Avantgarde und Faschismus: Spanische Erzählprosa 1925–1940 [Reprint 2017 ed.] 9783110963410, 9783484550278

The problematic connection between avant-garde and fascism is looked at in the present study for the first time with spe

182 93 38MB

German Pages 421 [424] Year 1996

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Table of contents :
Inhalt
1. Einleitung
2. Die Autoren
3. Zum Funktionswandel von Kunst und Literatur im Spiegel der immanenten Ästhetik
4. Proteus im Nebel – Diskursvarianten der Avantgarde-Prosa
5. Identitätsproblematik und historische Krise
6. Individuum und Gesellschaft
7. Ästhetik und Politik
8. Schluß
Bibliographie
Namensverzeichnis
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Avantgarde und Faschismus: Spanische Erzählprosa 1925–1940 [Reprint 2017 ed.]
 9783110963410, 9783484550278

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mimesis Untersuchungen zu den romanischen Literaturen der Neuzeit Recherches sur les littératures romanes depuis la Renaissance

Herausgegeben von / Dirigées par Reinhold R. Grimm, Joseph Jurt, Friedrich Wolfzettel

27

José Caballero: Titelblatt Vèrtice n" 7 - 8 diciembre 1 9 3 7 - e n e r o 1938

Mechthild Albert

Avantgarde und Faschismus Spanische Erzählprosa 1925-1940

Max Niemeyer Verlag Tübingen

1996

Gedruckt mit Unterstützung der Deutschen Forschungsgemeinschaft

Die Deutsche Bibliothek - CIP-Einheitsaufnahme Albert, Mechthild: Avantgarde und Faschismus : spanische Erzählprosa 1925 - 1940 / Mechthild Albert. Tübingen : Niemeyer, 1996 (Mimesis; 27) NE: GT ISBN 3-484-55027-9

ISSN 0178-7489

© Max Niemeyer Verlag GmbH & Co. KG, Tübingen 1996 Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Printed in Germany. Gedruckt auf alterungsbeständigem Papier. Satz und Druck: Allgäuer Zeitungsverlag, Kempten. Einband: Heinr. Koch, Tübingen.

Inhalt

1.

Einleitung

1.1 1.2 1.2.1 1.2.2 1.2.3 1.2.4 1.2.5 1.3

Forschungsbericht Die spanische Literatur im Umbruch Ambivalenzen der spanischen Avantgarde Überwindung der Avantgarde La parábola de la nueva literatura Götterdämmerung Von der Avantgarde zum Faschismus - Ernesto Giménez Caballero (1899-1988) Problemstellung

30 40

2.

Die Autoren

45

2.1 2.2 2.3 2.4

Tomás Borrás (1891-1976) Felipe Ximénez de Sandoval (1903-1978) Samuel Ros (1904-1945) Antonio de Obregón (1909-1985)

49 56 64 76

3.

Zum Funktionswandel von Kunst und Literatur im Spiegel der immanenten Ästhetik

80

3.1 3.1.1 3.1.2 3.2 3.2.1 3.2.2 3.2.3 3.2.4 3.2.5 3.3 3.3.1 3.3.2

Tomás Borrás Ambivalenzen der reaktionären Avantgarde im Kontext des Modernitätskonflikts Neue Sachlichkeit und expressionistische Ästhetik des Häßlichen Der Weg von der Vanguardia zur Avanzada im Spiegel metanarrativer Reflexion - Samuel Ros Der Schriftsteller als Randexistenz der bürgerlichen Gesellschaft Ästhetizismus und Avantgarde Rehumanisierung und Revolution Faschistischer Neoromantische Resignation Felipe Ximénez de Sandoval Der Engel und der Dichter Der Dichter und der Tod

1 1 7 8 16 19 23

81 83 86 94 94 96 99 106 111 114 114 117

V

4.

Proteus im Nebel garde-Prosa

Diskursvarianten der Avant121

4.1

Eklektizismus zwischen Jahrhundertwende und Avantgarde - Tomás Borrás 4.1.1 Ästhetik der Grausamkeit 4.1.1.1 Noveletas 4.1.1.2 La pared de tela de araña 4.2 Von der Pluralität avantgardistischer Diskurse zum Stil des Faschismus - Felipe Ximénez de Sandoval 4.2.1 Eine Poetik des Wachtraums 4.2.2 Der Diskurs von Traum und Wahn 4.2.3 Konstruktivistischer Diskurs 4.2.4 Relikte des Avantgarde-Diskurses im Bürgerkriegsroman Camisa azul 4.3 Allegorien des Schreibens - Antonio de Obregón 4.3.1 Realität und Surrealität - Die «bifurcación misteriosa» der Metaphern 4.3.2 Realitätsverlust und expressionistisches Grauen 4.3.3 Selbstreflexivität der Literatur 4.3.4 Diskursive Annäherung an die Realität 4.3.5 Tragikomödie und offenes Ende

153 157 159 160 161

5.

Identitätsproblematik und historische Krise

164

5.1

Persönlichkeitsspaltung und Modernitätskonflikt - Tomás Borrás Figuren der Zeitlichkeit Individuum und Geschichte Antinomien und Ambivalenzen Infantile Regression und zyklische Zeit - Edgar Neville, Samuel Ros Die Opfer einer Epoche - Antonio de Obregón Efectos navales Ximénez de Sandovals gesichtsloser Herr X Tres mujeres más Equis Identität und Alterität - Equis und die Frauen Das Leben, ein zerbrochener Traum Die Legende vom komischen Heiligen - Samuel Ros El ventrílocuo y la muda Inzest und Infantilität Abspaltung und Narzißmus Die Suche nach der Alterität Individualistische Revolte und metaphorischer Suizid . . .

5.1.1 5.1.2 5.1.3 5.2 5.3 5.4 5.4.1 5.4.2 5.5 5.5.1 5.5.2 5.5.3 5.5.4

VI

123 127 129 131 138 139 141 145 148 151

167 167 168 171 176 182 189 191 195 198 199 201 203 206

6.

Individuum und Gesellschaft

214

6.1

Ein Planspiel der Rehumanisierung - Samuel Ros El hombre de los medios abrazos 6.1.1 Persönlichkeitsentwicklung . 6.1.1.1 Desintegration und Revolte 6.1.1.2 Selbstentfremdung und Ich-Findung 6.1.2 Menschwerdung und gesellschaftliche Versöhnung 6.2 Der Kapitalist als Held - Antonio de Obregón Hermes en la vía pública 6.3 Der Einzelne und die Macht - Avantgardistische Revolte der Phantasie in Tomás Borrás' El poder del Pensamiento 6.4 Die große Illusion von gesellschaftlicher Integration und individueller Größe - Felipe Ximénez de Sandoval Camisa azul

280

7.

Ästhetik und Politik

299

7.1 7.1.1 7.1.2 7.1.3 7.2

305 306 307 309

7.4.4 7.4.5

Eine faschistische Ästhetik - Ernesto Giménez Caballero Der Dichter als Prophet des Führers Architektur als Staatskunst: der Escorial Politisierung der Ästhetik: der Künstler als Soldat Ästhetische Existenz und Präfaschismus - Antonio de Obregón Hermes en la vía pública Ästhetik der Grausamkeit - Tomás Borrás Checas de Madrid Filmische Darstellung von Gewalt Wissenschaftliche Deshumanisierung Schwarzer Humor Madrid und die Ästhetik der Ruinen Das Groteske und die Funktion der Kunst Die Falange und der faschistische Stil - Felipe Ximénez de Sandoval Camisa azul Stil als rhetorische Kategorie Stil als anthropologische Kategorie Statue und Ritual - Zur Stilisierung von Körperlichkeit und Tod Ästhetik des Krieges Politik als Kunstwerk - Die Poesie der Falange

367 372 381

8.

Schluß

386

Bibliographie

391

Register

409

7.3 7.3.1 7.3.2 7.3.3 7.3.4 7.3.5 7.4 7.4.1 7.4.2 7.4.3

215 217 219 224 228 237 258

311 325 328 331 335 338 347 354 358 364

VII

1. Einleitung

1.1 Forschungsbericht Während der Zusammenhang zwischen Avantgarde und Faschismus für Italien, Deutschland, Frankreich und den angelsächsischen Raum bereits hinlänglich erforscht ist1 und sich zahlreiche Monographien mit Figuren wie Marinetti und Benn, Jünger, Pound und Céline befassen, wurde auf Spanien, mit Ausnahme von Ernesto Giménez Caballero, bislang noch keine vergleichbare Fragestellung angewandt. Der Gegenstand der vorliegenden Arbeit liegt zudem am Schnittpunkt zweier ohnehin minoritärer Forschungsbereiche der Hispanistik, nämlich der Avantgardeprosa und der faschistischen Literatur. Gesamtdarstellungen der internationalen Avantgarde-Bewegungen, wie beispielsweise Jean Weisgerbers Les Avant-Gardes littéraires au XXe siècle,2 berücksichtigen die hispanischen Avantgarden bislang eher summarisch, Manfred Hardt klammert sie in Literarische Avantgarden3 ganz aus. Neben dem 1988 von Gabriele Morelli edierten Sammelband Trent'anni di vanguardia spagnola4 hat insbesondere Harald Wentzlaff-Eggebert, nach einem ersten Hinweis auf den Expressionismus in Spanien und Lateinamerika, 5 in jüngster Zeit mit zwei gewichtigen Publikationen, nämlich den Akten des Kolloquiums Europäische Avantgarde im lateinamerikanischen Kontext6 und der Orientación bibliográfica Las literaturas hispánicas de vanguardia,7 wesentlich dazu beigetragen, den internationalen Stellenwert der hispanischen Avantgarden zur Geltung zu bringen, «corrigiendo con ello un concepto hasta ahora frecuentemente reducido de los hechos.»8 Ein positives Signal verspricht auch das von Juan Manuel Bonet angekündigte Diccionario de las vanguardias en España (1907-1936) zu setzen. Aus 1

2 3 4 5

6 7 8

Ohne Einzelstudien zu nennen, seien hier nur zwei Überblicksdarstellungen angeführt: Reinhold Grimm, Jost Hermand (ed.), Faschismus und Avantgarde, Königstein/Ts., Athenäum, 1980; Alastair Hamilton: The Appeal of Fascism. A Study of Intellectuals and Fascism 1919-1945, London 1971. Budapest 1984, 2 vols. Darmstadt, Wissenschaftliche Buchgesellschaft, 1989. Milano 1988. Harald Wentzlaff-Eggebert: «Expressionismus in Spanien und Lateinamerika?». In: Lateinamerika Studien 9 (1982), p. 533-566. Frankfurt am Main, Vervuert, 1991. Frankfurt am Main, Vervuert, 1991. Harald Wentzlaff-Eggebert: Las literaturas hispánicas de vanguardia. Orientación bibliográfica, p. IX. I

naheliegenden Gründen konzentrierte sich das wissenschaftliche Interesse an spanischer Avantgardeliteratur primär auf die Lyrik, in geringerem Maße auf die Dramatik; auch den Manifesten und der Presse der Avantgarde wurde Aufmerksamkeit zuteil, während das narrative Genre weitgehend ausgeklammert wurde. So widmet Paul Ilie in The Surrealist Mode in Spanish Literature9 lediglich eines von zwölf Kapiteln den Erzählern Gómez de la Serna, Jarnés und Arderíus. Wenn auch vergleichend und breiter angelegt, gilt ähnliches für Cyril Brian Morris' Surrealism in Spain (1920-1936)10 oder den Sammelband von Víctor Garcia de la Concha El Surrealismo.u So belegen auch die Daten in WentzlaffEggeberts Orientación bibliográfica, «que la investigación de la prosa y del teatro vanguardistas queda aún notoriamente a la zaga de la de la poesía.» 12 Zu Beginn der siebziger Jahre richtet Víctor Fuentes das Augenmerk auf die Erzählprosa der spanischen Avantgarde, 13 um sich jedoch alsbald vorzugsweise der «novela social», ihren Vorläufern und ihrem kulturpolitischen Umfeld zu widmen. 14 Mit ihrer Anthologie Los vanguardistas españoles (1925-1935) aus dem Jahre 1973 haben Ramón Buckley und John Crispin, 15 unbeschadet aller Schwächen dieser Auswahl, das Verdienst erworben, vergessene Avantgarde-Erzähler wiederzuentdecken und einer breiten Öffentlichkeit zugänglich zu machen. In diesem Zusammenhang sei auch das zweisprachige Bändchen Vanguardia y Avanzada. Spanische Avantgarde erwähnt, das Peter Kultzen im Jahre 1991 für den Deutschen Taschenbuch Verlag zusammengestellt hat. 16 Von der Anthologie Buckleys und Crispins ging bedauerlicherweise kein nachhaltiger Impuls aus. Erst zu Beginn der 80er Jahre ist ein wiederauflebendes Interesse an der Erzählprosa der spanischen Avantgarde zu verzeichnen. Ein Kapitel seiner Studie Literatura y Tecnología. Las letras españolas ante la revolución industrial17 widmet Juan Cano Ballesta der «nueva retórica de la modernidad», die er an Pedro Salinas, Francisco Ayala, César Muñoz Arconada und Antonio de Obregón exemplifiziert. Nicht unumstritten blieb die Untersuchung von Gustavo Pérez Firmat 9 10 11 12 13

14

15 16

17

2

Ann Arbor, Univ. of Michigan Press, 1968. Cambridge, Cambridge Univ. Press, 1972. Madrid, Taurus, 1982. Harald Wentzlaff-Eggebert: Las literaturas hispánicas de vanguardia, p. X. Cf. «La narrativa española de vanguardia (1923-1931): Un ensayo de interpretación». In: The Romanic Review 63, 3 (1972), p. 211-218. Cf. Víctor Fuentes: La marcha al pueblo en las letras españolas (1917-1936), Madrid, Ediciones de la Torre, 1980. Madrid, Alianza Editorial, 1973. Vanguardia y Avanzada. Spanische Avantgarde. Texte der 20er und 30er Jahre, Auswahl, Übersetzung und Nachwort von Peter Kultzen, München, Deutscher Taschenbuch Verlag, 1991. Madrid, Orígenes, 1981.

¡die Fictions. The Hispanic Vanguard Novel (1926-1934),18 der, ausgehend vom zeitgenössischen kritischen Diskurs über die Avantgarde-Romane, deren metafiktional-narrativen Diskurs am Beispiel von Pedro Salinas, Jaime Torres Bodet und Benjamín Jarnés analysiert. Der von Fernando Burgos edierte Sammelband Prosa hispánica de vanguardia,19 der die Avantgarde chronologisch sehr weit faßt und den Akzent auf Lateinamerika setzt, liefert ein halbes Dutzend Beiträge zur Erzählprosa der historischen Avantgarde in Spanien, die u. a. Luis Buñuel, Gonzalo Torrente Ballester und Gabriel Miró zum Gegenstand haben. In seinem Werk Transparent Simulacra. Spanish Fiction 1902-192620 behandelt Robert C. Spires für den Zeitraum von 1923 bis 1926 neben Azorin und Valle-Inclán auch jeweils einen Roman von Ramón Gómez de la Serna, Benjamín Jarnés und Pedro Salinas. Auch Cyril B. Morris, der bereits mit bedeutenden Beiträgen zum spanischen Surrealismus hervorgetreten ist, hat einen weiteren Sammelband zu diesem Thema herausgegeben. 21 Generell läßt sich eine Tendenz zur Kanonbildung feststellen, gelten die Publikationen doch vorrangig Autoren wie Benjamín Jarnés und Gabriel Miró, Francisco Ayala oder Pedro Sahnas, nicht zu vergessen Ramón Gómez de la Serna, 22 neben Guillermo de Torre eine zentrale Mittlerfigur der spanischen Avantgarde, 23 Erfinder der Greguería 24 und Begründer der gemeinhin als qualifizierten Strömung der Avantgarde-Prosa. 25 Bei den in dieser Tradition stehenden Erzählern der präfaschistischen Avantgarde, die den Gegenstand der vorliegenden Untersuchung bilden, handelt es sich um Minores, die innerhalb dieses ohnehin wenig erforschten Bereichs als quantité négligeable figurieren. Abgesehen

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19 20 21

22

23 24

25

Durham, Duke University Press, 1982; cf die Besprechung von Klaus MeyerMinnemann in: Nueva revista de filología hispánica 34 (1985/86), p. 233-238. Madrid, Orígenes, 1986. Columbia, University of Missouri Press, 1988. Cyril B. Morris (ed.), The Surrealist Adventure in Spain, Ottawa, Dovehouse Editions, 1991. Während der Drucklegung der vorliegenden Studie erscheint Derek Harris (ed.), The Spanish avant-garde, Manchester/New York, Manchester University Press, 1995. Cf Ramón Gómez de la Serna: Una teoría personal del arte, ed. Ana MartínezCollado, Madrid 1988; Ronald Daus: Der Avantgardismus Ramón Gómez de la Sernas, Frankfurt am Main, Klostermann, 1971; sowie Rodolfo Cardona (1957), Luis Cernuda (1957), Luis Granjel (1963), María Luisa García-Nieto Onrubia (1973), James H. Hoddie (1979), Juan Manuel Bonet (1980), Sonia Mattalia (1990). Cf. Francisco Umbral: Ramón y las vanguardias, Madrid, Espasa-Calpe, 1978. Zur Greguería cf. Richard L. Jackson (1963,1965,1966), Ricardo Senabre Sempere (1967), Miguel González-Gerth (1973), Richard L. Jackson (1976), Teodoro Llanos Alvarez (1980), Werner Helmich (1982), Alan Hoyle (1989). Cf. María Luisa García-Nieto Onrubia: «La concepción del humor en Ramón Gómez de la Serna». In: Studia Philologica Salmanticensia 3 (1979), p. 107-119.

3

von Buckley und Crispin berücksichtigen nur Cano Ballesta und Pérez Firmat zwei der hier zur Diskussion stehenden Autoren. Die Literatur der Falange stand lange Zeit im Schatten der verständlicherweise prioritär behandelten Autoren des republikanischen, linken Engagements bzw. des späteren Exils. Einen Anfang zur Aufarbeitung der Rechten machte, noch während der Franco-Ära, José Carlos Mainer mit der informativen Einführung zu seiner Anthologie Falange y literatura.26 1975 präsentiert Manuel Pastor in Los orígenes del fascismo en España27 drei intellektuelle Wegbereiter des spanischen Faschismus, darunter den Avantgardisten Ernesto Giménez Caballero, auf den wir später noch eingehen werden. Seit Antonio Gómez Maríns Materialsammlung Los fascistas y el 9828 finden literarische Dokumente des Faschismus verstärkt Eingang in Anthologien und Darstellungen der Bürgerkriegsliteratur, beispielsweise in Fernando Diaz-Plajas Anthologie Si mi pluma valiera tu pistola. Los escritores españoles en la guerra civil.29 Die Massenproduktion propagandistischer Lyrik in beiden Bürgerkriegslagern (und die relative Erträglichkeit kurzer Texte demagogischen und pathetischen Charakters) erklärt, weshalb die wenigen Studien zur faschistischen Literatur vorzugsweise der Lyrik gelten, allen voran José María Pemán, dem Manfred Lentzen ein Kapitel seiner Darstellung Der spanische Bürgerkrieg und die Dichter. Beispiele politischen Engagements in der Literatur10 widmet und auf den sich ebenfalls Barbara Pérez-Ramos in ihrem Aufsatz Poesie und Politik: Aspekte faschistischer Rhetorik im Spanischen Bürgerkrieg^1 bezieht. Auch Francisco Caudet, 32 Julio Rodríguez Puértolas 33 und Anthony Geist 34 befassen sich in kürzeren Beiträgen mit Aspekten der faschistischen Lyrik, die Víctor García de la Concha im ersten Band seiner Poesía española de 1935 a 1975, De la preguerra a los años oscuros (1935-1944), ausgehend von Rehumanisierung und Politisierung, umfassend und differenziert darstellt. 35

26

Barcelona, Labor, 1971. Madrid, Tucar, 1975. 28 In: Aproximaciones al realismo español, Madrid 1975, p. 207-394. 29 Barcelona, Plaza y Janés, 1979. 30 Heidelberg, Winter, 1985. 31 In: Günther Schmigalle (ed.), Der Spanische Bürgerkrieg. Literatur und Geschichte, Frankfurt am Main, Vervuert, 1986, p. 147-179. 32 Francisco Caudet: «Aproximación a la poesía fascista española: 1936-1939». In: Bulletin hispanique 88, 1 - 2 (1986), p. 155-189. 33 Julio Rodríguez Puértolas: «Fascismo y poesía en España». In: Actas del 7° Congreso Internacional de Hispanistas, Roma 1982, p. 883-891. 34 Anthony Geist: «Popular Poetry in the Fascist Front Düring the Spanish Civil War». In: Hernán Vidal (ed.), Fascismo y experiencia literaria: reflexiones para una recanonización, Minneapolis 1985, p. 145-153. 35 Madrid, Cátedra, 2 a ed., 1992. 27

4

Nachdem Maryse Bertrand de Muñoz im Jahre im Jahre 1982 ihre umfangreiche Bibliographie zur Bürgerkriegsepik vorgelegt hat, 36 findet auch die Erzählliteratur der Rechten zunehmend Berücksichtigung, so etwa bei Antonio Varela 37 und Gareth Thomas. 38 Regine Schmolling widmet den Produktions- und Rezeptionsbedingungen des Bürgerkriegsromans im frühen Franquismus eine detaillierte literatursoziologische Analyse.39 Erwähnenswert sind schließlich auch die Darstellungen der spanischen Intelligenz zwischen Diktatur und Bürgerkrieg, welche der Herausbildung des spanischen Faschismus und dessen intellektuell-poetischer Prägung einen gewissen Platz einräumen, darunter Jean Bécarud und Evelyne López Campillo mit Los intelectuales españoles durante la II República,40 die Dissertation von Barbara Pérez-Ramos Intelligenz und Politik im Spanischen Bürgerkrieg 1936-193941 sowie die Studie von Genoveva García Queipo de Llano Los intelectuales y la dictadura de Primo de Rivera.42 Im Jahre 1986 liefert Julio Rodríguez Puértolas mit seiner Literatura fascista española43 ein umfassendes Kompendium all jener Schriftsteller, Journalisten und Intellektuellen, die sich seit Beginn des 20. Jahrhunderts in den Dienst des spanischen Nationalkonservatismus und der Falange-Ideologie stellten. Dabei enthält er sich jedoch einer ästhetischen Analyse. Neben substantiellen Studien zu zentralen Aspekten der Kultur unter dem Franquismus, die allerdings zumeist den historischen Rahmen der vorliegenden Arbeit überschreiten, häufen sich in jüngster Zeit sowohl Neuauflagen faschistischer Autoren (vorzugsweise bei der Editorial Planeta) als auch publikumswirksame Darstellungen Francos und seines kulturellen Umfelds, die zwischen Feuilleton und Dokumentation, Fact und Fiction angesiedelt sind.44 Diese zeugen, im 36

Maryse Bertrand de Muñoz: La guerra civil española en la novela. Bibliografía comentada, 2 vols., Madrid, Porrúa Turanzas, 1982. 37 Antonio Varela: «Foxa's Madrid, de Corte a Checa: Fascism and Romance». In: Rewriting the Good Fight. Critical Essays on the Literature of the Spanish Civil War, F. S. Brown, M. A. Compitello et al., East Lansing, Michigan State University Press, 1989, p. 95-109. 38 Gareth Thomas: The Novel of the Spanish Civil War, Cambridge, Cambridge University Press, 1990. 39 Regine Schmolling: Literatur der Sieger. Der spanische Bürgerkriegsroman im gesellschaftlichen Kontext des frühen Franquismus (1939-1943), Frankfurt am Main, Vervuert, 1990. 40 Madrid, Siglo XXI, 1978. 41 Bonn, Bouvier, 1982. 42 Madrid, Alianza Universitaria, 1988. 43 Julio Rodríguez Puértolas: Literatura fascista española, I. Historia, Madrid, Akal, 1986; II. Antología, Madrid, Akal, 1987. 44 Cf. Francisco Umbral: Leyenda del César Visionario, Barcelona, Seix Barral, 1991; Manuel Vázquez Montalbán: Autobiografía del general Franco, Barcelona, Planeta, 1992, sowie den 1993 anläßlich des Festivals von San Sebastián prämierten Film Madregilda von Francisco Regueiro.

5

Sinne Saul Friedländers, 45 von einem «neuen Diskurs» über den Faschismus, der eine Untersuchung der Affinitäten zwischen Avantgarde-Literatur und Falange sowie benachbarter Ästhetisierungsphänomene um so dringlicher erscheinen läßt. Neben den genannten Einzelstudien bleiben all jene Arbeiten richtungweisend, die José Carlos Mainer bisher der «edad de plata» und den literarischen Manifestationen des konservativ-reaktionären Denkens in der spanischen Moderne gewidmet hat. Von Falange y literatura (1971) bis La Corona hecha trizas (1989) hat er immer wieder, trotz der Anfechtbarkeit einiger soziologischer Interpretationen, originelle und grundlegende Beiträge zu den historischen und gesellschaftspolitischen, ideologischen und ästhetischen Implikationen der literarischen Entwicklung Spaniens in den zwanziger und dreißiger Jahren geliefert und methodologische Maßstäbe gesetzt. 46 Sein Hinweis auf die beiden Haupttendenzen der frühen Falange-Ästhetik wirkte als der vorliegenden Untersuchung: El nuevo estilo oscilará siempre entre dos polos: una austeridad y (luego veremos hasta qué punto y son dos flatus vocis contrarrevolucionarios) y otra vertiente destructiva, alegre, inconsciente, fantástica, herencia del espíritu de entreguerras.47

Während Thomas Mermall die klassizistische Tendenz in einem knappen und prägnanten Aufsatz umreißt, 48 soll hier die Faschisierung jener avantgardistischen «vertiente destructiva, alegre, inconsciente, fantástica» verfolgt werden. Dabei ist zu beobachten, daß keine scharfe Trennung zwischen dynamisch-surrealer Moderne und Humanisierung zu vollziehen ist. Vielmehr durchläuft die Avantgarde auf dem Weg zur faschistischen Propaganda einen komplexen , der sich innerhalb der Vielfalt weiterhin koexistierender Stilrichtungen abzeichnet. Die Entwicklung der präfaschistischen Avantgarde schreibt sich damit ein in jene allgemeine Kehrtwende vom Formalismus zum Engagement, die die spanische Literatur, ja das gesamte kulturelle Leben vollzieht. Dieser Prozeß verläuft parallel zum politischen und so45

Saul Friedländer: Kitsch und Tod. Der Widerschein des Nazismus, München, Hanser, 1984. 46 Cf. José Carlos Mainer: Literatura y pequeña burguesía en España (Notas 18901950), Madrid, Edicusa, 1972; La edad de plata (1902-1931). Ensayo de interpretación de un proceso cultural, Barcelona, Libros de la Frontera, 1975, erweiterte Neuauflage, die den Zeitraum bis 1939 umfaßt, Madrid, Cátedra, 1983; Análisis de una insatisfacción: las novelas de Wenceslao Fernández Flórez, Madrid, Castalia, 1975; La Corona hecha trizas (1930-1960), Barcelona, PPU, 1989. 47 José Carlos Mainer: «Recuerdo de una vocación generacional. Arte, política y literatura en Vértice (1937-1940)». In: Literatura y pequeña burguesía, p. 224. 48 Thomas Mermall: «Aesthetics and Politics in Falangist Culture, 1935-1945». In: Bulletin of Hispanic Studies 50 (1973), p. 45-55.

6

zialen Umbruch, den das Land, noch immer in den Nachwehen der Erschütterung von 1898 befangen, seit Ende der zwanziger Jahre und in krisenhafter Zuspitzung seit dem Rücktritt des Diktators Miguel Primo de Rivera im Januar 1930 erlebt. 1.2 Die spanische Literatur im Umbruch Die vorliegende Untersuchung umfaßt den Zeitraum von 1925 bis 1940. Während dieser anderthalb Jahrzehnte nimmt die Modernisierungskrise in Spanien einen dramatischen Verlauf, der hier lediglich an den Daten der Ereignisgeschichte skizziert werden soll.49 General Miguel Primo de Rivera, der im September 1923 die Macht ergriffen hat, stürzt im Januar 1930. Dem Ende der Diktatur folgt nach einem Jahr im Februar 1931 der Zusammenbruch der Monarchie. Die Zweite Republik bringt zunächst einen demokratischen Modernisierungsschub, der allerdings alsbald eine Radikalisierung und Polarisierung der politischen Kräfte hervorruft. In den Wahlen vom November 1933 gelangen Rechtsparteien an die Macht; das folgende «bienio negro» ist von der Zuspitzung sozialer Konflikte geprägt. Als der Sieg der Volksfront in den Februarwahlen 1936 der konservativen Wende Einhalt zu gebieten verspricht, läßt die Reaktion nicht lange auf sich warten. Mit dem Militärputsch vom 18. Juli 1936 beginnt der Bürgerkrieg, in dem die , devolverá su vigor al cuerpo magnífico de Isidro, para que vuelva a servir la Patria en los campos de batalla, primero, y en los surcos de la paz después... ¡Qué alegría tengo, Víctor! Un poco de mí se hará aldeano y campesino... (266-267)

Am Bild der Bluttransfusion und dessen unterschiedlicher Deutung läßt sich die Distanz zwischen konservativer Rehumanisierung und falangistischer Ideologisierung anschaulich ermessen. Bei Ros hieß es bezüglich der antithetischen, gleichgeschlechtlichen Partner seines Experiments: Se miraron como deben mirarse las personas que se han hecho la transfusión de sangre. Lo que ambos/ambas habían dado por perdido lo encontraban ahora incorporado en el/la de enfrente. (92/118)

Der Vergleich bezeichnet ein Verhältnis reziproker Spiegelung und Selbsterkenntnis. Im Anderen erblicken die Protagonisten abgespaltete, 94

José Carlos Mainer: «La retórica de la obviedad», p. 156.

290

verdrängte oder vergessene Aspekte ihrer Persönlichkeit, die es zu integrieren gilt. Am Ende dieses Prozesses stehen vier Individuen, die im gegenseitigen Austausch ihre unverwechselbare Identität gefunden haben und sich nun, Gleiche unter Gleichen, als Menschen definieren, ihrer menschlichen Bestimmung verpflichtet. An die Stelle des psychologischen Moments, nämlich des Ausgleichs von Körper und Geist unter dem Zeichen eines übergreifenden Humanums, tritt bei Ximénez de Sandoval das soziologische Interesse unter dem Imperativ einer politischen Ideologie. Die in diesem Fall konkrete Blutübertragung symbolisiert das anachronistisch-reaktionäre Bündnis zweier antagonistischer Klassen, die nationale Allianz von Nährstand und Wehrstand. Das blaue Blut eines durchtrainierten Adligen vitalisiert den geschwächten Körper des einfachen Volks;95 es steigt in ihn herab, verwandelt sich ihm an und dient somit der heimatlichen Erde. Die Bildlichkeit der modernen Medizin «con las venas abiertas y el tubo de goma trasladando lentamente la vida de Francisco a la debilidad de Isidro» (270) - trägt in diesem Kontext eine kastilische Variante der Blut und Boden-Ideologie vor. Diese impliziert ein gesellschaftspolitisches Konzept, das sich bis zur Staatsphilosophie von Fuenteovejuna und der Lehnsstaatlichkeit eines Rodrigo Diaz de Vivar 96 zurückverfolgen läßt. Die vitale Verbrüderung von Hochadel und Landmann schlägt jedoch bezeichnenderweise fehl. Dem «primogènito de Duques» bleibt die traurige Pflicht, den Eltern seines proletarischen Freundes mit den tröstlichen Vorstellungen der Falange über den Verlust des einzigen Sohnes hinwegzuhelfen. 97 Demnach folgt Isidro den anderen Falangisten, die vom Kampf auf Erden zur «Sternenwache» abgezogen wurden. Die drei Hauptteile des Romans kristallisieren jeweils um einen Gefallenen - Enrique, Isidro - , um im tragischen Heldentod José Antonios und des Protagonisten, seines treuen Gefolgsmanns, zu gipfeln. Bereits anläßlich der Ermordung des jungen Arbeiters Enrique wird der Tod als existentieller Sinnhorizont des Falangisten vorgegeben. Aus dem ideologischen Kommentar des Erzählers läßt sich ein Credo etwa des Tenors ableiten :98 95

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In ähnlichem Sinne beschreibt Sagrario in Tomás Borrás' Bürgerkriegsroman Checas de Madrid ihre Bekehrung zur Falange als belebende Bluttransfusion: «Me siento renovada porque puedo hacer algo. Comprendo el heroísmo del combatiente, tan fácil: la acción empuja, es el tónico. [...] Por eso, hacer algo útil, para defenderse y contra los asesinos, es la transfusión del sangre a un moribundo: ¡revivir!» (197) Cf. der Cid ais «Alférez de Castilla» (233). Ihre rührenden, mit fehlerhafter Orthographie verfaßten Briefe sollen Zeugnis ablegen vom naiven Vertrauen des Landvolks in das Rettungswerk José Antonios. Cf. Ernesto Giménez Caballero: Genio de España, p. 106: «La solución de una vida nacional está siempre en la muerte, en los muertos. - Lo único vivo, eternamente vivo que posee una nación son sus muertos.»

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Tres regueros de sangre caliente y juvenil para el río fecundo de una España de nueva Geografía y nuevo clima. D e ese río, impetuoso ya los primeros días de Julio, había surgido una bruma heroica que respiraban todos los españoles con avidez y amenazaba asfixiar a los bandidos y a los necios, a los frivolos y a los inconscientes que no querían oír en aquellos tiros, que taladraban las carnes falangistas, los cohetes primeros de la redención de España, de Europa y quizá del mundo entero, para quienes construía un nuevo modo de vivir aquella alegre juventud que sabía reír y morir sin vacilación en una centinela de Imperios. (30-31)

Im Ethos des Opfers sind anthropologischer und historisch-politischer Entwurf aufs engste miteinander verknüpft. Die Verbindung einer von romantischem Lebensgefühl erfüllten Jugendbewegung mit imperialen nationalstaatlichen Zielsetzungen gleicht den entsprechenden Tendenzen im nationalsozialistischen Deutschland. Nicht ohne Grund läßt der Erzähler Victor nach Deutschland reisen, wo er im römischen Gruß den «estilo imperial de la nueva civilización de Occidente» (128) erkennt. Die Wiedergeburt Europas unter dem Zeichen des Faschismus wird, ähnlich wie es die Romantiker im Zeitalter der Nationalstaaten taten, ins Mittelalter zurückverfolgt, jene Epoche, da die Bruderschaft beider Völker in ihren epischen Helden Siegfried und Cid Ausdruck gefunden habe: Víctor y la Falange son los protagonistas de un romance de revolución española. El romance español tiene un eco rotundo en la balada nórdica. El Cid y Sigfredo se saludan imperialmente sobre el clamor de Europa. El Tajo y el Rhin llevan leyendas idénticas a los mares de Occidente. La juventud renace con fiebre de castillos y aliento de epopeyas... (128)

Die Jugend der Falange ist Träger einer reaktionären renovatio Imperii; ihre Fahnen wehen neben den «águilas de Carlos de Gante y de Castilla» (305). Wie einst die Numantiner leisten sie Widerstand in Toledo, dem mystischen Herzen Kastiliens (291-293). Als «águilas del Nuevo Imperio» (356) verteidigen sie die spanische Erde und vor allem die spanische Kultur gegen eine neue Barbareninvasion. Das «idioma imperial», die Dichter und Denker des Siglo de Oro, die Meisterwerke der spanischen Architektur und Malerei bilden eine Festung der abendländischen Kultur: Son veinte siglos de gracia, de piedra, de música de estandartes, de historia imperial de Occidente que ahora pisan las patas monstruosas de los esbirros a sueldo de un Moscú amarillento y helado, con odios orientales y barbarie mongólica. (59)

Um angesichts dieser Bedrohung, man denke an das Bild der Hunneneinfälle bei Obregón, die Fähigkeit Spaniens zur imperialen Erneuerung zu bezeugen und deren internationale Notwendigkeit zu unterstreichen, führt Ximénez de Sandoval die Figur des russischen Adligen Alexis ein. Dessen ideologische Weitsicht und existentielle Glaubwürdigkeit werden dadurch ausgewiesen, daß er als Feind des Bolschewismus und der westlichen Moderne, dem Spiritualismus eines Tolstoi ebensowenig abgeneigt wie dem Anarchismus eines Bakunin, nach dem Überleben der Oktober292

revolution und langen Irrfahrten zur spanischen Legion gefunden hat. Solchermaßen legitimiert, ist gerade der weitgereiste Fremde, auch er ein Opfer der Moderne, fähig, in Spanien das auserwählte Land zu erkennen, welches am Rande aller historischen Umwälzungen seine unwandelbare Substanz und damit die Kraft zur Erneuerung bewahrt hat: España, que no ha tenido guerra ni postguerra, es el país más joven de Europa. No es cierto que sea viejo y cansado. El mar no envejece ni se rinde. Y España es como el mar. Tiene una bandera luminosa y un idioma espléndido que suena en veinte pueblos. ¿Por qué ha perdido el pulso de España el ritmo del Imperio? Los españoles no lo saben quizá, pero Alexis que la ve con amor de ojos de fuera, presiente el resurgir. (346-347)

Mit der nationalen Wiedergeburt gewinnt Spanien, im Status eines Imperiums, auch seine internationale Bedeutung zurück. Die liegt, so läßt sich schließen, in der weltpolitischen Mission, dem willkommenen Zusammenbruch der «alten Welt» (345) eine neue Richtung zu verleihen, nachdem zunächst der Kommunismus der Epochenwende seinen Stempel aufgedrückt hatte. Somit wird Spanien zum Paladin der «nueva civilización de Occidente» und tritt, in Protagonistenrolle, wieder in die Geschichte ein: «El reloj de arena de la Historia de España vierte lentos minutos, en exacto metro endecasílabo de Epopeya.» (295) Held dieses modernen Epos ist nur allzu bereitwillig die Jugend Spaniens, welcher mit der nationalen Aufgabe ein trügerischer Ausweg aus der Sinnkrise der Moderne gewiesen wird. Die «decadencia» wird von den rechten Autoren, wie wir auch im Kapitel zur Identitätsproblematik sahen, nicht als ein konkretes historisches Phänomen politischer oder ökonomischer Natur erfaßt, sondern vielmehr als eine Art psychosoziales und moralisches Vakuum beschrieben. Aus einer solchen diffusen Befindlichkeit heraus, die von Verlusterfahrung und Entwurzelung, historischem Versagen, Desorientierung und Zukunftsangst geprägt ist, läßt sich zumal die junge Generation auf irrationale Losungen und nebulöse Ziele ein, sofern sie nur den Anschein von Lebenssinn, Halt und Verbindlichkeit vermitteln: Cada uno sentía con dramática angustia esa sed de misión que cumplir. Esa sed, que los largos años de la decadencia nacional había impedido calmar en una fuente de obligaciones morales. (52)

In der simplistischen Sprache ihrer Parolen formuliert die Falange nationale Werte und persönliche «obligaciones morales». 99 Die vaterländischen Zielvorstellungen lauten: «España: una, grande, libre» und «Pan, Patria y Justicia». Für den einzelnen, der diesen Idealen verpflichtet ist, ergibt sich der Anspruch des Dienstes und des Opfers: «Servicio y Sacrificio». Als anthropologische Modelle gibt ihm die Falange als «militärischer und religiöser Orden» (248) die Idealbilder des Mönchs und des Soldaten 99

Cf. die Kapitel «La vida corno und «José Antonio y el Imperio» in Ian Gibson: En busca de José Antonio, p. 25-36.

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vor: Askese und Wehrhaftigkeit im Dienste eines höheren Werts.100 Auch dieses Ideologem erläutert der Erzähler, indem er Victor die verinnerlichten Lehren seines Meisters José Antonio vergegenwärtigen läßt: La Falange es renunciación absoluta. , ha dicho José Antonio. Y el monje no tiene más hogar que el convento ni más familia que la comunidad, como el soldado el cuartel y la compañía. La Cruz y la Bandera. Dios y la Patria. Y Dios y la Patria le pedían a Víctor mitad monje y mitad soldado, como le mandara ser el Jefe, que sacrificase todo - la ternura, la sangre, el descanso, la risa y la vida - a la Bandera y a la Cruz. Con impasibilidad. Con alegría. Con orgullo. (176)

Bevor sich das Leitbild des im Franco-Staat klerikal verfestigt, beinhaltet es in der Frühzeit der Falange, unter José Antonio, noch Züge von jugendlichem Vitalismus, ästhetisch-amoralischer Indifferenz und souveränem Übermenschentum, Relikte einer nietzscheanisch-futuristischen Avantgarde. Die bellizistische Tendenz, welche Samuel Ros' Bild vom Sportler als Held der Moderne innewohnte, verwirklicht sich im Bürgerkrieg, den Sandoval als sportliches Ereignis, etwa als volksfestartige Corrida (155-156), darstellt. Victor bezieht seine «filosofía de la guerra» aus den Sportgazetten; oberste Maxime ist die alte Fußballertaktik: «La mejor defensa es un buen ataque.» (198) Die jungen Falangisten erleben das Kriegsgeschehen als athletischen Wettkampf: «las granadas que arroja alcanzan siempre marcas olímpicas». (222) «Rítmicamente han sido saltadas las alambradas como en una exhibición de Stadium.» (225) Der Tod wird zu einem beherzt in Kauf genommenen «acto de servicio» (309) erklärt: «Alguna bala llega al pecho de un falangista, que muere alegremente en su puesto vitoreando a su Jefe Nacional y a España.» (57) Das heroische Lebensgefühl der falangistischen Jugend artikuliert sich im Gestus des «No importa» (59), eine Parole, die 1936 zum Titel der Untergrund-Zeitung der Falange erhoben wurde. 101 Das Bewußtsein, im Besitz der rechten Lehre zu sein, verleiht den Falangisten eine arrogante Militanz, die Gleichmut gegenüber Leben und Tod bewahrt. Selbst ihre Gegner anerkennen die vitalistische Indolenz und Souveränität als distinktive Signatur der Falange: «Los falangistas sois de otro modo. Ni os importa morir ni os importa vivir.» (169) Den Menschen, die außerhalb der der Bewegung stehen, ist es kaum begreiflich, «que estos muchachos juegen así, entre ingenuos y crueles, con la vida y la muerte.» (36)

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Cf. Giuliana Di Febo: «El , und das italienische Teatro del grottesco». In: Iberoromania 11 (1980), p. 65-83; Michael Rössner: «Zerrspiegel, Marionetten, Grotesken - Valle-Incláns esperpentos im Vergleich mit dem italienischen teatro del grottesco und Pirandello». In: Ramón del Valle-Inclán (1886-1936), p. 147-162. Karl Heinz Bohrer: Die Ästhetik des Schreckens, p. 255. Zur Beziehung zwischen Malaparte und Ernesto Giménez Caballero cf. Manuel Pastor: Los orígenes del fascismo en España-, Enrique Selva Roca de Togores: Giménez Caballero y la al fascismo; Mechthild Albert: «. Ernesto Giménez Caballero y la Italia fascista». In: Titus Heydenreich (ed.), Cultura italiana e spagnola a confronto: anni 1918-1939/ Culturas italiana y española frente a frente: años 1918-1939, Tübingen, Narr, 1992, p. 9 5 111. Ursula Link-Heer: «Versuch über das Makabre. Zu Curzio Malapartes Kaputt». In: Zeitschrift für Literaturwissenschaft und Linguistik 19, 75 (1989), p. 96-115, hier p. 99. Ibid., p. 108. Julia Kristeva: «D'une identité à l'autre». In: Tel Quel (Sommer 1975), p. 1 0 27. Cf. Jürgen Habermas: «Das Falsche im Eigenen», Besprechung des Briefwechsels Adorno-Benjamin. In: Die Zeit 39 (23.9.1994), p. 78. Georges Bataille: «La laideur belle ou la beauté laide dans l'Art et la littérature». In: Critique 34 (1949), p. 219.

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Verfolgen wir nun detailliert die Stationen des Schreckens und ihre diskursiven Artikulationsformen im Bürgerkriegsroman. 7.3.1 Filmische Darstellung von Gewalt Im Zentrum der Bahnhofsepisode des Romans steht eine Folterszene, zu deren eindrücklicher Wirkung Borrás die visuellen Mittel des expressionistischen Kinos narrativ umsetzt: Lichteffekte wie Hell-Dunkel-Kontrast und Schlaglicht, Perspektivwechsel zwischen Totale, halbnaher Einstellung und Großaufnahme, Schnitte von Fragmenten und Details sowie geometrisch-kubistische Raumwirkung. Schwankende, helle oder trübe Schlaglichter auf die Bahnhofslandschaft und ihre trostlose Population eröffnen die Szene. 106 Das Blickfeld des Objektivs erweitert sich und bringt die geometrische Komposition der Gleise ins Bild, wobei der Diskurs jene konstruktivistische Form annimmt, die in der avantgardistischen Phase bei Ximénez de Sandoval und Giménez Caballero anzutreffen war: Se iban las barras de plata de las vías, ilimitadamente, cruzándose, entrecruzándose, oblicuas unas y otras, reunidas después para desaparecer en una, naciendo otra vez, tangentes a las obstinadas paralelas, jeroglífica geometría de tronco y ramas. (48)

Mit der Überführung der abstrakten Linien in ein organisches Bild kommt der Kontrast von Technik und Natur zur Sprache, der im Anklang an die Ästhetik der Neuen Sachlichkeit dargestellt wird. Wo die Dynamik der Moderne zur Ruhe kommt, bricht die Natur wieder auf, breitet sich der Kosmos aus: Filas de vagones de mercancías abandonados, vacíos, sucios de lluvias de hollín. Silenciosa, la noche apretaba más la parálisis de aquella ingeniería, fracasada de ruido y velocidad. El farol iba buscando la sepultura donde estaba muerto el movimiento. Llegaron al límite del carbón tiznando el suelo rayado por las barras de plata. Hierbas en ansias de vivir rompían el firme de piedra machacada. Ultimos vagones, desenganchados de las kilométricas reatas, sueltos acá y allá, sorprendidos por su agotamiento: la quietud. Alrededor, el campo respirando libre frescura de nubes y estrellas. (48-49)

Am Rande dieser Wüstenei einer erschöpften technischen Zivilisation finden die beiden Schergen in einem verlassenen Waggon jenen Raum des Todes, wo sich die grausame Agonie des Gefangenen ereignen wird. Dramatische Lichteffekte und makaber-groteske Schwarz-weiß-Kontraste schaffen eine expressionistische Momentaufnahme des Schreckens und der Todesangst, die vom kalten Auge der Kamera registriert wird: El disco de luz con reflejos de lata iluminó al joven derribado: negros ropa, cabello, ojos; blanco el rostro enharinado de terror. En penumbra, detrás de la

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Die Seitenangaben in Klammern beziehen sich im folgenden auf Tomás Borrás: Checas de Madrid (1939), Madrid, Bullón, 5 a ed., 1963.

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pupila del farol, los dos milicianos atendían aquel rostro despavorido, payaso que ve la muerte. (49)

Das einsetzende Verhör, dem einer der Milizionäre mit der Waffe Nachdruck verleiht, bricht das Schweigen: - Ahora vas a ver si lo sabes. Del cinturón se arrancaba la baqueta del fusil. El brazo desnudo del compañero se interpuso: - Eso no sirve de nada. Sujétalo y verás. Empuñaba una lima. (49)

Schnelle Schnitte und die Fokussierung auf die Tatwerkzeuge suggerieren eine Steigerung des Grauens: das Gewehr, der nackte Arm, die Feile. Die Folterknechte stürzen sich auf ihr Opfer, dessen Martyrium optisch und akustisch veranschaulicht wird: «Empezó a limarle el hueso del tobillo: redondel sanguinolento, rotos del calcetín y de la piel: el hueso daba un chirrido áspero al roce de la lima; el cuerpo se sacudía con latigazos de dolor.» (49) Weitere Nahaufnahmen gelten den eingedrückten Augäpfeln, den anatomisch freigelegten Nerven und Muskelfasern, bis ein letztes Schlaglicht den nunmehr leblosen Körper in der Totale erfaßt. Perspektivisch verzerrt wie der manieristische Leichnam eines El Greco, streckt sich der Tote in die Tiefe des Raums, während sich ein Blutrinnsal auf die Lichtquelle, das Auge der imaginären Kamera und somit auf den Zuschauer bzw. Leser zubewegt: «el joven yacía inmóvil, alargando el cuerpo más aún, por tan flaco, las manos crispadas, el pie sobre la lengua de sangre que avanzaba, ensanchándose, a lamer la luz de hojalata del farol.» (50) Eine Folge von Detailbildern resümiert die grauenhafte Tat, kontrastiert die blutbefleckten Hände des Täters mit dem leichenblassen Antlitz des Opfers: «La lima en la mano maculada de sangre, camiseta con salpicaduras, el verdugo se torció sobre aquella cara de cera y la rendija de los ojos entornados.» (50) Die Szene endet damit, daß der entseelte menschliche Körper als ein totes Objekt unter anderen in die kubistische Mondlandschaft der abgestorbenen technischen Welt eingefügt wird: Le tiraron del vagón abajo. El miliciano se le cargó a hombros y recorrió un trecho de vía, saltando de traviesa en traviesa; alrededor, semáforos ciegos, varillaje de brazos enmohecidos, molinos de viento sin aire; postes del telégrafo por tierra; alambres despeinados; vagonetas volcadas; casillas grises sin obrero. Sobre las dos barras de plata de las paralelas obstinadas de horizonte colocó el cuerpo desgalichado, palitroques dentro de un traje. (50)

Die bei einem politisch bzw. ideologisch operierenden Erzähltext an dieser Stelle zu erwartende Emotionalisierung bleibt aus. Der Lakonismus des elliptischen Stils und der sachlichen Schilderung, das Raffinement der sadistischen Imagination zeugen vielmehr von der moralischen und empathischen Indifferenz einer Ästhetik, welche in der Sprache der deshumanisierten Avantgarde einen Akt der Entmenschlichung zelebriert. Hin329

sichtlich der cineastischen Gestaltung des Geschehens 107 beweist Borras eine besondere Vorliebe für Lichteffekte. Im Unterschied zur idealistisch aufgeladenen Lichtsymbolik seines Frühwerks verwendet er die Beleuchtung nunmehr in expressionistischer Manier. Laternen oder flackernde Kerzen werfen esperpentische Schatten auf die Szenerie des Grauens. Bevorzugt operiert der Erzähler mit der Faszination von Scheinwerferlichtkegeln, um in avantgardistischen Bildern jene Atmosphäre von Angst und Schrecken zu suggerieren, die sich im verdunkelten Madrid breitmacht. Die blau abgedunkelten Scheinwerfer der sinistren Todesschwadrone, die im «stummen Morgengrauen» die Stadt durchstreifen, werden zum emblematischen Auge des omnipräsenten Terrors: En la calle de San Lorenzo se movían, como fuegos fatuos, faros pintados de azul. Un cainita [...] cuenta las siluetas que lanza el cuadrilátero amarillo del portalón a la sombra parpadeada de desvanecidas pupilas azules; [...]. (436)

Der Nachthimmel über dem zerstörten Madrid erscheint von Sternen wie von Einschüssen übersät: «cielo sin luna, con vahos de neblina, acribillado [...] en los claros de la neblina por agujeritos dorados, como de impactos.» (434) Diese lyrische Impression variiert ein anderes Bild, das deutlich seine Herkunft von einem zentralen Motiv der Avantgarde verrät: «agujero redondo la luna, perforado el cielo por un cañonazo, manando del agujero redondo fluido resplandeciente lechoso.» (239) Das Mondlicht, welches am Himmel aus dem imaginären Einschußloch einer Kanone fließt, verweist intertextuell auf den ikonoklastischen Titel des MarinettiManifests Uccidiamo il Chiaro di Luna (April 1909), den Ramón Gómez de la Serna in seinem Prolog zur futuristischen Deklaration Contro la Spagna passatista umformulierte zu dem Aufruf «¡Pedrada en un ojo de la luna!» 108 Das milchige Licht, das dem ausgelöschten Mond entströmt, inauguriert eine neue Romantik der Zerstörung. Über dem kubistischen Raum der verdunkelten Stadt steigt das Strahlenbündel des Flak-Scheinwerfers in den Nachthimmel: «Un reflector busca-aviones daba relámpagos: girar de faro en angustia.» (140) Die manieristische, dem Stil der Generation von 1927 verwandte Bildlichkeit - samtene Stille, Irrlichter, Lidschlag der Scheinwerfer und Leuchtturm der Angst - dient der Schönung des Schrecklichen. Das effektvolle Element der Scheinwerfer, aus denen die Regisseure des NS-Regimes ihre Lichtdome konstruierten, ist ein weiteres Bindeglied zwischen der Ästhetisierung der Politik durch den Faschismus und dem destruktiv-voluntaristischen Gestus einer reak-

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Erwähnenswert ist beispielsweise jener Blick durch die Jalousie, der den Roman eröffnet: «Mira por una y otra de las rendijas de la persiana, rayas de luz con caricias trémulas del árbol del callejeo madrileño.» (9) Ramón Gómez de la Serna: «Introducción a la Proclama futurista a los españoles por F. T. Marinetti». In: Prometeo 20 (1910), zitiert nach Ana Martínez-Collado (ed.), Una teoría personal del arte, Madrid, Tecnos, 1988, p. 95.

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tionären Avantgarde, die sich beispielsweise in Ramóns Prolog zum futuristischen Manifest aus dem Jahre 1910 artikuliert: «¡Lirismo desparramado en obús y en la proyección de extraordinarios reflectores!» 109 7.3.2 Wissenschaftliche Deshumanisierung Borrás pflegt eine Stilistik des Schreckens, in der Technikbegeisterung und Deshumanisierung eine makabre Verbindung eingehen. Seine Ästhetik der Grausamkeit impliziert eine Steigerung der moralischen Indifferenz, wie sie bereits der Futurismus vollzogen hatte, in dessen Manifest Guerra sola igiene del mondo zu lesen ist: noi aspiriamo alla creazione di un tipo non umano nel quale saranno aboliti il dolore morale, la bontà, l'affetto e l'amore, soli veleni corrosivi dell'inesauribile energia vitale, soli interruttori della nostra possente elettricità fisiologica. 110

Mit der Unmenschlichkeit der modernen Wissenschaft operiert die zweite Checa des Bürgerkriegsromans, in der ein mexikanischer Anarchist die Gefangenen medizinischen Experimenten unterwirft. Ausgeschmückt mit zweifelhafter Cucaracha-Folklore, verkörpert Hauptmann Morelos eine Variante jener dämonischen Übermenschen, denen das Kino in Figuren wie Caligari, Mabuse und Frankenstein Gestalt verliehen hat. Borrás kreuzt dieses Modell mit dem Typus des fremdrassigen Monstrums und schafft so eine aktualisierte Variante der barbarischen Piraten aus seiner frühen Erzählung La estrella cautiva. Der Arbeitsplatz des drogensüchtigen Irren ist ein mit modernster Technik ausgestatteter Operationssaal, der eine Atmosphäre aseptischer Kälte verbreitet: Sala de clínica con dos mesas de operaciones, aparatos de rayos X, vitrinas, lavabos, espejos, lámparas en pupilas de níquel. La sangre lo manchaba todo: cubetas, instrumental sucio, blusas, los hules de las mesas articuladas, pared, pavimento. El equipo estaba en desorden, sin precisión científica, almacén de objetos aportados de culaquier manera, usados a capricho, sin el rigor y dulzura de la técnica médica, que organiza los útiles quirúrgicos en mecanismo armonioso. - Pues... aquí trabajo por la Humanidad - explica el mejicano. (81)

Blut und Unordnung stellen die Berufung auf das Wohl der Menschheit bereits implizit in Frage. In der Tat setzt der perverse Chirurg seine Opfer unsäglichen Leiden aus: Die Gefangenen werden mit kochendem Wasser und Elektroschocks gefoltert, «con balanceo de trapecio» schwanken die Gehenkten im «cuarto de los jamones» (87), und die Exekutionen setzen das Martyrium des heiligen Sebastian in Szene: 109 110

Ibid., p. 95. Filippo Tommaso Marinetti: Teoria e invenzione futurista, Milano, Mondadori, 1983, p. 299.

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Le fusiló, certero, poco a poco, por partes: una mano, el otro brazo, un hombro, un pie, una pierna, la frente. Como San Sebastián la víctima se encorvó en arco, suspendida de escarpios y maromas. (101-102)

Von D'Annunzio zum Idol der präfaschistischen Dekadenz erhoben, verkörpert der heilige Sebastian die «Verbindung von Schönheitskult, Narzißmus, sado-masochistischer Triebstruktur und latenter Todesbesessenheit». 111 Am Sebastian-Motiv zeichnet sich einmal mehr jene Filiation ab, die vom Ästhetizismus der Jahrhundertwende zur faschistischen Ästhetisierung der Politik, des Krieges und der Gewalt führt. Das Beispiel der medizinischen Checa veranschaulicht die makabre Dialektik der Inhumanität. Offensichtlich beabsichtigt der Erzähler, die Unmenschlichkeit der anzuprangern, die Komplizenschaft der republikanischen Medien und deren Humanitätsrhetorik zu entlarven. 112 Der Text selbst verwischt jedoch diese Differenzierung; Beschreibungen wie die soeben zitierte scheinen die Greuel weniger zu denunzieren denn vielmehr zu zelebrieren. Es zeigt sich, daß ein deshumanisierter Diskurs weder fähig noch legitimiert ist, Humanität einzuklagen. Hierin liegt der zentrale Widerspruch zwischen Stil und Ideologie, Ästhetik und Politik, der für den vorliegenden Bürgerkriegsroman charakteristisch ist. Um dieser entgegenzuwirken und seinen ideologischen Standpunkt zu verdeutlichen, schaltet Borrás die Figur eines kommentierenden Betrachters zwischen den auktorialen Erzähler und den Leser. Nur so, indem er diese ethische Instanz der ästhetizistischen Indifferenz des geschilderten Horrors entgegensetzt, gelingt es ihm, die intendierte Rezeption in die rechten Bahnen zu lenken: A Fadrique de Lorenzana le repelía aquel escenario dispuesto para la crueldad. Sufrir con nervios al aire, con carne abierta, con una viscera pinzada, el doble dolor de la tortura fisiológica y del traumatismo moral, las raíces de la naturaleza gritando contra su destrozo, el alma ofendido por la atroz iniquidad... Fadrique de Lorenzana sintió la vaharada acre de un corazón funcionando a la vista, en el hoyo cárdeno, burbujeo de esponjas pulmonares, astilladas costillas, un rostro vidriándose, el lamento taponado con una pelota de gasas... y el corazón esforzándose a débiles saltos de resorte... (108-109)

Angesichts des Grauens läßt der Erzähler seine ideologische Mittlerfigur die anthropologische und moralische Grundsatzfrage stellen: «Entonces, ¿qué soy yo, qué somos todos, qué es esto de la vida, y del bien, y del mal?» (109) In einer Weise, die für den nietzscheanischen Idealisten Borrás bezeichnend ist, übergeht Fadrique das verzweifelte Ringen der Theo111

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Helene Harth, Erhard Stölting: «Ästhetische Faszination und Demagogie», p. 138. Cf. die vorgeblichen Zitate aus der republikanischen Presse: « (107) (109)

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dizee, um sogleich bei einer (thomistischen) Gottesgewißheit Zuflucht zu finden: «Muchos, en ese trance, habrán pensado: Yo pienso: » (109) Doch letztlich vermag ein solcher Tribut an die «preocupación religiosa» des spanischen Nationalcharakters die Bennsche Vision des geöffneten Brustraums, den kalten Reiz der tätigen Organe nicht auszulöschen. Auch in folgender Szene gewinnt man den Eindruck, daß die Sprache der Deshumanisierung in der Schilderung realer oder imaginierter Verbrechen gegen die Menschlichkeit zu sich selbst kommt. Manche Opfer werden nach den Regeln des Stierkampfs ermordet, einschließlich der traditionellen «oreja» als Trophäe: - ¡Jóle! Te darían la oreja. Los tres gañanes chispeaban guiños de malicias. - ¿La oreja? Ahora vais a ver lo que somos nosotros. ¡Vaya por ustés! Dejó sobre la mesa del escribiente un talego terciado de carga. - Se lo traemos de regalo al Comité. Pero mete la mano. Y si quieres, te quedas con alguno, como recuerdo. El miope no discernía qué era lo que sacó. - ¿Son caracoles? Le resbalaba entre los dedos un puñado de ojos humanos. (47) Die Nähe dieser grausamen Pointe zum Eröffnungsbild des Chien andalou legt die Hypothese nahe, daß sich die Faschisierung der Avantgarde in dieser Hinsicht als Übergang von einer imaginär-surrealistischen zur mimetisch-realistischen «deshumanización» beschreiben läßt. 113 Es will scheinen, als habe die aktive Deshumanisierung, wie sie Ortega y Gasset als ästhetisches Phänomen beschreibt, latent schon immer jene konkrete Zernichtung des Menschlichen gemeint, 1 1 4 die Borrás in avantgardistischer Fragmentierung zur Anschauung bringt, wenn er die Opfer der Vivisektion beschreibt: Apagadas las luces del portalón del Asilo, las linternas eléctricas rasgaban la tinta de la negrura; [...] La desnudez de los asesinados era yesosa en la ducha de luz; sus manos colgaban de los brazos y los brazos del tronco, balanceándose, secas ya las heridas, emplastos de color de chocolate. Algunos, con medio rostro 113

Im selben Sinne deutet Ursula Link-Heer («Versuch über das Makabre», p. 106-107) diesen Vergleich anläßlich einer identischen Szene in Malapartes Kaputt. Allerdings überschreitet sie den Aspekt des Wirklichkeitsbezugs in Richtung auf die Ästhetik des Makabren, worin wir ihr im Hinblick auf Borräs folgen können: «Malaparte [...] verwendet solche Elemente, um sie nicht bloß als realitätsabbildend oder als Zugang zur Realität zu suggerieren, es geht ihm darüber hinaus um deren semantische, syntaktische, gar aufdringlich symbolische Kohärenzierung, um ein Geflecht von Sinnstiftungen, deren Ausgangspunkt und Ziel das Makabre ist.» 114 Die lexikalische Entmenschlichung des Gegners, die in Begriffen wie heces, reses, rebanos, gusanera de cuerpos oder antihombres zum Ausdruck kommt, spielt dabei als geläufiges Stilmittel jeglicher Kriegs- und Propagandakunst eine untergeordnete Rolle. 333

arrancado, como en las láminas de anatomía; ramales de músculos, blancos hilos de nervios y la esfera del ojo estupidizada, a una pierna abierta con resección de hueso, vaciándose de algodones al arrastrar el largo vendaje. (148) Die immer neuen Marterszenen malt Borrás mit solch sadistischem Raffinement aus, daß er die Opfer im Akt des Schreibens gewissermaßen ein zweites Mal zu Tode bringt, ihre Menschlichkeit negiert. In schaurigen Tableaus betreibt er die Folter als schöne Kunst und entfaltet die Höllenvisionen der Checas gleich einem expressionistischen . Die Zerstörung des Menschlichen, die in jeder Folterszene von neuem durch die Schändung, Fragmentierung und Vivisektion der Körper geschieht, vollendet sich im leblosen Körper. Reduziert auf ihre nihilistische Materialität, die seinem metaphysischen Anspruch Hohn spricht, arrangiert Borrás die Kadaver zum ästhetischen Objekt, vergleichbar einer dreidimensionalen Collage oder dem Resultat eines blutigen Happenings: 115 Emanaba de los almacenes pestilencia fría, entraba su frío de cadáveres en los pulmones. Sus desnudeces, carne de goma, amarillenta como para derretirse. Sólo estaba vivo en ellos lo herido, los labios de lo seccionado, los boquetes del destrozo del plomo que daban un manar negruzco, como mucílago de pasas. Los rostros sin ojos tenían una desesperación de imágenes que ya no podrían ver a Dios. Había muerto con esa sonrisa del que recibe un último roce de algo que le acaricia. Las bocas abiertas en redondo se llenaban aún de la palabra taponada. Párpados entreabiertos y todas las pupilas verdosas, vitreas, su luz podrida y coagulada. Lo más extinguido de los cuerpos, las manos, que alonean y expresan un halo de movimiento y vida, y caen inexorablement hacia abajo, pasadas, penduladas. Muertos acarreados de todo Madrid, [...] muertos de las dos muertes, terror y agonía física, incrustándose unos en otros, haciéndose una carne, como serían un alma misma ante el Arcángel del umbral. (330-331) Die christlichen Retuschen und der abschließende Ausblick auf die Auferstehung des Fleisches vermögen die Negierung des Menschlichen durch einen Diskurs, der von wissenschaftlicher Kälte und Grausamkeit geprägt ist, nicht ungeschehen zu machen. Einmal mehr erkennt man hier den Widerspruch zwischen Vitalismus und Spiritualität, die Verklammerung von Transgression und Verdikt. Wie bereits in früheren Texten sublimiert er auch hier den dionysischen Taumel durch metaphysische Vergeistigung und «endigt, wie alle moralischen Debauchen endigen, mit einem Salto mortale in den Abgrund der göttlichen Barmherzigkeit.» 1 1 6

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Cf. Karl Heinz Bohrer: «Surrealismus und Terror oder die Aporien des JusteMilieu». In: Die gefährdete Phantasie, oder Surrealismus und Terror, München, Hanser, 1970, p. 39-40. Friedrich Schlegel über den romantischen Nihilismus Jacobis, von Rainer Gruenter mit Bezug auf die geistige Entwicklung Ernst Jüngers zitiert; Rainer Gruenter: «Formen des Dandysmus», p. 185.

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7.3.3 Schwarzer Humor In jener Checa, die für Federico die letzte Station vor dem Tod bedeutet, werden Medizin, Körperlichkeit und Tod zu Momenten des Widerstands - durch den schwarzen Humor nämlich und die ihm eigene tragikomische Übersteigerung der Realität. In den feuchten Gelassen vegetieren Gefangene, die an Vitaminmangel, Colitis, Bleichsucht und Krätze leiden. Doch der Krankheit, Folter und Todesangst trotzen die Inhaftierten mit Witz. Schon Don Fadrique hatte den Witz als beste Waffe gegen die Republik bezeichnet und dessen Wirkung durch ein zweifelhaftes Bonmot Valle-Incláns illustriert (111). In diesem Sinne gebraucht der Erzähler im Rahmen der letzten Checa-Episode den Humor, um die Ignoranz der Schergen bloßzustellen. Der eine versteht die Verschreibung des Medikaments «Anafebrina» als Hinweis auf eine faschistische Komplizin namens Ana Febrina, der andere erklärt, er wolle Mexikanisch lernen, worin ihn ein spaßiger Gefangener bestärkt, sei es doch die Sprache der Diplomatie. Den «Nobelpreis» der Zelle, dotiert mit einer trockenen Brotkruste, erhält jener geistreiche Häftling, der den sinnigen Spitznamen «Hipucama» erfindet, um den unmenschlichsten Wärter, «mayor enemigo del género humano», zu apostrophieren: «Como el tío es la mezcla de todo lo peor, su nombre es una síntesis: Hi...pu...ca...ma... la primera sílaba de las tres injurias peores.» (372) Vor allem dient der Humor, nicht selten in Form der Selbstironie, der Behauptung des Lebenswillens - so hatte wiederum Don Fadrique Beaumarchais zitiert: «Rio por no llorar.» (124) Dieser Haltung verleiht Borrás in einem Arzt Gestalt, der die körperlichen Wunden seiner Mitgefangenen versorgt und ihr seelisches Leiden durch Scherze zu lindern sucht. Sein Galgenhumor ist jenes «Aguantoformo», eine imaginäre Medizin, die er den Leidensgenossen in großer Dosis verschreibt, um der Folter zu widerstehen. Nachdem er aus Verzweiflung von dem Salz gegessen hat, das die Wächter auf die Wunden zu streuen pflegen, scherzt er: He cenado divinamente. No comía desde anteayer, por eso me he atracado el estoico superaba su desgracia burlándose de ella - . Ahora un buen cigarro y... ¿vamos a ver a Celia Gámez? Ji, ji... Los muchachos seguían dócilmente aquellas bromas, orientada su fuerza vital al amor de la plenitud de existir; su jovialidad, forma del instinto de conservación: [...]. (375)

Als Psychotherapeut inmitten des Grauens regt er einen Wettbewerb humoristischer Anekdoten an: «¡Vamos, animación, que estáis muy bajos de tono! ¡Concurso de cuentos!» (390) Er macht selbst den Anfang mit einer jener Otto und Fritz-Geschichten, die sich in der Vorkriegszeit großer Beliebtheit erfreuten. Borrás greift hier die niveaulose Satire einiger seiner Erzählungen des Bandes Casi verdad, casi mentira aus dem Jahre 1935 auf. Otto und Fritz, Flieger der Legion Condor, geraten in Gefangenschaft. In einem Brief an seine Frau Elsa schildert Fritz das Luxusdasein 335

als Häftling der Republik; das Postskriptum lautet: «Dile a la mujer de Otto que a Otto le han fusilado por no querer escribir una carta como ésta.» (391) Doch nicht nur durch schwarzen Humor und makabre Situationskomik leistet der Arzt seinen Leidensgenossen Beistand. Die Furunkel-Operation an einem Mitgefangenen zeigt den Helden dieser Episode als Chirurgen, Humortherapeuten und politischen Kritiker: Le agarraron brazos y piernas, por la cintura, la cabeza. El médico empeñó el instrumental quirúrgico: una hojilla de afeitar mohosa y un mondadientes. Con la hojilla metió una cruz en el furúnculo, le rebañó con el mondadientes, apretujó; jirones de tela de todos los bolsillos sirvieron de aposito. El mozuelo daba como un rugir apretando los dientes, crispados los músculos, sacudido entre los compañeros que le agarrotaban. - La asepsia, la antisepsia, la anestesia y la hemostasia son los cuatro pies del trípode de la Medicina. Ji, ji. - Burla del cirujano salía, en falsete, de su cara de carne sin modelar; hacía «Ji, ji» en gárgara, porque no podía reirse. ¡Soy ventrílocuo! Operado y sujetadores cayeron en sus sitios, a tumbarse. El ventrílocuo proseguía, con su voz de máscara: - Ni a un enfermo asisten, ni tienen la menor consideración con los que pierden completamente la salud. Hay un ser intermedio entre el hombre y estos rojos: las bestias feroces. (376)

Die Nähe dieser Szene zu den Foltermethoden der medizinischen Checa ist unübersehbar. Die gleiche Sachlichkeit, die gleiche verbale Lust am Malträtieren des Körpers belegen die moralische wie ideologische Indifferenz des deshumanisierten Avantgarde-Diskurses. Um die «placeres mórbidos» des Ästhetischen zu überwinden und seiner Aufgabe als parteilicher Autor gerecht zu werden, muß Borrás daher zusätzliche Signale setzen, die der Szene eine eindeutige Valorisierung verleihen. Abgesehen vom narrativen Kontext ist es in diesem Fall die Identifikationsfigur des Chirurgen, der durch einen expliziten Kommentar klarstellt, daß es sich hier um einen Dienst am Menschen, um ein erbauliches Gegenbild zu den sadistischen Praktiken des Mexikaners handelt. Die ethische bzw. politische Botschaft - die entbehren der Menschlichkeit, in der Seinsordnung rangieren sie unterhalb der wilden Tiere - ist von der gleichgültigen Schilderung des Geschehens dissoziiert, sie erweist sich gewissermaßen als Fußnote zum ästhetischen Diskurs der «impasibilidad». Zudem wird die ideologische hier, wie im Fall des sarkastischen Possenreißers Don Fadrique, in grotesker Verzerrung formuliert, nämlich durch die «voz de máscara» des Bauchredners. Sein Witz über die Säulen der Medizin impliziert, wie die humoristische Grundhaltung überhaupt, ebenfalls eine innere Distanz zum menschlichen Leid. Wenn er beispielsweise die Verletzungen eines Folteropfers in medizinischen Fachtermini diagnostiziert, liegt wiederum eine irritierende Nähe zu den zynischen Totenscheinen der Ermordeten vor, die als humoristische Parodie oder bittere Satire fungiert: 336

- Los golpes han caído sobre la región palpebral y frontal, produciendo hinchazón y hematoma perioculares; ninguna fractura, pero sí un hermoso y concienzudo parecido con el hipopótamo... (390)

Medizinische Wissenschaftlichkeit, chirurgische Technik sowie bizarre Bauchredner sind beliebte Versatzstücke, Indifferenz, spielerischer Witz und schwarzer Humor wesentliche Bestandteile avantgardistischer Prosa. Die haarsträubende Geschichte vom Fakir in der Folterkammer, die als Binnenerzählung in den letzten Kreis der Hölle eingelassen ist, veranschaulicht diese Tradition des Avantgarde-Humorismus der zwanziger Jahre. Vergleichbar dem Aufstand der Phantasie, den Lud in El poder del Pensamiento als Waffe gegen ein rigoroses Ordnungsregiment eingesetzt hatte, verkörpert der Fakir die anarchische Subversion, widersteht er doch allen Torturen und führt sie ad absurdum. Indem er die Qualen genießt, provoziert der Fakir immer raffiniertere und phantastischere Mißhandlungen. Dabei verkörpert der Leidenskünstler, der die Fragmente seines zerstückelten Körpers lächelnd wieder zusammensetzt, einerseits eine magisch-spielerische Allmachtsphantasie, welche die reale Ohnmacht der Gefangenen illusionär überwindet und das Lachen als «válvula del pavor» (141) mobilisiert. Andererseits repräsentiert er idealtypisch jene libidinöse Besetzung der Qual, die den Borrásschen Avantgarde-Diskurs als Ästhetik der Grausamkeit definiert. Die surrealistische Steigerung sadistischer Phantasien wirft rückblickend ein zweifelhaftes Licht auf den Avantgarde-Humor der Frühzeit. Retrospektiv offenbart sich der latente Terror, der dem deshumanisierten Spiel einer entfesselten Phantasie innewohnte. Doch während die meisten präfaschistischen Erzähler in Anbetracht der konkreten Gewalt im Vorfeld des Bürgerkriegs den entmenschlichten Humor aufgeben, treibt Borrás angesichts des realen Grauens mit dem Entsetzen Spaß. Die Fragmentierung des Körpers, die Auslöschung des Menschlichen gibt Stoff zu einem zirzensischen Spiel mit dem Schrecken. Vor dem Hintergrund der historischen Erfahrung erscheint das makabre Capriccio als Ausgeburt einer nihilistischen Ästhetik des Grauens und Höhepunkt eines menschenverachtenden Humors. Die Tatsache, daß in dieser Hinsicht die Realität die Fiktion eingeholt hat, hebt die Grenzen zwischen Leben und Kunst auf. In der Gewalttätigkeit des Krieges scheint sich der revolutionäre Aktionismus des Zweiten Surrealistischen Manifests aus dem Jahre 1930 zu verwirklichen; 117 der radikal zerstörerische Gestus der Avantgarde erfüllt sich im faktischen «Terror-Charakter der Wirklichkeit», der die Distanz zwischen Leben und Literatur eindeutig zerbricht. Die künstlerische Praxis eines Borrás erschiene demnach, plaziert man sich in der Perspektive Karl Heinz Bohrers, als «intensivste Vorstellung von dem, was ist»: 117

Cf. Karl Heinz Bohrer: «Surrealismus und Terror», p. 42-43.

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Der Terror kennzeichnet [...] keinen Ausnahmezustand mehr, sondern den Alltag. Dieses Element des Terrors ist unausweichlich und seine Sublimierung durch Literatur und Kunst vollzieht sich nicht mehr als Ablenkungsmanöver, sondern als seine Potenzierung.118 Die ästhetische Potenzierung des realen Terrors schafft befreiende Absurdität. Die Grausamkeit, die sich am Körper abarbeitet, ist reines Spiel, während das eigentlich Tödliche - so die Schlußpointe - der abstrakten Ideenwelt der Ideologie innewohnt. Manuel Azafla, politische Symbolfigur der verhaßten linken Republik, wird den Fakir schließlich mit einem bloßen Händedruck entseelen: - Hombre, se me ha ocurrido una cosa genial. ¿Alguno de vosotros es literato? ¡Vaya asunto para un cuento! Figuraos que traen a la checa un fakir sin saber que lo es. Le atizan con las porras de goma y el fakir se ríe a carcajadas; le rayan la piel con vidrios, y redobla su burla; le clavan agujas, le queman con carbones, la desuellan un pie, y el fakir da las mayores muestras de alegría y satisfacción; los superbestias, estupefactos, le arrancan el cuero cabelludo, le cuelgan de una oreja y le hacen tragar una tonelada de agua; el fakir baila de gusto y aplaude con regocijo. Con ese aperitivo se le abren las ganas de sufrimiento indiferente y se atraviesa con tres puñales, se dispara un cargador de balazos en el ombligo, se corta la yugular con una sierra, juega al golf con un ojo, se asa a la parrilla un trozo de cadera y se está sobre el pulgar de la mano derecha, cabeza abajo, seis días con seis noches. Los superbestias no saben qué hacer para acabar con el fakir; le disparan un obús, y va cogiendo los proyectiles y lanzándolos en guirnarda de juegos malabares; le encierran para que fallezca de hambre, y devora los cristales del ventanillo, el yeso y los baldosines; le dan con un hacha en el cogote, y él se sutura las dos mitades de la cabeza y sigue sonriendo. Se convoca un concurso para acabar con el fakir, y al concurso acuden todas las checas interesadas en demostrar que no hay quien escape a sus procedimientos especiales). Le aplican cables de alta tensión, y ni siquiera se duerme; le encierran en una jaula de leones y les afeita; le envenenan con ácido prúsico y le sirve de vitaminas. Esos son los tres primeros premios del concurso, y también han fallado. Fuera de concurso, le tiran desde el piso quince de la telefónica, y en vez de caer sube suavemente a la azotea. ¡Martirios y suplicios al fakir! ¡Ja, ja, ja! El fakir se ríe de todo... ¡Vaya cuento humorístico! - ¿Y acaban, por fin, con el fakir? - Sí. Va Azaña a presenciar los fallidos tormentos, le da la mano, y el fakir muere de modo fulminante. (377-378) 7.3.4 Madrid und die Ästhetik der Ruinen Was die Ästhetik der Grausamkeit für den menschlichen Körper bedeutet, vollbringt die Ästhetik der Ruinen am menschlichen Habitat. Der destruktiven Anthropologie entspricht eine vitalistisch-regenerationistische Geschichtsphilosophie. Die Generation von 1898 hatte ihre Geschichtsreflexion an dem national-mythischen Projektionsraum Kastilien festgemacht. Relikte dieses Kastilienbildes finden sich auch in der folgenden Generation. Vergleichbar den präfaschistischen Kastilien-Evokatio118

Ibid., p. 34.

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nen, die Ernesto Giménez Caballero unter dem Titel «Cuadrangulación de Castilla» in dem Bändchen Julepe de menta (1929) veröffentlicht, skizziert Borrás stichwortartig ein abstraktes, ideologisch konnotiertes Landschaftsbild: «una formación de chopos, la clásica procesión de comunidad de los chopos castellanos. Tierra fría, cielo de turquesa, límite negro de montañas...» (114) In ihrer rauhen Schönheit dient die Landschaft nunmehr zum Vorwurf einer Beschreibungskunst, deren lyrische Prosa den typischen Duktus der spanischen Avantgarde aufweist. Girlanden elliptischer Sätze werden, durchbrochen von Appositionen, durch Semikolon, Doppelpunkt und Punkt parataktisch aneinandergereiht. Metaphorische Assoziationen verbinden Wahrnehmungen und Impressionen, bei denen markante Farbwerte dominieren: Veníaseles la sierra, atraída por imán y velocidad; el azuleo de la nieve, empapada en cielo puro, ennegrecía al juntar la distancia: pintaban en el negror dulces viales de sauceda, festón de arroyos con pasmos de frío y légañas de hielo; [...] sembradura verdosa y morada de tomillo y cantueso, entre granito con musgo y calvas de arcilla. Paisaje con insectos dorados, sin nubes movibles, brisas ni ruidos, yerto dentro de la cristalización de la mañana. Aldeas de adobes, largos tapiales con bardas espinosas, puertas cerradas. Púrpura súbita del canto del gallo. (132)

In dem Maße, wie Kastilien seine Bedeutung als Vehikel nationaler Ideologie verliert, wird diese Funktion auf Madrid übertragen. Es zeichnet sich ein Ortswechsel in der geistigen Topographie der Hispanidad ab: von der urwüchsigen, bäuerlichen Landschaft der 98er zur Großstadt. Allerdings bedeutet der Madrileflismo, den einige Prosaautoren im Anschluß an Ramóns Madrid-Apologien pflegen, 119 keineswegs einen avantgardistischen Hymnus auf die Metropole. Vielmehr bringen sie im Bild der Hauptstadt, das geprägt ist von der Tradition des folkloristischen Costumbrismo, vor allem ihre historische Nostalgie zum Ausdruck. Borrás, der dank seines literarischen Madrileflismo im Jahre 1966 zum «cronista oficial de la villa de Madrid» avanciert, verleiht der Kapitale in Checas de Madrid mithin nicht bloß dekorative Bedeutung. Die Hauptstadt ist Schlachtfeld und Horrorkulisse, die Zerstörung verwandelt sie in eine schöne Ruinenlandschaft. Als Symbol der erfüllt sie eine ideologische Protagonistenrolle, ja figuriert als «personaje principal» des Romans. 120 Das von Gewalt erfüllte Madrid des Bürgerkriegs erinnert an jene Vision der Stadt Paris, die Walter Benjamin im Weiterdenken der

119

120

Cf. Ramón Gómez de la Serna: El Rastro (1915), Pombo (1918), Toda la historia de la calle de Alcalá, Toda la historia de la plaza Mayor (1920), Toda la historia de la Puerta del Sol (1921), La sagrada cripta de Pombo (1924). Cf. Maximiano García Venero: «Una novela histórica»: «El personaje principal de la novela, es Madrid; después, un joven falangista condenado a morir. Madrid, escindido, como lo estaba toda España, no es el fondo de la novela, sino su personalidad eminente.»

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dichterisch-terroristischen Politik des Surrealismus evoziert. 121 Die erste Madrid-Vignette zeigt das herrschaftliche Emblem der Stadt, die imposante Statue der Cibeles, deren Majestät im Glorienschein des Morgenlichtes erstrahlt, umspielt von Vogelgezwitscher: Bajo arcos de chorros, los leones tiraban de la carroza-trono de Cibeles neoclásica. Mañana madrileña, con cohetes de pitidos de pájaros en la floresta del Botánico y lejanías rosadas y grises de nácar hacia Getafe. (28)

Die Erhabenheit dieses preziös kolorierten Tableaus wird jäh zerstört durch den herannahenden Demonstrationszug kommunistischer Massen: «El suburbio afluía, marea de la miseria y el andrajo.» Der ideologische Gehalt dieser symbolischen Szene bedarf keiner weiteren Erklärung: unter der klassenkämpferischen Parole U H P - «Unios hermanos proletarios» - erstürmt das Lumpenproletariat das noble Madrid, die Vorstädte «vomitaban en el lujoso centro de la capital sus heces turbias.» (28) Borrás verschärft die politische Funktionalisierung der Hauptstadt, indem er sie als Frau personifiziert, die von den mißbraucht wird: la horda [...] había caído con cuerdas, pistolas, mandatos oficiales, fusiles, facas y comités sobre la vivida ciudad, para atarla, gozarla, mentirla, robarla, saciar su mala pasión, cortar los pedazos que estorbasen su triunfo de humilladores. (66)

Spuren der Gewalt zeigen sich in allen Straßen der Stadt, ja die Straßen selbst erscheinen metaphorisch vergewaltigt von den Fahrzeugen des linksterroristischen , London/New York, Berg, 1990. Miller, John C.: Los testimonios literarios de la guerra español-marroquí. Arturo Barea, José Díaz Fernández, Ernesto Giménez Caballero, Ramón Sender, Ann Arbor, Univ. Mikrofilms, 1978. 402

Möhler, Armin: «Der faschistische Stil». In: Von rechts gesehen, Stuttgart, Seewald Verl., 1974, p. 179-221. - Die Konservative Revolution in Deutschland 1918-1932, Ein Handbuch, Darmstadt, Wiss. Buchges., 3" ed., 1989. Molina, César Antonio: Medio siglo de Prensa literaria española (1900-1950), Madrid, Endymion, 1990. Monteath, Peter und Nicolai, Elke: Zur Spanienkriegsliteratur, Die Literatur des Dritten Reiches zum Spanischen Bürgerkrieg, Mit einer Bibliographie zur internationalen Spanienkriegsliteratur, Frankfurt am Main/Bern/New York, Lang, 1986. Montero Padilla, J. und Montes, María José: La guerra española en la creación literaria, Anejos de