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German Pages 180 Year 2017
Schriften zum Europäischen Recht Band 178
Europäisierung und Internationalisierung der nationalen Verwaltungen im Vergleich Deutsch-italienische Analysen
Herausgegeben von Cristina Fraenkel-Haeberle Diana-Urania Galetta Karl-Peter Sommermann
Duncker & Humblot · Berlin
FRAENKEL-HAEBERLE/GALETTA/SOMMERMANN
Europäisierung und Internationalisierung der nationalen Verwaltungen im Vergleich
Schriften zum Europäischen Recht Herausgegeben von
Siegfried Magiera · Detlef Merten Matthias Niedobitek · Karl-Peter Sommermann
Band 178
Europäisierung und Internationalisierung der nationalen Verwaltungen im Vergleich Deutsch-italienische Analysen
Herausgegeben von Cristina Fraenkel-Haeberle Diana-Urania Galetta Karl-Peter Sommermann
Duncker & Humblot · Berlin
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.
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© 2017 Duncker & Humblot GmbH, Berlin
Satz: Konrad Triltsch GmbH, Ochsenfurt Druck: Meta Systems Publishing & Printservices GmbH, Wustermark Printed in Germany ISSN 0937-6305 ISBN 978-3-428-15245-2 (Print) ISBN 978-3-428-55245-0 (E-Book) ISBN 978-3-428-85245-1 (Print & E-Book) Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier entsprechend ISO 9706 Internet: http://www.duncker-humblot.de
Vorwort Vom 26. bis 28. September 2016 fand in der Villa Vigoni am Comer See ein deutsch-italienisches Kolloquium statt, das in vergleichender Perspektive dem Thema „Europäisierung und Internationalisierung der Öffentlichen Verwaltung im Vergleich“ gewidmet war. Die Beiträge zu dem Kolloquium, die teilweise erste Ergebnisse aus laufenden Forschungsprojekten reflektieren, sind im vorliegenden Band vereinigt. Der Austausch zwischen deutschen und italienischen Wissenschaftlern erwies sich dabei als besonders fruchtbar. In beiden Ländern hat sich die rechtswissenschaftliche und politikwissenschaftliche Forschung schon früh mit Phänomenen der Europäisierung der nationalen Verwaltungen befasst. Der vorliegende kleine Band will einen Beitrag zur damit verbundenen vergleichenden Implementationsforschung leisten. Die Herausgeber danken der Deutschen Forschungsgemeinschaft für die Förderung der Veranstaltung. Besonderer Dank gebührt den Verantwortlichen der Villa Vigoni dafür, dass sie für Rahmenbedingungen gesorgt haben, die für einen offenen und intensiven Ideenaustausch nicht besser hätten sein können. Inspirierend war nicht zuletzt der Veranstaltungsort, der gleichsam als Symbol eines lebendigen deutsch-italienischen Kultur- und Wissenschaftsaustauschs gelten darf. Für kompetente und tatkräftige Unterstützung bei den redaktionellen Arbeiten danken die Herausgeber sehr herzlich Herrn Johannes Socher, Forschungsreferent am Deutschen Forschungsinstitut für öffentliche Verwaltung. Speyer/Milano, im März 2017 Cristina Fraenkel-Haeberle · Diana-Urania Galetta · Karl-Peter Sommermann
Inhaltsverzeichnis Karl-Peter Sommermann Begrüßung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Daria de Pretis Denationalisierung der öffentlichen Verwaltung: Europäisierung und Internationalisierung der öffentlichen Verwaltung im Vergleich . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Konvergenzen der nationalen Verwaltungen unter dem Einfluss des Europarechts Erminio Ferrari Konvergenz und Divergenz des Verwaltungsrechts in der EU. Bemerkungen anhand der Beispiele des „Verwaltungsaktes“ und des Vergaberechts in Deutschland und Italien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Birgit Peters Konvergenz der nationalen Verwaltungsverfahrensrechte durch europäische Einflüsse? Von der materiellen Präklusion von Einwendungen zum Verbot rechtsmissbräuchlichen Verhaltens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Stefano Cognetti Denationalisierung, Europäisierung und Internationalisierung des Rechtsschutzes: Das italienische interesse legittimo . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Johannes Socher Annäherung nationaler Verwaltungssysteme trotz „no gold plating“-Politiken? Die unterschiedliche Nutzung von Gestaltungsspielräumen bei der Umsetzung von Richtlinien am Beispiel der Umweltinformationsrichtlinie in Deutschland und im Vereinigten Königreich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Wettbewerb der Staaten als treibende Kraft der Verwaltungsmodernisierung Veith Mehde Die Modernisierung der öffentlichen Verwaltung als Standortfaktor . . . . . . . . . .
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Inhaltsverzeichnis
Luca De Lucia La modernizzazione dell’amministrazione come fattore di sviluppo. Il ruolo della concorrenza internazionale . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Elena Buoso Die Verfahrensvereinfachung in Frankreich, Deutschland und Italien: Konvergente Denationalisierung oder nationale Parallelität? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 109 Die Rolle der Verwaltungskultur für eine effektive Implementierung des Unionsrechts Siegfried Magiera Unionsrechtliche Rahmenbedingungen und Steuerungsmechanismen für eine effektive Implementierung des Unionsrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 125 Cristina Fraenkel-Haeberle Indirekte Europäisierung und prägender Einfluss der nationalen Rechts- und Verwaltungskultur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 137 Stephan Grohs und Benjamin Gröbe Verwaltungsstile und die „Entdeckung“ politisch-administrativer Gestaltungsspielräume bei der Implementierung von EU-Recht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 149 Schlussfolgerungen Diana-Urania Galetta Obblighi di rispetto del diritto UE e convergenze fra diritti amministrativi nazionali. Qualche riflessione conclusiva . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 163 Karl-Peter Sommermann Europäisierung und Internationalisierung der öffentlichen Verwaltung im Vergleich: Schlussfolgerungen aus einem deutsch-italienischen Dialog . . . . . . . . . . 173 Verzeichnis der Teilnehmer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 179
Abkürzungsverzeichnis ABl. Ad. Plen. AEUV AJCT AJDA AK AnwBl. BayVGH BeckRS Beschl. BGB BGBl. BR-Drs. BSG BT-Drs. BVerfG BVerfGE BVerfGG BVerwG BvR Cass. SS.UU. Cons. St. DA Dir. U. E. D.L. D. Lgs. DPCE D.P.R. DÖV DVBl. EGV EIR EL EU EuGH EuR
Amtsblatt der Europäischen Union Adunanza Plenaria [Großer Senat] Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union Actualité juridique: Collectivités territoriales (Zeitschrift) Actualité juridique: Droit administratif (Zeitschrift) Übereinkommen über den Zugang zu Informationen, die Öffentlichkeitsbeteiligung an Entscheidungsverfahren und den Zugang zu Gerichten in Umweltangelegenheiten (Aarhus-Konvention) Anwaltsblatt (Zeitschrift) Bayerischer Verwaltungsgerichtshof Beck online Rechtsprechung Beschluss Bürgerliches Gesetzbuch Bundesgesetzblatt Bundesratsdrucksache Bundessozialgericht Bundestagsdrucksache Bundesverfassungsgericht Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts Gesetz über das Bundesverfassungsgericht Bundesverwaltungsgericht Aktenzeichen einer Verfassungsbeschwerde zum Bundesverfassungsgericht Corte suprema di cassazione, Sezioni Unite [Kassationshof, Vereinigte Sektionen] Consiglio di Stato [Staatsrat] Droit Administratif (Zeitschrift) Il Diritto dell’Unione Europea (Zeitschrift) Decreto Legge [Gesetzesverordnung] Decreto legislativo [Gesetzesvertretendes Dekret] Diritto pubblico comparato ed europeo (Zeitschrift) Decreto del Presidente della Repubblica [Dekret des Präsidenten der Republik] Die Öffentliche Verwaltung (Zeitschrift) Deutsches Verwaltungsblatt Vertrag über die Gründung der Europäischen Gemeinschaft Environmental Information Regulations Ergänzungslieferung Europäische Union Europäischer Gerichtshof Europarecht (Zeitschrift)
10 EUV EuZW EWCA Civ Foro amm. TAR Foro It. FS GA Gazz. Uff. GewArch GG Giorn. Dir. Amm. Giurisd. amm. Giur. It. GrC JA JCP JEEP JEEPL JZ LKRZ
Abkürzungsverzeichnis
Vertrag über die Europäische Union Europäische Zeitschrift für Wirtschaftsrecht Court of Appeal of England and Wales, Civil Division Foro Amministrativo – T.A.R. (Zeitschrift) Il Foro Italiano (Zeitschrift) Festschrift Generalanwalt am Europäischen Gerichtshof Gazzetta Ufficiale [Amtsblatt der Republik Italien] Gewerbearchiv (Zeitschrift) Grundgesetz Giornale di Diritto Amministrativo (Zeitschrift) Giurisdizione amministrativa (Zeitschrift) Giurisprudenza Italiana (Zeitschrift) Charta der Grundrechte der Europäischen Union Juristische Arbeitsblätter Juris-Classeur périodique (La Semaine Juridique) Journal of Environmental Economics and Policy Journal of European Environmental Planning Law JuristenZeitung Zeitschrift für Landes- und Kommunalrecht Hessen/Rheinland-Pfalz/ Saarland m.w.N. mit weiteren Nachweisen NJOZ Neue Juristische Online Zeitschrift NJW Neue Juristische Wochenschrift (Zeitschrift) NuR Natur und Recht (Zeitschrift) NVwZ Neue Zeitschrift für Verwaltungsrecht NVwZ-RR Rechtsprechungs-Report Verwaltungsrecht OVG Oberverwaltungsgericht R.D. Regio Decreto [Königliches Dekret] RFAP Revue française d’administration publique RFDA Revue française de droit administratif RGU Rivista giuridica di urbanistica (Zeitschrift) Riv. trim. dir. pubb. Rivista trimestrale di diritto pubblico (Zeitschrift) RL Richtlinie Rs. Rechtssache SI Statutory Instruments [Rechtsverordnungen] Slg. Sammlung UIG Umweltinformationsgesetz UmwRG Umweltrechtsbehelfsgesetz UNTS United Nations Treaty Series UPR Umwelt- und Planungsrecht (Zeitschrift) Urt. Urteil UVP Umweltverträglichkeitsprüfung VBlBW Verwaltungsblätter Baden-Württemberg VerwArch Verwaltungsarchiv (Zeitschrift) VerwRspr Verwaltungsrechtsprechung in Deutschland (Zeitschrift) VG Verwaltungsgericht VGH Verwaltungsgerichtshof
Abkürzungsverzeichnis VwGO VwVfG ZaöRV ZAR ZRP ZUR
Verwaltungsgerichtsordnung Verwaltungsverfahrensgesetz Zeitschrift für ausländisches und öffentliches Recht Zeitschrift für Ausländerrecht und Ausländerpolitik Zeitschrift für Rechtspolitik Zeitschrift für Umweltrecht
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Begrüßung Karl-Peter Sommermann Zugleich im Namen von Diana-Urania Galetta und Cristina Fraenkel-Haeberle darf ich Sie sehr herzlich zum deutsch-italienischen Kolloquium über die „Europäisierung und Internationalisierung der öffentlichen Verwaltung im Vergleich“ willkommen heißen. Ein besonderer Gruß geht an Frau Professorin Daria de Pretis, Richterin an der Corte Costituzionale; dass sie trotz ihrer starken Arbeitsbelastung im Verfassungsgericht an unserem Kolloquium nicht nur teilnehmen, sondern auch den Eröffnungsvortrag halten wird, freut uns besonders. Uns führen gemeinsame Erkenntnisinteressen zusammen, die auf Fragen der Implementierung des Unions- und Völkerrechts in den öffentlichen Verwaltungen der Mitgliedstaaten gerichtet sind. Angesichts einer sich ausdehnenden und weiter differenzierenden Unionsrechtsordnung stehen die nationalen Verwaltungssysteme unter einem steigenden Anpassungsdruck. Wurde das Verwaltungshandeln zunächst zunehmend durch materiell-rechtliche Vorgaben des europäischen Unionsrechts und des Völkerrechts determiniert, so findet seit den achtziger Jahren des 20. Jahrhunderts verstärkt eine Transformation des Verwaltungsverfahrens und der Verwaltungsorganisation der europäischen Staaten durch überstaatliche Impulse statt. Dabei reagieren die verschiedenen nationalen Verwaltungssysteme auf die Impulse jeweils unterschiedlich. Das Spektrum der Umsetzung derselben übernationalen Vorgaben weicht von punktuellen Minimalanpassungen bis hin zu einer grundsätzlichen Neuordnung eines Sachbereichs oder der Auswechselung eines Verfahrens- bzw. Organisationsregimes. Tradierte rechtsdogmatische Errungenschaften des nationalen öffentlichen Rechts werden infrage gestellt, müssen modifiziert oder sogar aufgegeben werden. Typologisch lassen sich Änderungen, die unmittelbar überstaatlichen Normbefehlen gehorchen, von solchen unterscheiden, die Integrationserfordernissen oder gewandelten europa- oder völkerrechtlichen Rahmenbedingungen Rechnung tragen, ohne dass ein ausdrücklicher Normbefehl vorläge. Im ersten Fall kann man von direkter Europäisierung oder Internationalisierung, im zweiten Fall von indirekter Europäisierung oder Internationalisierung sprechen. Das führt zu den weiteren Fragen, inwieweit die überstaatlichen Impulse zu gleichen oder unterschiedlichen Reaktionsmustern der europäischen Staaten führen, welche unterschiedlichen Anpassungsleistungen erbracht werden müssen und welche Anpassungsstrategien die Staaten verfolgen. Diese Fragen sind Gegenstand eines Speyerer Forschungsprojekts, das ich zusammen mit Frau Professorin Cristina Fraenkel-Haeberle und Herrn Johannes So-
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cher am Deutschen Forschungsinstitut für öffentliche Verwaltung durchführe und das diesem Kolloquium seinen Namen gegeben hat. Das Projekt ist Teil eines übergreifenden Forschungsschwerpunkts zum „Europäischen Verwaltungsraum“. Wir freuen uns sehr, dass wir dieses Kolloquium gemeinsam mit Frau Professorin Diana-Urania Galetta von der Universität Mailand ausrichten können. In ihren Forschungsprojekten geht sie ähnlichen Fragen nach, was bereits in der Vergangenheit mehrfach zu einer produktiven Zusammenarbeit geführt hat. Erkenntnissen zur Implementierung des Unions- und Völkerrechts sowie zur Identifizierung neuer Forschungsfragen wird sich das Kolloquium in drei Themenschwerpunkten nähern: Zunächst soll die Erörterung von Wirkungszusammenhängen bei der Europäisierung bzw. Internationalisierung der nationalen Verwaltungen im Mittelpunkt stehen und gefragt werden, inwieweit die feststellbaren Konvergenzen tatsächlich zu einer tiefer gehenden Transformation der Verwaltungssysteme führen oder möglicherweise umgekehrt divergente Entwicklungen auslösen. Im zweiten Themenschwerpunkt werden wir speziell Transformationsimpulse in den Blick nehmen, die von einem durch die Verwirklichung des europäischen Binnenmarktes beförderten Wettbewerb der nationalen Verwaltungen und ihrer rechtlichen Grundlagen ausgehen. Hier wird auch zu fragen sein, inwieweit wirtschaftliche Interessen – die öffentlichen Verwaltungen als „Standortfaktoren“ – einen Modernisierungsdruck erzeugen. Abschließend, im dritten Themenschwerpunkt, werden wir uns den schwer zu fassenden Substrukturen der nationalen Verwaltungen zuwenden. Wie ist es möglich, trotz unterschiedlicher Rechts- und Verwaltungstraditionen der EU-Mitgliedstaaten, die notwendig Divergenzen in der Handhabung des Rechts zur Folge haben, eine effektive europäische Rechts- und Implementationsgemeinschaft zu verwirklichen? Es liegt in der Natur der Sache, dass unser Kolloquium nur bedingt eindeutige Antworten auf diese dringenden Fragen geben kann und dafür umso mehr neue Forschungsfragen aufwerfen wird. Probleme der Europäisierung und Internationalisierung sowie der darauf bezogenen Implementationsforschung an diesem inspirierenden Ort am Comer See erörtern zu dürfen, ist ein besonderes Privileg. In diesem Sinne wünsche ich zugleich im Namen von Frau Galetta und Frau Fraenkel-Haeberle uns allen ein produktives Gespräch.
Denationalisierung der öffentlichen Verwaltung: Europäisierung und Internationalisierung der öffentlichen Verwaltung im Vergleich Daria de Pretis
I. Die beiden Denationalisierungsbereiche Das Thema dieses Tagungsbands ist insbesondere aufgrund der gewählten Perspektive von besonderem Interesse. Die Überwindung der nationalen Natur der öffentlichen Verwaltung wird nämlich in den beiden unterschiedlichen Dimensionen angegangen, die in der aktuellen Situation Italien und Deutschland prägen: der Dimension der Europäisierung und derjenigen der Internationalisierung. Die beiden Perspektiven werden nicht getrennt, sondern gemeinsam untersucht, und das ermöglicht die Erkennung ihrer jeweiligen Besonderheiten und gleichzeitig die Herausarbeitung der Interaktion, die ganz sicher zwischen ihnen besteht. Die traditionell mit der Vorstellung von Staat verbundene öffentliche Verwaltung „denationalisiert“ sich – und löst sich folglich auch vom traditionell mit ihr verbundenen Begriff der nationalen Souveränität – in zwei unterschiedlichen Bereichen: dem europäischen und dem globalen. Im ersten Bereich erfolgt der Denationalisierungsprozess auf der Grundlage eines genauen und gewollten Schemas der Vereinheitlichung eines Teils des ursprünglich ausschließlich innerstaatlichen Verwaltungswesens auf europäischer Ebene. Dieses in der Absicht seiner Urheber sehr klare Schema hat gewisse Denationalisierungseffekte zur Folge, die über seine eigentlichen Ziele hinausgehen und gelegentlich auch schon vorher ins Stocken geraten sind. Es ist auf ursprünglich nicht vorgesehenen Wegen umgesetzt worden, die sich aus unerwarteten Entwicklungen des Systems ergeben haben. Im zweiten Bereich, dem globalen, handelt es sich um einen tendenziell spontanen Prozess. Es sind Formen der öffentlichen Verwaltung entstanden, die über die staatliche Dimension – oder ihre übernationalen Projektionen wie die europäische Rechtsordnung – hinausgehen und sich allmählich auf immer mehr Gebieten global ausdehnen. In diesem zweiten Fall kann man nicht von einem geordneten System sprechen, sondern von einer Reihe sehr differenzierter Erscheinungen, die auf verschiedenste Art nebeneinander und mit nachgeordneten Ordnungen existieren. Der kleinste gemeinsame Nenner dieser Vielzahl von Zentren der öffentlichen Ver-
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waltung sind die Verwaltungsbefugnisse als typischer Ausdruck nationaler Souveränität, die auf einer höheren Ebene als der nationalen angeordnet sind. Diese Anordnung kann sehr einfach sein oder kann mit recht komplexen Organisations-, Verfahrens- und Rechtsschutzformeln einhergehen. Auf jeden Fall gibt es eine enorme Vielfalt von Formeln. Sie können sogar, wie häufig beobachtet wurde, die öffentliche oder private Natur der Verwaltungsstrukturen betreffen. In diesem Zusammenhang wird immer das Beispiel der Internet Corporation for Assigned Names and Numbers (ICANN) angeführt. Gleichzeitig bewahrt die staatliche öffentliche Verwaltung natürlich nicht nur alle an die nationalen Angelegenheiten gebundenen Aufgaben, sondern ist in der neuen Realität supranationaler öffentlicher Befugnisse dazu gezwungen, ihrerseits eine neue Position zu finden. Das geschieht sowohl im Zusammenleben mit den erwähnten neuen Ebenen der öffentlichen Verwaltung als auch gegenüber und im Wettbewerb mit den anderen Verwaltungssystemen, die sich aus der neuen Anordnung in einem breiteren und sozusagen „relationalen“ Kontext ergeben. Mit diesem Aspekt befasst sich der zweite Themenkreis dieses Tagungsbands. Die Vielfalt von Kontexten der öffentlichen Verwaltung und die Verbindungen dieser Kontexte untereinander geben auch eine erste methodische Vorgabe für den Umgang mit dem Thema Verwaltungsrecht in der heutigen Zeit. Um die effektive Konsistenz des Verwaltungsrechts zu verstehen, muss dieses heute im Mehrebenensystem und dementsprechend in seiner neuen strukturellen Komplexität gelesen werden. Die gewissenhaftesten Wissenschaftler gehen das Thema mittlerweile seit längerer Zeit aus dieser Sicht an. Und in dieser Logik bewegen sich auch die überzeugendsten systematischen Rekonstruktionen wie Paul Craigs „UK, EU and Global Administrative Law: Foundations and Challenges“.1 In diesem monumentalen Werk werden die gemeinsamen Schemata der öffentlichen Verwaltung und des Verwaltungsrechts dem diachronischen Studium der drei Verwaltungsebenen (der nationalen, insbesondere der britischen, der europäischen und der globalen) entnommen. Es handelt sich dabei um eine Studie, die nachweist, dass sich das Verwaltungsrecht trotz vorhandener tiefgehender und strukturell unterschiedlicher Regierungsformen nach in gewisser Weise wiederkehrenden Mustern entwickelt und gemeinsame Probleme aufweist. Im Übrigen ist es bemerkenswert, dass ausgerechnet ein englischer Wissenschaftler die antiken Ursprünge des Verwaltungsrechts in einer Rechtsordnung, nämlich der britischen, wiederentdeckt, die sie hauptsächlich verneint hatte, und dass er diese gemeinsam mit den anderen beiden, nämlich dem europäischen und dem globalen Recht, behandelt.
1 Paul Craig, UK, EU and Global Administrative Law: Foundations and Challenges, Cambridge 2015.
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II. Gemeinsame Erscheinungen der Denationalisierung Auf den beiden Wegen der Denationalisierung der öffentlichen Verwaltung, dem europäischen und dem globalen, können wir mindestens drei gemeinsame Phänomene beobachten: den mehr oder weniger betonten Rückgang der nationalen Souveränität (1.); eine gewisse Tendenz zur Konvergenz zwischen Systemen (2.); sowie schließlich die Schwierigkeit, wenn nicht sogar die Unmöglichkeit, auf europäischer oder globaler Ebene die Modelle der nationalen öffentlichen Verwaltung nachzubilden (3.). Jedes dieser Phänomene nimmt in den beiden Bereichen unterschiedliche Ausprägungen an, die an deren einzelne Merkmale und an die Ursprünge und Gründe für das Auftreten einer übernationalen öffentlichen Verwaltung auf der jeweiligen Ebene geknüpft sind.
1. Der Rückgang der nationalen Souveränität Der Rückgang der nationalen Souveränität und damit einhergehend der an sie geknüpfte Verwaltungsbefugnisse der Staaten ist die natürliche Folge der Herausbildung von neuen Formen und Modellen übernationaler Verwaltung: Die staatlichen Verwaltungssysteme treten Teile ihrer eigenen Befugnisse an supranationale Organisationen ab, die sie in völlig anderen Regierungskontexten als den nationalen ausüben. Diese Abtretung von Verwaltungsbefugnissen ist von den Mitgliedstaaten gewollt und im Rechtsordnungskonzept der Gemeinschaft und dann der Europäischen Union näher ausgestaltet. Die Verträge haben den Bereich und die Merkmale der Abtretung festgelegt und im so geschaffenen Governancerahmen hat sich das System mit der Übertragung von immer präziseren Inhalten an die europäischen Institutionen entsprechend den in den Verträgen vorgesehenen Modalitäten sowie durch die institutionelle Tätigkeit ihrer Organe weiterentwickelt. Um nur ein paar Stichworte zu geben: die Rolle des Europäischen Gerichtshofs; der Vorrang des Gemeinschaftsrechts; die Ausformung der allgemeinen Grundsätze; der Begriff der impliziten Befugnisse; der Grundsatz der gegenseitigen Anerkennung. Dennoch ist die Wirklichkeit nicht auf die einfache Umsetzung des institutionellen Plans der Abtretung der Souveränität in Richtung einer supranationalen Einheit beschränkt, sondern hat unerwartete strukturelle Folgen auf der Ebene des Verwaltungssystems ausgelöst. Während die proaktive Rolle der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs die Übertragungsmechanismen nach oben potenziert hat, hat der gegenseitige Druck auf die Systeme der Union und der Nationalstaaten sowie die Konkurrenz zwischen diesen Nationalstaaten unvorhergesehen eine neue Rolle eingenommen. In diesem Sinne weist der Rückgang der nationalen Souveränität auch ambivalente Züge auf. Beispielhaft seien nur der verfassungsrechtliche Widerstand gegen den Vorrang des Europarechts oder die Definition des Begriffs der Schranken-Schranke
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genannt. Ein anderes Beispiel ist die Komplexität der Integration der supranationalen mit der nationalen Ebene: Von der ursprünglichen Unterscheidung zwischen unmittelbarer und mittelbarer Verwaltung ist man zum vielschichtigeren und integrierten Rahmen des Verwaltungsverbunds übergegangen, bei dem die Interaktion zwischen den Ebenen nie in nur eine Richtung geht. Schließlich sei die Zirkulation der Rechtsinstitute (cross-fertilisation) genannt, für die die europäische „Passage“ nur eine vermittelnde Funktion hat. Auf globaler Ebene ist der Rückgang der nationalen Souveränität zu Gunsten von meistens sektoralen supranationalen Einheiten eher das Ergebnis von faktischen und juristisch weniger „kontrollierten“ Erscheinungen, zumindest nach den Schemata des Binnenrechts. Er wird in gewisser Weise von der überstaatlichen Natur bestimmter Verwaltungsaufgaben aufgezwungen, die auf binnenstaatlicher Ebene nicht lösbar sind, wie zum Beispiel dem Umweltschutz, dem Kampf gegen den internationalen Terrorismus oder die Erbringung von aufgrund ihrer Natur über die nationale Dimension hinausgehende Dienstleistungen. Die Erkenntnis, dass nationale Souveränität abgetreten werden muss, um die großen wirtschaftlichen Probleme anzugehen, gehört mittlerweile zum Allgemeinwissen, siehe die Debatte um die die Staatsverschuldung bewertenden Rating-Gesellschaften, um große soziale Themen wie die Migration oder Kommunikationsfragen sowie den Umgang mit dem Internet und der Zuweisung von Domains. Die Governance dieser Phänomene erfordert Verwaltungstätigkeiten zwecks Regulierung, Kontrolle und Management, die nur transnational durchgeführt werden können. Das hat in den letzten beiden Jahrzehnten zur Entstehung und lebhaften Entwicklung eines globalen Verwaltungsrechts geführt. Trotz dieses Unterschieds – dem gewollten und tendenziell systematischen Charakter der europäischen supranationalen Verwaltung einerseits und dem spontanen und gewiss weniger strukturierten Charakter der globalen Verwaltung andererseits – lässt sich dennoch eine Gemeinsamkeit feststellen. Auch in der Beziehung zwischen diesen beiden Ebenen kommt es immer wieder zur Interaktion aus Abtretung von Souveränität nach oben und Gegendruck von unten zu ihrer Verteidigung, wie wir sie in der Beziehung zwischen Mitgliedstaaten und der Europäischen Union finden können. Dafür gibt es deutliche Beispiele in mindestens zwei sehr bekannten Fällen. Einer ist der Fall „Kadi“ und die beiden EuGH-Urteile, die die Wirksamkeit von UN-Antiterrorsanktionen gegenüber der EU in Funktion des Grundrechtsschutzes beschränken, der nach Ansicht der EU von den Bestimmungen der Vereinten Nationen nicht genügend gewährt wird („Kadi I“ und „Kadi II“).2 Der andere ist die Sache des Beitritts der EU zur Europäischen Menschenrechtskonvention.3 In beiden Fällen hat die Rechtsordnung der Union mit Widerstand gegen den Angriff supranationaler Rechtsordnungen reagiert, 2
EuGH, Urt. v. 3. 9. 2008, Yassin Abdullah Kadi, C-402/05 P und C-415/05 P, ECLI:EU:C:2008:461 (Kadi I); EuGH, Urt. v. 18. 7. 2014, C-584/10 P, C-593/10 P und C-595/ 10 P, ECLI:EU:C:2013:518 (Kadi II). 3 EuGH, Gutachten 2/13 zum Beitritt zur EMRK, v. 18. 12. 2014, ECLI:EU:C:2014:2454.
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entsprechend der auf nationaler Ebene mit der Ausarbeitung der Theorie der Schranken-Schranken erprobten Logik. Von einer anderen Perspektive aus lässt sich feststellen, dass bei der Interaktion zwischen den drei Ebenen Dynamiken ausgelöst werden können, die die sich daraus ergebende Komplexität ausnutzen, um Befugnisse auf einer Ebene auf Kosten einer anderen wiederzugewinnen. Erwähnt sei an dieser Stelle nur ein Beispiel, nämlich der Basler Ausschuss, eine 1974 von den Notenbankenchefs der zehn internationalisiertesten Staaten gegründete Internationale Organisation, der auch die Europäische Union angehört. Die Teilnahme der Union an den Tätigkeiten dieses Ausschusses ist stark beschränkt durch die Rolle, die ihre im Ausschuss vertretenen Mitgliedstaaten autonom und in Wahrnehmung ihrer Souveränität auf dem Gebiet auszuüben verlangen, obwohl die in Basel festgelegten Regeln in den meisten Fällen über europäische Richtlinien oder Verordnungen ins nationale Recht übernommen werden müssen. In diesem Fall erlaubt das Vorhandensein einer supranationalen Organisation, an der sie in Konkurrenz mit der Union teilnehmen, den Mitgliedstaaten, sich sozusagen Befugnisse „wieder anzueignen“, die sie auf europäischer Ebene bereits abgetreten hatten. Dieser Sachverhalt hat sowohl auf internationaler als auch auf europäischer Ebene erhebliche Konsequenzen. Die Rückgewinnung von Befugnissen seitens der Mitgliedstaaten bietet Drittstaaten (in diesem Fall insbesondere den Vereinigten Staaten) größere Möglichkeiten, der europäischen Union ihre Vorschriften aufzuerlegen. Andererseits benutzen die im Ausschuss vertretenen Mitgliedstaaten den Basler Ausschuss, um Regeln durchzusetzen, die sie andernfalls innerhalb der Union nur schwer – beziehungsweise aufgrund der Zahl der Stimmberechtigten (28) gar nicht – durchsetzen könnten und die die Union dann, wenn sie einmal vom Ausschuss verabschiedet worden sind, politisch übernehmen muss. 2. Systemische Konvergenz und bleibende Unterschiede Das Zustandekommen von supranationalen Verwaltungsorganisationen und -tätigkeiten hat zur Annäherung der traditionellen nationalen Verwaltungssysteme geführt. In diesem Zusammenhang wäre es angebrachter, von einer Abschwächung der Unterschiede als von echter Konvergenz zu sprechen (Cassese spricht von „Ent-Differenzierung“). Für die Annäherung gibt es zahlreiche Gründe, die vor allem mit allgemeineren Erscheinungen der Globalisierung im Bereich der Kommunikation zu tun haben: Die immer besser werdenden Kenntnisse sowie vergleichende Studien über die unterschiedlichen Systeme haben die Rechtsordnungen füreinander geöffnet. Das Vorhandensein von supranationalen Verwaltungen hat allerdings erheblich zu dieser Öffnung beigetragen, denn es hat den Binnen- und anderen Verwaltungen abverlangt, in den geteilten Sektoren gemeinsame organisatorische Anpassungen vorzunehmen (beziehungsweise deren Existenz intern anzuerkennen). Denn nur, wenn man über ähnliche Strukturen und gemeinsame Einrichtungen verfügt, ist die operative Implementierung von auf einer anderen Ebene oder in einem anderen Kontext getroffenen Verwaltungsentscheidungen möglich.
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Die Ausbreitungskraft der gemeinsamen Elemente entfaltet sich auch außerhalb der geteilten Sektoren, also auch auf den Teil der öffentlichen Verwaltung, der „national“ bleibt. Es handelt sich um eine Erscheinung, die all denen gut bekannt ist, die die Entwicklung des Gemeinschaftsrechts studiert haben und wissen, dass sich die nationalen Rechtsordnungen den europäischen Grundsätzen und Standards auch dort angepasst haben, wo es keine diesbezüglichen Anpassungsauflagen gab. Grund dafür ist nicht nur das Erfordernis, keine Ungleichheiten zu schaffen, sondern auch die Macht der Gewohnheit, bestimmte Regeln und Standards anzuwenden; eine Gewohnheit, die alle Beteiligten, Richter und Verwaltungspersonal konditioniert, auch wenn sie nicht dazu verpflichtet sind. Im Übrigen kennen alle Anwender des europäischen Rechts die spontanen Imitationsmechanismen und den – untereinander in Konkurrenz stehenden Rechtsordnungen eigenen – Trend zur Übernahme der Modelle, die am besten zu funktionieren scheinen. Dennoch wäre die Annahme falsch, dass die Unterschiede, die in der Vergangenheit die nationalen Verwaltungssysteme so stark geprägt haben, nicht weiterhin eine Rolle spielen würden, beziehungsweise zu meinen, dass diese dem Untergang geweiht seien. Und gerade dieser Aspekt, also das Fortbestehen nationaler Diversitäten, zeigt einen Unterschied zwischen dem europäischen und dem globalen Raum. Denn während sich auf europäischer Ebene, symmetrisch zum expansiven Europäisierungstrend (auch über das hinaus, was formal von den Verträgen vorgesehen ist) eine parallele Tendenz zur Verteidigung und zur Anerkennung der Unterschiede durchgesetzt hat, greift dieser Prozess auf globaler Ebene nicht. Dort stellt sich die Frage des Respekts vor der Verschiedenheit gelegentlich und hauptsächlich in Bezug auf den problematischen Aspekt des Gewichts der westlichen Werte. Mit anderen Worten, man fragt sich, ob die westlichen Werte vorherrschen, aber man findet nicht das gleiche Bewusstsein für die Relevanz des Themas Diversitäten, das auf europäischer Ebene vorhanden ist. Im europäischen Kontext ist der Respekt vor der Vielfalt zumindest in gewisser Weise seit jeher vorhanden und hat im Verlauf der Entwicklung der Systeme eine Stärke dargestellt. Man denke insbesondere an die Methoden, die der Europäische Gerichtshof für die Eingriffe in die nationalen Rechtsordnungen anwendet und seine sorgfältigen Versuche, vereinheitlichende strukturelle Maßnahmen zu vermeiden, obwohl diese manchmal sogar von einem Teil der inländischen Rechtsprechung gefordert werden. Auch wenn der Gerichtshof stark in die nationalen Systeme eingreift, achtet er darauf, seine Entscheidung eng an den spezifischen Fall zu knüpfen. Er wendet eine empirische Methode an, die auf das Aufstellen von in allen Fällen gültigen Regeln verzichtet und vermeidet es, sich mit den Strukturen der Binnensysteme zu befassen; es scheint fast, als wolle er den höchsten Grad der Originalität des Systems, in das er eingreift, bewahren. Er legt dem betroffenen Gericht das Ergebnis vor, das bei effektiver Anwendung des Gemeinschaftsrechts erreicht werden soll, vermeidet es aber so weit wie möglich, allgemeine Regeln zu diktieren, die grundsätzlich nationale Lösungen umwerfen. Gleichzeitig veranlasst das neue Leben dieser Regeln in der europäischen Rechtsordnung die Mitgliedstaaten zur Entwicklung neuer Formen der Diversität. Denn sie
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nehmen die Konditionierungen des europäischen Rechts gewollt – bewusst gewollt – differenziert zur Kenntnis. Die Unterschiede überleben also, auch wenn es sich vielleicht um unterschiedliche Unterschiede handelt. Vielleicht könnte man von einer neuen Dimension der Vielfalt reden: Die traditionelle Eigenschaft der gegenseitigen Fremdheit der Rechtsordnungen verschwindet und an ihrer Stelle setzt sich die Idee durch, dass sich die den verschiedenen Systemen eigenen Besonderheiten in einen komplexeren Kontext als den der einfachen Binnensituationen einordnen und sich in differenzierten Lesarten und Anwendungen einer gemeinsamen Sache entwickeln müssen. Dieser Weg ist im globalen Rechtsraum nicht wiederholbar oder zumindest nur sehr schwer wiederholbar. Hindernisse sind der nur minimal strukturierte Charakter und die radikalen Unterschiede zwischen den Systemen, die nicht mit denen vergleichbar sind, wie wir sie zwischen den europäischen Rechtsordnungen finden. Letztere sind trotz der teilweise enormen Unterschiede – denken wir nur an diejenigen zwischen civil law und common law – von weitgehend gemeinsamen Grundwerten inspiriert. Dies gilt natürlich nicht auf globaler Ebene, man denke nur an China oder an die Versuche, einigen nahöstlichen Ländern Regelwerke und Grundsätze aufzuerlegen, die in den Ursprungsländern in jahrhundertelanger Arbeit ausgestaltet wurden.
3. Nichtwiederholbarkeit der nationalen Legitimierungsmodelle der öffentlichen Verwaltung Das dritte gemeinsame Element der hier untersuchten Europäisierungs- und Internationalisierungserscheinungen bezieht sich auf den Umstand, dass die nationalen Modelle der öffentlichen Verwaltung in keinem der beiden Bereiche direkt wiederholbar sind. Mit anderen Worten, wenn wir uns das Ganze aus einer anderen Richtung anschauen, haben sie den Umstand gemeinsam, dass weder das europäische noch das globale Verwaltungsrecht durch einfache Anwendung des Binnenmodells der öffentlichen Verwaltung auf diese Rechtsebenen nachvollzogen werden können. Diese Behauptung erfordert eine Präzisierung. Zweifellos finden sich einige der Aspekte, die die Verwaltungsbefugnisse in den staatlichen Rechtsordnungen prägen, auch in Erscheinungen der Verwaltungsregulierungen in der europäischen Rechtsordnung und in der global legal order (wenn wir diesen Begriff benutzen wollen). An dieser Stelle genügen einige Hinweise auf die organisatorischen und Verfahrensgarantien, die im Rahmen der Ausübung der Verwaltungsbefugnisse in Bezug auf folgende Aspekte gewährt werden: die Unterwerfung ihrer Handlungen unter die Kontrolle der Gerichtsbarkeit (im Sinne einer Kontrolle durch ein unabhängiges Garantieorgan); die Art dieser Kontrolle hinsichtlich ihrer Dichte und Grenzen; die sich daraus ergebende problematische Beziehung zwischen beschließender Verwaltungsbehörde und rechtsprechender Kontrollbehörde; die Rolle, die die Richter und ihre Entscheidungen bei der Gestaltung der Verwaltungsdisziplin spielen (auch hier stark
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von der Rechtsprechung abgeleitet); die nötige accountability der Verwaltung und so weiter. All dies sind strukturimmanente Probleme jeder Regulierung der Verwaltungsbefugnisse und sie lassen sich leicht in den Binnenverwaltungen und auch in den supranationalen Verwaltungen, ob es sich nun um europäische oder globale handelt, nachweisen. Was sich dagegen radikal für letztgenannte ändert ist der Bezugsrahmen der governance oder auch der „Verfassungsrahmen“, in den sich die öffentliche Verwaltung einordnet. Insbesondere können die Legitimationsformen nicht die gleichen sein. Die repräsentative Demokratie, an die die staatliche Verwaltungsbefugnis mittels der in den nationalen Staaten mehr oder weniger direkte, aber immer vorhandene und lineare Beziehung zwischen Regierung und Wählern anknüpft, lässt sich nicht mechanisch von der staatlichen Ebene auf die beiden in Betracht gezogenen supranationalen Ebenen übertragen. Sicher, das gemeinsame Element, in diesem Fall die Nichtübertragbarkeit des Modells, tritt in den beiden Bereichen, mit denen wir uns befassen, nicht auf die gleiche Art und Weise auf, sondern kommt unterschiedlich abgestuft zum Ausdruck und findet in der Rechtsordnung der Europäischen Union und im globalen Rechtsraum unterschiedliche Ausformungen. Es ist allgemein bekannt, dass sich in der europäischen Rechtsordnung die Verwaltungsvereinheitlichung lange Zeit – und nach einer weit verbreiteten Ansicht wird das auch so bleiben – außerhalb eines echten repräsentativen Legitimationssystems der öffentlichen Gewalt und insbesondere der Verwaltungsbefugnisse abgespielt hat. Erinnert sei hier an das „Lissabon“-Urteil des Bundesverfassungsgerichts von 2009, in dem das Karlsruher Gericht die unabdingbare nationale Natur der angesprochenen nationalen Kompetenzbereiche betont und die Ansicht vertritt, dass es für Deutschland unmöglich sei, der Union die Kompetenz-Kompetenz zu übertragen. Der Grund wird in der mangelnden demokratischen Legitimation der Union gesehen.4 Es sei hier kurz daran erinnert, dass das Thema umgekehrt in den Urteilen des Bundesverfassungsgerichts betreffend die Verfassungswidrigkeit der Fünf- und später der Drei-Prozent-Sperrklausel bei Europawahlen wiederkehrt.5 Das Bundesverfassungsgericht vertritt hier die Ansicht: „Zwar unterscheidet sich das Europäische Parlament vom Deutschen Bundestag insbesondere dadurch, dass die Bildung einer stabilen Mehrheit für die Wahl und die fortlaufende Unterstützung einer handlungsfähigen Regierung nicht erforderlich ist“.6 Und weiter: „Das Europäische Parlament ist ein Parlament eigener Art. Die Unterschiede in Aufgabenstellung und Funktion zum Deutschen Bundestag sind (noch) erheblich, rechtfertigen jedoch eine grundlegend andere Gewichtung der Bedeutung der Sicherung seiner Funktionsfähigkeit 4
BVerfG, Urt. v. 30. 6. 2009, 2 BvE 2/08 u. a., 2 BvR 1022/08 u. a., BVerfGE 123, 267. BVerfG, Urt. v. 9. 11. 2011, 2 BvC 4, 6, 8/10, BVerfGE 129, 300 (Fünf-Prozent-Sperrklausel); BVerfGE, Urt. v. 26. 2. 2014, 2 BvE 2/13 u. a., 2 BvR 2220/13 u. a., BVerfGE 129, 300 (Drei-Prozent-Sperrklausel). 6 Ebd., Rn. 25. 5
Denationalisierung der öffentlichen Verwaltung
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nicht.“7 Dies sei der Fall, weil es keine Verknüpfung zwischen dem Parlament und der Exekutivgewalt gebe. Von daher ist also noch zu bezweifeln, dass das Thema der demokratischen Legitimierung der europäischen Verwaltung durch die Idee einer reinen Transposition des nationalen Modells der repräsentativen Demokratie und der hierfür typischen Verbindung zwischen öffentlicher Verwaltung und Parlament durch die Regierung auf dieser Ebene gelöst werden kann. Und es ist kein Zufall, dass ein großer Teil der Rechtslehre bei der Legitimierung der europäischen öffentlichen Verwaltung (und im Grunde der europäischen öffentlichen Gewalt) auf andere Mechanismen setzt wie die Verfahrens- und Rechtsprechungsgarantien, Transparenz und die Idee, „die europäische Einheit von unten durch die Integration einer substantiellen europäischen Legalität mit der in den einzelnen staatlichen Rechtsordnungen geltenden Verwaltungslegalität umzusetzen“.8 Zweifellos sind diese Versuche umso interessanter, je deutlicher der – doch vorhandene – Bereich des Verfassungsrechts auf europäischer Ebene seine Schwierigkeiten offenbart. Dabei geht es nicht nur um den Verzicht auf den Verfassungsvertrag, sondern allgemeiner um die Grenzen, die dem europäischen System aus dem Fehlen einer tatsächlichen politischen Integration entstehen. Diese Grenzen zeigen sich derzeit dramatisch auf der Ebene der verschiedenen Politiken, von der Währungspolitik bis zur Einwanderungspolitik. Es geht aber auch um die Folgen, die sich als Antwort darauf auf nationalem Niveau ergeben. Das gilt umso mehr auf globaler Ebene. Im internationalen Rechtsraum gibt es keine Parlamente und auch keine repräsentativ legitimierten Regierungen. Hier sind Einrichtungen dieser Art überhaupt nicht vorstellbar. Und wahrscheinlich ist das auch besser so, wie viele geäußert haben. Im globalen Raum muss sich das Thema der Legitimierung tiefgehend anders und noch radikaler darstellen, deutlich getrennt von der Perspektive der nationalen Ebene. Hier versucht das Verwaltungsrecht selbst und noch ultimativer als im europäischen Rahmen zum Ausgleich mangelnder traditioneller Mechanismen der repräsentativen Legitimation die Verwaltungsbefugnisse auf eigene charakteristische Legitimationsquellen zu stützen. Das Fehlen einer konstitutionellen Dimension – und eines Verfassungsrechts – mit all ihren Einrichtungen und insbesondere denen, die sich um das Konzept der repräsentativen Demokratie drehen, führt zur Entstehung einer intensiveren kompensatorischen Verwaltungsregulierung, die immer stärker als notwendig empfunden wird. Ihre Aufgabe ist die Wahrung der demokratischen Werte durch die Einrichtungen der sogenannten deliberative democracy: Beteiligung, Konsultation, Transpa-
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Ebd., Rn. 26. Fabio Merusi, L’integrazione fra la legalità comunitaria e la legittimità amministrativa, Diritto amministrativo 2009, S. 50. 8
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renz, Begründung der öffentlichen Entscheidungen, Vernunft, Verhältnismäßigkeit, accountability der Macht, Rechtsschutz gegenüber Dritten.9 Auf übernationaler Ebene setzt sich das Verwaltungsrecht also immer stärker aufgrund immanenter organisatorischer und Verfahrenserfordernisse der mit der Verwaltung bestimmter Bereiche oder Sachgebiete beauftragten supranationalen Strukturen durch. Gleichzeitig scheint dessen Entwicklung jedoch auch einem anderen tieferen Erfordernis zu entsprechen, für das traditionsgemäß in den Binnenstaaten das Verfassungsrecht da ist. Nämlich dem Erfordernis, organisatorische und Handlungsprofile der öffentlichen Gewalt in Funktion ihrer demokratischen Legitimation und der Garantie der Betroffenenrechte zu ermitteln und zu strukturieren. Als Beweis für diese Neigung des globalen Verwaltungsrechts zur Konstitutionalisierung von Grundsätzen und Einrichtungen können die Gründungsurkunden einiger internationaler Organisationen zitiert werden, die sich als Instrumente „konstitutioneller“ Natur bezeichnen. Erwähnenswert sind hier die bekannten Aspekte der WTO-Ordnung, insbesondere ihr System der Streitbeilegung. Doch es gäbe noch viel mehr Beispiele. Pars pro toto sei hier lediglich auf die Olympic Charter des Internationalen Olympischen Komitees verwiesen, die sich selbst als „basic instrument of constitutional nature“ bezeichnet.10 Nicht nur diejenigen, die sich mit den Fragen der Denationalisierung befassen, sondern auch die Akteure der supranationalen Szene selbst sind sich der „konstitutionellen“ Tragweite der supranationalen Verwaltungsregulierung bewusst. Und das ist sicher ein Ausgangspunkt, der auch in der Debatte über die Natur dieser Regulierung in Betracht zu ziehen ist. Doch weder der konstruktive Beitrag des globalen Verwaltungsrechts zur Errichtung von Systemen, die die Rechte respektieren und die demokratische Dimension im Auge behalten, noch das Bewusstsein der tatsächlichen konstitutionellen Tragweite bei den Beteiligten können danach streben, den aus dem Fehlen von Repräsentativität entstehenden Mangel an Demokratie ausgleichen zu können. Es ist also die Aufgabe aller an dieser epochalen Änderung Beteiligten – vom Nationalstaat bis zu neuen organisatorischen Formen der öffentlichen Macht im supranationalen und globalen Kontext – und vor allem der Wissenschaftler, die sich mit dem Phänomen befassen, und auch den Juristen unter ihnen, neue Formen der Rationalisierung der öffentlichen Macht zu artikulieren, die für das neue Umfeld geeignet sind, in dem sie ausgeübt wird.11
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Sabino Cassese, Stato in transformazione, Riv. trim. dir. pubb. 2016, S. 331 ff. „The Olympic Charter, as a basic instrument of a constitutional nature, sets forth and recalls the Fundamental Principles and essential values of Olympism“, Introduction to the Olympic Charter, https://www.olympic.org/news/the-olympic-charter [14. 2. 2017]. 11 Cassese (Fn. 9), Riv. trim. dir. pubb. 2016, S. 331 ff. 10
Konvergenzen der nationalen Verwaltungen unter dem Einfluss des Europarechts
Konvergenz und Divergenz des Verwaltungsrechts in der EU Bemerkungen anhand der Beispiele des „Verwaltungsaktes“ und des Vergaberechts in Deutschland und Italien Erminio Ferrari Dieser Beitrag geht von der Annahme aus, dass die so oft angesprochenen Konvergenzen zwischen den europäischen Verwaltungsrechtssystemen viel geringer sind als vermutet. In Bezug auf das Europarecht werden Richtlinien in unterschiedlicher Weise umgesetzt und Verordnungen nicht immer einheitlich ausgelegt. Auch in anderen Rechtsgebieten werden unterschiedliche Lösungen gewählt. Um diese Annahme näher zu begründen, müssen hier zunächst zwei Fragen gestellt werden. Erstens: Warum beschreibt man den Vergleich zwischen den nationalen Verwaltungssystemen durch das Begriffspaar Konvergenz/Divergenz? Und, zweitens: Wie kann man Konvergenzen überhaupt feststellen und beurteilen? Die Antwort auf die erste Frage ist relativ einfach: Aus der einschlägigen Literatur ergibt sich, wie und wann die Begriffe entstanden sind und verwendet wurden. Schwieriger ist die zweite Frage zu beantworten. Dies hängt damit zusammen, dass sie nicht nur ein Rechtsinstitut oder das Verwaltungsrecht an sich betrifft. Vielmehr hat man es mit den nationalen Verwaltungen und den entsprechenden nationalen Verwaltungsrechtssystemen zu tun. Hier könnten die Aussagen eines Statistikers oder eines Soziologen weiterhelfen, aber leider ist die Tatsachenforschung in Bezug auf die italienische Verwaltung nicht sehr weit fortgeschritten. Um sich dem Problem anzunähern, werden stattdessen im Folgenden exemplarisch zwei Rechtsinstitute aufgegriffen und dementsprechend analysiert, denen in der Verwaltungspraxis grundlegende Bedeutung zukommt. Wie gezeigt wird, lassen die Merkmale dieser beiden grundlegenden Rechtsinstitute Rückschlüsse auf die Merkmale der jeweiligen Verwaltungen und Verwaltungssysteme zu.
I. Konvergenz und Divergenz Konvergenz und Divergenz sind ein Gegensatzpaar, das seit einigen Jahren zu den Schlüsselbegriffen des europarechtlichen Diskurses gehört. In Italien fand 1991 erstmals eine Tagung auf diesem Gebiet mit dem Thema „Divergenze e convergenza nei sistemi amministrativi europei“ statt. Seinerzeit war die dritte Stufe der Wirtschafts-
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und Währungsunion in Vorbereitung und sowohl bei den Fachleuten als auch in der Öffentlichkeit wurden die Bedingungen analysiert, unter denen in verschiedenen nationalen Wirtschaftsräumen eine einzige Währung eingeführt werden könnte. Dies waren die Konvergenzkriterien, die im folgenden Jahr in Maastricht verabschiedet wurden.1 In diesem Zusammenhang war die Tagung vom 19. und 20. September 1991 in Rom der Frage gewidmet, ob und wie die verschiedenen „divergenze“ zwischen den europäischen Verwaltungssystemen zu einer „convergenza“ führen sollten, oder vielleicht mussten.2 Das Begriffspaar hat sich verfestigt: In den folgenden Jahren wird es in der Literatur oft verwendet, nicht nur in Bezug auf die Verwaltungssysteme,3 sondern auch in Bezug auf die unterschiedlichen kulturellen Hintergründe der europäischen Gesellschaft. 2014 findet sich das gegensätzliche Begriffspaar in der bis jetzt umfangreichsten Untersuchung des Verwaltungsrechts in Europa erneut, wo von „Divergenzen und Konvergenztendenzen zwischen den Verwaltungsrechtsordnungen“ die Rede ist.4 Die Idee der Konvergenz scheint hier etwas abgeschwächt verwendet zu werden: Sie gilt nicht mehr als eine Tatsache, sondern nur noch als Tendenz. In dem vorliegenden Beitrag wird ihr Inhalt als Ausprägung der Konstitutionalisierung, Subjektivierung und Demokratisierung, der Europäisierung und Internationalisierung beschrieben: Vorgänge, die für das Verwaltungsrecht bestimmt wichtig sind, die aber nicht nur die Verwaltungsrechtsordnungen betreffen, und das auch nicht nur in Europa. Nicht ganz zufällig hat man vor einigen Jahren von einer undifferenzierten „Konvergenzeuphorie“ gesprochen.5 Im Laufe der Zeit hat eine Annäherung der nationalen Verwaltungssysteme ohne Zweifel stattgefunden, aber gerade diese Annäherung ermöglicht einen Vergleich, der Divergenzen offenbart. Das Vorhaben von 1991 scheint schwieriger zu sein, als vorausgesehen. Wie eingangs schon ausgeführt, gilt es herauszufinden, was unter „Konvergenz/ Divergenz“ überhaupt zu verstehen ist, und wie man diese Begriffe definieren und ihr Vorliegen beurteilen kann. Für die Wirtschafts- und Währungspolitik ist das relativ 1
Vgl. Art. 121 EGV und heute Art. 140 AEUV. Die Referate wurden in folgenden Zeitschriften veröffentlicht: Dir. pubbl. comp. 1992, S. 2 ff. (mit Beiträgen von John Bell und Sabino Cassese) und Riv. trim. dir. pubbl. 1992, S. 946 ff. (mit Beiträgen von Guido Corso, Jean-Paul Costa, Marco D’Alberti, Renaud Dutreil, Sebastian Martin-Retortillo, Francesco Merloni, Yves Mény, Luisa Torchia, Vincent Wright und Sergio Zoppi). 3 Für Frankreich s. Gérard Marcou (sous la direction de), Les mutations du droit de l’administration en Europe. Pluralisme et convergences, Paris 1995. 4 Peter M. Huber, Grundzüge des Verwaltungsrechts in Europa – Problemaufriss und Synthese, in: Armin von Bogdandy/Sabino Cassese/Peter M. Huber (Hrsg.), Handbuch Ius Publicum Europaeum, Bd. V, Verwaltungsrecht in Europa: Grundzüge, Heidelberg 2014, S. 3 ff. 5 Christoph Schönberger, Verwaltungsrechtsvergleichung: Eigenheiten, Methoden und Geschichte, in: Armin von Bogdandy/Sabino Cassese/Peter M. Huber (Hrsg.), Handbuch Ius Publicum Europaeum, Bd. IV: Verwaltungsrecht in Europa: Wissenschaft, Heidelberg 2011, S. 493 ff. 2
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einfach zu beantworten: Hier haben die Mitgliedstaaten Vereinbarungen getroffen und in den Verträgen niedergelegt, beispielsweise welche Maßstäbe zu prüfen sind, um einen hohen Grad an Konvergenz dauerhaft zu erreichen, sowie wem diese Aufgabe obliegt (Art. 140 AEUV). Aber in den Verträgen findet man kein Wort zur Konvergenz der Verwaltungssysteme und des Verwaltungsrechts. Man könnte hier die Regel über die Angleichung der Rechtsvorschriften in Betracht ziehen,6 aber diese Vorschrift ist auf „die Errichtung und das Funktionieren des Binnenmarkts“ beschränkt (Art. 114 AEUV). Erwähnenswert sind auch die Art. 197 und 291 AEUV. Aber die erstgenannte Vorschrift regelt die „für das ordnungsgemäße Funktionieren der Union“ notwendige Zusammenarbeit der Mitgliedstaaten: Daraus können „Anforderungen“ an die mitgliedstaatlichen Verwaltungsrechte,7 aber nicht notwendig auch „Konvergenzen“ entstehen. Die zweitgenannte Vorschrift betrifft die eigene Verwaltung der Union.8 In der Charta der Grundrechte der EU ist ein „Recht auf eine gute Verwaltung“ vorgesehen (Art. 41), aber eine gute Verwaltung fordert weder Konvergenzen noch schließt sie Divergenzen aus. Wahrscheinlich ging man in den neunziger Jahren davon aus, dass die Konvergenz der nationalen Verwaltungssysteme aus der Konvergenz der nationalen Wirtschaftssysteme folgen würde.9 In einem gemeinsamen Markt musste auch das Verwaltungssystem harmonisiert, deshalb vereinheitlicht und denknotwendig ohne Divergenzen sein. Es wurde nicht als notwendig angesehen, eine spezifische Politik der EG/EU für die Verwaltungssysteme vorzuschreiben; diese würden sich sozusagen „automatisch“ uniformieren. Diese Vision wurde auch durch andere Überlegungen bestärkt. Es war damals zu beobachten, wie sich das common law and das civil law in einigen Punkten angeglichen haben. Das Ende des Kalten Krieges ließ an ein einheitliches Rechtssystem denken, das sich aus den Grundsätzen des freien Markts entwickeln sollte. Das wirtschaftliche Handeln verbreitete sich dank neuer Transport- und Kommunikationstechnologien auf dem ganzen Erdball mit einer Intensität, die keine Möglichkeit für Ausnahmen oder Unterschiede ließ. Europäisierung und Globalisierung wurden im Grunde von den gleichen Kräften vorangetrieben und sollten notwendig zur Vereinheitlichung führen. Zeit und Raum spielten keine Rolle in der Rechtspolitik der Globalisierung. Es herrschte die Grund6 Erminio Ferrari, Per l’armonizzazione dei diritti amministrativi europei, in: Giandomenico Falcon (a cura di), Il diritto amministrativo dei paesi europei tra omogeneizzazione e diversità culturali, Padova 2005, S. 383 ff. 7 So Matthias Ruffert, Art. 197 AEUV, in Christian Callies/Matthias Ruffert (Hrsg.), EUV/ AEUV, 5. Aufl., München 2016; Mario P. Chiti, La pubblica amministrazione, in: Id. (Hrsg.), Diritto amministrativo europeo, Milano 2013, S. 173. 8 Ulrich Stelkens, Art. 291 AEUV, das Unionsverwaltungsrecht und die Verwaltungsautonomie der Mitgliedstaaten – zugleich zur Abgrenzung der Anwendungsbereiche von Art. 290 und Art. 291 AEUV, EuR 2012, S. 511; Stefano Battini, L’unione europea quale originale potere pubblico, in: Chiti (Fn. 7), S 39. 9 Fabio Merusi, Stato e mercato: convergenze e divergenze nei diritti amministrativi in Europa, Dir. U. E. 2000, S. 499.
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annahme, dass es Regeln gibt, die geeignet sind, überall und jederzeit ein Wachstum zu gewährleisten. Die Wirtschaftswissenschaft geht von diesen Regeln aus und die best practices bestätigen sie. Die Aufgabe der Politik besteht nach dieser Vorstellung darin, diese Regeln durch die notwendigen Reformen in Gesetzesform zu bringen. Die Aufgabe der Rechtswissenschaft sollte demnach darauf beschränkt sein, die Stufen der Konvergenz und die Probleme der Divergenzen zu analysieren. Die tatsächliche Entwicklung verlief jedoch anders. Die Finanzkrise im Jahr 2008 hat das Wachstum unterbrochen und sowohl die Wirtschaftswissenschaft als auch die Politik haben bis heute Schwierigkeiten, aus ihr einen Ausweg zu finden. Die wirtschaftlichen Konvergenzkriterien sind ins Wanken geraten. Die Unterschiede in den verschieden Mitgliedstaaten bestehen fort und zwar auch in den entsprechenden Verwaltungssystemen. Wir müssen analysieren, wie die Lage heute ist, welche Konvergenz erreicht wurde und welche Divergenzen bestehen, und was die Gründe dafür sind. Und hier richtet sich der Fokus immer mehr auf die Bedeutung der Kultur für eine fortbestehende Divergenz.10 In diesem Zusammenhang soll die Aufmerksamkeit auf zwei Rechtsinstitute gelenkt werden: Zum einen sind die Entwicklungen aufzuzeigen, die die Rolle des Verwaltungsaktes in der italienischen Verwaltungspraxis tiefgreifend geändert haben (nachfolgend zu II.). Zum anderen sind die Unterschiede hervorzuheben, die das Recht der Vergabe öffentlicher Aufträge in Italien und in Deutschland aufweisen (nachfolgend zu III.). Im Anschluss folgen einige Gedanken über das italienische Verwaltungsprozessrecht (nachfolgend zu IV.) und schließlich eine Zusammenfassung (nachfolgend zu V.).
II. Dämmerung des Verwaltungsakts in Italien? Am Ende des 19. Jahrhunderts sind in Europa Systeme des Rechtsschutzes von Bürgern gegenüber der öffentlichen Verwaltung entstanden und dafür wurden die notwendigen Rechtsinstitute und Begriffe gestaltet. Während in Frankreich die entscheidende Rolle dem Begriff service public zukam, war in Deutschland und in Italien die Rechtsfigur des Verwaltungsaktes der zentrale Baustein. Diese Rechtsfigur war deutschen Ursprungs, genauer gesagt wurde sie von Otto Mayer entwickelt.11 Sie fand in Italien nicht nur Aufmerksamkeit, sondern auch breite Akzeptanz. In der italienischen Literatur der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts wird die deutsche Lehre des Verwaltungsaktes in ihrem Ursprung und ihren Entwicklungen vielfach aufgegriffen, oft zitiert, hier und da in verschiedene Richtungen weiterentwickelt. 10 S. Karl-Peter Sommermann, Gemeineuropäische Verwaltungskultur als Gelingensbedingung europäischer Integration?, DÖV 2015, S. 449 ff. 11 Reimund Schmidt-de Caluwe, Der Verwaltungsakt in der Lehre Otto Mayers: staatstheoretische Grundlagen, dogmatische Ausgestaltung und deren verfassungsbedingte Vergänglichkeit, Tübingen 1999.
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Der Verwaltungsakt ist die Grundlage eines Rechtsschutzsystems, das ohne Zweifel Probleme und Schwächen mit sich bringt, das aber bis heute unersetzbar ist. Aus der Lehre des Verwaltungsaktes hat sich die Lehre des Verwaltungsverfahrens entwickelt. Das Vorhaben, Rechtsschutzsysteme ohne das Institut des Verwaltungsaktes zu entwickeln, befindet sich – zumindest in Italien und in Deutschland – noch in Vorbereitung. Wo es keinen Verwaltungsakt gibt, da gibt es auch kein Verwaltungsverfahren. Diese gemeinsamen Wurzeln scheinen aber im Laufe der Zeit an Einfluss zu verlieren. Schon die erste Fassung des italienischem Gesetzes über das Verwaltungsverfahren12 enthielt ein Kapitel 4 mit dem Titel „Vereinfachung der Verwaltungstätigkeit“.13 Es wurde eine Regelung geschaffen, die das Zustandekommen von Verwaltungsakten ersetzen sollte. Es handelt sich um die „Erklärung (später: „zertifizierte Meldung“) des Tätigkeitsbeginns“ (Art. 19) und die „stillschweigenden Zustimmung“ (Art. 20). Im ersten Fall wird der Verwaltungsakt durch Anzeigepflichten ersetzt; im zweiten, mit Ablauf einer bestimmten Frist, wird ein Antrag als angenommen angesehen. 1990 waren diese Regeln der Höhepunkt einer Entwicklung, die in Italien seit mehr oder wenig einem Jahrhundert in der Rechtsprechung, Gesetzgebung und Literatur lebendig war.14 Sie spiegelten die Lage einer Verwaltung wider, die im Grunde schwach war, mehr Aufgaben zu erledigen hatte, als Mittel zur Verfügung standen und die vielfach nichts anders anzufangen wusste als „zu schweigen“. Jahr um Jahr,15 im Lichte der „Vereinfachung“, haben sich die zertifizierte Meldung und die stillschweigende Zustimmung als Mittel zur Lösung alter Probleme durchgesetzt und stehen als Werkzeuge einer erneuerten Verwaltung zur Verfügung. Neben dem allgemeinen Verwaltungsrecht ist auch die Gesetzgebung in anderen Bereichen diesem Weg gefolgt, insbesondere im Baurecht.16 Es sollen hier nicht die Einzelheiten dieser Gesetzgebung dargestellt werden, aber ein Wendepunkt ist hervorzuheben: Mit der Reform von 200517 wird die stillschweigende Zustimmung zur Regel. Früher war sie nur als Ausnahme für bestimmte Fälle vorgesehen. Seit 2005 zählt Art. 20 Gesetz Nr. 241/1990 dagegen die Bereiche auf, in denen die stillschweigende Zustimmung ausgeschlossen ist. In allen anderen Fällen wird eine Zustimmung vermutet, wenn die Behörde innerhalb einer bestimmten Frist 12 Gesetz v. 7. 8. 1990, Nr. 241, Gazz. Uff. v. 18. August 1990, Nr. 192. Statt vieler Alberto Romano (Hrsg.), L’azione amministrativa, Torino 2016. 13 Hier und im Folgenden für die Übersetzung der Vorschriften dieses Gesetzes folge ich dem Wortlaut des Landesgesetzes Bozen v. 22. 10. 1993, Nr. 17, Regelung des Verwaltungsverfahrens, zuletzt geändert durch Landesgesetz vom 4. 5. 2016, Nr. 9. 14 Um nur einen der ersten Aufsätze zu erwähnen, s. Ugo Borsi, Il silenzio della pubblica amministrazione nei riguardi della giustizia amministrativa, Giur. It. 1903/IV, S. 252. 15 Erwähnenswert ist, dass Art. 19 in seiner 17. Fassung heute gilt, Art. 20 in seiner 8. Fassung: Ab 1975 hielt es ziemlich jede italienische Regierung für notwendig, eine neue Ausgestaltung dieser Regeln zu verabschieden. 16 D.P.R. v. 6. 6. 2001, Nr. 380, Gazz. Uff. v. 20. 10. 2001, Nr. 245. 17 D.L. v. 14. 3. 2005, Nr. 35, Gazz. Uff. v. 16. 3. 2005, Nr. 62.
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nicht entscheidet. Das Verhältnis Regel/Ausnahme ist immer schwer zu bewerten: Manchmal sind die Ausnahmen zahlreicher und wichtiger als die Regeln. Konkrete Angaben wären deswegen sehr nützlich und in der Tat hat das ISTAT (das italienische Amt für Statistik) die Aufgabe, Informationen über Bautätigkeiten einschließlich ihrer Genehmigungsgrundlage zu sammeln. Daraus kann ermittelt werden, in wie vielen Fällen sich die Bautätigkeit in Italien heute auf Anzeigepflichten, stillschweigende Genehmigungen oder ausdrückliche Baugenehmigungen stützt. Diese Informationen stehen der Öffentlichkeit leider bisher nicht zur Verfügung,18 die dazu vorherrschende Meinung geht aber davon aus, dass diese Reformen die baurechtliche Praxis tiefgreifend verändert haben. Der Verwaltungsakt „Baugenehmigung“ hat erheblich an Gewicht verloren. Und das gleiche gilt für die anderen Gebiete, in denen die zertifizierte Meldung und die stillschweigende Zustimmung Anwendung finden. Es wird deutlich, dass hier ein Konzept der öffentlichen Verwaltung umgesetzt wird, das sich erheblich vom Muster einer auf der Grundlage von Verwaltungsakten tätigen Verwaltung unterscheidet. Die Regel des vorgesehenen Eingriffs der Behörde in die das öffentliche Interesse berührenden Aktivitäten verschwindet. Anstelle der dem Verwaltungsakt zugrunde liegenden behördlichen Bestätigung und Verfügung wird die Verantwortung in den privatwirtschaftlichen Bereich verlagert: Es ist der Antragssteller, der vorträgt, wie die Sach- und Rechtslage ist, die Rechtsfolgen aufzeigt, und dafür die eigene Verantwortung übernimmt. Dagegen kommt der Behörde (nur) die Aufgabe zu, die Feststellungen und Handlungen des Antragstellers zu überwachen und gegebenenfalls einzugreifen. Unter vielen Aspekten haben Privatisierungen und Vereinfachungen eine Verlagerung von Handlungen, Kosten und Verantwortung von der Verwaltung auf die Antragsteller bewirkt. Dementsprechend ändert sich die Rolle der Verwaltung: Von einer präventiven, vorbeugenden, steuernden Funktion hin zu einem Überwachungsauftrag mit Kontroll- und Eingriffsfunktion. Anzeigepflichten und stillschweigende Genehmigungen sind aber nicht die einzigen Fälle, in denen eine Schwächung der Rolle des Verwaltungsaktes in Italien zu beobachten ist. Neuerdings hat der Gesetzgeber auch mit weiteren Regelungen dieselbe Richtung eingeschlagen. Zum Beispiel wurde die Gültigkeitsdauer bestimmter Verwaltungsakte (insbesondere von Konzessionen) verlängert oder sogar auf unbegrenzte Zeit festgelegt.19 Eine zeitliche Begrenzung von Konzessionen ist grundsätzlich noch im Wasserrecht vorgesehen,20 aber dies ist eine überholte Regelung. Es lohnt sich nicht, eine neue Konzession zu verlangen, es ist einfacher und moderner, 18
S. http://www.istat.it/it/archivio/13020 [11. 5. 2017]. Zwei Beispiele: Art. 1 Abs. 18 D.L. v. 30. 12. 2009, Nr. 194, Gazz. Uff. v. 30. 12. 2009, Nr. 302 (Konzessionen für im öffentlichen Eigentum stehende Güter am Meer); Art. 5 D.L. v. 12. 9. 2014, Nr. 133, Gazz. Uff. v. 12. 09. 2009, Nr. 212 (für Autobahnen; außer Kraft seit dem 14. 4. 2016). 20 Art. 21 R.D. v. 11. 12. 1933, Nr. 1775, Gazz. Uff. v. 8. 1. 1934, Nr. 5: „Tutte le concessioni di derivazione sono temporanee. La durata delle concessioni, fatto salvo quanto disposto dal secondo comma, non può eccedere i trenta anni ovvero i quaranta per uso irriguo e per la piscicoltura …“ 19
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die Kosten eines neuen Verfahrens zu sparen. Im Einzelfall kann – oder besser: soll – die Behörde den Vorgang überwachen. Eine zweite Methode, die Anzahl der erlassenen Verwaltungsakte zu minimieren besteht darin, die verschiedenen Verwaltungsakte zu vereinheitlichen, die ein einziges Vorhaben oder eine einzige Tätigkeit betreffen. Für diese „Konzentration“ gibt es in Italien keine allgemeinen Regeln, sondern spezielle Bestimmungen im Baurecht,21 Umweltrecht22 und auch für die zertifizierten Meldungen.23 In all diesen Fällen versucht der Gesetzgeber administrative Aufwendungen und Zeitaufwand zu vermeiden beziehungsweise einzusparen. Betrachtet man diese Gesetzgebung aus dem Blickwinkel des EU-Rechts, bekommt man ein uneinheitliches Bild. Einige dieser Regeln haben wohl einen europarechtlichen Ursprung, wie vor allem die integrierte Vorhabengenehmigung,24 die eine spezielle Grundlage im Integrationsprinzip (oder in der Querschnittsklausel nach Art. 11 AEUV) hat. Für das allgemeine Verwaltungsrecht ist aber die Dienstleistungsrichtlinie der EU wichtiger, und zwar in mehrerlei Hinsicht.25 Zum einen: Auf diese Richtlinie hat sich die Erklärung der Rechtswidrigkeit der Neuregelung des Verwaltungsaktes durch die zuvor erwähnten italienischen Gesetze gestützt, mit der die automatische Verlängerung von Konzessionen eingeführt wurde.26 Zum anderen heißt es in Art. 4 Abs. 4 dieser Richtlinie: „Wird der Antrag nicht binnen der nach Absatz 3 festgelegten oder verlängerten Frist beantwortet, so gilt die Genehmigung als erteilt.“ Für den Anwendungsbereich der Dienstleistungsrichtlinie ist dann eine stillschweigende Zustimmung europaweit bestimmt.27 In Italien hat 21
Art. 5, D.P.R. v. 6. 6. 2001, Nr. 380 (Fn. 16). Wo es heute die Integrierte Vorhabengenehmigung (Art. 29-bis D. Lgs. v. 3. 4. 2006, Nr. 152, Gazz. Uff. v. 14. April 2006, Nr. 88) und die Einheitliche Umweltgenehmigung (Autorizzazione unica in materia ambientale per le piccole e medie imprese, Art. 23 D.L. v. 9. 2. 2012, Nr. 5, Gazz. Uff. v. 9. Februar 2012, Nr. 33) gibt. 23 Art. 19-bis G v. 7. 8. 1990, Nr. 241 (s. Fn. 12). 24 S. Britta Welke, Die integrierte Vorhabengenehmigung, Tübingen 2010; Bernardino Albertazzi, La nuova disciplina dell’A.U.A. (Autorizzazione Unica Ambientale) e dell’A.I.A. (Autorizzazione Integrata Ambientale), Sant’Arcangelo di Romagna 2013. 25 RL 2006/123/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 12. 12. 2006 über Dienstleistungen im Binnenmarkt, ABl. 2006 L 376/36. 26 EuGH, Urt. v. 14. 7. 2016, Rs. C-458/14 und Rs. C-67/15, Promoimpresa-Consorzio dei Comuni della Sponda Bresciana del Lago di Garda e del Lago di Idro ua, EuZW 2016, S. 657 mit Anm. Thomas Stickler. Erwähnenswert ist, dass frühere regionale Gesetze ähnlichen Inhalts vom italienischen Verfassungsgericht für verfassungswidrig erklärt worden waren: zum Beispiel Corte cost., 1. 7. 2013, Nr 171, in: Il diritto marittimo 2014, S. 107 con nota di M. Grimaldi, Proroga della durata delle concessioni demaniali: ennesimo stop della Corte costituzionale. 27 Ulrich Stelkens/Wolfgang Weiß/Michael Mirschberger (Hrsg.), The Implementation of the EU Services Directive. Transposition, Problems and Strategies, The Hague 2012; Pascale Gonod, Le sens du silence de l’administration: bref aperçu de quelques solutions étrangères, RFDA 2014, S. 43. Früher: Cristina Fraenkel-Haeberle, Giurisdizione sul silenzio e discrezionalità amministrativa – Germania, Austria, Italia, Trento 2004; Vera Parisio (Hrsg.), Si22
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diese Regelung allerdings keine besondere Beachtung gefunden: Die italienische Rechtslage – wie schon gesagt – kennt seit Langem nicht nur ähnliche Vorschriften allgemeiner Natur, sondern auch die parallel laufende und unter vielen Gesichtspunkte noch stärkere Rechtsfigur der „zertifizierten Meldung“. Dies entspricht jedoch nicht der Gesetzeslage in der Bundesrepublik, die deswegen einen neuen Paragraphen in das Verwaltungsverfahrensgesetz (VwVfG) eingeführt hat: § 42a VwVfG über die Genehmigungsfiktion.28 Aus ausländischer Sicht scheint es, dass diese Vorschrift keine große Rolle im deutschen Verwaltungsverfahren spielt. Erst eine Vielzahl überlanger Verwaltungsverfahren oder regelmäßige Untätigkeit in der Verwaltungspraxis erzeugen Druck und Notwendigkeit für eine Liberalisierung und Beschleunigung. Dank einer starken Verwaltungskultur und -tradition, dank ihrer finanziellen und personellen Ausstattung ist die deutsche Verwaltung vermutlich eher in der Lage, das „klassische“ Muster des Verwaltungsaktes zu bewahren und weiter zu entwickeln. Zusammenfassend: Das unterschiedliche Gewicht, das der deutsche und der italienische Gesetzgeber dem jeweiligen Komplex „Verwaltungsakt, Anzeigepflichten, fiktive Genehmigung“ widmet, legt auch entsprechend markante Unterschiede in der jeweiligen Verwaltungspraxis nahe.
III. Vergabe und Korruption Auch das Recht der Vergabe öffentlicher Aufträge hat ursprünglich in Deutschland und Italien die gleichen Wurzeln und eine sehr ähnliche Ausgestaltung. Im liberalen Rechtsstaat des 19. Jahrhunderts galt die Beschaffung von Sachgütern und Dienstleistungen als privates Handeln der öffentlichen Hand und war so dem Privatrecht zugeordnet. Aus Sicht des öffentlichen Rechts war insoweit ausschließlich die Frage des Aufbringens der erforderlichen Mittel von Belang, die anhand der Vorschriften des Haushaltsrechts zu klären war. In Italien warf diese rechtliche Einordnung ab der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts Probleme und Unsicherheiten auf. Kern dieser Probleme waren die Rechtslage und hier insbesondere die Rechtsschutzmöglichkeiten des Dritten, der sich um einen öffentlichen Auftrag ohne Erfolg beworben hatte. Die Antwort auf diese Frage kam ursprünglich von der Rechtsprechung: 1961 entschied der Staatsrat,29 dass der Zuschlag eines öffentlichen Auftrags jedenfalls ein Verwaltungsakt ist und dementsprelenzio e procedimento amministrativo in Europa: una comparazione tra diverse esperienze, Milano 2006. 28 Paul Stelkens, in: ders./Heinz Joachim Bonk/Michael Sachs, Verwaltungsverfahrensgesetz, 8. Aufl., München 2014, § 42a; vgl. Franz-Joseph Peine, Allgemeines Verwaltungsrecht, 11. Aufl., Heidelberg 2014, S. 117: „der Gesetzgeber nutzt die Rechtsfigur ,fingierter VA‘ relativ häufig“. 29 Cons. St., Ad. Plen. v. 28. 1. 1961, Nr. 3, Cons. St. 1961/I, S. 8.
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chend vor dem Verwaltungsgericht gemäß den allgemeinen Regeln des Verwaltungsprozessrechts angefochten werden kann. Im Grunde finden wir hier ein Argument, das auch in der Alcatel-Entscheidung des EuGH30 enthalten ist, mit einem Unterschied: Der EuGH bestätigte, dass ein Rechtsmittel zur Verfügung stehen muss, der italienische Staatsrat hatte die Zuständigkeit dafür an sich gezogen. In den folgenden Jahren wurde diese Lösung sowohl in der Rechtsprechung als auch vom Gesetzgeber bestätigt und erweitert.31 Es ist zu unterstreichen, dass dies nicht auf eine Akzeptanz der französischen Lehre der contracts administratifs hinausläuft: Die Vergabe öffentlicher Aufträge erfolgt durch privatrechtliche Verträge, aber die Wahl des Bieters wird als ein Verwaltungsakt angesehen. Deutschland hat dagegen eine andere Regelung getroffen. Als sich die Überwindung der haushaltsrechtlichen Ausgestaltung des Vergaberechts für die Umsetzung der gemeinschaftlichen Richtlinien als notwendig erwies, wurden die neuen Regeln als vierter Teil des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen eingeführt.32 Trotz zahlreicher Kritik33 blieb das deutsche Vergaberecht (auch) deswegen vollständig dem Privatrecht zugeordnet. In der Tat steht für die entsprechenden Rechtsstreitigkeiten gegen Entscheidungen der Vergabestellen der ordentliche Rechtsweg offen. Dementsprechend beschäftigt sich das deutsche Verwaltungsrecht mit dem Vergaberecht nur am Rande,34 obwohl Ansätze einer neuen Systematik nicht fehlen.35 Der Unterschied zwischen den beiden Rechtskulturen ist klar und hat natürlich zahlreiche Folgen. In Italien ist das Vergaberecht gegenwärtig ein wichtiger Bereich der verwaltungsrechtlichen Praxis, vielleicht der wichtigste. In der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts war das Baurecht das Rechtsgebiet, aus dem die meisten verwaltungsrechtlichen Streitigkeiten entstanden. Später hat das Bauen eine kleinere Rolle im italienischen Wirtschaftsleben gespielt und die Vereinfachung der baurechtlichen Verfahrensvorschriften und später die Wirtschaftskrise haben zusätzlich dazu beigetragen, die Zahl der verwaltungsrechtlichen Klagen in diesem Bereich weiter zu reduzieren. 30
EuGH, Urt. v. 28. 10. 1999, Rs. C-81/98, NJW 2000, S. 569 mit Anm. Alexander Kus, Auswirkungen der EuGH-Entscheidung „Alcatel Austria AG“ auf das deutsche Vergaberecht. 31 Die entsprechenden Vorschriften findet man heute im „Gesetzbuch des Verwaltungsprozessrechts“: s. Art. 133 Abs. 1, lit. e) D. Lgs. v. 2. 7. 2010, Nr. 104, Gazz. Uff. v. 7. 7. 2010, Nr. 156. 32 Meinrad Dreher, in: Ulrich Immenga/Ernst-Joachim Mestmäcker (Hrsg.), Wettbewerbsrecht, Bd. 1/Teil 2: EU, 5. Aufl. 2014, Vorbemerkung Vor §§ 97 ff., Rn. 82 – 90. 33 Zum Beispiel s. Peter M. Huber, Die misslungene Rekonstruktion des Vergaberechts, in: Marc Bungenberg/Peter M. Huber/Rudolf Streinz (Hrsg.), Wirtschaftsverfassung und Vergaberecht – Der verfassungsrechtliche Rahmen der öffentlichen Auftrags- und Konzessionsvergabe, Stuttgart 2011. 34 Harmut Maurer, Allgemeines Verwaltungsrecht, 19. Aufl., München 2011, widmet der Vergabe die Seiten 468 – 471 (von 856 Seiten). 35 Für Elke Gurlit, Verwaltungsrechtlicher Vertrag und andere verwaltungsrechtliche Sonderverbindungen, in Dirk Ehlers/Hermann Pünder (Hrsg.), Allgemeines Verwaltungsrecht, 15. Aufl., Berlin 2016, S. 736 gehört das Vergaberecht dem Verwaltungsvertragsrecht an.
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Auf der anderen Seite ist das Vergaberecht immer wichtiger geworden, nicht nur wegen der immer präziser formulierten unionsrechtlichen Regelungen, sondern auch infolge der immer mehr favorisierten Auslagerungen von Kompetenzen weg von der öffentlichen Verwaltung („Externalisierung“). Es ist leider nicht möglich, hierzu genaue Angabe zu machen,36 aber die Vermutung lässt sich wohl begründen, dass die im Vergaberecht wurzelnden Rechtsstreitigkeiten heute etwa ein Drittel bis die Hälfte aller verwaltungsrechtlichen Streitigkeiten ausmachen. Für die Rechtswissenschaft ist das Vergaberecht ein zentraler Teil des allgemeinen Verwaltungsrechts.37 Im April 2016 hat der Gesetzgeber die Richtlinien 2014/23/ EU, 2014/24/EU, 2014/25/EU umgesetzt.38 An der Vorbereitung, Analyse und inzwischen auch an der Kommentierung dieser neuen Vorschriften haben sich nahezu alle Verwaltungsrechtslehrer beteiligt. In diesem Zusammenhang trägt das Vergaberecht auch zur Entwicklung der sozusagen „klassischen“ Begriffe des Verwaltungsrechts bei. Zum Beispiel wurde letztes Jahr eine sehr umstrittene Reform zur Rücknahme von rechtswidrigen Verwaltungsakten verabschiedet.39 Anlass zu dieser Reform lieferten auch die Probleme der Rücknahme eines vergaberechtlichen Zuschlags, der – wie schon erwähnt – nach italienischem Recht ein Verwaltungsakt ist. Die neue Regelung führt eine zeitliche Frist ein: Die Behörde kann den rechtswidrigen Verwaltungsakt nur innerhalb von 18 Monaten zurücknehmen. Nach Ablauf dieser Frist ist die Rücknahme nur noch möglich, wenn die Rechtswidrigkeit aus einer Straftat folgt.40 Mit dieser Vorschrift verfolgt der Gesetzgeber die Absicht, dem Verwaltungsakt und insbesondere einem Zuschlag öffentlicher Aufträge eine größere Bestandskraft zu sichern.41 Hier kommt eine neue Entwicklung zum Verhältnis des Verwaltungsrechts zum Strafrecht in Italien zum Ausdruck, was im Vergaberecht ganz klar niedergelegt worden ist. Das System der öffentlichen Aufträge in Italien sah ursprünglich ein „Amt für die Aufsicht der öffentlichen Aufträge“ (Autorità per la vigilanza sui contratti pubblici 36 In den bestehenden Statistiken werden die Klagen nach Gebiete (Ausbildung, Bauwesen, Sicherheit, öffentliche Werke, usw.), nicht nach der Rechtsnatur der Gegenstände unterteilt. S. ISTAT, Annuario statistico italiano, jährlich; Carlo Talice, Analisi dell’attività della giustizia amministrativa nel 2014, Giurisd. amm. 2015, S. 301 mit Verweis auf die früheren Jahre. 37 Um einige Lehrbücher zu erwähnen: Marcello Clarich, Manuale di diritto amministrativo, 2. Aufl., Bologna 2015, S. 431 – 455; Giampaolo Rossi, Principi di diritto amministrativo, 2. Aufl., Torino 2015, S. 359 – 404; Franco G. Scoca (a cura di), Diritto amministrativo, 4. Aufl., Torino 2015, S. 420 – 465; Guido Corso, Manuale di diritto amministrativo, 7. Aufl., Torino 2015, S. 397 – 424; Elio Casetta, Manuale di diritto amministrativo, 17. Aufl., Milano 2015, S. 577 – 667; Francesco Merloni, Istituzioni di diritto amministrativo, 2. Aufl., Torino 2016, S. 329 – 343. 38 D. Lgs. v. 18. 4. 2016, Nr. 50, Gazz. Uff. v. 15. 7. 2016, Nr. 164. 39 Art. 6 Abs. 1 lit. d), Gesetz v. 7. 8. 2015, Nr. 124, Gazz. Uff. v. 13. August 2015, Nr. 187. 40 S. Art. 21-nonies, Gesetz v. 7. 8. 1990, Nr. 241, Gazz. Uff. v. 18. August 1990, Nr. 192. 41 S. Aldo Travi, In tema di revoca dell’atto amministrativo, Foro it. 2015, S. 686 – 690; Fabio Saitta, Contratti pubblici e potere di riesame della stazione appaltante, Giur It. 2015, S. 2756 – 2768.
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di lavori, servizi e forniture) vor.42 Dieses Aufsichtsamt hat in den letzten zwanzig Jahren die Entwicklung der Vergaben beobachtet, zum Teil dirigiert und ständig begleitet. 2014 sind die Aufgaben des Aufsichtsamts erweitert und dem „Nationalamt gegen die Korruption“ (Autorità Nazionale Anticorruzione) übertragen worden.43 Der Vorstand dieses Amtes ist einem Strafrichter anvertraut. Diese Entwicklung legt offen, dass der italienische Gesetzgeber kein großes Vertrauen in das Verwaltungsrecht und in die Verwaltungsgerichtsbarkeit setzt. Seit rund einem Vierteljahrhundert sieht man in Italien den Strafrichter als den wichtigsten und vielleicht einzigen Hüter des öffentlich-rechtlichen Handelns an und dies wirkt sich selbstverständlich auf die Verwaltungsrechtsreformen und auf das Verwaltungssystem aus.
IV. Die öffentlichen Interessen zwischen Verwaltungsrecht und Strafrecht Den vorstehend kurz geschilderten Vorgängen des materiellen Verwaltungsrechts entsprechen einige Entwicklungen des Verwaltungsprozesses. Hier ist eine ständige Abnahme der Anzahl verwaltungsgerichtlicher Klagen zu beobachten. Im Jahr 2000 gab es 99.041 Klagen (ricorsi depositati), im Jahr 2003 waren es nur noch 77.858, 2006 waren es 56.320, 2009 gab es 55.073 Klagen und 2012 waren es 51.366.44 In den folgenden Jahren gab es Schwankungen, aber Jahr für Jahr ließ sich auch ein anderes Phänomen beobachten. Es handelt sich um die Zunahme der Erzwingungsklagen (ricorsi di ottemperanza), das heißt derjenigen Klagen, bei denen es um die Vollstreckung eines verwaltungsgerichtlichen Urteils geht:45 2012 gab es 5.479 Erzwingungsklagen, 2013 waren es 9.867,46 2015 waren es 15.409.47 Das ist beunruhigend. Zum einen bestätigt es, dass die Anzahl der verwaltungsrechtlichen Streitigkeiten insgesamt abnimmt: Die Erzwingungsklage ist nur die Fortsetzung einer vorangegangenen Klage. Zum anderen ist es selbstverständlich bedenklich, dass etwa ein Viertel der verwaltungsrechtlichen Urteile von den Behörden gar nicht vollstreckt wird. Die Ursachen dafür sind unterschiedlich und nicht immer klar: Leider ist hier die Diskussion sehr bescheiden, man spricht selten über diese Vorgänge. Die wichtigste Ursache für die Zunahme der Erzwingungsklagen liegt auf der Hand: Der Mangel an finanziellen Mitteln. Die Vollstreckung kostet Geld, das der italienischen Verwaltung in Zeiten des Sparzwangs öffentlicher Haushalte nicht 42
Art. 4, Gesetz v. 11. 2. 1994, Nr. 109, Gazz. Uff. v. 19. 2. 1994, Nr. 41. Art. 19, D.L. v. 24. 6. 2014, Nr. 90, Gazz. Uff. v. 18. 8. 2014, Nr. 190. Dazu Caterina Bova/Raffaele Cantone, L’Anac alle prese con la vigilanza sui contratti pubblici; un ponte verso il nuovo Codice degli appalti?, Giorn. Dir. Amm. 2016, S. 166 – 176. 44 ISTAT, Annuario statistico italiano, Rom, verschiedene Jahre. 45 Art. 112, D. Lgs. v. 2. 7. 2010, Nr. 104, Gazz. Uff. v. 7. 7. 2010, Nr. 156. 46 ISTAT, Annuario statistico italiano, Roma 2014, S. 193; 2015, S. 199. 47 Carlo Talice (Fn. 36), S. 301. 43
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zur Verfügung steht. Für eine Abnahme der Gesamtzahl der Klagen könnten zunächst die Wirtschaftskrise und die finanziellen Kosten einer Klage sprechen. Dieser Gedanke erweist sich aber als unbefriedigend. Zum einem ging die Zahl der Klagen bereits einige Jahre vor der Wirtschaftskrise zurück. Zum anderen findet die Abnahme mehr in den reicheren Regionen und weniger in den ärmeren Teilen Italiens statt. Dagegen können zwei andere Ursachen in Betracht kommen. Auf der einen Seite gibt es die erwähnte Einschränkung der Bedeutung des Verwaltungsaktes. Auf der anderen Seite spielt auch eine gewisse Enttäuschung in Bezug auf die Ergebnisse des Verwaltungsprozesses eine große Rolle. Der Aufwand für die entsprechenden Bemühungen und Kosten erscheint nicht lohnend. Man sucht nach anderen Lösungswegen. Eine Strafanzeige erscheint wirksamer. Dies hat der Gesetzgeber selbst vorgegeben, als er den Verwaltungsakt durch (auch strafrechtliche) Kontrolle ersetzte und beispielsweise das Vergabewesen einer überwiegend strafrechtlichen Überwachung unterwarf. In diesem Zusammenhang scheint auch die Ausgestaltung des Verwaltungsprozesses immer mehr objektiv-rechtliche Züge anzunehmen. In unserer Tradition war die Beseitigung einer Rechtswidrigkeit des Verwaltungshandelns durch den Verwaltungsprozess auf die Verteidigung der Interessen des Privaten gestützt. Heute scheint die Überwindung der Rechtswidrigkeiten vor dem Schutz von subjektiven Rechtsinteressen Vorrang zu haben. Zu diesem Ergebnis führt auch die Auslegung der vergaberechtlichen Rechtsmittelrichtlinie (Richtlinie 2007/66/EG), die der EuGH jungst bestätigt hat und von der man sich jetzt in Italien fragt, ob sie auf das ganze Verwaltungsprozessrecht anzuwenden ist.48
V. Gemeinsame Wurzeln und parallele Entwicklungen Die vorstehenden Überlegungen zeigen, dass das Verständnis von Verwaltungsrecht in Deutschland und in Italien teilweise unterschiedliche Sachverhalte, Rechtsbereiche und Entwicklungen erfasst. Die beiden Verwaltungsrechtssysteme haben gemeinsame Wurzeln im liberalen Rechtsstaat des 19. Jahrhunderts, danach haben sie aber verschiedene Entwicklungen erfahren. Auch im Rahmen der aus dem EU-Recht abzuleitenden rechtlichen Vorgaben und gegenüber den wirtschaftlichen Erfordernissen des internationalen Handelns bewahren die einzelnen Verwaltungssysteme eigene Merkmale und rechtliche Konturen und entwickeln unterschiedliche Antworten auf die heutigen Herausforderungen. Ob das Gegensatzpaar „Konvergenz/Divergenz“ geeignet ist, diese Entwicklungen zu beschreiben und zu analysieren, bleibt offen. In der Wirtschaftspolitik zielen 48 EuGH, Urt. v. 5. 4. 2016, Rs. C-689/13, EuZW 2016, S. 431 mit Anm. Meinhard Schröder; PFE/Airgest, Dir. pubbl. com. 2016, S. 541 con nota di Enzo Maria Barbieri, La Corte di giustizia interviene sul processo giurisdizionale amministrativo in tema di ricorsi reciprocamente escludenti e di potere nomofilattico dell’Adunanza plenaria.
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die Konvergenzkriterien darauf ab, eine einheitliche Währung zu erhalten. Jedoch ist nicht als gegeben zu unterstellen, dass sich die nationalen Verwaltungssysteme zu einer Verwaltungseinheit entwickeln sollten. Entscheidend ist vielmehr, dass die nationalen Verwaltungen die Verwirklichung der Grundrechte der europäischen Bürger in immer noch verschieden geprägten gesellschaftlichen Kontexten ermöglichen und bewahren.
Konvergenz der nationalen Verwaltungsverfahrensrechte durch europäische Einflüsse? Von der materiellen Präklusion von Einwendungen zum Verbot rechtsmissbräuchlichen Verhaltens Birgit Peters
I. Einleitung In der Europäischen Union sind Konvergenzen nationaler Regeln durch und aufgrund der Einflüsse des Europarechts allgegenwärtig.1 In der Regel entstehen sie auf zwei verschiedene Arten. Erstens ergeben sie sich in den Bereichen, in denen die Union primär zuständig ist zwangsläufig aus dem Anwendungsvorrang des Europarechts bei jedem Erlass neuer europarechtlicher Normen durch den europäischen Gesetzgeber, da dieser auf nationaler Ebene eine entsprechende Anpassung des nationalen Rechts verlangt. Zweitens sind sie auf den Gebieten, in denen die Union über keine primäre Zuständigkeit verfügt, intendierte Nebenfolge der Regelung eines Rechtsbereichs durch die Union im Rahmen ihrer primärer Regelungskompetenz. Hier kann die Union rechtsetzend tätig werden, sofern dies zur Ausübung ihrer Kompetenz im Bereich der ausschließlichen oder geteilten Zuständigkeit im Sinne von Art. 2 Abs. 1 und 2 AEUV dient. Dazu muss die Regelung notwendig sein und inso1 Eberhard Schmidt-Aßmann, Zur Europäisierung des allgemeinen Verwaltungsrechts, in: Peter Badura u. a. (Hrsg.), Wege und Verfahren des Verfassungslebens: Festschrift für Peter Lerche zum 65. Geburtstag, München 1993, S. 513; Friedrich Schoch, Die Europäisierung des Allgemeinen Verwaltungsrechts, JZ 1995, S. 109; Claus Dieter Classen, Die Europäisierung der Verwaltungsgerichtsbarkeit – Eine vergleichende Untersuchung zum deutschen, französischen und europäischen Verwaltungsprozeßrecht, Tübingen 1996; Karl-Peter Sommermann, Europäisches Verwaltungsrecht oder Europäisierung des Verwaltungsrechts, DVBl. 1996, S. 889; Dieter Helmut Scheuing, Europäisierung des Verwaltungsrechts, Die Verwaltung 2001, S. 107; Matthias Ruffert, Von der Europäisierung des Verwaltungsrechts zum Europäischen Verwaltungsverbund, DÖV 2007, S. 761; Christine Steinbeiß-Winkelmann, Europäisierung des Verwaltungsrechtsschutzes – Anmerkungen zu einer „unendlichen Geschichte“, NJW 2010, S. 1233; Wolfgang Kahl, 35 Jahre Verwaltungsverfahrensgesetz – 35 Jahre Europäisierung des Verwaltungsverfahrensrechts, NVwZ 2011, S. 449; Thorsten Siegel, Europäisierung des Öffentlichen Rechts: Rahmenbedingungen und Schnittstellen zwischen dem Europarecht und dem nationalen (Verwaltungs-)Recht, Tübingen 2012; Sabine Schlacke, Zur fortschreitenden Europäisierung des (Umwelt-)Rechtsschutzes, NVwZ 2014, S. 11; Friedrich Schoch, Zur Europäisierung des Verwaltungsrechts, Juridica International 2014, S. 102.
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fern dem Unionsrecht in effektiver und verhältnismäßiger Weise zu seiner praktischen Wirksamkeit verhelfen.2 Insbesondere im Verwaltungsrecht sind europarechtlich induzierte Konvergenzen keine Seltenheit.3 Regeln aus dem primären Kompetenzbereich der Union greifen nahezu zwangsläufig auf Prinzipien des allgemeinen Verwaltungsrechts zu und tragen so zu ihrer weiteren Modifikation bei. In der Literatur werden zumeist die Probleme dieser Beeinflussung des nationalen Rechts diskutiert,4 wodurch bestehende Divergenzen zwischen nationalem Recht und Europarecht ausgemacht werden können. Demgegenüber kann eine Untersuchung der Konvergenzen differenziertere Ergebnisse liefern. Denn sie erlaubt in methodischer Hinsicht einen Vergleich der neuen, angeglichenen Norm mit den ihr zugrundeliegenden Regeln unterschiedlichen nationalen Ursprungs und damit eine genauere Bestimmung ihrer Funktion, ihres Inhaltes und ihrer Reichweite. In diesem Sinne widmet sich dieser Beitrag der Angleichung der Regeln über die Präklusion von Einwendungen im Verwaltungsverfahren an die sekundärrechtlichen Regeln,5 die das Übereinkommen über den Zugang zu Informationen, die Öffentlichkeitsbeteiligung an Entscheidungsverfahren und den Zugang zu Gerichten in Um2
EuGH, Urt. v. 13. 09. 2005, Kommission v. Rat, Rs. C-176/03, Slg. 2005-I, S. 07879. Sie waren beispielsweise Gegenstand der Diskussionen der öffentlich-rechtlichen Abteilung des 71. Deutschen Juristentages in Düsseldorf, zu dem Gärditz das Hauptgutachten verfasst hatte, vgl. Klaus-Ferdinand Gärditz, Gutachten D zum 71. Deutschen Juristentag, München 2016. 4 Schoch (Fn. 1), JZ 1995, S. 109; Rainer Wahl, Das Verhältnis von Verwaltungsverfahren und Verwaltungsprozessrecht in europäischer Sicht, DVBl. 2003, S. 1285; Martin Kment, Nationale Unbeachtlichkeits-, Heilungs- und Präklusionsvorschriften und europäisches Recht, Berlin 2006, S. 232. 5 RL 2011/92/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13. Dezember 2011 über die Umweltverträglichkeitsprüfung bei bestimmten öffentlichen und privaten Projekten, ABl. 2012 L 26/1; RL 2010/75/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 24. November 2010 über Industrieemissionen (integrierte Vermeidung und Verminderung der Umweltverschmutzung), ABl. 2010 L 334/17; vgl. auch VO (EG) Nr. 1049/2001 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 30. Mai 2001 über den Zugang der Öffentlichkeit zu Dokumenten des Europäischen Parlaments, des Rates und der Kommission, ABl. 2001 L 145/ 43; RL 2003/4/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 28. Januar 2003 über den Zugang der Öffentlichkeit zu Umweltinformationen und zur Aufhebung der Richtlinie 90/313/ EWG des Rates, ABl. 2003 L 41/26; RL2014/52/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16. April 2014 zur Änderung der Richtlinie 2011/92/EU über die Umweltverträglichkeitsprüfung bei bestimmten öffentlichen und privaten Projekten, ABl. 2014 L 124/1; RL 2003/35/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Mai 2003 über die Beteiligung der Öffentlichkeit bei der Ausarbeitung bestimmter umweltbezogener Pläne und Programme und zur Änderung der Richtlinien 85/337/EWG und 96/61/EG des Rates in Bezug auf die Öffentlichkeitsbeteiligung und den Zugang zu Gerichten, ABl. 2003 L 156/17; RL 2000/ 60/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 23. Oktober 2000 zur Schaffung eines Ordnungsrahmens für Maßnahmen der Gemeinschaft im Bereich der Wasserpolitik, ABl. 2000 L 327/1; RL 2004/35/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 21. April 2004 über Umwelthaftung zur Vermeidung und Sanierung von Umweltschäden, ABl. 2004 L 143/56. 3
Konvergenz der nationalen Verwaltungsverfahrensrechte
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weltangelegenheiten vom 25. Juni 1998 (Aarhus-Konvention, im Weiteren AK)6 auf EU-Ebene umsetzen. In diesem Zusammenhang wird insbesondere eines der jüngsten Urteile des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) behandelt.7 Das im Oktober 2015 gegen Deutschland ergangene Urteil ist in zweifacher Hinsicht interessant: Zum einen fordert es eine Konsolidierung aktiv ein.8 Zum anderen gibt es diesbezüglich sogar eine Richtung vor. Der EuGH erwog nämlich, dass anstelle der materiellen Präklusion eine Regelung, wonach „missbräuchliches oder unredliches Vorbringen unzulässig ist, [eine] geeignete Maßnahme [darstelle], um die Wirksamkeit des gerichtlichen Verfahrens zu gewährleisten“.9 Dieser Vorschlag wurde prompt von der Bundesregierung in einen Neuentwurf des Umweltrechtsbehelfsgesetzes vom 19. April 2016 (UmwRG-E) aufgenommen. Gleichzeitig wurden die Regeln zur materiellen Präklusion faktisch abgeschafft, die qua EuGH-Urteil angeordnete Konvergenz also „eins-zu-eins“ übernommen.10 Der vorliegende Beitrag untersucht diese Konvergenz. Ihm liegt die Grundannahme zugrunde, dass europarechtlich induzierte Konsolidierungen auch der nationalen verfassungs- und verwaltungsrechtlichen Dogmatik und Systematik gerecht werden müssen.11 Auch in Ansehung der Anforderungen des Europarechts bleiben unterschiedliche nationale Regelungsmöglichkeiten eines Sachverhalts möglich.12 Bedenkt man darüber hinaus Funktion und Inhalt von Missbrauchsklauseln im anglo-amerikanischen Rechtsraum – dem Missbrauchsklauseln ursprünglich entstammen – ist die vorgeschlagene Ausgestaltung des Missbrauchstatbestands im UmwRG-E sogar noch weiter klarstellungsbedürftig.
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UNTS, Bd. 2161, S. 447. Die Union ist seit dem 17. 5. 2005 Mitglied des Übereinkommens. Weitere Verpflichtungen der Union in Sachen Öffentlichkeitsbeteiligung in Umweltangelegenheiten folgen aus der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten vom 4. 11. 1950, zuletzt geändert durch Protokoll Nr. 14, CETS Nr. 19 sowie der Charta der Grundrechte der Europäischen Union, (2000/C 364/01). 7 EuGH, Urt. v. 15. 10. 2015, Rs. C-137/14, Deutschland v. Kommission, ECLI:EU: C:2015:683. 8 Ebd., Rn. 75 – 80. 9 Ebd., Rn. 81. 10 Entwurf eines Gesetzes zur Anpassung des Umwelt-Rechtsbehelfsgesetzes und anderer Vorschriften an europa- und völkerrechtliche Vorgaben, Kabinettsbeschluss v. 22. 6. 2016; http://www.bmub.bund.de/fileadmin/Daten_BMU/Download_PDF/Gesetze/entwurf_umwRG_ bf.pdf [2. 11. 2016]. Vgl. Abschnitt IV., unten. 11 Für eine Übersicht darüber, welche weiteren Konsolidierungen noch angegangen werden müssten vgl. Jörg Berkemann, Querelle d’Allemand. Deutschland verliert die dritte Runde im Umweltverbandsrecht vor dem EuGH, DVBl. 2016, S. 205 ff. 12 Vgl. EuGH (Fn. 8), Rn. 32.
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II. Die Präklusion von Einwendungen im Verwaltungsverfahren Die Präklusion gebietet den Ausschluss bestimmter Einwendungen des Klägers im Verwaltungsverfahren bzw. darüber hinaus auch im späteren verwaltungsgerichtlichen Verfahren, wenn und soweit der Kläger sie nicht zuvor vor der zuständigen Stelle geltend gemacht hat. Hintergrund dieser Regelung ist die Gewährleistung eines effizienten und schnellen Verwaltungsverfahrens, welches nicht durch verspätet vorgebrachte Einwände hinausgezögert werden soll.13 Die Präklusion unterstützt so die dienende Funktion des Verwaltungsverfahrens im Verhältnis zum späteren Gerichtsverfahren.14 Wie wenige andere Bestimmungen bringen Präklusionsregeln also die Besonderheiten des deutschen Verwaltungsverfahrensrechts zum Ausdruck. Auch wenn die einzelnen Präklusionsregeln sehr unterschiedlich sind und Differenzierungen aufgrund der unterschiedlichen Ausgestaltung der Verwaltungsverfahren nicht leicht fallen,15 werden nach ihrer Auswirkung auf das weitere Verfahren gemeinhin zwei Fälle der Präklusion unterschieden. Im Falle der formellen Präklusion sind die Einwendungen des Klägers lediglich im Rahmen des Verwaltungsverfahrens unzulässig, nicht aber während eines sich daran anschließenden verwaltungsgerichtlichen Verfahrens.16 Bei der materiellen Präklusion hingegen (der so genannten Verwirkungspräklusion)17 ist der Kläger im Falle des Versäumens des Erhebens einer Einwendung im Verwaltungsverfahren mit dieser Einwendung auch im anschließenden gerichtlichen Verfahren ausgeschlossen.18 Der der Einwendung zugrundeliegende Sachverhalt darf dann vom Gericht im verwaltungsgerichtlichen Verfahren nicht mehr berücksichtigt werden. Insofern beschränkt die materielle Präklusion den Prüfungsumfang des Gerichts.19 Eine derartige Regelung findet sich etwa in § 74 Abs. 4 S. 3 VwVfG und § 2 Abs. 3 UmwRG. Neben der Unterteilung nach der Auswirkung des Einwendungsausschlusses (auf das Verwaltungs- oder das Gerichtsverfahren) kann darüber hinaus noch zwischen den Adressaten des Einwendungsausschlusses unterschieden werden. So können in-
13 Fritz Ossenbühl, Vorsorge als Rechtsprinzip im Gesundheits-, Arbeits- und Umweltschutz, NVwZ 1986, S. 472. 14 Kment (Fn. 4), S. 22 f. 15 Ebd. 16 Eberhard Schmidt-Aßmann, in: Theodor Maunz/Günther Dürig (Hrsg.), Grundgesetz Kommentar, 77. Aufl., München 2016, Art. 19 Abs. 4 Rn. 259. 17 Werner Neumann, in: Paul Stelkens/Heinz Joachim Bonk/Michael Sachs (Hrsg.), Verwaltungsverfahrensgesetz, Kommentar, 8. Aufl., München 2014, § 73 Rn. 88; vgl. auch bei Christian Zeissler/Vera Schmitz, Das Urteil des EuGH v. 15. 10. 2015 in der Rechtssache C-137/14 als Ende der umweltrechtlichen Präklusion?, UPR 2016, S. 1. 18 Schmidt-Aßmann (Fn. 16), Art. 19 Abs. 4 Rn. 260. 19 Neumann (Fn. 17), §73 Rn. 88; BVerwG, NVwZ 1997, S. 997: Kläger hat „im verwaltungsgerichtlichen Verfahren keine klagefa¨ hige Rechtsposition“.
Konvergenz der nationalen Verwaltungsverfahrensrechte
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dividuelle Kläger, klagende Verbände sowie verfahrensbeteiligte Behörden Adressaten von Präklusionsregeln in den Gesetzen des besonderen Verwaltungsrechts sein.20 Zwei der oben genannten Fallgruppen waren auch im deutschen Recht nie unumstritten. Zum einen hielten die Gegner der Präklusion insbesondere diejenigen Regeln, die Einzelne mit ihren Einwendungen im späteren Rechtsbehelfsverfahren ausschlossen, für nicht mit der individuellen Rechtsschutzgarantie aus Art. 19 Abs. 4 GG vereinbar.21 Diese Einschränkung des Rechtsschutzgrundsatzes sah bislang jedoch die ganz herrschende Meinung aus Gründen der Verfahrensrationalität, insbesondere den Grundsatz der Verfahrensbeschleunigung, und des Schutzes der Interessen anderer Verfahrensbetroffener als erforderlich an.22 Zum anderen standen seit dem Inkrafttreten der Aarhus-Konvention am 30. Oktober 200123 diejenigen Regeln in der Kritik, die verspätet erhobene Einwendungen von Verbänden in Gerichtsverfahren über Planungs- und Infrastrukturvorhaben ausschlossen. Insbesondere deutsche Vorgaben über die Verbandspräklusion gerieten so mit der Rechtschutzgarantie der Verbände aus Art. 9 Abs. 2a Aarhus-Konvention in Konflikt, wonach Umweltverbände ein unbeschränktes Recht auf Zugang zu Gerichtsverfahren in den Fällen der Verletzung der ihnen gewährten Rechte aus der Konvention haben.24 Diese Problematik war dann auch Gegenstand des hier behandelten Verfahrens vor dem EuGH.25
20 Vgl. die Unterteilung bei Thorsten Siegel, Die Präklusion im europäisierten Verwaltungsrecht, NVwZ 2016, S. 337 f. 21 Siehe die Nachweise bei Schmidt-Aßmann (Fn. 16), Art. 19 Abs. 4 Rn. 260, Fn. 6. 22 BVerfGE 61, 82, S. 110, 116 f.; BVerfG, Urt. v. 27. 12. 1999, NVwZ 2000, S. 546; Schmidt-Aßmann (Fn. 16), Art. 19 Abs. 4 Rn. 260; Kment (Fn. 4), S. 22; Neumann (Fn. 17), § 73 Rn. 100 m.w.N. 23 Vgl. unter: http://www.aarhus-konvention.de/aarhus-konvention/ratifizierung.html [28. 11. 2016]. 24 Dazu: GA Wathelet, SchlA v. 21. 5. 2015, Kommission v. Deutschland, Rs. 137/14, ECLI:EU:C:2015:344, Nr. 114 ff. Kritisch auch ACCC, Findings and Recommendations with Regard to Communication ACCC/C/2008/31 [Deutschland] – angenommen am 20. 12. 2013, Rn. 101 ff. Vgl. die Entscheidung der 5. Århus-Vertragsstaatenkonferenz [MoP] v. 30.6./4. 7. 2014 in Maastricht [Entscheidung V/9 h]; zur faktischen Einschränkung der Umweltverbände durch Präklusionsvorschriften: Umweltbundesamt, Evaluation von Gebrauch und Wirkung der Verbandsklagemöglichkeiten nach dem Umwelt-Rechtsbehelfsgesetz, UmwRG, Texte 14/ 2014, S. 94 f. 25 Das Verfahren wurde seitens der Kommission am 19. Juli 2014 eröffnet. Auf ein erstes Mahnschreiben vom 26. April 2013 hatte die Bundesrepublik Deutschland nach Auffassung der Kommission nicht ausreichend reagiert.
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III. Urteil des EuGH vom 15. Oktober 2016: Inhalt und Bedeutung des Urteils für das deutsche Verwaltungsverfahren Obwohl der Richterspruch vom 15. Oktober 2015 neben der materiellen Präklusion auch noch weitere Implikationen für das deutsche allgemeine Verwaltungsrecht diskutierte,26 soll hier ausführlich nur auf die Bestimmungen zur materiellen Präklusion eingegangen werden. Dazu entschied der EuGH in knapper Ausführung,27 dass diejenigen Vorschriften, nach denen die Einwendungen von Umweltverbänden von einem späteren verwaltungsgerichtlichen Verfahren ausgeschlossen waren, die nicht bereits im Rahmen des Verwaltungsverfahrens gegenüber den Planungsbehörden geltend gemacht worden waren,28 nicht mit Art. 11 der UVP-Richtlinie29 und Art. 25 der Industrieemissions-Richtlinie30 vereinbar seien.31 Der EuGH bezog sich zwar nicht auf die Aarhus-Konvention; dennoch setzen Art. 11 der UVP-Richtlinie und Art. 25 der Industrieemissions-Richtlinie Art. 9 Abs. 2 AK nahezu wortwörtlich in Sekundärrecht um. Nach Auffassung des EuGH lag in der materiellen Präklusion eine unzulässige und nicht zu rechtfertigende Beschränkung des Zugangs zu Gerichten von Umweltverbänden. Zur Begründung verwies er auf sein „Trianel“Urteil, nach dem Umweltverbänden ein weiter Zugang zu Gerichtsverfahren zu gewähren sei.32 Insbesondere die Rechtssicherheit könne nicht für eine Beschränkung der Art der Argumente, die im verwaltungsgerichtlichen Verfahren vorgetragen werden könnten, angeführt werden.33 Es sei nämlich keinesfalls erwiesen, „dass eine umfassende gerichtliche Kontrolle der sachlichen Richtigkeit dieser Entscheidung diesem Grundsatz abträglich sein ko¨ nnte“.34
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EuGH (Fn. 8), Rn. 29 ff.; Rn. 47 ff. Berkemann (Fn. 12), DVBl. 2016, S. 212 spricht sogar von „Oberflächlichkeit“. 28 Vgl. §§ 2 Abs. 3 UmwRG und 73 Abs. 4 VwVfG. 29 RL 2011/92/EU (Fn. 5). 30 RL 2010/75/EU (Fn. 5). 31 EuGH (Fn. 8), Rn. 75 f. 32 EuGH, Urt. v. 12. 05. 2011, Rs. C-115/09, Trianel, Slg. 2011, I-3673, Rn. 37. 33 EuGH (Fn. 8), Rn. 80. 34 Ebd., Rn. 79. Zur „doppelten Funktionalität“ dieser Begründung vergleiche Berkemann (Fn. 12), DVBl. 2016, S. 215, der zu Recht darauf hinweist, das mit dieser Begründung auch die Möglichkeit einer objektiven Überprüfung des Verwaltungsverfahrens gewährleistet werden müsste (was eigentlich zur Unvereinbarkeit von § 113 Abs. 1 S. 1 VwGO mit den Vorgaben der Aarhus-Konvention hätte führen müssen). 27
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IV. Konsequenzen des Urteils für die Präklusionsvorschriften des deutschen Verwaltungsverfahrensrechts In seinem Diktum machte das Gericht unter anderem deutlich, dass die vom EUSekundär- und Primärrecht vorgesehenen Rechte der Umweltverbände auf unbeschränkten Zugang zu gerichtlichem Rechtschutz in Umweltangelegenheiten nicht durch Vorschriften des allgemeinen Verwaltungsrechts beschränkt werden können. Faktisch wird damit der Ausschluss von Umweltverbänden durch die Regeln der materiellen Präklusion verboten.35 Das Urteil behandelt jedoch allein die materielle Präklusion von Umweltverbänden.36 Der EuGH entschied nicht zur Individual- oder Behördenpräklusion. Ebenso werden allein Fälle erfasst, im Rahmen derer es um die Umsetzung von Unionsrecht geht.37 Damit fallen zunächst rein nationale Vorhaben aus dem Anwendungsbereich des Urteils heraus.38 Allerdings dürfen nach dem Diktum des EuGH im Fall „slowakischer Braunbär“ nationale Umweltvorschriften nicht die effektive Geltendmachung des Rechts auf gerichtlichen Rechtsschutz aus Art. 9 Abs. 3 AK beschränken, sofern es um eine Durchsetzung des Unionsrechts geht.39 Trotz dieser begrenzten Wirkung der Entscheidung des EuGH hat das Urteil faktisch zu einer Unanwendbarkeit der allgemeinen materiellen Präklusionsvorschriften geführt.40 Das Bundesverwaltungsgericht nahm nur fünf Tage nach dem Diktum des EuGH zu Reichweite und Inhalt des Ausspruchs des EuGH Stellung.41 Es beschloss, dass in dem vor ihm anhängigen Fall die einschlägige, mit § 74 Abs. 4 S. 3 VwVfG gleichlautende Vorschrift des RhPfWG (§ 115 Abs. 1 S. 2) nicht mit den Bestimmungen des Europarechts vereinbar sei und insofern „außer Anwendung bleiben“ müsse.42 Obwohl in dem vor dem Bundesverwaltungsgericht behandelten Fall ausschließlich die Gemeinde selbst sowie ein Eigentümer eines Grundstücks geklagt hatten, entschied sich das Gericht für eine generelle Unanwendbarkeit der materiellen Präklusion in Fragen der Umsetzung des Europarechts und differenzierte nicht nach den jeweiligen Klägern (Einzelne, Interessenverbände) oder Einwendungen. 35 Jonas Schüren/Malte Kramer, EuGH-Entscheidung zum UmwRG: Das Aus für materielle Präklusion und traditionelle Verfahrensfehlerfolgenlehre?, ZUR 2016, S. 406. 36 Siegel (Fn. 20), NVwZ 2016, S. 339. 37 Ebd. 38 Ebd.; vgl. auch Berkemann (Fn. 12), NVwZ 2016, S. 214; Zeissler/Schmitz (Fn. 17), UPR 2016, S. 4. 39 EuGH, Urt. v. 8. 3. 2011, Rs. Nr. C-240/09, Lesoochranárske zoskupenie VLK v. Ministerstvo zˇ ivotného prostredia Slovenskej republiky, Slg. 2011-I, S. 01255, Rn. 49 f. 40 Zwar wird in der Literatur auch eine punktuelle Abschaffung einzelner Bestimmungen diskutiert. Sie ist jedoch wenig praktikabel, vgl. Schüren/Kramer (Fn. 35), ZUR 2016, S. 406. 41 BVerwG, Urt. v. 22. 10. 2015, NvWZ 2016, S. 308 ff. Das BVerwG hatte die Vorabentscheidung in dem Fall Gemeinde Altrip, sowie die Entscheidung vom 15. 10. 2015 abgewartet, da es hier um die nationale Entscheidung des Altrip-Verfahrens ging. 42 BVerwG (Fn. 41), S. 308, Rn. 26.
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Auch der jüngste Gesetzesentwurf der Bundesregierung vom 19. April 2016 zur Änderung des Umweltrechtsbehelfsgesetzes (UmwRG-E) sieht eine weitgehende Abschaffung der materiellen Präklusion im Umwelt- und Infrastrukturrecht vor. Der Gesetzesentwurf setzt § 74 Abs. 4 S. 3 VwVfG zwar nicht außer Kraft.43 Er bestimmt jedoch die Abschaffung von § 2 Abs. 3 UmwRG über die materielle Präklusion von Umweltverbänden in umweltbezogenen Verwaltungsverfahren und ändert § 9 Abs. 1 UVPG über die Umweltverträglichkeitsprüfung dergestalt, dass dieser lediglich eine formelle und nicht mehr wie zuvor eine materielle Präklusion der Einwendungen vorsieht. Diese Änderungen werden begleitet von einer Anpassung der jeweiligen Infrastrukturgesetze, die zuvor auf § 9 Abs. 1 UVPG beziehungsweise auf § 74 Abs. 4 S. 3 VwVfG verwiesen hatten,44 einschließlich des BImSchG und des BauGB. So wird die allgemeine Vorschrift über die Präklusion in Planfeststellungsverfahren, § 73 Abs. 4 S. 3 VwVfG, zwar erhalten, kommt allerdings mangels eines Verweises in besonderen Planungsgesetzen faktisch nicht mehr zur Anwendung.45 Vielmehr wird die formelle Präklusion in § 9 Abs. 1 UVPG zur Regel.46 Damit sind die Einwendungen der Beschwerdeführer und der Umweltverbände lediglich im Verwaltungsverfahren ausgeschlossen, sofern sie sie dort nicht zuvor erhoben haben. Im anschließenden Rechtsbehelfsverfahren können die Einwände erneut erhoben werden. Darüber hinaus werden für alle anderen Einwendenden die Fristen um zwei Wochen verlängert. Bei komplexen Sachverhalten soll eine weitere Verlängerung möglich sein.47 Zu guter Letzt übernimmt der Gesetzesentwurf den Vorschlag des EuGH über eine Missbrauchsregelung. § 5 UmwRG-E bestimmt in nahezu wortwörtlicher Übereinstimmung mit der Entscheidung des EuGH: § 5 Missbräuchliches oder unredliches Verhalten im Rechtsbehelfsverfahren Einwendungen, die eine Person oder eine Vereinigung im Sinne des § 4 Absatz 3 Satz 1 erstmals im Rechtsbehelfsverfahren erhebt, bleiben unberücksichtigt, wenn die erstmalige Geltendmachung im Rechtsbehelfsverfahren missbräuchlich oder unredlich ist.
Dazu sieht das Änderungsgesetz sowohl in § 10 Abs. 3a BImSchG-E als auch in § 9 Abs. 1 S. 4 UVPG-E eine Mitwirkungsobliegenheit vor. Nach ihr sollen Umweltverbände die Behörden in „einer dem Umweltschutz dienenden Weise“ im Verfahren unterstützen.48 Die Begründung des Gesetzesentwurfs verweist dazu auf ein Urteil des BVerwG vom 1. April 2015, nach dem Umweltvereinigungen insbesondere in 43
Vgl. S. 1 des Entwurfs (Fn. 10). Vgl. S. 21. Das Gesetz ändert demgemäß die Vorschriften der VwGO, des BauGB, BBergG, AEG, FStG, WStG, LuftVG, MagnetSchBG, EnWG, AtV, AtVerfO und des UIG. Insbesondere § 43 S. 6 EnWG, §§ 17 S. 5, 17a FStrG, §§ 14 Abs. 1 Satz 5, 14a WaStrG, §§ 18 S. 3, 18a AEG und § 10 Abs. 2 LuftVG verwiesen zuvor auf § 73 Abs. 4 S. 3 VwVfG. 45 Für eine Anwendung allein in Frage kommen nicht-UVP-pflichtige Verfahren, auf die § 9 UVPG keine Anwendung findet. 46 Vgl. die Neufassung des § 10 Abs. 3 und 3a BImSchG sowie die Neufassung von § 9 Abs. 1 c UVPG. 47 S. 21 des Entwurfs (Fn. 10). 48 Vgl. S. 10 und 12 des Entwurfs (Fn. 10). 44
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naturschutzrechtlichen Verfahren ihren Sachverstand in die Entscheidung einbringen und in einer dergestalt unterstützenden „Sachverstandspartizipation“ „den Vollzugsdefiziten im Bereich des Naturschutzes und der Landschaftspflege entgegenwirken“.49 Der Regierungsentwurf will diese Rolle der Naturschutzverbände nun auf Verbände im Sinne des Umweltrechtsbehelfsgesetzes ausgeweitet sehen.50 Die Regelung drücke aus, dass die Mitwirkung der Verbände einem „frühzeitigen und wirksamen Schutz der Umwelt“ diene.51 Weder der bereits an sich sehr unbestimmte Missbrauchstatbestand, noch dessen konzeptionelle Verbindung mit dieser Obliegenheit werden im Gesetzesentwurf weiter erläutert. Die Mitwirkungspflicht der Beteiligten diente vor der im April 2016 vorgeschlagenen Reform des UmwRG als dogmatische Begründung für die Existenz formeller wie materieller Präklusionsvorschriften.52 Nun bezieht sich der Missbrauchstatbestand allein auf das Rechtsbehelfsverfahren. Die Mitwirkungsobliegenheit der Verbände gilt demgegenüber für das Verwaltungsverfahren. So könnte angenommen werden, die Soll-Vorschrift beziehe sich allein auf die formelle Präklusion. Auf der anderen Seite ist jedoch auch der Schluss möglich, die Vorschrift wolle – in Verbindung mit dem Missbrauchstatbestand – nach wie vor die materielle Präklusion als Missbrauch definieren.53 Jedoch spezifiziert die Obliegenheit das unredliche oder missbräuchliche Verhalten nicht weiter. Damit bleibt insgesamt unklar, ob mit dem Missbrauch ein allgemeiner Auffangtatbestand für den Ausschluss unredlicher Handlungen im Verwaltungsprozess, oder ein Tatbestand für besondere Einzelfälle, vergleichbar zu dem der Präklusion, geschaffen werden sollte. Der Schluss liegt also nahe, dass die Regelung in § 5 UmwRG-E den verfassungsrechtlichen Bestimmtheitsgrundsatz missachtet.
V. Von der Präklusion zum Missbrauch? Letztendlich kommt ein Verstoß gegen den Bestimmtheitsgrundsatz jedoch nur in Frage, wenn die Erfüllung der Voraussetzungen des neuen Missbrauchstatbestandes nicht mit den herkömmlichen Auslegungsmethoden gelingt.54 Daher kommt es hier 49 BVerwG, Urteil v. 1. 4. 2015, 4 C 6.14, ECLI:DE:BVerwG:2015:010415U4C6.14.0, Rn. 25 m.w.N. 50 Vgl. S. 44 des Entwurfs (Fn. 10). 51 Ebd. 52 Dazu siehe unten, Abschnitt V. 1. b). 53 ¨ nderungen im Vgl. Johannes Schulte, Nicht alles neu, aber einiges anders: Mo¨ gliche A deutschen Umweltrecht durch den Referentenentwurf des BMUB vom 19. 04. 2016 – Teil I: ¨ nderungen im Umwelt- Rechtsbehelfsgesetz (UmwRG), http://www.jurop.org/umweltrecht/ A nicht-alles-neu-aber-einiges-anders-moegliche-aenderungen-im-deutschen-umweltrecht-durchden-referentenentwurf-vom-19-04-2016-teil-i-aenderungen-im-umwelt-rechtsbehelfsgesetzumwrg [13. 9. 2016}. 54 Vgl. BVerfGE 83, 130, Rn. 70.
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darauf an, ob die Fragen in ergänzender Auslegung gelöst werden können. Das deutsche Gerichtsverfassungsrecht kennt so gut wie keine allgemeinen oder besonderen Missbrauchstatbestände. In anderen europäischen Rechtsordnungen, vor allem der englischen sind sie hingegen verbreiteter und regelmäßig Bestandteil des Verwaltungsprozessrechts. 1. Anknüpfungspunkte im deutschen Recht Im deutschen Recht war die missbräuchliche Inanspruchnahme eines Gerichts bisher nur für die Anrufung des Bundesverfassungsgerichts geregelt.
a) Missbräuchliche Anrufung des BVerfG, § 34 Abs. 2 BVerfGG § 34 Abs. 2 des Bundesverfassungsgerichtsgesetzes (BVerfGG) verbietet missbräuchliche Verfassungsbeschwerden. Danach kann das Bundesverfassungsgericht „eine Gebühr bis zu 2.600 Euro auferlegen, wenn die Einlegung der Verfassungsbeschwerde oder der Beschwerde nach Artikel 41 Abs. 2 des Grundgesetzes einen Mißbrauch darstellt oder wenn ein Antrag auf Erlaß einer einstweiligen Anordnung […] mißbräuchlich gestellt ist“. Der Begriff des Missbrauchs ist durch die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts konkretisiert worden. Gebühren können vor allem dann festgesetzt werden, wenn Kläger das Gericht mit sinn- oder substanzlosen Beschwerden überziehen.55 Missbrauch ist so in ständiger Rechtsprechung für die Fälle bejaht worden, in denen „die Verfassungsbeschwerde offensichtlich unzulässig oder unbegründet ist und ihre Einlegung von jedem Einsichtigen als völlig aussichtslos angesehen werden muss“.56 Aufgrund der mangelnden Konkretisierung dieser Tatbestandsvoraussetzungen wurden in der Literatur zwei wesentliche Fälle zur Bestimmung eines Missbrauchs herausgearbeitet: der Zweck- und der Inhaltsmissbrauch. Dabei beschreibt Ersterer die Einlegung einer Verfassungsbeschwerde zu „verfahrenswidrigen und sachfremden Zwecken“.57 Er bezeichnet die Fälle, in denen eine Beschwerde im Einzelfall unredlich und „frivol“ erscheint, weil der Beschwerdeführer mit ihr seine Rechte in rechthaberischer, rücksichtsloser oder gewinnsüchtiger Manier durchsetzen wolle.58 Die Fälle des Inhaltsmissbrauchs sind zahlreich. Die Rechtsprechung des BVerfG lässt sich dazu nur schwerlich kategorisieren. Eine Art der Begründung eines Inhaltsmissbrauchs ist die Kategorie der Bagatellbeschwerde, bei der der Beschwerdeführer das Gericht entweder in Fällen einer geringen materiellen Beschwer55
Vgl. etwa: BVerfG, Beschl. v. 11. 8. 2010, NJW 2010, S. 3150. BVerfG, Beschl. v. 10. November 2003, 2 BvR 1745/03. 57 Karin Graßhof, in: Theodor Maunz/Bruno Schmidt-Bleibtreu/Franz Klein/Herbert Bethge (Hrsg.), Bundesverfassungsgerichtsgesetz, 48. EL, München 2016, § 34 Rn. 37 f. 58 Ebd. 56
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de belastet,59 mangelnde Ernsthaftigkeit beweist, die Beschwerde auf unrichtigen Angaben beruht60 oder von jedem Einsichtigen als offensichtlich aussichtslos bewertet werden muss.61 Insbesondere das letzt genannte Kriterium ist nicht über jeden Zweifel erhaben. Das Bundesverfassungsgericht hat bis dato noch nicht geklärt, welcher Kenntnisstand von seiner Rechtsprechung von Seiten des Beschwerdeführers tatsächlich verlangt werden kann.62 Sowohl Zweck- als auch Inhaltsmissbrauch subsumieren eine Vielzahl von Beispielen, in denen dem Beschwerdeführer gerechtfertigter Weise ein Antrag vor dem Bundesverwaltungsgericht verwehrt werden kann. § 32 BVerfGG beschreibt daher einen allgemeinen Auffangtatbestand, der sogar Fälle der Präklusion erfassen kann; jedenfalls, sofern die Beschwerde inhaltlich missbräuchlich auf unrichtigen Angaben des Beschwerdeführers gründet, dieser also bestimmte Prozess- und Verfahrenshandlungen hätte vornehmen müssen und bei Erhebung der Beschwerde darüber schweigt. b) Unzulässige Rechtsausübung und Verwirkung als Verstöße gegen den Grundsatz von Treu und Glauben, § 242 BGB Darüber hinaus finden sich im deutschen Verwaltungsverfahrens- und Verwaltungsprozessrecht keine weiteren Regeln über den Missbrauch von Verfahrensrechten. Jedoch bieten der auf prozessualer wie auf materieller Ebene Anwendung findende63 Grundsatz von Treu und Glauben gem. § 242 BGB64 und die daraus abgeleiteten Grundsätze der unzulässigen Rechtsausübung (venire contra factum proprium)65 und der Verwirkung66 weitere Grundlagen für den Ausschluss von Prozesshandlungen des Beschwerdeführers. Der Grundsatz der unzulässigen Rechtsausübung – oftmals auch als Verbot widersprüchlichen Verhaltens bezeichnet – beschreibt Fälle, bei denen „ein unredliches 59
BVerfG (Fn. 54), S. 3150. Graßhof (Fn. 57), § 34 Rn. 51, 50. 61 St. Rspr, vgl. BVerfG, Beschl. v. 5. 12. 1994, 2 BvR 2434/94, 14. 9. 1994, 2 BvR 1626/94, NJW 1995, S. 1418 f., sowie v. 6. 11. 1995, 2 BvR 1806/95, NJW 1996, S. 1274. 62 Graßhof (Fn. 57), § 34 Rn. 47. 63 BVerwG, Urt. v. 24. 9. 1959, NJW 1960, S. 116. 64 Vgl. BVerwG, Urt. v. 26. 11. 1969, Nr. 132, VerwRspr 1970, S. 531; BVerwG, BVerwGE 85, 213; BVerwG, Beschl. v. 12. 1. 2004 – 3 B 101/03, NVwZ-RR 2004, S. 314; BVerwG, Beschl. v. 1. 4. 2004 – 4 B 17/04 – Buchholz 310 § 137 Abs. 1 VwGO Nr. 21; BVerwG, BVerwGE 133, S. 85; BVerwG, Beschl. v. 19.4.201 – 4 BN 4/11, juris; OVG Schleswig, Beschl. v. 26. 6. 2008 – 1 LA 34/08, BeckRS 2009, 31496; BSG, Urt. v. 25. 1. 1972 – 9 RV 238/71, juris. 65 BVerwG, Urt. v. 24. 9. 1959, NJW 1960, S. 116; zuletzt: OVG Mu¨ nster, Beschl. v. 2. 8. 2011 – 12 A 2087/10, BeckRS 2012, 45984. 66 Vgl. Hans Röhl/Clemens Ladenburger, Die materielle Präklusion im raumbezogenen Verwaltungsrecht, Berlin 1997, S. 21. 60
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fru¨ heres Verhalten vorliegt, ein schutzwürdiges Eigeninteresse fehlt, eine nur geringfügige Interessenverletzung gegeben ist oder wenn widersprüchliches Verhalten vorliegt“.67 Das bietet insbesondere in der Konstellation der geringfügigen Interessenverletzung eine Grundlage für die Rechtsprechung der Verwaltungsgerichte, entsprechende Anträge oder das Rechtsschutzbedürfnis des Klägers abzulehnen.68 Gegenüber diesem allgemeinen Grundsatz bringt der Gedanke der Verwirkung als spezielle Ausprägung des Verbots ein bestehendes materielles oder prozessuales Recht zum Erlöschen, wenn dieses seitens des Antragstellers über einen gewissen Zeitraum nicht geltend gemacht wurde. Er ist jedoch gegenüber den geschriebenen verwaltungsprozessualen Voraussetzungen subsidiär.69 Anknüpfungspunkt der Verwirkung ist sowohl ein Verhaltens- als auch ein Zeitelement. Verwirkung setzt demgemäß im Sinne der ständigen Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts „einen Zeitablauf voraus, der zusammen mit dem Verhalten des Berechtigten geeignet war, beim anderen Teil die Vorstellung zu begründen, daß das Recht nicht mehr geltend gemacht werde“.70 Die Verwirkung etabliert so eine Beteiligungs- oder Mitwirkungslast auch im Verwaltungsverfahren, die spiegelbildlich oder vielmehr als Kehrseite zu dem verfassungsrechtlich garantierten Recht auf Verfahrensteilhabe zu verstehen ist.71 Rechtsprechung und Literatur haben demgemäß auch die materielle Präklusion als Ausfluss des Gedankens der Verwirkung angesehen.72 Namentlich führte das Bundesverfassungsgericht dazu an, dass die materielle Präklusion auf der Überlegung beruhe, „daß man bestehende Rechte nicht ohne jede Rücksicht auf die anderen am Rechtsverhältnis beteiligten Personen ausüben darf“.73 Streng genommen ist dieser Schluss nur für die formelle Präklusion zwingend, die nicht erhobene Einwendungen für das laufende Verfahren ausschließt. Der Gedanke der Verwirkung bedingt nicht notwendig den Ausschluss der nicht im Verwaltungsverfahren vorgebrachten Einwendungen im folgenden Rechtsbehelfsverfahren (materielle Präklusion).74 Diese ist hauptsächlich dem Gedanken der Verfahrenseffizienz geschuldet.
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OVG Mu¨ nster (Fn. 65) m.w.N. BVerwG, Beschl. v. 21. 12. 2011 – 4 BN 12/11; VG Mu¨ nchen, Urteil v. 8. 5. 2009 – M 21 K 08.2888, BeckRS 2009, 48622; 69 BVerwG, Urt. v. 26. 11. 1969, Nr. 132, VerwRspr 1970, S. 532. 70 Ebd. 71 So das BVerwG, Urt. v. 24. 9. 1959, NJW 1960, S. 116; vgl. Konrad Redeker, Grundrechtliche Rechte auf Verfahrensteilhabe, NJW 1980, S. 1597 f.; dagegen: Röhl/Ladenburger (Fn. 66), S. 20 f. 72 BVerwG, Urt. v. 17. 7. 1980, 7 C 101.78 NJW 1981, S. 359, Rn. 24; Redeker (Fn. 71), NJW 1980, S. 1598. 73 BVerwG (Fn. 71), Rn. 24. 74 Röhl/Ladenburger (Fn. 66), S. 21. 68
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c) Das allgemeine Rechtsschutzbedürfnis und das Gebot der Substantiierung verwaltungsgerichtlicher Klagen Auch die ungeschriebene Zulässigkeitsvoraussetzung des allgemeinen Rechtsschutzbedürfnisses verbietet Klagen, bei denen der Kläger sein Recht oder seinen Anspruch nicht zuvor von der Verwaltung hat prüfen lassen oder dort geltend gemacht hat.75 Dann verwirft das Gericht die Klage als unzulässig, weil der Kläger auf andere und billigere Art und Weise sein Begehren verfolgen kann.76 Verfolgt der Kläger hingegen schutzwürdige Interessen, ist ein Rechtsschutzbedürfnis grundsätzlich gegeben.77 Die normative Grundlage des allgemeinen Rechtsschutzbedürfnisses ist nicht gänzlich geklärt. Gründe der Verfahrenseffizienz können nicht ohne Weiteres dafür herhalten, da der Grundsatz an die Art und Weise der Prozessführung des Klägers anknüpft. Das Bundesverwaltungsgericht identifiziert die Voraussetzung daher als allgemeinen Prozessgrundsatz.78 Überzeugender ist eine Anknüpfung an das Gebot der Prozessführung nach Treu und Glauben, welches, wie gezeigt, die missbräuchliche Ausübung prozessualer Rechte untersagt.79 Darüber hinaus ist nach den allgemeinen Grundsätzen des Verwaltungsrechts eine weitere Ablehnung von Anträgen oder Klagen wegen Unzulässigkeit möglich, wenn diese unsubstantiiert sind, also auf unzureichender Begründung oder Tatsachenangabe beruhen oder gänzlich auf die Angabe der zugrundeliegenden Tatsachen oder Gründe verzichten.80 Diese Mitwirkungspflicht des Klägers bei Gericht leitet sich aus der Pflicht der Beteiligten ab, an der Aufklärung des Sachverhaltes mitzuwirken (§ 86 Abs. 1 S. 1, 2. Hs. VwGO).81
75 Vgl. BVerwG, Beschl. v. 30. 9. 2009, NJOZ 2010, S. 1838; VGH München, Beschl. v. 6. 8. 2012, BeckRS 2012, 57076; VGH Mannheim, Beschl. v. 22. 7. 2004, NVwZ-RR 2005, S. 174; OVG Magdeburg Beschl. v. 22. 1. 1995, NVwZ-RR 1996, S. 76; VG München, Beschl. v. 25. 7. 2012, BeckRS 2012, 55819. 76 Vgl. etwa: BayVGH, Beschl. v. 23. 9. 2013, NVwZ 2014, S. 163, Rn. 35; Wolfgang Kuhla, in: Herbert Posser/Heinrich A. Wolff (Hrsg.), Beck’scher Online-Kommentar VwGO, 39. Aufl., München 2016, § 123 Rn. 37. 77 Dirk Ehlers, in: Friedrich Schoch/Jens-Peter Schneider/Wolfgang Bier (Hrsg.), Verwaltungsgerichtsordnung, 30. EL, München 2016, Vor § 40 Rn. 74. 78 Vgl. BVerwG, Beschl. v. 30. 9. 2009, NJOZ 2010, S. 1838. 79 Walter Schmitt Glaeser/Detlef Horn, Verwaltungsprozessrecht, München 2012, Rn. 118. Vgl. bei: Ehlers (Fn. 76), § 40 Rn. 75. 80 Vgl. für die Substantiierung prozessualer Anträge: BVerwG, Urt. v. 11. 9. 2007, ZAR 2008, S. 107; VG Würzburg, Beschl. v. 27. 04. 2016 – W 5 K 13.354, BeckRS 2016, 47449; für die Substantiierung des der Klage zugrunde liegenden Anspruchs: VG Ansbach, Urt. v. 12. 10. 2006 – AN 2 K 05.03043, AN 2 K 05.03044, AN 2 K 05.03045, AN 2 K 05.03046, AN 2 K 05.03047, AN 2 K 05.03048, AN 2 K 05.03049, BeckRS 2006, 19924. 81 BVerwG (Fn. 80), S. 107.
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d) Zwischenergebnis Nach alledem muss für den Tatbestand des Missbrauchs von Verfahrenspositionen im deutschen öffentlichen Recht festgehalten werden: Missbrauch als allgemeine Tatbestandsvoraussetzung dient dem Bundesverfassungsgericht lediglich als Entscheidungsgrundlage bei zweck- oder inhaltswidrig erhobenen Verfassungsbeschwerden. Im Verwaltungsverfahrens- und Verwaltungsprozessrecht finden sich diverse Regelungen und Grundsätze, die den Ausschluss von Verfahrensrechten zur Folge haben. Zwar leiten sie sich überwiegend aus dem Verbot widersprüchlichen Verhaltens ab, das auch im Verwaltungsverfahren als allgemeiner Rechtsgrundsatz anwendbar ist. Da diese ergänzend zur weiteren Auslegung herangezogen werden könnten, verstieße die Zusammenfassung dieser Regelungen in einem Missbrauchstatbestand nach § 5 UmwRG-E grundsätzlich nicht gegen den verfassungsrechtlichen Bestimmtheitsgrundsatz. Dennoch dienen auch weitere Grundsätze, wie die Pflicht der Beteiligten an der Aufklärung des Sachverhaltes mitzuwirken, als Grundlage für den Ausschluss von Verfahrensrechten. Letztendlich entscheidend ist jedoch, dass sich spezifische Regelungen für den Ausschluss der Rechte der Beteiligten in bestimmten Verfahrensstadien herausgebildet haben. Ihrer Zusammenfassung unter einem allgemeinen Missbrauchstatbestand stünden diese individuellen Ausprägungen des Verbots widersprüchlichen Verhaltens, der Mitwirkungspflichten der Prozessbeteiligten an der Sachverhaltsaufklärung und ihre Voraussetzungen auf prozessualer wie auf materieller Ebene entgegen. Daher bleiben Rolle und Verhältnis von § 5 UmwRG-E zu diesen individuellen Ausprägungen des Missbrauchs weiter fraglich. Da darüber hinaus der Missbrauch von Verfahrenshandlungen hauptsächlich im angloamerikanischen Rechtskreis beheimatet ist und erst qua europarechtlich induzierter Konvergenz in das UmwRG aufgenommen wurde, liegt es nahe, zur weiteren Auslegung der Missbrauchsvoraussetzungen Erkenntnisse aus dieser Herkunftsrechtsordnung heranzuziehen. 2. Missbrauch im englischen Recht Im angloamerikanischen Rechtskreis82 ist das Verbot missbräuchlicher Klagen ein gefestigter Rechtsgrundsatz des allgemeinen Prozessrechts, der zahlreiche Kodi-
82 Im französischen Verwaltungsrecht etwa gibt es keine ähnliche geschriebene Verfahrensvoraussetzung. Dort ist die Klage allerdings auch nicht von einer subjektiven Rechtsverletzung des Klägers abhängig und erlaubt eine objektive Überprüfung von Entscheidungen der Verwaltung (der Kläger muss ein berechtigtes Interesse geltend machen). Für die Grundzüge vgl. Pierre-Laurent Frier/Jaques Petit, Droit administratif, 10. Aufl., Issy-les-Moulineaux Cedex 2015/2016, Rn. 854. Im Übrigen hat der Missbrauch nur im französischen Zivilrecht seinen Niederschlag gefunden, vgl. Art. 1382 CC, http://actu.dalloz-etudiant.fr/a-la-une/article/ labus-du-droit-dagir-en-justice-doit-etre-motive/h/e00036d2f579268fbaedae3e5ec6d702.html [16. 11. 2016].
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fizierungen erfahren hat.83 Inhalt und Tragweite des Verbotes sollen hier anhand der Bestimmungen des englischen Verwaltungsverfahrensrechts illustriert werden, namentlich am Beispiel des S 42 des Supreme Court Act 1981.84 Nach S 42 des Supreme Court Act 1981 gilt das Verbot missbräuchlicher Klagen hauptsächlich für Zivilklagen vor dem High Court. Es findet aber auch auf verwaltungsgerichtliche Klagen (judicial review)85 Anwendung.86 Demnach können Kläger bei missbräuchlicher Klageerhebung durch Beschluss in Einzelfällen zeitweise oder auch vollständig vom Zugang zum Gerichtsverfahren ausgeschlossen werden. Eine 83
In Nordamerika ist die Regelung mutwilliger Klagen Ländersache, vgl. daher z. B. die Definition des lästigen Klägers im California Code of Civil Procedure, 391.8, sowie die Erörterungen zu diesen Vorschriften bei: Edmund Manwell, The Vexatious Litigant, California Law Review 1966, S. 1769; für Australien vgl. Vexatious Proceedings Act 2008 No. 80, 17. 7. 2009; für Indien siehe Vexatious Litigation (Prevention) Act 1949, http://www.lawsofindia. org/statelaw/5303/TheVexatiousLitigationPreventionAct1949.html [15. 9. 2016]. 84 Das Verbot missbräuchlicher Klagen ist aber auch in zahlreichen Spezialgesetzen des englischen Rechts wie etwa dem Freedom of Information Act 2000 normiert. Vgl. Unfair Terms in Consumer Contracts Regulations 1999/2083, Reg 10 (vexatious complaints to the Director General of Fair Trading), the Senior Courts Act 1981, S 42(1) (restriction of vexatious legal proceedings), the Representation of the People Act 1983, S 133 (vexatious petition to election court), and the Companies Act 1985, S 442(3 A) (vexatious application for investigation). 85 Zu den Voraussetzungen des Judicial Review: CPR Rules and Practice Directions v. 17. 3. 2015, Rule 54 ff., https://www.justice.gov.uk/courts/procedure-rules/civil/rules/part54 [15. 9. 2016]. 86 Vgl. S 42 des Supreme Court Act 1981: „(1) Under this section, the High Court is satisfied that any person has habitually and persistently and without any reasonable ground – (a) instituted vexatious legal proceedings, whether, in the High Court or any inferior court, and whether against the same person or against different persons; or (b) made vexatious applications in any legal proceedings, whether in the High Court or any inferior court, and whether instituted by him or another, the court may, after hearing that person or giving him an opportunity of being heard, order – (i) that no legal proceedings shall without the leave of the High Court be instituted by him in any court; and (ii) that any legal proceedings instituted by him in any court before the making of the order shall not be continued by him without the leave of the High Court; and (iii) that no application(other than an application for leave under this section shall without the leave of the High Court be made by him in any legal proceedings instituted, whether by him or another, in any court. (2) An order under subsection (1), may provide that it is to cease to have effect at the end of a specified period, but shall otherwise remain in force indefinitely. (3) Leave for the institution or continuance of, or for the making of an application in, any legal proceedings by a person who is the subject of an order for the time being in force under subsection (1) shall not be given unless the High Court is satisfied that the proceedings or application are not an abuse of the process of the court in question and that there are reasonable grounds for the proceedings or application. (4) No appeal shall lie from a decision of the High Court institution or continuance of, or for the refusing leave for the making of an application in, legal proceedings by a person who is the subject of an order for the time being in force under subsection(1).“
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Klage trotz wirksamen Ausschlusses bedarf einer Erlaubnis. Der Ausschluss gilt zunächst für den Prozess, in dem missbräuchlich Klage erhoben wurde. Für weitere Prozesse ist aufgrund des Rechts des Klägers auf Zugang zu Gerichten erneut und eigenständig darüber zu befinden, ob es sich um eine mutwillige Klage (vexatious action) handelt oder nicht.87 Im Unterschied zur materiellen Präklusion, die sich auf das Verwaltungsverfahren und nachfolgende Rechtsbehelfsverfahren bezieht, schließt das Missbrauchsverbot den Kläger also allein vom laufenden oder zukünftigen Rechtsbehelfsverfahren aus. Für die Frage, was als missbräuchlich oder lästig im Sinne von S 42 zu verstehen ist, dient ein Urteilsspruch von Lord Bingham aus dem Jahr 2000 als Präzedenzfall.88 Dieser definierte: The hallmark of a vexatious proceedings is in my judgment that it has little or no basis in law (or at least no discernible basis); that whatever the intention of the proceeding may be, its effect is to subject the defendant to inconvenience, harassment and expense out of all proportion to any gain likely to accrue to the claimant; and that it involves an abuse of the process of the court, meaning by that a use of the court process for a purpose or in a way which is significantly different from the ordinary and proper use of the court process.
Diese Voraussetzungen seien in der Regel erfüllt, so Bingham weiter, wenn the plaintiff sues the same party repeatedly in reliance on essentially the same cause of action, perhaps with minor variations, after it has been ruled upon, thereby imposing on defendants the burden of resisting claim after claim; that the claimant relies on essentially the same cause of action, perhaps with minor variations, after it has been ruled upon, in actions against successive parties who if they were to be sued at all should have been joined in the same action; that the claimant automatically challenges every adverse decision on appeal; and that the claimant refuses to take any notice of or give any effect to orders of the court.89
Bingham sah damit hauptsächlich offensichtlich unzulässige und/oder unbegründete sowie zweckwidrige, mit der Absicht der Störung der Prozessführung des Beklagten vorgebrachte und vor allem wiederholte Klagen als missbräuchlich an. Dementsprechend verleiht das im englischen Rechtskreis verbreitete Missbrauchsverbot als Sammeltatbestand für diverse querulatorische und den Beklagten bedrängende Handlungen des Klägers den Gerichten einen Ermessensspielraum, den Kläger 87 Court of Appeal, Ewing and another v. Office of the Prime Minister, 2005 EWCA Civ 1583, 35. 88 Diese Auslegung wurde auch von anderen Gerichten übernommen. Vgl. für die Auslegung des Freedom of Information Act, S 14, der eine S 42 Supreme Court Act 1981 vergleichbare Bestimmung enthält: First Tier Tribunal, General Regulatory Chamber, Urt. v. 18. 12. 2012, John Lee v Information Commissioner and King’s College Cambridge, Andrew Bartlett QC, Rn. 69. („Adapting the words of Lord Bingham to this statutory context, a vexatious request is one that is not made in proper pursuance of the purposes of access to information promoted by FOIA; it is a use of the right under s1(1) for a purpose or in a way which is significantly different from the ordinary and proper use of that right.“) 89 High Court of Justice, Att-Gen v Barker, 16. 2. 2000.
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oder seinen Vertreter vom Verfahren auszuschließen oder die Klage als unzulässig abzuweisen. Es umfasst für gewöhnlich all diejenigen Fälle, die im deutschen Verwaltungsrecht dem Grundsatz von Treu und Glauben, der Mitwirkungspflicht der Verfahrensbeteiligten an der Sachverhaltsaufklärung und den durch das Bundesverfassungsgericht für den Missbrauch des Gerichts etablierten Fallgruppen zugeordnet werden werden. Die Fälle der materiellen Präklusion werden von dem englischen Missbrauchsverbot regelmäßig nicht erfasst, da allein die Auswirkungen querulatorischer Prozesshandlungen im selben Verfahrensstadium betrachtet werden.
Konsequenzen für die Normierung des Missbrauchstatbestandes im deutschen Verwaltungsverfahren und Ausblick Alles in allem kann das Urteil des EuGH vom 15. Oktober 2015 zwar als Beispiel einer europarechtlich induzierten Konvergenz nationaler Gerichtsverfahrensregeln dienen: Es transportiert einen der tragenden Grundsätze des angloamerikanischen Rechts in das deutsche Verwaltungsgerichtsverfahren, welches eine ähnliche Regel zuvor nicht kannte. Doch führt der Vorschlag des EuGH einen allgemeinen Tatbestand in das Umweltverwaltungsrecht ein, der zuvor bereits durch speziellere Fälle des allgemeinen Verwaltungverfahrens- und -prozessrechts, insbesondere durch die Anwendung des § 242 BGB sowie § 86 VwGO abgedeckt war. Das Verhältnis von § 5 UmwRG-E zu diesen allgemeinen Grundsätzen des Verwaltungsrechts ist auch in Ansehung dieser Grundsätze fraglich. Zudem lässt die Verbindung von § 5 UmwRG-E zu den Mitwirkungsobliegenheiten der Umweltverbände die Frage offen, ob trotz allem ausnahmsweise Fälle der materiellen Präklusion als Missbrauch verstanden werden können. Ein Rechtsvergleich mit der Herkunftsrechtsordnung des Missbrauchs, dem englischen Recht, kann nur in Teilen weitere Aufklärung leisten. Dort bietet das Missbrauchsverbot einen allgemeinen Sammeltatbestand für den Ausschluss querulatorischer Prozesshandlungen des Klägers. Das Verhältnis von § 5 UmwRG-E zu § 242 BGB und § 86 VwGO bleibt also weiter klärungsbedürftig. Außerdem ahndet das englische Verbot der vexatious action zuvörderst missbräuchliche Handlungen oder Unterlassungen des Klägers in dem jeweiligen Verfahrensstadium. Es erstreckt sich in der Regel nicht auf nachfolgende Verwaltungs- oder Gerichtsverfahren. Insofern kann der neue Missbrauchstatbestand in § 5 UmwRG-E jedenfalls nicht als ein Fall der materiellen Präklusion umfassend interpretiert werden. Um daher insgesamt Konflikte mit dem verfassungsrechtlichen Bestimmtheitsgebot zu vermeiden, sollte der Gesetzgeber vor Verabschiedung des neuen Umwelt-Rechtsbehelfsgesetzes noch einmal klarstellend zu § 5 UmwRG-E und der Mitwirkungsobliegenheit der Umweltverbände Stellung nehmen.
Denationalisierung, Europäisierung und Internationalisierung des Rechtsschutzes: Das italienische interesse legittimo Stefano Cognetti Der Austritt des Vereinigten Königreichs aus der Europäischen Union verleiht dem Thema dieses Bandes vorrangige Aktualität. Der Wind der Nationalismen und Regionalismen scheint heute in eine ungünstige Richtung zu wehen und nährt Tendenzen der einzelnen Mitgliedstaaten, sich in die jeweiligen nationalen Grenzen zurückzuziehen. Es handelt sich hierbei um eine Aufspaltung auf verschiedenen Ebenen (politisch, rechtlich, wirtschaftlich, finanziell, sozial), über die man sich Gedanken machen sollte. Die Aufgabe, die nationalen Verwaltungen bei der Umsetzung von EU-Vorgaben anzupassen, wird dadurch erschwert. In der heutigen Situation scheint das Ziel, heterogene Verwaltungssysteme einander anzunähern, nicht durch bloße technisch-funktionale Implementierung erreichbar zu sein. Vielmehr müssen auch die grundlegenden Ursachen der bestehenden Unterschiede betrachtet werden. Mit Sicherheit kann die Vielfalt der Verwaltungsmodelle der Grund für Unklarheit und Ungleichartigkeit sein, aber ebenso sicher kann sich diese Vielfalt in einigen Fällen auch als positive Bereicherung und nicht als Verarmung erweisen. Nun sollte man die Unterschiede nicht gleichmachen, wenn sie sich aus besonderen Zusammenhängen erklären, in denen sie entstanden sind und in denen sie nach wie vor ihre Daseinsberechtigung haben. Um zu vermeiden, dass eine Angleichung automatisch und im Namen einer Einheit entsteht, die als strenger Wert angesehen wird, der mit der umgebenden Wirklichkeit aber nichts zu tun hat, sollte man sich vorab die Folgen ihrer Beseitigung oder ihrer Verlagerung in einen anderen Kontext vorstellen. Um eine Metapher zu bemühen: Wenn eine üppig wachsende Pflanze aus der Wüste in den Dschungel oder aus dem Dschungel in die Wüste verpflanzt werden soll, muss geprüft werden, ob es der andersartige „Nährboden“ und die neuen klimatischen Verhältnisse der Pflanze auch erlauben, genauso üppig zu blühen und zu wachsen. Tatsächlich muss eine homogene Neuverteilung von unterschiedlichen Spezies von einem Gebiet in ein anderes die jeweiligen Besonderheiten berücksichtigen, die an sich nicht vereinheitlicht werden können, sondern nur, wenn sie mit den unterschiedlichen Umweltbedingungen vereinbar sind. In varietate concordia! Diese Überlegungen führen dazu, dass jede denkbare Antwort auf die Frage, inwieweit sich Prinzipien, Verfahren und Organisationen den nationalen Verwaltungs-
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systemen annähern, die methodische Feststellung voraussetzt, welche sich voneinander unterscheidenden Prinzipien, Institute, Verfahrens- und Organisationsmodelle es gibt, für die es gilt, Nutzen, Grenzen und Modalitäten einer Annäherung festzustellen. Ohne entsprechende Beispiele zu wichtigen Fragen bliebe dieser Ansatz aber rein theoretisch. Mit Bezug auf Italien soll sich der vorliegende Beitrag mit dem subjektiven öffentlichen Recht befassen, wobei hier insbesondere diejenigen Ansprüche auf Legalität in den Blick genommen werden sollen, die in Italien als interessi legittimi bezeichnet werden.1 Beide Rechtsformen können als subjektive Rechtspositionen eingestuft werden. In Italien stellt das interesse legittimo seit dem Gesetz Crispi von 1889 eine außergewöhnliche Abweichung in der allgemeinen juristischen Landschaft dar, wo ausschließlich ein subjektives Recht bekannt und anerkannt ist. Und da es sich um eine Abweichung handelt, neigen viele zeitgenössische Wissenschaftler dazu, das interesse legittimo als solches aufzuheben oder es in dem subjektiven Recht aufgehen zu lassen,2 das es zwar auch in Italien gibt, allerdings mit einigen Unterschieden zum deutschen subjektiven öffentlichen Recht (das in Italien nur „subjektives Recht“ genannt wird). Eine Beschreibung der nach der italienischen Verfassung vorgesehenen Aufteilung der Gerichtsbarkeit auf die Zuständigkeit der ordentlichen Gerichte für die subjektiven Rechte und auf die Zuständigkeit der Verwaltungsgerichte für die interessi legittimi ist für die vorliegenden Zwecke nicht erforderlich. Anzumerken ist in diesem Zusammenhang nur, dass die Kriterien, die in Italien angewendet werden, um zu erkennen, ob es ein interesse legittimo gibt (und durch diese subjektive juristische Position die Möglichkeit des Schutzes seines Trägers), die gleichen sind, die in Deutschland und anderen europäischen Ländern angewendet werden, um, ganz im Gegenteil, das Vorhandensein des subjektiven Rechts (und folglich auch jede Art von Rechtsschutz zu Gunsten der Bürger) auszuschließen. Es geht hier nicht um eine terminologische, sondern um eine grundlegende und funktionelle Frage, nämlich darum, ob es im Namen einer Denationalisierung, Europäisierung und Internationalisierung der öffentlichen Verwaltung möglich ist, das interesse legittimo quasi wie durch Zauberhand in subjektives Recht umzuwandeln, oder umgekehrt, ob das subjektive Recht ebenfalls wie durch Zauberhand in interesse legittimo umgewandelt werden kann. Um das Problem anhand eines Beispiels aus der Rechtsprechung zu veranschaulichen, bietet sich die Rechtssache „Paul u. a. gegen die Bundesrepublik Deutschland“ (Rechtssache C-222/02) an, die am 12. Oktober 2004 durch den Europäischen Gerichtshof (EuGH) entschieden worden ist.3 Es ging dabei um die Nichtumsetzung einer EG-Richtlinie, die die Mitgliedstaaten dazu verpflichtet hatte, Vorschriften zu 1 Vgl. Stefano Cognetti, Legge Amministrazione Giudice. Potere amministrativo fra storia e attualità, Torino 2014, S. 67 – 96. 2 U. a. Alberto Romano, Sono risarcibili: ma perché devono essere interessi legittimi? (nota a Cass., SS.UU., 22. 7. 1999, Nr. 500), Foro It. 1999, III, S. 3222 ff. 3 EuGH, Urt. v. 12. 10. 2014, Rs. C-222/02, Peter Paul u. a. gegen die Bundesrepublik Deutschland, ECLI:EU:C:2004:606.
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erlassen, die die „Aufgaben der nationalen Behörden in Bezug auf die Aufsicht über Kreditinstitute“ regeln.4 Im konkreten Fall hatte es Deutschland versäumt, eine Regelung zu erlassen, die Bankinstitute daran hindern sollte, als hoch riskant eingestufte Finanzgeschäfte zu tätigen. Nachdem die fehlenden staatlichen Kontrollen zur Insolvenz einer Bank geführt hatten, klagten deren Kunden gegen den deutschen Staat (eine Möglichkeit, die es, wie wir wissen, durch den EuGH seit dem historischen Urteil „Francovich“5 gibt), weil ein enger Kausalitätszusammenhang zwischen der rechtswidrigen Untätigkeit Deutschlands und dem wirtschaftlichen Schaden für die Kunden der insolventen Bank bestand. Im Kern musste sich der EuGH mit der Frage befassen, ob die Kläger nur unter der Voraussetzung, Inhaber eines subjektiven öffentlichen Rechts zu sein, Schadensersatz für den erlittenen Schaden fordern und erhalten können. Hierfür hat der Gerichtshof im Einklang mit der Richtlinie das Kriterium des subjektiven öffentlichen Rechts herangezogen, das traditionell im deutschen Rechtssystem angewandt wird und nach der sogenannten Schutznormtheorie bestimmt wird. Der EuGH prüft folglich, ob der europäische Richtliniengeber beim Erlass der nicht umgesetzten Richtlinie beabsichtigt hatte, die Sparer vor wagemutigen Finanzaktionen zu schützen (und in diesem ersten Fall wäre den Klägern ein Recht auf Schadensersatz zuerkannt worden), oder ob er das öffentliche Interesse an der Stabilität des Finanzsystems schützen wollte (so dass die Kläger in diesem zweiten Fall kein Recht auf Schadensersatz hätten). Bezeichnend ist die Tatsache, dass der EuGH bei der Anerkennung eines Rechts auf Schadensersatz kein eigenes Kriterium entwickelt, sondern sich auf die Schutznormtheorie stützt und diese anwendet. Aufgrund der Tatsache, dass der Gerichtshof von einer einfachen Annahme hinsichtlich der tatsächlichen Absichten des deutschen Gesetzgebers ausging, fiel das Urteil zugunsten des deutschen Staates aus. In der Tat ist, trotz des offensichtlichen kausalen Zusammenhangs zwischen schuldhafter Untätigkeit des deutschen Gesetzgebers und dem für die Sparer zu Unrecht erlittenen Schaden, diesen ein Recht auf Schadensersatz durch den deutschen Staat verweigert worden. Abgesehen davon, dass in Zweifelsfällen die Absichten des Gesetzgebers nicht mit Sicherheit nachvollzogen werden können, ist in diesem Zusammenhang die völlige Unvereinbarkeit von subjektivem Recht und interesse legittimo gegenüber den beiden gegensätzlichen Auffassungen vom Schutz der Bürger bedeutsam. Denn die Frage, ob die verletzte Norm darauf abzielt oder nicht darauf abzielt, das Interesse der Bürger oder lediglich das Allgemeinwohl zu schützen, führt in Deutschland und in Italien zu einer diametral entgegengesetzten Anwendung. In Italien wird durch die Anerkennung eines interesse legittimo den Bürgern ein Schutz zu ihren Gunsten gewährleistet. In Deutschland und den anderen europäischen Rechtsordnungen fehlt 4
RL 94/19/EG des Europäischen Parlaments und des Rates v. 30. 5. 1994 über Einlagensicherungssysteme, ABl. 1994 L 135/5. 5 EuGH, Urt. v. 19. 11. 1991, verbundene Rs. C-6/90 und C-9/90, Andrea Francovich und Danila Bonifaci u. a. gegen Italienische Republik, ECLI:EU:C:1991:428.
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dagegen eine abweichende, aber willkommene subjektive juristische Position zugunsten der Bürger, die als Teil einer Doktrin im Namen von Denationalisierung, Europäisierung und Internationalisierung der öffentlichen Verwaltung unbedachter Weise ganz einfach abgeschafft werden soll. Somit stellt sich erneut die Frage: Wie kann das interesse legittimo auf spezifische Weise an das subjektive öffentliche Recht angenähert und mit ihm harmonisiert werden? Zwei Möglichkeiten scheinen denkbar. Entweder die erste Rechtsposition dominiert die zweite, ersetzt und konsumiert sie. Oder die zweite Rechtsposition dominiert die erste, ersetzt und konsumiert sie ihrerseits. In Italien wird mit dem interesse legittimo eine anerkannte subjektive Rechtsposition bezeichnet, die denjenigen schützt, der über ein persönliches, unmittelbares und aktuelles Interesse mit einer materiellen Konsistenz verfügt (oder berechtigterweise danach strebt), die durch die Verletzung von Normen, die sich mit dem öffentlichen Interesse (und nicht mit dem Bürger) befassen, geschädigt wird. Dennoch, auch wenn bis vor wenigen Jahren die Verletzung eines interesse legittimo lediglich zur Aufhebung des rechtswidrigen Verwaltungsakts geführt hat und nicht zusätzlich auch den Ersatz für den erlittenen Schaden erfasste, hat sich heute die Lage in Italien mittlerweile grundlegend geändert. Tatsächlich haben die Vereinigten Sektionen des italienischen Kassationsgerichtshofs ein historisches Urteil (Nr. 500/1999) gefällt,6 mit dem sie zugunsten der Inhaber eines interesse legittimo entschieden und nicht nur die Aufhebung des rechtswidrigen Verwaltungsakts, sondern auch den Ersatz des erlittenen Schadens anerkannt haben. Diese wichtige Wende gibt Anlass zu der berechtigten Annahme, dass, wenn der Fall „Paul“ Italien und nicht Deutschland betroffen hätte und wenn der Europäische Gerichtshof das interesse legittimo so anerkannt hätte, wie es heute vom italienischen Recht anerkannt und geschützt wird, der EuGH zu einem diametral entgegengesetzten Urteil hätte kommen müssen: Nämlich, dass es Pflicht des Staates ist, den Bankkunden, die ihre Ersparnisse verloren haben, einen Schadensersatz zuzusprechen. Hier muss nicht nur – wie durch diesen Band aufgezeigt – bedacht werden, dass die nationalen Verwaltungen bei der Umsetzung der EU-Gesetzgebung aneinander anzupassen sind. Vielmehr ist vor allem auch zu berücksichtigen, dass ungerechtfertigte Disharmonien zwischen den europäischen Bürgern möglichst klein gehalten werden sollten, auch wenn andererseits wiederum bedacht werden muss, dass jede bundesstaatliche Ordnung gewisse Ungleichbehandlungen notwendigerweise nach sich zieht. In diesem Zusammenhang lohnt es sich, an die These einiger zeitgenössischer Wissenschaftler zu erinnern (in Bezug auf Italien beziehe ich mich vor allem auf die Vertreter der florentinischen Schule), nach der der Königsweg (oder auch der kürzeste Weg) darin bestehe, den Ansatz des öffentlichen Rechts zu überwinden und die zivilrechtliche Ordnung des durch Verletzung von Verpflichtungen entstandenen Schadensersatzes auch in Ausübung seiner autoritativen Macht auf das öf6
Cass. SS.UU., Urt. v. 22. Juli 1999, Nr. 500.
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fentliche Subjekt anzuwenden.7 Dieser Ansatz – der auf eine Angleichung von öffentlicher Verwaltung und Bürger in gleichem Maße wie im Privatrecht abzielt – scheint jedoch nicht in logischer Konsequenz zu einem intensiveren – und entschädigenden – Schutz zugunsten des Bürgers zu führen. Dies wird durch die gewonnenen Erfahrungen aus den Ordnungen des common law (z. B. im Vereinigten Königreich) bestätigt,8 wo die Kontrolle durch die Zivilgerichte über die öffentliche Verwaltung in der Ausübung ihres Ermessens zurückhaltender und nicht so einschneidend ist wie bei den sogenannten Ordnungen „mit Verwaltungsrecht“.9 Nicht von ungefähr ist in diesen Ordnungen ein Gericht vorgesehen, das sich auf die Beziehungen zwischen Bürgern und öffentlicher Verwaltung spezialisiert hat. Ich beziehe mich hier im Besonderen sowohl auf Italien, wo es die Form des interesse legittimo gibt, für dessen Schutz das Verwaltungsgericht zuständig ist, als auch auf Deutschland, wo es die andere Form des öffentlichen subjektiven Rechts gibt, für dessen Schutz ebenfalls das Verwaltungsgericht zuständig ist. Gerade in Deutschland erscheint das zusätzlich qualifizierende Adjektiv „öffentlich“ bei dem Begriff „subjektives Recht“ nicht zufällig zu stehen. Es scheint vielmehr die unumstößliche Notwendigkeit anzeigen zu wollen, dass eine einschränkende Grenze gegenüber einer unterschiedslosen Gleichstellung zwischen öffentlichem und privatem Bereich erhalten bleiben muss. Ohne diese einschränkende Grenze nähmen tatsächlich gerade der Wert des aufklärerischen Konzepts von „Gemeinwohl“ und der sich daraus ergebende Wert des „öffentlichen Interesses“, zu dessen Schutz die Verwaltungsbehörde nach ihrem Ermessen handelt, ab. Eine Ausnahme sind die sogenannten gebundenen Rechtsakte, die vollständig vom Gesetz bestimmt und ohne jeden Ermessensspielraum sind und für die es – allerdings ausschließlich für sie – möglich ist, das Privatrecht bei Schadensersatzforderungen aus der Verletzung von Schuldverhältnissen heranzuziehen. Zusammenfassend lässt sich Folgendes sagen: Die Lösung des Problems der Effektivität des Rechtsschutzes und der daraus folgenden Ungleichbehandlung zwischen den europäischen Rechtsordnungen hängt nicht nur von juristischen Überlegungen ab, die in Tagungen und Forschungsgruppen angestellte werden, sondern vor allem auf politisch-gesetzgebender Ebene vom Ergebnis einer Abwägung zwischen normativen und wirtschaftlich-finanziellen Vorstellungen. Welche sollen vorherrschen? Eines ist dabei klar: Wenn – um bei dem oben genannten Beispiel zu bleiben – der Weg für einen Schadensersatz auch für die Fälle geöffnet wird, in denen sich der Schaden aus der Verletzung von Normen ergibt, die sich mit dem öffentli7 Vgl. Andrea Orsi Battaglini, Alla ricerca dello Stato di diritto. Per una giustizia „non amministrativa“, Milano 2005, S. 161 ff.; Leonardo Ferrara, Dal giudizio di ottemperanza al processo di esecuzione. La dissoluzione del concetto di interesse legittimo nel nuovo assetto della giurisdizione amministrativa, Milano 2003, S. 168 ff. 8 Vgl. Stefano Villamena, Contributo in tema di proporzionalità amministrativa, Milano 2008, S. 139 ff. 9 Zum Begriff „Ordnungen mit Verwaltungsrecht“ siehe Massimo Severo Giannini, Diritto Amministrativo, Vol. I, Milano 1970.
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chen Interesse befassen, würde dies für die Staatskasse beachtliche Belastungen mit sich bringen, mit denen sich der Staat dann vor allem politisch auseinandersetzen müsste. Da es bei dem angeführten Beispiel keinen Mittelweg zwischen den beiden Rechtspositionen subjektives Recht und interesse legittimo gibt, kann die Abwägung zwischen den beiden Lösungen (und damit auch die Antwort auf die Frage, inwieweit sich Prinzipien den nationalen Verwaltungssystemen annähern) nur getroffen werden, wenn einer der beiden Werte dem anderen vollkommen untergeordnet wird. Entweder herrscht die Dogmatik des subjektiven öffentlichen Rechts auf der Grundlage der Anwendung der Schutznormtheorie vor, oder die Dogmatik des interesse legittimo mit Recht auf Schadensersatz. Entweder dominieren die wirtschaftlich-finanziellen Interessen über die der Gerechtigkeit, oder die Interessen der Gerechtigkeit dominieren über die wirtschaftlich-finanziellen Belange, wobei ein Kompromiss nicht immer möglich scheint. Auch wenn es immer wieder feierliche Prinzipienerklärungen gibt, dürfen wir uns nicht der Illusion hingeben, dass das Recht etwas Reines, Absolutes, Homogenes und der Gleichberechtigung verpflichtetes ist. Seine Umsetzung muss jedes Mal die wirtschaftlichen, finanziellen, gesellschaftlichen Bedürfnisse und Empfindlichkeiten bedenken, für die eine Einigung gesucht wird, ohne, wie im oben erwähnten Fall, immer zu Kompromissen gelangen zu können, die die Schere des Ausgleichs schließen. Diese Grenzen betreffen heute in dramatischer Weise sogar die Grundrechte der Europäischen Union, für die es nicht möglich ist, abstrakt, einheitlich und einvernehmlich die tatsächlichen Umrisse eines „Wesensgehalts“ zu zeichnen, der weder angerührt, noch komprimiert werden darf. Und dies nicht immer, weil sich der ideale Wert der Rechte ändert, die durch weitgefasste Rechtsbegriffe ausgedrückt werden, sondern weil sich die Kriterien und Maßstäbe ihrer Umsetzung von der einen zur anderen Rechtsordnung oder auch innerhalb ein und derselben Rechtsordnung verändern.10 Die tatsächliche Kraft der Rechte ergibt sich aus der Anwendung der Prinzipien und nicht nur der Gesetze. Diese Anwendung bestimmt (wie erst kürzlich von der deutschen Lehre erneut bestätigt worden ist)11 das „Verwaltungsrecht als konkretisiertes Verfassungsrecht“.12 In diesem Zusammenhang wird der tatsächliche Wert der Prinzipien – und der sich daraus ergebenden Rechte – vor allem in Notsituationen mit großer sozialer Brisanz zeitlich und räumlich mit unterschiedlicher Intensität wahrgenommen und erkannt. Man denke an den Terrorismus, der in letzter Zeit Frankreich dazu veranlasst hat, die Anwendung der Europäischen Charta der 10 Zum Konflikt zwischen Grundrechten vgl. Stefano Cognetti, Principio di proporzionalità. Profili di teoria generale e di analisi sistematica, Torino 2011, S. 249 ff. In Bezug auf die in der deutschen Lehre vorherrschende Meinung siehe ebd., S. 249 – 251 (Anm. 35). 11 Eberhard Schmidt-Aßmann, La dogmatica del diritto amministrativo nel dibattito tedesco sulla riforma (La nuova scienza del diritto amministrativo), Diritto amministrativo 2015, S. 258 ff. 12 Vgl. ursprünglich Fritz Werner, Verwaltungsrecht als konkretisiertes Verfassungsrecht, DVBl. 1959, S. 527.
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Menschenrechte auszusetzen. Und man denke schließlich an die immer drängenderen und immer weniger kontrollierbaren Migrationsphänomene, die heute einige Mitgliedstaaten der EU dazu veranlasst haben, an ihren Landesgrenzen Mauern und Zäune aus Stacheldraht zu errichten. Ohne die komplexen Dynamiken zu berücksichtigen, die die augenblickliche Krise in Europa kennzeichnen, besteht die Gefahr, dass die Ziele einer Denationalisierung, Europäisierung und Internationalisierung bloßes Programm bleiben, was alarmierende Auswirkungen auf die Anwendung des Gleichheitsprinzips beim Schutz der menschlichen Werte hat, die, und das wünschen wir uns hingegen alle, von ganz Europa verteidigt werden.
Annäherung nationaler Verwaltungssysteme trotz „no gold plating“-Politiken? Die unterschiedliche Nutzung von Gestaltungsspielräumen bei der Umsetzung von Richtlinien am Beispiel der Umweltinformationsrichtlinie in Deutschland und im Vereinigten Königreich1 Johannes Socher
I. Einleitung Die Frage, inwieweit sich das nationale Verwaltungsrecht unter dem Einfluss des Europarechts verändert, wird gemeinhin unter dem Stichwort „Europäisierung des Verwaltungsrechts“ diskutiert.2 Neben Rechtsänderungen, die auf unmittelbare Normbefehle des Gemeinschaftsrechts zurückgehen („direkte Europäisierung“), kann es dabei auch zu Transformationen des nationalen Verwaltungsrechts kommen, die nicht auf solche unmittelbaren Einwirkungen zurückgehen („indirekte Europäisierung“).3 Die Umsetzung von EU-Richtlinien auf nationaler Ebene fällt dabei in einen Grenzbereich, da sie gemäß Art. 288 Abs. 3 AEUV zwar hinsichtlich des zu erreichenden Ziels verbindlich sind, andererseits aber „den innerstaatlichen Stellen die Wahl der Form und der Mittel“ überlassen. Der Grad der Europäisierung im Zuge der Umsetzung von Richtlinien hängt folglich maßgeblich davon ab, welchen Standpunkt die Mitgliedstaaten gegenüber der Nutzung hieraus resultierender Gestaltungsspielräume einnehmen. Denn je nach rechtspolitischem Standpunkt bietet 1 Der vorliegende Beitrag gibt einen Ausschnitt der bisher gefundenen Ergebnisse des Forschungsprojekts „Europäisierung und Internationalisierung der nationalen Verwaltungen im Vergleich“ wieder, das der Autor am Deutschen Forschungsinstitut für öffentliche Verwaltung bearbeitet, vgl. http://www.foev-speyer.de/de/forschung/europaeischer-verwaltungs raum/transformation-nationaler-systeme/europaeisierung-und-internationalisierung-im-ver gleich.php [16. 9. 2016]. 2 Zur Unterscheidung der Begriffe „Europäisierung des Verwaltungsrechts“ und „Europäisches Verwaltungsrecht“ vgl. Karl-Peter Sommermann, Europäisches Verwaltungsrecht oder Europäisierung des Verwaltungsrecht? – Inkonsistenzen in der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs, DVBl. 1996, S. 889 – 898 (891), sowie ders., Veränderungen des nationalen Verwaltungsrechts unter europäischem Einfluss – Analyse aus deutscher Sicht, in: Jürgen Schwarze (Hrsg.), Bestand und Perspektiven des Europäischen Verwaltungsrechts. Rechtsvergleichende Analysen, Baden-Baden 2008, S. 181 – 199 (181 – 182). 3 Ebd., S. 190 – 198.
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das Umsetzungserfordernis die Chance oder birgt die Gefahr einer überschießenden Richtlinienumsetzung.4 Anders als sog. „spill over“-Effekte, die dadurch gekennzeichnet sind, dass die vom europäischen Richtliniengeber „für bestimmte Aufgabenbereiche vorgesehenen inhaltlichen Maßstäbe, Verfahren und Organisationsstrukturen auf benachbarte Bereiche übertragen werden oder sogar Grundstrukturen des nationalen Verwaltungsrechts dem europarechtlich geprägten Referenzgebiet angepasst werden“,5 wird mit gold plating überwiegend die überschießende Umsetzung innerhalb eines von einer Richtlinie geregelten Bereichs bezeichnet.6 Obwohl aus verschiedenen Gründen eine solche Überfüllung von Richtlinien rechts- und verfassungspolitisch durchaus sinnvoll sein kann,7 wird gold plating meist als eine ausschließlich negative Ausprägung indirekter Europäisierung empfunden. Zahlreiche Mitgliedstaaten verfolgen in diesem Zusammenhang deshalb sog. „no gold plating“-Politiken, geben also pauschal eine (möglichst späte) Minimalumsetzung „1:1“ vor. Insbesondere 4
Zu den dadurch entstehenden Auslegungsproblemen vgl. Gert Brandner, Die überschießende Umsetzung von Richtlinien, Frankfurt am Main 2003, S. 91 – 111 sowie zuletzt Thomas Kuhn, Überschießende Umsetzung bei mindest- und vollharmonisierenden Richtlinien: Einheitliche oder gespaltene Anwendung?, EuR 2015, S. 216 – 238. Das Phänomen überschießender Richtlinienumsetzung aus Sicht des europäischen Privatrechts untersuchen Mathias Habersack/Christian Mayer, Die überschießende Umsetzung von Richtlinien, JZ 1999, S. 913 – 921, und Thomas Riehm, Die überschießende Umsetzung vollharmonisierender EGRichtlinien im Privatrecht, JZ 2006, S. 1035 – 1045. 5 Sommermann (Fn. 2), 2008, S. 195. Zum Begriff vgl. bereits Karl-Heinz Ladeur, Supraund transnationale Tendenzen in der Europäisierung des Verwaltungsrechts – eine Skizze, EuR 1995, S. 227 – 246 (228). 6 Eine einheitliche Begriffsbestimmung hat sich bislang nicht durchgesetzt. Als am weitesten verbreitet kann die Definition aus der „Transposition Guidance“ des englischen Department for Business, Innovation and Skills gelten: „Gold-plating is when implementation goes beyond the minimum necessary to comply with a Directive, by extending the scope, adding in some way to the substantive requirement, or substituting wider UK legal terms for those used in the Directive; or not taking full advantage of any derogations which keep requirements to a minimum (e. g. for certain scales of operation, or specific activities); or retaining pre-existing UK standards where they are higher than those required by the Directive; or providing sanctions, enforcement mechanisms and matters such as burden of proof which are not aligned with the principles of good regulation; or implementing early, before the date given in the Directive“, Department for Business, Innovations and Skills, Transposition Guidance: How to Implement European Directives Effectively, London 2011, S. 8. Vgl. in diesem Zusammenhang auch die unterschiedlichen Klassifizierungsversuche bei ECORYS OpdenKamp Adviesgroep en Europa Instituut Leiden, Nationale Koppen op EG-regelgeving, Rotterdam 2006, S. 16 (Unterscheidung nach einer Übererfüllung ex ante und ex post) mit denen bei Frank Burmeister/Erik Staebe, Grenzen des sog. Gold Plating bei der Umsetzung europäischer Richtlinien in nationales Recht, EuR 2009, S. 444 – 457 (445 – 446) (Differenzierung nach „echtem“ und „unechtem“ gold plating, wobei „unechtes“ gold plating nach der dort vorgenommenen Unterscheidung eher dem eines „spill over“-Effekts im oben genannten Sinn entspricht). 7 Vgl. Jürgen Schwarze, Richtlinienumsetzung „eins zu eins“, in: Rainer Pitschas/Arnd Uhle (Hrsg.), Wege gelebter Verfassung in Recht und Politik. Festschrift für Rupert Scholz zum 70. Geburtstag, Berlin 2007, S. 167 – 178.
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das Vereinigte Königreich und Deutschland, aber auch die Niederlande werden dabei regelmäßig als Beispiele genannt, in denen entsprechende politische Vorgaben gelten.8 So schreibt etwa die „Transposition Guidance“ des englischen Department for Business, Enterprise & Regulatory Reform als tragenden Grundsatz für die Umsetzung von Richtlinien fest: „ensure that (save in exceptional circumstances) the UK does not go beyond the minimum requirements of the measure which is being transposed“.9 Darüber hinaus soll auch eine früher als vorgegebene Umsetzung vermieden werden.10 In Deutschland scheint eine ähnliche Vorgabe zu existieren. In einer ihrer ersten Regierungserklärungen überhaupt sagte Bundeskanzlerin Angela Merkel: „Wir haben uns vorgenommen, die EU-Richtlinien im Grundsatz nur noch eins zu eins umzusetzen.“11 Auch der Koalitionsvertrag von 2009 enthält eine ähnliche Passage, wonach eine „über die EU-Vorgaben hinausgehende Umsetzung oder eine Verbindung mit anderen gesetzlichen Maßnahmen“ grundsätzlich ausgeschlossen werden soll.12 Vor diesem Hintergrund stellt sich die Frage, wie sich solche politischen Vorgaben auf die Nutzung von Gestaltungsspielräumen bei der Umsetzung von Richtlinien auswirken und ob dies eher zu einer Annäherung nationaler Verwaltungssysteme führt oder nicht vielmehr Divergenzen befördert. Zwei Szenarien scheinen denkbar: Entweder es kommt zu gleichlaufenden Veränderungen und damit einer zunehmenden Konvergenz der Systeme aufgrund einer Minimalumsetzung durch zum Beispiel wörtliche Überführung der Richtlinientexte in nationale Regelungen (sog. „copy out“-Verfahren).13 Oder der gegenteilige Effekt tritt ein und Gestaltungsspielräume werden bewusst dazu genutzt, bestehende nationale Unterschiede durch eine möglichst restriktive Umsetzung aufrechtzuerhalten.
8 Jan Jans/Lorenzo Squintani/Alexandra Aragáo/Richard Macroy/Bernhard Wegener, ,Gold plating‘ of European Environmental Measures?, JEEPL 2009, S. 417 – 435; Wim Voermans, Gold-Plating and Double-Banking: An Overrated Problem?, in: Henk Snijders/Stefan Vogenauer (Hrsg.), Content and Meaning of National Law in the Context of Transnational Law, München 2009, S. 79 – 88. 9 Department for Business, Innovation and Skills (Fn. 6), S. 6. 10 Ebd., S. 8. 11 Regierungserklärung von Bundeskanzlerin Dr. Angela Merkel vor dem Deutschen Bundestag am 30. November 2005 in Berlin, https://www.bundesregierung.de/Content/DE/ Bulletin/2001_2007/2005/11/2005-11-30-regierungserklaerung-von-bundeskanzlerin-dr-ange la-merkel-vor-dem-deutschen-bundestag-.html [9. 9. 2016]. 12 Koalitionsvertrag zwischen CDU, CSU und FDP, Berlin, 26. Oktober 2009, S. 115. 13 In der „Transposition Guidance“ des Vereinigten Königreichs ist ein solches Vorgehen ausdrücklich vorgeschrieben: „always use copy-out for transposition where it is available, except where doing so would adversely affect UK interests e. g. by putting UK businesses at a competitive disadvantage compared with their European counterparts or going beyond the minimum requirements of the measure that is being transposed“, Department for Business, Innovation and Skills (Fn. 6), S. 3.
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II. Aspekte der Umsetzung der Umweltinformationsrichtlinie im Vergleich Für eine rechtsvergleichende Untersuchung der Frage, inwieweit sich „no gold plating“-Politiken auf die Nutzung von Gestaltungsspielräumen bei der Umsetzung von Richtlinien auswirken und ob dies zu einer Annäherung nationaler Verwaltungssysteme führt oder nicht vielmehr Divergenzen befördert, bieten sich als Untersuchungsgegenstand insbesondere Richtlinien aus dem Umweltrecht an. Denn eine äußerst aktive europäische Umweltpolitik brachte in den vergangenen vier Jahrzehnten zahlreiche Richtlinien hervor, die neben materiellen Bestimmungen auch zunehmend solche Vorgaben enthielten, die nationale Verwaltungsstrukturen, teilweise in ihrem Kern, berührten.14 Bemerkenswert scheint in diesem Zusammenhang, dass sowohl in den Beiträgen aus der politik- und rechtswissenschaftlichen Implementationsforschung, die sich mit dem Effekt der Europäisierung auf nationale Verwaltungssysteme durch Richtlinienumsetzung befassen,15 als auch in den wissenschaftlichen Arbeiten, die sich dem Phänomen gold plating im Verwaltungsrecht nähern, vor allem umweltrechtliche Beispiele herangezogen werden, die beiden Phänomene aber offenbar bislang nicht miteinander in Bezug gesetzt werden. Konkret kommt in diesem Zusammenhang neben der Richtlinie über die Umweltverträglichkeitsprüfung bei bestimmten öffentlichen und privaten Projekten16 insbesondere der Richtlinie über den Zugang der Öffentlichkeit zu Umweltinformationen von 199017 (Umweltinformations-RL) eine tragende Rolle zu. Letztere enthält insbesondere das Verwaltungsverfahren betreffende Umsetzungsbestimmungen, die jedoch einen gewissen Gestaltungsspielraum bei der nationalen Umsetzung durch die Mitgliedstaaten eröffnen. Die Richt14
Dazu ausführlich Christoph Knill/Jale Tosun, Environmental Policy, in: Hubert Heinelt/ Michèle Knodt (Hrsg.), Policies Within the EU Multi-Level System. Baden-Baden 2011, S. 171 – 188. 15 Aus politikwissenschaftlicher Perspektive vgl. insbesondere Christoph Knill, The Europeanisation of National Administrations. Patterns of Institutional Change and Persistence, Cambridge 2001 sowie die Beiträge in dem vom selben Autor mitherausgegebenen Band Christoph Knill/Andrea Lenschow (Hrsg.), Implementing EU Environmental Policy. New Directions and Old Problems, Manchester 2000. Aus rechtswissenschaftlicher Sicht vgl. Heinrich Siedentopf/Jacques Ziller (Hrsg.), Making European Policies Work – The Implementation of Community Legislation in the Member States/L’Europe des Administrations?, Bd. 1: Comparative Syntheses/Synthèses comparatives, Bd. 2: National Reports/Rapports nationaux, Brüssel 1989 sowie Karl-Heinz Ladeur (Hrsg.), The Europeanisation of Administrative Law, Transforming National Decision-Making Procedures, Aldershot 2002. 16 RL 2011/92/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13. Dezember 2011 über die Umweltverträglichkeitsprüfung bei bestimmten öffentlichen und privaten Projekten, ABl. 2012 L 26/1. Vgl. hierzu insbesondere die Studie von Christoph Knill/Daniela Winkler, Konvergenz oder Divergenz nationaler Rechts- und Verwaltungskulturen? Der Effekt der Europäisierung am Beispiel der Umweltverträglichkeitsprüfung in Deutschland und England, VerwArch 2007, S. 1 – 29. 17 RL 90/313/EWG des Rates vom 7. Juni 1990 über den freien Zugang zu Informationen über die Umwelt, ABl. 1990 L 158/56.
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linie, die 2003 noch einmal überarbeitet und neu gefasst18 wurde, legt erstmals eine umfassende Informationspflicht der nationalen Verwaltungen der Mitgliedstaaten für Umweltinformationen fest. Die einschneidende Bedeutung dieser Vorgabe wird deutlich, wenn man sich die bis dahin sowohl in Deutschland19 als auch im Vereinigten Königreich20 bestehende Arkantradition vor Augen führt, wonach nur ausnahmsweise Unterlagen ausgelegt oder Akteneinsicht gewährt wurde. Aufgrund der insoweit sehr ähnlichen Ausgangsbedingungen bietet sich eine vergleichende Untersuchung bezüglich der Implementierung der das Verwaltungsverfahren betreffenden Vorschriften der Umweltinformations-RL in diesen beiden Mitgliedstaaten besonders an. Im Folgenden sollen deshalb ein formeller und zwei ver18 RL 2003/4/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 28. Januar 2003 über den Zugang der Öffentlichkeit zu Umweltinformationen und zur Aufhebung der Richtlinie 90/ 313/EWG des Rates, ABl. 2003 L 41/26. 19 In Deutschland war das Verwaltungsverfahren bis in die 1970er Jahre nicht öffentlich, erst mit Inkrafttreten der Verwaltungsverfahrensgesetze des Bundes und der Länder wurde ein beschränktes Akteneinsichtsrecht für Verfahrensbeteiligte geschaffen. Das auf Bundesebene seither in § 29 VwVfG niedergelegte Einsichtsrecht umfasst dabei lediglich Akten, die das konkrete Verwaltungsverfahren betreffen und ist zeitlich auf die Spanne zwischen Einleitung und Abschluss des Verfahrens begrenzt. § 29 Abs. 2 VwVfG normiert darüber hinaus einen umfassenden Ausnahmekatalog. § 30 VwVfG enthält einen Geheimhaltungsanspruch, wonach die unbefugte Offenlegung privater, betrieblicher oder geschäftlicher Geheimnisse verboten wird. Das Akteneinsichtsrecht wird schließlich lediglich verfahrensbegleitend gewährt, das heißt eine isolierte gerichtliche Geltendmachung ist nicht möglich. Weitere Öffentlichkeitsgebote im deutschen Verwaltungsverfahrensrecht bestehen für das Planfeststellungsverfahren sowie in immissionsschutzrechtlichen Anlagengenehmigungsverfahren, bei Letzteren sowohl hinsichtlich der öffentlich auszulegenden Unterlagen als auch im Hinblick auf das Akteneinsichtsrecht und jeweils unabhängig von einer Verfahrensbeteiligung. Auch für Bauleitpläne, Emmissionskataster und Wasserbücher existierten schon vor 1992 Einsichtsrechte, ohne dass hierfür der Nachweis eines berechtigten Interesses erforderlich war. Ausführlich zur Geheimhaltungstradition in Deutschland Bernhard Wegener, Der geheime Staat. Arkantradition und Informationsfreiheitsrecht, Göttingen 2006. 20 Ausdruck dieser „culture of secrecy“ war beispielsweise der Official Secret Act 1911, der nahezu unverändert bis 1989 in Kraft war und eine umfängliche Strafvorschrift in Section 2 enthielt, wonach jedwede unautorisierte Veröffentlichung von Verwaltungsinformationen unter Strafandrohung von bis zu zwei Jahren Freiheitsstrafe verboten war. Erst mit Erlass des Official Secret Act 1989 wurde der Umfang der strafrechtlich geschützten Informationen erheblich begrenzt. Zweck des Gesetzes war jedoch nach wie vor die Schließung undichter Stellen in der Verwaltung. Daneben wurde der Adressatenkreis erheblich erweitert: Neben öffentlichen Beamten waren nun auch Journalisten und Herausgeber umfasst, die Informationen entgegennehmen und veröffentlichen. Ein Zugangsrecht zu Verwaltungsinformationen war auch im Official Secret Act 1999 nicht enthalten. In Bezug auf Umweltinformationen bestanden jedoch seit den 1970er Jahren partielle Ausnahmen, z. B. existierten vereinzelte Umweltinformationsregister, die ohne Geltendmachung eines Interesses geltend gemacht werden konnten. Mit dem Local Government Act 1985 wurden darüber hinaus auf dem Gebiet der kommunalen Selbstverwaltung bereits bestehende Zugangsrechte zu Informationen maßgeblich erweitert und unter anderem Einsichtsrechte auf Protokolle, Tagesordnungen und Hintergrundberichte gewährt. Einen Überblick zur Geheimhaltungstradition im Vereinigten Königreich bietet z. B. Sebastian Roll, Zugang zu Umweltinformationen und Freedom of Information, Berlin 2003, S. 62 – 75 (m.w.N.).
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fahrensrechtliche Aspekte dieser Richtlinie herausgegriffen werden, um vor dem Hintergrund der angesprochenen „no gold plating“-Vorgaben beispielhaft die unterschiedliche Nutzung von Gestaltungsspielräumen bei der Umsetzung von Richtlinien zu betrachten. 1. Umsetzungsfrist Die erste Umweltinformations-RL war bis zum 31. Dezember 1992 und die reformierte Direktive zum 14. Februar 2005 in nationales Recht umzusetzen. In Deutschland erfolgte die Implementierung mit erheblicher Verspätung. Das Umweltinformationsgesetz des Bundes (UIG)21 trat am 16. Juli 1994 in Kraft und damit mehr als anderthalb Jahre nach Ablauf der Umsetzungsfrist. Und auch bei der Implementierung der neu erlassenen Richtlinie kam es zu Verzögerungen, so dass die Kommission ein Vertragsverletzungsverfahren gegen die Bundesrepublik einleitete.22 Seit 2005 gilt nunmehr auf Bundesebene das (neue) UIG für sämtliche informationspflichtigen Stellen des Bundes.23 Im Vereinigten Königreich wurde die (erste) Umweltinformations-RL per Verordnung24 durch die Environmental Information Regulations (EIR) 199225 umgesetzt, die am 31. Dezember 1992 – und damit ganz im Sinne der „Transposition Guidance“ gerade noch rechtzeitig – in Kraft traten. Die EIR beschränkten sich dabei ursprünglich auf fünf Paragraphen, in denen die Richtlinie weitgehend abgeschrieben wurde. Nähere Bestimmungen enthielt eine von der Regierung erlassene verordnungsbeglei-
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Gesetz zur Umsetzung der Richtlinie 90/313/EWG des Rates vom 07. 06. 1990 über den freien Zugang zu Informationen über die Umwelt vom 8. 7. 1994, BGBl. I S. 1490. Daneben erging die Verordnung über Gebühren für Abhandlungen der Behörden des Bundes beim Vollzug des Umweltinformationsgesetzes (Umweltinformationsgebührenverordnung – UIGGebV) vom 7. 12. 1994, BGBl. I S. 3732. 22 Das sich daran anschließende Gerichtsverfahren (Rs. C-44/07) wurde nach der Umsetzung auf Bundes- und Landesebene wieder eingestellt. 23 Gesetz zur Neugestaltung des Umweltinformationsgesetzes und zur Änderung der Rechtsgrundlagen zum Emissionshandel vom 22. 12. 2004, BGBl. I S. 3704. Auf Länderebene wurde die Richtlinie durch die Umweltinformationsgesetze der Länder umgesetzt. 24 Im Vereinigten Königreich ist die Regierung gem. Sec. 2 para. 2 A European Communities Act bis auf wenige Ausnahmen dazu ermächtigt, die durch Richtlinien erforderlichen Anpassungen an Parlamentsgesetze ohne ein umfassendes Gesetzgebungsverfahren per Verordnungen vorzunehmen. Dieser Weg wurde auch für die Umsetzung der Umweltinformationsrichtlinie durch den Erlass der EIR beschritten, vgl. Department of the Environment, Food & Rural Affairs, Explanatory Memorandum to the Environmental Information Regulations 2004, Nr. 4 (iii). 25 The Environmental Information Regulations 1990, SI 3240 of 1990. Für Nordirland und Gibraltar ergingen eigene Regelungen: The Environmental Information Regulations (Northern Ireland) 1993, Statutory Rules of Northern Ireland No. 45 of 1993; The Public Health (Freedom of Access to Information on the Environment) Rules 1992, Legal Notice No. 143 of 1992, Gibraltar Gazette No. 2, 697 of 12/11/1992.
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tende Verwaltungsvorschrift, die Einzelheiten für die Verwaltungspraxis regelte.26 Aufgrund unzureichender Umsetzung wurden die EIR 1992 im Jahre 1998 durch ein Amendment ergänzt.27 Zur Umsetzung der reformierten Richtlinie wurden schließlich die EIR 200428 rechtzeitig erlassen. 2. Informationspflichtige Behörden Art. 3 Abs. 1 Umweltinformations-RL verlangt, dass Mitgliedstaaten ihre Behörden dazu verpflichten, jedermann auf Antrag ohne Nachweis eines Interesses Umweltinformationen zur Verfügung zu stellen. Behörden wurden dabei in der Vorgängerrichtlinie in Art. 2 lit. b lediglich als die Stellen der öffentlichen Verwaltung definiert, „die auf nationaler, regionaler oder lokaler Ebene Aufgaben im Bereich der Umweltpflege wahrnehmen und über diesbezügliche Informationen verfügen, mit Ausnahmen der Stellen, die im Rahmen ihrer Rechtsprechungs- oder Gesetzgebungszuständigkeit tätig werden“. In der reformierten Richtlinie wurde der Behördenbegriff in Art. 2 Nr. 2 erweitert, da zuvor teilweise staatliche Verwaltungsorgane, „die keine Umweltbehörden im engeren Sinn sind, unter dem Hinweis, ihre Zuständigkeit erstrecke sich nicht auf die Umwelt, den Zugang zu ihnen vorliegende Umweltinformationen“ verweigerten.29 In Deutschland wurde dieser auch in der reformierten Richtlinie nach wie vor relativ offen formulierte Behördenbegriff von Anfang an restriktiv interpretiert und umgesetzt. So sollten bereits nach der amtlichen Begründung des Gesetzesentwurfs zum ersten Umweltinformationsgesetz (UIG) aus dem Jahr 1994 nur diejenigen Behörden zur Erteilung von Umweltinformationen verpflichtet werden, deren Hauptaufgabe der Umweltschutz ist.30 Nach fast zwanzig Jahre währendem Widerstand 26 Department of the Environment, Food & Rural Affairs, Freedom of Access to Information on the Environment, Guidance on the Implementation of the Environmental Information Regulations in Great Britain, London 1992. 27 Environmental Information (Amendment) Regulations, SI 1447 of 1998. 28 Environmental Information Regulations 2004, SI 3391 of 2004. 29 Europäische Kommission, Bericht der Kommission an den Rat und das Europäische Parlament über die Erfahrungen aus der Anwendung der Richtlinie 90/313/EWG des Rates vom 7. Juni 1990 über den freien Zugang zu Informationen über die Umwelt, KOM(2000) 400 final, S. 4. 30 BT-Drs. 12/7138, S. 11. Ein während der Beratungen eingebrachter Änderungsantrag, der jede Behörde einbeziehen wollte, „die Aufgaben des Umweltschutzes oder bei anderen Aufgaben kraft Gesetzes Belange des Umweltschutzes wahrzunehmen hat“, wurde im Bundestag abgelehnt, vgl. BT-Drs. 13/4108, S. 106. Die enge Formulierung wurde in der Praxis dann auch zu einer einengenden Auslegung zu nutzen gesucht. So vertrat beispielsweise das Bundesverkehrsministerium zunächst die Auffassung, das UIG gelte nicht für Straßenbaubehörden (Rundschreiben v. 28. 8. 1994, zit. nach Ralf Röger, Regelungsmöglichkeiten und -pflichten der Landesgesetzgeber nach Inkrafttreten des Umweltinformationsgesetzes des Bundes, NuR 1995, S. 174 – 184 (181)). Diese Auffassung ist von der Kommission als nicht richtlinienkonform bezeichnet worden (ABl. 1995 C 6/23) und wurde schließlich wieder
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zwangen schließlich zwei Urteile des Europäischen Gerichtshofs31 den deutschen Gesetzgeber dazu, den Kreis der informationspflichtigen Stellen auf ein unionskonformes Maß auszuweiten: Durch ein entsprechendes Änderungsgesetz32 wurde § 2 Abs. 1 Nr. 1 UIG zum 6. November 2014 dahingehend geändert, dass nunmehr alle Stellen der öffentlichen Verwaltung, die über Umweltinformationen verfügen zur Auskunft verpflichtet werden, lediglich „oberste Bundesbehörden, soweit und solange sie im Rahmen der Gesetzgebung tätig werden“ sind von dem verpflichteten Behördenkreis weiterhin ausgenommen (in der bis dahin geltenden Fassung war der Zusatz „solange“ nicht enthalten und auch der Erlass von Rechtsverordnungen ausgenommen). Für die vorliegende Untersuchung ist in diesem Zusammenhang insbesondere die Begründung zur Gesetzesänderung interessant: Ziel des Gesetzesentwurfs sei eine „lückenlose 1:1 Umsetzung“ von Art. 2 Nr. 2 UI-RL, wie es in der amtlichen Begründung heißt.33 Im Vereinigten Königreich wurde demgegenüber der Wortlaut der informationspflichtigen Stellen beinahe wortgleich aus dem Richtlinientext übernommen, wiederum ganz getreu dem in der „Transposition Guidance“ aufgestellten Prinzip des „copy out“-Verfahrens: Gemäß Reg. 2 para. 3 lit. a EIR 1992 waren alle Stellen der Verwaltung anspruchsverpflichtet, soweit sie in ihrer konkreten verwaltungsrechtlichen Ausübung umweltrechtliche Zuständigkeiten wahrnehmen. Darüber hinaus war vorgesehen, eine nicht abschließende Liste aufzustellen, welche die informationspflichtigen Behörden im Einzelnen aufzählt. Letztlich wurde davon jedoch mit der Begründung abgesehen, es sei unmöglich, eine definitive Liste zu erstellen.34 Ähnlich nah am Wortlaut des reformierten Richtlinientexts bleibt auch die Behördendefinition der EIR 2004, die in ihrer Reg. 2 para. 2 beinahe identisch zu der Erweiterung der neuen Umweltinformations-RL bestimmen, welche Verwaltungsstellen als public authorities anzusehen sind. 3. Gebühren Für die effektive Durchsetzbarkeit des Informationsanspruchs nicht zu unterschätzen ist weiterhin die Praxis der Gebührenerhebung. Die Umweltinformations-RL stellt den Mitgliedstaaten diesbezüglich gemäß Art. 5 Abs. 2 frei, ob die aufgegeben, vgl. Oliver Bantle, EU rügt deutsches Gesetz. Kommission: Zu wenig und zu teure Umweltinformationen, SZ v. 27. 7. 1995, S. 20. 31 EuGH, Urt. v. 14. 2. 2012, Rs. C-204/09, Flachglas Torgau GmbH, ECLI:EU: C:2012:71; EuGH, Urt. v. 18. 7. 2013, Rs. C-515/11, Deutsche Umwelthilfe e.V., ECLI:EU: C:2013:523. 32 Gesetz zur Änderung des Umweltinformationsgesetzes vom 27. 10. 2014, BGBl. I S. 1642. 33 BR-Drs. 156/14, S. 3. 34 Im ersten Beratungsentwurf der EIR 1992 war im Anhang noch eine solche Liste beigefügt, abgedruckt bei William Birtles, A Right to Know: The Environmental Information Regulations 1992, JEEPL 1993, S. 615 – 625 (622).
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Bereitstellung von Umweltinformationen kostenpflichtig ausgestaltet wird; jedenfalls dürfen die Gebühren aber eine „angemessene Höhe“ nicht überschreiten. Derselbe Artikel legt zudem fest, dass der Zugang zu öffentlichen Verzeichnissen oder Listen, die gemäß Art. 3 Abs. 5 eingerichtet und geführt werden, sowie die Einsichtnahme in die beantragten Informationen an Ort und Stelle gebührenfrei sein muss. Der deutsche Gesetzgeber hat von dieser fakultativen Möglichkeit Gebrauch gemacht und erhebt gemäß § 12 UIG grundsätzlich Gebühren. Zu diesem Zweck erging auf Bundesebene auf Grundlage von § 10 Abs. 2 UIG 1994 die Umweltinformationsgebührenverordnung (UIGGebV)35, die 2001 neu gefasst und 2013 zuletzt geändert worden ist.36 Das der Verordnung in einer Anlage beigefügte Gebührenverzeichnis enthält dabei lediglich eine weit gefasste Obergrenze, wonach für die Erteilung einer umfassenden schriftlichen Auskunft bis zu 500 Euro an Gebühren anfallen.37 Ursprünglich sah die Gebührenverordnung außerdem sogar selbst bei Verweigerung von Informationen eine Gebühr vor, § 3 UIGGebV a. F. (nach einer entsprechenden Verurteilung der Bundesrepublik durch den Europäischen Gerichtshof38 wurde diese Regelung jedoch wieder zurückgenommen). Auch im Vereinigten Königreich wurden die Behörden gemäß Reg. 3 para. 4 EIR 1992 dazu ermächtigt, Gebühren nach Ermessen zu erheben. Eine entsprechende Regelung findet sich in der Nachfolgeregelung der Reg. 8 paras 1 und 3 EIR 2004, wonach die informationspflichtige Behörde eine Gebühr erheben kann („may charge the applicant for making the information available“), wobei diese dann jedoch im Verhältnis zu den durch die Informationserteilung entstehenden Kosten stehen müssen („shall not exceed an amount which the public authority is satisfied is a reasonable amount“). Von der Einführung eines Gebührenverzeichnisses, das Höchstgrenzen festsetzt und den Begriff des „reasonable amount“ konkretisiert, wurde abgesehen. Ähnlich wie bei der angedachten Liste zur Festlegung der zur Informationsauskunft verpflichteten Behörden war man hier der Ansicht, dass ein Verzeichnis zwar wün-
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Verordnung über Gebühren für Amtshandlungen der Behörden des Bundes beim Vollzug des Umweltinformationsgesetzes (Umweltinformationsgebührenverordnung – UIGGebV) vom 7. 12. 1994, BGBl. I S. 3732. 36 Umweltinformationsgebührenverordnung in der Fassung vom 23. 8. 2001, BGBl. I S. 2247, zuletzt geändert durch Art. 2 Abs. 40 des Gesetzes vom 7. 8. 2013, BGBl. I 3154. 37 Anlage A zu § 1 Abs. 1 UIGGebV, Nr. 1.3. Auch in diesem Zusammenhang ist die diesbezügliche Kritik des Sachverständigenrats für Umweltfragen aus seinem Umweltgutachten von 1996 bemerkenswert: „Der Umweltrat verkennt nicht, daß die Bearbeitung von Informationsbegehren unter Umständen einen erheblichen Aufwand nach sich ziehen kann, gibt aber zu bedenken, daß für die Höhe dieses Aufwandes auch eine Behördenorganisation verantwortlich sein kann, die nicht an Kriterien der Transparenz orientiert ist oder keine ausreichenden Verknüpfungsmöglichkeiten zwischen Teilbereichen bietet, die aus Sicht des Umweltschutzes zusammengehören, jedoch herkömmlich verwaltungsorganisatorisch getrennt sind“, BT-Drs. 13/4108, S. 108. 38 EuGH, Urt. v. 9. 9. 1999, Rs. C-217/97, Kommission der Europäischen Gemeinschaften gegen Bundesrepublik Deutschland, ECLI:EU:C:1999:395.
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schenswert, aber nicht praktikabel sei und beschränkte sich deshalb wiederum auf eine minimale Wortlautumsetzung des Richtlinientexts.39
III. Ergebnisse des Vergleichs und Ausblick Wie bereits diese wenigen ausgewählten Beispiele zeigen, wurden bei der Umsetzung der Umweltinformations-RL – ähnlich wie bei der Umsetzung der UVP-RL, wo die Persistenz der nationalen Verwaltungssysteme kaum Raum für Veränderungen zuließ40 – vor allem in Deutschland Gestaltungsspielräume dazu genutzt, die Richtlinie möglichst restriktiv in nationale Regelungen zu überführen und dadurch bestehende Verwaltungsstrukturen aufrecht zu erhalten. Andererseits lassen sich sowohl für das Vereinigte Königreich als auch für Deutschland Beispiele einer wörtlichen Überführung des Richtlinientexts in die nationalen Regelungen anführen („copy out“), deren unterschiedliche Effekte sich erst in der praktischen Anwendung der Verwaltungspraxis zeigen, auf der Normierungsebene aber jedenfalls zu einer punktuellen Angleichung führen. Betrachtet man den weiteren Verlauf der Informationsfreiheitsgesetzbung in den beiden Mitgliedstaaten, ergibt sich damit auf den ersten Blick ein Widerspruch: Während es bei der Umsetzung innerhalb des von der Richtlinie geregelten Bereichs eher sogar noch zu einer Divergenz als zu einer Konvergenz der Verwaltungsverfahren kam, war die Umweltinformations-RL gleichzeitig Anlass für weitreichende Reformen außerhalb des Bereichs der Umweltinformation („spill over“-Effekt). So trat im Vereinigten Königreich im Jahr 2004 zeitgleich mit den EIR 2004 der Freedom of Information Act41 in Kraft, mit dem zur Durchsetzung eines allgemeinen Auskunftsanspruchs auf Verwaltungsinformationen jenseits des Anwendungsbereichs der EIR das Amt eines Information Commissioners sowie ein eigenständiges Information Tribunal geschaffen wurde.42 Dies stellt einen gänzlich neuartigen Überprüfungsmechanismus im englischen Verwaltungssystem dar und lässt sich mit einigem Recht als ein 39 House of Lords Select Committee on the European Communities, Session 1996 – 1997, Freedom of Access to Information on the Environment, 12 November 1996 (1st Report), Evidence, S. 3. 40 Dieser Widerstand verursachte vor allem in Deutschland erhebliche Umsetzungsmängel: So bemängelt beispielsweise die Kommission in ihrem Bericht zur Umsetzung der UVP-RL die fehlende einheitliche Verfahrensstruktur in Deutschland, die eine ausreichende Bündelung von Kompetenzen zur medienübergreifenden Betrachtung und Bewertung von Umweltauswirkungen erschwere, Europäische Kommission, Bericht der Kommission an den Rat, das Europäische Parlament, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss und den Ausschuss der Regionen über die Anwendung und Wirksamkeit der UVP-Richtlinie (Richtlinie 85/337/EWG in der Fassung der Richtlinien 87/11/EG und 2003/35/EG, KOM(2009), 378 endg, S. 122. 41 Freedom of Information Act 2000, c. 36. 42 Zur Entstehungsgeschichte des Freedom of Information Act 2000 vgl. Roll (Fn. 20), insb. S. 62 – 75 und 172 – 196.
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echter Kulturwandel von einer culture of secrecy zu einem legal right to know bezeichnen. Ein ähnlicher Traditionsbruch kann für Deutschland konstatiert werden: Das zum 1. Januar 2006 in Kraft getretene Informationsfreiheitsgesetz des Bundes43 sowie die verschiedenen, teilweise schon Ende der 1990er Jahre erlassenen Informationsfreiheitsgesetze der Länder,44 die einen allgemeinen Zugang zu amtlichen Informationen regeln und zu ihrer Überwachung das Amt eines Informationsfreiheitsbeauftragten einführten, markieren die endgültige Aufgabe von einem allgemeinen Grundsatz der beschränkten Aktenöffentlichkeit.45 Vor diesem Hintergrund fällt die Beantwortung der Frage, ob „no gold-plating“Politiken und die unterschiedliche Nutzung von Gestaltungsspielräumen eine Annäherung nationaler Verwaltungssysteme befördern oder diese nicht vielmehr zu einer weiteren Ausdifferenzierung führen, zumindest für die Umsetzung der Umweltinformations-RL in Deutschland und im Vereinten Königreich gemischt aus. Denn auch wenn in Deutschland teilweise Gestaltungsspielräume extensiv für eine möglichst minimale Richtlinienumsetzung genutzt wurden und sich im Vereinten Königreich die Implementierung zunächst auf eine beinahe wortgleiche Wiedergabe des Richtlinientexts im Wege des sog. „copy out“-Verfahrens beschränkte, gingen von der Umweltinformations-RL später weitreichende Veränderungen aus. Die Umsetzung der Umweltinformationsrichtlinie in Deutschland und im Vereinigten Königreich gibt somit ein Beispiel dafür ab, wie unionsrechtliche Impulse trotz zögerlicher direkter Umsetzung indirekt sogar zur allmählichen Herausbildung eines gemeinsamen europäischen Verwaltungsprinzips beitragen können.46 Abschließend bleibt festzuhalten, dass der Vergleich der unterschiedlichen Umsetzung von Richtlinien in den verschiedenen Mitgliedstaaten das Potential hat, Implementationsformen und -strukturen aufzuzeigen, wodurch der Frage nach unterschiedlichen Reaktionsmustern und Anpassungsstrategien der jeweils untersuchten Staaten nachgegangen werden kann. Wie werden Gestaltungsspielräume genutzt? Kommt es lediglich zu punktuellen Veränderungen oder werden die Umsetzungserfordernisse zum Anlass für grundlegende Reformen genommen? Welche Muster 43 Gesetz zur Regelung des Zugangs zu Informationen des Bundes v. 5. 9. 2005, BGBl. I S. 2722. 44 Mit Ausnahme von Baden-Württemberg, Bayern, Hessen, Niedersachsen und Sachsen gibt es mittlerweile in allen Bundesländern entsprechende Gesetze. 45 Einführend zum Informationsfreiheitsrecht in Deutschland vgl. z. B. Dieter Kugelmann, Das Informationsfreiheitsgesetz des Bundes, NJW 2005, S. 3609 – 3613; rechtsvergleichend Tobias Bräutigam, Das deutsche Informationsfreiheitsgesetz aus rechtsvergleichender Sicht, DVBl. 2006, S. 950 – 957. 46 Karl-Peter Sommermann, Prinzipien des Verwaltungsrechts, in: Armin von Bogdandy/ Peter M. Huber (Hrsg.), Handbuch Ius Publicum Europaeum, Bd. V, Heidelberg 2014, S. 863 – 892, Rn. 19. Als wesentliches Element der Transparenz der öffentlichen Verwaltung wird der Informationszugang in mittlerweile in nahezu allen europäischen Staaten gewährleistet, vgl. die Nachweise ebd., Rn. 40 (Fn. 126).
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(patterns) ergeben sich bei der Umsetzung durch die jeweiligen Staaten? Richtlinienübergreifende Untersuchungen zur Umsetzung in den verschiedenen Mitgliedstaaten werden zeigen, inwieweit sich verallgemeinerbare Antworten auf diese Fragen finden lassen.
Wettbewerb der Staaten als treibende Kraft der Verwaltungsmodernisierung
Die Modernisierung der öffentlichen Verwaltung als Standortfaktor* Veith Mehde
I. Die Begriffe Mit dem Standort eines Unternehmens ist der konkrete Ort angesprochen, an dem dieses tatsächlich angesiedelt ist. Dieser damit eigentlich sehr nüchterne Begriff wird dadurch ein schillernder, dass er in einem ganz spezifischen Kontext Anlass für vielfältige Assoziationen gibt.1 In der Regel ist mit dem Hinweis auf die Notwendigkeiten des „Standorts“ nämlich die Fähigkeit der jeweiligen Gebietskörperschaft in Bezug genommen, private Investitionen anzuziehen und wirtschaftliche Betätigung zu ermöglichen. Hintergrund ist die Tatsache, dass Unternehmen und Investoren relativ problemlos die Orte aussuchen können, an denen sie ihre entsprechenden Aktivitäten entfalten wollen. Bei einer negativen Analyse hinsichtlich der Standortbedingungen kann auch ein bereits an dem jeweiligen Ort bestehendes Unternehmen verlagert werden. Es geht also um den Erhalt eines bestimmten Unternehmens an einem bestimmten Ort, dessen Gewinn bzw. umgekehrt, im Falle der Abwanderung, dessen Verlust.2 Die verschiedenen Staaten werden so zu „Anbietern“ auf einem Markt.3 Eine Unternehmensansiedlung kann als Ausdruck erfolgreicher Politik angesehen werden. Sie verbessert im idealen Fall auch die Handlungsfähigkeit des Staates, indem mehr finanzielle Mittel zur Verfügung stehen – sei es durch höhere Steuereinnahmen, sei es wegen geringerer Sozialausgaben infolge eines höheren Beschäftigungsstands.4 Schon deswegen besteht in dieser Hinsicht ein intensiver Wettbewerb zwi-
* Der Text ist auch erschienen in: Verwaltung und Management 2016, S. 297. 1 Zur Operationalisierung in den Wirtschaftswissenschaften Bernd Schnurrenberger, Standortwahl und Standortmarketing – Beeinflussung der Standortwahl internationaler Unternehmen durch professionelles Standortmarketing der Regionen, Berlin 2000, S. 18 ff. 2 Zu den Arten von Standortentscheidungen siehe Josiane Meier, Standortfaktoren im Wandel? Erkenntnisse aus der Forschung zu Standortfaktoren und Standortwahl von Unternehmen, Difu-Impulse Bd. 1/2011, S. 15 ff. 3 Vgl. dazu Stefan Korte, Standortfaktor Öffentliches Recht, Baden-Baden 2016, S. 48 ff (58 ff.). 4 Differenzierend zum „Motivator“ ebd., S. 58 ff.
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schen Staaten oder auch: zwischen den Regierungen derselben.5 Seitens der politischen Entscheidungsträger dürfte die Notwendigkeit, den Standort attraktiv erscheinen zu lassen, allerdings in vielen Fällen als eine Einschränkung von Souveränität wahrgenommen werden.6 An den damit verbundenen Implikationen gibt es auch deshalb Kritik, weil der Eindruck entstehen kann, bestimmte Interessen – nämlich derjenigen, die über entsprechende Mittel für Investitionen verfügen – würden gegenüber anderen bevorzugt. Hintergrund dessen ist die Tatsache, dass die Möglichkeit zur Mobilität, dem „forum shopping“, natürlich höchst unterschiedlich ist: Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer haben regelmäßig nicht die Möglichkeit, sich in gleicher Weise wie Unternehmen ein für sie als attraktiv erscheinendes Umfeld zu suchen.7 Als Bestätigung für die Wahrnehmung eines solchen Ungleichgewichts wird es sicher empfunden werden, wenn in der Diskussion vom „Wirtschaftsstandort“ gesprochen wird, womit die Begünstigten der jeweiligen Reformen in den Fokus rücken. Trotz der genannten Bedenken ist die Nützlichkeit für den „Standort Deutschland“ spätestens seit den 1990er Jahren ein wichtiger Teil der rechtspolitischen Diskussion über das deutsche Verwaltungsrecht und seine Anwendung durch Behörden und Gerichte.8 Praktisch alle Vorhaben, mit denen die Verwaltung sich auf die Bedürfnisse von Bürgerinnen und Bürgern oder von Unternehmen einlässt, können unter diesem Gesichtspunkt betrachtet werden. Auch für Verwaltungsreformmodelle wird mit dem Hinweis auf ihre Nützlichkeit für die Standortqualität geworben.9 Auf diese Weise erscheinen die regelmäßig zur Durchführung der Reformen erforderlichen Finanzmittel als Investitionen, die möglicherweise auch in dem Sinne als lohnend angesehen werden können, dass sie weitere Einnahmen und wirtschaftliche Dynamik auslösen. Demgegenüber bestehen gegen eine „Modernisierung“ als solche regelmäßig keine vergleichbaren Bedenken. Wohl aber gibt es Diskussionen über die Frage, ob das, was als modern bezeichnet wird, bei nüchterner Betrachtung auch überzeugend ist. Die unter Hinweis auf ihre Modernität eingeführten Instrumente sind deswegen nicht wert- oder interessenneutral. Auch hat es in der Geschichte von Verwaltungsrecht und Verwaltungswissenschaft höchst unterschiedliche „Moden“ gegeben, die zur Einführung jeweils sehr verschiedener Instrumente geführt haben.10 Insofern besteht die reale Gefahr, dass etwas in einer bestimmten historischen Situation als modern Erscheinendes schon relativ kurze Zeit danach als 5
Vgl. dazu Veith Mehde, Wettbewerb zwischen Staaten, Baden-Baden 2005. Vgl. ebd., S. 76 f. 7 Ebd.; dort auf S. 78 f. allerdings auch zu eher positiven Wahrnehmungen des zwischenstaatlichen Wettbewerbs. 8 Vgl. Hans-Günther Vieweg, Die öffentliche Verwaltung als Standortfaktor, ifo Schnelldienst 7/1997, S. 18 ff. 9 Vgl. Veith Mehde, Neues Steuerungsmodell und Demokratieprinzip, Berlin 2000, S. 83 f. 10 Zur Geschichte vgl. Veith Mehde, Die Entwicklung von Verwaltungswissenschaft und Verwaltungsreform in den letzten fünf Jahrzehnten, in: Jan Ziekow (Hrsg.), Entwicklungslinien der Verwaltungspolitik, Baden-Baden 2007, S. 25 ff. 6
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überholt oder jedenfalls nicht in gleicher Weise zukunftsträchtig erscheint. Dass es stets etwas Neues gibt, das gerade als modern erscheint, hat viele Ursachen, wozu auch die Tatsache zählen könnte, dass es auch für moderne Instrumente mittlerweile einen Markt mit einem entsprechenden Angebot gibt. Die Nachfrage nach darauf bezogenen Beratungsleistungen oder auch geeigneten technischen Instrumenten ist wiederum ganz wesentlich davon abhängig, dass sich die Entscheidungsträger bestimmte Vorteile von der Implementation moderner Instrumente versprechen.11
II. Die (möglichen) Kausalitäten Die Qualität des Handelns staatlicher Institutionen hat Einfluss auf die wirtschaftliche Entwicklung. Wenn das Sprichwort stimmt, dass die Wirtschaft zu 50 % Psychologie ist,12 dann muss man sogar davon ausgehen, dass dies nicht nur für die tatsächliche, sondern schon für die wahrgenommene Qualität gilt.13 Mit Reformen kann wohl auch das Klima – sei es das Investitions- oder das Konsumklima – verbessert werden.14 Da der Begriff „Modernisierung“ uneingeschränkt positiv besetzt ist, kann sich möglicherweise schon die Tatsache, dass entsprechende Reformen durchgeführt werden, positiv auf den Standort auswirken. Auf Dauer dürften allerdings nur die tatsächlichen Wirkungen von Modernisierungsbemühungen zählen. Nicht alles, was als „modern“ gilt, führt im Ergebnis auch zu einer Verbesserung des Klimas für Investitionen und wirtschaftliche Betätigung. Stellt sich bei näherer Betrachtung heraus, dass die als Modernisierung angekündigten Veränderungen in Wirklichkeit zu Verschlechterungen geführt haben, so kann dies auch den gegenteiligen Effekt haben. Die Wahrnehmung der Öffentlichkeit wie auch der hier angesprochenen „umworbenen“ Akteure kann auch in die Richtung umschlagen, dass dem Rechts- und Verwaltungssystem „Unreformierbarkeit“ attestiert wird, womit womöglich für einen sehr viel längeren Zeitraum Schaden angerichtet wird, als wenn man die entsprechenden Reformen gar nicht erst angestrebt hätte. 11
Zu den „Motivatoren“ noch einmal Korte (Fn. 3). Die Internet-Recherche führt zu unterschiedlichen Quellenangaben. Das Zitat wird teilweise dem „Vater des Wirtschaftswunders“, Ludwig Erhard, oder dem früheren Sprecher des Vorstands der Deutschen Bank, Alfred Herrhausen, zugeschrieben. Es ist aber inzwischen gewissermaßen in den allgemeinen Sprachgebrauch übergegangen. 13 Vgl. dazu die Aussage von André Göbel, Kommunalverwaltung und Wirtschaftsförderung als Standortfaktor für Unternehmen, Münster 2013, S. 234: „Im Vergleich der jeweiligen Standortakteure bewerten die Verwaltungsbeschäftigten als die Erbringer der jeweiligen Verwaltungsleistungen den eigenen Service der Stadtverwaltung besser als die Unternehmen in ihrer Rolle als Leistungsbezieher.“ 14 In der Studie von Thomas Salmen, Standortwahl der Unternehmen – Ein Überblick über empirische Gründe, Prozesse und Kriterien der unternehmerischen Entscheidungsfindung, Marburg 2001, S. 58 f. werden als Standortfaktoren „Unternehmensfreundlichkeit der kommunalen Verwaltung“ sowie „Wirtschaftspolitisches Klima im Bundesland“ abgefragt. Beide Elemente schaffen es unter die ersten zehn von insgesamt 28 abgefragten Standortfaktoren. 12
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Von den drei Staatsgewalten ist die Exekutive und dabei speziell die Verwaltung jene, mit der Bürgerinnen und Bürger, aber auch Unternehmen, am ehesten direkt in Kontakt treten. Bei einer Vielzahl wirtschaftsrelevanter Entscheidungen muss eine direkte Abstimmung mit der Verwaltung erfolgen, so dass diese unmittelbaren Einfluss nimmt. Insofern steht bei der Diskussion über die einschlägigen Standortfaktoren automatisch die Verwaltung im Zentrum der Überlegungen.15 Allerdings ist auch offensichtlich, dass die Spielräume der Verwaltung begrenzt sind. Gerade die als besonders einschneidend empfundenen Kosten, die durch einen Vollzugsaufwand des Gesetzes entstehen, ergeben sich in vielen Fällen direkt aus dem Gesetz, so dass es gar keine dazwischen geschaltete Tätigkeit der Verwaltungen gibt. Die entsprechenden Kostentreiber müssen also im Gesetzgebungsverfahren ausgewiesen und im besten Fall ihr Wirksamwerden verhindert werden. Das gilt etwa für die in Gesetzen vorgesehenen Informationspflichten, die als „bürokratisch“ empfunden werden, weil sie keine positiven Wirkungen für die Produktion des jeweiligen Unternehmens haben, aber dennoch Personalkosten verursachen. Auf Bundesebene wurde zu diesem Zweck ein unabhängig arbeitender Normenkontrollrat eingerichtet. Gemäß § 1 Abs. 2 des Gesetzes zu seiner Einsetzung16 hat „er die Aufgabe, die Bundesregierung bei der Umsetzung ihrer Maßnahmen auf den Gebieten des Bürokratieabbaus und der besseren Rechtssetzung zu unterstützen“.17 „Er prüft insbesondere die Darstellung des Erfüllungsaufwandes neuer Regelungen für Bürger, Wirtschaft und öffentliche Verwaltung auf ihre Nachvollziehbarkeit und Methodengerechtigkeit sowie die Darstellung der sonstigen Kosten der Wirtschaft, insbesondere für die mittelständischen Unternehmen“ (§ 1 Abs. 3). Im Kern verweist die Standortdebatte auf eine betriebswirtschaftliche Frage,18 die aus Anlass einer konkreten unternehmerischen Entscheidung beantwortet werden muss, und zwar konkret welche Auswirkungen eine bestimmte Qualität von Verwaltungsleistungen auf die künftige wirtschaftliche Betätigung hat. Belastbare Zahlen lassen sich dafür kaum finden. Einen Eindruck von der Bedeutung des Gesichtspunkts vermitteln empirische Forschungen.19 Allerdings kann in diesem Kontext na15
In der Studie von Markus Pieper, Das interregionale Standortwahlverhalten der Industrie in Deutschland – Konsequenzen für das kommunale Standortmarketing, Göttingen 1994, S. 89 kommt nach einer schriftlichen Befragung zu insgesamt 36 Standortfaktoren die „Arbeitsweise der Behörden vor Ort“ auf Platz 8; vgl. auch Torsten Steinrücken, Wirtschaftsförderung und Standortpolitik – Eine Einführung in die Ökonomik unternehmensorientierter Wirtschaftspolitik, Norderstedt/Erfurt 2013, S. 64; siehe auch die Darstellung von Hermann Hill, Öffentliche Verwaltung als Standortfaktor, in: Peter Bußjäger (Hrsg.), Moderner Staat und innovative Verwaltung, Wien 2003, S. 1. 16 Vom 14. 8. 2006, BGBl. I S. 1866 ff., geändert durch Gesetz vom 16. 3. 2011, BGBl. I S. 420. 17 Zum Prüfungsumfang des Normenkontrollrats vgl. Margrit Seckelmann, Neue Aufgaben für den Nationalen Normenkontrollrat – Perspektiven für die Folgenabschätzung von Gesetzen?, ZRP 2010, S. 213 ff. 18 Vieweg (Fn. 8), S. 18. 19 Vgl. etwa Salmen (Fn. 14), S. 54 ff.
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türlich immer nur eine Selbsteinschätzung abgefragt werden, die erheblich von der jeweiligen Konstellation abhängt, in der die Frage gestellt wird.20 Es bleibt aber in jedem Fall die Plausibilitätsüberlegung: Wenn eine – auf welche Maßstäbe man auch abstellen mag – gute Verwaltung nicht unmittelbar oder zwangsläufig zu einer erfolgreichen Wirtschaft in dem betreffenden Land führt, ist umgekehrt sehr eindeutig, dass eine schlecht funktionierende Verwaltung sehr viele negative Effekte gerade auch für die wirtschaftliche Entwicklung nach sich ziehen kann.21 Insofern muss man wohl sagen, dass die Aussage, die Arbeit der Verwaltung sei standortrelevant, nicht die eigentlich bemerkenswerte ist. Begründungsbedürftig wäre es vielmehr, wenn man behaupten wollte, der entsprechende Wirkungszusammenhang bestehe nicht.22
III. Die Qualitätsmaßstäbe Wie schon angesprochen, kann standortrelevant grundsätzlich nur die Qualität der Arbeit der Verwaltung sein, auch wenn die von den Adressaten wahrgenommene – also nicht nur die tatsächliche – Qualität eine Rolle spielen mag. Dies dürfte aber kaum ein dauerhafter Effekt bleiben, wenn die Tatsachen im Ergebnis etwas anderes aussagen. Damit ist aber natürlich die eigentliche Frage noch offen, nämlich die nach der Definition dessen, was als Qualität in diesem Sinne zu verstehen ist.23 Auch hier gilt, dass dies keine vollständig objektiven Kriterien sind. Die Arbeit der Verwaltung ist so komplex, dass sich kaum eine einzelne Eigenschaft derselben als entscheidend darstellen lässt. Insofern kann es nur um unterschiedliche Aspekte gehen, die jeweils möglichst weitgehend verwirklicht sein sollten. In der Diskussion sind verschiedene Facetten von Verwaltungsarbeit bzw. -leistungen identifiziert worden, denen jeweils eine positive Wirkung auf die Standortbedingungen zugeschrieben wird. Die nachfolgende Darstellung ist also im Kern eine empirische und zwar in dem Sinne, dass faktische Anknüpfungspunkte dargestellt werden, welche selbst aber wiederum in aller Regel normativen Charakter haben, weil entsprechende Forderungen erhoben worden bzw. diese in Gesetzesvorhaben eingeflossen sind. Auf einer sehr grundlegenden Ebene sind Rechtssicherheit24 und Rechtsstaatlichkeit wesentliche Erfolgsbedingungen, weil sie für die Sicherung von Eigentumsrechten und den Schutz von Investitionen sorgen. In ihrem Bestseller „Why Nations Fail – The Origins of Power, Prosperity, and Poverty“ analysieren die amerikanischen Professoren Acemoglu und Robinson anhand verschiedener Fallstudien in historischer 20
Zu den unterschiedlichen Charakteristika der Studien siehe Meier (Fn. 2), S. 29 ff. Dazu Göbel (Fn.13), S. 236. 22 Göbel (Fn. 13), S. 143 kommt zu dem Ergebnis, dass „mögliche Unternehmensverlagerungen wegen unzureichender Verwaltungsleistungen eine reale Bedrohung für kommunale Wirtschaftsstandorte“ sind. 23 Vgl. dazu auch Hill (Fn. 15), S. 1 ff. 24 Vgl. dazu die Darstellung bei Vieweg (Fn. 8), S. 21. 21
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Perspektive die Ursachen von Wohlstandsunterschieden.25 Das Kapitel „Why Nations Fail Today“ wird im Inhaltsverzeichnis mit dem Dreiklang zusammengefasst „Institutions, institutions, institutions“.26 Diese werden als ausschlaggebend für den wirtschaftlichen Erfolg angesehen: „Inclusive economic institutions that enforce property rights, create a level playing field, and encourage investments in new technologies and skills are more conducive to economic growth than extractive economic institutions […]. Inclusive economic institutions are […] supported by, and support, inclusive political institutions, that is, those that distribute political power widely in a pluralistic manner and are able to achieve some amount of political centralization so as to establish law and order, the foundations of secure property rights, and an inclusive market economy.“27 Damit ist aber natürlich noch nichts über die konkrete Arbeitsweise der Verwaltung gesagt, sofern sie sich innerhalb eines bestimmten Rahmens bewegt. Insofern geht es um eine Frage, ob sich in einer Konstellation, in der die Gewährleistung der hier angesprochenen Institutionen vorausgesetzt werden kann, zusätzlich Verbesserungen darstellen lassen, die nicht nur die wirtschaftliche Entwicklung ganz allgemein fördern, sondern positive Effekte auf den Standort haben. Sind wirtschaftliche Entscheidungen direkt oder indirekt von Entscheidungen der Verwaltung abhängig, so spielt die Schnelligkeit, mit der diese getroffen werden, eine große Rolle.28 Investitionen, die unter bestimmten Bedingungen angedacht worden sind, können sich unter anderen möglicherweise als nicht durchführbar erweisen.29 Auch wird es in vielen Fällen nicht möglich sein, die jeweiligen Entscheidungen für eine längere Zeit aufzuschieben. Das Wort „unbürokratisch“ wird zwar im Kontext der Verwaltungsmodernisierung vielfach verwendet,30 hat aber keinen präzisen Bedeutungsinhalt. Im Allgemeinen geht es um – empfunden oder tatsächlich – unnötige Hindernisse, die seitens der Gesetzgeber oder der Verwaltungen errichtet werden und dabei die wirtschaftliche Betätigung erschweren. Zu dem Erfüllungsaufwand zählen gemäß § 2 Abs. 2 des Gesetzes mit dem der Nationale Normenkontrollrat eingesetzt wurde31 auch die sogenannten „Bürokratiekosten“. Diese werden in S. 2 der Vorschrift definiert als „solche, die natürlichen oder juristischen Personen durch Informationspflichten entstehen“. Das Statistische Bundesamt veröffentlicht einen „Bürokratiekostenindex“.32 25 Daron Acemoglu/James A. Robinson, Why Nations Fail – The Origins of Power, Prosperity, and Poverty, Croydon 2013. 26 Ebd., S. XI. 27 Ebd., S. 429 f. 28 Vgl. noch einmal Vieweg (Fn. 8), S. 20. 29 Zur unterschiedlichen Bedeutung von Standortfaktoren in Abhängigkeit von der Art der Investitionen vgl. Pieper (Fn. 15), S. 97. 30 Vgl. dazu Veith Mehde, Formelle Einbußen beim Rechtsschutz durch „vereinfachte Verfahren“, AnwBl. 2015, S. 748 (749 f.). 31 Fn. 16. 32 https://www.destatis.de/DE/ZahlenFakten/Indikatoren/Buerokratiekosten/Ergebnisse/Bue rokratiekostenindex/Buerokratiekostenindex.html [22. 9. 2016].
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Das alles kann aber nicht als eine Aufforderung zu einem generellen Verzicht auf Bürokratie im Sinne von Max Weber33 verstanden werden.34 So nachvollziehbar es auch sein mag, sich über bestimmte Auswüchse von „bürokratischen“ Lasten zu ärgern, so gefährlich ist es, den Blick auf die fundamentale Bedeutung der von ihnen beschriebenen Elemente zu vernachlässigen. Insgesamt darf dabei nicht der Eindruck entstehen, die jeweiligen Ansätze ließen sich je für sich verwirklichen, ohne dass es zu Wechselwirkungen mit anderen, ebenfalls standortrelevanten Aspekten käme. Zwar ist das Spannungsfeld nicht zwangsläufig, wohl aber nicht auszuschließen, ja sogar wahrscheinlich.35 Grundsätzlich können alle der genannten Forderungen in unterschiedlichem Umfang verwirklicht werden. Es ist durchaus ein „Mehr“ und ein „Weniger“ an Rechtsstaatlichkeit, an Sicherung von Eigentumsrechten wie auch von „bürokratischen“ Ansätzen denkbar. Man kann sich aber vor dem Hintergrund der geschilderten Definition durchaus vorstellen, dass das Streben nach einer „unbürokratischen“ Herangehensweise jedenfalls ab einem gewissen Punkt Forderungen der Rechtsstaatlichkeit zuwiderläuft. Letztlich handelt es sich um eine banale Erkenntnis, wie sie schon aus der Dogmatik der Grundrechte folgt: Diese können in der Abgrenzung der Rechte unterschiedlicher Rechtssubjekte in ein Spannungsfeld geraten. Auch die Tätigkeit der Verwaltung verfolgt Gemeinwohlziele oder dient den Interessen bestimmter Rechtsträger und muss dabei möglicherweise andere Ziele zurücktreten lassen und bestimmte Rechtsträger belasten. Solche Konfliktlagen begegnen einem auch im Alltag, wo unterschiedliche Wirtschaftszweige durchaus unterschiedliche Interessen haben können.36 Was gut ist für den Tourismusstandort, muss nicht ebenfalls gut sein für den Standort für industrielle Produktionsstätten; wer die Produktionsbedingungen für die Chemieindustrie verbessern möchte, dient damit nicht unbedingt der landwirtschaftlichen Produktion. Schon gar nicht müssen die – einen Investitionsstandort möglicherweise als attraktiv erscheinen lassenden – geringen Arbeitskosten für die von geringen Gehältern lebenden Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer erfreulich sein oder dazu geeignet sein, benötigtes hochqualifiziertes Personal zum Umzug an den betreffenden Ort zu bewegen. Solche und andere Konfliktlagen ziehen wiederum Anforderungen an das rechtsstaatliche Verwaltungs- und Justizhandeln nach sich. Der Rechtsstaat bietet Sicherungen auch für die subjektiven Rechte derjenigen, die sich gegen bestimmte wirtschaftliche Betätigungen wenden.
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Vgl. insbesondere Max Weber, Wirtschaft und Gesellschaft, Lizenzausgabe Neu Isenburg 2005, S. 164 ff. 34 Mehde (Fn. 30), AnwBl. 2015, S. 748. 35 Vgl. Mehde (Fn. 5), S. 92. 36 Zu den branchenspezifischen Unterschieden bei den Präferenzen hinsichtlich der Standortfaktoren vgl. Samen (Fn. 14), S. 61 ff.; siehe auch Pieper (Fn. 15), S. 101 ff.
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IV. Die verwaltungsrechtlichen Instrumente Die Entwicklung hat eine Reihe von unterschiedlichen Ansätzen hervorgebracht, mit denen durch Reformen des Verwaltungsrechts jedenfalls auch eine Verbesserung der Standortbedingungen erzielt werden sollte. Die Regelungsansätze zielen dabei jeweils auf unterschiedliche Qualitätsanforderungen an die Verwaltungsarbeit. 1. Die Beschleunigungsdiskussion Die Zahl der ausdrücklich auf die Beschleunigung von Verfahren zielenden Gesetze ist groß.37 Eine erhebliche Intensivierung dieser Debatte erfolgte in den 1990er Jahren.38 Vor dem Hintergrund des großen Investitionsbedarfs in Ostdeutschland wurde in der Diskussion ein Schwergewicht auf Instrumente gelegt, die die zügige Verwirklichung von großen Infrastrukturvorhaben ermöglichen sollten.39 So ist – unter anderem40 – für investitionsrelevante Vorhaben ein Ausschluss der aufschiebenden Wirkung von Widerspruch und Anfechtungsklage eingeführt worden. Ein Ausdruck dieser Intention ist § 80 Abs. 2 Nr. 3 VwGO. Danach entfällt der Suspensiveffekt „in anderen durch Bundesgesetz oder für Landesrecht durch Landesgesetz vorgeschriebenen Fällen, insbesondere für Widersprüche und Klagen Dritter gegen Verwaltungsakte, die Investitionen oder die Schaffung von Arbeitsplätzen betreffen“. Wie die Formulierung deutlich macht, ist mit dem Hinweis auf Investitionen und Arbeitsplätze keinerlei unmittelbar einschränkende Wirkung verbunden.41 Vielmehr geht es dem Gesetzgeber ganz offensichtlich um ein Bekenntnis zum Vorrang dieser Gesichtspunkte gegenüber wirkungsvollen Rechtsschutzmöglichkeiten Dritter. Es dominiert also die Appellwirkung gegenüber der eigentlichen rechtlichen, der Ausschluss der aufschiebenden Wirkung muss sich aus den konkreten rechtlichen Regelungen ergeben. Von auch praktischer Bedeutung ist die, im Rahmen der Diskussion über die Verbesserung der Infrastruktur in den neuen Bundesländern Anfang der 1990er Jahre ursprünglich zunächst im Spezialgesetz42 aufgenommene Regelung, die sich jetzt in § 50 Abs. 1 Nr. 6 VwGO findet,43 nach der für bestimmte Infrastrukturvorhaben eine erstinstanzliche Zuständigkeit des Bundesverwaltungsge37
Mehde (Fn. 30), AnwBl. 2015, S. 750. Eindrucksvoll die Darstellung bei Vieweg (Fn. 8), S. 20 f. 39 Vgl. zu dieser Diskussion etwa Winfried Brohm, Beschleunigung der Verwaltungsverfahren – Straffung oder konsensuales Verwaltungshandeln?, NVwZ 1991, S. 1025 ff. (mit Alternativvorschlag). 40 Vgl. die Zusammenfassung der Maßnahmen in dem Entwurf des 6. VwGOÄndG vom 6. 3. 1996, BT-Drs. 13/3993, S. 2. 41 Mehde (Fn. 30), AnwBl. 2015, S. 749. 42 § 5 des Gesetzes zur Beschleunigung der Planungen für Verkehrswege in den neuen Ländern sowie im Land Berlin vom 16. 12. 1991, BGBl. I S. 2174. 43 Eingefügt durch Art. 9 des Gesetzes zur Beschleunigung von Planungsverfahren für Infrastrukturvorhaben vom 9. 12. 2006, BGBl. I S. 2833 (2851 f.). 38
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richts vorgesehen ist.44 Auch können Fehler im Verwaltungsverfahren in größerem Umfang als bis dahin geheilt oder als unbeachtlich angesehen werden.45 § 45 VwVfG gibt die Möglichkeit, bis in das verwaltungsgerichtliche Verfahren hinein Verfahrensschritte, die versäumt wurden, nachzuholen. In § 46 VwVfG findet sich die Wertung, dass Verfahrensfehler allein nicht mehr ausreichend sein sollen, um Verwaltungsakte zu beseitigen. Es handelt sich um eine ganz wesentliche Entwertung des Verfahrens im Interesse der materiellen Wirkung von Verwaltungsentscheidungen. Inwieweit diese Mechanismen auch tatsächlich eine Beschleunigung bewirken, lässt sich allerdings kaum belastbar bestimmen. Auch handelt es sich um einen der schon abstrakt angesprochenen Fälle, bei dem ein standortrelevanter Gesichtspunkt – die Beschleunigung – als vorrangig bewertet wird, so dass ein anderer Gesichtspunkt – das Verfahren – zurücktreten muss, obwohl ihm im Allgemeinen eine wichtige rechtsstaatliche und damit jedenfalls grundsätzlich auch standortrelevante Funktion zugeschrieben wird. 2. Abkehr vom präventiven Verbot mit Erlaubnisvorbehalt Unter dem Gesichtspunkt der „Entbürokratisierung“ sind ganz unterschiedliche Regelungsansätze verfolgt worden.46 Ein Ansatzpunkt ist der Abbau von Genehmigungserfordernissen.47 Die Überwachung der regulierten Tätigkeiten erfolgt dann nicht mehr durch präventive Verbote mit Erlaubnisvorbehalt, sondern durch eine ex-post-Überwachung. Auch hier dominieren Überlegungen zur Beschleunigung von Bauvorhaben. So können nach dem einschlägigen Bauordnungsrecht etwa Gebäude bis zu einer bestimmten Größe ohne vorherige Genehmigung gebaut werden, im Gaststättenrecht haben einige Länder die durch die Föderalismusreform I gewonnene Gesetzgebungskompetenz für eine Abkehr vom präventiven Verbot mit Erlaubnisvorbehalt genutzt.48 Dass trotz der Beschleunigungs- und Standortdebatte dieses Instrument nicht häufiger abgeschafft worden ist, könnte ein Hinweis darauf sein, dass die Wirkungen durchaus unterschiedlich eingeschätzt werden. In der Tat ist mit der Abschaffung als solcher jedenfalls nicht zwangsläufig auch etwas gewonnen. Entscheidend dürfte vielmehr sein, wie die ex-post-Überwachung genau ausgestaltet ist. Droht bei Fehlern etwa der Abriss eines Gebäudes, so liegt auf der Hand, dass dies einer Investitionsentscheidung nicht unbedingt förderlich ist.49 In diesem Fall spricht viel dafür, dass wegen der insofern gleichgerichteten Interessenlage auf Seiten der 44 Zur Beschleunigungswirkung vgl. die Begründung zum Entwurf des Gesetzes (Fn. 43), BT-Dr. 16/54, S. 27 f. 45 Vgl. dazu den Entwurf eines Gesetzes zur Beschleunigung von Genehmigungsverfahren vom 6. 3. 1996, BT-Drs. 13/3995, S. 1 f. 46 Vgl. dazu Mehde (Fn. 30), AnwBl. 2015, S. 749 f. 47 Dazu ebd., S. 750 f. 48 Ebd., S. 748. 49 Vgl. ebd., S. 752.
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Verwaltung einerseits, der Adressaten der Verwaltungsleistungen andererseits informelle Verfahren im Vorfeld die Vorab-Kontrolle der Verwaltung gewährleisten dürften. 3. Sonderfall Dienstleistungsrichtlinie Die europäische Dienstleistungsrichtlinie hat in beispielhafter Weise verwaltungsrechtliche Instrumente hervorgebracht, welche die Möglichkeiten von wirtschaftlichen Aktivitäten verbessern sollen. Schließlich stand am Anfang die Überlegung, dass Dienstleister nicht in so großem Umfang in anderen EU-Mitgliedstaaten tätig werden, wie dies in Anbetracht des Erfolgs der übrigen Grundfreiheiten vermutet werden könnte: Offenbar gab es eine Reihe von Mechanismen, die eine Nutzung der rechtlich eindeutig garantierten Dienstleistungsfreiheit faktisch nachhaltig erschwerten.50 Wenn man so will, dient die Dienstleistungsrichtlinie der Beseitigung von Hindernissen, um die jeweiligen Mitgliedstaaten als Standort für ausländische Dienstleister attraktiv erscheinen zu lassen. Dass es eines solchen Regelungsansatzes überhaupt bedurfte, mag wohl auf die Tatsache zurückzuführen sein, dass das Interesse, ausländische Dienstleister anzuziehen, im Allgemeinen deutlich geringer ausfällt als dies mit Blick auf ausländische Direktinvestitionen bzw. Arbeitsplätze der Fall sein dürfte. Jedenfalls schien die Interessenlage nicht primär darauf ausgerichtet gewesen zu sein, den heimischen Dienstleistern eine entsprechende Konkurrenz aus dem Ausland zuzumuten, obwohl natürlich genau diese Konkurrenz das zwangsläufige Ergebnis der effektiv gelebten Dienstleistungsfreiheit ist. Es handelt sich gewissermaßen um den Sonderfall einer Verbesserung der Standortattraktivität wider Willen. Die zentralen Instrumente, die die Dienstleistungsrichtlinie vorsieht, sind in das VwVfG eingefügt worden. Es handelt sich nicht um Sonderrecht.51 Vielmehr kann grundsätzlich jedes Gesetz eine Anwendung der entsprechenden Mechanismen anweisen. Ausgangspunkt ist dabei das Verfahren über eine einheitliche Stelle. Im Prinzip handelt es sich um einen Anspruch auf Leistung durch einen „one-stop-shop“.52 Die Ausübung der Dienstleistungsfreiheit darf auch nicht faktisch dadurch hintertrieben werden, dass von Personen, die sie nutzen wollen, ein mühsames Einholen immer neuer Genehmigungen bei unterschiedlichen Behörden verlangt wird. Damit ist aber nur das Außenverhältnis angesprochen. Im Innenverhältnis bleiben die bisherigen Strukturen weiterhin am Platz, auch wenn ein weiteres wichtiges Element in diesem Kontext die elektronische Verfahrensabwicklung ist. Hervorzuheben 50 Vgl. dazu insbesondere Erwägungsgründe 3 bis 7 der Richtlinie 2006/123/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 12. 12. 2006 über Dienstleistungen im Binnenmarkt, ABl. 2006 L 376/36. 51 Vgl. Mehde (Fn. 30), S. 748. 52 Veith Mehde, Europäische Amtshilfe, in: Stefan Fenzel/Winfried Kluth/Klaus Rennert (Hrsg.), Neue Entwicklungen im Verwaltungsverfahrens- und -prozessrecht im Jahr 2010, Halle an der Saale 2010, S. 47 (51).
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ist noch ein Aspekt, der – vor dem Hintergrund der möglichen Verzögerung des rechtzeitigen Starts einer Tätigkeit – ebenfalls auf die Beschleunigung zielt, nämlich die bei Nichthandeln eintretende Genehmigungsfiktion.53 Natürlich geht damit eine besonders wirkungsvolle Beschleunigung einher, wird doch durch die Regel eine zeitliche Grenze für die behördliche Entscheidungsfindung eingezogen. Allerdings ist damit noch nicht gesagt, wie wirksam und vor allem wie unangreifbar die durch Zeitablauf eintretende Genehmigungswirkung tatsächlich ist. Auch hier ist darauf hinzuweisen, dass die Umsetzung der regulatorischen Ansätze nichts über deren tatsächliche Nutzung, also die praktischen Wirkungen, aussagt. Die ersten Erfahrungen scheinen nicht dafür zu sprechen, dass die grenzüberschreitende Erbringung von Dienstleistungen soweit zugenommen hat, wie man dies nach manchen Diskussionen im Vorfeld der Umsetzung vielleicht erwartet hätte. 4. Ergebnis zu den Instrumenten Man kann durchaus die Frage stellen, ob die Bezeichnung als „Modernisierung“ bei allen diesen Neuregelungen ihre Berechtigung hat. Anzunehmen ist wohl, dass die Instrumente aus dem Kontext der Dienstleistungsrichtlinie eher für sich in Anspruch nehmen können, zukunftsfähige Regelungsansätze für eine der Standortqualität dienende Ausrichtung der Verwaltung zu schaffen. Insbesondere erscheint es vor diesem Hintergrund als überzeugend, die Verwaltung in die Pflicht zu nehmen, anstatt deren Fehler für heilbar oder unbeachtlich zu erklären. Größere Zweifel kann man bei der Entwertung des Verfahrens und in den Fällen haben, in denen das präventive Verbot mit Erlaubnisvorbehalt abgeschafft worden ist: Ob die Auswirkungen eines Verlusts an Rechtssicherheit und Partizipationsmöglichkeiten und damit möglicherweise auch der Qualität von Verwaltungsentscheidungen weniger gravierend für die Investitionsneigung sind als eine Verzögerung bei der Genehmigung, lässt sich kaum allgemein beantworten.54
V. Die verwaltungswissenschaftlichen Modernisierungsansätze Neben den verwaltungsrechtlichen gibt es auch zahlreiche verwaltungswissenschaftliche Modernisierungsansätze, die im Zusammenhang mit einer Verbesserung der Standortbedingungen diskutiert worden sind.55 Viele von ihnen sind natürlich auch in rechtliche Formen gegossen worden, im Kern geht es hier aber um Ansätze, die nicht auf eine Veränderung des rechtlichen Rahmens, also auch nicht auf die
53 Vgl. dazu Winfried Kluth, Die Genehmigungsfiktion des § 42a VwVfG – verfahrensrechtliche und prozessuale Probleme, in: Fenzel/Kluth/Rennert (Fn. 52), S. 61 ff. 54 Vgl. auch Mehde (Fn. 30), AnwBl. 2015, S. 752. 55 Vgl. dazu zusammenfassend Hill (Fn. 15), S. 1 ff.
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Schaffung oder Veränderung von rechtsförmig durchsetzbaren Rechtspositionen zielen, sondern die Arbeitsweise der Verwaltung selbst verändern wollen. Die „Erfindung“ der Verwaltung als Standortfaktor fällt auch mit dem Aufkommen des Neuen Steuerungsmodells – der deutschen Version des New Public Managements – zusammen.56 Eine wesentliche Motivation war in dem Versprechen begründet, durch die Reform der Binnenstrukturen die Voraussetzungen für eine wirksame Haushaltskonsolidierung zu schaffen.57 Auch wenn die Standortdiskussion vor dem Hintergrund der geschilderten Probleme des Investitionsstaus in Ostdeutschland eher noch die Beschleunigung zum Thema machte, war der argumentative Zusammenhang schnell hergestellt.58 Wenn man so will, sind die Haushaltskonsolidierung durch Verwaltungsreformen und die ebenfalls durch solche Reformen angestrebte Standortsicherung zwei Seiten derselben Medaille. Während das Neue Steuerungsmodell durch bestimmte Instrumente in erster Linie einen effizienten Mitteleinsatz anstrebt und damit letztlich auf der Ausgabenseite ansetzt, wird mit Hilfe eines attraktiven Standorts tendenziell für höhere Einnahmen gesorgt, da steuerzahlende Unternehmen einen Anreiz für die Begründung von Unternehmenssitzen erfahren. Das Argument lässt sich aber natürlich auch in die andere Richtung wenden, wenn man nicht an die Steuereinnahmen anknüpft, sondern an die Schaffung von Arbeitsplätzen. Mit sinkender Arbeitslosigkeit sind auch niedrigere Sozialausgaben verbunden. Die hinter diesen Kausalitätsvorstellungen stehende Argumentation greift also grundsätzlich für jede Art der Verbesserung von Verwaltungsleistungen, die direkt und indirekt die Bürgerinnen und Bürger sowie Unternehmen betreffen. In diesem Kontext ist zunächst der Gedanke der Leistung aus einer Hand zu nennen: Ein einzelner Ansprechpartner hilft beim Einholen sämtlicher erforderlicher Genehmigungen.59 Eine wichtige Unterstützung kann durch die Strukturierung von Verwaltungsleistungen nach Lebenslagen (Bürgerinnen und Bürger) und Bedarfslagen (Unternehmen) erfolgen.60 Damit lässt sich die Verwaltung auf die konkreten Bedürfnisse von den Adressaten ihrer Leistungen ein und vereinfacht somit den Umgang mit ihr. Möglicherweise wird durch diese alternative Strukturierung auch eine Vereinfachung bestimmter Abläufe erreicht. Zu den zentralen Elementen gehören der elektronische Zugang und die elektronische Durchführung von Verwaltungsverfahren. Hier bestehen ganz offensichtlich 56 Vgl. Hill (Fn. 15), S. 3; zum „Wettbewerb als Element der Verwaltungsreform“ siehe Andreas Musil, Wettbewerb in der staatlichen Verwaltung, Tübingen 2005, S. 27 ff.; vgl. auch Mehde (Fn. 5), S. 54 ff. 57 Mehde (Fn. 9), S. 84. 58 Vgl. ebd., S. 83 f. 59 Vgl. in diesem Kontext etwa zur Rolle der kommunalen Wirtschaftsförderung: Richard Regel/Walter Rogg, Kommunale Wirtschaftsförderung – Standortdialog und Standortentwicklung in Kommunen und Regionen, Sternenfels 2003, S. 65 ff. 60 In diesem Sinne etwa die Begründung der Bundesregierung zum Entwurf eines Gesetzes zur Förderung der elektronischen Verwaltung sowie zur Änderung weiterer Vorschriften, BTDrs. 17/11473, S. 2.
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noch viele ungenutzte Potenziale. Neben vielen Projekten, die für sich genommen für einzelne Fragen erhebliche Fortschritte bringen können, gibt es Ansätze, Vorhaben zu bündeln und die Strukturen des E-Governments in Deutschland insgesamt zu verbessern. Schon im Rahmen der Föderalismusreform II im Jahr 2009 wurden die verfassungsrechtlichen Grundlagen geschaffen, um gemeinsame Standards zu entwickeln. Art. 91c GG gibt die Möglichkeit, im Rahmen des IT-Planungsrats, in dem Bund und Länder gleichermaßen vertreten sind, solche Standards verbindlich zu setzen, ohne dass dabei die ansonsten die gemeinsamen Gremien prägende Einstimmigkeit erzielt werden müsste. Durch das E-Government-Gesetz (EGovG)61 wurde eine Reihe von praktischen Hindernissen für die elektronische Verwaltung und für die Kommunikation mit der Verwaltung beseitigt.62 So wurde zum Beispiel das Schriftformerfordernis erheblich zurückgefahren und auf diese Weise die Möglichkeiten der elektronischen Kommunikation verbessert.63 Dies ist auch ein wesentlicher Aspekt mit Blick auf die angestrebte Vermeidung von Medienbrüchen, die als ineffizient identifiziert worden sind.64 Dazu gehören zudem die Verpflichtung auf das Führen einer elektronischen Akte und Qualitätsstandards für die Übertragung schriftlicher in elektronische Dokumente.65 Hinzu kommt zum Beispiel eine Verpflichtung von Behörden zur Information der Öffentlichkeit (§ 3 EGovG). Insofern kann man sich Effizienzgewinne für die Verwaltungsarbeit versprechen, hat gleichzeitig aber auch die Möglichkeiten für Unternehmen verbessert, die mit der Verwaltung medienbruchfrei kommunizieren wollen.66
VI. Fazit Die Ungenauigkeit, die dem Standort-Topos zu eigen ist, muss auch für die Frage der Modernisierung und was darunter zu fassen ist, diagnostiziert werden. Insofern 61
Art. 1 des Gesetzes vom 25. 7. 2013, BGBl. I S. 2749. Vgl. dazu Christoph Habammer/Wolfgang Denkhaus, Das E-Government-Gesetz des Bundes – Inhalt und erste Bewertung – Gelungener Rechtsrahmen für elektronische Verwaltung?, MMR 2013, S. 358 ff.; Lorenz Prell, Das E-Government-Gesetz des Bundes – Revolution der elektronischen Verwaltung bei der Schriftformersetzung?, NVwZ 2013, S. 1514 ff.; Ulrich Ramsauer/Tobias Frische, Das E-Government-Gesetz, NVwZ 2013, S. 1505 ff.; Alexander Roßnagel, Auf dem Weg zur elektronischen Verwaltung – Das E-Government-Gesetz, NJW 2013, S. 2710 ff. 63 Vgl. BT-Drs. 17/11473 (Fn. 60), S. 2; siehe als einen Ansatzpunkt § 13 S. 2 EGovG: „Ist durch Rechtsvorschrift die Verwendung eines bestimmten Formulars vorgeschrieben, das ein Unterschriftsfeld vorsieht, wird allein dadurch nicht die Anordnung der Schriftform bewirkt. Bei einer für die elektronische Versendung an die Behörde bestimmten Fassung des Formulars entfällt das Unterschriftsfeld.“ 64 Vgl. Ramsauer/Frische (Fn. 62), S. 1505 f. 65 Vgl. dazu VG Wiesbaden, NVwZ 2014, S. 2060 f. 66 Für Roßnagel (Fn. 62), S. 2716 ist das Gesetz „ein großer Schritt für den dringend notwendigen Umbau der Verwaltung zu einer elektronisch gestützten Dienstleistungsverwaltung“. 62
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ist es nicht überraschend, dass auch hinsichtlich der Verbindung zwischen den beiden viele Fragezeichen bleiben. Nicht zweifelhaft ist die Tatsache, dass die positiven Auswirkungen auf den Standort auch als ein Argument für die Durchführung bestimmter Reformen verwendet werden. Letztlich handelt es sich um die – allerdings auch allenfalls vage – Hoffnung, dass sich damit verbundene Investitionen lohnen mögen – lohnen bei der Schaffung von Arbeitsplätzen und der Generierung von Steuereinnahmen. Sollte dieser Zusammenhang dazu führen, dass die Modernisierung der Verwaltung als im Eigeninteresse der jeweiligen Staaten angesehen wird, kann man dagegen kaum grundsätzlich argumentieren. Wohl aber sollte man sich vor Einseitigkeiten schützen und eine nüchterne Debatte über die zur Verfügung stehenden standortrelevanten Modernisierungsansätze führen.
La modernizzazione dell’amministrazione come fattore di sviluppo Il ruolo della concorrenza internazionale Luca De Lucia
I. Introduzione Quello della modernizzazione dell’amministrazione è ormai un tema fondamentale in tutti i Paesi europei1 e, per citare Andreas Voßkuhle, rappresenta un compito “politico di lunga durata”.2 In Italia, ad esempio, riforme in questo campo sono in cantiere da oltre cinque decenni3 e proprio in questi mesi è in corso un complesso e ambizioso processo legislativo che interessa ambiti essenziali dell’assetto organizzativo e operativo del sistema amministrativo.4 Nel discorso pubblico la modernizzazione amministrativa è spesso accostata alla competitività del sistema-Paese, ma occorrerebbe verificare se, e in che modo, la concorrenza internazionale svolga effettivamente un ruolo. Il presente scritto contiene alcune sintetiche riflessioni sull’argomento con riferimento prevalente alla realtà italiana. Tuttavia, la questione presenta alcune difficoltà non secondarie: ad esempio, spesso non si comprende quali siano le entità che dovrebbero competere tra loro (gli Stati, le singole organizzazioni pubbliche, le singole collettività locali o funzionali); inoltre, il termine concorrenza non è univoco, ma risponde a significati piuttosto diversi.5 Prima di affrontare l’argomento, si rendono allora necessarie alcune precisazioni concettuali. 1 Cfr. Giulio Napolitano, Le riforme amministrative in Europa all’inizio del ventunesimo secolo, Rivista trimestrale di diritto pubblico 2015, p. 611 ss. 2 Andreas Voßkuhle, Neue Verwaltungsrechtswissenschaft, in: Wolfgang Hofmann-Riem/ Eberhard Schmidt-Aßmann/Andreas Voßkuhle (a cura di), Grundlagen des Verwaltungsrechts, 2. ed., München 2012, § 1, Rn. 12 ss. 3 Cfr. es. Guido Melis, Storia dell’amministrazione italiana, Bologna 1996, spec. p. 384 ss.; Id., La burocrazia, 3. ed., Bologna 2015. 4 Si vedano, tra gli altri, Mario Savino, Le riforme amministrative: la parabola della modernizzazione dello Stato, Rivista trimestrale di diritto pubblico 2015, p. 641 ss., nonché gli scritti raccolti in Giornale di diritto amministrativo n. 5/2016. 5 Ciò è dimostrato, ad esempio, dalla discussione della Vereinigung der Deutschen Staatsrechtslehrer del 2009, che ha messo in luce le numerose difficoltà a impostare in modo chiaro e univoco il problema: cfr. Anna Peters, Thomas Giegerich, e altri, Gemeinwohl durch Wett-
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In primo luogo, la concorrenza tra amministrazioni deve essere distinta da quella tra ordinamenti giuridici o tra Stati (nell’arena globale o europea). Sebbene si tratti di fenomeni che presentano alcuni caratteri comuni, la seconda è notevolmente più ampia della prima perché può coinvolgere ad esempio la politica legislativa degli Stati (es. la legislazione tributaria in materia di imprese), così come la loro funzione giudiziaria. Certamente, come dimostrano i benchmarks e gli indicatori elaborati da soggetti internazionali, anche la qualità delle prestazioni pubbliche rappresenta uno degli elementi della concorrenza tra ordinamenti giuridici; ma, come si vedrà, ciò non comporta necessariamente l’esistenza di una competizione diretta tra singole organizzazioni pubbliche. In secondo luogo, va chiarito che l’espressione “concorrenza tra amministrazioni” può avere almeno tre significati: a) rivalità tra due o più soggetti o attori: es. rivalità tra le città di Pisa e di Livorno o tra due ministeri cui sono attribuite competenze che riguardano i medesimi ambiti materiali. Si tratta evidentemente di un significato molto generico che, in un’ottica giuridica, ha una capacità euristica molto limitata. Di essa perciò non si tratterà nel seguito. b) “Gara, rivalità di sforzi di diverse persone le quali tendono ad un certo scopo che non tutte possono raggiungere in eguale misura”.6 Anche questo significato è generico. Tuttavia, a volte siffatte situazioni competitive sono oggetto di un’analitica regolazione giuridica e assumono la veste di specifici procedimenti amministrativi. Si pensi alle gare d’appalto per la fornitura di lavori, servizi, ecc.7 Questa ipotesi – che può essere denominata concorrenza procedimento – ha grande interesse per lo studioso del diritto e soprattutto può riguardare direttamente il nostro tema. c) La terza accezione ha un’ascendenza economica e indica il processo attraverso il quale domanda e offerta s’incontrano su un mercato; essa si riferisce cioè a una pluralità di soggetti che concorrono nell’offerta di un prodotto, ciascuno cercando di incontrare il massimo favore dei consumatori (a scapito degli altri offerenti). Questo modello concettuale – applicato anche alle relazioni tra ordinamenti giuridici8 – talvolta è stato utilizzato per analizzare la concorrenza bewerb, Berlin 2010, rispettivamente p. 7 ss. e p. 57 ss. Cfr. anche Andrea Zoppini (a cura di), La concorrenza tra ordinamenti giuridici, Roma/Bari 2004. 6 Enciclopedia italiana Treccani online, ad vocem. Cfr. in senso simile Anna Peters, The Competition between Legal Orders, International Law Research 2014, vol. 3/1, nota 9, che richiama la definizione dettata da Merriam-Webster Online: “the act or process of trying to get or win something (such as a prize or a higher level of success) that someone else is also trying to get or win”. 7 In generale, si veda ad esempio Ferdinand Wollenschläger, EU Law Principles for Allocating Scarce Goods and the Emergence of an Allocation Procedure, Review of European Administrative Law 2015/1, p. 205 ss. 8 Tra gli altri, si vedano anche gli autori citati nella precedente nota 5.
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tra amministrazioni pubbliche.9 Dal punto di vista assiologico, alcuni studiosi assumono che la concorrenza tra istituzioni sia sostanzialmente benefica e che dovrebbe quindi essere incentivata: essa, infatti, offrirebbe tra gli altri il vantaggio di produrre una continua innovazione nelle politiche e nelle pratiche amministrative, portando al miglioramento della qualità dei prodotti, a un incremento delle possibilità di scelta per i consumatori e alla riduzione dei prezzi (e dei costi di produzione). Questa situazione può allora essere denominata concorrenza tra amministrazioni in senso proprio. Nel seguito ci si sofferma brevemente sugli ultimi due significati del termine concorrenza. In particolare, si analizzeranno alcune ipotesi di concorrenza-procedimento nella dimensione internazionale ed europea per illustrarne gli effetti di innovazione per le pubbliche amministrazioni (par. II.). Inoltre, dopo aver brevemente precisato il modello, si verificherà se il paradigma della concorrenza tra amministrazioni in senso proprio abbia qualche utilità esplicativa con riferimento alla modernizzazione istituzionale in Italia (par. III.). Ma soprattutto si metteranno in luce altre forme di influenza che la dimensione internazionale e sovranazionale esercitano in questo ambito (par. IV.).
II. La concorrenza come procedimento giuridico 1. Fenomenologia In certe occasioni, organizzazioni statali, europee e internazionali utilizzano metodi competitivi per allocare risorse scarse (es. contributi economici o altre utilità) tra pubbliche amministrazioni nazionali.10 Per quanto riguarda il livello internazionale, si può menzionare la procedura attraverso la quale il Comitato Olimpico Internazionale (IOC) individua la città destinata a ospitare i giochi olimpici. Si tratta di processo decisionale molto complesso e articolato in cui si confrontano (con il supporto dei Comitati olimpici nazionali e dei relativi governi) le città che hanno presentato la loro candidatura. Si può ancora menzionare l’individuazione, da parte della Federazione Internazionale del Gioco Calcio (FIFA), del Paese nel quale si disputano i mondiali di calcio. Senza soffermarsi sui dettagli di queste complicate normative, si deve mettere in luce che entrambi gli eventi portano grandi utilità al luogo (città o Stato)
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Es. Andreas Musil, Wettbewerb in der staatlichen Verwaltung, Tübingen 2005, p. 22. Per fare un solo esempio relativo alla dimensione nazionale (italiana), si può ricordare il progetto “6.000 campanili”, i cui finanziamenti sono stati erogati dal Ministero delle infrastrutture e trasporti con una specifica e peculiare procedura di gara: cfr. la convenzione stipulata tra detto Ministero e l’Associazione nazionale dei comuni italiani (ANCI) e reperibile al seguente indirizzo internet: http://www.anci.it/Contenuti/Allegati/6000_campanili_testo_co ordinato.pdf [29. 9. 2016]. 10
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selezionato,11 cui consegue in genere una forte rivalità tra gli aspiranti.12 Sebbene tali sistemi di scelta si ispirino ai principi di uguaglianza, non discriminazione e trasparenza,13 la decisione finale è rimessa in entrambi i casi alla votazione di assemblee numerose (rispettivamente il congresso dell’IOC e della FIFA) e può quindi facilmente diventare oggetto di trattative di varia natura (anche politiche).14 Quanto all’Unione europea si può ricordare la selezione degli Urban Innovative Actions Projects; programmi promossi dalla Commissione per “sostenere azioni innovative nel campo dello sviluppo urbano sostenibile”.15 In questo caso possono concorrere – presentando progetti innovativi che affrontino determinati problemi (es. povertà urbana, scarsità di abitazioni, inclusione di migranti e rifugiati) – le autorità urbane che abbiano i requisiti dimensionali stabiliti dalla normativa pertinente.16 Analoga natura e struttura ha il Rights, Equality and Citizenship Programme 2014 – 2020,17 che comporta, tra l’altro, la scelta da parte della Commissione dei programmi proposti dalle competenti autorità nazionali e intesi a promuovere la parità di genere o il contrasto a ogni forma di discriminazione.18 11 Si veda, ad esempio, l’elenco riportato sul sito della FIFA al seguente indirizzo: http:// www.fifa.com/governance/competition-organisation/benefits-of-bidding.html [29. 9. 2016]. 12 Si veda tuttavia Brian Blickenstaff, Nobody Wants to Host the Olympics, VICE SPORTS Nov. 13, 2014, https://sports.vice.com/article/nobody-wants-to-host-the-olympics [29. 9. 2016]. È noto del resto che il governo Monti ha deciso di non sostenere la candidatura del Comune di Roma per le Olimpiadi del 2020 e che il Comune di Roma, a seguito delle elezioni, ha recentemente deciso di ritirare la propria candidatura per le Olimpiadi del 2024. 13 Cfr. International Olympic Commettee, Candidature Process Olympic Games 2024, 2015 https://www.olympic.org/current-candidature-process-2024 [9. 2. 2017]. In dottrina per tutti si veda Ryan Gauthier, Olympic Game Host Selection and the Law: A Qualitative Analysis, Jeffrey S. Moorad Sports Law Journal 2016, p. 1 ss. 14 Si veda, ad esempio, lo Statement of the Chairmen of the Adjudicatory Chamber of the FIFA Ethics Committee on the Report on the Inquiry into the 2018/2022 FIFA World CupTm Process prepared by the Investigatory Chamber of the Fifa Ethics Committee November 13, 2014, reperibile al seguente indirizzo internet: http://www.fifa.com/mm/document/affedera tion/footballgovernance/02/47/41/75/statementchairmanadjcheckert_neutral.pdf [29. 9. 2016]. 15 Art. 8 del Regolamento (UE) del Parlamento europeo e del Consiglio n. 1301/2013 del 17. 12. 2013 relativo al Fondo europeo di sviluppo regionale e a disposizioni specifiche concernenti l’obiettivo “Investimenti a favore della crescita e dell’occupazione” e che abroga il regolamento (CE) n. 1080/2006, Gazz. Uff. 2013 L 347/289. 16 Regolamento delegato (UE) n. 522/2014 della Commissione dell’11. 3. 2014, che integra il regolamento (UE) n. 1301/2013 del Parlamento europeo e del Consiglio per quanto concerne le norme dettagliate riguardo ai principi relativi alla elezione e alla gestione delle azioni innovative nel settore dello sviluppo urbano sostenibile, Gazz. Uff. 2014 L 148/1. Cfr. anche UIA Guidance reperibile al seguente indirizzo: http://www.uia-initiative.eu/sites/default/files/ 2015-12/UIA_Guidance_EN.pdf [29. 9. 2016]. 17 Regolamento (UE) n. 1381/2013 del Parlamento europeo e del Consiglio del 17. 12. 2013 che istituisce un programma Diritti, uguaglianza e cittadinanza per il periodo 2014 – 2020, Gazz. Uff. 2013 L 354/62. 18 Cfr. es. la call for proposal or action grants JUST/2016/RGEN/AG/VAWA, reperibile al seguente indirizzo internet: http://ec.europa.eu/justice/grants1/files/2016_action_grants/2016_ rgen_ag_vawa/just-2016-rgen-ag-vawa-call-for-proposals_en.pdf [29. 9. 2016].
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2. Profili funzionali Al pari di tutte le procedure competitive, anche quelle de quo si conformano a determinati principi generali quali la trasparenza, la pienezza di informazioni, la parità di trattamento, la chiara predeterminazione dei criteri di scelta.19 Il fatto che i concorrenti siano soggetti pubblici produce però conseguenze di tipo funzionale, come è particolarmente chiaro nella normativa europea. In particolare due caratteri di queste procedure sembrano qui di particolare interesse. In primo luogo, esse intendono sollecitare la competizione (e quindi la creatività progettuale) dei concorrenti in riferimento a specifici problemi. In secondo luogo, attraverso la determinazione dei criteri di selezione, la Commissione può orientare verso determinati obiettivi alcune azioni politico/amministrative degli enti pubblici partecipanti. In sostanza, in alternativa al modello gerarchico di organizzazione, questo strumento di governo si fonda, da un lato, sulla partecipazione volontaria alla gara delle singole amministrazioni, e, dall’altro, sulla collaborazione delle stesse, che mettono a disposizione della Commissione (ossia del finanziatore) parte della loro sfera di autonomia per perseguire specifiche finalità.20 Si è dunque è in presenza di un peculiare strumento di indirizzo dell’amministrazione (Modalität der Steuerung)21 che ruota intorno a un uso mirato e incentivante delle risorse finanziarie.22 Si deve però considerare che all’interno della procedura la condizione di tali amministrazioni è sostanzialmente paragonabile a quella di un soggetto privato.23 Infatti, i concorrenti – ancorché titolari di poteri autoritativi – sono a loro volta assoggettati (sia pure in forza di una scelta volontaria) a una serie di poteri (es. di gestione della gara, di valutazione) imputati alla Commissione. Ciò comporta ovviamente un’assimilazione con i privati ad esempio quanto agli strumenti di tutela dei diritti.24 Per tale ragione alcuni ravvisano un’incompatibilità di questa modalità operativa con l’essenza stessa dell’ente pubblico.25 La conclusione appare 19 Cfr. in generale Hans Christian Röhl, Ausgewählte Verwaltungsverfahren, in: HofmannRiem/Schmidt-Aßmann/Voßkuhle (nota 2), § 30, Rn. 10 – 23. 20 Questo carattere è presente – forse in modo ancora più marcato – anche nella procedura di scelta della città sede della competizione olimpica: cfr. ampiamente Gauthier (nota 13), p. 10 – 11. 21 Su tale concetto, tra i tanti, cfr. Claudio Franzius, Modalitäten und Wirkungsfaktoren der Steuerung durch Recht, in: Grundlagen des Verwaltungsrechts (nota 2), § 4; si veda anche Eberhard Schmidt-Aßmann, Das allgemeine Verwaltungsrecht als Ordnungsidee, 2. ed., Heidelberg 2006, spec. p. 18 – 26. 22 Es. Susanne Baer, Verwaltungsaufgaben, in: Hofmann-Riem/Eberhard Schmidt-Aßmann/Voßkuhle (nota 2), § 11, Rn. 43. 23 In tal senso, sia pure implicitamente, Ute Sacksofsky, Anreize, in: Grundlagen des Verwaltungsrechts, (nota 19), § 40, 26 ss. 24 Ad esempio, la selezione dei progetti “6.000 campanili” citata alla nota 10 ha dato luogo a un nutrito contenzioso innanzi al giudice amministrativo. 25 Baer (nota 22), Rn. 43.
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però eccessiva, specie quando tali gare non riguardano risorse finalizzate a finanziare compiti amministrativi ordinari (come è il caso con riferimento al diritto dell’Unione europea o alla dimensione internazionale). A prescindere da questi dubbi, la concorrenza-procedimento è in stretta connessione con la modernizzazione amministrativa da almeno due punti di vista. In primo luogo, lo è in se stessa, quale strumento non gerarchico ma volontario di gestione del pluralismo amministrativo. In secondo luogo, lo è perché – specie a livello europeo – essa è spesso finalizzata a sollecitare l’individuazione di strategie politiche non solo innovative, ma che siano anche suscettibili di essere seguite (da altre amministrazioni) in contesti diversi da quelli per cui sono state originariamente concepite.26
III. Concorrenza in senso proprio tra amministrazioni 1. Precisazioni sul modello Più complesso è il discorso circa la concorrenza tra pubbliche amministrazioni in senso proprio, se non altro perché di questo modello concettuale esistono numerose varianti. Ricorrendo a una rappresentazione estremamente semplificata, le amministrazioni pubbliche sono paragonate a operatori economici che, in competizione tra loro, offrono beni e servizi, mentre i consumatori sono i cittadini, e soprattutto le imprese, che possono esprimere la loro preferenza, decidendo di stabilirsi o di investire in luoghi dove l’amministrazione è più efficiente (“voting by feet”).27 In alternativa indicatori e benchmarks possono essere utilizzati per rendere possibile la comparazione delle prestazioni erogate dai diversi enti pubblici (anche a fini elettorali).28 Con particolare riferimento alle autonomie locali, i presupposti per un’effettiva competizione (anche a livello internazionale) sono (tra gli altri):29 @ un sistema istituzionale frammentato, ossia una pluralità di attori istituzionali (con possibilità di istituire nuove unità); @ la sostanziale autonomia di ogni amministrazione, in modo che ciascuna di esse possa effettivamente influenzare il benessere dei suoi cittadini; @ una disciplina tributaria che consenta a ogni ente di finanziare in pieno le proprie attività (con conseguente riduzione dei trasferimenti da parte dello Stato);
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Es. UIA Guidance (nota 16), p.10. Charles M. Tiebout, A Pure Theory of Local Expenditures, The Journal of Political Economy Vol. 64, No. 5, 1956, p. 416 – 424. 28 Cfr. tra gli altri Giorgio Brosio, I modelli di concorrenza tra governi locali, Amministrare 1996, p. 177 ss. 29 George A. Boyne, Public Choice Theory and Local Government. A Comparative Analysis of the UK and the USA, Hampshire/London 1998, spec. cap. 1. 27
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@ l’effettiva libertà di scelta del consumatore/cittadino e delle imprese del luogo dove stabilirsi o investire. Tutto ciò presuppone ovviamente un notevole ridimensionamento della regolazione giuridica a favore dell’applicazione da parte di ciascun ente di regole e parametri microeconomici. 2. La concorrenza tra amministrazioni in senso proprio e la realtà italiana A prescindere dal fatto che tale modello concettuale si fonda su numerose finzioni (es. l’equiparazione di un comune a una persona fisica, che compete con altre persone fisiche),30 con riferimento alla realtà istituzionale e sociale italiana esso appare difficilmente adattabile e non presenta quindi specifiche potenzialità euristiche. Pochi argomenti sono sufficienti a dimostrare questa affermazione. In primo luogo, secondo i dati forniti dall’Associazione per lo sviluppo dell’industria nel Mezzogiorno (SVIMEZ), negli ultimi venti anni hanno lasciato il Sud Italia circa 2,7 milioni di persone; solo nel 2011 si sono trasferiti dal Mezzogiorno al Centro-Nord circa 114 mila abitanti.31 È però evidente che in questo caso è priva di ogni senso la storiella (ormai criticata anche da coloro che sostengono questa metodologia di indagine)32 del cittadino che vota con i piedi in connessione con l’efficienza delle prestazioni fornite delle amministrazioni locali o regionali. Semmai questi dati segnalano un gravissimo problema di arretramento culturale ed economico di cui la questione amministrativa costituisce solo un segmento. Un divario questo che certamente non può essere recuperato confidando nei benefici della concorrenza tra territori e tra apparati pubblici. In secondo luogo, e più in generale, il sistema istituzionale italiano non presenta i presupposti sopra ricordati necessari a un’effettiva competizione istituzionale. A prescindere dal fatto che la carta costituzionale è saldamente ancorata al principio solidaristico, si deve osservare che: @ da più di 20 anni il Governo nazionale e il legislatore hanno tentato di ridurre la frammentazione delle amministrazioni locali, al fine di renderne l’attività più
30 Cfr. Guido Alpa, La competizione tra ordinamenti: un approccio realistico, in: Zoppini (nota 5), spec. p. 43 – 38. 31 SVIMEZ, Sintesi del rapporto 2013, p. 9 – 10, http://www.svimez.info/rapporto/anni-pre cedenti [4. 10. 2016]. Inoltre, secondo il rapporto SVIMEZ 2015, “tra il 2001 e il 2014 (…) il Mezzogiorno ha (…) perso nettamente 744 mila unità. Di questi, il 70 %, 526 mila, sono giovani, di cui poco meno del 40 % (205 mila) laureati” (sintesi del rapporto 2015, p. 20). 32 Per una sintesi delle critiche, si vedano ad esempio Giulio Napolitano/Michele Abrescia, Analisi economica del diritto pubblico: teorie, applicazioni e limiti, Bologna 2009, spec. cap. VII.
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efficiente ed economica. Peraltro la stessa logica è stata seguita anche per altri settori (si veda per esempio la recente disciplina dei contratti pubblici);33 @ fortissimo è il grado di intreccio delle competenze (legislative e amministrative) tra i livelli di governo; intreccio che in certi casi è stato accentuato sulla base del principio di sussidiarietà; @ a causa della crisi economica, il processo di incremento dell’autonomia impositiva di regioni e comuni (art.119 Cost.) è stato di fatto paralizzato. Si deve, infine, considerare che il diritto gioca un ruolo fondamentale nella disciplina dell’azione e dell’organizzazione degli apparati pubblici. In sintesi, in Italia non vi è spazio per un pluralismo amministrativo di stampo competitivo. Del resto, la riforma in atto non ha l’obiettivo di mettere le singole organizzazioni pubbliche nelle condizioni di vincere una gara interna o internazionale. Essa si propone piuttosto di modernizzare il Paese che presenta ancora notevoli elementi di disfunzione. Certamente nel dibattito (scientifico e politico) il tema della competitività è presente; ma esso si riferisce nella maggior parte dei casi alla capacità dello Stato o degli altri enti territoriale di “offrire un ambiente attrattivo e sostenibile [nel breve e lungo periodo] per imprese e cittadini per vivere e lavorare”.34 In questo senso quindi la competitività è intesa essenzialmente come crescita economica e incremento del benessere dei cittadini o, al più, come competizione tra Stati. Tutto questo non esclude ovviamente che i legislatori e i governi italiani, nel tempo, abbiano fatto ricorso a strumenti tecnici analoghi a quelli suggeriti dal New Public Management (o al neues Steuerungsmodell in Germania),35 nella direzione della economicizzazione degli apparati amministrativi. Si pensi alla separazione tra le competenze degli organi politici e quelle degli uffici burocratici, intervenuta in Italia sin dagli inizi degli anni ’90. Lo stesso si può dire per la complessa procedura di misurazione e valutazione delle performance delle pubbliche amministrazioni adottata nel 2009,36 nonché per l’accresciuta attenzione alle esigenze dei cittadini in 33 Artt. 37 – 38 del D. Lgs. 18. 4. 2016, n. 50 (Attuazione delle direttive 2014/23/UE, 2014/ 24/UE e 2014/25/UE sull’aggiudicazione dei contratti di concessione, sugli appalti pubblici e sulle procedure d’appalto degli enti erogatori nei settori dell’acqua, dell’energia, dei trasporti e dei servizi postali), Gazz. Uff. del 19. 4. 2016, n. 91. 34 Commissione europea, EU Regional Competitiveness Index – RCI 2013, p. 4. Il rapporto è reperibile al seguente indirizzo internet: http://ec.europa.eu/regional_policy/sources/docg ener/studies/pdf/6th_report/rci_ 2013_report_final.pdf [29. 9. 2016]. 35 Cfr. per tutti Musil (n. 9), p. 166 – 174 nonché Jens-Peter Schneider, Das Neue Steuerungsmodell als Innovationsimpuls für Verwaltungsorganisation und Verwaltungsrecht, in: Eberhard Schmidt-Aßmann/Wolfgang Hofmann-Riem (a cura di), Verwaltungsorganisationsrecht als Steuerungsressource, Baden-Baden 1997, p. 103 ss. 36 Cfr. il D. Lgs. 27. 10. 2009, n. 150 (Attuazione della legge 4 marzo 2009, n. 15, in materia di ottimizzazione della produttività del lavoro pubblico e di efficienza e trasparenza
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relazione alle prestazioni amministrative o, ancora, per le norme sulla cosiddetta spending review. Si deve però ribadire che tali norme – che in principio potrebbero contribuire al dispiegarsi della concorrenza tra enti pubblici37 – non presuppongono l’adesione a un disegno istituzionale competitivo, ma più semplicemente hanno di mira l’incremento della capacità e dell’efficienza amministrativa.38 Queste stesse considerazioni valgono anche per il sistema universitario italiano, per come si è venuto strutturando negli ultimi anni.39 Sebbene in principio si intendesse sollecitare la concorrenza tra atenei, nei fatti il settore risulta oggi ingessato da rigidissime regole burocratiche e da una notevole scarsità di risorse. Semmai le classifiche nazionali, europee e interazionali e la procedura nazionale di valutazione (c.d. VQR), più che indurre i singoli istituti a competere tra loro (cosa spesso nei fatti impossibile), consentono agli studenti, che abbiano le possibilità economiche, di individuare ed eventualmente scegliere gli atenei che offrono le migliori prestazioni.
IV. Modernizzazione dell’amministrazione italiana e confronto con il contesto internazionale ed europeo La riforma amministrativa in Italia ha comunque risentito, e risente ancora oggi, del confronto con la dimensione europea e internazionale così come del confronto con altri Paesi. Nelle forme più evidenti ciò avviene laddove gli apparati amministrativi siano chiamati a cooperare direttamente con istituzioni di altri Stati, sovranazionali o internazionali. L’esempio classico è quello delle amministrazioni composite nell’Unione europea; ma si possono anche ricordare i gemellaggi finalizzati alla preparazione delle strutture amministrative dei Paesi candidati ad accedere nell’UE.40 Più in generale va rammentato che, in base all’art. 197 TFUE, l’Unione può sostenere gli sforzi degli Stati membri volti a migliorare la loro capacità di attuare il diritto europeo. Tali azioni possono
delle pubbliche amministrazioni e il D.P.R. 9. 5. 2016 n. 105, regolamento di disciplina delle funzioni del Dipartimento della funzione pubblica della Presidenza del Consiglio dei ministri in materia di misurazione e valutazione della performance delle pubbliche amministrazioni), Gazz. Uff. del 31. 10. 2009, n. 254. 37 Cfr. per tutti Boyne, (n. 29), spec. cap. 1. 38 Da un punto di vista politologico, si veda Brunetta Baldi, Il federalismo competitivo: l’Italia in prospettiva comparata, Teoria politica 2/2009, p. 95 – 126. 39 Cfr. anche in prospettiva comparata, Cristina Fraenkel-Haeberle, Die Universität im Mehrebenesystem, Tübingen 2014. 40 Per un esempio, si veda Institution Building in the Framework of the European Union Policies Common Twinning Manual 2013 – 2014, reperibile al seguente indirizzo internet: http://www.esteri.it/mae/gemellaggi/twinning_manual_2012_update_2013_2014.pdf [29. 9. 2016].
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consistere, in particolare, nel facilitare lo scambio di informazioni e di funzionari pubblici e nel sostenere programmi di formazione.41 1. La dimensione internazionale e le esperienze di altri Paesi In generale, tuttavia, l’influenza di altre esperienze sulle singole amministrazioni è limitata a casi eccezionali. Essa è invece avvertita in modo più marcato dal Parlamento e dal Governo per quanto riguarda i processi di riforma, come dimostrano i seguenti esempi. La prima forma di influenza è rappresentata dai benchmarking, dagli altri indici, nonché dai rapporti elaborati da organizzazioni pubbliche e private internazional.42 Salve limitatissime eccezioni,43 questi dati sono però utilizzati, più che come fonti di conoscenza della realtà, come argomenti nel confronto pubblico e politico (cfr. anche infra). Del resto, a parte il caso delle università, in considerazione del livello di generalità, tali elaborazioni non forniscono informazioni di dettaglio sull’attività delle singole istituzioni (es. sull’efficienza nella gestione di specifici procedimenti), offrendo semmai qualche indicazione sulle tendenze in atto nei diversi sistemi nazionali. In secondo luogo, va menzionata la comparazione giuridica.44 Si pensi alla disciplina dei vizi formali degli atti amministrativi. In questo caso il legislatore italiano ha rivolto la sua attenzione all’ordinamento tedesco prendendo lo spunto per la modifica legislativa approvata nel 2005 (introduzione dell’art. 21-bis, co. 2 della l. n. 241 del 1990).45 Tuttavia, il metodo comparato per concepire le riforme amministrative non è oggi molto utilizzato dal legislatore,46 che raramente si ispira in modo effettivo a soluzioni tecnico/giuridiche adottate in altri Paesi. 41 Cfr. per tutti, Fulvio Cortese, Gli strumenti per la cooperazione amministrativa verticale, in: Mario P. Chiti/Alessandro Natalini (ed.), Lo spazio amministrativo europeo, Bologna 2014, p. 165 ss. 42 Per una rassegna, cfr. Siriana Salvi, La qualità della regolazione in Italia tra buone intenzioni e modesti risultati: un confronto internazionale, in: Alessandro Natalini/Giulia Tiberi, La tela di Penelope. Primo rapporto Astrid sulla semplificazione legislativa e burocratica, Bologna 2010, p. 61 – 85. 43 Cfr. es. World Bank, Doing Business in Italy 2013: Smarter Regulations for Small and Medium-Size Enterprises, Washington, DC, 2013. Il rapporto è stato finanziato dal Governo italiano e analizza cinque fasi del ciclo di vita di un’impresa attraverso cinque indicatori: avvio d’impresa, ottenimento dei permessi edilizi, trasferimento di proprietà immobiliare, commercio transfrontaliero marittimo e risoluzione di dispute commerciali. 44 In questo senso cfr. anche Giegerich (nota 5), spec. p. 94 ss., il quale però, in modo un po’ apodittico, riconduce il tema della comparazione a quello della concorrenza. 45 Cfr. per tutti, Diana-Urania Galetta, L’annullabilità del provvedimento amministrativo per vizi del procedimento, Milano 2003. 46 Un altro esempio può forse essere quello dell’analisi di impatto della normazione, i cui effetti sono però generalmente deludenti: per tutti si vedano Maria De Benedetto/Mario Martelli/Nicoletta Rangone, La qualità delle regole, Bologna 2011, nonché Antonio Greco,
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La terza forma d’influenza riguarda il processo di valutazione delle performance delle amministrazioni (d.lgs n. 150/09 cit.), che dovrebbe prendere in considerazione, tra gli altri, gli standard di organizzazioni omogenee di altri Paesi per la definizione dei livelli di prestazione di ciascuna amministrazione (anche ai fini dei conseguenti incentivi per il personale).47 Lo stesso si può dire per la circolazione delle buone pratiche che possono derivare anche da istituzioni estere.48 Dato che l’attuazione di questa normativa è ancora agli inizi, ogni riflessione sulla sua effettività è sicuramente prematura. 2. La dimensione europea Un cenno a parte meritano alcuni strumenti messi in campo dall’Unione europea, che attribuisce una grande importanza alla modernizzazione degli apparati pubblici (tanto è vero che negli ultimi anni la raccomandazione del Consiglio sul programma nazionale di riforma dell’Italia contiene sempre un riferimento alla riforma dell’amministrazione).49 In particolare, in questa sede sembra utile rivolgere l’attenzione a due nuovi strumenti che sono direttamente connessi al ciclo delle politiche europee di coesione 2014/2020. Tra gli obiettivi tematici del Fondo Sociale Europeo vi è quello di “rafforzare la capacità istituzionale delle autorità pubbliche e delle parti interessate e promuovere un’amministrazione pubblica efficiente”.50 In conseguenza, il Governo italiano ha predisposto uno specifico Programma Operativo Nazionale (PON), che, in coerenza con altre iniziative di recente intraprese, ha lo scopo generale di superare le principali fragilità del sistema amministrativo italiano. Il PON ha una dotazione finanziaria complessiva di 827 milioni di euro, di cui circa l’80 % è destinato, non a caso, alle regioni meridionali.51
L’analisi di impatto della regolazione: origini e tendenze recenti, www.federalismi.it del 19. 6. 2009. 47 Art. 2, co. 2, lett. e), D.Lgs. n. 150/09. 48 Art. 3, co. 1, lett. f), D.P.R. n. 105/16. 49 Es. raccomandazione del Consiglio del 12 luglio 2016 sul programma nazionale di riforma 2016 dell’Italia e che formula un parere del Consiglio sul programma di stabilità 2016 dell’Italia (2016/C 299/01), punto 2. 50 Art. 3, co. 1, lett. d), Regolamento (UE) n, 1304/2013 del Parlamento europeo e del Consiglio del 17. 12. 2013 relativo al Fondo sociale europeo e che abroga il regolamento (CE) n. 1081/2006 del Consiglio, Gazz. Uff. 2013 L 347/470, art. 3, co. 1, lett. d), 51 Da notare che nei documenti che costituiscono il programma viene fatto ampio uso dei benchmarks e delle analisi di varie organizzazioni internazionali: cfr. l’Allegato al Documento di approfondimento Condizionalità ex ante OT11 “Rafforzare la capacità istituzionale delle autorità pubbliche e degli stakeholders e promuovere una pubblica amministrazione efficiente”, reperibile al seguente indirizzo: http://www.agenziacoesione.gov.it/opencms/export/sites/ dps/it/documentazione/AccordoPartenariato/Accordo_di_Partenariato_ALL_V__Condizionali ta__ex_ante_OT11.pdf [29. 9. 2016].
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Inoltre, su sollecitazione della Commissione, molto preoccupata della scarsa capacità amministrativa specie delle regioni meridionali, l’accordo di partenariato dell’Italia ha previsto, quale strumento innovativo di ausilio per l’attuazione dell’intero ciclo della programmazione, “Piani di Rafforzamento Amministrativi” (PRA), che devono accompagnare sin dall’inizio i singoli programmi operativi. Attraverso i PRA ciascuna amministrazione titolare di un programmi operativo (ossia le amministrazioni centrali e quelle regionali, per un totale di 29)52 “accelera, esplicita e rende operativa, con riferimento a cronoprogrammi definiti, l’azione per rendere più efficiente l’organizzazione della sua macchina amministrativa e il pieno soddisfacimento di tutte le condizionalità ex ante”.53 È interessante notare che la Presidenza del Consiglio, oltre ad aver diramato specifiche linee guida per la predisposizione di tali atti,54 sempre su sollecitazione della Commissione, ha istituito un apposito comitato – composto da rappresentanti della stessa Presidenza e della Commissione europea – con il compito, tra l’altro, di emanare indirizzi relativi alla definizione e all’attuazione degli stessi.55 Il tema non può essere approfondito in questa sede. Si deve però rilevare che la disciplina (non legislativa) dei PRA comporta il coinvolgimento diretto della Commissione nel processo di miglioramento qualitativo delle amministrazioni italiane. Un coinvolgimento che, come spesso accade, si traduce però in tecniche di pressione indiretta e deformalizzata. Occorrerà attendere almeno un anno (ossia il termine di durata dei PRA) per verificare se l’insieme di questi dispositivi riuscirà a produrre effetti positivi.
V. Considerazioni conclusive Diversi fattori possono aiutare le amministrazioni nazionali a percorrere le vie della modernizzazione. Tra questi vi è anche la concorrenza (nel senso indicato nel paragrafo III, n. 1) che però nel caso italiano a oggi svolge, al più, una funzione 52
Cfr i dati reperibili al seguente indirizzo: http://www.agenziacoesione.gov.it/it/politiche_ e_attivita/ programmazione_2014 – 2020/PRA/I_Piani_di_Rafforzamento_Amministrativo.html [29. 9. 2016]. 53 Accordo di partenariato 2014 – 2020, sezione 2, p. 649 – 651. La sezione 2 è reperibile al seguente indirizzo internet: http://www.agenziacoesione.gov.it/opencms/export/sites/dps/it/do cumentazione/AccordoPartenaria to/Accordo_di_Partenariato_SEZIONE_2.pdf [29. 9. 2016]. 54 Dipartimento per la Coesione e lo Sviluppo (all’epoca incardinato presso la Presidenza del consiglio) e Dipartimento per la Funzione pubblica, Linee guida e formulario per l’elaborazione dei Piani di Rafforzamento Amministrativo, (nota prot. 6778 dell’11 luglio 2014), reperibile al seguente indirizzo: http://www.regione.abruzzo.it/xprogrammazione/docs/pro grammazione2014_2020PRA/Linee_guida_PRA_11_07_2014.pdf [29. 9. 2016]. 55 Cfr. il decreto del segretario generale della Presidenza del Consiglio dei Ministri del 13 gennaio 2015, costituzione del Comitato di Indirizzo per i Piani di Rafforzamento Amministrativo: http://www.agenziacoesione.gov.it/opencms/export/sites/dps/it/documentazione/Pro grammazione_1420/PRA/documenti/Decreto_del_Segretario_Generale_della_PCM_del_13_ gennaio_2015_Comitato.pdf [29. 9. 2016].
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marginale. Per questa ragione è molto interessante, per gli studiosi italiani, conoscere quelle esperienze in cui il paradigma concorrenziale è stato effettivamente utilizzato per governare l’amministrazione e per mobilitarne le risorse interne (comprese quelle dei funzionari pubblici). Non si deve però trascurare che la scelta circa l’utilizzo di tali strumenti di Steuerung ha natura eminentemente politica e risente in modo decisivo della storia, della cultura e della condizione economica di una determinata realtà nazionale. Per tale ragione, la concorrenza non sembra poter costituire una soluzione universale ai problemi istituzionali. In questo campo l’Unione europea ha effettuato una scelta chiara. Essa, infatti, intende la modernizzazione amministrativa (in relazione alla dimensione sovranazionale) essenzialmente come il frutto di un processo cooperativo (e non quindi competitivo). Ciò è dimostrato in modo evidente dall’art. 197 TFUE per il quale una buona amministrazione rappresenta una questione di interesse comune: non è un caso che la norma sia inserita nel titolo XXIV intitolato “Cooperazione amministrativa”. Dato però che l’UE è attraversata da diverse tensioni e contraddizioni, si deve auspicare che questa affermazione di principio sia tenuta ferma e non prevalgano invece orientamenti che vanno nell’opposta direzione. Circostanza questa che sarebbe difficilmente sostenibile per diverse costituencies nazionali.
Die Verfahrensvereinfachung in Frankreich, Deutschland und Italien: Konvergente Denationalisierung oder nationale Parallelität? Elena Buoso
I. Einleitung Das Verwaltungsverfahren bietet einen guten Ausgangspunkt für eine Analyse der Entwicklungen verschiedener Rechtsordnungen, insbesondere wenn – wie im europäischen Raum – ähnliche Probleme und sozioökonomische Bedingungen vorhanden sind. Auch lässt sich durch das Verwaltungsverfahren der Einfluss des Unionsrechts auf die einzelnen Verwaltungskulturen leichter nachverfolgen. Schließlich erscheint das Verwaltungsverfahren für eine rechtsvergleichende Analyse, die auch der Ermittlung von Konvergenzen dienen soll, besonders geeignet. Einige erste Eindrücke sollen in diesem Beitrag im Lichte der nationalen Verwaltungspraxis analysiert werden, was unter Umständen auch zur Relativierung der „Konvergenzeuphorie“ führen kann.1 Aus italienischer Sicht wird der Vergleich mit der französischen und der deutschen Rechtsordnung als besonders fruchtbar angesehen und dies aus mindestens drei Gründen: Erstens sind Frankreich und Deutschland in ihrer dogmatischen Entwicklung klassische Vergleichsparameter, da viele Begriffe, Rechtsinstitute und Evolutionen aus der Auseinandersetzung der italienischen Lehre und Rechtsprechung mit diesen Rechtsordnungen hervorgegangen sind.2 Zweitens sind sie den gleichen unionsrechtlichen Vereinfachungsimpulsen wie die italienische Rechtsordnung ausgesetzt. Umso interessanter sind daher Implementationsunterschiede, auch weil angesichts des aktuellen Art. 197 AEUV über die Verwaltungszusammenarbeit eine noch größere Konvergenz zu erwarten ist. Drittens stellt Italien einen Mittelweg zwischen dem (inzwischen weitgehend dezentralisierten) französischen Zentralstaat und dem deutschen Bundesstaat dar.
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Erminio Ferrari, Verwaltungsakt und Vergabe öffentlicher Aufträge als Beispiele der Wandlungen der italienischen Verwaltung zwischen EU Recht und Modernisierung, in diesem Band, Kap. I, m.w.N. 2 Luca Mannori/Bernardo Sordi, Storia del diritto amministrativo, Roma-Bari 2013.
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Hinzu kommt, dass die Wirtschaft aller drei Länder denselben konjunkturellen Schwankungen ausgesetzt ist. Die Reaktion des Verwaltungsrechts auf die Wirtschaftskrise lässt sich allerdings nur bedingt vergleichen: Von der knapp zehnjährigen Rezession, die Italien und Frankreich heimgesucht hat, ist Deutschland weitgehend verschont geblieben. Unverkennbar ist jedoch die Verbindung zwischen den Vereinfachungs- und Beschleunigungsbestrebungen des Verwaltungsrechts und den Bemühungen zur wirtschaftlichen Ankurbelung.3 Diese haben auf europäischer Ebene unter anderem zur Verabschiedung der Dienstleistungsrichtlinie 2006/123/EG geführt und zeugen von einer oft emphatischen4 nationalen Umsetzung.5 Auch in Deutschland waren in den Neunzigerjahren investitionsorientierte Beschleunigungsgesetze zu verzeichnen, als die Wiedervereinigung strukturelle Wirtschaftsreformen verlangte.
II. Administratio semper reformanda est6 Seit den Neunzigerjahren lässt sich ein Schub zur Verwaltungsmodernisierung durch Bürokratieabbau beobachten.7 In Deutschland scheint die Rhetorik der „Verwaltungsvereinfachung“ und der schlanken Verwaltung, die bereits in den 1970ern eingesetzt hatte und in den 1990ern ihren Höhepunkt erreichte, nun nachgelassen zu haben. Das mag daran liegen, dass inzwischen andere Mittel zur Erhöhung der Standortattraktivität gefunden wurden oder dass Gründe der Rechtssicherheit und der Partizipation im Verhältnis zu verzögerten Genehmigungen für wichtiger betrachtet wurden.8 In Frankreich und Italien steht hingegen diese Frage noch immer im Mittelpunkt des Interesses und führt zu kontinuierlich neuen Vorschriften und Verfahrensänderungen. 3 Aldo Travi, La semplificazione amministrativa come strumento per far fronte alla crisi economica, Giustamm.it, 13/2016; Jean-Bernard Auby, Le droit administratif et la crise, DA 2014, S. 3 ff.; Francesco Manganaro u. a. (Hrsg.), Liberalizzare o regolamentare: il diritto amministrativo di fronte alla crisi, Milano 2013. 4 Vgl. für Italien z. B. das Programm „Unternehmen in einem Tag“ zur Beschleunigung von Unternehmensgründungen: http://www.impresainungiorno.gov.it [4. 1. 2017]. 5 Ausführlicher Ferrari (Fn 1), Kap. II; Vera Parisio, Direttiva „Bolkestein“, silenzioassenso, d.i.a., „liberalizzazioni temperate“, dopo la sentenza del Consiglio di Stato, A.P., 29. 7. 2011 Nr. 15, Foro amm. TAR 2011, S. 2978 ff.; Utz Schliesky (Hrsg.), Die Umsetzung der EU-Dienstleistungsrichtlinie in der deutschen Verwaltung, Kiel 2008; Jean-Bernard Auby, La transposition de la directive services, DA 2010, S. 3 ff. 6 Abgeleitet von Karl-Peter Sommermann im Schlusswort der Tagung aus dem bekannten Motto der Reformation. 7 Hermann Hill, Bürokratieabbau und Verwaltungsmodernisierung, DÖV 2004, S. 721 ff.; Luciano Vandelli u. a. (Hrsg.), La semplificazione amministrativa, Rimini 1999; Pierre-Rémy Houssin (Hrsg.), La simplification de l’Etat dans ses relations avec le public et avec les collectivités locales, Paris 1997. 8 Veith Mehde, Die Modernisierung der öffentlichen Verwaltung als Standortfaktor, in diesem Band, Kap. III f.
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Dieser Reformdrang ist gekoppelt an eine Tendenz zur Kodifizierung des Verwaltungsverfahrens, die auch auf europäischer Ebene bemerkbar wird.9 Historisch zeichnet sich das Verwaltungsrecht demgegenüber durch die Abwesenheit einer allgemeinen Kodifizierung aus, obwohl die Rechtsentwicklung der drei Nationen im Übrigen diese normative Technik weitgehend verwendet.10 Die Kodifizierung ist hier also eine relativ neue Erscheinung und die Neunzigerjahre waren ein Wendepunkt.11 Ein zweites Merkmal dieses Rechtsbereichs ist die lange Dauer des Reformprozesses.12 Selbst die Kodifizierung strebt keinen definitiven und statischen Zustand an, sondern vielmehr eine dynamische, ständige Optimierung.13 Die Reform ist zur permanenten öffentlichen Aufgabe geworden.14 Allerdings wird sie oft von vorübergehenden Entwicklungen geprägt, statt diese zu steuern und zu beherrschen. Das stellt für Lehre und Praxis eine echte Herausforderung dar. Eines der Hauptziele des stetigen Reformdrangs ist die Rechts- und Verfahrensvereinfachung.15 Dieses Anliegen kann als rechtsimmanent betrachtet werden, wird jedoch seit einigen Jahren im Verwaltungsrecht besonders hervorgehoben. Während sich allerdings in Italien und in Frankreich sowohl die Politik16 als auch die Wissenschaft17 mit diesen Fragen inten-
9 Vgl. Giacinto della Cananea/Diana-Urania Galetta (Hrsg.), Codice ReNEUAL del procedimento amministrativo dell’Unione europea, Napoli 2016. Vgl. auch den Vorschlag für eine Verordnung des europäischen Parlaments und des Rates „über eine offene, effiziente und unabhängige Verwaltung der Europäischen Union“ (Entschließung 2016/2610(RSP), 9. 6. 2016). 10 Man denke an das ALR für die preußischen Staaten von 1794 (das auch Teile des Verwaltungsrechts beinhaltete), an den französischen Code Civil von 1804 und an den italienische Codice civile von 1865. Vgl. Margherita Ramajoli, A proposito di codificazione e modernizzazione del diritto amministrativo, Riv. trim. dir. pubb. 2016, S. 347 ff. 11 Vgl. Karl-Peter Sommermann, Konvergenzen im Verwaltungsverfahrens- und Verwaltungsprozessrecht europäischer Staaten, DÖV 2002, S. 137 ff. 12 Vgl. Jaques Chevallier, La „Modernisation de l’action publique“ en question, RFAP 2016, S. 585 ff.; Eberhard Schmidt-Aßmann/Stephanie Dagron, Deutsches und französisches Verwaltungsrecht im Vergleich ihrer Ordnungsideen – Zur Geschlossenheit, Offenheit und gegenseitigen Lernfähigkeit von Rechtssystemen, ZaöRV 2007, S. 407 ff.; Ramajoli (Fn 10), Riv. trim. dir. pubb. 2016, S. 363 ff.; Giulio Napolitano, Le riforme amministrative in Europa all’inizio del ventunesimo secolo, Riv. trim. dir. pubb. 2015, S. 633 ff.; Bernardo Giorgio Mattarella, La codificazione in senso dinamico, Riv. trim. dir. pubb. 2001, S. 709 ff. 13 Sommermann (Fn. 11), DÖV 2002, S. 137 f. 14 Auch unter unterschiedlichen Regierungen und in sehr unterschiedlichen Rechts- und Verwaltungssystemen: Sabino Cassese, L’età delle riforme amministrative, Riv. trim. dir. pubb. 2001, S. 79 ff. (85). 15 So auch Giulio Vesperini, Le tendenze della semplificazione amministrativa, http://focus. formez.it/sites/all/files/ VESPERINI.tendenzesemplificazione.pdf [4. 1. 2017]. 16 Z. B. das italienische Ministerium ohne Geschäftsbereich für „Semplificazione e pubblica amministrazione“ und das französische Comité interministériel pour la modernisation de l’action publique (CIMAP), das seit 2014 ein Secrétariat général pour la modernisation de l’action publique (SGMAP), zugeordnet zum Ministerpräsident, geworden ist. 17 Vgl. das Spezialheft ,Simplifier l’action publique?‘, RFAP 1/2016, S. 7 ff.
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siv auseinandersetzen, scheint dieses Thema in Deutschland inzwischen an Aktualität eingebüßt zu haben.
III. Die französische Verwaltungsrevolution Die Vereinfachung des Verwaltungsrechts, rectius der Verwaltung, begann in Frankreich anhand von Ministerialrundschreiben (wie das Rocards von 1989 und das Juppés von 1995). Sie setzte sich dann mit Rechtsetzungsakten18 unter dem Druck der unionsrechtlichen Vorgaben fort19 und mündete schließlich in den choc de simplification aus dem Jahre 2013. Diese Revolution betrifft vier Bereiche: den Firmenalltag, den Bürgeralltag, die Verwaltung und die Rechtsvorschriften (auch als Umsetzung des Unionsrechts). Sie erfasst eine große Palette von Maßnahmen von unterschiedlichem Gewicht.20 Das Gesamtpaket soll zu einem völlig neuen französischen Verwaltungsmodell unter den Stichworten „Bruch mit der Vergangenheit“ und „Modernisierung“21 der Verwaltungskultur22 und sogar des Staates führen. Die Umsetzung erfolgt parallel auf verschiedenen Ebenen: dem Verwaltungsverfahren, der Rechtssetzung, der Anwendung der Rechtsnormen23 sowie schließlich die Ebene der Verwaltungsorganisation.24 Der Ablauf dieses Koordinierungsplans wird laufend überprüft25 sowie durch Verordnungen und Dekrete aktualisiert.
18 Z. B. das Gesetz Nr. 321/2000 über die Rechte der Bürger gegenüber der Verwaltung und etliche Ermächtigungsgesetze an die Regierung für die Modernisierung der Verwaltung (sog. MAP): ausführlich Samuel Dyens, La simplification: actualité d’une vieille idée, AJCT 2015, S. 62 ff. 19 Jean-Bernard Auby, Le droit administratif français à l’épreuve de la construction communautaire. Quelques réflexions sur l’état du dossier, in: Jürgen Schwarze (Hrsg.), L’état actuel et les perspectives du droit administratif européen, Bruxelles 2010, S. 79 ff. 20 Von der Digitalisierung vieler Behördengänge zur Abschaffung amtlicher Bescheinigungen zugunsten der Eigenbescheinigung; vom Prinzip des 1:1 beim Inkrafttreten einer neuen Vorschrift und Aufhebung einer bestehenden bis zur Änderung zentraler Institute des Verwaltungsverfahrens. 21 Insb. 2007 wird als Jahr der „rupture“ und 2008 als Jahr der begonnenen „modernisation“ bezeichnet, Chevallier (Fn. 12), RFAP 2016, S. 596 ff. 22 Vgl. Cristina Fraenkel-Haeberle, Indirekte Europäisierung und der prägende Einfluss der Verwaltungskultur, in diesem Band; Stephan Grohs, Verwaltungsstile und die „Entdeckung“ politisch-administrative Gestaltungsspielräume der bei der Implementierung von EURecht, ebd. 23 Gilles Jeannot, Facilitation de la mise en œuvre du droit et capacité d’action des fonctionnaires, RFAP 2016, S. 145 ff. 24 S. z. B. das Gesetz Nr. 29/2015 v. 16. 1. 2015 zur neuen Abgrenzung und Dimension der Regionen. Darüber Noé Gerardin, L’objectif de simplification dans les réformes territoriales récentes: l’exemple de la clause de compétence générale, RFAP 2016, S. 95 ff. Kritisch Michel Casteigts, Réforme(s) territoriale(s): de la complexité comme solution à la simplification comme problème, Espaces et sociétés 2010, S. 125 ff.
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Das revolutionierte französische Verwaltungsrecht soll auch – endlich26 – in Anlehnung an das deutsche und an das italienische Vorbild ein Verwaltungsverfahrensgesetz bekommen.27 Im Moment resultiert der allgemeine Rahmen des Verfahrens aus einer Vielzahl von Einzelgesetzen,28 aus Gesetzbüchern des besonderen Verwaltungsrechts und den arrêtés des Staatsrates. Ein erster Schritt stellt der Code des relations entre le public et l’administration (CRPA) dar, der seit Januar 2016 viele der oben genannten Gesetze vereint, die Rechtsfortbildung des Conseil d’État positiviert und neue Regelungen hinzufügt. Im Allgemeinen wurden diese Reformen von der Lehre inhaltlich und methodologisch als Good-practice-Beispiel begrüßt, da sie aus einer Zusammenarbeit zwischen Institutionen, Lehre, Praxis29 und Bürgern hervorgegangen waren.30 Weniger positiv fallen die Reaktionen auf einzelne Neuigkeiten aus, wie z. B. auf das Umdeuten der administrativen Säumnis in eine stillschweigende Zustimmung.31 Das Prinzip des silence vaut accord ist als epochale Veränderung einzustufen, da seit 1894 (bzw. seit 1900 für alle öffentlichen Verwaltungen)32 genau die entgegengesetzte Regel galt: Die Nichtbescheidung eines Antrags wurde nach zwei Monaten als Ablehnung gedeutet. Für die Ausnahmen in Art. L231 – 4 CRPA sowie für die Fälle, die per Dekret des Staatsrates und des Ministerrates bestimmt werden (Art. D231 – 2), gilt weiterhin die alte Regel. Frankreich verlässt somit seine Orientierung an der Rechtsfigur des negativen Schweigens (silence negatif) und wechselt in eine rein verfahrensrechtliche Perspek-
25 Die ersten 18 Monaten nach den ersten 200 Maßnahmen zur Vereinheitlichung von Verfahren und Genehmigungen, One stop shops, E-Verwaltung und Austausch von Daten zwischen Behörden. 26 Pascale Gonod, Codification de la procédure administrative, la fin de l’exception française?, AJDA 2014, S. 395 ff. 27 Jean-Bernard Auby (Hrsg.), Codification of administrative procedure, Paris 2014; Aldo Sandulli, Verso la codificazione della disciplina dell’azione amministrativa?, Giorn. Dir. Amm. 2006, S. 686 ff. 28 Vgl. z. B. die Gesetze Nr. 78 – 753, 17. 7. 1978 über Akteneinsicht; Nr. 79 – 587, 11. 7. 1979 über die Begründung vom Verwaltungsakten. 29 Giulio Napolitano, Il codice francese e le nuove frontiere della disciplina del procedimento in Europa, Giorn. Dir. Amm. 2016, S. 5 ff. 30 Die Bürger dürfen Ideen und Vorschläge auf http://www.faire-simple.gouv.fr der Regierung mitteilen. 31 Eingeführt durch das Gesetz Nr. 2000 – 321, 12. 4. 2000, heute in Art. L231 – 1 CRPA. Vgl. Paul Cassia u. a., Le silence de l’administration vaudra acceptation. Big bang ou trou noir juridique?, JCP 2013, S. 1324 ff.; Pascale Gonod, Le sens du silence de l’administration : bref aperçu de quelques solutions étrangères, RFDA 2014, S. 43 ff.; Vincent de Briant, Le silence éloquent de l’administration, AJCT 2015, S. 67 ff.; Vincenzo De Falco, Il silenzio assenso in Francia. Questioni applicative a confronto con l’esperienza italiana, DPCE 2016, S. 151 ff. 32 Vgl. Manuela Veronelli, La nuova disciplina del silenzio in Francia, Giorn. Dir. Amm. 2002, S. 554 ff.
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tive,33 die der Vereinfachung und Zügigkeit dient. Allerdings relativieren die ausführlichen Listen mit der Zuweisung zum alten bzw. zum neuen System die Bedeutung der allgemeinen Regel der stillschweigenden Zustimmung, mit der Folge, dass sie in etwa nur 1200 von 3600 Verfahren Anwendung findet.34 Der CRPA normiert auch die Rücknahme von Verwaltungsakten (Artt. L240 – 1 ff.). Wenn der begünstigende Verwaltungsakt rechtswidrig ist, entfaltet die abrogation Wirkung für die Zukunft oder ist der retrait mit Wirkung für die Vergangenheit innerhalb von vier Monaten möglich, während Verordnungen oder Verwaltungsakte, die keine Rechte begründen, uneingeschränkt zurückgenommen werden dürfen. Der Vertrauensschutz wird nicht ausdrücklich erwähnt. Diese Vorschriften setzen die vom Conseil d’État entwickelten Rechtsgrundsätze35 um und erfüllen gleichzeitig die Vereinfachungsanforderungen des Unionsrechts.36
IV. Deutschland zwischen Verwaltungstradition und Effizienz Das deutsche Verwaltungsverfahrensgesetz (VwVfG) ist in diesem Jahr vierzig Jahre alt geworden37 und war eines der ersten verwaltungsrechtlichen Kodifikationen. Umso beachtenswerter ist also der Grundsatz der Nichtförmlichkeit des Verwaltungsverfahrens nach § 10 VwVfG. Es werden zwar in §§ 63 ff. VwVfG besondere Bestimmungen und das förmliche Verwaltungsverfahren geregelt, sie finden aber nur im Fall einer ausdrücklichen sonderrechtlichen Verweisung Anwendung. In allen anderen Fällen ist das Verfahren einfach, zweckmäßig und zügig durchzuführen. Das System setzt damit schwerpunktmäßig auf Effektivität und Sachgerechtigkeit,38 wohingegen das italienische Rezept die Effizienz als Starrheit und formelle Vereinfachung deutet. Gerade die Nation mit einer der ältesten Verfahrensregelungen nimmt Abstand vom „Dogma des Verwaltungsverfahrens“, was für einen italienischen Wissenschaftler etwas überraschend erscheint, jedoch auch von anderen Vorschriften bestätigt wird.39 Man denke an die §§ 45 – 46 VwVfG über die Verfahrens33
Didier Ribes, Le nouveau principe „silence de l’administration vaut acceptation“, AJDA 2014, S. 392. 34 http://www.legifrance.gouv.fr/Droit-francais/Silence-vaut-accord-SVA [4. 1. 2017]. Kritisch Paul Cassia, Silence de l’administration: le „choc de complexification“, Recueil Dalloz 2015, S. 201. 35 Insb. Arrêt Ternon, 26. 10. 2001, Nr. 197018, und Arrêt Coulibaly, 6. 3. 2009, Nr. 306084. 36 Dominique Ritleng, L’influence du droit communautaire sur les catégories organiques du droit administratif, in: Jean-Bernard Auby/Jacqueline Dutheil de la Rochère (Hrsg.), Droit administratif européen, Paris 2007, S. 845 ff.; Rozen Noguellou, L’influence du droit communautaire sur le régime des décisions administratives, ebd., S. 915 ff.; Auby (Fn. 19), S. 88 f. 37 Das Gesetz wurde am 25. 5. 1976 ausgefertigt. 38 „Gestionale“ nach Luca De Lucia, La conferenza di servizi nel decreto legislativo del 30 giugno 2016, Nr. 127, RGU 2016, S. 34. 39 Das lässt sich mit den inhaltlichen Legitimationsquellen der Verwaltungsentscheidung und mit dem deutschen Vorbild einer vollziehenden Verwaltung erklären, so Sebastian Unger,
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und Formfehler bzw. deren Heilung und Unbeachtlichkeit sowie an § 114 VwGO, der auch noch im gerichtlichen Verfahren die Verwaltung zur Ergänzung ihrer Ermessenserwägungen ermächtigt. Diese Vorschriften wurden mit den Beschleunigungsgesetzen der Neunzigerjahre im Einklang mit der traditionellen und unumstrittenen40 dienenden Funktion des Verfahrensrechts perfektioniert.41 Hier scheint das deutsche Recht einen besonderen Weg eingeschlagen zu haben, da im europäischen Raum und im Unionsrecht die Form- und Verfahrensfehler sonst nicht so herabgestuft werden.42 Die Beschleunigungsgesetze der Neunzigerjahre haben das Thema der Vereinfachung nicht ad acta gelegt, sondern die Diskussion auf die europäische Ebene übertragen.43 Auf nationaler Ebene ging sie etwas zurückhaltender weiter, nicht nur wegen der weitgehenden Verbreitung einer „Verwaltungskultur der Effizienz“, sondern auch weil die neuen oder wachsenden Bedürfnisse – anders als in Frankreich und Italien – zu einem Ressourcenausbau für Personal und Infrastruktur geführt haben.44 Fiktive Verwaltungsakte tauchen im deutschen Verwaltungsrecht unabhängig von den unionsrechtlichen Vorgaben über die Verfahrensbeschleunigung und -vereinfachung in den Neunzigerjahren im Zuge der Debatte über die Vollzugsdefizite und über den für den „schlanken Staat“ und die Sicherung der Standortattraktivität notwendigen Bürokratieabbau45 auf. Man hat also einzelne Tatbestände in das Bundesrecht46 sowie in das Landesrecht47 (jeweils mit sehr unterschiedlicher Praxisrelevanz) eingeführt. Mit der Umsetzung der Dienstleistungsrichtlinie wurde in § 42a VwVfG und in den Verwaltungsverfahrensgesetzen der Länder zudem eine allgemeine Rege-
Verwaltungslegitimation in der Europäischen Union, in: Ferdinand Wollenschläger/Luca De Lucia (Hrsg.), Staat und Demokratie, Tübingen 2016, S. 55 f. 40 Ferdinand O. Kopp/Ulrich Ramsauer, VwVfG: Kommentar, 17. Aufl. 2016, § 45 VwVfG, Rn. 4. 41 Dazu Heribert Schmitz, Moderner Staat – Modernes Verwaltungsverfahrensrecht, NVwZ 2000, S. 1238 ff. 42 Claus Dieter Classen, Strukturunterschiede zwischen deutschem und europäischem Verwaltungsrecht – Konflikt oder Bereicherung?, NJW 1995, S. 2459. 43 Die Vereinfachungsdiskussion erreichte die EU-Kommission durch einen Studienausschuss, besetzt von einem Deutschen: darüber Jörg Luther, Semplificare la semplificazione? I lavori della Commissione parlamentare per la semplificazione nella XVIa legislatura, in: ders./Piera Maria Vipiana (Hrsg.), Contributi in tema di semplificazione normativa e amministrativa, POLIS Working Papers no. 208, Alessandria 2013, S. 2. 44 So auch Ferrari (Fn. 1). 45 Pascale Cancik, Fingierte Rechtsdurchsetzung? – Zum (sukzessiven) Abschied von der Eröffnungskontrolle, DÖV 2011, S. 1 ff. 46 Z. B. im Bauplanungsrecht § 6 Abs. 4; § 10 Abs. 2; § 36 Abs. 2 BauGB; in Bezug auf Tierversuche: § 8 Abs. 5a TierSchG a.F. 47 Sehr häufig in Bezug auf vereinfachte Baugenehmigungen: z. B. § 70 BauO Bln. Für weitere Beispiele: Henning Jäde, Bilanz der Bauordnungsreform, GewArch 2005, S. 10 f.
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lung über die Genehmigungsfiktion geschaffen.48 Der Gesetzgeber hat allerdings die Tragweite dieses Rechtsinstituts stark eingeschränkt, da es – anders als in Frankreich und Italien – keine automatische Anwendung findet, sondern einen ausdrücklichen sonderrechtlichen Anwendungsbefehl erfordert, der bislang nicht allzu häufig erteilt wurde.49 Trotz dieser zurückhaltenden Regelung stieß die Neuigkeit auf geringe Begeisterung, wenn nicht sogar auf starke Kritik,50 weswegen der bevorzugte Verfahrensabschluss weiterhin in einer schriftlichen Genehmigung zu bestehen scheint.51
V. Italien: Rasender Gesetzgeber gegen langsame Verwaltung? In Italien ist, auch aufgrund unionsrechtlicher Vorgaben,52 das Thema der Vereinfachung und Beschleunigung seit Jahrzehnten als Leitmotiv präsent. Dies hat zu einer Reihe von Gesetzen53 und einer kontinuierlichen Überarbeitung des allgemeinen Verfahrensgesetzes Nr. 241/1990 geführt, was jedoch – paradoxerweise – in der Praxis zu einer Verkomplizierung geführt hat. Verschiedene Regierungen haben die Vereinfachung der Rechtsetzung und der Verwaltungsorganisation auf ihre politische Agenda gesetzt, wenn auch diese Bestrebungen bisher nicht von großem Erfolg gekrönt waren. Die administrative Vereinfachung hätte sogar Verfassungsrang erhalten, wenn die Volksabstimmung über die im April 2016 vom Parlament verabschiedete Verfassungsreform positiv ausgegangen wäre.54 48
Dirk Bernhardt, Fingierte Genehmigungen nach der Dienstleistungsrichtlinie. Möglichkeiten der Regelung und Einschränkung, GewArch 2009, S. 105 ff.; Annette Guckelberger, Die Rechtsfigur der Genehmigungsfiktion, DÖV 2010, S. 109 ff.; Kopp/Ramsauer (Fn. 40), § 42a, Rn. 1 ff. 49 Kars J. de Graaf/Nicole G. Hoostra, Silence is Golden? Tacit Authorizations in the Netherlands, Germany and France, REALaw 2013, S. 14 ff., beschreiben die deutsche Reaktion als „reluctant“, während die niederländische „enthusiastic“ und die französische „a turnabout“ sei. 50 Sven Eisenmenger, § 42a VwVfG, Rn. 9 – 10, in: Michael Fehling u. a. (Hrsg.), Verwaltungsrecht, 4. Aufl., Baden-Baden 2016; Kopp/Ramsauer (Fn. 40), § 42a, Rn. 1; a.A. Jan Ziekow, Die Verbesserung der Rahmenbedingungen für mittelständische Unternehmen durch Einfügung von Genehmigungsfiktionen in das rheinland-pfälzische Landesrecht, LKRZ 2008, S. 1 ff. 51 Holger Weidemann/Torsten F. Barthel, Die Genehmigungsfiktion und das 4. VwVfÄndG, JA 2011, S. 225. 52 Guido Greco, L’incidenza del diritto comunitario sugli atti amministrativi nazionali, in: Mario Pilade Chiti/ders. (Hrsg.), Trattato di diritto amministrativo europeo, II, Milano 2007, S. 933 ff. 53 Vgl. Piera Maria Vipiana, La semplificazione amministrativa: inquadramento, classificazioni, evoluzione normativa e profili problematici, in: Luther/ders. (Fn. 43), S. 20 ff. 54 Art. 118 ital. Verf. in der neuen Fassung des Art. 32 Verfassungsänderungsgesetzes (Gazz. Uff. v. 15. 4. 2016, Nr. 88): „Die Verwaltungsaufgaben sind so auszuführen, dass die Vereinfachung und die Transparenz des Verwaltungshandelns nach Maßgabe der Effizienz und Haftung der Beamten garantiert sind“ (Übersetzung der Autorin). Die Abstimmung durch Referendum nach Art. 138 der italienischen Verfassung hat am 4. 12. 2016 stattgefunden.
Die Verfahrensvereinfachung in Frankreich, Deutschland und Italien
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Der italienische Weg zur Vereinfachung und Beschleunigung des Verwaltungsverfahrens konzentriert sich insbesondere auf die sog. Dienststellenkonferenz (Art. 14 ff.),55 auf die stillschweigende Zustimmung zwischen Behörden (17-bis), auf das Anzeigeverfahren (Art. 19), auf den einheitlichen Ansprechpartner (Art. 19-bis) und auf die Genehmigungsfiktion (Art. 20). Die letzten Änderungen in diesem Bereich sind dieses Jahr in Kraft getreten und stellen die Verwaltungen vor neue Probleme und Aufgaben. Vieles klingt fast wie eine Art Sanktion oder Mahnung (mit äußerst fraglicher Wirkung) gegen eine chronisch ineffiziente Verwaltung. In diese Richtung, d. h. auf den Weg der Effizienzsteigerung allein durch Verfahrensbeschleunigung, scheint sich auch die kürzlich verkündete Verordnung zur Vereinfachung und Beschleunigung des Verwaltungsverfahrens zu bewegen.56 Nach dieser Neuregelung werden jedes Jahr Schwerpunktvorhaben identifiziert, bei denen die Verfahrensfristen bis auf die Hälfte verkürzt werden können und es zu einer Ersatzvornahme des italienischen Ministerpräsidenten kommen kann. Die Verordnung schreibt auch vor, dass bereits angestellte qualifizierte Beamte ohne zusätzliche Entlohnung für die Ersatzvornahme zur Verfügung stehen sollen. Das Personal wird also einfach aus den laufenden Arbeitsprozessen abgezogen. Wenn man diese Regelung über die Schwerpunktvorhaben mit derjenigen über die Genehmigungsfiktion und derjenigen über die stillschweigende Zustimmung zwischen Behörden kombiniert, steigern sich die damit zusammenhängenden Probleme, was die Rechtssicherheit, die effektive Interessenabwägung und nicht zuletzt den Drittschutz massiv beeinträchtigt. In terminologischer Hinsicht sind Italien und Frankreich sehr ähnlich, da die Genehmigungsfiktion als silenzio-assenso (wörtlich „zustimmendes Schweigen“ der Behörde) bezeichnet wird. Dogmatisch scheint allerdings kein Unterschied zur deutschen Fiktion zu bestehen. Interessanterweise sieht Italien von allen drei Ländern die kürzeste allgemeine Frist für fiktive Genehmigungen vor: Wenn nicht anders geregelt, gilt die Zustimmung nach 30 Tagen als erteilt,57 in Deutschland nach drei (§ 42a VwVfG) und in Frankreich nach zwei Monaten. Die Genehmigungsfiktion stellt in Italien seit 2005 den Normalfall dar. Ausgenommen sind nur bestimmte Bereiche oder öffentliche Interessen, die als besonders schutzwürdig gelten, wie Umwelt, Landschaft und Immigration,58 wobei dieser besondere Schutz im Laufe der Zeit und der Gesetzesänderungen allmählich reduziert wurde. Die stillschweigende Zustimmung gilt heute nicht nur in Bezug auf Genehmigungen, sondern auch – und hier 55
So die Übersetzung von „conferenza di servizi“, die sehr ähnlich zum deutschen Sternverfahren ist. Anders als der deutsche Gesetzgeber, der das Sternverfahren aus § 71d VwVfG gestrichen hat, hält der italienische an diesem komplizierten Institut fest und versucht es mit immer neuen Regelungen wiederzubeleben: De Lucia (Fn. 38), RGU 2016, S. 12 ff. 56 D.P.R. v. 12. 9. 2016, Nr. 194, Gazz. Uff. v. 27. 10. 2016, Nr. 252. 57 S. Art. 20 i.V.m. Art. 2 und Art. 17-bis Gesetz Nr. 241/90. 58 Das bedeutet nicht, dass in diesen Bereichen keine Genehmigungsfiktion möglich ist. Sie soll aber von Sonderbestimmungen vorgeschrieben werden, da die allgemeine Regelung keine Anwendung findet.
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ohne Ausnahmen – bei komplexen Verfahren, die ein Zusammenwirken verschiedener Behörden oder öffentlicher Rechtsträger vorsehen (Art. 17-bis Gesetz Nr. 241/ 1990).59 Die Fiktion des Art. 20 Gesetz Nr. 241/1990 ist die Regel, wenn eine Ermessensentscheidung oder wenigstens ein Beurteilungsspielraum der Verwaltung vorliegt, während das Anzeigeverfahren nach Art. 19 nur bei gebundenen Verwaltungsentscheidungen zum Tragen kommt. In diesem Fall gibt es keine fingierte Genehmigung und der Bürger darf gleich seinem Anliegen nachgehen, nachdem er den Tätigkeitsbeginn gemeldet hat. Nur in Italien wird das Anzeigeverfahren als allgemeine Regel aufgestellt, während die anderen Länder diese Verfahrensart nur im besonderen Verwaltungsrecht kennen. Mit der letzten Novellierung dieser bereits sehr oft geänderten Vorschriften60 wurde die Regierung ermächtigt, jene Verfahren aufzulisten, die nun der Genehmigungsfiktion oder einer ausdrücklichen Genehmigung oder dem Anzeigeverfahren unterliegen. Zu bedenken ist allerdings, dass die Listen – anders als in Frankreich – in einem Dekret mit Gesetzeskraft beschlossen werden, das daher nicht nur enumerativen Charakter hat, sondern auch Änderungen der jeweiligen Fachregelungen nach sich zieht.61 Das Anzeigeverfahren nach Art. 19 und die Genehmigungsfiktion nach Art. 20 des Gesetzes Nr. 241/90 umfassen somit die Mehrheit der Fälle. Da diese beiden Rechtsinstitute auch oft von Sonderregelungen aufgegriffen werden, befindet sich in Italien die traditionelle schriftliche Genehmigung auf den Rückzug, was jedoch nicht immer vorteilhaft ist. Beanstandet wird die geringere Rechtssicherheit sowie eine Abdankung und Verantwortungsentledigung vonseiten der Verwaltungsbehörden, was auch mit einem finanziellen und sonstigen Aufwand für den Antragsteller verbunden und mit Blick auf den Drittschutz und auf Rechtmäßigkeitsaspekte nicht förderlich ist. Hinzu kommt, dass in der Praxis Investoren oft eine schriftliche Genehmigung verlangen, die nicht mehr vom Gesetz vorgesehen ist. Im Juni 2016 wurde daher Art. 18-bis hinzugefügt, der eine behördliche Bestätigung der Anzeige oder des Antrags vorsieht, und der Art. 19-bis mit einer ausdrücklichen Regelung über den „OneStop-Shop“ im Anzeigeverfahren ergänzt. Diese Vorschriften sind nahezu inhaltsgleich mit dem neu eingeführten Art. L232 – 3 CRPA in Frankreich und mit § 42a Abs. 3 VwVfG in Deutschland.
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Eingeführt durch Art. 3 Gesetz v. 7. 8. 2015, Nr. 124, Gazz. Uff. v. 13. 8. 2015, Nr. 187. Ferrari (Fn. 1). 61 Die entsprechenden Listen sind nun in Vorbereitung, vgl. den Entwurf auf http://www.se nato.it/leg/17/BGT/ Schede/docnonleg/ 33033.htm [5. 11. 2016]. 60
Die Verfahrensvereinfachung in Frankreich, Deutschland und Italien
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VI. Konvergenzen im besonderem Verwaltungsrecht am Beispiel des Baurechts In allen drei Ländern ist das Baurecht ein Bereich, der sich oft für das Experimentieren neuer Regelungen eignet, die dann ins allgemeine Verwaltungsrecht aufgenommen werden.62 Von Interesse ist, dass es hier zahlreiche Konvergenzen gibt, was einerseits auf Spill-over-Effekte des Unionsrechts, anderseits auf ein natürliches Zusammenfinden der Rechtsordnungen hindeutet.63 Dies kann mit dem Bedürfnis nach Erhöhung der Standortattraktivität einhergehen. Wenn man sich auf die baurechtlichen Verfahrensarten konzentriert, stößt man neben der schriftlichen Baugenehmigung64 (permis de construire und permesso di costruire) auf die fiktive Baugenehmigung65, das Anzeigeverfahren66 (déclaration préalable de travaux67 und dichiarazione di inizio attività68), das freigestellte Genehmigungsverfahren69 (segnalazione certificata di inizio attività70) und die absolut freien Vorhaben. In Deutschland steht die Entscheidung über die Verfahrenswahl den Ländern zu. In Italien haben die Regionen zwar eine ausführende Gesetzgebungskompetenz in diesem Bereich,71 können jedoch die Genehmigungsfiktion nicht ausschließen, weil sie einen Grundsatz des Baurechts und einen „wesentlichen Leistungsstandard“ laut Art. 117 Abs. 2 lit. m der Verfassung darstellt. Bemerkenswert ist, dass im französischen Code de l’urbanisme kein Parallelinstitut zum freigestellten Genehmigungsverfahren existiert und die fingierte Baugenehmigung der déclaration préalable sehr nahe steht, da beide auch hinsichtlich der Rücknahme und der Anfechtung gemeinsame Verfahrensregeln und eine genehmigende Verwaltungstätigkeit voraussetzen. Bei besonders schutzwürdigen Interes62
In Frankreich kannte dieser Sektor bereits seit den 1970er Jahren die Genehmigungsfiktion. In Italien war das Baurecht Vorreiter für freigestellte Verfahren und Partizipation. 63 Äußerst passend zum besonderem Verwaltungsrecht ist die Beobachtung, dass Konvergenzen ein Verschleifen traditioneller Systemunterschiede anzeigen und deutlich machen, dass praktische Lösungen für das Verwaltungsrecht ihre eigene Rationalität haben, mit der dieses Rechtsgebiet über Unterscheidungsmerkmale staatstheoretischer Konstrukte hinausgreift, so Schmidt-Aßmann/Dagron (Fn. 12), ZaöRV 2007, S. 418 f. 64 Zusammenfassend und mit Bezug auf die MusterBO: Jäde (Fn. 47), GewArch 2005, S. 1 ff. 65 Vgl. z. B. § 70 Abs. 4 BauO Bln; Art. L424 – 2 u. R424 – 1 Code de l’urbanisme und Art. 20 Präsidentialdekret Nr. 380/01. 66 Z. B. Art. 58 BayBO. 67 Art. L421 – 4 ff. Code de l’urbanisme. 68 Art. 22 Abs. 3 Präsidentialdekret Nr. 380/01. 69 In diesem Fall darf die Aktivität nach einer sehr kurzen Zeit bzw. gleich angefangen werden, vgl. z. B. Art. 67 BauO NRW. 70 Art. 22 f. Präsidentialdekret Nr. 380/01. 71 Das entspricht ungefähr der ehemaligen deutschen Rahmengesetzgebung.
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sen gilt die Untätigkeit der Verwaltung als Ablehnung durch die Behörde (Art. L423 – 33), während z. B. in Italien diese Fälle eine ausdrückliche Entscheidung erfordern. Die Zentralität des Verwaltungsakts und der Verwaltungskontrolle scheint also im französischen Rechtssystem fortzubestehen. Italien und Deutschland sind ein Stück weitergegangen, da bei einem Anzeigeverfahren (beziehungsweise einer freigestellten Genehmigung) mit der Bauausführung gleich begonnen werden darf, auch wenn die Verwaltung sie innerhalb einer bestimmten Frist stoppen kann. Das ist weniger der Vereinfachung als der Liberalisierung zuzuordnen. In Italien lässt sich ein anderes Phänomen beobachten. Während einerseits der herkömmliche, schriftliche Verwaltungsakt (insbesondere die Genehmigung) an Bedeutung verliert, werden anderseits traditionell freie und baurechtlich irrelevante Aktivitäten mit neuen bürokratischen Obliegenheiten wie Mitteilungserfordernisse über die Durchführungsmodalitäten belastet. Das ist nicht sehr kohärent. Wenn auch die ausgebliebene Mitteilung nur eine Geldbuße zur Folge hat und die Verwaltung keine Möglichkeit hat, die Ausführung zu verbieten, kommt es hier ohne erkennbare Logik zu einer zusätzlichen Bürokratisierung.
VII. Schlussfolgerung Eine erste Konvergenz der Verwaltungssysteme besteht zweifellos in der Tendenz zur Verfahrenskodifizierung und zur permanenten Verwaltungsreform. Allerdings gibt es Kodifizierungen, die mit der tatsächlichen Entwicklung der Verwaltung und der Verwaltungskultur in Zusammenhang stehen (so könnte man Frankreich und Deutschland einordnen) und solche, die als Reaktion gegen pathologische Erscheinungen eintreten. Letzteres scheint der italienische Weg zu sein: Man ist hier auf der Suche nach immer neuen gesetzlichen Regelungen angesichts einer ineffizienten Verwaltung, statt sich um die Behebung der Anwendungsprobleme zu bemühen. Die Ineffizienz wird also bekämpft, indem man die administrative Nichtbescheidung in den Fokus stellt. Zugleich werden jedoch die formalen Verfahrensstufen vermehrt, was die Ineffizienz noch erhöht und zu einer Häufung anfechtbarer Akte führt. Von entscheidender Bedeutung wäre es daher, wenn neben den technischen Vereinfachungs- und Beschleunigungsmaßnahmen eine verantwortungsbewusste Verwaltungskultur ausgebildet würde.72 Während Art. 34 GG den Begriff der Amtshaftung breit anlegt, bleibt Art. 28 der italienischen Verfassung sehr restriktiv. Die Amtshaftung wird heute von Art. 21 Abs. 2-ter Gesetz Nr. 241/90 auf den Beamten ausgedehnt, der nicht unverzüglich gehandelt hat, um eine rechtswidrige fiktive Genehmigung oder Säumnis im Falle eines Anzeigeverfahrens zu vermeiden; Art. 2-bis Gesetz Nr. 241/90 sieht eine Schadensersatzpflicht bei Verfahrensverzögerungen durch Untätigkeit vor. Der Inhalt der Vorschriften ist allerdings nicht innovativ, sie gelten mehr als ein memento. 72
Travi (Fn. 3), § 6.
Die Verfahrensvereinfachung in Frankreich, Deutschland und Italien
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Was die Förmlichkeit der Verfahren angeht, unterscheiden sich die drei untersuchten Länder noch immer extrem. Deutschland sieht sehr differenzierte förmliche Verfahren vor und ist das einzige Land, in dem die Verwaltung eine allgemeine Ermächtigung zur effizienten Verfahrenswahl erhalten hat. Sie kann quasi das Verfahren selbst managen, während die italienische und die französische Verwaltung sehr enge Verfahrenskorsette zu tragen haben. In beiden Ländern erlebt man einen beschleunigten Prozess der Verwaltungsmodernisierung, was zu jährlichen normativen Änderungen führt und insbesondere in Italien zu einem Oszillieren zwischen Verwaltungsentmachtung und Schaffung neuer Aufgaben und Pflichten sowie Informationszwängen führt. Das steht in engem Zusammenhang zu einer oft konzeptlosen Regulierung des Verwaltungsrechts. Eine gewisse Parallele lässt sich in den untersuchten Ländern auch hinsichtlich der Adressaten der Vereinfachungsmaßnahmen – der Bürger oder der Unternehmen – feststellen sowie der Tatsache, dass in letzter Zeit die normativen Änderungen auf eine Standortverbesserung im europäischen oder globalen Wettbewerb ausgerichtet waren.73 Zur Erreichung dieses Ziels stehen die Mitgliedstaaten nicht nur im Wettbewerb, sondern bewegen sich oft in gleichlaufende Richtungen.74 Sie realisieren somit eine spontane Integration, auf die Europa zählt.75 Obwohl die Aufmerksamkeit der rechtsvergleichenden Wissenschaft sich auf die konvergierenden Entwicklungen richtet, sollte der Blick nicht darauf verengt werden: Divergenzen verraten sehr viel über die verschiedenen Systeme und Verwaltungskulturen sowie über die Ähnlichkeiten in der Praxis und der Politik. Die Beobachtung der Unterschiede hat daher einen großen Wert: Die nationalen Besonderheiten sind keine Hindernisse für den Vergleich und den Europäisierungsprozess, sondern stellen einen Erfahrungsschatz dar und schaffen den Nährboden für Rechtsinnovationen.76 Sie können für die Lehre, den Gesetzgeber und die Rechtsprechung inspirierend wirken.
73 Ebd., § 1 ff.; Mehde (Fn. 8) sowie Luca De Lucia, Die Modernisierung der öffentlichen Verwaltung als Standortfaktor, ebenfalls in diesem Band. 74 Sog. Parallelentwicklungen, die eine Durchsetzungsfähigkeit einer Entwicklungsrichtung indizieren und Lösungsmusters bieten können: Schmidt-Aßmann/Dagron (Fn. 12), ZaöRV 2007, S. 418. 75 Karl-Peter Sommermann, Gemeineuropäische Verwaltungskultur als Gelingensbedingung europäischer Integration? DÖV 2015, S. 449 ff. 76 Schmidt-Aßmann/Dagron (Fn. 12), ZaöRV 2007, S. 397.
Die Rolle der Verwaltungskultur für eine effektive Implementierung des Unionsrechts
Unionsrechtliche Rahmenbedingungen und Steuerungsmechanismen für eine effektive Implementierung des Unionsrechts Siegfried Magiera
I. Verwaltungskultur in der Europäischen Union Ob es eine europäische Verwaltungskultur oder eine Verwaltungskultur der Europäischen Union gibt, mag fraglich sein. Einvernehmen besteht zwar darüber, dass es Verwaltungskultur in der Europäischen Union und damit in den Mitgliedstaaten gibt; was Verwaltungskultur ist, wer sie bestimmt, wem sie dient und welchen Zweck sie verfolgt beziehungsweise verfolgen soll, wird hingegen in Wissenschaft und Praxis kontrovers diskutiert.1 Im Rahmen der Europäischen Union geht es vor allem darum, ob die mitgliedstaatlich ausgeprägten Verwaltungskulturen auf die Bedürfnisse der Union auszurichten sind und inwieweit dies erforderlich und erreichbar ist. Fragen werden gestellt unter anderem zu ihrer Konvergenz, Divergenz und Persistenz,2 zu den Effekten von Hierarchie, Wettbewerb und Kommunikation3 oder zur Entwicklung einer gemeinsamen europäischen Verwaltungskultur.4 In diesem Beitrag geht es um die unionsrechtlichen Rahmenbedingungen und Steuerungsmechanismen, das heißt um die Anforderungen des Unionsrechts an seine effektive Implementierung und damit zugleich an die Verwaltungskultur in der Europäischen Union insgesamt. Hierzu hat insbesondere Karl-Peter Sommermann auf die Bedeutung der europäischen Integration durch das Recht hingewiesen, das in Verbindung mit weicheren Faktoren, wie etwa den Erfordernissen einer guten Verwaltung, die Verwaltungskultur beeinflusst. Dabei gehe es nicht um die Entwicklung einer ein-
1 Vgl. dazu die Beiträge in: Klaus König u. a. (Hrsg.), Grundmuster der Verwaltungskultur, Baden-Baden 2014, S. 11 ff. 2 Sabine Kuhlmann, Verwaltungspluralität in Europa: Konvergenz, Divergenz oder Persistenz?, in: König u. a. (Fn. 1), S. 469 ff. 3 Christoph Knill, Europäisierung der Verwaltung: Effekte von Hierarchie, Wettbewerb und Kommunikation, in: König u. a. (Fn. 1), S. 559 ff. 4 Karl-Peter Sommermann, Towards a Common European Administrative Culture?, in: König u. a. (Fn. 1), S. 605 ff.
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heitlichen europäischen Verwaltungskultur, sondern – begrenzter – um die Implementierung des Unionsrechts und die Respektierung der gemeinsamen Werte.5 Dementsprechend sollen in den folgenden Ausführungen nach einem kurzen Blick auf die Besonderheiten der Union und ihrer Rechtsordnung die für eine effektive Implementierung des Unionsrechts bisher entwickelten Instrumente der Prävention, der Kontrolle und der Sanktionierung vorgestellt und bewertet werden.6
II. Die Europäische Union als Rechtsgemeinschaft Wie schon häufig zuvor ist der europäische Integrationsprozess gegenwärtig wiederum in eine Phase tiefgreifender Auseinandersetzungen eingetreten. Konkreter Anlass dafür sind die weltweite Finanz- und Wirtschaftskrise und die besondere Eurokrise sowie die zunehmende Binnenwanderung und die Zuwanderung von Personen aus Drittstaaten. Es werden Fragen nach dem Sinn und dem Wert der Europäischen Union für deren Mitgliedstaaten und Bürger gestellt. Auch Anzeichen für eine erneute Vertragsrevision oder gar einen Austritt aus der Union sind zu beobachten. Anders als ihre Mitgliedstaaten verfügt die Union nicht über hoheitliche Mittel, um ihre Rechtsordnung notfalls zwangsweise zu sichern. Sie ist vielmehr auf eine Herrschaft des Rechts begrenzt. Deren Wirksamkeit hängt von der Erfüllung hoher Anforderungen ab, wenn das Unionsrecht nicht nur normativ gelten, sondern auch tatsächlich beachtet und befolgt werden soll. Dabei ist die Union wesentlich auf die Mitgliedstaaten angewiesen, die über den Rat einen entscheidenden Einfluss auf die Rechtssetzung ausüben und eine maßgebliche Rolle bei deren Implementierung spielen.7 An der Verwirklichung des Unionsrechts sind neben den Unionsorganen und den Mitgliedstaaten auch die Bürger aktiv beteiligt, insbesondere über die Wahl des Europäischen Parlaments8 und die Inanspruchnahme gerichtlichen Rechtsschutzes9 sowie die durch den Vertrag von Lissabon ermöglichte Bürgerinitiative.10 Wesensmerkmal der europäischen wie jeder
5 Ebd., S. 623 f.; ders., Gemeineuropäische Verwaltungskultur als Gelingensbedingung europäischer Integration?, DÖV 2015, S. 449 ff. 6 Die folgenden Ausführungen schließen an den Beitrag des Verfassers „Durchsetzung des Europarechts“ an, der in: Reiner Schulze/Manfred Zuleeg/Stefan Kadelbach (Hrsg.), Europarecht – Handbuch für die Europäische Rechtspraxis, 3. Aufl., Baden-Baden 2014, S. 560 ff. erschienen ist und weiterführende Nachweise aus Literatur und Praxis enthält. 7 Art. 16 EUV, Art. 288 ff. AEUV. 8 Art. 14 EUV. 9 Art. 263 Abs. 4, 265 Abs. 3, 267, 268 AEUV. 10 Art. 11 Abs. 4 EUV, Art. 24 Abs. 1 AEUV.
Unionsrechtliche Rahmenbedingungen und Steuerungsmechanismen
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Rechtsordnung sind die Einheit und die Wirksamkeit ihrer Normen.11 Dementsprechend müssen die Adressaten in allen Mitgliedstaaten denselben Regeln unterliegen und diese tatsächlich befolgen. Im Unterschied zu traditionellen internationalen Organisationen ist die Rechtsordnung der Union durch das Prinzip der Supranationalität geprägt. Dieses Prinzip ermöglicht eine Rechtssetzung, die nicht stets der Zustimmung aller Mitgliedstaaten bedarf und dennoch alle Mitgliedstaaten verpflichtet.12 Sie hat zudem Vorrang gegenüber den Rechtsordnungen der Mitgliedstaaten13 und bindet unmittelbar auch die Unionsbürger und andere Einzelpersonen.14
III. Besonderheiten der Unionsrechtsordnung In der Praxis ist insbesondere die Implementierung des Unionsrechts auf erhebliche Schwierigkeiten gestoßen. Ursächlich sind im Wesentlichen die Komplexität des Unionsrechts und seine dezentralen Implementierungsmechanismen. Die Komplexität des Unionsrechts hat ihre Ursache zunächst in den unterschiedlichen Traditionen, Interessen und Sprachen der Mitgliedstaaten. Zudem erfordert das in den Bereichen des Agrarmarkts und der Strukturfonds planwirtschaftlich geprägte Unionssystem ständig anpassungsbedürftige Rechtsvorschriften. Die dezentrale Implementierung des Unionsrechts hat zur Folge, dass die Mitgliedstaaten auch für die dabei erforderliche Wahrung der Unionsinteressen zuständig und verantwortlich sind. Einer wirksamen und einheitlichen Wahrung dieser Interessen stehen zunächst die unterschiedlichen Rechtsordnungen sowie Organisations- und Verfahrensstrukturen der Mitgliedstaaten, das heißt deren identitätsbildenden Rechts- und Verwaltungskulturen, entgegen. Auch verlaufen die Interessen der Union und der Mitgliedstaaten nicht stets parallel und bisweilen sogar gegeneinander. Dies zeigt sich deutlich bei dem Schutz der finanziellen Interessen der Union, bei der Vergabe staatlicher Beihilfen, bei der Vermeidung übermäßiger öffentlicher Defizite oder bei der Abwägung zwischen gemeinschaftlichen Grundfreiheiten und nationalen Vorbehalten. 11
EuGH, Urt. v. 13. 12. 1979, Rs. 44/79, Hauer, Slg. 1979, 3727, Rn. 14; EuGH, Urt. v. 21. 9. 1983, Rs. 205-215/82, Deutsche Milchkontor, Slg. 1983, 2633, Rn. 17; EuGH, Urt. v. 26. 2. 2013, Rs. C-399/11, Melloni, EU:2013:C:107, Rn. 60. 12 Art. 16 Abs. 3 EUV (betr. die Beschlussfassung im Rat); vgl. auch BVerfGE 89, 155 (183). 13 EuGH, Urt. v. 5. 7. 1964, Rs. 6/64, Costa/E.N.E.L., Slg. 1964, 1251 (1270); Regierungskonferenz zum Vertrag von Lissabon, 17. „Erklärung zum Vorrang“, ABl. 2016 C 202/ 344. 14 EuGH, Urt. v. 5. 2. 1963, Rs. 26/62, Van Gend & Loos, Slg. 1963, 1 (24); EuGH, Urt. v. 9. 3. 1978, Rs. 106/77, Simmenthal, Slg. 1978, 629, Rn. 14/16; ebenso – aus der Sicht des Grundgesetzes – BVerfGE 73, 339 (374 f.).
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Erfolgversprechende Reformansätze für eine verbesserte Implementierung des Unionsrechts lassen sich untergliedern in solche der Prävention, der Kontrolle und der Sanktion.
IV. Qualität der Unionsrechtsnormen Die wirksame Implementierung des Unionsrechts hängt zunächst präventiv von der Qualität der gemeinschaftlichen Rechtsvorschriften ab. Deren Mängel zeigten sich bei der Vollendung des Binnenmarkts so deutlich, dass die Mitgliedstaaten im Europäischen Rat schon 1992 den ausdrücklichen Wunsch äußerten, das Unionsrecht einfacher und klarer zu gestalten.15 Wesentliche Gründe für Umfang und Komplexität des Unionsrechts liegen in dem technischen Charakter vieler Vorschriften und in dem Erfordernis zum Kompromiss zwischen den unterschiedlichen nationalen Standpunkten. Zudem teilt das Unionsrecht das Schicksal des mitgliedstaatlichen Rechts, dessen Umfang und Komplexität trotz aller Anstrengungen um Verringerung und Vereinfachung eher zu- als abnimmt. Dennoch ist die Union kontinuierlich um eine Verbesserung ihres Rechts durch Vereinfachung und Aktualisierung bemüht.16 Häufig geänderte Rechtsvorschriften werden zunehmend in einem einzigen Text zusammengefasst. Neue Rechtsvorschriften sollen sich auf das Wesentliche konzentrieren. Einzelheiten hingegen sollen spezifischen Ausführungsbestimmungen oder der Rechtssetzung in den Mitgliedstaaten überlassen bleiben. Allgemein gilt es, die Rechtssetzung der Union an ihrem europäischen Mehrwert und an den Kosten des Nicht-Europas auszurichten.17 Unterstützt wird dieses Ziel durch das von der Kommission geschaffene Programm „REFIT“ zur Gewährleistung der Effizienz und Leistungsfähigkeit der Rechtssetzung.18 Eine Vereinfachung oder Verringerung des Unionsrechts kann jedoch auch zu Regelungslücken oder einem Rückschritt des gemeinschaftlichen Besitzstandes führen. Handelt es sich dabei nicht um die Beseitigung einer allgemein entbehrlichen Überregulierung, so besteht die Gefahr, dass die einheitliche gemeinschaftliche Regelung durch 28 verschiedene mitgliedstaatliche Regelungen ersetzt wird oder die entstehende Regelungslücke durch die Rechtsprechung ausgefüllt werden muss. 15
Europäischer Rat von Birmingham, Schlussfolgerungen des Vorsitzes, Bulletin der Europäischen Gemeinschaften 1992, Nr. 10, S. 9, Ziff. I.8. 16 Europäische Kommission, Bessere Ergebnisse durch bessere Rechtsetzung – Eine Agenda der EU, COM(2015) 215 final. 17 Interinstitutionelle Vereinbarung zwischen dem Europäischen Parlament, dem Rat der Europäischen Union und der Europäischen Kommission über bessere Rechtsetzung v. 13. 4. 2016, ABl. 2016 L 123/1. 18 Europäische Kommission, Programm zur Gewährleistung der Effizienz und Leistungsfähigkeit der Rechtsetzung (REFIT): Bestandsaufnahme und Ausblick, COM(2014) 368 final.
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V. Kontrollmechanismen Für die wirksame Implementierung des Unionsrechts kommt es neben der Qualität seiner Normen auf die von den Gerichten und von der Verwaltung ausgeübte Kontrolle an. 1. Gerichtliche Kontrolle Bei der gerichtlichen Kontrolle ist zu unterscheiden zwischen dem zentralen Rechtsschutz durch die Unionsgerichte und dem dezentralen Rechtsschutz durch die mitgliedstaatlichen Gerichte. Eine Kooperation zwischen beiden Gerichtsbarkeiten erfolgt über das Verfahren der Vorabentscheidung.19 In der Praxis hat sich die Ausgestaltung der gerichtlichen Kontrolle generell als angemessen und wirksam erwiesen.20 Beispielhaft dafür ist das Vertragsverletzungsverfahren, das die Kommission bei Unionsrechtsverstößen der Mitgliedstaaten einleiten kann.21 Es ermöglicht, Schwierigkeiten bei der Implementierung des Unionsrechts schon im Vorfeld einer unter Umständen langwierigen gerichtlichen Auseinandersetzung auszuräumen. Aufgrund seiner Vorwirkungen führt es in weniger als 10 % der Fälle zur Klageerhebung, im Übrigen schon im Vorverfahren zu unionsrechtskonformen Lösungen.22 Andererseits unterliegt die gerichtliche Kontrolle systemimmanenten Restriktionen. Sie eignet sich für wichtige Einzelfälle, insbesondere zur Wahrung der Rechtseinheit in der Union, nicht zur generellen Aufsicht. Insoweit wird sie zwar durch die dezentrale Kontrolle der mitgliedstaatlichen Gerichtsbarkeit ergänzt; jedoch ist diese ebenfalls nur auf Einzelfälle und zudem auf das individuelle Klägerinteresse bezogen. Auch beschränkt sich die gerichtliche Kontrolle auf eine nachträgliche Überprüfung anhand allein rechtlicher Maßstäbe. 2. Administrative Kontrolle Die zusätzlich erforderliche administrative Kontrolle obliegt auf Unionsebene schwerpunktmäßig der Kommission. Die Kommission unterliegt ihrerseits der rechtlichen Kontrolle des Gerichtshofs und der politischen Kontrolle des Parlaments.23 Die von ihr wahrzunehmende Kontrollfunktion besteht in einer Rechtsaufsicht, 19
Art. 267 AEUV. Zum Stand und zu Verbesserungsanstrengungen in den Mitgliedstaaten vgl. Europäische Kommission, EU-Justizbarometer 2016, COM(2016) 199 final. 21 Art. 258 AEUV. 22 Europäische Kommission, 26. Jahresbericht über die Kontrolle der Anwendung des EURechts (2008), KOM (2009) 675 endg, S. 2; vgl. auch dies., Kontrolle der Anwendung des EU-Rechts: Jahresbericht 2015, COM(2016) 463 final, S. 25 ff. 23 Art. 17 Abs. 1 und 8 EUV, Art. 234 AEUV. 20
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nicht auch in einer Fachaufsicht. Sie umfasst grundsätzlich auch keine Befugnis zu Weisungen an die Mitgliedstaaten, die für die Implementierung des Unionsrechts in erster Linie verantwortlich sind.24 Zu den eingeleiteten Maßnahmen gehören Informationen der Mitgliedstaaten über ihren Verwaltungsaufbau und die Benennung zentraler Ansprechpartner, ferner Leitfäden, Umsetzungspläne und Auslegungsmitteilungen der Kommission zum Unionsrecht und zur Unionspraxis sowie die Aus- und Weiterbildung von Verwaltungsangehörigen. Die Zusammenarbeit dient vor allem der vorbeugenden Kontrolle und konzentriert sich vorrangig auf Fälle schwerer Verstöße gegen das Unionsrecht. Sie wird unterstützt durch Einbeziehung der Öffentlichkeit, die zur Informationsgewinnung beitragen, sich selbst Zugang zu Dokumenten verschaffen oder auf Bekanntmachungen der Kommission reagieren kann. Im Einzelnen hat die Kommission dazu verschiedene Informations-, Kommunikations- und Beschwerdeinstrumente – wie EU-Pilot oder SOLVIT – entwickelt.25 Diese sollen helfen, das Unionsrecht besser zu verstehen und Rechtsverstöße möglichst zu vermeiden oder vor Einleitung von Vertragsverletzungsverfahren zu beheben.
VI. Sanktionsinstrumente Die wirksame Implementierung des Unionsrechts ist schließlich, soweit Maßnahmen der Prävention und der Kontrolle nicht ausreichen, auf Mittel der Sanktionierung angewiesen. Von besonderer Bedeutung sind die Instrumente der unmittelbaren Wirkung von Richtlinien, der Staatshaftung sowie finanzielle Sanktionen gegen Mitgliedstaaten und Einzelpersonen. 1. Unmittelbare Wirkung von Richtlinien Die Richtlinien gehören zu den Hauptrechtssetzungsinstrumenten der Union. Sie sind nur für die Mitgliedstaaten verbindlich, die jedoch für die Umsetzung der Richtlinienziele in ihr nationales Recht verantwortlich sind.26 Das zweistufige Verfahren gibt den Mitgliedstaaten einen Gestaltungsspielraum, verursacht jedoch auch erhebliche Probleme bei der Implementierung des Unionsrechts. Trotz langjähriger Verbesserungsbemühungen setzen alle Mitgliedstaaten Richtlinien nicht stets fristgerecht oder ordnungsgemäß um, was zu Benachteiligungen 24 EuGH, Beschluss v. 30. 9. 1987, Rs. 229/86, Brother Industries/Kommission, Slg. 1987, 3757 (3763); EuGH, Urt. v. 20. 3. 1997, Rs. C-57/95, Frankreich/Kommission, Slg. 1997, I-1627, Rn. 23 ff. 25 Europäische Kommission, Kontrolle der Anwendung des EU-Rechts @ Jahresbericht 2014, COM(2015) 329 final, S. 4, 22 ff. 26 Art. 288 Abs. 3 AEUV.
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von Bürgern und Unternehmen führen kann.27 Abhilfe sollen erläuternde Dokumente schaffen, die der Kommission von den Mitgliedstaaten zusätzlich zur Mitteilung über die Richtlinienumsetzung einzureichen sind.28 Zur Überbrückung dieser Defizite dient die vom Europäischen Gerichtshof entwickelte unmittelbare Wirkung von Richtlinien.29 Diese ermöglicht es, Versäumnissen der Mitgliedstaaten bei der Umsetzung von Richtlinien wirksamer zu begegnen als durch ein Vertragsverletzungsverfahren vor dem Gerichtshof. Auch verhilft sie dem Einzelnen schneller zu seinem Recht. Ihre Tragweite ist jedoch begrenzt und mit Unsicherheiten behaftet. Sie soll Versäumnisse der Mitgliedstaaten sanktionieren und kann dennoch den Einzelnen auch belasten.30 Zudem bringt sie Auslegungsschwierigkeiten und entsprechende Prozessrisiken mit sich, und zwar nicht nur für den Einzelnen, sondern auch für die damit befassten mitgliedstaatlichen Behörden. 2. Staatshaftung Die unmittelbare Wirkung von Richtlinien wird ergänzt durch den ebenfalls durch den Europäischen Gerichtshof entwickelten Grundsatz der Staatshaftung als weiteres Sanktionsinstrument.31 Allgemein verpflichtet er die Mitgliedstaaten zum Ersatz von Schäden, die dem Einzelnen durch dem Staat zuzurechnende Verstöße gegen das Unionsrecht entstehen. Dies setzt voraus, dass die verletzte Unionsrechtsnorm bezweckt, dem Einzelnen Rechte zu verleihen, dass der Rechtsverstoß offenkundig und erheblich ist, und dass zwischen dem Rechtsverstoß und dem zugefügten Schaden ein unmittelbarer Kausalzusammenhang besteht. Der Umfang des Schadensersatzes muss so bemessen sein, dass ein effektiver Schutz der Rechte des Einzelnen gewährleistet ist.
27 Europäische Kommission, Kontrolle der Anwendung des EU-Rechts – Jahresbericht 2015, COM(2016) 463 final, S. 34. 28 Gemeinsame Politische Erklärungen v. 28. 9. 2011 und v. 27. 10. 2011 der Mitgliedstaaten und der Kommission zu erläuternden Dokumenten, ABl. 2011 C 369/14 und 15; Europäische Kommission, Durchführung der beiden Gemeinsamen Politischen Erklärungen zu erläuternden Dokumenten über die Richtlinienumsetzung in den Mitgliedstaaten, COM(2013) 788 final. 29 EuGH, Urt. v. 4. 12. 1974, Rs. 41/74, van Duyn, Slg. 1974, 1337, Rn. 12; EuGH, Urt. v. 10. 9. 2002, Rs. C-141/00, Kügler, Slg. 2002, I-6833, Rn. 51; zustimmend BVerfGE 75, 223 (240 ff.). 30 EuGH, Urt. v. 7. 1. 2004, Rs. C-201/02, Wells, Slg. 2004, I-723, Rn. 56 ff.; EuGH, Urt. v. 17. 7. 2008, Rs. C-152/07, Arcor, Slg. 2008, I-5959, Rn. 36. 31 EuGH, Urt. v. 19. 11. 1991, Rs. C-6/90, Francovich, Slg. 1991, I-5357, Rn. 31 ff.; EuGH, Urt. v. 5. 3. 1996, Rs. C-46/93, Brasserie du Pêcheur, Slg. 1996, I-1029, Rn. 20 ff.
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3. Geldbußen gegen Mitgliedstaaten Zusätzlich hat der Vertrag von Maastricht 1992 ein weiteres Sanktionsinstrument eingeführt. Bei Nichtbefolgung eines Urteils der Unionsgerichte kann seitdem gegen den betreffenden Mitgliedstaat auf Antrag der Kommission von dem Gerichtshof die Zahlung eines Zwangsgelds oder eines Pauschalbetrags verhängt werden.32 Während die Verhängung eines Zwangsgelds nur geboten ist, solange die Vertragsverletzung anhält, orientiert sich die Verhängung eines Pauschalbetrags an den Folgen der Pflichtverletzung für die privaten und öffentlichen Interessen.33 Auf ein Verschulden oder sonstige Rechtfertigungsgründe kommt es nicht an, weil Zuständigkeit und Verantwortlichkeit für die Implementierung des Unionsrechts bei den Mitgliedstaaten liegen. Das Zwangsgeld bemisst sich anhand von vier Kriterien. Maßgeblich sind (1) ein einheitlicher Grundbetrag von derzeit 670 Euro je Tag; (2) die Schwere des Verstoßes; (3) die Dauer des Verstoßes; (4) die Zahlungsfähigkeit des Mitgliedstaates aufgrund seines Bruttoinlandsprodukts und seines Stimmengewichts im Rat der Union.34 Konkret kann das Zwangsgeld für jeden Tag des Verzugs abgerundet zwischen 235 und 14.000 Euro im Falle Maltas sowie zwischen 14.000 und 853.000 Euro im Falle Deutschlands betragen. Der Pauschalbetrag bestimmt sich nach einem festen Mindestbetrag, der abgerundet zwischen 194.000 Euro für Malta sowie 11.800.000 Euro für Deutschland beträgt. In der bisherigen Praxis sind auf Antrag der Kommission vom Gerichtshof finanzielle Sanktionen von teilweise beträchtlicher Höhe verhängt worden. Beispiele aus dem Jahr 2014 und 2015 sind im Hinblick auf Pauschalbeträge: Griechenland (jeweils 10 Mio. Euro), Spanien (30 Mio. Euro), Italien (40 und 20 Mio. Euro), im Hinblick auf Zwangsgelder für jeden weiteren Sechsmonatszeitraum der Nichtbefolgung des Urteils: Griechenland (14,5 und 3,6 Mio. Euro), Italien (42,8 und 21,6 Mio. Euro).35 Im Jahr 2015 verhängte der Rat, soweit ersichtlich erstmals, eine Geldbuße wegen der Manipulation von Defizitdaten, und zwar gegen Spanien in Höhe von 19 Mio. 32
Art. 260 AEUV. EuGH, Urt. v. 9. 12. 2008, Rs. C-121/07, Kommission/Frankreich, Slg. 2008, I-9159, Rn. 56 ff.; EuGH, Urt. v. 13. 5. 2014, Kommission/Spanien, Rs. C-184/11, EU:C:2014:316, Rn. 58 ff. 34 Europäische Kommission, Anwendung von Art. 228 EG-Vertrag [nunmehr Art. 260 AEUV], SEK(2005) 1658; dies., Aktualisierung der Daten zur Berechnung der Pauschalbeträge und Zwangsgelder, die die Kommission dem Gerichtshof bei Vertragsverletzungsverfahren vorschlägt, ABl. 2015 C 257/1. 35 Europäische Kommission, Kontrolle der Anwendung des EU-Rechts: Jahresbericht 2014, COM(2015) 329 final, S. 16; Jahresbericht 2015, COM(2016) 463 final, S. 28 f.; vgl. auch Thomas Van Rijn, Les sanctions pécuniaires de l’article 260 TFUE: 5 ans après le traité de Lisbon, Cahiers de Droit Européen 2015, S. 557 ff. 33
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Euro.36 Im Jahr 2016 entgingen Spanien und Portugal, da sie keine wirksamen Maßnahmen zur Korrektur ihres übermäßigen Defizits getroffen hatten, knapp der Verhängung einer Geldbuße durch den Rat von im Prinzip 0,2 % ihres Vorjahres-Bruttoinlandprodukts, d. h. in Höhe von rund 2,2 bzw. 0,4 Mrd. Euro.37 4. Aussetzung von Rechten der Mitgliedstaaten Seit dem Vertrag von Amsterdam kann der Rat beschließen, bestimmte Rechte eines Mitgliedstaats auszusetzen, die mit dessen Zugehörigkeit zur Union verbunden sind, einschließlich der Stimmrechte im Rat.38 Voraussetzung dafür ist, dass der Europäische Rat auf Vorschlag eines Drittels der Mitgliedstaaten oder der Kommission und nach Zustimmung des Parlaments festgestellt hat, dass eine schwerwiegende und anhaltende Verletzung der gemeinsamen Werte durch den Mitgliedstaat vorliegt. Ergänzend dazu und zum gerichtlichen Vertragsverletzungsverfahren hat die Kommission nach Aufforderung des Parlaments und des Rates einen neuen Unionsrahmen zur Stärkung des Rechtsstaatsprinzips vorgestellt.39 Damit sollen Gefahren für das Rechtsstaatsprinzip abgewendet werden, bevor die Voraussetzungen für den Aussetzungsmechanismus vorliegen. In der Praxis haben beide Verfahren, soweit erkennbar, bisher wenig Wirksamkeit gezeigt.40 5. Zwangsmaßnahmen gegen Einzelpersonen und Unternehmen Zur Implementierung des Unionsrechts dienen schließlich auch Zwangsmaßnahmen gegen Einzelpersonen und Unternehmen. Die zu treffenden Maßnahmen obliegen bei entsprechender Zuweisung den Unionsorganen, im Übrigen und damit in erster Linie den Mitgliedstaaten. Sanktionen gegen Einzelpersonen und Unternehmen haben sich insbesondere zum Schutz der finanziellen Interessen der Union als erforderlich erwiesen. Diese Interessen können durch verkürzte Einnahmen ebenso geschädigt werden wie 36 Beschluss (EU) 2015/1289 des Rates v. 13. 7. 2015 zur Verhängung einer Geldbuße gegen Spanien wegen der Manipulation von Defizitdaten in der Autonomen Gemeinschaft Valencia, ABl. 2015 L 198/19. 37 Durchführungsbeschluss des Rates v. 8. 8. 2016 über die Verhängung einer Geldbuße gegen Spanien [bzw. Portugal] wegen des Versäumnisses, wirksame Maßnahmen zur Beendigung des übermäßigen Defizits zu treffen, Rat der EU, Dokument 11555/16 [bzw. 11554/16] v. 5. 8. 2016 i.V.m. Rat der EU, Pressemitteilung 484/16 v. 8.8.2016; gemäß Art. 297 Abs. 2 UAbs 3 AEUV nicht im EU-Amtsblatt veröffentlicht. 38 Art. 7 EUV. 39 Europäische Kommission, Ein neuer EU-Rahmen zur Stärkung des Rechtsstaatsprinzips, COM(2014) 158 final. 40 Vgl. die Empfehlung (EU) 2016/1374 der Kommission v. 27. 7. 2016 zur Rechtsstaatlichkeit in Polen, ABl. 2016 L 217/53; Hannes Hofmeister, Polen als erster Anwendungsfall des neuen „EU Rahmens zur Stärkung des Rechtsstaatsprinzips“, DVBl. 2016, S. 869 ff.
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durch überhöhte Ausgaben. Sanktionen können auch in anderen Bereichen zur Implementierung des Unionsrechts erforderlich sein, etwa zum Schutz der Umwelt, eines unverfälschten Wettbewerbs oder einer diskriminierungsfreien Verkehrspolitik. Wegen Kartellrechtsverstößen verhängte die Kommission Geldbußen in den letzten 25 Jahren in Höhe von 22,7 Mrd. Euro und in den letzten fünf Jahren in Höhe von 8,6 Mrd. Euro. Die höchsten Beträge betrafen die Produktion von LKW mit 2,9 Mrd. Euro (2016), Fernseh- und Computerbildschirme mit 1,4 Mrd. Euro (2012) und Autoglas mit 1,2 Mrd. Euro (2008). Die höchsten Geldbußen entfielen auf die Unternehmen Daimler mit 1,0 Mrd. Euro (2016), DAF mit 0,8 Mrd. Euro (2016) sowie Saint Gobin, Philips, LG Electronics und Volvo/Renault mit jeweils 0,7 Mrd. Euro (2008 – 2016).41 Soweit das Unionsrecht keine eigenen Sanktionsbestimmungen enthält, müssen die Mitgliedstaaten sicherstellen, dass Verstöße gegen das Unionsrecht ebenso geahndet werden wie Verstöße gegen ihr nationales Recht; zudem müssen die Sanktionen wirksam, verhältnismäßig und abschreckend sein.42
VII. Ergebnis und Ausblick Zusammenfassend lässt sich feststellen, dass die Europäische Union als Rechtsgemeinschaft bei der Implementierung ihres Rechts auf die loyale Unterstützung durch die Mitgliedstaten angewiesen ist. Schwierigkeiten bei der Implementierung ergeben sich systembedingt aufgrund der Komplexität des Unionsrechts, aufgrund der dezentralen Implementierung und aufgrund von Interessenunterschieden zwischen Union und Mitgliedstaaten. Abhilfe lässt sich mit Instrumenten der Prävention, der Kontrolle und der Sanktion erreichen. Präventiv kann die Qualität der Rechtsnormen durch Konzentration auf den europäischen Mehrwert und die Kosten des Nicht-Europas sowie auf das Wesentliche ihres Inhalts verbessert werden. Die gerichtlichen Kontrollmechanismen der Union wie der Mitgliedstaaten sind generell ausreichend wirksam, jedoch systembedingt begrenzt auf Einzelfälle und rechtliche Maßstäbe. Die zusätzlich erforderliche administrative Kontrolle der Kommission ist begrenzt auf eine Rechtsaufsicht. Sie wird unterstützt durch eine stetig
41 Europäische Kommission, Cartel Statistics, http://ec.europa.eu/competition/cartels/statis tics/statistics.pdf [23. 9. 2016]. 42 EuGH, Urt. v. 21. 9. 1989, Rs. 68/88, Kommission/Griechenland, Slg. 1989, 2965, Rn. 23 ff.; EuGH, Urt. v. 7. 6. 2016, Affum, Rs. C-47/15, EU:C:2016:408, Rn. 90; vgl. auch Karsten Engsig Sørensen, Member States’ Implementation of Penalties to Enforce EU Law: Balancing the Avoidance of Enforcement Deficits and the Protection of Individuals, European Law Review 2015, S. 811 ff.
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zunehmende Zusammenarbeit mit den Behörden der Mitgliedstaaten unter Einbeziehung der Öffentlichkeit. Sanktionsmechanismen bestehen zunächst in der unmittelbaren Wirkung von Richtlinien, deren Tragweite jedoch begrenzt und mit Unsicherheiten behaftet ist. Allgemein erfolgreich durchgesetzt hat sich das Sanktionsinstrument der Staatshaftung. Spürbare Wirksamkeit zeigen auch die Sanktionsinstrumente gegenüber Mitgliedstaaten sowie Einzelpersonen und Unternehmen in der Form von Geldbußen und sonstigen Zwangsmaßnahmen. Noch offen ist der Erfolg einer möglichen Aussetzung von Unionsrechten bei Verstößen der Mitgliedstaaten gegen die gemeinsamen Werte. Diese bisherigen Ansätze zur Gewährleistung einer effektiven Implementierung des Unionsrechts unterliegen einer beständigen Evaluierung und Fortentwicklung unter Beteiligung der Unionsorgane, der Mitgliedstaaten und der allgemeinen Öffentlichkeit. Eine Verbesserung setzt jedoch nicht nur Anstrengungen auf politischer Ebene voraus, sondern zunächst und vor allem die Bereitschaft der Mitgliedstaaten, das schon bestehende Unionsrecht loyal zu beachten und durchzusetzen. Für den Beobachter stellt sich die abschließende Frage, welche Rechts- und Verwaltungskultur die Mitgliedstaaten veranlasst, das Unionsrecht, das sie selbst zu verantworten haben, so häufig zu diffamieren und zu missachten. Eine ähnliche Feststellung lässt sich für die Implementierung des deutschen Bundesrechts durch die deutschen Länder jedenfalls nicht erkennen.
Indirekte Europäisierung und prägender Einfluss der nationalen Rechts- und Verwaltungskultur Cristina Fraenkel-Haeberle
I. Prämisse Die effektive Implementierung des Unionsrechts durch die Mitgliedstaaten ist nach Art. 197 AEUV „als Frage von gemeinsamen Interesse anzusehen“, die daher auch rechtsvergleichend zu untersuchen ist. Diesem Fragenkomplex der Implementationsforschung widmet sich in Speyer der Forschungsbereich „Europäischer Verwaltungsraum“, im Rahmen dessen dieser Tagungsband entstanden ist. Seit Jahrzehnten wird der Spruch des damaligen Kommissionspräsidenten Jacques Delors aus dem Jahr 1988, laut dem das Recht der Mitgliedstaaten zu 80 % durch das Europarecht determiniert sei, gebetsmühlenartig wiederholt. Die europarechtlichen Vorschriften verändern inzwischen nicht nur das materielle, sondern auch das Verfahrens- und Organisationsrecht der Mitgliedstaaten. Man denke an die Umweltverträglichkeitsprüfung, an die Dienstleistungsrichtlinie, an die Vergaberichtlinien und an die Rechtsmittelrichtlinien. Allerdings ist ein unterschiedlicher Grad und Umfang der Implementierung in den Mitgliedstaaten festzustellen, da die Umsetzung des Europarechts auf nationaler Ebene vom verwaltungskulturellen „Unterbau“ entweder gebremst oder beflügelt wird. In der Rechtslehre wurden Fallgruppen ermittelt, bei denen die Europäisierung des Verwaltungsrechts nicht unmittelbar, sondern indirekt erfolgt. Dazu gehören Situationen der funktionalen Anpassung des Verwaltungsverfahrens- und des Verwaltungsorganisationsrechts, die sich einen reibungslosen innereuropäischen Austausch zum Ziel setzen. Gemeint ist damit die Schaffung neuer Regulierungsstrukturen wie etwa im Bereich der Telekommunikation und der Energie.1 Ebenfalls hervorgehoben wurden wettbewerbsbedingte Anpassungen, wie zum Beispiel die Beschleunigung von Genehmigungsverfahren, da die Effizienz des Verwaltungshandelns – wie auch in diesem Band dargelegt2 – einen wesentlichen wirtschaftlichen Standortfaktor darstellt.3 1 Karl-Peter Sommermann, Gemeineuropäische Verwaltungskultur als Gelingensbedingung europäischer Integration, DÖV 2015, S. 451. 2 Vgl. die Beiträge von Luca De Lucia und Veith Mehde in diesem Band. 3 Sommermann (Fn. 1), DÖV 2015, S. 452.
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Allerdings wird die Umsetzung des Europarechts in den Mitgliedstaaten zuweilen mit Misstrauen beäugt. Auch in Deutschland wurde der erklärte Wille zur „Eins-zueins-Umsetzung“ der europarechtlichen Vorgaben im Koalitionsvertrag von 2013 ausdrücklich ausgesprochen.4 Diese Art der Umsetzung lässt verschiedene Interpretationen zu: Einerseits sollen die Richtlinien „ohne Abstriche“ und entsprechend der europarechtlichen Zielsetzungen umgesetzt werden, andererseits sollen die europarechtlichen Gebote nicht „übererfüllt“ werden.5 Von dieser minimalistischen Lösung, wie sie oft auch in Italien praktiziert wird und bei der die Richtlinientexte oft einfach abgeschrieben werden, erhofft man sich eine Reduzierung des Anpassungsbedarfs für Gesetzgebung und Verwaltung.6 Daraus erwächst der Eindruck, dass Richtlinien vorwiegend ein Fremdkörper und eine lästige Obliegenheit seien. Hier kommt eine systemimmanente Trägheit der Rechtskultur zum Vorschein, die zur Suche nach dem kleinsten gemeinsamen Nenner anregt. Man geht davon aus, dass es töricht wäre, über das Ziel hinauszuschießen, und befürchtet Nachteile für die inländische Wirtschaft bei Erlass zu strenger Normen zu erzeugen. Allerdings ist das Problem bekanntlich damit nicht gelöst, da Richtlinien auch „Kann-Vorschriften“ enthalten und den Mitgliedstaaten Gestaltungsspielräume gewähren beziehungsweise Zusatzmaßnahmen „suggerieren“, die man als Anregungen mit abgeschwächter Rechtsverbindlichkeit einem neueren Sprachgebrauch folgend als nudging7 bezeichnen könnte. Die Verkennung nationaler Umsetzungsspielräume kann außerdem zum sog. gold plating8 führen, bei dem die europäischen Vorgaben und die damit verbundenen Chancen unnötigerweise verkompliziert und umständlich umgesetzt werden, da ihr Potenzial nicht richtig erkannt und ausgeschöpft wird. In diesem Aufsatz sollen drei Beispiele indirekter Europäisierung behandelt werden, in denen zunächst die systemimmanente Resistenz des nationalen Rechts gegenüber dem Einfluss des Europarechts dargelegt wird. Anhand eines zweiten Beispiels wird das Thema der Spill-over-Effekte des Europarechts im Zusammenhang mit der mitgliedstaatlichen Verwaltungskultur verdeutlicht. Ein drittes Beispiel veranschaulicht das Wechselspiel zwischen europarechtlichen Vorgaben und nationalen Bestimmungen im Mehrebenensystem und die damit verbundenen grundrechtlichen Implikationen. Abschließend sollen Schlussfolgerungen gezogen werden.
4
Koalitionsvertrag zwischen CDU, CSU und SPD, Berlin, 14. Dezember 2013, S. 15, https://www.bundesregierung.de/Content/DE/_Anlagen/2013/2013-12-17-koalitionsvertrag. pdf?__blob=publicationFile [12. 9. 2016]. 5 Jürgen Schwarze, Richtlinienumsetzung „eins zu eins“, in: Rainer Pitschas u. a. (Hrsg.), Festschrift für Rupert Scholz zum 70. Geburtstag, Berlin 2007, S. 167 (175 ff.). 6 Vgl. dazu Melanie Payrhuber, Problematik der „Eins-zu-eins-Umsetzung“ von EURichtlinien in nationales Recht, im Erscheinen. 7 Zum Nudging-Begriff vgl. Margrit Seckelmann/Wolfram Lamping, Verhaltensökonomischer Experimentalismus im Politik-Labor, DÖV 2016, S. 189. 8 Vgl. dazu den Beitrag von Johannes Socher in diesem Band.
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II. Die deutsche Schutznormtheorie und die unionsrechtlichen Rechtsverbürgungen Das erste Beispiel betrifft den Verwaltungsrechtsschutz und soll die Resistenz der verwaltungsrechtlichen Substrukturen bei der unionskonformen Umsetzung des EUSekundärrechts erläutern. Bekanntlich wird die deutsche genau wie die italienische Rechtsordnung grundsätzlich dem „Verletztenklagemodell“ zugerechnet. Demnach ist der Rechtsschutz im Wesentlichen auf individuelle Rechte beziehungsweise in Italien auf legitime Interessen beschränkt, wohingegen in Frankreich – wie auch in England – nach dem Konzept der Interessentenklage9 der Einzelne in größerem Umfang zur gerichtlichen Durchsetzung von Allgemeininteressen mobilisiert wird.10 Die deutsche Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) betont in § 42 Abs. 2 die Notwendigkeit einer „Verletzung in eigenen Rechten“ als Voraussetzung für die Klagebefugnis, was ein Hindernis bei der Geltendmachung fremder Rechte sowie der dem italienischen Recht bekannten interessi diffusi („diffuse Interessen“) darstellt, die – wie im Umweltbereich – von keinem Fürsprecher als eigene Rechte geltend gemacht werden können. Die Aarhus-Konvention (AK) von 1998 über den Zugang zur Informationen, die Öffentlichkeitsbeteiligung und den Zugang zu den Gerichten in Umweltangelegenheiten wurde als gemischtes Abkommen sowohl von der damaligen Europäischen Gemeinschaft als auch von ihren Mitgliedstaaten unterschrieben und vom europäischen Sekundärrecht, insbesondere von den Richtlinien 2003/35/EG (ÖffentlichkeitsbeteiligungsRL)11 und 2003/4/EG (UmweltinformationsRL)12 übernommen. Als problematisch für das deutsche Recht hat sich Art. 9 Abs. 2 AK über die Ausgestaltung der Klagebefugnis erwiesen, der über die ÖffentlichkeitsbeteiligungsRL in Art. 10 a (jetzt Art. 11) der UVP-Richtlinie13 und Art. 15 a IVU- (jetzt Art. 26 Indu9 Vgl. Angelika Schwerdtfeger, Der deutsche Verwaltungsrechtsschutz unter dem Einfluss der Aarhus-Konvention, Tübingen 2010, S. 54; Sabine Schlacke, Zur fortschreitenden Europäisierung des (Umwelt-)Rechtsschutzes, NVwZ 2014, S. 11; Klaus Ferdinand Gärditz, Verwaltungsgerichtlicher Rechtsschutz im Umweltrecht, NVwZ 2014, S. 1; Thomas von Danwitz, Aarhus-Konvention: Umweltinformation, Öffentlichkeitsbeteiligung, Zugang zu den Gerichten, NVwZ 2004, S. 272. 10 Mathias Hong, Subjektive Rechte und Schutznormtheorie im europäischen Verwaltungsrechtsraum, JZ 2012, S. 381 f.; vgl. auch Guido Clemente Di San Luca, La tutela delle situazioni soggettive nel diritto italiano, europeo e comparato, Napoli 2011. 11 RL 2003/35/EG des Europäischen Parlaments und des Rates v. 26. 5. 2003 über die Beteiligung der Öffentlichkeit bei der Ausarbeitung bestimmter umweltbezogener Pläne und Programme und zur Änderung der Richtlinien 85/337/EWG und 96/61/EG des Rates in Bezug auf die Öffentlichkeitsbeteiligung und den Zugang zu Gerichte, ABl. 2003 L 156/17. 12 RL 2003/4/EG des Europäischen Parlaments und des Rates v. 28. 1. 2003 über den Zugang der Öffentlichkeit zu Umweltinformationen und zur Aufhebung der Richtlinie 90/113/ EG des Rates, ABl. 2003 L 41/26. 13 RL 2011/92/EU des Europäischen Parlaments und des Rates v. 13. 12. 2011 über die Umweltverträglichkeitsprüfung bei bestimmten öffentlichen und privaten Projekten, ABl. 2011 L 26/1.
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strieemissions-)Richtlinie14 eingefügt wurde. Laut dieser Bestimmung soll der „betroffenen Öffentlichkeit“, also auch (nichtstaatlichen) anerkannten Umweltverbänden bei „ausreichendem Interesse“ oder alternativ dazu bei „Geltendmachung einer Rechtsverletzung“ Zugang zu einem gerichtlichen oder außergerichtlichen Nachprüfungsverfahren gewährt werden. Sowohl das Interessentenklagemodell als auch das Verletztenklagemodell werden hier ebenbürtig angeführt. Friktionen mit dem deutschen Recht hat jedoch insbesondere der von der Transposition in das Unionsrecht nicht erfasste Art. 9 Abs. 3 AK über „den Zugang zu verwaltungsbehördlichen und gerichtlichen Verfahren“ von „Mitgliedern der Öffentlichkeit“ zur Geltendmachung eines Verstoßes gegen das nationale Umweltrecht geschaffen. Hier handelt es sich um einen Fall indirekter Europäisierung, da diese Bestimmung im Unionsrecht keine unmittelbare Wirkung hat, jedoch nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) im verwaltungsbehördlichen oder gerichtlichen Überprüfungsverfahren die Ziele von Art. 9 Abs. 3 AK als auch dasjenige eines effektiven gerichtlichen Rechtsschutzes im Auge zu behalten sind.15 Die Richtlinienumsetzung erfolgte in Deutschland durch das Umwelt-Rechtsbehelfsgesetz (UmwRG) vom 15. Dezember 2006.16 Nach dem umstrittenen Wortlaut des § 2 Abs. 1 UmwRG a.F. musste bei Umweltverbandsklagen nach § 61 BNatSchG 200217 (heute BNatSchG 2010) die gerügte umweltschützende Rechtsvorschrift auch „Rechte Einzelner begründen“ und nicht ausschließlich dem Allgemeinwohl dienen. Somit hat der deutsche Gesetzgeber versucht, eine Quadratur des Kreises zu erreichen, indem der subjektiv-rechtliche Ansatz mit der Verbandsklage kombiniert wurde. Dafür wurde der Ausdruck „Drittschutzakzessorietät“ geprägt, da keine subjektiven Rechte der Vereinigung begründet wurden. Allerdings hat der EuGH im „Trianel“-Urteil18 (2011) die unzureichende Umsetzung von Art. 9 Abs. 2 AK gerügt, wobei er den subjektiv-rechtlichen Ansatz des deutschen Rechtsschutzes nicht beanstandet, jedoch eine Erweiterung der Klagebefugnis auf die Umweltverbände verlangt hat, da die Bestimmung nur die Interessen der Allgemeinheit und nicht Rechtsgüter Einzelner schützt. Dadurch sollte „ein weiter Zugang“ zu den Gerichten gewährt werden. Die deutsche Antwort darauf kam mit dem Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 5. September 2013,19 mit dem das Gericht unter Heran14 RL 2010/75/EU des Europäischen Parlaments und des Rates v. 17. 12. 2010 über die Industrieemissionen (integrierte Vermeidung und Verhinderung von Umweltverschmutzung), ABl. 2010 L 334/17. 15 EuGH, Urt. v. 8. 3. 2011 Slowakischer Braunbär, C-240/09, ECLI:EU:C:2011:125, Leitsatz; vgl. auch EuGH, Urt. v. 25. 7. 2008 Janacek, C-237/07, ECLI:EU:C:2008:447; EuGH, Urt. v. 7. 11. 2013 Altrip, C-72/12, ECLI:EU:C:2013:712. 16 BGBl. I S. 2816. 17 BGBl. I S. 1193. 18 EuGH, Urt. v. 12. 5. 2011 Trianel, C-115/09, ECLI:EU:C:2011:289, Leitsätze; vgl. Angela Schwerdtfeger, Erweiterte Klagerechte für Umweltverbände – Anmerkung zum Urteil des EuGH v. 12. 5. 2011 in der Rechtssache Trianel, EuR 2012, S. 80. 19 BVerwG, Urt. v. 5. 9. 2013, 7 C 21.12.
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ziehung von § 42 Abs. 2 VwGO seinerseits eine unionsrechtskonforme Auslegung des deutschen Verletztenklagemodells versucht hat.20 Das Bundesverwaltungsgericht musste die Zulässigkeit der Klage eines Umweltverbandes auf gerichtliches Einschreiten gegen einen Luftreinhalteplan bei drohender Überschreitung der immissionsschutzrechtlichen Grenzwerte überprüfen und kam zu dem Ergebnis, dass, sofern europarechtlich geschützte Interessen geltend gemacht werden und der Schutz menschlicher Gesundheit auf dem Spiel steht, eine Ausdehnung des Begriffs des subjektiven Rechts auf Umweltverbände im Sinne einer „prokuratorischen“ Rechtsstellung möglich ist.21 Nach einer vom Bundesverwaltungsgericht vorgenommenen richtlinienkonformen Rechtsfortbildung können somit Umweltverbände als „betroffene Öffentlichkeit“ im Einklang mit dem Europarecht „eigene Rechte“ geltend machen. Laut § 3 UmwRG wird nämlich auch anerkannten Umweltverbänden das Recht eingeräumt, die Aufstellung eines den Vorschriften des Luftqualitätsrechts entsprechenden Luftreinhalteplans zu verlangen. Demnach sei unmittelbar betroffenen juristischen Personen in gleicher Weise wie natürlichen Personen ein Klagerecht „als eigenes Recht“ einzuräumen.
III. Europarechtlich induzierte Informationsfreiheitsrechte Umgekehrt schafft die indirekte Europäisierung auch Spill-over-Effekte, also Fälle der überschießenden Umsetzung, bei denen gewisse vom Unionsrecht vorgeprägte Maßstäbe auf benachbarte Bereiche übertragen werden. Dadurch soll die Kohärenz eines Rechtsregimes und eine vom Europarecht nicht vorgesehene Harmonisierung gesichert werden.22 Ein Paradebeispiel stellt in Deutschland wie Italien das Umweltinformationsrecht dar, das ursprünglich durch die RL 90/313/EWG23 über den freien Zugang zu Informationen über die Umwelt vom 7. Juni 1990 eingeführt wurde. Vor 1990 war die Verwaltungstätigkeit in Italien genau wie in Deutschland allgemein durch eine weitgehende Geheimhaltungspraxis und eine Arkantradition sowie das Prinzip der begrenzten Aktenöffentlichkeit gekennzeichnet. Angesichts dieser allgemeinen Rechtslage ist das Jahr 1990 als Zäsur anzusehen, da damals das allgemeine Verwaltungsverfah20
Vgl. Marcus Lau, Das Urteil des BVerwG vom 5. 9. 2013 oder vom Versuch den „slowakischen Braunbären“ zu zähmen?, NVwZ 2014, S. 637. 21 „Nach einem unionsrechtlichen Vorgaben orientierten Verständnis gewährt § 47 Abs. 1 BImSchG einem anerkannten Umweltverband eigene Rechte im Sinne von § 42 Abs. 2 VwGO“, so der Leitsatz des BVerwG, Urt. v. 5. 9. 2013, 7 C 21.12. Prüfungsmaßstab war hier der von der Transposition in das Unionsrecht nicht erfasste Art. 9 Abs. 3 AK über „den Zugang zu verwaltungsbehördlichen und gerichtlichen Verfahren“ von „Mitgliedern der Öffentlichkeit“ zur Geltendmachung eines Verstoßes gegen das nationale Umweltrecht. 22 Sommermann (Fn. 1), DÖV 2015, S. 451. 23 RL 90/313/EWG des Rates v. 7. 6. 1990 über den freien Zugang zu Informationen über die Umwelt, ABl. 1990 L 158/56.
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rensgesetz (Gesetz Nr. 241/1990) verabschiedet wurde.24 Dieses Gesetz trug die Überschrift Nuove norme in materia di procedimento amministrativo e di diritto di accesso ai documenti amministrativi („Neue Bestimmungen zum Verwaltungsverfahren und zum Aktenzugangsrecht“), wurde jedoch unter der abgekürzten Bezeichnung „Transparenzgesetz“ bekannt. Das Gesetz sah und sieht noch heute zwei Möglichkeiten des Aktenzugangsrechts vor: erstens als Recht auf Einsicht in die Verfahrensakte für die Verfahrensbeteiligten,25 was als funktionale Verbindung zwischen dem Transparenzgrundsatz in der Form der Akteneinsicht und dem Partizipationsrecht anzusehen ist (Recht auf eine „informierte“ Partizipation innerhalb des Verwaltungsverfahrens); zweitens als Recht eines Anspruchsberechtigten auf Einsichtnahme und auf Beantragung einer Ausfertigung von Verwaltungsakten und -dokumenten unabhängig von einem laufenden Verwaltungsverfahren.26 Das Transparenzrecht wurde inzwischen von der bereits erwähnten zweiten UmweltinformationsRL 2003/4/EG maßgeblich beeinflusst, die das Recht der Öffentlichkeit auf Zugang zu den Umweltinformationen sowohl auf Antrag als auch durch aktive Verbreitung gewährleistet. Demnach müssen die Behörden die bei Ihnen vorhandenen Umweltinformationen allen Antragstellern auf Antrag zugänglich machen, ohne dass diese eine rechtlich geschützte Rechtsposition geltend machen müssen (Art. 3). Sie müssen sich ferner bemühen sicherzustellen, dass die bei ihnen vorhandenen Informationen elektronisch zugänglich sind, und sie müssen diese aktiv verbreiten (Art. 7). Diese Maßstäbe wurden in letzter Zeit in Italien durch das Gesetzesvertretende Dekret Nr. 33/2013 (im Folgenden abgekürzt mit „D. Lgs.“, nach der italienischen Bezeichnung decreto legislativo) auch auf andere Bereiche ausgedehnt.27 So wurden – ähnlich wie in Deutschland beim Hamburgischen Transparenzgesetz28 – umfassende Veröffentlichungspflichten auf der institutionellen Homepage einer Behörde mit der Angabe von Informationen über ihre Tätigkeit und Organisation zur „Förderung einer diffusen Kontrolle über die Verfolgung institutioneller Zwecke und die Verwendung öffentlicher Ressourcen“ (Art. 1) kodifiziert.29 Die aktive Informationsverbreitung soll ausschließlich auf elektronischem Wege erfolgen, was einen Zusammenhang zwischen Transparenz und Veröffentlichungs24
Gesetz v. 7. 8. 1990, Nr. 241, Gazz. Uff. v. 18. 8. 1990, Nr. 192. Gesetz Nr. 241/1990, Art. 10. 26 Gesetz Nr 241/1990, Art. 22 Abs. 1 lit. a; vgl. Marcello Clarich, Manuale di diritto amministrativo, Bologna 2015, S. 138 f. 27 D. Lgs. v. 14. 3. 2013, Nr. 33 (Riordino della disciplina riguardante gli obblighi di pubblicità, trasparenza e diffusione delle informazioni da parte delle pubbliche amministrazioni), Gazz. Uff. v. 5. 4. 2013, Nr. 80. 28 Hamburgisches Transparenzgesetz (HmbTG) v. 6. 7. 2012, HmbGVBl. Nr. 29; vgl. Christoph Gusy, Informationszugangsfreiheit – Öffentlichkeitsarbeit – Transparenz, JZ 2014, S. 171. 29 Art. 2 Abs. 2 D. Lgs. Nr. 33/2013. 25
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pflicht herstellt. Zu diesen Zwecken sah das Dekret die Einsetzung eines „Transparenzverantwortlichen“ vor, der die Einhaltung der Transparenzvorschriften durch die Verwaltungsbehörden sicherstellt (Art. 43). Online gestellt werden mussten nur jene Dokumente, für die das Dekret in Art. 3 eine Veröffentlichungspflicht vorsah, die also laut Dekret „öffentlich“ waren.30 Als Sanktion gegen die unterlassene Onlinestellung jener Informationen, für die eine Veröffentlichungspflicht bestand, sah D. Lgs. Nr. 33/2013 in Art. 5 das „Bürgerzugangsrecht“ (accesso civico) vor. Es handelte sich um einen Zugangsanspruch privater Bürger (ohne die Angabe von Gründen) zu allen Informationen, für die eine Veröffentlichungspflicht bestand. Nach diesem System sollte jedermann die gesetzlich vorgesehene Veröffentlichung erzwingen können. Dieses Beispiel zeigt, dass unter dem Einfluss des Europarechts das vom Verwaltungsverfahrensgesetz Nr. 241/1990 in Art. 22 vorgesehene „klassische Zugangsrecht“ um das bürgerliche Zugangsrecht nach dem D. Lgs. Nr. 33/2013 erweitert wurde.31 Das im Rahmen der gegenwärtig in Italien laufenden großen Reform der öffentlichen Verwaltung soeben verabschiedete neue Transparenzdekret Nr. 97/2016,32 das Art. 7 des Ermächtigungsgesetzes Nr. 124/201533 umsetzt, gewährt ebenfalls – genau wie nach dem Wortlaut der UmweltinformationsRL – einen Aktenzugang unabhängig von der geltend gemachten Rechtsposition, da darin die Transparenz als „vollständige Zugänglichkeit“ geregelt wird. Während das D. Lgs. Nr. 33/2013 die Transparenz über die Organisation und die Tätigkeit der öffentlichen Verwaltungen betraf, sieht nun Art. 2 Abs. 1 des neuen D. Lgs. Nr. 97/2016 vor, dass jedermann ein umfassendes Zugangsrecht zu Akten und Dokumenten der öffentlichen Verwaltung erhalten soll, und zwar sowohl in der Form des Bürgerzugangs als auch (hilfsweise) in der Form der Veröffentlichung. Dieses Zugangsrecht ist – genau wie bei der UmweltinformationsRL – von gesetzlich geschützten Rechtspositionen vollkommen unabhängig. Auch auf diese Weise soll das inzwischen vom Unionsrecht in Art. 298 AEUV verbürgte Prinzip der „offenen Verwaltung“ greifbar werden.
30 Anna Simonati, La trasparenza amministrativa nella normativa italiana: un principio in evoluzione, in: Maurizio Malo/Barbara Marchetti/Daria de Pretis (Hrsg.), Pensare il diritto pubblico. Liber amicorum per Giandomenico Falcon, Trento 2015, S. 370 et passim. 31 Diana-Urania Galetta, Accesso civico e trasparenza della Pubblica Amministrazione alla luce delle (previste) modifiche alle disposizioni del D.Lgs. n. 33/2013, in: www.feder alismi.it, Nr. 5/2016, S. 1 f. 32 D. Lgs. v. 17. 5. 2016, Nr. 97 (Revisione e semplificazione delle disposizioni in materia di prevenzione della corruzione, pubblicità e trasparenza, correttivo della legge 6 novembre 2012, n. 190 e del decreto legislativo 14 marzo 2013, n. 33, ai sensi dell’articolo 7 della legge 7 agosto 2015, n. 124, in materia di riorganizzazione delle amministrazioni pubbliche), Gazz. Uff. v. 8. 6. 2016, Nr. 132. 33 Gesetz v. 7. 8. 2015, Nr. 124 (Revisione e semplificazione delle disposizioni in materia di prevenzione della corruzione, pubblicità e trasparenza), Gazz. Uff. v. 13. 8. 2015, Nr. 187.
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IV. Das Spannungsverhältnis zwischen unionalem und nationalem Grundrechtsschutz Als weiterer Fall indirekter Europäisierung sei ein Beispiel geschildert, bei dem Deutschland rechtsetzend tätig geworden ist, obwohl der europarechtliche Normbefehl weggefallen war. Es handelt sich um die Vorratsdatenspeicherung, also um die Speicherung von Verbindungsdaten beziehungsweise Standortdaten und nicht um die Inhalte der Kommunikation. Diese Daten betreffen den Gesprächspartner sowie die Dauer und die Häufigkeit der Kommunikation zwischen zwei Benutzern. Die Richtlinie 24/ 2006/EG34 über die Vorratsdatenspeicherung (VorratsdatenspeicherungsRL) wurde bekanntlich vom „Gesetz zur Neuregelung der Telekommunikationsüberwachung und andere verdeckter Ermittlungsmaßnahmen“35 2007 in Deutschland umgesetzt. Das Bundesverfassungsgericht prüfte wegen zahlreicher Verfassungsbeschwerden dieses Gesetz und kam zu dem Ergebnis, dass der deutsche Gesetzgeber seinen Gestaltungsspielraum bei der Transposition ins deutsche Recht nicht korrekt genutzt hatte und dass die entsprechenden Umsetzungsbestimmungen nicht mit Art. 10 GG über das Fernmeldegeheimnis vereinbar waren.36 Infolge dessen waren die Bürger einer umfassenden Überwachung ausgesetzt, was den „Identitätskern“ der deutschen Verfassung berührte.37 Insbesondere rügte das Bundesverfassungsgericht das „diffus bedrohliche Gefühl des Beobachtetseins“, die fehlende abschließende Festlegung schwerer Straftaten sowie des Erfordernisses der Genehmigung des Abrufs durch einen Richter. Nach dem Bundesverfassungsgericht war daher ein Umsetzungsdefizit festzustellen. Die Umsetzungsbestimmungen wurden 2010 für verfassungswidrig und nichtig erklärt.38 Zu jener Zeit gab es keine politische Mehrheit für eine Vorratsdatenspeicherung, insbesondere scheiterte eine Gesetzesnovelle am massiven Widerstand der ehemaligen FDP-Justizministerin. Nach den Aussagen aus dem Koalitionsvertrag der jetzigen Legislaturperiode vom 14. Dezember 2013 war eine erneute Umsetzung der VorratsdatenspeicherungsRL über den Abruf und die Nutzung von Telekommunikationsverbindungsdaten unter Einhaltung der vom Bundesverfassungsgericht festgelegten Maßstäbe verbindlich vorgesehen.39 Damals stand Deutschland noch unter dem Damoklesschwert eines Vertragsverletzungsverfahrens wegen fehlender Umsetzung der VorratsdatenspeicherungsRL. Gleichzeitig lief jedoch das vor dem EuGH angestrengte Vorabentscheidungsverfahren, infolge dessen die Richtlinie selber wegen Unvereinbarkeit mit den Art. 7 Grundrechtecharta (GrC) über die Achtung des Privat- und 34 RL 2006/24/EG des Europäischen Parlaments und des Rates v. 15. 3. 2006 über die Vorratsdatenspeicherung von Daten, die bei der Bereitstellung öffentlich zugänglicher elektronischer Kommunikationsdienste oder öffentlicher Kommunikationsnetze erzeugt oder verarbeitet werden und zur Änderung der Richtlinie 2002/58/EG, ABl. 2006 L 105/54. 35 BGBl. I S. 3198. 36 §§ 113 a und 113 b TKG. 37 Rudolf Streinz, Europarecht, 10. Aufl., Heidelberg 2016, S. 84. 38 BVerfGE 125, 260. 39 Koalitionsvertrag zwischen CDU, CSU und SPD (Fn. 4), S. 147.
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Familienlebens, Art. 8 GrC (Schutz personenbezogener Daten) und Art. 11 GrC (Meinungs- und Informationsfreiheit) am 8. April 2014 vollständig aufgehoben wurde.40 Obwohl der EuGH nicht die Datenspeicherung als solche für rechtswidrig erklärte, da auch das Grundrecht auf Sicherheit (Art. 6 GrC) ein legitimes Gemeinwohlinteresse darstellt, wurde ihre konkrete Ausgestaltung als besonders schwerwiegender und unverhältnismäßiger Eingriff in die Grundrechte angesehen, der mit fünf Defiziten materiell-rechtlicher und prozeduraler Natur behaftet war: Erstens war der Personenkreis und der Umfang der betroffenen elektronischen Kommunikation praktisch unbegrenzt und erfasste auch die Träger von Berufsgeheimnissen; zweitens wurde kein ausreichender prozeduraler Grundrechtsschutz bei der Kontrolle der Zugriffskriterien gesichert; drittens wurde eine pauschale Frist von 6 bis 24 Monaten für die Speicherung ohne objektive Kriterien für eine nähere Eingrenzung vorgesehen; viertens wurde kein angemessener Missbrauchsschutz einschließlich der entsprechenden Löschungspflichten vorgesehen; schließlich forderte der EuGH eine Speicherung im Unionsgebiet, um die Überwachung durch Behörden der EU-Mitgliedstaaten zu ermöglichen und diese vor einem Fremdzugriff zu schützen.41 Nach dem Urteil des EuGH war für Deutschland der Umsetzungsbedarf weggefallen. Angesichts der immer noch bestehenden Bedrohung durch den internationalen Terrorismus wurde jedoch trotz fehlender europäischer Vorgaben ein neues Gesetz über die Vorratsdatenspeicherung („Gesetz zur Einführung einer Speicherpflicht und einer Höchstspeicherfrist für Verkehrsdaten“) vom Bundestag am 10. Dezember 2015 verabschiedet.42 Nach der Neuregelung erfolgt der Abruf gespeicherter Daten nur mit richterlicher Genehmigung. Es wurden Maßnahmen zur Gewährung der Sicherheit der gespeicherten Daten und ihrer Übermittlung und zum Schutz von Vertrauensverhältnissen getroffen. Außerdem wurden enge Fristen für die Speicherung von IP-Adressen und Telekommunikationsdaten gesetzt, und zwar von 10 Wochen, wohingegen für Standortdaten eine Maximalfrist von 4 Wochen vorgesehen ist. Insgesamt ist daher festzustellen, dass der deutsche Gesetzgeber ohne einen direkten unmittelbaren Anknüpfungspunkt sowohl die Vorgaben des EuGH übernommen als auch den Maßstäben des Bundesverfassungsgerichts genügt hat.
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EuGH, Urt. v. 8. 4. 2014 Vorratsdatenspeicherung, C-293/12, ECLI:EU:C:2014:238. Jürgen Kühling, Der Fall der Vorratsdatenspeicherungsrichtlinie und der Aufstieg des EuGH zum Grundrechtsgericht, NVwZ 2014, S. 683; vgl. auch Ralf Busch, Vorratsdatenspeicherung – noch nicht am Ende, ZRP 2014, S. 41; Sören Rößner, Vorratsdatenspeicherung in Deutschland – Ende des Umsetzungsdefizits in Sicht?, EuZW 2014, S. 134; Claus Dieter Classen, Datenschutz ja – aber wie?, EuR 2014, S. 441. 42 BGBl. I S. 2218; vgl. Alexander Roßnagel, Die neue Vorratsdatenspeicherung – Der nächste Schritt im Ringen um Sicherheit und Grundrechtsschutz, NJW 2016, S. 533. 41
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V. Fazit Dieses letzte Beispiel zeigt eindeutig den indirekten Einfluss des Europarechts in der Form einer „dualen Grundrechtsprüfung“ am nationalen Recht und an den innerstaatlichen Gestaltungsfreiräumen (BVerfG-Urteil) sowie an den europarechtlichen Vorgaben (EuGH-Urteil), wie dies durch die Gesetzesnovelle erfolgt ist, obgleich sie kein Unionsrecht mehr umsetzen muss.43 Obwohl nun der Gesetzgeber ohne supranationalen Bezug handelt und es auch keinen unmittelbaren Anknüpfungspunkt für die Anwendung der Unionsgrundrechte gibt, sind die vom EuGH aufgestellten Maßstäbe tonangebend gewesen. Auch im Zusammenhang mit der italienischen Transparenzrechtsetzung ist die Verknüpfung mit dem Europarecht nur indirekt. Das Hauptziel ist dasjenige einer größeren Effizienz und der Beseitigung von Missständen in der öffentlichen Verwaltung sowie dasjenige einer verstärkten Kontrolle von Seiten der Bürger. Wiederholt wird das Problem der Korruptionsbekämpfung thematisiert, jedoch auch – insbesondere durch die soeben verabschiedete Reform – das des Schutzes der Grundrechte und der verstärkten Bürgernähe. Bezüglich der Klagerechte von Umweltverbänden sind die Friktionen mit dem deutschen Recht, die auf die systemimmanente Trägheit der Grundstruktur des Rechts zurückzuführen sind, zum Vorschein getreten. Diese wurden noch nicht ganz beseitigt, wie das jüngste EuGH-Urteil „Kommission/Deutschland“ vom 15. Oktober 201544 beweist. Zur Durchsetzung eines „Rechts auf gute Verwaltung“ nach Art. 41 GrC kommt es hier zu einer „funktionalen Subjektivierung“, bei der der einzelne Bürger bzw. eine Bürgervereinigung als unabhängige Kontrollinstanz stellvertretend für die betroffene Öffentlichkeit eine prokuratorische Stellung (status procuratoris) im Allgemeinwohlinteresse einnimmt. Durch die Ausweitung der Klagebefugnisse von Interessenverbänden wandelt sich der Prozess von einer kontradiktorischen Streitentscheidung in eine objektive Verwaltungskontrolle, bei der das Gericht auch eine Aufsichtsfunktion übernimmt.45 Unter Beibehaltung, aber gleichzeitiger Erweiterung der Schutznormtheorie soll durch die Umweltverbandsklage ein zweiter Weg zur Geltendmachung von Gemeinwohlbelangen geschaffen werden. Die betroffene Öffentlichkeit wird als Anwalt der Natur und Motor der Integration in einen prokuratorischen Stand versetzt. Die Umweltverbände werden mobilisiert, um eine effektive Umsetzung des Europarechts zu erreichen und das Individualinteresse wird für die Durchsetzung von Gemeinwohlinteressen herangezogen. Somit regt die Richtlinienumsetzung eine systematische Rechtsreform an, die nicht auf die punktuelle Übernahme der Richtlinienbestimmungen beschränkt sein soll, sondern die Strukturprinzipien des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens erfasst. 43 Stephanie Schiedermair/Anna Mrozak, Die Vorratsdatenspeicherung im Zahnräderwerk des europäischen Mehrebenensystems, DÖV 2016, S. 89. 44 EuGH, Urt. v. 15. 10. 2013 Kommission/Deutschland, C-137/14, ECLI:EU:C:2015:683. 45 Klaus Rennert, Legitimation und Legitimität des Richters, JZ 2015, S. 538.
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Die Verzahnung zwischen nationalem Recht und Europarecht ist das Besondere an der europäischen Integration, die Kompetenzbereiche lassen sich nicht immer eindeutig entflechten und führen zu den beschriebenen Phänomenen der indirekten Europäisierung. Allerdings zeigt der bevorstehende Brexit, dass heutzutage die Neigung besteht, hausgemachte Probleme einfach auf die EU abzuwälzen, was – wie die jüngsten Wahlen in Mecklenburg-Vorpommern bewiesen haben – den Populismus beflügelt. Das beweist jedoch auch die unzureichende Vertrautheit mit europarechtlichen Fragen. Der Mehrwert der Europäischen Union und die Mehrkosten des Nicht-Europas werden einfach nicht erkannt. In wissenschaftlichen Kreisen ist man sich der uneinheitlichen Rechtsterminologie bewusst und versucht, trotz der kulturellen Vielfalt einen gemeinsamen Nenner in der Auslegung der EU-Rechtsetzung zu finden. Die internationale Arbeitsgruppe von Wissenschaftlern um das ReNEUAL-Projekt (Research Network on EU Administrative Law)46 ist hier besonders engagiert. Durch den wissenschaftlichen Austausch können neben der Rechtsfortbildung des EuGH die gewünschten Transnationalisierungseffekte erreicht werden. Ein Beitrag zur Verwirklichung dieses Ziels wird auch durch diesen Tagungsband geleistet.
46 Vgl. Jens-Peter Schneider et al. (Hrsg.), ReNEUAL-Musterentwurf für ein EU-Verwaltungsverfahrensrecht, München 2015; ders. et al. (Hrsg.), ReNEUAL-Musterentwurf für ein EU-Verwaltungsverfahrensrecht (Tagungsband), München 2016.
Verwaltungsstile und die „Entdeckung“ politisch-administrativer Gestaltungsspielräume bei der Implementierung von EU-Recht1 Stephan Grohs und Benjamin Gröbe
I. Einleitung Das europäische Integrationsprojekt unterwirft die Mitgliedstaaten der Europäischen Union (EU) einer immer höheren Regelungsdichte in Gestalt von Verordnungen, Beschlüssen und Richtlinien. Die Umsetzung dieser europäischen Rechtsakte obliegt allerdings in aller Regel den Mitgliedstaaten selbst. Die drei Formen europäischen Sekundärrechts – Verordnungen, Richtlinien und Beschlüsse – erfordern von den Mitgliedstaaten unterschiedliche Reaktionsmuster. Während Verordnungen und Beschlüsse unmittelbar wirksam sind und nur von der Verwaltung angewendet werden müssen, ist für Richtlinien zusätzlich die Transposition des Unionsrechts in entsprechende nationale Rechtsvorschriften notwendig. Neben der Rechtsgemeinschaft bildet die Europäische Union deshalb auch eine Implementationsgemeinschaft.2 Ausgehend von der Erkenntnis, dass europäisches Recht von den Mitgliedstaaten unterschiedlich interpretiert und teilweise auch missverstanden wird, skizziert der Beitrag einen konzeptionellen Rahmen zur Untersuchung der Ursachen dieser unterschiedlichen „Übersetzung“ europäischer Programme in den nationalen Rahmen.3 Dafür soll der Zusammenhang von Verwaltungsstilen und der Fähigkeit des politisch-administrativen Systems, Handlungsspielräume in der Umsetzung europäischen Rechts zu entdecken und zu realisieren, untersucht werden. Damit unterscheidet sich der Ansatz von der gängigen EU-Implementationsforschung: Im Gegensatz 1 Der vorliegende Beitrag skizziert die Forschungsagenda des von den Autoren bearbeiteten Forschungsprojektes „Verwaltungsstile und die Entdeckung von nationalen Handlungsspielräumen im Europäisierungsprozess“ im Programmbereich „Europäischer Verwaltungsraum“ des Deutschen Forschungsinstituts für Öffentliche Verwaltung. 2 Vgl. Karl-Peter Sommermann, Gemeineuropäische Verwaltungskultur als Gelingensbedingung europäischer Integration?, DÖV 2015, S. 449. 3 Vgl. Heinrich Siedentopf/Jacques Ziller (Hrsg.), Making European Policies Work – The Implementation of Community Legislation in the Member States, Bd. 1: Comparative Syntheses, Bd. 2: National Reports, London 1988; Ulrich Stelkens, Europäisches Verwaltungsrecht, Europäisierung des Verwaltungsrechts und Internationales Verwaltungsrecht, in: Paul Stelkens/Heinz Joachim Bonk/Werner Neumann (Hrsg.), Verwaltungsverfahrensgesetz: Kommentar, 8. Aufl., München 2014, S. 57.
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zu der auf Verstöße gegen EU-Recht und Implementationsdefizite fokussierten (Non)-Compliance-Forschung wird das Augenmerk auf die Ausnutzung (legaler) Handlungsspielräume gelegt („Customizing Europe“).4 Zudem unterscheidet sich der hier gewählte Ansatz von der gängigen Fokussierung der Forschung zur nationalen Koordinierung von EU-Politiken: Im Gegensatz zu der dort vorzufindenden Konzentration auf die nationale Einflussnahme im Bereich der Rechtsetzung („Uploading“) wird hier der Fokus auf den Prozess der EU-Koordination im Bereich der Umsetzung europäischer Politiken („Downloading“) gelegt.5 Der vorliegende Beitrag nimmt die Varianz bei der Übernahme unionsrechtlicher Regelungen in den Mitgliedstaaten in den Blick, die sich innerhalb des gebotenen Rechtsrahmens bewegen, also die Bandbreite der Ausnutzung von Handlungsspielräumen. Das Augenmerk wird dabei auf eine bestimmte Form des europäischen Sekundärrechts – EU-Richtlinien – gelegt. Da diese durch nationale Rechtsakte umgesetzt werden müssen, um Wirksamkeit zu erlangen, besitzen die Mitgliedstaaten einen gewissen Gestaltungsspielraum bei der Implementation (siehe auch den Beitrag von Socher in diesem Band).6 Ihnen steht es offen, eine Richtlinie „wortwörtlich“ umzusetzen oder aber den ihnen zur Verfügung stehenden legalen Handlungsspielraum zu nutzen und die Umsetzung einer Richtlinie „nicht-wortwörtlich“ vorzunehmen, etwa um EU-Recht an innenpolitische Ziele und Gegebenheiten anzupassen.7 Entgegen den einschlägigen Untersuchungen, die auf die rechtlichen und politischen Handlungszwänge in Folge des europäischen Integrationsprozesses abstellen, liegt der vorliegenden Arbeit deshalb die These zugrunde, dass der europäische Rechtsrahmen wesentlich großzügiger ist als gemeinhin angenommen. Dies 4 Zur (Non)-Compliance-Forschung vgl. u. a. Tanja A. Börzel, Non-compliance in the European Union: Pathology or Statistical Artefact?, JEEP 2001, S. 803; Gerda A. Falkner/Miriam Hartlapp/Simone Leiber/Oliver Treib, Non-Compliance with EU Directives in the Member States: Opposition Through the Backdoor?, West European Politics 2004, S. 452; Ellen Mastenbroek, EU Compliance: Still a ,Black Hole‘?, JEEP 2005, S. 1103; für die Fokussierung auf Handlungsspielräume siehe Eva Thomann, Customizing Europe: Transposition as Bottom-up Implementation, JEEP 2015, S. 1368. 5 Siehe Hussein Kassim/B. Guy Peters/Vincent Wright (Hrsg.), The National Co-ordination of EU-Policy: The Domestic Level, Oxford u. a. 2000; Hussein Kassim, Patterns of National Coordination of EU Policy, in: José M. Magone (Hrsg.), Routledge Handbook of European Politics, London 2015, S. 686. 6 Es geht dabei aus unserer Sicht auch nicht primär um das sog. gold-plating (vgl. Jan H. Jans/Lorenzo Squintani/Alexandra Aragão/Richard Macrory/Bernhard W. Wegener, ,Gold Plating‘ of European Environmental Measures?, JEEPL 2002, S. 417; Richard K.A. Morris, The Application of the Habitats Directive in the UK: Compliance or Gold Plating?, Land Use Policy 2011, S. 361; Wim Voermans, Gold-Plating and Double Banking: An Overrated Problem?, in: Henk Snijders/Stefan Vogenauer (Hrsg.), Content and Meaning of National Law in the Context of Transnational Law, München 2009, S. 79), also um das „Draufsatteln“ im Sinne einer weiter reichenden Umsetzung europäischer Politiken, sondern um eine Einpassung europäischen Sekundärrechts in übergeordnete nationale politische oder administrative Handlungsziele, also wenn man so will um customizing im Sinne von Thomann (Fn. 4). 7 Bernhard Steunenberg, A Policy Solution to the European Union’s Transposition Puzzle: Interaction of Interests in Different Domestic Arenas, West European Politics 2007, S. 25.
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zeigt sich unter anderem in der unterschiedlichen Interpretation europäischen Rechts in den Mitgliedstaaten.8 Europäisierung ist also nicht nur eine Einschränkung nationaler Handlungsrahmen, sondern bietet gleichzeitig neue Opportunitätsstrukturen.9 Wir richten dabei den Fokus auf die unterschiedlichen „Stile“ nationaler Verwaltungen mit denen sie der EU-Rechtsetzung begegnen. Diese Stile konstituieren sich nicht nur aus unterschiedlichen nationalen Rechtstraditionen und politisch-administrativen Institutionen, sondern auch aus den „Standard Operating Procedures“ und informellen Routinen, mit denen die Ministerialbeamten die Umsetzung vorantreiben.10 Die übergeordnete Fragestellung lautet deshalb: Welchen Einfluss haben Verwaltungsstile auf die Fähigkeit des politisch-administrativen Systems der Mitgliedstaaten, Handlungsspielräume bei der Implementation von EU-Recht zu entdecken und zu realisieren? Da aus der jeweils spezifischen Charakteristik nationaler Verwaltungen entsprechend ihrer „Standard Operating Procedures“ und informellen Routinen verschiedenartige Handlungsressourcen hervorgehen, die wiederum auf die Fähigkeiten zur Antizipation von Handlungsspielräumen wirken, kann von einem solchen Einfluss ausgegangen werden. Zunächst soll der theoretisch-konzeptionelle Ausgangspunkt skizziert werden (II.), um hiernach den spezifischen Beitrag zur Debatte um Implementation und EU-Koordination herauszuarbeiten (III.). Im Anschluss daran werden die besonderen Umsetzungsarrangements in vergleichender Perspektive skizziert und anhand zweier Beispiele der Erkenntniswert dieser Konzeption illustriert (IV.). Eine Zusammenfassung mit einem Ausblick auf weitere Forschung schließt den Beitrag ab (V.).
II. Verwaltungsstile als analytische Perspektive In der verwaltungs- und politikwissenschaftlichen Literatur wird grundsätzlich angenommen, dass der öffentlichen Verwaltung bei der Ausarbeitung und Implementation politischer Vorgaben eine bedeutende und einflussreiche Rolle zukommt. Dies trifft auch auf die nationale Umsetzung von EU-Recht zu, wo administrative Erklärungsfaktoren nachweislich einen Einfluss auf die fristgerechte und richtige Umsetzung von EU-Richtlinien haben.11 In den Mitgliedstaaten finden sich unterschiedliche Rechts- und Verwaltungstraditionen sowie unterschiedliche „Stile“ nationaler 8
Vgl. Stelkens (Fn. 3), S. 57. Vgl. Simon Hix/Klaus H. Goetz, Introduction: European Integration and National Political Systems, West European Politics 2000, S. 1. 10 Vgl. Herbert Simon, Administrative Behaviour, 4. Aufl., New York 1997; Michael Howlett, Administrative Styles and the Limits of Administrative Reform, Canadian Public Administration 2003, S. 471 ff. 11 Vgl. Dimiter Toshkov, Taking Stock: A Review of Quantitative Studies of Transposition and Implementation of EU Law, Institute for European Integration Research 2010, S. 27 f.; Dimiter Toshkov/Moritz Knoll/Lisa Wewerka, Connecting the Dots: Case Studies and EU Implementation Research, Institute for European Integration Research 2010, S. 23 f. 9
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Verwaltungen.12 Dennoch bleibt der übergeordnete Begriff der Verwaltungskultur schillernd und wird in der Literatur unterschiedlich verstanden. Hilfreich ist die von Werner Jann vorgenommene Unterscheidung13 von Mikrokonzeptionen von Verwaltungskultur auf der einen Seite, die sich auf die Einstellungsmuster zur Verwaltung in der Bevölkerung („Verwaltungskultur I“) sowie die Einstellungsmuster zur Verwaltung von ihren Mitarbeitern („Verwaltungskultur II“) konzentrieren und Makrokonzeptionen auf der anderen Seite, die auf abstrakte Verwaltungstraditionen wie die kontinentaleuropäische Rechtsstaatskultur und die angelsächsische Public-Interest-Kultur („Verwaltungskultur IV“) Bezug nehmen. Eine vierte Perspektive, die hier weiter verfolgt werden soll, betrachtet demgegenüber spezifische Ausgestaltungen von Institutionen und Prozessen („Verwaltungskultur III“). Ein solches MesoKonzept wird von uns im Weiteren als „Verwaltungsstil“ bezeichnet. Dieses stellt auf die formellen und informellen Routinen ab, mit denen Verwaltungen typischerweise Aufgaben bearbeiten. Diese – so die These – beeinflussen die Fähigkeit des politisch-administrativen Systems zur Antizipation von Handlungsspielräumen und deren Nutzung bei der „Übersetzung“ von europäischen Politiken in nationale Kontexte. Im Blickfeld des Konzepts der „administrativen Stile“ stehen neben strukturellen Eigenschaften administrativer Organisationseinheiten (politische Autonomie, Größe, organisatorische Differenzierung, Ressourcen, Aufgaben, Heterogenität) und formellen Verwaltungsvorschriften vor allem Verhaltensaspekte administrativer Einheiten. Das Konzept der administrativen Stile geht dabei auf frühe Versuche zurück, um „significantly different ways people carry out relatively standard political/ administrative tasks“ zu charakterisieren und zu erklären.14 In der Forschungsliteratur findet sich eine Reihe ähnlicher Konzepte, wie das der Policy-Styles oder der Regulatory-Styles, die mit den Überlegungen zu administrativen Stilen eng verwandt sind und teilweise synonym verwendet werden.15 Den Konzepten ist gemeinsam, dass sie auf dasselbe empirische Phänomen, und zwar „a more or less consistent and long-term set of institutionalized patterns of politico-administrative relationships, norms and procedures; that is, the standard operating procedures of policy-
12
Vgl. Klaus König/Sabine Kropp/Sabine Kuhlmann/Christoph Reichard/Karl-Peter Sommermann/Jan Ziekow (Hrsg.), Grundmuster der Verwaltungskultur, Baden-Baden 2014; Christoph Knill, The Europeanisation of National Administrations: Patterns of Institutional Change and Persistence, Cambridge 2001. 13 Vgl. Werner Jann, Staatliche Programme und „Verwaltungskultur“, Opladen 1983, S. 28 f. 14 A. F. Davies, The Concept of Administrative Styles, Australian Journal of Public Administration 1967, S. 162. 15 Siehe Jeremy Richardson/Gunnel Gustafsson/Grant Jordan, The Concept of Policy Style, in: Jeremy Richardson (Hrsg.), Policy Styles in Western Europe, London 1982, S. 1; David Vogel, National Styles of Regulation, Ithaca 1986.
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makers and administrative actors“ abstellen.16 Diese so verstandenen Muster entwickeln sich als Strategien im Umgang mit Unsicherheit, Komplexität und Ambiguität und können sich als stabile und nicht hinterfragte Muster bei der Problemlösung etablieren. Auf unser Thema angewandt geht es also um die Frage, inwieweit sich unterschiedliche Problemlösungsstile im nationalen Kontext auf die Umsetzung und die Fähigkeit zum „Customizing“ europäischen Sekundärrechts auswirken.17 In diesem Beitrag wird auf eine Konzeptionalisierung administrativer Stile zurückgegriffen, die im Rahmen eines Forschungsprojektes zu den administrativen Stilen internationaler Organisationen entwickelt wurde.18 Das Konzept besitzt den Vorteil, dass es auf Grund seines Abstraktionsgrades an eine große Bandbreite administrativer Organisationseinheiten angepasst werden kann. In Anlehnung an die Heuristik des „Policy-Zyklus“ differenziert das Konzept analytisch zwischen drei Phasen – „Policy-Initiierung“, „Policy-Drafting“ und „Policy-Implementation“ – die jeweils unterschiedliche Stufen im administrativen Prozess beschreiben.19 Die erste Phase – „Policy-Initiierung“ – bezieht sich auf die Rolle von Bürokratien zu Beginn der Problemdefinition und des Agendasettings. Von zentraler Bedeutung ist dabei die Frage, inwiefern sich die Ministerialbürokratie durch ein aktives oder reaktives Verhaltensmuster auszeichnet. Bei einem aktiven Verhaltensmuster werden auf eigene Initiative Themen aufgegriffen und um Unterstützung für die betreffenden Vorhaben (z. B. bei Interessengruppen) geworben. Hier wird also der politische Raum früh beobachtet und es werden Gelegenheiten identifiziert, bei denen eigene Themen platziert werden können. In der zweiten Phase, dem „Policy-Drafting“, geht es um den Einfluss bei der Vorbereitung und Formulierung von konkreten Gesetzesvorschlägen. Beides gehört nicht nur zu den zentralen Aufgaben einer Ministerialverwaltung, sondern ist auch die wichtigste Möglichkeit zur Einflussnahme von Verwaltung insgesamt. Hierbei kann anschließend an Herbert Simons Terminologie zwischen einem „optimierenden“ (optimizing) und einem „zufriedenstellenden“ (satisficing) Problemlösungsstil unterschieden werden.20 Bei Ersterem werden gezielt Alternativen einer Kosten-Nutzen-Analyse unterzogen, während bei Letzterem auf „übliche“ Lösungsansätze zurückgegriffen wird. Ersterer versucht, eine offensive Koordination mit anderen Ressorts herzustellen, während dies im zweiten Fall vermieden wird. Schließlich zeich16 Michael Howlett, Administrative Styles and the Limits of Administrative Reform: A Neo-institutional Analysis of Administrative Culture, Canadian Public Administration 2003, S. 474. 17 Vgl. Thomann (Fn. 4), JEEP 2015, S. 1368. 18 Vgl. Jan Enkler/Sylvia Schmidt/Steffen Eckhard/Christoph Knill/Stephan Grohs, Administrative Styles in the OECD: Bureaucratic Policy-Making beyond Formal Rules, International Journal of Public Administration 2016, S. 1 ff. 19 Vgl. Michael Howlett/M Ramesh/Anthony Perl, Studying Public Policy: Policy Cycles and Policy Subsystems, 3. Aufl., Oxford 2009; Christoph Knill/Jale Tosun, Public Policy: A New Introduction, London 2012. 20 Vgl. Simon (Fn. 9).
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net sich ein „optimierender“ Stil durch eine Antizipation der politischen Positionen aus, also einer „funktionalen Politisierung“.21 In der dritten Phase schließlich, der „Policy-Implementation“, lassen sich ein aktiver Stil, der eine konsequente Umsetzung und Kontrolle der Politikergebnisse gewährleisten soll, von einem vermittelnden Stil unterscheiden, bei dem die Implementation eher der implementierenden Ebene überlassen wird. Als Indikatoren für diese Unterscheidung können die Nutzung formaler Instrumente (z. B. das der Fachaufsicht), die aktive Förderung der Umsetzung sowie eine konsequente Evaluierung der Politikergebnisse dienen.22 Führt man diese drei Phasen oder Dimensionen zusammen, lassen sich die in Tabelle 1 aufgeführten idealtypischen Stile unterscheiden. Tabelle 1 Idealtypische Verwaltungsstile von politikvorbereitenden Verwaltungen Phase der Politikgestaltung
„Aktiver Stil“ (unternehmerisch)
„Passiver Stil“ (bürokratisch)
Policy-Initiierung Themenstellung und -entstehung Innerhalb der Bürokratie Außerhalb der Bürokratie Mobilisierung von Unterstützung Hoch Niedrig Beobachtung des politischen Raumes Aktiv Abwesend Policy-Drafting Lösungssuche Interne Koordination Politische Antizipation
Optimizing Positive Koordination Hoch
Satisficing Negative Koordination Niedrig
Strategisch Hoch Hoch
Formal Niedrig Niedrig
Policy-Implementation Nutzung formaler Instrumente Policy Unterstützung Evaluationsbemühung Quelle: In Anlehnung an Knill u. a. 2016.
Für die Frage nach der Entdeckung von Handlungsstilen im Europäisierungsprozess sind insbesondere die ersten beiden Dimensionen von Belang: Entdecken die nationalen Bürokratien eigenständige Politikvorstellungen insbesondere zur Anpassung der Themen an eigene Interessen oder verfolgen sie eine anspruchslosere Umsetzung „Eins-zu-eins“? Antizipieren sie dabei politische Handlungsspielräume und wägen sie politische Entscheidungen ab? Findet eine positive Koordination mit anderen Ressorts und Politikfeldern statt? Wie bereits erwähnt, sind solche Stile nicht unabhängig von strukturellen Prämissen, die mehr oder weniger günstige Voraussetzungen für eine antizipative und auf Autonomiewahrung bedachte Umsetzungspoli21 Vgl. Renate Mayntz/Hans-Ulrich Derlien, Party Patronage and Politicization of the West German Administrative Elite 1970 – 1987, Governance 1989, S. 384. 22 Vgl. Michael Hill/Peter Hupe, Implementing Public Policy, 3. Aufl., Los Angeles 2014.
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tik schaffen. In einem ersten Schritt werden daher im Folgenden die unterschiedlichen Handlungskapazitäten der nationalen administrativen Systeme im Hinblick auf die Ausbildung spezifischer Handlungsstile betrachtet.
III. Europakoordination in nationalen administrativen Systemen Howlett und Ramesh haben in einem jüngeren Aufsatz eine Typologie von Handlungsressourcen politisch-administrativer Systeme vorgestellt, die hilfreich zur Reflektion der Entwicklung unterschiedlicher administrativer Stile sein kann. Sie unterscheiden analytische, managerielle und politische Kapazitäten.23 Auf der Ebene der Organisation – und nur darum geht es hier – sind dies Kapazitäten zur Informationsbeschaffung und -verarbeitung, administrative Ressourcen im Sinne von Stellen und Organisationseinheiten sowie schließlich die politische Unterstützung der Organisationseinheit. Wie ist es um diese Kapazitäten hinsichtlich der Umsetzung europäischer Richtlinien bestellt? Eine wichtige Voraussetzung findet sich in der institutionellen Ausgestaltung der Europakoordination. Mit dem Begriff der europapolitischen Koordinierung werden jene Prozesse erfasst, mit denen die politischen und administrativen Akteure in den EU-Mitgliedstaaten ihre Europapolitik sowohl im „Uploading“ als auch im „Downloading“ organisieren. Das Gros der Literatur beschäftigt sich dabei mit dem „Uploading“. Dazu gehören die Entwicklung und Bündelung innenpolitischer Präferenzen (1), die Weiterleitung dieser an die EU (2) sowie die teilweise eigenverantwortliche Verhandlung dieser in den institutionellen Gremien der EU durch das europapolitische Handeln von nationalstaatlichen Akteuren (3).24 Die europapolitische Koordinierung in Deutschland beginnt beispielsweise auf der Ebene der Referate der federführenden Ministerien, wo die inhaltliche Vorbereitung und Formulierung der deutschen EU-Politik erfolgt. Verordnungs- oder Richtlinienentwürfe werden auf dieser Ebene in aller Regel durch einen zuständigen Fachbeamten behandelt, der die Haltung der Bundesregierung erarbeitet. Der Ansatz europapolitischer Koordinierung folgt damit dem Prinzip der Dezentralisierung. Um die Kohärenz deutscher Europapolitik trotzdem zu gewährleisten, sind verschiedenartige Koordinationsleistungen notwendig. Auf organisatorischer Ebene ist es erforderlich, den Informationsfluss sowohl vertikal, d. h. zwischen dem jeweils zuständigen Referat und der Ministeriumsleitung, als auch horizontal sicherzustellen, also zwischen dem zuständigen Referat des jeweils federführenden Ministeriums und
23
Vgl. Michael Howlett/Michael Ramesh, Achilles’ Heels of Governance: Critical Capacity Deficits and Their Role in Governance Failures, Regulation and Governance 2015, S. 4. 24 Vgl. Timm Beichelt, Deutschland und Europa: Die Europäisierung des politischen Systems, 2. Aufl., Wiesbaden 2015, S. 269.
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den Referaten anderer am Gesetzgebungsverfahren beteiligter Ministerien. Hinzu kommt die Einbeziehung der Bundesländer, deren Verwaltungshoheit berührt wird.25 Kann sich das für die Formulierung der Regierungsposition zuständige Referat des federführenden Ministeriums nicht mit den Referaten anderer am Gesetzgebungsverfahren beteiligter Ressorts einigen (Ebene 1), wird die nächsthöhere europapolitische Koordinierungsinstanz – die Europa-Beauftragten der Ressorts (Ebene 2) – eingeschaltet. Kommt wiederum keine Einigung zustande, wird der Konflikt auf Ebene 3 der europapolitischen Koordinierungsinstanzen in Deutschland – die Runde der Europa-Abteilungsleiter – bearbeitet. Auf deren monatlichen Sitzungen, zu deren Teilnahme alle Ressorts verpflichtet sind, sollen für den Fall, dass eine Einigung nicht erreicht werden kann, die Konfliktpunkte für die nachfolgende Koordinierungsinstanz – den Staatssekretärsausschuss für Europafragen (Ebene 4) – identifiziert und aufbereitet werden. An dieser monatlich und alternierend mit der Runde der Abteilungsleiter stattfindenden Sitzung nehmen neben den Staatssekretären aller Ressorts die Leiter der Ständigen Vertretung bei der EU sowie die Europa-Abteilungsleiter des Bundeskanzleramts teil. Der Staatssekretärsausschuss für Europafragen stellt in der Praxis die letzte Entscheidungsebene dar, auf der Konflikte über parteipolitische Präferenzen über die Regierungsposition zu europapolitischen Vorhaben gelöst werden. Dass die Entscheidung über die Haltung der Bundesregierung letztendlich vom Bundeskabinett getroffen wird (Ebene 5), wenn auch der Staatssekretärsausschuss für Europafragen zu keiner Einigung gelangt, ist theoretisch möglich, kommt in der politischen Praxis aber nur selten vor. Die nachgezeichnete Konfliktkaskade der europapolitischen Koordinierung in Deutschland spiegelt deren dezentralen Charakter wider, da die Abstimmung zunächst auf einer niedrigen Hierarchieebene und innerhalb der Fachressorts erfolgt und koordinierende Einheiten erst spät eingreifen.26 Eine übergeordnete Koordinationsfunktion kommt dabei sowohl dem Bundesministerium für Wirtschaft und Energie (BMWi) als auch dem Auswärtigen Amt (AA) zu. In beiden Ministerien findet sich jeweils ein Referat, das für die Koordination der deutschen Europapolitik in bestimmten Politikfeldern zuständig ist. Das AA trägt mit dem Referat „E-KR“ die Verantwortung für die Koordinierung der Außen- und Sicherheitspolitik, Justiz- und Innenpolitik sowie für die „Gesamtkoordinierung der deutschen Europapolitik“. Das BMWi ist mit dem Referat „EA1“ verantwortlich für die Koordination der stärker „technischen“ Politikbereiche wie Wettbewerbs-, Umwelt- und Verbraucherschutzpolitik sowie der Wirtschafts- und Finanzpolitik.27 25
Vgl. ebd., S. 272. Vgl. ebd., S. 273; Roland Sturm/Heinrich Pehle, Das neue deutsche Regierungssystem: Die Europäisierung von Institutionen, Entscheidungsprozessen und Politikfeldern in der Bundesrepublik Deutschland, 3. Aufl., Wiesbaden 2012, S. 55. 27 Vgl. Beichelt (Fn. 24), S. 275; Michael W. Bauer/Christoph Knill/Maria Ziegler, Wie kann die Koordination deutscher Europapolitik verbessert werden? Folgerungen aus einem Leistungsvergleich institutioneller Arrangements in Deutschland, Finnland und Großbritannien, Zeitschrift für Parlamentsfragen 2007, S. 736 f. 26
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Diese geteilte Aufgabenwahrnehmung erschwert einigen Beobachtern zufolge die Effektivität der deutschen Europakoordination.28 Im europäischen Vergleich fällt eine deutliche Varianz der Herangehensweisen auf, die die These unterschiedlicher institutionell verankerter Handlungsstile stärkt. Es kann zwischen zentralisierten und dezentralisierten Systemen einerseits und umfassenden und selektiven Systemen andererseits unterschieden werden (vgl. Tabelle 2).29 Als zentralisiert werden Staaten klassifiziert, in denen die Europakoordination zentral bei einer Stelle angesiedelt ist. Dies kann in Form eines eigenen Europaministeriums geschehen wie in Frankreich oder einer zentralen Einheit beim Premierminister wie in Großbritannien. Als dezentralisiert gelten Staaten, in denen Europakompetenzen horizontal zwischen verschiedenen Ministerien geteilt werden und/oder vertikal in föderalen Systemen zwischen Zentralstaat und Bundesstaaten. Tabelle 2 Europakoordination im Vergleich Koordinationsanspruch
Machtverteilung
Umfassend
Selektiv
Zentralisiert
Tschechische Republik Dänemark Finnland Frankreich Lettland Litauen Polen Großbritannien
Irland Luxemburg Malta Portugal Spanien
Dezentralisiert
Österreich Belgien Deutschland Griechenland Ungarn Italien Niederlande Slowakei Slowenien Schweden
Bulgarien Zypern Estland Rumänien
Quelle: Kassim (Fn. 5), S. 686.
28 Ebd., S. 734 ff.; Simon Bulmer/Andreas Maurer/William Paterson, The European Policymaking Machinery in the Berlin Republic: Hindrance or Handmaiden?, in: German Politics 2001, S. 177 – 206; Hans-Ulrich Derlien, Germany. Failing Successfully?, in: Kassim/Peters/ Wright (Fn. 5), S. 54 – 78. 29 Vgl. Kassim/Peters/Wright (Fn. 5); Hussein Kassim, Europeanization and Member State Institutions, in: Simon Bulmer/Christian Lequesne (Hrsg.): The Member States of the European Union, 2. Aufl., Oxford 2013, S. 290.
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Die Koordination der Europapolitik in Großbritannien unterscheidet sich in erheblichen Maße von der in Deutschland und ist von einem zentralistischen Ansatz geprägt. Anstelle geteilter Zuständigkeiten gibt es in Großbritannien mit dem „Cabinet Office European Secretariat“ eine zentrale Koordinierungsinstanz, die auf eine ex ante-Koordination der britischen Europapolitik hinwirkt und Kohärenz und Konsistenz der britischen Position in Europafragen sicherstellen soll, über die Funktionsweise von EU-Institutionen und -Verfahren berät sowie die parlamentarischen Informations- und Kontrollrechte sicherstellt. Eine zweite zentrale Institution ist die Ständige Vertretung Großbritanniens in Brüssel. Diese zeichnet sich durch eine pro-aktive Arbeitsweise aus, um Großbritannien ein frühzeitiges Eingreifen in den europäischen Politikprozess zu ermöglichen und ist durch die enge Anbindung ein integraler Bestandteil der inländischen Koordinationsmechanismen. Anders als in Deutschland, wo die Bearbeitung europapolitischer Dossiers dem Ressortprinzip entsprechend in jedem Ministerium eigenverantwortlich erfolgt und die interministerielle Abstimmung erst spät einsetzt, besitzt im britischen System das Prinzip der Kollektivverantwortung im Kabinett Vorrang. Gemeinsam getroffene Kabinettsentscheidungen binden die Minister und Ministerien, wodurch die interministerielle Koordination gefördert wird. Zusammen mit einer stärker ausgeprägten Informationsund Konsultationskultur über Ressortgrenzen hinweg kann die Behandlung von Europaangelegenheiten stärker koordiniert werden.30 Der Koordinierungsansatz von Frankreich ist im Unterschied zu Deutschland durch das übergeordnete Ziel geprägt, mit einem Höchstmaß an Kohärenz auf europäischer Ebene politische Positionen zu vertreten. Damit ähnelt Frankreich Großbritannien, jedoch ist der französische Koordinierungsansatz stärker formalisiert und anders organisiert.31 Im Zentrum steht das „Secrétariat général des affaires européennes“ (SGAE), das ähnlich dem britischem „Cabinet Office European Secretariat“ dem französischen Premierminister unterstellt ist und die zentrale Schaltstelle für Europaangelegenheiten, mit Ausnahme der Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik, darstellt. Das SGAE ist die Verbindungsstelle zur Ständigen Vertretung Frankreichs in Brüssel, beobachtet die Entwicklungen auf europäischer Ebene und ist für die Vorbereitung der französischen Position in EU-Angelegenheiten zuständig. In dieser Funktion steuert das SGAE die interministerielle Koordination. Im Vergleich zu Großbritannien, das ebenso über ein zentralisiertes System der Koordination von Europapolitik verfügt, ist das französische System mit Hinblick auf die Stellung des SGAE, das einen stärker interventionistischen Ansatz gegenüber den beteiligten Ministerien verfolgt, viel stärker formalisiert.32
30
Vgl. Kassim (Fn. 29), S. 22 ff.; Bauer/Knill/Ziegler (Fn. 27), S. 743 ff. Vgl. Hussein Kassim, Conclusion: The National Co-ordination of EU Policy: Confronting the Challenge, in: ders./Peters/Wright (Fn. 5), S. 244 f. 32 Vgl. Anand Menon, France, in: Hussein Kassim/B. Guy Peters/Vincent Wright (Hrsg.), The National Co-ordination of EU-Policy: The Domestic Level, 1. Aufl., Oxford u. a. 2000, S. 80 ff. 31
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Der Einfluss dieser Koordinationsmechanismen ist im „Uploading“ gut untersucht, im „Downloading“ sind die Auswirkungen aber bisher unterbelichtet. Im Weiteren soll die Relevanz dieser zusätzlichen Perspektive illustriert werden.
IV. Empirische Beispiele Die Frage wie EU-Recht in nationales Recht umgesetzt wurde, hat weitaus weniger Aufmerksamkeit erfahren als das ob der (Non-)Compliance. Arbeiten zu dieser Frage, die sich mit dem Phänomen des gold plating bzw. dem customizing, also der Nutzung des legalen Handlungsspielraums von EU-Recht bei der nationalstaatlichen Umsetzung, auseinandersetzen, haben erste Erkenntnisse dazu geliefert, wie und unter welchen Bedingungen Handlungsspielräume (nicht) genutzt werden. Bisher keine Aufmerksamkeit wurde in der Forschung den politisch-administrativen Mechanismen und Verfahrensweisen geschenkt, mittels derer EU-Recht in den Mitgliedstaaten behandelt und in nationales Recht überführt wird. Dies ist bemerkenswert, da Grund zur Annahme besteht, dass die nationalen Bürokratien einen erheblichen Einfluss auf die nationale Umsetzung von EU-Recht und damit auf die Nutzung von Handlungsspielräumen nehmen. Eine Ausnahme stellt die Arbeit von Beinborn dar, in der die politisch-administrativen Mechanismen bei der Umsetzung der EU-Richtlinie zur E-Rechnung (2014/ 55/EU) sowie verschiedene Richtlinien aus dem Bereich des Arbeitsschutzes und der Produktsicherheit (2014/29/EU, 2014/33/EU, 2014/34/EU, 2014/35/EU, 2014/68/ EU) in Deutschland untersucht werden.33 Seine qualitativen Fallstudien zeigen auf, dass administrative Prozesse und Mechanismen während der drei Phasen – Policy-Initiierung, Policy-Drafting, Policy-Implementierung – den Umgang mit europapolitischen Fragestellungen und die Umsetzung von EU-Recht beeinflussen. Das für die deutsche Ministerialbürokratie charakteristische „Ressortprinzip“ – so die zentrale Erkenntnis – prägt über alle drei Phasen des Policy-Zyklus entscheidend die Bearbeitung europapolitischer Belange. Diese ist über die gesamte Dauerauf das jeweils verantwortliche Referat des federführenden Ministeriums konzentriert. Wenngleich auch zu verschiedenen Zeitpunkten in ressortübergreifenden Arbeitsgruppen eine Abstimmung erfolgt, wird auf die Expertise anderer Ressorts, beispielsweise zu europarechtlichen Fragen, in der Regel nicht zurückgegriffen. Ein Grund ist die – zumindest nach Auskunft der befragten Ministerialbeamten – ausreichend hohe Europakompetenz, deren objektive Evaluierung allerdings aussteht. Es ist ein antizipierender Politikstil zu erkennen, der auch durch personelle Kontinuitäten zwischen Up- und Downloading erleichtert wird. Sprachliche Formulierungen und deren Übersetzung aus dem Englischen bzw. Französischen ins Deutsche sowie die Regelung technischer Details wurden während dieser Phasen nicht nur im Hin33 Vgl. Niclas Beinborn, Die Antizipation von Handlungsspielräumen bei der nationalen Umsetzung von europäischem Recht, unveröffentliche Masterarbeit, Speyer 2016.
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blick auf die europäischen Interessen Deutschlands betrachtet, sondern auch hinsichtlich der Chancen und insbesondere Herausforderungen bei der späteren Implementation. Dabei zeigt sich, dass die Auslegung unbestimmter Rechtsbegriffe durchaus einen Handlungsspielraum eröffnet, der dazu genutzt werden kann die Umsetzung einer Richtlinie an die nationalen Gegebenheiten anzupassen. Aus der Perspektive der deutschen Ministerialbürokratie werden unbestimmte Rechtsbegriffe jedoch weniger als Chance, sondern eher als ernsthaftes Problem betrachtet, das eine unkomplizierte Umsetzung einer Richtlinie erschweren kann. Dies ist insbesondere der Fall, wenn von Seiten der Ministeriumsleitung die wortgetreue „Eins-zueins“-Umsetzung einer Richtlinie gefordert wird und Anpassungen nur zur Nutzung deutscher Rechtsbegriffe gestattet werden, nicht aber für inhaltliche Änderungen im Rahmen des normativen Handlungsspielraums.
V. Ausblick Das Erkennen und Nutzen politisch-administrativer Handlungsspielräume bei der Implementation von EU-Richtlinien ist ein in der einschlägigen Forschungsliteratur zu Unrecht unterschätztes und zu wenig empirisch untersuchtes Phänomen. Dies erstaunt umso mehr, als der Einfluss administrativer Faktoren auf die fristgerechte und richtige Implementation von EU-Recht hinlänglich bekannt ist. Auch vorläufige empirische Erkenntnisse weisen darauf hin, dass die Verhaltensweisen von Mitarbeitern der Ministerialverwaltung, wie sie im Konzept der administrativen Stile erfasst werden, durchaus den Umgang mit EU-Richtlinien während der Behandlung im politisch-administrativen System prägen. Eine umfassende theoriegeleitete und systematische Untersuchung des Phänomens politisch-administrativer Gestaltungsspielräume bei der Implementation von EU-Recht steht allerdings noch aus und wird im Rahmen des skizzierten Forschungsprojektes erfolgen. Im Wege einer qualitativen Vergleichsstudie soll deshalb in ausgewählten Mitgliedstaaten der Europäischen Union der Zusammenhang von Verwaltungsstilen und der Fähigkeit des politisch-administrativen Systems, Handlungsspielräume in der Umsetzung und Implementation europäischen Rechts zu entdecken und zu realisieren, erforscht werden. Im Mittelpunkt stehen dabei die unterschiedlichen „Stile“ nationaler Verwaltungen. Diese – so die These – beeinflussen die Fähigkeit des politisch-administrativen Systems zur Antizipation von Handlungsspielräumen und deren Nutzung bei der „Übersetzung“ von europäischen Politiken in nationale Kontexte.
Schlussfolgerungen
Obblighi di rispetto del diritto UE e convergenze fra diritti amministrativi nazionali Qualche riflessione conclusiva Diana-Urania Galetta
I. Premessa Il “Deutsch-Italienisches Kolloquium” svoltosi il 26 – 28 settembre 2016 a Villa Vigoni è stato dedicato all’approfondimento di tre differenti tematiche, tra loro strettamente interconnesse: quella relativa alle convergenze delle amministrazioni nazionali sotto l’influenza del diritto europeo; quella relativa alla competizione fra pubbliche amministrazioni nella prospettiva di favorire scelte di localizzazione sul proprio territorio nazionale da parte delle imprese; quella del ruolo svolto dalla “cultura amministrativa” rispetto ad una attuazione efficace del diritto dell’Unione europea. In linea con la caratteristica di “laboratorio di lavoro” (Werkstattcharakter) che ha connotato il seminario in oggetto, nelle mie brevi conclusioni mi concentrerò solo su alcuni punti e svolgerò alcune riflessioni, prendendo spunto dalle relazioni presentate durante i due giorni di seminario ed ora oggetto di pubblicazione in questo volume.
II. Convergenza delle amministrazioni nazionali sotto l’influenza del diritto europeo Rispetto al primo tema, quello relativo alle convergenze delle amministrazioni nazionali sotto l’influenza del diritto europeo, si tratta di un tema centrale nella riflessione della dottrina giuspubblicistica tedesca1 ed italiana2 già da molti decenni. Ed è proprio questa sua oramai costante centralità ad averne giustificato l’inserimento, quale primo tema di discussione, nel contesto del seminario di studi. 1
V. per tutti il seminale lavoro di Jürgen Schwarze, Europäisches Verwaltungsrecht, Baden-Baden 1988, voll. I e II. 2 V. in particolare il Trattato in quattro volumi di Mario P. Chiti/Guido Greco (a cura di), Trattato di diritto amministrativo europeo, Milano 1998.
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Premesso che, convergenze da parte delle amministrazioni e dei diritti amministrativi nazionali possono realizzarsi grazie, ma anche indipendentemente dalla sussistenza di norme di diritto dell’Unione europea, quale “spinta naturale” degli ordinamenti degli Stati membri, la prima relazione, quella di Erminio Ferrari, è partita da una constatazione generale: e cioè di come, a suo modo di vedere, le presunte convergenze fra i sistemi amministrativi dei diversi Stati membri UE siano in verità, a tutt’oggi, molto minori di quanto non si sia invece soliti sostenere.3 A questa constatazione si è aggiunta la riflessione di Stefano Cognetti – contenuta nell’incipit della sua densa relazione4 – che ha osservato come il vento dei nazionalismi e dei localismi sembri oggi spirare nella direzione contraria al ravvicinamento fra ordinamenti nazionali e stia di fatto alimentando tendenze al ripiegamento nei rispettivi confini nazionali da parte dei singoli Paesi membri (ed il Brexit sarebbe il miglior esempio di questa recente e negativa tendenza). Questa più recente realtà renderebbe a suo modo di vedere ancora meno agevole il compito di adattare le amministrazioni nazionali nell’attuazione della legislazione UE; e renderebbe necessario, sul piano metodologico, individuare principi, istituti, modelli procedurali e organizzativi fra loro differenziati, rispetto ai quali verificare utilità, modalità e limiti di un loro ravvicinamento. Entrambe le affermazioni, sebbene in astratto condivisibili, si scontrano tuttavia, a mio parere, con un dato di fatto. Mi riferisco all’esistenza di uno spazio amministrativo europeo comune all’interno del quale ha poco senso tracciare artificiose linee di confine fra attività amministrativa nazionale e attività amministrativa delle istituzioni europee. Mi riferisco, in particolare, a quei molti contesti in cui, indipendentemente da quale sia la competenza normativa dell’Unione europea (se esclusiva o concorrente), l’attività di esecuzione/amministrazione consiste in un intreccio costante e continuo di attività amministrative svolte e da amministrazioni UE e da amministrazioni nazionali, in un intercalarsi continuo di attività e secondo modalità di interazione che la dottrina nazionale ha descritto in vario modo,5 ma che, sostanzialmente, si riconducono ad un scenario di amministrazione comune. In questi specifici contesti si sta certamente sviluppando un modello di amministrazione nuovo, che sfugge alle tradizionali classificazioni. Difficile è infatti, da un lato, ricondurre questi modi di azione amministrativa alle categorie proprie dei sistemi costituzionali degli Stati 3 Erminio Ferrari, Konvergenz und Divergenz des Verwaltungsrechts in der EU. Bemerkungen anhand der Beispiele des “Verwaltungsaktes” und des Vergaberechts in Deutschland und Italien, in questo volume. 4 Stefano Cognetti, Denationalisierung, Europäisierung und Internationalisierung des Rechtsschutzes der Bürger, in questo volume. 5 Per limitarci alla dottrina italiana e tedesca, ben nota è la nozione di coamministrazione coniata dalla dottrina italiana e, in particolare, da Claudio Franchini, Amministrazione italiana e amministrazione comunitaria. La coamministrazione nei settori di interesse comunitario, Padova 1992 (II edizione 1993). Più recente è, invece, la coniazione, da parte della dottrina tedesca, della categoria del “Verwaltungsverbund”, su cui si rinvia al denso volume di Eberhardt Schmidt-Aßmann/Bettina Schöndorf-Haubold (a cura di), Der Europäische Verwaltungsverbund, Tübingen 2005.
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membri;6 la nozione stessa di autorità amministrativa europea sfugge ad una definizione univoca e certa.7 E la problematica relativa alla classificazione e tutela giurisdizionale delle posizioni giuridiche soggettive dei singoli generate dal diritto dell’Unione europea8 si stempera largamente, in una prospettiva in cui la tutela è in realtà anticipata all’interno del procedimento amministrativo, secondo uno schema di garanzie procedimentali che è ben identificato in quell’art. 41 della Carta dei diritti dell’Unione europea che ha codificato il diritto ad una buona amministrazione.9 Sotto questo profilo non si condivide dunque affatto l’osservazione di Ermino Ferrari, secondo cui “una buona amministrazione non richiede necessariamente convergenze, né esclude divergenze”.10 Una buona amministrazione richiede, anzi esige, che siano apprestate garanzie procedimentali per i soggetti che si trovano ad interagire con un’attività amministrativa rilevante ai sensi del diritto UE, che siano quantomeno al livello di quelle garanzie minime ora codificate nell’art. 41 della Carta dei diritti. In disparte, infatti, la dibattuta questione di quale sia l’ambito effettivo di applicazione dell’art. 41 della Carta dei diritti UE11 – che non è comunque possibile approfondire in questa sede – la giurisprudenza della Corte di giustizia12 in argomento conferma chiaramente come la buona amministrazione sia identificata, essenzialmente, da quei principi generali del diritto elaborati dalla giurisprudenza dei giudici UE, e trasfusi poi nell’art. 41 della Carta dei diritti, il cui rispetto implica ed, anzi, impone, essenziali convergenze fra i sistemi amministrativi degli Stati membri,13 quantomeno sotto il profilo delle garanzie procedimentali.14 6 Discute della difficoltà di conciliare la “integrazione differenziata” propria del modello europeo con il quadro normativo e le categorie giuridiche proprie del diritto nazionale e transnazionale, Neil Walker, Sovereignty and differentiated integration in the European Union, European Law Journal 1998, p. 355 ss.. 7 Cfr., fra gli altri, Alessandra Sciortino, Qualche osservazione sulla nozione di pubblica amministrazione nell’ordinamento comunitario, Rivista italiana di diritto pubblico comunitario 1994, p. 389 ss.; Sabino Cassese, La nozione comunitaria di pubblica amministrazione, Giornale di Diritto amministrativo 1996, p. 915 ss. 8 Di cui alla relazione di Stefano Cognetti cit. 9 Su cui v. da ultimo Diana-Urania Galetta/Bernd Grzeszick, Kommentar zu Art. 41 Grundrechtecharta, in: Klaus Stern/Michael Sachs (a cura di), Europäische Grundrechtecharta, Kölner Gemeinschafts-Kommentar, Köln 2016, 2 edizione, p. 618 ss. 10 Così Erminio Ferrari (nota 3), par. 1. 11 Su cui si rinvia a Diana-Urania Galetta/Bernd Grzeszick (nota 9). 12 Per quadro generale riassuntivo di questa giurisprudenza e delle sue implicazioni cfr. Diana-Urania Galetta/Herwig C. H. Hofmann,/Oriol Mir Puigpelat,/Jacques Ziller, The General Principles of EU Administrative Procedural Law. An in-depth Analysis, Rivista Italiana di Diritto Pubblico Comunitario 2015/5, p. 1421 ss. 13 In argomento mi permetto di rinviare a Diana-Urania Galetta, General Principles of EU Law as Evidence of the Development of a Common European Legal Thinking: the Example of the Proportionality Principle (from the Italian Perspective), in: Hermann Josef Blanke/Pedro Cruz Villalón/ Tonio Klein/Jacques Ziller (a cura di), Common European Legal Thinking. Essays in Honour of Albrecht Weber, Heidelberg et al. 2016, p. 221 ss.
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III. Trasposizione delle direttive europee e cultura amministrativa nazionale Quanto alla problematica inerente più specificamente alle modalità di trasposizione delle direttive UE negli ordinamenti (amministrativi) nazionali ed alle relative criticità, Johannes Socher, nella sua relazione,15 ci ha riferito di una prassi di trasposizione delle direttive UE che viene identificata con l’espressione – di origine evidentemente britannica – di politica del “no goldplating”.16 Essa consisterebbe, praticamente, in una modalità di trasposizione minimale delle direttive, senza andare al di là di quel poco che risulterebbe strettamente necessario.17 Nonostante l’apparenza, tuttavia, questa prassi non rappresenta di per sé un problema. La direttiva implica infatti, per sua stessa natura, che gli Stati membri siano liberi di determinare quali modifiche apportare alla propria normativa interna per renderla conforme al risultato perseguito dalla direttiva.18 E, in questa prospettiva, la trasposizione virtuosa rispetto a quella non virtuosa non si identifica necessariamente attraverso la quantità di modifiche apportate nel proprio ordinamento interno allo scopo di trasporre la direttiva. Non è, cioè, che un legislatore che stravolge un intero settore del proprio ordinamento nazionale per trasporre il contenuto di una direttiva sia necessariamente più virtuoso di un altro che si limita, invece, ad operarvi adattamenti minimali. A meno che, infatti, lo stravolgimento dell’ordinamento nazionale non sia imprescindibile, perché non è possibile fare diversamente per perseguire l’obiettivo che la direttiva impone agli Stati membri, è infatti piuttosto vero il contrario! Il senso stesso della previsione ex art. 288 TFUE – che distingue, appunto, all’uopo fra regolamenti e direttive – è che, nel caso di uso dello strumento della 14 Cfr. Diana-Urania Galetta, Il diritto ad una buona amministrazione europea come fonte di essenziali garanzie procedimentali nei confronti della Pubblica Amministrazione, Rivista Italiana di Diritto Pubblico Comunitario 2005/3, p. 819 ss. 15 Johannes Socher, Annäherung nationaler Verwaltungssysteme trotz „no gold plating“Politiken?, in questo volume. 16 Si rinvia a questo proposito alla Transposition Guidance“ del Department for Business, Innovation and Skills richiamata da Socher (nota 15) alla nota 6 del suo contributo: „Goldplating is when implementation goes beyond the minimum necessary to comply with a Directive”. 17 Vgl. Jürgen Schwarze, Richtlinienumsetzung „eins zu eins“, in: Rainer Pitschas/Arnd Uhle (a cura di), Wege gelebter Verfassung in Recht und Politik. Festschrift für Rupert Scholz zum 70. Geburtstag, Berlin 2007, p. 167 ss. 18 A questo riguardo Roberto Mastroianni, Direttive [dir. UE], 2014, http://www.treccani.it/ enciclopedia/direttive-dir-ue_(Diritto-on-line)/ [22. 12. 2016], sottolinea come “Si lasciano così liberi gli Stati membri di determinare essi stessi le modifiche da apportare alla propria normativa interna per renderla conforme al risultato perseguito dalla direttiva, conformemente alle loro esigenze e alle loro peculiarità nazionali, pur nel rispetto dell’unità del diritto dell’Unione”.
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direttiva, si intende lasciare agli Stati membri la scelta circa la forma e i mezzi ritenuti più idonei per raggiungere un dato obiettivo di ravvicinamento delle norme nazionali. La peculiarità della direttiva è, infatti, di garantire agli Stati membri uno spazio di manovra tale da permettere un adattamento dei suoi contenuti precettivi alle peculiarità proprie dei singoli ordinamenti giuridici nazionali, senza stravolgerli. La valutazione di se e quanto estensivamente debba essere modificato un ordinamento nazionale per potere soddisfare gli obblighi di trasposizione delle direttive che i Trattati impongono agli Stati membri ricade, dunque, totalmente nell’ambito di apprezzamento del legislatore nazionale e nella sua responsabilità. E, in astratto, non è affatto vero che una trasposizione estensiva sia meglio di una minimale. Anche perché le direttive servono (e vengono usate dal legislatore UE) anche allo scopo di evitare quelle “crisi di rigetto” che potrebbero facilmente derivare da normative troppo uniformanti contenute in regolamenti. Sicché, in verità, non sono affatto auspicabili metodi di trasposizione che implichino di spingersi sistematicamente al di là di quanto appare necessario per garantire l’effettività del diritto dell’Unione europea, in particolare con riguardo agli obiettivi da questo in concreto perseguiti. Tanto più che si tratta assai sovente di metodi surrettizi che vengono utilizzati dai legislatori nazionali per modificare in una certa direzione (auspicata) il proprio ordinamento nazionale, senza tuttavia assumersene direttamente la responsabilità, che viene invece rinviata all’Europa19 (nota è l’abusata espressione “è l’Europa che ce lo chiede!”). Quello che, poi, parimenti non è auspicabile è la pratica che consiste nel limitarsi a riprodurre il testo delle direttive, più o meno identico, in norme nazionali di trasposizione, senza fare uso di quel margine libertà che queste invece, come si è detto, per loro stessa natura “costituzionale”, riconoscono agli Stati membri. A questo riguardo ha osservato Cristina Fraenkel nel suo successivo intervento20 come la “copiatura” del testo delle direttive sia talora valutata in dottrina in termini positivi, come il migliore metodo di trasposizione, in quanto ridurrebbe i margini di errore da parte del legislatore nazionale e, di conseguenza, anche il contenzioso davanti ai giudici UE. Occorre tuttavia constatare che, pur trattandosi di una prassi assai diffusa fra i legislatori nazionali degli Stati membri (e non solo fra quelli degli Stati membri di più recente ingresso nell’UE), si tratta in verità di una prassi nient’affatto virtuosa21 19 Un esempio lampante di ciò è la recente modifica al codice dei contratti pubblici italiano, di cui al decreto legislativo 18. 4. 2016, n. 50 (G.U. 19. 4. 2016, n. 91, S.O. n. 10 e n. 11). Ma anche il Codice del Processo amministrativo, adottato col decreto legislativo 2. 7. 2010, n. 104. 20 Cristina Fraenkel, Indirekte Europäisierung und prägender Einfluss der nationalen Rechts- und Verwaltungskultur, in questo volume. 21 Come era stato peraltro messo in luce, a suo tempo, già da Heinrich Siedentopf/Jacques Ziller (a cura di), L’Europe des administrations? La mise en oeuvre de la législation com-
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e che contraddice il senso stesso della previsione ex art. 288 TFUE, di cui si è poc’anzi detto. Tanto più che il “bisogno di adattamento” (Anpassungsbedarf) di cui ha parlato Stephan Grohs nella sua relazione non viene ridotto necessariamente grazie ad una trasposizione letterale e pedissequa del contenuto di direttive nell’ordinamento nazionale. Questo perché – e si tratta della terza tematica oggetto del seminario – non è sufficiente adottare determinate norme per produrre le auspicate modificazioni sull’attività delle pubbliche amministrazioni nazionali. I cambiamenti (o, viceversa, le persistenze) sono infatti determinati molto più dalle prassi di lavoro cui si conformano le singole amministrazioni, che non dalle norme giuridiche di disciplina delle singole fattispecie. A questo proposito Stephan Grohs ha fatto riferimento all’esistenza di “differenti stili delle amministrazioni nazionali”,22 che persistono nonostante il cambiamento delle norme di riferimento ed hanno, anzi, il potere di depotenziarne grandemente l’impatto concreto. Questi “stili amministrativi” sono determinati da quella che è stata qualificata in dottrina come cultura amministrativa (Verwaltungskultur).23 Quello di cultura amministrativa è peraltro un concetto non giuridico; e rispetto al quale non sono dunque i giuristi24 a possedere gli strumenti di comprensione ed analisi di un fenomeno che è, infatti, tradizionalmente oggetto di studio sociopolitologico e necessita dell’essenziale apporto di studiosi di quelle discipline per potere essere compreso. In questo senso, si è rivelata estremamente proficua la scelta di coinvolgere nel seminario anche colleghi non giuristi, che hanno consentito di integrare utilmente la prospettiva di analisi, soprattutto in relazione alla terza tematica trattata. Si tratta, infatti, di comprendere anche quali siano le “condizioni culturali amministrative” che meglio garantiscono l’attuazione efficace ed efficiente del diritto dell’Unione
munautaire dans les Etats membres, Bruxelles 1988, 2 volumi, passim, in cui veniva già evidenziato, sulla base di uno studio comparato operato rispetto agli allora dieci Stati membri della Comunità europea, come una buona trasposizione delle direttive non possa consistere in una semplice ricopiatura del loro testo. 22 Stephan Grohs/Benjamin Gröbe, Verwaltungsstile und die „Entdeckung“ politisch-administrativer Gestaltungsspielräume bei der Implementierung von EU-Recht, in questo volume. 23 Su cui si rinvia a Klaus König/Sabine Kropp/Sabine Kuhlmann/Christoph Reichard/ Karl-Peter Sommermann/Jan Ziekow (a cura di), Grundmuster der Verwaltungskultur, BadenBaden, 2014. 24 V. tuttavia l’interessante contributo di Josep Ramon Fuentes i Gasó, El desarrollo de una cultura administrativa europea, in: María Jesús Montoro/Karl Peter Sommermann (a cura di), Les administracions en perspectiva europea, Escola d’Administració Pública de Catalunya, Barcellona 2012, p. 76 ss.
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europea, senza necessariamente supporre che i sistemi amministrativi si debbano sviluppare in un’unità amministrativa.25 Quel che è certo, in conclusione, è che se la cultura amministrativa nazionale gioca a tutt’oggi un ruolo fondamentale come fattore di perpetuazione delle divergenze, questa potrebbe viceversa essere anche quell’elemento che in prospettiva, ed attraverso lo sviluppo di una cultura amministrativa europea comune (Gemeineuropäische Verwaltungskultur), potrebbe portare ad una effettiva e duratura convergenza.26
IV. Competizione fra pubbliche amministrazione in relazione all’attrattiva di un territorio per gli operatori economici Nella sua relazione Veith Mehde ha posto in evidenza come le decisioni delle imprese di localizzarsi sul territorio di uno o dell’altro Stato membro siano direttamente od indirettamente condizionate anche dal funzionamento delle pubbliche amministrazioni nazionali e, più in particolare, dalla velocità con la quale queste ultime sono in grado di adottare delle decisioni.27 A questo proposito egli ha messo giustamente in evidenza come all’utilizzo del termine “unbürokratisch” molto sovente non corrispondano contenuti precisi e come ci si riferisca in verità, con questa espressione, in modo generico all’assenza di ostacoli inutili che la pubblica amministrazione nazionale frapporrebbe allo svolgimento delle attività economiche. A questo proposito la dottrina nazionale, sia in Italia che Germania, fa uso già da molti anni di categorie concettuali quali semplificazione, accelerazione, efficienza (Vereinfachung, Beschleunigung, Effizienz), di cui sono espressione anche le previsioni di cui, rispettivamente, al § 46 della legge tedesca sul procedimento amministrativo (VwVfG) ed all’art. 21-octies della legge italiana sul procedimento amministrativo, entrambe relative all’irrilevanza di vizi procedimentali che non abbiamo avuto un effetto concreto sul contenuto del provvedimento finale.28
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Cfr. le conclusioni cui perviene Erminio Ferrari, in questo volume. Karl-Peter Sommermann, Gemeineuropäische Verwaltungskultur als Gelingensbedingung europäischer Integration?, Die öffentliche Verwaltung 2015, p. 449 ss. 27 Veith Mehde, Die Modernisierung der öffentlichen Verwaltung als Standortfaktor, in questo volume. 28 V. amplius sul tema Diana-Urania Galetta, Violazione di norme sul procedimento amministrativo e annullabilità del provvedimento, Milano 2003. Si veda anche il più recente volume di Paolo Provenzano, I vizi nella forma e nel procedimento amministrativo, fra diritto interno e diritto U. E., Milano 2015, passim. 26
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Senza potere ovviamente scendere qui nel dettaglio della questione,29 mi limiterei ad osservare, come sussista una evidente contraddizione fra queste previsioni, che sono espressione della filosofia della c.d. amministrazione di risultato e le esigenze, da più parti richiamate in dottrina (e di cui si sono fatti oramai portavoce molti legislatori nazionali), di assicurare adeguate garanzie procedimentali a cittadini e imprese degli Stati membri anche nei confronti delle amministrazioni nazionali. Come ha infatti ben sottolineato Daria de Pretis nella sua ricca relazione di apertura30 i diritti procedurali (Verfahrensrechte) e la trasparenza, intesa anche come accesso agli atti detenuti dalle pubbliche amministrazioni, sono considerati ormai da larga parte della dottrina come un sostituto rispetto a quell’assenza di legittimazione democratica in senso stretto che affligge il potere pubblico europeo. Ma, naturalmente, è chiaro che ciò difficilmente può conciliarci con l’opposta esigenza di garantire procedure amministrative snelle e rapide, nella prospettiva dell’efficienza amministrativa intesa come garanzia di una rapida decisione. La questione è, piuttosto, quale sia il punto di equilibrio fra questi due estremi. Ed è chiaro che, come ha ben messo in evidenza Siegfried Magiera nel corso della discussione finale, neppure si può immaginare di instaurare, tramite questi strumenti, una sorta di democrazia diretta per il tramite della partecipazione amministrativa.
V. Considerazioni di sintesi In conclusione, quello che emerge chiaramente ad esito del seminario di studi è come sussista un problema di fondo, anche in dottrina, relativamente alla corretta comprensione di cosa sia necessario fare allo scopo di garantire una efficiente e il più possibile completa esecuzione, da parte delle pubbliche amministrazioni nazionali, degli obblighi ad esse imposti dal diritto UE. Sotto questo profilo occorre richiamare l’attenzione, in chiusura, su quell’obbligo di leale cooperazione che è contenuto nell’art. 4, c. 3 TUE e che implica l’impegno delle amministrazioni nazionali a mettere in campo tutti gli strumenti a loro disposizione per garantire questo risultato.31 Senza comportare tuttavia, 29 In argomento si rinvia da ultimo a Diana-Urania Galetta, Recht auf eine gute Verwaltung und Fehlerfolgelehre nach dem Inkrafttreten des Lissabonner Vertrages: Der Fall Deutschlands und Italiens, in: Michael Sachs/Helmut Siekmann (a cura di), Der grundrechtsgeprägte Verfassungsstaat. Festschrift für Klaus Stern zum 80. Geburtstag, Berlin 2012, p. 1051 ss. 30 Daria de Pretis, Denationalisierung der öffentlichen Verwaltung: Europäisierung und Internationalisierung der öffentlichen Verwaltung im Vergleich, in questo volume. 31 Sul che mi sia consentito rinviare a Diana-Urania Galetta, Coamministrazione, reti di amministrazioni, Verwaltungsverbund: modelli organizzativi nuovi o alternative semantiche alla nozione di “cooperazione amministrativa” dell’art. 10 TCE, per definire il fenomeno
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necessariamente, un abbondono delle proprie tradizioni amministrative nazionali. Queste ultime infatti, nella misura in cui non siano di ostacolo al raggiungimento degli obiettivi a cui il diritto UE mira, possono e devono permanere e sono, anzi, protette nella prospettiva stessa di un’Unione europea il cui motto è, e rimane, quello di “unità nella diversità”. Sullo sfondo rimane dunque la questione, magistralmente sollevata da Siegfried Magiera32 in chiusura della sua relazione, di quale sia, invece, quella cultura giuridica e amministrativa che spinge gli Stati membri a diffamare e a non rispettare quel diritto dell’Unione europea di cui sono essi stessi gli artefici. Si tratta, a mio modo di vedere, piuttosto di una “sottocultura politica”, germinata in un contesto culturale in cui politici irresponsabili (e sovente poco competenti) hanno eletto la denigrazione dell’Unione europea e del suo diritto a sport nazionale.33 Una sottocultura che serve, di fatto, a nascondere la loro incapacità a difendere e veicolare ai cittadini nazionali i valori e il valore dell’Unione europea. Ed è una sottocultura che produce frutti avvelenati: come la vicenda del Brexit ci ha tanto tragicamente dimostrato.
dell’amministrazione intrecciata?, Rivista italiana di diritto pubblico comunitario 2009/6, p. 1689 ss. 32 Siegfried Magiera, Die Rolle der Verwaltungskultur für eine effektive Implementierung des Europäischen Unionsrechts, in questo volume. 33 A questo proposito cfr., da ultimo, le lucidissime osservazioni di Giancarlo Vilella, Essere europei, Bologna, 2016. Si vedano anche le sempre attuali riflessioni di Mercedes Fuertes/Francisco Sosa Wagner, Cartas a un euroescéptico, Madrid 2013.
Europäisierung und Internationalisierung der öffentlichen Verwaltung im Vergleich: Schlussfolgerungen aus einem deutsch-italienischen Dialog Karl-Peter Sommermann Unabhängig davon, wie man die durch die europäische Integration in Gang gesetzte Transformation der nationalen Rechtsordnungen letztlich beurteilt, steht eines fest: Die Integration, die mit der Schaffung einer Rechtsgemeinschaft einherging, hat das aktive Interesse an dem Recht anderer europäischer Staaten nachhaltig gestärkt, sie hat durch den notwendig vergleichenden Blick neue Erkenntnisse über Besonderheiten, Stärken und Schwächen des eigenen Rechts ans Licht gebracht, und sie hat Ansätze zur Herausbildung einer transnationalen Rechtswissenschaft begünstigt. Unser Deutsch-Italienisches Kolloquium, geprägt durch große Offenheit der Teilnehmer für die Perspektiven der anderen, ist Beispiel für einen selbstverständlich gewordenen transnationalen Dialog in der Rechtswissenschaft. Die Diskussionen zu den drei Themenkomplexen, denen das Kolloquium gewidmet war, haben dabei nicht zu einheitlichen, sondern zu sehr differenzierten Deutungen geführt. Themen wie „Konvergenzen“, „Wettbewerb“ und „Verwaltungskultur“ mögen dazu verleiten, die eingetretenen Änderungen gleichsam im Sinne einer logificatio post festum auf bestimmte bekannte Ursachen und Rationalitäten zurückzuführen, oder ihnen – wie es heute im Anklang an einen amerikanischen Sprachtopos gern heißt – eine verbindende Erzählung (narrative) zu unterlegen. Dies war nicht der Ansatz dieses Kolloquiums, das gerade auch kontingenten Phänomenen, die nicht einheitlich zu deuten sind, Aufmerksamkeit gewidmet hat. Ergänzend zu den Ausführungen von Diana-Urania Galetta seien nachfolgend ausgewählte Ergebnisse und zutage getretene Forschungsfragen festgehalten.
I. Konvergenzen der nationalen Verwaltungen unter dem Einfluss des Europarechts Die Beobachtung von Konvergenzen der Verwaltungsorganisation und des Verwaltungsrechts europäischer Staaten führt zwangsläufig zu der Frage, wie tief die Veränderungen gehen. Bleiben sie an der Oberfläche oder reichen sie in die Substrukturen des Rechts hinein? Wie stark wirken sich Pfadabhängigkeiten der nationalen Verwaltungskulturen aus? Können Konvergenzen auf der einen Seite Divergenzen auf der anderen Seite hervorbringen?
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Festzustellen ist mit Erminio Ferrari zunächst, dass die Integrationsverträge die Konvergenz der nationalen Rechtsordnungen nicht ausdrücklich zum Ziel der Union erklären. Allerdings sind Annäherungen durchaus vorgesehen, so zur Verwirklichung des Binnenmarktes im Wege einer Angleichung von Rechtsvorschriften in einzelnen Politikfeldern (Art. 114 AEUV). Im Primärrecht bewirken indirekt auch das Gebot effektiver Durchführung des Unionsrechts (Art. 197 AEUV) und die Pflichten zur Verwaltungszusammenarbeit eine Konvergenz von Verwaltungsstrukturen und -verfahren, da anders eine Interoperabilität nicht hergestellt werden kann. Sekundärrechtsakte der Union enthalten, wie mehrfach festgestellt, immer häufiger Vorgaben zum Verwaltungsverfahren und zur Verwaltungsorganisation – man denke nur an die Dienstleistungsrichtlinie oder regulierungsrechtliche Rechtsakte –, so dass jedenfalls bereichsbezogen nicht von bloß marginalen Oberflächenveränderungen gesprochen werden kann und bei entsprechender Regelungsdichte in benachbarten Bereichen ein „Umschlag von der Quantität in die Qualität“ stattfindet und erste systemische Konvergenzen zu beobachten sind. Dass in diesem Sinne Europäisierung eher geordnet und systematisch erfolge, hat Daria de Pretis hervorgehoben und daraus einen wesentlichen Unterschied zur Globalisierung abgeleitet, deren Einfluss auf das nationale Verwaltungsrecht eher „spontan“ und kontingenzbehaftet sei. Margrit Seckelmann hat ergänzend darauf hingewiesen, dass im Bereich der indirekten Europäisierung ebenfalls kontingente Prozesse zu beobachten seien, so etwa wenn äußere Ereignisse wie zum Beispiel die deutsche Wiedervereinigung Reformen in Übereinstimmung mit europäischen Tendenzen beschleunigten. Mit Sabino Cassese sieht Daria de Pretis im Ergebnis eine gewisse „Ent-Differenzierung“ der nationalen Verwaltungssysteme. Sie will in diesem Sinne eher von einer „Abschwächung der Unterschiede als von echter Konvergenz“ sprechen. Angesichts einer voranschreitenden Denationalisierung mahnt de Pretis die Entwicklung neuer Formen rationaler Machtverteilung und -balance im Mehrebenensystem an. Was die Neugestaltung anbetrifft, so wird in der wissenschaftlichen Diskussion häufiger die meist durch angelsächsisches Rechtsdenken beeinflusste Ansicht vertreten, angesichts des verbreiteten kooperativen Zusammenwirkens öffentlicher und privater Akteure bei der Wahrnehmung öffentlicher Aufgaben müsse der public-private law divide aufgegeben werden. Jedenfalls ein Verzicht auf eine allgemeine Dogmatik des öffentlichen Rechts, die auf der Unterscheidung von privatem und öffentlichem Recht beruht, wäre – unabhängig von der Frage seiner Vereinbarkeit mit den Prinzipien des freiheitlichen Verfassungsstaats – ein erheblicher Rationalitätsverlust, da die unstreitig nach wie vor erforderlichen besonderen Beschränkungen des Staatshandelns nunmehr in einer Vielzahl einzelner Rechtsregimes ausbuchstabiert werden müssten. Bislang hat sich die Dogmatik des Verwaltungsrechts auch durchaus als entwicklungsfähig erwiesen, was die Erfassung neuer Formen des Zusammenwirkens zwischen öffentlichem und privatem Sektor anbetrifft.
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Auf einen kritischen Punkt der Neujustierung des Verwaltungsrechts in dieser Hinsicht hat Erminio Ferrari hingewiesen. Indem in Italien im Jahre 2005 die mögliche Ersetzung einer förmlichen Genehmigung durch eine „stillschweigenden Zustimmung“ zur Regel geworden sei, habe man in rechtsstaatlich bedenklicher Weise zugleich Aufgaben staatlicher Aufsicht auf private Vorhabensträger verlagert. Mit dieser Verfahrensverlagerung beginne eine „Dämmerung des Verwaltungsakts“. Die Frage ist auch für das deutsche Recht von Bedeutung, wo in Umsetzung der EUDienstleistungsrichtlinie die (zuvor auch hier nicht ganz unbekannte) Rechtsfigur der „Genehmigungsfiktion“ in eine Bestimmung des Verwaltungsverfahrensgesetzes aufgenommen wurde, freilich nur als Standardregelung für Fälle, in denen der Gesetzgeber diese Rechtskonstruktion in einem Fachgesetz ausdrücklich vorsieht. Berücksichtigt man, dass sowohl die Rechtsfigur des „negativen Schweigens“ (Ablehnungsfiktion: silence négatif/silenzio negativo) als auch die des „positiven Schweigens“ (Genehmigungsfiktion: silence positif/silenzio positivo) ursprünglich von der französischen und italienischen Rechtsprechung entwickelt wurden, um in einem auf die kassatorische Klage konzentrierten Rechtsschutzsystem bei Untätigkeit der Verwaltung überhaupt Rechtsschutz gewähren zu können, so erscheint die Stärkung der Genehmigungsfiktion als Atavismus. Dies gilt jedenfalls für Prozessordnungen, die Rechtsschutz gegenüber unterschiedlichem Behördenverhalten bieten und wirksamen einstweiligen Rechtsschutz bieten. Auf dem Weg über das Völker- und Europarecht findet häufiger angloamerikanisch geprägtes zivilistisches Rechtsdenken Eingang in Regelungskomplexe, die auf dem Kontinent traditionell mit spezifisch öffentlich-rechtlichen Rechtsinstituten arbeiten. Birgit Peters hat sich in diesem Sinne mit der Ersetzung differenzierter Präklusionsregelungen durch ein Verbot rechtsmissbräuchlichen Verhaltens befasst. Maßgeblich dafür war das Urteil des Europäischen Gerichtshofs vom 15. Oktober 2015, das in Auslegung von EU-Sekundärrecht erging, welches zugleich der Umsetzung von Vorgaben der Århus-Konvention dient. Die Einpassung des auf den ersten Blick systemfremden Elements in das deutsche Recht ist nicht trivial und verspricht nicht ohne weiteres Rationalitätsgewinn. Dass andererseits gerade das deutsche Recht teilweise an überholten zivilistischen Konstruktionen festhält, zeigt insbesondere die Ausgestaltung des Vergaberechts, worauf auch Erminio Ferrari hinweist. Durch Vermittlung europäischen Rechts können tief in der jeweiligen nationalen Rechtstradition verankerte Rechtskonzepte aufeinandertreffen, die zwar verwandt sind, aber doch zunächst unvereinbar scheinen. Stefano Cognetti hat sich mit dem für den Verwaltungsrechtsschutz in Deutschland zentralen Konzept des subjektiv-öffentlichen Rechts einerseits und den den Rechtswegdualismus in Italien begründenden Konzepten des subjektiven Rechts (nicht deckungsgleich mit dem deutschen subjektiv-öffentlichen Recht) einerseits und des legitimen Interesses andererseits befasst. Um einer europäischen Lösung Rechnung zu tragen, sieht er nur die Lösung, entweder das „subjektive Recht“ in das „legitime Interesse“, oder Letzteres in das Erstere zu integrieren. In Ländern ohne den Rechtswegdualismus müsste aber auch, wie das Beispiel Spaniens zeigt, eine alternative Lösung möglich sein, d. h.
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die Begründung der Klagebefugnis durch die Geltendmachung entweder eines subjektiven Rechts oder eines legitimen Interesses. Insgesamt scheinen die dogmatisch und systematisch durchbildeten kontinentalen Rechtsordnungen eine geringere Flexibilität zu besitzen als pragmatisch-inkrementell gewachsene Rechtsordnungen wie die britische. Johannes Socher hat aber am Beispiel der Umweltinformationsrichtlinie dargelegt, dass es auch im Vereinigten Königreich unter dem Einfluss des Europarechts zu Traditionsbrüchen kommen kann. Überhaupt sind in der britischen Rechtsentwicklung der beiden letzten Jahrzehnte geradezu revolutionäre Veränderungen zu beobachten. Sie erfassen nicht zuletzt die Ausgestaltung des Verwaltungsrechtsschutzes. Da dabei der Einfluss europäischen Rechts deutlich spürbar ist, mögen diese Rechtsänderungen bei manchem englischen Traditionalisten zum Unbehagen an der Europäischen Union beitragen. Auch diese Dimension ist bei der Debatte über notwendige Konvergenzen zu berücksichtigen.
II. Wettbewerb als treibende Kraft der Modernisierung Res publica semper reformanda est: Staats- und Verwaltungsmodernisierung ist nicht eine einmalige, historisch definierte Entwicklungsphase, sondern ein permanenter, wenn auch häufig in Ebenen und Krisen verlaufender Prozess. Dies darf ebenso als Gemeinplatz gelten wie die Erkenntnis, dass die Verfahrensgestaltung und Arbeitsweise der öffentlichen Verwaltung ein wichtiger Standortfaktor im wirtschaftlichen Wettbewerb um Investoren darstellt. Die nationalen Verwaltungen treten so selbst in einen Wettbewerb ein. Veith Mehde hat dargelegt, dass es sich beim Wettbewerb zwischen Verwaltungen heute – nicht nur in zwischenstaatlicher Perspektive – „um einen selbstverständlichen Daseinsmodus der öffentlichen Verwaltung handelt“, der eine Vielzahl von Verwaltungsleistungen betreffe und meist auch dann dominiere, wenn größere Bürgernähe als Hauptmotiv angegeben werde. In seiner Analyse der Faktoren, die für eine gute Position im Wettbewerb ausschlaggebend sind, wendet er sich gegen einfache Lösungen, etwa gegen die Ansicht, dass eine Verfahrensbeschleunigung als solche bereits Wettbewerbsvorteile garantiere. Auch eine kohärente Kodifizierung des Verwaltungsverfahrensrechts kann Vorteile bedeuten, wie Elena Buoso zeigt. Sie betont im Übrigen, dass wichtiger noch als „technische Vereinfachungs- und Beschleunigungsmaßnahmen“ die Herausbildung einer „verantwortungsbewusste[n] Verwaltungskultur“ sei. Die Mehrdimensionalität der Wettbewerbsthematik, einschließlich der Betrachtung wettbewerbsfördernder staatlicher Verfahren, sowie der Einfluss krisenhafter Ereignisse standen im Mittelpunkt der Erörterungen von Luca De Lucia. Bei Leistungsvergleichen zwischen den Verwaltungen bedingt die Notwendigkeit, sich auf ausgewählte mit benchmarks verknüpfte Leistungsindikatoren zu beziehen, dass eine Gesamtaussage nur unter Vorbehalt zu treffen ist. Aus der Steuerungsperspektive kann De Lucia zeigen, wie territoriale Neugliederungen und Kompetenzverla-
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gerungen, etwa auch eine größere Steuerautonomie der Regionen und Kommunen, im italienischen Regionalstaat einen leistungssteigernden Wettbewerb auslösen sollen. Damit spricht er Reformansätze an, die seit geraumer Zeit in zahlreichen europäischen Ländern zu beobachten sind. Ob mit diesen Reformen, etwa auch dem Neuzuschnitt der Regionen in Frankreich, tatsächlich eine effektive Leistungssteigerung erreicht wird, bleibt häufig ungeklärt. Dies gilt auch für andere Modernisierungsmaßnahmen, bei denen zwar eine Steigerung der Leistungsfähigkeit nicht im Mittelpunkt steht, die auf einer sekundären Ebene indes sehr wohl erstrebt wird. Dies gilt etwa für die von Tim Holzki vorgestellten Maßnahmen zur Steigerung der Akzeptanz von Planungsentscheidungen durch größere Transparenz. Eine Weiterentwicklung der Verwaltungsrechtsregime im Hinblick auf mehr Wirtschaftlichkeit kann auch durch grenzüberschreitende Vereinbarungen erfolgen, die freilich im Hinblick auf das nach wie vor geltende staatliche Territorialitätsprinzip schwierige Fragen rechtlicher Gestaltung aufwerfen. Matthias Niedobitek hat dargelegt, dass neben den älteren völkerrechtlichen Rahmenregelungen, ausgehend von dem in Madrid unterzeichneten „Europäischen Rahmenübereinkommen über die grenzüberschreitende Zusammenarbeit zwischen Gebietskörperschaften“ von 1980, mittlerweile auch ein unionsrechtlicher Rahmen für die europäische territoriale Zusammenarbeit zur Verfügung steht, dessen Kern die Verordnung Nr. 1299/2013 vom 17. Dezember 2013 bildet. Es wird sichtbar, dass durch ein geschicktes Arrangement grenzüberschreitender Zusammenarbeit auch Wettbewerbsvorteile für die beteiligten Gebietskörperschaften entstehen können und internationaler Wettbewerb somit nicht notwendig nationalen Grenzen folgt.
III. Die Rolle der Verwaltungskultur für eine effektive Implementierung des Unionsrechts Für die Effektivität der Europäischen Union als Rechtsgemeinschaft (Rechtsunion) ist, solange die Implementierung im Wesentlichen dezentral erfolgt, ein vergleichbarer Standard beim Vollzug des Rechts durch die nationalen Verwaltungen unabdingbar. Allein angesichts der Unterschiede in den Rechts- und Verwaltungskulturen der EU-Mitgliedstaaten liegt es auf der Hand, dass die Herstellung einer im Unionsgebiet gleich effektiven (nicht notwendig gleichförmigen) Implementierung des Unionsrechts besonderen Schwierigkeiten begegnet. Es geht um ein (oft auch sprachlich konnotiertes) unterschiedliches Verständnis des Rechts und unterschiedliche Einstellungen zum öffentlichen Interesse, die beide durch die jeweiligen gesellschaftlichen Kontexte, Werthaltungen und Erfahrungen geprägt werden und in unterschiedlichen Verhaltensweisen und Handlungsmustern Ausdruck finden. Der in nationalen und internationalen Rechtsregimes vielfach bewährten Trias von Prävention, Kontrolle und Sanktion zur Gewährleistung der Wirksamkeit des Rechts folgt auch die Union, wie Siegfried Magiera im Einzelnen anhand einer Analyse der den drei Ebenen zuzuordnenden Instrumente verdeutlicht. Besonders hervorzuheben
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ist, dass die die compliance-orientierte Prävention bereits mit dem Bemühen um klare, von allen Mitgliedstaaten handhabbare Regeln beginnt. Dass Mitgliedstaaten die Implementierung nicht nur freudig betreiben, sondern teilweise auch als „lästige Pflicht“ behandeln, hat Cristina Fraenkel-Haeberle vor Augen geführt. Doch trotz der „systemimmanente[n] Resistenz des nationalen Rechts gegenüber dem Einfluss des Europarechts“ lassen sich, auch dies zeigt sie, viele Beispiel finden, in denen die zunächst unzureichende Umsetzung von Richtlinienrecht anschließend, häufig nach einem Vertragsverletzungsverfahren, nicht nur zu einer Beseitigung des Mangels geführt hat, sondern weitergehend zu einem spill over, d. h. zur Übernahme von Prinzipien oder Regelungselementen in andere Politikfelder oder sogar in die allgemeinen Grundlagen der anfangs widerstrebenden Rechtsordnung. Den Umgang der Mitgliedstaaten mit dem Richtlinienrecht haben aus politikwissenschaftlicher Sicht Stephan Grohs und Benjamin Gröbe in den Blick genommen. Ausgehend von dem Konzept der „Verwaltungsstile“, mit dem strategische Grundkonstanten der Entscheidungsprozeduren und Problemlösung erfasst werden, wollen sie die Art und Weise der Umsetzung, gegliedert in die Phasen der Policy-Initiierung, des Policy-drafting und der Policy-Implementation, vergleichend untersuchen. Ihre Skizze eines laufenden Forschungsprojekts weist die nähere Erforschung eines so verstandenen „Downloading“ im Vergleich zur Erforschung des „Uploading“ (d. h. der Wege und Verfahren der Einflussnahme auf die EU-Rechtsetzung) als bislang defizitär aus. Damit ist grundsätzlich das Desiderat einer systematischen Implementationsforschung angesprochen, welches Motivation auch für die Durchführung des Projekts „Europäisierung nationaler Verwaltungen im Vergleich“ ist, in dessen Rahmen das Kolloquium stattfand.
IV. Fazit Das Kolloquium konnte nicht nur Wirkungszusammenhänge der Europäisierung und Globalisierung im Bereich der öffentlichen Verwaltung offenlegen, sondern auch Instrumente der Transformation der nationalen Verwaltungssysteme und ihrer rechtlichen und kulturellen Grundlagen identifizieren. Dies ändert freilich nichts an der Erkenntnis, die Oliver Wendell Holmes in seinem 1881 erschienenen Werk „Common Law“ (S. 1) zugespitzt wie folgt formuliert hat: „The life of the law has not been logic; it has been experience“. Diese nicht nur für das angelsächsische Recht geltende Einsicht sollte in der Rechtsvergleichung stets präsent sein. Sie ist wesentliche Orientierung nicht zuletzt für eine Implementationsforschung, die sich mit dem unterschiedlichen Umgang mit europarechtlichen und völkerrechtlichen Vorgaben befasst, um daraus Orientierungswissen für die Entwicklung einer die Rechtsgemeinschaft effektiv ergänzenden Implementationsgemeinschaft zu gewinnen.
Verzeichnis der Teilnehmer Prof. Dr. Elena Buoso, Università degli Studi di Padova Prof. Dr. Stefano Cognetti, Università degli Studi di Macerata Prof. Dr. Daniele Corletto, Università degli Studi di Padova Prof. Dr. Erminio Ferrari, Università degli Studi di Milano Prof. Dr. Cristina Fraenkel-Haeberle, Deutsches Forschungsinstitut für öffentliche Verwaltung Speyer Prof. Dr. Diana-Urania Galetta, Università degli Studi di Milano Benjamin Gröbe, Forschungsreferent, Deutsches Forschungsinstitut für öffentliche Verwaltung Speyer Prof. Dr. Stephan Grohs, Deutsche Universität für Verwaltungswissenschaften Speyer Tim Holzki, Doktorand, Deutsche Universität für Verwaltungswissenschaften Speyer Prof. Dr. Luca De Lucia, Università degli Studi di Salerno Prof. Dr. Veith Mehde, Leibnitz, Universität Hannover Prof. Dr. Siegfried Magiera, Deutsche Universität für Verwaltungswissenschaften Speyer Prof. Dr. Matthias Niedobitek, Technische Universität Chemnitz Melanie Payrhuber, Forschungsreferentin, Deutsches Forschungsinstitut für öffentliche Verwaltung Speyer Prof. Dr. Birgit Peters, Universität Rostock Prof. Dr. Daria de Pretis, Università degli Studi di Trento, Richterin an der Corte Costituzionale Privatdozentin Dr. Margrit Seckelmann, Geschäftsführerin des Deutschen Forschungsinstituts für öffentliche Verwaltung Speyer Johannes Socher, Forschungsreferent, Deutsches Forschungsinstitut für öffentliche Verwaltung Speyer Prof. Dr. Dr. h.c. Karl-Peter Sommermann, Deutsches Forschungsinstitut für öffentliche Verwaltung Speyer, Deutsche Universität für Verwaltungswissenschaften Speyer Daniel Toda, Wissenschaftlicher Mitarbeiter, Deutsche Universität für Verwaltungswissenschaften Speyer