworene Kreis in der bayerischen Reichswehrführung ihrem Aufstieg beimißt, dadurch unterstreicht, daß er ihr noch Ende 1919 selbst beitritt. 226 Damit aber war nun allerdings eine Veränderung in die D A P gekommen, die sie in eine zweite Etappe ihrer Entwicklung überführte. 2 2 7 Denn die von Röhm und Mayr gezielt betriebene Politik ihrer Auffüllung mit „zuverlässigen" Reichswehrangehörigen bedeutete nichts anderes, als daß der Kapp-Mitverschwörerkreis in der Führung des bayerischen Reichswehrgruppenkommandos ihre Aufzucht in die eigene Hand nahm und mit seinen propagandaversierten, auf sofortige massenagitatorische Orientierung und daher auch in die hierfür erforderlichen parteiorganisatorischen Schlüsselstellungen drängenden Leuten, an ihrer Spitze Hider, nun binnen kurzem sowohl Harrer, der ihnen schon im Januar 1920 durch Austritt das Feld räumte, 2 2 8 wie zunehmend auch Drexler 2 2 9 verdrängte. Und das hieß, daß sich der Anbindungspunkt der DAP von der „Thüle-Gesellschaft" - bei aller zwischen ihr und dem bayerischen Offiziers-Verschwörerkreis fortbestehenden Ubereinstimmung im Ziel des Republiksturzes und im Willen zur Vorbereitung des Putschs, aus der die auch weiterhin enge Zusammenarbeit zwischen ihnen folgte 230 - nunmehr auf die bayerische Reichswehrführung beziehungsweise deren nahezu völlig mit ihr identische Kapp-Fraktion verlagerte, damit aber politisch auf den Kapp-Ludendorff-Kreis in Berlin als der reichsweiten Führungszentrale der putschistischen Reaktion, deren bayerische Dependance der Röhm-Mayr-Kreis nur war. 2 3 1 Das erklärt, weshalb der in die DAP eingetretene Reichswehrhauptmann Röhm ein für Parteimitglieder ganz und gar ungewöhnliches, den Disziplinerwartungen selbst üblicher bürgerlicher, geschweige denn faschistischer Parteien auffallend zuwiderlaufendes Verhalten an den Tag legt, indem er z. B. aus den ihm zur Verfügung 65
stehenden Reichswehrförderungsmitteln für „vaterländische" Verbände seit seinem Parteieintritt nun keineswegs etwa nur noch oder auch nur bevorzugt die DAP, sondern weiterhin zugleich auch alle gerade mit ihr konkurrierenden nationalistisch-antirepublikanischen Parteien und Verbände subventioniert, oder indem er etwa, während die DAP nunmehr darangeht, eine SA aufzubauen, neben ihr als durchaus konkurrierende paramilitärische Organisation einen Münchener Ortsverband der in Nürnberg von Hauptmann Heiß gegründeten „Reichsflagge" aufzieht und dessen Vorsitz übernimmt. 2 3 2 Denn Röhm war der vor dem Berliner Kapp-Ludendorff-Kreis für das Gelingen des Kapp-Putsches in ganz Bayern Gesamtverantwortliche. Und so sehr er und Mayr auch, eben deshalb, dem Ib/P-Mitarbeiter Hitler den Sonderauftrag erteilt hatten, so rasch wie möglich die DAP zu einer massenwirksamen Partei zu entwickeln, so wenig konnte er doch für das Gelingen des Putschvorhabens, angesichts seiner Verantwortung hierfür und vor allem auch des in Aussicht genommenen nahe bevorstehenden Zeitpunkts, auf das Heranwachsen nur etwa dieser einen, so rasch auch jetzt nicht zu beherrschender Durchschlagskraft zu bringenden, ja noch nicht einmal über die Stadtgrenzen Münchens hinausgelangten Hilfssäule setzten; er mußte natürlich vielmehr um seine breiteste Abstützung, also auch um die finanzielle Förderung möglichst aller nur putschwilligen politischen Organisationen und Wehrverbände bekümmert sein, woraus ihm eine ihnen allen - einschließlich der DAP, unbesehen seiner eigenen Mitgliedschaft in ihr - überhobene Stellung erwuchs. Das allein aber erklärt auch wiederum, weshalb sich bis zum Kapp-Putsch im März 1920 (und auch noch eine Zeitlang darüber hinaus) an der aus dem bisherigen militärischen Dienstverhältnis resultierenden Subordinationsbeziehung Hitlers zu Röhm und Mayr trotz der innerparteilich zwischen Hider und Röhm nun umgekehrten Rangordnung - Röhm nur einfaches Parteimitglied, Hitler der erfolgreiche Parteiredner und Werbeobmann - nichts änderte, sondern Hitler für Röhm auch jetzt der nur in seinem Auftrag handelnde Untergebene blieb und Röhm für Hider, ebenso wie Mayr, ein Vorgesetzter. Denn die beiden Reichswehrhauptleute Röhm und Mayr waren im außermilitärischen Rahmen der D A P als die obersten Beauftragten des konspirativen Kapp-Unternehmens in Bayern tatsächlich weiterhin Hiders vorgesetzte Leiter, nicht per offiziellem Reichswehrdienstgrad, doch von Gnaden des Ludendorff-Lütt66
witz-Kapp-Kreises, in dessen bloße politische Hilfs- und Kombattantentruppe sie die DAP nunmehr mit Hilfe Hitlers und der übrigen von ihnen in sie hineingeschickten Reichswehrvertrauensleute verwandelten. 233
Der Kapp-Putsch und die ,,Ordnungszelle Bayern" Das daher auch noch sechs Monate nach seiner Ernennung zum DAP-Werbeobmann unvermindert fortbestehende politische Unterordnungsverhältnis Hitlers gegenüber Röhm und Mayr tritt am Tage des Kapp-Putsches grell in Erscheinung. Mayr schickt Hitler im Auftrage Röhms zunächst nach Regensburg, um den Bauemführer Georg Heim, den man, statt des erst dann hierzu ausersehenen v. Kahr, zum bayerischen Diktator ausrufen lassen wollte, heranzuholen (was erfolglos bleibt, da Heim sich zurückhaltend verhält), 2 3 4 und dann, nach seiner Rückkehr aus Regensburg, gemeinsam mit Dietrich Eckart zwecks umgehender Kontaktherstellung mit der Kapp-Regierung in einem Kurierflugzeug nach Berlin (was gleichfalls fehlschlägt, da ein Direktflug bis Berlin damals noch nicht möglich ist, die Maschine zum Auftanken in Jüterbog zwischenlanden muß, dort aber die Flughafenarbeiter bereits in den Streik gegen den Kapp-Putsch eingetreten sind und die beiden Flugzeuginsassen, die sich als Geschäftsreisende getarnt haben und nicht erkannt werden, an der zügigen Fortsetzung ihrer Reise dadurch immerhin so nachhaltig gehindert sind, daß sie schließlich - in einem mühsam organisierten Auto - erst in dem Augenblick in Berlin eintreffen, als die Kapp-Regierung soeben schon wieder zurückgetreten ist und Trebitsch-Lincoln, Kapps Pressereferent, als letztes Mitglied der flüchtenden Putschregierung gerade eilig das Reichskanzlerpalais verläßt). 2 3 5 War diese bloße Auftrags-Kurierdiensttätigkeit die Rolle Hitlers im Kapp-Putsch, so behielten sich Röhm und Mayr für sich selbst die Durchführung der politisch entscheidenden Aufgaben vor. Sie sandten eine Delegation zum bayerischen Landeskommandanten v. Möhl und veranlaßten ihn, die Regierung Hoffmann für abgesetzt zu erklären, die vollziehende Gewalt zu übernehmen und Gustav v. Kahr (an Stelle des sich durch sein Zögern verweigernden Heim) als Quasidiktator, nämlich als bayerischen „Regierungskommissar", einzusetzen. 236 67
Diese Maßnahmen wurden auch nach dem Zusammenbruch des Putsches im Reich nicht rückgängig gemacht. Damit war jedoch der Kapp-Putsch in Bayern, im Unterschied zum gesamten übrigen Reichsgebiet, auf Grund der Tätigkeit Röhms, Mayrs sowie ihrer Reichswehrmitverschwörer Möhl, Epp usw. mit einem bleibenden halben Erfolg ausgegangen. Und damit war die Voraussetzung für die nun einsetzende, für den gesamten weiteren Verlauf der Geschichte in Deutschland so verhängnisvolle Entwicklung Bayerns zur „Ordnungszelle Bayern" geschaffen. 237 Denn nun zogen alle im sonstigen Reichsgebiet unmittelbar nach dem Kapp-Putsch verbotenen Freikorps und Wehrverbände jedweder Art nach Bayern um, das sich unter der von den bayerischen Reichswehrputschisten eingesetzten Regierung v. Kahr als einziges Reichsland weigerte, die von der Reichsregierung angeordnete Auflösung der paramilitärischen Organisationen vollziehen zu lassen. Jetzt verlegten die Brigade Ehrhardt, das Freikorps Roßbach und unzählige andere Freikorps ihren Sitz nach Bayern, wo sie auf den weitläufigen Gütern des bayerischen Adels - meist nur geringfügig als Holzarbeitertrupps oder Wandervereine getarnt - Unterkunft fanden, um sich hier für den nächsten, nun von Bayern aus zu unternehmenden Schlag gegen die Republik bereitzuhalten und zu jedwedem Einsatz (z.B. 1921 Oberschlesien, dann „Ruhrkampf" usw.) rufen zu lassen; und auch Ludendorff und sein Adjutant Max Bauer schlugen jetzt ihr Quartier in Bayern auf. 2 3 8 Mit der Konzentration der antirepublikanischen Freikorps aller Gegenden des Reiches in Bayern aber wuchs die Bedeutung und die faktische Machtstellung Ernst Röhms erst recht an. Denn nun war er der auch für alle zugewanderten Wehrformationen zuständige Betreuungsoffizier in der bayerischen Reichswehrführung; und so wie er es schon 1919 gegenüber den bayerischen Einwohnerwehren verstanden hatte, sie durch das Angebot, ihre Waffen in Reichswehrdepots einzulagern und ihnen kostenlos Reichswehrausbilder zur Verfügung zu stellen, unter seine Kontrolle und in Abhängigkeit von der Reichswehr zu bringen, 239 so fand er auch jetzt bald einen Weg, sie seiner Aufsicht und politischen Kontrollgewalt zu unterwerfen. Als im Juni 1921 auf Grund der Versailler Entwaffnungsbestimmungen in Bayern die Zeugämter Bamberg, Ingolstadt und München aufgelöst werden mußten, hatte Röhm von seinen Vorgesetzten im Reichswehrgruppenkommando die stillschweigende Genehmigung erwirkt, deren Waffenbestände in Wirklichkeit in einer 68
„Geheimen Feldzeugmeisterei" weiter aufzubewahren und den Blicken der alliierten Kontrolloffiziere zu entziehen. 240 Als im Sommer des gleichen Jahres auch die Regierung v. Kahr nicht mehr umhinkam, der Forderung der Reichsregierung nach Auflösung der paramilitärischen Verbände zumindest dem äußeren Scheine nach zu entsprechen, beschlossen die bislang in der „Organisation Escherich" zusammengeschlossenen blau-weißen Wehrverbände, in den Untergrund zu gehen und hier gemeinsam mit allen nach Bayern neu hinzugezogenen Wehrverbänden eine schlagkräftige, einheitliche illegale Organisation unter Führung des bisherigen Kreisleiters der oberpfälzischen Einwohnerwehren, Sanitätsrat Otto Pittinger, zu bilden. Dies nahm Röhm zum Anlaß, ihnen allen nun gleichfalls die Lagerung ihrer Waffen in seiner „Geheimen Feldzeugmeisterei" anzubieten, unter der Maßgabe, daß sie allerdings nur mit seiner und Pittingers jeweils gemeinsamer Genehmigung den Einzelverbänden wieder ausgeliefert würden (worauf sich alle in der „Organisation Pittinger" zusammengeschlossenen Wehrverbände einließen). 241 Da zudem Gustav v. Kahr und General v. Epp den Syndikus des Bayerischen Industriellen-Verbandes, Dr. Alfred Kuhlo, veranlaßten, die bei ihm eingehenden Industriespenden für die bayerischen Wehrverbände künftig grundsätzlich nur noch zentral an die Leitung der „Organisation Pittinger" abzuführen, 242 die auch das Millionenbeiträge aufweisende Konto der „Organisation Escherich" des vormaligen Gesamtverbandes also der bayerischen Einwohnerwehren - übernommen hatte, 243 waren auf diese Weise sämtliche bayerischen und nach Bayern gezogenen Wehrverbände in eine doppelte und damit nahezu vollständige Abhängigkeit vom D u o Röhm-Pittinger und dem in ihm jeweils erzielten Konsens gebracht. Ihm konnte kein Verband ohne Gefahr, sich damit selbst von seinen eigenen Waffen und zugleich auch von den Industriespenden abzuschneiden, zuwiderhandeln. 244 In dieser einzigartigen Doppelstellung als Schlüsselhalter sowohl der geheimen Waffenlager der bayerischen Reichswehr wie auch der schwarz-weiß-rot orientierten Wehrverbände in Bayern wird Röhm übrigens zum letztinstanzlich hauptverantwortlichen Anreger und Organisator der „Feme"-Morde an „Waffenverrätern" auf bayerischem Gebiet. 2 4 5 Er sorgt für die Errichtung eines Fallensystems, das Bürger, die Beobachtungen über Waffenverstecke entsprechend den überall öffendich plakatierten Aufforderungen zur Anzeige bringen wollen, an „falsche" Entente-Offiziere geraten läßt, die ihre 69
Personalien an Pöhners Polizei und an die jeweilige örtliche „Feme"-Organisation der Einwohnerwehr weiterleiten. 246 Diese örtlichen, ,Feme"-Gruppen der Einwohnerwehren wurden in ihrer Tätigkeit von einem eigens zu diesem Zwecke beim „Wirtschaftsstab" der Landesleitung der Einwohnerwehren gebildetes Kommando zur Abschreckung von Waffenverrätern koordiniert. 2 4 7 Röhm hatte sich bei seinen Verhandlungen mit der Leitung der Einwohnerwehren im Jahre 1919 jedoch ausdrücklich als Gegenleistung für sein Angebot der Waffeneinlagerung in Reichswehrdepots sowie von Reichswehr-Ausbildungsoffizieren gerade die Besetzung der Stelle des Leiters des Wirtschaftsstabes der Einwohnerwehren mit einem jeweils von ihm benannten Reichswehroffizier ausbedungen. 2 4 8 Die gesamte Koordinierung der bayerischen Praxis der Fememord-Justiz an „Waffenverrätem" unterstand somit einem von Röhm ausgesuchten und ihm verantwortlichen Offizier.
Führer-Suchanzeigen Mit dem Scheitern des Kapp-Putsches hatte die antirepublikanischputschistische Rechte im gesamten Reichsgebiet allerdings ihre bisherige Diktatoren- und Einigungsfigur verloren, den einst in Ostpreußen vom Scharfmacher-Offizierskreis des „Oberkommandos Ost" um Ludendorff und Hindenburg, General Hoffmann 2 4 9 und Oberst Bauer wegen seines rücksichtslosen Vorgehens gegen die eigene Zivilbevölkerung als geeigneten Diktator entdeckten 250 und seither vor allem von Ludendorff favorisierten Wolfgang Kapp. Es galt für sie daher nun, nach einem neuen Führer Ausschau zu halten, der sich als „Retter" der Nation aufbauen ließ und vor allem auch dazu eignete, unter den „nationalen" Kreisen selbst als Integrationsfigur zu wirken. An Prätendenten für diese Rolle fehlte es keineswegs. Während manche einschlägigen Kreise in jenem Rechtslager nun Ludendorff oder gar Heinrich Claß selbst oder auch Hugenberg für die geeigneten Anwärter hielten 251 , kam auch jeder Führer einer der vielen hochgezogenen völkisch-demagogischen Gruppierungen, und zwar aus der Sicht nicht zuletzt gerade ihrer bisherigen alldeutschen Förderer um Heinrich Claß, sogar mit besseren Gründen und bevorzugt hierfür infrage. Insbesondere diejenigen Kreise in Reichswehr und Monopolkapital, denen es um die Einbindung von 70
Teilen der Arbeiterschaft in eine demagogische Massenmobilisierung zur Zerschlagung der Arbeiterbewegung zu tun war, hielten nichts vom Aufbau eines Diktaturkandidaten, dem die soziale Herkunft aus den herrschenden Kreisen - wie Ludendorff, Claß und Hugenberg - im Gesicht stand und jeder volksnah-plebiszitäre Anhauch abging. Es setzte daher unter den „völkischen" Führern und ihren jeweiligen Gruppierungen jetzt aber auch eine verstärkte Bewerber-Konkurrenz um die gleichsam „ausgeschriebene" 252 offene Stelle des Diktator-Kandidaten ein, über deren Ausgang von der Sache her nur ihre eigenen Durchbruchs- und Sammlungserfolge in der Öffentlichkeit entscheiden konnten, von denen für die interessierten Kapitalkreise ihre Förderungswürdigkeit abhing 253 . Hugo Stinnes und Albert Vogler lassen etwa Eduard Stadtler durchs Land reisen und ihn die „nationale Diktatur der sozialen Revolution" namens eines - nun auch von den besten, einsichtig gewordenen Industriellen gewollten - „deutschen Sozialismus" und einer „national-sozialistischen Volksgemeinschaft" predigen (wobei ihnen nur der Kunstfehler unterläuft, Hugo Stinnes persönlich als Diktator zu empfehlen, was Stadtlers Agitationswirkung Grenzen setzt) 254 ; Brunner sucht die Deutschsozialistische Partei stark zu machen (und die N S D A P in sie einzubeziehen) 255 , und diverse andere deutsch-völkische „Führer" bemühen sich um ihre Stilisierung als kommender Diktator. Unter diesen Umständen der allgemeinen Diktatorenanwärter-Konkurrenz gehen die bayerischen Reichswehrführer und die Thüle-Gesellschaft dazu über die weiterhin eng miteinander kooperierten (noch im Herbst 1919, kurz nach Sebottendorffs Flucht aus München, war Hitler in die Thüle-Gesellschaft eingeführt worden 256 , im Dezember 1920 hatte ihr die im März endgültig in N S D A P umbenannte D A P durch Vermittlung Karl Mayrs und mit Mitteln der Reichswehr, die die Hälfte des Kaufpreises ausmachten und von Röhm beschafft waren, den „Völkischen Beobachter" abgekauft 257 ) - , nun auch ihrerseits ihren so erfolgreichen, ganz und gar nach dem ThuleMuster gewebten Demagogen Hitler als Führer-Anwärter aufzubauen. Bereits im Mai 1920 hatte Dietrich Eckart, der bis zum März, wie Röhm und Mayr, auf Kapp gesetzt hatte, Rudolf Heß mit dem Hinweis auf Hitler als den nun wohl zur Heranbildung zum „Führer" bestgeeigneten Mann zum Eintritt in die N S D A P veran71
laßt (in der Heß auch rasch zu Hitlers engstem Vertrauten wurde) 258 ; und es ist die Reichswehrfraktion in der N S D A P unter Führung Röhms, Amanns und Essers, die gemeinsam mit Heß ein Jahr später, am 29. Juli 1921, unter Inkaufnahme einer Parteikrise gegen heftigste Widerstände 259 die Ernennung des bisherigen „Trommlers" Hitler zum Partei Vorsitzenden mit diktatorischen Führungsvollmachten durchsetzt und ihn am Abend des gleichen Tages dann erstmals der Öffentlichkeit auf einer Großveranstaltung im „Zirkus Krone" durch Hermann Esser als „Führer" vorstellen läßt 260 . Wie sehr das Muster, dem der aufzubauende „Führer" zu entsprechen hatte, von den völkischen Kreisen vorgegeben und gerade in der Thüle-Gesellschaft lange vorhergedacht (wie wenig „der Führer" also das Produkt etwa seines „Selbstaufbaus") war, davon zeugen besonders eindrucksvoll zwei nicht personenbezogene, allgemeine Führerbeschreibungen - die man insoweit also auch Führer-Suchanzeigen nennen könnte - aus dem Thule-Kreis. Die eine stammt von Dietrich Eckart, der bereits 1918 den „Retter" vorausbesungen und herbeigesehnt hatte 261 und nach Kriegsende von der nun angeblich dringend notwendig werdenden „neuen" - nämlich völkisch-demagogischen - Partei schrieb: „Ein Kerl muß sie führen, der ein Maschinengewehr hören kann. Das Pack muß Angst in die Hosen kriegen! Kein Offizier! Vor dem hat das Volk keinen Respekt mehr! Am besten ein Arbeiter, mit dem Maul auf dem rechten Fleck!" Aber auch: Junggeselle müsse er sein, denn dann „kriegen wir die Weiber!" 2 6 2 Die andere verfaßte Rudolf Heß, um sich mit ihr an einem im Sommer 1922 von nationalistischen Kreisen in Zusammenarbeit mit der Universität München veranstalteten Preisausschreiben zum Thema „Wie wird der Mann beschaffen sein, der Deutschland wieder zur Höhe führt?" zu beteiligen 263 . Er gewann mit seiner Einsendung, der das Preisrichterkollegium den ersten Preis zuerkannte 264 . So sehr Heß bei ihrer Niederschrift nun ohne Zweifel bereits Hitler im Auge hatte und ihn auch gemeint haben dürfte 265 , so handgreiflich bekundet die Preisvergabe 266 , daß seine unpersönlich gehaltene „normative" Eigenschaften-Beschreibung einer in gesellschaftlich angesehenen, Universitätsunterstützung findenden „nationalen" Kreisen vorhandenen Erwartungshaltung und dort verbreiteten Führervorstellung nach Thule-Muster entsprach. Hier Kernsätze aus dieser Beschreibung: 72
Dieser Mann verfüge über „die Macht der hinreißenden Rede, die die Massen ihm zujubeln läßt. Um der Rettung der Nation willen verabscheut er nicht, Waffen des Gegners, Demagogie, Schlagworte, Straßenumzüge usw. zu benutzen . . . J e tiefer der Diktator ursprünglich in der breiten Masse wurzelt, desto besser versteht er, sie psychologisch zu behandeln, desto weniger Mißtrauen werden ihm die Arbeiter entgegenbringen, desto mehr Anhänger gewinnt er sich aus diesen energischen Reihen des Volkes. Er selbst hat mit der Masse nichts gemein, ist ganz Persönlichkeit wie jeder Große . . . Wenn die Not es gebietet, scheut er auch nicht davor zurück, Blut zu vergießen . . . Sein Ziel zu erreichen, stampft er dabei über seine nächsten Freunde hinweg . . . Der mit abschreckender Härte vorgehende Gesetzgeber schreckt nicht davor zurück, mit dem Tode zu bestrafen. J e nach Bedarf vermag er mit Kürassierstiefeln niederzutreten oder mit vorsichtig empfindsamen Fingern Fäden bis an den Stillen Ozean zu knüpfen . . " l b ? Den eigenen personellen Kandidaten für diese Rolle ins Spiel zu bringen, verlangte aber natürlich vor allem, ihn auch den potenten Kapitalkreisen zu empfehlen und in den Gesichtskreis zu rücken. So hatte etwa Pöhner, der zum Röhm-Kreis gehörige Münchener Polizeipräsident, schon im Dezember 1920 Hitler ein Empfehlungsschreiben für Heinrich Claß und den Finanzverwalter des Alldeutschen Verbandes, Paul Bang, ausgefertigt, in dem es hieß: „Der Überbringer gegenwärtigen Briefes, Herr Hitler, ist . . . ein außerordentlich geschickter tatkräftiger Verfechter unserer gemeinsamen Ideen . . . und als der beste Redner der nationalsozialistischen Deutschen Arbeiterpartei in ganz Bayern bekannt. . . . Herr Hitler ist, wie er mir erklärt hat,, gerne bereit, falls er die nötige finanzielle Unterstützung findet, auch in Norddeutschland sich entsprechend zu betätigen. Ich möchte Ihnen hiermit Herrn Hitler aufs wärmste empfehlen und bin gewiß, daß er Ihnen vorzügliche Dienste leisten wird." 2 6 8 Bei seinem Besuch, den der so Empfohlene noch im Dezember 1920 gemeinsam mit Hermann Esser Claß in Berlin abstattet, führt Hitler sich beim Führer der Alldeutschen dann mit der Versicherung ein, er habe „nach der Lektüre von ,Wenn ich der Kaiser wär' die Uberzeugung gewonnen, daß in diesem Buch alles für das deutsche Volk Wichtige und Notwendige enthalten sei" 2 6 9 . Dietrich Eckart hatte Hitler schon anläßlich der mißglückten Kurierflugreise zur Kapp-Regierung im März 1920 mit führenden 73
Männern der Berliner deutschvölkischen Rechten 270 bekanntgemacht, vor allem aber auch - bei dieser Gelegenheit oder ein wenig später - mit Dr. Emil Gansser, einem leitenden Angestellten des Siemenskonzerns und zugleich wichtigen Mann des Berliner „Nationalen Klubs 1919", der mit Unterstützung des SiemensDirektors Dr. Karl Burhenne die Einladungen Hitlers in den „Nationalen Klub" arrangierte 271 ; dort fand dessen erster Vortrag am 29. Mai 1922 statt, und der noch im gleichen Jahre folgende zweite trug der NSDAP die von nun an fortdauernde Unterstützung Borsigs ein 272 . So falsch also das lange Zeit vorherrschende und noch immer weit verbreitete Bild, anfänglich sei die NSDAP ausschließlich von der Schwerindustrie und von Großgrundbesitzern unterstützt worden, ist und heute dringend der Korrektur bedarf 273 , so notwendig hatte die Einführung Hitlers in den „Nationalen Klub" und sein damit nun auch persönliches Bekanntwerden mit maßgeblichen Industrieführern freilich zur Folge, daß der sich politisch mehr denn je auf die Orientierung an den Putsch-Planungen des Kreises Ludendorff und Max Bauer und auf die Einfügung in sie verwiesen sah. Denn so wenig manche Industrielle auch Ludendorff oder Oberst Bauer für die geeigneten Volksagitatoren und damit Diktatorfiguren hielten und daher durchaus - wie übrigens auch Ludendorff und Bauer selbst 274 - interessiert außerdem nach dem fähigen Massendemagogen Ausschau hielten, so sehr war Ludendorff nach wie vor doch der geheime Interessen-Sachwalter der zum Putsch drängenden Kreise dieses Industrie- und Landadelklubs gleichsam in der Sache selbst. Ein ihnen sich vorstellender Volksdemagoge konnte deshalb in dieser Situation aber auch nur immer auf der Basis konzeptioneller Übereinstimmung mit dem konspirativen Zentrum um Ludendorff, nicht aber konkurrierend zu ihm, bei ihnen avancieren.
„Mitteleuropa" und „Donau-Konföderation" polkapital schmiedet Pläne
- das Mono-
Ludendorff und Max Bauer aber bereiteten den nächsten Schlag gegen die Republik von Bayern aus als einen gleichzeitigen großangelegten Schlag gegen die im Versailler Friedensvertrag festgelegte staatliche Nachkriegsordnung Europas vor 275 . Max Bauer entfaltete 74
zu diesem Zwecke eine intensive Reisetätigkeit insbesondere nach Ungarn zur faschistischen Horthy-Regierung in Budapest, aber ebenso auch zu den alldeutsch orientierten Rechtsgruppen und Wehrverbänden Deutschösterreichs sowie zu deutsch-sympathisierenden und militant-antikommunistischen Gruppen Rumäniens, Bugariens und Polens und vor allem auch zu den vermögenden russischen Emigrantenkreisen um den Großfürsten Kyrill und seinen General Biskupski276. Das Ziel dieser Reiseaktivitäten war, den Tag X eines nächsten Putsches gegen die republikanische Regierung in Berlin und die Reichsverfassung in Deutschland zum Tage eines gleichzeitigen „Mitteleuropa-Aufstandes" werden zu lassen; durch ihn sollte erstens „rückartig" ein „geschlossener Block von Berlin bis Budapest" - durch die Anschluß-Erklärung Deutsch-Österreichs ans Deutsche Reich und die Solidarisierung Horthy-Ungarns mit Deutsch-Österreich - in Europa entstehen277, der das „Versailler System" zerbrochen hätte, und zweitens zugleich der in Berlin ausgerufenen neuen Diktaturregierung den Anlaß zu sofortiger Hilfeleistung für die auf verlorenem Posten kämpfenden, vom Kreis um den General Biskupski aufgestachelten und instruierten „Aufständischen" in Weißrußland und der Ukraine, also zum Einmarsch der Reichswehr in die Sowjetunion und zur Niederwerfung der Sowjetregierung, gegeben werden278. Dieser „Mitteleuropa-Plan" lag ganz auf der Linie der „Katastrophenpolitik" von Hugo Stinnes, dessen Vertrauensmann im Ludendorff-Kreis Oberst Max Bauer seit jeher war279. Stinnes hatte seine Interessen an der Beherrschung der französischen, belgischen und luxemburgischen Montangebiete auch nach der Kriegsniederlage zwar keinen Augenblick lang aus dem Auge gelassen280, wohl aber seinem gigantischen Konzernimperium, das er als der größte Inflationsgewinnler der Ruhrindustrie auf der Woge der Inflation zustandegebracht hatte, der „Rhein-Elbe-Siemens-SchuckertUnion", nun allerjüngst auch bedeutende Besitzanteile an der österreichischen, nordböhmischen und polnisch-ostoberschlesischen Industrie hinzuerworben281 (wie ganz ähnlich übrigens auch Flick), und er war schon immer ein eifernder Fürsprecher der Ausdehnung der deutschen Herrschaft über Rußland282. Max Bauers „Mitteleuropa-Plan" entsprach aber auch den Eigeninteressen des damaligen „Wirtschaftsberaters" General Ludendorffs, Arnold Rechberg, dem gemeinsam mit seinem Bruder Fritz Rechberg der Kali-Konzern Wintershall gehörte und der sich von 75
der Aneignung der russischen Kali-Vorkommen die führende Stellung seines Konzers auf dem Welt-Kalimarkt versprach 283 . Rechberg wurde daher zu einem der frühesten Propagandisten unter Deutschlands Großindustriellen für den Abschluß eines militärischen Offensivpakts zwischen Deutschland und Frankreich gegen die Sowjetunion, und er schlug sogar die Bildung eines integrierten deutsch-französischen Generalstabes vor 284 . Wegen dieses Punktes Frankreich fand Rechberg mit Ludendorff allerdings nicht zu voller Ubereinstimmung und geriet mit ihm seinetwegen sogar bald auseinander285 (durfte nach dem zweiten Weltkrieg, in dessen Ausgang er nur die Bestätigung der Richtigkeit seines jahrzehntelangen Drängens auf einen gesamtwestlichen Okkupationskrieg gegen die Sowjetunion sah, dafür jedoch seinen alten Plan sofort wieder - und zwar schon ab Juni 1945, und nun im Tonfalle und in der Pose eines hellsichtigen Mannes, der früh das Erforderliche erkannt und vergeblich gemahnt habe - sowohl öffentlich wie auch alliierten und westdeutschen Regierungsstellen vortragen 286 ). Der „Mitteleuropa"-Plan von Stinnes und Oberst Bauer entsprach aber nicht zuletzt auch den Vorstellungen Ludendorffs selbst, der zu Kriegsbeginn seinen Ruhm als „Held von Tannenberg" begründet 287 und gegen Ende des Krieges gemeinsam mit Hindenburg im „Oberkommando Ost" die reaktionärsten alldeutschen Kreise an sich gezogen hatte, die auf der Fortsetzung des Ostkriegs um jeden Preis bestanden und 1917/18 sogar die Kaltstellung des ihnen zu lasch erscheinenden Kaisers durch einen Diktator planten 288 . Gerade über diesen expansionistischen, konspirativen Mitteleuropa-Aktivitäten gerieten Ludendorff und Max Bauer nun aber in eine politische Konkurrenz mit der blau-weißen monarchistischen bayerischen Reaktion, die die Einheit der Wehrverbände zu sprengen drohte und schließlich auch sprengte. Die bayerischen Monarchisten verfolgten das Ziel, die Wittelsbacher-Monarchie in Bayern wiederaufzurichten und sie durch die Ablösung Bayerns vom Reich und dessen Vereinigung mit den Ländern der 1918 zusammengebrochenen österreichisch-ungarischen Monarchie in die faktische Erbschaft des Hauses Habsburg eintreten zu lassen. Schon im Dezember 1918 hatte ihr einflußreichster Exponent, der im engsten Einvernehmen mit dem Hause Wittelsbach stehende „Bauernführer" Georg Heim, in einem Aufruf an die Bayern die 76
Notwendigkeit einer „Donau-Konföderation" und daher zeitweiligen Trennung Bayerns vom Reich mit dem Argument begründet, daß Frankreich der „wirtschaftlich glänzenden Perspektive" deutscher Südost-Ausdehnung solange Widerstand entgegensetzen werde, wie es sich dabei um die Ausdehnung des alten Deutschland mit seinem ihm verhaßten bismarckisch-preußischen Machtkern handele; daß es sich aber im Falle einer Neugliederung des Reiches in mehrere selbständige, nur föderativ miteinander verbundene Staaten sehr wohl mit ihr würde abfinden können 289 . Und 1920 hatte der Wittelsbachische Kronprinz Rupprecht einem Abgesandten des Kaisers im vertraulichen Gespräch erläutert, daß der „springende Punkt" der bayerischen Neugliederungspläne für das Reich die „Rückstutzung Preußens auf seinen Besitzstand von 1866" sei, da sich eine deutsche Ausdehnung nach Südosteuropa mit den französischen Sicherheitsinteressen nur unter der Bedingung der „Abdrängung Preußens vom Ruhrgebiet" vereinbaren lasse 290 . Das war nun allerdings ein Stoß mitten ins Herz des alten Bündnisses von Ruhrindustrie und ostelbischem Junkertum, die Androhung seiner Aufsprengung durch staatlich-geographische Trennung mit Rückenstützung Frankreichs und unter Berufung auf dessen Sicherheitsinteressen gegenüber dem Alldeutschtum. Das konnte niemals im Interesse von Thyssen, Stinnes und des preußisch-reichsdeutsch und ruhrzentriert denkenden Ludendorff liegen, entsprach aber sehr wohl den Interessen eines großen Teiles der auf den Export in den europäischen Südostraum orientierten bayerischen Industrie-, Handels- und Bankkreise. Und es entsprach auch grundsätzlich der alten Südost-Interessenstoßrichtung der deutschen Chemie- und Elektrokonzerne und der Deutschen Bank, weshalb sich in ihren Reihen durchaus Kräfte fanden (so war z. B. der „Bauernführer" Georg Heim Direktor der Deutschen Bank 291 ), die den Plan der Donau-Konföderation und den ihm konzeptionell korrespondierenden Rheinbundplan im Westen Deutschlands favorisierten 292 . Aus Karl Mayrs Reichswehr-Abteilung Ib/P war schon im Jahre 1920 eine Pressekampagne gege die bayerischen Monarchisten lanciert worden, die die geheimen Frankreich- und Vatikan-Verhandlungen Heims aufgedeckt und als Landesverrat angeprangert hatten 293 , und seither war dieser Konflikt unterschwellig fortgeschwelt und bei einigen Anlässen auch in der Öffentlichkeit immer wieder 77
einmal aufgeflackert 294 . Da Georg Heim zwecks Werbung für die Donau-Konföderation in die gleichen Länder und zumeist auch zu den gleichen Gruppierungen reiste wie Max Bauer zum Zwecke der Werbung für seinen „Mitteleuropa"-Aufstand, gerieten sich die beiden bayerischen Lager - das blau-weiße und das schwarz-weiß-rote - im Verlaufe des Jahres 1922 vor allem auf ausländischem Boden so handgreiflich wechselseitig in die Quere (am eklatantesten schließlich bei der Werbung um die österreichischen „Heimwehren") 295 , daß darüber auch die innerbayerische Eintracht der Wehrverbände in ernste Gefahr geriet 296 . Aus der Perspektive der Pläne Ludendorffs und Max Bauers hätte angesichts so tiefgehender tatsächlicher Gegensätze im Lager der bayerischen Wehrverbände der äußeren Zwangsehe, zu der sie Röhm mit Hilfe seines Waffenlagerungsmonopols in der Organisation Pittinger verurteilt hatte, nun, wie man meinen sollte, nur desto größere Bedeutung beigemessen werden müssen. Doch es ist Ludendorff, der im Januar 1923 plötzlich ihre Aufkündigung veranlaßt, indem er Röhm drängt, das Bündnis der bayerischen Reichswehrführung mit Pittinger zu lösen, die Wehrverbände aus der Reichswehr-Kontrolle zu entlassen und sie damit wieder zu selbständigen bewaffneten Aktionen ohne Verständigung mit der Reichswehrführung und Pittinger zu befähigen 297 . Und Röhm vollzieht diese Kündigung. Er erwirkt beim neuen bayerischen Landeskommandanten v. Lossow die Genehmigung für sie und teilt sie Pittinger am 30. Januar 1923 in aller Form schriftlich mit 298 .
„Volkserhebung" gegen Frankreich? Widersprüche im Lager der „vaterländischen" Kräfte und Umorganisierung der SA Was war der Hintergrund dieses auf den ersten Blick völlig unverständlichen Schrittes von Ludendorff und Röhm? - Es war eine erneute Kontaktnahme von Hugo Stinnes mit Ludendorff im Januar 1923, unmittelbar nach dem Eimarsch der französischen Truppen ins Ruhrgebiet 299 . Stinnes hatte diesen Einmarsch selbst provoziert. Er hatte seit Kriegsende - die alten Expansionsziele der Ruhrindustrie jetzt nur in neuer Form weiterverfolgend - langwierige Verhandlungen mit 78
dem französischen Stahlindustriellen-Verband, dem „Comité des Forges" über eine Fusion von Ruhrindustrie und französischer Stahlindustrie auf der Basis eines von ihm angebotenen scheinparitätischen Beteiligungsverhältnisses von 50:50 geführt, das tatsächlich jedoch, wie der damalige Leiter der Westeuropäischen Abteilung des State Department, W. R. Castle, in sein Tagebuch notierte, der unvergleichlichen Überlegenheit der Ruhrkonzerne wegen auf „einen riesenhaften deutschen Trust mit französischem Schwanz" hinausgelaufen wäre 300 . Es bedarf wohl keiner näheren Erläuterung, weshalb diese Verhandlungen zu keiner Einigung führten und an einem französischen Nein scheiterten301. Stinnes jedoch nahm dieses Nein der Franzosen zum Anlaß, bei der Reichswehrführung und beim Reichspräsidenten mit Erfolg darauf zu drängen, daß es mit der unverzüglichen Einstellung der Reparationslieferungen an Frankreich bèantwortet würde 302 . Und da der Ubergang zu einer Politik derartiger Herausforderung, deren militärische Erwiderung durch Frankreich absehbar und gerade einkalkuliert war, einer anderen Regierung als der von den alldeutschen Ruhrindustriellen als Kabinett der „Erfüllungspolitiker" attackierten Regierung Wirth bedurfte, hatte er im November 1922 deren Sturz und Ablösung durch eine zu solch hartem Kurs gegenüber Frankreich entschlossene neue Regierung durchgesetzt, deren wichtigste Minister von ihm selbst ausgesucht worden waren und für die er vor allem den Kanzler parat hielt: den ihm eng befreundeten Direktor der H A P A G , Wilhelm Cuno 303 . Das Ziel der Konfrontationspolitik gegenüber Frankreich war, den in Erwiderung des erwarteten Ruhr-Einmarschs auszurufenden „passiven Widerstand" in einen „aktiven" und schließlich in einen allgemeinen deutschen „Volkskrieg" gegen Frankreich umschlagen zu lassen und Frankreich mit diplomatischer Hilfestellung Englands und der USA - auf die man rechnete 304 - eine entscheidende militärische Niederlage beizubringen; diese würde es zwingen, auf die Bedingungen der deutschen Industrie einzugehen und seinen Anspruch auf die Rolle der europäischen Führungsmacht aufzugeben 305 . Vor allem war das Ziel zugleich aber auch, auf der Woge der nationalistischen Erregung, die eine solche kriegerische „Volkserhebung" gegen Frankreich auslösen müßte, in Deutschland eine Diktatur auszurufen, der die Aufgabe zugedacht war, die gesamte politische Linke, in der Stinnes das Haupthindernis deutscher „Wiedererstarkung" auf der Basis einer „Wirt79
schaftssanierung" nach seinen Vorstellungen sah306, ein für allemal zu zerschlagen 307 . Als die Regierung Cuno die Reparationslieferungen eingestellt und Frankreich daraufhin am 11. Januar 1923 das Ruhrgebiet besetzt hatte, war es deshalb für Stinnes und die hinter ihm stehenden übrigen Industriellenkreise dringlich geworden, auch die bayerischen Wehrverbände für die Beteiligung am geplanten, nahe bevorstehend geglaubten „Volkskrieg" gegen Frankreich zu gewinnen; das veranlaßte Stinnes zur Wiederaufnahme seiner alten Verbindung zu General Ludendorff - dem, als integrationskräftigster Soldatenfigur des ersten Weltkriegs, eine hierfür ausschlaggebende Bedeutung zugemessen wurde - und verlangte von den Wehrverbänden die rasche Umstellung auf Bedingungen eines kriegsmäßigen Einsatzes an der Seite der Reichswehr 308 . Am 30. Januar 1923 war Stinnes dann beim Chef der Heeresleitung, General v. Seeckt, vorstellig geworden und hatte ihm die sofortige Besetzung Ostoberschlesiens und des nordböhmischen Industriegebiets durch Reichswehrtruppen - also einen Krieg gegen Frankreichs Verbündete Polen und Tschechoslowakei vorgeschlagen 309 . Unter Verweis auf im Ruhrgebiet unter Leitung Fritz Thyssens schon angelaufene eigene militärische Vorbereitungen der Ruhrkonzerne für eine gewaltsame „Erhebung" - die Thyssen in Zusammenarbeit mit dem nördlich des besetzten Gebietes in Münster/Westfalen stationierten General Watter plante 310 - brachte er v. Seeckt am 13. Februar 1923 in einer Berliner Grunewald-Villa mit den maßgeblichen Ruhrindustriellen sowie Vertretern der Reichsbank zusammen 311 . Der Chef der Heeresleitung war von den ihm hier dargelegten Kriegsplänen bei allem Unmut über Thyssens selbständige „Militärspielerei" 312 immerhin so beeindruckt und ihnen so wenig abgeneigt, daß er am nächsten Tage versuchte, den Reichspräsidenten Friedrich Ebert auf sie einzustimmen 313 . Am wiederum nächstfolgenden Tag, am 15. Februar, eruiert Seeckt in einer Unterredung mit Forstrat Escherich die Beteiligungsbereitschaft der im Lager v. Kahrs und Pittingers stehenden Wehrverbände 314 ; und als er hier auf Schwierigkeiten stößt, kann Stinnes-Direktor Ossius 315 ihn dazu bewegen, nunmehr auf den ursprünglichen Vorschlag von Hugo Stinnes, sich mit Ludendorff in Verbindung zu setzen, einzugehen und gemeinsam mit Wilhelm Cuno 316 am 20. Februar 1923317 in der Wannsee-Villa des Stinnes-Generaldirektors Friedrich Minoux mit 80
ihm zusammenzutreffen 318 . Auf Veranlassung Ludendorffs trifft er sich am 11. März 1923 anläßlich einer Inspektionsreise nach München dann auch mit Hitler 319 . Für einen Marsch gegen Frankreich und dessen Verbündete in Südost- und Osteuropa konnten die um das Zustandekommen der Donau-Konföderation gerade mit Hilfe Frankreichs bemühten blau-weißen Monarchisten um den Wittelsbacher-Kronprinzen Rupprecht und Georg Heim, Pittinger und v. Kahr 320 bei aller Todfeindschaft gegen die Republik und wilden Entschlossenheit, zu ihrem Sturze im Reich beim nächstbesten Zeitpunkt ihre Bauernwehren unter Anführung der bayerischen Reichswehr nach Berlin aufbrechen zu lassen, kaum zu gewinnen sein 321 . Somit aber hing für das Gelingen des Stinnes-Planes in Bayern, ohne dessen Verbände - zumal angesichts ihrer engen Beziehungen zu wichtigen norddeutschen Wehrverbandsführern 322 - der „Volkskrieg" gegen Versailles nicht gewagt werden konnte, alles davon ab, ob im entscheidenden Augenblick die Leuchtkraft Ludendorffs als Nationalheros und Idol aller „vaterländischen" Kräfte ausreichen würde, das Gros der blau-weißen Wehrverbände über die Einreden und Gegenparolen ihrer bisherigen Autoritäten hinweg durch das anfeuernde Beispiel des eigenen Aufbruchs mitzureißen. Das wiederum setzte voraus, daß Ludendorff innerhalb Bayerns allerdings über eine ihm absolut ergebene, durch keinerlei Zwang zu Kompromissen mit den blau-weißen Führern im selbständigen Handeln behinderte, ansehnliche eigene Wehrverbandsbasis verfügte, von deren geschlossenem Aufbruch auf sein Feldherren-Kommando hin eine solch mitreißende Wirkung auch auszugehen vermochte, weshalb er im Januar 1923 die Auflösung des Bundes mit Pittinger und die selbständige organisatorische Zusammenfassung der sich seinem Befehl unterstellenden Verbände verlangte. Und Röhm, obgleich von Hause aus selbst blau-weißer Monarchist und bis zu seinem Lebensende ein glühender Verehrer der Wittelsbacher 323 , ein noch glühenderer freilich der Ludendorffschen Idee vom „Soldatenstaat" 324 , funktionierte auch jetzt prompt. Fünf Tage nach der von ihm vollzogenen Aufkündigung des Bundes mit Pittinger, am 4. Februar 1923, fand auf seine Einladung hin die erste „Arbeitssitzung" der Ludendorff-treuen Verbände statt 325 . Aus der hier gegründeten „Arbeitsgemeinschaft der vaterländischen Kampfverbände" 326 ging in den nächsten Monaten 327 der zum Träger des Münchener Putsches vom 8./ 81
9. November 1923 werdende „Deutsche Kampfbund" hervor, bestehend aus dem „Bund Oberland" 328 , der „Reichsflagge" (deren Landesleitung Röhm angehörte und deren Münchener Vorsitzender er war 330 ) und der SA 331 . Die Finanzierung des Aufbaus dieses „Deutschen Kampfbundes" übernahm von Anbeginn an, über seinen Generaldirektor Friedrich Minoux, der Stinnes-Konzern 332 . Das Ungleichgewicht, in dem diese drei Ludendorff-treuen Verbände zur Zahl der blau-weißen Wehrverbände standen 333 , war freilich nur durch ihre rasche personelle Aufstockung und gleichzeitige Umorganisation zu kriegstauglichen Kampfverbänden auszugleichen. Das betraf vor allem die SA, die unter den vier Verbänden der zahlenmäßig schwächste und bislang ein Zwitter zwischen einem rudimentären Wehrverband und einer terroristischen Straßenkampf- und Propaganda-Parteitruppe war 334 . Und auch Hitler funktionierte ebenso prompt wie Röhm - obwohl er, in Übereinstimmung mit Heinrich Claß und den alten Protagonisten der völkischen Arbeiterdemagogie in Alldeutschem Verband und Thüle-Gesellschaft, von einem Krieg gegen Frankreich vor vorangegangener „Vernichtung" des „Marxismus" im Innern gar nichts hielt 335 und in der jetzt hinter Cunos Ruhrkampf-Politik sich formierenden nationalistischen „Einheitsfront" nur eine die „Abrechnung" mit der Arbeiterbewegung erschwerende und sie wieder einmal hinauszögernde Neuauflage des „Burgfriedens" von 1914 sah336, wie dies auch die von Röhm heftig verfochtene Meinung war 337 . Er entsprach der aus den Kriegsplänen der Ruhrindustriellen und ihrem Komplott mit Seeckt wie Ludendorff entstandenen neuen Bedarfslage, ließ die Umstellung der SA „zu einer militärischen Kampforganisation" vollziehen 338 und beauftragte mit ihrer Durchführung an Stelle seines zurücktretenden bisherigen - interessanterweise von der Marinebrigade Ehrhardt besoldeten und nun zu Ehrhardt zurückkehrenden 339 - Obersten SA-Führers („OSAF") Leutnant Hans-Ulrich Klintzsch den im Oktober oder November 1922 bei ihm in der NSDAP-Geschäftsstelle wie ein Himmelsgeschenk zu rechter Zeit erschienenen und sich ihm „zur Verfügung" stellenden 340 kriegslorbeer-bekränzten letzten Kommandeur des legendären „Jagdgeschwaders Richthofen", Pour-lemerite-Träger und Sohn des ersten Gouverneurs von „DeutschSüdwestafrika": den aus Rosenheim/Bayern gebürtigen und seit Kriegsende als viel gefragter Testpilot und Kunstschau-Flieger, 82
auch als Leiter skandinavischer Luftfahrtunternehmen tätigen, über beste Beziehungen zur Flugzeugindustrie und zu anderen Industrie- sowie auch Adelskreisen verfügenden Hermann Göring 341 . Der nahm sich als neuer „Oberster SA-Führer" dieser Aufgabe an, leitete ihre Ausführung ein und verband sie mit einer rigorosen politischen „Säuberung" der SA und mit personellen Veränderungen ihres Führungs-Korps 342 . In den folgenden Monaten bis zum Sommer 1923 zeichnete sich allerdings immer rascher ab, daß die Politik des „passiven Widerstands" an der Ruhr nicht durchzuhalten war und abgebrochen werden mußte, sollte sie nicht in einer Katastrophe für die deutsche Industrie selbst enden. Die Abriegelung des Ruhrgebiets löste eine Wirtschaftskrise und eine solche Beschleunigung der Inflation aus, daß immer größere Teile der Industrie mit ihrem Tempo nicht mehr Schritt zu halten vermochten, sich vom Bankrott bedroht sahen und daher deren sofortige Beendigung verlangten. Vor allem aber schlug der gegen Frankreich aufgestachelte „Widerstands" und „Volkserhebungs"-Geist nicht nur an der Ruhr, sondern im gesamten Reich in ein Wiederaufflammen der revolutionär-antikapitalistischen Stimmungen auch gegen das deutsche Großkapital selbst um. Diese Faktoren bewirkten einen Links-Auftrieb, der schon im März zu einer KPD-tolerierten linkssozialdemokratischen Regierung in Sachsen, im August dann zum Generalstreik gegen die Cuno-Regierung (die am 12.8.23 unter seinem Eindruck zurücktreten mußte) 343 und im Oktober schließlich zur Bildung von Volksfront-Regierungen in Sachsen und Thüringen und zu einer in ganz Deutschland sich erneut herstellenden akut-revolutionären Situation (Hamburger Aufstand 23.-25. Oktober 1923 344 ) führte. Unter diesen Umständen wurde der Abbruch der Politik des „passiven Widerstandes" und der somit auch unvermeidliche Rücktritt des an ihr gescheiterten Kabinetts Cuno zu einem zwingenden Eigeninteresse des deutschen Monopolkapitals selbst. Zur Ablösung der Cuno-Regierung stand - von den politischen Kräfteverhältnissen her alternativlos für die alldeutsch-schwerindustrielle Rechte - eine von den klassischen Weimarer Koalitionsparteien mit Einschluß des neuindustriell orientierten Flügels der DVP getragene Große Koalition unter Führung Gustav Stresemanns bereit. Am 13. August 1923 übernahm sie die Regierung und war fest entschlossen, das ihr von den alldeutschen Katastrophenpolitikern wieder einmal im Augenblick des eigenen Schei83
terns zugeschobene, schon im vorhinein von allen Rechtskräften als national unrühmlich beschrieene Kapitulationsgeschäft der Verkündung des Abbruchs des „passiven Widerstandes" dann aber auch mit der Beendung der Inflation zu verbinden, - mit einer ruckartigen Währungsstabilisierung gleichsam von einem Tag auf den anderen, die den auf Inflationsgewinnen aufgebauten Nachkriegs-Riesenkonzernbildungen der Ruhrindustrie 345 (allen voran ihrer monströsesten, dem Stinnes-Konzern, der im Sommer 1925 dann auch an der Währungsstabilisierung zusammenbrach 346 ), den Boden entziehen müßte. Da eine Regierung, die dem InflationsElend ein Ende zu setzen und den Wirtschafts-Aufschwung herbeizuführen vermochte, alle Aussicht auf breite Wähler-Popularität und einen dann wohl auch auf längere Zeit uneinholbaren Massenbasis-Vorsprung hatte, sahen die Schwerindustriellen und die preußischen Junker in ihr jedoch die Gefahr einer nun endgültigen, jedenfalls langhaltenden Stabilisierung der politischen Vorherrschaft und Führung ihrer an den Interessen und Strategien der „neuen Industrien" orientierten Konkurrenten und Widersacher im Monopolkapital heraufziehen.
Diktaturpläne beim Monopolkapital und in der Reichswehr und der Münchener Ludendorff-Hitler-Putsch vom 8J9. November 1923 Für Stinnes bedeutete das Fiasko Cunos und der Ruhrkampf-Pläne daher nur einen vermehrten Grund, nun die Errichtung der Diktatur im Reich für dringlich zu halten und auf sie hinzuarbeiten. Und das Gleiche galt für v. Seeckt, wenn auch, wie sich bald zeigen sollte, aus nicht durchgängig deckungsgleichen Motiven. Die gesamte antirepublikanische Rechte stimmte sich ab August 1923 auf den Sturz der Regierung Stresemann und deren Ablösung durch eine „nationale" Diktatur ein. Pläne und Erwartungen, insbesondere das vermutete Aufschäumen nationaler Entrüstung am Tage der Verkündung des Abbruchs des „passiven Widerstandes" hierfür zu nutzen, hatten Hochkonjunktur 347 , wobei sich die weitaus meisten Hoffnungen auf den Chef der Heeresleitung, v. Seeckt, richteten 348 . Seeckt plante, sich die vollziehende Gewalt übertragen zu lassen und unter seiner obersten Befehlshaberschaft als Militärdiktator ein ziviles Diktatur-Direktorium einzusetzen 349 . 84
Und um sicherzustellen, daß in dieses Direktorium auch die den Interessen der Ruhr-Konzerne entsprechenden Männer kämen, stand Stinnes ab spätestens September 1923 über seinen Generaldirektor Friedrich Minoux mit Seeckt in Verhandlungen über dessen personelle Zusammensetzung 350 . Als am 23. September 1923 die Bekanntgabe der Aufkündigung des - de facto längst zusammengebrochenen und eingestellten „passiven Widerstands" an der Ruhr durch die Stresemann-Regierung (Aufruf „An das deutsche Volk") erfolgte 351 , daraufhin die bayerischen Monarchisten am 26. September in München zum Staatsstreich übergingen und Gustav v. Kahr zum „Generalstaatskommissar" für Bayern mit diktatorischen Vollmachten erhoben, Friedrich Ebert als Reichspräsident den militärischen Ausnahmezustand ausrief, mit der vollziehenden Gewalt jedoch nicht Seeckt selbst, sondern den Reichswehrminister Gessler betraute, konkretisierten sich Seeckts Diktaturpläne nunmehr sowohl zeitlich wie personell. Seeckt hielt den angesichts der voranschreitenden Linksentwicklung in Sachsen und Thüringen abzusehenden verfassungswidrigen Wunsch der Stresemann-Regierung, die Reichswehr gegen sie in Marsch zu setzen, für den geeigneten Augenblick, dann die volle Ausnahmegewalt für sich zu fordern 352 . Das danach unverzüglich zu berufende Diktatur-Direktorium sollte, nachdem sich v. Kahr durch seinen Münchener Staatsstreich als der „starke Mann" Bayerns erwiesen hatte, nach Seeckts Vorstellungen nun vor allem aus folgendem Triumvirat bestehen: Friedrich Minoux, Generaldirektor des Stinnes-Konzerns 353 ; Dr. Otto Wiedfeldt, ehemals Vorstandsmitglied von Krupp und seither deutscher Botschafter in Washington; Dr. Gustav Ritter v. Kahr 354 . So sehr dies den hohen Grad von Ubereinstimmung und Absprache zwischen Seeckt und Stinnes bezeugt - denn auch Otto Wiedfeldt war einer der eingeweihten Vertrauten von Stinnes 355 , so sehr hatten die Ruhrindustriellen aber auch Gründe, sich auf Seeckt nicht zu verlassen. Immerhin war Seeckts engster persönlicher Mitarbeiter, der ihn in allen Plänen beriet und der damals unter den Offizieren des Truppenamts allgemein als Seeckts politisches Sprachrohr galt, niemand anderes als der Major Kurt von Schleicher 356 , der einst gemeinsam mit General Groener 357 vom Kriegsamt aus auf die Kontrolle der Rüstungskonzerne und zugleich auch auf die 85
Beschneidung der Agrar-Profite der ostelbischen Junker hingearbeitet hatte. Und auch die mehr kriegswirtschaftlich-zentralistisch und staatsinterventionalistisch eingestellte Offiziersgruppe in der Reichswehrführung um Schleicher und die hinter ihr stehenden Industriekreise 358 sahen im nahe bevorstehenden Doppelereignis von Reichswehr-Einsatz gegen die revolutionären Linksentwicklungen 359 und Mark-Stabilisierung die geeignete Gelegenheit zu drastischen Verfassungs-Abänderungen und einer entscheidenden innenpolitischen Kräfteverschiebung nach rechts mit Hilfe und im Schatten des militärischen Ausnahmezustands und waren DiktaturErwägungen nicht abgeneigt 360 . Lag da aber nicht nahe, daß Seeckt auch von ihnen beeinflußt werden und mit ihnen Kompromisse schließen könnte? Und wie war seine Einladung Gustav v. Kahrs ins Kollegium der Reichs-Diktatoren, nachdem sich der neue bayerische Diktator doch gerade nach seiner Münchener September-Machtergreifung als hartnäckiger Verfechter einer Sonder- wie zugleich Führungsrolle eines Königreichs Bayern im künftigen Deutschen Reich und schärfster Anti-Ludendorffianer in Bayern erwiesen hatte 361 , eigentlich mit den traditionellen - und durchaus auf die Zukunft gerichteten - Reichsvorstellungen der Alldeutschen zu vereinbaren? Als Seeckt Ende Oktober 1923 ein „Regierungsprogramm" für seine Diktatur zu Papier brachte 362 , waren in ihm zwar die wichtigsten Forderungen der Schwerindustrie enthalten 363 , doch daneben standen auch solche - wie etwa diejenige nach einem „Aufsichtsrecht des Staates über die lebenswichtige Produktion" oder die nach einem „Verbot der Kartelle und Syndikate" 364 - , die die alte Handschrift Groeners und Schleichers verrieten 365 . Für Stinnes jedenfalls hatte die angestrebte Diktatur einen handfesten Sinn, von dessen Erfüllung ihr Wert oder Unwert für ihn abhing, und dieser Sinn war: Rechtzeitige Torpedierung der von der Stresemann-Koalition geplanten Währungsstabilisierung - für die das vorgesehene Datum der 15. November 1923 war 366 , weshalb der Regierungssturz bis dahin erfolgt sein mußte und die Putsch-Vorbereitungen unter entsprechendem Zeitdruck standen und danach dann Einleitung der auch nach seinem Urteil nicht länger mehr aufschiebbaren Währungssanierung auf der Grundlage eines mit den Fortbestands- und Wachstumsinteressen des StinnesKonzerns sich vereinbarenden Konzepts. Dieses Konzept aber hatte Stinnes bereits im Jahre 1922 entwik86
kelt und in Verhandlungen sowohl mit Frankreich als auch mit dem Reichspräsidenten und im Reichswirtschaftsrat 367 noch vor der Ablösung der Regierung Wirth durch das Cuno-Kabinett - in dessen Diktatur-Perspektive seine Verwirklichung ebenfalls schon lag und die auch schon den Regierungswechsel selbst bestimmt hatte368 - durchzusetzen versucht. Als im Verlaufe des Jahres 1922 die Bemühungen um entscheidende Reparations-Entlastungen nicht voranführten und sich zugleich die Folgen der von der Ruhrindustrie bewußt organisierten Hintertreibung der Mark-Stabilisierung 369 als volkswirtschaftlich nicht lange mehr durchhaltbar erwiesen, hatte Stinnes gegenüber Frankreich eine abrupte reparationspolitische Schwenkung vollzogen und am 14. August 1922 mit dem französischen Wiederaufbau-Bevollmächtigten Marquis de Lubersac ein Abkommen geschlossen (Stinnes-Lubersac-Abkommen), das an Stelle weiterer Reparationszahlungen den umfassenden Wiederaufbau der kriegszerstörten Gebiete Frankreichs und Belgiens durch die deutsche Wirtschaft, den Ersatz also von Reparationslieferungen durch Sachleistungen an Ort und Stelle, gegen eine dem Stinnes-Konzern für jede vermittelte deutsche Wiederaufbauarbeit zu gewährende Provision von sechs Prozent vorsah 370 . Die Finanzierung dieses gewaltigen Sachleistungs-Programms sollte nach den Vorstellungen von Stinnes durch eine vom Deutschen Reich in entsprechender Höhe aufzunehmende GoldAnleihe gesichert werden, für deren Zinsen die arbeitende Bevölkerung aufzukommen hätte, und zwar dadurch, daß sie über einen Zeitraum von 10-15 Jahren hin täglich zwei Stunden unbezahlte Arbeit über den bisherigen Achtstunden-Tag hinaus leistet, d.h. per Gesetz der Zehnstunden-Arbeitstag eingeführt wird, die zwei neuen zusätzlichen Arbeitsstunden jedoch unentlohnt bleiben 371 . Da Stinnes nicht zu Unrecht vermutete, daß hierfür die deutsche Arbeiterschaft nicht freiwillig zu gewinnen sein würde und sich auch die Gewerkschaften und die Sozialdemokratie auf einen solchen Vorschlag niemals einlassen könnten 372 , hatte er aus seinem Plan aber auch gleich selbst den Schluß gezogen, daß folglich eine Diktatur erforderlich sei, die die Arbeiterschaft hierzu zwingt. Und das Programm dieser Diktatur hatte er im Oktober 1922 eigenhändig niedergeschrieben373 und es - als „Sachprogramm", ohne ausdrückliche Erwähnung seiner aus der Sache hervorspringenden diktatorischen Konsequenz - sowohl dem amerikanischen 87
Botschafter in Berlin überreicht wie auch Otto Wiedfeldt in Washington zustellen lassen 374 ; mit ihm als Zielvision im Kopf hatte er, nachdem er am 9. November 1922 dessen Grundzüge im Reichswirtschaftsrat als „Bedingungen der Markstabilisierung" zum Vortrag gebracht und damit Schiffbruch erlitten hatte 375 , die Ablösung der Regierung Wirth durch das Diktaturanwärter-Kabinett Cuno betrieben 376 . Die Hauptpunkte dieses „Stinnes-Plans" vom Oktober 1922 waren: - „Wenigstens" täglich zwei unbezahlte Uberstunden der Arbeiterschaft als „Verlängerung des Achtstundentags" für „eine Zeitspanne von 10-15 Jahren", um „a) das deutsche Handelsgleichgewicht wieder aktiv zu gestalten und zu halten, und b) die Zahlung von Zinsen und die Amortisation für eine Goldanleihe sicherzustellen, durch welche der Wiederaufbau von Frankreich und Belgien bewirkt und die Stabilisierung der deutschen Währung vorgenommen werden soll". - Verbot von Streiks „in jedem industriellen Unternehmen, das für die nationale Wirtschaft lebensnotwendig ist", und deren Verfolgung als „strafbare Handlung" für „die Dauer von wenigstens fünf Jahren". - „Außergewöhnlich strenge(r) Bestrafung" von „Eigentumsverbrechen". - Aufhebung der „Regierungskontrolle" über „alle Zweige innerer und ausländischer Geschäftsverbindungen" sowie Aufhebung aller „Subventionen, in welcher Form sie auch auftreten mögen", wie „Mietvorschriften (Zwangsmiete), . . . Festsetzung von Höchstpreisen, . . . Herabsetzung der Eisenbahntarife unter den Selbstkostenpreis, besonders beim Passagierverkehr . . . " usw. - Umstellung der „Verwaltungen von öffentlichen (Regierungs-) Unternehmen" auf „eine wirtschaftlich gesunde Basis . . ., so daß sie für die deutsche nationale Wirtschaft Gewinne abwerfen, anstatt Verluste zu erzielen". - Änderung der Steuergesetze so, daß sie „die Ansammlung von Kapital fördern" und in der Bevölkerung „die Sparsamkeit (Neigung zum Sparen)" anregen und „die Achtung vor dem Privateigentum wiederherstellen". - Reduktion der „Verwaltungskörper aller Ministerien und Regierungsabteilungen" auf „ein Minimum". - Uberprüfung „alle(r) Gesetze, die seit Kriegsbeginn in Kraft getreten sind", unter dem Gesichtspunkt, „ob ihre Wirkung der 88
Produktion nicht in einer oder der anderen Weise hinderlich war" 377 . Das war es, kostenlose Arbeit der Bevölkerung, Streikverbot und Sozialstaatsverzicht auf unabsehbare Zeit hinaus als Grundlage des deutschen Wirtschafts- und zugleich Rüstungs-Wiederaufschwungs, worum es den Ruhrindustriellen ging. Und da ihnen dies so wichtig und seine Verwirklichung durch Koalitionsregierungen jedweder damals denkbaren Kombination im Rahmen des wählerabhängigen Parteienstaats so gut wie unmöglich war, verließen sie sich auch nicht auf den Chef der Heeresleitung und dessen Zusage zum Zuschlagen, sondern hielten von Anfang an, seit Cunos Scheitern im August, noch ein „zweites Eisen" im Feuer, das im Optimalfalle den von der Spitze der Reichswehr ausgehenden Coup verstärken und ihm Nachdruck verleihen, ihnen notfalls aber auch ein von Seeckt unabhängiges Handeln erlauben sollte: das Projekt eines Marschs der bayerischen Wehrverbände und Reichswehr unter Ludendorffs Führung auf Berlin nach dem frischen Vorbild von Mussolinis Marsch auf Rom. Das war der Grund dafür, weshalb Friedrich Minoux den erst jetzt, eine Woche nach Cunos Rücktritt, am 1./2. September auf dem „Deutschen Tag" in Nürnberg 378 , sich aus der bisherigen vorerst um ihre Frankreich-Mission gekommenen „Arbeitsgemeinschaft der vaterländischen Kampfverbände" als noch engere Zusammenfassung heraushebenden „Deutschen Kampfbund" sofort finanzierte 379 . Und das ist der Grund dafür, weshalb von nun an, ab Sommer 1923, aus dem Ruhrindustriellen-Kreis um Stinnes abwechselnd und zum Teil mehrfach zwecks Erörterung und Förderung dieses Projekts der Reihe nach zu Ludendorff nach München reisen: Friedrich Minoux (er am häufigsten); Fritz Thyssen, der Ludendorff eine „Spende" der rheinisch-westfälischen Industrie zur Förderung des „Deutschen Kampfbunds" in Höhe von 100000 Goldmark überbringt 380 ; Heinrich Claß und dessen engster Mitarbeiter im Vorstand des „Alldeutschen Verbandes", der Antisemitenführer Theodor Fritsch; der Führer der norddeutschen Wehrverbände und Vertraute von Heinrich Claß, General von Below; der „Stahlhelm"-Führer Theodor Duesterberg 381 während den Putschvorbereitungen des „Deutschen Kampfbunds" nicht nur die Zahlungen und Spenden der Ruhrindustriellen zufließen, sondern auch erhebliche regelmäßige Spendenmittel aus den nach wie vor auf die Einlösung der „Mitteleuropa-Aufstand"- und 89
Rußland-Einmarsch-Versprechungen wartenden exilrussischen Kreisen um den Großfürsten Kyrill, die über das Haus Coburg an Ludendorff geleitet werden 382 . Das aber allein erklart, weshalb Hugo Stinnes in der Lage war, dem Botschafter der USA in Berlin, Alanson B. Houghton, am 21. September 1923 den Münchener Ludendorff-Hitler-Putsch von 8./9. November 1923 in einer Genauigkeit vorauszusagen, die unter jedem anderen Umstand an Hellseher-Fähigkeiten glauben lassen müßte. Hier Auszüge aus dem Telegramm, das der amerikanische Botschafter an diesem Tage über ein'soeben mit Stinnes geführtes Gespräch an den Staatssekretär Hughes im State Departement in Washington durchgibt: „Telegramm September 21, 1923 Stinnes kam Samstag nachmittag. Er sagte mir, das Ende ist da. Die Ruhr und das Rheinland müssen kapitulieren. Hierauf erörtert er die Wirtschaftslage in Deutschland, die, wie er sagte, ihren Tiefpunkt erreicht hat. Wenn Deutschland leben soll, muß die Erzeugung gesteigert werden. Fabriken und Werkstätten stünden bereit. Jedoch die deutsche Arbeiterschaft müsse länger und schwerer arbeiten. Er sagte, er glaube, daß die deutschen Arbeiter zu niedrig bezahlt wären, und daß er, wie er dächte, ihre Löhne verdoppeln oder gar verdreifachen könnte, wenn ein normaler ZehnstundenArbeitstag wieder eingeführt würde. Jedoch ist er überzeugt, daß die deutsche Arbeiterschaft auf diese Notwendigkeit nicht eingehen wird und daher hierzu gezwungen werden muß. Deshalb, sagte er, muß ein Diktator gefunden werden, ausgestattet mit Macht, alles zu tun, was irgendwie nötig ist. So ein Mann muß die Sprache des Volkes reden und selbst bürgerlich sein, und so ein Mann steht bereit. Eine große, von Bayern ausgehende Bewegung, entschlossen, die alten Monarchien wieder herzustellen, sei nahe. Ich fragte ihn, wie nahe, - und er sagte mir, vielleicht zwei bis drei Wochen entfernt. Die Teilnehmer der Bewegung würden gern bis zur Kartoffelreife und bis zur Einbringung der vollen Ernte warten, doch war er nicht sicher, ob so viel Aufschub möglich sei. Der Bewegung, sagte er, würden sich alle Rechtsparteien anschließen und eine ansehnliche Gruppe gemäßigter Männer in der Mitte, und sie würde in erster Linie einen Kampf gegen den Kommunismus bedeuten, da der kommunistische Flügel die Arbeiter zur Opposition treiben würde. Ich fragte ihn, ob die Industriellen sich mit der Bewegung vereinen würden. Stinnes erwiderte, daß sie das wür-
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den. Ich fragte ihn, wie Frankreich die Einsetzung eines Diktators in Deutschland aufnehmen würde. Stinnes erwiderte, daß niemand um Erlaubnis gefragt werden würde. Der von Stinnes entworfene Plan ist in Kürze dieser. Um Mitte Oktober werden drei oder möglicherweise vier Millionen Menschen arbeitslos sein. Die Kommunisten werden versuchen, diese Lage zum Ausbruch einer Revolution auszunutzen. Bereits gehen die Kommunisten, so sagte er, dazu über, ihre bis jetzt versteckten Lager von Waffen und Munition zu öffnen und diese zu verteilen. Unterdessen wird die Stresemannregierung ihre Unfähigkeit, mit der ihr gestellten Aufgabe fertig zu werden, erwiesen haben, und die Nation wird vor der Frage stehen, ihre Rettung entweder bei den Rechts- oder bei den Linksparteien zu suchen. Sobald die Kommunisten ihre Operationen beginnen, wird Ebert im Namen der Republik einen Mann, oder, wenn möglich, ein Komitee von drei Männern als Diktator ernennen und wird die ganze militärische Gewalt unter des Diktators Befehl stellen. Von da ab wird die parlamentarische Regierung zu Ende sein. Die Kommunisten werden rücksichtslos zerschmettert werden, und wenn sie zum Generalstreik aufrufen, wird dieser ebenfalls mit Gewalt unterdrückt. Wenn alles gut geht, denkt Stinnes, wird die ganze Lage innerhalb drei Wochen nach Beginn geklärt sein. Der Sozialismus wird nach diesen Erwartungen als eine politische Daseinsform in Deutschland für immer beseitigt und die Gesetze und Verordnungen, die die Produktion hindern und keinem nützlichen Zweck dienen, werden unverzüglich widerrufen werden. . . ." 383 Das also war der Hintergrund des seines Fehlschlags wegen heute oft als „Bierkellerputsch" verharmlosten Münchener Putsches vom 8./9. November 1923, der sich in unseren Schulgeschichtsbüchern meist so dargestellt findet, als hätten da auf einer von Mitakteuren gleichsam leergefegten Samuel-Beckett-Bühne zwei ehrgeizige Männer, Hitler und Ludendorff, mit einer kleinen Schar fanatischer Anhänger im Alleingang den Umsturz versucht. Daß die von Stinnes noch Ende September vorausgesetzte Einheit der putschwilligen Kräfte 384 im Verlaufe des Oktober und vollends in den ersten Novembertagen 385 über den sich überstürzenden Ereignissen und der mit und in ihnen eskalierenden Rivalität der beiden Flügel in jenem Lager um die auslösende Initiative und die Führung des Unternehmens an den Unvereinbarkeiten ihrer divergierenden Interessenkonzeptionen 386 dann zerbrach und
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es unter der Zeitdruck-Panik, unter die nunmehr alles geriet 387 , schließlich zu Hitlers politkrimi-haftem Pistolen-Auftritt im Bürgerbräu-Keller 388 und jenem Marsch am Morgen des folgenden 9. November kam, der - ein nun in der Tat isolierter AlleinAufbruch des „Kampfbunds" - in den Schüssen der bayerischen Landespolizei v. Kahrs an der Feldherrenhalle ein durchaus unheroisches Ende nahm, ist bekannt und soll in seinen oft dargestellten, überall nachlesbaren Einzelheiten hier nicht mehr weiterverfolgt werden. Denn so aufschlußreich auch die verwickelten näheren Umstände und einzelnen Ablaufetappen sind, die zum Auseinanderbrechen des Republiksturz-Plans in sich zunehmend einander konfrontierende 389 Pläne und zum Fehlstart schließlich des Versuchs führen, ihn in versprengter Aktion nur eines Teils der ursprünglich für ihn vorgesehenen Kräfte zur Durchführung zu bringen, sie ändern nichts mehr an seiner Herkunft: Sie ändern nichts daran, daß das, was da infolge eines sich an der Hitze des Kopf-an-Kopf-Rennens entzündenden und in ihr zuletzt nicht mehr anzuhaltenden Selbstauslösungseffektes in München losging oder „aufbrach" und zum Rohrkrepierer für alle Verschwörerfraktionen wurde (deren Absichten er ebenfalls vorerst zunichtemachte 390 ), - daß das der seit Monaten von den führenden Männern der einschlägigen republikfeindlichen Kreise des Monopolkapitals geplante, selbst initiativ vorbereitete und herbeigewünschte (nur als zum Erfolg führend und daher auf sehr viel breiterer Basis erwünschte) „zweite Kapp-Putsch" war 391 . In dessen Dienst sehen wir - um zum Diskussions-Stichwort „Kapital-Autonomie" zurückzukehren - Ludendorff, Röhm und Hitler, den gesamten „Deutschen Kampfbund" und in ihm, Seite an Seite mit dem Thule-Bund „Oberland", die N S D A P und SA agieren, in allen ihren Entscheidungen und Handlungen vom Ziel seiner Verwirklichung bestimmt und sich deren jeweiligen Erfordernissen in Abstimmung mit den Vertretern der putschinteressiertesten Kapitalfraktionen einfügend 392 . Die Geschichte ist so aber nahtlos weitererzählbar. Nicht nur für die hier nicht mehr behandelten nächsten Wochen bis zum Entschluß der „Kampfbund"-Führer zur eigenen Initiative am 7. November 1923393 und zum Putsch-Abend des 8. November selbst, sondern auch für die dann anschließende Zeit der Landsberger Haft Hitlers 394 und erst recht für die ihr folgende Zeit der 92
Reorganisation der NSDAP, ihrer Ausweitung nach Norddeutschland und der Einladungen Hitlers in den „Nationalklub" und bald auch andere diverse Industrieklubs bereits wieder ab 1926 3 9 5 , und natürlich erst recht dann für die Zeit vom großen NSDAP-Massendurchbruchserfolg bei den Septemberwahlen 1930 an bis zu den Wahlen vom 6. November 1932 und dann von den Novemberwahlen bis zum 30. Januar 1933, ohne daß je noch irgendwie die Zeitspanne oder der Punkt auftaucht, auf die die Behauptung zutreffen könnte, in irgendeiner „anfänglichen" Periode sei die N S D A P aber noch „kapital-autonom" gewesen. Die Geschichte wird ganz im Gegenteil, je weiter man sie über den 8./9. November 1923 hinaus erzählt, für die Anhänger dieser Ansicht nur immer unerquicklicher. Sie kann daher hier auch abgebrochen werden, um die Verfechter der These von einer „kapitalautonomen" Anfangsphase der N S D A P schon hier in einer Art Zwischenbilanz, vom Stande November 1923 aus, zu fragen: Wann jemals war die N S D A P bis dahin, vom Augenblick der Geburt der D A P aus dem Schöße der Thüle-Gesellschaft an bis zum Münchener Putsch, „kapitalautonom" ?
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III. Gab es in der NSDAP einen „linken" Flügel?
Ja, das mag ja nun vielleicht alles für Hitler und die Führungsgruppe der N S D A P zutreffen. Aber da gab es doch noch in der „Parteibasis" die Strömungen derjenigen, die „ehrlich" an die sozialismusdemagogischen Versprechungen der NS-Führer geglaubt hatten, von ihnen angezogen worden waren, sie einzuklagen versuchten und dafür dann ausgeschaltet wurden, z. B. die „Strasser-Richtung". Also müssen wir davon sprechen, wer die Gebrüder Strasser waren - und wer die Führer all der anderen Subströmungen im deutschen Faschismus der Weimarer Jahre, denen nachgesagt wird, zwar Nationalisten, aber irgendwie auch Antikapitalisten oder gar Sozialisten und damit Vertreter eines „linken Flügels" der N S D A P resp. die Exponenten „sozialrevolutionärer" Strömungen in ihr (oder auch an ihrem Rande) gewesen zu sein. 396 Das macht freilich erforderlich, sich zunächst noch einmal etwas umfassender in der völkischen Landschaft Deutschlands nach 1918 umzusehen. Die Demagogie vom „nationalen Sozialismus" war, wie bereits deutlich wurde, damals kein Privileg der NSDAP. Sie war nicht nur allen völkischen Gruppierungen aufgrund ihres richtungsspezifischen Demagogie-Ansatzes immanent, sie war spätestens auch seit der Novemberrevolution von wendigen Köpfen durchaus aller Fraktionen des Großkapitals und, wie wir sahen, auch der Obersten Heeresleitung und des Ludendorff-Kreises 397 , in ihrer möglichen Nützlichkeit erkannt und für förderungswürdig befunden worden - mit der Folge, daß in der Öffentlichkeit unter diesem Schlagwort und mit kaum von einander zu unterscheidender Phraseologie Gruppierungen für sich warben und konkurrierten, hinter denen unterschiedliche politische Kreise des Großkapitals und Großgrundbesitzes mit divergierenden expansions- und bündnisstrategischen Interessen stehen konnten und häufig sogar in ihnen selber um den führenden Einfluß rivalisierten. 94
Der gleiche Hugo Stinnes z. B. (um nur die allgemeine Situation in Erinnerung zurückzurufen), der es Ende 1923 dem amerikanischen Botschafter gegenüber als das Ziel der damals geplanten Diktatur bezeichnete, den Sozialismus als „politische Daseinsform in Deutschland für immer" zu beseitigen 398 (und der parteimäßig keineswegs etwa der NSDAP, sondern - wie z . B . in München auch Karl Haushofer - der D V P angehörte), hatte sich bis dahin als einer derjenigen Unternehmer darstellen lassen, die „in Deutschland einen eigenen deutschen Sozialismus mit unseren Arbeitern machen" wollten 399 ; und der gleiche Generaldirektor Friedrich Minoux, der als Mitglied des Diktatur-Direktoriums vorgesehen und einer seiner rührigsten Protagonisten war, hatte im April 1919 in seiner Villa in Berlin-Nikolassee Eduard Stadtler unter vier Augen ein selbstverfertigtes Exposé zum Thema „Sozialismus, Abschaffung des Kapitalzinses" vorgetragen 400 , während Stadtler sich in der Öffentlichkeit zum Wanderprediger eines „deutschen Sozialismus" 401 und Beschwörungskünstler der Alternative „Nationaler Sozialismus oder Bolschewismus" 402 machte, - derselbe Stadtler, der am Abend des Tages, an dem der von ihm angeregte Mord an Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht erfolgt war 403 , am 15. Januar 1919 im Düsseldorfer „Stahlhof" auf einer von Stinnes organisierten Industriellenversammlung vor der Creme der Ruhrindustrie eine antibolschewistische Programmrede hielt 404 und 14 Tage später, am 1. Februar 1919, zum zweiten Male ohne durchschlagendes Ergebnis (nach einem ersten Versuch am 9. Januar 1919) Noske für einen Staatsstreich und die von ihm propagierte „Idee einer nationalsozialistischen Diktatur" zu gewinnen suchte 405 (als in München soeben erst die DAP gegründet und Hitler noch nicht einmal Reichswehr-Spitzel war).
Eduard Stadtler und die „Solidarier " Dieser Eduard Stadtler aber war aus der Zentrumspartei hervorgegangen; er war von 1913 bis zu seiner Einberufung zum Kriegsdienst der Sekretär des Windthorst-Bundes in Köln, hatte seit seiner Studentenzeit, in der er (1906 in Straßburg) den Historiker Martin Spahn kennenlernte, der „Spahn'schen Richtung" im Zentrum angehört, der auch Heinrich Brüning - damals gleichfalls Spahn-Schüler in Straßburg - angehörte 406 , war einer der führen95
den Sprecher der aktivistischen (an Spahns Linie orientierten) „Jung-Zentrums-Bewegung" geworden und unmittelbar vor Kriegsbeginn sogar als künftiger Generalsekretär der WindthorstBünde ins Gespräch gekommen (woraus der Krieg dann nichts werden ließ) 407 . Die politische Figur Stadtlers eignet sich, der in ihr sich treffepden Linien wegen, besonders gut als Zugangshilfe und Wegweiser bei der Blickausweitung ins völkische Spektrum, deren wir hier jetzt zunächst bedürfen. Die wichtigsten Repräsentanten der von Martin Spahn, einem Sohn des Zentrumspolitikers Peter Spahn, angeführten, im Jahrzehnt vor dem ersten Weltkrieg aufkommenden Richtung im Zentrum waren damals außer Spahn selbst (dem späteren Leiter des industriefinanzierten „Politischen Kollegs" in Berlin 408 ) der Zentrums-Gewerkschaftspolitiker und Führer der „christlichen" Gewerkschaften, Adam Stegerwald, sein Mitarbeiter Franz Röhr und ab 1919 dann (als Stegerwaids „Privatsekretär-Adjutant" im christlichen „Deutschen Gewerkschaftsbund") Heinrich Brüning 409 . Dieser Richtung war es darum zu tun, das Zentrum von seinen aus den Tagen des Bismarckschen „Kulturkampfs" datierenden Traditionen der Reserve gegenüber dem preußisch-protestantischen Bismarckreich, seiner föderalistischen Reichsabgeneigtheit und Zurückhaltung gegenüber dem zentralistischen wilhelminischen Großmacht-Chauvinismus endgültig zu lösen, es zu einer für den deutschen Imperialismus verwendungsfähigen, sich gleichsam zur Höhe seiner Bedürfnisse aufschwingenden „reichstreu-nationalen" Partei und vor allem einem effektiven, „volksnahen" Instrument des Kampfs gegen den Marxismus in der Arbeiterbewegung mittels einer den freien Gewerkschaften und der Sozialdemokratie entgegenzustellenden „organischen", betriebs- und volksgemeinschaftlichen „Sozialismus"- oder nationalen „Volksstaats"-Auffassung zu machen 410 - und auch, von diesem Boden aus, zu einem Instrument des Stoßes zugleich gegen das „Parteienwesen" im Wilhelminischen Staat und den „liberalistischen" Parteienstaatsgedanken überhaupt. Mit dieser Zielstellung war noch vor dem ersten Weltkrieg das „Jung-Zentrum" gegründet worden, in das Stadtler hineinwuchs und das eine die „Revolutionierung" der Zentrumspartei in sich einschließende, von Stadtler formulierte „Eroberungsstrategie" auf seine Fahnen schrieb, die der Erfüllung der „größten politischen Aufgabe der Gegenwart" dienen sollte: dem „Großkampf gegen
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die Sozialdemokratie" zwecks „Zurückgewinnung der sozialdemokratischen Wählermassen" mittels praktischer Beherzigung der Parole „Hinein ins Volk, in das verirrte sozialdemokratische Volk, u m . . . die Volksseele zurückzugewinnen", und dies, wie Stadtler betonte, „nicht als taktisches Ziel,... sondern als strategisches Ziel mit dem ausgesprochenen Fernziel der politischen Vernichtung des Marxismus". Dabei brachte Stadtler das vollständige Feindbild, das im Zielvisier dieses Angriffs lag, in den Blick, wenn er die „doppelte Revolutionierung", die das Zentrum, um zu solcher Offensivität fähig zu werden, in sich selbst vollziehen müsse, mit den Worten beschrieb: sie sei der Ubergang von der bisherigen „Defensivmethodik" und dem „parlamentarischen und oberflächlich massenaufklärerischen Taktierertum" der Zentrumspartei zur „volkstümlich grundsätzlichen Vernichtungsstrategie gegen Marxismus und Sozialdemokratie, wobei der großblockfreundliche Linksliberalismus mit eingeschlossen" wird. 411 Zu Kriegsbeginn feierte Stadtler dann die „Erhebung des Nationalgefühls über das Parteiendenken", wurde zu einem der Herolde des angeblich in den kämpfenden Truppen als zukunftsbedeutsamer Keim einer neuen Lebensform sich entwickelnden, Klassenund Parteienschranken hinter sich lassenden „Schützengrabengeistes" oder - wie ihn später dann Brüning immer wieder mit zackig zuckendem Mundwinkel zu beschwören suchte - „FrontsoldatenSozialismus" und glorifizierte nunmehr, in diesem Sinne, den Krieg (unter Berufung u. a. auf Kjellen, Chamberlain, Plenge und Alfred Webers „Zur deutschen Sendung") als einen Kampf um die Durchsetzung eines dem Wesen des deutschen Volks und der Völker „Mitteleuropas" gemäßen „mitteleuropäischen", von Deutschland aus aufsteigenden („neudeutschen") Staatsideals gegen das sie überfremdende „westliche" Staatsideal der „französischen Revolution". 412 1916 als Soldat in russische Gefangenschaft geraten, wird Stadtler nach der Oktoberrevolution sofort zum Leiter der Pressestelle der deutschen Botschaft in Moskau (unter dem „Mitteleuropa"-Programmatiker Walter Riezler) ernannt, kommt mit dem hier als deutscher Botschafter (in Nachfolge Mirbachs) amtierenden Direktor der Deutschen Bank und DNVP-Politiker Karl Helfferich in engste freundschaftliche politische Zusammenarbeit, entwirft mit ihm gemeinsam Pläne für einen deutschen Eroberungsfeldzug gegen Sowjetrußland und ist ab August 1918, nach Deutschland zurückgekehrt, im Auftrage des Kriegspresse97
amtes (in der plakatierten Eigenschaft als soeben aus Rußland gekommener „Augenzeuge des Bolschewismus") als Aufklärungsredner „gegen die Revolutionsgefahr" tätig. 413 Im Oktober 1918 aber, als diese Gefahr akut wird, gründet er gemeinsam mit dem Großbankier Karl Helfferich, einem weiteren Bankier (dem deutschkonservativen Konsul a.D. Simon Marx), Adam Stegerwald, Franz Röhr, dem Freiherrn von GleichenRußwurm (dem Haupt und Mittelpunkt der hier ihren Anfang nehmenden „jungkonservativen" Ring-Bewegung) und weiteren, insgesamt „etwa 20 Herren" im Hause v. Gleichens und auf dessen Initiative hin eine „Vereinigung für nationale und soziale Solidarität", die sich bald abgekürzt „die Solidarier" nennen wird, zunächst übrigens „Vereinigung für nationalen Sozialismus" heißen sollte 414 ; ihr „antibolschewistisch-revolutionäres... Kampfprogramm" mit der Zielsetzung „Deutscher Sozialismus" brachte Stadtler binnen einer einzigen Zugfahrt von Straßburg nach Berlin auf dem Wege zur Gründungs-Sitzung zu Papier. 415 Die allererste Zusammenkunft dieses Kreises (am 18. Oktober 1918, und zwar in den vornehmen Räumen der „Deutschen Gesellschaft 1914") sollte allerdings eigentlich der Auslösung einer der Kriegsniederlage und drohenden Revolution in letzter Minute zuvorkommenden, im Kriegspresseamt geplanten „levée en masse" und der auf ihrer Woge ermöglichten Ausrufung der nationalen Diktatur gelten. Wegen Ludendorffs Rücktritt und dem so verlorengegangenen Zugriff auf die militärischen Befehlszentren erwies sich dies als nicht mehr durchführbar 416 ; auch die Hoffnung, ruckartig eine antirepublikanische Massenbewegung aus dem Potential der christlichen Gewerkschaften (durch deren Trennung vom Zentrum und Zusammenschluß mit den Hirsch-Dunckerschen Gewerkschaften und dem Deutschnationalen Handlungsgehilfenverband unter Stegerwaids Führung „auf neuer konservativsozialistischer, nationalsozialistischer Basis") aus dem Boden stampfen und vielleicht gar aus „der sozialdemokratischen Führerschicht die besten Elemente" zu ihr „herüberziehen" zu können, erfüllte sich nicht 417 ; und die parallel unternommenen Bemühungen, Reichswehr-Befehlshaber zu einem Militärputsch anzustoßen, führten gleichfalls zu keinem Ergebnis; da schlug die „Vereinigung für nationale und soziale Solidarität", deren Gründung ursprünglich als Initialfunken zur Bildung einer als „neuartige Zusammenfassung der politischen Elemente von ganz rechts bis ganz links" 98
dargestellten Massenbewegung zwecks „Überwindung der Parteien" und zugunsten der „Diktatur eines parteifreien, aber programmfesten starken Mannes... auf dem B o d e n . . . des politischen Machtwillens der gegliederten Volksgemeinschaft" im Namen des „deutschen Sozialismus" gedacht war 418 , eine bemerkenswerte, manche Vorgänge in der Geschichte der Weimarer Republik erst erklärende Strategie vor: die Strategie, das bisherige Konzept der „Revolutionierung" des Zentrums nunmehr auf alle Parteien anzuwenden, nämlich in ihnen allen die „parteienüberwindenden" Kräfte zu fördern und so aus jeweils deren Mitte heraus die Trägerbasis einer „nationalen Diktatur" hervorwachsen zu lassen. Stadtler entwickelte daher jetzt „Revolutionierungs"konzepte für alle Parteien, die zum Ziel hatten, in ihnen jeweils eine sich als „jung" ausgebende, die „Frontkämpferjugend" beschwörende und namens des „Frontsoldatensozialismus" gegen den „Parteiengeist" antretende völkische Richtung („volks"sozialistisch, „volks"- oder „jung"konservativ, auch „neudeutsch") sich ausbilden - und diese alle dann „parteienübergreifend" (und parteienliquidierend) zueinanderfinden - zu lassen, und entfaltete entsprechend intensive Kontakte in die Parteien hinein.419 Und nur ganz im Sinne dieser Strategie initiierten die „Solidarier", die sich im April 1919 in der Zeitschrift „Das Gewissen" ein publizistisches Organ geschaffen hatten, dessen zweite Nummer mit Stadtlers programmatischem Leitartikel „Deutscher Sozialismus gegen Ost und West" erschienen war 420 , am 2. Mai 1919 im preußischen Herrenhaus eine „Vereinigung für parteifreie Politik"; in ihr fanden sich „die führenden Herren der Reichswehrkurse", „Herren" der „Freikorps", der in „Liga zum Schutz der deutschen Kultur" umbenannten bisherigen „Antibolschewistischen Liga", der „Bürgerräte von Groß-Berlin", der „Vereinigung für nationale und soziale Solidarität" sowie u. a. auch Mitarbeiter der „Sozialistischen Monatshefte" - insgesamt „ca. 100 Herren" - zusammen, und in ihr kommt zum ersten Male das uns aus den dreißiger Jahren dann von Schleicher bekannte Wort von der „Zwischenfront" auf, die Stadtler als die „quer durch die Parteien" gehende „Neue Front" der „Frontsoldaten", des „Kriegserlebnisses" und „Revolutionserlebnisses" und des in ihnen zum „Einheitsgefühl" verschmolzenen „nationalistischen und sozialistischen Wollens" beschwor. Und zur Beförderung der „Sammlung" auf der Linie dieser „Neuen Front" bildete die „Vereinigung für parteifreie Politik" wiederum aus ihrer Mitte heraus 99
einen operativen „engeren Ausschuß" unter Stadtlers Vorsitz, der sich seinerseits „Bund für politische Erneuerung" nannte. 421 Der vehemente Drang zu „Parteienüberwindung" und „Volksgemeinschaft" war nun aber gerade auch bei den „Solidariern" keineswegs etwa nur von konservativer Gesinnung, Sozialismusabneigung und Revolutionsfurcht, sondern nicht anders als bei den sozialismusdemagogischen Parteischöpfungen DSP und DAP/ NSDAP primär expansionistisch und imperialistisch motiviert, sie begründeten ihren „Nationalismus" daher gleichfalls sozialdarwinistisch. ¿ u m herausragenden Ideologen des „Solidarier"-Kreises, der sich regelmäßig in v. Gleichens Berliner Wohnung in der Potsdamer Str. 121 i traf und in ein wenig erweiterter Zusammensetzung auch „Die Jungen" („Klub der Jungen", nach dem Zusatzbuchstaben zur Hausnummer mitunter auch „i-Klub") nannte 422 , wurde Arthur Moeller van den Bruck. Dieser wichtigste völkische „Erneuerer" des Konservatismus hatte bereits 1914 das „Weltmachtstreben" zum Sinn der Geschichte erklärt und den Deutschen die Bestimmung zugeschrieben, sich entweder als „die geborenen Herren des Erdkreises" zu erweisen oder als Nation unterzugehen. 423 Er hatte während des Krieges dann (gemeinsam mit Paul Rohrbach) in Generaloberst v. Haeftens „Militärischer Stelle des Auswärtigen Amtes" und späterer „Auslandsabteilung der Obersten Heeresleitung" (wie u. a. auch Hans Grimm, Waldemar Bonseis, Börries Freiherr von Münchhausen und Friedrich Gundolf) als Kriegspropagandist gearbeitet 424 und zu Beginn des Jahres 1919 mit Unterstützung des Auswärtigen Amtes sein noch auf einen Auftrag der Abteilung v. Haeftens zurückgehendes Buch „Das Recht der jungen Völker" herausgebracht, in dem er zwischen „jungen" und „alten" Völkern in der Weise unterschied, daß er als „jung" so recht lebensphilosophisch-vitalistisch diejenigen klassifizierte, die sich durch angesammelte „genügende Kräfte" und die „Jugendeigenschaften" Durchsetzungswille und „Bereitsein" zur „Tat", also Kampfwille, als solches ausweisen; diesen - zu denen er selbstverständlich in erster Linie Deutschland rechnete - sprach er ein Recht auf Expansion und „Weltgestaltung" gemäß ihren Kräften zu. 425 In seinem dann 1923 im Auftrage v. Gleichens für den „Jungkonservatismus" verfaßten Programmbuch „Das dritte Reich" hatte er schließlich die völkische Uminterpretation des Sozialismus in ein Raumkampf-Mobilisierungskonzept zu ihrem 100
Gipfel getrieben, indem er Sozialismus und Imperialismus in der Wortauslegung von Raum-Expansionismus (resp. „Daseinskampf" um Raum) nunmehr überhaupt miteinander zusammenfallen ließ und damit die Abgrenzung des „völkischen" Sozialismus vom „internationalistischen" in ihrer nur denkmöglich deutlichsten Ausdrucksform vollzog. Der Marxismus, argumentierte er, unterschlage mit seiner Klassenkampftheorie „die darwinistische Naturkampftheorie", weshalb die Sozialdemokratie „niemals auf den Gedanken" gekommen sei, „daß es auch einen Kampf der Nationen geben könnte", in dem das deutsche Volk „das Recht auf den Sieg besaß", der alle seine „Ubervölkerungsprobleme" gelöst hätte, und „daß diese Lösung eben Sozialismus ist"; der Sozialismus, dem es doch darum gehe, die Lebensmöglichkeiten des Volkes zu verbessern, hätte sich also gerade im Imperialismus - statt ihn als „Völkerausbeutung" zu bekämpfen und den „Krieg" als „Militarismus" zu diffamieren selbst wiedererkennen und erfüllt sehen und ihn als das gerade für sein Wollen „gegebene System" entdecken, nämlich begreifen müssen, „daß die Beherrschung der Erde die gegebene Möglichkeit sei, dem Volke eines übervölkernden Landes das Leben zu ermöglichen".426 Das war also nacktester Expansionismus und das sozialdarwinistische Grundmuster der völkischen Sozialismusdemagogie in Reinkultur, der „deutsche Sozialismus" der „Solidarier", der sich durch eben jenes von Moeller van den Bruck angemahnte „Begreifen" auszeichnete, von ihm ausging und sich darin auch schon erschöpfte427, und mithin aber auch gar nichts anderes als nur die völkische Programmatik: der „Solidarier"-Kreis war nur eine der vielen Gruppierungen völkischer Richtung. Schon bei flüchtigem Blick auf die ihm angehörenden Personen fällt nun aber ins Auge, daß viele von ihnen freilich gerade keine Parteigänger des „Katastrophenkurses" der Ruhrindustrie und der einstigen „alldeutschen" Kriegszielprogrammatik waren, sondern zumeist aus der Traditionslinie der seit Vorkriegszeiten vorwiegend von den Chemie- und Elektrokonzernen, der Deutschen Bank, auch Teilen des Handelskapitals sowie anderen Kreisen der Ruhrindustrie und auch der sächsischen und schlesischen Industrie, teils auch von Kreisen der Landwirtschaft geförderten „Mitteleuropa-Konzeption" kamen, die während der Kriegsjahre gerade in der „Deutschen Gesellschaft 1914" und in v. Haeftens „Militärischer Stelle" 101
ihre wichtigsten pressure-group-Stützpunkte gehabt hatte.428 Die von Moeller van den Bruck als Programmvision der „Solidarier" beschworene „mitteleuropäische Reichsidee"429 führte unverkennbar diese Linie fort; und selbst Stadtler, der Prophet doch einer Stinnes-Diktatur, unterhielt mindestens gleichrangig gute Beziehungen zu Karl Helfferich von der Deutschen Bank und auffallend gute zu Friedrich Naumann, dem politisch-publizistischen Bannerträger des „Mitteleuropa"-Gedankens und Zentrum zugleich der damaligen „Mitteleuropa"-Aktivitäten (in denen ihm, als sein wichtigster Mitarbeiter, Walter Schotte assistierte, ein weiterer „Solidarier"430); Stadtler war aber auch selber europapolitisch immerhin so profiliert, daß ihm 1918 Heinrich v. Gleichen die Leitung der wiederum von diesem in den letzten Kriegstagen begründeten „Europäischen Staats- und Wirtschaftszeitung" angetragen hatte.431 Aber auch der nächst Stadtler und Moeller van den Bruck wichtigste weitere Ideologe des „Solidarier"-Kreises, der „Volkstums"-Kundler und bald führende Aktivist der „Grenz- und Auslandsdeutschtums"-Propaganda Max Hildebert Böhm stand mit der Stilisierung des „völkischen Gedankens" zu einer spezifisch „mitteleuropäischen" Ordnungsidee deutlich in der ostwärts gerichteten „Mitteleuropa"-Traditionslinie, die 1918 in BrestLitowsk zu ihrem - vorläufigen - Kulminations- und Endpunkt gelangt war; die „mitteleuropäische" Ordnungsvorstellung konfrontierte er mit der „westlichen" und verlangte in ihrem Namen, „die einseitige westliche Orientierung unserer üblichen Geschichtsauffassung" aufzugeben, während er dem „Deutschtum" ein „geschichtliches Recht" zusprach, „seinen kulturellen Einfluß" nach Europas Osten und Südosten hin „auszudehnen"432. Bereits 1923 ließ er sein Buch „Europa irredenta" erscheinen433 und war darauf spezialisiert, die deutschen Grenzrevisions- und Ausdehnungsbestrebungen demagogisch zu „europäisieren", indem er sie - nach der Devise des „ethischen Imperialismus", Machtansprüche im Gewände einer Menschheitsidee vorzutragen - zur Einforderung nur des „völkischen" Rechts auf „Deckungsgleichheit von Volkstums- und Staatsgrenzen" erklärte und von dort aus dann scheinegalitär alle „ ,unerlösten' Nationalitäten" Europas zur gemeinsamen Erhebung auf Deutschlands Seite gegen die Versailler Nachkriegs-„Siegerstaaten-Ordnung" namens einer sie alle miteinander verbindenden „mitteleuropäischen Sendung" und zwecks 102
„völkischer Neuordnung" Europas anregte. Diese „Mitteleuropa"-Linie, die dann 1929 mit der Gründung des „Mitteleuropäischen Wirtschaftstages" ihre politische Remanifestation und Neuformierung auf breitester (nun auch den größten Teil der Ruhrkonzerne in sich einschließender) industrieller Basis fand und im Jahre 1931 von Carl Duisberg schließlich auf die berühmte Formel von dem „von Bordeaux bis Odessa" zu einem „geschlossenen Wirtschaftsblock" zusammenzufassenden „Europa" zwecks „Behauptung seiner Bedeutung in der Welt" gebracht wurde 434 , kollidierte jedoch mit der nach dem ersten Weltkrieg von einflußreichen - am markantesten von Thyssen repräsentierten - Ruhrindustriellenkreisen verfolgten Strategie, nach der Frankreich mit Hilfe der übrigen Alliierten politisch isoliert und dann baldmöglichst „endgültig" militärisch niedergeworfen werden sollte; denn dem Mitteleuropa-Konzept ging es doch gerade um die Zusammenfassung ganz Kontinentaleuropas unter Führung eines nach Osten hin ausgeweiteten (und schier unendlich erweiterungsfähigen) „Großdeutschen Reiches" zu einer „regionalen" Weltgroßraum-Macht „Europa", die zur End-Auseinandersetzung mit dem Weltführungsmacht-Konkurrenten USA fähig wäre; es wies also eine sowohl antisowjetische wie anti(nord-)amerikanische - und damit allerdings auch, gemäß den fortgeschrittenen Verflechtungen des britischen Kapitals mit dem amerikanischen, antibritische - Stoßrichtung auf, der die Tendenz zur Verständigung mit Frankreich auf eine solche Doppel-Frontstellung und zur Fundierung der neuen „Weltmacht Europa" auf einer deutsch-französischen Achse und Industrie-Verzahnung korrespondierte. Damit war allerdings die - insbesondere damals von dem bald mit Thyssen sich verbündenden Hjalmar Schacht verkörperte - Politik, die diplomatische Unterstützung der USA und Englands gegen Frankreich mit dem Einlaß des amerikanischen und britischen Kapitals in die deutsche Wirtschaft zu erkaufen, nicht zu vereinbaren. 435 Die meisten „Solidarier" standen 1919/20 denn auch ehef hinter etwa dem in der Reichswehrführung von Schleicher verfolgten Kurs oder auch Rechbergs Konzept; und als sich im Jahre 1924 die „Solidarier" schließlich unter dem Vorsitz des Grafen Hans Bodo von Alvensleben und Heinrich von Gleichens zum „Deutschen Herrenklub" konstituierten 436 (der ursprünglich, sein expansionistisches Selbstverständnis deutlicher preisgebend, „Deutschherren103
klub" heißen sollte und sich erst im letzten Augenblick für diesen unverfänglicheren Namen entschied 437 ), unterstützten sie in dieser neuen, hochexklusiven Organisationsform später geschlossen zunächst die - auf die monarchistische Restauration zielende Präsidialdiktatur-Politik des aus ihren Reihen hervorgegangenen Brüning 438 und danach dann die Politik des „parteifreien" Diktatur-Kabinetts ihres Herrenklub-Direktoriumsmitglieds Franz v. Papen, deren ehrgeiziges Programm vom „Neuen Staat" von „Solidariern" konzipiert und das Solidarier-Programm war 439 ; den „mitteleuropäischen" Sinn dieser Politik hatte ihr bereits 1927 von Edgar J. Jung verfaßtes Programmbuch „Die Herrschaft der Minderwertigen" unübersehbar plakatiert 440 . Eben deshalb wies sie aber auch mit der ihr vorausgegangenen Brüningschen wie insbesondere dann der ihr folgenden Schleicherschen Politik bei allen sonstigen jeweiligen Akzentverschiebungen das gemeinsame Merkmal der „großraum"-politischen bzw. europa- oder expansionsstrategischen Frankreichbündnis-Option auf 441 , - ein Thema, das dann über das Jahr 1933 hinaus bis in Schleichers und Röhms letzte Lebenstage hineinspielt und das gleichsam lackmusartige Erkennungsmerkmal der Positionen in den nun blutig ausgetragenen expansionspolitischen Flügelkämpfen des deutschen Monopolkapitals bleibt, die bekanntlich auch mit dem Massaker vom 30. Juni 1934 nur vorübergehend von der Schacht-Thyssen-Göring-Gruppe zu ihren Gunsten entschieden, doch keineswegs beendet sind 442 . Eine solche Konzeption blickte auf den kontinentaleuropäischen Festlandssockel als Ausgangsglacis eines ohne eine verbündete außereuropäische Großmacht zu führenden (und erst noch seiner vollen Aneignung dienenden) Rußland-Eroberungskriegs wie zugleich aber auch eines anti-angloamerikanischen End-Konkurrenzkampfs, wenn nicht eines globalen Kriegs um die Weltführung; sie war also in ihrer politischen Zuspitzung sowohl antisowjetisch wie anti-(ariglo-)amerikanisch und bedurfte eines entsprechenden ideologischen Vortrags. Zu dieser Konzeption paßte nun aber wieder ganz genau Stadtlers und Moeller von den Brucks Stilisierung des „Deutschen Sozialismus" zu einer sich gegen „West" und „Ost" richtenden und von ihren Systemen gleichermaßen abhebenden „dritten" Ordnungsidee, die zwar völkisch-sozialdarwinistisch (und damit, notabene, immanent auch schon immer rassistisch) begründet, dann aber, in offenkundiger Rücksichtnahme auf die Völker104
Zusammensetzung des umworbenen Raumes (und hier deutlich nun von der Hitlerschen Propagandalinie abweichend), nicht so sehr als die „rasseeigene" Ordnungsidee des „germanischen Blutes" dargestellt wurde, sondern „mitteleuropäisch": als die „den Mitteleuropäern" aufgrund mehr „geopolitischer" geschichtlich-kultureller Gemeinsamkeiten „arteigene" Staats- und Gesellschaftsorganisations-Idee, und die verkündet wurde als die von Europas „Volk der Mitte", den Deutschen, nur ausgehende „europäische" Neuordnungs-Idee und Sendung. 443 Als es im Juni 1919 zur Unterzeichnung des Versailler Vertrages kam (28. Juni 1919), beschlossen die „Solidarier", sich aus Gründen des symbolischen Protests und der Kampfansage von nun an „Juniklub" zu nennen und sich unter diesem Namen gemeinsam mit dem gesinnungsverwandten „Verein Kriegerhilfe Ost", den der Chef des Stabes Grenzschutz Ost, der Major Freiherr v. Willisen, führte, und einer größeren Zahl weiterer Gleichgesinnter nunmehr zu einer Art Klub-„Bewegung" zu konstituieren 444 , die zur Gründung von Dependance-Klubs in nun auch anderen Städten überging, sich zum Vereinssymbol einen Ring wählte und ihre Arbeit im Anklang an Logen-Vorbilder in „Ringen" zu organisieren suchte (daher auch „Ring-Bewegung" genannt wurde). In dem auf diese Weise im Vergleich zum bisherigen „Solidarier"-Kreis personell ausgeweiteten wie zugleich auch organisierteren „Juniklub" fanden sich unter dem Vorsitz wiederum v. Gleichens und der praktischen Leitung des sich nun ganz der Juniklub-Arbeit widmenden Eduard Stadtler 445 mit den alten Angehörigen der „Vereinigung für nationale und soziale Solidarität" (wie Stegerwald, Stöhr usw.) nun in Berlin als „Juniklub"-Mitglieder neben anderen zusammen: der Geschäftsführer der Vereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände, Max Brauweiler, der mit allen drei „DBanken" (Deutsche Bank, Dresdner Bank, Disconto-Bank) auf gleich gutem Fuße stehende - das Schatzmeister-Amt des Juniklubs übernehmende - Bankier Alexander Ringleb, der zur D N V P gehörende Schwerindustrielle Paul Lejeune-Jung, der spätere Papensche Innenminister Freiherr von Gayl (als einer der eifrigsten Förderer des Klubs), doch nun auch Heinrich Brüning, Hermann Warmbold von den IG Farben, August Winnig oder etwa Paul Fechter, Joachim Tiburtius, der Baron v. Manteuffel-Szoege und Max Erwin v. Scheubner-Richter 446 ; von München aus stellte Karl Haushofer engste Beziehungen zum Berliner Juniklub her. 447 105
Zu denjenigen, die diesen Klub in Berlin mitgriindeten, gehörte aber auch ein lebenslänglicher Anhänger und glühender Verehrer Arthur Moeller van den Brucks - Otto Strasser. 448
Die Strasser-Richtung Obgleich Otto Strasser also im Juni 1919 Mitglied und, seiner eigenen Angabe nach 449 , sogar Mitinitiator eines erzreaktionären, hochelitären und bis zur Putschentschlossenheit republikfeindlichen Klubs wird (was als solches zunächst überhaupt nicht verwundert, da er soeben als Leutnant des Freikorps Epp an der Niederschlagung der bayerischen Räterepublik teilgenommen hatte und von da gerade erst, zwecks Aufnahme eines Studiums der Wirtschaftswissenschaften, nach Berlin gekommen war), tritt er jedoch der SPD bei, wird „Vorwärts"-Mitarbeiter, Vorstandsmitglied des „Republikanischen Führerbundes" und Kommandeur einer „Roten Hundertschaft", die er dann im März 1920 beim Einsatz gegen den Kapp-Putsch befehligt. 450 Sein um fünf Jahre älterer Bruder Gregor, Apothekenbesitzer in Landshut/Bayern und Weltkriegs-Oberleutnant, der in seiner Heimatstadt ein eigenes Freikorps aufgestellt hatte und befehligte („Freikorps Landshut"), steht in den gleichen Märztagen des Jahres 1920 genau umgekehrt mit seiner Truppe zur Unterstützung des Kapp-Putsches in Bayern Gewehr bei Fuß und im übrigen bereits gerade im Begriff, sie geschlossen in die SA zu überführen 451 und dieser damit zu ihrer ersten Formation außerhalb Münchens sowie der N S D A P zu einer kompletten Ortsgruppe in Niederbayern zu verhelfen - was ihm die Ernennung zum allerersten „Gauleiter" der N S D A P , zu ihrem „Gauleiter für Niederbayern", einbringt. Zwischen den beiden Brüdern, dem Sozialdemokraten (und gleichzeitigen Juniklub-Mitglied!) Otto Strasser in Berlin und dem NSDAP-Gauleiter Gregor Strasser in Niederbayern tritt deshalb jedoch - wie das dann auch ihr gesamtes Leben hindurch, bis in die bizarrsten Situationen hinein und gegen oft bewußt erzeugten anderen Anschein, immer weiter bleiben wird 452 - nicht die geringste Trübung ihres herzlichen persönlichen Verhältnisses zueinander ein. Hier wären normalerweise also wohl einige Fragen fällig - hätten wir das Parteien„revolutionierungs"konzept der „Solidarier", das 106
zum Konzept nun auch des „Juniklubs" wurde, nicht schon zur Kenntnis genommen, von dem her (und nur von dem her) sie sich allerdings schlüssig auflösen. Daß es Erfolgsaussichten für das Bemühen gab, auch „nationale" Kreise der SPD in der Situation des Jahres 1919 für die Umsturz- und Diktaturpläne der „Solidarier" und Freikorps-Kreise zu gewinnen, hat der in dieser Sache damals bei Noske aus- und eingehende (und keineswegs etwa, trotz seiner offenen Sprache, von ihm hinausgeworfene) Stadtler in seinen „Erinnerungen" später näher geschildert 453 ; aus dieser Perspektive kam natürlich, von der Sache wie auch der besonderen „soldatischen" Sichtweise der Juniklub-Kreise her, dem Einfluß auf die wehrverbandsmäßigen Organisationen und deren Kommandostellen das erstrangige Interesse zu, waren - aus solcher Sicht - der Weg des Epp-Freikorps-Leutnants Otto Strasser in die SPD und über sie zum „Hundertschafts"-Kommandeur und der Weg des bayerischen Oberleutnants und Freikorpsführers Gregor Strasser in die SA und zur NSDAP dann aber gar keine kontradiktorischen, sondern gerade im Konzept übereinstimmende Wege und bestand zu persönlichen Auseinandersetzungen oder Verstimmungen also auch tatsächlich kein Anlaß. Uns heute ist aus dem Rückblick natürlich erst in der Summe aller später hinzukommenden und sich zu Beweiskraft verdichtenden Fakten übersichtlich, daß Otto Strassers gesamte damalige SPD-Tätigkeit nichts anderes als angewandte „Solidarier"- oder Juniklub-Strategie war. Doch schon zu jener Zeit selber fiel seinen sozialdemokratischen Parteigenossen und Hundertschafts-Kameraden aber sein Verhalten offenbar gerade wohl als Kommandeur in den kritischen Kapp-Putsch-Tagen oder auch - wie für jemanden, der sich als Sozialdemokrat offen für Moeller van den Bruck ereiferte und sogar im „Gewissen" und für Papens „Germania" schrieb 454 , ja auch schwer anders vorstellbar - im sonstigen Parteizusammenhang als immerhin so eigentümlich auf, daß er jedenfalls unmittelbar nach dem Kapp-Putsch in der Berliner SPD im öffentlich gegen ihn geäußerten Verdacht stand, ein Polizeispitzel zu sein 455 . Damit hat er seine Wirkungsaussichten in ihr verloren und kommt einem drohenden Parteiausschluß durch seinen eigenen SPD-Austritt zuvor - den er selbst freilich rasch zu einem Protestschritt gegen den „Bruch des Bielefelder Abkommens" deklariert (womit die Geschichte der Legendenbildungen Otto Strassers über Otto Strasser ihren Anfang nimmt) 456 . 107
Nachdem auf diese Weise der Versuch, den „deutschen Sozialismus" als Sozialdemokrat in der SPD zum Zuge zu bringen, für ihn ein abruptes Ende genommen hatte, sehen wir ihn seine nächsten Wegschritte nun ganz offen an der Protektionshand des Juniklubs gehen, die sich über jemandem gewiß ein wenig erstaunlich ausnimmt, der soeben seinen SPD-Austritt mit dem Protest gegen die Entwaffnung der revolutionären Arbeiterschaft und die Nichteinhaltung des Regierungsversprechens nach Auflösung der Freikorps (eben den Bruch des „Bielefelder Abkommens") begründet hat. Otto Strasser wird nun regelmäßiger Mitarbeiter des inzwischen zum offiziellen Juniklub-Organ avancierten, von Eduard Stadtler herausgegebenen und von Moeller van den Bruck redigierten „Gewissen" 457 und in der Redaktion zum persönlichen Protégé vor allem des letzteren, bringt in Würzburg sein Studium mit einer Promotion zum braven Thema „Die Entwicklung der deutschen Zuckerrübensamenzucht" zu Ende458 und erhält, kaum hat er sie unter Dach und Fach gebracht, ein Telegramm aus Berlin mit dem Angebot einer Anstellung bei einem der engsten politischen Weggefährten Adam Stegerwaids: dem als Reichsernährungsminister amtierenden Zentrumspolitiker Andreas Hermes, und zwar in der Position eines Hilfsreferenten der Abteilung für künstliche Düngemittel. 459 (Der Kontakt Hermes-Strasser wird bis über das Jahr 1945 hinaus anhalten. 460 ) Von dort holt ihn der Neffe des einstigen Reichskanzlers Hertling und leitende Direktor des damals größten deutschen Spirituosen-Konzerns Hünlich-Winkelhausen 461 , der der Batterie- und Abteilungskommandeur des einstigen ArtillerieLeutnants Otto Strasser im Krieg war, in seinen Konzern, und der „Sozialist" Otto Strasser wird nun, sich scheinbar auf immer in die Privatwirtschaft zurückziehend, Industriesyndikus und „Hertlings ,rechte Hand' im Konzern in Berlin". 462 Seinen Bruder Gregor aber, der unterdessen zum bekanntesten bayerischen NSDAP-Politiker und erfolgreichsten Parteiredner nächst Hitler geworden ist, sich mit einer der brutalsten Figuren aus der Freikorps-Szene, dem mehrfachen Fememörder Paul Schulz 463 , als persönlichem Intimus umgeben und den aus Röhms „Reichskriegsflagge" zur NSDAP gekommenen DüngemittelLaboranten Heinrich Himmler - wohl nicht ohne Hinweis Röhms - als förderungswürdiges „Talent" entdeckt und zu seinem Adjutanten gemacht hat (von wo aus dieser seinen Aufstieg nahm) 464 , seinen Bruder Gregor also sehen wir nach dem in München 108
gescheiterten Putsch vom 9. November 1923, zu dessen aktiven Teilnehmern er gehört hatte, zum ersten Mal an der Seite Ernst Röhms in einer gemeinsamen Konfrontationsstellung zu Hitler. Ludendorff und Röhm hatten es für die aus dem Scheitern des Putsches zu ziehende Konsequenz gehalten, nunmehr alle völkischen Parteien und Gruppen Nord- und Süddeutschlands einschließlich der N S D A P zu einer einzigen schlagkräftigen völkischen Sammlungspartei und gleichfalls alle völkischen Wehrverbände zu einer einzigen reichsweiten Wehrorganisation zusammenzufassen (wobei sie aus ihrer „wehrstaatlichen" Denkweise heraus sogar das Führungsprimat der Wehrverbandsführer über die Parteiführer verlangten). 465 Gregor Strasser, der wie die anderen Anführer des Münchener Putschs zu Festungshaft in Landsberg (anderthalb Jahre) verurteilt, doch im Mai 1924 für die N S D A P in den niederbayerischen Landtag gewählt worden und daher, nun in den Genuß der Abgeordneten-Immunität gelangt, aus ihr freigelassen und so zum zur Zeit einzig „legalen" Führungsmitglied und damit faktischen Sprecher der NSDAP geworden war, schloß sich Röhms und Ludendorffs Auffassung an; und so riefen sie am 16./ 17. August 1924 auf dem „Deutschen Tag" in Weimar die Vereinigung der NSDAP mit der „Deutschvölkischen Freiheitspartei" zur „Nationalsozialistischen Freiheitspartei" unter der „Reichsführerschaft Ludendorff-Graefe-Strasser" aus 466 (die „Deutschvölkische Freiheitspartei" war im Dezember 1922 aus der „Deutschvölkischen Arbeitsgemeinschaft" der D N V P hervorgegangen; ihr gehörten die ehemaligen DNVP-Reichstagsabgeordneten Major Henning, Albrecht v. Graefe-Goldebee, Reinhold Wulle und Graf Ernst v.Reventlow, aber z . B . auch Theodor Fritsch und Artur Dinter an, und auch Ludendorff hatte sich ihr angeschlossen); und parallel hierzu rief Röhm die Vereinigung der Wehrverbände im „Frontbann" unter seiner Führung und Ludendorffs oberster Schirmherrschaft aus. 467 Hitler jedoch hatte vom ersten Tage des Aufkommens dieser Fusionsbestrebungen an von Landsberg aus heftigsten Widerspruch gegen sie eingelegt, hatte Strasser vorgeworfen, mit ihnen einer unseligen Richtungsvermengung Vorschub zu leisten, die die Bewegung nicht stärke, sondern sie schwächendem Kompromißzwang aussetze, und hatte alles in seinen Kräften Stehende unternommen, ihren Erfolg hintertreiben zu lassen 468 . Auf den Vollzug der Fusion reagierte er mit der an die Öffentlichkeit gegebenen 109
Erklärung, die Verantwortung für die Führung der nationalsozialistischen Bewegung niederzulegen, und als er unmittelbar nach seiner vorzeitigen Haftentlassung aus Landsberg (20. Dezember 1924) den Wiederaufbau der N S D A P bekanntgab, waren die beiden Neugründungen um ihren Sinn gebracht und torpediert. Am 12. Februar 1925 traten Ludendorff und Strasser von der Reichsführerschaft der als Sammlungspartei nicht zustandegekommenen „Nationalsozialistischen Freiheitspartei" wieder zurück - die daraufhin umgehend zerfiel. 469 Hierüber kam es zum - ersten - Bruch Röhms mit Hitler. Als ein von Röhm am 16. April 1925 unternommener letzter Versuch, Hitler in mündlicher Aussprache in der Frage des „Frontbanns" umzustimmen, ergebnislos verlaufen war und auch ein zu diesem Zwecke Hitler überreichtes Memorandum ohne Antwort blieb, ließ Röhm am l.Mai 1925 in der NSDAP-Parteipresse seinen Rücktritt von der Führung des Frontbanns und der ihm von Hitler - als Alternative - angetragenen SA-Führung wie sein Ausscheiden aus „allen politischen Verbänden und Vereinen" bekanntgeben. 470 Er wandte sich nun wieder der Reichswehrführung zu, seiner ihm gemäßen einstigen Autorität, und suchte die Aussöhnung mit ihr. (Und dies wohl offenbar erfolgreich: weder seine 1928 erfolgende, schon 1926 beabsichtigte und ihm vorgeschlagene Entsendung als deutscher Militärberater nach Bolivien noch gar seine Rückberufung aus dieser Mission zum 1. Januar 1931, als Hitler einen neuen SA-Führer suchte, war ohne ihre, und das hieß Schleichers, Entscheidung denkbar. 471 ) Ludendorff fühlte sich von Hitler so düpiert, daß er eine eigene Zusammenfassung der Wehrverbände vom Boden der „Deutschvölkischen Freiheitsbewegung" aus (dem Residerat der „Deutschvölkischen Freiheitspartei" nach deren mißglücktem Fusionsversuch) mit Constantin Hierl als „politischem" Führer dieses neuen, im Radius nun notgedrungen begrenzteren Dachverbandes zuwegezubringen suchte („Tannenberg-Bund") 472 . Freilich ließ er sich von Hitler dann doch noch zur Nominierung als Reichspräsidentschaftskandidat der N S D A P gegen Hindenburg überreden, und als er hierbei eine seine eigene Selbsteinschätzung tief verletzende Wahlniederlage erlebte und sich seither vollends als schändlich mißbraucht empfand, verstieg er sich nun bald immer rascher, bestärkt durch die in der „Deutschvölkischen Freiheitspartei" speziell gepflegte (ihm entgegenkommende) „antisemitisch-antijesuiti110
sehe" Feindbild-Demagogie, in die quasi-religiösen Weltverschwörungslehren seiner zweiten Frau Mathilde (Mathilde von Kemnitz); in diesen war die Feindbild-Triade „Juden-Freimaurer-Katholiken" in metaphysische Geisterkampf-Dimensionen hochmystifiziert, und in ihnen wähnte er mit zunehmender persönlicher Ergriffenheit zu erkennen, weshalb die germanische Rasse um den ihr ausersehenen Führer Ludendorff gebracht werden sollte und etwa sowohl ein Stresemann wie ein v. Kahr 1923 gegen ihn gewesen seien. Röhm und die anderen robusten Pragmatiker seiner bisherigen engeren Umgebung registrierten den Weg Ludendorffs bei allem eigenen Sinn für politische Demagogie sehr wohl als Realitätsverlust, der ihn auch für sie an Kurswert verlieren ließ.473 Gregor Strasser hingegen söhnte sich mit Hitler, sobald dieser die ausgerufene neue Sammlungspartei zu Fall gebracht hatte, sofort wieder aus. Und zwar kaum, wie es in Otto Strassers Lesart der Biographie seines Bruders an jeweils diesen Punkten - deren es in ihr ja noch mehrere, sich gleichsam immer wiederholende gibt474 - stets ein wenig verlegen-entschuldigend oder auch anschuldigend heißt, wegen einer nicht ganz begreiflichen Schwäche dieses sonst so draufgängerischen Mannes für und vor Hitler, also aus Konfliktscheu und opportunistischem Kapitulantentum vor ihm, sondern in wohl gerade kämpferischer Absicht. Denn der Kampf beginnt sofort, sobald die Aussöhnung die Voraussetzung hierfür hergestellt und Strasser eine erhebliche Verbesserung seiner Ausgangsstellung erreicht hat. Vermengung der Richtungen und von ihr ausgehende rivalisierende Führungsansprüche und schwächenden Kompromißzwang hatte Hitler vom Strasser-Ludendorffschen Fusionsprojekt befürchtet und ihm vorgeworfen. Das bezeugt, daß zumindest er innerhalb der völkischen Richtung Richtungen unterschied und sich zu solchen in Kontrast und Frontstellung sah, mit denen Ludendorff, Röhm und Strasser gerade die Vereinigung anstrebten. Für welche stand denn dann aber - nur wenige Monate nach dem Münchener Putsch plötzlich im Unterschied zu ihnen - er selber? Das konnte damals natürlich nur diejenige sein, die er soeben auch gerade gemeinsam mit Rudolf Heß während der Landsberger Hafttage in „Mein Kampf" zu Papier gebracht hatte. Und was das Spezifische - zieht man alles Allgemein-Völkische aus „Mein Kampf" ab - an der hier niedergelegten und verfochtenen Position war, das war das Plädoyer für eine Expansions- und Weltkriegs111
bündniskonzeption, in deren Fluchtlinie ein (für welche befristete Zeit immer gedachtes) Weltteilungs-Angebot an Großbritannien lag; und, da sie vom Krieg gegen Frankreich als unerläßlicher Voraussetzung ausging und sie die Umwandlung des „Ostraums" in eine auf ewig zu versklavende Kolonie der deutschen Industrie unverhohlen propagierte und zu ihrem Hauptziel hatte, kam auf dem Kontinent selbst nur Mussolinis Italien als ein außer England denkbarer Verbündeter in diesem deutschen Großraum-Eroberungskrieg in Frage. 475 Das aber (die berühmte „Heß-Hitlersche", auf Englands Weltkriegs-Partnerschaft spekulierende Variante des Kriegs-Kalküls, der Heß dann noch 1941, ehe der Befehl zum Allein-Uberfall Nazi-Deutschlands auf die Sowjetunion erteilt wurde, mit seinem England-Flug nachzujagen suchte) war eine damals allerdings keineswegs von allen völkischen Gruppen oder gar expansionistischen Kreisen in Deutschland vertretene Linie. Es war nicht die von der Reichswehrführung favorisierte, es war nicht die von den maßgeblichen Männern der „Deutschvölkischen Freiheitspartei" befürwortete, und es war schon gar nicht die in ihr vom einst völkisch-„deutsch-sozialen" und im Sinne der früheren „National-Sozialen" Naumanns „mitteleuropäisch" orientierten Grafen v. Reventlow 476 vertretene. Und es war nicht die Linie der „Solidarier", für die der Ideologen-Kreis um Moeller van den Bruck (der 1925 starb) im „Gewissen" plädiert hatte und der Otto Strasser anhing. Gregor Strasser hatte durch seine Versöhnung mit Hitler aber nicht nur in der NSDAP die Stellung gehalten. Er hatte auch seinen Austritt aus dem Reichsführer-Triumvirat der gegen Hitlers Willen in dessen Abwesenheit ausgerufenen neuen Partei (das an sich schon - da Strassers öffentliche Erklärungen, dieses Amt nur als Platzhalter Hitlers bis zu dessen Haftentlassung zu übernehmen, aufgrund der tatsächlichen Gegnerschaft Hitlers gegen das ganze Projekt rein deklamatorisch waren - dessen Ausschaltung aus der Führung der faschistischen Bewegung bedeutet hatte) nicht etwa im Büßerhemd kleinlaut-kapitulativ und also gratis vollzogen; sondern er hatte sich diesen Austritt von Hitler nur gegen die Zusage abringen lassen, dafür dann aber mit dem in dessen Konzept vorgesehenen Aufbau der NSDAP in Norddeutschland beauftragt zu werden. Und er hatte Hitler, dessen Stellung nach seiner Haftentlassung zunächst auch in Süddeutschland umstritten und gegenüber dem erfolgreichen Landtags-Fraktionsführer und Gau112
leiter Gregor Strasser schwach war (zumal dieser mittlerweile fast alle wichtigen Kontaktfäden nach Norddeutschland in seiner Hand konzentrierte) 477 , die zusätzliche Zusicherung abgenommen, hierfür aber auch „weitgehende Selbständigkeit" und freie Hand garantiert zu bekommen. 478 Kaum hatte sich Gregor Strasser dieser - ihm am 11. März 1925 von Hitler endgültig erteilten und die „Aussöhnung" begründenden - Vollmachten „als Preis für sein Ausscheiden aus der Nationalsozialistischen Freiheitsbewegung" versichert 479 , wandte er sich an seinen Bruder Otto und bat ihn, ihm nun zu Hilfe zu kommen. 480 Otto Strasser tritt daraufhin umgehend der NSDAP bei und erhält von Hertlings Spirituosen-Konzern eine so hohe - in seinen Worten „bedeutende" - Abfindung, daß er mit ihr (seiner eigenen, wohl mit Skepsis zu betrachtenden Darstellung nach ganz allein mit ihr) den zum propagandistischen Hauptinstrument der norddeutschen NSDAP und der Gebrüder Strasser werdenden, in Otto Strassers Privatbesitz verbleibenden und daher von vornherein rechtlich dem Einfluß der Münchener Parteileitung entzogenen „Kampfverlag" aufbauen kann. 481 Es vollzog sich nun binnen weniger Monate unter Gregor Strassers Führung ein zügiger Aufbau der NSDAP Nord- und Westdeutschlands, der den „Schwerpunkt der Partei, insbesondere ihre D y n a m i k , . . . zusehends nach dem Westen und dem Norden" verschob 482 und von bemerkenswerter Eigentümlichkeit war, was noch gegen Ende des gleichen Jahres 1925 in die ersten Konfrontationen und im Januar/Februar 1926 dann zur kollektiven Kraftprobe der von den Strasser-Brüdern aufgebauten norddeutschen NSDAP mit Hitler und dessen „Münchener" Linie führt. Otto Strasser, kaum der Partei beigetreten, war sofort darangegangen, der NSDAP ein neues Programm zu entwerfen und die von seinem Bruder aufgebauten neuen nord- und westdeutschen örtlichen NSDAP-Organisationen zum Träger der Forderung nach seiner Einführung (an Stelle des alten 25-Punkte-Programms) zu machen. Der Aufbau dieser Organisationen und der nord- und westdeutschen „Gauleitungen" selbst ging so vonstatten, daß Gregor Strasser - gemäß seinem Quasi-Vertragsrecht auf freie Hand die Gauleiter kraft seines Gutdünkens einsetzte (wodurch es zum Strasserschen „Gauleiter-Flügel" in der NSDAP kam - dem Umstand, daß nahezu alle Gauleiter außerhalb Süddeutschlands Strasserianer waren 483 ), „die höheren Parteiführer nicht von der 113
Münchener Parteizentrale eingesetzt, sondern als Führer bereits bestehender und nun zur NSDAP übertretender völkischer Gruppen einfach anerkannt", in „anderen Fällen" auch „von Gregor Strasser ernannt" und die „Ortsgruppenführer... meist von Gregor Strasser eingesetzt und von den Mitgliedern durch Wahl bestätigt" wurden. 484 Gregor Strassers Erfolgsrezept, rasch NSDAPOrtsgruppen aus dem Boden zu stampfen, bestand vorzugsweise darin, ganze bestehende Ortsgruppen der „Deutschvölkischen Freiheitspartei" und anderer völkischer Organisationen zum geschlossenen Ubertritt in die NSDAP zu veranlassen, und das häufig gerade mit Hilfe von Andeutungen, daß die von ihm jetzt hier aufgebaute NSDAP gar nicht mit Hitlers Linie übereinstimme und von ihr unabhängig sei.485 Es vollzog sich hier jetzt also erstaunlicherweise im Gewände gerade des von Hitler vertretenen Konzepts des Festhaltens an der Selbständigkeit der NSDAP und ihres eigenen Ausbaus und Ausgreifens nach Norddeutschland genau jene Fusion der Richtungen, die er mit ihm hatte vermeiden, die Strasser jedoch ursprünglich hatte herbeiführen wollen; eine Folge davon war ein sich dadurch nun rasch innerhalb der NSDAP selbst herausbildendes regionales Richtungsgefälle (oder Gefälle der jeweils sie bildenden Richtungskondensate) zwischen ihrer nord- und ihrer süddeutschen Organisation. Zur „Zentrale des Strasserismus" wurde Elberfeld, die Stadt, wie Otto Strasser zur Begründung angibt, in der der organisationstüchtige und Gregor Strasser ganz ergebene Gauleiter Karl Kaufmann wirkte 486 , die Stadt der Bayer-Familie und Abraham Froweins, wie einem dazu vielleicht aber auch durch den Sinn gehen könnte. Hier, in dieser Stadt, hatte sich bereits Ende 1924 von der Deutschvölkischen Freiheitspartei der dort für ihren Reichstagsabgeordneten Wiegershaus tätige Joseph Goebbels Karl Kaufmann vorgestellt und ihm den Ubertritt in seine Dienste angetragen. Gregor Strasser beauftragt ihn nun mit der Redaktion der von ihm und Otto Strasser als „geistiges Führungsorgan" der norddeutschen NSDAP geplanten und auch umgehend als erstes eigenes Blatt begründeten, zum „Theorieorgan" der Strasser-Richtung werdenden „Nationalsozialistischen Briefe" und macht ihn zugleich zu seinem Sekretär. 487 Die solcherart sowohl organisatorisch wie iedologisch angebahnte „Eigenständigkeit" profiliert sich rasch. Am 10./11. September 1925 hatte Gregor Strasser alle von ihm gegründeten 114
NSDAP-Gaue zu einer von ihm geführten „Arbeitsgemeinschaft der nord- und westdeutschen Gaue der N S D A P " zusammengefaßt und zu ihrem Geschäftsführer Joseph Goebbels gemacht, der diese Arbeitsgemeinschaft seinerseits damals den „Westblock" nennt. Die ab 1. Oktober 1925 erscheinenden „Nationalsozialistischen Briefe" werden zu ihrem Organ. Goebbels nennt sie (in seinen damaligen Tagebüchern) ein „Kampfmittel gegen die verkalkten Bonzen in München" und rühmt Gregor Strasser - bei dem er angestellt ist - als einen „Sturmblock gegen die Münchener Bonzen". Der „Westblock" sieht seine Aufgabe darin, „dem eigenen .Standpunkt in der nationalsozialistischen Bewegung weitere Geltung (zu) verschaffen' und einen .Gegenpol gegen die verderbliche Münchener Richtung daf(zu)stellen'". 488 So war „am Ende des Jahres 1925 . . . eine in sich relativ geschlossene, gegenüber München einheitlich handelnde Parteiorganisation entstanden, die sogar einen eigenen Mitgliederbeitrag von den angeschlossenen Gauen e r h o b . . . Die Arbeitsgemeinschaft schickte sich an, der Parteileitung die Initiative aus der Hand zu nehmen. Sachsen lag in ihrem Einflußbereich, zu den Gauen Schlesien, Württemberg und Baden hatte sie gute Beziehungen; die dortigen Gauleiter erhielten ihre Rundschreiben." 489 Zu solcher Eigendynamik aber gehörte natürlich auch ein eigenes, in der Gesamtpartei gegen die „Münchener" durchzusetzendes Programm. Am 22. November 1925 eröffnet Gregor Strasser auf einer Tagung der „Arbeitsgemeinschaft" in Hannover, auf der elf Gaue vertreten sind, die Programmdiskussion, legt Otto Strassers Programmentwurf vor und beauftragt Goebbels und Kaufmann mit der Ausarbeitung auch eines weiteren Entwurfs. Am 11. Dezember 1925 wird Otto Strassers Entwurf streng vertraulich den der Arbeitsgemeinschaft zugehörenden Parteiführern, Ludendorff, dem Führer der österreichischen N S D A P und, interessanterweise, dem Baltikumsfanatiker Alfred Rosenberg mit der Bitte um Stellungnahme zugesandt. 490 Am 24. Januar 1926 kommt es auf einer weiteren Tagung der „Arbeitsgemeinschaft" in Hannover, diesmal im Hause des NSStudienrats Bernhard Rust und in Anwesenheit des von Hitler als Vertreter der Parteiführung aus München zu ihr entsandten Gottfried Feder, zur offenen Konfrontation und zur Herausforderung Hitlers in der Frage des der Tagung nun offiziell zur Beratung vorgelegten Programmentwurfs Otto Strassers. Ob diese Konfron115
tation tatsächlich bis zu der in Otto Strassers Büchern jeweils breit ausgemalten dramatischen Zuspitzung des angeblich „wie ein Peitschenschlag über die Versammlung" fahrenden Ausrufs von Goebbels „Ich beantrage den Ausschluß des Herrn Hitler aus der N S D A P ! " geführt hat 491 , wie mit gutem Grund angezweifelt worden ist 492 , hat nur unerhebliches Gewicht gegenüber dem durch den Fortgang selbst bestätigten Sachverhalt, daß es hier jedenfalls zu einer offenen Frontierung kam, die nun der Entscheidung zutrieb. Diese Entscheidung stand auf der für den 14. Februar 1926 nach Bamberg einberufenen „Führertagung der N S D A P " an. Die große Kraftprobe, auf die scheinbar alles hier zulief, ging für Strasser und die „Arbeitsgemeinschaft" in hohem Bogen in der Form verloren, daß sie - nicht stattfand. Hitler hatte dafür vorgesorgt, daß Strassers Programm-Entwurf „nicht einmal zur Diskussion zugelassen" wurde. 493 Der so von überlegener Manipulationsfähigkeit in die Minderheit und Ohnmacht gedrängte Gregor Strasser springt, statt einen Kampf aufzunehmen, sofort auf den Boden der Machttatsachen über (denn auch manipulativ hergestellte sind Tatsachen, weil die Manipulationsüberlegenheit hinter ihnen eine tatsächliche Macht ist); er verständigt sich mit Hitler auf den Rückzug des Programmentwurfs und erläßt schon am 5. März 1926, knapp drei Wochen nach dieser Niederlage, ein Rundschreiben an alle Mitglieder der „Arbeitsgemeinschaft" mit der Bitte, „ihm die verteilten Exemplare des Programms zurückzusenden, da er sich ,Herrn Hitler gegenüber verpflichtet' habe, ,die restlose Hereinholung des Entwurfes zu veranlassen'". 494 Dieses „Bamberger Programm" oder auch „Strasser-Programm" (also Otto Strassers damaliger Programm-Entwurf) aber stellt nun gemeinsam mit den „Nationalsozialistischen Briefen" und freilich dann auch allen weiteren in den nächsten Jahren aus Strassers „Kampf-Verlag" hervorgegangenen Zeitungen und sonstigen Publikationen sowie Gregor Strassers Reden geradezu die Ausgangsquelle oder doch eine der Hauptberufungssäulen der zuallererst von den Gebrüdern Strasser selbst damals gepflegten Legende vom „sozialistischen Strasser-Flügel" oder zumindest dessen in Kontrast zu Hitler „sozialistischem" Wollen dar. Womit beginnen? Vielleicht mit dem letzterwähnten, der ganzen Flut Strasserianischer Publikationen und Reden Gregor Strassers der damaligen Zeit, auf der ja insgesamt der Ruf der „norddeut116
sehen" NSDAP oder jedenfalls ihrer Strasser-Richtung und damit dann doch des größeren Teils ihrer Führerschaft als Repräsentanten einer vergleichsweise mehr „linken" Ausprägung des Nationalsozialismus beruht - zwecks rascher Abhakung dieses Themas mittels der wenigen Bemerkungen, die zu ihm heute allenfalls noch erforderlich sind. Das Allermeiste dieser Schriften und Reden ist ja erhalten und liegt uns Gott sei Dank nachlesbar vor. Und ihr Studium, wo immer man die Probe macht und genauer hinsieht, ergibt: Es handelt sich durchweg um das charakteristische Muster der völkischen Sozialismusdemagogie und nie um etwas anderes. Das gilt für Gregor Strasser, dessen gesammelte Reden geradezu dem Studium zu empfehlende Musterbeispiele einer auf diesem Demagogiemodell aufgebauten Rhetorik sind; und das gilt ebenso für Otto Strasser, wenngleich er weit irritierender wirkt, weil wir heute zwar Hitlers Raster wiedererkennen, aber Moeller van den Bruck und die völkische „Solidarier"-Demagogie vergessen haben. Tatsächlich kommt, wo immer man bei Otto Strasser kratzt, aber nur sofort der ganze Moeller van den Bruck unverfälscht und ungebrochen zum Vorschein und war sein „deutscher Sozialismus", da im gleichen wüsten Denken vom „Daseinskampf" um „Raum" gegründet und von brennendem Willen zu ihm bestimmt, daher aber auch nicht anders als bei diesem nur ein innenpolitisches Mobilisierungsmodell für den „Raumkampf" (den Expansionskrieg) und ein Modell der Organisation der Gesellschaft für ihn. Ebenso wenig wie dieser hatte er nur das geringste mit etwa irgendeinem an sich subjektiv „ehrlichen", nur halt eben entweder „kleinbürgerlichen" oder „mittelständischen" oder sonstwie schichtenspezifischen „Sozialismus" zu tun, sondern war unverändert der von den Herrschaften im „Juniklub" propagierte „deutsche Sozialismus", war imperialistische Mobilisierungsdemagogie gegen Marxismus und Demokratie und für die raumkampftüchtige, geschlossene Nation und die nach außen im Kampf um den Aufstieg zur Weltmacht selbstbehauptungsfähige innere Kriegsfeindvernichtungs- und Kriegsdiktatur - eben „völkischer Sozialismus". Und nur das erklärt - um nun gleich die empirischen Schlußsteine draufzusetzen - weshalb gerade auch diese „linke" Strasser-Linie im deutschen Nationalsozialismus, entgegen allen Legenden, sie habe das deutsche Großkapital verschreckt, - von eben diesem Großkapital selbst gefördert wurde, und zwar gerade von den 117
expansivsten und reaktionärsten Kreisen im Monopolkapital. Wenn es irgend jemanden gab, der wußte, daß die von Gregor Strasser in den Industriestädten West- und Norddeutschlands entfaltete, in der Tat von der in München (freilich nicht 1919/20) gepflegten Tonlage sich abhebende „antikapitalistische" und national-„sozialistische" Agitation vom Großkapital selbst finanziert war, dann war es nachweislich, außer Hitler, Strasser selber. Das liegt offen zutage, seit 1948 August Heinrichsbauer, der seinerzeitige Verbindungsmann der Ruhrindustrie zu Hitler, bezeugt hat, daß die aus dem „Ruhrschatz" - dem „politischen Fonds" der Ruhrkonzerne - an die NSDAP ab 1930 fließenden Unterstützungsgelder (die natürlich vor allem gerade auch der Förderung der Wahlkämpfe und Propaganda-Kampagnen der NSDAP im Ruhrgebiet selbst dienen sollten, zum größten Teil daher auch hier verblieben und also jener Demagogie unmittelbar zugutekamen) nur zwei von Hitler zu ihrer Entgegennahme bestimmten Männern ausgehändigt wurden, Walter Funk und Gregor Strasser.495 Und daß später, als es - 1932 - zum dann allerdings offenen Angriff des „Schacht-Thyssen"-Flügels der Ruhrindustrie auf den von Strasser in der Parteileitung repräsentierten Flügel und dessen „Wirtschaftliches Sofortprogramm" kam und Hitler sich auf Schachts Seite schlug496, Gregor Strassers Finanzierung der rheinische Braunkohlen- und Elektro-König Paul Silverberg übernahm (also wieder kein „Mittelständler") und sie über Werner v. Alvensleben, den Sekretär des „Herrenklubs", laufen ließ, ist heute ebenfalls bekannt.497 Man muß nur einige Stichproben-Blicke in die neuerdings ja allmählich Interesse und Aufarbeitung findende örtliche Aufbau-Geschichte der NSDAP-Organisationen in West- und Norddeutschland werfen - auf die politisch-ideologischen Profile und tatsächlichen lokalen persönlichen Verbindungen und Einbettungen derjenigen, die da jeweils die Promotoren und also sozusagen die Auserwählten oder Vor-Kämpfer Strassers am Ort waren - , um aber auch von dem Gedanken abzukommen, es könnten in den ersten Jahren (etwa bis 1930) für den NSDAP-Aufbau erforderliche Spendensummen zusätzlich zu den - offenkundig bedeutenden und kaum erschöpflichen - „Kampfverlags"-Mitteln vielleicht jedoch aus Mäzenatenkreisen, die mit ihnen ihrerseits tatsächlich irgendeine antikapitalistisch-halbsozialistische oder auch nur antimonopolistische Politik fördern wollten und zu fördern vermeinten, über die örtlichen Gruppen an Strasser gelangt sein. Dagegen 118
stehen allein schon die politischen Physiognomien derer, die die örtlichen Gruppen repräsentierten und dies doch immer erst denkbar gemacht hätten. Mit Heinrichsbauers Erklärung kommen wir auch einem weiteren, noch zählebigeren Vorurteil auf die Spur, der eigentlich allenthalben anzutreffenden Ansicht, daß es jedenfalls aber die Sozialismus-Demagogie der Gebrüder Strasser und ihrer Anhänger gewesen sei, an der Hitler und die Industrie Anstoß genommen hätten und die zum Bruch zwischen ihm und Strasser führte. Dafür scheinen nun auch fast die meisten Zeugnisse dieser Auseinandersetzung selbst zu sprechen, das Urteil beruht gleichwohl aber auf einem Sehfehler. Denn es ist natürlich nur das selbstverständliche Zwangsgesetz jeder sozialismusdemagogischen Mobilisierung, daß ihre Akteure nunmehr auch zwischen ihnen selbst aufbrechende Richtungskonflikte und Machtkämpfe vor der mobilisierten Massenanhängerschaft immer nur in eben diesem sozialismusdemagogischen Vokabular artikulieren und austragen können, andernfalls sie ihre eigene Selbstdemaskierung betreiben und vor ihrem Kontrahenten Harakiri begehen würden. Hitler aber hatte das Schema der völkischen Sozialismusdemagogie viel zu gut von der Pike an gelernt und als Mobilisierungsmodell selbst souverän beherrscht und eingesetzt, als daß er nicht die Funktionalität ihrer hemmungslosen Anwendung für die Eroberung des „roten" Nordens begriffen und ein entsprechendes Gefälle im Agitationsstil von Nord und Süd daher auch ohne weiteres als solches gebilligt hätte. Und es ist nicht nur das Beispiel Stinnes-Stadtler, sondern auch manch weiteres, aus dem hervorgeht, daß durchaus auch die Konzernherren der Ruhr selber die Funktion dieser nationalsozialistischen Demagogie sehr wohl verstanden hatten und die von ihnen vor ihrer Haustüre zu beobachtenden, von Otto Strasser noch später gerühmten Einbruchserfolge, die die NSDAP mit ihr in die „marxistische Arbeiterschaft" erzielte, begrüßten und wollten. (Ein weiteres Beispiel ist etwa, daß der Verleger des politischen Hauptsprachrohrs der Ruhr-Schwerindustrie, der Essener „Rheinisch-westfälischen Zeitung", Theodor Reismann-Grone, dessen Schwiegersohn Hitlers späterer Reichspressechef Otto Dietrich war und der auch August Heinrichsbauer 498 in seiner Redaktion beschäftigte, sich von Otto Wagener dazu gewinnen ließ, im Ruhrgebiet aber zugleich auch ein die breiten Bevölkerungsschichten erreichendes „rotes" Blatt, das „sozialistisch eingestellt sein, aber trotzdem positiv zur Wirtschaft, 119
zur freien Wirtschaft und zur Privatwirtschaft" stehen sollte, mit Start- und Kooperationshilfe seines Verlagshauses als dessen eigenes „Konkurrenzblatt" gleichsam aus der Taufe zu heben: die „Essener National-Zeitung", deren Leitung Otto Dietrich übernahm und an deren Finanzierung sich vor allem dann auch die „Deutsche Bank" beteiligte. 499 ) Diese Demagogie war daher aber auch gerade nicht der Konfliktgegenstand. Aber dennoch gab es den Konflikt, der zum Bruch und später tödlichen Kampf führte (und allerdings, wie gesagt, nur in sozialismusdemagogischen Rhetorik-Mustern, als ein Kampf um die „richtigere" Auslegung des „nationalen Sozialismus", vortragbar war). Was aber war sein tatsächlicher Gegenstand dann? Dem kommt man näher, wenn man sich das „Bamberger Programm" ansieht. Hier seine zentralen Stellen: In der „Zusammenfassung und nochmalige(n) Herauskristallisierung" des an erster Stelle genannten „Außenpolitischen Problems" wird dieses mit den Stichpunkt-Forderungen umrissen: der organischen Gliederung und der machtvollen rassenmäßigen Zusammenfassung der Deutschen Nation in einem Großdeutschen Reich; dieses Großdeutsche Reich als Anziehungspunkt für den Mitteleuropäischen Zollverein und als Schwergewicht für die Vereinigten Staaten von Europa." 500 Das also war signifikant das Grundmuster der „Mitteleuropa"-Linie, das im NSDAP-Parteiprogramm zu verankern Hitler natürlich nicht gesonnen war, schon deshalb nicht, weil ihm die hierin offenkundig enthaltene Voraussetzung einer Verständigung mit Frankreich auf das Vereinte Europa' die gesamte gerade auf einen Frankreich-Krieg und französische Gebietsannexionen drängende Schwerindustrie entfremdet hätte und es zudem gegenüber den ost- und südosteuropäischen Völkern außerhalb des vorgesehenen germanischen Großreichs die einschränkende Selbstfestlegung auf nur deren ZollAnschluß enthielt. (Um den Tiefgang dieses expansionspolitischen Konfliktpunkts hier gleich noch zu verdeutlichen: Zwar sind alle Schilderungen, die Otto Strasser von seinen Unterhaltungen mit Hitler gibt, in ihrem Authentizitätswert durchweg höchst zweifelhaft. Doch er will zu Hitler bei seiner angeblich allerersten Begegnung mit ihm gesagt haben: „ . . . aber der Gedanke eines Krieges gegen Frankreich erscheint mir dumm." 501 Und das ist, ob dies damals von ihm tatsächlich gesagt wurde oder nicht, jedenfalls von authentischem Aussagewert für die Strassersche Programmatik und 120
deren Gegensatz zu anderen Konzeptionen.) Die Hauptaussagen zum „innenpolitischen Problem" lauten, zunächst die vorangeschickte Prämisse und das Generelle betreffend: „Voraussetzung für die Durchführung" des „nationalen Sozialismus" (dieses „gewaltigen Vorhabens")... ist die nationale Diktatur. Schicksalhafte und kausale Verbundenheit der wirtschaftlichen Befreiung der deutschen Arbeitnehmerschaft und der politischen Befreiung des deutschen Volkes." 502 (Da war sie, die alte Naumannsche „national-soziale" und dann Moeller van den Bruck'sche Botschaft, daß es den Arbeitern in dem Maße besser gehen könne, wie sie dem deutschen Imperialismus weiteren „Raum" in der Welt erkämpfen). Im Zentralen dann: Beseitigung „des konstruierten Parlamentarismus" durch „Einführung eines organisch aufgebauten Ständesystems" 503 . Zur Staatsorganisation im einzelnen (u.a.): „Reichspräsident auf 7Jahre (1.Reichspräsident der Diktator) mit weitgehenden Vollmachten", „Nationalrat, besteht aus den (12-14) Präsidenten der Landschaften und dem Präsidium der Reichsständekammer...", „Reichsständekammer; besteht aus Vertretern der einzelnen Reichsberufskammern..., dazu 10 vom Reichspräsidenten ernannte Mitglieder (Vertreter der Universitäten, der christlichen Konfessionen und sonstige hervorragende Einzelpersönlichkeiten)..." usw. 504 Man sieht bereits an vor allem diesen letzteren Beispielen: das ist also eine andere Diktaturkonzeption als die von Hitler ins Auge gefaßte, und man braucht nicht lange zu suchen, um ihre Quelle zu finden; es ist die Konzeption der „Solidarier" (man vergleiche z. B. damit die spätere Papen'sche „Herrenklub"-Konzeption vom „Neuen Staat"). Was nun den Abschnitt „Wirtschaftspolitik" betrifft, auf dem der gesamte „sozialistische" Leumund des „Bamberger Programms" beruht, so ist dieser in den Teil „Agrarpolitik" und den Teil „Industriepolitik" untergliedert. Im agrarpolitischen Teil wird der Grundsatz aufgestellt „Grund und Boden sind Eigentum der Nation!" 505 , um danach dann die „Vermählung des Rechts der Allgemeinheit mit dem in der menschlichen Natur wurzelnden persönlichen Egoismus... mittels Durchführung der Idee des Erblehens" vorzuschlagen 506 . Gefordert wird die Aufteilung der über 1000 Morgen großen Güter „in Bauerngüter von 50 bis 200 Morgen", die „nur als Erblehen seitens des Reiches verpachtet" werden. Die Eigentümer von 121
Gütern bis zur Größe von 1000 Morgen dürften hingegen „solange Erbpächter" bleiben, „als ein männlicher Nachkomme in der Familie ist". 507 Das war bereits der ganze agrarpolitische „Reformsozialismus", und man sieht wohl, es war nichts als das spätere Darre'sche „Erbhof"-Programm und allerdings zugleich auch wieder etwas, das wiedererkennbar war und schon seine einschlägige Vorgeschichte hatte, wenn man an die langjährigen Forderungen von Repräsentanten vor allem der „neuen" Industrien und dann der einstigen Wehrmachtskreise um Groener nach Aufsiedlung der zunehmend dem Staat zur Last fallenden ostelbischen Rittergüter zurückdenkt - nach Aufsiedlung in ost- und „siedlungspolitisch" höchst erwünschte kleinere, die verläßlich landgebundene Menschenzahl im dünn bevölkerten Ost-Grenzraum vermehrende Güter in der Funktion gleichsam von „Wehrbauernhöfen" und Germanisierungs-Vorposten. In diesem mehr wehrpolitisch motivierten alten „Siedlungs"- und zugleich Menschen-Bodenbindungsprogramm (das eine Spitze gegen die ökonomische Machtbasis des preußischen Junkeradels und traditionellen Verbündeten der alldeutschen Ruhrindustriekreise freilich besaß, wie das dann auch später bei Brüning und Schleicher blieb) ging der agrarpolitische Teil des „Strasser-Programms" tatsächlich aber restlos auf. Vor dem Hintergrunde dieser programmatischen und durchaus richtungsspezifischen agrarpolitischen Orientierung jedoch war auf der Bamberger Konferenz (und vor allem schon auf der vorangegangenen letzten Hannoveraner Tagung der „Arbeitsgemeinschaft") der zweite Haupt-Streitpunkt neben dem Strasserschen ProgrammEntwurf die damals aktuell anstehende Frage der Haltung der NSDAP zum „Volksbegehren für die Fürstenenteignung", für dessen Unterstützung die auf die Ansammlung erbhof-vergabefähigen Landes in Staatshand ausgehenden Strasserianer natürlich eintraten, während Hitler und der „Münchener Flügel" hierin vor allem ein verderbliches praktisches Einschwenken in eine „Aktionseinheit mit dem Marxismus" und eine bedenkliche Gefährdung des Privateigentums-Gedankens sahen und deshalb gegen eine Beteiligung der NSDAP an der Kampagne für das Volksbegehren Stellung nahmen 508 , was dem Strasser-Flügel seine Selbstdarstellung als „sozialistischer" Flügel selbstverständlich nur leichter machte. Sein „linkes" Renommee rührt freilich vor allem von dem Pro122
gramm-Teil „Industriepolitik" her. Wie sah der aus? Er forderte die „weitgehende Uberführung der Produktionsmittel in den Besitz der Allgemeinheit... unter Beibehaltung des privatwirtschaftlichen Betriebssystems und unter Schonung des Besitzergefühls". Wie sollte das bewerkstelligt werden? Es sollten „sämtliche Erwerbsgesellschaften", die mehr als zwanzig Arbeitnehmer beschäftigen, in Aktiengesellschaften überführt werden und diejenigen unter ihnen, die „lebenswichtige Industrien" darstellen, zu 51 Prozent in den Besitz der „Allgemeinheit" in einem Anteilsverhältnis „Reich 30%, Belegschaft 10%, Landschaft 6 % , Gemeinde 5 % " , die „nicht lebenswichtigen" auf Kosten des „Landschafts"-Anteils zu 49 Prozent (mit 1% Übergewicht also für den Privateigentümer) gleichfalls in jenen so aufgeschlüsselten „Allgemein-Besitz" übergehen. 509 Was bedeutete das? Eine Belegschaftsbeteiligung von 10% bei einem 49- bzw. 51 %igen Unternehmeranteil und mehr als 30 %igen Staatsanteil war nicht mehr als ein Programm der Betriebsbindung der Belegschaften unter Erweckung gar noch ihres „Eigeninteresses" am Unternehmenserfolg, wie es die in diesen Jahren von der Industrie aufgezogenen Institute für „Psychotechnik" in ihren Untersuchungen zur besten Methode der Weckung von „Betriebsgemeinschafts"gefühl, „Unternehmensstolz" und „Arbeitsfreude" der Belegschaftsmitglieder u. a. empfahlen. 510 Die Staatsbeteiligung summierte sich im System der „nationalen Diktatur", in dem „Landschaft" und „Gemeinde" als politisch gleichgeschaltet zu denken waren, vom Einfluß-Anteil her auf faktisch 41 resp. 40 Prozent; das aber war, da der Staat selbst ja doch gerade vor allem als Instrument der Kriegführungs- und Kriegsorganisationsinteressen des Monopolkapitals konzipiert war, keine den privaten Unternehmensinteressen der selbst zum Expansionskrieg drängenden großen Monopolgesellschaften kontroverse, sondern nur die von ihnen selber aus eben diesem Interesse heraus als unerläßlich eingesehene und - vor allem den vielen mittleren und kleinen Konkurrenten gegenüber - erwünschte regulierende und koordinierende Instanz. Eben dies aber, eine solche kriegsorganisatorische Leitung der gesamten Industrie ohne Preisgabe ihres privatwirtschaftlichen Charakters und in einer Art staatsvermitteltem Selbst-Abstimmungs-Verbund und kollektiver Integration zum Höchstleistungs-Effekt war bekanntlich - das Konzept Schleichers (der für die Einbindung der Arbeiterschaft in diesen Lei123
stungsverbund mittels Eigeninteressierung unterhalb der Schwelle daraus erwachsender Einflußrechte ebenfalls einen ausgeprägten Sinn hatte und über dessen Versuch, die NSDAP in seine DiktaturKonzeption einzubeziehen, es dann im Dezember 1932, als Gregor Strasser Hitler drängte, hierauf einzugehen, und er ihn auch fast schon dafür gewonnen hatte, es zum Bruch zwischen Hitler und Strasser kam). 511 Wegen der somit also mächtigen Interessen, die hinter der „Strasser-Richtung" standen, war der Kampf mit der Niederlage auf der Bamberger Konferenz und der Zurückziehung des Programm-Entwurfs durch Gregor Strasser aber auch keineswegs etwa innerhalb der NSDAP beendet. Im Gegenteil: Gregor Strasser hatte den Kampf auch diesmal nur abgebrochen und die Verständigung gesucht, um die Partie nicht aufzugeben: „Die nord- und westdeutschen Parteiführer waren entschlossen, ihre Positionen auszubauen und dann zum Gegenangriff überzugehen." 512 Trotz der von der Münchener Parteileitung jetzt verbindlich angeordneten Organisation aller Parteigliederungen nach dem „Führerprinzip" und der Ernennung der Gauleiter von nun an nur noch durch Hitler selbst, trotz der demonstrativen erneuten Verkündung der Unabänderlichkeit des 25-Punkte-Programms, trotz der offiziellen Uberführung gar der NSDAP in die Trägerschaft des - hier nun auf einmal wieder auftauchenden - „Nationalsozialistischen Deutschen Arbeitervereins München" (dessen Vorstand zur „Reichsleitung der Partei" und zugleich Münchener Ortsgruppenleitung erklärt wurde) zwecks Absicherung einer praktisch unangreifbaren innerparteilichen Machtstellung Hitlers (22.5.1926) 5 1 3 und trotz der schließlich am 1. Juli 1926 auf dem „Richtlinien" Wege aus München verfügten Auflösung der „Arbeitsgemeinschaft" der nord- und westdeutschen NSDAP-Gaue 5 1 4 , - trotz alldem kam es gerade in eben diesen Monaten nach der Niederlage von Bamberg und des ihr folgenden faktischen Widerrufs der bisherigen Hitlerschen Selbständigkeits-Garantien für Gregor Strasser zum Aufbau erst der großen Massenblätter des „Kampfverlages" („Berliner Arbeiterzeitung", „Der Nationale Sozialist", beide ab März 1926, bald darauf auch „Sächsischer Beobachter" 5 1 5 ); mit Hilfe eben dieser Massenblätter konnte der „Sturm" auf den Norden in die Arbeitermassen vorangetragen werden und festigte sich das innerparteiliche Erfolgs- und UnentbehrlichkeitsRenommee Gregor Strassers und seiner tüchtigen Mit-Agitatoren 124
immer mehr. Bereits ab August 1926 griff Gregor Strasser in den „Nationalsozialistischen Briefen" wieder Schacht an516, und ab Ende 1926 regenerierte sich trotz des offiziellen Verbots weiterer Programmdiskussionen in diesem „Theorieorgan" allmählich immer offener wieder die ganze Palette der Strasser-Themen517; daraufhin wurde den „Nationalsozialistischen Briefen" (im Unterschied zu den Massenblättern des „Kampfverlags", die als parteioffizielle Gauorgane erschienen und daher neben dem kampfverlagseigenen Symbol, Hammer und Schwert über einem Hakenkreuz, das NSDAP-Emblem führen durften 518 ) am 23. April 1927 in einer Verlautbarung der Münchener Parteileitung der Charakter eines parteiamtlichen Organs abgesprochen und „nur der von Diskussionsmaterial bzw. wissenschaftlichen Abhandlungen" zuerkannt.519 Hitler - und so offenbar doch wohl auch der ihn abdeckende Münchener Kreis - stieß sich an solchen Symptomen wiederaufglimmenden Orientierungs-Streits auffallenderweise aber doch immerhin so wenig, daß er z. B. Ende 1926 auf Gregor Strassers Empfehlung hin dessen unter ihm bis zum stellvertretenden Gauleiter des Gaues Niederbayern-Oberpfalz und dann des Gaues Oberbayern-Schwaben aufgestiegenen einstigen Landshuter Sekretär und niederbayrischen Gau-Geschäftsführer Heinrich Himmler, mit dem vor allem Otto Strasser befreundet war520, zum stellvertretenden Leiter der Propagandaabteilung der NSDAP-Reichsleitung machte und 1927 dann auch zum stellvertretenden „Reichsführer SS"521. Himmler übte außer seinen NSDAP-Funktionen auch noch das ihm mindestens ebenso viel bedeutende Amt des bayrischen Gauführers der „Artamanen" aus, deren Spezialität darin bestand, vor der „Slawen"-Vertreibung im Ostraum, der ihr ganzes Schwärmen und Sinnen galt, zur Einstimmung schon einmal zu Hause das „Siedeln auf eigener Scholle" zu üben, und deren auch für Himmler prägend werdende ideologische Autorität der „Blut- und Boden" Demagoge Walther Darre war, der spätere „Reichsbauernführer", Exekutor des „Erbhof"-Gesetzes und Chef des „Rasse- und Siedlungsamts" der SS.522 Hitler holte also einen ihm von Gregor Strasser empfohlenen unmittelbaren Freund Otto Strassers, der zudem 1924 mit Gregor Strasser in die „Nationalsozialistische Freiheitspartei" übergetreten und erst dann zur NSDAP zurückgekehrt war523, in zwei der sicherheitsheikelsten Vertrauensstellungen: zum einen in die Propaganda-Abteilung, aus der er einst selbst 125
zur Spitze aufgestiegen war und deren Metier und Funktion er so gut kannte, daß er wohl niemals jemandem Einfluß in ihr gewährt hätte, dessen Leumundszeugen er im Verdacht hatte, etwa selber in West- und Norddeutschland etwas anderes als nur metiergerechte Demagogie im parteieigenen Richtungssinne zu betreiben; und zum anderen in die Leitung der nicht zuletzt doch gerade auch zu seinem eigenen operativen Schutz in den parteiinternen Rivalitätskämpfen geschaffenen SS zu einem Zeitpunkt, da Himmlers Vertrauensverhältnis zu Otto Strasser noch so ungebrochen eng war, daß er ihm seinerseits, dessen eigenem Bekunden nach, dann die Übernahme des Kommandos über einen norddeutschen SS-Bereich 524
antrug. Binnen kaum einem Jahr war aufgrund der dynamischeren Parteientwicklung in Norddeutschland, Gregor Strassers dadurch nur noch gewachsenem Gewicht in der Gesamtpartei und vor allem auch solch zugleich verbürgt starker Vertrauensstellung der beiden Strassers bei Hitler die innerparteiliche Position der Strasser-Richtung, ganz zuwider den Intentionen der ihr nach Bamberg geltenden Maßnahmen, um so vieles verbessert und aussichtsreicher geworden, daß Anfang 1927 nunmehr auch der Graf Ernst v. Reventlow aus der Deutschvölkischen Freiheitspartei zur N S D A P übertrat 525 . In ihr begann er sofort, engstens mit Otto Strasser zusammenzuarbeiten. Ihm folgte im November 1927 schließlich sogar, nach weiteren deutschvölkischen Reichstagsabgeordneten (wie etwa Franz Stöhr 526 ), Constantin Hierl, der bisherige Organisator des Versuchs, das von Hitler abgelehnte Röhm-Ludendorffsche Projekt eines völkischen Wehrverbands-Zusammenschlusses ohne die SA unter Ludendorffs Führung aufzuziehen 527 ; hier, in der NSDAP, wurde er dann drei Jahre später, nach deren erstem ruckartigen Stimmenanstieg in den Septemberwahlen 1930, von Hitler mit dem Aufbau jener „Organisationsabteilung II" bei der Münchener NSDAP-Reichsleitung beauftragt, in deren Rahmen und Verantwortung die „Wirtschaftspolitische Abteilung" unter Otto Wagener entstand 528 (und danach, in Ressortaufteilung, unter Funk und Feder), die sich in den beiden folgenden Jahren 1931/32 - insbesondere nach Gregor Strassers Ernennung zum „Reichsorganisationsleiter" der NSDAP im Juni 1932 und seiner umgehenden unmittelbaren personalpolitischen Einflußnahme auf sie - zur innerparteilichen Hauptbastion der Strasser-Richtung entwickelte. Wer meinen sollte, daß sich doch aber nun, von der gekräftigte126
ren innerparteilichen Position ab etwa 1927 oder auch später her, wohl von bloßer völkischer Demagogie abweichende, in irgendwelchen Punkten substantiell „ehrliche" und insoweit - im Vergleich etwa zu Hitler - auch „linkere" Sozialismus-Vorstellungen der Strasserianer gezeigt hätten, dem kann nur entgegengehalten werden, was in ihren Veröffentlichungen dieser Jahre tatsächlich zu lesen stand. Es sei vorausgeschickt und nachgetragen, daß bereits das „Bamberger Programm" einen Abschnitt „Kulturpolitik" enthielt, dessen erster Punkt „Judenfrage" lautete und in seinem ersten Forderungs-Passus verlangte: „Sämtliche nach dem 1. August 1914 eingewanderte Juden sind mit sechsmonatiger Frist des Landes zu verweisen"; in seinem zweiten Passus dann: „Sämtliche seit dem 18. Januar 1871 der mosaischen Religion angehörigen oder von solchen Ascendenten abstammenden bisherigen Staatsbürger werden als Ausländer (Palästiner) erklärt"; im dritten Passus: solche Ausländer dürften „weder wahlberechtigt noch wählbar" sein und „nicht Beamte werden"; und im anschließenden Abschnitt „Presse" wird das dann noch um die wieder nicht vorbildlose Forderung ergänzt: „Besitzer und Schriftleiter" von Zeitungen „dürfen nur deutsche Reichsangehörige sein". 529 Hier nun eine Kostprobe aus den am allerwenigsten von allen Strasser-Publikationen zu Rücksichtnahmen auf die offizielle Hitlersche oder „Münchener" Linie angehaltenen, ja geradezu ausdrücklich durch ihre Abwertung zum nur „unverbindlichen Diskussionsorgan" von ihnen entbundenen „Nationalsozialistischen Briefen": eine in ihnen im Juni 1927 erschienene große katechismusartige, für sich selbst die Bezeichnung „Programmatik" beanspruchende zweiteilige Abhandlung unter der Uberschrift „Was will der Nationalsozialismus?", verfaßt von Dietrich Klagges, der später zu einem der wichtigsten Programmatiker in Otto Wageners „Wirtschaftspolitischer Abteilung" der NSDAP-Reichsleitung (als Leiter wiederum ihrer „Wirtschaftswissenschaftlichen Abteilung") wurde. 530 Die Auswahl-Stelle sei begrenzt auf die Frage nach der in dieser „Nationalsozialismus"-Darstellung artikulierten KapitalismusKritik. Einleitend wird - was nun allerdings, um sie in ihrem Argumentationszusammenhang zu verdeutlichen, miterwähnt werden muß - nur wiederum das obligate Bekenntnis zum Lebenskampf um Raum mit einer Begründung abgelegt, vor der sich die 127
Respektierung von Grenzen aus einer Völkerrechtsfrage in eine Frage des bloßen Rechtes der Kraft resp. der eigenen Krafteinschätzung verwandelt („Eine Nation hat gesunde äußere Lebensbedingungen, wenn sie einen freien, starken, alle geschlossen wohnenden Volksgenossen umfassenden Nationalstaat bildet und außerdem soviel Raum und Entfaltungsmöglichkeit besitzt, wie es ihrem kulturellen Werte und ihren inneren Wachstumskräften entspricht"); und nach der Verneinung der Frage, ob für die Deutschen diese gesunden äußeren Lebensbedingungen heute erfüllt seien („Nein, sie sind in keiner Weise erfüllt. Deutschland ist nicht frei, es ist eine Kolonie des Feindbundes"), wird als der daran schuldige Feind das Bild „des jüdischen Bank- und Börsenpolypen" entrollt („denn dieser, nicht der Feindbund, ist der eigentliche Ursacher und Nutznießer unseres Elends"); und als der Schuldige daran, daß es der deutschen Nation auch an den „gesunden innere(n) Lebensbedingungen" gebricht (die erst gegeben seien, „wenn sie eine wirkliche Volksgemeinschaft bildet, d.h. wenn Eintracht und Frieden zwischen allen ihren Gliedern herrschen"), wird die „Herrschaft der liberal-kapitalistischen Staatsund Wirtschaftsanarchie" ausgemacht. Danach setzt dann die Kapitalismus-Kritik mit lapidaren Anklage-Sätzen ein wie: „Kapitalismus ist planmäßiger Mißbrauch des Eigentums an den Produktionsmitteln..."; oder: „Er häufte Reichtum und Besitz in den Händen der Raffer und stürzte die Schaffer in Armut und Elend"; oder, nun den Anschluß an das anfängliche Kampf-um-RaumMotiv und das aus ihm rührende Verlangen nach der geschlossenen Kampfnation wiederherstellend: „Es war der Kapitalismus, der die Nation durch die Unterdrückung der schaffenden Arbeit nach innen friedlos, nach außen wehrlos machte". Erst der diesen Präludiums-Sätzen folgende Abschnitt „Welches sind die hauptsächlichsten kapitalistischen Mißbräuche im Lichte des Nationalsozialismus?" enthält aber so etwas wie einen indirekt formulierten Katalog dessen, was es folglich am Kapitalismus als dessen „Mißbräuche" nun abzuschaffen gelte. Und dieser Katalog liest sich so: „1. Die Konzentrierung der Geld- und Kreditmacht in der Hand des internationalen Judentums. 2. Die Preisgabe des Eigentums an den industriellen Produktionsmitteln an das international-jüdische Bank- und Börsenkapital. 3. Die Verschuldung des Grund und Bodens sowie der Gebäude an dieselben jüdischen Geldfürsten..." 5 3 1 128
Genügt das vielleicht, um die Frage, ob wir es hier mit demagogischem oder „aber doch irgendwie ehrlichem" Antikapitalismus zu tun haben, nicht weiter diskutieren zu müssen? Oder, um nur ein einziges Mal den Original-Stimmklang von Gregor Strasser einzublenden, hier ein für die Strasser-Richtung paradigmatisches Zitat, das sich durch alle ihre Manifestationen wie ein roter Faden und Leitmotiv als weltanschaulich-politische Grundposition hindurchzieht und in ihnen in nur jeweils mehr oder minder expliziter Form und variierter Wortwahl wiederzufinden ist, - ein Zitat aus einem Artikel Gregor Strassers vom Juli 1927 in den „Nationalsozialistischen Briefen". Der Artikel beginnt mit den donnernden Worten „Wir sind Sozialisten, sind Feinde, Todfeinde des heutigen kapitalistischen Wirtschaftssystems...", um im weiteren Verlaufe dann jedwede Möglichkeit von nur irgendwie diesen Namen nicht zur bloßen Farce und Spottkappe fürs Volk machenden Sozialismus gerade schon vom Gedanken her, in wahrhaft radikal-prinzipieller Weise, wie folgt zu konterkarieren: „Tief wurzelnd im organischen Leben haben wir erkannt, daß der Irrwahn von der Gleichheit der Menschen die tödliche Bedrohung ist, mit der der Liberalismus Volk und Nation, Kultur und Moral zerstört und so an den Urgründen des Seins sich vergreift! Das rationale Denken frißt die Grundlage des Lebens selber an, zerstört das Blut, zerstört die heilige Ordnung, die im Abstand begründet ist, den die Ungleichheit der Menschen schafft.. ." 532 Wenn von solch programmatischem Bekenntnis zur Ungleichheit aus, aus dem dann die „Forderung nach ungleicher Verteilung der Rechte je nach der Leistung am Staat" abgeleitet wird mit der Begründung, daß „die Unterschiede der Menschen und die Unterschiede der Rechte - Unterschiede der Leistungen sind, Unterschiede des Grades an Verantwortung, Unterschiede, die von Gott stammen und heilig sind!!", dann aber „die Befreiung des deutschen Arbeiters" durch „unser(en) nationale(n) Sozialismus" verkündet wird, die „sich auch erstrecken soll auf Anteil am Gewinn, Anteil am Besitz und Anteil an der Leistung!!" (wohlgemerkt, Leistung, nicht Leitung) 533 , dann liegt wohl auf der Hand: Es handelt sich hier nicht um eine Sozialismus-Variante, sondern um jenes Fliegenleimkonzept gerade der großen Konzerne, das die Arbeiter fest an sie binden und zugleich noch mit einem auch eigenen freudigen Gefühl lebenslänglicher Interessenverbundenheit mit ihnen und mit Dankesschuld gegen sie erfüllen soll. 129
Oder, um nur auch einen Blick auf den faschistischen Maskulinismus zu werfen, der in der Strasser-Richtung nicht weniger obligat war als in der Hitlerschen: „Gregor Strasser trat zunächst noch dafür ein", den Frauen „ein nach ihren Leistungen in der Mutterschaft gestuftes Wahlrecht zu geben, doch setzte sich dann in der Strasser-Presse die Auffassung durch, daß die Frauen im politischen Bereich überhaupt nichts zu suchen hätten. ,Die Frauen sind ganz Gefühl, und dieser i h r . . . Lebenskreis geht nie über die Mauern des Hauses, der Familie hinaus... Es gibt keine politische Frau'." 534 Im Jahre 1929 aber begannen nun die bislang latenten innerparteilichen politischen Richtungsgegensätze, die auf der Ebene der Sozialismusdemagogie oder Einstellung zum Sozialismus also nun wahrhaftig nicht lagen, aufgrund außerparteilich sich abzeichnender einschneidender innenpolitischer Gesamtentwicklungen dem Zwang zu eindeutiger praktischer Kursentscheidung der NSDAP und damit unvermeidlichen Kämpfen zuzutreiben. Ostern 1929 hatte Schleicher Heinrich Brüning in einer vertraulichen Unterredung den mit Hindenburg verabredeten und als dessen Wunsch vorgetragenen Plan mitgeteilt, die amtierende Regierung der Großen Koalition unter Hermann Müller nach Unterzeichnung des Young-Plans, die sie noch auf ihre Schultern nehmen solle, zu stürzen und ihr ein nicht mehr parlamentarisch, sondern nur auf das Notverordnungsrecht des Reichspräsidenten gestütztes Präsidialkabinett folgen zu lassen; dieses sollte sich als Übergangskabinett zur Wiedereinführung der Monarchie verstehen und seine Aufgabe in der Formierung der „nationalen" Kräfte zu einer ausreichend breiten politischen Trägerbasis für sie sehen. Zugleich ließ Schleicher Brüning wissen, daß sich Hindenburg mit seinem Vorschlag, ihn - Brüning - als den hierfür geeigneten Mann mit der Führung eines solchen Kabinetts zu betrauen, einverstanden erklärt habe. 535 Seither ging Brüning, in ganz solidaristischer Manier quer die Parteien durchmusternd und dabei den Blick, nicht ganz Hindenburgs Wunsch entsprechend, bis in die SPD richtend 536 , an die Sondierung der Kräfte. Auf der Rechten hatte er von vornherein auch die NSDAP im Visier; sie war 1929 von ihrer Reichstagsgröße her zwar noch eine 2,6 %-Partei, doch mit kritischerer Wirtschaftslage von spürbarer Aufschwungstendenz; und nach den Septemberwahlen 1930 dann, als ihr gerade Brünings niederträchtige Notverordnungspolitik den hellen Volkszorn zuge130
trieben und zum ruckartigen Hochschnellen auf 18,6% verholfen hatte, war sie auf einmal das von allen DiktaturinteressentenLagern zentral umkämpfte Potential, denn dieses Potential war nun für sie alle das jeweils ausschlaggebende. (Brünings erste Konsequenz aus dem NSDAP-Wahlerfolg vom 19. September 1930 war denn auch ein vertrauliches Treffen mit Hitler, Frick und Gregor Strasser am 6. Oktober 1930, in dem er Hitler den Gesamtplan seiner Politik rückhaltlos aufdeckte und ihm auf dieser Grundlage Zusammenarbeit „in loyaler Weise, erst versteckt und dann offen" vorschlug.537 Aufgrund der starken Stellung der Strasser-Richtung in der NSDAP und auch Gregor Strassers bei Hitler (die ein Jahr später dann sichtbar aus Hitlers Flankierung beim Brüning-Treffen durch ihn und Frick, einen der ältesten Strasser-Vertrauten538, hervorging) waren die Aussichten keineswegs gering, die NSDAP, möglicherweise und günstigstenfalls sogar einschließlich Hitlers, in die massenpolitische Abstützungsbasis und Aktivträgerschaft einer „nationalen Diktatur" monarchistischer Verbrämung aus Schleicherscher Retorte miteinbinden und sie hierfür gewinnen zu können.539 Selbstverständlich war aber für dieses Konzept einer Diktatur der hinter Schleicher und Brüning stehenden Kreise des Monopolkapitals nicht gewinnbar und etwa zu Mithilfe bei der Bildung einer Massenbasis für sie überredbar deren erbittertster monopolkapitalistischer Gegenspieler: der Schacht-Thyssen-Flügel des Ruhrkapitals. Seine Repräsentanz in der NSDAP mußte dann also entweder abgehängt oder überspielt, jedenfalls in ihrem Einfluß zurückgedrängt und vor allem bei Hitler ausmanövriert werden. Ab Mai 1929 ging die „Kampfverlags"-Presse in Zusammenhang mit der allgemeinen propagandistischen Mobilisierung des Rechtslagers gegen die Young-Plan-Unterzeichnung zu einer scharfen Agitationskampagne gegen Hugenberg, die Deutschnationale Volkspartei, den Stahlhelm und im allgemeinen gegen „die Sozialreaktionäre" über 540 ; die lauthals ihnen allen entgegengeschleuderte Anklage, „Handlanger der amerikanischen Finanz" zu sein und die Gemeinsamkeit „zwischen deutscher und amerikanischer Bourgeoisie" der „Bindung... an das nationale Schicksal" vorzuziehen541, zielte unüberhörbar und auch schon in der Sache selbst liegend auf Schacht, den Protektor des Young-Plans. Am 1. August 1929 startete Otto Strasser mit der Veröffentlichung seiner 131
„14 Thesen der Deutschen Revolution" in den „Nationalsozialistischen Briefen" die zweite Programmatik-Offensive der Strasserianer. A u f der anderen Seite jedoch war vor allem H e r m a n n G ö r i n g , der engste Beziehungen zur Ruhrindustrie unterhielt und seit seiner Rückkehr aus dem Exil (in das er nach dem Münchener N o v e m b e r p u t s c h zwecks Strafentzugs flüchtete) zur stärksten Säule des Schacht-Thyssen-Flügels in Hitlers nächster U m g e b u n g geworden war, fest entschlossen, angesichts der sich jetzt vor der N S D A P auftuenden Weggabelungen den K a m p f mit der in ihrem Einfluß immer weiter vorgedrungenen Strasser-Richtung u m Hitler aufzunehmen. O t t o Strassers „14 Thesen der Deutschen Revolution" enthalten nichts, was uns jetzt noch neu wäre. Aber doch sind sie nun, vor dem Hintergrunde einer aktuell in den Blick kommenden K u r s nahme vor allem des Chemie- und Elektroflügels im Monopolkapital (und natürlich auch der anderen mit ihm zusammenhängenden und hinter Brüning und Schleicher stehenden Kapitalkreise) auf den Ü b e r g a n g zu einer Kriegsvorbereitungs-Diktatur, für die es die eigene Partei zu gewinnen galt, zu erheblich größerer Deutlichkeit und nun auch unverhohlenerer Kriegsorientierung zugespitzt. Hier die Kernstellen: „Die deutsche Revolution proklamiert die Freiheit der Deutschen Nation in einem starken, alle deutschen Stämme des mitteleuropäischen Siedlungsraumes umfassenden deutschen Staat, der von Memel bis Straßburg, von Eupen bis Wien (man beachte, vor dem Hintergrund des MonopolgruppenKampfs um diese Fragen, wo jeweils halt gemacht wird, R. O.) die Deutschen des Mutterlandes und der unerlösten Gebiete umfaßt und kraft seiner Größe und Fähigkeit das Ruckgrat und Herz des weißen Europa bildet." „Die Deutsche Revolution lehnt es ab, über fremde Völker und Nationen zu herrschen und sie auszubeuten; sie will nicht mehr und nicht weniger als genügend Lebensraum für die junge Nation der Deutschen - und soweit die Erfüllung dieses tiefsten Urrechtes des Lebens mit dem gleichen Recht anderer Völker und Nationen in Gegensatz gerät, erkennt sie die Entscheidung des Krieges als den Willen des Schicksals an." „Die Deutsche Revolution erklärt als den einzigen Zweck des Staates die Zusammenfassung aller Kräfte der Nation, die einheitliche Einsetzung dieser Kräfte zur Sicherstellung des Lebens und der Zukunft dieser Nation und bejaht jedes Mittel, das diesen Zweck fördert, und verneint jedes Mittel, das ihn hindert." „Die Deutsche Revolution fordert daher die schroffste Ausgestaltung der Staatsgewalt gegen alle einheitszerstörenden oder störenden Bildungen staatlicher, parteilicher oder konfessioneller A r t . . . " „Die Deutsche Revolution sieht" das „Wohl der Nation nicht in der Häufung materieller Werte, nicht in einer uferlosen Steigerung des Lebens132
Standards, sondern ausschließlich in der Gesundung und Gesundhaltung jenes gottgewollten Organismus der Nation, auf daß dieser deutschen Nation die Erfüllung der ihr vom Schicksal gestellten Aufgabe möglich ist." „Die Deutsche Revolution sieht diese Aufgabe in der vollen Entfaltung jener einmaligen völkischen Eigenart und kämpft daher mit allen Mitteln gegen rassische Entartung, kulturelle Überfremdung, für völkische Erneuerung und Reinhaltung, für deutsche Kultur. Im besonderen gilt dieser Kampf dem Judentum, das im Verein mit den überstaatlichen Mächten der Freimaurerei und des Ultramontanismus teils aus Artzwang, teils aus Willen das Leben der deutschen Seele zerstört." (Man sieht, die Fusion mit Ludendorffs Deutschvölkischen schlägt nun ideologisch durch.) „Die Deutsche Revolution kämpft daher auch gegen die Herrschaft des jüdisch-römischen Rechtes, für ein deutsches Recht, d a s . . . bewußt die Ungleichheit der Menschen bejaht..." „Die Deutsche Revolution stürzt das Weltbild der Großen Französischen Revolution und formt das Gesicht des 20. Jahrhunderts..." „ . . . um dieser Nation willen (der deutschen nämlich, um derentwillen sie allein, wie es zuvor heißt, .nationalistisch', sozialistisch' und ,völkisch' sei, R. O.) scheut die Deutsche Revolution vor keinem Kampf zurück, ist i h r . . . kein Krieg zu blutig." 542
Am 12. Dezember 1929 hatten sich alle Fraktionen des deutschen Monopolkapitals auf einer Außerordentlichen Mitgliederversammlung des Reichsverbandes der Deutschen Industrie für die Durchsetzung eines zuvor (am 2. Dezember) vom Reichsverband in Form einer Denkschrift unter dem Titel „Aufstieg oder Niedergang?" veröffentlichten Programms der Steuersenkungen für die Unternehmen bei zugleich drastischer Erhöhung der Massenverbrauchssteuern, rigorosem Sozialleistungsabbau und Beseitigung der Tarifvertragsbindung der Löhne ausgesprochen; in völliger Einmütigkeit war konstatiert worden, daß dieses Programm „unter einem parlamentarischen Regime nicht durchführbar ist und deshalb auf die Ausschaltung des Reichstages Kurs genommen werden soll." 543 Alle Kapitalfraktionen drängten nunmehr also zur Diktatur. Damit aber begann unter ihnen selbst nun auch die Phase des Wettlaufs darum, wessen Diktatur es würde, und diese Frage entschied sich daran, welchem Kapital-Lager es gelingen würde, für seine Diktatur eine tragfähige Basis zusammenzubekommen. Es hing in diesem Wettlauf um die eigene Diktatur bzw. doch führende, konzeptionsbestimmende Rolle in einer solchen Diktatur also nun alles davon ab, wer sich aus den nur in Frage kommenden „nationalen" Massenpotentialen den größten Teil für sich zu sichern und ihn zuverlässig hinter sein Diktaturkonzept und dessen Repräsentanten zu bringen versteht, was die Flügelkämpfe in den bürgerli133
chen Parteien zu ihrem äußersten Siedepunkt und in eine Art akutes Endschlacht-Stadium treiben mußte. Das Lager der innerparteilichen Strasser-Gegner um Göring 544 ging zum Angriff auf die Strasser-Richtung über. Er intervenierte bei Hitler gegen das Hauptinstrument der Strasser-Fraktion, die „Kampfverlags" -Presse, und verlangte ihre Unterstellung unter die Weisungsgewalt der Parteileitung. Am 21. Mai 1930 bat Hitler Otto Strasser zu einem Gespräch ins Berliner Hotel Sanssouci und bot ihm, nach Strassers Angaben, den Abkauf des „Kampf-Verlags" durch die Partei an, was Strasser, in Anwesenheit seines Bruders, ablehnte. 545 Graf Ernst v. Reventlow, der ostpreußische Gauleiter Koch und andere Parteigänger Strassers faßten in den nächsten Wochen „für den Fall, daß die Parteileitung gegen den Kampfverlag vorgehen sollte", die Gründung einer „Unabhängigen Nationalsozialistischen Partei", gemeinsam mit der „Gruppe Sozialrevolutionärer Nationalisten (GSRN)" ins Auge; die GSRN hatte sich soeben, an dem der zweitägigen Berliner Hitler-StrasserUnterredung folgenden Pfingstwochenende, um Karl Otto Paetel gebildet, am Tage darauf mit Reventlow Kontakt aufgenommen und sich bereit gezeigt, Otto Strassers „14 Thesen der Deutschen Revolution" als zumindest vorläufige gemeinsame Programmplattform zu akzeptieren. Reventlow soll aber auch, nach Paetel, seine Bereitschaft versichert haben, „beim Ausschluß des ersten Kampfverlags-Redakteurs demonstrativ die Herausgeberschaft der gesamten Kampfverlags-Presse zu übernehmen". 546 Im Verlaufe des Juni 1930 läßt Goebbels, der sich auf seinem Posten als Berliner Gauleiter seit 1926 vorzugsweise (wenn auch, was Otto Strasser nicht hinzusagt, wohl noch immer sorgfältig die jeweilige Kräftelage taxierend) als Exekutor des Münchener Parteileitungs-Willens in Berlin verhielt, Maßnahmen gegen StrasserBlätter und einzelne Strasserianer in Berlin ergreifen. Am 30. Juni 1930 zieht er auf einer Gaumitgliederversammlung des NSDAPGaues Berlin nach einer „Schimpfkanonade gegen die ,Literaten' und ,Salonbolschewisten'" einen Brief Hitlers aus der Tasche, in dem die von ihm der Versammlung verlesene Aufforderung an ihn enthalten ist, „den Gau von diesen Elementen zu befreien". 547 Und nun wiederholen sich die Ablaufmuster von 1920 (bei Otto Strassers Ausscheiden aus der SPD) und, was Gregor Strasser betrifft, von 1925 (Aussöhnung mit Hitler durch Rückzug vom Projekt der Fusionspartei) und von 1926 (Bamberg). 134
Otto Strassers Position war mit Hitlers Aufforderung an Goebbels, gegen ihn und die „Kampfverlag"-Mitarbeiter vorzugehen, in der NSDAP unhaltbar geworden. 548 Vier Tage später, am 4. Juli 1930, verläßt er sie von sich aus mit dem Ruf und dem in der „Kampfverlags"-Presse erscheinenden - eben so überschriebenen Manifest „Die Sozialisten verlassen die NSDAP". 549 Aber weder Gregor Strasser noch der Graf Reventlow, noch irgendeiner der Gauleiter oder sonstigen Strasser-Anhänger in einer einflußreicheren Parteiposition folgt ihm. Und man begreift von heute her gut, warum nicht. Erst zweieinhalb Jahre später, Ende 1932, kommt es zur Kulmination der Flügel-Kämpfe und zur tatsächlichen Entscheidungsschlacht in der Frage des Einbringens der NSDAP ins Lager der hinter Schleicher stehenden Diktaturund Kapitalkreise, die zu dieser Zeit dann von ihm selbst, nach Brünings Sturz und Papens Desaster, im Rampenlicht des BühnenVordergrunds als Reichskanzler-General repräsentiert wurden. Und alle gewichtigeren Gefolgsleute Gregor Strassers verfügten im Jahre 1930, mit Ausnahme des nun in die Schußlinie geratenen engeren „Kampfverlags"-Mitarbeiterkreises um Otto Strasser, noch über durchaus gute Aussichten, ihren Einfluß in der NSDAP weiter auszubauen. Gregor Strasser brachte die sofortige Distanzierung von seinem Bruder sogar eine weitere Häufung seiner Einflußpositionen ein; er erreicht im Juli des entscheidenden Jahres 1932, als ihn Hitler zum „Reichsorganisationsleiter" ernennt, den Höhepunkt seiner Machtstellung - wenige Monate, bevor der endgültige Kampf ausbricht, den er ja dann auch fast gewinnt. Daher aber verließen im Sommer 1930 auch nur diejenigen Strasserianer die NSDAP, die sich schon zu dieser Zeit in den ideologischen Vorfeld-Kampagnen verkämpft und so sehr zur Zielscheibe konzentrierten Gegenfeuers gemacht hatten, daß sie nicht mehr zu halten waren. Dem insgesamt 25 Personen zählenden Fähnlein, das da unter der großen Fahne „die Sozialisten" am 4. Juli 1930 mit Otto Strasser als Führer aus der NSDAP auszog, gehörten außer Otto Strassers engstem Ko-Ideologen Herbert Blank und einigen weiteren, z. T. von Goebbels kurz vorher in Parteiausschluß-Verfahren verwickelten „Kampfverlags"-Mitarbeitern sowie örtlichen Berliner NSDAP-Führern vor allem, als bemerkenswertere Insider der faschistischen Szene, an: der einstige Organisator der „Schwarzen Reichswehr" (und zu dieser Zeit Schleicher-Intimus) sowie auch 135
Initiator des „Küstriner Putsches" vom Oktober 1923, Major Bruno Ernst Buchrucker; Gregor Strassers Schwiegersohn Alfred Franke-Gricksch; der schlesische Führer der „Revolutionären Bauernbewegung", Richard Schapke; und der damalige Leiter der nationalsozialistischen Führerschulen Brandenburg, Willem Korn.550 Diese kleine Sezessionistengruppe erweiterte sich um „Leute vom ,Stahlhelm', vom ,Wehrwolf' und vom Jungdeutschen Orden'", um „Artamanen", Gruppen der von Claus Heim von Schleswig aus geführten „Revolutionären Bauernbewegung" (zu der aus dem Sezessionisten-Kreis Schapke gehörte und die Otto Strasser selbst, lobend, „gefürchtete Kämpfer,... bekannt für ihre Geschicklichkeit im Bombenlegen und ihre Unerschrockenheit" nennt) und wurde gestützt vom „Tat"-Kreis um Hans Zehrer und Ferdinand Fried 551 ; der „Tat"-Kreis wird dann bekanntlich zwei Jahre später zum ghostwriter- und Programmatiker-Kreis Schleichers. Otto Strasser hebt insbesondere Fried, den „hervorragenden Schriftsteller" und inzwischen nun „einzige(n) und wichtigste(n) Helfer des Ministers Darre", hervor. 552 Im Mai 1932 ist übrigens dann wiederum der Verfasser der berühmten Reichstagsrede Gregor Strassers zum „wirtschaftlichen Sofortprogramm", die der Grundlegung der „Querfront" dienen sollte: der „Tat"-Redakteur Hellmuth Elbrechter. 553 Mit dieser Gruppe gründeten Otto Strasser und Major Buchrucker die „Kampfgemeinschaft Revolutionärer Nationalsozialisten", die sich im Herbst 1931 dann mit dem „Bund Oberland", der „Nationalsozialistischen Kampfbewegung" von Stennes und dem „Landvolkbund" zur „Schwarzen Front" zusammenschloß 554 , sich als „Schule der Offiziere und Unteroffiziere der deutschen Revolution" verstand, zu ihrem Abzeichen das Strasser-Symbol Hammer und Schwert wählte, das „Heil Hitler" durch „Heil Deutschland" ersetzte, in ihrem Kreise „Die Tat" las und sie in der Reichswehr verbreiten half (sich freilich daneben auch bald ihr eigenes Organ, „Die deutsche Revolution", ab September 1931 „Die Schwarze Front", schuf); als „Schwarze Front" organisierte sie sich dann in „Ringen", denen die Mitglieder der Schwarzen Front „in verschiedenen Graden" angehörten, „ähnlich wie es in den Freimaurerlogen der Fall ist". Auch ihre geheimen Zusammenkünfte nannte sie „Ringe" und unterhielt, laut Otto Strasser, „,Ringe' in allen größeren Städten, in denen eine wichtige Garnison lag, und in allen Industriezentren". 555 136
Vom NSDAP-Auszug Otto Strassers im Juli 1930 mit diesem Resultat geht nun aber gerade in Kreise der politischen Linken hinein bis heute der Ruf des doch nun aber geradezu untrüglichen, da ja gleichsam faktischen, durch den Trennungsschritt besiegelten Beweises einer „sozialistischeren" Einstellung Strassers und der Strasser-Richtung aus, - während die sich ihm Anschließenden, wie ein Blick auf sie zeigt, doch wohl alle ganz gut verstanden hatten, was er meinte. Dabei hinterließ diese Richtung gerade jetzt eindeutige Dokumente ihrer Einstellung - denn sie mußte sich ja nun, um erneut, nun von außerhalb der NSDAP, mobilisieren zu können, auch erneut artikulieren. Tatsächlich war dies, die Situation nach dem offenen Bruch und der organisatorischen Trennung, ja der Augenblick, wo sich ein bislang vielleicht nur in „Sklavensprache" behutsam in die Parteiöffentlichkeit in nicht allzu auffälligen Dosen eingeschmuggelter und auf das Anschlagen der ausgeworfenen Keime in der Parteibasis hoffender „Sozialismus" nun ohne weitere Selbsttarnungs-Rücksichten ungebrochen und klar hätte äußern können und hätte äußern müssen. Die beiden Hauptmanifestationen, die am Anfang des Weges der Gruppe Otto Strasser in die „Kampfgemeinschaft Revolutionärer Nationalsozialisten" und in die „Schwarze Front" als programmatische Bekundungen stehen und für die „Schwarze Front", wie alle deren spätere Verlautbarungen bestätigen, programmatisch bleiben, sind auch durchaus klar - nur eben, dieser ihr klarer Inhalt sind Otto Strassers „14 Thesen der Deutschen Revolution". Das gilt (von den Artikeln in der „Deutschen Revolution" und „Schwarzen Front", die das dann nur unablässig faustdick bestätigen, ganz abgesehen) sowohl vom Aufruf „Die Sozialisten verlassen die NSDAP" wie auch von der schon wenige Tage danach folgenden nächsten - und bis heute immer wieder neu seitens der Strasser-Gruppen hervorgeholten und hoch ins Licht gehaltenen 556 - Publikation programmatischen Anspruchs: Otto Strassers „Ministersessel oder Revolution?" 557 Mit dieser zweiten Publikation hat es nun aber doch eine besondere Bewandtnis, sie soll zur Sprache gebracht werden, weil die über sie von Otto Strasser selbst ausgegebene Version sich fast notorisch überall wie bare Münze wiederberichtet findet, ihr damit aber ein Authentizitätswert auf einer Ebene zugeschrieben wird, auf der er ihr wohl gerade nicht zukommen dürfte, und diejenige 137
Ebene jedoch, auf der sie ohne Zweifel von authentischem Zeugniswert ist und also auch lehrreich sein kann, darüber gerade meist völlig aus dem Blick gerät. Otto Strasser gibt in dieser Publikation vor, mit ihr nichts anderes zu veröffentlichen als die von ihm verfertigten GedächtnisWiedergaben seiner sich über zwei Tage hinziehenden, wenig später in die Trennung mündenden großen Schluß-Aussprache und Konfrontation mit Hitler im Hotel Sanssouci am 21./22. Mai 1930. Da er diese Gedächtnisprotokolle von vier Gesinnungsfreunden hat unterzeichnen lassen, die mit ihrer Unterschrift bestätigen, daß ihnen Otto Strasser unmittelbar nach jeweiliger Beendung der beiden Tagesgespräche mit Hitler deren Ablauf in ihrem Kreise mündlich eben so, wie nun hier schriftlich niedergelegt, berichtet habe, gelten auch manchem Historiker diese Niederschriften als nicht anzweifelbar. Doch alle vier Unterzeichner gehörten zu dem kleinen Kreise der am 4. Juli gemeinsam mit Otto Strasser aus der NSDAP Ausziehenden, und sie unterzeichneten am 2. Juni, zu einem Zeitpunkt, da bezeugterweise ein solcher Trennungsschritt, nämlich gerade vom Tage nach diesen Gesprächen an, schon ganze zwei Wochen lang in dieser engsten Vertrauten-Runde zur Erwägung stand;-Otto Strasser selbst erwähnt in anderem Zusammenhang, daß er diese Gesprächsnotizen in Blick auf den abzusehenden Tag des Bruchs und offenen Kampfes angefertigt habe, er im übrigen im Juni auch bereits gemeinsam mit Herbert Blank und Buchrucker das „Manifest" ausarbeitete. 558 In einer solchen Situation stand den schon zu irgendeiner selbständigen Organisationsgründung Entschlossenen aber natürlich vor allem die Frage der überzeugenden und zugkräftigen Rechtfertigung eines solchen Schrittes und der möglichst wirksamen Mobilisierung für ihre eigene Konkurrenzunternehmung vor Augen. Wirft man einen genaueren Blick in diese „Protokolle", dann bestätigt sich ihre nach außen gerichtete Werbefunktion allenthalben an hunderten von größeren und kleineren Dingen; ihr Aussagewert darüber, was zwischen Otto Strasser und Hitler damals tatsächlich gesprochen worden ist, sackt somit aber auf null zusammen. Jedenfalls - und das ist der Hauptgrund des prinzipiellen Zweifels - ist es völlig unwahrscheinlich und fast undenkbar, daß sich Hitler und Strasser im Beisein nur von so ausgepichten Eingeweihten wie Gregor Strasser, Heß, Amann und dem Kampf138
verlagschef Hinkel 559 , also quasi doch unter vier Augen, zwei Tage lang ernstlich nur in genau jenen Demagogiemustern miteinander unterhalten und sie sich wechselseitig an die Köpfe geworfen haben sollten, die das öffentliche Austragen solcher Auseinandersetzungen freilich - für beide gleichermaßen - erforderlich machte. So plakativ und kundgebungsreif, wie Otto Strasser sich vor Hitler für seinen „Deutschen Sozialismus" geschlagen haben will, sprechen zur Demagogie geschulte Politiker in internen Beratungen und auch bei Auseinandersetzungen mit Mitarbeitern, soll nicht ein groteskes Mißverhältnis zwischen Unterredungszweck und Redestil im Raum aufreißen, wohl fast niemals. Wird man diesen „Protokoll"-Niederschriften also tunlichst keinerlei Aussagewert darüber beizumessen haben, worüber und wie sich Hitler und Otto Strasser damals tatsächlich gestritten haben (womöglich nämlich viel weniger spruchblasenhaft und dafür auf die springenden Punkte kommend), so sind sie jedenfalls aber natürlich, wie ihre demonstrative Veröffentlichung nur bekräftigt, von unmittelbar authentischem Aussagewert darüber, was die Gruppe um Otto Strasser vor der Öffentlichkeit und in die NSDAP hinein als die entscheidenden Streitpunkte dargestellt sehen wollte. Und von daher werden diese angeblichen Protokolle nun doch wieder interessant. Erübrigen wir uns die nochmalige Beschäftigung mit dem Komplex „Deutscher Sozialismus", der natürlich auch hier in den Mittelpunkt gerückt ist, dann bleibt die Markierung eines zweiten Gegensatzes übrig: des außen-(oder expansions-)politischen; bei ihm scheint in ganz anderer Weise als beim ersten, sieht man sich hier die Formulierungen ein wenig länger an, ein realer Konfliktkern durch - auf dem Hintergrunde zumal unserer heutigen Kenntnisse über die damaligen Fronten. Auch er ist natürlich in der obligaten demagogischen Verpackung angesprochen, aber die entscheidende Stelle, an der Strasser den Gegensatz zu Hitler aufreißt, lautet immerhin: „Herr Hitler nahm zwar die Formulierung, daß es in der Außenpolitik nur um das Interesse Deutschlands ginge, auf, erklärte aber, daß eben dieses Interesse Deutschlands ein Zusammengehen mit England erheische, weil es sich darum handle, eine nordisch-germanische Herrschaft über Europa und - im Zusammenhang mit dem nordisch-germanischen Amerika - über die Welt aufzurichten." 560 Da war sie also - eine unmißverständliche Kampfansage an die 139
britische Ausrichtung der Hitlerschen Kriegsbündnis-Konzeption (hier nun gleich, ob nur per polemischer Unterstellung oder nicht, bis zu den USA verlängert), die kriegsbündnispolitische Unterschiedsmarkierung mithin zu Schacht und Thyssen und die Gegnerschaftsansage an sie. Und diesem Gegensatz kam offenbar ein solches Gewicht zu, daß er in eine der Orientierung über die eigene Position und der Sammlung für sie dienende programmatische Publikation Aufnahme fand. Noch aus einem anderen Grunde sind diese vorgeblichen Gesprächs-Protokolle aber instruktiv. Zwar ist das Thema Sozialismusdemagogie wohl schon so ausgiebig erörtert, daß es hier nicht noch einmal aufgegriffen werden soll. Doch vor dem Hintergrunde dieser vorangegangenen Erörterungen erlauben die Gesprächsnotizen Otto Strassers, da sie dialogisch abgefaßt sind, nun auch einmal einen nicht häufig so plastisch sich bietenden Einblick in den Mechanismus sozialismusdemagogisch ausgetragener Richtungskämpfe unter völkischen Gruppen - wie authentisch oder fingiert die Protokolle auch immer sind. Otto Strasser trägt Hitler sein sozialpolitisches und wirtschaftliches Volksformierungs- und innenpolitisches Kriegsausrichtungskonzept vor, von dem wir wissen, daß es das Konzept der Konzerne der damaligen großen Wachstumsindustrien ist, und nennt es: „Deutscher Sozialismus". Das ist seine Sozialismusdemagogie. Hitler weiß natürlich genau, wo dieses Konzept herkommt und deutet dies sogar höhnisch an, wenn er Otto Strasser - was ihn dieser jedenfalls im Text tun läßt dessen „steinreichen Grafen Reventlow" vorhält 561 ; er führt den Gegenangriff nun aber nicht etwa in der Weise, daß er die Herkunft dieses Konzepts aufdeckt, sondern indem er es seinerseits den „reinen Marxismus" nennt und unter dieser Anklage dann (was also wiederum ein Stück seiner Sozialismusdemagogie ist) als „Nationalsozialist" bekämpft. So wird der Interessenkampf zwischen zwei monopolkapitalistischen Gruppierungen in seiner öffentlichen Vortrags- und Außerungsform zu einem Kampf unter Sozialisten (die sich wechselseitig diesen Titel bestreiten) um die richtigere Sozialismusauslegung. Vor solchen Konstellationen kann dann allerdings kaum verwundern, daß sich Otto Strasser, sobald er nun „die Sozialisten" außerhalb der N S D A P zu sammeln begann, vor allem darum besorgt zeigte, daß nicht etwa wirklich welche sich in den „Ringen" seines „Schwarzen Korps" einfinden und in ihnen Einfluß 140
gewinnen. Zugleich mit der Gründung der „Kampfgemeinschaft Revolutionärer Nationalsozialisten" tauchte in seinem Hintergrunde eine Gestalt, bedeckt gehalten, aus ältesten „Solidarier" Zeiten auf, der Zentrumspolitiker Dr. Carl Spiecker, seines Amtes Ministerialdirektor und „Leiter des Dezernats zur Bekämpfung radikaler Umtriebe" im Reichsinnenministerium und zugleich „Reichsbanner"-Vorstandsmitglied. Otto Strasser nahm zu ihm jedenfalls nachweislich jetzt - Kontakt auf und machte mit ihm aus, ihm außer NSDAP-Interna jeden unter den Mitgliedern seiner „Revolutionären Nationalsozialisten" zu melden, bei dem sich etwa Sympathien für die Kommunisten oder die Sowjetunion bemerkbar machen. 562 (Letzteres lag angesichts der von der Strasser-Richtung damals laut betriebenen Agitation für die Sprengung des Versailler Vertrages durch ein demonstratives zeitweiliges Zusammengehen mit dpr Sowjetunion 563 so sehr ja nicht aus der Welt, wäre ihrem nur diesem Zweck geltenden und nur bis zum Tage der vollen Wiederaufrüstungsfreiheit reichenden Sinn freilich ganz zuwidergelaufen und wurde daher von den Führern der „Revolutionären Nationalsozialisten" als die mit ihr selbst induzierte und riskierte „Gefahr" argwöhnisch im Auge gehalten und jeweils schon im Keime bekämpft 564 .) Otto Strasser gab diese Benachrichtigungen übrigens gegen Entgelt. 565 Um aber noch eine weitere Legende in diesem Zusammenhang zu entblättern, nämlich die Legende vom „Sozialrebellen" Walther Stennes und vom Stennes-Putsch, dem Putsch des „Obersten SAFührer-Stellvertreters Ost (OSAF-Ost)", Hauptmann Walther Stennes, mit seinen SA-Leuten am Karfreitag 1931 in Berlin, der bis zur Besetzung des Gauleiter-Amtssitzes von Goebbels und der Redaktion seines Organs „Der Angriff" führte bzw. hierin bestand (und übrigens von Paul Schulz niedergeschlagen wurde 566 ): Dieser Putsch gilt, da ja schließlich eine Rebellion gegen die Parteiobrigkeit, als der Paradefall der Erhebung der Sozialrevolutionär und „antikapitalistisch" gestimmten „Basis" gegen die verbonzte und vom Kapital korrumpierte Führung. Doch tatsächlich galt der Putsch der Durchsetzung der gerade von den höchsten SA-Führern zuvor von der Parteiführung verlangten und von Hitler abgelehnten quotenmäßigen Berücksichtigung der SA bei der Aufstellung der NSDAP-Kandidatenlisten für die bevorstehenden Reichstagswahlen vom September 193 1 567 . (Der damalige „Oberste SA-Führer" Pfeffer von Salomon, ein Förderer Otto Wageners und Partei141
gänger Strassers 568 , hatte den Versuch von Stennes, diesem abgelehnten Begehren durch die Berliner Besetzungs-Aktion handgreiflichen Nachdruck zu verleihen, sympathisierend gedeckt, weshalb Hitler ihn dann entließ. 569 ) Das allerdings war eine von den (fast durchweg hinter Gregor Strasser stehenden) SA-Führern aus dem Geist der alten Röhm-Ludendorffschen Wehrstaats-Vorstellungen und Konzeption von der politischen Autonomie und gar Führungsbestimmung der Wehrverbände gegenüber den „Parteipolitikern" erhobene, tief in die ganze unausgetragen schwelende Debatte um das künftige Verhältnis von Wehrmacht, Parteiarmee und Partei im faschistischen Staat570 eingreifende und in sie verwobene Forderung; ihr jetzt Geltung zu verschaffen angesichts der absehbar erstmals großen Fraktion, mit der die NSDAP nach diesen Wahlen in den Reichstag einziehen würde, kam für die nun als über kurz oder lang unvermeidlich sich abzeichnende entscheidende innerparteiliche Flügel-Auseinandersetzung um die Diktaturbündnis-Option der Partei eine höchst praktische Relevanz zu. Wäre die „Stennes-Revolte" jener Aufstand der „antikapitalistischen Sehnsucht" des „einfachen SA-Mannes unten" (und nicht die Aktion eines SA-Condottiere mit einer befehligten, ihm diszipliniert folgenden und freilich mit Parolen zu Herzen des einfachen Mannes angefeuerten Truppe) gewesen, so hätte wohl kaum, wie durch einen Archivfund Kurt Gossweilers erst in allerjüngster Zeit zutage gekommen ist 571 , der Generaldirektor der Berliner AEG, Hermann Bücher, nach dem Ausstoß der an der Rebellion beteiligten Truppenformationen aus der SA die Finanzierung eines Auffanglagers für sie bei Küstrin übernommen, damit sie dort als eine nunmehr eigene, geschlossene Truppe beisammen bleiben können; und es hätte sie auch kaum, was schon seit jeher bekannt ist, Hermann Ehrhardt subventioniert und unter seine Obhut genommen 572 . Mit Ehrhardt aber hatte auch Otto Strassers „Kampfgemeinschaft Revolutionärer Nationalsozialisten" bei ihrer Konstitution unverzüglich die Verbindung hergestellt und war schon seither hauptsächlich ebenfalls von ihm subventioniert worden 573 . So lag aber auch nur nahe, daß sich die von Hauptmann Stennes zunächst mit seinen Leuten ausgerufene „Nationalsozialistische Kampfbewegung Deutschlands" (bestehend immerhin aus ca. 8 000-10000 kollektiv ausgeschlossenen SA-Leuten 574 ) bald mit Strassers „Revolutionären Nationalsozialisten" zusammentat, daß sie die politische 142
Führung Otto Strassers und dessen „14 Thesen der Deutschen Revolution" als ihre Programm-Plattform akzeptierte wie Otto Strasser seinerseits die militärische Führung der nun recht beachtlich gewordenen Bürgerkriegs-Streitmacht durch Walther Stennes - ein Bündnis, das den Namen „Nationalsozialistische Kampfgemeinschaft Deutschlands" annahm. Und als diese Form der Vereinigung sich in den nächsten Wochen wegen zu großer Reibereien, zu denen es zwischen den Mannschaften kam, nicht bewährte und man sie wieder aufgab, lag es ebenso nahe, daß dann ab September 1931 sich alles auf erweiterter Basis in der „Schwarzen Front" (die jetzt gegründet wurde) wiederfand 575 . In ihr begann ja nun tatsächlich in etwa alles tendenziell zusammenzufließen, was sich in der völkischen Wehrverbandsszene irgendwann seit 1919 auf Seiten anderer Kapital-Lager als Hitlers NSDAP befunden oder zu verschiedenen Zeitpunkten der Auseinandersetzung - wie Ehrhardt und dann vor allem die Mehrheit des „Bundes Oberland" nach dessen Spaltung, aber auch Ludendorff und nun, offen jedenfalls, auch Otto Strasser und Stennes - zu ihnen übergegangen war. Ohne Zweifel war dies auch angestrebt und vollzog sich unter der Anziehungskraft der sie alle wie ein Magnet auf sich ausrichtenden Hintergrundgestalt des Kapitäns Ehrhardt. Und da auch der „Tannenberg-Bund" und die „Deutschvölkische Freiheitspartei" - nach Otto Strassers Angaben - zum Rückgrat und befreundeten politischen Hinterland der „Revolutionären Nationalsozialisten" gehörten 576 , begann damit zugleich auch die einst von Gregor Strasser, Röhm und Ludendorff angestrebte Verschmelzung mit den „Deutschvölkischen" in der reduzierten Form jetzt des politischen Zusammengehens nun eben nur der aus der NSDAP absplitternden Gruppen mit ihnen sich zu verwirklichen. Die praktische Tätigkeit der „Schwarzen Front" bestand denn bis zum Januar 1933 auch darin, sich als Auffangbecken für von der NSDAP enttäuschte und ihr gerade den Rücken kehrende Nationalsozialisten bereitzuhalten und sie im Namen des „wahren Nationalsozialismus", dessen Gesicht in der NSDAP nur durch Hitlers und Görings „Verrat" an ihm entstellt werde, daran zu hindern, sich etwa überhaupt aus dem Potential des Faschismus zu entfernen und ihm politisch verlorenzugehen, und solche Enttäuschten zugleich damit freilich aber auch zu einem außerparteilichen politischen Korrespondenzpotential zum innerparteilichen Potential Gregor Strassers zusammenzufassen und sie in diesem 143
Sinne als politisches Gewicht in den der Entscheidung zutreibenden Auseinandersetzungen zu halten und einzusetzen. Als deren Höhepunkt gekommen ist, tritt diese Korrespondenz unübersehbar an den Tag. Während Gregor Strasser in der Partei nun offen für Schleichers „Querfront" plädiert (und hierüber stürzt), verkündet die „Schwarze Front" außerhalb der Partei assistierend und nur ganz im Sinne des Schleicherschen Konzepts den „Querfront"Gedanken „Sozialrevolutionär" bis nach ganz links hin tragend und popularisierend: „Her mit der Revolutionsregierung Gregor Strasser - Reventlow - Severing - Höltermann - Scheringer!" 577 . Da dies unverkennbar nichts als propagandistische Begleitmusik für die Durchsetzung des von Schleicher tatsächlich angestrebten „Querfront"-Diktaturkabinetts „von Gregor Strasser bis Theodor Leipart" war (seinem Wunsche nach jedoch bis zuletzt lieber, wie heute nachgewiesen ist, von Hitler bis Leipart, und eben hierum kämpfte Gregor Strasser selbst 578 ) und da dies somit auch nur Unterstützungsfeuer von außerhalb der NSDAP für den Sieg Gregor Strassers und seines Flügels innerhalb der NSDAP war (und nach allem zumal, was wir heute an Zusätzlichem aus Archivquellen hierzu wissen), wird man wohl betreffs der gesamten Betätigung und Funktion der „Schwarzen Front" in den Jahren 1931-1933 nur voll dem schon damals von einigen bisherigen Strasser-Anhängern abgegebenen Urteil zustimmen müssen, die sich von Otto Strasser mit dem gegen ihn erhobenen Vorwurf abgewandt hatten, er wolle in Gestalt dieser „Schwarzen Front" nur „gemeinsam mit Ehrhardt eine ,regierungsfaschistische Reservestellung' aufbauen". 579 Und daran änderte sich auch nach der Flucht Otto Strassers und einiger anderer Führer der „Schwarzen Front" ins Exil nichts. Es kann hier nicht mehr auf die Tätigkeit Otto Strassers in der Emigrationszeit eingegangen werden, obwohl gerade sie erst den Brückenbogen zu seiner Rolle nach 1945 als Gründer neonazistischer Gruppen in der Bundesrepublik schlägt und zum Verständnis der „Strasser-Richtung" im heutigen Neofaschismus unentbehrlich ist. Hier nur soviel, wie zur Abrundung des Bisherigen wohl unerläßlich ist.
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Zuspitzung der Flügelkämpfe im deutschen Faschismus Die Richtungskämpfe im deutschen Monopolkapital und innerhalb der N S D A P waren bekanntlich weder mit dem 9. Dezember 1932 (dem Tage, da Gregor Strasser alle seine Parteiämter niederlegte) noch mit dem 30. Januar 1933 beendet. Ihr nächster Höhepunkt war das Blutbad vom 30. Juni (und 1. und 2. Juli) 1934. Dessen lange Opferliste - auf der außer Röhm und den SA-Führern eben auch Gregor Strasser und Schleicher und Papens Herrenhausghostwriter Schotte und Jung usw. stehen und übrigens auch Brüning, auch Treviranus und Groener gestanden hatten 580 - findet ihre Erklärung erst vor dem hier im Vorangegangenen andeutungsweise aufgerissenen Hintergrund. Schleicher, Brüning und Gregor Strasser blieben trotz des Verlusts ihrer jeweiligen Amter in die vor allem ab Beginn des Jahres 1934 wiederauflebenden und sich neu zuspitzenden Flügelkämpfe im Kapital eingebunden und weiterhin an ihnen beteiligt (was von der marxistischen Geschichtswissenschaft inzwischen nachgewiesen ist, hier aber erst recht nicht mehr, da es das ganze, noch viel umfangreichere Thema der Vorgeschichte des 30. Juni 1934 aufwerfen würde, näher dargestellt werden kann 581 ). Während es in diesen Flügelkämpfen jetzt um eine Verschiebung der Monopolgruppen-Einflußgewichte innerhalb der Hitler-Regierung durch deren personelle Umbesetzung unter Hitler (mit möglichst wieder Schleicher, alternativ aber eben auch Röhm, als Reichswehrminister), also um einen nur in seinem speziellen Kapitalgruppengehalt variierten Faschismus ging, setzte Otto Strasser mit seiner nun vom Exil aus (erst Wien, dann Prag) organisierten „Widerstandsarbeit" der „Schwarzen Front" gegen „Hitler-Deutschland" deren Arbeit bis 1933, nämlich eben den Aufbau einer „regierungsfaschistischen Reservestellung", geradlinig und völlig unverändert nunmehr vom Ausland her fort; auch jetzt ging es in ihr um nur das Gleiche wie in den im Reich verdeckt weiterschwelenden - und zum 30. Juni 1934 treibenden - Auseinandersetzungen zwischen dem zur Machtrückkehr drängenden Schleicher - (und innerparteilichen Röhm- und Strasserianer-)Flügel und den anderen Kapital-Flügeln im deutschen Faschismus (vgl. z . B . Otto Strassers am 30. Januar 1934 in Prag als „Gegenregierung" zur Hitler-Regierung ausgerufenes und der „Opposition" als „Zusammenfassung" offeriertes „Aktions-Komitee der Deutschen Revolution" 582 ). 145
Wer vielleicht nicht recht glauben möchte, daß die In- und Auslands-„Widerstandsarbeit" der „Schwarzen Front", für die manche ihrer Mitglieder ja ins Gefängnis oder KZ kamen (Schleicher, Röhm und Gregor Strasser kamen eben sogar unter die Kugel), nur die Schleicher-Variante des deutschen Faschismus zum Inhalt hatte, und wer vielleicht auch bezweifelt, ob der von Otto Strasser vertretene Strasserianismus der „Schwarzen Front" mit Schleicher und auch Gregor Strasser überhaupt etwas zu tun hatte, dem seien Otto Strassers Nachruf-Worte aus dem Jahre 1940 auf Schleichers „Querfront"-Projekt von 1932/33 verlesen: „Die Pläne von Schleichers waren sehr einfach: Er wollte Hitler beiseiteschieben und vom Nationalsozialismus die guten und die nützlichen Ideen beibehalten" (als genau deren Kompendium gaben sich die Strasser-Richtung und ihre „Schwarze Front" ja aber eben gerade selbst aus). „Er wollte eine Regierung auf breiter Grundlage bilden, eine Regierung, die sich auf die Reichswehr, die Gewerkschaften und die Intellektuellen stützt. Wer konnte ihm bei einem solchen Projekt besser helfen als Gregor Strasser, der ausgezeichnete nationalsozialistische Organisator und Sozialist von ehrlicher Uberzeugung!" 5 » Nach nur eben diesem alt-solidaristischen „Querfront"-Muster (denn daß es sich um eine entparlamentarisierte, nicht mehr auf Parteien gestützte - „parteifreie" - Regierung handelte, um die es Schleicher zu tun war, sagt das obige Zitat zwar, sei hier aber noch einmal unterstrichen) betrieb Otto Strasser nun aber ab Mitte der dreißiger Jahre und dann vor allem in den Kriegsjahren mit seiner „Schwarzen Front" in jeweiliger Konkurrenz und Konfrontation zu den antifaschistischen Volksfront-Bemühungen (ab 1938 dann von Frankreich und der Schweiz, ab 1941 von Montreal/Kanada und den Bermudas aus) eine emsige „Sammlungs"- und „Bündnis" politik in der deutschen Emigration unter den aneinander gebundenen und ineinander gesteckten Schlachtfahnen einer „Dritten Front" gegen „Hitlerregime" und „Kommunismus" und der „Idee einer europäischen Föderation als dritte ,weiße' Großmacht neben den U S A und dem britischen Weltreich" 584 ; aus den in seinen Sogkreis sich begebenden Exilpolitikern stellte er Listen für eine deutsche „Nachkriegsregierung" auf. Und es ist interessant, wie sich, gleichsam in einer Art Schatten-Rekapitulation von drei Jahrzehnten deutscher Geschichte, vor allem gegen Ende des Krieges (als es nämlich scheinbar realistisch wird, solche Regierungslisten 146
zu Ohren der Alliierten aufzustellen) auf deren diversen Planfassungen wie auch in den ihnen zugehörigen, ihrer Beförderung dienenden (teils erfolgten, teils im Projektstadium steckengebliebenen) etlichen komiteeartigen Gründungen Otto Strassers dann in der Summe sich auch so etwa alles einigermaßen repräsentativ einfindet, was in den Weimarer Parteien ab 1919 im Sinne der einstigen „Solidarier"- und „Juniklub"-Erwartungen tatsächlich „volks"orientiert-parteienüberwindend bzw. „völkisch"-antiinternationalistisch oder „jung"nationalistisch im Sinne von „jungkonservativ" geworden war oder schon immer gewesen ist: nämlich etwa vom Zentrum Heinrich Brüning (als Otto Strassers Reichskanzler-Empfehlung für Nachkriegsdeutschland) sowie Carl Spiecker; aus der früheren DNVP der aus ihr ausgezogene spätere Brüning-Minister und Führer der „Jungkonservativen" bzw. auch „Volkskonservativen", Gottfried R. Treviranus; vom „nationalsozialen" Flügel der einstigen DDP und dann „Deutschen Staatspartei" der ehemalige preußische Innenminister Otto Klepper; von der Sozialdemokratie der „Volkssozialist" und Führer der sudetendeutschen Sozialdemokraten, Wenzel Jaksch; sowie der gleichfalls damals sudetendeutsche Sozialdemokrat Emil Franzel; aber auch der zum äußersten rechten SPD-Flügel gehörende ehemalige Kölner SPD-Vorsitzende Wilhelm Sollmann und der „Reichsbanner" Vorsitzende Karl Höltermann. 585 (Nur Brünings weit darüber hinauszielendem solidaristischem Zukunfts-Ehrgeiz erschien diese Skala zu eng und deshalb als ihn selbst kompromittierend. Brüning, der sich ab 1940/41 vergeblich um die Einreiseerlaubnis für Otto Strasser in die USA bemüht hatte 586 , bat daher Otto Strasser, seinen Namen in Zusammenhang mit solchen SchattenregierungsSpielchen nicht zu nennen 587 .) Aber noch einmal einen Blick zurück auf Gregor Strasser, um jetzt nur noch in Stichwort-Sätzen das Notwendigste auch zu ihm nachzutragen. Heinrich Brüning hatte zur Zeit seiner Reichskanzlerschaft einen Nachfolge-Kandidaten für sich im Auge, traf sich mit ihm auch im Hause seines badischen Zentrums-Kollegen Dr. Föhr - zwecks Aussprache hierüber und erhielt seine Zusage, „als Reichskanzler seine Nachfolge anzutreten, sobald er eine Mehrheit in der Reichstagsfraktion hinter sich bringen könne". Brünings Kandidat und Gesprächspartner: Gregor Strasser. 588 Als Gregor Strasser am 9. Dezember 1932, von Hitler vor ver147
sammelter NS-Führerprominenz als hinterhältiger „Verräter" abgekanzelt 589 , sämtliche Funktionen in der NSDAP niederlegte, war der erste nicht seinem engsten NSDAP-Gefolgschaftskreis angehörende Politiker, zu dem er sich zu langer Aussprache und Beratung der nun entstandenen Situation zurückzog, Heinrich Brüning - und zwar am 28. Dezember 1932 in dessen WeihnachtsUrlaubsort Freudenstadt im Schwarzwald 590 . Die vertraulichen Zusammenkünfte Heinrich Brünings mit Gregor Strasser, die dieser Aussprache bereits vorangegangen waren, hatte Strassers Adjutant Oberleutnant Paul Schulz organisiert. 591 Paul Schulz stand gleichfalls auf der Liste der am 30. Juni 1934 zu Ermordenden, für ihn wurde jedoch versehentlich ein anderer namens Scholz verhaftet; als sich der Irrtum herausgestellt hatte, ließ ihn Hitler am 2. Juli 1934 durch Heydrich unter seinen „persönlichen Schutz" stellen und „begnadigte" ihn dann „als guten alten Freund" zu „lebenslänglicher Verbannung". Paul Schulz also tauchte nach diesem Abenteuer, der Ausheilung seiner Verhaftungs-Verletzungen und schließlich seiner Ausreise bei - Treviranus und Brüning im Tessin auf 592 (zu deren „häufigen" Besuchern dann in London wiederum Hellmuth Elbrechter gehörte 593 , während Paul Schulz Auslands-Vertreter des bisher engstens mit Röhm, der SA und deren „Wirtschaftlichem Beraterstab" verbundenen Lübbert-Konzerns wurde 594 ). Brüning erteilte in jener Weihnachts-Aussprache Ende Dezember 1932 Gregor Strasser allerdings den dringenden Rat, sich unverzüglich „mit Hitler wieder auszusöhnen". 595 Er hielt, wie das damals auch Schleicher sah, eben noch nichts für verloren. Gregor Strasser, der „Sozialist", war seit dem jähen Ende seiner Parteitätigkeit aber auch keineswegs etwa nun brotlos - sobald die Nachricht von seiner Niederlage vor Hitler aufkam, bot ihm umgehend der Berliner Chemiekonzern Schering-Kahlbaum (eben jener, dessen Generaldirektor Berckemeyer auch im Aufsichtsrat von Hünlich-Winkelhausen saß 596 ) in seinem Hause den Posten eines Direktors an, den Gregor Strasser seither, bis zur Stunde seiner Ermordung, einnahm. In dieser Berufsstellung wurde er nun auch Mitglied des „Vereins zur Wahrung der Interessen der chemischen Industrie Deutschlands". 597 Aber noch eins: Spätestens seit dem 9. Dezember 1932, so die fast allgemein verbreitete Meinung, war Gregor Strasser ja nun aber ein von der Partei Verstoßener und Hitler sein endgültiger Gegner. 148
Aber die Flügelkämpfe im Kapital, zwischen denen Hitler zu lavieren hatte, waren, wie gesagt, eben noch lange nicht zu Ende. Viel zu selten findet man in den gängigeren Darstellungen erwähnt, daß schon bald nach Hugenbergs Ausschaltung als Wirtschaftsund Ernährungs-Doppelminister aus der Hitler-Papen-Regierung, jedenfalls aber im Frühjahr 1934, als Schachts Reichsbank- und Rüstungsfinanzierungspolitik in eine tiefe Krise geraten war, Hitler von sich aus wieder an Gregor Strasser herantrat, mit ihm im April 1934 - zunächst über Hess - Verhandlungen über seinen Eintritt in die Regierung aufnahm, Gregor Strasser hierfür als Voraussetzung die Entfernung von Göring und Goebbels aus dem Kabinett verlangt haben soll, es am 13. Juni 1934 dann hierüber sogar zu einer persönlichen Unterredung zwischen Gregor Strasser und Hitler kam 498 , Gregor Strasser am 20. Juni 1934 seinem Bruder Otto mitteilte, er habe mit Hitler „eine vorläufige Einigung" darüber erzielen können, daß er im September 1934 ins Kabinett eintrete und Göring dafür ausscheide, und daß Gregor Strasser drei Tage später, am 23. Juni 1934, von Hitler sein „goldenes Parteiabzeichen" wiederausgehändigt erhielt499. Alles Vorgänge, die Göring in äußerste Unruhe versetzen mußten - . Ein Kampf also zwischen „Basis" und „Führung", zwischen den „enttäuschten Sozialisten" unten und der korrupten, mit dem Kapital paktierenden Führer-Clique „oben"? Nein, ein Kampf in dieser selbst zwischen den Exponenten unterschiedlicher Flügel des Monopolkapitals, der völkisch-sozialismusdemagogisch ausgetragen wurde. Ein Kampf, in dem daher, das sei noch angefügt, das Lager der „Deutschen Revolution" dann auch nur konsequenterweise und von seinem alten Selbstvortragsmuster her völlig stringent die Macht- und Gewichteverschiebung im deutschen Faschismus zu seinen Gunsten, um die es ihm 1934 ging, als Forderung in der Losung von einer in ihm fällig werdenden „zweiten Revolution" und seiner Vollendung erst in ihr ausdrückte und sie zu verbreiten suchte - in einer „zweiten", nämlich der „deutschen Revolution", also in einem von ihrem - dem eigenen - Lager repräsentierten oder doch wesentlich mit-geführten Faschismus.
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Ernst Niekischs „Widerstandsbewegung" „nationalrevolutionär" ?
- oder: was heißt
Also gut, dann mag das für die beiden Strassers gelten. Aber damit kann doch wohl kaum etwas auch über diejenigen Strömungen ausgesagt sein, die es zwar nicht innerhalb der NSDAP selbst, aber doch in ihrer unmittelbaren Nähe gab und die sich ebenso wie sie und die Strasser-Richtung als „national" und doch zugleich auch „revolutionär" bezeichneten (und hierin eben ihnen nahe waren), anders als sie aber für ein Zusammengehen mit der „revolutionären" Linken, gerade auch mit den Kommunisten, eintraten; einige von ihnen machten sich sogar zu prononcierten Fürsprechern eines guten Verhältnisses, ja eines dauernden Bündnisses mit der Sowjetunion und konnten sich hierbei bis in Äußerungen begeisterter Bewunderung für sie und in einen Ton ihrer mitunter emphatischen Lobpreisung steigern, wie er aus manchen „nationalrevolutionären" Gruppen und insbesondere deren politisch-intellektuellem Führungskreis, dem Kreis „Widerstand" um Ernst Niekisch und Joseph E. Drexel, und von den nur eine Tendenz und Unterströmung in ihnen darstellenden „Nationalbolschewisten" zu hören war. 600 Das also müssen doch wohl andere Fälle gewesen sein. Auf die Weimarer „Nationalrevolutionäre" berufen sich die seit den siebziger Jahren im Neofaschismus der Bundesrepublik entstandenen heutigen „nationalrevolutionären" Gruppen als ihre Vorgänger und als eine fälschlicherweise der „Rechten" zugeordnete, vielmehr eigentlich eher linke und sogar „revolutionär-sozialistische", nur eben zugleich auch „nationale" politische Traditionslinie. Unvermeidlich rückt hierüber zunehmend der „Widerstands"-Kreis als eines der wichtigsten ideologisch-konzeptionellen und strategischen Zentren der damaligen „Nationalrevolutionäre" wieder in den Blick. Greifen wir aus ihm also seinen führenden Kopf und den von seinen damaligen Mitgliedern zugleich wohl im Unterschied etwa zu dem ebenfalls hierhergehörigen Ernst Jünger - in Sachen „nationaler Linker" oder „Linker von rechts" bis heute weithin Bestbeleumundeten heraus: Ernst Niekisch. Niekisch, Augsburger Volksschullehrer, der im Oktober 1917 als 28jähriger der SPD beitritt, wird im November 1918 Vorsitzender des Augsburger Arbeiter- und Soldatenrats und bald darauf auch Vorsitzender des Zentralrats der bayrischen Arbeiter-, Bau-
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ern- und Soldatenräte in München. Nach Eisners Ermordung im März 1919 gehört er zugleich dem Kabinett Hoffmann (rechte SPD) an. Im April tritt er vom Vorsitz des Zentralrats aus Protest gegen die auf Antrag Gustav Landauers ausgerufene Räterepublik zurück - als sein Nachfolger wird Ernst Toller gewählt - , bleibt allerdings weiterhin Mitglied des Zentralrats und sitzt sogar im Kabinett der Räte-Regierung. Nachdem die Kommunisten unter Levine und Levien den Aufstand des „Thule-Kampfbundes" gegen die Räteregierung am 13. April 1919 niedergeschlagen und die Führung der Räterepublik übernommen haben (vgl. Kap. II), verläßt er München. 601 Nach der Niederwerfung der Räterepublik verhaftet (und nun von der SPD zur USPD übertretend) und zu zwei Jahren Festungshaft verurteilt, findet er nach seiner Haftentlassung sein Tätigkeitsfeld vor allem - von einem nur noch für kurze Zeit wahrgenommenen USPD-Abgeordnetenmandat abgesehen - im Berliner Textilarbeiterverband der Gewerkschaften und bei den Jungsozialisten und schließt sich hier deren Ostern 1923 entstehendem „Hofgeismarer Kreis" an. Dieser Kreis hatte sich mit prominentester Referenten-Unterstützung aus der ersten Theoretiker-Garnitur des „national" orientierten SPD-Mehrheitsflügels - wie Gustav Dahrendorf und Gustav Radbruch, Hermann Heller, Eduard Heimann und Hugo Sinzheimer, aber etwa auch Theodor Haubach, Heinrich und Gustav Deist, Walther G. Oschilewski, Otto Bach u.a. - die Aufgabe gesetzt, die Jungsozialisten unter der Devise, „das Verhältnis von Sozialismus und Nation neu und tiefer zu durchdenken" und gegenüber dem „schematischen Internationalismus" des marxistischen Sozialismus die Themen „nationale Mitverantwortung" und „Dienst an Volk und Staat" zu Geltung zu bringen 602 , entschieden nationalistisch-volksintegrativ auszurichten - und zugleich auf ein „Innerliches Ja zum großdeutschen Nationalstaat" 603 und auf die Zielvision „Mitteleuropa" als den Verwirklichungsort und das Kerngebiet der „besonderen Form seines Sozialismus" und in diesem Sinne einer „europäische(n) sozialistische^) Föderation zwischen dem bolschewistischen O s t e n . . . und dem kapitalistischen Westen". 604 Dies betrieb der Kreis mit einer - den linken Flügel der Jungsozialisten bald zur öffentlichen Distanzierung von der „Hofgeismarer Richtung" (und im August 1924 dann zu seinem eigenen 151
Zusammenschluß im „Hannoverschen Arbeitskreis") treibenden 605 - ideologischen Verve, die vor so gut wie keiner der umlaufenden völkischen Parolen haltmachte. So hatte etwa schon der vom Jungsozialisten Arthur Zickler verfaßte Programm-Aufsatz des Kreises unter dem Titel „Bereitschaft" die „Idee vom Deutschen Reich" als die Idee einer „Aristokratie der Arbeit, getragen von den schaffenden Ständen, fest gebunden in Zucht und Disziplin, regiert von Männern, die in der entscheidenden Stunde sichtbar werden müssen - straff im Innern, frei nach außen" gefeiert und Spenglers „die derzeitige Scheinkonstruktion von Rechts und Links gegenstandslos" machende „Symbiose" von nationalem Gedanken bzw. „Preußentum" und „Sozialismus" im Wertbegriff „Potsdam" als dem Ausdruck unserer nationalen „Grundart" ins Zentrum seiner Empfehlungen gerückt. Die Hofgeismarer gaben Losungen aus wie „Die Parole des Klassenkampfes dürfe nur lauten: ,Klasse muß Nation werden'", oder z . B . „die deutscheste Epoche Europas" warte „auf ihren Durchbruch in die Wirklichkeit. ,Darum müssen wir jetzt aufs äußerste national sein, wir müssen unsere Freiheit wiedererlangen - koste es, was es wolle'", pflegten den Kult um den „jenseits der alten Gruppierungen" aus dem „Frontsoldatentum" aufgekommenen „neuen Typus" des „Jungnationalen", und kein geringerer als Hermann Heller definierte vor ihnen - und vor diesem verfänglichen Hintergrund - Sozialismus als die „Vollendung der nationalen Gemeinschaft" und „Vernichtung der Klassen durch eine wahrhaft nationale Volksgemeinschaft". 606 Niekisch war bald der markanteste und am meisten auf die weitere Zuspitzung des Nationalismus ins Völkische drängende Sprecher der Hofgeismarer Jungsozialisten-Richtung und übernahm, als der bisher ihr Organ redigierende Sohn Friedrich Eberts solche Radikalisierung nicht mehr verantworten wollte und zurücktrat, auch die Allein-Redaktion ihrer Zeitschrift „Der Firn". 607 Die ihm auf dem Weg in die zunehmend anti-parteienstaatlich ausgespielte völkische Radikalisierung folgenden Jungsozialisten verstanden dementsprechend aber auch ihren eigenen Namen nun immer mehr als den Programmnamen und Flaggenwimpel eines erst durch die „Synthese" mit dem frontsoldatischen „Jungnationalismus" selbst „jung" gewordenen und als Sozialismus erneuerten „Jungsozialismus" 608 (eben als das also, auf dessen „Hervorwachsen" aus den Parteien Stadtler und die JuniklubSolidarier dann 1919 wohl offenbar auch im Falle der SPD gar nicht 152
so unrealistischerweise gewartet und gesetzt hatten); sie sahen sich selber als Repräsentanten jenes „jenseits von links und rechts" stehenden, „frontsoldatisch" geschnittenen „neuen politischen Typs", als dessen Signatur es galt, daß er „radikal und konservativ zugleich", sein Konservatismus aber „nicht reaktionär" (sondern eben „revolutionär") und „sein Radikalismus nicht rationalistisch" sei.609 „Als der Mythos des .Frontsoldatentums' unscharf wurde", er mit seit dem Kriege vorangeschrittener Zeit zur Mitte der zwanziger Jahre hin nun also doch allmählich eine etwas blasse Patina annahm und an Zugkraft verlor, setzte sich in den bisher ihre politische Richtungs-Adresse mit „frontsoldatisch" angebenden Kreisen des „jungen Nationalismus" statt dessen die neue Selbstbezeichnung „nationalrevolutionär" durch. 610 Ernst Niekisch war 1925 aus Protest gegen die Unterzeichnung des Locarno-Vertrages aus der SPD (in die er mit dem 1920 zurückkehrenden rechten Flügel der USPD wieder gelangt war) ausgetreten, und da die am SPD-Vorstand orientierten, das Gros ausmachenden Jungsozialisten sich über seinem Kurs und nun vollends gar SPD-Austritt aus dem „Hofgeismarer Kreis" zurückzuziehen begannen 611 und damit auch dem „Firn" als Abnehmer verlorengingen, dieser daher, mangels Subventionsbereitschaft des von der „Hannoverschen" Richtung besetzten Jungsozialisten-Vorstands, eingestellt werden mußte, hatte Niekisch auch sein bisheriges Publikationsorgan verloren. Er gründete deshalb gemeinsam mit dem Rest der noch weiterhin zu ihm haltenden „Hofgeismarer" Jungsozialisten am I.Juli 1926 eine eigene Zeitschrift, und diese nannte er nun „Widerstand. Blätter für sozialistische und nationalrevolutionäre Politik". 612 Noch im Jahre zuvor, 1925, hatte er in einer neu eröffneten Schriftenreihe des „Firn", mit deren Herausgabe er vom Verlag betraut worden war, als deren erstes Heft eine von ihm verfaßte Abhandlung unter dem Titel „Der Weg des deutschen Arbeiters zum Staat" erscheinen lassen. 613 Einen sich in ganz ähnlicher Weise mit der Frage der Integration der Arbeiterschaft in den „Staat" und den „Befreiungskampf der Nation" beschäftigenden - später zu einer Broschüren-Schrift erweiterten - Aufsatz unter dem Titel „Der Glaube an das Proletariat" hatte 1924 auch August Winnig veröffentlicht 614 , der einstige SPD-Rechtsaußen und antisowjetische Ostfeldzugs-Eiferer, der 1920 der Kapp-Regierung als 153
„Reichskommissar für Ost- und Westpreußen" beigetreten und daraufhin dann aus der SPD ausgeschlossen worden war. 615 Der soeben aus ihr ausgetretene Niekisch und der seit vier Jahren aus ihr ausgeschlossene Winnig hatten sich 1925 über solcher Gesinnungs-Gemeinsamkeit in der „Arbeiterfrage" zu dem Versuch zusammengefunden, nun gemeinsam eine „nationale Arbeiterpartei" aufzuziehen, und zwar vom Grundstock einer sächsischen SPD-Sezession aus, die sich als „Alte Sozialdemokratische Partei" konstituiert und Niekisch die Redaktion ihrer Zeitung „Der Volksstaat" übertragen hatte. 616 Ab Sommer 1927 wurde August Winnig nun auch Mitherausgeber des „Widerstand", und mit dem Jahrgang 1928 änderte das Blatt seinen Untertitel ab und nannte sich nunmehr nur noch „Zeitschrift für nationalrevolutionäre Politik". 617 Was die Arbeiterschaft von dieser Politik zu erwarten hatte, hatte Niekisch in der ersten Nummer des „Widerstand" - nur in Wiederholung des Inhalts seiner und auch Winnigs Arbeiterschrift - in seinem die Zeitschrift eröffnenden programmatischen Artikel „Revolutionäre Politik" unmißverständlich gesagt: „Deutsche Politik k a n n . . . kein anderes Ziel haben" als „ d i e . . . Zurückeroberung einer großen einflußreichen Weltstellung". In ihm „fallen die Lebensbedürfnisse des deutschen Arbeiters mit den Lebensnotwendigkeiten der ganzen Nation in eins zusammen: wagt er den Kampf um seinen Lebensspielraum und seine Freiheit, dann führt er zugleich den Befreiungskampf der Nation. Eine nationale Mission ist ihm überantwortet: davon, wie er versteht, ihr Genüge zu tun, wird seine zukünftige politische und soziale Stellung abhängen." 618 Das war nur Moeller van den Brucks Standard-Botschaft an die Arbeiter, sie sollten erst mal dem deutschen Imperialismus die von ihm erwünschten Räume erobern, dann würde es ihnen schon besser gehen (womöglich gar bis hin zu, nach Kriegsverdienst gestuften, sozialen Arrivierungsmöglichkeiten 619 ). Nicht verwunderlich daher, daß die Zeitschrift „Widerstand" kaum, zu Niekischs Leidwesen, in der Arbeiterschaft, dafür desto mehr jedoch in Reichswehrführungs-Kreisen 620 , bei Kapitän Ehrhardt 621 und - beim „Bund Oberland" Interesse auf sich zog. Bereits nach dem Erscheinen seiner Schrift über den „Weg der deutschen Arbeiterschaft zum Staat" war Niekisch von Dr. Friedrich Weber, dem Bundesführer von Oberland, aufgesucht und um einen Vortrag zu diesem Thema auf einer Tagung des Bundes (auf der „Burg Hoheneck") gebeten worden; damit - so Niekisch - war 154
„der Grund für meine Verbindung mit dem Bund Oberland gelegt" 622 und setzte eine sich rasch intensivierende, zu maßgeblichem Einfluß Niekischs auf die Schulungsarbeit des „Bundes Oberland" führende Zusammenarbeit ein, der es der „Widerstands-Kreis" schließlich Ende 1930 zu verdanken hatte, ruckartig zu einer eigenen wehrverbandsähnlichen Basis und damit zu dem von Niekisch bis dahin vergeblich gesuchten „wirklichen organisatorischen Hintergrund" zu gelangen. 623 Die Bemühungen um den Aufbau einer „nationalen Arbeiterpartei" vom Boden der „Alten Sozialdemokratischen Partei" aus hatten sich aufgrund des hinter Niekischs Erwartungen zurückbleibenden Mitzieh-Elans der sächsischen „Altsozialisten" und seines daraufhin eigenen Rückzugs von ihnen bereits 1928 endgültig zerschlagen, und auch alle seither von Niekisch rege geführten Verhandlungen mit anderen „nationalen Verbänden" und insbesondere auch Wehrverbänden wie dem „Stahlhelm" oder dem „Wehrwolf" über einen Zusammenschluß, die dem gleichen Ziel des Zustandebringens einer eigenen Massenbasis dienten, waren im Resultat ergebnislos geblieben. 624 Im Dezember 1930 jedoch kam es aufgrund der von den österreichischen Mitgliedsgruppen des „Bundes Oberland" durchgesetzten Wahl des Führers der faschistischen (aber zugleich auch anti-reichsdeutschen) österreichischen „Heimwehren", Graf Starhemberg, zum neuen Oberland-Bundesführer zum geschlossenen Auszug der deutschen Mitgliedsgruppen aus dem „Bund Oberland" und danach auch zu Auseinandersetzungen unter ihnen über die nun zweckmäßigste Form ihrer Neuorganisation und Weiterarbeit. Ein nicht unbedeutender Teil dieser Gruppen, der sich gesondert zur „Oberlandkameradschaft" konstitutiert hatte, schloß sich nun unter deren Führern Joseph E. Drexel und Karl Tröger während der Hauptteil sich im Herbst 1931 dann mit Otto Strassers „Kampfgemeinschaft Revolutionärer Nationalsozialisten" zur „Schwarzen Front" vereinigte - dem „Widerstands-Kreis" an, aus dem auf diese Weise im Jahre 1931 die „Widerstands-Bewegung" wurde, die nun örtliche „Widerstands-Kreise" - unter Anleitung Karl Trögers - zu bilden begann und zu deren Beförderung Niekisch neben dem „Widerstand" ab Oktober 1932 auch eine Wochenzeitung unter dem Namen „Entscheidung. Die Wochenzeitschrift für nationalrevolutionäre Politik" herausgab. 625 Der „Widerstand" erschien bereits ab April 1930 für die dem „Wider155
stands-Kreis" sich anschließenden Mitglieder des „Bundes Oberland" gesondert auch unter dem Kopfblatt-Titel „Das Dritte Reich" in der Herausgeberschaft von Gustav Sondermann - dann im übrigen jedoch mit dem „Widerstand" textgleich626. Niekisch und die Oberland-Führer Drexel und Tröger sahen in dieser „Widerstands-Bewegung" den Stoßtrupp oder das Ferment einer von ihr nun wiederum nur ganz nach solidaristischem Muster querfrontartig in allen Parteien, Verbänden und gesellschaftlichen Bereichen zu induzierenden und aus ihnen hervorzutreibenden größeren, schließlich „alle Bezirke des öffentlichen Lebens" durchziehenden 627 „Widerstandsbewegung" oder „neuen Front", deren anvisierte Reichweite und Möglichkeit wie zugleich Substanz Niekisch bereits 1929 mit folgenden Worten in den Blick gerückt hatte: „Gleich Goldadern im Gestein liegt heute noch die nationalistische Minderheit in den vielfältigsten Organisationen verstreut: man findet sie unter Nationalsozialisten, unter bündischen Menschen, sogar, wenn auch in dürftigem Vorkommen, in den Parteien; man findet sie aber auch unter Rotfrontkämpfern, die wehrwillige Arbeiter sind und sich mit Trotz von der pazifistischen Feigheit ihrer sozialdemokratischen Genossen gelöst haben." 628 Diesen „wehrwilligen" Nationalismus also wollte die „Widerstands-Bewegung", daran ließ sie keinen Zweifel, sammeln, weshalb es denn auch in Niekischs - der hier zitierten Stelle sich anschließenden - Aufzählung ihrer „Widerstands"-Aufgaben u.a. etwa hieß: sie „verbreitet durch Sport, Turnen, körperliche Übungen und Gewöhnung an Zucht soldatischen und wehrhaften Geist unter der aufwachsenden Jugend", oder, sie „leistet, was in ihren Kräften steht, um in allen Staaten, in denen deutsches Volkstum geknebelt wird, das Feuer einer unauslöschlichen Erlösungsbewegung, einer .deutschen Irredenta', zu entfachen." 629 Weshalb wollte sie ihn denn aber - da dies alles ja bislang offenkundig nur das altbekannte Solidaristen-Konzept und Programm etwa genau so auch der „Schwarzen Front" war - dann gesondert sammeln (statt sich z. B., wie die Mehrheit des „Bundes Oberland", mit Otto Strasser zusammenzutun)? Warum repräsentierte die „Widerstandsbewegung" bei allen hier schon in den Blick gekommenen - und im folgenden noch deutlicher werdenden Gemeinsamkeiten mit den sonstigen Völkischen eine gleichwohl besondere Linie unter ihnen? Um das näher ausmachen und verstehen zu können, müssen wir 156
uns die beiden großen Bücher Ernst Niekisch's aus den Jahren 1929 und 1930, in denen er die „Widerstands"-Konzeption ausführlich und im zweiten, da nun mit dem Anspruch ihrer auch gleichsam geschichtstheoretischen Herleitung, systematisiert - vorgetragen hat, ansehen, seine 1929 erschienenen „Gedanken über deutsche Politik" 630 und sein 1930 folgendes Buch „Entscheidung" 631 , wobei uns, um in ihnen die Abzweigstellen vom Allgemein-Völkischen zum Besonderen ins Visier zu bekommen (die überraschend spät, erst in einigen gleichsam jäh aus dem Vorhergegangenen hervorspringenden Schlußwendungen liegen), nicht erspart bleibt, die Gesamtkonstruktion dieser Konzeption, also auch - zunächst - das Generell-Völkische in ihr, zur Kenntnis zu nehmen. Der zentrale Leitgedanke, der in beiden Büchern als das die „Widerstands-Konzeption" allein hervorbringende, sie in allen Stücken bestimmende und auch ehern Alleingültigkeit für sich verlangende Motiv hervorgehoben ist, lautet: „Der oberste Gesichtspunkt des gesamten deutschen Daseins müßte in der Zeit deutscher Unfreiheit naturgemäß sein, wie das schreckliche Ergebnis des Krieges rückgängig gemacht, wie die Versailler Ordnung, die dieses Ergebnis in die Form starrer Zuständlichkeit gegossen hat, umgestürzt, wie die verlorenen deutschen Souveränitätsrechte zurückgewonnen, wie die westliche und östliche Grenze Deutschlands den Bedürfnissen eines starken Staates der Mitte angepaßt, wie die unter der Fremdherrschaft seufzenden Deutschen mit dem Mutterlande vereinigt, kurz, wie deutsche Freiheit, deutsche Ehre, deutsche Größe, deutsche Macht zurückgewonnen werden können. Alle Lebensäußerungen und Lebensgestaltungen des deutschen Volkes müßten diesem Gesichtspunkt angeglichen sein; das deutsche Volk sollte bewußt und aus freiem Willensentschluß leben wie unter dem Ausnahmezustand: der Zweck, die Beseitigung des Notstandes nämlich, bestimmt, was zu geschehen hat, was verboten ist, was noch erlaubt ist, wie man sich einzurichten hat. Keine Lebensform hat mehr ein Recht für sich; sie wird geprüft, inwiefern sie dem Zwecke dient oder schadet; dient sie ihm gut, mag sie bleiben; dient sie ihm schlecht, ist sie umzubilden; schadet sie ihm, muß sie fallen. Alle verfassungs-, gesellschafts- und wirtschaftspolitischen Dogmen sollten kraftlos werden; es gibt keine ,gute Staatsform an sich', keine .ideale' Gesellschaftsverfassung, keine ,beste' Wirtschaftsordnung. Jene Staatsform dürfte nur Daseinsrecht haben, die den höchsten Grad politischer und militärischer 157
Schlagkraft gewährleistet, jene Gesellschaftsverfassung müßte zur Herrschaft gelangen, die die Entfesselung und den wirkungsvollsten Einsatz aller Volkskräfte begünstigt, jene Wirtschaftsordnung wäre die angemessene, die darauf angelegt ist, die Versorgung des Staates und Volkes mit den notwendigen materiellen Gütern auch im Falle ihrer kämpferischen Isolierung zu verbürgen. Insgesamt aber müßten Volk und Staat durch Staatsverfassung, Gesellschaftszustand und Wirtschaftsordnung in jene Form gebracht sein, die das Erlebnis der besonderen, von der ausbeuterischen Umwelt abweichenden Eigenart hervorriefe und damit das Maß der seelischen Kräfte des Widerstandes gegen Überwältigungsabsichten, die Spannung des Willens zur Auflehnung gegen die Knechtschaft bis an die Grenze des Außerordentlichen steigert." 632 Dieser Wille zur totalen Mobilmachung für den Raumeroberungs-Weltkrieg wird nun prinzipiell bzw. geschichts,.theoretisch" mit einem wüsten, sich demonstrativ zu nietzscheanischem Moralabsage-Zynismus steigernden und in dieser Pose gefallenden 633 , auf die Völker bezogenen (also „völkischen") „Lebenskampf"-Sozialdarwinismus gerechtfertigt; über sie ist dann eine Land-StadtMetaphorik gespannt, in deren Rahmen die politische Konzeption (bzw. ihr ideologisches Vortragsschema) im einzelnen entwickelt, insbesondere ihr Feindbild präzisiert und zugleich auch der ideologische Berufungsboden für ihre - dann in der Tat besondere außen- und expansionspolitische Strategieempfehlung hergestellt wird. Hier zunächst der Sozialdarwinismus: Der als Pionier und Stoßtrupp-Soldat der Volksmobilisierung und -formierung für den Raum-Lebenskampf gesuchte und in der „Widerstands-Bewegung" zu sammelnde, die „Gesinnung des Widerstandes" verkörpernde Typus des „Nationalisten" wird als der Träger des „Lebensinstinkts" des „deutschen Volkes", seines „Selbstbehauptungswillens" 634 , und als der damit „schlechthin und vorbehaltlos politische Mensch" bezeichnet, da es Politik „im eigentlichsten und ungebrochensten Sinne" sei, „unmittelbar und ursprünglich aus den Gründen des Lebenswillens, Geltungsstrebens und Selbsterhaltungsdranges eines Volkes heraus zu denken und zu wirken." 635 Gesunder Lebens- und Selbstbehauptungswille aber sei niemals nur auf ein bloßes „Erhalten" gerichtet. „Wo ein Lebendiges ist, da will es sich nicht nur erhalten, sondern es will um sich greifen, will gelten, will die Welt mit sich erfüllen. Gesundes und starkes Leben ist 158
Wille z u r M a c h t . D e r Wille eines Volkes zu politischem Einfluß, z u geschichtlicher G r ö ß e ist die A u ß e r u n g s f o r m seiner Lebenskraft,
seiner L e b e n s s p a n n u n g . . . " 6 3 6
So aber wird
„Politik"
-
soweit „vorbehaltlose", d. h. d u r c h keine „ F r e m d " m o t i v e entstellte bloße E x e k u t i o n dieses seines „ L e b e n s " - und also Machtwillens ihm auch, da nur der eigene unmittelbare Lebensausdruck eben dieses Willens, „reines, z u T a t e n gerinnendes S c h i c k s a l " 6 3 7 ; und der „Nationalist" als die V e r k ö r p e r u n g des „vorbehaltlos politis c h e n " Menschen, „durch den hindurch das Wesensgesetz seines V o l k e s . . . seine A n s p r ü c h e a n m e l d e t " und „in d e m der L e b e n s wille des deutschen Volkes unmittelbar nach Sprache und A u s d r u c k r i n g t " 6 3 8 , ist dann der „Vollstrecker des Schicksals". 6 3 9 U n d hier die M o r a l - E n t b i n d u n g dieses „vorbehaltlos
politi-
s c h e n " Menschen, nebst erstem Ausblick auf ihren praktischen Sinn: Da „aus dem Urwillen seines Volkes heraus handelnd", ist der „Nationalist" zu allem befugt, ist ihm kurzweg alles erlaubt; insoweit er diesen Urwillen verkörpert, ist er unbeschränkt, ist er souverän". 640 Es „entwikkelte sich in ihm jene Wesenshärte, d i e . . . erbarmungslos den Hammer schwingt, um selbst Pyramiden trauten, herzwarmen Menschenglücks zu zertrümmern, wenn sie den Weg der deutschen Freiheitssehnsucht verlegen. 641 . . . Den ganzen Umfang aller Erscheinungen und Einrichtungen läßt er nur insoweit gelten, als sie innerhalb der obwaltenden Zeitlage der Macht- und Selbstentfaltung seines Volkes zur Förderung gereichen... Unduldsam steht er allen Rechtsformen, Ordnungen, Gebräuchen, Gütern, Werttafeln gegenüber, die etwas für sich zu sein begehren; indem sie auf einem ihnen innenwohnenden Eigenrecht beharren, verzetteln und zersplittern sie die Kräfte des Volkes und lenken diese vom Kampf der völkischen Selbstbehauptung a b . 6 4 2 . . . Daher setzt der Nationalist den Spaten an, damit .aufgeräumt' werde 6 4 3 ... Auch ein Fäulnisstoff ist vom Willen zum Dasein erfüllt; er möchte sich dort, wo er sich niedergelassen hat, und wo er bisher gedieh, nicht verjagen lassen. Wo gar die Reinigung so tief greifen soll, wie es in Deutschland nötig wäre, wird sich vielerlei... zusammenfinden, um sie zu durchkreuzen; sie geschieht nur als Gewaltkur oder sie wird niemals geschehen 644 . . . Ein Volk, daß sich aus der Tiefe der Ohnmacht zur Höhe emporzuarbeiten trachtet, hat so viele verräterische Bundesgenossen des auswärtigen Feindes innerhalb seiner Grenzen, daß es den fremden Gegner nicht überwältigt, bevor es dessen Hilfstruppen im eigenen Lande entwaffnet und vernichtet hat. Hier ist der Bürgerkrieg der erste Akt des nationalen Befreiungskampfes 645 . . . Wenn ein Volk seine Form sucht, dann muß es Auswüchse beschneiden und die formsprengenden Instinkte in Ketten l e g e n . . . Was der Form widerstrebt, was dem Formwillen überhaupt in den Arm fällt, muß ausgemerzt werden: es ist zuweilen eine grausame schreckliche S a c h e " 6 4 6 . . . sie „schreckt wohl bürgerliche Jammerlappen: wer sich jedoch auf die Sprache geschichtlicher 159
Notwendigkeiten versteht, weiß, daß sich dabei die Bataillone schulen, die dereinst gegen den äußeren Unterdrücker anzutreten haben" 647 ... Dem „Nationalisten" gibt sein Wissen, „Vollstrecker des Schicksals" zu sein, „seine Unerschrockenheit u n d . . . im gegebenen Augenblick auch seinen Mut zum Furchtbarsten."648
Diesen jederzeit zum Zuschlagen im Innern und Verbluten draußen auf einem Schlachtfeld sich in „Bereitschaft" haltenden Freikorps- und „Frontsoldaten"-Typus nannte Niekisch auch - in sanftem Anklang an Nietzsches „Ubermenschen" - den „heroischen" (oder auch „gegenbürgerlichen") Menschen.649 Womit wir bei seiner Stadt-Land-Metaphonk wären. Der „heroische Mensch", auch „Kämpfer" oder „Held" - das ist laut Niekisch seinem Ursprünge und Urbild nach der dem Land Frucht abringende, ihm verbundene, es schützende und vermehrende Bauer, „Schollengebundenheit" der „Mutterschoß heroischer Haltung"650, „Heroismus" somit der Eigenschaftenkatalog und Geist des „bäuerlichen" und, als Schollen-Verteidiger, „soldatischen" Menschen und der großen alten Bauernvölker, insonderheit der „Germanen" und dann, als seine später bis zur Gegenwart hin reinste Verkörperung, „Preußens", in dessen Tugenden des Entbehrungs- und Kampfbereitschafts-, des Ordnungs- und hierarchischen „Ordensdisziplin"-, „Zucht"- und „Führerauswahl" Willens er fortlebt und dessen - von ihnen geprägte - „Lebensform" (eben die „preußische Lebensform") die „festeste Zitadelle des deutschen Wesens, die stärkste ,deutsche Position'" (oder, nur anders gesagt, der Inbegriff des Guts „deutsche Eigenart") ist.651 Das „Heroische" - das also ist Land, Wehrhaftigkeit, Disziplin, das Preußische, Germanische, Deutsche. Seine Negation (und damit sein Feind), das Anti- oder Aheroische, ist das „Städtische". Die „Stadt" und der „städtische Mensch" werden Niekisch zum Synonym für das „Anti-Heldische" und damit zum Sammelnamen und Symbol aller Feinde des deutschpreußisch-germanischen „Lebenskampf-Willens. „Stadt" ist die Inkarnation des Kampfscheuen, „Verweichlichten", Verdorbenen. Sie ist der Ort des „Bürgers", die „Lebensform" des „städtischen Menschen" - in Entgegensetzung zur „preußischen" die „bürgerliche". Der Bürger „kämpft" nicht, sondern „rechnet", er wägt „Vor- und Nachteile, Gewinn- und Verlustaussichten... gegeneinander ab"652 und sucht nicht den Sieg des Tüchtigsten im Kampf, sondern zieht dem Kampf den vorteilhaften „Kompromiß" vor. Während der „heroische Mensch" ganz „unverfälschte Poli160
tik" (das meint „vorbehaltlose", also nur Pausblatt des völkischen „Lebenskampf-Instinkts") ist, ist der Bürger „ganz Wirtschaft" (denn „Wirtschaft ist Rechnung"), er ist „Händler" und der „städtische" Mensch „der reine Händler".653 In seiner „äußersten Ausbildung und Vollendung ist der städtisch-bürgerliche Mensch" daher „der Nichtheld in jedem Betracht. Er ist zu selbstisch, zu vorsichtig, zu bedachtsam, zu berechnend, zu verfeinert... um Held sein zu können."654 „Bürger" und „bürgerlich" sind bei Niekisch somit aber auch wieder nur Synonyme für „Stadt" und „städtisch", meinen also dasselbe. Keineswegs ist unter dem „Bürger" daher etwa auch der zum Krieg treibende Monopolkapitalist verstanden. Ganz im Gegenteil, der ist wagemutiger Unternehmer, als Wirtschaftsführer Tüchtigster und Sieger im Lebenskampf und damit „Held", also gerade „gegenbürgerlich" und überhaupt die Erklärung dafür, daß das unkämpferische Bürgertum eine gleichwohl respektable und dynamische Wirtschaft zustandegebracht hat. „Der Mut zum todesverachtenden Wagnis ist das Heldische. Nur weil zu Beginn des Zeitalters der Industrialisierung heldische Menschen - die großen Unternehmer- und Erfinderpersönlichkeiten - in die Wirtschaft einströmten, empfing sie etwas vom Glänze der Tapferkeit und Kühnheit, von der sprudelnden Unbekümmertheit kecker Versuchung des Schicksals. Die Wirtschaft... wurde durch die Entwicklungsimpulse bereichert, die mit dem heldischen Menschen in sie einfluteten."655 Folglich konnte das mit „anti-heldisch" gleichgesetzte Verdikt „bürgerlich" sie aber auch nicht treffen, galt vielmehr nur gerade all jenen politischen und ideologischen Traditionen im Bürgertum wie darüber hinaus, die ihrem „heldischen" Lebensraumkampf-Drange im Wege waren und darum auch, in Verlängerung nur der Synonyma-Kette um ein drittes Glied und Konfrontation wiederum zum zentralen Positiv-Wert „heldisch", im Negativ-Sammel-Wertbegriff des „Feigen" zusammengefaßt wurden. Diese „bürgerlichen" Entwicklungen zur Kampfentwöhnung hin, die dazu geführt haben, daß man sich in der „Stadt" als „edle Blüte der Menschheit" preist, „weil man den Trieb der Gewaltsamkeit in sich erstickt habe und gar kein heldischer Mensch mehr sein wolle", und daß sich heute „die Feigheit des Städters . . . selbstbewußt als Menschlichkeit und Friedensliebe genießt"656, aber hatten schon früh, mit der Aufklärung und der Entdeckung des Individu161
ums eingesetzt, das sich im „Individualismus" zum „Selbstzweck" und „Träger des Weltsinns" erklärte und mit ihm zum „Gegenpol des Heldischen" macht 657 ; denn aus dessen Sicht soll nunmehr nur noch als „sittlich, human, fortschrittlich" gelten, was „dem Individuum bekömmlich" ist658, zu seinem Tode führende Tapferkeit wird also sinnlos und daher „das Beben vor dem Tode allerdings grenzenlos". „Millionen schreien da, daß sie weder Lust noch Willen zum Sterben hätten." 659 Antiheldisch aber auch der mit diesem Prozeß der abnehmenden Aufbruch-Freude in den Tod nur untrennlich verbundene „Siegeszug der Ratio", der dem Individuum zur Lebenshaltung werden ließ, mit seinem „Verstand" alles „nach seinem Warum, nach seinen Gründen" zu befragen und sich „an alle Schleier" heranzuwagen, „um sie zu lüften"660, und das „die deutsche Kampfleidenschaft lähmend", die Deutschen verweichlichend und also verbürgerlichend auch schon vor aller eigentlichen Entstehung des Bürgertums seit jeher „das Germanisch-Heroische" bedrohende, als „sein heimlicher und tödlichster Feind" auf dessen Domestikation ausgehende, „den Bazillus der Aufklärung in sich" tragende Christentum; „seit Jahrhunderten" ist dieses gegenüber dem „deutschen Menschen" am Werke, „sein urtümlich gewachsenes deutsches Selbst zuerst zu betäuben, alsdann zu zerbrechen" (weshalb zur Wiedergewinnung der Kraft der Deutschen für ihren „Freiheitskampf" deren „Verheidung" gehört).661 Aufgrund solcher Auflösung der ideologischen Essenz des „Bürgerlichen" im Merkmal „kriegsscheu" wird dann aber auch die Feststellung möglich, daß die politische Grund-Weltanschauung „des Bürgertums" und seine gleichsam genuin-elementare politische Richtung - und damit kommen wir zu Positionsziffer 1 im realen „Widerstands"-Feindbild - der „Pazifismus" sei. Denn: „Die Angst vor dem Kampf, das ist der Gehalt des Pazifismus."662 Diese Lebenskampf-Scheu legt der „Bürger" oder „Städter" aber natürlich nicht nur gegenüber dem äußeren Feind, sondern ebenso auch im Innern an den Tag. Auch hier ist er „pazifistisch", sucht, statt zu kämpfen, den Kompromiß, und sogar dies in möglichst risikofreier, schon im vorhinein geregelter Form. Sein genuiner politischer Wesensausdruck ist daher zugleich auch der „Liberalismus", und sein Staatsideal ist nicht der den „reine(n) Geist der Politik" 663 verkörpernde „preußisch-deutsche Staat mit seinen militärischen, feudalen und autokratischen Formen" 664 , dessen „Staats162
Wirklichkeit" er „fremd und kühl, ja versteckt feindselig" gegenübersteht 6 6 5 , sondern das liberale; er versucht, sie und den „preußis c h e ^ ) Lebensstil" - das „bedingungslose U n - und Antibürgerlic h e " - zu „verbürgerlichen" resp. zu „verliberalisieren
" 6 6 6 (Feind-
bild-Positionsziffer 2). N u n standen dem Kriegsdrang des deutschen Imperialismus und all dem, was Niekisch unter dem „ländlich-heroischen" preußischen Staatsgeist versteht 6 6 7 , doch in Wirklichkeit aber noch viel mehr als pazifistische und liberale Tendenzen im B ü r g e r t u m entgegen, nämlich als die entscheidende, von Monopolkapital, Reichswehrführung und „nationalem" Verbändelager auch vor
allem
gefürchtete und ihre ganze Aufmerksamkeit auf sich ziehende Hauptkraft der gerade nicht- und antibürgerliche Marxismus die marxistisch orientierte Arbeiterbewegung.
und
Eben deshalb w u r -
den sie in diesem Schema, dem es darum zu tun war, den imperialistischen Kriegswillen als das „Antibürgerliche" und die Kriegsgegnerschaft als das „Bürgerliche" (und damit als den „ F e i n d " ) darzustellen, nun „dem Bürgerlichen" zugeschlagen, und zwar der M a r xismus ganz, die Arbeiterbewegung soweit, wie sie kriegsgegnerisch war. „Das ,Antibürgerliche' wurde bisher mit dem .Marxistischen' gleichgesetzt. Vom Standpunkt jener neuen nationalistischen Haltung aus erscheint das Bürgerliche und Marxistische als untrennbare Einheit. Das Bürgerliche und Marxistische stimmen in Lebensgefühl und Werthaltung überein; den wirtschaftlichen Gütern wird die oberste Rangstufe zuerkannt... Der gesellschaftlich-wirtschaftliche Blickpunkt beherrscht das gesamte Weltbild . . . Gleich weit vom Bürgerlichen wie vom Marxistischen steht der Nationalist; beide empfinden sie ihn als ihren Verneiner, als ihren unbestechlichen Todfeind." 668 Und man erfährt auch, vor dem Richterstuhle von Niekischs Zentralwert „Preußen", wie ernst das Wort von der „Todfeindschaft" seitens dieser „Nationalisten" selbst gemeint ist: „Karl M a r x . . . verfolgte das Preußentum mit seinem giftigsten Haß; ingrimmig verabscheute er es, mit sämtlichen Wurzeln wollte er es ausgerottet sehen." 669 Und zur Prozeß-Anklage gehört die Vergegenwärtigung der Folgen, die dies für das Bewußtsein des „deutschen Arbeiters" gehabt hat: „Nicht die stolze Geschichte seines Volkes, sondern ein wirtschaftliches Werk ist seine Bibel; nicht aus dem gebieterischen Walten des preußischen Raumes, sondern aus den Pointen des ,Kapitals', der Literatenleistung eines rachsüchtigen jüdischen Emigranten, empfing er seine Haltung und den Stil seines Wesens." 670 Diese Todfeind-Erklärung an einen Verderber des ArbeiterNationalismus mittels seiner Anprangerung als gehässigster Gegner des Inbegriffs deutscher Art, Preußen, fällt gegenüber den V e r d o r 163
benen selbst, der Arbeiterbewegung, nun aber kaum schwächer, sondern angesichts der Unentbehrlichkeit der Arbeiterschaft für die Kriegführung einerseits, des aus diesem Blickwinkel sich darbietenden Jammers ihrer Gesinnung andererseits, eher noch ungehaltener und grudsätzlicher aus. Die Arbeiterschaft rückt in ihr jetzt jedenfalls - und hier schlägt im Stadt-Land-Demagogieschema nun auch der zu seiner Funktionalität erforderliche Realitätsgehalt bis zur Sprengung fast der Kulisse durch - auf den Platz der überhaupt zentralen Repräsentanz der „Stadt", der Hauptantriebskraft und -potenz der „Verstädterung" (doch dem Schema zufolge: „Verbürgerlichung"; sie wird also demnach- nun gerade auch die Haupterscheinungsform und wohl zugleich auch Essenz des „Bürgerlichen"). Sie rückt damit auf den Platz des entscheidenden und des nun unmittelbar und direkt als deren Hauptfeind konfrontierten Antipoden der schemaeigenen Leit-Positivwerte: heroischer Mensch, „vorbehaltlose" (raumkampf-„instinkt"-geleitete) Politik, Preußen. „Die ausgeprägteste Spielart des verstädterten Menschen ist der Industriearbeiter."671 Er ist „der Mensch, der am losgelöstesten vom nationalen Organismus ist; auf dem Asphalt moderner Städte... verflüchtigt sich die geheimnisvolle Gewalt von Blut und Boden."' 7 2 ... Nie wäre auf märkischem Sande ein starker Staat entstanden, wenn hier nicht der reine Geist der Politik am Werke gewesen... Demgegenüber ist der verstädterte Arbeiter der vorbehaltlos unpolitische Mensch... Der Proletarier... war der Mensch... ohne Heroismus, er war der Mensch, d e r . . . auf die Schwächung und den Selbstverzehr der organisierenden Kraft hinstrebte, die sich im Staat verkörperte.. ,673 Dieser Bevölkerungsschicht fehlte einfach aufgrund ihrer Daseinsvoraussetzungen das Organ ebenso für die politische Gesetzlichkeit des deutschen Raumes wie für die Bedeutung politischer Geltung überhaupt. Indem sich ihre Existenz ausschließlich auf dem Geflecht der Weltwirtschaftsbeziehungen erhob, war sie unempfindlich für Gebot und Stimme des Politischen, das aus der Lebensnot von Volkstum und seiner Räumlichkeit aufsteigt.674 . . . Da der deutsche Proletarier nicht Fleisch vom Fleische der preußisch-deutschen Daseinsform war, empörte er sich gegen s i e . . . Seine erbitterte Abneigung, seine unversöhnliche Gegnerschaft, seine Empfindung einer abgründlichen Wesensverschiedenheit schmiedete sich eine grausam-rücksichtslose Formel: .Diesem System keinen Mann und keinen Groschen.' .Dieses System' - das war der preußisch-deutsche Lebensstil schlechthin. Eine unerbittliche Todfeindschaft verriet sich in dieser Losung; ein Vernichtungswille ohnegleichen kündigte sich darin an."675 Und hier nun einerseits in der Gestalt des Proletariers die komprimierte Zusammenfassung des gesamten Feindbilds, um das es diesem Schema zu tun war und in der die Kampfansage an den 164
Marxismus als der politischen Feindsubstanz in der feindlichen Arbeiterbewegung sich noch einmal inhaltlich in Form des völkischen Internationalismus-Klassenkampf-Verdikts wiederholt, und dann andererseits, da der kriegerische Imperialismus von der Arbeiterschaft ja nun aber nicht lassen kann, die Anklage-Relativierung von einer Wesens- in nur eine Zustands-Anklage und damit das Programm „nationaler" Arbeiterpolitik: „Der Proletarier entbehrt in dem Maße des Sinnes für politische Notwendigkeiten, als er internationalistisch, pazifistisch, demokratisch, klassenkämpferisch denkt, also verantwortungslos, feige, zuchtlos und ichsüchtig ist." 676 Und nun die ihm Kredit einräumende Aufmunterung an ihn (und vor allem die um ihn besorgten „Nationalisten"), daß das so aber nicht bleiben müsse: Der „4. August 1914" habe das „Wunder" gebracht, daß das „selbstisch-materialistische Wesen vom deutschen Menschen wie eine Schale abfiel, die seinen wahren heldischen Kern, der auch im verstädterten Proletarier noch versteckt liegt, verdeckt hatte. . . . in einer unvergleichlichen Reinheit trat die heldische Urnatur des deutschen Menschen wieder in Erscheinung; der deutsche Mensch kämpfte nur noch, litt nur noch, opferte nur noch, (Niekisch begeistert:) starb nur noch." 677 (Darum ging es bei dem Ruf, den Arbeiter „national" zu machen). Solch heroischer Welthaltung und Politik-Auffassung lief dann aber natürlich ganz und gar zuwider, auch nur auf irgendeinem Gebiet dem „unheldisch-selbstischen" Wesen des Proletariers entgegenzukommen und sich mit ihm, es dadurch nur fördernd, auf Kompromisse einzulassen, etwa gar in der ja nur wieder ganz städtisch-„händlerischen" Absicht, sich von ihm seine Bereitschaft zum „Helden" oder auch den Revolutionsverzicht und sozialen Frieden im Innern zu erkaufen.678 Niekisch und der „Widerstandskreis" waren daher bei allem dringlichen Interesse an der Integration der Arbeiter in die „Nation" gleichwohl kalt-spöttische Gegner aller diesem Ziel geltenden sozialreformistischen Strategien wie des „Wohlfahrtsstaats" und überhaupt von Sozialpolitik, die in Niekischs Stadt-Land-Panorama den Stellenwert eines der von der Sache her größten Wirkfaktoren der „Verweichlichung" und „Entheldung" des „deutschen Menschen" und insbesondere der Arbeiter erhielt - dies nun wieder in unmittelbarem Nietzsche-Rückbezug, aus dem Blickwinkel gleichsam des auf soziale „Mitleidsmoralen", ob nun demokratischer oder christlicher Provenienz, verächtlich herabblickenden „Ubermenschen" und unter leitmotivischer 165
Anführung des Nietzsche-Worts: „die christlich-demokratische Denkweise begünstigt das Herdentier, die Verkleinerung des Menschen, sie schwächt die großen Triebfedern (das Böse)" 679 . „Ihr menschlicher Stolz verkümmert. Ihr Drang erstirbt, sich wieder auf eigene Füße zu stellen; wo man so bequem zu seinem Brote kommen kann, wird man träge und stumpf.' 80 Der Proletarier übernimmt die bürgerliche Ansicht, daß der Staat nur ein Knecht und Diener des Individuums sei.681 Der Wohlfahrtsstaat treibt Fürsorge, meidet aber eigentliche Politik.' 82 . . . Die Versorgungsaussicht wandelte den Arbeitnehmer zum Wurm. . . . Die Sozialpolitik des verstädterten, opferscheuen, liberalisierten und ichsüchtig gewordenen deutschen Volkes wurde zu einer Veranstaltung, den nationalen Widerstandswillen der Massen zu ertöten, menschlichen Unabhängigkeitsstolz, Selbständigkeitstrotz und Freiheitsdrang auszutilgen und der völligen Verohnmachtung Deutschlands Vorschub zu leisten 6 8 3 ... Die Wohlfahrtspflege w u r d e . . . zum eiternden Geschwür, das den deutschen Staat zernagte und zerfraß." 684
Und hier der Ausblick auf die Befreiung von diesem Geschwür: „Alle Nutznießer des Wohlfahrtsstaates", die sich „sofort mit intriganter Geschäftigkeit" zusammenfinden, „wenn es gilt, dem Staat den Zugang zu den Geleisen der Machtpolitik, d. h. echter Politik zu versperren" und die ihn nur als „Invalidenheim, Rentneridyll, Fürsorgeanstalt" akzeptieren wollen, „wittern" selbst, daß er „in dem Augenblick, in dem er sich zu einer politischen Handlung aufrafft, sich sogleich über die Gefilde tränenfeuchtschwachherziger Wohltäterei e r h e b t , . . . s^in Arm sich des Geschäfts der Almosenverteilung schämt und sich nach dem Schwert streckt,... wie er, sobald ihn wieder ein Gefühl von Ehre und Würde beschleicht, voll Ekel aus der Atmosphäre weibischer Sentimentalität flüchtet und sich nach der klaren Luft männlichkämpferischer Krafterprobung sehnt." 685 „Weibischer...", damit sind wir - die Feindbild-Liste ist eben noch keineswegs zu Ende - bei einem weiteren Glied in der Synonyma-Kette städtisch-bürgerlich-unheldisch-feige-unpolisch. Dieser nächste, nur wieder für alle vorherigen gleichbedeutend stehende und mit ihnen austauschbare Negativ-Topos heißt „weiblich". In der Gestalt der Frau oder des „Weibes" wiederholen und bündeln sich wiederum sämtliche zentralen und einzelnen NegativSetzungen des Stadt-Land-Schemas, und zwar nunmehr freilich als ihrer gemeinsamen, in ihr gleichsam zusammenlaufenden und am konzentriertesten verkörperten, menschlich-„natürlichen" Personifikation und Herkunft, somit aber auch ihrem eigenen Inbegriff: Der „Verstädterungs"- resp. „Verbürgerlichungs"prozeß wird 166
daher auch weiter entschlüsselt als ein seinem Wesen nach Prozeß der „Verweiblichung" b z w . - was Niekisch als A u s d r u c k bevorzugt - „Verweiberung" 6 8 6 . Mithin k o m m t die Frau also nun als die am Ausgangspunkt und im Hintergrunde aller entheroisierenden „Verweichlichungs"prozesse stehende naturhafte N e g a t i o n des „ H e l d e n " und die ihm somit eigentlich antipodische Figur in den Blick. U n d auch das war keineswegs eine bloße Allegorie, sondern eine konkrete Kampfansage, deren systematischer Z u s a m m e n h a n g mit allen übrigen auf der allegorischen Ebene vergegenwärtigt wurde. „Das Heldische ist das spezifisch Männliche; eben das ist es, was den Mann gegenüber dem Weibe abhebt, was ihm die Überlegenheit über das Weib schenkt. Wo der Mann aufhört, Held zu sein, da emanzipiert sich die Frau.. . 687 . . . Man kann den Gegensatz zwischen dem heldischen und dem bürgerlichen Menschen so bezeichnen: jener will gefährlich, dieser will sicher leben. Die Unsicherheit der Verhältnisse ist dem bürgerlichen Menschen der schrecklichste der Schrecken; wenn die Erde bebt (und hier hüpft, schon beim bloßen Gedanken daran, Niekischs Herz sofort spürbar in die Höhe, R. O.), ist es für ihn niemals ,eine Lust zu leben'. Er will Frieden, ,um seinen Geschäften nachgehen zu können'. Er ist der Haustiermensch - der Mensch also mit dem Lebensgefühl des Weibes; er ist weibisch, weil er bürgerlich ist" 688 Als dem K a m p f ausweichender, „händlerisch" auf K o m p r o m i s s e bedachter „ B ü r g e r " verhält er sich ebenso unheldisch-„händlerisch", zurückweichend und verweibischt aber eben gerade auch der Frau gegenüber - mit diesen fatalen Folgen: „Der Weiberkult gehört zum vollkommenen Händler.. ° m Ist jedoch „das Feilschen der Inhalt des Lebens: auch sie hat etwas zu verkaufen und kommt allmählich dahinter, daß der Mann, der sich nicht mehr auf das .Rauben und Nehmen' versteht, willig ist, einen hohen Preis dafür zu bezahlen. Er bestätigt ihr ,die Gleichheit alles dessen, was Menschenanditz trägt'; er gewährt ihr gleiche bürgerliche, gleiche politische Rechte; er stimmt in ihre Entrüstung über die bisherige .Knechtung des Weibes' ein. Er gesteht zu, keinen begründeten Anspruch auf die Herrschaft über die Frau, kein Recht zur .Unterjochung des Weibes' zu besitzen." Wo sich in solcher Weise „das Heldische" preisgibt, sich nicht mehr „Verehrung u n d . . . freiwillige Unterordnung" erzwingt und der Mann damit zum Aufbegehren gegen sich geradezu einlädt, vergleichbar einem „verbürgerlichten" Arbeitgeber, zu dem der Arbeiter nicht mehr „aufsehen" (und sich daher auch gegen ihn auflehnen) kann, weil er zwar in dessen Abhängigkeit steht, „dieser aber dann doch nicht das Zeug in sich hat, sein ,Herr' zu sein", da macht „das Weib... sich breit und tritt in den Vordergrund". In den USA „sind die Dinge bereits so weit gediehen; das Volk dieses Staates ist durchaus verweibischt", an „einer Belastungsprobe, der nur ein Volk heldischer Männer gewachsen ist, gingen sie wohl zugrunde". Doch 167
immerhin sei dieses Land „im Besitze einer geschützten, fast unangreifbaren Lage" und das „innere Gewicht" seines Gemeinwesens „aus natürlichen Gründen vorerst noch so überwältigend, daß es sogar Girls fertigbringen, es zu erhalten". Völlig anders natürlich die Situation im Falle eines Volks, das sich eine solche „Lage" gerade erst erobern will: „Deutschlands Heil liegt nicht bei Girls, liegt nicht bei emanzipierten Frauen; für Deutschland ist der Feminismus mit all seinen pazifistischen, humanitären, ethisierenden und ökonomischen Masken der politische Krebs."" 0
Zu den Metastasen dieses Krebses gehört nunmehr wiederum im engeren Sinne und zuerst alles unmittelbar politisch Kriegsvorbereitungsgegnerische, im weiteren aber eben auch alles nur überhaupt Kriegsmobilisierungs- und Kriegführungshinderliche. „Der reine Fürsorgestaat, der unbedingte Nichtstaat ist das Geschöpf der femininen bürgerlichen Gesellschaft. Auch der deutsche Bürger überschlägt bereits, wie viele Kinder man speisen könnte, falls man sich des Baues von Kriegsschiffen enthielte... nur die weibische Sentimentalität... bringt es fertig, von ihnen gemeinsam in einem Atemzuge zu sprechen." 691 Der Metastasen-Vormarsch des „Verweiblichungs"-Krebses, zu dessen Vorarbeiter sich der „Bürger" macht, greift darüber aber eben weit hinaus: „Der Staat mit seinen strengen, herben und harten Anforderungen war noch niemals eine Angelegenheit des Weibes; darum liberalisiert, ethisiert, humanisiert auch der Bürger den Staat." 692 Hier ist das „Heldische" in seiner Möglichkeit zu „vorbehaltloser Politik" nun aber zentral getroffen, „Preußen" als die Idee für morgen in Gefahr und nur zu retten durch die Sammlung der „Minderheit" der „heroischen Menschen" zum „Widerstand", zu dessen Programm dann entschlossene Entfernung des erkannten, vom „Bürger" fahrlässig geduldeten und begünstigten Erregers der Staatsverweichlichungs-Krankheit aus dem Staatskörper gehören muß. „Widerstandslos läßt der Bürger es geschehen, daß das Weib mit seiner Gefühlsseligkeit, seinem egozentrischen Horizont sich in das politische Handwerk mischt und damit verhindert, daß noch Politik gemacht wird. Weiblicher R e d e . . . haftet ein widerwärtiger Geruch nach Kinderwindeln, Speisekammer und Kleiderschrank an, wenn sie von der Parlamentstribüne ertönt. In den Kehlen der wenigen Männer, die sich in dieser verbürgerten Welt noch vor dem Schicksal der Verweiberung bewahrt haben, würgt der E k e l . . . " Der Programm-Vorsatz dieser „wenigen", sich im „Widerstand" sammelnden, noch heldischen Männer (Niekischs „nationalistischer Minderheit") daher: „Jene Auserlesenen hoffen 168
nach Pauli Gebot: ,Das Weib schweige in der Kirche' - eines Tages dem Weibe wieder Schweigen im Staate gebieten zu können." 693 Denn, röhrt's aus Niekischs Kehle, in der soeben noch außer Ekel auch ein leichtes Zittern um seinen Weltkrieg war, nach diesem befreienden Ausblick in die Zukunft zur Begründung nun wieder kraftvoll-donnergrollend nach oder zuckt's ihm gleich wieder nur so stahlsplitternd von den Lippen: „Der heldische Mann allein kann Deutschland befreien, der Mann mit ungebrochenen kämpferischen Instinkten.. ." 694 Selbstverständlich mußte dann aber das, was all diesen staatszerfressenden Geschwüren und Krebsen sogar noch Legalität verlieh, also die Demokratie, und vor allem deren essentielles und konstitutives Prinzip, die Egalitätsidee, der Gleichheitsgedanke (dem jeder noch so großbürgerlich-liberalimperialistische Staat, solange er sich demokratisch nennt, doch formell akklamieren und irgendeinen Tribut zollen muß) das sowohl staatspolitische wie ideelle Erzübel und damit doch gerade aus der Sicht eines „vorbehaltlosen" Staatsverständnisses die Krankheit hinter allen Krankheiten sein. „Die Demokratie ist eine Lähmungserscheinung der Lebensfunktionen, sie ist eine Art allmählichen Verflackerns der lebendigen Kraft. Sie sei ein Nachlassen der organisierenden Kraft, hatte Nietzsche bemerkt. Die grobe Stofflichkeit wälzt sich in den Vordergrund... Das Hochkommen der demokratischen Strömungen ist immer ein Symptom, das für das Ausmaß der Lebenskraft, den Gesundheitszustand einer Gesellschaft aufschlußreich und kennzeichnend ist. Hand in Hand mit ihr vollzieht sich die seelische Verödung, die Intellektualisierung, die soziale Proletarisierung, im Grunde also die Verdünnung des Lebensprozesses überhaupt... Jede Rangordnung verstößt von vornherein gegen das demokratische Prinzip; was da kreucht und fleucht, soll auf gleichen Fuß gesetzt werden. Der besondere Wert, der höhere Rang werden in Frage gestellt... Demokratie ist kulturlos."" 5
Niekischs wütender Haß auf den Egalitätsgedanken und „Demokratismus" verdichtet sich - hierin historisch völlig exakt auf die „Ideen von 1789", in denen alles, was im Angriffshorizont des Rufs nach „reiner" Lebensraumkampf-Politik und dem „heroischen" Staat liegt, kondensiert und das vom „nationalistischen Widerstand" insgesamt zu bekämpfende und in Deutschland zu überwindende Feindspektrum am kürzesten benannt ist. „Deutschlands Wiedergeburt ist nur möglich innerhalb einer umfassenden Auseinandersetzung mit den Ideen von 1789, mit dem Gedankengut des Aufklärungs- und Humanitäts-Zeitalters. Die Ideen von 1789 sind verkörpert im modernen Individualismus, in der bürgerlichen Welt- und Wirtschaftsauffassung, im Marxis169
mus und in der modernen Demokratie... Deutschland... entwikkelt seine besondere, den Ideen von 1789 entgegengesetzte Lebensform aus sich selbst heraus."696 Und genau von hier aus kommt es nun zu noch einem weiteren und dann sogar noch einem, aus ihm wieder hergeleiteten - Kettenglied in Niekischs Synonym-Reihe Stadt-Bürger-Frau, dessen besonderer Funktionssinn folgender ist: Es erlaubt Niekisch nun das gesamte im einzelnen vor Augen geführte innere ideologischpolitische Feindspektrum mit einem einzigen Ruck in toto aus Deutschland hinauszukatapultieren und es zum Ausdruck und Ausfluß des Geistes einer auswärtigen, dem „deutschen Menschen" feindlich und auf dessen Zerstörung bedachten Macht, zu völkischem „Fremdgeist" also, zu erklären. Das diesen Hebeleffekt bewirkende Zauberschlüsselwort lautet: romanisch. Niekischs berühmter „Antiromanismus"697 enthielt zwei Stoßrichtungen in sich, die unter diesem Dach miteinander verknüpfbar waren. „Romanisch" - das war einmal Frankreich, das waren Paris und die Ideen von 1789, das Egalitätsprinzip. Das war der Hauptstoß, dem dieser gesamte „Antiromanismus" galt, die dank des französischen Geburtsorts der „Ideen von 1789" durch ihn gegebene (oder eben hergestellte) Möglichkeit, sie (und damit alle demokratischen Kräfte und Traditionen in Deutschland) auf rassistischer Grundlage dem „germanischen" (und über ihn „preußischen") „Geist" als rassischvölkisch „fremden" Geist zu konfrontieren und ihnen damit namens der „volklichen" Eigenart aus Deutschland die Tür zu weisen. Das also war - und hier beginnen jetzt erst die Spezifika der Niekisch-Linie - eine andere Spielart völkischer Identifikation des inneren politischen Feindes mit einem äußeren Rassefeind als die antisemitische. Nicht das „Weltjudentum", sondern das „Romanentum" bzw. der „Romanismus" waren im Niekischs Demagogie-Pradigma der die „deutsche Volkssubstanz" bedrohende äußere Rassefeind. Und sollte jemand etwa noch immer meinen, man könne Niekisch vielleicht, wenn schon ein Völkischer, als den Vertreter einer „linken" Strömung innerhalb der Völkischen ansehen: genau das hatte er mit eben diesem Antiromanismus als Möglichkeit rasiermesserscharf abgeschnitten, dessen ganzer Stoß erklärterweise der Egalitätsidee galt - aufgrund wovon aber ist jemand jemals, in welchem Grade immer, ein Linker, wenn nicht aufgrund eines - wie graduell auch gestuft positiven Bezuges auf sie. (Hier liegt die Markierungsgrenze zwi170
sehen links und nicht-links, und nirgendwo sonst.) „Romanisch" - das aber war auch Rom, das alte, Germanien erobernde Imperium (für Niekisch Urbild damit der „Metropole" als Gegenspielerin des „Landes"), und dann die christliche Katholizität, die Niekisch mit Nietzsche für die sich anschließende Zeit, lange vor allem dann demgegenüber kaum noch ins Gewicht fallenden Protestantismus, für das Aufkommen der „Mitleidsmoral" und Sündenbestürztheit der Menschen und damit die Fortführung des Römer-Kampfs gegen die Germanen, die Verderbnis nämlich ihrer - jedenfalls von ihm imaginierten - kraftvolleren eigenen Lebensart verantwortlich machte und der Vorbereiterdienste am sich erst spät seiner christlichen Keimschalen entledigenden Gleichheitsgedanken zieh. Vor dem Negativ-Kriterium der Staats„Verweichlichung", Politik-„Versentimentalisierung" und damit „De-Germanisierung" waren Caesars Römer-Legionen, der römische .Klerikalismus, Aufklärung und französischer Jakobinismus für Niekisch mühelos im Bilde einer einzigen, sich durch die Jahrhunderte ziehenden Linie „romanischen" Kampfs gegen die „germanische Art" zusammenziehbar: das brachte die Möglichkeit, ein Bild der Weltgeschichte zu zeichnen, aus dem dann „zwingend" die eigentlich „nationalrevolutionäre" Konsequenz, auf die es Niekisch ankam, hervorsprang. Diese Weltgeschichtsdeutung besagte des Näheren, daß sich „die Romanen" in ihrem uralten Kampf gegen das Germanentum des für sie charakteristischen Mittels bedienen, ihre Ideen nicht als völkisch eigentümliche, sondern als allgemeine Menschheitsideen von „universeller" Gültigkeit zu artikulieren („ein" Gott, „die" Vernunft, „die" Wahrheit, „die" Moral und Kultur - statt je völkisch verschiedener)698, um sie „den Barbaren" aufzudrängen und sie damit geistig zu „kolonisieren". Dieser romanische „Universalismus" habe einst in Form der Christianisierung das Germanentum überfremdet und sich unterjocht und später seinen Kampf mit der Verkündung der ebenso „universalistisch" gefaßten Ideen der Aufklärung und der Französischen Revolution fortgesetzt (worin sich im übrigen die Verlagerung des Führungszentrums des Kampfes gegen das Germanentum innerhalb der romanischen Welt von Rom nach Paris signalisiert hätte). Und nun, nachdem wir wissen, was Niekisch mit „romanisch" meint und unter dieser Bezeichnung attackiert, können wir auch erst seine knappe Definition des „Bürgers" verstehen: „Der Bürger 171
ist die Daseinsform, in die der Deutsche hinüberwechselt, sobald er sich dem Einfluß romanischen Wesens beugt." 699 Das Alarm-Bild vom Einbruch des „romanischen" Geistes dramatisiert sich bei Niekisch nun aber dadurch, daß in seinem Geschichts-Tableau der 1. Weltkrieg, ganz im Sinne dieses Rasters, als ein Ringen des „deutschen Menschen" gegen eine „ihn" umzingelnde Welt von Feinden, die es auf die Zerstörung seiner „deutschen Eigenart" abgesehen und sich dazu verbunden hatte, dargestellt ist und die Kriegsniederlage somit als der bereits physischäußerliche Triumph dieser Feindmächte über den Willen „des deutschen Menschen" zur „Selbstbehauptung" seiner „Eigenart" erscheint, dem massierte Strategien zu seiner auch endgültigen „geistigen" Eroberung nun folgen, zu denen u. a. dann - die gesamte Weimarer Verfassung gehört. „Der nachrevolutionäre .demokratische' Staat wuchs nicht organisch aus dem Urgrund des deutschen politischen Daseins e m p o r . . . Er entstand förmlich aus der Retorte: man betrachtete der Reihe nach den verfassungspolitischen A u f b a u der Siegerstaaten... Der rationalistisch-liberalistische Geist des ausgehenden achtzehnten, des beginnenden neunzehnten Jahrhunderts vollführte hier noch ein spätes technisches Kunststück; ein liberaler Professor, der nicht im deutschen Volkstum wurzelte, war der Urheber des Verfassungstextes. So wurde sie nicht Gefäß deutschen W e s e n s ; . . . wie sie aus fremdem Geiste geboren, durch fremden Willen uns aufgenötigt wurde: so ist sie der Apparat, mittels dessen fremder Einfluß Deutschland beherrscht, Deutschland niederhält. In dem Grade, in dem sie in Kraft ist, ,sich durchgesetzt hat', wird das Ausmaß der Fremdherrschaft sichtbar..."™
Diese „Fremdherrschaft" aber zielt auf nichts Geringeres als: „Deutsches Sein soll endgültig ausgelöscht sein: das ist der Wille der westlichen Staaten." 701 So aber läßt sich nun auch das von diesem Argumentationsschema mit jedem Wort geforderte Vorgehen gegen die Weimarer Republik und all die „Verweichlichungserscheinungen" im Staat sowie deren politische Träger darstellen als ein „nationalrevolutionärer" - und jetzt erst erhält dieses Wort seine spezifische Einfärbung - „Widerstand" und „Aufstand" gegen die „politische und kulturelle Überfremdung" durch die Siegerstaaten, den „Kolonialismus" ihrer „universalistischen" Ideen und Systeme namens der von ihnen erdrosselten nationalen Kulturwerte und unverwechselbar-einmaligen Volkseigenart (zu der dann natürlich prompt all das, was man aus dem Lande heraus haben wollte, nicht hinzugehörte - und was davon war nicht dem „Universalismus"-Vorwurf 172
aussetzbar, also „Überfremdung"?). „Deutsche Widerstandspolitik ist die Pflege des Abwehrgefühles gegen alles, was den Weltimperien entstammt, seien es Verfassungsformen, kulturelle Lebenserscheinungen, sei es überhaupt die Gesamtnatur ihrer Geistigkeit.702 . . . Erschlafft die Widerstandskraft eines Volkes der vordringenden fremden politischen und kulturellen Umwelt gegenüber, dann verrät sich, daß es nicht mehr genug Reserven in sich birgt, um leben bleiben zu können... Widerstandshaltung ist: Quellen aufzuspüren, aus denen dem nationalen Selbstgefühl unerschöpfliche Nahrung gespendet werden kann", wie des weiteren: „an Konstellationen zu glauben, die Deutschland wieder zu stolzer Höhe emportragen sollen".703 Nun war, was gerade z. B. an Verfassungsformen als „dem deutschen Wesen fremd" nicht mehr geduldet werden sollte, mit dem „Antiromanismus" ja nun aber nicht abgedeckt. Daher gab es ein die Ausweitung des Verdikts auf England und die USA erlaubendes weiteres und letztes Glied in der Synonymen-Reihe, das als allerweitestes alle vorhergehenden in sich zu umfassen vermochte, und das hieß „Westen". Der Negativwert „Westen" wird am Beispiel der USA entwikkelt, und zwar in der Weise, daß sie als das Land der „demokratischen Vollkommenheit" („hier prangt die Demokratie in ihrem schönsten Blütenschmuck") und damit radikalsten „Nivellierung" und „Vermassung" gezeichnet704 und ihr bei deren abschreckender Veranschaulichung nach Tocqueville-Manier die Erscheinungsformen der kapitalistischen Kommerzialisierung (Schundniveau der Massenpresse, Standardisierung des Kulturangebots o. ä.) als Wirkungen des Egalitätsprinzips angerechnet werden. „Amerikanisierung" in diesem mit Beispielen aus der Kommerzkultur illustrierten Sinne wird bei Niekisch stets zum gleichbedeutenden Wort für „Demokratisierung" in der Auslegung von Egalisierung (für ihn identisch mit „Vermassung"), und „Verwestlichung" zum gleichbedeutenden Wort für „Amerikanisierung". Die „Romanen" werden mit den USA vermittels des gemeinsamen Nenners „Demokratismus" verkoppelt: „Der Demokratismus ergoß sich vom romanischen Raum aus über die Welt; wo man Demokrat ist, da ist man stets auch in irgendeinem Sinne römisch.705 Die Demokratisierung selbst wird als „Prozeß umfassender Wertezerstörung", „Veräußerlichung", „Flachwerdung" charakterisiert, die Stoßrichtung gegen sie und den Egalitätsgedanken ist also in den Begriffen „Amerikanisierung" und „Verwestlichung" voll beibehalten und ist 173
ihr Inhalt; sie besagen nichts anderes als auch Romanisierung oder - Verstädterung. Und so, wie das Romanische dem GermanischPreußischen quer durch die ganze Gegensatzpaar-Reihe sofort als Stadt, das Bürgerliche und Weibliche entgegengesetzt wurde, so erscheinen jetzt in den durch „Amerikanisierung" definierten beiden umfassendsten Begriffsschablonen „Westen" und „Verwestlichung" die USA als die Super-Stadt, das Super-Bürgerliche, SuperWeibliche und Neo-Römische, als der Inbegriff der „Metropole" gleichsam gegenüber dem „Land" im Hintergrund auf der Bildfläche 706 und erlauben den „nationalrevolutionären" Widerständlern, auf ihrem heimatlich-märkischen Sande mit Schreckbeispielen aus der abgeschmacktesten hochkommerzialisierten US-Konsumkultur zum „Widerstand" gegen ein Weiterschreiten und Vordringen dieses uns „überfremdenden" nivellierenden „Egalisierungsprozesses" zu mobilisieren; und ihr Schema zeigt, daß es ihnen ganz und gar nicht um einen Kampf gegen die Kommerzialisierungen des Massengeschmacks, sondern um die Mobilisierung zur Beseitigung der Demokratie im eigenen Lande ging. Nachdem wir wissen, was bei Niekisch der Begriff „Westen" beinhaltet, können wir nun aber auch seine konkreteren Absichtserklärungen für die Zukunft - resp. von ihm für die Widerstandsbewegung abgegebene Programmerklärungen, die auf dem Hintergrunde des vorangegangenen grundsätzlichen Bekenntnisses zum Bürgerkrieg und zur „Gewaltkur" ja nun doch einigermaßen blutig klingen - genauer verstehen: „Die bürgerlich-liberale Lebensordnung ist der Natur der Sache nach seit 1918 eines der folgendschwersten Hemmnisse deutscher Befreiung. Diese Lebensordnung bricht die deutsche nationalrevolutionäre Angriffsenerg i e . . . Das Bürgerlich-Liberale ist unter den heutigen Weltverhältnissen ,Feind im Land'. 707 . . . Die westlichen Institutionen, Ordnungen, Lebensprinzipien, die westliche Form, die westliche Geistigkeit... wer ihnen noch anhängt, ist unter Deutschen ein Verräter an der eigenen Sache, ein Feind des Vaterlandes, der für seine Person und sein Eigentum keines Rechtsschutzes mehr würdig ist708 . . . Weil es um Sein oder Nichtsein geht, bleibt Deutschland, wenn es sich erhalten will, das Schwerste nicht erspart: die Bartholomäusnacht und Sizilianische Vesper gegen alles, was an Westlichem in ihm lebt. Mit grausamer Härte muß es in sich selbst ausrotten, was in ihm dem Westen verbündet ist.. . 7 0 '
Und damit niemand etwa denkt: um dafür dann irgendeine Art von Sozialismus aufzubauen, hier gleich von ihm selbst die Klarstellung: „An Stelle der westlichen Zentralisations- und gleichmacherischen Einebungstendenzen tritt das organisch-irrationale... 174
Ordnungsprinzip, das nicht die logisch-vernunftgemäße unpersönliche Schablone, sondern den persönlichen Führer und Gebieter als höchste Autorität setzt.. ." 710 Das war also wohl ohne Zweifel ein Programm von gefährlicher Bösartigkeit, insbesondere aus dem Munde eines Mannes - sieht man es einmal von der Sache her und läßt die Frage nach der Zahl seiner Anhänger beiseite dessen Bücher wie die kaum eines anderen von einem fortwährenden, monomanisch bei jeder Gelegenheit sich wiederholenden Aufhetzen zum Sterben durchzogen waren, bis hin zu dem Aberwitz, es schließlich sogar fast zum Sinn überhaupt des vom „Widerstand" angestrebten „heroischen" Staats zu erklären (der „Widerstand" empfinge seine Rechtfertigung doch nur aus dem in ihm glühenden „inbrünstigen" Willen, „wahrhaftigen deutschen Staat" zu schaffen, „für den man wieder sterben will, sterben kann und sterben darf"711). Aus dem Munde eines Mannes, dem, wenn er vom Krieg - in stets enthusiasmiertmunterem Tonfall - sprach, sofort auch gleich immer das Blut nur so aus dem Munde zu sprudeln begann, der sich etwa (und man muß heute unerbittlich sagen, daß dies kriminelle Reden waren) am Weg der „Langemarck"-Jugend „in den sicheren Tod" nicht satt genug erbauen und begeistern konnte als einem Tag „jubelndsten Aufschwungs", „triumphierende(r) Hingabe an ein Höheres und Uberindividuelles, an das Ewige in uns", einer „Haltung", wie sie „der deutsche Mensch" vollbringt, „von dem Anhauch des Göttlichen übergössen"712 usw. Wofür aber wollte er denn nun eigentlich diese ganze Todes- und Blutopferbereitschaft? Wie sollte der Weg zur deutschen „Weltstellung", um dessen Erkämpfung es ja erklärterweise dem Ruf nach der „heroischen Politik" und dem „heroischen Staat" ging, aussehen? Auch das war im Stadt-Land-Schema, das das ideologische Vortragsmodell eben eines gesamtpolitischen Entwurfs war und daher dessen außen- und expansionspolitische Strategieempfehlung ebenfalls in sich enthielt, ihr den Rechtfertigungsboden schuf und sie ausdrückte, schon beantwortet. Und diese Wegkonzeption war nun allerdings eine mit den im völkischen Lager dominierenden, uns geläufigeren expansionspolitischen Hauptrichtungen kollidierende und insoweit in der Tat aus dem Rahmen fallende und spezielle. Die für die Niekisch-Richtung im völkischen Lager spezifisch 175
bleibende Identifikation des innenpolitischen Feindspektrums mit dem äußeren Feind „Romanismus" drückte nicht nur ihren von allen völkischen Gruppen mit ihr geteilten Antidemokratismus und Affekt gegen die „Ideen von 1789" aus, sondern transportierte zugleich die außenpolitische Option gegen jedes Zusammengehen mit Frankreich, das in ihrem Schema in die Position des äußeren Hauptfeindes gerückt war. Die ausdrückliche Ausweitung des „Romanismus"- oder „Verstädterungs"-Vorwurfs auf Großbritannien und die U S A im Wort „Westen", die freilich schon von Anfang an in der MetaphernFigur des - nicht, wie bei den NS-Völkischen, auf „Jude", sondern auf „Bürger" zurückgeführten - „Händlers" angelegt war, bedeutete eine Absage aber ebenso auch an alle auf ein WeltkriegsZusammengehen mit England - wie die Heß-Hitler-Linie - spekulierenden Konzepte, gegen die Niekisch sogar in ausdrücklicher Form Stellung bezog. „Brito-Germania", spottete er, „sollte Europa erlösen; Großes versprach man sich davon... Um sich einerseits vor der russischen Zersetzung, andererseits vor der französischen Vorherrschaft zu retten, müsse sich Deutschland mit dem englischen Weltreich verbünden... Ein starkes Erlebnis des Machtmißverhältnisses, das seit 1918 zwischen Deutschland und England obwaltet, lag den ,brito-germanischen' Gedankengängen zugrunde. Die Gegenwart wirkte überwältigend; ihre Verhältnisse schienen unabänderlich zu s e i n . . . War es nicht ein vermessener Traum, zu glauben, Deutschland könne je wieder eine gewichtige selbständige Existenz neben England erringen? Die Weltgeschichte hatte gesprochen: was war da noch zu machen? Empfahl es sich nicht, Philosoph zu sein, der sein Los mit Würde trägt, der zu Unvermeidlichem... noch Ja sagte?" 713 Versteht sich, daß das nicht das Verhalten des „Helden" ist. Aber auch die „Mitteleuropa"-Konzeption lehnte Niekisch ab und zwar nicht nur in ihren auf eine Verständigung mit Frankreich angelegten (von den dreißiger Jahren an ohnehin von immer weniger „Mitteleuropäern" zugunsten eines nun wieder geforderten deutschen „Machtwerts" gegenüber den Franzosen vertretenen) Spielarten, sondern generell und grundsätzlich. „Mitteleuropa ist unter heutigen Umständen eine politische Konzeption aus zu engem Horizont und zu kurzer Perspektive. Ihr fehlt das Erlebnis des Weltumsturzes; sie läßt außer acht, daß nur noch ungeheure Räume Gewicht besitzen, seitdem der Technik die Bewältigung unermeßlichster
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Entfernungen gelang,... Mitteleuropa ist Bürgerromantik: wenn sich die politische Phantasie des deutschen Bürgers zum nationalen Fluge erhebt, dann kreist sie zwischen Berlin, Wien, Prag, vielleicht noch Warschau, Belgrad und S o f i a . . . Jeder Deutsche, den der Flügelschlag eines großen, aber ungewissen und gefährlichen Schicksals schreckt, ist Mitteleuropäer 7 H ... Die Idee Mitteleuropa... ist nicht Werkzeug noch Waffe, um Versailles zu sprengen; s i e . . . ist kein Hammer, sie in Trümmer zu schlagen... Es gibt keinen unmittelbaren Zugang zu einem deutsch bestimmten Mitteleuropa... So ist sie ein Spielzeug, das dazu verführt, die Tat zu meiden 7 1 5 ... Mitteleuropa ist die deutsche Drückebergerei vor der strengen, aber weltumformenden Aufgabe, die des deutschen Volkes wartet. Es ist die schöne Phrase, die das Los versüßen soll, römische Reichsprovinz, amerikanisches Kolonialgebiet zu werden" 7 " Wenn ihm „Mitteleuropa" als deutscher Expansionsraum also zu klein war, ihm für die Eroberung des unermeßlichen, „weltumformenden" Raumes aber als Partner weder Frankreich - wie unter den Völkischen etwa Mahraun's „Jungdeutschem Orden", den er deshalb verurteilte 717 - noch Großbritannien oder gar auf dem Kontinent das „romanische" Italien - wie Hitler - und auch nicht wie z. B. Thyssen und Schacht - die U S A in Frage kamen und Deutschlands Kraft doch gerade auch nach seinem eigenen Urteil zu einem Alleingang nicht ausreichte, was wollte er dann aber eigentlich selbst, worin sollte die von ihm geforderte „wirkliche, Versailles zerstörende, Deutschland Luft schaffende Tat" 718 bestehen? Dies hier war sein Konzept: „Ein mächtiges germanisch-slawisches Weltreich birgt der Osten in seinem Schöße. 719 ... Ein neues Zentrum entstünde alsdann, das vom Stillen Ozean bis zum Rhein, von Wladiwostok bis Vlissingen reichte; ein Raumgebiet, das .nordisch' in dem Sinne wäre, daß es sich breit über den Norden Asiens und Europas hinlagerte und alles in seinen Bann zöge, was irgendwie verwandten Wesens ist. Es wäre, Europa-Amerika im Osten wie im Westen, Mittelpunkt der Welt, Kopf der Welt, die Achse, um welche sie sich dreht.720 . . . Deutschland als Kopf, Organisator und Bestandteil eines vom Großen Ozean bis an den Rhein ausgedehnten Staatenblocks: davor hätte Frankreich freilich zu zittern. 7 2 1 ... jenes Machtgebilde wäre ein Preußen im Weltmaßstabe 722 ... Es entstünde ein Machtorganismus, der der Gleichheit alles dessen, was Menschenantlitz trägt, ein Ende bereitete und wieder eine Rangordnung errichtete, die ,jedem das Seine' gewährte... Erst die Form preußischer Willenszucht, in den gewaltigen germanischslawischen Block eingesenkt, verliehe diesem die stählerne Geschmeidigkeit, deren er bedarf, um dem Umkreis der römischen Willensschulung mit ihrem langen Atem gewachsen zu sein. Sein ordensmäßiger Daseinsstil klänge zusammen mit dem Herrschaftsstil Rußlands: Ordensgeist rüstete sich vom Ural bis an die Elbe, um den Geist des Demokratismus über den
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Rhein und die Alpen zurückzujagen. 723 ... Dieses Machtgebilde wiese den europäisch-amerikanischen Demokratismus in seine Schranken und überließe ihn den Negern Afrikas - die demokratisch begründbare Gelüste nach Frankreich und Italien tragen - und auch den Negern Amerikas zur völligen Erledigung724 . . . Allein der Geist preußischer Zucht, preußischer Entbehrung, preußischer Führerauswahl, preußischer Ordnungsregel, preußischen Kämpfertums kann es ans Licht des Tages heben. Die deutsche Sendung ist sichtbar-" 725
Und zur Sicherung der inneren Stabilität dieses Zukunfts-Reiches hatte Niekisch - da Helden, dem damals in Blüte stehenden „Genie"-Begriff zufolge, ja „schöpferische Gestalter" mit dem „Formwillen" des „Künstlers" waren - umfassende Umgestaltungen in ihm vorgesehen: „Der Aufbruch zur Schöpfung des nordasiatisch-nordeuropäischen Weltreiches, jener Wiedererstehung und Vollendung Preußens setzt allerdings die Zerstörung der romanischen Geist-, Seelen-, Bluts- und Lebensmacht über deutsche Menschen voraus. Die lindeste Form dieses Vorgangs werden Bevölkerungsumschichtungen sein, die Ströme slawischen Blutes in den deutschen Süden und Westen leiten. Slawisches Blut ist für den romanisierten Raum das Heilserum, das den germanischen Menschen wieder von der romanischen Ansteckung kuriert. Wer im Bewußtsein der Verantwortung für ein zukünftiges Jahrtausend deutschen Schicksals lebt, zerbricht auch vor den Wirbeln einer Völkerwanderung nicht, wenn kein anderer Weg sonst mehr zu neuer deutscher Größe führt." 726
Das war ja wohl ein feiner Plan. Genau mit ihm aber hing nun der gesamte „Nationalbolscbewismus" zusammen, der als politische Tendenz im völkischen Lager und Bestandteil des NiekischKonzepts überhaupt erst begreifbar wird, wenn man sich ansieht, was Niekisch in den Sinn kommen ließ, auf der Grundlage eines so wütend und erklärterweise auch unnachgiebig antimarxistischen Konzeptes, wie er es verfocht und von einem „nationalen" Preußen-Deutschland nicht minder verfochten sehen wollte, die Verständigung mit der Sowjetunion auf sein preußisch-slawisches Weltreich für möglich, seine Weltimperiums-Vision also für eine realistische zu halten. Ideologisch gerechtfertigt war die von ihm in Blick auf diese Zielvision geforderte „Umstellung der deutschen Politik von der Locarnorichtung zur östlichen Orientierung"727 (was bei anderem Inhalt ja nur eine vernünftige Forderung gewesen wäre) bereits von Anfang an, wie sich jetzt zeigt, in seinem Stadt-Land-Schema. Traf es sich nicht glücklich, daß die Helden gerade dem Lande und den Bauernvölkern entstammten? Waren nicht die Slawen ein den Germanen vergleichbar altes und großes Bauernvolk? Verfügten sie 178
also nicht auch, dank Niekischs soziologischer Logik, über die Heldentugenden der „Bauern", waren also eigentlich in ihrer „Lebenshaltung" Preußen? Von hier aus gab es bereits bei der Entfaltung des Stadt-Land-Schemas durch Niekisch eine Vielzahl törichtester Eigenschafts-Zuschreibungen an die Slawen, die alle darauf hinausliefen, daß die Slawen ungefähr genau so sind, wie sich nach dem Wunsche des deutschen Imperialismus im Jahre 1930 der deutsche Durchschnittsbürger die alten Preußen vorstellen sollte (wobei die von Niekisch bei weitem am meisten immer wieder den „Slawen" und „Asiaten" nachgerühmte „preußische" Eigenschaft ein „ausgeprägter Sinn" für das „Dynastische" und den „Despoten" als „persönlichen Herrn und Gebieter" war). Wie aber verhielt es sich denn dann aber, wenn Niekisch also die angebliche preußisch-slawische „Wesensgleichheit" mit uralten gemeinsamen Bauerneigenschaften begründete, mit dem kommunistischen Rußland der Oktoberrevolution, mit dem „Bolschewismus"? Jetzt erst, mit Niekischs Antwort auf diese Frage, kommen wir dem Wesen des „Nationalbolschewismus" auf die Spur. Die „Nationalbolschewisten", und unter ihnen gerade auch Niekisch, vermochten ja, wie eingangs erwähnt, hymnische Lobsprüche auf die Sowjetunion, die Oktoberrevolution und den „Bolschewismus" auszubringen. Aber wie war das bei einem so grimmigfanatischen Anti-Egalitaristen, als den wir Niekisch jetzt kennengelernt haben, eigentlich erklärlich? Es erklärt sich, sobald wir uns ansehen, wie er lobte (und was die Strategie dieses Lobes war). Selbstverständlich war Niekisch nicht entgangen, daß mit der Oktoberrevolution der Marxismus, der Inbegriff der „Verstädterung" und Extrakt alles dessen, was er wütend als „Romanismus" und „Westen" bekämpfte, in Rußland gesiegt hatte. Folglich klammerte er, um in Blick auf seinen Weltreich-Gedanken und zwecks dessen Propagierung den Bolschewismus loben zu können, den Marxismus zuvor aus seinem Lob - und damit aus dem Bolschewismus - aus, indem er den letzteren zu einer aus den slawischasiatischen Volkstiefen aufsteigenden „Elementargewalt" erklärte, dem der „westlerische" Marxismus nur „aufgesetzt" und „äußerlich" sei. „Nur das kärgliche Licht abgestandener Ideen des Westens warf auf die neugeborene russische Wirklichkeit einen matten irreführenden Schein. Der Marxismus erleuchtete eine Bahn, die nicht die seine war. 728 . . .
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Sicherlich ist der Bolschewismus ein System und eine Ideologie ausgebrochener Neidinstinkte und Haßleidenschaften... Das kommunistische Ideal war der Mantel gewesen, den sich der nationalrussische Lebensdrang in seiner höchsten Daseinsnot umgeworfen hatte; angesichts der gegebenen Sachlage vermochte diese Vermummung die größte Wirkung zu erreichen . . . heute spielt die kommunistische Ideologie in diesem bäuerlichen S t a a t . . . praktisch keine Rolle mehr. 7 2 9 ... Unter westlerischen Formeln setzte sich der Bolschewismus in Rußland durch; .Pazifismus', .Sozialismus', .Diktatur des Proletariats' waren seine Losungen. Bald aber zeigte sich, daß er mehr und etwas anderes war.. Ganz analog zu dieser rhetorisch-beschwörerischen Entmarxisierung des Bolschewismus im Tonfalle des Lobes verfuhr Niekisch - womit der Eindruck, daß es sich hier um eine Strategie handelte, sich verstärkt - auch gegenüber den Kommunisten in Deutschland: „Der Marxismus ist gewiß das Lehrgebäude sowohl des Sozialismus wie des Kommunismus; man verkennt indes das Wesen des Kommunismus durchaus, wenn man in ihm lediglich jene Spielart des Sozialismus erblickt, die s i c h . . . der marxistischen Lehre verpflichtet fühlt. Der Unterschied liegt tiefer: die Eigentümlichkeit des Sozialismus beruht in der Tat auf den Lehrsätzen, diejenige des Kommunismus aber auf elementaren Instinkten . . . Für ihn ist die marxistische Theorie nicht unverbrüchliche Heilslehre, sondern hier Maske, dort Waffe. Entscheidend ist für ihn nicht seine Ideologie, sondern das, daß er Elementarbewegung ist. Wo eine Elementarbewegung gegen die Grundlagen des Bestehenden anbrandet, formt sie ihre besondere Ideologie aus dem gedanklichen Stoff, den ihr die Zeitlage als marktgängig anbietet... wirtschaftliches Gedankengut erfüllte die Zeit der voll entfalteten Bürgerlichkeit... Der Kommunismus erschöpft sich nicht im Marxismus; als die Scholastik des Kommunismus mag man den Marxismus äußerstenfalls betrachten. Der Kommunismus selbst ist ein wogender S t r o m . . . Nie wird der Kommunismus die Welt nach dem Wortlaut seiner Formeln gestalten: die Formeln selbst sind die Verstecke, aus denen hervor der Instinkt der Primitivität in die Gebiete der Zivilisation einbricht... in seiner Rohheit lebt etwas vom Geiste des harten Feldlagers; es steckt mehr Preußisch-Strenges in ihm, als er es weiß oder gar als es ein preußischer Bürger ahnt." 731 N a c h solch eindeutiger Elimmierung Kommunismus
und
Bolschewismus
des Marxismus
und eingeflochtenen
aus
dem
ermun-
ternden Andeutungen, daß sie nicht Kommunismus (eben Marxismus) zu bleiben brauchen, wenn sie nur eine kräftige preußische H a n d in die H a n d nimmt, wurden dann die Posaunen zu ihrem L o b e aber voll geblasen. W i e klangen sie? Niekisch und die „Nationalbolschewisten" (denn dies gilt nun durchgängig für alle, innerhalb und außerhalb der „WiderstandsB e w e g u n g " ) stimmten in einen enthusiastischen, anfeuernden, von ersichtlich echter Begeisterung durchdrungenen Lobgesang auf das
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so herrlich-vitale, noch ganz ungebrochen nur seinem „Lebensinstinkt" folgende und daher - so ging die Lobgesang-Melodie weiter - den ganzen „westlerischen" Egalisierungs- und „Verweichlichungs"-Spuk in einem großartig-elementarischen Aufstand seines „gesunden Barbarentums" gegen das „romanisierte Europa" mit der „Oktoberrevolution" aus seinem Lande jagende russische Volk ein, der in solcher Instrumentierung und in ihr vollzogenen Entleerung der Oktoberrevolution von ihrem sozialistischen Inhalt tatsächlich alles andere als ein Lobgesang auf die Oktoberrevolution, sondern ein Lobgesang nur auf die in ihr zutagegetretene, ihr ihren Erfolg verbürgende revolutionäre Schwungkraft und Energie als solche, losgelöst von deren Antriebsinhalten, war. Auf diese energetische „Kraft" blickten die sich eine vergleichbar eruptiv-„revolutionäre" Volkserhebung zum Sturz der Weimarer Republik wünschenden, in allen Anläufen zu ihm seit 1918/19 bislang aber gescheiterten deutschen „Nationalisten" bzw. völkischen „National-Revolutionäre" allerdings neidvoll und insoweit auch mit Anerkennung und Begeisterungsfähigkeit für sie; da ihnen ihr völkischer Bracchial-Vitalismus gar nicht erlaubte, den doch von ihnen bekämpften „lebensfeindlichen" Ideen die in der Oktoberrevolution sich manifestierende „Lebenskraft" zuzubilligen, schrieben sie dieser „Kraft" freilich zugleich all die „Triebkräfte" zu, die für einen preußisch-deutschvölkisch orientierten RaumkampfSozialdarwinisten nun einmal zu den Begriffen „Leben" und „Vitalkraft" gehörten. Wie Gauguin einst die Tahiti-Naiven, so entdeckten die „Nationalbolschewisten" daher jetzt im „Bolschewisten" den sich gegen die westlich-„romanischen" Uberkrustungen seiner Heimaterde in herrlicher Urtümlichkeit und alter, durch langes, duldendes Stillhalten um nichts geminderter Urkraft aufreckenden „Russen" und „Asiaten", einen sich jetzt erst, mit der Oktoberrevolution, zur vollen Größe seiner Gestalt erhebenden „Land"-Titanen gegen die „Stadt", der deren demokratischen Flitter mit wuchtiger Bauernund Heldenhand wegschleudert, die einfachen ländlichen Wertetafeln von Ordnung und Unterordnung, Befehlen und Gehorchen wieder aufstellt, die „reine" Politik wieder in ihre Rechte einsetzt und sich mit alledem dem von „Europa" soeben gerade bis zum Erstickungstode im Würgegriff gehaltenen Preußen im Augenblicke der höchsten Not - als Artbruder erweist und als Partner in dessen „Lebenskampf" um die „Selbstbehauptung" seiner „Eigen181
art" anbietet. „Ein Aufstand gegen das Europäisch-Westlerische, eine Wiedergeburt des Russisch-Asiatischen ist der Bolschewismus.732 . . . die letzten Daseinsreserven und die geheimsten Untergründe mobilisierte der russische Volkskörper gegen das westlerische Gift. Im russischen Blut liegt ein Element äußerster Europafeindschaft. Es ist sein asiatisches Erbe; dieses asiatische Erbe brach hervor und wütete rücksichtslos gegen alle Spuren europäischwestlicher Verseuchung. Lenin war ein Mischling, halb Slawe, halb Tatare. E r . . . überantwortete sich ganz seinen tatarischen Impulsen. Das Mechanistisch-Monotone, das Unpersönlich-Unbeirrbare, das an ihm und seinen Schriften hervortritt, ist tatarisch-asiatischen Ursprungs. 733 . . . Der Bolschewismus war die radikale Abkehr vom Westen, war die grundsätzliche Verneinung der westlichen Werte, die grundsätzliche Bejahung dessen, was der Westen verabscheut. Er war Antiliberalismus, Antiindividualismus, war Autokratismus, war das offene Bekenntnis zur Gewaltsamkeit. Das ganze Gewebe der Menschlichkeits-, Friedlichkeits-, Gleichberechtigungsund Selbstbestimmungsvorstellungen... wurde vom Bolschewismus zerrissen; er machte dieses Wahngewebe unwirksam. 7 3 4 ... Rußland ist das Uneuropäische... Die innere Geschichte Rußlands ist seit 1917 die Geschichte der Bändigung des Demokratismus. 735 ... Washington ist Roms Erfüllung; Moskau ist Nichtrom, ist Inbegriff alles dessen, was mit Rom nichts gemein h a t . . . , Moskau ist frisch gepflügte Scholle.736 . . . Der neue S t i l . . . ist die Aufrichtung neuer, den ganzen Lebensinhalt umfassender und neuordnender Werttafeln. 737 . . . Sieht man immer noch nicht die Aufgabe, die Rußland übernommen und an die es bereits Hand angelegt hat? . . . Das i s t . . . in Wahrheit die russische Leistung: es bildete eine neue autokratische Form heraus, die streng, hart, unerbittlich genug i s t , . . . zur Kunst der Herrschaft über das Chaos herangereift. 738 ... Moskau ist die Geburt eines neuen Ordens, eines neuen Adels.739 . . . Nur weil die bolschewistischen Führer den Blick für Staatsnotwendigkeiten besaßen, waren sie imstande, sich an der Spitze des Reiches zu halten... Der Bolschewismus, der bald zum russischen Nationalbolschewismus wurde, war die Form, in der Rußland alle Widerstandskräfte gegen die westlichen Siegerstaaten... zum denkbar höchsten Wirksamkeitsgrad zusammenfaßte... Er ist durchaus ein Gewächs russischen Bodens und russischen Geistes; auf andere verschiedengeartete Verhältnisse ist er nicht zu verpflanzen. Aber er ist doch eine lehrreiche Wiederholung der geschichtlichen Erfahrung: daß in einem Staatswesen,... das . . . noch von starkem Lebenswillen beseelt ist, alle Angelegenheiten und Einrichtungen der inneren Politik nebensächlich und bedeutungslos werden; sie verlieren ihr Eigenrecht und nehmen jene Gestalt an, die ihnen den vollkommensten Brauchbarkeitsgrad zürn Zweck staatlicher Daseinserhaltung verleiht.740 Und nach so viel Betonung der Affinität zur eigenen „reinen" Staats-, Politik- und „Lebenskampf"-Auffassung bis hin zur Umdeutung des Bolschewismus - über das Zauberwort „Nationalbolschewismus" - in fast nur den erfolgreicheren und größeren russischen Zweig von Niekischs „nationalrevolutionärem Wider182
stands-Nationalismus" bzw. des deutschen „Nationalbolschewismus" selbst nun das durch sie vorbereitete Fusions-Plädoyer (freilich, wie wir sehen werden, jetzt doch nicht ganz ohne eine gewisse kleine Einschränkung vortragbar und durch sie in seinem Sinn präzisiert): „Wo germanisches Blut sich mit slawischem mengt, da entsteht echter Staat... Preußen war aus germanisch-slawischer Mischung entstanden741 . . . Im Ostraum, aus germanisch-slawischem Lebensstoff, stieg Preußen zur Größe empor... Wir lassen das romanische Erbe fahren; wir ahnen, daß wir unser eigenes Selbst dabei gewinnen. Wir ziehen nach Osten und finden neue Verwurzelung und zugleich unsere Sendung 7 4 2 ... Der Zügellosigkeit der Urbs würde Einhalt geboten, der Mensch in festen Bindungen neu verpflichtet werden... Die Leidenschaft zur Politik und zu königlichem Herrschertum entzündete sich wieder743 . . . Diese Rückkehr ist der Natur der Sache nach eine Selbstreinigung des deutschen Blutes von romanischem Erbgut744 . . . wir wollen nicht sehen, wie nur das weltrevolutionäre Rußland uns gegen die mordsüchtige romanische Umklammerung nachhaltigen Beistand zu leisten vermag. Ihrem Wesen nach sind Kommunismus und Bolschewismus, über ihre begriffliche Torheit (d. i. der Marxismus, R. O.) weit hinaus, die wirksamsten Erscheinungsformen des intransingenten antirömischen, antieuropäischen Fanatismus. In dem Augenblick, in dem zu 100 Millionen solcher russischen Fanatiker noch 80 Millionen gleichgerichtete deutsche Fanatiker stoßen würden: in diesem Augenblick stürzte die Versailler Ordnung zusammen wie ein kindisch aufgebautes Kartenhaus.745 . . . Deutschland lehnt es ab, den Bolschewismus zu übernehmen (eben gewiß doch wohl seiner „begrifflichen Torheit" wegen, R. O.). Es entwickelt seine besondere, den Ideen von 1789 entgegengesetzte Lebensform aus sich selbst heraus. Es kann diese besondere Lebensform aber gegenüber der Übermacht der Sieger nur herausbilden, wenn es in jeder Hinsicht Rückhalt an dem radikalsten Feind der Ideen von 1789, an Rußland, findet." 746 Worum also handelte es sich bei diesem „Nationalbolschewismus"? Im besten Falle um eine Liebe aus Mißverständnis. In ihrer maßlosen Verachtung für den Egalitätsgedanken - die Essenz der „Ideen von 1789" - konnte diesen deutschpreußischen Kriegs- und Weltmachtschwärmern einfach nicht in den Kopf, daß er und der ganze aus ihm hervorwachsende „westliche" Marxismus der von ihnen als „kraftvoll" wahrgenommenen Oktoberrevolution und bolschewistischen Bewegung in der Sowjetunion nicht nur „aufgesetzt" und „äußerlich", sondern deren wirkliche Bewegkraft war (wo man selbst doch als Völkischer von völlig anderen Springquellen „lebenskräftiger" Bewegungen überzeugt war): war er eben - so Niekischs „Logik" - doch wohl nur „Maske" der hinter ihr wirkenden „echten" Kraft, sollte er dann nicht auch bei Gelegenheit 183
einigermaßen leicht von ihnen wegzupusten sein, oder würde er sich gar mit der Zeit (als doch ganz „staats" untauglich-„lebenswidrige" Hirngespinsterei) ganz von selbst aus ihnen verflüchtigen? Und ihre massenfeindliche, an der „preußischen Staatsraison" geschulte, in ihnen tief eingewurzelte und von ihnen subjektiv ja für „Realpolitik" gehaltene politische Weltsicht, in der als Realfaktoren nur der „Machtwille" des Staates, die Herrscher- bzw. „Führer"figuren, das Militär und gegenüber den Ideen der sozialen Bewegungen nichts als ein zur Staatsmanns- und Herrschertugenden hochgerühmter hemmungsloser Macchiavellismus vorkamen, mußte sie, da sie diese Sicht in alle politischen Welterscheinungen zu projizieren gewohnt waren, mit einer gewissen Zwangshaftigkeit zu einer solchen Annahme auch geradezu verleiten. Deshalb hielt Niekisch seinen wütend-unerbittlichen Anti-Egalitarismus und Willen zum imperialistischen Weltkriegs-Diktaturund Ordensritterstaat mit der Vorstellung eines weltpolitischen Machtpakts mit ausgerechnet dem zur sozialen Realisierung des Egalitätsgedankens im Sozialismus aufgebrochenen bolschewistischen Sowjetrußland und gar mit der Vorstellung eines sein Territorium in sich mitumfassenden deutschpreußisch-slawischen „ Weltreichs" nicht für unvereinbar; deshalb portraitierte er die Sowjetunion vielmehr in Blick auf diese Zielvision in seiner Agitation schon einmal über ihre Gegenwart hinweg und wider besseres Wissen, im Vorgriff auf die eigene Absicht, in jenen „Feind der Ideen von 1789" um, zu dem sie tatsächlich erst, seinen Vorstellungen nach, in solchem Verbünde durch das imperialistische „Preußen"-Deutschland (das, so tituliert, also seinerseits schon in seiner Staatsform „verheldete", nach-weimarische) gemacht werden sollte - wofür er den Weg, wie dies geschehen solle, im übrigen auch erstaunlich unverhohlen beschrieb. Eben weil der Bolschewismus, allem anderslautenden nationalbolschewistischen Lobe zuwider, nun aber eben doch Kommunismus war, wurde das angeblich in seiner Gestalt aus den riesigen slawisch-asiatischen Weiten sich erhebende „Preußentum" von Niekisch auch nicht als ein schon voll erwachsenes beschrieben, sondern als eines, das allerdings noch der führenden Hand bedarf. Deutschland stoße, sobald es sich in seinem Anti-Versailles-Kampf gegen „Europa" seiner preußischen Ursprünge als „Protest" gegen dessen Geist entsinne, auf Rußland, das ein gleichgerichteter „gegenwärtiger gewaltiger Protest" gegen ihn, also Sinnesgefährte 184
und der von den Deutschen zu erkennende und zu bejahende Verbündete sei. Von diesem annoncierten Verbündeten heißt es dann aber eben weiter: „ . . . dieses Rußland, das sich bis heute noch falsch versteht, das über sich selbst nicht Bescheid weiß (eben der „begrifflichen Torheit" des Bolschewismus und seiner also auch nur vom „kärglichen Licht abgestandener Ideen des Westens", dem Marxismus, „irreführend" beleuchteten Bahn wegen, R. O.) und infolgedesen wie von Blindheit geschlagen taumelt und tastet." 747 Und dann: „Der Beruf der Träger preußischen Geistes, des deutschen Nationalismus, aber ist es, das, was aus sozialem, proletarischem Ressentiment geschieht, in eine große staats- und machtschöpferische Tat umzumünzen. 748 . . . Hier erwächst, groß und folgenschwer, Deutschlands Sendung. 7 4 '... Deutschland hat das Wort zu sagen, das sein eigenes Wort und zugleich das Wort Rußlands ist.750 . . . Erst die Form preußischer Willenszucht, in den gewaltigen germanisch-slawischen Block eingesenkt, verliehe diesem die stählerne Geschmeidigkeit, deren er bedarf." 751 Dann „strebte Moskaus unbändige Urgewalt zu wesensschauender deutscher Seelenkraft und sich selbst überwindender deutscher Willenszucht. 7 5 2 . . . Die Gewissensschärfung der Macht und die Bereitschaft, unausgesetzt in Verantwortung zu stehen: das wäre es, was Preußen in den germanisch-slawischen Block einzubringen hätte." 753 Und eben: „Allein der Geist preußischer Zucht, preußischer Entbehrung, preußischer Führerauswahl, preußischer Ordnungsregel, preußischen Kämpfertums kann" ihn (diesen Block) „ans Licht des Tages heben." 754
Kein Zweifel also: Niekischs „nationalrevolutionäre" Preußen beanspruchten in dem von ihnen propagierten engen Verbund Deutschlands mit der Sowjetunion allerdings eine Arbeitsteilung, derzufolge die Sowjetunion gleichsam die wertvolle Rohmasse diese begeisternd weiten, den USA wahrhaft zur Seite zu stellenden, „autarkie"verbürgenden Landschaften und diese herzerfrischend kraftvollen slawisch-asiatischen Menschen Deutschland aber (und zwar ein antirepublikanisches, „verheldetes", von seiner aggressivsten und reaktionärsten politischen Garde, dem „frontsoldatisch" orientierten politischen Preußentum geführtes) selbstverständlich den „Geist" (oder eben „Kopf", die Direktion, Führung) stellen sollte. Den von Niekisch mit so viel Vorschuß-Applaus für sein angebliches Naturtalent zum Preußentum bedachten ungebärdigen großen Lümmel Bolschewismus gedachte gerade er also durchaus erst noch zwecks gedeihlicher Zusammenarbeit von den wirklichen „Preußen" - und dies erklärterweise - in deren eigene Schule und Zucht nehmen zu lassen, was keinen anderen Sinn haben und auf nichts anderes hinauslaufen konnte, als ihn zu „entmarxisieren", damit aber eben ein Programm gerade zum Sturz 185
des Bolschewismus in der Sowjetunion, zur Niederwerfung des Kommunismus in Rußland war. Daß die „Nationalbolschewisten" dieses Ziel für erreichbar hielten, hing im wesentlichen übrigens mit einer von Niekisch wiederum unumwunden geäußerten erpresserischen Spekulation auf die bedrängte Situation der von den Westmächten außenpolitisch in Isolation gehaltenen und mit Kriegsabsichten bedrohten Sowjetunion, in Kombination mit einer sich freilich wieder hier mit hinein vermengenden, abermals aus der Massenverachtung resultierenden übersteigerten Selbsteinschätzung zusammen. Die Sowjetunion, argumentierte Niekisch, müsse an einem Deutschland, das sich nicht der antibolschewistischen Westmächte-Front einreiht und sie damit an der kriegsentscheidenden Stelle in Europa schließen würde, so elementar interessiert sein, daß sie mit jedem sich dieser Front versagenden Deutschland zur Zusammenarbeit genötigt sei, auch wenn es „auf seine besondere Weise antieuropäisch leben" will (das hieß im Klartext: auch wenn es z. B. eine „entromanisierte" völkisch-nationalistische Diktatur mit Weltführungsambitionen, nur eben ohne antibolschewistische Kriegs- oder Kriegsteilnahmeabsichten, ist). 755 Ja, es schien Niekisch beinahe ausgemacht zu sein, daß es gerade aufgrund solch existenziellen Angewiesenseins der Sowjetunion auf die Zusammenarbeit auch mit einem nachweimarischen, in toto in die preußische Ritterrüstung des Deutschherrenordens zurückgeschlüpften imperialistischen Deutschland möglich sein würde, über ihre hierüber absehbar sich einstellende zunehmende alternativlose Abhängigkeit von deutscher Industriekraft und Wirtschaftsleistung dann aber auch in ihrem Innern den „preußischen" Dispositions-, Wirtschafts- und Staatsorganisationsgeist des deutschen Imperialismus - und über diesen ihn selber - gegen die doch jedem „gesunden Machtinstinkt" und „einfachsten Wirtschaftsdenken" zuwiderlaufende egalitaristisch-marxistische Intention des Bolschewismus zum Zuge zu bringen und ihn damit, wie im einzelnen am Ende dann immer, zugunsten der an der „nationalen" Stimmgabel der deutschen Weltmachtkampf-Interessen ausgerichteten, „nationalbolschewistischen" Ordnungsvorstellungen für Rußland zu stürzen. Trotz allen gegenteilig-beschwörerischen Lobes sah Niekisch im Bolschewismus, solange er Marxismus war, im Grunde seines Herzens ganz wie die deutsche Industrie doch nur, wie in allem Egalitarismus, lebenswidrig-ordnungsuntüchtigen Chaotismus und hielt ihn 186
für überlebens.fähig nur im Falle seiner „Entschlackung" vom Kommunismus durch eben das preußische Heilserum (und Unterordnung damit unter die Führung des deutschen Militarismus und Imperialismus).756 Und eben das ist es, was man vom deutschen „Nationalbolschewismus" wissen muß: daß die ihm nachgesagte und in seinem eigenen Namen zum Ausdruck gebrachte „Annäherung" an den Bolschewismus eine Annäherung an ihn zum Zwecke seines Sturzes, eine Annäherung nur eben gerade mit dem Nahkampfmesser in der Hand war. Oder um ihn in seinen umfassenderen und damit zugleich auch überschaubareren Zusammenhang zu stellen: So wenig wie der „preußische Sozialismus" (oder „Frontsoldaten" Sozialismus) eine Annäherung an den Sozialismus, also etwa eine „linke" Tendenz in der Rechten, sondern eine MobilisierungsStrategie gerade von Gruppen der äußersten Rechten zur Überwältigung und Liquidation des Sozialismus war, so wenig war der „Nationalbolschewismus" eine Annäherung an den Bolschewismus und also etwa „linke" Tendenz unter den Völkischen, sondern eine Mobilisierungsstrategie einiger ihrer Gruppen gerade zur Überwältigung und Liquidation des Bolschewismus. Denn er war nur die Anwendung des „preußischen Sozialismus" auf den sowjetrussischen Sozialismus, den Bolschewismus. Beweis: der in den Personen bzw. politischen Biographien selbst gegebene Zusammenhang der „beiden" Konzeptionen, die sich hier jeweils als eine erweisen. Die Vertreter des deutschen „Nationalbolschewismus" waren, was ihre nach innen gewandte Position betraf, Repräsentanten des „Frontsoldaten"- oder „preußischen Sozialismus".757 Aus diesem Grunde aber korrespondierte auch die nach innen, auf die Kommunisten im eigenen Land gerichtete „nationalrevolutionäre" Strategie des werbenden Bemühens um deren „Nationalwerden" und des Plädoyers für ein Zusammengehen der „revolutionären" Rechten mit ihnen in der Hoffnung auf ihre Umwandelbarkeit aus „internationalistischen" Marxisten und Kommunisten in „Nationalkommunisten" in ihrer Anlage nur ganz dem Muster der „Nationalbolschewismus"-Konzeption. Auch die deutschen Kommunisten wurden, ganz wie der sowjetische Bolschewismus, zunächst mit Anerkennung und überschwenglichem Lob als die - nächst den „Nationalisten" der „Widerstandsbewegung" - einzig „revolutionäre" und zudem mit Abstand „vitalste" Kraft gegen den westlerisch-liberalen, roma187
nisch-europäischen Ungeist der Weimarer Republik bedacht. Ein L o b , das sich, ganz wie das Bolschewismus-Lob, bei näherem Hinsehen als eine einzige Kette von Marxismus-Ausklammerungen aus dem hochgelobten Kommunismus, also wieder als ein selektives und transformationsstrategisches L o b erwies, mit dem er, nur wieder ganz wie der Bolschewismus, dafür gefeiert wurde, daß er „eigentlich" etwas ganz anderes und viel Urkräftigeres sei, als es seine eigene schwächliche marxistische Ideologie vorgibt und ihm selbst vormacht. Das „ L o b des K o m m u n i s m u s " , die „Annäherung" an ihn, die „Linkstendenz" klang so: „Es gibt Krankheiten, deren man ledig wird, indem man sich mit Malariafieber ansteckt. Unsere Verknechtung ist eine Krankheit dieser Art. Wer nur zwischen sicherem Tod und krankheitsvernichtenden Fieberschauern zu wählen hat, dem müßte, sollte man meinen, der Eintritt des Fiebers hoffnungschenkende Erlösung s e i n . . . Als einer jener Wirbelwinde, die das unterste nach oben werfen, indem sie über den Volksörper dahintosen, mag die kommunistische Bewegung wirksam werden. Sie scheint eine soziale Angelegenheit zu sein; die ,List der Idee' ordnete den Lauf der Dinge aber so, daß sie, während sie sich in soziale Absichten verbeißt, eine allgemeine volkliche Funktion zu erfüllen hat. Indem sie entzivilisiert, enteuropäisiert, entromanisiert, verheidet, beseitigt sie Gestrüpp und Geröll und verschafft dem germanischen Seinskern wieder Luft und R a u m / 5 8 . . . Der proletarische Mensch erfüllt gegen seine Absicht seine geschichtliche Sendung; indem er zerstört, die Dinge zersetzt, geschichtliche Bindungen zerreißt, schafft er fruchtbare Humuserde 7 5 9 ... Ohne zu begreifen, was er tut, legt er etwa, für seine Menschenrechte streikend, den feingegliederten Mechanismus einer industrialisierten Gesellschaft lahm; er bringt diesen, indem er seine Klassenmacht im Kampf um die vollkommene kommunistische Gesellschaft erprobt, in Unordnung und leitet auf solche Weise dessen Verfall e i n . . . Indem er das Humanitätsideal für sich beschlagnahmt, erweist er sich unversehens als eine Kraft der Primitivisierung und Barbarisierung unseres Daseins... Der Kommunismus vernichtet... die städtische Kompliziertheit. Indem er den Gang der Wirtschaft hemmt und die Industrie in Siechtum stürzt, begünstigt er das Heraufkommen eine vereinfachten Lebensstils... Die kommunistische Unbedingtheitshaltung dem bürgerlichen Wesen, dem zivilisatorischen Zustand gegenüber funkelt in kriegerischer Lust. Dem kriegerischen Grundzug des Kommunismus entspricht dessen autokratische Struktur, sein lautes Bekenntnis zur Diktatur. Wo man Krieg führt, da wird kommandiert .. ." 760 Das war übrigens auch die einzige Ebene, auf der den eigenen Gesinnungskameraden in den Wehrverbänden und diversen straßenschlachterprobten
völkisch-nationalistischen
Jugendorganisa-
tionen angesichts der knallhart gegeneinanderstehenden ideologi188
sehen Inhalte und politischen Kampfziele der zunächst ja, eben deshalb, keineswegs von sich aus einleuchtende Gedanke eines politischen Zugehens auf die Kommunisten subjektiv nahegebracht werden konnte und auf der allein sie ihnen auch nahegebracht werden sollte. Es gibt bekanntlich die Erscheinung, daß feindliche Heerführer über die Fronten hinweg füreinander so etwas wie eine Art fachmännischen Respekt und daraus resultierende, die Fronten unbeschadet lassende Gefühle persönlicher „kollegialer" Hochachtung von „Könner" zu „Könner" zu entwickeln vermögen. Wenn aber irgend etwas den gamaschenknopfartigen Freikorps- und Frontsoldatenköpfen mit dem Arrivierten-Schmiß im Gesicht in Niekischs politischem Umfeld am damaligen deutschen Kommunismus, auf den sie mit Verachtung herabblickten und den sie haßten, überhaupt imponieren und sich ihrem Wahrnehmungsvermögen als „positiv" einprägen konnte, dann war es allein das, daß die Kommunisten die einzigen unter ihren Gegnern waren, die sich auch in den handgreiflichen Auseinandersetzungen mit den rechten Straßenterror-Kolonnen tapfer schlugen, denen also nicht abzusprechen war, auch „Kämpfer" zu sein. Und genau auf dieser Ebene der auch gerade dem einfachen Gefolgschaftsmann einer aktivistisch-völkischen Gruppierung einleuchtenden quasi „fachlichen" Anerkennung der Kommunisten war die Umschmeichelung ihnen gegenüber angesiedelt: Sie wurden „anerkannt" als Leute, die zwar (noch) auf der verkehrten Seite stehen und die falsche Ideologie im Kopf haben, aber eigentlich doch ganz prima „Kämpfer", richtige „Kerle", ehrliche, auch mal vor einem harten Griff nicht zurückschreckende „Revolutionäre", keine „Waschlappen", wie alle übrigen, und damit - da in Wahrheit das „Kämpfertum" als der entscheidende nationale Zukunftswert in Kontrastsetzung zur „Feigheit" des „Bürgertums" zählt - auch (schon) viel mehr als nur Kommunisten seien und der „revolutionären" Rechten näherstünden, als beide Seiten es meist wüßten. Die Kommunisten wurden einerseits auf im Kopf nicht ganz ernstzunehmende, aber von da an abwärts für die „Revolution" (demzufolge freilich nicht eine nach ihrem Kopf) höchst wertvolle „kämpferische" Vitalfaktoren reduziert, und man versuchte, sich ihnen andererseits aufgrund des korrespondierenden Bolschewismuslobs aber als doch' mit nur ihren eigenen Revolutionsvorstellungen identisch und also als ehrliche Annäherer vorzustellen und sie unter Verweis auf ihre eigene und ja auch die sowjetische Versailles-Gegnerschaft, in der 189
ihre „Gemeinsamkeit" in den Fragen des „deutschen Lebenskampfs" sich doch schon niederschlage, als Hauptgegenkraft der antirepublikanischen Rechten zu neutralisieren und in eine politische Hilfstruppe zur Aufrichtung der ihre Liquidation einschließenden „nationalrevolutionären" Diktatur umzuinstrumentalisieren. Auch das hat Niekisch ebenfalls wieder rundheraus gesagt: „ . . . eben die Entfesselung des Chaotischen, die der Kommunismus vollbringt, schafft neue Ordnungsbedürfnisse: indem sie inmitten der allgemeinen Auflösung auf Befriedigung drängen, werden sie zu schöpferischen Impulsen für den Aufbau einer neuen sozialen W e l t . 7 6 1 . . . Von diesem Gesichtspunkt aus bekommt die Tendenz kommunistischer Zivilisationszerstörung ihre besondere nationalpolitische Bedeutung: sie ist wesentlich Vorhut des deutschen Widerstandes 762 . . . Dem Kommunismus gelingt die Leistung, aus der überzivilisierten Stadt wieder einen Zugang in die Anspruchslosigkeit des Ländlichen zu b a h n e n . . . Indem e r . . . ein Ende ist, streift er schon den neuen Anfang." 763 Diese „nationalrevolutionäre" Konzeption der „Widerstandsbewegung" war nun freilich trotz ihres antikommunistischen und antibolschewistischen Inhalts weder mit der frontal antikommunistischen und antibolschewistischen NSDAP-Linie Hitlers (die Niekisch eben deshalb als „römisch" verurteilte), noch, ihres „Antiromanismus" wegen, mit der Linie der „Schwarzen Front" Otto Strassers (der Niekisch „Pan-Eruopäismus" vorwarf) zu vereinbaren. 764 Immerhin konnte der „Widerstand", im Unterschied zu den Blättern der „Schwarzen Front", dank „Reichswehr-Deckung" bis Dezember 1934 weiter im Deutschen Reich erscheinen 765 , und auch danach hielt Niekisch, bis zu seiner Verhaftung (gemeinsam mit Drexel, Tröger und etwa hundert weiteren Mitgliedern des „Widerstandskreises") im März 1937 den Kontakt zu bisherigen Angehörigen der „Widerstandsbewegung" relativ unverborgen aufrecht. 1947, nur knapp anderthalb Jahre nach seiner Haftbefreiung durch die Rote Armee im Jahre 1945, hatte Niekisch die Stirn, den gesamten demagogischen Stadt-Land-Unfug in einer kleinen Schrift unter dem Titel „Ost West. Unsystematische Betrachtungen" 7 6 5 zu wiederholen (um nur ihre ersten zwei Sätze zu zitieren: „Man hat des öfteren bemerkt, daß es einen antirömischen Affekt 190
gebe. Er ist eine Ausdrucksform der Abneigung, mit der das Land auf die Stadt blickt") - mit dem einzigen Unterschied, daß die Argumentation dieser Schrift, auf dem Untergrunde des gesamten alten Begriffs-Gerippes, nun darauf zugeschnitten war, sich gleichsam als derjenige, der doch schon immer gegen einen RußlandKrieg gewesen sei, der sowjetischen Siegermacht zu empfehlen. Die Hoffnungen, der Sowjetunion preußischen Leitungsgeist andienen zu können, schienen ihm wohl auch jetzt noch nicht verflogen zu sein. Kein Wunder, daß auch in seinem Leben - wie in den Biographien nahezu aller einstigen „Nationalbolschewisten" - der Tag kam, an dem er von der Sowjetunion dann aber mächtig enttäuscht war. Man könnte meinen, daß sich für die heutigen „Nationalrevolutionäre" aufgrund der seit 1945 gegebenen weltpolitischen Konstellationen eine Anknüpfung ausgerechnet an Niekischs „Nationalbolschewismus" doch aber wohl nicht gerade empfehlen dürfte. Doch das ist eben nur sehr bedingt richtig. Sie können die schon von den Weimarer „Nationalrevolutionären" und Niekisch begründete Tradition wiederaufnehmen, das von ihnen als ein von den Weltkriegs-„Siegermächten" kulturell und politisch „kolonisiertes" und in seinen „natürlichen" Volkstums-Grenzen beschnittenes und zerstückeltes Land dargestellte Deutschland aufzurufen, sich zum Sprecher aller gleichfalls von diesen „universalistischen" Weltmächten in ihrer Eigenart „überfremdeten" europäischen Nationalitäten und Regionalkulturen und zum Führer einer großen gesamteuropäischen „Irredenta-Bewegung" gegen die europäische Nachkriegsordnung der „Siegerdiktat-Mächte" zu machen. 765b Dann braucht man nur noch zu diesen „überfremdeten" National^ täten die Völkerschaften der Sowjetunion selbst mithinzuzählen und schon sind wir bei der derzeitigen „nationalrevolutionären" Strategie des Aufrufs zur „revolutionären" Erhebung der europäischen „nationalen Identitäten" gegen den (u. a. eben „deutsche Art" unterdrückenden) „universalistischen Kolonialismus" der „Supermächte" und zu „ethnopluralistischer Neuordnung" Europas, sind bei Henning Eichberg, bei der „nationalrevolutionären" „Gesellschaft für bedrohte Völker", beim „Nationalrevolutionär" Wolfgang Strauss - und beim alten Brest-Litowsk-Konzept von 1918. 191
IV. Wie hingen im deutschen Faschismus der Antisemitismus, die Juden verfolgungspolitik und die Judenvernichtung mit den Interessen des Monopolkapitals zusammen?
Aber der organisierte Massenmord an den Juden in den Vernichtungslagern, diese ja nicht nur in ihrer Unmenschlichkeit, sondern auch ihrer Sinnlosigkeit oder Wahnhaftigkeit so unfaßliche Tat der deutschen Faschisten, kann doch nichts mit Kapital-Interessen zu tun gehabt haben, die bekanntlich handfeste und nüchterne sind; zumindest hier liegt ja wohl eine „Verselbständigung" der politischen Machthaber des NS-Regimes von den Interessen des deutschen Monopolkapitals vor, eine Umsetzung ihrer diesen Interessen doch gar nicht dienlichen eigenen „ideologischen" Ziele in die Praxis - ein Paradefall also des Triumphes der „Politik" über die „Ökonomie". So die in der Bundesrepublik nahezu allenthalben zu hörende Meinung, die der marxistischen Bestimmung des Faschismus als terroristische Diktatur der Interessen des Monopolkapitals entgegengehalten wird als der sich gleichsam seiner selbst gewisseste, vermeintlich nur von der Empirie selbst gelieferte Einwand.
„Feindfreier Herrschaftsraum
"
Auch diese, anläßlich der „Holocaust"-Debatte noch einmal allseits bekräftigte Meinung und dieser Einwand aber lassen sich nur solange äußern, wie man an den Dokumenten vorbeisieht, die uns hierzu das Großkapital selbst - und zwar beginnend zu einer Zeit, in der noch kein einziger späterer NS-Führer ahnen konnte, daß er einmal einer werden würde - hinterlassen hat und aus denen sich überhaupt erst der Zugang zum Verständnis des engeren politischen Kontextes erschließt, in dem die Judenpolitik des deutschen Faschismus stand, - Dokumente, aus denen ersichtlich wird, daß es ein bis in die Jahre schon vor dem 1. Weltkrieg zurückreichendes allgemeineres - und zwar genuin großkapitalistisches - Drängen auf Menschen-Vertreibungen gab, zu dem die Juden-Vertreibung 192
als nur ein Programm-Teil gehörte. Denn das imperialistisch gewordene deutsche Großkapital - und ihm voran wieder das Sprachrohr seiner annexionistischen Fraktionen, der „Alldeutsche Verband" - verlangte nicht nur die politische Vorherrschaft über das gesamte Territorium Europas und die Ausdehnung des Deutschen Reiches in ihm zum „Großdeutschen Reich", es verlangte auch, daß dieses europäische Gesamt-Territorium ein der deutschen Herrschaft dann nicht etwa fortwährend von innen her Schwierigkeiten machendes und gegen sie aufbegehrendes, sondern ein im Innern „feindfreies" Territorium zu sein habe, daß es in ganz besonders hohem Maße als ein dem Deutschen Reich selbst durch Annexion einzuverleibendes Gebiet in seiner Gefolgschaftsbereitschaft gegenüber der deutschen Reichsführung absolut zuverlässig und, wo dies die jeweils ansässige Bevölkerung nicht zu gewährleisten scheint, lieber „menschenleeres Land" zu sein habe. Bereits 1912 hatte Heinrich Claß in seinem schon mehrfach erwähnten „Kaiserbuch" geschrieben: „Haben wir nun gesiegt und erzwingen wir Landabtretungen, so erhalten wir Gebiete, in denen Menschen wohnen, Franzosen oder Russen, also Menschen, die uns feind sind, und man wird sich fragen, ob solch ein Landzuwachs unsere Lage verbessert... wenn man gerade der besonderen Lage des deutschen Volkes ganz auf den Grund geht,' das in Europa eingeschnürt ist und unter Umständen bei weiterem starkem Wachstum ersticken würde, wenn es sich nicht Luft macht, so wird man anerkennen müssen,, daß der Fall eintreten kann, wo es vom besiegten Gegner im Westen oder Osten menschenleeres Land verlangen muß - , " 7 6 6 Und für Rußland erhob das Buch (also der „Alldeutsche Verband") diese Forderung schon definitiv: „ . . . wir werden die Gebietsabtretungen verlangen, die uns eine bessere Grenze und gleichzeitig Siedelungsland gewähren, wobei die Evakuierung sich nicht umgehen lassen wird." 7 6 7 Solche Erklärungen nehmen mit dem Beginn des ersten Weltkrieges dann handfestere Konturen und in Erwartung des erhofften Sieges erweiterte Dimensionen an. Jetzt schreibt Heinrich Claß in seiner großen Kriegsziel-Denkschrift vom September 1914: Nach der militärischen Niederwerfung Frankreichs sei diesem soviel Land wegzunehmen, „als dem Zwecke unserer endgültigen Sicherung entspricht". Dieses Land sei menschenleer an Deutschland zu übergeben; Deutschland müsse „angebliche Grundsätze des Völkerrechts Völkerrecht sein lassen und machen, was uns nottut. Not 193
bricht Eisen . . . Die staatlichen Dinge sind keine Beschäftigung für Nervenschwache und Gefühlsmenschen - sie sind ein hartes Geschäft, das so besorgt sein will, daß das eigene Volk dabei am besten fährt." 768 Rußland solle bis zum Dnjepr zurückgedrängt werden, um „den Landhunger des deutschen Volkes zu stillen". 769 Dieser Hunger aber gehe auf ein nicht von „Fremdstämmigen" bewohntes und durch sie dauernd politisch unruhig gehaltenes, sondern auf ein dauerhaft deutsches und sicher befriedetes Land, das durch „Eindeutschung" der Fremdstämmigen nicht zu erzielen sei. Deshalb gehöre die Frage, welche Lösungen hier gefunden werden können, zu den bedeutsamsten überhaupt, von deren falscher oder richtiger Inangriffnahme von Anfang an letztendlich die Dauerhaftigkeit der zunächst nur militärischen Landnahme abhänge. Der Alldeutsche Verband schlägt in der Claß-Denkschrift vor, diese Lösung durch eine „volle Umwandlung aller Staaten in möglichst reine Nationalstaaten" mittels einer „Art .völkischer Feldbereinigung'" im gesamten Osten zu erreichen, das heißt, jede im osteuropäischen Raum auszumachende Nationalität, jeden Stamm und „Volkssplitter" zu einem eigenen Kleinst-Staat zusammenzufassen 770 , - ein Vorschlag, den im Jahre 1908 bereits Paul Rohrbach in seiner „Orangen-Theorie" gemacht hatte, der Vorschlag nämlich, Rußland in seine Nationalitäten auseinanderzulegen wie eine Orange in ihre Scheiben. 771 Dabei dürfe man vor der gewaltigen, Jahre beanspruchenden organisatorischen Aufgabe der „Hin- und Herbewegung solcher Menschenmassen" 772 nicht zurückschrecken, da nur ein in je einzeln von Deutschland abhängige Kleinstaaten aufgesplitterter Ostraum ein für Deutschland sicher beherrschbarer sein werde. Bei seiner Kategorisierung der Völkerschaften im zu erobernden „Osten" nennt Claß als „eine eigene Gruppe" die Juden: Sie bereiteten „ganz besondere Schwierigkeiten", denn „es sitzt dort eine ganz gewaltige Zahl von ihnen". Sie im Lande zu belassen oder sie gar „sich über Deutschland ergießen zu lassen", sei völlig ausgeschlossen; und keinesfalls dürften sie im vorgesehenen „östlichen deutschen Neulande bleiben, da sie dessen Entwicklung aufs äußerste gefährden würden". 773 Der bisher einzige praktikable Vorschlag sei der, Rußland im Friedensvertrag aufzuerlegen, sie in sein Gebiet aufzunehmen. Der Krieg brächte jetzt jedoch noch eine zweite Lösungsmöglichkeit in Sicht, für die sich die alldeutsche Denkschrift als eine noch günstigere einsetzt: die völkische Bewe194
gung im Judentum selbst, die „zionistische Bewegung", bei einem siegreichen Kriegsausgang zum Erfolg zu bringen, indem Deutschland und Osterreich in den Friedefisverhandlungen der Türkei abverlangten, Palästina den Juden zu überlassen, wohin man dann alle Juden Europas aussiedeln könne. 774 Aus der Vorgeschichte des zweiten Weltkriegs sei nun allein der folgende, für unser Thema wichtige Entwicklungsfaden hier hervorgehoben: Das Grundmerkmal der Konzeption der Thyssen-KirdorfGruppierung war - wie oben gezeigt - die Uberzeugung, daß ein Krieg gegen die Sowjetunion und zugleich unmittelbar vorher oder nachher gegen Frankreich nicht in feindlicher Konfrontation auch noch zu England und den mit ihm zusammengehenden USA zu gewinnen war; man müsse daher alles tun, sie zum Stillhalten und möglichst gar zum Verbündeten zu gewinnen, und man könne den Krieg im übrigen erst riskieren, wenn man alle Ressourcen, insbesondere Rohstoff-Vorräte und die Rohstoff-Nachschubfrage politisch gesichert wüßte, um ihn auch langfristig durchzuhalten. Der demgegenüber völlig entgegengesetzte Ausgangspunkt des IG-Farben-Flügels war aber der, daß die deutschen Kriegsziele in jedem Falle auch England und die USA zum Eingreifen in den Krieg gegen Deutschland veranlassen werden, der Krieg also gar nicht kontinental begrenzbar sei und man sich von vornherein auf einen Weltkrieg, einen Krieg gegen fast alle anderen Mächte der Welt, einstellen müsse; in dieser Perspektive seien aber von vornherein auch alle Rohstoff-Vorratshaltung-Überlegungen bodenlos, und es gebe nur einen einzigen Weg, den Krieg gewinnen zu können; durch eine Reihe blitzartiger Überraschungsschläge sich im Kriege der für die Kriegsführung notwendigen Rohstoff-Lieferungsgebiete zu versichern und die Strategie im übrigen auf synthetische Rohstoffproduktion (Benzin, Gummi) zu stützen und so völlig auslandsunabhängig bzw. „autark" zu sein. Ein Konzept, mit dem die IG Farben, die die Entdeckung der synthetischen Benzin- und Gummiproduktion zu ihrem Prae und Monopol hatten, automatisch in die Führungsrolle der Kriegswirtschaft und Kriegsvorbereitung gerieten und 1936, als die Schachtsche Politik über der Nahrungsmittelknappheit und dem Devisenmangel in die Krise geriet, zur Ablösung des Schacht-Thyssen-Flügels aus ihrer bisherigen führenden Rolle führte. 1936 formuliert Karl Krauch von den IG Farben in seinen Entwürfen des Vier-Jahres-Plans die 195
„Blitzkriegs-Strategie" als konzeptionelles Erfordernis. 775 Mit dieser konzeptionellen Umorientierung verschärfen sich jetzt aber auch alle Probleme der inneren dauernden Sicherung dieses zu erobernden Großraumes gegen die gesamte übrige Welt, und wir erleben jetzt den Vorgang der Verschmelzung der IGFarben-Konzeption des globalen Krieges gleichzeitig gegen alle Weltmächte mit der spezifisch alldeutsch-völkischen „Tradition" der Lösung der inneren Sicherungsprobleme eines solchen Großraums, nämlich der Lösung durch eine systematische Rassenselektionspolitik und die Schaffung eines für rein deutsche Besiedlung vorgesehenen menschenleeren Raums einerseits und der strategischen Beherrschung des Restes der „Fremdvölkischen" durch zweckentsprechende Aufsplitterung und Umsiedlung und perspektivische Vernichtung aller auch nur verdachtsweise unbotmäßigen Gruppierungen andererseits. Der Ausgangsgedanke ist nicht allein die wirksame Unterdrückung momentanen Widerstands - wenn auch dies natürlich vorrangig - sondern das alte, von den Alldeutschen immer wieder warnend beschworene Trauma von der völkischen Gesundheit und Lebenskraft der Völker Rußlands und dem Mißverhältnis zwischen ihrer Zahl und der Zahl der zu ihrer Beherrschung überhaupt zur Verfügung stehenden Deutschen. Zwischen dem Kommissar-Befehl, dem „Holocaust" an den sowjetischen Kriegsgefangenen (3 Millionen) - nächst dem Judenmord das größte Massenverbrechen - und der Politik der Deportationsund Vernichtungslager besteht daher ein unmittelbarer systematischer und konzeptioneller Zusammenhang. Die territorialen Dimensionen der faschistischen EuropaNeuordnungsplanung im Zweiten Weltkrieg umfassen ganz Europa, unterteilt in ein deutsches großes Reich und in Protektoratsgebiete, in denen Sklavenvölker leben, denen bewußt jede Bildung entzogen wird, deren biologische Vermehrungskraft systematisch geschwächt werden soll und aus denen alle sich aus ihnen etwa wieder hervorhebenden neuen national führungsfähigen Personengruppen regelmäßig auszumerzen wären. Institutionell ist diese Aufgabe dem Reichsführer SS, Himmler, bzw. der SS, dem Sicherheitsdienst (SD) und dem „Reichssicherheitshauptamt", ergänzt durch den „Reichskommissar für die Festigung deutschen Volkstums", übertragen. Zur Frage nach dem wirtschaftlichen Inhalt dieser Europaplanung ist auf die großen vorliegenden Kriegszieldenkschriften der deutschen Konzerne und Industrie196
„Reichsgruppen" zu verweisen, auf die Denkschriften der IG Farben, des „Vereins der Eisenschaffenden Industrie", des ZeissKonzerns, die Zielausarbeitungen der Deutschen Reichsbank, der Deutschen Wirtschaftsforschungs-Institute usw. usf. 776 Nicht erst ab September 1939, sondern tatsächlich schon seit dem Einmarsch in die CSSR wird diese alte alldeutsch-Claß'sche Politik in den besetzten Territorien unverzüglich, wohlvorbereitet und planmäßig, in Angriff genommen. Das bekannteste Dokument ist dann Himmlers Denkschrift vom Mai 1940 unter der Uberschrift „Einige Gedanken über die Behandlung der Fremdvölkischen im Osten" in der es u.a. hieß: „Ich will . . . sagen, daß wir nicht nur das größte Interesse daran haben, die Bevölkerung des Ostens nicht zu einen, sondern im Gegenteil in möglichst viele Teile und Splitter zu zergliedern. . . . Für die nichtdeutsche Bevölkerung des Ostens darf es keine höhere Schule geben als die vierklassige Volksschule. Das Ziel dieser Volksschule hat lediglich zu sein: Einfaches Rechnen bis höchstens 500, Schreiben des Namens, eine Lehre, daß es ein göttliches Gebot ist, den Deutschen gehorsam zu sein und ehrlich, fleißig und brav zu sein. Lesen halte ich nicht für erforderlich. . . . Diese Bevölkerung wird als führerloses Arbeitsvolk zur Verfügung stehen und Deutschland jährlich Wanderarbeiter und Arbeiter für besondere Arbeitsvorkommen (Straßen, Steinbrüche, Bauten) stellen." 777 Analoges sagt Hitler, 778 und: „Bei unserer Besiedlung des russischen Raumes soll der ,Reichsbauer' in hervorragend schönen Siedlungen hausen. Die deutschen Stellen und Behörden sollen wunderbare Gebäulichkeiten haben, die Gouverneure Paläste. Um die Dienststellen herum baut sich an, was der Aufrechterhaltung des Lebens dient. Und um die Stadt wird auf 30 bis 40 km ein Ring gelegt von schönen Dörfern, durch die besten Straßen verbunden. Was dann kommt, ist die andere Welt, in der wir die Russen leben lassen wollen, wie sie es wünschen. Nur, daß wir sie beherrschen. Im Falle einer Revolution brauchen wir dann nur ein paar Bomben zu werfen auf die betreffenden Städte, und die Sache ist erledigt." 7 7 9 Insbesondere aber möchte ich auf die Denkschrift des Regierungsrates im „Reichsministerium für die besetzten .Ostgebiete', Dr. Wetzel, zum „Generalplan Ost" der SS aufmerksam machen, weil uns hier ein Dokument aus dem innersten Kreise der Durchführer der Vernichtungspolitik im Osten vorliegt, aus dem uns 197
schlagartig entgegenspringt, wie sehr die ganze Rassenkunde eine äußerst praktische Sache im Dienste handfester Ziele, und wie wenig nur bloße „Ideologie" war. Womit fängt dieses Dokument an? Mit einer Kritik der Zahlenangaben des „Generalplans Ost". Dort werde davon ausgegangen, daß in den eroberten Ostgebieten in den nächsten Jahrzehnten 8 Millionen Deutschen 45 Millionen Fremdvölkische gegenüberstünden. In Wirklichkeit jedoch seien es viel mehr, nämlich 51 Millionen (es sei denn, die Juden seien bereits vernichtet, „schon vor der Evakuierung beseitigt"). Danach die besorgte Frage, ob sich „überhaupt auf die Dauer gesehen eine deutsche Herrschaft angesichts der biologischen Kraft des russischen Volkes aufrecht erhalten läßt". Prof. Abel, der Rassenforscher, habe nach neuesten Auftragsuntersuchungen noch einmal dringend davor gewarnt, die Leistungskraft der Russen zu unterschätzen, und gefolgert, er sähe angesichts dieser biologischen Regenerationskraft der Russen überhaupt nur zwei Lösungsmöglichkeiten: Entweder die vollständige „Ausrottung des russischen Volkes" oder aber ihre vollständige rassische Auslaugung in dem Sinne, daß man ihm nur primitive, nicht leistungsfähige Elemente beläßt. Und von da aus - feststellend, daß also die Aufgabe der Raumsicherung im Osten in der restlosen Zerschlagung des Russentums bestehe - geht Wetzel dann zu seinen Lösungsvorschlägen über, die drei Teile aufweisen: 1. Aufsplitterung des russischen Bodens in eine Vielzahl verschiedener politischer Verwaltungsbezirke unter einem deutschen Generalkommissar und eine systematische Politik der Entfremdung der Bevölkerungen dieser Verwaltungsbezirke gegeneinander. - 2. Rassische Auslaugung, wobei die den deutschen am ähnlichsten Volksgruppen als die gefährlichsten anzusehen sind. Sie sind unbedingt von den übrigen Ostbewohnern räumlich zu isolieren, möglichst ganz aus dem Ostraum zu deportieren. 3. Systematische Politik der Zerstörung der biologischen Kraft der Ostvölker durch eine negative Bevölkerungspolitik (Propaganda gegen Kinder, Verbot von Geburtshilfe und Säuglingspflege etc.), um auf die Dauer das zahlenmäßige Verhältnis zwischen ihnen und den Deutschen zu gunsten Deutschlands zu verändern und so die Probleme ihrer Beherrschung zu verringern. 780 Ich brauche nicht zu erwähnen, daß die Dezimierung der aus Herrschaftssicherungsgründen als übergroß empfundenen Bevölkerungsziffern durch direkte Liquidierung dann nur noch in der 198
Konsequenz dieser Überlegungen lag. Und sie waren nichts als die Konsequenz aus dem seit 1900 im deutschen Monopolkapital propagierten Gedanken vom feindfreien Herrschaftsraum.
Grundlegender Nenner, Funktionen und Phasen des Antisemitismus und der „Judenpolitik" des deutschen Faschismus Die Juden aber waren von der gegen die Arbeiterbewegung und gegen alle kriegshinderlichen - die Volksintegration im Weltkriegswillen behindernden - politischen Kräfte und Ideen gerichteten völkisch-antisemitischen Demagogie seit mehr als vierzig Jahren als der „rassische Todfeind" im „Lebenskampf des deutschen Volkes" gebrandmarkt worden. Sie fungierten in dieser Demagogie als der gemeinsame Nenner, auf dem alle inneren und äußeren Widersacher wie auch nur prospektiven Uberfallopfer des deutschen Monopolkapitals im Bilde eines einzigen Feindes zusammengezogen und zu solch einem einzigen Feindbild vereinfacht wurden, gemäß der vom gelehrigen Hitler nur beherzigten und dann sogar selbst ausgesprochenen Propaganda-Grundregel, das Volk nie durch komplizierte Vielfrontenbilder zu verwirren, sondern ihm immer nur einen einzigen Feind zu zeigen und ihm dieses eine Feindbild beharrlich einzuhämmern. Das aber hatte nicht nur zur Konsequenz, daß auf Grund solch vierzigjähriger allgemein-völkischer und nun auch schon, im Jahre 1933, vierzehnjähriger nationalsozialistischer antisemitischer Mobilisierung die Juden den zynisch-kühl in Kategorien der Raumbeherrschung und inneren Sicherheit denkenden höchsten NS- und SS-Führern längst auch tatsächlich in ihrer eigenen internen machtsicherungspolitischen resp. gleichsam sicherheitspolizeilichen Einschätzung als ein dem Nationalsozialismus allem menschlichen Ermessen nach geradezu notwendig feindseliges politisches Potential galten. Mit dem 30. Januar 1933 trat vielmehr nun auch das Gesetz in Wirkung, daß eine aus solch einem Mobilisierungsmodell selbst überhaupt erst als Organisation hervorgegangene Partei oder „Bewegung" allerdings unter dem Zwang steht, in dem Augenblick, in dem sie in den Besitz der Diktaturgewalt gelangt ist, der Zerschlagung der Arbeiterbewegung und der ihr und anderen demokratischen Kräften Betätigungsraum bietenden Staatsstrukturen - der Erfüllung ihrer tatsächlichen primären 199
Funktionen also - nun aber auch Schläge gegen das im Lande sich befindende und ihrem Zugriff erreichbare reale Substrat der demagogischen Personifikation und Verdichtungsfigur aller politischen Feinde, die (einheimischen) Juden, folgen zu lassen, bzw. den Schlag gegen die Arbeiterbewegung und das Parteiensystem von solchen Schlägen gegen den angeblichen Verderber hinter ihnen demonstrativ begleiten oder besser noch jeweils einleiten zu lassen; anders würde sie ihre bisherige richtungsspezifische Sammlungsund Mobilisierungsdemagogie durch ihre eigene Diktaturpraxis einem demaskierenden Dementi aussetzen und sich damit selbst in ihrer politischen Richtungsspezifität zurücknehmen und darüber notwendig auch als Bewegung auflösen. Dieser mobilisierungsbedingte Zwang zu demonstrativen Aktionen gegen die Juden bewirkte eine Eskalation der politischen Feindschaftsgefühle und damit wiederum bei der SS und den NSSicherheitsbehörden auch der akuten Feindeinstufung der Juden als Bevölkerungsgruppe. Dabei lag die Funktion dieses Antisemitismus durchaus nicht - wie ihm, in Verwischung des entscheidenden Unterschieds zwischen dem vorimperialistischen und dem rassistisch begründeten imperialistischen Antisemitismus, oft nachgesagt wird - in einer „Volkszorn"-Ablenkung von den Herrschenden auf „Minderheiten" (s. o. Kap. I), er diente vielmehr der doppelten und je spezifisch imperialistischen Funktion, gerade einen initiativen Schlag der Herrschenden gegen eine Mehrheit, die Arbeiterschaft, propagandistisch abzudecken und zugleich damit auch schon die Durchführung des die Juden mitumfassenden Programms vom feindgesäuberten eigenen Zukunfts-Imperium einzuleiten. Der rassistische Antisemitismus war der imperialen Dimension wegen, die seiner Funktion innewohnte, von vornherein auf die vollständige Entfernung der Juden aus dem nun „rasserein" gewünschten eigenen „Reich" gerichtet - wie sie übrigens mit noch nationalistischer, aber unverkennbar bereits an der Schwelle zum Rassismus stehender Begründung schon ganz früh, im Jahre 1853, Paul de Lagarde für die seinerzeit schon beanspruchten deutschen „Siedlungs"- und „Kolonisations"gebiete in Ost- und Südosteuropa verlangt hatte: „An Juden sind in den Weichsel- und Donauländern, soweit diese uns angehen, etwa zwei Millionen Seelen vorhanden, die allerdings bereit sein werden, sich noch etwas mehr zu germanisieren als sie schon germanisiert sind, die wir aber 200
gleichwohl dort nicht dulden können. Es ist unmöglich, eine Nation in der Nation zu dulden. Und eine Nation sind die Juden, keine Religionsgemeinschaft, wenigstens letzteres nur weil ersteres «781
Eben dieser dem völkischen Antisemitismus dann zum Gemeingut werdenden Zielvorstellung vom „entjudeten" Imperialraum wegen aber unterschied sich die Organisation antijüdischer Ausschreitungen durch den deutschen Faschismus von der FackelzugNacht des 30. Januar 1933 an grundsätzlich von den Pogromen des historisch bekannten Typs dadurch, daß es sich - bei aller Instrumentalisierung dieser Ausschreitungen zu propagandistischen Begleitmanövern von zunächst jeweils ganz anderen Gruppen geltenden Maßnahmen - um eine von vornherein linear auf das Ziel der vollständigen Reichs-Vertreibung der Juden hin angelegte und eine unbesehen aller situationsopportunistischen Handhabung, Dosierung und bewußt erzeugten Spontaneitäts-Eindrücke systematisch verfolgte, final bestimmte Politik handelte (nicht also um die etwa nur jeweilige Anwendung eines zu okkasionellem Gebrauch verfügbaren Herrschaftssicherungs-Mittels). Der für das Verständnis der Art des Zusammenhangs von „Judenpolitik" und Kapitalinteressen im deutschen Faschismus schlechthin zentrale Punkt ist das von der Sache her tatsächlich zwangshafte Wechselverhältnis zwischen der demagogisch-antisemitischen Mobilisierung gegen die Arbeiterbewegung einerseits und der demgegenüber dann gleichsam „nüchternen", jedenfalls hier keineswegs mehr die Funktion einer demagogischen Quidpro-quo-Setzung erfüllenden Einschätzung der Juden aus großraumpolitisch-expansionistischer Sicht als ein reales „Feind"-oder Störpotential andererseits. 782 Was war der gemeinsame Nenner, auf den die der innenpolitischen Mobilisierung dienende Demagogie, die auf die Zerschlagung des Sozialismus gerichtet war, und der nach außen in die zur Okkupation vorgesehenen Länder zielende und dort die Aussiedlung der Juden fordernde, dort also doch nun wirklich die Juden unmittelbar selbst als Volksgruppe meinende und sie beim jeweiligen Einmarsch der deutschen Truppen auch stets sofort mit voller Wucht treffende Antisemitismus sich bringen ließen und in dem sie auch tatsächlich ihre Einheit hatten und eine solche darstellten? Erst von diesem gemeinsamen Nenner her läßt sich verstehen, warum die systematische Judendiskriminierung und -Verfolgung 201
im Inneren des deutschen Reichsgebietes gerade in den letzten fünf Jahren der faschistischen Herrschaft eskalierte und schließlich, jetzt bar auch nur jeden geringsten sozialdemagogischen Anflugs, vielmehr nun unter strengster Geheimhaltung, in das unterschiedslos alle Juden im Zugriffsbereich des deutschen Faschismus treffende Vernichtungsprogramm einmündete. Denn der gemeinsame Nenner war natürlich nicht der Glaube der obersten NS- und SS-Führer an ihren eigenen rasseideologischen Propaganda-Popanz, wie es all diejenigen unterstellen und voraussetzen müssen, die im Judenvernichtungsprogramm der Schlußphase des deutschen Faschismus den Triumph der „Ideologie" der NS-Führer über die Interessen des deutschen Monopolkapitals sehen möchten, sondern dieser gemeinsame Nenner war das gerade im deutschen Monopolkapital selbst auf eine schon lange Tradition zurückgehende „Raum-Sicherungs"-Denken. Sieht man sich die Geschichte des deutschen Faschismus an der Macht unter diesem Gesichtspunkt an, dann springen aus ihrem Verlauf geradezu von selbst auch die Ursachen dafür hervor, warum seine „Judenpolitik" unterschiedliche Phasen aufweist, voneinander dadurch abgehoben, daß die tatsächlich verschiedenen und nur im Raumsicherungsgedanken ihre Einheit findenden Funktionen, denen die antisemitische Demagogie diente, in ihnen unterschiedlich stark als jeweils praktische Politik im Vordergrund stehen, - auch wenn es sich nur um jeweilige Dominanzverhältnisse innerhalb des alle Phasen durchgängig kennzeichnenden schillernd-multifunktionalen Antisemitismus-Gebrauchs handelt. Es wird dann aber auch verständlich, weshalb - und wann jeweils, aufgrund welchen machtpraktischen Bedarfs - diese Phasen rasch einander abwechseln und sich auch überlagern und aus welchem tatsächlichen oder doch jedenfalls tief eingegrabenen Interessendenken heraus - das für das „Güterwagen"-Argument mancher BRD-Nachkriegshistoriker nur ein Lächeln übrig gehabt hätte 783 in einer bestimmten Situation, als es sich einer praktischen Aporie gegenübersah, der „Holocaust-Entschluß" resultierte. Um dies der Herrschaftsgeschichte des deutschen Faschismus, zu der die Verlaufsgeschichte seines Weltkriegs natürlich hinzugehört, selbst ansehen und ablesen zu können, ist nur eines die Voraussetzung, nämlich vom deutschen Faschismus zu wissen: so, wie er selbst insgesamt nur aus dem Expansionsdrang des deutschen Monopolkapitals sich erklärte, er dessen bloßes politisches 202
Produkt und sein „Drittes Reich" eine einzige Veranstaltung zur Erziehung eines ganzen Volkes zu ebenso aufopferungs- wie über andere Völker herrschaftswilligen und ideologisch-charakterlich herrschafts„fähigen", d.h. sich ihnen gegenüber auch wahrhaft im Sinne Nietzsches und Himmlers als mitleidsfreie Herrenmenschen jenseits „sentimentaler Humanitätswandlungen" bewährenden Erfüllungsgehilfen dieses Expansionswillens war, so gehörte zu ihm als seine davon dann nur unzertrennliche Kehrseite ebenso die Entschlossenheit zur rücksichtslosen Ausrottung aller auch nur latenten Verunsicherer seines Herrschaftsanspruchs hinzu, und eben dies machte seine ihn von allen bisher bekannten bürgerlichmonopolkapitalistischen Partei- und Politikströmungen so spezifisch abhebende Rigorosität aus. Sieht man sich so die Geschichte des deutschen Faschismus an der Macht aus diesem ihn selbst überhaupt erst erklärenden Blickwinkel an, rückt aber auch der „Holocaust" an den Juden aus der ihm in so vielen Diskussionen zugewiesenen Stellung von etwas angeblich ganz einsam dastehendem unfaßlich Exorbitantem heraus (worauf sich dann wieder die Eingrenzung der Absage an den Faschismus und der gesamten öffentlich-pädagogischen Abrechnung mit ihm auf die Juden-Vernichtung, so als sei diese sein einziges Verbrechen oder das jedenfalls allein ihm vorzuwerfende gewesen, zu stützen vermag), und er fügt sich dem Kontext der gesamten, eben tatsächlich keineswegs auf die Juden beschränkten „Holocaust"-Politik sowie sonstigen unzähligen Verbrechen des deutschen Faschismus ein, verliert somit den verhängnisvoll mysteriösen Schein des rational Unergründlichen und der Erklärung Unzugänglichen. Denn dann wird sofort einleuchtend, daß das aus der Maßlosigkeit der Expansionskriegsziele und der Absicht zur Versklavung der eroberten Expansionsräume sich erklärende extreme innere Raumsicherungsinteresse des deutschen Monopolkapitals natürlich zu allererst auf seine Realisierung noch vor jedem Kriege und zwecks Befähigung zu ihm in der eigenen Gesellschaft, im Reichsund Expansionsausgangsgebiet selbst, bedacht war und seine Realisation hier, zu Hause, beginnen mußte (und zu diesem Zwecke die Machteinsetzung des Faschismus erfolgt war); und es wird einleuchtend, daß hier die realpolitische oder machtpraktische Prioritätenfolge seiner Durchsetzung sich so ausnahm, daß es selbstverständlich zuerst und vor allem, zwecks Ermöglichung allein schon 203
der vollen institutionellen Etablierung der faschistischen Diktatur, um die möglichst vernichtende Zerschlagung und förmliche Illegalisierung der Kommunisten, Gewerkschaften und Sozialdemokratie ging, dann um die Ausschaltung und gleichfalls Illegalisierung auch der bürgerlichen Parteien und die definitive Liquidation mithin des Weimarer Parteiensystems - und um die Juden aus machtpragmatischer und machtkampfprozessualer Sicht gar nicht so vordringlich. Deshalb stellten die ersten Monate nach dem 30. Januar 1933 eine Phase dar, in der trotz aller langjährigen Behauptungen der NSPropaganda, daß der Hauptfeind und das letztendlich hinter allem steckende alleinige Übel „der Jude" sei, die tatsächlichen, jeweils umfassend von langer Hand gleichsam „sicherheits"- oder „säuberungs"polizeilich mit komplett erarbeiteten Verhaftungslisten vorbereiteten und generalstabsmäßig durchgeführten Vernichtungsschläge der Arbeiterbewegung - in der Reihenfolge: Kommunisten, Gewerkschaften, SPD - und in einem Zuge hiermit der mißliebigen Presse galten; und die in die Periode bis zum Abschluß der Selbstauflösung der letzten bürgerlichen Parteien und zum Erlaß des „Gesetzes gegen die Neubildung von Parteien" (14. Juli 1933) fallenden drei antisemitischen Straßenpogrom-Wellen der SA und SS - die Ausschreitungen in der Nacht des 30. Januar 1933 und in den ihr folgenden Tagen, die Arbeiterfunktionären, linken Schriftstellern und Juden gleichermaßen geltenden Uberfallaktionen des „März-Terrors" und der reichsweite Boykott der jüdischen Geschäfte am 1. April 1933 - waren von vorwiegend legitimatorischer Funktion gegenüber diesen zunächst auf dem Programm stehenden Schritten, insoweit also nunmehr gleichsam „Demagogie der Tat" oder aus der Rhetorik aus zwangshaften Gründen der ideologischen Affirmation und Glaubhaftigkeits-Bestätigung der eigenen Bewegung im Bewährungs- und Wahrheitsaugenblicke des Machtbesitzes in die Aktion umschlagende Demagogie. Bestand unter diesem Aspekt die Funktion jener „wilden" bewußt über die Bürgerkriegsformationen der „Bewegung", insbesondere die SA, in Gang gesetzten und nach dem Strickmuster „revolutionärer" Ausbruch des „Volksunmuts" inszenierten 784 Terroraktionen der ersten Monate des Jahres 1933 darin, den Widerspruch zwischen der antisemitischen Feindbildpropaganda der Sammlungs- und Aufstiegsphase der NSDAP und ihrem im Augenblick der erlangten politischen Handlungsvollmacht zualler204
erst doch vollzogenen Schlag gerade gegen die Organisationen und die Rechte der Arbeiter und die politische Freiheit des deutschen Volkes abzudecken und nicht allzu eklatant vor aller Augen aufreißen zu lassen, so dienten sie zugleich freilich auch schon - und dies ihr zweiter funktionaler Aspekt - der unmittelbaren propagandistischen Vorbereitung und psychologischen Einstimmung der Bevölkerung auf die beabsichtigte systematische Entrechtung der Juden auf dem Gesetzgebungs- und Verordnungswege; sie diente der vorbeugenden Einschüchterung von Protesten gegen sie, wie dies Göring bereits am 11. März 1933 in seiner Essener antisemitischen Aufputsch-Rede vorexerziert und unmißverständlich signalisiert hatte, indem er die von ihm selbst - wenn auch höhnisch apostrophierte „furchtbare Erregung in der Bevölkerung" über den im März angelaufenen SA-Terror gegen die jüdischen Warenhäuser mit dem ebenso drohenden wie von Bescheidwissen über alles Geplante zeugenden und ihm terrorpropagandistische Vorarbeit leistenden Brüll-Kommentar versah: „ . . . ich lehne es ab, daß die Polizei eine Schutztruppe jüdischer Warenhäuser ist. Es muß endlich einmal der Unfug aufhören, daß jeder Gauner nach der Polizei schreit. Die Polizei ist nicht dazu da, die Gauner, Strolche, Wucherer und Verräter zu schützen. Wenn sie sagen, da und dort sei einer abgeholt und mißhandelt worden, so kann man nur erwidern: Wo gehobelt wird, fallen Späne. Wir haben jahrelang die Abrechnung mit den Verrätern angekündigt. Ruft nicht soviel nach Gerechtigkeit, es könnte sonst eine Gerechtigkeit geben, die in den Sternen steht und nicht in euren Paragraphen.« 785 Tatsächlich waren die Nazis am 30. Januar 1933 mit dem von Anfang an festen Vorsatz an die Spitze der faschistischen Diktaturregierung getreten, die alte alldeutsche Programmforderung nach Aussiedlung aller Juden aus den von Deutschland in einem Kriege zu erobernden und seinem Herrschaftsraum zuzuschlagenden Gebieten zu erfüllen und daher natürlich, nur der Logik dieses Zielgedankens folgend, erst recht auch aus dem alten Herzgebiet des Reiches selbst, dem Kern des „rassisch" zu legitimierenden künftigen germanischen Weltreichs sämtliche Juden geschlossen auszuweisen. In die am 4. Januar 1933 im Hause des Bankiers Kurt von Schroeder in Köln zustandegekommene Einigung der bis dahin um ihre je eigene Diktaturvariante rivalisierenden Fraktionen des deutschen Monopolkapitals auf die am 30. Januar 1933 dann beru205
fene Hitler-Papen-Regierung war nach von Schroeders späterer Aussage die Bejahung und Unterstützung zumindest des von Hitler dort vorgetragenen Programmpunktes der Entfernung nicht nur aller Kommunisten und Sozialdemokraten, sondern auch aller Juden „von führenden Stellungen in Deutschland" ausdrücklich mit eingeschlossen. 786 Die Durchführung des eine Art reichsdeutsche Sozialistengesetzgebung für Juden weit übersteigenden alten „alldeutschen" Aussiedlungsvorsatzes machte freilich den Sieg im nächsten Krieg und eine durch ihn erworbene so gewaltige Stimmungs- und Druckgewalt auf fremde Staaten erforderlich, daß die Zwangsverfrachtung der Juden über die Grenzen des projektierten eigenen neuen Herrschaftsgroßraums hinaus sich auch würde ermöglichen lassen. Die zwecks Uberganges zur nunmehr unmittelbaren Vorbereitung des Großraum-Eroberungskrieges und der straffesten Ausrichtung der gesamten Gesellschaft auf ihn an die Macht gebrachte Faschistenführer-Clique betrachtete daher die Juden auch von vornherein als eine in wenigen Jahren, unmittelbar nach oder gleich mit dem Siege, geschlossen diesem Schicksal zuzuführende Gruppe (wobei freilich offenbar ganz früh schon der Gedanke mit im Spiel war, sich aber auch keine geschlossene feindselige jüdische Macht irgendwo sonst in der Welt wünschen zu können, weshalb die Vernichtung vorzuziehen sei); ihr staatlicherseits irgendwie rücksichtsvoll zu begegnen und ihr auch nur irgendwie das Gefühl einer Hinzugehörigkeit zu den Deutschen und der Beheimatung bei ihnen zu belassen, entfiel für die Nazis deshalb ab sofort jeder Grund. In eben dem Maße, in dem sie auf diese Weise aus der nationalsozialistischen Zwangsintegration aller übrigen Deutschen in den Kriegswillen und eine geschlossene Kriegsgemeinschaft bewußt herausgehalten wurde, mußte sie jedoch notwendigerweise in den Augen der gleichen Nazi-Führer sofort auch zu einem die „Volksgemeinschaft" gefährdenden politischen Unsicherheitspotential werden, war sie daher sowohl gesetzlich wie zugleich auch durch die nur erdenklich wirksamsten psychologischen Bannmeilen aufs strengste von der übrigen Bevölkerung zu isolieren. Spätestens mit Kriegsbeginn würde sie, sobald sich bei ihr unvermeidlicherweise herumspricht, wie wenig Umstände man mit den gleichfalls für eine solche Deportation vorgesehenen jüdischen Bewohnergruppen der okkupierten Länder zu machen entschlossen ist, wie sehr vom ersten Einmarschtage an mit der physischen 206
Liquidation aller nationalen Führungseliten der besetzten Länder (darunter natürlich stets jeweils auch Juden) durch die speziell hierzu zugleich mit den Truppen ins Land einrückenden SS- und SD-Sonderkommandos begonnen wird, allem menschlichem Ermessen nach zu einer Gruppe empörter Verflucher und aktiver Hasser des Nationalsozialismus werden. Damit würde sie aber - als noch immer sich im kriegsführenden Reiche selber befindliche Gruppe, wie immer ghettoisiert und kontrolliert - zu einem tatsächlichen inneren Feind und sei deshalb auch im vorhinein ab sofort schon als ein solcher anzusehen und zu behandeln. Bereits am 7. April 1933 setzt mit dem „Gesetz zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentunis" die systematische gesetzliche Aussonderung der Juden aus den für die Kriegsformierung der Bevölkerung und die künftige Germanisierungspolitik Europas wichtigen staatlichen und gesellschaftlichen Institutionen ein. Sowenig hier die bekannten weiteren Etappenschritte referiert werden sollen 787 , in denen sich die NS-Judengesetzgebung und der antisemitische Schikane-Terror bis zum „Blutschutz"- und „Reichsbürger"-Gesetz von 1935 und dann zum nächsten deutlichen qualitativen Einschnitt, der Inbrandsetzung der Synagogen, den mit ihr verbundenen Massenmorden und nun auch ersten Massendeportationen von Juden in Konzentrationslager in den Tagen des 9.-11. November 1938, entfalten und steigern, so bemerkenswert ist doch, wie sehr sich dieser gesamte gesteuerte Prozeß in seiner Abfolge viel mehr an die Logik des innenpolitischen und polizeilichen Raumsicherungs- und Kriegsformierungsdenkens als an eine „rassenideologische" Logik hält: Zuerst die Gesetze zur Entfernung der Juden aus dem Staatsund Justizapparat (Berufsbeamtengesetz 7. April 1933, Rechtsanwälte 17. April 1933, Behörden, Angestellte und Arbeiter 4. Mai 1933, Beamten-Ehegatten-Gesetz 30. Juni 1933), aus den für die faschistische Integration entscheidenden Medienberufen und Bildungsinstitutionen (Studenten 25. April 1933, Professoren 6. Mai 1933, Bücherverbrennungen 10. Mai 1933, Reichskulturkammer 22. September 1933, Schriftleitergesetz 4. Oktober 1933), aus den für die Durchsetzung der Rassen- und „Bodenpolitik der Zukunft" wichtigen medizinischen und landwirtschaftlichen Berufen (ÄrzteAusschluß aus Krankenkassen 22. April 1933, Zahnärzteausschluß 2.Juni 1933, Verbot gemeinsamer Arztpraxen von „Ariern und Nichtariern" gleichfalls Juni 1933, Erbhofgesetz - Verbot der 207
Betätigung als Landwirt und Viehzüchter September 1933), aus der Wehrmacht (auch für Weltkrieg I-Teilnehmer - Wehrpflichtgesetz Mai/Juli 1935) und aus dem Reichsarbeitsdienst (Juni 1935); dann die der rigorosen Trennung von Juden und Nichtjuden in der Bevölkerung dienenden antijüdischen Nürnberger Rassengesetze und die Einführung von zwei ungleichwertigen Staatsbürgerschaften (September 1935), durch die die Juden generell unter Ausnahmerecht gestellt und de facto zum Freiwild der Polizei ohne Rechtsschutz erklärt werden, und die - freilich angesichts der nun längst etablierten faschistischen Diktatur nur noch eine bizarre formelle Gehässigkeit darstellende - Aberkennung des Wahlrechts für Juden (November 1935), 788 während den Juden auf den bis 1933 so vorrangig in den Blick gerückten Gebieten der Wirtschaft - von den wellenartigen Boykott- und Demolieraktionen gegen jüdische Geschäfte abgesehen bis zum Dezember 1937, als Göring die ersten Arisierungsaktionen der Wirtschaft anordnet, der gesetzlich relativ am wenigsten behelligte Betätigungsraum verbleibt. Denn: Der Faschismus als solcher war eine Veranstaltung zur terroristischen Erziehung des gesamten deutschen Volkes zu einer im Inneren des Reichs gegenüber seinen „Führern" devoten Gefolgschaftskompanie des Welteroberungswillens des Monopolkapitals und, sowie es den Fuß über die Grenzen gesetzt hat, zu einer den anderen Völkern gegenüber sich als grausame Herrenmenschen verhaltenden Truppe, und insofern war den Nazis auch klar, daß am wenigsten auf dem Gebiet des Handels und der Wirtschaft, wo die marktwirtschaftlichen Gesetze ja ausdrücklich weiter in Kraft blieben, die Tätigkeit der Juden dieser volkspädagogischen Kriegsformierung hinderlich werden könnte, ihrer Unterbindung also auch die geringste zeitliche Vordringlichkeit zukam. Wie zynisch vielmehr die an der faschistischen Herrschaft unmittelbar beteiligten Führungskreise des Monopolkapitals und die obersten Naziführer den offiziellen Antisemitismus für ihre internen Macht- und Cliquenkämpfe instrumentalisierten und ausnutzten, geht vielleicht am schlagendsten aus folgendem Beispiel hervor: Am 1. April 1933, dem Tage des reichsweit angeordneten Boykotts der jüdischen Geschäfte durch SA und SS, drang ein SATrupp auch in die Geschäftsräume des „Reichsverbandes der Deutschen Industrie 0 in Berlin ein und verlangte dort das sofortige Ausscheiden aller jüdischen Präsidialmitglieder des RDI und insbe208
sondere den Rücktritt des jüdischen Geschäftsführers des Präsidiums des Reichsverbandes, Dr. Ludwig Kastl, eines Vertreters des in Familienbesitz sich befindenden Haniel-Konzerns. Auf den ersten Blick ein Zucker-Beispiel für alle Verselbständigungstheoretiker. Doch der tatsächliche Hintergrund: In diesen Wochen tobte hinter den Kulissen des Führer-Staats ein erbitterter Machtkampf zwischen Fritz Thyssen und dem Göring-Flügel der N S D A P einerseits und Krupp, der die „Wirtschaftspolitische Abteilung" der NSDAP-Reichsleitung unter der Führung Otto Wageners hinter sich wußte, andererseits um die Durchführung der geplanten Neuorganisation der deutschen Industrie nach jeweils ihren eigenen, ziemlich konträren Vorstellungen; da die Neugliederung in „Selbstverwaltung" von der Industrie selbst durchgeführt werden sollte, war die Schlüsselfrage, die entschieden werden mußte, die nach der Führung des Reichsverbandes der Deutschen Industrie. Krupp hatte bei Hitler für eben diesen 1. April 1933 im Namen der Präsidiumsmehrheit des Reichsverbandes eine Audienz erwirkt, von der für den Göring-Thyssen-Flügel die Gefahr drohte, daß es Krupp gelingen werde, Hitler zu einer endgültigen Entscheidung zu Gunsten der hinter ihm stehenden Mehrheit des Reichsverbandes zu veranlassen. Just in den Stunden, da Krupp, damals Vorsitzender des Reichsverbandes, mit Hitler konferiert, erscheint der über die Zusammensetzung des RDI-Präsidiums bestens instruierte SA-Trupp im Gebäude des Reichsverbandes, trägt seine Rücktrittsforderungen vor, die aufgrund des einfachen Umstandes, daß zur damals sich in der Minderheit befindenden Fraktion des Thyssen-Schacht-Flügels im Reichsverband kein Jude gehörte, ausschließlich dessen hinter Krupp stehenden, sich in diesem Punkt mit ihm verbündenden Konkurrenten von der Schwerindustrie und vor allem der Chemie- und Elektro-Industrie treffen; wäre hier kein Zusammenhang zu jenem Machtkampf um die RDI-Führung gewesen, so hätte es mit diesem eindrücklichen SA-Auftritt, dessen Forderungen zu widersprechen ausgeschlossen war, an diesem Tage wohl sein Bewenden haben können. Es erscheint aber erstaunlicherweise im weiteren Verlauf des Tages nun auch gerade Görings Gegenspieler in diesem Kampf, Otto Wagener, in Begleitung seines Adjutanten v. Lücke und eines wirtschaftspolitischen Vertrauensmannes von Hugenberg, dem Vorsitzenden des „Bundes für Nationalwirtschaft und Werkgemeinschaft", Alfred Möller, beim Reichsverband und übertrumpft scheinbar noch die Forde-
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rungen der SA-Abordnung, indem er außer der Entfernung der Juden nun auch noch die Aufnahme seiner beiden Begleiter als „Vertrauensleute der nationalen Bewegung" ins RDI-Präsidium fordert. Dies führt zu einem Zornesausbruch und wütenden, aber vergeblich bleibenden Protest Thyssens, als er davon erfährt, und zu einer dramatischen Auseinandersetzung zwischen Krupp und Thyssen auf der nächsten RDI-Präsidiumssitzung am 6. April, da Krupp die Aufnahme der beiden sofort wärmstens befürwortet und die Zustimmung des RDI-Präsidiums hierfür einholt, Thyssen jedoch, NSDAP-Mitglied und seit Jahren der fanatischste Nazi unter allen Industriellen, jetzt auf einmal rundheraus erklärt, Otto Wagener (der offizielle wirtschaftspolitische Sprecher der Partei, also die Partei) hätte nicht das mindeste Recht, sich in die Angelegenheiten des Reichsverbandes einzumischen. Thyssen wußte natürlich, daß diese beiden von Wagener benannten Männer Parteigänger Krupps in der Frage der Neugliederung und Führung des Reichsverbandes waren und Wagener mit seinem Schachzug, auf der Welle der antisemitischen Aktionen des 1. April 1933 ebenfalls im Reichsverband zu erscheinen, die Spitze des morgendlichen SAAuftritts gegen dessen Initiator selbst umgebogen hatte, wie es sich dann auch sofort zeigte: Noch am Ende der gleichen Sitzung und der heftigen Auseinandersetzung vom 6. April 1933 wurden Fritz Thyssen von der Mehrheit des RDI-Präsidiums sämtliche von ihm selbst eingeleitete Vorarbeit und beanspruchte Verhandlungskompetenz für die Neugliederung der Industrie per Beschluß aus der Hand genommen und auf Krupp allein übertragen, war die erste Runde im Kampf der Monopolgruppen um die Führung der Wirtschaft im Faschismus mithin für den Schacht-Thyssen-Flügel verloren gegangen (hatten beide aber in diesem Kampf sich der antisemitischen Welle bedient). 789 Auch die weiteren Etappen dieses innermonopolistischen Machtkampfes blieben von mit ihm synchronisierten antisemitischen Kampagnen begleitet. Auf seinen Höhepunkten wurde er zu einem sogar nicht unerheblichen Teil in dieser Form öffentlich ausgetragen, so daß die legitimatorische, also demagogisch vom tatsächlich gemeinten Feind oder Angriffsziel den Blick auf den Feind „Jude" ablenkende Funktion des Antisemitismus auch während dieser gesamten zweiten Phase der NS-Zeit vom Sommer 1933 bis zum Jahre 1938 erhalten blieb, mit voranschreitender Zeit zunehmend jedoch nicht mehr nur den Dienst der Verschleierung 210
des Kampfes des Monopolkapitals gegen die Arbeiterklasse, sondern nun auch der Verschleierung der Machtkämpfe der verschiedenen Fraktionen des Monopolkapitals untereinander zu erfüllen hatte. Denn die von ihnen allen als wertvollste und um keinen Preis anzutastende Errungenschaft gegenüber der früheren Demokratie und dem „Volk" angesehene respekteinflößende und disziplinerzwingende Fassade des „Führerstaates" duldete keine andere öffentliche Artikulation dieser Kämpfe als in der Sprache und innerhalb des Bezugsrahmens der offiziellen Ideologie dieses Führerstaates, daher auch immer nur im Namen seines offiziellen Feindbildes. So organisierte Goebbels zum Beispiel, als der Rivalitätskampf der Monopolgruppen im ersten Halbjahr 1934 einem Gipfel (und dem Blutbad vom 30. Juni) zutrieb, eine die SA zu erneuten antijüdischen Ausschreitungen und - in der Bevölkerung höchst unpopulären - wilden Straßenkrawallen anstachelnde antisemitisch akzentuierte, doch äußerst schillernde Agitationskampagne gegen „Meckerer und Miesmacher", die diesmal wohl eher der Vorbereitung der Bevölkerung auf Görings Schlag gegen die SA gedient haben dürfte, ihrer noch einmal drastischen Selbstvorstellung als einer zügellosen Rüpelbande und Raufboldhorde, über deren Bändigung durch staatsbesonnenere NS-Führer jeder ruheund ordnungsbedürftige Bürger nur Erleichterung empfinden könne. Das Jahr 1937 und dann, als Feuerzeichen eines Phasen-Wechsels, die im November 1938 folgende „Reichskristallnacht" (ein von den Nazis zwecks Beschönigung und salopperer Hinnahme des Geschehens selbst lancierter Ausdruck, man sollte sich am besten dieses die Dinge zu einer Art Polterabend-Gaudi herunterwitzelnden Worts überhaupt enthalten) stellten alldem gegenüber den bedeutendsten Einschnitt und Auftakt zur nächsten Steigerungsperiode dar, die zu ihrem Hintergrund den von den Naziführern nunmehr per Datierung beschlossenen Kriegsbeginn hat. Vor diesem Hintergrund jedoch mußten alle Funktionen des Antisemitismus gleichzeitig zu höchster Aktivierung gelangen, da der Weltkrieg allen Propagandaprämissen des deutschen Faschismus zufolge vor der Bevölkerung nur als ein Krieg gegen das „Weltjudentum" darstellbar war, es daher nun aber auch in den akuten Kriegswillen durch riesenhafte antisemitische Massenkundgebungen eingestimmt werden mußte, zugleich sich aber damit dann auch die Frage nach dem Verbleib und der Behandlung der Juden
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im Inneren des Reiches und in den anvisierten Okkupationsgebieten - und dies in seiner Wechselwirkung auf einander - ins nunmehr konkret Kriegs- und Sicherheitspolitische zuspitzte. Am 5. November 1937 hatte Hitler den Führern der drei Wehrmachtsteile und Außenminister v. Neurath den Entschluß zum Einmarsch in Osterreich und zur Besetzung der gesamten Tschechoslowakei im bevorstehenden Jahre 1938 bekanntgegeben. Bereits seit Mitte 1937 war eine Einschüchterungskampagne gegen alle versteckten inneren Gegner (in Justiz, Kirche, Bürokratie, Presse, Intelligenz) im Gange, war die Zahl der Konzentrationslager vermehrt und der Aufbau bewaffneter SS-Verbände beschleunigt worden. Im Dezember 1937 rollt eine riesige antisemitische Propagandawelle an, Göring verlangt eine antijüdische „Säuberung" der Wirtschaft mit Vollzugsmeldung bis März 1938 und Julius Streicher verfügt in Bayern, dem nächstgelegenen „Gau" des angestrebten Okkupationsgebietes, in dem das Netz verwandtschaftlicher oder sonstiger freundschaftlicher Verbundenheiten mit dessen Bewohnern naturgemäß am dichtesten ist, für die Weihnachtswochen einen erneuten Boykott der jüdischen Geschäfte, „um ihnen das Weihnachtsgeschäft zu verderben." Als im März 1938 die faschistischen Truppen in Osterreich und vor allem dann am 1. Oktober 1938 gemäß dem inzwischen ausgehandelten „Münchener Abkommen" auch im Sudetenland einmarschieren, ist der Sinn dieser vorherigen antisemitischen Aufputschung in Deutschland deutlich: die Einsatzgruppen des SD beginnen in Osterreich und im Sudetenland sofort mit ihren „Säuberungsaktionen" und Pogromjagden auf Juden. Die Bevölkerung im Reichsgebiet, soweit hiervon Kenntnis erhaltend, ist durch die Wucht der terroristisch einschüchternden antisemitischen Großkampagnen im eigenen Lande vor jedweder etwa eigenen öffentlichen Kritik wirkungsvoll abgeschreckt. Die Juden selbst werden im Reich durch eine noch deutlichere Stigmatisierung von ihr getrennt, sie müssen ab August 1938 in ihrem Namen den zusätzlichen Kenn-Namen Israel bzw. Sarah führen, ab Oktober 1938 zudem in ihrem Reisepaß das Kennzeichen „J". Am 21. Oktober 1938 jedoch erteilt Hitler die geheime Weisung zum Bruch des „Münchener Abkommens", zur „Erledigung der Rest-Tschechei" und zum Krieg mit Polen. Es besteht eine schrille Diskrepanz zwischen dieser Weisung und der anfangs von der Nazi-Presse durchaus noch selbst mitbeförderten Friedens-Stim212
mung in der Bevölkerung, der der Abschluß des Münchener Abkommens doch gerade soeben als die noch im letzten Augenblick friedliche - und zudem erfolgreiche - Beilegung einer sonst in den Krieg eskalierenden Krise dank der genialen Staatskunst Adolf Hitlers gerühmt worden war, in der daher jetzt gerade das Gefühl vorherrscht, am drohenden Kriege vorbeigekommen zu sein, und die über solchem Gedanken soeben erleichtert aufzuatmen begonnen hat; diese Bevölkerung ist nun, binnen drei Monaten und in der Perspektive auf einen Krieg mit den europäischen Großmächten, auf ihn einzustimmen. Das ist der konkrete Hintergrund der antijüdischen Massenpogrome der Synagogenbrand-Tage vom 8.-11. November 1938, und es ist leicht zu zeigen, weshalb sie deshalb mehrere Funktionen gleichzeitig zu erfüllen haben bzw. der Antisemitismus jetzt in allen seinen demagogischen Funktionen zugleich in dieser einen demonstrativen Groß-Unternehmung zu dynamisieren ist. Angelegt ähnlich dem Muster der Reichstagsbrandstiftung, die die Legitimation zur Zerschlagung der KPD liefern soll und daher ihr zur Last gelegt werden muß, wird hier der polnische Jude Herschel Grynszpan und sein Attentat auf den deutschen Botschafter in Paris zur Symbolisation des „Weltfeindes Judentum" hochstilisiert, in dessen Namen oder mit dessen ihr vors Auge projiziertem Bilde die deutsche Bevölkerung auf den Krieg gegen das „Weltjudentum", den deutschen Großraum-Eroberungskrieg, eingestimmt werden soll. 790 Erste Funktion des antijüdischen SATerrors der Novembertage 1938 also: psychologische Vorbereitung des Weltkrieges, Ausrichtung der Deutschen auf den zu seiner Rechtfertigung in allen seinen noch nicht absehbaren möglichen Etappen durchgängig zu beschwörenden Weltfeind. Mit ihm brach aber auch die Stunde der Eroberung der künftigen deutschen Protektorate und Generalgouvernements, der nicht anzugliedernden, sondern unter Sklavenstatus zu zwingenden und daher sofort ganz anders zu behandelnden Gebiete an; und im Spektrum der sie bewohnenden, von der SS schon genau nach vermuteten Feindseligkeitsgraden vorsortierten und für ein entsprechend verschiedenes Schicksal - von Mitheranziehung zu weisungsabhängiger Selbstverwaltung über geographische Umverpflanzung („Völkerverschiebung") und Arbeitsversklavung bis zur Vernichtung - vorgesehenen politischen, religiösen und nationalen Bevölkerungsgruppen waren die Juden die jeweils einzige auch im 213
deutschen Reich selbst in größerer Zahl anwesende Gruppe; so wurde also auch im Reich ihre Behandlung nun nicht mehr nur als „unerwünschte" und rechtlose Staatsangehörige, sondern als Feindgruppe im Inland unmittelbar akut. Die Verordnungen, die dies einleiteten, ließen nach den SAHerostraten-Aktionen und Totschlägereien der Novembertage nicht lange auf sich warten: 12. November Verordnung zur Ausschaltung der Juden aus dem deutschen Wirtschaftsleben, 15. November Verbot des Besuchs öffentlicher Schulen für jüdische Kinder, 28. November Einschränkung der Bewegungsfreiheit der Juden und Wohnraumbeschränkung für sie, 3. Dezember Einzug des jüdischen Vermögens, 6. Dezember Einführung eines „Judenbanns" (Verbot bestimmter Straßen und Plätze, dann auch Hotels, Restaurants, Parkbänke, Schlafwagenplätze in Zügen etc. für Juden), 8. Dezember endgültiger Ausschluß aller jüdischen Studenten von den Universitäten, 28. Dezember Beginn der Errichtung von Ghettos, Führerscheinentzug für Juden, Lizenzverbot für jüdische Arzte usw. Zweite Funktion des antisemitischen Synagogenbrandterrors daher: terroristische Einstimmung auf diese unmittelbar bevorstehende antijüdische Verordnungs- und Verfolgungswelle im Inland und auf das in Kürze der Welt sich bietende Schauspiel faschistischer Massenmordaktionen an Juden im Ausland, praktische Einübung der eigenen Bevölkerung in die Mitleidlosigkeit, grausame Desolidarisierung, Stummheit, ja möglichst in die opportunistische aktive Befürwortung und Mittäterschaft, die dann von ihr erwartet würde, sowie blutig drastische Warnung an die Juden in Deutschland selber, sich etwa ihrerseits zu empören und auch nur irgendwie merklich zu rühren: der Antisemitismus also in der handfesten Funktion einer Propaganda des praktischen Terrors zur Zwangserziehung der Inlandsbevölkerung zu Nietzsches Herren- und Sklaven-Moral - der nichtjüdischen Deutschen zur mitleidsfreien Moral der blonden Bestie, der deutschen Juden wenn nicht zur „Moral", so doch zur praktischen Verhaltungsweise willenloser Sklaven. Doch es gibt noch eine dritte Funktion, die jetzt, aller Fesseln sich entledigend, ungehemmt zum Zuge kommt: man könnte sie die sekundäre Schmarotzerfunktion des Antisemitismus nennen. Jetzt reißt man sich, unter Görings Anführung, allen jüdischen Besitz unter den Nagel (und bezieht es damit auch unmittelbar in 214
die kriegswirtschaftliche Konzentration ein). Das Gesetz zur „Arisierung der Wirtschaft" wird, im Feuerschein der brennenden Synagogen als gleichsam seiner Rechtfertigungsgloriole, vorbereitet. Zudem ordnet Göring an, daß die „jüdische Wirtschaft" für die in diesen Tagen ihr zugefügten Schäden eine „Sühne" von einer Milliarde Reichsmark aufzubringen habe; die Inhaber der demolierten jüdischen Geschäfte und Wohnungen werden durch die „Verordnung zur Wiederherstellung des Straßenbildes" bei Strafandrohung verpflichtet, die an ihren Räumen entstandenen Schäden selbst unverzüglich auf eigene Kosten wieder zu beseitigen. Am 24. Januar 1939, zwei Monate vor dem Überfall auf den verbliebenen Teil der Tschechoslowakei und acht Monate vor dem Uberfall auf Polen, erteilt Göring den Auftrag an Heydrich, die „Lösung der Judenfrage" durch „Auswanderung oder Evakuierung" vorzubereiten. 791 Die „Reichszentrale für jüdische Auswanderung" wird unter Heydrichs Leitung gebildet, im Juli dann in Prag unter Eichmanns Leitung die „Zentralstelle für jüdische Auswanderung", im September das „Reichssicherheitshauptamt" unter Heydrich. Schon am 30. Januar 1939 spricht Hitler aber im Reichstag bereits auch von einer „Vernichtung der jüdischen Rasse in Europa". 7 9 2 Und es entsprach nur dem „Endziel" des für alle Zeit „judenfreien" deutschen Herrschaftsraums Europa und der rabulistischen Mentalität der Großraumfanatiker an der Spitze der NS-, SS- und SD-Führung, wenn nur einerseits unmittelbar nach der Besetzung Polens mit der Ghettoisierung der dortigen Juden, begleitet von Massenmordaktionen, und bereits ab Oktober 1939 mit Nationalitätenverschiebungs-Deportationen aus Österreich und der CSSR in den ersten nunmehr eroberten Raum eines künftigen „Generalgouvernements", ab Dezember 1939 dann auch aus dem annektierten Wartheland und ab Februar 1940 auch von Juden aus Deutschland begonnen wird (nachdem bereits in einer zynischen Demonstrativaktion noch vor dem Polen-Krieg im Oktober 1938 15 000 Juden polnischer Staatsangehörigkeit von Deutschland an die deutschpolnische Grenze zwangstransportiert worden waren 793 ) und andererseits gleichzeitig jetzt das makabre Erpressungsspiel der für die „Lösung der Judenfrage" u. a. eben auch durch „Auswanderung" zuständigen Dienststellen Heydrichs und Eichmanns einsetzt, sich gegen jeweils horrende Summen einzelne Juden oder jeweils soviele wenige Juden, wie jemand „bezahlen" kann, von vermögenden 215
ausländischen Verwandten, jüdischen Vereinigungen oder sonstigen barmherzigen Organisationen „abkaufen" zu lassen. Zu Ende gegangen war durch Englands Kriegserklärung an Deutschland in Beantwortung des Uberfalls auf Polen nun aber auch, jedenfalls vorerst - nämlich bis zu irgendeiner Beendung dieses deutsch-englischen Kriegszustands - , die in Wahrheit viel größere, umfangreichere und schon unmittelbar expansionistische Menschenau,snutzungs- und Instrumentalisierungsaktion mit Juden seitens der SS, die während der vorausgegangenen Jahre in Zusammenarbeit mit der „Haganah", der Sicherheits- und Geheimorganisation der Zionisten, stattgefunden und ein weiteres anspornendes Motiv der SS- und NSDAP-Führung für die bodenlos zynische Schikanösität und Grausamkeit ihrer Judenpolitik bis 1939 dargestellt hatte: die praktische Veranlassung möglichst Tausender von Juden durch Steigerung der Unerträglichkeit ihrer Lebensverhältnisse in Deutschland zur illegalen Auswanderung nach Israel und die geheime gemeinsame Organisierung dieser Abschiebung mit der „Haganah". 7 9 4 Bereits die Machtübernahme der Nazis war im Januar 1933 von der zionistischen Presse in seltsamem Kontrast zur übrigen jüdischen Presse als eine Chance zur nationalen Selbstfindung der Juden geradezu mit einem Unterton von Genugtuung kommentiert worden 7 9 5 ; und in der SS war, ganz in den Spuren der Überlegungen des jetzt zum NSDAP-Mitglied gewordenen Heinrich Claß und des bis 1938 weiterhin tätigen „Alldeutschen Verbandes", bereits Mitte der 30er Jahre im SD-Hauptamt auf Himmlers Befehl ein „Judenreferat" unter der Leitung des Untersturmführers Leopold von Mildenstein und später Herbert Hagens errichtet worden, das sich damit beschäftigte, den durch die Verschärfung der diskriminierenden Jugendgesetzgebung und Terrorpropaganda bei vielen Juden gleichsam von selbst ausgelösten Wunsch nach Auswanderung und die Propaganda der zionistischen Organisationen für eine Auswanderung nach Palästina und einen Staat Israel zielstrebig zu fördern. 7 9 6 Am 26. Februar 1937 war es zur ersten direkten Kontaktaufnahme und Zusammenarbeit von Haganah und SS durch die Entsendung eines Vertreters des Führungsstabes der Haganah aus Palästina zu einem Treffen mit Adolf Eichmann nach Berlin gekommen. 797 Der hohe Haganah-Kommandeur legte - Heinz Höhne zu Folge - Eichmann dar, daß es der Haganah um die 216
Verstärkung der jüdischen Einwanderung nach Palästina gehe, „damit die Juden in ihrer alten Heimat das Ubergewicht über die Araber erhielten", und daß die Haganah bei einer Förderung der Judenauswanderung nach Palästina durch Hitlerdeutschland „die deutschen außenpolitischen Interessen im Vorderen Orient tatkräftig unterstützen" würde. 798 Für die SS, den deutschen Faschismus und das deutsche Monopolkapital war dies eine Rechnung, die doppelt aufging: man würde nicht nur viele Juden los, sondern gewänne gerade durch ihre Abschiebung aufgrund solch geheimen Einverständnisses mit der Haganah im künftigen außereuropäischen Judenstaat noch einen außenpolitischen Vorposten in der ölstrategisch so wichtigen arabischen Region, vorerst jedenfalls einen sich mit Deutschland verbündenden Stroßtrupp im Kampf gegen die britische Oberhoheit über Palästina und Großbritanniens Präsenz im arabischen Raum. Aus dem Handel auf dieser Berliner Zusammenkunft (die mit einer namens der Haganah ausgesprochenen Einladung Eichmanns und Hagens zu einem Gegenbesuch in Palästina endete, der diese im September 1937 folgten 7 9 9 ), ging daher nach dem ersten deutschen Überfallsakt, dem Einmarsch in Osterreich, die auf Anordnung Himmlers und Heydrichs von Eichmann in Wien errichtete „Zentralstelle für jüdische Auswanderung" hervor, die die Juden Österreichs unter Pression setzte, sich zu selbstfinanzierter Auswanderung nach Palästina zu melden, von den österreichischen jüdischen Organisationen die Vorlage immer neuer Auswanderungslisten erzwang und allein binnen der kurzen Zeit vom März 1938 bis zum Spätherbst 1938 auf diese Weise etwa 45 000 Juden auch tatsächlich zur Auswanderung nach Palästina zu bringen vermochte 800 , während in Deutschland auf die jüdischen Organisationen Druck ausgeübt wurde, die auswanderungswilligen deutschen Juden zu verpflichten, ausschließlich nach Palästina zu gehen. 801 Die antibritische Stoßrichtung des hier zustande gekommenen Bündnisses von Zionismus und deutschem Faschismus veranlaßte England, auf das sprunghafte Anschwellen der jüdischen Einwanderung nach Palästina mit einer Drosselung der Einwanderungsquoten zu reagieren, und als die hierauf von der Haganah ins Leben gerufene Geheimorganisation „Mossad" dazu überging, gemeinsam mit Heydrichs SD die Entsendung von jüdischen Auswandererschiffen nach Palästina zwecks illegaler Immigration zu organisieren und die Briten daraufhin ihre Küstenwachtflotte verstärk217
ten 802 , hatte dies schon fast den Charakter eines verdeckten deutsch-britischen Krieges, in dem die zionistische Haganah und das faschistische Deutschland gemeinsam gegen England standen. 803 Nur logisch vor diesem Hintergrund, daß die Engländer vom Eintritt des offiziellen Kriegszustandes an jeden weiteren derartigen Landeversuch als eine feindliche Invasion betrachteten und unterbanden. 804 Übrigens war dies auch der Hauptgrund dafür, daß das Palästinaprojekt innerhalb der Nazi-Führung umstritten blieb und sein Hauptbefürworter nicht so sehr der ihm skeptisch begegnende Hitler, sondern Himmler war. Denn der Pro-England-Konzeption, an der Hitler, Heß, Ribbentropp usw. bekanntlich auch jetzt noch immer in der Hoffnung festhielten, daß England „Vernunft" annehmen und sich auf Hitlerdeutschlands WeltmachtteilungsAngebote einlassen werde, widersprach natürlich dessen gleichzeitige Herausforderung in Palästina, während sie den ohnehin mit dem Krieg gegen England rechnenden Kreisen des Monopolkapitals, an die Himmler sich vorzugsweise hielt, nicht zuwiderlief. Bereits wenige Wochen nach dem Uberfall auf Polen, am 30. Oktober 1939, ordnete Himmler an, daß alle Juden aus den ans Reich anzugliedernden „Provinzen und Gebieten" West- und Nordpolens sowie alle in Danzig-Westpreußen lebenden „Kongreßpolen" und eine in der Anordnung nicht näher bezeichnete Gruppe „besonders feindlicher polnischer Bevölkerung" ins polnische „Generalgouvernement" zu deportieren seien. 805 Da in den hier für sie vorgesehenen Konzentrationsraum - das Gebiet um die Stadt Nisko südwestlich von Lublin - schon ab Anfang Oktober 1939 auf Grund eines Heydrich-Erlasses vom 21. September 1939 806 Judentransporte des SD aus den verschiedensten besetzten Gegenden, darunter auch aus Osterreich und der Tschechoslowakei 807 , gingen und das Gebiet unter Anleitung des Reichssicherheitshauptamtes in Berlin (Eichmann) zu einem einzigen riesigen Ghetto- und Zwangsarbeiterlager-Bezirk ausgebaut wurde, sah es so aus (und erschien es wohl auch manchen der beteiligten Organisatoren, darunter womöglich Eichmann selbst so), als solle das zur Aufnahme aller Juden Europas bestimmte „Judenreservat" nun also hier im nicht zur unmittelbaren Reichs-Einverleibung vorgesehenen „Generalgouvernement" entstehen.808 Tatsächlich war das als praktische Anwendungsstätte des Prinzips „Vernichtung durch Arbeit" aufgezogene Arbeitsghetto218
Gebiet jedoch nur als „Zwischenlösung" bis zur Eroberung außereuropäischer Territorien gedacht. Das Generalgouvernement, referierte Generalgouverneur Hans Frank am 30. Mai 1940 vor dessen höchsten Polizeiführern, sei „eines der wichtigsten Gebiete des kommenden Weltreiches der Deutschen" und Teil „der großen Brücke nach dem Osten, deren Ende wir noch nicht sehen", könne daher aber auch nur zeitweilig als „Aufnahmebecken" für Polen, Zigeuner und Juden dienen. 809 Durch die in den vorangegangenen beiden Monaten erfolgte Besetzung auch Dänemarks, Norwegens und der Beneluxstaaten und den Einmarsch nach Frankreich hatte die „Judenfrage" für die SS zudem quantitative Dimensionen angenommen, die die Aufnahmemöglichkeiten des Ghetto-Gebiets im „Generalgouvernement" bei weitem überstiegen; bereits der angeordnete Abtransport aller Juden aus den annektierten westpolnischen Gebieten war wegen der im Reservats-Revier hierfür gar nicht ausreichend vorhandenen Lagerbaracken (deren Bau einschließlich der jeweiligen Sicherungsanlagen die Nazis auch aus Kosten- und Materialgründen nicht unendlich fortsetzen wollten 810 ) dahin modifiziert worden, daß man die Juden auch in den neuen „Reichsgauen" einfach in zu Ghettos erklärten Städten zusammentrieb (u.a. Ghetto Lodz) 811 , und Hans Frank weigerte sich unter Verweis auf die vom völligen Zusammenbruch bedrohte Versorgungs- und Wirtschaftslage in seinem Herrschaftsbereich, diese Juden - sowie schließlich überhaupt noch weitere Judentransporte, soweit er nicht ausdrücklich gefragt worden sei und sie genehmigt habe - ins Generalgouvernement zu übernehmen. 812 Die in der Vorkriegs-Zeit praktizierte Methode des organisierten Drucks auf die Juden zur „Auswanderung", schrieb Heydrich am 24. Juni 1940 an Ribbentrop, könne das „Gesamtproblem" - das er mit der Angabe umriß: „es handelt sich bereits um rund 3 1A Millionen Juden in den heute deutscher Hoheitsgewalt unterstehenden Gebieten" - nicht mehr lösen, um die Folgerung anzuschließen: „Eine territoriale Endlösung wird daher notwendig." 813 Da es eine solch „territoriale" (im Unterschied zur angesichts der gewaltigen Zahlen nun als quantitativ uninteressant völlig in den Hintergrund tretenden „Auswanderungs"-)Lösung sein sollte, Nazideutschland jedoch das gesamte Territorium Europas für sich selbst beanspruchte, das „Generalgouvernement" also grundsätzlich auch nicht für sie zur Verfügung stand und somit tatsächlich nur eine Verwirklichung auf außereuropäischem Territorium in 219
Frage kam, gingen das Reichssicherheitshauptamt der SS und das „Judenreferat" des Auswärtigen Amtes in dem Augenblick, in dem der rasche Sieg im „Blitzkrieg" gegen Frankreich den Griff nach außereuropäischen Gebieten in nun vermeintlich allernächster Zeit zu ermöglichen schien und die „Erledigung" auch Englands im Triumphgefühl dieses Erfolgs als eine Frage nur noch der nächsten Monate galt, an die konkrete Ausarbeitung einer solchen außereuropäischen „territorialen Endlösung". Es entstand nun während der beiden Monate Juli und August 1940 das Projekt einer territorialen „Ideallösung" der „Judenfrage" im Sinne der SS, der „Madagaskar-Plan". (Zur Beleuchtung des Tatzeitraums: am 22. Juni 1940 hatte Frankreich den Waffenstillstand unterzeichnet; zu eben dieser Zeit wird bereits das „Unternehmen Seelöwe" - die Eroberung der britischen Inseln durch die Nazi-Wehrmacht - geplant und seine Durchführung durch einen am 1. August 1940 von Hitler angeordneten verschärften See- und Luftkrieg gegen England vorbereitet; 814 der Vorsatz zum Uberfall auf die Sowjetunion gehört zu diesem Zeitpunkt hingegen noch zu den stengstens gehüteten Geheimnissen, deren Tabuisierung auch für die SS und deren Ausarbeitungen gilt.) Dessen Urheber zu sein, rühmte sich der Mitarbeiter im „Judenreferat" des Auswärtigen Amtes, Franz Rademacher 815 ; er wurde jedoch vom Reichssicherheitshauptamt, als er ihm von Reichsaußenminister Ribbentrop befürwortend zur Kenntnis gebracht worden war, „begeistert aufgenommen" und zu dessen eigenem erhoben. 816 Dieser Plan sah vor, sich vom besiegten Frankreich beim nahe gewähnten Friedensschluß die zu dessen bisherigem Kolonialbesitz gehörige Insel Madagaskar im Indischen Ozean abtreten zu lassen und sie zu einem einzigen großen, von einem SS-„Polizeigouverneur" regierten Konzentrationslager für alle Juden Europas und zugleich einem deutschen Kriegsflotten- und Luftstreitkräftestützpunkt auszubauen. 817 Die „Uberseelösung insularen Charakters", schwärmte man im Reichssicherheitshauptamt, sei „jeder anderen vorzuziehen". 818 Sie biete den Vorteil, nicht nur alle auf die Insel Deportierten gnadenlosestem Arbeitszwang und zugleich unbekömmlichen Witterungsverhältnissen, Seuchen und sonstigen Bedingungen „natürlicher" Dezimierung aussetzen zu können, sondern sie zudem auch noch als gleichsam ein Millionenheer von Geiseln gegenüber den Juden in den USA und ständiges Faustpfand zur erpresserischen Einflußnahme auf die Politik der USA in der 220
Hand zu haben. 819 Am 15. August 1940 wurde der MadagaskarPlan mit Himmlers Billigung vom Reichssicherheitshauptamt an alle faschistischen Leitzentralen versandt. 820 Nur der Chef der „Sicherheitspolizei" des „Generalgouvernements", Bruno Strekkenbach, hatte schon am 31. Juli 1940 in einer Beratung mit Frank, dem „Wartheland"-Gauleiter Greiser und einigen höheren SS- und Polizeiführern einschränkend darauf hingewiesen, daß das „Wann und Wie" der Durchführung dieses Plans eine „Frage des Friedensschlusses" sei und dann überhaupt erst endgültig bestimmt werde, ob die „Juden" tatsächlich nach Madagaskar kommen sollten. 821 Es kam bekanntlich zu diesem „Friedensschluß" nie, es kam im weiteren Verlauf dieses Krieges auch nie zu der dem Plan als Voraussetzung zugrundeliegenden Ausschaltung der Seeüberlegenheit der britischen Flotte. Um so mehr fixierten sich von dem Moment an, in dem der Schleier vom Geheimnis der ÜberfallAbsicht auf die Sowjetunion gefallen und das „Unternehmen Barbarossa" ausgelöst war, die Blicke nunmehr auf den (von Hitler wohl immer schon insgeheim anvisierten und bevorzugten) einstigen allerfrühesten alldeutsch-Claß'schen Vorschlag der Deportation aller Juden Europas in ein Reservat jenseits des Ural im Gefolge eines deutschen militärischen Sieges über Rußland. „Der Krieg gegen die Sowjetunion hat inzwischen die Möglichkeit gegeben, andere Territorien für die Endlösung der Judenfrage zur Verfügung zu stellen. Demgemäß hat der Führer entschieden, daß die Juden nicht nach Madagaskar, sondern nach dem Osten abgeschoben werden sollen", schrieb Rademacher noch am 10. Februar 1942 in einem Brief 822 . Doch schon seit dem 5./6. Dezember 1941 waren mit dem Beginn der sowjetischen Winteroffensive, die das Steckenbleiben des Rußland-Vormarschs der deutschen Faschisten-Wehrmacht kurz vor Moskau in deren erste schweren Rückschläge und Geländeverluste verwandelte und Hitler zwang, den Befehl zum Rückzug in „Winterstellungen" zu erteilen, die Verwirklichungsaussichten gerade auch dieses Plans tatsächlich schon wieder im Dahinschwinden. Genau an diesem Punkt setzt eine der abstrusesten jüngsten personalisierenden „Theorien" zur Erklärung des Entschlusses der deutschen Faschisten zur „Endlösung" durch „Massenvernichtung" an. Sie findet sich in Sebastian Haffners vielgerühmtem und preisgekrönten Buch „Anmerkungen zu Hitler" 823, in dem Haffner 221
Adolf Hitler als einen Mann zeichnet, in dessen Innerem seit jeher der Ehrgeiz, Deutschlands Retter und also Politiker zu werden, mit einem veranlagungsmäßigen Hang zum Triebverbrecher und Massenmörder in Widerstreit gelegen habe, um daraus dann zu folgern, Hitler habe im Dezember 1941, den Politiker im Wissen um das bevorstehende Ende gleichsam aus sich verabschiedet, um nun wenigstens noch in der ihm verbleibenden Lebensfrist seinem anderen Trieb, dem Massenmörder-Trieb, ohne alle ihn so lange beengenden, zu Tarnung und Heimlichkeit zwingenden politischen Rücksichtnahmen nachgehen zu können. Er habe daher den Befehl zum Juden-„Holocaust" erteilt 824 und im übrigen jetzt auch - die zweite Haffner anders nicht erklärliche Tat - den USA den Krieg erklärt; denn seine bisherige Zurückhaltung des Lusttriebes zum Judenmassenmord, nach den ihm „schon lange der Mund wässerte", 825 sei auch von Rücksichtnahme auf die Möglichkeit eines Ausgleichsfriedens mit England nach einem imponierenden Sieg über Sowjetrußland bestimmt gewesen. 826 Da mit der Siegesaussicht über die Sowjetunion auch die Verständigungsaussicht mit England entfallen sei, habe er sich nun die Genugtuung geleistet, dem von einem aktiven Eingreifen in den Weltkrieg auf Seiten Englands ohnehin nicht mehr abzuhaltenden Roosevelt von sich aus und wider alle Vernunft den Krieg zu erklären. Kurz: Hitler habe im Dezember 1941 „als Politiker" endgültig „zugunsten des Massenmörders Hitler" abgedankt. 827 So aberwitzig diese These, so voll nächstliegender Widersprüche und so offenkundig apologetisch gegenüber dem gesamten deutschen Faschismus als solchem sie ist, dessen Verbrechen hier in der nur überhaupt letztdenkbaren Steigerungsform personalisierender Faschismuserklärung mal wieder einem einzigen krankhaft veranlagten Alleintäter zugeschrieben werden, so richtig ist an ihr ein einziger in ihr zugleich angesprochener Aspekt: die Feststellung eines Zusammenhangs zwischen dem Ubergang der faschistischen Führung zur „Endlösung der Judenfrage" durch nunmehr industriemäßig betriebenen Massenmord in den Vernichtungslagern auf dem Boden des eigenen europäischen Gewaltbereichs und der seit dem 5. Dezember 1941 sich abzeichnenden Kriegswende in der Sowjetunion. Denn zwar spricht so gut wie gar nichts dafür, daß diese Wende des militärischen Kriegsglücks in Rußland ab Anfang Dezember 1941 etwa bei der Naziführung oder auch nur bei Hitler persönlich schon das Bewußtsein, nun sei der Krieg endgültig verloren - und 222
dementsprechend einen Zusammenbruch des Willens, ihn doch noch zu gewinnen - ausgelöst hätte; denn die großen, immer gewagteren und wahnwitzigeren, mit immer rücksichtsloserem Fanatismus der Armee und Bevölkerung abverlangten Anstrengungen, die den Olfeldern im Kaukasus geltende Offensive auf Stalingrad, die Ausrufung des totalen Krieges usw., kamen ja alle erst jetzt. Wohl aber war - und dies unverkennbar für alle Naziführer und Nazimilitärs - eines im Dezember 1941 definitiv gescheitert: die Strategie des Blitzkriegs gegen Rußland, der Plan, die Sowjetunion in raschem Vormarsch innerhalb kurzer Zeit, wie zuvor Frankreich, niederzuwerfen und zur Kapitulation zu zwingen. Jetzt, angesichts der Kraft der sowjetischen Winteroffensive, war klar geworden, daß man sich jedenfalls auf einen viel längeren und viel schwierigeren Rußlandkrieg einstellen müsse - und das veränderte die gesamte Weltkriegskalkulation der deutschen Faschisten. Denn der rasche Sieg über Rußland - auch hierin hat Haffner recht - war allerdings in der eigenen Rechnung der Naziführer die Voraussetzung dafür, daß Großbritannien sich aus dem Kriege auf dem Kontinent heraushalten werde und auch die USA nicht in ihn eingreifen würden. Eben hierauf hatte das ganze Blitzkriegskonzept der I G Farben, sich durch rasche Schläge in Europa den autarken Rohstoffbezugsraum zu verschaffen (auf den gestützt sich dann auch ein langjähriger Krieg gegen die verbündeten Weltmächte England und USA durchhalten ließe), gesetzt. Würde der Krieg in Rußland sich hingegen hinziehen, dann war undenkbar, daß London und Washington ruhig zusehen würden, wie sich Hitlerdeutschland stückweise ganz Europa als Ausgangsplattform nur für die anschließende Auseinandersetzung mit ihnen selber zusammenerobert. Dann würden sie, gerade je offenkundiger Hitlerdeutschland den in ihren Augen einzig positiven Sinn seines Krieges, die Zerschlagung der Sowjetunion, verfehlt, desto sicherer ihrerseits in den Krieg eintreten. Die Konsequenz, die die Nazis daraus zogen, war: den in der Blitzkriegsstrategie in aufeinanderfolgenden Etappen gedachten Krieg nun doch notgedrungen als einen einzigen globalen gegen alle Mächte zugleich zu führen und sämtliche Planungen auf das Ziel umzustellen, einen solchen Krieg zu gewinnen. Das aber hieß für sie zu allererst, die schon eroberten und die noch zu erobernden Teile Europas nun auch jeweils sofort zu jenem seit jeher projektierten, solchem Endkampf mit der Großraummacht USA und ihrem britischen Verbündeten gewach223
senen, ihnen auch in einem vieljährigen Krieg standhaltenden geschlossenen - und das bedeutete für den deutschen Faschismus: absolut feindfreien - eigenen Großraum zusammenzuschweißen. Mit der Durchführung der inneren Feindsäuberung des künftigen Herrschaftsgroßraums durch jeweils ganze Bevölkerungsgruppen betreffende physische Liquidationsprogramme war schon beim Einmarsch in Polen im September 1939 und dann noch gezielter und systematischer beim Einmarsch in die Sowjetunion im Juni 1941 jeweils unverzüglich begonnen worden. Hitler hatte mit Beginn des Polenfeldzuges einen geheimen Sonderbefehl zur Liquidierung der polnischen Führungsschichten erlassen, dessen noch exaktere Ausführung er gegenüber dem faschistischen Generalgouverneur von Polen, Hans Frank, am 30. Mai 1940 mit den noch einmal den konzeptionellen Sinn des Befehls erläuternden Worten anmahnte: „Was wir jetzt an Führungsschicht in Polen festgestellt haben, das ist zu liquidieren, was wieder nachrückt, ist von uns sicherzustellen und in einem entsprechenden Zeitraum wieder wegzuschaffen."828 Haffner rechnet, daß von insgesamt 6 Millionen Menschen (darunter 3 Millionen Juden), die Polen in der Zeit der faschistischen Besetzung verlor, mehr als eine Million auf das Konto allein dieses Befehls zur Ausrottung der polnischen Führungsschichten in allen Berufen geht.829 Das war - nach dem seit 1933 kontinuierlich verübten Vernichtungsterror im Inland an den Führungskadern der Arbeiterbewegung, dann an den wegen Kriegsunbrauchbarkeit zu „unnützen Essern" erklärten Kranken ab September 1939, dann an den Homosexuellen und ab 1941 an den Zigeunern, dem einige hunderttausend Menschen zum Opfer fielen830 - der erste faschistische Holocaust auf auswärtigem Boden, wenn man unter diesem, den Sachverhalt tatsächlich nicht treffenden Wort die planmäßige Vernichtung jeweils ganzer Bevölkerungsgruppen verstehen will. Bereits drei Monate vor dem Uberfall auf die Sowjetunion, im März 1941, formulierten die deutschen Faschisten die zwei nächsten „Holocaust"-Befehle: den „Kommissar-Befehl", der den Wehrmachtführern zur Pflicht machte, jeden auf dem Territorium der Sowjetunion gefangengenommenen politischen Offizier oder Geheimdienstoffizier der Roten Armee unverzüglich erschießen zu lassen (der also wieder eine ganze Berufs- und Personengruppe geschlossen traf),831 und den weit über diesen auf die Armee begrenzten Kreis hinausreichenden zur Ausrottung „der jüdisch224
bolschewistischen Führungsschicht". 832 Das früheste Zeugnis dieser Befehle sind die von Hitler am 3. März 1941 General Jodl diktierten „Richtlinien" für den bevorstehenden Krieg gegen die Sowjetunion, in denen es hieß: „Die jüdisch-bolschewistische Intelligenz als bisheriger Unterdrücker des Volkes muß beseitigt werden." Es seien vor allem sämtliche „Bolschewistenhäuptlinge und Kommissare" zu vernichten, und zwar möglichst schon im Operationsgebiet der vorrückenden Truppen. 833 Dieser ab Juni 1941 praktizierte zweite „Holocaust" auf auswärtigem Boden war als solcher in Rußland erst der halbe, nur ein Teil des hier insgesamt durchgeführten, und dieser wiederum war nur ein Teil des für die Zukunft insgesamt beabsichtigten, in den alle russischen Juden miteingeschlossen waren. 834 Und erst, wenn man sich diesen der Wannsee-Konferenz vom 20. Januar 1942 vorausgehenden, in der Annahme eines Blitzkriegs-Sieges über die Sowjetunion projektierten und in Angriff genommenen russischen Gesamt-„Holocaust" vergegenwärtigt und sich die von den Naziführern zu ihrem internen Gebrauch gegebenen Begründungen für ihn ansieht, wird man auf einmal den Schlüssel zum Verständnis dafür in der Hand halten, weshalb ihr gegenüber den Juden bisher als „Zwischenlösung" bis zur eventuellen Durchführung einer „territorialen Endlösung" nach Kriegsende praktizierter Vernichtungsterror in den Ghetto-Bezirken, Zwangsarbeitslagern und den durchaus planmäßigen Massakern auf russischem Boden vom ersten Tage des militärischen Einfalles in die Sowjetunion an 835 ab Ende 1941 zur Organisation der nunmehr gleichsam „geordneten" kollektiven und dem Ziel nach vollzähligen Ermordung aller Juden in geschlossenen Lagern übergeht. Der zweite, zahlenmäßig noch viel weitere Kreise der sowjetischen Bevölkerung treffende, 3 Millionen Menschen das Leben kostende Teil des „Holocaust" in Rußland war die planmäßige Vernichtung der sowjetischen Kriegsgefangenen durch die per Befehl angeordnete Herstellung von unüberstehbaren Hungerbedingungen in den Kriegsgefangenenlagern und das Verbot sanitärer Betreuung. 836 Im Hintergrund dieser Verbrechen standen die SSStudien über das zahlenmäßige Ungleichgewicht und die ungleiche biologische „Vermehrungskraft" der zur künftigen Beherrschung des Ostraums ausersehenen Deutschen und der diesen Raum bewohnenden slawischen Völker. 837 Die drastische Reduzierung der Gesamtzahl der Bevölkerung dieses Raumes durch gezielte, 225
nach Gefährlichkeitsgraden gestaffelte Ausrottung gehörte daher zum „Generalplan Ost", 8 3 8 und das Beurteilungskriterium für die „Gefährlichkeit" einer jeweiligen Nationalität war ihre geschichtlich erwiesene „Herrschaftsfähigkeit" - weshalb die Russen unter den Nationalitäten der Sowjetunion als die Gefährlichsten und folglich als die in ihrer Zahl am rigorosesten zu Reduzierenden galten. 839 Soldaten jedoch stellten in der sozialdarwinistischen Lebenskampf-Sicht der deutschen Faschisten schon allemal eine „Auswahl" dar, da sie ja jedenfalls als kriegstauglich befunden waren und gekämpft hatten, also eine auch kampffähige, damit aber die Regenerationskraft der slawischen Völker in besonders hohem Maße verbürgende und schon gleichsam vor-ausgewählte gefährliche Gruppe waren. Da gegenüber den sowjetischen Kriegsgefangenen die Vernichtungspolitik durch Herstellung „natürlicher Todesbedingungen" den gleichen Prinzipien folgte, wie diejenige gegenüber den Juden in den Ghettos und Konzentrationslagern, darf wohl angenommen werden, daß die perspektivische Optik, in der sie angeordnet und betrieben wurde, den selbstverständlich niemals für einen Export aus Europa hinaus vorgesehenen Kriegsgefangenen gegenüber auch von Anbeginn an die gleiche war, wie sie Heydrich dann am 20. Januar 1942 auf der Wannsee-Konferenz für die Juden formulierte: Beim Arbeitseinsatz im Osten werde „zweifellos ein Großteil durch natürliche Verminderung ausfallen . . . Der allfällig verbleibende Restbestand wird, da es sich bei diesen zweifellos um den widerstandsfähigsten Teil handelt, entsprechend behandelt werden müssen, da dieser, eine natürliche Auslese darstellend, bei Freilassung als Keimzelle eines neuen . . . Aufbaus anzusprechen ist. (siehe die Erfahrungen aus der Geschichte)." 840 Nur das Wörtchen „jüdisch" wurde aus der mit drei Pünktchen markierten Stelle im Zitat ausgelassen, damit der Leser sich hier ersatzweise auch „russisch", „tschechisch", „polnisch" etc. denken kann. Denn die diesem Heydrich-Satz zugrundeliegende teuflische Logik, wonach diejenigen, die alle faschistischen Martern überstehen, sich gerade dadurch als die Gefährlichsten erweisen und deshalb „sonderbehandelt", d. h. liquidiert werden müssen, ist natürlich Ausfluß eines Gefahren- und Herrschaftsdenkens, das dann vor den Lagerhaft und Arbeitseinsatz überstehenden sowjetischen Kriegsgefangenen nicht Halt zu machen vermochte; man muß deshalb wohl zu der Annahme gelangen und die These 226
aufstellen, daß im Falle eines „Endsiegs" des deutschen Faschismus höchstwahrscheinlich nicht ein einziger sowjetischer Kriegsgefangener aus den deutschen Lagern nach Hause zurückgekehrt wäre. Aus eben diesem Raumsicherungs- und Raumaneignungs- (bzw. „Freiräumungs"-) Motiv heraus aber wurde tatsächlich noch vor Jahresende 1941 mit der Praxis systematischer Vergasungen begonnen. Nachdem erstmals im November 1941 1200 BuchenwaldHäftlinge im Euthanasie-Institut Bernburg zu „experimentellem" Zwecke vergast worden waren 841 , begannen am 8.Dezember 1941 in Polen bei Chelmno Vergasungen von Juden mittels Auspuffgasen, die während der Fahrt in einen Wald in die geschlossenen LKW's geleitet wurden 842 . Bis zum 28. Februar 1942 waren im bei Chelmno auf Grund der „gelungenen" ersten Versuche unverzüglich errichteten Todeslager - das am Tage der Wannsee-Konferenz schon sechs Wochen lang tätig war - bereits mehr als 13 000 Juden vergast 843 , während zur gleichen Zeit nunmehr mit Hast weitere Vergasungslager nach Art einer ganzen Fabrikkette - als erste Belzec, Treblinka, Sobibor 844 - eingerichtet wurden, um ein Programm in Angriff zu nehmen, das perspektivisch außer der Vernichtung sämtlicher, von Heydrich auf der Wannsee-Konferenz auf 11 Millionen bezifferter 845 europäischer Juden auch noch die Vernichtung der „natürlichen Auslese" der Restbestände der Kriegsgefangenenlager nach Kriegsende und dann der von den SSVolkskunde- und Rasseforschern als geschichtlich besonders herrschaftsfähig, rebellisch oder nicht genügend dienstwillig eingestuften Völkerschaftsgruppen Europas in sich mitumfaßte. Wie stark das Motiv des Bedürfnisses nach dem gesicherten, widerstandsfreien Raum das treibende Moment hinter alldem war, geht schlagartig aus Heydrichs von Ohlendorf bezeugter Übermittlung des Führerbefehls (und der in ihm hergestellten kausalen Abfolge) hervor, „kommunistische Funktionäre und Aktivisten, Juden, Zigeuner, Saboteure und Agenten grundsätzlich als Elemente" zu bestimmen, „die die Sicherheit der Truppe durch ihre Existenz gefährden und daher ohne weiteres Verfahren hinzurichten sind." 846 Wirft man nur aber auch nur einen einzigen Blick etwa auf das Geschehen des Jahres 1941 in Jugoslawien oder Ostpolen oder in den besetzten Westteilen der Sowjetunion oder auch in Frankreich, so wird sofort deutlich, daß in diesem Befehl jetzt keineswegs mehr die Juden aus reiner Demagogie gleich hinter den Kommunisten 227
angeführt waren, es vielmehr das von den Nazis in die Köpfe gehämmerte Bild vom feigen, sich nicht zum Kampf stellenden Juden, wo es noch immer weiter wirken sollte, endlich zu korrigieren gilt. Denn inzwischen waren Tausende von Juden in ganz Europa zu den Partisanenarmeen und bewaffneten Widerstandsgruppen Jugoslawiens, Polens, der besetzten Gebiete der Sowjetunion, Belgiens, Frankreichs etc. übergegangen - vor den Nazitruppen in die Wälder flüchtend und sich dort den Partisanen anschließend oder selbst Partisanengruppen bildend 847 - und kämpften, wie später auch in allen anderen besetzten Ländern und in Italien, in ihren Reihen. Deshalb war es jetzt auf einmal angesichts des unerhört störungsallergischen faschistischen Herrschaftswillens der Ausdruck auch einer tatsächlichen Lageeinschätzung, wenn Heydrich bei der Mitteilung des Hitlerbefehls über die Ausrottung der Juden im Osten die Begründung mit weitergab, „daß das Ostjudentum das Reservoir des Bolschewismus sei und deshalb nach Ansicht des Führers vernichtet werden müsse". 848 Die jahrzehntelange demagogische Bekämpfung des Marxismus als „jüdisch" war mit der über ihr sich immer weiter verschlimmernden praktischen Judenverfolgung jetzt, auf ihrem Gipfel, in der Weise umgeschlagen und in der Wirklichkeit gegen ihre Urheber zurückgeschlagen, daß den Juden eine Verteidigung ihres nackten Lebens nun überhaupt nur noch in den gegen den Faschismus zu bewaffnetem Kampf sich organisierenden Widerstands- und Partisanengruppen gemeinsam mit den Kommunisten möglich war und in den von den Nazitruppen okkupierten Gebieten immer mehr Juden, je sicherer das Verbleiben in ihren Ortschaften und Wohnungen der gewisse Weg in den Tod war, dem kampflosen Tod den Tod im Kampf vorzogen. Das aber war die Situation aus der Sicht der Nazis, die über die genauesten Informationen ihres Sicherheitsdienstes verfügten und denen die Zuzugsbewegung aus dem Reservoir der Juden zu den Partisanen bekannt war. Mochten daher noch im Jahre 1940 und auch noch während des Jahres 1941 die Juden im polnischen „Generalgouvernement" und an den verschiedensten anderen Plätzen des besetzten Europa in der Vorstellung konzentriert und zugleich dezimiert worden sein, den diese Schikane-Torturen und Massaker-Wellen überstehenden Rest nach dem Kriege in einen außerhalb Europas zu errichtenden Arbeitsvernichtungs-Protektoratsstaat zu deportieren, so verschob sich in der Vorstellung von 228
der „Endlösung der Judenfrage" seit dem 5. Dezember 1941 mit dem Zusammenbruch des Blitzkriegs-Konzepts in Rußland der Akzent immer rascher und immer entschiedener unter dem Eindruck der jetzt ganz in den Vordergrund tretenden Kriegsführungs- und Kriegsraum-Sicherungsgesichtspunkte von der ins zeitlich Ungewisse verschwimmenden „territorialen" Lösung zur desto sichereren „Vernichtungslösung". Die Nazis stellten sich ab Dezember 1941 auf einen planwidrig langfristigen, schwierigen, an Härte ihre Erwartungen weit übertreffenden Krieg ein, der zudem durch Japans Angriff auf die USA (Pearl Harbor, 7. Dezember 1941) und den hieraus resultierenden eigenen Eintritt in den Krieg mit ihnen (11. Dezember 1941) zu einem nunmehr vollends globalen geworden war. Die Juden aber waren, solange sie in Europa nicht ganz vernichtet wurden, ein notwendig in allen kritischen Kriegslagen sich radikalisierendes Unruhe- und Gefahrenpotential, das, wo immer es in den besetzten Gebieten zu Aufständen, Bildung von Partisanenarmeen usw. kommen sollte, sich diesen anschließen würde. Daß sie bei jeder für ihre Peiniger ungünstigen Wendung des Kriegsverlaufs die „Demoralisierungs"tendenzen und Auflehnungsstimmungen im Innern des eigenen kriegführenden Herrschaftsbereichs verstärken müßten - und einen „November 1918", einen „Zusammenbruch der Heimatfront", diesmal mit allen Mitteln zu unterbinden, gehörte zu den ältesten und festesten Vorsätzen der Naziführer 8 4 9 konnte nach allen Verfolgungen, denen sie bisher ausgesetzt waren, nicht zweifelhaft sein. Daher also bereits am 20. Januar 1942 im Wannsee-Doppelbeschluß, der sowohl Arbeitskraft-Ausnutzung wie Vernichtung vorsah, die Akzentuierung nun eindeutig und vom Ziel her ausschließlich auf der Vernichtung und in der von Göring in seinem Auftrag an Heydrich vom 31. Juli 1941 zur Vorbereitung der „Endlösung" bzw. einer „günstigen" Zwischenlösung der „Judenfrage" verwandten Formel „in Form der Auswanderung oder Evakuierung" 8 5 0 die Betonung nunmehr nur noch auf „Evakuierung . . . nach dem Osten" als eine der vom Führer genehmigten weiteren „Ausweichmöglichkeiten" in Hinblick „auf die kommende Endlösung" 8 5 1 und tatsächlich nur noch bloßes Attrappenwort für die Überführung aller Juden des eigenen Herrschafts- und Zugriffsbereichs in den Vergasungstod; deren Organisation in großem Stile und der mithin notwendig werdenden Unterrichtung und Einwei229
sung der an ihrer Durchführung zu beteiligenden Dienststellen galt die Wannsee-Konferenz. Dabei ist weder ausgeschlossen noch ausgemacht, daß Göring nicht Ende Juli 1941 bei der Verwendung des Wortes „Evakuierung" durchaus noch das Projekt eines KZ-Marterreviers jenseits des Ural im Auge hatte, dem bekanntlich, da auch ein solches Gebiet nicht zu menschenstark und damit etwa doch eigenkräftig und aufstandsfähig werden sollte, die Dezimierungs-Massaker der „Einsatzgruppen" keineswegs zuwiderliefen. Doch die Wende im Winter 1941/42 ließ alle bislang überhaupt diskutierten „territorialen" Lösungen nun rasch Züge des Unwirklichen oder des vorerst zumindest wieder in weite Ferne Gerückten annehmen; denn so wie die „Ural-Lösung" den Sieg über die Sowjetunion zur Voraussetzung hatte, setzte das Madagaskar-Projekt die Ausschaltung der britischen Flotte auf dem Weg zum Indischen Ozean und also den Sieg über Großbritannien, setzte erst recht das Palästina-Projekt diesen Sieg über England voraus, der jetzt - nach dem Zusammenbruch der an einen zügigen Vernichtungsschlag gegen die Sowjetunion geknüpften Spekulationen auf ein britisches Einlenken und nach dem Eintritt nun auch noch der USA in den Krieg - gleichfalls unabsehbarer denn je geworden war. Destomehr trat dafür nun die Befürchtung eines Kriegsausganges in den Vordergrund, der - wenn auch vielleicht gar nicht unbedingt mit einer völligen Niederlage identisch - weder außereuropäische ReservatsErrichtungen ermöglichen noch die Fortsetzung der MassenmordPraxis auf europäischem Boden erlauben könnte, damit aber bedeuten würde, daß man die am Tage eines solchen eventuell nun doch unvermeidlich werdenden Friedensschlusses in Europa noch lebenden Juden dann auch nicht mehr aus ihm hinausbekäme, d. h. eines der wesentlichen Kriegsziele, der feind- und juden„gesäuberte" europäische Großraum für Deutschland, in diesem Kriege verfehlt worden wäre. J e mehr sich die Kriegslage an den Fronten verschlechterte und der „totale" Endsieg unwahrscheinlich wurde, desto hastiger wurde daher das Einbringen dieses Kriegszieles noch im Kriege - bis zu dessen Ende allein es jetzt noch unbehindert, allerdings aber nur durch massenhafte und zahlenmäßig ausnahmslose Tötung zu erreichen war - organisiert und betrieben; eben daraus erklärt sich die Beschleunigung des Vernichtungstempos und der steile Anstieg der Mordleistungsbilanzen der Vernichtungslager mit schwindender Siegesaussicht des Nazi-Reichs und in einem höllischmakabren Wettlauf mit der Zeit. 230
Die letzten Monate des Krieges - warum jetzt noch Massenvernichtung? Und doch bedarf die Frage nach dem Grund der Massenvernichtung in der letzten Kriegsphase zum vollen Verständnis gerade dieser gesteigerten Mord-Exzesse noch einer genaueren Beantwortung und ist für alle Theoriebildung über den deutschen Faschismus von zentraler Bedeutung, ist für das Begreifen seiner Massenvernichtungs-Politik die womöglich wichtigste überhaupt: Mag im Monat der Wannsee-Konferenz, im Januar 1942, die subjektive Sieges-Zuversicht der obersten Kriegsverantwortlichen des deutschen Faschismus auch noch keineswegs so erschüttert gewesen sein, wie dies Haffner für Hitler unterstellt: irgendwann einmal im weiteren Verlaufe des Krieges, nach Stalingrad etwa, aber allerspätestens während des Jahres 1944 muß doch auch ihnen erkennbar geworden sein, daß der Krieg verlorengeht und jedenfalls, wie immer man ihn vielleicht doch noch zu einem halbwegs glimpflichen Ende zu bringen hoffte, das über ganz Europa sich erstreckende deutsch-germanische Groß-Reich, für das all dieses kollektive Ermorden ziviler Bevölkerungsgruppen und insbesondere aller europäischen Juden erfolgte, in ihm gar nicht mehr zu gewinnen ist, es keinesfalls mehr sein Ergebnis kann. Gerade 1944 aber rauchen die Krematoriums-Schlote in Himmlers Vernichtungslagern pausenlos, erreichen die Mordziffern die höchsten Zahlen. Und da wird ja nun zu Recht gefragt: warum denn das wo man viele der Länder, aus denen die Mordopfer herangefahren wurden, doch mit Sicherheit nach Kriegsende nun gar nicht mehr in seinem Besitz haben wird - nun aber jetzt noch? Wer ein personalistisches Geschichts- und Faschismusbild hat und den deutschen Faschismus folglich für die persönliche AlleinUnternehmung Adolf Hitlers und vielleicht noch der sonstigen höchsten Repräsentanten der Naziführer-Clique um ihn hält, ist mit dieser Frage vor ein tatsächlich unauflösliches Rätsel gestellt. Denn aus der Sicht des NS-Faschismus als ein Hitler- und Naziführer-Unternehmen konnte dessen höchstes Interesse jetzt nur darin bestehen, den Krieg um jeden Preis doch noch zu gewinnen oder zumindest die Niederlage, war sie schon nicht mehr zu verhindern, so lange wie möglich hinauszuzögern und damit das eigene Leben um die entsprechende Zeit zu verlängern. Eben dazu trug die Fortsetzung der Massenvergasungen in den Vernichtungs231
lagern nun aber wahrhaftig nichts bei, nicht um einen Tag ließ sich damit die militärische Niederlage und der Sturz oder Tod der obersten Naziführer aufhalten. Aus personalisierender Faschismus-Sicht fallen denn auch nur die gerade eklatanten Nachteile, die der für die Organisation der Juden-Vernichtung erforderliche Aufwand der Kriegsführung brachte, auf (eben der Entzug der Waggon-Kapazitäten, SS-Wachmannschaften etc. 8 5 2 ). Und die so sich ergebende Unbegreiflichkeit läßt sich dann auch nur noch in einer Schein-Erklärung, der Herleitung des unbegriffenen Sachverhalts aus der Unbegreiflichkeit - nämlich dem „Irrationalismus" - der Akteure auflösen (und damit dann zum Parade-Beweis für die These von der „Verselbständigung" der „Politik" bzw. eben „irrationalistischen Ideologie" der NS-Führer vom Monopolkapital und dessen - doch handfesten, also „rationalen" - Interessen machen). In der Tat gibt es, will man sich mit solch frustrierendem Beweis-Zirkel nicht abfinden, auf die gestellte Frage aber nur eine einzige andere - nun allerdings das gesamte Thema noch in ein weiteres Licht rückende - Antwort. Und sie lautet, daß die NaziFührer allerdings durchaus dazu in der Lage waren, auch über den Tag ihrer eigenen Niederlage hinauszusehen und schon vorsorgend für die Zeit danach - im Interesse derer, die sie zur Macht gebracht und für die sie den Krieg geführt hatten - zu handeln. Daß sie dies nicht nur vermochten, sondern auch taten, ist durch viele ihrer Maßnahmen bezeugt. Hierhin gehört die von ihnen ab August 1944 unter dem Namen „Gitter" eingeleitete Ermordungs-, Verhaftungs- und Hinrichtungswelle gegen KPD-, SPD- und Gewerkschaftsfunktionäre sowie einstige Parlamentarier der bürgerlichen Parteien; sie setzte mit der am 14. August von Hitler und Himmler beschlossenen (in der Nacht vom 17. zum 18. August im KZ Buchenwald ausgeführten) Ermordung Ernst Thälmanns ein und galt dem Ziel, der Wiederkehr einer „Novemberrevolutions"Situation in Deutschland im Augenblick der militärischen Kapitulation und Auflösung der Hitler-Regierung durch vorherige Liquidation ihrer vorauserkennbaren Anführer vorzubeugen und zugleich aller dann kommenden Entwicklung noch so viele progressive Kräfte wie möglich durch prophylaktische Dezimierung zu entziehen - gemäß der alten Enthauptungs-Devise: „der Republik ihre Köpfe nehmen". 8 5 3 Hierhin gehört auch die eigene Vorplanung nahezu der gesamten späteren E G (in einem geheimen Arbeitskreis des Reichswirtschaftsministeriums) für den Fall eines 232
Sonderfriedens mit den Westmächten auf der Grundlage eines Konzeptes, das bereits eine nach-hitlersche Regierung voraussetzte. 854 Und hierhin gehört neben weiterem, daß im Reichssicherheitshauptamt der SS für den Fall der völligen Niederlage ein Plan zur Erhaltung und Weiterführung der Arbeit der N S D A P erarbeitet worden war („Generalplan 1945"), von dem wichtige, zu seiner Anlage gehörige Teile nach dem Kriege in den Archiven der Dönitz-Regierung gefunden wurden und daher überliefert sind. 8 5 5 Dieses Vermögen der höchsten Nazi-Führer zu operativem Hinaussehen auch über die militärische Niederlage und damit ihr eigenes Regime hinaus darf nun aber keinesfalls etwa mit einem Nachlassen ihrer Entschlossenheit verwechselt werden, noch bis in die alleraussichtsloseste und militärisch absurdeste Situation hinein weiterzukämpfen. Denn zugleich gab es immerhin - außer all den Durchhaltebefehlen und dem „Volkssturm" - das Projekt „Alpenfestung" 856 und die aberwitzigsten Pläne, sich für den Fall, daß die Mitte des Reichsgebiets militärisch verlorengeht, dann in Osterreich oder im „Reichsprotektorat Böhmen-Mähren" usw. festzusetzen. 857 Und als die amerikanischen Truppen am 4. April 1945 den thüringischen Ort Ohrdruf erreichten, in dessen Zwangsarbeitslager allein in den vorangegangenen letzten drei Monaten 4000 Menschen umgebracht und am Vorabend des Einmarschs der Amerikaner noch Hunderte erschossen worden waren (und in dem einst, als Epp hier sein Freikorps sammelte, so viele Nazi-Biographien ihren Anfang genommen hatten), nahmen sie das dort von den Häftlingen errichtete gewaltige unterirdische Radio- und Telefonzentrum ein, das für den Fall des Rückzugs aus Berlin als Wehrmachts-Hauptquartier dienen sollte, um die Weiterführung des Krieges dann von hier aus zu dirigieren. 858 Woher dieser fanatische Wille zur Fortführung des Kampfs noch im Falle des dann schon halb verlorenen Reichs kam, ist heute aber bekannt. Er rührte aus der Spekulation darauf, daß sich spätestens mit dem Vordringen der Roten Armee in die Kerngebiete des Deutschen Reiches und damit ins „Herz" Europas die Amerikaner und Briten umbesinnen und sie die Front wechseln müßten, daß bei ihnen das durch den Krieg mit Hitler-Deutschland ja nur verdeckte und überlagerte Systemkampf-Interesse dann doch durchschlagen und daß es ihnen wichtiger sein müsse, die sowjetischen Truppen mit Hilfe der noch kampffähigen Teile der NaziWehrmacht aus „Mitteleuropa" wieder hinauszudrängen, als die 233
schon besiegte Nazi-Armee bis auf ihre letzten Reste niederzukämpfen (und den so lange ersehnten Sturz des Sowjetsystems in Rußland damit jetzt zuwegezubringen, den Vernichtungsschlag gegen den „Bolschewismus" doch noch zum letztendlichen Kriegsergebnis werden zu lassen). Die Nazi-Führer und das deutsche Monopolkapital waren der festen Uberzeugung - und hierin lag der Realismus und daher das Gefährliche ihrer Spekulation - , daß der Gegensatz zwischen den system-ungleichen Alliierten der Antihitler-Roalition unvermeidlich binnen kurzem aufbrechen und sie in Europa miteinander (um Europa) in Konflikt bringen müsse. Alles hing in ihren Augen jetzt daher davon ab, ob dies noch vor ihrer eigenen vollständigen Kapitulation oder erst danach eintreten wird, und solange militärisch durchzuhalten, daß und bis es zu diesem Bruch noch vorher kommt (was für sie dann gleich vieles wieder möglich und zurückgewinnbar machen würde); dieses Kalkül machte für sie jedes von der augenblicklichen militärischen Lage her noch so sinnlose Weiterkämpfen und Aufopfern von Soldaten und Zivilbevölkerung eben doch „sinnvoll" oder „rational". Vor dem Hintergrund der langen und viele Kapitel umfassenden Geschichte dieser Spekulation auf einen Frontwechsel der westlichen Alliierten - die einen Bogen vom Goerdeler-Kreis bis ganz zuletzt dann noch zu Göring und Dönitz schlägt - gerät aber auch in die fanatische Fortsetzung der Massenvernichtungspraxis noch bis zum Spätherbst 1944 nun auf einmal eine vergleichbare - und sogar der gleichen Quelle entspringende - „Rationalität". Denn gerade der Gebieter über die Menschenvernichtungs-Anlagen, Heinrich Himmler, stand über sein „Reichssicherheitshauptamt" bereits seit Beginn des Jahres 1943 mit dem in der Schweiz residierenden damaligen Leiter des amerikanischen Geheimdienstes (OSS) für Europa, Allan Dulles, in geheimen Sondierungskontakten über den Vorschlag einer deutschen Teilkapitulation gegenüber den Westmächten und eines Sonderfriedens mit ihnen zwecks gemeinsamer Fortführung des Krieges gegen die Sowjetunion 859 . Der erste aktenkundig gewordene Himmler-Abgesandte, der am 15. Januar 1943 unter dem Decknamen „Pauls" mit Dulles in Bern derartige Unterredungen aufnahm, war der für das Reichssicherheitshauptamt als Vertrauensmann arbeitende Prinz Maximilian Egon Hohenlohe 860 , dem schon im Februar 1943 einer der erfahrensten Spitzen-Agenten der SS, der stellvertretende Leiter der 234
Südosteuropa-Abteilung des Reichssicherheitshauptamts und Sturmbannführer Wilhelm Höttl folgte. 861 Und die an solchen Gesprächen über einen Bruch des Kriegspaktes mit der Sowjetunion und einen Krieg gegen sie interessierten US-Kreise, die hinter Dulles standen, ließen den Emissären der SS keineswegs etwa wenigstens durch Dulles bedeuten, daß die Vorbedingung eines jedweden Wortwechsels mit ihnen die unverzügliche Einstellung der Massenmordpraxis in den Vernichtungslagern sei. Während Dulles sich gegenüber Himmlers und Kaltenbrunners Abgesandten in den über Monate hin fortgeführten 862 Unterredungen in geradezu schwärmerischen Auslassungen über Hitlers „geniale Person" und „geschichtliche Bedeutung" erging 863 , konnten die Tagesleistungen der Gaskammern in den Vernichtungslagern der SS unbeanstandet ihre Rekord-Margen erreichen (gab es sogar zum Beispiel - eine rätselhafte Schonung dieser Anlagen durch die angloamerikanischen Bomber). Aus dem Blickwinkel eines demnächst fälligen antibolschewistischen Endkriegs in Europa unter Beteiligung der SS und deutscher Truppenverbände und einer anschließend dann womöglich gar gemeinsamen „Neuordnung" und Beherrschung des „Ostraums" konnten die aus militärischoperationsstrategischen wie auch aus längerfristig beherrschungspolitischen Gründen dann Relevanz gewinnenden Probleme der inneren Feindabsicherung der fraglichen Länder und der „antibolschewistischen" Feindbekämpfung beziehungsweise der Bekämpfung der feindseligen Potentiale in ihnen sich in amerikanischen Augen wohl auch tatsächlich kaum sehr viel anders ausnehmen als in denen des „ostraumerfahrenen" deutschen Monopolkapitals und seiner Experten; jedenfalls erwiesen sich die in jenen Gebieten von der SS vorgenommenen „Bolschewismus"-Säuberungen und „Überbevölkerungs"-Korrekturen, solange sie der deutsche Faschismus auf sein alleiniges Konto durchführte und niemand anderer mit ihnen belastet wurde, als kein Hindernis für Gespräche mit der SS über eine Zusammenarbeit mit ihr und ein Zusammengehen mit der Nazi-Wehrmacht zur definitiven Vernichtung des „Bolschewismus" in Europa. Für Himmlers und Kaltenbrunners „Reichssicherheitshauptamt" konnte die Aussicht auf einen solchen Bündniswechsel der USA gerade im Falle etwa weiterer militärischer Niederlagen des deutschen Faschismus im Osten aber nur bedeuten, daß selbst bei eklatanten Rückschlägen an den Fronten und einer dann zunächst 235
vielleicht unvermeidlichen Aufgabe schon „gewonnener" Gebiete die Liquidation der aus ihnen in die Arbeitsvernichtungs-Lager verschleppten Teile ihrer Bevölkerung, jeweils ihrer Juden insbesondere, folglich auch keinesfalls ihren „Sinn" einbüße, sich vielmehr dann erst recht dringlich empfehle. Denn man würde ja, sei es vielleicht auch in etwas anderer Zusammensetzung, bald -wiederkommen, und was man bislang bereits in ganz Europa in Lagern konzentriert hatte, würde dann mit Sicherheit überall, etwa vorher wieder aus ihnen entlassen und in seine Heimatländer zurückgekehrt, in der vordersten Reihe des Kampfes gegen eine solche Wiederkehr und der Mobilisierung des Widerstandes jeweils seines gesamten Landes gegen sie stehen. Auf alle absehbare Zeit würde jeder erneute, noch im Zuge dieses Krieges oder auch erst später unternommene Anlauf, „Großdeutschland" bzw. den deutschbeherrschten „Großraum Europa" herzustellen, in ganz Europa die vom deutschen Faschismus unbeabsichtigt geschaffene neue, wahrhaft internationale politische Personen- oder „Feind"kategorie der Überlebenden der NS-Todeslager zu seinen entschlossensten Gegnern haben. Je mehr also von ihnen, solange der Krieg und die Kriegsbündnis-Konstellationen dies noch erlauben, in Asche verwandelt sind, desto weniger wird man (oder werden die nach einem Kommenden - genau in diesem Punkt transzendiert das Interessensubjekt des Gedankens durchaus die eigene Person) im weiteren Fortgange des „Ringens" um das „Reich" und um die Verwirklichung der „deutschen Sendung" im „Ostraum" mit ihnen selbst jedenfalls noch als Gegnern rechnen müssen. Allan Dulles hatte nun aber schon im Februar 1943 in einem seiner ersten Gespräche mit den US-Unterhändlern deutlich gemacht, daß den USA vor der Weltöffentlichkeit ein Umschwenken mitten im Kriege auf ein Bündnis mit Deutschland gegen den eigenen Kriegsbündnis-Partner Sowjetunion allerdings nur möglich sei, wenn der deutschen Regierung, mit der es zu einem solchen Vertragsabschluß kommen soll, wenigstens Hitler nicht mehr angehört. 864 Hitler aber war von den SS-Gesprächen mit Dulles unterrichtet, und obgleich hier ein Ausweg aus dem vor Moskau im Winter 1941 gescheiterten Weltkrieg des deutschen Faschismus sondiert wurde, der Hitlers Rückzug aus der Führerrolle verlangte und die Umwandlung dieses Krieges in ja doch schon einen anderen bedeutete, setzte Hitler mit sich verschlechternder Kriegslage seine Hoffnungen zunehmend selbst auf deren 236
Erfolg und bezog wesentliche Energien für seinen DurchhalteFanatismus aus ihnen. 865 Noch am 18. April 1945, als die Bedingung seines Rücktritts für die USA nun längst vollends unumstößlich geworden war und in höchsten SS-Kreisen nach einem Zusammentreffen nunmehr des SS-Generals und engsten Himmler-Vertrauten Karl Wolff mit Allan Dulles (am 15. April 1945) tatsächlich auch schon offen über eine den USA als vertragsfähig präsentierbare Regierung ohne Hitler (jedoch mit u. a. Karl Wolff als Innenminister!) nachgedacht wurde, 866 befahl Hitler Wolff, nachdem dieser ihm von seiner Unterredung mit Dulles genauestens Bericht erstattet hatte, das Gespräch „mit den Amerikanern" weiterzuführen. 867 Der fortgesetzte Massenvernichtungswahnsinn des Jahres 1944 und der militärische Durchhaltewahnsinn des Jahres 1945 hatten in Bezug auf das Ziel, Hitler an der Macht zu halten, also tatsächlich keine „Rationalität", sie entsprangen beide der imperialistischen Rationalität - schon des nächsten Krieges.
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Zweiter Teil V. Zu Begriff und Entwicklungstendenzen des Neofaschismus in der Bundesrepublik
Spätestens seit den aufschreckenden Bombenanschlägen von Bologna und München und der mit ihnen nicht abreißenden Kette von Mordanschlägen auf mißliebige Einzelpersonen, blutigen Uberfällen auf Ausländerwohnheime, Funden jeweils umfangreicher Munitions- und Waffenlager und zahlreichen anderen aufsehenerregenden Ereignissen und Aufdeckungen („Wehrsportgruppe Hoffmann", Kühnens „Aktionsgruppe Nationaler Sozialisten", Röders „Deutsche Bürger-Initiative"; internationales Beziehungsgeflecht „Graue Wölfe", Loge P 2 usw.), tritt im nicht-faschistischen Meinungsspektrum der Öffentlichkeit an die Stelle des lang gehegten Klischeebilds vom Neofaschismus als einer Art bloßem Relikt der Vergangenheit in der bundesdeutschen Gegenwart, gebildet aus einigen naturgemäß bald aussterbenden anpassungsunfähigen Altfaschisten, zunehmend das alarmiertere Bewußtsein: das ist keineswegs nur eine in unsere Gesellschaft hinüberlebende, übriggebliebene Resterscheinung und der Rückstand aus dem Hitler-Rekh, sondern eine sich aus dieser Gesellschaft der Bundesrepublik selbst heraus durchaus neu produzierende und den alten Faschismus reproduzierende, ihn damit auch durchaus neu produzierende politische Erscheinung, die jenen Restbeständen ebenso zum Auftrieb verhilft, wie sie von ihnen inspiriert ist. Zwar wird der Sachverhalt jetzt - und zwar bestürzt, irritiert registriert, zwar stürzt die Illusion vom „Faschismus in seiner Epoche", einer angeblich schon abgeschlossen hinter uns liegenden, sichtbar in sich zusammen. Doch die Ursachen dafür erscheinen nach wie vor weithin „unfaßlich". Ein Bestandteil dieser mangelnden Ursachengewißheit ist dann die Urteilsverunsicherung vor dem besorgniserregenden Gegenstande selbst: Hat man es hier wirklich mit Faschismus zu tun? Und wenn ja: mit dem alten oder einem neuartigen? Oder wächst da vielleicht etwas nur vielfach ihm ähnelndes, aber in seinem Wesen in Wirklichkeit ganz anderes heran? Und wo der Übereinklang mit dem alten unüberhörbar ist: 238
Ist es dann deshalb wirklich schon dieser alte und ist das, von der historischen Wahrscheinlichkeit her, eigentlich überhaupt vorstellbar?
„Neo
"-Faschismus
O b allerdings der Begriff „Neofaschismus" ohne Bedenken als der wissenschaftlich exakte bezeichnet und empfohlen werden kann, hängt nun allerdings ganz davon ab, welche Bedeutung gegenwärtig dem „Neo" in diesem Wort zuerkannt werden soll. Soll ihm das Gewicht einer substantiellen, in irgendeiner Weise den Inhalt oder die Struktur, die Ideologie oder politische Strategie betreffenden Aussage zukommen, dann müßten sich sofort die schwersten wissenschaftlichen Bedenken gegen ihn erheben. Denn alle Untersuchungen der unter ihm begriffenen Erscheinungen ergeben nur immer wieder, daß da eben gerade gar nichts „neo" ist, und vom Funktionsverständnis des Faschismus her läßt sich auch leicht erklären, warum das gar nicht anders sein kann. Alle Versuche, einen „Neofaschismus" in Absetzung vom Faschismus der Zeit bis 1945 zu rekonstruieren nach dem Vorbilde etwa, wie sich vom klassischen Liberalismus der „Neoliberalismus", vom Konservatismus des 19. Jahrhunderts der „Neokonservatismus" durch in der Tat nachzeichenbare, charakteristisch variierende Paradigmata abhebt, sind daher auch gescheitert. Sie sind von der Wirklichkeit überholt worden, in der sich zeigte, daß der Faschismus, wo immer er in unseren Jahren auch nur aus seiner Isolierung in einer Randgruppen-Wartestellung herauskam und eigene Dynamik, geschweige denn (wie in Chile, der Türkei usw.) die Macht gewann, sich wenig um die von Politologen ihm zugeschriebenen „eleganteren", „selbstverständlich nicht mehr so groben", viel „manipulativeren" und „raffinierteren", „pluralistisch korporativistischen" etc. etc. Methoden kümmerte und sich statt dessen sofort wieder als der eben gerade alte, blutige, knochenbrecherisch auftretende, terroristische Faschismus erwies. Da sich freilich der Ausdruck „Neofaschismus" nicht nur weithin eingebürgert hat, sondern offenbar auch großer Beliebtheit erfreut und er kaum widerruflich scheint, bleibt zu seiner vertretbaren weiteren Verwendung im wissenschaftlichen Sprachgebrauch nur der Weg, dann aber die Vereinbarung zu treffen, daß dem 239
Wörtchen „neo" lediglich die Bedeutung einer bloßen Zeitangabe zukommen soll, es also nichts anderes besagt, als daß von Faschismus nach und seit dem Ende des zweiten Weltkriegs die Rede ist. Damit entfiele dann freilich logischerweise auch die sachlich ohnehin unsinnige Möglichkeit, im Nachkriegsfaschismus selbst zwischen einem „Alt"- und einem „Neo"-Faschismus respektive „Alt"- und „Neo"-Nazismus zu unterscheiden. Die besondere geschichtliche Funktion des Faschismus besteht darin, in einer monopolkapitalistischen Gesellschaft dem Finanzkapital den Ubergang zu seiner terroristischen Diktatur zu ermöglichen - durch gewaltsame Zerschlagung, Illegalisierung und anhaltende Verfogung aller seinen Interessen entgegenwirkenden Organisationen und Personen, damit aber auch durch Zerstörung der seiner bisherigen Herrschaftsform spezifisch zugehörigen Institutionen und auch aller seiner auf sie hin organisierten bisherigen eigenen politischen Formationen - bzw. diese terroristische Diktatur zu realisieren. Dabei resultiert die Schärfe, die Absolutheit und die zynische Rigorosität des in der Form der faschistischen Diktatur ausgeübten monopolkapitalistischen Terrors nicht allein aus dem Zweck der innenpolitischen Herrschaftsbehauptung, sondern in aller Regel - und daher den extraordinären Rigorositätsgrad meist auch erst voll erklärend - daraus, daß unter den aktuellen politischen Hauptinteressen des Monopolkapitals auf Grund seiner ökonomischen Erstarkung und seiner hinter ihr zurückgebliebenen politischen Weltstellung das Interesse an Expansion in die Kapitalanlage-attraktiven Gebiete der Erde, an Ausweitung seiner Hegemonialsphären und an Steigerung demzufolge vor allem auch seiner militärischen Expansionspotenz drängend-elementar in den Vordergrund getreten ist und solch rigoristischer Widerstands-Ausschaltung und Opfer-Zwangsgemeinschaft im Innnern angesichts einer dem Kriegsvorbereitungs- und Kriegsformierungsinteresse nicht genügenden und widerläufigen intergrationspolitischen Ausgangs-Situation zu seiner Realisierung bedarf. Faschistische Bewegungen, Gruppierungen, Vereinigungen etc. sind demnach aber in nicht faschistisch regierten Gesellschaften solche, die in der Bevölkerung Anhängerschaft für den Ubergang zur faschistischen Diktatur sammeln - und dies notwendig stets in demagogischer Form. Denn die Sammlung kann nur unter Systemunzufriedenen erfolgen; diese jedoch sind, da das bestehende politische System ein monopolkapitalistisches, vom Monopolkapital 240
beherrschtes ist, mit der Herrschaft eben gerade des Monopolkapitals unzufrieden und gegen sie eingenommen. Die Gefolgschaftswerbung für den Ubergang gar zu dessen terroristischer Diktatur muß daher notwendigerweise ausschließlich unter einem demagogischen Schwindeletikett - auf dem zumeist das Wort „Volk" aufgraviert ist - erfolgen. Erkennbar sind die faschistischen Bewegungen mithin daran, daß sie unter einem solchen mehr oder minder volksnahen Etikett (das auch die Aufschrift „Nation", „Rasse", „Ordnung", „Arbeiter" oder „Sozialismus" tragen kann) eine politische Mobilisierung der unzufriedenen, sich der monopolkapitalistischen Integration gerade entziehenden Bevölkerungs- und Wählerschichten gegen die Reste politischen Volkseinflusses unter der bestehenden monopolkapitalistischen Herrschaftsordnung und Wirklichkeit, also für deren Überwindung in Richtung auf eine lückenfreie monopolkapitalistische Diktatur oder, nur umgekehrt gesagt: auf die Ausschaltung der diese einschränkenden, ihr Zugeständnisse abverlangenden politischen Kräfte (insbesondere also Arbeiterparteien und Gewerkschaften) betreiben, daß ihre praktische Frontrichtung und dementsprechend das innenpolitische Feindbild, gegen das sie - mit welchen Begründungen auch immer - mobilisieren, mit dem des Monopolkapitals deckungsgleich ist und daß sie dessen parlamentarische Parteien an jeweiliger Radikalität der daraus gezogenen praktischen Schlußfolgerungen übertreffen, ihren monopolkapitalistischen Standort gleichwohl aber ableugnen und für einen entweder „klassenneutralen" Staat des ganzen Volkes oder gar einen so interpretierten „Sozialismus" werben. Derartigen Bewegungen aber kommt nun in allen monopolkapitalistischen Gesellschaften auch schon zu Zeiten, in denen sich die vom Monopolkapital als sicherste Herrschaftsbasis bevorzugte „friedliche" Volksintegration in dessen jeweiligen politischen Herrschaftswillen zufriedenstellend vollzieht und es keiner faschistischen Diktatur bedarf, eine Reihe ihm nützlicher und aus seiner Sicht geradezu system-unentbehrlicher Funktionen zu, woraus sich ihre erstaunlich schonsame Behandlung in allen parlamentarisch regierten monopolkapitalistischen Demokratien erklärt. Diese Funktionen lassen sich, ohne Anspruch auf Vollständigkeit, auf folgende Punkte bringen: — Die Auffangfunktion
bzw. die Funktion
der Ableitung
und 241
Umfauktionierung von Protestpotentialen (Sammlung der von den monopolkapitalistischen parlamentarischen Parteien sich abkehrenden und vom systemkonformen politischen Integrationsmechanismus des „Regierungs-Oppositions"-Spiels nicht mehr einzufangenden, daher aber zur politischen Systemgefahr werdenden, ja des Uberganges zur politischen Linken nunmehr potentiell fähigen Bevölkerungsschichten. Abfangen dieser Potentiale in einer den Zorn auf die politischen Gegner des Monopolkapitals zurücklenkenden und ihn gegen sie aufreizenden, den Ruf nach ihrer gewaltsamen Unterdrückung und Zerschlagung weckenden aktivistischen Organisation. Besonders gefragt und aktuell in ökonomischen Krisenzeiten). — Die Barometerfunktion (Ablesbarkeit, inwieweit sich aus innenpolitischen Desintegrationsprozessen eine tragfähige antiparlamentarische Massenbasis entwickelt bzw. entwickeln läßt). — Die Ahbifunktion für reaktionäre Regierungspolitik (Berufungsmöglichkeit der Regierung auf Forderungen in der „Öffentlichkeit"; Vorbereitung reaktionärer Regierungsschritte, die zunächst nicht ohne Risiko großer Wählerverluste durchführbar wären, durch die Öffentlichkeitsarbeit der neofaschistischen Gruppen - Eingewöhnung der Öffentlichkeit in „unpopuläre" Forderungen, bis sie auch von der Regierung geäußert und schließlich realisiert werden können; Beispiele hierfür aus jüngster Zeit: Ausländerpolitik, Deutschland-Thematik). — Die aktive Antreiberfunktion m der Rechtsentwicklung (wachsende Erfolge in der Wahrnehmung der Auffangfunktion versetzen den Neofaschismus gegenüber den regierenden parlamentarischen Parteien regelmäßig in die Lage, sie nunmehr unter „Massendruck" und unter der Drohung, weitere Wählerschichten von ihnen abzuziehen, zu immer schärferem Rechtskurs zu drängen. Das heißt, die reaktionärsten Teile des Monopolkapitals können nunmehr über ein faschistisches Massenpotential Druck auf die gemäßigteren Kapitalfraktionen ausüben. Eskalationseffekt von Rechtsverschiebung der Regierungspolitik und wachsendem faschistischem Druckpotential). — Die langfristige ideologische Umorientierungsfunktion (kontinuierliche Arbeit für einen ideologisch-kulturellen Klimaumschwung; „Geschichtsbild-Revision", Irrationalismuspropaganda bzw. antirationale „Kulturrevolution"). — Die terroristische Emschüchterungs- und Hilfspolizei-Funktion 242
gegenüber demokratischen Bewegungen (demonstriert in der Bundesrepublik z. B. durch die Wehrsportgruppe Hoffmann und andere nazistische Terrororganisationen). — Die Destabilisierungsfunktion (in Phasen, in denen Teile des Monopolkapitals akut auf den Ubergang zur faschistischen Diktatur drängen, organisierte Förderung des Eindrucks der „Unregierbarkeit" der Gesellschaft in den herrschenden Kreisen und in der nach Ruhe sich sehnenden Bevölkerung durch eine Strategie schreckenerregenden, ungezielten Terrors. Beispiele: die italienische P 2-Strategie, die Türkei vor der faschistischen Machtübernahme). — Die Straßenkampf- und Bürgerkriegsfunktion (jeweils in Ländern sich aktualisierend, in denen die innenpolitische Klassenkampfsituation der Entscheidung zudrängt). Es versteht sich von der Sache her, daß der Neofaschismus diese Funktionen allesamt schon im Vorfeld einer faschistischen Diktatur und teils auch in Zeiten, in denen seine Richtung nicht aktuell ist, wahrnimmt und sie sich je nach der konkreten innenpolitischen Entwicklung in einem Lande aktualisieren.868
Die ersten Nachkriegsjahre. Die „Bruderschaft" Franke-Grickschs teuffels, ihre Geheimarmee und ihre
und Hasso von ManEuropa-Konzeption
Es wäre eine Verkennung des Wesens des westdeutschen und späteren BRD-Neofaschismus von Anfang an, die den Zugang zum Verständnis seiner Entwicklungsgeschichte verstellen müßte, wollte man ihm für die ersten, noch zur Vorgeschichte der Bundesrepublik gehörigen Nachkriegsjahre den Charakter etwa zunächst nur eines Geflechts altnazistischer Kameradenhilfs- und Traditionswahrer-Bünde zuschreiben. Denn er war vom ersten Tage nach der Kapitulation des HitlerReiches an mehr. Die beiden großen, am Anfang aller Neonazismus-Geschichte stehenden und die unmittelbaren Brücken vom zusammengestürzten Faschismus des „Dritten Reiches" zum organisierten Neofaschismus der Nachkriegszeit darstellenden Fluchthilfeorganisationen „Spinne" und „Odessa" ( = Organisation der ehemaligen SS-Angehörigen) leisteten mit ihren Ausschleusungen gesuchter Kriegsverbrecher und faschistischer Massenmörder wie 243
Eichmann, Mengele oder Barbie/Altmann - auf einer festliegenden Route vom zur US-Zone als Enklave gehörigen Bremen über Rom als Zwischenstation und Ort der Paß-Ausstattung mit Vatikanund Rote-Kreuz-Hilfe zum Hafen Genua (zunächst auch Bari) und von dort aus nach Südamerika, unterstützt aus Mitteln des SSRaubkapitals und unter Nutzung eines über den halben Globus gespannten Verbindungsnetzes 869 - keineswegs nur derartige Strafentziehungsdienste an „alten Kameraden"; sondern sie leisteten ganz bewußt damit zugleich auch schon logistische Infrastrukturarbeit für die Zukunft, nämlich - nicht anders als die gleichfalls schon 1945 sich heranbildende dritte große illegale Hintergrundorganisation des bald auch um erste legale Organisationsgründungen bemühten Neonazismus, die „Bruderschaft" - für den „Kampf um Europa" von morgen, der ihnen fällig und nahe bevorstehend schien. Die dem konstitutiven Motiv und Ziel des deutschen Faschismus „treu" gebliebenen und zur Weiterarbeit entschlossenen Restkader des aufgelösten NS-Machtapparates machten sich damit konsequenterweise das bisherige elitäre Selbstverständnis der SS, die für das Monopolkapital letztverläßliche Truppe zur Eroberung und Sicherung Europas zu sein, nunmehr, nach deren Verbot, allesamt zu eigen. Aus diesem Selbstverständnis war einst der halb okkultlogenartige Aufbau der SS erwachsen; darin hatte der zum Faschismus gewordene 50jährige Großraumdrang des deutschen Kapitals, der dem Nationalsozialismus als solchem insgesamt zugrunde lag, seinen verstiegensten institutionellen Ausdruck gefunden, und es entsprach daher auch nur der eigenen wohlverstandenen letztendlichen Substanz, wenn seine Nachfolgegeschichte an eben diesem Punkte einsetzte. Das war vor dem Hintergrunde der damaligen Weltlage, wie sie dem deutschen und bald auch in wachsendem Tempo dem westeuropäischen und amerikanischen Monopolkapital sich darstellte, keinesfalls ohne Funktionalität und etwa abgelöst von weltpolitischen Großkonstellationen zu sehen und zu verstehen. Denn aus monopolkapitalistischer Sicht nahm sich diese Lage im Jahre 1945 und auch noch in den folgenden nächsten Jahren schließlich so aus, daß halb Europa nun an den Sozialismus verlorenzugehen drohte, währendessen die andere, von den Truppen der westlichen Alliierten besetzte Hälfte deshalb keineswegs als etwa dafür nun schon desto sicherer angesehen werden konnte. 244
Vielmehr war sie eine durch den Krieg und den antifaschistischen Widerstand, der jetzt in allen Ländern die Führung beim Wiederund Neuaufbau verlangte, ebenfalls tief revolutionierte, in ihren alten großbürgerlichen politischen Machtstrukturen von unten her aufgebrochene, durchaus ihrerseits Sozialismus-anfällige und jedenfalls allenthalben noch unübersichtlich gärende Region; vor allem hatten sich auch endgültige Entscheidungen über das Schicksal des deutschen Monopolkapitalismus und die Art einer etwaigen Verständigung mit dem Kriegsbündnispartner Sowjetunion über Nachkriegsdeutschland sowie damit die gesamte künftige globalstrategische Orientierung tatsächlich auch bei den Westmächten selber noch nicht völlig durchgesetzt, so daß alles also noch in der Schwebe, noch möglich war. Weder war mit absoluter Gewißheit Verlaß darauf, daß die in den Anti-Roosevelt-Kreisen der USA und im Londoner Kreis um Churchill früh ins Auge gefaßte und nun deutlicher angestrebte Umorientierung der Westmächte auf den Bruch der Anti-HitlerKoalition und die Strategie offensiver Westpaktbildung zwecks Zurückdrängung der Roten Armee aus Osteuropa auch tatsächlich vollzogen würden. Noch auch ließ sich abschätzen, ob daraus dann, wie man hoffte, ein baldiger gemeinsamer Westmächtefeldzug unter Einschluß deutscher Truppen zur „Befreiung Osteuropas" und zur Niederwerfung des kriegsausgebluteten Sowjetrußland selbst oder vielleicht nur ein langwierig an den Grenzen der deutschen Besatzungszonen stagnierender Stellungkrieg - als eine dem heißen Krieg vorgeschaltete Phase der Rüstung für ihn folgen würde. Noch auch bestand Klarheit - und folglich auch keine Einigkeit - darüber, ob ein solcher, in der Sicht der Alt-SSler und überzeugtesten Hitlergeneräle den Westmächten nun nicht erspart bleibender eigener Endkampf mit dem „Bolschewismus" in Europa angelegt und geführt werden solle als ein Kampf um eine aus ihm hervorgehende vereinigte Weltmacht Europa oder als ein Kampf um die Ausweitung des Einflusses der „atlantischen" Weltmacht und neuen westlichen Führungsmacht USA nunmehr auch über das östliche Europa. Ob nun aber in naher Zukunft die eine oder andere all dieser gleichermaßen noch denkbaren Varianten bei den Westmächten schließlich die Oberhand gewinnen und damit Wirklichkeit werden würde, - aus der Perspektive einer jeden war ein Bedarf an einer im Verborgenen sich wieder aufbauenden gleichsam letzten rückwärti245
gen Verteidigungslinie zu allem entschlossener, erfahrener antibolschewistischer Knochenbrecher nicht nur in außenpolitischer, sondern auch in innenpolitischer Hinsicht leicht zu erkennen und den in ihren Herrschaftsdomänen verbliebenen Faschistenkreisen in der Wirtschaft, die in solchen Kategorien bis gestern gedacht hatten, daher auch unmittelbar einleuchtend. Würden nicht, kommt es demnächst zum großen gesamtwestlichen Kreuzzug und zum Kampf um den europäischen „Ostraum", die „Amis" zu allererst spätestens wenn sie, wie einst der Nazi-Soldat, mit den „Bolschewiken" auf dessen eigenem Boden ihre realen Erfahrungen machen - nach dem im Umgang mit ihnen erprobten deutschen Elitetrupps rufen (weshalb, aller momentanen Verbote der Westalliierten ungeachtet, es nur - wie manche Kräfte bei ihnen es jetzt tatsächlich auch zu sehen begannen - ein perspektivischer Bündnisdienst an ihnen war, solche Kontingente insgeheim auch schon in Bereitschaft zu stellen)? Würde es aber - so eine zusätzliche Überlegung in einigen Kreisen - nicht auch einen großen Unterschied für die gesamte langfristige europäische Entwicklungsperspektive .machen, ob die entschiedenste Kernkraft eines solchen Osteuropa-Befreiungskrieges und der zu solchem Zwecke gebildeten internationalen Westarmee eine die Traditionslinie der Nazi-Armee demonstrativ repräsentierende und sie damit im Erfolgsfalle auch insgesamt rehabilitierende deutsche Truppe oder ob das westdeutsche Kontingent nur eine Art Anhängsel und Kombattantentruppe einer im Kern von der US-Armee repräsentierten alliierten Streitmacht sein würde? Und drittens - als die übereinstimmende Frage und Meinung in allen diesen Kreisen und weit über sie hinaus in großen Teilen der Wirtschaft - : Kann dieses Westeuropa mit seinen ihm jetzt unter dem Einfluß der anglo-amerikanischen Sieger absehbar auferlegten Verfassungsverhältnissen einem solchen Kampf und dem auch ohne ihn ihm bevorstehenden inneren Sturm dann überhaupt gewachsen sein? Waren denn alle jahrzehntelangen Bemühungen der Elite gerade des deutschen Großkapitals, vom „Parteien- und Interessenkampf-Staat" endlich loszukommen, nicht nur vergeblich gewesen, sondern etwa auch falsch? Würden die dem angloamerikanischen Modell angelehnten Versuche, durch große Volksparteien das herrschaftsunerläßliche Maß an nationaler Integration zustande zu bringen, sich in Westeuropa als tauglich erweisen und 246
sich vor allem auch in kritischen innenpolitischen Situationen, wie sie zu erwarten standen, bewähren? Oder war es nicht vielmehr jetzt nur genauso wie im Jahre 1919, als im Augenblick der Niederlage und größten eigenen politischen Schwäche einem eine erkennbar den Wiederaufschwung zu neuer nationaler Machtentfaltung nicht dienliche Verfassung aufgezwungen wurde, die dann erst mühselig wieder abgeschüttelt werden mußte? War es, da eine analoge politische Schwäche gerade jetzt gegenüber den Alliierten gegeben war, die Barometer der frühen Nachkriegszeit jedoch in vielen Ländern Europas auf politische Erdrutschbewegung nach links standen und für Deutschland niemand mit Sicherheit die Hand dafür ins Feuer legen konnte, daß die Westmächte nicht vielleicht plötzlich doch noch einer Zusammenlegung der vier Zonen zustimmen und damit die „Ostzonen-Kommunisten" ins ganze Haus holen würden, es also überall sehr schnell zu Situationen würde kommen können, in denen schlagfertige Eingreiftrupps auf den Straßen sehr gefragt sein könnten, - war es da nicht geradezu ein Erfordernis, für solche Fälle im Verborgenen Vorsorge zu treffen? Und war es angesichts der Überzeugung nicht nur der Nazis selbst, sondern über sie hinaus gerade auch weiter Teile des Großkapitals, daß nämlich das, was die drei Westalliierten der Verfassung selbst eines etwaigen westdeutschen Separatstaates im Höchstfalle noch an autoritärstaatlich-volksgemeinschaftlichen Zügen zugestehen würden, erheblich hinter dem zur inneren Sicherung dieses labilen Dreizonengebildes gegen Linksentwicklungen für erforderlich Gehaltenen zurückbleiben würde und daher auch nur notgedrungen für die Zeit der alliierten Truppenpräsenz akzeptierbar wäre, im Zuge zurückgewonnener Souveränität aber den „deutschen" Vorstellungen wieder angepaßt werden müßte, - war es dann aber nicht auch nur funktional, mit der politischen Stimmungsmache für solch eine „eigentlich deutsche" Verfassung unverzüglich zu beginnen, ehe sich ein liberal- oder radikal-demokratisches Verfassungspathos in der Nachkriegsöffentlichkeit festsetzen könnte? Und hierfür (da sich dies aus der Mitte der nun wieder strikt auf die parlamentarische Verfassungsbasis eingeschworenen großen neuen „Volksparteien" heraus nicht mit hinreichender propagandistischer Deutlichkeit betreiben ließ) an der Legalitätsgrenze operierende, für diese „andere" Verfassungsidee Offentlichkeits- und Sammlungsarbeit betreibende Gruppen zur Verfügung zu haben? 247
Erst im Februar 1950 wurde auf Grund alliierter Geheimdienstenthüllungen nach einem Zusammentreffen des Hitler-Generals Hasso von Manteuffel mit Konrad Adenauer der Öffentlichkeit bekannt 870 , was sich auf Grund derartiger Überlegungen hinter der bis zu diesem Zeitpunkt bereits zu beachtlicher Länge angewachsenen Phalanx legaler neonazistischer Organisationen 871 während der vergangenen knapp viereinhalb Jahre seit dem Mai 1945 im Unsichtbaren an tatsächlich weit relevanterer neofaschistischer Aufbauarbeit im unmittelbaren Zusammenwirken mit bedeutenden Industrie- und Finanzgruppen Westdeutschlands vollzogen hatte: Gregor Strassers Schwiegersohn Dr. Alfred Franke-Gricksch war am 4. Juli 1930 gemeinsam mit Otto Strasser aus der NSDAP ausgezogen, ihm dann im Auftrage der „Schwarzen Front" bereits Anfang März 1933 unter dem Decknamen „Hildebrand" als Redakteur des nun von ihr in Osterreich herausgebrachten Organs „Der Schwarze Sender" ins Wiener Exil vorausgegangen (Strasser folgte im Mai), ihm im Januar 1934 auch nach Prag gefolgt und dort Redakteur der „Deutschen Revolution" geworden 872 , ließ sich noch im Juni des gleichen Jahres von einem aus Berlin zu ihm entsandten Gestapo-Agenten aber zur Arbeit für die Gestapo bestechen (gemeinsam mit gleichfalls schon von ihr angeworbenen Mitarbeitern in Strassers Prager Zentrale der „Schwarzen Front"), ging dann bald (ebenfalls noch 1934) nach Berlin zurück und stand seither im Verdacht, die Mitgliedslisten der „Schwarzen Front" der Gestapo übergeben zu haben, zumal er nun eine steile, ihn bis in Himmlers Stab führende SS-Karriere machte, er SS-Standartenführer und Leiter der Personalabteilung im Reichssicherheitshauptamt der SS wurde 873 . Dieser Franke-Gricksch hatte gemeinsam mit dem einstigen Kommandeur der Wehrmacht-Elitedivision „Großdeutschland", Generalleutnant Hasso von Manteuffel (der in den ersten Presseartikeln als „Angestellter" des Kölner Bankiers Robert Pferdmenges, später dann als „Exportleiter der Schraubenfabrik Bauer & Schaurte in Neuß am Rhein" apostrophiert wurde 874 , den zum einstigen „Gauleiter"-Flügel Gregor Strassers gehörigen ehemaligen Gauleitern Karl Kaufmann (zuletzt Hamburg) und Lauterbacher (Südhannover-Braunschweig) 875 , dem Rechtsanwalt Dr. Ernst Achenbach, einem alten Vertrauten des Stinnes-Konzerns und später führenden Mitglied des Ende 1952 aufgedeckten Nazi-Verschwörerkreises in der FDP um den Goebbels-Staatssekretär Dr. Werner Naumann und dem einstigen „Ia" (d. i. 1. Gene248
ralstabsoffizier) Manteuffels im Stabe der Division „Großdeutschland", Major a. D. Helmut Beck-Broichsitter, sowie mit einer Vielzahl weiterer Offiziere durchweg aus der gleichen „Großdeutschland"-Division und auch hohen ehemaligen Führern der Himmlerschen Polizei über alle vier deutsche Zonen 876 ein Netz von „Zellen" einer von ihnen unter dem Namen „Bruderschaft" gegründeten logenartig aufgebauten Geheimgesellschaft geschaffen; aus ihrem, im Kern die ehemaligen Angehörigen der Division „Großdeutschland" umfassenden Reservoir hatten FrankeGricksch und Manteuffel in aller konspirativen Heimlichkeit unbemerkt die Mannschaften für zwei komplette kriegsstarke Kampfdivisionen - eine „Infanterie-Division" und eine „Panzer-Division" zusammengestellt, bestehend aus ausschließlich kampferfahrenen, zumeist technisch hochqualifizierten und durchweg im NS-Kameradensinne „zuverlässigen" Männern. 877 Die Gründung dieser „Bruderschaft" und der Beginn der Arbeit an ihrem Aufbau fällt noch ins Jahr 1945, in die Zeit der britischen Kriegsgefangenschaft des Großteils der Angehörigen der „Division Großdeutschland". Hier, in den unter britischer Aufsicht beisammengehaltenen und beschäftigten „Deutschen Arbeitseinheiten" dieser Division entstand - wohl kaum ohne Wissen der DönitzRegierung - der Gedanke und die erste Kaderbildung der „Bruderschaft" aus dem Kreise der „Großdeutschland"-Offiziere heraus. 878 Die Sache kam im Februar 1950, als sie die Dimensionen der größten Geheim- und Geisterarmee Europas angenommen hatte, ans Tageslicht, weil Franke-Gricksch, der sich inzwischen „Kanzler der Europäischen Bruderschaft Deutscher Nation" nannte 879 , und General Manteuffel auf Grund des geheimen Adenauerschen Angebotes eines westdeutschen Truppenkontingents an die Westmächte den allerhöchsten Zeitpunkt für gekommen hielten, dafür zu sorgen, daß ihre Einheiten aber nun auch zum Kern des von Adenauer jetzt ersichtlich auf den Weg gebrachten Wiederaufbaus einer westdeutschen Armee werden - während man bislang daran gedacht hatte, sie eines Tages den Alliierten „als eine Art Schutztruppe gegenüber den Kaders der Ostzonen-Polizei" anzubieten 880 . Von Manteuffel begab sich daher im Dezember 1949 zu Adenauer, um mit ihm hierüber zu sprechen. Während Adenauer die Begegnung mit v. Manteuffel diskret zu behandeln suchte, ließen über diesen Vorgang offenbar beunruhigte alliierte Geheimdienstkreise nunmehr das gesamte Komplott der „Bruderschaft" 249
über die Presse bekanntwerden. Die Führung der „Bruderschaft", der „Bruderrat", betrachtete deren „inneren Ring" als „den Generalstab einer zukünftigen deutschen Armee" und die von ihr aufgebauten beiden Divisionen als „deren Rückgrat" 881 im Rahmen des Gesamtkonzeptes einer „Europäischen Unions-Wehrmacht mit reinrassigen deutschen Verbänden als Schutz gegen den Osten". 882 Nun, als der Aufbau einer solchen „Unions-Wehrmacht" auf die Tagesordnung trat, mußte sie diesen ihr zugedachten Kader-Kern in sie einzubringen suchen und deshalb sowohl mit Adenauer Kontakt aufnehmen wie vor allem auch ihre - freilich von vornherein ohnehin schon engen - Kontakte zu den mit der Vorbereitung der neuen Armee beauftragten Ex-Generalstabskreisen insbesondere um Speidel intensivieren. Im Augut 1950 brach dann übrigens sogar Carl Spiecker der nach 1945 an der Wiederbegründung des Zentrums mitgewirkt hatte, dessen Vorsitzender und Vertreter des Landes NordrheinWestfalen im Bizonen-Wirtschaftsrat geworden, im März 1949 aber zur CDU übergetreten und ab September 1949 in der nordrhein-westfälischen Landesregierung Minister ohne Geschäftsbereich war - zu einer Reise nach Lateinamerika auf. Ziel der Reise war es, die dorthin retirierten hohen Nazi-Offiziere in persönlichen Gesprächen von der Zweckmäßigkeit ihrer umgehenden Rückkehr angesichts des bevorstehenden Armee-Aufbaus und ihrer Teilnahme an ihm und von ihrer Unentbehrlichkeit für ihn zu überzeugen, mit dem respektablen Erfolg, daß noch in den Monaten Oktober und November des gleichen Jahres etwa vierhundert von Spiecker in Empfehlung gebrachte hochkarätige Kriegsspezialisten der Nazi-Wehrmacht ihre ihnen von der Bundesregierung bezahlte Überfahrt in die Bundesrepublik antraten 883 (während Andeas Hermes bereits 1949 - aus unbekanntem Grund - Otto Strasser in Ottawa einen Besuch abgestattet hatte 884 ). Die „Bruderschaft" verfügte nun aber nicht nur über ein militärisches, sondern auch über ein komplettes ideologisches Konzept und eine umfassende innen- und außenpolitische Europasicherungs- und -neuordnungs-Konzeption, die zu allererst natürlich in Deutschland selbst zum Zuge gebracht werden und von hier aus dann ins übrige Europa hinein ausstrahlen und sich fortsetzen sollte. Dieses Konzept zu kennen ist für das Verständnis der gesamten weiteren Geschichte des Neofaschismus aber nicht nur deshalb zentral, weil es schneller als das Studium der Programme 250
und Erklärungen einzelner legaler neonazistischer Gruppen der damaligen Jahre sowohl in die grundsätzlichen gemeinsamen Motivationen wie auch in die Ursachen der Flügelkämpfe des Neofaschismus einführt, sondern auch deshalb, weil die „Bruderschaft" eine ausgesprochene Bindeglied-Organisation zwischen den an die Öffentlichkeit tretenden einzelnen neonazistischen Organisationen und den sich anonym haltenden Interessenkräften in der Wirtschafts- und Wehrmachtsoffiziers-Hierarchie mit - wie die „Baseler Nationalzeitung" seinerzeit schrieb - vor allem „weitreichenden Verbindungen zu Industrie- und Finanzgruppen" 885 war, und zwar die nach heutigem Kenntnisstande weitaus bedeutendste und eine der frühesten von allen, die sich um die Koordination und Integration des gesamten neonazistischen und rechtsnationalen Lagers bemühten 886 . Sie vermochte für sich ebenso Hans von Staufenberg, einen Vetter Wolf Schenk von Stauffenbergs, wie etwa den ehemaligen Reichsschulungsleiter der HJ, Gottfried Griesmayr der ursprünglich eine illegale Hitlerjugend aufzuziehen versucht hatte, doch dann davon überzeugt worden war, daß der Rahmen der „Bruderschaft" auch hierfür der perspektivisch aussichtsreichere sei - zu gewinnen und arbeitete wiederum über diesen und Stauffenberg mit der Ende Oktober 1947 mit alliierter Genehmigung von August Haußleiter gegründeten Jugendorganisation „Deutsche Union" zusammen, die Nationalsozialisten und „jungkonservative" CDU-Mitglieder aus dem Bereich „des Evangelischen Hilfswerks und der ,Christ-und-Welt'-Redaktion" zusammenführte 887 , und vor allem direkt mit dem wieder um Karl Kaufmann und die ehemaligen österreichischen Gauleiter Gustav Adolf Scheel und Alfred Frauenfeld und den einstigen „Reichsjugendführer" Axmann gruppierten Hamburger „Herrenklub". 888 Der ideologische Einstiegspunkt oder Argumentationseröffnungszug, auf den die „Bruderschaft" in den britischen Kriegsgefangenenlagern gesetzt und von dem ausgehend sie ihre ersten Kader gesammelt und ihren Aufbau betrieben hatte, glich verblüffend genau demjenigen des einstigen „Frontsoldatischen" der „Solidarier" im Jahre 1919. Die „Süddeutsche Zeitung" beschrieb ihn im September 1950 in einem instruktiven Uberblicksartikel, der für sich in Anspruch nahm, die „Spreu vom Weizen" zu sondern und „die stichhaltigen Informationen von den Gerüchten" zu trennen, wie folgt: „Damals, als der Krieg beendet w a r . . . , entstand bei jenen Kriegsgefangenen der Eindruck, daß in der Heimat 251
ein Kampf aller gegen alle entstanden sei. Dieser Entwicklung wollten die Initiatoren der .Bruderschaft' entgegenwirken. Die bewährte Frontkameradschaft der sogenannten Soldatengeneration sollte gegen die politischen Meinungsverschiedenheiten in die Waagschale geworfen werden." 889 Auf diesem Ansatz hatte Franke-Gricksch dann folgendes weiterführende ideologische Gebäude errichtet: Die europäische Geschichte des 20. Jahrhunderts sei diejenige einer „Revolution", die sich in drei Wellen vollziehe. Die erste Welle dieser Revolution habe 1914 eingesetzt und bis 1933 gedauert, die zweite sei die Zeit von 1933 bis 1945 gewesen, die dritte habe mit dem Kriegsende im Jahre 1945 begonnen, die „Epoche des Nationalsozialismus" sei daher ein aus der Geschichte und gerade auch aus der jetzt anhebenden neuen Zeit nicht ablösbarer „organischer Bestandteil einer Revolution". Einer Revolution welcher Art? Die „Romanen und Angelsachsen" hätten - so Franke-Gricksch - „mit dem Ausklang der Französischen Revolution aufgehört..., europäische Geschichte zu machen", also seien „Ende", hingegen seien die „Slawen und die Deutschen . . . zu Stiftern einer revolutionären Ordnung geworden" (seien also „Anfang"). Der „preußische Adler und der russische Bär", vereinigt, würden als die Synthese von „deutschem Idealismus" und „slawischem Materialismus" zum „Wahrzeichen" des „neuen Europa". 8 9 0 Da war sie unverkennbar wieder, Niekischs Konzeption der Verbindung von „preußischer Zucht" und „slawischem Raum", vom „germanischen Kopf auf einem slawischen Rumpf", vom „germanisch-slawischen Weltreich"; da war auch Niekischs ganzer Haß auf die Aufklärungsrelikte in den politischen Ideen und parlamentarischen Traditionen Frankreichs und der angelsächsischen Länder, sein wildes, sich revolutionär ausgebendes und völkisch ausdrückendes, die verhaßten Ideen auf den Nenner von Nationen bringendes Antifranzosen- und Antiwestlertum wieder voll da. Und Franke-Grickschs Datierung des Beginns jener angeblichen Jahrhundertrevolution ausgerechnet mit dem Jahr 1914 einem in ganz Europa doch wohl revolutionsfreien Jahr - ließ nur zu deutlich das Muster von Moeller van den Brucks „Revolution der jungen Völker" durchscheinen, vor dessen Hintergrund allein sie - wie dann auf einmal auch das gesamte Wellenschema - einen Sinn ergab und damit verriet, was unter dem Beifall der „Großdeutschland"-Offizierselite von Franke-Gricksch mit dieser 252
geschichtlichen „Revolution" gemeint war (und die anhaltend scharfe Absage an das Symboldatum 1789 in ihrer Aktualität dann auch verständlich machte): der Aufbruch zur Eroberung dieses germanisch-slawischen Weltreichs (und dies als eben unvollendete, in ihre letzte Phase gerade jetzt erst eintretende „Revolution") und die zu diesem Ziel und in ihm sich zusammenschließende - über ihre Parteien- und Klassenfronten und gegen sie sich erhebende Nation (der 1. August 1914 und der 30. Januar 1933 als die jeweiligen Aufbruchstage der „nationalen Revolution"). 891 Gerade wegen dieser betont großdeutsch-europäischen Akzentuierung war Franke-Grickschs Konzept innerhalb der „Bruderschaft" allerdings auch nicht unumstritten. Denn zwar lag seinem Niekischs einstiger „Widerstands"-Ideologie nachgebeteten „nationalrevolutionären" Antiromanismus und Antianglizismus in der Tat nichts anderes als radikaler Antidemokratismus und Moeller van den Brucks Verherrlichung Rußlands als dem Lande der deutschen Ausdehnungschance zugrunde, was schon daraus hervorging, daß sich die „Bruderschaft" zugleich in geheimnisvollen Andeutungen guter Beziehungen zu den Gaullisten rühmte 892 , sich in der Praxis also keineswegs an ihren eigenen völkischen Unsinn hielt, sondern sehr gut zwischen sinnesgleichen französischen Antidemokraten und dem demokratischen Frankreich einen Unterschied zu machen wußte; „Völkisches" stand daher dem von ihr selbst favorisierten Plan einer integrierten Europa-Armee auch mitnichten im Wege. Doch eben daran, ob es sich um eine solche „europäische Armee" mit einem ihr von der „Bruderschaft" implantierten „harten deutschen Kern", wie es die ursprüngliche Vorstellung war, oder etwa, wie nun als zweite Möglichkeit in Sicht kam, um eine integrierte „atlantische" Armee unter Einschluß der USA und mit einem dann ohne Zweifel von den US-Truppen gebildeten „harten Kern" handeln solle, - daran mußte in dem Maße, in dem die „amerikanische Lösung" des späteren N A T O Modells an Wahrscheinlichkeit gewann, die „Bruderschaft" ebenso wie der gesamte damalige Neonazismus angesichts der tiefgreifenden perspektivischen Unterschiede, um die es bei dieser Wegentscheidung ging, und angesichts der Relevanz, die sie für das deutsche Monopolkapital vor dem Hintergrunde seines jahrzehntelangen erbitterten expansionsstrategischen Fraktionskampfs hatte, in zwei auseinandertendierende Flügel aufbrechen; in den folgenden Jahren verfestigten sich diese im Neofaschismus dann bald zu 253
zwei vielfach gegeneinander operierenden Lagern mit bis heute nachhallender Wirkung. Während ein Teil insbesondere unter den Offizieren der „Bruderschaft" jetzt darauf zu drängen begann, auf den von den USA angestrebten und sich daher wohl aller Voraussicht nach auch durchsetzenden atlantischen oder doch atlantisch ausgerichteten europäischen Militärpakt des späteren NATO-Modells umzuschwenken und sich ihm rechtzeitig zur Verfügung zu stellen, beharrte der andere auf dem ursprünglichen Konzept. In schärfster Opposition zu Adenauers geheimem Angebot eines deutschen Truppenkontingents an die Westmächte, das er als einen Schritt zur Verramschung des „deutschen Soldatentums" in einer „Söldnerarmee" angriff, drohte er seine Verweigerung an und hielt so den Großraum-Europa-Gedanken und den ihm korrespondierenden Anspruch auf eine souveräne westeuropäische Kontinentalstreitmacht mit deutschem Führungskern während der bis in die fünfziger Jahre sich hinziehenden, die gesamte erste Phase der Geschichte der Bundesrepublik bestimmenden Auseinandersetzungen um das Problem EVG oder NATO hoch. 893 Als die Verschwörung der „Bruderschaft" publik geworden war, beeilte sich ihre Leitung allerdings, alle konspirativen militärischen Aufbauarbeiten wie vor allem auch den Charakter der „Bruderschaft" als einer Untergrundorganisation überhaupt abzustreiten und sie als eine sich gerade erst im Aufbau befindende Organisation darzustellen, deren „formalrechtliche Konstituierung und Anmeldung . . . vorzubereiten und durchzuführen" der „Vorbereitende Rat" soeben erst beauftragt worden sei. 894 Doch noch aus den Dementis, die sie jetzt eiligst selbst an die Öffentlichkeit gab, ging erneut ihr Richtungscharakter zur Genüge hervor. So führte sie gegen ihre Kennzeichnung als militaristisches Komplott jetzt den „Beweis" ins Feld, sich im Unterschied zu „gewissen Kreisen ehemaliger deutscher Militärs, die bereit waren und bereit sind, sofort wieder, gleich unter welchen Bedingungen und Fahnen, Waffendienst zu leisten", doch gerade „aus einer europäischen Verantwortung heraus gegen eine Remilitarisierung Westdeutschlands ausgesprochen" zu haben, „die unter den derzeitigen Verhältnissen auch aus mancherlei anderen Gründen heraus vollkommen undiskutabel" sei895, um dann im September 1950 über ihr hektographiertes Organ „Dienst aus Hamburg" ankündigen zu lassen, zur Klarstellung „ihrer Haltung" in dieser Frage demnächst 254
öffentliche Versammlungen von ehemaligen Soldaten organisieren und ihnen folgende Resolution an die Bundesregierung vorlegen zu wollen: „Wir ehemaligen Soldaten und wehrfähigen deutschen Männer erklären: Wir erkennen die Stunde der Gefahr, in der Europa sich befindet. Das oberste Gesetz unseres Handelns wird immer die Erhaltung der europäischen Substanz sein. Wir sind bereit, unsere Kräfte einer europäischen Wehrmacht zur Verfügung zu stellen, die von einem geeinten Europa aufgestellt wird, in dem die Völker gleichberechtigt leben . . . Wir lehnen ab: jeden Landsknechts- und Söldnerdienst in improvisierten deutschen Truppenteilen mit veralteten oder unzureichenden Waffen, sowie jede Aufteilung deutscher Einheiten auf fremde Heere.. . " . 8 % Und zur weiteren Verdeutlichung dieses grundsätzlich also keineswegs remilitarisierungsfeindlichen Konzepts „aus europäischer Verantwortung" hatten sie bereits in ihrer ersten öffentlichen Selbstrechtfertigungs-Darstellung vom Februar 1950 über den „Deutschen Unabhängigen Zeitungsdienst" verbreiten lassen: . . . Die .Bruderschaft' sieht . . . die Neuordnung Europas als wesentlichstes Moment an, die bisher von alliierter Seite unternommenen Schritte jedoch als vollkommen unzureichend und von einem falschen Standpunkt ausgehend, da der Nationalismus der europäischen Staaten bisher nicht überwunden ist und auf diesem Wege nicht überwunden werden kann. Die ,Bruderschaft' erstrebt eine Vereinigung der europäischen Völker [nicht der Staaten] zu einer Nation, wobei die Beibehaltung des völkischen Eigenlebens der Völker als selbstverständlich gilt . . . Sie glaubt, daß der Wunsch nach einer europäischen Nation auch in den zur Zeit vom Bolschewismus geknechteten Ostvölkern vorhanden ist und mit allen verfügbaren Mitteln weiterhin geweckt und gestärkt werden muß." 897 War das alte Weltmacht-Europa-Konzept des deutschen Imperialismus als Hintergrund der Ablehnung des Adenauerschen Remilitarisierungswegs also hinreichend dargestellt, so fielen die Dementis zu den innenpolitischen Absichten der „Bruderschaft" nur als geradezu konturscharfe Wiederholung der Programmatik des einstigen „Solidarier-Clubs" und seiner „Vereinigung für parteifreie Politik" aus. Keineswegs verfüge die „Bruderschaft", wurde nun eiligst in Ubereinstimmung mit der Schutzversion von ihrer sich soeben erst im Gange befindenden Gründung erklärt, etwa schon über einen „Führer" oder „Vorsitzenden", vielmehr 255
werde sie erst nach ihrer Konstituierung als „Deutscher Orden" einen „Hochmeister" erhalten. Und dieser „Orden" wiederum stehe weder „rechts" noch „links", sehe „diese Begriffe vielmehr als überholt an" und wolle seine Ziele gerade „durch Heranziehung von Führungspersönlichkeiten aller Schichten des deutschen Volkes und aller Sparten des öffentlichen Lebens" erreichen, da er glaube, „daß in allen Parteien und Organisationen Persönlichkeiten und Kräfte stehen, die von den gleichen Gedankengängen und Plänen, wie sie von der .Bruderschaft' manifestiert werden, erfüllt sind". 898 Er wolle daher selbst keine „Massenorganisation" und gerade auch keine „Partei" sein, würde dies letztere „nur im äußersten Falle" werden und dann allerdings „als konservativ" anzusehen sein, „was irrtümlich in Deutschland oft als reaktionär und fäUchlich .ils monarchistisch angesehen wird". 899 Die vorbeugende Verwahrung gegen Fehleinschätzungen bestand zu recht, denn die „Bruderschafts"-Richtung war nicht im traditionellen Sinne reaktionär-konservativ, sie war „revolutionär"-konservativ im völkischen Sinne, war „jungkonservativ"-solidaristisch, d. h. faschistisch; und diesen „solidaristisch" und betont „europäisch" akzentuierten, vor der Öffentlichkeit auf Einstufung und Anerkennung als eine Spielart des „Konservatismus" pochenden Neofaschismus hatte der „alte" Faschismus nun allerdings nicht nur vor seinem endgültigen Sturz als Regime noch selbst für die dann folgende Zeit programmiert, sondern nach Kriegsende auch selbst - gleichsam wahrhaft noch eigenhändig - in der „Bruderschaf" etabliert. Denn der im Reichssicherheitshauptamt mit der Zusammenstellung der Ausarbeitungen für die Methoden der Untergrund-Arbeit nach einer Niederlage Beauftragte war allen Indizien zufolge der Personalchef des Reichssicherheitshauptamtes und SS-Standartenführer Dr. Alfred Franke-Gricksch 900 , und der vom „Frontsoldaten"-Ansatz ausgehende und ganz strasserianisch geprägte „Solidarismus" des „Bruderschafts"-Konzeptes fand sich im vermutlich unter Franke-Grickschs Federführung entstandenen SS-Entwurf vom April 1945 für das Programm einer „deutschen Freiheitsbewegung" schon ebenso - dort unter der Bezeichnung „volksgenossisch" - artikuliert 901 wie die spezifische (einerseits ganz auf „föderalistische" Vereinigung abgestellte und andererseits doch am Ziel eines großdeutschen, ja „germanischen" Reiches festhaltende) „Europa"-Orientierung. 902 Während 256
Gregor
Strassers Schwiegersohn
Franke-Gricksch
noch mit der am 28. Februar 1950 von ihm und den anderen Sprechern des „Bruderrats" angekündigten Konstituierung der „Bruderschaft" zu einem „deutschen Orden" sich nur im Rahmen dieses einstigen SS-Programmentwurfs für eine „deutsche Freiheitsbewegung" hielt - in dem ein „nach strengsten Maßstäben politischer, soldatischer und charakterlicher Bewährung ausgelesene(r) Deutsche(r) Orden" als „zweite Kammer" entsprechend den alten „Herrenklub"-Vorstellungen in der Funktion eines Staatsorgans unter den Namen „Ordensrat" gefordert war903 - und der „innere Ring" der „Bruderschaft" diese Gründung sogar aller Wahrscheinlichkeit nach spätestens schon im Sommer 1949 vollzogen 904 und in den Spitzenkreisen von Ex-Militärs, Wirtschaft und ideologischen Zuträgersektoren jedenfalls längst eine Art faschistischen Geheimorden installiert hatte (dessen Führung dann ab etwa Anfang des Jahres 1951 auf den wiederaufgetauchten Werner Naumann als dem - außer Heß und Dönitz - ranghöchsten Uberlebenden der früheren Naziführer-Hierarchie überging), hatte Otto Strasser bereits im Jahre 1945 aus dem Mitgliederstamm der zu Kriegsende von ihm für aufgelöst erklärten „Schwarzen Front" als neue Organisation noch von seinem kanadischen Exil aus einen ab 1946 sich auch in den deutschen Westzonen konstituierenden „Bund für Deutschlands Erneuerung ( B D E ) " ins Leben gerufen. Dessen Programm-Losungen lauteten, von Franke-Grickschs „Bruderschafts"-Konzept durch nichts unterscheidbar 905 , „Solidarismus" und „europäische Föderation" (letztere Losung spezifiziert und verdeutlicht durch die zentrale Orientierung auf die Forderungen „Erhaltung der deutschen Reichseinheit" bzw. Kampf gegen „jede Gebietsabtrennung"). 906
Organisatorische Zentren, Vorstöße und Versuche neofaschistischer „Europa"-Orientierung „Europäisch" in diesem Sinne hatte sich der deutsche „Neofaschismus" angesichts des aus seiner Sicht „bedrohten", dem vollen Griff des Kapitals entgleitenden Europa aber seit Kriegsende von Anfang an insgesamt artikuliert. Allerdings hatte sich die hinter der gemeinsamen Europa-Formel verborgene, bald aufbrechende Orientierungsdifferenz in den bis zum Tage der Gründung der Bundesrepublik im Mai 1949 bereits mehr als zwanzig legalen neotaschistischen Organisationen - die durch die ruckartig 1948/49 257
innerhalb weniger Monate in Serie entstandenen „Landsmannschaften" („Vertriebenenverbände") zu einem mächtigen Resonanzverstärker- und perspektivischen Einzugspotential gelangt waren - 9 0 7 freilich allein schon in der Tatsache ihrer organisatorisch je selbständigen Konstituierung entsprechend den alten innerfaschistischen Konfliktlinien oder Richtungs-Spielarten von vornherein abgezeichnet; und die Strasser-Linie war keineswegs etwa nur in Gestalt des „Bundes für Deutschlands Erneuerung" unter ihnen präsent. Der anfangs größten neofaschistischen Sammlungspartei, der aus der Vereinigung von „Deutscher Rechtspartei", „Deutscher Aufbau-Partei" und „Deutscher Konservativer Partei" hervorgegangenen „Deutschen Rechtspartei - Konservative Partei", die 1949 mit fünf Abgeordneten in den Bundestag einzog 908 , stand mit der kurz nach diesem Wahlerfolg noch im gleichen Jahre unter Führung ihrer bisherigen Vorsitzenden Dr. Fritz Doris und Dr. Fritz Rößler (alias Richter) sowie des Ex-Generalmajors Otto Ernst Remer (der sich unvermindert damit brüstete, als Kommandeur der Wacheinheiten der Division „Großdeutschland" den Putsch vom 20. Juli „schon im Anfangsstadium" niedergeschlagen zu haben) 909 aus ihr sich abspaltenden und sie bald überflügelnden „Sozialistischen Reichspartei (SRP)" vielmehr eine ausgesprochen strasserianisch orientierte (bislang in der DRP mitenthaltene) Gruppierung gegenüber; der in der DRP sich durchsetzenden Tendenz zur Festlegung auf die „Freie Marktwirtschaft" und die Westorientierung setzte sie ein Programm des „Volkssozialismus aller Deutschen" und der Ablehnung eines jeden Versuchs entgegen, „einen deutschen Teilstaat im Osten oder Westen zum Satelliten einer raumfremden Macht zu machen." 910 Gleichfalls noch 1949 gründete auch August Haußleiter, damals einer der drei gleichberechtigten Vorsitzenden der mit der „Bruderschaft" liierten „Deutschen Union" 911 , die „Deutsche Gemeinschaft" 912 , entstand neben Strassers „Bund für Deutschlands Erneuerung" auch schon eine frühe, offenkundig ebenfalls von Strasserianern aufgezogene „Deutsch-Soziale Union (DSU)" 913 , hatte bereits im März 1949 der ehemalige HJ-Bannführer in der NS-Reichsjugendführung und Chefredakteur des HJSchulungsbriefes „Wille und Macht" sowie spätere China- bzw. Fernost-Korrespondent des „Völkischen Beobachter", Wolf Schenke, eine „Sammlung zur Tat" ins Leben gerufen und in Hamburg seit 1949 als nunmehr dort lebender Publizist einen 258
Pressedienst unter dem Titel „Realpolitik" herausgegeben, in dem u. a. Max Hildebert Böhm, Hasso v. Manteuffel, Ernst Forsthoff und Maurice Duverger schrieben. 914 Am 21. Januar 1950 hatte sich dann unter dem Vorsitz von Andreas Hermes mit Mitgliedern wie etwa dem ehemaligen (Weimarer) Botschafter Rudolf Nadolny, den einstigen führenden DDP/DStP-Politikern Willy Hellpach und Ernst Lemmer, dem Direktor und seinerzeitigen Sachbearbeiter für Arisierungsfragen bei der Dresdner Bank (und späteren Mitglied des „Sachverständigenrates der Bundesregierung zur Begutachtung der wirtschaftlichen Entwicklung" bzw. Rat der „fünf Weisen") Dr. Paul Binder 915 , auch dem CDU-Politiker Heinrich Lübke als Gründungsmitglied, dem einstigen Vorsitzenden des Kali-Syndikats Alexander Prentzel sowie Wolf Schenke auf gleichsam honorigster bzw. öffentlich „breitester" Ebene eine „Gesellschaft für die Wiedervereinigung Deutschlands" konstituiert 916 ; zwei Monate später, im März 1950, gründete Schenke schließlich in Hamburg eine „Dritte Front" 9 1 7 (in „Dritte Front" hatte Otto Strasser 1937 in Prag seine bisherige Zeitschrift „Die Deutsche Revolution" umgetauft 918 ). Otto Strassers seinerzeitiger oberster „Kampfleiter" der „Schwarzen Front" für ganz Südamerika und spätere Leiter der Lateinamerika-Geschäftsstelle der Strasserschen „Frei-Deutschland-Bewegung ( F D B ) " , Bruno Fricke 919 , bemühte sich währenddessen ab November 1950 gemeinsam mit dem von seiner zwölfjährigen Militärberater-Tätigkeit bei Tschiang-Kai-Schek zurückgekehrten Walter Stennes und Schleichers einstigem engen Mitspieler und Schlüsselpolitiker im „Querfront"-Projekt, Otto Gereke, darum, aus dem Potential der wiederum von einstigen hohen SS-Führern wie Waldemar Kraft, Willi Guthsmuths, Franz Seiboth und dem früheren sudetendeutschen NS-Redakteur Walter Becher im „Bund der Heimatvertriebenen und Entrechteten/Gesamtdeutscher Block ( B H E / G B ) " 9 2 0 gesammelten revanchistischsten Gruppen der „Ostflüchtlinge" sowie zugleich der „EntnazifizierungsGeschädigten" den „Großeuropa"- und „Deutschland"-Ruf in Wendung gegen Adenauers Westbindungs- und Remilitarisierungskonzept (scheinbar in Übereinklang mit den gegen den Adenauer-Kurs kämpfenden demokratischen Kräften) durch die Gründung einer „Deutschen Sozialen Partei - Unabhängiger Bund der Heimatvertriebenen und Entrechteten ( D S P / U B H E ) " aufsteigen zu lassen; als Alternative zur jeweiligen West- oder Ostbindung 259
der beiden entstandenen deutschen Nachkriegsstaaten erklärte sie die „völkische Erneuerung Deutschlands und aller Völker Europas" und Ablehnung „jeder Überfremdung der deutschen Art durch einen subversiven (kulturellen) Barbarismus" zu ihrem Programm. 921 Eine internationale neofaschistische Zusammenarbeit unter der Flagge „Europa" hatte sich bereits spätestens ab 1948 angebahnt, seit Sir Oswald Mosley, der Führer der britischen Faschisten, mit dem Programm-Schlachtruf „Europe - a nation" an die Öffentlichkeit getreten war. 922 Die britische Mosley-Bewegung, das in Rom 1946 von Anhängern Mussolinis aus dessen engster einstiger persönlicher Umgebung gegründete „Movimento Sociale Italiano" (MSI) 923 und die franco-spanische „Falange" waren die ersten organisatorisch „soliden" Säulen dieser Kooperation. Im Dezember 1950 veranstaltete die vom MSI gegründete Studentenorganisation „FUAN" („Fronte Universitario Azione Nazionale") in Rom den ersten faschistischen „Europa-Kongreß", auf dem die Vertreter von ca. einem Dutzend faschistischer Bewegungen aus neun europäischen Ländern ein „Zehn-Punkte-Programm" für einen supranationalen Zusammenschluß Europas annahmen und auf dem der als Sprecher des Neofaschismus der Bundesrepublik auftretende einstige SS-Offizier und HJ-Führer Karl-Heinz Priester eine führende Rolle spielte. 924 Auf Priesters Anregung wurde bereits für den 12. Mai 1951 ein „Europäischer Nationalkongreß" nach Malmö einberufen, auf dem unter Beteiligung von 60 Delegierten aus nunmehr nahezu allen westeuropäischen Ländern von Skandinavien über Frankreich und Belgien, England, Spanien und Portugal bis nach Osterreich und zur Schweiz sowie auch der exilungarischen „Pfeilkreuzler" eine „Europäische Sozialbewegung (ESB)", ein gleichsam auf Westeuropa ausgedehntes MSI als erste supranational-europäische faschistische „Kontinentale" gegründet wurde. 925 Da das Spektrum der hier miteinander in Zusammenarbeit tretenden Gruppierungen einigen von ihnen zu weitgefaßt war und nach ihrer Meinung der faschistischen Radikalität Abbruch tat, kam es noch im September des gleichen Jahres allerdings in Zürich (28.-30. September 1951) zu einer Parallelgründung unter dem Namen „Europäische Neue Ordnung (ENO)", die „auf Lebenszeit" zu ihrem Generalsekretär den ehemaligen stellvertretenden Führer des helvetischen Faschismus, G. A. Amaudruz, wählte. 926 260
In der Bundesrepublik bildeten sich zu dieser Zeit neben den bereits erwähnten Gründungen Strasserscher Provenienz zwei ideologisch-organisatorische Hauptzentren der „neuen" EuropaOrientierung des deutschen Faschismus heraus. Das eine entstand in Coburg und verdankte seinen Sitz gleichsam der 1926 und auch dann wieder nach 1945 unterlassenen Fürstenenteignung und der damit im Coburger Gebiet unberührt gebliebenen Einflußstellung des mit der Geschichte der „Völkischen" so eng verbundenen Hauses Sachsen-Coburg und Gotha927. Hier in Coburg, unter dessen Herzogsburg sich Nazis aller Art wohlbeschirmt fühlen konnten und diese Stadt daher zu einem ihrer bevorzugten Trefforte machten, brachte im Jahre 1951 Arthur Ehrhardt, einstmals (wie der berühmtere „Kapitän", „O. C."- und dann „Bund-Wiking"-Chef Hermann Ehrhardt928) von 1919 bis 1933 Reichswehr-Vertrauensmann und bis 1934 hoher SA-Führer wie auch Karl Eduard Herzog von Sachsen-Coburg und Gotha (der Protektor der früheren „Deutschen Tage"), dann als „Bandenbekämpfungs"spezialist der Wehrmacht in deren Abteilung „Abwehr Fremde Heere Ost" tätig und SS-Hauptsturmführer, schließlich Chef der „Bandenbekämpfung" im Führerhauptquartier929, die erste Nummer der Zeitschrift „Nation Europa. Monatsschrift im Dienst der europäischen Neuordnung" in seinem mit ihr begründeten - den Titel der programmatischen Schrift Mosleys, der dann auch zu den Autoren der Zeitschrift gehörte, der Behauptung eines offenbar eingeweihten späteren Chronisten zufolge bewußt mit dieser Namensgebung aufgreifenden930 - „Nation Europa Verlag" heraus. Zeitschrift und Verlag „Nation Europa", um die Ehrhardt 1954 dann auch noch eine „Vereinigung Nation Europa Freunde e.V." gruppierte931 (nachdem im Jahr zuvor eine bereits 1952 von Erwin Schönborn in Berlin gegründete „Arbeitsgemeinschaft Nation Europa" vom Westberliner Senat als verfassungsfeindliche Vereinigung verboten worden war932), entwickelten sich rasch zu einem neuen Kondensationskern und vor allem bald zu einer der wichtigsten „ideenpolitischen" bzw. ideologiestrategischen Schaltzentralen im Neofaschismus der Bundesrepublik. Das schon vor ihnen im Jahre 1950 vom einstigen SAStardichter und „Reichsfachschaftsleiter für Lyrik" in der „Reichsschrifttumskammer", Prof. Herbert Böhme, gegründete - heute in der Bundesrepublik ca. 70 Filialen („Pflegestätten") unterhaltende - „Deutsche Kulturwerk europäischen Geistes" mit seinen „Klü261
ter-Blättern. Monatshefte für Kultur und Zeitgeschichte" 933 war unverkennbar von vornherein aufs allerengste geistig benachbart; es stand ihnen in seiner in Hochglanz-Vornehmheit dahergetrabt kommenden Pflege „völkischen Geist(s) im deutschen Raum" und „volkhaft konservativer Literatur" 934 , was sich in der Regel denn doch nur in der Wiedervorstellung aller „heute zu Unrecht vergessenen" alten Nazi-Dichter erschöpfte, an „europäischer" Argumentations-Wendigkeit aber deutlich nach bzw. tat sich mit ihr auf Grund seiner Linie dreister Rehabilitation gerade auch noch der dezidiertesten Deutsch-Rassisten wie etwa Chamberlain oder Alfred Rosenbergs Sekretär Härtle 935 , erheblich schwerer und bekommt die Verbindung zwischen steriler ideologischer Vergangenheits-Glorifikation und Europa-Neutönertum bis heute nur immer recht mühselig hin. 936 Auch der an die Mordtraditon der „Organisation Consul" und Hermann Ehrhardts Rolle als Ziehvater der reichswehrgeförderten paramilitärischen Verbände und als Schlüsselfigur in sowohl Schleichers Wehrverbands-Plänen wie auch dessen politischen Formierungsstrategien im Lager der „nationalen Verbände" erinnernde Name „Wiking" erfuhr übrigens schon 1952 organisatorische Wiederauferstehung in der nach HJ-Vorbild streng militärisch aufgezogenen und gedrillten (hinsichtlich der Traditionskette ihrer Namensvorgänger mittlerweile auch noch um eine Waffen-SSPanzer-Division bereicherten) „Wiking-Jugend". 937 Das zweite Zentrum der „Europa"-Orientierung des deutschen Nachkriegs-Faschismus aber war die SS selbst, die sich 1951 unter dem Deckmantel einer „Suchdienst"-Organisation und Kameraden-Hilfsgemeinschaft ausschließlich der ehemaligen Angehörigen der „Waffen-SS" eine legale Operationsbasis und Organisation namens H I A G („Hilfsgemeinschaft auf Gegenseitigkeit der Soldaten der ehemaligen Waffen-SS") verschafft hatte. Gegründet vom letzten Kommandeur der „Leibstandarte Adolf Hitler", Otto Kumm 938 , überzog diese „ H I A G " unter Leitung des ehemaligen zeitweiligen Hitler-Adjutanten, SS-Obersturmbannführers und zuletzt Kommandeurs der SS-Junkerschule in Bad Tölz, Richard Schulze-Kossens, die Bundesrepublik mit einem Netz von im Jahre 1979 schließlich insgesamt 118 HIAG-Orts- und Kreisvereinigungen, reorganisierte unter dem Schutzschild ihrer Kameradenbetreuungs- und Suchdienst-Befragungsaufgabe eine Vielzahl örtlicher SS-Gruppen und breitete über ganz Westeuropa ein H I A G 262
eigenes „Bundessuchdienst"-Netz aus. 939 Die auf Himmler (nicht Hitler als Oberbefehlshaber der Wehrmacht) vereidigte Waffen-SS aber war von Anfang an als eine besondere Kampftruppe „für Europa", bestimmt nämlich für den Einsatz gegen den „inneren" Raumfeind (im Unterschied zur Wehrmacht, die als weniger gesinnungshomogene Wehrpflicht-Armee ausschließlich dem jeweiligen Kampf gegen den „äußeren Feind" vorbehalten bleiben sollte), deklariert worden 940 , und die H I A G knüpfte an diesem alten (nur dem allgemeinen Selbstverständnis der SS entsprechenden) Sonderverständnis der Waffen-SS als einer deutschen „Staatstruppenpolizei" (Himmler) für „Europa" 9 4 1 nun unmittelbar an und feierte es als den in ihrer Gestalt sich noch im Kriege pionierhaft herausbildenden „europäischen" Geist der Zukunft. Die Kämpfer der Waffen-SS, erläuterte das dem ersten HIAG-Mitteilungsblatt „Aus^ weg" folgende, vom SS-General Herbert O. Gille herausgegebene HIAG-Organ „Wiking-Ruf" (die Zeitschrift von Hermann Ehrhardts einistigem Weimarer „Bund Wiking" hieß „Wiking. Zeitschrift für Wehr, Sport und Politik"), „ . . . sahen in der Niederwerfung des Bolschewismus eine gemeinsame europäische Aufgabe. So vollzog sich in der Waffen-SS eine Wandlung vom Glauben an Deutschland zum Glauben an Europa." 9 4 2 Und in einem für diese auch vom späteren und heutigen H I A G Organ „Der Freiwillige" kontinuierlich forgeführte Argumentationslinie nur exemplarischen Artikel unter der nun gleich auch den Sinn des 1955 vollzogenen Namenswechsels der Zeitschrift offenlegenden Uberschrift „Freiwillige für Europa" (das Organ der zu ihrem Abzeichen das SS-Totenkopfemblem wählenden, 1974 gegründeten und eng mit der „Wiking-Jugend" zusammenarbeitenden „Wehrsportgruppe Hoffmann" wiederum nannte sich: „Kommando. Zeitung der Wehrsportgruppe Hoffmann für den Europäischen Freiwilligen" 943 ) hieß es dann 1976, nun in fugenloser Ubereinstimmung mit der Argumentations-Disposition des zu dieser Zeit gerade zu erster Virulenz kommenden „neuen Nationalismus" und der Tonlage in „Nation Europa": „Seit dem geschichtlichen Einschnitt des Jahres 1945 ist Europa auf der Suche nach seiner neuen Sinngestalt. Der Zusammenbruch Deutschlands als der geschichtsträchtigen, zentraleuropäischen Ordnungsmacht hat die politische Substanz des Kontinents der stärksten Erosion ausgesetzt. Die beiden Pole der Dekomposition sind die Sieger des zweiten Weltkrieges: Die Sowjetunion als ein 263
europäischer Randstaat und die USA als außereuropäische und mit den europäischen Traditionen nur lose verbundene Macht. Beide haben als national gesichtslose, als ethisch anonyme Mächte politisch-militärisch und durch den Sog eines hier individualistischen, dort kollektivistischen Lebensprinzips an der Zerstörung Europas entscheidenden A n t e i l . . U n d danach der Blick auf die „Heilkräfte": „Mit dem 8.5.1945 ging die möglicherweise größte Vielvölkerarmee unter, die jemals unter einer Flagge gekämpft hatte. In der Waffen-SS dienten Niederländer, Norweger, Dänen, Finnen, Schweizer, Schweden, Flamen, Wallonen, Franzosen" (usw., Aufzählung weiterer west- und osteuropäischer Nationalitäten) . . . „Zwar hatten auch schon im spanischen Bürgerkrieg europäische . . . Freiwillige gegen die roten Internationalen Brigaden gekämpft"; hätten damals aber die spanischen Falange-Anhänger nur gewußt, „wogegen sie kämpften, nämlich gegen Kommunismus und Atheismus, so hatten die SS-Freiwilligen auch ein positives Ziel: Die Schaffung Europas". 944 In solch einem Verständnis der „Europa-Idee" als Vollendung der im Zweiten Weltkrieg mißratenen „antikommunistischen Befreiung" Europas und seiner dann folgenden Vereinigung zu einem machtvollen Großraum aus dessen wieder aufzurichtender „starker Mitte" und deren „ordnungspolitischem Geiste" heraus waren sich alle Lager im deutschen Neofaschismus jedoch von Anbeginn an gerade durchaus einig. Es war die sie verbindende, grundlegende Klammer, vor der die Flügelbildungen in der Frage der einzugehenden Bündnisbeziehungen und Blockbindungen nur taktisch-strategische Differenzen über den erfolgversprechendsten Weg zu diesem Ziele darstellten. Dieses „Europa"-Verständnis stand daher aber auch der amerikanischen Strategie des Kommunismus-roll-backs und der NATO-Konzeption des kalten Kriegs keineswegs entgegen, war zu ihnen vielmehr gerade ein Bindeglied und bildete daher auch kein Hindernis für die Aufnahme von Kontakten zu Kreisen der antikommunistischen amerikanischen Rechten, die die Lage in Europa nach 1945 ähnlich - und jetzt nur noch viel dramatischer - sahen wie einst Henry Ford, als er nach dem Scheitern der alliierten Interventionskriege gegen Sowjetrußland in den frühen zwanziger Jahren Adolf Hitler finanzierte, um in Deutschland diejenigen innenpolitischen Kräfte zum Zuge zu bringen, die ihrerseits die Sowjetunion niederwerfen würden. Und den fanatischsten antikommunistischen Rechtskreisen der USA lag 264
auch der Gedanke an ein zu relativ eigenständigem Operieren zu befähigendes, im Innern durch seine zuverlässigsten, gegenüber dem internationalen Monopolkapital kooperativen antikommunistischen Kräfte stabilisiertes und zusammengehaltenes „antibolschewistisches Bollwerk Europa" keineswegs so fern und erschien gerade ihnen durchaus nicht als mit den Interessen der U S A unvereinbar; dies war bereits auf dem ersten faschistischen „Europa-Kongreß" in Rom im Dezember 1950 am vielleicht eindrücklichsten und signalhaftesten darin zum Ausdruck gekommen, daß das von ihm verabschiedete „Zehn-Punkte-Programm" für ein vereintes Europa der Führer der schwedischen Faschisten, Professor Per Engdahl von der „Bewegung des neuen Schweden", mit dem Hinweis als Abstimmungs-Vorlage eingebracht und zur Annahme empfohlen hatte, es im Einvernehmen mit dem Sonderberater des damaligen US-Präsidenten Harry S. Truman, Edward T. Dickinson, vorzuschlagen. 945 Daher aber konnten sich unter der Europa-Fahne die auf ein so schnell wie möglich herbeizuführendes enges militärisches Bündnis mit den USA und eine entsprechend rasche westdeutsche Wiederaufrüstung im Interesse eines baldigen „Osteuropa-Befreiungs"Kriegs setzenden und hierfür auch eine gewisse zeitweilige Subordination unter die amerikanische Bündnis-Führungsmacht in Kauf nehmenden neofaschistischen Kräfte ebenso gut versammeln wie die in der Absicht der Steigerung des Preises für einen solchen Militärbündnis-Beitritt (seiner Verkoppelung mit der Aufhebung aller Entnazifizierungsbestimmungen und alliierten Vorbehaltsrechte und der Durchsetzung einer von Anfang an zentraleren, den Weg zu einer autonomen „Weltmacht Europa" freihaltenden Placierung der Bundesrepublik in einem solchen Bündnis) demonstrativ zur Ablehnung der Adenauerschen Westintegrationspolitik aufrufenden und ihr „Europa" als programmatische Alternative entgegenhaltenden Gruppierungen im Neofaschismus; dabei überschnitten sich taktische, langfristig strategische und rein demagogische (auf das Auffangen der von Adenauers rigoroser Westbindungsund Spaltungspolitik abgestoßener nationalkonservativer Rechtskreise gerichtete) Motive gerade bei ihnen besonders eng und verschränkten sich zumeist unentwirrbar ineinander.946
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Goebbels' Staatssekretär taucht wieder auf die Verschwörung des Werner Naumann Der nach außen hin trotz der relativen Stärke der SRP (die nach dem Muster eines „politischen Ordens" bzw. „Offizierskorps" aufgebaut war 947 ) das Bild organisatorischer Zersplitterung bietende Neofaschismus der Bundesrepublik hatte freilich gerade in eben jener Zeit - 1951/52 - zu einem von den jeweils harten SSoder HJ-Kaderkernen in all diesen Gruppierungen beachtenswert übereinstimmend als übergeordnete Autorität angesehenen und respektierten, seinen Nimbus als höchste Adresse noch unmittelbar aus den einstigen Befehlsrängen seiner Mitglieder beziehenden obersten konspirativen Koordinations- oder Führungskreis gefunden. Dieser aber hatte, seinem Range entsprechend, allerdings sich selbst auf die „Bruderschaft" stützend und deren Führung nun auch in die eigene Hand nehmend und sie damit in sein über sie hinausreichendes Konspirationsnetz einschmelzend - den sehr viel weitläufigeren und umfangmäßig weitaus bedeutenderen Bereich des kommunikations- und befehlsstrukturmäßig intakt gebliebenen unsichtbaren Faschismus im Blick. Und angesichts des gewaltigen Aufschwungs, den die mit allem Nachdruck betriebene Orientierung der Öffentlichkeit auf den „Kalten Krieg" und den von ihm benötigten Antikommunismus als die Bürgertugend Nr. 1 rechten Ideologien und politischen Urteilsklischees jedweder Art auf breitestem Felde und in gleichsam neuangekurbelter Produktion am laufenden Bande verschaffte, hielt er die Zeit für gekommen, nicht etwa die bisherigen versprengten neofaschistischen Gruppen nunmehr zu einer größeren, einzigen faschistischen Sammlungspartei zusammenzufassen, sondern, weit ehrgeiziger: aus der Mitte bereits im Bundestag etablierter, zahlenmäßig ungleich größerer Parteien heraus ruckartig eine solche große faschistische Partei hervorgehen und die wahlstimmenmäßig bislang erfolgloseren kleinen Neonazi-Parteien und sonstigen faschistischen Sammlungsgruppen dann von ihr aufsaugen zu lassen: 948 Mit der Rückkehr Dr. Werner Naumanns, des Staatssekretärs von Joseph Goebbels im Reichspropagandaministerium seit 1941 und in Hitlers Testament zu dessen Nachfolger Bestimmten, dieses Amt nach dem Selbstmord von Goebbels auch noch (für einen Tag) antretenden und daher tatsächlich letzten „Reichspropagandaministers" des „Dritten Reiches", der sich bis zur letzten Lebensse266
künde von Hitler und Goebbels an deren Seite im „Führerbunker" der Reichskanzlei aufgehalten und ihn gemeinsam mit Bormann und Axmann erst am 2. Mai 1945 verlassen hatte949, sich dann an einem bis heute unbekannt gebliebenem Ort verbarg und im Sommer 1950 in Düsseldorf-Büderich als Exportleiter der ImportExport-Firma des ehemaligen Kulturreferenten im Reichspropagandaministerium und späteren Kulturreferenten der Propagandaabteilung der deutschen Nazi-Botschaft in Paris, Herbert Lucht (der freilich inzwischen verstorben war und die Firma seiner Gattin übertragen hatte)950, niederließ, - mit der Rückkehr Naumanns war in die illegale Nazi-Szene ein Mitglied der allerengsten und letzten kleinen Vertrauten-Crew um Hitler, Bormann und Goebbels in nunmehr legaler Existenz gelangt. Ihm ging nicht nur von vornherein der Ruf des außer Axmann einzig authentischen Letztwillens-Mandatars Martin Bormanns, sondern auch das Ansehen eines eiskalten „Realpolitikers" nach Nazi-Geschmack und zugleich höchstbefähigten, Goebbels-kongenialen Propagandisten voraus; auf ihn begannen sich daher aber (oder aus welch nicht bekannten weiteren Gründen womöglich auch sonst noch) alle sich der einstigen Nazi-„Führung" noch „in der Pflicht" fühlenden SSund HJ-Kader, kaum daß er aufgetaucht war, wie Eisenspäne auf einen Magneten auszurichten und erwarteten geradezu von ihm die Übernahme ihrer Führung und trugen sie ihm auch an 951 ; das wiederum machte es ihm leicht, sie dem nun um ihn sich gruppierenden „Düsseldorfer Kreis" - freilich im Sinne eines sich im Hintergrund haltenden Globalsteuerungs-Ringes und damit die oft viel konkreteren Erwartungen bzw. Hoffnungen auf den „zugkräftigen Führer" enttäuschend - auch zu verschaffen. Dieser „Düsseldorfer Kreis" (darunter war das gesamte Ruhrgebiet, mit Naumanns Düsseldorfer Wohnung als Mittelpunkt, begriffen) hatte die um den FDP-Landtagsabgeordneten und Vorsitzenden des Außenpolitischen Ausschusses der FDP, Dr. Ernst Achenbach (in den frühen dreißiger Jahren zeitweilig einer der Verwalter der „Adolf-Hitler-Spende der deutschen Wirtschaft", dann Leiter der politischen Abteilung der deutschen Botschaft in Paris und hier angeblich oft einflußreicher als Botschafter Abetz, ab Frühjahr 1943 in der Kulturpolitischen Abteilung des Auswärtigen Amtes unter Alfred Franz Six, nach 1945 als Rechtsanwalt Verteidiger von Angeklagten der IG Farben vor dem Nürnberger Militärgerichtshof, dann Anwalt und enger Freund von Hugo 267
Stinnes jr., Mitglied des „inneren Ringes" der „Bruderschaft" 952 ) gescharten „Bruderschafts"-Mitglieder des Rhein-Ruhr-Gebiets zu seinem Ausgangs-Sockel. Im Jahre 1951 erfuhr er eine Steigerung seiner Autorität in Faschistenaugen bis zum personell vom Bestand der noch lebenden eingeweihtesten einstigen SS-Führer her kaum mehr übersteigbaren Kulminationspunkt dadurch, daß in diesem Jahre auch Heydrichs ehemaliger Stellvertreter im SD, Dr. Werner Best, Mitorganisator und Verwaltungschef des „Reichssicherheitshauptamtes", einst (1931) als Leiter der Rechtsabteilung der hessischen NSDAP Verfasser der „Boxheimer Dokumente" 953 (und vordem, als Jurastudent, Stipendiat des „Politischen Kollegs"), im Kriege dann Organisator der „Einsatzgruppen" für Polen, Kriegsverwaltungschef im besetzten Frankreich und schließlich „Reichsstatthalter" Dänemarks (1948 zum Tode verurteilt, 1949 Umwandlung des Urteils durch deutsche Gerichte in fünf Jahre Gefängnis, 1950 auf Grund des hiergegen sich erhebenden internationalen Proteststurms Erhöhung auf zwölf Jahre, 1951 aber gleichwohl entlassen) aus der Haft zurückgekehrt war und von Ernst Achenbach in dessen Essener Anwaltsbüro angestellt wurde. 254 Bei dieser Spitzenbesetzung des nordrhein-westfälischen Kreises der „Bruderschaft" mit Naumann und Best verstand es sich sowohl für den Hamburger „Bruderschafts"-Kreis resp. „Herrenklub" um den ehemaligen „Reichsjugendführer" Arthur Axmann, den früheren NS-„Reichsstudentenführer" (und späteren Salzburger „Gauleiter") Gustav Adolf Scheel und den Alt-Exponenten des Strasserschen „Gauleiter-Flügels" Karl Kaufmann, wie erst recht für die beiden weiteren regionalen Glied-Kreise der „Bruderschaft" im Gebiet Hannover-Bielefeld und in München gleichsam wie von selbst, daß die Führung nun bei ihm lag und daß das viel umfassendere Ex-Propagandisten- wie SS- und SD-Verbindungsnetz, das Naumann und Best einbrachten 955 und aus dem Naumann nun unter Einschluß der „Bruderschaft" einen auf sich ausgerichteten Vertrauens-Kreis und in diesem wiederum einen „inneren Ring" aufbaute, sie in sich aufnahm und sich inkorporierte; deshalb verschwand auch der Name „Bruderschaft" ab bereits etwa Frühjahr 1951 auf einmal sang- und klanglos von der Bildfläche, und ihre durchaus fortexistierenden und weiterarbeitenden vier Regionalzentren und deren jeweilige Mitglieder finden sich von nun an in aller späteren Berichterstattung und Literatur nur noch als Angehörige des „Naumann-Kreises" bzw. auch - wegen des hohen 268
Gauleiter-Anteils in ihm - des „Gauleiter-Kreises" apostrophiert. Naumann setzte zunächst die von der „Bruderschaft" begonnene Arbeit der Formierung eines faschistischen Kern- und Hauptpotentials im „soldatischen" Bereich als auch von ihm in den Vordergrund gestellte allererste und wichtigste Aufgabe zielstrebig fort und weitete sie, seinen weiterreichenden Verbindungen entsprechend, zugleich aus. Bereits Anfang 1951 war er der politische Berater sowohl des ehemaligen Generalobersten Heinz Guderian, unter dessen Führung er einen Zusammenschluß aller ehemaligen und aller künftigen Soldaten in einem einheitlichen Soldatenverband zu erreichen hoffte und dieses Projekt mittels aller ihm zu Gebote stehenden Einflußmöglichkeiten in die einzelnen wiedererstandenen Soldatenbünde hinein betreiben ließ (als am 9. September 1951 der „Verband deutscher Soldaten" gegründet wurde, gelang es dem „Naumann-Kreis" dann immerhin auch, mit Hilfe seiner Mit-Konspirateure in der nordrhein-westfälischen F D P seinen Kandidaten Generaloberst Frießner zu dessen „vorläufigem" Vorsitzenden wählen zu lassen, der freilich wegen seiner im Inund Ausland Prosteststürme erzeugenden ersten Reden seine Probezeit nicht überstand) 956 , wie auch des an der Wiege der noch im gleichen Jahre gegründeten H I A G stehenden SS-Oberstgruppenführers Paul Hausser; mit ihm hatte Naumann schon im November 1950 die Lancierung einer Presseerklärung zugunsten der WaffenSS über die niedersächsiche FDP, nämlich über seinen dortigen ersten (nicht einzigen) 957 Vertrauensmann, den einstigen H J Gebietsführer und nunmehrigen FDP-Landesgeschäftsführer Horst Huisgen, sowie auch (über Alfred Gille) über den B H E durchgesprochen, während die Ex-Gauleiter Scheel und Frauenfeld sich zur gleichen Zeit von Hamburg aus besonders intensiv des schließlich zum offiziellen HIAG-Gründer gewordenen SS-Brigadeführers und „Leibstandarte-Adolf-Hitler"-Kommandeurs Otto Kumm anzunehmen begannen und der HIAG-Geschäftsführer Carl Cerff, ebenso wie der gleichfalls zu den HIAG-„Vätern" zählende SS-General Steiner, ständigen Kontakt zu Naumann hielt. 958 Wird man wohl die gesamte „ H I A G " als eine Hervorbringung des „Naumann-Kreises" ansehen müssen, so betrieb der Naumann-Kreis zwecks Beförderung des Ziels eines unter seiner Regie sich zusammenfindenden einheitlichen Soldatenverbandes aber auch die im Juni 1951 in München erfolgende Gründung der „Deutschen Soldatenzeitung", die als Blatt des „Bundes deutscher
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Soldaten" mit der Orientierung auf die Herbeiführung eines solchen einheitlichen Verbandes antrat und deren Redaktionsstab sich „von Anfang an" durch eine Konzentration von „ehemaligen Beamten des Propagandaministeriums und des Reichssicherheitshauptamtes auszeichnete, die ihrerseits mit dem Gauleiterkreis in engster Verbindung standen". 959 Doch nicht nur die „Deutsche Soldatenzeitung" - die heutige „Deutsche National- (und Soldaten-) Zeitung" - förderte Naumann. Er förderte auch, nachweislich schon Ende 1951 und 1952 dann durch eine nicht ganz durchsichtige, aber wohl durchgreifende Finanzierungsvermittlung aus neofaschistischen französischen Bankkreisen, „Nation Europa", kümmerte sich angelegentlich um die Konsolidierung der wirtschaftlichen Basis des Verlags, schrieb auch selbst für die Zeitschrift, und Arthur Ehrhardt nahm von ihm politische Weisungen entgegen. 960 In ebenso ständigem Kontakt stand er mit Kurt Vowinkel, dem einstigen Chefredakteur der Zeitschrift „Geopolitik" und Vorsteher des „Deutschen Börsenvereins" ab 1933 961 , mit Herbert Böhme vom „Deutschen Kulturwerk europäischen Geistes" 9 6 2 , mit Waldemar Schütz, dem Besitzer des Göttinger „Plesse-Verlages" 963 , mit August Haußleiter, Adolf v. Thadden, Karl Heinz Priester 964 , mit Dr. Eberhard Taubert, dem einstigen Leiter des „Anti-Komintern-Referates" im Reichspropagandaministerium und nunmehrigen Sekretär des regierungsamtlich geförderten „Volksbundes für Frieden und Freiheit" 9 6 5 usw. Naumann führte einen Terminkalender, aus dem ersichtlich ist, mit wem er jeweils verabredet war. Zu denjenigen, mit denen er „in kurzen Abständen" immer wieder zusammentraf, gehörten demnach aber auch Walther Stennes, Kurt Georg Kiesinger (einst in der Rundfunkpolitischen Abteilung des Auswärtigen Amtes Verantwortlicher für die Auslands-Rundfunkpropaganda), die Gauleiter Lauterbacher 966 und Krebs 967 , die Gattin des einstigen Pariser Nazi-Botschafters Abetz, Wilhelm Keppler (wie Best ebenfalls 1951 aus der Haft entlassen), Hans Fritzsche (Leiter der Rundfunkabteilung im Reichspropagandaministerium, 1950 haftentlassen, seither Reklamefachmann für Ruhrunternehmungen), aber etwa auch der während des Krieges zum Kolaborateur des deutschen Faschismus gewordenen Belgier Hendrik de Man. 968 Diese außerordentliche, in ihrer Spannweite ja wohl doch überraschende Palette erklärt sich vielleicht am schnellsten, wenn man 270
nun noch die Information nachträgt, daß bei der überhaupt allerersten Wiederbegegnung Naumanns mit Arthur Axmann seit ihrer einstigen gemeinsamen Flucht aus der Reichskanzlei, nämlich am 21. August 1950 in Naumanns Wohnung, latit Tagebuch-Notiz Naumanns von einem nicht näher bezeichneten Plan des ehemaligen SS-Obersturmbannführers und legendären „MussoliniBefreiers" Otto Skorzeny die Rede war 969 , eines Verwandten und politischen Vertrauten von Hjalmar Schacht, der im sicheren Schutze des Franco-Regimes höchst aktiv operierte (und für den sich im November 1952 dann Ernst Achenbach, in Absprache mit Naumann, um die Einreisegenehmigung in die Bundesrepublik bemühen wird 970 ), und daß zu den regelmäßigen Besuchern Naumanns auch Hjalmar Schacht sowie ein weiterer einstiger engster Mitarbeiter von Joseph Goebbels, nämlich dessen letzter Adjutant und persönlicher Referent Wilfred von Oven gehörte (Neffe des preußisch-weimarischen Generalleutnants Ernst von Oven wie zugleich auch des einstigen DNVP-Führers und dann „Volkskonservativen" Kuno Graf Westarp). 971 Denn mit Skorzeny, während des Krieges im Reichssicherheitshauptamt Chef einer „Referat Schulung" genannten Spezialabteilung für Sabotage-Anleitung, 1944 Leiter einer SD-Sonderkommission zur Ermittlung der am 20. Juli beteiligten Wehrmachtsoffiziere 972 , in den letzten Kriegswochen dann einer der Transporteure des SS-Raubgolds in die „Alpenfestung" (in deren Umgebung er noch ein geheimes Waffenlager für „Wehrwolf"- und HJ-Gruppen anlegen ließ)973 und gemeinsam mit dem SS-Hauptsturmführer Erich Kernmayr (der später unter dem Namen Erich Kern Chefredakteur der „Deutschen Soldatenzeitung" wurde und zusammen mit Adolf von Thadden die „Deutsche Wochenzeitung" begründete) Gründer und Organisator der ersten, der „Odessa" vorausgehenden Fluchthilfeorganisation „Spinne" 974 , wie nicht weniger auch mit von Oven, der nur wenige Tage vor Naumann den Führerbunker der Reichskanzlei (gegen etwa Ende April 1945) verlassen hatte - nach seinen Angaben auf den Befehl von Goebbels hin, nicht mit ihm gemeinsam Selbstmord zu begehen, sondern sich in Sicherheit zu bringen, um nach der Niederlage am „Aufbau des Nationalsozialismus" zu arbeiten 975 - , mit Skorzeny und von Oven war nur jeweils abermals jene auch von Naumann repräsentierte, hinter allen sichtbaren Abteilungen des Neonazismus liegende Ebene der authentischen Mandatare und Eingeweihten des 271
einst so allmächtigen deutschen Faschismus bzw. seiner obersten Führungsclique hergestellt und bestätigt. (Von Oven hatte fünf Jahre lang unter Mischern Namen bei Kiel gelebt 976 , schon 1949 freilich unter seinem richtigen in Buenos Aires, wohl gewiß nicht ohne Hilfe von Skorzenys „Spinne", sein Tagebuch „Mit Goebbels bis zum Ende" herausgebracht 977 und traute sich nach der im Dezember 1950 von der Regierung Adenauer verkündeten Amnestie wieder an die Öffentlichkeit, wurde Mitarbeiter der Hannoveraner „Spiegel"-Redaktion im Ressort Innenpolitik und ging bereits ca. Ende 1951 als „Südamerika-Korrespondent" des „Spiegel" nach Buenos Aires 978 , wo er unverzüglich von der dortigen „Eichmann-Runde", dem nunmehrigen Luftwaffen-„Berater" des Diktators Peron Hans-Ulrich Rudel und der in Perons Staat blühenden, über 60 000 Mitglieder zählenden argentinischen N S D A P Auslandsorganisation in Empfang genommen wurde und sich dann auch rasch vom „Spiegel" trennte, um statt dessen die Chefredaktion der argentinischen Nazi-Tageszeitung „Freie Presse" zu übernehmen. 979 ) Von dieser Ebene aus gab es zahlreiche, den schmalen Sektor des selbständig formierten und unverbrämten Neofaschismus im politischen Organisationsspektrum der Bundesrepublik um ein vielfaches übersteigende Rückverknotungen in die Gesellschaft und auch in manche ihrer größeren Parteien und großen politischen Verbände hinein, und auf ihr hoben sich auch manche der traditionell im Lager des Nazismus und der angrenzenden sonstigen äußersten antikommunistischen Rechten konkurrierenden „programmatischen" Varianten auf bzw. fielen ineinander zusammen wie nur verschiedene Erscheinungsseiten oder partikulare Aktualisierungen in ihrer Substanz. Eben deshalb war Naumanns Programm aber auch keineswegs etwa auf das Ziel eines faschistisch geführten Gesamtverbands der Soldaten begrenzt, vielmehr von vornherein mit einer Strategie der Positionen-Besetzung im zivilen Behördenapparat (insbesondere Oberbürger- und Bürgermeisterposten), verbandsartiger Sammlung spezieller Berufs- und Interessengruppen („Landvolk", „Einzelhandel", „Flüchtlinge", „Steuerzahler") und des „Durchdringens" größerer Parteien, ja, wie Naumann sagte, der Eroberung „vielleicht auch de(s) einen oder anderen Landesverband(es) dieser oder jener Partei" und des Eindringens in „das Gemeinwesen in allen seinen Verästelungen" verknüpft 980 und insgesamt erklärter272
weise auf die sogar baldige Wiedererrichtung einer großen faschistischen Partei gerichtet. Und bereits im September 1951 hielten Naumann und sein „engerer Kreis" (in dem Gustav Adolf Scheel den nach Naumann zweiten, der einstige SS-Brigadeführer in der „SS-Wirtschafts- und Verwaltungsabteilung" und seitherige Berater der „Wirtschaftsvereinigung Eisen und Stahl", Paul Zimmermann, den dritten Führungsplatz einnahm981, dem allem Anschein nach aber auch Achenbach angehörte oder doch jedenfalls engstens assoziiert war) auf Grund der faktisch totalen Einzugsfreiheit, die das Klima des Kalten Krieges in Verein mit der Amts-Nachhilfe der Administration Adenauer-Globke Altnazis allen Kalibers mittlerweile für jedwedes öffentliche Betätigungsfeld verschafft hatte, die Entwicklung für hinreichend herangereift, um zur praktischen Vorbereitung nun auch dieses Unternehmens überzugehen. Zu diesem Zwecke kam es am 17./18. September 1951 zu einer vom einstigen Chef des „Verbindungsbüros" der NS-Reichsstudentenführung, SA-Obersturmbannführer Werner Trumpf, streng vertraulich organisierten982 ersten Zusammenkunft der Exponenten des inneren Ringes des Naumann-Kreises (nämlich Naumann, Scheel, Achenbach und Trumpf) mit dem Hildener Textilfabrikanten und Besitzer der nordrhein-westfälischen FDP-Wochenzeitung „Der Fortschritt", Gerd Spindler, dem „Fortschritts"-Redakteur Erich Schneyder, wohl auch einigen weiteren Angehörigen eines engeren Vertrautenkreises um Spindler, den alten „Bruderschafts" Führungsmitgliedern General v. Manteuffel, General Wenck und Gottfried Griesmayr sowie dem gleichfalls der „Bruderschaft" angehörenden Generalsekretär der regierungsgeförderten „Gesellschaft für Wehrkunde (GFW)", dem einstigen SD-Mann und SSObersturmbannführer Professor Wilhelm Classen, in Spindlers Altenberger Haus 9 8 3 ; hinzugeladen waren noch u. a. - in sorgfältiger Auswahl jedes einzelnen hinsichtlich der Zuverlässigkeit seiner „Einstellung", wie Trumpf dem Indiskretionen befürchtenden Axmann versicherte 984 : Siegfried Zoglmann von der nordrheinwestfälischen FDP (früherer „Auslandspresse-Sachverständiger" in der NS-Reichsjugendführung und HJ-Gebietsführer), der FDPVertrauensmann beim N W D R und Rundfunk-Kommentator August Hoppe, die ehemaligen Nazi-Botschafter Herbert von Dirksen und Rudolf Rahn, Dr. Alfred Gille und Dr. Walter Eckhart vom B H E , Dr. Karl Ehrich von der Deutschen Partei, Fritz Brehm (ehemals SS-Brigadeführer) von der Deutschen Union 273
bzw. „Arbeitsgemeinschaft Nationaler Gruppen ( A N G ) " , drei Ministerialbeamte der Bundesregierung (aus dem ERP-Ministerium, dem Innenministerium und dem Wirtschaftsministerium) und die Journalisten Hans Zehrer (damals „Sonntagsblatt") und Klaus Mehnert (damals „Christ und Welt"). 9 8 5 Der Plan, der im Verlaufe weiterer, von nun an kontinuierlich fortgeführter Geheim-Zusammenkünfte Konturen gewann und ab spätestens Mitte 1952 seine endgültige Form angenommen hatte, sah vor, die Landesverbände Nordrhein-Westfalen und Niedersachsen der F D P , den B H E und weitgehend auch die D P (Deutsche Partei) durch fortgesetzte personalpolitische Infiltration vollständig in die Hand zu bekommen, um sodann zunächst, am besten vom Boden der F D P aus, zu einer „Nationalen Sammlung" aufzurufen, in der diese drei damals fest in den Parlamenten auf Bundes-, Länder- und Kommunalebene verankerten Parteien bzw. doch ihre, wie erwartet wurde, jeweils überwiegenden Teile sich dann mit den faschistisch tendierenden Kräften in den anderen Parteien und vor allem auch in den Vertriebenen-Verbänden und mit den neonazistischen Kleinstparteien und Gruppen jedweder sonstigen Organisationsart zu einer „Bewegung" zusammenfinden können, in der, zuzüglich kräftigen Zustroms aus den Soldatenverbänden, das Potential beieinander wäre, das sich dann ruckartig und nun mit schon von vornherein festem Fuß im Parlament und von den Parlamenten aus - in Kampfansage an die „Lizenzparteien" zur Partei grundsätzlich anderer (faschistischer) Art ausrufen könne. Für das Gelingen dieses Plans waren die meisten Voraussetzungen zur Zeit seiner Beratung bereits gegeben, ihre weitere Verbesserung schien verhältnismäßig leicht erreichbar zu sein. Bereits 1951 war es Naumann gelungen, seinen einstigen Untergegebenen im Goebbels-Ministerium, den Chef der Rundfunkabteilung des Reichspropagandaministeriums von Januar bis November 1942 und vormaligen Gaupropagandaleiter von Danzig-Westpreußen, SS-Standartenführer Wolfgang Diewerge, dem Vorsitzenden des FDP-Landesverbandes Nordrhein-Westfalen und ab November 1952 dann „gemeinsamen" zweiten FDP-Bundesvorsitzenden Dr. Friedrich Middelhauve, vor 1945 Chef des „Dienst West" der Rundfunkpolitischen Abteilung des Auswärtigen Amtes 986 , als „persönlichen Assistenten" und engsten vertraulichen Berater zur Seite zu stellen 987 ; und sogar schon Anfang des Jahres 1950 hatten 274
der nordrhein-westfälische FDP-Landesgeschäftsführer Wolfgang Döring und der vom BHE zur FDP übergewechselte und FDPBundestagsabgeordneter gewordene Siegfried Zoglmann an einer Zusammenkunft der „Bruderschaft" in Bielefeld teilgenommen und hier gemeinsam versichert, daß sie der FDP nur beigetreten seien, weil sie in ihr die beste Chance für die Rückkehr von Nationalsozialisten zur Macht sähen.' 88 Dem später bekanntgewordenen Untersuchungsmaterial zufolge vermittelte dann im Februar 1952 Dr. Walter Brand, der einstige Adjutant Konrad Henleins (des Führers der sudetendeutschen NSDAP) Werner Naumann den direkten persönlichen Kontakt zu dem dann später unter nie ganz aufgeklärten Umständen ums Leben gekommenen Wolfgang Döring, der von nun an ständige Verbindung zu Naumann hielt und in dessen Landesgeschäftsstelle - wie die „Frankfurter Rundschau" 1953 konstatierte - in der Tat „bis auf ganz wenige Ausnahmen niemand tätig" war, „der nicht in Nazi-Organisationen führende Posten gehabt hat", vom „NSDAP-Gauleiter über den HJ-Gebietsführer bis zum Gaurichter der NSDAP und aktiven Generalmajor der Waffen-SS". 989 Nur ein Parallelbild hierzu bot der FDP-Landesverband Niedersachsen, dessen Vorsitzender, der Unternehmer Dr. Artur Stegner, mit den Ex-Gauleitern Kaufmann und Wegener („Gau WeserEms") ab Ende Mai 1952 Geheim-Besprechungen über die Bildung einer „nationalistischen Oppositionspartei" aus den „rechten Flügeln" der FDP und der DP sowie den kleineren radikal rechts gerichteten Gruppen führte 990 und am 11. Juni 1952 auch Naumann persönlich aufsuchte 991 - wie dann Middelhauve Ende 1952 und erstmals spätestens schon Anfang November 1952 das Mitglied des FDP-Bundesausschusses Dr. Erich Mende, der sich, als Sprecher der „Soldatensache" in der FDP, vor einem Zusammentreffen mit den SS-Generälen Hausser und Herbert O. Gille hier erst vorkonsultierte 992 . Seit Winter 1949/50 war ihm als Geschäftsführer der frühere HJ-Geschäftsführer Horst Huisgen, weiter als Geschäftsführer dann auch der Ex-HJ-Bannführer Herbert Freiberger beigegeben 993 , die beide bereits am 3. Mai 1952 in einem Hannoveraner Hotel mit Naumann, Kaufmann und Scheel sowie einigen weiteren ehemals hohen SS- bzw. SA- und NSDAP-Führern 994 (darunter mit dem einstigen Großraum-Europa-Propagandisten, Leiter der Abteilung Ausland im Reichspropagandaministerium und Hauptlektor der dortigen parteiamtlichen Zensurstelle [„Prüfungskom275
mission"], Vorstandsmitglied der Deutschen Bank und Präsidenten des „Werberates der deutschen Wirtschaft", Professor Heinrich Hunke, nunmehr Ministerialdirigent im niedersächsischen Finanzministerium und Aufsichtsratsvorsitzender der Niedersächsischen Zahlenlotterie sowie Fußballtoto GmbH 9 9 5 ) zusammengekommen waren und dieser Begegnung gleich in den anschließenden Tagen weitere folgen ließen.996 War die niedersächsische FDP-Landesgeschäftsstelle in Hannover in nur noch perfekterem Grade 997 als die von Döring geführte nordrhein-westfälische in Düsseldorf ein schon geradezu hermetisch abgeschottetes Eldorado zielbewußt arbeitender Ex-Nationalsozialisten und Naumann-Kooperateure, die ihrerseits auf niedersächsischer Landesebene eine systematische Politik der Stärkung des Flügels bewährter und ihrer Einstellung treu gebliebener Gesinnungskameraden in der FDP betrieben und schon des längeren auch auf die Einbeziehung der Neonazi-Parteien in sie hinarbeiteten (z. B. den DRP-Bundestagsabgeordneten Dr. Herwart Mießner und in seinem Gefolge schließlich die gesamte DRPKreisgruppe Hannover geschlossen in den FDP-Landesverband aufgenommen und Mießner in der Geschäftsstelle angestellt hatten und mit dem ehemaligen sozialpolitischen Redakteur des Goebbels-Organs „Angriff" und DAF-„Sozialpolitiker" Dr. O. von Lobenthai in Verhandlungen über die Uberführung auch seiner Anhängerschaft in der „Deutschen Gemeinschaft" wie zugleich weiterer DRP- und SRP-Gruppen in die FDP standen 998 ), so war die Verbindung des „Naumann-Kreises" zur „Deutschen Partei (DP)" durch Scheels einstigen Vorgänger als NS-Reichsstudentenführer, Dr. Albert Derichsweiler 999 , sowie Dr. Karl Ehrich, den Teilnehmer am „Altenberger Treffen" vom September 1951 100 °, sichergestellt und ab 1952 durch geheime Fusionsverhandlungen Middelhauves, Achenbachs, Dörings und des einstigen Mitglieds der NS-Reichsjugendführung und nunmehrigen Fraktionssekretärs der nordrhein-westfälischen FDP, Wilke, mit Vertretern der D P intensiviert und ihrem praktischen Zweck nähergebracht worden 1001 . Der Kontakt zum B H E war über den auf dessen Wahlliste kandidierenden und aktiv in ihm tätigen Werner Trumpf 1002 , aber auch über die BHE-Vorstandsmitglieder und Mitverschworenen von Altenberg Dr. Alfred Gille und Dr. Walter Eckart 1003 (von allen zu vermutenden weiteren Naumann-Konfidenten unter den im B H E vorzugsweise konzentrierten ost- und sudentendeutschen 276
Ex-NSDAP-Führern und speziell NS-„Grenztumsarbeits"-Experten abgesehen) hergestellt, und zur strikt neutralistisch-gesamtdeutsch orientierten Absplitterung DSP/UBHE über Walter Stennes 1004 ; zur „Deutschen Gemeinschaft" wiederum über einen ehemaligen Reichsstudentenführer, das spätere SRP-Vorstandsmitglied Dr. Gerhard Krüger, sowie zugleich auch über August Haußleiter, Karl-Heinz Priester, Oskar Adler und andere 1005 ; zur DRP über Adolf von Thadden und Waldemar Schütz 1006 ; und beispielsweise zum „Bund Heimattreuer Deutscher" wieder über den niedersächsischen BHE-Landtagsabgeordneten Dr. Fritz Schulz. 1007 Weshalb es aber Naumann und dem „Generalstab" oder „inneren Ring" seines Kreises so erstaunlich mühelos möglich war, die überwiegend doch durchaus west- und gerade auch US-bindungsund aufrüstungsfreudigen Ex-Nazis in BHE, Heimatverbänden, DP, FDP und Militärkreisen mit den „national-neutralistischen" Gruppen des Neofaschismus nach Art und im Umkreis der „Deutschen Gemeinschaft", der bisherigen SRP und Strassers BDE unbeschadet der hier scheinbar doch von der Sache her unüberbrückbaren programmatischen Unvereinbarkeiten zusammenzubringen und nun also, um den Vorgang vom Personellen her zu beleuchten, die profiliertesten Überlebenden des früheren „Gauleiter"-Flügels um Gregor Strasser und selbst auch des „Tat"-Kreises wieder mit Schacht, einst doch der Todfeind Strassers und Schleichers, und alle gemeinsam u. a. mit Stinnes jr. (der zu Naumann, vermittelt durch seinen Duz-Freund Achenbach, in ein herzliches persönliches Verhältnis getreten war 1008 ) wieder im Willen zu einer einzigen großen Faschistenpartei zu vereinen, das geht am vielleicht erhellendsten - und wohl bis heute lehrreich bleibend - aus Naumanns eigenen Ausführungen zur Frage der Stellung zu den USA und des Verhältnisses von Europa-Orientierung und US-Bindung in seinen beiden geheimen Programm-Reden hervor, die er vor den Düsseldorfer und den Hamburger Mitgliedern des Verschwörer-Kreises im November 1952 hielt. 1009 „Eine Frage Ost oder West gibt es für uns nicht", betonte er hier vor engster Eingeweihten-Runde. „Die Alternative lautet allein: Können wir uns auf den Westen, seine Parolen, seine Stärke verlassen oder nicht? Werden wir nur benutzt, weil wir gerade dringend benötigt werden, oder ist die Erkenntnis der gemeinsamen Gefahr jetzt, leider zehn Jahre zu spät, wirklich echt?" Die 277
westlichen Verbündeten wichen mit ihrer „Zuflucht zur EVG, zu Straßburg und zum Uberstaat Europa" hier „einer klaren Antwort" aus. Daß „wir", versicherte er, „die Einheit selbst unter Aufgabe von Souveränitätsrechten aufrichtig wollen, ist ohne Zweifel". Und er begründete diese Versicherung glaubhaft: „Wir fühlen uns als Volk stark und intelligent genug, um uns in einem aller Schranken ledigen Europa hervorragend durchzusetzen, wenn diese Einigung ohne jede Diskriminierung erfolgt." Nur an letzterer Bedingung eben fehle es durchaus - und genau von diesem Punkt aus entwickelte Naumann dann die Haltung zu und die Strategie gegenüber den westlichen Verbündeten und insbesondere den USA, und zwar an Hand ausschließlich der beiden miteinander verknüpften Kriterien, ob sie zum antibolschewistischen EuropaBefreiungskrieg auch wirklich bereit seien und ihn führen werden und ob sie die Einsicht aufbringen würden, angesichts der nun auch verspätet von ihnen erkannten Schicksalsverbundenheit mit Deutschland jedwede „Diskriminierung" von ihm zu nehmen (worunter vor allem alle Entnazifizierungsbestimmungen und alle einer Wiederaufrichtung des Faschismus entgegenstehenden Vorschriften, aber auch die Rüstungsbeschränkungen, Zollschutzvorkehrungen der westeuropäischen Nachbarländer gegen die deutsche Wirtschaftsdynamik und jede etwa noch verminderte Stellung des Kriegsverlierers Deutschland in den Bündnissen verstanden waren). Das hörte sich die USA betreffend wie folgt an: Solange in ihnen Roosevelt und Truman (die Naumann nach wie vor als Vertreter „der Macht des Kapitals in jüdischen Händen" bezeichnete), Einfluß gehabt hätten, sei von ihnen für Deutschland nichts zu erwarten gewesen. Doch es gäbe in ihnen auch Männer wie Taft und McCarthy, die gegen diese „anonyme Macht" einen „wahrhaften Kampf" führen, „bei dem wir uns keineswegs unbeteiligt zeigen dürfen", und schon Eisenhower könne in die Lage geraten, nur noch mit Hilfe jener „nationalen amerikanischen Kräfte" regieren zu können. „Wir dürfen" die USA „nicht überschätzen und in sie Kräfte hineingeheimnissen, die sie nicht haben." Doch es müsse „den Herren von drüben" klargemacht werden, ,daß die geschichtliche Situation beide Nationen zusammenzwingt', und ihnen gesagt werden: „Mit Deutschland könnt ihr alle Sorgen dieser Welt noch meistern - aber nur mit einem Deutschland, das nicht von Kogon, Högner und anderen geführt wird, sondern das die zuverlässigen, stabilen nationalen Kräfte dieses Volkes vertritt." 1010 278
Also keineswegs eine Festlegung auf ein etwa prinzipielles J a oder Nein zur Bindung Westdeutschlands an die U S A ein für allemal, sondern eine Position, die die Beantwortung dieser Frage ausschließlich vom Standpunkt des eigenen „Mitteleuropa-Befreiungs"- und „Groß-Europa"-Interesses des deutschen Monopolkapitals aus - und grundsätzlich - davon abhängig machte, ob in den U S A auch die zum antisowjetischen Endkrieg um die geschichtliche „Entbolschewisierung Europas" entschlossensten und zugleich für Deutschlands Anspruch auf die Rolle der europäischen Führungsmacht und seine Rückkehr auch zu einem doch wieder kraftvolleren, ihm gemäßeren innerstaatlichen Aufbau und Regierungssystem aufgeschlossensten Kräfte an der Macht sind oder derartigen Erwartungen eher hinderliche. Und eben mit dieser Herleitung aller politischen Problembeurteilungen vom Zielgedanken des bolschewismusfreien „Großraum Europa" mit einem Großdeutschen Reich als seinem Kern 1011 war der gemeinsame Nenner angesprochen und getroffen, auf dem die neutralistischen und die aufrüstungs- und westbindungsfreudigen neofaschistischen Gruppen ineinander zusammenfielen wie die zwei nur gleichermaßen notwendigen operativen Entfaltungen dieses einen Interesses, da von ihm her gesehen in der damaligen Situation in der Tat beides erforderlich war: ganz selbstverständlich, auf der einen Seite, die nun sofortige (und ja faktisch auch längst schon vollzogene) Verbündung mit der weltstärksten antikommunistischen Garantiemacht, ohne deren unmittelbares militärisches Engagement an ein Sozialismus-roll-back und die europäische „Ostraum-Befreiung" nicht zu denken sein würde, andererseits aber das Auftönen doch gerade auch eines erpresserischen Chores „nationaler" Verweigerer-Stimmen, die versuchten, die Beteiligung an der Remilitarisierung und einem westlichen Militärbündnis, und dies durchaus bis zur Aufreizung von „Rapallo"-Ängsten bei den Westmächten, von der Aufhebung aller Entnazifizierungs-Bestimmungen, der Einstellung aller Verfolgungen von Kriegs- und Naziverbrechern, der Beendung der „Diskriminierung" der „deutschen Soldaten" und der sofortigen Wiederherstellung vor allem auch der vollen Souveränität zur inneren Faschismus-Rekonsolidierung als den Minimalbedingungen gleichsam der „Ehre des nationalen Deutschland" abhängig zu machen und damit einen Druck auf die westlichen Alliierten in Richtung auf eine noch bereitwilligere und von vornherein optimale personelle Verankerung und Placierung der 279
bewährtesten alten deutschen Fachkräfte des Ostraum-Expanisonismus im neuen Bündnis (und eine entsprechende Tolerierung ihrer Parteigänger und Gewöhnung an sie dann auch in der westdeutschen Innenpolitik) auszuüben. Naumann übrigens warnte in Blick auf die geplante, beide Funktionen dann in sich vereinigende Sammlungspartei: Dieser unerläßlich bleibende Erpressungsdruck dürfe aber nicht so schrill ausgeübt werden, daß dadurch, wie es beim damals erst soeben zurückliegenden markigen Auftritt des Fallschirmjäger-Generals Hermann Bernhard Ramcke auf dem ersten HIAG-Treffen in Verden vom 26. Oktober 1952 der Fall gewesen sei, nur das Ausland aufgeschreckt und den „Morgenthau-Anhängern" Material für den Ruf geliefert werde „da sind sie wieder!"; andererseits freilich dürfe man auch nicht in Adenauers Kurs der KriegsschuldAnerkennung und Wiedergutmachungs-Beteuerungen verfallen, da doch gerade „den nationalen Kräften in den USA, die mit ,uns* rechnen, ein Beweis der Stärke gegeben werden" müsse, weshalb der „richtige Weg", den die neue Partei zu finden habe, „zwischen Adenauer und Ramcke" werde liegen müssen. 1012 Zur Ausrichtung der perspektivischen Fusionspartner auf diese Sammlungs-Linie war neben den dem „Naumann-Kreis" als sein gleichsam eigenes Organ zur Verfügung stehenden, von seinem Mitglied Bornemann herausgegebenen „Kommentaren, Berichten und Informationen (KBI)" 1013 und zusätzlich zu Spindlers halboffiziösem Organ der nordrhein-westfälischen FDP-Rechten „Fortschritt" zu Beginn des Jahres 1952 von der Düsseldorfer FDP die Zeitschrift „Die Deutsche Zukunft" unter der Chefredaktion Siegfried Zoglmanns gegründet und ihre Redaktion ausschließlich mit Verbindung zum Naumann-Kreis haltenden Ex-Nazis besetzt worden. 1014 Am 25. Juli 1952 hatte der Landesparteitag der FDP Nordrhein-Westfalens dann als Programm-Plattform für die „Nationale Sammlung" ein vom NS-Rundfunkpropaganda-Fachmann Hans Fritzsche in Abstimmung mit Diewerge und Brand verfaßtes, Werner Naumann am 19. Juni 1952 von Diewerge telefonisch als fertiggestellt gemeldetes und zur Ubersendung zwecks Begutachtung angekündigtes 1015 „Deutsches Programm" mit dem Untertitel „Mindestforderungen deutscher Politik als Fundament zur Sammlung der nationalen Kräfte" verabschiedet 1016 ; dessen Wortlaut veröffentlichte plakativ die „Deutsche Zukunft" in ihrer Ausgabe vom 2. August 19521017. Die Zusammenkünfte des Düs280
seldorfer und Hamburger Kreises mit Naumann im November 1952 dienten der Orientierung auf eine noch verstärkte Infiltration der anvisierten Rechtsparteien und den nunmehr praktischen Übergang zu ihrer Zusammenführung in der „Nationalen Sammlung". An diesem Punkt der Entwicklung griff die britische Besatzungsbehörde ein und ließ Naumann sowie sechs weitere Führungsmitglieder seines Kreises in der Nacht vom 14. zum 15. Januar 1953 verhaften - ein Schlag, wie Wolf Schenke am 21. Januar 1953 in seinem Hamburger „Realpolitik-Tagesdienst" zürnte, „nicht gegen die ehemaligen Nazis, sondern . . . gegen die Deutschen an sich". 1018 Die Verhaftung der führenden Köpfe des Naumann-Kreises (die alle, sobald die Besatzungsmacht das Untersuchungs- und Gerichtsverfahren gegen sie an die deutsche Justiz abgegeben hatte, wieder freigelassen und später dann auch von allen Anklagepunkten freigesprochen wurden, ohne daß es je zur Eröffnung des gegen sie beantragten Hauptverfahrens vor dem Karlsruher Bundesgerichtshof kam 1019 ) und das schon im Oktober 1952 erfolgte, von der Bundesregierung beantragte Verbot der SRP signalisierten allerdings keineswegs einen Willen zu etwa stärkerem Vorgehen gegen den Neofaschismus in der Bundesrepublik insgesamt. Vielmehr handelte es sich in beiden Fällen nur um die Operation der Ausschaltung oder Beschneidung derjenigen Gruppierungen aus ihm - in Gestalt ihrer orientierenden Führungskerne - , die sich auf die Rolle des Störfaktors im Prozeß der jetzt ganz in den Vordergrund der politischen Tagesordnung getretenen praktischen Herbeiführung und definitiven Begründung des West-Bündnisses strategisch eingeschworen hatten und zu einem solchen bei übergreifendem Einfluß auf das gesamte Lager der „nationalen Rechten" auch hätten werden können. Im Falle des SRP-Verbots ergab sich zugleich noch der propagandistische Vorteil, es als eine „totalitarismustheoretische" Vorausrechtfertigung des geplanten KPD-Verbots nutzen zu können, d.h. diesen von den Antiost-KriegsSpekulanten im Lager der Statthalter und Eiferer des Kalten Krieges als tatsächlich unerläßlich angesehenen und allein für wichtig gehaltenen und gewollten Schlag gegen die ernstlich von ihnen als Lähmung der Wiederaufrüstungs-Dynamik gefürchtete damalige Anti-Remilitarisierungsbewegung und Bewegung gegen neue Ostfeldzugs-Ambitionen dann erscheinen zu lassen als einen nun allein schon der „Ausgewogenheit" willen erforderlichen, geradezu 281
logisch ausstehenden Schlag einer besonnen-selbsterhaltungsbewußten „Mitte" auch gegen das „andere Extrem".
Jahre einer Redynamisierung
des Neofaschismus
Alle weitere Entwicklung von diesem Punkte an in der nun anschließenden Periode des Kalten Krieges, in dessen Zeichen auch ganz die weiteren Entwicklungen im Neofaschismus stehen, sei im folgenden nun hier als im wesentlichen bekannt übersprungen, um erst in den Jahren wieder einzusetzen, in denen die die gegenwärtige Situation und die in ihr vorherrschenden Haupttendenzen kennzeichnenden Prozesse einer theoretisch-ideologischen „Selbsterneuerung" und politischen Redynamisierung des Neofaschismus beginnen. Aus der gesamten dazwischenliegenden Zeit seien hier allein als drei versprengte, für sich jeweils damals zunächst nicht sehr viel bedeutende Einzelheiten mitgeteilt: daß im März 1955 auf Grund eines Ende 1954 beim Bundesverwaltungsgericht von ihm erwirkten Urteils über die Wiederzuerkennung der deutschen Staatsbürgerschaft nun auch Otto Strasser in die Bundesrepublik zurückkehrte, sich in München niederließ, aus den bisherigen Landes- und Ortsgruppen des „Bundes für Deutschlands Erneuerung" sowie weiteren Gruppen, die unter der Losung „Wiedervereinigung" contra „Westbindung" die „Mitteleuropa"-Orientierung offenzuhalten suchten, am 17. Juni 1956 die „Deutsch-Soziale Union (DSU)" gründete und fortan die Zeitschriften „Deutsche Freiheit" (in München) sowie „Ziel und Weg" (in Frankfurt/Main) herausbrachte 1020 ; daß sich die SS-Fluchthilfeorganisation „Odessa" ab 1951, ihr Aufgabengebiet mit abnehmender Zahl erforderlicher „Fluchthilfe"-Fälle nun auf die juristische, finanzielle und „moralische" Betreuung inhaftierter oder vor Gericht angeklagter Nazis und ihrer Familien ausdehnend, hierzu auch eine offizielle und mit caritativer Armbinde versehene Organisation unter dem Namen „Stille Hilfe" und dem Vorsitz der mit dem SS-General, HimmlerProtege und Volksgerichtshof-Richter Josias Fürst zu WaldeckPyrmont verwandten Helene Elisabeth Prinzessin von Isenburg geschaffen hatte 1021 ; daß der seit 1929 der Reichsleitung des NS-Studentenbundes ange282
hörende, dann von Rudolf Heß im Juni 1933 zum Leiter der „Reichsmittelstelle für Volkstumsarbeit" berufene und in dieser Funktion mit der Leitung der gesamten „Volkstumsarbeit" der NSDAP als nunmehr Mitglied ihrer „Reichsleitung" betraute, zugleich auch den „Reichsbund Volkstum und Heimat" sowie das „Reichsamt Volkstum und Heimat in der NS-Gemeinschaft,Kraft durch Freude'" führende (ab 1940 dann in der deutschen Botschaft in Kopenhagen für die deutsche Rundfunkpropaganda in Dänemark, ab 1942 in der Rundfunkpolitischen Abteilung des Auswärtigen Amtes in Berlin für die deutsche Rundfunkpropaganda für ganz Südamerika zuständige) Dr. Werner Haverbeck1022 bereits im Jahre 1958, als noch niemand in der Öffentlichkeit von „Umweltschutz" sprach, in Vlotho an der Weser einen sich ob seines Anliegens bald internationalen Ansehens und prominenter Schirmherren - wie etwa Otto von Habsburg, Schacht-Freund Max Schmeling und Prinz Ernst von Sachsen-Coburg-Gotha - erfreuenden „Weltbund zum Schutze des Lebens (WSL)" und ein der seminarmäßigen Pflege des „Lebensschutz"-Gedankens dienendes „Collegium Humanuni" gegründet hatte, in deren Leitung er alte NS-Gesinnungsgefährten konzentrierte; über der philanthropischen Sache fiel kaum jemandem auf, daß „Lebensschutz" im Programm dieses Bundes aber ausdrücklich als ein „ganzheitliches geistiges Konzept", als ein Programm der „Aufrechterhaltung und Wiederherstellung der naturgesetzlichen Ordnungen", der „Rückkehr zur lebensgesetzlichen Daseinsform unter Uberordnung von Ehrfurcht und Bescheidung, unabhängig von angeblichem Fortschritt und sogenanntem Lebensstandard", der „Erneuerung und Vertiefung" des Lebens „im Sinne . . . der natürlichen Lebensordnung, gegen Überheblichkeit, Profitgier und Machtwahn, gegen die Mächte der Unordnung, Entartung, Ausbeutung und des Untergangs", des Wirkens „für den Vorrang des Geistes, der Seele und der Persönlichkeit, gegen Ungeist und Vermassung" und in diesem Verständnis als „die moralische Kraft der Zukunft für Politik, Wissenschaft, Kultur und Gesellschaft" bezeichnet wurde; „Leben" wurde hier erklärterweise als „Lebensganzheit" verstanden, und in diesem Sinne war dann sein „Vorrang" etwa vor „der abstrakten Politik" oder „eine gesunde Menschenführung im Sinne des Lebendigen", eine „gesunde" Wirtschaft, ein „gesunder" Frieden zwischen allen „Menschen, Völkern, Rassen" (also ein „lebensgerechter", nicht irgendeiner) und die Anpassung der als 283
Lebenstotalität verstandenen, die Gesellschafts-, Staats- und Völkerordnung sowie Kultur, Wissenschaft etc. in sich umfassenden „Umwelt" an ein so selbstgesetzliches „Leben" namens der „Gesundheit" bzw. eben des „Lebensschutzes" durch eine auf all diesen „Lebensgebieten" herbeizuführende „biologische Wende" resp. „Biopolitik" gefordert; der vitalistisch-völkische „Lebens-" begriff wurde also unter dem Firmenschild der GesundheitsBesorgnis politisch reaktualisiert und als Angriffsstrategie gegen „lebenswidrige" Gegenwartsordnungen und Geisteshaltungen in einem damals unbeachteten Abseits-Raum des öffentlichen Geschehens reaktiviert. 1023 Der Augenblick, der die den heutigen Neofaschismus kennzeichnende neuartige terroristischere Qualität und seine zugleich auch erneuerte, wieder größere ideologische Dynamik und Durchschlagskraft in der Öffentlichkeit hervorbrachte, war nicht der Aufschwung, den die bis zu Beginn der sechziger Jahre um ein vielfaches vermehrten Neonazi-Gruppen mit dem Auftreten der ersten ernstlicheren ökonomischen Rezessionserscheinungen in der bislang „wirtschaftswunder"gewohnten Bundesrepublik und den zugleich sich verdichtenden Symptomen für eine der Bundesrepublik bevorstehende tiefe außenpolitische Orientierungs- und generelle Selbstverständniskrise auf Grund des sich abzeichnenden Fiaskos der Strategien des Kalten Krieges und des Abschwenkens der amerikanischen Führungsmacht von ihnen erlebten - in Gestalt der vor diesem Hintergrunde im Jahre 1964 kurzfristig in Blick auf die Bundestagswahlen des Jahres 1965 durch Zusammenschluß vor allem der alten Potentiale der SRP und der DRP unter der Führung Adolf von Thaddens zustandegekommenden Sammlungspartei NPD. Nach einem Anfangserfolg bei den Bundestagswahlen vermochte sie in den anschließenden Jahren zunehmender Krisenverunsicherung und politischer Labilität bis zur nächsten Bundestagswahl 1969 einen steilen Aufstieg zu nehmen und bei den Länderwahlen der Zeit zwischen 1966-1968 in sieben Landtage einzuziehen; sie bewies damit die dem Faschismus unvermindert erhalten gebliebene Fähigkeit zur Wahrnehmung seiner Auffangfunktion in Krisenzeiten und konnte erstmals in nennenswerterem Umfang nun auch Jugendliche mobilisieren (1967 „Junge Nationaldemokraten/JN" und „Nationaldemokratischer Hochschulbund/NHB"). Nicht dieser jähe quantitative Aufschwung des Nazismus wurde jedoch zur Quelle seiner auch qualitativen, ideologisch-argumen284
tativen „Erneuerung" und Dynamisierung. Dies wurde vielmehr gerade erst die Enttäuschung über den mit den Bundestagswahlen 1969 - trotz eines Stimmen-Ergebnisses von 4,3 Prozent - ebenso ruckartig einsetzenden Abbruch der bisherigen, scheinbar doch schon geradewegs in die Regierungs-Mitverantwortung führenden Erfolgskurve und die nun rasch sich vollziehende Rückläufigkeit der Stimmen- und Mandatsanteile auch in den Ländern und Gemeinden zu einer Zeit, in der doch für die Bundesrepublik die Entfaltung einer kraftvolleren Weltmachtpolitik und somit das stärkere Geltendwerden auch eines sich öffentlich wieder unbefangener zu sich selbst bekennenden nationalen Machtwollens und mithin der Einfluß-Anstieg seiner „nationalen Kräfte" gerade „objektiv" auf die politische Tagesordnung getreten war. Man muß sich die Diskrepanz jener Übergangs- und Umbruchzeit um das Jahr 1970, die zur Geburtskonstellation der neuen Tendenzen im Neofaschismus der Bundesrepublik wird, zu deren Verständnis vergegenwärtigen. Auf der einen Seite war die Bundesrepublik zur ökonomisch zweitstärksten Macht der kapitalistischen Welt nach den USA und zur stärksten in Westeuropa geworden, gab Helmut Schmidt vor diesem Hintergrunde die Losung vom „Modell Deutschland" aus, forderten auch die USA die Bundesrepublik eindringlich zur Übernahme von mehr „Weltverantwortung" auf. Auf der anderen Seite sah sich diese so stark gewordene Bundesrepublik aber inmitten eines von einer politischen Destabilisierungskrise erster Ordnung erfaßten Westeuropa (1974 wird Portugal fast zum ersten sozialistischen Staat auf westeuropäischem Boden, dann wird die spanische Diktatur gestürzt, in Frankreich und Italien scheinen „Volksfront"-Regierungen vor der Tür zu stehen), geht der globale Welttrend, wo man selbst nun zu offensiverer Weltpolitik befähigt und sogar zu ihr aufgefordert ist, statt zu mehr „Politik der Stärke" zu mehr „Entspannung", ist der Übergang zu sozialliberalen Regierungen phasenkennzeichnend, zeigt eine Studentenrebellion den tiefen moralischen Bodenverlust der imperialistischen Systeme in der Jugend und Intelligenz an, in der es zu einer Marx-Konjunkturwelle und hierüber auch zu praktischen Brückenschlägen zur Arbeiterbewegung kommt, wird diese gesamte Szenerie ab 1973 zusätzlich noch von der bis heute andauernden tiefen, rasch eskalierenden gesamtkapitalistischen ökonomischen Krise erfaßt (die die Interessenten des Kapitalismus freilich auch als den Angelpunkt für die Auslösung der Gegenoffensive 285
durch Verkündung der konservativen „Tendenzwende" angesichts der nun in den Blick tretenden „Knappheit" der Güter und Uberholtheit damit des „Fortschrittsdenkens" erkennen und zu nutzen beginnen); und in den damals am akutesten von Linksregierungen „bedrohten" Ländern (Italien, Frankreich, auch Spanien) geht der Neofaschismus zu aktiven Umsturz-Vorbereitungen und einer ihnen dienenden Destabilisierungs- und Einschüchterungsstrategie des ungezielten Bomben- und gezielten Attentatsterrors über (Italien: Fürst Borghese, Loge P2). Dies in seiner Bündelung ist das Faktorensyndrom, das die Enttäuschung im Neonazismus der Bundesrepublik über die rückläufige Entwicklung der NPD in doch gerade einer solchen Situation in einen Angriff auf den Vorstand der NPD als „lascher Verein" sich entladen und sie damit in eine Krise der NPD umschlagen läßt, aus der die neuen Tendenzen hervorgehen. Die zu aktivistischerem, zu nicht vom Schielen auf parlamentarische Reputationsfähigkeit (wie man es nun v. Thadden vorwarf und zur Ursache der schwindenden Anziehungskraft erklärte) gehemmtem Auftreten drängenden Kräfte hatten sich zur Erfolgszeit der NPD freilich schon unter ihrer Leitung im Rahmen des von ihr organisierten Kampfes gegen die Entspannungspolitik abgezeichnet, der nicht zufällig am Ausgangspunkt aller „Radikalisierung" stand, sondern ihr bis heute treibendes Motiv geblieben ist. Als im Jahr 1970 die Gesamt-NPD zu einem „WiderstandsKongreß" am 20. Mai 1970 gegen das am folgenden Tag stattfindende Treffen von Willy Brandt und Willi Stoph in Kassel aufrief, initiierte der Herausgeber der Zeitschrift „Mut. Das nationaleuropäische Magazin", Bernhard C. Wintzek, eine sich die handgreifliche Störung dieses Treffens zum Ziel setzende „Gesamtdeutsche Aktion", aus der noch im gleichen Jahre die dann mit Geburtshilfe der NPD offiziell gegründete „Aktion Widerstand" (Parole „Brandt an die Wand") hervorging; sie wurde zum Sammelbecken aller vom längst forscheren Auftreten der französischen und italienischen Neofaschisten beeindruckten und den Übergang zu solcher „Militanz" auch hier in der Bundesrepublik - in neidisch-besorgtem Konkurrenzblick auch auf die damals von den Demonstrationen der linken Studentenbewegung auf die Jugend ausgehende Zugkraft - für dringend erforderlich haltenden Kräften. 1024 Die in dieser „Aktion Widerstand" zusammenströmenden Gruppierungen kamen keineswegs nur aus dem engeren organisa286
torischen Einzugsbereich der NPD. Zu ihnen gehörten insbesondere auch diejenigen zahlreichen Gruppen, die sich bereits in den sechziger Jahren und teils auch schon Ende der fünfziger Jahre in Zusammenhang mit der faschistischen „ E u r o p a " - A r b e i t konstituiert hatten, sich in Analogie zu den einstigen Weimarer „Jungnationalen" oder „Jungdeutschen" unter vollkommener Wiederaufnahme auch ihres völkischen Nation-, Welt- und Jugendverständnisses nun „Jungeuropäer" oder auch (eben nicht in Widerspruch dazu stehend) „Jungnationalisten" nannten und zumeist im „Jungeuropäischen Arbeitskreis" (einer Gründung des belgischen Faschisten Jean Thiriart) und mit „Nation Europa" zusammenarbeiteten. 1025 So existierte zum Beispiel an der Universität Hamburg schon seit dem Jahre 1956 eine die Arbeit des dort umgehend verbotenen, am 17. Juni 1956 von Peter Dehoust, Martin Mußgnug und Peter Stöckicht gegründeten „Bundes Nationaler Studenten (BNS)" fortführende „Legion Europa" unter der zumindest von früh an maßgeblichen Wortführung und wohl später dem Vorsitz des Ingenieur-Studenten Lothar Penz (Pseudonym Rudolf Junker) 1026 , die öffentlich Veranstaltungen mit Arthur Ehrhardt und dem einstigen stellvertretenden Reichspressechef und nunmehrigen NeonaziAktivisten Helmut Sündermann durchführte und sich in ausgewähltem kleinerem, hier hauptsächlich aus NichtStudenten bestehendem Kreis unter dem Namen „Donnerstagsrunde" zur Diskussion politisch-ideologischer Fragen traf. 1027 Zu den Teilnehmern dieser Runde zählte die „Legion" ab 1962 auch den 1956 dem Hamburger Zweig der „Deutsch-Sozialen Union" Otto Strassers beigetretenen, 1961 dann in der von Wolf Schenke und u. a. Wolfgang Venohr ausgerufenen „Vereinigung Deutsche Nationalversammlung (DNV)" aufgetauchten, im gleichen Jahr mit „Nation Europa" in Kontakt gekommenen und seither von Arthur Ehrhardt geförderten, ja geradezu (wie auch andere heranwachsende Vertreter der „Neuen Rechten") in politische AusbildungsObhut genommenen und seinerseits zum glühenden EhrhardtVerehrer gewordenen Henning Eichberg. 1028 Diese „Legion Europa" und ihre „Donnerstagsrunde" hatte sich 1964 in einen von Lothar Penz geführten „Arbeitskreis Junges Forum*" (der von nun an die Zeitschrift „Junges Forum" herausbrachte und die „Ablösung des Massenstaates durch einen Volksstaat" forderte 1029 ), in eine von Bernhard C. Wintzek geführte 287
„Aktion ,Kennwort Europa'" (die nun die erste Nummer der Zeitschrift „Mut", zunächst mit dem Untertitel „Nationaleuropäischer Pressedienst", erscheinen ließ) und in eine von einem Dr. Thiede geführte „Arbeitsgemeinschaft für Heimatschutz" (die sich ein Jahr später kollektiv der CDU anschloß) über der Frage der NPD-Wahlunterstützung - für die Penz und die Gruppe „Junges Forum" bedingt eintritt - gespalten 1030 . Dies, obwohl alle drei Gruppen auf der Ebene des von Peter Dehoust (dem späteren Ehrhardt-Nachfolger als „Nation Eurupa"-Chef) herausgegebenen „Deutschen Studenten-Anzeiger", dem Organ des „Bundes Nationaler Studenten", unvermindert weiter miteinander wie auch mit Ehrhardt zusammenarbeiteten und Eichberg, der zunächst gemeinsam mit Thieles „Heimatschutz"-Gruppe zur CDU übergetreten, 1965 aber in Haußleiters neuer Sammlung bzw. DG-Erweiterung „Aktionsgemeinschaft Unabhängiger Deutscher (AUD)" erschienen war 1031 , sich im Jahre 1966 von Ehrhardt in ein militärisch aufgezogenes „Zeltlager junger französischer Nationalisten (Studenten und Arbeiter)" in der Provence schicken ließ; dort soll ihm imponiert haben, wie „des Mussolini-Befreiers Skorzeny, Castros Guerillakämpfern und der antigaullistjscEen Geheimarmee OAS" gleichermaßen gedacht worden sei und wie „der französische Nationalismus die nicht-marxistischen sozialistischen Traditionen seines Landes einbezieht", was sich „vor allem auf Proudhon und Sorel" bezogen und bei ihm eine „Kehrtwende" herbeigeführt habe, die „für sein weiteres Denken und politisches Handeln bestimmend" geworden sei und ihn nun - nachdem er die Vereinbarkeit von Faschismus und Anarchosyndikalismus begriffen hatte - „Nationalrevolutionär" werden ließ. Uber diese innere Kehrtwende veröffentlichte Eichberg auch sogleich im „Deutschen Studenten-Anzeiger" Berichte, die die in der Bundesrepublik sich heranbildende „Neue Rechte" wiederum „ermutigten", nun ihrerseits „gleich der französischen auf die Tradition des revolutionären Linksfaschismus und der europäischen Waffen-SS zurückzugreifen". 1032 Im Mai 1968 fungierte er dann, 1967 wieder dem Kreis „Junges Forum" um Lothar Penz beigetreten, als Leiter der „Jungeuropäischen Arbeitstagung" 1033 und trat 1970, inzwischen an der Ruhr-Universität Bochum, der dort 1967 entstandenen „nationalrevolutionären" Gruppe um den „Ruhr-Studenten-Anzeiger" (ein Ableger-Blatt des „Deutschen Studenten-Anzeiger") bei (aus ihr ging der „Republikanische Stu288
dentenbund [RSB]" hervor, zu deren Organ, nach Einstellung des „Ruhr-Studenten-Anzeiger", die burschenschaftliche Zeitschrift „Student" wurde). Zu Beginn des Jahres 1970 hatte sich diese Gruppe als „nationalrevolutionäre Basisgruppe" an der Universität Bochum unter perfekter Beachtung antiautoritärer Organisationsformen und einer ihr von Eichberg beigebrachten „mit marxistischen Termini gespickte(n) Sprache", die „man bis dahin von rechts noch niemals gehört" hatte, sowie sogar direkter Übernahme der von den dortigen „Jungtrotzkisten" verbreiteten Losung „Die Spaltung Deutschlands ist die Spaltung des deutschen Proletariats" konstituiert. 1034 - Kein Wunder also wohl mehr vor solchem Hintergrund, daß diese „Basisgruppe" zum StophBrandt-Treffen am 21. Mai 1970 nach Kassel fuhr und sich dort an den Ausschreitungen der „Aktion Widerstand" aktiv beteiligte. 1035 Doch sie war in Kassel keineswegs die einzige Gruppe ihrer Art. Seit ca. 1968 waren „nationalrevolutionäre Basisgruppen" an zahlreichen Orten entstanden 1036 , und wenigstens eine weitere von ihnen, die für die folgende Entwicklung besondere Bedeutung behält, die Westberliner „Außerparlamentarische Mitarbeit (APM)", sei hier noch kurz vorgestellt. Dieser Gruppe, die am 24. Juni 1968 zunächst von Mitgliedern nationalistischer Schülerbünde in der Höhepunktzeit der Studentenbewegung und in Gegnerschaft zu ihr gegründet und vom „Demokratischen Klub" (dem Versuch von Politikern der Senatsparteien, dem „Republikanischen Klub" ein Gegengewicht entgegenzusetzen) als dessen Jugendorganisation anerkannt und bezuschußt wurde, waren Anfang 1969 die führenden Sprecher einer seit Oktober 1964 eine besonders aktivistisch zugespitzte entspan nungs- und koexistenzfeindliche „Wiedervereinigungs" -Agitation in Zusammenarbeit mit dem „Kuratorium Unteilbares Deutschland" und im „Hochschularbeitskreis Unteilbares Deutschland" betreibenden „Initiative der Jugend (IDJ)" beigetreten, an deren Spitze Sven Thomas Frank 1 0 3 7 . Sie hatten die A P M auf eine „Widerstands"-Programmatik ausgerichtet, in der „Widerstand" nunmehr auf einmal ganz im Sinne des Sprachgebrauchs der einstigen nationalrevolutionären „Widerstands"-Bewegung Niekischs noch ohne deren direkte Erwähnung, doch unter Berufung schon auf 1813 sowie auch auf den 20. Juli 1944 - wieder als nationalistische Aufstandshaltung und Kampfbereitschaft der „Jugend" für ein größeres Deutschland begriffen war: „APM leistet Widerstand, 289
wenn sich Deutsche . . . auf Empfehlung von Parteien und Politikern erneut mit totalitären Verhältnisses in ihrem Vaterland arrangieren wollen und ein geregeltes Nebeneinander' . . . anstreben, APM . . . verspricht, rechtzeitig Widerstand zu leisten, wenn nun auch die Politik in Westdeutschland verbrecherisch werden sollte, indem man das Schicksal der Mitteldeutschen sanktioniert . . . APM wird Widerstand leisten, wenn deutsche Parteien und Politiker das ungelöste deutsche Problem zu den Akten legen wollen . . . APM wird Widerstand leisten, wenn . . . die Generation des gebrochenen Rückgrats weiterhin die Zukunft der Jugend verspielt..." usw. 1038 Ihr praktischer Aktions- oder „Widerstands"-plan sah dementsprechend u. a. vor: die Forderung nach „Zerschlagung der APO auf der Straße und in den Institutionen", den Aufruf zur Bildung von „Selbsthilfegruppen in den Betrieben gegen die anarchistischen und kommunistischen Provokationen" oder die Organisation „eines Ordnerdienstes möglichst aus Arbeitern" zum Schutz geplanter Aktionen an der Berliner „Mauer" am 13. August, Demonstrationen für „Passierscheine" an den Berliner Grenzübergangsstellen usw. 1039 Im Januar 1970 arbeitete diese Gruppe nunmehr ihre „Widerstands"-Gesinnung auch in erklärten Rückbezug zur alten „Widerstands"-Bewegung setzend - „Grundgedanken" einer nationalrevolutionären Plattform aus, in denen sie der die Zeit der Studentenbewegung und die Antrittsproklamationen der sozialliberalen Koalition beherrschenden „Ersatzidee Demokratisierung'" die „Leitidee Wiedervereinigung" konfrontierte. 1040 Am 1. Juli 1970 eröffnete sie - um den Reichsgedanken wieder in den Blick zu bringen - ein „Nationales Zentrum 1871" 1041 , in dem sie nun u.a. reguläre Veranstaltungen zur „Geschichte der nationalrevolutionären Bewegung in Deutschland" abhielt 1042 ; schon Ende 1971 benannte sie das „Zentrum", sich den Rebellionsstimmungen in den jugendlichen Protestpotentialen und der in ihnen gelegenen Erwartungshaltung nach Anführern des „Aufstands von unten" besser anpassend und zugleich doch die eigene Programmatik gerade nur noch zugespitzter markierend, in „barricade" um (für die von der APM für die nationalistische Schülerbewegung herausgebrachten Zeitschrift wurde der Name „Rebell" gewählt, unter dem sie bis heute - kommentiert durch den Standard-Werbe-Slogan „Rebell für Deutschland" erscheint).1043 Bereits vorher, nämlich schon Ende 1970, aber hatte diese APM sich gemeinsam mit dem „Ostpolitischen Deutschen 290
Studentenverband (ODS)" und dem „Bund Heimattreuer Jugend (BHJ)" zur „Aktionsgemeinschaft der Nationalrevolutionären Jugend Deutschlands" konstituiert. 1044 Ab 1971 schickte die APM „Referenten" zu Vortragsreisen in die Bundesrepublik, „um dort die Schulung der jungen Nationalrevolutionäre voranzutreiben" 1045 und übernahm die Rolle des Organisators eines in diesem Jahre erstmals und seither einmal jährlich in Westberlin stattfindenden „Strategietreffens" von Vertretern aller „nationalrevolutionären Basisgruppen" jedweder Organisationsform und äußeren Firmierung (einige Gruppen z. B., so etwa die des Hamburger „Forum", nehmen bald die Existenzform einer „Basisgruppe für Umweltschutz" an, andere wiederum treten nur in ihrer Arbeit nach außen als selbständige „nationalrevolutionäre Basisgruppe" auf, bestehen tatsächlich jedoch ausschließlich aus Mitgliedern der „Jungen Nationaldemokraten" und sind insoweit JN-interne, sowohl außerhalb wie innerhalb der N P D bzw. J N arbeitende Gruppen 1046 ). Zum Zwecke der Koordinierung der Basisgruppen auch zwischen den jährlichen Treffen brachte die APM das von nun an vierteljährlich erscheinende Intern-Organ „Ideologie & Strategie. Zentrales Kaderorgan Nationalrevolutionärer Basisgruppen" heraus. Zu dessen „Koordinierenden Redaktionsmitgliedern" gehörten außer den Westberlinern Alexander Epstein (dem womöglich frühesten Nietzsche- und Niekisch-, Machiavelli-, Le Bon-, Jünger- und Haffner-„Spezialisten" in diesem Westberliner Kreis jüngerer Leute und Verfasser einer Studie „Zur Strategie und Taktik des nationalrevolutionären Kampfes" vom Jahre 19711047) sowie Michael Meinrad (bis 1972 N P D , einer der Westberliner Wortführer für „Solidarismus", Arbeitsdienstpflicht und China-Orientierung 1048 ) und zwei weiteren Westberlinern (Kolberg und Malde) von Anfang an aus dem Kreise der schon in der „Zirkelphase" (die der Bildung der „Basisgruppen" vorangegangen war) entstandenen „Denkgemeinschaft" 1049 der „Neuen Rechten" auch deren Anthropologie-, Ethologie- und KonradLorenz-Experte Gert Waldmann (Hannover) 1050 und Henning Eichberg (damals Hamburg). 1051 Unter den auf der Kasseler Demonstration sich erstmals in der Öffentlichkeit abzeichnenden Kräften einer aktivistischeren „Neuen Rechten" befanden sich außer den „nationalrevolutionären Basisgruppen" sowie im übrigen ausgesprochen kriminell-terroristischen Neonazi-Organisationen 1052 freilich auch Gruppierungen, 291
die nicht dem Typus der „Basisgruppen" zugehörten, jedoch gleichfalls schon des längeren mit dem auf die „Erneuerung der Rechten" hinarbeitenden „intellektuellen Führungskreis" der „Denkgemeinschaft" in engerer Fühlung standen und sich auf seine Einladung hin mit dessen Vertretern zwei- bis dreimal jährlich gemeinsam mit gleichfalls geladenen Kadern der „Basisgruppen" und mit „nationalrevolutionär" tendierenden NPD-Mitgliedern sowie ehemaligen Funktionären des „Bundes Nationaler Studenten" zu sogenannten „Sababurg-Runden" trafen, zu der Koordinierung dienenden Strategie-Aussprachen und ideologiepolitischen Diskussionen.1053 Zu den an diesen „Sababurg-Runden" teilnehmenden Gruppen gehörten vor allem zwei für den Prozeß der Herausbildung der heutigen „Neuen Rechten" und ihre Zusammensetzung, mithin auch ideologische Tönung bedeutsame und daher hier hervorzuhebende: Die eine von ihnen war die am 21. Januar 1962 in Zusammenhang mit der damals von Otto Strasser in die Wege geleiteten Selbstauflösung seiner bisherigen „Deutsch-Sozialen Union" in Essen gegründete und einen Teil der DSU-Gruppen des Ruhrgebiets in sich aufnehmende bzw. von ihnen gebildete „Unabhängige Arbeiter-Partei (UAP)". 1054 1956, nach seiner Rückkehr aus dem Exil, hatte Otto Strasser nicht nur die Deutsch-Soziale Union, sondern zugleich auch im Saarland einen „Bund der Deutschsozialisten" gegründet, arbeitete des weiteren sofort auch mit der für die Autonomie des Elsaß eintretenden, vorwiegend deutsch-elsässischen „Europäischen Volksbewegung (EVB)" zusammen (ihre Zeitschrift hieß „Volkseuropa"), wurde deren Vizepräsident ehrenhalber (während ihre deutsche Sektion wiederum von einem Parteigänger Strassers geleitet war), schloß sich gemeinsam mit ihr (und der DSU) bereits im Oktober 1957 der von Soucek in Osterreich gegründeten „Sozialorganischen Ordnungsbewegung Europas (SORBE)" an, wie zu gleicher Zeit übrigens auch die „Volkspartei der Schweiz" mit ihrer nun zum SORBE-Organ werdenden Zeitschrift „Europaruf", und war also von Anfang an seinerseits tief in der völkisch-faschistischen „Europa"-Arbeit engagiert und verankert. 1055 Nachdem Strasser aus den für die Strasserianer enttäuschend verlaufenen Bemühungen um ein effektives Wahlbündnis zu den Bundestagswahlen des Jahres 1961 und der eigenen Resonanzlosig292
keit der D S U die Konsequenz einer Umorganisation der Bewegung unter Auflösung der D S U bis zum Stichdatum Jahresende 1962 gezogen hatte 1056 , war von seinem bisherigen Arnsberger DSUBezirksleiter Erhard Kliese in Zusammenarbeit insbesondere mit dem Hattinger DSU-Ortsverband ab Oktober 1961 die Initiative zum Aufbau einer strasserisch orientierten „Arbeiterpartei" im Ruhrgebiet ergriffen worden. 1057 Bei deren endgültiger Konstituierung im Januar 1962 unter dem Namen UAP kehrte sie dementsprechend nun wieder - im Unterschied zu der am ProgrammLeitwort „Solidarismus" orientierten D S U - den „deutschen Sozialismus" als ihr Kampfziel hervor und verlängerte das richtungsobligate Bekenntnis zum wiederherzustellenden Deutschen Reich bzw. zur deutschen „Wiedervereinigung" in einer „Europäischen Föderation" in ihrem (im Februar 1962 auf ihrem 2. Parteitag beschlossenen) „Aktionsprogramm" nunmehr auch zu einer griffigeren Weltmacht-Perspektive durch dessen Erweiterung um ein Eurafrika-Bekenntnis bzw. den Ausblick auf die „Krönung" der großeuropäischen Einigung in der „engen Zusammenarbeit EuropaAfrika". 1058 Als ihr Organ brachte sie die „Reichs-Arbeiter-Zeitung" heraus und schuf sich 1967 auch einen eigenen Jugendverband, die „Blaue Adler-Jugend (BAJ)" (mit den Programmzielen: 1. „Wiederherstellung eines geeinten Deutschlands im Rahmen einer europäischen Staatengemeinschaft", 2. Bekenntnis „zum Deutschen Sozialismus, als der einzigen echten, von Marxismus und Großkapitalismus unabhängigen Weltanschauung" und mit der verbandseigenen Zeitschrift „Barricade" sowie dem MitgliederInformationsblatt „BAJ-Rundbrief"). 1059 In diese UAP, die sich auf Grund ihrer nun wieder unverhohlenen Rückkehr zum Programm-Ruf nach dem „Deutschen Sozialismus" als der „überlegene(n) Kraft zwischen Kapitalismus und Marxismus" auch als die „Kampfpartei für den demokratischen freiheitlichen Sozialismus deutscher Nation" vorstellte und ihn u. a. „durch Aufhebung aller Entnazifizierungs- und sogenannter Kriegsverbrecherurteile der ehemaligen Feindstaaten" - nämlich zwecks „rechtliche(r) Befriedigung im deutschen Volk" 1 0 6 0 - und z. B. auf dem Lande für die Bauern mittels Durchsetzung des „Genossenschaftsgedanke(ns) vom Standpunkt Raiffeisens" 1061 zu verwirklichen versprach, war im Januar 1969 Wolfgang Strauss eingetreten. Strauss, auf die Arbeit antisowjetischer Nationalitäten-„Revolutionierung" namens eines jeweils „nationalen" Sozia293
lismus oder auch „Nationalsolidarismus" unter Berufung u. a. auf August Winnig und - wie schon dieser es demagogisch tat - auf Lassalle in Osteuropa und vor allem auch in der Sowjetunion selbst (und hier wiederum insbesondere in der Ukraine) spezialisiert, war wegen derartiger, nach 1945 zunächst vom Boden der DDR aus betriebener Betätigung bereits einschlägig von sowjetischen Militärgerichten verurteilt worden und nach seiner Haftentlassung in der DDR Ende 1956 über Westberlin in die bundesdeutsche Metropole aller subversiven Ost- oder „Mittel"europa-Arbeit, nach München, gekommen1062 und setzte sie von hier aus fort; unterdessen verfaßte er eine vom Hamburger „Jungen Forum" im Jahre 1968 als Sonderausgabe veröffentlichte Schrift unter dem Titel „Die Dritte Revolution"1063 sowie zahllose, unter fast ebenso zahllosen Pseudonymen veröffentlichte Aufsätze1064 zum ewig gleichen Thema der Vorhersage und Voraus-Feier eines bevorstehenden antikommunistischen Ostvölker-Aufstands wie ein in eben jenem Jahre 1969 erscheinendes Buches „Trotz alledem - wir werden siegen!"1065, dem zumindest nachgesagt wird, von großem Einfluß auf die Diskussionen der „Neuen Rechten" im Prozeß ihrer Herausbildung gewesen zu sein und in ihr den Begriff des „Befreiungsnationalismus" erst in Umlauf gebracht zu haben1066; zugleich gründete er (ebenfalls 1969) den „Club Symonenko" in München (wiederum eine Gegengründung zum Republikanischen Club), deren einfach gestricktes Programm darin bestand, jeder demokratischen und antiimperialistischen Forderung der damaligen Studenten- und Intellektuellenbewegung einen „Dissidenten" möglichst aus einer der Nationalitäten-Republiken der Sowjetunion selbst - so eben z. B. den auf ein zentrales Podest gehobenen und zum Namensvetter des Clubs erkorenen (1963 an Krebs verstorbenen) ukrainischen Dichter Wassilij Symonenko - als Wellenbrecher entgegenzustellen.1067 Noch im Jahre seines Eintritts in die UAP übernahm Strauss auch die Leitung ihres bayerischen Landesverbandes, wurde im März 1970 dann zum stellvertretenden Bundesvorsitzenden der „Blauen-Adler-Jugend" (auf deren 3. Kongreß), später sogar zu deren Bundesvorsitzendem (welches Amt er jedoch im September 1972 wegen „Arbeitsüberlastung" wieder niederlegte) und im November 1970 ins „Zentralbüro" der UAP (auf deren 5. Parteitag) gewählt, übernahm in seiner Eigenschaft als Mitglied des Zentralbüros die Chefredaktion der „Reichs-Arbeiter-Zeitung" und ließ in ihr nun Henning Eichberg 294
(für den Kontakte zu den Kadern der Strasser-Partei auf Grund seiner eigenen einstigen Hamburger DSU-Anfänge freilich ohnehin nichts Neues bedeuteten), sowie etwa auch Michael Meinrad und andere Mitglieder der „Denkgemeinschaft" schreiben 1068 ; die Teilnahme der UAP an deren „Sababurg-Runden" dürfte vor solchem Hintergrunde kaum noch verwundern. Die zweite zu erwähnende Gruppierung hatte mit der Erbmasse der Strasserschen D S U freilich nicht weniger zu tun. Keineswegs alle Strasserianer waren der speziell auf Arbeiter-Agitation angelegten und dementsprechend die Demagogie-Spielart vom „deutschen Sozialismus" wieder hervorholenden U A P beigetreten. Vielmehr liefen parallel zu dieser Unternehmung und außerhalb von ihr zugleich auch Bemühungen - so am regesten etwa im Hamburger Kreis um das „Neue Forum" 1 0 6 9 - um eine „theoretische" Aktualisierung und politische Redynamisierung auch gerade des Strasserschen „Solidarismus"-Begriffs weiter (mit dem der des „deutschen Sozialismus" in der Sache identisch war, so daß hier tatsächlich keinerlei Widerspruch vorlag, sondern lediglich ein Unterschied hinsichtlich der jeweiligen Adressatenansprache). Und im Jahre 1968 hatte der einst aus dem „Jungstahlhelm" der „Brigade Ehrhardt" hervorgegangene, seit 1927 der N S D A P und zu Kriegsende als „Untersturmführer" der Waffen-SS angehörende ehemalige Landesführer der Strasserschen „Schwarzen Front" für Südbaden, Karl Jochheim-Armin (der bereits 1951 die „Nationale Jugend Deutschlands" mitbegründet und 1961 dann eine „Deutsch-spanisch-südamerikanische Gemeinschaft" gegründet hatte) - unter konzeptioneller Anknüpfung nun wiederum an Karl-Otto Paetels einstiger „Gruppe Sozialrevolutionärer Nationalisten ( G S R N ) " eine „Sozialrevolutionäre Nationale Kampfgemeinschaft Deutschlands ( S N K D ) " ins Leben gerufen, die mit der „Volkssozialistischen Bewegung Österreichs (VSB)", der österreichischen „Volkssozialistischen Partei (VSP)" sowie auch der österreichischen „Volkssozialistischen Arbeiter-Partei (VAP)" und „Revolutionären Volkssozialistischen Partei (RVSP)" in Zusammenarbeit trat und mit ihnen - und mit der dann später um Werner Kosbab entstandenen, aus Friedhelm Busses „Volkssozialistischer Bewegung" hervorgegangenen „Volkssozialistischen Deutschen Partei (VSDP)" - gemeinsam die „Volkssozialistische Einheitsfront (VSE)" bildete. 1070 Die zu dieser Zeit in der Bundesrepublik entstandenen „volksso295
zialistischen Basisgruppen" mit den „nationalrevolutionären Basisgruppen" zusammenzubringen und sie in einer „Aktionsgemeinschaft Neue Nation" zusammenzufassen, aber hatte sich wiederum die „Sababurg-Runde" zu einer ihrer vorrangigen Aufgaben gesetzt. 1071 Der dahinterstehende weitreichende Plan war, „eine eigene Organisation der Sozialrevolutionären Nationalisten Europas" 1 0 7 2 in Zusammenarbeit vor allem mit dem damals soeben (Ende November 1969) in Frankreich gegründeten „Ordre Nouveau" (Jochheim-Armin gründete 1971 dann auch sofort in der Bundesrepublik eine „Bürgerinitiative Neue Ordnung überall" 1073 ) zu errichten, ebenso aber freilich auch gestützt auf die italienischen „Volkskampf"-Gruppen, die belgischen „Solidaristen", auf kroatische, spanische und andere „Europanationalisten" 1074 . Das ab Januar 1973 zur Förderung dieses Bestrebens von seinen „Sababurg"-Initiatoren in drei Sprachen zweimonatig herausgebrachte Blatt „Wille und Tat" gab dessen Sinn besonders deutlich preis, als es (in seiner zweiten Ausgabe) aus der Feder eines „jungen französischen Nationalrevolutionärs" verlauten ließ, die „Vereinigung Europas" setze „eine europäische, aber zunächst einmal geistige Revolution mit hautnaher Volksverbundenheit" voraus - das Werk der „nationalen Sozialrevolutionäre" der einzelnen Länder, die zwecks ihrer Bewerkstelligung übernational zusammenarbeiten müßten. Denn (und damit zum Ziel - und ja wohl auch sozialen Inhalt - dieser „Revolution"): „wie der Deutsche Zollverein endgültig und politisch erst durch die entschlossene Willenskraft Preußens verwirklicht wurde, so könne sich die E W G nur durch die Energie der Sozialrevolutionären Nationalisten bis an die Ränder des Kontinents ausbreiten." 1075 Im Herbst 1971 schuf sich die „Sababurg-Runde" zur Bewältigung ihrer Aufgaben einen „Koordinierungsausschuß", und im November des gleichen Jahres bestellte sie zur Erfüllung des nunmehr an allererster Stelle genannten Hauptprogrammpunkts „Schaffung einer nationalrevolutionären Publizistik, um die nationalrevolutionären Ideen zu verbreiten", einen „Arbeitskreis Ideologie". In ihn wurden neben anderen Henning Eichberg und Gert Waldmann gewählt; und der einstige BNS-Gründer und nunmehr soeben an die Stelle des verstorbenen Arthur Ehrhardt als Leiter des Verlags „Nation Europa" getretene Peter Dehoust ermöglichte ihm nicht nur die Herausgabe seiner Texte in einer eigens hierfür geschaffenen schwarzen Taschenbuchreihe unter dem Titel „Junge 296
Kritik", sondern war ihm auch bei der Begründung eines eigenen Verlages, des „Verlag Deutsch-europäischer Studien", und der Schaffung einer (ähnlich wie die „Nation Europa Freunde e . V . " ) um ihn gruppierten „Deutsch-Europäischen Studiengesellschaft" behilflich. 1076
Herausbildung der gegenwärtigen Konstellation und der „Neuen Rechten" im Neofaschismus der Bundesrepublik Es war der Umstand dieses sich also ohnehin schon vollziehenden Zusammenströmens einer verhältnismäßig beachtlichen Palette von Kräften innerhalb des Neofaschismus-Spektrums 1077 zu einem nach sowohl mehr Militanz der Aktionen auf den Straßen wie zugleich argumentativer „Verjüngung" und ideologischer Offensivierung des Faschismus rufenden Potential, aus dem sich erklärt, daß die vom NPD-Vorstand unter Führung Adolf v.Thaddens eigens zu ihrer Sammlung und ihrem Einsatz als eine Art außerparteiliche „Bewegung" im Oktober 1970 initiierte „Aktion Widerstand" in der Tat zu einem zeitweiligen Sammlungsort aller militanteren und aktionistischeren Kräfte wurde. Dabei hatte der Gründungsaufruf zu ihr sich die „nationalrevolutionäre" Anwendung des „Widerstands"-Begriffs durch die Westberliner APM voll zu eigen gemacht 1078 und die N P D überhaupt schon früh sehr viel mehr „nationalrevolutionäres" Neuerer-„Gedankengut" in ihre Programmatik aufgenommen, als mit der Lesart vom Aufstand der „Neuen Rechten" gegen sie zu vereinbaren ist, und auch die übrigen Mitinitiatoren der „Aktion Widerstand" standen dieser sich formierenden „jungen Rechten" ihrerseits durchaus nahe und gehörten ihr weitgehend selbst zu (so insbesondere der „Arbeitskreis Volkstreuer Verbände [ A W ] " , den der spätere „Mut"-Mitarbeiter und Leiter der BRD-Sektion des österreichischen „Nationalen Ideologiezentrums [NIZ]", Alfred E. Manke, in Nachfolge dés DKEG-Chefs Herbert Böhme führte und der sich 1979 in „Naturpolitischer Volksbund" umbenannte 1079 , aber etwa auch Roland Tabberts „Nationale Deutsche Befreiungsbewegung [ N D B B ] " 1 0 8 0 ) . Seinen Erwartungen ganz zuwider wurde dem NPD-Vorstand jedoch verächtlich der Vorwurf des „Gartenlauben-Patriotismus" entgegengeschleudert 1081 . Damit nahm jene organisatorische Umgruppierung im Neofaschismus der Bundesrepublik ihren 297
Anfang, die in einem im wesentlichen bereits in der zweiten Hälfte des Jahres 1974 abgeschlossenen Prozeß zur Herausbildung seiner ihn heute kennzeichnenden Aufgliederung in drei sich in ihrem äußeren Erscheinungsbild von einander abhebende und somit unbesehen aller tatsächlichen Querverbindungen zwischen ihnen unterscheidbare (angesichts ihrer spezifischen MobilisierungsIntentionen nicht nur von der Sache her unvermeidliche, sondern in arbeitsteiliger Betrachtung gerade in dieser Auffächerung wohl auch funktionale) Hauptlager führte. Zum einen kam es jetzt, ab 1970, zu jener bis Ende der siebziger Jahre und die achtziger Jahre hinein anhaltenden Serie von Gründungen sich von vornherein der Kampfmethode des Destabilisierungs- und Attentatsterrors sowie der einschüchternden GewaltAuftritte in uniformähnlicher Schläger-Kluft sowie grundsätzlich der Propagandakraft der Gewalt verschreibenden, zumeist auch schon in ihren Namen ein demonstratives Bekenntnis zur alten NSDAP und zum Hitler-Reich ablegenden Gruppen1082. Und bald kam es auch - ab 1974 - zu den von den nun allenthalben aus dem Boden schießenden „NS-Kampfgruppen" wohl kaum zu trennenden, jedoch sich unübersehbar der Protektion mit dem Gedanken einer Wiederbelebung des „Freikorps"-Wesens sympathisierender Kreise in höchsten Amtsstellungen erfreuenden Gründungen von „Wehrsportgruppen"; deren größte, die ab Anfang 1974 tätig werdende und 1978 die einstige „Gauführerschule der NSDAP", das Schloß Ermreuth bei Nürnberg, als ihr Quartier beziehende „Wehrsportgruppe Hoffmann", bekannte sich nicht nur durch die Wahl des SS-Totenkopfabzeichens zu ihrem Emblem, sondern auch in ihrer Zeitschrift „Das Kommando" und u. a. ihrem von Karl-Heinz Hoffmann für eine wohl künftige „Bewegung" verfaßten „Programm" unmißverständlich zu sowohl ihrer „europäischen" wie ihrer innenpolitischen Bürgerkriegs- und Umsturzfunktion. 1083 - Dieses durch den unmittelbaren Ubergang zu terroristischer Praxis oder doch Ausbildung für sie gekennzeichnete Lager mußte sich notabene von jeder auf Parlamentsfähigkeit und damit eine wie immer auch fadenscheinige Reputation der Verfassungskonformität bedachten Partei wie der NPD in sogar deren eigenem Interesse deutlich trennen und von RücksichtnahmePflichten auf sie mit dem einst von den Strasserianern gegen Hitler erhobenen „Legalismus"- bzw. „Verbürgerlichungs"- oder „Verspießerungs"- bzw. „Systemaussöhnungs"-, also „Revolutionsver298
zichts"-Vorwurf in der Pose der „konsequenten Kämpfer" lossagen. Zum anderen ging der auf die Auflösung der bisherigen Konzentration der faschistischen Kräfte um die NPD gerichtete, auf eine Neusammlung um ein anderes Zentrum zielende entscheidende Angriff interessanterweise durchaus nicht etwa von den Gruppen der späteren „Neuen Rechten" aus, die sich vielmehr gerade jetzt als die ideologisch „dynamischen" Kräfte wachsenden Einfluß auf die ihrerseits verzweifelt nach Dynamisierungs-Wegen suchende NPD versprechen konnten und in ihr Terrain gewannen, sondern von Dr. Gerhard Frey, dem Chef der „Deutschen NationalZeitung", Allein-Inhaber des sie herausbringenden „Druckschriften- und Zeitungs-Verlages/DSZ-Verlag" (und seit 1964 übrigens Mitgesellschafter auch der „Nation Europa Verlags GmbH" 1084 ). In dem Maße, in dem die bevorzugt am „systemkritischen" Vokabular der Studentenbewegung und an Strassers Unterscheidung eines wahren nationalen Sozialismus von dem des Hitler-Reiches anknüpfenden Argumentationsmuster der „nationalrevolutionär" orientierten „Denkgemeinschaft" und „Basisgruppen" in der NPD vordrangen, begann er begreiflicherweise um die Einbindungsfähigkeit auch der auf „Radikalisierung" im Sinne des genau umgekehrt wieder unumwundeneren und vorbehaltlosen Bekenntnisses zum Hitler-Reich und seinen Taten einschließlich Auschwitz (dies letztere in Form seiner Leugnung) drängenden Kräfte zu fürchten und riß hier ein objektives Zieladressaten-Dilemma für den BRDFaschismus auf, das diesen auf absehbare Zukunft vermutlich wohl auch weiterhin zu einer arbeitsteiligen Organisationsstruktur nötigen wird; denn die für die Strategie, latent linke, moralischhumanitär und systemkritisch motivierte Protestpositionen in - der Substanz nach - faschistische Antwort-Positionen umzumünzen, sich empfehlende Selbstentlastung von der Hypothek des historischen Faschismus durch dessen Denunziation als eine Art böse Fälschervariante ist mit der Glorifikation eben ihrer Repräsentanten in der Tat nicht auf einen Nenner zu bringen. Der Versuch, in auf den Straßen demonstrierende, linksgestimmte Protestpotentiale hineinzuwirken und Teile von ihnen auf ideologisch rechte Bahnen zu lenken, bedarf anderer Argumentations-Partituren als die Mobilisierung jener viel berufenen „schweigenden Mehrheit", von der der deutsche Faschismus zu wissen meint, daß es sie nach der Rehabilitierung nicht eines Strasser, sondern des „Führers" und 299
nach Rückschleuderung endlich des Kriegsschuldvorwurfs an die Siegermächte und gewissensbefreiender Erklärung der Judenvernichtung zur Siegerlüge und nicht im mindesten nach all den nur für die Beeindruckung der antiautoritären Jugendszene erforderlichen Selbstmaskierungs-Kunststückchen der politischen Rechten als nun auch irgendwie sozialistisch, „basisdemokratisch", „revolutionär" und gar „antifaschistisch" verlangt. Und weisen nicht gerade die hier angeführten (ihr zugeschriebenen) Merkmale sie als den soliden Sockel aus, auf den jedweder erhoffte größere Aufschwung einer faschistischen Bewegung in der Bundesrepublik sich noch auf lange Zeit hin als sein zuverlässigstes Kernpotential wird stützen müssen, das also keinesfalls neuen Verunsicherungen ausgesetzt werden darf, sondern in ihrer bisherigen Hartgesottenheit gerade zu festigen ist mit dem Ziel, von einem eindrucksvoll geschlossenen braunen Bekenner-Block zu den einstigen „Großen" des Nazi-Reichs aus auch ohne linksopportunistische Maskierungswege gleichsam unmittelbare Anziehungskraft auf Jugendliche, nicht zuletzt auf die vielen in der Bundeswehr heranwachsenden jungen Leute zu gewinnen? Bereits im Januar 1971 ging Gerhard Frey dazu über, die Enttäuschung über die rückläufige Erfolgskurve der N P D durch die Gründung der „Deutschen Volksunion ( D V U ) " aufzufangen und in ihr das Gros des alteingefleischten Neonazismus auf der von der „Deutschen NationalZeitung" seit jeher vorgegebenen Linie des „Kampfes" gegen die „Kriegsschuld" - und wenig später dann vor allem auch die „Vergasungslüge" zu sammeln 1085 , mit der Folge, daß die D V U binnen kurzem die N P D an Bedeutung zu überflügeln und als Sammlungspartei der faschistischen Kräfte in den Schatten zu drängen begann (nach den bekanntlich nicht sehr zuverlässigen Angaben des „Verfassungsschutz-Berichtes" des Bundesinnenministers soll sie im Jahre 1982 über 10000 Mitglieder, die N P D über 6 000 Mitglieder verfügt haben 1086 ); Frey unterstrich das genau ein Jahr später, im Januar 1972, mit der Gründung nunmehr auch eines Dachverbandes der mit der D V U zusammenarbeitenden Gruppierungen, des „Freiheitlichen Rates". 1 0 8 7 Die D V U bezeichnet die von ihr innerhalb des Neofaschismus vertretene Richtung als die „nationalfreiheitliche", was wohl, soll es überhaupt etwas besagen, nur zu lesen ist als Absetzung von den sozialismusdemagogisch operierenden Gruppen, also als - im Unterschied zu nationalsozialistisch" - national-„marktwirtschaftsbekennend"; der „Freiheitliche Rat" 300
versteht sich in diesem Sinne als Koordinierungsorgan der Organisationen „national-freiheitlicher" Richtung. Noch im Jahre 1971, im November, gründete auch Thies Christophersen, ehemaliger SS-„Sonderführer" - nämlich „Sonderführer für Pflanzenschutz" - im Nebenlager Raisko des KZ Auschwitz (damalige Bedeutung des Wortes „Pflanzenschutzmittel"!), danach Bauer, Bauernführer, Herausgeber von Bauernzeitschriften und Mitglied erst der CDU, dann der DP und schließlich der NPD (bis er auch diese mit der Begründung, sie sei ihm „zu demokratisch", verließ 1088 ), seine ebenfalls jenem Block zuzurechnende „Bürgerund Bauerninitiative (BBI)" sowie deren „Kritik-Verlag" mit dessen Schriftenreihe „Kritik - Die Stimme des Volkes", um über den letzteren u.a. dann 1973 seine Broschüre „Die Auschwitz-Lüge" verbreiten zu lassen1089. Und einen Monat später, im Dezember 1971, benannte der Rechtsanwalt Manfred Roeder (der dann zwei Jahre später das Vorwort zu Christophersens Auschwitz-Broschüre verfaßte und als ihr Herausgeber fungierte), damals wohlbehaust in einer ihm von der Evangelischen Kirche im Jahre 1970 für die Dauer von zehn Jahren zu kostenloser Benutzung zur Verfügung gestellten Villa (die er bis Sommer 1975 bewohnte und die ihm in Anerkennung wohl seiner ihm auch bei der katholischen „neuen bildpost" und Kreisen des katholischen Klerus wie beim „Weltbund zum Schutz des Lebens" höchstes Lob einbringenden vorherigen, von ihm noch als CDU-Mitglied gestarteten Aktionen gegen „unzüchtige Schriften" und angeblich gesteuerten „Sittenund Kulturverfall" zur Verfügung gestellt worden war 1090 ), seine bisherige, im Rahmen der „Aktion Verantwortung e.V." tätige „Bürgerinitiative gegen moralische und politische Anarchie" in „Deutsche Bürgerinitiative (DBI)" um, die zeitweise auch unter dem Namen „Bürgerinitiative Deutsches Reich" auftrat 1091 . Ab Mitte der siebziger Jahre sehen wir dann die DBI gemeinsam mit dem 1975 von Erwin Schönborn aus seinem „Frankfurter Kreis Deutscher Soldaten" gebildeten „Kampfbund Deutscher Soldaten (KDS)" 1092 , Christophersens „Bürger- und Bauerninitiative", etlichen Terrorgruppen wie der „NS-Kampfgruppe Mainz", dem „Freizeitverein Hansa" bzw. Kühnens „Aktionsfront Nationaler Sozialisten", auch Wolf-Dieter Eckarts bzw. Gary R. Laucks NSDAP/AO, der Wehrsportgruppe Hoffmann und der Wehrsportbzw. „Werwolf-Untergrundorganisation" WikingJugend 1093 (mit denen Christophersen bereits ab 1974 alle vier 301
Wochen Zusammenkünfte im Hamburger „Haus des Sports" arrangierte 1094 ), aber ebenso auch mit Wilhelm Stäglich (Verfasser des 1979 erscheinenden Buches „Der Auschwitz-Mythos" 1 0 9 5 ) und dem NPD-Schriftsteller Udo Walendy (gemeinsam mit Stäglich Verfasser der 1979 in England herausgebrachten Broschüre „NSBewältigung" 1096 , verantwortlicher Leiter des nach unüberprüfbaren Angaben einiger Autoren womöglich Erwin Schönborn gehörenden 1097 , jedenfalls wohl kaum zufällig in Vlotho/Weser, dem Sitz des „WSL" und Werner Haverbecks beheimateten „Verlag für Volkstum und Zeitgeschichtsforschung" 1098 , 1977 dementsprechend dann angekündigter Redner auf dem von Schönborn geplanten „1. Auschwitz-Kongreß" und Mitveranstalter der in Soltau im gleichen Jahr anläßlich der von der „Stillen Hilfe" organisierten Entführung Herbert Kapplers abgehaltenen Feier 1099 ) bei der Einleitung des Uberganges des Neonazismus von der bei ihm bisher üblichen Verharmlosung der Judenvernichtung zu ihrer nunmehr frontalen Leugnung und zugleich mit ihr zur wieder aktuellen Propagierung des Rassismus wie auch bei der Abhaltung von „Reichstagen" zusammenarbeiten 1100 . Und in den frühen siebziger Jahren sehen wir die D B I auch schon bei verschiedenen Anlässen in entsprechendem Sinne randalieren 1101 und sie - bzw. den gesamten, unlöslich ineinander verflochtenen Komplex der Gruppierungen um Roeder, Christophersen und insbesondere Erwin Schönborn mit alledem unverkennbar ideologische Vorfeld- und Stoßtrupparbeit für die mit ihrem „Deutschen Anzeiger" (einem Ablegerblatt von Freys „Deutscher Nationalzeitung" 1102 ) in die gleiche Richtung steuernde D V U leisten. Angesichts der inhaltlichen Ubereinstimmung einerseits und der evidenten vielfältigen Verzahnung der Roeder-Christophersen-Schönborn-Gruppierung 1103 in die bundesdeutsche und zugleich westeuropäische neofaschistische Bombenterror- und Attentatsszene 1104 andererseits kann an der tatsächlichen Untrennbar- bzw. Unabgrenzbarkeit des DVU-Blocks im Neofaschismus der Bundesrepublik (seinem derzeitigen Hauptblock) vom Geflecht der terroristischen Neonazi-Gruppen keinerlei Zweifel bestehen 1105 . Als allein bereits hinreichend sprechendes Beispiel ist dafür auch Dr. Gerhard Frey selbst anführbar, der als DVU-Vorsitzender nicht nur dem „Freundeskreis" der in die gesamte internationale faschistische Terror-Szenerie tief verstrickten „Wehrsportgruppe Hoffmann" als eines seiner einflußreichsten Mitglieder angehörte und die Hoffmann-Truppe finanzieren half, 302
sondern sie auch - wie in gleicher Weise z. B . die Wiking-Jugend zum „Schutz" von DVU-Versammlungen einsetzte und im Juli 1976, als Hoffmann wegen Verstoßes gegen das Uniformverbot zu einer Geldstrafe von 8 0 0 0 , - D M verurteilt worden war, die Begleichung dieser Summe „aus einem Akt nationaler Solidarität" für Hoffmann übernahm 1 1 0 6 und der im Dezember desselben Jahres die gleiche „Solidarität" noch einmal dem ANS-Mitglied, Mitglied des „Freizeitvereins Hansa" und Führer der „Wehrsportgruppe" der Wiking-Jugend, U w e Rohwer, erwies, indem er ihm den „Ehrenpreis der Nationalzeitung für politisch Verfolgte" zuerkannte. 1 1 0 7 Die festere Herausbildung der dritten,
ideologisch heute am
weitesten über die Grenzen des organisierten Neonazismus hinaus Offentlichkeitswirkungen erzielenden, insbesondere um Einfluß auf die Alternativ- und Protestbewegungen bemühten und - in engem Zusammenhang damit - in einigen „zeittrend"-typischen oder „wende"-adäquaten politisch-kulturellen Diskussionen der Medien sowie „zeitpuls"-fühliger Podiumsdiskussions- und Akademietagungs-Experten gegenwärtig in die Rolle fast eines thematischen Stichwortgebers vorgestoßenen Formation, des Lagers der heutigen Gruppierungen der sogenannten „Neuen R e c h t e n " , setzte im engeren Sinne erst ein J a h r nach Freys neuer Konzentrationsbildung um den Sammlungskern D V U ein. Und zwar in dem Augenblick, als Frey zur Verstärkung von dessen Magnetkraft im Januar 1972 eben den „Freiheitlichen R a t " gründete und der Austritt des bisherigen bayerischen NPD-Landesvorsitzenden
Dr.
Siegfried
Pöhlmann sowie weiterer 460 NPD-Mitglieder aus der N P D auf dem bayerischen NPD-Landesparteitag am 9. Januar 1972 organisatorischen
Fusion
der Mehrzahl
(350 der 460)
beträchtlichen, 10 Prozent der gesamten bayerischen
zur
dieses
NPD-Mit-
gliedschaft ausmachenden Potentials bisheriger radikalster,
aus
aktionistischem Drang unter Pöhlmanns Wortführung gegen den NPD-Bundesvorstand aufbegehrender NPD-Mitglieder mit den „nationalrevolutionären
Basisgruppen", den „Solidaristen",
der
U A P und den „Volkssozialisten" zur „Aktion Neue R e c h t e " und deren Anschluß an Freys „Freiheitlichen R a t " führte. 1 1 0 8
Die
„Neue Rechte" legt allerdings Wert darauf, ihre Entstehungsgeschichte demgegenüber als einen Prozeß gerade der Ablösung und Abkehr von der „alten", „reaktionären" Rechten - in betonter Analogie zur beifällig angeführten Abkehr der „Neuen L i n k e n " von „ihren Reaktionären" bzw. von der „alten L i n k e n " oder den
303
„Dogmatikern" und als gleichsam dieser „neuen" und „undogmatischen Linken" auf einen gemeinsamen perspektivischen Fluchtpunkt hin nunmehr zuwachsender ebenso „junger" oder „undogmatischer" Arm von rechts - aufgefaßt und dargestellt zu sehen. Der Weg von dieser ersten Sammlung des „neuen Nationalismus", die sich die Perspektive eines „straff organisierte(n) Kaderverband(s)" setzte1109, jedoch von nur relativ kurzer Lebensdauer war, über die Auseinandersetzungen der in ihr noch enthaltenen richtungsmäßig heterogenen Kräfte und die hieraus sich ergebenden organisatorischen Aufspaltungen und Neugruppierungen bis zur schließlich im August 1974 aus alledem hervorgehenden heutigen Organisationsstruktur der „Neuen Rechten" ist von ihr selbst zugehöriger und sich der Darstellung ihrer Geschichte in durchaus empfehlender Intention annehmender Seite1110 in seinen einzelnen Etappen und Verwicklungen ausgiebig beschrieben und inzwischen in auf seine Hauptdaten zusammengefaßter Form auch mehrfach anderswo nachschlagbar gemacht worden 1111 . *
Die Geschichte des Ausbruchs des auf mehr Aktionismus und aggressivere Demagogie drängenden Potentials der „Aktion Widerstand" aus dem Schöße der NPD begann bereits am 17. Juni 1971. An diesem Tage, programmatisch gewählt, gründete der zuvor wegen solchen Drängens aus der NPD ausgeschlossene und daraufhin zunächst einer soeben entstandenen „Deutschen Arbeiterpartei (DAP)" 1112 beigetretene ehemalige nordrhein-westfälische Landesleiter des NPD-Ausschusses für Sozialpolitik und Gewerkschaftsfragen und Angehörige des NRW-Landesvorstands der NPD, Friedhelm Busse, in Krefeld eine „Partei der Arbeit (PdA) Deutsche Sozialisten" 1113 . Diese trat mit der „Aktion Deutscher Sozialismus (Deutsche Arbeitsgemeinschaft - Nationalrevolutionäre Bewegung)" bzw. ihrem von den „Solidaristen" kommenden und sich zu dieser Zeit insbesondere um die Ausweitung der „volkssozialistischen Basisgruppen" zu einer „volkssozialistischen Bewegung" bemühenden, auch als Agitator der „Deutschsozialistischen Volkspartei" auftretenden und 1972 dann eine „Deutsche Aktionsgemeinschaft für Nationale Politik" gründenden Exponenten, dem Strasserianer Werner Kosbab1114, und über ihn auch mit dessen engstem Kooperationspartner Karl Jochheim-Armin und seiner SNKD in Zusammenarbeit, die ihrerseits mit der „Nationalsozialistischen Kampfgruppe Großdeutschland (NSKG)" verbun304
den und nicht weniger terroristisch als diese war 1115 ; sie betrat hier also das Terrain des flagrant gewalttätig operierenden Nazismus bzw. stellte den Anschluß zu ihm her (Busse selbst freilich war bereits seit 1963 wegen Vergehens gegen das Sprengstoffgesetz vorbestraft 1116 ); ebenso arbeitete sie aber auch mit Klieses „ U A P " und der „Blauen Adler Jugend (BAJ)" 1 1 1 7 zusammen - in dem sie alle verbindenden Bestreben, in der Bundesrepublik eine erfolgreiche „nationalrevolutionäre und volkssozialistische Bewegung" (Busse) 1118 aufzuziehen. Mit dem Auszug des bayerischen Pöhlmann-Kontingents aus der N P D stoßen der Ex-NPDler Busse ebenso zu ihm wie die von der „Denkgemeinschaft" hierzu aufgeforderten „nationalrevolutionären Basisgruppen", die „volkssozialistischen" und die „solidaristischen" Gruppen, Wolfgang Strauss von der „Blauen Adler-Jugend" und „Reichsarbeiterzeitung" und die Gruppe des Hamburger „Neuen Forum" um Lothar Penz zwecks Aufbaus der von ihm ausgerufenen „Aktion Neue Rechte" (wodurch sich bis Jahresende 1972 die Zahl ihrer am Gründungstage aus den 350 NPD-Sezessionisten bestehenden Mitglieder auf 650 erhöht) 1119 . Busse wird noch 1972 „Landesbeauftragter" der „Aktion Neue Rechte" in Nordrhein-Westfalen, ab 1973 Mitglied ihres Bundesvorstands und in ihm verantwortlich für das „Referat Strategie" 1120 - einer der verständlicherweise, erinnert man sich, wie die Geschichte mit Busse weiterging 1121 , aus den seitens der heutigen Nationalrevolutionäre offerierten Selbstdarstellungen als eine seinerzeit mit der „Aktion Neue Rechte" einsetzende Aufbruchsbewegung zu einer Art „Linksnationalismus" sorgsam ausgeblendeten Umstände. 1122 Adolf v. Thadden, der alte DRP-Aktivist, hatte dem in der N P D anschwellenden Chor der Kritiker an der „Laschheit" des Vorstands schon am 21. November 1971 auf dem 5. NPD-Parteitag nachgegeben und dem - mit der hinter diesem aktivistischen Drängen als interessierter Ermunterer und Flammenbläser stehenden „Denkgemeinschaft" seit früheren Studientagen vielfach verbundenen - Rechtsanwalt und mittlerweile gestandenen NPD-Politiker Martin Mußgnug seinen Platz geräumt 1123 ; angesichts des unter Mußgnug - der 1977 dann z. B. die Verteidigung von Karl-Heinz Hoffmann und Axel Heinzmann vor Gericht übernimmt 1124 - sich nun rasch vollziehenden programmatischen Annäherungsprozesses der N P D an die „Neue Rechte" 1125 wird man das wohl kaum als eine Niederlage für sie bezeichnen können. Wenn es gleichwohl 305
nur knapp anderthalb Monate nach Thaddens Auswechslung durch Mußgnug zum Auszug Pöhlmanns und zur Konstitution der „Aktion Neue Rechte" kam, dann jedenfalls nicht etwa deshalb, weil Pöhlmann, wie es bei Günter Bartsch zu lesen steht, „zu einem gewissen Grade den linken Flügel der N P D " und von Thadden „den rechten" repräsentiert hätte und es nun „bereits zu spät" gewesen sei, die hieraus erwachsenen Konflikte durch Mußgnugs Berufung noch beizulegen. 1126 Denn was Pöhlmann zu v. Thadden in Gegensatz und mit ihm in Konflikt gebracht hatte, das war, daß er „sich vor alle Aktionisten stellte, denen der Parteiausschluß vor allem wegen ihrer Beteiligung an den gewalttätigen Auseinandersetzungen der Aktion Widerstand" drohte, und gegen Thadden ins Feld führte, man dürfe „das emotionelle Feuer nicht auf Sparflamme stellen". 1127 Entsprechend aber war, was da im Januar 1972 (da auch Mußgnug, wie kein NPD-Vorsitzender, den Gesichtspunkt des Rückwirkungs-Effektes von Terror-Aktionen auf die Wähler ganz ignorieren kann) hinter Pöhlmann und dessen Ruf, „einen neuen Anfang im Kampf um Deutschland zu setzen" 1128 , aus der bayerischen N P D auszog, zusammengesetzt: war ihr im faschistischen Sinne „emotionellster" bzw. „feurigster" oder „revolutionärster" Teil. Diesen Konflikt und Bruch auf den Nenner eines Links-Rechts-Gegensatzes und eben jenes Potential damit zum Namen des „linken Flügels" im Lager der Rechten zu bringen, entspricht nun allerdings den politischen Gepflogenheiten dieser Potentiale selbst und ist bereits ihr eigener Begriffsgebrauch und Produkt derselben Optik, wie wir sie etwa auch bei Busse antreffen, wenn er seine Abwendung von der N P D mit den Worten begründet: „Der bürgerlich-reaktionäre Charakter der NPD-Führungsclique gestattete zu keiner Zeit, daß diese Partei etwas anderes darstellen konnte als den rechtsreaktionären Flügelmann des bundesdeutschen Parteiengefüges . . ," 1 1 2 9 Und eben deshalb, weil es sich hier um einen radikalaktionistisch-faschistischen NPD-Flügel handelte - der Einreden und Vorbehalte gegen sein Drängen freilich als „bürgerlich" zu attackieren, sich ihm in den Weg stellende Kräfte gar als die „Reaktion" zu titulieren und sich von daher als der „anti-reaktionäre", ja entschieden anti-„bürgerliche" Flügel darzustellen und insoweit für sich dann auch die Einstufung als gleichsam „linker" Flügel in Anspruch zu nehmen pflegte - , beschränkte sich die „Aktion Neue Rechte" auch nicht auf die Einrichtung der von Bartsch erwähnten diversen ideologi306
sehen Arbeitskreise unter Leitung von Exponenten der „Denkgemeinschaft"1130. Sie baute auch - schon mit ihrer Namenswahl die Orientierung an Frankreichs „Nouvelle Droite" signalisierend einen nach dem Vorbild des französischen „Ordre Nouveau" organisierten „Sicherheitsdienst" auf, bildete in ihrem Schulungszentrum Epprechtstein (Fichtelgebirge) „Kampfkader" heran1131, und nicht nur Busse, sondern auch Michael Kühnen stieß zu ihr hinzu1132 (woraus sich dann wieder die so eigentümlich anmutende spätere ideologische Nähe der doch nur aus Schlägern bestehenden Kühnen-Truppe zu den „Denkern" der „Nationalrevolutionäre" wenn gewiß auch noch einmal durch Roeder vermittelt, dessen DBI sich Kühnen danach, noch ehe er zur ANS kam, anschloß - , wie überhaupt eben das heute zu konstatierende ideologische Kontinuum von Mußgnugs NPD und den Jungen Nationaldemokraten über die „nationalrevolutionären" Gruppen bis in die NS-„Kampfgruppen"-Szenerie hinein erklärt). Eben deshalb aber ist diese nur kurzlebige „Aktion Neue Rechte" gerade in ihrer Kurzlebigkeit auch hinsichtlich der Gesetzlichkeiten, denen der Faschismus bei der Ausbildung seiner Organisationsstruktur im allgemeinen unterliegt, so lehrreich. Denn der Umstand, daß die ominöse (mit zumindest einer ihrer zentralen, womöglich ellipsenartig auch doppelt vorzustellenden Schwerpunkt-Achsen im Umkreis von „Nation Europa" und Peter Dehoust zu suchende) „Denkgemeinschaft" gerade in einem derartigen Potential das geeignete personelle Ausgangsreservoir erblickte, auf das die mit ihr zusammenarbeitenden bzw. ihr zugehörigen Ideologie-Kader nun zu konzentrieren seien1133, konnte nur bedeuten, daß hier der Versuch unternommen wurde, die angestrebte „aktivistischere" Orientierung des Neofaschismus in der Doppelbedeutung, die dem Sammlungs-Schlachtruf „Widerstand" im Verständnis zumindest der rührigeren Kader aus den „jungeuropäischen" und „nationalrevolutionären" Gruppen von Anfang an innegewohnt hatte, also den Ubergang zu militanteren Aktionen des Straßen-„Widerstandskampfs" für „Deutschland" und die „ideologische" Offensive im Blick insbesondere auf die Jugend und ihre beunruhigend linksdriftigen Protestbewegungen (oder, in der Sprache des „neuen Nationalismus": die „geistigkulturelle Revolution" für „Deutschland") mittels und innerhalb ein und derselben und mit vereinter Kraft hochzuziehenden Organisation zum Zuge und zur Geltung kommen zu lassen. Dies aber 307
eben war ein an den Gegebenheiten der siebziger Jahre und damit auch an den damaligen - und wohl auch noch heutigen - objektivfunktionalen Organisationsbedürfnissen des Faschismus voluntaristisch vorbeigedachtes Unterfangen; und wir sehen, wie die ANR dies korrigiert, indem sie gemäß den situationsbedingten widersprüchlichen tatsächlichen Leistungsanforderungen an den Faschismus zerfällt: Kaum war die ANR gegründet, stellte sich heraus, daß Pöhlmann das von ihm als so wertvoll gegen Thadden verteidigte „emotionelle Feuer" der neuen Kräfte-Konzentration um Freys DVU zuzuführen gedachte; er schließt, wie gesagt, die ANR unverzüglich dem von Frey in just eben dem gleichen Monat aus der Taufe gehobenen „Freiheitlichen Rat" an1134, und es liegt wiederum auf der Hand, aus welchem funktionalen Grunde dies zu einer Polarisierung der in ihr durchaus bei allem gemeinsamen Willen noch inhomogenen Kräfte zu zwei Hauptlagern und schließlich ihrem Auseinanderbrechen führen muß. Denn zwar hatte Eichberg nicht nur auf Pöhlmanns ausdrückliche Bitte hin das „Manifest" der ANR verfaßt" 35 , sondern auch gleich noch für Pöhlmann einen „Aufruf zur Tat" ausgearbeitet, demzufolge die ANR - in den Worten von Bartsch - „eine Bewegung der Jugend zur sozialistischen Nation Europa werden sollte und alle echten Befreiungsnationalisten in anderen Ländern zu unterstützen versprach" ; und in der von Eichberg entworfenen „Grundsatzerklärung" hieß es hierzu erläuternd (in den Worten von Bartsch), „die unterdrückten Völker" meldeten sich „nicht nur in Irland und der Bundesrepublik, auch in Kroatien und der Ukraine" zu Wort 1136 woran man wohl sehen kann, daß die Differenzen keineswegs auf der Ebene der sozusagen „positiven" Zielprogrammatik lagen. Doch der Anschluß an den „Freiheitlichen Rat" bzw. Freys Lager bedeutete den Anschluß an die Gruppen desjenigen neofaschistischen Mobilisierungstyps, dessen Nationalismus-Agitation auf die unmittelbare Hitler- und NS-Staats-Rehabilitation zuhält; und dies allerdings schuf eine in der Tat nicht zu überbrückende Unverträglichkeit mit den Mobilisierungsvorstellungen und Erfahrungen der zumeist aus der Arbeit in Strasserschen Organisationen und den „nationalrevolutionären" Basisgruppen kommenden und längst auf die Konturen eines gemeinsamen „neuen" ideologisch-strategischen Credos verständigten Ideologen der „Denkgemeinschaft", die die offensive ideologische Neuempfehlung des Faschismus via 308
Strasser und Niekisch unter der Kennmarke des Anti-Hitlerismus und eines somit gleichsam „antifaschistischen Nationalismus" ins Visier genommen hatte; es handelt sich um zwei verschiedene Mobilisierungsmodelle, die zwar gewiß nicht im politischen Effekt, doch innerhalb einer Organisation einander ausschließen und sie sprengen müssen. Und genau längs dieser Differenzlinie brachen die Auseinandersetzungen - bei immerhin freilich gleichwohl doch noch zwei Jahre lang anhaltender engster Zusammenarbeit - schon früh auf, sich signalisierend bereits am Gründungstage in der Streichung der gleichmäßigen Anprangerung „des sowjetischen und amerikanischen Imperialismus" aus Eichbergs „Manifest"-Entwurf durch die ANR-Gründungsversammlung 1137 , ab April 1972 dann manifest zutagetretend, als Pöhlmann die von der A N R geschaffene Zeitung nicht mit abermaligem FrankreichAnklang „Neue Ordnung", sondern „Recht und Ordnung" nannte und sie in Freys Verlag herausbringen ließ, woraufhin Eichberg, Strauss, Meinrad und andere ihr als konkurrierende „nationalrevolutionär" orientierte ANR-Zeitung nunmehr gemeinsam ihre „Neue Zeit", deklariert als „Organ für europäischen Sozialismus", entgegensetzten 1138 , und nach offenbar fortschreitenden Terraingewinnen der „Nationalrevolutionäre" im Verlaufe des Jahres 1973 schließlich in wechselseitigen Ausschluß-Versuchen, GerichtsQuerelen um die Berechtigung zur Fortführung des Namens (aus denen Pöhlmann als Sieger hervorgeht) und am 2./3. März 1974 in zwei getrennten Parteitagen und damit der Spaltung gipfelnd. 1139 Die zur Annahme eines neuen Namens genötigte, sich in Würzburg versammelnde Mehrheit der bisherigen A N R nennt sich nunmehr „Nationalrevolutionäre Aufbauorganisation (NRAO)" 1 1 4 0 und führt zuallererst eine aufschlußreicherweise (laut Bartsch) in ihrem „Hauptzweck" erst einmal „einer inneren Festigung der N R A O " selbst dienende und in der ihren Vorstand nunmehr offenbar uneingeschränkt dirigierenden „Denkgemeinschaft" ausgedachte 1141 Kampagne „Solidarität mit dem irischen Volk!" durch; deren erklärter Sinn ist die Parallelisierung und damit offensiv-kämpferische Internationalisierung der „deutschen" Frage im keineswegs verhohlenen nationalrevolutionär-großdeutschen Verständnis mit vorbildhaft anderswo schon stattfindenden „Völker"-Kämpfen, nämlich „deutlich" zu machen, „daß der irische Freiheitskampf vom ebenfalls gespaltenen deutschen Volk unterstützt wird". Dazu ein Flugblatt-Text: „Das irische und das 309
deutsche Volk sollen nach dem Willen der Imperialisten in möglichst viele Einzelstaaten aufgesplittert und uneinig bleiben (hier in Westdeutschland, die D D R , Österreich und die deutschen Ostgebiete, dort in Süd- und Nordirland).. . " U 4 2 Die „erzieherische" Funktion nach innen in die eigene Organisation hinein war die „befreiungsnationalistische" Verknüpfung solcher die „nationalrevolutionäre" Tradition von Paetels „Sozialrevolutionären Nationalisten" wiederaufnehmender Globalisierung des eigenen Großdeutschland-Kampfs durch „Völkerkampfs-Solidarisierung" mit der Einübung in auch praktische „Widerstands"Gesinnung und die Fähigkeit zu öffentlicher Verteidigung von Terror-Anschlägen - am Übungsbeispiel IRA-Verteidigung (eigens Handreichung des „Gründungsausschusses" an die „Basisgruppen" zu der Frage, wie diese Verteidigung gegenüber „ganz Hartnäckigen", die „immer wieder" auf die Bomben zu sprechen kommen, am besten lauten solle 1143 ; zugleich in Zusammenhang mit der IRAKampagne Aufbau des irischen Faschisten James Connolly als ideologische Vorbild-Figur des „Befreiungs-Nationalismus" 1144 ).
„Solidaristen", „Nationale Sozialisten", „Nationalrevolutionäre" Trotz der völligen Einmütigkeit der nun von keiner anderen Richtungsschattierung mehr in ihrer Organisation behinderten „Nationalrevolutionäre" in eben dieser „befreiungsnationalistischen" Orientierung kommt es zu der von ihnen nun angestrebten Zusammenfassung aller nationalrevolutionär tendierenden Kräften zu einer großen, einheitlichen Organisation jedoch nicht, sondern interessanterweise statt dessen zu einer organisatorischen Aufdifferenzierung noch einmal unter ihnen selbst, und zwar diesmal einer sogar die Exponenten der „Denkgemeinschaft" auf zwei Seiten verteilenden, doch eigentlich wiederum nur sehr einleuchtenden. Denn es bleibt immerhin noch die auch in der Strasser-Richtung selbst ja unentschieden offengelassene Frage, ob nun aber die Mobilisierung für das in jedem Falle „Dritte", das der „neue Nationalismus" an die Stelle der im nationalrevolutionären Demagogiemodell für gleichermaßen überholt erklärten Systeme in West und Ost zu setzen verspricht, namens dann eines gegenüber Kapitalismus wie Sozialismus angeblich ganz Anderen und sie 310
beide „überwindenden", also des „Solidarismus", oder namens des „wahren Sozialismus" erfolgen soll. Lothar Penz von der Gruppe „Neues Forum" und Sprecher der unterdessen gebildeten Hamburger „NRAO-Landesgruppe" plädierte, übereinstimmend mit dieser, für „Solidansmus"11*5. Henning Eichberg, Mitarbeiter des „Jungen Forum", der bereits im Mai 1968 die „Jungeuropäische Arbeitstagung" geleitet hatte 1146 und weiterhin der Europajugend-Arbeit von „Nation Europa" verbunden war (am 16./17. September 1972 von „Nation Europa", der Zeitschrift „Mut" und Alfred Manke vom „ A W " veranstaltetet „1. Nationaleuropäischen Jugendkongreß", an dem wiederum Meinrad mitwirkte und auf dem bereits von den italienisch-französisch-spanischen „Volkskampf"-Gruppen ein Papier vorgelegt wurde, das überschrieben war „Europa ist besetzt" und mit dem Satz begann „Sowjets, Amerikaner, Zionisten und Vatikan haben im stillen Einverständnis, das in Yalta 1945 entstanden ist, unser Europa zu einer Kolonie gemacht", um dann die Bildung eines „Komitee für den revolutionären europäischen Kampf" vorzuschlagen, „das ein intereuropäisches Verbindungsorgan für die Errichtung des Volkseuropa sein soll" und Aktionsvorschläge zu „antiimperialistischen und antikapitalistischen Themen" auszuarbeiten hätte 1147 ), - Eichberg, der nunmehr auch in völliger Sinnesübereinstimmung mit dem Osteuropa-Aufstandsexperten und „Befreiungsnationalisten" Wolfgang Strauss die zeitweise von diesem redigierte und von ihnen gemeinsam erstellte „Neue Zeit" als eine Zeitschrift „für europäischen Sozialismus" Untertiteln ließ, bestand auf „Sozialismus" . w t Eine angesichts der tatsächlich völligen Inhaltsgleichheit von Strassers „Solidarismus" und „deutschem Sozialismus" in der Sache irrelevante - wie die auch weiterhin ungebrochen anhaltende gute persönliche Zusammenarbeit von Penz und Eichberg nur bestätigt - , aber freilich adressatenrelevante Frage bzw. eine Frage der Einschätzung des Dauerhaftigkeits- oder des Resistenzgrades der damals zwar schon zurückflutenden, aber noch dominierenden Linkstendenzen. Und obgleich die von Eichberg und Strauss repräsentierte Gruppierung sich in der Frage ihres Namens zum „Kompromiß" des Verzichts auf das Wort „Sozialismus" zugunsten des ja nun wahrhaft den ideologischen Einigungsnenner darstellenden Begriffs „Volk" bereitfand (so jedenfalls die Motivdeutung von Bartsch), beharrte die Gruppe um Penz auf dem Begriff „Solidarismus" und ging zur Vorbereitung der Konstitu311
ierung einer eigenen Bewegung unter diesem Namen über - womit wir bei der Herausbildung der das Lager der „Nationalrevolutionäre" im wesentlichen bis heute prägenden organisatorischen Grundstruktur angelangt wären. A m 24. August 1974 ruft die Gruppierung um Penz in Aschaffenburg eine „Solidaristische Volksbewegung" aus, (die sich später in „Bund deutscher Solidaristen" umbenennt und die Zeitschrift „sol" herausgibt). A m 31. August 1974 konstituiert sich unter Führung von Eichberg und Strauss in Frankenberg/Eder die „Sache des Volkes - Nationalrevolutionäre Aufbauorganisation (SdVN R A O ) " , zu deren erstem Organ die „ N e u e Zeit" wird - nunmehr im Untertitel umbenannt in „Forum für die Sache der Völker" und später vereinigt mit dem alten Kaderorgan „Ideologie und Strategie" 1 1 4 9 - und die mit der insbesondere über die Person von Strauss in sie eingebrachten U A P eine „bestimmte Personalunion" herstellt 1150 und als ihr Programm nun weitgehend das schon 1973 von Eichberg einem zu dieser Zeit in der Penz-Gruppe ausgearbeiteten „Solidaristischen Manifest" entgegengestellte „Nationalrevolutionäre Programm" übernimmt. Zu deren „inhaltsschwersten Forderungen" (so Bartsch) gehörte „die Uberwindung der ,deutschen Separatstaaten von Bonn, Ost-Berlin und Wien' durch eine nationale Revolution mit allen legalen Mitteln, aber notfalls durch Gewalt", wobei diese „Revolution" zwar „in Westdeutschland und West-Berlin beginnen" sollte, es jedoch auch „für möglich gehalten" wurde, „daß sich ihr Schwerpunkt in das Gebiet der D D R verlagert, weshalb eine gesamtdeutsche Organisation erforderlich sei, die auch Österreich umfaßt". 1 1 5 1 Unbesehen dieser je eigenen Organisationen bilden die „Solidaristen" und die verschiedensten „nationalrevolutionären" Gruppen unter denen die S D V - N R A O nur die größte geblieben, nicht die einzige ist - heute gemeinsam die beiden Hauptarme der „Nationalrevolutionäre", denen im Jahre 1974, zum Zeitpunkt der Gründung der beiden Hauptorganisationen, Bartsch als weitere ihnen zugehörige Gruppierungen außer der U A P auch noch die „Aktionsgemeinschaft Unabhängiger Deutscher ( A U D ) " und die „Vereinigung Deutsche Nationalversammlung" ( V D N V ) zurechnete, bereits damals freilich zutreffend hinzufügend, daß sich aber „auch laufend neue Organisationen dieser Art, sowohl aus dem nationalen als auch dem ökologischen Krisenherd" bilden 1 1 5 2 . Allesamt werden sie von einem unterdessen geschaffenen „Natio312
nalrevolutionären Koordinationsausschuß" mit Sitz in Menden/ Sauerland c/o Armin Krebs zusammengehalten, der seinerseits als vierteljährlich erscheinendes Orientierungsorgan seit dem Jahre 1981 die Zeitschrift „Aufbruch. Beiträge zur nationalrevolutionären Politik" herausbringt, ferner seit Ende 1982 für den von ihm aufgebauten „Nationalrevolutionären Sympathisantenkreis" den „NR-Rundbrief" und als der Anleitung dienende „ideologische bzw. dokumentarische Schriftenreihe" die jeweils speziellen Themenschwerpunkten gewidmeten „NR-Hefte" 1153 , aber auch in Gestalt der zahlreichen eigenen Organe der ihm angeschlossenen Gruppen wie inzwischen hinzugekommener, verlagsmäßig selbständig firmierender nationalrevolutionärer Zeitschriften über weitere Sprachrohre verfügt (so etwa die seit April 1978 als Organ der „nationalrevolutionären Basisgruppen" Nordrhein-Westfalens erscheinende Zeitschrift „laser - nationalrevolutionäre Perspektiven für eine sozialistische demokratie", die seit Dezember 1979 in Koblenz von Siegfried Bublies herausgebrachte [zum heute wohl mit Abstand operativsten Organ gewordene] Zeitschrift „wir selbst. Zeitschrift für Nationale Identität", seit dem Heft Dezember/Januar 1983/84 mit dem veränderten Untertitel „Zeitschrift für nationale Identität und internationale Solidarität", die Westberliner Zeitschrift „Befreiung. Zeitschrift für Politik und Wissenschaft" und die gleichfalls in Westberlin als Organ der nationalrevolutionären Schüler- und Studentengruppen der „Sache des Volkes NRAO" erscheinenden Zeitschrift „Rebell"). Vergleicht man die Programme der unter solchem Dach vereinten, aber doch eben immerhin selbständig organisierten Gruppen - in der Hauptsache also vor allem das „Solidaristische Manifest" und das „Solidaristische Grundsatz-Programm" des „Bundes Deutscher Solidaristen (BDS)", das „Unser Programm für Deutschland" betitelte Programm der „Sache des Volkes N R A O " und die vom „Nationalrevolutionären Koordinationsausschuß" als „Grundlage des nationalrevolutionären Selbstverständnisses" bzw. dessen „Fundament", offenbar also als der gruppenverbindende Einigungsnenner formulierte und angebotene „Nationalrevolutionäre Plattform" 1154 - , dann fällt das nun allerdings doch höchst Erstaunliche auf: daß sich zwischen ihnen nicht der geringste konzeptionelle Unterschied feststellen läßt, sie vielmehr alle konzeptionell wie aus ein und derselben Retorte kommend sich lesen und, noch merkwürdiger, auch alle auf ein offenbar hinter 313
ihnen allen gemeinsam stehendes, in den Texten selbst kaum näher ausgeführtes, aber in allen gleichermaßen überall irgendwo apostrophiertes allgemeineres Bezugssystem verweisen, das, hat man es erst einmal in den Blick bekommen, sich dann aber auch über den Rahmen dieser Gruppen hinaus in den Dokumenten einer größeren Zahl anderer Organisationen wiederfinden läßt (um nur Beispiele zu nennen: der NPD, der Jungen Nationaldemokraten, der Burschenschaft „Danubia" [deren Mitglied Eichberg ist], des „Ringes Freiheitlicher Studenten [RSF]", ebenso aber auch im Programm der damaligen „Volkssozialistischen Bewegung" Busses). Eben dieser mithin erstaunlich bleibende und doch auch nicht aus dem Wege zu räumende, da evident zutageliegende Umstand, hat einen Grund: Bereits im Jahre 1968 hatte Armin Möhler, 1942 aus der Schweizer Armee desertiert, um der SS beizutreten, Privatsekretär Ernst Jüngers von 1949-1953 und seit 1950 (s. sein Buch „Die konservative Revolution in Deutschland 1918-1932" 1155 ) um die Wiederbelebung des Weimarer Jungkonservatismus bemüht, heute zu einem der führenden Köpfe etwa im Autorenkreise um Caspar SchrenckNotzings „criticón" geworden und seit 1964 als Geschäftsführer der Carl-Friedrich-von-Siemens-Stiftung in München tätig 1156 , daran mitgewirkt, eine bislang einzigartige Einrichtung der französischen Neuen Rechten (der „Nouvelle Droite"), den „Groupement de Recherche et d'Etudes pour la Civilisation Européenne (G.R.E.C.E)", aus der Taufe zu heben: eine die „intellektuelle Avantgarde" aller zu ihr gehörigen Gruppen (vom „L'Ordre Nouveau" bis zu den „Volkskampfgruppen") in regionalen „Studienkreisen" zu „Ideologiegruppen" zusammenfassende und diese gelegentlich zu „Kolloquien" und Tagungen zusammenbringende, insgesamt einige hundert Mitglieder in dieser Form organisierende und zu einer geschlossenen intellektuellen Kampf-„Elite" der „Neuen Rechten" heranbildende, d. h. auf ein einheitliches Denkund Argumentationssystem hinführende „Studiengesellschaft" 1157 ; diese schuf sich als Leitorgan die „Nouvelle Ecole" (neben einer dann später auch für ein breiteres Publikum unter dem Titel „Elements" herausgegebenen literarisch-politischen Zeitschrift und dem Verlag „Editions Copernic" 1158 ) und einen um sie gruppierten intellektuellen Anführerkreis gleichen Namens. Mit deren damals 24jährigem, inzwischen zum Star-Intellektuellen der französischen Neuen Rechten und zum Akademie-Preisträger (1978) avancierten 314
Leiter und Chef-Denker Alain de Benoist 1159 (früherer Deckname Fabrice Laroche) stand Möhler in einem Verhältnis freundschaftlich enger geistig-politischer Osmose (Benoist „entdeckte" die Weimarer „Jungkonservativen" als den Jungbrunnen des derzeitigen europäischen Konservatismus). Das G.R.E.C.E. wurde zur Blaupause nicht nur der „Denkgemeinschaft" und der „Sababurgrunden" in der Bundesrepublik, sondern auch jetzt überall entstehender, ganz analog konstruierter „Ideologie-Gruppen" in den Formationen der „Neuen Rechten" anderer westeuropäischer Länder. 1160 Was der Kreis um Alain de Benoist und den Leiter der Abteilung „Erforschung und Studien" des G.R.E.C.E., Guilleaume Faye, (beide dadurch zu eminenter Popularität in Frankreich gelangt, daß ihnen der Herausgeber des erzkonservativen „Figaro" unter der Chefredaktion des ihnen politisch ganz und gar verbundenen einstigen publizistischen Astrologie- oder Parapsychologie-Spekulanten Louis Pauwels den de facto unbeschränkten Einfluß auf das neugeschaffene „Figaro Magazine" gestattete1161) sich aber, im osmotischen Kontakt mit Möhler, mit der Gründung der „Nouvelle Ecole" als der - in Möhlers Worten - „Hochschule, welche . . . der Kampforganisation ,GRECE' die Waffen liefert für ihren Zweifrontenkrieg gegen linke Kulturrevolution und traditionelle Verkrustung" 1162 , vorgesetzt hatte, war nichts anderes, als die gesamte diskreditierte einstige völkische Ideologie aus der AbseitsEcke ihrer Verrufenheit herauszuholen und zu neuer Reputation und Stoßkraft zu bringen - und zwar im Interesse der „europäischen Zukunft", nämlich der „Wiedervereinigung Europas - vom Atlantik bis zum Ural" 1163 und der hierzu erforderlichen Rückkehr der Europäer zu „Politik", begriffen in Schmitt-Nachfolge als klare Erkenntnis und Bezeichnung des Lebenskampf-„Feinds" der Nation bzw. nun eben Nationen (der „Europäer") und der Wiedererweckung eines nach innen und außen hin wirkungsvollen entsprechenden nationalistischen „Selbstbehauptungs"- und Lebenskampf-„Willens" 1164 . Dies, indem sie unter Aufarbeitung der „neuesten" Ergebnisse „aller" Wissenschaften sowie auch aller Theoriediskussionen als deren Summe und Quintessenz und damit als die gerade allermodernste, den neuesten wissenschaftlichen Erkenntnisstand verarbeitende und damit „fortschrittlichste" Weltsicht zum Vortrag gelangt und daß in diese Kompilation dann auf dem Felde der politischen Geistesgeschichte als die dort aufregend315
ste jüngste Entdeckung die schon eine Art Vorläuferschaft zu all diesem Wissen hin repräsentierende, daher jetzt dem ihr gegenüber bislang ignoranten Frankreich als intellektuelle Sensation zu vermittelnde „deutsche" Tradition der „konservativen Revolution" eingeflochten wird, dargestellt als eine durch die Namen Nietzsche - Ernst Jünger - Carl Schmitt markierte Linie, die die „Neue Rechte" heute aufnehme und fortführe und als deren weitere für sie wegweisende Repräsentanten insbesondere noch Martin Heidegger, Arnold Gehlen und Konrad Lorenz genannt werden 1165 . Dies wird verknüpft mit der programmatischen Intention eines GeneralRemedurmachens mit der gesamten -bisherigen Geistesgeschichte der Menschheit durch Unterscheidung eines in ihr „nicht zum bewahrenswerten Erbe" zu zählenden, auf Egalität zielenden und daher lebenskampfinstinkt-schwächenden Teils, die Linie der „großen und universalistischen Denker von Paulus über Thomas von Aquin bis Marx", einerseits und eines zu bewahrenden, in das Chaos der Wirklichkeit „vom Besonderen (Nicht-Allgemeinen) her Form" und „Gestalt" bringenden, die „existentialistische" Linie der „Nominalisten" 1 ' 66 , andererseits; jedoch nicht etwa unter Berufung auf den für die Gleichsetzung von Christentum und Marxismus sowie jedweder sonstigen menschheitsbezogenen Begrifflichkeit und Moral auf dem Nenner des „Universalismus" und wiederum dessen Herleitung aus dem „römischen" Geist doch ergiebigsten Text, Alfred Rosenbergs „Mythus des 20. Jahrhunderts" 1167 , sondern, als gäbe es dieses Buch überhaupt nicht und würde also beileibe auch nichts aus ihm transportiert, unter Berufung auf dessen damals im gleichen Jahre und in den nächsten Jahren erschienenen Abklatsch-Stellen in den Schriften von Niekisch und natürlich auf beider gemeinsame Erstquelle, auf Nietzsche. Erst vom Jahre 1977 an, als Alain de Benoists fulminante „kritische Anthologie der heutigen Ideen" unter dem Titel „Vue de droite" 1168 in den „Editions Copernic" erschienen war, konnte sich eine größere Öffentlichkeit in Frankreich ein mehr als nur facettenhaftes Bild davon verschaffen, worauf der in den Denk-Zirkeln der G.R.E.C.E. trainierte und von Möhler in dessen nächstem Buch als „Tendenzwende für Fortgeschrittene" gefeierte 1169 „geistige Aufbruch" der „Neuen Rechten" eigentlich hinging und hinauszielte. Und es dauerte noch bis zum Jahre 1981, bis auch die Öffentlichkeit in der Bundesrepublik hierzu dadurch in die Lage 316
versetzt wurde, daß der westdeutsche Neofaschismus eine sich gleichfalls als „neue Schule" vorstellende Vereinigung unter dem Vorsitz eines anderen - nicht des Mendener - Krebs, nämlich von Pierre Krebs mit Wohnsitz in Kassel, und, versteht sich, mit Armin Möhler als einer ihrer Zentralfiguren aus der Taufe hob, die die Frage, welch einer Art der von ihr vermittelte wie betriebene „geistige Aufbruch" ist, mit der dem Faschismus eignenden Vorliebe für die Frontal-Herausforderung und das flaggezeigende, metallisch-mokante Anti-„Zeitgeist"-Bekenntnis, den „Vorstoß", der Öffentlichkeit auch gleich selbst beantwortete: Sie etablierte sich unter dem an programmatischer Aussage-Eindeutigkeit wohl durch nichts überbietbaren Namen „Thule-Seminar e. V." und ließ bereits im ersten Bande ihrer seither unter einem Runenzeichen im Tübinger Graben-Verlag erscheinenden „Arbeitskreis" "Veröffentlichungen (s. z. B. den Band des „Arbeitskreises für die Erforschung und das Studium der europäischen Kultur" unter dem Titel „Das unvergängliche Erbe. Alternativen zum Prinzip der Gleichheit" 1170 ), keinerlei Zweifel daran, daß zur Wiedergewinnung des für die Konstitution eines neuen Nationalbewußtseins erforderlichen völkischen „Identitäts"bewußtseins aber natürlich auch, als damit identisch, die Rassismus-Regeneration gehört. 1171 Läßt sich seit 1981 dies alles in den Thüle-Veröffentlichungen 1172 nun in mehr als erforderlicher Ausführlichkeit nachlesen, so drang das hier in seinem Zusammenhang einzusehende System oder Grundraster dieser „neuen" Weltanschauung aus den Zentren seiner Ausbildung aber natürlich schon während aller vorangegangenen Jahre über das sie mit den nationalrevolutionären „DenkGemeinschaften" wie zugleich vielen anderen Kreisen und Organisationen der politischen Rechten in Westeuropa verbindende Adernsystem in deren Argumentation und Programmatik jeweils unmittelbar ein. Nicht ohne Grund datiert Möhler in einem kurzen Abriß der Entwicklungsgeschichte des deutschen Konservatismus seit 1945 dessen „Achsenzeit" - worunter er, sich eines Begriffs von Jaspers bedienend, den Zeitpunkt jenes „Schwellenüberganges" versteht, von dem an der Konservative begriffen hat, daß der Status Quo nicht akzeptabel und Vergangenes nicht mehr restaurierbar ist, und er daher jetzt seinen Blick nur noch „nach vorne" richtet, wie dies in der Weimarer Republik bei der „konservativen Revolution", bei Moeller von den Bruck und Ernst Jünger, der Fall gewesen sei 1173 317
auf „gegen Ende der sechziger Jahre" und nennt zum Beleg seiner Behauptung eines von nun an im deutschen Konservatismus sich wieder vollziehenden Schwellenüberganges zum Jungkonservatismus zwei Namen (nach Aufzählung einer Vorläufer-Kette Vereinzelter, an deren Anfang er sich selbst mit seinem Buch über die „Konservative Revolution" sieht und der interessanterweise dann Schoeps, Ziesel und v. Schrenck-Notzing folgen): den verstorbenen Strauß-Ideologen Marcel Hepp mit seinem den europäischen Status Quo thematisierenden Buch „Der Atomsperrvertrag. Die Supermächte verteilen die Welt" und - ihn noch unter seinem damaligen Autoren-Pseudonym Hartwig Singer anführend - Henning Eichberg.1174 Wie dieser Konservatismus „nach der Achsenzeit" aussieht, muß man aber wissen, denn er stellt ein in sich absolut geschlossenes, richtungsspezielles Argumentationssystem dar, aus dessen Konstruktion erst seine potentiellen Einwirkungsmöglichkeiten auf andere politische Potentiale ersichtlich werden.
Das Ideologiemuster „Neuen Rechten"
und strategische
Zielrichtungen
der
Günter Bartsch hat dieses Argumentationssystem bereits 1975 in seinem Buch unter der Kapitel-Uberschrift „Die Weltanschauung der Neuen Rechten" beschrieben und dabei - nicht sehr schlüssig und dadurch die Abfolgelogik der Systematik eher verstellend - die folgenden „sechs Säulen" in ihm unterschieden: den „Bio-Humanismus", die „okzidentale Erkenntnistheorie des Logischen Empirismus", das „biologistische Menschenbild", den „Ethnopluralismus mit Jensenismus und Eugenik", den „Befreiungsnationalismus" und den „Europäischen Sozialismus".1175 Er hätte den Verständnis-Zugang sehr erleichtert, hätte er statt dessen gesagt: Es handelt sich um ein System, das die Großeuropa-Forderung (und die mithineinverwobene Forderung nach einem auch wieder großdeutschen Reich) aus einer von Fremdmächten unterdrückten „Eigenart" („Identität") der europäischen Völker zu rechtfertigen sucht, die sich in ihrer Spezifik gegen die beiden derzeitigen „Supermächte" ebenso wie gegen alle einer derartigen Orientierung im Innern entgegenstehenden politischen Kräfte und Geisteshaltungen 318
als einer letztlich sogar einzigen, auf einen gemeinsamen Nenner („Universalismus") zu bringenden feindlichen „Fremdmacht" ausspielen läßt, eben daher aber auch nicht auf der geschichtlich-kulturellen Ebene allein (auf der sie nur immer allzu arg durchmengt mit gerade eben jenem „Fremden" erscheint und die zudem gerade veränderndem menschlichem Einwirkungsvermögen ausgesetzt ist), sondern zuverlässig erst auf der Ebene der „biologischen" Lebens-Determinationen, also unumstößlicher „Natur"-Sachverhalte verankert werden kann und die deshalb besteht aus: — einer biologistischen, extrem sozialdarwinistisch ausformulierten Anthropologie, gestützt hauptsächlich auf die „ForschungsResultate" ihrerseits elitär-massenfeindlicher und zumeist zugleich rassistischer Vertreter der Erbbiologie und Genetik sowie sozialdarwinistischer Repräsentanten der Verhaltensforschung (Ethologie), — einer rassistischen (nämlich die „Verschiedenheit" der „Eigenart" der Völker biologisch herleitenden) Völkerkunde (Ethnologie) bis hin zur Behauptung je rassespezifischer Logik und zur Konstruktion einer entsprechend rassistischen Erkenntnistheorie („okzidentale" Erkenntnisweise), — einer auf alledem aufbauenden völkischen Staats-, Politik- und Gesellschaftslehre (genannt „Bio-Humanismus"), — einer aus ihr abgeleiteten internationalen Programmatik der „völkischen Neuordnung" der Staatenwelt („Ethnopluralismus") sowie einer innenpolitischen Programmatik des jeweils „völkischen" Neuaufbaus der Staats- und Gesellschafts-Ordnung der Nationen unter dem Flaggenzeichen entweder des „völkischen" bzw. auch „nationalen Sozialismus", des „organischen" Staats 1176 oder des Solidarismus („Europäischer Sozialismus" oder auch nur „Europäische Neue Ordnung"), — einer die Strategien zur Durchsetzung dieser Gesamtprogrammatik bzw. zur Mobilisierung des „Volks"kampfes für sie thematisierenden und sie „geschichtstheoretisch" untermauernden „Revolutions"theorie (dem „Befreiungsnationalismus") und — einer die Auswechslung der bisherigen „rationalistischen", „materialistischen" oder auch „intellektualistischen" Wissenschaftsbegrifflichkeit durch dem „Leben" (nämlich dem „Besonderen" statt nur fiktivem „Allgemeinen") entsprechende Formen 319
„ganzheitlichen Gestalt"-Denkens und „mythologischen" Bewußtseins verlangenden, sich als Theorie der Geschichte des menschlichen Geistes ausgebenden Philosophie, für die dieser N a m e allerdings zurückgewiesen wird, da man nur noch von
„Denken"
sprechen will („Denkgemeinschaften"!). 1 1 7 7 1. Das „biologische"
oder „realistische
Menschenbild"
E s solle, schreibt Bartsch, „die anthropologischen Grundlagen der herrschenden Weltsysteme in O s t und West z e r s t ö r e n " 1 1 7 8 . F ü r die N e u e Rechte sei der Mensch „ein primär durch biologische Evolution, Rasse und Instinkte bestimmtes W e s e n " , alle „aufzustellenden
Normen"
müßten
daher
mit
diesen
seinen
„natürlichen
Gesetzmäßigkeiten" übereinstimmen. „Worin bestehen sie?" Von der „Verhaltensforschung" würden hier „sechs konkrete Triebe" genannt: Erstens: der „Territorialtrieb", den die Neue Rechte „als Gruppenmechanismus der Abgrenzung nach außen und Solidarität na\;h innen" definiere 1179 , woraus dann an späterer Stelle gefolgert wird, der „Territorialtrieb" sei die „anthropologische" Ursache des „Nationalismus" 1180 , dieser mithin eine naturgemäße Erscheinung, sein Abflauen Denaturierung bzw. Lebensverkümmerung. Zweitens: der „Dominanztrieb", den die Neue Rechte „als Mechanismus der Ungleichheit" interpretiere. „Nur die Anerkennung der Ungleichheit sorgt für die Herrschaft der Fähigsten." 1181 Dies ist die Bezugs-Grundlage der von „Nouvelle Ecole" und „Thule-Seminar" verfochtenen „Differenzierungslehre" und des von ihnen unter diesem Namen verfolgten Programms der Ausarbeitung eines alle Lebensbereiche umfassenden weltanschaulichen Gegenentwurfs zum „Gleichheitsprinzip" als eines „widernatürlichen" 1182 vom Ausgangspunkt der Anerkennung gerade der „Ungleichheit" als dem ^schöpferischen Gestaltungsprinzip" der „Natur" aus. 1183 Der „Dominanztrieb" als „anthropologische Begründung" aber nicht nur eines „Humanismus", der „dem Leben . . . und seiner als Grundsatz hingestellten Ungleichheit" entspricht 1184 und gegen „Dogmatismus" und „Ideologie" 1185 wieder den „Willen" zum Zuge bringt und damit die „kulturelle Renaissance zur Befreiung Europas" heraufführt, das „,in Zusammenarbeit mit den jungen Kräften aus der Dritten Welt den Imperialismus der Großmächte in Schach halten wird'" 1 1 8 6 , sondern auch des ebenfalls vom Thule-Seminar proklamierten - jedwedem verbindlichen Völkerrecht nun wahrlich den Boden entziehenden, imperialem MachtDezisionismus Tür und Tor öffnenden - Rechts der Völker auf „Ungleichheit" und damit einen „Pluralismus" ihrer „Wahrheitsbegriffe"; die „kühnen Eroberer" eines Volkes folgen halt nur lebensgemäß ihrer eigenen „völkischen Wahrheit" statt derjenigen der Eroberten . . , 1187 Drittens: der „Besitztrieb", der „aus der Eroberung und Formung der Materie durch den Menschen" und dessen Identifikation „mit dem Erober320
ten und Geformten" resultiere. Das „Privateigentum" sei daher „nichts anderes als die Vergegenständlichung des Menschen in der Materie", es „fördert das Überleben der Besten und stärkt die Gruppe oder Gesellschaft nach außen".1188 Viertens: der „Aggressionstrieb", der der „Verteidigung" des „Territoriums, der Rangbildung und des Besitzerwerbs" diene. Die „materielle Erscheinungsform" des „Aggressionstriebs" sei „die Waffe", die die Neue Rechte im Unterschied zur marxistischen Herleitung der Entwicklung des Menschen aus der Arbeit für den „Ursprung der Menschwerdung" halte.1189 Fünftens: der „Sozietätstneb", der der „Erhaltung der Klein- und Großgruppen (wie Familie oder Volk)" diene. 1 " 0 Sechstens: der „Sexualtrieb", der „die biologische Evolution" fördere.11'1 2. Die „okzidentale
Erkenntnistheorie"
Diese „Erkenntnistheorie" der „Neuen Schule" nimmt für sich in Anspruch, am „Logischen Empirismus" anzuknüpfen, der bereits den „Rationalismus" (im Verständnis jeder allgemeinen Idee) und somit auch die Kluft des Denkens zum Empirismus überwunden hätte, ihm jedoch wieder den Zugang zu Wertaussagen und zur Vermittlung von Orientierungsmaßstäben für die Menschen auf Grund ihrer „naturalistischen" Menschen- und Weltsicht hinzufügen zu können; diese gehe von der „plasmatischen Basis" des erkennenden Subjekts aus und lasse deren Erkenntnis an die Stelle der früher in seinem Kopf spukenden „spekulativen Theorien" treten 1 1 9 2 (so daß „Erkenntnisaussage und Werturteil" nun „auf natürliche Weise miteinander verbunden" seien). 1193 Das Ergebnis der Aufnahme dieser „plasmatischen Basis" - nämlich all des dem „realistischen" Menschenbild zugrunde liegenden erbgenetischethologischen Ideologiengebräus - in die Köpfe der „Neuen Rechten" ist nichts anderes als die Konzipierung einer nun allerdings auch gleich handfest rassistischen „Erkenntnistheorie" nebst aus ihr unverzüglich auch abgeleiteter praktischer politischer Folgerungen resp. Forderungen an die Politik, die Entdeckung nämlich einer Erklärung dafür, „wie Europa zum bedeutendsten Zentrum der Weltzivilisation werden konnte", was an einem „Okzidentalen Syndrom" gelegen habe, das seine „Dynamik" aus dem „Zusammenwirken von Leistungsorientierung, Individualismus und biologischer Struktur der intellektuellen Anlagen des Europäers" bezogen hätte. Da „das weitere Schicksal unseres Kontinents" von der Rückgewinnung jener Dynamik abhinge, sei die noch tiefere Erforschung dieser Komponenten und die Anpassung der „europäische(n) Politik" an die hierbei gewonnenen Erkenntnisse erforderlich. „Auch die Gesellschaftsordnung in Deutschland" müsse „entsprechend dem Okzidentalen Syndrom umgeformt werden". Die Erfolgskomponente „Leistungsorientierung" verlange nach deren Umformung in eine „Leistungsgemeinschaft". Da „die intellektuellen Anlagen" - die andere Erfolgskomponente - „biologisch-rassisch 321
strukturiert sind, ist eine staatlich betriebene Eugenik erforderlich". 11,4 Darüber hinaus müßten „alle Staatsformen unseres Kontinents", referiert Bartsch Henning Eichberg, fortan daran gemessen werden, „ob sie den Eigenarten des Okzidents angepaßt sind". 11 ' 5 Die „Neue Rechte" setzt sich aus dem Blickwinkel ihrer GroßeuropaZielorientierung und Bemühung um die Konstruktion einer „europäischen Identität" durchaus heftig vom nationalsozialistischen Rassismus der Zeit vor 1945 ab, denn dieser habe „die biologischen Realitäten zwar gesehen und in Rechnung gestellt, aber mißdeutet oder falsch verstanden". Denn: „Eine Realität ist die Gliederung der Menschheit in Europide, Negroide und Mongolide. Sprachliche Unterarten wie Germanen, Romanen und Slawen bestehen zwar ebenfalls, haben aber nur nebensächliche Bedeutung" (man versteht wohl, w a r u m ) . " " Die „Grundursache des politischen und militärischen Scheiterns der Nationalsozialisten" habe überhaupt in diesem „unwissenschaftlichen Biologismus" gelegen 1 " 7 ; und da ist eben Nietzsche, der „den Weg" aufzeigte, „wie Europa zur Weltherrschaft und zum Ubermenschen kommen kann - nämlich über die wissenschaftliche Naturerkenntnis" 11 ' 8 - , der politisch nun doch, da er auf Europa zeigte, uns heute verläßlicher die Richtung weisende Berufungszeuge und Kompaß für die weitere Beschäftigung mit solch „wissenschaftlicher Naturerkenntnis" 1199 . Und da es bei der heutigen „wissenschaftlichen" Beschäftigung mit Rassenfragen nun also offenkundig um die Entdeckung von so etwas wie einer „europäischen Rasse" oder doch einer irgendwie jedenfalls „biologisch" begründeten „Art"-Zusammengehörigkeit der „Europäer" gehe, ließen sich von dieser dann auch nur die „Asiaten" und die „Afrikaner" als durch wesentlich andere Anlagen und Eigenschaften unterschiedene rassische Identitäts-Blöcke absetzen; so eben bei den Afrikanern z. B. mit Professor Jensen eine im Vergleich zu den Europäern „geringere Fähigkeit zum logisch-abstrakten Denken", was jedoch keineswegs als eine Minderwertigkeitsbehauptung mißverstanden werden dürfe, da sich bei den gleichen „Negroiden" z. B. sogar eine Überlegenheit über die Europäer in einer doch auch so schätzenswerten Eigenschaft wie „manueller Geschicklichkeit", aber etwa auch Gedächtniskraft feststellen lasse, es sich also nur um „verschiedene Intelligenzstrukturen" und somit auch nur um eine Andersartigkeits-, keine Wertunterschieds-Feststellung handele. 1200 Auf Grund der solch handfest politikberatungsreife „wissenschaftliche" Einsichten ermöglichenden Entdeckung des „Okzidentalen Syndroms" und der unmittelbaren „Verbindung" bzw. „Verschmelzung" des „Logischen Empirismus" mit ihm1201 nimmt die „Neue Rechte" für sich in Anspruch, die Erkenntnistheorie „des Okzidents, vor allem des Europäers schlechthin" und mit ihr zugleich sogar die „spezifische Denkmethode der weißen Rasse" entwickelt zu haben, als deren „geistige Vorhut" sie sich verstehe.1202
3. Der
„Bio-Humanismus"
Dies ist nun die Anwendung des „realistischen Menschenbildes" und der ihm seine rassische „Differenzierung"
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hinzufügenden
„okzidentalen Erkenntnistheorie" auf den Fragenbereich des Gesellschafts- und Staatsaufbaus. Kapitel-Überschrift bei Bartsch: „Bio-Humanismus contra Techno-Marxismus". 1203 Es handelt sich hier in der Sache um jenes für alle völkischen Ideologen seit jeher zentrale und daher klassische Feld, auf dem sie das völkische Prinzip als solches in Auseinandersetzung mit den richtungsnotorisch auf den Doppelnenner des „Liberalismus" und „Marxismus" zu bringenden und sodann auf einem Zentralnenner (Rationalismus, Fortschrittsglaube, Materialismus etc.) gleichzusetzenden Hauptströmungen ihrer Zeit, unter Behauptung ihres durchgängigen Bankrotts auf Grund der historischen Überlebtheit oder Irrigkeit ihres gemeinsamen Zentralnenners, aus den näheren Erscheinungsmerkmalen einer jeweils akuten Krise als das nun rettende Aufbauprinzip der Zukunft herausdestillieren müssen. Der „Bio-Humanismus" vollzieht diese Operation jetzt allerdings von einem betont ökologisch-lebensschützerisch begründeten „Wachstums"- und „technik"-kritischen Einstiegspunkt aus und ist selbst nichts anderes als der Weg von da bis zum erneuten Vortrag des alten völkischen „Ganzheits"-Begriffs und seiner Konsequenzen; dieser Begriff ist auf der Einstiegsebene bereits im dort zunächst unauffällig, nämlich scheinbar in nur alltagssprachlichem, tatsächlich jedoch von vornherein „organisch-ganzheitlichem" Sinne verwandten Wort „Leben" unsichtbar konzentriert und wird aus ihm dann entfaltet und als das der „organischen Lebenstotalität" entsprechende, daher einzig „lebensrealistische", auch „lebensrichtige" oder „wirklichkeitsrealistische", nämlich „naturalistische" Prinzip der Welt-„Anschauung" bzw. ihrer nun eben ganzheitlichen „Gestalt"-Wahrnehmung dem „Rationalismus" entgegengestellt.1204 Die Emstiegs-Ebene seiner Dramaturgie: „Durch Uberindustrialisierung und Raubbau an der Natur wuchert die Technosphäre wie ein Krebsgeschwür in die Biosphäre hinein... Die Industriegesellschaft kulminiert und endet in der Technomanie... Die Technomanie hat Mensch und Natur auseinandergerissen." 1 2 0 5 Erste Etappe (Aufbau des Feindbilds): Die „technomanische(n) System(e)" entwüchsen einer „liberalistisch-marxistischen Doppelwurzel" 1 2 M , ihr „kulturfeindliche(r), technische(r) Totalitarismus", der im „aufklärerischen Nachtrab" des europäischen Geisteslebens „rationalistisch verklärt vom technischen Fortschritt das Heil der Menschheit erwartet" 1 2 0 7 , sei „vom Liberalismus" und „vom Marxismus" gleichermaßen getragen, in welch letzterem „sich die .Entwicklung der idealistischen Rationalität z u m materialistischen Umschlag vollzog' " 1 2 0 8 und der beiden zugrunde hegende
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„materialistische Glaube" zum Glauben an „die Erlösung des Menschen über eine restlos quantifizierte Welt" geworden sei, „die sich heute als totale Zivilisation von New York bis Moskau bereits abzeichnet" 120 ', und zur „Identität von Staat und materialistischer Produktion (sie!, R. O.) im kommunistischen Staatskapitalismus als höchste, konzentrierte Form der Ausbeutung und Entfremdung", zum „Staatskapitalismus als höchste imperialistische Organisationsform" geführt habe.1210 Der (schon mit Sokrates beginnende) „Rationalismus"1211 sei mit Hegel „eigentlich am Ende" gewesen, dann aber von Marx erneuert und durch den „Aufruf zur rücksichtslosen Veränderung der Welt . . . radikalisiert" worden.1212 „Einer reaktionären Denktradition verhaftet", habe der Marxismus die „Praxis" des Menschen „fast ausschließlich auf die Technosphäre" gerichtet, ihn damit „falsch programmiert", nämlich seine „sozialen Triebe" fehlgeleitet und ihn „der Biosphäre" entfremdet.1213 „Das mußte zum Verlust der Humanität führen."1214 Denn die „Philsophen", die „Programmierer der Weltgeschichte", übersehen, daß „die Gesellschaft . . . nur auf der Basis einer natürlichen Ordnung entwicklungsfähig" sei1215 und sich „Humanität . . . nur in der Geborgenheit sozialer Gestalten" entfalte. „Ihre Zerstörung entfesselt hingegen Bestialität."1216 Die „systematische Zerstörung der Lebenskreise steigerte die menschliche Aggressivität ins Ungeheure". Der Marxismus ist „die ideologische Anbetung des Götzen Technik . . . Er trieb alle Unarten des Kapitalismus, statt sie zu beseitigen, auf die Spitze." 1 2 1 7 ... „Die Endzeit des Rationalismus fällt mit der materialistischen Konsumgesellschaft und diese mit der totalen Entfremdung des Menschen von seinen natürlichen Existenzbedingungen zusammen."1218 Zweite Etappe (Ausrufung des Bankrotts des Doppelfeindes und Deklaration des Übergangs zum „biologischen Denken" als der rettenden „Zeitwende"): Die „vor der Tür" stehende „Weltherrschaft über die standardisierte Einheitszivilisation" durch „privat- oder staatskapitalistische(r) Technokraten" - „im Grunde das System von ,1984'" - müsse „auf die Dauer zur Vernichtung des Lebens führen.1219 . . . Das Ende ist der Bankrott." 1220 Daher „bietet nur noch der Bio-Humanismus eine revolutionäre Alternative. .. Mit dem Bio-Humanismus tritt der Leitgedanke für das nachindustrielle Zeitalter auf."1221 Und: Nur der Bio-Humanismus „wird in der Lage sein, die auseinanderstrebenden Grundkräfte Europas zu binden und in Einklang zu setzen".1222 Dritte Etappe (Verdeutlichung des völkisch-organischen Inhalts des „bio-humanistischen" Lebens-Begriffs und Einführung des „realistischen Menschenbildes"): Der „Bio-Humanismus" löse die Menschen aus den „technische(n) Kollektive(n)", er „befreit die gefesselten sozialen Triebe in Richtung stammesgeschichtlicher Sozietäten und motiviert sie moralisch zum Zweck der menschlichen Arterhaltung".1223 Denn ihm liege „ein realistisches Menschenbild" zugrunde1224, das davon ausgeht, daß der Mensch „primär ein Natur- und erst sekundär ein Kulturwesen ist" 1225 . Er wisse daher aber auch, daß den „kulturellen und gesellschaftlichen Gebilden" des Menschen „der Brutpflege-Komplex" zugrunde liege1226 und „soziale Gestalten" die „Familie, das Volk oder die Nation und in der Perspektive auch die (europäische) Völkergemeinschaft"1227 seien, eben deshalb aber eine „echte demokratische und sozialistische Gesellschaft" die 324
„Befreiung der sozialen Triebe" zur Voraussetzung habe, da sie „nicht aus Zwangskollektiven, sondern nur aus organischen Gemeinschaften" entstehen könne. 1228 „Schon Oswald Spengler" hätte im „preußischen Prinzip", in dem „Arbeit" als „Dienst am Ganzen" galt und „das Wir, nicht das Ich dominierte", eine mit Liberalismus und Marxismus nicht zu vereinbarende Orientierungs- und Entwicklungsalternative des Sozialismus „erkannt". Und in der Tat kpnne es einen „demokratischen Sozialismus" als wirkliche Alternative zu ihnen nur geben, „wenn er mit dem nationalen und zugleich sozialen Wir, mit Volk und Nation identisch" sei, d. h. bei ihm „die Sozialisierung des Menschen . . . über seine Nationalisierung, also über seine Identität" erfolge 122 ', wozu das „von der deutschen Sozialdemokratie (damals, Anfang der siebziger Jahre, R. O . ) propagierte Prinzip der ,Lebensqualität'", wird es „konsequent von liberalistischen und marxistischen Verfälschungen gereinigt", ein „politische(r) Ansatz" sein könne; denn „ L e b e n s q u a l i t ä t . . . ist das permanent zu gestaltende harmonisierende Ganze im Geiste der Volkssolidarität und des Gleichgewichts der Bio- und Technosphäre. . ," 1230 Vierte Etappe (Benennung des Ziels eines völkischen Staats- und Gesellschafts-Neuaufbaus): „Die dem bio-humanistischen Leitgedanken entsprechende politische Alternative zu diesem System ist der Volkssozialismus oder Solidarismus." 1231 Fünfte Etappe (nähere Einzel-Vorausblicke auf den angestrebten biohumanistischen Volksstaat): Zu den wesentlichen Aufgaben werde auch „Bio-Politik" gehören. „Die Neue Rechte" unterscheide „bezüglich der NS-Zeit zwischen wissenschaftlicher und politischer Eugenik. Gesetze zur Erhaltung der Volksgesundheit, wie das zur Verhütung erbkranken Nachwuchses vom 14. 7.1933, erscheinen ihr auch heute noch richtig... Solche Gesetze sollen erneut erlassen werden." 1232 Denn nach ihrer Ansicht sei in Deutschland „der Ubergang von einer quantitativen zur qualitativen Bevölkerungspolitik nötig". 1233 Und hier die Anwendung des Gedankens vom „Lebensganzen" mehr auf die Organisationsstrukturen des erstrebten Staats: Das „existentielle Lebensinteresse des ganzen Menschen" gebiete, „einen Sozialismus durchzusetzen, der sich nicht allein auf die gerechte Verteilung des Sozialprodukts beschränkt. Es geht heute um mehr! Wir können keine gewerkschaftliche Beschränktheit mehr gebrauchen. Das Lebensinteresse der Menschen und Völker benötigt den Staat, der mit eiserner Hand die partikularistischen Interessen des materialistischen Wirtschaftsabsolutismus . . . dem Ganzen wieder unterordnet." 1234
4. Der „Ethnopluralismus" Dies ist nun jener für das gesamte Schema zentrale Sektor, auf dem der Begriff der „ n a t i o n a l e n Identität" - in seiner für die Neue Rechte durchweg charakteristischen völkischen Sinngebung - austheoretisiert wird zur ideologischen Generalbegründung und -rechtfertigung sowohl der Anti-Ausländer-Kampagnen und AntiAusländer-Politik im Innern als auch - und zwar mittels ein und derselben Formel - des die gesamte außenpolitisch-internationale 325
Programmatik der „Neuen Rechten" ausmachenden Rufs nach der „völkischen Neuordnung Europas" (die nun freilich eben „ethnopluralistische" Neuordnung genannt wird), aus dessen Entfaltung zugleich aber auch dem „neuen Nationalismus" seine nähere theoretische Selbstbegründung erwächst. Die Ableitungsgrundlage des das „ethnopluralistische" Konzept konstituierenden Begriffs der „nationalen Identität" ist die Rückführung des „Nationalismus" auf den „Territorialtrieb" aller Lebewesen, der „einem biologischen Grundprinzip" entspreche und daher „Fortschritt im Sinne der Evolution" sei.1255 Es sei der Völker „Wille zur Selbstbehauptung und Selbstverwirklichung", damit „das existentielle Bewußtsein der Eigenart eines Volkes". 1236 Dem „von außen" auf diese Eigenart (also wohl durch andere „Eigenarten") ausgeübten „Druck" stelle er „einen Gegendruck von innen" entgegen und diene so „der geistigen Integration aller Gruppenmitglieder in den Territorialverband".1237 - Hinzu kommt die These, daß der Einzelne aber immer erst etwas innerhalb eines solchen „organischen Ganzen" und außerhalb von ihm nichts sei; und schon haben wir die dem Begriff der „nationalen Identität" gleichsam innewohnende Spiralfeder, die ihm seinen besonderen Drall gibt: das aus einer Doppelthese bestehende Ideologem, daß der Einzelmensch für sich selber seine eigene persönliche „Identität" erst aus seinem Verbund mit dem Ganzen seiner jeweiligen „Nation" als deren Teil gewinne (nicht etwa nur als deren Staatsbürger, dann aber, auf ihrem Territorium lebend, „fremdländisch" denkend oder „empfindend"), wie wiederum die „Nation" die ihre erst dann, wenn auch alle ihr „volklich" Zugehörenden in einem einzigen Staatsverbande (zu einer nun gleichsam völkisch-organischen Lebenskampf- oder „Lebensgemeinschaft") zusammengefaßt sind. Zur Anwendung dieses völkisch-nationalistischen „Identitäts"Begriffs auf die „Ausländer-Frage" sei hier zunächst vorausgeschickt, daß der im Mai 1971 gestorbene Arthur Ehrhardt kurz vor seinem Tode einen vom gesamten Neonazismus unter Anführung des Hauses „Nation Europa" seither als Ehrhardts „politisches Testament" apostrophierten „Aufruf zum Widerstand gegen den Volksmord" auf Tonband gesprochen hat.1238 In ihm beschwor er das Riesenschreck- und Feindverschwörungs-Gespenst vom „alle seit der Jahrhundertwende ersonnenen Pläne zur Auslöschung des deutschen Volkes" übertreffenden „Genozidanschlag" auf dessen 326
„Überleben" durch „biologische Überfremdung" und „Geburtenrückgang"; damit gab er dem Neofaschismus der Bundesrepublik den Fingerzeig zum Versuch der Mobilisierung einer Massenbasis durch die den latenten Rassismus in der „schweigenden Mehrheit" ansprechenden Anti-Ausländer-Kampagnen, denen im Jahre 1980 dann die „Gesellschaft für Freie Publizistik" und „Nation Europa" gemeinsam mit ihrem Kongreß über „Die Zukunft des deutschen Volkes aus biologischer und politischer Sicht" die (mittlerweile über „Experten"-Gutachten in die Programmierung der derzeitigen Regierungspolitik miteinfließenden 1239 ) „wissenschaftlichen" Weihen bzw. Prothesen hinzufügten. 1240 Die „Neue Rechte" stand und steht ganz auf dem Boden dieser „biopolitisch" wie interessanterweise auch „geopolitisch" begründeten 1241 Anti-AusländerOrientierung; „ihre Gedanken", bestätigte schon 1975 Bartsch, „stoßen in dieselbe Richtung vor" 1 2 4 2 (woraus sich, wie auch schon aus ihrem „Eugenik"-Programm, ihre Berührungsnähe ausgerechnet zum „Christophersen"-Flügel im Neonazismus und zum Unterzeichnerkreis des „Heidelberger Manifests" erklärt). Die spezifische „Leistung" des in ihren Kreisen damals etwa zur gleichen Zeit entwickelten und von ihr in die einsetzende Anti-AusländerAgitation eingebrachten „ethnopluralistischen Konzepts" jedoch war, daß die vom Neonazismus quer durch alle seine „Lager" organisierten Kampagnen sich jetzt nicht mehr des auf Rassen- und Volksminderwertigkeitsbehauptungen beruhenden, offen diskriminierenden einstigen Argumentations-Arsenals zu bedienen brauchten (so sehr dieses freilich auch immer gleich wieder durchschlug), sondern sich nun als Kampagnen und Aktionen geradezu für die Ausländer vorstellen konnten: als solche nämlich für die Bewahrung der Ausländer vor dem Schicksal des Verlusts ihrer „nationalen" und „kulturellen", damit aber auch persönlichen „Identität". Und das war natürlich von so mitreißender Cleverneß, daß es sich über die „Neue Rechte" hinaus bald in alle Lager des an der „Ausländerfront" kämpfenden Neonazismus (und an dessen Grenzen nicht stehenbleibend) als das menschlich viel ergreifendere Begründungsmuster übertrug. Daß dieses Argumentationsschema freilich auch seine nach innen auf die Bevölkerung der Bundesrepublik selbst zielende, aggressiv auf die eigene „Nation" gerichtete Kehrseite hat, genau in ihr seine nun allerdings exakte funktionelle Entsprechung zum vorherigen faschistischen „Wertunterscheidungs"-rassismus findet und ihm 327
hier in dessen potentieller Leistungsfähigkeit in nichts nachsteht, wird über der Empörung, die die Anti-Ausländer-Kampagnen ihrem erklärten Inhalt nach auslösen, bislang kaum gesehen, ist aber gleichwohl das für die Neue Rechte (und den gesamten Neofaschismus) strategisch Entscheidende an ihm. Denn indem gegen die Anwesenheit der Gastarbeiter namens ihrer schutzbedürftigen fremden „Identität(en)" mobilisiert wird, wird zugleich, in der so bewußt gemachten und bewirkten Absetzung von ihnen, die „deutsche Identität" konstituiert. „Identität", sagt Henning Eichberg, „konstituiert sich . . . auf Grund vop Unterscheidung, von Einsicht in das andere, das Fremde und seine Eigentümlichkeit." 1243 Und genau darum geht es in den Kampagnen gegen die „Überfremdung", und zwar angesichts des Großeuropa-Ziels1244 in einem gleich doppelten Sinne: um die Konstitution eines „europäischen Identitäts"-Bewußtseins, das sich natürlich schlecht herausbilden kann, wenn in Westeuropas Großstädten sich etwa zunehmend gerade ein gutes Zusammenleben der Menschen europäischer und außereuropäischer Herkunft entwickelt (und hier gewinnen dann auch die solcher Entwicklung entgegengerichteten, von anderen Fraktionen oder Gruppen des Faschismus ausgeführten Bombenattentate auf Ausländer-Zentren im Ethnopluralismus-Konzept ihre „befreiungsnationalistische" Funktion); und - in Blick auf das Großeuropa zugedachte „Herz" oder seine „Mitte" - um die Konstitution eines „deutschen Identitäts"-Bewußtseins, das stark genug anschwillt, um sich nach außen hin der Welt als unabweisliches Elementarbedürfnis und nur „natürliches", ergo unabstellbares Verlangen „der Deutschen" mitzuteilen und durch die Wucht seiner Äußerungen einen Nötigungsdruck auf sie auszuüben (worin es in der Tat in dem Maße an Uberzeugungskraft verlieren müßte, in dem die „volkliche" Homogenität der Bevölkerung der Bundesrepublik abnimmt und zudem rückläufige Geburtenziffern das Mißverhältnis zum Anspruch auf „Mitteleuropa" als dem „deutschen Lebensraum" schärfer in den Blick rücken), und um nach innen hin die klassische nationalistische Volksformierungs-Funktion des Rassismus zu erfüllen; also: um ein gegen Parteien, Klasseninteressen-Wahrnehmung und alle progressiven politischen Organisationen und Bewegungen ausspielbares und auszuspielendes „Bewußtsein" zu erzeugen von der doch aber höherrangigen Gemeinsamkeit aller „als Deutsche" und ihres 328
Interesses (unter dieser Formel auch das gesamte expansionistische Programm einschmuggelnd) an der „Wiederherstellung" ihrer „nationalen Identität" sowie an der Ausrichtung auch der Staatsund Gesellschaftsstrukturen auf dieses parteienübergreifendgemeinsame „Volksinteresse" - um ein politisch wieder „völkisches" Bewußtsein, den „neuen Nationalismus". Die außenpolitische Anwendung des Ethnopluralismus-Konzepts besteht dementsprechend in der programmatischen Forderung nach Herstellung der „Volks-Identitäten" durch Anpassung der Staatsterritorien an sie bzw. nach Neugliederung der Staatenwelt gemäß dem „ethnischen Ordnungsprinzip der völkischen Selbstbestimmung" als „Keim einer neuen Weltordnung" 1245 . Das Konzept habe „vier Ebenen": „eine gesamtdeutsche, eine großdeutsche, eine kontinentale und eine internationale" 1246 . Auf der „gesamtdeutschen" geht es, versteht sich, um die „Vereinigung" von D D R und Bundesrepublik. „Auf der großdeutschen Ebene bezieht die Neue Rechte Osterreich in ihren Plan der Neuen Ordnung ein. Damit Deutschland neu entstehen kann, müssen die bestehenden Staaten Bundesrepublik, D D R und Osterreich aufgehoben werden." 1247 Zugleich wird in ihnen aber auch durchgängig (allerdings bei Bartsch nicht mit angeführt) Südtirol den mit Deutschland „wiederzuvereinigenden" Gebieten zugezählt. Auf der „kontinentalen Ebene" soll dieses „ethnische" Ordnungsprinzip gleichfalls verwirklicht werden, wobei die Blicke vor allem auf die Sowjetunion als den „Vielvölkerstaat" gerichtet sind, der einer Zerlegung in je „ethnisch" identische kleinere Staaten am dringlichsten bedürfe und bei dessen Betrachtung die neue Rechte mit „besondere(r) Sympathie" (so Bartsch) die Ukraine im Auge habe. 1248 Die derzeitigen Wirtschafts- und Militärblöcke, die solch einer „Neuordnung Europas" entgegenstehen und als Verkörperungen des „Jalta-Systems" der „Siegermächte" das Haupthindernis für sie seien, müßten deshalb aufgelöst und dies müßte namens der „nationalen Identität" aller europäischen Völker gefordert werden; denn sie seien in Ost und West gleichermaßen mittels der heutigen beiden Systeme von einer jeweils „außereuropäischen Supermacht" national überfremdet und „kolonisiert" (im Falle der Sowjetunion behilft man sich mit der auf das Argumentationsmuster vom „asiatischen Kommunismus" zurückgreifenden 1249 Konstruktion: einer „ihrem Wesen nach" asiatischen) wie zugleich damit auch - durch Europas System-Spaltung - an der politischen 329
Realisierung ihrer „europäischen Identität" gehindert. „Blockfreiheit" bzw. „Freiheit von den Besatzungsmächten" als Voraussetzung zur „völkischen Selbstbestimmung" bzw. „ethnischen" Neugestaltung des europäischen „Staatensystems" müsse daher - im Unterschied zur westblockorientierten konservativen oder „alten" Rechten - Losungswort und erstes Kampfziel der „neuen Rechten" sein. Das Ergebnis solch „ethnopluralistischer" Neuordnung GesamtEuropas liegt auf der Hand: In der Mitte Europas entstünde das „Großdeutsche Reich" wieder, die Sowjetunion hingegen zerfiele fast haargenau gemäß den einstigen Vorstellungen von BrestLitowsk. Und damit haben wir den gesamten Sinn des „Ethnopluralismus"-Konzepts - wie das Wesen der „Neuen Rechten" überhaupt - nunmehr nackt auf dem Tisch liegen. Seine „westeuropäische" Anwendung findet das Ethnopluralismus-Konzept durch die Solidarisierung mit den Autonomie-Bewegungen der Iren, der Basken, der Südtiroler usw. wie vor allem auch den das deutsche Kapital schon immer aufs äußerste interessierenden Bewegungen für ein Auseinanderbrechen Belgiens in einen flämischen und einen wallonischen Teil 1250 . Auf der „internationalen" (globalen, transkontinentalen) Ebene soll die in Europa zur Ausführung gelangte „völkische" StaatenOrdnung dann „ein Beispiel für alle" sein 1251 . In diesem Sinne akklamiert die Neue Rechte in ihrer Presse unterschiedslos antiimperialistischen nationalen Befreiungsbewegungen und reaktionärsten konterrevolutionären Bürgerkriegstruppen und faschistischen Terrortrupps gleichermaßen, soweit sie sich nur gegen jeweils eine „Supermacht" richten, als „antiimperialistischen Bewegungen", die auf ihrem Kontinent den „nationalen Befreiungskampf" gegen jeweils je eine derjenigen „imperialistischen Kolonialmächte" führen, „die auch unser Land besetzt und geteilt halten". Dadurch gerät das politisch Absurde und daher zunächst unerklärlich Wirre in die „Dritte-Welt"-Berichterstattung der Neuen Rechten; es hat seinen Sinn aber darin, sich selbst - nach altem jungkonservativen Muster - gerade auf Grund des Rufs nach Großdeutschland und des offen zum eigenen Programm erklärten Expansionismus in Europa als eine „antiimperialistische" Richtung und „Volksbewegung" vorstellen zu können - und die nächst den U S A führende imperialistische Macht Bundesrepublik eben gerade wegen ihrer auf Widerstand anderer Staaten stoßenden Gelüste nach Ost-Aus330
dehnung als eine gleich den antikolonialen Befreiungsbewegungen im „antiimperialistischen Kampf" stehende und ihrer Interessenlage nach daher deren Lager zuzurechnende Macht (Moeller van den Brucks einstigem Lager der „jungen Völker"). 5. Der „Befreiungsnationalismus" Die Neue Rechte geht, gewiß wohl zu Recht, davon aus, daß sich die ethnopluralistische Neuordnung Europas nicht von selbst herstellen werde. Daher müsse der europäische Nationalismus „revolutionär" werden. Als Vorbilder hierfür hat sie sich den „17. Juni 1953 in der D D R " , den sie als „explosive(n) Auftakt des nationalen Befreiungskampfes in ganz Deutschland" interpretiert und in ihren Reihen jährlich als „revolutionäre(n) Kampftag des deutschen Volkes" feiert, und die irische IRA ausersehen, in der sie „eines ihrer wichtigsten Vorbilder" deshalb erblicke, weil ihr Gründer, James Conolly, bereits 1896 eine „Verschmelzung von Nationalismus und Sozialismus" propagiert habe, die ihr als das geeignete „Modell für ganz Europa" erscheine.1252 Das Ziel ist die antisowjetische „Revolutionierung" ganz Osteuropas und der Völker der Sowjetunion selbst über den Hebel eines sich seines Kontrastes zum marxistischen „Universalismus" bewußt werdenden je „nationalen" oder auch regional-volksmäßigen „Identitätsbewußtseins" und entsprechenden Nationalismus (beim heutigen „NRAO-Sache des Volkes"-Chefideologen Wolfgang Strauss, der von der „revolutionäre^) Vernichtung des Ostimperialismus" spricht, in Einzelheiten nachlesbar 1253 ). Sie „empfiehlt" (schreibt Bartsch, man müßte wohl sagen: arbeitet hin auf) „einen gemeinsamen Aufstand der osteuropäischen Völker, dem beizustehen sie bereit ist". Gleiche „Solidarität" versichert sie auch „den nationalen und oppositionellen Minderheiten in der UdSSR, wo sie mit einem Umsturz rechnet". 1254 Soweit das „revolutionäre" Endziel - aber was gehört alles dazu, um es dahin von der Bundesrepublik aus kommen zu lassen und sie selbst überhaupt erst einmal in den Fitness-Zustand zu versetzen, hierzu auch etwas bewirken zu können. Dies thematisiert und beantwortet der „Befreiungsnationalismus", der damit zum Kompendium der „nationalrevolutionären" Praxis wird. Dieses Kompendium setzt auf der untersten oder gleichsam der dem Einzelnen nächsten Ebene, zu Hause und im eigenen Lande, ein. Es sei bereits ein Stück „Befreiungsnationalismus" und lohnender Gegenstand
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nationalrevolutionärer Aktivität, wenn sich jemand von der „Überfremdung" und „Vermassung" dadurch absetzt, daß er wieder die „Werte", nämlich das „Besondere" der engeren regionalen „Heimat" zu entdecken und sich auf sie zurückzuziehen beginnt und wenn man überschaubare, landsmannschaftlich-regionale Organisationen, in denen sich „Wir" sagen läßt, allgemeinen „individualistisch-kollektivistischen" Organisationen vorzieht. - Auf dieser Ebene ist die gesamte „Heimat"-Wiederentdekkungs- und „Regionalismus"-Propaganda angesiedelt, die für die Neue Rechte - nach der alten nationalrevolutionären Devise, daß „Widerstand" schon alles sei, was das Bewußtsein der volklichen „Eigenart" gegenüber dem „Fremden" wiedererwecke - Programmbestandteil der herbeizuführenden „Kulturrevolution" ist1255 und die daher separatistisch-regionalistische Bewegungen in aller Welt demonstrativ als anfeuernde Beispiele der Wiederbesinnung auf die Volks-Eigenarten feiert. Im nächsten Schritt gelte es, dieses regionale „Eigenarts"-Bewußtsein nun aber gerade in ein gesamt- und großdeutsches „Volksbewußtsein" und ein auf ihm gegründetes „Nationalbewußtsein" und völkisch-großdeutsches „Geschichtsbewußtsein" wie Politikverständnis zu überführen. Dem dient einmal die notorische und programmatische Dauer-Berichterstattung der Organe der Neuen Rechten über die Aktivitäten der „nationalen" Gruppierungen in Österreich und Südtirol und die sich höchst aufmerksam jeden Ansatzpunkts bedienende Vorstellung von Stimmen des „nationalen Widerstands" in der D D R , deren mitunter fast irritierend DDR-freundlich (die „besseren Deutschen") anmutende Tonlage ihre ganze gefährliche Absicht immer dann preisgibt, wenn es einen Anschlag auf die DDR-Grenze zu würdigen gilt und sich dieser dann in den gleichen Organen als „befreiungsnationalistische" Tat, sich einreihend in den europaweiten „Befreiungsnationalismus" vom irischen IRA- bis zum Südtiroler Attentats-Terror eines (ausdrücklich als „Befreiungsnationalist" herausgestellten) Norbert Burger, und hoffnungsweckender Vorbote des ersehnten „Völkerfrühlings" in Osteuropa gegen das „Jalta-System" (Wolfgang Strauss) 1256 gefeiert findet und damit das Praxis-Onentierungsmodell „17. Juni" wieder blank zum Vorschein kommt. Ihm dient des weiteren der Versuch der Adaption der gesamten deutschen Geschichte - und zwar auch gerade, erst haltmachend scharf vor der Bannmeile des theoretisch exakten Marxismus bzw. wissenschaftlichen Sozialismus, ihrer demokratischen Traditionen und möglichst großer Ausschnitte aus der Geschichte der Arbeiterbewegung - für den „neuen Nationalismus"; dies vor allem durch eine Schwerpunktverlagerung des Blickes von den Königs- und Kaiserfiguren auf revolutionspralle Volksszenen und Männer des „Volks" wie die Bauernkriege und deren Anführer und, im Niekisch-Sinne, die „antinapoleomsche Volkserhebung" von 1813, durch betontes Herausstellen „nationaler" Arbeiterführer der deutschen Sozialdemokratie von Lassalle bis August Winnig und Kurt Schumacher (und, für die Zeit schon des Aufbruchs des „jungen" Nationalismus, eines zwar nicht zum Arbeiter-, aber doch SDS- und Studentenführer gewordenen Rudi Dutschke) und durch die Präsentation insbesondere auch aller Vormärz-Demokraten als im Unterschied zu den heutigen „nationalvergessenen", nicht für die „Wiedervereinigung" kämpfenden demokratischen Kräften doch „nationale" 332
Revolutionäre. Hierhin gehört als Drittes aber auch die Arbeit an der „Revolutionierung" des öffentlichen Politikverständnisses zugunsten einer wieder sozialdarwinistisch-völkischen Auffassung von „Politik" als Exekution der „Selbstbehauptung" der „nationalen Identität" und des moralischen Beurteilungskategorien seinem Wesen nach sich entziehenden „natürlichen", vitalen Machtwillens einer Nation im Völker-Lebenskampf (in diesem Zusammenhang dann wieder die Carl-Schmitt-Rezeption usw.).
Die praktisch-politische Operationalisierung all dieser ideologischen Positionen erfolgt durch das Hineingehen mit ihnen in möglichst alle „Protest"-Bewegungen (wie freilich parallel dazu auch in die noch „konservativen" Fraktionen der politischen Rechten) mit dem Doppelziel, sie, was immer deren jeweils eigener politischer Forderungspunkt ist, von diesem Punkt aus in eine Bewegung für großdeutsche Wiedervereinigung und „Sprengung" des „Jalta-Systems" umzukehren - und möglichst im gleichen Zuge auch die gesamte Parteien- und sonstige politische Kräftepalette der Bundesrepublik dem System der „Jalta-Mächte" zuzuordnen, sowohl den Entspannungs- und Koexistenzgedanken als eine nur ihrer „Rüstungs-Komplizenschaft" korrespondierende andere Form von deren „Spaltungs-Komplott" als auch das repräsentative Parteiensystem der Bundesrepublik und die Staatsordnungen der sozialistischen Länder als nur zwei Formen der dem gleichen „rationalistisch-technokratischen" und „universalistischen" Geiste entspringenden „volksentfremdeten" Herrschaftsausübung zu denunzieren und auf diesem Wege die jeweiligen Zielpotentiale in eine , Distanz- und Gegnerschaftsposition gar nicht mehr zu bestimmten, sondern zu unterschiedslos allen politischen Parteien und von da aus strukturell zum Parteiensystem als solchem und zudem auch noch zu den Gewerkschaften zu bringen, unter der gemeinsamen Anklage und Feindansage mit dementsprechend antipodischen Positiv-Entgegensetzungen wie „unmittelbar", „direkt", „basisnah", „volkstümlich" verbunden (jedoch nicht mehr partei- oder klassenverbunden). Diese Position ist dann von vornherein um die Alternative des Sozialismus gebracht und kann sich daher nur als eine „dritte" artikulieren, von der aus es zur völkischen immer bestenfalls nur noch einen Purzelbaum weit ist. Da es der Neuen Rechten nun aber in allem Ernst um den Sturz des Kommunismus in Osteuropa einschließlich der Sowjetunion selbst zu tun ist und es der ganze Sinn ihres Konzepts ist, zu ihm in Tateinheit mit der inneren Orientierung der Bundesrepublik auf ihre großdeutsche Aufgabe - beizutragen, besteht der nächste 333
Schritt darin, die jetzt motivierten Kräfte sich nun aber auch als den nur westlichen Arm einer „gesamteuropäischen", einzigen großen blockübergreifend „befreiungsnationalistischen" Anti-Jalta-Bewegung begreifen zu lassen, deren östlicher Teil die „Dissidenten"Gruppen und jedwede sonstige antisowjetische „Los-von-Moskau"-Tendenzen und -Kreise seien. Ihnen falle am ersehnten Zieltage des osteuropäischen „Völkerfrühlings" (der als ein superdimensionaler „17. Juni" imaginiert wird) naturgemäß die genuine Aufstands-Arbeit zu; der westeuropäische „Befreiungsnationalismus" müsse aber schon jetzt seine Solidarität mit ihnen durch parallelgerichtete Aktionen gegen die eigene „Supermacht" in seinen Ländern wie durch immer engere direkte Kontaktnahme mit ihnen selbst und immer sichtbarere Herausprofilierung ihrer Zusammengehörigkeit als einer das gleiche Ziel verfolgenden einzigen Bewegung beweisen; und er müsse sich instandsetzen, zur Einhaltung des Versprechens, ihnen am TageX „beizustehen", auch in der Lage zu sein (weshalb die „nationalrevolutionären" Gruppen glühende Verfechter der Einübung „alternativer Verteidigungstechniken" ä la Theo Ebert sind 1257 ). In diesem Sinne pries die Neue Rechte allen Bewegungen, in die sie einzudringen suchte, überschwenglich Polens „Solidarnosc" als beispielgebende Vorhut im gemeinsamen Anti-Jalta- und Europa-Kampf an, die mit ihrem Namen auch schon auf die der europäischen Identität entsprechende System-Alternative des „Solidarismus" verweise. 1258 Wolfgang Strauss über Walesa: „Nur in einem irrte sich der christlichpatriotische Arbeiterführer: Siegreiche Revolutionen sind selten gewaltlos. Der kommunistische Despotismus kann nicht reformiert. .., sondern nur zerstört werden: . . .Wenn die Völker Osteuropas und Mittelasiens aus den Fehlern der Polnischen Arbeiterrevolution von 1980/81 zu lernen gewillt sind, werden sie zukünftig nicht nur Fabrikkomitees, Streikausschüsse, Arbeiterräte bilden, sondern vor allem Soldatenräte, Garnisonskomitees, Revolutionsausschüsse der bewaffneten Macht." 1259 In diesem Zusammenhang gewinnt nun aber auch die außereuropäische Anwendungsebene des Ethnopluralismus eine unmittelbare politische Funktion und wird zu einem weiteren praktischen Aufgabenfeld des „Befreiungsnationalismus". Auf ihm geht es darum, in allen antiimperialistischen Befreiungsbewegungen bzw. antikolonialistisch-nationalen Regierungen der Welt durch Kontaktnahme und demonstrative Solidarisierung mit ihnen aktiven Ein334
fluß auf sie in dem Sinne zu nehmen, daß sie sich wenigstens an das Doppelfeindbild vom „amerikanisch-sowjetischen Imperialismus" halten und nicht etwa die antisowjetische Wendung vermissen lassen - um Orientierungen solcher Art dann wieder in der Bundesrepublik als Bestätigungen ihres eigenen Konzepts vom Kampf gegen „die Jalta-Mächte" und vom „dritten" Systemweg auszugeben und sich somit selbst als eine „antiimperialistische" Richtung vorstellen zu können. Es ist der alte Programm-Punkt 7 m in Niekischs „Politik des Widerstandes" (in nun freilich totalitarismus-„theoretischer" Anwendung vorrangig auf die Sowjetunion, das Wort „West" daher im folgenden eingeklammert): „Anknüpfung von sei es offenen, sei es geheimen Beziehungen mit allen Völkern, die gleich dem deutschen Volke unter der Unterdrückung durch die imperialistischen (West)mächte leiden." 6. Der „Europäische Sozialismus" Dieser „dritte" Systemweg soll nun freilich unbesehen alles hierzu schon sichtbar Gewordenen gleichwohl - und insbesondere offenkundig in Rücksicht auf die Bevölkerung der osteuropäischen Staaten - als „Sozialismus", als der eben dem besonderen europäischen Wesen gemäße, als der eigene „europäische" Sozialismus ausgegeben werden. Die „Spitze" dieses neuen, genuin-europäischen Sozialismus „ist gegen die Forderung nach Gleichheit gerichtet." . . . Sein „Grundgedanke" liege „im Leitgedanken der Hierarchie. Er macht die entscheidende Besonderheit des Sozialismus der Neuen Rechten a u s . . . Der hierarchische Leitgedanke ist eine reflektive Übertragung des Dominanztriebs aus dem Menschenbild in die Wirtschaftsordnung.. ." 1 2 6 0 Oder: „Was steht in der Neuen Ordnung den Menschen zu? Vor allem . . . jener Rang, der ihrem Wert für die Gemeinschaft entspricht." 1261 Als den „sozialistischen Maßstab für den Wert des einzelnen Menschen" betrachte die Neue Rechte die „Bereitschaft, nationale Solidarität zu üben". „Jeder Nationalist" sei daher „notwendigerweise auch ein Sozialist", denn das „auf Naturanschauung beruhende" Ganzheitsdenken sehe „den einzelnen als Glied sozialer Gestalten, vor allem des Volkes", und verstehe unter „Verwirklichung" des Sozialismus die Durchsetzung des „Begriff(s) des Ganzen auch in den sozialökonomischen Verhältnissen". 1262 Aber „da sich die Menschen nun einmal auszeichnen wollen", müsse „diesem Drang entsprochen werden", weshalb jeder sich 335
„im geregelten Wettbewerbsrahmen" seinen „Rang" solle „erobern" können und die Neue Rechte sogar erwäge, „ein qualitativ neues Berufsbeamtentum zu schaffen, dessen obere Ränge ebenso hohe Gehälter wie die Spitzenkräfte der freien Wirtschaft erhalten sollen.. ," 1263 Daher: „Für die Neue Rechte ist nicht das Proletariat oder die Intelligenz, sondern das ungeteilte Volk der Träger des Sozialismus . . . Dem marxistischen Klassensozialismus stellt sie einen nationalistischen Volkssozialismus entgegen." 1264 Als die Auffassung „freiheitliche(r) Sozialisten" und die „Verkörperung des modernsten und einzig wissenschaftlichen Sozialismus" sei diese Auffassung von „humanistischer Gefühlsseligkeit" wie vom Marxismus „gleich weit entfernt." 1265 - Weiß Gott! *
Alle Elemente dieses ideologischen Grundschemas tauchen in den Programmen der einzelnen nationalrevolutionären Organisationen wieder auf und sind miteinander verknüpft in der von ihnen übereinstimmend verkündeten und in der „Nationalrevolutionären Plattform" festgehaltenen „Idee der fünffachen Revolution" - nämlich der „nationalen" (den Aspekt „weltweiter Befreiungsnationalismus" in sich mitenthaltenden), der „sozialistischen" oder auch „sozialen", der „ökologischen", der „kulturellen" und der „demokratischen" (auch „basis"- oder „räte-demokratischen") mit dem apodiktischen Plattform-Satz: „Wir stehen der politischen Herrschaftsform der bürgerlichen Gesellschaft, dem demokratischen Parlamentarismus, grundsätzlich ablehnend gegenüber." 1266 Die Zeitschrift „wir selbst" machte sogar sechs Punkte daraus und erschien in ihren ersten Heften mit der regelmäßig dem Impressum zugeordneten Versicherung, „die Neuschaffung eines unabhängigen, geeinten Deutschlands in einem Europa freier Völker" zu wollen, „für den weltweiten Befreiungsnationalismus" zu „kämpfen" („wir selbst" ist übrigens nur eine Ubersetzung des irischen „ S I N N F E I N " ) und „folgende Einzelforderungen in einen Gesamtzusammenhang" stellen zu wollen: „Ethnopluralismus", „ökologische Lebensgestaltung", „humaner Sozialismus" (wobei „human" immer heißt: „biologisches" resp. „realistisches" Menschenbild"), „dezentrale Wirtschaftsordnung", „kulturelle Erneuerung" und „Basisdemokratie". „wir selbst" war die von ihrem Erscheinen an am unerschrockensten das jeweils in der „linken Szene" umlaufende Vokabular aufnehmende und sich der Arbeit seiner Auffüllung mit den eigenen strategischen Inhalten unterziehende „nationalrevolutionäre" Zeitschrift. Es sei deshalb hier noch das
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Beispiel des „wir-selbst"-Programmpunkts „Basisdemokratie" aufgegriffen und vorgeführt, wie sich unter ihm gerade ein ausgesprochenes Führerstaatsmodell empfehlen läßt. Im Heft 1/1980 wurde als „basisdemokratisches" Modell der „Staatsgestaltung von unten her", das „politische Machtkonzentration" verhindere, „die Macht auf das Volk verteilt" und damit „das größer werdende Emanzipationsbedürfnis der Menschen" im Unterschied zur „Entmündigungsordnung" der „Parteiendemokratie" respektiere, das „Nachbarschaftsmodell" Artur Mahrauns, des einstigen Chefs des „Jungdeutschen Ordens" empfohlen - und dieser letztere selbst als ein mit seiner „offen vertretene(n) Feindschaft gegen das Parteienwesen . . . eindeutig dem nationalrevolutionären Lager der 20er Jahre zuzurechnen(der)" Träger „radikaldemokratischen Gedankengut(s)". 1267 Mahraun hatte in der Weimarer Zeit seinem Jungdeutschen Orden zum Programm gemacht, „zur Beseitigung des modernen Parlamentarismus" als „Voraussetzung zum Bau des nationalen und sozialen Volksstaates" und Weg zur Verwirklichung der „neue(n) vom Fronterlebnis gestaltete(n) Staatsidee" 12 ' 8 die Einführung eines „die Mitarbeit des Volkes an der Auswahl seiner Führerschaft" sichernden „Kurführersystems" auf der Grundlage einer Aufgliederung der bisherigen Reichsländer in „Stammesländer" und „Stammesgebiete" bei gleichzeitiger Einführung eines ständischen Kammersystems vorzuschlagen. Dieses System gehe, so Mahraun, „in der Brechung des Parteiismus so weit, daß es die Unterteilung des Staatsbürgertums bis zur Nachbarschaft in einer zahlenmäßigen Stärke von 500 wahlberechtigten Staatsbürgern fordert", wobei allerdings „das Jungdeutsche Manifest die Zahl der wahlberechtigten Staatsbürger stark vermindert". 126 ' Diese „Nachbarschaften" sollten sich einen „Führer" wählen (womit also klassen- und parteienüberwindende „Volksganzheit" schon auf der alleruntersten Basisebene erzwungen wäre); aus deren Mitte heraus sollte dann der „Bezirksführer", von den „Bezirksführern" der „Gauführer", von den „Gauführern" aus deren Mitte heraus der „Landesführer" (ab „Bezirksführer" vom jeweils höheren „Führer" bestätigungsbedürftig) und von den Landesführern schließlich der „Reichsführer" gewählt werden. 1270 So sei das militärische Prinzip der „Führerdisziplin", die „feldgraue Ordnung", die jeden „an die Durchführung" der Entschlüsse des „Oberbefehlshabers" binde und die zur „Voraussetzung" erfolgreicher „Staatsführung" gehörige „alle Gegensätze überwindende Einheit der Führerschaft" gewährleiste und damit der „Staatsführung ein volksgebundenes Instrument zur Führung der deutschen Politik" an die Hand gebe, „auf die Nation übertragen" und zugleich „die größtmögliche Einschaltung des Volkswillens" erzielt 1271 ; mithin sei ein „organische(s) Führersystem" geschaffen 1272 , in dem „Volkswille und Staatswille . . . in Einklang gebracht" 1273 seien, da nun das Volk nicht mehr „Vertreter", sondern „Führer" wähle und der gewählte Führer „nicht der Vertreter seiner Wähler", sondern „mit dem Augenblick seiner Wahl . . . Führer für alle", des „ganzen . . . Volkes" sei1274 (darauf also lief und läuft die nationalrevolutionäre Kritik an der „Repräsentivität" des Parteienwahlsystems hinaus). J e t z t dürfte aber auch begreiflich sein, weshalb sich die N e u e Rechte in einer gleichsam ersten großen Welle des Anstürmens auf
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eine Bewegung in der Spekulation, sich in ihr und über sie zu einer Massenbasis bringen zu können - nachdem die antiautoritäre Bewegung, ihr allerdings frühestes, aber für sie noch zu frühes Zielobjekt verebbt war - nahezu geschlossen in die Ökologiebewegung begab und sie durch rasch gegründete eigene „Öko-Gruppen" sogar von Anfang an initiativ mitzuinspirieren suchte. Jetzt beginnen z. B. die „Solidaristen" von Penz intensiv in der „Grünen Bewegung" mitzuarbeiten (begründet von Penz: „weil wir Solidaristen im Sinne eines Dritten Weges jenseits von rechts und links, jenseits von Kapitalismus und Kommunismus, in unseren Neuordnungsideen von der ökologisch-biologischen Bedrohung des Menschen und seiner Umwelt ausgehen, die ihre Wurzel in der materialistischen Geisteshaltung herrschender Ideologien hat. Wir Solidaristen sind originäre Grüne!" 1275 ); oder der auf Rohkost-Diät und Ernährungs-„Ganzheitstherapie" eingeschworene Dr. med. Max Otto Bruker, Mitglied der rassistischen „Gesellschaft für biologische Anthropologie, Eugenik und Verhaltensforschung" und damals Vorstandsmitglied (später Vorsitzender) des „Weltbundes zum Schutze des Lebens", hält in seiner Oberlahnsteiner „Klinik Lahnhöhe" und in Vlotho im Hause des „Weltbundes" Vorbesprechungen zur Vorbereitung einer „Grünen Liste" ab und wird Vorsitzender der „Wählergemeinschaft Grüne Liste-Rheinland-Pfalz"1276; auch Siegfried Bublies, der spätere „wir-selbst"Gründer und damals aktive Junge Nationaldemokrat, tritt in Rheinland-Pfalz gemeinsam mit Bruker für die „Grüne Liste" auf; dort stellt sich sogar die NPD nun als „Grüne Liste" vor (weil sie „als Partei des Lebens- und Umweltschutzes . . . sich zu einem lebensrichtigen Menschenbild" bekenne)1277; und selbst Erwin Schönborn bringt nunmehr in seinem Verlag „Volk und Kosmos" (Verlag „Volk und Umwelt" hieß wiederum Brokers Verlag) eine „Grüne Korrespondenz" heraus1278. Der Sinn dieses Kampfs „um die Grünen" ist im „Bio-Humanismus"-Konzept nachlesbar und liegt auf der Hand: Es geht darum, sie von dem für ihr eigenes Richtungs-Selbstverständnis geradezu konstitutiven Begriff „Leben" auf den Boden des „lebensrichtigen" Menschenbildes der Neuen Rechten und von da aus zur „befreiungsnationalistischen" Doppel-Orientierung einer - wie Bruker vorausjubelte - Partei gegen Parteien, „Unpartei mündiger Bürger", einer „Partei für unparteiische, parteifreie Politik", Partei oder Wahlliste „der Nachbarschaften und des Volksstaates", einer „solidaristischen" 338
Wahlliste, einer Partei „des Miteinander"1279 und einer Partei gegen die „Jalta-Spaltung", für den „Lebensraum Mitteleuropa" und das „ganze Europa" zu bringen. (Für die künftigen Entwicklungen bei den Grünen wird deshalb alles davon abhängen, inwieweit sie dem demagogischen sozialdarwinistisch-biologistischen „Lebens"-Irrationalismus der Völkischen die Konzeption eines rationalen, fest humanistisch verankerten und orientierten Lebensverständnisses programmatisch, mit also auch einiger theoretischen Sicherheit, entgegenzusetzen und in ihren Reihen durchzusetzen imstande und willens sein werden.) Erst recht dürfte sich aber nun auch verstehen, weshalb die Neue Rechte ab Beginn der achtziger Jahre ihre Aufmerksamkeit nun bald mehr noch der Friedensbewegung zuwandte und in (scheinbar) direktem Gegensatz zu den einstigen Anfängen nahezu aller ihrer Matadore in der „Aktion Widerstand" und den Kasseler wie auch sonstigen weiteren Aktionen gegen die Entspannung ihr nicht etwa frontal entgegentrat, sondern nun ebenfalls - unter den sehr viel ungünstigeren Ausgangsbedingungen freilich (gemessen am Entstehungsprozeß der Ökologiebewegung, in der „Lebensschutz"-Gruppen aller Art qua Firmenschild von Anfang an Heimatrecht hatten) eines im wesentlichen über ihren Kopf hinweggegangenen Konstitutionsprozesses und insoweit meist im nachhinein - in ihr Fuß zu fassen und Einfluß auf sie zu gewinnen suchte. Denn hier ging es von der Sache her ja unmittelbar um das eigentliche politische Zentralthema und Kardinal-Anliegen der Neuen Rechten selbst: Europa. Und auch wenn es nur vermittels eines Negativums, der Gefahr der nuklearen Einäscherung, der sein westlicher wie sein östlicher Teil gleichermaßen durch die amerikanische Doktrin eines auf Europa begrenzbaren und im Ganzen gewinnbaren Atomkriegs ausgesetzt ist, in den Blick und ins Gespräch kam: War nicht gerade das ein grandioser Hebel, die These von der unerträglichen „Überwältigung" Europas durch das „Jalta-Teilungs-Diktat" in nunmehr gesteigerter Eindringlichkeit als These vom „lebensbedrohenden" Charakter der „Teilung Europas" durch die „Jalta-Mächte" und die Parole vom Kampf und „Widerstand" gegen deren Präsenz, für ein „ungeteiltes" und „autonomes" Europa als nun geradezu dringlichste gemeinsame „Lebensschutz"-Aufgabe aller Europäer in West und Ost zu wiederholen? Man mußte jetzt nur eisern am Doppelfeindbild der „Supermächte" festhalten und die Hälfte der von der Pentagon339
Strategie heraufbeschworenen Gefahr sofort mal aufs Konto der Sowjetunion rüberschieben, so daß die „tödliche Bedrohung" auch jetzt „paritätisch" von zwei Seiten kam (womit man ja aber nun keineswegs allein stand). Bereits im Jahre 1980 hatte Armin Möhler gemeinsam mit dem einstigen NHB-Bundesvorsitzenden und Sprecher der Burschenschaft „Danubia", Uwe Sauermann 1280 , den Anstoß zu einer ganz auf diesen Tenor des frontenübergreifend erforderlichen und frontenveränderungs- bzw. transformierungsfähigen „Widerstands" für ein größeres Deutschland abgestimmten, über „nationalrevolutionäre" Diskussionszirkel hinausreichenden Niekisch-Entdekkungswelle in der Neuen Rechten gegeben: Niekisch als eine mögliche Umschaltstelle für Linke (mit Sauermanns von Möhler eingeleitetem Buch: Ernst Niekisch - Zwischen allen Fronten 1281 ). Im NHB-Report schrieb der Nationalrevolutionär Lothar Selmberg: „Ernst Niekisch, der in den zwanziger Jahren neben Hitler der radikalste Kämpfer gegen die Knebelung Deutschlands war", ist es „gelungen, sich mit seinen zeitlosen Ideen als wortmächtiger Denker an die Spitze der neuerstandenen nationalrevolutionären Bewegung zu setzen. Mehr noch: Niekisch bewährt sich zunehmend als gemeinsam anerkannter Theoretiker jener, die mit dem Marxismus gebrochen haben und jener, die ursprünglich im rechtskonservativen Lager aufgewachsen sind. Ernst Niekisch ebnet zweitrangige Verschiedenheiten ein, indem er den Willen aller . . . auf die Revolutionierung der Nation zum Zwecke der Wiederherstellung der Einheit, Unabhängigkeit und Größe dieser Nation richtet." 1282 Und jetzt verkündete Sebastian Haffner, der 1978 den Heinrich-Heine-Preis der Stadt Düsseldorf für ein (wie schon zuvor Fests Hitler-Buch) ausschließlich der Rehabilitation des „Mitteleuropa"-Politikers Adolf Hitler bis zum Jahre 1938 geltendes Buch („Anmerkungen zu Hitler") erhalten hatte, in den von ihm gemeinsam mit Wolfgang Venohr herausgebrachten (der Preußen-„Neu"-entdeckung geltenden) „Preußischen Profilen": „So unwahrscheinlich es klingen mag: der wahre Theoretiker der Weltrevolution, die heute im Gange ist, ist nicht Marx und nicht einmal Lenin. Es ist Niekisch." 1283 Und in „wir selbst", wo Venohr sich bereits in einem der ersten Hefte als „Nationalrevolutionär" hatte vorstellen lassen (an denen er von da an auch als Autor mitarbeitete)1284 und wo Sven Thomas Frank als Sprecher nunmehr für die „NRAO-Sache des Volkes" feststellte: „Die nationalrevolutionäre 340
Theorie hat in Deutschland eine lange Tradition. Mit ihr ist der Name Ernst Niekisch an vorderster Stelle verbunden. Seine Rückkehr ins politische Bewußtsein ahnungsvoller Deutscher macht ja gute Fortschritte..." 1285 , - in „wir selbst" sekundierte Haffner dem Bemühen, mit Niekisch Fortschritte bei der Umkehrung der Empörung über die Raketenstationierungs-Pläne in ausgerechnet den aggressiven Anti-Status-quo- und Mitteleuropa-Nationalismus der Neuen Rechten bis möglichst in die Friedensbewegung selber hinein zu erzielen. In einer Art geschichtspriesterlichen Weihehandlung entimperialisierte er nun diesen Nationalismus und erklärte ihn zu einer „linken" und dem Imperialismus gerade konträren Idee: „Imperialismus ist eine .rechte' Idee, Nationalismus eine ,linke'." Und dies mit einer auch in der ideologischen Terminologie auf die Mühlen der „Neuen Schule" nur noch weiteres Wasser gießenden Begründung, nämlich: „Die Alternative zu einer Welt der souveränen Nationen ist das universale Imperium." 1286 Daß es zu einer Regeneration der die gesamte einstige Geschichte des deutschen Imperialismus bis zum 2. Weltkrieg begleitenden „Mitteleuropa"-Diskussion ausgerechnet in Zusammenhang mit der nuklearrüstungstechnischen Vorbereitungen der USA und der NATO auf einen dritten Weltkrieg - mit dem, betreffs die Sowjetunion, Ziel des zweiten - in der Bundesrepublik kommen konnte, und zwar in der bizarr spiegelverkehrten Form gleichsam einer „Alternativ"-Diskussion zu dieser Politik, war in der Hauptsache begünstigt durch die weithin den Politik-Faktor ausklammernde, an der Supermächte-Schablone orientierte, daher auf rein rüstungstechnische und dann auf technokratiekritische oder „industriegesellschaftstheoretische" Ersatz-Verortungen der Gefahrenquelle verwiesene Diskussion der Raketenfrage in der Öffentlichkeit und auch in Teilen der Friedensbewegung - im Zusammenwirken eben mit der (ziemlich zeitgleich zu Carters öffentlicher Absage an den Begriff der Entspannung) von den Nationalrevolutionären intensiv mitgeförderten Diskreditierung der Entspannungs-Intention als eines nur den Rüstungs-Level regulierenden (und stets auch gemeint: teilungs-stabilisierenden), jedenfalls nichts grundlegend „verändernden" Gedankens. Das machte es dem Bewußtsein natürlich nicht leicht, die jetzt akut heraufziehende Gefahr eines sich unter Führung der USA aufraffenden und versammelnden Mutes der imperialistischen Hauptmächte zum Risiko eines alles 341
auf eine Karte setzenden nuklearen Endschlag-Weltkriegs gegen die Sowjetunion hinsichtlich ihrer politischen Urheberschaft auch klar auszumachen und Entspannung als eine eben gerade aktive Politik gegen diese Gefahr erkennen zu können. Vor
dem
Hintergrunde
Bewußtseins-Strukturen
sah
solch die
weitverbreitet Neue
Rechte
anzutreffender durchaus
eine
Chance, sich in die Friedensbewegung hineinmischen und sie angesichts gerade ihrer nun vielfach ganz jungen und
neuen
Potentiale von der alten Elementareinsicht, daß Frieden nur auf der Basis der Anerkennung der bestehenden Grenzen und Staaten in E u r o p a und der Koexistenz der Systeme zu gewinnen ist, abzubringen und konvertieren zu lassen zur ebenso alten und einschlägigen Grundposition aller Kalten Krieger seit jeher: daß nicht aus dem
In-Frage-Stellen
des
System-
und
Grenz-Status-quo
in
E u r o p a die Kriegsgefahr erwachse, sondern aus eben diesem Status quo gerade als solchem selbst, und daß daher seine Beseitigung, also das Sozialismus-roll-back und die Ostexpansion, der W e g z u m Frieden sei. Ihre Argumentation im begehrlichen Blick auf die Friedensbewegung hält sich dann etwa an das M u s t e r 1 2 8 7 : Euer Kampf gegen die nukleare Lebensbedrohung der Völker Europas ist auch unser Kampf. Indem ihr gegen die todbringende Gefahr dieser Waffen auf die Straßen geht, seid ihr jedoch schon in einen Kampf eingetreten, der der Sache nach über sein derzeitiges bloßes Negativziel doch zu seinem Positivziel und damit auch den Ursachen der jetzt verhinderungsbedürftigen akuten Gefahr weitertreiben muß. Was aber ist denn die Ursache der immer größeren Anhäufung solcher Vernichtungswaffen auf unserem Boden? Sie dienen der Sicherung der Präsenz der miteinander in Rivalität liegenden Jalta-Teilungsmächte in Europa gegeneinander und im Effekt gemeinsam gegen uns, sie sind also Präsenzsicherungs-Waffen der „Besatzungsmächte Europas". Also ist die Ursache der uns bedrohenden Vernichtungsgefahr die Präsenz dieser Mächte auf europäischem Boden. Warum aber sind sie auf ihm? Weil sie sich in Jalta auf die Teilung Europas verständigt haben und beidseits an ihr festhalten. Also ist doch aber die Teilung Europas und Deutschlands die Ursache, die es auszuräumen gilt, soll mit dem sonst unvermeidlich sich nur immer neu regenerierenden Eskalationsmechanismus der wechselseitigen „Supermächte"-Bedrohung auf unserem Boden Schluß sein. Also seid ihr doch in Wahrheit auch längst schon selber, euren jetzigen Protest gegen die nuklearen Präsenzsicherungswaffen der Jalta-Mächte in seiner positiven Konsequenz zu Ende gedacht, eine Bewegung für Wiedervereinigung und, da die deutsche und die europäische Spaltung auf die gleiche Ursache zurückgeht, für das selbständige Großeuropa, die europäische Einigungsbewegung. Dann aber müßt ihr jetzt auch vom Kampf gegen die Raketen zum Kampf gegen die Ursache, die Teilung, übergehen, müßt von einer „bloßen" Anti-Raketen-Bewegung 342
zu einer Bewegung für deutsche und europäische (Wieder-)Vereinigung werden. Und sowie ihr das tut - werdet ihr bemerken, daß ihr ja keineswegs in dieser positiven Zielsetzung allein seid, daß der Kampf gegen die Präsenz der Jalta-Mächte in Europa und die von ihnen den Völkern oktroyierten „Systeme" ja längst eine Geschichte hat und im Gange ist, und zwar vom 17. Juni über Budapest-Prag-Warschau usw., und da war eben das aufrüttelnd-ermutigende Beispiel von Solidarnosc, das uns freilich auch lehrt, daß nur die revolutionäre Erhebung der Nationen die Jalta-Mächte vom europäischen Boden wird vertreiben können. Also müßt ihr alle diejenigen Kräfte, die in Osteuropa einen solchen Kampf führen, auch als nur den osteuropäischen Zweig eurer eigenen Bewegung, bzw. besser, euch nur als deren westeuropäischen Teil im Rahmen der einen großen sich heranentwickelnden europäischen Anti-Jalta-Bewegung begreifen lernen. Also, einmal logisch gesehen und euren jetzigen Anti-Raketen-Protest scharf zu Ende gedacht: ihr seid schon „Nationalrevolutionäre", ihr wißt es nur noch nicht Genau mit diesen letzten Wendungen jedoch, in denen die nationalrevolutionäre „Widerstands"konzeption zu ihrem klassischen Punkt k o m m t , bricht nun aber die sonst durchgängig mit eiserner Konsequenz aufrechterhaltene Fassade von der paritätischen Doppel-Frontstellung gegen die „beiden" Supermächte vor dem Hintergrunde gerade der die Friedensbewegung doch erst auf den Plan rufenden tatsächlichen Politik der Reagan-Administration und mithin der „amerikanischen Supermacht" zusammen.
Zur
Illustration: In einem Vortrag vor der „Osterreichischen Gesellschaft für Außenpolitik und internationale Beziehungen" in Wien erläuterte US-Vizepräsident George Bush die derzeitige Europa-Politik der U S A wie folgt (nach „Frankfurter Rundschau" vom 22. 9. 1983): „Die Zurückdrängung des sowjetischen Einflusses in Osteuropa durch eine differenzierte Politik, die nationale Selbständigkeitsbestrebungen der osteuropäischen Staaten aktiv fördert, prosowjetische Haltungen hingegen bestraft, ist zentrales Kernstück der amerikanischen Europapolitik. Eine solche .Europavision', mit dem weitgehenden Ausschluß der Sowjetunion als einer .nichteuropäischen Macht' und der um so stärkeren Verbundenheit des alten Kontinents mit den USA, entwickelte US-Vizepräsident George Bush . . . Bush ging in seiner Analyse der europäischen Situation davon aus, daß die Teilung Europas historisch und kulturell gesehen nur fiktiv sein könne. In Wirklichkeit sei Osteuropa - das Bush mit dem deutschen Begriff .Mitteleuropa' umschrieb - in seiner .Vielfalt und Komplexität' stets ein Teil des ,europäischen Hauptstroms' gewesen und hätte immer ,nach Westen und nie nach Osten geblickt'. Diesem geistig zum Westen gehörigen Osteuropa stellte Bush unter Zuhilfenahme von Zitaten osteuropäischer intellektueller Emigranten das ,wilde und primitive' Rußland entgegen, das anders als Europa an keinem ,der drei großen Ereignisse der europäischen Geschichte, der Renaissance, Reformation und Aufklärung' 343
teilgehabt habe... Bush hob hervor, daß die USA keine .rechtmäßige Teilung' Europas anerkennen . . . Die Helsinki-Schlußakte der Konferenz über Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa sei keine Besiegelung des Status quo und der Teilung E u r o p a s . . . "
Das ist die authentische Europa-Politik der USA, und von hier kommt natürlich im Zeichen der von Reagan so unmißverständlich demonstrierten Entschlossenheit zu einer globalen antisowjetischen Offensivpolitik eben gerade auf Grund der solche Entschlossenheit beglaubigenden Raketenstationierung in Westeuropa im Monopolkapital der Bundesrepublik, insbesondere in seinen sich am leidenschaftlichsten für diese Politik verwendenden Kreisen, die „Mitteleuropa"-Hoffnung wieder auf. Denn wer wüßte wohl nicht, mit welcher durchaus nicht nur beobachtenden Interessiertheit die USA auf Polen sahen. Und wie anders könnte künftig in analogen und nur noch etwas weiter eskalierenden Situationen doch alles enden, wenn die USA, auf das endgültig installierte System der neuen Raketenwaffen gestützt, dann im kritischen Augenblick von Westeuropa aus ein Endvernichtungs-Warnwörtchen an die Adresse der Sowjetunion für den Fall ihres nicht ganz mucksmäuschenstillen Hinnehmens der anschließend dann irgendwo zu ihrem Sinn und Ende geführten Geschehnisse richten könnten. Und was anderes als das Entstehen von „Mitteleuropa" im alten Wunschsinne des deutschen Kapitals und heute ganz gewiß nicht gegen denjenigen der USA - könnte nur immer das Resultat solcher Prozesse sein?Derartige Spekulationen setzen freilich konzeptionell immer „Volksaufstands"-Situationen, wie die „Nationalrevolutionäre" sie propagieren und sogar anzureizen suchen, voraus; und es kann für keinen Beobachter einen Zweifel daran geben, daß die Politik des Versuchs, Osteuropa antisozialistisch zu „revolutionieren", die derzeitige Politik der USA ist. Wie steht es dann aber, angesichts solcher Koinzidenz der nach Osteuropa gezielten „Befreiungsnationalismus "-Agitation der „Nationalrevolutionäre" (insbesondere hier etwa der gesamten Tätigkeit der Kreise um Wolfgang Strauss) und der tatsächlichen Osteuropa-Strategie der USA, eigentlich mit der Glaubwürdigkeit der Doppelorientierung gegen die Sowjetunion und die USA? Und wie steht es mit dieser Glaubwürdigkeit angesichts des Umstands, daß doch aber die Behauptung, mit der diese paritätische Doppel-Frontstellung von den „Nationalrevolutionären" begründet wird - daß also beide „Supermächte" den 344
„Status quo", das „Jalta-Diktat", aufrechtzuerhalten beabsichtigen - nichts als eine blanke politische Unwahrheit ist, und zwar eine Unwahrheit gleich durch und durch? Die USA wollen ihn, wie wir soeben von Bush hörten und Reagan nicht in Zweifel läßt, doch gerade durchaus verändern (und ihre Politik seit 1947 ging auf nichts anderes aus), und die Sowjetunion läßt zwar die sozialistischen Staaten Europas nicht überrollen (und verteidigt insoweit den Status quo), aber dies doch keineswegs etwa auf Grund einer in Wahrheit nirgendwo jemals - wie übrigens auch Bush in Wien, zur Rechtfertigung freilich der US-Offensivität, doch in der Sache zutreffend, unterstrich - erfolgten „Teilungs" -Absprache mit den U S A oder den anderen westlichen Alliierten. Diese System-Teilung ist vielmehr der derzeitige Status quo des Kampfs der beiden Klassensysteme in Europa - und von da aus allerdings ist zum dritten Mal, und jetzt vom Klasseninhalt ihres Konzepts her, an die „Nationalrevolutionäre" die Frage nach der Glaubwürdigkeit ihrer politischen Doppel-Feindstellung zu richten. In Wahrheit ist dieses Konzept nur eine totalitarismustheoretische Rhetorik-Figur - aber zwar eben nicht die uns seit 1945 geläufige liberal-imperialistische in ihrer aus den U S A nach dem Kriege auf uns zurückgekommenen Fassung, die den Liberalismus oder „Pluralismus" in die Mitte stellt und den Sozialismus mit dem Faschismus auf dem Nenner des „Totalitarismus" gleichsetzt, sondern ihre zeitlich schon viel ältere faschistische Version, die den Faschismus in die Mitte stellt und den Marxismus und Liberalismus auf dem Nenner des „Universalismus" und als „Totalitarismus" gleichsetzt und für die faschistische Mitte in der Regel dann noch den Namen des wahren, des nichtmarxistischen Sozialismus in Anspruch nimmt. Das Schema vom gedoppelten und letztlich wesensidentischen Feind muß von den „Nationalrevolutionären" jedoch nicht allein aus allgemein-demagogischen, sondern auch aus praktisch-funktionellen Gründen unbedingt aufrechterhalten werden, gerade je mehr sie auf Wirkungen nach Osteuropa und in die Friedensbewegung der Bundesrepublik hinein ausgehen und sich demnächst womöglich Kreisen der (in der Hoffnung auf eine „gesamteuropäische Bewegung" so beschworenen) „osteuropäischen Friedensbewegung" gar als Repräsentanten der Friedensbewegung der Bundesrepublik vorstellen wollen, möge man sie auch andererseits noch so deutlich Seite an Seite mit den Amerikanern im Geiste. „Polen befreien" sehen. Denn einmal kann sich die 345
Mobilisierung für einen nur anderen, einen „nichtsowjetischen", einen „national eigenen" Sozialismus in der Arbeiterschaft der osteuropäischen sozialistischen Staaten eher als die Mobilisierung einfach für die Wiederherstellung des Kapitalismus Chancen errechnen (und auch dies wird übrigens bekanntlich in den U S A kaum anders gesehen); eine „befreiungsnationalistische" Mobilisierung im Zeichen der Raketengegnerschaft und unter den Emblemen der Friedensbewegung wäre aber vollends mit dem Fallenlassen etwa der Gegnerschaftsansage an die U S A unvereinbar. Die Losungen, unter denen sich die Nationalrevolutionäre in die Friedensbewegung zu mengen suchen, bzw. deren Unterstützung sie in ihr bevorzugen, sind daher solche, die die Blickrichtung auf Europa, ein „souveränes", von den „Besatzungsmächten" freigewordenes, zu lenken vermögen. Das sind auf der allgemeinsten und ersten Ebene Forderungen wie: „atomwaffenfreie Zone in Mitteleuropa", „Abzug der Besatzungstruppen", „Austritt aus N A T O und Warschauer Pakt" bzw. „Blockfreiheit". Erst auf einer gleichsam zweiten Ebene folgt dann: „Neuvereinigung Deutschlands", „für ein freies neuvereinigtes sozialistisches Gesamtdeutschland" usw. (je nach der Agitations-Elastizität einer Gruppe früher oder später). Wie weit die Bandbreite der Tonlagen dabei sein kann, sei an der Gegenüberstellung von zwei Beispielen demonstriert: Der „Nationalrevolutionäre Koordinationsausschuß" exerzierte vor, daß sich sogar scheinbar die doppelparitätische Wendung gegen die beiden „Supermächte" zugunsten der Sowjetunion aufheben läßt, um doch beim Ziel der „Nationalrevolutionäre" anzukommen, und das liest sich - überschrieben mit der einen Niekisch-Rückbezug herstellenden Schlagzeile: „Zwischen Ost und West Die deutsche Daseinsverfehlung" - so: „In .freiwilliger' US-Abhängigkeit wird die Existenz originär deutscher Interessen beharrlich geleugnet. Nun gilt es, dieses Verhängnis deutscher Daseinsverfehlung der vergangenen Jahrzehnte zu erkennen und zu überwinden. Deutsche Politik ist endlich als das zu erfassen, was sie im Interesse dieses Volke sein müßte . . . kompliziertes Geflecht von Möglichkeiten und Notwendigkeiten, die, an den Interessen der Nation ausgerichtet, aus der geographischen und geopolitischen Lage Deutschlands erwachsen. Für eine eigenständige deutsche Position zwischen den Spannungen von Ost und West bedeutet das, daß nur im Ausgleich mit der UdSSR und in Unabhängigkeit von den USA die Existenz Deutschlands auf Dauer zu sichern ist. Dies muß Primat deutscher Außenpolitik werden... Die Abkoppelung vom Westen und eine eindeutige Neutralität bieten als unabdingbare Grundvoraussetzungen erst die Uberlebensgrundlage für das deutsche Volk. Der Zustimmung der UdSSR könnte sich die Bundesrepublik wohl sicher sein, denn nichts anderes hatten und haben die wiederholten Offerten sowjetischer Spitzenpolitiker 346
zum Ziel." Und erst dann kommt's: „Erst aus dieser Situation wird die Frage nach einer deutschen Neuvereinigung sinnvoll zu stellen sein, speziell vor dem Hintergrund einer neuen, nichtkapitalistischen Wirtschaftsordnung. . . International würde die Kräfteverschiebung zur Stärkung einer unabhängigen europäischen Position gegenüber den Supermächten und der blockfreien Bewegungen in aller Welt führen. Damit geriete der herrschende Status-quo der Blockkonfrontation ins Wanken." Und (an bereits vorangehender Stelle): „Daß wir dabei im ureigensten Interesse militärisch präsent bleiben müssen, auch in bezug auf eine eventuelle Hegemonie der UdSSR, ist zu betonen, alles andere wäre blauäugig."1288 In einem Flugblatt der „Aktionsfront Nationaler Sozialisten/Nationale Aktivisten" zum gleichen Thema und mit den gleichen Endforderungen hingegen geht es sofort los mit: „Deutschland - Raus aus der NATO . . . Seit 1945 ist Deutschland ein besetztes Land . . . Deutschland ist eine Besatzerkolonie" usw., und dann: „Stoppt die .Nachrüstung'", „Raus aus der NATO", „Für ein vereinigtes, sozialistisches Großdeutschland" und schließlich gipfelnd in: „Nicht Nationalsozialisten sind Kriegstreiber - es sind wieder einmal jene, die sich ,Demokraten' nennen . . . Nur ein nationaler Sozialismus sichert die Zukunft!" 128 ' Was nun den im Flugblatt des „Nationalrevolutionären Koordinationsausschusses" zuletzt erwähnten Punkt der aber selbstverständlich notwendig bleibenden „militärischen Präsenz" der Bundesrepublik angeht, so hat Lothar Penz erst jüngst in der „neuen zeit" verdeutlicht, was man sich darunter vorzustellen hat bzw. was der Bevölkerung in einem vom Geist der „Nationalrevolutionäre" bestimmten Staatswesen oder „Europa" mit der Verwirklichung der von ihnen als „alternative Verteidigungskonzeption" propagierten „defensiven Gewalt" blühen würde. Penz erläutert, was „defensive Gewalt" für die Nationalrevolutionäre heißt: „Das . . . kann nur heißen, daß die Strukturen unserer Streitkräfte und die Wehrverfassung den Charakter der Volksverteidigung schrittweise annehmen. Eine schwächliche Kampfkraft der Streitkräfte, ein abgehobener, ins Abseits gedrängter Soldatenstand, ein nicht vorhandener Zivilschutz, dürfen nicht mehr die Verteidigung jener Republik unglaubwürdig erscheinen lassen, die für das Recht und die Freiheit des ganzen Volkes einstehen will! . . . Der Kampf gegen die Nachrüstung . . . hat nur einen Sinn, wenn wir gleichzeitig die moralische und soldatische Aufrüstung der defensiven Verteidigungskraft unseres Volkes bis hin zum Zivilschutz vorantreiben. Wie sagte es unlängst der pensionierte General Steinhoff...: ,Wir müssen dieser Armee (der Bundeswehr) wieder eine Seele geben'! Ja, sie ist zum seelenlosen Apparat herabgesunken... Daher sagen wir: Wir müssen der Verteidigung wieder den sittlichen Auftrag zurückgeben!" 1290 Das ist unverkennbar ein Programm der Volks-Militansierung, zu dem dann, schlägt man im Programm der von Penz geführten „Solidaristen" nach, noch eine „uneingeschränkt(e)" Dienstpflicht für „alle Staatsbürger beiderlei Geschlechts" kommt, „Wehr- oder Sozialdienst" für „Männer 347
und Frauen . . . ohne Ausnahme."1291 Und den „befreiungsnationalistischen" Sinn der geforderten De-Elitarisierung und größeren „Volksnähe" der Bundeswehr und ihrer Verbindung mit einem „Milizsystem" kann man u. a. - und dort dann wieder unter Berufung auf 1813, den „17. Juni 1953" und, in einem Atemzuge damit, den „antifaschistischen Widerstand"! - im Deutschland-Programm der „NRAO-Sache des Volkes" nachlesen, wo es zum Ziel des aus seinen heutigen „drei" Teilstaaten sowie dem „Sudetenland" und den „deutschen Ostgebieten jenseits von Oder und Neiße" wieder zusammengefügten „Deutschland" heißt: „Voraussetzung zum Erreichen dieses Zieles ist der revolutionäre Volkskampf in allen deutschen Teilstaaten" 12 ' 2 ; oder, noch anschaulicher vielleicht, in „wir selbst", das zum Thema „Soziale Verteidigung hier und jetzt" verlauten ließ: „Die Frage . . . ist tatsächlich momentan nicht in erster Linie, was zu tun ist, wenn die Sowjets kommen, sondern: was zu tun, wenn die Amis bleiben? Ahnliche Überlegungen wären denkbar für die Deutschen in der DDR, auf deren Boden die zweite imperialistische Supermacht, die Sowjetunion, Gewehr bei Fuß steht.. ," 12 ' 3 Aus eben solchen „Überlegungen" heraus befürworten die Nationalrevolutionäre aber auch alle Diskussionen über Methoden „gewaltfreien Widerstands", Modelle einer Praxis der „sozialen Verteidigung" und deren Erprobung bei den verschiedensten Anlässen, im Anti-Raketen-, im Anti-AKW-, Anti-Startbahn- usw. -Kampf, als Einübungen in den „revolutionären Volkskampf" für „Wiedervereinigung" und daher auch mit in die Diskussion immer wieder eingeflochtenen Verweisen auf die „Erfahrungen" in den Ländern Osteuropas bzw. den anderen deutschen „Teilstaaten", aber etwa auch im (wieder einer „Besatzungsmacht" geltenden) „Ruhrkampf" 12 ' 4 . Diese bereits in den frühen siebziger Jahren von der „Neuen Rechten" entwickelten und programmatisch verankerten Volksmilitarisierungs-Konzepte und die ihnen nur zugehörigen Absichten auch zu einem Zivilbevölkerungs-Training in Techniken des „passiven" und „gewaltfreien" „Widerstands" werden seit Anfang der achtziger Jahre nun aber der Friedensbewegung als „Alternativmodelle" zur Sicherheit durch Atomwaffenschutz angeboten. Da ist wohl darauf hinzuweisen, daß die den „Nationalrevolutionären" so vielfach verbundene und mit ihnen gerade in der ideologischprogrammatischen Orientierung auf Europa völlig übereinstimmende französische Neue Rechte und hier insbesondere auch deren „Nouvelle Ecole" sich das von ihnen allen gemeinsam unisono geforderte vereinte Großeuropa jedoch keineswegs als ein atomwaffenfreies, sondern mit offen erklärter Entschiedenheit als ein „atomar souveränes" vorstellt, worauf sich auch Armin Möhlers unablässiger (von Alain de Benoist ausdrücklich assistierter 1295 ) Appell an „die Deutschen", mehr „Machtwillen" in der Weltpolitik zu zeigen, eher reimen würde - und daß es für genau diese 348
Vorstellung in der Bundesrepublik, als Manes Sperber sie uns zu Gehör brachte, den „Friedenspreis des Börsenvereins des Deutschen Buchhandels" gab und nicht lange zuvor für den markantesten Fahnenträger der „nationalrevolutionären" Richtung und geschichtlichen Dauer-Platzhalter für sie ab 1945, Ernst Jünger, den Goethe-Preis der Stadt Frankfurt am Main. Beides ist gewiß so wenig zufällig wie vorher der Preis für Haffner und die „Preußen" Welle, aber auch der Akademie-Preis für de Benoist in Paris (denn man muß die in allen Ländern eingespielte, nirgendwo öffentlich deklarierte und doch als gesellschaftliche Institution wirkende informelle Tendenz-Signalfunktion je ganz bestimmter Preise, in der Bundesrepublik übrigens immer auch der BundespräsidentenNominierungen, wie auch bestimmter repräsentativer Museumsprojekte in Rechnung stellen); es ist vielmehr nur Ausdruck und Leuchtzeichen eines in führenden, zu Trend-Auslösungen potenten Gesellschaftskreisen der Bundesrepublik sich belebenden und um etliches munterer gewordenen Blicks auf Europas Teil von der Elbe an ostwärts. Und der dies bewirkende erfrischende Luftzug rührt aus nichts anderem als der Verheißung eines demnächst überlegenen Raketen-Gesamtpotentials in Verbindung mit den übereinstimmenden Versicherungen des allgewaltigen RaketenGebieters und furchtlosen Westwelt-Führers im Weißen Haus wie der Besitzer des kleineren Eigen-Arsenals an der Seine, daß sie den Status quo der „Teilung Europas und Deutschlands" aber geschichtlich nicht hinzunehmen gedächten und „Europa wiederhergestellt" werden müsse, womit von der Logik der Sachlage (nicht der Sache, aber eben der Sachlage) her in gerade beiden Interessen-Lesarten, wie variant oder zueinander different sonst auch immer, die alten Wunsch-Zielräume im Osten dem „deutschen" Blick wieder konturnah werden . . . womit dann aber, richtet sich dieser Blick mit verjüngter, einen Lichtstreif am Horizont wähnender Begehrlichkeit auf sie unter den Bedingungen des wiedererstarkten eigenen Imperialismus und zugleich des vor der Welt um seine Freiheitsgloriole gekommenen amerikanischen, auch wieder gefragt sein und als „Trendströmungen" virulent werden müssen: „Ganzheits-Denken" und „Lebens-Philosophie", „Gestalt"-Wahrnehmen der „Völker-Identitäten" und der zu ihnen konstrastierenden, falsch auf sie zugeschnittenen europäischen Staatskörper, „Deutschland"Besinnung via „Volks"- und nicht länger klassenbezogenem 349
„System"-Denken, sowie all die sich der „Völker" derart entsinnenden „Nationalitäten"- und „nationalen Minderheiten"-Insurrektions- und „Revolutionierungs"-Programme früherer Weltkriegszeiten bzw. deren Begleitideologien; aber auch „Geopolitik" und Sozialdarwinismus (letzterer mit doppeltem Gesicht, um nämlich auch den von der zugleich eskalierenden ökonomischen Krise Getroffenen und fortschreitend auch um die sozialen Hilfen zu Bringenden sagen zu können, dies sei nun einmal die Härte nicht etwa des Kapitalismus, sondern „des Lebens", und sie seien die wohl offenbar zu ihm weniger Tauglichen); ebenso aber auch wieder frontale Diskreditierungen des „rationalistisch-mechanistischen Weltbilds" und „Alternativ"-Rufe nach „spirituellem Denken" ä la Fritjof Capra und Irrationalismus-Wellen jedweder Art auf ihnen daherkommend aber, da der Weg zu den Zielen nun einmal über eine Risiko-Klippe, die atomare, führt, auch Ideologen, die wie Jünger „durchs Feuer zu gehen" bereit sind. So reaktualisiert sich mit den im Schatten der neuen Raketen wiederauflebenden Spekulationen auf „Mitteleuropa" und all die anderen klassischen Expansionsräume im Osten die „völkische" Ideologie.
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VI. Zur Rekonstitution des „Völkischen" in der Literatur der „nationalen Welle"1296
Da die „nationale Welle" nun offenbar knüppeldick über uns kommt, es allenthalben nur so neu-metallen tutet und altpatriotisch wiedertrarat von Besinnung aufs Deutschsein, auf Heimat, Vaterland, prompt auf Wiedervereinigung, Kampf gegen „Jalta", die Spaltung Europas überhaupt, und nicht mehr verkennbar ist, daß sich so der Stimmungsumschwung in einen neuen Antiost-Kreuzzugs- und Mitteleuropa„befreiungs"-Enthusiasmus im (Voraus-) Schatten der neuen Raketen vorbereitet oder ins Werk zu setzen sucht, ist es wohl angebracht, etwas deutlicher darauf hinzuweisen, auf den Gleitschienen welcher von der äußersten Rechten kommenden strategischen Begriffe sich diese Welle in der Öffentlichkeit voranschiebt. Es ist in der Tat ein seit Mitte der siebziger Jahre in den radikalsten „nationalrevolutionären" und neokonservativen Kreisen der sogenannten europäischen „Neuen Rechten" zur politischen Reaktualisierung der unseligen einstigen „völkischen" Ideologie ausgebildetes, in sich geschlossenes System zueinandergehöriger operativer Begriffe - wie wir gesehen haben - , über deren Vordringen in die öffentliche Diskussion und den politischen Sprachgebrauch als Modeschlagworte dies heute hauptsächlich erfolgt. Mit der gedankenlosen Aufnahme und Ausbreitung dieser Suggestivworte und ihrer Gehalte geht eine immer raschere ideologische Vereinheitlichung und politische Annäherung der in der „nationalen Welle" zusammenfindenden Kräfte selbst Hand in Hand. An den Marksteinen bestimmter Veröffentlichungen läßt sich ablesen, welche Etappen dieser Prozeß in den letzten Jahren zurückgelegt hat Und wie weit er, sowohl in die Breite wie in der Selbstverdeutlichung seiner politischen Stoßrichtung, bis zur Stunde gelangt ist. Das erste Buch, das den Einblick in den systematischen Zusammenhang der die „nationale Welle" antreibenden neuen Schlag351
worte einem breiteren Leserpublikum ermöglichte (da die Theorieorgane des Neonazismus und Neokonservatismus nur von wenigen regelmäßig verfolgt werden), war die 1970 auf Veranlassung oder doch mit Unterstützung der „Deutschen Burschenschaft" und des „Vereins zur Förderung Konservativer Publizistik e. V." bei Langen Müller erschienene Aufsatzsammlung des heutigen Cheftheoretikers der „Nationalrevolutionäre", Henning Eichberg, unter dem Titel „Nationale Identität. Entfremdung und nationale Frage m der Industriegesellschaft". Ihr war mühelos zu entnehmen, daß dem Schlüsselbegriff „Identität", die der Einzelne nach Eichberg immer erst kollektiv in der „Nation" gewinnen könne und die daher dann bestimmt wurde als der kollektive - nämlich je national gemeinsame - „Unterschied" zu den „Anderen" oder „dem Fremden", die Funktion zukam, die theoretische Grundlegung sowohl für die mittlerweile zum Schwerpunkt aller neonazistischen Massenpolitik gewordene Antiausländer-Agitation wie zugleich für die Wiederverkündung des demagogischen Programmziels einer „völkischen" Neuordnung Europas zu leisten. Lieferte das Schlagwort von der „Identität" den Anti-AusländerKampagnen die scheinheilige Rechtfertigung, doch nur im Interesse der Bewahrung der Ausländer vor ihrem eigenen kulturellen und nationalen Identitätsverlust selber zu liegen, so erlaubte es dem auf die Änderung des europäischen Status quo drängenden Expansionismus die Anklage der beiden „Supermächte" samt auch gleich aller von ihnen jeweils repräsentierten oder ihnen auch nur zugeschriebenen „universalistischen" und „egalitären" Ideen, politischgesellschaftsorganisatorischen Prinzipien und Strukturelemente (Eichberg nennt in der Hauptsache: „Christentum", das freilich seinen „missionarischregalitaristischen Elan" heute verloren habe, „Marxismus und Kommunismus", „kapitalistischen Liberalismus" bzw. „liberalkapitalistischen Egalitarismus" und „multinationales Kapital") nun vor allem als „Fremdmächte", deren „Kolonialismus" Europa und seine einzelnen Nationen um ihre „Identität" bringe. Gegen den „Universalismus" der „Supermächte" und ihre den europäischen Nationen offenbar wesensfremden Systemideen ließ sich dann die „revolutionäre Ideologie der Region" und der von ihr stimulierte „Aufstand der Ethnokulturen" als die Kraft empfehlen und beschwören, die das Europa des Jalta-Systems sprengen und durch ein die europäischen nationalen Identitäten wiederherstellendes „völkisch" gegliedertes Europa ersetzen 352
werde, zu dessen Bezeichnung Eichberg freilich das geschichtlich wohl doch allzu belastete deutsche Adjektiv vermied und statt dessen, seinem sonstigen allgemeinen Postulat ganz zuwider, schamhaft-gekünstelt das durchsichtige fremdsprachige Ersatzwort „ethnopluralistisch" bevorzugte. Eichbergs strategische Generalformel mit zugleich außen- wie innenpolitischer Stoßrichtung lautete daher: „Ethnopluralismus gegen Universalismus". Auf die alten rechtskonservativ-völkischen Anti-GroßstadtIdeologeme zurückgreifend und die aktuellen antizivilisatorischen Stadtflucht-Stimmungen in der Ökologiebewegung aufnehmend, verschärfte Eichberg das Gefahrenbild von der Identitätszerstörung durch die These, daß dem Kolonialismus der Fremdideen der Siegermächte nun aber in jeder heutigen Industriegesellschaft noch einmal ein „innerer Kolonialismus", nämlich der das Dorf, die ländliche „Region", um ihre Identität bringende „industrielle Zentralismus" der Stadt, der „Metropolen", korrespondiere. Aus dem Bild erst dieser Doppelbedrohung zog er schließlich die das Programm der heutigen „Nationalrevolutionäre" beschreibende, als Ausweg empfohlene Konsequenz: die Erhebung der sich ihres Eigenwertes und Selbstbehauptungswillens entsinnenden Nationalitäten und Nationalismen Europas gegen die Mächte der „Uberfremdung"; den Aufstand des „Regionalismus" gegen den „Internationalismus", eines „revolutionären Nationalismus" gegen den „Imperialismus"; den das von den „Ost-West-Arrangements" der Siegermächte auf der Basis des Status quo heraufgeführte „neue Metternichs che System der Ruhe und Ordnung, die neue Heilige Allianz" „revolutionär" „von unten" her aus den Angeln hebenden europäischen „Befreiungsnationalismus ". Über die der Sprengkraft dieses „Befreiungsnationalismus" zugedachte Reichweite und dessen Übereinstimmung mit der Stoßrichtung des alten großdeutsch-völkischen Europa-Neuordnungsprogramms gab Eichberg durch die besonders ausführliche Erörterung des Beispiels der „nationalrevolutionären" Potenzen der Ukraine, aber z. B. auch Lettlands, Litauens, Armeniens und der Krim wie zugleich jedoch auch Irlands und Schottlands, der Bretagne, Flanderns und Südtirols hinreichende Antwort. Dementsprechend verblieben aber auch bei ihm die Begriffe „Region" und „Regionalismus" in der schon den einstigen völkischen Wortgebrauch kennzeichnenden Doppeldeutigkeit: einmal im Sinne der alten Mitteleuropa- und Großraum-Ideologen als die 353
den anderen politischen Großräumen oder Hegemonialzonen der Welt durch Zusammenschluß der europäischen Völker entgegenzustellende eigene Großregion und Weltmacht Europa (die „europäische Identität"), zum anderen aber als Heimat im Sinne gerade des erdenklich kleinsten, dem Einzelnen nächstüberschaubaren, möglichst dörflichen Stückchens Erde, an dem er sich in den Wert und die Verteidigungs- (und das hieß immer: Erweiterungs-) Würdigkeit jener ersteren viel größeren artverwandten Region einschmecken soll. Eichberg registrierte daher in seinem Buch die in den siebziger Jahren aufkommende Hinwendung zum alten Volkslied, zu Dialekten, Trachten und Regionalgeschichtsschreibung aufmerksam als ein mögliches Ausgangsfeld für ihre Transformation in eine expansionistische Wendung nach außen, ihren Umschlag in den „befreiungsnationalistischen" Ruf nach einem „deutschen Deutschland". Da aus der „deutschen Identität" alles Systemgegensätzliche herausoperiert und dem ihr angeblich fremden „Universalismus" der beiden „Supermächte" zugeschrieben war, der Systemgegensatz in Europa damit aber zu einem bloßen Produkt ihres beiderseitigen „Kolonialismus" wurde, sie folglich auch beide als „imperialistisch" bezeichnet werden konnten, ließ sich das „nationalrevolutionäre" Programm des Völkeraufstands gegen den System-Statusquo in Europa nun aber auch als ein „antiimperialistisches" ausgeben, für das die „nonkonformistische Linke" zu gewinnen sein müßte. Und da eine der Identität der europäischen Völker gemäße, von ihnen genuin hervorgebrachte Gesellschaftsordnung ja nun frei von den „egalitaristischen" und „universalistischen" Fremdzügen der heutigen beiden Systeme zu sein hatte, damit ab,er auch nur wieder einmal darstellbar war als eine des „dritten Weges" zwischen ihnen, als eine nicht „internationalistische", sondern eben „völkisch" oder „national" spezifische, schlug Eichberg - hier nun voll Otto Strasser folgend - mit großer Einladungsgeste einen Brückenbogen von den „Nationalrevolutionären" zum „nonkonformistischen Sozialismus des eigenen nationalen Weges" in der Linken, dem es doch eben hierum zu tun sei. Anhaltspunkte dafür, daß seiner Einladung auch Folge geleistet würde, sah Eichberg damals freilich, außer im kurz zuvor vom .Spiegel' verbreiteten Manifest eines (imaginären) „Bundes demokratischer Kommunisten in der D D R " , erst „bei marginalen Gruppen, die aus der (Studenten-)Revolte von 1967/68 hervorgingen, 354
bei Trotzkisten, Maoisten". Er setzte jedoch darauf, daß sich die Lage „in dem Augenblick" ändern könne, in dem die „antiimperialistische und blocksprengende Funktion des Deutschlandproblems bewußt gemacht würde". Seine Hoffnung auf einen solchen Augenblick erhielt noch im gleichen Jahr Auftrieb durch eine Artikelserie Rudi Dutschkes zur „nationalen Frage" in „das da - avanti", die gegen den Status quo und die „Entspanner" als Garanten eines nur den „Supermächten" dienenden Friedens polemisierte, die Orientierung auf das Ziel einer „revolutionären" Wiedervereinigung Deutschlands „von unten" empfahl und den berühmten Artikel-Dialog DutschkeEichberg in der gleichen Zeitschrift zur Folge hatte. Mit ihm wurde, zunächst in Westberlins antiautoritärem (SDS-)Kreis um die Zeitschrift „Langer Marsch", die „nationale" Wendung gegen den Status quo samt der von den Nationalrevolutionären für sie gelieferten neuen Schlagworte und Ideologiegehalte (deren Pflege sich durch ihre unermüdliche Thematisierung neben zahlreichen Blättern der Subversiv-Szene vor allem bald die Zeitschrift „Ästhetik und Kommunikation" annahm) nunmehr in der Linken salonfähig und zu einer „neuen Welle" in ihr. Als 1979 der von Jürgen Habermas herausgegebene Band 1000 der edition suhrkamp unter dem Titel „Stichworte zur geistigen Situation der Zeit" erschien, der zu einer Bestandsaufnahme und kritischen Selbstbilanz der Frankfurter Schule und Neuen Linken nach dem Scheitern der Studentenbewegung und Reformhoffnungen geraten war und sich in weiten Partien als eine Anpassungsbewegung an die neokonservative Tendenzwende erwies, signalisierte der Umstand, daß nun auch hier allenthalben von „Identität" gesprochen wurde und auch der Korrespondenzbegriff „Kolonialismus" in der Habermas'schen Formel von der „Kolonialisierung der Lebensumwelt" auftauchte, der gesamte erste Teil der zweibändigen Aufsatzsammlung unter dem Thema „Nation und Republik" gestellt war und in wiederum dessen erstem Abschnitt („Die deutsche Frage, wiederaufgelegt") die deutsche Zweistaatlichkeit nun fast durchgängig als ein Problem des „Identitätsdefizits" abgehandelt war, wie weit sich das folgenreiche neue Begriffssystem bereits in die Linke hinein vorgespült hatte. 1980 eröffneten Peter Brandt und Herbert Ammon mit ihrem Buch „Die Linke und die nationale Frage" einen Werbefeldzug für die nationale Orientierung. Ihr Einführungstext in den Dokumen355
tenband ließ keinen Zweifel daran, daß der Inhalt der „nationalen Frage" für sie in der Uberwindung des „deutschen Status quo", in der Beseitigung der DDR, bestand. Sie polemisierten ausdrücklich gegen die von der Friedensbewegung in dreißigjährigen Kämpfen gegen die Wortführer des Kalten Krieges vertretene und durchgesetzte Position, daß nämlich die Respektierung und endgültige Anerkennung des Status quo die Voraussetzung und Grundlage aller Entspannung und Friedenssicherung in Europa sei, stellten umgekehrt den Status quo als die Quelle der Spannungen und Kriegsgefahr dar und machten damit allerdings deutlich, daß ihr Buch und ihr Aufruf zur Entdeckung der „nationalen Frage" durch die Linken nur ihren eigenen Ubergang auf die außenpolitische Grundposition der Rechten reflektierte und der Werbung um Gefolgschaft auf diesem Wege galt. Die Versicherung der beiden Autoren, daß es vielmehr darum gehe, die „nationale Frage" der Rechten nicht als ihre Domäne zu überlassen, war in ihrer Uberzeugungskraft nicht nur dadurch beeinträchtigt, daß sie zur Position der politischen Rechten aber keineswegs eine Alternative formulierten, sondern auch dadurch, daß sie unter der Wirkung der voll angeeigneten Denk- und Argumentationsschablonen des irrationalistischen Identitäts-Mystizismus sich auch in ihrem Text zur Ausländerfrage nur ganz im Sinne und Stile Eichbergs äußerten und ihre Sinnesübereinstimmung mit Eichberg schließlich auch durch dessen Aufnahme in ihre Dokumentation zu erkennen gaben. Bis wohin Eichbergs „Nationalrevolutionäre" ihre Programmatik aber schon knapp zwei Jahre später verdeutlicht hatten, ist am besten nachlesbar in dem erst nach den polnischen Dezemberereignissen von 1981 niedergeschriebenen Buch des eng mit Eichberg kooperierenden ideologischen Führers der „Nationalrevolutionären Aufbauorganisation/Sache des Volkes", Wolfgang Strauss, das den reißerischen Titel trägt: „Lieber stehend sterben als auf Knteen leben. Die verratene Arbeiterklasse von Kronstadt bis Kattowitz". Strauss feiert in diesem Buch die polnische „Solidarnosc"-Bewegung als eine „Lawine", die „den Status quo in Europa, ausgehandelt in Jalta in Metternich'schem Kabinettsgeist, . . . unterminiert und sprengt", als die „Speerspitze" des Stoßes und einen „Sturmangriff" gegen Jalta, in dessen Perspektive auch die Sprengung des „Vielvölker-Kolosses" UdSSR liege. Das wahrhaft „Revolutionäre" und Sprengende von „Solidarnosc" aber sieht er darin, daß 356
sie „in Wahrheit" gar „keine Gewerkschaft, auch keine Partei", sondern eine Bewegung gerade der „Alternative zu den volksaufsplitternden, klassenbezogenen Parteiideologien und Parteisystemen" ist, die Bewegung eines „Dritten Weges", eines „klassenlosen Nationalsolidarismus", eines „eigenständigen Gesinnungssozialismus jenseits vom kommunistischen und liberaldemokratischen Universalismus", die „dem Hauptprinzip der Liberaldemokratie: Herrschaft allein durch die Parteien, eine kategorische Absage" erteile und damit „das demagogische Gesetz von Jalta, wonach es für die Völker Europas nur eine Wahl gäbe: die zwischen Kommunismus und Kapitalismus", zerbricht und „weder für die Rückkehr der heiligen Kühe des (Neo-)Marxismus, noch für die Restauration des parlamentarischen Liberalismus und kapitalismushörigen Sozialdemokratismus" kämpft. Unüberhörbar: die Strasserianer, die „Solidaristen", sehen in „Solidarnosc" ihre Idee - von Otto Strasser einst „deutscher Sozialismus" genannt - in der Geschichte als Bewegung hochsteigen oder doch die Geschichte und „Solidarnosc" auf diese Idee zulaufen. Und Wolfgang Strauss entwickelt auch eine Theorie darüber, warum dies so ist und, wie Otto Strasser es immer gesagt hatte, Europas Zukunft überhaupt dem „National-Sozialismus" oder „nationalen Solidarismus" gehören würde: weil die „antikapitalistische Sehnsucht" der Massen (mit der schon Strasser operierte) mit „der antikommunistischen Sehnsucht identisch" sei, sich dem Kommunismus also - soll damit gesagt sein - nicht zuwende, das Klassenbewußtsein vielmehr unter den heutigen Verhältnissen der „nationalen Selbstentfremdung", der „grausamsten aller Entfremdungen", in „einem qualitativen Sprung" zu „Nationalbewußtsein" werde, woraufhin dem Nationalbewußtsein dann „die Nationalisierung des Klassenstandpunkts" gelinge - d. h. die nationalsolidarische Ordnung bzw. Volksgemeinschaft, höchste Erfüllung und letzter Inhalt der „Identität". Wie wenig man sich eine „ethnopluralistische" Ordnung der „europäischen Identität" nun aber etwa als eine Ordnung der Völker-Gleichheit, der völkerrechtlich gesicherten NationenKoexistenz vorstellen darf, hatte die „Neue Rechte" schon 1981 klargestellt. Die NSDAP und ihre Vorläuferpartei DAP waren bekanntlich Gründungen der Münchener „Thüle-Gesellschaft". Unter dem Namen „Thule-Seminar" bildeten Repräsentanten der französischen und der deutschen „Neuen Rechten", unter ihnen 357
Armin Möhler, einen Kreis der „Neuen Schule", der sich zum Ziel gesetzt hat, „Alternativen zum Prinzip der Gleichheit" zu entwikkeln und damit ein „europäisches Europa, das sich seiner Identität und seines Schicksals bewußt ist", ein „Vaterland und neue kulturelle Werte für die Völker Europas" zu schaffen. In seiner ersten Publikation unter dem Titel „Das unvergängliche Erbe. Alternativen zum Prinzip der Gleichheit" erklärte dieser Kreis nur ganz wie Eichberg programmatisch, daß „Identität" Verschiedenheit sei, daß die „Differenzierungslehre", die er vertrete, vom Recht auf diese Verschiedenheit ausgehe, der somit von ihm eingenommene Standpunkt des „völkischen Pluralismus" jedoch „einen Pluralismus sowohl der Werte als auch demzufolge des Wahrheitsbegriffs" in sich einschließe. Da der „einzige" Sinn des Lebens und der Geschichte die „Handlungen" und der „Wille" seien und schon „ein stärkerer Wille, ein mutigeres Unternehmen oder eine höhere Idee" der Geschichte „einen anderen Verlauf" und „anderen Sinn" zu geben vermögen, könne für die auf das „Besondere", die „Identität" abstellende Differenzierungslehre der Wahrheitsbegriff nicht, wie in der „Gleichheitslehre", absolut und damit „ideologisch", müsse er für sie vielmehr „zufällig" und damit „organisch (der Mensch behält den Vorrang)" sein. Das ist eine prinzipielle Unverbindlichkeitserklärung jedweden Völkerrechts und ein Freibrief für die „stärkere nationale Lebenswahrheit", für das Entfaltungsrecht des je Mächtigeren und Vitaleren auf Kosten des Schwächeren, für jeden Expansionismus. Dementsprechend lautet die nach innen wie nach außen geltende politische Differenzierungslehre denn auch: „Die von uns angekündigte Epoche ist eine Epoche der Völker mit ausgeprägter Hiérarchisation... Denn die Lebensanschauung der Differenzierungslehre läßt einen Humanismus aufkommen, . . . der dem Leben, seiner Mannigfaltigkeit und seiner als Grundsatz hingestellten Ungleichheit entspricht, und er zieht aus dieser Ungleichheit die einzige Würde, die nicht unter . . . Moralvorschriften" und die nicht unter „metaphysischen Fiktionen" zu leiden hat, „weil er organisch ist, weil er sich auf die Lebensgesetze stützt". Im Zeichen dieses sozialdarwinistischen Amoralismus und Vitalismus wurde in der Tat schon einmal Europa „neugeordnet" und der Kampf um den „deutschen Lebensraum" geführt; und der Wille zum Beiseiteräumen der moralischen und intellektuellen Barrieren, die der Rückkehr zu ihm heute im öffentlichen Bewußt358
sein entgegenstehen, ist das ganze Geheimnis der Anklage des sogenannten „Universalismus" und Egalitarismus und des Interesses an einer von ihnen gereinigten „völkischen Identität".1297 Für den raschen Fortgang des Prozesses der politischen Verschmelzung der auf den Schwungrädern des völkischen Vokabulars in die „nationale Welle" getragenen Kräfte ist das jüngste Zeugnis der von Wolfgang Venohr im Lübbe-Verlag herausgegebene Sammelband „Die deutsche Einheit kommt bestimmt" - ein vor dem Hintergrunde der deutschen Geschichte unseres Jahrhunderts besonders ungeheuerliches und alarmierendes, seiner Demagogie wegen zugleich auch ein besonders infames Buch. Hier finden sich Peter Brandt und Herbert Ammon nun bereits mit Hellmut Diwald, dem Geschichtsbildstrategen der „Neuen Rechten", etlichen anderen nach dem Strickmuster von Freys „Nationalzeitung" Geschichts-Aufarbeitung betreibenden Autoren (Herre, Rüddenklau, Schweisfurth, Wuermeling) und nicht zuletzt eben Venohr selber, der sich seit 1980 in der Presse der Nationalrevolutionäre offen zum „nationalrevolutionären Gedanken" bekennt, Hand in Hand in einem Band. Das Ungeheuerliche an diesem Buch - und man traut zunächst nicht seinen Augen - besteht darin, daß die Autoren in offenbar völliger Einmütigkeit und wie selbstverständlich sage und schreibe das unselige alte deutsche „Mitteleuropa"-Programm, das in die beiden Weltkriege führte, angesichts der von der derzeitigen USNuklearkriegsdoktrin ausgehenden tödlichen Bedrohung unseres Kontinents aus der Tasche ziehen und es der Welt, den Völkern Europas, der Friedensbewegung der Bundesrepublik und namentlich der Sowjetunion in beschwörendem Ton als die einzige - daher nur aber auch keinen langen Aufschub mehr duldende - Alternative zum sonst sicheren atomaren Untergang anzubieten wagen. Dies ist der Sinn des Buchtitels, den Venohr im ersten Absatz seiner Einführung dahingehend erläutert: Die „Wiedervereinigung aller Deutschen" komme bestimmt, entweder durch eine „politische Lösung" - oder „im Massengrab". Für die politische Lösung gibt er angesichts der eskalierenden Atomkriegsgefahr den Mächten, auf die es hier ankommt, noch Zeit „in den nächsten zwei bis drei Jahren". Lassen sie und die beiden deutschen Regierungen diese Zeit ungenutzt verstreichen, dann ist der begrenzte Atomkrieg, die Auslöschung des „Raum(s) von der Maas bis an den Bug, von der Etsch bis an den Belt", von „150 Millionen Mitteleuropä359
ern", vornehmlich den Bewohnern „der Bundesrepublik, der D D R , Österreichs und Polens, Ungarns und der Tschechoslowakei" unabwendbar, werden „Deutschland und Mitteleuropa" zu „Asche" verglühen. „In zehn bis zwanzig Jahren". Unverkennbar ein Erpressungsversuch also. Die Autoren fuchteln mit der ihnen nicht gehörenden amerikanischen Raketenrüstung drohend in der Luft herum und rufen den europäischen Nachbarvölkern und den vier Alliierten zu: wenn Ihr uns „Deutschen" jetzt nicht gebt, was wir immer wollten, dann gehen wir alle gemeinsam unter! Und die Formel, um die Friedensbewegung in diesem Sinne umzuspannen in eine deutsche Offensivbewegung für Wiedervereinigung: „Deshalb heißt Frieden wollen nichts anderes, als die Einheit Deutschlands wollen." (Venohr) Dabei geht es aber keineswegs nur um „Deutschland" im Sinne der beiden heutigen deutschen Staaten. Aus allen Texten des Bandes geht hervor, daß es um ganz „Mitteleuropa" (ungefähr das von Venohr als prospektiver Vernichtungsraum umrissene Gebiet) und um ganz Europa und um den Zusammenschluß von D D R und B R D nur als den notwendig ersten Schritt und das Anfangskettenglied auf dem Wege zur Uberwindung der „Teilung Europas" insgesamt geht. Und die Autoren lassen auch durchaus durchblikken, was sie unter der Formel von der Aufhebung des „europäischen Status quo der Teilung" des näheren verstehen bzw. sich von solcher Aufhebung im einzelnen erwarten. Hellmut Diwald z. B. erläutert in seinen „Thesen zur nationalen Identität", daß zur Herstellung der „Identität" der Deutschen nun aber auch die Aufhebung des alten Siegermächte-Unrechts von 1919, den Österreichern den Anschluß an Deutschland verboten zu haben, sowie auch der Abtrennung Südtirols und des Sudentenlandes gehöre. Er spricht von der „vorerst noch nicht" zu ändernden „vielfachen" Spaltung des deutschen Volkes, deren Uberwindung insgesamt den Deutschen erst zu ihrer vollen Identität verhelfen werde, und verweist dann auf „den Raum Mitteleuropa, der seit einem Jahrtausend zum Volk der Deutschen gehört". Harald Rüddenklau, Bundeswehr-Reserveoffizier und einstiger Referent für Deutschlandpolitik bei der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, spricht ganz im Sinne Diwalds und der in neokonservativen Kreisen und von den „Nationalrevolutionären" wieder erhobenen Anschluß-Österreich-Forderung daher von der „territorialen Verstümmelung Deutschlands im Osten und Süden", und Peter Brandt 360
klagt die „durch nichts zu rechtfertigende Vertreibung der Deutschen aus den Gebieten östlich von Oder und Neiße" an. Ein anderer Autor, Theodor Schweisfurth, „Ostwissenschaftler" und einst im Ministerium für Gesamtdeutsche Fragen, bemüht sich mit rührender Beredsamkeit, der Sowjetunion klarzumachen, daß sie ihren „Gürtel osteuropäischer Klientelstaaten" doch gar nicht brauche, er in ihrer „außenpolitischen Kosten-Nutzen"-Rechnung doch nur negativ zu Buche schlage, er sie zunehmend belaste und daß sie deshalb gut daran täte, sich „mit Anstand" von ihm zu befreien. Zur Erleichterung dieses Entschlusses schlägt er ihr, scheinbar nur einstige Vorschläge von ihr selbst sowie anderer sozialistischer Länder aufgreifend, die Entlassung dieser Staaten in eine in Mitteleuropa zu schaffende atomwaffenfreie Zone und ein die Blöcke oder doch Blockmitgliedschaft der Länder dieser Zone ablösendes kollektives europäisches Sicherheitssystem vor. Was in diesem Vorschlag nur fehlt und ihn von den früheren, scheinbar analogen Vorschlägen sozialistischer Länder grundlegend unterscheidet, ist: es gibt in ihm keinerlei Garantie für den Fortbestand dieser Länder als sozialistischer Länder. Ganz im Gegenteil, noch im gleichen Text heißt es: „Wer Polens Freiheit will - und die der anderen der muß die Blöcke zum Verschwinden bringen." Nach den Erfahrungen von Budapest, Prag und jetzt Warschau, einem jeweiligen Scheitern nur auf Grund dessen, daß das Blocksystem existiert, könne es jetzt „nur eine Losung geben: Deblockiert Europa!" Das ist das Konzept: „Mitteleuropa" als eine blockfreie Zone, in der sich dann ein „Groß-Polen" entfesseln läßt, in der die „Prags", „Budapests", „Warschaus" usw. jeweils gelingen würden, zumal wenn die ihr angehörenden Länder in das von Schweisfurth vorgeschlagene „kollektive europäische Sicherheitssystem" eingebunden sind, das er als ein „vorwiegend politisches Sicherheitssystem" und in den Einzelheiten als ein System bereits vollständiger integrativer politischer Verzahnung mit den westeuropäischen Staaten konzipiert - als eine nach Osteuropa erweiterte „Politische Union", wie sie in solcher Perfektion heute selbst in Westeuropa nicht besteht. In diesen Rahmen eingebettet ist Venohrs Vorschlag einer Konföderation der beiden deutschen Staaten als Übergangsphase zu ihrer Vereinigung in einem Bundesstaat binnen einer im Konföderationsvertrag festzulegenden Frist. Auf die Dynamik oder die 361
auslösbaren dynamischen Mechanismen, auf die er für die Zeit dieser Übergangsphase setzt, gibt er einen Vorgeschmack, wenn er aufrechnet, es seien „mindestens 70 Prozent der DDR-Bevölkerung insgeheim gegen das kommunistische Wirtschaftssystem", in der Konföderation folglich dann „70 Millionen Deutsche . . . gegen den Kommunismus, 7 Millionen dafür", und sodann auf die selbsteingeworfene Frage, was denn aber passiere, wenn angesichts der für die DDR-Staatlichkeit sehr schonsamen Bestimmungen seines Konföderationsvertrags-Vorschlags (alle Schritte der weiteren Annäherung nur auf Grund jeweils einstimmiger Beschlüsse einer paritätisch beschickten „Deutschen Nationalversammlung") der Vereinigungsprozeß in der Konföderation ins Stocken komme, „die SED-Führung" sich einfach an ihre Macht klammere, von irgend einem Punkt an nicht weiterwolle und die endgültigen Schritte zum Bundesstaat hin verweigere, die Antwort gibt (er, der Fernsehchef der Lübbe-TV): Hier könnten „die Fernsehstationen in der Bundesrepublik", die doch „die wahren Gesprächspartner der DDR-Bevölkerung" seien, „endlich einmal eine große nationalpolitische Aufgabe erfüllen". Und mehr in diesem Zusammenhang als ernstlich in einem sicherheitspolitischen ergibt es wohl einen Reim, wenn wiederum Schweisfurth im kollektiven Sicherheitsvertrag die Bestimmung verankert sehen will: die „zivile Bevölkerung ist mit den Techniken der sozialen Verteidigung vertraut gemacht und entsprechend trainiert". Uber die innere Ordnung eines künftigen deutschen Bundesstaats, die ja nun nicht einfach diejenige des einen oder des anderen heutigen Teilstaats sein könne, denkt Henric L. Wuermeling, Leiter der Abteilung Politik und Zeitgeschichte beim Bayerischen Rundfunk, in seinem Beitrag nach („Zum vierten Reich? Die nationale und soziale Frage in uns"). Daß es sich irgendwie bei dieser neuen Ordnung um eine Verknüpfung des „Nationalen" mit dem „Sozialen" handeln müsse, steht für ihn außer Frage, denn die Suche nach ihr sei das Thema der ganzen deutschen Geschichte seit Bismarck gewesen und er läßt die verschiedenen Lösungsvorschläge und praktischen Lösungsversuche, von Friedrich Naumanns National-Sozialen bis Hitler und Strasser, kritisch wägend Revue passieren. Wie unglücklich und jeweils so oder so dann doch einseitig akzentuiert und entstellt auch immer, jedenfalls hätte Hitler, als er „Nationalismus und Sozialismus" sagte, „den Lebensnerv getroffen!". Was, läßt Wuermeling am Schluß seines Beitrags 362
offen, würde es wohl „für ein Sozialismus' sein, in einem deutschen Nationalstaat der Zukunft, der die Erfahrungen der eigenen Geschichte aufgreift"? Den Weg dorthin zu finden mache jedenfalls heute auf bestimmte Weise die wechselseitige „Entgrenzung" des „Nationalen" und „Sozialen" gegeneinander erforderlich, wozu ein „Szenario", eine „Sozialisationsphase der Deutschen" gehöre; denn „kein soziales Bewußtsein zu haben" sei genauso fatal „wie kein nationales zu haben", und zur Zeit liege in der Bundesrepublik das „Nationalbewußtsein . . . weit unter dem, was das Grundgesetz oder zivilisierte Staaten erlauben". Daß die Reaktivierung eines solchen auf ein Großdeutschland in der Mitte des Kontinents drängenden „Nationalbewußtseins" nun aber entgegen dem Anschein gar nicht so sehr der derzeitigen Europa-Strategie der Reagan-Administration widerspricht, macht Venohr deutlich, wenn er in Auseinandersetzung mit Bedenken auf einmal anführt, daß doch selbst die USA-Regierung der Bundesrepublik einen „guten Schuß Nationalismus" empfehle und es als „die Pflicht der Deutschen" bezeichne, sich um „die Wiedervereinigung Deutschlands" zu kümmern. Der ideologische Treibstoff „deutscher Nationalismus" aber, der sie zuwegebringen soll, wäre zugleich der Geburtssaft und Spiritus, dem, von der Sache her, dann auch das neue „Europa" als Ganzes entstiege, dem es sich verdanken würde, von dem es also geprägt wäre und in dem es auch erst zu sich selbst käme, so daß dem deutschen Nationalismus eine „europäische" Mission und mithin den Deutschen mal wieder eine geschichtliche Sendung zukäme. Venohr: „Ohne ein vereintes unabhängiges Deutschland ist Europa nicht existent, hat es keine Identität, ist es nicht handlungsfähig..." In der Erkenntnis, daß „die Vereinigung Deutschlands die unabdingbare Voraussetzung für die Einheit Europas" sei, liege „die historische Aufgabe des deutschen Volkes beschlossen", durch die, je mehr die Deutschen sie begreifen (also „Nationalbewußtsein" entwickeln), „ihr Dasein, ihre Geschichte wieder einen Sinn bekäme". Auf diesen Venohrschen Sammelband wies Richard v. Weizsäkker in der Bundestagsdebatte über Helmut Schmidts letzte Regierungserklärung „Zur Lage der Nation" am 3. September 1982 in beifälligem Tone hin. Er wertete ihn als eines der Anzeichen dafür, wie „lebendig" doch die „deutsche Frage" heute wieder geworden sei und „von rechts bis links" „neu gestellt" werde, zumal es auch bei den „Grün-Alternativen" heute Gruppen gäbe, die sich dazu 363
„bekennen", daß „Frieden in Europa mit den deutschen Zuständen - und damit ist die Teilung unter Einfluß der Mächte gemeint unvereinbar sei", und führte in seiner langen Rede zur „offenen deutschen Frage" seinerseits aus dem Blickwinkel der alten Haushoferschen „Geopolitik" aus, daß die „Teilung Europas, Deutschlands und Berlins" der „geopolitischen Natur der Dinge" widerspreche, die „Mitte des Kontinents" nicht zur „Grenze" tauge, die „bisherigen Antworten" des 20. Jahrhunderts „auf die Gestalt Zentraleuropas" daher auch „nicht die endgültigen und nicht die letzten" seien und die Teilung „in der historischen Dimension . . . keinen Bestand haben" werde, es in dieser Perspektive dann aber auch Aufmerksamkeit verdiene, daß sich heute die Menschen in der D D R ihrer „Identität" als Deutsche oft klarer bewußt seien „als manch einer bei uns" usw. Man sieht: der Mitteleuropa-Expansionismus ist nicht auf die äußerste Rechte eingegrenzt, er ist inmitten der C D U / C S U - und in ihr gewiß nicht nur bei dem aus einschlägiger mitteleuropapolitischer Familientradition kommenden Richard v. Weizsäcker - ansässig und aktuell. Nicht zuletzt deshalb dürfte von Bedeutung und festzuhalten sein, daß in dem als Band 9 erschienenen Sonderheft der Zeitschrift „Ästhetik und Kommunikation" zum Thema „Wie souverän ist die Bundesrepublik?" - das im wesentlichen die Dauerdiskussion der Zeitschrift um die neuen „nationalen Themen" fortführt - nun immerhin zwei Einsprüche signalhaften Werts gegen die Stoßrichtung der „nationalen Welle" nachlesbar sind. Einmal Helmut Gollwitzers nachträgliches Abrücken in einem Interview mit der Zeitung „Le Monde" von seiner Unterschrift unter den - heute zugegebenermaßen, wie auch die „nationalpolitisch", mit der Wiedervereinigungsfrage begründeten Schriftsteller-Austritte aus dem VS, vom Westberliner Peter-Brandt-Kreis angeregten - seinerzeitigen Brief Robert Havemanns an Breschnew wegen des in ihm enthaltenen Kernsatzes, daß man „den Deutschen nach einer Wiedervereinigung schon selbst überlassen müsse", welche Ordnung sie sich in einem gesamtdeutschen Staat geben würden: Gollwitzer weist ihn mit der Begründung, gerade dies könne kein europäisches Volk mehr den Deutschen allein überlassen, nun ausdrücklich wie ähnlich auch eine gleichfalls abgedruckte Stellungnahme von Kadritzke/Pfütze - als „unsinnig" zurück. Zum anderen eine eindrucksvoll ernste und grundsätzliche Warnung von Günter Gaus vor den ihm von Peter Brandt und Eberhard Knödler-Bunte in 364
einem Gespräch entgegengesprudelten national-revolutionaristischen Modeverurteilungen von Entspannungspolitik und Status quo als „Kabinettspolitik", „Metternich-System", Verrat an „den unterdrückten und verfolgten Menschen in Polen" und ihrer auf aktive Poleneinmischungs-Politik drängenden Anklage der leidigen „Rationalität" und „Rationalitätsgläubigkeit" der Koexistenz- und überhaupt traditionell-linken Politik als doch nur massenfeindlicher Furcht „vor dem Irrationalismus von sozialen Bewegungen" (so Knödler-Bunte), denen Gaus entgegenhält: Es gäbe schon mehr Instabilität in Europa, als dem Frieden bekömmlich sei; als Alternative zur Entspannung könne er „nur Schlimmes" erkennen; Polen müsse man „vor dem Hintergrund der amerikanischen Politik", der „Kreuzzugsmentalität der amerikanischen Außenpolitik, für die Polen nur eine Station ist", sehen; das jetzt in moralisierender „Kraftmeierei zum Nulltarif" von manchen geforderte Aufrühren von Emotionen, Irrationalismen und Einmischungsstimmungen könne die „frische Kreuzzugsmentalität . . . in Washington" nur addieren und also die Kriegsgefahr erhöhen, und: er aber sehe „die Völkerscharen nicht, die wirklich noch einmal für Danzig sterben wollen". Daß ein Hochschullehrer für Politikwissenschaften in der Bundesrepublik nun allerdings imstande ist, selbst noch das VenohrBuch wie alle zuvor genannte Literatur zu übergipfeln und die „nationale Welle" mit einer Schlüssigkeit, wie sie sich so anderswo doch noch nicht fand, auf ihre innenpolitische Konsequenz zu bringen, hat soeben Bernard Willms, Professor an der RuhrUniversität und Schelsky-Schüler, mit seinem jüngsten Buch „Die deutsche Nation. Theorie. Lage. Zukunft" bewiesen. Dieses Buch, erschienen in der vom langjährigen FAZ-Redakteur Günter Maschke im rechtslastigen Hohenheim-Verlag betriebenen „edition maschke", ist der Versuch, das gesamte Begriffs- und Dogmenarsenal der heutigen Neuen Rechten in einer „Theorie der Nation" zu systematisiertem Vortrag zu bringen bzw. es zu einer solchen Theorie zusammenzufassen. Insoweit wiederholen sich in ihm auch nur alle hier im Vorangegangenen schon erwähnten einschlägigen Stichworte und völkischen Argumentations-Grundfiguren der „nationalen Welle". Um zu verdeutlichen, weshalb es gleichwohl einen Steigerungsgrad an Aggressivität darstellt und auf eine radikalere Pointe hinausläuft als seine Vorläufer, werden hier nur die Hauptschritte, die zu ihr führen, wiedergegeben. 365
Willms geht wieder von der nackt-sozialdarwinistischen Bestimmung von Existenz, Leben und „individueller Wirklichkeit" als „Selbstbehauptung" aus. Sie ist das Kriterium, an dem alles andere zu messen sei. „Identität", nur gewinnbar in der Nation, ist „erfolgreiche Selbstbehauptung", Politik ist Kampf um die „Selbstbehauptung" oder die „Identität" der Nation. Da die Selbstbehauptung das Kriterium ist, an dem alles andere im Leben gemessen werden muß, gilt dies in Relation zur „nationalen Selbstbehauptung" auch für die „Staatsformenfrage", war es das geschichtliche Verbrechen des Liberalismus, dafür das Bewußtsein verdunkelt und die liberale Demokratie als eine Ordnung von ewigem Gültigkeitswert dargestellt zu haben (schreibt ein im öffentlichen Dienst Verbeamteter!). Vor dem Kriterium nationaler Selbstbehauptung teile sich für die den Kampf um sie führende Politik, nach Carl Schmitt, die Welt in „Freund" und „Feind". Feind ist, wer die erfolgreiche Selbstbehauptung im Lebenskampf behindert. Der „nationale Imperativ", die je eigene „Selbstbehauptungswahrheit" eines Volkes, gebiete, in der Politik alles als „ungerecht" zu bekämpfen, was der Verwirklichung der „Identität" einer Nation entgegenstehe. Der Kampf um die nationale Identität der Deutschen sei heute der Kampf um die Revision von Jalta, ihr Hauptgegner die Sowjetunion, diese daher der äußere Hauptfeind der Nation usw. Gemäß dieser Lebenskampf-Weltsicht von Willms sind die Kapitel seines Buchs auf eine einem Leser der Bundesrepublik im Moment noch ungewohnte Art überschrieben. Zum Beispiel: „Außere Front: Außenpolitik als Politik der nationalen Selbstbehauptung", oder: „Innere Front. Kampf um das Nationalbewußtsein", oder: „Die dritte Front: Deutschlandpolitik". Im Kapitel über die „Innere Front" finden sich dann jene Sätze, die es wohl rechtfertigen, von einem neuen Grad der politischen Selbstverdeutlichung der „nationalen Welle" zu sprechen: Nachdem Willms mit Diwald behauptet hat, daß „Geschichte als Bestandteil der Identität . . . jenseits der Fragen von Billigung und Mißbilligung liege", daher in ihr „Schuld" auch keiner „moralischen Kategorie" unterliege, sondern „nationales Schicksal" sei und Möhler deshalb recht habe, wenn er dem weiteren Insistieren auf einer „moralischen Verurteilung der Verbrechen des Nationalsozialismus" eine Bedeutung „allein als Waffe im fortgesetzten Versuch zur Niederhaltung der Deutschen als Nation" beimesse, zieht er daraus den Schluß, daß also: 366
„die Verteidigung der Nation heute einen Kampf gegen den Antifaschismus einschließt". Denn „der zur Schau gestellte Antifaschismus ist nichts anderes als der Versuch, eine Selbstbesinnung der Deutschen als Deutsche zu verhindern, ihre Identität zu zerstören, ihre Selbstbehauptung zu schwächen". D e r „Kampf um die Nation" setze mithin voraus, den „primitiven Mechanismus" des Antifaschismus „auf das zu reduzieren, was er tatsächlich ist: eine Bürgerkriegspotenz, gerichtet gegen alles Etablierte, alles Funktionierende, alles Herrschende, ein Element der Zerstörung, das in bezug auf die Nation die gleiche gefährliche Bedeutung hat wie der ursprüngliche Hitlersche Rassismus auch - ohne freilich für sich geltend machen zu können, wenigstens in partieller Zielvorstellung mit möglichen Zielen der Nation übereinzustimmen". Und nur in Umkehrung dieses Gedankens: Wenn daher heute jemand zur Bezeichnung auch nur irgendeines anderen den Ausdruck „Faschist" verwende, so lasse das lediglich „denjenigen erkennen, der ihn benutzt: subjektiv als einen, der ein Interesse daran hat, dem anderen irgendwie zu schaden, objektiv als Feind der Nation". D e r Expansionismus oder Kampf um die „Identität der Nation" entfaltet eben durchaus auch seine innenpolitische Logik.
Besprochene LiteraturHenning Eichberg, Nationale Identität. Entfremdung und nationale Frage in der Industriegesellschaft, München/Wien 1978 (Langen-Müller). Jürgen Habermas (Hrsg.), Stichworte zur .Geistigen Situation der Zeit', l.Band: Nation und Republik, Frankfurt/M. 1979 (ed. suhrkamp 1000). Peter Brandt/Herbert Ammon, Die Linke und die nationale Frage. Dokumente zur deutschen Einheit seit 1945, Reinbek b. Hamburg 1981 (rororo aktuell 4740). Wolfgang Strauss, Lieber stehend sterben als auf Knien leben. Die verratene Arbeiterklasse. Von Kronstadt bis Kattowitz, Asendorf 1982 (MUTVerlag). Pierre Krebs (Hrsg.), Das unvergängliche Erbe. Alternativen zum Prinzip der Gleichheit, Veröffentlichungen des THULE-SEMINARs e. V. Bandl, Tübingen 1981 (Grabert-Verlag). Wolfgang Venohr (Hrsg.), Die deutsche Einheit kommt bestimmt, Bergisch Gladbach 1982 (Gustav Lübbe Verlag). Dieter Hoffmann-Axthelm / Eberhard Knödler-Bunte, Wie souverän ist die Bundesrepublik?, Westberlin 1982, Ästhetik und Kommunikation akut Bd. 9 - Sonderheft (Ästhetik und Kommunikation Verlags-GmbH). Bernard Willms, Die Deutsche Nation. Theorie. Lage. Zukunft, KölnLövenich 1982 (Edition Maschke im „Hohenheim" Verlag).
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Diese Liste bereits seinerzeit nur in kleiner Auswahl besprochener Literatur bedarf heute selbstverständlich einer erheblichen Verlängerung. Da dies hier nur in einer immer unzulänglich bleibenden Auswahl erfolgen könnte, muß im wesentlichen jedoch auf die Kataloge der Verlage der Neuen Rechten bzw. auch der sich ihren Autoren bevorzugt öffnenden Verlage verwiesen werden. Zusätzlich zu den im Text und in den Anmerkungen bereits genannten Titeln kann hier nur auf einige der markantesten bzw. für die Einführung in die Beschäftigung mit der Neuen Rechten instruktivsten neueren Veröffentlichungen ab ca. 1980 (und zwar im wesentlichen aus dem engsten Umkreis des „Thule-Seminars" - das sich dem Hörensagen zufolge ab 1.1.1984 in „Kulturkreis 2000" umzubenennen beabsichtigt) aufmerksam gemacht werden, nämlich auf: Hans-Jürgen Nigra/Robert de Herte, Die USA - Europas mißratenes Kind, München/Berlin 1979 (Herbig aktuell) als erste, noch nicht bei Graben erschienene Publikation aus dem Kreis des „Thule-Seminars"; Caspar von Schrenck-Notzmg/Armin Mobler (Hrsg.), Deutsche Identität, Krefeld 1982 (sinus-Verlag, editiond, Band 5), eine Dokumentation der in der Zeitschrift „criticön" bis zu diesem Zeitpunkt erschienenen Beiträge zum Thema „deutsche Identität"; Anton Peisl!Armin Möhler (Hrsg.), Die deutsche Neurose Über die beschädigte Identität der Deutschen, Schriften der C. F. v. Siemens-Stiftung Bd. 3, Berlin 1980 (Ullstein-Propyläen); Armin Möhler, Wider die All-Gemeinheiten, Krefeld 1981 (sinus-Verlag, editiond, Band 1); Justus B. Büblow, Ostrevolution, Krefeld 1981 (ebd., Band 3); Alain de Benoist, Die entscheidenden Jahre Zur Erkennung des Hauptfeindes, Tübingen 1982 (Grabert-Verlag), Bd. 1 der Reihe „ThuleForum"; Pierre Krebs, Die europäische Wiedergehurt. Aufruf zur Selbstbesinnung, Tübingen 1982 (Grabert), Bd. 2 der Reihe „Thule-Forum"; Alain de Benoist, Heide-sem zu einem neuen Anfang. Die europäische Glaubensalternative, Tübingen 1982 (Grabert), Bd. 1 der Reihe „Thüle-Konkret"; Rudolf Künast, Umweltzerstörung und Ideologie, Tübingen 1983 (Grabert); Karl Höffkes, Wissenschaft und Mythos, Tübingen 1983 (Grabert). Weitere Hinweise auf richtungsmäßig der Neuen Rechten vorarbeitende oder ihr zugehörige Titel lassen sich leicht der umfangreichen, von Armin Möhler zusammengestellten kommentierten „Bibliographie zum deutschen Konservatismus seit 1945" im Anhang zu Kaltenbrunner (Hrsg.), Die Herausforderung der Konservativen (a.a.O., Herderbücherei Initiative 3, S. 164—189) entnehmen, sobald man sie daraufhin durchsieht, wo Möhler jeweils besonders empfehlend den Zeigefinger hebt und von einem „Ausbrechen" aus dem „Nachkriegs"-Konservatismus bzw. - wie bei Marcel Hepp - von „weißen Raben" in ihm, schon über ihn „hinausweisenden" Autoren bzw. Titeln, seinerzeit „einsamen" Fällen usw. spricht. (Man beachte hier als jeweils besonders bemerkenswert Möhlers Hervorhebungen der 1953 im Hans-Dulk-Verlag, Hamburg, von Herbert Blank erschienenen Schrift „ K o n s e r v a t i v a . a . O . S. 174, des 1970 beim Günter-OlzogVerlag in München herausgekommenen Buches von Gottfried Griesmayr Jenseits aller Ismen. Vom autoritären Abendland zur Autorität der Freiheit. Eine Provokation", a.a.O. S. 175, sowie aller Veröffentlichungen von Sigrid Hunke, der Vorsitzenden der „Deutschen Unitarier", darunter etwa 368
der Titel „Das Reich ist tot - es lebe Europa", Hannover 1963, HansPfeiffer-Verlag, vgl. zu ihr a.a.O. insgesamt S. 178 f., 183 f., 186; Sigrid Hunke gehört heute wie Möhler dem internationalen wissenschaftlichen „Patronats-Komitee" der „Nouvelle Ecole" an, s. hierzu demnächst Biemann; als Fundstellen jeweils konzentrierter Benennung richtungsverwandt tendierender früherer oder derzeitiger Autoren bei Möhler, a.a.O., vor allem jedoch den Abschnitt „Die Nationalisten", S. 175, den „die Gruppierung jenseits" der „beiden Kerne" des „Nachkriegs"-Konservatismus, nämlich „des christlichen und des antikommunistischen", umschreibenden Absatz2 auf S. 176 sowie die Abschnitte „Literatur zur .Neuen Linken'", S. 185, und „Der gaullistische Ansatz", S. 186 f.). Zur Neuen Rechten s. jüngst die Beiträge von Marieluise Christadler, „Die .Nouvelle Droite' in Frankreich", und von Patrick Moreau, „Die neue Religion der Rasse. Der Biologismus und die kollektive Ethik der Neuen Rechten in Frankreich und Deutschland" in dem erst nach Abschluß dieses Manuskripts erschienenen, daher nicht mehr auswertbaren Band von Iring Fetscher (Hrsg.), Neokonservative und .Neue Rechte'. Der Angriff gegen Sozialstaat und liberale Demokratie in den Vereinigten Staaten, Westeuropa und der Bundesrepublik, München 1983. Zu den Verlagen, die heute der Neuen Rechten in der Bundesrepublik zur Verfügung oder offenstehen, gehören außer ihren im Text erwähnten unmittelbaren Eigenverlagen, dem Hamburger „Verlag Deutsch-Europäischer Studien" und dem Krefelder „sinus-Verlag" sowie den zahlreichen, hier unberücksichtigt bleibenden Zeitschriften-Selbstverlägen ihrer einzelnen organisierten Gruppierungen und den einschlägigen beiden alten Neonazi-Verlagen Grabert und „Nation Europa" sowie auch Wintzeks Asendorfer „Mut"-Verlag an großen, von ihren jeweils seit langem eingeführten Namen her dies nicht von vornherein zu erkennen gebenden Verlagen vor allem die bis vor kurzem je selbständigen, neuerdings fusionierten Verlage Langen Müller und Herbig (nunmehr „Verlagsgruppe Langen Müller/ Herbig") - s. hier insbesondere die auf „nationalrevolutionäre" Autoren spezialisierte Reihe „Herbig aktuell" - , der von Wolfgang Venohr beeinflußte Gustav Lübbe Verlag, der in seiner mit dem „Bastei-Verlag" verknüpften Version als Landserheft- und Groschenroman-Verlag „BasteiLübbe" die HIAG-Verherrlichung der SS als „Europa-Armee" an die Bahnhofs-Kioske trägt (s. den vom Münchener, mit Herbig verbundenen „Universitas-Verlag" übernommenen, sich in Lizenz der Gustav Lübbe Verlag GmbH befindenden Bastei-Lübbe-Titel: Hans Werner Neulen, Europas verratene Söhne, Bastei-Lübbe-Taschenbuch 65042), und der Freiburger Herder-Verlag mit seiner von Gerd-Klaus Kaltenbrunner herausgegebenen Reihe „Herderbücherei Initiative", des weiteren der criticonVerlag (und angesichts seiner zum großen Teil beim Seewald-Verlag publizierenden Autoren insoweit auch dieser), die in der Köln-Lövenicher „Hohenheim Verlag G m b H " von Günter Maschke gegründete „Edition Maschke" und als erst kürzlich entstandener kleinerer Verlag der sich der Veröffentlichung der sport- und zivilisationstheoretischen Arbeiten Henning Eichbergs widmende Münsteraner „Lit-Verlag". Desgleichen sei auf die seit 1973 jeweils in Buchform - zunächst als dtv-Taschenbücher, dann bei Ullstein-Propyläen - unter dem Reihen-Titel „Schriften der C . F.
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v. Siemens-Stiftung" erscheinenden Vorträge der von Armin Möhler ins Leben gerufenen Nymphenburger „Symposien der C . F . v. Siemens-Stiftung" (mit Referenten wie Konrad Lorenz, Friedrich Georg Jünger, Arnold Gehlen u. a.) hingewiesen. *
Wie soeben durch eine Meldung in cnticön Nr. 81 noch bekannt wird, haben Protagonisten der „deutschen Identität" im Dezember 1983 auf „einer Klausurtagung in Bad Homburg" einen „Deutschlandrat" gegründet, dessen erste Verlautbarung (. . . „Deutschlands . . . Gegenwart ist Teilung und Fremdbestimmung" . . . „Jeder Staat muß über die Waffen auf seinem Boden verfügen können" Entknminalisierung unserer Geschichte als Voraussetzung für em selbstverständliches Nationalbewußtsein" . . . „Wiederherstellung Deutschlands" . . .) unterzeichnet ist von: Prof. Dr. Hans-Joachim Arndt, Prof. Dr. Hellmut Diwald, Prof. Dr. Robert Hepp, Dr. Armin Möhler, Franz Schönhuber, Prof. Dr. Wolfgang Seiffert, Prof. Dr. Bernard Willms. 1 2 ' 8 In einer Anzeige „Den Frieden retten - Deutschland vereinen", erschienen in der „Frankfurter Rundschau" vom 3. Februar 1984 (S. 24), appellierten dann an „die Regierungen in Bonn und Ost-Berlin sowie die Friedensbewegung im ganzen Land", endlich „zum Kern der Dinge zu kommen", nämlich dazu, „daß nicht so sehr die Raketen und ihre Anzahl den Frieden bedrohen, sondern die hinter ihnen stehenden gegensätzlichen politischen Systeme, die unseren Kontinent . . . zerschneiden", also „die Spaltung des Kontinents", um die „nationale Frage der Deutschen" sodann als „eine wahrhaft revolutionäre Aufgabe aller Europäer" und „die Rekonstruktion Europas als Mitte und als Mittler" angesichts der „immer mehr wachsend e ^ ) und unkalkulierbar werdende(n) Atomkriegsgefahr" als „Rettung der Menschheit" zu bezeichnen: u. a. Prof. Dr. Konrad Buchwald, Sven Thomas Frank (der für die Anzeige verantwortlich zeichnet; inzwischen hat Günter Bartsch den Namen Alexander Epstein als einstiges Pseudonym von Frank offengelegt 1299 ), Gerd-Klaus Kaltenbrunner, Wolf Schenke, Dr. Theodor Schweisfurth, Prof. Dr. Wolfgang Seiffert, Wolfgang Strauss, Dr. Wolfgang Venohr, Dr. Michael Vogt (einstiger Sprecher der Burschenschaft „Danubia"). 1 3 0 0
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Anmerkungen
I. Zur Entstehung der „völkischen" Richtung 1 Lange Zeit waren William L. Shirers „Aufstieg und Fall des Dritten Reiches" und Alan Bullocks zweibändige Studie „ H i d e r " die einzigen nach 1945 unternommenen Versuche einer solchen zusammenfassenden Darstellung neben Paul Merkers noch im mexikanischen Exil verfaßter, bereits im Sommer 1945 abgeschlossener und daher die Nürnberger Prozeßdokumente noch nicht verarbeitender, gleichwohl äußerst materialreicher, wenn auch von exilbedingten Fehlangaben und manch oft nur spekulativer Deutung von Zusammenhängen nicht freier umfassender, zweibändiger Skizze, .Deutschland - Sein oder Nichtsein?" (Band I : Von Weimar zu Hider, Mexico 1944; Band I I : Das Dritte Reich und sein Ende, Mexico 1945), die freilich erst seit 1973 zugänglich ist (Reprint-Druck beider Bände Frankfurt/M 1972/73), und Konrad Heidens mit dem Jahr 1933 abschließender,.Geschichte des Nationalsozialismus" (Konrad Heiden, Geburt des Dritten Reiches. Die G e schichte des Nationalsozialismus bis Herbst 1933, Zürich 1934) sowie seiner um nur wenige Jahre weiterführenden Hitler-Biographie (Adolf Hitler. Das Zeitalter der Verantwortungslosigkeit. Eine Biographie, 2 Bde., Zürich 1936/37). Unbesehen der imposanten Reichhaltigkeit und des weit ausgreifenden analytischen Horizonts seines Buches hatte Merker im Vorwort zu dessen zweitem Band geschrieben, es stelle nicht den Versuch dar, „eine Geschichte des Nazitums schreiben zu wollen; denn für eine solche stand weder das Material in genügendem Ausmaße zur Verfügung, noch war der zeidiche Abstand groß genug", vielmehr hoffe es lediglich darauf, „dereinst als Baumaterial für eine endgültige geschichtliche Darstellung Verwendung zu finden". Daß die Geschichtswissenschaft der dann später gegründeten Bundesrepublik sich eine solche Darstellung freilich gar nicht zum Projekt setzen würde, lag damals wohl noch ganz außerhalb des Vorstellbaren. Joachim C . Fests Biographie „ H i d e r " (München 1973), die sich als eine solche auszugeben sucht, dürfte ihrer extrem personalisierenden, das empirische Material mit souveräner Willkür der These von ,,Genie" u n d , , Alleintäter" Hider anpassenden Ausrichtung wegen hier wohl ebensowenig in Betracht kommen wie die zahlreichen sonstigen Hider-Biographien. Die von den Geschichtswissenschaften der Bundesrepublik selbstgewählte Einengung der Faschismusforschung auf „Hitler"- und allenfalls „Nationalsozialismus"-Forschung, für deren Überwindung es seit der in ihnen obligat gewordenen Ablehnung eines jedweden allgemeinen Faschismusbegriffs weniger Anzeichen gibt denn je, läßt die Auffüllung dieser Lücke denn wohl auch nur seitens der marxistischen Geschichtsforschung erwarten. Hier waren wichtige Schritte zu diesem Ziele hin in den letzten Jahren insbesondere - von den früheren fundamentalen Dokumentenpublikationen und sonstigen Beiträgen der Geschichtswissenschaften v. a. der D D R abge371
sehen - die im Verlaufe dieses Kapitels häufig zitierten Untersuchungen des Zusammenhanges von Antisemitismus und NS-Faschismus (Mohrmann; Drobisch, Goguel, Müller; Pätzold - vgl. die folgenden Anmerkungen), die Ausweitung des Untersuchungshorizontes auf den „Jungkonservatismus" (Joachim Petzold, Konservative Theoretiker des deutschen Faschismus. Jungkonservative Ideologen in der Weimarer Republik als geistige Wegbereiter der faschistischen Diktatur, Berlin 1978, unter dem Titel „Wegbereiter des deutschen Faschismus. Die Jungkonservativen in der Weimarer Republik" auch Köln 1978) und die von Kurt Gossweiler vorgelegte erste zusammenhängende Darstellung der Periode von 1919 bis zum Münchener Hitler-Prozeß April 1924 (Kurt Gossweiler, Kapital, Reichswehr und N S D A P 1919-1924, Berlin und Köln 1982). Neuerdings liegt nun auch eine kurzgefaßte Gesamtgeschichte der N S D A P vor (Kurt Pätzold/Manfred Weißbekker, Hakenkreuz und Totenkopf. Die Partei des Verbrechens, Berlin 1981, unter dem Titel „Geschichte der N S D A P 1920-1945" auch Köln 1981). 2 Die erste dieser ausgesprochen demagogisch auftretenden, scharf nationalistisch und antisemitisch argumentierenden Organisationen ist in Deutschland die am 5. Januar 1878 vom Berliner Hofprediger Adolf Stoecker gemeinsam mit dem Kathedersozialisten Adolf Wagner gegründete „Christlichsoziale Arbeiterpartei". Ihr folgen 1879 die von Wilhelm Marr gegründete „Antisemitenliga", 1880 die,,Soziale Reichspartei" (unter Ernst H e n n ci), 1881 der „Deutsche Volksverein" (unter Max Liebermann von Sonnenberg) und die - auf das Gebiet Dresden beschränkt bleibende - „Deutsche Reformpartei", die sich 1889 zur, .Antisemitischen Deutschsozialen Partei" zusammenschließen. Nach deren Aufspaltung (in „Deutschsoziale Partei", „Antisemitische Volkspartei" und „Deutsche Reformpartei") kommt es 1894 zur erneuten Vereinigung unterdem Namen „Deutschsoziale Reformpartei". 1900 erfolgt eine abermalige Spaltung in nunmehr zwei Hauptparteien, die „Deutschsoziale Partei" und die „Deutsche Reformpartei", die sich schließlich am 22. März 1914 zur „Deutschvölkischen Partei" zusammenschließen. Am 18. Februar 1919 initiiert der „Alldeutsche Verband" unter der Führung seines stellvertretenden Vorsitzenden Konstantin Freiherr von Gebsattel die Zusammenfassung des größten Teils der völkischen Gruppen im „Deutschvölkischen Schutz- und Trutzbund", der zu seinem Vereinsabzeichen das Hakenkreuz undzu seinem Programm das von Heinrich Claß unter dem Pseudonym Daniel Frymann verfaßte Buch „Wenn ich der Kaiser w ä r ' " (s. zu ihm die im Text folgenden Ausführungen) erklärt. Zwei Tage zuvor hatte der „Alldeutsche Verband" auf seiner Bamberger Tagung ( 1 6 . / 1 7 . 2 . 1 9 1 9 ) den Antisemitismus in ausdrücklich, .biologischer" Auffassung offiziell in sein eigenes Programm aufgenommen. Punkt 5 des in Bamberg angenommenen neuen Programms erklärte zu einem der Verbandsziele: „Bekämpfung des jüdischen, zersetzenden, verhetzenden Einflusses, einer Rassenfrage, die mit Glaubensfragen gar nichts zu tun hat." (Vgl. Werner Maser, Der Sturm auf die Republik. Frühgeschichte der N S D A P , Stuttgart 1973, S. 95, dort zitiert nach Jürgen Kuczynski, Studien zur Geschichte des deutschen Imperialismus, Berlin 1948/50, S. 28; zum „Deutschvölkischen Schutz- und Trutzbund" insgesamt Walter Mohrmann, Antisemitismus. Ideologie und Geschichte im Kaiserreich und in der Weimarer Republik,
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Berlin 1972, S. 103ff., sowie den Handbuch-Artikel „Deutschvölkischer Schutz- und Trutzbund [DSTB]" von Willi Krebs in: Die bürgerlichen Parteien in Deutschland, Handbuch der Geschichte der bürgerlichen Parteien und anderer bürgerlicher Interessenorganisationen vom Vormärz bis zum Jahre 1945, Leipzig 1968, Bd. I, S. 774ff.). Der „Deutschvölkische Schutz - und Trutzbund" vereinigte sich am 22. Juni 1919 seinerseits mit weiteren völkischen Bünden (dem „Reichshammerbund", dem „Deutschbund", der „Deutschen Erneuerungsgemeinde", dem „Deutschvölkischen Bund", dem „Deutschvölkischen Schriftstellerverband", dem „Bund Deutschvölkischer Juristen", dem „Orden für arisches Wesen", dem „Ausschuß für Volksaufklärung" und dem „Bund zur Pflege nordischer Kunst und Wissenschaft") zur „Gemeinschaft der Deutschvölkischen Bünde". Nach dem Verbot des „Deutschvölkischen Schutz- und Trutzbundes" in Preußen und einigen anderen Reichsländem (jedoch nicht in Bayern und Württemberg) nach dem Kapp-Putsch aufgrund des Republikschutzgesetzes fanden sich die meisten seiner Mitglieder in der im Dezember 1922 gegründeten „Deutschvölkischen Freiheitspartei" unter der Führung von Albrecht Graefe und Reinhold Wulle wieder zusammen, der sich auch Erich Ludendorff anschließt und die zum Ausgangspunkt und kurzfristigen Partner der von Ludendorff und Gregor Strasser nach dem gescheiterten Münchener Putsch betriebenen, doch von Hitler torpedierten Fusion der NSDAP mit ihr zur „nationalsozialistischen Freiheitspartei" und zum Anlaß des Zerwürfnisses zwischen Hitler einerseits und Ludendorff, Röhm sowie vorübergehend auch Gregor Strasser andererseits wird. Zu den drei wichtigsten völkischen Bewegungen Österreichs vor dem ersten Weltkrieg, der „Alldeutschen Bewegung", der „Christlich-sozialen Partei" und dem , ,Ostara-Orden" s. die Chrakterisierungen gegen Ende des Kapitels, zu den wichtigsten der hier erwähnten deutschen Gruppierungen Mohrmann, a.a.O., sowie die jeweiligen Artikel im genannten Handbuch der bürgerlichen Parteien und anderen bürgerlichen Interessenorganisationen (im folgenden durchweg abgekürzt zitiert als: Handbuch bürgerliche Parteien). 3 Beachtet man nur die erstgenannten Faktoren, treibt dies unvermeidbar m geschichtlich erwiesenermaßen nicht zutreffende deterministische Auffassungen des Faschismus als notwendigem Uberbau des Imperialismus; isoliert man die letztgenannten von ihnen, gerät ihr monopolkapitalistischer Inhalt aus dem Blick, und man landet unvermeidbarbei Verwechslungen gerade der demagogischsten Formen der imperialistischen Ideologien mit Ausdrucksformen antiimperialistischen Protests. 4 Siehe W. I. Lenin, Der Imperialismus als höchstes Stadium des Kapitalismus, in: Lenin, Werke, Bd. 22, Kapitel VII (S. 270f.) 5 Zu den theoretisch tiefgründigen und gerade durchaus aktuellen, jedoch selten hervorgehobenen Leistungen der Leninschen Imperialismusanalyse gehört die Rückführung der in ihrer ökonomischen Entstehungsgesetzlichkeit beschriebenen imperialistischen Erdumverteilungsknege auf die Gewaltnatur des Kapitals selbst, die im erwähnten Kapitel in der gegen Kautskys „Ultraimperialismus"-Illusion gerichteten beiden Sätzen Lenins enthalten ist: „Sobald sich aber die Kräfteverhältnisse geändert haben, wie kön373
nen dann unter dem Kapitalismus die Gegensätze ausgetragen werden als durch Gewalt?" und (Schlußsatz des Kapitels): „Es fragt sich, welches andere Mittel konnte es auf dem Boden des Kapitalismus geben außer dem Krieg, um das Mißverständnis zwischen der Entwicklung der Produktivkräfte und der Akkumulation des Kapitals einerseits und der Verteilung der Kolonien und der .Einflußsphären' des Finanzkapitals andererseits zu beseitigen?" Da Kapital, so ist diese Stelle wohl zu lesen, für die Besitzverteilung kein anderes Kriterium kennt und gelten lassen kann als seine jeweils eigene Quantität, d. h. die ökonomische Stärke, politischer Länderbesitz sich jedoch nicht gleichsam von selbst nach dem Marktgesetz jeweils zusammenzieht oder ausdehnt (der ökonomischen Stärke anpaßt), seine schwächer gewordenen Besitzer vielmehr in der Hoffnung auf Wiedererstarkung in aller Regel an ihm festhalten und sich weigern ein Zurückfallen im ökonomischen Wettlauf hinter ihren Weltmarkt-Konkurrenten freiwillig mit Gebietsabtretungen zu bezahlen, bleibt dem Kapital, dem eine nicht nach Maßgäbe der Kapitalkraft verteilte Welt eine aus der Ordnung geratene und auf Dauer nicht duldbare, über kurz oder lang in die Ordnung zurückzuholende Welt ist, dessen Logik die jeweils Schwächeren sich aber auch regelmßig, soweit sie nur können, verweigern, nur der Weg, sein Gesetz resp. Besitzverteilungskriterium durch den höchsten praktischen Test auf die tatsächliche ökonomische Stärke, den Krieg, zu gegebener Zeit wieder zur Geltung zu bringen, d. h. den Schwächeren seiner Schwäche auch handgreiflich zu überführen, ihn zu überwältigen, womit seine innerste Natur freilich jetzt nur sichtbar als Großaktion nach außen tritt (der Krieg daher auch in der imperialistischen Ideologie als „höchste Daseinsform" des Menschen oder „gesteigertes Leben" gefeiert werden kann). Es wäre gefährliche Leichtfertigkeit, anzunehmen, diese Kriegsanalyse Lenins habe sich im Zeitalter der Nuklearwaffen überholt und sei durch sinnfälligere psychologisierende Kriegsund Nuklearrüstungsherleitungen aus wechselseitiger „Bedrohungsfurcht" oder gar nur eskalierendem „Gleichgewichtsdenken" ersetzbar. 6 Der Anteil des Wilhelminischen Reiches an der Weltindustrieproduktion war im Zeitraum von 1870 bis 1913, dem letzten Jahr vor dem ersten Weltkrieg, von 13 Prozent auf 16 Prozent gestiegen, derjenige Großbritanniens jedoch von 32 Prozent auf 14 Prozent und derjenige Frankreichs von 10 Prozent auf sechs Prozent gefallen, so daß Deutschland nunmehr vor dem britischen Imperium an ersterStelle rangierte. Dem stand im Jahre 1913 ein britischer Kolonialbesitz bzw. Besitzanteil an der Erdoberfläche außerhalb des eigenen Mutterlandes von 33,5 Millionen Quadratkilometern, ein französischer von 10,6 Millionen Quadratkilometern und ein deutscher von nur 2,9 Millionen Quadratkilometern gegenüber (vgl. Reinhard Kühnl. Formen bürgerlicher Herrschaft, Bd. I Liberalismus -Faschismus, Reinbek b. Hamburg 1971, S. 107, sowie die statistischen Angaben bei Lenin, a.a.O., Kapitel IV, V und VI). 7 Daß keineswegs etwa nur Lenins Impenalismustheone das Drängen des deutschen Finanzkapitals zum Weltkrieg auf sein Erdumverteilungsinteresse zurückführte, es sich vielmehr hier um einen in allererster Linie den Kriegsinteressenten selbst bewußten und von ihnen auch ausgesprochenen Sachverhalt handelte, bezeugt außer zahllosen anderen zeitgenössischen Schriften und Äußerungen, aus denen dies hervorgeht, vielleicht am schlagendsten 374
eine sich heute wie eine vorweggenommene bürgerliche Lenin-Bestätigung lesende Passage in Friedrich Naumanns 1897 verfaßtem „National-sozialen Katechismus", in der die dort von Naumann für den „national-sozialen Verein" erhobene Forderung nach einer „Politik der Macht nach außen" in katechismusartigem Frage- und Antwortspiel wie folgt erläutert wird: „Was versteht ihr unter einer Politik der Macht nach außen? - Wir verstehen darunter eine Politik, wie sie jetzt von England, Rußland und Frankreich betrieben wird, eine Politik, welche davon ausgeht, daß in der gegenwärtigen Zeit die Erdoberfläche verteilt wird. - Warum wird gerade jetzt die Erdoberfläche verteilt? - Weil nach der Entdeckung des inneren Afrika die Zeit der Entdeckung neuer Länder beendigt ist und weil nach dem Bau der sibirischen Eisenbahn der Kampf um Ostasien beginnen wird" (Friedrich Naumann, National-sozialer Katechismus, Berlin-Leizpig 1897, Katechismus-Ziffern 39 und 40; in R. Opitz [Hrsg.], Europastrategien des deutschen Kapitals 1900-1945, Köln 1977, S. 125f.). 8 S. die Satzungen des „Allgemeinen Deutschen Verbandes" (der sich, 1891 zunächst unter diesem Namen gegründet, am 1. 7. 1894 in „Alldeutscher Verband" umbenannte) in: Mitteilungen des Allgemeinen Deutschen Verbandes Nr. 1, Berlin, Juni 1891. Zum Alldeutschen Verband und seiner G e schichte insgesamt als Einführung am übersichtlichsten der Artikel „Alldeutscher Verband ( A D V ) " von Edgar Hartwig im Handbuch bürgerlicher Parteien, a.a.O., Bd. I, S. 1 ff. 9 Friedrich Naumann, Das Ideal der Freiheit, Berlin-Schöneberg 1908; hier zitiert nach: Europastrategien..., a.a.O., S. 170 und 171/172. 10 Inwieweit Nietzsche hierbei an Max Stimers radikalegoistische Philosophie vom „Einzigen" anknüpfte und sie mit dem Sozialdarwinismus verband (wofür es bei Stimer selbst schon Ansätze gab), kann hier nicht näher erörtert werden, es sei aberauf diesen Zusammenhang hingewiesen; vgl. auchdiefolgende Anmerkung. Zu Nietzsche und zum Zusammenhang seiner Philosophi e mit der Herausbildung des Imperialismus s. insgesamt H einz Malorny, Friedrich Nietzsche und der deutsche Faschismus, in: Dietrich Eichholtz, Kurt Gossweiler (Hrsg.), Faschismusforschung. Positionen, Probleme, Polemik, Berlin 1980, S. 279ff. 11 Womit Nietzsche bereits den entscheidenden gedanklichen Übergang vom Stimenanischen „ M i r geht nichts über Mich" zum rassistischen „ U n s geht nichts über U n s " - so fern er auch, aus Massenverachtung und -furcht, dem ethnisch-pseudo-naturwissenschaftlich gefaßten Rassebegriff stand vollzog. 12 So z. B. bei Friedrich Albert Lange, dem kleinbürgerlich-demokratischen Arbeiterpolitiker und Sozialwissenschaftler, Verfasser des Buches „ D i e Arbeiterfrage" (1865) und Mitbegründer des Neukantianismus ( „ G e schichte des Materialismus", gleichfalls 1865), gegen dessen Berufung auf die sozialdarwinistische „Phrase" vom „Kampf ums Dasein" Karl Marx scharf polemisierte (vgl. Marx/Engels Werke [MEW], Bd. 32, S. 685). 13 Diesen inhahlichen ( d . h . sozialen) Funktionswandel des Rassismus nicht zu sehen oder nicht sehen zu wollen, macht die Ursache der beklemmenden Unergiebigkeit aller bürgerlichen Rassismus-Auseinandersetzung und vor allem Funktionsdeutung des Rassismus und Antisemitismus im Faschismus, ihres Hinauslaufens auf den nur immer ewig gleichen, erkenntnismäßig nicht
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weiterführenden moralischen Katzenjammer über die Bosheit oder Blindheit „der Menschen" aus, der politisch ratlosläßt, daher aber eine lähmende, auf Dauer somit auch unweigerlich abnehmende, sich selbst in ihrer Vergeblichkeit überdrüssig werdende und abschüttelnde, also gerade demoralisierende Bestürzung ist. 14 Hierin war ihm mehr als hundert Jahre vorher allerdings schon ein anderer französischer Autor, der Graf von Boulainvilliers, vorangegangen, der die Aufrechterhaltung der Adelsherrschaft in Frankreich im Jahre 1727 mit dem Argument zu rechtfertigen versuchte, daß der Feudaladel von den Franken, einer „edlen" Rasse, abstamme, während sich die übrigen Volksschichten mit den „minderwertigen" Kelten und Nordafrikanern vermengt hätten und daher herrschaftsunfähig seien. Dies war die erste nicht mehr christlichlegitimistische, sondern rassistische Apologie der Feudalherrschaft (vgl. das Kapitel über Gobineau und den modernen Rassismus, in: Georg Lukacs, Die Zerstörung der Vernunft, Band III, Darmstadt und Neuwied 1974, S. 112 ff.). 15 Vgl. ebd. sowie auch Mohrmann, a . a . O . , S. 18ff., und Drobisch, Goguel, Müller, a. a. O . , S. 18. 16 G . Lukacs, a . a . O . , S. 113 f. bzw. 120. 17 Der Gobineausche Rassismus entbehrte dieser sozialdarwinistischen Fundierung noch und stützte sich mehr auf ethnologische oder „kulturanthropologische" Argumentationen. 18 Das läßt sich an allen einschlägigen rassistischen Texten des zwanzigsten Jahrunderts nachweisen, besonders anschaulich aber an denen des deutschen Faschismus. Zur Illustration hier einige Auswahlstellen aus Adolf Hitlers „Mein Kampf": Die „völkische Weltanschauung" fasse den Staat nur als „Mittel zum Zweck" und als diesen Zweck „die Erhaltung des rassischen Daseins der Menschen" auf. „Sie glaubt somit keineswegs an eine Gleichheit der Rassen, sondern erkennt fnit ihrer Verschiedenheit auch ihren höheren oder minderen Wert und fühlt sich durch diese Erkenntnis verpflichtet, gemäß dem ewigen Wollen, das dieses Universum beherrscht, den Sieg des Besseren, Stärkeren zu fördern, die Unterordnung des Schlechteren und Schwächeren zu verlangen. Sie huldigt damit prinzipiell dem aristokratischen Grundgedanken der Natur und glaubt an die Geltung dieses Gesetzes bis herab zum Einzelwesen. Sie sieht nicht nur den verschiedenen Wert der Rassen, sondern auch den verschiedenen Wert der Einzelmenschen" (Mein Kampf, München 1927, Bd. II, S. 421). Von dieser lebensphilosophisch-sozialdarwinistischen Grundlegung aus dann die prinzipielle Wendung gegen den Marxismus: „Die jüdische Lehre des Marxismus lehnt das aristokratische Prinzip der Natur ab und setzt an Stelle des ewigen Vorrechtes der Kraft und Stärke die Masse der Zahl und ihr totes Gewicht. Sie leugnet so im Menschen den Wert der Person, bestreitet die Bedeutung von Volkstum und Rasse und entzieht der Menschheit damit die Voraussetzung ihres Bestehens und ihrer Kultur" (ebd., Bd. I, S. 69). Daß es sich bei der sozialdarwinistischen Vorstellung vom „Kampf ums Dasein", aus dem der Stärkere als Überlebender und damit erwiesen Höherwertiger hervorgehe, nur um die Projektion des kapitalistischen Markts in die Welt handelte (die sich der Kapitalist ohne Markt freilich nur als Wüstenei, Ende allen erstrebenswerten Lebens und Lebens überhaupt vorstellen
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kann), zeigt nicht nur die ins Mythisch-Irrationale hochgedonnerte Negativvision Hitlers vom Aussehen einer Welt, in der der Marxismus gesiegt habe („Siegt der Jude mit Hilfe seines marxistischen Glaubensbekenntnisses über die Völker dieser Welt, dann wird seine Krone der Totenkranz der Menschheit sein, dann wir dieser Planet wieder wie einst vor Jahrmillionen menschenleer durch den Äther ziehen", ebd., Bd. I, S. 69/70, eine der Schlüsselstellen für das Verständnis dafür, weshalb der Faschismus eine Affinität zu okkulten Religionen, zur Verhimmelung nämlich der Rassenkampfideologie in eine transzendentale Geisterkampfmystik, hat); sondern auch die nicht minder ins Metaphysische überkippende Fortsetzung der oben zitierten Passage über die „völkische Weltanschauung" zeigt das, in der eine sich ihr anschließende Wendung gegen den „die Bedeutung der Person mißachtenden", daher in den Völkern „desorganisierend" wirkenden Marxismus mit dem Rassenkampf- und Rassenzuchtgedanken wie folgt zu einer Begründung für Deutschlands Weltherrschaftsanspruch vermittels des nun unverhohlen als Verallgemeinerung nur des Konkurrenzgesetzes zum Naturgesetz in Erscheinung tretenden „Lebenskampf-Axioms verknüpft wird: „Menschliche Kultur und Zivilisation sind auf diesem Erdteil unzertrennlich gebunden an das Vorhandensein des Ariers. Sein Aussterben oder Untergehen wird auf diesen Erdball wieder die dunklen Schleier einer kulturlosen Zeit senken. Das Untergraben des Bestandes der menschlichen Kultur durch Vernichtung ihres Trägers aber erscheint in den Augen einer völkischen Weltanschauung als das fluchwürdigste Verbrechen. Wer die Hand an das höchste Ebenbild des Herrn zu legen wagt, frevelt am gütigen Schöpfer dieses Wunders und hilft mit an der Vertreibung aus dem Paradies. Damit entspricht die völkische Weltanschauung dem innersten Wollen der Natur, da sie jenes freie Spiel der Kräfte wiederherstellt, das zu einer dauernden gegenseitigen Höherzüchtung führen muß, bis endlich dem besten Menschentum, durch den erworbenen Besitz dieser Erde, freie Bahn gegeben wird zur Betätigung auf Gebieten, die teils über, teils außer ihr liegen werden. Wir alle ahnen, daß in ferner Zukunft Probleme an den Menschen herantreten können, zu deren Bewältigung nur eine höchste Rasse als Herrenvolk, gestützt auf die Mittel und Möglichkeiten eines ganzen Erdballs, berufen sein wird" (ebd., Bd. II, S. 421/422). Den Gedanken der „Auslese" der „Besten" im „freien Spiel der Kräfte" wandten die Nazis, im wiederum sozialdarwinistischen Verständnis des „Besten" als des „Stärksten" (des sich, egal wie, Durchsetzenden, also Brutalsten, in diesem Sinne „Lebenstüchtigsten"), übrigens rigoros auch auf ihre eigenen Reihen und eigenen Verbündeten an. So argumentierte etwa Hitler gegen den naheliegenden Zusammenschluß aller seinerzeitigen völkischen Parteien zu einer „Arbeitsgemeinschaft" oder gar einzigen großen Sammlungspartei, wie ihn 1924, nach dem gescheiterten Münchener Putsch, Ludendorff, Gregor Strasser und Röhm befürwortet und mit der Ausrufung der „Nationalsozialistischen Freiheitspartei" und des „Frontbanns" eingeleitet hatten (worüber es zum Zerwürfnis mit Hitler kam):,,Auch wird durch solchen Zusammenschluß das freie Spiel der Kräfte unterbunden, der Kampf zur Auslese des Besten abgestellt und somit der notwendige und endgültige Sieg des Gesündesten und Stärkeren für immer verhindert. Es sind also derartige Zusammenschlüsse Feinde der natürlichen E n t w i c k l u n g . . . " (ebd.,
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Bd. I I , S. 557/558). Die Verknüpfung wiederum des rassistisch gefaßten auf das Subjekt „ R a s s e " bezogenen - sozialdarwinistischen „Daseinsk a m p f - G e d a n k e n s und der aus ihm resultierenden praktischen „Rassenhygiene"-Programmatik mit dem handfesten imperialistischen Weltbeherrschungsmotiv (resp. -Interesse) kann man kaum irgendwo geraffter hergestellt und knapper ausgedrückt finden als in H i d e r s , .Schlußwort" zu , ,Mein K a m p f " , in dem es über die N S D A P heißt: Wenn sie „als reine Verkörperung des Wertes von Rasse und Person sich fühlt und demgemäß ordnet, wird sie auf Grund einer fast mathematischen Gesetzmäßigkeit dereinst in ihrem Kampfe den Sieg davontragen. Genau so wie Deutschland notwendigerweise die ihm gebührende Stellung auf dieser Erde gewinnen muß, wenn es nach gleichen Grundsätzen geführt und organisert wird. Ein Staat, der im Zeitalter der Rassenvergiftung sich der Pflege seiner besten rassischen Elemente widmet, muß eines Tages zum Herrn der Erde werden" (ebd., B d . I I , S. 782). 19 Hier sind in erster Linie zu erwähnen: Walter Mohrmann, Antisemitismus (vgl. Anm. 2 ) ; Klaus Drobisch, Rudi Goguel, Werner Müller (unter Mitwirkung von Horst Dohle), Juden unterm Hakenkreuz. Verfolgung und Ausrottung der deutschen Juden 1933-1945, Berlin 1973; Kurt Pätzoldt, F a schismus, Rassenwahn, Judenverfolgung. EineStudiezurpoliuschenStrategie und Tatktik des faschistischen deutschen Imperialismus ( 1 9 3 3 - 1 9 3 5 ) , Berlin 1975; aber auch die wichtige frühe, den Prozeß der Rassifizierung der deutschen Anthropologie zur Darstellung bringende Veröffentlichung von Karl Salier, D i e Rassenlehre des Nationalsozialismus in Wissenschaft und Propaganda, Darmstadt 1961. 2 0 Zur Hebammenrolle des Alldeutschen Verbandes bei der Gründung zahlreicher rassistischer Geheimbünde und Vereinigungen vgl. die Hinweise bei Walter Mohrmann, a . a . O . , aber auch die enge organisatonsche Verknüpfung von Theodor F n t s c h , des Gründers und Führers der Antisemitenliga", mit dem Alldeutschen Verband, sowie die Rolle Kurt Freiherr von Gebsattels, seines stellvertretenden Vorsitzenden, im „Deutschvölkischen Schutz- und Trutzbund ( D S T B ) " und nicht zuletzt die Rolle des bayrischen Landesvorsitzenden des Alldeutschen Verbandes und Mitglieds des „ G e r manenordens", J . F . Lehmann, in der „Thüle-Gesellschaft" und bei der Geburt der D A P aus ihrem Schöße und schließlich die bei der Uberführung des Alldeutschen Verbandes auf den Boden des Rassismus und Antisemitismus initiative Rolle seines Vorsitzenden Heinrich Claß selbst (der die Verbandsführung 1908 übernahm). D e r höchstwahrscheinliche unmittelbare Zusammenhang zwischen Alldeutschem Verband und „ G e r m a n e n o r d e n " (wie auch dem „Wälsungenorden", der ihm ganz analog ausgerichtet war) konnte bislang, unbesehen der vorwiegend alldeutschen Mitglieder des Germanenordens, noch nicht schlüssig nachgewiesen werden; der Direktkontakt zwischen der,,Thüle-Gesellschaft" und Heinrich Claß ist hingegen außer durch die über J . F . Lehmann gegebene Verbindung neuerdings auch durch ein Schreiben von Heinrich Claß an D r . Paul Tafel vom bayerischen Industriellenverband, Mitglied des Germanenordens und einer der Ziehväter Anton Drexlers in der Thüle-Gesellschaft, neben Karl Harrer, datiert vom 8. Juni 1921, belegt, das sich bei Manfred Asendorf, Nationalsozialismus und Kapitalstrategie, in: Katalog der Staatlichen Kunsthalle Berlin zur Aus378
Stellung „1933 - Wege zur Diktatur", Bd. I, Berlin 1983, S. 136, abgedruckt findet. Dort auch Näheres zur Thüle-Gesellschaft und zur Person Paul Tafeis wie nunmehr allerjüngst auch in dem das Verhältnis von Heinrich Claß und völkischen Parteien, insbesondere der N S D A P , ausführlich behandelnden Buch von Joachim Petzold, Die Demagogie des Hitlerfaschismus. Die politische Funktion der Naziideologie auf dem Wege zur faschistischen Diktatur, Frankfurt/Main 1983 (hier zu Tafel und Claß insbesondere S. 115 lf.). Zur Rolle des Alldeutschen Verbandes bei der Gründung der Deutschvölkischen Partei im Juni 1914 dort S. 53 f. 21 Dieser Prozeß ist ausführlich bei Karl Salier, a. a. O . , S. 15 ff., beschneben. 22 S. ebd., S. 16. 23 Friedrich List, Über den Wert und die Bedingungen einer Allianz zwischen Großbritannien und Deutschland, in: ders., Schriften, Reden, Briefe, hrsg. von Edgar Salin, Artur Sommer und Otto Stühler, Bd. V I I , Berlin 1931, S. 275/276. 24 Weitere Beispiele solch früher rassistischer Ideologisierung des KapitalExpansionismus finden sich von den fünfziger Jahren an vor allem bei Paul de Lagarde. Vgl. u. a. die in R . Opitz, Europastrategien..., a. a. O . , S. 76 ff. wiedergegebenen Auszüge aus Lagarde, sowie auch aus Rodbertus u. a. Zur Gesamtentwicklung s. vor allem Paul W. Massing, Vorgeschichte des politischen Antisemitismus, Frankfurt/Main 1959; Siegbert Kahn, Antisemitismus und Rassenhetze. Eine Übersicht über ihre Entwicklung in Deutschland, Berlin 1948, sowie die Einleitung zu Drobisch, Goguel, Müller, a . a . O . , Abschnitt 1 - 3 (S. 11-26). 25 S. Karl Salier, a. a. O . , S. 23. Zur Eugenik Galtons und ihrer nationalsozialistischen Anwendung dort S. 73 ff. 26 Ebd., S. 23 und 74. Alfred Ploetz wurde von Lenz unter Verweis auf dessen 1895 in der Vierteljahresschrift über wissenschaftliche Philosophie erschienene Arbeit „Ableitung einer Rassenhygiene und ihre Beziehungen zur Ethik" als der eigentliche Begründer der Rassenhygiene gefeiert. Hider verlieh Ploetz für seine „Verdienste um die deutsche Rassenhygiene" im Januar 1936 den Professortitel, im gleichen Jahr ließen ihn die Nazis über norwegische Gesinnungsgenossen als Gegenkandidaten zu Carl von Ossietzky für den Friedensnobelpreis 1936 vorschlagen. Zu Fritz Lenz s. Anm. 31. 27 Vgl. ebenda, S. 27. 28 Vgl. Karl Salier, a. a. O . , S. 24, sowie Biographisches Lexikon zur deutschen Geschichte, Berlin 1971, S. 111. 29 Wobei Karl Salier freilich nur zuzustimmen ist, wenn er (ebenda, S. 24) auch Wagners Opernstoffwahl aus der germanischen Mythologie mit völkisch-imperialistischem Rassedenken in Verbindung bringt, die Anwesenheit dieses Geistes in Wagners Textbüchern (Textdichtungen), so symbolistisch verschlüsselt sie dort immer auch nur sich kundtut, mit dem obigen Hinweis auf sein Durchschlagen bis in die Musik selbst also mitnichten etwa geleugnet werden sollte. U m so beklemmender die Unbekümmertheit der derzeitigen Wagner-Rezeption, deren Aufschwung nicht zufällig mit einer Nietzsche-Renaissance Hand in Hand geht und die nicht weniger beunruhigend wird, wenn zu ihrer Rechtfertigung die Reduktion der Biographie Wagners auf die Momentaufnahme des Dresdner Barrikadenkämpfers vom
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Jahre 1848 in Umlauf kommt, da solcher Beschwörung eines Lebensausgangspunkts und dem Anhalten gleichsam der Biographie in seinem verfestigten Bilde die Kraft des Widerrufs der von dort aus dann tatsächlich sich vollziehenden geistig-politischen und künstlerischen Entwicklung Richard Wagners zum Völkischen doch wahrlich nicht innezuwohnen vermag, das Ausblenden dieses ideologiegeschichtlich und politisch höchst instruktiven, bis heute und gerade heute wieder thematisierungswürdigen Weges aus dem Bewußtsein, sein Verwischen in ihm oder Herunterspielen zwecks billiger Reklamationsmöglichkeit des vermeintlichen weißen Schafs, der „großen Musik als solcher", für eine demokratisch reputierliche Kulturtradition in der Sache aber darauf hinausläuft, eben jenen völkischen Geist, der in diese Musik eingegangen und auch durch ein falsch aufgenähtes Etikett nicht mehr aus ihr herauszupusten ist, undurchschaut zur Inhalation zu empfehlen. 30 Houston Stewart Chamberlain, Politische Ideale, München 1915, S. 88. 31 Vgl. u.a. Karl Salier, a . a . O . , S. 15. 32 Ebenda, S. 75. - Prof. Fritz Lenz, seit 1933 Mitarbeiter Eugen Fischers, des nach H . F . K. Günther nächstwichtigen NS-Rassetheoretikers, im Berliner „Kaiser-Wilhelm-Institut für Anthropologie, menschliche Erb lehre und Eugenik" (zu dessen Direktor Eugen Fischer bereits 1927 bei seiner Gründung geworden war und das er bis 1933 gemeinsam mit Hermann Muckermann - den nunmehr Lenz ablöste - geleitet hatte), nach 1945 Professor für Humangenetik in Göttingen. Vgl. ebenda, S. 17 und 12. Zu Eugen Fischer, der im Mai 1933 zum Rektor der Berliner Universität und 1952 zum Ehrenmitglied der „Deutschen Anthropologischen Gesellschaft" ernannt wurde, ebenda., S. 16 ff. 33 Hierüber gab es im deutschen Großkapital durchaus nachlesbare Korrespondenzen und Diskussionen, über die - nachdem bereits Dirk Stegmann in seinem Aufsatz „Zwischen Repression und Manipulation: Konservative Machteliten und Arbeiter- und Angestelltenbewegung 1910-1918" (in: Archiv für Sozialgeschichte, Bonn-Bad Godesberg, XII/1972, S. 351 ff.) auf einige von ihnen aufmerksam gemacht hatte - einen nunmehr ausführlicheren Überblick Joachim Petzolds in „Die D e m a g o g i e . . . " , a.a.O., S. 49ff. gibt. So bekundete, um nur Beispiele hervorzuheben, der Alldeutsche Verband bereits im April 1913 aufgrund eines Antrags des Herausgebers der alldeutsch-völkischen „Deutschen Zeitung", Friedrich Lange, in einem Beschluß seines Geschäftsführenden Ausschusses, nach einer vorangegangenen, durchaus auch von Gegenstimmen und Bedenken gekennzeichneten Debatte, sein Interesse an einer „nationalen Arbeiterbewegung" (ebenda S. 49). An Ludwig Roselius (Kaffee Haag, Bremen), der später, laut O t t o Wageners Zeugnis, zu einem der wichtigsten SA-Förderer vor 1933 wurde, wurde der Vorschlag, eine „reine Arbeiterzeitschrift" herauszubringen, mit der Begründung herangetragen, es ließe sich „kaum ein besseres Beeinflussungsmittel als dieses denken, wenn es gelingt, es so zu gestalten, daß die Arbeiterschaft durchaus dazu Vertrauen gewinnt, und es als ihre ureigenste Schöpfung betrachtet" (ebenda S. 57). Die 1916 ins Leben gerufenen „Arbeiterausschüsse" für einen „Deutschen Frieden", aus denen Anton Drexler hervorging, waren reine Gründungen des Alldeutschen Verbandes; Wilhelm Wahl, der Gründer und Vorsitzende des „Freien Ausschusses für einen Deutschen Arbeiterfrieden", von Beruf Schlosser, war der Leiter eines gel-
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ben „Werkvereins" der Krupp'schen Großschiffwerft Weser AG in Bremen (ebenda S. 50/51). Alle diese Gründungen und Initiativen folgten der 1913 von Friedrich Lange formulierten Einsicht, „daß der Arbeiter nur durch seinesgleichen... für Volk und Vaterland zurückgewonnen werden kann" (ebenda S. 50). Eine bedeutende Rolle bei der Förderung des Gedankens sozialismusdemagogischer Selbstgründungen von Arbeiterorganisationen durch die Unternehmerschaft spielte ab Ende des ersten Weltkriegs der Generaldirektor der Maschinenfabrik Augsburg-Nürnberg (MAN), Dr. Anton von Rieppel, der im Oktober 1918 an den stellvertretenden Vorätzenden des Alldeutschen Verbandes, Freiherrn v. Gebsattel, schrieb: „Das Volk hört jetzt nur noch die sozialistischen Führer. Alle Aufrufe von Professoren, Rittergutsbesitzern, Industriellen und Offizieren verpuffen spurlos, oder können höchstens Schaden anrichten, wenn in ihnen alldeutsche, schwerindustrielle, konservative, oder reaktinäre Ziele vermutet weden" (ebenda S. 66). Aber auch der Elektroindustrielle Robert Bosch schrieb in jenen Tagen an den Fortschrittspolitiker Conrad Haußmann: „ J e weiter wir nach links gehen, desto eher werden wir Eindruck machen und eine Katastrophe ablenken können . . , wenn das Haus brennt, löscht man auch schließlich mit Jauche, auf die Gefahr hin, daß es nachher in dem Hause eine Weile nachstinkt" (ebenda S . 67). Zur geschichtstheoretischen Aufarbeitung dieser sozialismusdemagogischen Wendung im deutschen Monopolkapital vgl. als bislang mit Abstand am souveränsten Kurt Gossweiler, Faschismus und Arbeiterklase, in: Faschismusforschung. Positionen, Probleme, Polemik, hg. von Dietrich Eichholtz und Kurt Gossweiler, Berlin 1980, S. 99 ff.; zur materialmäßigen Ergänzung und weiteren Fundierung ders., Kapital, Reichswehr und NSDAP, a.a.O., zu v. Rieppel und dessen Zusammenhang mit Paul Reusch und dem Haniel-Konzern über die Oberhausener Gutehoffnungshütte hier S. 240 ff. 34 Wilhelm Marr, Der Sieg des Judenthums über das Germanenthum, Bern 1879'2, hier zitiert nach Mohrmann, a. a. O., S. 34-36. Zur Datierung der Erstausgabe (die bei Drobisch, Goguel, Müller, a. a. O., S. 16 mit 1879 angegeben ist) ebenda, S. 34. Zum Zusammenhang von Antisemitismuswelle und „Gründerkrach" vgl. sowohl Mohrmann (S. 34ff.) wie Drobisch, Goguel, Müller (S. 15ff.). 35 Wilhelm Marr, Wählet keine Juden! Der Weg zum Siege des Germanenthums über das Judenthum, Berlin 1879. Vgl. Mohrmann, a.a.O., S. 36f. 36 Vgl. Mohrmann, a.a.O., S. 35 37 Eugen Dühring, Die Judenfrage als Racen-, Sitten- und Culturfrage, Karlsruhe-Leipzig 1881 38 Es handelt sich bei der Wiedergabe dieses Demagogieschemas natürlich um dessen gleichsam idealtypische Rekonstruktion. Man wird es jedoch, hat man es erst einmal in dieser modellhaften Form in seinem inneren Gefüge verstanden, leicht in allen einschlägigen nationalsozialistischen Texten wiedererkennen können, und zwar nicht nur in Hiders Reden und Schriften, sondern ganz genauso auch in denjenigen etwa Gregor Strassers (vgl. hier insbesondere z. B., als dafür geradezu klassische Lehrtexte, Strassers Rede „Gegen Marxismus und Reaktion" vom 21. Oktober 1928 und seine erste Parlamentsrede im Bayerischen Landtag vom 9. 7. 1924, beide in: Gregor Strasser, Kampf um Deutschland. Reden und Aufsätze eines Nationalsozia-
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listen, München 1932), und diese dann desto schneller in ihrer oft sprunghaft und willkürlich anmutenden Argumentation zu entwirren und zu begreifen vermögen. 39 Vgl. hierzu den Handbuchartikel „Chrisdichsoziale Partei (CSP)" von Dieter Fricke in Handbuch bürgerlicher Parteien, a.a.O., Bd. I, S. 245ff. 40 Handbuchartikel „Deutschsoziale Partei (DAP)" von Manfred Weißbecker, ebenda S. 755. - Zu diesen Parteigründungen s. auch oben Anm. 2 41 Handbuchartikel „Deutschkonservative Partei (DKP)" von Lothar Wallraf, ebenda S. 682. Das Programm hatte seinen Namen daher, daß der Parteitag, der es verabschiedete, in der Berliner Tivoli-Brauerei stattgefunden hatte. 42 Wenn Joachim C. Fest, der die oben zitierten Agitationsparolen kolportiert, demgegenüber die österreichische Schönerer-Bewegung in einen betonten Gegensatz zum Alldeutschen Verband zu rücken versucht, weil sie „anders als der Verband gleichen Namens in Deutschland, nicht expansivimperialistische Zielsetzungen unter dem Schlagwort einer, deutschen Weltpolitik' verfolgte, sondern statt dessen auf den Zusammenschluß aller Deutschen in einem Staatsverband hinarbeitete", so kann man diese Begründung angesichts dessen, daß der Alldeutsche Verband und der engstens mit ihm kooperierende „Verein für das Deutschtum im Ausland" eben jene „Zusammenschluß"-Propaganda in ganz Europa entfachten und förderten, wohl nur einen logischen Purzelbaum nennen. Freilich ergab sich aus dieser systematisch verfolgten Auslandsstrategie der Aufwiegelung der deutschen Minderheiten Europas, die propagandistisch nur immer vermittels einer volkstumsbegründeten „Heim-ins-Reich"-Verheißung betrieben werden konnte, zu den tatsächlichen Zielen des deutschen Monopolkapitals, das natürlich nicht daran dachte, bei seiner künftigen Expansion vor Volkstumsgrenzen haltzumachen und sich demgemäß etwa mit Deutsch-Österreich zu begnügen, sondern sich selbstverständlich das gesamte Territorium der österreichisch-ungarischen Donaumonarchie aneignen oder doch geschlossen assoziieren wollte, eine geradezu unvermeidliche (auch von Petzold, Demagogie..., a.a.O., S. 48, erwähnte, durchaus hin und wieder zu taktischen Meinungsverschiedenheiten führende) Diskrepanz. Doch man sollte ja wohl den aus der expansionsstrategischen Logik des alldeutschen Imperialismus selbst hervorgehenden Widerspruch zwischen dem „Verzicht auf die nichtdeutschen Gebiete der Donaumonarchie" (Fest) seitens der österreichischen Alldeutschen und somit auch ihrer Wendung „gegen die Existenz des Vielvölkerstaates" überhaupt und dem wahren Programm der Alldeutschen im Reich, in das sie hineindrängten und mitdenen sie durchaus kooperierten, als einen solchen zu erkennen vermögen, statt die innerhalb und außerhalb des Reichsgebiets notwendig unterschiedlichen Mobilisierungsparolen (die den unterschiedlichen Bedingungen und Möglichkeiten großdeutscher Nationalismusaufreizung Rechnung zu tragen hatten und dies nur taten) als konzeptionelle Differenzen und Beweis für politische Nichtidentität auszugeben (vgl. Joachim C. Fest, Hider, Eine Biographie, Frankfurt/Main, Westberlin, Wien 1973, S. 65/66). Zum zitierten Leitspruch der österreichischen Alldeutschen s. Werner Jochmann (Hrsg.), Adolf Hitler. Monologe im Führerhauptquartier 1941-1944. Die Aufzeichnungen Heinrich Heims, Hamburg 1980. S. 429 (Anm. 159). 382
43 Es dürfte bezeichnend für Joachim C. Fest sein, daß er diese ja nun doch wohl kaum noch überbietbar enthüllende Losung (wie auch die anderen hier wiedergegebenen Parolen) zwar zitiert (a.a.O., S. 59ff.), dies jedoch ohne jedwede Folgen für seine anschließende Funktionsdeutung des damaligen Antisemitismus in Österreich bleibt, in dem sich ihm zufolge ebenso wie in den „Herrenmenschentheorien" vielmehr vor allem „Ängste", nämlich „die Besorgnisse des bedrängten deutschen Volkstums widerspiegelten" (ebenda S. 61), womit er die Legende von dessen „Bedrängung" in der Propagandasprache von einst reproduziert und den Antisemitismus, als Ventil solcher den Deutschen angetanen Bedrängnis, zwar nicht apologisiert, aber zur sozialpsychologisch verständlichen Folge derartiger nationaler Identitätsbeeinträchtigung erklärt. Das steigert sich bei seiner Darstellung und Deutung der österreichischen DAP dann soweit, daß er ihr nationalsozialistisches Programm der „Versöhnung von Sozialismus und nationalem Gefühl" statt aus Unternehmerstrategien (s. Anm. 41) aus dem Wunsch der deutschen Arbeiter Böhmens und Mährens nach „Identität ihrer nationalen und sozialen Interessen" erklärt, den sie „dem Internationalismus der Marxisten entgegensetzten", und er die DAP dementsprechend als eine genuine Arbeiterpartei interpretiert, die „vorwiegend antikapitalistische, revolutionär-freiheitliche, demokratische Zielsetzungen", vermengt freilich (aus „dem erregten Bedürfnis nach Abwehr und Selbstbehauptung") „mit der aggressiven Wendung gegen Tschechen, Juden und sogenannte Fremdvölkische", verfolgt habe (ebenda S. 68). 44 Zur österreichischen DAP s. ausführlicher Werner Maser, Der Sturm auf die Republik. Frühgeschichte der NSDAP, Stuttgart 1973, S. 238 ff., bei Fest a.a.O., S. 68 ff. Während Maser die Beziehungen der DAP zur Alldeutschen Bewegung Schönerers und die strategische Ubereinstimmung mit ihr hervorhebt, von Beziehungen zum Alldeutschen Verband jedoch nichts erwähnt, kann Joachim Petzold in „ D e m a g o g i e . . . " . a.a.O., S. 47 aus den im Zentralen Staatsarchiv Potsdam lagernden Akten des Alldeutschen Verbandes berichten, daß die DAP Österreichs aus dem, .Wehrschatz" des Alldeutschen Verbandes gefördert wurde und der führende DAP-Abgeordnete Hans Knirsch 1924 vor dem Geschäftsführenden Ausschuß des Alldeutschen Verbandes laut Sitzungsprotokoll erklärte, Heinrich Claß „habe es ihm geradezu erst möglich gemacht, s. Zt. die nat(ional)soz(ialistische) Partei in Böhmen und Österreich zu schaffen und auszubauen". 45 Rudolf Jung, Der nationale Sozialismus. Seine Grundlagen, sein Werdegang und sejne Ziele, München 19221, zit. nach 3. Aufl., Vorwort zur 3. Aufl. (Mai 1923), S. 5/6, sowie Erster Teil, Kap. 1, S. 7. 46 Daniel Frymann (d. i. Heinrich Claß), Wenn ich der Kaiser wär' - Politische Wahrheiten und Notwendigkeiten, Leipzig 1912, hier zitiert nach 5. Auflage Leipzig 1914, S. 46ff., S. 53 und S. 259ff. - Zur Charakterisierung des Frymann-Buchs vgl. auch Joachim Petzold, Demagogie..., a . a . O . , S. 37-46. 47 Zur Autorschaft von Heinrich Claß s. den Handbuch-Artikel „Alldeutscher Verband (ADV)" von EdgarHartwig in Handbuch bürgerliche Parteien, a . a . O . , Bd. I, S. 14. 48 Frymann, a . a . O . , S. 27. 49 Ebenda, S. 34/35-39. 383
50 Ebenda, S. 75/76. 51 Ebenda, S. 76. 52 Ebenda, S. 78. 53 Ebenda, S. 67/68. 54 Ebenda, S. 66. 55 Nämlich von der im Jahre 1925 erschienenen 7. Auflage an. Vgl. Joachim Petzold, D e m a g o g i e . . . , a. a. O . , S. 160. Zu den Beziehungen Claß-Hitler insgesamt ders., Claß und Hitler. Über die Förderung der frühen Nazibewegung durch den Alldeutschen Verband und dessen Einfluß auf die nazistische Ideologie, in: Jahrbuch für deutsche Geschichte, Bd. 21, Berlin 1980, S. 247ff. Wenn im Rahmen des „Projekts Ideologie-Theorie" auch Wolfgang Fritz Haug die Frage nach der „Erklärbarkeit des Antisemitismus" im deutschen Nationalsozialismus aufwirft und seine „Strukturfunktion", ähnlich wie hier geschehen, im Rückgange bis auf Stoeckers Chnstlichsoziale Partei erörtert (s. Wolfgang Fritz Haug, Annäherung an die faschistische Modalität des Ideologischen, in: Faschismus und Ideologie 1, Argument-Sonderband AS 60, Berlin 1980, S. 44 ff.), dann wäre dies ein zu begrüßendes und erkenntnisförderliches Unterfangen, bliebe bei ihm nicht alles, was oben zur unmittelbaren Herkunft des völkisch-antisemitischen Demagogiemodeiis aus konkreten historischen Interessenlagen des Monopolkapitals und dessen initiativer Rolle bei seiner Entwicklung zu einer politischen Mobilisierungsstrategie ausgeführt ist, aus der Betrachtung ausgeblendet, um eben jenes Demagogieschema statt dessen als ein Produkt erst der, .Transformationsarbeit" Hitlers bzw. ihm auch schon vorangegangener „Ideologen" erscheinen zu lassen. Das dadurch in Haugs Text etwas überlebensgroß geratene Bild Hiders als „Arrangeur" des „ideologischen Materials" wäre durch eine einzige Erwähnung etwa der antisemitischen Mobilisierungspraxis des Alldeutschen Verbandes auf die realistischeren Dimensionen eines in ein schon weitgehend fertiges, richtungsspezifisches Mobilisierungsschema einsteigenden - wenn auch fähigen, es rasch erlernenden - Agitators zusammengeschmolzen. Doch nicht dies ist das Entscheidende. Der auf den ersten Blick vielleicht kaum merkliche oder unerheblich scheinende, doch hinsichtlich der politischen Konsequenzen höchst relevante Unterschied liegt darin, daß hier unter „Transformation" in Übereinstimmung mit Ernesto Laclau die Einfügung vom Rassismus und Antisemitismus angesprochener sogenannter „popular-demokratischer" Proteststimmungen oder „populistischer" Ideologieelemente in einen konkreten „Klassendiskurs" verstanden wird und der Antisemitismus und Rassismus sogar selber - denn sonst könnten sie ja auch keine Attraktionskraft auf jenen „populistischen" Demokrarismus ausüben - als Ausdrucksformen eines zunächst klassenneutralen, ja antikapitalistischen (nur eben nicht speziell proletarischen, sondern vom Volk „als V o l k " ausgehenden) Protests und intentional emanzipatorischen - wenn auch in die Irre gehenden - Aufbegehrens gegen die , .Herrschenden da oben" begriffen und interpretiert sind. Sähe Haug dies anders, hätte er wohl kaum zu schreiben vermocht, Heinrich August Winkler habe „unmittelbar recht, wenn er feststellt, der moderne Antisemitismus ,war keine kapitalistische Machenschaft, sondern ein, wenn man so will, hilfloser Antikapitalismus, mit dem vor allem Bauern, Handwerker, Kleinhändler und Angestellte auf eine Krise
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des Kapitalismus, die Große Depression der Jahre 1873-1896, reagierten'" (ebenda, S. 69). War die „Machenschaft" also erst der Faschismus - die Haug dann als „Transformationsarbeit" ausführlich beschreibt - , der Antisemitismus und Rassismus aber eigentlich zunächst,,hilfloser Antikapitalismus" (was ja auch Fest meint, nur daß dieser den Antikapitalismus, Haug die Hilflosigkeit verurteilt) und funktionalisierte sie der Imperialismus erst gleichsam in einem zweiten Vorgange zum Medium der Ab-leitung gerade der emanzipatorisch-demokratischen und damit auch antikapitalistischen Energien aus ihm und seiner Integration in den eigenen Interessenkontext, dann steckt folglich, nun aus dem Blickwinkel des Klasseninteresses der Arbeiterbewegung gesehen und zu Haugs Bedauern von ihr viel zu wenig gesehen, im Rassismus und Antisemitismus ein verborgener, durch ihre imperialistische (faschistische) Funktionaüsierung verschütteter guter Kern, den es hervorzuholen und im Ringen mit dem Imperialismus dem eigenen „Klassendiskurs" einzuverleiben gilt. Denn der Kampf um die ideologische und damit auch politische Hegemonie, sagte Laclau, wird der gewinnen, dem es gelingt, diese „populardemokratischen Anrufungen", d. h. Ideologieelemente,.populistischer" Provenienz, in seinen,,Diskurs" einzugliedern. Was könnte nunaber ausgerechnet im Rassismus und Antisemitismus dieser „gute", ,,volks"gemäße Kern sein? Haug sagt es: das vom Marxismus unbefriedigt gelassene und von der Arbeiterbewegung daher auch traditionell vernachlässigte, doch vom Rassismus und Antisemitismus erfolgreich angesprochene Bedürfnis des Volkes, sich als „Volk", „Nation", „Gemeinschaft" empfinden und auf emotionaler Ebene in Festen, Bräuchen etc. erleben zu können (ebenda, S. 80). In etwa also ungefähr das, was die Völkischen schon immer auf „Volk" als eine letzte, nicht weiter nach Klassen und Klasseninteressen zu hinterfragende und in sie aufzufasernde Größe zurückgeführt sehen wollten; und die Sache hat ihren Tiefgang deshalb, weil Ernesto Laclau, der derzeitige Vordenker des Projekts Ideologietheorie und Wolfgang Fritz Haugs, ja „Volk" als ein solches in keine weiteren Bestandteile mehr rückauflösbares autonomes Geschichtssubjekt mit autochthoner Ideologiebildungskraft in die materialistische Geschichtstheorie mit seinem „Populismus"-Begriff einzubringen versucht und dabei, ,Volk" zwar nur noch als die Einheit derer , ,da unten" gegen die „da oben" und die Geschichte im Schema eines solchen ewigen Dualismus begreift, gegen die Untersuchung des genaueren politischen Inhalts und der sozialen Herkunft der „Volks"ideologien jedoch das Warnschild des „Klassenreduktionismus" errichtet hat und mit der Einengung auf dieses rudimentäre „Volk" einen zweifellos völkischen Ideologiebegriff reproduziert, geeignet, alles, was nur immer „unten" ideologisch virulent ist, als auch „von unten" kommend, als „popular-demokratische Artikulationen" (z. B. den Nationalismus, den Ruf nach „nationaler Identität", nach mehr „Befriedigung" wiederaufbrechender Irrationalismus-Bedürfnisse etc.) auszugeben und der Arbeiterbewegung somit als in ihren eigenen „Diskurs" aufzunehmend zu empfehlen, widrigenfalls sie die Hegemonie nicht erlangen und sich der „Populismus" in den Händen des Imperialismus gegen sie selbst kehren würde (was sich auch schon wie eine Adresse an die Arbeiterbewegung lesen läßt: werde nationale Arbeiterbewegung - oder du wirst vernichtet, wobei für die politische Klassifikation dieses Satzes alles 385
dann nur noch davon abhängt, welche inhaltliche Füllung das - vom „Klassenreduktionismus"-Verdikt vor Durchleuchtung geschützte - Wort „national" hat). Untersucht man nun aber, was Laclau auf den abstrusen, freilich traditionsreichen Gedanken gebracht hat, im Rassismus und Antisemitismus stecke ein demokratisch-emanzipatorischer Kern, den es von der Linken anzusprechen und in ihren „Diskurs" aufzunehmen gelte (denn die Ableitung mittelständischer Enttäuschungen über ökonomische Krisen und Konzentrationsprozesse in den Antisemitismus - etwa 1873-1896 - funktionierte doch, das muß man wohl einmal, entgegen vielen blauäugigen Deutungen, zur Klarstellung sagen, nicht über das Ansprechen „demokratischer" Dispositionen, sondern ganz anderer, menschlich viel weniger erfreulicher Anlagen oder Lebenseinstellungen), dann stellt sich heraus: Es ist das in ihnen strukturell enthaltene ganzheitliche Ansprechen des Volkes als eine Einheit, das dieses sich gegenüber ihm entgegengestellten anderen derartigen Einheiten als eine solche erleben läßt, also das „Völkische", was er für das „Populistische" (was ja verdeutscht nichts anderes heißt) in ihnen hält und für ihre apokryphe demokratische Substanz ausgibt. Somit aber läuft Laclaus theoretische Rekonstruktion des ideologischen Klassenkampfes als eines Wettkampfs zwischen Imperialismus und Arbeiterbewegung um die Einbindung des „Populismus" in jeweils ihren „Diskurs" auf die opportunistische Anempfehlung des Überganges der Arbeiterbewegung auf völkisch-nationalistische Positionen im Gewände eines gewaltigen Klassenschlachten-Gemäldes hinaus, und die in der Uberschrift des Textes von Wolfgang Fritz Haug versprochene erkenntnismäßige Annäherung, ,an die faschistische Modalität des Ideologischen" steht in Gefahr, von solch theoretischer Grundlage aus zur Annäherung nur an die gegenwärtige Modernität des Völkischen zu geraten. Zur philosophischen Charakterisierung E. Laclaus s. Robert Steigerwald, Wie Laclau den Marxismus von seiner Krise heilt, in: Marxistische Blätter, Frankfurt/M., Heft 2/1983.
II. Entstand die NSDAP
„autonom"f
56 Diese Lesart vom „Verrat" des Nationalsozialismus an „die Industrie" oder „das Großkapital" durch Hitler und Gönng durchzieht sämtliche Veröffentlichungen Otto Strassers seit seinem Ausscheiden aus der N S D A P im Juli 1930 und ist die Berufungsgrundlage der Strassenaner für die Reklamation eines - von ihnen vertretenen - „wahren Nationalsozialismus", den es gegen dessen Diskreditierung durch die „faschistisch" gewordene Hitler-Göring-Führung und die allein von ihr zu verantwortende Wirklichkeit des „Dritten Reichs" nach wie vor als einzige „Lösungsmöglichkeit" der „Probleme des industriellen Massenzeitalters" durchzusetzen gelte (vgl. die Programmschriften aller neofaschistischer Gruppierungen Strasserscher Richtung und alle Bücher Otto Strassers von - und ab - „Die deutsche Bartholomäusnacht", Zürich 1935, bis „Der Faschismus. Geschichte und Gefahr, München/Wien 1965; Zitatworte ebd. S. 109, sinngleich insbes. auch S. 70). Es versteht sich, daß für diese Position die
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Hypostasierung einer gleichsam naiv-reinen oder „ehrlichen" ersten Phase der NSDAP, also die Autonomie-These, schlechthin lebensnotwendig, da Voraussetzung für die Entlastbarkeit des Nationalsozialismus von den Realerfahrungen mit ihm ist. Die Selbstkontrastierung zur Hitler-GöringGruppe - die sich in Otto Strassers Büchern auch erweitert beschrieben und präzisiert findet als Gruppe Göring-Thyssen-Schacht (z. B. Bartholomäusnacht, S. 45) oder später, für das Jahr 1934, als nunmehr vereinigte Front Hindenburg-Hugenberg-Papen-Gönng-Thyssen-Schacht (z.B. in: Hitler und ich, Konstanz 1948, S. 210/211) oder auch, formelhaft abgekürzt, als „Allianz Hitler-Hugenberg-Schacht" (ebd., S. 158) - reflektiert im übrigen tatsächliche damalige innerfaschistische Gruppenkämpfe und Frontenverläufe; diese werden dadurch, daß die Gruppe der Gegenspieler notorisch als die Gruppe „des Kapitals" dargestellt und damit die eigene Zugehörigkeit zu nur einer anderen seiner Fraktionen aus dem Blick gedrängt wird, gerade verschleiert und in dieser mystifizierten Form zur Grundlage der sozialismusdemagogischen Selbstempfehlung der Strassenaner und ihres von ihr hervorgerufenen, von erstaunlich vielen Seiten reproduzierten Renommés einer „antikapitalistischen" Richtung im Nationalsozialisjnus. S. hierzu ausführlich das folgende Kapitel III. 57 Zur Antibolschewistischen Liga und ihrer Tätigkeit vgl. den HandbuchArtikel „Antibolschewistische Liga (AL)" von Herbert Blechschmidt in: Handbuch bürgerliche Parteien, a.a.O., Bd. I, S. 30ff. ; zum GründungsHergang und zur Verquickung ihrer vielfältigen antikommunistischen Aktivitäten mit sozialismusdemagogischer Agitation insbesondere auch Eduard Stadtler, Als Antibolschewist 1918/19 (Lebenserinnerungen Bd. 3), Düsseldorf 1935, S. 13ff. 58 Am 10. November 1918 schloß der in Nachfolge Ludendorffs zum Ersten Generalquartiermeister ernannte Generalleutnant Wilhelm Groener namens der Obersten Heeresleitung mit Friedrich Ebert unmittelbar nach dessen Wahl zum Vorsitzenden des Rates der Volksbeauftragten ein Geheimabkommen ab, das der militärischen Niederwerfung der Novemberrevolution galt und zugleich der Fortführung des Krieges im Osten und möglichst Niederwerfung auch der Sowjetmacht in Rußland durch weiteres - von den Alliierten aus diesem Grunde ausdrücklich gewünschtes Verbleiben der deutschen Truppen in den besetzten östlichen Gebieten und der Aufstellung sogar neuer Freiwilligen-Kampfverbände dienen sollte; zu ersterem Zwecke legte das Abkommen, in dem die Wiederherstellung der Kommandogewalt der bisherigen Offiziere durch den „Rat der Volksbeauftragten" vereinbart wurde, den sofortigen Einmarsch von zehn ArmeeDivisionen in Berlin zum „Schutz der Regierung" und zur „Vermeidung russischer Zustände" fest und schuf damit die faktische Grundlage auch für die Bildung von Freikorps. Dorothea Groener-Geyer beschreibt in ihrer ganz Groeners Geist atmenden Groener-Biographie sehr plastisch, weshalb Groener die Freikorps für notwendig hielt und wie führend seine Rolle bei ihrer Bildung war: „Schon Ende November hatte er vorsorglich begonnen, aus dem heimwärts marschierenden Heer Freiwillige für die Regierung anzuwerben, aus ihnen Freikorps zu bilden und sie für den Kampf gegen die Revolution ausbilden zu lassen. Denn das Riesenheer der allgemeinen Wehrpflicht, das wohl eine gewaltige Leistung gegen die äußeren Feinde 387
vollbracht hatte, war zu heterogen zusammengesetzt, um für einen Kampf um die innere Ordnung Verwendung zu finden." Es wirft wohl ein Schlaglicht auf den verheerenden Geist auch im „antialldeutsch"-sozialliberalen Lager der Richtung Max Weber - Naumann, aus der auch Groener kam (so hatte sich Naumann z. B. am 10. November als Vermittler zwischen Groener und Ebert betätigt, vgl. Handbuch bürgerliche Parteien, Artikel „Fotschrittliche Volkspartei", a.a.O., Bd. I, S. 804), wenn sie dieser Aussage den Satz des gleichfalls diesem Kreise zugehörigen Friedrich Meinecke anfügen kann: So sammelte Groener nun „den besten Saft des alten Heeres in neuen, kleineren Gefäßen, die die geschichtliche Vorstufe der Reichswehr wurden." Zu diesen „Gefäßen" gehörte u.a. soweit sie D . Groener-Geyer ausdrücklich als Groeners Verdienst erwähnt - das westfälische Freikorps Maercker („Freiwilliges Landesjägerkorps"), das Potsdamer „Regiment Reinhard" und das „Regiment Potsdam" des Majors v. Stephani. Zum obersten Kommandeur aller Freikorps ernannte Groener den General v. Lüttwitz. „Damit hatte Ebert den bewaffneten Arm, den er zur Wiederherstellung der Ruhe und zur Sicherung seiner Regierung brauchte" (Dorothea Groener-Geyer). Die bürgerkriegs-strategische Vorstellung Groeners war: „von der ,Ordnungszelle' Berlin aus müßte sich ,wie ein Ölfleck' die Herrschaft der Regierung über das ganze Reich ausbreiten." (Dorothea Groener-Geyer, General Groener. Soldat und Staatsmann, Frankfurt/Main 1955, S. 129). Zum Zwecke der Fortführung des Krieges im Osten wurde fünf Tage nach der Unterzeichnung dieses Abkommens, am 15. November 1918, mit Wissen und Billigung des „Rates der Volksbeauftragten" vom Kriegsministerium ein Aufruf zur Aufstellung eines „Heimatschutzes O s t " erlassen, dem am 24. November ein Geheimbefehl Hindenburgs als Chef der Obersten Heeresleitung (auch Nachfolger Kaiser Wilhelms II. als Oberbefehlshaber der Streitkräfte) folgte, zur Bekämpfung des „östlichen Bolschewismus" Freiwilligenverbände für einen „Grenzschutz O s t " zu bilden. Bereits am 11. November 1918 war auf Veranlassung des „Oberkommandos O s t " mit Unterstützung von Kapp die Werbung für eine „Baltische Landwehr" angelaufen. Am 1. Februar 1919 wurde der Oberbefehl über alle deutschen Truppen in den baltischen Ländern und in Westrußland dem General Graf Rüdiger von der Goltz übertragen. Am 10. Februar 1919 schließlich verlegte gar die Oberste Heeresleitung ihren Sitz nach Kolberg, um die für die allernächsten Tage ins Auge gefaßte neue Ostfeldzugsoffensive - zu der es, zur „Bestürzung" Groeners, auf Grund eines französischen Vetos dann nicht kam - aus unmittelbarer Nähe leiten zu können. Geplant war, in einer gewaltigen Zangenbewegung von zwei Armeeoberkommandos über die „Baltische Brücke" und via Polen die baltischen Länder, Polen und Westrußland in eine Vielzahl kleinerer deutschabhängiger Staten aufzulösen („RandstaatenPolitik"), wie dies den Kriegszielen der Obersten Heeresleitung im 1. Weltkrieg entsprach und im März 1918 im Brest-Litowsker Friedensvertrag zum großen Teil auch durchgesetzt worden war. Uber die Dimensionen und Motive dieses damaligen, von der Reichsregierung und innerhalb der Sozialdemokratie insbesondere vom ostpreußischen Reichskommissar August Winnig unterstützten Kriegsplans der Obersten Heeresleitung und Groeners, ohne dessen Beachtung sich wenig von der 388
politischen Rolle Groeners und Schleichers in der Weimarer Republik und den engen Verbindungen, die gerade sie zu den Freikorps und „nationalen Verbänden" unterhielten, verstehen läßt, berichtet wiederum sehr aufschlußreich Dorothea Groener-Geyer: „Etwa zur gleichen Zeit (gemeint: Ende Januar 1919, R. O . ) fand zwischen Ebert und Groener ein Gedankenaustausch über die weitere Verwendung der Obersten Heeresleitung statt. Die Rückführung des Heeres in die Heimat, eine technische Leistung ersten Ranges, war beendet. . . Die Oberste Heeresleitung fühlte sich frei für die beiden letzten großen militärischen Aufgaben: Die Vorbereitung der Wiederaufnahme des Krieges im Falle des Scheiterns der Friedensverhandlungen und den Schutz der Ostgrenzen des Reiches gegen Polen und den herandrängenden Bolschewismus. Groener hielt es für ein Lebensinteresse Deutschlands, die Bolschewisten in angemessener Entfernung von seinen Grenzen zu halten, hatte aus diesem Grunde die verzögerte Räumung der russischen Randstaaten befürwortet und hielt die Wiederaufnahme der Offensive mit begrenztem Ziel in Kurland für nötig. Er wollte einen .luftleeren Raum' vor Ostpreußen schaffen und den Aufständen in Schlesien und auf west- und ostpreußischem Gebiet zunächst einen Riegel vorschieben, um dann, sobald die Aufstellung der Freikorps genügend fortgeschritten war, die Zurückeroberung der Provinz Posen in Angriff zu nehmen.. . . Ungefähr zur gleichen Zeit übernahm in Libau General Graf von der Goltz das Kommando über die deutschen und die baltischlettischen Truppen in Kurland und Livland, verstärkt durch die baltische Landeswehr, die in der Linie Grodno-Kowno-Libau die dem zurückflutenden deutschen Heer nachstoßenden Bolschewiken dort zum Stehen brachten. Die deutschen Freiwilligen, die in der , Eisernen Division' zusammengeschlossen waren, hatte die lettische Regierung durch Versprechung von Siedlungsland angelockt; diese Männer hofften, hier auf fremdem Boden als Lohn für ihre Landsknechtsdienste und im Anschluß an das deutsche Baltentum eine neue Heimat zu gewinnen." (a.a.O., S. 132 und 134). Interessant auch, wie stark sich Groener bei seinen sehr regen Bemühungen, den unausbleiblichen Einspruch Frankreichs gegen einen AngriffsKrieg des soeben erst besiegten Deutschland auf Polen und gegen die mit ihm bezweckte deutsche Ostausdehnung zu isolieren, auf die U S A zu stützen suchte und wie er empfahl, sich gegenüber den Alliierten insgesamt des Appells an den Antibolschewismus als Erpressungsmittel zur Erzwingung ihres Einverständnisses mit den deutschen Ostkriegszielen zu bedienen. Mit dem amerikanischen Hauptquartier in Deutschland stand Groener, eigenem Zeugnis zufolge, seit Weihnachten 1918 vor allem über dessen Chef der politischen Abteilung, Oberst Conger, in Verbindung; bereits am 17. Januar 1919 notierte er nach einem Gespräch mit Conger hoffnungsfroh als dessen Aussage in sein Tagebuch „Die Amerikaner seien mit den Franzosen fertig und wollten mit Deutschland zusammengehen" (a.a.O., S. 136) und schrieb noch Ende des gleichen Monats an den Oberpräsidenten der Provinz Ostpreußen: „Ich habe berechtigten Grund, zu glauben, daß die Vorliebe der Amerikaner für die Polen sich ganz merklich abgekühlt h a t . . ." (ebd., S. 132). Das amerikanische Interesse an einem deutschen Marsch gegen Sowjetruß-
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land war so groß, daß Oberst Conger vom allerobersten Ostkriegs-Scharfmacher in der Heeresleitung und im „Oberkommando O s t " , dem „Feldmarschall" - worunter Hindenburg verstanden wurde - , gegenüber Groener sagte, er würde, käme er nach Amerika, „in der amerikanischen Armee 2 Millionen Freunde finden, d. h. alle die Amerikaner, die jetzt den Krieg in Europa mitgemacht hätten, verehrten den Feldmarschall und seien seine Freunde" (ebd., S. 136). Ende März schrieb Groener, auf solches Interesse am deutschen Ostritter-Heldentum bauend, an Erzberger: „Wir müssen insbesondere den Alliierten eindringlichst vor Augen führen, daß eine gemeinsame Front gegen die Bolschewisten nur möglich ist, wenn wir in der polnischen Frage nicht vergewaltigt werden. Wir müssen daher den Alliierten gegenüber bei jeder Gelegenheit um unsere Ostgrenzen von 1914 politisch kämpfen. . . . Ist es den Franzosen mit ihrem Kampf gegen den Bolschewismus ernst, so werden sie sich diesen Tatsachen nicht verschließen können.. . . Zur Zeit scheint m i r . . . bei den Alliierten der Kampf gegen den Bolschewismus im Vordergrund ihrer Absichten zu stehen. Die Alliierten und insbesondere Marschall Foch brauchen uns also, sie haben unsere Unterstützung nötig. Das müssen wir ausnützen und für unsere Mitwirkung, zu der wir in keiner Weise verpflichtet sind, Bedingungen stellen" (ebd., S. 135). Zur Einführung in den Zusammenhang Ebert-Groener-Abkommen - Freikorps - Ostkriegspläne, aus dem die gemeinsame korruptive Verstrickung der führenden Politiker der jeweiligen sogenannten „nationalen" Richtungen der Weimarer Parteien in die Geheimpläne der Obersten Heeresleitung und ihre Subordination unter sie resultierte, vgl. u. a. dessen knappe Darstellung im Handbuch-Artikel „Freikorps 1918-1920" von Erwin Könnemann, in: Handbuch bürgerliche Parteien, a.a.O., Bd. II, S. 53ff. sowie, zur Zielsetzung der Ostkriegspläne, z. B. den Stichwort-Artikel „Bankunternehmen 1919" in: Sachwörterbuch der Geschichte, Berlin 1969, Bd. I, S. 222 f. 59 Die Friedensresolution wurde im Juli 1917 vom Zentrumsabgeordneten Matthias Erzberger im Reichstag eingebracht und am 19. Juli 1917 mit 212 gegen 120 Stimmen angenommen. Erzberger, selbst zuvor einer der führenden politischen Verfechter schwenndustrieller Kriegsziele (vgl. etwa die von Erzberger dem Reichskanzler Bethmann Hollweg überreichte Kriegszieldenkschrift August Thyssens vom September 1914, wiedergegeben in: R . Opitz, Hg., Europastrategien des deutschen Kapitals 1900-1945, Köln 1977, S. 221 ff.), zog sich mit diesem Umschwenken auf die angesichts der Kriegslage nun als realistischere Minimallinie erscheinende Position des „Verständigungsfriedens", deren Inhalt die Rettung der wichtigsten Kriegsziele der hinter dem alten „Mitteleuropa"-Programm stehenden Industriekreise durch Friedensschluß und Annexionsverzicht im Westen war (und der 1918 im Brest-Litowsker Raubfrieden dann immerhin nahezu alle sowjetischen Erdölquellen, neunzig Prozent der sowjetischen Kohlengruben, die gesamte Ukraine, Bjelorußland und die baltischen Länder zum Opfer fielen), den unauslöschlichen Haß der Alldeutschen zu; dieser steigerte sich (und wurde z. B. auch von Groener geteilt) und ging in eine systematische Mordhetze gegen ihn als Symbolfigur der „Erfüllungspolitik" über, als er am 11. November 1918 in seiner Eigenschaft als Leiter der
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deutschen Waffenstillstandskommission das Waffenstillstands-Abkommen von Compiegne unterzeichnet und mit ihm den „Verzicht" des Deutschen Reiches nicht nur auf dessen Eroberungen im Westen, sondern auch auf den Brest-Litowsker Friedensvertrag unterschrieben hatte und sich die über nahezu das gesamte Jahr 1919 hin anhaltenden Hoffnungen, diesen letzteren Entsagungsakt im Zuge eines entweder gemeinsam mit den Alliierten oder mit alliierter Billigung unternommenen Interventionskrieges gegen Sowjetrußland bald aber wieder rückgängig machen zu können, auf Grund des ab Spätherbst 1919 energischeren Verlangens der Alliierten nach Rückzug der deutschen Baltikums-Soldateska dann auch noch zerschlugen. Die Mörder Erzbergers (denen er am 26. August 1921 im Schwarzwald zum Opfer fiel), die der „Organisation Consul", der von Kapitänleutnant Killinger geleiteten gemeinsamen politischen Mordorganisation von Brigade Ehrhardt, Bund Oberland und Freikorps Roßbach zugehörenden Ehrhardt-Offiziere Heinrich Schulz und Heinrich Tillessen, waren Mitglieder zugleich des „Deutsch-völkischen Schutz- und Trutzbundes" wie auch des „Bundes Oberland" (s.Werner Maser, Der Sturm auf die Republik. Frühgeschichte der N S D A P , Stuttgart 1973, S.292) und nach Willibald Gutsche (s. dessen lexikalischen Stichwort-Artikel Erzberger, Matthias, in: Biographisches Lexikon zur deutschen Geschichte, Berlin 1971, S. 163/164) Vertrauenspersonen des „Germanenordens". Zu allen erwähnten Organisationen s. die oben im Text folgenden näheren Ausführungen. 60 Zur Deutschen Vaterlandspartei vgl. den gleichnamigen HandbuchArtikel von Robert Ullrich in Handbuch bürgerliche Parteien, a.a.O., Bd. I, S. 620ff. 61 Im Jahre 1880 hatte sich unter Fuhrung des Gründers und Leiters der Deutschen Bank, Georg v. Siemens, aus Protest gegen das Einschwenken der Schwerindustrie auf die den Freihandelsinteressen der aufsteigenden Chemie- und Elektrokonzerne abträgliche Hochschutzzoll-Pohtik (das den Grund für das politische Bündnis von Schwerindustrie und ostelbischem Junkertum legte) eine Anzahl der namhaftesten Repräsentanten der Chemie- und Elektrointeressen von der Nationalliberalen Partei - der bisherigen gemeinsamen Partei des Deutschen Industriekapitals - als Gruppe der „Sezessionisten (,Liberale Vereinigung')" getrennt. Diese zahlenmäßig nicht große, doch eine stürmisch sich entwickelnde Kapitalmacht repräsentierende Gruppierung wurde in der Folgezeit zur inspirierenden und jeweils dominierenden Kraft der Parteien des „Freisinns" und „Fortschritts" (1884 Deutsche Freisinnige Partei, 1893 Freisinnige Vereinigung, ab 1910 Deutsche Fortschrittspartei), die für die Ablösung der Wilhelminischen kaiserlichen Monarchie von ihrer Bindung an Junkertum und Schwerindustrie und ihre Öffnung für die Interessen der „neuen Industrien" kämpften, was u. a. Friedrich Naumann - einer ihrer wichtigsten Wortführer seit der Jahrhundertwende - auf die Formel des Kampfes um ein vom Einfluß „der Reaktion" gelöstes, „fortschrittliches Kaisertum" oder auch „soziales Volkskaisertum" brachte. 62 Die am 25. Juli 1917 von General Groener mit einem befürwortenden Begleitbrief an Reichskanzler Michaelis eingereichte Denkschrift, die zu seiner Absetzung als Chef des Kriegsamts führte, war als „Denkschrift über die Notwendigkeit eines staatlichen Eingriffs zur Regelung der Unterneh391
mergewinne und Arbeiterlöhne" bezeichnet und hatte den Leiter der Frankfurter „Metallgesellschaft", Dr Richard Merton, zum Verfasser, der im Range eines Rittmeisters d.R. als Groeners rechte Hand im Kriegsamt tätig war. In ihr wurde von einem überhöhten Preisniveau der Rüstungsindustrie und offen von „Kriegsgewinnlertum" gesprochen und die Forderung erhoben, das Kriegsamt zu ermächtigen, Rüstungsunternehmen, die weiterhin ungerechtfertigte Preise für ihre Lieferungen verlangen, „unter Zwangsverwaltung" zu stellen. Daraufhin erwirkte der Rüstungs-Großindustrielle Hugo Stinnes beim Generalquartiermeister Ludendorff über seinen persönlichen Vertrauensmann bei ihm, Ludendorffs Adjutanten Oberst Max Bauer, die sofortige Absetzung Groeners, die in dem der Fortschrittspartei nahestehenden Presseorganen damals auch umgehend als ein Werk der „rheinisch-westfälischen Schwerindustrie" interpretiert wurde. Merton sollte auf Befehl Ludendorffs sogar zum Fronteinsatz in den Schützengraben geschickt werden, was jedoch Schleicher, den Groener als seinen „Lieblingssohn" unter den Nachwuchsoffizieren zu bezeichnen pflegte, vom Großen Generalstab aus mit dem Bemerken gegenüber Merton, er werde noch zu Besserem gebraucht, zu verhindern wußte. Der volle Wortlaut der Merton-Denkschnft und des Begleitschreibens von Groener findet sich bei Dorothea Groener-Geyer, a.a.O., S. 369 ff. Dort auch (S. 62 ff.) Briefe von Carl Dulsberg, Merton, Brüning und Anton von Rieppel ( M A N ) sowie zeitgenössische Pressestimmen zu dieser Angelegenheit. Zur Freundschaft Groener-Duisberg vgl. K. Gossweiler, Röhm-Dissertation (s. unten Anm. 64), S. 278. Zur Bedeutung der DenkschriftAffaire und zum Zusammenhang Groener-Schleicher-Merton-Hermann Schmitz/Wichard v. Moellendorff-Brüning bzw zwischen Groeners Kriegsamt und dem einstigen Mitarbeiterkreis Rathenaus in der Kriegsrohstoffabteilung („Rathenau, Moellendorff, Merton und wohl auch Schmitz bildeten den industriellen, Groener und Schleicher den militärischen Kern jener Gruppierung, die die Vormachtstellung der Schwerindustrie zu brechen suchte") s. ausführlich Kurt Gossweiler, Großbanken, Industriemonopole, Staat. Ökonomie und Politik des staatsmonopolistischen Kapitalismus in Deutschland 1914-1932, Berlin 1971, S. 78 ff. (Zitat ebd., S. 79). 63 Zur Kriegsrohstoffabteilung s. Gossweiler, a.a.O., S. 69ff Zu Rathenaus wichtigsten Mitarbeitern in ihr gehörte der AEG-Laborchef Wichard v. Moellendorff, der nach der Gründung der Kriegschemikalien A G am 28. September 1914, einer der von der Knegsrohstoffabteilung veranlaßten Kriegskartell-Grundungen, von Rathenau in deren Aufsichtsrat entsandt, zu ihrem faktischen Leiter und, auf diese Weise in Zusammenarbeit mit der Chemieindustne kommend und schließlich in sie überwechselnd, später zum volkswirtschaftlichen Berater der I G Farben wurde; deren Finanzdirektor und spätere Vorstandsvorsitzende Hermann Schmitz hatte seinerseits seinen Weg in Richard Mertons Metallgesellschaft begonnen und war zur Chemie dadurch gekommen, daß ihn Rathenau in die Knegsrohstoffabteilung holte und dort zum Leiter ihrer „Sektion Chemie" ernannte, von der aus er nach dem Kriege zur BASF, einem der drei großen Fusionspartner der 1925 gegründeten I G Farben, ging (vgl. ebd., S. 79). Wichard v. Moellendorff, der 1919 Unterstaatssekretär im Reichswirtschaftsmimstenum geworden war, hatte das Programm der „Gemeinwirtschaft" gemein-
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sam mjt Rudolf Wissel] verfaßt. Zu seinem unmittelbaren Zusammenhang mit der von Moellendorff und Rathenau bereits in der Kriegsrohstoffabteilung erarbeiteten Reformprogrammatik s. in R. Opitz, Der deutsche Sozialliberalismus 1917-1933, Köln 1973, das Kapitel „Walther Rathenaus Idee der .Gemeinwirtschaft' und der sozialliberale Begriff des .Organischen'" (S. 82ff.). 64 Zu den Verstaatlichungsplänen in der Reichswehr-Führungsgruppe Groener/Schleicher und den hinter ihnen stehenden Industrie- und Bankinteressen s. ausführlich Kurt Gossweiler, Die deutsche Monopolbourgeoisie und das Blutbad des 30. Juni 1934, unter besonderer Berücksichtigung des Kampfes zwischen Deutscher Bank und Dresdner Bank, Schwerindustrie und Chemie/Elektro-Industne, Dissertation Berlin/DDR (Humboldt-Universität) 1963, maschinenschnftl. Manuskript, (demnächst als T y p o s k n p t im Druck Köln 1983), S. 213ff. sowie auch, die Teilverstaatlichungsinteressen der Deutschen Bank gegenüber der Dresdner Bank betreffend, Kap. II, S. 101 f. und, den Kampf um die Verstaatlichung des „Stahlvereins" betreffend, Kap. III, 3, S. 238ff., zu Schleicher hier insbes. S. 268, 272f. und 277 ff. 65 Zum Monopolgruppen-Gegensatz in der Agrarpolitik vgl. etwa dessen knappe zusammenfassende Charakterisierung bei Axel Schildt, Militärdiktatur mit Massenbasis? Die Querfrontkonzeption der Reichswehrführung um General von Schleicher am Ende der Weimarer Republik, Frankfurt/ Main - N e w York 1981, Kap. 2.2.1, S. 24f. und S. 37 sowie des weiteren dann S. 96 und 181, ferner Heinrich Brüning, Memoiren 1918-1934, Stuttgart 1970, hier u.a. das Kapitel „Agrarprobleme" S. 249ff. und (zum „Siedlungsplan") S. 574. Aufschlußreich auch Wolfgang Rüge, Hindenburg. Porträt eines Militaristen, Berlin/DDR 1975, der in Zusammenhang mit der zu Schleichers Sturz beitragenden Reichslandbund-Abordnung S. 468 den auf die Junker-Güter bezogenen Ausspruch Schleichers (nach O t t o Meißner) kolportiert, die Reichswehr sei nicht dazu da, „überlebte Besitzverhältnisse zu schützen". 66 S. Bruno Thoss, Der Ludendorff-Kreis 1919-1923. München als Zentrum der mitteleuropäischen Gegenrevolution zwischen Revolution und Hitler-Putsch, Miscellanea Bavanca Monacensia (Neue Schriftenreihe des Stadtarchivs München), Heft 78, München 1978, S. 55 ff. (Kap. II, 1 Die Entstehung des Ludendorff-Kreises und der Kapp-Putsch). Thoss nimmt in dieser bedeutenden Dissertation eine für das Verständnis sowohl des KappPutsches wie vor allem auch des Münchener Putsches vom November 1923 äußerst wichtige Akzentverschiebung im bisher gängigen Sprachgebrauch vor, wenn er den erstmals von Wilhelm Hoegner in seinem 1934 verfaßten und 1958 veröffentlichten Buch „Die verratene Republik" auf Grund weitreichenden eigenen Einblicks in die damaligen Vorgänge verwandten Terminus „Ludendorff-Kreis" zur Bezeichnung derjenigen antirepublikanischen Verschwörergruppierung, die sich selbst als der „Generalstab der Gegenrevolution" begriff (s. Thoss, S. 2), aufnimmt und damit völlig zutreffend den Blick von jeweils Kapp bzw Hitler, auf die die termini „Kapp-Putsch" und „Hitler-Putsch" ihn verweisen, auf Ludendorff als die in beiden Fällen tatsächlich zentrale Figur lenkt. - Ludendorff kehrte am 21. Februar 1919 aus dem schwedischen Exil (in dem er den Verlauf der
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Revolutionsereignisse in Deutschland abgewartet hatte) nach Berlin zurück. Thoss sieht mit triftigen Gründen die allererste Keimzelle des zur Organisation der Gegenrevolution entschlossenen Berliner Putschistenkreises in der militärischen Führungsspitze der im Januar 1919 gegründeten Garde-Kavallerie-Schützendivision, deren faktischer Kommandeur (wegen Dauer-Krankheit semes nominellen) der Generalstabshauptmann Waldemar Pabst war und deren Divisionsstab als zwei weitere wichtige Mitglieder des sich wenig später dann um Ludendorff resp. seinen Adjutanten Oberst Max Bauer zentrierenden Leitungskreises der Verschwörer auch schon der Rittmeister a. D. Arnold Rechberg und der Journalist Dr. Friedrich Grabowski angehörten, wobei letzterer wiederum als Divisions-Pressechef eine „Propaganda-Abteilung" aufbaute, die „gezielten Terror gegen Unbelehrbare" als ein ergänzendes Hilfsmittel von Propaganda ansah und veranlaßte (Grabowski selbst wurde später Mitglied der „Organisation Consul"/ O . C . ) ; man wird also, zumal diese drei Reaktionäre von Anfang an im noch abwesenden Ludendorff den berufenen Führer des Putsches sahen (und es denn auch Offiziere der Garde-Kavallerie-Schützendivision waren, die ihn bei seiner Ankunft in Berlin am Stettiner Bahnhof in Empfang nahmen), die Entstehung des „Ludendorff-Kreises" wohl kaum erst mit dem Ankunftstag Ludendorffs in Berlin, sondern mit der Gründung der Garde-Kavallene-Schützen-Division, also, wie oberr geschehen, ab Januar 1919 datieren müsse. (Vgl. zu allen Einzelangaben Thoss, S. 57-59) Zum tatsächlichen „Anreger und Motor" wurde in diesem Kreis aber auch nach Ludendorffs Rückkehr nicht Ludendorff selbst, sondern, wie sich dies schon immer bei ihm verhalten hatte, sein „politischer Kopf" Oberst Max Bauer, der das Bild von des Generals „historische(r) Größe", wie alle Mitglieder des Kreises, mit zielbewußter Beharrlichkeit pflegte (s. ebd., S.3). 67 Es handelt sich hier natürlich nur um eine Auswahl der wichtigsten der bei Thoss insgesamt für den Zeitraum 1919-1923 im Verlaufe seiner Darstellung erwähnten Zugehörigen dieses Kreises, und zwar beschränkt auf die ihm zeitlich zuallererst Angehörenden, zu denen z. B. auch der Journalist Dr. Karl Schnitzler (später Organisation Consul) gehörte (s. Thoss, a.a.O., S. 60). Als bald hinzustoßendes und altersmäßig „jüngstes" Mitglied nennt Thoss Ernst Röhm (S. 4), als z. B. im Juli 1919 mit dem Kreis in Verbindung tretend die Generäle Otto von Below (den damaligen mehrfachen Militärdiktatur-Kandidaten des „Alldeutschen Verbandes") und Friedrich von Loßberg, Stabschef des Gruppenkommandos II (ebd., S. 62). Zu den oben Genannten s. a.a.O., S. 4, 9, 35, 58, 60, 64 und 70. 68 S. Thoss, a.a.O., S. 64 (zum Pabst-Marsch auf Berlin v. 21. 7.1919 S. 63) sowie den Handbuch-Artikel „Nationale Vereinigung 1919-1920" von Erwin Konnemann in Handbuch bürgerliche Parteien, a.a.O., Bd. II, S. 339t 69 S.Eduard Stadtler, Als Antibolschewist, a.a.O., S. 51/52. Stadtler berichtet dort von seiner Tätigkeit in den Tagen der Niederwerfung des Spartakus-Aufstands in Berlin im Januar 1919 folgendes: „Es gelang an jenem Tage (12. Januar 1919, R. O . ) , Ledebour zu verhaften. Aber Eichhorn, Dr. Liebknecht, Rosa Luxemburg und vor allem auch Karl Radek wußten zu e n t k o m m e n . . . . Es war mir klar: die Einmarschaktion der
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,Noske-Truppen' drohte unheilvoll zu werden, da Noske in dem von mir geforderten Sinne als Künstler-Staatsmann versagte. Es war eher ein Nichtkönnen denn ein Nichtwollen. Dies Versagen war deshalb gefährlich, weil auf der spartakistischen Gegenseite Persönlichkeiten von großem politischem Format operierten, Kraft- und Künstlernaturen, vor allem Rosa Luxemburg und Karl Radek. Es mußte etwas geschehen, um die in diesen Persönlichkeiten liegenden Umsturz- und Zusammenbruchsgefahren zu beseitigen. Siebel (der Leiter des „Spionagedienstes" und zugleich des „militärischen Ressorts" der Antibolschewistischen Liga, s. ebd. S. 95/96, R. O . ) war vom Krieg her mit dem Adjutanten Pflugk-Hartung von Major Pabst, dem Stabschef der Gardekavallerie-Schützendivision, bestens bekannt.. . . Und da. . . war es nicht schwer, am 12. Januar eine .politische Audienz' bei Major Pabst im Hotel Eden zu erwirken.. . . Ich setzte ihm auseinander. . . : wenn auf unserer Seite vorerst keine Führer zu sehen seien, dann dürfte wenigstens die Gegenseite auch keine haben. Karl Radek sei eine eminente Gefahr, Karl Liebknecht weniger, da er doch nur den großen Namen hätte und kein Kerl sei, aber Rosa Luxemburg sei in höchstem Maße gefährlich, sie sei ein wirklicher ,Mann', und mit jedem Tage wachse ihre Popularität bei den irregeführten, fanatisierten proletarischen Massen. . . Major Pabsts Augen glänzten. Das war andere Musik, als er sie täglich zu hören bekam. Er stand auf, drückte mir soldatisch die Hand und sagte nur: ,Ich danke Ihnen sehr, auf mich können Sie sich verlassen.' Ein Mann, ein Wort. Wenige Tage darauf, am 15. Januar, hatten die Mannen Major Pabsts, die Brüder Pflugk-Hartung und der Husar Runge, die beiden führenden Kommunisten Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht als politische Gefahrenzentren beseitigt." 70 Die ersten 8000 Mark zur Errichtung von Stadtlers „Generalsekretariat zum Studium und zur Bekämpfung des Bolschewismus", das die im Januar 1919 erfolgende Gründung der „Antibolschewistischen Liga" vorbereitete, stifteten am 28. und 30. November 1918 die Deutsche Bank (5000 Mark, zu deren Zahlung Karl Helffench den Bankdirektor Mankiewitz anwies) und, aus einem ihm zur Verfügung stehenden „politischen Fonds", Friedrich Naumann (3000 Mark), der zu der von Stadtler erbetenen Unterredung in seine Wohnung Fritz Siebel (s. Anm. 13), den ehemaligen Kriegsflieger Momm und einige Herren aus dem „Baltikum", darunter den engen Mitarbeiter Paul Rohrbachs, Axel Schmidt, hinzugebeten hatte, die am folgenden Abend nach der Gründung des „Generalsekretariats" (1. Dezember 1918) einem von Stadtler für dessen Arbeit gebildeten „Aktionsausschuß" beitraten, dem auch der Führer der jungkonservativen Bewegung, Freiherr von Gleichen-Rußwurm, und der Zentrums-Gewerkschaftspolitiker Franz Röhr, Mitarbeiter Adam Stegerwaids, des Vorsitzenden des christlichen „Deutschen Gewerkschaftsbundes", angehörten (vgl. zu den letztgenannten das Kap. III). S. Stadtler, Als Antibolschewist, a . a . O . , S. 12-14. Der Gründung des Generalsekretanats folgte am 10. Januar 1919 jene berühmte Industriellen-Sitzung im Berliner Flugverbandshaus Blumeshof, auf der Hugo Stinnes nach einem einleitenden Vortrag von Eduard Stadtler zum Thema „Bolschewismus als Weltgefahr" sich an die ca. 50 von Helffench per Telegramm und Einschreibebriefen zusammengeholten Herren „der allerhöchsten Spitzen der deutschen Industrie-, Bank- und Han-
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delswelt" (ebd., S. 44) mit den Worten wandte: „Wenn deutsche Industrie-, Handels- und Bankwelt nicht willens und in der Lage sind, gegen die hier aufgezeigte Gefahr eine Versicherungsprämie von 500 Millionen Mark aufzubringen, dann sind sie nicht wert, deutsche Wirtschaft genannt zu werden. Ich beantrage Schluß der Sitzung und bitte die Herren Mankiewitz, Borsig, Siemens, Deutsch usw. usw. (er nannte etwa acht Namen), sich mit mir in ein Nebenzimmer zu begeben, damit wir uns sofort über den Modus der Umlage klarwerden können." Stadtler weiter: „Die .historische' Summe ward auch am gleichen Tage bewilligt. Das Umlageverfahren festgelegt." (a.a.O., S. 48) Stadtler gibt von der Verwendung dieser 500 Millionen Mark die folgende Darstellung (S. 49): „Der sogenannte .Antibolschewistenfonds' floß nun durch alle möglichen Kanäle in die Anfang Januar 1919 einsetzende gewaltige antibolschewistische Bewegung: , Generalsekretariat zum Studium und zur Bekämpfung des Bolschewismus', ,Antibolschewistische Liga', .Vereinigung zur Bekämpfung des Bolschewismus', ,Bürgerratsbewegung', .Werbebüros für die Freikorps', .Selbstschutzorganisationen', ,Studentenarbeitsstellen'. Bis in die Kassen der aktiven Truppen, ja bis in die Kassen der sozialdemokratischen Partei hinein! Sofern die betreffende Gruppe .antibolschewistisch' wirken wollte, mit welchen Mitteln auch immer, durfte sie auf Unterstützung aus dem Fonds rechnen." 71 Zum Nationalen Klub 1919 e.V. vgl. den Artikel „Nationalklub 1919-1943" von Gerhard Feldbauer in Handbuch bürgerliche Parteien, a.a.O., Bd. II, S. 341 ff., zu Oskar v. Hutier s. Thoss, a.a.O., S. 66. 72 Diese Übereinstimmung bricht nach dem Scheitern des Kapp-Putsches über den im folgenden zur Sprache gebrachten Inkompatibilitäten von „blau-weißer" und „schwarz-weiß-roter" Reichs- und Europakonzeption trotz anhaltender Gemeinsamkeit im Willen zum Republiksturz im Verlaufe der Jahre 1921 und insbesondere 1922 wieder auseinander, was eine der Ursachen des Mißlingens des Münchener Putschs vom November 1923 ist. Die ausführlichste Darstellung dieses Prozesses in seinen einzelnen Etappen und verschränkten Zusammenhängen s. bei Thoss, a.a.O., neuerdings auch Kurt Gossweiler, Kapital, Reichswehr und N S D A P 1919-1924, Berlin sowie Köln 1982. 73 Vgl. Anmerkung 20 zu Kapitel I. Der Germanenorden hatte sich nach Angaben Rudolf v. Sebottendorffs im Jahre 1916 in einen von Hermann Pohl (Magdeburg) unter dem Namen „Walvater" und einen von Philipp Stauff (Großlichterfelde bei Berlin), dem Vorsitzenden des „Guido-vonList-Bundes", als jeweilige „Ordenskanzler" geführten Zweig gespalten. S. Rudolf von Sebottenderff, Bevor Hitler kam. Urkundliches aus der Frühzeit der nationalsozialistischen Bewegung, München 1933, S. 238, 253 und 260. Zum Abriß der Entwicklungsgeschichte und zu den Programmpunkten des Germanenordens s. ebd. Kap. II und III (S. 31-42). Als Punkt 3 der Richtlinien des Ordens, den Sebottendorff „die erste antisemitische Loge" nennt, „einen Geheimbund, der bewußt als Geheimbund dem jüdischen Geheimbunde entgegentreten sollte", wird dort angeführt: „Die Prinzipien der Alldeutschen sollten auf die ganze germanische Rasse ausgedehnt werden; es sollte ein Zusammenschluß aller Völker germanischen Blutes angebahnt werden." Punkt 2 erhob die rassistische Anwendung des
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Sozialdarwinismus unter dem Stichwort „Propaganda der Rassenkunde" zum Programm des Ordens: „es sollten die Erfahrungen, die man im Tierund Pflanzenreiche gemacht hatte, auf den Menschen angewendet und es sollte gezeigt werden, wie die Grundursache aller Krankheit, alles Elends in der Rassenvermanschung liege." Als Punkt 4 gibt Sebottendorff an: „Der Kampf gegen alles Undeutsche, die Bekämpfung des Internationalen, des Judentums im Deutschen, sollte mit aller Energie vorwärts getrieben werden." (Ebd. S. 34) Angesichts der programmatischen Bezugnahme auf die „Prinzipien der Alldeutschen" und der Wiederkehr aller von Sebottendorff referierten Programmpunkte des Ordens auch im „Kaiserbuch" von Heinrich Claß alias Frymann (s. Kap. I) darf zwischen dessen Erscheinungsdatum und dem Gründungsjahr des Germanenordens (beide 1912) wohl ein Zusammenhang vermutet werden. 74 S.Joachim Petzold, Die Demagogie des Hitlerfaschismus. Die politische Funktion der Naziideologie auf dem Wege zur faschistischen Diktatur (im folgenden stets abgekürzt als Petzold, Demagogie . . .), Frankfurt/Main 1983, S. 50/51. Dieser „Freie Ausschuß für einen deutschen Arbeiterfrieden" war eine speziell in die Arbeiterschaft zielende Parallelgründung zu dem von Professor Dietrich Schäfer im Juli 1916 zum Zwecke zügellosester Annexions- und Siegfriedenspropaganda mit Unterstützung der führenden Repräsentanten sowohl der Chemieindustrie (Carl Duisberg) wie der Schwerindustrie und des Großgrundbesitzes ins Leben gerufenen „Unabhängigen Ausschuß für einen Deutschen Frieden" (auch „Schäfer-Ausschuß"; s.Karl-Heinz Schädlich, Der .Unabhängige Ausschuß für einen Deutschen Frieden', in: Politik im Krieg 1914-1918. Studien zur Politik der deutschen herrschenden Klassen im ersten Weltkrieg, Berlin 1964), der über Oberst Max Bauer unmittelbar mit der Obersten Heeresleitung zusammenarbeitete (s. Schädlich, a.a.O., S. 58). Aus dem Nachlaß Max Bauers geht lt. Petzold, a.a.O., S. 51 ein direkter Kontakt auch Wilhelm Wahls zur Obersten Heeresleitung hervor. Die Initiierung des Wahl'schen „Freien Ausschusses" durch den Germanenorden ergibt sich aus der von Dr. Paul Tafel, einem Führungsmitglied des Germanenordens, veranlaßten und angeleiteten Gründung des Drexler'schen „Freien Arbeiterausschusses für einen guten Frieden" im März 1918 als dessen „Münchener Ortsgruppe" . Zu Tafel s. Kurt Gossweiler, Kapital, Reichswehr und N S D A P 1919-1924 (im folgenden stets abgekürzt: Gossweiler, Kap./R. . . .), Köln 1982, S. 142, zum letzterwähnten s. Maser, S t u r m . . . , a.a.O., S. 142 (zum Drexler-Ausschuß insgesamt dort S. 142-146) 75 Maser, a.a.O., S. 142f. Maser folgt bei der Bezifferung der Mitgliederzahl des Wahl'schen Ausschusses, die er mit 290000 angibt und die auch hier übernommen ist, allerdings den nicht überprüfbaren Angaben Drexlers. 76 S. Sebottendorff, a.a.O., S. 40. 77 S. Kurt Gossweiler, Kap./R. . . . , a.a.O., S. 142. Zur Gesamtbiographie Sebottendorffs am ausführlichsten Werner Maser, Adolf Hitler. Biographie, München-Berlin 1978 (München und Esslingen 1971 1 ), S. 168f. 78 S. Sebottendorff, a.a.O., S. 169, sowie Maser, S t u r m . . a.a.O., S. 146 f. 79 1917 gibt Maser, ebd., an; 1913 hingegen Sebottendorff, a . a . O . , S. 258.
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Sebottendorff finanzierte seinen Angaben zufolge nach seiner Rückkehr nach Deutschland den „Göbel-Tank" (den von Friedrich Wilhelm Göbel erfundenen, angeblich ersten, von den deutschen Militärbehörden jedoch ignorierten Tank). S. ebd. sowie auch S. 239 (Göbel). Er betätigte sich insbesondere ab 1920, seit seinem fluchtartigen Verlassen Münchens im Juni 1919, als Verfasser einer Vielzahl astrologischer und okkultistischer Schriften und wurde zum Gründer zahlreicher rassistisch-astrologischer und spiritistischer Gesellschaften. 1933 aus der Türkei nach Deutschland zurückgekehrt, verließ er es 1934 bereits wieder und soll, Maser zufolge (Adolf Hitler, Biographie, a.a.O., S. 169), während des zweiten Weltkrieges V-Mann in Istanbul gewesen sein und sich dort Baron genannt haben. Widersprüchlichen Aussagen zufolge soll er sich im Mai 1945 entweder ins Meer gestürzt haben oder umgebracht worden sein (s. ebd.). 80 S. Maser, Sturm. . ., a.a.O., S. 146. 81 S. Sebottendorff, a.a.O., S. 52 82 S. z. B. die Abbildung eines Briefkopfes der Thüle-Gesellschaft aus dem Jahre 1918 bei Sebottendorff, a.a.O., S. 201 83 S. Sebottendorff, a.a.O., S. 52 84 S. Sebottendorff, a.a.O., S. 43/44; zum Erwerb der Zeitung und zu den Besitzanteilen an ihr ausführlich das Kapitel „Werdegang des Völkischen Beobachters" ebd. S. 191-196. Zur Datierung (1. Juli 1918) s. dort S. 192. Sebottendorffs Darstellung zufolge wurde der Münchener Beobachter der Witwe und Alleinerbin des verstorbenen Franz Eher von Fräulein Käthe Bierbaumer, einer „Schwester des Germanenordens" (a.a.O., S. 44), abgekauft und war damit vollständig in dessen Besitz übergegangen. 85 S. Sebottendorff, a.a.O., S. 44. 86 Ebd., S. 193. 87 S. das noch heute im Münchener Hotel „Vier Jahreszeiten" in dessen Vordertrakt zur Maximilianstraße hin sich befindende „Restaurant Walterspiel". Die Gastgeberrolle der Hoteliers Walterspiel (die Familie Walterspiel verfügt über einen Hotel- und über einen Richtung Rechberg weisenden Kaliarm) für Thüle-Gesellschaft und NS-Bewegung hielt auch über das Jahr 1933 hin an: „Durch Entgegenkommen der Brüder Walterspiel, der Besitzer des H o t e l , Vier Jahreszeiten', wurden Sebottendorff für die Thüle die alten historischen Räume wieder zugeteilt und so konnte am 9. September 1933 das 15jährige Stiftungsfest gefeiert werden. . . . an jedem Samstagabend versammeln sich die Thule-Leute nun wieder an der historischen Stätte ihres Wirkens, in den .Vier Jahreszeiten'" (Sebottendorff, a.a.O., S. 199/200); Hitler betrat die Thüle-eigenen Räume im Hotel erstmals im Sommer 1919 („Wenige Wochen nach Sebottendorffs Weggang betrat Hitler die Räume der Thüle. . . " , Sebottendorff S. 167); das „Vier Jahreszeiten" wurde nach seinem Umzug in die Berliner Reichskanzlei zu seiner Adresse bei Aufenthalten in München und zum jährlichen Treffort der NSFührungsprominenz mit den Teilnehmern des „Marschs auf die Feldherrenhalle" jeweils am 9. November („Tag der Bewegung"); so wurde Hitler z. B. die Vollzugsmeldung von der Auslösung der Synagogen-Brandstiftungen in der Nacht vom 8. zum 9. November 1938 („Reichskristallnacht") ins Hotel „Vier Jahreszeiten" übermittelt; zur Rolle des Hotels in den Monaten der Novemberrevolution und Münchener Räterepublik s. Maser,
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S t u r m . . . , a.a.O., S. 147 bzw. - da wörtlich von dort übernommen Sebottendorff, a.a.O., S. 62. Die heutigen, jüngeren Hoteliers Walterspiel, Karl Theodor Walterspiel (Geschäftsführer des Atlantic-Hotel Kempinski Hamburg und der Hotel Vier Jahreszeiten GmbH/München sowie Vorstandsmitglied der Kempinski AG/Westberlin) und Dr. Georg Walterspiel (Hotelier, München) haben auf das heute zu je gleichen Anteilen der Kempinski A G , der Lufthansa Commercial Holding GmbH (Köln), der Inter-Continental Hotels Corporation/New York und zu geringeren Anteilen der Süddeutschen Industne-Beteiligungs GmbH (Dresdner Bank) und der Atlas-Vermögensverwaltungs-Gesellschaft mbH (Commerzbank) gehörende, unverändert erstrangig repräsentative, stets wie eine Staatsresidenz geflaggte Hotel in der Münchner Maximilianstraße 17 auch weiterhin familiären Einfluß. Das Hotel fiel kürzlich auf, als ihm im Nachspann zum nostalgischen „Lili-Marleen"-Film der Ufa-Gesellschaft Tobis für Unterstützung gedankt wurde. 88 S. Sebottendorff, a.a.O., S. 43. 89 S. Sebottendorff, a.a.O, S. 51 („Die Schnftleitung befand sich offiziell in der Pfarrstraße 5, tatsächlich aber in den , Vier Jahreszeiten'"). 90 Sebottendorff, a.a.O., S. 62. Im Personen- und Sachregister des Sebottendorffschen Buchs wird Lehmann dann nur als „Vorkämpfer für Deutschlands Erneuerung" bezeichnet (s. S. 247), nicht aber, wie andere, als Thüle-Mitglied ausgewiesen. Seine S. 62/63 beschriebene Rolle als desjenigen in der Thüle-Gesellschaft, der „immer und immer wieder mit neuen Gedanken und Plänen kam", läßt jedoch an seiner Mitgliedschaft keinen Zweifel. 91 S. Gossweiler, K a p . / R . . . ..a.a.O., S. 215ff. Sebottendorff gibt S. 233 an: „1908 selbständige Unternehmertätigkeit im In- und Ausland". Nach Gossweiler, a.a.O., sprach Gottfried Feder selbst in Bezug auf diese Zeit „von ,weit ausgreifender Unternehmertätigkeit im In- und Ausland", vor allem in Bulgarien, und nannte als Produktionsgebiete den Flugzeughallenbau und die Konstruktion eines Eisenbetonschiffes für den Donauschiffsverkehr." Gossweiler fügt hinzu: „Aber offensichtlich blieb ihm als Unternehmer und Erfinder ein durchschlagender Erfolg versagt." Maser, S t u r m . . . a.a.O., S. 186, spricht von „einer leitenden Stellung in der Industrie", in der Feder „vor dem Kriege" tätig gewesen sei. Im November 1918 überreichte Feder der Eisner-Regierung eine „finanzpolitische Denkschrift" (Maser S. 186, Gossweiler S. 215), die dort unbeachtet blieb und deren Inhalt er 1919 in den beiden, in demagogisches Rot gebundenen Broschüren „Das Manifest zur Brechung der Zinsknechtschaft des Geldes" (An Alle, Alle! 1), Diessen vor München 1919, und „Der Staatsbankrott. Die Rettung" (An Alle, Alle! 2), ebd. 1919, in agitatorischer Zusammenfassung veröffentlichte (zu ihrem demagogischen sowie zugleich quacksalberischen Gehalt vgl. Petzold, D e m a g o g i e . . . , insbes. S. 73 ff. und Gossweiler, Kap./R. . . . S. 216ff.). Feder gründete 1919 den „Kampfbund zur Brechung der Zinsknechtschaft" (s. Gossweiler, a.a.O., S. 216, nach Georg FranzWilling, Die Hitlerbewegung. Der Ursprung 1919-1922, Hamburg/Berlin 1962, S. 129), war Kursleiter auf den vom Reichswehrgruppenkommando IV, Abt. Ib/P (Hauptmann Karl Mayr) organisierten „Aufklärungskursen" für Reichswehr-Angehörige (s. das bei Ernst Deuerlein, Hitlers Eintritt in
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die Politik und die Reichswehr, in: Vierteljahreshefte für Zeitgeschichte, 7. Jg., Heft 2/1959, im Anhang S. 191 ff. publizierte Programm der Aufklärungskurse) und publizierte damals als „Finanz-Fachmann" in den „Süddeutschen Monatsheften" (Maser, a.a.O., S. 134). 92 S. Sebottendorff, a.a.O., S. 62. 93 S. Sebottendorff, a.a.O., S. 241. Nach Dietrich Bronder, Bevor Hitler kam, Hannover 1964, S. 139, soll auch Karl Haushofer selbst der ThüleGesellschaft als führendes Mitglied angehört haben, doch auf Bronders oft höchst zweifelhafte Aussagen kann auf Grund des dubiosen Gesamtcharakters seines aus einer bloßen innerfaschistischen Rivalitätsperspektive verfaßten Buches wenig gegeben werden. Der Begründer der ausschließlich dem Zwecke der Rechtfertigung imperialistischer Expansionspolitik und Expansionskriege dienenden organizistischen PseudoWissenschaft „Geopolitik" war übrigens schon vor Haushofer, ihrem prominentesten Wortführer in den zwanziger Jahren und dann im Faschismus, der sozialdarwinistisch orientierte und dem Alldeutschen Verband angehörende Münchener (und später dann Leipziger) Geographieprofessor Friedrich Ratzel (1844-1904), der als erster die Staaten zu biologischen Organismen erklärte, die ein „natürliches Lebensrecht" auf „Wachstum", nämlich räumliche Ausdehnung, hätten und der daraus ableitete, daß ihr angebliches quasi-biologisches „Grundgesetz des räumlichen Wachstums" die oberste Bestimmungskonstante aller äußeren und inneren Politik und die höchste regulative Maxime der Staatsraison zu sein habe - , wie sich das dann, über HaushoferHess an Hitler vermittelt, in allen späteren Hitler-Reden wiederfand. Ein Schüler Ratzels war der Schwede Rudolf Kjellen, der den Namen „Geopolitik" prägte und sich im ersten Weltkrieg zum eiferndsten ausländischen Fürsprecher der Kriegsziele des deutschen Imperialismus machte, daher von ihm entsprechend gefeiert und unermüdlich zitiert wurde und bis heute m expansionistischen Rechtskreisen eine beliebte theoretische Berufungsadresse geblieben ist. Die Haushofer-Rehabilitation wird heute von den Kreisen des „Neokonservatismus" um Caspar v. Schrenck-Notzing, die Zeitschrift „criticón" und Armin Möhler („Thule-Seminar", s. Kap. VI dieses Buches) betrieben (vgl. z.B. Armin Möhlers Portrait und Bibliographie von Karl Haushofer in „criticón", Konservative Zeitschrift, Nr. 56, November/Dezember 1979, S. 260-263); die Renaissance der „Geopolitik" in der offiziellen Sprache der Politiker und eines großen Teils der Medien („Lebensadern", „natürliche" Einflußzonen und „Lebensräume", „geopolitischen Gesichtspunkten" widersprechende, daher „widernatürliche" Grenzverläufe, das unentrinnbare „geopolitische Gesetz" der Völker der europäischen „Mittellage" usw. usf.) ist z.Zt. von den USA bis zur Bundesrepublik auf breitester Front in vollem Gange. - Heß, in Alexandria/Ägypten geborener Sohn eines Großkaufmanns, gehörte zur Zeit seines Münchener Studiums bei Haushofer dem spiritistisch-parapsychologischen Kreis um Professor Albert Frhr. v. Schrenck-Notzing an (s.von diesem z.B.: Materialisations-Phänomene. Ein Beitrag zur Erforschung der mediumistischen Telepathie, 2 Bde., München 1914—1923; Die Phänomene des Mediums Linda Gazerra, Leipzig 1917; Experimentelle Untersuchungen auf dem Gebiete des räumlichen Hellsehens, München 1919, usw.), der mit Gabriele Siegle, der Tochter des BASF-Mitbegründers Dr. Gustav
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v. Siegle, verheiratet war und dessen Familie, wie die Siegles, sowohl über maßgeblichen Einfluß in der zu Rheinmetall (Röchling) gehörenden Württembergischen Metallwarenfabrik (WMF) verfügt wie auch bis heute mit der BASF verbunden ist (so war Leopold v.Schrenck-Notzing z.B. noch 1967 Aufsichtsratsmitglied der BASF). Zu Haushofer vgl. das außerordentlich umfangreiche Material bei Hans-Adolf Jacobson, Karl Haushofer. Leben und Werk, 2 Bde., Boppard 1979, zu Haushofers Freundschaft mit Heß dort ausführlich Bd. I, S. 224 ff. sowie die in Bd. II dokumentierte Korrespondenz, zur Thule-Aktivität von Heß und Haushofers vollständiger Identifikation mit ihr ebd. Bd. I, S. 231/232. - S. auch Anm. 394 94 Vgl. Manfred Asendorf, Nationalsozialismus und Kapitalstrategie, in: 1933 - Wege zur Diktatur, a.a.O., S. 131. Auch ihn verkleinert Sebottendorff allerdings a.a.O., S. 230, zu einem „Gast der Thüle". Vgl. dazu jedoch des näheren ebd., S. 77ff. 95 S. Asendorf, a.a.O., S. 126, sowie Gossweiler S. 141/142 und 147. 96 S. Maser, Sturm.. ., a.a.O., S. 148ff. bzw. Franz-Willing, Die Hitlerbewegung, a.a.O., S. 30 97 S. Maser, S t u r m . . . , a.a.O., S. 87 und S. 149 98 S. Sebottendorff, a.a.O., S. 77 und S. 255, wo sich Rosenberg ebenfalls zu nur einem „Gast der Thüle im Frühjahr 1919" heruntergestuft findet (vgl. Anm. 25 und Anm. 22), s. zu seiner Thüle-Mitgliedschaft jedoch Maser, Sturm . . . , a.a.O., S. 182 99 S. Sebottendorff, a.a.O., S. 239 100 S. Sebottendorff, a.a.O., S. 234 101 S. Sebottendorff, a.a.O., S. 164, dgl. 261 und das im Anschluß an Sebottendorffs „Widmung" vor Beginn der Seltenzählung des Bandes wiedergegebene „Gedenkblatt" 102 S. Sebottendorff, a.a.O., S. 251 103 S. Sebottendorff, a.a.O., S. 263 104 S. Sebottendorff, a.a.O., S. 227 105 S. Sebottendorff, a.a.O., S. 35 sowie „Gedenkblatt" (vgl. Anm. 101) 106 S. Sebottendorff, a.a.O., S. 249 107 S. Sebottendorff, a.a.O., S. 234 108 S. Sebottendorff, a.a.O., S. 164 sowie 258 und „Gedenkblatt" 109 S. Sebottendorff, a.a.O., S. 249 110 S. Sebottendorff, a.a.O., S. 254 111 S. Sebottendorff, a.a.O., S. 163 sowie 263 und „Gedenkblatt". - Die mit Generalleutnant Ernst v. Oven („Freiwilligenregiment Oven", s. im folgenden oben im Text sowie Anm. 170) verwandte Gräfin Heila v. Westarp war die Sekretärin der Thüle-Gesellschaft nicht im Sinne etwa einer Bürokraft, sie war vielmehr die politische Sekretärin der Gesellschaft und als solche eine ihrer tatsächlich führenden Schlüsselfiguren mit größerem Einfluß in ihr als viele ihrer anderen oben genannten adligen Mitglieder (mündliche Auskunft von Hermann Gilbhard, von dessen demnächst erscheinender Arbeit „Ideologie und Wirklichkeit der ,Thüle Gesellschaft'", angekündigt als Heft 76 der Miscellanea Bavarica Monacensia. Neue Schriftenreihe des Stadtarchivs München, mannigfachste neue, genauere Aufschlüsse über die Thüle-Gesellschaft zu erwarten sind). - Eine große Zahl weiterer Thüle-Mitglieder ist im Personen- und Sachregister von
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Sebottendorffs BucK, a.a.O., S. 221-267 zu finden, wobei jedoch darauf hingewiesen werden muß, daß die dortigen Angaben weder vollständig noch auch in einer Reihe von Fällen zuverlässig sind. Es handelt sich hier vielmehr um ein durchaus auf die Empfindlichkeiten der zur Macht gelangten Nazi-Führer Rücksicht nehmendes und entsprechend retouchiertes Register. Man wird also mit einiger Sicherheit - gemäß der Logik solch opportunistischer Rücksichtnahmen - nur davon ausgehen können, daß diejenigen, die dort als Thüle-Mitglieder ausdrücklich hervorgehoben sind, dies dann wohl auch wirklich waren, in vielen Fällen jedoch Gründe bestanden, die Herausforderung, die das Buch schon insgesamt an den von der Naziführung aufgebauten Onginäritätsmythos um Hitler darstellte, durch schonendes Verschweigen oder Herunterspielen einer Mitgliedschaft, deren Bekanntwerden den Naziführern als besonders inopportun gelten mußte, abzumildern. (Solche zu vermutenden Rücksichtnahmen haben freilich, wenn sie genommen wurden, nicht viel genutzt. Sebottendorffs Buch wurde 1934 verboten.) 112 Vgl. Maser, S t u r m . . . , a.a.O., S. 145 113 S. Maser, ebd., S. 142-146. Der Gründungsaufruf, der mit den Worten schließt: „Für den Endsieg bürgen uns dann Hindenburg-Ludendorff und unsere glorreiche Armee", ist im vollen Wortlaut ebd., S. 143f., wiedergegeben. 114 S. Sebottendorff, a.a.O., S. 52 115 Ebd., S. 53 116 S. Sebottendorff, S. 62/63 117 Sebottendorff bestreitet diese Mordbeschlüsse in seinem Buch begreiflicherweise aufs heftigste, indem er von ihrem ersten Ausführungsversuch, den Vorgängen in Bad Aibling am 4. Dezember 1918, die Darstellung gibt (a.a.O., S. 64ff.), es sei nur geplant gewesen, Eisner „gefangenzunehmen", um an seiner Stelle den mit ihm als Redner angekündigten Auer zum „Präsidenten" auszurufen (S. 65), und sich vom späteren Eisner-Mörder Graf Anton Arco auf Valley mit etwas zu demonstrativer Pose dadurch absetzt, daß er ihn als einen „JücHing" tituliert (a.a.O., S. 233), der „von der Mutter h e r . . . Judenblut in den Adern" gehabt habe und schon deshalb was er immerhin ausdrücklich zu betonen für notwendig hält - „weder von der Thüle Gesellschaft noch vom Kampfbund aufgenommen worden" sei (ebd., S. 82). Doch allein schon die aus Sebottendorffs eigener Beschreibung der Bad Aiblinger Aktion genügend deutlich hervorgehende Initiativrolle der Thüle-Gesellschaft bei der Jagd auf Eisner und das bei dieser Gelegenheit von Sebottendorff angedeutete Zusammenspiel mit Auer (dem Führer der bayerischen Sozialdemokraten) - eines der dubiosesten Kapitel jener Monate (vgl. Anm. 127) - dürften ebenso wie die spätere Beteiligung des Thüle-Kampfbunds bzw. Freikorps Oberland an den vom EhrhardtLeutnant Manfred Killinger organiserten Mordkommandos gegen republikanische Politiker („Organisation Consul") außer Zweifel setzen, daß Werner Masers Feststellung zutrifft, der Plan zu Eisners Ermordung sei in der Thüle-Gesellschaft geschmiedet worden (s. Maser, S t u r m . . . , a.a.O., S. 25). Der den Rechtskräften einen schweren Rückschlag zufügende, zur Volksempörung über sie und zur Ausrufung der Räterepublik in Bayern führende Eisner-Mord, dessen Wirkung Hitler bereits bei der Niederschrift
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von „Mein Kampf" veranlaßt hatte, Einzelattentate auf die „Verderber unserer Heimat" als „Unsinn" zu verurteilen (mit dem vertröstenden Zusatz, daß erst nach dem vollständigen Siege der Bewegung im Staat „einst ein deutscher Nationalgerichtshof etliche Zehntausend der organisierenden und damit verantwortlichen Verbrecher des Novemberverrats und alles dessen, was dazugehört, abzuurteilen und hinzurichten hat", s. Mein Kampf, Bd. II., S. 608-611), - der Eisner-Mord also ließ es auch nach dem 30. Januar 1933 nicht geraten erscheinen, sich seiner zu rühmen. 118 Zu Sebottendorffs führender Rolle beim Bad Aiblinger Attentatsversuch vgl. Sebottendorffs eigene Darstellung, a.a.O., S. 65, wo es wörtlich heißt: „Sebottendorff hatte es übernommen,. . . Eisner gefangen zu nehmen", sowie auch obenstehende Anm. 117. Bad Aibling war der Wohnort sowohl Sebottendorffs als auch der formellen Eigentümerin des „Münchener Beobachter", der „Germanenordens-Schwester" Fräulein Käthe Bierbaumer. Der nach Sebottendorffs Darstellung Eisners angekündigten Auftritt auf einer Versammlung im Bad Aiblinger Kurhaus mitteilende und Sebottendorff - wohl nicht ganz glaubwürdigerweise - den Plan seiner Entführung bei diesem Anlaß erst am selben Tage bei dessen zufälliger eigener Ankunft am Bahnhof unterbreitende Sohn des Besitzers des Bad Aiblinger Theresienbades, Leutnant Hermann Sedlmeier (s. a.a.O., S. 64), war Mitglied sowohl der Thüle-Gesellschaft wie auch des Thule-Kampfbunds (s. ebd., S. 258). - Sebottendorffs vehementes, antisemitisch begründetes Dementi einer Thüle-Mitgliedschaft des Grafen Arco (s. Anm. 117) schließt dessen Verkehr in der Thüle-Gesellschaft auffallenderweise nicht aus, legt ihn vielmehr sogar nahe, wenn es heißt, er „war daher (nämlich seines nicht „rein" arischen Blutes wegen, das satzungsmäßige Bedingung der Thüle-Mitgliedschaft war, vgl. Sebottendorff S. 42) weder von der Thüle-Gesellschaft noch vom Kampfbunde aufgenommen worden" - eine Bemerkung, die sich bei jemandem, der etwa nie m ihre Nähe gekofnmen war, wohl erübrigt hätte oder jedenfalls dann nicht so formuliert worden wäre, zumal wenn ihm im Anschluß hieran als Tatmotiv dann noch ein politische Affinität voraussetzender - Bewährungsehrgeiz oder eine Art Mutproben-Bewerbung um Gleichwertigkeits-Anerkennung mit dem Satz attestiert wird, er „wollte zeigen, daß auch ein Halbjude eine Tat ausführen könne" (a.a.O., S. 82). Zu Arco-Valleys Gastrolle in der Thule-Gesellschaft - die gerade wegen seiner formellen Nichtmitgliedschaft seine besondere Eignung zur Tatausführung nahelegt - vgl. demnächst Hermann Gilbhard, Ideologie und Wirklichkeit der Thüle-Gesellschaft (s. Anm. 111). Arcos Mord an Eisner tangierte das Sicherheitsgefühl der Thüle-Gesellschaft immerhin so, daß sie sich zu der Vorsichtsmaßnahme veranlaßt sah, die für den folgenden Tag fällige Ausgabe des „Münchener Beobachter" nicht erscheinen zu lassen, „um nicht Öl in das Feuer zu gießen" (Sebottendorff, a.a.O., S. 84). 119 S. Sebottendorff, a.a.O., S. 74, sowie dann S. 171 ff. 120 Ebd., S. 171 und 182, wo Sebottendorff in Bezug auf diesen Aufruf und Parteigründungsauftrag ausdrücklich von „Richtlinien der Großloge" spricht. 121 Sebottendorff, ebd., S. 172 sowie 181/182. Der in Sebottendorffs Buch mehr als 10 Druckseiten umfassende Aufruf ist dort im vollen Wortlaut
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(S. 171-182) wiedergegeben. Er gelangte erstmals zum Druck in den nur geweihten Ordensmitgliedern zugehenden „Allgemeinen Ordensnachrichten" des Germanenordens Nr. 15, Jg. 1918/19 (in der Sektensprache des Ordens datiert mit „Julmond des Einbulwinters 1918/19; zur Eingrenzung des Bezieherkreises der „Allgemeinen Ordensnachrichten" auf die geweihten Logenmitglieder - im Unterschied zu den „Freundschaftsgraden", die in München mit den „Runen" versorgt wurden - vgl. die von Sebottendorff, a.a.O., S. 40 für die Thüle Gesellschaft beschriebene Praxis). Der Aufruf ist durchgängig ein geradezu klassisches Dokument des völkischen Demagogieschemas in seiner im vorigen Kapitel dargestellten alldeutschClaß'schen Zuspitzung, er insistiert, wie es bei ihr der Fall ist, ausdrücklich auf der rassistischen Begründung des Antisemitismus und verdient als gemeinsames allgemeines Vor-Programm von DSP und N S D A P weit mehr Beachtung, als sie ihm bislang m der Literatur gewidmet wurde. Zur Illustration der Claß-Analogien (Kaiser-Buch) hier nur folgende Beispiele: Aus Programmpunkt 10: „Im Hinblick darauf, daß unsere Presse zu 9 0 % in jüdisch-kapitalistischen Händen, zum Großteil von Juden geleitet wird und abhängig ist von jüdischen Großanzeigern, ist eine grundlegende Änderung notwendig. . . . Wir fordern: Deutsche Zeitung darf sich nur ein Unternehmen nennen, das deutsch ist und deren Leiter Deutsche sind. Zeitungen, wo diese Voraussetzungen nicht zutreffen, sind als jüdische am Kopf der Zeitung zu bezeichnen." Aus Programmpunkt 11: „Grundlegende Änderung m der Stellung der Deutschen zum Juden. . . . Die heutige staatsbürgerliche Gleichberechtigung gründet sich auf die irrtümliche Auffassung, daß es sich bei dieser Frage um die Verschiedenheit der Religion handle. Forschung und bewiesene Tatsachen lassen heute keinen Zweifel mehr, daß die Judenfrage eine Rassenfrage ist, die mit religiösem Bekenntnisse nichts zu tun hat. Es handelt sich um die Frage: Wollen wir deutsche Volksgenossen uns in Zukunft weiter politisch, wirtschaftlich und geistig von einer verschwindenden Minderheit eines rassefremden Volkes, das sich bewußt als solches fühlt, und sich durch Gesetz und Religion, die bei den Juden zusammenfließen, geflissentlich blutrein und abseits hält, beherrschen lassen? Es ist dies eine Angelegenheit unserer Ehre, um so mehr, als es für den einfachsten Mann heute ersichtlich ist, daß die angeborene Herrschsucht und Raffgier des Juden auf jedes Volk zerstörend w i r k t . . . . Zum jüdischen Volke zählen Getaufte und Mischlinge." Und Programmpunkt 12: „Schutz dem Deutschen Arbeiter gegen ausländische Arbeitskräfte, die die Löhne und Lebenshaltung des deutschen Arbeiters herabdrücken." (a.a.O., S. 179/180). 122 Vgl. Maser, Sturm. . . , a.a.O., S. 227, sowie Gossweiler, Kap./R. . . . , a.a.O., S. 150 123 Zur Gesamtzahl der in der Thüle-Gesellschaft gebildeten „Ringe" („Ring für nordische Kultur", geleitet von Walter Nauhaus; „Ring" für Wappenkunde und Familienforschung, geleitet von Anton Daumenlang; „Ring" für altes Deutsches Recht, geleitet von Johannes Hering, später von Hans Frank) s. Sebottendorff, a.a.O., S. 73, sowie, inhaltlich gleichlautend, Maser, S t u r m . . . , a.a.O., S. 147. 124 S. Sebottendorff, a.a.O., S. 73, Maser, Sturm. . . , a.a.O., S. 148, sowie Gossweiler, K a p . / R . . . ., a.a.O., S. 146/147
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125 S. Sebottendorff, a.a.O., S. 73 126 S.Maser, S t u r m . . . , a.a.O., S. 148, sowie Gossweiler, Kap./R a.a.O., S. 147 127 Maser, ebd., S. 148. Gossweiler, a.a.O., S. 147 datiert „noch im Oktober oder November 1918"; hier auch Näheres zur Charakterisierung Lotters, der zugleich für Erhard Auer arbeitete und möglicherweise ein Kettenglied für die Aufhellung des Zusammenhanges zwischen der ThüleGesellschaft und Arco-Valley (s. Anm. 117) darstellen könnte. 128 S. Maser, ebd. 129 Maser, ebd., S. 149, sowie Gossweiler, a.a.O., S. 147 130 Vgl. Maser, a.a.O., S. 148, sowie Gossweiler, a.a.O., S. 147. Die Mitglieder mußten sich laut § 3 der Satzung, wie Maser berichtet, zur Geheimhaltung des Orts und der Zeit ihrer Zusammenkünfte gegenüber Außenstehenden verpflichten. 131 Vgl. Sebottendorff, a.a.O., S. 73, Georg Franz-Willing, Die Hitlerbewegung, a.a.O., S. 64, sowie Gossweiler, K a p . / R . . . . , a.a.O., S. 147/148. 132 Vgl. die von Maser, Sturm. . . , a.a.O., S. 149 wiedergegebene Themenliste der Vorträge Harrers im „Politischen Arbeiterzirkel". 133 S. Sebottendorff, a.a.O., S. 182, wo Sebottendorff, von sich selbst in der dritten Person sprechend, berichtet: „Die Richtlinien der Großloge wurden bald nach der Rückkehr Sebottendorffs mit Harrer diskutiert. Harrer war dagegen, die Bewegung als Partei zu bezeichnen. Er meinte, man werde damit zu sehr die Aufmerksamkeit der Gegner auf sich ziehen, einen Arbeiterverein werde man weniger beachten." Harrer gründete gleichwohl wenige Tage später gemeinsam mit Drexler die D A P als Partei. 134 Sebottendorff ebd.: „Harrer führte den Arbeiterverein weiter und verlegte den Sitz des Vereins nach der Herrnstraße." 135 S. Maser, Sturm . . ., a.a.O., S. 148. Während ihm zufolge Harrer nur Mitglied des „Arbeitsausschusses" der D A P war, war er nach Reginald H. Phelps, Before Hitler came: Thüle Society and German Orden, in: Journal of modern History, Jg. 1963, S. 257, deren „Reichsvorsitzender" und Drexler der Vorsitzende nur ihrer Münchener Ortsgruppe, was auch Gossweiler, der hierauf, a.a.O., S. 151, Anm. 29, hinweist, angesichts der Rede Hitlers in „Mein Kampf" (Bd. I, S. 390/391) von Harrer als „dem damaligen ersten Vorsitzenden der Partei" und seiner Kennzeichnung Drexlers als „damals Vorsitzender der Ortsgruppe München" für wahrscheinlicher ansieht. Vgl. hierzu des weiteren z. B. auch „Mein Kampf", Bd. I, S. 240, wo Hitler wörtlich schreibt: „Der Vorsitzende der ,Reichsorganisation' war ein Herr Harrer, der von München Anton Drexler." Auch der von Ernst Deuerlein in seiner Dokumentation „Hitlers Eintritt in die Politik und Reichswehr", a.a.O., S. 205ff. als Dokument 14 veröffentlichte V-Mann-Bericht über eine DAP-Versammlung am 13. November 1919 im Eberlbräukeller, in dem es heißt „Der Vorsitzende, Herr Karl Harrer,. . . eröffnet die Versammlung", spricht für die Version von Phelps. 136 S. Sebottendorff, a.a.O., S. 81 137 Ebd. sowie Maser, S t u r m . . . , a.a.O., S. 148/149, und Gossweiler, a.a.O., S. 151 138 S.Maser, a.a.O., S . 2 2 8 139 Zur Entstehung der DSP unter dem Patronat des Germanenordens und
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namentlich auch Sebottendorffs s. u.a. Gossweiler, a.a.O., S. 149f., und Maser, a.a.O., S. 227ti. 140 S. Sebottendorff, a.a.O., S. 171 141 S. ebd., S. 182/183 142 Der Bäcker Max Sesselmann war im März 1919 von Sebottendorff, da er, seinen eigenen Worten zufolge, „einen redegewandten Arbeiter für die Bewegung suchte", zur Mitarbeit am Münchener Beobachter „herangezogen" worden (s. Sebottendorff, a.a.O., S. 192). Er rückte im Juli 1919, als Sebottendorff wegen drohender Aufdeckung von Hochstapeleien und Unterschlagungen (vgl. Sebottendorff S. 167ff.), doch vermutlich auch, um sich einer die Legende vom „Geiselmord" in Gefahr bringenden Vernehmung im bevorstehenden Münchener „Geiselmordprozeß" zu entziehen, fluchtartig München verlassen hatte, zu Sebottendorffs Nachfolger als verantwortlicher Redakteur des „Münchener Beobachter" und zum Mitglied der Verlagsleitung auf (ebd., S. 192-194) und übernahm später für einige Jahre auch die Führung der Thüle-Gesellschaft (ebd., S. 197/198). 143 Vgl. Sebottendorff, a.a.O., S. 183 und S. 263, sowie Maser, Sturm . . ., a.a.O., S. 228 144 S. Sebottendorff S. 183, 192 und 251 145 Vgl. Maser, S t u r m . . . , a.a.O., S. 228 146 Vgl. Sebottendorff S. 182/183 und S. 193 147 S. u.a. Maser, S t u r m . . . , a.a.O., S. 228. Die Gründung der DSP machte angesichts des schon im Verlaufe des Jahres 1920 immer sichtbarer werdenden Erfolges der am 20. Februar 1920 in „Nationalsozialistische Deutsche Arbeiterpartei ( N S D A P ) " umbenannten D A P bald ein Abkommen zwischen den beiden Parteien über die regionale Abgrenzung ihrer Tätigkeitsbereiche erforderlich, das im August 1920 auf der ersten gemeinsamen Tagung aller nationalsozialistischen Parteien der deutschsprachigen Länder in Salzburg zustandekam und der N S D A P das Gebiet südlich des Mains, der DSP das deutsche Reichsgebiet nordwärts der Mainlinie zuwies (vgl. ebd., S. 229). Sehr aufschlußreich ist die von Georg Franz-Willing mitgeteilte, bei Maser, a.a.O., S. 264, zitierte briefliche Äußerung eines maßgeblichen Münchener Mitglieds des Germanenordens zu der Frage, welche von dessen beiden eigenen Gründungen, die DSP oder die N S D A P , sich zugunsten der anderen werde auflösen und ihr anschließen müssen. Die Antwort, die der mit dem Namen „Dietrich" unterzeichnende Briefverfasser dem Anfrager, dem Leiter der DSP-Gruppe Kiel, erteilt, verweist auf den Erfolg („wer die größten Erfolge hat") als hierfür einzig ausschlaggebendes Kriterium und lehnt mit dieser Begründung jede „vorherige Einigung" ab, erklärt also die Fortsetzung der Konkurrenz zum Weg der Einigung bzw. plädiert für das Wegmodell Einigung durch den im Konkurrenzkampf sich erweisenden Überlegenen und Anschluß der Erfolgloseren an ihn (vgl. hierzu auch Hitlers spätere Ablehnung jedweder Fusion, programmatisch etwa im 8. Kapitel des zweiten Bandes von „Mein Kampf", überschrieben „Der Starke ist am mächtigsten allein", S. 568-578), wobei für den Verfasser das Erfolgskriterium freilich schon deutlich zugunsten der N S D A P spricht und er hieraus gegenüber seinem Briefpartner kaum einen Hehl macht. 148 S.Maser, S t u r m . . . , a.a.O., S. 229, und Gossweiler, Kap./R. . . .
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a.a.O., S. 170/171 149 Vgl. Mohrmann a.a.O., S. 102, und Petzold, D e m o g a g i e . . . , a.a.O., S. 94 f. (dort die Namen der Mitglieder des „J-Ausschusses"), dgl. insgesamt auch den Handbuch-Artikel „Deutschvölkischer Schutz- und Trutzbund" von Willi Krebs in: Handbuch bürgerliche Parteien, Bd. I, S. 774ff. 150 S. Mohrmann, a.a.O., S. 103 151 Ebd. - S. auch oben Anm. 2 152 S. Mohrmann, a.a.O., S. 103 f. Hinter der „Deutschen Gemeinschaft", der vor allem die Geldbeschaffung für „die Bewegung" oblag, stand ebenso wie hinter dem Deutschvölkischen Schutz- und Trutzbund (was seinen Sinn als Sammlungsorganisation ausmachte, allerdings auch die besonders starken Differenzen zwischen seinen einzelnen Mitgliedsgruppen erklärt) nicht nur das Kapital der alldeutschen Schwerindustriellen; dem Gründungsausschuß der „Deutschen Gemeinschaft" gehörte z . B . auch der Chemie-Großindustrielle Lucius, einer der Hauptaktionäre der Farbwerke Hoechst (vorm. Lucius & Brüning) an. S. Mohrmann, a.a.O., S. 104. Dort auch Hinweise auf weitere Hauptfinanziers. 153 S. Handbuch-Artikel von Willi Krebs, a.a.O., S. 775 154 Ebd., S. 776 155 Sebottendorff, a.a.O., S. 76 156 Die Leitung des Alldeutschen Verbandes hatte sich von der Gründung des „Deutschvölkischen Schutz- und Trutzbundes" ursprünglich eine in die Größenordnung von Millionen gehende Massenbewegung erhofft. Aufschlußreich hierfür ist ein von Mohrmann, a.a.O., S. 105, aus den Akten des Alldeutschen Verbandes zitierter Brief v. Gebsattels, der am 2. Januar 1919 im Blick auf die beabsichtigte, vom Geheimorden „Deutsche Gemeinschaft" zu steuernde Verbandsgründung an Heinrich Claß schrieb: „Gelingt die volle Durchführung, so würde der nur wenigen bekannte Mann an der Spitze eine Macht haben, wie sie wenige Monarchen je gehabt haben. Er ist auf Lebenszeit gedacht und hat das Recht und die Pflicht, seinen Nachfolger sofort zu ernennen. Gelingt die volle Durchführung, so würde er an der Spitze von mehr als 5 Millionen Männern stehen!" Für die Arbeiterdemagogie, deren sich der Deutschvölkische Schutz- und Trutzbund befleißigte, gibt Gossweiler, Kap./R , a.a.O., S. 84, Beispiele. Flugblätter des D S T B argumentierten etwa: „Wir Völkischen sind so wenig Kapitalisten wie die Arbeiter, also natürliche Bundesgenossen gegen das jüdische Großkapital." (Hitler wiederum argumentierte in einer Rede vor dem Deutschvölkischen Schutz- und Trutzbund: „Wir bekämpfen den Juden, weil er den Kampf gegen den Kapitalismus verhindert.", s. Eberhard Jäckel/Axel Kuhn [Hrsg.], Hitler. Sämtliche Aufzeichnungen 1905-1924, Stuttgart 1980, S. 101) S.bei Gossweiler, a.a.O., S. 74 ff. und insbesondere dann S. 91/92 vor allem auch die theoretisch höchst wichtigen allgemeinen Bemerkungen zum Zusammenhang von Faschismus und Massenbasisbedürfnis des aggressiv-imperialistischen Großkapitals sowie S. 93 ff. zum Zusammenhang des rassistisch begründeten Antisemitismus mit diesem Bedürfnis. 157 S. Petzold, Demagogie . . ., a.a.O., S. 95 158 Die Maschinenpistole, mit der die Rathenau-Mörder ihre Tat ausführten, hatte ihnen der Sekretär des Deutschvölkischen Schutz- und Trutzbun-
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des, Christian Ilsemann, besorgt, das Tatauto war ihnen von den Großindustriellen Johann und Franz Küchenmeister, Freiberg in Sachsen, Mitgliedern des Deutschvölkischen Schutz- und Trutzbundes, zur Verfügung gestellt worden. Der das Tatauto steuernde Student Ernst Werner Techow war Mitglied des Deutschvölkischen Schutz- und Trutzbundes und zugleich, wie die beiden Mordschützen Oberleutnant d. D . Erwin Kern und Hermann Fischer, der „Organisation Consul" und ehemaliger Angehöriger der Brigade Ehrhardt. Sein gleichfalls an der Tat beteiligter Bruder Hans Gerd Techow war ebenfalls Mitglied des Deutschvölkischen Schutzund Trutzbundes und zeitweise auch der O . C . (Organisation Consul). S. hierzu ausführlich Emil Julius Gumbel, Verschwörer. Zur Geschichte und Soziologie der deutschen nationalistischen Geheimbünde seit 1918, Wien 1924 (Reprint-Druck Heidelberg 1979 mit der Titel-Variierung „1918-1924"), S. 48ff. Hier vor allem auch, neben vielen anderen aufschlußreichen Angaben und Hinweisen, ein ausführliches Porträt der Brigade Ehrhardt und der Organisation Consul (S. 76ff.) sowie weiterer Mordorganisationen. 159 Zur Deutschvölkischen Freiheitspartei, die am 16. Dezember 1922 gegründet und bis 1928 von Albrecht von Graefe, danach (bis 1933) von Reinhold Wulle geleitet wurde, s. den gleichnamigen Handbuch-Artikel von Manfred Weißbecker in: Handbuch bürgerliche Parteien, a.a.O., Bd. I, S. 766ff., sowie Gumbel, a.a.O., S. 97ff. 160 S. Sebottendorff, a.a.O., S. 106/107. Die Spionagetätigkeit des von Leutnant Edgar Kraus geleiteten „Nachrichtendienstes" bezeugt Sebottendorff ebd. selbst, zur Attentatstätigkeit s. die Zusammensetzung der ab Herbst 1920 tätigen Organisation Consul (vgl. hierzu z . B . Thoss, a.a.O., S. 164), in die der aus dem Thule-Kampfbund hervorgehende Bund Oberland - ebenso wie das Freikorps Roßbach - von Anfang an mit eingebunden ist. 161 S. Maser, S t u r m . . . , a.a.O., S. 35 162 Sebottendorff, a.a.O., S. 108 163 Ebd., S. 111 ff. 164 Vgl. Maser, a.a.O., S . 3 6 165 S. ebd., S. 37 166 Ebd., S. 35 167 Eine solche Genehmigung erteilt sie z . B . am 17. April 1919 dem bayerischen Obergeometer Rudolf Kanzler, s. Maser ebd., S. 37. 168 Vgl. Sebottendorff, a.a.O., S. 115, 119f. und 125f. 169 Vgl. Sebottendorff, a.a.O, S. 125/126 170 Zu den Massakern s.Maser, a.a.O., S. 40f. Zu General v.Oven vgl. auch Anm. 111. 171 Erst „Anfang Mai 1919", also nach der Niederwerfung der Räterepublik, bemühte sich Anton Drexler um Redner für Parteiveranstaltungen und wandte sich zu diesem Zwecke - wie Petzold, Demagogie.. ., a . a . O . , S. 85, aus im Bundesarchiv Koblenz eingesehenen Rosenberg-Aufzeichnungen berichtet - an Dietrich Eckart und Alfred Rosenberg resp., womit sie identisch waren, an die Redaktion des antisemitischen Sudelblatts „Auf gut deutsch". 172 Zum Gründungsdatum des Reichswehrgruppenkommandos 4 vgl.
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u. a. Thoss, a . a . O . , S. 92; zum Reichswehrgruppenkommando 4 insgesamt und seiner Umwandlung im März 1920 in das Bayerische Wehrkreiskommando VII Gossweiler, a . a . O . , S. 108, Anm. 13, sowie insgesamt Deuerlein, a.a.O. Zur Reichswehr-Eingliederung des Freikorps Epp als Schützenbrigade 21 Gossweiler S. 110 sowie Röhm, a.a.O., S. 113, der als endgültiges Eingliederungsdatum den 24. 7.1919 angibt. 173 Vgl. Ernst Röhm, Die Geschichte eines Hochverräters, München 1934, S. 95/96, zu v. Hörauf (der in den dreißiger Jahren als Verbindungsmann zwischen dem Kronprinzen Wilhelm, Schleicher und dem StrasserFlügel der N S D A P fungierte, vgl. Franz v. Papen, Vom Scheitern einer Demokratie, Mainz 1968, S. 349, sowie Axel Schildt, Militärdiktatur ohne Massenbasis?, a.a.O., S. 315, Anm. 220) auch bereits S. 2 4 f . , 61 f. 174 Zur Kontaktnahme Röhms mit Lüttwitz (die Röhm freilich nur als eine rein dienstliche mit dem „Generalkommando v. Lüttwitz" in seiner Eigenschaft als Ausrüstungsoffizier des Freikorps Epp erwähnt) s. R ö h m , a . a . O . , S. 96/97. Thoss nennt Röhm, a . a . O . , S. 4, das altersmäßig jüngste Mitglied des Ludendorff-Kreises. 175 S. Röhm, a.a.O., S. 114/115. Weitere von Röhm wahrgenommene Funktionen führt Maser, a . a . O . , S. 189 auf. 176 S. Thoss S. 88-90, sowie Maser S. 189; vgl. auch Röhm S. 102f. 177 Maser ebd. Nach Thoss, a . a . O . , S. 91 war auch die Landespolizei von einer unter Major Seisser in der Stadtkommandantur zusammengezogenen Gruppe ehemaliger Generalstabsoffiziere aufgestellt worden. Zum Chef des „Sicherungsdienstes" wurde v. Oven (vgl. Anm. 111 und 170) ernannt, der im Thule-Hotel „Vier Jahreszeiten", dem Tätigkeitsort der ihm verwandtschaftlich verbundenen Gräfin Westarp, gemeinsam mit den Stäben u. a. des Freikorps Epp und der Gardekavallerie-Schützendivision sein Quartier aufschlug (s. Röhm, a . a . O . , S. 102). Seisser, 1934 in Zusammenhang mit der Röhm-Affaire in KZ-Haft genommen, leitete von Mai 1945 bis November 1945 die Neuorganisation der Münchener Polizei (s. Thoss, a . a . O . , S. 89, Anm. 3). 178 Während dieser Kontakt, wie im folgenden dargelegt, über Hauptmann Karl Mayr lief, unterhielt der Ludendorff-Kapp-Kreis freilich auch zu Führern einzelner bayerischer Freikorps und Reichswehreinheiten eigene Kontakte, deren wichtigster Organisator Hauptmann Berchtold, der Führer der „Eisernen Division", war. S. hierzu die bei Gumbel, a . a . O . , S. 13ff. („Dokumente zum Kapp-Putsch") veröffentlichten Briefe zahlreicher Werber der Eisernen Division an Berchtold sowie einen Brief Pabsts an Berchtold (S. 17), dgl. übrigens die dort wiedergegebenen-Protokolle von Verschwörersitzungen in der Wohnung Georg Heims (S. 24) und im Münchener Hotel Königshof (S. 24f.), letztere in Anwesenheit u.a. auch von Hauptmann Heiß, dem Führer der „Reichsflagge" und engen RöhmWeggefährten, sowie die Putschdenkschrift General V.Lossows (S. 28 ff.), in der es u. a. heißt: „Sämtliche Offiziere, die als gut bekannt gelten, wurden in dem Offizierskorps .Eiserne Schar' zusammengefaßt." - Eine geheime Reichswehr-Vereinigung unter dem Namen .Eiserne Faust', die ihre Zusammenkünfte in der Wohnung des Führers des „Freikorps Oberland", Hauptmann Beppo Römer, abhielt, hatte Röhm bereits Ende 1919 in München gebildet und zu ihr auch Adolf Hitler hinzugezogen, (s. Röhm,
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a.a.O., S. 115), über den er - in Rücksichtnahme auf dessen längst parteioffiziell gewordene biographische Selbsterhöhung zum .Bildungsoffizier' - in seinem 1927 verfaßten Buch schreibt: „Hitler war Bildungsoffizier im Stabe des Gruppenkommandos und unterstand, ebenso wie Hermann Esser als Pressereferent, der politischen Abteilung, die Hauptmann Mayr leitete" (ebd.). Dieser Kreis unterhielt seinerseits über einen namentlich ungenannt bleibenden Kurier einen direkten Kontakt zum Berliner Zentrum der Putsch-Vorbereiter, für das Röhm die vage Umschreibung „Kreis um den Grafen zu Reventlow" wählt (ebd.), was Maser, a.a.O., S. 192, in der Wendung „Reventlow-Kreis" von ihm übernimmt und mit einer erläuternden Anmerkung über die ihm zuzurechnenden „intellektuellen" Gruppierungen, deren Organe etc., versieht, ohne zu erwähnen, daß Graf Reventlow aber eines der wichtigen Mitglieder des Kapp-Ludendorff-Kreises war, es sich bei diesem Kontakt zum „Reventlow-Kreis" also gerade um einen Kapp-Putsch-Kontakt handelte. Ein weiterer intimer Vertrauter und Mitkonspirateur des Kapp-Kreises war in München auch der dem Vorstand der „Bayerischen Königspartei" angehörende, doch zugleich deutschnationale bayerische General a. D. Konrad Krafft von Delmensingen, an den Pabst z.B. Berchtold verwies und der offenbar sogar als bayerischer Diktator vorgesehen war (vgl. den bei Gumbel, Verschwörer, a.a.O., S. 17 wiedergegebenen Brief Pabsts an Berchtold sowie ebd. das Protokoll der Konferenz im Hotel Königshof, S. 25, und die Lossow-Denkschrift, S. 29), in den Putschtagen des März 1920 dann aber keine ins Auge fallende Rolle spielte. 179 S.Manfred Asendorf, Nationalsozialismus und Kapitalstrategie, a.a.O., S. 130 180 Eine Beschreibung der Funktionen dieser Abteilung gibt Gossweiler, K a p . / R . . . . , S. 112; zu ihren verschiedentlich voneinander abweichenden dienstlichen Bezeichnungen („Nachrichtenabteilung", „Presse- und Propagandaabteilung", „Aufklärungsabteilung") vgl. Deuerlein, a.a.O., S. 178 181 S. Gossweiler, a.a.O., S. 112 182 Vgl. Gossweiler S. 117/118, abweichend hiervon Thoss, a.a.O., S. 104 183 So war Mayr, schreibt Röhm, a.a.O., S. 115, „vielleicht der entscheidendste Förderer des Kapp-Unternehmens in Bayern." Vgl. auch Thoss, a.a.O., S. 89, Anm. 7 184 Nach Sebottendorff, a.a.O., S. 129 schlugen sowohl General v. Epp wie auch die Führung des Freikorps Oberland im Hotel „Vierjahreszeiten" ihr Quartier auf. 185 S. die Wiedergabe des Programms der beiden Kurse vom 5.6.-12.6. und vom 26.6.-5.7.1919 bei Deuerlein, a.a.O., S. 191 ff., und die Kommentierung ihrer Referenten bei Gossweiler, a.a.O., S. 157/158. Einer von ihnen war z.B. Prof.Joseph Hofmiller, der Förderer Feders bei den „Süddeutschen Monatsheften" (vgl. Maser, a.a.O., S. 134, in Zusammenhang mit Deuerlein, a.a.O., S. 192), ein anderer der Leiter der bayerischen „Reichszentrale für Heimatdienst", Karl Graf von Bothmer, der ausgesprochen sozialismusdemagogisch auftrat und den wahren Sozialismus zur „Herrschaft der Tüchtigsten" erklärte, der Demokratie und Internationalismus gerade zuwiderliefen (Gossweiler, a.a.O.). Die beiden Kurse waren nur zwei von zahlreichen weiteren, unter denen sich auch eine komplette
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Vortragsreihe zum Thema „Nationaler Sozialismus" befand (Gossweiler, ebd.) und auf denen im Januar/Februar 1920 auch der einstige Lehrgangsteilnehmer Hitler nunmehr als Referent auftrat (vgl. Anm. 208). Derartige Kurse wurden im übrigen damals von allen Reichswehrgruppenkommandos durchgeführt und gingen aller Wahrscheinlichkeit nach auf die Veranlassung Groeners zurück, dessen hochausgebildetes, auf Schleicher sich übertragendes und schon im ersten Weltkrieg und vorher entwickeltes Bewußtsein von der Bedeutung der Gewinnung der Arbeiterschaft durch ihre Absentierung vom „internationalistischen" Sozialismus mittels Ansprechens ihres „starken nationalen Triebes" vielfach bezeugt ist (s. etwa bei Dorothea Groener-Geyer, a.a.O., S. 80: Groeners frühes Plädoyer für einen „Bund zwischen Monarchie und Arbeiterwelt"; dgl. dann, für die Kriegszeit, S. 80, S. 91 ff., sowie für die Nachkriegszeit insbesondere S. 221-224). Aber auch dem Kreis um Ludendorff und Max Bauer lagen sozialismusdemagogische Überlegungen keineswegs fern. S. dazu die von Thoss, a.a.O., S. 243, auch S. 51 zitierte „Denkschrift zur sozialen Frage" von Oberst Max Bauer vom November 1920. 186 Vgl. z. B. den von Deuerlein, a.a.O., S. 202f. veröffentlichten Begleitbrief Mayrs zu einer von Hitler erbetenen Ausarbeitung für den ehemaligen Lehrgangs-Teilnehmer Adolf Gemlich zum Thema „Judenfrage", in dem es trotz eines gleichsam besitzbürgerlichen Vorbehalts gegenüber Hitlers Pauschalverdammung jedweden Zinses als „jüdisch" und eines gewissen Abrückens in diesem Punkt auch von Feder (er schütte „schließlich das Kind mit dem Bade aus") mit wohl hinreichender positioneller Eindeutigkeit heißt: „Ich bin mit dem Herrn Hitler durchaus der Anschauung, daß das, was man Regierungssozialdemokratie heißt, vollständig an der Kette der Judenheit liegt." Und: „Alle schädlichen Elemente müssen wie Krankheitserreger ausgestoßen oder .verkapselt' werden. So auch die Juden!" (Hitler hatte in seinem Text die Juden als die „Rassentuberkulose der Völker" bezeichnet.) 187 Mayr erwähnt in einem höchst interessanten, von Gossweiler a.a.O., S. 153f., zitierten und im Anhang S. 554-557 als Dokument 1 vollständig wiedergegebenen Brief an Wolfgang Kapp vom 24. September 1920, daß die DAP im Sommer 1919 „noch keine 100" Mitglieder gehabt habe. In diesem Brief übrigens datiert Mayr selbst den Beginn seiner Bemühungen um die Aufzucht der DAP und bekennt sich als deren Organisator. Er berichtet Kapp in dessen schwedisches Exil: „Seit Juli vorigen Jahres schon suche soweit mir möglich auch ich die Bewegung zu stärken. . . . Ich habe sehr tüchtige junge Leute auf die Beine gebracht. Ein Herr Hitler z. B. ist eine bewegende Kraft geworden, ein Volksredner 1. Ranges." Er fügt das 25Punkte-Programm der NSDAP bei und schreibt dazu: „Unser Programm liegt b e i . . . Das Programm ist gewiß noch etwas unbeholfen und vielleicht auch lückenhaft, wir werden es ergänzen. Sicher ist nur, daß wir unter dieser Fahne doch schon recht viele Anhänger gewonnen haben" (nämlich, wie es anderer Stelle heißt, in der Münchener Ortsgruppe jetzt „über 2000 Mitglieder"). 188 Die von Hitler in „Mein Kampf", Bd. I, S.240ff., gegebene Schilderung einer Ausschuß-Sitzung der DAP im Gasthof „Altes Rosenbad" in der Münchener Herrnstraße (in die Harrer seinen „Politischen Arbeiterzirkel"
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verlegt hatte, vgl. Anm. 134) als „Vereinsmeierei allerärgster Art und Weise", die in der Literatur bislang unbesehen kolportiert wurde, wird man wohl, seit Reginald H. Phelps, übereinstimmend mit Mayrs Angaben über sein einsetzendes Reichswehr-Engagement, auf Grund der Durchsicht der Anwesenheitslisten der DAP-Versammlungen bereits ab Sommer 1919 „einen auffälligen Zustrom von Intellektuellen und Militärpersonen" registriert hat (Phelps, a.a.O., S. 979, zitiert nach Gossweiler, a.a.O., S. 154), bei aller einzuräumenden Sektiererhaftigkeit des Arbeitsstils Harrers und Drexlers zu relativieren haben. Denn Hitler, der zum Zeitpunkt der Niederschrift von „Mein Kampf" längst über Harrers GeheimbündeleiNeigungen mit der Reichswehr-Massenagitationslime triumphiert und Harrer aus der Partei verdrängt hatte, brauchte zu seiner Selbstdarstellung als „Führer" die Kulisse solch trister Anfangs-Unfähigkeit, vor der er, war er schon nicht der Gründer der Partei, sich dann desto strahlender als gleichwohl ihr eigentlicher Schöpfer abheben konnte, und zudem galt es natürlich, alle Reichswehr-Mitwirkung am DAP-Erfolg und also auch jede etwaige Aufschwungstendenz schon vor Hitler aus dem Blick zu drängen. 189 Lt. Gossweiler, a.a.O., S. 154, am 12. September 1919. 190 Diesen dienstlichen Auftragscharakter seines ersten Besuchs einer DAP-Versammlung bezeugt Hitler selbst. Die Darstellung seines Weges zur DAP im 9. Kapitel des ersten Bandes von „Mein Kampf" beginnt mit den Worten: „Eines Tages erhielt ich von der mir vorgesetzten Dienststelle den Befehl, nachzusehen, was es für eine Bewandtnis mit einem anscheinend politischen Verein habe, der unter dem Namen .Deutsche Arbeiterpartei' in den nächsten Tagen eine Versammlung abzuhalten beabsicht i g e . . ." (a.a.O., S. 236). 191 Das in aller Literatur bislang gemeinhin zu findende Datum 12.9.1919 ist neuerdings durch zwei bei Jäckel/Kuhn, Hitler. Sämtliche Aufzeichnungen, a.a.O., S. 90 und 91, publizierte Schreiben Hitlers aus Privatbesitz: einen Kurzbericht Hitlers an Mayr vom 4. Oktober 1919 über diese Versammlung, der mit der Bitte resp. dem Antrag schließt, „diesem Verein oder Partei beitreten zu dürfen, da diese Männer den Gedanken des Frontsoldaten sprechen", und einem an die DAP gerichteten Antrag auf Aufnahme in die Partei vom 19. Oktober 1919, die beide auf die Versammlung im Sterneckerbräu Bezug nehmen und für sie die Terminangabe 3. Oktober machen, in Frage gestellt worden. So geringe Bedeutung diesem Datums-Unterschied zukommt, so wenig vermag - falls die von den Herausgebern versicherte Echtheitsprüfung der Originale, was nach der ,stern'-Affaire gegenüber aus ungenanntem Privatbesitz neuauftauchenden Dokumenten grundsätzlich als Vorbehalt anzumerken sich wohl empfiehlt, wirklich gründlich genug ausgefallen ist (s. hierzu die Angaben der Herausgeber in der Einleitung S. 33/34) - auch der Umstand, daß Hitler Hauptmann Mayr schriftlich um die Genehmigung seines DAP-Beitntts ersucht und sich mit einem eigenen Aufnahmeantrag, und dann gar erst am 19. Oktober 1919, selbst um die Parteimitgliedschaft beworben hat (was nur Hitlers seit jeher als bloße Legendenbildung durchschaubare eigene Erzählungen in „Mein Kampf", Bd. I, S. 238ff., widerlegen würde, also nichts Sensationelles afi sich hat), auf Grund der gesamten sonstigen bekannten Zusammenhänge etwa irgendetwas am Auftragscharakter der 412
Hitlerschen DAP-Mission zu ändern; in beiden Fällen handelt es sich um obligatorische Formalitäten, die sowohl von den Reichswehr-Dienstvorschriften wie vom parteienüblichen, statutenmäßigen MitgliederaufnahmeReglement her äußerlich einzuhalten waren. Vgl. jedoch auch Anm. 192. 192 S. Maser, a.a.O., S. 167. Die parteioffizielle Bezeichnung dieser Funktion lautete „Werbeobmann". Bereits am 16. Oktober 1919 sprach Hitler lt. Maser, ebd., S. 170, erstmals in seiner Funktion als DAP-Ausschußmitglied als zweiter Redner auf einer öffentlichen DAP-Parteiversammlung im Hofbräuhauskeller, von der Hitler in „Mein Kampf" Bd. I, S. 390f., selber ausführlich berichtet („ich sollte als Zweiter zum ersten Male öffentlich sprechen... Ich spach dreißig Minuten"), was recht seltsam zu der neuen Nachricht (s. Anm. 191) kontrastiert, daß er erst am 19. Oktober 1919 seine Aufnahme in die DAP beantragt haben soll. Der Versammlung vom 16. Oktober folgte noch im gleichen Monat eine zweite, im Eberlbräukeller, auf der Hitler „nahezu eine Stunde" sprach (Hitler, ebd., S. 393). 193 Vgl. Maser, a.a.O., S. 132, sowie ebd. auch Anm. 409 194 Ebenda 195 Zwar soll sich Hitler nach Deuerlein in den Wochen der Rätezeit um die Aufnahme in die USPD oder gar KPD bemüht haben (vgl. hierzu Maser, ebenda, S. 132), was aber nur von seinem Opportunismus zeugen würde; die Fürsprache der Offiziere bei den Epp-Truppen für ihn dürfte jedoch ein wohl hinreichendes Indiz dafür sein, daß sich in seinen Reden unter den Kameraden in der Kaserne keinerlei linke Tendenzen gezeigt hatten. 196 Maser, ebd., S. 132f. 197 S. außer Maser, ebd., S. 133, insbesondere Gossweiler, a.a.O., S. 156. Hitler erwähnt diesen Kameraden-Verrat, und zwar als durchaus eifernde Tätigkeit, in „Mein Kampf", Bd. I., selbst, wenn er S. 227 schreibt: „Wenige Tage nach der Befreiung Münchens wurde ich zur Untersuchungskommission über die Revolutionsvorgänge beim 2. Infanterieregiment kommandiert. Dies war meine erste mehr oder weniger rein politische aktive Tätigkeit." 198 S. Deuerlein, a.a.O., S. 179. Dieses Ja Hitlers zu dem Ansinnen, als Dauer-Denunziant in die Spitzeldienste der Reichswehr zu treten, und nicht der von ihm tränenselig in „Mein Kampf" beschworene, angeblich im Lazarett von Pasewalk beim Anhören der vom Pastor überbrachten Nachricht der Kriegsniederlage weinend im Schlafsaal gefaßte „Beschluß, Politiker zu werden" (Bd. I, Ende des 7. Kapitels), war der Augenblick seines Eintritts in die Politik. 199 Vgl. Deuerlein, a.a.O., S. 179, dgl. Maser, a.a.O., S. 137 200 Einen Auszug aus den „Grundsätzen" für diese Ausbildungskurse gibt Maser, a.a.O., S. 133f. nach Franz-Willing (dort, a.a.O., S. 421) wieder. 201 Dieser Lehrgang fand vom 5.-12. Juni 1919, ein zweiter, an dem Hitler möglicherweise ebenfalls teilgenommen hat, vom 26.6.-5. 7.1919 statt. Zu ihren Programmen s. Anm. 185. 202 S. Hitler, Mein Kampf, Bd. I, S. 228-234. Hitler führt hier aus: „Den Unterschied" des „Kapitals als letztes Ergebnis der schaffenden Arbeit gebenüber einem Kapital, dessen Existenz und Wesen ausschließlich auf Spekulation beruhen, vermochte ich früher noch nicht mit der wünschens-
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werten Klarheit zu e r k e n n e n . . . . Dieses wurde nun auf das gründlichste besorgt von einem der verschiedenen in dem schon erwähnten Kurse vortragenden Herren: Gottfried Feder. Zum ersten Male in meinem Leben vernahm ich eine prinzipielle Auseinandersetzung mit dem internationalen Börsen- und Leihkapital.... Die scharfe Scheidung des Börsenkapitals von der nationalen Wirtschaft bot die Möglichkeit, der Verinternationalisierung der deutschen Wirtschaft entgegenzutreten, ohne zugleich mit dem Kampf gegen das Kapital überhaupt die Grundlage einer unabhängigen völkischen Selbsterhaltung zu b e d r o h e n . . . . Ich begann wieder zu lernen und kam nun erst recht zum Verständnis des Inhalts und des Wollens der Lebensarbeit des Juden Karl Marx. Sein .Kapital' wurde mir jetzt erst recht verständlich, genau so wie der Kampf der Sozialdemokratie gegen die nationale Wirtschaft, der nur den Boden für die Herrschaft des wirklich internationalen Finanz- und Börsenkapitals vorzubereiten hat." 203 Vor Feders Thule-Hintergrund verwundert wenig, daß gerade im Anschluß an seine Vorträge, deren „Erkenntnisse" Hitler, a.a.O., S. 227, den „tiefere(n) Grund" hierfür nennt, derartige Diskussionen geführt wurden. Erwogen wurde im Kreise der Lehrgangs-Teilnehmer für eine solche, auf der Grundlage der Federschen Börsenkapital- oder ZinsknechtschaftsDemagogie aufzubauende massenwirksame Arbeiterpartei der Name „Sozialrevolutionäre Partei" (Hitler, a.a.O., S. 227, auch 229), zu deren Gründung es dann freilich (da Mayr, der spiritus rector und letztliche Leiter der Kurse, ab Juli auf die bereits existierende D A P orientierte) nicht kam. Zu recht bemerkte Deuerlein bereits 1959 (a.a.O., S. 192, Anm. 4), daß Feders „überragende Rolle für die D A P bzw. N S D A P " viel zu wenig untersucht und in der Regel als Ubergangsglied zur „alldeutschen Bewegung Münchens" (und nicht etwa, wie es aus sentimentaleren Lesarten der Linken häufig herausklingt, zum Kleinbürgertum) unterschätzt ist. 204 S. Deuerlein, a.a.O., S. 182, auch Maser, a.a.O., S. 137. Hitler trifft sich mit Karl Alexander v. Müller auch später noch häufiger im Hause Elsa Bruckmanns, der Gattin des Münchener Verlegers Hugo Bruckmann, in deren Salon er u. a. auch mit Ludwig Klages zusammentrifft. S. Werner Maser, Adolf Hitler. Biographie, a.a.O., S. 193. 205 Vg. Maser, S t u r m . . . , a.a.O., S. 137 206 Vgl. die bei Deuerlein, a.a.O., S. 198ff. als Dokumente 7, 8 und 9 wiedergegebenen Berichte des Lechfelder Lagerleiters Oberleutnant Bendt und Auszüge aus den Berichten der Mitglieder des „Aufklärungskommandos Beyschlag" an Hauptmann Mayr über die Tätigkeit des Aufklärungskommandos und die bei Maser, S t u r m . . . , a.a.O., S. 138-140 zitierten längeren Passagen aus einzelnen dieser Berichte. 207 S. hierzu Gossweiler, a.a.O., S. 152, der auf das schon von Georg Franz-Willing in seiner Sprache ausgiebig hervorgehobene zentrale Interesse der Reichswehrführung in Berlin an nationalistischer Arbeiterdemagogie und einer „gegen die marxistische Zersetzung der Truppe gerichtete(n) Tätigkeit" und auf ihre Initiativrolle bei deren Organisation verweist. Franz-Willing schreibt a.a.O., S. 36, u . a . : „Das Offizierskorps, insbesondere der Generalstab und die leitenden Stellen der Reichswehr waren der Uberzeugung, daß die unerläßliche Voraussetzung für einen nationalen Wiederaufstieg Deutschlands die Gewinnung der breiten Arbeitermassen
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für den Gedanken der nationalen Volksgemeinschaft sei und daß dies nicht allein mit Unterdrückungs- und Strafmaßnahmen gegen marxistisch verhetzte Arbeiter und einzelne Soldaten möglich sei. Daher bemühte sich die Reichswehrleitung, durch intensive politische Aufklärung in der Truppe den nationalen Geist zu wecken und zu fördern; gleichzeitig versuchte sie auch, im parteipolitischen Leben dahingehend zu wirken, daß alle nationalen Regungen tatkräftig unterstützt wurden." Vgl. auch Anm. 185. 208 S. Gossweiler S. 160 resp. Phelps, a.a.O., S. 980. Nach Deuerlein, a.a.O., S. 186, war er nach dem Lechfeld-Einsatz „zum politischen Mitarbeiter Mayrs .avanciert'", nach Maser, Sturm. . . , a.a.O., S. 140, nun bald „einer der wichtigsten Mitarbeiter der Abteilung I b/P" geworden, „von deren Leiter Mayr er Anfang 1920 sogar in Umsturzpläne eingeweiht und im März 1920 auch in die Aktion zum Sturz der sozialdemokratischen Regierung Hoffmann in Bayern und beim Kapp-Putsch in Berlin eingeschaltet wurde." 209 Vgl. zu dieser nicht erhalten gebliebenen Hitler-Ausarbeitung das bei Deuerlein, a.a.O., S. 201 abgedruckte Bestätigungsschreiben Mayrs an Hitler. 210 S. den vollen Wortlaut dieser Ausarbeitung bei Deuerlein, a.a.O., S. 203 ff. (Dokument 12). Zu Mayrs Begleitbrief (bei Deuerlein Dokument 11) vgl. Anm. 186. 211 Zu Mayrs geringfügiger Einschränkung der Zustimmung zu Hitlers Behandlung der Judenfrage s. Anm. 186. Zur Siedlungs-Expertise teilt Mayr in seinem Schreiben (s. Anm. 185) Hitler mit, daß das Gruppenkommando sich vorbehalte, sie „in geeigneter Weise in die Presse zu lancieren." 212 Vgl. die völlig zutreffende Kommentierung dieser Vorgänge bei Gossweiler, a.a.O., S. 162/163 (die Bedeutung dieser Ausarbeitungen läge nicht darin, daß sie Hitler, sondern dann, daß sie „seine Auftraggeber", daß sie „seine Reichswehrvorgesetzten" kennzeichnen). Maser dagegen macht in seiner in allen Urteilen und Schlußfolgerungen wie schon in der gesamten sprachlichen Tonlage („Daß Hitler tiefer und inniger Liebe nicht fähig gewesen sei, . . . trifft nicht zu", S.316; „Wie wenig es vielen HitlerBiographen, Historikern und Publizisten darum geht, Hitlers künstlerische Fähigkeiten sachlich zu beurteilen...", S. 97) und vor allem auch Proportionierung der behandelten Aspekte in schlimmste personalistische HitlerMythologisierung (im Vergleich zu seiner einst verdienstvolleren „Frühgeschichte") zurückkippenden Biographie „Adolf Hitler" (a.a.O.) aus ihnen umgekehrt ein Indiz dafür, daß für die Reichswehr Hitler nun ein Mann geworden sei, „dessen Vorstellungen" sie „als programmatisch" anzuerkennen beginne, - weshalb er denn schließlich auch dem wenige Zeilen umfassenden Anschreiben Mayrs an Hitler vom 10. September 1919 (s. Anm. 271) anzuhören meint oder den Lesern jedenfalls mitteilt, es sei „ungewöhnlich ehrfürchtig" abgefaßt (S. 173), was man bei seiner Durchsicht wahrhaftig nicht wahrzunehmen vermag. Der wohl kaum noch, wie Maser fast selber zu merken scheint, ernstzunehmende Gipfelpunkt geschichtspersonalisierender Verstiegenheit sei aus jenem Buch, das Maser als die endgültige Hitler-Biographie angesehen wissen möchte, bei dieser Gelegenheit zur Charakterisierung des Abstiegs eines Zeitgeschichtsforschers zu einem Hitler-Astrologen hier mitgeteilt. Zur Herkunft des Welt-
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kriegs-Programms des deutschen Faschismus (das für Maser natürlich das persönliche Programm allein Hitlers ist) schreibt Maser, Hitlers Weltmacht-Pläne „sind, so kurios es auch klingen mag, Teilergebnisse einer eigenwilligen Auslegung der kosmopolitisch artikulierten Philosophie der Stoiker" (ebd. S. 232). 213 Vgl. Gossweiler S. 153, sowie oben Anm. 187. 214 Ein wenig naiv wundert sich Maser, Sturm. . . , a.a.O., S. 157, über diesen Befehl, da die DAP doch „ein Kind der Thüle-Gesellschaft war, die Mayr entweder nicht interessiert oder aber besonders gut gekannt zu haben scheint; denn sie befindet sich nicht unter den Parteien und Organisationen, die Mayr beobachten ließ." Der naheliegende Gedanke, daß es einer solchen Beobachtung und Berichterstattung wahrhaftig nicht bedurfte, um die Abteilung Ib/P etwa erst - wie es Hitler in „Mein Kampf" darstellte (Bd. I, S. 236) - darüber ins Bild zu setzen, „was es für eine Bewandtnis" mit der DAP habe, das heißt welchen politischen Charakters sie sei (was Mayr von Feder ja wohl freihaus zu erfahren vermochte, im September 1919 längst, und gewiß nicht nur durch ihn, wußte), wohl aber, um sich auf dem Laufenden darüber zu halten, ob und wie sie sich entwickelt und ob sich die Konzentration der Kräfte auf ihre Förderung empfiehlt - da es z. B. ja auch die Alternative DSP gab, und diese auch wieder keineswegs allein - , liegt Maser ganz fern. Tatsächlich ließ Mayrs Abteilung alle damals in München existierenden politischen Parteien und Vereine systematisch überwachen, die Liste der von ihr bespitzelten Organisationen ist bei Deuerlein nach den Akten des Reichswehrgruppenkommandos, a.a.O., S. 187, veröffentlicht. Aus den gleichfalls dort S. 205 ff. (Dokument 14-31) veröffentlichten V-Männer-Berichten über DAP- und NSDAP-Versammlungen, die mit dem 13. November 1919 einsetzen, springt jedoch augenfällig der Charakter oder das leitende Interessenmotiv dieses Überwachungsauftrags hervor. Es handelt sich durchweg um Berichte, die )e nach dem sehr unterschiedlichen Intelligenzgrad der einzelnen V-Männer sprachlich souverän oder unbeholfen übereinstimmend unter dem einen einzigen Gesichtspunkt abgefaßt sind, inwieweit die jeweilige Versammlung die „nationale Sache", in deren Verständnis man sich offenbar über alle Bildungsbarrieren hinweg völlig einig war, vorangebracht hat, worüber die Berichte dieser Spürnasen dann oft zu wahren enthusiastischen Hymnen gerieten, wie sie für die vorgesetzte Dienststelle, zu deren Händen sie bestimmt waren, niemals angängig gewesen wären, wäre das aus ihnen faustdick sprechende Entwicklungsinteresse an dieser Partei nicht eben gerade auch ihr eigenes gewesen. 215 Hitler leitet aus seinem in „Mein Kampf", Bd. I, S. 238, geschilderten „spontanen" Diskussionsbeitrag (als V-Mann!) auf der Versammlung im Sterneckerbräu gegen einen Blauweißen, der für die Ablösung Bayerns von Preußen plädierte, die gesamte angebliche Bemühung der DAP um seinen sofortigen Parteieintritt ab (beginnend mit der kalkuliert despektierlichen Schilderung eines Arbeiters namens Drexler, der ihm „nachgesprungen" kam, dessen Namen er aber nicht einmal richtig verstanden hätte, bis zu der nicht minder dubiosen Geschichte, daß ihm ohne sein Zutun per Postkarte seine Partei-Aufnahme mitgeteilt worden sei). Man muß sich aber nur den heute offenliegenden hochkonspirativen Thule-Hintergrund dieser Harrer-
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Drexler-Partei vergegenwärtigen, um zu begreifen, daß sie niemals einen auf eine ihrer Versammlungen fremd Hereingeschneiten bei noch so glänzender Rhetorik-Darbietung sofort in ihren Führungs-Ausschuß aufzunehmen vermocht hätte, dies vielmehr voraussetzte, daß er einem als absolut zuverlässig bekannt oder aber sicher verbürgt war. 216 Deuerlein erhebt gleichwohl, a.a.O., S. 188, Anm. 47 gegen Wilhelm Hoegners Aussage, Hitler sei von Mayrs Reichswehr-Abteilung Ib/P „in die .Deutsche Arbeiterpartei' entsandt worden" (Hoegner, a.a.O., S. 122), Einspruch mit der Begründung, darüber sei in den Akten des Reichswehrgruppenkommandos 4 nichts zu finden. Der Einspruch erübrigt sich wohl auf Grund des Mayr-Bnefs an Kapp (s. Anm. 187), wenn Argumente der politischen Logik schon nicht zählen sollten. Angesichts dessen, daß sich die DAP im September 1919 noch fest in der Regie der Thüle-Gesellschaft befand, ist aber auch völlig - s. Anm. 215 - denkausgeschlossen, daß sich Hitlers Senkrecht-Start in ihr ohne ihr Einverständnis, d. h. ohne ein Einvernehmen zwischen Mayr und der Thüle-Zentrale (so wenig Harrer hiervon seine Ausbootung erwartet haben mag) abgespielt haben könnte. 217 S. Maser, Sturm, a.a.O., S. 172f., desgl. zuvor auch schon S. 168. 218 Vgl. Maser, ebd., S. 173. 219 Ebd. 220 Ebd., S. 172, vgl. auch Anm. 185 und Anm. 208. 221 S. Maser, a.a.O., S. 154ff., sowie Gossweiler S. 185. 222 S. Maser S. 277, sowie Gossweiler S. 186. 223 S. Maser S. 176, sowie Gossweiler S. 185f. 224 S. Gossweiler S. 192. 225 Ernst Rohm, Die Geschichte eines Hochverräters, a.a.O., S. 124. 226 Maser, a.a.O., S. 192, datiert Röhms DAP-Eintntt mit der Angabe „kurz nach Hitler" und gibt die Mitglieds-Nummer 623 an (die Zählung begann, aus Propagandagründen, mit der Ziffer 501, s. Albrecht Tyrell, Führer befiehl.. . Selbstzeugnisse aus der .Kampfzeit' der NSDAP, Düsseldorf 1969, S. 22, sowie Petzold, Demagogie..., a.a.O., S. 87); Gossweiler, a.a.O., S. 189, fügt hinzu, daß Rohm als Besucher von DAP-Versammlungen ab Mitte Oktober 1919 nachweisbar ist. Röhm selbst gibt, a.a.O., S. 123, an, bei seinem Eintritt „noch nicht das 70. Mitglied der jungen Partei" gewesen zu sein, was wegen der schematischen Vergabe der Mitgliedsnummern nach der Reihenfolge der anfangs alphabetisch geordneten Mitgliederliste (s. Petzold ebd.) durchaus der Fall sein kann. 227 So auch Gossweilers Urteil, der die DAP-Geschichte entsprechend periodisiert und hier den Einschnitt zum Beginn ihrer zweiten Entwicklungsphase sieht. S. in Gossweiler, a.a.O., das Kapitel V, 1 „Das Gruppenkommando formiert .seine' Partei" („Damit ging die erste Etappe der Geschichte dieser P a r t e i . . . zu Ende; sie war gekennzeichnet durch das Patronat der Thüle-Gesellschaft über die DAP und ihren Gründer Drexler. Eine neue Etappe begann. Sie war geprägt von-intensivster direkter Einflußnahme des Reichswehrgruppenkommandos auf die DAP bzw. NSDAP." Ebd., S. 182) 228 Harrer trat bereits am 5. Januar 1920 zurück und schied aus der DAP aus. S.Maser, a.a.O., S. 194. Zu den näheren Umständen und Gründen dieses raschen Austritts, der eine Kapitulation vor der von Hitler und der
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Reichswehrfraktion robust durchgesetzten Massenagitations-Linie war, vgl. ausführlich Gossweiler, a.a.O., S. 194 sowie unten Anm. 231. 229 Anton Drexler versuchte noch längere Zeit, sich in vermittelnder Haltung gegenüber der zur Führung drängenden Reichswehr-Fraktion in der Position des Parteivorsitzenden zu halten. Vgl. jedoch schon die bei Maser, a.a.O., S. 263ff., geschilderten tiefgreifenden Auseinandersetzungen, zu denen es zwischen Drexler und Hitler in Zusammenhang mit den von Drexler geförderten Bestrebungen um eine Fusion mit der DSP und der österreichischen DNSAP auf dem Treffen der deutschsprachigen nationalsozialistischen Parteien in Salzburg im August 1920 und dann anläßlich des Zeitzer DSP-Parteitags im März 1921 und des für August 1921 bevorstehenden gemeinsamen Linzer Parteitages von DSP, österreichischen und sudetendeutschen Nationalsozialisten kam. Am 11. Juli 1921 reagierte Hitler auf den Versuch des Parteiausschusses, ihn für sein fortgesetztes eigenwilliges Überspielen Drexlers zur Ordnung zu rufen, mit der nur als Eröffungszug des Kampfs um die Führung gedachten Erklärung seines Parteiaustritts und ließ ihr am 14. Juli ein Ultimatum folgen, das die Bedingungen seiner Bereitschaft zum Wiedereintritt aufzählte und als ersten Punkt nichts geringeres forderte als „den Posten des 1. Vorsitzenden mit diktatorischer Machtbefugnis zu sofortiger Zusammenstellung eines Aktionsausschusses, der die rücksichtslose Reinigung der Partei von den in sie eingedrungenen fremden Elementen durchzuführen hat" (s. ausführliche Auszüge aus diesem Ultimatum mit insgesamt 6 Forderungspunkten bei Maser, a.a.O., S. 269f.). Am 29. Juli 1921 hatte Hitler mit Hilfe der hinter ihm stehenden Reichswehr-Fraktion Esser-Amann-Röhm, ohne die der Fortbestand der Partei unvorstellbar geworden war (und der vor allem auch Hess, Eckart, Feder und so wichtige Geldvermittler wie Scheubner-Richter, Kurt Luedecke u. ä. mitzugehörten) mit dieser Angriffsstrategie vollen Erfolg. Auf einer außerordentlichen Mitgliederversammlung in München, deren Einberufung er verlangt hatte, wurde ihm der geforderte Vorsitzendenposten mit Diktaturvollmacht übertragen, ein neuer Vorstand und Ausschuß bestimmt und Drexler, der auch jetzt keinen Kampf aufzunehmen imstande war, vielmehr nun selbst der Versammlung die Wahl Hitlers als des „Tüchtigsten und Fähigsten" zum ersten Vorsitzenden vorschlug, aus allen entscheidenden Parteifunktionen verdrängt und auf den rein dekorativen Posten eines „Ehrenvorsitzenden" abgeschoben. Am Abend des gleichen Tages stellte Hermann Esser auf einer NSDAP-Großkundgebung im Münchener Zirkus Krone der Öffentlichkeit Hitler erstmals als „Führer" vor. (Zu letzterem s. Maser, a.a.O., S. 277, zum vorhergehenden ebd., S. 268ff.) Drexler näherte sich nach 1923 der „Deutschvölkischen Freiheitsbewegung" Ludendorffs und Graefes, verlagerte seine Tätigkeit auf den „Nationalsozialen Volksbund in Bayern" - der im November 1925 mit ersterer die „Völkisch-soziale Arbeitsgemeinschaft" bildete - und war von 1924-1928 bayerischer Landtagsabgeordneter als Angehöriger des „Völkischen Rechtsblocks" (s. Handbuch-Artikel „Deutschvölkische Freiheitspartei" von Manfred Weißbecker, in: Handbuch bürgerliche Parteien, a.a.O., Bd. I, S. 769, sowie Thoss, a.a.O., S. 248, Anm. 2). 230 So hatte z.B. Dietrich Eckart, wie Gossweiler, a.a.O., S. 205 berichtet, als eines der rührigsten und einflußreichsten Mitglieder der Thule-
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Gesellschaft im Herbst 1919 selbst einen - vermutlich von Hauptmann Mayr vermittelten - Kontakt zu Kapp aufgenommen und mit ihm ein längeres Gespräch über dessen erwartete Diktatur geführt, in dem er ihm als eine der dringlichsten Maßnahmen nach seiner erhofften Regierungsübernahme empfahl, sofort alle Juden in Schutzhaft nehmen zu lassen. Nicht weniger erhellend für die Ursachen der fortdauernden engen Zusammenarbeit von Thüle-Gesellschaft und bayerischen Reichswehr-Verschwörern trotz deren Vorgehens gegen die Vormacht der alten Thule-Leute in der D A P dürfte sein, daß vor allem der für die Thüle-Gesellschaft noch gewichtigere F. J. Lehmann in engster Beziehung zum Berliner „Nationalklub", dem Hort der Kapp-Protektoren, stand. (Er war es, der Hitler dann Ende 1921 gemeinsam mit Dietrich Eckart den ersten persönlichen Zugang zum „Nationalklub" mit Hilfe Emil Ganssers - s. Anm. 271 - und des Klub-Vizepräsidenten Prinz Karl zu Löwenstein-Wertheim-Freudenberg verschaffte und am 8.12.1921, ein halbes Jahr vor Hitlers erster Rede im Klub, eine „vertrauliche Besprechung" mit Hitler im Nationalklub vermittelte; s. Werner Jochmann, Hg., Adolf Hitler. Monologe im Führerhauptquartier 1941-1944. Die Aufzeichnungen Heinrich Heims, Hamburg 1980, S. 465.) 231 Die Abkoppelung der D A P von weiterer Steuerung durch die ThüleGesellschaft hatte Hitler bereits im Dezember 1919 durch den Entwurf einer unverhohlen auf sie zielenden Neuorganisation des Parteiausschusses und der Geschäftsordnung frontal angesteuert. In Hitlers Vorlage-Entwurf, der bei Maser, a.a.O., S. 483f. im Wortlaut abgedruckt ist, heißt es: „Der Ausschuß als Kopf dieser Organisation und Leiter der gesamten Bewegung überhaupt kann nur dann mit Aussicht auf Erfolg arbeiten, wenn ihm eine gewisse Autorität verliehen i s t . . . Das . . . schließt jede Form einer Bevormundung einer Über- oder Nebenregierung, sei es als Zirkel, oder Loge ein für allemal aus." Das war ein unmißverständlicher Frontalangriff auf Harrers Konzept von der Steuerung der DAP durch den in der Thüle-Gesellschaft verankerten „Politischen Arbeiterzirkel"; Harrer trat daher folgerichtig, als sich Hitler mit dieser Vorlage durchsetzte, aus der D A P aus. Zur Kommentierung dieses Vorgangs vgl. Gossweiler, a.a.O., S. 194 f. 232 Vgl. hierzu die ausführliche Darstellung der Politik und Rolle Röhms in Bayern von 1919 bis 1923 bei Thoss a.a.O. Zur Gründung der „Reichsflagge" Röhm, a.a.O., S. 125. 233 S. hierzu den in Anm. 187 referierten Brief Mayrs an Kapp vom September 1920. Relevant dürfte in diesem Zusammenhang auch sein, daß nach Masers Urteil Hitler wahrscheinlich „bis Herbst 1920" - also noch ein gutes halbes Jahr lang über den Kapp-Putsch hinaus - weiterhin von der Reichswehr-Abteilung Ib/P entsoldet wurde, auch wenn hierfür, wie Maser hinzufügt, keine Belege aufzufinden seien. Wohl aber gebe es Belege dafür, daß die Abteilung Ib/P in dieser Zeit Hitler „einige seiner größeren Rechnungen bezahlte", und nachweislich sei, daß Hitler, der jedem Mitglied seiner „Schutzgarde" täglich 15 Mark zahlte, die Gelder hierfür hauptsächlich von Röhm aus dessen Reichswehrfonds erhielt (vermutlich aus ihnen dann wohl aber auch selbst unterstützt war, was Unterstützung auch durch andere nachweisliche frühe Mäzene wie Eckart, Feder, den 419
A u g s b u r g e r C h e m i e f a b r i k a n t e n D r . G r a n d e l , einige v e r m ö g e n d e M ü n c h e ner K a u f l e u t e u s w . nicht ausschloß). S. M a s e r , a . a . O . , S. 284. 234 S . M a s e r , a . a . O . , S . 2 1 4 f . 2 3 5 E b d . , S. 2 1 6 / 2 1 7 . D e r mißglückte F l u g z u r K a p p - R e g i e r u n g f i n d e t sich a u c h b e z e u g t bei O t t o D i e t r i c h , M i t H i t l e r in die M a c h t . P e r s ö n l i c h e E r l e b n i s s e mit m e i n e m F ü h r e r , M ü n c h e n 1934, S. 8 3 / 8 4 . 236 S . R o h m , a . a . O . , S . 1 1 8 f . u n d M a s e r , a . a . O . , S . 2 1 6 - 2 1 8 . Z u K a r l M a y r s e x p o n i e r t e r R o l l e in d i e s e m Z u s a m m e n h a n g s. etwa auch den H i n weis G o s s w e i l e r s , a . a . O . , S. 118, daß M ä y r v o r d e m P u t s c h s o w o h l mit L ü t t w i t z w i e auch z w e i m a l mit K a p p verhandelte ( w o b e i er, z w e c k s besserer V o r b e r e i t u n g des P u t s c h e s , A n f a n g M ä r z f ü r d e s s e n A u f s c h u b u m ca. z w e i M o n a t e plädierte), v o r allem j e d o c h s. M a y r s diese V e r h a n d l u n g e n e r w ä h n e n d e n Brief an K a p p v o m 2 4 . 9 . 1 9 2 0 , in d e m er seine hauptverantwortliche R o l l e f ü r d a s g e s a m t e K a p p - P u t s c h - U n t e r n e h m e n in B a y e r n u n u m w u n d e n mit den W o r t e n ausspricht (in denen d a s „ W i r " z w e i f e l l o s R ö h m einbegreift): „ W i r m a c h t e n aber in B a y e r n f ü r s E r s t e , w a s m ö g l i c h w a r . W a s erreicht w u r d e , einschließlich der B e s e i t i g u n g des sozialistischen M i n i s t e r i u m s H o f f m a n n , ist letzten E n d e s d u r c h meine D r a h t z i e h e r t ä t i g keit erreicht w o r d e n . D e r V e r t r a u e n s m a n n , den ich Ihnen in Berlin a m S o n n t a g den 14. M ä r z o d e r M o n t a g 15. in die Wilhelmstraße schickte u n d den Sie z u Vi s t ü n d i g e r U n t e r r e d u n g e m p f i n g e n , orientierte Sie ü b e r d i e L a g e in M ü n c h e n u n d brachte, wie ich glaube, z u m A u s d r u c k , daß ein festes B e h a r r e n in Berlin, i n s b e s o n d e r e g e g e n ü b e r d e m Stuttgarter R e g i e r u n g s g e s i n d e l , a u c h in M ü n c h e n die N e i g u n g f ü r Berlin u n d den E i n f l u ß unserer G r u p p e a u t o m a t i s c h kräftigen w ü r d e . " D e r Brief enthält weitere einschlägige B e s c h r e i b u n g e n der P u t s c h v o r b e r e i t u n g s - T ä t i g k e i t M a y r s ( „ M a n m u ß t e also arbeiten ,klug wie die S c h l a n g e n ' " etc.) u n d e r w ä h n t a u c h die gescheiterte F l u g z e u g - M i s s i o n H i t l e r s u n d E c k a r t s in aufschlußreich u m g e k e h r t e r A k z e n t u i e r u n g d e r R a n g f o l g e ( „ D e r mit F l u g z e u g z u Ihnen geeilte H e r r E c k a r t mit B e g l e i t e r . . . " ) : G o s s w e i l e r , K a p . / R . , a . a . O . , S. 554 ff. 2 3 7 Vgl. z u ihr d a s Kapitel „ O r d n u n g s z e l l e B a y e r n " in W i l h e l m H o e g n e r , D i e verratene R e p u b l i k , M ü n c h e n 1958, desgl. in G o s s w e i l e r , a . a . O . , d a s K a p i t e l III, d a s ü b e r s c h r i e b e n ist „, O r d n u n g s z e l l e ' B a y e r n - T r e i b h a u s f ü r faschistische K r ä f t e " . 238 S. a m besten jeweils e b d . , z u vielen Einzelheiten aber a u c h in T h o s s , a . a . O . , d a s K a p i t e l III „ D i e g e g e n r e v o l u t i o n ä r e E i n h e i t s f r o n t in der Ä r a K a h r 1 9 2 0 / 1 9 2 1 " . L u d e n d o r f f , dessen A u f e n t h a l t in M ü n c h e n zuviel v o r erst i n o p p o r t u n e s A u f s e h e n erregt hätte, w u r d e v o n F o r s t r a t E s c h e r i c h , d e m F ü h r e r d e r E i n w o h n e r w e h r e n , ein unauffälligeres u n d g l e i c h w o h l g e n ü g e n d nahe bei M ü n c h e n gelegenes U n t e r k o m m e n i m Schloß des sächsischen A d e l i g e n v o n H a l k e t t in der N ä h e R o s e n h e i m s b e s c h a f f t ( T h o s s , a . a . O . , S. 118); M a x B a u e r , K a p p s Pressereferent T r e b i t s c h - L i n c o l n , d e r P o t s d a m e r F r e i k o r p s f ü h r e r Stephani u n d M a j o r P a b s t - die A n g e h ö r i g e n der K e r n m a n n s c h a f t des K a p p - L u d e n d o r f f - K r e i s e s - quartierten sich g e m e i n s a m in einer ihnen v o n einem G ö n n e r z u r V e r f ü g u n g gestellten, ähnlich günstig gelegenen Villa in G a r m i s c h ein ( e b d . , S. 119). Stinnes, berichtet T h o s s aufschlußreicherweise, sei über d a s Scheitern des K a p p P u t s c h e s , g a n z ähnlich wie H u g e n b e r g , s o verärgert g e w e s e n , daß er, als
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Max Bauer Anfang April 1920 Trebitsch-Lincoln zum Verwalter der Stinnes-Gelder in Berlin, Dr. Fehrmann, schickte, um wegen Geld vorzusprechen, diesem eine drastische Abfuhr erteilen und die Kapp-Putsch-Initiatoren durch Fehrmann nun als Teilnehmer eines „Affentheaters" abkanzeln ließ (ebd. unter Verweis auf die freilich im allgemeinen wohl fragwürdige Quelle der Erinnerungen Trebitsch-Lincolns „Der größte Abenteurer des X X . Jahrhunderts!? Die Wahrheit über mein Leben, Wien 1931, S. 192. Bestätigt wird ein solcher Stop der Zahlungen von Stinnes gegenüber Pabsts „Nationaler Vereinigung" jedoch auch, allerdings angeblich schon ab Januar 1920, bei Johannes Erger, Der Kapp-Lüttwitz-Putsch. Ein Beitrag zur deutschen Innenpolitik 1919/20, Düsseldorf 1967, S. 97; vgl. Thoss S. 73). 239 Röhm hatte im Mai 1919 als Verantwortlicher für das „Ausrüstungsund Beschaffungswesen" der bayerischen Reichswehr vom sozialdemokratischen Vollzugsausschuß in München unter der Vorgabe, Vorsorge für den Fall eines abermaligen spartakistischen Aufstands treffen zu wollen, die Genehmigung erwirkt, die Waffen der „national zuverlässigen" Wehrverbände in geheimen Reichswehrdepots einzulagern, aus denen sie ihren Eigentümern, den einzelnen Wehrverbänden, jedoch nur mit seiner Zustimmung wieder ausgeliefert werden dürften. Die meisten Wehrverbände und alle Einwohnerwehren, mit deren Dachorganisation Röhm eine zentrale Abmachung hierüber traf, waren auf die Annahme dieses Angebots angewiesen. Röhm stellte den Einwohnerwehren außerdem Reichswehroffiziere zur militärischen Ausbildung ihrer Mitglieder zur Verfügung. Durch beides gerieten sie in eine weitgehende Abhängigkeit von der BeschaffungsAbteilung der Reichswehr, deren Leiter Röhm sich mit den von ihm ausgewählten Ausbildungsoffizieren zugleich eine vortreffliche ständige Informationsquelle über die politische Stimmungsentwicklung in den einzelnen örtlichen Einwohnerwehren sicherte. S. hierzu Röhm, a.a.O., S. 104ff., des weiteren 114f., 129ff. etc., Maser, a.a.O., S. 190, Thoss, a.a.O., S. 101, sowie Gossweiler S. 115ff., zur Geschichte der Einwohnerwehren hier ab S. 113, insgesamt auch Horst Nusser, Konservative Wehrverbände in Bayern, Preußen und Osterreich 1918-1933 mit einer Biographie von Forstrat Georg Escherich 1870-1941, München 1973. 240 S. Röhm, a.a.O., S. 132, sowie Thoss, a.a.O., S. 175/176. 241 S. Thoss S. 174-176, Gossweiler S. 115, Röhm S. 136. Thoss verweist außerdem auf ein im Münchener Institut für Zeitgeschichte vorhandenes Manuskript Epps aus dem Jahre 1923 unter dem Titel „Entstehung der Feldzeugmeisterei" (Epp-Nachlaß, vgl. Thoss S. 175, Anm. 4, und S. 176, Anm. 1). 242 S. Thoss S. 176 243 Ebenda 244 Thoss ebd.: „Ein aus der neuen geheimen Einheitsfront ausscherender Verband riskierte daher seine faktische Entwaffnung durch die Abkoppelung von Röhms Waffenzentrale. . . . Schließlich wirkte nach wie vor der Faktor F i n a n z e n . . . Somit waren (nämlich mit Kuhlos oben erwähnter zentraler Abführung der Industriespenden an die Organisation Pittinger, R. O . ) auch auf diesem Sektor Vorkehrungen gegen ein Auseinanderlaufen der Wehren getroffen."
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245 Aus seiner Befürwortung der Fememorde machte Röhm in seiner „Geschichte eines Hochverräters" schon vor 1933 keinerlei Hehl. In Zusammenhang mit seiner - und Epps - Vorladung vor den 1926 vom Deutschen Reichstag eingesetzten Fememord-Untersuchungsausschuß, die er dort erwähnt, nannte er die Fememörder Männer, die „aus ihrem inneren Rechtsempfinden heraus niederträchtige Gesellen von ihrem Lumpenleben zum Tode beförderten" und zitierte rühmend Pöhner, der in seiner Amtseigenschaft als Münchener Polizeipräsident jemanden, der ihn aufsuchte, um ihn darauf hinzuweisen, daß es politische Mordorganisationen gebe, mit der Bemerkung abfahren ließ: „So, so, aber zu wenig!" (a.a.O., S. 131). Zu den Fememorden s. vor allem E. J . Gumbel, Vier Jahre politischer Mord, Berlin 1924; zu Röhms organisatorischer Verantwortung für diejenigen in Bayern s. die folgenden Ausführungen. 246 Röhm bezeugt dies, a.a.O., S. 131 selbst: „Manche Berichte von Spitzeln und deutschen Ehrenmännern, die Waffenlager an die Entente verraten wollten, fanden jedoch den Weg gar nicht bis zu den Ententeoffizieren, sondern gingen bloß bis zu unseren Uberwachungsorganen. Mancher treffliche Staatsbürger, der persönlich seinen Verrat an den Mann bringen wollte, schüttelte sein Herz einem falschen Ententeoffizier aus. Statt klingender Münze ward ihm sein Lohn hinter den Zuchthausmauern. Noch ist es nicht an der Zeit, die Verdienste eines Mannes zu künden, der hier sein Können e i n s e t z t e . . . " Auf Grund der bekannten Kompetenzverteilungen im Reichswehrgruppenkommando bzw. nunmehr Wehrkreiskommando VII und Röhms Gesamtverantwortung für die geheime Waffenlagerung kann dieses hinterhältige System nur auf seine Veranlassung hin errichtet und personell vermittels Mayrs Abteilung Ib/P rekrutiert worden sein, auch wenn Thoss, a.a.O., S. 162, ausschließlich die politische Abteilung von Pöhners Münchener Polizeidirektion als Partner eines entsprechenden Komplotts mit der Leitung der Einwohnerwehren (das aber war in diesem Falle das Duo Pittinger/Röhm) nennt (was der aus der Sache sich ergebenden Pnmärverantwortlichkeit und auch primären sicherungspraktischen Zuständigkeit der Reichswehr-Waffenverwahrer für ein solches „Frühwarnsystem" [Thoss] nicht zuwiderläuft, sondern nur erneut die bekannte, die Verhältnisse in der „Ordnungszelle Bayern" entscheidend prägende engste Zusammenarbeit von Pöhners Polizei mit der antirepublikanischen bayerischen Reichswehrführung und mordwütigsten Rechten belegt). 247 S. Thoss S. 162 248 S. R ö h m S . 114 249 Zu General Max Hoffmann, 1916-1918 Chef des Generalstabs des Oberkommandos Ost (Oberost), engster Mitarbeiter Ludendorffs und Hindenburgs im 1. Weltkrieg, einer der wichtigsten Ostexpansions-Strategen der Obersten Heeresleitung und 1918 deren Bevollmächtigter bei den Friedensdiktat-Verhandlungen von Brest-Litowsk, s. vor allem Wolfgang Rüge, Hindenburg, a.a.O.; zu seinen im Mai 1919 m Zusammenarbeit mit Rechberg entwickelten, von Groener geförderten Plänen eines gemeinsamen deutsch-alliierten Interventionskriegs gegen die Sowjetunion s. Thoss, a.a.O., S. 366ff., sowie ausführlich den zum Verständnis des LudendorffKreises unerläßlichen Briefwechsel Arnold Rechbergs mit Max Hoffmann,
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Max Bauer, Ludendorff und anderen, veröffentlicht in Eberhard von Vietsch, Arnold Rechberg und das Problem der politischen West-Orientierung Deutschlands nach dem 1. Weltkrieg, Koblenz 1958 (dort insbesondere etwa den Brief Max Hoffmanns an Rechberg vom 29. Mai 1919, S. 182). 250 S. Wolfgang Rüge, Hindenburg, a.a.O., S. 83. Kapp, berichtet Rüge dort, sei vom Oberkommando Ost bereits im Januar 1916, als es, beunruhigt über die innere Entwicklung, eine Kaltstellung des Kaisers durch einen neben ihm im Rahmen der Monarchie einzusetzenden Diktator erwog, als „ein guter Griff" für eine solche Rolle ins Auge gefaßt worden, da er ihm in Ostpreußen angenehm durch „drastische Maßnahmen im Innern" und „die Bekämpfung jeglichen Zweifels am Endsieg" aufgefallen war. 251 Während sich Ludendorff einerseits durchaus selbst als den künftigen Diktator und „Retter" der Deutschen, ja zunehmend „der Germanen" sah, entsprach es doch andererseits nur seiner in seinem Kopf auf Grund jahrelanger alldeutscher Lobpreisungen sich verfestigenden und letztlich die eigene Diktatur meinenden Vorstellung von der notwendigen Unterordnung der Politiker unter die Militärs, sich nicht selbst in die Arena des parteipolitischen Kampfs zu begeben, sondern die dort zur Vorbereitung des Bodens der Diktatur erforderlichen Schlachten in der Pose der „überparteilichen", nur ganz vom Scheitel bis zur Sohle „das Nationale" verkörpernden Soldatenfigur bis zum entscheidenden Augenblick, da ihr Eingriff verlangt ist, abzuwarten und die prestige-abnutzenden Parteien-Kämpfe den „Politikern" zu überlassen. Wie sehr aber gerade im Ludendorff-Kreis und durchaus auch bei Ludendorff selbst, schon aus der Tradition der Obersten Heeresleitung her, das Bewußtsein von der Bedeutung der politischen „Gewinnung" der Arbeiterschaft unter dem Gesichtspunkt der Kriegführung und Wehrwirtschaft entwickelt war, dafür gibt Thoss in seinem Buch ausreichende Beispiele, etwa wenn er auf eine Denkschrift von Oberst Max Bauer unter dem Titel „Gedanken zur heutigen Lage" vom November 1920 verweist, in der - nur zwei Jahre nach dem beendeten Weltkrieg im Futurum - ausgeführt wird: „ . . . dasjenige Volk wird den Weltkrieg gewiftnen, das als erstes versteht, die soziale Bewegung in nationale Bahnen zu l e n k e n . . . Die lebendige Kraft beruht in der Arbeiterschaft . . . Allein dieser Gruppe wohnt Stoßkraft i n n e . . . " („die aber", fügt Thoss treffend hinzu, „brauchte man, sollte die Frage einer deutschen Weltmachtstellung wieder aufgerollt werden!"). Als Methoden, die „soziale Bewegung in nationale Bahnen zu lenken", empfiehlt die Denkschrift dann die Beachtung „der nationalsozialen Arbeiterpartei" und der Orientierung „der christlichen Gewerkschaften auf ein nationales Programm" als hierfür zu nutzende und zu erweiternde Ansatzpunkte, ferner die Ablenkung allen innenpolitischen Zündstoffs auf „die nationale Parole Kampf gegen den Versailler Frieden" und auf den Antisemitismus unter der Vorgabe von „Wucher-, Schieber- und Kapitalbekämpfung", für den durch all dies nicht bekehrbaren Teil der Arbeiterschaft und harten Kern der Arbeiterbewegung aber - „Arbeitszwang. Schärfstes Durchgreifen mit der Waffe. Nur Terror kann Deutschland retten." (Thoss, a.a.O., S. 40-42, nach BauerNachlaß). Der politische Demagoge, der als Parteiführer-Gestalt mit dem Anstrich möglichst des Volksmannes solche Arbeiter-Nationalisierung in 423
den Schlamm-Schlachten von Versammlungen besorgte, war im Ludendorff-Kreis daher aber trotz Ludendorff, gerade neben und außer Ludendorff gefragt. 252 Wie sehr dieser Ausdruck zutrifft, dazu s. im folgenden. 253 Beispiele für dieses gleichsam experimentelle, erfolgs-orientierte Förderungsverhalten gerade der großen Kapitalgesellschaften und „Wirtschaftsführer" finden sich in Fülle in der von Joachim Petzold ausführlich erstmals auch in dieser Hinsicht dargestellten Geschichte der „jungkonservativen" Gruppierungen. Besonders instruktiv dort etwa die durchaus wechselvolle Finanzierungsgeschichte des „Politischen Kollegs" von Martin Spahn. S.Joachim Petzold, Wegbereiter des deutschen Faschismus. Die Jungkonservativen in der Weimarer Republik, Köln 1978. - Zu den Mitbewerbern, auf die Hitler in der Diktatoren-Konkurrenz aus dem „völkischen" Lager stieß, gehörten außer dem u. a. vor allem von Anton v. Rieppel, dem an Arbeiterdemagogie seit jeher besonders engagiert interessierten Generaldirektor der Maschinenfabrik Augsburg-Nürnberg (MAN), favorisierten DSP-Chef Brunner (vgl. Gossweiler, K a p . / R . . . . , a.a.O., S. 240f.) und Stadtler, die unten erwähnt sind, des weiteren beispielsweise auch Ehrhardt und Escherich, der Freikorpsführer Roßbach, der zeitweise vom Alldeutschen Verband bevorzugt für diese Rolle ins Gespräch lancierte Führer der norddeutschen Wehrverbände, General v. Below, der von Rechberg unterhaltene Führer des „Jungdeutschen Ordens", Arthur Mahraun (vgl. in diesem Buch Kap. III) und der Leiter der „Schwarzen Reichswehr", Major Buchrucker, sowie ab Ende 1922 auch die „deutschvölkischen" Führer v. Graefe und Wulle. Eine noch vollständigere Anwärterliste stellt Gossweiler, a.a.O., S. 178, Anm. 1, auf. 254 S.Eduard Stadtler, Als Antibolschewist 1918/19, a.a.O., S. 71, dgl. auch S. 59/60. Den „Sozialismus", für den Stadtler auf einer S. 70/71 geschilderten Industriellen-Beratung Hugo Stinnes in Gestalt seiner Auslegung als „Räteidee und arbeitsgemeinschaftliche Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung" (ebd.) zu gewinnen vermochte (Stinnes: „Sie haben uns überzeugt; wenn der Arbeiterratsgedanke so aufgefaßt wird, wie Sie ihn vertreten, dann ist er zweifellos ein gesunder Gedanke, von dem Ersprießliches für die deutsche Volkswirtschaft erwachsen kann", S. 71), propagierte Stadtler in der Öffentlichkeit in folgender, S. 59 f. am Beispiel einer Breslauer Versammlung vom Januar 1919 beschriebenen Weise: „Es käme darauf an, die deutsche Revolution als aktives Moment, als politische Waffe zu gebrauchen, indem man sie nationalisiere, indem man ,ihre sozialistischen Ideen verwurzeln lasse in dem Edelsten und Schönsten der deutschen und preußischen Vergangenheit'. Dazu wär allerdings ein großer Mann nötig, ein , Bismarck des Sozialismus', der den Mut hätte, den deutschen Sozialismus gegen Marxismus und Kommunismus, gegen die eigene Partei, gegen West und Ost auf dem Boden der deutschen Vergangenheit aufzubauen. Bezugnehmend auf meine in den letzten zwei Monaten intimer gewordenen Beziehungen zu Männern wie Hugo Stinnes und Vogler, erklärte ich in Breslau in jener Rede: .Großindustrielle haben mir persönlich erklärt, wir wollen in Deutschland einen eigenen deutschen Sozialismus mit unseren Arbeitern machen, aber die Parteipolitik soll nicht dareinreden; wenn etwas geschaffen werden soll, dann muß es aus dem Willen des
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ganzen Volkes heraus geschehen.' Und ich schloß meine Rede mit dem Ausdruck der Hoffnung, die Arbeiter möchten einsehen, daß der Bolschewismus mit der Zerstörung der Industrie auch das Brot des Arbeiters vernichte. Statt dessen aber solle ,am deutschen Sozialismus die Welt von der Anarchie genesen!'" (Vgl. hierzu Anm. 202). 255 Vgl. zu diesen Bemühungen Maser, Sturm . . . , a.a.O., S. 244ff. sowie ausführlich Gossweiler, K a p . / R . . . . , a.a.O., S. 237ff., 243ff. 256 S. Sebottendorff, a.a.O., S. 167, wo es heißt: „Wenige Wochen nach Sebottendorffs Weggang betrat Adolf Hitler die Räume der T h ü l e . . . " . 257 Vgl. Maser, a.a.O., S. 259f. Der Kaufpreis für den „Völkischen Beobachter" betrug 120000 Mark. Davon brachte 60000 Mark die bayerische Reichswehr aus einem Fonds Epps auf. Zum Kaufakt selbst und zu den vorherigen Anteilseignern am „Völkischen Beobachter" s. auch Sebottendorff, a.a.O., S. 195f. 258 S. Gossweiler, a.a.O., S. 211. Zur Biographie von Heß, der zu Beginn des 1. Weltkrieges als Kriegsfreiwilliger zur Fliegertruppe gegangen und durch seinen Freund Leutnant Hofweber, den Adjutanten Karl Haushofers (der im Krieg Generalmajor und Mitglied des bayerischen Generalstabs war), sowohl mit Haushofer wie auch nach dem Krieg mit der ThüleGesellschaft bekannt gemacht worden war und in ihr, als aus dem Militärdienst ausgeschiedener ehemaliger Leutnant, bald zu einem der eifrigsten Waffenbeschaffer und Werber für den Thüle-Kampfbund und zum Organisator von Sabotagetrupps wurde, s. im einzelnen ebd., S. 108ff. Vgl. auch Anm. 93. 259 Vgl. Anm. 229 260 S. ebenda 261 Vgl. Gossweiler, a.a.O., S. 205. 262 S. ebd., S. 206, bzw. Konrad Heiden, Adolf Hitler. Eine Biographie, Bd. 1 (Das Zeitalter der Verantwortungslosigkeit), Zürich 1936, S. 76. 263 S. Gossweiler S. 211, auch Maser S. 350f. 264 Gossweiler S. 213. 265 Gossweiler hat aber zweifellos recht, wenn er S. 212 gegen Maser, a.a.O., S. 350, sagt, Heß habe bei der Abfassung dieser Zuschrift keineswegs nur Hitler portraitiert, sondern eben den Idealtypus des gesuchten Diktators skizziert, dessen Bild deutlich „eine Mischung aus Bismarck, Mussolini, dem Hitler, wie er (Heß) ihn kannte, und einem Hitler, wie er nach seinen Vorstellungen sein müßte", darstelle. 266 Der Initiator des Preisausschreibens soll, wie Werner Maser von Frau Ilse Heß erfuhr, „ein in Südamerika lebender Auslandsdeutscher" gewesen sein (s. Maser S. 351 und 350). Bislang ist nicht ermittelt, wer die Mitglieder des Preisrichter-Kollegiums waren, das der Heß-Einsendung den ersten Preis zuerkannte. 267 Gossweiler, a.a.O., S. 212. 268 Ebd. S. 224/225 269 Gossweiler S. 234 nach Alfred Krück, Geschichte des Alldeutschen Verbandes 1890-1939, Wiesbaden 1954, S. 192 270 Vgl. Maser, a.a.O., S. 266. 271 Ebd. S. 351. Dr. Gansser, den Maser als einen Freund Dietrich Eckarts charakterisiert und der Hitler, Masers Angabe zufolge, im März 1920 mit 425
Burhenne zusammenbrachte, hatte für dieses Treffen eine Denkschrift verfaßt, aus der Maser die ihre Thematik umschreibende Frage zitiert: „Wie kann die Masse des deutschen Volkes von der Roten Internationale auf den Boden des deutschen Volkstums zurückgeführt werden, oder wie schaffen wir einen deutschen Willensblock?" (ebd.). Zur frühen Verbindung des Siemens-Konzerns über Burhenne und Gansser zu Hitler s. vor allem die im Dokumentenanhang bei Gossweiler a.a.O. wiedergegebenen Briefe Ganssers an Burhenne (S. 558ff.), ferner auch das Einladungsschreiben Ganssers zur ersten Rede Hitlers im Berliner Nationalklub, wiedergegeben in: Nationaler Klub 1919 e.V. Berlin (Mitgliederverzeichnis, Stand 1.Juli 1935), Berlin o . J . (ca. 1935/36), S . 2 . Zur Mitwirkung F . J . Lehmanns an der Herstellung des Nationalklub-Kontakts vgl. Anm. 230. 272 Vgl. hierzu als wichtigstes Dokument das Schreiben Dr. Fritz Deters, des langjährigen Privatsekretärs Ernst v. Borsigs, an Borsigs Sohn im Oktober 1937, zitiert bei Gossweiler S. 343ff., desgl. dort auch S. 283. 273 Dieses Bild trifft nicht einmal auf die Thüle-Gesellschaft, und es trifft auch nicht auf den Ludendorff-Kreis ohne erhebliche Einschränkungen zu, wie im Falle des letzteren allein schon die bedeutende Rolle zeigt,, die in ihm die Kali-Industrie in Gestalt Rechbergs spielte. In der Thüle-Gesellschaft waren wichtige Mitglieder weit mehr der Chemie- und Elektroindustrie (wie etwa die Gräfin v. Westarp, deren Familie sowohl mit Siemens-Plania als auch mit der Deutschen Philipps G m b H verknüpft war, vgl. auch Anm. 111, und, über die Schrenck-Notzings wie über den HaushoferKreis, Rudolf Heß, vgl. Anm. 93), aber ebenso auch, wie etwa die Walterspiels (s. Anm. 87), der Kali-Industrie und dem Versicherungs-Giganten Allianz verbunden oder standen ihnen (und über sie wiederum, wie insbesondere Heß, der via Treibstoffbedarf mit der Chemie zusammenhängenden, gewaltig aufstrebenden - in ihrer Rolle für den Aufstieg der N S D A P merkwürdigerweise bislang kaum beachteten - Flugzeug- und Automobilindustrie) doch näher als den Ruhrkonzernen. Die wichtigsten späteren Flügelbildungen und Richtungskämpfe innerhalb der N S D A P bleiben notwendig unverstanden, wenn nicht beachtet wird, daß in den Jahren 1919-1923 der Haß auf die „Novemberrepublik" eine Klammer war, unter der sich auch in den speziell vom „Germanenorden" inspirierten Gründungen Männer (jedenfalls hauptsächlich Männer) durchaus unterschiedlicher industrieller Anbindung oder Richtungsaffinität im gemeinsamen Willen zum Republiksturz und zu rabiatestem Umspringen - daher aber auch demagogischsten Umgange - mit der Arbeiterschaft zusammenfanden; deren monopolgruppenspezifisch differierenden längerfristigen, hauptsächlich expansionsziel- und außenpolitisch-bündnisstrategischen Vorstellungen, denen zunächst vor dem vorrangigen Ziel der Niederkämpfung der Novemberrevolution noch kaum Aktualität zukam, gerieten erst später und dann unvermeidlicherweise - in Kollision miteinander. U m die Unhaltbarkeit der Legende, die Chemieindustrie etwa hätte sich frühestens ab 1930/31 gegen die Republik zu stellen begonnen und diese bis dahin gestützt, durch einige schlaglichtartig ihre Korrekturbedürftigkeit in den Blick bringende Informationen anzudeuten, sei hier z. B. nur darauf verwiesen, daß Heinrich Gattineau - der spätere IG-Farben-Direktor - schon 1923 dem „Bund Oberland" beitrat und hier als Oberland-Mitglied durch
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Haushofer mit Rudolf H e ß bekannt gemacht wurde; diese Verbindung die den Vorstand der IG Farben nach Gattineaus eigener Erklärung 1933 veranlaßte, ihm die Leitung ihrer „Wirtschaftspolitischen Abteilung" zu übertragen - brachte er daher aber auch tatsächlich schon 1928, als Carl Duisberg ihn zu seinem persönlichen Sekretär berief, in die IG Farben ein (s. Aussage Heinrich Gattineaus im IG-Farben-Prozeß, in: Hans Radandt, Hrsg., Fall 6. Ausgewählte Dokumente und Urteil des IG-Farben-Prozesses, Berlin 1970, S. 52); es war daher dann auch wiederum kein Zufall, daß die berühmte Gattineau-Bütefisch-Mission vom November 1932 in Hitlers Privatwohnung (s. Eberhard Czichon, Wer verhalf Hitler zur Macht?, Köln 1967, S. 50) durch Rudolf H e ß vermittelt war (zu letzterem s. Gossweiler, Röhm-Dissertation, a.a.O., S. 301; zu den Beziehungen H e ß Gattineau insgesamt dort S. 301 ff., des weiteren aber etwa auch den bei Hans-Adolf Jacobsen, Karl Haushofer. . . , a.a.O., Bd. II, S. 110, wiedergegebenen Brief Gattineaus an Haushofer, in dem dieser Haushofer im Juni 1931 bittet, wegen eines den IG Farben mißfallenden Artikels in einer NSZeitung doch „einmal mit Herrn Hess über die grundsätzliche Seite der Angelegenheit zu sprechen"). Oder es sei, was Carl Dulsberg persönlich betrifft, auf das von Gossweiler, K a p . / R . . . . , a.a.O., S. 126f. erwähnte Lob Dulsbergs für das dank Röhms Reichswehr-Verschwörern im Zuge des Kapp-Putsches entstandene Bayern v. Kahrs im Jahre 1920 aufmerksam gemacht, das Duisberg auf der, gleichsam als Ovation an v. Kahr, im September 1920 nach München einberufenen Jahrestagung des „Vereins zur Wahrung der Interessen der chemischen Industrie Deutschlands" als eine Insel der „Ruhe und Ordnung" pries und von dessen zur Zeit der Tagung veranstalteten martialischem Spektakel eines Aufmarsches von 40000 „Wehrmännern" in München er den versammelten Chemieunternehmern „den sicherlich tiefen Eindruck der inneren Sicherheit... nach N o r d deutschland mitzunehmen" empfahl. Ohne Berücksichtigung der frühen Verbindungslinien, die es gerade durchaus auch von Konzernunternehmungen außerhalb des Montanbereichs zur Münchener NSDAP-Reichsleitung gab, bleibt insonderheit aber auch jede Analyse der zu Hitlers Reichskanzlerschaft führenden Monopolgruppen-Verständigung vom 4. Januar 1933 im Hause des Kölner Bankiers Kurt v. Schroeder unzulänglich und mithin auch das Bild von den zur unmittelbaren, d . h . aktiven industriellen Trägerbasis des Hitler-Papen-Kabinetts vom 30. Januar 1933 gehörenden Wirtschaftskreisen fragmentarisch. 274 Vgl. Anm. 251. 275 S. hierzu ausführlich das Kapitel „Die mitteleuropäische Verschwörung 1920-1922" (Kapitel II in Teil II) bei Thoss, a.a.O., S. 3 8 1 ^ 5 2 (sowie auch, zum vertieften Verständnis der Vorgänge speziell des Jahres 1923 und der Hintergründe des Münchener Putsches, das anschließende Kapitel III „Das Bündnis Ludendorff/Hitler und der Plan einer faschistischen Internationale 1922/23"). 276 Vgl. Thoss, a.a.O., insbes. S. 397ff.; dgl. aber auch S. 325, S. 444ff., 449 ff. usw. 277 Thoss, a.a.O., S. 388, auch 394 278 Ebd., S. 397f. 279 Vgl. Wolfgang Rüge, Hindenburg, a.a.O., S. 109 (Rüge berichtet hier,
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daß Stinnes Groeners Entlassung durch Ludendorff im Juli 1917 über Max Bauer veranlaßte), des weiteren z. B. auch S. 84 und S. 98. 280 S. hierzu die ausführlich bei George W. F. Hallgarten, Hitler, Reichswehr und Industrie. Zur Geschichte der Jahre 1918-1933, Frankfurt/Main 1955 im Ersten Teil des Buches („Stinnes, Seeckt und Hitler"), S. 12ff. geschilderten Verhandlungen von Stinnes mit der französischen Schwerindustrie. 281 Vgl. ebd., S. 12 282 Vgl. die gemeinsame Knegsziel-Denkschrift von Hermann Schumacher und Hugo Stinnes vom 16. November 1914, abgedruckt in: R. Opitz (Hrsg.), Europastrategien. . . , a.a.O., S. 275ff., in der unter der erklärten Devise, im Unterschied zu den an Frankreich und Belgien zu erhebenden (jeweils deren nahezu gesamten Kolonialbesitz einbegreifenden) Gebietsansprüchen gegenüber Rußland „maßvoll" sein zu wollen und nur „eine Verbesserung der bisherigen ungünstigen Grenze" zu verlangen, immerhin die Abtretung des gesamten Gebiets diesseits einer gerade gedachten Linie vom südöstlichsten Punkt Ostoberschlesiens bis zum Peipus-See und zur Narva-Bucht und dessen Ausbau zu einem „starke(n) Germanenbollwerk" gefordert wird, in dem sämtliches Eigentum, industrielles wie agrarisches, in deutsche Hand zu überführen und „die einheimische fremde Bevölkerung dieser Gebiete, aus der wir die uns nötigen Saisonarbeiter vor allem uns gewinnen müssen,. . . möglichst in den Grenzgebieten. . . zusammenzudrängen" ist (ebd., S. 277/278). 283 Zum in der Literatur vielfach in Abrede gestellten Mitbesitz Arnold Rechbergs am Wintershall-Konzern s. Ulrike Hörster-Philipps, Konservative Politik in der Endphase der Weimarer Republik. Die Regierung Franz von Papen, Köln 1982, S. 155. " 284 Vgl. hierzu ausführlich Ulrike Hörster-Philipps, ebd. (Kap. 2, III, 1 „Das Ringen um eine deutsch-französische Militärallianz: Die Konzeption Arnold Rechbergs und die Reichswehrführung", S. 155ff.), sowie insbesondere auch Eberhard v. Vietsch, Arnold R e c h b e r g . . . , a.a.O., S. 98 ff. (Kap. 8 „Der Kampf für ein französisch-deutsches Militärbündnis 1925-1928", zum Vorschlag eines integrierten Generalstabs dort u. a. S. 103; vgl. auch die Anhang-Dokumente Nr. 25ff.). Zur Koinzidenz der Rechberg'schen Pläne mit Überlegungen auch in der Reichswehrführung im Kreise um Schleicher und General Max Hoffmann (vgl. Anm. 249) sowohl Vietsch wie Hörster-Philipps, zu Schleichers engster täglicher Zusammenarbeit mit Rechberg ab Februar 1927 (bis 1932) Hörster-Philipps, a.a.O., S. 166ff. 285 Vgl. Vietsch, a.a.O., S. 65ff. (5. Kapitel „Arnold Rechberg und General Ludendorff 1919-1923", hier insbes. S. 67f.). Zum Bruch zwischen Rechberg und Ludendorff kam es seitens Rechbergs, als sich Ludendorff ab Ende November 1922 und dann vollends ab Januar 1923, nach der Wiederaufnahme des Kontaktes von Stinnes zu ihm (s. Anm. 299), immer sichtbarer mit der Rechbergs Konzept ganz ins Gesicht schlagenden antifranzösischen Konfrontationspolitik der Ruhrkonzerne und Cunos verband und sich hierbei - notgedrungen - immer ausschließlicher nur auf die N S D A P und die mit ihr im späteren „Kampfbund" sich vereinigenden Wehrverbände stützte. Vietsch veröffentlicht einige höchst interessante Briefe, die
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diesen Trennungs-Vorgang dokumentieren. So insbesondere einen von Rechberg bereits am 18. November 1922 vom Hotel Vierjahreszeiten aus an Ludendorff geschriebenen Brief (a.a.O., S. 192ff., D o k . 2 2 ) , in dem er diesen im Interesse des ihm mühselig zuriickerworbenen - für Rechbergs Militärpakt-Pläne unerläßlichen - „Vertrauen(s) der Entente" dringend warnt, sich noch weiter auf Hitler einzulassen, und vor allem dann Rechbergs ein Jahr später, nach Ludendorffs Teilnahme am Fiasko des Münchener Putschs, verfaßten ausführlichen Brief vom 28. November 1923, in dem er dem General, unter Berufung auf die früheren - mehrfachen - Warnungen, nunmehr förmlich seinen politischen Bruch mit ihm mitteilt (a.a.O., D o k . 2 3 , S. 195 ff.). Die Warnungen, die Rechberg schon ab 1921 vor antisemitischer und speziell auch antikatholischer Agitation an Ludendorff richtete (s.bei Vietsch, a.a.O., z . B . die Dokumente Nr. 18ff.), standen ganz im Kontext dieser aufbrechenden Kontroverse zwischen Rechbergs Konzept eines Ostkriegs-Pakts mit den Entente-Mächten und dem nach wie vor an der Stoßrichtung auf den französisch-belgischen kontinentalen und überseeischen Montanbesitz und dementsprechend der Priorität eines militärischen Schlags gegen Frankreich, mithin also (wegen -der gleichzeitigen Rußland-Interventions- und Südostexpansions-Pläne) an einem WestOst-Knegskonzept festhaltenden „Katastrophen"kurs der Ruhrindustriellen um Stinnes und Thyssen und des Ludendorffkreises, der über dieser Kontroverse sich nun freilich auch selbst personell umstrukturierte (außer Rechberg z . B . vor allem und noch vor ihm nun Hermann Ehrhardt, Pabst und andere Freikorpsführer verlor und in Gegnerschaft zu sich brachte; vgl. Thoss, a.a.O., S . 9 und S. 237 ff. - Rechbergs Warnungen vor Ludendorffs sich verschärfendem und schon jetzt zunehmend verfolgungswahnhafte Züge annehmendem Antisemitismus und Antikatholizismus hielten ausschließlich auf die Opportunität für die Westpakt-Pläne Bezug, wie allen hierzu bei Vietsch veröffentlichten Dokumenten zu entnehmen ist). Nicht Ludendorffs Beteiligung am Münchener Putsch als solche, in dessen Scheitern für Rechberg nur der Weg, vor dem er den General gewarnt hatte, seinen negativen Gipfel- und Endpunkt erreicht hatte, und schon gar nicht etwa das Diktaturziel dieses Putsches als solches, sondern dieser expansionsstrategische Orientierungs-Gegensatz war der Grund für Rechbergs Trennung von Ludendorff und der Münchener Putsch nur der letzte Anlaß für deren - vielfach vorangekündigten und damit in der Sache auch schon tatsächlich längst angebahnten - endgültigen Vollzug. Wenn Thoss daher diesen Trennungsvorgang und Bruch ohne irgendeinen hierfür ersichtlichen Anhaltspunkt in den zugänglichen Quellen auf den Nenner eines Prozesses der „Entflechtung von rechten Konservativen und Radikalen" (a.a.O., S.238) bzw. „Rechtskonservativen" und „Rechtsradikalen" (ebd. S.237) bringt, so wird man dies wohl, ohne damit die großen Verdienste dieser Arbeit in Abrede zu stellen, als einen erstaunlichen (gerade wegen der gründlichen Quellenbeachtung, durch die diese Arbeit im übrigen sich auszeichnet, besonders unerklärlichen) Fall einer Rückprojektion der im politologischen Schablonenkasten verfüglichen Richtungsbegriffe in die Geschichte bzw. des Versagens der eigenen Lesefähigkeit - was die Quellen und ihre Aussagen betrifft - vor der Ubermacht ihrer Suggestionskraft
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bezeichnen müssen (soweit es sich nicht, was immerhin - denn es handelt sich um eine Dissertation - denkbar wäre, da nur fast landesübliche Regel, um notwendige Konzessionen an die Doktorväter handelt). Denn darüber, ob die Verfechter des Ostkriegs-Konzepts (über das Rechberg, Ehrhardt etc. sich mit v. Kahr und auch v. Lossow viel eher einig werden konnten als mit Ludendorff, daher mit ihnen jetzt auch mehr als mit dessen „Kampfbund" zusammenarbeiteten) in ihren innenpolitischen, die Demokratie resp. Formen einer künftigen, ja auch von ihnen angestrebten Diktatur betreffenden Zielvorstellungen oder -gelüsten wirklich weniger „radikal" was ja nur heißen kann: weniger terroristisch (also nur eben irgendwie autoritär-konservativ in althergebracht-klassischem Sinne) - gewesen seien als die Parteigänger des West-Ostkriegs-Konzepts, wäre wohl füglich zu streiten; und zwar nicht in platonischer Manier, sondern auf der Grundlage des vorhandenen Materials etwa über die Rolle, Pläne und Organisationsgründungen Hermann Ehrhardts, die von Rechberg speziell favorisierte Putsch- und Bürgerkriegstruppe, Mahrauns „Jungdeutschen Orden" (s. Anm. 322), sowie nicht zuletzt über die (in ihren geschichtlichen Fortwirkungen bis nach Bad Hersfeld heute, dem Stammsitz und Herrschaftsgebiet der Rechbergs, führende) spätere, mit Schleichers Diktaturplänen in Zusammenhang stehende Rolle Rechbergs und des Wintershall-Konzerns bei der Finanzierung der geheimen SA-Bewaffnung im Jahre 1931 gemeinsam mit dem Allianz-Generaldirektor Dr. Kurt Schmitt und dem Wintershall-Vorsitzenden Günther Quandt, sowie auch über Rechbergs Betätigung ab 1937 als Verfasser von Ostknegs-Petitionen an die Hitler-Regierung (zur SA-Finanzierung durch den Wintershall-Konzern 1931 vgl. Henry Ashby Turner jr., Hitler aus nächster Nähe. Aufzeichnungen eines Vertrauten d.i. Otto Wagener, R . O . - 1929-1932, Frankfurt/Main, Westberlin, Wien 1978, S. 368ff.; zu Rechbergs Ostknegs-Petitionen Vietsch, a.a.O., S. 140ff., sowie die Wiedergabe eines Rechberg-Schreibens an den Chef der Reichskanzlei, Heinrich Lammers, in: Eichholtz/Schumann [Hrsg.], Anatomie des Krieges. Neue Dokumente über die Rolle des deutschen Monopolkapitals bei der Vorbereitung und Durchführung des zweiten Weltkrieges, Berlin 1969, S. 193f.). 286 Vietsch berichtet, a.a.O., S. 145, daß „ein bekannter amerikanischer Journalist Arnold Rechberg bereits im Juni 1945 aufsuchte und um ein Interview über seine „Auffassung der politischen Lage" bat, in dem Rechberg, der der Bitte nachkam, „sich völlig auf die umfassende Drohung des Bolschewismus" konzentrierte, „wie eh und je zum Kampf dagegen" aufrief, „vor jeder alliierten Zusammenarbeit mit den Bolschewisten warnte" und „de(n) alte(n) Plan des Generals Hoffmann" (vgl. Anm. 249) wieder hervorholte. Zu Rechbergs Bemühungen, Derartiges auch an General De Gaulle, den Kaiser-Enkel und diverse Bekanntenkreise zu lancieren, s. ebd., S. 145ff. Am 8. März 1946 erläuterte Rechberg seinen Ostkriegsbündnis-Vorschlag dem damaligen bayerischen Wirtschaftsminister Ludwig Erhard und dessen Kollegen, dem bayerischen Finanzminister Terhalle, die er beide zu diesem Zweck auf sein Schloß Lenggries bei Bad Tölz geladen hatte, was zu einem parlamentarischen Nachspiel im bayerischen Landtag auf Grund einer KPD-Anfrage und zu einem Verhör der beiden Minister durch die Militär-
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regierung führte; Rechberg jedoch hatte Gelegenheit, seinen Plan sogar dem amerikanischen Militärgouverneur McNarney und anderen Repräsentanten der amerikanischen Militärbehörde persönlich vorzutragen. S. Dieter Mühle, Ludwig Erhard. Eine Biographie, Westberlin 1965, S. 76 f. Vietsch, über dessen Urteilskraft wohl allein schon der Umstand alles besagen dürfte, daß er einen Satz zu schreiben vermag wie „Gustav Stresemann... endete... als ein Befürworter des Geistes, nicht der Materie" (a.a.O., S. 152), der dementsprechend in der „Schlußbetrachtung" seines Rechberg-Buchs denn auch als „das wahre Problem der deutschen Mitte" die „weltweite und umfassende Zusammenarbeit" der Nationen „dem bolschewistischen Materialismus gegenüber" zu benennen weiß und daher abschließend allen Ernstes von Rechbergs lebenslänglichem beharrlichen Drängen auf den vereinigten Westmächte-Krieg gegen die Sowjetunion als einer „leidenschaftlichen Hingabe an ein großes Ziel" sprechen kann, „die uneigennützig, ohne Gegenleistung eigene finanzielle Mittel opferte" und daher den „positiven Seiten des Charakters" seines - ansonsten als unflexibel gescholtenen - Helden zuzurechnen sei (a.a.O., S. 153 und 147f.), hat deshalb aber wohl nicht ganz Unrecht, wenn er in eben dieser Schlußbetrachtung, auf den 1947 verstorbenen Rechberg zurückblikkend, schreibt: „ . . . k a u m 10Jahre später hätten seine Augen eines der erstaunlichsten geschichtlichen Wunder erblicken können: Deutschland mit Frankreich politisch so einig wie niemals zuvor, verknüpft durch starke wirtschaftliche Bande, die bald in politische Vereinbarungen übergingen, die Westmächte mit Deutschland verbunden gegen den Bolschewismus, gemeinsam mit einer übernationalen Verteidigungsorganisation mit einem gemeinsamen Generalstab und sogar gemeinsamen Truppenverbänden... Hätte er nicht in der Bundesrepublik Deutschland immerhin doch die Erfüllung seiner politischen Vorstellungen finden können und in ihr bei längerer Lebzeit noch eine wichtige Vermittlerrolle spielen können?" (a.a.O., S. 147). 287 Zur Demaskierung der um das Feldherren-Paar Ludendorff-Hindenburg künstlich aufgezogenen Tannenberg-Legende s. Wolfgang Rüge, Hindenburg, a.a.O., S. 45ff. (Kapitell, 1 „Tannenberg - Die Lüge vom zweiten Cannae") 288 Vgl. Rüge, ebd., S. 83 289 Vgl. den Aufruf Georg Heims vom 1. Dezember 1918, in Auszügen abgedruckt bei Maser, Sturm.. ., a.a.O., Dokumentenanhang S. 466f. 290 S. (u. a.) Thoss, a.a.O., S. 187. Der Gesprächspartner des Kronprinzen Rupprecht war Sigurd v. Ilsemann, der ehemalige Flügeladjutant und Vertraute Wilhelms II., der in seinen Erinnerungen (S. v. Ilsemann, Der Kaiser in Holland. Aufzeichnungen des letzten Flügeladjutanten Kaiser Wilhelms II. 1918-1923, hg. von Harald v. Koenigswald, Bd. I, Amerongen und Doorn 1918-1923, München 1967, S. 163ff.) über diese Unterredung, die am 4. November 1920 stattfand, berichtet. 291 S. Gossweiler, Röhm-Dissertation, a.a.O., S. 225, sowie auch ders., Großbanken, Industriemonopole, Staat, a.a.O., S. 41. 292 In Gossweilers Röhm-Dissertation findet sich, a.a.O., S. 334, zur Erklärung des auffallenden Beharrens der NSDAP-Führung auf München als Sitz der Reichsparteileitung und der nicht minder auffälligen Herkunft
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der meisten prominenten NSDAP-Führer aus Süddeutschland folgende aufschlußreiche Stelle: „München war von jeher das wichtigste Zentrum des bürgerlichen Kampfes gegen das .Preußentum', gegen die Vorherrschaft des schwerindustriell-junkerlichen Blockes über Deutschland. München und überhaupt Bayern war aber auch eine bevorzugte Domäne des StaußFlügels der Deutschen Bank, der sich ebenfalls durch seinen Gegensatz zur Ruhrschwerindustrie und zu den ostelbischen Krautjunkern auszeichnete und sich im Kampf gegen sie auch auf den bayerischen Partikularismus stützte. Aber auch für den in der Münchener Parteileitung ausschlaggebenden Strasser-Flügel war besonders kennzeichnend seine Preußen-Feindlichkeit, die sich bereits im Strasser-Programm von 1925 in der Forderung nach Aufteilung Preußens ä u ß e r t e . . . " . Emil Georg von Stauß war der für sämtliche Ölgeschafte seines Instituts zuständige und als Nachfolger des einstigen Bagdadbahn-Promotors Arthur von Gwinner nach übereinstimmenden zeitgenössischen Zeugnissen damals einflußreichste Direktor der Deutschen Bank. Zu den Zusammenhängen zwischen dem Donaukonföderations-Plan und den im „Kölschen Klüngel" sich zentrierenden Weststaats-Bestrebungen maßgeblicher Bank- und Industriekreise des RheinRuhr-Gebiets unter führender Beteiligung von Stinnes vgl. vor diesem Hintergrunde in Gossweiler, Großbanken, Industriemonopole, Staat, a.a.O., S. 266ff., das Kapitel „Die separatistischen Bestrebungen der Industriellen an Rhein und Ruhr" sowie ergänzend Thoss, a.a.O., S. 389ff. 293 S. Thoss, a.a.O., S. 188. Die Kampagne erfolgte in Reaktion auf die im Herbst 1919 von den Wittelsbachern und von Georg Heim inspirierte Gründung der „Bayerischen Königspartei" unter Josef Mayer-Koy, Karl Graf Bothmer u.a., zu deren Hauptmäzenen der finanzkräftige Erbe der Maschinenfabrik Augsburg-München (MAN) und päpstliche Ehrenkämmerer Theodor Freiherr von Cramer-Klett gehörte, dessen langjähriger Privatsekretär der Königspartei-Vorsitzende Mayer-Koy war (ebd.). Zur Beteiligung Cramer-Kletts auch an der Finanzierung der N S D A P vgl. Gossweiler, K a p . / R . . . ., S. 353/354. 294 Vgl. hierzu die ausführlichen Darstellungen bei Thoss, a.a.O., insbesondere ab Kapitel IV, 2 („Der ,Königsputsch'-Versuch im Herbst 1921"), S. 182 ff. 295 Ebd., S . 2 0 6 f f . , auch S . 4 1 9 f f . 296 Ebd., S. 212ff. Zum Übergang Ehrhardts und Pabsts in die Zusammenarbeit mit v. Kahr und Pittinger s. dort zuvor S. 207f. (Ehrhardt) und (zu Pabst, der inzwischen „Stabsleiter der Tiroler Heimwehr" geworden war) S. 211. 297 Oberst Max Bauer hatte freilich schon im März 1922 der erwähnten Rivalitäten wegen einen „Aktionsplan" entworfen, der den vollständigen Bruch des Ludendorff-Kreises mit Pittinger und den Aufbau einer eigenen Mitglieder- und Wehrverbandsbasis vorsah (s. Thoss, a.a.O., S. 205). Zur tatsächlichen Trennung kam es jedoch erst nach dem französischen RuhrEinmarsch in Zusammenhang mit den Auseinandersetzungen um die Vorbereitung auf einen Frankreich-Krieg und insbesondere um das Konzept der „nationalen Einheitsfront", vgl. hierzu ausführlich Gossweiler, Kap./ R . . . ., a.a.O., S. 366-392, sowie Thoss, a.a.O., S. 269f. Zur Initiative Röhms bei der Aufkündigung des Pakts mit Pittinger s. sowohl Thoss,
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a.a.O., S. 268f., wie Gossweiler, a.a.O., S. 392f. Vgl. auch die von Thoss S. 161 erwähnte Denkschrift Röhms unter dem Titel „Die Gründe meiner Trennung von Dr. Pittinger" vom Frühjahr 1923. 298 S. Röhm, a.a.O., S. 167, desgl. Thoss, a.a.O., S.273, und Gossweiler, a.a.O., S. 392. Zur Verantwortlichkeit v. Lossows Thoss S. 268 sowie 272/ 273. 299 S. Thoss, a.a.O., S. 280 300 S. George W. F. Hallgarten, Hitler, Reichswehr und Industrie, a.a.O., S. 12ff., die Tagebuch-Eintragung von Castle, ebd., S. 60. Castle fährt an der zitierten Stelle fort, daß dieser Trust „sicherlich versuchen würde, die Welt zu beherrschen. Die Vision von Stinnes reicht weit. E r sieht, wie der Weg gen Osten sich wieder öffnet, das Verschwinden von Polen, die deutsche wirtschaftliche Ausbeutung von Rußland und Italien" (ebd.). Die Forderungen der französischen Seite nach einer höheren eigenen Beteiligungsquote wies Stinnes mit dem Argument zurück, er „könne nicht mit Loucheur einen Konzern bilden, in dem Loucheur 60 % und Stinnes 40 % besäßen" (ebd. S. 74). Zum Gesamtkomplex der Frankreich-Verhandlungen von Stinnes vgl. auch Gossweiler, Großbanken, Industriemonopole, Staat, a.a.O., S. 170ff. 301 Als Datum der französischen Absage an die Fusionspläne von Stinnes gilt eine am 7. November 1922 von Frankreichs Minister für den Wiederaufbau der zerstörten Gebiete, Louis Loucheur, in der französischen Kammer gehaltene Rede. Vgl. Hallgarten, a.a.O., S. 75, Anm. 24. 302 Vgl. Hallgarten, a.a.O., S. 17f., insbesondere auch die dortigen Anmerkungen 29 und (zum Gegensatz Rechberg-Stinnes) 31, sowie Gossweiler, Großbanken,. . ., a.a.O., S. 196ff. 303 S. Hallgarten, a.a.O., S. 18; Gossweiler, a.a.O., S. 198ff. 304 S. Gossweiler, K a p . / R . . . ., a.a.O., S. 367, auch G r o ß b a n k e n . . . , a.a.O., S. 193ff. und 202ff.; auch Hallgarten, a.a.O., S. 18 305 Vgl. Hallgarten, a.a.O., S . 2 0 f f . , Gossweiler, K a p . / R . . . . , S. 371ff., sowie insbes. Großbanken. . . , a.a.O., S. 197ff. Die Orientierung der Cuno-Regierung auf einen Krieg mit dem militärisch überlegenen Frankreich erschließt sich dem Verständnis - worauf hier hingewiesen sei - erst vor dem Hintergrund, daß es sich bei den Auseinandersetzungen des Jahres 1923 um einen durchaus internationalen Finanzmächte-Kampf um den führenden Einfluß in Europa handelte. 306 Vgl. hierzu die unten ausführlich erörterte Stinnes-Denkschrift vom Oktober 1922, wiedergegeben bei Hallgarten a.a.O. unter der Uberschrift „Stinnes' großer Plan von 1922" als Dokument 2, S. 52 ff. 307 Zur Charakterisierung der Diktaturpläne von Stinnes vgl. das gegen Ende dieses Kapitels in Auszügen wiedergegebene Telegramm des amerikanischen Botschafters Houghton vom 21. September 1923 (Hallgarten, a.a.O., Dokuments), letzter Absatz; zu Cunos späterer Rolle z . B . seine am 5. Oktober 1931 zwecks Umbildung des ersten Brüning-Kabinetts an Reichspräsident Hindenburg eingereichten Personalvorschläge für eine „von jeder parteimäßigen Bindung" befreite „nationale" Regierung nebst nachgereichtem knappem Wirtschaftsprogramm, in dem u. a. gefordert wurde, die „bolschewistische Gleichmacherei" zu beenden, die „nur die oberen Schichten entrechtet", per Notverordnung die Tarifvertragsbindung
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der Löhne aufzuheben, die Lohn-, Steuer- und Soziallasten sowie Zinssätze für die Unternehmer zu senken, die Sozialversicherung abzubauen und auch „besonders" die „Frage der Ausschaltung der Frauen und der Minderjährigen" aus dem Sozialversicherungswesen „zu prüfen", s. Asendorf, Nationalsozialismus und Kapitalstrategie, a.a.O., S. 155f. 308 Die Kontaktaufnahme mit den bayerischen Wehrverbänden erfolgte daher aber auch keineswegs nur über Ludendorff, sondern zugleich auch und sogar vorrangig - über die maßgeblichen Führer der hinter v. Kahr und Pittinger stehenden, das ausschlaggebende Potential darstellenden blauweißen Wehrverbände sowie auch über die bayerische Reichswehrführung und über v. Kahr und Pittinger selbst. Über die Vielzahl der in diesem Zusammenhang - nicht zuletzt auch über Ehrhardt und Forstrat Escherich sowohl von Stinnes, Cuno und Seeckt wie etwa auch von Heinrich Claß nach Bayern hin unterhaltenen Kontakte s. sowohl Hallgarten wie Thoss sowie alle einschlägigen Darstellungen der Vorgeschichte des Münchener Putschs vom 8-/9. November 1923. Die Umrüstung auch der SA „zu einer militärischen Kampforganisation" in Zusammenhang mit der französischen Ruhr-Besetzung bestätigt Hitler in Mein Kampf, Bd. II, S. 619, indem er sie dort nachträglich als eine „vom Gesichtspunkt der Bewegung a u s . . . schädliche" bedauert (s. auch Anm. 338); ihre Orientierung auf die aktive Teilnahme an einem Krieg gegen Frankreich sowie persönliche Unterredungen Cunos in Zusammenhang mit dem in Aussicht genommenen „Volkskrieg" mit General v. Lossow wie auch mit Hitler und Rohm in München bezeugt Röhm, a.a.O., S. 169. Zu den die Umstellung auf einen militärischen Wehrverband auch formell kodifizierenden neuen SA-Richtlinien vom 11.7.1923 S.Heinrich Bennecke, Hitler und die SA, München 1962, S. 236f., sowie Thoss, a.a.O., S- 315. 309 S. Hallgarten, a.a.O., S. 24. Hallgarten beschreibt hier auch die unmittelbaren Interessen, die Stinnes mit diesem Vorschlag verfolgte: „Der Plan ist ganz offensichtlich von Stinnes' industriellem Expansionsprogramm diktiert. Um seine Macht trotz des Ruhreinbruchs auszubauen, stößt der Konzern damals in die ganze Welt, besonders aber in Deutschlands östliche Nachbarstaaten vor, bemächtigt sich in Österreich der Alpinen Montangesellschaft, beteiligt sich an Kohlengruben in Bosnien, an rumänischen Ölquellen, an tschechischen Zuckerfabriken und erwirbt in der ersten Hälfte des Jahres 1923 von dem Siegerländer Stahlindustriellen Friedrich Flick die Kontrolle über den bedeutenden ostoberschlesischen Trust Bismarckhütte - Kattowitzer Bergbau A G . " 310 S. ebd., S . 2 4 f . 311 Ebd., S. 26. 312 S. Hallgarten, ebd., S. 25. Seeckt verlangte, Hallgarten zufolge, „daß Thyssen mit seiner Militärspielerei sofort Schluß mache und die von ihm und Watter aufgestellten Verbände dem Befehlshaber von Wehrkreis VI, General v. Loßberg, unterstelle", erteilte jedoch zugleich dem Oberstleutnantjoachim v. Stülpnagel „den Befehl, die Sabotage im Ruhrgebiet sachgemäß zu organisieren, und verschaffte ihm hierzu beträchtliche Geldmittel. Der Schritt erfolgte im Einvernehmen mit vier Mitgliedern des Reichskabinetts: dem Reichskanzler Cuno, dem Reichswehrminister Dr. Geßler, dem Innenminister Hamm und dem Reichsarbeitsminister Brauns." (ebd.)
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313 Ebd., S. 26. Zum Ergebnis dieses Versuchs schreibt Hallgarten: „Als Haupt einer Arbeiterpartei, die den Widerstand an der Ruhr hauptsächlich trägt, fühlt Ebert sich außerstande, diesen Plänen seine Zustimmung zu verweigern, obwohl sie mit seiner mehr westlichen Orientierung nicht ganz übereinstimmen. Im Falle feindlicher Angriffe, äußert er, müsse sich Deutschland eben wehren, so gut es gehe." (ebd.) 314 Ebd., S. 27. Escherich, vermerkt Hallgarten, war „von drei führenden preußischen Junkern" als weiteren Vertretern des „rechtsgerichteten nationalen Aktivismus" begleitet. 315 So bei Hallgarten S. 27; bei Thoss, a.a.O., S. 280 jedoch Ossius. 316 Vgl. bei Hallgarten, a.a.O., Anm. 57 zu Textseite 27. 317 Nach Hallgarten, a.a.O., S. 27 am 20. Februar; laut Thoss, a . a . O . , S. 280, hingegen am 21. Februar. 318 Vgl. Hallgarten sowie Thoss jeweils ebd. 319 Hallgarten ebd., S. 27. 320 Freilich nimmt insbesondere v. Kahr hier eine gewisse Sonderstellung ein, da sein scharf gegen die Regierung in Berlin gerichteter Kurs durchaus nicht ein reichs-, sondern nur ein republikfeindlicher Kurs war, der sich im Kampf um das angestrebte Ziel einer „nationalen" Reichsdiktatur auch des Mittels der Erpressung und Schwächung der Reichsregierung durch die Drohung mit Bayerns Abfall vom Reich und seiner zeitweiligen Separierung von ihm bediente (und dabei freilich zugleich das Ziel der Restauration der Wittelsbacher-Monarchie und einer künftigen europäischen Rolle Bayerns in einem wie immer neu gegliederten Deutschland der restaurierten Monarchien verfolgte), keineswegs jedoch damit - wie dies auch für Heim, Pittinger und den Kronprinzen Rupprecht gilt - eine Minderung etwa der deutschen Großmachtstellung und Ausgangsbasis für eine Weltmachtrolle bewirken wollte, um deren Beförderung es ihm vielmehr gerade ging wenn anders der Umstand, daß gerade die von Heinrich Claß ventilierten Personalvorschläge für ein bayerisches und ein Reichs-Diktaturdirektorium mit Kahr und Pittinger, den engsten Beratern des Kronprinzen Rupprecht, abgestimmt waren (vgl. Thoss, a.a.O., S. 321; im einzelnen Petzold, Claß und Hitler, a.a.O.), nicht von vornherein ganz und gar unerklärlich sein soll. Insofern haftet dem Ausdruck „Separatismus" als Bezeichnung für das von der damaligen BVP-Führungsspitze um Gustav v. Kahr verfolgte Konzept etwas durchaus Euphemistisches, ihr Kaliber - wie nur ganz analog auch dasjenige der Rheinbundpläne - Verbiedermeierndes an. Ebenso charakteristisch für die tatsächlichen konzeptionellen Interessengegensätze ist andererseits allerdings auch, daß die Verständigung zwischen Claß und den bayerischen Monarchistenführern wegen Pittingers Beharren auf einer vorübergehenden Trennung Bayerns vom Reich, auf einem bayerischen Generalsteuerstreik gegen das Reich und einer eigenen bayerischen Währung dann doch auf halbem Wege steckenbleibt und nicht zustandekommt (vgl. Thoss S. 313 ff.). 321 Vgl. etwa die höchst interessante öffentliche Invektive des bayerischen Kronprinzen Rupprecht gegen Ludendorff im Zuge der sich ab Sommer 1923 zuspitzenden Konfrontation, in der Rupprecht die Kontroverse auf ihren tatsächlich strittigen Punkt in dem Vorwurf an Ludendorff bringt, der General gedenke, „die deutsche Jugend in einen neuen aussichtslosen
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Kampf gegen Frankreich zu hetzen" und führe eben „dadurch eine Teilung Deutschlands" herbei. (Thoss, a.a.O., S. 320). Die Position Ludendorffs, die Rupprecht richtig verstanden hatte und die Thoss nach einem Brief Ludendorffs vom November 1923 in dessen eigenen Worten wiedergibt, lautete: „Jede Gesundung bei uns kann nur auf die Gefahr eines Krieges mit Frankreich erfolgen, wenn wir sie nicht in Kauf nehmen, sollen wir auf Gesundung verzichten!" (ebd.). Zur Charakterisierung des konzeptionellen Gegensatzes Kronprinz Rupprecht - Ludendorff s. auch Gumbel, a.a.O., S. 195 ff. 322 Auf diese engen Verbindungen verweist allein schon der erwähnte, von Hallgarten mitgeteilte Umstand, daß sich Seeckt zuallererst an Forstrat Escherich wandte (s.o.), der inzwischen zu bedeutendem Einfluß im norddeutschen Wehrverbandswesen gelangt war. Vgl. vor allem jedoch die Zusammenareit Ehrhardts (s. Anm. 296) und der aus der „Organisation Consul" hervorgegangenen Ehrhardt-Organisationen (insbesondere „Wikingbund", „Neudeutscher Bund", s. Gumbel, a.a.O., S. 81 ff.) mit v. Kahr, unter dessen Protektion Ehrhardt im Herbst 1923 sogar in aller Offenheit eine komplette, hochausgerüstete Bandenarmee - bestehend aus „Bund Oberland", „Wehrwolf", „Stahlhelm", „Bund Wiking", „Bismarckbund", „Roßbachbund" usw. - in Koburg an der thüringischen Grenze zwecks Aufbruchs nach Berlin aufstellen durfte (Gumbel, a.a.O., S. 85). Zu den sich hier zusammenrottenden und seinem Befehl unterstellenden Wehrverbänden gehörte auch Arthur Mahrauns „Jungdeutscher Orden" (Gumbel ebd.), der sich im September 1923 Ludendorffs Kampfbund „in bedingter Form" zur Verfügung gestellt hatte (Thoss, a.a.O., S. 324), seine für ihn selbst maßgebliche politische Orientierungsfigur jedoch ebenfalls in v. Kahr sah, dem er am 2. November 1923 seine ungeduldige Entschlossenheit, auf dessen Wink hin loszuschlagen, von einem Koburger „Jungdeutschen Abend" aus mit dem Entschließungstext signalisierte: „Mit fieberhafter Spannung" warteten die Jungdeutschen in Oberfranken, „daß Ew. Exzellenz endlich den Befehl zum Einsatz aller kampfbereiten Kräfte geben!" (Thoss S. 341; zu den dazu nur analogen Bemühungen Rechbergs, Ludendorff ein nicht mit v. Kahr koordiniertes Vorgehen auszureden, vgl. Anm. 285). 323 Vgl. z. B. das 1928 in der ersten Auflage seiner „Geschichte eines Hochverräters" geäußerte und noch in der 5. Auflage vom Jahre 1934 (dort S. 348) wiederholte, im Rückblick auf seinen Austritt aus der N S D A P und SA am l . M a i 1925 und die ihm vorausgegangenen Auseinandersetzungen mit Hitler niedergeschriebene Bekenntnis Röhms: „Ich kann mir nicht denken, daß sich drei Dinge nicht vereinen lassen sollten: Meine Anhänglichkeit an den angestammten Fürsten des Hauses Wittelsbach und Erben der Krone Bayerns; meine Verehrung für den Generalquartiermeister des W e l t k r i e g e s . . . ; meine Verbundenheit mit dem Herold und Träger des politischen Kampfes, Adolf Hitler." 324 S. Erich Ludendorff, Kriegführung und Politik, Berlin 1922 2 , sowie die hiermit voll übereinstimmende gemeinsame Haltung Röhms und Ludendorffs im von Rohm (Die Geschichte eines Hochverräters, a.a.O., S. 321 ff.) ausführlich geschilderten Streit um den „Frontbann" in den Jahren 1924/25 und Röhms eigene, nur ganz und gar dem Credo Luden-
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dorffs konforme - und gegen Hitler gekehrte - Positionsbekundung: „Für das dritte Reich deutscher Geltung, Kraft und Ehre erstrebe ich, daß der Kämpfer, der bereit ist, sein Leben einzusetzen und hinzugeben, die entscheidende Stimme hat. U m gar nicht mißverstanden zu werden: nicht eine Stimme, sondern die entscheidende. Ich verlange, um es kurz zu sagen, das Primat des Soldaten vor dem Politiker. Insbesondere fordere ich dies für den enger gezogenen Rahmen der nationalistischen Bewegung. In einem Machtstaat, in einer Bewegung, die die Macht erstrebt, muß der Soldat die erste Stelle einnehmen." (ebd. S. 349). Zu Röhms Versuch, den befürworteten „Wehrstaat" zu definieren und vom verachteten „Politiker"-Staat darunter durchaus auch einem diktatorischen - abzugrenzen, s. ebd., S. 172: „Grenze und Ziel des von Parteien abhängigen und durch Parteifunktionäre geleiteten Staatswesens wird stets der Polizeistaat sein - niemals der Wehrstaat. Der Polizeistaat wird durch Regierungsräte, Schutzleute und Gerichtsvollzieher im Schwange gehalten; der Kämpfer kann er entraten. Der Polizeistaat ist tapfer gegen innen und feig nach außen; der Wehrstaat richtet die gesammelte Kraft gegen den äußeren Feind." 325 S.Thoss, a.a.O., S.273. 326 Vgl. Rohm, a.a.O., S. 170ff. Die Gründungsverlautbarung der „Arbeitsgemeinschaft" dort S. 171. Sie war unterzeichnet von Hitler (für: NSDAP), Mulzer (für: Oberland), Heiß (für: Reichsflagge), Zeller (für: Vaterländische Vereine Münchens, einem Nachfolgeverband der Münchener Einwohnerwehr) und Hofmann (für: Kampfverband Niederbayern). Seine Initiatorenrolle bei der Gründung der „Arbeitsgemeinschaft" bezeugt Rohm, ebd., S. 170, mit den Worten: „Um es vorweg zu nehmen: Als Vater dieses Kindes muß ich mich bekennen." 327 Auf dem Wege von der Bildung der „Arbeitsgemeinschaft" bis zur Gründung des „Deutschen Kampfbundes" auf dem „Deutschen Tag" in Nürnberg (einer Veranstaltung des „Deutschvölkischen Schutz- und Trutzbundes") am 2. September 1923 lagen zahlreiche, von Röhm z . T . selbst a.a.O. beschriebene Auseinandersetzungen, so insbesondere diejenige um den Versuch der Mitgliedsverbände der „Arbeitsgemeinschaft", den 1. Mai 1923 zur „Abrechnung mit dem Marxismus" durch einen bewaffneten Uberfall der auf dem Münchener Oberwiesenfeld anberaumten Maikundgebung der Arbeiterparteien und Gewerkschaften zu nutzen, der wegen der von Röhm gegen v. Lossows ausdrückliches Verbot ermöglichten Bewaffnung der Wehrverbände aus den unter seiner Aufsicht stehenden Reichswehr-Depots zu Röhms - schon bald freilich wieder abgemilderter militärischer Dienstenthebung und Strafversetzung am 3. Mai 1923 führte (der Überfall selbst mußte wegen der Waffen-Rückforderung v. Lossow an O r t und Stelle abgeblasen werden und schlug damit in eine innere Krise der „Arbeitsgemeinschaft" um). Zu den wichtigsten Vorgängen innerhalb der „Arbeitsgemeinschaft" bis zur Konstitution des „Kampfbunds" im September 1923 s. ausführlich das Kapitel VIII in Gossweiler, Kap./R. . . ., a.a.O., sowie Thoss S. 307 ff. Die im Hintergrund aller zum Niedergang der „Arbeitsgemeinschaft" führenden Prozesse stehende Auseinandersetzung um das Verhältnis zu den Mehrheitskräften der bayerischen Reaktion um v. Kahr war jedoch auch mit der Konstitution des „Kampfbunds" nicht abgeschlossen.
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Als sich v. Kahr in Reaktion auf den Versuch des „Kampfbunds", die Bekanntgab; des Abbruchs des passiven Widerstands an der Ruhr zur eigenen Initiative zu nutzen und sich an die Spitze der Aufbruchsbewegung gegen Berlin Zu setzen, am 26. September 1923 in Absprache mit Kronprinz Rupprecht zum „Generalstaatskommissar" ausrufen ließ und er anschließend sofort einen forschen, die bayerische Rechte beeindruckenden Konfrontationskurs gegenüber der Reichsregierung und scharf „nationalen" innerbayerischen Diktaturkurs einschlug, dem Kronprinz Rupprecht mit dem „Befehl" an alle bayerischen Offiziere sekundierte, sich „eingedenk ihres Fahneneides... rückhaltlos hinter Generalstaatskommissar v. Kahr" zu stellen (s.Thoss, a.a.O., S. 329), schwenkte Anfang Oktober 1923 auch der größere Teil der „Reichsflagge" unter ihrem Führer Hauptmann Heiß aus dem „Kampfbund" zu v. Kahr über (s.Röhm, a.a.O., S.220f., Thoss, a.a.O., S. 329f.; Rohm faßte die im Kampfbund verbleibenden, von Heiß daher für aufgelöst erklärten Ortsgruppen der Reichsflagge nunmehr zur „Reichskriegsflagge" zusammen und machte sich zu ihrem Führer); ein Jahr zuvor hatte sich ihm bereits eine Minderheitengruppe des „Bundes Oberland" angeschlossen - und daher, unter nunmehr eigenem Namen, von diesem abgesondert (s. Anm. 328). 328 Der aus dem einstigen „Freikorps Oberland" hervorgegangene „Bund Oberland", der sich in Rücksicht auf die Bestimmungen über die Wehrverbands-Auflösung am 31. Oktober 1921 diesen zivileren Namen und eine zivile Führung unter Leitung des Thüle-Mitglieds und Eisenbahninspektors Friedrich Knauf zugelegt hatte (s. Thoss, a.a.O., S. 217), war am 23. September 1922 auf Grund erfolgreicher Bemühungen Pittingers, Knauf - und über ihn möglichst den „Bund Oberland" selbst - ins Lager v. Kahrs hinüberzuziehen, in eine von Knauf geführte Sezessionsgruppe unter dem Namen „Bund Treu Oberland" einerseits, die in der Minderheit blieb, und den gerichtlich die Berechtigung zur Beibehaltung des alten Namens gegen Knauf sich erkämpfenden Mehrheitsflügel andererseits zerfallen, dessen Führung nunmehr das Thüle-Mitglied Dr. Friedrich Weber, der Schwiegersohn F.J. Lehmanns, von Beruf Veterinärmediziner, übernahm. Auch der im Januar 1920 aus der DAP ausgeschiedene Dr. Tafel spielte im „Bund Oberland" weiterhin eine maßgebliche Rolle, so führte er z. B. im März 1922 für den Bund Oberland ein Gespräch mit Pittinger über die Möglichkeiten einer wechselseitigen Annäherung (die sich freilich bald, obwohl Pittinger seine „Reichstreue" versicherte, als nicht möglich erwies; Dr. Weber führte den Bund Oberland zielstrebig ins Lager Ludendorffs und wurde einer der führenden Mitmarschierer vom 9.11.1923 und Mithäftling Hitlers in Landsberg); vgl. Thoss S. 218, zu Tafel S. 216, zum Bund Oberland insgesamt auch den gleichnamigen Abschnitt in Gumbel, a.a.O., S. 188ff. Erwähnt sei in diesem Zusammenhang hier auch, daß der von Röhm im November 1922 für den Vorsitz der - am 9.11. 2\ gegründeten - „Vereinigten Vaterländischen Verbände Bayerns ( V W B ) " vorgeschlagene und durchgesetzte Gymnasialprofessor Hermann Bauer der Vorsitzende der Thüle-Gesellschaft von 1920 bis 1922 (zudem auch ein „alter Regimentskamerad" Röhms) war (von 1924-1933 dann DNVP-Abgeordneter im bayerischen Landtag), s. Thoss, a.a.O., S. 264. 330 Röhm, a.a.O., S. 167: „Am 31.1.1923 ernannte mich Hauptmann 438
Heiß zum Mitglied des Arbeitsstabes der Landesleitung der Reichsflagge und zu seinem bevollmächtigten Vertreter in München." Zum Auszug von Heiß aus dem „Deutschen Kampfbund" (am 7. Oktober 1923; Rohm, ebd., S. 220f.) und zur Umwandlung der bei Ludendorff verbleibenden Teile der Reichsflagge in die „Reichskriegsflagge" durch Rohm s. Anm. 327. 331 Das von Gottfried Feder und Hauptmann Weiß verfaßte, „Kundgebung" überschriebene Gründungs-Manifest des „Deutschen Kampfbundes" vom 1./2. September 1923 gibt Röhm, a.a.O., S. 210ff. im vollen Wortlaut wieder. In ihm heißt es u. a.: „Wir bekämpfen vor allem die Schergen des äußeren Feindes: die marxistische Bewegung, die Internationale in jeder Form, das Judentum als Fäulniserreger im Völkerleben und den Pazifismus. Wir bekämpfen den Geist der Weimarer Verfassung, die Erfüllungspolitik, das parlamentarische System mit seiner öden Mehrheitsanbetung; wir sind Gegner der Herrschaft des internationalen Kapitals und des volkszerstörenden Klassenkampfes. Wir bekämpfen alle Verfallserscheinungen, die dazu führen, die körperliche und geistige Kraft als die Grundlage der völkischen Widerstandsfähigkeit zu zerstören.. . . Wir brauchen Gesetze zum Schutze des Vaterlandes. Wer deutsches Land und deutsches Volk verrät, muß es mit dem Tode büßen." Unterzeichnet war diese „Kundgebung" von Dr. Weber für den Bund Oberland, Heiß für die Reichsflagge und Hitler für die SA. Erst Ende September werden auf Röhms Betreiben hin die Führungsverhältnisse innerhalb des Kampfbundes dahin geklärt, daß Oberstleutnant Hermann Knebel - Mitlgied des Ludendorff-Kreises seit dessen erster Stunde und einstiger Stabsleiter der bayerischen Einwohnerwehr - als zuverlässigstem Platzhalter Ludendorffs gleichsam, wie schon zuvor in der „Arbeitsgemeinschaft", die für den Kampfbund als reinem Wehrverbands-Zusammenschluß ausschlaggebende militärische Führung, Hitler aber die „politische" Führung auch ausdrücklich nominell zuerkannt wird. (s.Thoss S. 318, auch Röhm, a.a.O., S. 213). Zum „bedingten" Anschluß auch des „Jungdeutschen Ordens" an den „Deutschen Kampfbund" vgl. Anm. 322. 332 S. Hallgarten, a.a.O., S. 34, der sich auf die Angaben von Fritz Thyssen in I paid Hitler, New York 1942, S. 80 ff., stützt (vgl. bei Hallgarten Anm. 67 zu S. 34), desgl. ebd. auch S. 39 333 Angaben über die Zahlenverhältnisse macht Gossweiler, Kap./R. . . ., a.a.O., S. 272f. Demnach verfügten die nicht in Pittingers Bund „Bayern und Reich" (der Nachfolgeorganisation der „Organisation Pittinger"), sondern unter dem Eisenwaren-Großhändler Alfred Zeller zu den „Vaterländischen Vereinen München" zusammengeschlossenen Münchener Einwohnerwehren im April 1923 über eine Stärke von 30000 Mann (sowie „reichliche" Bewaffnung), die den Bund „Bayern und Reich" bildenden Einwohnerwehren im übrigen Bayern (also abzüglich Münchens) über eine Gesamtstärke von ca. 45000 Mann. Von den im „Kampfbund" zusammengeschlossenen Verbänden war der bei weitem größte der „Bund Oberland", der im August 1922 allein in München 20000 Mitglieder (allerdings keineswegs ausschließlich kampffähige) gehabt haben soll (es gab außerdem, von den bayerischen Oberland-Gruppen außerhalb Münchens abgesehen, auch einen mit dem „Bund Oberland" politisch identischen, sich nur aus regionalen Gründen im Namen von ihm abhebenden „Bund Unterland" für
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Niederbayern unter Oberstleutnant Hofmann), während die „Reichsflagge" über eine bayerische Gesamtstärke von ca. 4000 Mann, darunter in München 300 Mann, verfügte und die SA im September 1922 eine Stärke von 700-800 Mann, ein Jahr später, im September 1923, von 3000-4000 Mann aufwies. 334 Vgl. Anm. 308. 335 Vgl. Hitlers Kritik der Cuno'schen Ruhrkampf-Konzeption in „Mein Kampf", a.a.O., B d . I I , S. 774f.: „Gegen Frankreich kämpfen zu wollen mit dem Todfeind in den eigenen Reihen, war heller Blödsinn. Was man dann noch machte, konnte höchstens Spiegelfechterei sein, aufgeführt, um das nationalistische Element in Deutschland etwas zu befriedigen, die .kochende Volksseele' zu beruhigen, oder in Wirklichkeit zu düpieren. Hätten sie ernstlich an das geglaubt, was sie taten, so hätten sie doch erkennen müssen, daß die Stärke eines Volkes in erster Linie nicht in seinen Waffen, sondern in seinem Willen liegt, und daß, ehe man äußere Feinde besiegt, erst der Feind im eigenen Inneren vernichtet werden m u ß . . . " Interessanterweise nähert sich zu eben der Zeit, da solche Manöverkritik am Frankreichknegs-Konzept von Cuno, Seeckt und Stinnes aus dem Munde der thulegeschulten Führer der „Arbeitsgemeinschaft" in den entscheidenden Wochen des Geschehens laut wird, Heinrich Claß dem Münchener Schauplatz. Röhm, a.a.O., S.207: „ . . . a u c h rein zahlenmäßig nahmen die Kampfverbände nach dem 1. Mai überraschend stark z u . . . Mit führenden politischen Köpfen wurden neue Verbindungen angeknüpft. So entwickelte sich unter anderem mit Justizrat Claß ein reger Gedankenaustausch. Dabei trat Pöhner mehr in den Vordergrund, Hitler hielt sich zurück. Gegenstand der Aussprachen waren vor allem die Vorgänge im Ruhrgebiet. Zahlreiche Führer aus dem Ruhrgebiet kamen zu uns, weil sie wußten, daß sie nur hier rückhaltloses Verständnis fanden. Leider haben sie unsere Machtmittel oft überschätzt..." Das von Claß in München ventilierte Modell eines bayerischen Diktatur-Direktoriums Kahr-Pöhner-Hitler erweckt freilich den Eindruck, als sei es Claß hierbei darum gegangen, den von Seeckt favorisierten, der Führung der „Alldeutschen" als MitDiktator im Reich jedoch durchaus unerwünschten v. Kahr auf diese gleichsam „positive" Weise an Bayern zu binden und ihn hier zugleich durch Hitler politisch neutralisieren zu lassen. Zu den Verhandlungen von Claß mit v. Kahr und Pöhner im Frühjahr 1923 s. auch Petzold, Demagogie..., a.a.O., S. 142ff., der hier u.a. berichtet, daß sich Hitler dem ihn noch keineswegs für eine Rolle im Reich ins Auge fassenden Heinrich Claß auf einer „gemeinsamen Planbesprechung am Pfingstsonntag in Berlin", an der u. a. Pöhner und wohl auch v. Kahr teilnahmen, nach dessen Bemerkung, es sei eine „sittliche(n) Notwendigkeit, . . . sich mit den äußersten Mitteln gegen die Scheinherrschaft der November-Verbrecher aufzulehnen", durch die selbstempfehlende Bemerkung in den Blick zu bringen suchte: „Sie haben mich überzeugt, Sie haben mich gewonnen. Ich bin ihr Mann und gehe mit Ihnen durch dick und dünn"; Petzold berichtet weiter: Die Geschäftsführung des Alldeutschen Verbandes hatte im Februar 1923 der N S D A P eine Unterstützung von einer Million Mark als „Dispositionsfonds" mit der Bestimmung, damit „nat.-soz. Propaganda zu treiben" (s. ebd. Anm. 29), gewährt, die Hitler gegenüber dem Geschäftsführer des
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Alldeutschen Verbandes, Leopold von Vietinghoff-Scheel, mit der höchst aufschlußreichen Äußerung kommentierte: „Wenn Sie statt einer Million zehn Millionen bekommen können, um so besser! Es sind dies ja die gleichen Quellen, aus denen auch ich zum Teil schöpfe. Politisch stehen wir ja alle auf den Schultern des ,A.V.', dem wir nur vorzuwerfen haben, daß er bei seiner richtigen Erkenntnis und dem jahrzehntelangen Bestehen einer so überaus einflußreichen Organisation bis jetzt noch gar keine praktische Arbeit geleistet hat. Dies können wir jetzt mit seinen Mitteln nachholen." 336 Vgl. Hitler, Mein Kampf, a.a.O., Bd. II, S. 771 ff.: „So wie es sich im Jahre 1918 blutig gerächt hat, daß man 1914 und 1915 nicht dazu überging, der marxistischen Schlange einmal für immer den Kopf zu zertreten, so mußte es sich auch auf das unseligste rächen, wenn man im Frühjahr 1923 nicht den Anlaß wahrnahm, den marxistischen Landesverrätern und Volksmördern endgültig das Handwerk zu legen. (771) . . . Ganz gleich zu welcher Art von Widerstand man sich entschloß, immer war die erste Voraussetzung die Ausscheidung des marxistischen Giftes aus unserem Volkskörper. Und es war, meiner Uberzeugung nach, damals die allererste Aufgabe einer wirklich nationalen Regierung, die Kräfte zu suchen und zu finden, die entschlossen waren, dem Marxismus den Vernichtungskrieg anzusagen, und diesen Kräften dann freie Bahn zu geben; es war ihre Pflicht, nicht den Blödsinn von ,Ruhe und Ordnung' anzubeten... Nein, eine wirklich nationale Regierung mußte damals die Unordnung und die Unruhe wünschen, wenn nur unter ihren Wirren endlich eine prinzipielle Abrechnung mit den marxistischen Todfeinden unseres Volkes möglich wurde und stattfand. . . So mußte man im Jahre 1923 mit brutalstem Grifte zufassen, um der Nattern habhaft zu werden, die an unserem Volkskörper fraßen. Gelang dies, dann erst hatte die Vorbereitung eines aktiven Widerstandes Sinn. Ich habe mir damals oft und oft die Kehle heiser geredet und habe versucht, wenigstens den sogenannten nationalen Kreisen klarzumachen, was diesesmal auf dem Spiele stehe . . . Ich habe sie immer wieder gebeten, dem Schicksal freien Lauf zu lassen und unserer Bewegung die Möglichkeit einer Auseinandersetzung mit dem Marxismus zu geben; aber ich predigte tauben Ohren. Sie verstanden es alle besser, einschließlich dem Chef der W e h r m a c h t . . . " (letzterer war v. Seeckt; S. 772-774). Die Schilderung, was mit der für die Jahre 1914/15 wie gleichermaßen für das Jahr 1923 als Unterlassung beklagten „Auseinandersetzung mit dem Marxismus" gemeint war, findet sich übrigens im gleichen Kapitel: „Hätte man zu Kriegsbeginn und während des Krieges einmal zwölf- oder fünfzehntausend dieser hebräischen Volksverderber (es war im Satz zuvor, wohlgemerkt, von den „marxistischen" Arbeiterführern die Rede, R. O.) so unter Giftgas gehalten, wie Hunderttausende unserer allerbesten deutschen Arbeiter aus allen Schichten und Berufen es im Felde erdulden mußten, dann wäre das Millionenopfer der Front nicht vergeblich gewesen. Im Gegenteil: Zwölftausend Schurken zur rechten Zeit beseitigt, hätte vielleicht einer Million ordentlicher, für die Zukunft wertvollen Deutschen das Leben gerettet. Doch gehörte es eben auch zur bürgerlichen .Staatskunst', . . . zehn- oder zwölftausend Volksverräter, Schieber, Wucherer und Betrüger als kostbares nationales Heiligtum anzusehen und damit deren Unantastbarkeit offen zu proklamieren." (ebd., S. 772) - Zur Auseinanderset-
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zung um die „nationale Einheitsfront" im Ruhrkampf s. vor allem auch das entsprechende Kapitel bei Gossweiler, Kap./R. . . a . a . O . , S. 367ff. (Kap. VII, 1). 337 Vgl. z . B . Rohm, a.a.O., S. 162/163, sowie insbes. S. 195/196, wo Röhm, ganz im Sinne Hitlers, schreibt: „Deutschland stand praktisch im Kriege mit Frankreich. Trotzdem geschah nichts, um dem nationalen Widerstandswillen restlos Geltung zu verschaffen. Der .Burgfriede' Bethmann-Hollwegs (sie. R. O . ) unseligen Angedenkens war wieder e r k l ä r t . . . . Den roten Bonzen war diese Art der ,Kampfführung' natürlich ganz nach dem Herzen. . . Die Sozialdemokratie aber und die ihr gesinnungsverwandten Parteien verbanden das Angenehme mit dem Nützlichen und ließen sich bei dieser Gelegenheit wieder einmal ihre nationale Einstellung amtlich bescheinigen. Den Gipfel der Herausforderung erklomm ihr Verhalten aber doch, als sie für den 1. Mai zu großen Demonstrationen mit den Kommunisten im ganzen Reich aufriefen... . Man stelle sich nur vor: Deutschland kämpft einen Verzweiflungskampf um sein Leben; gleichzeitig werden im Lande die roten Fahnen des Aufruhrs enthüllt." Diese Ablehnung der von der Cuno-Regierung angestrebten „nationalen Einheitsfront" für einen Frankreich-Krieg bedeutete freilich keineswegs, daß Röhm, wie auch Hitler, deshalb etwa auch den Frankreich-Krieg selbst und die damalige Mobilisierung für ihn abgelehnt hätten. Röhm schreibt vielmehr ganz im Gegenteil (ebd. S. 169): „Mein Ziel wäre gewesen, das ganze Volk aufzurufen zum bewaffneten Widerstand gegen den Erbfeind, ein Heer auf die Beine zu stellen. . . Eine militärische Auseinandersetzung mit Frankreich wäre damals durchaus nicht so aussichtlos gewesen. Vielleicht wäre sie die einzige Rettung für uns gewesen. Freilich mußte man sich zu einem ganzen Entschluß aufraffen: das gesamte deutsche Volk mußte für Freiheit und Leben kämpfen", was nur Hitlers Aussage (Mein Kampf, Bd. II, S. 769) korrespondierte, daß die Ruhrbesetzung bei entsprechender Volksmobilisierung und eben innerer Feindvernichtung auch „für Deutschland eine große, entscheidende Schicksalsstunde", das Ruhrgebiet nämlich „für Frankreich zum napoleonischen Moskau" hätte werden können. Zur übereinstimmenden Orientierung der Mitgliedsverbände der „Arbeitsgemeinschaft" auf diese Linie nicht etwa der Verweigerung der Beteiligung an den geheimen Vorbereitungen auf den Frankreich-Krieg, sondern nur des unbedingten Beharrens auf seiner Verknüpfung mit dem Vernichtungsschlag gegen den „inneren" Feind durch Ludendorff, Röhm und Hitler (denen sich hierin z. B. auch Roßbach und Graefe anschlössen) s. Gossweiler, a.a.O., S. 367ff. 338 Hitler, Mein Kampf, Bd. II, S. 619: „Die Besetzung des Ruhrgebietes, die uns nicht überraschend kam, ließ die begründete Hoffnung erstehen, daß nunmehr endgültig mit der feigen Politik des Zurückweichens gebrochen und damit den Wehrverbänden eine ganz bestimmte Aufgabe zufallen würde. Auch die S. A., die damals schon viele Tausende junger, kraftvoller Männer umfaßte, durfte dann diesem nationalen Dienst nicht entzogen werden. Im Frühjahr und im Hochsommer des Jahres 1923 erfolgte ihre Umstellung zu einer militärischen Kampforganisation." (vgl. auch Anm. 308). 339 Zum Aufbau der SA durch die Brigade Ehrhardt auf Grund einer
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vertragsähnlichen Abmachung Hitlers mit Ehrhardt im Jahre 1921, die nicht nur beinhaltete, daß die SA durch Instrukteure der Ehrhardt-Brigade ausgebildet wird, sondern auch, daß sie „unter der militärischen Befehlsgewalt Ehrhardts bleibt", Hitler jedoch „für seine politischen Aufgaben zur Verfügung" stehe, s. Thoss, a.a.O., S. 257-259, desgl. Gossweiler, Kap./ R . . . . , a.a.O., S. 270 (hier zur Besoldung von Klintzsch) und 271 f., zur Abberufung der Ehrhardt-Offiziere aus der SA im Mai 1923 (die mit Ehrhardts Überschwenken zu v. Kahr zusammenhing, vgl. Anm. 296) s. Maser, S t u r m . . ., a.a.O., S. 381 f., Gossweiler, a.a.O., S. 397ff., Thoss, a . a . O . ; zur gemeinsamen Verwicklung von Klintzsch und des gleichfalls von Ehrhardt (als Leiter der O . C . ) in die SA überwechselnden Kapitänleutnants Manfred v. Killinger in den Erzberger-Mord s. Maser, a.a.O., S. 307/ 308, zur politischen Rolle und Tätigkeit Ehrhardts und der O . C . („Organisation Consul") u.a. Thoss, S. 137ff., 162ff. 340 S. Maser, a.a.O., S. 381 341 Ebd. S. 380ff., desgl. Gossweiler, a.a.O., S. 398ff. 342 Maser, ebd., S. 381 und 382. Diese „Säuberungen" Görings, die natürlich unmittelbar mit dem Auszug der Ehrhardt-Instrukteure aus der SA zusammenhingen und der Entfernung aller weiteren möglicherweise für Kahr und Pittinger anfälligen Mitglieder aus ihr dienten, hatten zur Folge bzw. erklären, daß die SA von der Krise, die im Oktober 1923 die „Reichsflagge" (vgl. Anm. 327) und bereits im September 1922 den „Bund Oberland" (vgl. Anm. 328) spaltete, unberührt blieb. Der politische Inhalt der Säuberungen war jedoch weniger, wie es Maser S. 382 interpretiert, die Ausrichtung der SA auf Hitler, als vielmehr auf den militärischen Verselbständigungskurs und die hinter ihm stehende politische Orientierung Ludendorffs und Röhms, die zur Bildung der „Arbeitsgemeinschaft der vaterländischen Kampfverbände" und mit ihr erst zu Ehrhardts Rückzug aus der Zusammenarbeit mit der SA führen. 343 Der Generalstreik gegen die Cuno-Regierung war am 11. August 1923 von der Vollversammlung der revolutionären Betriebsräte Berlins gegen die Haltung der A D G B - und SPD-Führung beschlossen worden. 344 Vgl. Geschichte der deutschen Arbeiterbewegung in acht Bänden, Bd. 3, Berlin/DDR 1966, S. 408 ff. 345 Zu den Profiteuren der Inflation gehörte keineswegs nur der StinnesKonzern, sondern z. B. auch Friedrich Flick. Zutreffend schreibt Hallgarten, a.a.O., S. 11/12: „Das Reich befand sich damals im Stadium fortgeschrittener Inflation, was ökonomisch einer Enteignung der Nation zugunsten der Besitzer von Sachwerten gleichkam. Die Palme dieser Zeit winkte Männern, die es besonders gut verstanden, sich auf Grund ihres Verfügungsrechts über Grundstücke und Industrieanlagen gewaltige Summen bei den Banken auszuborgen und sie später in entwerteter Währung zurückzuzahlen." 346 S. Hallgarten, a.a.O., S. 41/42. 347 So unternahm z. B. der Leiter der „Schwarzen Reichswehr", der Major Bruno Ernst Buchrucker, am 1. Oktober 1923 - fünf Tage nach der Bekanntgabe des Abbruchs des „passiven Widerstands" - mit seinen Truppen in Küstnn einen Putschversuch, der auf die Einsetzung einer Diktatur in Berlin und seine eigene Ausrufung als Diktator zielte, allerdings daran
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scheiterte, daß sich ihm der Küstriner Garnisonskommandant nicht anschloß, sondern mit regulären Truppen entgegenstellte; vgl. Gumbel, a.a.O., S. 108ff., sowie Gossweiler, a.a.O., S. 442; zu den diversen weiteren Diktaturplänen dieser Wochen in knapper Zusammenfassung Hallgarten, a.a.O., S. 31. 348 Hallgarten ebd., sowie Gossweiler, a.a.O., S. 442. 349 S. hierzu ausführlich Hallgarten, a.a.O., ab S. 31 fortlaufend, desgl. bei Gossweiler, a.a.O., das Kapitel „Diktaturpläne in Berlin und München", S. 431-488. 350 Wann diese Gespräche einsetzen, ist nicht genau zu ermitteln, es muß jedoch bald nach Cunos Rücktritt gewesen sein, da nach Gossweiler (S. 443) Minoux bereits am 25. September „einen festen Platz" auf Seeckts Direktoriums-Liste hat. 351 S.Maser, a.a.O., S. 423. 352 Sein Versuch, am 3. November 1923 im vermeintlich günstigsten (und durch die dem Reichspräsidenten wenige Minuten zuvor überbrachte fingierte Nachricht vom Anmarsch der bayerischen Reichswehr und Wehrverbände noch ein wenig manipulativ dramatisierten und präparierten) Augenblick diesen Vorsatz in die Tat umzusetzen, nahm allerdings den Ausgang, daß er sich, als Ebert seine Forderung, ihm die Reichskanzlerschaft zu übertragen, strikt zurückwies, mit Ebert - statt ihn, wie mit mehreren norddeutschen Divisionskommandeuren abgesprochen, dann für abgesetzt zu erklären - verständigte und sich mit ihm auf die Berufung eines „kleine(n), mit außerordentlichen Vollmachten auszustattende(n) Direktoriums^)" einigte - ein Plan, der durch das eigenmächtige Losschlagen des Ludendorff-Kreises am Abend des 8. November und die von diesem Fehlstart bewirkte Offenbarung und politische Diskreditierung aller in seine Vorgeschichte verwickelten Personen und Diktaturdirektoriums-Varianten dann zunichte wurde, während Seeckt allerdings zur erstrebten „vollziehenden Gewalt" nun tatsächlich gelangte - doch nun im objektiven Dienste gerade der Absicherung des von Stinnes bekämpften Stabilisierungskonzeptes der Stresemann-Regierung und seiner diktatorischen Verordnungserfordernisse; vgl. Hallgarten, a.a.O., S. 35/36, auch Gossweiler K a p . / R . . . ., a.a.O., S. 469f. 353 Gerade ab Ende Oktober ging Minoux jedoch zunehmend auf Distanz zu v. Seeckt und verständigte sich in Gesprächen, die in der letzten Oktoberwoche in München stattfanden, mit v. Kahr und Knilling, s. Gossweiler S. 471, sowie Thoss S. 336 f. Auch Wiedfeldt erteilte Seeckt jetzt eine Absage (Gossweiler ebd.; zur schwachen Stellung, in die Seeckt dadurch geriet, dort S. 471 ff.). Zu den wachsenden Zweifeln insbesondere von Minoux wie auch bei v. Kahr und v. Lossow, ob Seeckt auch wirklich zur Einsetzung eines Diktatur-Direktoriums ohne parlamentarische Zugeständnisse an Ebert entschlossen genug sei, s. Gossweiler, ebd., S. 477. 354 S. Hallgarten, a.a.O., S. 34, des weiteren u.a. auch die von Gossweiler, a.a.O., S. 473 zitierte Bestätigung durch Stresemann auf einer Kabinettssitzung vom 5. November 1923. Vorgesehen war offenbar, dieses Triumvirat um weitere Vertreter der Sozialreaktion in irgendeiner Weise zu arrondieren; so sollten z . B . die Junkermteressen durch den Großagrarier v. Knöbel-Döbentz vertreten sein (s. Hallgarten ebd.). Freilich sind die in
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diesen Wochen verhandelten Direktoriumspläne sowohl hinsichtlich der Personalvorschläge wie auch der Vorstellungen über die Zahl der in ein derartiges Direktorium zu berufenden Mitglieder durchaus fließend. S. als Beispiel dafür etwa die Aufzeichnungen Seissers über das Ergebnis einer Besprechung mit Seeckt, Minoux sowie Führern des Reichslandbundes und Berliner „Vaterländischer Verbände" und Kampfbünde in Berlin am 2. November 1923, Gossweiler, a.a.O., S. 480. 355 So hatte Stinnes z . B . eine Kopie seines Plans vom Oktober 1922 (s. Anm. 371) an Wiedfeldt geschickt und den US-Botschafter in Berlin, Houghton, gebeten, das von diesem ans State Department gesandte Telegramm über seine Unterredung mit Stinnes vom 30. Oktober 1922 auch Wiedfeldt zur Kenntnis bringen zu lassen; vgl. das bei Hallgarten, a.a.O., S. 47ff., wiedergegebene Telegramm Houghtons vom 3 0 . 1 0 . 1 9 2 2 , dort S. 51. 356 Vgl. etwa Hallgarten, a.a.O., S. 23 (Seeckts Adjutant v. Selchow notiert: „Seeckts Meinung wird auch in dieser Frage gehört und von Schleicher zum Ausdruck gebracht") und 42 („Seeckts untergebener Vertrauter, Oberst v. Schleicher"). Seeckt läßt auch durch Schleicher Stresemann zum Rücktritt auffordern (ebd., S. 36). 357 Wilhelm Groener war im September 1919 aus der Reichswehr ausgeschieden und in den Ruhestand getreten, im Juni 1920 jedoch Reichsverkehrsminister geworden (Kabinette Fehrenbach, Wirth und Cuno). Er wurde 1928, nach Otto Geßlers Sturz über den „Phoebus-Skandal", im Kabinett der Großen Koalition unter Hermann Müller Reichswehrminister und blieb dies auch in den beiden anschließenden Kabinetten Brüning, im zweiten übernahm er zusätzlich den Posten des Reichsinnenministers. 358 Es ist natürlich einigermaßen weit von den wirklichen Zusammenhängen entfernt, wenn Hallgarten, a.a.O., Anm. 71 (S.81) zu S. 35, den Niederschlag ihres Einflusses in Seeckts Ende 1922 verfaßtem Diktaturprogramm (Seeckts „Regierungsprogramm", vgl. Anm. 362) als einen „linken" Einfluß interpretiert, indem er ihn zwar zutreffend mit Schleicher in Zusammenhang bringt, diesen jedoch als den „mit der Linken kokettierenden Major von Schleicher" apostrophiert und somit einen ja wohl recht irreführenden Fingerzeig zur Erklärung der für die Schwerindustrie atypischen Punkte in Seeckts Programm gibt - wie denn überhaupt Hallgartens gesamte Schrift von einem auffallend euphemistisch verzeichneten Schleicher-Bild durchzogen ist. 359 So hatte Groener z . B . am 1. November 1923 an Friedrich Ebert geschrieben: „die Gefahr einer neuen großen Revolution steht vor der Tür" (s. Gossweiler, a.a.O., S.464), was bei der Einigkeit, die zwischen den beiden 1918/19 über ihr Niederschlagen bestand (vgl. Anm. 58), nur die Aufforderung bedeuten konnte, es nun abermals ins Auge zu fassen. Groener bringt im anschließenden Satz die Stabilisierungsvorstellungen seiner Kreise auf ihre aktuellen Hauptpunkte, der Stresemann-Regierung sei es bislang nicht gelungen, die „drei wichtigsten Aufgaben", das „Währungsproblem, die Kommunisten-Bekämpfung und die bayerische Frage" zu lösen. 360 Dies bezeugt nicht zuletzt Schleichers Mitarbeit an Seeckts Diktaturplänen. Ein Teil der Verfassungs-Eingriffe wurde in den Jahren 1923/24 im
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Rahmen der „Seecktschen Notverordnungsdiktatur" durchgeführt. 361 Daß diese Politik v. Kahrs freilich keineswegs etwa eine Politik der „Abkehr vom Reich" war, (vgl. auch Anm. 320 u. 385), sondern eine gerade des aggressiv-antidemokratischen Zugriffs auf das Reich, bezeugt u. a. auch die von Gossweiler, a.a.O., S. 462, zitierte Rede v. Kahrs vor einer Offiziersversammlung am 19. Oktober 1923, in der Kahr sagte: „Es handelt sich um den großen Kampf der zwei für das Schicksal des ganzen deutschen Volkes entscheidenden Wehanschauungen, der internationalen marxistischjüdischen und der nationalen deutschen Auffassung. . . . Bayern hat die Schicksalsbestimmung, in diesem Kampf für das große deutsche Ziel die Führung zu übernehmen." Der Konflikt mit den Reichsvorstellungen der preußisch und berlin-zentristisch orientierten schwarz-weiß-roten Alldeutschen lag allein in der Führungsfrage. 362 Vgl. die Wiedergabe des Programms bei Friedrich v. Rabenau, Seeckt aus seinem Leben 1918-1936, Leipzig 1940; Auszüge auch bei Ulrike Hörster-Philipps, Wer war Hitler wirklich? Großkapital und Faschismus 1918-1945. Dokumente, Köln 1978, S. 55/56 (Dokument 25). Die Beseitigung der Gewerkschaften wurde dort unter der Formel „Ersatz der Gewerkschaften durch Berufskammern" gefordert. 363 Vgl. ebd. Freilich handelte es sich bei diesen Forderungen, die Hallgarten, a.a.O., S. 35 zutreffend als „alte Lieblingswünsche vieler Großunternehmer" bezeichnet, keineswegs, wie es der Textzusammenhang an der entsprechenden Stelle bei ihm nahelegt, um etwa ausschließlich schwerindustrielle Wünsche. So war neben den von ihm angeführten Forderungen nach „Abbau der Kollektivverträge" und „Abschaffung der Gewerkschaften", für die sich durchaus auch die den „Werkgemeinschafts"-Gedanken fördernden Chemie- und Elektrokonzerne, allen voran der Siemens-Konzern, aktiv interessierten, gerade insbesondere auch das des weiteren von ihm genannte Programmziel „praktische Liquidierung der weimarischen Preußenregierung" als zentraler Bestandteil der „Reichsreform"-Bestrebungen ein von der Stegerwald-Brümng-Richtung im Zentrum wie von den Naumannianern in der DDP-Führung und von Schleicher gleichfalls übereinstimmend angestrebtes Ziel, dessen breite Trägerschaft in der Chemieund Elektroindustrie und den um die Deutsche Bank gruppierten Unternehmen sich 1928 bei der Gründung des „Lutherbundes" („Bund zur Erneuerung des Reiches") erwies. Zu den Unterzeichnern des Gründungsaufrufs und zur Programmatik dieses Bundes vgl. den Handbuch-Artikel „Bund zur Erneuerung des Reiches ( B E R ) " von Kurt Gossweiler in Handbuch bürgerliche Parteien, a.a.O., Bd. I, S. 195ff. 364 „Lebenswichtig" muß im Sinne der Kriegswirtschafts-Logik der Reichswehr-Führer immer als „rüstungs"-resp. „kriegführungswichtig" gelesen werden; diese Forderung entsprach damit aber nur den einstigen Bestrebungen der planerisch denkenden Offiziersgruppe um Groener, Merton und Schleicher im Kriegsamt und hatte, da auch 1922 das Schwergewicht der Rüstungsproduktion noch bei der Eisen- und Stahlindustrie lag, unvermindert auch ihre alte Spitze gegen die rheinisch-westfälische Schwerindustrie, was zur Beurteilung der Rolle v. Seeckts bzw. der ihm gegenüber in der Ruhrindustrie verbleibenden Skepsis von Bedeutung sein dürfte.
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365 Den Einfluß Schleichers konstatiert auch Hallgarten, nennt ihn jedoch, von der Interpretation des Seeckt-Programms als eines schwerindustriellen ausgehend, einen dem Programm „inkongruenten" und zudem gar linken. Vgl. Anm. 358. 366 Diese Währungsstabilisierung erfolgte am 15. November 1923 in der Tat durch die Einführung der Rentenmark. 1 Rentenmark hatte den Kurswert von 1 Billion Papiermark. Die Notenpresse wurde am nächsten Tage (16. November) stillgelegt. 367 Vgl. die ausführliche Darstellung bei Hallgarten, a.a.O., S. 13ff. 368 S. ebd., S. 15ff., sowie Gossweiler, Großbanken, Industriemonopole, Staat, a.a.O., S. 196ff. 369 Für die bewußte Verhinderung der Inflations-Beendung gibt Hallgarten, a.a.O., S. 30 folgendes drastisches Beispiel aus dem Jahre 1923: „Sannes weiß, daß das ungefüge wirtschaftliche Riesengebilde, das er errichtet hat, ohne entweder Fortgang der Inflation oder - als Alternative - gewaltige (und zur Zeit unerreichbare) Auslandskredite sowie Mehrarbeit nicht zu halten ist, wie es denn auch kurz darauf, als die Stabilisierung nicht mehr verhindert werden kann, jählings zusammenstürzt... So gibt denn sein Konzern das Signal für den Angriff auf die Währung und auf die eigenen politischen Freunde der Industrie: Am Spätnachmittag des 18. April kaufen Stinnes-Firmen mit einem Schlag große Mengen von Devisen an der Börse auf und bringen damit die Mark von neuem ins Gleiten und zu baldigem schwindelnden Sturz: Im November langt sie vorübergehend auf einem Tiefstand von 4 Billionen gegen den Dollar an. Vor dem Reichstagsausschuß, der später diese Vorgänge untersucht, gibt der Generaldirektor von Stinnes, Friedrich Minoux - derselbe, in dessen Villa sich Seeckt mit Ludendorff traf - , diese Devisenkäufe mit einer Unbekümmertheit zu, die heftige Szenen hervorruft; er behauptet, solche Käufe seien bei der Firma nicht ungewöhnlich; Stinnes habe die Markstützung für katastrophal gehalten und in diesem Sinne an den Minister Hermes geschrieben." Daß es sich hierbei aber keineswegs nur um eine Praxis und ein Interesse von Stinnes allein handelte, verdeutlicht Hallgarten mit der anschließenden Bemerkung, das zur Verteidigung von Stinnes vom „mehr konservativen Flügel der gerufenen Sachverständigen" vorgebrachte Argument, es habe ohnehin „ein allgemeiner Angriff auf die Mark" bevorgestanden, sei „zweifellos" zutreffend gewesen, „da die Interessen der gesamten Industrie - vor allem der Montankonzerne - sich in diesem Punkt mit denen von Stinnes deck(t)en." 370 S. Hallgarten, a.a.O., S. 13ff., zur 6 %-Kommission, zu der noch „Provisionen" für die hinter dem Stinnes-Konzern stehenden Banken kamen, auch S. 15. 371 Vgl. den bei Hallgarten, a.a.O., im Dokumentenanhang S. 52ff., als Dokument 2 im vollen Wortlaut wiedergegebenen Stinnes-Plan vom O k t o ber 1922, bei Hallgarten im Text auch S. 14f. 372 Allerdings hatte er im März 1923 gegenüber Stresemann, anläßlich einer Unterredung mit ihm im Berliner Esplanade-Hotel, geäußert, er glaube, ihm „privat sagen zu können, daß man auch in Kreisen der Sozialdemokraten darüber vollkommen einig wäre, daß eine solche Verlängerung der Arbeitszeit notwendig werde". S. die Aufzeichnung Stresemanns über die Zusammenkunft mit Stinnes am 19. März 1923, wiederge-
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geben bei Hallgarten, a.a.O., als Dokument 4, S. 62ff. (Zitatstelle S. 64). 373 Die eigenhändige Niederschrift des Programms durch Stinnes geht aus Hallgartens Vorspann zum wiedergegebenen Dokument (a.a.O., S. 52) hervor, in dem es heißt, bei der Vorlage (Dokumente des State Department) handele es sich „offenbar um eine auf der amerikanischen Botschaft angefertigte Übersetzung des von Stinnes eigenhändig geschriebenen Originals". Houghton selbst beschreibt das Papier in seinem Bericht ans State Department mit den Worten: „vier bis fünf Seiten im Kanzleiformat, eng mit eigener Hand geschrieben...", s. ebd., S. 50 bzw., im engl. Orig., S. 47. 374 S. ebd., S. 51 375 Vgl. Hallgarten, a.a.O., S. 17 einschl. der dortigen Anm. 25 (S. 75). 376 Ebd., S. 17/18 377 Hallgarten, a.a.O., S. 55/56. Gefordert wurde des weiteren u.a. auch die Aufhebung aller Demobilisationsvorschriften. Die Forderung nach Beseitigung aller Gesetze, die „der P r o d u k t i o n . . . hinderlich" seien, zielte vor allem auch auf die aus der Zeit der Arbeit der Rathenauschen Kriegsrohstoff-Abteilung datierenden Ansätze staatsmonopolistischer Wirtschaftsregulierung, von denen sich die „neuen Industrien" nicht zuletzt eine teils durch den Staat, teils durch dirigistische „Selbstverwaltungs"-Körperschaften vermittelte Kontrollgewalt über die Schwerindustrie versprachen. Auszüge aus dem Stinnes-Programm auch bei Ulrike Hörster-Philipps, Wer war Hitler wirklich?, a.a.O., S. 53f. (als Dok. 23). 378 Vgl. Rohm, a.a.O., S . 2 0 9 f f . , desgl. u.a. Thoss, a.a.O., S. 317f., Maser, S t u r m . . ., a.a.O., S. 421 ff., etc. 379 S. Hallgarten, a.a.O., u. a. S. 39, S. 80 (Anm. 67 zu S. 34). Laut Asendorf, Nationalsozialismus und Kapitalstrategie, a.a.O., S. 139f., war Minoux spätestens in der zweiten Oktoberhälfte 1923 gegenüber Seeckt zunehmend skeptisch geworden und „setzte nun auf die bayerische Karte". Er gibt den bei Gossweiler, Kap./R. . . ., a.a.O., S. 473ff., ausführlich nachzulesenden weiteren Verlauf der Entwicklung in folgender knapper Zusammenfassung wieder: „Am 24. Oktober war durch Lossow, der sich zuvor Befehlen seines Vorgesetzten Seeckt offen widersetzt hatte, an die Kommandeure der bayerischen Reichswehr die Parole ausgegeben worden: Innerhalb der nächsten zwei Wochen ,Einmarsch nach Berlin und Ausrufung der Errichtung der nationalen Diktatur'. Einen Tag später war Minoux in München, um mit Kahr, Ludendorff, Lossow und dem Chef der Landespolizei Hans v. Seißer über die Zusammensetzung der Regierung der nationalen Diktatur zu verhandeln. Am 3. November wurde in Berlin weiterverhandelt. Im Auftrag von Kahr und Lossow traf sich Seißer zu getrennten Besprechungen unter anderen mit Führern des Reichslandbundes, der bereits erwähnten Vertretung der Großagrarier, mit Seeckt, mit leitenden Funktionären der Vaterländischen Verbände Berlins, mit der Redaktion des Stinnesblattes ,Deutsche Allgemeine Zeitung' und erneut mit - Minoux." Zu den Warnungen von Minoux an die Bayern, aber nicht zu früh loszuschlagen, sondern erst „Hunger und Kälte noch mehr wirken" zu lassen, s. sowohl Asendorf (ebd. anschließend) wie, im einzelnen, Gossweiler, a.a.O., S. 475ff. 380 Vgl. Thoss, a.a.O., S. 325, Hallgarten, a.a.O., S. 39, beide unter
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Bezugnahme auf die von Emery Reves herausgegebenen Erinnerungen Fritz Thyssens, I paid Hitler, New York 1942, S. 80f. 381 Vgl. zu Claß, der sich bereits im Juli 1923 mit Kriebel, dem militärischen Führer der damaligen „Arbeitsgemeinschaft der vaterländischen Kampfverbände" wie des späteren „Kampfbundes" und zuverlässigsten Platzhalter Ludendorffs, in Verbindung gesetzt hatte, sich ab August jedoch zum Förderer von Pittingers Vorschlag eines Diktatur-Direktoriums v. Kahr - Pöhner - Hitler unter Führung v. Kahrs machte und damit zu Ludendorff auf Distanz ging, sowohl Gossweiler, Kap./R. . . ., a.a.O., S. 419, wie Petzold, D e m a g o g i e . . . , a.a.O., S. 145ff.; auch Thoss S. 321 f.; zu allen übrigen Thoss, a.a.O., S. 340. 382 Thoss, a.a.O., S. 325; vgl. auch Maser, S t u r m . . . , a.a.O., S. 405. Der Herzog von Coburg fungierte im Oktober 1922 gemeinsam mit dem „Deutschvölkischen Schutz- und Trutzbund" als Veranstalter bzw. Gastgeber des „Deutschen Tages" in Coburg (s.Maser, a.a.O., S. 357) und gehörte zu den Ehrengästen des „Deutschen Tages" in Nürnberg am 1./ 2. September 1923 (Maser ebd., S. 421). 383 Hallgarten, a.a.O., S. 67f. (Dokumentenanhang, Dokument 5). Es empfiehlt sich, das hier aus Raumgründen nicht bis zu Ende zitierte Dokument dort im vollständigen Wortlaut nachzulesen, da die Schlußpassagen u. a. noch das aufschlußreiche taktische Kalkül von Stinnes mitteilen, er fürchte allerdings, „daß die Bewegung durch einen Angriffsakt der Rechtsparteien ausgelöst werden könnte. Er möchte, daß die Kommunisten beginnen. Jeder andere Anfang, meint er, wird die Außenwelt gegen Deutschland einnehmen. Er meint, daß die kommunistische Aktion von Frankfurt ausgehen wird, obwohl sie auch von Sachsen oder Thüringen kommen kann, die heute unter kommunistischer Herrschaft stehen." Spätestens mit dem von Seeckt befohlenen Einmarsch der Reichswehr in Sachsen am 29. Oktober 1923 und bereits der Niederwerfung des Hamburger Aufstands am 25. Oktober war dieser demagogischen Überlegung, den erklärterweise aus handfesten ökonomischen Motiven gewünschten Sturz der Stresemann-Regierung und Übergang zur „nationalen Diktatur" als einen Gegenschlag gegen einen kommunistischen Aufstand erscheinen zu lassen, freilich auf Grund der schweren Niederlage, die diese beiden militärischen Operationen für die Arbeiterklasse bedeuteten, allein schon von ihren kräftemäßigen Voraussetzungen her - worauf Gossweiler, a.a.O., S. 482 hinweist - jeder Boden abhanden gekommen. Es spiegelte sich zugleich in ihr aber auch das Interesse von Stinnes an einer die Alliierten in möglichst wenig Unruhe versetzenden, daher in möglichst reputierlicher Weise eher „von oben" her, gleichsam „legal" und so wenig wie möglich auf umstürzlerischem Wege einzusetzenden, am besten vom Reichspräsidenten selbst zu berufenden Diktatur, die sich in Rücksicht auf ihre Kreditfähigkeit bei den ehemaligen Siegermächten vorwiegend antikommunistisch und nicht so sehr (was ihr tatsächlicher Hauptsinn war) Versailles-revisionistisch legitimieren ließe. Wie sehr es Stinnes darum zu tun war, der beabsichtigten Diktatur den Zugang zu Auslandskrediten zu sichern, geht aus seiner unmittelbar an die Putsch-Vorhersage anschließenden Bemerkung gegenüber dem amerikanischen Botschafter hervor, er hoffe, „daß, sobald Ordnung und normale Produktion in Deutschland
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wiederhergestellt seien, es möglich sein werde, jeden notwendigen Kapitalbetrag vom Ausland zu entleihen" (ebd., S. 68). Daher aber erschienen Stinnes nicht anders als selbst Claß und erst recht v. Kahr oder dem bayerischen Reichswehr-Oberkommandierenden Otto v. Lossow der starrsinnige militärische Weltkriegs-Gegner der Alliierten, v. Ludendorff, und der offen von Deutschlands Weltmacht-Ansprüchen bramabarsierende Hitler zwar als geeignete innenpolitische Mobilisatoren, Sammlungs-Zuträger und Druckpotenzen für die „nationale Diktatur", nicht aber auch als deren geeignete oberste Repräsentanten. Vgl. hierzu im einzelnen u. a. vor allem Gossweiler, K a p . / R . . . . , a.a.O., S . 4 8 6 f . , 493ff., 520ff., auch Thoss, a.a.O., S. 321. 384 Vgl. etwa die Stelle im oben wiedergegebenen Houghton-Telegramm vom 2 1 . 9 . 1 9 2 3 , aus der eindeutig hervorgeht, daß für Stinnes zu diesem Zeitpunkt die anfangs erwähnte „große, von Bayern ausgehende Bewegung" (und zwar deren Losschlagen, das „vielleicht zwei bis drei Wochen entfernt" sei) und die Direktoriumspläne („wird E b e n im Namen der Republik einen Mann oder, wenn möglich, ein Komitee von drei Männern als Diktator ernennen") noch durchaus zusammengehörige Momente ein und desselben Plans waren und von ihm keineswegs etwa als einander alternativ gegenüberstehend dargestellt wurden, in diesem Umsturz-Konzept aber somit ein Alleingang des Ludendorff-Kriebelschen „Kampfbunds" auch nicht vorgesehen, sondern gerade die Handlungseinheit der bayerischen Wehrverbände und deren Koordination mit den Direktöriumsplänen Seeckts bzw. der putschwilligen Kreise der Reichswehr-Führung und den norddeutschen Wehrverbänden vorausgesetzt war. Kurt Gossweiler hat in Kap./R. . . . , a.a.O., S. 430, aus der Gesamtheit der konspirativen Verhandlungen und Frontenkonstellationen dieser Wochen, unter Verweis auf Untersuchungsergebnisse einer noch nicht veröffentlichten Dissertation Werner Röslers über die „Ordnungszelle Bayern", den Schluß gezogen, daß Stinnes mit dem Houghton avisierten Diktator, der „die Sprache des Volkes reden und selbst bürgerlich sein" müsse und in Bayern bereitstehe, auch gar nicht Hitler, sondern v. Kahr gemeint habe. Dafür spricht u. a. nicht nur im Houghton-Telegramm auch die referierte Charakterisierung der bayerischen Bewegung durch Stinnes als einer solchen, die entschlossen sei, „die alten Monarchien wiederherzustellen" (eine Kennzeichnung, die sehr wohl auf v. Kahr und auch auf v. Seeckt, aber gerade nicht auf die im „Kampfbund" zusammengeschlossenen Verbände des Ludendorff-Lagers zutrifft), sondern auch die später mit zunehmendem Zweifel in Seeckts Handlungsentschlossenheit sich vollziehende Intensivierung der Kontakte und offenbar auch des Ubereinstimmungsgrades keineswegs nur, doch insbesondere auch von Minoux auffallenderweise nicht so sehr zu Ludendorff als vielmehr zum Triumvirat Lossow-Seißer-v. Kahr. Sollte die weitere Forschung Gossweilers Deutung der Stinnes-Außerung erhärten, würde dies angesichts der von Stinnes im gleichen Atemzuge getroffenen rigorosen Sachvorhersagen über die Aufgaben der - dann also v. Kahr'schen - Diktatur ( „ K o m m u n i s t e n . . . rücksichtslos zerschmettert", „Sozialismus . . . als eine politische Daseinsform in Deutschland für immer beseitigt") freilich nur erst recht die Schwierigkeiten, wenn nicht Unhaltbarkeit einer Abgrenzung v. Kahrs und der hinter ihm stehenden Kräfte vom Potential
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des deutschen Faschismus, das Unzureichende jedenfalls ihrer Abstützung etwa allein schon auf das monarchistische Staatsformenbekenntnis, erörterungsbedürftig machen (vgl. auch Anm. 285, 386 und 393). 385 Die Hauptereignisse, die die putschistischen Kräfte innerhalb dieser wenigen Wochen in eine zunehmende Konfrontation zueinander trieben, waren: der Versuch der Führer des bayerischen Monarchismus, den Mobilisationsplänen des „Kampfbunds" für die „nationale Erhebung" anläßlich der offiziellen Verkündung des Abbruchs des passiven Widerstands an der Ruhr durch die Ausrufung v. Kahrs zum bayerischen „Generalstaatskommissar" am 26. September 1923 und das Verbot der angekündigten NSDAP-Großkundgebungen zuvorzukommen und damit zugleich ihren Führungsanspruch auch bei allen von Bayern ausgehenden Aktionen zum Republiksturz im Reich ostentativ anzumelden; Seeckts Verzicht auf die gewaltsame Durchsetzung seiner Forderung nach Übertragung der Regierungsvollmacht auf ihn anläßlich des Reichswehr-Einmarschs in Sachsen und Thüringen (21. Oktober) und endgültig am 3. November (vgl. Anm. 352); die mit der Ausrufung der „Rheinischen Republik" am 21. Oktober und eines „autonomen Pfalzstaates" am 24. Oktober korrespondierende Reichsgehorsams-Verweigerungspolitik v. Kahrs und v. Lossows, die darauf zielte, die Stresemann-Regierung vor die Alternative Rücktritt zugunsten einer Diktatur oder Reichszerfall zu stellen und also weniger eine ihrem Ziel nach separatistische als vielmehr erpresserischantidemokratische und durchaus reichschauvinistische war (doch zum Einsatz des Mittels des zeitweiligen Reichsabfalls zu couragiert, als daß sie nicht bei jenen biedereren antidemokratisch-nationalistischen Kräften wilhelminisch-reichstreuer Denkart, denen der bloße Gedanke an Separatismus die Sünde selbst war, heftigsten - von Ludendorff und der NSDAP ansprechbaren - Abscheu und empörte politische Gegnerschaft auslösen mußte). Wie groß aber insbesondere die Erbitterung der Alldeutschen über Seeckt nach dessen Ablehnung eines Staatsstreichs in ihrem Sinne in einem Gespräch mit Claß am 24. September 1923 war (in dem der seine eigenen Diktatur-Direktoriumspläne verfolgende Seeckt dem alldeutschen Verbandsführer rundweg erklärt hatte, er würde im Falle eines Putschs „auf rechts genau so schießen lassen wie auf links") und sich bis zu tödlicher politischer Feindschaft steigerte, illustriert am sprechendsten der Umstand, daß sich Claß im Oktober 1923 höchstwahrscheinlich sogar - nach dem Zeugnis jedenfalls des Augsburger Fabrikanten Goffried Grandel in einem 1924 stattfindenden Gerichtsprozeß und auch nach Mitteilungen Gumbels - mit dem Gedanken der Organisation eines Mordanschlags auf v. Seeckt trug; er bezeichnete ihn Grandel gegenüber bei dessen Einweihung in den Attentatsplan nunmehr als einen „Schädling", „der das Emporkommen Deutschlands verhindere" und mit dessen Ermordung die Errichtung der nationalen Diktatur zu beginnen habe. Vgl. hierzu sowohl Petzold, Demagogie . . . , a.a.O., S. 150, wie Gossweiler, K a p . / R . . . . , a.a.O., S. 442 und Hallgarten, a.a.O., S. 82f. (Anm. 79 zu S. 37), sowie die jeweils dort angegebenen weiteren Quellen. 386 Diese Unvereinbarkeiten lagen nicht grundsätzlich in der Diktaturkonzeption, d.h. der Frage des Grades der angestrebten Diktatur, einer Differenz also etwa zwischen nur autoritärkonservativ-monarchistischem 451
und faschistischem Diktaturwillen (wie sich häufig in der Literatur unterstellt und ohne plausible empirische Beweisführung wie selbstverständlich als der essentielle politische Gegensatz ausgegeben findet, obgleich doch allein schon die Zusammenarbeit z. B. von Claß mit v. Kahr, insbesondere aber natürlich erst recht die Galerie der wiederum mit ihnen kooperierenden Wehrverbandsführer-Figuren von General v. Below bis Ehrhardt hier manch höchst verfängliche Frage aufsteigen lassen müßte); die essentiellen und tatsächlich konzeptionell nicht miteinander zu vereinbarenden, daher frontenbegründenden Interessengegensätze lagen vielmehr in den - bislang ansatzweise am anschaulichsten bei Thoss herausgearbeiteten - differierenden perspektivischen Expansions- und dementsprechend auch schon konfligierenden aktuellen außenpolitischen Orientierungs- und Bündnisoptionen, aus denen sich sowohl der Gegensatz zwischen den Ludendorffschen und den blauweißen Wehrverbänden in Bayern wie nicht zuletzt auch die zwischen Claß und v. Seeckt aufbrechende Feindschaft ergab. 387 V. Seeckt verfolgte den Direktoriumsplan unbesehen seines Verzichts vom 3. November 1923 auf den Sofort-Sturz Stresemanns, gestützt auf Eberts Zusage zur Berufung eines solchen Diktatoren-Triumvirats (vgl. Anm. 352), beharrlich weiter und benötigte, um v. Kahrs und Wiedfeldts endgültige Zusage zu gewinnen und so die erstrebte „legale" Einsetzung des Direktoriums durch den amtierenden Reichspräsidenten rechtzeitig zum vorgesehenen Termin, dem Tage der Mark-Stabilisierung, dem 15. November 1923, sicherzustellen, nach Hallgarten, a.a.O., S. 37, möglicherweise (oder wohl richtiger: damals scheinbarerweise) nur noch einige Tage Zeit. Tatsächlich freilich erteilte ihm nicht nur Wiedfeldt (den E b e n im Gespräch mit Seeckt am 3.11. bereits als Kanzler akzeptiert hatte) aus Washington eine Absage, sondern schon ab Ende Oktober hatte sich auch Minoux von Seeckt zurückgezogen, sodaß sein Direktoriumsplan in Wahrheit nun gerade auf schwächsten Füßen stand, vgl. Gossweiler, a.a.O., S. 471. 388 S. dessen Schilderung u.a. bei Maser, S t u r m . . . , a.a.O., S. 444 ff., neustens auch Gossweiler, K a p . / R . . . . , a.a.O., S. 505ff. 389 Das Verwirrende an dieser Konfrontation, das sie bis heute so unübersichtlich und schwer durchsteigbar macht, war, daß sie überwiegend in der Form gerade der weiteren Zusammenarbeit, nämlich der wechselseitigen Umarmung mit dem Ziel, den je anderen vor den eigenen Karren zu spannen, erfolgte und in dieser Form erfolgen mußte, da jeder der Beteiligten für seine Initiative auf die Beteiligung der Wehrverbände der anderen Seite angewiesen war. 390 Seeckts Direktoriumsplan war durch die Verwicklung v. Kahrs, Lossows und Seißers in die Vorgeschichte des Münchener Putschs und ihre dann im „Münchener Prozeß" offen zür Sprache kommende aktive Beteiligung an Putschvorbereitungen gegen die Republik undurchführbar geworden. Auch Claß war diskreditiert (s. Petzold, D e m a g o g i e . . . , a.a.O., S. 160). Seeckt allerdings wird nun von E b e n die erstrebte vollziehende Gewalt übertragen, die er zur Ausübung einer nun gerade die Stresemannsche Stabilisierungspolitik absichernden Militärdiktatur nutzt. 391 So auch das Urteil Gossweilers in K a p . / R . . . . , a.a.O., S . 4 2 8 („Sie wollten die Zuspitzung der politischen Krise dazu benutzen, doch noch das Ziel zu erreichen, das 1920 beim Kapp-Putsch verfehlt worden war."). Zur
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Unterscheidung und jeweils näheren Charakterisierung des „den Weg emer verfassungskonformen Krisenlösung" anstrebenden Stresemann-Flügels und des von Stinnes, dem Alldeutschen Verband und dem Reichslandbund angeführten putschistischen Flügels im Kapital (der „auf dem kürzesten Wege zur .nationalen Diktatur' gelangen" wollte) in der Situation des Jahres 1923 s. ebd., S. 427f. (sowie insgesamt das Kapitel „Der Putsch im Bürgerbräu und seine Hintergründe", S. 419ff.), zur Charakterisierung der einzelnen Putschfraktionen und ihrer Rivalitäten insbesondere das Unterkapitel „Diktaturpläne in Berlin und München", ebd., S. 431 ff. 392 Vollkommen übereinstimmend mit der Quellenlage faßt Gossweiler in diesem Sinne zusammen (a.a.O. ( S. 522): „Der Putsch vom 8./9. November war nur der abschließende Höhepunkt einer vehementen Kampagne der reaktionärsten Kreise des deutschen Monopolkapitals und des deutschen Militarismus zum Sturz der Stresemann-Regierung als Auftakt zur Errichtung der offenen D i k t a t u r . . . . Der Putsch war keineswegs die alleinige Angelegenheit Hitlers oder der NSDAP, sondern Sache des Kampfbundes, dessen entscheidende Persönlichkeiten Ludendorff, Rohm und Knebel waren und von denen keiner daran dachte, sich etwa Hitler unterzuordnen . . . Auch bei diesem Putsch waren die N S D A P und ihre Führer, wie auch die ganze Zeit vorher, keine selbständig agierende politische Kraft, sondern eine Zugkraft, eingespannt in Projekte, die sie zwar zu ihren eigenen machten, deren Urheber aber Vertreter der herrschenden Klasse und ihres Herrschaftsapparates w a r e n . . . . Wie bei jedem gescheiterten Unternehmen der Reaktion wurden hinterher die größten Anstrengungen unternommen, die wahre Sachlage zu verfälschen, die Hauptverantwortlichen als Unbeteiligte und die Handlanger als die Hauptverantwortlichen hinzustellen." 393 Zu den Einzelheiten des Entschlusses der „Kampfbund"-Leitung zum selbständigen Losschlagen in einer Beratung am 7. November s. Gossweiler, Kap./R a.a.O., S.488ff. sowie 501 f. Hier, S . 5 0 2 f f „ im übrigen auch Auszüge aus dem vom Putsch-Teilnehmer und NSDAP-Mitglied Oberlandesgerichtsrat Theodor von der Pfordten ausgearbeiteten terroristischen „Verfassungs"-Entwurf, der im Falle des Gelingens des Münchener Putsches von der Regierung der „nationalen Diktatur" in Kraft gesetzt werden sollte, auf einem „Notverfassungs"-Entwurf des Alldeutschen Verbandes fußte - der Pfordten als Vorlage gedient hatte - , fast ausschließlich aus Erschießungsvorschriften und Todesstrafen-Androhungen bestand, aber auch aus Bestimmungen wie etwa „Säuberung und Entlastung der Städte, Bäder und Fremdorte, insbesondere zur Entfernung aller sicherheitsgefährlichen Personen und unnützen Esser. Diese sind nach Bedarf in Sammellager zu verbringen und nach Mögüchkeit zu gemeinnützigen Arbeiten heranzuziehen. Wer sich der Überführung entzieht oder zu entziehen versucht, wird mit dem Tode bestraft." Dieser Entwurf kann keinerlei Zweifel daran lassen, daß ein Gelingen des Münchener Putsches die Vorverlegung des Jahres 1933 bereits ins Jahre 1923 bedeutet hätte; beachtenswert in diesem Zusammenhang aber dürfte auch sein, daß v. Kahr - worauf Gossweiler S. 502, Anm. 225, hinweist - diesen Entwurf kannte und an ihm offenbar keinen Anstoß nahm, er jedenfalls nicht zum Anlaß von Differenzen wurde.
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394 Hitler war gerade auch in seiner mehr einer Ehrenhaft gleichenden, von den Justizorganen jedenfalls höchst kulant gehandhabten Landsberger Haftzeit, in der er unbehindert jedwede Besucher empfangen durfte, „Kameradschaftsabende" abhielt und den ersten Band von „Mein Kampf" schrieb, von seinen ältesten einstigen Beratern aus der Thüle- und DAPFrühzeit keineswegs etwa abgeschnitten. Den als „Feldherrnflügel" bezeichneten Festungstrakt, in den man ihn eingewiesen hatte und innerhalb dessen sich die Häftlinge unbehindert bewegen und wechselseitig besuchen bzw. auch untereinander versammeln konnten, bewohnte er gemeinsam mit Rudolf Heß, dem Oberland-Führer und Lehmann-Schwiegersohn Dr. Friedrich Weber und dem (militärischen) Kampfbund-Führer Oberstleutnant Hermann Kriebel. Vgl. Werner Maser, Hitlers Mein Kampf. Entstehung, Aufbau, Stil, Änderungen, Quellen, Quellenwert, kommentierte Auszüge, München und Esslingen 1966, S. 21. Heß, unter dessen Assistenz Hitler „Mein Kampf" schrieb (dessen beide Bände von Rudolf und Ilse Heß in ihre endgültige Form gebracht wurden), erhielt seinerseits häufig den Besuch Karl Haushofers (nach Jacobson, Karl Haushofer. Leben und Werk, a.a.O., Bd. I, S. 227 und 239, in der Zeit zwischen dem 24. Juni und dem 12. November 1924 insgesamt acht Mal, jeweils mittwochs; Heß eignete sich in der Haftzeit, zur Freude Haushofers, Ratzels „Politische Geographie" - s. Anm. 93 - an, ebd., S. 239). Der erste, der sich unmittelbar nach dem gescheiterten Putsch bei v. Kahr für die sofortige Amnestie der Putschteilnehmer einsetzte und zu diesem Zwecke eigens nach München fuhr, war Heinrich Claß (vgl. Petzold, D e m a g o g i e . . . , a.a.O., S. 159f.). 395 Vgl. z. B. den Abdruck von Auszügen aus Hitlers erster nach-landsberger Nationalklub-Rede am 28. Februar 1926 im großen Festsaal des Hamburger Hotels Atlantic bei Asendorf, Nationalsozialismus und Kapitalstrategie, a.a.O., S. 148ff., zu den Industrieklub-Reden bis 1928 insgesamt Kurt Gossweiler, Hitler und das Kapital 1925-1928, in: Blätter für deutsche und internationale Politik, Köln, Heft 7/1978, S. 842ff., und Heft 8/1978, S. 993 ff.
III. Gab es in der NSDAP einen „linken" Flügel? 396 Es versteht sich, daß mit dieser Frage nicht nur die Behauptung vom „sozialistischen" Charakter des deutschen Faschismus, sondern auch dessen Deutung als eine ihrem sozialen Inhalt nach „interklassistische" Bewegung (und die dementsprechende Interpretation des Faschismus als „Interklassismus") auf der Probe stehen. - Zur Strasser-Richtung vgl. o. Anm. 56. 397 Vgl. o. Anm. 185 u. 207. 398 S. das im Kap. II zitierte Houghton-Telegramm an Staatssekretär Hughes vom 2 1 . 9 . 1 9 2 3 . 399 S. o. Anm. 254. 400 S. E. Stadtler, Als Antibolschewist 1918/19 (Lebenserinnerungen Bd. 3), Düsseldorf 1935, S. 145f. 401 Vgl. z. B. Stadtlers programmatischen Leitartikel „Deutscher Sozialis-
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mus gegen Ost und West" in Nr. 2 der Zeitschrift „Das Gewissen" vom 1 7 . 4 . 1 9 1 9 , den Stadtler, a.a.O., S. 138ff., ausführlich referiert, und das von Stadtler entworfene und von ihm ebd., S. 22, als „deutschsozialistische Leitsätze" bezeichnete Programm der „Vereinigung für nationale und soziale Solidarität". 402 Vgl. z. B. a.a.O., S. 89. 403 S. o. Anm. 69. 404 Stadtler, Als Antibolschewist, a.a.O., S. 56 f. 405 Ebd., S. 78f., zu Stadtlers erstem Versuch: S. 45f. 406 Zu Stadtlers politischen Anfängen vgl. E. Stadtler, Jugendschicksale 1886-1914 (Lebenserinnerungen Bd. I), Düsseldorf 1935; zu seiner Verbindung mit Spahn dort ab S. 41, zu Brünings Spahn-Schülerschaft S. 42. Stadtler betont, daß er trotz der gemeinsamen Spahn-Schülerschaft in seiner Straßburger Zeit mit Brüning noch nicht in engere Beziehungen trat. „Erst Revolution und Nachkriegszeit brachten uns näher zusammen" (ebd.). 407 Vgl. ebd., S. 113ff.; zu Stadtlers Ablehnung des ihm vom Vorstand des Windthorstbundes im Oktober 1918 definitiv angetragenen Generalsekretärspostens S. 162. 408 Zu M. Spahns „Politischem Kolleg", das am 1. November 1920 im Spandauer Johannesstift den Lehrbetrieb aufnahm, mit vollem Namen „Politisches Kolleg für nationalpolitische Schulungs- und Bildungsarbeit" hieß und sich ab November 1922 „Hochschule für nationale Politik" nannte, vgl. ausführlich J . Petzold, Wegbereiter des deutschen Faschismus. Die Jungkonservativen in der Weimarer Republik, a.a.O., S. 115ff. 409 Vgl. Stadtler, Als Antibolschewist, a.a.O. Der Posten des „Privatsekretär-Adjutanten-Geschäftsführers" im zu Beginn des Jahres 1919 durch Zusammenschluß der christlichen Gewerkschaftsbewegung mit dem „Deutschnationalen Handlungsgehilfenverband" unter Stegerwaids Führung begründeten „Deutschen Gewerkschaftsbund" war von Stegerwald zunächst Stadtler angeboten worden, der ihn jedoch mit der Begründung ablehnte, als inzwischen bekannter „Vorkämpfer der Werkgemeinschaftsidee und des berufsständischen Gedankens" könne er „nicht als bezahlter Geschäftsführer einer gewerkschaftlichen Klassenkampforganisation fungieren", woraufhin Stegerwald sich an Brüning wandte, der die Stelle annahm und „von dieser Basis aus den großen Aufstieg zum Zentrumsparlamentarier und zur Reichskanzlerkarriere" antrat (ebd. S. 180). 410 Zur Wirkungsgeschichte der organizistisch-nationalsozial gefaßten, gegen den „Parteien- und Klassenstaat" namens der „Volkseinheit" und Uberwindung der „Gegenbegriffe Bürgertum und Proletariat" im Gemeinschaftsbewußtsein als „Volk" gerichteten „Volksstaats"-Idee insbesondere auch, über den Rahmen der christlichen Gewerkschaftsbewegung hinaus, in den nichtkonfessionell-„nationalen" Gewerkschaften s. z. B. (als Hinweise) die Handbuch-Artikel von Herbert Gottwald über den „Deutschdemokratischen Gewerkschaftsbund" von 1918/19 und von Günter Hanisch über den von Ernst Lemmer als Generalsekretär geführten „Freiheitlich-nationalen Gewerkschaftsring deutscher Arbeiter-, Angestelltenund Beamtenverbände" (1920-1933) in: Handbuch bürgerliche Parteien, a.a.O., Bd. I, S. 296ff. und Bd. II, S. 46 ff. 411 S. E. Stadtler, Jugendschicksale, a.a.O., S. 156ff., Zitatstellen S. 177f. 412 S. E. Stadtler, Als politischer Soldat 1914-1918 (Lebenserinnerungen 455
Bd. II), Düsseldorf 1935, S. 1-37 (ebd. auch die erste nähere Kontaktnahme mit Theodor Heuss und Elly Heuss-Knapp, vgl. dazu des weiteren dort auch S. 163 f., S. 174 f.). 413 Ebd., S. 113 ff.; Stadtlers Rußlandpläne S. 120-139. 414 Ebd., S. 160f., 164ff. 415 Ebd., S. 154f. 416 Ebenda. 417 Stadtler, Als Antibolschewist, a.a.O., S. 9; von diesen Bemühungen blieben, nachdem sie am 20. November 1918 mit tatkräftiger Unterstützung des späteren DDP-Führungskreises der Fortschrittlichen Volkspartei um F. Naumann zur Gründung des „Deutsch-demokratischen Gewerkschaftsbundes" geführt hatten, nach dessen baldigem Auseinanderbrechen in seine konfessionellen und seine nichtkonfessionell orientierten Verbandsbestandteile nur Stegerwaids christlicher „Deutscher Gewerkschaftsbund" einerseits, der „Freiheitlich-nationale Gewerkschaftsring" andererseits (vgl. Anm. 410) übrig. 418 Vgl. Stadtler, Als Antibolschewist, a.a.O., S. 178 f. 419 Vgl. das Kapitel „Revolutionierung des Parteiwesens", a.a.O., S. 111 ff., aber auch schon etwa S. 10 „Ich gehe auf eine .jungkonservative Bewegung', auf eine ,konservativsozialiftische Bewegung' los"; sowie in: „Als politischer Soldat", a.a.O., S. 161, geschrieben für die Tage bereits von Mitte/Ende Oktober 1918: „Ich verlege jetzt die Reformarbeit... in die Parteien selbst hinein, und bin dabei fest überzeugt, daß damit auf Umwegen die Sprengung sowie die Umbildung doch erreicht wird. Vielleicht sogar sicherer. Augenblicklich betreibe ich als Gegenstück zur Revolutionierung der Zentrumspartei eine Revolutionierung der Konservativen P a r t e i . . . - Arbeit auf weite Sicht." - Als das Ziel der aus den solcherart „revolutionierten" Parteien selbst hervorwachsenden parteienübergreifenden Bewegung zur „heroischen Neugestaltung des deutschen Volksstaates" (ebd., S. 169) hatte er am 1. November 1918 auf der Gründungs-Kundgebung der „Vereinigung für nationale und soziale Solidarität" in der Berliner Philharmonie umrissen: „Wir sind das am meisten . . . zum organischen Solidarismus disponierte Volk . . . Gegen den Bolschewismus des Ostens und gegen die Formaldemokratie des Westens wollen wir aus deutscher Geistigkeit und aus deutscher Gestaltungskraft die Synthese des echten Volksstaates, des Staates der neuen Weltordnung schaffen . . . Es ist nicht Lenin, der Messias des Ostens, der den Bolschewismus vertritt; auch nicht der Messias des Westens, Wilson, der die Formaldemokratie des 19. Jahrhunderts in der philosophischen Verbrämung wie in der praktischen Dekkung des Hochkapitalismus repräsentiert. Der Messias dieser neuen Weltordnung wird das deutsche Volkstum sein." (Vgl. ebd., S. 171 f.). 420 Vgl. Als Antibolschewist, a.a.O., S. 138ff. 421 S. ebd., S. 161 ff. 422 Vgl. ebd., S.125ff. und 181 ff., sowie Petzold, Wegbereiter..., a.a.O., S. 100. S. auch, als Programmschrift dieses Kreises, Max Hildebert Boehms „Ruf der Jugend", Leipzig 1920, bei Petzold (S. 106ff.) ausführlich vorgestellt. Diese Schrift, die zum Kampf für ein vom Wilhelminischen Kaiserreich sich unterscheidendes „Novum Imperium" aufrief und dazu aufforderte, zwecks hierzu erforderlicher konservativer „Erneuerung unseres Volkes von Grund auf" aus dem „Frontkämpfergeist der Kriegsfreiwilligen" heraus „revolutionär" zu sein, warf (sich in die Stimme der „Jugend"
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kleidend) der „älteren Generation" vor, es nicht verstanden zu haben, die Ideen des Sozialismus aufzugreifen und sie mit dem Nationalismus zu verbinden, stellte den ersten Weltkrieg als einen Angriffskrieg „des Westens gegen die wachsende Mitte und bald auch gegen den Osten Europas" dar, dessen Erfolg vor allem die der westlichen Verflachung und „Amerikanisierung" sich öffnenden „Städte" vorgearbeitet hätten, und plädierte von da aus - den Kommunismus und die russische Oktober- und deutsche Novemberrevolution der „äußersten Reaktion von links" und damit „der Reaktion", und zwar als deren zur Zeit im Vordergrund stehende und gefährlichste Spielart zuzählend - für eine „Ostorientierung" der deutschen Politik, da den „einzigen Lichtblick" nach der Kriegsniederlage die „großdeutschen Hoffnungen", die verstreut über Europa hin lebenden „Auslandsdeutschen" darstellten, mit denen die Aussicht auf ein Ausgreifen der „Gemeinschaft des Volkstums" über die Grenzen des unter dem Versailler Diktat-Joch gefesselt gehaltenen bismarckisch-weimarischen kleindeutschen Reiches sich auftue. Vgl. hiermit die in diesem Kapitel später dargestellte Konzeption Niekischs. 423 S . O . E . Schüddekopf, Nationalbolschewismus in Deutschland 1918 bis 1933, Frankfurt/M.-Westberlin-Wien 1972 (Erstausgabe unter dem Titel „Linke Leute von rechts. Die nationalrevolutionären Minderheiten und der Kommunismus in der Weimarer Republik", Stuttgart 1960), S. 239. Zum Autor Schüddekopf vgl. Lew Besymenski, Die letzten Notizen von Martin Bormann. Ein Dokument und sein Verfasser, Stuttgart 1974, S. 291. 424 Vgl. U . Hörster-Philipps, Konservative P o l i t i k . . . , a.a.O., S. 34, zu den Mitarbeitern in der Auslandsabteilung der O H L Petzold, Wegbereiter. .., a.a.O., S. 93. 425 Vgl. A. Moeller van den Bruck, Das Recht der jungen Völker, München 1919; s. zu diesem Buch auch Petzold, a.a.O., S. 97f. 426 A. Moeller van den Bruck, Das dritte Reich, hier zit. nach 3. Aufl. Hamburg 1931 ( l . A u f l . Berlin 1923), S. 56f. Zur sozialdarwinistischen Ausgangsbasis der gesamten Argumentation Moeller van den Brucks s. dort insbes. im Kapitel „Sozialistisch" den Abschnitt IV, S. 48 ff. 427 Vgl. auch Petzold, Wegbereiter..., a.a.O., S. 189, der dort in Zusammenhang mit M. H . Boehm, für den dies ebenso gilt, konstatiert: „Schon Ratzel h a t t e . . . die Zuspitzung der Klassenkämpfe im Innern Deutschlands auf den .Mangel an Raum' zurückgeführt, der zur Verschärfung des ,Kampfes ums Dasein' führe. Diese Behauptung wurde mit ganz besonderem Eifer von den Jungkonservativen aufgegriffen..." 428 Zur Rolle v. Haeftens und der „Militärischen Stelle" des Auswärtigen Amtes s. Petzold, .Ethischer Imperialismus', in: Politik im Krieg 1914-1918, a.a.O., S.204ff. (hier ab S.210), sowie in R . O p i t z (Hrsg.), Europastrategien..., a.a.O., S. 31 f., 196 und die Dok.e 36 u. 40; zu v. Haeftens Verbindung mit Heinrich v. Gleichen und dessen „Solidariern": Hörster-Philipps, a.a.O., S. 34. 429 S. Hörster-Philipps, a.a.O., S. 71 ff. 430 Walther Schotte, Generalsekretär der 1918 in „Großdeutsche Vereinigung" umbenannten einstigen „Reichsdeutschen Waffenbrüderlichen Vereinigung", war „Schriftleiter" des von Friedrich Naumann herausgegebenen Informationsblattes „Mittel-Europa. Mitteilungen des Arbeitsaus-
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schusses für Mitteleuropa". Der „Arbeitsausschuß Mitteleuropa" war ursprünglich zum Zwecke der Koordinierung der Arbeit von „Mitteleuropäischem Wirtschaftsverein" und „Reichsdeutscher Waffenbrüderlicher Vereinigung" gegründet worden. Er propagierte ab Ende 1918 den Anschluß Österreichs ans Deutsche Reich. Vgl. R . O p i t z , Der deutsche Sozialliberalismus 1917-1933, a.a.O., S.42, desgl. den Handbuch-Artikel von Herbert Gottwald zur „Reichsdeutschen Waffenbrüderlichen Vereinigung" in Handbuch bürgerliche Parteien, a.a.O., Bd. II, S. 516-518. Einen kurzen Überblick über die politische Biographie Schottes gibt HörsterPhilipps, a.a.O., S. 118f. 431 Vgl. Stadtler, Als politischer Soldat, a.a.O., S. 162, auch S. 165. 432 Ebd., S. 187f. 433 S. Petzold, Wegbereiter..., a.a.O., S. 187. 434 Vgl. C. Duisbergs Ansprache über „Gegenwarts- und Zukunftsprobleme der deutschen Industrie" auf der vom Bayerischen IndustriellenVerband am 24. März 1931 veranstalteten Tagung „Wirtschaft in N o t " , wiedergegeben in C. Duisberg, Abhandlungen, Vorträge und Reden aus den Jahren 1922-1933, Berlin 1933, S. 172f.; s. jedoch auch den in Wolfgang Schumann, Ludwig Nestler (Hrsg.), Weltherrschaft im Visier, a.a.O., S. 219f. abgedruckten Auszug mit der dort begründeten Rückkorrektur des bei Dulsberg im oben angeführten Zitat zu findenden Wortes „Sofia" in den Originalwortlaut „Odessa". 435 Zur Politik und Rolle Schachts vgl. K. Gossweiler, Großbanken, Industriemonopole, Staat, a.a.O., dort insbes. Kapitel VI (S. 255 ff.) und VII (S. 307ff.). 436 Vgl. Petzold, Wegbereiter..., a.a.O., S. 175ff.; Hörster-Philipps, Konservative P o l i t i k . . . , a.a.O., S.44ff.; sowie den Handbuch-Artikel „Deutscher Herrenklub" von Gerhard Feldbauer in Handbuch bürgerliche Parteien, a.a.O., Bd. I, S. 463 ff. 437 S. Hörster-Philipps, a.a.O., S.45. Im ursprünglichen Entwurf seiner „Richtlinien" hieß es: „Der Deutschherrenklub knüpft mit seinem Namen an die geschichtliche Sendung unseres Volkes an, die nach Osten ging und für die heute der großdeutsche Gedanke symbolisch ist." (ebd.; zur Abänderung des Textentwurfs dort S. 46 f.) 438 Zur Unterstützung der Politik Brünings durch den „Deutschen Herrenklub" (bis zu etwa der Zeit, zu der auch Schleicher sie ihr entzog) s. u. a. Hörster-Philipps, a.a.O., S. 52ff. 439 Die beiden Programm-Bücher der Papen-Regierung waren W. Schottes „Der Neue Staat", Berlin 1932, und, vor allem und grundlegender, das bereits 1927 erschienene und als das überhaupt wichtigste programmatische Manifest des „Deutschen Herrenklubs" anzusehende Buch Edgar Julius Jungs „Die Herrschaft der Minderwertigen. Ihr Zerfall und ihre Ablösung" (Berlin 1927). Sowohl Schotte wie Jung gehörten zum „Solidarier"-Kreis um v. Gleichen und Stadtler (s. hierzu u. a. den Handbuch-Artikel „Juniklub" von Gerhard Feldbauer in Handbuch bürgerliche Parteien, a.a.O., Bd. I, zu Schotte dort S. 244 und 246, zu Jung S. 246). 440 Vgl. dort im „Fünften Teil" vor allem die Kapitel „Die Grundlagen deutscher Bündnispolitik" (S. 315ff.) und „Zur Durchführung der Neuordnung" (S. 318 ff.) sowie in den im Anhang veröffentlichten zusammenfassenden „Grundsätzen" das dem Thema „Europäische Ziele der Außenpoli-
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tik" gewidmete „Stück 19" (S. 341). 441 Vgl. hierzu bei Hörster-Philipps, a.a.O., das Kapitel III „Die außenpolitische Konzeption des Papen-Kabinetts : Das deutsch-französische Bündnis als Kern der ,Mitteleuropa'-Strategie" (S. 127ff.). 442 S. hierzu in bislang beispielloser Materialbreite die im Vorangegangenen bereits mehrfach zitierte Röhm-Dissertation Gossweilers. Es sei hier nur, zwecks vielleicht schlaglichtartiger Beleuchtung, das Detail hinzugefügt, daß E. Röhm - wie z.B. auch Himmler und Kurt v.Schröder Kuratoriumsmitglied der zur weiteren Finanzierung des Ende 1933 in „Deutscher Klub" umbenannten „Deutschen Herrenklubs" von Viktoria Auguste von Dircksen, der von frühen Tagen an Hitler in ihre Salons einführenden deutschen Botschafter-Gattin, ins Leben gerufenen „Dircksen-Stiftung" war (s. G. Feldbauer, Handbuch-Artikel „Deutscher Herrenklub", a.a.O., S.407f.). 443 Für den durchweg bei den „Solidariern" festzustellenden relativierten (keineswegs etwa abwesenden, wohl aber großeuropa-opportunistisch in seiner Anwendung zurückgenommenen) Rassismus, wie er sich leicht auf breiter Skala von K. Haushofer bis zu O. Strasser (bei ihm etwa insbesondere in dessen Buch „Aufbau des deutschen Sozialismus", Leipzig 1932) aufzeigen läßt, dürfte der Abschnitt „Neueinstellung zu Völker- und Rassenfragen" in E. J. Jungs Buch „Die Herrschaft der Minderwertigen" (a.a.O., S. 48 ff.) richtungssymptomatisch sein, in dem es einerseits heißt: „Der individualistische Gedanke von der Gleichberechtigung aller Nationen muß weichen dem der Sendung, zu welcher das hochwertige Volk berufen i s t . . . So wächst aus unserer antiindividualistischen Einstellung... das weltpolitische Sendungsgefühl: den abendländischen Kulturkreis vor Zersetzung zu retten, indem an die Stelle der hohlen Leitbilder ,Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit' der erlösende Gedanke der Herrschaft der Hochwertigen tritt", andererseits dann aber (keineswegs dem, wohl aber der Hitler-Richtung widersprechend): „Das innerste Wesen aber ist bestimmt durch die Gemeinsamkeit der politischen, sozialen und kulturellen Geschichte. Dazu kommt der geheimnisvolle Gleichklang des Blutes: die Rasse. Keinesfalls deckt sich jedoch der Begriff des Volkes mit dem der Rasse. Reinrassige Großvölker gibt es nicht; sie alle sind irgendwie rassemäßig gemischt..." (S. 48f.) 444 S. Petzold, a.a.O., S. lOOf., Hörster-Philipps, a.a.O., S. 31 ff.; G. Feldbauer, Handbuch-Artikel „Juniklub" in Handbuch bürgerliche Parteien, a.a.O., Bd. II, S. 244ff. 445 S. Stadtler, Als Antibolschewist, a.a.O., S. 126 (Stadtler hatte, wovon er ebd. S. 116f. und S. 123f. ausführlich berichtet, den Posten des Leiters der „Antibolschewistischen Liga" niederlegen müssen, da einflußreiche Industrielle gegen die von der „Vereinigung für nationale und soziale Solidarität" als ihrer ideologischen „Steuerungszentrale" im Hintergrund mit System betriebene Überschreitung ihres „rein negativen" Auftrags der „Bolschewismus-Abwehr" durch „positiv-nationalsozialistische" Propaganda Protest eingelegt hätten). 446 S. Petzold, a.a.O., S. 101-103; Hörster-Philipps, a.a.O., S.36; Feldbauer, Handbuch-Artikel „Juniklub", a.a.O., S.245f. 447 S. Petzold, a.a.O., S. 189f.
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448 S. O . Strasser, Hitler und ich, Konstanz 1948, S . 3 2 ; vgl. auch Feldbauer, Handbuch-Artikel „Juniklub", a.a.O., S. 248, Anm. 6. 449 Diese Angabe (a.a.O.) dürfte freilich dem Kapitel der biographischen Selbstaufwertungen O . Strassers zugehören. 450 Vgl. Biographisches Handbuch der deutschsprachigen Emigration nach 1933, hg. vom Institut für Zeitgeschichte, München 1980, Bd. 1, S. 740 (biogr. Stich wort-Artikel: Strasser, Otto); Reinhard Kühnl, Die nationalsozialistische Linke 1925-1930, Meisenheim am Glan 1966, S. 10, Anm. 36; O . Strasser, Hitler und ich, a.a.O., S. 18ff. Strasser gibt hier an, „Führer von drei Hundertschaften in Berliner Vororten" gewesen zu sein. 451 Zur Geschichte der SA vgl. Heinrich Bennecke, Hitler und die SA, München und Wien 1962. Aufgrund des dort S. 25 ff. geschilderten Aufbaus der SA durch Ehrhardts „Organisation Consul" in Abstimmung mit Röhm und Ludendorff (von dem u. a. auch Gossweiler, K a p . / R . . . , a.a.O., S.267ff., des näheren S. 270f., berichtet) bedeutete die Eingliederung des Strasserschen Freikorps m die SA damals freilich primär dessen Überführung in die Dispositionsgewalt Ehrhardts, Röhms und Ludendorffs und nur sekundär und in diesem Zusammenhang auch in diejenige der N S D A P und Hitlers, wie dies auch bei O . Strasser, Mein Kampf, Frankfurt/M. 1969, S. 17, in der Wiedergabe eines (freilich von Thoss, a.a.O., S. 250, mit überzeugenden Gründen in seinem Stattfinden überhaupt angezweifelten) Gesprächs mit Ludendorff durchklingt. Vgl. in O . Strasser, Hitler und ich, auch a.a.O., S. 23, wo sich der Ubertritt Gregor Strassers und seines Landshuter Freikorps in die SA und N S D A P mit Frühjahr 1920 datiert findet (was Thoss, a.a.O., in Übereinstimmung mit Albrecht Tyrell, Vom Trommler zum Führer, a.a.O., S. 224, Anm. 391, gleichfalls - als eine um fast ein Jahr zu früh angesetzte Datierung - in Zweifel zieht), sowie auch S. 52, wo Otto Strasser die dominante Rolle Röhms gegenüber Hitler erwähnt. 452 Vgl. hierzu Gossweiler, Röhm-Dissertation, a.a.O., S. 292, auch Manfred Weißbecker, Handbuch-Artikel „Kampfgemeinschaft Revolutionäre Nationalsozialisten", in Handbuch bürgerliche Parteien, a.a.O., Bd. II, S. 251. 453 S. Stadtler, Als Antibolschewist, a.a.O., S.89ff. und S. 111 ff. 454 S. O . Strasser, Mein Kampf, a.a.O., S. 19; zur „Germania"-Mitarbeit Kühnl, a.a.O., S. 10, Anm. 36. 455 S. K. Gossweiler, biographischer Stichwort-Artikel Otto Strasser in: Biographisches Lexikon zur deutschen Geschichte. Von den Anfängen bis 1945, Berlin 1971, S.677. 456 Vgl. bei O . Strasser z . B . Hitler und ich, a.a.O., S. 19. Diese Strassersche Selbstdarstellung seines SPD-Austritts findet sich an zahlreichen Orten erstaunlich kritiklos referiert, zur bizarrsten Blüte zugespitzt neuerlich im Beitrag von Michael Hepp, „Der Nationalsozialismus. Ideologie und Ursprung", in dem sich dem Publikum doch in kritischem Gestus offerierenden Reader von Jan Peters (d.i. Peter van Spall) „Nationaler .Sozialismus' von rechts", Westberlin 1980, in dem es (S. 17) nunmehr nur noch heißt, O . Strasser „hatte . . . zur N S D A P gefunden, weil er den Sozialismus von der SPD-Führung verraten wähnte". Aber selbst das vom Münchener „Institut für Zeitgeschichte" herausgegebene, hier mehrfach
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angeführte „Biographische Handbuch der deutschsprachigen Emigration nach 1933" teilt im Tonfalle lexikalischer Sachverhaltsangabe zu O . Strasser (a.a.O., S. 740) mit: „1920 aus Protest gegen den Bruch des sog. Bielefelder A b k o m m e n s . . . Austritt aus der S P D " . Zum gleichwohl auf der Hand liegenden Legendencharakter dieses SPD-Austrittsmotivs s. im Text. 457 S. O . Strasser, Mein Kampf, a.a.O., S. 19, desgl. Biographisches Handbuch der deutschsprachigen Emigration, a.a.O., S. 740. 458 Biogr. Handb. d. deutschspr. Emigration, a.a.O., S. 742, auch O . Strasser, Mein Kampf, a.a.O., S. 20 (Titel dort angegeben mit „Entwicklung und Bedeutung..."). 459 Vgl. O . Strasser, Mein Kampf, a.a.O., S. 20 f., zur genauen Bezeichnung der Hilfsreferentenstelle s. Gossweiler, Röhm-Dissertation, a.a.O. (dort zu G. und O . Strasser S. 287ff.). 460 S. das vorletzte Kapitel in diesem Buch. - Hermes, aus der katholischen Bauernbewegung kommend, im zweiten Kabinett Wirth (Oktober 1921) und in der Regierung Cuno Reichsfinanzminister. Ab 1928 Geschäftsführender Präsident der (zentrumsonentierten) „Vereinigung der deutschen Bauernvereine" (die unter seiner Präsidentschaft in „Vereinigung der deutschen christlichen Bauernvereine" umbenannt wurde), auch Präsident des „Reichsverbandes der landwirtschaftlichen Genossenschaften" (Raiffeisen) und Zentrums-Reichstagsabgeordneter. Ab 1929 gemeinsam mit Martin Schiele („Reichs-Landbund"), Brünings Reichsernährungsminister, einer der maßgeblichen Sprecher des in diesem Jahre von den großen Landwirtschaftsverbänden gebildeten Interessen-Zusammenschlusses „Grüne Front"; ab 1931 u.a. Vorsitzender eines zur Verbesserung der Zusammenarbeit zwischen der Generalversammlung der deutschen Katholiken und den christlichen Bauernvereinen gegründeten Arbeitsausschusses, dem etwa auch Georg Heim und v. Lüninck angehörten. 1944 wegen Zugehörigkeit zum Kreis des 20. Juli zum Tode verurteilt. 1945 in der sowjetischen Besatzungszone Mitbegründer der C D U ; 1946 Wechsel in die britische Besatzungszone, im gleichen Jahr Gründer und bald danach erster Präsident des „Deutschen Bauernverbandes" sowie Wiederbegründer und danach Präsident auch des „Deutschen Raiffeisen-Verbandes" (vgl. u. a. Josef Seemann, Handbuch-Artikel „Vereinigung der deutschen Bauernvereine" sowie „Grüne Front" in Handbuch bürgerliche Parteien, a.a.O., Bd. II, S. 763 ff. und 183 ff.). 461 Zur Verflechtung dieses Spirituosen-Konzerns mit dem (eng den I G Farben verbundenen) Chemie-Konzern Schering-Kahlbaum, dessen Generaldirektor Berckemeyer dem Aufsichtsrat von Hünlich-Winkelhausen angehörte, s. Gossweiler, Röhm-Dissertation, a.a.O., S.289. 462 S. O . Strasser, Mein Kampf, a.a.O., S. 21. - O . Strassers RegimentsKommandeur im 1. Weltkrieg war übrigens K. Haushofer (s. ebd., S. 151). 463 Zu Paul Schulz vgl. vor allem E. J . Gumbel, Vom Fememord zur Reichskanzlei, Heidelberg 1962, S. 53 ff., auch Heinrich Hannover/Elisabeth Hannover-Drück, Politische Justiz 1918-1932, Hamburg 1977 2 , S. 162ff.; bei O . Strasser in „Hitler und ich", a.a.O., S. 161, jedoch auch in „Mein Kampf", a.a.O., S. 81. 464 Vgl. Heinz Höhne, Der Orden unter dem Totenkopf. Die Geschichte der SS, München o. J . , S. 40-45.
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465 Vgl. hierzu ausführlich Röhm, Die Geschichte eines Hochverräters, a.a.O., S. 335 f. und insbesondere dann S. 349. 466 Vgl. Röhm, a.a.O., S.327ff. sowie den Handbuch-Artikel „Deutschvölkische Freiheitspartei" von M. Weißbecker in Handbuch bürgerliche Parteien, a.a.O., Bd. I, S. 765 ff. Artur Dinter, völkischer Schriftsteller, war einer der hetzerischsten Rasseideologen des „Deutschvölkischen Schutz- und Trutzbundes", in dem er besonders den Begriff der „Blutschande" propagiert hatte, und war zur Zeit des Weimarer VereinigungsVersuchs bereits zum thüringschen NSDAP-Gauleiter avanciert; er nahm daher am 17.8.1924 vor dem Weimarer Theater die Vereidigung der aufmarschierten Kolonnen der „Gruppe ,Mitte'" des „Frontbannes" auf den Namen Ludendorffs vor (s. Krebs, Handbuch-Artikel DSTB, a.a.O., Bd. I, S. 776f., zu letzterem Röhm, a.a.O., S. 327, auch 329). 467 S. Röhm, a.a.O., S.327f. 468 Vgl. den Niederschlag dieser Auseinandersetzungen in Hitlers „Mein Kampf", vor allem im 8. Kapitel des zweiten Bandes unter der Überschrift „Der Starke ist am mächtigsten allein" (in dem sich Hitler, S. 568 ff., grundsätzlich gegen jede „Arbeitsgemeinschaft" mit anderen völkischen Gruppen ausspricht), aber auch in den heftigen Ausfällen gegen die „Völkischen" an anderen Stellen beider Bände, so insbes. bereits gegen Ende des Bandes I, S. 395—400, in Bd. II dann schon zu dessen Beginn wieder S. 415 f.; ihren konträren - Niederschlag bei Röhm s. a.a.O., u. a. S. 325-333. 469 Vgl. Weißbecker, Handbuch-Artikel „Deutschvölkische Freiheitspartei", a.a.O., S. 768; Röhm, a.a.O., S. 337f. 470 S. Röhm, a.a.O., S. 342. 471 So auch das Urteil Gossweilers in Röhm-Dissertation, a.a.O., S. 305 f. 472 S. Kurt Finker, Handbuch-Artikel „Tannenberg-Bund" in Handbuch bürgerliche Parteien, Bd. II, S. 668 ff. 473 Vgl. etwa die nun bedauernd-abwertende Bemerkung Röhms über Ludendorff in Röhm, a.a.O., S. 339. 474 Weitere, im folgenden erwähnte Situationen gleichen Musters waren z. B. vor allem die Bamberger Konferenz und der Tag von O. Strassers Auszug aus der NSDAP, aber auch, aufgrund der näheren Umstände, G. Strassers eigener Rücktritt von seinen Parteiämtern im Dezember 1932. 475 Vgl. in Hitler, Mein Kampf, a.a.O., Bd. II, insbes. das Kapitel „Deutsche Bündnispolitik nach dem Kriege" (S. 684 ff., formelhafte Komprimierungen des Konzepts auf jeweils nur einen Satz hier S. 699 f.), in sehr viel ausgiebigerer, da ausschließlicher Thematisierung jedoch Hitlers erst 1961 veröffentlichtes (1928 diktiertes) „Zweites Buch" (Hitlers zweites Buch. Ein Dokument aus dem Jahr 1928, hrsg. von Gerhard L. Wemberg, Stuttgart 1961). - Zur praktischen Relevanz dieses „Heß-Hitler"-Konzepts für die Weltkriegsführung des deutschen Faschismus und zum unmittelbaren Zusammenhang des England-Fluges von Heß mit ihm vgl. bei Lew Besymenski, Die letzten Notizen von Martin Bormann, a.a.O., S. llOff./ das Kapitel „Vierte Studie: Von Heß bis Wolff". 476 Vgl. die biographische Kurznotiz zu Reventlow (der aus der Reichsund freikonservativen Partei und vom Bund der Landwirte hergekommen war) bei Kühnl, a.a.O., S. 53, Anm. 77. 477 S. Kühnl, a.a.O., S.9f. 478 Ebd., S. lOff. 479 Ebd., S. 10.
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480 Vgl. O . Strasser, Mein Kampf, a.a.O., S.23, Hitler und ich, a.a.O., S. 106. 481 O . Strasser, Hitler und ich, S. 118: „Als ich kündigte, erhielt ich eine bedeutende Abfindung. Mit diesem Geld gründeten wir den .Kampfverlag' und erwarben sechs, dann acht Zeitschriften, die wir später in Tageszeitungen umwandelten..." (der ,Kampfverlag' erreichte in seinen Blütejahren eine dem Münchener Eher-Verlag gleichkommende Größenordnung, s. Kühnl, a.a.O., S. 49). Vgl. auch O . Strasser, Mein Kampf, a.a.O., S. 23. Diese auffallende eigene Hervorkehrung der Herkunft der Gelder für die Arbeit doch des „sozialistischen" Flügels der N S D A P ausgerechnet von einem großen privaten Spirituosenkonzern durch Otto Strasser macht die Vermutung naheliegend, daß mit ihr unvermeidliche Fragen nach deren Herkunft ein für allemal als beantwortet gelten und damit möglicherweise ganz andere Subventionsquellen, die tatsächlich nicht aufzufallen hatten, vor ihnen geschützt bleiben sollten. 482 Kühnl, a.a.O., S. 14. 483 Eine Aufzählung dieser Gauleiter, zu denen als wichtigste Karl Kaufmann, Erich Koch, Martin Mutschmann, Josef Bürckel, Helmut Brückner und Bernhard Rust, aber auch die gleichnamigen Gauleiter Wagner (Westfalen sowie München) oder etwa der Oldenburger Karl Rover gehörten, gibt Gossweiler, Röhm-Dissertation, a.a.O., S. 318, sporadisch auch Kühnl, etwa a.a.O., S. 16-18 oder S. 52, der vor allem auch den Hamburger Gauleiter Albert Krebs (S. 52), den schlesischen Gauleiter Erich Rosikat (ebenda) und den pommerschen Gauleiter Vahlen (S. 17) diesem Flügel zurechnet. Zu den beiden letzteren vgl. auch die Bestätigung durch O . Strasser in Mein Kampf, a.a.O., S. 37f. Die Nähe des „Freundeskreises" um Gregor Strasser zu Heß erwähnt Otto Strasser dort S. 39 f. (s. hier vor allem auch Frick, Hierl, Reventlow, Stöhr, Mutschmann). Zu Rosikat eine geradezu hymnische spätere Bestätigung O. Strassers („der beste Sprecher des .Deutschen Sozialismus'") in seinem Buch „Der Faschismus. Geschichte und Gefahr", München/Wien 1965, S. 76f., auch S. 80. 484 Kühnl, a.a.O., S. 14 485 Vgl. ebenda. 486 S. O . Strasser, Mein Kampf, a.a.O., S. 24. 487 Ebenda. - Goebbels war bis dahin Redakteur des von Friedrich Wiegershaus, einem Elberfelder Handelsvertreter und ehemals führendem Mitglied des „Deutschvölkischen Schutz- und Trutzbundes" herausgegebenen Blattes „Völkische Freiheit" (vgl. Krebs, Handbuch-Artikel D S T B , a.a.O., S. 777). 488 S. Kühnl, a.a.O., S . 1 5 f . 489 Ebd., S. 17. 490 Vgl. ebd., S. 18. 491 Vgl. O . Strasser, Mein Kampf, a.a.O., S.25ff. (Goebbels-Zitat S.27), analog Hitler und ich, a.a.O., S. 87. 492 So von Kühnl, vgl. a.a.O., S. 19, Anm. 109. 493 S. Kühnl, a.a.O., S. 44, desgl. auch die ausführliche Darstellung des Verlaufs dieser Konferenz bei O . Strasser, Hitler und ich, a.a.O., S. 116ff., die ganz auf den - wiederum seither vielzitierten - „Verrat" von Goebbels an Strasser zugeschnitten ist. Da G. Strasser jedoch seinem Bruder Otto, dessen Schilderung (S. 117) zufolge, sein eigenes Umfallen vor Hitler
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während der Konferenz anschließend mit den Worten erklärt haben soll: „ich merkte, daß Hitler Boden gewann", reduziert sich - immer allein in der Logik der Strasserschen Darstellung bleibend - der Verratsvorwurf an Goebbels dann aber eigentlich darauf, daß dieser dies eben offenbar nur schon etwas eher gemerkt und von sich aus schneller reagiert hatte als G . Strasser, was die Schärfe der in O . Strassers Memoirenbüchern gegen ihn deshalb erhobenen Anklage und die Datierung des Bruchs mit ihm auf diesen Tag nicht ganz nachvollziehbar macht. Man wird daher wohl auch gut daran tun, sich das spätere Verhältnis G. Strassers zu dem von Hitler noch im gleichen Jahr 1926 als Gauleiter von Berlin eingesetzten Goebbels nicht ganz so ausschließlich gespannt und unkooperativ vorzustellen, wie es in O . Strassers späteren Darstellungen erscheint. 494 Kühnl, a.a.O., S. 44. 495 S. George W . F. Hallgarten, Hitler, Reichswehr und Industrie, a.a.O., S. 126, Anm.27. 496 Zu dem im wesentlichen wohl heute als bekannt vorauszusetzenden Vorgang der Zurückziehung des von G. Strasser in seiner Reichstagsrede vom 10. Mai 1932 verkündeten „Wirtschaftlichen Sofortprogramms der N S D A P " (das als der Hauptwahlkampfschlager der N S D A P für die bevorstehenden Juliwahlen 1932 gedacht war und als solcher auch verwandt wurde) aufgrund einer Intervention Schachts bei Hitler, die in ihren Einzelheiten Dirk Stegmann 1973 im Archiv für Sozialgeschichte (Bd. X I I I / Jg. 1973, S. 399-482) dokumentiert hat, vgl. Gossweilers Röhm-Dissertation, auch, z . T . im Vergleich, Axel Schildt, Militärdiktatur mit Massenbasis?, a.a.O., S. 130ff., sowie - als eine auch wichtige Einblicke in die personelle Struktur der ,, Wirtschaftspolitischen Abteilung" der N S D A P Reichsleitung vermittelnde Arbeit - Avraham Barkai, Das Wirtschaftssystem des Nationalsozialismus. Der historische und ideologische Hintergrund 1933-1936, Köln 1977, S.31ff. Das „Wirtschaftliche Sofortprogramm" war, wie die genannten Arbeiten übereinstimmend bestätigen, Barkai mit weiterem neuen Material (s. S. 35) belegt und im übrigen auch Otto Wagener in seinen Erinnerungen (Turner, Hitler aus nächster Nähe: s. Anm. 499) selbst beschrieb, in der von Wagener geleiteten „Wirtschaftspolitischen Abteilung" in engster Abstimmung mit Funk ausgearbeitet worden. 497 S. Henry Ashby Turner jr., Faschismus und Kapitalismus in Deutschland. Studien zum Verhältnis zwischen Nationalsozialismus und Wirtschaft, Göttingen 1972, S. 147. - Zum Verständnis der bedeutenden politischen Rolle Paul Silverbergs, der sich in der Literatur zumeist nur als Herr seines rheinischen Braunkohlen-Imperiums (und insoweit als .Schwerindustrieller') apostrophiert findet, sei hier angemerkt, daß er zugleich aber auch der Gründer der „Rheinisch-Westfälischen Elektrizitätswerke ( R W E ) " war. 498 So jedenfalls Hallgarten, bei dem es, a.a.O., S. 128 (Anm. 40 zu S. 101) heißt: „August Heinrichsbauer, der anscheinend in der Redaktion der von Reisman-Grone herausgegebenen Rheinisch-Westfälischen Zeitung saß..." 499 Vgl. H . A. Turner jr., Hitler aus nächster Nähe. Aufzeichnungen eines Vertrauten 1929-1932, Frankfurt/M .-Westberlin-Wien 1978, S. 213-220.
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500 Vgl. den im Anhang zu O . Strasser, Mein Kampf, a.a.O., S. 212 ff. wiedergegebenen Auszug aus dem Bamberger Programmentwurf (zitierter Passus dort S. 216). Der volle Wortlaut des Entwurfs wurde von R. Kühn] in den Vierteljahresheften für Zeitgeschichte, 14. Jg. (1966) 3. Heft, publiziert. 501 S. O . Strasser, Hitler und ich, a.a.O., S. 29. 502 Bamberger Programmentwurf, a.a.O., S. 212. 503 Ebd., S. 216. 504 Ebd., S. 212. 505 Ebd., S. 213. 506 Ebd., S. 216. 507 Ebd., S.213. 508 Vgl. u.a. Kühnl, a.a.O., S.43ff. 509 Bamberger Programmentwurf, a.a.O., S. 213. 510 Vgl. hierzu Peter Hinrichs/Lothar Peter, Industrieller Friede? Arbeitswissenschaft und Rationalisierung in der Weimarer Republik, Köln 1976, insbes. Kap. II „Arbeitswissenschaft und soziale Integration (1918-1933)", S. 35 ff. 511 A. Schildt bezweifelt, a.a.O., S. 137, daß es G. Strasser, wie bei Gossweiler und auch von O . Strasser dargestellt, tatsächlich gelungen sei, Hitler für die Beteiligung der N S D A P an einem Schleicher-Kabinett zu gewinnen, er also erst durch die bei O . Strasser in „Die deutsche Bartholomäusnacht", Zürich 1935, S. 40ff. in Form der Wiedergabe eines mündlichen Berichts von Gregor an O t t o Strasser geschilderte dramatische Intrige Görings in letzter Minute - schon auf der Fahrt zu Schleicher nach Berlin hiervon wieder abgebracht wurde. Der Umstand, daß es sich bei den damaligen Auseinandersetzungen um die Frage einer solchen Regierungsbeteiligung handelte, bleibt davon - wie auch von der Glaubhaftigkeit der bei O . Strasser geschilderten Szene im einzelnen - freilich unberührt. 512 Kühnl, a.a.O., S. 48. 513 Alle diese Maßnahmen wurden auf einer Münchener Generalmitgliederversammlung der N S D A P am 22. Mai 1926 beschlossen. Zu ihnen gehörte des weiteren vor allem auch die Einführung eines Untersuchungsund Schlichtungsausschusses, dem das Recht zuerkannt wurde, in Abstimmung nur mit dem 1. Vorsitzenden der Partei (der seinerseits den Vorsitzenden des Untersuchungs- und Schlichtungsausschusses ernannte) ganze Ortsgruppen auszuschließen (vgl. Kühnl, a.a.O., S. 45 f.). 514 S. Kühnl, a.a.O., S. 47. 515 Ebd., S. 49. 516 Ebd., S. 180. 517 Vgl. ebd., S. 50. 518 Ebd., S. 51. 519 Ebd., S. 47. Die Redaktion der NS-Briefe wurde veranlaßt, die Wendung „unverbindliches Diskussionsmaterial" in ihre selbstdeklarierten Leitsätze aufzunehmen (s. ebd., S. 50). 520 Ebd., S. 52. 521 Ebd., S. 46. 522 S. Heinz Höhne, Der Orden unter dem Totenkopf, a.a.O., S. 48 ff. 523 Ebd., S. 43, zu Himmlers ursprünglichem Eintritt in die N S D A P auf Röhms Veranlassung hin s. dort S. 41. 524 S. Kühnl, a.a.O., S. 52. 525 Ebd., S. 53. 526 Ebenda. 527 S. K. Finker, Handbuch-Artikel „Tannenberg-Bund", a.a.O., S. 670. 528 Die Zugehörigkeit Hierls zum Strasser-Freundeskreis bestätigt O . Strasser in Mein Kampf, a.a.O., S.39. - Zum Aufbau der Organisationsabteilung II durch Hierl sowie insbesondere zum inneren Aufbau, den Mitarbeitern und Ausarbeitungen der „Wirtschaftspolitischen Abteilung"
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s. am ausführlichsten Barkei, a.a.O., S. 31 ff. - Otto Wagener war im Herbst 1929 durch den damaligen Obersten SA-Führer Pfeffer von Salomon - zunächst als dessen SA-Stabschef - zur N S D A P gekommen und Hitler vorgestellt worden (s. Hitler aus nächster Nähe, a.a.O.). - Zu den personalpolitischen Umbesetzungen, die G . Strasser als Reichsorganisationsleiter in der Wirtschaftspolitischen Abteilung vornahm, s. Gossweiler, Röhm-Dissertation, a.a.O., S. 293 ff. - Im Juli 1932 plädierte Schleicher im Reichskabinett für die Berufung Hierls (der der Arbeitsdienst-Experte der N S D A P war) an die Spitze einer zwecks Vorbereitung des baldigen Übergangs zu einer Arbeitsdienst-Pflicht zu bildenden Unterkommission (s. Schildt, a.a.O., S. 94). 529 Bamberger Programmentwurf, a.a.O., S.215. 530 Vgl. Barkai, a.a.O., S. 33 f. 531 Dietrich Klagges, Was will der Nationalsozialismus?, in: Nationalsozialistische Briefe, 1.6. und 15.6.1927, hier zitiert nach Kühnl, a.a.O., Dok. Nr. 1, S. 278f. 532 G . Strasser, Ziele und Wege, Artikel in den Nationalsozialistischen Briefen, datiert Anfang Juli 1927, zitiert nach Kühnl, a.a.O., Dok. Nr. 2, S. 283, 285. 533 Ebd., S. 284. 534 Kühnl, a.a.O., S. 98. 535 S. Heinrich Brüning, Memoiren 1918-1934, Stuttgart 1970, S. 145ff. Zur Auswertung der Brüning-Memoiren s.v.a.: Emil Carlebach, Von Brüning zu Hitler, Frankfurt/M. 1974 2 . Dann umfassender zur Vorbereitung der faschistischen Diktatur vom gleichen Autor: Hitler war kein Betriebsunfall, Frankfurt/M. 1978. 536 Vgl. ebenda vor allem S. 462, auch S. 483. 537 Ebd., S. 191-196 (Zitat S. 195). 538 O . Strasser nennt in Mein Kampf, a.a.O., S. 39, bei Erwähnung des Freundeskreises von Gregor Strasser Frick an erster Stelle. Vgl. zu ihm auch Gossweiler, Röhm-Dissertation, a.a.O. 539 Dies war der Hintergrund des vielberufenen „Einbindungs"-konzepts gegenüber Hitler, das von seinen Protagonisten nach 1945 dann zumeist so dargestellt wurde, als sei es ein Konzept zur Einbindung Hitlers und der N S D A P ins Weimarer parlamentarische System und nicht gerade nur in ihre eigene Strategie zu dessen Beseitigung und ihre eigene Diktaturkonzeption gewesen. 540 Vgl. Kühnl, a.a.O., S.233f. 541 Ebenda. 542 O . Strasser, 14 Thesen der deutschen Revolution, wiedergegeben bei Karl O . Paetel, Versuchung oder Chance? Zur Geschichte des deutschen Nationalbolschewismus, Göttingen (Berlin/Frankfurt/Zürich) 1965, als Anhang-Dokument X , S. 302-305 (auch bei Kühnl, a.a.O., als Dokument 3, S. 288-290); im obigen zitiert: These II bis These V, Absatz 1; These X I und X I I ; Auszüge aus These X I I I und X I V (aus letzterer die beiden letzten Absätze). 543 S. Frank Deppe/Witich Roßmann, Wirtschaftskrise, Faschismus, Gewerkschaften. Dokumente zur Gewerkschaftspolitik 1929-1933, Köln 1981, S . 3 0 0 f . 544 Aus O . Strassers gesamten eigenen Darstellungen des damaligen Konflikts geht hinreichend hervor, daß Hitlers Vorgehen gegen die „Kampfver-
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lags"-Presse nur unter dem Einfluß des sonst durchgehend als der innerparteiliche Gegenspieler des Strasser-Flügels gekennzeichneten Göring-Lagers erfolgt sein kann, auch wenn Strasser das dann auffallenderweise gerade in diesem Falle nicht eigens erwähnt. Immerhin hatte er in „Hitler und ich" auf S. 158 aber - u. a. unter Bezugnahme auf das Tagebuch der ersten Frau H. Görings - erwähnt, daß H . Schacht, ehe er sich zielgerichtet für die N S D A P einzusetzen begann, „seine Mitarbeit von der Entfernung der Brüder Strasser abhängig gemacht hatte". Wie verifizierbar dies nun auch immer sei, die für die damaligen innerparteilichen Auseinandersetzungen in der N S D A P grundlegende Rivalität zwischen dem Göring-Schacht-Flügel und dem Strasser-Flügel ist heute auch unabhängig von jedem Strasserschen Hinweis hierauf zur Genüge nachgewiesen und wird von O . Strasser bei der Darstellung der Vorgeschichte des Rücktritts seines Bruders dann auch wieder selbst durchgängig betont. 545 Vgl. O . Strasser, Hitler und ich, a.a.O., S. 130. 546 S. Kühnl, a.a.O., S. 240-242. 547 Vgl. Kühnl, a.a.O., S. 248-250. 548 So auch Kühnl, a.a.O., S . 2 5 2 : „ . . . war die Position der Betroffenen jedoch unhaltbar geworden. Es gab nur die Flucht nach vorn." 549 Das Manifest erschien in „Der nationale Sozialist" v. 4 . 7 . 1 9 3 0 , s. seinen Wortlaut u. a. bei Kühnl, a.a.O., S. 292 ff. (Dokument 5). 550 Vgl. die Unterschriften unter dem Auszugs-Manifest, a.a.O., S. 297. Der Name von Franke-Gricksch erscheint dort in der Schreibweise Grieksch-Franke, es handelt sich jedoch um die Unterschrift des (in Schriftstücken häufig auch als Franke-Griksch oder -Grieksch zu findenden) Schwiegersohns von G. Strasser. 551 Diese Aufzählung der in die „Kampfgemeinschaft" eingehenden Bestandteile gibt O . Strasser in „Hitler und ich", a.a.O., S. 152-154; die „Anamanen" finden sich, in gleichem Zusammenhang, in„Mein Kampf", a.a.O., S. 69 erwähnt (in der wohlwollend-verharmlosenden Wendung „Da waren die Artamanen, die eine Rückkehr aufs Land anstrebten und die Vorläufer des freiwilligen Arbeitsdienstes waren"). 552 Strasser lobt an dieser Stelle Ferdinand Fried ( = Ferdinand Friedrich Zimmermann) insbesondere für sein „sensationelles" Buch „Das Ende des Kapitalismus", Jena 1931, das die damals vom „Tat"-Kreis propagierte, mit Schleichers Linie identische Konzeption von „Zwischen-Europa" entwikkelte, wie sie wenig später, als weiteres „Tat"-Kreis-Mitglied, auch Giselher Wirsing in seinem Buch „Zwischeneuropa und die deutsche Zukunft" vortrug (Jena 1932). Was aus ihr, nur in Selbstentfaltung ihres Ansatzes, wurde, als sich die in ihr geforderte „dritte" („rechts" und „links" überwindende) Front in Marsch gesetzt und „Zwischeneuropa" erobert hatte (und F.Fried nun u.a., ab 1941, Professor an der „Deutschen Karls-Universität Prag" war), s. in der Denkschrift des SS-Sturmbannführers Giselher Wirsing über „Die Zukunft der deutschen Herrschaft in Rußland" vom August 1942 (abgedruckt in Europastrategien..., a.a.O., S. 909 ff., hier auch Auswahlstellen aus den anderen genannten Texten). Zur Identität des Schleicherschen „Mitteleuropa"-Konzepts mit der „Zwischeneuropa"-Konzeption des „Tat"-Kreises vgl. Schildt, a.a.O., S. 60ff., auch Barkai, a.a.O., S . 7 3 f . , S. 81; zur Identität des Schleicherschen „Querfront"-Projekts und vor allem seines „Generals"- bzw. „Staatssozialismus" mit der vom „Tat"-
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Kreis propagierten „Dritten Front" oder „Jungen Front" und dessen „Deutschem Sozialismus" vgl. Paetel, a.a.O., S. 29 (auch 305 ff.); Schildt, a.a.O., S. 75ff., 98ff., Barkai, a.a.O., S. 78ff. (sowie auch durchgängig); zu Frieds Beraterrolle bei Darre (dessen „Agrarpolitischen Apparat" in der Münchener NSDAP-Reichsleitung G. Strasser im Juni 1932 zur „Hauptabteilung V" erhob) s. Gossweiler, Röhm-Dissertation, a.a.O., S. 315 ff. (Darre ab S. 312). Das alte Redaktions-Team der „Tat" um Hans Zehrer und Fried wurde in den 50er Jahren bekanntlich zum redaktionellen Führungsstab von Springers „Die Welt", G.Wirsing einer der Starautoren von „Christ und Welt" (Mitherausgeber Eugen Gerstenmaier, G. Wirsing als Redakteur) sowie der „Welt am Sonntag". 553 S. Schildt, a.a.O., S. 130. 554 Vgl. M. Weißbecker, Handbuch-Artikel „Kampfgemeinschaft Revolutionäre Nationalsozialisten" in Handbuch bürgerliche Parteien, a.a.O., Bd. II, S. 250 ff. (hier „Schwarze Front" ab S.252), bzw. auch Biogr. Handbuch der deutschspr. Emigration, a.a.O., S. 740. 555 S. O. Strasser, Hitler und ich, a.a.O., S. 154-156. 556 Beide Texte, den Aufruf „Die Sozialisten verlassen die NSDAP" und die nachfolgend erwähnte Strasser-Schrift, verbreitete z.B. im April 1983 eine bislang unbekannte Stuttgarter „Nova-Express-Produktion" in Zusammenarbeit mit einer ebenso mysteriösen Münchener „N.I.P."Agentur" als angebliche Nummer 1 einer neuen vierwöchigen „historischen Zeitung" mit dem Titel „Zeitgeschichte" im jeweils vollen Wortlaut sogar als Zeitungs-Sonderdruck über den Bahnhofsbuchhandel, und zwar mit dem redaktionellen Bemerken, daß sie der Jugend „ein total neues Geschichtsbild über den nationalen Sozialismus" zu vermitteln vermögen und „man den alten und richtigen Weg in der jetzigen krisenerfüllten Zeit (die sich redaktionell wiederum beschrieben findet damit, daß „Deutschland heute ein kaum mehr lebensfähiger Torso ist") erneut beschreiten könnte" (so der einstige südbadische „Landesführer" der „Schwarzen Front" Karl Jochheim-Armin, heute Leiter des Strasser-Verlages „Das Reich" in München und verantwortlicher Herausgeber der gleichnamigen Publikation „Das Reich. Kampfschrift der SNKD - NF - VSB", d.i. „Sozialrevolutionäre Nationale Kampfgemeinschaft Deutschlands" „Nationale Front" - „Volkssozialistische Bewegung Österreichs"). Gerade das Manifest „Die Sozialisten verlassen..." enthält ein Demonstrationsbeispiel par excellence für den nur demagogisch vorgeschobenen Charakter des Streits um den „Sozialismus" (und zugleich für die demagogische Verfahrensweise). Die zentrale Stelle, auf die die Selbstbezeichnung „Sozialisten" im durchweg, zwecks Richtungseinordnung, lesenswerten Text des Manifests abgestützt (und das Sozialismus-Renommee der Strassianer bis heute rückbezogen) ist, lautet: „Wir hielten und halten den Nationalsozialismus vor allem aber für die große Antithese des internationalen Kapitalismus, der die vom Marxismus geschändete Idee des Sozialismus als der .Gemeinwirtschaft einer Nation zugunsten der Nation' durchführt und jenes System der Herrschaft des Geldes über die Arbeit bricht, das die Entfaltung der völkischen Seele und die Bildung einer wahren Volksgemeinschaft zwangsläufig verhindert." Bei Hitler heißt es im ersten Band von „Mein Kampf" an der Stelle, an der er berichtet, was er erst von 468
G . F e d e r gelernt habe (a.a.O., S.232ff.): „Die scharfe Scheidung des Börsenkapitals von der nationalen Wirtschaft bot die Möglichkeit, der Verinternationalisierung der deutschen Wirtschaft entgegenzutreten, ohne zugleich mit dem Kampf gegen das Kapital überhaupt die Grundlage einer unabhängigen politischen Selbstbehauptung zu bedrohen. Mir stand die Entwicklung Deutschlands schon viel zu klar vor Augen, als daß ich nicht gewußt hätte, daß der schwerste Kampf nicht mehr gegen die feindlichen Völker, sondern gegen das internationale Kapital ausgefochten werden m u ß t e . . . Der Kampf gegen das internationale Finanz- und Leihkapital ist zum wichtigsten Programmpunkt des Kampfes der deutschen Nation um ihre wirtschaftliche Unabhängigkeit und Freiheit geworden." Erst im Lichte dieser Hitler-Passage dürfte auffallen, daß im zitierten Passus des Strasser-Manifests, doch wohl entgegen dem ersten Leseeindruck, der Akzent gar nicht, im ersten Satzteil, auf Kapitalismus, sondern auf „internationalen", und im letzten Satzteil nicht auf System, sondern, eben gerade eingrenzend, auf „jenes" ( d a s . . . ; und damit wieder nur beim „Fremd"kapital, dem, anders als das zur völkischen Seele passende eigene, in die Volksgemeinschaft eben nicht hineingehörigen) liegt. Es empfiehlt sich, die beiden hier angeführten Stellen sehr sorgfältig im einzelnen miteinander zu vergleichen (hierzu auch Hitler weiter a.a.O., S.234), da sich daraus die Identität der „Sozialismus"-Definition des Strasser-Manifests mit nur Hitlers Programm eines den Weltmacht-Konkurrenzmächten im Kampf mit ihnen entgegenzusetzenden „völkisch" reinen (von ihnen unabhängigen) und politisch als straffe „Volksgemeinschaft" organisierten Nationalkapitalismus ergibt. 557 O . Strasser, Ministersessel oder Revolution, erstmals erschienen im Juli 1930, Berlin (Kampf-Verlag), von O . Strasser in seinen späteren Büchern dann mehrfach - in „Hitler und ich", a.a.O., S. 129-147, in recht freien Paraphrasierungen, in „Mein Kampf", a.a.O., S. 50-68, dann wieder gemäß dem ursprünglichen Text - wiedergegeben. - Die nächste zu erwähnende größere programmatische Selbstbekundung der Strasserianer aus O . Strassers Feder war dann dessen im Jahre 1932 erscheinendes Buch „Aufbau des Deutschen Sozialismus" (Leipzig 1932, eingeleitet von Herbert Blank unter dessen Pseudonym Weigand von Miltenberg), das nichts anderes als das hier bereits zum „Bamberger Programm" Gesagte enthielt, außer, daß es dem nun noch zwecks weltanschaulicher Vertiefung eine handgebastelte, an Spenglers „Kulturkreis"-Lehre angelehnte Strassersche Privat-Geschichtsphilosophie, O . Strassers Lehre von der „dreieinigen Bipolarität" hinzufügte, die kurz besagt: in der Geschichte folge turnusmäßig einer volksauflösenden „Ich-Epoche" eine volkszusammenfassende „Wir-Epoche", und auf den drei von einander untrennlichen sozialen Lebensebenen von Politik, Wirtschaft und geistig-kultureller Tätigkeit („Dreieinigkeit") stünden sich in diesen immer wieder einander ablösenden Epochen als jeweils zusammengehörig entgegen („Bipolarität"): als der dreieinige Kanon der „Ich-Epoche" politischer Liberalismus/ökonomischer Individualismus/geistig-kultureller „Materialismus" und als der ebenso dreieinigen Kanon der „Wir"-Epoche: im Politischen „Nationalismus", im Ökonomischen „Sozialismus", im Geistig-Kulturellen: „völkischer Idealismus" (und es versteht sich, daß dazu dann noch die Aussage gehörte, und
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1789 habe die letzte „Ich-Epoche" ihren Zenit erreicht, so daß nun ganz „organisch" eine „Wir-Epoche" an der Reihe sei.) Im übrigen bahnte dieses Buch aber bereits auch jene „antietatistische" Wendung der Strasserianischen Nationalsozialismus-Agitation an, die es O. Strasser ab 1945 (und auch schon in der Emigrationszeit) erlaubte, sein Plädoyer für den „wahren" Nationalsozialismus (am ausgeführtesten und vollends dann in den sechziger Jahren in seinem Buch „Der Faschismus. Geschichte und Gefahr", München 1965) in Einklang mit der Totalitarismustheorie und überhaupt auf deren Nenner zu bringen, und zwar nicht, um dadurch etwa irgendwie vom Nationalsozialismus abzurücken, sondern im Gegenteil, um ihn - den „Totalitarismus" zu „Etatismus" erklärend und „Staatskapitalismus" sowie „Staatssozialismus" zu dessen beiden Erscheinungsformen - in die „positive Mitte" des Totalitarismusschemas als den einzigen wahren „Anti-Totalitarismus" zu rücken (s. bei O. Strasser, Der Faschismus, a.a.O., insbesondere S. 70 mit der dort - wie auch anderswo, etwa S. 106 - vorgenommenen totalitarismustheoretischen Gleichsetzung von Kommunismus und Faschismus auf den Nenner „Etatismus" im Gegensatz zum „Nationalsozialismus", der „Solidarismus" sei und als solcher statt des Staates „den Menschen" zum Ausgangspunkt habe, oder: „Wer die Macht des Staates preist und vergrößern will, ist ein Faschist: Wer dem Staat immer neue Aufgaben überträgt und ihn und seine Bürokratie dadurch immer stärker macht, ist ein Faschist!", a.a.O., S. 106, kurz, wer nicht mit Vetter von der FAZ und den heutigen „Monetaristen" gegen den „Gewerkschaftsstaat" und gegen den die Einzelpersönlichkeit „entmündigenden" Sozialstaat ist, ist „ein Faschist"). Es sei hier nur noch auf die Ausgangsstelle in Strassers „Aufbau des Deutschen Sozialismus" vom Jahre 1932 verwiesen, von der aus diese Selbstvorstellung des doch betont antiindividualistisch-völkischen Nationalsozialismus oder „Deutschen Sozialismus" als einzige „anti-etatistische" Verteidigungsmacht des „selbstverantwortlichen Einzelnen" möglich wird, nämlich die Stelle a.a.O., S. 39, an der es heißt, daß im Unterschied zum „Staatskapitalismus" und „Staatssozialismus" es „gerade das Ziel des deutschen Sozialismus ist, die Zahl der wirtschaftlich selbständigen Existenzen so groß zu machen, wie Volksgenossen mit dem Wollen zur Selbständigkeit überhaupt vorhanden sind". Am knappesten hat freilich Barkai in einer einzigen Fußnoten-Mitteilung, a.a.O., S. 85, alles Notwendige zum Verständnis des Strasserschen „Deutschen Sozialismus" gesagt. Er berichtet dort, daß ihm O. Strasser im Juli 1974 erzählt habe, nicht nur in seiner Berliner Studentenzeit Schüler Werner Sombarts, sondern auch später, ebenso wie sein Bruder Gregor, „oft" mit Sombart zusammengekommen und „stark" von ihm beeinflußt gewesen zu sein (und im übrigen Wichard v. Moellendorff, 1932 dann Verfasser des Buches „Konservativer Sozialismus", wegen dessen Vorwegnahme des „deutschen" Sozialismus in der „Kriegswirtschaft" sehr geschätzt zu haben). In der Tat ließ sich sagen, die Substanz des „Deutschen Sozialismus" der „Strasser-Richtung" geht in der einfachen Formel auf: er war nichts anderes als Sombarts „Deutscher Sozialismus" (s. Werner Sombart, Deutscher Sozialismus, Berlin 1934, doch vor allem: die viel früher, schon vor der Jahrhundertwende einsetzende, eng mit Max Webers Weg verbundene Entwicklung dieses nun allerdings zentralen Ideologen
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des deutschen Imperialismus und Stichwortgebers für alle Argumentationsmuster vom „deutschen" oder „dritten" Weg zwischen Kapitalismus und Sozialismus [der „deutschen Sonderentwicklung"]; zur Einführung in Sombart vgl. etwa Werner Krause, Werner Sombarts Weg vom Kathedersozialismus zum Faschismus, Berlin 1962, eine knappe gute Ubersicht über die Gesamtentwicklung auch bei Barkai, a.a.O., Kap. 2, S. 59ff.). 558 S. die Namen der die Strassersche Gesprächs-Niederschrift beglaubigenden Unterzeichner (Schapke, Blank, Kubier, Brinkmann) bei Otto Strasser, Mein Kampf, a.a.O., S. 58 und S. 68. Zu Auszugs-Erwägungen seit Strassers Unterredung mit Hitler vgl. Kühnl, a.a.O., S. 242. - Die offenbar über authentische Informationen verfügende Redaktion des erwähnten Zeitungs-Sonderdrucks „Zeitgeschichte" erwähnt im Vorspanntext zum wiederveröffentlichten Manifest „Die Sozialisten verlassen die N S D A P " als Mitarbeiter Otto Strassers bei dessen Ausarbeitung: Graf Reventlow, Major Buchrucker, Herbert Blank, Eugen Mossakowsky sowie „andere(n) norddeutsche(n) Führer(n) der Partei", unter ihnen - als dann bald Strasser-Abtrünniger als einziger namentlich genannt - Dr. von Leers (a.a.O., S. 7). 559 Vgl. O . Strasser, Mein Kampf, a.a.O., S. 59. Nach Strassers Angabe nahmen die Genannten auf Hitlers Veranlassung am zweiten Tage an der Unterredung teil, während diejenige des ersten Tages unter vier Augen „ohne jeden Zeugen auf dem Privathotelzimmer Hitlers" stattgefunden haben soll (ebd., S. 51). 560 A.a.O., S. 57f. 561 A.a.O., S. 56 (in der Version „der hochvermögende Herr Graf Reventlow"), Hitler und ich, a.a.O., S. 137 (in der Version „Euer steinreicher Graf Reventlow"). 562 Vgl. demnächst K. Gossweiler, Otto Strasser: Dokumente gegen Legenden. Eine Dokumentation (noch unveröffentlicht; dem Verf. im Manuskript bekannt), Manuskript-Seite 9 f. sowie Dokument 21. Otto Strassers vertrauliche finanzielle Beziehungen zu Spiecker wie auch vor allem zu Kapitän Ehrhardt führten im Sommer 1931 zu heftigen Auseinandersetzungen in seinem engeren Anhängerkreis, in deren Verlauf sich die unter Führung von Ulrich Oldenburg von O . Strasser abfallende „Kampfgemeinschaft deutscher Revolutionäre" der Zeitung „Die deutsche Revolution" bemächtigte (was Strasser zur Neubegründung der Zeitung, nunmehr unter dem Titel „Schwarze Front", zwang; vgl. Weißbecker, HandbuchArtikel „Kampfgemeinschaft Revolutionärer Nationalsozialisten", a.a.O., S. 252) und in ihr Strassers Beziehungen zu Spiecker und Ehrhardt ausführlich thematisierte (s. Gossweiler, a.a.O.). Auch Paetel kam daher nicht umhin, in seinem Aufsatz „Otto Strasser und die .Schwarze Front' des .wahren Nationalsozialismus'" (in: Politische Studien, 8.Jg./München 1957, Heft 92, S. 269 ff.) von O . Strasser einzuräumen, daß „mehr als einmal seine Geldquellen dubios gewesen sind" (ebd., S.274f.). In „Versuchung oder Chance", a.a.O., S. 224, berichtet er sogar, daß Spiecker O . Strasser dessen gesamte, gegen die Beteiligung an den Reichstagswahlen gerichtete Plakatkampagne „Wer wählt, wählt Young!" bezahlt habe. 563 Dieses Plädoyer durchzog alle Veröffentlichungen der Strassgr-Richtung vor und nach Strassers Auszug aus der NSDAP. Sein Sinn wird
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besonders deutlich in „Ministersessel oder Revolution", wenn Strasser diesem Text zufolge gegen Hitler argumentiert (s. Mein Kampf, a.a.O., S.57): „...sei ich eben der Meinung, daß für Deutschland heute die wichtigste außenpolitische Aufgabe Vernichtung von Versailles wäre. Auf der Suche nach Mächten, die - selbstverständlich aus durchaus egoistischen Motiven - eine, wenn auch noch so kurze, gleiche Wegrichtung hätten, stieße man - neben Ungarn und Bulgarien - eben nur auf Italien und Rußland." Wie kurz diese „gleiche" Wegstrecke mit der Sowjetunion seitens Strassers in der Tat gedacht war (nämlich eben nur bis zum Tage der wiedererlangten unbegrenzten Rüstungssouveränität, von dem an man sich alle Souveränität in der Entscheidung der Frage, gegen wen diese Rüstung nun aber zum Einsatz zu bringen sei, vorzubehalten gedachte), liegt heute angesichts des erwiesenen Zusammenhanges der Strasser-Richtung mit Schleichers Reichswehr-Linie - und wiederum etwa gerade Rechbergs besonderer Affinität zu Schleicher (s. hierzu Hörster-Philipps, a.a.O., S. 165 ff.) - offen zutage. Der auch in diesem Punkte nur der Schleicherschen Reichswehr-Strategie folgenden Orientierung der Strasser-Richtung, im Kampf um die militärische Souveränität die Unterstützung der Sowjetunion anzurufen, widersprach aber natürlich, während dieser Zeitspanne etwa zugleich von sich bzw. überhaupt von Deutschland aus eigene Okkupationskriegsabsichten ihr gegenüber zu äußern (wie das Hitler in „Mein Kampf" getan hatte und es weite Kreise nicht nur der „Rechten", sondern des gesamten „Locarno"-Blocks immer wieder taten), weshalb die laute Verwahrung gegen antisowjetische Interventionsknegspläne und die Beteuerung der friedlichen Absichten des geforderten „großdeutschen" Deutschland gegenüber Sowjetrußland zum damaligen Repertoire der Strasserianer gehörte. 564 Zu Ausschlußmaßnahmen gegenüber ideologisch Kommunismus-verdächtigen Mitgliedern s. z.B. Schüddekopf, a.a.O., S.397f. Paetel resummiert diese Seite der Strasserschen Praxis in seinem Aufsatz „Otto Strasser und die .Schwarze Front'...", a.a.O., S.276, in den Worten: „Er (Otto Strasser, d. Verf.) blieb dem Gesetz verhaftet, nach dem die Hitlerbewegung angetreten war: antimarxistischer Stoßtrupp zu sein." 565 S. K. Gossweiler, Otto Strasser: Dokumente gegen Legenden..., a.a.O., S. 9 sowie Dokumente 21 und 23. 566 Vgl. u. a. O. Strasser, Hitler und ich, a.a.O., S. 161. 567 Vgl. Bennecke, Hitler und die SA, a.a.O., S. 148; desgl. Paetel, a.a.O., S. 221. Daß es sich hierbei um eine alte Forderung Röhms handelte, läßt sich in programmatischer Formulierung bei Rohm (Eingabe an Ludendorff anläßlich der bevorstehenden Reichstagswahlen vom 7.12.1924, bei Röhm, a.a.O., S. 336 voll abgedruckt) nachlesen. Zum Verlauf des StennesPutsches, der sich vom Sommer 1930 bis Karfreitag 1931 hinzog, vgl. u.a. Weißbecker, Handbuch-Artikel NSDAP in Handbuch bürgerliche Parteien, a.a.O., Bd. II, S.405f. 568 Vgl. o. Anm. 528, sowie Turner jr., Hitler aus nächster Nähe, a.a.O., S. 22 ff., 81 ff., 92 ff. und durchgängig. 569 v. Pfeffer hatte von sich aus am 12.8.1930 ein Abschiedsgesuch eingereicht, am 2.9.1930 gab Hitler Pfeffers Rücktritt bekannt. Er behielt von nun an die Funktion des „Obersten SA-Führers" (OSAF) sich selbst
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vor. Pfeffers Rücktritt wurde für Hitler zum unmittelbaren Anlaß der Rückberufung Röhms aus Bolivien (s. Bennecke, a.a.O., S. 149). Es ist außerordentlich interessant, daß Bennecke (ebenda) in Ubereinstimmung mit dem Sachverhalt und als einstiger hoher SA-Funktionsträger durchaus zu den Intimkennern der Vorgänge gehörig, von einer „Rückberufung" spricht, während O. Strasser in „Hitler und ich", a.a.O., S. 161 diesen wohl' bis heute heikelsten Punkt mit der eindeutigen Falschangabe zu übertünchen sucht: „... Rohm, der alte Freund, der vor kurzem aus Bolivien zurückgekommen war (also gleichsam wie von selbst, d. Verf.). Hitler zögerte nicht, sich an ihn zu wenden, und Röhm, der trotz so vieler Enttäuschungen Hitler verbunden geblieben war, nahm an." Röhm selbst aber hatte noch in der 1934 erschienenen 5. Auflage seiner „Geschichte eines Hochverräters" (inmitten der Schilderung der von ihm als höchst fruchtbar und gerade nach einem soeben erfolgten Putsch und Regimewechsel als besonders erfreulich empfundenen Arbeit im Generalstab von La Paz) geschrieben: „Da erreichte mich der Ruf meines Freundes Hitler, nach Deutschland zurückzukehren .." (a.a.O., S. 362). 570 Vgl. zu dieser Debatte und insbesondere Schleichers Position in ihr als instruktive Materialsammlung, wenn auch weniger instruktiv in deren Kommentierung, Thilo Vogelsang, Reichswehr, Staat und NSDAP, Stuttgart 1962; in gerafftem und in den Zuordnungen souveränerem Überblick A. Schildt, a.a.O., S.66ff. 571 S. K. Gossweiler, Otto Strasser: Dokumente gegen Legenden, a.a.O., Manusknpt-S. 8. 572 Vgl. Paetel, Otto Strasser und die ,Schwarze Front'..., a.a.O., S. 278. 573 Vgl. auch Schüddekopf, a.a.O., S. 328. 574 Ebenda. 575 Ebenda. 576 In einem Rundschreiben des „Vollzugsausschusses der KGRNS" vom 28.3.1931, das Schüddekopf a.a.O., S. 330, zitiert, nannte O. Strasser als ihr „gleichgesinnte" rechte Organisationen - in Ergänzung einer bereits vorausgegangenen Mitteilung, in der „Wehrwolf", „Oberland", „Widerstandskreis" und „Schill-Jugend" aufgeführt waren - auch die „Baltikumer" und „Wikinger" (letzteres war die Nachfolgeorganisation von Ehrhardts „O.C.", R.O.) sowie des weiteren die „Geistchristen", den „Tannenbergbund" und die „Deutschvölkische Freiheitspartei". 577 S. M. Weißbecker, Handbuch-Artikel Kampfgemeinschaft Revolutionäre Nationalsozialisten, a.a.O., S.253. 578 Vgl. etwa A. Schildt, a.a.O., S. 159ff., auch Gossweiler, RöhmDissertation. 579 S. Schüddekopf, a.a.O., S. 329. 580 Vgl. H. Brüning, Briefe und Gespräche 1934-1945, Stuttgart 1974, S. 27; Gottfried R. Treviranus, Für Deutschland im Exil, Düsseldorf/Wien 1973, S. 16 ff.; Dorothea Groener-Geyer, General Groener ., a.a.O., S. 335. 581 S. hierzu vor allem Gossweiler, Röhm-Dissertation, aber etwa auch H.Brüning, a.a.O., S.25ff., sowie ders., Memoiren 1918-1934, a.a.O., S. 666 ff. 582 S. Weißbecker, Handbuch-Artikel „Kampfgemeinschaft Revolutionäre Nationalsozialisten", a.a.O., S.253. Im Februar 1934 gründete 473
O . Strasser in Prag auch die Zeitschrift „Die Deutsche Revolution" erneut, s. Biogr. Handbuch der deutschspr. Emigration nach 1933, a.a.O., S. 740, hier auch eine Ubersicht über O . Strassers sonstige Organisationsgründungen, Aktivitäten und Aufenthaltsdaten der Emigrationszeit. 583 O . Strasser, Hitler und ich, a.a.O., S. 170. 584 S. Biogr. Handbuch d. dtspr. Emigration, a.a.O., S. 741. 585 Vgl. vor allem O . Strassers Rolle als Initiator und Präsident der von ihm 1941 von den Bermudas aus (von Kurt Singer als Generalsekretär in New York für die USA) gegründeten „Frei-Deutschland-Bewegung" (Free German Movement) und seine Bemühungen um die Bildung eines „Deutschen Nationalrats", denen u. a. Brüning, Treviranus, Rauschning, Höltermann, Jaksch, Sollmann und Klepper angehören sollten (s. Biogr. Hdb. d. dtspr. Emigr., a.a.O., sowie Paetel, Abschnitt „Strasser im Exil" in „Otto Strasser und die .Schwarze Front'...",- a.a.O., S.279ff., nahezu wortgleich auch in: Versuchung oder Chance, a.a.O., S. 222ff.). Sowohl Strassers „Frei-Deutschland-Bewegung" wie deren Organ „Deutsche Freiheitsbriefe" lösten aufgrund ihres wohl kaum zufälligen Namens häufige Verwechslungen bzw. auch gezieltere oder mutmaßliche Gleichsetzungen mit der 1936 von Carl Spiecker und Otto Klepper in Paris und zugleich von den beiden ehemaligen Führungsmitgliedern der „Deutschen Staatspartei", deren einstigem Reichsausschuß-Mitglied Hans-Albert Kluthe und ihrem Fraktionsvorsitzenden bis zum Jahre 1932 und Vorstandsmitglied des Reichsverbandes der Deutschen Industrie, Dr. August Weber, in London gegründeten „Deutschen Freiheits-Partei" aus (vgl. Beatrix Bouvier, Deutsche Freiheitspartei, phil. Diss. Bonn 1969). Mit Spiecker, der Kontakt zu Goerdeler hielt, stand Strasser, entgegen Paetels Ableugnung, in weiterhin „enger Verbindung" (s. Hdb. d. dtspr. Emigr., ebenda.). Zu Jaksch, mit dem O . Strasser gemeinsam von Prag nach Straßburg flüchtete (s. Biogr. Hdb., zur Freundschaft Strasser-Jaksch auch Strasser, Mein Kampf, S. 137), sowie zu Franzel und Sollmann vgl. als besonders instruktiv die Charakterisierung der „volkssozialistischen" Richtung bei Erich Matthias, Sozialdemokratie und Nation. Ein Beitrag zur Ideengeschichte der sozialdemokratischen Emigration in der Prager Zeit des Parteivorstandes 1933-1938, Stuttgart 1952; knapp auch Paetel, der in Bestätigung von Matthias den zunehmenden ideologischen Einfluß Strassers im Prager Exil insbesondere auf die sudetendeutsche Sozialdemokratie am Beispiel von Wenzel Jakschs Buch „Volk und Arbeiter" und Emil Franzeis Buch „Abendländische Revolution" registriert (Versuchung, a.a.O., S.223, Strasser-Aufsatz, a.a.O., S. 279). Zur jeweiligen Rolle von „Free German Movement" und „Deutscher Freiheitspartei" in der deutschen Emigration einzelner Länder vgl. vor allem Joachim Radkau, Die deutsche Emigration in den U S A . Ihr Einfluß auf die amerikanische Europapolitik 1933-1945, Düsseldorf 1971. Werner Röder, Die deutschen sozialistischen Exilgruppen in Großbritannien. Ein Beitrag zur Geschichte des Widerstandes gegen den Nationalsozialismus, Hannover 1968; auch, wenngleich kaum Durchblicke bietend: Bouvier, a.a.O., sowie O t t o Strassers eigene Darstellung seiner Emigrationstätigkeit in seinem Buch „Exil", München 1958. Besonderer Aufmerksamkeit sind hier wie auch in „Mein Kampf", S. 132f., die Angaben über die „Landesor-
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ganisationen" (oder „Auslandsvertretungen") der „Schwarzen Front" in Lateinamerika, Strassers damals wichtigster „Operationsbasis", zu empfehlen („... überzog bald ein Netz von SF-Filialen den Subkontinent", Mein Kampf, ebenda; eine Aufzählung dieser Filialen mit jeweiliger Nennung des Namens ihres Leiters findet sich in Biogr. Hdb. d. dtspr. Emigr. S. 741), da es heute kaum noch zweifelhaft sein kann, daß sich Strasser bei ihrem Aufbau auf ein schon vorgefundenes, von Röhm aus den Tagen seiner bolivianischen Tätigkeit hinterlassenes Kontaktnetz stützte (einige der Gruppen, die nun zu ihrem Kern wurden, existierten als Gruppen der „Schwarzen Front" bereits seit 1932!, s. Biogr. Hdb. ebenda); 1945 fungierte dieses Netz dann, von Strasser und den anderen Führern der „Schwarzen Front" unterdessen (oft mit wohlwollender Förderung übrigens von katholisch-kirchlicher Seite, s. u. a. ebd.) weiter ausgezogen und ausgebaut, als die Infrastruktur, die die unauffällige Aufnahme der vom deutschen NS-Fluchthilfeapparat nach Italien ausgeschleusten und hier Richtung Südamerika eingeschifften prominenten, gesuchten NS- und SSHauptverbrecher erlaubte. 586 S. Biogr. Hdb. d. dtspr. Emigr., a.a.O., S. 741. 587 Vgl. Bouvier, Radkau, Röder, a.a.O. 588 S. Gottfried R. Treviranus, Für Deutschland im Exil, a.a.O., S. 14f. Brüning erwähnt diesen spätestens seit seiner Emigration für ihn ja doch wohl kompromittierendsten Umstand in seinen Memoiren begreiflicherweise nicht und berichtet statt dessen nur, daß er vor seiner eigenen Entlassung Hindenburg die Berufung Goerdelers zu seinem Nachfolger vorgeschlagen habe (Memoiren, a.a.O., S. 600). 589 Vgl. die Schilderung dieser Szene in O. Strassers „Mein Kampf", a.a.O., S. 79ff., wo sie auf einer telegraphisch zusammengetrommelten Versammlung der NSDAP-Reichstagsabgeordneten spielt, in O. Strasser, Die deutsche Bartholomäusnacht, a.a.O., S. 42, in: Hitler und ich, a.a.O., S. 172f. hingegen auf „Hitlers Zimmer". 590 S. Brüning, Memoiren, a.a.O., S. 639 f. 591 S. ebd., S. 622. 592 S. Treviranus, a.a.O., S. 16. O. Strasser zufolge (Mein Kampf, a.a.O., S. 81) hatte G. Strasser übrigens in den ersten vierzehn Tagen nach seinem Rücktritt von seinen Parteiämtern, in denen er aus Berlin spurlos verschwunden war, „in den Wasserlauben in Meran... bei seinem väterlichen Freund Ernst Schulz, dem Onkel seines Adjutanten" (d. l. Paul Schulz) Zuflucht und Ruhe gesucht. - Paul Schulz hatte, lt. A. Schildt, a.a.O., S. 122f., im August 1932 für G. Strasser die vertraulichen Unterredungen mit Schleichers Abgesandten General v. Bredow über eine Regierungsübernahme durch die NSDAP mit oder ohne Hitler als Reichskanzler - mit gegenüber v. Bredow geäußerter Vorzugsneigung zu letzterer Lösung geführt (während Schleicher, zeitlich parallel dazu, hierüber unmittelbar nach den Juliwahlen des Jahres 1932 mehrfach direkt mit Hitler sprach, s. ebenda). 593 Vgl. Treviranus, a.a.O., S. 38; Elbrechter, später ins KZ-Oranienburg eingeliefert, wurde von Gauleiter Kaufmann aus ihm wieder herausgeholt (ebd.). In weiterhin „laufender Verbindung" blieb Brüning von London aus auch mit Rudolf Pechel (s. ebd.), Juniklub-Mitbegründer und Leiter der dem Juniklub seinerzeit als Publikationsorgan offenstehenden jungkonser475
vativen Zeitschrift „Deutsche Rundschau" (vgl. Petzold, Wegbereiter..., a.a.O., S.100 und 113). Der seit 1930 vielfach für Schleicher als Vermittler der inoffiziellen Auslands-Sondierungskontakte des Reichswehr-Ministeramtes, insbesondere zu französischen Industrie- und Diplomatenkreisen, fungierende und Schleicher auch für dessen Zusammenkünfte mit Fran$ois-Poncet im Jahre 1934 seine Villa zur Verfügung stellende Bankier Dr. Guido Regendanz (vgl. u.a. Thilo Vogelsang, Reichswehr, Staat und N S D A P , a.a.O., S. 105 f.; ders., Kurt v. Schleicher, Göttingen 1965, S. lOOff.; Kunrath v. Hammerstein, Spähtrupp, Stuttgart 1963, S. 72f.), Mitglied des Deutschen Herrenklubs, auch Vorstandsmitglied des 1931 aus dessen Mitte heraus als engerer Kreis gebildeten „Civil-Kasinos" (s. Hörster-Philipps S . 5 2 ) und Schatzmeister der „Konservativen Volkspartei" von Treviranus, bot letzterem sein mecklenburgisches Landgut als Ausgangsort seiner mit britischer Hilfe zu organisierenden Flucht aus Deutschland durch ein dort landendes Flugzeug an (Treviranus zog dann jedoch den schon vor ihm von Brüning gewählten, von Hermann Muckermann, dem 1933 am Berliner KaiserWilhelm-Institut durch Fritz Lenz ausgewechselten katholischen Anthropologen, organisierten Fluchtweg vor); Regendanz verschaffte ihm dann, als er in England bei Wheeler-Bennett, seinem Freund und Fluchtziel, angelangt war, den „Vorschuß" zum Aufbau einer neuen Existenz (der bei Treviranus' exklusiven Bank- und Industrieverbindungen nicht allzu kompliziert war). Vgl. Treviranus, a.a.O., S. 26-43. 594 S. ebenda, S. 16. Erich Lübbert, wie Regendanz und Treviranus Mitglied des „Deutschen Herrenklubs", war Generaldirektor der A G für Verkehrswesen, des damals größten deutschen Privatbahn- und Baukonzerns mit weltweiten Bahn- wie zugleich auch Straßenbauinteressen, u. a. insbesondere in Afrika. Lübbert, aufs engste durch seine Unternehmungen mit der Bauindustrie verbunden, war der langjährige Wirtschaftsberater des „Stahlhelm" und wurde zu einem der wichtigsten ständigen industriellen Berater auch Ernst Röhms als Vorsitzender des „Wirtschaftlichen Beraterstabes" des Stabschefs der SA, dem auch Heinrich Gattineau angehörte (der gleichfalls, wie Lübbert, in Zusammenhang mit dem 3 0 . 6 . 1 9 3 4 vorübergehend inhaftiert wurde; vgl. Gattineaus Aussage im IG-Farben-Prozeß, Fall6, a.a.O., S.52, zu Lübberts Verhaftung Wilhelm Grotkopp, Die große Krise, Düsseldorf 1954, S.38, zu beiden Gossweiler, Röhm-Dissertation [Lübbert, S. 309ff., Gattineau, S.307f., 483f.]; s. dort auch Funks Aussage vor dem Nürnberger Militärgerichtshof über den Wirtschaftlichen Beraterstab der SA und Lübberts Vorsitz; zu letzterem auch O . Strasser, Bartholomäusnacht, a.a.O., S.97). Lt. Gossweiler, a.a.O., S. 310 und Grotkopp, S. 101, war Lübbert (wie freilich u. a. auch Wagemann) für den Fall einer Schleicher-Strasser-Regierung als Wirtschaftsminister im Gespräch. Zu Lübberts dezidiertem Engagement für Schleichers Querfront-Plan sowie seinem Zusammenwirken hierbei mit G. Strasser, P. Schulz und u. a. auch Karl Höltermann s. ausführlich Grotkopp (der seinerseits den Wirtschaftlern des „Tat"-Kreises um F. Fried zugehörte und später, wie Fried, Wirtschaftskommentator der „Welt" wurde), besonders instruktiv hier etwa die Anm. 1 zu S. 77 sowie Anm. 1 zu S. 101. - P. Schulz überlebte den zweiten Weltkrieg als Vertreter des Lübbert-Konzerns in
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Athen (Treviranus, S. 16). 595 S. H . Brüning, Memoiren, a.a.O., S. 640. 596 Vgl. o. Anm. 461. 597 Vgl. Gossweiler, Röhm-Dissertation, a.a.O., S.287ff.; zur Position bei Schering-Kahlbaum auch u. a. O . Strasser, Mein Kampf, a.a.O., S. 93, Bartholomäusnacht, a.a.O., S. 43, Treviranus, a.a.O., S. 14. 598 S. Gossweiler, Röhm-Dissertation, a.a.O., S. 487f., O . Strasser, Hitler und ich, a.a.O., S.213. Nach Treviranus, a.a.O., S. 15, soll Hitler bereits Mitte Juni 1933 Gregor Strasser die Nachfolger Hugenbergs als Reichswirtschaftsminister angeboten haben. Da er jedoch hinzufügt, G . Strasser habe „als Voraussetzung die Ausbootung von Göring und Goebbels aus dem Kabinett" verlangt, was O . Strasser, a.a.O., in fast gleichen Worten („Bedingung, daß Göring und Goebbels entfernt werden") und ebenfalls mit der Angabe, Hitler habe seinem Bruder das Wirtschaftsministerium angeboten, ausführlich als den Inhalt der Begegnung vom 13. Juni 1934 berichtet, liegt die Annahme nahe, daß es sich bei Treviranus um einen Erinnerungsfehler bzw. um eine Verwechslung mit diesem Vorgang im Juni 1934 handelt. 599 S. Gossweiler, a.a.O. 600 Karl O . Paetel unterscheidet - in so wohl gerade die Durchgängigkeiten zerreißender Weise - unter den „eigentlichen .Nationalrevolutionären'" der Weimarer Republik in „Versuchung oder Chance?", a.a.O., S . 2 2 f . , einen vom „Fronterlebnis" und „soldatischen Nationalismus" bestimmten „Teil", dem er Ernst Jünger und Friedrich Georg Jünger, Friedrich Hielscher, Edwin Erich Dwinger, Werner Beumelburg, Ernst v. Salomon u. a. zurechnet, und (freilich, wie er selbst sagt, „grob und mit Übergängen") einen durch „das stärkere Hervortreten der Sozialrevolutionären Elemente" gekennzeichneten; letzterer habe in sich wiederum „zwei umfänglichere Kreise" umfaßt, O . Strassers „Schwarze Front" und Niekisch's „Widerstandsbewegung", der „zeitweise" allerdings auch die Gebrüder Jünger nahestanden und in deren Umfeld sich eine Anzahl weiterer, kleinerer Gruppierungen je eigenen Namens bewegte, darunter auch Paetels eigene „Sozialrevolutionäre Nationalisten". Paetel, einer der damals Aktivsten im Spektrum der „nationalrevolutionären" Gruppen, kam aus der „bündischen Jugend", leitete abwechselnd verschiedenste ihrer Zeitschriften (so „Das junge Volk. Zeitschrift des jungen Deutschland, Grenzlandblatt deutscher Jugend, Nachrichtenblatt der Bündischen Jugend Deutschlands"; das von Richard Schapke herausgegebene „Jungpolitische Rundschreiben", später „Junge Politik"; zur Zeit der Herausgeberschaft von E.Jünger und Werner Laß „Die Kommenden. Großdeutsche Wochenschrift aus dem Geist volksbewußter Jugend"; ab 1929, zum Organ des „Paetel-Kreises" werdend, „Der junge Kämpfer. Blätter der schaffenden und wehrhaften Deutschen"); 1928 hatte er im Bemühen um die Schaffung einer nationalrevolutionären Dachorganisation den bündischen „Arbeitsring Junge Front" mitbegründet, aus dessen Verbindung mit weiteren Gruppen Pfingsten 1930 die von ihm geführte „Gruppe Sozialrevolutionärer Nationalisten" enstand. Ab Januar 1931 gab er, aus den „Kommenden" ausgeschieden, sein eigenes Organ „Die Sozialistische Nation. Blätter der deutschen Revolution" heraus und veröffentlichte Ende Januar 1933 in Zusammenhang mit den
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damaligen Bestrebungen, für die bevorstehenden Wahlen vom 5. März 1933 eine Wahlliste mit E. Niekisch und dem nationalrevolutionären Bauernführer C. Heim als Spitzenkandidaten aufzustellen und eine Einigung auf sie zustandezubringen, ein „Nationalbolschewistisches Manifest". (Vgl. Schüddekopf, a.a.O.) - Der „Nationalbolschewismus" war eine das Spektrum der „nationalrevolutionär" tendierenden Gruppen durchziehende, aus ihrem Boden erwachsende, in ihnen aber unterschiedlich stark ausgeprägte Strömung (Sekundärtendenz). 601 Vgl. Paetel, a.a.O., S.80f., Schüddekopf, a.a.O., S.533f., sowie E. Niekisch, Gewagtes Leben, Begegnungen und Begebnisse, Köln/Westberlin 1958. 602 S. Schüddekopf, a.a.O., S. 146. „Dienst an Volk und Staat" war das Thema, unter dem die Ostern 1923 stattfindende erste Hofgeismarer Tagung stand (ebd.). - Vgl. auch Paetel, a.a.O., S. 85. 603 S. Paetel, a.a.O., S. 87. 604 S. Schüddekopf, a.a.O., S. 148. 605 S. ebd., S. 146; vgl. auch Paetel, a.a.O., S. 85f. 606 S. Schüddekopf, a.a.O., S. 146-148. 607 Vgl. Paetel, a.a.O., S. 95 f. 608 Ebd., S. 80: „Aus der Synthese des sich der nationalen Verantwortung bewußt werdenden Jungsozialismus' mit dem Jungnationalismus', der den Sozialismus als Weg zur Einordnung der proletarischen Schichten in die revolutionäre Nation akzeptierte, entstand etwas Neues." (Zu Paetels eigenem „Sozialismus"-Verständnis s. die 1929 unter seiner Mitwirkung vom bündischen „Arbeitsring Junge Front' " erarbeitete Sozialismus-Definition: „Sozialismus ist eine Gesinnung, eine menschliche Haltung, die im Wir statt im Ich denkt." Vgl. Schüddekopf, a.a.O., S. 341 f., zur Einordnung dieser Definition auch dazu o. Anm. 557). 609 S. Schüddekopf, a.a.O., S. 147. 610 Vgl. Paetel, a.a.O., S. 79f. 611 S. ebd., S. 86. Paetel vermerkt an dieser Stelle, daß viele einstige Hofgeismarer nach 1945 in der SPD zu den militanten Verfechtern der Linie Kurt Schumachers gehörten (vgl. zum Verständnis dessen Dissertation aus dem Jahre 1926 „Der Kampf um den Staatsgedanken in der deutschen Sozialdemokratie". Herausg. v. Fr. Holtmeier, mit einem Geleitwort von H. Wehner, Stuttgart/Westberlin/Köln/Mainz 1973. 612 Vgl. ebd., S. 96 f., auch Schüddekopf, a.a.O., S. 557. 613 Niekisch, Der Weg des deutschen Arbeiters zum Staat, in: Der Deutsche Arbeiter in Politik und Wirtschaft. Eine Schriftenreihe des Firn, Berlin 1925 (Verlag der Neuen Gesellschaft); zur Entstehung der Schriftenreihe vgl. Paetel, a.a.O., S.96. 614 A. Winnig, Der Glaube an das Proletariat, München 1924, in erweiterter Broschürenfassung München 1927. Der Aufsatz von 1924 war in den „Süddeutschen Monatsheften" erschienen (in denen auch G. Feder zu Worte kam). Vgl. u. a. auch Winnigs spätere Schrift „Vom Proletariat zum Arbeitertum", Berlin 1930. 615 S. Paetel, a.a.O., S. 19. 616 Ebd., S. 20, Anm. 11, und S. 88. Paetel bezeugt hier (S. 88), daß er, wie auch Richard Schapke und Friedrich Hielscher, sich damals in Berlin für das Gelingen dieses Projekts engagiert hätten, „während Zuzug aus der Arbeiterbewegung völlig ausblieb." 478
617 Vgl. Schüddekopf, a.a.O., S. 557. 618 Niekisch, Revolutionäre Politik, in: Widerstand, Nr. 1, Juli 1926, hier zit. nach der Wiedergabe bei Paetel, a.a.O., S. 82 f. 619 Das aber - der Aufruf an „den deutschen Arbeiter", seinen „Daseinskampf zum Befreiungskampf der Nation auszuweiten" (um die Tendenz durch ein Zitat aus einem Annoncentext des „Widerstandsverlages" für Winnigs Schrift „Befreiung" zu charakterisieren), war auch der Hintergrund der Stilisierung „des Arbeiters" bei E.Jünger: zu einer über seine „wirtschaftliche Qualität" (d. i. proletarische Existenz) hinausprojizierten, den „Krieger" und den Unternehmer, soweit dieser nicht „Bürger", sondern weiträumig-weltformend, grenzenausweitend-planerisch und machtwollend tätig ist, also „arbeitet", in sich mitumfassenden ZukunftsTitanenfigur (zu einem „neuen Menschenschlag") des Welteroberers und „-gestalters", zu der „planetarischen Gestalt" und der „neuen Rasse" des mit der Technik im Bunde stehenden, herrschaftsfähigen Imperialarbeiters. Vgl. E. Jünger, Der Arbeiter. Herrschaft und Gestalt, Hamburg 1932, Reprint Stuttgart 1982. 620 Dieses Reichswehr-Interesse hat Niekisch selbst bezeugt, vgl. Paetel, a.a.O., S. 98. 621 In schon vom rein Institutionellen her nachweislich engster Beziehung zu Hermann Ehrhardt stand E. Jünger, der ab Oktober 1927 gemeinsam mit Werner Laß das Ehrhardt-Organ „Der Vormarsch. Blätter der nationalistischen Jugend" (hervorgegangen aus: Vormarsch. Blätter der Wikinger) herausgab, vorher die sich vom „Stahlhelm" - als dessen ursprüngliches Organ - trennende Zeitschrift „Die Standarte. Wochenschrift des neuen Nationalismus", dann „Neue Standarte (Arminius)" (s. Schüddekopf, a.a.O., S.555f.). Niekisch wiederum gründete u.a. um 1930/31, „hinausgreifend" über das sie verbindende Bestreben, „eine germanische Irredenta in Europa (zu) mobilisieren, um die verschiedenen nationalen Unabhängigkeitsbewegungen im deutschen Interesse zu regulieren und zusammenzufassen", gemeinsam mit E. Jünger, F. Hielscher (dem Jünger nachfolgenden „Vormarsch"-Herausgeber) und O. Paetel eine auch arabische und asiatische Bewegungen in dieses Programm einbeziehende „Deutsch-Orientalische Mittelstelle" (vgl. ebd., S. 213). Zu Ehrhardts konzeptioneller Übereinstimmung mit der „nationalrevolutionären" Programmatik s. bei Schüddekopf, a.a.O., u. a. S. 190-192, 197, 213f., 309. 622 S. den bei Paetel, a.a.O., wiedergegebenen eigenen Bericht Niekischs, S. 97f. 623 S. ebd., S.91. 624 Vgl. vor allem die bei Schüddekopf, a.a.O., S. 196, berichteten Bemühungen von Niekisch und Winnig, einen „Führerring der nationalen Bünde" zu schaffen. 625 S. Paetel, a.a.O., S. 91-93, zu Karl Tröger S. 98. 626 Vgl. Schüddekopf, a.a.O., S. 554 und 557. 627 S. Paetel, a.a.O., S.98. 628 Niekisch, Gedanken über deutsche Politik, Dresden 1929 (Widerstands-Verlag), S. 370. 629 Ebd., S. 372 („Irredenta": Forderung der „unerlösten" italienischen bzw. von Italien beanspruchten Gebiete Österreichs für das Königreich
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Italien in der Zeit vom 2. Drittel des vorigen Jh.s bis zum 1. Weltkrieg. Begriff seither allgemein insbes. für annexionistische Grenzrevisionen [Anschluß ans „Mutterland"] gebraucht.) 630 Vgl. o. Anm. 628. 631 Niekisch, Entscheidung, Berlin 1930 (Widerstands-Verlag). 632 Niekisch, Gedanken über deutsche Politik (im folgenden abgekürzt zitiert als Niekisch, Gedanken...), a.a.O., S. 299f. 633 Vgl. etwa die den einzelnen Kapiteln des Buches „Gedanken über deutsche Politik" demonstrativ-bekennerisch jeweils als Motto vorangestellten zahlreichen Nietzsche- und Machiavelli-Zitate, darunter u. a. (vor dem Kapitel „Quo vadis?", S. 219) das Machiavelli-Zitat: „Wo es sich um Sein oder Nichtsein des Vaterlandes handelt, darf nicht in Betracht kommen, ob etwas gerecht oder ungerecht, menschlich oder grausam, löblich oder schändlich, man muß vielmehr mit Hintansetzung jeder Rücksicht (Hervorhebung bei Niekisch, R . O . ) die Maßregeln ergreifen, die ihm das Leben retten und die Freiheit erhalten." 634 Niekisch, G e d a n k e n . . . , a.a.O., S. 370 f. 635 Niekisch, Entscheidung, a.a.O., S. 161. 636 G e d a n k e n . . . , a.a.O., S. 365f. 637 Entscheidung, a.a.O., S. 161. 638 Ebd., S. 160. 639 Ebd., S. 161. 640 Ebd., S. 161 f. 643 Ebd., S. 159. 641 Ebd., S. 158. 642 Ebd., S. 161. 644 Ebd., S . 1 5 4 f . 645 Ebd., S. 156. 646 Ebd., S. 155. 647 Ebd., S. 156f. 648 Ebd., S. 161. 649 Vgl. in „Entscheidung" u.a. die Kapitel: Heroisches Schicksal S . 3 f f . , Der Bauer S . 5 f f . , Das Preußische S.37ff,, Der deutsche Bürger S.46ff., Die neue Haltung S. 157ff. 650 S. ebd., S . 6 . 651 Vgl. ebd., S. 186, auch etwa S. 39, sowie G e d a n k e n . . . , a.a.O., S. 386. 652 G e d a n k e n . . . , a.a.O., S. 294. 653 Entscheidung, a.a.O., S. 11; vgl. dort insgesamt die Kapitel: Die Stadt S . 6 f f . , Die städtischen Werte S. 9ff., Der städtische Mensch S. 14ff., Gang zur Stadt S. 17 ff. 654 Ebd., S. 15. Vgl. auch die hier wohl schlechterdings nicht zu übersehende Analogie sowohl zu Sombarts „Händler und Helden", München/ Leipzig 1915, (s.o. Anm. 557; in dessen „Deutschem Sozialismus" von 1934 dann S. 78 ff. wiederkehrend in der Unterscheidung von „heldischem" und „händlerischem" Sozialismus und übrigens ebenso beim Komplex „Verstädterung" gegeben) wie vor allem aber auch zu E. Jüngers Gebrauch des „Bürger"-Begriffs (zur Rückprobe etwa das erste und zweite Kapitel in „Der Arbeiter" unter den Uberschriften „Das Zeitalter des dritten Standes als ein Zeitalter der Scheinherrschaft" und „Der Arbeiter im Spiegelbilde der bürgerlichen Welt"). 655 G e d a n k e n . . . , a.a.O., S. 295. 656 Entscheidung, a.a.O., S. 15 f. 657 Ebd., S. 5. 658 Ebd., S. 15. 659 Ebd. Vgl. auch die ebenso anklagend gemeinten Sätze S. 14: „Seitdem das Individuum Träger des Weltsinns wurde, verliert schlechthin die Welt ihren Sinn, sobald es stirbt. Darum wird der physische Kampf zum Gipfel der U n v e r n u n f t . . o d e r S. 5: „Vom Standort des Individualismus aus ist das Heldenideal wirklich das Dümmste der Ideale."
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660 Entscheidung, a.a.O., S. 13. 661 Vgl. ebd. das Kapitel „Verheidung", S. 152 ff. Als bislang kompaktestes Zeugnis der Rethematisierung dieses Argumentationszuges im heutigen westeuropäischen „nationalrevolutionären" Neofaschismus s. Alain de Benoist, Heide-sein zu einem neuen Anfang. Die Europäische Glaubensalternative, Bandl der Reihe Thule-Konkret, Tübingen 1982 (GrabertVerläg). 662 Entscheidung, a.a.O., S. 15. 663 Ebd., S. 56. 664 Ebd., S, 48, auch 56. 665 Ebd., S. 55. 666 Ebd., S. 48 sowie 56. 667 Vgl. ebd., S. 55. 668 Ebd., S. 160. 669 Ebd., S. 55. 670 Ebd., S. 56. 671 Ebd., S. 52. 672 Ebd., S. 53. 673 Ebd., S. 56. 674 Ebd., S. 54. 675 Ebd., S. 55; vgl. auch, noch apodiktischer, die Todfeindschafts-Feststellung S. 57: „die proletarische Bewegung sagte Preußen den Kampf auf Leben und Tod a n . . 676 Ebd., S. 56. 677 Ebd., S. 57. 678 Vgl. im Kapitel „Sozialpolitik" (ebd., S. 58 ff.) insbes. S. 64. 679 Dieses Zitat ist dem gesamten Buch „Entscheidung" als Motto vorangestellt. 680 Ebd., S. 62. 681 Ebd., S. 63. 682 Ebd., S. 64. 683 Ebd., S. 66. 684 Ebd., S. 65. 685 Ebenda. 686 Vgl. das Kapitel „Verweiberung" (Ziffer69) in „Gedanken...", a.a.O., S.294ff. Als Analogstelle bei E.Jünger wiederum etwa in „Der Arbeiter", a.a.O. (zitiert nach der Reprint-Ausgabe Stuttgart 1981), S. 24. 687 Gedanken..., a.a.O., S.295; vgl. auch „Entscheidung", a.a.O., S. 15. 688 Gedanken..., a.a.O., S. 297. 689 Entscheidung, a.a.O., S. 15. 690 Gedanken..., a.a.O., S.296-298. 691 Ebd., S.298. 692 Ebd., S. 297. 693 Ebd., S.297f. 694 Ebd., S. 298. 695 Entscheidung, a.a.O., S. 172. 696 Niekisch, Die Politik des deutschen Widerstandes, in: Widerstand, HeftV, 4. April 1930, hier zit. nach dem Dokumentenanhang bei Paetel (Dok. V), a.a.O., S. 282-285, Zitate S.282f. Der programmatische Charakter dieser Formulierungen wurde von Niekisch selbst hervorgehoben. Sie stehen unter dem ihnen vorangestellten Satz: „Nun wohlan: die deutsche Freiheitsbewegung hat ihr .Programm'. Hier ist es!" und bilden den ersten und zweiten Punkt des dann in insgesamt sieben Punkten dargelegten „Widerstands"-Programms. Im siebenten, dem „deutschen Standpunkt" gewidmeten Punkt heißt es unter Ziffer 7g: „Die Absage an die Ideen der Humanität. Bejahung auch des Barbarischsten, wenn es um des nationalen Aufstiegs willen notwendig ist. Ausspielung der eigenen schöpferischen Primitivität gegen die westliche Zivilisation" (des weiteren dann unter Ziffer 7h: „Bekenntnis zum Autoritären und zu einem harten Dasein in Zucht und Pflichten. Schaffung von Zwangslagen, die den städtischen Menschen keinen anderen Ausweg lassen als den, sich in diesen Lebensstil hineinzuschicken"). - Die Entgegensetzung der „Ideen von 1789" zur „deutschen Art" hatte übrigens auch schon ihre Tradition und im 1. Weltkrieg dazu geführt, daß ihnen Joh. Plenge die (Schützengraben- bzw. Frontsoldatengemeinschafts-)„Ideen von 1914" als die „deutschen" Gegenideen konfrontierte. S. J. Plenge, 1789 und 1914, die symbolischen Jahre in
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der Geschichte des politischen Geistes, Berlin 1916. 697 Vgl. ebd. Punkt 3 (S. 282), sowie ausführlich und durchgängig: Entscheidung, hier insbes. etwa die Kapitel „Verhängnis" S. 19 ff. und „Deutscher Protest" S . 3 2 f f . , ferner z . B . S.40ff., S . 1 4 4 f f „ 169ff„ 174ff., 180; G e d a n k e n . . . , Kap. 85 (S. 376 ff.). 698 Vgl. Entscheidung, a.a.O., S. 41; s. zum „Universalismus"-Verdikt auch S. 34 sowie ausführlich: G e d a n k e n . . . , a.a.O., S. 380ff. 699 Entscheidung, a.a.O., S. 47. 700 G e d a n k e n . . . , a.a.O., S. 364. 701 Ebd., S. 358; analog in Entscheidung S . 9 5 : „Deutschland soll nicht mehr sein: so sagt der Westen und so sagt alles, was in Deutschland dem Liberalismus, der Bürgerlichkeit, dem Marxismus, dem Ultramontanismus, Europa schlechthin angehört. Wenn jedes Volk ein .Gedanke Gottes' ist, so soll der deutsche Gedanke nunmehr aus dem Bewußtsein Gottes getilgt und ausgewischt sein." Man verdankt der Aufzählung einen guten Überblick, was das Postulat „Deutschland herstellen" für Niekisch alles an Austilgungsarbeiten beinhaltete. 702 G e d a n k e n . . . , a.a.O., S. 358. 703 Ebd., S. 359f. 704 Entscheidung, a.a.O., S. 174. 705 Ebd. und S. 176; in G e d a n k e n . . . , a.a.O, S. 75 heißt es wörtlich: „Man kann die Begriffe Demokratisierung und Amerikanisierung geradezu gleichsetzen." 706 Vgl. etwa Entscheidung, a.a.O., S. 172-176, S. 180. 707 Ebd., S. 163. 708 Ebd., S. 115f. 709 Ebd., S. 163. 710 Ebd., S. 116. 711 Ebd., S. 75. 712 Ebd., S. 5 und S. 68. 713 G e d a n k e n . . . , a.a.O., S. 234f. 714 Entscheidung, a.a.O., S. 181 f. 715 G e d a n k e n . . . , a.a.O., S. 247f. 716 Entscheidung, a.a.O., S. 182. 717 Vgl. etwa Niekischs Auseinandersetzung mit dem „Jungdeutschen Orden" in G e d a n k e n . . . , a.a.O., S. 343 f. 718 Ebd., S. 248. 719 Entscheidung, a.a.O., S. 186. 720 Ebd., S. 181. 721 G e d a n k e n . . . , a.a.O., S. 255. 722 Entscheidung, a.a.O., S. 182. 723 Ebd., S. 183. 724 Ebd., S. 181. 725 Ebd., S. 186. 726 Ebd., S. 184. Ähnlich schon S. 166: „Elementare Erschütterungen, Einstürze und A u s b r ü c h e . . . w e r d e n . . . den deutschen Süden und Westen durchrütteln müssen. Dort sind die fremdartigen Verkrustungen am verhärtesten; dort wird der Widerstand gegen die Bloßlegung des germanischen Wesensgrundes am wütendsten und verzweifeltsten sein." 727 Vgl. G e d a n k e n . . . , a.a.O., S. 258. 728 Entscheidung, a.a.O., S. 180. 729 G e d a n k e n . . . , a.a.O., S. 240. 730 Entscheidung, a.a.O., S. 137. 731 Ebd., S. 130-135. 732 Ebd., S. 138f. 733 Ebd., S. 138. 734 G e d a n k e n . . . , a.a.O., S.238. Vgl. auch Punkt4 in Niekisch, Die Politik des deutschen Widerstandes, bei Paetel, a.a.O., S. 283. 735 Entscheidung, a.a.O., S. 179. 736 Ebd., S. 180. 737 Ebd., S. 179. 738 Ebd., S. 177f. 739 Ebd., S. 180. 740 G e d a n k e n . . . , a.a.O., S.238-240. 741 Entscheidung, a.a.O., S. 182 f. 742 Ebd., S. 185. 743 Ebd., S. 183. 744 Ebd., S. 166. 745 Ebd., S. 168.
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746 Punkt 5 in Niekisch, Die Politik des deutschen Widerstandes, s. Paetel, a.a.O., S.283. 747 Entscheidung, a.a.O., S. 180f. 748 Ebd., S. 185. 749 Ebd., S. 180. 750 Ebd., S. 181. 751 Ebd., S. 183. 752 Ebd., S. 181. 753 Ebd., S. 183. 754 Ebd., S. 186. 755 Vgl. ebd., S. 148; „es ist für Rußland", hieß es dort anschließend, „schon kostbare Entlastung, wenn Deutschland überhaupt in seiner eigenen Art antieuropäisch sein will." 756 Vgl. hierzu etwa ebd., wo der „Nationalbolschewist" Niekisch den Bolschewismus nun doch gerade als etwas für Deutschland durchaus Fremdartiges charakterisiert (es dürfe sich gegen Versailles seinen „Retter aus äußerster N o t " nicht wählerisch aussuchen, „auch wenn der ihm sehr unangenehm russisch-barbarisch kommt") und deutsche Bolschewisierungsängste mit dem Hinweis abwehrt: das „innere Schwergewicht des deutschen Achtzigmillionenvolkes ist bedeutend genug, um das tiefste deutsche Wesen gegen fremdartigen Geist sichern zu können"; und sodann die hierüber nun allerdings offenkundig hinauszielende Bemerkung an späterer Stelle (S. 183 f.), mit der Oktoberrevolution habe „Moskau" vor dem zur Zeit noch aufgrund seiner „romanische(n) Beigabe" gelähmt darniederliegenden Deutschland „schon einen Vorsprung in die Z u k u n f t " (gemeint: einen „Entromanisierungs"- resp. „Enteuropäisierungs"-Vorsprung) gewonnen, „einen Vorsprung jedoch, den Deutschland, sobald es sich nur in seiner Kraft aufreckt, sogleich aufgeholt haben wird", was sich wohl nur, im Kontext der gesamten sonstigen Argumentation dieses Buchs, als Ausdruck der Zuversicht lesen läßt, ein auf seine eigene, „ganz andere" Art „antieuropäisch" organisiertes Deutschland werde sich dem Bolschewismus als überlegen (und also in einem Bündnis auch ihm gegenüber als führungsfähig) erweisen. 757 Niekisch hat dann nach dem zweiten Weltkrieg in „Gewagtes Leben", a.a.O., S. 134ff. sowohl Spenglers „preußischen Sozialismus" wie auch Moeller van den Brucks und Sombarts „Deutschen Sozialismus" scharf als „Betrugsmanöver" im Dienste des Großkapitals zu demaskieren gewußt, freilich in nur selbstapologetischer, die „Widerstandsbewegung" ihnen kontrastierender und somit eben auch weiterhin gerade täuschender Funktion. Er beschließt die Kritik der Genannten mit der rückblickenden Feststellung (S. 137): „Das große Betrugsmanöver des Deutschen Sozialismus zu durchkreuzen, setzte sich der Widerstand zum Ziel" - w o f ü r man angesichts seiner Programmatik und seiner vorliegenden damaligen Veröffentlichungen ja nun gern auch nur irgendeinen einzigen Beleg hätte. Überhaupt lebte eben die „Niekisch-Legende", zu deren Webmeister sich Niekisch im „Gewagten Leben" gemacht hat, von 1945 an lange Zeit geradezu in der Hauptsache davon, die alten Programme und deren Stoßrichtung möglichst aus dem Blick zu bringen, um dafür desto mehr und desto müheloser die bloßen Namen „Widerstand" und „Widerstandsbewegung" in der Öffentlichkeit wie von selbst mit den Vorstellungen assoziieren zu lassen, die sich ab Mai 1945 allgemein mit ihnen verbanden, und dies unterstrichen durch die selektive Rückerinnerung nunmehr nur noch an die „nationalbolschewistische" Komponente des einstigen Programms wie eines Ausweises für eine früh vertretene „prosowjetische" Ostonentie483
rungs- und also doch wohl Anti-Kriegskonzeption und an den Gegensatz zu Hitler sowie die aus ihm resultierende Verfolgung von einem bestimmten Zeitpunkt an, durch die sich das Wort „Widerstand" allerdings auch mit empirisch-biographischer Glaubhaftigkeit auf seine andere Bedeutungsebene verschieben und mit seiner einstigen in einer andeutungshaft stets beanspruchten, vor genaueren Untersuchungen freilich scheuen inhaltlichen Rückverbindung halten ließ. Erst die heutige Renaissance gerade der so lange dem Blick entzogen gehaltenen alten „nationalrevolutionären" Widerstands-Programmatik macht dem durch sie zu Aufmerksamkeit angehaltenen Blick nun aber auffallend, daß Niekisch deren Inhalte im „Gewagten Leben" gerade noch bei der Demaskierung des „preußischen" und „Deutschen Sozialismus" weiter transportierte, indem er den ins Schwarze treffenden Satz über Spengler, er sei der Vertreter jenes „Sozialismus" gewesen, der „schlankweg in den Rachen der Schwerindustrie hineinführte" (Spenglers schwerindustrielle Finanzierung ist heute nachgewiesen), in den Vorwurf an Spengler münden läßt: sein nur den „arbeitgeberischen Herr-im-Hause-Standpunkt" wiederholender „preußischer Sozialismus" habe der „frontsozialistischen Jugend Karl Marx verekelt" und sei „der Riegel" gewesen, der „jedem ernsthaften Sozialisten, welcher sich kein kapitalistisches X für ein sozialistisches U vormachen ließ, das deutsche Haus verschloß" (S. 135 f.). Gerade das, was Niekisch im Konzeptionellen grundsätzlich mit Spenglers „preußischem Sozialismus" verband, die Ideologiefigur vom den „überholten" Rechts-Links-Gegensatz hinter sich lassenden, Nationalismus und Sozialismus in sich miteinander verbindenden „Dritten" bzw. vom „neuen Typus", blieb bei ihm in Gestalt des Topos von der „frontsozialistischen Jugend" weiterhin also der positive Bezugswert und damit aus der Kritik ausgeklammert, und sein Vorwurf an Spengler lief (1958) auf Verderbnis der Sozialisten für die Deutschheit hinaus (verschloß ihnen das „deutsche Haus"). Das Aussparen des „frontsozialistischen" bzw. „jungnationalistischen" Ansatzes aus der Kritik apologisiert unabdingbar dann aber geschichtsschreiberisch auch weit mehr als nur die Position Niekischs und des engeren „Widerstands"-Kreises selbst. Niekisch hat später seinen Standpunkt gleichsam soziologisierend bzw. „technikphilosophisch" in der Attitüde des „heroischen Pessimismus" zu einer Art antiamerikanisch-antisowjetischer Supermächte-Totalitarismustheorie weiterformuliert. Vgl. Niekisch, Der Clerk, in: ders., Politische Schriften, Köln/Westberlin 1965, S. 289 ff. 758 Entscheidung, a.a.O., S. 167. 759 Ebd., S. 135. 760 Ebd., S. 133f. 761 Ebd., S. 135. 762 Ebd., S. 163. 763 Ebd., S. 135. 764 Vgl. zum „Romanismus"-Vorwurf gegenüber Hitler im Kapitel „Faschismus" (ebd., S. 75 ff.) insbes. S. 80 ff. mit der interessanten Unterscheidung zwischen einem noch nicht romanisierten „Nationalsozialismus" bis zum Münchener Putsch vom November 1923 („schien eine urtümlich deutsche nationalrevolutionäre Bewegung werden zu w o l l e n . . . versprach die Selbstbefreiung dieses Raumes von seiner romanischen Überfremdung", S.80) und seiner „Romanisierung" und damit dem „Faschismus" danach ( „ w a r . . . nicht mehr das, was er vordem gewesen war. Von Grund auf hatte er sich gewandelt: er war zum deutschen Faschismus geworden. Er
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war es geworden, indem er vor dem Romanismus kapituliert... hatte", S. 81) Niekischs Phasen-Einschnitt stimmt mit dem Zeitpunkt der Abwendung Röhms, Ludendorffs, zuvor auch schon Ehrhardts (und übrigens auch des Hauptmanns Karl Mayr, der zum „Reichsbanner" überwechselte, vgl. u.a. Deuerlein, Hitlers E i n t r i t t . . . , a.a.O., S. 178f., ausführlicher auch Gossweiler, Röhm-Diss.) von der N S D A P wie des Einsetzens auch des innerparteilichen Dualismus von Hitler- und Strasser-Flügel überein. Zu Niekischs Pan- und Kontinentaleuropa-Kritik vgl. im allgemeinen: G e d a n k e n . . . , a.a.O., S. 226ff. (Kap. 56, Paneuropa). 765 S. Paetel, a.a.O., S. 103 f. 765 a Niekisch, Ost und West. Unsystematische Betrachtungen, „Berlin 1947 (Minerva-Verlag). 765 b Zu Niekischs Programm eines europäischen „Irredenta"-Aufstands gegen Versailles, der als eine „national- und sozial-revolutionäre" VölkerAktion, eine gleichsam „basis"- oder „rate"-demokratische NationalitätenErhebung gegen den „Kolonialismus" des „Siegermächte-Diktats" von Versailles gedacht war (weshalb das Konzept vom „Volks"aufstand gegen die „völkisch fremde" Parteienrepublik und das europäische Völkeraufstands-Konzept im „nationalrevolutionären" Programm miteinander zusammenhingen, sich im Zielgedanken der Überführung der inneren völkisch-nationalistischen „Revolutionierung" der „unerlösten" wie zugleich „jungen" Nationen Europas in die „Revolutionierung" der in Versailles festgelegten Nachkriegs-Staatenordnung als ein einziges Konzept darstellten) s. ausführlich in: G e d a n k e n . . . , a.a.O., (in Bezug v.a. auf Österreich) den Teil „Anschluß" S. 305 ff., insbes. in ihm das Kapitel 73 „Der Anschluß eine nationalrevolutionäre Aktion" (S. 313 ff.) und das Kapitel 74 „Irredenta" (S. 322ff.); in Entscheidung im Kapitel „Die Reichsidee" insbes. ab S.28 die Ausführungen zur Forderung nach einem „Rebellentum deutscher Irredenta" (S. 29); desgl. aber auch etwa in Niekisch, Die Politik des deutschen Widerstandes (bei Paetel, a.a.O., S. 284), den Niederschlag dieser Konzeption in der knappen Formulierung des Programmpunkts 7i: „Pflege der Wehrhaftigkeit mit allen Mitteln. Verbreitung der Erkenntnis, daß die Privatisierung der politischen Tributschuld zu gegebener Zeit auch den privatisierten Freiheitskrieg rechtfertigen würde." (Und zweifellos auch nicht ohne Zusammenhang hiermit Programmpunkt 7e: „Ausbau großer Lager arbeitsdienstpflichtiger Jugend in östlichen Gebieten: Beschäftigung dieser Jugend mit landwirtschaftlichen Arbeiten, Straßenbau u. dgl. gegen Entlohnung in Naturalform; strenge Gewöhnung an Unterordnung, Gehorsam, kärgliches Leben, Entbehrungen und alle Arten männlicher Tugenden.") Vgl. jedoch vor allem auch die auf der Linie dieses Konzeptes liegenden umfangreichen praktischen Bemühungen der verschiedensten nationalrevolutionären Gruppen (hier insbes. wiederum derjenigen Paetels) um ostentative Solidarisierungen mit irredentistischen nationalen Minderheiten in ganz Europa (etwa Irland, Flandern etc.) und in aller Welt, um so „das deutsche Problepi in einen weltweiten Zusammenhang zu stellen und gewaltige Hilfskräfte für ihren Kampf zu mobilisieren" (Schüddekopf, a.a.O., S. 202), Deutschland unter dem Motto, es „sei auch eine Kolonie des Westens", allen von den Westmächten niedergehaltenen Völkern vor allem in deren Kolonialreichen als ihren Sprecher zu empfehlen
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und auf diese Weise eine A r t weltweiten Resonanzraum für die deutschen „Irredenta"-Forderungen in E u r o p a zu schaffen. S. hierzu insbesondere den im M ä r z 1927 proklamierten nationalrevolutionären Aufruf „Für die unterdrückten V ö l k e r " (Schüddekopf ebd., dort auch weitere Angaben zu U m f a n g und K o n z e p t dieses Programms). - Dieser „Europa-Irredenta" bzw. Nationalitäten-Aufstands-Aspekt der einstigen „nationalrevolutionär e n " Programmatik ist zweifellos der Hauptgrund ihrer heutigen Renaissance (s. dazu Teil II dieses Buches).
IV. Wie hingen im deutschen Faschismus der Antisemitismus, die Judenverfolgungspolitik >erfolgungspolitik uund die Judenvernichtung mit den Interessen des•Monopolkapitals Monopolkapitals zusammen ? 766 Daniel F r y m a n n (d. 1. H . Claß), W e n n ich der Kaiser war' - Politische Wahrheiten und Notwendigkeiten, Leipzig 1912, zit. nach dem in R . O p i t z ( H r s g . ) , „Europastrategien . . a . a . O . , S. 1 8 0 f f . , wiedergegebenen Auszug aus der 5. A u f l . , Leipzig 1914, Zitatstelle: „Europastrategien . . . " S. 182 f. - E s sei darauf hingewiesen, daß der Kriegszielgedanke vom menschenleeren Land seine waffentechnische Realisation inzwischen in der K o n s t r u k t i o n der N e u t r o n e n b o m b e gefunden hat. 767 E b d . , S. 195 (Abschnitt „Rußland") 768 S. die Kriegszieldenkschrift von H . Claß „Denkschrift betreffend die national-, wirtschafts- und sozialpolitischen Ziele des deutschen Volkes im gegenwärtigen Kriege" vom September 1914, vollständig abgedruckt in O p i t z , „Europastrategien . . . " , a.a.O., S. 2 2 6 - 2 6 6 , Zitate dort S. 241 f. 769 E b d . , S. 2 4 9 770 Vgl. ebd., S. 251 ff. 771 Vgl. O p i t z „Europastrategien . . . " , a . a . O . , V o r w o r t S . 3 1 f. zuzügl. ebd. A n m . 19 ( S . 4 2 ) , b z w . auch Walter M o g k , Paul R o h r b a c h und das „ G r ö ß e r e D e u t s c h l a n d " . Ethischer Imperialismus im Wilhelminischen Zeitalter, M ü n c h e n 1972, S. 19. 772 Kriegszieldenkschrift C l a ß , a.a.O., S . 2 5 1 773 E b d . , S. 2 5 3 774 Ebenda 775 Vgl. hierzu im wesentlichen den im R a h m e n einer Kontroverse mit T i m M a s o n erschienenen Beitrag von Dietrich Eichholtz und K u r t G o s s weiler „ N o c h einmal: Politik und Wirtschaft 1 9 3 3 - 1 9 4 5 " in: Das Argument N r . 4 7 (Juli 1968), insbes. S. 221 f. 776 A b d r u c k e bzw. Teilabdrucke dieser Denkschriften und Ausarbeitungen s. O p i t z „Europastrategien . . . " , a . a . O . 777 S. die Niederschrift H . Himmlers „Einige Gedanken über die Behandlung der Fremdvölkischen im O s t e n " vom 15. Mai 1940, abgedruckt u. a. in „Europastrategien . . . " , a . a . O . , S. 6 5 3 - 6 5 5 . 778 Z. B . Hitlers Tischgespräche im Führerhauptquartier 1 9 4 1 - 4 2 , hg. von Gerhard Ritter, B o n n 1951, Gespräch 21. Januar 1942 mittags, S. 4 7 f f . (vgl. auch „Europastrategien . . . " , a.a.O., S. 858). 7 7 9 E b d . , Gespräch 8 . - 1 0 . 1 1 . 1 9 4 1 nachmittags, S . 4 4 f f . („Europastrategien . . . " , a . a . O . , S. 857). 7 8 0 S. „Stellungnahme und Gedanken zum Generalplan O s t des Reichsführers S S " von D r . Erhard Wetzel (27. 4. 1942), abgedruckt in Vierteljah-
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reshefte für Zeitgeschichte, 3/1958, S. 297ff. (dgl. in „Europastrategien . . . " , a.a.O., S. 868-894). 781 S. Paul de Lagarde, Über die gegenwärtigen Aufgaben der deutschen Politik, in: ders., Deutsche Schriften, Göttingen 1981, S. 21 ff. (hier zit. nach „Europastrategien . . . " , a.a.O., S. 83 f.). 782 Dieses Zwangs-Wechselverhältnis könnte anhand von Passagen aus Hitlers „Mein Kampf" illustriert werden; mit strikt durchgehaltener Systematik hatten die „Nationalsozialisten" ihre gesamte Marxismus- und Sozialdemokratie-Auseinandersetzung als eine Enthüllung des Rassenfeindes „Jude" angelegt („Indem ich den Juden als Führer der Sozialdemokratie erkannte, begann es mir wie Schuppen von den Augen zu fallen." Ebd., Bd. I, S. 64), und die rhetorische Grundfigur, die dies leistete, verwies in ihrer sozialdarwinistisch-rassistischen, von vornherein raumkampfmotivierten Konstruktion auch schon von selbst über die Inlandsgrenzen hinaus in die Dimensionen des Kampfs um den Großraum. S. o. Kap. I, hier v. a. Anm. 18; aber z. B. auch Anm. 38, 156, 185, 186, 202, 336. 783 Eines der populärsten Argumente für die Unmöglichkeit eines Zusammenhanges des Programms der Judenvernichtung mit Interessen des deutschen Monopolkapitals lautet, es könne ihn doch schon deshalb nicht gegeben haben, weil die dem Front-Nachschub entzogenen vielen Güterwagen, die für den Transport der Juden in die Vernichtungslager benötigt wurden, dem Interesse des Großkapitals an einem siegreichen Kriegsausgang wie auch jedem sonstigen vernünftigen ökonomischen Nutzen- und Effektivitätsdenken widersprochen hätten. 784 An der zentralen Inszenierung dieser Terrorwellen kann keinerlei Zweifel bestehen; allein die Anordnung der N S D A P vom 29. März 1933 über die Bildung antisemitischer Aktionskomitees „zur praktischen, planmäßigen Durchführung des Boykotts jüdischer Waren, jüdischer Ärzte und jüdischer Rechtsanwälte" („11-Punkte-Programm", abgedruckt bei Helmut Eschwege, Kennzeichen „J", Berlin 1966, S. 36ff.; in Auszügen auch bei Heinz Brüdigam, Das Jahr 1933. Terrorismus an der Macht, Frankfurt/ M. 1978, als D o k . 13, S. 98f.) belehrt über ihren planmäßigen und bis in die Einzelheiten hinein wohlkalkulierten Charakter anschaulich genug. U m so erstaunlicher, daß der quellenkundige Tim W. Mason in seinem großen Dokumentationsabend „Arbeiterklasse und Volksgemeinschaft. Dokumente und Materialien zur deutschen Arbeiterpolitik 1936-1939", Opladen 1975, dem von der NS-Regierung damals bewußt erzeugten Bild „spontaner" Gewaltausbrüche der „kleinen", einfachen SA-Leute in den Ortsgruppen aufsitzt und seinerseits ausgerechnet die blutigen März-Massaker eine „offensichtlich spontane Terrorwelle" nennt (ebd., S. 21), anschließend dann gar - in Zusammenhang vor allem mit den Überfällen auf Gewerkschaftshäuser - von einem der „Kontrolle" der NS-Regierung entgleitenden „gewalttätigen Aufstand der fanatisierten nationalsozialistischen Anhängerschaft" (S. 22) bzw. „Aufstand der kleinen Nazis" (S. 23) spricht und hieran Überlegungen mit der Tendenz zur Theoriebildung knüpft, die die Schwäche dieses sonst nützlichen Dokumentenbands ausmachen. 785 Zit. nach H . Brüdigam, Das Jahr 1933, a.a.O., S. 47 786 Vgl. Eidesstattliche Erklärung des Freiherrn Kurt von Schroeder vor der amerikanischen Untersuchungsbehörde des Internationalen Militärge-
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richtshofes in Nürnberg zu den Verhandlungen in seinem Hause in Köln am 4.Januar 1933, abgedruckt (im Auszug) in: Geschichte der deutschen Arbeiterbewegung, hg. vom Institut für Marxismus-Leninismus beim Zentralkomitee der SED, Berlin 1966, Bd. 4, S. 604 ff. (Dok.114, erwähnte Stelle S. 605). 787 S. als gute Übersicht hierzu etwa die Zeittafel und Dokumente in: Max Oppenheimer, Horst Stuckmann, Rudi Schneider, Als die Synagogen brannten, Frankfurt/M. 1978 (Zeittafel 1933-1945, S. 145ff.). 788 S. Drobisch/Goguel/Müller, Juden unterm Hakenkreuz, a.a.O., S. 95 f., S. 126 und fortlaufend zur ganzen Eskalation der Ereignisse. 789 Diese Auseinandersetzung im RDI einschließlich der Vorgänge im RDI-Gebäude am 1.4.1933 findet sich ausführlich dargestellt bei Gossweiler, Röhm-Diss., a.a.O., S. 419-424; die Wiedergabe folgt der dortigen Interpretation der Zusammenhänge. 790 Derartige kriegsmotivierende vorgebliche „Aggressionshandlungen" gegen Deutschland, die es der NS-Propaganda ermöglichen sollten, den jeweils längst beschlossenen Einmarsch in ein Land als eine „Reaktion" darzustellen („ab heute wird zurückgeschossen"), suchten die Nazi-Führer namentlich bei der Auslösung der den Zweiten Weltkrieg einleitenden ersten Okkupationsfeldzüge (Österreich, CSR, Polen) selbst zu organisieren. Die Liste dieser Verbrechen, die von Hitlers - nicht zur Ausführung gekommener - Anregung an Keitel, zur Motivation des Einmarschs in die CSR den deutschen Gesandten im Anschluß an eine „deutschfeindliche" Demonstration ermorden zu lassen (vgl. Fest, Hitler, a.a.O., S. 756), bis zum fingierten „polnischen" Uberfall auf den Sender Gleiwitz reicht - ist ein studierenswertes, durchaus bis in die Gegenwart hinein aktuellen Lehrwert besitzendes Sonderkapitel der NS-Geschichte und des Themas „Propaganda". 791 Vgl. u.a. Oppenheimer, Stuckmann u.a., Als die Synagogen brannten, a.a.O., S. 119f. (desgl. Zeittafel ebd., S. 149) 792 Ebd., S. 149 793 Vgl. Martin Gilbert, Endlösung. Die Vertreibung und Vernichtung der Juden. Ein Atlas, Reinbek 1982, S.26 (auch Oppenheimer, Stuckmann, a.a.O., S. 148) 794 Vgl. hierzu Heinz Höhne, Der Orden unter dem Totenkopf. Die Geschichte der SS, a.a.O., S. 306ff. 795 S. ebd., S. 304 f. 796 Ebd., S. 305 ff. (Hagen S. 308) 797 Ebd., S. 309 798 Ebenda 799 Ebd., S.309 sowie 310. Eichmann und Hagen erreichten zwar (am 2. Oktober 1937) den Hafen von Haifa, mußten dann jedoch, einer von den Briten verhängten Einreisesperre wegen, das Treffen mit dem HaganahVertreter nach Kairo verlegen (ebd.). 800 Ebd., S. 310f. 801 Ebd., S. 318f. 802 Ebd., S. 318-320 803 Diese Zusammenarbeit der SS und des SD mit zionistischen Organisationen war offenbar nicht auf die Haganah begrenzt. Wie aus einem Bericht Hans Lebrechts in „Unsere Zeit" (UZ) vom 10.9.1983 hervorgeht, enthält das die Geschichte der einstigen terroristischen zionistischen Organisation „Lechi" (Lochamei Cheruth Israel) darstellende Buch von Nathan YelinMor, Lochamei Cheruth Israel, Menschen, Ideologie und Taten, Jerusalem 1974, eingehende Schilderungen von noch bis Ende 1941 (bis zur Inhaftie488
rung der „Lechi"-Führer, darunter des damaligen Operationschefs der Gruppe, des derzeitigen israelischen Ministerpräsidenten Yitzhak Shamir, durch die Briten wegen „Verschwörung mit dem Feinde") von der „Lechi"Gruppe in Damaskus und Ankara mit Vertretern Nazi-Deutschlands geführten Verhandlungen, deren Ziel es gewesen sei, „die Deutschen zu überzeugen, daß die Vertreibung der Juden aus West- und Mitteleuropa und deren Konzentration in territorialen Ghettos weder in Polen noch in (dem' damals erwogenen) Madagaskar, sondern nur in Eretz-Israel, in Palästina, ihre Lösung finden sollte". In diesen Verhandlungen hätte die von Abraham Stern geführte „Lechi"-Gruppe (auch „Stern-Gruppe") den Abgesandten Nazideutschlands als Gegenleistung aktive Kampfhilfe gegen Großbritannien zugesagt, da sie von der These geleitet gewesen sei: „Wer unseren Feind, die Briten, bekämpft, der ist unser Freund und Verbündeter." 804 S. Höhne, a.a.O., S. 320 805 S. Kurt Pätzold, Von der Vertreibung zum Genozid. Zu den Ursachen, Triebkräften und Bedingungen der antijüdischen Politik des faschistischen deutschen Imperialismus, in: Dietrich Eichholtz/Kurt Gossweiler (Hrsg.), Faschismusforschung. Positionen, Probleme, Polemik, Berlin 1980 (auch Köln 1980), S. 181-208, S. 194. 806 Vgl. ebd., S. 193, sowie Höhne, a.a.O., S. 322 807 Höhne, ebd.; Oppenheimer/Stuckmann, a.a.O., S. 149, Gilbert, a.a.O., S. 40 808 Vgl. Pätzold, a.a.O., S. 198; Gilbert, a.a.O., S.40ff.; Höhne, a.a.O., S. 321 f. 809 S. Pätzold, a.a.O., S. 199 810 Ebd., S. 197 811 Zur Verbannung der Juden in besondere „Sperrbezirke" in allen Teilen Polens und zu allen sonstigen gegen sie ergriffenen Maßnahmen und an ihnen verübten Greueln sowie auch den später errichteten Ghettos und Lagern vgl. ausführlich das Buch von Gilbert, a.a.O. 812 S. Pätzold, a.a.O., S. 197, auch Höhne, a.a.O., S. 322 f. 813 S. Pätzold, a.a.O., S. 201 814 Vgl. zu diesen wie auch manchen anderen zum unumstrittenen zeitgeschichtlichen Wissensbestand gehörigen Datenangaben u. a., als (unbesehen der einschlägigen Verbundenheit der Autoren mit den „Wehrwissenschaften" der Bundesrepublik) griffiges Nachschlage-Handbuch in kalendarischen Dingen, Andreas Hillgruber/Gerhard Hümmelchen, Chronik des Zweiten Weltkrieges. Kalendarium militärischer und politischer Ereignisse 1939-1945, Düsseldorf 1978. 815 S. Pätzold, a.a.O., S.201 (zu Rademachers Funktion ebd., S.200) 816 S. ebenda 817 Ebd., S.202; bei Höhne, a.a.O., zum Madagaskar-Plan S. 323f. 818 S. Pätzold, a.a.O., S. 203 819 Ebenda 820 Ebd., S.201 821 Ebd., S.203 822 Ebd., S.206 823 Sebastian Haffner, Anmerkungen zu Hitler, München 1978 824 Ebd., S. 178f. 825 Ebd., S. 180 826 Ebd., S. 178-180 827 Ebd., S. 180 828 Vgl. ebd., S. 167 829 Ebd., S. 168f. 830 S. ebd., S. 166f. 831 Zu den Entstehungsdaten des „Kommissarbefehls" (Ankündigung
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durch Hitler vor den Wehrmachts-Befehlshabern 3 0 . 3 . 1 9 4 1 , Erlaß der „Richtlinien für die Behandlung politischer Kommissare" durch das O K W 6 . 6 . 1 9 4 1 ) s. Hillgruber/Hümmelchen, a.a.O., S. 65 und 77, des näheren auch Höhne, a.a.O., S. 325 f. 832 Vgl. Haffner, a.a.O., S. 169ff. 833 S. Höhne, a.a.O., S. 324f. 834 Daher der den „Einsatzgruppen" erteilte Befehl zur Massenexekution von Juden jeweils sofort nach der militärischen Einnahme eines Ortes oder Gebiets, der vom 22.6.1941 an überall zur Durchführung kam, s. hierzu ausführlich Gilbert, a.a.O., S. 64ff. 835 Zur Planmäßigkeit und Größenordnung dieser Massaker s. die Tabellen, Kartenskizzen und Zahlenangaben bei Gilbert, a.a.O., die vielfach fünfstellige Mordziffern im Ergebnis örtlicher „Großaktionen" der „Einsatzgruppen" ausweisen. 836 S. hierzu vor allem Christian Streit, Keine Kameraden. Die Wehrmacht und die sowjetischen Kriegsgefangenen 1941-1945, Stuttgart 1978; auch Haffner, a.a.O., S. 170f. 837 Vgl. hierzu vor allem die vom damaligen Regierungsrat im „Reichsministerium für die besetzten Ostgebiete" und einstigen Leiter der „Beratungsstelle" des „Rassenpolitischen Amtes der N S D A P " , Dr. E.Wetzel, verfaßte (o. Anm. 780 genannte) Ausarbeitung (Wetzel-Denkschrift), a.a.O., und die Darstellung der Gesamtplanungen des „Generalplans O s t " wie der näheren Entstehungsgeschichte der Denkschrift Wetzeis in deren Rahmen (und zugleich auch Wiedergabe ihres Hauptinhalts in Auszügen) bei Lew Besymenski, Die letzten Notizen von Martin Bormann, a.a.O., S. 66ff. (Dritte Studie: Martin Bormann und die Bolschewisten, zur Wetzel-Denkschrift hier ab S. 85), ohne deren Kenntnis allerdings alle Diskussionen über die Frage, wie es zur faschistischen „Endlösung der Judenfrage" gekommen sei, schlechthin bodenlos bleiben. 838 Zum „Generalplan Ost", der die deutsche Besiedlung des eroberten „Ostraums" und entsprechende Aussiedlung bzw. „Vernichtung" der dort ansässigen Bevölkerung vorsah und im einzelnen zahlenmäßig durchrechnete, gehört als zentrales erhaltenes Dokument die Studie „Generalplan Ost. Rechtliche, wirtschaftliche und räumliche Grundlagen des Ostaufbaues" von SS-Oberführer Professor Dr. Konrad Meyer (Auszüge abgedruckt in „Europastrategien . . . " , a.a.O., S. 898 als Dok. 137). Besymenski kommt in Zusammenfassung der allen Dokumenten insgesamt zu entnehmenden Angaben zu dem Resultat: „In die Ostgebiete sollten 4 550000 deutsche Siedler umgesiedelt werden . . . In diesen Gebieten sollten ihrerseits 14 Millionen .Fremdvölkische' verbleiben", was „eine Vernichtung (oder .Umsiedlung* nach Westsibirien) von ungefähr 50 Millionen Menschen bedeutet" hätte. „Und aus Polen hätte man 16 bis 20 Millionen Menschen .aussiedeln' müssen." (Die letzten Notizen von Bormann, a.a.O., S. 87.) In diesen Zahlen liegt der Zugangsschlüssel zum Verständnis der Leichtigkeit, mit der die Nazis den Übergang vom systematischen Pogromhatz- und Massakermord zur Totalvernichtung einer Bevölkerungsgruppe vollzogen, da die Durchführung des „Aussiedlungsprogramms" nach den Plänen der SS später ohnehin zu einem erheblichen Teil in ihrer Form erfolgen sollte.
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839 Vgl. hier vor allem in der „Wetzel-Denkschrift" das Kapitel „Zur Frage der zukünftigen Behandlung der Russen" (in „Europastrategien . . . " , a.a.O., S. 883 ff., bei Besymenski a.a.O., S. 98 ff.). 840 Vgl. Oppenheimer/Stuckmann, a.a.O., S. 121 841 S. Gilbert, a.a.O., S. 80 842 Ebd., S. 83 843 Ebd., S. 90 844 S. zu diesen Lagern sowie auch dann allen weiteren ebd. fortlaufend bis zum Ende des Buchs 845 Vgl. Oppenheimer/Stuckmann, a.a.O., S. 121, bzw. Eschwege, Kennzeichen „J", a.a.O., S. 228 ff. 846 S. Höhne, a.a.O., S. 329 f. 847 Vgl. etwa Gilbert, a.a.O., S. 162 ff. 848 S. Höhne, a.a.O., S. 329 849 Zu der bedeutenden Rolle dieses von der Nazi-Agitation sogar selbst hervorgehobenen Motivs bei der Steigerung des Terrors seit dem Scheitern der Blitzkriegsstrategie vgl. vor allem Klaus Drobisch, Über den Terror und seine Institutionen in Nazideutschland, in: Eichholtz/Gossweiler (Hrsg.), Faschismusforschung. Positionen, Probleme, Polemik, a.a.O., S. 157-179, und zwar dort das Kapitel 4 „Nach dem Zusammenbruch der Blitzkriegsstrategie" (S. 171 ff.). 850 Vgl. Oppenheimer/Stuckmann, a.a.O., S. 119f. Die im dort wiedergegebenen Auftragsschreiben Görings an Heydrich enthaltene Formel von „einer den Zeitverhältnissen entsprechend möglichst günstigen Lösung" in „Form der Auswanderung oder Evakuierung" steht zu Beginn des Briefs in der Funktion nur gleichsam eines zitierenden Rückbezugs auf den Heydrich mit einem Erlaß vom 24.1.1939 erteilten früheren und bislang geltenden" Auftrag. Der ihm nun erteilte neue lautete, „alle erforderlichen Vorbereitungen in organisatorischer, sachlicher und materieller Hinsicht zu treffen für eine Gesamtlösung der Judenfrage im deutschen Einflußgebiet in Europa" und „mir in Bälde einen Gesamtentwurf über die organisatorischen, sachlichen und materiellen Vorausmaßnahmen zur Durchführung der angestrebten Endlösung der Judenfrage vorzulegen." 851 Vgl. Oppenheimer/Stuckmann, a.a.O., S. 121 (Ausführungen Heydrichs auf der Wannsee-Konferenz). 852 Geradezu klassisch, wenn auch keineswegs erstmals, findet sich diese Argumentation z . B . bei Haffner, Anmerkungen zu Hitler, a.a.O., S. 157, der außer vom Entzug „des knappen rollenden Materials" auch von den an der Front fehlenden „kriegstüchtigen SS-Leuten" im „Äquivalent mehrerer Disivionen" spricht. 853 S. hierzu insbesondere bei Klaus Drobisch, Über den Terror und seine Institutionen in Nazideutschland, das Kapitel 5 „Die letzten Kriegsmonate", a.a.O., S. 177ff. 854 Vgl. die umfangreiche Denkschrift „Weg zu Europa. Gedanken über ein Wirtschaftsbündnis Europäischer Staaten (W.E.St.)", in längeren Auszügen wiedergegeben in „Europastrategien . . . " , a.a.O., S. 990-1007 (Dok. 150), die dem im August 1944 von Walther Funk unter die Leitung des Mitglieds des „Freundeskreises Reichsführer SS" Dr. Karl Blessing gestellten und zugleich mit der Ausarbeitung deutscher Positionen für eine Friedensdelegation beauftragten streng geheimen „Arbeitskreis für Außenwirtschaftsfragen" im Reichswirtschaftsministerium ab November 1944 als
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Beratungsgrundlage diente; ihr Verfasser war Dr. Richard Riedl, Aufsichtsratsvorsitzender der zu den I G Farben gehörenden Donau-Chemie-AG. und Mitglied des „Mitteleuropäischen Wirtschaftstages". Zur Geschichte des „Arbeitskreises für Außenwirtschaftsfragen" (dessen letzte Sitzung am 2.Februar 1945 im Berliner Hotel „Adlon" stattfand und dem u.a. Kurt v. Schröder, Max ligner, Anton Reithinger, Hermann Josef Abs, Dr. Karl Guth und Philipp v. Schoeller angehörten) sowie zur politischen Biographie und insbesondere langjährigen „Mitteleuropa"- und einschlägigen I G Farben-Tradition Riedls und mithin zur Vorgeschichte seiner Denkschrift s. Eberhard Czichon, Der Bankier und die Macht. Hermann Josef Abs in der deutschen Politik. Mit einem Vorwort von George W. F. Hallgarten, Köln 1970, insbes. S. 142-145 sowie insgesamt das Kapitel „Die Projektion der E W G " (S. 133 ff.), zu Riedl auch bereits S. 103 und 123 ff. - In den gleichen Zusammenhang gehören die bei Ulrike Hörster-Philipps, Wer war Hitler wirklich? Großkapital und Faschismus 1918-1945. Dokumente, a.a.O., S. 351-353 unter den Ziffern 296 und 297 wiedergegebenen wichtigen, die Breite der gerade in diesem Punkte noch Ende 1944 gegebenen Kooperation zwischen Naziführung und deutscher Industrie in den Blick bringenden Dokumente über die Vorbereitung von wirtschaftlichen Auffang- und Neuausgangspositionen von Monopolkapital und Faschismus für die Zeit nach dem verlorenen Krieg. 855 S. hierzu in Lew Besymenski, Die letzten Notizen von Martin Bormann, a.a.O., S. 159ff., das Kapitel „Sechste Studie: .Generalplan 1945'", insbes. des näheren S. 164ff. mit dem dort aus den „Generalplan"-Dokumenten vollständig abgedruckten „Entwurf" vom 3 . 4 . 1 9 4 5 „Die deutsche Freiheitsbewegung, (Volksgenossische Bewegung)" und den beiden zu ihm gehörigen Anlagen A „Die europäische Friedensordnung" (S. 166ff.) und B „Die deutsche Friedensordnung" (S. 168 f.). Die Erarbeitung dieser Dokumente ging auf die bereits Ende Januar/ Anfang Februar 1945 angesichts „der katastrophalen Entwicklung an der Ostfront" zwischen Bormann und Hitler erfolgte Einigung auf die Vorbereitung der Uberführung der N S D A P in den Untergrund zurück. Hitler erklärte sich (laut Aussage des Hitler-Adjutanten SS-Sturmbannführer Otto Günsche) mit Bormanns Vorschlag einverstanden, die zur Leitung einer Untergrundorganisation fähigen jüngeren Nachwuchskader in die im Zonenaufteilungsplan der Alliierten (dessen angloamerikanische Fassung unter dem Code-Namen „Eclipse" den Nazis bekannt geworden war) für die Besetzung durch amerikanische und britische Truppen vorgesehenen Gebiete zu beordern, und zwar zunächst geschlossen in das den Amerikanern vorbehaltene Gebiet des Allgäus, der Bayerischen Alpen und der Gegend um Bad Tölz-Lenggries; dabei galt das Hauptinteresse dem Aufbau einer illegalen „Hitlerjugend", bei deren Organisation und Führung dem bisherigen Leiter der Adolf-Hitler-Schulen, Kurt Petter, und dem Leiter der HJ-Wehrausbildung, Schlünder, maßgebliche Rollen zugedacht waren. Bormann begann gleichwohl auch mit der Verlegung der NSDAP-Dienststellen ins Gebiet der künftigen Westzonen und begründete dies auf einer Geheimberatung in der Berliner Parteikanzlei (laut Günsche) mit den Worten: „Unsere Rettung liegt im Westen. Nur dort werden wir imstande sein, unsere Partei zu erhalten. Die Parole des Kampfes gegen den Bolsche-
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wismus wird dafür Gewähr bieten . . . " Er erteilte den für eine Untergrundarbeit ausgewählten Kadern die Anweisung, nach Rückkehr an ihre Heimatorte „in die Illegalität zu gehen", sich „den Engländern und Amerikanern gegenüber loyal zu verhalten", jedoch „zu versuchen, Posten in der Verwaltung zu bekommen" (so Günsche). Er rief mit der im März 1945 von ihm und Hitler gemeinsam gegründeten „Freiheitsbewegung - Werwolf" zugleich aber auch eine Organisation ins Leben, deren perspektivische Bestimmung die Fortführung militärischen Untergrundkampfs auch nach der Kapitulation war und deren Funktion, nämlich dem in die Illegalität untergetauchten Kader-Netz des Nazismus eine Art illegales Wehrverbands-Gerüst zur Verfügung zu halten, möglicherweise schon dem von Bormann im Oktober 1944 gemeinsam mit Adolf Heusinger gegründeten, für die Kriegführung völlig unsinnigen „Volkssturm" zukommen sollte, in dessen Kommandeursstellen Bormann viele der später von ihm in den Westzonen-Bereich abberufenen „geeigneten" Untergrund-Nachwuchskader zunächst eingesetzt hatte (als faktisch oberster „Volkssturm"-Chef). Vgl. zu allen diesen Angaben Besymenski, a.a.O., S. 162ff. In solchem Kontext könnte vielleicht auch der „Sinn" von Hitlers die Nachfolge-Fragen regelnden (allzu oft vorschnell als eine Art nur noch sinnloser Buchhalter-Routine abgetanen) „politischen Testaments" in ein anderes - seine sich in den fünfziger Jahren in der „Naumann-Affaire" dann zu allseitiger Überraschung auf einmal erweisende Fortwirkungskraft erklärendes - Licht rücken (zur „Naumann-Affaire" s. nächstes Kap.). 856 vgl. ebd., S. 159ff., auch das Kapitel „Die Alpenfestung" in Pomorin/ Junge/Biemann/Bordien, Blutige Spuren. Der zweite Aufstieg der SS, a.a.O., S. 74-85. 857 Zu Kaltenbrunners an Allan Dulles herangetragenen Plan, mit amerikanischer Hilfe ein „antibolschewistisches Österreich" aufzubauen, einem ähnlichen Plan des „Stellvertretenden Reichsprotektors von Böhmen und Mähren" und SS-Obergruppenführer Karl Hermann Frank für die Tschechoslowakei sowie diversen weiteren vergleichbaren Plänen (bis hm zum Vorschlag und Versuch, mit Hilfe von SS-Offizieren eine „antibolschewistische Regierung Lettlands" zu bilden und einzusetzen) s. Besymenski, a.a.O., S. 170 ff. Besymenski resümiert diese wie nur noch eine bis zur aphoristischen Posse verkürzte makabre Wiederholung des Endspiels von 1918 anmutenden Pläne und Bemühungen in dem Satz, die Führung des Nazi-Reichs beabsichtigte im Augenblick ihres nahenden Untergangs „völlig ernsthaft, in Osteuropa einen, .Sanitärkordon' oder eine Art .Zwischeneuropa' zu bilden, das unter Obhut der angloamerikanischen Streitkräfte und der Regierung Dönitz zum Brückenkopf für antisowjetische Tätigkeiten werden sollte" (S. 173 f.). 858 S. Gilbert, a.a.O., S. 224 (zur Entstehung des Lagers Ohrdruf auch schon S. 223). 859 S. hierzu insgesamt bei Besymenski, a.a.O., S. 110 ff. das Kapitel „Vierte Studie: Von Heß bis Wolff" (zur Geschichte der SS-Verhandlungen mit Dulles hier ab S. 124). - S. auch Horst Bartel u. a. (Hrsg.), Sachwörterbuch der Geschichte Deutschlands und der deutschen Arbeiterbewegung, Berlin 1969 (Bd. 1) und 1970 (Bd. 2), die Stichworte: bntisch-amerikanisch-deutsche Verhandlungen, Dönitz-Regierung, Wolff-Mission.
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860 Ebd., S. 127ff. 861 Ebd. S. 132 ff. Zu Höttl s. auch ausführlich Pomorin/Junge/Biemann/ Bordien, Blutige Spuren, a.a.O., S. 31 ff. (und dann durchlaufend), später insbesondere noch einmal das Kapitel „Herrn Höttls Gewerbe" (S. 121 ff.). 862 Vgl. etwa Besymenski, a.a.O., S. 130, wo ein SS-Dokument zitiert wird, das „die Bilanz der Unterredungen mit Dulles vom 15. Januar bis zum 3. April" zieht (unter der Überschrift „Aufzeichnungen über die Unterredungen mit Mr. Bull und mit Mr. Roberts" - Bull war der Deckname von Dulles, vgl. Besymenski ebd., S. 127, zur Person von Mr. Roberts s. ebd., S. 130f.). 863 S. ebd., S. 130 864 Vgl. die von Besymenski, a.a.O., S. 128f. wiedergegebene Aufzeichnung des Prinzen Hohenlohe („Pauls") für das Reichssicherheitshauptamt, überschrieben „Unterredung Pauls-Mr. Bull, Schweiz, Mitte Februar 1943", und zwar hier S. 129 die drei Schlußsätze des letzten zitierten Absatzes. 865 Zu derartigen Hoffnungsäußerungen Hitlers s. Besymenski, a.a.O., S. 137-140. 866 S. Besymenski, a.a.O., S. 135 867 S. ebd., S. 138 (zur von John Toland berichteten, von Dulles geleugneten Fortführung der Gespräche: S. 140ff.).
V. Zu Begriff und Entwicklungstendenzen der Bundesrepublik
des Neofaschismus in
868 Zum Faschismusbegriff und zur Begriffs- und Funktionenbestimmung des Neofaschismus, auch zu Fragen der Penodisierung der Geschichte des Neofaschismus in der Bundesrepublik und der gegenwärtigen Theoriediskussion s. an ausführlicheren Beiträgen des Verf.: Uber die Entstehung und Verhinderung von Faschismus, in: Das Argument Nr. 87, November 1974 (zum allg. Faschismusbegriff hier S. 582ff.); Rechtsentwicklung und Neofaschismus - Gefahren für Demokratie und Frieden, in: Wie Faschismus entsteht und verhindert wird. Materialien vom Antifaschistischen Kongreß Mannheim, Frankfurt/M. 1980 (hier insbes. zur Periodisierung); Über vermeidbare Irrtümer. Zum Themenschwerpunkt Faschismus und Ideologie in Argument 117, in: Das Argument Nr. 121, Mai/Juni 1980; Die Faschismus-Definition Dimitroffs und ihre Bedeutung für die aktuelle Faschismus-Diskussion, in: Reden und Beiträge. Internationales Kolloquium der Marx-Engels-Stiftung e. V . , 20. Mai 1982 Wuppertal, aus Anlaß des 100. Geburtstages Georgi Dimitroffs, Frankfurt/M. 1982 (auch in: Marxistische Blätter 4/82); Zur gegenwärtigen Diskussion um Faschismus und Neofaschismus, in: Marxistische Blätter 1/83. 869 S. (insbes. zu „Odessa") Simon Wiesenthal, Doch die Mörder leben, München 1967; (zu beiden Organisationen sowie auch den Fluchtwegen und -hilfen) Jürgen Pomorin, Reinhard Junge, Georg Biemann, Geheime Kanäle. Der Nazi-Mafia auf der Spur, Dortmund 1981; (zum SS-Vermögen insbes.:) dies, und Hans-Peter Bordien, Blutige Spuren. Der zweite Aufstieg der SS, Dortmund 1980 (v. a. Kap. 1).
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870 Vgl. u. Anm. 877. 871 S. zu ihnen etwa, als handlichen Uberblick, die nach Gründungsjahren geordnete Organisations-Ubersicht bei Kurt Hirsch, Die heimatlose Rechte. Die Konservativen und Franz Josef Strauß, München 1979, Anhang S. 221 ff. 872 S. O . Strasser, Mein Kampf, a.a.O., S. 83, 113. 873 S. K. Gossweiler, O t t o Strasser: Dokumente gegen Legenden, a.a.O., D o k . 24, S. 16; zu Franke-Gnckschs SS-Funktionen im Nazi-Reich vgl. u. a. ebd. sowie etwa auch Lew Besymenski, Die letzten Notizen von Martin Bormann, a.a.O., S. 165, und den u. in Anm. 877 angegebenen Artikel von J . A. Elten; den Verdacht des Verrats der Mitgliederlisten der „Schwarzen Front" an die Gestapo gegenüber Franke-Gricksch referiert auch Paetel, Versuchung oder Chance, a.a.O., S. 223, Anm. 37 (wortgleich in „Otto Strasser und die .Schwarze F r o n t ' " , a.a.O., S. 279, Anm. 37). 874 Als Angestellten des Bankiers Pferdmenges bezeichnete ihn der die Bruderschafts-Verschwörung an die Öffentlichkeit bringende Initial-Artikel im „Weser-Kurier" und der „Baseler National-Zeitung" vom 22. 2 . 1 9 5 0 , als Exportleiter von Bauer & Schaurte die Süddeutsche Zeitung am 9. 9. 1950 (vgl. zu beiden Artikeln u. Anm. 877). 875 Hannovers Oberbürgermeister Herbert Schmalstieg wies in einer Rede am 9 . 1 0 . 1 9 8 3 darauf hin, daß Lauterbacher „sich unter anderem in letzter Zeit als Berater des Sultans von Oman in Jugendfragen betätigt" hat. „Eine Aufgabe, für die er sich als ehemaliger Stellvertreter des Reichsjugendführers Baidur von Schirach gewiß hervorragend geeignet hält." Zit. nach DVZ/die tat v. 14. 10. 1983 (vgl. Frankfurter Rundschau vom 10. 10.1983). 876 Vgl. Süddeutsche Zeitung vom 9. 9. 1950 (s. u. Anm. 877). 877 S. „Die .Brüderschaft'. Enthüllungen über eine deutsche Geheimorganisation", in Baseler National-Zeitung v. 22. 2. 1950. Der Artikel, der in der Bundesrepublik am gleichen Tage im Bremer „Weser-Kurier" erschien, war gezeichnet mit dem Copyright-Vermerk „Pressevertrieb L. Dukas". Daß die in ihm mitgeteilten Enthüllungen von kaum einer anderen Seite als alliierten Geheimdienststellen stammen konnten, ließ er in seinem ersten Absatz selbst durchblicken, in dem es hieß, Adenauer habe sich mit Manteuffel getroffen, ohne wohl zu wissen, daß dieser der Repräsentant einer Geheimorganisation sei, „die seit einigen Wochen unter dem Namen .Brüderschaft* von den alliierten Geheimdieristen überwacht wird". S. zur „Bruderschaft" ferner auch den ein halbes Jahr später in der „Süddeutschen Zeitung" vom 9. 9 . 1 9 5 0 erschienenen Ubersichts-Artikel von J . A. Elten „Die Brüder von der .Bruderschaft'. Was will der Kreis um Beck-Broichsitter? Die romantischen Visionen des Ex-Standartenführers FranckeGricksch" (in dieser Schreibweise), des weiteren u. a. Lutz Niethammer, Angepaßter Faschismus. Politische Praxis der N P D , Frankfurt/M. 1969, S. 39 f. 878 Vgl. Süddeutsche Zeitung, a.a.O., desgl. Niethammer, a.a.O. 879 S. Süddeutsche Zeitung, a.a.O. 880 Vgl. Baseler National-Zeitung, a.a.O. 881 S. ebd. Es wurde dort berichtet, „daß im inneren Ring der .Brüderschaft' ehemalige deutsche Generale und Generalstäbler zusammen mit früheren nazistischen Gauleitern und hohen Polizeifunktionären eine Art
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Loge bilden. Diese Männer betrachten sich als den Generalstab einer zukünftigen deutschen Armee", die von ihnen im Verborgenen aufgestellten zwei Divisionen, die „bis Ende nächsten Jahres , einsatzbereit' sein sollen", als „das Rückgrat einer zukünftigen deutschen Armee". 882 S. Süddeutsche Zeitung, a.a.O. 883 S. hierzu die zu erwartende umfangreiche Untersuchung von G. Biemann zur Entwicklungsgeschichte des Neofaschismus in der Bundesrepublik. 884 S. ebd. 885 In der Baseler National-Zeitung hieß es a . a . O . : „Viel interessanter s i n d . . . die weitreichenden Verbindungen zu Industrie- und Finanzgruppen, obgleich gerade diese außerordentlich geschickt getarnt sind. Der Kölner Bankier Pferdemenge (gemeint offenkundig Pferdmenges, R. O . ) , dessen Angestellter Generalleutnant von Manteuffel ist, und der als enger Freund und Förderer von Adenauer bekannt ist, soll zum Beispiel nicht dem inneren Kreis direkt angehören." Der Artikel schloß mit dem ja wohl recht pikant gehaltenen Satz: „Die drei ausländischen Korrespondenten, die - wie der Schreiber dieser Zeilen - dem Dementi des kommissarischen Pressechefs Adenauers, Dr. Böx, glauben möchten, daß Adenauer - als er General Manteuffel sah - nicht wußte, daß er mit dem Delegierten der .Brüderschaft', sprach, sind sich einig in der Ansicht, daß eine persönliche, kompromißlose Erklärung Adenauers gegen die , Brüderschaft', ihre Führer und ihre Pläne notwendig geworden ist." 886 S. ebd.: „In diskreter Weise" versuche sie, „alle nationalen Kräfte Deutschlands zusammenzuschließen". 887 S. L. Niethammer, a.a.O., S. 39. 888 Vgl. Baseler National-Zeitung, a.a.O., und Niethammer, a.a.O., S. 39 f. 889 Süddeutsche Zeitung, a.a.O. 890 Ebenda. 891 Dieses Wellenschema entsprach aber nur ganz O . Strassers „Wellentheorie" der „Deutschen Revolution", derzufolge sich diese gleichfalls in drei geschichtlichen Wellen vollzöge, deren erste - gleichfalls - mit dem deutschen „Aufbruch" am 1. August 1914 eingesetzt habe und - wieder ebenfalls - am 30. 1.1933 mit dem Machtantritt der Hitlerschen N S D A P durch deren zweite, die Phase der Herrschaft der „Girondisten" (die „girondistische" Revolutionsperiode) abgelöst worden sei, um schließlich in der dritten, der Machtübernahme durch die „eigentlichen" Revolutionäre, die „Jakobiner" der „Deutschen Revolution" (die Strasserianer), ihre Vollendung zu finden. - Erst vor dem Hintergrund dieses Wellenschemas, das seine Periodisierungen aus der Analogisierung der gemeinten „Revolution" mit anderen Revolutionen bezog, wird übrigens auch erst der eben wegen dieses Analogisierungsverfahrens zunächst nicht auf der Hand liegende Sinn der in den einstigen „nationalbolschewistischen" Kreisen verbreiteten (nur die gleiche Analogisierung statt am Muster der französischen Revolution aus dem der Oktoberrevolution vollführenden) Rede von der „Kerenskij-Phase" der „deutschen Revolution" verständlich. 892 S. Süddeutsche Zeitung, a.a.O. 893 Dieses Auseinanderbrechen der „Bruderschaft" in zwei unterschiedlich tendierende Flügel registrierte der Artikel der Süddeutschen Zeitung,
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a . a . O . , bereits mit den Worten: „Letzte Meldungen deuten darauf hin, daß sich die Bruderschaft in zwei konkurrierende Strömungen geteilt hat. Dabei geht es um die offizielle politische Haltung der Organisation. Beck-Broichsitter bekennt sich mit seinen Anhängern zu einer europäischen, FrankeGricksch zu einer national bestimmten Politik, die wohl vor allem von der rechtsradikalen Opposition genährt sein dürfte." - Die Differenzierungslinie zwischen Beck-Broichsitter, Manteuffel und offenbar zahlreichen weiteren Offizieren auf der einen und dem hinter Franke-Gricksch stehenden Lager auf der anderen Seite verlief dabei nicht so sehr zwischen etwa den erst später relevant werdenden und dann nur noch sekundären Alternativen E V G - oder NATO-Modell (auch Beck-Broichsitter, Manteuffel und bekanntlich auch Adenauer hätten das EVG-Modell entschieden dem atlantischen vorgezogen) und auch nicht zwischen den Polen des Konzepts etwa einer ausschließlich deutschen oder einer westeuropäisch integrierten Armee (auch Franke-Gricksch war offenbar für eine Westeuropa-Armee), sondern zwischen den fundamentaleren Orientierungs-Alternativen einer militärischen Westblock-Einbindung der Bundesrepublik vermittels einer solchen „Europa"-Armee oder ihrer Begründung gerade zwecks militärischer Grundsteinlegung für ein „Europa" als „dritter Block" zwischen den atlantischen Mächten und den sozialistischen Ländern, in dem der Bundesrepublik ein natürliches Uberhang-Gewicht zufallen und sich zugleich dann der Blick des gesamten Westeuropa auf „Mitteleuropa" als dem zu seiner Bestandsfähigkeit als Weltmacht gegenüber den anderen Weltmächten eigentlich noch hinzu erforderlichen und „natürlich" zu ihm gehörigen Gebiet in ganz anderer Weise unablässig richten müßte. Indem FrankeGricksch an diesem letzteren, ursprünglich gemeinsamen Konzept der „Bruderschaft" gegenüber den auf Adenauers Westbindungs-Kurs einschwenkenden Generälen der Gruppe um Manteuffel mit Entschiedenheit nur ganz entsprechend der Strasser-Linie - festhielt, erwies er sich als der profilierteste Exponent und früheste Sprecher jenes in den späteren Jahren der großen Auseinandersetzungen um die Remilitarisierung und Wiederbewaffnung als „neutralistisches" Lager in Erscheinung tretenden Gruppenspektrums im Neonazismus, das nicht aus Gegnerschaft zur Remilitarisierung selbst, wohl aber aus Gegnerschaft zur mit ihr verknüpften atlantischen Westblock-Einbindung und den von ihr befürchteten Abschwächungen einer direkten „Mitteleuropa"-Orientierung der westdeutschen und westeuropäischen Politik bzw. ihrer Befähigung zu ihr gegen Adenauers Remilitarisierungskonzeption auftraten. 894 S. Deutscher Unabhängiger Zeitungsdienst (Düsseldorf) v. 27. 2 . 1 9 5 0 , Erklärung des nun angeblich „vorbereitenden Bruderrates" der „Bruderschaft" (Achenbach - hier per Vornamen mit „Eugen" angegeben, doch tatsächlich identisch mit Dr. Ernst Achenbach Beck-Broichsitter, Franke-Gricksch, Anatol von der Milwe, letzteres womöglich, da sonst nirgendwo wieder in Erscheinung tretend, eine Art Ordens-Deckname) gegenüber einem Vertreter dieses - von der „Bruderschaft" selbst herausgebrachten - Zeitungsdienstes. 895 S. „Die Wahrheit über die ,Bruderschaft'", in: Deutscher Unabhängiger Zeitungsdienst 9/50 v. 28. 2 . 1 9 5 0 (Bericht eines „Mitarbeiters" des D U Z über ein exklusives Gespräch „mit den maßgebenden Persönlichkei-
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ten" der Bruderschaft). 896 S. Süddeutsche Zeitung, a.a.O., die an dieser Stelle den „Dienst aus Hamburg" zitiert. 897 S. „Die Wahrheit über die .Bruderschaft'", a.a.O. 898 Zur Illustration, wie wenig derartige Aussagen ohne Boden waren, vgl. etwa die vom FDP-Vorsitzenden Wilhelm Heile bei der Konstitutierung der „Freien Demokratischen Partei" der britischen Zone am 7 - / 8 . 1 . 1 9 4 6 in Opladen gehaltene Rede, in der bei der Beschreibung der bevorstehenden Aufgaben Sätze fielen wie „ . . . müssen wir dafür sorgen, daß unser Deutsches Volk in seinem Wesen und auch in seinem Staatsaufbau zunächst einmal wieder deutsch w i r d . . . Die englische Regierung hat uns auferlegt, von unten nach oben Demokratie zu schaffen. Wir wollen unseren eigenen Staatsgedanken selbst a u s f ü h r e n . . . " und in der die Distanzerklärung gegenüber dem Faschismus nun ausgerechnet so herauskam: „All das . . . war nicht deutsch, das ist fremdes Blut, fremder Geist." Und Friedrich Middelhauve auf der gleichen Tagung abschließend: „Wir kennen weder links noch rechts, keine bürgerliche und keine Arbeiterpartei, sondern das ganze deutsche V o l k . " (Zit. nach Heinz-Georg Marten, Die unterwanderte F D P . Politischer Liberalismus in Niedersachsen - Aufbau und Entwicklung der Freien Demokratischen Partei 1945-1955, Diss. Göttingen 1976). 899 Die Wahrheit über die „Bruderschaft", a.a.O., S. 2 900 Vgl. Besymenski, a.a.O., S. 165, der zu den in den Archiven der Dönitz-Regierung gefundenen Dokumenten, die „Methoden zur Erhaltung der N S D A P im Falle einer Niederlage Deutschlands nannten" (s. o. Anm. 855), die Angabe macht: „Die Dokumente sind ohne Unterschriften (M. Steinen und H . A. Jacobsen vermuten, daß sie von dem Personalchef des R S H A , SS-Standartenführer Franke-Gricksch [im Original: FranckeGrieksch, R. O . ] zusammengestellt wurden)." 901 Vgl. den Proklamationsentwurf „Die deutsche Freiheitsbewegung (Volksgenosssische Bewegung)" vom 3 . 4 . 1 9 4 5 (Besymenski, a.a.O., S. 165f.) sowie die das innenpolitische Programm formulierende Anlage „B. Die deutsche Friedensordnung" (ebd., S. 168f.). Die Proklamation begann mit dem Satz „Die deutsche Freiheitsbewegung (Volksgenossische Bewegung) ist während dieses Weltkrieges als Bewegung der Frontsoldaten aus der alten nationalsozialistischen Bewegung herausgewachsen", um sodann einem Treuegelöbnis zum „Führer und seinem Werk" die pathetische Lossage „von einer verrotteten Parteibürokratie", von „Bonzentum", einer „jahrelang andere und sich selbst täuschenden regierenden Kaste in Staat, Partei und den Gliederungen" und einem „undeutschen einseitigen Führerprinzip" sowie - nun zur Sache kommend - das Gelöbnis der Lossage auch „von einem Zurücksinken in die längst überwundenen Welten des Kapitalismus, der politisierenden Kirche, des zersetzenden Parteihaders einer parlamentarischen Demokratie", jedweder „kleinösterreichischen" oder auch sonstigen territorialen „Sondertümelei" und vom „das Volk aufspaltenden klassenkämpferischen Kommunismus" folgen zu lassen. In der den „volksgenossischen" Staatsaufbau und die „Volksordnung" skizzierenden Anlage B sind die Analogien zum Strasser-Programm vollends unverkennbar. 902 Vgl. die Anlage „A. Die europäische Friedensordnung", a.a.O.,
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S. 166f., mit ihren von der Klammer des „völkischen" Gedankens bzw. der Übertragung des „volksgenossischen" Solidarismus in den europäischen Großraum miteinander in Deckung gehaltenen „europäischen" Forderungen nach „Uberwindung der jahrhundertelangen Bruderzwiste der europäischen Völker durch eine völkische föderalistische Zusammenarbeit in der Europäischen Eidgenossenschaft" (Punkt 5), dem „Recht aller europäischen Völker, innerhalb der Europäischen Eidgenossenschaft ihr Eigendasein, eigenständige Volksordnung, Lebensstil und politische Organisation frei zu gestalten" (P. 6), der „Zurückstellung des nationalstaatlichen Eigennutzes hinter den europäischen Gemeinnutz" (P. 7), der „Zusammenarbeit der europäischen Volkswirtschaft" (P. 12) und sogar nach einer „europäische(n) Schiedsgerichtsbarkeit" (P. 8) und ihren „deutschen" Forderungen: „Befreiung des deutschen Volkes vom Joch fremdvölkischer Unterdrükkung und Besetzung" (P. 1), „Das volksgenossische Deutsche umfaßt den geschlossenen deutschen Volksboden und duldet keinen Separatismus" (P. 3), „Vereinigung der verworrenen Volksgrenze in Ost- und Südosteuropa durch eine organische und auf gleichartige Räume beschränkte Tauschsiedlung" (P. 11), „Zusammenarbeit Deutschlands mit dem . . . geschichtlich mit uns verwachsenen tschechischen Volk in Böhmen und Mähren sowie den blutsverwandten Slowenen" (P. 10) und „wahrhaft brüderliche Gemeinschaft mit den stammesgleichen germanischen Völkern unter dem Fernziel eines späteren freien Zusammenschlusses zu einem germanischen Reich" (P. 9). - Auch für die scheinbar prorussischen und antiwestlerischen, an Niekisch gemahnenden Züge in Franke-Grickschs Argumentationsschema befand sich übrigens unter den SS-Papieren eine Art Expertise bzw. eine doch zumindest die Gedanken fakultativ auch in diese Richtung lenkende Strategie-Studie, die „Beilage Nr. 4 zum Generalplan 1945", die die Möglichkeiten durchspielte, das Aufbrechen der AntiHitler-Koalition noch vor der völligen Niederlage entweder durch einen Sonderfrieden mit den Westmächten oder aber, falls diese ihn verweigern, auch durch auf ihre Erpressung und Umbesinnung berechnete Waffenstillstandsverhandlungen und evtl. gar einen Sonderfrieden „mit dem Osten" zu erreichen, - Erwägungen, zu deren eine völlige Verblendung und Lageverkennung bezeugendem letzterem Punkt sich auf dem Dokument an den ihm geltenden Passagen die handschriftlichen - nach Besymenskis Vermutung von Dönitz stammenden - Randvermerke fanden „Wahnsinn" und „Halte Plan für indiskutabel" (s. Besymenski, a.a.O., S. 169; vgl. auch u. Anm. 967). 903 Vgl. Punkt4 im Anlage-Dok. „B. Die deutsche Friedensordnung", Besymenski, a.a.O., S. 168. 904 K. Hirsch datiert die Gründung der „Bruderschaft" in „Die heimatlose Rechte", a.a.O., S. 221, bereits mit dem Jahre 1948, nach G. Biemann (unveröff. Manuskr.) erfolgte sie - nach einer bis in die Jahre 1945/46 zurückgehenden Entstehungsgeschichte - am 22. Juli 1949 durch FrankeGricksch. 905 Eine offenbar lineare Fortsetzung dieser von A. Franke-Gricksch in der „Bruderschaft" vertretenen großeuropäisch-strassenanischen SS-Linie im deutschen Faschismus repräsentiert die heute von Ekkehard FrankeGricksch im Leonberger Verlag „Diagnosen" herausgegebenen, ganz der
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im internationalen Neofaschismus fraktionsspezifisch gängigen „Anti-Rokkefeller"-Agitationslinie nach dem Webmuster Gary Allens verschriebene und auf weltverschwörungstheoretische Freimaurer- und Logengerüchtemacherei sowie auf das Thema „Gesundheit" und „Bio"-Reformen jedweder Art spezialisierte Zeitschrift „Diagnosen. Das zeitkritische Magazin", der die Selbstdarstellung ihrer politischen Richtungszugehörigkeit am bislang knappesten mit dem Titelbild ihres Januarheftes 1983 gelang, das ein mit drei seiner Haken aus dem Boden ragendes Hakenkreuz zeigte, auf deren Enden sich die Symbolzeichen ihrer eigenen - deutschvölkischludendorffianischen - Feindbild-Triade verzeichnet finden: Dollar-Zeichen, Judenstern, Kreuz (vgl. die einstige deutschvölkische Triade Freimaurer-Juden-Jesuiten; die in den neofaschistischen Gruppierungen dieser Ausrichtung gebräuchlich gewordene Stilisierung der „Trilateralen Kommission" zum heutigen Wirklichkeits-Äquivalent des „Freimaurertums" gehört wie die laufende Sensationsenthüllungs-Berichterstattung über Hitlers Finanzierung durch diese drei ewigen Weltfeinde Deutschlands - und dessen völlige eigene Unschuld mithin am Faschismus - mit nur richtungsgetreuer Schlüssigkeit zu den weiteren Spezialitäten von „Diagnosen"). 906 Vgl. Biogr. Handb. der deutschspr. Emigr. nach 1933, a.a.O., S. 742. Lt. Munzinger-Archiv/Internationales Biographisches Archiv, 1 2 . 1 0 . 1 9 7 4 , Lieferung 41/74, erfolgte die offizielle Gründung des B D E durch ehemalige Mitglieder der „Schwarzen Front" im Oktober 1948 in Bayern. Auch Rainer Dohse, Der Dritte Weg. Die Neutralitätsbestrebungen in Westdeutschland zwischen 1945 und 1955, Hamburg 1982, datiert sie - wie auch Kurt Hirsch, a.a.O., S. 221 - erst mit dem Jahre 1948. Bei Dohse findet sich die bislang ausführlichste (wenn auch aus einer spürbar für Strasser voreingenommenen Sicht verfaßte) Darstellung der Geschichte des B D E im Kap. VII, betitelt: „Otto Strasser und der .Bund für Deutschlands Erneuerung* (1948-1956)". Die Programmatik des Bundes ist aus Strassers Feder nachlesbar in dessen Buch „Deutschlands Erneuerung", Buenos Aires: Trenkelbach (1946), auf das Tauber (s. u. Anm. 914) S. 1030 verweist. - Mit Kriegsende löste O . Strasser zugleich mit der „Schwarzen Front" übrigens auch seine „Frei-Deutschland-Bewegung ( F D B - Free German Movement)" auf (vgl. Biogr. Hdb. d. dtschspr. Emigr., a.a.O.). 907 Vgl. die chronologische Tabellenübersicht der Organisationsgründungen bei Hirsch, a.a.O., S. 221 f. 908 S. Niethammer, a.a.O., S. 37 (wo allerdings von sechs Bundestagsmandaten die Rede ist); zur Deutschen Rechtspartei, ihren Fraktionskämpfen und ihrer Fusion mit der auf Nordrhein-Westfalen, Hamburg und Schleswig-Holstein begrenzten Konservativen Partei in knappem Überblick auch Kühnl/Ahrweiler/Maessen/Rilling/Tellers, Die N P D . Struktur, Programm und Ideologie einer neofaschistischen Partei, Westberlin 1967, S. lOff. 909 S. Niethammer, a . a . O . ; die Formulierung „schon im Anfangsstadium" ist einem Werbetext (1983/84) des Schütz-Verlages, Preußisch-Oldendorf, für Remers Buch „Verschwörung und Verrat um Hitler. Urteil des Frontsoldaten" entnommen, das die Beteiligten des 20. Juli - wie nur ganz in Übereinstimmung damit auch andere Produktionen dieses einschlägigen Neonazi-Verlages (so etwa Karl Balzers „Verschwörung gegen Deutsch-
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land. So verloren wir den Krieg." Mit einem Vorwort von Erich Kern) nicht nur als „Landesverräter" und Schuldige an der „Niederlage Deutschlands" darstellt, sondern ihnen auch gleich noch die Schuld überhaupt am „Ausbruch des Zweiten Weltkrieges" zuschiebt. 910 Vgl. Niethammer, a.a.O., zum SRP-Programm eingehender Kühnl/ Ahrweiler/Maessen etc., a.a.O., S. 16; hier S. 10 auch der aufschlußreiche Hinweis, daß das im Jahre 1948 (also noch vor der SRP-Abspaltung) von der Deutschen Rechtspartei angenommene neue Programm von H. Zehrer verfaßt war (der erst später als Chefredakteur zur „Welt" ging), sowie auch Personalangaben zur Führungsgruppe der SRP (Doris war ehemaliger Schulungsleiter an der Schulungsburg der „Deutschen Arbeitsfront" in Erwitte, Fritz Rößler alias Dr. Franz Richter war ebenfalls einstiger NSSchulungsleiter, Dr. G. Krüger kam vom Reichssicherheitshauptamt). Abdruck des Wortlauts des SPR-Programms in Auszügen bei K. Hirsch, a.a.O., S. 151 f., Zitate ebenda. 911 Vgl. UNDO-Pressedienst (Hamburg) v. 3. 3. 1950, S. 9 (der UNDOP.d. stand vermutlich der „Deutschen Union", wenn nicht gar der „Bruderschaft" nahe). 912 Vgl. Hirsch, a.a.O., S. 222. Zu ihrer Geschichte s. ausführlich Richard Stoess, Vom Nationalismus zum Umweltschutz. Die Deutsche Gemeinschaft/Aktionsgemeinschaft Unabhängiger Deutscher im Parteiensystem der Bundesrepublik, Opladen 1979. 913 S. K. Hirsch, a.a.O. 914 S. Kurt P. Tauber, Beyond Eagle and Swastika. German Nationalism since 1945, Wesleyan University Press, Middletown (Conn.) 1967, 2Bde., Bd. I, Bildteil, Fotoblatt 11; sowie R. Stöss, Vom Nationalismus zum Umweltschutz, a.a.O., S. 145, Anm. 16, auch S.200, Anm. 66; bei R. Dohse, a.a.O., insbes. S. 4f., 86ff. (hier zu den gen. Autoren des Pressedienstes „Realpolitik", aus dem 1956 Schenkes „Neue Politik" hervorging). 915 Zu P. Binder vgl. Helmut Genschel, Die Verdrängung der Juden aus der Wirtschaft im Dritten Reich, Göttinger Bausteine zur Geschichtswissenschaft Bd. 38, Göttingen 1966, S. 153f., 156f. 916 S. R. Dohse, a.a.O., S. 34. 917 Vgl. zu ihr ausführlich in Dohse, a.a.O., das Kap. VI „Wolf Schenke und die .Dritte Front' (1950-1953)"; Schenkes Versuch in den folgenden beiden Jahren, die gesamte damalige Bewegung für militärische Neutralität und Blockfreiheit durch die Gründung eines „Deutschen Kongresses" unter die Führung der „Dritten Front" zu bringen (s. ebd. Kap. VII „Der deutsche Kongreß 1951-1952"), scheiterte. 918 S. Biogr. Hdb. d. dtschspr. Emigr., a.a.O., S. 741. 919 Zu B. Fricke vgl. ebd., S. 741; auch O. Strasser, Mein Kampf, a.a.O., S. 132, sowie Tauber, a.a.O., S. 184. 920 Zur Kurzinformation über den BHE/Gesamtdeutscher Block und die polit. Biographien seiner wichtigsten Exponenten (darunter der vier o. genannten) vgl. K. Hirsch, a.a.O., S. 149-151; zu W. Becher speziell auch Braunbuch. Kriegs- und Naziverbrecher in der Bundesrepublik und in Westberlin, hrsg. vom Nationalrat der Nationalen Front des demokratischen Deutschland, 3. Aufl., Berlin 1968, S. 295f.
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921 S. Tauber, a.a.O., S. 184 (hier D S P / U B H E , Fricke, Stennes und Gereke), zum DSP-Programm ebd., Anm. 135 (S. 1066). Die hier zitierten Programm-Aussagen sind aus Taubers englischem Text rückübersetzt. 922 Vgl. Günter Bartsch, Revolution von rechts? Ideologie und Organisation der Neuen Rechten, Freiburg (Herder Verlag) 1975, S. 86f., 95. - Über die Förderung Sir Oswald Mosleys und seiner „British Union Fascists ( B U F ) " durch erste Kreise der britischen Großindustrie und Aristokratie sind durch die soeben von der Presse gemeldete Freigabe des größten Teiles des Dossiers des britischen Home Office über Mosley und seine Bewegung offenbar höchst aufschlußreiche und die britische Öffentlichkeit ihrer unerwarteten Reichweite wegen z. Zt. schockierende Zusammenhänge bekanntgeworden. Mosley, der Hitlers Vision eines deutsch-britischen Zusammengehens zur Erringung der Stellung der weltbeherrschenden Macht seinerseits in Großbritannien vertrat, genoß keineswegs nur die bekannten Sympathien etwa des Herzogs von Windsor, sondern, wie den ersten Pressemeldungen über das Dossier zu entnehmen ist, vor allem auch von Schiffsmagnaten, Flugzeugfabrikanten, des Begründers der MorrisAutowerke, des Zeitungskönigs Lord Rothermere, des Earl of Glasgow, der Astors usw. Die Heirat mit seiner Frau Lady Diana Guinness, deren erster Ehemann der mächtigen britisch-irischen Bierbrauer-Familiendynastie angehörte (und deren aus dieser Ehe stammender Sohn Jonathan Guinness sich heute als Mosley-Apologet betätigt), hatte Mosley seinerzeit, verborgen vor der britischen Öffentlichkeit, in der Privatwohnung von Goebbels in Berlin vollzogen. S. den Bericht von Hilde Spiel, Die Geheimnisse Sir Oswalds. Zur Öffnung des Dossiers über den englischen Faschistenführer, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 12. November 1983, S. 25. 923 S. Rechtsextremismus in Österreich nach 1945, hrsg. vom Dokumentationsarchiv des österreichischen Widerstandes (Redaktion: Siegwald Ganglmair, Brigitte Lichtenberger, Wolfgang Neugebauer), Wien 1979, Teil 111,5 (Oskar Wiesflecker: Internationale Verbindungen), S. 200f. 924 S. ebd S 201 925 Ebenda. 926 Ebd., S. 202. 927 Zu Karl Eduard Herzog von Sachsen-Coburg und Gotha (seinerzeit Protektor des Großfürsten Kyrill; 1926-1933 Stahlhelmführer; 1934 Präsident des Deutschen Roten Kreuzes; hoher SA-Führer und Schirmherr des „Nationalsozialistischen Kraftfahrer-Korps/NSKK", usw.) s. u.a. Thoss, a.a.O., S. 262, auch die von Turner, a.a.O., edierten Wagener-Memoiren. Eine bis heute ausstehende Überblicksgeschichte über die Folgen den Ablehnung der Fürstenenteignung im Jahre 1926 wie ihrer Unterlassung auch dann wieder nach 1945 bzw. über die Geschichte der besonderen Art des politischen Dankes, den die deutschen Fürstenhäuser für diese Schonung ihrem Volke zumeist dadurch abstatteten, daß sie die ihrer Hoheitsgewalt belassenen Gebiete oder Besitzungen nunmehr zu einer Art obdachbietendem Regenerations- und Trainings-, notfalls auch Rückzugs- und Fluchtreservat für „vaterländische" paramilitärische Trupps sowie hohe Nazis ausbauten, hätte freilich nicht nur das Haus Coburg, sondern (um nur in der allernächsten Umgebung zu bleiben, von der aus sich eine solche politische Landschafts-Wanderung dann nahtlos durch die ganze Bundesrepublik wie über einen sie unsichtbar durchziehenden Infrastrukturgürtel
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fortsetzen ließe) v. a. auch das ihm benachbarte Haus Waldeck-Pyrmont zu behandeln (SS-Obergruppenführer Josias Erbprinz von Waldeck und Pyrmont war einer der engsten Freunde Himmlers, der die Anerkennung seines gesamten Landbesitzes als „Erbhof" durchsetzte und Patenonkel seines Sohnes Wittekind wurde, sowie Richter am „Volksgerichtshof"; seine Residenzstadt Arolsen, Sitz einer SS-Führerschule, sowie das umhegende „Waldecker Land" waren der „Bereitstellungsraum" der SS für den Einmarsch nach Osterreich und nach Frankreich; in Arolsen, ihrem alten Standort, traf sich nach dem Kriege jahrelang regelmäßig die dort von den Mitgliedern des fürstlichen Hauses kameradschaftlich begrüßte SS-Division „Totenkopf". - S. Die SS - Ein 4. Wehrmachtsteil? Mit Dokumentation: Arolsen - Erfolgreiche Aktionen gegen SS-Hochburg, PDI-Taschenb. 4, München 1979, S. 113ff., zu den im Waldecker Land „untergetauchten" SS'lern S. 123 und 171); hierbei wären aber auch, wieder in nächster Nachbarschaft, der Graf von Erbach und die Verknüpfung wiederum all dieser verschwägerten Kreise mit der aus ihrer Hand niemals hinausgelangten Führung des Deutschen Roten Kreuzes und die in diesem Knäuel sich wieder überschneidenden Verbindungsfäden sowohl einerseits zu Eugen Gerstenmaiers „Evangelischem Hilfswerk" wie andererseits auch zur „Stillen Hilfe" nicht zu vergessen. 928 Über die Art der Beziehungen zwischen H . und A. Ehrhardt, die beide im Jahre 1971 verstarben, vermochte der Verf. nichts Genaueres zu ermitteln. Auffallend ist, daß A. Ehrhardt einst SA-Ausbilder war, im Jahre 1934 wegen des Massakers an Rohm und dessen Anhängerschaft aus der SA austrat und dann zunächst als Lektor im Voggenreiter-Verlag untertauchte. S. Frankfurter Rundschau vom 1 0 . 1 2 . 1 9 5 7 , sowie demnächst das hier mehrfach vorangekündigte Buch von G. Biemann. 929 Vgl. ebd. 930 S. G . Bartsch, Revolution von rechts? Ideologie und Organisation der Neuen Rechten, a.a.O., S. 95. 931 S. u. a. Bericht über neonazistische Aktivitäten 1978, P D I Taschenb. 1, München 1979, S. 99. 932 S. K.Hirsch, a.a.O., S. 223, sowie Hartmut Herb, Neonazismus in der Bundesrepublik Deutschland und staatliche Reaktionen, in JW-Dienst, Exklusiv-Bericht Rechtsradikale, Nr. 211 vom 10. 10.1980, S. 20. 933 Vgl. Bericht über neonazistische Aktivitäten 1979, PDI-Taschenb. 6, München 1980 (im folgenden stets nur abgekürzt als „PDI-Bericht" mit jeweiliger Jahreszahl), S. 68 f. 934 So Böhmes Zielbeschreibung des D K E G , s. ebd. 935 Vgl. z. B. in „Klüter-Blätter" Heft 9/1980 den hymnischen Lobartikel „H. St. Chamberlain, der Bekenntnisdeutsche. Zum 125. Geburtstag des ,Sehers von Bayreuth'", verfaßt von Heinrich Härtle, dem zu den ständigen Mitarbeitern der „Klüter-Blätter" zählenden einstigen Sekretär Alfred R o senbergs. 936 Bei der Aufzählung derartiger Verlage darf dessen größter, der von Helmut Sündermann, dem einstigen stellvertretenden Pressechef der NSRegierung von 1942-1945, gegründete und seit dessen Tode von seinem Ziehsohn Dr. Gert Sudholt geleitete, auf die frontale Glorifikation und Anpreisung der „Größen" des Hitler-Reichs und seiner „Wehrmacht"
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orientierte Druffel-Verlag in Leoni am Starnberger See nicht übersehen werden. G. Sudholt ist seit 1973 Vorsitzender der „Gesellschaft für freie Publizistik (GfP)" und tritt auch beim „Deutschen Kulturwerk Europäischen Geistes" als Referent auf; er ist zugleich auch Inhaber des „TürmerVerlages" (vgl. hierzu und zum Druffel-Verlag PDI-Bericht 1979, a.a.O., S. 203; zu Sudholt PDI-Bericht 1978, a.a.O., S. 149, wo er allerdings, im Unterschied zum Bericht '79, S. 185, als „Gründer" des Druffel-Verlages bezeichnet wird, s. hierzu jedoch ebd. S. 203). Das D K E G verfolgt eine sich deutlich in der Mitte zwischen den Orientierungen von „Nation Europa" und Druffel haltende und sie beide miteinander verbindende Linie. 937 Vgl. zur Wiking-Jugend u.a. PDI-Bericht 1979, a.a.O., S. 119-121; auch „Rechtsradikale Jugendorganisationen. Beiträge und Dokumentation", PDI-Sonderheft 8, München 1979, S. 57-60; dgl. ausführlich Alwin Meyer/Karl-Klaus Rabe, Unsere Stunde, die wird kommen, BornheimMerten 1979, S. 4 4 - 5 2 , 193-216. 938 S. PDI-Bericht 1979, a.a.O., S. 79. 939 S. Rechtsextremismus in Osterreich nach 1945, a.a.O., S. 204. 940 Vgl. in „Die SS - ein 4. Wehrmachtsteil?", a.a.O. (PDI-Taschenbuch4), das Kap. VI „Waffen-SS - Stoßtrupp für ein faschistisches Europa", S. 72 ff. 941 S. ebd., S. 72. 942 S. Ingrid Reichel, Ideologie und Selbstverständnis der H I A G seit Ende der 60er Jahre, Hausarbeit im Fach wiss. Politik (Seminar Prof. Kühnl), Marburg 1979. 943 Vgl. u. a. PDI-Bericht 1979, a.a.O., S. 114. 944 S. Der Freiwillige, Heft 4/1976, S. 6 (hier zit. nach I. Reichel, a.a.O., S. 55f.); vgl. auch die im PDI-Bericht 1979, a.a.O., S . 2 1 8 , wiedergeg. Zitate aus einem Art. von Carl Cerff über die SS-Panzerdivision „Wiking". 945 S. Rechtsextremismus in Österreich, a.a.O., S. 201. 946 Zu ihrer Entwirrung s. die u. wiedergeg. Darlegung des Verhältnisses von US- und Europa-Orientierung in den beiden geheimen Programmreden Werner Naumanns vom November 1952, obgleich auch sie natürlich nicht als ein Generalraster, in dem sich nun etwa alle Orientierungsgegensätze der einzelnen Gruppen auflösen würden, verstanden werden darf. 947 S. Kühnl/Ahrweiler/Maessen u. a., Die N P D , a.a.O., S. 15. 948 Vgl. Fried Wesemann, Die Totengräber sind unter uns. Aus den Dokumenten der Naumann-Affäre, in: Frankfurter Rundschau, Art.-Serie vom 9 . 6 . 1 9 5 3 - 13. 6.1953, Teil III, S. lOf. 949 S. Bericht des brit. Geheimdienstes über den Einfluß des „Gauleiterkreises" auf die nordrhein-westf. und niedersächs. F D P 1952, in: F. Grimm, Unrecht im Rechtsstaat. Tatsachen und Dokumente zur politischen Justiz, dargestellt am Fall Naumann, Tübingen 1957, Anhang S. 205-210 (auch bei W. Gensinger, Faschistische und neofaschistische Tendenzen im deutschen politischen Liberalismus nach 1945, Staatsex.Arbeit Univ. Mannheim/Fak. f. Sozialwiss. [unveröff.], in Auszügen als D o k . I). Zu Hitlers Testament s. Willi A. Boelcke (Hrsg.), Kriegspropaganda 1939-1941. Geheime Ministerkonferenzen im Reichspropagandaministe-
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rium, Stuttgart 1966, S. 56; auch Besymenski, a.a.O., S. 165. 950 S. F. Wesemann, a.a.O., Teill. 951 Nach Wesemann, a.a.O., Folge IV, ging ein Drängen an Naumann, „die Führung zu übernehmen", vor allem von Gottfried Griesmayr und vom Kapp-Putsch-Veteran Wilhelm Kiefer (beide „Arbeitsgemeinschaft Nationaler Gruppen/ANG"), laut Folge I der gleichen Artikelserie aber auch schon am 20. 8.1950 (worüber Naumann, geschmeichelt, in seinem Tagebuch eine längere, bei Wesemann zit. Eintragung machte) von Arno Breker anläßlich einer Einladung Naumanns bei Hitlers Star-Bildhauer aus. 952 S. hierzu demnächst Biemann; nach Wesemann, a.a.O., FolgeI, der dort eine entsprechende Tagebuch-Eintragung Naumanns wiedergibt, standen insbes. Haniel und Springorum hinter Achenbach, die ihn auch zur Kandidatur für den Posten des nordrhein-westfälischen Wirtschaftsministers bewegten; nicht auszusparen wird aber auch der von Wesemann ebd. erwähnte laufende Kontakt Naumanns zu Schacht sein. 953 Zu den „Boxheimer Dokumenten", den für den Tag eines erfolgreichen Nazi-Putsches vorgesehenen „Notverordnungen" und „Rechtsvorschriften" (Treff-Lokal der hessischen NSDAP-Führerprominenz: „Boxheimer Hof" in Lampertheim bei Worms), in denen es von TodesstrafenAndrohungen und Vorschriften zu Soforterschießungen „ohne Verfahren auf der Stelle" nur so wimmelte, s. u. a. Pomonn/Junge/Biemann/Bordien, Blutige Spuren, a.a.O., S. 184ff. 954 S. Hans-Peter Bordien, Schützende Hände über Dr. Best. SS-Heydrichs Stellvertreter bleibt straffrei (Art. anläßlich der endgültigen Einstellung des gegen Best wiedereröffneten Verfahrens durch das Oberlandesgericht Düsseldorf im Oktober 1983), in: Deutsche Volkszeitung/die tat Nr. 6/83 vom 11.11.1983. 955 Zur Vielzahl der ihm Zugehörigen vgl. die Artikelserie von Wesemann, die sich freilich auch ihrerseits auf eine Auswahl beschränkt. 956 S. Wesemann, Folge II, a.a.O. 957 Zu weiteren damaligen Vertrauensleuten Naumanns in der niedersächsischen FDP s. die Aufzählung Wesemanns in F. V, a.a.O. 958 S. Wesemann, a.a.O., F. II, zu Cerff F. IV, zu Steiner F. I. 959 S. Wesemann, a.a.O., F. II, dort auch die Namen der Mitarbeiter der „Deutschen Soldatenzeitung". 960 S. Wesemann, a.a.O., F. III, sowie Brit. Geheimdienstbericht, a.a.O., Ziff. 27. 961 S. Wesemann, a.a.O., F.III u. V; zu Vowinkels Ernennung zum Vorsteher des „Börsenvereins" durch die Nazis 1933 und zum Programm seines 1952 wiederbegründeten (auf „Kriegsgeschichte", aber auch Rassismus spezialisierten, sich auch als „Wehrverlag" bezeichnenden) „Kurt Vowinkel Verlags" s. PDI-Bericht 1979, a.a.O., S. 226. 962 S. Wesemann, a.a.O., F. IV. 963 Ebenda 964 Alle ebd. 965 Ebd. F. III (Taubert hat damals allerdings ein im Anschluß an F. V abgedrucktes Dementi abgegeben). 966 S. ebd. F. V. - Vgl. o. Anm. 875 und Erich Stockhorst, 5000 Köpfe Wer war was im Dritten Reich?, Velbert u. Kettwig 1967, S. 264). 967 Es handelt sich hier um den zu G. Strassers einstigem „Gauleiter505
Flügel" und nunmehr zum Naumann- oder „Gauleiter-Kreis" gehörigen Albert Krebs, nach dem Kriege Verfasser des Buches „Tendenzen und Gestalten der N S D A P . Erinnerungen an die Frühzeit der Partei", Stuttgart 1959; nicht um den letzten Generalstabschef des Nazi-Reichs Hans Krebs, der am Morgen des 1. Mai 1945 (nach Hitlers Selbstmord am Vortage) auf Veranlassung von Goebbels und Bormann vom Führerbunker der Reichskanzlei aus dem sowjetischen Oberkommando das Angebot eines sofortigen separaten Waffenstillstands zwecks Gewährleistung einer zu Kapitulations- und Friedensverhandlungen" fähigen und (durch Hitlers „Testament") auch „legitimierten" deutschen Regierung überbrachte (mit der Andeutung eines sonst in jedem Augenblick möglichen separaten Waffenstillstands-Abschlusses des von Hitler verstoßenen und von der GoebbelsRegierung unerreichbar operierenden „Verräters" Himmler mit den westlichen Alliierten) und dann in der Reichskanzlei, nach Ablehnung dieses Ansinnens durch die Sowjets, gemeinsam mit dem Ehepaar Goebbels Selbstmord verübte (s. das von Jewgem Dolmatowski angefertigte Protokoll des Verlaufs dieser Krebs-Mission in: Lew Besymenski, Der Tod des Adolf Hitlers, München/Berlin 1982, S. 129-143). 968 S. alle hier Genannten bei Wesemann, a.a.O., F. V 969 S. Wesemann, a.a.O., F. II. Die dort wiedergegebene TagebuchEintragung Naumanns lautet an der entsprechenden Stelle: „Von dem Plan Skorzenys ist er angetan. E r will ihn unterstützen." Naumann war es also offenbar, der Axmann einen solchen „Plan" mitgeteilt hatte, somit seinerseits mit Skorzeny bereits in Kontakt gestanden haben muß und möglicherweise auch schon während der gesamten Zeit seines unbekannt gebliebenen versteckten Aufenthalts über „Odessa"-Leute mit ihm in Verbindung stand. - S. auch Pomorin/Junge/Biemann/Bordien, Blutige Spuren, a.a.O., S. 108. 970 S. Wesemann, a.a.O., F. IV 971 S. ebd., F. I ; W. v. Oven war am 4. 5. 1912 im bolivianischen La Paz geboren worden, wo sein Vater die Niederlassung des Berliner Bank- und Handelshauses F. & W . Hardt leitete. Mit seiner Familie 1914 nach Deutschland gekommen, trat er 1930 als 17jähriger der N S D A P bei (Angaben nach: G . Biemann, Als Dr. Strauß einen einstündigen Aufenthalt in Buenos Aires h a t t e . . . Zwei Lebenswege im Zentrum der deutschen Geschichte, unveröffentl. Manuskr., S. 1, 5). 972 S. Pomorin/Junge/Biemann, Geheime Kanäle, a.a.O., S. 58 973 S. Pomorin/Junge/Biemann/Bordien, Blutige Spuren, a.a.O., S. 91, 79 974 S. hierzu Pomorin/Junge/Biemann, Geheime Kanäle, a.a.O., S. 58-60. Ebd. (S. 61-63) auch zur Uberführung der „Spinne" in die „Odessa". 975 S. G . Biemann, Als Dr. S t r a u ß . . . , a.a.O., S. 15, unter Verweis auf ein im Philadelphia Bulletin am 10. 4 . 1 9 7 7 veröffentl. Interview des Journalisten Robert R . Prostel mit Wilfred von Oven sowie auf v. Ovens Erinnerungen „Mit Goebbels bis zum Ende" (s. u. Anm. 977), Bd. 1, S. 7; vgl. auch Pomorin/Junge/Biemann, Geheime Kanäle, a.a.O., S. 94ff. 976 S. Biemann, a.a.O., S. 14 977 W. v. Oven, Mit Goebbels bis zum Ende, Buenos Aires 1949 (Editorial Dürer) 978 S. Pomorin/Junge/Biemann, Geheime Kanäle, a.a.O., S. 96f.
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979 Ebd., S. 97, zu Rudel S. 112. Rudel war zugleich Leiter einer für die argentinische Luftwaffe arbeitenden deutschen FlugzeugkonstrukteurFachleutegruppe der Firmen Focke-Wulff, Messerschmidt, Dornier und Daimler-Benz und soll damals zugleich auch argentinischer MercedesBenz-Vertreter gewesen sein (s. ebd. sowie S. 113). - v . O v e n gründete später in Argentinien seine eigene Zeitschrift, den „La Plata Ruf" und ist heute zugleich auch Chefredakteur der im Tübinger Graben-Verlag erscheinenden Zeitschrift „Deutschland in Geschichte und Gegenwart" und häufiger Autor der „Deutschen National-Zeitung". Zur Vielzahl seiner weiteren Betätigungen vgl. a.a.O., insbes. S. 97ff. 980 S. Wesemann, a.a.O., F. I 981 S. ebd., F. II 982 S. Brit. Geheimdienstbericht, a.a.O., Ziff. 20, sowie Wesemann, a.a.O., F. II 983 S. alle Erwähnten im Brit. Geheimdienstbericht Ziff. 20 u. 21, sowie bei Wesemann, F. II 984 S. Brit. Geheimdienstbericht Ziff. 20 985 S. ebd., Ziff. 21, sowie Wesemann, F. II. Klaus Mehnert galt O . Strasser, seinem „Mein Kampf" zufolge, als „alter Freund"; Mehnerts Bruder hatte am 9. 3. 1933 als SA-Führer das Fluchtauto gesteuert, in dem Strasser von Berlin aus zunächst nach München gelangte (s. O . Strasser, Mein Kampf, a.a.O., S. 84). 986 Mitteilung G . Biemanns an den Verf. aus seinem demnächst erscheinenden Buch zum Neofaschismus 987 S. Brit. Geheimdienstbericht, a.a.O., Ziff. 35, desgl. Wesemann, a . a . O . , F. IV 988 S. Brit. Geheimdienstbericht, a.a.O., Ziff. 36 989 S. Wesemann, a.a.O., F. V 990 S. die Wiedergabe des dem Arrangement eines Treffens Stegners mit Kaufmann geltenden Briefes des niedersächs. FDP-Landesgeschäftsführers Huisgen an Karl Kaufmann vom 20. 5. 1952 bei Wesemann, a . a . O . , F. V, sowie die dort anschließenden Einzelangaben. 991 S. Wesemann, a.a.O., F. V; auch Marten, Die unterwanderte FDP> a.a.O., S. 296, dort unter Bezugnahme wiederum auf den Brit. Geheimdienstbericht, Ziff. 38 992 S. Brit. Geheimdienstbericht, a.a.O., Ziff. 41 (Mende wird hier als „ein führender Verfechter der Sache der ehemaligen Soldaten und der Kriegsverbrecher im Bundestag" bezeichnet.) 993 S. Brit. Geheimdienstbericht, a.a.O., Ziff. 37, zu Freiberger sowie weiteren ehem. HJ-Führern und sonstigen NS-Funktionsträgern in der niedersächs. F D P s. Wesemann, a.a.O., F. V 994 Den Raum der Zusammenkunft hatte der ehemalige SS-Obersturmbannführer Hans-Hendrik Neumann unter dem Namen der ihn nunmehr beschäftigenden Philips-Röhren-Werke im Auftrage Scheels angemietet, weitere Teilnehmer des Treffens waren der einstige SA-Standartenführer Dr. Gunnar Berg und der SS-Journalist Schwarz van Berk. S. Wesemann, a.a.O., F. V 995 Zu H. Hunke vgl. in Wolfgang Schumann/Ludwig Nestler (Hrsg.), Weltherrschaft im Visier. Dokumente zu den Europa- und Weltherrschaftsplänen des deutschen Imperialismus von der Jahrhundertwende bis
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Mai 1945, Berlin 1975, die Auszüge aus dessen Aufsatz „Das Weltbild des neuen Europa" in der Sonderbeilage zu „Die Deutsche Volkswirtschaft. Nationalsozialistischer Wirtschaftsdienst" Nr. 29, 2. Oktoberheft 1942, unter dem Titel „Konstituierung der europäischen Wirtschaftsgemeinschaft" (dort als Dok. 142, S. 344ff.) wie aus seinem Artikel „Kernfragen des wirtschaftlichen Kampfes in der Gegenwart" („Der deutsche Ordnungs- und Führungsanspruch in Europa ist Ausdruck der deutschen Volksgröße und der deutschen Leistung für die Sicherheit des Kontinents") in „Die Deutsche Volkswirtschaft" Nr. 27, 3. Septemberheft 1943 (Dok. 148, S. 358ff.); zu seinen Funktionen vor und nach 1945 ebd., S. 358, in Ergänzung mit Braunbuch, Kriegs- und Naziverbrecher in der Bundesrepublik und in Westberlin, a.a.O., S. 54. 996 Vgl. Brit. Geheimdienstbericht Ziff. 37, demzufolge diese Unterredungen bis zum 6. Mai fortgesetzt worden sein müssen, da es dort in Zusammenhang mit dem Datum 8. 5. 1952 heißt: „zwei Tage nach einer Reihe von Zusammenkünften in Hannover zwischen Naumann, Scheel und Kaufmann seitens des , Gauleiter-Kreises' und Führern des FDP-Landesverbandes Niedersachsen, insbesondere . . . Huisgen und . . . Freiberger". 997 Auch Brinkmann, ein weiteres Mitglied der Landesgeschäftsführung, war einstmals HJ-Bannführer, s. Wesemann, a.a.O., F. V; zu seinen aktiven Bemühungen um die Einschleusung ehemaliger Waffen-SS-Mitglieder und NSDAP-Funktionsträger in die F D P vgl. den bei Marten, Die unterwanderte F D P , a.a.O., S. 287f., wiedergeg. Bericht eines einstigen Waffen-SS-Angehörigen über den in seinem Falle erfolglos gebliebenen Werbeversuch Brinkmanns bei einer Zusammenkunft ca. 30 geladener Altnazis im Hause des Ex-DRP-Abgeordneten Mießner im April 1952, auf der Mießner den Anwesenden versicherte, daß im FDP-Landesverband Niedersachsen „alle Schlüsselstellungen in der Hand .unserer Leute' sind". Zu Mießner als FDP-Geschäftsstellen-Mitarbeiter s. ebd., zu weiteren Mitarbeitern der Landesgeschäftsführung Wesemann, a.a.O. 998 S. hierzu und zu weiteren Fallbeispielen sowie auch zu den Widerständen, die sich innerhalb der niedersächs. F D P gegen die NS-Infiltrationspolitik der Landesgeschäftsstelle und Stegners unter Wortführung insbes. des FDP-Landesvorstandsmitglieds Richard Bartz erhoben, Marten, a.a.O., insbes. ab S. 270. 999 S. Wesemann, a.a.O., F. IV 1000 S. Brit. Geheimdienstbericht, a.a. O . , Ziff. 21 1001 S. hierzu den gleichfalls bei F. Grimm, Unrecht im Rechtsstaat, a.a.O., S. 210-213, in Auszügen als Dok. VII wiedergeg. „Vertraulichen Bericht über die Lage im Landesverband Nordrhein-Westfalen der F D P , erstattet am 5. 6 . 1 9 5 3 durch Dr. Neumayer, Dr. Dehler und Alfred Onnen an den Gesamtvorstand der FDP-Bundespartei", in dem sich unbesehen seiner ingesamt auf Bagatellisierung ausgehenden Tendenz immerhin, außer den oben erwähnten Fusionsverhandlungen, eingeräumt findet, daß Wilke „zu dem Kreis der ehemaligen Reichsjugendführung" gehörte, „der sich seit 1946 bemühte, wieder in die deutsche Politik einzudringen", er 1947 zur F D P Nordrhein-Westfalens kam und hier „großen Einfluß, vor allem bei der Auswahl der hauptamtlich tätigen Personen" gewann („Er beherrschte den .Apparat'"), Dr. Achenbach versucht habe, „Dr. Naumann politisch
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zu starten", er seinen „starken Einfluß" im Landesverband organisatorisch „über den verstorbenen Fraktionssekretär Herrn Wilke" ausübte und es auch auf ihn zurückging, „daß Herr Dr. Middelhauve Herrn Wolfgang Diewerge zu seinem privaten Mitarbeiter machte" und „schwer zu verstehen" sei, „warum ausgerechnet alle Schlüsselpositionen . . . früheren prominenten Nationalsozialisten anvertraut worden sind". Der Bericht enthält des weiteren die Mitteilung von einem Zusammentreffen Middelhauves, Wilkes, Dörings und Dr. von Rechenbergs mit dem Fürsten Otto von Bismarck und charakterisiert als den Plan der Gruppe Middelhauve-Achenbach-Wilke/Dönng, die F D P unter Middelhauve als durchzusetzendem neuem Bundesvorsitzenden auf einen zielstrebigeren Kurs zu bringen und, so Döring gegenüber einem Parteifreund, nach einer Übergangszeit, in der man „wahrscheinlich Dr. Mende für weitere zwei Jahre zum Vorsitzenden wählen" würde, „anschließend dann Dr. Naumann (zu) holen". 1002 S. Wesemann, a.a.O., F. IV, auch Brit. Geheimdienstbericht, a.a.O., Ziff. 20 1003 Vgl. o. im Text sowie Brit. Geheimdienstbericht, a.a.O., Ziff. 21 1004 Vgl. Wesemann, a.a.O., F. V, in Verbindung mit Tauber, a.a.O., S. 184 1005 S. Wesemann, a.a.O., F. IV, Abschnitt „Das Ziel: Die große Oppositionsbewegung", Ziff. 1 1006 S. ebd. Ziffer 3 1007 S. ebd. Ziffer 4 1008 S. Brit. Geheimdienstbericht, a.a.O., Ziffer40 1009 Die beiden Zusammenkünfte fanden am 1 . / 2 . 1 1 . 1 9 5 2 in Düsseldorf unter Naumanns Vorsitz und am 18./19. 11. 1952 in Hamburg unter dem Vorsitz Scheels statt. Naumann sprach in Hamburg vor dem „inneren Kreis" im Hause des einstigen Generalstaatsanwalts Haack und vor einem erweiterten Kreis in einem privat gemieteten Raum des Hotels Continental. S. Brit. Geheimdienstbericht, a.a.O., Ziff. 26 1010 S. die ausführliche Wiedergabe der Rede Naumanns bei Wesemann, a.a.O., F. I ; Zitate aus den dort jeweils wörtlich angeführten Passagen, indirekte Inhaltswiedergaben Wesemanns sind durch einfache Anführungszeichen gekennzeichnet. 1011 Vgl. hierzu z. B. als bezeichnendes Dokument den bei W. Gensinger, a.a.O., nach FDP-Bundesparteitage, Ordnerl, Friedr.-Naumann-Archiv, Bonn, im Anhang als Dok. X I V (ohne Nennung der Antragsteller) wiedergeg. Antrag zum Bremer FDP-Bundesparteitag vom 11./12. 6 . 1 9 4 9 , dessen Abschnitt II die Überschrift „Mitteleuropa" trug und wie folgt lautete: „Mitteleuropa, das heißt zumindest die Gebiete, die am 28. Juni 1914 zur Donaumonarchie und zum Deutschen Reiche gehörten, muß im Rahmen eines Staatsvertrages zur Errichtung der Europäischen Union endlich wieder vereinigt werden. Die Menschen und ihre Nachkommen, die aus diesen Gebieten seit dem 28. Juni 1914 vertrieben worden sind, haben das Rücksiedelungsrecht. Zur umfassenden Ordnung der Lebensinteressen aller Beteiligten gehört auch im Rahmen eines Staatsvertrages zur Errichtung der Europäischen Union der Abschluß eines Kolonialvertrages. Die Notwendigkeit der Wiedervereinigung von Mitteleuropa umfaßt nicht das Gebiet von Elsaß und Lothringen. Da dieses Land die designierte Unionshauptstadt Straßburg in sich trägt, ist seine autonome Stellung in der Europäi-
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sehen Union wünschenswert." AbschnittI hatte das Festhalten an der Staatsbezeichnung „Deutsches Reich" verlangt, dementsprechend titulierte der Antrag das beschlußfassende Adressatengremium auch als „Reichsparteitag", Abschnitt IV schließlich, überschrieben „EntnazifizierungsGesetzgebung", proklamierte: „Wir sind unbeugsame Gegner der gesamten Entnazifizierungs-Gesetzgebung. Denn: ,Eine politische Gesinnung zu bestrafen ist unmoralisch' (Rechtsanwalt Föge, Vorsitzender der Landtagsfraktion der FDP im Niedersächsischen Landtag am 29. Januar 1948)." 1012 S. Wesemann, a.a.O., F. I. - Der Aufmerksamkeit zu empfehlen sind auch Naumanns weitere Ausführungen über eine notwendige Veränderung der äußeren Formen des Auftretens,des Faschismus insgesamt: „Wir brauchen einen neuen Stil, neue Parolen, neue Begriffe, eine neue Sprache, wenn wir unser Volk wieder politisch formen und uns durchsetzen wollen. Dieser Stil wird nicht emphatisch, propagandistisch, supdrlativistisch sein, sondern streng, sachlich und ernst, ein getreues Abbild unserer Lage" (ebd.). - Zu Ramckes Kontakt mit Naumann, der kurz nach seiner o. referierten Kritik an ihm zu ihm persönlich gesagt haben soll: „Das nächste Mal machen wir es geschickter, und dann will ich Ihnen gerne helfen", s. Wesemann, a.a.O., F. II 1013 S. Brit. Geheimdienstbericht, a.a.O., Ziff. 27; desgl. Wesemann, a.a.O., F. III (zu Bornemann ausführlich auch F. V) 1014 S. Brit. Geheimdienstbericht, a.a.O., Ziff. 36, 37 1015 S. Wesemann, a.a.O., F. IV 1016 S. u. a. W. Gensinger, a.a.O., S. 73 1017 S. die Kopie des Abdruckes des „Deutschen Programms" in der „Deutschen Zukunft" vom 2. 8.1952 im Dokumentenanhang zu Gensinger, a.a.O. (Dok. XIII), Wortlaut auch bei Ossip K. Flechtheim, Dokumente zur parteipolitischen Entwicklung in Deutschland seit 1945, Westberlin 1968, Bd. 6, S. 296 ff. (Es enthielt u.a. die alt-jungkonservative Forderung nach der Errichtung einer „zweiten Kammer" neben dem Parlament, nach der Einsetzung eines Präsidialregimes durch „unmittelbare Wahl des Bundespräsidenten", die lapidare Feststellung „Wir sagen uns los von den Urteilen der Sieger, mit denen unser Volk und insbesondere sein Soldatentum diskriminiert werden sollten" und die impertinente „Volksaussöhnungs"-Frechheit: „Wir fordern Wiedergutmachung des Unrechts, das Nationalsozialismus und Entnazifizierung schufen"). 1018 Realpolitik-Tagesdienst Nr. 22 vom 27.1.1953, S. 2 1019 Der 6. Strafsenat des Bundesgerichtshofs gab am 4.12.1954 über die Presse die Nichteröffnung des Verfahrens bekannt. 1020 S. Biogr. Handb. der deutschspr. Emigration, a.a.O., S. 742 1021 Zur „Stillen Hilfe" s. das Kap. I in Pomorin/Junge/Biemann, Geheime Kanäle. Der Nazi-Mafia auf der Spur, a.a.O., S. 9ff. 1022 S. Deutsches Führerlexikon, Berlin 1934; in Kurz-Ubersicht auch in: Helmut Stein, Rassismus heute, Nr. 4 der vom Präsidium der W N - B u n d der Antifaschisten herausgegebenen Reihe „AID (Argumentation, Information, Dokumentation)", März 1982, S. 35 (hier auch, S. 35-38, ein Überblick über die politischen Biographien der wichtigsten weiteren Unterzeichner des „Heidelberger Manifests"), ausführlich demnächst im Buch von G. Biemann. Haverbeck wurde 1973 zum Professor ernannt (s.
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AID, a.a.O.). 1023 S. zu allen Zitaten in diesem Absatz das „Grundsatzprogramm 1958" des „Weltbundes zum Schutze des Lebens", z. T. auch den seinem Abdruck vorangestellten Text, in: Weltbund zum Schutze des Lebens, hrsg. im Herbst 1981 vom Weltbund zum Schutze des Lebens - Internationale Stufe, Salzburg 1981. 1024 S. H. Herb, Neonazismus in der Bundesrepublik und staatliche Reaktionen (JW-Dienst, Exklusiv-Bericht Rechtsradikale Nr. 211), a.a.O., S. 17; auch Bartsch, a.a.O., S. 140f., desgl. Horst W. Schmollinger/ Richard Stöss, Die Parteien und die Presse der Parteien und Gewerkschaften in der Bundesrepublik Deutschland 1945-1974, München 1975, S. 187f. (auch Angaben zu weiteren Mitglieds-Gruppen der „Neuen Rechten" sowie Uberblicksdaten zur Entwicklung der NPD). Zu Wintzeks Einbindung in die neofaschistische „Europa"-Arbeit - er wurde im September 1972 auf dem „1. Nationaleuropäischen Jugendkongreß (NEC)" in Planegg bei München (16./17. 9.1972) gemeinsam mit P. Dehoust für die Bundesrepublik ins „Generalsekretariat der Intereuropäischen Nationale" gewählt s. Rechtsextremismus in Osterreich nach 1945, a.a.O., S. 202, des weiteren auch Bartsch, a.a.O., S. 86ff. 1025 Vgl. Bartsch, a.a.O., S. 102ff. 1026 Zu Penz s. ebd., S. 22f. 1027 S. ebd., S. 102f. 1028 S. Bartsch - der Eichberg unter seinem inzwischen aufgedeckten Pseudonym Hartwig Singer behandelt (und auf S. 53 auch plötzlich auf einmal den Namen Eichberg verwendet) - a.a.O., S. 19ff., sowie zu Eichberg-Singers Verehrung für Ehrhardt (den Bartsch den „Abendroth der Neuen Rechten" nennt, ebd., S. 95) S. 96f. Von „politischer Ausbildungsobhut" ist auf Grund folgender bei Bartsch (S. 96) gegebener Schilderung die Rede: Ehrhardt „rief den noch unbekannten jungen Autor an, lobte ihn für den Text und ermutigte zu weiteren Beiträgen... Ehrhardt half ihm bei der Verbesserung seines Stils... Ebenso förderte und begleitete er andere Vertreter der Neuen Rechten." Eichberg verfaßte (lt. Bartsch, S. 97) auf Ehrhardt nach dessen Tode im Jahre 1971 einen Nachruf, in dem neben aller politischen Würdigung „die Freundschaft sogar an erster Stelle" stand. - Zur politischen Würdigung Ehrhardts durch Bartsch selbst vgl. ebd. (S. 96) die Stelle, wo er ein referiertes Urteil Eichbergs, demzufolge A. Ehrhardt „keineswegs ein Rückwärtsgewandter" gewesen sei, mit nunmehr eigenen, Eichberg zustimmenden Worten kommentiert: „In der Tat bildete seine Zeitschrift eine Brücke zwischen den Kreisen der alten und der Neuen Rechten. Sie trat von Anbeginn als Förderer einer europäischen Neuordnung auf. In ihr kamen neben Konservativen auch Nationalsozialisten, Faschisten und Falangisten zu Wort, soweit sie sich der europäischen Idee geöffnet hatten..." 1029 S. Bartsch, a a O , S 107 1030 S. ebd., S. 103ff. 1031 Vgl. zu Eichbergs CDU-Beitritt ebd., S. 103, zu seiner AUD-Beziehung ebd., S. 20; zur Umfirmierung der „Deutschen Gemeinschaft" - nach Herb seit 1949 das Sammelbecken vor allem der Anhänger des auf die Geschichte der Weimarer Zeit zurückgehenden „Neuen Nationalismus" in die „AUD" durch Aufnahme weiterer Gruppen in sie im Jahre 1965 s. Herb, a.a.O., S. 12, ausführlich das Buch von R. Stöss, a.a.O.
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1032 S. Bansch, a.a.O., S.20f. 1033 S. ebd., S. 130 f. 1034 S. ebd., S. 134ff. 1035 S. ebd., S. 140. Inwieweit dieser Kasseler Auftritt, den Wintzeks „Gesamtdeutsche Aktion" initiiert hatte, von seinen Beteiligten schon selbst als eine „Aktion Widerstand" bezeichnet wurde, bleibt in der Literatur unklar. Offiziell wurde die „Aktion Widerstand" erst am 31. 10.1970 auf Initiative der N P D nach einem entsprechenden Aufruf vom 16.10.1970 zu einer eigens diesem Zwecke dienenden Kundgebung gegründet (vgl. Herb, a.a.O., S. 17); Bartsch rückt, a.a.O., S. 140f., die Kasseler Demonstration in die Linie schon ihrer tatsächlichen Vorgeschichte, vor deren Dynamik sich ihre parteioffizielle Ausrufung dann nur noch wie ein „Thaddenscher Tintenklecks" und nur wieder Kanalisierungsversuch durch den NPD-Vorstand ausgenommen, daher dann auch zur Abkehr der „Neuen Rechten" von ihr geführt habe. Vgl. v. a. Herb, a.a.O., S. 11 f. 1036 S. hierzu bei Bartsch das Kap. VII, a.a.O., S. 133ff. 1037 S. Bartsch, a.a.O., S. 114ff. 1038 S. „APM über APM". Programmflugblatt der „Außerparlamentarischen Mitarbeit" aus dem Jahre 1969, in Faksimile wiedergegeben bei Bartsch, a.a.O., S. 117 1039 S. ebd., S. 118 1040 S. ebd., S. 120, hier wiedergeg. in dessen Formulierungen 1041 S. ebd., S. 121 1042 S. z . B . das ebd., S. 112, faksimiliert wiedergeg. Veranstaltungsprogramm des „Ladenzentrums 1871" der APM für März 1971 (für den 26. 3. die Veranstaltungs-Ankündigung: „Zur Geschichte der nationalrevolutionären Bewegungen in Deutschland. Diskussion"). 1043 S. Bartsch, a.a.O., S. 121. - Vgl. u. a. die Annoncen des Westberliner „Arbeitskreises Rebell", Herausg. zugleich auch des „nationalrevolutionären" Theorieorgans „Ideologie & Strategie", in der „nationalrevolutionären" Presse, so z. B. in „neue zeit" 5/1983, S. 27. 1044 S. Bartsch, a.a.O., S. 120; zum O D S vgl. „wer mit wem? Braunzone zwischen C D U / C S U und Neonazis", Hamburg 1981, S. 45f.; zum B H J u . a . Rechtsradikale Jugendorganisationen (PDI-Sonderheft8), a.a.O., S. 37 f.; ausführlich Meyer/Rabe, Unsere Stunde, die wird kommen, a.a.O., S. 37ff., sowie im Dok.-Teil S. 161-192. S. u. Anm. 1077 1045 S. Bartsch, a.a.O., S. 121 1046 S. ebd., S. 136ff., zu den Westberliner Strategietreffen S. 141, zur Gruppe „Forum" um Lothar Penz S. 134 und 139; auch Herb, a.a.O., S. 14, demzufolge Penz Mitglied der Schiedskommission der „Grünen Liste Umweltschutz ( G L U ) " wurde. 1047 S. zu Epstein (der Name ist ein Pseudonym, das Bartsch, ähnlich wie bei Eichberg, wahrt) das biogr. Portrait bei Bartsch, a.a.O., S. 26ff. 1048 S. das biogr. Portrait von Meinrad (gleichfalls ein Pseudonym) ebd., S. 23 1049 S. a.a.O., S. 177f. Zur „Denkgemeinschaft", die aus der „Zirkelphase" hervorgegangen sei und deren Angehörige Bartsch auf „etwa 40-50 Personen" beziffert, von denen jedoch keineswegs alle öffentlich hervorträten, da es „unter Revolutionären . . . Brauch" sei, „Pseudonyme anzulegen oder wie Masken überzuziehen", s. ebd. S. 17ff. Bartsch unterscheidet vier 512
„Phasen": „Zirkelphase" 1964-1967/68, Phase des Aufbaus von „Basisgruppen" 1968-1971, ANR-Phase Jan. 1972 bis Jan. 1974, Phase des Bemühens um den Aufbau einer Zentralorganisation ab Febr. 1974 (vgl. ebd., S. 177f.). 1050 Vgl. das Waldmann-Portrait (auch ein Pseudonym) bei Bartsch, a.a.O., S. 25f. 1051 S. z . B . das Impressum der Ausgabe8 von „Ideologie Sc Strategie" vom Oktober 1973; zur Zeitschrift selbst s. Bartsch, a.a.O., S. 141 f. 1052 So war etwa zur Gewährleistung des Stoph-Brandt-Treffens von der Polizei am Tage zuvor, am 20. 5.1970, die Ende 1969 von Blatzheim, einem ehemaligen NPD-Kreisvorsitzenden, gemeinsam u. a. mit dem einstigen Kölner NPD-Vorsitzenden Neumann in Nordrhein-Westfalen und Rheinland-Pfalz gegründete, in dreiköpfige „Kommandos" gegliederte, straff militärisch geführte und über ein beachtliches Waffenarsenal sowie sieben „Kommandobezirke" in Nordrhein-Westfalen verfügende „Europäische Befreiungsfront (EBF)" - aus der auch Ekkehart Weil hervorgegangen war, der den Mordanschlag auf den sowjetischen Posten am Ehrenmal für die sowjetischen Kriegsgefallenen im Westberliner Tiergarten verübt hatte ausgehoben worden, da sie sich für Kassel vorgenommen hatte, während des Treffens die Isolatoren der Hochspannungsleitungen zu zerschießen und so die Stromversorgung der Stadt lahmzulegen. (Vgl. Herb, a.a.O., S. 17f.) Eine andere, erst im Februar 1971 aufgelöste attentats-spezialisierte Gruppe wiederum war die im Rhein-Sieg-Kreis operierende, vom ehemaligen NPD-Mitglied Bernd Hengst aus zumeist einstigen Mitgliedern des bewaffneten „Ordnerdienstes" der NPD rekrutierte (18köpfige) „HengstBande", mit der der Ex-Vorsitzende des „Nationaldemokratischen Hochschulbundes (NHB)", Krauss, in konspirativer Zusammenarbeit stand und die über engste Kontakte zu den nationalrevolutionären Basisgruppen in Westberlin verfügte. (S. Herb, a.a.O., S. 18.) - Der von der NPD ab 1968 als „Saalschutz" aufgebaute, mit Lederkoppeln, Sprechfunkgeräten, Schlagwerkzeugen der verschiedensten Art und Pistolen ausgerüstete, zentral in einer Münchener Judo-Schule ausgebildete „Ordnerdienst", war nach den Schüssen seines Anführers, des „Bundesbeauftragten für den Ordnerdienst der NPD", Klaus Kolley, am 16. 9.1969 vor der Kasseler Stadthalle auf zwei antifaschistische Demonstranten auf Beschluß des NPD-Vorstands im Mai 1970 aufgelöst, jedoch zugleich durch einen „Organisationsdienst" ersetzt worden (vgl. Herb, a.a.O., S. 16f.). 1053 S. Bartsch, a.a.O., S. 141 f. Die Sababurg befindet sich bei Kassel, vgl. den Art. „Deutsch-Europäische Studiengesellschaft (DESG)" in: Rechtsradikale Jugendorganisationen (PDI-Sonderheft 8), a.a.O., S. 39. 1054 S. Bartsch, a.a.O., S. 142; zur UAP u. a. auch PDI-Bencht 1978, S. 106, desgl. H . W . Schmollinger/R. Stöss, Die Parteien..., a.a.O., S. 107 ff. 1055 S. Schmollinger/Stöss, a.a.O., S. 107. 1056 S. ebd., S. 108. ' 1057 Vgl. Bartsch, a.a.O., S.93ff., der freilich die UAP-Gründung als einen Vorgang der „Lösung" von Strasser „im Sozialrevolutionären Geist Lassalles und im nationalrevolutionären Geist Strassers, der leider mit den Kapitalisten paktierte", darzustellen sucht und damit das bemerkenswerte Schauspiel einer exakten Wiederholung der einstigen Abgrenzungsfigur
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Strassers von Hitler nunmehr gegenüber O. Strasser selber beim Versuch der Gründung einer Strasserschen Arbeiterpartei im Ruhrgebiet zu Beginn der sechziger Jahre nachträglich in den Blick bringt, daher aber auch einer vierköpfigen Personengruppe, einem Ende 1950 im Sauerland gegründeten „Bund der Vötokalisten", der „als erster Zirkel einer unabhängigen Arbeiterbewegung" entstanden sei (Bartsch) (sich „einer monistisch-ganzheitlichen Weltanschauung" verpflichtet gefühlt habe und seinen merkwürdigen Namen aus den Anfangsbuchstaben eines von ihm gepredigten „neuen Modells der Arbeiterselbstverwaltung", nämlich der Wahl von „Dreimännerkollegien" als Betriebsleitungen in den Großbetrieben, gen. „Vereinigte ökonomische Triumvirats-Organisations-Komitees", herleitete), eine programmkonstituierende Originalität für die UAP zuschreibt, die (liest man ihr Programm) auf dem Boden nur des gewöhnlichen Strasserianismus voll mit diesem zusammenfällt. - Uber den Charakter der UAP dürfte alles schon mit der bei Bartsch, a.a.O., S. 95, zu findenden Aussage gesagt sein, sie vertrete die Position: „Europäische Waffen-SS, Hitler-Jugend und Wehrmacht zahlten für Hitler Verrat am Deutschen Sozialismus mit ihrem Blut." 1058 S. Aktionsprogramm der Unabhängigen Arbeiter-Partei e. V., beschlossen auf dem 2. Parteitag, Essen, den 18. 2. 1962, Präambel, Abs. 2: „Die Politik der UAP sieht ihr Ziel in der inneren und äußeren Erneuerung Deutschlands als der Voraussetzung für den Aufbau der .Europäischen Föderation'! In der angestrebten engen Zusammenarbeit Europa-Afrika wird diese Idee ihre Krönung finden." 1059 Vgl. die Angaben unter dem Stichwort „Blaue Adler-Jugend (BAJ)" in: Rechtsradikale Jugendorganisationen, a.a.O., S. 36. 1060 S. ebd. 1061 S. Bartsch, a.a.O., S. 94. 1062 Vgl. bei Bartsch, a.a.O., S. 28f., das biogr. Portrait Wolfgang Strauss. 1063 W. Strauss, Die Dritte Revolution, Sonderausgabe Junges Forum 2/1968; zum Argumentationsinhalt dieser Schrift s. Bartsch, a.a.O., S. 83 ff. 1064 S. Bartsch, a.a.O., S. 28. 1065 W. Strauss, Trotz alledem - wir werden siegen!, München 1969. 1066 So jedenfalls Bartsch, a.a.O., S. 80 1067 Vgl. die Charakterisierung des „Club Symonenko" bei Bartsch, a.a.O., S. 136ff., die dort auf den - händereibend-anerkennenden - Satz gebracht ist: „Wenn die Neue Linke verkündete: ,Che Guevara lebt!', so antwortete ihr die Neue Rechte in Gestalt des Münchner Clubs: ,Wasyl Symonenko lebt!'" 1068 S. Bartsch, a.a.O., S.29. 1069 Daß der Ingenieur-Student Penz, wie dies bei Bartsch in dessen PenzPortrait, a.a.O., S. 22, zu lesen steht, den Solidarismus „entwickelt" und damit den „konservativ-revolutionären" Flügel der heutigen Rechten „begründet" habe, wird man wohl als eine fromme Legende anzusehen haben. 1070 Vgl. PDI-Bericht 1978, a.a.O., S. 128f. sowie S. 108, auch PDIBericht 1979, S. 150, 152; zu den Mitgliedsorganisationen der „Volkssozialistischen Einheitsfront" die am Ende der von Jochheim-Armin im Verlag
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„Das Reich" (München 1979) herausg. Broschüre „Es gibt einen Weg. . publizierte Eigen-Annonce unter der Kopfzeile: „Träger der Volkssozialistischen Einheitsfront (VSE) sind u . a . : " 1071 S. Bartsch, a.a.O., S. 142f. 1072 S. ebd., S. 91. 1073 S. PDI-Bericht 1979, a.a.O., S. 150. 1074 S. Bartsch, a.a.O., S. 91 f. sowie auch S. 88. 1075 Wille und Tat, Nr. 2, März 1973, S. 5, hier zit. nach Bartsch, a.a.O., S. 91 f. Dort auch Näheres zur Zeitschrift „Wille und Tat". 1076 S. Bartsch, a.a.O., S. 142f. Zur von Bartsch verkürzt „DeutschEuropäische Gesellschaft" genannten, „im April 1972 als Trägergesellschaft der Zeitschrift und des Arbeitskreises Junges Forum' in Hamburg" gegründeten „Deutsch-Europäischen Studiengesellschaft (DESG)" s. Rechtsradikale Jugendorganisationen (PDI-Sonderheft 8), a.a.O., S. 39 (zit. Angabe ebd.). Dort auch Auszüge aus der Selbstdarstellung der DESG unter dem Titel „Was will die Deutsch-Europäische Studiengesellschaft?". 1077 Zu diesem Spektrum zählten v. a. auch der ODS und BHJ (vgl. o. Anm. 1044). Dem „Ostpolitischen Deutschen Studentenverband (ODS)", der im Jahre 1950 unter dem Namen „Verband Heimatvertriebener und Geflüchteter Deutscher Studenten (VHDS)" gegründeten und 1964 dann umbenannten offiziellen Studentenorganisation des „Bundes der Vertriebenen (BdV; Geschäftsführer seit 1953: der ehemalige SS-Obersturmführer beim Höheren SS- und Polizeiführer Wartheland und beim SS-Rasse- und Siedlungshauptamt sowie seit 1969 CDU-MdB, Otto Freiherr von Fircks), gehörten u. a. an: Sven Thomas Frank; das Mitglied des Redaktionskollegiums des „Deutschen Studenten-Anzeiger", später Redakteur des ihn fortsetzenden, von der „Burschenschaftlichen (später: Studentischen') Aktionsgemeinschaft für Publizistik e. V " herausg. „Student" (auf den P. Dehoust seine Anteile am „Deutschen Studenten-Anzeiger" übertragen hatte) und seit 1978 Herausg. des wiederum ihn ablösenden „Deutschen Hochschul-Anzeigers", Hans-Michael Fiedler (ehemals Mitglied des „Arbeitskreises Wiedervereinigung" der „Hochschulgruppe Pommern" und Bundesgeschäftsführer des „Studentenbund Schlesien", 1972 niedersächsischer NPD-Bundestagskandidat und polit. Bildungsreferent der NPD, Herausg. zugleich auch der neonazistischen Vierteljahresschrift „Missus"); und der Hamburger Landesvorsitzende der „Jungen Nationaldemokraten" (1975-1977/78), der dann in Zusammenhang mit der NSDAP/AO Wolf-Dieter Eckarts (bzw. des „Propagandaleiters" der „National Socialist Party of America/NSPA" und ihrer „NSDAP-Auslands- und Aufbauorganisation", Gary Rex Lauck) sowie Michael Kühnens Sammlungs-Tarngruppe des „NSDAP-Gau Hamburg", dem „Freizeitverein Hansa", noch einmal ins Blickfeld geratene Philipp Schönmann. Sein Geschäftsführender Bundesvorsitzender war ab 1976 der bereits seit 1973 der Redaktion des „Deutschen Studenten-Anzeiger" angehörende Vorsitzende des durch seinen Schläger-Auftritt mit der „Wehrsportgruppe Hoffmann" am 4. 12.1976 in Tübingen berüchtigt gewordenen, sowohl dem „Ring Freiheitlicher Studenten (RFS)" wie dem ODS und Cornelia Gerstenmaiers „Gesellschaft für Menschenrechte (GfM)" korporativ angeschlossenen, seine Mitglieder z. T. - wie u. a. die Tübinger Studentenparlaments-Mitglieder Georg Woywod und Thomas Veigel - zur Auffrischung 515
ihrer „militärische(n) Kenntnisse" und Teilnahme am „Abwehrkampf" des südafrikanischen Rassistenregimes „gegen den Kommumsmus" nach Südafrika und Rhodesien entsendenden und für Südafrika Söldner werbenden (zu seinen Ehrenmitgliedern Gerhard Löwenthal zählenden) „Hochschulnngs Tübinger Studenten (HTS)", Axel Heinzmann (zugleich im 1976 von Dehoust initiierten „Hilfskomitee Südliches Afrika" [Sitz Coburg] engagiert). Ab 1 4. 1979 folgte ihm im ODS-Bundesvorsitz der von Fiedler als Leiter des ODS-„Schülerrats" politisch herangepflegte bisherige Bundesvorsitzende des „Unabhängigen Schüler-Bundes (USB)", Christian Heck, während Heinzmann nunmehr in Nachfolge Woywods im ODS-Bundesvorstand als einer seiner „Beisitzer" das „Referat Mitteldeutschland" übernahm. Vgl. m „wer mit wem? Braunzonen.. .", a.a.O., sowie m PDIBericht 1979, a.a.O., und in Rechtsradikale Jugendorganisationen/PDISonderheftg, a.a.O., die jeweiligen Stichwort-Angaben; s. auch die von der W N - B u n d der Antifaschisten Münster-Münsterland und dem AStA der Universität Münster unter der Redaktion von Ulrike Hörster-Philipps herausgegebene „Dokumentation ,Ring Freiheitlicher Studenten'", Münster August 1980 (hektogr.), hier auch zum seit 1951 in Osterreich als Studentenverband der F P Ö existierenden, für Österreichs Wiederanschluß an ein Großdeutsches Reich agitierenden RSF, dessen Bundesvorsitzender 1953 der damalige FPO-Funktionar und spätere Gründer sowie Vorsitzende der österreichischen „Nationaldeijiokratischen Partei" und Südtirol„Befreiungs"terronst D r Norbert Burger war. - Zum „Buijd Heimattreuer Jugend (BHJ)", der Hans-Ulrich Rudel und Herbert Böhme, den Präsidenten des D K E G , zu seinen „Ehrenmitgliedern machte" und unter den ihm anvertrauten Kindern und Jugendlichen eine ausgesprochen sozialdarwimstische Raumeroberungs-Indoktrmition betreibt, s. insbes. Meyer/Rabe, a.a.O.; zur späteren Verflechtung der Westberliner BHJ-Führung mit der „NSDAP/Gau Berlin" s. Herb, a.a.O., S. 30. 1078 Vgl. den Aufruf vom 16.10.1970 zur Gründungskundgebung der „Aktion Widerstand", in dem es u. a. heißt: „Widerstand gegen die selbstmörderische Zerstörung der deutschen Nation und des Lebensrechts unseres Volkes ist das Gebot der Stunde. . . Wir rufen deshalb auf zur großen überparteilichen Kundgebung des deutschen Widerstandes gegen die Politik des Ausverkaufs und der Unterwerfung wie gegen die schleichende marxistische Revolution in unserem öffentlichen Leben" (zit. nach Herb, a.a.O., S. 17). 1079 Vgl. PDI-Bericht 1979, a.a.O., S. 59, 160. Im A W wurde das Andenken insbes. an Konstantin Hierl, Hans Grimm, Rudolf Heß durchweg Männer also, von denen aus es zu Strasser nicht weit war gepflegt. 1080 Zu Tabberts 1970 in Hanau gegründeter NDBB, in der sich v. a. in Westberlin BHJ- und NPD-Mitglieder zu Attentats-Aktivitäten zusammenfanden und die 1972 mit der im Oktober '72 polizeilich aufgelösten „Nationalsozialistischen Kampfgruppe Großdeutschland" zusammenarbeitete, vgl. Herb, a.a.O , S. 19 (zur NSKG S. 18). 1081 S. u.a. Herb, a.a.O., S. 12 1082 Z. B. 1970 - nach einem schon 1969 von W -D Eckart gegründeten, noch im gleichen Jahr verbotenen „Bund Deutscher Nationalsozialisten"
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(vgl. Herb, a.a.O., S.28; PDI-Bericht 1979, a.a.O., S. 135) - „NSDAPMünchen" (Herb, a.a.O., S. 29), 1972 „Nationalsozialistische Kampfgruppe Großdeutschland" (ebd., S. 18), 1973 „Deutsch-Völkische Gemeinschaft" (ebd., S. 31), seit 1974 G. R. Laucks „NSDAP/AO" unter Führung W.-D. Eckarts bzw. auch Paul Ottes (ebd., S.29; PDI-Bericht 1979, a.a.O., S. lOOf.) und „Aktionsfront Nationaler Sozialisten/ANS" (Herb, a.a.O., S. 24; PDI-Bericht 1979, a.a.O., S. 56f.), gleichfalls seit spätestens 1974 „NS-Kampfgruppe Mainz" und „Kampfgruppe Priem" (Herb, a.a.O., S. 30f., bzw. K. Hirsch, a.a.O., S. 227), 1975 „Kampfgruppe Wübbels" bzw. „Schießclub Bocholt" oder „Reichsleitung der NSDAP" (Herb, a.a.O. S. 30), „NSDAP/Gau Berlin" (ebd.), Erwin Schönborns „Kampfbund Deutscher Soldaten" (PDI-Bericht 1979, a.a.O., S. 89, bzw. Herb, a.a.O., S. 19ff.), „Freizeitverein Hansa" bzw. „NSDAP-Gau Hamburg" (Herb, a.a.O., S. 89; PDI-Bericht 1979, a.a.O., S. 75), „Kampfgruppe Freiburg" (Hirsch, a.a.O., S. 227), „Faschistische Front" (ebd.), 1976 „Kampfgruppe Zündel" (ebd., S. 228), 1977 Neubegrüntlung der ANS unter M. Kühnen und „Wehrwolf-Untergrundorganisation" (Herb, a.a.O., S. 27f.; Hirsch, a.a.O., S.228; bzw. PDI-Bericht 1979, a.a.O., S. 56ff.), „Bund Albert Leo Schlageter", „SA-Sturm 8. Mai", „Kampfgruppe Großdeutschland" (für alle: Hirsch, a.a.O., S.229), 1978 „Braune Legion", „Deutschnationale Verteidigungsorganisation", „Territoriale Widerstandsarmet 1 " (Hirsch. ebd ) 1083 Vgl. die im PDI-Bericht 1979, a.a.O., S. 116ff. wiedergeg. Auszüge aus Hoffmanns „Manifest der Bewegung zur Verwirklichung der Rational Pragmatischen Sozial Hierarchie" und dem dazugehörigen Programm, z. B. die Programmpunkte 9, 10, 11: „Das Wahlsystem als Methode, geeignete Führungskräfte für den Regierungsapparat zu finden, wird durch ein Selektionsverfahren nach den Grundsätzen des Leistungsprinzips und des Leistungsnachweises ersetzt" (9). „Die Regierungsgewalt geht von einer in der obersten Führung zusammengefaßten Gruppe a u s . . . " (10). „Die Mitglieder der Regierung sind a n o n y m . . . " (11). 1084 S. PDI-Bericht 1979, a.a.O., S. 139 1085 S. u. a. ebd., S. 65ff. 1086 S. Betrifft: Verfassungsschutz 1982, hrsg. vom Bundesminister des Innern, Bonn 1983, S. 113, 138 (NPD), 141 (DVU). 1087 Dem „Freiheitlichen Rat", der im Januar 1972 von Dr. Frey sowie Erwin Arlt, Alfred E. Manke ( A W ) , Dr. Siegfried Pöhlmann sowie Prof. Berthold Rubin gegründet wurde, gehören außer der „Deutschen Volksunion" an: die „Aktion Oder Neiße" (AKON, seit 1978 umbenannt in „Bund für deutsche Einheit"), der „Deutsche Block (DB)", der „Jugendbund Adler (JBA)", der „Stahlhelm - Kampfbund für Europa", die „Wiking-Jugend" und der „Arbeitskreis Volkstreuer Verbände ( A W ) " ; vgl. PDI-Bericht 1978, a.a.O., S. 88ff.; sowie 1979, a.a.O., S. 73f. Zu den Unterzeichnern eines Aufrufs des „Freiheitlichen Rates" zur Generalamnestie für alle vor 1945 begangenen Delikte gehörten auch W. v. Oven und Bolko Freiherr von Richthofen, sowie der Nazi-Raketenbauer Prof. Hermann Oberth. Vgl. ebd. 1088 S. Herb, a.a.O., S. 20; PDI-Bericht 1978, a.a.O., S. 118; zur BBI auch PDI-Bericht 1979, a.a.O., S. 60 1089 Vgl. u. a. Herb ebd., auch S. 38; desgl. PDI-Benchte 1978 und 1979
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1090 S. Herb, a.a.O., S. 19f. 1091 Ebd., S. 20 1092 Zur polit. Biographie E. Schönborns, im Nazi-Reich Oberfeldmeister des Reicharbeitsdienstes (RAD), s. Herb, a.a.O., S. 20f., sowie PDIBericht 1979, a.a.O., S. 179. Schönborn, offensichtlich eng zusammenhängend mit Himmlers Adjutanten SS-Gen. Karl Wolff - so traten beide z. B. im Juli 1978 auf dem zur dubiosen Farce geratenen, die „Aschaffenburger Gespräche" startenden Kongreß „Hitler heute" (1./2. 7.1978 in Aschaffenburg, mit D. Irving und S. Haffner als Mittelpunkt-Referenten und der Vorführung des Syberbergschen Hitler-Films als zentralem ProgrammBestandteil) in ihnen auffällig exklusiv vorbehaltener Diskutanten-Rolle auf - , hatte nach seinem 1953 an einem Verbot des Westberliner Senats gescheiterten Versuch, den Westberliner Leserkreis von „Nation Europa" in einer (1952 gegründeten) „Arbeitsgemeinschaft Nation Europa" zusammenzufassen, und dem Verbot auch einer 1954 von ihm gegründeten „Deutschen Freiheitspartei" eine Organisation unter dem - einst exakt so im „Generalplan 45" vorgesehenen - Namen „Deutsche Freiheitsbewegung" ins Leben gerufen (die er später der D R P zuführte). 1957 war er Vorstandsmitglied der „Deutschen Gemeinschaft (DG)", später (seit 1977) u. a. „Kooperationsbeauftragter" des Bundesvorstands der „Vereinigung Verfassungstreuer Kräfte ( W K ) " , Initiator des „Neuen Nationalen Europa ( N N E ) " und Vorsitzender der im Herbst 1977 gegründeten „Arbeitsgemeinschaft Nationales Europa ( A N E ) " . S. Herb, a.a.O., sowie die jeweiligen Eintragungen zu Schönborn und zum KDS in den PDI-Berichten 1978 und 1979. 1093 S. Herb, a.a.O., S. 21-36. - Die „Wiking-Jugend" unterhielt unter der Leitung ihres schleswig-holsteinischen „Gauführers", des NPD-Kreisvorsitzenden von Schleswig, Mitglieds des „Stahlhelm - Kampfbund für Europa" und Mitglied zugleich des „Freizeitverein Hansa", Uwe Rohwer, eine paramilitärische „Wehrsportgruppe Theorie und Training", an deren Übungen die Mitglieder der mehrere Raubüberfälle und Überfälle auf Waffenlager verübenden „Werwolf-Untergrundorganisation" der A N S teilnahmen und die sich unter Rohwers Anleitung auf dessen „WikingH o f " in Dörpstedt die Ausbildung von „Kadern" für den Aufbau einer „Werwolf-Untergrund-Armee" zur Aufgabe stellte (Herb ebd., S. 27, sowie PDI-Bericht 1978, S. 143). 1094 S. Herb, a.a.O., S.23f., S.29. 1095 S. ebd., u. a. S. 22, 38; desgl. PDI-Bericht 1979, a.a.O., S. 182f. 1096 Vgl. Herb sowie PDI-Bericht 1979, jeweils ebd. 1097 Im PDI-Bericht 1979, a.a.O., S. 188 ist Walendy als „Verantwortlicher" für den „Verlag für Volkstum und Zeitgeschichtsforschung" bezeichnet; Herb nennt, a.a.O., S. 21, unter Berufung auf „nicht näher belegte Angaben aus Antifaschistische Russel-Reihe 3, NSDAP-Propagandisten unter der Lupe, Reents-Verlag Hamburg 1978, S. 21" E. Schönborn als „Inhaber" des Verlages, der sich zuvor „Bierbaum-Verlag" genannt habe. 1098 S. PDI-Bericht 1979, a.a.O., S.225. 1099 S. ebd., S. 188; die Entführung Herbert Kapplers war finanziell bekanntlich vom „Deutschen Roten Kreuz ( D R K ) " durch die Subventionierung der Reisen Frau Kapplers nach Rom mitunterstützt worden, vgl. 518
u. a. die in der Tagespresse vom 1. 9.1977 erschienene ddp-dpa-Meldung, derzufolge das Präsidium des Deutschen Roten Kreuzes einräumte, „etwa zwei Dutzend Reisen der Frau des ehemaligen SS-Führers Kappler nach Rom mitfinanziert" zu haben. 1100 Vgl. Herb, a.a.O., S. 21. Die mit ihrer blanken Ableugnung der Judenvernichtung - die Schönborn im Herbst 1977 auf ihren provokatorischen Gipfelpunkt trieb, als er seinen „Kampfbund Deutscher Soldaten" in einer Flugblatt- und Annoncenaktion „10000 DM Belohnung . . . für jede einwandfrei nachgewiesene .Vergasung' in einer ,Gaskammer' eines deutschen KZ's" ausschreiben ließ (s. u.a. ebd., S. 22) - gerade unmittelbar Hand in Hand gehende Wiederverkündung des Rassismus als ein politisches Orientierungsmuster für die Gegenwart und seine gezielte Refunktionalisierung sogar v. a. als ein nach innen, ins eigene Land gerichtetes Instrument des ideologischen Stoßes gegen den Parteienstaat und alle demokratischen Kräfte in der Bevölkerung läßt sich am knappesten wohl durch die Wiedergabe der folgenden, bei Herb (S. 22) angeführten Zitate veranschaulichen: Roeder im Oktober 1976 im „41. Roederbnef": „Da die Gene der Schwarzen im Verhältnis 4 : 1 stärker sind als die der Weißen, die Intelligenz aber im selben Verhältnis geringer ist, bedeutet die Rassenvermischung praktisch die Auslöschung der Weißen. Wer also Rassenvermischung propagiert, betreibt nichts anderes als Völkermord. . . Man spricht von Integration, Rassen- und Chancengleichheit, . . . meint aber die Vernichtung der Elite." Christophersen: „Rassengesetze sind Naturgesetze... Die Menschen sind verschieden... Auch das Führerprinzip und eine Rangordnung ist ein Gesetz der Natur. Demokratie - Volksherrschaft ist U n s i n n . . . Ein Volk muß geführt w e r d e n . . . " Die Demokratie, eben da so naturwidrig, sei deshalb „die grauenvollste, blutrünstigste Tyrannenherrschaft" und „mit Stumpf und Stiel sowie Rache und Vergeltung" auszurotten (so Christophersens „Bauernschaft" im Jahre 1974). Und Roeder wiederum: „Wer Deutscher ist, kann kein Demokrat sein, und wer Demokrat ist, kann kein echter Deutscher sein." - Zu den der Propagierung der „Wiederherstellung eines freien unbesetzten Reiches" geltenden „Reichstagen" von Roeders DBI und Christophersens BBI s. ebd., S. 22f. 1101 So z . B . im November 1973 in Mannheim auf einer polnischen Ausstellung über das KZ Auschwitz, im April 1974 gemeinsam mit Christophersen auf der gleichen Ausstellung in Westberlin, am 20. 1. 1975 anläßlich des Jahrestages der „Wannsee-Konferenz" - gemeinsam mit Schönborn vor der Frankfurter Wohnung des einstigen Mitanklägers in den Nürnberger Kriegsverbrecher-Prozessen Dr. Robert Kempner, usw. (vgl. Herb, a.a.O., S. 22). 1102 Der „Deutsche Anzeiger - Freiheitliche Wochenzeitung", der von Freys Verlag herausgebracht wird, ist in der Regel nur auf der Titelseite und weiteren drei Innenseiten von der „Deutschen Nationalzeitung" verschieden. (Vgl. u.a. Heiner Lichtenstein, Rechtsextremistische Publizistik. Ein Überblick, in: Wolfgang Benz, Rechtsradikalismus. Randerscheinung oder Renaissance?, Frankfurt/M. 1980, S. 171). 1103 Herb jedenfalls unterscheidet nicht ganz zu Unrecht in seiner Darstellung, a.a.O., S. 19ff., eine solche „Roeder-Christophersen-SchönbornGruppe" von den sonstigen „neonazistischen Gruppen". - Zur inhaltlichen
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Übereinstimmung der Agitationsrichtung der Gruppen um Schönborn, Roeder und Christophersen mit der von Freys D V U zum Thema Judenmorde gesteuerten Linie vgl. u. a. PDI-Bericht 1979, S. 78, 142; Betrifft Verfassungsschutz 1982, a.a.O., S. 241. U m nicht den irreführenden Eindruck aufkommen zu lassen, die Tendenz zur Ableugnung der Judenvernichtung sei auf die Roeder-Christophersen-Gruppe und das DVU-Lager begrenzt, sei hier auch noch auf nur beispielsweise das Einstimmen der „Klüter-Blätter" in die Auschwitz-Leugnung (s. PDI-Bericht 1979, a.a.O., S. 145), das Buch ihres Hauptschriftleiters Heinrich Härtle „Was Holocaust verschweigt" und auf die im PDI-Bericht 1979, a.a.O., S. 87f. wiedergeg. Auschwitz-„Stellungnahmen" aus Organen der „Jungen Nationaldemokraten" verwiesen. Organisierten Ausdruck fand die Leugnung der Judenvernichtung, von Schönborns Bemühungen um die Abhaltung von „Auschwitz-Kongressen" abgesehen, in der 1979 von Edgar Geiss, der später wegen seines Hitler-Grußes am Kappler-Grab vielfach in der Presse zu sehen war, in engstem Zusammenhang mit Manfred Roeder gegründeten „Deutschen Bürgerinitiative gegen Kriegsschuld und Vergasungslüge" (die für ihre Korrespondenz das Kopfpapier von Roeders D B I benutzte - s. hierzu PDI-Bericht 1979, S. 143, dazu Herb, a.a.O., S. 27). 1104 Zu dieser westeuropäischen Verwicklung sei hier beispielhaft nur etwa auf Schönborns Rolle als Vorsitzender der „Aktionsgemeinschaft Nationales Europa ( A N E ) " verwiesen, die am 1. 10. 1977 von Schönborns KDS, der „Soldatenkameradschaft Hans-Ulrich Rudel", der „Vereinigung Verfassungstreuer Kräfte" und Vertretern der N P D gegründet wurde, Beziehungen zur „Deutsch-Arabischen Gemeinschaft", zum „British Movement", zu den französischen „Groupes Nationalistes-Revolutionaires", zur belgisch-wallonischen „Rex National" und zum belgisch-flämischen „Vlaamse Militante Orden" sowie zum schon zuvor im April 1977 auf dem „Europa-Kongreß" der „Vereinigung Verfassungstreuer Kräfte" von Schönborn initiierten und unter dem Vorsitz des Franzosen Marcel Iffrig (Elsaß) faktisch geleiteten „Neuen Nationalen Europa ( N N E ) " sowie auch zur Wiking-Jugend und zur ANS unterhält, zu den Europawahlen den „Führerstellvertreter" Rudolf Heß, zwecks Erzwingung seiner Freilassung, als ihren Kandidaten aufstellte, später dann zu ihrer Spitzenkandidatin die im Düsseldorfer Majdanek-Prozeß angeklagte KZ-Aufseherin Hildegard Lächert nominierte, bei den Europawahlen außer vom K D S und der W K (der sich 1978 auch Tabberts „Nationale Europäische Befreiungsbewegung" anschloß, s. Herb, a.a.O., S . 2 4 ) auch von Kühnens ANS, der „Deutsch-Völkischen Gemeinschaft", der „Nationairevolutionären Deutschen Arbeiterjugend ( N R D A J ) " , der „Bürgerinitiative für Volksaufklärung (BIV)" und der „Bürgerinitiative für die Todesstrafe" offiziell unterstützt wurde, eine Aktion „Freiheit für Michael Kühnen" mit Unterstützung des „Vlaamse Militante Orden" und von „Rex National" organisierte und deren Pressereferent Ralf Platzdasch zugleich der Geschäftsführer der „Vereinigung Verfassungstreuer Kräfte" ist und gemeinsam mit E. Schönborn in Frankfurt-Bornheim den als Neonazi-Treff dienenden Buchladen „Volk und Kosmos" betreibt; vgl. Herb, a.a.O., S. 21, sowie PDI-Bericht 1979, a.a.O. - Zu den umfangreichen weiteren Auslandskontakten v. a. auch Roeders und Christophersens (des letzteren insbes. zur „Nationalso-
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zialistischen Jugend Dänemarks"), unter denen derjenige zu Amaudruz, dem Chef der „Europäischen Neuordnung (ENO)" in der Schweiz von besonderem Interesse sein dürfte, s. Herb, a.a.O., S. 24, 28; insgesamt aber und hier noch einmal u. a. speziell zu Christophersens engsten Beziehungen zur amerikanischen „NS-White-Power-Party (NSWPP)" und zu der von ihrem Führer Matt Koehl zugleich geleiteten „World Union of National Socialists (WUNS)" vor allem Gert Heidenreich, Die organisierte Verwirrung. Nationale und internationale Verbindungen im rechtsextremistischen Spektrum, in: Wolfgang Benz, Rechtsradikalismus, a.a.O., S. 145ff. 1105 Eines der bemerkenswertesten Überschneidungsgremien solcher Art dürfte die im Jahre 1960 von Kurt Vowinkel, Kurt Ziesel, Herbert Böhme, dem einstigen persönlichen Referenten Ribbentrops Dr. Peter Kleist und Dr. Gert Sudholt gegründete „Gesellschaft für freie Publizistik (GfP)" sein, deren Vorsitz seit 1973 Sudholt innehat und deren stellvertretende Vorsitzende die Tochter des „Volk-ohne-Raum"-Dichters Hans Grimm, Dr. Holle Grimm, Veranstalterin der „Lippoldsberger Dichtertage", und Reinhard Pozorny, einstiger NS-Gauleiter von Reichenbach sowie Pilsener Stadtdirektor und seit 1945 Berufs-Sudetendeutscher im „Wiking-Bund", dann Mitarbeiter von „Nation Europa" und seit 1974 stellvertretender DKEG-Präsident, Träger sowohl des „Ehrenringes" des DKEG wie auch der „Hutten-Medaille" eben jener „Gesellschaft für freie Publizistik", sind (s. zu allem PDI-Bencht 1979, S. 77, 169, sowie Meyer/Raabe, a.a.O., S. 22), deren Schriftführer A. E. Manke, der Vorsitzende des A W und Mitinitiator der „Aktion Widerstand", ist und der auch Christophersen als Mitglied angehört (s. Herb, a.a.O., S. 20). - Uber Chnstophersen und die gleichfalls im Rahmen der „Gesellschaft für freie Publizistik" sich betätigenden NPD-Mitglieder Udo Walendy (s. PDI-Bencht 1979, S. 188), Wilhelm Stäglich (s. ebd., S. 182) und den Mannheimer Oberstudienrat Günter Decken, langjähriger baden-württembergischer JN-Landesvorsitzender, NPD-Bundesvorstandsmitglied und Gründer der „Arbeitsgemeinschaft Nationaldemokratischer Lehrer" (ebd., S. 132), ist zugleich eine unmittelbare personelle Verknüpfung mit den vom Bochumer BergbauIngenieur Martin Voigt als ihrem Sprecher repräsentierten, ihrerseits mit Roeders DBI zusammenarbeitenden „Unabhängigen Freundeskreisen" gegeben (vgl. ebd., S. 187 bzw. 172), die die „Unabhängigen Nachrichten (UN)" herausbringen, sich zur Aufgabe gesetzt haben, „Gruppen politischer und volksbewußter Deutscher zusammen(zu)halten und zusammen(zu)fügen" (s. Was wir wollen. Grundsätze zur Arbeit der Unabhängigen Freundeskreise, Ummeln/Westf. am 14.6. 1970, Abschnitt II, Abs. 2 und 1) und über deren Zusammenhang mit der NSDAP/AO, den „Bürgerinitiativen" Roeders und Christophersens und den „NS-Kampfgruppen" es eine instruktive, bei Meyer/Raabe, a.a.O., S. 260-264 abgedruckte Auslassung der NSDAP/AO in deren Organ „NS-Kampfruf" Nr. 27 und 28/1978 gibt! Die Propaganda-Arbeit aber erfolgt nun allerdings, wie die „Politischen Leitlinien" der „Unabhängigen Freundeskreise" ausweisen (vgl. „Was wir wollen", a.a.O., Abschnittl), vom Boden einer ausgesprochen „nationalneutralistischen", ganz und gar gegen Ost und West paritätisch gerichteten Argumentationslinie nach dem Muster der „Neuen Rechten" aus ( z . B . : „nur mit der Einheit und Unabhängigkeit Deutschlands kann die Fesselung
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unseres Volkes an die ungerechten, unsozialen und unfreien Gesellschaftsordnungen beider Seiten gelöst werden. Im Prinzip ist es vollkommen gleich, ob diese Fesseln westlicher, großkapitalistischer oder östlicher, staatskapitalistischer Art sind" - so in Punkt 3 der Leitlinien. „Nur ein gesundes Nationalbewußtsein wird in der Zukunft die Völker vor der Vermassung und damit vor Beherrschung und Unterdrückung bewahren" so in Punkt 2. „Die gesellschaftspolitischen Reformen müssen.. . auf die Eigenart des deutschen Volkes ausgerichtet sein. Die Übernahme dogmatischer sozialistischer oder kapitalistischer Normen und Modelle muß abgelehnt werden. Der nackte Materialismus, der sich im westlichen Kapitalismus und im östlichen Marxismus offenbart, gebiert zwangsweise undemokratische Machtzentren.. . Wir suchen Wege . . . zum Miteinander und nicht Gegeneinander aller Schichten und S t ä n d e . . . Wir fordern eine klare deutsche Interessenvertretung unter Uberwindung des Gezänks der Nutznießer der deutschen Spaltung" - so in den Punkten 3-5, (usw.). Und die sowohl über Christophersen wie über Stäglich und Deckert mit der „Gesellschaft für freie Publizistik" wie auch via Deckert, Stäglich und so auch Walendy mit der NPD kooperativ verbundenen „Unabhängigen Freundeskreise" unterhalten ihrerseits wieder über ihr Mitglied Friedhelm Kathagen einen weiteren Kreis nebst eigenem Verlag, den „Deutschen Arbeitskreis Witten", der sich später den Verlagsnamen „Naturpolitischer Verlag Witten F. Kathagen" zulegte (in dem nun etwa der einstige Ministerialrat im Reichspropagandafninistenum Friedrich Christian Prinz zu Schaumburg-Lippe sein Buch „Damals fing alles an" veröffentlichte; Marie Adelheid Prinzessin Reuß-zur Lippe hingegen ihr Buch „Freundesgruß" in Christophersens „Kritik"-Verlag) - vgl. PDI-Bencht 1979, a.a.O., S. 219, 216, Heidenreich, a.a.O., S. 163; sowohl dieser „Naturpolitische Verlag" wie auch die „Unabhängigen Nachrichten" stiegen aber zugleich in die Ökologie- und „Lebensschutz"-Thematik wie auch in die Thematik der Friedensbewegung em, die „Unabhängigen Nachrichten" übrigens auch von Anbeginn an in die mögliche Themenwelt einer offenbar erwünschten „Steuerzahler-Bewegung", während ihr Sprecher Martin Voigt aber wiederum zugleich auch den Vorsitz der 1979 gegründeten „Deutschen Rechtsschutzkasse (DRsK)" übernahm, einer sich als „gemeinnützige Vereinigung zur Abwehr politischer Justiz" bezeichnenden Einrichtung zur Unterstützung von Autoren indizierter NS-Schriften (s. Heidenreich, a.a.O., S. 147). - Seit Voigt im Jahre 1977 zur Unterlassung der Behauptung verurteilt worden war, das Tagebuch der Anne Frank sei eine Fälschung, und 1978 eine weitere Verurteilung folgte, ist sein Name aus dem Impressum der „Unabhängigen Nachrichten" zugunsten wechselnder Verantwortlichkeitsvermerke zurückgezogen. Angesichts solch tatsächlicher vielfältiger wechselseitiger Verknotungen, die alle „Lager"-Einteilungen in den Rang zweifelhafter Fiktionen zurückstufen, sei hier auf die theonerelevante Formel Gert Heidenreichs vom „Prinzip der organisierten Verwirrung nach außen und der ideologischen Gemeinsamkeit nach innen" sowie deren Erläuterung (in: Benz, a.a.O., S. 157f.) verwiesen. 1106 S. Herb, a.a.O., S. 32. 1107 S. Herb, a.a.O., S.27. Rohwer, auch „Gauführer" der Wiking-
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Jugend im „Gau Nordmark", wurde wegen eines Überfalles auf eine Sparkasse 1977 und dann 1978 auf ein Waffen-Depot - die beide, nach eigener Angabe, der gewaltsamen Befreiung von Rudolf Heß dienen sollten - im Dezember 1978 als Anführer einer terroristischen Vereinigung angeklagt (s. Herb, a.a.O., und PDI-Bencht 1978, S. 143). 1108 Vgl. Herb, a.a.O., S. 12, sowie Bartsch, a.a.O., S. 145ff. 1109 S. Herb, a.a.O., S. 12, desgl. Bartsch, a.a.O., S. 147ff. 1110 Gemeint ist das hier häufig genannte Buch von Günter Bartsch. Seine unmittelbare eigene politische Zugehörigkeit zur „Neuen Rechten" hat Bartsch durch seine diesem Buch folgenden weiteren Veröffentlichungen selbst hinreichend klargestellt. S. sein 1977 im „nationalrevolutionären" (1976 vom einstigen Vertriebsleiter und Redaktionsmitglied des „Student", Günter Stammes, gegründeten) „smus-Verlag" (Krefeld) herausgekommenes Buch „Wende in Osteuropa? Revolution und Gegenrevolution seit 1948", seine 1977 im nicht weniger auf die Themen „Revolutionierung" Osteuropas und „Dritter Weg" spezialisierten „Achberger Verlag" (Achberg), dem Verlag des „Achberger Kreises", erschienene Schrift „Vom Kronstadt- zum Achbergerlebnis. Die Assoziation der Einzelnen", das unter das Thema „Günter Bartsch zur Diskussion" gestellte Heft 3/1978 des „Jungen Forum" („Verlag Deutsch-Europäischer Studien"), dessen drei Bartsch-Beiträge die Titel tragen: „Der Untergang des Systemkommunismus. Zur osteuropäischen Revolution", „Ökologie, soziale Frage und Nationalismus. Die Troika der osteuropäischen Revolution" und „Phönixgeneration und nationale Renaissance. Günter Bartsch bespricht Wolfgang Strauss' neues Buch" (nämlich dessen „Nation oder Klasse? 60 Jahre Kampf gegen die Oktoberrevolution. Geschichte des Widerstands in der UdSSR", erschienen 1978, wie im gleichen Jahre auch Eichbergs „Nationale Identität", bei Langen Müller in München - eine Rezension, in der wir Bartsch in einer gleichsam „revolutionierungs"technischen „Fachdiskussion" mit Strauss über die Frage begriffen finden, wie man diesen Koloß Sowjetunion denn nun aber am besten zum Auseinanderfallen bringe, ob dazu, wie Bartsch gegen Strauss einwendet, der „nationale" Hebel der einzige sich anbietende oder nicht womöglich der „völkische" und „autonomistische" der zu empfehlendere, doch auch manch anderer, von Bartsch dort in Vorschlag gebrachte, bislang zu wenig beachtet worden sei), neuerdings nun aber auch seinen in der „nationalrevolutionären" Zeitschrift „wir selbst" (Dez./Jan. 1983/84, S. 24ff.) erschienenen Art. „Planetansmus und Ethnopluralismus - ein Polpaar? Zum Verhältnis von Anarchismus und Nationalrevolutionären", in dem er sich als ein um die Integrationskraft der „Nationalrevolutionäre" besorgter Autor zeigt - wie schon seinerzeit in „Revolution von rechts" im Kap. „Die Studentenbewegung - Neue Linke und Neue Rechte", S. 122ff., das sich wie ein integrationsstrategischer Ratschlags-Katalog an die „Nationalrevolutionäre" liest, geleitet von den Fragen „Wie kam es, daß trotz dieser fundamentalen Gemeinsamkeiten jede Aktionseinheit ausblieb? Wie war es möglich, daß die Linke an die Spitze einer im Ansatz rechten Bewegung trat?" und angereichert mit der auf die politisch „dritte" Qualität Kurs haltenden Generaldevise: „Neue Linke und Neue Rechte entstanden von vornherein als die beiden Pole der neuen Jugendbewegung." - ebd. S. 127). - Als eine weitere „nationalrevolutio523
näre" Geschichts-Selbstdarstellung sei hier genannt: Karl-Heinz Pröhuber, Die Nationalrevolutionäre Bewegung in Westdeutschland, Hamburg 1980 (Verlag Deutsch-Europäischer Studien). 1111 So bei Herb, a.a.O., S. 10ff.; des weiteren u . a . bei Heinz Werner Höffken/Martin Sattler, Rechtsextremismus in der Bundesrepublik. Die ,Alte', die ,Neue' Rechte und der Neonazismus, Opladen 1980; desgl. in Paul Lersch (Hrsg.), Die verkannte Gefahr. Rechtsradikalismus in der Bundesrepublik, Hamburg 1981; Ino Arndt, Zur Chronologie des Rechtsradikalismus. Daten und Zahlen 1946-1980, in: Wolfgang Benz, a.a.O., S. 239-261. - Vgl. auch G. Biemann, Neonazis - endlich auf dem absteigenden Ast? Eine Untersuchung über aktuelle Veränderungen in der NeonaziSzene, in: DVZ/die tat v. 27. 1.1984, S. 20. 1112 S. K.Hirsch, a.a.O., S.225. - Vgl. auch die Eintragung einer am 8.10.1950 in Trier gegründeten und nur dort kandidierenden D A P bei Schmoller/Stöss, a.a.O., S. 60. 1113 S. PDI-Bericht 1979, a.a.O., S. 126, desgl. Herb, a.a.O., S. 16; bei Hirsch, a.a.O., S.225; zur PdA und VSBD s. „Die Volkssozialistische Bewegung Deutschlands", PDI-Sonderh. 17, München 1981. 1114 Vgl. Herb, a.a.O., S. 15f.; PDI-Bericht 1979, a.a.O., S. 152, 107. 1115 S. Herb, a.a.O., S. 15. 1116 S. PDI-Bericht 1979, a.a.O., S. 126. 1117 Vgl. etwa die ebd. wiedergeg. Veranstaltungsankündigung einer „Initiative l . M a i " , die die beiden Parteivorsitzenden Erhard Kliese und Friedhelm Busse als Redner annonciert. 1118 S. Ulrich Chaussy, „Speerspitze der neuen Bewegung". Wie Jugendliche zu Neonazis werden. Ein Bericht über die J u n g e Front', in: Wolfgang Benz, a.a.O., S. 184ff. 1119 S. Bartsch, a.a.O., S. 147. Bartsch nennt als weitere beitretende Gruppierungen auch den „Nationalpolitischen Arbeitskreis (NPA)" und die „Aktion Junge Rechte (AJR)". 1120 S. PDI-Bericht 1979, a.a.O., S. 126 1121 1975 (nach dem Auseinanderfall der A N R 1974) gemeinsam mit Kosbab Mitglied der „ständigen politischen Kommission" des von Jochheim-Armin und der „Aktion Deutscher Sozialismus" aus der Taufe gehobenen, mit Faschistengruppen Frankreichs, Italiens, der Schweiz und Österreichs in Kontakt stehenden „Nationalen Forums der volkssozialistischen Bewegung Deutschlands" (s. Herb, a.a.O., S. 16, sowie - zu Jochheim-Armins Gründerschaft - PDI-Bericht 1979, a.a.O., S. 150) und Gründer nunmehr der „Volkssozialistischen Bewegung Deutschlands/Partei der Arbeit (VSBD/PdA)" (vgl. PDI-Bericht 1979, a.a.O., S. 126, 106 [dort das Gründungsjahr der PdA, 1971, als Gründungsjahr der Gesamtpartei angegeben; Konstitution der PdA als VSBD/PdA am 1.3. 1975; s. das von ihrem „Zentralbüro" herausgebrachte Programm]), die mit einem ganz der von den Ideologen der „Neuen Rechten" in der A N R verfolgten Linie entsprechenden, nur auf anspruchslose Bedürfnisse zugeschnittenen Programm gegen „die lebensbedrohende Fehlentwicklung der Gesellschaften im Osten wie im Westen", den „menschheitsfeindlichen Marxismus und Liberalismus" zur „Überwindung des künstlich gehaltenen Status quo" und „Neuvereinigung" Deutschlands und Europas, für „Volkssozialismus gegen Kapitalismus und Kommunismus" unter einem dem NSDAP-Abzei524
chen nachgebildeten Adler-Emblem antrat (vgl. Programm für Volkssozialismus gegen Kapitalismus und Kommunismus, hrsg. vom Zentralbüro der Volkssozialistischeri Bewegung Deutschlands [VSBD], München), mit ihren ausgesprochen schlägerhaft auftretenden „volkssozialistischen" Jugendlichen von der „Jungen Front" vor allem gegen Ende der siebziger Jahre der Weltpresse manche Bild-Zeugnisse der „neuen Militanz" lieferte (vgl. z. B. „Der Spiegel", Nr. 3/1981, S. 84f., dort auch Angaben über die Frankfurter Buchhandlung „Volk und Kosmos" und die in die VSBD zumeist wegen Verbots ihrer eigenen Organisationen - übergetretenen Mitglieder anderer „Kampfgruppen"; zum nazistischen Bewußtsein dieser Jugendlichen s. Ulrich Chaussy in Benz, a.a.O., S. 189ff.) und offen mit Schönborns „Kampfbund Deutscher Soldaten" zusammenarbeitete (vgl. Herb, a.a.O., S. 16; PDI-Bericht 1979, a.a.O., S. 106; lt. Herb, a.a.O., arbeitete wiederum Kosbab 1974/75 an der vom „Kampfbund Deutscher Soldaten" herausgeg. Zeitschrift „Deutsche Freiheit" mit); ab März 1978 dann als Führer der V S B D gemeinsam mit Kosbab in dessen Eigenschaft als Führer der von ihm gegründeten „Volkssozialistischen Deutschen Partei (VSDP)" (vgl. u.a. PDI-Bericht 1979, a.a.O., S. 107) sowie JochheimArmin als SNKD-Anführer und dem österreichischen „Volkssozialisten"Chef Oberst a. D. Alfred Warton Mitglied des „Zentral-Büros" der „Volkssozialistischen Einheitsfront (VSE)"; nach der Ermordung von zwei Schweizer Zollbeamten durch den beim Waffen- und Munitionsschmuggel über den Rhein ertappten „Volkssozialisten" Frank Schubert sowie weiteren, nun allmählich auch den Justizbehörden auffallenden fortwährenden Verwicklungen von Busses „Volkssozialisten" in Gewalttaten schließlich Verfahrenseinleitung gegen sie und am 27. 1. 1982 Verbot der VSBD/PdA. 1122 Busse, obgleich Organisator einer der beiden von Bartsch selbst so bezeichneten „realen" Landesverbände und dann der Verantwortliche für das Referat „Strategie" im Bundesvorstand, findet im Buch von Bartsch trotz ausführlicher Behandlung der A N R nur ein einziges Mal, a.a.O., S. 150, Erwähnung, in dem an die Mitteilung von Stöckichts Rücktritt angefügten Satz: „Mit ihm schied auch Busse aus der ANR-Führung". 1123 Vgl. u.a. Herb, a.a.O., S. 12 1124 S. PDI-Bericht 1979, a.a.O., S. 162 1125 Vgl. „Die Thesenpapiere der Jungen Nationaldemokraten", hrsg. vom Bundesvorstand der Jungen Nationaldemokraten, o. O . , o. J . , enthaltend die „24 Thesen zum Nationalismus" (beschlossen vom 5. o. J N Bundeskongreß in Mannheim), die „20 Thesen für ein Nationalistisches Europa" (beschlossen vom 6. o. JN-Bundeskongreß 1977 in Osnabrück), die „20Thesen zum Sozialismus" (beschlossen vom 8. o. JN-Bundeskongreß 1979 in Weinheim), sowie die „12 Thesen zur Ökologie (Ökologisches Manifest)", letztere dort ohne Angabe eines Beschlußdatums. - Vgl. insbes. auch Mußgnugs auf dem Germersheimer Parteitag 1982 gehaltene Rede unter dem Titel „Deutschlands Wiedergeburt" sowie die vom Parteitag verabschiedeten „Nationaldemokratischen Leitsätze 84"; dazu G. Biemann in „die tat" v. 9. 7. 1982 („NPD orientiert auf Massendurchbruch bei der Jugend. Anknüpfung an Tendenzen in der Friedensbewegung"). 1126 S. Bartsch, a.a.O., S. 145 1127 S. Herb, a.a.O., S. 11 1128 So jedenfalls gibt Bartsch, in indirekter Rede, diesen Ruf, a.a.O.,
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S. 145, wieder. 1129 Zit. nach U . Chaussy, Speerspitze der neuen Bewegung, a.a.O., S. 188 1130 S. Bartsch, a.a.O., S. 169f. 1131 Herb, a.a.O., S. 13, unter Bezugnahme auf eine Erklärung des damaligen parlamentar. Staatssekretärs Baum, die Ortsangabe Epprechtstein bei Bartsch, a.a.O., S. 148 1132 S. Herb, a.a.O., S. 24 1133 Daß es sich um eine solche gezielte Konzentration handelte, bestätigt Bartsch, a.a.O., S. 147: „Um ein Gegengewicht zu schaffen (gegen Pöhlmann, R. O . ) , rief die Denkgemeinschaft ihre Anhänger und die nationalrevolutionären Basisgruppen zum Eintritt in die A N R auf." 1134 S. ebd., S. 146 1135 S. ebd. 1136 S. ebd. 1137 S. ebd. 1138 Ebd., S. 147 1139 Ebd., S. 151 ff. 1140 Ebd., S. 152f„ auch Herb, a.a.O., S. 13f. 1141 Vgl. Bartsch, a.a.O., S. 161: „Als die A N R im März 1974 auseinanderfiel, setzte sich die Denkgemeinschaft sogleich mit den praxiserfahrenen Kräften aus ihrem Notvorstand zusammen, um die nächste Phase einzuleiten." 1142 S. Bartsch, a.a.O., S. 161f. 1143 S. ebd. 1144 S. ebd., vgl. auch S. 53 1145 Vgl. die Darstellung dieser Auseinandersetzung bei Bartsch, a.a.O., S.163-176 1146 S. ebd., S. 131 1147 S. ebd., S. 88f. 1148 S. ebd., S. 168f., auch S. 70 1149 Vgl. zu letzterem die in H . 3/1978 des „Jungen Forum", S. 27, erschienene Meldung unter der Uberschrift „Neues von der nationalrevolutionären Publizistik". 1150 S. Bartsch, a.a.O., S. 166, zur „Solidaristischen Volksbewegung" S. 171 ff. (sowie S. 163f.), zur „Sache des Volkes" S. 165ff. 1151 S. ebd., S. 164 1152 S. ebd., S. 179 1153 Vgl. Aufbruch 2/1983, S. 29 1154 S. Solidaristisches Manifest und Grundsatzprogramm, hrsg. vom Bund Deutscher Solidaristen (BDS), Aschaffenburg, Mai 1980; Sache des Volkes - Nationalrevolutionäre Aufbauorganisation, Vorwärts im nationalrevolutionären Befreiungskampf für die Neuschaffung Deutschlands! Unser Programm für Deutschland, abgedruckt in: Jan Peters (Hrsg.), Nationaler „Sozialismus" von rechts, a.a.O., S. 254ff.; Nationalrevolutionäre Plattform, hrsg. vom Nationalrevolutionären Koordinationsausschuß, NR-Koordinationsbüro c/o Armin Krebs, Menden. 1155 A. Möhler, Die konservative Revolution in Deutschland 1918-1932. Grundriß ihrer Weltanschauungen, Stuttgart 1950 1156 Vgl. die Personalangaben zu Möhler in: Die Herausforderung der Konservativen. Absage an Illusionen, hrsg. von Gerd-Klaus Kaltenbrunner, München 1974 (Herderbücherei Initiative 3), S. 190; insbes. aber des weiteren in: Die Deutschlandstiftung - rechte Apo von Dregger und Strauß? unter Mitarbeit von Hella Schlumberger mit einem Vorwort von Prof. Walter Jens, Schriftenreihe des Pressedienstes Demokratische Initiative, Heft20, Wuppertal o. J . , S. 103, sowie in: Graubuch. Expansionspoli-
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tik und Neonazismus in Westdeutschland, 2. Aufl. Berlin/DDR 1967, S. 293-295. Die Angabe zum Ziel seines illegalen Grenzübertritts - der SS beizutreten - in: Die Deutschland-Stiftung. .., a.a.O. Das „MunzingerArchiv/Intern. Biograph. Archiv", 1. 3.1980 - Lieferung 9/80 - K - 10260' formuliert: „ . . . ging unter dem Eindruck des Rußlandkrieges ,schwarz' als Kriegsfreiwilliger nach Deutschland." Möhler bewarb sich „als Flüchtling" mit Empfehlung des SS-Hauptamts Berlin und des SA-Oberführers, NaziLyrikers und Stuttgarter Staatstheater-Chefdramaturgen Gerhard Schumann um ein Studium an der Berliner Universität mit der Begründung, dort sein Fach Kunstwissenschaft „nach völkischen Gesichtspunkten" studieren zu können (s. Graubuch, a.a.O.).
In den fünfziger und sechziger Jahren war Möhler ständiger Mitarbeiter u. a. von „Christ und Welt", „Welt" und „Welt am Sonntag" (für die beiden letzteren ab 1965 Kolumnist) und (unter dem Pseudonym „Michael Hintermwald") der „Deutschen National-Zeitung" sowie (unter dem Pseudonym „Nepomuk Vogel") des „Bayern-Kurier". Er erhielt 1967 in Anwesenheit Konrad Adenauers den in diesem Jahre erstmals vergegebenen „Adenauer-Preis" der „Deutschlandstiftung" (deren Anreger Kurt Ziesel war) für Publizistik und ist seit 1969 auch regelmäßiger Mitarbeiter des „Deutschlandmagazins" (s. Die Deutschlandstiftung, a.a.O.). Zeitweilig Dozent für Politikwissenschaft an der Universität Innsbruck. 1157 Vgl. Bartsch, a.a.O., S. 75ff., sowie criticón Nr. 54 (Juli/Aug. 1979), S. 178 1158 S. criticón Nr. 54, a.a.O. - Der 1976 gegründete Verlag bringt außer den Publikationsorganen der G.R.E.C.E. die Buchreihen „Théoriques" und „Factuelles" (die auf „die Publikation der Ergebnisse der modernen Biologie spezialisiert" ist und z. B. Hans Eysencks Buch über die „Ungleichheit der Menschen" in franz. Übers, auf den Markt brachte) sowie die Reihe „L'Or du Rhin" heraus, deren Untersuchungen „sich auf Deutschland beziehen und von der Konservativen Revolution . . . bis zum nordischen Altertum reichen", unter ihnen Möhlers Buch über die deutsche konservative Revolution in einer Ubersetzung von Henri Plard (ebd.) und ein Band von Pierre Chassard über Nietzsche (ebd.); des weiteren die Reihe „Réalisme Fantastique", m der Themen der „Vor- und Frühgeschichte" im bewußt abenteuerhaft-populär gehaltenen Stil von „Rätseln der Vergangenheit" (die „Atlantis"-Theorien von Jürgen Spanuth, Jacques de Mahieus „Arbeiten" über „die Wikinger in Südamerika" u. a.) verbreitet werden, die Reihe „Maitres à penser", in der das Buch des italienischen Faschisten Giulio Evola „Die Revolte gegen die moderne Welt" erschien, sowie eine „militärischen Fragen" gewidmete Reihe. Geplant war im Jahre 1978 noch eine weitere Reihe unter dem Namen „Cartouche", für die Titel wie Jean Cau, Discours de la décadence, oder Robert Poulet, J'accuse la bourgeoisie, angekündigt waren (vgl. zu den letzteren Angaben „Junges Forum" 5-6/ 1977, datiert Frühjahr 1978, S. 31). - Neuerdings hat die G.R.E.C.E. auch einen Buchklub unter dem Namen „Livre-Club du Labyrinthe" ins Leben gerufen, vgl. „neue zeit" 5/1983, S. 19. 527
1159 Vgl. Möhlers Besprechung von de Benoists „Vue de droite" in criticón Nr. 41 (Mai/Juni 1977), S. 110. - Für dieses Buch erhielt de Benoist 1978 den Grand Prix de l'Essai der Académie Française (vgl. criticón N r . 60/61 V. Juli/Okt. 1980, S. 199). 1160 Zum Vorbildcharakter der G . R . E . C . E . für die „Denkgemeinschaft" vgl. das Zeugnis von Bartsch, a.a.O., S. 75f. Als Beispiel für eine andere westeuropäische Analogie zu ihr nennt er die „Studiengesellschaft" der aus der faschistischen „Neuschwedischen Bewegung" hervorgegangenen schwedischen „Freien Linken" unter Lars-Erik Korse. Man wird wohl kaum fehlgehen, wenn man hier auch das in der Bundesrepublik von A. E. Manke, dem tief in die „nationaleuropäische" Arbeit eingebundenen A W Vorsitzenden, als dessen „stellvertretendem Sprecher" repräsentierte österreichische „Nationale Ideologie-Zentrum (NIZ)" erwähnt (vgl. zu ihm etwa PDI-Bericht 1979, a.a.O., S. 160, 201, in PDI-Bericht 1978 auch S. 65). 1161 S. Möhler, Wir feinen Konservativen. Was lehrt uns die französische „Neue Rechte"?, in criticón Nr. 54 (Juli/August 1979), S. 171; zu Louis Pauwels wird hier von Möhler lobend angemerkt, daß er „schon einmal eine höchst erfolgreiche Zeitschrift, die dem Geheimwissen gewidmete Revue .Planète', gegründet hat". - Zu Fayes Funktion s.: Pierre Krebs (Hrsg.), Das Unvergängliche Erbe, Tübingen 1981, S. 482. 1162 S. Möhler, Rez. von de Benoists „Vue de droite", a.a.O., S. 110 1163 S. A. de Benoist, In aller Freundschaft. Kritisches über die Deutschen, in: criticón Nr. 60/61 (Juli/Okt. 1980), S. 199 1164 Vgl. ebd., aber auch Möhler in seinem o . g . Aufsatz „Wir feinen Konservativen", der bis zur Forderung nach einer die Anzweiflung der Gaskammern einschließenden Geschichtsbildrevision (a.a.O., S. 175) als Bedingung eines regenerierten Nationalbewußtseins der Deutschen geht. S. dies gleiche in Möhlers Buch „Vergangenheitsbewältigung. Von der Läuterung zur Manipulation", Stuttgart 1968 (erweit, zweite Fassung 1980 im „sinus-Verlag"). 1165 Vgl. de Benoist, In aller Freundschaft, a.a.O., S. 199, desgl. - und hier die Nennung Heideggers - Armin Möhler, Wir feinen Konservativen, a.a.O., S. 172. 1166 S. Möhlers Rezension von „Vue de droite", a.a.O., S. 110 1167 Alfred Rosenberg, Der Mythus des 20. Jahrhunderts. Eine Wertung der seelisch-geistigen Gestaltenkämpfe unserer Zeit, München 1930. Vgl. zum „Universalismus" S . 2 1 f f . , 140ff., 320f., 387, 538, 695ff. 1168 de Benoist, Vue de droite. Anthologie critique des idées contemporaines, Paris 1977 (Editions Copernic). Vgl. den Titel des 1974 (Stuttgart) erschienenen Buches von A. Möhler „Von rechts gesehen". 1169 A. Möhler, Tendenzwende für Fortgeschrittene, München 1978 1170 Pierre Krebs (Hrsg.), Das unvergängliche Erbe. Alternativen zum Prinzip der Gleichheit. Mit einem Vorwort von Hans Jürgen Eysenck, Tübingen 1981 (Graben). - Zur Selbstdarstellung des Aufgaben-Verständnisses des Thule-Seminars s. hier den Text von P. Krebs: Das ThuleSeminar stellt sich vor, S. 413-421 („Das Thule-Seminar ist ein Verein für intellektuelle Kommunikation und Synthese, deren Zielsetzung der neuen Bestimmung der europäischen Werte gilt. " Es „entwickelt ein vollkommen
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neues Konzept, welches zunächst eine globale weltanschauliche Kritik der Gleichheitslehre b e t r i f f t . . . Das Thule-Seminar will zunächst die Bewußtwerdung der volklichen Identität anregen." S. 420 — „Unsere Weltanschauung bekräftigt... das Recht eines Volkes auf Verschiedenheit.. . Dies führt uns einerseits zu einer Untersuchung und Wiederentdeckung unserer Herkunft, andererseits zu einer neuen Bestimmung der europäischen Werte, der Lebensanschauung sowie der indogermanischen Erkenntniskraft.. . Die von uns angekündigte Epoche ist eine Epoche der Völker mit ausgeprägter Hiérarchisation: mit anderen Worten die spezifische Gesellschaft zu sich selbst gekommener Menschen: der Personen. Denn die Lebensanschauung der Differenzierungslehre läßt einen Humanismus aufkommen, bestimmt der einzige, der sich weder seiner Privilegien noch seiner Rechte zu schämen braucht: denn er entspricht dem Leben, seiner Mannigfaltigkeit und seiner als Grundsatz hingestellten Ungleichheit." S. 419). 1171 Vgl. den in diesem Band in der Sparte „Genetik" unter dem Pseudonym Jörg Rieck veröffentlichten, sich für die rassistischen Thesen Prof. Arthur R. Jensens (Univ. Berkeley) einsetzenden Beitrag „Zur Debatte der Vererblichkeit der Intelligenz", dessen Verfasser aller Vermutung nach der 1. Vorsitzende der „Gesellschaft für biologische Anthropologie, Eugenik und Verhaltensforschung", Jürgen Rieger, ist. Dieser Gesellschaft (vgl. zu ihr u. a. PDI-Bericht 1979, a.a.O., S. 76) gehört wiederum de Benoist als Mitglied ihres „wissenschaftlichen Beirats" an (s. G. Heidenreich, Die organisierte Verwirrung, a.a.O., S. 161), und von ihm war bereits 1970 als H . 6/1970 des „Jungen Forum" der Titel „Jensenismus: Tabu Rasse und I. Q . Ein Bericht von Alain de Benoist über Forschungsergebnisse des amerikanischen Professors Arthur R. Jensen (Berkeley)" erschienen. Ein außenpolitisch, ökonomisch und militärisch ganz handfestes Interesse an dieser Rassismus-Wiederbelebung und ein bis tief in die Bundesrepublik reichendes Interessenten-Kartell an ihr tritt als viele Hintergründe der G . R . E . C . E . wie der gesamten westeuropäischen „Neuen Rechten" erst voll erklärender Zusammenhang in den Blick, wenn man die auffallend überproportionale Repräsentanz südafrikanischer „weißer" Wissenschaftler im internationalen wissenschaftlichen Honoratioren-Beirat der G . R . E . C . E . und die von den Gruppen der französischen Neuen Rechten unter Anführung der G . R . E . C . E . betriebene massive Rassismus-Agitation auf der einen Seite und die ausgezeichneten Beziehungen auf der anderen Seite registriert, die der afrikaengagierte CSU-Führungsflügel um FranzJosef Strauß ebenso wie die diversen, ob von der Hanns-Seidel-Stiftung und C S U , Eugen Gerstenmaier oder „Nation Europa" initiierten Afrika„Gesellschaften" bzw. -„Hilfskomitees" (hier u. a. insbes. K. Ziesels, G . Löwenthals und O . von Habsburgs „Initiative Internationale AngolaSolidarität", die „Deutsch-Südafrikanische Gesellschaft", die „DeutschRhodesische Vereinigung", Gerstenmaiers „Deutsche Afrika-Gesellschaft" und Dehousts Coburger „Hilfskomitee Südliches Afrika") zu eben jenen Gruppen unterhalten. In diesem Zusammenhang gewinnen Sachverhalte wie der, daß der dem sudetendeutschen „Witikobund" angehörende N P D Altideologe Ernst Anrieh in einem G.R.E.C.E.-Komitee mitarbeitet und der Witikobund gemeinsam mit dem „Hilfskomitee Südliches Afrika" Seminare abhält, und der, daß Möhler (Mitglied des wissenschaftlichen 529
Patronatskomitees der G . R . E . C . E . ) seit Jahren in dem Ruf steht, einer der „außenpolitischen Berater" von Strauß zu sein, eine durchaus brisante Bedeutung, da in ihrer Beleuchtung die äußerste CSU-Rechte um Strauß im Maße solcher Eigenorientierung und Kooperationen auch nicht mehr „alte", sondern Neue Rechte wäre und sich hier der Kreis schlösse. S. zu diesem Aspekt Jürgen Ostrowsky, Kontinuität imperialer Außenpolitik, in: Antiimperialistisches Informationsbulletin (AIB) 1/1980 (Sonderh. Franz-Josef Strauß), S. 31-37. 1172 Außer den offenbar zur Fortsetzung vorgesehenen Veröffentlichungen der „Arbeitskreise" des Thule-Seminars (der Band „Das unvergängliche Erbe" ist als „ B a n d l " gekennzeichnet), erscheinen bei Grabert noch die Reihen „Thule-Forum" und „Thule-konkret". 1173 S. Möhler, Deutscher Konservatismus seit 1945, in: Die Herausforderung der Konservativen. Absage an Illusionen, hrsg. v. G . - K . Kaltenbrunner, München 1974, S. 35-37. 1174 Ebd., S. 47 1175 S. Bartsch, a.a.O., Kap. II, S. 30ff. 1176 Vgl. hierzu P. Krebs, Der organische Staat als Alternative in Evolas Vorstellung, Nietzsches Projekt und Saint-Exuperys Botschaft, in: Das unvergängliche Erbe, a.a.O., S. 107ff. 1177 Wie gefällig-feuilletonistisch sich dieser Gestus des „Denkens" im Blick etwa auf Heideggers späte Bevorzugung der Selbstbezeichnung „Denker" auch popularisieren und einem breiteren gehobenen Publikum als Abkehr der Philosophie von „der Stadt" („Mit Heidegger verließ die Philosophie die Stadt") nahebringen läßt, führte jüngst die „Frankfurter Allgemeine Zeitung" in ihrem „Magazin" vom 13. 1. 1984 vor (Jürgen Busche, Die Hütte des Philosophen). 1178 Bartsch, a.a.O., S. 42. - Zur Wiederkehr dieses „realistischen Menschenbildes" in den Programmen und Verlautbarungen der verschiedensten Organisationen, seiner also in der Tat richtungsgenerellen Bedeutung für die „Neue Rechte", vgl. etwa: „Das realistische Menschenbild (I)", Ausgabe 8 von „Ideologie & Strategie", Berlin, November 1973; Solidaristisches Grundsatz-Programm, Abschn. 1,1: „Der Solidarismus richtet sich an einem realistischen Menschenbild aus" (desgl. alle weiteren Abschnitte des Programm-Teils I „Der Mensch und seine Umwelt", auch schon Präambel Punkt 2; im „Solidaristischen Manifest" die Punkte 5 „Das neue Menschenbild" und 8 „Das neue Leitbild"); Sache des Volkes - N R A O , Unser Programm für Deutschland: „ - ausgehend vom gegenwärtigen Erkenntnisstand der modernen Humanwissenschaften und einem realistischen Menschenbild" (Präambel); Programm der (einstigen, inzwischen verbotenen) V S B D / P d A : „Wenn wir auf den Ergebnissen der Verhaltensforschung unseren naturwissenschaftlichen Materialismus g r ü n d e n . . . Die von idealistischer Spekulation . . . freie Anthropologie, Verhaltensforschung und Soziologie liefern uns das G r u n d m a t e r i a l . . . " ; Grundsätze des „Ringes Freiheitlicher Studenten (RSF)", Punkt 11,2: „Das Menschenbild des RFS orientiert sich konsequent an den Forschungsergebnissen der Naturwissenschaften. Es ist daher realistisch." Punkt 3, S a t z l : „Gleichheit kommt in der Natur nicht vor.", Bildungspolitische Grundsätze des R F S („Leitgedanken zur Bildungs- und Hochschulpolitik"), Abschn. I: „Realistisches Menschenbild - Grundlage jeder verantwortungsbewußten Bildungspoli-
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tik"; Junge Nationaldemokraten, „24Thesen zum Nationalismus", Th. 4: „Der Nationalismus erkennt das von den Wissenschaften erschlossene neue Menschenbild an . . . " , Th. 10: „Das wissenschaftliche Menschenbild widerlegt die Grundthese der Liberalisten und Marxisten: die angebliche .Gleichheit' aller Menschen", 2. Th. der „20Thesen zum Sozialismus": - „Sozialismus erstrebt eine sozialgerechte Ordnung . . . auf der Grundlage des lebensrichtigen Menschenbildes des Nationalismus"; M. Mußgnug auf dem Germersheimer NPD-Parteitag 1982: „Ausgangspunkt nationaldemokratischer Gesellschaftspolitik ist das lebensrichtige Menschenbild auf der Grundlage der Ergebnisse der modernen Wissenschaft und das heißt ein Menschenbild, das auf der Anerkennung der Ungleichheit der Menschen beruht." 1179 Vgl. Bartsch, a.a.O., S. 43 1181 Ebd., S. 43f. 1180 S. ebd., S. 51 1182 Vgl. P. Krebs, Gedanken zu einer kulturellen Wiedergeburt, in: Das unvergängliche Erbe, a.a.O., S. 15ff., doch auch durchgängig durch den gesamten Band, insbes. s. auch A. de Benoist, Gleichheitslehre, Weltanschauung und Moral; die Auseinandersetzung von Nominalismus und Universalismus, ebd., S. 75ff. 1183 Vorspann- bzw. Leitwort-Text zu „Das unvergängliche Erbe", a.a.O., S. 7 1184 S. P. Krebs, Das Thule-Seminar stellt sich vor, a.a.O., S. 419 1185 Vgl. den Abschnitt „Liberalismus, d.h. Herden-Vertierung" in P.Krebs, Der organische Staat als Alternative..., a.a.O., S. 133f. Hier auch, S. 115ff., unter Rückbezug auf Nietzsche die Wiederholung der gesamten alten Feindbild-Triade Urchristentum - französische Revolution/ Liberalismus - Sozialismus. 1186 Vgl. P. Krebs, Gedanken zu einer kulturellen Wiedergeburt, a.a.O., S. 29 f. - Vgl. auch de Benoist, Gleichheitslehre, Weltanschauung und Moral, a.a.O. (hierzu vgl. wiederum Rosenbergs Kap. „Liebe und Ehre" in „Mythus des 20. Jahrhunderts", a.a.O., zum „heroischen Subjektivismus" natürlich auch Jünger). 1187 S. P.Krebs, Das Thule-Seminar stellt sich vor, a.a.O., S. 418. Textstelle über die unterschiedlichen Wahrheitsbegriffe: „ . . . Dies impliziert ein Aufeinanderbeziehen von Mensch und Wahrheit, von Mensch und Volk (d. h. auch Milieu und Kultur). Dieser Denkprozeß ist insofern geboten, als der völkische Pluralismus einen Pluralismus sowohl der Werte als auch demzufolge des Wahrheitsbegriffs voraussetzt." Die Gesamtlektüre des Buchs macht unzweifelhaft, daß der Stoß dieser „Differenzierung" von Völker„wahrheiten" gegen die „universalistischen" Institutionen der U N O und eines allgemeinen Völkerrechts gerichtet ist. (Vgl. z. B. Bartsch, a.a.O., S. 46) 1188 Bartsch, a.a.O., S. 44 1189 . Ihr Tragen nämlich, so die Begründung, habe nach Robert Ardrey den „aufrechten Gang" erzwungen, s. ebd. S. 44 f. 1190 Ebd., S. 44 1191 Ebenda 1192 Vgl. hierzu die bei Bartsch, a.a.O., S. 38f. wiedergeg. graphische Darstellung aus Penz/Junkers, Die Revolution ist anders. 1193 S. Bartsch, a.a.O., S. 37/40 531
1194 S. ebd., S . 4 0 1195 Vgl. ebd., S. 41 f. 1196 S. a.a.O. den Beginn des Kapitels „Ethnopluralismus (mit Jensenismus und Eugenik)", S. 45 1197 Ebd., S. 46 1198 Ebd., S. 40 1199 Vgl. ebd., S . 4 5 1200 Ebd., S . 4 8 f . 1201 Vgl. ebd., S. 41 1202 Ebd., S. 42 1203 S. ebd., S. 31 1204 Wie sehr dies gerade der einstigen offiziellen NS-Philosophie entspricht, vgl. Monika Leske, Zur Stellung und Demagogie der Naziphilosophie im .Dritten Reich', in: Deutsche Zeitschrift für Philosophie, Berlin, 11/1983. (Zu Heidegger vgl. etwa Wolf-Dieter Gudopp, Stalingrad Heidegger - Marx, in: ebd. H. 6/1983) 1205 S. Bartsch, a.a.O., S. 36f. 1206 Ebd., S. 37 1207 Diese Kennzeichnungen eingefügt nach L. Penz, Die Revolution ist anders (eine Initialschrift des „Bio-Humanismus"), H. 5/1974 des „Jungen Forum", S. 7 1208 Bartsch, a.a.O., S. 36, Junker (d. i. L. Penz) zitierend. 1209 L. Penz, Die Revolution ist anders, a.a.O., S. 3 1210 Ebd., S. 5f. 1211 Vgl. Bartsch, a.a.O., S. 34, 36 1212 Ebd., S. 34 1213 Ebd., S. 34f. 1214 Ebd., S. 34 1215 Ebd., S. 36 1216 Ebd., S. 34 1217 Ebd., S. 35 1218 Ebd., S. 36 1219 L. Penz, Die Revolution ist anders, a.a.O., S. 6 1220 Ebd., S. 1 1221 Bartsch, a.a.O., S. 36f. 1222 Ebd., S. 36 1223 Ebenda 1224 Vgl. ebd., S. 35 1225 Ebd., S. 34 1226 Ebd., S. 35 1227 Ebd., S. 31 1228 Ebd., S. 35 1229 S. Penz, Die Revolution ist anders, a.a.O., S. 12f. 1230 Ebd., S. 11 ff. 1231 S. Bartsch, a.a.O., S. 35, 37 1232 Ebd., S. 49f. 1233 Ebd., S. 50 (u. 50f.) 1234 Penz, a.a.O., S. 12 1235 S. Bartsch, a.a.O., S. 51 1236 Ebenda 1237 Ebenda 1238 Vgl. das Geleitwort von P. Dehoust zu „Die Zukunft des deutschen Volkes aus biologischer und politischer Sicht." Referate und Arbeitsergebnisse des Kongresses für Freie Publizistik vom 29.-31. 8.1980 in Kassel, veröffentlicht als H. 11/12 1980 von „Nation Europa", sowie Bartsch, a.a.O., S. 56f. 1239 Vgl. die in der Tagespresse vom 1 5 . 1 2 . 1 9 8 3 veröffentlichten Meldungen über einen vom Bundeskabinett beratenen Bericht von „Bevölkerungsexperten" (erschienen z. B. in der „Kölnischen Rundschau" unter der Schlagzeile „Zahl der Deutschen sinkt alarmierend. Die Bundesrepublik hat weltweit die niedrigste Geburtenrate") und über die bevölkerungspolitischen Äußerungen des parlamentarischen Staatssekretärs Waffenschmidt ( C D U ) zu ihm. 1240 Vgl. die Wiedergabe der Referate dieses Kongresses in dem gen. Doppelh. 11/12 (1980) von „Nation Europa". Die Referenten des Kongresses waren: Hubert Dröscher (Dipl.-Ing.), Bernd Dröse (Student), HansDietrich (Ferdinand) Oeter (Dr. med.), Prof. med. Heinrich Schade, Jürgen Gebauer (Dr. rer. nat.), Brigitte Finkeisen-Frank (damals 1. Vorsitzende der „Bürgerinitiative ,Kein Japan-Center', heute des „Schutzbundes
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für das deutsche Volk"), Rolf Kosiek (Dr. rer. nat.), führendes Mitglied der „Gesellschaft für biologische Anthropologie, Eugenik und Verhaltensforschung" und Bundesvorstandsmitglied der N P D , Dr. Georg Franz-Willing (sein Thema: „Völkertod in historischer Sicht"), der österreichische General a. D . und Militärschriftsteller Heinrich Jordis von Lohausen, Verfasser des Buches „Mut zur Macht - Denken in Kontinenten" (Berg am See, 1980) und Dr. Gerd Sudholt. - Georg Franz-Willing, Schüler Karl Alexander von Müllers (bei dem er 1942/43 promovierte), war ab 1960 Lehrer für Staatsbürgerkunde an der Offiziersschule der Marine in Flensburg-Mürwik, danach - bis zu seiner Pensionierung im Jahre 1978 - Historiker am Militärgeschichtlichen Forschungsamt in Freiburg. Vgl. A. Möhlers hohes Lob auf sein zum 50. Jahrestag des 3 0 . 1 . 1 9 3 3 im Druffel-Verlag erschienenes Buch „1933 - Die nationale Erhebung" (Leoni a. Starnb. See 1983), dem Möhler allein schon für seinen Titel Applaus spendet, nämlich dafür, daß ein Historiker endlich wieder „die Bezeichnung verwendet, die damals . . . üblich war" (s. Möhlers Rezension „Geschichte, aber nicht vom Ende her" in ciriticon Nr. 75, Jan./Febr. 1983, S. 44). 1241 Vgl. aas Referat von H . J . v. Lohausen „Unsere geopolitische Lage die Frage des Überlebens" auf dem gen. Kongreß. 1242 S. Bartsch, a.a.O., S. 57 1243 H. Eichberg, Nationale Identität. Entfremdung und nationale Frage in der Industriegesellschaft, München/Wien 1958, S. 7. Zum „inflatorische(n)" Vordringen des Worts „Identität" in der völkerkundlichen Diskussion s. u. a. Hermann Bausinger, Zur kulturalen Dimension von Identität, inr Zeitschrift für Volkskunde, 73. Jg., 1977, S. 210ff„ auch Gerold Schmidt, Identität. Gebrauch und Geschichte eines modernen Begriffs, in: Muttersprache, Nr. 86/1976, S ' 333ff. (in beiden weitere Literaturverweise); zur Diskussion des Identitäts-Begriffs ' m Rahmen der Interaktions-Theorie s. Lothar Krappmann, Soziologische Dimensionen der Identität. Strukturelle Bedingungen für die Teilnahmt an Interaktionsprozessen, Stuttgart 1971. 1244 Vgl. z. B. auch das Referat von Bernd Dröse „Überfremdung droht" auf dem erwähnten Kongreß. 1245 S. Bartsch, a.a.O., S. 52 1246 Ebenda 1247 Ebenda 1248 S. ebd., S. 53: „Ihre besondere Sympathie genießt das ukrainische Volk" - mit dem wahrhaft bemerkenswerten Zusatz von Bartsch: „womit sie die Abkehr von der germanischen Herrenrassentheorie unterstreicht." 1249 Vgl. Paul Schiemann, Die Asiatisierung Europas. Gedanken über Klassenkampf und Demokratie, H. 4 der Reihe „Revolutionäre Streitfragen", hrsg. vom Generalsekretariat zum Studium des Bolschewismus, Berlin 1919. 1250 Vgl. die laufende Berichterstattung über all diese autonomistischen Bewegungen in der nationalrevolutionären Presse, hier insbes. etwa in „wir selbst", „neue zeit" (die in H. 4/83, S. 15, z. B. auch eine sich mit dem Sprengen französischer Denkmäler beschäftigende elsässische „Untergrundbewegung .Schwarze Wölfe'", einen aus ihr gebildeten, geheim tagenden „Rat der Frankreich-Deutschen" und eine „Elsaß-Lothringische Freiheitsbewegung" notierte) und „Aufbruch". Zur Funktion s. vor allem in „wir selbst" 5/1980 den Art. von Walter Hohenstein „Wenn die Zentrale 533
z i t t e r t . . . Ethnopluralismus als Sprengsatz im Sowjetimperium." 1251 S. Bartsch, a.a.O., S. 52. - Vgl. auch hierzu wiederum - wie zum gesamten „Ethnopluralismus"-Konzept - in Rosenbergs „Mythus des 20. Jahrhunderts" das Kap. „Ein neues Staatensystem" (Kap Vl/drittes Buch, a.a.O., S. 637-677), hier etwa: „Dem rasselosen Pan-Europa, der chaotischen ,Weltgerichtsbarkeit', der volklosen freimaurerischen Weltrepublik steht dieser neue Gedanke des nordischen Wesens als einziger gefährlicher, weil organischer, gegenüber. Alle anderen gelten nicht mehr. Und nach dieser weltpolitischen Wertung der ringenden Kräfte ergibt sich nochmals eine Bestätigung für das anfangs angedeutete Staatensystem... Deutschland selbst wird dann endlich die Möglichkeit erlangen, in Europa seinen 100 Millionen genug Lebensraum zu verschaffen..." (S.675f.). Zum expansionspolitischen Gesamtsinn bzw. Weltmacht-Sinn s. ebd. die von Rosenberg resummierten, aus einer „organischen Gliederung" hervorwachsenden neuen Weltmacht-Blöcke („welche . . . die politische Herrschaft der weißen Rasse über den Erdball sicherstellen" werden, S. 675), nämlich: „ein deutsch-skandinavischer Block", verbündet mit Großbritannien unter Einschluß Indiens und mit Nordamerika, ein vom faschistischen Italien geführtes „Mittelmeerbündnis" und ein fernöstliches „gelbes Staatensystem", S. 676. 1252 S. Bartsch, a.a.O., S. 53 1253 S. (außer den beiden schon gen. Titeln „Trotz alledem - wir werden siegen" und „Nation oder Klasse") W. Strauss, Bürgerrechtler in der UdSSR. Ein Bericht in Dokumenten, Freiburg 1979: Lieber stehend sterben als auf Knien leben. Die verratene Arbeiterklasse. Von Kronstadt bis Kattowitz, Asendorf 1982; Religion Und Nation. Kulturrevolution und Subkultur in Osteuropa am Beispiel Polen. Rußland. Ukraine, Hamburg 1982; Revolution gegen Jalta Friedens-, Arbeiter- und Völkerkampf. Die ungelöste nationale und soziale Frage in Osteuropa, Berg am See 1982; Aufstand für Deutschland. Der 17. Juni 1953, Leoni a. Starnb. See 1983. Das Zitat aus letzterem, S. 271. 1254 S. Bartsch, a.a.O., S. 53 1255 Vgl. hierzu insbes. die in „wir selbst" erschienenen Artikel zu den Themen „Regionalismus" und „Heimat", so u. a. vor allem den von „Linus Torfhaus" gezeichneten Grundsatz-Beitrag „Regionalismus als Teil der Neuschaffung Deutschlands. Für eine revolutionäre Ideologie der Region" in H. 5/1980, des weiteren z. B. den von Winfried Dolderer namens einer „Arbeitsgemeinschaft Regionalismus" in Mainz publizierten, aus der „Regionalismusarbeit" berichtenden Art. „Regionalismus in Deutschland" in H . 3/4 1981 und die Folge „Heimatbewußtsein kontra Identitätsverlust" von Prof. Konrad Buchwald in den Heften 1/81, 2/81 u. 3/81. 1256 Vgl. die von Wolfgang Strauss in „Mut" ab H. 165, Mai 1981, erschienene vierteilige „Mut-Serie" unter dem Titel „Völkerfrühling contra Jalta-Joch". 1257 Vgl. hierzu etwa in „wir selbst" den Teil II des Aufsatzes „Für eine Friedenspolitik der revolutionären Blockfreiheit" von S. Bublies: „Den Frieden von unten erzwingen", H. 6/1981/82. 1258 S. hierzu des näheren im abschließenden Kapitel 1259 W. Strauss, Lieber stehend s t e r b e n . . . , a.a.O., S. 16
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1260 S. Bartsch, a.a.O., S. 56 1261 Ebd., S. 55 1262 Ebd., S. 54 1263 Ebd., S. 56 1264 Ebd., S. 54 1265 Ebd., S. 55 1266 S. Nationalrevolutionäre Plattform, a.a.O., zum zit. Satz dort Kap. V („Die demokratische Revolution") 1267 Vgl. „wir selbst" 1/1980, S. 12-14 1268 Vgl. A. Mahraun, Der große Plan. Der Weg aus dem Chaos von Staat und Wirtschaft, Berlin 1932, S. 63 ff.; desgl. auch „Jungdeutsches Manifest. Volk gegen Kaste und Geld. Sicherung des Friedens durch Neubau der Staaten", Berlin 1927 (Dieses Manifest war das von Mahraun verfaßte Programm des „Jungdeutschen Ordens".) 1269 Mahraun, a.a.O., S. 65 1270 Ebd., S. 69f. 1271 Ebd., S. 70f. 1272 Ebd., S. 69 1273 Ebd., S. 66 1274 Ebd., S. 66f. 1275 S. Jan Peters (Hrsg.), Nationaler „Sozialismus" von rechts, Westberlin 1980, S. 245 1276 S. ebd., S. 128-133 u. S . 4 3 ; zur Mitgliedschaft Brukers in der „Gesellschaft für biologische Anthropologie, Eugenik und Verhaltensforschung" sowie zur Charakterisierung seiner Kliniken s. Annegret Bublitz, Braun-dynamisch ist keine Alternative, in: Demokratisches Gesundheitswesen, Köln, H. Sept./Okt. 1982, S. 20-22. Auf dem „Grünen Kongreß" 17./18. 3. 1979 in Frankfurt wurde u.a. Werner Haverbeck zum Kandidaten für die Europa-Wahl gewählt. S. „Die Unabhängigen" (Deutsche Gemeinschaft), Mitteilungsblatt der A U D , vom 24. 3. 1979 (1982 gehörte H . zu den Unterzeichnern des „völkisch"-rassistischen „Heidelberger Manifests".) 1277 S. (zu Bublies u. Bruker) Rechte Grüne? Zwischenbericht der Kommission „Rechtsextreme Unterwanderung der Grünen und nahestehender Vereinigungen" der Grünen Baden-Württemberg, Hrsg.: Die Grünen, Baden-Württemberg, Stuttgart 1980, S. D 15; sowie (zur N P D ) Jan Peters a.a.O., S. 194. (Vgl. auch Ulrich Völklein, Die roten Nazis, in „Stern" 10/ 1982) 1278 S. Peters, a.a.O., S. 177. Zum Lahnsteiner Verlag „Volk und Umwelt", der die Zeitschrift „Volk und Umwelt. Mitteilungsblatt der ,Deutschen Bewegung für Demokratie' und der Sammlungsbewegung ,Lebensordnung'" herausbringt, vgl. dort S. 128f. 1279 S. ebd., S. 133 1280 S. „wer mit wem? B r a u n z o n e . . . " , a.a.O., S. 137f.; desgl. Rechtsradikalejugendorganisationen. . . , a.a.O., S. 72. 1281 U . Sauermann, Ernst Niekisch - Zwischen allen Fronten, mit einem Vorwort von Armin Möhler, München 1980 (Herbig-aktuell); vgl. auch die von Sauermann 1981 im Krefelder „sinus-Verlag" herausg. Auswahl von Niekisch-Aufsätzen: Ernst Niekisch, Widerstand. 1282 Lothar Selmbach, Nationalrevolutionär heute, in: NHB-Report, 12. Ausg./Okt. 1980, S. 20 1283 S. ebd. - Vgl. Sebastian Haffner/Wolfgang Venohr, Preussische Profile, Königstein/Ts. 1980, S. 258; s. ferner u. a. auch Wolfgang Venohr, Fritz der König. Leben und Abenteuer Friedrichs des Großen mit Bildern von Adolf Menzel, Bergisch-Gladbach 1981, Lübbe-Verlag, sowie ds.,
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Dokumente Deutschen Daseins. 500 Jahre deutsche Nationalgeschichte 1445-1945. Die erfolgreiche Fernseh-Serie mit kompletten Streitgesprächen zwischen Sebastian Haffner und Hellmut Drwald, Königstein/Ts. 1980 (Athenäum-Verlag). - Für diese Fernseh-Serie, deren Buchausgabe Venohr eine „Vorbemerkung" voranstellte, in die er ein signalhaftes, kaum kaschiertes Bekenntnis zur „NRAO-Sache des Volkes" (mittels Hervorhebung dieser letzteren drei Worte durch Auszeichnungsschrift, s. a.a.O., S. 6, dann auch S. 13) hineingeheimniste und die de facto ein kurzgefaßtes Programm der nationalrevolutionären „Geschichtsbild"-Offensive darstellt (in den Sendungen dann u. a. durch die mehrfach wie selbstverständlich in sie eingeflochtene Rede von den „drei deutschen Staaten" realisiert, s. etwa Venohr, a.a.O., S. 31, Haffner ebd., S. 320), wurde Venohr mit dem „Joseph E. Drexel-Preis" des Jahres 1979 ausgezeichnet (vgl. ebd. S. 1, auch „wir selbst" 3/80, S. 28). Für den durchweg „nationalrevolutionären" Charakter dieser von Venohr seinerzeit noch in seiner Eigenschaft als Leiter der „stern-tv" arrangierten Sendung s. als allerjüngste nun auch gleichsam formelle Bestätigung die nochmalige Veröffentlichung ihres gesamten Textes - unter nunmehr dem Kollektiv-Herausgebernamen Venohr/Diwald/ Haffner, doch sonst gleichem Titel - durch den sinus-Verlag als Band 7 seiner „editiond" (Anzeige in criticón Jan./Febr. 1984). 1284 S. in „wir selbst" 3/1980: Walter Hohenstein, Wolfgang Venohr vom Bekennermut eines Publizisten, in 6/1980/81 Interview mit Dr. Venohr, in 2/1982 W. Venohr, Der Zukunft eherner Tritt. Hambach und der Aufbruch des J u n g e n Deutschland'. 1285 Nationalrevolutionäre Gespräche, Interview mit S. Th. Frank (SdV), in: „wir selbst" 1/1981 (Zitat S. 31). 1286 S. Haffner, Nation und Revolution. Unorthodoxe Gedanken zu Graf von Krockows Buch Nationalismus als deutsches Problem', in: „wir selbst" 2/1981. 1287 Vgl. insbes. die in „wir selbst" erschienenen programmatischen Beiträge „Friedenspolitik gegen die Supermächte; nationalrevolutionäre Thesen zur aktuellen Abrüstungsdiskussion" von „Peter Metzger" in H . 2/ 1981, und S. Bublies, „Für eine Friedenspolitik revolutionärer Blockfreiheit. Die deutsche Frage im Brennpunkt der europäischen Friedensbewegung", Teill in H . 5/1981, Teil II unter der Überschrift „Den Frieden von unten erzwingen" in H . 6 (1981/82), sowie „Friedensbewegung und neuer ,deutscher Patriotismus', eine Analyse der gesamtdeutschen Friedensbewegung. Diskussionsbeitrag von Stefan Fadinger" (einem der regelmäßig unter diesem Pseudonym schreibenden „wir selbst"-Mitarbeiter), im H . Dez.Jan. 1983/84. S. auch die beiden unten als repräsentativ vorgestellten Flugblätter. S. ebenso den letzten Absatz des Kap. VI in diesem Buch. 1288 Verbreitet Ende 1983 1289 Verteilt Okt. 1983 in Frankfurt/M. 1290 L. Penz, Alternative Verteidigung?, in: neue zeit 4/1983 (Zitat S. 7) 1291 Vgl. Solidaristisches Grundsatz-Programm, a.a.O., S. 14, P. III, 9 1292 S. Sache des Volkes-NRAO, Unser Programm für Deutschland, a.a.O., S. 254 1293 S. Bublies, Den Frieden von unten erzwingen, a.a.O., S. 7 1294 S. zu letzterem ebd., S. 9ff. - Unter nicht zuletzt derartigen Berufungen aber beanspruchen sie, als eine in der Tradition doch des „Freiheits536
und Klassenkampfes von unten" stehende und dem Faschismus somit konträre Bewegung gewertet zu werden und warnen sogar öffentlich davor, sie etwa mit Neofaschisten oder gar „Neonazis" bzw. - wie es an der entscheidenden Stelle dann allerdings auffallend präzisiert heißt - „Hitleranhängern" in „einen Topf zu werfen" (s. die „Erklärung des Nationalrevolutionären Koordinationsausschusses" unter der Überschrift „Nationalrevolutionäre kontra Neonazis", im Wortlaut u. a. in „Aufbruch" 2/1983, S. 30). Vgl. als eine geradezu klassische Turnübung, mittels unmittelbarer Wiederholung der einschlägigen einstigen, in diesem Falle sogar NSDAPoffiziellen völkisch-faschistischen Ideologie den befreiungsnationalistischethnopluralistischen Ansatz nun gerade als einen „antifaschistischen" auszugeben (mit der Argumentation nämlich nunmehr, der Faschismus sei, da am „imperialen" Begriff „Welt" orientiert, ja „Universalismus" und damit „Kolonialismus" gewesen, der nur je „nationale Identitäten" und völkisch je besondere Wirklichkeiten kennende völkische resp. „ethnopluralistische" Ansatz hingegen . . . usw.), Eichbergs allerjüngst erschienenen Aufsatz „Entkolonisierung der Deutschen" in „wir selbst", Dez.-Jan. 1983/84. 1295 Vgl. A. de Benoist, In aller Freundschaft, a.a.O., S. 201. VI. Zur Rekonstitution des „Völkischen" in der Literatur der „nationalen Welle" 1296 Der Text dieses Kapitels entspricht bis zur S. 367 einem Aufsatz des Verf.s in der „tat" vom 8. 10. 1982/Beilage zur Frankfurter Buchmesse („Die ,nationale Welle', ihre Wege und ihre Literatur"). 1297 Im o.g. „tat"-Aufsatz folgt hier eine Vorstellung von: Wolfgang Pohrt, Endstation, Westberlin 1982 (Rotbuch-Verlag). S. auch R.Opitz, Endstation zynischer Heroismus, in: DVZ v. 1.10. 1982. 1298 S. criticón Nr. 81 (Jan./Febr. 1984), Seite „Das blaue Brett". 1299 G. Bartsch, Die Nationalrevolutionäre - heute, in: criticón Nr. 81, S. 32f.; vgl das Portrait A. Epsteins in Bartschs Buch, a.a.O., S. 26f. 1300 Zu H . J . Arndt, criticón-Autor, s.u. a. dessen „Unternehmensführung als Fachberuf?", Essen 1966 (Veröffentl. des Deutschen Instituts des Industriellen Führungsnachwuchses); „Die Besiegten von 1945. Versuch einer Politologie für Deutsche...", Westberlin 1978. R. Hepp, Prof. für Soziologie, Leiter der Forschungsstelle für phänomenolog. Soziologie und Bevölkerungswiss. in Osnabrück, referierte 1981 auf der Westberliner Tagung der Deutschen Burschenschaften zu „Reproduktion und Identität Sozialbiologische Thesen zur Identitätskrise der Deutschen" (vgl. Burschenschaftl. Bl. 4/81, S. 109). - K. Buchwald, em. Prof. am Inst, für Landschaftspflege und Naturschutz der Univ. Hannover, ist Mitgl. des Verwaltungsrates „VDA - Gesellschaft für deutsche Kulturbeziehungen mit dem Ausland" und stellv. Vors. des „Kulturwerks für Südtirol". Die Anzeige in der Frankfurter Rundschau war des weiteren u. a. unterzeichnet von Gerhard Josewski-Eden (gemeinsam mit Ursula HaverbeckWetzel Initiator einer „Aktion Gesamtdeutsche Solidarität" und Seminarleiter am Collegium Humanum), Fred Mohlau („Arbeitskreis Rebell" und „Initiative der Jugend/IDJ", Westberlin), Udo W. Reinhardt („Sache des Volkes/NRAO"). 537
Abel 198 Abendroth, Wolfgang 511 Abetz, O t t o 267, 270 Abetz (Gattin d. o.) 270 Abs, Hermann Josef 492 Achenbach, Ernst 248, 267, 268, 271, 273, 276, 277, 497, 505, 508, 509 Adam 59 Adenauer, Konrad 248, 249, 250, 254, 255, 259, 265, 272, 273, 280, 495, 496, 497, 527 Adler, Oskar 277 Allan, Gary 500 Altmann, Klaus (Pseud.; s. Barbie, Klaus) Alvensleben, Hans Bodo Graf v. 103 Alvensleben, Werner Frhr. v. 118 Amann, Max 64, 72, 138, 418 Amaudruz, G. A. 260, 521 A m m o n , Herbert 355, 356, 359, 367 Anrieh, Ernst 529 Arco-Valley, Anton Graf v, 51, 402, 403, 405 Ardrey, Robert 531 Arlt, Erwin 517 Arndt, Ernst Moritz 22 Arndt, Hans-Joachim 370, 537 Astor, Lord David u. Lady Nancy 502 Auer, Erhard 402, 405 Axmann, Arthur 251, 267, 268, 271, 273, 506 Bach, O t t o 151 Balzer, Karl 500 Bang, Paul 73 Barbie, Klaus 244 Barkai, Avraham 464 Bartels, Adolf 54 Bartsch, Günter 306, 308, 318, 320-336, 370, 511, 514, 523, 525, 533, 537 Bartz, Richard 508 Bauer, Hermann 438 Bauer, Max 46, 68, 70, 74-76, 78, 392, 394, 397, 411, 420, 421, 423, 428, 432 Baum, Gerhard 526 Becher, Walter 259, 501 Beck-Broichsitter, Helmut 249, 497 Beggel, Karl 64 Bekh, Ritter v. 57 Below, O t t o v. 89, 394, 424, 453 Bendt 62, 414 Benoist, Alain de 315, 316, 348, 349, 368, 481, 528, 529, 531 Berchtold 409, 410 Berckemeyer, Hans 148, 461 Berg, Gunnar 507 Best, Werner 268, 270, 505 Bethmann Hollweg, Theobald v. 390, 442 Beumelburg, Werner 477 Bierbaumer, Käthe 398, 403 Binder, Paul 259, 501 Bismarck, O t t o v. 39, 96, 97, 362, 424, 425 Bismarck, O t t o v., jr. 509 Blank, Herbert 135, 138, 368, 469, 471 Blatzheim, Helmut 513 Blessing, Karl 491 Bodemann, Hans Hermann Frhr. v. u. z. 50 Boehm, Max Hildebert 102, 259, 456, 457 Böhme, Herbert 261, 270, 297, 503, 516, 521 Böx 496 Bonseis, Waldemar 100 Borghese, Junio Valerio Fürst v. 286 Bormann, Martin 267, 492, 493, 506 Bornemann, Karl-Friedrich 280, 510 Borsig, Ernst v. 74, 396, 426 Bosch, Robert 381 Bothmer, Karl Graf v. 410, 432 Boulainvilliers, Graf v. 376 Brand, Walter 275, 280 Brandt, Peter 355, 356, 359, 360, 364, 367 Brandt, Willy 286, 289, 513
Brauns, Heinrich 434 Brauweiler, Max 105 Bredow, Kurt v. 475 Brehm, Fritz 273 Breker, Arno 505 Breschnew, Leonid 364 Brinkmann, Paul 471 Brinkmann 508 Bronder, Dietrich 400 Bruckmann, Elsa u. H u g o 414 Brückner, Helmut 463 Brüning, Heinrich 49, 95 ff., 104 f., 122, 130ff., 135, 145, 147 f., 392, 393, 433, 445, 446, 455, 458, 461, 475, 476 Bruker, Max O t t o 338, 535 Bublies, Siegfried 313, 338, 534, 535, 536 Buchrucker, Bruno E. 136, 138, 424, 443, 471 Buchwald, Konrad 370, 534, 537 Bücher, Hermann 142 Bühlow, Justus B. 368 Bürckel, Josef 463 Bütefisch, Heinrich 427 Burger, N o r b e r t 332, 516 Burhenne, Karl 74, 426 Busche, Jürgen 530 Bush, George 343, 344, 345 Busse, Friedhelm 295, 304-307, 314, 524 f. Caesar, Gaiuslulius 171 Capra, Fritjof 350 Carter, Jimmy 341 Castle, W. R. 79, 433 Castro, Fidel 288 Cau, Jean 527 Cerff, Carl 269, 504 Chamberlain, H o u s t o n Stewart 18f-, 25, 36, 97, 262, 503 Chassard, Pierre 527 Christophersen, Thies 301 f., 327, 519ff. Churchill, Sir Winston 245 Claß, Heinrich 19, 31, 35-40, 55, 7 0 f „ 73, 82, 89, 193-195, 197, 216, 221, 372, 378f., 383f., 397, 404, 407, 435, 440, 449-454 Classen, Wilhelm 273 Coburg-Gotha s. Sachsen-Coburg u. G. Conger 389 Connolly, James 310, 331 Cramer-Klett, Theodor Frhr. v. 432 C u n o , W. 79-84, 87ff., 428, 433f., 440-445, 461 Dahrendorf, Gustav 151 Darree, Richard Walther 122, 125, 136, 468 Darwin, Charles 9 Daumenlang, Anton 404 D e c k e n , Günter 521, 522 Dehoust, Peter 287, 288, 296, 307, 511, 515, 516, 529, 532 Deist, Gustav u. Heinrich 151 Derichsweiler, A l b e n 276 Deter, Fritz 426 Deutsch, Felix 396 Dickinson, Edward T. 265 Dietrich, O t t o 119f., 420 Diewerge, Wolfgang 274, 280, 509 Dinter, Artur 109, 462 Dircksen, Viktoria Auguste v. 459 Dirksen, Herbert v. 273 Dönitz, Karl 233f., 249, 257, 493, 498f. Döring, Wolfgang 275, 276, 509 Dolderer, Winfried 534 Doris, Fritz 258, 501 Drexel, Joseph E. 150, 155 f., 190, 536 Drexler, Anton 50, 52, 53, 57, 378, 380, 397, 405, 408, 412, 416, 417, 418 Dreyfus, Alfred 23 Dröscher, Hubert 532 Dröse, Bernd 532, 533
Düring, Eugen 25 Duesterberg, Theodor 89 Duisberg, Carl 43, 103, 392, 397, 427, 458 Dulles, Allan 234-237, 493, 494 Dutschke, Rudi 332, 355 Duverger, Maurice 259 Dwinger, Edwin Erich 477 Ebert, Friedrich 42, 44, 80, 85, 87, 91, 387, 388, 389, 434, 444, 445, 449, 450, 452, 474 Ebert, Friedrich, jr. 151 Ebert, Theo 334 Eckart, Dietrich 49, 50, 55, 67, 71, 72, 73, 4 0 1 , 4 0 8 , 418f., 420, 425 Eckart, Walter 273, 276 Eckart, Wolf-Dieter 3 0 1 , 5 1 5 , 5 1 6 , 5 1 7 Egelhofer, Rudolf 56 f. Eher, Franz 49, 398 Ehrhardt, Arthur 261, 270, 287, 288, 296, 326, 503, 511 Ehrhardt, Hermann 46, 57, 68, 82, 142ff., 153, 261 ff., 295, 391, 402, 408, 424, 429-436, 442 f., 452, 460, 471, 473, 479, 485, 503 Ehrich, Karl 273, 276 Eichberg, Henning 191, 287, 288 f., 291, 294, 296, 308, 309, 311, 312, 314, 318, 322, 328, 352-355, 356, 358, 367, 369, 511, 512, 523, 537 Eichhorn, Emil 394 Eichmann, Adolf 215-218, 244, 272, 488 Eisenhower, Dwight D . 278 Eisner, Kurt 47, 51, 54, 151, 399, 402f. Elbrechter, Hellmuth 136, 148, 475 Engdahl, Per 265 Epp, Franz Ritter v. 56, 57, 58, 61, 68, 69, 106f., 233, 409, 410, 413, 421, 422, 425 Epstein, Alexander (Pseud., s. Frank, S. Th.) Erbach, Graf v. 503 Erhard, Ludwig 430 f. Erzberger, Matthias 390f., 443 Escherich, Georg 69, 80, 420f., 424, 434ff. Esser, Hermann 64, 72, 73, 410, 418 Evola, Giulio 527 Eysenck, Hans Jürgen 527 Fadinger, Stefan (Pseud.) 536 Faye, Guilleaume 315, 528 Fechter, Paul 105 Feder, Gottfried 49, 52, 55, 59-62, 115, 126, 399, 410f., 414, 416, 418f., 439, 469, 478 Fehrenbach, Konstantin 445 Fehrmann, Karl 421 Feilitzsch, Franz Frhr. v. 50 Fest, Joachim C. 340, 371, 382, 383, 385 Fiedler, Hans-Michael 515, 516 Finkeisen-Frank, Brigitte 532 Fircks, O t t o Frhr. v. 515 Fischer, Eugen 380 Fischer, H e r m a n n 408 Flick, Friedrich 47, 75, 434, 443 Foch, Ferdinand 390 Föge 510 Föhr 147 Ford, H e n r y 264 Forsthoff, Ernst 259 Franco, Francisco 271 François-Poncet, André 476 Frank, Anne 522 Frank, Hans 50, 2 1 9 , 2 2 1 , 2 2 4 , 4 0 4 Frank, Karl Hermann 493 Frank, Sven Thomas 289, 340, 370, 512, 515, 536 Franke-Gricksch, Alfred 136, 243, 248, 249, 252, 253, 256, 257, 467, 498, 499 Franke-Gricksch, Ekkehard 499 f. Franz-Willing, Georg 414 f., 533 Franzel, Emil 147, 474 Frauenfeld, Alfred 251, 269 Freiberger Herbert 275, 507, 508
Frey, Gerhard 299-303, 308f., 359, 517, 519f. Frick, Wilhelm 131, 463, 466 Fricke, Bruno 259, 501, 502 Fried, Ferdinand (Pseud., s. Zimmermann, F.) Frießner, Johannes 269 Fritzsch, Theodor 31, 54, 89, 109, 378 Fritzsche, Hans 270, 280 Frowein, Abraham 114 Frymann, Daniel (Pseud., s. Claß, Heinrich) Funk, Walter 118, 126, 464, 477, 491 Galton, Francis 18, 379 Gansser, Emil 74, 419, 425 f. Gattineau, Heinrich 426f., 476 Gaulle, Charles de 253, 430 Gaus, Günter 364 f. Gavl, Wilhelm Frhr. v. 105 Gebauer, Jürgen 532 Gebsattel, Konstantin Frhr. v. 54, 55, 372, 378, 381, 407 Gehlen, Arnold 316, 370 Geiss, Edgar 520 Gemlich, Adolf 411 Gereke, O t t o 259, 502 Gerstenmaier, Cornelia 515 Gerstenmaier, Eugen 468, 503, 529 Geßler, O t t o 85, 434, 445 Gille, Alfred 269, 273, 276 Gille, Herbert O . 263, 275 Glasgow, Earl of 502 Glauer, Adam Alfred Rudolf (s. Sebottendorff, Rudolf v.) Gleichen-Russwurm, Heinrich Frhr. v. 98, 100, 102, 103, 105, 395, 457 Globke, Hans 273 Gobineau, Joseph Arthur Graf 13 f., 19, 36, 376 Goebbels, Joseph 114-116, 134f., 141, 149, 211, 266f., 271-274, 276, 463f., 477, 502, 506 Göbel, Friedrich Wilhelm 398 Goerdeler, Carl 234, 474, 475 Göring, Carin 467 Göring, Hermann 41, 82f., 104, 132, 134, 143, 149, 205, 208, 209, 211, 214f., 229, 230, 234, 386, 387, 443, 465, 467, 477, 491 Goethe, Johann Wolfgang v. 349 Gollwitzer, Helmut 364 Goltz, Rüdiger Graf von der 388, 389 Gossweiler, Kurt 407 Grabowski, Friedrich 395 Graefe-Goldebee, Albrecht v. 55, 109, 373, 408, 418, 424, 442 Grandel, Gottfried 420, 451 Grassinger, Hans Georg 50, 54 Greiser, Arthur Karl 221 Griesmayr, Gottfried 251, 273, 368, 505 Grimm, Hans 100, 516, 521 Grimm, Holle 521 Groener, Wilhelm 42, 43, 45, 85 f., 122, 145, 387-390, 391 f., 393, 411, 422, 428, 445, 446 G r o t k o p p , Wilhelm 476 Grynszpan, Herschel 213 Guderian, H e i n z 269 Günsche, O t t o 492, 493 Günther, Hans F. K. 18, 380 Guevara, Che 514 Guinness, Lady Diana u. Jonathan 502 Gundolf, Friedrich 100 G u t h , Karl 492 Guthsmuths, Willi 259 Gwinner, Arthur v. 432 Haack 509 Habermas, Jürgen 355, 367 Habsburg, O t t o v. 283, 529 Haeften, Hans v. 100, 101, 457 Härtle, Heinrich 262, 503, 520
Haffner, Sebastian 221-224, 231, 291, 340, 341, 349, 491, 518, 535, 536 Hagen, H e r b e n 216, 217, 488 Haikett, v. 420 Hallgarten, George W. F. 445 H a m m , Eduard 434 Harrer, Karl 49, 52f., 57, 378, 405, 411 f., 416, 417, 419 Haubach, Theodor 151 Haug, Wolfgang Fritz 384-386 Haushofer, Kar] 49, 95, 105, 364, 400f., 425, 426 f., 454, 459, 461 Hausser, Paul 269,275 Haußleiter, August 251, 258, 270, 277, 288 H a u ß m a n n , Conrad 381 Havemann, Robert 364 Haverbeck, Werner 283, 302, 510, 535 Haverbeck-Wetzel, Ursula 537 Heck, Christian 516 Hegel, Georg Wilhelm Friedrich 324 Heidegger, Martin 316, 528, 530, 532 Heidenreich, Gert 522 Heile, Wilhelm 498 Heim, Claus 136, 478 Heim, Georg 67, 76-78, 81, 409, 431, 432, 435, 461 Heimann, Eduard 151 Heine, Heinrich 23, 340 Heinrichsbauer, August 118, 119, 464 Heinzmann, Axel 305, 516 Heiß, Adolf 66, 409, 437, 438 f. Helfferich, Karl 42, 97, 98, 102, 395 Heller, Hermann 151, 152 Hellpach, Willy 259 Hengst, Bernhard 513 Henlein, Konrad 275 Henning, Wilhelm 109 Henrici, Ernst 372 H e p p , Marcel 318, 368 H e p p , Michael 460 H e p p , Robert 370, 537 Hering, Johannes 404 Hermes, Andreas 108, 250, 259, 447, 461 Herre, Franz 359 Herrgott 58 Herte, Robert de 368 Hertling, Georg Graf v. 43, 108, 113 Heß, Ilse 425, 454 Heß, Rudolf 49, 71-73, 111 f., 138, 149, 176, 218, 257, 283, 400, 401, 418, 425, 426, 427, 454, 462, 463, 516, 520, 523 Heusinger, Adolf 493 H e u ß , Theodor 17, 456 Heuß-Knapp, Elly 456 Heydrich, Reinhard 148, 215, 217, 218, 219, 226 f., 228, 229, 268, 491 Hielscher, Friedrich 477, 478, 479 Hierl, Konstantin 110, 463, 465, 466, 516 Himmler, Heinrich 108, 125f., 196f., 203, 216ff., 221, 231—237, 248f., 263, 282, 459, 465, 503, 506 Hindenburg, Paul von Beneckendorff und von 70, 76, 110, 130, 387, 388, 390, 393, 402, 422, 431, 433, 361 Hinkel 139 Hintennwald, Michael (Pseud., s. Möhler) Hitler, Adolf 34, 41, 50, 56, 61-67, 71-74, 81-84, 90-95, 108-127, 131-135, 138-140, 143-149, 176f., 190, 197, 199, 206, 209, 212f., 215, 218, 220-225, 228, 231 f., 235-238, 243, 245, 248, 262-267, 298f., 308f., 340, 362, 367, 373, 376-381, 384, 386f., 393, 396-419, 425-430, 434—443, 449f., 453f., 459-477, 484, 487-506, 514, 518, 537 Höffkes, Karl 368 Hoegner, Wilhelm 278, 393, 417
Höltermann, Karl 144, 147, 474, 476 Hörauf, v. 58, 409 H ö u l , Wilhelm 235, 494 H o f f m a n n , Johannes 5 6 f „ 67, 151, 415, 420 H o f f m a n n , Karl-Heinz 238, 243, 263, 298, 301, 302, 303, 305, 515, 517 H o f f m a n n , Max 70, 422 f., 428, 430 Hoffmann-Axthelm, Dieter 367 H o f m a n n , Hans-Georg 437, 440 Hofmiller, Joseph 410 H o f w e b e r 425 Hohenlohe, Maximilian Egon Prinz v. 234, 494 Hohenstein, Walter 533, 536 H o p p e , August 273 H o r t h y de Nagy-Banya, Nikolaus 75 Houghton, Alanson B. 88, 90, 95, 433, 445, 448, 449, 450 Huisgen, H o r s t 269, 275, 507, 508 Hugenberg, Alfred 7, 35, 70, 71, 131, 149, 209, 387, 420, 477 Hughes, Charles Evans 90 H u n k e , Heinrich 276, 507f. H u n k e , Sigrid 368, 369 Hutier, Oskar v. 47, 396 Iffrig, Marcel 520 ligner, Max 492 Ilsemann, Christian 408 Ilsemann, Sigurd v. 431 Irving, David 518 Isenburg, Helene Elisabeth Prinzessin v. 282 Jahn, Friedrich Ludwig 22 Jaksch, Wenzel 147, 474 Jaspers, Karl 317 Jensen, Arthur B. 318, 322, 529, 532 Jochheim-Armin, Karl 295, 296, 304, 468, 514, 524, 525 Jodl, Alfred 225 Josewski-Eden, Gerhard 537 Jünger, Ernst 150, 291, 314, 316, 317, 349, 350, 477, 479, 480, 481, 531 Jünger, Friedrich Georg 370, 477 Jung, Edgar Julius 104,145,458, 459 June, Rudolf 34, 54 Junker, Rudolf (Pseud., s. Penz, Lothar) Kadritzke, Niels 364 Kahr, Gustav Ritter v. 67-69, 8 0 f „ 8 5 f „ 92, 420, 427, 430-440, 443-454 Kaltenbrunner, Ernst 235, 493 Kaltenbrunner, Gerd-Klaus 368, 369, 370 Kanzler, Georg 408 Kapp, Wolfgang 43, 46f., 59, 66-71, 92, 106, 153, 388, 393, 396, 409ff„ 415-425, 452 Kappler, Anneüese 518f. Kappler, Herbert 302, 518, 520 K a r l l . , röm. Kaiser u. Kg. d. Franken 34 Kastl, Ludwig 209 Kathagen, Friedhelm 522 Kaufmann, Karl 114, 115, 248, 251, 268, 275, 463, 475, 507, 508 Keitel, Wilhelm 488 Kemnitz, Mathilde v. (s. Ludendorff, M.) Kempner, R o b e n 519 Keppler, Wilhelm 270 Kerenskiy, Alexander Fjodorowitsch 496 Kern, Erich (Pseud., s. Kernmayr, Erich) Kern, Erwin 408 Kernmayr, Erich 271, 501 Kiefer, Wilhelm 505 Kiesinger, K u n Georg 270 Killinger, Manfred v. 391, 402,443 Kirdorf, Emil 47, 195 Kjellen, Rudolf 97, 400 Klages, Ludwig 414 Klagges, Dietrich 127f. Kleist, Peter 521
Klepper, O t t o 147, 474 Kliese, Erhard 293, 305, 524 Klintzsch, Hans-Ulrich 82, 443 Kluthe, Hans-Albert 474 Knauf, Friedrich 383 Knilling, Eugen Ritter v. 444 Knirsch, H a n s 383 Knöbel-Döberitz, v. 444 Knödler-Bunte, Eberhard 364, 365, 367 Koch, Erich 134, 463 Koehl, Matt 521 Kogon, Eugen 278 Kolberg (Pseud.?) 291 Kolley, Klaus 513 Korn, Willem 136 Korse, Lars-Erik 528 Kosbab, Werner 295, 304, 524, 525 Kosiek, Rolf 533 Krafft von Delmensingen, Konrad 410 Kraft, Waldemar 259 Krauch, Karl 195 f. Kraus, Edgar 408 Kraiiss 513 Krebs, Albert 270, 463, 506 Krebs, Armin 313, 317, 526 Krebs, Hans 506 Krebs, Pierre 317, 367, 368, 528f., 531 Kriebel, Hermann 439, 449, 450, 453, 454 Krohn, Friedrich 50 Krüger, Gerhard 277, 501 Krupp von Bohlen und Halbach, Gustav 18, 2091., 381 Kübler, Günther 471 Küchenmeister, Franz u. Johann 408 Kühnen, Michael 238, 301, 307, 515, 517, 520 Künast, Rudolf 368 Kuhlo, Alfred 69, 421 K u m m , O t t o 262, 269 Kyrill, Wladimirowitsch, Großf. 75, 90, 502 Laclau, Ernesto 384-386 Lächert, Hildegard 520 Lagirde, Paul de 200, 379 Lammers, Heinrich 430 Landauer, Gustav 47, 151 Lange, Friedrich 381 Lange, Friedrich Albert 375 Laoghans, Paul 54 Laroche, Fabrice (Pseud., s. Benoist, Alain de) Laß, Werner 477, 479 Lassalle, Ferdinand 294, 332, 513 Lauck, Gary Rex 3 0 1 , 5 1 5 , 5 1 7 Lauterbacher, Hartmann 248, 270, 495 Le Bon, Gustave 291 Ledebour, Georg 394 Laers, v. 471 Lehmann, Julius Frriedrich 16 ff., 49, 51, 378, 379, 419, 426, 438 Leipart, Theodor 144 Lejeune-Jung, Paul 105 Lemmer, Ernst 259, 455 Lenin, Wladimir I. 6, 182, 340, 373 f., 456 Lenz, Fritz 18, 19, 379, 380, 476 Levin, Max 56, 151 Levine Eugen 56, 151 Liebenfels, Jörg Lanz v. 33 Liebermann von Sonnenberg, Max 372 Liebknecht, Karl 46, 95, 394 f. List, Friedrich 17 List, Guido v. 396 Lobenthai, O . v. 276 Locchi, Giorgio (s. Nigra, H.-J.) Löffelholz, Frhr. v. 50 Löwenstein-Wcrtheim-Freudenberg, Prinz Karl zu 419 Löwenthal, Gerhard 516, 529 Lohausen, Heinrich Jordis v. 533
Lorenz, Konrad 291, 316, 370 Loßberg, Friedrich v. 394, 434 Lossow, O t t o Hermann v. 78, 409f., 430, 433, 434, 437, 444, 448, 450, 451, 452 Lotter, Michael 52, 53, 405 Loucheur, Louis 433 Lubers»c, Raoul Comte de 87 Lucht, Herbert 267 Lucius 407 Ludendorff, Erich 43, 46f., 55, 66, 68, 70f., 74-84, 89-94, 98, 109-111, 115, 126, 133, 142f., 373, 377, 387, 392ff., 402, 409ff., 418-439, 442{f., 447-453, 460, 4«2, 472, 485, 500 Ludendorff, Mathilde 1)1 Ludwig (Sohn Karls I-, dt. Kaiser) 34 Lübbe, Gustav 359, 362, 367, 369 Lübbert, Erich 148, 476 Lübke, Heinrich 259 Luedecke, Kurt 418 Lueger, Karl 33 Lüninck, Hermann Frhr. v. 459 Lüttwitz, Walther Frhr, v. 46, 59, 66f., 388, 409, 420, 421 Lützelburg, E m s t Frhr. v. 50 Luther, Hans 446 Luxemburg, Rosa 46, 95, 394 f. Macchiavelli, Nicolö 291, 480 Maercker, G . 388 Mahieu, Jacques de 527 Mahraun, Arthur 177, 337, 424, 430, 436, 535 Malde 291 Man, Hendrik de 270 Manke, Alfred E. 297, 311, 517, 521, 528 Mankiewitz, Paul 395, 396 Manteuffel, Hasso v. 243, 248f., 259, 273, 495 ff. Manteuffel-Szoege, Georg Baron v. 105 Marr, Wilhelm 23f., 33, 372 Marx, Karl 12, 27, 163, 316, 324, 340, 375, 414, 484 Marx, Simon 98 Maschke, Günter 365, 367, 369 Maser, Werner 415 f. Mason, Timothy W. 487 Maurras, Charles 23 Max, Prinz von Baden 43 f. Mayer-Koy, Josef 432 M»yr, Karl 56, 59-68, 71, 77, 399, 409f., 411, 412, 414, 415, 416, 417, 419, 420, 422, 485 MacCarthy, Joseph 278 McNarney, Joseph T. 431 Mehnert, Klaus 274, 507 Meinecke, Friedrich 388 Meinrad, Michael (Pseud.) 291, 294, 309, 311, 512 Meißner, O t t o 393 Mende, Erich 275, 507, 509 Mengele, Josef 244 Merton, Richard 392, 446 Metternich, Klemens Wenzel Fürst v. 353, 356, 365 Metzger, Peter (Pseud.) 536 Mevissen, Gustav v. i 7 Meyer, Konrad 490 Michaelis, Georg 391 Middelhauve, Friedrich 2 7 4 f f „ 498, 509 Mießner, Herwart 276, 508 Mikusch, Adelheid Baronin v. 50 Mildenstein, Leopold v. 216 Miltenberg, Weigand v. (Pseud., s. Blank, H . ) Milwe, Anatol v. d. (Pseud. ?) 497 Minoux, Friedrich 80, 82, 85, 89, 95, 444, 445, 447, 448, 450, 452 Mirbach-Harff, Wilhelm Graf v. 97 Möhl, Arnold Ritter v. 57, 59, 67, 68
Moellendorff, Wichard v. 392 f., 470 Möller, Alfred 209 Moeller van den Bruck, Arthur 100-108, 112, 117, 121, 153, 252f., 317, 331, 456, 483 Mohlau, Fred 537 Möhler, Armin 314-318, 340, 348, 358, 366, 368ff-, 400, 526-530, 533, 535 M o m m 395 Morgenthau, H e n r y L. 280 Mosley, Sir Oswald 260, 261, 502 Mossakowsky, Eugen 471 Muckermann, Hermann 380, 476 Mühsam, Erich 47, 56 Müller, Hans Georg 54 Müller, Hermann 130, 445 Müller, Karl Alexander v. 62, 414, 533 Mulzer 437 Mußgnug, Martin 287, 305ff., 525, 531 Mussolini, Benito 89, 112, 260, 271, 288, 425 Mutschmann, Martin 463 Nadolny, Rudolf 259 Napoleon I. 332 Nauhaus, Walter 48, 404 N a u m a n n , Friedrich 8 f . , 102, 112, 121, 362, 375, 388, 391, 395, 446, 456, 457 N a u m a n n , Werner 248, 257, 266-281, 493, 504, 505, 506, 508f., 510 Neulen, H a n s Werner 369 N e u m a n n , Hans-Hendrik 507 N e u m a n n , H . 513 Neurath, Konstantin Frhr. v. 212 Niekisch, Ernst 56, 150-191, 252f., 289, 291, 308f., 316, 332, 335, 340f., 346, 457, 477-485, 499, 535 Nietzsche, Friedrich 10, 158, 160, 165f., 169, 171, 203, 214, 291, 316, 322, 375, 379, 480, 527, 531 Nigra, Hans-Jürgen (Pseud. f. Locchi, Giorgio) 368 Noske, Gustav 56f., 107, 395 Oberth, Hermann 517 Oeter, Hans-Dietrich (auch Ferdinand) 532 Ohlendorf, O t t o 227 Oldenburg, Ulrich 471 Oldenburg-Januschau, Elard v. 47 Oschilewski, Walther G. 151 Ossietzky, Carl v. 379 Ossius 80, 435 Otte, Paul 517 Oven, Ernst v. 57, 2 7 1 , 4 0 1 , 4 0 8 , 409 Oven, Wilfred v. 271, 272, 506, 507 Pabst, Waldemar v. 46, 394, 409f., 420, 421, 429, 432 Paetel, Karl O t t o 134, 295, 310, 471, 474, 477f., 479, 485 Papen, Franz v. 104, 105, 107, 121, 135, 145, 149, 206, 387, 427, 428, 458 Pauls (Pseud., s. Hohenlohe, Prinz v.) Paulus (Apostel) 169, 316 Pauwels, Louis 315, 528 Pechel, Rudolf 475 Peisl, Anton 368 Penz, Lothar 287, 288, 305, 311, 312, 338, 347, 512, 514, 531, 532 Peron, Juan 272 Peters, Carl 7 Peters, Jan 460 Petter, Kurt 492 Pfeffer von Salomon, Franz Ferdinand Felix 141 f., 466, 472 f. Pferdmenges, Robert 248, 496' Pflugk-Hartung, Heinz Fritz v. 46f., 395 Pflugk-Hartung, Horst Gustav Friedrich 46f., 395 Pfordten, Theodor von der 453 Pfütze, Hermann 364
Pittinger, O t t o 69, 78, 80, 81, 421, 422, 432, 433, 434, 438, 439, 443, 449 Plard, Henri 527 Platzdasch, Ralf 520 Plenge, Johann 97, 481 Ploetz, Alfred 18, 379 Pöhlmann, Siegfried 303-309, 517, 526 Pöhner, E m s t 70, 73, 422, 440, 449 Pohl, Hermann 396 Pohrt, Wolfgang 537 Poulet, Robert 527 Pozorny, Reinhard 521 Prentzel, Alexander 259 Preuß, H u g o 172 Prien, Arnulf-Winfried 517 Priester, Karl-Heinz 260, 270, 277 Pröhuber, Karl-Heinz 524 Proudhon, Pierre Joseph 288 Q u a n d t , Günther 430 Radbruch, Gustav 151 Radek, Karl 394 f. Rademacher, Franz 220, 221 Rahn, Rudolf 273 Raiffeisen, Friedrich Wilhelm 293, 461 Ramcke, Hermann Bernhard 280, 510 Rathenau, Walther 45, 55, 392, 393, 407, 448 Ratzel, Friedrich 400, 454, 457 Rauschning, Hermann 280, 510 Reagan, Ronald 343, 344, 345, 349, 363 Rechberg, Arnold 46, 75f., 103, 394, 422f., 424, 426, 428 f., 430 f., 433, 436, 472 Rechberg, Fritz 75f., 424 Rechberg, Gebr. 75f., 398, 424 Rechenberg, v. 509 Regendanz, Guido 476 Reinhard (Freikorps-Oberst) 388 Reinhardt, U d o W. 537 Reismann-Grone, Theodor 119,464 Reithinger, Anton 492 Reitzenstein, Frhr. v. 50 Remer, O t t o Ernst 258, 500 Renan, Ernst 23 Reusch, Paul 381 Reuß zur Lippe, Marie Adelheid Prinzessin 522 Reventlow, Ernst Graf v. 46, 109, 112, 126, 134, 135, 140, 144, 410, 462, 463, 471 Ribbentrop, Joachim v. 2 1 8 , 2 1 9 , 2 2 0 Richter, Franz (Pseud., s. Rößler, Fritz) Richthofen, Bolko Frhr. v. 517 Rieck, Jörg (Pseud.) 529 Riedl, Richard 492 Rieger, Jürgen 529 Rieppel, Anton v. 392, 424 Riezler, Walter 97 Ringleb, Alexander 105 Rodbertus-Jagetzow, Carl 379 Roeder, Manfred 238, 301 f., 307, 519ff. Röhm, E m s t 56, 58f., 65-73, 78, 81 f., 92, 104, 108-110, 126, 142-148, 373, 377, 394, 409f., 417-422, 427, 432-439, 442, 453, 459f., 462, 465, 472-476, 485, 503 Röhr, Franz 96, 98, 395 Römer, Beppo 409 Rohwer, U w e 303, 518, 522 Roosevelt, Franklin Delano 222, 245, 278 Roselius, Ludwig 380 Rosenberg, Alfred 50, 115, 262, 316, 401, 408, 503, 528, 531, 534 Rosikat, Erich 463 Roßbach, Gerhard 68, 391, 408, 424, 442 Roth, Alfred 54 Rothermere, Lord 502 Rubin, Berthold 517 Rudel, Hans-Ulrich 272, 507, 516, 520 Rüddenklau, Harald 359, 360
Runge (Husar) 47, 395 Rupprecht von Wittelsbach, bayer. Kronprinz 77, 81, 435f., 438 Sachsen-Coburg und Gotha, Karl Eduard Herzog v. 90, 261,449, 502 Sachsen-C. u. G . , Ernst Prinz v. 283 Salomon, Ernst v. 477 Sauermann, U w e 340, 535 Schacht, Hjalmar 103, 104, 118, 125, 131, 132, 140, 149, 177, 2 0 9 f „ 271, 277, 283, 387, 459, 465, 467, 505 Schade, Heinrich 532 Schäfer, Dietrich 397 Schallmayer, Friedrich Wilhelm 18 Schapke, Richard 136, 471, 477,478 Schaumburg-Lippe, Friedrich Christian Prinz zu 522 Scheel, Gustav Adolf 251, 268f., 273-276, 507f. Schelsky, Helmut 365 Schenke, Wolf 258, 259, 281, 287, 370, 501 Scheringer, Richard 144 Scheubner-Richter, Max Erwin v. 46, 105, 418 Schiele, Martin 461 Schiemann, Paul 533 Schirach, Baidur v. 495 Schlageter, Albert Leo 517 Schleicher, Kurt v. 45, 85 f., 99, 103 f., 110, 122f., 130ff., 135f., 144-148, 259, 262, 277, 389, 392f., 409, 411, 428, 430, 445ff., 458, 465ff., 472-476 Schlünder 492 Schmalstieg, Herbert 495 Schmeling, Max 283 Schmidt, Axel 395 Schmidt, Helmut 285, 363 Schmitt, Carl 315, 316, 333, 366 Schmitt, Kurt 430 Schmitz, Hermann 392 Schneppenhorst, Ernst 57 Schneyder, Erich 273 Schnitzler, Karl 394 Schoeller, Philipp v. 492 Schönborn, Erwin 261, 301, 302, 338, 517, 518, 519, 520, 525 Schönerer, Georg Bitter v. 32 f., 382 Schönhuber, Franz 370 Schönmann, Philipp 515 Schoeps, Hans-Joachim 318 Scholz, Wolfgang 148 Schotte, Walther 102, 145, 457f. Schrenck-Notzing, Albert Frhr. v. 400 f. Schrenck-Notzing, Caspar v. 314, 318, 368, 400 f. Schrenck-Notzing, Leopold v. 401 Schrenck-Notzing (Fam.) 426 Schroeder, Kurt Frhr. v. 205f., 427, 459 Schubert, Frank 525 Schüddekopf, O t t o - E r n s t 457 Schüßler, Rudolf 64 Schütz, Waldemar 270, 277 Schulz, E m s t 475 Schulz, Fritz 277 Schulz, Heinrich 391 Schulz, Paul 108, 141, 148, 461, 475, 476 Schulze-Kossens, Richard 262 Schumacher, Hermann 428 Schumacher, Kurt 332, 478 Schumann, Gerhard 527 Schwarz van Berk 507 Schweisfurth, Theodor 359, 361, 362, 370 Sebottendorff, Heinrich v. 48 Sebottendorff, Rudolf Frhr. v. 48-57, 71, 396 f., 398, 402 f., 404, 405, 406, 408, 425 Sedlmeier, Hermann 403
Seeckt, Hans v. 80-86, 89, 428, 434, 4 4 0 f „ 444—452 Seiboth, Franz 259 Seidlitz, Friedrich Wilhelm Frhr. v. 50 Seiffert, Wolfgang 370 Seißer, Hans Ritter v. 409, 445, 448, 450, 452 Selchow, v. 445 Selmbach, Lothar 340, 535 Sesselmann, Max 54, 406 Severing, Carl 144 Shamir, Yitthak 489 Siebel, Fritz 395 Siegle, Gabriele 400 Siegle, Gustav 400 f. Siemens, Carl-Friedrich v. 314, 368, 370, 396 Siemens, Georg v. 391 Silverberg, Paul 118,464 Singer, Hartwig (Pseud., s. Eichberg, Henning) Singer, Kurt 474 Sinzheimer, H u g o 51 Six, Alfred Franz 267 Skorzeny, O t t o 271, 272, 288, 506 Sokrates 324 Sollmann, Wilhelm 147, 474 Sombart, Werner 470, 480, 483 Sondermann, Gustav 156 Soucek, Theodor 292 Sorel, Georges 288 Spahn, Martin 95 f., 424, 455 Spahn, Peter 96 Spall, Peter van 460 Spanuth, Jürgen 527 Speidel, Hans 250 Spengler, Oswald 152, 325, 483, 484 Sperber, Manes 349 Spiecker, Carl 141, 147, 250, 471, 474 Spindler, Gerd 273, 280 Springer, Axel 468 Springorum 505 Stadtler, Eduard 46f., 51, 71, 95-108, 119, 152, 387, 394-396, 424, 454ff., 459 Stäglich, Wilhelm 302, 521, 522 Stammes, Günter 523 Starhemberg, Ernst Rüdiger Graf v. 155 Stauff, Philipp 396 Stauffenberg, Hans v. 251 Stauffenberg, Wolf Schenk v. 251 Stauß, Emil Georg v. 432 Stegerwald, Adam 96, 98, 105, 108, 395, 446, 455, 456 Stegner, Artur 275, 507, 508 Steiner, Felix 269 Steinhoff, Johannes 347 Stennes, Walther 136, 141-143, 259, 270, 277, 472 Stephani, Franz v. 388, 420 Stern, Abraham 489 Stinnes, H u g o 42, 46f., 51, 75-91, 95, 119, 392, 395f., 420f., 424, 428f., 432ff., 440, 443-450, 453 Stinnes, ftugo, jr. 248, 268, 277 Stirner, Max 375 Stöckicht, Peter 287, 525 Stoecker, Adolf 29f., 31, 33, 372, 384 Stöhr, Franz 105, 126, 463 Stoph, Willi 286, 289, 513 Strasser, Gregor 106-150, 248, 256, 277, 373, 377, 381, 460-470, 475ff„ 505, 516 Strasser, O t t o 41, 106-150, 155f., 190, 248, 250, 257-260, 277, 282, 287, 292, 294, 299, 308, 311, 354, 357, 362, 386f., 459-477, 496, 500, 507, 513f., 516 Strasser, Gebr. (auch -Richtung) 94, 256, 258, 268, 293, 295, 298, 304, 308, 310, 357, 409, 432, 467, 469f., 471, 485, 496, 497, 498, 499 Strauß, Franz-Josef 318, 506, 529, 530
Strauss, Wolfgang 191, 293 f., 305, 309, 311 f., 331-334, 344, 356f., 367, 370, 514, 523, 534 Streckenbach, Bruno 221 Streicher, Julius 53/54, 212 Stresemann, Gustav 83, 8 4 f „ 86, 91, 431, 444, 445, 447, 449, 451, 452, 453 Stülpnagel, Joachim v. 434 Sudholt, Gert 503, 504, 521, 533 Sündennann, Helmut 287, 503 Syberberg, Hans Jürgen 518 SymonenKo, Wassili) 294, 514 Tabbert, Roland 297, 514, 520 Tafel, Paul 49, 50, 52, 378f., 397, 438 Taft, Robert Alphonso 287 Taubert, Eberhard 270, 505 Techow, Ernst Werner u. Hans Gerd 408 Terhalle 430 Teuchert, Franz Karl Frhr. v. 50 Thadden, Adolf 270, 271, 277, 284, 286, 297, 305, 306, 308, 512 Thälmann, Ernst 232 Thiede 288 Thiriat, Jean 287 Thomas von Aquin 316 Thoss, Bruno 393f., 429f., 452 T h u m und Taxis, Gustav Franz Maria Prinz 50 Thyssen, August 390 Thyssen, Fritz 77, 80, 89, 103f., 118, 131 f., 140, 177, 195, 209 f., 387, 429, 434, 439, 449 Tiburtius, Joachim 105 Tillessen, Heinrich 391 Tirpitz, Alfred v. 43 Tocqueville, Alexis de 14, 173 Toller, Ernst 47, 56, 151 Torfhaus, Linus (Pseud.) 534 Torre, Erwin (s. Sebottendorff, Rudolf v.) Trebitsch-Lincoln, Ignaz T. 46, 67, 420, 421 Treviranus, Gottfried Reinhold 145, 148, 474, 476, 477 Träger, Karl 155, 156, 190 Truman, H a r r y S. 265, 278 Trumpf, Werner 273, 276 Tschiang-Kai-Schek 259 Urban II. (Papst) 21 Vahlen, Theodor 463 Veigel, Thomas 515 Venohr, Wolfgang 287, 340, 359, 360, 361, 362, 363, 365, 367, 369, 370, 535, 536 Vietinghoff-Scheel, Leopold v. 441 Vietsch, Eberhard v. 431 Vogler, Albert 71, 424 Vogel, N e p o m u k (Pseud., S. Möhler, Armin) Vogt, Michael 370 Voigt, Martin 521, 522 Vowinkel, Kurt 270, 505, 521 Waffenschmidt, Horst 532 Wagemann, Ernst 476 Wagener, O t t o 119, 126, 127, 141, 209f., 380, 430, 464, 466 Wagner, Adolf 463 Wagner, Adolph v. 372 Wagner, Eva 18
Wagner, Josef 463 Wagner, Richard 18, 379 f. Wahl, Wilhelm 48, 50, 380 f., 397 Waldeck-Pyrmont, Josias Erbprinz v. 282, 503 Waldeck-Pyrmont, Wittekind Prinz v. 503 Waldmann, Gert (Pseud.) 291,296, 513 Walendy, U d o 302, 518, 521, 522 Walesa, Lech 334 Walterspiel, O t t o 399 Walterspiel, Karl Theodor 399 Walterspiel, Gebr. 49, 398 f., 426 Warmbold, Hermann 105 Warton, Alfred 525 Watter Karl Oskar Heinrich Frhr v. 80, 434 Weber, Alfred 97 Weber, August 474 Weber, Friedrich 154, 438, 439, 454 Weber, Max 388, 470 Wegener, Paul 275 Wehner, Herbert 478 Weil, Ekkehart 513 Weiß, Wilhelm 439 Weizsäcker, Richard v. 363, 364 Wenck, Walter 273 Westarp, Heila Grafin v. 50, 401, 409, 426 Westarp, Kuno Graf 271 Wetzel, Erhard 197f., 490 Wheeler-Bennett, Sir John 476 Wiedfeldt, O t t o 85, 88, 444, 445, 452 Wiegershaus, Friedrich 114,463 Wieser, Friedrich 54 Wilhelm II. 29, 37, 76, 96, 388, 431 Wilhelm (dt. Kronprinz) 409 Wilke 276, 508 f. Willisen, Wilhelm Frhr. v. 105 Willms, Bernard 365-367, 370 Wilson, W o o d r o w 456 Windsor, Earl of 502 Winkler, Heinrich August 384 Winnig, August 105, 153 f., 294, 332, 388, 478, 479 Wintzek, Bernhard C. 286, 287, 369, 511, 512 Wirsing, Giselher 467, 468 Wirth, Joseph 79, 87, 88, 445, 461 Wissell, Rudolf 45, 393 Wittgenberg, Else Freiin v. 50 Wittgenberg, Wilhelm Frhr. v. 50 Wolff, Karl 237, 493, 518 W o y w o d , Georg 515, 516 Wübbbels, Wilhelm 517 Wuermeling, Henric L. 359, 362 Wulle, Reinhold 109, 373, 408, 424 Young, O w e n D . 131,471 Zehrer, Hans 136, 274, 468, 501 Zeller, Alfred 437, 439 Zickler, Arthur 152 Ziesel, Kurt 318, 521, 527, 529 Zimmermann, Ferdinand Friedrich ( = Ferdinand Fried) 136, 467, 468, 476 Zimmermann, Paul 273 Zoglmann, Siegfried 273, 275, 280 Zündel 517
Reinhard Opitz geboren 1934 D r . phil., Publizist Veröffentlichungen: Der deutsche Sozialliberalismus 1917-1933, Köln 1973; Europastrategien des deutschen Kapitals 1900-1945 (Herausgeber), Köln 1977; zahlreiche Aufsätze in Zeitschriften u n d Sammelbänden, insbesondere zu Fragen der Faschismusdiskussion u n d der Geschichte des deutschen Faschismus.
Akademie-Verlag • Berlin 1984