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German Pages 250 [271] Year 2020
Studien zum ausländischen und internationalen Privatrecht 417 Herausgegeben vom
Max-Planck-Institut für ausländisches und internationales Privatrecht Direktoren: Holger Fleischer, Ralf Michaels und Reinhard Zimmermann
Sebastian Gößling
Europäisches Kollisionsrecht und internationale Schiedsgerichtsbarkeit Die Bedeutung der Rom I-Verordnung bei der Bestimmung des anwendbaren materiellen Rechts durch internationale Handelsschiedsgerichte mit Sitz in der EU
Mohr Siebeck
Sebastian Gößling, geboren 1985; Studium der Rechtwissenschaft in Freiburg im Breisgau, Grenoble (Frankreich) und Münster; 2012 erstes Staatsexamen; Wiss. Mitarbeiter am Institut für internationales Wirtschaftsrecht der Universität Münster; Wiss. Assistent am Max-PlanckInstitut für ausländisches und internationales Privatrecht, Hamburg; Referendariat am Hanseatischen Oberlandesgericht; 2017 zweites Staatsexamen; seit 2017 Rechtsanwalt in Berlin. orcid.org/0000-0001-5383-3186
D6, Zugleich Dissertation Uni. Münster (Westf.), Rechtswissenschaftliche Fakultät, 2017. ISBN 978-3-16-155812-2 / eISBN 978-3-16-155813-9 DOI 10.1628/978-3-16-155813-9 ISSN 0720-1141 / eISSN 2568-7441 (Studien zum ausländischen und internationalen Privatrecht) Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen National bibliographie; detaillierte bibliographische Daten sind über http://dnb.dnb.de abrufbar. © 2019 Mohr Siebeck Tübingen. www.mohrsiebeck.com Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für die Verbreitung, Vervielfältigung, Übersetzung und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Das Buch wurde von Gulde Druck in Tübingen auf alterungsbeständiges Werkdruckpapier gedruckt und von der Buchbinderei Nädele in Nehren gebunden. Printed in Germany.
Vorwort Vorwort Vorwort
Die vorliegende Arbeit wurde im Sommersemester 2017 von der juristischen Fakultät der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster als Dissertation angenommen. Die mündliche Prüfung wurde am 18. Juli 2017 abgelegt. Literatur und Rechtsprechung konnten bis Ende 2017 berücksichtigt werden. Danken möchte ich an erster Stelle meinem Doktorvater Prof. Dr. Gerald Mäsch für das mir von Beginn an entgegengebrachte Vertrauen und die zwischenzeitlichen Ermutigungen, die Arbeit in der vorliegenden Form zu verfassen. Herrn Prof. Dr. Thomas Klicka danke ich für die überaus rasche Erstellung des Zweitgutachtens. Darüber hinaus bedanke ich mich bei der Studienstiftung des deutschen Volkes, welche die Erstellung dieser Arbeit in finanzieller und ideeller Weise gefördert hat. Prof. Dr. h.c. mult. Jürgen Basedow danke ich für die Aufnahme in die Schriftenreihe des Max-Planck-Instituts für ausländisches und internationales Privatrecht in Hamburg, dessen Mitarbeiter ich von 2013 bis 2016 sein durfte. In dieser Zeit ist diese Arbeit maßgeblich entstanden. Aus diesem diesem Kontext heraus resultiert auch mein Dank an Konrad Duden, Dirk Wiegand, Oliver Unger, Nina Marie Güttler, Andreas Engel, Felix Jaeger, Jennifer Trinks und Jakob Schemmel, die mir als Kollegen und Freunde einen regen Austausch über den Fortschritt meiner Arbeit ermöglichten und mir die ein oder andere inhaltliche Klippe zu bewältigen erleichtert haben. Den Mitarbeitern der Abteilung Redaktionen am Max-Planck-Institut, allen voran Herrn Dr. Christian Eckl, gilt überdies mein großer Dank für die Geduld im Rahmen der Vorbereitung der Drucklegung. Severin Klinkmüller und Johannes Breckwoldt sei für die redaktionelle Durchsicht der Arbeit und die zugrunde liegende langjährige Freundschaft gedankt. Schließlich bedanke ich mich bei meiner Zwillingsschwester, Katharina Ibsch, sowie meinen Eltern für die unermüdliche Unterstützung, die sie mir in den gesamten letzten Jahren entgegengebracht haben. Ohne das große Vertrauen und die Liebe, die sie mir weit über die Erstellung der Dissertation hinaus haben zuteil werden lassen, ist die vorliegende Arbeit undenkbar. Ihnen ist diese Arbeit gewidmet. Berlin, im März 2019
Sebastian Gößling
Inhaltsübersicht Inhaltsübersicht Inhaltsübersicht
Vorwort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . V Inhaltsverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IX Abkürzungsverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . XVII
Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
1
Kapitel 1: Grundlagen der Bestimmung des anwendbaren Sachrechts durch internationale Schiedsgerichte . . . 11 § 1 Die Bindung internationaler Schiedsgerichte an die Kollisionsnormen der lex fori . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11 § 2 Rechtsquellen der kollisionsrechtlichen Prüfung durch internationale Schiedsgerichte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 20
Kapitel 2: Das Verhältnis des europäischen Kollisionsrechts für Schuldverträge zur internationalen Schiedsgerichtsbarkeit am Beispiel des deutschen Schiedsverfahrensrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 41 § 3 Historische Einordnung – Die Rechtslage unter Geltung des EVÜ . . . 41 § 4 Neubewertung – Die Rechtslage nach Inkrafttreten der Rom I-Verordnung . . . . . . . . . . . . . 60
Kapitel 3: Konsequenzen einer Bindung an die Rom IVerordnung für die Rechtsanwendungspraxis internationaler Handelsschiedsgerichte . . . . . . . . . . . . . . . . 117 § 5 Rechtswahlfreiheit der Parteien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 117 § 6 Die Zulässigkeit von Billigkeitsentscheidungen durch Schiedsgerichte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 162
VIII
Inhaltsübersicht
§ 7 Die objektive Anknüpfung von Verträgen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 170 § 8 Auswirkungen der Bindung von Schiedsgerichten an die Rom IVerordnung auf die gerichtliche Kontrolle von Schiedssprüchen . . . . 175 § 9 Strategische Überlegungen der Rechtspraxis am Beispiel des AGB-Rechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 188
Kapitel 4: Ausblick und weiterführende Überlegungen zur Rolle der Schiedsgerichtsbarkeit innerhalb der EU . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 199 § 10 Integration der Schiedsgerichtsbarkeit in den europäischen Rechtsraum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . § 11 „Schiedsstandort Europa“ statt Rechtszersplitterung – Recht als Standortfaktor im Wettbewerb der Rechtsordnungen . . . . . . § 12 Auslegung und Rechtsfortbildung des europäischen Kollisionsrechts durch Schiedsgerichte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . § 13 Vorlagebefugnis von Schiedsgerichten nach Art. 267 AEUV . . . . . . . .
199 209 212 214
Zusammenfassung der Thesen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 217 Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 223 Sachverzeichnis. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 247
Inhaltsverzeichnis Inhaltsverzeichnis Inhaltsverzeichnis
Vorwort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . V Inhaltsübersicht. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . VII Abkürzungsverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . XVII
Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
1
I. II.
2 6
Problemaufriss . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Grundmotive der Analyse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Die private Handelsschiedsgerichtsbarkeit als funktionales Äquivalent zur staatlichen Gerichtsbarkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Institutionalisierung der Schiedsgerichtsbarkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Integration der Schiedsgerichtsbarkeit in den europäischen Rechtsraum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Gang der Untersuchung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
6 7 8 9
Kapitel 1: Grundlagen der Bestimmung des anwendbaren Sachrechts durch internationale Schiedsgerichte . . . 11 § 1 Die Bindung internationaler Schiedsgerichte an die Kollisionsnormen der lex fori . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11 I.
II.
Lex arbitri-Lehre und die Theorie vom Sonderkollisionsrecht für Schiedsgerichte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Lex arbitri-Lehre . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Aussagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Kritik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Theorie vom Sonderkollisionsrecht für Schiedsgerichte . . . . . . . . . . . a) Aussagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Kritik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Zwischenergebnis und Stellungnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Die Verankerung der internationalen Schiedsgerichtsbarkeit in Deutschland und anderen Mitgliedstaaten der EU . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
13 13 13 13 14 14 15 16 17
X
Inhaltsverzeichnis
1. Das deutsche Schiedsverfahrensrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Europäischer Vergleich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
17 18 19
§ 2 Rechtsquellen der kollisionsrechtlichen Prüfung durch internationale Schiedsgerichte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
20
I.
20
Internationale Übereinkommen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. New Yorker Übereinkommen über die Anerkennung und Vollstreckung ausländischer Schiedssprüche vom 10. Juni 1958 (UNÜ) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Genfer Europäisches Übereinkommen über die internationale Handelsschiedsgerichtsbarkeit vom 21. April 1961 (EuÜ) . . . . . . . . II. Autonomes nationales Recht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Deutschland – § 1051 ZPO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Vorbildfunktion des UNCITRAL-Modellgesetzes über die internationale Handelsschiedsgerichtsbarkeit (UMG) . . . . . . . . . b) Modifizierte Übernahme des UMG durch den deutschen Gesetzgeber . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) § 1051 ZPO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Rechtswahl – § 1051 Abs. 1 ZPO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Objektive Anknüpfung – § 1051 Abs. 2 ZPO . . . . . . . . . . . . . cc) Billigkeitsentscheidungen und die Berücksichtigung von Handelsbräuchen – § 1051 Abs. 3 und 4 ZPO . . . . . . . 2. Europäischer Vergleich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Österreich – § 603 österreichische ZPO. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) England – Section 46 Arbitration Act 1996 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Frankreich – Art. 1511, 1512 Code de Procédure Civile . . . . . . 3. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Europäisches Kollisionsrecht für Schuldverträge Die Rom I-Verordnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Der Vertrag von Amsterdam vom 10. Mai 1999 – Grundlage für die Schaffung eines europäischen Kollisionsrechts . . . . . . . . . . . . 2. Die europäische Verordnung über das auf vertragliche Schuldverhältnisse anzuwendende Recht vom 17. Juni 2008 (Rom I-VO) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Ausgangssituation und Entstehungsprozess . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Reformbedürftigkeit des EVÜ – Wiener Aktionsplan und Haager Programm . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Grünbuch der Kommission vom 14. Januar 2003 . . . . . . . . cc) Entwurf der Kommission vom 15. Dezember 2005 . . . . . . b) Verhältnis zu sonstigen internationalen Übereinkommen – Art. 25 Rom I-VO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
20 22 24 24 25 27 28 28 28 29 29 29 30 32 33 34 34
35 35 35 36 37 39
Inhaltsverzeichnis
XI
Kapitel 2: Das Verhältnis des europäischen Kollisionsrechts für Schuldverträge zur internationalen Schiedsgerichtsbarkeit am Beispiel des deutschen Schiedsverfahrensrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 41 § 3 Historische Einordnung – Die Rechtslage unter Geltung des EVÜ . . . 41 I.
Der staatsvertragliche Charakter des EVÜ und dessen Inkorporation in das deutsche IPR . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Das Verhältnis des EVÜ zu § 1051 ZPO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Regelungsgehalt des § 1051 ZPO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Begrenzung des Anwendungsbereichs auf vertragliche Schuldverhältnisse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Keine Einbeziehung der allgemeinen Kollisionsnormen mittels einfachgesetzlich-autonomer Verweisung . . . . . . . . . . . . . . c) Stellungnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Völkerrechtliche Bindung des Gesetzgebers bei der Schaffung des § 1051 ZPO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Die Bereichsausnahme in Art. 1 Abs. 2 lit. d) EVÜ und deren fehlende Umsetzung ins nationale IPR . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Der Giuliano/Lagarde-Bericht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Stellungnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Parallele sachliche Anwendungsbereiche von EVÜ und § 1051 ZPO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Kein Vorrang des EVÜ aufgrund Art. 3 Abs. 2 S. 1 EGBGB a.F. 3. Kein Vorrang des EVÜ aufgrund Art. 36 EGBGB a.F. . . . . . . . . . . . 4. Völkerrechtswidrigkeit von § 1051 ZPO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
42 45 45 46 48 49 51 52 53 55 58 58 58 59 59
§ 4 Neubewertung – Die Rechtslage nach Inkrafttreten der Rom I-Verordnung . . . . . . . . . . . . . 60 I.
II.
Rechtssetzungskompetenz der Europäischen Union auf dem Gebiet der privaten Handelsschiedsgerichtsbarkeit – Art. 81 AEUV (ex Art. 65 EGV) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Die Einbeziehung der Schiedsgerichtsbarkeit in den sachlichen Anwendungsbereich der Rom I-VO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Darstellung des bisherigen Meinungsspektrums . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Die These vom fehlenden Anwendungswillen . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Die Bindungsthese – Uneingeschränkte Geltung der Rom I-VO im Schiedsverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Die Rom I-Verordnung als „persuasive authority“ im Schiedsverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
61 64 65 65 66 67
XII
Inhaltsverzeichnis
2. Auslegung der Bereichsausnahme des Art. 1 Abs. 2 lit. e) Rom I-VO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Methodische Vorgaben des Unionsrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Enge Auslegung von Bereichsausnahmen nach dem Grundsatz der effektiven Wirkung des Unionsrechts . . . . bb) Autonome Auslegung des Unionsrechts – Auslegungsmonopol des EuGH . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Der Wortlaut von Art. 1 Abs. 2 lit. e) Rom I-VO . . . . . . . . . . . . . . c) Systematik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Verordnungsintern . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (1) Binnenterminologie der Verordnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . (2) Der Zusammenhang zur Gerichtsstandsvereinbarung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (3) Das Regel-Ausnahme-Verhältnis in Art. 1 Rom I-VO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (4) Erwägungsgründe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (5) Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Verordnungsextern – Brüssel Ia-Verordnung und Rom II-Verordnung: Die „Schwesterverordnungen“ zur Rom I-Verordnung und der Grundsatz der einheitlichen Auslegung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (1) Der Grundsatz der einheitlichen Auslegung . . . . . . . . . . (2) Brüssel Ia-Verordnung (EuGVVO) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (3) Rom II-Verordnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Exkurs: Der Gerichtsbegriff des Unionsrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Die Rechtsprechung des EuGH. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Anwendung der Kriterien des unionsrechtlichen Gerichtsbegriffs auf die private Handelsschiedsgerichtsbarkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (1) Gesetzliche Legitimation des Spruchkörpers und ständige Einrichtung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (2) Rechtsprechungscharakter und verpflichtende Wirkung der Entscheidungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (3) Streitiges Verfahren auf der Grundlage von Rechtsnormen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (4) Unparteilichkeit und Unabhängigkeit des Spruchkörpers . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . e) Historische Kontextualisierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . f) Teleologische Auslegung – Leitmotive des Verordnungsgebers . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Vermeidung von Überschneidungen mit dem UNÜ und anderen völkerrechtlichen Übereinkommen . . . . . . . . . . . . . .
68 68 68 70 71 72 72 72 74 74 75 77
77 77 81 84 87 88
90 90 91 92 93 94 95 97 97
Inhaltsverzeichnis
bb) Rechtssicherheit und Vorhersehbarkeit (schieds-)gerichtlicher Entscheidungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Verhinderung von „forum shopping“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Die Diskussion in Europa . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Österreich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) England . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Frankreich. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Der Ausnahmetatbestand des Art. 1 Abs. 3 Rom I-VO – Verfahrensrechtliche Qualifikation des IPR für Schiedsgerichte? . . . . . 5. Zwischenergebnis – Bindung von Schiedsgerichten an die Rom I-Verordnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Sachlicher Anwendungsbereich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Räumlich-zeitlicher Anwendungsbereich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
XIII
98 101 103 104 104 107 108 109 112 112 113 114
Kapitel 3: Konsequenzen einer Bindung an die Rom IVerordnung für die Rechtsanwendungspraxis internationaler Handelsschiedsgerichte . . . . . . . . . . . . . . . . 117 § 5 Rechtswahlfreiheit der Parteien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 117 I. II.
Grundsatz der Parteiautonomie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Die Grenzen der Parteiautonomie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Wählbarkeit nicht-staatlichen Rechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Formen nicht-staatlichen Rechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Lex mercatoria . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Internationale Modellgesetze und selbstgeschaffene Regeln des internationalen Handels . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (1) Internationale Modellgesetze . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (2) Die selbstgeschaffenen Regeln des internationalen Handels . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Wählbarkeit nicht-staatlichen Rechts unter der Rom I-Verordnung de lege lata – Materiell-rechtliche Verweisung statt Kollisionsrechtswahl . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Modifizierung für die Schiedsgerichtsbarkeit mittels „dynamischer Auslegung“? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Wählbarkeit nicht-staatlichen Rechts unter der Rom I-Verordnung de lege ferenda – Bedürfnis der kollisionsrechtlichen Wahl nicht-staatlichen Rechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . e) Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
117 120 120 121 121 125 125 128
130 132
132 137
XIV
Inhaltsverzeichnis
2. Rechtswahl in reinen Inlandsfällen – Die Geltung einfach zwingenden Rechts nach Art. 3 Abs. 3 Rom I-VO . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Angelsächsische Tradition – Parteiautonome Internationalisierung von Rechtsverhältnissen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Kontinentaleuropäische Tradition – Objektive Beurteilung der Internationalität durch die Gerichte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Rechtswahl bei reinen Inlandssachverhalten vor Schiedsgerichten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Die Beachtung von Eingriffsnormen durch Schiedsgerichte – Art. 9 Rom I-VO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Das Konzept der Eingriffsnormen im europäischen Internationalen Privatrecht – Kritik und Neubetrachtung . . . . . . . . . . . aa) Eingriffsrecht als „Wirtschaftskollisionsrecht“ mit ordnungspolitischem Anspruch . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (1) Schwierigkeiten bei der Definition von Eingriffsnormen als besondere Normenkategorie . . . . . . . . . . . . . . (2) Anknüpfungsasymmetrie von in- und ausländischem Eingriffsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (3) Lösungsansätze. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Kritik am System machtpolitisch fundierter Sonderanknüpfungen als „zweite Ebene“ des Kollisionsrechts . . . . cc) Neubetrachtung: Unionsrechtlich geprägte Einbindung des Eingriffsrechts in die allgemeine Kollisionsrechtsdogmatik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (1) Art. 9 Abs. 1 Rom I-VO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (2) Art. 9 Abs. 2 Rom I-VO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (3) Art. 9 Abs. 3 Rom I-VO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Übertragung der Eingriffsnormdogmatik auf die internationale Schiedsgerichtsbarkeit. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
138 140 141 142 143 144 145 145 146 148 149 151
152 154 155 156 157 162
§ 6 Die Zulässigkeit von Billigkeitsentscheidungen durch Schiedsgerichte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 162 I. Billigkeit als Rechtsbegriff . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Billigkeitsentscheidungen nach § 1051 Abs. 3 ZPO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Grenzen der Entscheidungsfindung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Reine Billigkeitsentscheidungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Verfeinerte Rechtsentscheidung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Billigkeitsentscheidungen nach der Rom I-Verordnung . . . . . . . . . . . . . . . V. Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
164 165 166 166 167 168 169
Inhaltsverzeichnis
XV
§ 7 Die objektive Anknüpfung von Verträgen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 170 I.
Die objektive Anknüpfung von Verträgen nach dem nationalen Schiedsverfahrensrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Der Einfluss der Rom I-VO auf die objektive Anknüpfung durch Schiedsgerichte – Art. 4 Rom I-VO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Unzulässigkeit der Bestimmung des anwendbaren Rechts im Wege des voie directe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Objektive Anknüpfung nicht-staatlichen Rechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
170 171 172 173 174
§ 8 Auswirkungen der Bindung von Schiedsgerichten an die Rom IVerordnung auf die gerichtliche Kontrolle von Schiedssprüchen . . . . . 175 I.
Art und Umfang der gerichtlichen Kontrolle von Schiedssprüchen . . . 1. Die Unterscheidung zwischen Anerkennung, Aufhebung und Vollstreckung eines Schiedsspruchs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Die Unterscheidung von in- und ausländischen Schiedssprüchen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Inländische Schiedssprüche . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Ausländische Schiedssprüche . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Das Verbot der révision au fond . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Kein Durchgreifen der Rom I-Verordnung auf die Anerkennung und Vollstreckung von Schiedssprüchen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Aufhebungs- und Vollstreckungsversagungsgründe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Verfahrensfehler – Art. V Abs. 1 lit. d) 3. Var. UNÜ/ § 1059 Abs. 2 Nr. 1 lit. d) 2. Var. ZPO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Ordre public-Verstoß – Art. V Abs. 2 lit. b) UNÜ bzw. § 1059 Abs. 2 Nr. 2 lit. b) ZPO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Überschreitung der materiellen Entscheidungskompetenz – Art. V Abs. 1 lit. c) 1. HS, 3. Var. UNÜ/ § 1059 Abs. 2 Nr. 1 lit. c) 1. HS, 3. Var. ZPO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Beachtung der Grenzen der Parteiautonomie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Kompetenzüberschreitungen bei Billigkeitsentscheidungen und objektiver Anknüpfung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Bewusste Missachtung der kollisionsrechtlichen Vorgaben/ Ergebniswirkung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
175 175 176 177 177 178 179 180 181 182
183 184 185 186 186
§ 9 Strategische Überlegungen der Rechtspraxis am Beispiel des AGB-Rechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 188 I.
Ausgangssituation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 188
XVI
Inhaltsverzeichnis
II.
Umgehung der Rom I-Verordnung durch Verlegung des Sitzes des Schiedsgerichts außerhalb der EU? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Wirksamkeit der Schiedsvereinbarung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Verstoß gegen den anerkennungsrechtlichen ordre public aus § 1061 ZPO i.V.m. Art. V Abs. 2 lit. b) UNÜ . . . . . . . . . . . . . b) Ungültigkeit der Schiedsvereinbarung durch Wahl eines fiktiven Schiedsortes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Wirksamkeit der Rechtswahl . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
190 190 191 193 195 196
Kapitel 4: Ausblick und weiterführende Überlegungen zur Rolle der Schiedsgerichtsbarkeit innerhalb der EU . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 199 § 10 Integration der Schiedsgerichtsbarkeit in den europäischen Rechtsraum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 199 I. II. III. IV. V. VI. VII. VIII.
Brüssel IIa-Verordnung (EuEheVO) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Rom III-Verordnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Europäische Erbrechtsverordnung (EuErbVO) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Europäische Unterhaltsverordnung (EuUnthVO) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Europäische Insolvenzverordnung (EuInsVO) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Europäische Zustellungsverordnung (EuZustVO). . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Europäische Beweisaufnahmeverordnung (EuBeweisVO) . . . . . . . . . . . Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
200 200 201 202 203 204 206 208
§ 11 „Schiedsstandort Europa“ statt Rechtszersplitterung – Recht als Standortfaktor im Wettbewerb der Rechtsordnungen. . . . . . 209 § 12 Auslegung und Rechtsfortbildung des europäischen Kollisionsrechts durch Schiedsgerichte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 212 § 13 Vorlagebefugnis von Schiedsgerichten nach Art. 267 AEUV . . . . . . . . 214
Zusammenfassung der Thesen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 217 Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 223 Sachverzeichnis. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 247
Abkürzungsverzeichnis Abkürzungsverzeichnis Abkürzungsverzeichnis a.A. a.F. ABl. Abs. AcP AEUV Alt. Am.Rev.Int’lArb. AnwBl. Arb.Int’l Aust.Arb.Yb. Az.
andere Ansicht in der alten Fassung Amtsblatt der Europäischen Union Absatz Archiv für die civilistische Praxis Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union Alternative American Review of International Arbitration Anwaltsblatt Arbitration International Austrian Arbitration Yearbook Aktenzeichen
Bd. BeckOK BGB BGBl. BGE BGer BGH BT-Drucks.
Band Beck’scher Online-Kommentar Bürgerliches Gesetzbuch Bundesgesetzblatt Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts Schweizerisches Bundesgericht Bundesgerichtshof Drucksache des Deutschen Bundestages
CISG Clunet CMLRev. Contemp.AsiaArb.J. CPC
UN-Kaufrecht Journal du Droit International Common Market Law Review Contemporary Asian Arbitration Journal Code de procédure civile
DAS DB DCFR ders. dies. DIS DZWir
Deutscher AnwaltsSpiegel Der Betrieb Draft Common Frame of Reference derselbe dieselbe/dieselben Deutsche Institution für Schiedsgerichtsbarkeit e.V. Deutsche Zeitschrift für Wirtschaftsrecht
EC EGBGB EGV
European Community Einführungsgesetz zum Bürgerlichen Gesetzbuch Vertrag zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft
XVIII Einl. endg. et al. EU EuBeweisVO EuEheVO
Abkürzungsverzeichnis
EuUntVO EUV EuZPR EuZustVO EuZW EVÜ
Einleitung endgültig und andere Europäische Union Europäische Beweisaufnahmeverordnung Europäische Ehegerichtsstands- und Vollstreckungsverordnung (Brüssel IIa-Verordnung) Europäische Erbrechtsverordnung Europäischer Gerichtshof Europäische Gerichtsstands- und Vollstreckungsverordnung (Brüssel Ia-Verordnung) Europäische Insolvenzverordnung Europäisches Internationales Privatrecht The European Legal Forum Europarecht Genfer Europäisches Übereinkommen über die internationale Handelsschiedsgerichtsbarkeit vom 21. April 1961 Europäische Unterhaltsverordnung Vertrag über die Europäische Union Europäisches Zivilprozessrecht Europäische Zustellungsverordnung Europäische Zeitschrift für Wirtschaftsrecht Europäisches Vertragsrechtsübereinkommen
f./ff. FamRZ Fn. FS
folgende Zeitschrift für das gesamte Familienrecht Fußnote Festschrift
GG GPR GVG
Grundgesetz Zeitschrift für das Privatrecht der Europäischen Union Gerichtsverfassungsgesetz
HGB Hrsg. Hs.
Handelsgesetzbuch Herausgeber Halbsatz
i.V.m. ICC ICC-SchO IHR Int. A.L.R. IPR IPRax IPRG IZPR IZVR
in Verbindung mit International Chamber of Commerce Schiedsordnung der ICC Internationales Handelsrecht International Arbitration Law Review Internationales Privatrecht Praxis des Internationalen Privat- und Verfahrensrechts Schweizer Gesetz zum Internationalen Privatrecht Internationales Zivilprozessrecht Internationales Zivilverfahrensrecht
EuErbVO EuGH EuGVVO EuInsVO EuIPR EuLF EuR EuÜ
Abkürzungsverzeichnis
XIX
J.Int’lArb. J.Priv.Int.L. Jher. JB JPS JuS JZ
Journal of International Arbitration Journal of Private International Law Jherings Jahrbücher Jahrbuch für die Praxis der Schiedsgerichtsbarkeit Juristische Schulung Juristenzeitung
lit. LMK
littera(e) = Buchstabe(n) Entscheidungen des Bundesgerichtshofes im Nachschlagewerk von Lindenmaier-Möhring
m.w.N. MünchKomm
mit weiteren Nachweisen Münchener Kommentar
NJOZ NJW No. Nr. NuR NZG
Neue Juristische Online Zeitschrift Neue Juristische Wochenschrift Number Nummer Natur und Recht Neue Zeitschrift für Gesellschaftsrecht
OLG öZPO
Oberlandesgericht österreichische ZPO
PECL PICC Publ.
Principles of European Contract Law Principles of International Commercial Contracts Publication
R.L.R. RabelsZ
Ritsumeikan Law Review Rabels Zeitschrift für ausländisches und internationales Privatrecht Revue de Droit des Affaires International/International Business Law Journal Recueil des Cours de l’Académie de Droit International de la Haye Revue de l’Arbitrage Recht der internationalen Wirtschaft Randnummer Rom I-Verordnung Rom II-Verordnung Rom III-Verordnung Rechtssache
RDAI/IBLJ RdC Rev.de l’Arb. RIW Rn. Rom I-VO Rom II-VO Rom III-VO Rs. S. SchiedsRÄG SchiedsVZ Slg.
Satz/Seite Schiedsrechtsänderungsgesetz Zeitschrift für Schiedsverfahren Sammlung der Rechtsprechung des Gerichtshofs und des Gerichts Erster Instanz (Entscheidungssammlung)
XX
Abkürzungsverzeichnis
TranspR
TransportRecht
u.a. UCP UMG
Urt.
und andere Uniform Customs and Practice of Documentary Credits UNCITRAL-Modellgesetz über die internationale Handelsschiedsgerichtsbarkeit 1985 United Nations Commission on International Trade Law Institut international pour l’unification du droit privé = International Institute for the Unification of Private Law Uniform Law Review New Yorker Übereinkommen über die Anerkennung und Vollstreckung ausländischer Schiedssprüche vom 10. Juni 1958 Urteil
v. vgl. Vor
von vergleiche Vorbemerkungen
wbl WKV
wirtschaftsrechtliche blätter Wiener Vertragsrechtskonvention
ZEuP ZEV ZfRV
Zeitschrift für Europäisches Privatrecht Zeitschrift für Erbrecht und Vermögensnachfolge Zeitschrift für Europarecht, internationales Privatrecht und Rechtsvergleichung Zeitschrift für das gesamte Handels- und Wirtschaftsrecht Zeitschrift für das gesamte Insolvenzrecht Zeitschrift für Wirtschaftsrecht Zivilprozessordnung Zeitschrift für Rechtspolitik Zeitschrift für Vergleichende Rechtswissenschaft Zeitschrift für Zivilprozess
UNCITRAL UNIDROIT Unif.L.Rev. UNÜ
ZHR ZInsO ZIP ZPO ZRP ZVglRWiss ZZP
Einleitung Einleitung
Die Handelsschiedsgerichtsbarkeit ist eine schillernde Gestalt auf der Bühne der internationalen Streitbeilegung. Geboren als eine Gerichtsbarkeit von und für Kaufleute, erfreut sie sich mit wachsender internationaler Verflechtung des Handels einer stetig steigenden Beliebtheit. Glaubt man den Zahlen von Praktikern auf dem Gebiet des Schiedsverfahrensrechts, werden im internationalen Handelsverkehr Verträge kaum noch ohne Aufnahme einer Schiedsklausel geschlossen.1 Eine Auswertung der Entwicklung der Schiedspraxis der vergangenen Jahre zeigt, dass die Bedeutung von Schiedsverfahren insbesondere im Anschluss an die Finanzkrise 2009 noch einmal deutlich gestiegen ist, was sich in einem weiteren Anstieg der Fallzahlen der großen Schiedsinstitutionen von 20 % bis zu knapp 50 % im Vergleich zum Jahr 2008 abzeichnete.2 Alleine die Deutsche Institution für Schiedsgerichtsbarkeit (DIS) vermeldete im Jahr 2009 eine Steigerung der Fallzahlen von 48 % gegenüber den noch im Jahr 2008 eingeleiteten Verfahren.3 Der Schiedsgerichtshof der internationalen Handelskammer in Paris (ICC) als weltweit bedeutendste Schiedsinstitution registrierte eine Rekordzahl von 817 neu eingeleiteten Verfahren im Jahr 2009.4 Die jüngsten Zahlen zeigen, dass das hohe Niveau bis heute weitestgehend gehalten werden konnte.5 Gegenüber der Vereinbarung einer Gerichtsstandsklausel erlaubt die Verständigung auf eine Schiedsvereinbarung den Vertragsparteien, die Entscheidung 1 Kreindler/Schäfer/Wolff, Schiedsgerichtsbarkeit, Rn. 21 nennen 70 %; Schmidt-Diemitz, DB 1999, 369 kommt bezogen auf Unternehmen mit 2.000 – 10.000 Beschäftigten auf 87 %, Hesse, Liber amicorum Böckstiegel 2001, S. 280 spricht von 90 %; ebenso Berger, RIW 1994, 12; siehe hingegen Dammann/Hansmann, Yale Law & Economics Research Paper No. 347 (2007) S. 23, abrufbar unter , die sich auf eine Studie von Eisenberg/Miller berufen, nach der lediglich 20 % aller internationaler Verträge bindende Schiedsklauseln enthielten. 2 Wilske/Markert, SchiedsVZ 2010, 62, 62 f.; siehe darüber hinaus die Auswertungen der Schiedsgerichtspraxis von Wilske/Markert in SchiedsVZ 2011, 57 ff. für das Jahr 2010 sowie dies., SchiedsVZ 2012, 58 ff. für die Entwicklungen in 2011. 3 Bredow, SchiedsVZ 2009, 22, 23. 4 Wilske/Markert, SchiedsVZ 2010, 62 ff. 5 Wilske/Markert, SchiedsVZ 2013, 96 ff.; Wilske/Markert/Bräuninger, SchiedsVZ 2014, 49 ff.; dies., SchiedsVZ 2015, 49 ff.; dies., SchiedsVZ 2016, 127 ff.; dies., SchiedsVZ 2017, 49 ff.
2
Einleitung
über zukünftige Rechtsstreitigkeiten auf private Schiedsgerichte zu delegieren und somit im Falle einer gerichtlichen Auseinandersetzung keiner der Parteien einen vermeintlichen „Heimvorteil“ eines Verfahrens vor den staatlichen Gerichten ihres jeweiligen Heimatlandes zu gewähren.6 Schiedsgerichte ersetzen dabei staatliche Gerichte.7 Die Gründe der Parteien für die Delegation der Entscheidungskompetenz auf Schiedsgerichte sind vielfältig:8 So wird auf die Vertraulichkeit von Schiedsverfahren verwiesen, die es den Parteien ermöglicht, die Öffentlichkeit im Gegensatz zu dem in Deutschland aus § 169 GVG resultierenden Grundsatz der Öffentlichkeit vor staatlichen Gerichten vom Prozess auszuschließen.9 Auch wird die kürzere Verfahrensdauer von Schiedsverfahren im Vergleich zu staatlichen Gerichtsverfahren angeführt, zumal es in der Schiedsgerichtsbarkeit (bislang) keinen der staatlichen Gerichtsbarkeit vergleichbaren Instanzenzug gibt.10 Darüber hinaus bietet die Bestimmung der Schiedsrichter durch die Parteien die Möglichkeit, insbesondere in Streitigkeiten, in denen Branchenkenntnis und technisches Verständnis erforderlich sind, Experten mit hoher Sachkunde als Schiedsrichter zu berufen.11 In internationalen Schiedsverfahren spiegeln diverse Verfahrenserleichterungen beispielsweise im Hinblick auf die Verfahrenssprache und die freie Wählbarkeit des Ortes der Schiedsverhandlungen die Vorteile der Schiedsgerichtsbarkeit gegenüber der staatlichen Gerichtsbarkeit wider.12 I. Problemaufriss I. Problemaufriss
Mit der steigenden Popularität der Schiedsgerichtsbarkeit geht jedoch auch eine „Tendenz zur Verrechtlichung“13 einher. Während von einigen Vertretern der Schiedsgerichtsbarkeit fast trotzig am vermeintlich „anationalen“ Charakter von Schiedsverfahren, die im rechtsordnungslosen Raum fernab staatlicher Regulierung schweben, festgehalten wird, sieht die rechtliche Realität anders aus: Eine überwältigende Zahl von Staaten hat sich seit Mitte der 1980er Jahre nationale Schiedsverfahrensrechte gegeben, die die Rahmenbedingungen für die Durchführung von Schiedsverfahren setzen und mitunter detaillierte Vorgaben 6
Kreindler/Schäfer/Wolff, Schiedsgerichtsbarkeit, Rn. 1. Grundlegend bereits im Jahr 1930 Littauer, ZZP 55 (1930) 1, 5 f.; aus neuerer Zeit: BGH 3.7.1975 – III ZR 78/73, NJW 1976, 109, 110. 8 Für eine Übersicht über die Vor- und Nachteile der Schiedsgerichtsbarkeit siehe instruktiv: Schütze, in: Schütze/Tscherning/Wais, Handbuch des Schiedsverfahrens, Rn. 1 ff.; für eine kritische Auseinandersetzung mit den Vor- und Nachteilen der Schiedsgerichtspraxis in Deutschland siehe Hirsch, SchiedsVZ 2003, 49 ff. 9 Kreindler/Schäfer/Wolff, Schiedsgerichtsbarkeit, Rn. 299 ff. 10 Schütze, in: Schütze/Tscherning/Wais, Handbuch des Schiedsverfahrens, Rn. 4. 11 Voit, in: Musielak/Voit, ZPO, § 1025, Rn. 2; Schütze, in: Schütze/Tscherning/Wais, Handbuch des Schiedsverfahrens, Rn. 3. 12 Schütze, in: Schütze/Tscherning/Wais, Handbuch des Schiedsverfahrens, Rn. 5 ff. 13 McGuire, SchiedsVZ 2011, 257, 267. 7
I. Problemaufriss
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enthalten. Geltungsgrund und zugleich den Rahmen der Freiheit der Parteien bilden die staatlichen Rechtsordnungen. Die Legitimation von Schiedsgerichten sowie die Bestimmungen darüber, welche Streitgegenstände als schiedsfähig gelten und in welchem Umfang staatliche Gerichte Schiedsgerichten Unterstützungsmaßnahmen zukommen lassen, sind Gegenstand der Entscheidungen des jeweiligen nationalen Gesetzgebers. So argumentiert die „jurisdiktionellprozessrechtliche Theorie“ zutreffend, dass die Autorität des Schiedsrichters im Ausgangspunkt eine vom Staat abgeleitete sei.14 Eine von den Schranken des nationalen Rechts losgelöste Schiedsgerichtsbarkeit kann es damit nicht geben. Leo Raape konstatierte diesbezüglich etwa: „Ein Schiedsgericht thront nicht über der Erde, es schwebt nicht in der Luft, es muss irgendwo landen, irgendwo ‚erden‘.“15 Von der geschilderten „Tendenz zur Verrechtlichung“ ist auch die Frage der Bestimmung des anwendbaren Rechts durch Schiedsgerichte erfasst. Sie stellt sich in internationalen Schiedsverfahren in drei Facetten: 1. Hinsichtlich des anwendbaren Verfahrensrechts (Schiedsverfahrensstatut), welches die Gesamtheit der Regelungen über die Organisation und den Ablauf des Verfahrens meint und welches maßgeblich von der Wahl des Schiedsortes sowie davon abhängt, ob es sich um ein sogenanntes ad hoc- oder ein institutionelles Schiedsverfahren handelt. 2. Hinsichtlich des auf die Schiedsvereinbarung anwendbaren Rechts (Schiedsvereinbarungsstatut), welchem die allgemeinen vertragsrechtlichen Fragen über das Zustandekommen, die Wirksamkeit und die Auslegung der Schiedsvereinbarung sowie die spezifisch schiedsrechtlichen Fragestellungen wie etwa die Kündigung oder die Zulässigkeit bestimmter Arten von Schiedsvereinbarungen unterliegen.16 3. Hinsichtlich des anwendbaren materiellen Rechts (Hauptsachstatut), welches die Gesamtheit der Regelungen umfasst, die das Schiedsgericht seiner 14 Reisman/Richardson, ICCA Congress Series No. 16, 17, die damit der in ihren Augen „anarcho-capitalist fantasy“ einiger Schiedspraktiker eine Absage erteilen und sich dabei auf den Ökonomen Rothbard, Power and Market, S. 4, 8 beziehen, der eine unregulierte Marktwirtschaft für inkompatibel mit der Existenz staatlicher Strukturen hält; Renner, RabelsZ 78 (2014) 750, 771 f.; Roth, FS Jayme, S. 757, 761; im Gegensatz hierzu steht die „privatrechtliche“ Theorie, die an der vertraglichen Grundlage des Schiedsverfahrens ansetzt und davon ausgeht, dass sich die internationale Schiedsgerichtsbarkeit nahezu vollständig von den nationalen Rechtsordnungen emanzipiert habe. 15 Raape, IPR, S. 557 zum schiedsgerichtlichen Verfahren: „Die Parteien erstreben mit dem Schiedsspruch eine rechtliche Wirkung. Diese aber können sie nur auf Grund einer positiven Rechtsordnung erzielen. Diese Einsicht ist der feste Ausgangspunkt für das Folgende. Die Parteien müssen sich also bei dem Schiedsverfahren auf den Boden einer bestimmten Rechtsordnung stellen.“ 16 Epping, Die Schiedsvereinbarung im internationalen Rechtsverkehr, S. 39; Geimer, in: Zöller ZPO, § 1029, Rn. 108; Münch, in: MünchKommZPO3, § 1029, Rn. 39.
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Einleitung
Sachentscheidung über die von den Parteien geltend gemachten Ansprüchen zugrunde legt.17 Die vorliegende Arbeit widmet sich ausschließlich der letztgenannten Facette: Der Bestimmung des in der Hauptsache anwendbaren materiellen Rechts durch Schiedsgerichte, speziell der kollisionsrechtlichen Bestimmung des Vertragsstatuts. Der Frage, nach welchen Regeln sich die kollisionsrechtliche Prüfung durch das Schiedsgericht richtet, kann für den Ausgang des Rechtstreits erhebliche Bedeutung zukommen, indem sie etwa über den Umfang und die Grenzen einer gewährten Rechtswahlfreiheit entscheidet oder konkrete Kriterien für die objektive Anknüpfung des Vertragsstatuts bereithält. Ihr kann mitunter auch eine wichtige Rolle bei der Auswahl des Schiedsortes durch die Parteien zukommen.18 Um die Chancen einer erfolgreichen Geltendmachung von Ansprüchen vor Schiedsgerichten kalkulierbar zu machen, liegt es zudem im Interesse der Parteien eines Schiedsverfahrens, dass das Schiedsgericht transparenten und vorhersehbaren Regeln bei der Bestimmung des anwendbaren Sachrechts folgt. In Deutschland hat der Gesetzgeber im Jahr 1998 im Rahmen der Reform des nationalen Schiedsverfahrensrechts mit § 1051 ZPO des SchiedsverfahrensNeuregelungsgesetzes19 eine Kollisionsnorm für Schiedsgerichte zur Bestimmung des materiellen Rechts geschaffen. Der Regelungsgehalt von § 1051 ZPO sowie sein Verhältnis zum allgemeinen nationalen und europäischen Kollisionsrecht sind seither umstritten und bildeten Anlass diverser Arbeiten und Aufsätze.20 Während ein Teil der Literatur in § 1051 ZPO eine abschließende Sonderkollisionsnorm erkennt, welche einer Beachtung der allgemeinen Kollisionsnormen als lex specialis entgegensteht,21 erkennt ein anderer Teil die ausschließliche Geltung von § 1051 ZPO nicht an und plädiert wahlweise für eine strikte Bindung von Schiedsgerichten an das allgemeine Kollisionsrecht oder zumindest für eine Anlehnung an die aus dem allgemeinen Kollisionsrecht 17
Schmidt-Ahrends/Höttler, SchiedsVZ 2011, 267, 268. Silberman/Ferrari, in: Conflict of Laws in International Arbitration, S. 257, 258; Bell, Forum Shopping and Venue in Transnational Litigation, S. 24. 19 Gesetz zur Neuregelung des Schiedsverfahrensrechts (Schiedsverfahrens-Neuregelungsgesetz – SchiedsVfG) vom 22. Dezember 1997, BGBl. 1997 I, S. 3224 ff. 20 Siehe nur McGuire, SchiedsVZ 2011, 257 ff.; Schmidt-Ahrends/Höttler, SchiedsVZ 2011, 267 ff.; Mankowski, RIW 2011, 30 ff.; Sandrock, RIW 1992, 785 ff.; Solomon, RIW 1997, 981 ff.; Martiny, FS Schütze 1999, S. 308 ff.; ders., ZEuP 1999, 246 ff.; ders., ZEuP 2001, 308 ff.; Junker, FS Sandrock 2000, S. 443 ff.; Kulpa, Das anwendbare (materielle) Recht in internationalen Handelsschiedsgerichtsverfahren; Handorn, Das Sonderkollisionsrecht der deutschen internationalen Schiedsgerichtsbarkeit. 21 Schlosser, in: Stein/Jonas, ZPO9, § 1051, Rn. 2; Voit, in: Musielak/Voit, ZPO, § 1051, Rn. 3; Blase, Die Grundregeln des Europäischen Vertragsrechts als Recht grenzüberschreitender Verträge, S. 161 ff.; Junker, FS Sandrock, S. 457; Martiny, FS Schütze, S. 529 ff.; Pfeiffer, in: Deutsches Recht im Wettbewerb, 179 ff.; Schütze, Liber amicorum Böckstiegel, S. 715; Solomon, RIW 1997, 989. 18
I. Problemaufriss
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herrührenden Grundsätze.22 Zu berücksichtigen ist in diesem Kontext jedoch, dass der geschilderte Diskurs vor allem23 in der Zeit der Geltung des Europäischen Vertragsrechtsübereinkommens (EVÜ)24 und damit vor Inkrafttreten der Europäischen Verordnung über das auf vertragliche Schuldverhältnisse anwendbare Recht (Rom I-VO)25 im Jahr 2009 geführt wurde. Seither genießt die Rom I-VO als europäisches Sekundärrecht Anwendungsvorrang26 vor den nationalen Vorschriften der Mitgliedstaaten und beansprucht in ihrem räumlichen Anwendungsbereich unmittelbare Geltung.27 Im Vergleich zum bis dato geltenden EVÜ mit seiner staatsvertraglichen Natur hebt die Rom I-VO das europäische Kollisionsrecht für vertragliche Schuldverhältnisse auf eine qualitativ neue Normenebene.28 Ob die zum Verhältnis von § 1051 ZPO und dem allgemeinen Kollisionsrecht gefundenen Ergebnisse auch nach Inkrafttreten der Rom I-VO Bestand haben können und welche Konsequenzen eine etwaige Bindung von Schiedsgerichten an die Rom I-VO für die Rechtsermittlung durch Schiedsgerichte hätte, ist Gegenstand der vorliegenden Arbeit.
22 Für eine unmittelbare Geltung des allgemeinen Kollisionsrechts: Münch, in: MünchKommZPO3, § 1051, Rn. 16 ff.; Seiler, in: Thomas/Putzo ZPO, § 1051, Rn. 1; Kronke, RIW 1998, 263; Wagner, FS Schumann, S. 535; mit Blick auf das österreichische Recht und den dortigen § 603 ZPO Czernich, wbl 2013, 554; für die Geltung als „persuasive authority“: Pfeiffer, EuZW 2008, 622 ff.; Hausmann, in: Reithmann/Martiny, Internationales Vertragsrecht, Rn. 8.415 ff.; außerdem für eine eingeschränkte Geltung in unterschiedlicher Ausprägung Geimer, in: Zöller ZPO, § 1051, Rn. 3; Lachmann, Handbuch für die Schiedsgerichtspraxis, Rn. 1676. 23 Aus der jüngeren Zeit seit Inkrafttreten der Rom I-VO Mankowski, RIW 2011, 30 ff.; McGuire, SchiedsVZ 2011, 257 ff. und Schmidt-Ahrends/Höttler, SchiedsVZ 2011, 267 ff.; Adolphsen, Europäisches Zivilverfahrensrecht, S. 331. 24 Europäisches Übereinkommen über das auf vertragliche Schuldverhältnisse anzuwendende Recht vom 19. Juni 1980, BGBl. 1998 III, S. 166. 25 Verordnung (EG) Nr. 593/2008 des Europäischen Parlaments und des Rates über das auf vertragliche Schuldverhältnisse anzuwendende Recht („Rom I“) vom 17. Juni 2008 (ABl. EU 2008 Nr. L 177, S. 6). 26 Zum Anwendungsvorrang des Europarecht siehe grundlegend: Ruffert, in: Calliess/ Ruffert, EUV/AEUV, Art. 1 AEUV, Rn. 16 ff.; Streinz, Europarecht, Rn. 203 ff. 27 Siehe Art. 288 Abs. 2 AEUV: „Die Verordnung hat allgemeine Geltung. Sie ist in allen ihren Teilen verbindlich und gilt unmittelbar in jedem Mitgliedstaat.“; zur unmittelbaren Geltung auch Streinz, Europarecht, Rn. 470; Fezer/Koos, in: Staudinger, BGB, Einl. zum EGBGB/IPR, Rn. 56. 28 Brödermann, NJW 2010, 807 ff. spricht insoweit von einem „Paradigmenwechsel“ im Internationalen Privatrecht; zur Eigenständigkeit des Europarechts siehe maßgeblich das Urteil des EuGH im Fall Costa/ENEL (EuGH, Rs. 6/64, Slg. 1964, 1251, Rn. 12): „Aus alledem folgt, daß dem vom Vertrag geschaffenen, somit aus einer autonomen Rechtsquelle fließenden Recht wegen dieser seiner Eigenständigkeit keine wie immer gearteten innerstaatlichen Rechtsvorschriften vorgehen können, wenn ihm nicht sein Charakter als Gemeinschaftsrecht aberkannt und wenn nicht die Rechtsgrundlage der Gemeinschaft selbst in Frage gestellt werden soll.“
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Einleitung
II. Grundmotive der Analyse II. Grundmotive der Analyse
Ausgangspunkte und zentrale Motive dieser Arbeit bilden das Postulat von der privaten Schiedsgerichtsbarkeit als funktionales Äquivalent zur staatlichen Gerichtsbarkeit, die damit einhergehende Institutionalisierung der Schiedsgerichtsbarkeit sowie die Idee der Integration der Schiedsgerichtsbarkeit in den gemeinsamen europäischen Rechtsraum, der seit Inkrafttreten des Vertrages von Amsterdam im Jahre 1999 auf dem Gebiet des Internationalen Privatrechts einer kontinuierlichen Fortentwicklung unterliegt. 1. Die private Handelsschiedsgerichtsbarkeit als funktionales Äquivalent zur staatlichen Gerichtsbarkeit Als materielle Rechtsprechung ersetzt die Schiedsgerichtsbarkeit die staatliche Gerichtsbarkeit.29 Den Parteien erlaubt sie, die staatliche Gerichtsbarkeit auszuschließen und die Entscheidung ihres Rechtsstreites auf Private zu delegieren.30 Schiedsgerichte sind damit in erster Linie das Resultat der privatautonomen Entscheidung der Parteien.31 Die Zulässigkeit von Schiedsgerichten ist in Deutschland und Europa allgemein anerkannt, ihre Vereinbarkeit mit dem aus der Gewaltenteilung resultierenden Rechtsprechungsmonopol des Staates weitgehend unbestritten.32 Einfachgesetzlich findet dies in Deutschland Ausdruck in §§ 1025 ff. ZPO, durch die der Gesetzgeber mit den Worten des BGH „eine auf dem Willen der Beteiligten beruhende nichtstaatliche Gerichtsbarkeit in privatrechtlichen Angelegenheiten anerkannt“33 hat. Eine starke Rolle der Schiedsgerichtsbarkeit liegt nicht alleine im Interesse der Parteien und der Schiedsrichter, sie ist auch im Sinne des Staates, für den die Schiedsgerichtsbarkeit eine Entlastung der staatlichen Gerichte bedeutet.34 Aus dem anfänglichen Zustand der „Duldung“35 hat sich die Schiedsgerichtsbarkeit schrittweise emanzipiert. Sie ist in Deutschland mittlerweile als „eine der staatlichen Gerichtsbarkeit im Prinzip gleichwertige Rechtsschutzmöglichkeit“36 anerkannt. Schiedsgerichte bilden damit im Ergebnis ein „funktionales Äquivalent zur
29 Grundlegend bereits im Jahr 1930 Littauer, ZZP 55 (1930) 1, 5 f.; aus neuerer Zeit: BGH 3.7.1975 – III ZR 78/73, NJW 1976, 109, 110. 30 Kreindler/Schäfer/Wolff, Schiedsgerichtsbarkeit, Rn. 1. 31 Münch, in: MünchKommZPO3, Vor §§ 1025 ff., Rn. 1; Gottwald, in: Gottwald, Internationale Schiedsgerichtsbarkeit, S. 20; zur Einschränkung sogleich Voit, JZ 1997, 120 ff. 32 Für Deutschland ist insbesondere auf die Vereinbarkeit mit Art. 92 GG hinzuweisen, BAG 23.8.1963 – 1 AZR 469/62, NJW 1964, 268 ff.; Münch, in: MünchKommZPO3, Vor §§ 1025 ff., Rn. 5. 33 BGH 3.7.1975 – III ZR 78/73, NJW 1976, 109, 109. 34 Münch, in: MünchKommZPO3, Vor §§ 1025 ff., Rn. 5. 35 Münch, in: MünchKommZPO3, Vor §§ 1025 ff., Rn. 5. 36 BGH 19.7.2004 – II ZR 65/03, NJW 2004, 2898, 2899.
II. Grundmotive der Analyse
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herkömmlichen staatlichen Gerichtsbarkeit“37. Diese Vorstellung von der Gleichwertigkeit staatlicher und privater Gerichtsbarkeit lag auch dem deutschen Gesetzgeber bei der Reform seines nationalen Schiedsverfahrensrecht zugrunde.38 Er hat sie indirekt im 10. Buch der ZPO verankert: Indem nach § 1032 Abs. 1 S. 1 ZPO eine trotz des Bestehens einer Schiedsvereinbarung vor einem staatlichen Gericht erhobene Klage auf Einrede einer Partei für unzulässig erklärt und auf das Schiedsverfahren verwiesen wird, erkennt der Gesetzgeber die Schiedsgerichtsbarkeit als der staatlichen Gerichtsbarkeit gleichwertige Rechtsschutzmöglichkeit an.39 Aus dieser grundlegenden Festlegung lässt sich für die nachfolgende Untersuchung zweierlei ableiten: Erstens folgt aus der Aufwertung der Schiedsgerichtsbarkeit zu einer gleichwertigen Gerichtsbarkeit, dass eine Überprüfung durch staatliche Gerichte lediglich in eng begrenzten Ausnahmefällen, insbesondere aus Anlass einer Aufhebung des Schiedsspruchs bei Verstößen gegen verfahrensrechtliche Minimalstandards oder grundlegende Wertvorstellungen der zugrunde liegenden staatlichen Rechtsordnung, stattfindet.40 Konturiert werden diese Standards in den nationalen Schiedsverfahrensrechten, die ihrerseits maßgeblich auf internationalen Übereinkünften wie dem New Yorker Übereinkommen von 1958 beruhen. Zweitens wirft die funktionale Äquivalenz von privaten Schiedsgerichten und staatlicher Gerichtsbarkeit die Frage auf, inwieweit das staatliche (Kollisions-)Recht und die darin zum Ausdruck kommenden (international-)privatrechtlichen Interessen41 des Gesetzgebers auch Schiedsgerichte zu ihrer Anwendung verpflichten. 2. Institutionalisierung der Schiedsgerichtsbarkeit Daneben lässt sich seit Mitte der 1980er Jahre – ausgehend von der Ausarbeitung des UNCITRAL-Modellgesetzes über die internationale Handelsschiedsgerichtsbarkeit42 und den darauf beruhenden Reformbestrebungen in einer ganzen Reihe von Staaten43 – eine Institutionalisierung der Schiedsgerichtsbarkeit beobachten. Für das deutsche Schiedsverfahrensrecht hat Voit diesen Befund vor dem Hintergrund der Neuregelung des Schiedsverfahrensrechts im Jahr
37
Münch, in: MünchKommZPO3, Vor §§ 1025 ff., Rn. 5. Begründung des Regierungsentwurfs, BT-Drucks. 13/5274, S. 34. 39 Voit, JZ 1997, 120, 120 f. 40 Münch, in: MünchKommZPO3, Vor §§ 1025 ff., Rn. 2; siehe instruktiv auch Diedrich, JuS 1998, 158, 160. 41 Zur von Gerhard Kegel begründeten Interessenlehre im Internationalen Privatrecht und deren noch immer aktuellen Bedeutung siehe den Gedenkband „Internationales Privatrecht im 20. Jahrhundert – Der Einfluss von Gerhard Kegel und Alexander Lüderitz auf das Kollisionsrecht“, hrsg. von Heinz-Peter Mansel. 42 Siehe dazu im Hinblick auf die kollisionsrechtlichen Fragen Kapitel 1 – § 2.II.1. 43 Zur Umsetzung in Deutschland und anderen europäischen Staaten siehe Kapitel 1 – § 2.II. 38
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Einleitung
1998 zutreffend dargelegt.44 Er stellt unter dem Stichwort der Privatisierung der Gerichtsbarkeit fest, dass die Anerkennung der Schiedsgerichtsbarkeit als „wirkliche Gerichtsbarkeit“ eine wesentlich engere Einbindung der Schiedsgerichte in das institutionelle Gefüge der jeweiligen staatlichen Streitschlichtungsmechanismen zur Folge hat. Insbesondere habe die im Rahmen der Schiedsrechtsreform vorgenommene Erweiterung der objektiven Schiedsfähigkeit auf alle vermögensrechtlichen Ansprüche45 dazu geführt, dass die Schiedsgerichtsbarkeit nicht mehr nur den Parteien als Ausdruck ihrer privatautonomen Entscheidung verpflichtet ist, sondern „eine aus sich selbst heraus legitimierte Gerichtsbarkeit“ darstellt.46 Nach dem bis dato geltenden Recht war die Vergleichsbefugnis der Parteien ausschlaggebend für die objektive Schiedsfähigkeit: Solange die Parteien ohnehin berechtigt waren, über den Gegenstand des Streits einen Vergleich zu schließen, solange musste es den Parteien auch gestattet sein, zur Lösung ihres Streits ein Schiedsgericht zu berufen, welches losgelöst von staatlichen Vorgaben lediglich den Parteien gegenüber verpflichtet war. Durch die Erweiterung der objektiven Schiedsfähigkeit auf alle vermögensrechtlichen Ansprüche komme den Schiedsgerichten eine von der Vergleichsbefugnis der Parteien losgelöste Entscheidungskompetenz zu, welche für die Charakterisierung als gleichwertige Rechtsprechung maßgeblich sei und zugleich eine Einbindung in die jeweilige staatliche Rechtsordnung bedeute.47 Diesen Gedanken greift auch Basedow auf, indem er aufgrund der wachsenden praktischen und rechtlichen Bedeutung der Schiedsgerichtsbarkeit anregt, den Gerichtsbegriff des EuGH zu überdenken und die Schiedsgerichtsbarkeit im Hinblick auf die gerichtliche Vorlagebefugnis nach Art. 267 AEUV den staatlichen Gerichten gleichzusetzen.48 Auch hierin liegt die Anerkennung der Entwicklung der Schiedsgerichtbarkeit von einer nur rudimentär normierten alternativen Form der Streitbeilegung hin zu einer festen „Institution“ der durch den nationalen Gesetzgeber anerkannten Formen der Streitbeilegung. 3. Integration der Schiedsgerichtsbarkeit in den europäischen Rechtsraum Ausgehend von dem Befund der Gleichwertigkeit des Rechtsschutzes vor privaten und staatlichen Gerichten sowie der Institutionalisierung der Schiedsgerichtsbarkeit greift die Arbeit das Motiv einer Integration der Schiedsgerichtsbarkeit
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Voit, JZ 1997, 120 ff. Siehe § 1030 Abs. 1 S. 1 ZPO: „Jeder vermögensrechtliche Anspruch kann Gegenstand einer Schiedsvereinbarung sein.“ 46 Voit, JZ 1997, 120, 124 f. 47 Voit, JZ 1997, 120, 125. 48 Basedow, J.Int’lArb. 32 (2015) 367 ff.; hierzu später eingehend in Bezug auf das sich wandelnde Verständnis des unionsrechtlichen Gerichtsbegriffs durch den EuGH, Kapitel 2 – § 4.II.2.d). 45
III. Gang der Untersuchung
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in den europäischen Rechtsraum auf, welches bereits Petra Zobel49 und Jan Ole Eichstädt50 als Ausgangspunkt für eine Untersuchung der Schiedsgerichtsbarkeit in Europa diente. Die Regelungsdichte des europäischen Kollisionsrechts ist in den vergangenen Jahren deutlich gestiegen. Zudem ist wie bereits skizziert das bis dato staatsvertraglich harmonisierte Kollisionsrecht in unmittelbar geltendes Verordnungsrecht überführt worden.51 Dies bildete auch für den EuGH Anlass, sich in den vergangenen Jahren unter anderem in den Entscheidungen West Tankers und Asturcom mehrfach mit der Frage des Einflusses des Unionsrechts auf die internationale Schiedsgerichtsbarkeit zu befassen und über eine Neujustierung des Verhältnisses zu räsonieren.52 Eine Integration der Schiedsgerichtsbarkeit in den europäischen Kanon der Kollisionsrechtsvereinheitlichung soll dabei keineswegs einseitig als „Eingliederung“ der Schiedsgerichtsbarkeit in einen monolithischen Block europäischen Verordnungsrechts verstanden werden, sondern dazu anregen, gleichfalls über eine Anpassung des europäischen Kollisionsrechts an die Bedürfnisse der internationalen Schiedsgerichtsbarkeit nachzudenken. Zu nennen sind hier vorab exemplarisch die Möglichkeit einer kollisionsrechtlichen Wahl nicht-staatlichen Rechts oder die Ermächtigung von Schiedsgerichten zu Billigkeitsentscheidungen. Der Frage, ob Schiedsgerichte de lege lata vom Anwendungsbefehl des europäischen Kollisionsrechts erfasst sind, wird die Frage an die Seite gestellt, was eine Integration für die schiedsgerichtliche Praxis bedeutet und wie beide Arten der Gerichtsbarkeit de lege ferenda aufeinander einwirken können. Eine so verstandene Integration der Schiedsgerichtsbarkeit rückt den fruchtbaren Austausch von privater und staatlicher Gerichtsbarkeit in den Vordergrund, anstatt diese gegeneinander auszuspielen. III. Gang der Untersuchung III. Gang der Untersuchung
Vertreter der Schiedsgerichtsbarkeit stehen der „Tendenz der Verrechtlichung“ bislang mehrheitlich skeptisch gegenüber. Zum einen erkennen sie in der funktionalen Äquivalenz der Schiedsgerichtsbarkeit zur staatlichen Gerichtsbarkeit eine Errungenschaft, zum anderen pochen sie auf Autonomie gegenüber der staatlichen Gerichtsbarkeit und lehnen Versuche einer Regulierung seitens des staatlichen Gesetzgebers reflexartig ab. Dabei bleiben die Motive dieser Ablehnung bisweilen unklar: Es wird per se etwa darauf verwiesen, dass staatliche 49
Zobel, Schiedsgerichtsbarkeit und Gemeinschaftsrecht. Eichstädt, Der schiedsrechtliche Acquis communautaire. 51 Zur Europäisierung des IPR siehe Basedow, J.Int’lArb. 32 (2015) 367 ff.; Rühl/ v. Hein, RabelsZ 79 (2015) 791 ff. 52 Die sog. Achmea-Entscheidung des EuGH (EuGH 6.3.2018 – Rs. C-284/16) zum Verhältnis des Unionsrechts zu bilateralen Investitionsschutzabkommen zwischen Mitgliedstaaten der EU ist erst nach dem Abschluss der redaktionellen Überarbeitung der vorliegenden Ausführungen ergangen und konnte daher nicht mehr in diese Arbeit einfließen. 50
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Einleitung
Regulierung der Schiedsgerichtsbarkeit wesensfremd sei, Rechtsunsicherheit für die Parteien bedeute und mit der Gefahr von Inflexibilität der schiedsgerichtlichen Entscheidungsfindung einhergehe.53 Die vorliegende Arbeit unternimmt den Versuch, diesen Vorbehalten nachzugehen und dabei das Verhältnis von nationalem Kollisionsrecht für Schiedsgerichte und dem vereinheitlichten europäischen Kollisionsrecht neu zu untersuchen. Zunächst wird dabei der rechtliche Rahmen abgesteckt und die Frage der „Kollisionsgrundnorm“ internationaler Schiedsgerichte aus Sicht des deutschen und anderer nationaler Schiedsverfahrensrechte in der EU untersucht (Kapitel 1). Nach einem Rekurs auf die Rechtslage unter dem EVÜ wird mittels Auslegung der Rom I-VO der Anwendungswille der Verordnung auf die Schiedsgerichtsbarkeit ermittelt und in den Kontext der Rechtsprechung des EuGH gestellt (Kapitel 2). Anschließend widmet sich die Arbeit den Konsequenzen einer Anwendung der Rom I-VO für die schiedsgerichtliche Entscheidungspraxis sowie der Anerkennung und Vollstreckung von Schiedssprüchen (Kapitel 3). Darauf folgen ausgewählte weitergehende Erwägungen zur Übertragbarkeit der gefundenen Ergebnisse auf weitere Bereiche des Unionsrechts sowie zu der zukünftigen Rolle der Schiedsgerichtsbarkeit innerhalb der EU (Kapitel 4), bevor eine Zusammenfassung der Thesen die Arbeit abschließt. Der gesamteuropäische Kontext dieser Frage soll durch den wiederkehrenden Blick auf andere ausgewählte Rechtsordnungen innerhalb Europas sowie die Auswertung ausländischer, insbesondere europäischer Literatur gewürdigt werden. Die Arbeit ist indem sie sich gegen die bisherige Mehrheitsmeinung stellt nicht darauf konzipiert, endgültige Lösungen für die sich stellenden Fragen bereit zu halten. Sie soll vielmehr die seit Inkrafttreten der Rom I-VO neu aufgeflammte Diskussion aufgreifen und dazu anregen, über Alternativen zur bisherigen, vorherrschenden Sichtweise nachzudenken.
53 Exemplarisch in diese Richtung Hausmann, in: Reithmann/Martiny, Internationales Vertragsrecht, Rn. 8.415; bemerkenswert zudem Wolff, SchiedsVZ 2016, 293, 302, der im Hinblick auf die Bestrebungen zur Bindung von Schiedsgerichten an die Rom I-VO davon spricht, die Schiedsgerichte „an die Kette zu legen“.
Kapitel 1
Grundlagen der Bestimmung des anwendbaren Sachrechts durch internationale Schiedsgerichte Kapitel 1 – Grundlagen der Bestimmung des anwendbaren Sachrechts
Einem privaten Schiedsgericht stellt sich vor der eigentlichen Sachentscheidung in internationalen Rechtsstreitigkeiten regelmäßig die Frage des in der Hauptsache anwendbaren Sachrechts. Insofern unterscheidet es sich im Ausgangspunkt nicht von einem staatlichen Gericht. Um jedoch Aussagen darüber treffen zu können, nach welchen Vorgaben sich die Bestimmung des anwendbaren Rechts richtet, ist der rechtliche Rahmen in den Blick zu nehmen und auf Kollisionsnormen zu untersuchen, die Vorgaben über die kollisionsrechtliche Anknüpfung von Verträgen enthalten könnten. Anders als für staatliche Gerichte ist dabei umstritten, ob Schiedsgerichte überhaupt über ein „natürliches“54 Forum verfügen, welches den Rahmen für die in Betracht kommenden Kollisionsnormen vorgibt.55 Dahinter verbirgt sich die Frage nach der Bestimmung einer „Kollisionsgrundnorm“ für internationale Schiedsgerichte, der in einem ersten Schritt nachgegangen werden soll (§ 1). Im Anschluss daran rücken die verschiedenen kollisionsrechtlichen Regime des internationalen, europäischen und nationalen Rechts in den Fokus der Untersuchung, um diese auf Kollisionsnormen für die Ermittlung des Vertragsstatuts durch Schiedsgerichte zu untersuchen (§ 2).
§ 1 Die Bindung internationaler Schiedsgerichte an die Kollisionsnormen der lex fori § 1 Bindung internationaler Schiedsgerichte an die lex fori
Bevor eine kollisionsrechtliche Prüfung durch den jeweiligen Spruchkörper beginnen kann, die Frage zu beantworten, nach welchem Kollisionsrecht diese Bestimmung vorzunehmen ist. Da das Internationale Privatrecht das in der Sache anwendbare Recht bestimmt, ist auf übergeordneter Ebene zu fragen, welche der möglicherweise unterschiedlich ausgestalteten Kollisionsnormen zur 54
Zur Begriffsbildung siehe Handorn, Das Sonderkollisionsrecht der deutschen internationalen Schiedsgerichtsbarkeit, S. 19. 55 Für eine grundlegend-historische Aufarbeitung der zugrunde liegenden Frage einer Bindung von Schiedsgerichten an staatliches Recht siehe Centner, Iura novit curia in internationalen Schiedsverfahren.
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Kapitel 1 – Grundlagen der Bestimmung des anwendbaren Sachrechts
Beantwortung dieser Frage heranzuziehen ist. Für den staatlichen Richter gilt hierbei das lex fori-Prinzip56, wonach die Kollisionsnormen des Staates, in dem das Gericht organisatorisch-institutionell eingebunden ist, die „natürliche“ lex fori bilden.57 Dies ist für internationale Schiedsgerichte nicht selbstverständlich: Das Schiedsgericht als privater Streitschlichtungsmechanismus ist nicht unmittelbar Teil des Organisationsgefüges des Staates, sondern bezieht seine Legitimation vornehmlich aus der parteiautonom vereinbarten Schiedsvereinbarung, wobei bereits darauf hingewiesen wurde, dass die Zulässigkeit einer Delegation der Gerichtsbarkeit auf Schiedsgerichte auf eine gesetzgeberische Grundentscheidung zurückgeht. Nach verbreiteter Ansicht existiert für Schiedsgerichte ihrem Wesen nach jedenfalls nicht in gleichem Maße eine „natürliche“ lex fori, wie diese für staatliche Gerichte existiere.58 Da die Wahl des Schiedsorts aus Gründen der Praktikabilität regelmäßig auf ein neutrales Forum falle, seien die faktischen Verbindungen eines internationalen Schiedsverfahrens zur Rechtsordnung des Sitzstaates häufig nur gering.59 Die Relevanz dieser Fragestellung für die vorliegende Arbeit wird vor dem Hintergrund der Überlegung deutlich, dass die europäischen Verordnungen zum Internationalen Privatrecht Teil der lex fori der Mitgliedstaaten der EU sind und eine Bindung von Schiedsgerichten an die Rom I-VO jedenfalls nur dann in Frage kommt, wenn sich die Schiedsgerichte überhaupt räumlich in einem Mitgliedstaat verorten ließen und sich hierüber eine Bindung an das Kollisionsrecht der jeweiligen lex fori herleiten ließe. Zur Frage der Bindung internationaler Schiedsgerichte an eine lex fori werden in der Literatur seit jeher zwei divergierende Ansätze vertreten. Deren Aussagen und die gegen sie vorgebrachten Kritikpunkte sollen kursorisch dargestellt werden (I.). Im Anschluss daran wird die Frage mit Blick auf das deutsche Schiedsverfahrensrecht sowie anhand einer vergleichenden Betrachtung anderer europäischer Schiedsverfahrensrechte beurteilt (II.).
56
Schurig, Kollisionsnorm und Sachrecht, S. 71; Solomon, RIW 1997, 981, 986 f.; Keller/Siehr, Allgemeine Lehren des IPR, S. 230. 57 Als Teil des staatlichen Organisationsgefüges ist eine Bindung der Gerichte an das staatliche Rechtssystem selbstverständlich. Ausländische Sach- oder Kollisionsnormen finden nur dann Anwendung, wenn diese vom inländischen Verweisungsrecht berufen werden. Für den Fall der Rück- oder Weiterverweisung ist dies in Art. 4 Abs. 1 EGBGB ausdrücklich festgelegt. 58 Siehe exemplarisch Berger, DZWiR 1998, 45, 52; Schlosser, RIW 1994, 723, 727; Solomon, RIW 1997, 981, 988. 59 Bell, Forum Shopping and Venue in Transnational Litigation, S. 275 ff.; Blackaby/ Partasides/Redfern/Hunter, International Commercial Arbitration, S. 78 f.; wie sich dies jedoch auf eine spätere Anerkennung und Vollstreckung des Schiedsspruchs auswirken kann, ist Gegenstand von Kapitel 3 – § 8.
§ 1 Bindung internationaler Schiedsgerichte an die lex fori
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I. Lex arbitri-Lehre und die Theorie vom Sonderkollisionsrecht für Schiedsgerichte 1. Lex arbitri-Lehre a) Aussagen Die traditionelle Lehre geht davon aus, dass ein Schiedsgericht das Kollisionsrecht seines Sitzstaates anzuwenden habe. Diese Lehre von der Bindung des Schiedsgerichts an die lex fori beruht auf einer Resolution des „Institut de Droit International“ aus dem Jahr 1957. Darin heißt es: „Les règles de rattachement en vigueur dans l’État du siège du tribunal arbitral doivent être suivies pour déterminer la loi applicable au fond du litige.“60 Das auf den Streitgegenstand anwendbare Recht ist nach den Kollisionsnormen zu ermitteln, die am Sitz des Schiedsgerichts gelten. b) Kritik Die Kritik an der lex arbitri-Lehre entzündet sich im Wesentlichen an zwei Punkten: Zunächst wird auf die Zufälligkeit der Wahl des Sitzes des Schiedsgerichts in internationalen Schiedsverfahren hingewiesen.61 So stünden für die Parteien bei der Bestimmung des Sitzes des Schiedsgerichts weniger Rechtsfragen, sondern vielmehr rein verfahrenstaktische Erwägungen sowie Praktikabilitätsgesichtspunkte im Vordergrund: Die Parteien seien bei der Wahl des Schiedsortes in erster Linie darauf bedacht, einen neutralen Ort für die Austragung ihrer Streitigkeit zu wählen, der zu den Parteien sowie dem streitigen Sachverhalt regelmäßig keinerlei Verbindung aufweise, um eine etwaige Voreingenommenheit des Schiedsgerichts zu verhindern. Der Sitz des Schiedsgerichts sei also weniger das Resultat einer bewussten Entscheidung der Parteien für einen Ort als vielmehr das Ergebnis prozesstaktischer Erwägungen gegen einen Ort, an dem eine der beiden Parteien prozessuale Nachteile befürchtet. Über das zugrunde liegende Kollisionsrecht am Ort des Verfahrens machten sich die Parteien regelmäßig keine Gedanken, weswegen es unbillig und im Widerspruch zum Parteiwillen stünde, das Schiedsgericht hieran zu binden. Darüber hinaus wird von Kritikern der lex arbitri-Lehre auf die Rechtsunsicherheit für die Parteien hingewiesen, die sich in Fällen ergebe, in denen die Parteien (versehentlich oder bewusst) auf eine Bestimmung des Schiedsortes verzichtet hätten.62 In diesen Fällen sei es Aufgabe des Schiedsgerichts, zu Beginn des Verfahrens den Schiedsort zu bestimmen. Bis zu diesem Zeitpunkt 60
Annuaire de l’Institut de Droit International, Bd. 47 (1957) II, S. 484. Quinke, Börsenschiedsvereinbarungen und prozessualer Anlegerschutz, S. 290 f. 62 Laut Berger ist dies in der internationalen Kautelarpraxis allerdings nur von untergeordneter Bedeutung, da der Sitz des Schiedsgerichts von den Parteien in knapp 80 % der Fälle bereits in der Schiedsklausel oder spätestens zum Beginn des Hauptverfahrens festgelegt 61
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Kapitel 1 – Grundlagen der Bestimmung des anwendbaren Sachrechts
seien die Parteien im Unklaren darüber, welches das für das Schiedsgericht maßgebliche Kollisionsrecht sei.63 Sie könnten daher auch das auf ihre Vertragsbeziehung anwendbare materielle Recht und das daraus resultierende Pflichtenprogramm nicht im Vorfeld ermitteln. Für die Parteien müsse jedoch zu jedem Zeitpunkt erkennbar sein, nach welchen Rechtsnormen sie ihr Verhalten auszurichten hätten. 2. Theorie vom Sonderkollisionsrecht für Schiedsgerichte a) Aussagen Ausgehend von der traditionellen Lehre entwickelte sich in der Folgezeit eine neue Auffassung. Hiernach bestimmt das Schiedsgericht die anwendbaren Kollisionsnormen nach eigenem Ermessen, ohne an ein bestimmtes Kollisionsrecht gebunden zu sein.64 Schiedsgerichte seien im Ausgangspunkt „denational“ und bei der Bestimmung des anwendbaren Sachrechts folglich nicht an die Kollisionsnormen eines bestimmten Staates gebunden.65 Dem liegt maßgeblich die Vorstellung zugrunde, dass Schiedsgerichte anders als staatliche Gerichte ihre Existenz und Legitimation lediglich aus der Schiedsvereinbarung zwischen den Parteien ableiteten und schon deshalb über keine lex fori verfügten.66 Bei der Bestimmung des anwendbaren (Kollisions-)Rechts gehe es letztlich ausschließlich um die Ermittlung des hypothetischen oder geäußerten Parteiwillens.67 Die praktische Ermittlung des anwendbaren Kollisionsrechts erfolge durch „Kumulation und Konkordanz“ verschiedener in Betracht kommender Kollisionsrechte.68 Berücksichtigung finden sollen dabei unter anderen die Kollisionsrechte im Sitzstaat der Parteien, das Recht am Erfüllungsort der vertraglichen Verpflichtung sowie mögliche spätere Vollstreckungsregime. Aufgabe des Schiedsgerichts sei es, Übereinstimmungen der Kollisionsrechte und übergeordnete Prinzipien zu ermitteln, welche der Bestimmung des materiellen Rechts zugrunde gelegt werden können. Einige Vertreter dieser sogenannten Theorie werde, Berger, RIW 1993, 8, 9, mit Verweis auf Reiner, Handbuch der ICC-Schiedsgerichtsbarkeit, S. 143. 63 Für viele siehe Vocke, Die Bestimmung des anzuwendenden materiellen Rechts in internationalen Handelsschiedsverfahren im Lichte des deutschen Schiedsverfahrensrechts vom 1. Januar 1998, S. 31; Böckstiegel, FS Beitzke, S. 443, 447. 64 Berger, DZWir 1998, 45, 52; Gottwald, in: Internationale Schiedsgerichtsbarkeit, S. 1, 76; Hellwig, RIW 1984, 421, 426; Junker, FS Sandrock, S. 443, 445; Diedrich, JuS 1998, 158, 164 f.; Martiny, FS Schütze, S. 529, 530 f.; Blackaby/Partasides/Redfern/Hunter, International Commercial Arbitration, S. 133 f. 65 Lepschy, § 1051 ZPO – Das anwendbare materielle Recht in internationalen Schiedsverfahren, S. 37 ff. 66 Martiny, FS Schütze, S. 529, 534; Hausmann, in: Reithmann/Martiny, Internationales Vertragsrecht, Rn. 8.428. 67 Solomon, RIW 1997, 981, 987. 68 Böckstiegel, FS Beitzke, S. 443, 446 ff.
§ 1 Bindung internationaler Schiedsgerichte an die lex fori
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vom Sonderkollisionsrecht für Schiedsgerichte wollen die Schiedsgerichte von jeglicher kollisionsrechtlicher Prüfung entbinden und ihnen ermöglichen, im Wege eines voie directe unmittelbar auf das Sachrecht zuzugreifen.69 In der Konsequenz führt dies dazu, dass die kollisionsrechtliche Prüfung durch internationale Schiedsverfahren anderen Regeln als vor staatlichen Gerichten folgt: Das Kollisionsrecht eines Staates spaltet sich in ein allgemeines Kollisionsrecht für staatliche Gerichte sowie besondere kollisionsrechtliche Regeln für internationale Schiedsgerichte. Für letztere prägte Sandrock den Begriff des Sonderkollisionsrechts für Schiedsgerichte.70 b) Kritik Die neue Lehre sieht sich einer grundlegenden Kritik ausgesetzt: Indem sie dem Schiedsgericht die Möglichkeit einer ausschließlich ermessensgeleiteten Bestimmung des Kollisionsrecht einräume und darüber hinaus eine einheitliche Praxis zur Ausübung dieses Ermessens in der Rechtsprechung der Schiedsgerichte kaum erkennbar sei,71 eröffne sie die Gefahr einer willkürlichen Bestimmung des anwendbaren Rechts. Diese werde durch die Zulassung einer Direktbestimmung des anwendbaren Sachrechts im Wege des voie directe noch gesteigert.72 Dies führe zu einer ungleich größeren Rechtsunsicherheit, als sie unter der lex arbitri-Lehre bestünde.73 Bei einer Entscheidung nach freiem Ermessen des Schiedsgerichts könnten die Parteien nur in sehr geringem Maße vorhersehen, warum und in welcher Weise das Schiedsgericht sein Ermessen im konkreten Fall ausübe. Folglich sei die Theorie vom Sonderkollisionsrecht für Schiedsgerichte im Vergleich zur lex arbitri-Lehre, bei der Rechtsunsicherheit lediglich in den seltenen Fällen der Unbestimmtheit des Schiedsortes auftrete, in größerem Umfang mit Rechtsunsicherheit für die Parteien behaftet.74 Einige Vertreter der neuen Lehre fordern denn auch eine Eingrenzung des Ermessens des Schiedsgerichts.75 So wird von Blessing darauf hingewiesen, dass der Schiedsrichter bei der Ausübung seines Ermessens zunächst den 69 Ungeheuer, Die Beachtung von Eingriffsnormen in der internationalen Handelsschiedsgerichtsbarkeit, S. 69; Blessing, J.Int’lArb. 14 (1997) 39, 55; Lionnet/Lionnet, Handbuch der Schiedsgerichtsbarkeit, S. 382 ff.; Diedrich, JuS 1998, 158, 165. 70 Sandrock, RIW 1992, 785, 791. 71 Silberman/Ferrari, in: Conflict of Laws in International Arbitration, S. 257, 282 ff. listen alleine sechs mögliche Methoden auf, nach denen das Schiedsgericht sein Ermessen zur kollisionsrechtlichen Bestimmung des anwendbaren Sachrechts ausrichten könne und sehen darin die Hauptquelle für Rechtsunsicherheit für die Parteien eines Schiedsverfahrens. 72 Silberman/Ferrari, in: Conflict of Laws in International Arbitration, S. 257, 294 ff. 73 Drobnig, FS Kegel, S. 95, 102; Silberman/Ferrari, in: Conflict of Laws in International Arbitration, S. 257, 280. 74 Drobnig, FS Kegel, S. 95, 102. 75 Kronke, RIW 1998, 257, 263; Sandrock, RIW 1992, 785, 794 f.; Basedow, JPS 1 (1987) 3, 17 ff.; Martiny, FS Schütze, S. 529, 532.
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Kapitel 1 – Grundlagen der Bestimmung des anwendbaren Sachrechts
hypothetischen Parteiwillen zu ermitteln habe.76 Sodann habe er sich an früheren Schieds- und Gerichtsentscheidungen in Form von Präjudizien zu orientieren und im Einklang mit diesen zu entscheiden.77 Darüber hinaus müsse die Entscheidung des Schiedsgerichts begründungspflichtig und in seiner Begründung objektiv nachvollziehbar sein.78 Mit Blick auf den im Internationalen Privatrecht gewünschten Entscheidungseinklang wird von Basedow zudem gefordert, dass die Entscheidung des Schiedsgerichts möglichst mit Entscheidungen staatlicher Gerichte in den Heimatstaaten der Parteien oder anderer betroffener Staaten übereinstimme.79 3. Zwischenergebnis und Stellungnahme Die lex arbitri-Lehre sowie die Theorie vom Sonderkollisionsrecht für Schiedsgerichte gehen in ihren Ausgangspunkten von zwei unterschiedlichen Ansätzen aus, die auch nach jahrzehntelanger Diskussion in ihrer Gegensätzlichkeit fortbestehen.80 Während für die lex arbitri-Lehre einzig das Recht der lex fori für die kollisionsrechtliche Ermittlung des Sachrechts maßgeblich ist, leitet sich das maßgebliche Kollisionsrecht nach der Theorie vom Sonderkollisionsrecht für Schiedsgerichte aus einem Bündel von Kriterien ab, unter denen das Schiedsgericht in Ausübung seines schiedsrichterlichen Ermessens das aus seiner Sicht geeignetste auswählen kann. Die Argumente, die für oder gegen die eine oder andere Lehre vorgebracht werden, gehen auf das der Schiedsgerichtsbarkeit inhärente Spannungsfeld zwischen möglichst großer Flexibilität schiedsrichterlicher Entscheidungsfindung und dem Bedürfnis der Parteien nach Rechtssicherheit und vorhersehbaren Entscheidungen zurück.81 Dies kann jedoch nicht darüber hinwegtäuschen, dass Schiedsgerichte auf vielfältige Weise mit staatlichen Rechtsordnungen verknüpft sind, etwa wenn es um die Aufhebung oder Vollstreckbarerklärung eines Schiedsspruchs sowie gerichtliche Hilfsmaßnahmen bei der Benennung von Schiedsrichtern, der Zeugenvernehmung oder den Erlass einstweiliger Anordnungen geht.82 Dies setzt die Zuständigkeit der jeweiligen staatlichen Gerichte zur Anordnung bzw. Vornahme entsprechender Maßnahmen voraus. Für die Zuständigkeitsbegründung ist jedoch eine Verortung des Schiedsgerichts in einer konkreten Rechtsordnung notwendig. Diese wiederum erfolgt regelmäßig bereits in dem Moment, in dem der Ort des Schiedsverfahrens mittels Parteivereinbarung oder – in 76
Blessing, J.Int’lArb. 14 (1) (1997) 39, 53. Kronke, RIW 1998, 257, 263; Basedow, JPS 1 (1987) 3, 17 ff. 78 Blessing, J.Int’lArb. 14 (1) (1997) 39, 53; Basedow, JPS 1 (1987) 3, 17 ff. 79 Basedow, JPS 1 (1987) 3, 17 f. 80 So auch Grimm, SchiedsVZ 2012, 189, 190. 81 Zur Erwartung der Parteien nach vorhersehbaren Entscheidungen Pickrahn, SchiedsVZ 2016, 173 ff. 82 Berger, RIW 1993, 8, 9. 77
§ 1 Bindung internationaler Schiedsgerichte an die lex fori
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Ermangelung einer solchen – durch Bestimmung des Schiedsgerichts festgelegt wird. Unabhängig davon, ob Schiedsgerichte also über ein „natürliches“ Forum verfügen oder nicht, ist spätestens in diesem Zeitpunkt eine konkrete lex fori bzw. lex arbitri erforderlich, welche Auskunft über Art und Umfang der Bestimmung des anwendbaren Sachrechts durch Schiedsgerichte geben kann. Es obliegt somit dem jeweiligen Schiedsverfahrensrecht, Schiedsgerichte zur Anwendung des allgemeinen Kollisionsrechts oder der besonderen Kollisionsnormen für Schiedsgerichte zu verpflichten, ihm Ermessensfreiheit bei der Auswahl des anzuwendenden Kollisionsrechts bis hin zur Bildung eigener Kollisionsnormen zu gewähren oder aber dem Schiedsgericht die Bestimmung des anwendbaren Sachrechts per voie directe zu ermöglichen. Im Ergebnis stellt damit die Rückbindung der Schiedsgerichte an staatliches Recht eine zentrale Voraussetzung der Schiedsgerichtsbarkeit selbst dar. Die Beantwortung der Frage, ob Schiedsgerichte an die staatlichen Kollisionsnormen ihres Forums gebunden sind, kann stets nur aus dem Blickwinkel einer bestimmten Rechtsordnung beurteilt werden.83 II. Die Verankerung der internationalen Schiedsgerichtsbarkeit in Deutschland und anderen Mitgliedstaaten der EU 1. Das deutsche Schiedsverfahrensrecht Der deutsche Gesetzgeber hat sich im Zuge der Reform des deutschen Schiedsverfahrensrechts im Jahre 1998 für eine territoriale Anbindung von Schiedsgerichten ausgesprochen. § 1025 Abs. 1 ZPO sieht vor, dass die Vorschriften des deutschen Schiedsverfahrensrechts anzuwenden sind, „wenn der Ort des schiedsrichterlichen Verfahrens im Sinne des § 1043 Abs. 1 in Deutschland liegt.“ Damit stellte der deutsche Gesetzgeber klar, dass für das autonome deutsche Schiedsverfahrensrecht das Territorialitätsprinzip Geltung beansprucht:84 In einem Schiedsverfahren mit Sitz in Deutschland finden die §§ 1025 ff. ZPO Anwendung. Damit legte er zugleich die internationale und örtliche Zuständigkeit staatlicher Gerichte für die ihnen zugewiesenen Unterstützungs- und Kontrolltätigkeiten fest. In § 1051 ZPO ist eine eigene Kollisionsnorm für Schiedsgerichte zur Bestimmung des anwendbaren materiellen Rechts enthalten. Der deutsche Gesetzgeber verhielt sich damit zu der Frage der Bindung von Schiedsgerichten an das 83
Junker, FS Sandrock, S. 443, 445 f.; siehe auch Handorn, Das Sonderkollisionsrecht der deutschen internationalen Schiedsgerichtsbarkeit, S. 20; grundlegend bereits Mann, ZHR 130 (1986) 97, 103: „Man kann auf diesem Gebiet nicht vom Standpunkt apodiktischer Verallgemeinerung aus argumentieren. Man muß auf ein bestimmtes Rechtssystem abstellen.“ 84 Münch, in: MünchKommZPO3, § 1025, Rn. 10; Schlosser, in: Recht und Praxis der internationalen Schiedsgerichtsbarkeit in Staaten Zentral- und Ost-Europas, S. 17; Lachmann, Handbuch für die Schiedsgerichtspraxis, Rn. 2525; Lionnet/Lionnet, Handbuch der Schiedsgerichtsbarkeit, S. 125.
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Kapitel 1 – Grundlagen der Bestimmung des anwendbaren Sachrechts
staatliche Kollisionsrecht ambivalent: Einerseits schlug er sich auf die Seite der Vertreter der lex arbitri-Theorie, indem er die kollisionsrechtliche Bestimmung des materiellen Rechts durch Schiedsgerichte im Anwendungsbereich der §§ 1025 ff. ZPO normiert und die Beachtung der Kollisionsnormen des Forums vorschreibt.85 Andererseits schuf er eine eigene Kollisionsnorm für Schiedsgerichte, welche dem von den Vertretern der Lehre vom Sonderkollisionsrecht für Schiedsgerichte betonten Bedürfnis nach einem weiten Ermessen schiedsrichterlicher Entscheidungen Rechnung zu tragen scheint und deren Verhältnis zum sonstigen Kollisionsrecht im weiteren Verlauf dieser Arbeit zu klären sein wird. 2. Europäischer Vergleich Wirft man einen Blick auf andere europäische Rechtsordnungen, zeigt sich ein ähnliches Bild. Auch außerhalb Deutschlands verorteten die Gesetzgeber die kollisionsrechtliche Rechtsermittlung durch Schiedsgerichte keineswegs außerhalb der staatlichen Rechtsordnungen, sondern sahen eine Anbindung an die jeweiligen Schiedsrechte am Sitz des Schiedsgerichts durch eigene kollisionsrechtliche Bestimmungen für Schiedsgerichte vor. So verankerte der österreichische Gesetzgeber in § 577 Abs. 1 der im Jahr 2006 reformierten österreichischen ZPO das Territorialitätsprinzip für Schiedsgerichte in nahezu wortgleicher Weise wie dies der deutsche Gesetzgeber in § 1025 Abs. 1 ZPO getan hatte. Mit § 603 enthält die österreichische ZPO zudem eine Kollisionsnorm, die die kollisionsrechtliche Prüfung durch Schiedsgerichte mit Sitz in Österreich leitet. Im englischen Arbitration Act 1996 findet in Sec. 2(1) ebenfalls das Territorialitätsprinzip Ausdruck, indem sich der Anwendungsbereich des Gesetzes auf alle Schiedsgerichte erstreckt, die ihren Sitz in England, Wales oder Nordirland haben. Auch hat der englische Gesetzgeber in Sec. 46 Arbitration Act 1996 eine Kollisionsnorm für Schiedsgerichte geschaffen. Ähnliches findet sich in dem seit dem Jahr 1986 geltenden niederländischen Wetboek van Burgerlijke Rechtsvordering: Art. 1054 enthält eine Kollisionsnorm, die für Schiedsgerichte in den Niederlanden Vorgaben zur Ermittlung des anwendbaren materiellen Rechts in Schiedsverfahren bereithält. Schließlich sieht auch das französische Schiedsverfahrensrecht in Art. 1511, 1512 des 2011 reformierten Code de Procédure Civile besondere Kollisionsnormen für internationale Schiedsgerichte vor. Schließlich findet sich in der Schweiz als bedeutendem internationalen Schiedsplatz eine Kollisionsnorm für die internationale Schiedsgerichtsbarkeit in Art. 187 des Bundesgesetz über das Internationale Privatrecht (IPRG).
85
Rn. 1.
Münch, in: MünchKommZPO3, § 1051, Rn. 1; Saenger, in: Saenger ZPO, § 1051,
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III. Ergebnis Die Frage nach der lex fori internationaler Schiedsgerichte und damit der Ermittlung einer „Kollisionsgrundnorm“ zur Bestimmung des maßgeblichen Kollisionsrechts lässt sich in abstrakter Weise nicht sinnvoll beantworten. Dies ist trotz der divergierenden Auffassungen von lex arbitri-Lehre und der Theorie vom Sonderkollisionsrecht für Schiedsgerichte jedoch nicht weiter hinderlich. Zur Beantwortung der Frage ist vielmehr der Blick auf eine konkrete Rechtsordnung erforderlich. Dies gebieten insbesondere die vollstreckungsrechtlichen Implikationen, die nicht losgelöst von den Erfordernissen im jeweiligen Vollstreckungsstaat beurteilt werden können. Zur Bestimmung einer Kollisionsgrundnorm für Schiedsverfahren mit Sitz in Deutschland ist demnach das deutsche Schiedsverfahrensrecht maßgeblich. Vergleichbare Regelungen finden sich auch in anderen Mitgliedstaaten der EU wie etwa den Niederlanden, Frankreich und Österreich. Der deutsche Gesetzgeber hat sich mit § 1025 Abs. 1 ZPO zur Geltung des Territorialitätsprinzips in der deutschen Schiedsgerichtsbarkeit bekannt: Liegt der Ort des schiedsrichterlichen Verfahrens in Deutschland, gelangen die Vorschriften des 10. Buchs der ZPO zur Anwendung. Der Gesetzgeber folgte damit dem Postulat Leo Raapes, wonach ein Schiedsgericht nicht im „freien Raum“ schwebe, sondern durch eine staatliche Rechtsordnung geortet ist.86 Zu den Normen des deutschen Schiedsverfahrensrecht zählt auch § 1051 ZPO, der eine Kollisionsnorm für die Bestimmung des materiellen Rechts durch Schiedsgerichte enthält. An diese ist ein Schiedsgericht mit Sitz in Deutschland gebunden. § 1051 ZPO ist damit der Ausgangspunkt für die im weiteren Verlauf dieser Arbeit zu untersuchende Vereinbarkeit des deutschen nationalen Schiedsverfahrensrecht mit etwaigen Vorgaben des höherrangigen europäischen Rechts. Der deutsche Gesetzgeber hat sich damit formal der lex arbitri-Lehre für eine Bindung von Schiedsgerichten an die staatlichen Kollisionsnomen am Sitz des Schiedsgerichts entschieden und der These von der gewohnheitsrechtlichen Bildung eines Sonderkollisionsrechts für Schiedsgerichte eine Absage erteilt.87 Gleichzeitig hat er jedoch eine eigene Kollisionsnorm für Schiedsgerichte geschaffen, welche dem Bedürfnis der Schiedsgerichtsbarkeit nach Flexibilität in der Rechtsfindung Rechnung zu tragen scheint. Ähnliches ist auch außerhalb Deutschlands zu verzeichnen, wo nationale Gesetzgeber durch Normierung besonderer Vorschriften für die kollisionsrechtliche Rechtsermittlung in Schiedsgerichten ihre Regelungshoheit im Schiedsverfahren betonen.
86
Schütze, FS v. Hoffmann, S. 1077, 1078. Geimer, in: Zöller ZPO, § 1051, Rn. 2, welcher die international verbreitete These von der gewohnheitsrechtlichen Bildung eines Sonderkollisionsrechts für Schiedsgerichte für verworfen erklärt und stattdessen in § 1051 ZPO die These von der Geltung des staatlichen Kollisionsrechts am Sitz des Schiedsverfahrens verankert sieht. 87
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Kapitel 1 – Grundlagen der Bestimmung des anwendbaren Sachrechts
Wie sich diese Kollisionsnormen in den Kanon anderer möglicher Kollisionsnormen – insbesondere des europäischen Kollisionsrechts – einfügen und ob Schiedsgerichte darüber hinaus das allgemeine IPR am Schiedsort anzuwenden haben, hängt maßgeblich von der Auslegung der nationalen Kollisionsnormen für Schiedsgerichte sowie der Beurteilung des Anwendungsbereichs des europäischen Kollisionsrechts ab.
§ 2 Rechtsquellen der kollisionsrechtlichen Prüfung durch internationale Schiedsgerichte § 2 Rechtsquellen der kollisionsrechtlichen Prüfung
Um den rechtlichen Rahmen für die Ermittlung des Vertragsstatuts durch Schiedsgerichte abzustecken, sind potentielle Rechtsquellen von Kollisionsnormen für Schiedsgerichte zu identifizieren. Die internationale Schiedsgerichtsbarkeit ist seit jeher von dem Bestreben nach Rechtsvereinheitlichung und der Herausbildung einheitlicher Standards geprägt. Sie war in jüngerer Zeit mehrfach Adressatin staatsvertraglicher Übereinkommen, die Einfluss auf die Rechtsfindung in Schiedsverfahren genommen haben. Diese sollen den Ausgangspunkt der Untersuchung88 bilden (I.), bevor das nationale deutsche Recht mit seinen Bezügen zum UNCITRAL-Modellgesetz sowie die Kollisionsnormen einiger ausgewählter Länder innerhalb der EU in den Fokus rücken (II.). Den Abschluss bildet das europäische Recht in Form der Rom I-VO (III.). I.
Internationale Übereinkommen
1. New Yorker Übereinkommen über die Anerkennung und Vollstreckung ausländischer Schiedssprüche vom 10. Juni 1958 (UNÜ)89 Ausländische Schiedssprüche bedürfen der Vollstreckbarerklärung, um im Inland vollstreckt werden zu können.90 Ziel des New Yorker UN-Übereinkommen von 1958 ist es, die Anerkennung und Vollstreckung von Schiedssprüchen international zu vereinheitlichen. Das UNÜ ist das Ergebnis eines Vorschlags der Internationalen Handelskammer aus dem Jahr 1953, der vom Wirtschafts- und Sozialrat der Vereinten Nationen überarbeitet und im Jahr 1958 von der durch 88 Zum allgemeinen Vorrang des Völkerrechts gegenüber dem nationalen Recht, der im Hinblick auf die konkrete Durchsetzung vom im jeweiligen Staat vorherrschenden System des Monismus oder Dualismus abhängt, siehe exemplarisch Doehring, Völkerrecht, Rn. 700. Das Verhältnis des ehemals staatsvertraglich ausgeprägten europäischen Kollisionsrechts für Schuldverträge zum nationalen deutschen Kollisionsrecht wird an späterer Stelle Gegenstand einer näheren Betrachtung sein (Kapitel 2 – § 3). 89 Gesetz zu dem Übereinkommen vom 10. Juni 1958 über die Anerkennung und Vollstreckung ausländischer Schiedssprüche vom 15. März 1961, BGBl. 1961 II, 121. 90 Haas, Die Anerkennung und Vollstreckung ausländischer und internationaler Schiedssprüche, S. 128.
§ 2 Rechtsquellen der kollisionsrechtlichen Prüfung
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die Vereinten Nationen einberufenen Staatenkonferenz angenommen und verabschiedet wurde.91 Es ersetzt das bereits zuvor bestandene Genfer Abkommen zur Vollstreckung ausländischer Schiedssprüche vom 26. September 192792 und das Genfer Protokoll über Schiedsklauseln im Handelsverkehr vom 24. September 192393. Das UNÜ ist mittlerweile von 156 der 193 Mitgliedstaaten der Vereinten Nationen Staaten unterzeichnet worden94 und gilt als das weltweit erfolgreichste Übereinkommen auf dem Gebiet der internationale Handelsschiedsgerichtsbarkeit.95 Abgesehen von der Bedeutung des UNÜ für die Rechtsentwicklung auf dem Gebiet der Schiedsgerichtsbarkeit kommt ihm Vorbildcharakter für die Bestrebungen einer internationalen Rechtsvereinheitlichung auf dem Gebiet der Anerkennung und Vollstreckung von staatlichen Urteilen zu.96 Neben Regelungen über die Anerkennung und Vollstreckung ausländischer Schiedssprüche (Art. I Abs. 1 UNÜ) setzt das Übereinkommen internationale Mindeststandards für die Anerkennung und Wirksamkeit von Schiedsvereinbarungen (Art. II UNÜ). Ausdrückliche Kollisionsnormen zur Bestimmung des 91 Zur Entstehungsgeschichte siehe eingehend van den Berg, The New York Arbitration Convention of 1958, S. 8 ff. 92 RGBl. 1930 II, 1068. 93 RGBl. 1925 II, 47. 94 Die laufend aktualisierte Liste der Vertragsstaaten des Übereinkommens findet sich unter . 95 Zum nicht zu unterschätzenden Wert des New Yorker Übereinkommens als Ausgangspunkt für die stetig wachsende Beliebtheit der Schiedsgerichtsbarkeit seit den 1950er Jahren zur weltweit anerkannten Methode der Streitbeilegung im internationalen Wirtschaftsrecht siehe Di Pietro, in: Conflict of Laws in International Arbitration, S. 63, 64 ff. sowie Briner/ Hamilton, in: Gaillard/Di Pietro, The New York Convention in Practice, S. 3, 20, die im Hinblick auf die von der Staatenkonferenz verfolgten Ziele und die praktische Akzeptanz des Übereinkommens konstatieren: „Rather than attempting the impossible, the conference sensibly sought to address the most pressing practical problems experienced by the postwar business world. In doing so, it took path of moderation and pragmatism by producing an exhaustive list of basic requirements for the recognition and enforcement of awards. It gave effect to the will of the parties without asking States to renounce their legal systems. This approach may have been modest and cautious, but it was above all judicious, for not only did it ensure the effectiveness and acceptability of the convention but also gave it a farreaching legacy.“ 96 Innerhalb der EU ist an das EuGVÜ sowie die EuGVVO zu denken. Auch über die EU hinaus sind im Rahmen des sog. „Judgment Projects“ der Haager Konferenz seit den 1970er Jahren Vereinheitlichungsbestrebungen zu verzeichnen, die nach einem vorläufigen Scheitern im Jahr 2005 im Haager Übereinkommen über Gerichtsstandsvereinbarungen vom 30.6.2005 mündeten, welches die EU mit Wirkung zum 1.10.2015 ratifiziert hat. Die Arbeiten an einem umfassenderen Anerkennungs- und Vollstreckungsübereinkommen gehen weiter. So soll auf Grundlage eines Textentwurfs aus dem November 2015 (siehe ) durch die Vollversammlung der Haager Konferenz darüber entschieden werden, ob formelle Verhandlungen über ein neues Übereinkommen unter Beteiligung aller Mitglieder aufgenommen werden; siehe auch Schack, ZEuP 22 (2014) 824 ff.
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Kapitel 1 – Grundlagen der Bestimmung des anwendbaren Sachrechts
anwendbaren materiellen Rechts durch Schiedsgerichte enthält das UNÜ nicht. Dies ist nicht verwunderlich, entspricht es doch der primären Intention der Verfasser des Übereinkommens, das Erkenntnisverfahren im Schiedsverfahren unberührt zu lassen und deren Ausgestaltung den nationalen Rechtsordnungen zu überlassen.97 In Art. V UNÜ enthält das Übereinkommen eine abschließende Aufzählung von Gründen, bei deren Vorliegen die Anerkennung und Vollstreckung eines Schiedsspruchs versagt werden darf. Indirekt nimmt es dabei Einfluss auf das schiedsgerichtliche Verfahren: Über diesen Umweg ließe sich zumindest eine Kontrollmöglichkeit staatlicher Gerichte hinsichtlich der kollisionsrechtlichen Bestimmung des anwendbaren Rechts durch Schiedsgerichte ableiten.98 An der Feststellung, dass eine ausdrückliche Kollisionsnorm zur Bestimmung des anwendbaren Rechts in der Hauptsache im UNÜ nicht enthalten ist und nach dem Willen der Verfasser auch nicht aufgenommen werden sollte, ändert dies hingegen nichts. Welche Auswirkungen die (fehlerhafte) kollisionsrechtliche Prüfung auf die Anerkennung und Vollstreckung eines Schiedsspruchs nach dem UNÜ zeitigen kann, wird an späterer Stelle dieser Arbeit untersucht.99 2. Genfer Europäisches Übereinkommen über die internationale Handelsschiedsgerichtsbarkeit vom 21. April 1961 (EuÜ)100 Das Europäische Übereinkommen über die internationale Handelsschiedsgerichtsbarkeit vom 21. April 1961 wurde vor allem im Interesse einer Verbesserung der Handelsbeziehungen zwischen West- und Osteuropa geschlossen. In Zeiten des kalten Krieges sollten politisch neutrale Institutionen in Form von Schiedsgerichten gestärkt werden.101 Zu diesem Zweck enthält das EuÜ hauptsächlich Regelungen, die staatliche Unterstützungsmaßnahmen, etwa bei der Benennung von Schiedsrichtern auf neutrale Einrichtungen wie etwa die Handelskammern des jeweiligen Forumstaates verlagern (Art. IV Abs. 2–7 EuÜ).102 Das Übereinkommen stellt im Wesentlichen eine Ergänzung des UNÜ durch Regeln über das Verfahren vor Schiedsgerichten dar und gewährleistet ausdrücklich die rechtliche Verbindlichkeit von Schiedsvereinbarungen, die ein 97 So auch Lepschy, § 1051 ZPO – Das anwendbare materielle Recht in internationalen Schiedsverfahren, S. 52 ff., der zwischen dem schiedsgerichtlichen Verfahren im engeren und im weiteren Sinne unterscheidet. 98 Silberman/Ferrari, in: Conflict of Laws in International Arbitration, S. 257, 266. 99 Siehe Kapitel 3 – § 8. 100 Gesetz zu dem Europäischen Übereinkommen vom 21. April 1961 über die internationale Handelsschiedsgerichtsbarkeit vom 17. April 1964, BGBl. 1964 II, 426. 101 Vgl. ausführlich zur Entstehungsgeschichte Kaiser, Das europäische Übereinkommen über die internationale Handelsschiedsgerichtsbarkeit vom 21. April 1961, S. 16 ff.; Moller, NZG 2000, 57 ff.; Schlosser, in: Stein/Jonas, ZPO, Anh. § 1061 Rn. 163. 102 Hierzu, insbesondere zur Rolle des sog. „Besonderen Komitees“ näher Moller, NZG 2000, 57, 63.
§ 2 Rechtsquellen der kollisionsrechtlichen Prüfung
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ad-hoc Schiedsgericht oder ein ständiges institutionelles Schiedsgericht für zuständig erklären. Das EuÜ ist gemäß Art. I Abs. 1 EuÜ unter zwei Voraussetzungen anwendbar: Erstens ist ein subjektiver, personenbezogener Aufenthalt oder Sitz der Parteien in verschiedenen Vertragsstaaten notwendig, zweitens eine objektive, sachbezogene Schiedsvereinbarung über Streitigkeiten aus internationalen Handelsgeschäften. Der Unterschied des EuÜ im Vergleich zum UNÜ besteht darin, dass es im Gegensatz zum UNÜ nicht territorial an den Ort des Schiedsverfahrens und damit den Erlass des Schiedsspruchs anknüpft, sondern zur Bestimmung seines Anwendungsbereichs auf die Parteien der Schiedsvereinbarung abstellt.103 Über den Verweis in Art. 1 Abs. 1 lit. b) EuÜ ist das gesamte schiedsrichterliche Verfahren vom Übereinkommen erfasst.104 Ergänzt wurde das Europäische Übereinkommen durch die Pariser Vereinbarung vom 17. Dezember 1962105, die im Verhältnis der westlichen Mitgliedstaaten des EuÜ Kompetenzen auf die staatlichen Gerichte zurücküberträgt. In Art. VII EuÜ findet sich auch eine Kollisionsnorm zur Bestimmung des anwendbaren Rechts in der Hauptsache. Sie lautet wie folgt: „Art. VII Anwendbares Recht (1) Den Parteien steht es frei, das Recht zu vereinbaren, welches das Schiedsgericht in der Hauptsache anzuwenden hat. Haben die Parteien das anzuwendende Recht nicht bestimmt, so hat das Schiedsgericht das Recht anzuwenden, auf das die Kollisionsnormen hinweisen, von denen auszugehen das Schiedsgericht jeweils für richtig erachtet. In beiden Fällen hat das Schiedsgericht die Bestimmungen des Vertrages und die Handelsbräuche zu berücksichtigen. (2) Das Schiedsgericht entscheidet nach Billigkeit, wenn dies dem Willen der Parteien entspricht und wenn das für das schiedsrichterliche Verfahren maßgebende Recht es gestattet.“
Das in der Hauptsache anwendbare Recht unterliegt damit grundsätzlich der Disposition der Parteien. Nur wenn die Parteien keine Rechtswahl getroffen haben, bestimmt das Schiedsgericht das anwendbare Recht nach näherer Maßgabe des Art. VII Abs. 1 S. 2 EuÜ. Der Bedeutung von Handelsbräuchen im Rahmen der Sachentscheidung wird durch Art. VII Abs. 1 S. 3 EuÜ Rechnung getragen. In Art. VII Abs. 2 EuÜ wird darüber hinaus die Befugnis des Schiedsgerichts zur Entscheidung nach Billigkeit geregelt. Praktische Relevanz wird dem Übereinkommen nach dem Ende des Kalten Krieges nur noch begrenzt beigemessen.106 Entgegen dieser pauschalen Feststellung weist allerdings Mollers darauf hin, dass das EuÜ abgesehen von den Nachfolgestaaten der Sowjetunion aktuell noch für die meisten kontinental-
103
Hausmann, in: Reithmann/Martiny, Internationales Vertragsrecht, Rn. 8.226 ff. Schlosser, in: Stein/Jonas, ZPO, Anh. § 1061 Rn. 166. 105 BGBl. 1964 II 449. 106 Lionnet/Lionnet, Handbuch der Schiedsgerichtsbarkeit, S. 94; Schlosser, in: Stein/ Jonas, ZPO, Anh. § 1061 Rn. 163. 104
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europäischen Staaten gelte107 und dieser Wirtschaftsraum knapp die Hälfte des deutschen Außenhandels betreffe.108 II. Autonomes nationales Recht 1. Deutschland – § 1051 ZPO Bis zum Jahr 1998 suchte man in den §§ 1025–1048 ZPO a.F. vergeblich nach einer geschriebenen Kollisionsnorm, welche Schiedsgerichten zur Bestimmung des anwendbaren Rechts in der Hauptsache hätte dienen können. Der Grund hierfür ist, dass der Gesetzgeber bei der Schaffung des damaligen Schiedsverfahrensrechts vor allem nationale Sachverhalte im Blick hatte, bei denen sich kollisionsrechtliche Fragen naturgemäß nur begrenzt stellen.109 Danach war es Ausdruck des bis dahin vorherrschenden Verständnisses, die Regelungen zur internationalen Schiedsgerichtsbarkeit völkerrechtlichen Übereinkommen sowie privaten Schiedsordnungen zu überlassen. Zwar gelang es mittels einer modernen Rechtsprechung sowie der kontinuierlichen Rechtsfortbildung durch Praktiker und Literatur, Gesetzeslücken im Hinblick auf die Durchführung internationaler Schiedsverfahren weitgehend auszufüllen.110 Im Vergleich zu anderen europäischen Staaten, die mit Beginn der 1970er Jahre bereits erste Reformen zur Modernisierung ihrer Schiedsverfahrensrechte umgesetzt hatten,111 verzeichnete das deutsche Schiedsverfahrensrecht und damit Deutschland als Sitz internationaler Schiedsverfahren daher eine vergleichsweise geringe Attraktivität.112 Eine Novellierung des deutschen Schiedsverfahrensrechts wurde allenthalben gefordert.113 Einer der Nachteile des bis dato geltenden Schiedsverfahrensrechts bestand insbesondere für ausländische Benutzer darin, dass die wesentlichen Prinzipien des deutschen Schiedsverfahrensrechts zwar durch zahlreiche Urteile sowie umfangreiche Literatur konturiert, jedoch nicht aus dem Gesetz ablesbar 107
So sind beispielsweise bis auf die Niederlande alle sechs ursprünglichen Gründungsstaaten der Europäischen Gemeinschaften Vertragsstaaten des EuÜ. 108 Moller, NZG 2000, 57. 109 Holtzmann/Neuhaus, UNCITRAL Model Law on International Commercial Arbitration, S. 765. 110 Zur Rechtsprechung des BGH im Bereich der internationalen Schiedsgerichtsbarkeit siehe beispielsweise Raeschke-Kessler, NJW 1988, 3041 ff. 111 Eine Aufzählung hierzu bietet Handorn, Das Sonderkollisionsrecht der deutschen internationalen Schiedsgerichtsbarkeit, S. 34 f.; für weitere Nachweise zu den einzelnen Reformen siehe auch Raeschke-Kessler, NJW 1988, 3041, 3051 sowie die Begründung des Diskussionsentwurfs der Kommission zur Neuordnung des Schiedsverfahrensrechts, S. 4. 112 Begründung des Diskussionsentwurfs der Kommission zur Neuordnung des Schiedsverfahrensrechts, S. 3; Habscheid, JZ 1998, 445, 446. 113 Stellvertretend für viele siehe die Zusammenfassung eines Symposiums des Deutschen Instituts für Schiedsgerichtswesen von Nolting, IPRax 1987, 387 f. sowie Schlosser, ZIP 1987, 492 ff.; Sandrock, JZ 1986, 370, 378; Raeschke-Kessler, NJW 1988, 3041, 3051.
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waren.114 Prägendes Motiv der Reform im Jahre 1998 bildete somit, die Benutzerfreundlichkeit des deutschen Schiedsverfahrensrechts zu erhöhen und es an internationale Standards anzupassen, um die Rolle Deutschlands als Austragungsort internationaler Schiedsgerichtsverfahren zu stärken.115 Mit dem UNCITRAL-Modellgesetz gab es seit dem Jahre 1985 zudem ein entsprechendes Mustergesetz, welches in Struktur und Inhalt die gewünschten Standards widerspiegelte und als Ausgangspunkt für eine entsprechende Reform diente. Im Oktober 1991 erhielt eine vom Bundesjustizministerium eingesetzte Kommission den Auftrag, „Vorschläge zu erarbeiten, wie das deutsche Schiedsverfahrensrecht unter besonderer Berücksichtigung des UNCITRAL-Modellgesetzes über die internationale Handelsschiedsgerichtsbarkeit neu zu gestalten ist.“116 a) Vorbildfunktion des UNCITRAL-Modellgesetzes über die internationale Handelsschiedsgerichtsbarkeit (UMG)117 Es war die Ausarbeitung des UNCITRAL-Modellgesetzes durch die Vereinten Nationen im Jahre 1985, welche entscheidenden Anteil an der Reform des deutschen Schiedsverfahrensrechts im Jahr 1998 hatte.118 Das UNCITRAL-Modellgesetzes hatte zum Ziel, als Vorbild für die Ausgestaltung von nationalen Schiedsverfahrensrechten weltweit zu dienen und mittels Vereinheitlichung der Schiedsverfahrensrechte zur Entwicklung der internationalen Wirtschaftsbeziehungen beizutragen.119 Ein harmonisiertes Regime zur schiedsrichterlichen Beilegung von Handelsstreitigkeiten sollte berechenbare Grundlagen für die Streitbeilegung schaffen und damit den internationalen Handel fördern. Zwar ist das UNCITRAL-Regelwerk ähnlich einem staatsvertraglichen Übereinkommen durch eine Kommission mit Vertretern der Mitgliedstaaten der vereinten Nationen ausgearbeitet worden. Es enthält allerdings aufgrund seines Charakters als Modellgesetz keine völkerrechtliche Verpflichtung zur Umsetzung. Vielmehr wurde es den Staaten unverbindlich zur Umsetzung in ihr jeweiliges nationales Recht empfohlen.120 114 Begründung des Diskussionsentwurfs der Kommission zur Neuordnung des Schiedsverfahrensrechts, S. 2 f.; Hußlein-Stich, Das UNCITRAL-Modellgesetz, S. 201. 115 Raeschke-Kessler, NJW 1988, 3041, 3051. 116 Berger, Das neue Recht der Schiedsgerichtsbarkeit, S. 4 f.; Begründung des Diskussionsentwurfs der Kommission zur Neuordnung des Schiedsverfahrensrechts, S. 8. 117 Der deutsche und englische Text finden sich bei Berger, Das neue Recht der Schiedsgerichtsbarkeit, S. 53 ff., 65 ff.; Resolution A 40/72 vom 11.12.1985 der Hauptversammlung der Vereinten Nationen. 118 Gesetz zur Neuregelung des Schiedsverfahrensrechts (Schiedsverfahrens-Neuregelungsgesetz – SchiedsVfG) vom 22. Dezember 1997, BGBl. 1997 I, S. 3224 ff. 119 Holtzmann/Neuhaus, UNCITRAL Model Law on International Commercial Arbitration, S. 2; Handorn, Das Sonderkollisionsrecht der deutschen internationalen Schiedsgerichtsbarkeit, S. 35 f. 120 Holtzmann/Neuhaus, UNCITRAL Model Law on International Commercial Arbitration, S. 1236 f.
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Kapitel 1 – Grundlagen der Bestimmung des anwendbaren Sachrechts
Im Vergleich zum Reformentwurf des deutschen Gesetzgebers enthält das UNCITRAL Model Law in seinem Anwendungsbereich eine entscheidende Einschränkung. So begrenzt Art. 1 Abs. 1 UMG den Anwendungsbereich des Model Laws auf „international commercial arbitration“. Hieraus folgt erstens, dass die Kommission zur Ausarbeitung des Model Laws ausschließlich Handelsverträge im Blick hatte. Zweitens sollte der Modellcharakter nur für die internationale Handelsschiedsgerichtsbarkeit gelten. Rein inländische Schiedsverfahren fallen nicht in den Anwendungsbereich des Modellgesetzes. Im Ergebnis enthält das Modelgesetz damit eine doppelte Beschränkung des Anwendungsbereichs.121 Im Modellgesetzt findet sich in Art. 28 UMG eine Bestimmung zum anwendbaren materielle Recht. Diese zählte aufgrund der Komplexität der Frage bei der Ausarbeitung durch die UNCITRAL-Kommission zu den umstrittensten Vorschriften des Modellgesetzes.122 Die Vorschrift lautet: „(1) Das Schiedsgericht hat die Streitigkeit in Übereinstimmung mit den Rechtsvorschriften zu entscheiden, die von den Parteien als auf den Inhalt des Rechtsstreits für anwendbar bezeichnet worden sind. Die Bezeichnung des Rechts oder der Rechtsordnung eines bestimmten Staates ist, sofern nicht ausdrücklich etwas anderes vereinbart wurde, als unmittelbare Verweisung auf das materielle Recht dieses Staates und nicht auf sein Kollisionsrecht zu verstehen. (2) Haben die Parteien das anzuwendende Recht nicht bestimmt, so hat das Schiedsgericht das Recht anzuwenden, welches das von ihm für anwendbar erachtete Kollisionsrecht bestimmt. (3) Das Schiedsgericht hat nur dann nach Billigkeit (ex aequo et bono, amiable compositeur) zu entscheiden, wenn die Parteien es ausdrücklich dazu ermächtigt haben. (4) In allen Fällen hat das Schiedsgericht in Übereinstimmung mit den Bestimmungen des Vertrags zu entscheiden und die auf das Geschäft anwendbaren Handelsbräuche zu berücksichtigen.“
In Art. 28 Abs. 1 S. 1 UMG ist somit zunächst eine Vorschrift zur Rechtswahl der Parteien enthalten, welche die subjektive Anknüpfung durch das Schiedsgericht regelt. Darüber hinaus enthält Art. 28 Abs. 1 S. 2 UMG die Klarstellung, dass es sich bei der Rechtswahl der Parteien um einen unmittelbaren Verweis auf das Sachrecht des jeweiligen Staates unter Ausschluss des Kollisionsrechts handelt (sog. Sachnormverweisung). Nach Art. 28 Abs. 2 UMG hat das Schiedsgericht im Rahmen der objektiven Anknüpfung zunächst das von ihm für anwendbar erachtete Kollisionsrecht zu bestimmen und auf dieser Grundlage eine kollisionsrechtliche Prüfung vorzunehmen. Eine Direktanwendung des Sachrechts im Wege des sog. voie directe ist ausgeschlossen. Art. 28 Abs. 3 UMG enthält schließlich die Kompetenz des Schiedsgerichts zum Billigkeitsentscheid, sofern die Parteien es ausdrücklich dazu ermächtigt 121 122
Näher Hußlein-Stich, Das UNCITRAL-Modellgesetz, S. 7 ff. Hußlein-Stich, Das UNCITRAL-Modellgesetz, S. 141.
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haben. In Art. 28 Abs. 4 UMG ergeht die Aufforderung an das Schiedsgericht, bei allen Entscheidungen die Übereinstimmung mit den Vertragsbestimmungen sowie den Handelsbräuchen zwischen den Parteien zu berücksichtigen. b) Modifizierte Übernahme des UMG durch den deutschen Gesetzgeber Zunächst hat die vom deutschen Gesetzgeber vorgenommene Umsetzung des UNCITRAL-Modellgesetzes dessen doppelte Beschränkung im Anwendungsbereich auf die internationale Handelsschiedsgerichtsbarkeit123 nicht nachvollzogen. Stattdessen beziehen sich die Regelungen des 10. Buchs der ZPO auf alle gemäß § 1030 ZPO schiedsfähigen Zivilrechtsstreitigkeiten nationaler und internationaler Art. Mit dieser Entscheidung folgte der Gesetzgeber dem Votum der Reformkommission, welche in der Grundsatzfrage, ob das UNCITRALModellgesetz als Sondergesetz in das deutsche Recht übernommen und das 10. Buch der ZPO ausschließlich für nationale Schiedsverfahren gelten solle, einem einheitlichen Regelwerk für internationale und nationale Verfahren den Vorzug geben wollte.124 Darüber hinaus waren die Erwägungen im Rahmen der Arbeiten zur Schiedsverfahrensrechtsreform hinsichtlich der Art und Weise der kollisionsrechtlichen Bestimmung des materiellen Rechts maßgeblich von der Frage nach der völkerrechtlichen Bindung des deutschen Gesetzgeber an des EVÜ aus dem Jahr 1980 geprägt.125 Im Ergebnis sah sich jedenfalls die Bundesregierung126 im Gegensatz zur Reformkommission zur Neuordnung des Schiedsverfahrensrechts127 völkerrechtlich an das EVÜ gebunden. Zugleich wollte man jedoch eine weitgehende Angleichung an die internationalen Standards des UNCITRAL-Modellgesetzes erreichen. Der Gesetzgeber war mithin bemüht, einen Spagat zwischen der Vorgabe des Art. 28 UMG und den aus seiner Sicht verbindlichen Anknüpfungsregeln des in Art. 27 ff. EGBGB a.F. inkorporierten EVÜs zu schaffen.128 Als Ergebnis dieser akrobatischen Übung ging ein wenig gelungener gesetzgeberischen Spagat hervor, der als „modifizierte Übernahme“129 bezeichnet wurde und in der Folge für den Rechtsanwender eine Reihe von Unklarheiten bereithielt: So erschien dem Gesetzgeber einerseits eine unveränderte Übernahme der Rechtswahlbestimmungen in Art. 28 Abs. 1 UMG unproblematisch 123
Siehe hierzu näher Hußlein-Stich, Das UNCITRAL-Modellgesetz, S. 7 ff. Begründung des Diskussionsentwurfs der Kommission zur Neuordnung des Schiedsverfahrensrechts, S. 11. 125 Siehe Kapitel 2 – § 3.II. 126 Begründung des Regierungsentwurfs, BT-Drucks. 13/5274, S. 52 ff. 127 Begründung des Diskussionsentwurfs der Kommission zur Neuordnung des Schiedsverfahrensrechts, S. 167 unter Bezugnahme auf Sandrock, RIW 1992, 785 ff. 128 Münch, in: MünchKommZPO3, § 1051, Rn. 7. 129 So z.B. Handorn, Das Sonderkollisionsrecht der deutschen internationalen Schiedsgerichtsbarkeit, S. 38 ff. 124
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möglich, da diese inhaltliche ebenso wie der auf dem EVÜ beruhende Art. 27 Abs. 1 S. 1 EGBGB a.F. die freie Rechtswahl der Parteien vorsah. § 1051 Abs. 1 ZPO ist daher wortgleich zu Art. 28 Abs. 1 UMG übernommen worden. Andererseits lässt sich die von den Verfassern des Regierungsentwurfs angenommene Bindung an die allgemeine Kollisionsnorm bei der Umsetzung des Art. 28 Abs. 2 UMG deutlich erkennen. Während das Schiedsgericht gem. Art. 28 Abs. 2 UMG das Recht anzuwenden hat, „welches das von ihm für anwendbar erachtete Kollisionsrecht bestimmt“, stellt § 1051 Abs. 2 ZPO in Übernahme der Anknüpfung aus Art. 4 Abs. 1 S. 1 EVÜ/Art. 28 Abs. 1 S. 1 EGBGB a.F. auf das Recht des Staates ab, „mit dem der Gegenstand des Verfahrens die engste Verbindung aufweist.“ § 1051 Abs. 3 und 4 ZPO sind inhaltlich wiederum weitgehend den korrespondierenden Absätzen von Art. 28 UMG nachempfunden und weisen lediglich einige Abweichungen in den genauen Formulierungen auf. c) § 1051 ZPO aa) Rechtswahl – § 1051 Abs. 1 ZPO „(1) Das Schiedsgericht hat die Streitigkeit in Übereinstimmung mit den Rechtsvorschriften zu entscheiden, die von den Parteien als auf den Inhalt des Rechtsstreits anwendbar bezeichnet worden sind. Die Bezeichnung des Rechts oder der Rechtsordnung eines bestimmten Staates ist, sofern die Parteien nicht ausdrücklich etwas anderes vereinbart haben, als unmittelbare Verweisung auf die Sachvorschriften dieses Staates und nicht auf sein Kollisionsrecht zu verstehen.“
§ 1051 Abs. 1 ZPO enthält das Primat der Rechtswahlfreiheit der Parteien und fügt sich in den internationalen Standard von Normen zur Bestimmung des anwendbaren materiellen Rechts ein. Er beruht auf einer wörtlichen Übernahme des Art. 28 Abs. 1 UMG. bb) Objektive Anknüpfung – § 1051 Abs. 2 ZPO „(2) Haben die Parteien die anzuwendenden Rechtsvorschriften nicht bestimmt, so hat das Schiedsgericht das Recht des Staates anzuwenden, mit dem der Gegenstand des Verfahrens die engste Verbindung aufweist.“
Fehlt eine Parteivereinbarung über das anzuwendende materielle Recht, obliegt es den Schiedsrichtern, dieses nach der engsten Verbindung zum Gegenstand des Verfahrens zu bestimmen. Der deutsche Gesetzgeber wich hier augenscheinlich von der Vorgabe des Art. 28 Abs. 2 UMG ab und entschied sich stattdessen für eine Übernahme des aus dem nationalen IPR in Art. 28 Abs. 1 S. 1 EGBGB a.F. enthaltenen Anknüpfungspunktes der engsten Verbindung.
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cc) Billigkeitsentscheidungen und die Berücksichtigung von Handelsbräuchen – § 1051 Abs. 3 und 4 ZPO „(3) Das Schiedsgericht hat nur dann nach Billigkeit zu entscheiden, wenn die Parteien es ausdrücklich dazu ermächtigt haben. Die Ermächtigung kann bis zur Entscheidung des Schiedsgerichts erteilt werden. (4) In allen Fällen hat das Schiedsgericht in Übereinstimmung mit den Bestimmungen des Vertrages zu entscheiden und dabei bestehende Handelsbräuche zu berücksichtigen.“
§ 1051 Abs. 3 ZPO ermächtigt schließlich das Schiedsgericht unter bestimmten Voraussetzungen zur Billigkeitsentscheidung. Die Vorschrift geht zurück auf Art. 28 Abs. 3 UMG und stellt eine Besonderheit der internationalen Schiedsgerichtsbarkeit dar.130 Zuletzt bestimmt § 1051 Abs. 4 ZPO, bei der Auslegung eines Vertrages auf die sonstigen Bestimmungen des Vertrages sowie die bestehenden Handelsbräuche Rücksicht zu nehmen. 2. Europäischer Vergleich a) Österreich – § 603 österreichische ZPO Österreich hat sein nationales Schiedsverfahrensrecht ähnlich wie die Bundesrepublik Deutschland in den vergangenen Jahren reformiert. Das im Jahr 2006 in Kraft getretene „Schiedsrechtsänderungsgesetz“ (SchiedsRÄG) unterzog das bis dahin seit dem 1. Januar 1898 fast unverändert existierende österreichische Schiedsverfahrensrecht einer umfassenden Reform.131 Bis dahin war die Frage, welches Kollisionsrecht durch internationale Schiedsgerichte anzuwenden ist, nicht ausdrücklich geregelt. Ein Rückgriff auf das nationale IPR oder – bei grenzüberschreitenden Sachverhalten – auf das EVÜ waren die Folge.132 Seit 2006 enthält das SchiedsRÄG in § 603 der österreichischen ZPO (öZPO) eine eigene Kollisionsnorm für Schiedsgerichte, welche auf Art. 28 UMG zurückgeht. Inhaltlich orientierte sich der Gesetzgeber an den Vorgaben des UMG, indem § 603 Abs. 1 öZPO die Rechtswahlfreiheit der Parteien festschreibt, § 603 Abs. 2 öZPO die objektiven Anknüpfung des anwendbaren Rechts in das Ermessen des Schiedsgerichts stellt und schließlich in § 603 Abs. 3 öZPO eine Billigkeitsentscheidung nach vorheriger ausdrücklicher Ermächtigung durch die Parteien zugelassen wird. Der Gesetzgeber gesteht den Schiedsgerichten somit 130
Siehe in Kapitel 3 – § 6. Zwar hat auch im Jahr 1983 bereits eine erste Novellierung des österreichischen Schiedsverfahrensrechts stattgefunden, diese fiel allerdings im Vergleich zur Gesamtreform nach Vorbild des UMG im Jahr 2006 eher zaghaft und punktuell aus, Rechberger, R.L.R. 25 (2008) 111, 111; Oberhammer, SchiedsVZ 2006, 57, 58. 132 Hausmanninger, in: Fasching/Konecny ZPO5/2, § 603 ZPO, Rn. 10; Czernich, wbl 2013, 554, 555; Schilf, RIW 2013, 678 ff.; von Saucken, Die Reform des österreichischen Schiedsverfahrensrechts, S. 241. 131
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insgesamt eine größtmögliche Flexibilität bei der Bestimmung des anwendbaren Rechts zu. Die Zulässigkeit einer Wahl nicht-staatlichen Rechts in Form der lex mercatoria bestätigt diesen Befund.133 Anders als der deutsche Gesetzgeber, der sich bei der Umsetzung des UMG entgegen des Wortlauts von Art. 28 Abs. 2 UMG für eine Begrenzung der objektiven Anknüpfung durch das Kriterium der „engsten Verbindung“ entschieden hat, ging der österreichische Gesetzgeber den entgegengesetzten Weg, indem er von Art. 28 Abs. 2 UMG zugunsten einer direkten Anwendung des für angemessen erachteten Rechts abwich.134 b) England – Section 46 Arbitration Act 1996 In England kam es im Jahr 1996 zu einer Reform des nationalen Schiedsverfahrensrechts. Das Ergebnis der Reformbestrebungen ist der Arbitration Act 1996, welcher in Sec. 46 eine Kollisionsnorm zur Bestimmung des materiellen Rechts („Rules applicable to the substance of the dispute“) durch das Schiedsgericht enthält. Auch in England orientierte man sich wie in Deutschland und Österreich bei der Reform des nationalen Schiedsverfahrensrecht am UNCITRALModellgesetz.135 Sec. 46 Arbitration Act 1996 ist folglich an Art. 28 UMG angelehnt: Der erste Absatz enthält den Verweis auf die Rechtswahl der Parteien, der zweite Absatz stellt fest, dass es sich bei einer Rechtswahl der Parteien um eine Sachnormverweisung handelt. Der dritte Absatz sieht schließlich für den Fall einer fehlenden Rechtswahl die objektive Anknüpfung durch das Schiedsgericht nach dem für anwendbar gehaltenen Kollisionsrecht vor. Dies entspricht im Wesentlichen den Vorgaben des Art. 28 UMG. Wie sehr der Gesetzgeber allerding auch in England eigene Vorstellungen in den Gesetzestext einfließen lassen wollte, zeigt sich bei näherem Hinsehen. In Sec. 46(1)(a) Arbitration Act 1996 wählte der Gesetzgeber anstelle der in Art. 28 Abs. 1 UMG vorgesehenen Formulierung „[…] shall decide the dispute in accordance with such rules of law as are chosen by the parties […].“ die Wendung „[…] shall decide the 133
Hausmanninger, in: Fasching/Konecny ZPO5/2, § 603 ZPO, Rn. 46. Rechberger, R.L.R. 25 (2008) 111, 119 führt als Begründung hierfür an, dass der Grundsatz der engsten Verbindung nicht mehr aussage, „als dass jenes Recht heranzuziehen sei, das unter kollisionsrechtlichen Gesichtspunkten angemessen erscheint.“ 135 Das UMG diente dem englischen Gesetzgeber allerdings lediglich als Orientierung. Der Arbitration Act 1996 weist an vielen Punkten bewusste Abweichungen vom Modellgesetz auf, die auf Einschätzungen des Departmental Advisory Committee on Arbitration Law (DAC) unter Lord Mustill zurückgehen und dazu führten, dass England anders als Österreich und Deutschland letztlich nicht als „Model Law countries“ (siehe eine Auflistung der Staaten unter ) gilt, Dicey/Morris/Collins, The Conflict of Laws, Rn. 16-004; Merkin/Flannery, Arbitration Act 1996, S. 2 f., 11; Lord Steyn, Arbitration Insights, S. 133, 134 ff.; Maxwell, Internationale Schiedsgerichtsbarkeit, S. 315, 315; Karali/Ballantyne, in: Weigand, Practicioner’s Handbook, Rn. 5.08. 134
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dispute in accordance with the law chosen by the parties […].“ Der Möglichkeit einer Wahl nicht-staatlichen Rechts durch die Parteien in Form etwa der lex mercatoria wird durch die Referenz auf „the law“ damit nach überwiegender Auffassung in Abweichung zum UMG eine Absage erteilt.136 Auch Sec. 46(1)(b) Arbitration Act 1996 ist im Vergleich zu Art. 28 Abs. 3 UMG eher kryptisch gefasst, da dem Schiedsgericht die Kompetenz zugesprochen wird, mittels Vereinbarung der Parteien den Rechtsstreit „in accordance with such other considerations as are agreed by them [the parties]“ zu entscheiden. Dies wird überwiegend als Verweis des Gesetzgebers auf die in Art. 28 Abs. 3 UMG ausdrücklich vorgesehene Möglichkeit einer Entscheidung des Schiedsgerichts nach Billigkeit verstanden.137 Hinsichtlich der objektiven Anknüpfung in Sec. 46(3) Arbitration Act 1996 folgte der englische Gesetzgeber wiederum fast wörtlich den Vorschlägen des UMG, indem er eine kollisionsrechtliche Prüfung durch das Schiedsgerichts vorschreibt und so einer unmittelbaren Bestimmung des materiellen Rechts im Wege des voie directe eine Absage erteilt. Im Vergleich zu den kollisionsrechtlichen Bestimmungen in Deutschland und Österreich beschreitet England damit einen dritten Weg, indem es weder auf das Recht der engsten Verbindung (§ 1051 Abs. 2 ZPO) abstellt, noch die Bestimmung des anwendbaren Sachrechts in das freie Ermessen des Schiedsgerichts (§ 603 Abs. 2 öZPO) stellt. Hinzu kommt, dass das englische Schiedsverfahrensrecht in Sec. 69 Arbitration Act 1996 im Rahmen der Vollstreckungshindernisse – entgegen den Modellvorschriften aus dem UMG und den meisten anderen Schiedsrechten – ausdrücklich die Möglichkeit eines „Appeal on Point of Law“ vorsieht, der es den Parteien unter engen Voraussetzungen erlaubt, den Schiedsspruch auf Grundlage einer mangelnden „substantive jurisdiction“ und damit die Anwendung eines „falschen“ Rechts durch das Schiedsgericht anzugreifen.138 Dieser 136 Silberman/Ferrari, in: Conflict of Laws in International Arbitration, S. 257, 268; Karali/Ballantyne, in: Weigand, Practicioner’s Handbook, Rn. 5.208, eine Bezugnahme auf die lex mercatoria lediglich im Wege einer Entscheidung des Schiedsgerichts als amiable compositeur für zulässig erachten; Reymond, Rev.de l’Arb. 1997, 45, 63; Merkin/Flannery, Arbitration Act 1996, S. 127; Harris/Planterose/Tecks, The Arbitration Act 1996, S. 186; a.A. Maxwell, Internationale Schiedsgerichtsbarkeit, S. 315, 322, allerdings ohne sich mit dem Wortlaut auseinanderzusetzen und ohne nähere Begründung; kritisch Shackleton, Arb. Int. 13 (1997) 375, 379 („The idea that international transactions are distinct from domestic contracts and may be governed by specific substantive rules evolved at the international level is thus firmly rejected by the new Act which rests on a notion of the primacy of national law.“). 137 Harris/Planterose/Tecks, The Arbitration Act 1996, S. 186; Merkin/Flannery, Arbitration Act 1996, S. 127; Veeder, Rev.de l’Arb. 1997, 1, 16. 138 Silberman/Ferrari, in: Conflict of Laws in International Arbitration, S. 257, 314; Harris/Planterose/Tecks, The Arbitration Act 1996, S. 254 f.; Merkin/Flannery, Arbitration Act 1996, S. 176 ff.; eine weitere Ausnahme stellt neben England auch Schottland dar, das in Rule 69 des Arbitration Act 2010 ebenfalls einen „Appeal on Point of Law“ vorsieht;
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stellt eine Besonderheit des englischen Rechts dar, ihm wird etwa von Trappe Vorbildwirkung für eine zukünftige Reform des deutschen Schiedsverfahrensrechts zugemessen.139 c) Frankreich – Art. 1511, 1512 Code de Procédure Civile Vor dem Hintergrund der traditionell schiedsfreundlichen Haltung des französischen Gesetzgebers, weist das französische Schiedsverfahrensrecht eine liberale Position bei den Vorgaben zur Bestimmung des anwendbaren Rechts auf.140 Die auf den 1. Mai 2011 datierende Reform hielt hieran fest.141 Mit der Reform verfolgte der Gesetzgeber ähnlich wie in Deutschland das Ziel, die zu dem bis dahin seit 30 Jahren unveränderten Recht ergangene Rechtsprechung zu kodifizieren und ausländischen Praktikern den Zugang zum französischen Schiedsrecht zu erleichtern. Darüber hinaus sollte auch eine sprachliche Modernisierung einiger in die Jahre gekommener Vorschriften vollzogen werden. Insgesamt standen die Bemühungen unter der Maßgabe, den Stellenwert von Paris als führender Standort internationaler Schiedsverfahren auszubauen und wirtschaftlich wettbewerbsfähig zu machen.142 Art. 1496, 1497 Nouveau Code de procédure civile, die bis zur Reform Kollisionsnormen zur Bestimmung des anwendbaren materiellen Rechts enthielten und ausschließlich für die internationale Schiedsgerichtsbarkeit galten, blieben bis auf eine marginale textliche Änderung unberührt und veränderten lediglich ihren Standort im Gesetz, indem sie sich nun in Art. 1511, 1512 des Code de procédure civile (CPC) wiederfinden. Inhaltlich knüpfen Art. 1511, 1512 CPC an die bisherige Tradition an, den Schiedsgerichten einen weiten Spielraum bei der Bestimmung des anwendbaren Sachrechts zu gewähren. Ihre Geltung erstreckt sich ausschließlich auf den Bereich der internationalen Schiedsgerichtsbarkeit.143 Die Wahl nichtstaatlichen zu den allgemeinen vollstreckungsrechtlichen Implikationen einer Kompetenzüberschreitung durch das Schiedsgericht in Form einer Missachtung der Rechtswahl der Parteien siehe Kapitel 3 – § 8.II. 139 Trappe, SchiedsVZ 2015, 235, 237. 140 Auf die schiedsfreundliche Tradition Frankreichs, welche nicht zuletzt durch den Sitz der Internationalen Handelskammer in Paris begründet ist, Fouchard, in: Gottwald, Internationale Schiedsgerichtsbarkeit, S. 389 f. und Gaillard, in: Weigand, Practicioner’s Handbook, Rn. 6.01, der von einem „pro-arbitration bias“ in Frankreich spricht. 141 Décret n° 2011-48 vom 13. Januar 2011. 142 Als anschauliches Beispiel für die liberale Haltung des französischen Gesetzgebers gegenüber der internationalen Schiedsgerichtsbarkeit kann die Abschaffung des Formzwangs für den Abschluss einer Schiedsvereinbarung gelten; dieser ist gemäß Art. 1507 CPC – anders als in Deutschland (§ 1031 ZPO) und dem UMG (Art. 7 Abs. 2) – nicht an ein Schriftformerfordernis gebunden. 143 Für nationale Schiedsgerichte gilt Art. 1478 CPC, wonach sich die Bestimmung des anwendbaren Rechts nach den gesetzlichen Vorschriften (aux règles de droit) und somit dem nationalen IPR richtet, wobei die Parteien das Schiedsgericht mittels Schiedsvereinbarung zu einer Entscheidung nach Billigkeit ermächtigen können.
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Rechts wird in Art. 1511 CPC genauso zugelassen144 wie die Bestimmung des anwendbaren Rechts durch das Schiedsgericht im Wege des voie directe.145 In Art. 1512 CPC ist die Möglichkeit der Entscheidung des Schiedsgerichts nach Billigkeit (en amiable composition) vorgesehen, wenn die Parteien das Schiedsgericht hierzu in der Schiedsvereinbarung ausdrücklich ermächtigt haben. 3. Zusammenfassung In zusammenfassender Betrachtung lässt sich festhalten, dass die nationalen Kollisionsnormen des deutschen Rechts sowie anderer europäischer Schiedsrechte ein uneinheitliches Bild ergeben. Gemeinsam ist zwar allen Rechtsordnungen das Bekenntnis zur Privatautonomie. Bereits hier ist jedoch erkennbar, dass der Grad der Rechtswahlfreiheit, den der jeweilige nationale Gesetzgeber den Parteien eines Schiedsverfahrens zuerkennen will, variiert. Während in Frankreich, Österreich und Deutschland etwa die kollisionsrechtliche Wahl der lex mercatoria zugelassen ist, wird dies für das englische Recht mit Verweis auf die Bezugnahme auf „the law“ vornehmlich abgelehnt. Darüber hinaus variieren die jeweiligen nationalen Kodifikationen in der Frage der objektiven Anknüpfung erheblich. Während sich das englische Recht in Übereinstimmung mit der deutschen Rechtslage sowie Art. 28 Abs. 2 UMG für eine Bestimmung des anwendbaren Rechts im Wege einer kollisionsrechtlichen Prüfung durch das Schiedsgericht ausspricht, halten das französische und österreichische Recht eine solche Prüfung nicht für erforderlich, sondern lassen eine unmittelbare Bestimmung des zur Anwendung kommenden Sachrechts zu. Bemerkenswert ist zudem, dass die deutsche und österreichische Rechtslage voneinander abweichen, obwohl beide Gesetzgeber sich für eine Übernahme des UNCITRALModellgesetzes ausgesprochen hatten und als „Model Law Countries“ gelten. Und obwohl das englische und deutsche Schiedsverfahrensrecht sich im Ausgangspunkt gleichen und eine kollisionsrechtliche Prüfung durch das Schiedsgericht anordnen, unterscheiden sie sich wiederum in der konkreten Ausgestaltung des Prüfungsauftrags an das Schiedsgericht, indem Sec. 46(1)(b) Arbitration Act 1996 auf das vom Schiedsgericht für angemessen erachtete Kollisionsrecht verweist, während § 1051 Abs. 2 ZPO an das Recht der „engsten Verbindung“ anknüpft. 144 Noch zum alten, jedoch inhaltsgleichen Recht siehe Schroeder/Oppermann, ZVglRWiss 99 (2000) 410, 425; Hausmanninger, in: Fasching/Konecny ZPO5/2, § 603 ZPO, Rn. 28; Dasser, Internationale Schiedsgerichte und lex mercatoria, S. 313; bezeichnet Frankreich als „Paradies der lex mercatoria“; mehr zu Ursprung und Bedeutung der lex mercatoria in der internationalen Schiedsgerichtsbarkeit in Kapitel 3 – § 5.II.1.a)aa). 145 Das Schiedsgericht hat vielmehr den Streit nach jenen Rechtsregeln zu entscheiden, „qu’il estime appropriées“, dazu Gaillard, in: Weigand, Practitioner’s Handbook on International Commercial Arbitration, Rn. 6.152; Cadiet, Code de Procédure Civile, Art. 1496; Després/Dargent, Code de Procédure Civile, Art. 1496; Cour d’appel de Paris (1re Ch) 13.7.1989, Rev.crit.DIP 1990, 305.
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Es hat sich zudem gezeigt, dass die kollisionsrechtlichen Bestimmungen der untersuchten Schiedsverfahrensrechte allesamt nur eine einzelne Norm mit eher rudimentärem Charakter aufweisen: Eine Differenzierung nach verschiedenen Statuten findet nicht statt. So bleibt unklar, ob neben dem Vertragsstatut auch außervertragliche Schuldverhältnisse unter die Bestimmungen fallen und ob etwa auch das Form- und Personalstatut von den Kollisionsnormen erfasst sein soll. Würde man dies mangels entgegenstehenden Wortlauts annehmen, wäre beispielsweise eine Rechtswahl in gleicher Weise im Vertrags- wie auch im Sachenoder dem Deliktsrecht zugelassen. Auch Teilfragen wie die Bestimmung des Geschäftsfähigkeits- oder Formstatuts werden nicht gesondert adressiert, sodass offen bleibt, ob auch hierfür eine Rechtswahl der Parteien maßgeblich sein soll oder auf ein zugrunde liegendes Geschäftsfähigkeits-, Formstatut etc. zurückzugreifen ist. Unabhängig davon lässt sich in allen untersuchten Rechtsordnungen der gesetzgeberische Wille zur Rückbindung von Schiedsgerichten an kollisionsrechtliche Vorgaben erkennen. Hierin wiederum ließe ein Ausdruck der eingangs skizzierten, generellen Tendenz zur Verrechtlichung von Schiedsverfahren erkennen, die maßgeblich durch die Ausarbeitung des UMG vorangetrieben wurde. III. Europäisches Kollisionsrecht für Schuldverträge Die Rom I-Verordnung 1. Der Vertrag von Amsterdam vom 10. Mai 1999146 – Grundlage für die Schaffung eines europäischen Kollisionsrechts Unionsrechtlich wurde die Kompetenz zur Schaffung eines einheitlichen europäischen Kollisionsrechts erstmals im Vertrag von Amsterdam verankert. Die Europäische Gemeinschaft erlangte die Binnenkompetenz für das Internationale Privatrecht.147 In Art. 61 lit. c EGV (jetzt Art. 67 AEUV) – auf den sich die Verordnung ausdrücklich stützt – ist das Ziel der Schaffung eines „Raums der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts“ formuliert. Die Kompetenzgrundlage zur Vereinheitlichung der Kollisionsnormen folgt aus Art. 65 lit. b EGV (jetzt Art. 81 Abs. 2 lit. c AEUV). Zwar ist in Art. 65 lit. b EGV ausdrücklich nur 146
ABl. EG 1997 Nr. C 340. Zu den Auswirkungen, die dies auf die Außenkompetenz der Europäischen Gemeinschaft, geltenden Staatsverträgen auf dem Gebiet des Internationalen Privatrechts (vor allem der Haager Konventionen) beitreten zu können, hatte, siehe Kreuzer, FS Kropholler, S. 129, 133 ff. Zur Überwindung des Dilemmas vertragsparteifähiger, aber nicht abschlusskompetenter Mitgliedstaaten einerseits und der zwar abschlusskompetenten, aber nicht vertragsfähigen EG andererseits, ist eine schrittweise Entwicklung vom Konstrukt der Unterzeichnung/ Ratifikation eines Übereinkommens durch die Mitgliedstaaten „im Interesse der Gemeinschaft“ hin zu einer Öffnung internationaler Übereinkommen für „Organisationen der regionalen Wirtschaftsintegration“ zu verzeichnen gewesen. Als eigene Rechtsperson hat die Europäische Union seit dem Vertrag von Lissabon nun ausdrücklich die Kompetenz zum Abschluss internationaler Übereinkünfte, Kaufmann-Bühler, in: Grabitz/Hilf/Nettesheim, Das Recht der Europäischen Union, Art. 37 EUV, Rn. 5 ff. 147
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von der „Förderung der Vereinbarkeit der in den Mitgliedstaaten geltenden Kollisionsnormen und Vorschriften zur Vermeidung von Kompetenzkonflikten“ die Rede. Jedoch wurde dies unter Berücksichtigung der Gesetzgebungshistorie sowie des Verständnisses des Ministerrats in Verbindung mit der Aufnahme der Beratungen über die kollisionsrechtliche Behandlung außervertraglicher Schuldverhältnisse als Ermächtigung zur Vereinheitlichung des geltenden Kollisionsrechts verstanden.148 2. Die europäische Verordnung über das auf vertragliche Schuldverhältnisse anzuwendende Recht vom 17. Juni 2008 (Rom I-VO)149 Mit Inkrafttreten der Rom I-VO wurde das europäische Internationale Privatrecht nicht lediglich quantitativ um einen weiteren Rechtsakt erweitert, sondern auch qualitativ, indem das bis dato auf Basis staatsvertraglicher Übereinkommen geltende europäische Internationale Vertragsrecht in den Stand einer unmittelbar geltenden Verordnung erhoben wurde. Brödermann spricht in diesem Zusammenhang etwa von einer „neue[n] Qualität des unionsrechtlichen IPR“, die einen „Paradigmenwechsel im Internationalen Privatrecht“ bedeutete.150 a) Ausgangssituation und Entstehungsprozess aa) Reformbedürftigkeit des EVÜ – Wiener Aktionsplan und Haager Programm Ausgangspunkt der Entstehung der Rom I-VO war die Erkenntnis von der Reformbedürftigkeit des bis dahin geltenden europäischen Kollisionsrechts für vertragliche Schuldverhältnisse. Am Beginn der Reformüberlegungen stand im Jahre 1998 der Wiener Aktionsplan des Europäischen Rates und der Kommission.151 Hierin wird die Einleitung einer Revision einzelner Bestimmungen des EVÜ unter Berücksichtigung der kollisionsrechtlichen Bestimmungen in anderen Gemeinschaftsübereinkünften binnen der folgenden zwei Jahre anvisiert. Auf der Tagung vom 15./16. Oktober 1999 in Tampere unterstützte der Europäische Rat den Grundsatz der gegenseitigen Anerkennung von Urteilen und anderen Entscheidungen von Justizbehörden als Eckstein der justiziellen Zusammenarbeit in Zivilsachen und forderte Rat und Kommission dazu auf, ein Maßnahmenprogramm zur Umsetzung dieses Grundsatzes anzunehmen. Der Rat verabschiedete daraufhin am 30. November 2000 ein gemeinsames Maßnahmenprogramm der Kommission und des Rates zur Umsetzung des Grundsatzes der gegenseitigen Anerkennung gerichtlicher Entscheidungen in Zivil- und Handels148
Sonnenberger, ZVglRWiss 100 (2001) 107, 117. Verordnung (EG) Nr. 593/2008 des Europäischen Parlaments und des Rates über das auf vertragliche Schuldverhältnisse anzuwendende Recht („Rom I“) vom 17. Juni 2008 (ABl. EU 2008 Nr. L 177, S. 6). 150 Brödermann, NJW 2010, 807, 813. 151 ABl. EG 1999 Nr. C 19, S. 1 ff. 149
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sachen.152 Dem lag das Verständnis zugrunde, dass Maßnahmen zur Harmonisierung der Kollisionsnormen dazu beitragen, die gegenseitige Anerkennung gerichtlicher Entscheidungen zu vereinfachen. Ein einheitliches Anknüpfungssystem mindere insbesondere den Anreiz zum sog. „forum shopping“ innerhalb der Europäischen Union. Eine Vereinheitlichung der Kollisionsnormen führe schließlich zu einer Förderung des angestrebten innergemeinschaftlichen Entscheidungseinklangs und schaffe Rechtssicherheit für die Parteien. In dem am 5. November 2004 vom Europäischen Rat angenommenen Haager Programm153 – auf das sich Erwägungsgrund 5 der Rom I-VO ausdrücklich bezieht – wurde dazu aufgerufen, die Beratungen über die Regelungen der Kollisionsnormen für vertragliche Schuldverhältnisse energisch voranzutreiben. bb) Grünbuch der Kommission vom 14. Januar 2003 Die bei der Reform zu lösenden Fragen skizzierte ein Grünbuch der Kommission der Europäischen Gemeinschaften von Januar 2003.154 Dieses identifizierte in einem umfangreichen Fragenkatalog die wesentlichen Problemfelder einer Reform bzw. Neuordnung des europäischen IPR und forderte die Öffentlichkeit dazu auf, eigene Vorschläge zu deren Lösung zu unterbreiten. Das Grünbuch selbst enthielt zunächst eine Analyse der Schwächen des bisherigen EVÜ und warf in einem Katalog einzelne Fragen, unter anderem diejenige nach der Rechtsnatur eines zukünftigen europäischen Kollisionsrechts, auf (Frage 2). Im Raum stand dabei einerseits die Modernisierung des EVÜ als staatsvertragliches Übereinkommen, andererseits die „Überführung“ des EVÜ in einen Gemeinschaftsrechtsakt, wobei dies in Form einer Richtlinie oder – wie von der Kommission im Grünbuch favorisiert – in Form einer Verordnung geschehen könne.155 Darüber hinaus enthielt das Grünbuch mit Blick auf die Art. 3, 4 EVÜ zur Bestimmung des anwendbaren Sachrechts konkrete Fragen im Hinblick auf die Wählbarkeit nicht-staatlichen Rechts (Frage 8) sowie zur Präzision der in Art. 4 EVÜ enthaltenen Regeln zur objektiven Anknüpfung (Frage 10). Die skizzierten Fragen führten zu etwa 80 Stellungnahmen von staatlicher Seite, Lehre, Wissenschaft und Wirtschaft.156 Eine breite Mehrheit sprach sich
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ABl. EG 2001 Nr. C 12, S. 1 ff. ABl. EU 2005 Nr. C 53, S. 1 ff. 154 Grünbuch über die Umwandlung des Übereinkommens von Rom aus dem Jahr 1980 über das auf vertragliche Schuldverhältnisse anzuwendende Recht in ein Gemeinschaftsinstrument sowie über seine Aktualisierung vom 14.1.2003, KOM(2002) 654 endg. 155 Ehle betrachtete bereits die Frage nach der geeigneten Rechtsnatur als rhetorisch, da sie zwar in der Überschrift auftauche, die Kommission sich allerdings durch die umgehende Darstellung der Nachteile einer Umsetzung in Form einer Richtlinie bereits auf die Rechtsnatur als Verordnung festgelegt habe, Ehle, GPR 2003-04, 49, 50. 156 Siehe nur die umfassende Stellungnahme des Max-Planck-Instituts für ausländisches und internationales Privatrecht, RabelsZ 68 (2004) 1 ff. 153
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darin für die Umwandlung des EVÜ in eine europäische Verordnung aus. Auch der Europäische Wirtschafts- und Sozialausschuss sowie das Europäische Parlament schlossen sich in ihren Stellungnahmen dieser Meinung an.157 cc) Entwurf der Kommission vom 15. Dezember 2005158 Ende 2005 legte die Kommission einen Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates über das auf vertragliche Schuldverhältnisse anzuwendende Recht vor. Der Vorschlag folgte zwar in den Grundentscheidungen dem EVÜ, entfernte sich jedoch in vielen Punkten in nicht unerheblicher Weise von diesem. Zur Bestimmung des materiellen Sachrechts mittels Rechtswahl sollte es im Gegensatz zum EVÜ nach Art. 3 Abs. 2 des Entwurfs der Kommission zukünftig möglich sein, „auf internationaler oder Gemeinschaftsebene anerkannte Grundsätze und Regeln des materiellen Vertragsrechts wählen“ zu können.159 Dabei wurde die Formulierung so gewählt, dass etwa die Wahl von UNIDROITGrundsätzen und der Principles of European Contract Law zulässig, die Wahl der lex mercatoria jedoch mangels Bestimmbarkeit des genauen Inhalts ausgeschlossen sein sollte. Das Prinzip der Rechtswahlfreiheit sollte in seinem bisherigen Umfang somit nicht nur unangetastet bleiben, sondern erweitert werden.160 Anders als ursprünglich vorgesehen enthielt der Entwurf der Kommission zahlreiche Änderungen in Bezug auf die objektive Anknüpfung von Verträgen. Im Vergleich zu Art. 4 Abs. 1 EVÜ wurde in Art. 4 des Entwurfs auf eine Anknüpfung an das Recht des Staates mit der engsten Verbindung verzichtet. Stattdessen enthielt Art. 4 Abs. 1 des Entwurfs einen Katalog von Anknüpfungsmomenten, die sich nach dem Vertragstyp richteten und im Ergebnis Ausformungen des Prinzips der Anknüpfung an die vertragscharakteristische Leistung waren. Ausdrücklich tauchte dieses Prinzip als Auffangregelung für die in Abs. 1 nicht enthaltenen Vertragstypen in Art. 4 Abs. 2 des Entwurfs auf. Im Vergleich zum EVÜ wollte die Kommission in ihrem Entwurf darüber hinaus auf eine Ausweichklausel wie in Art. 4 Abs. 5 S. 2 EVÜ verzichten, die es im Einzelfall ermöglichte, von den genannten Vermutungsregeln für einzelne Vertragstypen zugunsten des Rechts eines Staates mit einer engeren Verbindung zum Vertragsverhältnis abzuweichen. Während erstgenannte Änderungen im Vergleich 157 Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses vom 29.1.2004, INT/176; Entschließung des Europäischen Parlaments zu den Aussichten auf eine Angleichung des Zivilprozessrechts in der Europäischen Union, KOM(2002) 654. 158 Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates über das auf vertragliche Schuldverhältnis anzuwendende Recht (Rom I) vom 15.12.2005, KOM (2005) 650 endg. 159 Siehe hierzu auch Leible, in: Ein neues Internationales Vertragsrecht für Europa, S. 41, 47. 160 Leible, in: Ein neues Internationales Vertragsrecht für Europa, S. 41, 42.
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zum EVÜ und in Übereinstimmung mit dem Ansinnen der Kommission eher kosmetischer Natur waren, stellte die Abschaffung der Ausweichklausel in Art. 4 Abs. 5 EVÜ aus Sicht vieler Autoren einen tiefgreifenden Einschnitt dar. Die genannten Vorschläge der Kommission stießen denn auch teils auf erhebliche Kritik seitens des Europäischen Parlaments sowie der Öffentlichkeit.161 Hinsichtlich der in Art. 4 des Entwurfs enthaltenen Bestimmungen zur objektiven Anknüpfung von Verträgen wurde neben der Abschaffung der Generalklausel der engsten Verbindung insbesondere die durch die Kommission vorgeschlagene Streichung der Ausweichklausel scharf kritisiert. Mankowski sprach in diesem Zusammenhang etwa von einer „Extremlösung“, welche die „Einzelfallgerechtigkeit im kollisionsrechtlichen Wertekanon hintan stelle.“162 Ferrari kritisierte die durch die Kommission vorgeschlagene Rigidität des Anknüpfungssystems, die der Einzelfallgerechtigkeit den Stellenwert abspreche und der Fülle möglicher vertraglicher Regelungen nicht gerecht werde.163 Auch die vorgesehene Möglichkeit der Wahl nicht-staatlichen Rechts war aufgrund der damit verbundenen vermeintlichen Unklarheiten über den Kreis der wählbaren Regelwerke, deren inhaltliche Unbestimmtheit und der damit verbundenen Rechtsunsicherheit Gegenstand von Kritik.164 In den anschließenden Verhandlungen des Rats über die endgültige Fassung der Verordnung wurde die in den Stellungnahmen geäußerte Kritik berücksichtigt und in die endgültige Fassung eingearbeitet.165 Schließlich wurde die Verordnung in erster Lesung vom Europäischen Parlament angenommen166 und eine legislative Entschließung verabschiedet.167 Die 161
Bericht des Rechtsausschusses über den Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates über das auf vertragliche Schuldverhältnisse anzuwendende Recht (Rom I), KOM(2005) 650 endg. vom 21.11.2007 (A6-0450/2007), Berichterstatter C. Dumitrescu; siehe auch hier die Stellungnahme des Max-Planck-Instituts für ausländisches und internationales Privatrecht, RabelsZ 71 (2007) 225 ff.; im Einzelnen zur Rechtswahlfreiheit Leible, in: Ein neues Internationales Vertragsrecht für Europa, S. 41 ff.; zur Frage der objektiven Anknüpfung siehe Ferrari, in: Ein neues Internationales Vertragsrecht für Europa, S. 57 ff. 162 Mankowski, IPRax 2006, 101, 105. 163 Max-Planck-Institut für ausländisches und internationales Privatrecht, RabelsZ 71 (2007) 225 ff.; siehe auch Ferrari, in: Ein neues Internationales Vertragsrecht für Europa, S. 57, 85 f. 164 Magnus/Mankowski, ZVglRWiss 103 (2004) 131, 150; Wagner, IPRax 2008, 377, 380; zusammenfassend v. Hein, in: Rauscher, EuZPR/EuIPR, Art. 3 Rom I-VO, Rn. 52 f. 165 v. Hein, in: Rauscher, EuZPR/EuIPR, Einl Rom I-VO, Rn. 18. 166 Standpunkt des Europäischen Parlaments vom 29.11.2007 im Hinblick auf den Erlass der Verordnung (EG) Nr. 593/2008 des Europäischen Parlaments und des Rates über das auf vertragliche Schuldverhältnisse anzuwendende Recht (Rom I) – Erste Lesung (15832/07). 167 Legislative Entschließung des Europäischen Parlaments vom 29.11.2007 zu dem Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates über das auf vertragliche Schuldverhältnisse anzuwendende Recht (Rom I), KOM(2005)0650 – C6-0041/2005.
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Rom I-VO wurde am 17. Juni 2008 in Straßburg unterzeichnet und am 4. Juli 2008 im Amtsblatt der Europäischen Union veröffentlicht. Sie trat am 24. Juli 2008 in Kraft168 und gilt nach Art. 29 Rom I-VO für Schuldverträge, die nach dem 17. Dezember 2009 geschlossen wurden. Da ihr sachlicher Anwendungsbereich umfassend ist und nationales schuldvertragliches IPR verdrängt, hat der deutsche Gesetzgeber Art. 27–37 EGBGB mit Gesetz vom 25. Juni 2009169 aufgehoben. b) Verhältnis zu sonstigen internationalen Übereinkommen – Art. 25 Rom I-VO Das Verhältnis zu bestehenden internationalen Übereinkommen, die von den Mitgliedstaaten vor Inkrafttreten der Verordnung abgeschlossen wurden, regelt die Rom I-VO in Art. 25 Rom I-VO. Staatsverträge, die konkurrierende Kollisionsregeln enthalten, gehen der Verordnung vor, soweit Drittstaaten beteiligt sind. Die Verordnung berührt damit bestehendes Völkerrecht nicht.170 In Bezug auf die skizzierten internationalen Übereinkommen zur Schiedsgerichtsbarkeit bedeutet dies, dass die völkerrechtlichen Instrumente des UNÜ sowie der EuÜ durch die Rom I-VO grundsätzlich unangetastet bleiben. Zwar enthält das UNÜ keine Kollisionsnormen für das vom Schiedsgericht in der Hauptsache anwendbare materielle Recht. Der Kollisionsnorm des Art. VII EuÜ kommt allerdings weiterhin Relevanz zu, da sie von der Rom I-VO ausweislich Art. 25 Abs. 1 Rom I-VO nicht verdrängt wird.171 Art. VII EuÜ enthält damit eine Kollisionsnorm für das in der Hauptsache anzuwendende Recht, welche der Rom I-VO nach Art. 25 Rom I-VO vorgeht. Hierbei sind jedoch zwei Überlegungen von Bedeutung: Mit Blick auf die Rechtswahlfreiheit der Parteien besteht zwischen dem EuÜ und der Rom I-VO kein Konflikt. Zunächst ist weitgehend anerkannt, dass sich die Rechtswahl nach dem EuÜ lediglich auf das Vertragsstatut bezieht und darüber hinaus keinen Einfluss auf das IPR der Vertragsstaaten nehmen wolle.172 Sowohl die Rom I-VO, als auch das EuÜ gewähren jedoch im Grundsatz übereinstimmend Rechtswahlfreiheit. Dass das EuÜ darüber hinaus anders als die Rom I-VO keinerlei Begrenzung der Rechtswahlfreiheit vorsieht, kann nicht dahingehend verstanden werden, dass die Rechtswahl schrankenlos gewährt 168 Verordnung (EG) Nr. 593/2008 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 17.6.2008 über das auf vertragliche Schuldverhältnisse anzuwendende Recht (Rom I), ABl. EU 2008 Nr. L 177 S. 6. 169 Gesetz zur Anpassung der Vorschriften des Internationalen Privatrechts an die Verordnung (EG) Nr. 593/2008, BGBl. 2009 I, 1574. 170 Brödermann, NJW 2010, 807, 810; Magnus, IPRax 2010, 27, 32. 171 Noch zum EVÜ siehe Moller, NZG 2000, 57, 68 f. 172 Schwab/Walter, Schiedsgerichtsbarkeit, Kapitle 55, Rn. 1; Adolphsen, in: MünchKommZPO3, Art. VII EuÜ, Rn. 5; v. Hoffmann, Internationale Handelsschiedsgerichtsbarkeit, S. 128.
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ist. 173 So sind Fragen der Geschäfts- und Rechtsfähigkeit gemäß Art. VII Abs. 2 S. 1 EuÜ ausdrücklich der Parteiautonomie entzogen und dem Personalstatut unterworfen.174 Sonderanknüpfungen in den Vertragsstaaten sollten also ausdrücklich Beachtung finden. Mit Blick auf die objektive Anknüpfung von Verträgen nach dem EuÜ ist darüber hinaus Folgendes anzumerken: Art. VII Abs. 1 S. 2 EuÜ verweist das Schiedsgericht im Rahmen der objektiven Anknüpfung auf nationales Kollisionsrechts, indem es eine kollisionsrechtliche Prüfung nach den vom Schiedsgericht „für richtig erachteten“ Kollisionsnormen vorschreibt. Eine unmittelbare Anwendung des auf die Hauptsache anwendbaren Rechts scheidet damit aus. Aber auch im Rahmen der Bestimmung des anzuwendenden Kollisionsrechts ist das Schiedsgericht nach überwiegender Ansicht nicht gänzlich frei.175 Um willkürliche Entscheidungen des Schiedsgerichts zu verhindern, habe es im Rahmen der Ermittlung des Kollisionsrechts von den „beteiligten“ Rechtsordnungen auszugehen. Haben diese den gleichen Inhalt, sei das anwendbare Sachrecht nach ihnen zu bestimmen. Bei Divergenzen könne das Schiedsgericht unter den bestehenden Kollisionsnormen die geeignetste auswählen. Handelte es sich nun um eine Streitigkeit, die zwischen zwei Parteien aus der EU ausgetragen wird, die darüber hinaus Vertragsstaaten des EuÜ sind, hätte das Schiedsgericht auf das zugrunde liegende nationale Internationale Vertragsrecht dieser Staaten zu rekurrieren. Seit dem 17. Dezember 2009 ist für diese die Rom I-VO in Kraft, die nationalem Kollisionsrecht vorgeht. Ginge man also von einer Geltung der Rom I-VO im Schiedsverfahren sowie einem parallelen Anwendungsbereich von EuÜ und Rom I-VO aus, müsste das Schiedsgericht im Ergebnis zur Ermittlung des Vertragsstatuts in diesen Fällen letztlich auf die Rom I-VO zurückgreifen. Nähme man bei gleichlaufendem Anwendungsbereich andernfalls an, dass die Rom I-VO durch das EuÜ verdrängt werde, bliebe in der Konsequenz kein nationales Recht, auf das das EuÜ verweisen könnte. Die Verweisung des EuÜ liefe ins Leere.176 Das EuÜ und die Rom I-VO sind somit nicht ausschließend zu verstehen, sondern komplementär heranzuziehen.177
173
So unter anderem Schwab/Walter, Schiedsgerichtsbarkeit, Kapitel 55, Rn. 1; Adolphsen, in: MünchKommZPO3, Art. VII EuÜ, Rn. 5. 174 Adolphsen, in: MünchKommZPO3, Art. VII EuÜ, Rn. 5. 175 Schwab/Walter, Schiedsgerichtsbarkeit, Kapitel 55, Rn. 1; Adolphsen, in: MünchKommZPO3, Art. VII EuÜ, Rn. 7; v. Hoffmann, Internationale Handelsschiedsgerichtsbarkeit, S. 130. 176 Mankowski, RIW 2011, 30, 33. 177 McGuire, SchiedsVZ 2011, 257, 263.
Kapitel 2
Das Verhältnis des europäischen Kollisionsrechts für Schuldverträge zur internationalen Schiedsgerichtsbarkeit am Beispiel des deutschen Schiedsverfahrensrechts Kapitel 2 – Das Verhältnis des EU-Kollisionsrechts zur Schiedsgerichtsbarkeit
Nach den Ausführungen des vorangegangenen Kapitels ist festzuhalten, dass Schiedsgerichte gemäß dem in den Rechtsordnung der Mitgliedstaaten der EU weithin anerkannten Territorialitätsprinzip am Sitz des Schiedsgerichts verankert und somit an das dort geltende staatliche Schiedsverfahrensrecht gebunden sind. Die Frage, ob die Schiedsgerichtsbarkeit in das System europäischer Kollisionsrechtsvereinheitlichung eingebunden ist, wird lebhaft diskutiert und hat mit Inkrafttreten der Rom I-VO eine neue Dynamik erfahren. Anhand des Beispiels der Bestimmung des Vertragsstatuts durch Schiedsgerichte soll im Folgenden – ausgehend vom deutschen Schiedsverfahrensrecht – untersucht werden, inwieweit eine Neubewertung des unter dem EVÜ vorherrschenden Verständnisses erforderlich ist. Sinnvoll erscheint hierzu zunächst ein Blick auf die Rechtslage unter Geltung des EVÜ. In einem ersten Schritt soll vor dem Hintergrund des deutschen Schiedsverfahrensrechts das Verhältnis der schiedsverfahrensrechtlichen Kollisionsnorm des § 1051 ZPO zum EVÜ beleuchtet werden (§ 3). Anschließend wird eine eingehende Untersuchung dieses Verhältnisses auf Grundlage der Geltung der Rom I-VO erfolgen. (§ 4).
§ 3 Historische Einordnung – Die Rechtslage unter Geltung des EVÜ § 3 Historische Einordnung – Die Rechtslage unter Geltung des EVÜ
Bis zum Inkrafttreten der Rom I-VO im Jahre 2009 konzentrierte sich für deutsche Schiedsgerichte die Frage nach dem maßgeblichen Kollisionsrecht zur Bestimmung des anwendbaren Sachrechts auf eine Klärung des Verhältnisses zwischen nationalem Recht und den durch die Bundesrepublik Deutschland eingegangenen völkerrechtlichen Verpflichtungen in Form des EVÜ178. So hatte 178 Europäisches Übereinkommen über das auf vertragliche Schuldverhältnisse anzuwendende Recht vom 19. Juni 1980, BGBl. 1998 III, S. 166.
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Kapitel 2 – Das Verhältnis des EU-Kollisionsrechts zur Schiedsgerichtsbarkeit
der Reformgesetzgeber im Jahre 1998 ein neues Schiedsverfahrensrecht verabschiedet, welches in § 1051 ZPO bekanntermaßen eine kollisionsrechtliche Norm zur Bestimmung des Sachrechts vorsah. Zugleich hatte die Bundesrepublik Deutschland (unter Vorbehalten) das EVÜ unterzeichnet und war somit zu dessen innerstaatlicher Umsetzung verpflichtet. Wie dargelegt, versuchte sich der deutsche Gesetzgeber bei der Ausarbeitung des § 1051 ZPO des reformierten Schiedsverfahrensrechts in einem ambitionierten gesetzgeberischen Spagat: Zwar fühlte er sich frei, die Empfehlungen des UNCITRAL-Modellgesetzes in sein nationales Recht zu übernehmen, zugleich ging er aber von einer Bindung an die kollisionsrechtlichen Vorschriften des EVÜ aus. Um das Verhältnis von § 1051 ZPO zum europäischen Kollisionsrecht zu bestimmen, ist zunächst der Anwendungsbereich von § 1051 ZPO in den Blick zu nehmen (I.). Im Anschluss wird beleuchtet, inwieweit der Gesetzgeber bei der Ausarbeitung des reformierten Schiedsverfahrensrechts – konkret im Hinblick auf § 1051 ZPO – völkerrechtlich an das EVÜ gebunden war (II.). I. Der staatsvertragliche Charakter des EVÜ und dessen Inkorporation in das deutsche IPR Die Entstehung des EVÜ gründet auf einer an die Europäische Kommission gerichteten Initiative der Benelux-Staaten vom 8. September 1967, welche eine Vereinheitlichung der nationalen Rechtssysteme des Internationalen Privatrechts und eine Kodifizierung der Kollisionsnormen anregten.179 Bereits zu dieser Zeit war auch die Vereinheitlichung des materiellen Rechts überlegt worden, man beschränkte sich allerdings im Ergebnis auf den Versuch einer Vereinheitlichung des Kollisionsrechts.180 Der Vorschlag war von dem Motiv geprägt, die bisherigen Nachteile insbesondere auf dem Gebiet des Privatrechts zu beseitigen, die sich aus der Unterschiedlichkeit der diesbezüglichen Kollisionsnormen in den Mitgliedstaaten ergaben. Die Kommission griff den Vorschlag auf und unterzog ihn einer Prüfung. Diese sollte einen Überblick über den damaligen Stand des Rechts im Bereich des Internationalen Privatrechts geben, auf dessen Grundlage entschieden werden sollte, ob und in welchem Maße eine Vereinheitlichung oder Harmonisierung des Kollisionsrechts innerhalb der Gemeinschaft angezeigt sei. Gegenstand der Untersuchung bildete ursprünglich nicht allein das Vertragsrecht, sondern auch das Internationale Sachenrecht, das Recht der außervertraglichen Schuldverhältnisse sowie allgemeine Fragen der Rechts-, Geschäfts- und Handlungsfähigkeit.181 Mit Ausnahme der deutschen Delegation, welche Bedenken hinsichtlich der Zweckmäßigkeit des Vorhabens äußerte, erachteten alle Delegationen der damaligen Mitgliedstaaten eine Harmonisierung grundsätzlich für 179 180 181
Giuliano/Lagarde, ABl. EG 1980 Nr. C 282, S. 4. Giuliano/Lagarde, ABl. EG 1980 Nr. C 282, S. 4. Zu den einzelnen Materien siehe Giuliano/Lagarde, ABl. EG 1980 Nr. C 282, S. 5.
§ 3 Historische Einordnung – Die Rechtslage unter Geltung des EVÜ
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sinnvoll, sodass auf Grundlage von Art. 220 des EWG-Vertrages eine Arbeitsgruppe eingesetzt und mit den Arbeiten zur Harmonisierung der Vorschriften des Internationalen Privatrechts begonnen wurde. Als Berichterstatter über den Fortgang der Vorarbeiten zur Harmonisierung des Internationalen Vertragsrechts wurden Mario Giuliano und Paul Lagarde betraut, deren Bericht für die Auslegung des EVÜ sowie der darauf beruhenden Rom I-VO eine wichtige Rolle zukommt.182 Nachdem sich die Arbeiten aufgrund des zwischenzeitlichen Beitritts neuer Mitgliedstaaten beträchtlich verzögerten, fasste man im März 1978 den Beschluss, die Vorarbeiten für ein Übereinkommen ausschließlich auf vertragliche Schuldverhältnisse zu beschränken und sich erst im Anschluss daran der Ausarbeitung eines zweiten Übereinkommens für den Bereich der außervertraglichen Schuldverhältnisse zu widmen.183 Die Ergebnisse der Arbeitsgruppe wurden wiederum den Regierungen der Mitgliedstaaten vorgestellt und einer weiteren Überprüfung unterzogen, bevor das Übereinkommen am 19. Juni 1980 zur Unterzeichnung aufgelegt und noch am selben Tag von Belgien, der Bundesrepublik Deutschland, Frankreich, Italien, Luxemburg und den Niederlanden unterzeichnet wurde. Für die Bundesrepublik Deutschland trat das EVÜ am 1. April 1991 in Kraft.184 Das EVÜ war nach seiner Rechtsnatur ein völkerrechtlicher multilateraler Staatsvertrag, der von den Mitgliedstaaten als selbständige Völkerrechtssubjekte geschlossen wurde.185 Das EVÜ bildete damit eine eigenständige Konvention, die weder primäres noch sekundäres Gemeinschaftsrecht darstellte.186 Eine unmittelbare Geltung des EVÜ im nationalen Recht existierte bis zu seiner Ablösung durch die Rom I-VO daher nicht. Vielmehr war es nach den Grundsätzen des Völkerrechts Aufgabe des jeweiligen Staates, die Bestimmungen des völkerrechtlichen Übereinkommens in das nationale Recht zu inkorporieren. In Deutschland richtet sich die innerstaatliche Wirksamkeit völkerrechtlicher Verträge nach Art. 59 Abs. 2 S. 1 GG. Ihnen kommt in der Normenhierarchie der Rang einfachen Bundesrechts zu. Die Übernahme des EVÜ in das deutsche Recht erfolgte durch das Gesetz zur Neuregelung des internationalen Privatrechts vom 25. Juli 1986187, welches zugleich die erste Kodifizierung des bis dato richterrechtlichen Gewohnheitsrechts zum deutschen Internationalen Vertragsrechts darstellte. Das Gesetz 182
Siehe unter Kapitel 2 – § 3.II.2. Giuliano/Lagarde, ABl. EG 1980 Nr. C 282, S. 7. 184 Bekanntmachung über das Inkrafttreten des Übereinkommens über das auf vertragliche Schuldverhältnisse anzuwendende Recht, BGBl. 1991 II, S. 871. 185 Martiny, in: MünchKommBGB10, Vorbem. zu Art. 1 Rom I-VO, Rn. 31; v. Hoffmann/Thorn, Internationales Privatrecht, § 1 Rn. 63 f. 186 Zum Bezeichnung des EVÜ als „tertiäres Gemeinschaftsrecht“ siehe Magnus, in: Staudinger (2002) BGB, Vorbem. zu Art. 27–37 EGBGB, Rn. 7. 187 Gesetz zur Neuregelung des Internationalen Privatrechts vom 25. Juli 1986, BGBl. 1986 II, S. 1142. 183
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Kapitel 2 – Das Verhältnis des EU-Kollisionsrechts zur Schiedsgerichtsbarkeit
inkorporierte die Bestimmungen des Übereinkommens in den Art. 27–37 EGBGB a.F. Zeitgleich mit der Verabschiedung des Gesetzes vom 25. Juli 1986 stimmte die Bundesrepublik Deutschland dem EVÜ durch Zustimmungsgesetz gemäß Art. 59 Abs. 2 GG zu.188 Diese Zustimmung erfolgte allerdings unter mehreren Vorbehalten, welche den Wirkungsgrad des Übereinkommens erheblich schmälerten: So legte Art. 1 Abs. 2 des Vertragsgesetzes fest, dass den Bestimmungen des Übereinkommens innerstaatlich keine Gesetzeskraft zukommt.189 Trotz ihrer Ratifikation galten die Vorschriften des EVÜ daher in Deutschland weder unmittelbar, noch unterfielen sie dem in Art. 3 Abs. 2 S. 1 EGBGB angeordneten internen Vorrang völkerrechtlicher Vereinbarungen.190 Diese Umsetzungstechnik ist insbesondere im Hinblick auf die angestrebte internationale Einheitlichkeit der Anwendung des Übereinkommens kritisiert worden.191 Anstoß der Kritik bildete dabei zum einen die Befürchtung, der Vorrang des EVÜ als völkervertragliches Übereinkommen solle umgangen werden. Zum anderen fürchtete man um die einheitliche Auslegung des EVÜ, da für den Gesetzesanwender die völkerrechtliche Herkunft aus dem EVÜ bei Anwendung der Umsetzungsvorschriften des EGBGB a.F. nicht erkennbar sei. Der Gesetzgeber versuchte der Kritik mit Art. 36 EGBGB a.F. zu entgegnen, indem er eine einheitliche Auslegung und Anwendung der Vorschriften des Internationalen Vertragsrechts unter Berücksichtigung des internationalen Charakters des EVÜ vorschrieb. Auf die völkervertragsrechtlichen Implikationen dieser in vielen Fällen nur modifizierten oder ganz unterbliebenen Umsetzung des EVÜ ins deutsche IPR sowie die Unklarheiten, die sich hieraus für die Auslegung des § 1051 ZPO und dessen Verhältnis zum EVÜ ergaben, wird sogleich eingegangen.192 So hatte der Gesetzgeber auch die im Anwendungsbereich des EVÜ in Art. 1 Abs. 2 lit. d) EVÜ enthaltene Bereichsausnahme für „Schieds- und Gerichtsstandsvereinbarungen“ nicht in die entsprechende Bestimmung des Art. 37 EGBGB a.F. übernommen.
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Gesetz zu dem Übereinkommen vom 19. Juni 1980 über das auf vertragliche Schuldverhältnisse anzuwendenden Rechts vom 25.7.1986, BGBl. 1986 II, S. 809 ff. 189 Der Wortlaut von Art. 1 Abs. 2 lautete: „Die Zustimmung erfolgt mit der Maßgabe, daß die in Art. 1 bis 21 des Übereinkommens enthaltenen Vorschriften innerstaatlich keine unmittelbare Anwendung finden.“ 190 v. Hein, in: Rauscher, EuZPR/EuIPR, Einl Rom I-VO, Rn. 6. 191 Zur Kritik an der Umsetzung insgesamt sowie der durch den deutschen Gesetzgeber gewählten sog. Kopiermethode, welche mangels Verweis auf die jeweils umgesetzte EVÜVorschrift eine einheitliche Auslegung erhebliche erschwerte siehe Magnus, in: Staudinger (2002) BGB, Vorbem. zu Art. 27–37 EGBGB, Rn. 29; v. Hoffmann, IPRax 1984, 10 ff.; Kohler, EuR 1984, 155 ff.; Max-Planck-Institut für ausländisches und internationales Privatrecht, RabelsZ 47 (1983) 595, 665 ff. 192 Siehe Kapitel 2 – § 3.II.
§ 3 Historische Einordnung – Die Rechtslage unter Geltung des EVÜ
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Des Weiteren hatte die Bundesrepublik Deutschland bei der Ratifikation einen nach Art. 22 Abs. 1 lit. a EVÜ zulässigen Vorbehalt gegenüber Art. 7 Abs. 1 EVÜ eingelegt, welcher die Berücksichtigung ausländischen zwingenden Rechts vorsah. Stattdessen wurde nur Art. 7 Abs. 2 EVÜ in Form von Art. 34 EGBGB a.F. übernommen.193 Noch vor Inkrafttreten des EVÜ wurde darüber hinaus grundsätzliche Einigkeit darüber erzielt, dem EuGH die Auslegungskompetenz über das EVÜ zu übertragen, um so die angestrebte Einheitlichkeit der Auslegung institutionell zu verankern.194 Trotz des Vorbehalts in Art. 1 Abs. 2 des Vertragsgesetzes sollte diese Auslegungshoheit aufgrund einer separaten Erklärung der Bundesrepublik zu Art. 36 EGBGB a.F. auch von deutschen Gerichten als bindend betrachtet werden. Mit dem Inkrafttreten der Rom I-VO trat diese gem. Art. 24 Abs. 1 Rom IVO an die Stelle des EVÜ. Obschon dem EVÜ damit keine Geltung mehr zukommt, lässt es sich im Wege einer Auslegung der Vorschriften der Rom I-VO fruchtbar machen. II. Das Verhältnis des EVÜ zu § 1051 ZPO Bis zum Inkrafttreten der Rom I-VO im Jahre 2009 konzentrierte sich für Schiedsgerichte mit Sitz in Deutschland die Frage nach dem maßgeblichen Kollisionsrecht zur Bestimmung des anwendbaren Sachrechts auf eine Klärung des Verhältnisses zwischen nationalem Schiedsrecht und den durch die Bundesrepublik Deutschland eingegangenen völkerrechtlichen Verpflichtungen aus dem EVÜ bzw. dessen Umsetzung in den Vorschriften des EGBGB. 1. Regelungsgehalt des § 1051 ZPO Unabhängig von der Frage nach der völkerrechtlichen Bindung des deutschen Gesetzgebers bei Schaffung des § 1051 ZPO und deren Konsequenzen für die Bindung internationaler Schiedsgerichte an das bis dahin geltende Kollisionsrecht ist der sachliche Anwendungsbereichs des geschaffenen nationalen Kollisionsrechts abzustecken: Während das EVÜ unstreitig nur auf die Bestimmung des auf vertragliche Schuldverhältnisse anwendbaren Rechts Anwendung fand, ist unklar, ob der deutsche Gesetzgeber diese Begrenzung des Anwendungsbereichs in § 1051 ZPO nachvollziehen wollte oder ob ihm eine Geltung für jegliche Art von Ansprüchen vorschwebte. Der Wortlaut des § 1051 ZPO setzt
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Magnus, in: Staudinger (2002) BGB, Vorbem. zu Art. 27–37 EGBGB, Rn. 28. Die konkrete Kompetenzübertragung hierzu erfolgte durch das Zweite Brüsseler Protokoll zur Übertragung bestimmter Zuständigkeiten für die Auslegung des am 19. Juni 1980 in Rom zur Unterzeichnung aufgelegten Übereinkommens über das auf vertragliche Schuldverhältnisse anzuwendende Recht auf den Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaft, ABl. EG 1990 Nr. C 219, S. 1 ff. 194
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Kapitel 2 – Das Verhältnis des EU-Kollisionsrechts zur Schiedsgerichtsbarkeit
lediglich eine Streitigkeit195 zwischen zwei Parteien voraus, die im Wege eines Schiedsverfahrens entschieden werden soll. Das jeweilige Schiedsverfahren muss darüber hinaus in den Anwendungsbereich des deutschen Schiedsverfahrensrechts fallen, es muss sich also nach §§ 1025 Abs. 1 i.V.m. § 1043 Abs. 1 ZPO um ein Schiedsverfahren mit Sitz in Deutschland handeln. Dies setzt auch voraus, dass es sich beim Inhalt des Rechtsstreits um einen vermögensrechtlichen Anspruch handelt, denn nur solche sind gemäß § 1030 Abs. 1 S. 1 ZPO schiedsfähig. Der Anwendungsbereich von § 1051 ZPO stellt sich auf den ersten Blick also denkbar weit dar. So ist die in Anlehnung an die Vorbildvorschrift des Art. 28 Abs. 1 S. 1 UMG gewährte Rechtswahlfreiheit in § 1051 Abs. 1 ZPO dem Anschein nach nicht auf einzelne Rechtsgebiete beschränkt, sodass im Schiedsverfahren beispielsweise auch außerhalb des Vertragsrechts eine Rechtswahl unbeschränkt gestattet wäre. Ob dies tatsächlich der Intention des Gesetzgebers entsprach, wird und wurde kontrovers diskutiert. Darüber hinaus stellt sich die Frage, ob der deutsche Reformgesetzgeber in § 1051 ZPO unabhängig von einer etwaigen völkerrechtlichen Bindung an das EVÜ bereits einen einfachgesetzlichen Verweis auf die allgemeinen Kollisionsnormen des EGBGB a.F. vorgenommen hat. a) Begrenzung des Anwendungsbereichs auf vertragliche Schuldverhältnisse Die Stimmen, die § 1051 Abs. 1 ZPO eine umfassende Rechtswahlfreiheit zumessen, stützen sich im Wesentlichen auf den Wortlaut der Vorschrift.196 So erkennen Wilske/Markert zwar den Bruch, der sich bei einer Erstreckung von § 1051 ZPO auf außervertragliche Schuldverhältnisse zum allgemeinen Kollisionsrecht ergeben würde, halten allerdings am Wortlaut der Norm fest und plädieren dafür, die Rechtswahlfreiheit in § 1051 Abs. 1 ZPO umfassend zu verstehen.197 Neben dem Wortlaut verweisen sie darauf, dass im deutschen Schiedsverfahren bereits die Bestimmung zur Schiedsfähigkeit in § 1030 ZPO durch das Erfordernis eines vermögensrechtlichen Anspruchs dafür sorge, dass ausschließlich Streitigkeiten zwischen den unmittelbar Beteiligten ausgetragen würden, eine Ausweitung der Rechtswahlfreiheit also nicht zulasten Dritter ginge. Daneben folgern sie aus der Befugnis der Parteien, die Schiedsrichter 195
Die Begriffe „Inhalt des Rechtsstreits“ (§ 1051 Abs. 1 S. 1 ZPO) und „Gegenstand des Verfahrens“ (§ 1051 Abs. 2 ZPO) werden vom Gesetzgeber synonym verwendet. 196 Handorn, Das Sonderkollisionsrecht der deutschen internationalen Schiedsgerichtsbarkeit, S. 48; Solomon, RIW 1997, 981, 986; Schwab, FS Nagel, S. 427, 439. 197 Wilske/Markert, in: BeckOK ZPO, § 1051, Rn. 7 ff.; Geimer, in: Zöller ZPO, § 1051, Rn. 2 geht ebenfalls von einem umfassenden Anwendungsbereich aus, wobei er konstatiert, dass sich die Diskussion vorwiegend um das Vertragsrecht drehe; einen interessanten Ansatz verfolgt Kronke, RIW 1998, 257, 262, der § 1051 ZPO zwar nicht auf das Vertragsrecht beschränken will, aber davon ausgeht, dass in „wettbewerbsrechtlichen, immaterialgüterrechtlichen, gesellschaftsrechtlichen, sachen-, delikts- und bereicherungsrechtlichen Streitigkeiten […] § 1051 ZPO die kollisionsrechtliche Entscheidung grundsätzlich nicht“ leite.
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gemäß § 1051 Abs. 3 ZPO zu einer Billigkeitsentscheidung zu ermächtigen, dass eine vollumfängliche Rechtswahl möglich sein müsse. Im Ergebnis sollen somit auch die Beurteilung von Formfragen, sachenrechtliche Aspekte, das Formstatut, Bevollmächtigungen sowie außervertragliche Schuldverhältnisse der Rechtswahl der Parteien unterliegen. Laut Voit sei die Grenze lediglich bei einem Verstoß gegen den ordre public erreicht, sodass die Rechtswahl der Parteien jedenfalls nicht zur Missachtung zwingenden deutschen Rechts führen dürfe.198 Für einen umfassenden Anwendungsbereich von § 1051 ZPO spricht aus der Sicht von Handorn auch die Intention des Gesetzgebers, durch das Schiedsverfahrensrecht ein in sich geschlossenes Regelwerk für den internationalen Rechtsverkehr zu schaffen, welches als autonomes Sonderkollisionsrecht grundsätzlich alle relevanten Aspekte des IPR enthalten müsse.199 Zum Schutz einer Partei vor einer unvorhergesehenen Anwendung des gewählten Rechts auf andere als vertragliche Ansprüche, wollen Wilske/Markert immerhin ein strenges Formerfordernis in § 1051 Abs. 1 ZPO einziehen, nach dem für die Ausweitung der Rechtswahl über den unmittelbaren Vertragsinhalt hinaus eine „eindeutige Klarstellung“ durch die Parteien erforderlich sei.200 Demgegenüber spricht sich der überwiegende Teil der Literatur für eine Begrenzung des Anwendungsbereichs von § 1051 ZPO auf vertragliche Schuldverhältnisse aus.201 Drobnig spricht davon, dass die starke Betonung der Parteiautonomie im Wortlaut des § 1051 Abs. 1 ZPO irreführe, da eine Rechtswahl der Parteien im Wesentlich nur für das Vertragsstatut in Betracht kommen könne, nicht jedoch für andere kollisionsrechtliche Probleme wie etwa die Formgültigkeit von Rechtsgeschäften, den Status von juristischen Personen oder sachenrechtliche Probleme.202 Begründet wird dies damit, dass sich der Gesetzgeber ausweislich der Gesetzesmaterialien bei der Ausarbeitung des Schiedsrechtsreformgesetzes ausschließlich mit den Fragen des Vertragsrechts beschäftigt habe.203 Das stünde auch in Einklang mit der vom Gesetzgeber angenommene Bindung an das EVÜ. Dies lasse sich indirekt auch aus § 1051 Abs. 4 ZPO ableiten, wonach das Schiedsgericht „in allen Fällen in Übereinstimmung mit den Bestimmungen des Vertrages zu entscheiden“ hat.204 Schließlich will Junker in der Frage nach der Reichweite des § 1051 ZPO nach subjektiver und objektiver Anknüpfung differenzieren. So beziehe sich 198
Voit, in: Musielak/Voit ZPO, § 1051, Rn. 3. Handorn, Das Sonderkollisionsrecht der deutschen internationalen Schiedsgerichtsbarkeit, S. 51, der andererseits auf S. 176 ff. wiederum für eine Begrenzung der Parteiautonomie auf vertragliche Schuldverhältnisse eintritt. 200 Wilske/Markert, in: BeckOK ZPO, § 1051, Rn. 7.1. 201 Unter anderem Münch, in: MünchKommZPO3, § 1051, Rn. 18; Pfeiffer, NJW 1999, 3674, 3678; Junker, RIW 1998, 741, 745. 202 Drobnig, FS Kegel, S. 95, 102. 203 Junker, RIW 1998, 741, 745. 204 Junker, RIW 1998, 741, 745. 199
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der Begriff der „Streitigkeit“ in § 1051 Abs. 1 ZPO ausweislich der Reformdiskussion sowie des § 1051 Abs. 4 ZPO nur auf „den vermögensrechtlichen Anspruch aus einem vertraglichen Schuldverhältnis“, während die objektive Anknüpfung gemäß § 1051 Abs. 2 ZPO auch alle anderen Anknüpfungsgegenstände erfassen soll.205 b) Keine Einbeziehung der allgemeinen Kollisionsnormen mittels einfachgesetzlich-autonomer Verweisung An die Kontroverse um die Begrenzung des sachlichen Anwendungsbereichs des § 1051 ZPO auf die Bestimmung des Vertragsstatuts schließt sich diejenige nach der Geltung von Art. 27–36 EGBGB a.F. im Schiedsverfahren an. Unabhängig von einer Bindung des Gesetzgebers an die Vorgaben des EVÜ bzw. der Rom I-VO bei der Ausgestaltung der nationalen Kollisionsnormen für Schiedsgerichte, könnte sich eine Geltung des allgemeinen IPR in Schiedsverfahren schon über eine ungeschriebene, einfachgesetzlich-autonome Verweisung des § 1051 ZPO auf die allgemeinen Kollisionsnormen des Forums ergeben.206 Außerhalb der Frage nach den völkervertraglichen Pflichten stand es dem nationalen Gesetzgeber frei, über die bloße Umsetzung eines staatsvertraglichen Übereinkommens hinauszugehen und die auf einem Übereinkommen beruhenden Regeln auf weitere Bereiche außerhalb des ursprünglichen Anwendungsbereichs zu erstrecken.207 Eine verbindliche Geltung der allgemeinen Kollisionsnormen wäre dann unabhängig von den Vorgaben des EVÜ über dessen sachlichen Anwendungsbereich hinaus anzunehmen. In eben diese Richtung geht die Feststellung Bergers, dass ein Rückgriff auf die allgemeinen Kollisionsnormen des deutschen Sitzrechts gem. § 1051 ZPO „kraft gesetzlicher Anordnung“ zu erfolgen habe.208 Er begründet dies für die objektive Anknüpfung in § 1051 Abs. 2 ZPO mit einem Hinweis auf die Gesetzesbegründung, wonach § 1051 Abs. 2 ZPO mit der Anknüpfung an die engste Verbindung „der Sache nach“ auf das EGBGB abstelle.209 Zwar ist dieser Erkenntnis Bergers im Grundsatz beizupflichten, allerdings lässt sie nicht darüber hinwegsehen, dass der Reformgesetzgeber sich in dieser Frage ansonsten weitgehend unklar ausgedrückt hat: Zwar verweist er in der Regierungsbegründung mehrfach auf die Vorschriften des EGBGB a.F. zur Konkretisierung der Anknüpfungsregeln des neu geschaffenen § 1051 ZPO, jedoch wollte er dem Vorrang des EVÜ und der inkorporierten Kollisionsnormen in Art. 27 ff. EGBGB 205
Junker, FS Sandrock, S. 443, 459. Vgl. nur Handorn, Das Sonderkollisionsrecht der deutschen internationalen Schiedsgerichtsbarkeit, S. 70. 207 Siehe Basedow, JPS 1 (1987) 3, 4. 208 Berger, DZWir 1998, 45, 52. 209 Berger, DZWir 1998, 45, 52 mit Verweis auf die Begründung des Regierungsentwurfs, BT-Drucks. 13/5274, S. 52 f. 206
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a.F. lediglich für die Frage der objektiven Anknüpfung in § 1051 Abs. 2 ZPO Bedeutung beimessen.210 In welchen Grenzen die gewährte Rechtswahl in § 1051 Abs. 1 ZPO aufgrund der Bindung an Art. 27 EGBGB a.F. zu erfolgen habe und wie sich die in § 1051 Abs. 3 ZPO vorgesehene Möglichkeit zur Entscheidung nach Billigkeit in die Vorgaben der allgemeinen Kollisionsnormen einfüge, schweigt die Regierungsbegründung. So hält Handorn der Auffassung einer einfachgesetzlichen-autonomen Verweisung von § 1051 ZPO auf das allgemeine Kollisionsrecht des EGBGB a.F. die Intention des deutschen Reformgesetzgebers bei der Schaffung des § 1051 ZPO entgegen, die darin bestanden habe, durch eine Erhöhung der Benutzerfreundlichkeit des deutschen Schiedsverfahrensrechts ausländischen Parteien und Praktikern den Zugang zu einem nach internationalen Standards geformten deutschen Schiedsverfahrensrecht zu ermöglichen.211 Ein (zumal nicht ausdrücklich formulierter) Verweis auf die Regeln des allgemeinen Kollisionsrechts wäre diesem Ziel zuwider gelaufen. Zudem könne vom internationalen Rechtsanwender nicht erwartet werden, in der bloßen Verwendung der Anknüpfung an die engste Verbindung einen impliziten Verweis auf die allgemeinen Kollisionsregeln des Art. 28 EGBGB a.F. zu erkennen.212 Schließlich zeige § 1061 Abs. 1 S. 1 ZPO, der für die Anerkennung und Vollstreckung ausländischer Schiedssprüche ausdrücklich auf die Vorschriften des UNÜ verweist, dass dem Reformgesetzgeber die Möglichkeit der Verwendung expliziter Verweisungen geläufig gewesen sei und dass er sich dieser zur Steigerung der Benutzerfreundlichkeit des Gesetzes auch bedient habe.213 c) Stellungnahme Die letztgenannte Ansicht überzeugt, wonach jedenfalls eine einfachgesetzlichautonome Verweisung des § 1051 ZPO auf das allgemeine IPR ausscheidet. Zwar fühlte sich der Reformgesetzgeber an das EVÜ und die darin enthaltenen Kollisionsnormen für die Ermittlung des Vertragsstatuts gebunden, allerdings brachte er dies im Wortlaut des § 1051 ZPO nicht zum Ausdruck. Auch die Regierungsbegründung bleibt in diesem Punkt vage. Da der Reformgesetzgeber darüber hinaus das Ziel verfolgte, die Benutzerfreundlichkeit des deutschen Schiedsverfahrensrechts insbesondere für ausländische Rechtsanwender im Vergleich zur bisherigen Rechtslage zu erhöhen und ihm die Möglichkeit ausdrücklicher Verweisungen bekannt war, kann eine einfachgesetzlich-autonome 210
Begründung des Regierungsentwurfs, BT-Drucks. 13/5274, S. 52. Handorn, Das Sonderkollisionsrecht der deutschen internationalen Schiedsgerichtsbarkeit, S. 73. 212 Handorn, Das Sonderkollisionsrecht der deutschen internationalen Schiedsgerichtsbarkeit, S. 73. 213 Handorn, Das Sonderkollisionsrecht der deutschen internationalen Schiedsgerichtsbarkeit, S. 73. 211
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Verweisung von § 1051 ZPO auf das nationale allgemeine IPR nicht unterstellt werden. Hierdurch wird allerdings ausdrücklich keine Aussage darüber getroffen, ob der Gesetzgeber völkervertraglich aufgrund der Ratifizierung des EVÜ dazu verpflichtet gewesen wäre, eine solche Verweisung bei der Ausarbeitung von § 1051 ZPO aufzunehmen: Sollte der Anwendungsbereich des EVÜ, zu dessen Umsetzung sich der deutsche Gesetzgeber völkervertraglich verpflichtet hatte, eine Geltung im Schiedsverfahren vorgesehen haben, hätte sich der deutsche Gesetzgeber mit der Einführung von § 1051 ZPO jedenfalls insoweit völkerrechtswidrig verhalten, wie die Anknüpfungsregeln in § 1051 ZPO mit dem EVÜ kollidierten. Darüber hinaus ist von einer Beschränkung des Anwendungsbereichs des § 1051 ZPO auf vertragliche Schuldverhältnisse auszugehen. Zwar enthält der Wortlaut auf den ersten Blick keinen Hinweis auf eine Begrenzung, allerdings legen sowohl die Systematik als auch die Entstehungsgeschichte des reformierten deutschen Schiedsverfahrensrechts dies nahe: Der Gesetzgeber sah sich bei den Vorarbeiten zur Reform des Schiedsverfahrensrechts an das EVÜ gebunden. Dieses enthält lediglich Regelungen zur Bestimmung des auf vertragliche Schuldverhältnisse anwendbaren Rechts. Zwar hätte der Gesetzgeber diesen durch das EVÜ vorgezeichneten Anwendungsbereich bei der Schaffung des nationalen Schiedsverfahrensrechts ausweiten können, allerdings gibt es hierauf in den Gesetzgebungsmaterialien keinerlei Hinweise. Im Gegenteil: Die Diskussion innerhalb der Reformkommission wurde ausschließlich mit Blick auf das Vertragsstatut geführt.214 Darauf deutet auch der Wortlaut von § 1051 ZPO hin, der in Übereistimmung mit Art. 28 UMG in § 1051 Abs. 4 ZPO ausdrücklich auf die „Bestimmungen des Vertrages“ verweist, in dessen Einklang das Schiedsgericht zu entscheiden habe. Dass dem deutschen Gesetzgeber das Bewusstsein dafür fehlte, dass es neben dem Vertragsrechts andere Sachgebiete gibt, auf die die neu geschaffene Kollisionsnorm des § 1051 ZPO Anwendung finden könnte, mag zwar zutreffen, es lässt allerdings nicht den Schluss zu, der Norm diesen Anwendungswillen deswegen zu unterstellen. Lebensnäher scheint es vielmehr, von einer Kenntnis des Gesetzgebers vom allgemeinen Kollisionsrecht zur Zeit der Reform auszugehen und anzunehmen, dass das bestehende System austarierter Kollisionsnormen nicht ohne Weiteres für das Schiedsverfahren ignoriert werden sollte. Verwiesen sei dabei exemplarisch auf die Anknüpfungen des Formstatuts (Art. 28 EGBGB a.F.) sowie des Wirksamkeitsstatuts (Art. 31 EGBGB a.F.), welche ausdifferenzierte flankierende Bestimmungen zur Bestimmung des anwendbaren Rechts enthalten. Es verwundert jedenfalls, wenn einerseits davon ausgegangen wird, der Gesetzgeber hätte mittels § 1051 Abs. 1 und 2 ZPO eine zentrale Norm schaffen wollen, innerhalb 214
Begründung des Regierungsentwurfs, BT-Drucks. 13/5274, S. 52 f.; Begründung des Diskussionsentwurfs der Kommission zur Neuordnung des Schiedsverfahrensrechts, S. 166 ff.
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derer sich die internationale Schiedsgerichtsbarkeit „umfassend entfaltet“,215 andererseits aber die sich dadurch ergebenden Inkonsistenzen zum allgemeinen Kollisionsrecht mit keinem Wort Erwähnung finden. Schließlich würde eine umfassende Rechtswahlfreiheit sowohl in der Praxis als auch der Theorie zu einem Bündel neuer Probleme führen. So ist etwa für die strikte Anwendung der lex rei sitae-Regel im internationalen Sachenrecht bekanntermaßen die Praktikabilität der Beweiserhebung am Ort der Belegenheit der Sache maßgeblich. Darüber hinaus berührt die genuin sachenrechtliche Frage der Eigentumsbestimmung regelmäßig öffentliche Interessen, die sich beispielsweise in der Grundbuchordnung Ausdruck verleihen. 216 Sollte es den Parteien in einem Schiedsverfahren also möglich sein, für die Frage des Eigentums an einem in Deutschland belegenen Grundstück ausländisches Sachenrecht zu wählen und somit auch ohne eine entsprechende Grundbucheintragung beim deutschen Amtsgericht einen Eigentumswechsel zu erreichen?217 Und selbst wenn dies möglich sein sollte, könnte diese Frage jedenfalls nur relativ zwischen den beteiligten Parteien entschieden werden. Selbst wenn man also den Parteien vor einem deutschen Schiedsgericht eine uneingeschränkte Rechtswahlmöglichkeit gewähren würde, hinge die Anerkennung dieser Rechtswahl wiederum vom nationalen Recht der Heimat- und Auswirkstaaten ab.218 Es würde zu erheblichen Brüchen bei der Beurteilung ein und derselben Frage abhängig von der Form der Streitbeilegung kommen. 2. Völkerrechtliche Bindung des Gesetzgebers bei der Schaffung des § 1051 ZPO Ob darüber hinaus eine völkerrechtliche Bindung des deutschen Gesetzgebers an die Vorschriften des EVÜ im Rahmen der Schaffung eines eigenen nationalen Schiedsverfahrensrecht bestand, weist auf ein Mienenfeld voller Missverständnisse, Interpretationsversuche und zwischenzeitlicher Meinungswechsel.219 Hauptgrund für die missliche Lage ist, dass sich die beiden maßgeblichen Akteure – die vom Bundesjustizministerium eingesetzte Reformkommission und die Verfasser des Regierungsentwurfs – im Reformprozess um die Ausarbeitung des neuen Schiedsverfahrensrechts im Jahre 1998 über diese zentrale Frage nicht einig waren und letztlich mit § 1051 ZPO eine Norm verabschiedet wurde, 215 Handorn, Das Sonderkollisionsrecht der deutschen internationalen Schiedsgerichtsbarkeit, S. 51. 216 In diese Richtung auch Lepschy, § 1051 ZPO – Das anwendbare materielle Recht in internationalen Schiedsverfahren, S. 89. 217 Ähnlich Lepschy, § 1051 ZPO – Das anwendbare materielle Recht in internationalen Schiedsverfahren, S. 89; Junker, FS Sandrock, S. 443, 459 f. 218 Heini, FS Stoll, S. 619, 620 f. 219 In diese Richtung auch Handorn, Das Sonderkollisionsrecht der deutschen internationalen Schiedsgerichtsbarkeit, S. 57, der von einem „Deutungswandel“ im Verlauf der Entstehungsgeschichte des § 1051 ZPO spricht.
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Kapitel 2 – Das Verhältnis des EU-Kollisionsrechts zur Schiedsgerichtsbarkeit
welche weiterhin beiden Akteuren Raum ließ, ihre jeweilige Rechtsauffassung zu vertreten. Das eigentlich bemerkenswerte an der Entstehungsgeschichte des § 1051 ZPO ist daher nach Auffassung Wagners, dass es zwar während der Gesetzgebungsarbeiten zu unterschiedlichen Standpunkten über den Anwendungsbereich des EVÜ gekommen sei, die zwischen den einzelnen Akteuren bestandenen Meinungsverschiedenheiten jedoch spurlos am späteren Wortlaut des § 1051 ZPO vorbeigegangen seien.220 Im Ausgangspunkt ist jedenfalls festzuhalten, dass sich der deutsche Gesetzgeber mit der Unterzeichnung des EVÜ völkerrechtlich zur Umsetzung des Übereinkommens verpflichtet hatte. Die Pflicht zur Erfüllung eines völkerrechtlichen Vertrages umfasst, den unmittelbar anwendungsfähigen Bestimmungen des Staatsvertrages im nationalen Recht Geltung zu verschaffen.221 Zwar hat der deutsche Gesetzgeber bei der Ratifizierung des EVÜ ausdrücklich erklärt, dass diesem innerstaatlich keine unmittelbare Geltung zukommen sollte. Die Pflicht zur Umsetzung in nationales IPR bestand hierdurch jedoch umso mehr. Die aus dem EVÜ resultierende völkerrechtliche Umsetzungsverpflichtung des Gesetzgebers könnte sich auch auf dessen Anwendbarkeit im Schiedsverfahren erstrecken, für welches der deutsche Gesetzgeber mittels der Einführung des § 1051 ZPO außerhalb des EGBGB eine eigene Regelung schaffen wollte. Ob er dabei ohne Berücksichtigung des EVÜ überhaupt vorgehen durfte, ist somit einzig eine Frage des Anwendungswillens des EVÜ auf die Schiedsgerichtsbarkeit. Eine vom EVÜ bzw. von dessen Umsetzung ins EGBGB a.F. losgelöste Interpretation des § 1051 ZPO mit Verweis auf dessen partielle Herkunft aus dem UNCITRAL-Modellgesetz scheitert jedenfalls daran, dass das UMG selbst keinen staatsvertraglichen Charakter aufweist, sondern der Staatengemeinschaft lediglich zur freiwilligen Übernahme empfohlen wurde.222 Maßgeblich zur Beantwortung der Frage der Bindung des deutschen Gesetzgebers ist zunächst der Wortlaut des EVÜ, bevor ein Blick in die Materialien zur Entstehungsgeschichte des Übereinkommens weiteren Aufschluss geben kann. a) Die Bereichsausnahme in Art. 1 Abs. 2 lit. d) EVÜ und deren fehlende Umsetzung ins nationale IPR Der Wortlaut von Art. 1 Abs. 2 lit. d) EVÜ scheint eindeutig. Darin heißt es, dass die Vorschriften des Übereinkommens auf „Schieds- und Gerichtsstandsvereinbarungen“ nicht anzuwenden sind. Legt man die in der Einleitung skizzierte Trennung von Schiedsvereinbarungs-, Schiedsverfahrens- und Hauptsache220
Wagner, FS Schuhmann, 535, 538 f. Meyer-Sparenberg, Staatsvertragliche Kollisionsnormen, S. 35, 63; Begründung des Regierungsentwurfs, BT-Drucks. 13/5274, S. 52; Begründung des Diskussionsentwurfs der Kommission zur Neuordnung des Schiedsverfahrensrechts, S. 166 f. 222 Holtzmann/Neuhaus, UNCITRAL Model Law on International Commercial Arbitration, S. 11, Berger, Das neue Recht der Schiedsgerichtsbarkeit, S. 7. 221
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statut zugrunde, bezieht sich der Wortlaut des Übereinkommens lediglich auf das Schiedsvereinbarungsstatut, sodass das restliche Schiedsverfahren unberührt bliebe. Eine am Wortlaut orientierte Auslegung der Bereichsausnahme des Art. 1 Abs. 2 lit. d) EVÜ stritt somit für eine Begrenzung der Bereichsausnahme auf die Bestimmung des maßgeblichen Schiedsvereinbarungsstatuts und eine Geltung im sonstigen Schiedsverfahren. Die in Art. 1 Abs. 2 lit. d) EVÜ explizit enthaltene Ausschlussklausel für Schiedsvereinbarungen wurde jedoch vom deutschen Gesetzgeber im Rahmen der Neuregelung des Internationalen Privatrechts im Jahr 1986 nicht umgesetzt. Art. 37 EGBGB a.F., der den sachlichen Anwendungsbereich des neu geschaffenen Internationalen Vertragsrechts bestimmen sollte, enthielt keine Aussage über dessen Anwendungswillen in Schiedsverfahren. Der Streit, wie man jene Klausel in Art. 1 Abs. 2 lit. d) EVÜ verstehen musste, tauchte in der Auslegung des EGBGB a.F. entsprechend nicht auf. Die durch Art. 1 Abs. 2 lit. d) EVÜ ausgelöste „lebhafte Diskussion“223 der Delegierten über dessen Verständnis wurde von Art. 37 EGBGB a.F. nicht aufgenommen.224 Gleichwohl war der Ausschluss aufgrund der von Art. 36 EGBGB a.F. gebotenen übereinkommenskonformen Auslegung in Art. 37 EGBGB a.F. hineinzulesen. Der deutsche Gesetzgeber agierte somit bereits in diesem Punkt ein erstes Mal wenig glücklich, indem er trotz völkerrechtlicher Verpflichtung zur Umsetzung des EVÜ eine Übernahme nur in modifizierter Weise vornahm und damit die völkerrechtliche Bindung im neu geschaffenen IPR verschleierte. b) Der Giuliano/Lagarde-Bericht Obgleich der soeben besprochene Wortlaut der Bereichsausnahme für Schiedsvereinbarungen im EVÜ auf den ersten Blick eindeutig erscheint, kam in der anschließenden Diskussion um den Anwendungsbereich des EVÜ dem Bericht von Mario Giuliano und Paul Lagarde eine besondere Bedeutung zu. Der Bericht sollte als begleitendes Dokument die Anwendung des Übereinkommens erleichtern, indem er in Form einer Auslegungshilfe die Grundsätze des Übereinkommens erläuterte.225 Der Bericht geht in den Ausführungen über die Verhandlungen zum Anwendungsbereich des Übereinkommens auch auf die Differenzen der verschiedenen Verhandlungsdelegationen hinsichtlich des Ausschlusses von Schiedsvereinbarungen ein.226 So wurde die Bereichsausnahme für das Schiedsvereinbarungsstatut kontrovers diskutiert und etwa von der britischen Delegation mit Verweis auf die Nähe der Schiedsvereinbarung zu anderen schuldvertraglichen
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v. Hoffman, in: Soergel BGB10, Art. 37 EGBGB, Rn. 8. Münch, in: MünchKommZPO3, § 1051, Rn. 8. Martiny, in: Reithmann/Martiny, Internationales Vertragsrecht, Rn. 1.4, 1.59. Giuliano/Lagarde, ABl. EG 1980 Nr. C 282, S. 11 f.
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Vereinbarungen zunächst abgelehnt.227 Konkret befürchtete man eine Rechtszersplitterung, die sich durch eine separate Anknüpfung der Schiedsvereinbarung ergeben könnte.228 Außerdem wurde darauf verwiesen, dass in den bestehenden internationalen Übereinkommen die Frage des auf die Schiedsvereinbarung anwendbaren Rechts vielfach nicht geregelt sei.229 Die Delegationen Deutschlands und Frankreichs hielten dem entgegen, dass die Schiedsvereinbarung sich als selbstständiger Bestandteil eines größeren Vertragswerks trennen lasse und einer separaten Anknüpfung zugänglich sei. Auch seien die im EVÜ vorgesehen Regeln zur objektiven Anknüpfung im Hinblick auf das Merkmal der „engsten Verbindung“ auf Schiedsvereinbarungen nur schwer anwendbar. Zudem müsse vermieden werden, die Zahl der im Schiedsverfahrensrecht bereits bestehenden Übereinkommen durch eine Ausweitung der Geltung des EVÜ auf Schiedsvereinbarungen noch zu erhöhen.230 Man einigte sich schließlich darauf, Schiedsvereinbarungen zunächst aus dem Anwendungsbereich des Übereinkommens auszuschließen, sich dieser Frage jedoch nach Fertigstellung des Übereinkommens erneut zuzuwenden.231 Das Schiedsverfahren als solches, respektive die Schiedsgerichtsbarkeit wurden bis zu dieser Stelle und auch im darauf folgenden letzten Abschnitt zu dieser Thematik nicht erwähnt. Gegenstand der Diskussion war stets lediglich die Schiedsvereinbarung und deren Aufnahme in den Anwendungsbereich des Übereinkommens. Mit Blick auf einen über die Schiedsvereinbarung hinausgehenden Ausschlusses aus dem Anwendungsbereich findet sich die vermeintlich entscheidende Stelle aus Sicht der Befürworter im letzten Abschnitt des Berichts. Dort heißt es: „Der Ausschluß der Schiedsvereinbarung betrifft nicht nur die verfahrensrechtlichen Aspekte, sondern auch das Zustandekommen, die Rechtsgültigkeit und die Wirkungen dieser Vereinbarung. Ist die Schiedsklausel Bestandteil eines Vertrages, so erstreckt sich der Ausschluß nur auf die Klausel selbst und nicht auf den gesamten Vertrag.“232
227
Giuliano/Lagarde, ABl. EG 1980 Nr. C 282, S. 11. Giuliano/Lagarde, ABl. EG 1980 Nr. C 282, S. 11; Yüksel, J.Priv.Int.L. 7 (2011) 149, 151; Cheshire/North/Fawcett, Private International Law, S. 685, welche im Hinblick auf die fortgeführte Rechtslage unter der Rom I-VO auf das Szenario eines nichtigen Vertrages bei wirksamer Schiedsvereinbarung eingehen: „One could end up with a contract which is void according to the rules on the applicable law contained in the Convention, but which contains an arbitration agreement which is valid according to its proper law. It was in order to avoid such splitting of the contract that the United Kingdom argued that arbitration and choice of jurisdiction agreements should not be excluded from the scope of the Convention.“ 229 Giuliano/Lagarde, ABl. EG 1980 Nr. C 282, S. 11. 230 Giuliano/Lagarde, ABl. EG 1980 Nr. C 282, S. 12. 231 Giuliano/Lagarde, ABl. EG 1980 Nr. C 282, S. 12. 232 Giuliano/Lagarde, ABl. EG 1980 Nr. C 282, S. 12. 228
§ 3 Historische Einordnung – Die Rechtslage unter Geltung des EVÜ
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Zentrale Bedeutung soll dabei laut Moller den „Wirkungen dieser Vereinbarung“ zukommen.233 Hierdurch sei über die Schiedsvereinbarung mittelbar auch das gesamte daraus resultierende Schiedsverfahren erfasst, obschon sich bereits aufgrund der vorsichtigen Formulierungen Mollers („Man mag dabei zunächst an objektive Schiedsfähigkeit oder Schiedseinrede denken, im weiteren Sinne ist aber auch die Lösung einer Streitigkeit aus den allgemeinen Normen des IPR eine Wirkung der Schiedsvereinbarung“) erahnen lässt, dass es sich hierbei um eine gewagte Konstruktion handelt, die sich dem intuitiven Textverständnis jedenfalls nicht unmittelbar aufdrängt.234 Mankowski betont demgegenüber in Anbetracht der primär prozessualen Natur der Schiedsvereinbarung, dass auch deren Wirkung in allererster Linie prozessualer Art sein müsse: Die Wirkung der Schiedsvereinbarung sei nur die Etablierung des Schiedsverfahrens als Streitbeilegungsmechanismus zwischen den Parteien. Über den Gegenstand des Schiedsverfahrens sei dadurch nichts ausgesagt.235 Beide Ansichten standen sich in der Folge unvereinbar gegenüber, sie sollen im Rahmen der Diskussion der Rom I-VO noch näher aufgegriffen werden. Vor dem Hintergrund der nur begrenzt aussagekräftigen Passagen des Berichts von Giuliano/Lagarde sowie den widerstreitenden Argumenten in der daraufhin entbrannten Diskussion lässt sich bis hierher jedoch festhalten, dass sich dem Bericht eine eindeutige Aussage zum Ausschluss der Schiedsgerichtsbarkeit in das EVÜ jedenfalls nicht entnehmen lässt. c) Stellungnahme Der Streit um die Erstreckung des Anwendungswillens des EVÜ auf die Schiedsgerichtsbarkeit ist so alt wie das EVÜ selbst und setzte in Deutschland spätestens mit Aufnahme der Arbeiten an der Schiedsverfahrensrechtsreform ein. Bemerkenswert ist, dass nicht nur in der rechtswissenschaftlichen Literatur Uneinigkeit bestand, sondern auch zwischen der Bundesregierung und der eigens von dieser eingesetzten Reformkommission zur Erarbeitung des neuen Schiedsverfahrensrechts unterschiedliche Auffassungen zu dieser Frage bestanden. Während die Verfasser des Regierungsentwurfs von einer Bindung des Gesetzgebers an die Vorschriften des EVÜ ausgingen,236 lehnte die vom Bundesjustizministerium beauftragte Reformkommission eine völkervertragliche Bindung ab.237 233
Moller, NZG 2000, 57, 67. Kritisch zu der von Moller vorgeschlagenen weiten Auslegung der „Wirkungen“ auch Handorn, Das Sonderkollisionsrecht der deutschen internationalen Schiedsgerichtsbarkeit, S. 61. 235 Mankowski, RIW 2011, 30, 32. 236 Begründung des Regierungsentwurfs, BT-Drucks. 13/5274, S. 52. 237 Begründung des Diskussionsentwurfs der Kommission zur Neuordnung des Schiedsverfahrensrechts, S. 169. 234
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Kapitel 2 – Das Verhältnis des EU-Kollisionsrechts zur Schiedsgerichtsbarkeit
Betrachtet man die von beiden Lagern vorgebrachten Argumente und unterzieht diese einer Würdigung, so fällt zunächst der klare Wortlaut des Art. 1 Abs. 2 lit. d) EVÜ ins Auge. Dieser spricht ausdrücklich lediglich von der Schiedsvereinbarung. Das umfassendere Schiedsverfahren bzw. die Schiedsgerichtsbarkeit als solche findet keine Erwähnung. Aus dem Schweigen des Textes des Übereinkommens den Schluss zu ziehen, dass neben der Schiedsvereinbarung erst recht auch das Schiedsverfahren als solches vom Ausschluss aus dem EVÜ erfasst sein sollte, mutet zumindest merkwürdig an: Aus den Materialien zum EVÜ lässt sich entnehmen, dass den Verhandlungsdelegationen die Unterscheidung von Schiedsvereinbarungs- und Hauptsachestatut bekannt war. Dass sie in ihren Verhandlungen dennoch stets ausschließlich auf die Schiedsvereinbarung, mit keinem Wort jedoch auf eine Ausnahme des sonstigen Schiedsverfahrens vom Anwendungsbereich Bezug nahmen, deutet darauf hin, dass dieses gerade nicht ausgenommen sein sollte. In systematischer Hinsicht stützen lässt sich dies noch dadurch, dass die Vertragsparteien über die Frage des Schiedsverfahrens hinaus in Art. 1 Abs. 2 EVÜ einen detaillierten Katalog von Ausnahmetatbeständen vorsahen. Es darf somit angenommen werden, dass ihnen die Bedeutung und Notwendigkeit einer konturenscharfen Bestimmung des Anwendungsbereichs des Übereinkommens während der Verhandlungen präsent war und eine Ausnahme vom Anwendungsbereich des Übereinkommen nur für die Fragen gelten sollte, die ausdrücklich im Übereinkommen genannt wurden. Auch das Argument, ein Ausschluss der Schiedsgerichtsbarkeit aus dem EVÜ folge aus dem Regelungszusammenhang mit dem EuGVÜ, aus dessen Anwendungsbereich die Schiedsgerichtsbarkeit als solche ausgenommen war, geht aufgrund des unterschiedlichen Regelungsinteresses von EVÜ und EuGVÜ sowie des nur begrenzten Aussagegehalts des Grundsatzes der einheitlichen Auslegung von EVÜ und EuGVÜ fehl, wie im Folgenden mit Blick auf die Rom I-VO noch näher darzulegen sein wird.238 Mit Blick auf die Entstehungsgeschichte des Übereinkommens spricht der von den Befürwortern eines Ausschlusses ins Feld geführte Verweis auf die oben zitierte Passage aus dem Bericht von Guiliano/Lagarde bei unbefangener Leseart tendenziell eher gegen als für eine Ausnahme des Schiedsverfahrens – als entscheidendes Argument eignet er sich allerdings wohl für beide Seiten nicht. Schließlich ist auch der Verweis der deutschen und französischen Delegation auf die bereits bestehenden Übereinkommen auf dem Gebiet des Schiedsverfahrens nur als Argument für die Ausnahme von Schiedsvereinbarungen aus dem Anwendungsbereich des Übereinkommens zu verstehen: Das von den Delegierten in Bezug genommene internationale Übereinkommen zur Schiedsgerichtsbarkeit bezog sich auf das UNÜ. Dieses tangierte allerdings die Frage der Bestimmung des in der Hauptsache anwendbaren Rechts nicht, sodass eine Überschneidung im Anwendungsbereich mit Blick auf eine Kollisionsnorm zur Ermittlung des 238
Siehe in Kapitel 2 – § 4.II.2.c).
§ 3 Historische Einordnung – Die Rechtslage unter Geltung des EVÜ
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Hauptsachestatuts nicht zu befürchten war. Im Gegenteil: Das UNÜ enthält in Art. II UNÜ besondere Bestimmungen zur Schiedsvereinbarung, bezüglich derer das Ansinnen der deutschen und französischen Delegation plausibel erscheint. Auch durch einen Verweis auf das darüber hinaus in Betracht kommende EuÜ und dessen Kollisionsnorm in Art. VII EuÜ lässt sich dem Einwand der Verhandlungsdelegationen nicht effektiv begegnen, da selbst bei einer Überschneidung der Anwendungsbereiche beider Übereinkommen das Zurücktreten des EVÜ gegenüber anderweitigen internationalen Übereinkommen in Art. 21 EVÜ explizit geregelt wurde. Darüber hinaus ist Art. VII Abs. 1 EuÜ als Gesamtverweisung zu verstehen, welche den Schiedsrichter gerade auf das jeweils anwendbare nationale Kollisionsrecht verweist.239 Diese Verweisung benötigt – wie dargelegt – nationale Kollisionsrechte, welche die Bestimmung des anwendbaren Rechts näher ausgestalten. Schließlich verfängt auch das von einigen Autoren vorgebrachte Argument240 nicht, auf die Rechtssetzungspraxis in den Vertragsstaaten zu verweisen, welche verschiedentlich auch nach Ratifizierung des EVÜ noch eigene Kollisionsnormen für Schiedsgerichte geschaffen haben und auf diese Weise gegen eine Geltung des EVÜ in Schiedsverfahren sprächen. Zwar sind diese Rechtssetzungsakte aufgrund des nur völkervertraglichen Normcharakters des EVÜ nicht per se ungültig, andererseits können sie auf die Auslegung des EVÜ als völkerrechtlichem Vertrag gemäß Art. 31 Abs. 3 lit. b) der Wiener Vertragsrechtskonvention (WVK) nur dann Einfluss nehmen, wenn es sich dabei um eine einstimmige Praxis aller Vertragsstaaten nach Inkrafttreten des EVÜ handelt.241 Die Einführung von Sonderkollisionsrecht für Schiedsgerichte hat allerdings gerade nicht in allen Vertragsstaaten stattgefunden, sodass eine Auslegung nach dem völkervertraglichen Instrument der Staatenpraxis ausscheiden muss.242 Darüber hinaus ist – wie bereits im Rahmen der Entstehung des EVÜ erwähnt243 – die Auslegungshoheit über das Übereinkommen durch die Auslegungsprotokolle zum EVÜ im Jahre 1988 auf den EuGH übertragen worden, sodass spätestens seit diesem Zeitpunkt eine Auslegung anhand einer vermeintlich existierenden Staatenpraxis nicht mehr zulässig war. Auch wenn letztlich trotz der genannten Argumente eine eindeutige Klärung der Frage mangels einer klaren sprachlichen Positionierung der Vertragsstaaten im Text des Übereinkommens nicht möglich ist, stritten jedenfalls bereits zur Zeit der Geltung des EVÜ gewichtige Argumente für eine Erstreckung des 239
Martiny, FS Schütze, 529, 532. Martiny, FS Schütze, S. 529, 533 f.; Junker, FS Sandrock, S. 443, 455; Lepschy, § 1051 ZPO – Das anwendbare materielle Recht im internationalen Schiedsverfahren, S. 70. 241 Mankowski, RIW 2011, 30, 34. 242 In diesem Sinne auch Mankowski, RIW 2011, 30, 34; für einen Ausschluss von Schiedsverfahren vom Anwendungsbereich des EVÜ aufgrund späterer Staatenpraxis jedoch Zobel, Schiedsgerichtsbarkeit und Gemeinschaftsrecht, S. 107. 243 Siehe in Kapitel 1 – § 2.III.2. 240
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Kapitel 2 – Das Verhältnis des EU-Kollisionsrechts zur Schiedsgerichtsbarkeit
Anwendungsbereichs des Übereinkommens auf die Schiedsgerichtsbarkeit. Freilich war dies mit Blick auf die völkervertragliche Qualität des EVÜ und die durch die Bundesrepublik erklärten Vorbehalte nur von begrenzter Aussagekraft, da das EVÜ keine unmittelbare Geltung in Deutschland erlangte, sondern einer Inkorporierung in nationales Recht bedurfte. Dennoch war es auf völkervertraglicher Ebene bindend und die Bundesrepublik zur Umsetzung verpflichtet.244 III. Ergebnis 1. Parallele sachliche Anwendungsbereiche von EVÜ und § 1051 ZPO Als Ergebnis der Auslegung der Bereichsausnahme des Art. 1 Abs. 2 lit. d) EVÜ sowie der inhaltlichen Begrenzung von § 1051 ZPO folgt für die Rechtslage vor Inkrafttreten der Rom I-VO, dass sich § 1051 ZPO und das EVÜ in ihrem sachlichen Anwendungsbereich überschnitten. Soweit sich die Bestimmung des EVÜ und § 1051 ZPO inhaltlich deckten, war eine Überschneidung der beiden Vorschriften unschädlich. Schon unter Geltung des EVÜ stellte sich jedoch die Frage, wie Kollisionen des neu geschaffenen § 1051 ZPO mit dem durch die Bundesrepublik ratifizierten EVÜ bei inhaltlichen Abweichungen aufzulösen waren. Ungeachtet der Form, in der das EVÜ durch den deutschen Gesetzgeber in nationales Recht umgesetzt wurde, bestand mit Unterzeichnung des Übereinkommens die völkervertragliche Pflicht zu Vertragserfüllung und damit die Pflicht, den unmittelbar anwendungsfähigen Normen des Staatsvertrages im nationalen Recht Geltung zu verschaffen.245 Soweit § 1051 ZPO den Vorgaben den EVÜ entgegenstand, musste er als völkerrechtswidrig angesehen werden. Diese Ergebnis ließ sich lediglich über einen Vorrang der Kollisionsnormen des EVÜ vor dem autonomen deutschen Rechts aus Art. 3 Abs. 2 S. 1 EGBGB a.F. oder der Auslegungsregel des Art. 36 EGBGB a.F. vermeiden. Ein solcher Vorrang besteht jedoch nicht. 2. Kein Vorrang des EVÜ aufgrund Art. 3 Abs. 2 S. 1 EGBGB a.F. Art. 3 Abs. 2 S. 1 EGBGB a.F. räumte Regelungen in völkerrechtlichen Vereinbarungen, soweit diese unmittelbar anwendbares innerstaatliches Recht geworden sind, Vorrang vor den Vorschriften des EGBGB ein. Zentrale Bedeutung kommt wiederum Art. 1 Abs. 2 des Zustimmungsgesetzes zur Umsetzung des EVÜ in der Bundesrepublik zu, in dem der Gesetzgeber gegen die Kritik aus der Kommission und der Wissenschaft eine unmittelbare Wirkung des EVÜ in der Bundesrepublik ausgeschlossen hatte, um die Vorschriften in modifizierter Form in das EGBGB a.F. zu inkorporieren.246 Da sich aus dem Völkerrecht 244 245 246
Junker, RIW 1998, 741, 745. Meyer-Sparenberg, Staatsvertragliche Kollisionsnormen, S. 35. Siehe hierzu Meyer-Sparenberg, Staatsvertragliche Kollisionsnormen, S. 47.
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weder eine Pflicht zur unmittelbaren Anwendung staatsvertraglicher Übereinkommen, noch eine Verpflichtung zur wortgetreuen Umsetzung solcher Übereinkommen ergibt, war dieses Vorgehen völkerrechtskonform. Darüber hinaus haben sich die Mitgliedstaaten des Übereinkommens ausdrücklich die Möglichkeit eingeräumt, den Vorschriften des EVÜ nicht unmittelbar Gesetzeskraft zu verleihen, sondern diese „in geeigneter Form“ in die innerstaatlichen Rechtsvorschriften aufzunehmen.247 Das Vorgehen steht auch in Einklang mit Art. 59 Abs. 2 GG, der dem Gesetzgeber weitgehende Freiheit bei der Erfüllung seiner völkervertraglichen Pflichten einräumt.248 Auch ließ sich aus der rechtlichen Natur des EVÜ kein Vorrang des EVÜ vor dem nationalen Recht herleiten, da es sich bei dem EVÜ weder um primäres noch um durch die Europäische Gemeinschaft selbst gesetztes sekundäres Gemeinschaftsrecht handelte.249 3. Kein Vorrang des EVÜ aufgrund Art. 36 EGBGB a.F. Auch über den vom deutschen Gesetzgeber zur Inkorporierung des EVÜ geschaffenen Art. 36 EGBGB a.F. ließ sich keine unmittelbare Anwendung der Vorschriften des EVÜ konstruieren. Als Auslegungsvorschrift sollte Art. 36 EGBGB a.F. dem Rechtsanwender lediglich die staatsvertragliche Herkunft der inkorporierten Vorschriften des neu geschaffenen internationalen Schuldvertragsrechts vor Augen führen und damit den Blick auf die europäische Rechtsprechung und die Auslegungshoheit des EuGH richten. Zur Korrektur der eindeutigen Entscheidung des deutschen Gesetzgebers, den Vorschriften des EVÜ gem. Art. 1 Abs. 2 des Zustimmungsgesetzes zur Inkorporation des EVÜ innerstaatlich keine unmittelbare Anwendung zu verleihen, konnte Art. 36 EGBGB a.F. dem Richter jedoch nicht dienen.250 Divergenzen zwischen den inkorporierten Vorschriften des EGBGB und dem zugrunde liegenden EVÜ mussten vielmehr ungeachtet der Verletzung der völkerrechtlichen Verpflichtung der Bundesrepublik innerstaatlich hingenommen werden. Völkerrechtswidrige Abweichungen des deutschen Gesetzgebers von den Vorgaben des EVÜ konnten ausschließlich mit völkerrechtlichen Konsequenzen versehen werden. 4. Völkerrechtswidrigkeit von § 1051 ZPO Im Ergebnis bleibt festzuhalten, dass der Gesetzgeber bei Schaffung des § 1051 ZPO völkerrechtlich an die Bestimmungen des EVÜ gebunden war. Die Bereichsausnahmen des Art. 1 Abs. 2 lit. d) EVÜ spricht ausdrücklich nur von einem Ausschluss des Anwendungsbereichs des Übereinkommens für das auf Schiedsvereinbarungen anwendbaren Rechts. Eine Ausnahme der Schiedsge247 248 249 250
Giuliano/Lagarde, ABl. EG 1980 Nr. C 282, S. 41. Meyer-Sparenberg, Staatsvertragliche Kollisionsnormen, S. 48. Schwartz, FS Grewe, S. 551, 583. Meyer-Sparenberg, Staatsvertragliche Kollisionsnormen, S. 48.
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Kapitel 2 – Das Verhältnis des EU-Kollisionsrechts zur Schiedsgerichtsbarkeit
richtsbarkeit vom Anwendungswillen des europäischen Kollisionsrechts kann hieraus nicht abgeleitet werden, wie eine Auslegung von Art. 1 Abs. 2 lit. d) EVÜ ergeben hat. Indem der deutsche Gesetzgeber neben der 1986 erfolgten Umsetzung des EVÜ in den Art. 27 ff. EGBGB a.F. im Jahr 1998 ein eigenes Sonderkollisionsrecht für Schiedsgerichte ohne Verweis auf das EVÜ schuf, verhielt er sich im Ergebnis völkerrechtswidrig. Ein anderes Ergebnis lässt sich auch nicht über einen Vorrang des EVÜ gegenüber entgegenstehendem nationalen Kollisionsrecht konstruieren, da der Gesetzgeber sich in Art. 1 Abs. 2 des Zustimmungsgesetzes zum EVÜ ausdrücklich gegen eine unmittelbare innerstaatliche Anwendung der Vorschriften des EVÜ ausgesprochen hatte und dies auch über die Auslegungsregel des Art. 36 EGBGB a.F. nicht überwunden werden konnte. Ein Verstoß gegen das Völkervertragsrecht hatte allerdings auf die innerstaatliche Geltung des § 1051 ZPO keine Auswirkungen. Dies wiegt umso schwerer, als dass sich die Anwendungsbereiche von EVÜ und § 1051 ZPO weitgehend deckten: Ebenso wie das EVÜ ist auch § 1051 ZPO auf die Bestimmung des auf vertragliche Schuldverhältnisse anwendbaren Rechts beschränkt. Ein vereinzelt angenommener Anwendungswille des § 1051 ZPO für Bereiche außerhalb des Schuldvertragsrechts wird zwar durch den Wortlaut von § 1051 Abs. 1 ZPO nicht gesperrt, widerspricht jedoch der Systematik sowie den Gesetzgebungsmaterialien zu § 1051 ZPO. Somit bleibt festzuhalten, dass der Reformgesetzgeber mit § 1051 ZPO eine Kollisionsnorm für Schiedsgerichte schuf, die von Beginn an im Widerspruch zu den völkervertraglichen Verpflichtungen der Bundesrepublik stand, die sich aus der Unterzeichnung des EVÜ ergaben. Da dem EVÜ aufgrund des bei Unterzeichnung durch die Bundesrepublik in Art. 1 Abs. 2 des Vertragsgesetzes zum Ausdruck gebrachten Vorbehalts keine unmittelbare Geltung in Deutschland zukam, konnte § 1051 ZPO trotz dieser Völkerrechtswidrigkeit wirksam in Kraft treten.251
§ 4 Neubewertung – Die Rechtslage nach Inkrafttreten der Rom I-Verordnung § 4 Neubewertung – Die Rechtslage seit Inkrafttreten der Rom I-VO
Durch Inkrafttreten der Rom I-VO wurde das bis dahin geltende EVÜ in den Rang einer europäischen Verordnung gehoben, sodass sich die Frage des Verhältnisses zum autonomen Schiedsverfahrensrecht der Mitgliedstaaten neu stellt Anders als das EVÜ ist die Rom I-VO kein staatsvertragliches Übereinkommen, welches eine Umsetzung durch die Vertragsstaaten erforderte. Vielmehr ist sie gem. Art. 288 Abs. 2 AEUV unmittelbar anwendbar. Nach dem Prinzip der begrenzten Einzelermächtigung sind die Bereiche, auf denen eine Kompetenz 251
Zum sogenannten treaty override, also der Möglichkeit des Bundesgesetzgebers, völkerrechtliche Verträge durch einfache Bundesgesetze zu verdrängen, siehe BVerfG, Beschluss v. 15.12.2015, 2 BvL 1/12.
§ 4 Neubewertung – Die Rechtslage seit Inkrafttreten der Rom I-VO
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zum Erlass von Unionsrecht besteht, jedoch klar umrissen. Die Frage, ob die Rom I-VO auch in Schiedsverfahren Anwendung beansprucht, kann somit nur dann Gegenstand weiterer Überlegungen sein, wenn die EU über die Kompetenz zur europäischen Vereinheitlichung des Kollisionsrechts auf dem Gebiet der Schiedsgerichtsbarkeit verfügte. Dies soll in einem ersten Schritt untersucht werden (I.). Diesen Ausführungen schließt sich eine Untersuchung des Anwendungsbereichs der Rom I-VO, insbesondere mit Blick auf den Ausnahmetatbestand des Art. 1 Abs. 2 lit. e) Rom I-VO an (II.). I. Rechtssetzungskompetenz der Europäischen Union auf dem Gebiet der privaten Handelsschiedsgerichtsbarkeit – Art. 81 AEUV (ex Art. 65 EGV) Maßgeblich für die Kompetenz der Unionsorgane zum Erlass von Rechtsakten und sonstigen Maßnahmen ist das Prinzip der begrenzten Einzelermächtigung, wie es in Art. 5 EUV normiert ist.252 Danach verfügt die Europäische Union weder über eine Allzuständigkeit, noch über eine den Nationalstaaten vergleichbare „Kompetenz-Kompetenz“. Sie kann somit nicht verbindlich über die eigene Zuständigkeit entscheiden, sondern ist auf die Übertragung von Kompetenzen durch die Mitgliedstaaten angewiesen. Zum Erlass des sekundären Unionsrechts bedürfen die europäischen Rechtsetzungsorgane folglich einer Kompetenzzuweisung im Primärrecht. Diese kann sich auf dem Gebiet der Kollisionsrechtsvereinheitlichung aus den Vorschriften über die justizielle Zusammenarbeit in Zivilsachen und die darin enthaltene Kompetenznorm des Art. 81 AEUV ergeben. In Betracht kommen mit Art. 81 Abs. 2 lit. c), f) g) AEUV mehrere Kompetenztitel, die es der Europäischen Union erlauben, einheitliche Regeln für die internationale Schiedsgerichtsbarkeit zu erlassen. Die Rom I-VO stützt sich auf Art. 61 lit. c) i.V.m. Art. 65 lit. b) EGV, die Art. 67 i.V.m. Art. 81 Abs. 2 lit. c) AEUV entsprechen und Maßnahmen zur Angleichung der in den Mitgliedstaaten geltenden Kollisionsnormen vorsehen.253 Art. 67 AEUV (ex Art. 61 EGV) formuliert dabei 252
„Art. 5 EUV: (1) Für die Abgrenzung der Zuständigkeiten der Union gilt der Grundsatz der begrenzten Einzelermächtigung. Für die Ausübung der Zuständigkeiten der Union gelten die Grundsätze der Subsidiarität und der Verhältnismäßigkeit. (2) Nach dem Grundsatz der begrenzten Einzelermächtigung wird die Union nur innerhalb der Grenzen der Zuständigkeiten tätig, die die Mitgliedstaaten ihr in den Verträgen zur Verwirklichung der darin niedergelegten Ziele übertragen haben. Alle der Union nicht in den Verträgen übertragenen Zuständigkeiten verbleiben bei den Mitgliedstaaten.“ 253 Zwar spricht Art. 81 Abs. 2 lit. c) AEUV lediglich von Maßnahmen zur Sicherstellung der „Vereinbarkeit der in den Mitgliedstaaten geltenden Kollisionsnormen und Vorschriften zur Vermeidung von Kompetenzkonflikten“, allerdings verstehen sowohl der EuGH als auch die Praxis des europäischen Gesetzgeber diese Formulierung weit, indem sie neben rechtsangleichenden auch rechtsvereinheitlichende Maßnahmen davon erfasst sehen, Wagner, RabelsZ 79 (2015) 521 ff.
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Kapitel 2 – Das Verhältnis des EU-Kollisionsrechts zur Schiedsgerichtsbarkeit
lediglich das allgemeine Ziel der Schaffung eines Raums der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts, wohingegen Art. 81 AEUV (ex Art. 65 EGV) die dazu übertragenen Kompetenzen für einzelne Gebiete konkretisiert. Übergeordnetes Ziel ist die Schaffung eines gemeinsamen Rechtsraums, der insbesondere auf das reibungslose Funktionieren des Binnenmarktes innerhalb der EU ausgerichtet ist. Art. 65 lit. b) EGV enthält die Kompetenz zur „Förderung der Vereinbarkeit der in den Mitgliedstaaten geltenden Kollisionsnormen“ und stimmt damit wörtlich mit dem heutigen Art. 81 Abs. 2 lit. c) AEUV überein. Die Wahrnehmung der Kompetenz zur Vereinheitlichung des formellen und materiellen Kollisionsrechts aus Art. 65 lit. b) EGV war wiederum an die Voraussetzung geknüpft, dass es sich um „Zivilsachen mit grenzüberschreitenden Bezügen“ handelte, die „für das reibungslose Funktionieren des Binnenmarktes erforderlich sind.“ Die Handelsschiedsgerichtsbarkeit mit ihren international geprägten zivilrechtlichen Streitigkeiten stellt eine Zivilsache mit grenzüberschreitenden Bezügen dar. Auch trägt eine Vereinheitlichung von Kollisionsnormen für die Schiedsgerichtsbarkeit analog zu denen für die staatliche Gerichtsbarkeit zu einem Zusammenwachsen des Binnenmarktes innerhalb der EU und zu einer Reduzierung von Transaktionskosten bei. Dass die Mitgliedstaaten darüber hinaus insgesamt einer Übertragung von Kompetenzen auf dem Gebiet der Schiedsgerichtsbarkeit offen gegenüber stehen, zeigt sich exemplarisch an Art. 81 Abs. 2 lit. a) AEUV, der ausdrücklich auch „außergerichtliche Entscheidungen“ erfasst, wenn es um die Anerkennung und Vollstreckung von Urteilen in den Mitgliedstaaten geht. Die Schiedsgerichtsbarkeit fällt unstreitig darunter.254 Mit Inkrafttreten des Vertrages von Lissabon im Jahr 2009 ist zudem in Art. 81 Abs. 2 lit. g) AEUV die „Entwicklung von alternativen Methoden für die Beilegung von Streitigkeiten“ in den Kompetenzkatalog mit aufgenommen.255 Auch der in Art. 81 Abs. 2 lit. f) AEUV enthaltenen Kompetenz zur Beseitigung von Hindernissen für die reibungslose Abwicklung von Zivilverfahren ist keine Unterscheidung zwischen staatlichen und privaten Verfahren zu entnehmen. In der Literatur wird eine Kompetenz der EU für Regelungen auf dem Gebiet der Schiedsgerichtsbarkeit überwiegend angenommen. So hält Rossi fest, dass die Kompetenz zur Vereinheitlichung des Zivilverfahrens weit zu verstehen sei und somit auch die Schiedsgerichtsbarkeit erfasse.256 Auch Lazi scheint eine Kompetenz der EU auf dem Gebiet der internationalen Schiedsgerichtsbarkeit ohne Weiteres anzunehmen, wenn sie (im Hinblick auf die Reform der 254 Hess, in: Grabitz/Hilf/Nettesheim, Das Recht der Europäischen Union, Art. 81 AEUV, Rn. 40; Benedettelli, Arb.Int’l 27 (2011) 583, 599. 255 Wobei die unter diesem Kompetenztitel getroffenen Maßnahmen bisher primär die Streitbeilegung im Wege der Mediation betrafen, siehe Hess, in: Grabitz/Hilf/Nettesheim, Das Recht der Europäischen Union, Art. 81 AEUV, Rn. 49 f. 256 Rossi, in: Calliess/Ruffert, EUV/AEUV, Art. 81 AEUV, Rn. 28; ebenfalls Wagner, RabelsZ 79 (2015) 521 ff.
§ 4 Neubewertung – Die Rechtslage seit Inkrafttreten der Rom I-VO
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EuGVVO) dafür plädiert, der Gesetzgeber hätte sich statt der geplanten Streichung der Ausnahme für die Schiedsgerichtsbarkeit aus dem Anwendungsbereich der EuGVVO für ein selbstständige Regelung der Schiedsgerichtsbarkeit mittels eines eigenen europäischen Gesetzgebungsaktes entscheiden sollen.257 Ebenso betont Benedettelli, dass die EU über eine Kompetenz zur Harmonisierung des internationalen Schiedsverfahrensrechts verfüge und diese auch bereits durch eine Vielzahl von Maßnahmen ausgeübt habe.258 Er stützt sich dabei sowohl auf die Rechtsprechung des EuGH in den Rechtssachen West Tankers und Eco Swiss259 als auch auf die konstituierenden Prinzipien des Europarechts, aus denen sich eine Kompetenz der EU zur Rechtssetzung auf dem Gebiet der internationalen Schiedsgerichtsbarkeit ergebe.260 Anstatt sich auf die vermeintlich fehlende Gesetzgebungskompetenz der EU zu berufen, ruft er die Kritiker einer Harmonisierung der nationalen Schiedsverfahrensrechte auf Ebene der EU auf, sich an zukünftigen Gesetzgebungsverfahren zu beteiligen und so zu einem angemessenen Ausgleich europäischer, nationaler und privater Interessen gelangen.261 Diese Sicht scheint sich auch bei Gegnern einer verstärkten Aktivität des europäischen Gesetzgebers auf dem Gebiet der Schiedsgerichtsbarkeit mittlerweile durchgesetzt zu haben. So spricht sich di Bronzolo zwar gegen eine Harmonisierung des Schiedsverfahrensrechts auf europäischer Ebene aus, erkennt jedoch eine Kompetenz der Union auf diesem Gebiet an und plädiert dafür, sich auf europäischer Ebene für ein besseres Verständnis der Funktionsweise der Schiedsgerichtsbarkeit einzusetzen.262 Es lässt sich somit festhalten, dass eine Kompetenz auf dem Gebiet des internationalen Schiedsverfahrensrechts bei Erlass der Rom I-VO in Art. 61 lit. c) 257 Lazi, J.Int’lArb. 21 (2012) 19, 20; der Gesetzgeber stützte sich für den Erlass der EuGVVO ganz allgemein auf die aus Art. 65 EGV (heute Art. 81 AEUV) herrührende Kompetenz auf dem Gebiet der justiziellen Zusammenarbeit. 258 Benedettelli, Arb.Int’l 27 (2011) 583, 584, 614 ff. nennt als zukünftige Maßnahmen auf dem Gebiet der Schiedsgerichtsbarkeit eine EU-weite Harmonisierung der Bestimmungen über die Schiedsfähigkeit oder die Ausarbeitung eines europäischen Schiedsverfahrensrechts, welches es Schiedsgerichten unter bestimmten Bedingungen ermöglicht, Vorlagefragen gem. Art. 267 AEUV an den EuGH zu richten. 259 Siehe hierzu später in Kapitel 2 – § 4.II. 260 Konkret nennt Benedettelli, Arb.Int’l 27 (2011) 583, 598 das Prinzip der begrenzten Einzelermächtigung, die Grundsätze der Subsidiarität und der Verhältnismäßigkeit, des Anwendungsvorrangs des Europarechts sowie der loyalen Kooperation und des effet utile. 261 Benedettelli, Arb.Int’l 27 (2011) 583 ff. 262 Di Brozolo, J.Priv.Int.L. 7 (2011) 423, 458 f.: „From the point of view of the promotion of arbitration it seems more important to work in the direction of trying to inculcate into the European Union a greater understanding of arbitration and of its positive potential, which might have a useful impact on any future position that the European Court or even the legislator may be called upon to take. That course seems preferable to continuing to fight a rearguard battle, which can only feed an unjustified suspicion that arbitration has something to hide from EU law.“
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i.V.m. Art. 65 lit. b) EGV bestand und diese mit Inkrafttreten des Vertrages von Lissabon in Art. 81 AEUV noch weiter ausdifferenziert wurde, sodass auch zukünftige Harmonisierungsbestrebungen auf diesem Gebiet möglich sind.263 Darüber hinaus ist vor dem Hintergrund der Grundsätzen der Subsidiarität und der Verhältnismäßigkeit aus Art. 5 Abs. 3, 4 AEUV (ex. Art. 5 EGV) nur dann eine Kompetenz zur Gesetzgebung gegeben, wenn sich eine hinreichend enge Verbindung der zu regelnden Materie mit den Interessen der EU feststellen lässt. Die Harmonisierung der kollisionsrechtlichen Bestimmungen in internationalen Schiedsverfahren muss in einem so starken Interesse der EU liegen, dass die ansonsten bei den Mitgliedstaaten liegenden Gesetzgebungsautonomie durch die der EU verdrängt wird.264 Anders als auf dem Gebiet der Außenkompetenz der EU für den Abschluss von Freihandelsabkommen, welche unter anderem mittels eines Kapitels über den Investitionsschutz eine Verlagerung von Streitigkeiten zwischen den jeweiligen Gaststaaten und Investoren auf Investitionsschiedsgerichte vorsehen,265 kann die Kompetenz der EU zur Rechtssetzung auf dem Gebiet der privaten Handelsschiedsgerichtsbarkeit als anerkannt gelten. Wie noch näher ausgeführt wird, spricht hierfür unter anderem das Interesse der EU, einen Wettstreit der verschiedenen nationalen Schiedsrechte der Mitgliedstaaten innerhalb der EU zu unterbinden und stattdessen zu einem einheitlichen europäischen Standard für die Schiedsgerichtsbarkeit zu gelangen.266 Anstelle einer Konkurrenz der Schiedsstandorte innerhalb der EU sollte die Wettbewerbsfähigkeit Europas als Schiedsstandort im Fokus der Bemühungen stehen. Dies liegt auch im Interesse einer gesteigerten Rechtssicherheit und der Vorhersehbarkeit (schieds-)gerichtlicher Entscheidungen innerhalb des europäischen Rechtsraums, welche als Triebfeder für die Vereinheitlichung des europäischen Kollisionsrechts insgesamt gelten können. II. Die Einbeziehung der Schiedsgerichtsbarkeit in den sachlichen Anwendungsbereich der Rom I-VO Wie bereits im EVÜ, ist auch in der Rom I-VO der Anwendungsbereich nach einem Regel-Ausnahme-Prinzip gestaltet. Neben dem allgemeinen sachlichen Anwendungsbereich in Art. 1 Abs. 1 Rom I-VO findet sich in Abs. 2 ein ausdifferenzierter Katalog von Ausnahmetatbeständen. Art. 1 Abs. 2 lit. e) Rom I-VO 263
So auch Eichstädt, Der schiedsrechtliche Acquis communautaire, S. 84 ff. Vgl. auch Benedettelli, Arb.Int’l 27 (2011) 583, 601. 265 Siehe zur anhaltenden Diskussion nur Risse, SchiedsVZ 2014, 265 ff.; Trappe, SchiedsVZ 2015, 235 ff. sowie den Veranstaltungsbericht von Wiegandt, SchiedsVZ 2015, 138 ff.; zu den verfassungsrechtlichen Implikationen der Investitionsschiedsgerichtsbarkeit in Deutschland siehe Steinbach, RabelsZ 80 (2016) 1 ff. 266 Vgl. Domej, RabelsZ 78 (2014) 508, 542; kritisch di Brozolo, J.Priv.Int.L. 7 (2011) 423, 434, 458. 264
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nimmt dabei ebenso wie seine Vorgängervorschrift im EVÜ „Schieds- und Gerichtsstandsvereinbarungen“ vom Anwendungsbereich der Verordnung aus. Vor dem Hintergrund der bereits zum Anwendungsbereich des EVÜ geführten Diskussionen um die Reichweite dieser Bereichsausnahme stellt sich auch hier die Frage, wie diese Ausnahme zu verstehen ist. Konkret bedarf es der Klärung der Frage, ob hierin ein Ausschluss des gesamten Schiedsverfahrens vom Anwendungswillen der Verordnung zu sehen ist oder lediglich ein Teilbereich des Schiedsverfahrens ausgenommen ist. 1. Darstellung des bisherigen Meinungsspektrums In der aktuellen Diskussion um den Anwendungsbereich der Rom I-VO lassen sich im Wesentlichen drei Positionen ausmachen, die von einem kompletten Ausschluss der Rom I-VO in Schiedsverfahren, deren uneingeschränkten Geltung sowie einer Geltung der Verordnung in Form unverbindlicher Richtlinien reichen. a) Die These vom fehlenden Anwendungswillen Der überwiegende Teil des Schrifttums verneint eine Geltung der Rom I-VO im internationalen Schiedsverfahren und verweist dabei auf den fehlenden Anwendungswillen der Verordnung. Dem liegt die Erkenntnis zugrunde, dass es das Wesen des nationalen IPR sei, Anwendungsbefehle an staatliche Gerichte zu erteilen, nicht jedoch an private Schiedsgerichte.267 Dieses Verhältnis sei international etabliert und trage den strukturellen Besonderheiten der Schiedsgerichtsbarkeit Rechnung.268 Das europäische IPR habe dies übernehmen wollen und daher per Ausnahmevorschrift die Schiedsgerichtsbarkeit vom Anwendungsbereich der Rom I-VO ausschließen wollen. Zwar sei zuzugestehen, dass der Wortlaut der Ausnahme in Art. 1 Abs. 2 lit. e) Rom I-VO durch seine Verengung auf den Begriff der Schiedsvereinbarung missverständlich sei, für eine weite Auslegung der Ausnahme spreche aber der systematische Zusammenhang des damaligen EVÜ mit dem EuGVÜ269 (der heutigen Brüssel I-Verordnung)270, welche die Schiedsgerichtsbarkeit als Ganze aus dem Anwendungsbereich
267 Schlosser, in: Stein/Jonas, ZPO9, § 1051, Rn. 2; Lehmann, in: Der Gemeinsame Referenzrahmen, 433, 437, 439, 453. 268 Junker, FS Sandrock, S. 443, 457; Pfeiffer, EuZW 2008, 622, 624. 269 Übereinkommen von Brüssel von 1968 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Vollstreckung gerichtlicher Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen (Amtsblatt Nr. L 299 vom 31.12.1972, S. 32). 270 Verordnung Nr. 44/2001 des Rates über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen („Brüssel I“) vom 22.12.2000 (Amtsblatt Nr. L 12 vom 16.1.2001, S. 1).
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ausnehme und nur für Verfahren vor staatlichen Gerichten gelte.271 Auch zeigten die Entstehungsmaterialien des EVÜ sowie der Rom I-VO, dass der europäische Gesetzgeber bislang die Schiedsgerichtsbarkeit aus den Harmonisierungsbestrebungen im Rahmen der justiziellen Zusammenarbeit ausnehmen wollte.272 Bereits bei den Vertragsverhandlungen zum EVÜ sei die Problematik um die Anwendbarkeit des EVÜ im Schiedsverfahren bekannt und höchst streitig gewesen. Da diese bei den Verhandlungen zur Rom I-VO nicht aufgegriffen worden sei, dürfe nicht davon ausgegangen werden, dass die Mitgliedstaaten diese Frage stillschweigend zugunsten einer Anwendbarkeit im Schiedsverfahren haben entscheiden wollen.273 b) Die Bindungsthese – Uneingeschränkte Geltung der Rom I-VO im Schiedsverfahren Demgegenüber spricht sich ein größer werdender Teil der Literatur für eine uneingeschränkte Geltung der Rom I-VO in Schiedsverfahren aus. Im Ausgangspunkt berufen sich die Vertreter dieser Ansicht auf den Wortlaut der Verordnung, die in Art. 1 Abs. 2 lit. e) Rom I-VO lediglich die Schiedsvereinbarung, nicht jedoch die Schiedsgerichtsbarkeit vom Anwendungsbereich ausnehmen wolle.274 Art. 1 Abs. 2 lit. e) Rom I-VO zeige, dass sich der europäische Gesetzgeber der Frage der Anwendung der Rom I-VO im Schiedsverfahren bewusst war. Hätte die Rom I-VO Schiedsverfahren insgesamt vom Anwendungsbereich ausnehmen wollen, hätte ein solcher Ausschluss ausdrücklich normiert werden müssen.275 Es sei darüber hinaus nicht nachvollziehbar, dass sich das anwendbare Kollisionsrecht und damit die Bestimmung der materiell-rechtlichen Grundlage eines Rechtsstreits nach der Art der Streitbeilegung richte und somit auf ein und dieselbe Frage unterschiedliche Antworten folgten, je nachdem ob der Rechtsstreit vor einem staatlichen oder privaten Gericht ausgetragen werde.276 Dies gelte umso mehr, da in der gleichen Rechtssache häufig sowohl staatliche als auch private Gerichte – etwa im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes oder aber im späteren Vollstreckungsverfahren – angerufen würden.277 Eine unterschiedliche kollisionsrechtliche Anknüpfung durch staatliche und private 271 Kondring, RIW 2010, 184, 189 f.; Junker, FS Sandrock, S. 443, 454; Sandrock, RIW 1992, 792; Handorn, Das Sonderkollisionsrecht der deutschen internationalen Schiedsgerichtsbarkeit, S. 63 f. 272 Lehmann, in: Der Gemeinsame Referenzrahmen, 433, 437; Ostendorf, SchiedsVZ 2010, 234, 237; Schilf, RIW 2013, 678, 684. 273 Schilf, RIW 2013, 678, 684; Pfeiffer, EuZW 2008, 622, 623; Ostendorf, SchiedsVZ 2010, 234, 237; Grimm, SchiedsVZ 2012, 189, 191. 274 Mankowski, Interessenpolitik und europäisches Kollisionsrecht, S. 64 f.; McGuire, SchiedsVZ 2011, 257, 262; Czernich, wbl 2013, 554, 557. 275 Czernich, wbl 2013, 554, 557. 276 McGuire, SchiedsVZ 2011, 257, 259. 277 Mankowski, RIW 2011, 30, 37; McGuire, SchiedsVZ 2011, 257, 263 f.
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Gerichte sei auch aus Gründen der Rechtssicherheit für die Parteien problematisch, da diese bei Vertragsschluss regelmäßig nicht vorhersehen, dass und worüber Streit entsteht und welches Forum letztendlich darüber entscheide. Die sich für die Vertragsparteien ergebenden vertraglichen Verpflichtung müssten für die Parteien jedoch ex ante und nicht erst ex post vor dem Hintergrund der Form der Streitentscheidung bestimmbar sein.278 c) Die Rom I-Verordnung als „persuasive authority“ im Schiedsverfahren Schließlich wird von einigen Autoren eine vermittelnde Position vorgeschlagen. Danach komme der Rom I-VO zwar keine Geltung im rechtlichen Sinne zu. Sie könne den Schiedsgerichten jedoch als „persuasive authority“279 bei der Frage der Bestimmung des anwendbaren Rechts an die Hand gegeben werden.280 Ausgehend von der Entwicklung der Rom I-VO aus dem EVÜ wird dabei von den Vertretern dieser Auffassung zwar konzediert, dass sowohl der Wortlaut der Rom I-VO als auch der Bericht von Guiliano/Lagarde eine Geltung der Rom I-VO im Schiedsverfahren nahe legten. Letztlich gehen die Vertreter dieser Ansicht jedoch aufgrund § 1051 ZPO und der darin zum Ausdruck kommenden nationalen Reformbestrebung von einer nur „begrenzten Anlehnung“281 des schiedsverfahrensrechtlichen Kollisionsrechts an das EVÜ unter vorrangiger Beachtung schiedsverfahrensrechtlicher Besonderheiten aus. Die Rom I-VO wolle demnach die Anwendbarkeit auf schiedsgerichtliche Verfahren „jedenfalls“ nicht mit bindender Wirkung anordnen. Den Vorschriften der Rom I-VO wird somit allenfalls eine Funktion zur Schließung von Lücken beim Fehlen von Kollisionsnormen im Sitzstaat oder zur Konkretisierung der in nationalen Gesetzen oder Schiedsordnungen enthaltenen Kollisionsnormen zugemessen.282
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McGuire, SchiedsVZ 2011, 257, 259. Pfeiffer, EuZW 2008, 622, 623; Hausmann, in: Reithmann/Martiny, Internationales Vertragsrecht, Rn. 8.415. 280 Pfeiffer, EuZW 2008, 622, 623; Haussmann, FS v. Hoffmann, S. 971, 979; ders., in: Reithmann/Martiny, Internationales Vertragsrecht, Rn. 8.415; v. Hein, in: Rauscher, EuZPR/ EuIPR, Einl Rom I-VO, Rn. 40; in diese Richtung auch Martiny, in: Reithmann/Martiny, Internationales Vertragsrecht, Rn. 1.104, der ansonsten jedoch einer Geltung der Rom I-VO im Schiedsverfahren ablehnenden gegenübersteht. 281 Pfeiffer, in: Deutsches Recht im Wettbewerb, 179, 181. 282 Haussmann, FS v. Hoffmann, S. 971, 979; Hartenstein, TranspR 2010, 261, 264. 279
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2. Auslegung der Bereichsausnahme des Art. 1 Abs. 2 lit. e) Rom I-VO a) Methodische Vorgaben des Unionsrechts283 Bei der Auslegung europäischer Rechtsakte sind die Besonderheiten des Unionsrechts zu beachten. In methodischer Hinsicht kommt dabei der europarechtlichen Natur der auszulegenden Norm ein besonderes Augenmerk zu. Zwar wendet der Europäische Gerichtshof zunächst die aus den nationalen Rechtsordnungen anerkannten Auslegungsmethoden an, allerdings ist hierbei mitunter eine etwas andere Gewichtung und Zielrichtung zu erkennen, die sich aus der Eigenart des Unionsrechts, den besonderen Problemen der Mehrsprachigkeit, der autonomen Begriffsbildung sowie den Zielsetzungen und dem Entwicklungsstand des Unionsrechts ergeben.284 Eine Auslegung der Rom I-VO hat somit im Sinne einer europäischen Methodenlehre von der nationalen Methodik auszugehen und dieser ein europäisches Gepräge zu verleihen.285 Besondere Bedeutung kommen dabei dem Grundsatz der effektiven Wirkung sowie der autonomen Auslegung des Unionsrechts zu. aa) Enge Auslegung von Bereichsausnahmen nach dem Grundsatz der effektiven Wirkung des Unionsrechts Der Grundsatz der effektiven Wirkung des Unionsrechts findet unionsrechtlich in Art. 4 Abs. 3 AEUV seine Verankerung. Er geht auf das allgemeine Völkervertragsrecht zurück, wonach ein völkerrechtlicher Vertrag so auszulegen ist, dass sein Gestaltungsziel und sein Regelungszweck bestmöglich erreicht werden.286 Übertragen auf das Unionsrecht bedeutet dies in ständiger Rechtsprechung des EuGH, dass die Auslegung der Bestimmungen des Unionsrechts in der Weise zu erfolgen hat, dass sie die Zwecke des europäischen Rechtsaktes und die damit verbundenen unionsrechtlichen Ziele mit größtmöglicher Wirksamkeit fördert. Der Grundsatz ist mit dem Selbstverständnis der Europäischen Union als Rechts- und Wertegemeinschaft eng verknüpft, indem er als Ausfluss des primärrechtlich verankerten Integrationsziels im Rahmen der auf die Europäische Union übertragenen Kompetenzen unmittelbar auf die Normen des 283 Allgemein zu den Auslegungsmethoden des europäischen Sekundärrechts siehe instruktiv Riesenhuber, in: Riesenhuber, Europäische Methodenlehre, § 10; Heiderhoff, Europäisches Privatrecht, Rn. 105 ff.; v. Hein, in: Rauscher, EuZPR/EuIPR, Einl Rom I-VO, Rn. 53 ff.; Martiny, in: MünchKommBGB10, Vorbem. zu Art. 1 Rom I-VO; Rn. 23. 284 EuGH 6.10.1982 – Rs. 283/81 (CILFIT), Slg. 1982, 3415, Rn. 20. 285 Zur Einführung in die europäischen Methodenlehre siehe die aus Anlass eines Symposiums am Max-Planck-Institut für ausländisches und internationales Privatrecht im Jahr 2010 gehaltenen Vorträge von Fleischer, RabelsZ 75 (2011) 700 ff. und Roth, RabelsZ 75 (2011) 787 ff.; für eine umfassende Untersuchung der europäischen Methodenlehre siehe Martens, Methodenlehre des Unionsrechts; instruktiv ebenfalls Thiele, Europäisches Prozessrecht, S. 41 ff. 286 Potacs, EuR 2009, 465, 465.
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Sekundärrechts einstrahlt.287 So hat der EuGH richtungsweisend in der Sache van Duyn zur unmittelbaren Wirkung von europäischen Richtlinien Stellung genommen und diese mit dem Grundsatz des effet utile begründet.288 Zentrale Bedeutung kommt dabei der Grundaussage der europäischen Verträge zu, zu einer kontinuierlichen und schrittweisen Vertiefung der europäischen Integration beizutragen.289 In der Präambel zum EWG-Vertrag ist bereits das Ziel eines „immer engeren Zusammenschluss[es]“ der Völker ausgegeben; in der Präambel zum EUV ist von einem „Prozess der Schaffung einer immer engeren Union der Völker Europas“ die Rede. Bestandteil dieses Integrationsprozesses waren vor allem die Errichtung eines gemeinsamen Marktes und die schrittweise Annäherung der Wirtschaftspolitik der Mitgliedstaaten.290 Art. 13 Abs. 1, 2 EUV bindet die Organe der Union an diese Ziele. Diese wiederum dienen dem Rechtsinterpreten als Maßgabe sowie methodische Orientierung für eine Auslegung des Unionsrechts.291 Konkrete Bedeutung in der Auslegungspraxis des Unionsrechts erlangt der Grundsatz der praktischen Wirksamkeit vor allem in den Fällen, in denen sich ein eindeutiges Auslegungsergebnis mittels der allgemeinen Auslegungsmethoden nicht ermitteln lässt. Stehen sich zwei mögliche Auslegungen gegenüber, von denen nur eine der fraglichen Vorschriften überhaupt eine Wirkung zukommen lässt, ist diese zu wählen. Der Grundsatz greift allerdings ebenso in den Fällen, in denen sich zwei Auslegungen gegenüberstehen, die der zu untersuchenden Vorschrift zwar jeweils eine Wirkung zumessen, die Wirkungen sich in ihrer Intensität jedoch voneinander unterscheiden. In dieser Situation ist diejenige Auslegung zu präferieren, die der Rechtsvorschrift eine möglichst weitgehende Wirkkraft verleiht und so dem Integrationsziel des Unionsrechts am effektivsten zur Durchsetzung verhilft.292 Für die Auslegung des europäischen Verordnungsrechts lässt sich daraus Folgendes ableiten: Haben die Mitgliedstaaten 287 Auch der Grundsatz des effet utile wird durch das Prinzip der begrenzten Einzelermächtigung begrenzt, wonach die Europäische Union nur auf ihr im Einzelnen übertragenen, in den Primärverträgen festgelegten Bereichen zur Gesetzgebung befugt ist. 288 EuGH 13.6.1974 – Rs. 41/74 (van Duyn), Slg. 1974, 1337, Rn. 12: „Mit der den Richtlinien durch Artikel 189 zuerkannten verbindlichen Wirkung wäre es unvereinbar, grundsätzlich auszuschließen, dass betroffene Personen sich auf die durch die Richtlinie auferlegte Verpflichtung berufen können. Insbesondere in den Fällen, in denen etwa die Gemeinschaftsbehörden die Mitgliedstaaten durch Richtlinie zu einem bestimmten Verhalten verpflichten, würde die nützliche Wirkung („Effet Utile“) einer solchen Maßnahme abgeschwächt, wenn die Einzelnen sich vor Gericht hierauf nicht berufen und die staatlichen Gerichte sie nicht als Bestandteil des Gemeinschaftsrechts berücksichtigen könnten.“ 289 Thiele, Europäisches Prozessrecht, S. 46, Rn. 14 ff.; zum Begriff des effet utile siehe den Beitrag von Bergmann, in: Bergmann, Handlexikon der Europäischen Union. 290 Potacs, EuR 2009, 465, 466. 291 Roth, RabelsZ 75 (2011) 787, 802 f. 292 Staudinger, in: HandkommentarBGB, Vorbem. zu Art. 1 Rom I-VO, Rn. 2; Graf v. Westphalen, AnwBl. 2008, 1, 5; Potacs, EuR 2009, 465, 473.
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der EU die Kompetenz zum Erlass von sekundärrechtlichen Rechtsakten auf bestimmten Gebieten übertragen, ist diesen Rechtsakten im Zweifel im Wege der Auslegung ein möglichst weiter Wirkungsgrad zuzumessen. Insbesondere im Rahmen der Ermittlung des Anwendungsbereichs eines sekundärrechtlichen Rechtsaktes sowie der Auslegung von Ausnahmetatbeständen tritt dieser Umstand plastisch zu Tage. Im Einklang mit dem Grundsatz der effektiven Wirkung des Unionsrechts, sind Bereichsausnahmen somit im Zweifel restriktiv auszulegen und dem Rechtsakt ein möglichst großer Anwendungsbereich zuzumessen.293 bb) Autonome Auslegung des Unionsrechts – Auslegungsmonopol des EuGH Eine feststehende Säule der unionsrechtlichen Methodik bildet zudem der Grundsatz der autonomen Auslegung. Hiernach richtet sich das Begriffsverständnis innerhalb des Unionsrechts nach eigenen, unionsrechtlich geprägten Definitionen, die von der Auslegung des nationalen Rechts unabhängig sind. Neben der unionsrechtlich-autonomen Qualifizierung einzelner Begrifflichkeiten kann zudem eine selbstständige, verordnungsautonome Qualifikation stehen, die es erlaubt, gleichlautenden Begriffen in unterschiedlichen Verordnungen eine voneinander abweichende Bedeutung beizumessen. Untrennbar mit dem Grundsatz der unionsrechtlich-autonomen Auslegung geht die Zuständigkeit des EuGH einher, im Wege des Vorabentscheidungsverfahrens (Art. 267 AEUV) auf die Auslegung des Unionsrechts und damit auf die Begriffsbildung letztverbindlich einzuwirken. Aus dem besonderen Rang des Unionsrechts als Rechtsquelle eigener Art sowie dem Grundsatz der autonomen Auslegung des Unionsrechts folgt, dass die aus dem Völkervertragsrecht bekannten Auslegungsgrundsätze im Europarecht grundsätzlich keine Anwendung finden. Anders als im allgemeinen Völkerrecht kann somit auch die Staatenpraxis keinen Einfluss auf die Auslegung nehmen. Zwar sind völkerrechtliche Interpretationsansätze aus dem Unionsrecht nicht gänzlich verschwunden, allerdings beziehen sich diese allesamt auf den Bereich der intergouvernementalen Zusammenarbeit der Europäischen Union mit Drittstaaten. Finden lassen sich diese völkerrechtlichen Auslegungsmaximen im Wesentlichen in der Wiener Vertragsrechtskonvention (WKV). So spielt etwa bei der Auslegung völkerrechtlicher Verträge die Rücksichtnahme auf die staatliche Souveränität eine bedeutende Rolle, wobei dem Willen der Vertragsparteien ein besonderes Gewicht zugemessen wird (Art. 31 Abs. 4 WKV). Letzteres wiederum drückt sich vor allem dadurch aus, dass die dem Vertragsschluss nachfolgende Staatenpraxis Einfluss gewinnen kann (Art. 31 Abs. 3 lit. b) WKV).294 Außerhalb des intergouvernementalen Handelns der Europäischen Union gelten ausschließlich die unionsrechtlichen Auslegungsregeln, zu denen eine 293 294
Mit Blick auf die Rom II-VO Knöfel, in: NomosBGB6, Art. 1 Rom II-VO, Rn. 34. Insgesamt hierzu Roth, RabelsZ 75 (2011) 787, 795 ff.
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Auslegung nach der Staatenpraxis nicht zählt.295 Anders als noch unter Geltung des EVÜ296 die „spätere Praxis“ der Vertragsstaaten heranzieht, stellt die Staatenpraxis für die Auslegung der Rom I-VO keine zulässige Methode des Unionsrechts mehr da. b) Der Wortlaut von Art. 1 Abs. 2 lit. e) Rom I-VO Der Wortlaut von Art. 1 Abs. 2 lit. e) Rom I-VO nimmt „Schieds- und Gerichtsstandvereinbarungen“ vom Anwendungsbereich der Rom I-VO aus. Ausdrücklich vom Ausschluss erfasst sind somit zunächst lediglich Schiedsvereinbarungen, nicht jedoch das Schiedsverfahren als solches. Auch andere Sprachfassungen der Verordnung sprechen für ein solches Verständnis. So ist in der englischen und französischen Fassung etwa von „arbitration agreements and agreements on the choice of court“ sowie „les conventions d’arbitrage et d’élection de for“ die Rede. Auch die spanischen und italienischen Sprachfassungen stützen eine enge Auslegung. In der spanischen Fassung heißt es in Art. 1 Abs. 2 lit. e) Rom I-VO, dass „los convenios de arbitraje y de elección del tribunal competente“ ausgeschlossen seien, die italienische Version spricht von „i compromessi, le clausole compromissorie e le convenzioni sul foro competente“. Schließlich ist auch der niederländischen Fassung die Differenzierung von Schiedsvereinbarungen und Gerichtsstandsvereinbarungen zu entnehmen, indem die relevante Ausnahme nur für „overeenkomsten tot arbitrage en tot aanwijzing van een bevoegde rechter“ gilt. Es lässt sich somit festhalten, dass der Wortlaut der Verordnung sprachenübergreifend lediglich die Bestimmung des Schiedsvereinbarungsstatut vom Anwendungsbereich ausnimmt. Einen eindeutigen Wortlaut unterstellt, könnte man an dieser Stelle die Auslegung der Verordnung abschließen, ist es doch in der rechtswissenschaftlichen Methodik unbestritten, dass eine Auslegung stets beim Wortlaut zu beginnen und im Falle eines eindeutigen Wortlauts – sofern nicht ausnahmsweise von einem redaktionellen Versehen des Gesetzgebers ausgegangen werden kann – auch zu enden habe: Bei einer klar und eindeutig formulierten Norm ist kein Raum für eine weitergehende Auslegung.297 Dies übersähe allerdings, dass im vorliegenden Fall keine positive Aussage des Verordnungsgebers zugunsten der Geltung der Verordnung im Schiedsverfahren vorliegt, sondern vielmehr „nur“ eine negative Aussage darüber getroffen ist, dass der Verordnung jedenfalls zur Bestimmung des auf die Schiedsvereinbarung anwendbaren Rechts keine Geltung zukommt. Hieraus ließe sich sowohl e contrario argumentieren, dass die Verordnung mangels eindeutigen Ausschlusses des Schiedsverfahrens 295
Mankowksi, RIW 2011, 30, 34. Zobel, Schiedsgerichtsbarkeit und Gemeinschaftsrecht, S. 66 ff., die im Hinblick auf die Auslegung der Bereichsausnahme des Art. 1 Abs. 2 lit. d) EVÜ ausdrücklich auf die Staatenpraxis abstellt. 297 Wagner, FS Schumann, S. 535, 544 f. 296
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für dieses gelten solle, als auch im Sinne eines argumentum a fortiori, dass ein Ausschluss der Geltung für Schiedsvereinbarungen erst Recht ein Ausschluss des gesamten Schiedsverfahrens zur Folge habe. Ein solcher, wie auch immer gearteter Schluss, wäre seinerseits wiederum das Ergebnis einer Auslegung der Norm. Die Feststellung eines „eindeutigen Wortlauts“ setzt demnach eine Verständigung über den Inhalt und damit eine Auslegung voraus, sodass Eindeutigkeit allenfalls als Ergebnis der Auslegung festgestellt werden kann und letztlich nicht mehr bedeutet, als dass über das gefundene Auslegungsergebnis derzeit kein Streit besteht.298 Dies ist im Hinblick auf den Wortlaut von Art. 1 Abs. 2 lit. e) Rom I-VO jedoch nicht der Fall. c) Systematik aa) Verordnungsintern (1) Binnenterminologie der Verordnung Neben dem Wortlaut bietet die in der Verordnung verwendete Terminologie möglicherweise Aufschluss zugunsten weiterer Argumente zum Anwendungsbereich der Verordnung. Feststellen lässt sich zunächst, dass jedenfalls ein expliziter Ausschluss der Geltung im Schiedsverfahren an keiner Stelle zu finden ist. Wenn dies auch zu einer positiven Bestimmung des Anwendungsbereichs wenig beiträgt, zeigt es doch zumindest, dass der Verordnungsgeber die Frage des Anwendungsbereichs in Art. 1 Rom I-VO abschließenden zu regeln gedachte. Den Begriff des „Schiedsverfahren“ oder der „Schiedsgerichtsbarkeit“ sucht man darüber hinaus in der gesamten Verordnung vergeblich. Dies mag als Indiz dafür gelten, dass der Verordnungsgeber schlicht davon ausgegangen ist, dass die Verordnung im Schiedsverfahren keine Geltung erlangt. Allerdings wird der Begriff „Gericht“ im Verordnungstext ebenfalls nur vereinzelt gebraucht299 und zwar grundsätzlich ohne zu spezifizieren, ob es sich um ein staatliches oder privates Schiedsgericht handelt. Insbesondere im Hinblick auf die Geltung von Eingriffsnormen sowie den ordre public ist der Verordnungstext völlig offen, indem als Bezugspunkt lediglich der Staat genannt ist, indem sich das jeweilige Gericht befindet.300 Daneben ist der Gegensatz zwischen der Verwendung des 298
Wagner, FS Schumann, S. 535, 545. Ohne Berücksichtigung der Erwägungsgründe findet er sich im Verordnungstext selbst an insgesamt sieben Stellen. 300 Zur Frage der Eingriffsnormen siehe Art. 9 Abs. 2 Rom I-VO: „Diese Verordnung berührt nicht die Anwendung der Eingriffsnormen des Rechts des angerufenen Gerichts.“; zum ordre public-Vorbehalt siehe Art. 21 Rom I-VO: „Die Anwendung einer Vorschrift des nach dieser Verordnung bezeichneten Rechts kann nur versagt werden, wenn ihre Anwendung mit der öffentlichen Ordnung (‚ordre public‘) des Staates des angerufenen Gerichts offensichtlich unvereinbar ist.“ 299
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scheinbar engen, auf staatliche Verfahren zugeschnittenen Begriffs „Gericht“ anstelle des sprachlich umfassenderen Begriffs „Spruchkörper“ in anderen Sprachfassungen der Verordnung nicht in gleicher Weise zu finden. Dort heißt es lediglich „forum“, „foro“ oder „for“, sodass ganz allgemein auf das Forum verwiesen wird, in dem die jeweilige Streitigkeit entschieden wird. Da internationale Schiedsgerichte in ihrem jeweiligen Sitzstaat lokalisiert sind, stellen auch diese ein Forum der Streitbeilegung dar und somit grundsätzlich von der Verordnung erfasst.301 Ein anderes Bild ergibt sich aus Art. 3 Abs. 4 Rom I-VO: Die Rechtswahl der Parteien wird bei reinen Binnensachverhalten insoweit beschränkt, als sie eine Abwahl zwingenden Gemeinschaftsrechts ausschließt. Zur Bestimmung der zwingenden Vorschriften des Gemeinschaftsrechts wird dem unterschiedlichen Charakter der europäischen Rechtssetzungsinstrumente und hierbei insbesondere dem Instrument der umsetzungsbedürftigen Richtlinie Rechnung getragen, indem es heißt: „[…], so berührt die Wahl des Rechts eines Drittstaats durch die Parteien nicht die Anwendung der Bestimmungen des Gemeinschaftsrechts – gegebenenfalls in der von dem Mitgliedstaat des angerufenen Gerichts umgesetzten Form –, von denen nicht durch Vereinbarung abgewichen werden kann.“ (Hervorhebungen durch den Verfasser).
Die Verwendung des Begriffs „Mitgliedstaat“ in Verbindung mit dem angerufenen Gericht soll dabei nach vereinzelter Auffassung Ausweis dafür sein, dass die Verordnung lediglich an staatliche Gerichte, nicht jedoch an private Schiedsgerichte adressiert sei.302 Die Verwendung dieses Begriffs verwundert jedoch nur auf den ersten Blick. Zwar hebt er sich von dem ansonsten in der Verordnung verwendeten Begriff „Staat“ ab, dies allerdings nur insofern, als er eine notwendige Konkretisierung erhält, ohne die die Drittstaatenklausel des Art. 3 Abs. 4 Rom I-VO unvollständig wäre: Im Vergleich zu den Vorschriften über die Geltung von Eingriffsnormen in Art. 9 Rom I-VO oder die des ordre public in Art. 21 Rom I-VO, in denen allgemein der Begriff „Staat“ verwendet wird, geht es Art. 3 Abs. 4 Rom I-VO darum, auf einen europäischen Fundus zwingenden Rechts zu rekurrieren. Der Bezug auf den „Mitgliedstaat“ ist dabei logisch, da nur diese verpflichtet sind, europäisches Sekundärrecht umzusetzen. Hieraus eine Stellungnahme des Verordnungsgebers zur komplexen Frage des Anwendungsbereichs der Verordnung abzuleiten, erscheint eher fernliegend. Vielmehr zeigt die Formulierung in Art. 3 Abs. 4 Rom I-VO, dass der Verordnungsgeber die Terminologie der Verordnung präzise abgestimmt und notwendige Differenzierungen sprachlich zum Ausdruck gebracht hat. Hieraus wiederum ließen sich Rückschlüsse auf die Formulierung in Art. 1 Abs. 2 lit. e) Rom I-VO ziehen, indem anzunehmen ist, dass dem Gesetzgeber die Unterscheidung von Schiedsvereinbarung und Schiedsverfahren bei der textlichen Ausarbeitung der 301 302
Siehe auch Mankowski, RIW 2011, 30, 37. Unter anderem v. Hein, in: Rauscher, EuZPR/EuIPR, Einl Rom I-VO, Rn. 40.
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Verordnung bewusst gewesen ist und er diese auch sprachliche zum Ausdruck bringen wollte. (2) Der Zusammenhang zur Gerichtsstandsvereinbarung Des Weiteren ist dem Zusammenhang zur Gerichtsstandsvereinbarung innerhalb des Art. 1 Abs. 2 lit. e) Rom I-VO, in dem Schiedsvereinbarungen neben Gerichtsstandsvereinbarungen genannt sind, Rechnung zu tragen. Die sprachliche Verbindung deutet darauf hin, dass beide Arten der Vereinbarung gleich zu behandeln sind. Der Ausschluss von Gerichtsstandsvereinbarungen lässt sich im Zusammenspiel mit der EuGVVO erklären, welche in Art. 23 EuGVVO Vorgaben für die wirksame Vereinbarung über die gerichtliche internationale Zuständigkeit enthält. Die Rom I-VO wollte diesen Status nicht tangieren und nahm entsprechend Gerichtsstandsvereinbarungen aus ihrem Anwendungsbereich aus.303 Die überwiegende Mehrheit der Mitgliedstaaten der EU ordnet Gerichtsstandsvereinbarungen darüber hinaus dem Bereich des Verfahrensrechts zu. Einem Streit über die genaue rechtliche Qualifikation zwischen den Mitgliedstaaten wollte man seitens des europäischen Gesetzgebers durch einen Ausschluss vom Anwendungsbereich vermeiden.304 Unstreitig ist hierbei jedoch, dass sich der Ausschluss von Gerichtsstandsvereinbarungen nur auf die Vereinbarung selbst, nicht jedoch auf das anschließende Verfahren in dem durch die Parteien prorogierten Forum erstreckt. Übertragen auf die Inbezugnahme der Schiedsvereinbarung würde dies bedeuten, dass auch hier lediglich die Schiedsvereinbarung, nicht jedoch das anschließende Schiedsverfahren von der Geltung der Rom I-VO ausgeschlossen bliebe.305 In Übereinstimmung mit dem Zweck des Ausschlusses von Gerichtsstandsvereinbarungen lässt sich die Ausnahme von Schiedsvereinbarungen mit Art. II Abs. 2 UNÜ erklären, der ähnlich wie Art. 23 EuGVVO Voraussetzungen für den wirksamen Abschluss einer Schiedsvereinbarung enthält und mit dem die Rom I-VO unabhängig vom völkerrechtlichen Vorrang des UNÜ nicht in Konflikt geraten sollte.306 (3) Das Regel-Ausnahme-Verhältnis in Art. 1 Rom I-VO Ein Blick auf die Systematik der Verordnung, insbesondere die Ausgestaltung der Ausnahmetatbestände des Art. 1 Abs. 2 Rom I-VO, wirft ein weiteres Schlaglicht auf das Verständnis der Reichweite des Anwendungsbereichs der Verordnung. Die Technik des Verordnungsgebers bestand darin, zunächst einen 303
McGuire, SchiedsVZ 2011, 257, 262. Vgl. Staudinger, in: Leible, Das Grünbuch zum Internationalen Vertragsrecht, S. 37 f. 305 McGuire, SchiedsVZ 2011, 257, 262 spitzt in Opposition zu der von der Mehrheit der Autoren vertretenen Auffassung zu: „Es kann wohl keinem Zweifel unterliegen, dass die Vereinbarung einer Gerichtsstandsklausel nicht die Freiheit einschließt, zwingendes IPR abzuwählen. Warum sollte für eine Schiedsklausel anderes gelten?“ 306 So auch Mankowski, RIW 2011, 30, 31. 304
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möglichst umfassenden Anwendungsbereich mittels Art. 1 Abs. 1 Rom I-VO zu bestimmen und diesen sodann im Wege einzelner, eng umrissener Ausnahmen zu begrenzen. Dies steht in Einklang mit dem formulierten Ziel des europäischen Gesetzgebers, auf dem Weg zu einem einheitlichen gesamteuropäischen Kollisionsrecht möglichst viele Rechtsbereiche abzudecken. Entsprechend enthalten die in Art. 1 Abs. 2 Rom I-VO genannten Ausnahmen präzise abgesteckte Rechtsbereiche. So werden beispielsweise Fragen der Rechts-, Geschäfts- und Handlungsfähigkeit (lit. a)) und familien- und eherechtliche Schuldverhältnisse (lit. b), c)) vom Anwendungsbereich ausgenommen. Gleichzeitig finden sich Ausschlüsse für das Gesellschafts- und Vereinsrecht (lit. f)), die Ermittlung des Vertretungsstatuts (lit. g)) sowie die Behandlung der von der Rom II-VO erfassten culpa in contrahendo (lit. i)). All das lässt darauf schließen, dass der Verordnungsgeber im Rahmen der Beratungen zum Inhalt der Verordnung den Anwendungsbereich klar und sprachlich präzise definieren wollte. Es scheint daher zumindest nicht fernliegend, selbiges auch für die Formulierung des Ausschlusstatbestandes in Art. 1 Abs. 2 lit. e) Rom I-VO anzunehmen. Wenn der Verordnungsgeber hier also für Schieds- und Gerichtsstandsvereinbarungen eine Ausnahme in den Anwendungsbereich der Verordnung einziehen wollte, kann erst einmal nur davon ausgegangen werden, dass er auch nur diese vom Anwendungsbereich ausnehmen wollte und nicht auch das Schiedsverfahren als solches vom Ausschluss erfasst ist. (4) Erwägungsgründe Darüber hinaus sind die Erwägungsgründe zur Erforschung des Willens des Verordnungsgebers heranziehen. Diese besitzen, anders als der Verordnungstext selbst, keinen normativen Charakter, sollen jedoch nach ständiger Rechtsprechung des EuGH den verfügenden Teil der Verordnung in knapper Form begründen und sind mit diesem untrennbar verbunden.307 Aus ihnen können Rückschlüsse auf die verwendete Terminologie sowie die Reichweite bestimmter Regelungen gewonnen werden. So ist Erwägungsgrund 6 anzuführen, der als Ziel der Kollisionsnormvereinheitlichung ausgibt, „den freien Verkehr gerichtlicher Entscheidungen zu fördern“. Ob sich die zu fördernde freie Zirkulation gerichtlicher Entscheidungen lediglich auf Entscheidungen staatlicher Gerichte oder auch auf solche privater Schiedsgerichte erstreckt, wird nicht näher spezifiziert. Des Weiteren zeigt sich in den Erwägungsgründen die bereits anhand des Verordnungstextes getroffene Beobachtung, dass der Verordnungsgeber an keiner Stelle explizit auf die Geltung im Schiedsverfahren Bezug nimmt, die Schiedsgerichtsbarkeit jedoch auch nicht vom Anwendungsbereich ausnimmt. 307
Vgl. stellvertretend für viele EuGH 7.10.2010 – Rs. C-162/09 (Lassal), Slg. 2010, I9217, Rn. 50; EuGH 29.4.2004 – Rs. C-298/00 P (Italien ./. Kommission), Slg. 2004, I-4087, Rn. 97; EuGH 15.5.1997 – Rs. C-355/95 P (TWD), Slg. 1997, I-2549.
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So enthält Erwägungsgrund 12 die Aussage, dass eine wirksam vereinbarte Gerichtsstandsvereinbarung für die Ermittlung einer durch die Parteien getroffenen Rechtswahl als Indiz herangezogen werden solle. Ähnlich wie in Art. 3 Abs. 4 Rom I-VO ist dabei von der Wahl eines „Gericht[s] eine[s] Mitgliedstaats“ die Rede. Die Schiedsvereinbarung als Äquivalent zur Gerichtsstandsvereinbarung wird als Indiz für eine zwischen den Parteien getroffene Rechtswahl nicht genannt. Auch in der französischen Sprachfassung der Verordnung wird lediglich auf die Gerichtsstandsvereinbarung in Form des „accord entre les parties visant à donner compétence exclusive à une ou plusieurs juridictions d’un État membre […]“ verwiesen. Dies könnte dafür sprechen, dass der Verordnungsgeber stillschweigend davon ausgegangen ist, dass Schiedsverfahren nicht von der Rom I-VO erfasst sind und daher auch die Schiedsvereinbarung nicht zur Ermittlung einer möglichen Rechtswahl herangezogen werden dürfte. Wirft man jedoch einen Blick in die englische Sprachfassung der Erwägungsgründe, kommen erste Zweifel an dieser Schlussfolgerung auf. Hier scheint nicht nur die Gerichtsstands- sondern auch die Schiedsvereinbarung erfasst zu sein. So heißt es in eben jenem Erwägungsgrund 12: „An agreement between the parties to confer on one or more courts or tribunals of a Member State […] should be one of the factors to be taken into account in determining whether a choice of law has been clearly demonstrated.“ (Hervorhebungen durch den Verfasser). Unabhängig davon, dass ein Hinweis auf die sprachliche Differenzierung von „courts“ und „tribunals“ im Ergebnis wenig belastbar sein wird,308 lässt die englische Sprachfassung doch zumindest den Schluss zu, dass darin eine Unterscheidung von Gerichtsstandsvereinbarungen und Schiedsvereinbarungen angelegt ist. Dieser Umstand im Wortlaut des Erwägungsgrunds 12 ließe sich entgegen der zunächst aufgestellten Vermutung dahingehend interpretieren, dass der Verordnungsgeber davon ausgegangen ist, dass die Schiedsgerichtsbarkeit nicht vom Anwendungsbereich der Verordnung ausgenommen werden sollte, da ansonsten ein Verweis auf die Schiedsvereinbarung als Indikator für eine zwischen den Parteien getroffene Rechtswahl wenig Sinn ergäbe.309 Schließlich findet sich eine entsprechende Wortwahl auch in Erwägungsgrund 15 wieder, welcher inhaltlich auf die in Art. 3 Abs. 3 Rom I-VO enthaltene Beschränkung der Rechtwahlmöglichkeit bei reinen Inlandssachverhalten rekurriert. Die englische Fassung des Erwägungsgrunds stellt fest, dass bei Inlandssachverhalten trotz abweichender Rechtswahl das Recht, von dem nicht durch Vereinbarung abgewichen werden kann, Anwendung findet, und zwar „whether or not the choice of law was accompanied by a choice of court or tribunal.“ Auch hieraus ließe sich ableiten, dass der Verordnungsgeber die Schiedsgerichtsbarkeit durch die Inbezugnahme von Gerichts- und Schiedsvereinbarungen von der Verordnung erfasst sehen wollte. 308 309
In diese Richtung jedenfalls Nueber, SchiedsVZ 2014, 186, 188 f. So auch Yüksel, J.Priv.Int.L. 7 (2011) 149, 155.
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(5) Zwischenergebnis Es bleibt bis hierhin festzuhalten: Eine eindeutige Aussage der Verordnung über ihre Anwendung in Schiedsverfahren findet sich an keiner Stelle. Forderte man ein solches eindeutiges Bekenntnis des europäischen Gesetzgebers zur Anwendung der Verordnung auf die Schiedsgerichtsbarkeit, spräche dies gegen eine Anwendung. Mit Blick auf den ansonsten umfassend und präzise ausgestalteten Ausnahmekatalog des Art. 1 Abs. 2 Rom I-VO und dem darin zum Ausdruck kommenden Bestreben des Verordnungsgebers, den Anwendungsbereich der Verordnung möglichst trennscharf zu umreißen, lässt sich allerding mit guten Gründen argumentieren, dass der in Art. 1 Abs. 2 lit. e) Rom I-VO enthaltene Ausschluss der Schiedsvereinbarung nur diese und nicht das weitere schiedsgerichtliche Verfahren erfasse. bb) Verordnungsextern – Brüssel Ia-Verordnung und Rom II-Verordnung: Die „Schwesterverordnungen“ zur Rom I-Verordnung und der Grundsatz der einheitlichen Auslegung Als „Schwesterverordnungen“310 sind die Rom I-VO, die Brüssel Ia-Verordnung (EuGVVO)311 sowie die Rom II-VO312 einheitlich auszulegen. Dies stellt Erwägungsgrund 7 der Rom I-VO fest. Wörtlich heißt es darin, dass die Anwendungsbereiche der drei genannten Verordnungen „im Einklang stehen“ sollten. Eine beinahe wortgleiche Formulierung findet sich in Erwägungsgrund 7 der Rom II-VO. Es ist somit zu untersuchen, ob sich hieraus Erkenntnisse für die Auslegung der Rom I-VO gewinnen lassen. (1) Der Grundsatz der einheitlichen Auslegung Die vom Verordnungsgeber geforderte einheitliche Auslegung erklärt sich einerseits aus den verordnungsübergreifenden Regelungszielen wie der Verhinderung von „forum shopping“, andererseits aus der allen drei Verordnungen zu Grunde liegenden einheitlichen Qualifikation von vertraglichen und außervertraglichen Rechtsverhältnissen.313 Der Grundsatz der einheitlichen Auslegung wiederum bedeutet, dass den verwendeten Termini ein einheitliches Begriffs-
310
Mankowski, RIW 2011, 30, 38. Verordnung (EU) Nr. 1215/2012 des Europäischen Parlaments und des Rates über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen vom 12. Dezember 2012 (ABl. EU 2012 Nr. L 351, S. 1). 312 Verordnung (EG) Nr. 864/2007 des Europäischen Parlaments und des Rates über das auf außervertragliche Schuldverhältnisse anzuwendende Recht („Rom II“) vom 11. Juli 2007 (ABl. EU 2007 Nr. L 199, S. 40). 313 Diese bestimmt sich nach einer autonomen Auslegung des Europarechts und weicht an einigen Stellen (culpa in contrahendo) von der Abgrenzung im deutschen Recht ab; v. Hein, in: Rauscher, EuZPR/EuIPR, Einl Rom I-VO, Rn 21. 311
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verständnis zu Grunde gelegt wird.314 Dies betrifft etwa den Begriff der „Zivilund Handelssachen“, der in allen drei Verordnungen enthalten ist. Auch die Ausschlusstatbestände sollten, soweit sie sich überschneiden, einer einheitlichen Interpretation unterliegen.315 Schließlich bedeutet der Grundsatz, dass die zur EuGVVO ergangene Rechtsprechung des EuGH auch für die Auslegung der Rom-Verordnungen Gültigkeit besitzt.316 Neben der positiven Aussage des Erwägungsgrundes 7 lässt sich dem Grundsatz der einheitlichen Auslegung eine negative Aussage entnehmen, die die eigentliche Intention des Verordnungsgebers freilegen könnte: Die Formulierung „sollte“ in Erwägungsgrund 7 indiziert gewissermaßen, dass lediglich eine Orientierung an den beiden Verordnungen Brüssel I und Rom II gewollt ist, keineswegs jedoch ein starrer Gleichlauf der Auslegung einzelner Begriffe zwischen den Verordnungen vorgegeben werden sollte. Dem Verordnungsgeber waren vielmehr die Unterschiede in den Regelungszielen der jeweiligen Verordnungen und das damit verbundene Erfordernis einer differenzierenden Auslegung bewusst. Vergleicht man etwa die Konturierung des Anknüpfungspunkts des gewöhnlichen Aufenthalts in der EuGVVO sowie der Rom I-VO, lässt sich feststellen, dass der Verordnungsgeber der Rom I-VO bewusst von den Vorgaben der EuGVVO abweichen wollte. So fixiert der Verordnungsgeber in Art. 19 Abs. 1 Rom I-VO den gewöhnlichen Aufenthalt von Gesellschaften, Vereinen und juristischer Personen sowie natürlichen Personen, die in Ausübung ihrer beruflichen Tätigkeit handeln, ausschließlich am Ort der Hauptverwaltung bzw. der Hauptniederlassung. Eine inhaltlich gleichlaufende Regelung sieht auch Art. 23 Rom II-VO vor. Im Unterschied zu Art. 63 EuGVVO stellen die Rom-Verordnungen damit auf ein einziges Anknüpfungsmoment ab, während die EuGVVO alternativ an den Ort des satzungsmäßigen Sitz, der Hauptverwaltung oder der Hauptniederlassung einer juristischen Person abstellt. Erwägungsgrund 39 der Rom I-VO nennt als Grund hierfür die Rechtssicherheit für die Parteien, denen durch die Vorgabe eines einzigen Kriteriums eine klare Bestimmung des anwendbaren Rechts ermöglicht wird. Sinn und Zweck der EuGVVO ist es dagegen, durch eine alternative Anknüpfung an mehrere Kriterien zu einer Verstärkung der Gerichtspflichtigkeit juristischer Personen zu gelangen.317 Darüber hinaus ist der Verordnungsgeber der Rom I-VO an einigen Stellen bewusst von den Vorgaben des EuGH zur EuGVVO abgewichen. Dies wird 314
Garcimartín Alférez, EuLF 2008, I-61, I-62 spricht insoweit von einem „hermeneutic circle“, den die EuGVVO sowie die Rom I, II-Verordnungen bilden. 315 v. Hein, in: Rauscher, EuZPR/EuIPR, Einl Rom I-VO, Rn 21. 316 So zum Beispiel mit Blick auf das Kriterium des Ausrichtens auf den Verbraucherstaat in Art. 15 Abs. 1 lit. c) EuGVVO/Art. 6 Abs. 1 lit. b) Rom I-VO, verbundene Rechtssachen EuGH 7.12.2010 – Rs. C-585/08 (Pammer) und C-144/09 (Hotel Alpenhof), Slg. 2010, I-12527; Bitter, IPRax 2008, 96, 99 ff. 317 Thorn, in: Rauscher, EuZPR/EuIPR, Art. 19 Rom I-VO, Rn. 9.
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exemplarisch deutlich in der Rechtssache Pugliese:318 Darin ging es um die Frage, inwieweit eine Versetzung eines Arbeitnehmers bei einem italienischen Unternehmen mit vertraglich fixiertem Arbeitsort in Turin zu einem verbundenen deutschen Unternehmen mit Arbeitsort in München (unter gleichzeitiger Aussetzung der Verpflichtungen gegenüber dem Arbeitgeber in Italien) zur Begründung eines (zusätzlichen) Gerichtsstands gemäß Art. 5 Nr. 1 EuGVÜ am Arbeitsort in München führt. Art. 5 Nr. 1 EuGVÜ sah bei Individualarbeitsverträgen eine internationale Zuständigkeit an dem Ort vor, an dem der Arbeitnehmer gewöhnlich seine Arbeit verrichtet. Für den Fall, dass der Arbeitnehmer seine Arbeit gewöhnlich nicht in einem Staat entrichtet, wurde ein zusätzlicher Gerichtsstand an dem Ort begründet, in dem sich die Niederlassung befand, die den Arbeitnehmer eingestellt hat. Der EuGH hat dies im Hinblick auf die Rechtssache Pugliese in den Fällen für einschlägig erachtet, in denen zum Zeitpunkt des Abschlusses des zweiten Vertrages ein Interesse des ersten Arbeitgebers, gegenüber dem die Verpflichtungen des Arbeitnehmers ausgesetzt sind, an der Erfüllung der zu erbringenden Leistungen vom Arbeitnehmer für den zweiten Arbeitgeber an einem von diesem bestimmten Ort besteht.319 Maßgeblich dafür seien unter anderem, ob eine organisatorische oder wirtschaftliche Verbindung zwischen den beiden Arbeitgebern bestehe und beim Abschluss des ersten Vertrages der Abschluss des zweiten Vertrages bereits beabsichtigt war.320 Zuständigkeitsrechtlich hat der EuGH hier also den Erfüllungsort des zweiten Arbeitsverhältnisses in München auch auf das ursprüngliche Arbeitsverhältnis in Turin übergreifen lassen. Kollisionsrechtlich sind beide Arbeitsverhältnisse dagegen auseinanderzuhalten. Der Verordnungsgeber der Rom I-VO hat sich hier vom Urteil des EuGH bewusst abgrenzen wollen: Art. 8 Abs. 2 S. 1 Rom I-VO knüpft bei arbeitsvertraglichen Ansprüchen mangels Rechtswahl zum Schutz des Arbeitnehmers an den Ort des gewöhnlichen Arbeitsortes des Arbeitnehmers an. Dieser wechselt nach Art. 8 Abs. 2 S. 2 Rom I-VO auch dann nicht, wenn der Arbeitnehmer seine Arbeit „vorübergehend in einem anderen Staat verrichtet“. Es kommt also im Gegensatz zur internationalen Zuständigkeit nicht zu einer alternativen Anknüpfung an das Recht des zweiten Arbeitsortes. Erwägungsgrund 36 der Rom I-VO hält hierzu mit Blick auf die soeben geschilderte Rechtssache Pugliese fest, dass der Abschluss eines neuen Arbeitsvertrages mit dem ursprünglichen Arbeitgeber oder einem mit diesem verbundenen Unternehmen zur Erbringung von Arbeitsleistungen in einem anderen Staat das Kriterium der „vorübergehenden“ Verrichtung nicht entfallen lasse und somit auch auf diesen Vertrag das nach Art. 8 Abs. 2 S. 1 Rom I-VO berufenen Recht am ursprünglichen Arbeitsort Anwendung finde. 318 319 320
EuGH 10.4.2003 – Rs. C-437/00 (Pugliese), Slg. 2003, I-3573. EuGH 10.4.2003 – Rs. C-437/00 (Pugliese), Slg. 2003, I-3573, Rn. 23. EuGH 10.4.2003 – Rs. C-437/00 (Pugliese), Slg. 2003, I-3573, Rn. 24.
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Auch bezüglich der Vorschriften des Art. 7 Nr. 1 EuGVVO, der die internationale Zuständigkeit am Gerichtsstand des Erfüllungsortes regelt und Art. 4 Abs. 2 Rom I-VO, welcher im Rahmen der objektiven Anknüpfung an das Recht des gewöhnlichen Aufenthaltsort des Erbringers der charakteristischen Leistung anknüpft, zeigt sich die unterschiedliche Konzeption von Zuständigkeits- und Kollisionsrecht: In Art. 4 Abs. 2 Rom I-VO wird der Ort der charakteristischen Leistung zum maßgeblichen Anknüpfungskriterium gemacht und zu einem allgemeinen Prinzip der Anknüpfung nach der Rom I-VO erhoben. In Art. 7 Nr. 1 EuGVVO liegt das Konzept der Anknüpfung an den Erfüllungsort der vertragscharakteristischen Leistung lediglich bei Art. 7 Nr. 1 lit. b) EuGVVO zugrunde, in dem regelbeispielhaft für den Verkauf beweglicher Sachen sowie die Erbringung von Dienstleistungen der Ort der Erbringung der vertragscharakteristischen Leistung als Erfüllungsort definiert wird.321 In allen anderen Fällen greift jedoch gemäß Art. 7 Nr. 1 lit. c) EuGVVO die Grundregel des Art. 7 Nr. 1 lit. a) EuGVVO, wonach abstrakt auf den Ort der Erfüllung der streitigen Verpflichtung abzustellen ist.322 Ein Gleichlauf von EuGVVO und Rom I-VO ist also auch hier weder gegeben noch beabsichtigt. Aus dem Vorgenannten lässt sich ableiten, dass eine harmonische Auslegung zwischen der EuGVVO sowie den Rom-Verordnungen zwar grundsätzlich angestrebt wird, ein starrer Gleichlauf aber in Anbetracht der voneinander abweichenden Ziele der jeweiligen Verordnungen nicht zwingend ist. Dies gilt für die Fälle, in denen die Verordnungen explizit voneinander abweichen wollen, genauso wie für die Fälle, in denen lediglich durch die gewählten Begrifflichkeiten der Verordnungen Unterschiede zum Ausdruck gebracht werden. So wie gleiche Termini möglichst gleich ausgelegt werden sollten, sollte voneinander abweichenden Termini durch eine differenzierende Auslegung Rechnung getragen werden. Wenn nun von einigen Autoren darauf verwiesen wird, dass in der EuGVVO die gesamte Schiedsgerichtsbarkeit ausgenommen sei und dies nach dem Grundsatz der einheitlichen Auslegung auch für die Rom I-VO gelten müsste,323 lässt sich dem entgegenhalten, dass es bereits im Wortlaut von Art. 1 Abs. 2 lit. d) EuGVVO „Schiedsgerichtsbarkeit“ heißt, während Art. 1 Abs. 2 lit. e) Rom IVO bekanntlich nur die „Schiedsvereinbarung“ vom Anwendungsbereich ausnimmt. Dies ist umso bemerkenswerter, als die Rom I-VO zeitlich erst nach der EuGVVO in Kraft trat und der Verordnungsgeber – sollte er einen gleichlaufenden Anwendungsbereich intendiert haben – die Formulierung aus der EuGVVO in die Rom I-VO hätte übernehmen können. Dies geschah jedoch 321
Gottwald, in: MünchKommZPO3, Art. 5 EuGVO, Rn. 15. Gottwald, in: MünchKommZPO3, Art. 5 EuGVO, Rn. 30. 323 v. Hein, in: Rauscher, EuZPR/EuIPR, Art. 1 Rom I-VO, Rn. 40; noch zum EVÜ/ EuGVÜ Handorn, Das Sonderkollisionsrecht der deutschen internationalen Schiedsgerichtsbarkeit, S. 69 f. 322
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nicht. Stattdessen wählte er eine abweichende Formulierung, welche eine differenzierende Behandlung beider Ausschlusstatbestände nahelegt. Darüber hinaus sprachen die unterschiedlichen Motive des Verordnungsgebers beim Erlass der jeweiligen Verordnungen für eine unabhängige Betrachtung ihres jeweiligen Anwendungsbereichs. (2) Brüssel Ia-Verordnung (EuGVVO) Die EuGVVO nimmt als Instrument auf dem Gebiet eines vereinheitlichten europäischen Zivilprozessrechts gemäß Art. 1 Abs. 2 lit. d) EuGVVO die Schiedsgerichtsbarkeit als Ganze von ihrem Anwendungsbereich aus. Dies war bereits unter dem Vorgängerübereinkommen EuGVÜ der Fall und ist nur folgerichtig: Zum einen erstreckt sich die EuGVVO der Natur der Sache nach lediglich auf die Anerkennung und Vollstreckung staatlicher Gerichtsurteile.324 Jedenfalls die in der EuGVVO enthaltenen Gerichtsstandsregeln sind ersichtlich nicht für Schiedsgerichte konzipiert. Für diese gelten prozessual andere Regime. Zum anderen sind alle Mitgliedstaaten der EU Mitglieder des UNÜ, sodass nach Ansicht der Unterzeichnerstaaten des EuGVÜ ein Regelungsbedürfnis nicht bestand und Überschneidungen vermieden werden sollten.325 Die Rom I-VO muss hierauf, wie dargelegt, keine Rücksicht nehmen. Durch den Abschluss einer Schiedsvereinbarung haben die Parteien folglich die Freiheit, die Bestimmung der internationalen Zuständigkeit eines Mitgliedstaats nach der EuGVVO auszuschließen, wobei sich die Zulässigkeit der Schiedsvereinbarung selbst nach dem nationalen Schiedsverfahrensrechts oder vorrangiger internationaler Übereinkommen richtet. Art. 1 Abs. 2 lit. d) EuGVVO wird vom EuGH weit ausgelegt: Ausgeschlossen vom Anwendungsbereich der EuGVVO sind damit neben dem eigentlichen Schiedsverfahren auch gerichtliche Hilfsverfahren zur Unterstützung von Schiedsverfahren wie etwa dem Verfahren zur Ernennung oder Abberufung von Schiedsrichtern,326 zur Verlängerung von Fristen, zum Erlass des Schiedsspruchs oder zur Festlegung des Schiedsortes.327 Auch sind gerichtliche Entscheidungen mit dem Ziel, die Wirksamkeit einer Schiedsvereinbarung feststellen, nicht an der EuGVVO zu messen.328 Schließlich bezieht sich die EuGVVO nicht auf Verfahren und Entscheidungen 324
Mankowski, in: Rauscher, EuZPR/EuIPR, Art. 1 Brüssel I-VO, Rn. 27. Jenard-Bericht, ABl. EG 1975 Nr. C 59, S. 13, der allerdings den provisorischen Charakter dieses Ausschlusses deutlich hervorhebt, indem er mit Blick auf die bestehenden Staatsverträge sowie in der Voraussicht zukünftiger Reformen konstatiert: „Aus diesem Grunde erschien es angebracht, die Schiedsgerichtsbarkeit vorerst auszunehmen.“; Illmer, SchiedsVZ 2011, 248, 249; Benedettelli, Arb.Int’l 27 (2011) 583, 586 f. 326 EuGH 25.7.1991 – Rs. C-190/89 (Marc Rich), Slg. 1991, I-3855; EuGH 10.6.1997 – Rs. C-391/95 (Van Uden Maritime BV), Slg. 1998, I-7091. 327 Schlosser-Bericht, ABl. EG 1979 Nr. C 59, S. 93; Gottwald, in: MünchKommZPO3, Art. 1 EuGVO, Rn. 26. 328 Illmer, SchiedsVZ 2011, 248, 249. 325
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über Anträge auf Aufhebung, Änderung, Anerkennung und Vollstreckung von Schiedssprüchen.329 Davon erfasst sind auch Gerichtsentscheidungen, die Schiedssprüche bestätigen oder sachlich darauf beruhen. Hingegen fällt die Frage, ob die Schiedsvereinbarung überhaupt wirksam ist oder ob – sofern der Streitgegenstand im Übrigen von der EuGVVO erfasst ist – ein staatliches Gericht nach Art. 2 ff. EuGVVO zuständig ist, nicht unter den Ausschlusstatbestand. Vielmehr kann im Anwendungsbereich der Verordnung jedes Gericht selbst über seine Zuständigkeit entscheiden. Eine Entscheidung darf daher auch nicht durch eine anti-suit injunction, die dem Kläger untersagt, seine Klage vor staatlichen Gerichten weiterzuverfolgen, beschränkt werden.330 Dies folgt aus der für die Abgrenzung von internationaler Schiedsgerichtsbarkeit und europäischem Zivilverfahrensrecht maßgeblichen West Tankers-Entscheidung331: Das Gericht hatte dabei ausdrücklich festgestellt, dass die Anordnung einer strafbewährten anti-suit-injunction durch das englische House of Lords, mit dem Zuständigkeitssystem der EuGVVO unvereinbar ist und gegen den Grundsatz des gegenseitigen Vertrauens verstoße. Sofern der Streitgegenstand in der Hauptsache in den Anwendungsbereich der EuGVVO falle, sei es Sache jedes einzelnen Gerichts, im Wege einer Inzidentprüfung über die Wirksamkeit einer zwischen den Parteien geschlossenen Schiedsvereinbarung zu befinden. Im Ergebnis bedeutet dies für die Parteien, dass sie zwar parallel zum Verfahren vor einem staatlichen Gericht zur Feststellung der Gültigkeit der Schiedsvereinbarung ein Schiedsverfahren betreiben können, jedoch der Gefahr widersprüchlicher Entscheidungen und den damit verbundenen Problemen in einem anschließenden Anerkennungs- und Vollstreckungsverfahren ausgesetzt sind.332 Für das Verhältnis des internationalen Schiedsverfahrensrechts zum europäischen Recht zeigt das Urteil indessen, dass es sich aus Sicht des EuGH trotz des Ausschlusses der Schiedsgerichtsbarkeit in Art. 1 Abs. 2 lit. d) EuGVVO nicht um zwei voneinander unabhängige Regelungsregime handelt, sondern diverse Überschneidungen bestehen und insbesondere die Regelungsziele der einzelnen europäischen Gesetzgebungsakte (im Falle der EuGVVO der freie Zugang zu den Gerichten der Mitgliedstaaten und das gegenseitige Vertrauen in eine funktionierende Rechtspflege in allen Mitgliedstaaten333) Rückwirkungen auf die nationalen Schiedsverfahrensrechte haben können.334 Zudem betont der Gerichtshof in der Entscheidung West Tankers die besondere Bedeutung des effet utile-Grundsatzes für eine funktionierende Rechtsgemeinschaft. 329
BGH 14.4.1988 – III ZR 12/87, NJW 1988, 3090; Gómez Jene, IPRax 2005, 84, 90. EuGH 10.2.2009 – Rs. C-185/07 (Allianz S.p.A. u.a.), Slg. 2009, I-663 auf Vorlage des House of Lords; vgl. dazu Illmer, IPRax 2009, 312ff. 331 EuGH 10.2.2009 – Rs. C-185/07 (Allianz S.p.A. u.a.), Slg. 2009, I-663. 332 EuGH 10.2.2009 – Rs. C-185/07 (Allianz S.p.A. u.a.), Slg. 2009, I-663, Rn. 17. 333 Zum Grundsatz des gegenseitigen Vertrauens siehe Kaufhold, EuR 2012, 408 ff. 334 Vgl. auch Benedettelli, Arb.Int’l 27 (2011) 583, 587. 330
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Im Zuge der Reformdiskussion der EuGVVO wurde demnach auch über die Streichung des Ausnahmetatbestands und die Aufnahme der Schiedsgerichtsbarkeit in die EuGVVO beraten.335 Den Beratungen lag das Ziel zugrunde, parallele Verfahren vor staatlichen Gerichten und Schiedsgerichten über die Gültigkeit von Schiedsvereinbarungen besser als bisher verhindern zu können.336 Die EU-Kommission hatte vor diesem Hintergrund in ihrem Entwurf337 zur Reform der EuGVVO den Vorschlag gemacht, Verfahren, in denen über die Wirksamkeit einer Schiedsvereinbarung gestritten wird, in den Anwendungsbereich einzubeziehen.338 Praktisch sollte gemäß Art. 29 Abs. 4 des Entwurfs ein durch eine der Parteien angerufenes Gericht das Verfahren aussetzen, wenn seine Zuständigkeit aufgrund des Bestehens einer Schiedsvereinbarung bestritten wird und ein Schiedsgericht bereits mit der Sache betraut ist oder am Sitz des Schiedsverfahrens ein gerichtliches Verfahren zur Feststellung der Wirksamkeit der Schiedsvereinbarung anhängig ist. Die endgültige Fassung der Reform der Verordnung vom 12. Dezember 2012339 nahm diese Vorschläge jedoch nicht in den Verordnungstext auf und lässt den Ausschluss der Schiedsgerichtsbarkeit entsprechend unberührt. Allerdings wurde in die Neufassung ein Erwägungsgrund Nr. 12 eingeführt, der das Verhältnis der Schiedsgerichtsbarkeit zur EuGVVO näher ausführt. Das Bedürfnis einer Neujustierung war somit erkannt worden. So wird im ersten Absatz dieses Erwägungsgrundes im Anschluss an die Prämisse, dass die Verordnung für die Schiedsgerichtsbarkeit nicht gelte, festgehalten, dass die Gerichte bei Vorliegen einer Schiedsvereinbarung nicht daran gehindert seien, diese auf ihre Wirksamkeit und Erfüllbarkeit hin zu prüfen, das Verfahren auszusetzen oder die Parteien gemäß des nationalen Rechts auf die Schiedsgerichtsbarkeit zu verweisen. Die gerichtliche Entscheidung über die Wirksamkeit der Schiedsvereinbarkeit unterliegt nach dem zweiten Absatz des Erwägungsgrundes selbst nicht dem Anerkennungs- und Vollstreckungsregime der EuGVVO, sodass ein später in derselben Sache angerufenes Gericht eines anderen Mitgliedstaates nicht gehindert ist, die Schiedsvereinbarung erneut zu 335 Ausgehend von den bereits aus dem Jahr 2005 stammenden Vorschlägen von van Houtte, Arb.Int`l. 21 (2005) 509 ff. siehe den sogenannten Heidelberg Report zur Reform der EuGVVO von 2007 in Hess/Pfeiffer/Schlosser, The Brussels I – Regulation, S. 49 ff.; eine Zusammenfassung sowie Auseinandersetzung mit der Kritik der im Heidelberg Report unterbreiteten Reformvorschläge findet sich bei Schlosser, SchiedsVZ 2007, 129 ff.; darüber hinaus zusammenfassend v. Hein, RIW 2013, 97, 98 f.; Hess, FS v. Hoffmann, S. 648 ff.; di Brozolo, J.Priv.Int.L. 7 (2011) 423, 435. 336 Illmer, SchiedsVZ 2011, 248, 250. 337 KOM(2010) 748 endg. 338 Ausführliche Erläuterungen zum Kommissionsentwurf finden sich bei Illmer, RabelsZ 75 (2011) 645 ff. 339 Verordnung (EU) Nr. 1215/2012 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 12. Dezember 2012 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen (Neufassung) (ABl. EU 2012 L 351, S. 1).
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prüfen. Stellt ein Gericht jedoch die Unwirksamkeit einer Schiedsvereinbarung fest und entscheidet im Folgenden in der Hauptsache, so soll diese Entscheidung dem durch die EuGVVO gewährleisteten freien Verkehr gerichtlicher Entscheidungen unterliegen und in den Mitgliedstaaten anerkannt und vollstreckt werden.340 Schließlich bestätigt der letzte Absatz des zwölften Erwägungsgrundes den durch die Rechtsprechung des EuGH präzisierten Ausschluss von gerichtlichen Unterstützungs- und Nebenverfahren aus dem Zuständigkeitskatalog der EuGVVO.341 Hinsichtlich der Anwendbarkeit der EuGVVO durch Schiedsgerichte weist Mankowski darauf hin, dass ein Bereich verbleibe, in dem auch Schiedsgerichte die EuGVVO zu beachten hätten, nämlich im Rahmen der Anerkennung von Entscheidungen staatlicher Gerichte.342 Art. 32 EuGVVO verstehe unter einer anzuerkennenden Entscheidung zwar lediglich Entscheidungen eines „Gericht[s] eines Mitgliedstaats“. Dies definiere allerdings lediglich den Kreis der Organe, von denen die anzuerkennende Entscheidung stammen müsse. Dass auch Schiedsgerichte diese Entscheidungen anzuerkennen haben, sei dadurch nicht ausgeschlossen; es sei zudem materiell kein Grund ersichtlich, warum Schiedsgerichte sich über eine rechtskräftige staatliche Entscheidung hinwegsetzen und in der Sache eine dem widersprechende Entscheidung treffen können sollten.343 Daran vermag auch der in Art. 1 EuGVVO enthaltene Anwendungsbereich der Verordnung nicht zu ändern, da auch der in Art. 1 Abs. 1 EuGVVO gewählte Begriff der „Art der Gerichtsbarkeit“ eine Ausdehnung der Anerkennungsregeln auf die Schiedsgerichtsbarkeit zulasse.344 (3) Rom II-Verordnung Die Rom II-VO als zweite „Schwester“ der Rom I-VO auf dem Gebiet der außervertraglichen Schuldverhältnisse erwähnt in ihrem umfassend ausgestalteten Anwendungsbereich die Schiedsgerichtsbarkeit mit keinem Wort. Sie schließt sich somit weder der Terminologie der EuGVVO („Schiedsgerichtsbarkeit“) 340 Einschränkend hält der Erwägungsgrund jedoch fest, dass die Anerkennung der Entscheidung in der Hauptsache unter dem Vorbehalt steht, dass die Vollstreckung eines in derselben Sache ergangenen Schiedsspruchs aufgrund des vorrangig geltenden UNÜ durch einen Mitgliedstaat völkerrechtlich angeordnet wird; kritisch hierzu Domej, RabelsZ 78 (2014) 508, 542, die in dem „kryptischen Hinweis“ auf das UNÜ weniger einen Beitrag zu klaren rechtlichen Verhältnissen als vielmehr ein Einfallstor für neue Probleme sieht. 341 Siehe hierzu die Rechtsprechung des EuGH in der unten näher ausgeführten Rechtssache Marc Rich. 342 Mankowski, FS v. Hoffmann, S. 1012, 1016. 343 Mankowski, FS v. Hoffmann, S. 1012, 1016. 344 Mankowski, FS v. Hoffmann, S. 1012, 1017 mit dem weiteren Argument, dass bei einer Beschränkung des in Art. 1 Abs. 1 EuGVVO genannten Adressatenkreis auf staatliche Gerichte der in Art. 1 Abs. 2 lit. d) EuGVVO enthaltene Ausschluss der Schiedsgerichtsbarkeit wenig Sinn ergebe.
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noch der der Rom I-VO („Schiedsvereinbarung“) an. In Bezug auf den Ausschluss des Schiedsvereinbarungsstatuts ist dies zunächst logisch, handelt es sich bei der Schiedsvereinbarung doch um eine vertragliche Vereinbarung, welche somit per se nicht unter den Anwendungsbereich einer Verordnung zur kollisionsrechtlichen Vereinheitlichung des außervertraglichen Schuldrechts fällt.345 Im Hinblick auf die Schiedsgerichtsbarkeit ist damit allerdings nichts ausgesagt. Für den Ausschluss des Schiedsvereinbarungsstatuts vom Anwendungsbereich der Rom II-VO sprechen unabhängig von einer vertraglichen Qualifizierung der Schiedsvereinbarung die bereits zur Rom I-VO erörterten Gründe. Die Frage, ob die Rom II-VO darüber hinaus in der Schiedsgerichtsbarkeit Anwendung findet, ist davon strikt zu trennen und gesondert zu untersuchen. Hier lässt sich feststellen, dass die Entstehungsmaterialien zur Rom IIVO keine verwertbaren Aufschlüsse über die Frage der Einbeziehung der Schiedsgerichtsbarkeit in ihren Anwendungsbereich enthalten.346 Nimmt man hingegen den Wortlaut und die Systematik der Verordnung in den Blick, liegt eine Anwendung auf Schiedsverfahren im Vergleich zur Rom I-VO und dem darin enthaltenen umstrittenen Ausnahmetatbestand sogar näher:347 Im Vergleich zur Rom I-VO, bei der mittels eines Erst-Recht-Schlusses auf den Ausschluss der Schiedsgerichtsbarkeit geschlossen wird, bieten sich im Wortlaut des Anwendungsbereichs der Rom II-VO keinerlei Anzeichen für einen Ausschluss. Allein aus dem Schweigen des Gesetzgebers einen solchen zu konstruieren, würde bedeuten, dem Verordnungsgeber das generelle Bewusstsein für mögliche Überschneidungen zur Schiedsgerichtsbarkeit abzusprechen. Dass dies nicht der Fall ist, zeigt sich bereits an den Gesetzgebungsmaterialien zum EVÜ. Darüber hinaus darf dem Unionsgesetzgeber unterstellt werden, nur die Bereiche aus dem Anwendungsbereich einer Verordnung ausnehmen zu wollen, die ausdrücklich genannt sind. Die Schiedsgerichtsbarkeit ist nach dem Wortlaut des Ausnahmekatalogs in Art. 1 Abs. 2 Rom II-VO nicht genannt. Unterstützt wird diese Sichtweise durch Erwägungsgrund 8 der Rom II-VO, welcher die Verordnung „unabhängig von der Art des angerufenen Gerichts“ für anwendbar erklärt und von der niederländischen Ratspräsidentschaft in einem ersten Entwurf sogar um den später gestrichenen Zusatz „Dies bedeutet, dass die Verordnung auch in der Schiedsgerichtsbarkeit anwendbar ist“ erweitert werden sollte.348 Eine Beschränkung auf staatliche Gerichte scheint hierin jedenfalls nicht enthalten, woraus Wagner unter Verweis auf die funktionale Äquivalenz staatlicher und privater Gerichtsbarkeit folgert, dass die Schieds-
345 346
Mankowski, FS v. Hoffmann, S. 1012, 1022. Zum fehlenden Aussagegehalt der Materialien kursorisch Kondring, RIW 2010, 184,
190. 347
So auch Knöfel, in: NomosBGB6, Art. 1 Rom II-VO, Rn. 15. Rat der Europäischen Union, DG H III, Dokument 12746/04, S. 3, abrufbar unter: . 348
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gerichtsbarkeit vom Anwendungswillen der Rom II-VO erfasst sei.349 Dem schließt sich unter anderem Staudinger an und stellt mit Blick auf den Verordnungscharakter fest, dass daraus ein Vorrang der Kollisionsnormen der Rom IIVO vor abweichenden nationalen Anknüpfungsregeln folgt.350 Auch ist auf die Ausführungen Schacks hinzuweisen, der sich zwar mit dem Verweis auf eine aus seiner Sicht zweifelhaften Kompetenz der EU sowie den Bestrebungen der Mitgliedstaaten zur „Stärkung ihres jeweiligen Schiedsstandorts“ gegen eine Anwendbarkeit der Rom I-VO ausspricht, einer Bindung von Schiedsgerichten an die Rom II-VO aber offen gegenübersteht.351 Schließlich weist Knöfel darauf hin, dass es bereits im Rahmen der Rom I-VO nur durch eine weite Auslegung des Wortlauts der Verordnung gelänge, deren Anwendungswillen auf die Schiedsgerichtsbarkeit zu negieren. Fehlt ein Anknüpfungspunkt im Wortlaut gänzlich, sei nach dem Grundsatz der effektiven Wirkung des Unionsrechts eine Anwendung der Verordnung auf alle nicht explizit ausgeschlossenen Bereiche erst recht geboten.352 Demgegenüber sind die vorgebrachten Gegenpositionen im Ergebnis nicht überzeugend:353 So belässt es Halfmeier bei der apodiktischen Feststellung, Schiedsgerichte seien grundsätzlich nicht an nationales Kollisionsrecht gebunden, um unmittelbar im Anschluss eine Reihe von Fällen aufzuzählen, in denen Schiedsgerichte doch an die Rom-Verordnung gebunden seien und das EURecht nach dem Grundsatz des effet utile zur Anwendung kommen müsse.354 Laut Dickinson hätte eine Geltung der Rom II-VO in der Schiedsgerichtsbarkeit Wettbewerbsnachteile für Europa als Standort internationaler Schiedsverfahren zur Folge und sei mit der Privatautonomie der Parteien nicht vereinbar.355 349 Wagner, IPRax 2008, 1, 3, der seine Position auch mit einem Vergleich zur englischen Fassung der Verordnung, die insoweit von „courts and tribunals“ spricht, untermauert; im Ergebnis ebenfalls für eine Geltung der Rom II-VO im Schiedsverfahren, den von Wagner herangezogenen Vergleich zur englischen Sprachfassung jedoch aus systematischen Gründen für nicht tragfähig erachtend Mankowski, FS v. Hoffmann, S. 1012, 1022; ebenso Kondring, RIW 2010, 184, 190. 350 Staudinger, EuLF 2007, I-257, I-263; ders. AnwBl. 2008, 8, 13; auch Unberath/ Cziupka, in: Rauscher, EuZPR/EuIPR, Art. 1 Rom II-VO, Rn. 10 f. sehen dies im Ergebnis so, wobei sie eine Unterscheidung zwischen der Bindung des Schiedsgerichts auf der einen Seite und der der Parteien auf der anderen Seite an die Verordnung zugrunde legen. 351 Schack, FS Schütze, S. 511, 517 f. 352 Knöfel, in: NomosBGB6, Art. 1 Rom II-VO, Rn. 15. 353 Dickinson, The Rome II Regulation, Rn. 3.83 d); Halfmeier, in: Calliess, Rome Regulations, Art. 1, Rom II Regulation, Rn. 20. 354 Halfmeier, in: Calliess, Rome Regulations, Art. 1, Rom II Regulation, Rn. 20; zumindest bemerkenswert ist dabei, dass auch die im selben Werk enthaltene Kommentierung von Weller zur Rom I-VO die Frage der Geltung im Schiedsverfahren mit keinem Wort tangiert, sondern sich darauf kapriziert, den Ausschluss für Schiedsvereinbarungen näher zu erläutern, Weller, in: Calliess, Rome Regulations, Art. 1, Rom I Regulation, Rn. 33. 355 Dickinson, The Rome II Regulation, Rn. 3.83 c), d).
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Schließlich seien auch die durch die Rom II-VO geschützten Allgemeinwohlinteressen durch einen Ausschluss der Schiedsgerichtsbarkeit per se nicht gefährdet.356 Das Schweigen zur Schiedsgerichtsbarkeit im Text der Rom II-VO begründet er damit, dass im Gegensatz zur EuGVVO und zur Rom I-VO Überschneidungen zur Schiedsgerichtsbarkeit von vornherein nicht gegeben seien. Interessanterweise interpretiert er den in der Rom I-VO enthaltenen Ausschluss von Schiedsvereinbarungen eng, indem er hiervon in Abgrenzung zur EuGVVO nur Schiedsvereinbarungen, nicht aber die Schiedsgerichtsbarkeit als Ganze erfasst sieht.357 Dickinson scheint also eine Bindung an die Rom II-VO abzulehnen, während er diese für die Rom I-VO annimmt. Im Ergebnis spricht viel für eine Anwendung der Rom II-VO auf die Schiedsgerichtsbarkeit: Dass das Schweigen der Rom II-VO zur Schiedsgerichtsbarkeit nur zum Teil mit dem vertraglichen Charakter von Schiedsvereinbarungen erklärt werden kann, wurde bereits erläutert. Im Einklang mit dem europarechtlichen Gebot der restriktiven Auslegung von Ausnahmetatbeständen ist mangels entgegenstehendem Wortlaut von einem weiten Anwendungsbereich der Verordnung auszugehen. Die Systematik der Verordnung, insbesondere Erwägungsgrund 8, spricht zudem für eine Anwendung in der Schiedsgerichtsbarkeit. Schließlich wurde bereits erörtert, dass sich die Reichweite des nationalen Kollisionsrechts für Schiedsgerichte nach vorzugswürdiger Auffassung ohnehin lediglich auf die Bestimmung des Vertragsstatuts im Schiedsverfahren erstreckt. Eine Überschneidung des nationalen Kollisionsrechts und der Rom IIVO scheidet also bereits aufgrund divergierender sachlicher Anwendungsbereiche aus. Führt man sich dieses Ergebnis vor dem bereits erörterten Grundsatz der einheitlichen Auslegung der Anwendungsbereiche der Rom I und Rom IIVO vor Augen, lässt sich im Sinne einer einheitlichen Rechtsfindung durch Schiedsgerichte ein weiteres Argument dafür anführen, Schiedsgerichte zur Bestimmung des Vertragsstatuts an die Rom I-VO zu binden: Im Rahmen der Bestimmung des auf außervertragliche Ansprüche anwendbaren Rechts hätte das Schiedsgerichte nach der Rom II-VO zu entscheiden, während es das auf vertragliche Ansprüche zur Anwendung kommende Recht nach nationalem Kollisionsrecht zu bestimmen hätte. d) Exkurs: Der Gerichtsbegriff des Unionsrechts Wie im Rahmen der systematischen Auslegung bereits gesehen, wird eine Öffnung der Rom I-VO für die Schiedsgerichtsbarkeit vereinzelt mit dem Verweis auf den Gerichtsbegriff des Unionsrechts abgelehnt. Dieser erfasse nur staatliche Gerichte.358 Der in der Rom I-VO verschiedentlich verwendete Begriff der „Gerichte“ eines Mitgliedstaates sei unionsrechtlich so zu auszulegen, dass 356 357 358
Dickinson, The Rome II Regulation, Rn. 3.83 b). Dickinson, The Rome II Regulation, Rn. 3.83 a). Unter anderem v. Hein, in: Rauscher, EuZPR/EuIPR, Einl Rom I-VO, Rn. 40.
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darunter keine privaten Schiedsgerichte fielen. Demnach sei die Schiedsgerichtsbarkeit schon nach der Grundkonzeption der Verordnung nicht vom Anwendungsbereich erfasst. Bezug genommen wird hierbei im Wesentlichen auf die Rechtsprechung des EuGH und die darin enthaltenen Kriterien für die Vorlagefähigkeit von Schiedsgerichten im Rahmen des Vorabentscheidungsverfahrens.359 Weniger Berücksichtigung findet dabei allerdings der Umstand, dass das traditionelle Verständnis des EuGH vor dem Hintergrund der Rechtsentwicklungen in der Schiedsgerichtsbarkeit möglicherweise einem Wandel unterworfen ist und im Wege einer dynamischen Auslegung überdacht werden sollte. Als ein bemerkenswertes Anzeichen in diese Richtung kann jedenfalls aus jüngerer Zeit die Stellungnahme des Generalsanwalts Szpunar in der Rechtssache Ascendi360 gelten, der im Hinblick auf die Ausweitung des unionsrechtlichen Gerichtsbegriff für Schiedsgerichte den EuGH aufforderte, sich dem „postmodernen“ Phänomen einer Verlagerung der Rechtsprechung zum europäischen Wirtschaftsrecht auf die Schiedsgerichtsbarkeit anzunehmen, um die einheitliche Auslegung des Europarechts auf den betroffenen Gebieten nicht aus der Hand zu geben.361 aa) Die Rechtsprechung des EuGH Der EuGH hatte in mehreren Fällen Gelegenheit, darüber zu befinden, inwieweit Schiedsgerichte zur Vorlage an den EuGH im Rahmen des Vorabentscheidungsverfahrens nach Art. 267 AEUV (ex. Art. 177 EWG) berechtigt seien. Vorlageberechtigt und gegebenenfalls verpflichtet ist dabei ein „Gericht eines Mitgliedstaats“, das über die Auslegung der Verträge zu entscheiden hat. Nachdem der EuGH in zwei früheren Entscheidungen aus den Jahren 1966 und 1981 diese Berechtigung ständig eingerichteten Schiedsgerichten auf dem Gebiet des ärztlichen Berufs- und des Beamtenrechts mit der Begründung zugesprochen hat,362 der Begriff „Gericht“ erfasse unter bestimmten Voraussetzungen auch „andere Einrichtungen als allgemeine Gerichte“,363 schränkte er dies in den
359
Siehe nur Zobel, Schiedsgerichtsbarkeit und Gemeinschaftsrecht, S. 120 ff. EuGH 12.6.2014 – Rs. C-377/13 (Ascendi), ECLI:EU:C:2014:1754. 361 Schlussanträge des Generalanwalts Szpunar vom 08.4.2014, ECLI:EU:C:2014:246, Rn. 50: „Dies ist auch ein Aspekt der Spezialisierung von Gerichten und Richtern, die im Zuge der fortschreitenden Verkomplizierung der gesellschaftlich-wirtschaftlichen Verhältnisse und der sich daraus ergebenden, den Gerichten zur Entscheidung vorgelegten Streitigkeiten unentbehrlich ist. Diese Auffassung der Rechtspflege, die man postmodern nennen könnte, ergibt sich aus der Entwicklung der Gerichtsbarkeit und des Rechtssystems im Ganzen. Der Gerichtshof kann sich dieser Entwicklung nicht verschließen, sondern muss seine Praxis, darunter die Auslegung von Art. 267 AEUV, anpassen.“ 362 EuGH 30.6.1966 – Rs. 61/65 (Vaassen-Goebbel), Slg. 1966, 377 und EuGH 6.10.1981 – Rs. 246/80 (Broekmeulen), Slg. 1981, 2311. 363 EuGH 30.6.1966 – Rs. 61/65 (Vaassen-Goebbels), Slg. 1966, 377, Leitsatz 1. 360
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folgenden Entscheidungen Nordsee364 und Denuit365 zur Beurteilung privater Schiedsgerichte deutlich ein. Im Ergebnis lehnte der EuGH in beiden Fällen eine Vorlageberechtigung mit knapper Begründung ab: Im Gegensatz zu den zuvor ergangenen Entscheidungen hätten die Parteien sich privatautonom mittels vertraglicher Vereinbarung in die Schiedsgerichtsbarkeit begeben, ohne hierzu rechtlich oder faktisch verpflichtet gewesen zu sein.366 Da die öffentliche Gewalt des betroffenen Mitgliedstaats darüber hinaus weder in die Entscheidung, die Schiedsgerichtsbarkeit zu wählen, einbezogen worden sei, noch von Amts wegen in den Ablauf des schiedsgerichtlichen Verfahrens selbst eingreifen könne, sei eine Vorlageberechtigung nicht gegeben.367 Schließlich adressiere das Unionsrecht ganz allgemein ausschließlich die Mitgliedstaaten selbst und verpflichte sie zur Umsetzung und Befolgung des Unionsrechts, sodass auch nur diese über ihre jeweiligen staatlichen Gerichte vorlagebefugt seien. Gleichzeitig ließ der EuGH den privaten Schiedsgerichten in der Nordsee-Entscheidung jedoch ausdrücklich die Möglichkeit offen, im Rahmen gerichtlicher Unterstützungsmaßnahmen für Schiedsgerichte mittelbar eine Vorlage an den EuGH zu erreichen.368 So soll es Schiedsgerichten möglich sein, über die in einzelnen Schiedsverfahrensrechten gewährleisteten Unterstützungsmaßnahmen durch staatliche Gerichte, eine Vorlage an den EuGH zu erreichen.369 Diese als „goldene Brücke“370 bezeichnete mittelbare Vorlageberechtigung privater Schiedsgerichte ist dem EuGH seither häufig als inkonsistent und wenig überzeugend vorgehalten worden.371 Sie lässt jedenfalls aber darauf schließen, dass der EuGH bereits in der Nordsee-Entscheidung die Gefahr, die aus dem Ausschluss der Schiedsgerichtsbarkeit vom Anwendungsbereich des Art. 267 AEUV für die einheitliche Auslegung des Unionsrechts resultiert, erkannt hat.
364
EuGH 23.3.1982 – Rs. 102/81 (Nordsee), Slg. 1982, 1095. EuGH 27.1.2005 – Rs. C-125/04 (Denuit und Cordenier), Slg. 2005, I-923. 366 Der genaue Wortlaut: „In erster Linie ist festzustellen, daß es den Vertragsparteien bei Abschluß der Vereinbarung aus dem Jahr 1973 freistand, die Entscheidung von eventuell auftretenden Rechtsstreitigkeiten den ordentlichen Gerichten zu überlassen oder durch die Aufnahme einer diesbezüglichen Klausel in ihre Vereinbarung den Weg des Schiedsverfahrens zu wählen. Aus den Umständen ergibt sich, daß für die Vertragsparteien weder eine rechtliche noch eine tatsächliche Verpflichtung bestand, ihre Streitigkeit vor ein Schiedsgericht zu bringen.“; EuGH 23.3.1982 – Rs. 102/81 (Nordsee), Slg. 1982, 1095, Rn. 11. 367 EuGH 23.3.1982 – Rs. 102/81 (Nordsee), Slg. 1982, 1095, Rn. 12; EuGH 27.1.2005 – Rs. C-125/04 (Denuit und Cordenier), Slg. 2005, I-923, Rn. 13. 368 EuGH 23.3.1982 – Rs. 102/81 (Nordse), Slg. 1982, 1095, 1099. 369 Diese Möglichkeit wird jedoch längst nicht in allen nationalen Schiedsverfahrensrechten gewährt. In Deutschland ließe sich eine Vorlage wohl über § 1050 ZPO erreichen, vgl. hierzu auch die Ausführungen in Kapitel 4 – § 13. 370 Schütze, SchiedsVZ 2007, 121, 123 ff.; Nueber, ecolex 2014, 31, 32. 371 Siehe nur Zobel, Schiedsgerichtsbarkeit und Gemeinschaftsrecht, S. 154. 365
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Aus der weiteren Rechtsprechung des EuGH hat sich seither ein Kriterienkatalog entwickelt, durch den der EuGH die Voraussetzungen, die an den Gerichtsbegriff des Unionsrechts zu stellen sind, konturierte. Zwar ist dieser Katalog weder alleine ausschlaggebend noch erschöpfend, er kann jedoch als Anhaltspunkt bei der Beurteilung des Gerichtscharakters dienen.372 Eine Überprüfung dieser Kriterien vor dem Hintergrund der Entwicklungen der privaten Schiedsgerichtsbarkeit innerhalb der Mitgliedstaaten der EU mag somit Aufschluss darüber geben, ob ein Wandel des bisherigen unionsrechtlichen Verständnisses angezeigt ist und somit auch auf den Anwendungsbereich des europäischen Kollisionsrechts übertragen werden kann.373 bb) Anwendung der Kriterien des unionsrechtlichen Gerichtsbegriffs auf die private Handelsschiedsgerichtsbarkeit (1) Gesetzliche Legitimation des Spruchkörpers und ständige Einrichtung Nach der Rechtsprechung des EuGH kann nur eine ständige, nach den Rechtsvorschriften eines der Mitgliedstaaten errichtete Einrichtung ein Vorabentscheidungsersuchen vorlegen. Hieran lassen sich mit Blick auf die Schiedsgerichtsbarkeit insoweit Zweifel hegen, als private Schiedsgerichte nicht auf einer gesetzlichen Anordnung, sondern auf der privatautonomen Vereinbarung zweier oder mehrerer Parteien beruhen. Zudem könnte man in Frage stellen, ob Schiedsgerichte einen permanenten Charakter aufweisen. Wie allerdings die vorangegangenen Ausführungen zur Verankerung der Schiedsgerichtsbarkeit in den jeweiligen nationalen Rechtsordnungen gezeigt haben, sind Schiedsgerichte keineswegs unabhängig von den Rechtsordnungen, in denen sie ihren Sitz nehmen. Vielmehr enthalten die nationalen Schiedsverfahrensrechte eine Reihe von detaillierten verfahrensrechtlichen Vorschriften. Sie bieten den Schiedsgerichten Möglichkeiten, Unterstützungsmaßnahmen durch staatliche Gerichte einzuholen und regeln das Anerkennungs- und Vollstreckungsverfahren. Zwar bleibt es dabei, dass der Ausgangspunkt eines Schiedsverfahrens die Schiedsvereinbarung zwischen den Parteien ist. Sobald eine solche vorliegt, enthält das Schiedsverfahren durch das zugrunde liegende Schiedsverfahrensrecht allerdings einen zwingenden rechtlichen Rahmen. Ganz ähnlich verhält es sich auch hinsichtlich des ständigen Charakters des Spruchkörpers: Die überwiegende Zahl von Schiedsverfahren findet institutionalisiert statt.374 Vergleichbar mit der Geschäftsstelle eines Gerichts geben die Sekretariate der 372 Die Kriterien bereits in die Nähe einer „Kodifizierung“ rückend: EuGH 17.9.1997 – Rs. C-54/96 (Dorsch Consult), Slg. 1997, I-04961, Rn. 23; EuGH 31.5.2005, Rs. C-53/03 (Syfait u.a.), Slg. 2005, I-04609, Rn. 29; EuGH 13.12.2015, Rs. C-465/11 (Forposta), EU: C:2012:801, Rn. 17. 373 So jedenfalls Basedow, J.Int’lArb. 32 (2015) 367 ff. 374 Siehe nur die Zahlen bei Basedow, J.Int’lArb. 32 (2015) 367, 382.
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Schiedsinstitutionen den Parteien einen organisatorischen Ablauf des Schiedsverfahrens vor, stellen Schriftsätze zu, unterstützen bei der Benennung der Schiedsrichter, erheben Gebühren und nehmen nach einigen Schiedsordnungen eine (formale) Kontrolle des abschließenden Schiedsspruchs vor.375 In ihrer Aufgabe sind sie damit staatlichen Gerichten vergleichbar. Der konkrete Spruchkörper wird zwar für jedes Verfahren gesondert auf Grundlage der Schiedsvereinbarung der Parteien konstituiert. Dies unterscheidet sich allerdings nicht wesentlich von einem staatlichen Gericht, in dem die Zuweisung eines Rechtsstreits an den zuständigen Richter ebenfalls einer vorherigen Anhängigmachung des Verfahrens bei Gericht bedarf. Die Frage nach der permanenten Einrichtung eins Spruchkörpers kann somit nicht im Hinblick auf die einzelnen Rechtsstreitigkeiten, sondern nur systematisch beantwortet werden.376 Jedenfalls bei institutionalisierten Schiedsverfahren lässt sich somit konstatieren, dass zwar das einzelne Verfahren einen vorübergehenden, die Schiedsinstitution als solche jedoch einen ständigen Charakter aufweist. Im Ergebnis lässt sich festhalten: Die Schiedsgerichtsbarkeit in ihrer Gesamtheit ist als Streitlösungsmechanismus innerhalb der EU allgemein anerkannt und in den nationalen Rechten der Mitgliedstaaten gesetzlich verankert. Ihr kommt dabei auch ein ständiger Charakter zu, da sich die Parteien bei Abschluss einer Schiedsvereinbarung lediglich dieser, durch die Staaten eingeräumten Möglichkeit bedienen, ohne die Schiedsgerichtsbarkeit jedes Mal neu zu schaffen.377 (2) Rechtsprechungscharakter und verpflichtende Wirkung der Entscheidungen Nach den in der Rechtsprechung des EuGH aufgestellten Grundsätzen muss die Unterwerfung des Rechtsstreits unter die Entscheidung des Spruchkörpers für die Parteien zwingend sein, sie darf also insbesondere keinen rein empfehlenden Charakter aufweisen, wie dies beispielsweise auf die außergerichtliche Schlichtung und Mediation zutrifft. Mit Blick auf die private Schiedsgerichtsbarkeit ist dieses Kriterium erfüllt: Der Abschluss einer Schiedsvereinbarung bedeutet für die Parteien, dass ihnen der Weg zu den staatlichen Gerichten verwehrt ist und sie sich zwingend der Streitlösung im Wege der Schiedsgerichtsbarkeit unterworfen haben. Anders als bei anderen Formen der Streitbeilegung haben die Parteien bei Vorliegen 375
Siehe die Schiedsordnung der ICC, welche in ihrer seit 2012 geltenden Fassung in Art. 33 ICC-SchO sogar eine inhaltliche Prüfung des Schiedsspruchs durch die Schiedsinstitution sowie eine anschließende Genehmigung zur Voraussetzung für den anschließenden Erlass des Schiedsspruchs macht. 376 So auch in den Schlussanträgen von Generalanwalt Lenz in der Rs. 109/88 (Handelsog Kontorfunktionærernes Forbund i Danmark), EU:C:1989:228, Nr. 21. 377 Siehe die Schlussanträge des Generalanwalts Reischl vom 2.2.1982 in der Rechtssache Nordsee, Slg. 1982, 1095, 1117.
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einer wirksamen Schiedsvereinbarung nicht mehr die Wahl, entweder die staatlichen Gerichte oder aber ein Schiedsgericht anzurufen.378 Die Schiedsgerichtsbarkeit eröffnet daher keinen zusätzlichen Rechtsweg für die Parteien, sondern bietet eine (ausschließliche) Alternative zur staatlichen Gerichtsbarkeit.379 Eine Folge der Anrufung des – auf der Grundlage der Schiedsvereinbarung – zuständigen Schiedsgerichts durch den Kläger ist zudem, dass auch der Beklagte an diese Zuständigkeit gebunden ist und sich gegebenenfalls schadensersatzpflichtig macht, sollte er nichtsdestotrotz ein staatliches Gericht anrufen. Der Schiedsgerichtsbarkeit kommt somit im Hinblick auf den ausschließlichen Charakter der Streitbeilegung eine zwingende Wirkung für die Parteien zu. Darüber hinaus entfaltet auch der Schiedsspruch für die Parteien zwingenden Charakter. Ziel des Verfahrens vor einem Schiedsgericht ist der Erlass einer bindenden, vollstreckungsfähigen Entscheidung, die nicht lediglich eine unverbindliche Empfehlungen darstellt. Dieses Merkmal unterscheidet Schiedsgerichte etwa deutlich von einer Mediation.380 Dies wird nicht zuletzt durch die staatlichen Vollstreckungsmechanismen deutlich, welche einen Schiedsspruchs mit Zwangsmitteln ausstatten und eine zwangsweise Durchsetzung des Schiedsspruchs ermöglichen. (3) Streitiges Verfahren auf der Grundlage von Rechtsnormen Um den Gerichtsbegriff des Unionsrechts zu erfüllen, muss es sich bei der privaten Schiedsgerichtsbarkeit zudem um ein kontradiktorisches Streitbeilegungsverfahren handeln, in welchem die Entscheidungsfindung auf der Grundlage von Rechtsnormen erfolgt. Beide Kriterien wird man für die Handelsschiedsgerichtsbarkeit, wie sie in den Mitgliedstaaten der EU gegenwärtig praktiziert wird, für erfüllt erachten können. Unabhängig von der den Gegenstand der vorliegenden Arbeit bildenden Frage der Bestimmung des anwendbaren Sachrechts, richten sich die Beurteilungen des Schiedsgerichts in den allermeisten Schiedsgerichten jedenfalls nach einem Recht, denn auch schiedsgerichtliche Entscheidungen sind dem Grundsatz nach Rechtsentscheidungen.381 Lediglich im Hinblick auf Entscheidungen, die sich als reine Billigkeitsentscheidungen darstellen, dürfte die Erfüllung des Kriteriums fraglich sein.382
378
Münch, in: MünchKommZPO3, Vor §§ 1025 ff., Rn. 4. Siehe die Schlussanträge des Generalanwalts Szpunar vom 8.4.2014, ECLI:EU:C: 2014:246, Rn. 40. 380 Handorn, Das Sonderkollisionsrecht der deutschen internationalen Schiedsgerichtsbarkeit, S. 6. 381 Münch, in: MünchKommZPO3, § 1051, Rn. 56. 382 Zur Bedeutung und der Zulässigkeit von reinen Billigkeitsentscheidungen nach durch Schiedsgerichte siehe unten Kapitel 3 – § 6. 379
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(4) Unparteilichkeit und Unabhängigkeit des Spruchkörpers Schließlich bilden Unparteilichkeit und Unabhängigkeit des Spruchkörpers wesentliche Merkmale des unionsrechtlichen Gerichtsbegriffs. Diese müssen nach der Rechtsprechung des EuGH sowohl in sachlicher als auch in personeller Hinsicht vorliegen.383 Der sachliche Aspekt betrifft die Unabhängigkeit der Einrichtung und ihrer Mitglieder. Der personelle Aspekt betrifft die Unparteilichkeit der Mitglieder der Einrichtung gegenüber den Streitparteien und das Fehlen persönlicher Interessen an der jeweiligen Entscheidung. Auch wenn die private Schiedsgerichtsbarkeit im Rahmen der nationalen Rechtsordnungen staatlich legitimiert ist, so ist sie unstreitig kein Teil des staatlichen Ordnungsgefüges und somit erst Recht nicht in seiner materiellen Entscheidungsfindung durch staatliche Stellen beeinflusst. Schiedsgerichte sind frei in ihren Entscheidungen, sie sind dabei an Recht und Gesetz gebunden. Ihre Entscheidungen sind zudem grundsätzlich endgültig und nach den staatlichen Vollstreckungsregimen vollstreckbar. In sachlicher Hinsicht ist die Unabhängigkeit der privaten Schiedsgerichtsbarkeit damit gegeben. In personeller Hinsicht sind Schiedsgerichte mit einem oder mehreren Schiedsrichtern besetzt. Die Art und Weise der Bestimmung der Schiedsrichter und die für sie geltenden Voraussetzungen und Pflichten regeln sich nach den zugrunde liegenden Schiedsordnung sowie den Vorgaben der nationalen Schiedsverfahrensrechte. Häufig wird den Parteien dabei eine Liste von Schiedsrichtern zur Verfügung gestellt, die sich in früheren Verfahren bewährt haben und die über die erforderliche fachliche Expertise verfügen. Im Falle eines Dreierschiedsgerichts liegt es bei den Parteien, jeweils einen Schiedsrichter selbst zu benennen. In diesem Fall erfolgt die Benennung des Vorsitzenden dritten Schiedsrichters nur mit der Zustimmung der beiden übrigen Schiedsrichter oder, wenn diese Zustimmung fehlt, durch die jeweilige Schiedsinstitution.384 Weil die Schiedsrichter keine Berufsrichter sind, haben ihre persönlichen Unabhängigkeitsgarantien andere Grundlagen als die von staatlichen Richtern. So enthalten die meisten Schiedsordnungen und nationalen Schiedsrechte umfangreiche Offenlegungspflichten der Schiedsrichter, die möglichen Interessenkonflikte vorbeugen sollen.385 Auf internationaler Ebene existieren zudem seit einigen Jahren die IBA Guidelines on Conflicts of Interest in International Commercial Arbitration.386 Diese bieten einen detaillierten Katalog, um Interessen-
383
Siehe EuGH 22.12.2010 – Rs. C-517/09 (RTL Belgium), Slg. 2010, I-14093, Rn. 39 f. Siehe exemplarisch § 17 II DIS-SchO, welcher die Bestellung eines Schiedsrichters durch einen eigenen DIS-Ernennungsausschuss vorsieht. 385 Unter anderem § 16 I DIS-SchO, Art. 11 ICC-SchO. 386 Frei verfügbar unter . 384
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konflikten wirksam zu erkennen.387 Den Parteien stehen zudem sowohl in den Schiedsordnungen als auch nach den staatlichen Schiedsrechten ausdifferenzierte Verfahren zur Ablehnung und Absetzung eines für befangen gehaltenen Schiedsrichters zur Verfügung.388 Schließlich beruht die Unabhängigkeit der Schiedsrichter im Vergleich zu staatlichen Richtern auf dem Umstand, dass es sich um Personen in selbständiger Position handelt, für die die Tätigkeit als Schiedsrichter eine Dienstleistung darstellt, für deren Erbringung sie von den Parteien vergütet werden. Schon aus dem Motiv heraus, ihre berufliche Reputation und damit mittelbar ihren wirtschaftlichen Status nicht durch den Vorwurf der Parteilichkeit zu gefährden, werden die beteiligten Schiedsrichter ein Interesse daran haben, Zweifeln an ihrer Unabhängigkeit und Unparteilichkeit vorzubeugen. cc) Ergebnis Im Ergebnis ist somit festzuhalten, dass die moderne Handelsschiedsgerichtsbarkeit einer Überprüfung anhand der unionsrechtlich entwickelten Kriterien standhält. Zudem wies Berger bereits unter dem EWG darauf hin, dass der Gerichtsbegriff des Unionsrechts nicht ausschließlich nach starren Kriterien, sondern vielmehr „funktional“ auszulegen sei.389 Bereits zum damaligen Zeitpunkt stritt aus seiner Sicht die Anerkennung der Schiedsgerichtsbarkeit als materielle Rechtsprechung in den Rechtsordnungen der Mitgliedstaaten für eine Erweiterung des unionsrechtlichen Gerichtsbegriffs. Rund 30 Jahre später lässt sich konstatieren, dass die Einbindung der Schiedsgerichtsbarkeit in den europäischen Rechtsraum weiter fortgeschritten ist und Schiedsgerichte regelmäßig materielles Unionsrecht als Grundlage ihrer Entscheidungen anwenden.390 In der Rechtsprechung des EuGH lassen sich zudem vermehrt Tendenzen beobachten, die sich für eine Ausweitung des unionsrechtlichen Gerichtsbegriffs aussprechen. Das Bedürfnis nach einer einheitlichen Auslegung des Unionrechts sollte somit nicht weiter davon abhängen, ob seine Anwendung durch staatliche Gerichte oder durch Schiedsgerichte erfolgt. Hierdurch ließe sich schließlich auch dem als misslich empfundenen Zustand begegnen, dass große Bereiche des Wirtschaftsrechts auf die Schiedsgerichtsbarkeit verlagert und damit praktisch einer Rechtsfortbildung durch den EuGH entzogen sind.391 Im Ergebnis ist die Schiedsgerichtsbarkeit im Wege einer dynamischen Auslegung sowie 387 Die IBA Guidelines differenzieren dabei nach einer sogenannten, roten, orangene und grünen Liste, welche nicht abschließende Beispiele für Situationen enthalten, die eine Befangenheit des jeweiligen Schiedsrichters begründen. 388 In Deutschland §§1036 ff. ZPO. 389 Berger, Internationale Wirtschaftsschiedsgerichtsbarkeit, S. 315. 390 Basedow, J.Int’lArb. 32 (2015) 367. 391 Siehe hierzu eingehender Kapitel 4.
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eines Wandels im Verständnis des EuGH unter den unionsrechtlichen Gerichtsbegriff zu fassen, sodass eine Einbeziehung in den Anwendungsbereich des europäischen Kollisionsrechts angezeigt erscheint.392 e) Historische Kontextualisierung Die Materialien zur Entstehung der Rom I-VO bringen hinsichtlich der Geltung der Verordnung im Schiedsverfahren nur wenig Verwertbares hervor. Dennoch lassen sich aus der durch die Europäische Kommission initiierten Diskussion über das im Jahre 2003 vorgelegte Grünbuch sowie dem darauf maßgeblich zurückgehenden Verordnungsentwurf aus dem Jahre 2005 einige Hinweise auf die Gemengelage der Interessen von staatlicher Seite, Wissenschaft und Praxis entnehmen. Die übergreifende Frage, ob die Rom I-VO in der Schiedsgerichtsbarkeit, namentlich bei der Bestimmung des anwendbaren Rechts, zur Anwendung kommen soll, wurde im Entstehungsprozess der Verordnung gänzlich unerwähnt gelassen.393 Als Gründe für die mangelnde Befassung des Verordnungsgeber mit dieser Frage werden unterschiedliche Erklärungen angeführt: So wird vorgebracht, der Gesetzgeber habe diese Thematik schlicht übersehen, oder aber darauf verwiesen, die Verfasser der Rom I-VO gingen davon aus, die Frage sei bereits im EVÜ hinreichend klar geregelt gewesen, sodass es insoweit keinen Nachbesserungsbedarf gegeben habe. Schließlich heißt es, dass dem Verordnungsgeber eine Regelung zum Schiedsverfahrensrecht schlicht zu kompliziert erschienen sei und er daher diese Materie von vornherein aus den Verhandlungen habe ausklammern wollen. Rückschlüsse lassen sich dagegen möglicherweise aus der Diskussion um die in Art. 1 Abs. 2 lit. e) Rom I-VO enthaltene Bereichsausnahme für Schiedsvereinbarungen ziehen. Ausgangspunkt kann hierbei die Frage 6 im Grünbuch der Europäischen Kommission sein, welche die Übernahme der noch in Art. 1 Abs. 2 lit. d) EVÜ enthaltenen Bereichsausnahme von Schieds- und Gerichtsstandsvereinbarungen in die Rom I-VO thematisierte und an die Öffentlichkeit die Frage richtete, ob sie die Aufnahme von auf Schieds- und Gerichtsstandsklauseln anwendbaren Kollisionsnormen für zweckmäßig erachten würde.394 Die Kommission erläutert zu den Hintergründen für diese Frage, dass sie sich der im Bereich der Schiedsgerichtsbarkeit bestehenden internationalen Übereinkommen bewusst sei. Sie konstatiert allerdings auch, dass diese internationalen Übereinkommen (UNÜ) lediglich die Anerkennung und Vollstreckung von Schiedssprüchen betreffen und es somit 392 Zu den Fragen und Problemen, die sich dabei für eine mögliche Vorlagepflicht durch Schiedsgerichte ergeben, siehe ebenfalls in Kapitel 4 – § 13. 393 Mankowski, FS v. Hoffmann, S. 1012, 1023. 394 Grünbuch über die Umwandlung des Übereinkommens von Rom aus dem Jahr 1980 über das auf vertragliche Schuldverhältnisse anzuwendende Recht in ein Gemeinschaftsinstrument sowie über seine Aktualisierung vom 14.1.2003, KOM(2002) 654 endg., 25.
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unter Umständen einer kollisionsrechtlichen Regelung außerhalb des Anerkennungs- und Vollstreckungsverfahrens bedürfe.395 Die daraufhin einsetzende Diskussion zeigte, dass ein Ausschluss der Schiedsvereinbarungen vom Anwendungsbereich der Rom I-VO keineswegs allgemeiner Konsens war. Staudinger sprach sich beispielsweise dafür aus, eine Rückausnahme vom Ausnahmentatbestand des Art. 1 Abs. 2 lit. e) Rom I-VO zu schaffen, durch die zum Schutz des Verbrauchers vorformulierte Schieds- und Gerichtsstandsvereinbarungen in Verbraucherverträgen den kollisionsrechtlichen Schutzvorschriften der Rom I-VO unterliegen.396 Eine vom Max-PlanckInstitut für ausländisches und internationales Privatrecht eingerichtete Expertengruppe votierte gar dafür, den Begriff „Schiedsvereinbarung“ in Art. 1 Abs. 2 lit. e) Rom I-VO ganz zu streichen.397 Im Anwendungsbereich des UNÜ sollte sich demnach die Wirksamkeit einer Schiedsklausel aufgrund des in Art. 25 Rom I-VO enthaltenen Vorrangs internationaler Übereinkommen nach dem UNÜ richten, alle verbleibenden Fälle aber nach dem Petitum der Expertengruppe des Max-Planck-Instituts unter die Rom I-VO fallen.398 Die genannten Stellungnahmen stießen bei der Europäischen Kommission auf Gehör. Der Gedanke, den Ausschluss ganz aufzugeben, um eine einheitliche Kollisionsnorm für nicht bereits anderswo geregelten, vertraglichen Aspekte von Gerichtsstands- und Schiedsvereinbarungen zu erreichen, konnte sich in den Beratungen zur Rom I-VO aber letztlich nicht durchsetzen.399 Dies lag zum einen an der bestehenden Unsicherheit über die Kompetenz der EU auf dem Gebiet der Schiedsgerichtsbarkeit. Zum andern bestand wenig Klarheit, für welche Punkte angesichts der für die Anknüpfung von Schiedsvereinbarungen international existierenden Kollisionsnormen noch Regelungen erforderlich waren.400 395
Grünbuch über die Umwandlung des Übereinkommens von Rom aus dem Jahr 1980 über das auf vertragliche Schuldverhältnisse anzuwendende Recht in ein Gemeinschaftsinstrument sowie über seine Aktualisierung vom 14.1.2003, KOM(2002) 654 endg., 25. 396 Staudinger, in: Leible, Das Grünbuch zum Internationalen Vertragsrecht, S. 37, 45. 397 Max-Planck-Institut für ausländisches und internationales Privatrecht, RabelsZ 68 (2004) 1, 22, 98. 398 Max-Planck-Institut für ausländisches und internationales Privatrecht, RabelsZ 68 (2004) 1, 22. 399 Siehe den Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates über das auf vertragliche Schuldverhältnisse anzuwendende Recht (Rom I), KOM(2005) 650 endg.; zurückgehend unter anderem auf den Bericht des Rechtsausschusses über den Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates über das auf vertragliche Schuldverhältnisse anzuwendende Recht (Rom I), KOM(2005) 650 endg. vom 21.11.2007 (A6-0450/2007), Berichterstatter C. Dumitrescu, der eine Streichung des Ausschlusstatbestandes nicht vorsah; Magnus, in: Staudinger, BGB, Art. 1 Rom I-VO, Rn. 73. 400 Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates über das auf vertragliche Schuldverhältnisse anzuwendende Recht (Rom I), KOM(2005) 650 endg., 5; Garcimartín Alférez, EuLF 2008, I-61, I-64; Staudinger, in: Leible, Das Grünbuch zum Internationalen Vertragsrecht, S. 37 ff.
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Der Entstehungsgeschichte ist aber weder zu entnehmen, dass damit jeder Rückgriff auf die Verordnung ausgeschlossen sein sollte,401 noch, dass durch die Beibehaltung des Ausnahmetatbestands für Schiedsvereinbarungen die Schiedsgerichtsbarkeit als Ganze ausgenommen sein sollte. f)
Teleologische Auslegung – Leitmotive des Verordnungsgebers
Für eine teleologische Auslegung der Bereichsausnahme des Art. 1 Abs. 2 lit. e) Rom I-VO sind der Sinn und Zweck der konkreten Regelung zu erforschen. Darüber hinaus wird ein Blick auf die Leitmotive des europäischen Gesetzgebers bei Erlass der Rom I-VO und deren Vereinbarkeit mit den Wesensmerkmalen der Schiedsgerichtsbarkeit geworfen, um Aufschluss über die Angemessenheit einer Anwendung in schiedsgerichtlichen Verfahren zu gewinnen. aa) Vermeidung von Überschneidungen mit dem UNÜ und anderen völkerrechtlichen Übereinkommen Ausweislich des Guiliano-Lagarde-Berichts zielten die Delegierten bei Ausarbeitung des EVÜ darauf ab, mittels der Bereichsausnahme in Art. 1 Abs. 2 lit. d) EVÜ eine Überschneidung zu parallel geltenden völkerrechtlichen Übereinkommen auf dem Gebiet der internationalen Schiedsgerichtsbarkeit zu vermeiden. Durch die Übernahme der Bereichsausnahme in Art. 1 Abs. 2 lit. e) Rom I-VO gilt dieser Zweck für die Rom I-VO fort. Mit Blick auf die Frage, ob dieser Zweck für einen Ausschluss des gesamten Schiedsverfahrens aus dem Anwendungsbereich der Rom I-VO streitet, sind zwei Überlegungen aufschlussreich, die in den vorangegangenen Ausführungen bereits angeklungen sind. Zunächst ist in Erinnerung zu rufen, dass mit dem UNÜ zwar ein internationales Übereinkommen vorliegt, welches im Hinblick auf die Bestimmung des Schiedsvereinbarungsstatuts Regelungen beinhaltet. Ein Übereinkommen für den Bereich von Kollisionsnormen für die Bestimmung des auf die Hauptsache anwendbaren Rechts in Schiedsverfahren, existiert jedoch nicht. Auch das EuÜ ändert hieran nichts. Während für den Ausschluss des Schiedsvereinbarungsstatuts in Art. 1 Abs. 2 lit. d) EVÜ bzw. Art. 1 Abs. 2 lit. e) Rom I-VO die Befürchtung einer Kollision mit dem UNÜ zumindest auf den ersten Blick nachvollziehbar erscheint, trifft diese jedenfalls im Hinblick auf die Frage der Bestimmung des Hauptsachestatuts nicht zu. Eine Aufnahme des schiedsgerichtlichen Verfahrens in den Anwendungsbereich der Rom I-VO stünde somit im Einklang mit der bereits zum EVÜ geführten Diskussion der Delegationen der Mitgliedstaaten. Darüber hinaus ist darauf hinzuweisen, dass sowohl das EVÜ als auch die Rom I-VO zum Verhältnis zu bestehenden internationalen Übereinkommen ausdrücklich Stellung beziehen. Art. 21 EVÜ bzw. Art. 25 Rom I-VO sehen 401
Magnus, in: Staudinger, BGB, Art. 1 Rom I-VO, Rn. 73.
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übereinstimmend einen Vorrang von Übereinkommen vor, denen ein oder mehrere Mitgliedstaaten zum Zeitpunkt der Annahme angehörten und die eigene Kollisionsnormen für die Bestimmung des Vertragsstatuts enthalten. Eine beinahe wortgleiche Vorschrift findet sich im Übrigen auch in der Rom II-VO. Dem europäischen Gesetzgeber war somit die Möglichkeit einer Überschneidung des Anwendungsbereichs des europäischen Kollisionsrechts mit entgegenstehenden völkerrechtlichen Übereinkommen bewusst. Selbst wenn somit internationale Übereinkommen bestanden hätten, die verbindliche Kollisionsnormen für die Bestimmung des Vertragsstatuts in internationalen Schiedsverfahren enthalten hätten, hätten diese gem. Art. 25 Abs. 1 Rom I-VO Vorrang gehabt. Man hätte einen Ausschluss der Schiedsgerichtsbarkeit aus dem Anwendungsbereich der Verordnung also gar nicht eigens festschreiben müssen; die Bereichsausnahme für das Schiedsvereinbarungsstatut hat somit lediglich deklaratorischen Charakter. Der deklaratorische Charakter der Bereichsausnahme in Art. 1 Abs. 2 lit. e) Rom I-VO sowie der Umstand, dass der europäische Gesetzgeber ausweislich der Gesetzesmaterialien zum EVÜ das Ziel verfolgte, mögliche Überschneidungen zum UNÜ auszuschließen, streiten für eine enge, am Wortlaut orientierte Auslegung der Bereichsausnahme und damit gegen einen Ausschluss der Schiedsgerichtsbarkeit als Ganze aus dem Anwendungsbereich. bb) Rechtssicherheit und Vorhersehbarkeit (schieds-)gerichtlicher Entscheidungen Erwägungsgrund 6 Rom I-VO nennt als Ziel der Verordnung, „den Ausgang von Rechtsstreitigkeiten vorhersehbar zu machen und die Sicherheit in Bezug auf das anzuwendende Recht sowie den freien Verkehr gerichtlicher Entscheidungen zu fördern“. Nach Erwägungsgrund 16 Rom I-VO sollen die Kollisionsnormen der Verordnung „ein hohes Maß an Berechenbarkeit aufweisen, um zum allgemeinen Ziel dieser Verordnung, zur Rechtssicherheit im europäischen Rechtsraum, beizutragen.“ Die Parteien sollen vorhersehen können, auf welcher Grundlage ein Gericht seine Entscheidung treffen und welches die maßgeblichen Kriterien für die Beantwortung der sich stellenden Rechtsfragen sein werden. Kegel/Schurig402 stellen hierzu fest: „Vorhersehbarkeit bewirkt Überprüfbarkeit und Reproduzierbarkeit und ist damit unabdingbar für die Gleichbehandlung, an der ebenfalls ein elementares Ordnungsinteresse besteht, weil sie die Basis einer gerechten Ordnung ist.“ Dem kommt im internationalen Wirtschaftsverkehr eine besonders wichtige Rolle zu, da die mit grenzüberschreitenden Streitigkeiten verbundenen Rechtsverfolgungskosten regelmäßig hoch sind und die rechtlichen Risiken eines Geschäfts demnach schon vor dessen Abschluss so gut wie möglich 402
Kegel/Schurig, IPR, § 2 II. 3. c).
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bewertet werden können sollten.403 Vorhersehbarkeit der rechtlichen Entscheidung bewirkt eine Reduzierung von Transaktionskosten für den einzelnen Akteur sowie Wohlfahrtsgewinne für die beteiligten Volkswirtschaften als Ganze.404 Denn je geringer die Rechtssicherheit und Vorhersehbarkeit gerichtlicher Entscheidungen, desto höher die Notwendigkeit der beteiligten Parteien, alle Eventualitäten zeit- und kostenintensiv zu antizipieren und sich dagegen abzusichern.405 Dass darüber hinaus in kollisionsrechtlichen Zusammenhängen das Bestehen klarer Regeln gegenüber flexiblen Standards grundsätzlich geringere Transaktionskosten für die Parteien verursacht, hat Rühl in einer ökonomischen Analyse des internationalen Privatrechts herausgearbeitet.406 Die Rom I-VO hält durch ihre ausdifferenzierten Anknüpfungskataloge sowie die im Hintergrund wirkende Rechtsprechung des EuGH ein hohes Maß an Berechenbarkeit bereit. Es liegt zudem umfassende Literatur und Rechtsprechung der Gerichte der Mitgliedstaaten sowie des EuGH vor, auf die sowohl die Schiedsrichter als auch die Parteien bei der Beurteilung der Erfolgsaussichten ihres Rechtsstreits zurückgreifen können.407 Vergleicht man die Kollisionsnormen der Rom I-VO mit nationalen Schiedsrechten in der EU,408 fällt eine ungleich höhere Regelungsdichte auf, die bereits mit Blick auf § 1051 ZPO herausgestellt wurde. Gleichzeitig ist die Verordnung offen für die individuellen Verschiedenheiten des jeweils zu beurteilenden Sachverhalts, indem sie Ausweichklauseln und offene Tatbestandsmerkmale enthält. Diesen Ausgleich schafft die Rom I-VO etwa in Art. 4 Abs. 3 Rom I-VO, der zur Korrektur des gefundenen Ergebnisses eine Ausweichklausel bereit hält und so flexible Lösungen mit dem Ziel der Erzielung von Einzelfallgerechtigkeit ermöglicht.409
403
Zum Bedürfnis der Parteien eines internationalen Schiedsverfahrens nach Vorhersehbarkeit siehe Pickrahn, SchiedsVZ 2016, 173 ff. 404 Eidenmüller, Effizienz als Rechtsprinzip, S. 41 ff., 64. 405 Eidenmüller, Effizienz als Rechtsprinzip, S. 64; Rühl, Statut und Effizienz, S. 316 f.; Dammann/Hansmann, Yale Law & Economics Research Paper No. 347 (2007) S. 25, abrufbar unter , die unter Zuhilfenahme empirischer Studien die mangelnde Vorhersehbarkeit schiedsgerichtlicher Entscheidungen als solche erörtern. 406 Rühl, Statut und Effizienz, S. 316 ff. 407 Vgl. Czernich, wbl 2013, 554, 558. 408 Siehe in Kapitel 1 – § 2.II. 409 Wiederum zur Kritik an der Verwendung von Ausweichklauseln durch den Gesetzgeber im IPR siehe Kegel/Schurig, IPR, § 6 I.4.b) cc): „Aufgabe jeder Norm des IPR ist, die jeweils engste Verbindung zu bestimmen. Wenn der Gesetzgeber das nicht kann, sollte er schweigen und Rechtsprechung und Lehre das Füllen der Lücken überlassen. Klauseln der hier behandelten Art sind darum meist nichts anderes, als die positiv ‚verpackte Erklärung des Gesetzgebers, daß er für diese Fälle selbst keine Regelung vorgesehen hat: eine planmäßige Lücke, kaschiert durch eine Scheinregelung.“ Letztlich fordert diese Kritik, dass es dem Richter obliegen sollte, durch Auslegung zu einer sachgerechten Anknüpfung zu gelangen. Ob dies mit oder ohne ausdrückliche Anordnung (mittels Ausweichklausel) geschieht, dürfte
100 Kapitel 2 – Das Verhältnis des EU-Kollisionsrechts zur Schiedsgerichtsbarkeit Das gesteigerte Maß an Rechtsicherheit, welches die Rom I-VO im Vergleich zu § 1051 ZPO und anderen an Art. 28 UMG orientierten nationalen Sonderkollisionsnormen für die Schiedsgerichtsbarkeit bewirken würde, zeigt sich auch in den flankierenden Bestimmungen der Art. 10 ff. Rom I-VO, die Regeln über das Wirksamkeitsstatut (Art. 10 Rom I-VO), das Formstatut (Art. 11 Rom IVO), das Rechts- und Geschäftsfähigkeitsstatut (Art. 13 Rom I-VO) oder das Abtretungsstatut (Art. 14 Rom I-VO) enthalten. Diese Fragen werden von § 1051 ZPO nicht adressiert, was insofern folgerichtig ist, als durch § 1051 ZPO ausschließlich die Bestimmung des Vertragsstatuts geregelt ist.410 Auch alle weiteren Normen des deutschen Schiedsverfahrensrechts treffen hierüber keine Aussagen. Es entsteht folglich der Eindruck eines nur rudimentär ausgestalteten Kollisionsrechts. Zwar stellt beispielsweise § 1059 Abs. 2 Nr. 1 lit. a) ZPO bei der Beurteilung des wirksamen Abschlusses einer Schiedsvereinbarung im Rahmen der subjektiven Schiedsfähigkeit auf die Rechts- und Geschäftsfähigkeit der jeweils am Abschluss beteiligten Person ab und bestimmt das „Recht, das für sie persönlich maßgeblich ist.“411 Dabei ist jedoch bemerkenswert einerseits, dass die §§ 1025 ff. ZPO selbst nicht über eigene Normen verfügen und andererseits, dass auch § 1059 Abs. 2 Nr. 1 lit. a) ZPO keine Aussage über die Bestimmung der Rechts- und Geschäftsfähigkeit im Allgemeinen enthält (sondern nur in Bezug auf den Abschluss der Schiedsvereinbarung). Auch Aussagen über die formellen Voraussetzungen des Abschlusses eines Rechtsgeschäfts finden sich lediglich in Bezug auf den Abschluss der Schiedsvereinbarung (§ 1031 ZPO), nicht jedoch über die Anknüpfung sonstiger Formerfordernisse. Dies alles zeugt von der Ausgewogenheit und Differenziertheit, mit der der europäische Gesetzgeber ein Gleichgewicht zwischen einer rechtssicheren und vorhersehbaren Anknüpfung auf der einen Seite und einer Offenheit für flexible Anknüpfungen auf der anderen Seite geschaffen hat.412 Er hatte dabei das bereits von Savigny verfolgte Ziel der Suche nach dem „Sitz des Rechtsverhältnisses“ vor Augen.413 Durch differenzierte Anknüpfungsmomente wollte der Verordnungsgeber ein System schaffen, das der Vielschichtigkeit der sachrechtlichen Regelungen ebenso wie der Vielfalt der möglichen internationalen Sachverhalte gerecht wird. Die Rom I-VO trägt somit zu Rechtssicherheit und Vorhersehbarkeit im internationalen Rechtsverkehr bei. Da Bedürfnis danach ist jedoch nicht alleine in der staatlichen Gerichtsbarkeit gegeben, sondern kann
im Ergebnis unschädlich sein. Eine Ausweichklausel ist somit eine richterlich konkretisierungsbedürfte Anknüpfungsnorm. 410 Drobnig, FS Kegel, S. 95, 102. 411 Hierzu Schmidt-Ahrends/Höttler, SchiedsVZ 2011, 267, 274 f. 412 In diese Richtung auch Mankowski, Interessenpolitik und europäisches Kollisionsrecht, S. 64. 413 Schurig, Kollisionsnorm und Sachrecht, S. 117; Mäsch, Rechtswahlfreiheit und Verbraucherschutz, S. 162; Reuter, RabelsZ 81 (2017) 661, 684 f.
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auf die Schiedsgerichtsbarkeit übertragen werden.414 Die Geltung der Rom I-VO in der Schiedsgerichtsbarkeit würde auch hier zu einer höheren Rechtssicherheit und damit zu einer Senkung der Transaktionskosten für die Parteien führen. Die Anwendung der Rom I-VO durch Schiedsgerichte entspräche damit dem Ziel der Rom I-VO, Rechtssicherheit und Vorhersehbarkeit gerichtlicher Entscheidungen in grenzüberschreitenden Sachverhalten durch eine einheitliche Anknüpfung nach klaren Kriterien zu gewährleisten. Schließlich trüge es zur inhaltlichen Akzeptanz von Schiedssprüchen durch die Parteien bei, wenn insbesondere die unterlegene Partei davon ausgehen kann, dass die durch das Schiedsgericht getroffene Entscheidung auch vor einem staatlichen Gericht zu erwarten gewesen wäre.415 cc) Verhinderung von „forum shopping“ Ziel der Rom I-VO ist es, innerhalb der Mitgliedstaaten der EU ein einheitliches Kollisionsrecht auf dem Gebiet der vertraglichen Schuldverhältnisse zu schaffen. Dies soll nach Erwägungsgrund 6 der Rom I-VO den Entscheidungseinklang der Gerichte innerhalb der EU fördern und einem „forum shopping“ der Parteien zwischen den verschiedenen Mitgliedstaaten vorbeugen.416 Der aus dem amerikanischen Recht entnommene Begriff417 lässt sich bereits auf die von Savigny418 formulierten Zwecke des Internationalen Privatrechts zurückführen und findet sich heute außer in der Rom I-VO auch in allen anderen kollisionsrechtlichen Instrumenten der EU. Er kann somit als Leitmotiv für die Bemühungen des europäischen Gesetzgebers zur Rechtsangleichung zwischen den Mitgliedstaaten gelten.419 „Forum shopping“ bezeichnet das Bestreben der Parteien, bei mehreren, alternativ zur Verfügung stehenden Gerichtsständen420
414
Siehe stellvertretend für viele Pickrahn, SchiedsVZ 2016, 173 ff. Handorn, Das Sonderkollisionsrecht der deutschen internationalen Schiedsgerichtsbarkeit, S. 136. 416 Wörtlich heißt es hierzu in Erwägungsgrund 6 Rom I-VO: „Um den Ausgang von Rechtsstreitigkeiten vorhersehbar zu machen und die Sicherheit in Bezug auf das anzuwendende Recht sowie den freien Verkehr gerichtlicher Entscheidungen zu fördern, müssen die in den Mitgliedstaaten geltenden Kollisionsnormen im Interesse eines reibungslos funktionierenden Binnenmarktes unabhängig von dem Staat, in dem sich das Gericht befindet, bei dem der Anspruch geltend gemacht wird, dasselbe Recht bestimmen.“; siehe auch Hess, in: Grabitz/Hilf/Nettesheim, Das Recht der Europäischen Union, Art. 81 AEUV, Rn. 43. 417 Currie, Selected Essays on the Conflict of Laws, S. 168 f. 418 Savigny, System des heutigen römischen Rechts, Band VIII, S. 27; siehe auch Lüderitz, FS Kegel, S. 31. 419 Giuliano/Lagarde, ABl. EG 1980 Nr. C 282, S. 4; McGuire, ZfRV 2005, 83, 87; Kropholler, FS Firsching, S. 165, 172. 420 Dieser sogenannte positive Kompetenzkonflikt tritt auf, wenn neben dem allgemeinen Gerichtsstand ein oder mehrere besondere Gerichtsstände in anderen Staaten gegeben sind. Der Kläger hat dann die Wahl zwischen mehreren konkurrierenden Gerichtsständen und 415
102 Kapitel 2 – Das Verhältnis des EU-Kollisionsrechts zur Schiedsgerichtsbarkeit einen Prozess vor dem Gericht zu führen, das nach Ansicht einer der Parteien das für sie günstigste Urteile in dem konkreten Streitfall fällen wird.421 Die Anreize für die Parteien liegen dabei im Wesentlichen darin, ein aus ihrer Sicht günstiges Prozessrecht des angerufenen Gerichts zu erreichen.422 Darüber hinaus kann durch eine Wahl des Forums auch das zur Anwendung kommende internationale Privatrecht des angerufenen Gerichtes bestimmt werden.423 Im Ergebnis besteht somit die Möglichkeit, mittelbar Einfluss auf das anwendbare materielle Recht zu nehmen und die Unterschiede zwischen den Rechtssystemen zu nutzen.424 Durch taktische Erwägungen und die gezielte Anrufung eines zuständigen Gerichts können bestimmte Vorschriften in einem Staat umgangen werden.425 Während das „forum shopping“ mit Ausnahme der Fälle der Zuständigkeitserschleichung, in denen sich der Kläger die Zuständigkeit durch gezielte eigene Handlungen eröffnet, grundsätzlich für zulässig erachtet wird,426 gibt es Gründe für den Gesetzgeber, ein exzessives „forum shopping“ durch die Parteien zu verhindern: Regelmäßig geht es dabei darum, eine übermäßige Inanspruchnahme einzelner Gerichte durch eine überschießende Entscheidungszuständigkeit zu vermeiden. Auf die Schiedsgerichtsbarkeit allerdings trifft dieser Aspekt nicht zu: Die Parteien zahlen die Kosten des Schiedsverfahrens selbst und nehmen – zumindest im Stadium des Erkenntnisverfahrens – regelmäßig keine staatlichen Ressourcen in Anspruch, sodass es für den Forumstaat unter diesem Gesichtspunkt wird in aller Regel das Gericht anrufen, das ihm für die Durchsetzung seiner Ansprüche am geeignetsten erscheint. 421 Welter, in: Schimansky/Bunte/Lwowski, Bankrechts-Handbuch, § 28, Rn. 114. 422 Dies kann insbesondere im Hinblick auf die geltenden Beweiserhebungsvorschriften des jeweiligen Prozessrechts von entscheidender Bedeutung sein, wie beispielsweise die Möglichkeit eines Ausforschungsbeweises im US-amerikanischen Recht im Rahmen der sogenannten pre-trail discovery zeigt, siehe Schütze, Rechtsverfolgung im Ausland, Rn. 58. 423 Kropholler, FS Firsching, S. 165, 171 f.; Schütze, Rechtsverfolgung im Ausland, Rn. 54, 56; Silbermann/Ferrari, in: Conflict of Laws in International Arbitration, S. 257, 258, die die unterschiedlichen Kollisionsrechte verschiedener Staaten ausdrücklich als Grund für eine Wahl eines entsprechenden Forums benennen; Bell, Forum Shopping and Venue in Transnational Litigation, S. 39 ff.; Rothschild, Litigation 24 (1998) 40, 41. 424 McGuire, ZfRV 2005, 83; Kropholler, FS Firsching,, S. 165, 171; auch Schack, IZVR, Rn. 245 sieht in der Möglichkeit, über die Wahl des Forums mittelbar Einfluss auf das anwendbare Sachrecht nehmen zu können, einen der Hauptanreize zum „forum shopping“. 425 Schack, IZVR, Rn. 251. 426 Anschaulich zur Legitimität des „forum shoppings” Lord Denning in The Atlantic Star [1972] 3 All ER 705, 709 (C.A.): „No one who comes to these courts asking for justice should come in vain. He must, of course, come in good faith. […] This right to come here is not confined to Englishmen. It extends to any friendly foreigner. He can seek the aid of our courts if he desires to do so. You may call this ‘forum shopping’ if you please, but if the forum is England, it is a good place to shop in, both for the quality of goods and the speed of service.“
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keine Rolle spielt, ob in seinem Forum mehr oder weniger Schiedsverfahren stattfinden.427 Daneben dient jedoch die Verhinderung von „forum shopping“ dem Schutz des Rechtsverkehrs, da es den daran partizipierenden Parteien die Unsicherheit divergierenden Kollisionsrechts nimmt.428 Jener Aspekt des „forum shopping“ greift gleichermaßen in der staatlichen Gerichtsbarkeit wie auch in der Schiedsgerichtsbarkeit und ist nur mittels einer Rechtsvereinheitlichung der für beide Instrumente der Streitbeilegung geltenden kollisionsrechtlichen Vorschriften zu erreichen. Der Regelungszweck der Rom I-VO ist daher in der Schiedsgerichtsbarkeit in gleichem Maße einschlägig wie in der staatlichen Gerichtsbarkeit.429 Rechts- und Entscheidungseinheitlichkeit, wie sie durch die Vereinheitlichung des Kollisionsrechts auf europäischer Ebene innerhalb der Mitgliedstaaten erreicht werden soll, wird nur dann gewährleistet, wenn sowohl das Kollisionsrecht, welches für staatliche Gerichte maßgeblich ist, als auch das Kollisionsrecht für Schiedsgerichte harmonisiert wird.430 In diesem Sinne verstanden, lässt sich der telos der Rom I-VO auch unter dem Gesichtspunkt der Verhinderung von „forum shopping“ innerhalb der EU zur Begründung einer Erstreckung des Anwendungsbereichs der Verordnung auf die Schiedsgerichtsbarkeit heranziehen. 3. Die Diskussion in Europa Da es sich bei der Frage des Anwendungsbereichs der Rom I-VO um eine gesamteuropäische handelt, sollte eine Untersuchung nicht alleine die deutsche Diskussion in Augenschein nehmen, sondern auch einen Blick auf andere Rechtsordnungen innerhalb Europas werfen.431 Im Folgenden werden daher exemplarisch die Diskussionen in Österreich, England und Frankreich beleuchtet, deren jeweilige nationale Schiedsverfahrensrechte in ihren inhaltlichen Ausgestaltungen bereits in Kapitel 1 skizziert wurden.432 In allen drei Staaten ist in den vergangenen Jahren das nationale Schiedsverfahrensrecht reformiert worden. Nicht auszuschließen ist, dass es sich bei der Diskussion um den fehlenden Anwendungswillen der Rom I-VO auf Schiedsverfahren um eine – so die Vermutung Mankowskis433 – „questio Germanica“ handelt.
427
Quinke, Börsenschiedsvereinbarungen und prozessualer Anlegerschutz, S. 295 f. Rühl, Statut und Effizienz, S. 317. 429 Quinke, Börsenschiedsvereinbarungen und prozessualer Anlegerschutz, S. 296. 430 In diesem Sinne auch bereits Kropholler, FS Firsching,, S. 165, 170 ff.; di Brozolo, J.Priv.Int.L. 7 (2011) 423, 426; Schack, IZVR, Rn. 258. 431 Zur Methode der wertenden Rechtsvergleichung siehe Thiele, Europäisches Prozessrecht, S. 49, Rn. 20. 432 Siehe Kapitel 1 – § 2.II.2. 433 Mankowski, Interessenpolitik und europäisches Kollisionsrecht, S. 65. 428
104 Kapitel 2 – Das Verhältnis des EU-Kollisionsrechts zur Schiedsgerichtsbarkeit a) Österreich Nachdem bereits vor dem Jahr 2009 über das Verhältnis der neu eingeführten Kollisionsnorm zum allgemeinen Kollisionsrecht gestritten wurde,434 führte das Inkrafttreten der Rom I-VO analog zur Situation in Deutschland auch in Österreich zu einer erneuten Diskussion über die Natur des neu geschaffenen § 603 öZPO und dessen Verhältnis zum europäischen Kollisionsrecht. Dabei verweisen diejenigen Vertreter, die sich gegen eine Bindung von Schiedsgerichten an die Rom I-VO aussprechen, auf die vermeintlichen Bedürfnisse des internationalen Handels und die fehlende praktische Durchsetzbarkeit. Verwiesen wird insbesondere auf § 611 öZPO, der im Rahmen eines Aufhebungsverfahrens anders als im deutschen Recht § 1059 Abs. 2 Nr. 1 lit. c) ZPO keine Überprüfungsmöglichkeit der Übereinstimmung der schiedsgerichtlichen Sachentscheidung mit der Rechtwahl der Parteien zulässt.435 Für Busse436 spricht die vermeintliche Komplexität einer kollisionsrechtlichen Prüfung durch Schiedsgerichte und die per se unterstellte Inflexibilität der Rom I-VO gegen eine Anwendbarkeit der Rom I-VO in Schiedsverfahren. Demgegenüber führen die Befürworter einer Bindung der Schiedsgerichtsbarkeit im Wesentlichen die auch in der deutschen Diskussion vertretenen Argumente auf.437 Der Hinweis Czernichs438, dass eine Anwendung der Rom I-VO im Rahmen der objektiven Anknüpfung nach § 603 Abs. 2 öZPO „durch die Hintertür“ ohnehin erfolgen würde, da das Schiedsgericht das Kollisionsrecht mit der engsten Verbindung und somit bei innereuropäischen Fällen die Rom IVO anwenden müsse, übergeht jedoch den Wortlaut des § 603 Abs. 2 öZPO, wonach eine kollisionsrechtliche Prüfung durch das Schiedsgericht gerade nicht zwingend vorgeschrieben ist, sondern im Wege eines voie directe eine unmittelbare Bestimmung das anwendbaren Sachrechts erfolgen kann.439 Zusammenfassend verläuft die Diskussion in Österreich also weitestgehend parallel zu derjenigen in Deutschland.440 b) England Mit Blick auf die Diskussion in England fällt auf, dass, bezogen auf das EVÜ, vergleichbar der Situation in Österreich scheinbar von dessen Geltung in Schieds434 Hausmanninger, in: Fasching/Konecny ZPO5/2, § 603 ZPO, Rn. 3, der bei § 603 öZPO von „Sonderkollisionsrecht, das unter Beachtung des EVÜ das IPRG modifiziert“ spricht; Czernich, wbl 2013, 554, 555. 435 Hausmanninger, in: Fasching/Konecny ZPO5/2, § 603 ZPO, Rn. 67; von Saucken, Die Reform des österreichischen Schiedsverfahrensrechts, S. 249. 436 Busse, ecolex 2012, 1072, 1074. 437 Czernich, wbl 2013, 554, 557 ff. 438 Czernich, wbl 2013, 554, 558. 439 Unter anderem Liebscher, in: Weigand, Practicioner’s Handbook, Rn. 2.199. 440 Oberhammer, SchiedsVZ 2006, 57, 65.
§ 4 Neubewertung – Die Rechtslage seit Inkrafttreten der Rom I-VO
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verfahren ausgegangen wurde. Markin/Flannery halten beispielsweise in ihrer Kommentierung von Sec. 46 Arbitration Act 1996 zum Umfang einer Rechtswahl der Parteien fest, dass die aus Art. 3 EVÜ hervorgehenden Rechtswahlbeschränkungen grundsätzlich Beachtung finden müssten.441 Erst in einem Nachsatz hierzu wird die Frage aufgeworfen, ob über Sec. 46(1)(a) Arbitration Act 1996 das Schiedsgericht ermächtigt werden könnte, vom EVÜ abzuweichen.442 Nach Inkrafttreten der Rom I-VO für das Vereinigte Königreich entwickelte sich, ausgelöst durch die neue Rechtsqualität des europäischen Kollisionsrechts, auch in England eine Diskussion um die Reichweite des Anwendungsbereichs und die Frage der Anwendbarkeit der Verordnung in internationalen Schiedsverfahren. Während sich Dicey/Morris/Collins noch ohne Begründung gegen eine Bindung von Schiedsgerichten an die Rom-Verordnungen aussprechen,443 rekurriert Dickinson für die Argumentation gegen eine Geltung der Rom-Verordnungen im Schiedsverfahren allgemein auf die Judikatur des EuGH zum europarechtlichen Gerichtsbegriffs, wonach Schiedsgerichte keine Gerichte im Sinne des Art. 267 AEUV und damit weder zur Vorlage von Rechtsfragen an den EuGH berechtigt noch verpflichtet sind.444 Durch eine Übertragung des zu Art. 267 AEUV entwickelten Gerichtsbegriffs auf Erwägungsgrund 8 der Rom II-VO („Diese Verordnung ist unabhängig von der Art des angerufenen Gerichts anwendbar.“) gelangt Dickinson zu einem Ausschluss der Schiedsgerichtsbarkeit.445 Mit dem Wortlaut von Art. 1 Abs. 2 lit. e) Rom I-VO setzt Dickinson sich darüber hinaus nicht auseinander, sondern überträgt seinen zur Rom II-VO gewonnenen Standpunkt auf die Rom I-VO.446 Demgegenüber vertreten Chesire/North/Fawcett die gegenteilige Auffassung und stützen sich dabei auf die Gesetzgebungshistorie, indem sie auf den Standpunkt der britischen Delegation bei den Verhandlungen zum EVÜ verweisen, 441 „It should be noted that the Rome Convention does impose some restrictions upon the application of the chosen law: there are, for example, modifications for insurance contracts and consumer contracts, and the Convention permits disregard of certain rules of the applicable law on public policy grounds.“, Merkin/Flannery, Arbitration Act 1996, S. 127. 442 „It is unclear whether the wording of section 46(1)(a) is sufficient justification for arbitrators to disregard these variations.“, Merkin/Flannery, Arbitration Act 1996, S. 127. 443 Dicey/Morris/Collins, The Conflict of Laws, Rn. 16-010, Fn. 19: „The fact that the choice of law rules in contractual and non-contractual matters are now contained in EU Regulations, the Rom I Regulation and the Rome II Regulation […] does not affect the power of an arbitral tribunal sitting in England to choose the law applicable to the substance of the dispute according to the provisions of s.46 [Arbitration Act 1996].“ 444 Dickinson, The Rome II Regulation, Rn. 3.78 mit Verweis auf die Nordsee-Entscheidung des EuGH, EuGH, 23.3.1982 – Rs. 102/81 (Nordsee) Slg. 1982, 1095; zum im Wandel befindlichen Verständnis des Gerichtsbegriffs siehe jedoch bereits oben unter Kapitel 2 – § 4.II.2.d). 445 Dickinson, The Rome II Regulation, Rn. 3.79. 446 Dickinson, The Rome II Regulation, Rn. 3.83.
106 Kapitel 2 – Das Verhältnis des EU-Kollisionsrechts zur Schiedsgerichtsbarkeit die Ausnahme von Schiedsvereinbarungen vom Anwendungsbereich des Übereinkommens zu streichen.447 Dogmatisch leiten sie ihre Argumentation für eine Einbeziehung von Schiedsgerichten in den Anwendungsbereich der Rom I-VO neben dem Wortlaut von Art. 1 Abs. 2 lit. e) Rom I-VO aus der schiedsverfahrensrechtlichen doctrine of separability ab.448 Auch Karali/Ballantyne scheinen dies so zu sehen, indem sie feststellen, dass internationale Schiedsgerichte mit Sitz in England englisches IPR anzuwenden hätten und dieses im Bereich der vertraglichen Schuldverhältnisse eine Anwendung des EVÜ bedeute.449 Yüksel schließt sich dem an, indem sie zum einen auf die bekannten Argumente zum Wortlaut zurückgreift, zum anderen die in Erwägungsgrund 15 enthaltene Formulierung „choice of court or tribunal“ sowie die funktionelle Vergleichbarkeit von Schiedsgerichten und staatlichen Gerichten herausstellt.450 Schließlich findet sich in der englischen Judikatur ein Urteil aus dem Jahr 2010, in dem der englische High Court in dem Fall Chalbury McCouat International Ltd. v P.G. Foils Ltd.451 mit dem Antrag angerufen worden war, über den Schiedsort zu entscheiden. In der zwischen der englischen Klägerin (Chalbury McCouat International Ltd.) und der indischen Beklagten (P.G. Foils Ltd.) geschlossenen Schiedsvereinbarung fand sich lediglich die holprige Formulierung einer Rechtswahl mit dem Wortlaut: „But in case if the issue is not resolved even after discussions the same will be referred to arbitration as per prevailing laws of European Union in the Europe.“ Rechtlich stützte sich die Klägerin in ihrem Antrag an den High Court zur Bestimmung des Schiedsortes auf Sec. 18(2) i.V.m. Sec. 4(2) Arbitration Act 1996. Das Gericht hatte dabei zunächst über die eigene Zuständigkeit aus Sec. 18(2) Arbitration Act 1996 zu befinden, welche eine Anwendung englischen Rechts als Schiedsverfahrensrecht der lex fori voraussetzte. Aufgrund der Rechtswahl der Parteien ging es davon aus, dass das Schiedsverfahrensstatut und das anwendbare Sachrecht gleichlaufen sollte.452 Es nahm eine kollisionsrechtliche Prüfung zur Bestimmung der lex causae vor, so wie sie nach Ansicht des Gerichts auch das Schiedsgericht vornehmen müsste. Da der Vertrag noch vor dem 17. Dezember 2009 und somit 447
Cheshire/North/Fawcett, Private International Law, S. 684 mit Verweis auf Giuliano/Lagarde, ABl. EG 1980 Nr. C 282, S. 11 f. 448 Cheshire/North/Fawcett, Private International Law, S. 684: „However, when an arbitration or choice of jurisdiction clause is excluded, this only affects the clause itself; the remaining clauses in the contract will be within the scope of the Convention and judges and arbitrators will have to apply the rules under the Convention to them.“ 449 Karali/Ballantyne, in: Weigand, Practicioner’s Handbook, Rn. 5.209 f. 450 Yüksel, J.Priv.Int.L. 7 (2011) 149, 165, 166. 451 Chalbury McCouat [2010] EWHC 2050. 452 Chalbury McCouat [2010] EWHC 2050, Rn. 25 f.: „[…] I consider that one of the matters relevant to the exercise of this court’s jurisdiction under section 2(4) of the 1996 Act is the law which is likely to be applied to the substance of the dispute. The preliminary question is which system of law is to be applied in deciding the question of conflict.“
§ 4 Neubewertung – Die Rechtslage seit Inkrafttreten der Rom I-VO
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vor Geltung der Rom I-VO geschlossen wurde, griff das Gericht dabei auf das EVÜ zurück und sprach diesem Vorrang vor Sec. 46 Arbitration Act 1996 zu.453 Im Ergebnis knüpfte es über Art. 4 Abs. 2 EVÜ an den Ort der vertragscharakteristischen Leistung an, der laut Gericht „likely to be in Europe, possibly England, unlikely to be in India“ läge.454 Aufgrund des zusätzlichen Umstandes, dass der Ort der Zahlung in England läge, folgerte das Gericht schließlich, dass das englische Recht zur Anwendung gelange.455 Damit folgte auch das Schiedsverfahren selbst englischem Recht, sodass eine Kompetenz des Gerichts zur Festlegung des Schiedsorts gemäß Sec. 18(2) i.V.m. Sec. 4(2) Arbitration Act 1996 bestand.456 c) Frankreich Die Frage des Verhältnisses des nationalen, reformierten Schiedsverfahrensrechts und dem europäischen Kollisionsrecht erfährt in der französischen Literatur und Rechtsprechung nahezu keine Aufmerksamkeit. In den Gesetzgebungsmaterialien zur Reform ist keinerlei Hinweis darauf enthalten, wie sich der französische Gesetzgeber das Verhältnis beider Rechtsakte zueinander vorstellte und wie er mögliche Kollisionen zu lösen gedachte. In der Rechtsprechung findet sich ebenfalls kein aufschlussreiches Material und auch die Literatur schweigt sich zu diesem Thema weitgehend aus.457 Dies dürfte mit dem in Frankreich vorherrschenden „denationalen“ Ansatz458 zu erklären sein, wonach Schiedsgerichte über kein eigenes Forum verfügen und somit auch nicht an das Recht eines solchen gebunden werden können.459 Auch die Schiedsver-
453 Chalbury McCouat International Ltd. [2010] EWHC 2050, Rn. 26: „This strongly suggests that in this case the question of the proper law to be applied to the dispute should be determined under the laws of the European Union which are conveniently set out in the Rome Convention signed by the Member States and enacted in English Law by the Contracts (Applicable Law) Act 1990.“ 454 Chalbury McCouat [2010] EWHC 2050, Rn. 29. 455 Chalbury McCouat [2010] EWHC 2050, Rn. 29. 456 Chalbury McCouat [2010] EWHC 2050, Rn. 30. 457 Fouchard, in: Gottwald, Internationale Schiedsgerichtsbarkeit, S. 390; siehe auch Wagner, FS Schuhmann, S. 535, 556. 458 Verfechter des denationalen Ansatzes sind insbesondere Fouchard, in: Gottwald, Internationale Schiedsgerichtsbarkeit, S. 367 f. und Gaillard, in: Weigand, Practicioner’s Handbook, Rn. 6.05; siehe auch Pommier, Clunet 1992, 5, 9 f.; Derains, RDAI/IBLJ 1996, 514, 526; Mayer, Mélanges en l’honneur de Yvon Loussouarn, S. 275, 276. 459 Gaillard, in: Weigand, Practicioner’s Handbook, Rn. 6.05; in dieser Weise noch zum EVÜ Kassis, Le nouveau droit européen des contrats internationaux, S. 115 f.: „La justice de l’arbitre international étant, en l’absence d’une clause d’electio juris, une justice du cas d’espèce, sans règles de droit, dès lors que l’arbitre international n’a pas de lex fori, que le contrat international n’a pas d’ancrage dans un ordre juridique de base et que le droit appliqué par l’arbitre au fond du litige échappe, sauf respect de l’ordre public, au contrôle du juge
108 Kapitel 2 – Das Verhältnis des EU-Kollisionsrechts zur Schiedsgerichtsbarkeit einbarung selbst gilt in der in Frankreich vorherrschenden Doktrin als „anational“ mit dem Ergebnis, dass zur Bestimmung der Wirksamkeit anders als in Deutschland kollisionsrechtlich nicht an das Recht des Schiedsortes angeknüpft wird,460 sondern lediglich geprüft wird, ob eine rechtsgeschäftliche Einigung vorliegt, ohne jedoch auf ein konkretes nationales Recht zurückzugreifen.461 Wie Art. 1511 CPC über das anwendbare Schiedsverfahrensstatut zeigt, unterliegt die Anwendung des französischen Schiedsverfahrensrechts einzig und allein dem Willen der Parteien, unabhängig davon, ob sich der Sitz des Schiedsgerichts in Frankreich befindet und somit nach dem Verständnis der bisher untersuchten Rechtsordnungen zumindest die zwingenden Normen des nationalen Schiedsverfahrensrechts Anwendung fänden.462 d) Zusammenfassung Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass die Diskussion über das Verhältnis zwischen dem jeweiligen nationalen und dem europäischen Kollisionsrecht im Vergleich zur Situation in Deutschland in anderen europäischen Staaten nur vereinzelt geführt wird. Am umfangreichsten sind dabei noch die Quellen aus Österreich und England, während die Literatur in Frankreich nur begrenzt Verwertbares zu Tage fördert. Dennoch lässt sich im Ergebnis festhalten: Die Frage der Beeinflussung des nationalen Kollisionsrechts für Schiedsgerichte durch das europäische Kollisionsrecht wird auch in anderen Mitgliedstaaten der Europäischen Union seit Inkrafttreten der Rom I-VO verstärkt gestellt. Die These, dass sich aus der gesetzgeberischen Praxis der Mitgliedstaaten der Europäischen Union eindeutig ableiten ließe, dass diese bei der Erarbeitung und Verabschiedung der Rom I-VO die Schiedsgerichtsbarkeit vom Anwendungsbereich ausnehmen wollten, lässt sich aufgrund der vielfältigen Unterschiede der nationalen Kollisionsrechte für Schiedsgerichte nicht begründen.463 Auch das Argument, der Umstand, dass die Mitgliedstaaten trotz Geltung der Rom I-VO eigenes nationales Recht auf dem Gebiet der Schiedsgerichtsbarkeit in Kraft gesetzt hätten, spräche gegen eine Geltung der Verordnung in Schiedsverfahren,464 hinkt am unterschiedlichen Anwendungsbereich von nationalem und europäischem Kollisionsrecht. Während die Rom I-VO stets einen grenzüberschreitenden Bezug des Sachverhaltes voraussetzt und damit nur in internationalen Schiedsverétatique de l’exequatur, on voit mal que la Convention de Rome puisse avoir une incidence quelconque sur l’arbitrage international.“; kritisch hierzu Rigaux, Cahiers de Droit Européen 1988, 306, 309, 318. 460 Schmidt-Ahrendts/Höttler, SchiedsVZ 2011, 267, 272 f. 461 Niggemann, SchiedsVZ 2010, 67, 70. 462 Gaillard, in: Weigand, Practicioner’s Handbook, Rn. 6.05. 463 Im Ergebnis sehr knapp auch Wagner, FS Schuhmann, S. 535, 556 zur Rechtslage unter Geltung des EVÜ. 464 Wegen, FS Kühne, S. 933, 942.
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fahren zur Anwendung kommen kann, gelten die nationalen Kollisionsnormen für Schiedsgerichte – mit Ausnahme Frankreichs, das unterschiedliche Kollisionsnormen für nationale und internationale Schiedsverfahren vorsieht – unabhängig davon, ob es sich um ein rein nationales oder ein internationales Schiedsverfahren handelt. Auch wenn also die Rom I-VO für die Bestimmung des anwendbaren Rechts in internationalen Schiedsverfahren Geltung beansprucht, behalten die nationalen Kollisionsnormen einen Anwendungsbereich, für den sie durch die Gesetzgeber der jeweiligen Staaten auch nach Inkrafttreten der Rom I-VO geschaffen wurden. 4. Der Ausnahmetatbestand des Art. 1 Abs. 3 Rom I-VO – Verfahrensrechtliche Qualifikation des IPR für Schiedsgerichte? Schließlich wird eine gänzlich andere Argumentation von Schilf gewählt, der mittels einer verfahrensrechtlichen Qualifikation der kollisionsrechtlichen Vorschriften für Schiedsgerichte zu einem Ausschluss der Schiedsgerichtsbarkeit nach Art. 1 Abs. 3 Rom I-VO gelangt.465 Methodisch bedient er sich dazu einer Untersuchung der Kollisionsnormen des nationalen Schiedsverfahrensrechts. Diese seien laut Schilf aufgrund ihrer Verortung im Prozessrecht der jeweiligen Länder prozessuale Vorschriften und somit als verfahrensrechtlich im Sinne der Rom-Verordnung zu qualifizieren.466 Die Diskussion um den Anwendungswillen und die Reichweite von Art. 1 Abs. 2 lit. e) Rom I-VO würde damit hinfällig, da ein Ausschluss der Schiedsgerichtsbarkeit jedenfalls über Art. 1 Abs. 3 Rom I-VO erfolgte.467 Diese Argumentation erscheint hingegen aus mehreren Gründen fragwürdig: Zum einen erscheint fraglich, dass über die bloße Verortung einer Norm im Prozessrecht eine Aussage über ihren materiell-rechtlichen Gehalt getroffen werden kann. Der Gesetzgeber hätte im Fall des Schiedsverfahrensrechts im Rahmen der Überlegungen zur Schiedsverfahrensrechtsreform 1998 ebenso gut zu dem Ergebnis gelangen können, das Schiedsverfahrensrecht in ein eigenes Gesetz auszugliedern. Dass er dies nicht tat, mag man, wie Schilf, als eine bewusste Entscheidung für eine Qualifikation des Schiedsverfahrensrecht als Prozessrecht deuten. Man kann dies allerdings auch schlicht auf ein Bestreben des Gesetzgebers zurückführen, eine Vielzahl von Spezialgesetzen durch eine 465
Schilf, RIW 2013, 678 ff. Neben den von Schilf angeführten Staaten Frankreich, den Niederlanden, Belgien, Österreich, Italien und Polen, welche ihr Schiedsverfahrensrecht ebenfalls in ihr jeweiliges Zivilprozessrecht inkorporiert haben, nennt Schilf allerding auch gleich die Gegenbeispiele aus England, Dänemark und Schweden, in denen das Schiedsverfahrensrecht spezialgesetzlich kodifiziert wurde. 467 Dass sich Schilf trotz seines Vorschlags in seinem Aufsatz ausführlich mit der Entstehungsgeschichte und dem Wortlaut von Art. 1 Abs. 2 lit. e) Rom I-VO auseinandersetzt und darüber ebenfalls einen Ausschluss der Schiedsgerichtsbarkeit erblicken will, lässt erahnen, welche Chancen der Autor selbst der Durchsetzung seiner These zumisst. 466
110 Kapitel 2 – Das Verhältnis des EU-Kollisionsrechts zur Schiedsgerichtsbarkeit Inkorporierung in bereits bestehende Kodifikationen zu vermeiden.468 Selbst wenn sich der Gesetzgeber bewusst für eine Einordnung des Schiedsverfahrensrechts in das deutsche Zivilprozessrecht entschieden hat, so stellt sich die Frage, ob damit zwingend alle Vorschriften des Schiedsverfahrensrechts gleich zu qualifizieren sind oder vielmehr die Natur jeder einzelnen Norm gesondert zu untersuchen ist.469 So werden etwa die in der ZPO enthaltenen Schadensersatzansprüche unstreitig als materiell-rechtlich qualifiziert.470 Mit Blick auf die schiedsverfahrensrechtlichen Normen innerhalb der ZPO verhält es sich ähnlich: Zweifelsohne bezieht sich ein Großteil der Vorschriften der §§ 1025 ff. ZPO auf die Durchführung des schiedsgerichtlichen Verfahrens, etwa im Hinblick auf die Bildung des Schiedsgerichts (§ 1034 ff. ZPO), die Zuständigkeit des Schiedsgerichts (§§ 1040 f. ZPO) oder die Rechtsbehelfe gegen einen Schiedsspruch (§§ 1059 ff. ZPO). Bezogen auf § 1051 ZPO fällt jedoch bereits in systematischer Hinsicht auf, dass die Norm nicht in dem ihr vorangehenden Abschnitt 5 („Durchführung des schiedsrichterlichen Verfahrens“), sondern im Abschnitt 6 mit dem Titel „Schiedsspruch und Beendigung des Verfahrens“ verortet ist. Dies macht deutlich, dass der Standort der Norm innerhalb der ZPO alleine für ihre Qualifikation nicht ausreichen kann, sondern vielmehr weitere Differenzierungen in Bezug auf den materiellen Regelungsgehalt erforderlich sind. Als IPR-Norm grenzt sich § 1051 ZPO darüber hinaus prima facie vom IZVR ab, dem etwa die Vorschriften über die Vollstreckungsfähigkeit ausländischer Schiedssprüche in Deutschland zugewiesen werden. IPR und IZVR verfolgen jedoch unterschiedliche Zielrichtungen.471 Dies erkennt auch Schilf an.472 Wesensmerkmal des IPR ist die Bestimmung des materiellen Sachrechts,473 wohingegen das IZVR sich maßgeblich der Bestimmung des zuständigen Forums widmet, dessen IPR wiederum die Grundlage für die kollisionsrechtliche Bestimmung des Sachrechts bildet.474 IPR und IZVR sind un468 Beispiele sind das deutsche AGB-Recht, welches zunächst im AGBG und nun in den §§ 305 ff. BGB enthalten ist oder das Widerrufsrecht im Verbraucherschutzrecht, welches zunächst im HWiG und seit der Schuldrechtsmodernisierung in den §§ 312 ff. BGB kodifiziert ist. 469 Gegen eine formale Einordnung nach dem Standort der Norm siehe Geimer, IZPR, Rn. 54, der mit Blick auf die Grenzziehung zwischen materiellen und Verfahrensrecht auf die einhellige Meinung verweist, „dass der Standort einer Vorschrift nicht entscheidend ist.“ 470 So hält Dreschner bezogen auf den Schadensersatzanspruch aus § 945 ZPO fest: „Systematisch gehört der materiell-rechtliche Schadensersatzanspruch des § 945 nicht in die ZPO, sondern zu den Vorschriften des Deliktsrechts in §§ 823 ff. BGB. Dennoch ist die Aufnahme des materiell-rechtlichen Schadensersatzanspruchs in den Regelungsbestand des einstweiligen Rechtsschutzverfahrens aufgrund des Sachzusammenhangs legitim.“, Drescher, in: MünchKommZPO2, § 945, Rn. 1. 471 Schack, IZVR, Rn. 23 f. 472 Schilf, RIW 2013, 678, 687. 473 Kegel/Schurig, IPR, § 1 II. 474 Schack, IZVR, Rn. 245.
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abhängig voneinander und in ihren jeweiligen Ergänzungen zueinander zu beurteilen. Schack fasst dies in den allgemeinen Grundsatz, nach dem das „IZVR […] so wenig wie möglich mit der Suche nach dem anwendbaren materiellen Recht belastet werden [sollte].“475 Betrachtet man vor diesem Hintergrund den Regelungsgehalt von § 1051 ZPO, so verfolgt dieser ausschließlich den Zweck der Bestimmung des materiellen Rechts. Als IPR-Norm ist er dem materiellen und nicht dem Verfahrensrecht zuzuordnen.476 Daneben enthält auch Art. 1 Abs. 3 Rom I-VO keinen Hinweis darauf, dass mit der Verwendung des Begriffs „Verfahren“ ein Ausschluss der Schiedsgerichtsbarkeit verbunden sein soll. Auch eine Bezugnahme auf Art. 18 Rom I-VO, der die Anknüpfung von Beweisfragen dem Vertragsstatut unterstellt, hilft nicht weiter. Der Zusatz „und das Verfahren“, der das Verfahren neben die Fragen der Beweiserhebung stellt, wird nicht weiter erläutert und lässt sich nur als deklaratorische Feststellung des Grundsatzes der Trennung von materiellem IPR und IZVR verstehen.477 Für Verfahrensfragen bleibt somit die lex fori maßgeblich.478 Eine verordnungsautonome Auslegung führt darüber hinaus auch nicht zu einer Qualifikation schiedsverfahrensrechtlicher Kollisionsnormen als Verfahrensnormen im Sinne des Art. 1 Abs. 3 Rom I-VO: Zwar führt Schilf Beispiele aus der englischen Literatur an, die eine enge Verwobenheit von IPR und Verfahrensrecht zeigen und leitet daraus eine Zuordnung des IPR zum Verfahrensrecht ab.479 Die Erkenntnis, dass eine Verwobenheit zwischen IPR und Verfahrensrecht besteht, ist auch nach deutschem Verständnis nicht bestritten. Dies wird deutlich bei Schack, wenn er schreibt: „IZVR und IPR sind also nicht das eine Zubehör des anderen, sondern sie ergänzen einander“480 und weiter: „In ihrer Struktur weisen IZVR und IPR durchaus Parallelen auf.“481 Allerdings bedeutet eine Verwobenheit zweier Rechtsgebiete lediglich, dass diese sich stellenweise überschneiden und aufeinander Bezug nehmen. Eine Gleichsetzung folgt daraus jedoch nicht. Im Ergebnis ist die verfahrensrechtliche Qualifikation des für Schiedsgerichte geltenden IPR nicht überzeugend. Ein Ausschluss der Schiedsgerichts475
Schack, IZVR, Rn. 56. Schack, FS Schütze, S. 511, 515. 477 In der einschlägigen Kommentarliteratur finden sich zu Art. 1 Abs. 3 Rom I-VO lediglich spärliche Ausführungen, die sich zudem meist in den Erläuterungen des Verhältnisses zu Art. 18 Rom I-VO erschöpfen. Eine nähere Konturierung des Begriffs „Verfahren“ erfolgt nicht; siehe hierzu für viele Magnus, in: Staudinger, BGB, Art. 1 Rom I-VO, Rn. 100; Martiny, in: MünchKommBGB10, Art. 1 Rom I-VO, Rn. 77; Spickhoff, in: BeckOK BGB, Art. 1 Rom I-VO, Rn. 45; Staudinger, in: HandkommentarBGB, Art. 1 Rom I-VO, Rn. 15. 478 Spickhoff, in: BeckOK BGB, Art. 1 Rom I-VO, Rn. 45. 479 Schilf, RIW 2013, 678, 687 mit Verweis auf Cheshire, North & Fawcett, Private International Law, S. 7 ff. und Clarkson/Hill, The Conflict of Laws, S. 7 ff. 480 Schack, IZVR, Rn. 25. 481 Schack, IZVR, Rn. 25. 476
112 Kapitel 2 – Das Verhältnis des EU-Kollisionsrechts zur Schiedsgerichtsbarkeit barkeit vom Anwendungsbereich der Rom I-VO lässt sich daher weder über Art. 1 Abs. 2 lit. e) Rom I-VO noch über Art. 1 Abs. 3 Rom I-VO begründen. 5. Zwischenergebnis – Bindung von Schiedsgerichten an die Rom I-Verordnung a) Sachlicher Anwendungsbereich Eine Auslegung der Bereichsausnahme des Art. 1 Abs. 2 lit. e) Rom I-VO hat ergeben, dass der darin enthaltene Ausschluss des Schiedsvereinbarungsstatuts im Einklang mit dem Wortlaut des Verordnungstextes eng zu verstehen ist. Die Ermittlung des Hauptsachestatuts durch Schiedsgerichte bleibt von Art. 1 Abs. 2 lit. e) Rom I-VO unberührt. Für einen Anwendungswillen der Rom I-VO im Schiedsverfahren streiten darüber hinaus systematische Erwägungen. So hat der europäische Gesetzgeber den Anwendungsbereich der Rom I-VO abschließend in Art. 1 Rom I-VO regeln wollen und dazu einen umfangreichen Ausnahmekatalog definiert. Aus dem Grundsatz der effektiven Wirkung des Unionsrechts folgt, dass Bereichsausnahmen im Unionsrecht eng auszulegen sind, um dem Unionsrecht eine möglichst große praktische Wirksamkeit zu verleihen. In der Frage der Auslegung der Bereichsausnahme des Art. 1 Abs. 2 lit. e) Rom I-VO entscheidet sich nämlich, ob die Verordnung im durch die Schiedsgerichtsbarkeit geprägten internationalen Handel482 zukünftig Beachtung findet oder ob sie sich aus dem grenzüberschreitenden Wirtschaftsverkehr nahezu vollständig verabschiedet und im Wesentlichen zu einem Instrument zur Bestimmung des anwendbaren Rechts für Verträge zwischen Privaten degradiert wird.483 Der Grundsatz des effet utile und das hieraus erwachsende Postulat, eine möglichst große praktische Wirksamkeit des europäischen Rechts zu gewährleisten und somit im Zweifel eine restriktive Auslegung der Ausnahmetatbestände des Unionsrechts vorzunehmen, spricht für eine umfassende Geltung des europäischen Kollisionsrechts. Dies deckt sich auch mit der von Unberat/Cziupka geäußerten Prognose, die mit Blick auf die Rechtsprechung des EuGH zum Verhältnis von Schiedsverfahrensrecht und europäischem Kollisionsrecht den Grundsatz des effet utile als zentrales Argument identifizieren.484 Insbesondere der Vergleich zur EuGVVO und der Rom II-VO als „Schwesterverordnungen“ der Rom I-VO hat darüber hinaus gezeigt, dass ein Ausschluss der Schiedsgerichtsbarkeit nur in den Fällen angezeigt ist, in denen ein ausdrücklicher Ausschluss im Verordnungstext vorhanden ist. Dies steht im Einklang mit dem historischen Willen des Verordnungsgebers sowie dem telos der Verordnung, Überschneidungen zum staatsvertraglich bindenden UNÜ zu vermeiden und durch einen ausdifferenzierten Anknüpfungskatalog zu Rechtssi482 483 484
Zu den Zahlen siehe bereits die Einleitung. Vgl. hierzu Mankowski, Interessenpolitik und europäisches Kollisionsrecht, S. 60. Unberat/Cziupka, in: Rauscher, EuZPR/EuIPR, Art. 1 Rom II-VO, Rn. 11.
§ 4 Neubewertung – Die Rechtslage seit Inkrafttreten der Rom I-VO
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cherheit und Vorhersehbarkeit gerichtlicher Entscheidungen zu gelangen. Auch aus der späteren Staatenpraxis folgt keine andere Beurteilung: Zum einen handelt es sich, wie gezeigt, keineswegs um eine einheitliche Staatenpraxis, die nach allgemeinen völkerrechtlichen Auslegungsmethoden notwendig wäre, um auf die Auslegung eines Vertragswerkes Einfluss nehmen zu können. Zum anderen ist nach dem Grundsatz der autonomen Auslegung des Unionsrechts eine spätere Staatenpraxis für die Frage der Auslegung der Bereichsausnahme in Art. 2 Abs. 2 lit. e) Rom I-VO nicht von Bedeutung, da die Mitgliedstaaten die Auslegung des Unionsrechts auf den EuGH übertragen haben. Schließlich steht auch eine Auslegung des unionsrechtlichen Gerichtsbegriffs der Einbeziehung der Schiedsgerichtsbarkeit in den Anwendungsbereich der Verordnung nicht entgegen. Dieser ist vielmehr vor der Hintergrund des aus der Nordsee-Entscheidung des EuGH resultierenden Kriterienkatalogs sowie der Verrechtlichung und des Bedeutungszuwachses der Schiedsgerichtsbarkeit einer dynamischen Auslegung unterworfen, welche für eine Erweiterung des Gerichtsbegriffs auf institutionalisierte private Handelsschiedsgerichte streitet. Mit Blick auf § 1051 ZPO und anderen auf Grundlage von Art. 28 UMG erlassenen nationalen Kollisionsnormen gilt damit Folgendes: Aufgrund des Anwendungsvorrangs des Europarechts verdrängt die Rom I-VO das nationale Sonderkollisionsrecht in § 1051 ZPO, soweit er der Rom I-VO entgegensteht. b) Räumlich-zeitlicher Anwendungsbereich Im Hinblick auf die räumliche Geltung von Rom I-VO und § 1051 ZPO ist festzuhalten, dass sich die Rom I-VO der Natur der Sache nach lediglich auf Schiedsgerichte mit Sitz innerhalb der EU mit Ausnahme Dänemarks erstreckt. § 1051 ZPO kommt hingegen auch in Schiedsverfahren zur Anwendung, in denen Parteien aus Drittstaaten das deutsche Schiedsverfahrensrecht als Schiedsverfahrensstatut in einem Schiedsverfahren mit Sitz außerhalb der Europäischen Union wählen.485 Da die Rom I-VO auf Schiedsverfahren außerhalb der EU keine Anwendung findet, hätte das Schiedsgericht bei der kollisionsrechtlichen Bestimmung in einem solchen Fall § 1051 ZPO in seiner „reinen Form“, also ohne Einwirkung des europäischen Rechts zugrunde zu legen. Hier verbleibt dem nationalen Kollisionsrecht somit ein Anwendungsbereich neben der Rom I-VO. In zeitlicher Hinsicht besteht darüber hinaus ein eigener Anwendungsbereich des nationalen Kollisionsrechts für die Beurteilung von Altverträgen vor Inkrafttreten der Rom I-VO. Hier scheint jedoch zumindest eine Orientierung der Schiedsgerichte an der Rom I-VO in Form einer unverbindlichen Regelwerks 485
Zu dieser Möglichkeit siehe Begründung des Regierungsentwurfs, BT-Drucks. 13/ 5274, S. 31. Auf die dadurch entstehenden Kompetenzkonflikte staatlicher Gerichte in der Frage der Zuständigkeit soll hier aufgrund der eher theoretischen Natur des Phänomens der Wahl des deutschen Schiedsverfahrensrechts durch ausländische Parteien mit Sitz des Schiedsgerichts im außereuropäischen Ausland nicht näher eingegangen werden.
114 Kapitel 2 – Das Verhältnis des EU-Kollisionsrechts zur Schiedsgerichtsbarkeit angezeigt. Im Ergebnis ist die Frage nach Vorrang, Ausschluss oder Überschneidung von europäischem Kollisionsrecht und internationalem Schiedsverfahrensrecht im Sinne eines Vorrangs des europäischen Rechts zu beantworten. Schiedsgerichte, die ihren Sitz in einem Mitgliedstaate der Europäischen Union haben, sind folglich kollisionsrechtlich an die Rom I-VO gebunden. III. Ergebnis Nach alledem bleibt festzuhalten, dass das Verhältnis der Schiedsgerichtsbarkeit zum europäischen Kollisionsrecht bereits unter Geltung des EVÜ umstritten war und der Gesetzgeber es trotz der Überzeugung von der völkerrechtlichen Bindung an das EVÜ nicht vermochte, dies im Rahmen der Reform des deutschen Schiedsverfahrensrecht zufriedenstellend in § 1051 ZPO zu gießen. Die besseren Gründe stritten bereits zu diesem Zeitpunkt für eine Einbeziehung der Schiedsgerichtsbarkeit in den Geltungsbereich des EVÜ, jedoch galt dieses aufgrund des Vorbehalts der Bundesrepublik in Deutschland nicht unmittelbar und konnte damit für Schiedsgerichte mit Sitz in Deutschland keine direkte Wirkung entfalten. Die Überschneidungen im Anwendungsbereich von EVÜ und § 1051 ZPO führten somit nicht zu einer Unwirksamkeit von mit dem EVÜ kollidierenden Vorschriften des autonomen deutschen Rechts. Dies änderte sich mit Inkrafttreten der Rom I-VO, die als europäische Verordnung einen unmittelbaren Anwendungsvorrang genießt. Eine Untersuchung des sachlichen Anwendungsbereichs der Verordnung hat gezeigt, dass die Bereichsausnahme des Art. 1 Abs. 2 lit. e) Rom I-VO zwar die Schiedsvereinbarung vom Anwendungsbereich ausnimmt, das Schiedsverfahren als solches aber erfasst. Sowohl Wortlaut und Systematik, als auch die Gesetzgebungshistorie und schließlich die Zwecke des Gesetzes stützen dieses Ergebnis. Da § 1051 ZPO lediglich die Bestimmung des Vertragsstatuts zum Gegenstand hat, verdrängt die Rom I-VO das nationale Kollisionsrecht im sachlichen Anwendungsbereich vollständig. In räumlicher und zeitlicher Hinsicht bleibt dem nationalen Kollisionsrecht für Schiedsgerichte jedoch ein eigener Anwendungsbereich, insbesondere in den Fällen, in denen die Parteien eines Schiedsverfahrens mit Sitz außerhalb der EU das deutsche Schiedsverfahrensrecht im Wege eines opting in als Verfahrensstatut wählen. Die methodische Untersuchung hat zudem gezeigt, dass die Frage der Bindung von Schiedsgerichten an europäisches Kollisionsrecht noch immer heftig umstritten ist. Ein wesentlicher Grund dafür ist, dass ein eindeutiges Bekenntnis zur Geltung im Schiedsverfahren im Text der Verordnung fehlt und nur über eine Auslegung zu dem hier vertretenen Ergebnis gelangt werden kann. Dies ist bedauerlich. Umso misslicher ist dieser Umstand, da der europäische Gesetzgeber im Rahmen der Überführung des EVÜ in die Rom I-VO die Möglichkeit gehabt hätte, die bereits zu dieser Zeit geführte Kontroverse durch eine eindeutige
§ 4 Neubewertung – Die Rechtslage seit Inkrafttreten der Rom I-VO
115
Aussage im Text der Verordnung zu beenden.486 Es bleibt somit auf eine Klarstellung durch den europäischen Gesetzgeber zu hoffen. Schneller als eine Änderung des Verordnungstextes könnte eine Stellungnahme des EuGH eine Klärung des Verhältnisses von internationaler Schiedsgerichtsbarkeit und Rom IVO bewirken.487
486
So auch Mankowski, Interessenpolitik und europäisches Kollisionsrecht, S. 65. In diese Richtung ebenfalls die Teilnehmer der „Vienna Arbitration Days 2014“ vom 28.2.–1.3.2014; zum Veranstaltungsbericht siehe Wong, SchiedsVZ 2014, 146, 147: „Last, but not least, the most controversial topic was the question whether or not the Rome I Convention/Regulation must be applied by arbitral tribunals that have their seat in a member state. The participants in the discussion agreed that the question remains unclear as long as the ECJ has not spoken its final word.“ 487
Kapitel 3
Konsequenzen einer Bindung an die Rom I-Verordnung für die Rechtsanwendungspraxis internationaler Handelsschiedsgerichte Kapitel 3 – Konsequenzen der Bindung an die Rom I-Verordnung
Im Fokus des folgenden Kapitels stehen die Konsequenzen der Bindung internationaler Handelsschiedsgerichte an die Rom I-VO. Ausgangspunkt ist wiederum die Prämisse einer funktionalen Gleichwertigkeit von privater und staatlicher Gerichtsbarkeit und das daraus folgende Desiderat, dass in den Bereichen, in denen staatliche Gerichte und Schiedsgerichte nach Rechtsregeln entscheiden, das anwendbare Sachrecht gleichlaufen sollte.488 Im Folgenden werden zunächst die Konsequenzen für die Rechtswahlfreiheit, insbesondere deren Grenzen (§ 5), sowie die schiedsrechtliche Besonderheit der Zulässigkeit von Billigkeitsentscheidungen (§ 6) untersucht. Sodann wird die objektive Anknüpfung von Verträgen durch Schiedsgerichte in den Blick genommen (§ 7). Im Anschluss behandelt die Arbeit die Folgen, die eine Nichtanwendung des europäischen Kollisionsrechts für die Anerkennung und Vollstreckbarkeit eines Schiedsspruchs zeitigen kann (§ 8) sowie mögliche strategische Erwägungen zur Umgehung der Anwendung des europäischen Kollisionsrechts (§ 9).
§ 5 Rechtswahlfreiheit der Parteien § 5 Rechtswahlfreiheit der Parteien
I.
Grundsatz der Parteiautonomie
Im Vergleich zu den nationalen Kollisionsnormen für Schiedsgerichte, die nach dem Vorbild von Art. 28 Abs. 1 UMG vom Grundsatz der Parteiautonomie ausgehen, ist für das europäische IPR im Ausgangspunkt festzuhalten, dass auch die Rom I-VO diesen Grundsatz ins Zentrum stellt: Der europäische Gesetzgeber hat sich mit Art. 3 Rom I-VO dazu entschieden, den Grundsatz der freien Rechtswahl unmittelbar im Anschluss an den Anwendungsbereich zu normieren. Das Prinzip der Parteiautonomie bildete für den europäischen Verordnungsgeber ausweislich des Erwägungsgrundes 11 der Rom I-VO einen „Eckstein“ der Anknüpfung im Kollisionsrecht für vertragliche und außervertragliche Schuld-
488
So auch Roth, FS Jayme, S. 757, 761.
118
Kapitel 3 – Konsequenzen der Bindung an die Rom I-Verordnung
verhältnisse.489 Damit trägt er dem internationalen Konsens einer Stärkung der Parteiautonomie im IPR Rechnung.490 Nach Leible hat sich damit „[d]ie Parteiautonomie […] im Internationalen Vertragsrecht als Anknüpfungsmaxime nahezu weltweit durchgesetzt und kann als ihr wichtigster Grundsatz gelten.“491 Das Primat der Rechtswahlfreiheit ist mittlerweile auch in anderen Bereichen außerhalb des Internationalen Vertragsrechts verankert.492 So findet der Grundsatz der Parteiautonomie etwa im Internationalen Ehe- und Erbrecht Anwendung.493 Die Rom I-VO bildete im Verordnungskanon des vereinheitlichten europäischen Kollisionsrechts hierbei gewissermaßen den Ausgangspunkt. Die Parteiautonomie ist somit im Laufe der Jahre zu einem festen Bestandteil moderner IPR-Kodifikationen geworden494 und hat sich auf europäischer Ebene fest etabliert.495 Über die Legitimität der Rechtswahl im internationalen Privatrecht ist damit freilich noch nichts ausgesagt: So erkennt Kegel, geleitet durch die von ihm begründete Interessenlehre, in der Rechtswahlfreiheit nur eine „Verlegenheitslösung“ des Gesetzgebers, da sie letztlich zu einer an sich unerwünschten Beachtung materiell-rechtlicher Parteiinteressen auf Ebene des IPR führe.496 Die Gewährung von Parteiautonomie sei nur dann gerechtfertigt, wenn in unklaren Anknüpfungssituationen Unsicherheit über das geeignete Anknüpfungsmoment bestünde.497 Auch aus demokratietheoretischer Sicht wird die Rechtswahlfreiheit vereinzelt kritisiert, da es Einzelnen in der demokratischen Gemeinschaft die Möglichkeit verleihe, unilateral aus dem für alle geltenden rechtlichen Gefüge herauszuoptieren. 498 Nach anderer Auffassung ist in der Rechtswahlfreiheit das Pendant des IPR zur materiell-rechtlichen Vertragsfreiheit zu sehen und die Parteiautonomie als Pendant zur Privatautonomie Be489 In Erwägungsgrund 11 der Rom I-VO heißt es: „Die freie Rechtswahl der Parteien sollte einer der Ecksteine des Systems der Kollisionsnormen im Bereich der vertraglichen Schuldverhältnisse sein.“ 490 Siehe nur Martiny, in: MünchKommBGB10, Art. 3 Rom I-VO; Rn. 1. 491 Leible, FS Jayme, S. 485. 492 Zur Rolle und Bedeutung der Rechtswahl im europäischen Kollisionsrecht jüngst Wandt, Rechtswahlregelungen im europäischen Kollisionsrecht. 493 Vgl. Coester-Waltjen/Coester, Liber amicorum Schurig, S. 33 f. 494 In kritischer Auseinandersetzung mit der von Kegel begründeten Interessenlehre Schinkels, FS v. Hoffmann, S. 391, 403 f., der die Anerkennung der Rechtswahlfreiheit als Ausdruck der allgemeinen Handlungsfreiheit in den Rang hebt. 495 Maultzsch, RabelsZ 75 (2011) 60, 61; Leible, FS Jayme, S. 485, 489. 496 Seit Bestehen des Lehrbuchs unverändert; in der aktuellen Auflage zu finden unter Kegel/Schurig, IPR, § 18 I. 1. c); Schurig, Internationales Privatrecht im 20. Jahrhundert, S. 5, 22 in Fn. 92: Ausgedrückt sei hiermit vielmehr, dass der Gesetzgeber sich einer eigenen kollisionsrechtlichen Entscheidung in bestimmten Fällen, in denen er selbst nicht entscheiden kann oder will, durch eine Delegation auf die Parteien entziehen wolle. 497 Siehe nur Lando, RabelsZ 38 (1974) 6, 11. 498 Zu einer demokratietheoretischen Kritik der Parteiautonomie siehe Rödl, in: Beyond the State – Rethinking Private Law, S. 323, 333 ff.
§ 5 Rechtswahlfreiheit der Parteien
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standteil der allgemeinen Handlungsfreiheit.499 Den Parteien werde hierdurch eine originäre Gestaltungsmacht zugewiesen, aufgrund derer sie den aus ihrer Sicht geeignetsten rechtlichen Rahmen für ihre Rechtsbeziehungen abstecken könnten.500 Selbst die Kritiker der Rechtswahlfreiheit erkennen in ihr in internationalen Fällen die Möglichkeit, ein sachnäheres und damit geeigneteres Recht anzuwenden, als das durch eine objektive Anknüpfung zu ermittelnde. Und auch eine Begründung der Rechtswahlfreiheit aus der allgemeinen Handlungsfreiheit führt nicht zu einer unbegrenzten Rechtswahlfreiheit, sondern findet auf Ebene des Sachrechts ihre Grenzen in den zwingenden Bestimmungen einer Rechtsordnung. Insofern lässt sich in der Bestandsaufnahme möglicher Unterschiede zwischen europäischem Kollisionsrecht und nationalem Sonderkollisionsrecht für Schiedsgerichte konstatieren, dass beide auf demselben Fundament der Parteiautonomie fußen.501 Dies wirkt zunächst banal, vermag jedoch insoweit zu überraschen, als dass es die Frage aufwirft, woher die vehemente Ablehnung einer Anwendung der Rom I-VO durch Teile der Literatur502 rührt. Zur deren Klärung ist es notwendig, sich auf die Suche nach den Differenzen, insbesondere den Grenzen der Rechtswahlfreiheit im Modell des europäischen IPR und des IPR für Schiedsgerichte zu begeben. Interessanterweise kam die Arbeitsgruppe der Hague Principles on Choice of Law in International Commercial Contracts503, die sich die Ausarbeitung international-einheitlicher Kollisionsnormen für internationale Handelsverträge zum Ziel gesetzt hat, entgegen der überwiegenden Auffassung einer Trennung von staatlicher Gerichtsbarkeit und privater Schiedsgerichtsbarkeit zu dem Schluss, dass „die Probleme der Rechtswahl in der staatlichen Gerichtsbarkeit und der privaten Schiedsgerichtsbarkeit grundsätzlich gleich sind“ und entschied sich daher dafür, diese nach einheitlichen Regeln zu behandeln.504
499 500 501
Anstelle vieler nur Leible, FS Jayme, S. 485; McGuire, SchiedsVZ 2012, 257, 258. Lehmann, FS Spellenberg, S. 245, 247. So auch Silberman/Ferrari, in: Conflict of Laws in International Arbitration, S. 257,
306. 502 Siehe nur Nueber, SchiedsVZ 2014, 186 ff.; Schilf, RIW 2013, 678 ff.; Busse, ecolex 2012, 1072. 503 The revised draft Hague Principles on Choice of Law in International Commercial Contracts, Revised Prel. Doc. No. 6 of January 2015; eine Version der Principles findet sich unter . 504 Zu den „Hague Principles on Choice of Law in International Commercial Contracts“ siehe Martiny, RabelsZ 79 (2015) 624 ff., der auch Mitglied der Haager Working Group on Choice of Law in International Contracts ist; in Präambel Nr. 3 wird zudem der Anspruch formuliert, trotz des nicht-bindenden Charakters der Principles auf die Auslegung und Entwicklung bestehender Regeln des internationalen Vertragsrechts einzuwirken.
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Kapitel 3 – Konsequenzen der Bindung an die Rom I-Verordnung
II. Die Grenzen der Parteiautonomie Zwar ist der Grundsatz der Rechtswahlfreiheit weitgehend unumstritten, der Umfang der Rechtswahlfreiheit ist es jedoch keineswegs. Insbesondere die Gewährung privatautonomer Gestaltungsmöglichkeiten in umfangreichen Bereichen des IPR darf nicht zu der Folgerung verleiten, vertraglich gewähltes Recht folge anderen Regeln als staatliches Recht und sei daher grundsätzlich gegen staatliche „Übergriffe“ zu schützen.505 Vielmehr treten auch die Rechtsfolgen von Verträgen allein deshalb ein, weil die Rechtsordnung ihnen diese Wirkungen zubilligt. In der genauen Justierung der Rechtswahlfreiheit drückt sich somit die Grundfrage des Kollisionsrechts aus, bei der es sich um das Verhältnis zwischen subjektiver Gestaltungsmacht der parteiautonom handelnden Parteien und der objektiven Ordnungsfunktion des Rechts handelt.506 Die Grenzen der Rechtswahlfreiheit können sich aus dem vom Gesetzgeber definierten Kreis der wählbaren Rechtsordnungen, einer Einschränkung der Rechtswahlfreiheit in Inlandssachverhalten oder der zwingenden Geltung bestimmter sogenannter Eingriffsnormen ergeben. Ob diese Schranken für staatliche Gerichte wie für Schiedsgerichte gleich gelten, wird im Folgenden untersucht. 1. Wählbarkeit nicht-staatlichen Rechts Eine Hauptkontroverse im Zusammenhang mit der Anwendbarkeit der Rom IVO durch internationale Schiedsgerichte berührt die Frage der Wählbarkeit nicht-staatlichen Rechts. Ausgangspunkt ist die Beobachtung einer Privatisierung des Rechts im internationalen Handel:507 Neben den staatlichen Gesetzgebern treten außerstaatliche internationale Organisationen auf den Plan, die für spezifische Wirtschaftsbereiche Regelwerke erarbeiten, die unter den jeweiligen Adressaten Beachtung finden.508 Die Fähigkeit der staatlichen Rechtsordnungen, für internationale wirtschaftliche Sachverhalte adäquate Antworten zu liefern, wird bezweifelt und damit grundsätzlich die Legitimität des staatlichen Rechts auf diesem Gebiet in Abrede gestellt. Blaurock spricht diesbezüglich von der Entstehung „off-shore-Recht[s]“, welches von den nationalen Rechtsord-
505
Kalin, Verhaltensnorm und Kollisionsrecht, S. 171. Maultzsch, FS v. Hoffmann, S. 304. 507 Die Diskussion über die Rolle und Bedeutung privat geschaffenen Rechts ist nicht neu, sondern geht bis auf den Beginn des 20. Jahrhunderts und die Arbeiten des Rechtssoziologen Eugen Ehrlich zurück, siehe Köndgen, AcP 206 (2006) 477, 508; Reimann, in: Rechtswahl, S. 1, 13; sie hat jedoch im Zuge der Globalisierung an Bedeutung gewonnen. 508 Zur Privatisierung des Rechts im internationalen Wirtschaftsverkehr siehe exemplarisch Köndgen, AcP 206 (2006) 477 ff.; Michaels, The Wayne Law Review 51 (2005) 1209 ff.; Blaurock, ZEuP 1 (1993) 247 ff.; Renner, RabelsZ 78 (2014) 750 ff. sowie den 2014 erschienen Sammelband mit dem Titel „Transnationalisierung des Rechts“: Gralf-Peter Calliess (Hrsg.), Transnationalisierung des Rechts. 506
§ 5 Rechtswahlfreiheit der Parteien
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nungen losgelöst eine Eigendynamik entfalte.509 Diesem übernationalen materiellen Recht entspreche in prozessualer Hinsicht die internationale. Nach heute überwiegender Ansicht sollen Schiedsgerichte zur Anwendung nicht-staatlichen Rechts ermächtigt werden können,510 während es in den Augen Manns noch unmöglich war, dass ein internationales Schiedsgericht Rechtsregeln anwenden könnte, die nicht-staatlicher Natur sind: Das Schiedsgericht selbst sei nur eine Schöpfung nationalen Rechts und habe daher staatliches Kollisionsrecht anzuwenden.511 In der Praxis internationaler Schiedsgerichte lässt sich jedenfalls seit geraumer Zeit die Tendenz erkennen, die Wahl einer sogenannten lex mercatoria durch die Parteien anzuerkennen.512 Im Folgenden werden zunächst Arten nicht-staatlichen Rechts skizziert. Sodann wird die aktuelle Rechtslage unter der Rom I-VO mit Blick auf die Wählbarkeit nicht-staatlichen Rechts de lege lata dargestellt und daraufhin überprüft, ob eine Modifizierung für die Bedürfnisse der internationalen Schiedsgerichtsbarkeit bzw. eine Ausweitung des durch die Rom I-VO gewährten Umfangs der Rechtswahlfreiheit de lege ferenda sinnvoll und wünschenswert erscheint. a) Formen nicht-staatlichen Rechts aa) Lex mercatoria Wie sich bereits einem Aufsatz Reimanns mit dem Titel „Was ist wählbares Recht?“ entnehmen lässt, ist die Herkunft und Geltung der sogenannten lex mercatoria im internationalen Wirtschaftsrecht bereits in ihren Grundlagen umstritten.513 Dieser resümierte: „Jedenfalls handelt es sich bei der auch im Zusammenhang mit der Rechtswahl vieldiskutierten lex mercatoria um ein amorphes Phänomen mit unklaren Konturen und zweifelhafter Geltungskraft.“514 In dieselbe Richtung geht auch Münch, wenn er konstatiert: „Bis heute herrscht weder Klarheit über Erfassung noch Verortung noch exakt greifbaren Inhalt der sog. lex mercatoria, verstanden als eine Art ‚verbindlicher (überregionaler
509
Blaurock, ZEuP 1 (1993) 247, 267. Stein, Lex Mercatoria, S. 123 m.w.N. 511 Mann, Liber amicorum Domke, S. 157, 164 ff. 512 Boele-Woelki, Unif.L.Rev. 1 (1996) 652, 661; Mistelis, Unif.L.Rev. 8 (2003) 631 ff.; kritisch v. Hoffmann, IPRax 1984, 106 ff.; Schilf, Allgemeine Vertragsgrundregeln als Vertragsstatut, S. 141 ff.; vielsagend ist in diesem Zusammenhang auch die Bemerkung von Mayer, Arbitration Insights, S. 289, 295: „An arbitrator sitting in France or in Switzerland can decide, at least if the parties have expressed no opposite view, to apply the so-called lex mercatoria to the case at hand. It does not matter whether the lex mercatoria deserves to be called ‚law’. It does not even matter whether it contains pre-existing rules: the arbitrator will invent the rule he needs if he does not find a ready-made one that resolves the legal issue.“ 513 Siehe grundlegend zur lex mercatoria Toth, The Lex Mercatoria in Theory and Practice. 514 Reimann, in: Rechtswahl, S. 1, 15. 510
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Kapitel 3 – Konsequenzen der Bindung an die Rom I-Verordnung
bzw. -staatlicher) Handelsbrauch‘ […] Ist sie bloß soziologische oder auch juristische Erscheinung? Ist sie selbständige Rechtsquelle oder gar Form einer anationalen Rechtsordnung?“515 Schließlich spitzt Mankowski die weit verbreitete Skepsis gegenüber einer lex mercatoria insoweit zu, als er ihre Existenz als „brainchild primarily of the international arbitration community“516 bezeichnet und sie auf die Qualität eines „mere pseudo-law“ reduziert.517 Tatsächlich ist ihre Herleitung als transnationales Handelsgewohnheitsrecht im Recht der Kaufleute des späten Mittelalters und der frühen Neuzeit,518 zumindest zweifelhaft.519 Ohne in der Tiefe auf die umfangreichen rechtshistorischen Untersuchungen zum Ursprung der lex mercatoria einzugehen, kann zumindest als weitgehend erwiesen gelten, dass der begriffsgeschichtliche Ursprung eines gemeinsamen Kaufmannsrecht zwar auf das englische Recht im 13. Jahrhundert zurückzuführen ist, es dort jedoch keineswegs eine materielle kaufmännische Rechtsordnung, sondern vielmehr prozess- und beweisrechtliche Privilegien von Kaufleuten zum Gegenstand hatte. Der Gebrauch des Begriffs lex mercatoria im Sinne einer objektiven Rechtsordnung unter Kaufleuten lässt sich frühestens im 17. Jahrhundert nachweisen und erwuchs dort als Kampfbegriff aus dem spezifisch englischen Konflikt um Gerichtszuständigkeiten zwischen den Common Law-Gerichten und dem Admiralitätsgericht. Historisch ging es den Kaufleuten also vielmehr darum, im England des 17. Jahrhunderts die befürchteten Beschränkungen ihrer eigenen wirtschaftlichen Betätigung aufgrund der Übertragung der Rechtsprechungszuständigkeit in Handelssachen auf die Common Law-Gerichte durch den Verweis auf ein vermeintlich allgemein gültiges, autonomes „Law Merchand“ einzuhegen. Die lex mercatoria war dabei als politischer Kampfbegriff eher rhetorischer Natur und ist vor dem Hintergrund drohender Veränderungen des herkömmlichen Kaufmannsrechts zu verstehen, wie Scherner in seiner Analyse zur rechtsgeschichtlichen Einordnung der lex mercatoria darlegt.520 Zur Begründung der Existenz einer internationalen Rechtsordnung unter Kaufleuten kann die lex mercatoria im ursprünglichen Sinn folglich allenfalls entfernt dienen. 515
Münch, in: MünchKommZPO3, § 1051, Rn. 58. Mankowski, in: Magnus/Mankowski, Rome I Regulation (2017) Art. 3, Rn. 294. 517 Mankowski, in: Magnus/Mankowski, Rome I Regulation (2017) Art. 3, Rn. 298. 518 Siehe Berman, Law and Revolution, S. 333: „[…] the crucial period of change was the late eleventh and twelfth centuries. It was then that the basic concepts and institutions of modern Western mercantile law – lex mercatoria […] – were formed, and, even more important, it was then that mercantile law in the West first came to be viewed as an integrated, developing system, a body of law.“; ähnlich Blaurock, ZEuP 1 (1993) 247, 249. 519 Cordes, Zeitschrift der Savigny-Stiftung für Rechtsgeschichte, Germanistische Abteilung, 118 (2001) 168, 177. Zur weiteren Vertiefung sei verwiesen auf Scherner, Zeitschrift der Savigny-Stiftung für Rechtsgeschichte, Germanistische Abteilung, 118 (2001) 148 ff. m.w.N. 520 Scherner, Zeitschrift der Savigny-Stiftung für Rechtsgeschichte, Germanistische Abteilung, 118 (2001) 148, 160 f. 516
§ 5 Rechtswahlfreiheit der Parteien
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Unabhängig von ihrem geschichtlichen Ursprung wird unter lex mercatoria im modernen Sinne ein autonomes, selbst geschaffenes und sich erneuerndes Welthandelsrecht verstanden, welches aus als verbindlich betrachteten Verhaltenssätzen besteht.521 Schroeder/Oppermann sprechen von der modernen internationalen lex mercatoria als „einheitliche[s] Recht des Welthandels.“522 Hauptanwendung fände die so verstandene lex mercatoria in der internationalen Schiedsgerichtsbarkeit.523 Der genaue Umfang und die zur lex mercatoria zählenden Materien sind vielfach unklar und werden zum Teil widersprüchlich beschrieben: So soll nach einem Verständnis die Gesamtheit des einheitlichen materiellen Privatrechts zur effektiven Regelung des internationalen Handels zur lex mercatoria zählen. Danach ist neben den sich in der Praxis des internationalen Handels etablierten Handelsbräuchen auch staatsvertragliches Einheitsrecht wie beispielsweise das UN-Kaufrecht vom Begriff der lex mercatoria erfasst.524 Ein anderes Verständnis hält als Wesensmerkmal für die Bestimmung der lex mercatoria die Abgrenzung zum staatlich gesetzten Recht für konstituierend und fasst unter den Begriff der lex mercatoria nur solche Normen, deren Provenienz nicht aus einem bestimmten staatlichen Recht oder einer dem Völkerrecht zugehörigen Quelle herrührt.525 Wo genau die Trennlinie zwischen staatlichem und nicht-staatlichem bzw. staatlich beeinflusstem Recht verläuft, ist häufig nicht klar und so wird die genaue Bestimmung des Umfangs vielfach als nur provisorisch betrachtet.526 Die genaue rechtliche Behandlung einer lex mercatoria erscheint vor diesem Hintergrund jedenfalls schwerlich möglich. So betont Martiny die grundsätzliche Schwierigkeit einer rechtlichen Bewertung der lex mercatoria, da Rechtsnatur, Inhalt, Geltungsgrund, Reichweite und das Verhältnis zum staatlichen Recht ungeklärt seien.527 Es lässt sich festhalten: Bei der lex mercatoria handelt es sich um einen unbestimmter Begriff, der seine Wurzeln im England des 17. Jahrhundert findet und dort vorwiegend besondere prozessuale Erleichterungen für Kaufleute zum
521 Siehe zu den unterschiedlichen modernen Verständnissen Stein, Lex mercatoria, S. 184 ff.; Blaurock, ZEuP 1 (1993) 247, 262. 522 Schroeder/Oppermann, ZVglRWiss 99 (2000) 410, 411. 523 Siehe Blaurock, ZEuP 1 (1993) 247, 257. 524 Schroeder/Oppermann, ZVglRWiss 99 (2000) 410, 417; Kappus, RIW 1990, 788, 794. 525 Unter anderem Goldman, RdC 109 (1963) II, 347, 474 ff. 526 So zum Beispiel von Goldman, in: Lew, Contemporary problems in international arbitration, 113, 114: „At least provisionally, I would conclude that the lex mercatoria comprises rules the object of which is mainly, if not exclusively, transnational, and the origin is customary and thus spontaneous, notwithstanding the possible intervention of interstate or state authorities in the elaboration and/or implementation.“ 527 Martiny, in: MünchKommBGB10, Art. 3 Rom I-VO, Rn. 36; so auch Hausmann, in: Reithmann/Martiny, Internationales Vertragsrecht, Rn. 8.436.
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Kapitel 3 – Konsequenzen der Bindung an die Rom I-Verordnung
Inhalt hatte. Ein umfassendes, homogenes materiell-rechtliches System von privatrechtlichen Normen war zumindest mit dem ursprünglichen Begriffsverständnis nicht verbunden. Die moderne Verwendung des Begriffs der lex mercatoria zielt jedoch in der Tendenz auf ein solches homogenes System ab, wobei die Verständnisse im Einzelnen stark divergieren.528 Dies kann für den Rechtsanwender – sei es ein staatliches oder privates Schiedsgericht529 – nur unbefriedigend sein,530 zumal unter dem Gesichtspunkt der Rechtssicherheit531 unklar bleibt, warum sich die Parteien eines Rechtsstreits auf einen so unbestimmbaren Rechtsinstitut wie die lex mercatoria als anwendbares Recht einigen sollten.532 Deutlich wird jedenfalls, dass eine pauschale Aussage zur Wählbarkeit einer lex mercatoria nicht getroffen werden kann.533 Will man in der Anwendung der lex mercatoria nicht lediglich die ohnehin durch die Gerichte im Rahmen der Vertragsauslegung praktizierte Berücksichtigung der Handelsbräuche der jeweiligen Vertragsparteien verstehen, bedarf es einer Konkretisierung und Differenzierung des Phänomens lex mercatoria als Ausdruck privat gesetzten Rechts. Im Folgenden sollen daher einzelne Bereiche, in denen sich privat gesetztes Recht gebildet hat, in den Blick genommen werden.
528
So zum Beispiel Lew, Applicable Law in International Commercial Arbitration, S. 438: „Whatever the true character of the rules, practices, usages and customs followed in international trade, the right, indeed the duty, of arbitrators to consider, refer to and base their award upon them is well established.“ 529 Selbst wenn man die Wählbarkeit einer lex mercatoria vor staatlichen Gerichten ablehnt, könnten diese in einem späteren Aufhebungs- oder Vollstreckbarerklärungsverfahren unter anderem bei der Beurteilung der Rechtswahl oder der Wirksamkeit einer Schiedsklausel mit der Prüfung der Reichweite und Geltung einer im Schiedsverfahren zur Anwendung gebrachten lex mercatoria konfrontiert sein. 530 Zur mangelnden Praktikabilität der Ermittlung und Anwendung einer lex mercatoria durch die Gerichte v. Hoffmann, IPRax 1984, 106, 107. 531 Dies erkennen auch Schroeder/Oppermann, ZVglRWiss 99 (2000) 410, 418, wenn sie darauf verweisen, dass eine (schieds-)gerichtliche Rechtsfindung nach den Grundsätzen der lex mercatoria es „einem Außenstehenden erschweren, eine Vorhersage zu treffen, welche Normen der Entscheidungsträger tatsächlich anwenden wird.“ 532 Born, International Arbitration, S. 254 f.; Stein, Lex Mercatoria, S. 240 ff. hingegen erkennt in der lex mercatoria eine eigene Rechtsordnung; zwar gesteht sie ein, dass es sich bei deren Inhalten häufig um „juristische Plattheiten“ handele, dies sei jedoch gerade eine essentielle Voraussetzung für deren universelle Akzeptanz. 533 So auch Stein, Lex Mercatoria, S. 5, die in der Einleitung ihrer Untersuchung feststellt: „Niemand vermag heute präzise anzugeben, welche sachlichen und rechtlichen Fragestellungen es im Einzelnen sind, die im Zusammenhang mit der lex mercatoria eine Antwort fordern, oder auch nur mit einer Verlässlichkeit zumindest festzustellen, welche Sach- oder Rechtsprobleme jedenfalls außerhalb des Themenbereichs liegen.“
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bb) Internationale Modellgesetze und selbstgeschaffene Regeln des internationalen Handels Im internationalen Wirtschaftsverkehr lassen sich eine Reihe von Regelwerken identifizieren, in denen private Organisationen Regeln für einzelne Vertragstypen oder auch ganze Rechtsbereiche erarbeitet haben.534 Dabei handelt es sich um Regelwerke, welche von internationalen Organisationen als Modellgesetze ausgearbeitet und den nationalen Gesetzgebern zur Übernahme in das eigene Recht empfohlen werden.535 Zwar speisen sich diese Regelwerke aus allgemeinen Rechtsgrundsätzen, sie sind allerdings in ihren Formulierungen denen eines Gesetzes sehr ähnlich.536 Daneben existieren von der internationalen Handelspraxis selbst entwickelte Regeln, durch die die beteiligten Akteure ihre Geschäftsbeziehungen unabhängig von staatlichen Gesetzgebern gleichförmig zu gestalten anstreben. Hierzu zählt die Verwendung einheitlicher Vertragsklauseln, Geschäftsbedingungen oder Musterformularen. (1) Internationale Modellgesetze Anders als bei den nach völkerrechtlichen Grundsätzen funktionierenden internationalen Übereinkommen, handelt es sich bei Modellgesetzen um unverbindliche Regelwerke. Von Expertengremien wird nach dem Vorbild der US-amerikanischen Restatements das bestehende Recht in rechtsvergleichender Weise ausgewertet und mit dem Ziel einer internationalen Rechtsangleichung systematisiert.537 Staaten können diese Regelwerke als Leitlinien für die Reform ihres eigenen nationalen Rechts nutzen.538 Eine Ratifizierung, wie dies bei einem internationalen Abkommen der Fall wäre, ist demnach nicht erforderlich. Die Modellgesetze finden stets nur in Form der freiwilligen (und regelmäßig modifizierten) Übernahme durch die nationalen Gesetzgeber Eingang in staatliches Recht. Hervorzuheben ist der Unterschied zu internationalem Einheitsrecht, welches im Bereich des Kaufrechts beispielsweise in Form des UN-Kaufrechts Eingang in den Kanon der vor staatlichen Gerichten wählbaren Rechte gefunden hat bzw. mittels Ratifizierung in den Vertragsstaaten auch ohne ausdrückliche Wahl durch die Parteien zur Anwendung gelangt. Die Modellgesetze
534 Diese Unterscheidung ebenfalls vornehmend Boele-Woelki, Unif.L.Rev. 1 (1996) 652, 656 ff.; Blaurock, ZEuP 1 (1993) 247 ff. 535 Basedow, RabelsZ 81 (2017) 1, 17 ff.; Blaurock, ZEuP 1 (1993) 247, 253. 536 Schroeder/Oppermann, ZVglRWiss 99 (2000) 410, 417; Zimmermann, ZEuP 12 (2005) 264, 267 erkennt sowohl in den UNIDROIT Principles als auch den PECL Normen, „deren Subsumtionsfähigkeit den in den nationalen Kodifikationen enthaltenen nicht nachsteht.“ 537 Boele-Woelki, Unif.L.Rev. 1 (1996) 652, 655; Zimmermann, ZEuP 12 (2005) 264, 267; Reimann, in: Rechtswahl, S. 1, 14. 538 Basedow, RabelsZ 81 (2017) 1, 18.
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und die von privaten Expertengremien erarbeiteten Prinzipienkataloge sind unverbindliche Vorschläge als Grundlage für Kodifikationen.539 Wesentliche Akteure auf dem Gebiet der Modelgesetzgebung sind das Institut für die Vereinheitlichung des Privatrechts in Rom (UNIDROIT) sowie die United Nations Commission on International Trade Law (UNCITRAL). Auf dem Gebiet des internationalen Schiedsverfahrensrechts diente das durch die UNCITRAL erarbeitete UNCITRAL Model Law on International Arbitration als Orientierungspunkt bei der Reform einer Reihe von nationalen Schiedsverfahrensrechten, wie am Beispiel der Bundesrepublik Deutschland gezeigt wurde. Daneben treten die UNIDROIT Principles of International Commercial Contracts (PICC)540 an prominente Stelle, welche seit 1980 von einer Arbeitsgruppe innerhalb des Instituts erarbeitet werden und im Jahr 1994 erstmals veröffentlicht wurden. Diese sollen laut dem Willen ihrer Verfasser zunächst angewendet werden, wenn die Parteien sich ausdrücklich auf ihre Anwendung geeinigt haben, aber auch, wenn die Vereinbarung lediglich vorsieht, den Vertrag „Allgemeinen Rechtsgrundsätzen“ oder der lex mercatoria zu unterstellen.541 Die Prinzipien gliedern sich in Form einer Gesetzeskodifikation in elf Kapitel mit insgesamt 211 Artikeln, die sich von der Formulierung allgemeiner Prinzipien wie dem des pacta sunt servanda (Art. 1.3 PICC 2010) über konkrete Regelungen zum Vertragsschluss und zur Stellvertretung (Art. 2 PICC 2010) bis hin zur Rückabwicklung nichtiger Verträge (Art. 3.3.2 PICC 2010) und der Behandlung von Gläubiger- und Schuldnermehrheiten (Art. 11 PICC 2010) erstrecken. Die jeweiligen Artikel sind mit einer offiziellen Kommentierung versehen, die dem Rechtsanwender als Hilfe beim praktischen Umgang mit den Principles dienen soll.542 Der sachliche Anwendungsbereich der PICC erstreckt sich, wie bereits aus ihrer Bezeichnung hervorgeht, nur auf Handelsverträge mit internationalem Charakter.543 Die Autoren der Principles hatten bei der Aus-
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Mankowski, in: Ferrari/Kieninger/Mankowski, Internationales Vertragsrecht, Art. 4 FactÜ, Rn. 15. 540 Die zuletzt überarbeitet Fassung samt Kommentierungen aus dem Jahr 2010 findet sich in englischer Sprache unter .; dazu Vogenauer, ZEuP 20 (2013) 7, 18 ff.; zur vorangegangenen Textstufe aus dem Jahr 2004 siehe Zimmermann, ZEuP 12 (2005) 264 ff. 541 Offizielle Kommentierung der PICC 2010, Präambel, S. 4: „Hitherto, such reference by the parties to not better identified principles and rules of a supranational or transnational character has been criticized, among other grounds, because of the extreme vagueness of such concepts. In order to avoid, or at least to reduce considerably, the uncertainty accompanying the use of such rather vague concepts, it might be advisable, in order to determine their content, to have recourse to a systematic and well-defined set of rules such as the Principles.“ 542 Boele-Woelki, Unif.L.Rev. 1 (1996) 652, 655. 543 Bonell, RabelsZ 56 (1992) 274, 279 f.
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arbeitung auch die Anwendung in internationalen Schiedsverfahren vor Augen, wie aus den offiziellen Kommentierungen der Prinzipien hervorgeht.544 Speziell mit Blick auf Europa haben sich in den letzten Jahren Expertenkommissionen gebildet, die gemeinsame Prinzipien des europäischen Rechts herausgearbeitet und diese zu Regelkatalogen zusammengefasst haben. So existieren die von der sogenannten Lando-Kommission erarbeiteten Principles of European Contract Law (PECL)545 genauso wie der Draft Common Frame of Reference for European Contract Law (DCFR)546, welcher von der Study Group on a European Civil Code entwickelt wurde. Ihr Ziel ist die europäische Rechtsvereinheitlichung auf dem Gebiet des Vertragsrechts. Sie sollen anders als die PICC nicht lediglich für Handelsverträge maßgeblich sein. Vom Aufbau ähneln sie den PICC jedoch weitgehend.547 Inhaltlich stimmen insbesondere die PICC und die PECL in weiten Teilen überein, was einerseits aufgrund der divergierenden Anwendungsbereiche (UNIDROIT = Handelsvertragsrecht/global; PECL = allgemeines Vertragsrecht/europäisch) überrascht, andererseits aufgrund der personellen Überschneidungen der an beiden Werken beteiligten Experten nicht verwunderlich ist.548 Beide Regelwerke sind darüber hinaus wesentlich vom CISG inspiriert worden.549 Der DCFR schließlich geht auf eine Initiative der Europäischen Kommission aus dem Jahr 2001 zur Gründung eines Exzellenznetzwerks europäischer Wissenschaftler zurück. Ziel war die Ausarbeitung von Vorschlägen für ein gemeinsames Europäisches Privatrecht.550 Das vorläufige Ergebnis dieser Arbeit ist eine seit Ende 2009 vorliegende sechsbändige Version eines Draft Common Frame 544 In der offiziellen Kommentierung der PICC 2010, Präambel, S. 3, heißt es ausdrücklich mit Verweis auf die Wählbarkeit nichtstaatlichen Rechts in Schiedsverfahren: „Parties who wish to choose the principles as rules of law governing their contract are well advised to combine such a choice of law clause with an arbitration agreement.“; darüber hinaus unter anderem unter Art. 10.1 die Ausführungen zu „3. Mandatory rules of domestic law“ oder zu Art. 10.6 unter „1. Arbitral proceedings“; auf kollisionsrechtlicher Ebene ist eine Gleichbehandlung von Schiedsgerichtsbarkeit und staatlicher Gerichtsbarkeit interessanterweise auch in den jüngst verabschiedeten „Hague Principles on Choice of Law in International Commercial Contracts“ enthalten, wie aus Präambel Nr. 4 hervorgeht; näher hierzu Martiny, RabelsZ 79 (2015) 624 ff. 545 Siehe für Bd. I und II Lando/Beale, Principles of European Contract Law; für Bd. III Lando/Prüm/Clive/Zimmermann, Principles of European Contract Law. 546 v. Bar/Clive/Schulte-Nölke et al., Principles, Definitions and Model Rules of European Private Law, Draft Common Frame of Reference (DCFR), abrufbar unter . 547 Eine vergleichende Untersuchung der PICC und der PECL findet sich bei Zimmermann, ZEuP 12 (2005) 264 ff. 548 Boele-Woelki, Unif.L.Rev. 1 (1996) 652, 655; Zimmermann, EuZW 2007, 455, 457. 549 Zimmermann, EuZW 2007, 455, 457. 550 Als Ergebnis sollte dabei eine „Toolbox“ entstehen, die einen Überblick über das in den Mitgliedstaaten der EU geltende Privatrecht vermitteln und aus der sich der europäische Gesetzgeber bei zukünftigen Gesetzgebungsverfahren bedienen können sollte.
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of Reference, der in insgesamt zehn „Büchern“ nicht lediglich das Vertragsrecht, sondern auch das Bereicherungs-, Delikts- und Sachenrecht aufarbeitet. Anders als die PICC war der DCFR von Beginn an in den Augen einiger seiner Verfasser auf eine Umsetzung in europäisches Recht ausgelegt.551 So war mitunter eine Selbstverpflichtung der Mitgliedstaaten im Gespräch, bei ihren späteren Vorhaben auf den DCFR zurückzugreifen, womit das ansonsten nur als unverbindliche „Toolbox“ ausgestaltete Regelwerk mit einer rechtlichen Verpflichtung zur Berücksichtigung in den Mitgliedstaaten ausgestattet worden wäre. Letztendlich blieb es allerdings beim lediglich beratenden Charakter des DCFR als „Werkzeugkasten“ zukünftiger Gesetzgebung, wodurch dieses neben den PECL als weiteres Modellgesetz trat.552 (2) Die selbstgeschaffenen Regeln des internationalen Handels Neben die genannten Modellgesetze treten eine Reihe internationaler Handelsbräuche, welche als „Expertenrecht“553 überwiegend die spezifischen Bedürfnisse einzelner Branchen widerspiegeln und als standardisierte Vertragswerke, kodifizierte Handels- und Prozesspraxis oder technische Spezifikationen Beachtung finden. Einen Gesamtüberblick über dieses Konvolut einzelner Regeln zu geben, erscheint an dieser Stelle weder möglich noch nötig. Es sollen stattdessen einige Regelungen exemplarisch herausgegriffen und in ihren Anwendungs- und Regelungsbereichen skizziert werden. Zu nennen sind zunächst die International Commercial Terms (Incoterms)554. In ihrer ursprünglichen Form entstanden die Incoterms 1936 aus dem Wunsch, die Trade Terms international zu vereinheitlichen. In der Folge gab es eine Reihe von Neufassungen, die zurzeit geltende Fassung wurde im Jahre 1999 überarbeitet und gilt seit dem 1. Januar 2000 (Incoterms 2000).555 Inhaltlich bilden die Incoterms ein von der Internationalen Handelskammer in Paris herausgegebenes Klauselwerk von Auslegungsregeln für den internationalen Handel. Sie fassen in knapper Form die Handelsgewohnheiten und die Auslegung gebräuchlicher Vertragsformeln im internationalen Handelsverkehr zusammen. Darüber hinaus enthalten sie elf international vereinheitlichte Handelsklauseln, 551 Dies war freilich nicht unumstritten und führte in der Diskussion um den DCFR zu entsprechend heftigen Kontroversen, Martinek, Staudinger, BGB, Eckpfeiler des Zivilrechts, A., Rn. 198; Doralt, AcP 211 (2011) 1, 3 f. 552 Unter niederländischer Ratspräsidentschaft ist mit dem Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates über bestimmte vertragsrechtliche Aspekte des Online-Warenhandels und anderer Formen des Fernabsatzes von Waren vom 9.12.2015, KOM (2015) 635 final, ein neuer Versuch forciert worden, Teile des DCFR in eine separate Richtlinie auszugliedern, siehe hierzu Wendland, EuZW 2016, 126 ff. 553 Köndgen, AcP 206 (2006) 477, 481. 554 Der deutsche Wortlaut der Regeln findet sich in der gedruckten Version bei Joost, in: Ebenroth/Boujong/Joost/Strohn, HGB2, § 346, Rn. 136. 555 Joost, in: Ebenroth/Boujong/Joost/Strohn, HGB2, § 346, Rn. 124.
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die als Katalog empfohlener Geschäftsbedingungen fungieren. Allerdings befassen sich die Incoterms nur mit kaufvertraglichen Regelungen und enthalten in Bezug auf das Verhältnis der Parteien lediglich einige ausgewählte Punkte des Kaufvertrags, ohne eine umfassende Regelung aller Rechte und Pflichten aus dem Kaufvertrag vorzusehen. Anwendung finden die Incoterms in Form von Geschäftsbedingungen, auf die die Parteien vertraglich Bezug nehmen.556 Ein Beispiel für eine branchenspezifische Kodifizierung von Handelsbräuchen bilden die Uniform Customs and Practice for Documentary Credits (UCP)557. Diese formulieren auf dem Gebiet der Dokumentenakkreditive im Bank-, Versicherungs- und Transportwesen558 Regeln zur einheitlichen Handhabung des Akkreditivgeschäftes. Der Gebrauch von Akkreditiven als Mittel des bargeldlosen Zahlungsverkehrs unter Einschaltung einer Akkreditivbank erfüllt für den Käufer eine Kreditfunktion, da die Kontobelastung durch die Akkreditivbank regelmäßig erst mit einer gewissen zeitlichen Verzögerung bei Inanspruchnahme des Dokumentenakkreditivs durch den Verkäufer erfolgt.559 Die UCP stammen aus dem Jahre 1933 und wurden mehrfach überarbeitet. Die aktuelle Fassung (UCP 600) gilt seit dem 1. Juli 2007 und umfasst insgesamt 39 Artikel. Trotz ihrer weltweiten Anerkennung erlangen die UCP ihre Geltung nicht von sich heraus als kaufmännisches Gewohnheitsrecht, sondern erfordern eine ausdrückliche Einbeziehung durch die Vertragsparteien.560 Darüber hinaus können sie Geltung nur insoweit beanspruchen, als sie nicht gegen zwingendes nationales Recht verstoßen.561 Schließlich sei auf den Bereich des Rechnungslegungsrechts verwiesen, in dem sich seit den 1970er Jahren international anerkannte Berichtsstandards herausgebildet haben. Dabei sind vornehmlich die International Accounting 556
Joost, in: Ebenroth/Boujong/Joost/Strohn, HGB2, § 346, Rn. 126. Uniform Customs and Practice for Documentary Credits, UCP 600, 2007 Revision (ICC Publication No. 600); im deutschen: „Einheitlichen Richtlinien und Gebräuche für Dokumenten-Akkreditive (Revision 2007) (ERA 600)“. 558 Nielsen, in: MünchKommHGB6, Rn. H 3. 559 Nielsen, in: MünchKommHGB6, Rn. H 3. 560 Art. 1 UCP 600: „The Uniform Customs and Practice for Documentary Credits, 2007 Revision, ICC Publication no. 600 (‘UCP’) are rules that apply to any documentary credit (‘credit’) (including, to the extent to which they may be applicable, any standby letter of credit) when the text of the credit expressly indicates that it is subject to these rules.“ (Hervorhebung durch den Verfasser) 561 Collyer/Katz, ICC-Publ. Nr. 739, Decision 216: „However, in addition to having the duty to abide by the UCP which are incorporated in the credit, the banks are also under the obligation to abide by the mandatory laws applicable to them. Fraud, forgery and exchange regulation are generally considered to be a matter of mandatory laws. Mandatory laws supersede the UCP, which are a set of contractual rules. The Panel of Experts is not empowered under the DOCDEX Rules to decide on issues that relate, not to the UCP alone, but to the applicable law such a fraud or exchange regulation. This includes both deciding on facts and adjudicating claims in relation to such issues.“ 557
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Standards (IAS) und die International Financial Reporting Standards (IFRS) zu nennen, welche durch das International Accounting Standards Board (IASB) entwickelt wurden. Das IASB fungiert seit 1973 als private Organisation mit dem Ziel, in Zusammenarbeit mit den nationalen Institutionen weltweite Standards der Rechnungslegung zu entwickeln. Zunächst nur als optionale Standards für bilanzierende Unternehmen initiiert, sind die IAS/IFRS mittlerweile in die sogenannte IAS-Verordnung562 eingeflossen und enthalten seit 2005 verbindliche Vorgaben für börsennotierte Unternehmen bei der Erstellung des konsolidierten Konzernabschlusses. b) Wählbarkeit nicht-staatlichen Rechts unter der Rom I-Verordnung de lege lata – Materiell-rechtliche Verweisung statt Kollisionsrechtswahl Die kollisionsrechtliche Wählbarkeit nicht-staatlichen Rechts wird unter der Rom I-VO nach verbreiteter Ansicht für unzulässig gehalten.563 Der Wortlaut von Art. 3 Abs. 1 S. 1 Rom I-VO sei in Einklang mit der Vorgängervorschrift des Art. 3 Abs. 1 EVÜ so auszulegen, dass von dem „von den Parteien gewählten Recht“ nur staatliches Recht erfasst sei. Hinweise darauf ergäben sich aus einer verordnungsinternen systematischen Auslegung, indem Art. 2 Rom I-VO die Verweisung auf das Recht eines Drittstaats in einen Gegensatz zum „Recht eines Mitgliedstaats“ stelle und damit impliziere, dass durch die Verordnung nur eine Verweisung auf staatliches Recht möglich sei. Auch die in den Art. 5–8 Rom I-VO enthaltenen Sonderanknüpfungen gingen davon aus, dass lediglich staatliches Recht Gegenstand einer Verweisung sein könne.564 Als wesentliche Argumente gegen die Einbeziehung nicht-staatlicher Normen in den Kreis der wählbaren Rechte nach der Rom I-VO werden die fehlende demokratische Legitimation privater Normgeber sowie die Unbestimmbarkeit des Inhalts nichtstaatlichen Rechts vorgebracht.565 Bemerkenswert ist, dass zumindest im Entwurf der Rom I-VO noch die Wählbarkeit nicht-staatlichen Rechts vorgesehen war: Art. 3 Abs. 2 S. 1 des Entwurfs gewährte den Parteien ausdrücklich die Möglichkeit, „auf internationaler oder Gemeinschaftsebene anerkannte Grundsätze und Regeln des materiellen Vertragsrechts wählen“ zu können.566 In den Erläuterungen hierzu werden die PICC, die PECL sowie der DCFR genannt. 562
Verordnung (EG) Nr. 1606/2002 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 19. Juli 2002 betreffend die Anwendung internationaler Rechnungslegungsstandards (ABl. EU 2002, Nr. L 243, S. 1 ff.). 563 Siehe mit weiteren Nachweisen Magnus, in: Staudinger, BGB, Art. 3 Rom I-VO, Rn. 55 ff.; Schulze, FS v. Hoffmann, S. 856, 857. 564 Zur Argumentation unter dem EVÜ, die für die Rom I-VO allerdings identisch ausfällt, siehe Roth, FS Jayme, S. 757, 758. 565 Eine Übersicht über die bei der Entstehung der Rom I-VO diesbezüglich geführten Kontroverse bieten Lando/Nielsen, CMLRev. 45 (2008) 1687, 1694 ff. 566 KOM(2005) 650 endg.; Leible, in: Ein neues Internationales Vertragsrecht für Europa, S. 41, 47; Schinkels, GPR 2007, 106, 107 f.
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Obwohl dies von einer Reihe von Stimmen in der Wissenschaft begrüßt wurde,567 entschied sich die Europäische Kommission in den abschließenden Beratungen für eine Streichung dieser Möglichkeit in der endgültigen Fassung und fügte als Kompromiss Erwägungsgrund 13 in die Verordnung ein.568 Zu unterscheiden ist dabei zwischen der Zulässigkeit der Wahl nicht-staatlichen Rechts als lex causae mit kollisionsrechtlicher Wirkung und der Inkorporierung nicht-staatlichen Rechts als Vertragsinhalt mit materiell-rechtlicher Wirkung. In letzterem Fall werden die gewählten nicht-staatlichen Normen in den zwischen den Parteien geschlossenen Vertrag durch Bezugnahme inkorporiert. Das von den Parteien auf diesem Weg zur Anwendung gebrachte nichtstaatliche Recht verdrängt nicht das durch die ansonsten anwendbaren kollisionsrechtlichen Normen berufene Sachrecht. Es gelten zwei parallele Regime: Zunächst das kollisionsrechtlich bestimmte staatliche Recht, daneben die mittels vertraglicher Verweisung inkorporierten nicht-staatlichen Normen. Eine solche Art der Einbeziehung ist als materiell-rechtliche Verweisung im Gegensatz zur kollisionsrechtlichen Verweisung unproblematisch und wird auch von der Rom I-VO in Erwägungsgrund 13 ausdrücklich zugelassen. In diesem heißt es: „Diese Verordnung hindert die Parteien nicht daran, in ihrem Vertrag auf ein nichtstaatliches Regelwerk oder ein internationales Übereinkommen Bezug zu nehmen.“ Praktisch führt dies dazu, dass eine von den Parteien getroffene Wahl nicht-staatlichen Rechts nur eine materiell-rechtliche Wirkung entfaltet und neben den gewählten Normen das staatliche Sachrecht zur Anwendung kommt, welches durch seine zwingenden Bestimmungen den Rahmen für die Anwendung des nicht-staatlichen Rechts setzt.569 Festzuhalten bleibt: Eine Wahl nicht-staatlichen Rechts in Form einer kollisionsrechtlichen Verweisung ist nach überwiegender Ansicht unter der Rom IVO derzeit nicht gestattet. Kritisch zu hinterfragen ist jedoch, ob diese Beurteilung vor dem Hintergrund der soeben skizzierten zunehmenden Tendenz der Kodifikation privater Handelsbräuche sowie der Bedeutung der Parteiautonomie als Fundament des Europäischen Kollisionsrechts Bestand haben sollte.
567 Exemplarisch Leible, ZVglRWiss 97 (1998) 256, 313 ff.; Wichard, RabelsZ 60 (1996) 269, 278 ff.; Max-Planck-Institut für ausländisches und internationales Privatrecht, RabelsZ 68 (2004) 1, 30 ff. 568 Kritisch hierzu Lando/Nielsen, CMLRev. 45 (2008) 1687, 1697; McGuire, SchiedsVZ 2011, 257, 265 f. 569 In einem Fall, in dem ein deutsches und ein französisches Unternehmen mittels Rechtswahl die PICC als anwendbares Recht wählen, würde im Anwendungsbereich der Rom I-VO diese Rechtswahl insofern ungültig, als dass neben die PICC das mittels objektiver Anknüpfung ermittelte anwendbare Sachrecht träte. Die Wahl der PICC durch die Parteien hätte folglich die Wirkung einer materiell-rechtlichen Verweisung; Magnus, in: Staudinger, BGB, Art. 1 Rom I-VO, Rn. 57; siehe zu einem ähnlichen Fall mit Drittstaatenbezug Schilf, RIW 2013, 678, 680.
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c) Modifizierung für die Schiedsgerichtsbarkeit mittels „dynamischer Auslegung“? Zu überlegen ist, ob das soeben gefundene Ergebnis aufgrund der Internationalität und der Forderung nach Flexibilität schiedsgerichtlicher Verfahren für die schiedsgerichtliche Anwendung revidiert werden sollte. Im Wege einer „dynamischen Auslegung“570 des Verordnungstextes könnten die aufgezeigten Entwicklungen auf dem Gebiet der privaten Normsetzung in die Verordnung einfließen.571 Die Besonderheiten internationaler Schiedsverfahren könnten auf diesem Weg Berücksichtigung finden und die Parteien in internationalen Schiedsverfahren auch unter Geltung der Rom I-VO nicht-staatliches Recht mit kollisionsrechtlicher Wirkung zur Anwendung bringen, während vor staatlichen Gerichten weiterhin nur die Wahl staatliches Recht zulässig wäre. Dies scheint jedoch mit dem Ziel einer einheitlichen Auslegung der Verordnung unvereinbar. Im Zentrum der Überlegungen sollte vielmehr stehen, ob der Ausschluss der Wählbarkeit nicht-staatlichen Rechts unter der Rom I-VO einer generellen Modifizierung bedarf. d) Wählbarkeit nicht-staatlichen Rechts unter der Rom I-Verordnung de lege ferenda – Bedürfnis der kollisionsrechtlichen Wahl nicht-staatlichen Rechts Für die Beurteilung, ob zukünftig auch nicht-staatliches Recht zum Kreis der wählbaren Rechte unter der Rom I-VO zählen sollte, scheint eine Differenzierung nach der Praktikabilität der Rechtsanwendung der verschiedenen Quellen nicht-staatlichen Rechts sowie eine Untersuchung des Bedürfnisses einer solchen Wahl im internationalen Handelsverkehr zielführend. Dabei kann anknüpfend an die oben erfolgten Ausführungen unterschieden werden zwischen der lex mercatoria als Oberbegriff für eine Vielzahl unüberschaubarer Handelsbräuche, einzelnen Spezialkodifikationen für spezifische Branchen und in sich geschlossenen privaten Regelungskatalogen wie den PICC oder den PECL. Hinsichtlich der ersten beiden Kategorien sind die entscheidenden Gegenargumente bezüglich der Praktikabilität der Rechtsanwendung bereits genannt: Der Begriff lex mercatoria beinhaltet ein Konglomerat verschiedener Regeln. Eine trennscharfe Abgrenzung scheint nicht möglich.572 Eine Wählbarkeit der lex mercatoria erscheint jedoch auch gar nicht notwendig: Solange es den Befürwortern einer lex mercatoria um eine stärkere Orientierung und Sensibilisierung des Gerichts für die jeweils vorherrschenden Handelsbräuche geht, ist dies problemlos auch bereits jetzt möglich. Es ist ein allgemein anerkannter 570 Zum Begriff siehe unter anderem Junker, in: MünchKommBGB10, Art. 1 Rom II-VO, Rn. 34. 571 Lando/Nielsen, CMLRev. 45 (2008) 1687, 1695. 572 Wengler, ZfRV 23 (1982) 11, 16, 18, 25.
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Grundsatz des Handelsrechts, dass die Gerichte verpflichtet sind, die jeweiligen Handelsbräuche bei der Vertragsauslegung zu berücksichtigen.573 Exemplarisch ist an dieser Stelle Art. 9 CISG zu nennen, der die Berücksichtigung von Handelsgebräuchen und Gepflogenheiten zwischen den Parteien durch den Richter im Rahmen der Vertragsauslegung vorschreibt. So konzediert etwa Stein, dass es bei der Forderung nach mehr richterlicher Rücksicht auf die Besonderheiten und spezifischen Erfordernisse internationaler Geschäftstätigkeit keines argumentativen Rekurses auf die lex mercatoria bedürfe, sondern lediglich einer sachgerechten Auslegung internationaler Verträge, die dem technischen, ökonomischen und rechtlichen Umfeld der jeweiligen Parteien Rechnung trage.574 Der Funktion von Handelsbräuchen als Orientierungshilfen für den Richter bei der Vertragsauslegung tut es somit keinen Abbruch, wenn ihnen weiterhin der Rang von Auslegungshilfen anstelle zukommt. Auch für das Ergebnis eines Rechtsstreits dürfte es dabei keinen Unterschied machen, ob das Gericht die so verstandene lex mercatoria als „Recht“ oder als Auslegungshilfe heranzieht.575 Sollte die Wahl der lex mercatoria hingegen in erster Linie als Vehikel dazu dienen, das Gericht von jeglicher Bindung an geltendes Recht freizustellen und somit die kollisionsrechtliche Prüfung durch den Richter gänzlich zu umgehen, handelt es sich nicht mehr um eine Ausübung der Rechtswahl durch die Parteien, sondern um eine verschleierte Ermächtigung des Schiedsgerichts zu einer Billigkeitsentscheidung576. Deren Zulässigkeit folgt jedoch eigenen, an späterer Stelle zu beleuchtenden577 Beurteilungskriterien und ist jedenfalls nur aufgrund einer ausdrücklichen Vereinbarung durch die Parteien gestattet.578 Auch auf die Konsequenzen für die Vollstreckbarkeit eines Schiedsspruchs, die eine Anwendung der lex mercatoria durch ein Schiedsgericht haben kann, wird an späterer Stelle gesondert eingegangen.579 Die Wahl von Expertenrecht wie den UCP oder der Incoterms mit kollisionsrechtlicher Wirkung scheitert ebenfalls schon an der Praktikabilität ihrer Anwendung als „gewähltes Recht“ durch die Parteien. Zwar ist ihre Bedeutung für die Praxis anerkannt, da sie als kodifizierte Handelsbräuche dem Rechtsanwender hilfreiche Konkretisierungen zur 573
Stein, Lex Mercatoria, S. 246 f. Stein, Lex Mercatoria, S. 246 f. 575 So im Ergebnis auch Silberman/Ferrari, in: Conflict of Laws in International Arbitration, S. 257, 270. 576 Roth, FS Jayme, S. 757, 765; Spickhoff, RabelsZ 56 (1992) 116, 134; so im Ergebnis auch Sachs/Niedermaier, FS v. Hoffmann, S. 1051, 1054: „The distinction to legal principles as in the case of a choice of the lex mercatoria and an amiable compositeur is, of course, blurred.“ 577 Siehe Kapitel 3 – § 6. 578 So im Ergebnis auch Berger, FS v. Hoffmann, S. 914, 917 ff.; v. Hoffmann, IPRax 1984, 106, 107; zur gerichtlichen Qualifizierung von Entscheidungen auf Grundlage der lex mercatoria als Billigkeitsentscheidungen siehe Spickhoff, RabelsZ 56 (1992) 116, 134 ff. 579 Siehe Kapitel 3 – § 8. 574
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Berücksichtigung der jeweiligen branchenspezifischen Gebräuche und Gewohnheiten im Rahmen der Vertragsauslegung zur Verfügung stellen. Allerdings führt die geringe Regelungsdichte und der damit verbundene fragmentarische Charakter dieser Regelwerke dazu, dass das zur Entscheidung berufene Gericht größtenteils im Wege der Lückenfüllung auf das zugrunde liegende, mittels objektiver Anknüpfung ermittelte Vertragsstatut zurückgreifen müsste. Wie bereits erläutert, wollten auch die Verfasser der genannten Regelwerke deren Anwendung nicht als wählbares „Recht“ sondern vielmehr als Hilfestellung für die beteiligten Parteien bei der Vertragsgestaltung verstanden wissen. Anders zu beurteilen ist die Situation mit Blick auf die umfassenden Regelungskataloge der skizzierten Modellgesetze: Sowohl die PICC als auch die PECL bilden international anerkannte, von unabhängigen Gremien erarbeitete Regelwerke.580 Sie sind darüber hinaus in sich abgeschlossen und behandeln nicht lediglich Spezialmaterien. Auch genügen diese Regelwerke den Kriterien der Ausgewogenheit und Fairness.581 Dies lässt sich etwa daran erkennen, dass die genannten Prinzipienkataloge eine Reihe zwingender Normen enthalten, von denen die Parteien nicht abweichen können und die maßgeblich die Neutralität des jeweiligen Regelwerks in der Anwendung zwischen den Parteien sichern sollen.582 Darüber stellt beispielsweise Art. 1.4 PICC in ausdrücklich klar, dass die enthaltenen Regeln keinesfalls die Geltung von Eingriffsnormen „whether of national, international or supranational origin, which are applicable in accordance with the relevant rules of private international law“ berühre. Inhaltlich entsprechen die „durchkodifizierten“ Regelwerke weitgehend staatlichem Recht oder gehen in ihrer Regelungsdichte sogar darüber hinaus.583 Soweit die Praktikabilität und die Vergleichbarkeit nicht-staatlichen Rechts mit staatlichem Recht als Maßstab in der Frage der Zulässigkeit der Wahl nicht-staatlichen Rechts herangezogen werden, spricht dies für eine Zulässigkeit.584 In diese Richtung gehen im Übrigen auch die bereits erwähnten Hague Principles on Choice of Law in International Commercial Contracts, welche in Art. 3 die Wahl international anerkannter nicht-staatlicher Regelwerke („rules of law that are generally accepted on an international, supranational or regional level as a 580 Boele-Woelki, Unif.L.Rev. 1 (1996) 652, 660 fasst dies folgendermaßen zusammen: „The Principles are neutral. The rules are concise, clearly arranged and conveniently collected – in case of the UNIDROIT Principles – in a slim volume no more than 200 pages in length.“ 581 Reimann, in: Rechtswahl, S. 1, 27. 582 Art. 1.5 PICC/Art. 1.102(2) PECL nennen eine Reihe zwingender Vorschriften wie die Regeln über die Verjährungsfristen (Art. 10.3(2) PICC), die Voraussetzungen der Wirksamkeit eines Vertrages (Art. 3.1.4 PICC); siehe Boele-Woelki, Unif.L.Rev. 1 (1996) 652, 658. 583 Für die UNIDROIT-Prinzipien Wichard, RabelsZ 60 (1996) 269, 285. 584 Schulze, FS v. Hoffmann, S. 856, 858; in diese Richtung andeutend auch Münch, in: MünchKommZPO3, § 1051, Rn. 60.
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neutral and balanced set of rules“) mit Blick auf die UNIDROIT-Prinzipien und die PECL in der staatlichen Gerichtsbarkeit sowie der privaten Schiedsgerichtsbarkeit gleichermaßen für zulässig erachten.585 Das Bedürfnis an der Wählbarkeit neutraler, nicht-staatlicher Rechtsordnungen scheint im internationalen Rechtsverkehr zudem dann vorhanden, wenn sich keine der beteiligten Parteien auf die Rechtsordnung der jeweils anderen Partei einlassen möchte, sei es aus verhandlungstaktischen Gründen, sei es, weil tatsächlich Nachteile befürchtet werden. Zwar bleibt in diesem Fall die Wahl einer dritten, mit keiner der Parteien in Verbindung stehenden Rechtsordnung.586 Dass dies ohne weiteres möglich ist, nur weil es sich dabei um staatliches Recht handelt, die Wahl eines ebenso neutralen und in sich geschlossenen nicht-staatlichen Normkatalogs jedoch nicht, erscheint widersprüchlich. Zudem kann sich die Vereinbarung eines neutralen staatlichen Rechts aufgrund der damit verbundenen Sprachprobleme und der möglicherweise unübersichtlichen Rechtsprechungspraxis für die Parteien viel eher als ein Sprung ins Ungewisse herausstellen, als es die Vereinbarung nicht-staatlicher Regelwerke wie die der PICC ist, über die Informationen vergleichsweise einfach und in vielen Sprachen zu erlangen sind. Aus Sicht der Parteien ist somit ein Bedürfnis nach der Wahl nicht-staatlichen Rechts zu erkennen. Dafür, dass diese Wahl auch in Form einer kollisionsrechtlichen Verweisung zugelassen sein sollte, spricht vor allem, dass dadurch eine parallele Geltung zweier Rechtsordnungen (das gewählte nicht-staatliche Recht sowie die einfach zwingenden Normen des zugrunde liegenden staatlichen Rechts) vermieden wird.587 Staatliche Gerichte wären zudem in die Position versetzt, an der Rechtsfortbildung nicht-staatlicher Regelwerke im Bereich des internationalen Handels aktiv mitwirken zu können, anstatt dieses Feld – wie in der bisherigen Praxis zu beobachten588 – der Schiedsgerichtsbarkeit zu überlassen.589 Die fehlende demokratische Legitimation der genannten Regelwerke – sofern man darin nicht wie Michaels/Jansen ohnehin einen in seiner Bedeutung überschätzten Einwand gegen die Wählbarkeit nicht-staatlichen Rechts erkennt590 – ließe sich mittels eines eindeutigen Verweises in der Rom I-VO
585
Zum Inhalt und den Verhandlungen zu den „Hague Principles on Choice of Law in International Commercial Contracts“ siehe Martiny, RabelsZ 79 (2015) 624 ff. 586 Schurig, RabelsZ 54 (1990) 217, 224. 587 Schulze, FS v. Hoffmann, S. 856, 858; Roth, FS Jayme, S. 757, 768. 588 Unter anderem Mistelis, Unif.L.Rev. 8 (2003) 631 ff. 589 Roth, FS Jayme, S. 757, 770; kritisch Stein, Lex Mercatoria, S. 247. 590 Michaels/Jansen, in: Beyond the State – Rethinking Private Law, S. 69, 108, die darauf verweisen, dass die Gesetzgebung auf dem Gebiet des Privatrechts stets stark von Akteuren außerhalb der eigentlichen Gesetzgebungsorgane geprägt wurde, wie zum Beispiel Expertengremien, Gerichten oder Wissenschaftlern; dem widersprechend jedoch Rödl, in: Beyond the State – Rethinking Private Law, S. 323, 330 f.
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überwinden.591 Dies könnte durch den europäischen Gesetzgeber im Wege einer Revision der Verordnung erfolgen. Zwar ist anzuerkennen, dass PICC und PECL trotz ihres beträchtlichen Umfangs noch nicht alle Vertragsfragen umfassend behandeln und sich somit Lücken auftun können.592 Hier ist wie auch sonst im Wege der Auslegung zunächst auf die dem Prinzipienkatalog zugrunde liegenden allgemeinen Grundsätze zurückzugreifen und eine Lückenfüllung durch das objektiv angeknüpfte Vertragsstatut vorzunehmen.593 Im Übrigen weisen auch staatliche Rechtsordnungen vielfach Lücken auf, die nach allgemein gängiger Methodik durch eine Ermittlung des hypothetischen Parteiwillens oder einen Rückgriff auf die Leitmotive der jeweiligen Rechtsordnung zu füllen sind. Alleine die Existenz von Lücken in den Regelungssystemen nichtstaatlicher Normenkataloge ist somit kein belastbares Argument gegen eine kollisionsrechtliche Verweisung.594 Dass der europäische Gesetzgeber einer Einbeziehung dieser Art von nichtstaatlichen Regelwerken nicht von vornherein ablehnend gegenüber steht, hat die skizzierte Diskussion des Verordnungsentwurfs gezeigt. Hinzuweisen ist in diesem Zusammenhang auf Erwägungsgrund Nr. 14 der Rom I-VO, der mit Blick auf ein zukünftiges gemeinsames europäisches materielles Privatrecht eine Wählbarkeit dieses Regelwerks ausdrücklich zulassen will. Die PECL und speziell der DCFR sind dabei eine Grundlage für die Ausarbeitung eines einheitlichen europäischen Privatrechts.595 Die Bedenken des europäischen Gesetzgebers vor der Wahl eines in dieser Form ausgestalteten nicht-staatlichen Rechts scheinen also unbegründet, zumal sich auch eine Wahl nicht-staatlichen Rechts selbstverständlich in den Schranken der Rechtswahlfreiheit der Rom I-VO bewegen müsste.596 Schließlich steht auch der Wortlaut von Art. 3 Abs. 1 S. 1 Rom I-VO einer Wahl nicht-staatlichen Rechts nicht prinzipiell entgegen, was Boele-Woelki bereits unter Geltung des EVÜ zum Anlass nahm, für ein weites 591 Wichard, RabelsZ 60 (1996) 269, 283; Lando/Nielsen, CMLRev. 45 (2008) 1687, 1697; Schulze, FS v. Hoffmann, S. 856, 858; Roth, FS Jayme, S. 757, 764: „Der Berufung auf die fehlende Legitimation als staatliches Recht ist entgegenzuhalten, dass nichtstaatlichen Regelsysteme die Funktion und Autorität staatlich verordneter Regelsysteme in dem Maße zugeschrieben werden kann wie staatliches (oder europäisches) Kollisionsrecht auf sie verweist und damit ihre Anwendung und Durchsetzung sicherstellt.“ 592 Etwa die Fragen der Rechts- und Sittenwidrigkeit, Magnus, in: Staudinger, BGB, Art. 1 Rom I-VO, Rn. 58; Boele-Woelki, Unif.L.Rev. 1 (1996) 652, 658. 593 So auch Boele-Woelki, Unif.L.Rev. 1 (1996) 652, 658; Leible, in: Ein neues Internationales Vertragsrecht für Europa, S. 41, 47. 594 So auch Roth, FS Jayme, S. 757, 767. 595 Der Streit darüber, ob hierbei der acquis commune als Substrat aller nationaler Rechte oder der acquis communautaire als genuin europarechtlicher Regelungskanon im Zentrum der Forschung stehen sollte, bildet Gegenstand einer eigenen umfangreichen Diskussion und kann an dieser Stelle nicht aufgegriffen werden; siehe nur Schulze, in: Informationspflichten und Vertragsschluss im Acquis Communautaire, S. 3, 5 ff. 596 McGuire, SchiedsVZ 2011, 257, 266.
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Verständnis der Rechtswahlfreiheit zu plädieren.597 Die in Art. 3 Abs. 1 S. 2 Rom I-VO zugelassene Möglichkeit einer Teilrechtswahl kann schließlich als Beispiel dafür gelten, dass der Verordnungsgeber den Parteien auf dem Gebiet der Parteiautonomie eine größtmögliche Flexibilität zuerkennt: Indem er es den Parteien überlässt, für einzelne Fragen eine gesonderte Rechtswahl zu treffen, die neben das auf den restlichen Vertrag anwendbare Recht tritt, stellt er das Interesse an der Durchsetzung einfach zwingender Normen bewusst hinter die Parteiautonomie zurück.598 Nebenbei ließe sich im Wege der Zulässigkeit der Wahl nicht-staatlichen Rechts in Form der genannten Regelwerke auch eine wesentliches Argumente gegen die Anwendung der Rom I-VO in Schiedsverfahren entkräften.599 Nur am Rande hingewiesen sei dabei auf die Bemerkung Michaels, der suggeriert, dass einige Akteure auf dem Gebiet der Schiedsgerichtsbarkeit trotz aller Kritik an der Unzulässigkeit einer kollisionsrechtlichen Wahl nicht-staatlichen Rechts unter der Rom I-VO nicht an einer Zulässigkeit interessiert seien, um die Unzulässigkeit der Wahl nicht-staatlichen Rechts als Argument gegen die Anwendbarkeit der Rom I-VO vorbringen zu können.600 e) Ergebnis Im Ergebnis bedeutet die Geltung der Rom I-VO für die Schiedspraxis, dass eine Wahl nicht-staatlichen Rechts durch die Parteien ausgeschlossen ist. Dies ist im Hinblick auf den unbestimmten Charakter der lex mercatoria nicht weiter bedauerlich, da eine Einbeziehung von Handelsbräuchen im Rahmen der Vertragsauslegung ohnehin durch die Gerichte zu erfolgen hat und unklar bleibt, welcher Mehrwert der Wahl einer lex mercatoria darüber hinaus zukommt. Allerdings haben die Untersuchungen zu den einzelnen Quellen nicht-staatlichen Rechts gezeigt, dass eine Reihe nicht-staatlicher Prinzipienkataloge existieren, welche in Regelungsdichte und Normgehalt staatlichem Recht vergleichbar sind. Ein Blick auf die Entstehungsgeschichte der Rom I-VO hat gezeigt, dass der europäische Gesetzgeber den Entwicklungen auf dem Gebiet der privaten Normsetzung durch die Zulässigkeit der Wahl einzelner nicht-staatlicher Prinzipienkataloge Rechnung tragen wollte, schließlich jedoch von einem expliziten Verweis abgesehen hat. In Erwägungsgrund 14 der Rom I-VO ist vorgesehen, dass die Wahl eines zukünftigen gemeinsamen europäischen Privatrechts mit kollisionsrechtlicher Wirkung zulässig sein soll. Die Regelungskataloge der PICC und PECL bilden schon jetzt einen solchen Kanon gemeinsamer Prinzipien und sind darüber hinaus auf eine Verwendung im internationalen Rechtsverkehr zugeschnitten. Ihre Wählbarkeit de lege ferenda in Form einer kolli597
Boele-Woelki, Unif.L.Rev. 1 (1996) 652, 676. Roth, FS Jayme, S. 757, 762 f. 599 McGuire, SchiedsVZ 2011, 257, 266; Roth, FS Jayme, S. 757, 760 f.; Boele-Woelki, Unif.L.Rev. 1 (1996) 652, 675. 600 Michaels, Wayne Law Review 51 (2005) 1209, 1257. 598
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sionsrechtlichen Verweisung wäre vor dem Hintergrund der Rechtsentwicklungen auf dem Gebiet privat geschaffenen Rechts zu begrüßen601 und als ein konstruktiver Schritt der Anerkennung des Bedürfnisses des internationalen Handels nach neutralen überstaatlichen Regelwerken zu verstehen.602 Nimmt man den bei der Entstehung der Rom I-VO durch die Europäische Kommission betonten Willen einer Stärkung der Parteiautonomie als „Kernprinzip“603 des europäischen Kollisionsrechts ernst, bedeutete die Zulässigkeit der kollisionsrechtlichen Wahl nicht-staatlichen Rechts eine konsequente Entwicklung des europäischen Kollisionsrechts und einen begrüßenswerten Schritt zur Überwindung der Spaltung zwischen Schiedsgerichtsbarkeit und staatlicher Gerichtsbarkeit. 2. Rechtswahl in reinen Inlandsfällen – Die Geltung einfach zwingenden Rechts nach Art. 3 Abs. 3 Rom I-VO Eine weitere Einschränkung der Rechtswahlfreiheit der Parteien sieht die Rom IVO in Art. 3 Abs. 3 Rom I-VO vor. Art. 3 Abs. 3 Rom I-VO betrifft dabei die Wahl ausländischen Rechts bei reinen Inlandssachverhalten.604 Es kommt zu einer Internationalisierung rein nationaler Sachverhalte alleine durch die Wahl ausländischen Rechts. Die Behandlung einer solchen Konstellation ist nicht lediglich im IPR umstritten, sie wirft auch im IZVR Fragen hinsichtlich der Zulässigkeit einer Prorogation bei rein nationalen Rechtsverhältnissen auf.605 An dieser Stelle ist jedoch ausschließlich die international-privatrechtliche Fragestellung Gegenstand der Untersuchung. 601 Ebenso Schack, Liber amicorum Kegel, S. 179, 185 f.; Boele-Woelki, Unif.L.Rev. 1 (1996) 652, 655; Leible, ZVglRWiss 97 (1998) 286, 313 ff.; Wichard, RabelsZ 60 (1996) 278 ff.; Roth, FS Jayme, S. 757 ff.; Max-Planck-Institut für ausländisches und internationales Privatrecht, RabelsZ 68 (2004) 1, 30 ff. 602 So auch Schinkels, GPR 2007, 106, 110, der im Hinblick auf die sich damals noch im Entwurfsstadium befindliche Rom I-VO konzediert: „Auch hinsichtlich der von der Bundesrechtsanwaltskammer scheinbar als überpositiver Gerechtigkeitsgedanke verstandenen ‚grundsätzlichen Regel des IPR‘, dass ‚stets nationales Recht anzuwenden‘ sei, besteht daher die Hoffnung, dass sich ungeachtet der Endfassung der kommenden Rom I-VO einmal die Erkenntnis durchsetzen wird, dass Parteiautonomie Rechtssatzwahlfreiheit bedeutet: Der Schutzbereich der allgemeinen Handlungsfreiheit umfasst die Freiheit zur Wahl von Normsatzsystemen unabhängig davon, ob diese in einer staatlichen Rechtsordnung gelten.“; BoeleWoelki, Unif.L.Rev. 1 (1996) 652, 659: „The unification of international trade law is being ‚privatised‘ and is no longer the exclusive domain of uniform law as adopted between States in the shape of conventions and model laws.“; Roth, FS Jayme, S. 757, 759 f.; Wichard, RabelsZ 60 (1996) 269, 290. 603 KOM(2005) 650 endg., 5. 604 Dass es für die Anwendbarkeit der Rom I-VO ausreicht, dass alleine die Rechtswahl den in Art. 1 Abs. 1 Rom I-VO vorausgesetzten Auslandsbezug eines vertragsrechtlichen Sachverhalts begründet, kann als anerkannt gelten, Martiny, in: MünchKommBGB10, Art. 3 Rom I-VO, Rn. 88. 605 Hierzu näher Maultzsch, FS v. Hoffmann, S. 304, 309 ff.
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Während die Rechtswahlfreiheit zwischen Parteien aus unterschiedlichen Staaten unbestritten ist, resultiert mit den Worten Maultzsch „ein besonderes Legitimationsproblem für parteiautonome Wahlhandlungen bei Rechtsbeziehungen, die an sich keinen internationalen Bezug aufweisen, sondern objektiv nur in eine einzige Rechtsordnung eingebettet sind.“606 Mit Blick auf die zwingenden Normen einer Rechtsordnung bricht sich damit das Spannungsverhältnis zwischen dem materiell- und verfahrensrechtlichen Ordnungsrahmen des Privatrechts und der parteiautonomen Gestaltungsfreiheit Bahn. Sieht man, wie Kegel, die Legitimation der Rechtswahl darin, dass sich der Gesetzgeber in bestimmten, international geprägten Sachverhalten mit einer Reihe potentieller Anknüpfungsmomente selbst in Unsicherheit über das objektiv anzuknüpfende Recht befindet, sind diese Voraussetzungen bei rein nationalen Sachverhalten prima facie jedenfalls nicht erfüllt. Rechtswahlfreiheit dürfte damit nicht gewährt werden.607 Der europäische Gesetzgeber hat sich nach dem Wortlaut des Art. 3 Abs. 3 Rom I-VO hingegen für einen Mittelweg entschieden: Er lässt zwar auch in reinen Inlandssachverhalten eine Rechtswahl grundsätzlich zu, allerdings beschränkt er die Rechtswahl in Form eines „sektoralen Rechtswahlverbots“.608 Nach Art. 3 Abs. 3 Rom I-VO berührt die Rechtswahl bei einem reinen Inlandssachverhalt „nicht die Anwendung derjenigen Bestimmungen des Rechts dieses anderen Staates [aus dem die Parteien stammen], von denen nicht durch Vereinbarung abgewichen werden kann.“ Die dogmatische Einordnung dieser kollisionsrechtlichen Konstruktion ist umstritten.609 So folgt hieraus nach einer Ansicht, dass zwar die Rechtswahl kollisionsrechtlich wirksam ist, jedoch hinter die zwingenden Normen des „Einbettungsstatuts“610 zurücktritt.611 Die materiell-rechtlichen Normen des gewählten Vertragsstatuts werden vom zwingenden Recht des Heimatstatuts („Einbettungsstatut“) überlagert – es kommt im Ergebnis somit zu einer Parallelität von Vertrags- und Einbettungsstatut.612 Nach anderer Auffassung ließe sich eine Kumulation mehrerer Rechtsordnungen wirksam vermeiden, indem Art. 3 Abs. 3 Rom I-VO als Ausdruck eines 606 Maultzsch, FS v. Hoffmann, S. 304, 307; Leible/Lehmann, RIW 2008, 528, 534 messen der Rechtswahl sogar lediglich die Wirkung einer materiell-rechtlichen Verweisung zu. 607 Zur Kritik an der Gewährung von Rechtswahlfreiheit in reinen Inlandssachverhalten Maultzsch, RabelsZ 75 (2011) 60, 67; mit Bezug auf die von ihm entwickelte Bündelungstheorie Schurig, RabelsZ 54 (1990) 217, 223 f. 608 Maultzsch, RabelsZ 75 (2011) 60, 63. 609 Siehe nur Martiny, in: MünchKommBGB10, Art. 3 Rom I-VO, Rn. 94 m.w.N. 610 Magnus, in: Staudinger, BGB, Art. 27 EGBGB, Rn. 115. 611 Spickhoff, BeckOK BGB, Art. 3 Rom I-VO, Rn. 35 m.w.N. 612 Maultzsch, FS v. Hoffmann, S. 304, 308; Kondring, RIW 2010, 184, 185 f.; Wagner, IPRax 2008, 377, 380, die der Rechtswahl auch kollisionsrechtliche Wirkung verleihen wollen und in den Fällen des Art. 3 Abs. 3 Rom I-VO neben den Normen des Vertragsstatuts eine Sonderanknüpfung an die zwingenden Normen des Einbettungsstatuts vornehmen wollen; Spickhoff, BeckOK BGB, Art. 3 Rom I-VO, Rn. 35, der davon spricht, dass die einschlägigen Normen des Einbettungsstatuts „injiziert“ werden.
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Verbots einer kollisionsrechtlichen Rechtswahl im Inlandsfall verstanden wird. Der Rechtswahl käme damit wiederum lediglich die Wirkung einer materiellrechtlichen Verweisung zu. Die Parteien blieben kollisionsrechtlich an das Einbettungsstatut gebunden.613 Ersteres Verständnis soll im Folgenden mit Blick auf den Wortlaut des Art. 3 Abs. 3 Rom I-VO zugrunde gelegt werden, sodass in reinen Inlandssachverhalten eine Rechtswahl im kollisionsrechtlichen Sinne zwar möglich ist, deren Wirksamkeit jedoch aufgrund des Einwirkens der einschlägigen zwingenden Normen des Einbettungsstatuts beschränkt wird. Art. 3 Abs. 3 Rom I-VO geht auf eine vergleichbare Regelung im EVÜ zurück und ist das Ergebnis eines Kompromisses zwischen der angelsächsischen Konzeption, die eine uneingeschränkte Rechtswahlmöglichkeit auch ohne erkennbaren Auslandsbezug eines Sachverhaltes zulassen will und der kontinentaleuropäischen Tradition, nach der eine Rechtswahl das Vorliegen objektiv relevanter Auslandsbezüge voraussetzt.614 Beide Konzeptionen sollen nachfolgend skizziert und in den Kontext der internationalen Schiedsgerichtsbarkeit gestellt werden. a) Angelsächsische Tradition – Parteiautonome Internationalisierung von Rechtsverhältnissen Die angelsächsische Tradition geht davon aus, dass die Parteien alleine kraft Parteiautonomie eine Internationalisierung des Sachverhalts bewirken können.615 Eine Rechtswahl wäre damit stets auch bei reinen Inlandsfällen vom Gericht zu akzeptieren und keiner weiteren Kontrolle hinsichtlich etwaiger internationaler Bezüge des zugrunde liegenden Rechtsverhältnisses zu unterziehen. Dem liegt die rechtskulturell geprägte Vorstellung zugrunde, dass zivilrechtliche Streitigkeiten allein private Angelegenheiten der Beteiligten darstellen und die Parteien selbst am besten absehen können, welches das am besten geeignetste anwendbare Recht ist.616 Dem Staat kommt lediglich eine reagierend-moderierende Funktion zu, keinesfalls soll er den Parteien über eine Beschränkung der Rechtswahlmöglichkeit eigene materielle Gerechtigkeitserwägungen aufzwingen.617 613
Diese Auffassung vertretend Mäsch, Rechtswahlfreiheit und Verbraucherschutz, S. 94; Leible/Lehmann, RIW 2008, 528, 534; Mankowski, IHR 2008, 133, 134; Maultzsch, RabelsZ 75 (2011) 60, 67 f.; Magnus, in: Staudinger, BGB, Art. 3 Rom I-VO, Rn. 131; Martiny, in: MünchKommBGB10, Art. 3 Rom I-VO, Rn. 94; Staudinger, in: HandkommentarBGB, Art. 3 Rom I-VO, Rn. 7. 614 Magnus, in: Staudinger, BGB, Art. 27 EGBGB, Rn. 116. 615 Dicey/Morris/Collins, The Conflict of Laws, Rn. 32-070. 616 Maultzsch, Streitentscheidung und Normbildung durch den Zivilprozess, S. 123 ff. m.w.N. 617 Zu diesem Verständnis der Privatautonomie als „Reich der Freiheit“ siehe Wagner, AcP 206 (2006) 352, 423 f., wobei er die diesem zugrunde liegende Konzeption zugleich entlarvt: „Allzu viel darf indessen selbst im Vertragsrecht nicht von der Privatautonomie erwartet werden: Einerseits wird die Privatautonomie im Alltag der Rechtsdogmatik nur allzu
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Bezogen auf die Rolle der Gerichte bedeutet dies, dass diesen eine rechtliche Überprüfbarkeit der Rechtswahl der Parteien weitgehend versagt ist. Neben dem hohen Stellenwert, der der Parteiautonomie nach diesem Konzept zukommt, führt es nach Ansicht seiner Befürworter auch zu einem hohen Maß an Rechtssicherheit und Planbarkeit für die Parteien.618 Bei der Frage, ob ein Rechtsverhältnis rein national oder international ist, kommt es im Ergebnis nach der angelsächsischen Tradition somit alleine auf den Willen der Parteien an. b) Kontinentaleuropäische Tradition – Objektive Beurteilung der Internationalität durch die Gerichte Nach der kontinentaleuropäischen Tradition wird zwar die Rechtswahlfreiheit im Grundsatz anerkannt. Aufgrund des Umstandes jedoch, dass die Rechtswahlfreiheit im Grunde nur eine vom Staat gewährte ist, behält der Staat sich vor, die von den Parteien getroffene Rechtswahl auf eine Vereinbarkeit mit den eigenen materiellen Gerechtigkeitserwägungen zu überprüfen. Dem liegt das Verständnis zugrunde, dass private Rechtsstreitigkeiten zugleich öffentliche Angelegenheiten darstellen.619 Die Durchsetzung des Gestaltungswillens der Rechtsordnung müsse gerade in den Fällen erfolgen, in denen ein Sachverhalt mit Ausnahme der Rechtswahl der Parteien keinerlei internationale Bezüge aufweise. In institutioneller Hinsicht werden die Gerichte in die Rolle versetzt, durch eine Kontrolle der Rechtswahl der Parteien flexibel auf einen etwaigen Missbrauch der Rechtswahlfreiheit zu reagieren und den vom jeweiligen Forumstaat gesetzten Ordnungsrahmen durchzusetzen.620 Im Gegensatz zur angelsächsischen Tradition sind für die Einordnung eines Rechtsverhältnisses als national oder international somit die Gerichte zuständig und die Rechtsprechung aufgefordert, einheitliche, objektive Kriterien für eine Kategorisierung zu entwickeln. oft mit Füßen getreten, etwa durch die Konstruktion ‚faktischer Vertragsverhältnisse‘ ohne Grundlage in der Autonomie der Beteiligten. Andererseits verträgt es selbst das Vertragsrecht nicht, wenn Autonomie und Willensfreiheit maximiert werden, sondern gefordert ist ein Kompromiß zwischen Privatautonomie und Vertrauens- bzw. Verkehrsschutz […]. Wie genau die konfligierenden Prinzipien gegeneinander abgewogen werden müssen, darüber ist zu streiten; daß sie abgewogen werden müssen, liegt auf der Hand. […] Die formelhafte Beschwörung, das Privatrecht konstituiere ein ‚Reich der Freiheit‘, und es sei deswegen jedem Steuerungszweck abhold, bleibt nicht nur seinen aktuellen Regelungsaufgaben etwas schuldig, sondern geht auch historisch an der Realität vorbei.“ 618 Maultzsch, FS v. Hoffmann, S. 304, 315 f. 619 Wagner, AcP 206 (2006) 352, 422 ff.; Maultzsch, FS v. Hoffmann, S. 304, 315; zur Kritik hieran grundlegend Kloepfer, NuR 1990, 337, 339: „Das Zivilrecht dient dann in Wahrheit nicht mehr (oder allenfalls nur noch sekundär) privaten Interessen, sondern wird vielmehr bestimmend zum Lenkungsmittel staatlicher Politik. Das Zivilrecht muss sich dann aber insoweit in das System staatlicher Steuerungsinstrumente einordnen. Es verliert damit (oder illegitimiert jedenfalls) seine Eigenständigkeit und wird zu einer kaschierten Abart des Öffentlichen Rechts.“ 620 Maultzsch, FS v. Hoffmann, S. 304, 317.
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c) Rechtswahl bei reinen Inlandssachverhalten vor Schiedsgerichten In Art. 3 Abs. 3 Rom I-VO ist – wie eingangs dargestellt – ein kollisionsrechtlicher Kompromiss enthalten, indem der Verordnungsgeber die Rechtswahl auch bei reinen Inlandssachverhalten zwar zulässt, deren Umfang jedoch beschränkt. Geht man von der Geltung der Rom I-VO in der Schiedsgerichtsbarkeit aus, muss dies auch für die Rechtswahl in Schiedsverfahren gelten: Die Parteien eines rein deutschen Vertragsverhältnisses könnten vor einem Schiedsgericht mit Sitz innerhalb der EU aufgrund des Anwendungsvorrangs der Rom I-VO vor entgegenstehenden nationalen Sonderkollisionsnormen ausländisches Recht nur in dem Umfang wählen, in dem es dem deutschen zwingenden Recht nicht widerspricht. Praktische Bedeutung erlangt dies beispielsweise bei der Frage der Einbeziehung Allgemeiner Geschäftsbedingungen:621 Hier könnten die Parteien aufgrund der durch die deutschen Gerichte praktizierten verhältnismäßig strengen AGB-Kontrolle dazu tendieren, etwa eine Rechtswahl zugunsten des weniger strengen englischen Rechts zu treffen um damit das deutsche AGB-Recht zu umgehen.622 Handelte es sich nicht um einen reinen Inlandssachverhalt, wäre dies problemlos möglich, da es sich bei den Vorschriften des AGB-Rechts weder um sogenannte „Eingriffsnormen“ noch um Normen des deutschen ordre public handelt.623 Bei einem reinen Inlandssachverhalt hingegen setzen sich auch die einfach zwingenden Normen des Einbettungsstatuts gegen die gewählte Rechtsordnung durch. Die Vorschriften des deutschen AGB-Rechts zählen zu diesen zwingenden Normen des deutschen Vertragsrechts. Sie wären damit trotz der Wahl englischen Rechts im geschilderten Fall anwendbar. Die Schiedsabrede ändert hieran nichts, solange das Schiedsgericht seinen Sitz innerhalb der EU hat.624 Es erschiene wenig schlüssig, wenn die jeweiligen nationalen Gesetzgeber bei einer Austragung einer rein nationalen Streitigkeit trotz der Wahl fremden Rechts vor staatlichen Gerichten ausweislich der Verhandlungen zur Rom I-VO an der Geltung einfach zwingenden Rechts mit dem Motiv festhalten, eine rechtspolitisch unerwünschte „Flucht aus dem eigenen Recht“625 zu verhindern,626 bei einer Verhandlung derselben Streitigkeit vor Schiedsgerichten die Durchsetzung dieser Normen und den dahinter stehenden allgemeinen kollisionsrechtlichen Gedanken jedoch zur Disposition der Parteien stellen 621
Pfeiffer, NJW 2012, 1169 ff. Zu dieser Sachverhaltskonstellation siehe Ostendorf, SchiedsVZ 2010, 234 ff. 623 Hausmann, in: Reithmann/Martiny, Internationales Vertragsrecht, Rn. 8.430. 624 Wie sich diese Beurteilung bei der Wahl eines Schiedsortes außerhalb der EU ändert und ob hieraus ein Anreiz für die Parteien eines Schiedsverfahrens zur „Flucht aus Europa“ erwächst, wird in Kapitel 3 – § 9 dargelegt. 625 Magnus, in: Staudinger, BGB, Art. 27 EGBGB, Rn. 115. 626 Ferrari, in: Ferrari/Kieninger/Mankowski, Internationales Vertragsrecht, Art. 3 Rom IVO, Rn. 49; Magnus, in: Staudinger, BGB, Art. 27 EGBGB, Rn. 115. 622
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wollten.627 Die daran anknüpfende Überlegung, inwieweit sich eine Bindung von Schiedsgerichten an die Beachtung zwingender einfachgesetzlicher Normen in reinen Inlandssachverhalten im Vollstreckungsverfahren vor staatlichen Gerichten durchsetzen lässt und ob es den Parteien eines Schiedsverfahrens möglich ist, einer Geltung von Art. 3 Abs. 3 Rom I-VO durch eine parteiautonome Verlegung des Sitzes des Schiedsgerichts außerhalb des räumlichen Geltungsbereichs der Rom I-VO zu entgegen, bildet den Gegenstand späterer Untersuchungen in diesem Kapitel.628 Probleme ergeben sich im Rahmen dieser Lösung bei der Festlegung genauer Kriterien für die Bestimmung eines Rechtsverhältnisses als Inlandssachverhalt.629 Im Vergleich zur angelsächsischen Tradition, bei der die Parteien durch die Rechtswahl selbst über die Internationalität des Sachverhalts entscheiden können, liegt es nach der kontinentaleuropäischen Tradition in der Hand der Gerichte, darüber zu befinden. Zutreffend ist dabei unter anderem von Geimer und Maultzsch auf Schwierigkeiten bei der Klassifizierung von Vertragsketten oder sich verändernden Rechtsverhältnissen hingewiesen worden.630 Generell hängt die Frage, welche Auslandsbezüge erforderlich sind, um einen reinen Inlandsfall auszuschließen, von Wertungen ab, die durch die Gerichte vorzunehmen sind.631 Die Situation, dass es bei der Anwendung von Normen zu Abgrenzungsfragen kommt, die der richterlichen Abwägung und der Entwicklung von praxistauglichen Kriterienkatalogen bedürfen, ist dabei jedoch keine Besonderheit des Art. 3 Abs. 3 Rom I-VO und spricht daher nicht gegen dessen Anwendung durch Schiedsgerichte. d) Ergebnis Im Ergebnis sind Parteien bei reinen Inlandssachverhalten auch vor Schiedsgerichten an die Geltung des einfach zwingenden Rechts des „Einbettungsstatuts“ gebunden sind. Dies folgt aus der Bindung von Schiedsgerichten an die Rom I-VO und führt in der Rechtspraxis zu einer gleichmäßigen Beurteilung der Rechtswahl der Parteien vor staatlichen wie auch vor Schiedsgerichten. Sie ist damit eine weitere Ausprägung der funktionalen Gleichwertigkeit beider
627 So auch Handorn, Das Sonderkollisionsrecht der deutschen internationalen Schiedsgerichtsbarkeit, S. 164, 166, der daran anknüpfend ebenfalls dafür plädiert, einer Rechtswahl in reinen Inlandssachverhalten lediglich die Wirkung einer materiell-rechtlichen Verweisung zuzubilligen. 628 Siehe Kapitel 3 – § 8. 629 So bereits instruktiv Schurig, RabelsZ 54 (1990) 217, 223. 630 Geimer, in: Geimer/Schütze, Europäisches Zivilverfahrensrecht, Art. 2 EuGVVO, Rn. 39; Maultzsch, FS v. Hoffmann, S. 304, 316. 631 Handorn, Das Sonderkollisionsrecht der deutschen internationalen Schiedsgerichtsbarkeit, S. 159.
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Formen der Streitbeilegung632 und Ausdruck eines allgemeinen kollisionsrechtlichen Gedankens, der auf die staatliche wie auch die private Gerichtsbarkeit gleichermaßen zutrifft.633 Bezogen auf § 1051 Abs. 1 ZPO, der nach vorherrschender Ansicht keinen Auslandsbezug als Voraussetzung für eine Rechtswahl enthält,634 bedeutet dies: § 1051 Abs. 1 ZPO tritt aufgrund des Anwendungsvorrangs des Europarechts hinter Art. 3 Abs. 3 Rom I-VO zurück, der Umfang der gewährten Rechtswahlfreiheit in Schiedsverfahren richtet sich im Anwendungsbereich der Verordnung alleine nach dieser. Gleiches muss im Übrigen auch für Art. 3 Abs. 4 Rom I-VO gelten, der analog der Rechtswahlbeschränkung im Inlandssachverhalt für Sachverhalte, die sich ausschließlich innerhalb der EU abspielen (EU-Binnensachverhalte), eine „Rechtswahlfestigkeit“ der zwingenden Normen des europäischen Gemeinschaftsrechts regelt. 3. Die Beachtung von Eingriffsnormen durch Schiedsgerichte – Art. 9 Rom I-VO Anders als bei der Beschränkung der Rechtswahlfreiheit in reinen Inlandssachverhalten und der kollisionsrechtlichen Wählbarkeit nicht-staatlichen Rechts betrifft die Frage der Beachtung sogenannter „Eingriffsnormen“ im Anwendungsbereich der Rom I-VO nicht ausschließlich die Rechtswahl der Parteien, sondern nimmt auch Einfluss auf die objektive Anknüpfung von Verträgen. Nichtsdestotrotz dürften die Auswirkungen einer Beachtung statutsunabhängiger Eingriffsnormen für die Parteien im Wesentlichen dann spürbar sein, wenn sie in der Frage des anwendbaren Sachrechts in Form einer Rechtswahl ein besonderes Interesse an der Anwendung eines bestimmten Rechts zum Ausdruck gebracht haben.635 Die Frage der Berücksichtigung von Eingriffsrecht durch die Gerichte hat sich im System des IPR aus mehreren Gründen als besonders problematisch herausgestellt und wird von einigen Autoren gar als Auslöser einer „Systemkrise“ für das hergebrachte Kollisionsrecht angesehen.636 Im Folgenden wird in einem ersten Schritt das vorherrschende Konzept der Eingriffsnormdogmatik kritisch beleuchtet. In einem zweiten Schritt werden die Auswirkungen auf die Rechtsfindung durch Schiedsgerichte dargelegt.
632 Andeutungsweise auch Pfeiffer, NJW 2010, 1169, 1171, auch wenn er in der Schlussfolgerung zu einem anderen Ergebnis kommt. 633 Handorn, Das Sonderkollisionsrecht der deutschen internationalen Schiedsgerichtsbarkeit, S. 164. 634 Pfeiffer, NJW 2010, 1169, 1171 m.w.N. 635 Maultzsch, RabelsZ 75 (2011) 60, 98. 636 Rentsch, in: Konstitutionalisierung in Zeiten globaler Krisen, S. 255, 258 ff.
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a) Das Konzept der Eingriffsnormen im europäischen Internationalen Privatrecht – Kritik und Neubetrachtung aa) Eingriffsrecht als „Wirtschaftskollisionsrecht“ mit ordnungspolitischem Anspruch Im Laufe des vergangenen Jahrhunderts lässt sich eine Entwicklung des Privatrechts vom neutralen Koordinierungsmechanismus privater Rechtsverhältnisse hin zu einem Instrument der Wirtschafts- und Sozialregulierung feststellen.637 Die zwingende Durchsetzung von Mindeststandards etwa auf dem Gebiet des Verbraucherschutzrechts oder des Arbeitsrechts ist das Ergebnis der Wahrnehmung ordnungspolitischer Verantwortung durch den Gesetzgeber, die auch das IPR nicht unberührt ließ. Die Folge war die Entwicklung von Eingriffsrecht in Form eines „Wirtschaftskollisionsrechts“,638 welches zum Ziel hatte, die zwingenden ordnungspolitischen Vorgaben des nationalen Gesetzgebers statutsunabhängig gegen die ansonsten durch das allgemeine Kollisionsrecht berufenen Vorschriften durchzusetzen.639 Die Vorschriften des Regulierungsprivatrechts auf dem Gebiet des Verbraucher- und Arbeitnehmerschutzes oder in Form privater Wettbewerbslenkung konterkarieren damit das verweisungsrechtliche Ideal, Sachverhalte durch ein System allseitiger Kollisionsnormen einer gleichförmigen Entscheidung zuzuführen und damit einen internationalen Entscheidungseinklang zu sichern.640 Verglichen mit dem Konzept des ordre public-Vorbehalts, bei dem ein negativ-punktueller Vorbehalt gegen das im konkreten Einzelfall gefundene Rechtsanwendungsergebnis statuiert wird, werden nach dem Konzept des Eingriffsrechts nach vorherrschender Ansicht auf positive Weise einzelne Eingriffsnormen (overriding mandatory provisions; lois de police) oder ganze Normbereiche identifiziert, welche sich unabhängig vom Rechtsanwendungsbefehl des allgemeinen Kollisionsrechts als „selbstgerechte Sachnormen“ (Eingriffsnormen im formalen Sinne) oder aufgrund ihres durch Rechtsfortbildung ausgebildeten Anwendungswillens (Eingriffsnormen im materiellen Sinne)641 durchsetzen und angeknüpft werden.642 Diese Entwicklung wirft aus zwei Gründen Probleme für die Rechtsanwendung auf. 637
Basedow, RabelsZ 52 (1988) 8 ff.; Drobnig, RabelsZ 52 (1988) 1 ff. Basedow, RabelsZ 52 (1988) 8; Drobnig, RabelsZ 52 (1988) 1. 639 Köhler, Eingriffsnormen – Der „unfertige Teil“ des europäischen IPR, S. 101. 640 Kegel/Schurig, IPR, § 2 II 3. 641 Diese Unterscheidung knüpft an an die Differenzierung zwischen Eingriffsnormen im formalen („selbstgerechte Sachnormen“) und materiellem Sinne bei Köhler, Eingriffsnormen – Der „unfertige Teil“ des europäischen IPR, S. 10 ff. 642 v. Hein, in: MünchKommBGB10, Einl. IPR, Rn. 286 ff.; Kegel, FS Ehrenzweig, S. 51 ff.; Basedow, FS Sonnenberger, S. 291, 296; Bonomi, in: Magnus/Mankowski, Rome I Regulation (2017) Art. 9, Rn. 53 ff. 638
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(1) Schwierigkeiten bei der Definition von Eingriffsnormen als besondere Normenkategorie Art. 9 Abs. 1 Rom I-VO formuliert hinsichtlich der Definition einer Norm als Eingriffsnorm in Anlehnung an die Rechtsprechung des EuGH in der Sache Arblade:643 „Eine Eingriffsnorm ist eine zwingende Vorschrift, deren Einhaltung von einem Staat als so entscheidend für die Wahrung seines öffentlichen Interesses, insbesondere seiner politischen, sozialen oder wirtschaftlichen Organisation, angesehen wird, dass sie ungeachtet des nach Maßgabe dieser Verordnung auf den Vertrag anzuwendenden Rechts auf alle Sachverhalte anzuwenden ist, die in ihren Anwendungsbereich fallen.“
Eingriffsnormen scheinen damit eine besondere Normkategorie zu bilden, die einerseits vom allgemeinen, verweisungsfähigen Privatrecht, andererseits vom öffentlichen Recht, welches einer allseitigen kollisionsrechtlichen Verweisung nicht zugänglich ist, abzugrenzen ist.644 Eine klare Definition des Phänomens von Eingriffsnormen lässt sich aus Art. 9 Abs. 1 Rom I-VO hingegen nicht entnehmen. Sie ist vielmehr eine Beschreibung des durch das Phänomen von Eingriffsrecht bekannten kollisionsrechtlichen Problems, dass sich Normen aufgrund ihres besonderen sachlichen Gehalts gegen das ansonsten berufene Statut durchzusetzen vermögen.645 Auch der Versuch, sich auf der sachrechtlichen Ebene einer genauen Definition von Eingriffsnormen zu nähern, hat bislang wenig belastbare Ergebnissen hervorgebracht: Zum Kreis der Eingriffsnormen sollen danach insbesondere ordnungspolitisch geprägte Vorschriften der Wirtschaftsregulierung wie das Kartell- und Außenwirtschaftsrecht, aber auch arbeits- und verbraucherschutzrechtliche646 Normen oder Vorschriften des Mieterschutzes zählen. Entscheidend sei, ob die jeweilige Norm neben den individuellsubjektiven Belangen Privater zwingend wichtige Allgemeinwohlinteressen („überindividuelle Gemeininteressen“)647 durchzusetzen sucht.648 Als vermeintlich praktikables Kriterium zur Einordnung einer Norm als eine solche des Gemeinwohl- oder des Privatinteresses wird mitunter die Unterscheidung von Normen des öffentlichen und solchen des Privatrechts angeführt. Allerdings ist schon eine trennscharfe Kategorisierung zwischen privatem und öffentlichem Recht aufgrund der von Staat zu Staat divergierenden Auffassungen davon, was
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EuGH 23.11.1999 – verb. Rs. C-369/96 und C-376/96 (Arblade und Leloup), Slg. 1999 I, 8430 = EuZW 2000, 88. 644 Rentsch, in: Konstitutionalisierung in Zeiten globaler Krisen, S. 255, 263 ff. 645 So bereits zum alten Recht Schurig, RabelsZ 54 (1990) 217, 227. 646 Zum Verbraucherschutz siehe Mäsch, Rechtswahlfreiheit und Verbraucherschutz, S. 126 ff. 647 v. Hein, in: MünchKommBGB10, Einl. IPR, Rn. 286 ff. 648 Basedow, RabelsZ 52 (1988) 8, 16 ff.
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Privatrecht und was öffentliches Recht ist, oftmals nur schwer möglich.649 Es hinge zudem letztlich vom subjektiven Verständnis der nationalen Gesetzgeber ab, eine Norm als öffentliches Recht und damit als Eingriffsrecht zu qualifizieren. Auch der Begriff des „Sonderprivatrechts“650, wie er im Anschluss an das Urteil des EuGH in der Rechtssache Ingmar/Eaton Leonard Technologies651 als Kriterium zur Identifizierung von Eingriffsnormen vorgebracht wurde, bringt nur wenig Klarheit, da auch dieser stets konkretisierungsbedürftig bleibt. Darüber hinaus können auch bei der Gestaltung der Rechtsbeziehungen Privater Gemeinwohlinteressen so stark überwiegen, dass die Grenze zwischen Privatrecht und öffentlichem Recht verschwimmt, wie sich etwa im Kartellrecht,652 Mietrecht, Verbraucher- und Arbeitsrecht zeigt.653 Ein anderer Ansatz versucht, die Bestimmung von Eingriffsnormen anhand des jeweiligen territorialen Anwendungswillens einer Norm vorzunehmen.654 Danach lässt sich eine Norm als Eingriffsnorm qualifizieren, wenn ihr durch den nationalen Gesetzgeber ein extraterritorialer Geltungsanspruch zugemessen wurde und sie auch auf Sachverhalte Anwendung finden soll, die einen wesentlichen räumlichen oder zeitlichen Bezug zu einer ausländischen Rechtsordnung aufweisen. An dieser Beschreibung lässt sich zugleich der Hauptkritikpunkt an dieser Form der Systematisierung von Eingriffsnormen erkennen: Wann eine Norm einen extraterritorialen Geltungsbereich beansprucht und somit als Eingriffsnorm in diesem Sinne qualifiziert werden kann, hängt letztlich – wie schon beim vorherigen Ansatz – von den nationalen Gesetzgebern ab und kann international verbindlich nicht entschieden werden.655 Abgesehen davon steht die extraterritoriale Anwendung einer Norm auch im generellen Widerspruch zum völkerrechtlich verankerten Territorialitätsprinzip, nach dem eine Norm unabhängig von einem unter Umständen erklärten extraterritorialen Anwendungswillen nicht weiter reichen kann als die Hoheitsgewalt, die sie erzeugt hat.656 Schließlich will Maultzsch657 nach der Art der Normdurchsetzung differenzieren. Entscheidend dafür, ob eine 649
So zum Beispiel im anglo-amerikanischen Rechtskreis, welcher die Unterscheidung öffentlich-rechtlicher und privatrechtlicher Normen nicht nachvollzieht; für Deutschland spricht Vogel, Der räumliche Anwendungsbereich der Verwaltungsrechtsnorm, S. 215ff., 221f. im Hinblick auf die Trennung von Privat- und öffentlichem Recht von einer lediglich historisch bedingten, zufälligen Spaltung von Staat und Gesellschaft. 650 Siehe nur Hauser, Eingriffsnormen in der Rom I-Verordnung, S. 11. 651 EuGH 9.11.2000 – Rs. C-381/98 (Ingmar GB), Slg. 2000 I, 9305. 652 Rentsch, in: Konstitutionalisierung in Zeiten globaler Krisen, S. 255, 268. 653 Weitnauer, Der Schutz des Schwächeren im Zivilrecht, S. 38 ff.; zur Kritik an der Einordnung Sonnenberger, in: MünchKommBGB10, 5. Auflage, Einl. IPR, Rn. 36; Rentsch, in: Konstitutionalisierung in Zeiten globaler Krisen, S. 255, 264. 654 Siehe hierzu Rentsch, in: Konstitutionalisierung in Zeiten globaler Krisen, S. 255, 271 ff. 655 Rentsch, in: Konstitutionalisierung in Zeiten globaler Krisen, S. 255, 273 ff. 656 Sonnenberger, in: MünchKommBGB10, 5. Auflage, Einl. IPR, Rn. 76. 657 Maultzsch, RabelsZ 75 (2011) 60, 89.
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Norm als Bestandteil des allgemeinen Vertragsstatuts oder als Eingriffsnorm zu verstehen sei, sei, ob die Durchsetzung dieser Norm „in erster Linie durch Private im Rahmen vertragsrechtlicher Streitigkeiten“ (dann Teil des Vertragsstatuts) erfolge oder ob „primär hoheitliche Durchsetzungsmechanismen“ bestünden (dann Eingriffsnorm). Bereits aus diesen, exemplarisch dargestellten Ansätze einer konstitutiven Definition von Eingriffsnormen wird deutlich, dass sie aufgrund mangelnder trennscharfer Abgrenzungskriterien und der Bezugnahme auf die rein subjektiven Interessen des jeweiligen Normgebers, zum Scheitern verurteilt sind.658 Die Grenzen zwischen verweisungsfähigem Privatrecht und sogenanntem Eingriffsrechts sind damit unklar. Solange es nicht gelingt, überzeugende Kriterien zur Abgrenzung des Systemdualismus zwischen der Anknüpfung nach allgemeinen Kollisionsnormen und der Sonderanknüpfung von Eingriffsnormen zu formulieren, droht – wie Köhler659 zutreffend darlegt – das Eingriffsrecht des IPR „zur Einzelfallentscheidung ohne Systembindung zu degenerieren“.660 (2) Anknüpfungsasymmetrie von in- und ausländischem Eingriffsrecht Zu dem skizzierten Problem einer praktikablen Definition von Eingriffsnormen tritt in der Rechtsanwendung ein zweites hinzu: Während nach vorherrschender Ansicht für das zur Entscheidung berufene Gericht die Eingriffsnormen des Forums aufgrund der Bindung des Gerichts an Recht und Gesetz uneingeschränkte Geltung beanspruchen sollen, soll dies für Eingriffsnormen eines ausländischen Staates grundsätzlich nicht gelten. Für sie sollen vielmehr besondere Kriterien gelten, nach denen diese ausnahmsweise zu berücksichtigen seien. Für einen Sachverhalt mit Auslandsbezug, bei der das Rechtsverhältnis kraft objektiver Anknüpfung oder parteiautonomer Bestimmung durch die Parteien einem ausländischen Recht unterfällt, bedeutet dies, dass sich zwar die forumeigenen Eingriffsnormen stets auch gegen ein ausländisches Rechtsverhältnis durchsetzen und damit im Zweifel auch das Rechtsanwendungsergebnis der ansonsten anwendbaren ausländischen lex causae überlagern, die der lex causae angehörigen Eingriffsnormen blieben jedoch im Grundsatz unbeachtlich.661 Im Ergebnis folgt hieraus eine Anknüpfungsasymmetrie von in- und ausländischem Eingriffsrecht. Dieses Ergebnis steht in einem grundlegenden Widerspruch zum postulierten Ziel des IPR, einen internationalen Entscheidungseinklang zu gewährleisten und damit ein Rechtsverhältnis in international-privatrechtlicher Hinsicht unabhängig vom zur Entscheidung befugten Gericht gleich zu beur-
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So auch Köhler, Eingriffsnormen – Der „unfertige Teil“ des europäischen IPR, S. 101; Schurig, Internationales Privatrecht im 20. Jahrhundert, S. 5, 19 f. 659 Köhler, Eingriffsnormen – Der „unfertige Teil“ des europäischen IPR, S. 50. 660 In diese Richtung bereits Mäsch, Rechtswahlfreiheit und Verbraucherschutz, S. 154 f. 661 Rentsch, in: Konstitutionalisierung in Zeiten globaler Krisen, S. 255, 274 ff.
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teilen.662 Darüber hinaus setzt es Anreize zum „forum shopping“ und mindert die effektive Durchsetzbarkeit der durch den Gesetzgeber formulierten ordnungspolitischen Ziele.663 (3) Lösungsansätze Zur Lösung des Konfliktes zwischen der effektiven Durchsetzung ordnungspolitisch formulierter Zielsetzungen und dem Ideal eines internationalen Entscheidungseinklangs, wurden im Laufe der Zeit unterschiedliche Ansätze formuliert, die in die heute vorherrschende Lehre von der Sonderanknüpfung ausländischer Eingriffsnormen mündeten. Noch nach dem Verständnis Savignys war das Eingriffsrecht eine Summe von Rechtssätzen, die durch das hergebrachte System des IPR nicht fassbar seien, sich vielmehr auf einer zweite Ebene neben dem allgemeinen IPR befänden.664 Damit befand sich auch die Frage der Beachtung ausländischer Eingriffsnormen außerhalb des Savignyschen IPRDenkens. Dies sorgte auf den ersten Blick für Klarheit, schuf allerdings gleichzeitig ein Parallelregime zum hergebrachten Verweisungsrecht, ohne die Beziehungen und Zusammenhänge zwischen beiden, die sich in der Rechtsanwendung durch die Gerichte ergaben, zu würdigen. Dies wiegt umso schwerer in Anbetracht einer fortschreitenden regulierungsrechtlichen Überformung des Privatrechts. Ein zweiter Ansatz, der auch unter dem Namen „Schuldstatutstheorie“ firmiert, will ausländisches Eingriffsrecht in Form einer Einheitsanknüpfung von Privat- und Eingriffsrechts als von der jeweiligen lex causae mitberufenes Recht zur Anwendung bringen.665 Dem ausländischen Eingriffsrecht des Vertragsstatuts käme damit eine unbedingte Wirkung zu, die inländischen Eingriffsnormen blieben mit dem Ziel eines internationalen Entscheidungseinklangs unberücksichtigt. Im Ergebnis führt diese Lösung jedoch zu genau den Problemen, die sie zu lösen vorgibt: Indem nun nicht den Eingriffsnormen des Forums, sondern denen des Vertragsstatuts Vorrang eingeräumt wird, tritt sie in einen Konflikt zur rechtstaatlichen Bindung des Richters an das Eingriffsrecht seines Forums. Durch die pauschale Behauptung des Vorrangs von Eingriffsnormen des Vertragsstatuts wird das Problem kollidierender in- und ausländischer Eingriffsnormen überspielt, anstatt es zu einem Ausgleich zu bringen.666 Schließlich wird im Rahmen der sogenannten „Datumstheorie“ vertreten, 662 Kegel/Schurig, IPR, § 2 II; Sonnenberger, in: MünchKommBGB10, 5. Auflage, Einl. IPR, Rn. 78. 663 Rentsch, in: Konstitutionalisierung in Zeiten globaler Krisen, S. 255, 276 f. 664 Savigny, System des heutigen römischen Rechts, Band VIII, S. 33; siehe hierzu instruktiv m.w.N. auch Nietner, Internationaler Entscheidungseinklang im europäischen Kollisionsrecht, S. 240 ff. 665 Zur Schuldstatutstheorie siehe überblicksartig Spickhoff, in: BeckOK BGB, Art. 9 Rom I-VO, Rn. 34. 666 Köhler, Eingriffsnormen – Der „unfertige Teil“ des europäischen IPR, S. 280.
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ausländische Eingriffsnormen schlicht als „tatsächlichen Sachumstand“ in der Rechtsfindung zu berücksichtigen.667 Die Gerichte könnten ausländische Verbotsgesetze dann nicht als „Recht“, sondern im Rahmen der Generalklauseln des Vertragsstatuts als Tatsachen in die Rechtsfindung einfließen lassen. Die Frage der Beachtung von Eingriffsnormen würde auf diese Weise aus ihrem kollisionsrechtlichen Kontext gelöst und auf die sachrechtliche Ebene verlagert. Eine ausländische Norm wäre damit ohne kollisionsrechtliche Prüfung aufgrund der ihr durch den nationalen Gesetzgeber zugeschriebenen „Wichtigkeit“ zu berücksichtigen, wie dies auch die Theorie der lois d’application immédiate verlangt.668 Schurig hat in diesem Zusammenhang zutreffend darauf hingewiesen, dass es sich hierbei um einem „juristischen Solipsismus“669 handelt.670 Zudem setzt diese Lösung stets voraus, dass das als anwendbar ermittelte Recht über entsprechende Generalklauseln verfügt, die eine Berücksichtigung ausländischer Eingriffsnormen zulassen. Als heute vorherrschender Ansatz zur Beachtung ausländischen Eingriffsrechts kann die bereits genannte Lehre von der Sonderanknüpfung gelten: Nach dieser, in Europa maßgeblich auf der von Wilhelm Wengler und Konrad Zweigert begründeten „politischen Schule“ beruhenden Lehre,671 ist das IPR nicht lediglich als Instrument einer neutralen Suche nach dem gerechtesten Recht zu verstehen, sondern soll auch zur Durchsetzung politischer Anliegen dienen. In der Frage der Anwendbarkeit ausländischen Eingriffsrecht sollen dabei die jeweiligen politischen Anwendungsinteressen des ausländischen und des Forumstaates mit dem Ziel der Durchsetzung sozialer Werte gegeneinander abgewogen werden. Dogmatisch werden dabei die zu identifizierenden Normen ordnungs- und sozialpolitischer Natur aus dem herkömmlichen Verweisungssystem herausgelöst und einer Sonderanknüpfung 667
Weller, IPRax 2014, 225 ff. Kalin, Verhaltensnorm und Kollisionsrecht, S. 183. 669 Schurig, Kollisionsnorm und Sachrecht, S. 55 f. 670 Auf die (rechtstheoretisch unzutreffende) Theorie der lois d`application immédiate stützt sich auch das Grünbuch über die Umwandlung des Übereinkommens von Rom aus dem Jahr 1980 über das auf vertragliche Schuldverhältnisse anzuwendende Recht in ein Gemeinschaftsinstrument sowie über seine Aktualisierung vom 14.1.2003, KOM(2002) 654 endg., 40: „Die zwingenden Vorschriften des Artikel 7 [EVÜ], auch ‚Eingriffsnormen‘ genannt […] haben einen anderen Charakter und kommen nur bei internationalen Sachverhalten zum Tragen. Es handelt sich um Vorschriften, denen ein Staat so viel Bedeutung beimisst, dass er unabhängig davon, welches Recht im Übrigen auf einen Vertrag anwendbar ist, auf ihrer Einhaltung besteht, sobald der Sachverhalt Berührungspunkte mit seinem Hoheitsgebiet aufweist. Diese Vorschriften weisen eine Besonderheit auf: Die Gericht wenden sie von Amts wegen an, ohne zuvor anhand der nationalen Kollisionsnormen das anwendbare Recht zu bestimmen und zu prüfen, ob dessen Inhalt mit der im Gerichtsstaat geltenden Werteordnung unvereinbar ist.“ 671 Wengler, ZVglRW 54 (1941) 168 ff.; Zweigert, RabelsZ 14 (1942) 283 ff.; in den USA finden sich ähnliche Überlegungen in der von Brainerd Currie entwickelten „governmentalinterests-analysis“, siehe Currie, Selected Essays on the Conflict of Laws. 668
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unterworfen. Ob eine Norm sonderangeknüpft wird, orientiert sich neben ihrem sachrechtlichen Inhalt im Wesentlichen am „Anwendungswillen“ der Norm. Geltungsgrund einer ausländischen Eingriffsnorm ist also primär der Wille des jeweiligen Rechtssetzers.672 bb) Kritik am System machtpolitisch fundierter Sonderanknüpfungen als „zweite Ebene“ des Kollisionsrechts Im Ausgangspunkt ist Wengler673 und Zweigert674 und der durch sie geprägten „politischen Schule“ beizupflichten, wenn sie die von Deelen erkannte „Savigny’sche Augenbinde“675 und etwa von Neuhaus geforderte „Entpolitisierung des Kollisionsrechts“676 als wenig wünschenswert ansehen.677 Das IPR ist nicht „unpolitisch“ und neben der international-privatrechtlichen auch einer materiellprivatrechtlichen Gerechtigkeit zu dienen imstande.678 Eine Korrektur einzelner kollisionsrechtlicher Entscheidungen mittels wichtiger Gemeinwohlinteressen ist daher nicht per se mit den Grundsätzen des IPR unvereinbar. Durch die statutsunabhängige Sonderanknüpfung kommt es mithin zu einer Korrektur des durch die herkömmliche kollisionsrechtliche Prüfung bestimmten Statuts. Die allgemeinen international-privatrechtlichen Regelungen – insbesondere die europäischen Instrumente der Kollisionsrechtsvereinheitlichung – gehen im Ausgangspunkt auf der Suche nach dem räumlich gerechtesten Recht jedoch von der grundsätzlichen Gleichwertigkeit der Rechtsordnungen und somit von einem autonomistisch-multilateralistischen Ansatz aus.679 Das der Sonderanknüpfung von Eingriffsrecht zugrunde liegende unilateralistische Konzept stellt hierzu einen Bruch dar, indem es dem Durchsetzungswillen des nationalen Gesetzgebers eine Autorität zumisst, die sich gegen das allgemeine Anknüpfungsergebnis durchsetzt.680 Die Entscheidung über die Anwendung einer bestimmten Norm wird nicht mehr autonom durch den jeweiligen Forumstaat getroffen, sondern auf den Erlassstaat verlagert. Dies führt jedoch zu der aus rechtstaatlicher Sicht problematischen Folge, dass ein Gericht an den Anwendungsbefehl einer Ein672 673 674 675
Wengler, ZVglRW 54 (1941) 168, 178. Wengler, ZVglRW 54 (1941) 168 ff. Zweigert, RabelsZ 14 (1942) 283, 288, 295. Deelen, De Blinddoek van von Savigny; Schurig, Kollisionsnorm und Sachrecht,
S. 22. 676
Neuhaus, RabelsZ 15 (1949/50) 364, 372. Jüngst Reuter, RabelsZ 81 (2017) 661, 685 f. 678 Kegel/Schurig, IPR, § 2V.2.; Schurig, RabelsZ 54 (1990) 217, 229 f.; Mäsch, Rechtswahlfreiheit und Verbraucherschutz, S. 132 sieht in der Lehre von den Eingriffsnormen das „letztes Refugium“ der politischen Schule. 679 Kalin, Verhaltensnorm und Kollisionsrecht, S. 184. 680 Rentsch, in: Konstitutionalisierung in Zeiten globaler Krisen, S. 255, 286 ff.; Kalin, Verhaltensnorm und Kollisionsrecht, S. 184; Köhler, Eingriffsnormen – Der „unfertige Teil“ des europäischen IPR, S. 259. 677
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griffsnorm eines ausländischen Staates gebunden wäre. Darüber hinaus steht es auch in einem grundsätzlichen Widerspruch zum Verständnis des IPR „als Unternehmen, dass jeder Staat auf eigene Rechnung betreibt“, welches eigene kollisionsrechtliche Kriterien für die Anwendung bzw. Nichtanwendung einer Norm entwickeln sollte und diese nicht einseitig aus dem Anwendungsbefehl eines ausländischen Gesetzgebers entnehmen kann. Franz Kahn formulierte hierzu treffend: „Nicht ob die fremden Rechtsregeln herrschen wollen, haben wir zu untersuchen, sondern ob sie herrschen sollen.“681 Schließlich führt die Lehre von der Sonderanknüpfung auch zu einer Renationalisierung der Eingriffsrechtsdogmatik, indem der nationale Gesetzgeber unabhängig von systematischer Kohärenz und losgelöst von den Konzepten anderer nationaler Gesetzgeber seine Vorstellungen von Eingriffsnormen entwickeln und diese durch Formulierung eines einseitigen Anwendungsbefehls durchsetzen könnte. Dies entspricht nicht dem durch die EU formulierten Ziel der Herausbildung eines einheitlichen europäischen Rechtsraums und steht nicht zuletzt in einem Spannungsverhältnis zum unionsrechtlich verankerten Grundsatz der gegenseitigen Anerkennung.682 Zu entwickeln ist daher vielmehr ein eigener, aus dem europäischen Kollisionsrecht entnommener Anwendungsbefehl und damit verbunden eine Integration der Eingriffsnormdogmatik in das bestehende kollisionsrechtliche System.683 cc) Neubetrachtung: Unionsrechtlich geprägte Einbindung des Eingriffsrechts in die allgemeine Kollisionsrechtsdogmatik Methodisch kohärent ließe sich dabei auf das von Schurig684 entwickelte „Bündelungsmodel“ zurückgreifen, welches wiederum auf die bereits von Kegel685 entwickelte Interessenlehre im IPR zurückgeht:686 Danach lassen sich einzelne materielle Rechtssätze (sog. Element-Kollisionsnormen) nach den in ihnen implizierten kollisionsrechtlichen Interessen (sogenannte „Vektoren der Rechtsbildung“687, d.h. hinter einer Rechtsnorm stehende gesellschaftliche Kräfte) systematisieren. Element-Kollisionsnormen, denen eine vergleichbare Interessenabwägung zugrunde liegt, können in allseitige Kollisionsnormen sowohl vertikal (bezogen auf die Normen der lex fori), als auch horizontal (bezogen auf 681
Kahn, in: Abhandlungen zum IPR, S. 1, 111. EuGH 9.3.1999 – Rs. C-212/97 (Centros), Slg. 1999, I-1459; Grundmann, RabelsZ 64 (2000) 458, 461; Mestmäcker, RabelsZ 52 (1988) 205, 236 f. 683 So auch Köhler, Eingriffsnormen – Der „unfertige Teil“ des europäischen IPR, S. 100. 684 Schurig, Kollisionsnorm und Sachrecht, S. 89 ff. 685 Kegel, FS Lewald, S. 259 ff. 686 Überblicksartig hierzu Köhler, Eingriffsnormen – Der „unfertige Teil“ des europäischen IPR, S. 76 ff. 687 Kegel/Schurig, IPR, § 2 I. 682
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die Elementnormen anderer Rechtsordnungen) gebündelt werden.688 Eine Eingriffsnorm ist in diesem System eine Norm, die aus dem eigentlich anwendbaren, mittels allseitiger Kollisionsnormen bestimmten Statut (der Bündelung) aufgrund besonderer kollisionsrechtlicher Interessen herausfällt und im Wege der „Disqualifikation“ gesondert angeknüpft wird.689 Dies ist in der Dogmatik des IPR in Form der Sonderanknüpfungen etwa der Rechts- und Geschäftsfähigkeit allgemein geläufig.690 Statt einer Sonderanknüpfung bestimmter Normen im Rahmen eines unilateralistischen Teilsystems einseitiger Kollisionsnormen greift eine autonome gesonderte Anknüpfung von Normen, die besondere kollisionsrechtliche Interessen implizieren.691 Der Vorwurf, es handele sich bei diesem Ansatz der Herausbildung kollisionsrechtlicher Interessen um eine Rückkehr zur überkommenen Statutenlehre, anstatt nach Savigny vom Rechtsverhältnis auszugehen, kann mit Savigny selbst entkräftet werden, der beide Ansätze als zwei Seiten derselben Medaille beschrieb.692 In diesem Sinne wird von Mäsch,693 neuerdings von Rentsch,694 sowie Köhler695 und Kalin696 vorgeschlagen, eine Integration des Eingriffsrechts als „unfertigem Teil des IPR“697 in die allgemeine europäische Kollisionsrechtsdogmatik vorzunehmen. Ziel ist es, den sowohl auf in- als auch ausländische Eingriffsnormen bezogenen kollisionsrechtlichen Anwendungsbefehl vollumfänglich dem europäischen Recht zu entnehmen und eine Eingriffsrechtdogmatik zu entwickeln, welche eine kohärente kollisionsrechtliche Behandlung von Eingriffsnormen im europäischen IPR unter Beachtung des europäischen Entscheidungseinklangs ermöglicht. Dabei wird etwa von Rentsch vorgeschlagen, die Rückbindung des Eingriffsrechts an die territoriale Regelungsgewalt eines staatlichen
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Schurig, Kollisionsnorm und Sachrecht, S. 97 ff. Induktive und mit Beispielen versehene Zusammenfassungen des Bündelungsmodells findet sich unter anderem bei Mäsch, Rechtswahlfreiheit und Verbraucherschutz, S. 146; Köhler, Eingriffsnormen – Der „unfertige Teil“ des europäischen IPR, S. 84 ff. 690 Mäsch, Rechtswahlfreiheit und Verbraucherschutz, S. 146. 691 Kegel/Schurig, IPR, § 2 IV. 2. und § 6 V. 2. 692 Savigny, System des heutigen römischen Rechts, Band VIII, S. 3 („Die Frage ist hier und dort dieselbe, und die Frage kann in beiden Fällen nicht verschieden ausfallen“), der zwischen der Statutenlehre und des von ihm postulierten Ansatzes von der „Natur des Rechtsverhältnisses“ keineswegs einen Paradigmenwechsel erkannte; darauf Bezug nehmend Schurig, Kollisionsnorm und Sachrecht, S. 89 f.; Mäsch, Rechtswahlfreiheit und Verbraucherschutz, S. 145; Köhler, Eingriffsnormen – Der „unfertige Teil“ des europäischen IPR, S. 61. 693 Mäsch, Rechtswahlfreiheit und Verbraucherschutz, S. 159 ff. 694 Rentsch, in: Konstitutionalisierung in Zeiten globaler Krisen, S. 255, 289 ff. 695 Köhler, Eingriffsnormen – Der „unfertige Teil“ des europäischen IPR, S. 100 ff. 696 Zu einem unionsrechtlichen Verständnis des Eingriffsrechts allerdings nur eingeschränkt: Kalin, Verhaltensnorm und Kollisionsrecht, S. 186 ff. 697 Köhler, Eingriffsnormen – Der „unfertige Teil“ des europäischen IPR; in Anlehnung an Kahn, Jher. JB 39 (1898) 1, 98 ff. 689
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Souveräns aufzugeben und durch andere „suprastaatliche Geltungsparameter“698 wie den gemeinsamen Markt oder den europäischen Rechtsraum zu ersetzen. Durch eine allseitige und allgemein gültige, unionsrechtlich fundierte Kollisionsnorm soll der oben geschilderte Konflikt zwischen inländischen und ausländischen Eingriffsnormen aufgelöst werden. Ausgehend von der Normstruktur des Art. 9 Rom I-VO sollte dabei für die Bestimmung von Eingriffsnormen ein gemeinsamer „europäischer Anwendungsbefehl“699 zugrunde gelegt werden, wie Köhler in seiner Analyse des europäischen Eingriffskollisionsrechts eingehend darlegt.700 Die damit einhergehende Entkoppelung der europäischen Eingriffsnormdogmatik von national geprägten Vorstellungen gebietet der Anwendungsvorrang des Europarechts. Sie folgt mittelbar aus der auf die EU übertragenen Kompetenz701 zum Erlass kollisionsrechtlicher Rechtsakte. Die Durchsetzung einer europäischen Eingriffsnorm im Sinne von Art. 9 Abs. 1 Rom I-VO „ungeachtet des nach Maßgabe dieser Verordnung auf den Vertrag anzuwendenden Rechts“ ist dann im Sinne Schurigs „Bündelungsmodells“ die Folge einer „Disqualifikation“ und somit einer Interessendivergenz im Hinblick auf die allgemeinen Kollisionsnormen des europäischen IPR.702 (1) Art. 9 Abs. 1 Rom I-VO Neben dem durch den EuGH zu konturierenden europäischen Anwendungsbefehl bleibt für konkurrierende nationale Anwendungsbefehle kein Raum. Die für eine Konturierung maßgeblichen Kriterien sind durch den EuGH bereits vorgeben und in Art. 9 Abs. 1 Rom I-VO übernommen worden; sie sind gleichzeitig Ausgangspunkt für eine weitere Ausdifferenzierung im Wege der Rechtsfortbildung. Art. 9 Abs. 1 Rom I-VO bildet die Grundlage für eine europäische Rechtsfortbildung, indem der kollisionsrechtliche Anwendungsbefehl einer Sachnorm in den Fällen, in denen das Unionsrecht diesen nicht schon ausdrücklich formuliert hat („selbstgerechte Sachnormen“), durch Auslegung ermittelt werden muss. Dies hat im Gegensatz zu einem unilateralistischen System der Sonderanknüpfung system- und methodenimmanent durch eine Bestimmung der zugrunde liegenden Interessen zu erfolgen. Maßstab und Orientierungspunkt hierfür muss die Rechtsprechung des EuGH sein. In Anlehnung an Rentsch müssen die in Art. 9 Abs. 1 Rom I-VO in Bezug genommenen „öffentlichen Interessen“ dabei „unionsrechtlich vorkonditioniert“ sein.703 Relevant seien da698
Rentsch, in: Konstitutionalisierung in Zeiten globaler Krisen, S. 255, 291. Köhler, Eingriffsnormen – Der „unfertige Teil“ des europäischen IPR, S. 120. 700 Köhler, Eingriffsnormen – Der „unfertige Teil“ des europäischen IPR, S. 120 ff. 701 Zu der aus Art. 61 lit. c), 65 lit. b EGV a.F. resultierenden Kompetenz siehe bereits Kapitel 2 – § 4.I. 702 Köhler, Eingriffsnormen – Der „unfertige Teil“ des europäischen IPR, S. 124. 703 Rentsch, in: Konstitutionalisierung in Zeiten globaler Krisen, S. 255, 295. 699
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nach nur solche Belange, die dem europäischen ordre public vergleichbar sind oder aber nationale Anliegen, die etwa der durch den EuGH entwickelten CassisFormel704 genügen. Nur eine an europäisch geprägten Kriterien ausgerichtete Interessenabwägung kann im Ergebnis dazu führen, dass eine Norm aus der allgemeinen kollisionsrechtlichen „Bündelung“ herausfällt und Gegenstand einer gesonderten Kollisionsnorm wird.705 Art. 9 Abs. 1 Rom I-VO ist somit, wie Mäsch bereits zu Art. 34 EGBGB a.F. feststellte, nicht mehr und nicht weniger als eine „überflüssige“ Klarstellung, die allerdings der Rechtssicherheit insofern dienlich sei, als der Gesetzgeber hierdurch „dem Rechtsanwender eine offene Ermächtigung zur Berichtigung von Kollisionsnormen in besonders gelagerten Fällen erteilt.“706 Dies wird noch dadurch unterstützt, dass es sich ausweislich der Entstehungsgeschichte von Art. 9 Rom I-VO nicht um eine abschließende Kodifikation der Eingriffsnormproblematik handelt, sondern diese als unvollständiger Formelkompromiss verstanden werden sollte.707 (2) Art. 9 Abs. 2 Rom I-VO Art. 9 Abs. 2 Rom I-VO, der die Beachtung forumeigenen Eingriffsrechts durch die Gerichte erlaubt, lässt sich in die soeben skizzierten Überlegungen einfügen, indem die in Art. 9 Abs. 2 Rom I-VO gewährte domaine réservé als unionsrechtlich vorkonditioniert zu verstehen ist. Die in Erwägungsgrund 37 der Rom IVO zur Bestimmung von Eingriffsnormen maßgeblichen „öffentlichen Interessen“ haben sich ebenfalls nach den durch den EuGH entwickelten Kriterien zu richten.708 Der Anwendungsbefehl der so berufenen Eingriffsnormen darf nicht einseitig aus dem nationalen Recht der Mitgliedstaaten herrühren, sondern muss dem europäischen Recht entstammen.709 Es ist die Aufgabe des Rechtsanwenders, nationale Sachnormzwecke als „nationalen Rohstoff“ im Rahmen einer europäischen Interessenanalyse zu verarbeiten.710 In Anlehnung an Rentsch kommen hier dem europäischen ordre public entsprechende Belange oder solche, die der Cassis-Formel des EuGH genügen, Bedeutung zu.711 Sofern eine Interessenanalyse zu dem Ergebnis gelangt, dass eine passende allseitige europäische Kollisionsnorm nicht bereits besteht, muss – in Übereinstimmung mit der 704
EuGH 20.2.1979 – Rs. 120/78 (Rewe), Slg. 1979, 649. Köhler, Eingriffsnormen – Der „unfertige Teil“ des europäischen IPR, S. 165 ff. 706 Mäsch, Rechtswahlfreiheit und Verbraucherschutz, S. 160; Schurig, Kollisionsnorm und Sachrecht, S. 341; zu Art. 9 I Rom I-VO so auch Köhler, Eingriffsnormen – Der „unfertige Teil“ des europäischen IPR, S. 124 f. 707 Rentsch, in: Konstitutionalisierung in Zeiten globaler Krisen, S. 255, 295; BT-Drucks. 10/503, S. 83; BT-Drucks. 10/504, S. 100. 708 Rentsch, in: Konstitutionalisierung in Zeiten globaler Krisen, S. 255, 295 ff. 709 So auch Köhler, Eingriffsnormen – Der „unfertige Teil“ des europäischen IPR, S. 118 f.; Rentsch, in: Konstitutionalisierung in Zeiten globaler Krisen, S. 255, 260. 710 Köhler, Eingriffsnormen – Der „unfertige Teil“ des europäischen IPR, S. 117, 127. 711 Rentsch, in: Konstitutionalisierung in Zeiten globaler Krisen, S. 255, 294. 705
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Bündelungstheorie Schurigs – eine auf diese Norm bezogene, ihren materiellen Normzwecken angemessene Kollisionsnorm (europäischer Herkunft) im Wege der Rechtsfortbildung gebildet werden.712 Darüber, ob eine Norm tatsächlich Eingriffsnormqualität aufweist und gesondert anzuknüpfen ist, entscheidet letztverbindlich der EuGH – ein weiteres Argument für eine europäisch konzipierte Eingriffsnormdogmatik und einer Abkehr vom durch nationale Anwendungsinteressen geprägten System der Sonderanknüpfung. (3) Art. 9 Abs. 3 Rom I-VO Schließlich muss für Art. 9 Abs. 3 Rom I-VO und die darin implizierte (nicht abschließend geregelte) Sonderbehandlung ausländischen Eingriffsrechts Folgendes gelten: Solange es sich um einen Sachverhalt im Geltungsbereich der Rom I-VO handelt, muss eine Norm dann angewendet werden, wenn die jeweilige Norm mit einem europäisch zu bestimmenden kollisionsrechtlichen Anwendungsbefehl für den jeweiligen Sachverhalt ausgestattet ist. Köhler spricht etwa davon, dass die zur Anwendung gebrachte ausländische Eingriffsnorm Ausdruck von „European shared values“ sein müsse.713 Nicht anders als bei inländischen Eingriffsnormen geht es dabei um eine durch Auslegung zu ermittelnde „Disqualifikation“ einer Norm unter Bildung einer besonderen Individualkollisionsnorm. Für eine Sonderbehandlung von ausländischem Eingriffsrecht bleibt somit kein Raum.714 Damit ist auch die Auffassung abzulehnen, nach der Art. 9 Abs. 3 S. 1 Rom I-VO eine Sperrwirkung gegenüber anderen ausländischen Eingriffsnormen als denen des Erfüllungsortes zukommt.715 Hierin ist ein Verweis auf die Anwendungs- und Durchsetzungswilligkeit der Norm aus Sicht des Erlassstaates zu erkennen. Diese lassen sich mit dem Wunsch erklären, allzu „störende staatliche Einflüsse“716 auf die vertragliche Beziehung der Parteien fernzuhalten.717 Entsprechend erkennt Hauser hierin eine „neue Variante“ der Sonderanknüpfungslehre.718 Innerhalb eines dem herkömmlichen IPR entsprechenden und systemkonformen autonomistisch-multilateralistisch ausgerichteten Kolli-
712
Köhler, Eingriffsnormen – Der „unfertige Teil“ des europäischen IPR, S. 117 f. Köhler, Eingriffsnormen – Der „unfertige Teil“ des europäischen IPR, S. 330. 714 Kalin, Verhaltensnorm und Kollisionsrecht, S. 190 f.; unter Geltung des Art. 34 EGBGB a.F. bereits Mäsch, Rechtswahlfreiheit und Verbraucherschutz, S. 163 f. 715 Rühl, FS Kropholler, S. 187, 206 f.; Schurig, Internationales Privatrecht im 20. Jahrhundert, S. 20; Rentsch, in: Konstitutionalisierung in Zeiten globaler Krisen, S. 255, 296, Köhler, Eingriffsnormen – Der „unfertige Teil“ des europäischen IPR, S. 265 ff. 716 Mankowski, RabelsZ 75 (2011) 677, 679; so bereits Serick, RabelsZ 18 (1953) 633, 648. 717 Kalin, Verhaltensnorm und Kollisionsrecht, S. 169. 718 Hauser, Eingriffsnormen in der Rom I-Verordnung, S. 147. 713
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sionsrechts kann solchen Erwägungen keine Berechtigung zukommen.719 Dies ließe sich noch ergänzen dadurch, dass die Folgenberücksichtigungsanweisung in Art. 9 Abs. 3 S. 2 Rom I-VO als „weitgehend substanzlose Leerformel“720 kaum zu einer praktikablen Handhabung taugt. b) Übertragung der Eingriffsnormdogmatik auf die internationale Schiedsgerichtsbarkeit Auch Schiedsgerichte haben als Resultat der Bindung an die Rom I-VO wie staatliche Gerichte aufgrund Art. 9 Rom I-VO Eingriffsnormen zu beachten, sofern sie ihren Sitz innerhalb der EU nehmen. Zwar üben Schiedsgerichte, wie gesehen, keine unmittelbare staatliche Hoheitsgewalt aus, jedoch sind sie staatlichen Gerichten funktional äquivalent und daher wie diese im Rahmen der Rechtsfindung in das staatliche Kollisionsrecht eingebettet.721 Ausweislich der Begründung des Regierungsentwurfs zum deutschen reformierten Schiedsverfahrensrecht ging der deutsche Gesetzgeber abgesehen von der ohnehin angenommenen Bindung an das EVÜ von einer zwingenden Geltung von Eingriffsrechts in Schiedsverfahren mit Sitz in Deutschland aus, indem er in der Gesetzesbegründung explizit auf Art. 34 EGBGB a.F. Bezug nimmt: „Daß eine […] Rechtswahl nicht völlig ohne Schranken zugelassen ist (vgl. vor allem Artikel 34 EGBGB), versteht sich von selbst […].“722 Darüber hinaus findet die Berücksichtigung möglicher Eingriffsnormen in der schiedsgerichtlichen Praxis schon jetzt anhand einer individuellen Interessenanalyse der jeweils in Betracht kommenden Normen statt, die Blessing als „Special Connection Test“ bzw. Sachs/Tillmann als „Close Connection Test“ bezeichnet haben.723 Auch Hausmann konzediert, dass sich Schiedsgerichte über die Berücksichtigung zwingender Normen jedenfalls dann nicht hinwegsetzen könnten, wenn diese einen „hinreichenden Bezug zum Gegenstand des Verfahrens“ hätten.724 Dabei sollen Eingriffsnormen unter anderem nach ihrer „application-worthiness“ bestimmt werden, wobei einer besonderen Bedeutung zukommt, ob sie der Durchsetzung von „shared values“ einer „truly transnational public policy“ dienen.725 Dies 719
Köhler, Eingriffsnormen – Der „unfertige Teil“ des europäischen IPR, S. 273, der in Art. 9 Abs. 3 Rom I-VO dementsprechend nur eine Teilkodifizierung des allgemeinen Problemfelds der Anwendung ausländischer Eingriffsnormen ohne abschließenden Charakter sieht; Kalin, Verhaltensnorm und Kollisionsrecht, S. 191; a.A. unter anderem Hauser, Eingriffsnormen in der Rom I-Verordnung, S. 114 ff. 720 Hauser, Eingriffsnormen in der Rom I-Verordnung, S. 148. 721 Anders unter anderem Hausmann, in: Reithmann/Martiny, Internationales Vertragsrecht, Rn. 8.428 f. 722 Begründung des Regierungsentwurfs, BT-Drucks. 13/5274 vom 12.7.1996, S. 52. 723 Blessing, J.Int’lArb. 14 (4) (1997) 23 ff.; Sachs/Niedermaier, FS v. Hoffmann, S. 1051, 1057 ff.; siehe auch Commandeur/Gößling, SchiedsVZ 2014, 12 ff. 724 Hausmann, in: Reithmann/Martiny, Internationales Vertragsrecht, Rn. 8.427. 725 Sachs/Niedermaier, FS v. Hoffmann, S. 1051, 1060.
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dürfte im Ergebnis der für das europäische Kollisionsrecht geforderten Interessenanalyse sehr nahe kommen. Bereits sprachlich zeigt sich eine Nähe zu den „European shared values“, deren Ausdruck Köhler als Voraussetzung für die Beachtung ausländischer Eingriffsnormen identifiziert hat.726 Die Praxis der Schiedsgerichtsbarkeit auf dem Gebiet der Eingriffsnormen könnte somit dem an nationalen Konzepten und territorialen Grenzen orientierten Sonderanknüpfungslehre sogar voraus sein und damit als Wegweiser für die vorgeschlagene Europäisierung des Eingriffsrechts dienen. Schließlich ist darauf hinzuweisen, dass Schiedsgerichte auch unabhängig von einer Bindung an die europäische Eingriffsnormdogmatik ein dezidiertes Eigeninteresse an der Berücksichtigung von Eingriffsnormen haben und regelmäßig sogar großzügiger als nach Art. 9 Rom I-VO gefordert staatliches Recht zur Anwendung bringen, um den späteren Schiedsspruch nicht der Gefahr einer Aufhebung durch staatlichen Gerichte auszusetzen.727 Insbesondere die Beachtung von Eingriffsrecht des Forums wird von in der Schiedsgerichtsbarkeit vehement bestritten. Solange sich dies auf das Argument stützt, Schiedsgerichte hätten keine lex fori und könnten somit etwaige Eingriffsnormen nicht zur Anwendung bringen, ist dieses Argument bereits entkräftet worden. Eine Bindung von Schiedsgerichten mit Sitz innerhalb der EU an das – europäisch-einheitlich zu bestimmende – Eingriffsrecht ist auch durch den EuGH in den Rechtssachen Eco Swiss,728 Mostaza Claro729 und Asturcom730 bestätigt worden. In allen drei Fällen stellte das Gericht klar, dass eine Missachtung zwingenden Eingriffsrechts zu einer Versagung der Anerkennung und Vollstreckung des Schiedsspruchs innerhalb der EU führt. So hatte der EuGH auf Vorlage der jeweiligen nationalen Gerichte über das Verhältnis von europäischem Recht und internationalem Schiedsverfahrensrecht zu befinden. In der Rechtssache Eco Swiss aus dem Jahr 1999 ersuchte der niederländische Hoge Raad den EuGH im Wege eines Vorabentscheidungsverfahrens mit der Frage, inwieweit internationale Schiedsgerichte an die Beachtung kartellrechtlicher Vorschriften des Europarechts (Art. 81 EGV, heute Art. 101 AEUV) gebunden seien. Konkret ging es darum, zu prüfen, ob bei Verstoß gegen europäisches Recht ein Grund zur Aufhebung des Schiedsspruchs gemäß Art. 1065 des Wetboek van Burgerlijke Rechtsvordering vorliegt. Der EuGH bejahte dies. 726
Köhler, Eingriffsnormen – Der „unfertige Teil“ des europäischen IPR, S. 197 ff., 330. Mankowski, RIW 2011, 30, 42 f.; Ungeheuer, Die Beachtung von Eingriffsnormen in der internationalen Handelsschiedsgerichtsbarkeit; Beulker, Die Eingriffsnormproblematik in internationalen Schiedsverfahren, S. 79, 255; Sachs/Niedermaier, FS v. Hoffmann, S. 1051, 1053 f.; 1063 mit Verweis auf das bereits besprochene Urteil des englischen High Courts of Justice in der Sache Accentuate Ltd. v. Asigra Inc. aus dem Jahr 2009 (Accentuate Ltd. [2009] EWHC 2655 (QB)). 728 EuGH 1.6.1999 – Rs. C-126/97 (Eco Swiss), Slg. Slg. 1999, I-3055. 729 EuGH 26.10.2006 – Rs. C-168/05 (Mostaza Claro), Slg. 2006, I-10421. 730 EuGH 6.10.2009 – Rs. C-40/08 (Asturcom), Slg. 2009, I-9579. 727
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Zwar erkannte er das besondere Erfordernis von Schiedsverfahren nach effizienter Verfahrensführung und die damit verbundene eingeschränkte Überprüfbarkeit von Schiedssprüchen durch staatliche Gerichte an.731 Allerdings betonte er zugleich, dass Art. 81 EGV eine grundlegende Bestimmung für die Erfüllung der Aufgaben der Gemeinschaft und insbesondere für die Funktionsfähigkeit des Binnenmarktes darstellt und eine Verstoß gleich einem ordre public-Verstoß nach dem nationalen Schiedsverfahrensrecht des jeweiligen Mitgliedstaates zu werten sei.732 In den Entscheidungen Mostaza Claro und Asturcom aus den Jahren 2006 und 2009 ging es um die Geltung zwingenden europäischen Verbraucherschutzrechts in internationalen Schiedsverfahren. In beiden Fällen kam es zu einer Vorlage durch spanische Gerichte, welche die Frage der Wirksamkeit einer mit einem Verbraucher getroffenen Schiedsvereinbarung zu beurteilen hatten und hierzu den EuGH um die Auslegung der europäischen Klauselrichtlinie zum Schutz von Verbrauchern vor missbräuchlichen Klauseln733 ersuchten. Der EuGH entschied, dass eine Schiedsvereinbarung der Klauselrichtlinie unterfällt und die missbräuchliche Verwendung zur Unwirksamkeit der Vereinbarung und zur Aufhebung des Schiedsspruchs führt. Dies gelte sogar, wenn der Verbraucher die Nichtigkeit der Schiedsvereinbarung nicht schon im Schiedsverfahren, sondern erst im anschließenden Aufhebungsverfahren vor einem staatlichen Gericht rügt.734 In der Entscheidung Asturcom ging der EuGH noch einen Schritt weiter, indem er die staatlichen Gerichte von Amts wegen zur Prüfung der Wirksamkeit der Schiedsvereinbarung anhand der Klauselrichtlinie verpflichtete.735 In allen drei Entscheidungen wird deutlich, dass der EuGH den Einfluss des Gemeinschaftsrechts auf das internationale Schiedsverfahrensrecht sukzessive erweitert hat. Rechtsdogmatisch geschieht dies dadurch, dass er die Bestimmungen des europäischen Rechts zum ordre public erhebt. Spätestens wenn ein Schiedsspruch im Vollstreckbarerklärungsverfahren vor den staatlichen Gerichten der Mitgliedstaaten landet, führt ein Verstoß gegen zwingendes europäisches Recht zur Aufhebung des Schiedsspruchs. Um dies zu vermeiden, sind Schiedsgerichte somit indirekt verpflichtet, bereits im Schiedsverfahren europäisches Recht zur Anwendung zu bringen.736 Zuzugestehen ist, dass die dargestellten Entscheidungen mit dem Kartell- sowie Verbraucherschutzrecht keine 731
EuGH 1.6.1999 – Rs. C-126/97 (Eco Swiss), Slg. Slg. 1999, I-3055, Rn. 35. EuGH 1.6.1999 – Rs. C-126/97 (Eco Swiss), Slg. 1999, I-3055, Rn. 37. 733 Richtlinie 93/13/EWG des Rates vom 5.4.1993 über mißbräuchliche Klauseln in Verbraucherverträgen (ABl. 1993 Nr. L 95, S. 29). 734 EuGH 26.10.2006 – Rs. C-168/05 (Mostaza Claro), Slg. 2006, I-10421, Rn. 39. 735 EuGH 6.10.2009 – Rs. C-40/08 (Asturcom), Slg. 2009, I-9579, Rn. 55; Hilbig, SchiedsVZ 2014, 74, 78 f. 736 So auch de Ly, in: Conflict of Laws in International Arbitration, S. 3, 11 f.; Nueber, ecolex 2014, 31, 33. 732
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klassischen Materien der internationalen Handelsschiedsgerichtsbarkeit tangieren. Allerdings bleibt die Erkenntnis bestehen, dass der EuGH die Wirkung des europäischen Rechts nicht auf die Beachtung durch staatliche Gerichte beschränkt, sondern Schiedsgerichte in den Anwendungsbefehl europäischen Rechts einbezieht. Sofern es darum geht, einer zwingenden Beachtung „sachfremden“ Eingriffsrechts zu entgehen,737 ist festzuhalten: Erstens hat die soeben vorgeschlagene Integration des Eingriffsrechts in das europäische Kollisionsrecht in Abgrenzung zur Lehre von der Sonderanknüpfung zur Konsequenz, dass alleine der einer Norm beigemessene nationale „Anwendungsbefehl“ nicht ausreicht, um einer Norm den Charakter einer Eingriffsnorm zu verleihen. Vielmehr müssen hierfür europäisch-einheitliche Gemeinwohlinteressen streiten, die eine Disqualifikation und damit eine gesonderte Anknüpfung rechtfertigen. Der Kreis der forumeigenen Eingriffsnormen dürfte damit deutlich verkleinert werden. In Bezug auf die verbleibenden Normen innerhalb dieses Kreises ist nicht ersichtlich, warum diese nicht durch Schiedsgerichte zur Anwendung gebracht werden sollen. So hat die skizzierte Rechtsprechung gezeigt, dass der EuGH davon ausgeht, dass Schiedsgerichte wie staatliche Gerichte an Eingriffsrecht des Forums gebunden sind.738 Darüber hinaus weist Mankowski zutreffend darauf hin, dass den Parteien eines internationalen Schiedsverfahrens zugemutet werden dürfe, sich über die am Sitz des Schiedsverfahrens geltenden zwingenden Normen zu informieren und sich danach auszurichten.739 Dass die europäische Rechtsprechung auf nationaler Ebene nachvollzogen wird, zeigt die Entscheidung Accentuate Ltd. vs Asigra Inc.740 aus dem Jahr 2009. Hier ging es um die Frage der Vollstreckbarkeit eines gegen zwingendes europäisches Recht verstoßenden ausländischen Schiedsspruchs in England. Die Klägerin (Accentuate Ltd.) war ein englisches Unternehmen, welches als Handelsvertreterin von der Beklagten (Asigra Inc.) mit Sitz in Kanada hergestellte Software in England vertreiben sollte. In der zwischen den Parteien getroffenen Schiedsvereinbarung findet sich eine Rechtswahl zugunsten des Rechts der Provinz Ontario, als Sitz des Schiedsgerichts wurde Toronto vereinbart. Nach der Kündigung des zwischen den Parteien geschlossenen Vertrages zum Vertrieb der Software forderte die englische Klägerin die Zahlung nachvertraglicher Ausgleichsansprüche auf Grundlage der europäischen Handelsvertreterrichtlinie.741 Die kanadische Beklagte reagierte darauf mit einem Schiedsverfahren 737
Siehe nur Pörnbacher/Baur, FS Schütze, S. 431, 444; Busse, ecolex 2012, 1072, 1074. Siehe Kapitel 2 – § 4.III. 739 Mankowski, RIW 2012, 30, 43. 740 Accentuate Ltd. [2009] EWHC 2655 (QB). 741 Art. 17 Abs. 2 lit. a) der Richtlinie 86/653/EWG des Rates vom 18. Dezember 1986 zur Koordinierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten betreffend die selbständigen Handelsvertreter (ABl. EG Nr. L 382, S. 17 ff.), der eine nachvertragliche Ausgleichspflicht vorsieht und von dem die Parteien gemäß Art. 19 der Handelsvertreterrichtlinie vertraglich 738
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in Kanada, in dem sie beantragte, festzustellen, dass keine solchen Ansprüche bestehen. Da die kanadischen Schiedsrichter sich nicht an die Handelsvertreterrichtlinie gebunden sahen und das von den Parteien gewählte kanadische Recht keine Ausgleichsansprüche vorsah, kamen sie dem Begehren der kanadischen Beklagten nach. Zwischenzeitlich hatte die englische Klägerin jedoch Klage vor einem englischen District Court auf Leistung der geltend gemachten Ausgleichszahlungen aus der Handelsvertreterrichtlinie erhoben. Hiergegen erhob die kanadische Beklagte in einem ersten Schritt erfolgreich die Schiedseinrede gemäß Sec. 9(1) Arbitration Act 1996. Die englische Klägerin legte gegen diese Entscheidung auf Grundlage von Sec. 9(4) Arbitration Act 1996 Berufung ein. Danach greift die Schiedseinrede in den Fällen ausnahmsweise nicht ein, in denen das Gericht die zugrunde liegende Schiedsabrede für nichtig oder unwirksam befindet.742 Der High Court hatte nun darüber zu befinden, ob die getroffene Schiedsvereinbarung mit der Wahl kanadischen Rechts wirksam und ein etwaiger Schiedsspruch in England vollstreckbar ist. Das Gericht verneinte beides, indem es sich argumentativ eng an die Ingmar-Entscheidung des EuGH anlehnte: „The decision in Ingmar requires this court to give effect to the mandatory provisions of EU law, notwithstanding any expression to the contrary on the part of the contracting parties. In my judgment this must apply as much to an arbitration clause providing for both a place and a law other than a law that would give effect to the Directive, as it does to the simple choice of law clause that was under consideration in Ingmar. Accordingly, the arbitration clause would be ‘null and void’ and ‘inoperative’ within the meaning of s. 9(4) of the Arbitration Act, in so far as it purported to require the submission to arbitration of ‘questions pertaining to’ mandatory provisions of EU law, and Regulation 17 in particular, provided that the Regulations apply at all.“743
Das Gericht ging von einem Vorrang des europäischen Rechts aus, da es ansonsten zu einer Aushöhlung des zwingenden europäischen Rechts käme. Die Schiedsabrede wurde für nichtig erklärt und das Verfahren vor englischen Gerichten als zulässig erachtet. In einem ähnlichen Fall hatte das OLG München in einer Entscheidung aus dem Jahr 2006744 – auf die im späteren Verlauf noch Bezug genommen wird745 – mittelbar über die Frage der Geltung von Eingriffsnormen in Schiedsverfahren zu entscheiden. In dem der Entscheidung zugrunde liegenden Sachverhalt ging es ebenfalls um die Frage der Wirksamkeit einer Schiedsvereinbarung, mittels derer die in Deutschland und den USA ansässigen Parteien die aus einem zwinicht zum Nachteil des Handelsvertreters abweichen können; im deutschen Recht findet sich die entsprechende Umsetzung der Richtlinie mittlerweile in § 89 b I HGB. 742 Eine parallele Vorschrift findet sich auch in § 1032 Abs. 1 ZPO. 743 Accentuate Ltd. [2009] EWHC 2655 (QB), Rn. 88 f. 744 OLG München 17.6.2006 – 7 U 1781/06, IPrax 2006, 322. 745 Siehe in Kapitel 3 – § 9 zu möglichen taktischen Erwägungen zur Umgehung des Anwendungsbereichs der Rom I-VO.
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Kapitel 3 – Konsequenzen der Bindung an die Rom I-Verordnung
schen ihnen geschlossenen Handelsvertretervertrag resultierenden Streitigkeiten auf die Schiedsgerichtsbarkeit nach den Regeln der American Arbitration Association delegiert hatten. Ebenso wie der soeben zitierte High Court hielt das OLG die Schiedsvereinbarung unter Bezugnahme auf die Ingmar-Rechtsprechung des EuGH für unwirksam. Für die Unwirksamkeit reichte dem Gericht dabei bereits die Gefahr der Missachtung zwingenden europäischen Eingriffsrechts im Rahmen des späteren Schiedsverfahrens aus.746 c) Ergebnis Aufgrund des Anwendungswillens der Rom I-VO auf die Schiedsgerichtsbarkeit ist auch die Eingriffsnormdogmatik des Art. 9 Rom I-VO im Rahmen der schiedsgerichtlichen Rechtsfindung zu beachten. Der Theorie der Sonderanknüpfung von Eingriffsnormen ist jedoch ein integrierendes Modell einer gesonderten Anknüpfung vorzuziehen. Eingriffsnormen bilden nicht eine zweite Ebene des IPR, sondern finden über das herkömmliche Anknüpfungssystem Eingang in die kollisionsrechtliche Rechtsermittlung. Zur Konturierung der kollisionsrechtlichen Interessen sind durch die Rechtsprechung des EuGH unionsrechtliche Kriterien herauszubilden, die eine einheitliche Behandlung durch die Gerichte in den Mitgliedstaaten ermöglichen. Als Ergebnis einer europäischen Interessenbewertung kann entweder stehen, dass die Norm unter die allgemeinen Kollisionsnormen der Verordnung fällt, oder aber dass eine Disqualifikation verbunden mit einer gesonderten Anknüpfung stattzufinden hat. Diese kollisionsrechtliche Prüfung hat auch durch Schiedsgerichte zu erfolgen. Da Schiedsgerichte ohnehin bereits jetzt in großzügigem Maße Eingriffsnormen zur Anwendung zu bringen scheinen, dürfte die Übertragung der Eingriffsnormdogmatik aus der Rom I-VO keine maßgebliche Änderung der schiedsgerichtlichen Praxis bedeuten.747
§ 6 Die Zulässigkeit von Billigkeitsentscheidungen durch Schiedsgerichte § 6 Die Zulässigkeit von Billigkeitsentscheidungen durch Schiedsgerichte
§ 1051 Abs. 3 ZPO gewährt den Parteien eines Schiedsverfahrens die Möglichkeit, das Schiedsgericht zu einer Billigkeitsentscheidung zu ermächtigen. Die Vorschrift des reformierten deutschen Schiedsverfahrensrechts übernimmt dabei Art. 28 Abs. 3 UMG, welcher seinerseits in rund 50 Staaten rezipiert wurde
746
Siehe hierzu Quinke, SchiedsVZ 2007, 246 ff. v. Hoffmann, in: Acts of State and Arbitration, S. 1, 12 ff.; dies bestätigend auch Sachs/Niedermaier, FS v. Hoffmann, S. 1051, 1054: „Hence, it can be said that, in principle, arbitrators apply mandatory rules no differently than state court judges should do.“; im Ergebnis so auch Czernich, RIW 2016, 701, 707. 747
§ 6 Die Zulässigkeit von Billigkeitsentscheidungen durch Schiedsgerichte
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und in ähnlicher Form in Art. VII EuÜ enthalten war.748 Die Möglichkeit einer Ermächtigung des Richters zur Billigkeitsentscheidung gilt im internationalen Schiedsverfahrensrecht als anerkannt.749 Historisch beruht sie auf den Ursprüngen der Schiedsgerichtsbarkeit, in denen diese unter dem Einfluss des kanonischen Rechts nicht als Rechtsprechung, sondern als eine Art des Vergleichsschlusses – der amicabilis composito – angesehen wurde.750 Billigkeitsentscheidungen bildeten die Regel. Mit steigender Popularität der Schiedsgerichtsbarkeit und deren Anerkennung als funktional gleichwertige Jurisdiktion ist ein Rückgang von Billigkeitsentscheidungen zu konstatieren.751 So wird dem Billigkeitsentscheid im Schiedsverfahren inzwischen jedenfalls in der nationalen Schiedsgerichtsbarkeit nur noch eine geringe Bedeutung zugemessen.752 Auch in internationalen Schiedsverfahren befindet sich die Billigkeitsentscheidung aufgrund der damit verbundenen Unwägbarkeiten auf dem Rückzug.753 Ein wesentliches Motiv der Parteien zur Ermächtigung des Schiedsgerichts zur Billigkeitsentscheidung wird zudem weniger in Vorbehalten gegenüber dem ansonsten anwendbaren Recht, sondern in prozessökonomischen Erwägungen gesehen: Indem die Parteien das Schiedsgericht in einzelnen Fragen zur Billigkeitsentscheidung ermächtigen, entbinden sie das Gericht von einer in internationalen Sachverhalten häufig komplexen Beweis- und Rechtsermittlung.754 Unabhängig von ihrer praktischen Relevanz, bildet das schiedsverfahrensrechtliche Spezifikum, Entscheidungen nach Billigkeit zu treffen, seit jeher Anhängern und Kritikern der Schiedsgerichtsbarkeit Anlass, ihre jeweiligen Argumente zu bekräftigen. Je nachdem, welche Position man einnimmt, wird die Billigkeitsentscheidung als rechtsstaatlich bedenklich gebrandmarkt oder aber in ihr der Nachweis dafür gesehen, dass die Schiedsgerichtsbarkeit den „niederen Seiten des Rechts“ enthoben und einer höheren Gerechtigkeitssphäre verpflichtet sei.755 Um abseits dieser aufgeladenen Debatten zu einem Urteil darüber zu gelangen, ob unter Geltung der Rom I-VO Billigkeitsentscheidung durch Schiedsgerichte zulässig sind, ist zunächst eine Begriffsbestimmung vorzunehmen. Im Anschluss wird untersucht, auf welche Weise sich Billigkeitsentscheidungen durch das berufene Schiedsgericht vollziehen können und welchen Grenzen sie 748
Schulze, FS Kaissis, S. 875, 877. Stauder, SchiedsVZ 2014, 287 ff.; Born, International Arbitration, S. 256; Münch, in: MünchKommZPO3, § 1051, Rn. 45; Schulze, FS Kaissis, S. 875, 877. 750 Stauder, SchiedsVZ 2014, 287, 288; Beulker, Die Eingriffsnormproblematik in internationalen Schiedsverfahren, S. 175. 751 In Deutschland ab den 1960er Jahren, siehe Kronke, RIW 1998, 257, 261; Stauder, SchiedsVZ 2014, 287, 291 f.; Lionnet/Lionnet, Handbuch der Schiedsgerichtsbarkeit, S. 371. 752 Stauder, SchiedsVZ 2014, 287, 291. 753 In diese Richtung Stauder, SchiedsVZ 2014, 287, 293. 754 Schulze, FS Kaissis, S. 875, 882. 755 Münch, in: MünchKommZPO3, § 1051, Rn. 45. 749
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Kapitel 3 – Konsequenzen der Bindung an die Rom I-Verordnung
unterliegen. Schließlich wird dargelegt, wie sich die in den nationalen Schiedsrechten enthaltene Möglichkeit der Ermächtigung eines Schiedsgerichts zur Entscheidung nach Billigkeit zur Rom I-VO verhält. I.
Billigkeit als Rechtsbegriff
Die Möglichkeit einer Entscheidung nach Billigkeit, die in den jeweiligen Schiedsverfahrensgesetzen häufig als Entscheidung ex aequo et bono, als die Entscheidung durch einen amiable compositeur oder als Entscheidung nach equity/fairness bezeichnet wird,756 ist keine Besonderheit des Prozessrechts. Auch im materiellen Recht findet sich der Begriff der Billigkeit. Unter anderem bei der Auslobung in § 660 Abs. 1 S. 1 BGB ist etwa davon die Rede, dass die Belohnung nach „billigem Ermessen“ zu verteilen ist, sofern mehrere Personen an der in der Auslobung geforderten Handlung bzw. der Herbeiführung des Erfolgs mitgewirkt haben. Die Ermächtigung zur Verteilung der ausgelobten Belohnung nach billigem Ermessen hat hierbei einen prozessualen Charakter, indem der Auslobende in die Stellung eines „Preisrichters“ versetzt wird, der einerseits die rechtliche Pflicht zur Auszahlung der Belohnung und der Bestimmung der jeweiligen Anteile hat, andererseits keinen Rechtsstreitigkeiten mit den Beteiligten über die Höhe der ihnen zukommenden Anteile an der Belohnung ausgesetzt werden soll.757 Lediglich bei offensichtlicher Unbilligkeit ist die Verteilung durch den Auslobenden gem. § 660 Abs. 1 S. 2 BGB unwirksam und erfolgt stattdessen durch Gerichtsurteil. In § 317 Abs. 1 i.V.m. § 319 Abs. 1 BGB findet sich zudem die Regel, dass im Falle eines einseitigen Leistungsbestimmungsrechts durch einen Dritten, dieses nach „billigem Ermessen“ zu erfolgen hat und eine gerichtliche Kontrolle nur im Hinblick auf eine offensichtliche Unbilligkeit erfolgt. Der Billigkeitsentscheid in § 1051 Abs. 3 ZPO lässt sich am ehesten hiermit vergleichen.758 Abgrenzen lässt sich der Begriff der Billigkeit von der Leistungsbestimmung des Dritten nach „freiem Belieben“, welches in § 319 Abs. 2 BGB enthalten ist und sich damit von dem in § 319 Abs. 1 BGB enthaltenen Begriff des billigen Ermessens unterscheidet.759 Die Entscheidung nach Billigkeit suggeriert damit einerseits eine Loslösung von der Gesetzesanwendung, andererseits muss sie sich aufgrund des rechtsstaatlichen Verbots der Willkürentscheidung nach gewissen Kriterien überprüfbar sein.760 Die Kriterien zur Bestimmung einer Entscheidung als „billig“ lassen sich jedoch nur annähernd bestimmen. Vermittelnde Kompromisslösungen nach 756 Zur Entwicklung dieser heute synonym verwendeten, ursprünglich unterschiedlich verstandenen Begriffe siehe Stauder, SchiedsVZ 2014, 287, 290. 757 Seiler, in: MünchKommBGB4, § 660, Rn. 1. 758 Münch, in: MünchKommZPO3, § 1051, Rn. 52. 759 Schulze, FS Kaissis, S. 875, 876. 760 Dies andeutend auch Riedberg, Der amiable Compositeur im internationalen privaten Schiedsgerichtsverfahren, S. 73 ff.
§ 6 Die Zulässigkeit von Billigkeitsentscheidungen durch Schiedsgerichte
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dem Prinzip der goldenen Mitte zur Bestimmung der Billigkeit, werden allgemein als nicht tauglich erachtet.761 Vielmehr scheint sich eine Billigkeitsentscheidung dadurch auszuzeichnen, dass das Gericht sich bei der Rechtsfindung nicht oder zumindest nicht ausschließlich auf die Anwendung positiven Rechts stützt, sondern einzelfallbezogene Richtlinien entwickelt.762 Diese Richtlinien müssen im Sinne des kategorischen Imperativs Kants objektivierbar sein, also grundsätzlich auch auf andere, gleichgelagerte Fälle übertragbar sein.763 Münch spricht von „sachadäquate[n] einzelfallgerechte[n] Entscheidung[en]“ als Ausdruck von Billigkeitserwägungen durch den Richter.764 Die Grenze zur Rechtsfortbildung durch Auslegung und Analogiebildung scheint hierbei fließend. Ein so verstandener Billigkeitsbegriff bedeutet eine Delegation gesetzgeberischer Tätigkeit auf den Richter oder – wie im BGB – auf eine dritte Person. Diese soll losgelöst vom zugrunde liegenden positiven Recht eine Lösung für eine Streitfrage finden, die sich an objektiven Maßstäben orientiert und Ausdruck einer allgemeinen Gesetzgebung sein könnte, die ausgehend vom Einzelfall einer übergreifenden Gerechtigkeitsvorstellung folgt. II. Billigkeitsentscheidungen nach § 1051 Abs. 3 ZPO Im deutschen Schiedsverfahrensrecht bildet § 1051 Abs. 3 ZPO die Grundlage für eine Billigkeitsentscheidung durch das Schiedsgericht: „Das Schiedsgericht hat nur dann nach Billigkeit zu entscheiden, wenn die Parteien es ausdrücklich dazu ermächtigt haben. Die Ermächtigung kann bis zur Entscheidung des Schiedsgerichts ergehen.“
Daraus folgt zweierlei: Erstens lässt sich aus dem Wortlaut des § 1051 Abs. 3 ZPO („nur dann“) das grundlegenden Verständnis des Gesetzgebers entnehmen, dass es sich bei schiedsgerichtlichen Entscheidungen grundsätzlich um Rechtsentscheidungen handelt.765 Billigkeitsentscheidungen bilden die Ausnahme. Zweitens wollte der Gesetzgeber eine Ausnahme vom Grundsatz der Rechtsentscheidung nach dem Vorbild des Art. 28 Abs. 3 UMG normieren und den Parteien somit eine Erleichterung des schiedsgerichtlichen Verfahrens einräumen. Gleichzeitig stellt er die Billigkeitsentscheidung jedoch unter das Erfordernis einer ausdrücklichen Ermächtigung durch die Parteien. Eine Ermächtigung zur Billigkeitsentscheidung kann somit nicht durch konkludentes Verhalten oder bloßer Indizien wie etwa der Benennung juristischer Laien oder durch ungenaue 761
Münch, in: MünchKommZPO3, § 1051, Rn. 54; Schulze, FS Kaissis, S. 875, 879. Münch, in: MünchKommZPO3, § 1051, Rn. 52. 763 Schulze, FS Kaissis, S. 875, 878; dagegen Berger, FS v. Hoffmann, S. 914, 916. 764 Münch, in: MünchKommZPO3, § 1051, Rn. 52. 765 Begründung des Regierungsentwurfs, BT-Drucks. 13/5274, S. 53; OLG München, SchiedsVZ 2005, 308, 309; siehe hierzu auch die vorangegangenen Ausführungen in Kapitel 2 – § 4.II.2.d) zum unionsrechtlichen Gerichtsbegriff, der nach der Judikatur des EuGH eine Entscheidung auf Grundlage von Rechtsnormen voraussetzt. 762
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Kapitel 3 – Konsequenzen der Bindung an die Rom I-Verordnung
Formulierungen wie zum Beispiel „Hamburger freundschaftliche Arbitrage“ angenommen werden.766 Der Gesetzgeber zieht somit eine hohe Mauer zwischen der regulären Rechtsentscheidung und einer Billigkeitsentscheidung ein.767 Das Ermächtigungserfordernis erfüllt eine Schutzfunktion für die Parteien und dient als Disziplinierung des Schiedsgerichts, sich nicht vorschnell in den Bereich der Billigkeitsentscheidung zu begeben.768 Es ist zudem das Erfordernis der ausdrücklichen Ermächtigung, welches die Billigkeitsentscheidung von einer Entscheidung des Schiedsgerichts nach nicht-staatlichem Recht unterscheidet: Während die Wählbarkeit nicht-staatlichen Rechts das Schiedsgericht zu einem Rechtsentscheid nach geschriebenem (nicht-staatlichem) Recht verpflichtet, bedeutet die Ermächtigung zur Billigkeitsentscheidung, dass das Schiedsgericht von einer Rechtsentscheidung freigestellt ist.769 III. Grenzen der Entscheidungsfindung Auf welche Weise Billigkeitsentscheidungen in die Rechtsfindung eingehen sollten und welchen Grenzen sie unterliegt, wird unterschiedlich beurteilt. 1. Reine Billigkeitsentscheidungen Nach abzulehnender Ansicht ist das Schiedsgerichts im Falle der Billigkeitsentscheidung ermächtigt, unabhängig von den Regeln des maßgeblichen materiellen Rechts zu entscheiden. Die Funktion der Entscheidung nach Billigkeit liegt darin, das Schiedsgericht in die Lage zu versetzen, von der Beachtung positiven Rechts freigestellt und nur an die äußeren Grenzen des ordre public gebunden zu sein. Im Wege einer „reinen Billigkeitsentscheidung“770 ist das 766 Münch, in: MünchKommZPO3, § 1051, Rn. 47; Schulze, FS Kaissis, S. 875, 879 f.; so auch schon Mann, FS Flume I, S. 593, 605. 767 In diese Richtung auch Mann, FS Flume I, S. 593, 605, der mit Blick auf eine spätere Anerkennung und Vollstreckung des Schiedsspruchs bemerkt: „Ist somit nach deutschem Recht der Schiedsrichter grundsätzlich zu einer Rechtsentscheidung verpflichtet, so wird doch zuweilen gelehrt, die praktische Bedeutung dieser Pflicht sei gering, weil eine Überprüfung der rechtlichen Begründung der Entscheidung nicht zulässig ist. Aber Schiedsrichter sind verpflichtet, einen gültigen, d.h. einen nicht aufhebbaren Schiedsspruch zu erlassen; die Grenzen schiedsrichterlicher Freiheit werden also durch § 1041 ZPO bestimmt. Die Verpflichtung zur Rechtsentscheidung ist somit keine lex imperfecta, sondern wird im Gegenteil insoweit sanktioniert, als ihre Verletzung den Schiedsspruch aufhebbar machen würde. Denn es ist anerkannt, daß, wenn eine Rechtsentscheidung verlangt ist, aber eine Billigkeitsentscheidung ergeht, der Schiedsspruch nach § 1041 Abs. 1 Z. 1 aufzuheben ist.“ 768 OLG München, SchiedsVZ 2005, 308, 309, welches einen Schiedsspruch mit der Begründung aufhob, das Schiedsgericht habe ohne ausdrückliche Ermächtigung der Parteien einen Billigkeitsentscheid nach § 1051 Abs. 3 ZPO gefällt; Schulze, FS Kaissis, S. 875, 880. 769 Siehe hierzu auch OLG München, SchiedsVZ 2011, 159; v. Hoffmann, IPRax 1984, 106 ff.; Schulze, FS Kaissis, S. 875, 883. 770 Schulze, FS Kaissis, S. 875, 884; Beulker, Die Eingriffsnormproblematik in internationalen Schiedsverfahren, S. 177.
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Schiedsgericht von der Verpflichtung zu einer Rechtsentscheidung freigestellt und kann sich so im Abwägungsprozess der Entscheidungsfindung anderen Aspekten – ökonomischen, psychologischen, soziologischen – widmen. Hierfür spreche der Ausnahmecharakter der Billigkeitsentscheidung, die ein Gegenmodell zur Rechtsentscheidung sei. Für die Parteien stelle dies keine Gefahr dar, da sie sich aufgrund des international rezipierten Ermächtigungserfordernisses aus Art. 28 Abs. 3 UMG bewusst auf das mit einem Billigkeitsentscheid verbundene Risiko mangelnder Vorhersehbarkeit eingelassen würden. Dennoch ist ein solches Verständnis für die Parteien mit einem hohen Maß an Ungewissheit sowie der Gefahr von Willkürentscheidungen verbunden. Eine Eingrenzung der Gefahr eines Missbrauchs durch das Schiedsgericht im Falle einer Billigkeitsentscheidung wird zwar durch die Möglichkeit gewährt, das Schiedsgericht erst während des Verfahrens zum Billigkeitsentscheid zu ermächtigen. Dass die Parteien sich allerdings nach Konstituierung des Schiedsgerichts sowie einer möglicherweise bereits getroffenen Rechtswahl im späteren Verfahren auf eine Ermächtigung des Schiedsgerichts zur Entscheidung nach Billigkeit einigen, dürfte eher selten sein.771 2. Verfeinerte Rechtsentscheidung Vorzugswürdig erscheint die Auffassung, dass der Schiedsrichter trotz Ermächtigung zum Billigkeitsentscheid an das zugrunde liegende objektive Vertragsstatut gebunden bleibt. Die Berücksichtigung von Billigkeitserwägungen hat demnach lediglich die Funktion, das nach dem anwendbaren Recht ermittelte Ergebnis in einem zweiten Schritt mittels Billigkeitserwägungen zu korrigieren und einer „verfeinerten Rechtsentscheidung“772 zuzuführen. Zugrunde liegt diesem Ansatz der Gedanke, dass Billigkeit nur dann ein sinnvolles Kriterium bildet, wenn sie sich auf das positive Recht als „Referenzgröße“ beziehen könne.773 Anderenfalls verliere die Schiedsgerichtsbarkeit ihren Charakter als materielle, den staatlichen Gerichten funktional äquivalente Rechtsprechung.774 Nach Auffassung Münchs bedeutet Billigkeit danach die Herstellung einer gesetzesfreien Einzelfallgerechtigkeit, jedoch nicht die „Lösung aller Leinen und das Abschütteln jeglicher Normbindung.“775 Dem liegt die Vorstellung zugrunde, dass einer Rechtsentscheidung immer auch ein Billigkeitsvermutung zukommt. Gesetze sind darauf ausgelegt, widerstreitender Interessen gegeneinander abzuwägen und eine aus Sicht des Gesetzgebers billige (gerechte) Lösung zu erzielen. Ohne den Bezugspunkt zur gesetzlichen Regelung lässt sich zudem die Beurteilung einer Entscheidung als billig oder unbillig nur schwer 771 772 773 774 775
Münch, in: MünchKommZPO3, § 1051, Rn. 49. Wengler, ZfRV 23 (1982) 11, 21. Wengler, ZfRV 23 (1982) 11, 21 mit Verweis auf Kornblum, AcP 168 (1968) 450 ff. Münch, in: MünchKommZPO3, § 1051, Rn. 56. Münch, in: MünchKommZPO3, § 1051, Rn. 56.
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treffen. Nicht zuletzt werden sich auch die Parteien trotz Ermächtigung des Schiedsgerichts zur Entscheidung nach Billigkeit in der Bewertung der Billigkeit der getroffenen Entscheidung daran orientieren, was das Ergebnis der Rechtsfindung im Falle einer Rechtsentscheidung gewesen wäre. So verstanden ist die Entscheidung nach Billigkeit eine besondere Art der Entscheidungsfindung, bei der das Gesetzes nur dort unangewendet gelassen und durch schiedsrichterliche Billigkeitserwägungen ergänzt oder ersetzt wird, wo eine strenge Rechtsanwendung zu einer ungerechten („unbilligen“) Entscheidung führen würde.776 IV. Billigkeitsentscheidungen nach der Rom I-Verordnung Zunächst ist zu überlegen, ob die Ermächtigung zur Billigkeitsentscheidung, wie sie etwa § 1051 Abs. 3 ZPO vorsieht, als prozessuale Vorschrift zu qualifizieren ist und damit bereits nach Art. 1 Abs. 3 2. Var. Rom I-VO aus dem Anwendungsbereich der Rom I-VO herausfällt. Diese Überlegung knüpft konzeptionell an die Argumentation von Schilf im Hinblick auf den Anwendungswillen der Verordnung an, die bereits Gegenstand dieser Arbeit war.777 Wenn der sachliche Anwendungsbereich der Rom I-VO für die kollisionsrechtliche Rechtsermittlung in Schiedsverfahren grundsätzlich eröffnet ist, stellt sich die Frage, ob eine Entscheidung nach Billigkeit mit den Vorgaben der Verordnung vereinbar ist. Die Verordnung selbst schweigt zur Zulässigkeit von Billigkeitsentscheidungen. Aus den Grundmotiven und der Systematik der Verordnung folgt jedoch, dass das europäische Kollisionsrecht in seiner ausdifferenzierten Regelungsdichte vom Grundsatz der Rechts- und nicht der Billigkeitsentscheidung ausgeht. Dies muss hingegen nicht bedeuten, dass Billigkeitsentscheidungen als Ausnahmeerscheinung zum Grundsatz der Rechtsentscheidung per se mit dem europäischen Kollisionsrecht unvereinbar wären. Insbesondere unter Berücksichtigung der Ansicht, dass Billigkeitsentscheidungen keine „Entkopplung“ des Schiedsrichters von jeglicher Rechtsentscheidung bedeuten, sondern als Mittel zur Korrektur nach Einzelfallumständen dienen, ließe sich argumentieren, dass die Rom I-VO Billigkeitsentscheidungen nicht grundsätzlich ausschließt. Vielmehr ließe sich dem Umstand, dass die Zulässigkeit von Billigkeitsentscheidungen in der Rom I-VO nicht geregelt ist, entnehmen, dass diese Frage dem Kollisionsrecht der Mitgliedstaaten überlassen ist und die Verordnung damit den Besonderheiten der Schiedsgerichtsbarkeit auch unter Geltung der Rom I-VO Raum lassen wollte. Für Schiedsgerichte mit Sitz in Deutschland findet damit § 1051 Abs. 3 ZPO Anwendung. Da dieser – mangels Regelung im europäischen Kollisionsrecht für Schuldverträge – nicht mit der Rom I-VO kollidiert, bedarf es keiner Auflösung einer etwaigen Kollision 776
Hußlein-Stich, Das UNCITRAL-Modellgesetz, S. 149 f.; Wengler, ZfRV 23 (1982) 11, 20 f. 777 Schilf, RIW 2013, 678 ff.; siehe in Kapitel 2 – § 4.II.4.
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zugunsten des Anwendungsvorrangs des Europarechts. § 1051 Abs. 3 ZPO sowie vergleichbare, auf Art. 28 Abs. 3 UMG beruhende Vorschriften in anderen Mitgliedstaaten der EU, finden somit als Spezifikum der Schiedsgerichtsbarkeit neben der ansonsten vorrangigen Rom I-VO Anwendung und ermöglichen es den Parteien eines Schiedsverfahrens, das Schiedsgericht zu einer Entscheidung nach Billigkeit zu ermächtigen. Der Zulässigkeit von Billigkeitsentscheidungen stehen überdies keine durchschlagenden europarechtlichen Bedenken entgegen, solange die hohen Voraussetzungen für die Ermächtigung zur Billigkeitsentscheidung gewahrt sind, namentlich, dass die Parteien das Schiedsgericht ausdrücklich zur Entscheidung nach Billigkeit ermächtigen müssen.778 V. Ergebnis Billigkeitsentscheidungen bilden eine historisch begründete Besonderheit des Schiedsverfahrensrechts. Sie stellen keine Entscheidungen im rechtsfreien Raum dar, sondern erfordern vom Schiedsrichter in Abgrenzung zur Entscheidung nach Willkür oder freiem Belieben die Herausbildung objektiver Maßstäbe zur Beurteilung des Einzelfalls. Im europäischen Kollisionsrecht findet der Billigkeitsentscheid keinen positiv-rechtlichen Niederschlag. Eine generelle Unvereinbarkeit von Billigkeitsentscheidungen mit dem europäischen Kollisionsrecht geht damit jedoch nicht einher. Für eine Billigkeitsentscheidung internationaler Schiedsgerichte bleiben somit die nationalen Schiedsverfahrensrechte – in Deutschland § 1051 Abs. 3 ZPO – maßgeblich. Solange diese die Billigkeitsentscheidung an die Voraussetzung einer ausdrücklichen Vereinbarung durch die Parteien knüpfen, stehen der Zulässigkeit von Billigkeitsentscheiden in privaten Schiedsverfahren keine durchschlagenden Bedenken entgegen. Den Parteien eines Schiedsverfahrens kann in aller Regel zugemutet werden, dass sie die rechtlichen Risiken der Ermächtigung des Schiedsgerichts zur Billigkeitsentscheidung kennen und sich somit bewusst auf die damit verbundenen Unvorhersehbarkeiten einlassen. Gleichzeitig ist die Einhaltung verfahrensrechtlicher Mindeststandards durch das Erfordernis einer ausdrücklichen Ermächtigung gesichert.779 Die Ermächtigung des Schiedsgerichts zur Entscheidung nach Billigkeit ist als Spezifikum der Schiedsgerichtsbarkeit damit auch unter Zugrundelegung einer Bindung von Schiedsgerichten an die Rom I-VO zulässig.
778 Denken ließe sich hier allenfalls an Art. 47 Abs. 2 der EU-Grundrechtecharta, der das Recht auf ein faires Verfahren normiert. Eine Verletzung setzt jedoch eine „willkürliche Verfahrensentscheidung“ des Gerichts voraus, die im Falle einer ausdrücklichen Ermächtigung durch die Parteien sowie einer Urteilsbegründung durch das entscheidende Gericht nicht vorliegt, vgl. Blanke, in: Calliess/Ruffert, EUV/AEUV, Art. 47 EU-GR-Charta, Rn. 14. 779 So im Ergebnis auch Beulker, Die Eingriffsnormproblematik in internationalen Schiedsverfahren, S. 179 f.; Schulze, FS Kaissis, S. 875, 885 f.
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Kapitel 3 – Konsequenzen der Bindung an die Rom I-Verordnung
§ 7 Die objektive Anknüpfung von Verträgen § 7 Die objektive Anknüpfung von Verträgen
Im Hinblick auf die objektive Anknüpfung zeigen sich die Vorteile einer Bindung von Schiedsgerichten an die Rom I-VO, die aus dem differenzierten Anknüpfungskatalog gegenüber einer Ermessenentscheidung des Schiedsgerichts resultieren. Es wird zudem deutlich, dass eine Bindung von Schiedsgerichten an die Rom I-VO keine gravierenden Veränderungen der Rechtsanwendung durch Schiedsgerichte zur Folge hat. Hierzu sollen im Folgenden die nationalen Schiedsverfahrensrechte mit Blick auf die objektive Anknüpfung von Verträgen – insbesondere § 1051 Abs. 2 ZPO – untersucht werden (I.) um im Anschluss das Verhältnis und den Einfluss der Rom I-VO für die zukünftige Praxis unter Geltung der Verordnung darzulegen (II.). Die Untersuchung beschränkt sich dabei auf die allgemeine Kollisionsnorm zur objektiven Anknüpfung in Art. 4 Rom I-VO. I. Die objektive Anknüpfung von Verträgen nach dem nationalen Schiedsverfahrensrecht Den Ausgangspunkt für die Betrachtung der Regelungen zur objektiven Anknüpfung von Verträgen im nationalen Schiedsverfahrensrecht bildet erneut das UNCITRAL-Modellgesetz über die internationale Handelsschiedsgerichtsbarkeit. Art. 28 Abs. 2 UMG verweist zur Bestimmung des Vertragsstatuts auf das Recht, „welches das [vom Schiedsgericht] für anwendbar erachtetet Kollisionsrecht bestimmt“ und räumt dem Schiedsgericht ein weitgehendes Ermessen bei der Bestimmung des Kollisionsrechts ein. Im Wege eines „Zwei-StufenTests“ hat das Schiedsgericht zunächst alle in Betracht kommenden Kollisionsrechte auf Übereinstimmungen zu prüfen und sodann zur Anwendung zu bringen.780 Wie bereits erläutert,781 wich der deutsche Gesetzgeber im Rahmen der Novellierung des deutschen Schiedsverfahrensrechts aufgrund der angenommenen Bindung an das EVÜ bewusst vom Modellgesetz ab. Er entschied sich stattdessen, in § 1051 Abs. 2 ZPO das Recht für maßgeblich zu erklären, mit dem der „Gegenstand des Verfahrens die engste Verbindung aufweist.“ Ausweislich der umstrittenen Regierungsbegründung ist in der Verwendung des Begriffs der „engsten Verbindung“ ein Verweis auf das allgemeine Kollisionsrecht zu verstehen.782 Eine dem deutschen Recht nahezu identische Regelung findet sich in der Schweiz (Art. 187 IPRG). In Österreich folgte man dem Vorschlag des UNCITRAL-Modellgesetzes (§ 603 öZPO), in Frankreich (Art. 1511 Code de Procédure Civile) und den Niederlanden (Art. 1054 Wetboek van Burgerlijke 780 Handorn, Das Sonderkollisionsrecht der deutschen internationalen Schiedsgerichtsbarkeit, S. 112 ff. 781 Siehe Kapitel 1 – § 2.II.1. 782 Begründung des Regierungsentwurfs, BT-Drucks. 13/5274, S. 53.
§ 7 Die objektive Anknüpfung von Verträgen
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Rechtsvordering) ließ der Gesetzgeber eine unmittelbare Wahl des anwendbaren materiellen Rechts durch das Schiedsgerichte im Wege des voie directe zu. II. Der Einfluss der Rom I-VO auf die objektive Anknüpfung durch Schiedsgerichte – Art. 4 Rom I-VO Die Rom I-VO sieht in Art. 4 Rom I-VO einen ausdifferenzierten Katalog für die objektive Anknüpfung von Verträgen vor. Dies gilt im Übrigen nicht alleine im Vergleich zur rudimentären Bestimmung des § 1051 Abs. 2 ZPO, sondern auch zu Art. 4 EVÜ (und seiner Umsetzungsvorschrift in Art. 28 EGBGB a.F.): Anstelle einer Vermutungsregel nach dem Vorbild von Art. 4 Abs. 2 EVÜ hält Art. 4 Abs. 1 Rom I-VO einen Katalog von Anknüpfungen bereit, der nach Vertragstypen differenziert. Wie sich aus einer historischen und systematischen Auslegung von Art. 4 Rom I-VO ergibt, sind die Aufzählungen in Abs. 1 nicht als „starre Anknüpfungsregelungen“783 zu verstehen. Sie geben dem Gericht vielmehr ausdifferenzierte Regelanknüpfungen an die Hand, unbeschadet der Möglichkeit, diese bei Betrachtung der Gesamtumstände des Falles zugunsten einer engeren Verbindung des Vertrages zu einem anderen als dem durch die Regelanknüpfung berufenen Recht zu korrigieren. Sie bietet den Parteien Rechtssicherheit und Vorhersehbarkeit der Rechtsermittlung und gewähren zugleich richterlichen Ermessensspielraum. Diese Regelungstechnik ist auch unter rechtsökonomischen Erwägungen gegenüber einer bloßen Ermessensentscheidung vorzugswürdig, wie Rühl784 in einer ökonomischen Analyse des IPR herausgearbeitet hat.785 Im Übrigen dürften die Ergebnisse der Rechtsanwendung bei der objektiven Anknüpfung von Verträgen – ob nach nationalem Schiedsverfahrensrecht oder nach Art. 4 Rom I-VO – weitgehend parallel laufen: Die Regelanknüpfungen in Art. 4 Abs. 1 Rom I-VO sind vor dem Hintergrund des Savigny’schen Primats von der Suche nach dem Sitz des Rechtsverhältnisses (= der engsten Verbindung) zu verstehen sowie der Grundannahme, dass sich dieser im Internationalen Vertragsrecht regelmäßig am Ort der vertragscharakteristischen Leistung befindet.786 Art. 4 Abs. 2 Rom I-VO macht dies deutlich, indem bei Verträgen, die nicht von der Aufzählung in Abs. 1 erfasst sind, auf das Recht des Wohnsitzstaates derjenigen Partei verwiesen wird, welche die jeweilige vertragscharakteristische Leistung erbringt. Führt dies aus Sicht des Gerichts nicht zu befriedigenden Ergebnissen, tritt die Anknüpfung an die engste bzw. engere Verbindung in den Vordergrund. Auch das in den nationalen Schiedsverfahrensrechten gewährte, scheinbar freie schiedsrichterliche Ermessen wird allgemein dahingehend verstanden, 783 784 785 786
So jedoch Wegen, FS Kühne, S. 933, 940. Rühl, Statut und Effizienz, S. 316 ff. So auch Mankowski, ZEuP 11 (2002) 804, 815 ff. Spickhoff, in: BeckOK BGB, Art. 4 Rom I-VO, Rn. 2.
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Kapitel 3 – Konsequenzen der Bindung an die Rom I-Verordnung
dass es sachgerecht ausgeübt werden müsse und damit in der Regel zu dem Recht führe, mit dem der Gegenstand des Verfahrens die engste Verbindung aufweise.787 Dies gilt umso mehr, wenn das Kriterium der engsten Verbindung wie in § 1051 Abs. 2 ZPO bereits ausdrücklich in die Kollisionsnorm aufgenommen ist. Es spricht somit einiges dafür, dass die Verschiebung von der ermessensgeleiteten Anknüpfung des anwendbaren Kollisionsrechts hin zur Bestimmung des Sachrechts anhand eines vom Grundgedanken der engsten Verbindung geleiteten Anknüpfungskatalogs der Rom I-VO die bereits praktizierte Methodik der Schiedsgerichte nicht wesentlich verändert.788 In zwei Bereichen könnte es jedoch einen Unterschied machen, ob das Schiedsgericht bei der objektiven Anknüpfung eines Vertrages an die Rom IVO gebunden ist. Zum einen betrifft dies die Frage, ob ein Schiedsgericht das auf den Vertrag anwendbare Recht auch ohne kollisionsrechtliche Prüfung par voie directe bestimmen darf. Zum anderen stellt sich die Frage, ob das zu erkennende Schiedsgericht vor dem Hintergrund der hier postulierten Wählbarkeit nicht-staatlichen Rechts solches auch ohne eine entsprechende Ermächtigung der Parteien mittels objektiver Anknüpfung zur Anwendung bringen darf. 1. Unzulässigkeit der Bestimmung des anwendbaren Rechts im Wege des voie directe Im Rahmen des sogenannten voie directe (Direktanwendung des Sachrechts) ist das Schiedsgericht bei der Bestimmung des materiellen Sachrechts von einer kollisionsrechtlichen Prüfung befreit.789 Die kollisionsrechtliche Prüfung wird übersprungen und an die Stelle der parteiautonomen Rechtswahl tritt eine Rechtswahl durch das Schiedsgerichts.790 Die Unvereinbarkeit einer Direktanwendung des materiellen Rechts durch das Schiedsgericht, wie sie in Frankreich und den Niederlanden für zulässig erachtet wird,791 mit den Grundsätzen des europäischen IPR drängt sich nach den soeben gemachten Ausführungen auf. Abgesehen davon, dass bereits bezweifelt werden kann, ob es sich bei dem Konzept des voie directe überhaupt um eine eigenständige Methode oder ledig-
787
Sandrock, RIW 2000, 321, 323; Beulker, Die Eingriffsnormproblematik in internationalen Schiedsverfahren, S. 193; Begründung des Regierungsentwurfs, BT-Drucks. 13/5274, S. 53. 788 So auch bereits zum Verhältnis von Art. 28 Abs. 2 UMG und § 1051 Abs. 2 ZPO Handorn, Das Sonderkollisionsrecht der deutschen internationalen Schiedsgerichtsbarkeit, S. 126. 789 Schütze, FS Böckstiegel, S. 715, 719 f.; Blessing, J.Int’lArb. 14 (1) (1997) 39, 55. 790 Handorn, Das Sonderkollisionsrecht der deutschen internationalen Schiedsgerichtsbarkeit, S. 119; Blackaby/Partasides/Redfern/Hunter, International Commercial Arbitration, S. 133 f. 791 Unter anderem Lando, FS Zweigert, S. 157, 170 ff.; für unproblematisch hält dies offenbar auch Martiny, RabelsZ 79 (2015) 624 ff.
§ 7 Die objektive Anknüpfung von Verträgen
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lich um eine „verschleierte klassische kollisionsrechtliche Anknüpfung“792 verbunden mit einer Freistellung des Schiedsgerichts von der Begründungspflicht ihrer Rechtsfindung handelt,793 wäre eine tatsächliche Entbindung des Schiedsgerichts von jedweder methodischer Ermittlung des anwendbaren Rechts ein Einfallstor für gerichtliche Willkürentscheidungen.794 2. Objektive Anknüpfung nicht-staatlichen Rechts Es stellt sich jedoch die Frage, ob Schiedsgerichte im Rahmen der objektiven Anknüpfung des Vertragsstatuts auf nicht-staatliche Regelwerke zurückgreifen dürfen. Diese Frage rückt insbesondere dann in den Fokus, wenn die Wahl bestimmter nicht-staatlicher Regelwerke unter der Rom I-VO für zulässig erachtet wird. Sofern diese Möglichkeit für Rechtsordnungen für zulässig erachtet wird, die eine Sachrechtsermittlung im Wege des voie directe gestatten,795 ist unter Geltung der Rom I-VO festzuhalten: Da schon die Bestimmung des anwendbaren Sachrechts mittels voie directe nicht mit dem europäischen Kollisionsrecht vereinbar ist, scheidet eine Anknüpfung nicht-staatlichen Rechts über diesen Weg aus. Darüber hinaus spricht der Wortlaut von Art. 4 Rom I-VO de lege lata gegen eine objektive Anknüpfung nicht-staatlichen Rechts, indem in Abs. 2 und 4 vom „Recht des Staates“ die Rede ist, an welches angeknüpft wird. Geht man mit der hier vertretenen Auffassung jedoch davon aus, dass nicht-staatliches Recht in Form von engmaschigen, neutralen Prinzipienkatalogen die Qualität von staatlichem Recht erreicht, wäre die Möglichkeit einer objektiven Anknüpfung de lege ferenda wünschenswert, für die sich mit Blick auf die UNIDROITPrinzipien unter anderem Wichard ausdrücklich ausspricht.796 Relevant würde dies wohl ohnehin nur in Schiedsverfahren mit vielfältigen internationalen Bezügen, bei denen eine „engste“ Verbindung an ein staatliches Recht nur sehr schwer auszumachen ist.797 Die Zulässigkeit einer objektiven Anknüpfung von nicht-staatlichem Recht wäre darüber hinaus aus zwei Gründen konsequent: Durch sie würde das Problem gelöst werden, welches sich ergibt, wenn die Parteien eines Schiedsverfahrens keine positive Rechtswahl zugunsten eines bestimmten Rechts getroffen 792 Sandrock, RIW 2000, 321, 323; dies suggerierend auch Silberman/Ferrari, in: Conflict of Laws in International Arbitration, S. 257, 294 ff. 793 Handorn, Das Sonderkollisionsrecht der deutschen internationalen Schiedsgerichtsbarkeit, S. 120 f. 794 Lando, FS Zweigert, S. 166 spricht beim voie directe bezeichnenderweise auch von einem „no-rule approach“. 795 Fouchard/Gaillard/Goldman, Traité de l’arbitrage commercial international, S. 889 f.; Lionnet/Lionnet, Handbuch der Schiedsgerichtsbarkeit, S. 382. 796 Wichard, RabelsZ 60 (1996) 269, 291 ff. 797 Wichard, RabelsZ 60 (1996) 269, 292.
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haben, jedoch in Form einer negativen Rechtswahl vereinbart haben, dass jedenfalls nicht das Recht einer der beiden Vertragsparteien, sondern ein nicht näher bestimmtes neutrales Recht Anwendung finden soll. In dieser Konstellation stünde die Anwendung nicht-staatlicher Prinzipienkataloge wie der UNIDROITPrinzipien im Einklang mit dem Erwartungshorizont der Parteien. Sie wäre zudem eine Anerkennung des Bedürfnisses von Schiedsgerichten nach neutralen Regelwerken wie der UNIDROIT-Prinzipien.798 Darüber hinaus kann eine objektive Anknüpfung nicht-staatlicher Regelwerke nur dann sinnvoll gefordert werden, wenn sie einer Anerkennung des Schiedsspruchs durch staatliche Gerichte im Vollstreckungsstadium nicht entgegensteht. Hier ist insbesondere auf die Gefahr einer Aufhebung des Schiedsspruchs aufgrund einer unzulässigen Billigkeitsentscheidung hinzuweisen (Art. V Abs. 1 lit. d) 1. HS UNÜ; § 1059 Abs. 2 Nr. 1 lit. d) 1. HS ZPO). So werden Entscheidungen auf der Basis nichtstaatlicher Normen wie etwa der lex mercatoria oder allgemeiner Rechtsprinzipien in der Literatur zumeist Billigkeitsentscheidungen gleichgestellt.799 Entscheidungen nach Billigkeit sind jedoch – wie gesehen – nur nach ausdrücklicher Ermächtigung durch die Parteien zulässig. Einer Anfechtung des Schiedsspruchs durch eine der Parteien würde somit Vorschub geleistet. An dieser Stelle schließt sich insoweit der Kreis zu den Ausführungen zur Wahl nicht-staatlichen Rechts: Soweit man das Repertoire nicht-staatlicher Rechte auf Regelwerke beschränkt, die wie die UNIDROIT-Prinzipien oder die PECL ein umfassendes und ausgewogenes Regelwerk vorhalten und vorhersehbare Entscheidungen ermöglichen, handelt es sich bei einer Entscheidung anhand dieser Regelwerke nicht um eine Billigkeits- sondern um eine Rechtsentscheidung, wie sie vom europäischen Gesetzgeber im Rahmen der objektiven Anknüpfung gefordert wird.800 Die Zulässigkeit einer objektiven Anknüpfung nicht-staatlichen Rechts durch internationale Schiedsgerichte auf Grundlage der Rom I-VO wäre somit mit Blick auf die hier vertretene Position der Wählbarkeit nicht-staatlichen Rechts de lege ferenda wünschenswert. III. Ergebnis Für die Parteien bedeutet die Geltung von Art. 4 Rom I-VO in Schiedsverfahren ein gesteigertes Maß an Rechtssicherheit und Vorhersehbarkeit. Gleichzeitig wird die kollisionsrechtliche Flexibilität des Schiedsgerichts aufgrund der Ausweichklauseln und dem Grundsatz der engsten Verbindung im Vergleich zu den nationalen Schiedsverfahrensrechten nur unwesentlich eingeschränkt. Einer Direktanknüpfung (voie directe) des materiellen Sachrechts steht die Rom I-VO 798
Wichard, RabelsZ 60 (1996) 269, 292. Berger, Internationale Wirtschaftsschiedsgerichtsbarkeit, S. 483 ff.; Handorn, Das Sonderkollisionsrecht der deutschen internationalen Schiedsgerichtsbarkeit, S. 147 mit Verweisen auf einschlägige Rechtsprechung; Wichard, RabelsZ 60 (1996) 269, 293. 800 Vgl. Wichard, RabelsZ 60 (1996) 269, 293. 799
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jedoch entgegen. Auch eine objektive Anknüpfung nicht-staatlichen Rechts ist de lege lata nach der Rom I-VO nicht zulässig, ist jedoch in Übereinstimmung mit der postulierten Zulässigkeit einer Rechtswahl zugunsten bestimmter nichtstaatlicher Regelwerke de lege ferenda wünschenswert.
§ 8 Auswirkungen der Bindung von Schiedsgerichten an die Rom I-Verordnung auf die gerichtliche Kontrolle von Schiedssprüchen § 8 Auswirkungen der Bindung von Schiedsgerichten an die Rom I-VO
Nachdem die Konsequenzen einer Bindung an die Rom I-VO für die Rechtermittlung durch internationale Schiedsgerichte mit Blick auf die Rechtswahl, die objektive Anknüpfung von Verträgen sowie die Zulässigkeit von Billigkeitsentscheidungen näher beleuchtet wurden, soll die Anerkennung und Vollstreckung von Schiedssprüchen im Hinblick auf die Bindung an die Rom I-VO untersucht werden. Im Fokus der Betrachtungen steht die Frage, inwieweit sich die Bindung von Schiedsgerichten an die Rom I-VO auf die Anerkennung und Vollstreckung eines Schiedsspruchs auswirken kann. Besondere Bedeutung nehmen die Aufhebungs- und Vollstreckungsversagungsgründe ein: Während die obsiegende Partei möglichst rasch Klarheit über die Vollstreckbarkeit des Schiedsspruchs anstrebt, liegt es im Interesse der unterlegenen Partei, sich gegen den Schiedsspruch zu wehren und ihn einer gerichtlichen Kontrolle zu unterziehen.801 Im Folgenden werden zunächst Art und Umfang der gerichtlichen Kontrolle von Schiedssprüchen untersucht (I.), um im Anschluss daran auf die Frage einer Beeinflussung des Anerkennungs- und Vollstreckungsregimes für Schiedssprüche durch die Rom I-VO einzugehen (II.). Schließlich werden mögliche Aufhebungs- bzw. Anerkennungsversagungsgründe aufgrund einer fehlerhaften kollisionsrechtlichen Rechtsermittlung durch das Schiedsgericht skizziert (III.). I.
Art und Umfang der gerichtlichen Kontrolle von Schiedssprüchen
1. Die Unterscheidung zwischen Anerkennung, Aufhebung und Vollstreckung eines Schiedsspruchs Der Umfang der gerichtlichen Kontrolle von Schiedssprüchen ist – ausgehend vom Charakter der Schiedsgerichtsbarkeit als materielle Rechtsprechung und funktionales Äquivalent zur staatlichen Rechtsprechung – begrenzt. Die Anerkennung eines in Deutschland ergangenen Schiedsspruchs erfolgt nach dem deutschen Schiedsverfahrensrecht gemäß § 1055 ZPO ipso iure, indem der Schiedsspruch einem rechtskräftigen gerichtlichen Urteil in seinen Wirkungen 801
Vgl. Berger, Internationale Wirtschaftsschiedsgerichtsbarkeit, S. 460 ff.
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gleichgestellt wird.802 Dem Schiedsspruch kommt sowohl formelle als auch materielle Rechtskraft zu. In ähnlicher Weise verpflichtet Art. III S. 1 UNÜ (der Art. 35 UMG entspricht) die Vertragsstaaten dazu, Schiedssprüche aus anderen Vertragsstaaten als wirksam anzuerkennen und zur Vollstreckung im eigenen Hoheitsgebiet zuzulassen.803 Dies bedeutet jedoch nicht, dass Schiedssprüche schon aufgrund ihrer Anerkennung ohne weiteres vollstreckt werden können. Vielmehr hat der Schiedsspruch auf dem Weg zur Vollstreckung zwei Hürden zu nehmen: So besteht für die Parteien im Anschluss an den Erlass des Schiedsspruchs einerseits die Möglichkeit, im Erlassstaat einen gerichtlichen Antrag auf Aufhebung des Schiedsspruchs zu stellen.804 Die Zulässigkeit dieses Antrags ist im deutschen Schiedsverfahrensrecht in § 1059 Abs. 1 ZPO geregelt, der Art. 34 Abs. 1 UMG entspricht. Als „einziger wirklicher Rechtsbehelf“805 verschafft die Anfechtung der unterlegenen Partei die Möglichkeit, eine kassatorische Aufhebung des Schiedsspruchs zu erreichen und so effektiv der Gefahr einer Vollstreckung in anderen Staaten als dem Erlassstaat zu begegnen, ohne dem Vollstreckungsgläubiger in die einzelnen Vollstreckungsforen folgen zu müssen.806 Andererseits fehlt es Schiedssprüchen trotz der weitgehenden Gleichstellung mit gerichtlichen Urteilen an der eigenen Titelwirkung. So bedarf es für die Vollstreckung eines Schiedsspruchs stets einer Vollstreckbarerklärung („Exequatur“). Diese ist an die Einhaltung von Amts wegen zu prüfender Mindestanforderungen geknüpft, wie sich für inländische Schiedssprüche aus § 1060 Abs. 2 ZPO in Übereinstimmung zu Art. 36 UMG ergibt und die nach Art. V UNÜ im Wesentlichen auch für ausländische Schiedssprüche gelten. 2. Die Unterscheidung von in- und ausländischen Schiedssprüchen Das deutsche Schiedsverfahrensrecht nimmt im Hinblick auf die Anerkennung und Vollstreckung von Schiedssprüchen eine Unterscheidung von in- und ausländischen Schiedssprüchen vor und unterstellt diese unterschiedlichen Regelungsregimen. Der deutsche Gesetzgeber wich damit vom UMG ab, das einer Differenzierung von Schiedssprüchen nach ihrer Herkunft kritisch gegenüber stand. Allerdings beanspruchte das UMG bereits im Ausgangspunkt, ausschließlich Regelungen für die internationale Handelsschiedsgerichtsbarkeit bereitzuhalten und erfasst damit nationale Schiedsverfahren nicht. Wie in Kapitel 1 dargelegt, vollzog der deutsche Gesetzgeber diese „doppelte Beschränkung“ des UMG auf die internationale Handelsschiedsgerichtsbarkeit bei der Reform des 802
Geimer, IZPR, Rn. 3879. Adolphsen, in: MünchKommZPO3, Art. III UNÜ, Rn. 1. 804 Berger, Internationale Wirtschaftsschiedsgerichtsbarkeit, S. 464. 805 Münch, in: MünchKommZPO3, § 1059, Rn. 1. 806 Bühler, IPRax 1987, 253, 255; Berger, Internationale Wirtschaftsschiedsgerichtsbarkeit, S. 460. 803
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deutschen Schiedsverfahrensrechts nicht nach. Es erscheint somit sinnvoll, der Auseinandersetzung mit möglichen Aufhebungs- und Vollstreckungsversagungsgründen eine Darstellung der unterschiedlichen Vorgaben für die Anerkennung und Vollstreckung von in- und ausländischen Schiedssprüchen voranzustellen. a) Inländische Schiedssprüche Inländische Schiedssprüche sind nach dem deutschen Schiedsverfahrensrecht gemäß §§ 1025 ff. ZPO solche, bei denen der Schiedsort in Deutschland liegt. Dies ist Ausdruck des Territorialitätsprinzips.807 Anders als nach der verfahrensrechtlichen Theorie spielt es dabei keine Rolle, ob im Schiedsverfahren selbst deutsches oder ausländisches Schiedsverfahrensrecht zur Anwendung gelangt.808 Die Anerkennung und Vollstreckung von Schiedssprüchen mit Schiedsort in Deutschland richtet sich ausschließlich nach den nationalen Vorschriften, wie sich aus § 1025 Abs. 4 ZPO ergibt, der für ausländische Schiedssprüche auf § 1061 ZPO Bezug nimmt.809 Als Rechtsbehelf gegen einen inländischen Schiedsspruch sieht das deutsche Schiedsverfahrensrecht den Antrag auf gerichtliche Aufhebung gemäß § 1059 Abs. 1 ZPO vor, der eine Umsetzung von Art. 34 Abs. 1–3 UMG darstellt und sich in Bezug auf die Aufhebungsgründe weitgehend an Art. V UNÜ orientiert.810 Daneben findet im Rahmen des Vollstreckbarerklärungsverfahrens gemäß § 1060 Abs. 2 ZPO eine gerichtliche Prüfung des Schiedsspruchs von Amts wegen auf mögliche Aufhebungsgründe statt. § 1060 Abs. 2 ZPO verweist dabei auf die in § 1059 Abs. 2 ZPO genannten Aufhebungsgründe. b) Ausländische Schiedssprüche Ausländische Schiedssprüche sind solche, die in einem anderen Staat als dem ergangen sind, in dem um Anerkennung bzw. Vollstreckung nachgesucht wird.811 Ihre Anerkennung und Vollstreckung regelt grundsätzlich das UNÜ, auf das das deutsche Schiedsverfahrensrecht in § 1061 Abs. 1 ZPO ausdrücklich verweist. Das dem Schiedsverfahren zu Grund liegende Verfahrensrecht ist irrelevant. Entscheidend ist alleine der Ort des Schiedsverfahrens, wie sich aus Art. 1 Abs. 1 S. 1 UNÜ ergibt. Die Aufhebungsgründe für Schiedssprüche sind ab807
Siehe hierzu die Ausführungen zur Frage der lex fori internationaler Schiedsgerichte in Kapitel 1 – § 1. 808 Geimer, IZPR, Rn. 3897; Münch, in: MünchKommZPO3, § 1061, Rn. 7 f. 809 Zum lediglich klarstellenden Charakter von § 1025 IV ZPO sowie der darin „recht unbeholfen“ vorgenommenen Komplettverweisung auf den gerichtlichen Verfahrensgang des 9. Abschnitts (§§ 1062–1065 ZPO) siehe Münch, in: MünchKommZPO3, § 1025, Rn. 20. 810 Münch, in: MünchKommZPO3, § 1059, Rn. 3. 811 Adolphsen, in: MünchKommZPO3, Art. I UNÜ, Rn. 8.
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schließend in Art. V UNÜ aufgeführt, der inhaltlich mit den Vorschriften des Art. 34, 36 UMG zur Aufhebung und Vollstreckung von Schiedssprüchen und damit weitgehend auch mit § 1059 ZPO übereinstimmt.812 3. Das Verbot der révision au fond Grundsätzlich unterliegt ein Schiedsspruch keiner Inhaltskontrolle durch das Vollstreckungsgericht.813 Es gilt insoweit der Grundsatz des Verbots einer révision au fond. Dieser soll eine exzessive Anfechtung von Schiedssprüchen verhindern und eine effektive Durchsetzung des im Erkenntnisverfahren erlangten Schiedsspruchs sichern.814 Im Ergebnis ist daher eine Überprüfung der materiellen Rechtsanwendung des Schiedsgerichts nicht statthaft. Da es sich bei den Normen des IPR um materielles Recht handelt, ist die kollisionsrechtliche Rechtsfindung durch das Schiedsgericht Teil der materiellen Rechtsanwendung. Sie unterliegt damit im Grundsatz ebenfalls keiner Nachprüfung durch das Aufhebungs- oder Vollstreckungsgericht.815 Ausnahmen sollen nach vereinzelten Ansichten dann gelten, wenn es dem Schiedsspruch an einer plausiblen Begründung für die Anwendung und Auslegung der angewendeten gesetzlichen Normen oder des Vertrages in „grob anstößiger“ Weise mangelt oder das Schiedsgericht das anzuwendende Recht in einer Weise auslegt, die dem „Gepräge“ dieses Rechts nicht mehr entspricht.816 In diese Richtung gehend sieht auch das englische Schiedsverfahrensrecht in Sec. 69 des Arbitration Act 1996 eine Aufhebung des Schiedsspruchs aus inhaltlichen Gründen vor, wenn die Entscheidung des Schiedsgerichts „obviously wrong“ oder „open to serious doubt“ ist.817 Diese Fallgruppen scheinen insbesondere das Ziel zu verfolgen, dem Risiko „verschleierter“ Billigkeitsentscheidungen durch das Schiedsgericht und der Gefahr von Willkürentscheidungen zu begegnen. Dies sollte jedoch nicht auf der Ebene einer inhaltlichen Überprüfung des Schiedsspruchs, sondern im Rahmen einer möglichen Kompetenzüberschreitung des Schiedsgerichts erörtert werden. In diese Richtung geht etwa ein Urteil des US Supreme Court aus dem Jahr 2010, indem er die Aufhebung eines Schiedsspruchs auf eine Kompetenzüberschreitung des Schiedsgerichts stützte, da dieses es aus Sicht des Gerichts 812
Münch, in: MünchKommZPO3, § 1061, Rn. 11. Geimer, IZPR, Rn. 3909; Münch, in: MünchKommZPO3, § 1059, Rn. 7; Berger, Internationale Wirtschaftsschiedsgerichtsbarkeit, S. 478 mit umfangreichen weiteren Nachweisen. 814 Silberman/Ferrari, in: Conflict of Laws in International Arbitration, S. 257, 311. 815 Siehe nur Born, International Commercial Arbitration, S. 2151; dies hat in einer jüngeren Entscheidung auch das englische House of Lords entgegen der Entscheidung der Vorinstanz noch einmal festgestellt, Lesotho Highlands [2005] U.K.H.L. 43, [2006] 1 A.C. 221. 816 Berger, Internationale Wirtschaftsschiedsgerichtsbarkeit, S. 478 f. mit Verweis auf Schnyder, IPRax 1990, 60, 62; Aden, RIW 1984, 934, 937. 817 Harris/Planterose/Tecks, The Arbitration Act 1996, S. 308; Trappe, SchiedsVZ 2015, 235, 237. 813
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versäumt hatte „any meaningful choice-of-law analysis“ vorzunehmen und „own policy preferences“ anstelle einer kollisionsrechtlichen Prüfung zur Begründung des anwendbaren Rechts heranzog.818 Zudem besteht die Gefahr, das Verbot der révision au fond durch eine Zulassung von Ausnahmen auszuhöhlen, da eine Überprüfung der Rechtsanwendung durch das Schiedsgericht anhand des „Gepräges“ der angewandten Rechtsordnung nur mittels einer eingehenden Auseinandersetzung mit der jeweiligen Rechtsordnung möglich ist und somit letztlich doch auf eine inhaltliche Kontrolle des Schiedsspruchs hinausläuft.819 Es bleibt also dabei, dass alleine eine inhaltlich fehlerhafte Anwendung des Kollisionsrechts die Aufhebung oder Versagung der Vollstreckung eines Schiedsspruchs nicht zu begründen vermag. II. Kein Durchgreifen der Rom I-Verordnung auf die Anerkennung und Vollstreckung von Schiedssprüchen Aus dem Anwendungswillen der Rom I-VO auf die Schiedsgerichtsbarkeit ließe sich schließen, dass diese auch im Rahmen der gerichtlichen Überprüfung von Schiedssprüchen Bedeutung erlangen müsse. So wirft etwa Grimm die Frage auf, ob aus dem Grundsatz der effektiven Durchsetzung des Unionsrechts folgt, dass dieser auch auf die Ebene der Anerkennung und Vollstreckung von Schiedssprüchen ausstrahlt.820 Nimmt man dies an, hätte dies eine Ergänzung der hergebrachten nationalen wie internationalen Anerkennungs- und Vollstreckungsregime für Schiedsgerichte in der EU zu Folge: Die soeben skizzierten Regeln für die Anerkennung und Vollstreckung in- und ausländischer Schiedssprüche müssten im Hinblick auf Schiedssprüche innerhalb der EU um einen Aufhebungsgrund ergänzt werden, welcher die Missachtung des europäischen Kollisionsrechts für eine Aufhebung bzw. Versagung der Vollstreckung durch staatlichen Gerichte innerhalb der EU für beachtlich erklärt. Diese Überlegung ist hingegen aus zwei Gründen problematisch: So kann bezweifelt werden, dass sich aus der Rom I-VO eine Wille zur Durchsetzung im Vollstreckungsverfahren herleiten lässt. Vielmehr stellen die kollisions- und vollstreckungsrechtliche Ebene im Unionsrecht zwei getrennte Regelungsbereiche dar, wie sich etwa aus dem Zusammenspiel der europäischen Kollisionsrechtsvereinheitlichung mit der EuGVVO ableiten lässt. Die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen folgt einem gesonderten Regime, sodass die kollisionsrechtliche Entscheidung des Ursprungsgerichts keiner inhaltlichen Nachprüfung zugänglich ist. Daneben würde ein „Durchgriff“ der Rom I-VO 818 Stolt-Nielsen SA v. Animal Feeds International Corp., 2010 WL 1655826; siehe hierzu auch Silberman/Ferrari, in: Conflict of Laws in International Arbitration, S. 257, 311. 819 Berger, Internationale Wirtschaftsschiedsgerichtsbarkeit, S. 479; in diese Richtung auch Grimm, SchiedsVZ 2012, 189, 196. 820 Grimm, SchiedsVZ 2012, 189, 197.
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auf die Ebene der Anerkennung und Vollstreckung von Schiedssprüchen im Widerspruch zu den internationalen Verpflichtungen der Mitgliedstaaten der EU aus dem UNÜ stehen.821 Wie skizziert, stand die Abgrenzung des europäischen Kollisionsrechts zu den durch das UNÜ eingegangenen völkerrechtlichen Verpflichtungen zur Anerkennung und Vollstreckung ausländischer Schiedssprüche im Fokus des europäischen Gesetzgebers. Hieraus lässt sich die Ausnahme der „Schiedsgerichtsbarkeit“ in der EuGVVO genauso wie diejenige für „Schiedsvereinbarungen“ in der Rom I-VO erklären. Der Unionsgesetzgeber wollte also die Anwendung des europäischen Kollisionsrechts nicht vollständig vollstreckungsrechtlich absichern, sondern allenfalls die Beachtung einiger gesonderter Anknüpfungsentscheidungen zum Gegenstand einer gerichtlichen Kontrolle innerhalb des Anerkennungs- und Vollstreckungsmechanismus machen. Auf diese soll nun näher eingegangen werden. III. Aufhebungs- und Vollstreckungsversagungsgründe Wie gezeigt, ergeben sich aus den unterschiedlichen Vorgaben für die Anerkennung und Vollstreckung von in- und ausländischen Schiedssprüchen keine wesentlichen inhaltlichen Abweichungen.822 Die in Betracht kommenden Aufhebungs- und Vollstreckungsversagungsgründe in der ZPO sowie dem UNÜ können somit einer gemeinsamen Untersuchung unterzogen werden. Bei der Untersuchung der Frage, welche Auswirkungen eine fehlerhafte kollisionsrechtliche Prüfung durch das Schiedsgericht auf die Anfechtbarkeit bzw. Vollstreckung eines Schiedsspruchs zeitigen können, ist vom dargestellten Grundsatz des Verbots der révision au fond auszugehen. Ausnahmen könnten sich mit Blick auf die kollisionsrechtliche Prüfung ergeben, wenn in der fehlerhaften kollisionsrechtlichen Prüfung durch das Schiedsgericht ein zur Anfechtung berechtigender Verfahrensfehler läge. Dies setzt wiederum eine Qualifikation der kollisionsrechtlichen Vorschriften als Verfahrensrecht an. Die Missachtung der Rom I-VO durch ein Schiedsgericht könnte darüber hinaus in Einzelfällen im Zusammenspiel mit dem durch die Verordnung berufenen Sachrecht als ordre public-Verstoß zu qualifizieren sein. Schließlich könnte eine fehlerhafte kollisionsrechtliche Prüfung dann zur Aufhebung und Versagung der Vollstreckung eines Schiedsspruchs führen, wenn das Schiedsgericht in Überschreitung seiner Kompetenzen aus der Schiedsvereinbarung handelte. Dem kann insbesondere für die Fälle Relevanz zukommen, in denen das Schiedsgericht die zulässige Ausübung der Parteiautonomie missachtet hat, ohne Ermächtigung einen Billigkeitsentscheid getroffen oder im Rahmen der objektiven Anknüpfung bewusst vom zugrunde liegenden Kollisionsrecht abgewichen ist.
821 822
So im Ergebnis auch Grimm, SchiedsVZ 2012, 189, 199 f. So auch Münch, in: MünchKommZPO3, § 1061, Rn. 11.
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1. Verfahrensfehler – Art. V Abs. 1 lit. d) 3. Var. UNÜ/ § 1059 Abs. 2 Nr. 1 lit. d) 2. Var. ZPO Zu untersuchen ist, ob eine fehlerhafte kollisionsrechtliche Prüfung durch ein Schiedsgericht einen Verfahrensfehler nach Art. V Abs. 1 lit. d) 2. Var. UNÜ bzw. § 1059 Abs. 2 Nr. 1 lit. d) 2. Var. ZPO darstellt, der zur Aufhebung des Schiedsspruchs führt. Dies würde bedeuten, die kollisionsrechtliche Prüfung durch das Schiedsgericht als verfahrensrechtlich zu qualifizieren. Das ist, wie an anderer Stelle bereits erörtert, schon deshalb nicht zutreffend, weil die kollisionsrechtliche Prüfung Teil der materiellen Rechtsfindung durch das Schiedsgericht ist.823 Zwar liegt Art. V Abs. 1 lit. d) UNÜ wie auch § 1059 Abs. 2 Nr. 1 lit. d) ZPO ein weiter Verfahrensbegriff zugrunde, sodass etwa auch ein Verstoß gegen die Pflicht zur inhaltlichen Begründung des Schiedsspruchs einen Verfahrensfehler darstellt.824 Allerdings ist im Hinblick auf das UNÜ darauf hinzuweisen, dass dessen Verfasser die Frage des anwendbaren materiellen Rechts insgesamt unberührt lassen wollten.825 Die von einigen Autoren826 ins Feld geführte Überlegung, mittels einer weiten Auslegung des Begriffs des „schiedsrichterliche[n] Verfahren[s]“ in Art. V Abs. 1 lit. d) UNÜ hiervon auch die kollisionsrechtliche Prüfung zu erfassen, scheitert im Ergebnis an systematischen Erwägungen zum UNÜ: So enthalten Art. V Abs. 1 lit. d) UNÜ sowie Art. V Abs. 1 lit. e) UNÜ eine Unterscheidung zwischen einer Anknüpfung an das schiedsgerichtliche Verfahren sowie an den Schiedsspruch.827 Aus dieser Trennung lässt sich ableiten, dass der Begriff des „schiedsrichterliche[n] Verfahren[s]“ in Art. V Abs. 1 lit. d) UNÜ nicht das gesamte Verfahren einschließlich des zu erlassenen Schiedsspruchs meint, da ansonsten für Art. V Abs. 1 lit. e) UNÜ kein Raum bliebe. Während das schiedsgerichtliche Verfahren der parteiautonomen Gestaltungsfreiheit der Parteien unterliegt, ist der Schiedsspruch dem nationalen Recht unterworfen. Die Bestimmung des anwendbaren Rechts ist dem Bereich des Schiedsspruchs zuzuordnen.828 Hier hat nach Art. V Abs. 1 lit. e) UNÜ das nationale Recht über das Ausmaß der Freiheit der Parteien zur Bestimmung des anwendbaren Rechts zu befinden. Aus dem UNÜ geht selbst keine Regelung hervor. Zutreffender und in Einklang mit 823 Siehe in Kapitel 2 – § 4.II.4.; mit Blick auf die Frage der Vollstreckung auch Grimm, SchiedsVZ 2012, 189, 195 f. 824 Schwab/Walter, Schiedsgerichtsbarkeit, Kap. 54, Rn. 4; Münch, in: MünchKommZPO3, Art. V UNÜ, Rn. 52. 825 Ungeheuer, Die Beachtung von Eingriffsnormen in der internationalen Handelsschiedsgerichtsbarkeit, S. 57. 826 v. Hoffmann, Internationale Handelsschiedsgerichtsbarkeit, S. 118 f.; Klein, ZZP 76 (1963) 342, 352 sowie Bertheau, Das New Yorker Abkommen vom 10. Juni 1958, S. 89 f., die im Ergebnis jedoch allesamt zu einer ablehnenden Meinung gelangen. 827 v. Hoffmann, Internationale Handelsschiedsgerichtsbarkeit, S. 118. 828 v. Hoffmann, Internationale Handelsschiedsgerichtsbarkeit, S. 118; Ungeheuer, Die Beachtung von Eingriffsnormen in der internationalen Handelsschiedsgerichtsbarkeit, S. 57.
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Kapitel 3 – Konsequenzen der Bindung an die Rom I-Verordnung
der Rechtsprechung zu dieser Frage ist es damit, in der fehlerhaften kollisionsrechtlichen Bestimmung des anwendbaren Rechts durch das Schiedsgericht einen Anknüpfungspunkt für eine Kompetenzüberschreitung durch das Schiedsgericht gemäß Art. V Abs. 1 lit. c) 1. HS, 3. Var. UNÜ zu erkennen.829 Darüber hinaus scheint der deutsche Gesetzgeber diesen Umstand gesehen zu haben, indem er im Zuge der Reform des Schiedsverfahrensrechts einen neuen Aufhebungsgrund in § 1059 Abs. 2 Nr. 1 lit. c) 1. HS, 3. Var. ZPO geschaffen hat, der nunmehr in bestimmten Fällen eine materielle Kompetenzüberschreitung des Gerichts durch fehlerhafte Anwendung der kollisionsrechtlichen Normen erfasst.830 Damit ist auch die Rechtsprechung des BGH, der eine Kompetenzüberschreitung des Schiedsgerichts noch als Verfahrensfehler im Sinne des § 1041 Abs. 1 Nr. 1, 2. Var. ZPO a.F. und damit der Vorgängervorschrift zum heutigen § 1059 Abs. 2 Nr. 1 lit. d) ZPO qualifizierte, nunmehr unter § 1059 Abs. 2 Nr. 1 lit. c) 1. HS, 3. Var. ZPO zu verorten. 831 Dieser lässt sich damit von den in § 1059 Abs. 2 Nr. 1 lit. d) ZPO erfassten (auf § 1041 Abs. 1 Nr. 1, 2. Var. ZPO a.F. beruhenden) Verfahrensfehlern unterscheiden.832 2. Ordre public-Verstoß – Art. V Abs. 2 lit. b) UNÜ bzw. § 1059 Abs. 2 Nr. 2 lit. b) ZPO Des Weiteren ließe sich erwägen, die zwingende Beachtung des europäischen Kollisionsrechts durch Schiedsgerichte im Wege einer von Amts wegen zu erfolgenden ordre public-Kontrolle nach Art. V Abs. 2 lit. b) UNÜ bzw. § 1059 Abs. 2 Nr. 2 lit. b) ZPO durchzusetzen. Dies würde allerdings bedeuten, die Rom I-VO als solche zum ordre public zu erklären, sodass jede Missachtung der darin enthaltenen Anknüpfungen zu einer Aufhebung des Schiedsspruchs berechtigen könnte.833 Im Gegensatz zur Beachtung von Eingriffsnormen durch Schiedsgerichte, welche der EuGH etwa in den Entscheidungen Eco Swiss, Mostaza Claro und Asturcom festgeschrieben hat,834 würde dies einen fundamentalen Bruch der hergebrachten Systematik der Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen bedeuten. Das Verbot der révision au fond würde ausgehöhlt, da zur Feststellung eines so definierten ordre public-Verstoßes eine vollumfängliche inhaltliche Überprüfung des Schiedsgerichts im Hinblick auf die kollisionsrechtliche Prüfung erfolgen müsste. Zudem setzt ein Verstoß gegen 829 Silberman/Ferrari, in: Conflict of Laws in International Arbitration, S. 257, 310 mit Verweis auf die Entscheidung in Ministry of Defense and Support of the Armed Forces of the Islamic Republic of Iran v. Cubic Defense Systems, Inc., 29 F. Supp. 2d 1168 (S.D. Cal. 1998). 830 Münch, in: MünchKommZPO3, § 1059, Rn. 20; Handorn, Das Sonderkollisionsrecht der deutschen internationalen Schiedsgerichtsbarkeit, S. 150. 831 BGH 26.9.1986 – III ZR 16/84, NJW 1986, 1436, 1437. 832 Münch, in: MünchKommZPO3, § 1059, Rn. 32. 833 Zu dieser Überlegung Grimm, SchiedsVZ 2012, 189, 196. 834 Siehe hierzu oben unter Kapitel 3 – § 5.II.3.b).
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den orde public nach allgemeinem Verständnis voraus, dass der Schiedsspruch im Ergebnis der öffentlichen Ordnung des Anerkennungsstaates widerspricht.835 Dies kann jedoch nur im Zusammenhang mit dem aufgrund des Kollisionsrechts zur Anwendung gelangten Sachrecht erfolgen, etwa weil hierdurch – wie in der Eco Swiss-Entscheidung – zwingende kartellrechtliche Vorgaben des Unionsrechts außer Betracht blieben. Die abstrakte Missachtung des europäischen Kollisionsrechts als Verstoß gegen den ordre public, ist damit nicht zu vereinbaren.836 Nichtsdestotrotz sind in einzelnen Bereichen Verstöße gegen den ordre public aufgrund eines Zusammenspiels der Missachtung der kollisionsrechtlichen Vorgaben der Rom I-VO und des durch die Rom I-VO anwendbaren Sachrechts denkbar, wie der EuGH im Rahmen seiner Rechtsprechung zur Geltung von Eingriffsnormen in Schiedsverfahren anerkannt hat.837 Neben der Beachtung von Eingriffsnormen durch Schiedsgerichte spricht vieles dafür, die Begrenzung der Rechtswahlfreiheit aus Art. 3 Abs. 3 Rom I-VO in reinen Inlandsachverhalten in den Rang eines europäischen ordre public heben. In Verbindung mit den jeweiligen einfach-zwingenden Vorschriften am Sitz der Parteien ließe sich mit Blick auf das Kollisionsrecht eine zwingende Durchsetzung im Anerkennungs- und Vollstreckungsverfahren folgern. 3. Überschreitung der materiellen Entscheidungskompetenz – Art. V Abs. 1 lit. c) 1. HS, 3. Var. UNÜ/§ 1059 Abs. 2 Nr. 1 lit. c) 1. HS, 3. Var. ZPO Während die ordre public-Kontrolle von Amts wegen zu erfolgen hat, bietet sich den Parteien eine Möglichkeit, die kollisionsrechtliche Prüfung des Schiedsgerichts in Fällen der Überschreitung der materiellen Entscheidungskompetenz einer gerichtlichen Überprüfung zu unterziehen. So ist ein Schiedsspruch gemäß Art. V Abs. 1 lit. c) 1. HS, 3. Var. UNÜ bzw. § 1059 Abs. 2 Nr. 1 lit. c) 1. HS, 3. Var. ZPO aufzuheben, wenn er „Entscheidungen enthält, welche die Grenzen der Schiedsvereinbarung überschreiten“ und eine Partei dies geltend macht. Die Schiedsvereinbarung definiert durch ihre Vorgaben für das anzuwendende Verfahrens- und Sachrecht verbindlich die Entscheidungsbefugnis des Schiedsgerichts.838 Die Rom I-VO (sowie die nationalen Schiedsverfahrensrechte, soweit diese nicht mit der Rom I-VO kollidieren) ist Ausdruck und Grundlage der schiedsvertraglich eingeräumten „materiellen Kompetenz“ zur Streitentscheidung durch das Schiedsgericht.839 Ein Aufhebungsgrund nach Art. V Abs. 1 lit. c) 1. HS, 3. Var. UNÜ bzw. § 1059 Abs. 2 Nr. 1 lit. c) 1. HS, 835
Münch, in: MünchKommZPO3, § 1059, Rn. 41. So auch Grimm, SchiedsVZ 2012, 189, 197 f. 837 Siehe ebenfalls hierzu oben unter Kapitel 3 – § 5.II.3.b). 838 Hausmann, FS Stoll, S. 593, 600, Handorn, Das Sonderkollisionsrecht der deutschen internationalen Schiedsgerichtsbarkeit, S. 150. 839 Münch, in: MünchKommZPO3, § 1059, Rn. 20; Berger, Internationale Wirtschaftsschiedsgerichtsbarkeit, S. 480. 836
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3. Var. ZPO liegt damit vor, wenn das Schiedsgericht bei der Ermittlung des anwendbaren Sachrechts die Grenzen überschreitet, die ihm durch die Schiedsvereinbarung auferlegt wurden. Die kollisionsrechtliche Prüfung durch das Schiedsgericht rückt damit in den Fokus der Frage der Vollstreckbarkeit eines Schiedsspruchs, die Bindung des Schiedsgerichts an die Vorgaben des Kollisionsrechts seines Forums wird vollstreckungsrechtlich abgesichert. Mittelbar lässt sich die Bindung an die Rom I-VO somit durchsetzen, indem auf Antrag einer der Parteien die Beachtung einer Rechtswahl oder die Einhaltung der kollisionsrechtliche Vorgaben der objektiven Anknüpfung durch das Schiedsgericht zur Überprüfung gestellt werden. a) Beachtung der Grenzen der Parteiautonomie Treffen die Parteien im Rahmen der Schiedsvereinbarung eine Rechtswahl und weicht das Schiedsgericht von dieser Vereinbarung bewusst ab, liegt darin im Einklang mit den soeben gemachten Ausführungen grundsätzlich eine Überschreitung der materiellen Entscheidungskompetenz des Gerichts und damit ein Aufhebungsgrund nach § 1059 Abs. 2 Nr. 1 lit. c) 1. HS, 3. Var. ZPO.840 Mit Blick auf Art. V Abs. 1 lit. c) 1. HS, 3. Var. UNÜ formulierte der finnische oberste Gerichtshof in einer Entscheidung aus dem Jahr 2008: „Arbitrators exceed their authority, for example, [when] they do not comply with the parties` agreement of the law.“841 Auch nach im französischen und englischen Schiedsverfahrensrecht führt eine Missachtung der Rechtswahl durch das Schiedsgericht zu einer Aufhebung des Schiedsspruchs.842 Dies bedeutet jedoch nicht, dass das Schiedsgericht in jedem Fall an die Rechtswahl der Parteien gebunden ist und in jeder Abweichung eine Kompetenzüberschreitung durch das Gericht liegt: Vielmehr hat das Gericht bei einer Bindung an die Rom I-VO die Grenzen der Rechtswahl zu beachten. In Übereinstimmung mit Silberman/Ferrari sind dabei „legitimate reasons“ denkbar, aufgrund derer das Schiedsgericht die Rechtswahl nicht befolgen muss.843 Neben der Beachtung von Eingriffsnormen sowie anderer zwingender Normen, die im Einzelfall eine Aufhebung des Schiedsspruchs wegen Verstoßes gegen den ordre public rechtfertigen können, muss die Rechtswahl der Parteien überhaupt zulässig sein, sich also im Rahmen der wählbaren Rechte befindet. Die Schiedsvereinbarung und die darin enthaltene Rechtswahl kann nur insoweit für das Schiedsgericht bindende Wirkung entfalten, soweit sie nicht gegen höherrangiges zwingendes Recht verstößt. Vereinbaren die Parteien eines Schiedsverfahrens mit Sitz innerhalb der EU etwa die Anwendung nicht-staatlichen Rechts und ließe das Schiedsgericht diese 840
Adolphsen, in: MünchKommZPO3, Art. V UNÜ, Rn. 41; Handorn, Das Sonderkollisionsrecht der deutschen internationalen Schiedsgerichtsbarkeit, S. 152. 841 Finnischer Oberster Gerichtshof, Urteil v. 2.7.2008 – S2006/715. 842 Siehe dazu Grimm, SchiedsVZ 2012, 189, 194. 843 Silberman/Ferrari, in: Conflict of Laws in International Arbitration, S. 257, 312.
§ 8 Auswirkungen der Bindung von Schiedsgerichten an die Rom I-VO
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Wahl aufgrund der unter der Rom I-VO de lege lata bestehenden Unzulässigkeit der Wahl nicht-staatlichen Rechts unberücksichtigt, liefe ein Aufhebungsantrag aufgrund einer Kompetenzüberschreitung des Schiedsgerichts nach Art. V Abs. 1 lit. c) 1. HS, 3. Var. UNÜ bzw. § 1059 Abs. 2 Nr. 1 lit. c) 1. HS, 3. Var. ZPO ins Leere.844 Dies ist anders zu beurteilen, geht man de lege ferenda von einer Öffnung der Rom I-VO für einen begrenzten Kreis nicht-staatlicher Rechte aus. b) Kompetenzüberschreitungen bei Billigkeitsentscheidungen und objektiver Anknüpfung Im Rahmen der objektiven Anknüpfung des Schuldvertragsstatuts durch das Schiedsgericht stellt sich die Situation ähnlich dar: So wird für das deutsche Vollstreckungsregime unter anderen durch Münch ein Verstoß gegen die materielle Entscheidungskompetenz des Schiedsgerichts angenommen, wenn das Schiedsgericht das anwendbare Recht unter Missachtung der Anknüpfungskriterien aus § 1051 Abs. 2 ZPO bestimmt hat.845 Aufgrund des Vorrangs der Rom IVO vor den nationalen Kollisionsnormen ließe sich diese Sichtweise auf die Anknüpfungen aus Art. 4 ff. Rom I-VO übertragen. Im Ergebnis bildet damit ein Verstoß gegen die Vorgaben des zugrunde liegenden Kollisionsrechts einen Aufhebungsgrund. Die Anwendung der Rom I-VO durch die Schiedsgerichte wäre damit vollstreckungsrechtlich abgesichert.846 Dies wirkt sich vor allem dann aus, wenn die nationalen Kollisionsnormen die Bestimmung des anwendbaren Rechts im Wege des voie directe zulassen. Hierin läge eine unzulässige Kompetenzüberschreitung, welche zur Aufhebung bzw. Versagung der Vollstreckung führte. Schließlich ist auch im Rahmen der objektiven Anknüpfung die Frage des Kreises der anknüpfbaren Rechte umstritten. Während unter Geltung der Rom I-VO eine Anknüpfung des Vertragsstatuts an nicht-staatliches Recht unzulässig ist, halten einige Autoren eine objektive Anknüpfung nichtstaatlichen Rechts durch Schiedsgerichte für zulässig, während die überwiegende Ansicht dies mit Verweis auf die Gefahr von Willkürentscheidungen und die Nähe zum Billigkeitsentscheid nicht zulassen will.847 Unter der Rom I-VO jedenfalls gilt: Wendet das Schiedsgericht bei fehlender Rechtswahl nicht-staatliches Recht an, begründet dies eine Kompetenzüberschreitung, die zur Anfechtung des Schiedsspruchs berechtigt.848 844 So auch Schilf, RIW 2013, 678, 682 f., der dieses Ergebnis im Hinblick auf die Verfahrensautonomie der Parteien kritisiert. 845 Münch, in: MünchKommZPO3, § 1059, Rn. 20; Junker, FS Sandrock, S. 443, 447; Lepschy, § 1051 ZPO – Das anwendbare materielle Recht in internationalen Schiedsverfahren, S. 211 ff. 846 Dagegen zuletzt ausführlich Grimm, SchiedsVZ 2012, 189 ff. 847 Für einen Überblick siehe Münch, in: MünchKommZPO3, § 1051, Rn. 37, 60. 848 Adolphsen, in: MünchKommZPO3, Art. V UNÜ, Rn. 40; Gottwald, FS Nagel, S: 54, 64 ff.
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c) Bewusste Missachtung der kollisionsrechtlichen Vorgaben/ Ergebniswirkung Einschränkend ist sowohl im Hinblick auf eine Missachtung der Rechtswahl als auch die objektive Anknüpfung erforderlich, dass das Gericht in bewusster Missachtung der kollisionsrechtlichen Vorgaben gehandelt hat.849 Eine lediglich irrtümlich fehlerhafte Anwendung der kollisionsrechtlichen Vorschriften ist für eine Aufhebung nicht ausreichend, sodass eine fehlerhafte Bestimmung etwa der engsten Verbindung bzw. des Ortes der vertragscharakteristischen Leistung erst dann eine sanktionsbewährte Kompetenzüberschreitung darstellt, wenn das Gericht die Streitigkeit willkürlich einer Rechtsordnung unterstellt, die keinerlei Beziehung zum Sachverhalt aufweist oder sonst grundlegende kollisionsrechtliche Prinzipien verkennt.850 So liegt es auch bei der Rechtswahl, wenn sich das Schiedsgericht irrtümlich nicht an die von den Parteien getroffene Rechtswahl gebunden fühlt, etwa weil es davon ausgeht, den Parteien stehe kein Wahlrecht zu oder die Rechtswahl aus anderen Gründen unzulässig sei. Hierin liegt keine Kompetenzüberschreitung des Gerichts, sondern vielmehr eine falsche Anwendung des zugrunde liegenden Kollisionsrechts, die nach dem bereits angeführten Grundsatzes des Verbots der révision au fond nicht überprüfbar ist.851 Schließlich ist in Analogie zu § 1059 Abs. 2 Nr. 1 lit. d) ZPO für die Aufhebung bzw. Versagung der Vollstreckung des Schiedsspruchs zumindest für die Fälle der objektiven Anknüpfung eine Ergebniswirkung der fehlerhaften kollisionsrechtlichen Prüfung des Schiedsgerichts erforderlich.852 IV. Ergebnis Die fehlerhafte kollisionsrechtliche Ermittlung des anwendbaren Rechts durch das Schiedsgericht bietet grundsätzlich keinen Grund für die Aufhebung bzw. die Versagung der Anerkennung und Vollstreckung eines Schiedsspruchs. Dies wäre anders zu beurteilen, wenn man annähme, dass das europäische Kollisionsrecht von sich heraus seine zwingende Durchsetzung forderte und die natio-
849
So auch Hausmann, in: Reithmann/Martiny, Internationales Vertragsrecht, Rn. 8.434. Spickhoff, RabelsZ 56 (1992) 116, 136 f.; Hausmann, FS Stoll, S. 593, 601; Kronke, RIW 1998, 257, 262; Handorn, Das Sonderkollisionsrecht der deutschen internationalen Schiedsgerichtsbarkeit, S. 153. 851 Gottwald, FS Nagel, S. 54, 62; Sandrock, JZ 1986, 370, 374; Adolphsen, in: MünchKommZPO3, Art. V UNÜ, Rn. 41; Hausmann, in: Reithmann/Martiny, Internationales Vertragsrecht, Rn. 8.434. 852 Nach Ansicht von Grimm, SchiedsVZ 2012, 189, 194, liegt in der Missachtung der Rechtswahl der Parteien aufgrund des darin begründeten Verstoßes gegen den fundamentalen Grundsatz der Parteiautonomie unabhängig von der Ergebniswirkung stets ein Grund zur Rüge des Schiedsspruchs; zur Ergebniswirkung siehe Münch, in: MünchKommZPO3, § 1059, Rn. 33 ff. 850
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nalen Anerkennungs- und Vollstreckungsregime verdrängt.853 Dies lässt sich allerdings mit der allgemeinen Systematik des europäischen Kollisionsrechts nicht in Übereinstimmung zu bringen, wonach die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen eigenen Regeln folgt. Ein „Durchgriff“ der Rom IVO auf die Ebene der Anerkennung und Vollstreckung von Schiedssprüchen lässt sich mit dem Willen des Verordnungsgebers und der Grundkonzeption der Verordnung nicht vereinbaren, sodass es bei der Maßgabe der nationalen Schiedsverfahrensrechte in Verbindung mit dem UNÜ bleibt. Im Widerspruch zur allgemein anerkannten Systematik der gerichtlichen Überprüfung von Schiedssprüchen (Verbot der révision au fond) steht auch die Überlegung, die Beachtung des Kollisionsrechts insgesamt als Teil des ordre public zu begreifen und damit jede Missachtung durch ein Schiedsgericht als Grund für eine Aufhebung nach Art. V Abs. 2 lit. b) UNÜ bzw. § 1059 Abs. 2 Nr. 2 lit. b) ZPO ausreichen zu lassen. Aufgrund der gegenseitigen Beeinflussung der Vorgaben von UNÜ und UMG sowie deren Übernahme in die nationalen Schiedsverfahrensrechte, sind die Voraussetzungen für eine Anerkennung und Vollstreckung im Hinblick auf die Unterscheidung von in- und ausländischen Schiedssprüchen nahezu identisch. Grundsätzlich gilt bei der gerichtlichen Überprüfung im Schiedsverfahrensrecht – wie auch bei der gerichtlichen Überprüfung staatlicher Urteile – das Verbot der révision au fond, sodass eine inhaltlich fehlerhafte kollisionsrechtliche Prüfung durch das Schiedsgericht nur in den Ausnahmefällen eines ordre public-Verstoßes Einfluss auf die Anerkennung und Vollstreckbarkeit zeitigt. Darüber hinaus ist nur eine bewusste und willkürliche Missachtung der einschlägigen Kollisionsnormen Anlass zur Aufhebung des Schiedsspruchs. Deren Beachtung durch das Schiedsgericht wird über Art. V Abs. 1 lit. c) 1. HS, 3. Var. UNÜ bzw. § 1059 Abs. 2 Nr. 1 lit. c) 1. HS, 3. Var. ZPO vollstreckungsrechtlich abgesichert. Sanktioniert wird hierdurch die bewusste Überschreitung der mittels Schiedsvereinbarung eingeräumten materiellen Kompetenz des Schiedsgerichts zur Streitentscheidung, wobei die genaue Feststellung einer vorsätzlichen bzw. lediglich fahrlässigen Missachtung des von den Parteien vorgegebenen materiellen Rechts mitunter komplex sein kann. Hierzu zählen auch die durch das Schiedsverfahrensstatut in Bezug genommen Kollisionsnormen, die sich bei Sitz des Schiedsgerichts innerhalb der EU aus der Rom I-VO ergeben. Ein Verstoß gegen die vollstreckungsrechtlich abgesicherte materielle Entscheidungskompetenz des Schiedsgerichts liegt etwa vor, wenn das Schiedsgericht eine zulässige Rechtswahl der Parteien missachtet oder im Rahmen der objektiven Anknüpfung unter bewusster Überschreitung der kollisionsrechtlichen Vorgaben der Rom I-VO eine Direktbestimmung des anwendbaren Rechts vornimmt oder etwa die lex mercatoria als Vertragsstatut heranzieht.
853
Dazu näher Grimm, SchiedsVZ 2012, 189, 198 f.
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§ 9 Strategische Überlegungen der Rechtspraxis am Beispiel des AGB-Rechts854 § 9 Strategische Überlegungen der Rechtspraxis am Beispiel des AGB-Rechts
Die vorangegangene Untersuchung hat ergeben, dass die Praxis der Schiedsgerichtsbarkeit, ausgehend vom Grundsatz der Parteiautonomie, einerseits in vielen Bereichen mit den Anknüpfungsregeln der Rom I-VO übereinstimmt, andererseits auf einzelnen Gebieten Differenzen bestehen, die eine Änderung der bisherigen Praxis erfordern. So erfährt etwa die Rechtswahlfreiheit bei reinen Inlandssachverhalten in Art. 3 Abs. 1 Rom I-VO eine zusätzliche Einschränkung mit Blick auf die Beachtung der einfach zwingenden Normen des Einbettungsstatuts. Die folgenden Überlegungen widmen sich der Frage, inwieweit es Parteien mit Sitz innerhalb der EU möglich ist, mittels strategischer Erwägungen der Geltung der Rom I-VO in einem reinen Inlandssachverhalt zu entgehen, indem sie in der Schiedsvereinbarung einen Schiedsort außerhalb der EU bestimmen. Anknüpfend an die vorangegangenen Ausführungen zur Geltung von Art. 3 Abs. 3 Rom I-VO im Schiedsverfahren stellt sich auch hier die Problematik einer parteiautonomen Internationalisierung dergestalt, ob reine Binnensachverhalte dem Schiedsverfahrensrecht eines anderen Staates unterstellt und damit zugleich der Einbettungsrechtsordnung entzogen werden können.855 In diese Richtung gehende Überlegungen sind in der Literatur mit der Geltung der Rom I-VO in Schiedsverfahren verknüpft. Sie bildeten vereinzelt bereits Anlass für Veröffentlichungen,856 ohne bislang die Rechtsprechung beschäftigt zu haben. Speziell in Deutschland diskutiert wird die Möglichkeit, der Geltung der zwingenden Vorschriften des AGB-Rechts in reinen Inlandssachverhalten durch die Wahl eines außereuropäischen Sitzes des Schiedsgerichts zu entgehen. Die nachfolgenden Ausführungen knüpfen an die vereinzelt geführte Diskussion an, indem zunächst anhand eines Beispiels die Ausgangssituation der Überlegungen dargelegt wird (I.), bevor Zulässigkeit und Konsequenzen einer Verlegung des Schiedssitzes außerhalb der EU diskutiert werden (II.) und eine Bewertung vorgenommen wird (III.). I.
Ausgangssituation
Die Ausgangsituation für die zu untersuchende Frage bildet die Konstellation857 zweier Unternehmen mit Sitz in Deutschland, die im Rahmen eines Kaufvertrages den Kauf und die Lieferung von Waren zur Weiterverarbeitung durch 854 Zur großen Bedeutung des AGB-Rechts in der Schiedspraxis siehe die empirischen Erhebungen von Leuschner/Meyer, SchiedsVZ 2016, 156, 159 ff. 855 Zur grundsätzlichen Problematik siehe Maultzsch, FS v. Hoffmann, S. 304, 312. 856 Siehe in der deutschsprachigen Literatur unter anderem Pfeiffer, NJW 2012, 1169 ff.; Ostendorf, SchiedsVZ 2010, 234 ff.; Kondring, RIW 2010, 184 ff.; Berger, FS Graf v. Westphalen, S. 13 ff.; Aufdermauer, DAS 17/2012, 8 ff.; Grimm, SchiedsVZ 2012, 189 ff. 857 Zur Praxisrelevanz siehe Leuschner/Meyer, SchiedsVZ 2016, 156 ff.
§ 9 Strategische Überlegungen der Rechtspraxis am Beispiel des AGB-Rechts
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den Käufer vereinbaren.858 Der Vertrag beruht dabei auf einem Standard- bzw. Formularvertrag des Verkäufers, der nicht im Einzelnen ausgehandelt ist und somit an den Normen des deutschen AGB-Rechts nach §§ 305 ff. BGB zu messen wäre. Um den damit verbundenen, durch die Parteien als zu rigide empfundenen Grenzen ihrer Vertragsfreiheit zu entgehen,859 sieht der Vertrag eine Rechtswahlvereinbarung zugunsten schweizerischen Rechts sowie einen Haftungsausschluss für einfache Fahrlässigkeit seitens des Verkäufers vor.860 Nach deutschem AGB-Recht scheidet gem. § 310 Abs. 1 BGB zwischen Unternehmern eine direkte Anwendung der Klauselverbote aus §§ 308, 309 BGB aus, allerdings entfalten diese im Rahmen der Generalklausel des § 307 BGB Indizwirkung für die Beurteilung des Vorliegens einer „unangemessenen Benachteiligung“.861 Im schweizerischen Recht hingegen existiert kein gesondertes Recht der Allgemeinen Geschäftsbedingungen. Vielmehr findet eine Prüfung einzelner Vertragsklauseln anhand der Generalklauseln des Zivilrechts nach dem Grundsatz der Vertragsfreiheit der Parteien statt.862 Grenzen der Vertragsfreiheit bilden demnach die allgemeinen Grundsätze von Gesetzes- und Sittenwidrigkeit sowie der schweizerische ordre public.863 Im Hinblick auf die in der zugrunde gelegten Konstellation vereinbarte Haftungsfreistellung für jede Form der Fahrlässigkeit, ist deren Wirksamkeit anders als im deutschen Recht864 im schweizerischen Recht zumindest umstritten.865 Im Zusammenspiel mit der 858
In Anlehnung an Ostendorf, SchiedsVZ 2010, 234 ff.; Aufdermauer, DAS 17/2012,
8 ff. 859 Nach den Erhebungen von Leuschner/Meyer, SchiedsVZ 2016, 156, 160 waren 76 % der Befragten der Auffassung, die Regelungen der §§ 305 ff. BGB schränkten die Vertragsfreiheit von Unternehmen in unangemessener Weise ein. 65 % der Befragten vertraten zudem die Auffassung, die Regelungen des deutschen AGB-Rechts hielten die Parteien in grenzüberschreitenden Verträgen davon ab, eine Rechtswahl zugunsten deutschen Rechts zu treffen; zur daran anknüpfenden Reformdiskussion siehe Basedow, in: MünchKommBGB2, § 310, Rn. 14 ff. 860 Zu den AGB-rechtlichen Folgen der Wahl Schweizer Rechts siehe überblicksartig Pfeiffer, FS Graf v. Westphalen, S. 555 ff.; kritisch zur Wahl schweizerischen Rechts im unternehmerischen Verkehr als „Exit-Strategie“ bzw. „Flucht“ aus dem strengen deutschen AGB-Recht insgesamt Mankowski, Interessenpolitik und europäisches Kollisionsrecht, S. 4 m.w.N. 861 Siehe nur Basedow, in: MünchKommBGB2, § 310, Rn. 7 ff.; Wurmnest, in: MünchKommBGB2, § 309, Rn. 9; darüber hinaus ist generell auf die Kardinalpflichten-Rechtsprechung des BGH zu verweisen, siehe Tettinger, AcP 205 (2005) 1 ff. 862 Pfeiffer, FS Graf v. Westphalen, S. 555, 559. 863 Siehe Art. 19, 20 schweizerisches Obligationenrecht sowie 27 schweizerisches Zivilgesetzbuch. 864 Nach dem sog. Konzept der Kardinalpflichten im deutschen AGB-Recht ist der aus §§ 437 Nr. 3, 280 Abs. 1, 3, 281 Abs. 1 BGB resultierende Schadensersatzanspruch des Käufers nicht abdingbar, vgl. Wurmnest, in: MünchKommBGB2, § 309 Nr. 7, Rn. 26 ff.; Becker, in: BeckOK BGB, § 307 Nr. 7, Rn. 20 ff. 865 Pfeiffer, FS Graf v. Westphalen, S. 555, 562.
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vielfach als liberaler empfundenen Haltung der schweizerischen Gerichte zur Wirksamkeit von Haftungsfreizeichnungsklauseln ergibt sich damit ein Szenario, welches die „Flucht“ ins schweizerische Recht für die Parteien erstrebenswert erscheinen ließe.866 Zusätzlich zur Rechtswahl einigen sich die Parteien mittels Schiedsklausel darauf, Streitigkeiten im Wege eines Schiedsverfahrens mit Sitz in der Schweiz auszutragen. Nachdem sich die gelieferte Sache als mangelhaft herausstellt und dem Verkäufer diesbezüglich zumindest einfache Fahrlässigkeit trifft, verlangt der Käufer Schadensersatz. Der Verkäufer hingegen beruft sich auf den vertraglich vereinbarten Haftungsausschluss. Der Käufer erwägt, sich unter Berufung auf deutsches AGB-Recht auf eine Unwirksamkeit des Haftungsausschlusses zu stützen und Schadensersatzansprüche trotz der Schiedsvereinbarung unmittelbar vor einem deutschen Gericht geltend zu machen. Zwei Fragen sind demnach voneinander zu trennen: Zunächst ist zu klären, ob die von den Parteien vereinbarte Schiedsvereinbarung wirksam ist. Im Anschluss daran stellt sich die Frage, inwieweit das Schiedsgericht aufgrund der Rechtswahl ausschließlich das schweizerische Recht anzuwenden hat oder dabei auch die (einfach) zwingenden deutschen Rechtsvorschriften anzuwenden hat und wie sich eine Nichtbeachtung auf eine Anerkennung und Vollstreckung des Schiedsspruchs vor deutschen Gerichten auswirkt. II. Umgehung der Rom I-Verordnung durch Verlegung des Sitzes des Schiedsgerichts außerhalb der EU? 1. Wirksamkeit der Schiedsvereinbarung Auskunft über die Wirksamkeit der Schiedsvereinbarung gibt das Schiedsvereinbarungsstatut. Die Wirksamkeit richtet sich aus im Falle eines Schiedsgerichts mit Sitz in der Schweiz nach Art. 178 Abs. 2 IPRG. Danach ist eine Schiedsvereinbarung gültig, wenn sie dem „von den Parteien gewählten, dem auf die Streitsache, insbesondere dem auf den Hauptvertrag anwendbaren oder dem schweizerischen Recht entspricht.“ Das schweizerische Recht verfolgt damit durch eine alternative Anknüpfung einen großzügigen favor validatis-Ansatz und gelangt so möglichst in allen Fällen zur Wirksamkeit der Schiedsvereinbarung.867 Die Schiedsvereinbarung müsste somit an der Inhaltskontrolle aller in Bezug genommenen Rechtsordnungen scheitern. Im hier skizzierten Fall dürfte die Schiedsvereinbarung unabhängig von etwaigen Einschränkungen der Rechtswahl nach schweizerischem Recht wirksam sein. Gleiches würde sich auf den ersten Blick auch aus Sicht eines deutschen staatlichen Gerichts ergeben, welches im Wege einer Schiedseinrede nach § 1032 Abs. 2 ZPO über die Wirksamkeit der Schiedsvereinbarung zu befinden hätte: 866 867
Pfeiffer, FS Graf v. Westphalen, S. 555, 563. Ostendorf, SchiedsVZ 2010, 234, 236.
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Da sich der Schiedsort im Ausland befindet, richtete sich die Wirksamkeit der Schiedsvereinbarung nach Art. V Abs. 1 lit. a) UNÜ. Hiernach bestimmt sich das Schiedsvereinbarungsstatut wiederum nach dem von den Parteien gewählten Recht, alternativ nach dem Recht am Ort des Schiedsverfahrens. Im Ergebnis wäre also auch hier schweizerisches Recht maßgeblich, nach dem die Schiedsvereinbarung wirksam ist. a) Verstoß gegen den anerkennungsrechtlichen ordre public aus § 1061 ZPO i.V.m. Art. V Abs. 2 lit. b) UNÜ Nicht auszuschließen ist jedoch, dass ein deutsche Gericht in Anlehnung an eine Entscheidung des OLG München868 aus dem Jahr 2006 im Rahmen des bereits im Einredeverfahren zu prüfenden anerkennungsrechtlichen ordre public über § 1061 ZPO i.V.m. Art. V Abs. 2 lit. b) UNÜ die Gefahr berücksichtigt, dass das Schiedsgericht aufgrund der Rechtswahl der Parteien die in Deutschland zwingenden Normen der §§ 305 ff. BGB außer Acht lässt. In der Entscheidung des OLG München hatte das Gericht eine Schiedsvereinbarung zwischen einem in Deutschland ansässigen Handelsvertreter und einem US-amerikanischen Prinzipal mit Schiedsort in Kalifornien als unwirksam angesehen, da aus Sicht des Gerichts die „naheliegende Gefahr“ bestand, dass das Schiedsgericht in seiner Entscheidung den in der Ingmar-Rechtsprechung des EuGH869 für international zwingend erklärten Ausgleichsanspruch des § 89 b HGB unbeachtet lassen würde. Im Unterschied zur Entscheidung des OLG München und dem zugrunde liegenden Urteil des EuGH im Fall Ingmar scheint jedoch fraglich, ob den AGBrechtlichen Vorschriften des deutschen Rechts in gleicher Weise über den anerkennungsrechtlichen ordre public zur Durchsetzung verholfen werden kann, wie es für § 89 b HGB der Fall war. Zu dem auf der europäischen Handelsvertreterrichtlinie beruhenden § 89 b HGB hatte der EuGH anders als zu §§ 305 BGB im Vorfeld der Entscheidung des OLG München ausdrücklich Stellung genommen und diesen für international zwingend erklärt. Die Normen des deutschen AGB-Rechts gelten jedoch lediglich als einfach zwingende Normen, die im Wege einer Rechtswahl grundsätzlich abdingbar sind.870 Dies könnte sich hingegen dann anders darstellen, wenn es sich – wie im skizzierten Fall – um einen reinen Binnensachverhalt handelt, der unter der besonderen Einschränkung des Art. 3 Abs. 3 Rom I-VO steht: Die §§ 305 ff. BGB könnten in Verbindung mit Art. 3 Abs. 3 Rom I-VO bezogen auf den situativen Kontext des In-
868
OLG München 17.6.2006 – 7 U 1781/06, IPrax 2006, 322; zur Kritik siehe Thorn/ Grenz, in: Conflict of Laws in International Arbitration, S. 187 ff.; Quinke, SchiedsVZ 2007, 246 ff. 869 EuGH 9.11.2000 – Rs. C-381/98 (Ingmar GB), Slg. 2000, I-9305. 870 Ostendorf, SchiedsVZ 2010, 234, 238; Pfeiffer, NJW 2012, 1169, 1169 m.w.N.
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landssachverhaltes einen international zwingenden Charakter entwickeln. Ostendorf spricht in diesem Zusammenhang von einer „Hochzonung des AGB-Rechts zur Eingriffsnorm“, die aus der in Art. 3 Abs. 3 Rom I-VO zum Ausdruck kommenden Regulierungshoheit und dem Regulierungswillen der Mitgliedstaaten in Verbindung mit den einfach zwingenden Rechtssätzen der jeweiligen nationalen Rechtsordnungen resultiere.871 Ähnliche situationsbezogene international zwingende Normen fänden sich auch im englischen Recht.872 Legt man – wie hier vertreten – eine Geltung der Rom I-VO im Schiedsverfahren zu Grunde, scheint eine solche Betrachtung jedenfalls nicht fernliegend. Das deutsche Gerichte könnte in Anlehnung an die Entscheidung des OLG München somit bereits die Schiedsvereinbarung für unwirksam erklären und damit den Weg für den Käufer frei machen, seine Ansprüche vor staatlichen deutschen Gerichten geltend zu machen, die aufgrund Art. 3 Abs. 3 Rom I-VO zur Beachtung der §§ 305 ff. BGB verpflichtet wären. Zu bedenken ist allerdings, dass ein Verstoß gegen den ordre public zusätzlich voraussetzt, dass die Nichtanwendung der für international zwingend erachteten Normen im Ergebnis zu einer evidenten Missachtung fundamentaler Gerechtigkeitsvorstellungen im Vollstreckungsstaat führt.873 Selbst wenn im geschilderten Fall das Gericht die §§ 305 ff. BGB aufgrund der besonderen Situation des Inlandssachverhalts als international zwingend einstufte, müsste der zu erwartende Schiedsspruch elementaren deutschen Gerechtigkeitsvorstellungen widersprechen. Zwar dürfte dies im Ergebnis selten der Fall sein, etwa dann, wenn das Schiedsgericht eine vertragliche Regelung für wirksam hält, deren Zustandekommen sich nicht mehr als Ausdruck vertraglicher Selbstbestimmung begreifen lässt. Darüber hinaus dürfte die Schwelle zur ordre public-Widrigkeit überschritten sein, wenn der Vertrag einer der Parteien einseitig Vertragsfolgen auferlegt, die sich unter dem Gesichtspunkt der materiellen Vertragsgerechtigkeit als untragbar darstellen.874 Auch wenn die Vereinbarung einer Haftungsfreizeichnung für leichte Fahrlässigkeit diese Schwelle in aller Regel nicht überschreiten wird,875 besteht für die Parteien zumindest die Gefahr, dass das angerufene Gericht dies anders beurteilt, sodass sich aus diesem Grund eine Verlegung des Schiedsortes ins außereuropäische Ausland für die Parteien als risikoreich darstellt.876
871 872 873 874 875 876
Ostendorf, SchiedsVZ 2010, 234, 239. Ostendorf, SchiedsVZ 2010, 234, 239. Pfeiffer, NJW 2012, 1169, 1172. Pfeiffer, NJW 2012, 1169, 1173. So zumindest nach Pfeiffer, NJW 2012, 1169, 1173. Ostendorf, SchiedsVZ 2010, 234, 241 f.
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b) Ungültigkeit der Schiedsvereinbarung durch Wahl eines fiktiven Schiedsortes Nimmt man an, dass die Verhandlungen des Schiedsgerichts in dem gebildeten Fall zwischen zwei deutschen Parteien ausschließlich in Deutschland stattfinden und auch ansonsten mit Ausnahme der Schiedsvereinbarung und der darin enthaltenen Rechtswahl keinerlei Bezug des Verfahrens zur Schweiz besteht, könnte die Schiedsvereinbarung dem Vorwurf des Rechtsmissbrauchs ausgesetzt und aus diesem Grund unwirksam sein. Zwar ist grundsätzlich in der Schiedsgerichtsbarkeit anerkannt, dass die Parteien den Schiedsort frei wählen können.877 Allerdings fordert Schütze, dass der Schiedsort über die Schiedsvereinbarung und gegebenenfalls die Rechtswahl hinaus eine „Nähebeziehung zum Verfahren“ bzw. den Parteien aufweist (effektiver Schiedsort).878 So erkennt er in der Wahl eines ausländischen Schiedsortes ohne Bezug zu den Parteien und dem Ort der Verhandlungen (fiktiver Schiedsort) einen „Missbrauch des Prozessrechts zu verfahrensfremden Zwecken“.879 § 1043 Abs. 2 ZPO erlaube in Übereinstimmung mit Art. 20 Abs. 2 UMG zwar eine weitgehende Durchführung der Verhandlungen außerhalb des von den Parteien vereinbarten Sitzes des Schiedsgerichts. Durch die Bestimmung eines fiktiven Sitzes solle jedoch zur Ermöglichung einer unzulässigen Rechtswahl der Ort des schiedsrichterlichen Verfahrens verdeckt werden.880 In entsprechender Anwendung von § 117 Abs. 2 BGB gelte dann der effektive Sitz als Schiedsort nach § 1043 Abs. 1 ZPO. Dieses Ergebnis ist im Übrigen auch der Rechtsprechung auf dem Gebiet der internationalen Schiedsgerichtsbarkeit nicht fremd: Zwar hatte sich der englische Court of Appeal in einem Fall aus dem Jahr 1991 noch mit einer rein formellen Betrachtung des Schiedsortes begnügt und alleine auf den Ort abgestellt, an dem der Schiedsspruch ergangen war.881 Eine neuere Entscheidung des Svea Court of Appeal aus dem Jahr 2005 zwischen einer französischen und zwei US-amerikanischen Parteien illustriert jedoch ein weitergehendes Verständnis des Schiedsortes:882 In der nach der Schiedsordnung der ICC abgeschlossenen Schiedsvereinbarung einigten sich die Parteien auf Stockholm als Schiedsort, das anschließende Verfahren fand jedoch in London und Paris statt. Materiell-rechtlich ging es um Ansprüche aus einem zwischen den Parteien geschlossenen Vertrag im Zusammenhang mit der Erbringung von Leistungen für 877 Siehe nur Gottwald, in: Gottwald, Internationale Schiedsgerichtsbarkeit, S. 1, 32: „Nach allgemeiner Auffassung bestimmen die Parteien den Sitz des Schiedsgerichts völlig frei.“ (Hervorhebung durch den Autor) 878 Schütze, FS v. Hoffmann, S. 1077, 1082. 879 Schütze, FS v. Hoffmann, S. 1077, 1080. 880 Schütze, FS v. Hoffmann, S. 1077, 1080. 881 Hiscox v. Outhwaite (No. 1), Urteil v. 11.3.1991, [1992] 1 A.C. 562, dazu Rensmann, RIW 1991, 911 ff. 882 The Titan Corporation, Urteil v. 28.2.2005, Yearbook Commercial Arbitration XXX (2005) 139.
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Kapitel 3 – Konsequenzen der Bindung an die Rom I-Verordnung
die Errichtung eines Telekommunikationssystems in Benin. Der Schiedsspruch wurde von einem englischen Einzelschiedsrichter ausgefertigt. In einem anschließenden Aufhebungsverfahren wandte sich der Kläger an das schwedische Gericht. Dieses hatte über die Zuständigkeit schwedischer Gerichte zu entscheiden, was die Frage der Wirksamkeit der Vereinbarung Stockholms als Schiedsort aufwarf: In seiner Entscheidung hielt das Gericht den von den Parteien gewählten Schiedsort Stockholm für unwirksam: Da das Verfahren weder in Schweden durchgeführt wurde, noch der Vertrag oder die Verfahrensbeteiligten über die Wahl Stockholms als Schiedsort hinaus eine Verbindung zu Schweden aufwiesen, fehle es an einer effektiven Verbindung zum Schiedsort Schweden.883 Stattdessen sei eine Zuständigkeit der Gerichte am effektiven Schiedsort anzunehmen, der vom Gericht aufgrund der Verfahrensdurchführung in Paris und der Nationalität des Beklagten in Frankreich verortet wurde.884 Im gebildeten Fall würde der effektive Schiedsort in Deutschland und somit innerhalb des räumlichen Anwendungsbereichs der Rom I-VO liegen, was eine Bindung des Schiedsgerichts an die Rom I-VO und somit auch an Art. 3 Abs. 3 Rom I-VO zur Folge hätte. In diese Richtung geht auch Maultzsch, wenn er die aus § 1043 Abs. 2 ZPO/Art. 20 Abs. 2 UMG resultierende „volle Wirkungsbreite der parteiautonomen Gestaltungsmacht im Schiedsverfahren“ kritisiert, indem die Parteien ihr Schiedsverfahren faktisch vollumfänglich in Deutschland durchführen, durch die formelle Wahl eines ausländischen Schiedsortes die verfahrensrechtlich zwingenden Vorschriften der §§ 1025 ff. ZPO zugunsten der ausländischen Regelungen jedoch verdrängen könnten.885 Dem ist beizupflichten. Letztlich liegt in der Bestimmung eines fiktiven Schiedsortes ein Verstoß gegen das gesetzlich verankerte Territorialitätsprinzip, welches als Zuweisungskriterium für die staatliche Kontrollfunktion fungiert und nicht zur Disponibilität der Parteien steht: Der deutsche Gesetzgeber hat (auf Grundlage des UMG) durch die Aufnahme des Territorialitätsprinzips in sein nationales Schiedsverfahrensrecht eine klar umgrenzte Kontrolle der auf 883 The Titan Corporation v. Alcatel CIT SA, Urteil v. 28.2.2005, Yearbook Commercial Arbitration XXX (2005) 139, 141 f.: „As a prerequisite for a Swedish court to deal with the dispute, there must be a Swedish judicial interest. For such an interest to exist, it is normally required that the dispute or the parties to the dispute have some, albeit minor, connection to Sweden. […] The parties to the arbitration are on the one hand a French company and on the other hand two US companies. The place of business for the counsels are Paris and London respectively. The dispute furthermore concerns an agreement regarding a telecommunication system to be installed in Benin. Neither the dispute nor the parties have thus any connection to Sweden.“ 884 The Titan Corporation v. Alcatel CIT SA, Urteil v. 28.2.2005, Yearbook Commercial Arbitration XXX (2005) 139, 143: „Since Alcatel is a French company and the arbitral proceedings seem to have the closest connection to France, there is, however, no reason to believe that Titan Corporation’s Challenge of the Award would not be dealt by, e.g., a French court.“ 885 Maultzsch, FS v. Hoffmann, S. 304, 312 f.
§ 9 Strategische Überlegungen der Rechtspraxis am Beispiel des AGB-Rechts
195
seinem Territorium erlassenen Schiedssprüche zum Ausdruck gebracht. Dass er es den Parteien freistellt, die Verhandlungen auch an einem anderem als dem in der Schiedsvereinbarung bestimmten Ort des Schiedsverfahrens durchzuführen, ist als Konzession an das besondere Bedürfnis nach Flexibilität im Schiedsverfahren und insbesondere mit Blick auf international geprägte Streitfälle zu sehen. Dass der Gesetzgeber inländische Parteien eines rein inländischen Sachverhaltes dazu einladen wollte, das für sie ansonsten in einem inländischen Schiedsverfahren zwingend geltende deutsche Schiedsverfahrensrecht mittels Wahl eines beliebigen ausländischen Schiedsortes abzuwählen, leuchtet nicht ein. Das Territorialitätsprinzip würde sinnentleert, wie Schütze zutreffend anmerkt.886 Dies betonte mit Blick auf das schwedische Schiedsverfahrensrecht auch der Svea Court of Appeal, wenn er festhält: „The place of arbitration shall, according to Sect. 22(1) of the Act, firstly be determined by the parties, and secondly by the arbitrators. According to para. 2 of the aforementioned section, the arbitrators may hold hearings and other meetings elsewhere in Sweden or abroad. The provision thus admits that part of a Swedish arbitration be conducted abroad. The connection of the arbitration to the place can be of a more or less tangible nature. There must, however, be some connection to the place of the arbitral proceedings.“887
2. Wirksamkeit der Rechtswahl Mit Blick auf die Wirksamkeit der Rechtswahl der Parteien liegt die Situation ähnlich: Aus Sicht des Schiedsgerichts ist im Wege einer Einbeziehungskontrolle zu prüfen, ob die Rechtwahl wirksam vereinbart wurde. Die Wirksamkeit ist dabei aufgrund Art. 3 Abs. 5 i.V.m. Art. 10 Abs. 1 Rom I-VO ausschließlich am hypothetische Vertragsstatut, somit am schweizerischen Recht zu messen. Die Unwirksamkeit der Rechtswahl könnte aus der vom Schweizer Bundesgericht entwickelten „Ungewöhnlichkeitsregel“888 folgen, welche funktionell § 305 c Abs. 1 BGB entspricht.889 Sofern die Wahl eines ausländischen Rechts in einem Vertrag ohne genuinen Auslandsbezug als Regelung erkannt wird, mit der der Vertragspartner nicht zu rechnen braucht, bewirkte diese eine Unwirksamkeit nach schweizerischem Recht.890 Nimmt man für den gebildeten Fall jedoch an, dass der Vertragspartner auf die Rechtswahl ausdrücklich hingewiesen wurde, steht einer Einbeziehung nichts im Wege.
886
Schütze, FS v. Hoffmann, S. 1077, 1082. The Titan Corporation v. Alcatel CIT SA, Urteil v. 28.2.2005, Yearbook Commercial Arbitration XXX (2005) 139, 142. 888 BGer. 28.10.2008, BGE 135 III 1; BGer. 28.1.2009, BGE 135 III 227. 889 Pfeiffer, FS Graf v. Westphalen, S. 555, 560. 890 Ostendorf, SchiedsVZ 2010, 234, 236. 887
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Kapitel 3 – Konsequenzen der Bindung an die Rom I-Verordnung
Des Weiteren hat das schweizerische Schiedsgericht nach umstrittener aber zutreffender Ansicht über Art. 19 Abs. 1 IPRG891 andere Jurisdiktionen anstelle des Vertragsstatuts zu berücksichtigen, „wenn nach schweizerischer Rechtsauffassung schützenswerte und offensichtlich überwiegende Interessen einer Partei es gebieten und der Sachverhalt mit jenem Recht einen engen Zusammenhang aufweist.“892 Geht man mit dem soeben Erörterten davon aus, dass der AGB-rechtliche Normenbestand des deutschen Rechts im situativen Kontext des Inlandssachverhalts international zwingenden Charakter entfalten kann, läge eine Berücksichtigung durch das schweizerische Schiedsgericht nahe. Art. 19 Abs. 1 IPRG steht freilich unter dem Vorbehalt der „schweizerische[n] Rechtsauffassung“, welche sich bisher als eher restriktiv im Hinblick auf die Berücksichtigung international zwingender Normen erwiesen hat.893 Schließlich bleibt aus Sicht des deutschen staatlichen Gerichts eine Überprüfung im Anerkennungs- und Vollstreckungsverfahren, in dem der ergangene Schiedsspruch am anerkennungsrechtlichen orde public nach § 1061 ZPO i.V.m. Art. V Abs. 2 lit. b) UNÜ zu messen ist. Der Prüfungsmaßstab ist im Vergleich zum Einredeverfahren dabei identisch. Anders als noch im Einredeverfahren kann das Gericht nun jedoch mit Sicherheit feststellen, ob das Schiedsgericht die als international zwingend betrachteten Normen des deutschen AGB-Rechts im Zusammenspiel mit Art. 3 Abs. 3 Rom I-VO beachtet hat und der ergangene Schiedsspruch im Ergebnis zu einem aus Sicht der deutschen Rechtsordnung untragbaren Resultat führt. Auch hier ist ein Verstoß gegen den anerkennungsrechtlichen ordre public aufgrund der Nichtbeachtung deutschen AGB-Rechts unwahrscheinlich, jedoch mit Blick auf die Rechtsprechung des OLG München nicht auszuschließen. III. Ergebnis Die Wahl eines außereuropäischen Schiedsortes bei reinen Inlandssachverhalten, verbunden mit der Wahl eines im Vergleich zu den deutschen AGB-Normen günstigeren Rechts, scheint für die Parteien auf den ersten Blick günstig, um der Geltung der Rom I-VO im Schiedsverfahren und damit Art. 3 Abs. 3 Rom I-VO zu entgehen. Es gilt jedoch Folgendes zu beachten: Fällt die Wahl 891
Art. 19 IPRG lautet: „(1) Anstelle des Rechts, das durch dieses Gesetz bezeichnet wird, kann die Bestimmung eines andern Rechts, die zwingend angewandt sein will, berücksichtigt werden, wenn nach schweizerischer Rechtsauffassung schützenswerte und offensichtlich überwiegende Interessen einer Partei es gebieten und der Sachverhalt mit jenem Recht einen engen Zusammenhang aufweist. (2) Ob eine solche Bestimmung zu berücksichtigen ist, beurteilt sich nach ihrem Zweck und den daraus sich ergebenden Folgen für eine nach schweizerischer Rechtsauffassung sachgerechte Entscheidung.“ 892 Karrer, in: Basler Kommentar zum IPRG, Art. 187, Rn. 260 ff. 893 Ostendorf, SchiedsVZ 2010, 234, 239.
§ 9 Strategische Überlegungen der Rechtspraxis am Beispiel des AGB-Rechts
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des Schiedsortes etwa auf die Schweiz, ist zu berücksichtigen, dass bereits das schweizerische Schiedsgericht aufgrund einer Bindung an Art. 19 IPRG das deutsche AGB-Recht zur Anwendung bringen kann, wenn es aufgrund der Besonderheit des Inlandssachverhalts von dessen zwingender Geltung ausgeht. Spätestens, wenn es zu einer gerichtlichen Überprüfung der Schiedsvereinbarung oder des Schiedsspruchs in Deutschland kommt, wird das deutsche Gericht einen Verstoß im Rahmen des anerkennungsrechtlichen ordre public nach § 1061 ZPO i.V.m. Art. V Abs. 2 lit. b) UNÜ in Erwägung ziehen. Ausgehend von der Rechtsprechung des OLG München sowie der Entscheidung des EuGH in der Rechtssache Ingmar, kann hierfür die „naheliegende Gefahr“ der Missachtung international zwingenden Rechts ausreichen. Obschon es sich beim deutschen AGB-Recht nach einhelliger Meinung lediglich um einfach zwingendes Recht handelt, könnte sich dieses im besonderen Zusammenspiel mit Art. 3 Abs. 3 Rom I-VO und dem situativen Kontext des Inlandssachverhalts zu international zwingendem Recht verdichten. Schließlich ist eine Unwirksamkeit der Schiedsvereinbarung wegen Rechtsmissbrauchs denkbar, wenn sich der gewählte Schiedsort als „fiktiver Schiedsort“ darstellt, dem es an einer effektiven Verbindung zum Sachverhalt fehlt. Die Gefahr der Unwirksamkeit der Schiedsvereinbarung oder gar einer Aufhebung des späteren Schiedsspruchs bei Verlegung des Schiedsortes ins außereuropäische Ausland ist somit real und sollte von den Parteien nicht leichtfertig von einem Streben nach vermeintlicher Rechtswahlfreiheit außerhalb des Geltungsbereichs der Rom I-VO verdrängt werden.
Kapitel 4
Ausblick und weiterführende Überlegungen zur Rolle der Schiedsgerichtsbarkeit innerhalb der EU Kapitel 4 Ausblick und weiterführende Überlegungen
Nach den vorausgegangenen Erörterungen sollen einige Überlegungen zur weiteren Entwicklung der Schiedsgerichtsbarkeit in Europa die Untersuchung abschließen. In den Blick genommen wird dabei eine Integration der Schiedsgerichtsbarkeit über die Rom I-VO hinaus in den Verordnungskanon der EU auf den Bereichen des IPR und IZVR. Daneben werden die Idee eines gemeinsamen europäischen Schiedsrechts mit dem Ziel der Stärkung eines einheitlichen europäischen Schiedsstandortes sowie die Frage der Vorlageberechtigung von Schiedsgerichten vor dem EuGH aufgegriffen.
§ 10 Integration der Schiedsgerichtsbarkeit in den europäischen Rechtsraum § 10 Integration der Schiedsgerichtsbarkeit in den europäischen Rechtsraum
Wie die vorangegangen Erörterungen gezeigt haben, wird von der europäischen Rechtsprechung auf verschiedene Weise der Anspruch einer Geltung des Unionsrechts in Schiedsverfahren postuliert. Der EuGH hat der Vorstellung, der europäische Gesetzgeber habe die Schiedsgerichtsbarkeit aus seinen Rechtsakten zur Vereinheitlichung des IPR per se ausnehmen wollen, eine Absage erteilt. Die Diskussion um die Anwendbarkeit des Unionskollisionsrechts auf die Schiedsgerichtsbarkeit wurde bisher vornehmlich im Hinblick auf die Geltung der Rom I-VO geführt. Eine Untersuchung des weiteren Bestands des europäischen IPR findet nur vereinzelt statt.894 Im Folgenden wird daher ein Blick auf weitere Rechtsakte der EU auf dem Gebiet des IPR und des IZVR geworfen, wobei auf die Rom II-VO sowie die Brüssel I-VO (EuGVVO) als „Schwesterverordnungen“ der Rom I-VO bereits eingegangen wurde.895 Aus den folgenden Überlegungen sollen sodann Schlüsse für eine weitergehende Integration der Schiedsgerichtsbarkeit in den europäischen Rechtsraum abgeleitet werden.
894 895
Mankowski, FS v. Hoffmann, S. 1012 ff.; ders., FS Schütze, S. 369 ff. Siehe Kapitel 2 – § 4.II.2.c)bb).
200 I.
Kapitel 4 Ausblick und weiterführende Überlegungen
Brüssel IIa-Verordnung (EuEheVO)896
Auf dem Gebiet des Eherechts hat der europäische Gesetzgeber im Jahr 2003 die EuEheVO verabschiedet, welche Regeln zur gerichtlichen Zuständigkeit, Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Ehesachen sowie in Verfahren zur elterlichen Verantwortung bereit hält. Zwar enthält die Brüssel IIa-Verordnung keinen ausdrücklichen Ausschluss der Schiedsgerichtsbarkeit, allerdings steht einer Anwendung durch Schiedsgerichte bereits die objektive Schiedsfähigkeit ehe- und kindschaftsrechtlicher Fragen entgegen.897 Sämtliche nationale Schiedsrechte der Mitgliedstaaten siedeln diese Fragen ausschließlich an staatlichen Gerichten an.898 Darüber hinaus passt der in Art. 3 ff. EuEheVO enthaltene Katalog zur internationalen Zuständigkeit mitgliedstaatlicher Gerichte für Entscheidungen über die Ehescheidung, eine Trennung ohne Auflösung des Ehebandes oder die Ungültigerklärung einer Ehe wie schon bei der EuGVVO der Natur der Sache nach nicht für die Schiedsgerichtsbarkeit.899 Parallel zur Argumentation im Rahmen der Urteilsanerkennung durch Schiedsgerichte nach der EuGVVO ist allerdings auch zur EuEheVO trotz der grundsätzlichen Unanwendbarkeit der Verordnung auf die Schiedsgerichtsbarkeit eine Pflicht zur Anerkennung eherechtlicher Entscheidungen nach den Vorschriften der EuEheVO sinnvoll.900 Dem könnte insbesondere in Unterhaltsfragen, die Gegenstand schiedsrichterlicher Verfahren sein können, Bedeutung zukommen. II. Rom III-Verordnung Das zur EuEheVO Gesagte gilt im Wesentlichen auch für die Rom III-VO901, welche seit dem Jahr 2010 auf international-privatrechtlicher Ebene das Recht, das auf eine Ehescheidung oder eine Trennung ohne Auflösung des Ehebands 896 Verordnung (EG) Nr. 2201/2003 des Rates über die Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Ehesachen und in Verfahren betreffend die elterliche Verantwortung und zur Aufhebung der Verordnung (EG) Nr. 1347/2000 (ABl. EU 2003, Nr. L 338, S. 1). 897 Gilfrich, Schiedsverfahren im Scheidungsrecht, S. 32 ff. 898 Gegenstand der von der EuEheVO erfassten ehe- und kindschaftsrechtlichen Streitigkeiten sind keine vermögensrechtlichen Ansprüche, sondern Statusfragen, die aus dem Bereich der objektiven Schiedsfähigkeit in § 1030 Abs. 1 ZPO herausfallen; siehe daneben unter anderem auch Art. 2060 Abs. 1 des französischen Code Civil, Sec. 81(1)(a) des englischen Arbitration Act oder auch Art. 2 Abs. 1 der spanischen Ley de Arbitraje. 899 Mankowski, FS v. Hoffmann, S. 1012, 1017. 900 Mankowski, FS v. Hoffmann, S. 1012, 1018, der dazu das Beispiel anführt, dass sich ein Schiedsgericht über eine von einem staatlichen Gericht ausgesprochene Scheidung hinwegsetzen können sollte. 901 Verordnung (EG) Nr. 1259/2010 des Europäischen Parlaments und des Rates über das auf die Ehescheidung und Trennung ohne Auflösung des Ehebandes anzuwendende Recht (ABl. EU 2010, Nr. L 343, S. 10).
§ 10 Integration der Schiedsgerichtsbarkeit in den europäischen Rechtsraum
201
Anwendung findet, bestimmt. Diese Bereiche unterliegen in allen Mitgliedstaaten dem staatlichen Gewaltmonopol und sind somit von vornherein der Schiedsgerichtsbarkeit entzogen.902 III. Europäische Erbrechtsverordnung (EuErbVO) Im Hinblick auf die Schiedsfähigkeit erbrechtlicher Streitigkeiten ist das Bild hingegen differenzierter: Gerade wenn es um den Nachlass großer Vermögensgegenstände unter den Erben – etwa in der Nachfolge eines familiengeführten Unternehmens – geht, bietet sich die Schiedsgerichtsbarkeit mit ihren Vorteilen der Diskretion, der Flexibilität sowie des mitunter schnelleren und kostengünstigeren Verfahrens auch in erbrechtlichen Fragen an. Eine Schiedsklausel kann dabei zum Beispiel zwischen einem Pflichtteilsberechtigten und den Erben, im Falle der Erbengemeinschaft zwischen den Miterben geschlossen werden, aber auch aus einer vom Erblasser noch zu Lebzeiten getroffenen testamentarischen Verfügung hervorgehen, siehe § 1066 ZPO. Voraussetzung der Zulässigkeit des Schiedsverfahrens ist, dass die Streitsache objektiv schiedsfähig ist. Nach deutschem Recht müssen also gemäß § 1030 Abs. 1 S. 1 ZPO vermögensrechtliche Ansprüche den Gegenstand des Schiedsverfahrens bilden. Im europäischen Recht ist am 17. August 2015 die europäische Erbrechtsverordnung in Kraft getreten.903 Neben Vorschriften zur internationalen Zuständigkeit der mitgliedstaatlichen Gerichte sind in Art. 20 ff. EuErbVO auch Kollisionsnormen zur Bestimmung des Erbstatuts enthalten.904 Nach Art. 21 Abs. 1 EuErbVO905 bildet die Anknüpfung an den objektiven Aufenthalt des Erblassers zum Zeitpunkt des Todes die Regelanknüpfung, Art. 21 Abs. 1 EuErbVO enthält eine Ausweichklausel, falls sich aus der Gesamtheit der Umstände eine offensichtlich engere Verbindung zu einem anderen Staat ergibt. Art. 22 ff. EuErbVO regeln die Möglichkeiten einer zu Lebzeiten getroffenen Rechtswahl durch den Erblasser, sowie unter anderem das auf die Wirksamkeit und Zulässigkeit eines Erbvertrages anwendbare Recht.906 Hinsichtlich des Anwendungswillens in Schiedsverfahren lässt sich feststellen, dass der Anwendungsbereich der EuErbVO denkbar weit ausgestaltet ist. Art. 1 Abs. 1 902 Zu Tendenzen der Ausweitung der objektiven Schiedsfähigkeit auf familienrechtliche Fragen in Kanada und den USA siehe Coester-Waltjen, FS Siehr, S. 595, 596 f. 903 Siehe instruktiv Dutta, FamRZ 2013, 4 ff. 904 Dutta, FamRZ 2013, 4, 8 spricht von den kollisionsrechtlichen Regelungen zur Bestimmung des Erbstatuts als „Herzstück“ der Verordnung. 905 Verordnung (EU) Nr. 650/2012 des europäischen Parlaments und des Rates vom 4. Juli 2012 über die Zuständigkeit, das anzuwendende Recht, die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen und die Annahme und Vollstreckung öffentlicher Urkunden in Erbsachen sowie zur Einführung eines Europäischen Nachlasszeugnisses (ABl. EU 2012, Nr. L 201, S.107). 906 Zu den nur sehr eingeschränkten Wahlmöglichkeiten des Erblassers siehe kursorisch Mankowski, ZEV 2014, 395, 399 f.
202
Kapitel 4 Ausblick und weiterführende Überlegungen
EuErbVO gibt im Ausgangspunkt vor, dass die Verordnung auf die Rechtsnachfolge von Todes wegen anzuwenden ist und lediglich in Steuer- und Zollsachen sowie verwaltungsrechtlichen Angelegenheiten keine Geltung beansprucht. Unter dem Begriff der Rechtsnachfolge von Todes wegen ist nach Art. 3 Abs. 1 lit. a) EuErbVO jede Form der Vermögensweitergabe von Todes wegen, sei es aufgrund gewillkürter oder gesetzlicher Erbfolge, zu verstehen. In Art. 1 Abs. 2 EuErbVO finden sich weitere Materien, die aus dem Anwendungsbereich der Verordnung ausgenommen sind. Die Schiedsgerichtsbarkeit ist nicht darunter. Vielmehr finden sich unter den Ausnahmen viele der bereits aus den RomVerordnungen bekannten Materien, wie die des Gesellschafts- und Vereinsrechts, der Handlungs- und Geschäftsfähigkeit natürlicher Personen, der Unterhaltspflichten und des Personenstands. Bereits der Natur der Sache nach kann die EuErbVO im Umfang ihrer Regelungen zur internationalen Zuständigkeit nicht auf Schiedsverfahren zur Anwendung kommen.907 Anders ist dies jedoch mit Blick auf die kollisionsrechtlichen Bestimmungen zu beurteilen. Diese können auch von erbrechtlichen Schiedsgerichten bei der Bestimmung des auf den Nachlass anwendbaren Rechts zur Anwendung gebracht werden. Da darüber hinaus dem Normtext – wie auch in den Rom-Verordnungen – kein ausdrücklicher Ausschluss der Schiedsgerichtsbarkeit zu entnehmen ist, spricht im Ergebnis die funktionale Gleichwertigkeit von Schiedsgerichten und staatlichen Gerichten für die Anwendung der EuErbVO in Schiedsverfahren.908 IV. Europäische Unterhaltsverordnung (EuUnthVO)909 Die im Jahr 2008 verabschiedete und 2011 in Kraft getretene EuUnthVO kann dem IPR als auch dem IZVR zugeordnet werden,910 da sie sowohl das auf Unterhaltsentscheidungen anwendbare Recht als auch Regeln zur internationalen gerichtlichen Zuständigkeit sowie Anerkennungs- und Vollstreckungsregime enthält. Art. 3–11 EuUnthVO befassen sich mit der internationalen Zuständigkeit und enthalten Regelungen, die für staatliche Gerichte konzipiert sind und somit für die Schiedsgerichtsbarkeit keine Bedeutung erlangen. Auch die Vorschriften zum Vorgehen bei gleichzeitiger Rechtshängigkeit an mehreren Gerichten in Art. 12, 13 EuUnthVO sind ersichtlich nicht für Verfahren vor Schiedsgerichten konzipiert.911 Ein ausdrücklicher Ausschluss der Schiedsgerichtsbarkeit aus dem Anwendungsbereich der Verordnung findet sich hingegen nicht. 907
Mankowski, ZEV 2014, 395, 398 f. Im Ergebnis auch Mankowski, ZEV 2014, 395, 400. 909 Verordnung (EG) Nr. 4/2009 des Rates vom 18. Dezember 2008 über die Zuständigkeit, das anwendbare Recht, die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen und die Zusammenarbeit in Unterhaltssachen (ABl. EU 2009, Nr. L 7, S. 1). 910 Dörner, in: Saenger ZPO, Vorbem. zur EuUnthVO, Rn. 3. 911 Mankowski, FS v. Hoffmann, S. 1012, 1018. 908
§ 10 Integration der Schiedsgerichtsbarkeit in den europäischen Rechtsraum
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Zur Bestimmung des anwendbaren Rechts wird in Art. 15 EuUnthVO auf das Haager Unterhaltsprotokoll vom 23. November 2007912 verwiesen, welches aufgrund seines staatsvertraglichen Charakters gemäß Art. 69 Abs. 1 EuUnthVO Vorrang genießt913 und keinerlei Aussage zur Schiedsgerichtsbarkeit trifft.914 Mankowski hält daher das Haager Unterhaltsprotokoll mangels eines Ausnahmetatbestandes in der Schiedsgerichtsbarkeit für anwendbar.915 Ungeachtet der in der Praxis wohl eher untergeordneten Bedeutung von Schiedsverfahren über unterhaltsrechtliche Ansprüche,916 ist tatsächlich nicht ersichtlich, warum Schiedsgerichte zur Bestimmung des auf Unterhaltspflichten anwendbaren Rechts von der Anwendung des Haager Protokolls ausgenommen sein sollten. Schließlich sollten im Rahmen der EuUnthVO parallel zur Lage unter der EuGVVO und EuEheVO die Regeln zur Anerkennung gerichtlicher Urteile auch für Schiedsgerichte gelten. V. Europäische Insolvenzverordnung (EuInsVO)917 Ziel der 2002 in Kraft getretenen europäischen Insolvenzverordnung (EuInsVO) ist es, effiziente und wirksame grenzüberschreitende Insolvenzverfahren zu ermöglichen und dadurch die Funktionsfähigkeit des europäischen Binnenmarktes zu stärken.918 Die EU-weite Anerkennung von Insolvenzverfahren soll eine Verschiebung von Vermögenswerten von einem in einen anderen Mitgliedstaat verhindern.919 In der Verordnung sind somit einheitliche internationale Zuständigkeiten für die Eröffnung und Durchführung eines Insolvenzverfahrens sowie Regelungen zur Bestimmung des auf das Insolvenzverfahren anwendbaren Rechts und zur Anerkennung der Eröffnung eines Insolvenzverfahrens zwischen den Mitgliedstaaten enthalten. Ein Ausschluss der Schiedsgerichtsbarkeit ist im Anwendungsbereich der Verordnung nicht enthalten. Da die Kompetenz zur Eröffnung eines Insolvenzverfahrens hingegen ohnehin ausschließlich bei den 912
Haager Protokoll über das auf Unterhaltspflichten anzuwendende Recht vom 23.11. 2007 (ABl. EU 2009, Nr. L 331, S. 19). 913 Dörner, in: Saenger ZPO, Art. 15 EuUnthVO, Rn. 1; Gruber, IPRax 2010, 128 ff. 914 Zum Haager Unterhaltsprotokoll siehe eingehend Hirsch, in: Europäisches Unterhaltsrecht, 17, 32 ff. 915 Mankowski, FS v. Hoffmann, S. 1012, 1018. 916 Ohne genaue Zahlen zu den verhandelten Fällen zu nennen, siehe zu den jüngsten Entwicklungen in diesem Bereich das im Jahr 2006 als erstes Schiedsgericht in Familiensachen in Deutschland gegründete „Süddeutsche Familienschiedsgericht“ zur außergerichtlichen Erledigung von unterhalts- und vermögensrechtlichen Streitigkeiten, im Internet zu finden unter ; ein kurzer Bericht über erste Erfahrungen findet sich bei Kloster-Harz, FamRZ 2007, 99 f. 917 Verordnung (EG) Nr. 1346/2000 des Rates vom 29. Mai 2000 über Insolvenzverfahren (ABl. EU 2000, Nr. L 160, S. 1). 918 Pape/Uhlenbruck/Voigt-Salus, Insolvenzrecht, Kapitel 48, Rn. 6. 919 Erwägungsgrund 4 der EuInsVO; Martini, ZInsO 2002, 905, 906.
204
Kapitel 4 Ausblick und weiterführende Überlegungen
staatlichen Gerichten liegt, scheitert die Anwendung der EuInsVO im Schiedsverfahren bereits an dieser grundlegenden Voraussetzung.920 Jedenfalls die Zuständigkeitsvorschriften in Art. 3, 27 EuInsVO haben somit für internationale Schiedsgerichte keinerlei Bedeutung. Anders ist es jedoch auch hier im Hinblick auf die Anerkennung grenzüberschreitender Insolvenzen gemäß Art. 16, 26 EuInsVO in Schiedsverfahren. Dabei geht es insbesondere darum, ob ein Schiedsgericht die Insolvenz einer Partei in einem bereits anhängigen Verfahren berücksichtigen und den Insolvenzverwalter aufgrund der auf ihn übergegangenen Prozessführungsbefugnis anstelle des Schuldners am Schiedsverfahren beteiligen muss.921 Zu beachten ist hier insbesondere die spätere Anerkennung und Vollstreckbarkeit des Schiedsspruchs. Diese ist bei fehlender Rücksichtnahme auf die Insolvenzeröffnung durch das Schiedsgericht gefährdet. Bei inländischen Schiedssprüchen ist ein solcher Schiedsspruch regelmäßig nach § 1059 Abs. 2 Nr. 1 lit. d) ZPO, § 1059 Abs. 2 Nr. 2 lit. b) ZPO wegen unzulässigen Verfahrens oder Verstoß gegen den ordre public aufhebbar.922 Bei ausländischen Schiedssprüchen ergibt sich Selbiges aus § 1061 Abs. 1 ZPO i.V.m. Art. V Abs. 2 lit. b) UNÜ. Schon aus diesem Grund sollte das Schiedsgericht in Einklang mit dem Internationalen Insolvenzrecht der lex fori handeln.923 In der Konsequenz sind damit alle weiteren materiell-insolvenzrechtliche Fragen im Schiedsverfahren gemäß Art. 4 Abs. 2 lit. f) EuInsVO und Art. 15 EuInsVO nach der lex fori concursus zu beurteilen.924 Hinsichtlich der Anerkennung insolvenzrechtlicher Entscheidungen beansprucht die EuInsVO im Ergebnis also auch im Schiedsverfahren Geltung. VI. Europäische Zustellungsverordnung (EuZustVO)925 Wieder anders stellt sich die Situation im europäischen Zustellungsrecht dar. Als Ausfluss des völkerrechtlich verankerten Territorialitätsprinzips ist es Ziel der Verordnung, staatliche Souveränitätsrechte dadurch zu wahren, dass die Zustellung von gerichtlichen oder außergerichtlichen Schriftstücken in einem 920
Mankowski, FS v. Hoffmann, S. 1012, 1019. Wagner, Internationales Insolvenzrecht und Internationale Schiedsgerichtsbarkeit, S. 110; für den Fall der Insolvenzeröffnung vor Anhängigkeit des Schiedsverfahrens siehe Nacimiento/Bähr, NJOZ 2009, 4752, 4758. 922 Trunk, Internationales Insolvenzrecht, S. 133. 923 Wagner, Internationales Insolvenzrecht und Internationale Schiedsgerichtsbarkeit, S. 110; Mankowski, FS v. Hoffmann, S. 1012, 1019. 924 Nacimiento/Bähr, NJOZ 2009, 4752, 4759; Mankowski, FS v. Hoffmann, S. 1012, 1019. 925 Verordnung (EG) Nr. 1393/2007 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13. November 2007 über die Zustellung gerichtlicher und außergerichtlicher Schriftstücke in Zivil- oder Handelssachen in den Mitgliedstaaten (Zustellung von Schriftstücken) und zur Aufhebung der Verordnung (EG) Nr. 1348/2000 des Rates (ABl. EU 2007, Nr. L 324, S. 79). 921
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Mitgliedstaat durch Hoheitsträger eines anderen Mitgliedstaats nur unter Berücksichtigung der Vorgaben aus der EuZustVO gestattet sind.926 Da sich das Gebot der Achtung staatlicher Souveränität naturgemäß nur an staatliche Hoheitsträger richtet, gilt auch die EuZustVO nur für die Zustellung von Schriftstücken durch staatliche Hoheitsträger. Privatpersonen können dagegen Schriftstücke auch grenzüberschreitend formlos zustellen. Dies gilt aufgrund ihres privaten Charakters grundsätzlich auch für Schiedsgerichte. Für sie richtet sich die Art der Zustellung von Schriftstücken nach den Regeln, auf die sich die Parteien in ihrer Schiedsordnung geeinigt haben. Subsidiär kommen das Schiedsverfahrensstatut und die Vorschriften des Prozessrechts am Sitz des Schiedsgerichts zur Anwendung. Während die EuZustVO nur für gerichtliche Schriftstücke zwingend ist und auf die formlose Zustellung privater Schriftstücke durch Schiedsgerichte keinen Einfluss hat, hält die Verordnung in Art. 16 EuZustVO jedoch eine Option bereit, fakultativ auf eine formelle Zustellung nach der EuZustVO zurückzugreifen. So können außergerichtliche Schriftstücke zum Zweck der Zustellung in einem anderen Mitgliedstaat nach Maßgabe der EuZustVO übermittelt werden. Hieran kann seitens des Schiedsgerichts Interesse bestehen, beispielweise um die Zustellung der Schiedsklage und den Lauf der daran anknüpfenden Fristen sicherzustellen.927 Der Begriff des außergerichtlichen Schriftstücks ist autonom auszulegen. Dies lässt sich durch eine Auslegung in Abgrenzung zum begrifflichen Pendant des gerichtlichen Schriftstücks erreichen: Während für die Qualifikation eines Schriftstücks als „gerichtlich“ ein verfahrensrechtlicher Bezug zu einem einzuleitenden oder anhängigen Verfahren erforderlich ist, ist ein Schriftstück „außergerichtlich“, wenn es keinen Bezug zu einem konkreten Gerichtsverfahren oder zu dessen Einleitung aufweist.928 Die Verordnung steht aufgrund dieser sehr offen gewählten Terminologie einer Berücksichtigung privater Schriftstücke und Schriftstücken schiedsverfahrensrechtlicher Herkunft nicht entgegen.929 Aufgrund der prozessualen Wirkung der formellen Zustellung sowie der Vergleichbarkeit des Bedürfnisses staatlicher und privater Gerichte an einer sicheren Zustellung, sollte die Möglichkeit einer formellen Zu-
926
Mankowski, FS v. Hoffmann, S. 1012, 1019. Siehe Bajons, in: Fasching/Konecny ZPO5/2, Art. 16 EuZustVO, Rn. 8. 928 Rauscher, in: MünchKommZPO3, Art. 1 EuZustVO, Rn. 8; der EuGH hatte bisher lediglich darüber zu befinden, ob eine notarielle Urkunde ein außergerichtliches Schriftstück nach der EuZustVO darstelle und hat diese Frage bejaht, EuGH 25.6.2009 – Rs. C-14/08 (Roda Golf & Beach Resort SL), Slg. 2009, I-05439 = NJW 2009, 2513, 2515; ob auch Schriftstück von Privatpersonen vom Anwendungsbereich erfasst sind, ließ der EuGH dabei jedoch offen. 929 Mansel/Thorn/Wagner, IPRax 2010, 1, 20 lassen erkennen, dass eine Differenzierung zukünftig danach erfolgen könnte, ob an ein privatschriftlich verfasstes Schriftstück spezifische Rechtswirkungen verbunden sind. 927
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Kapitel 4 Ausblick und weiterführende Überlegungen
stellung von Schriftstücken über Art. 16 EuZustVO auch Schiedsgerichten offen stehen.930 VII. Europäische Beweisaufnahmeverordnung (EuBeweisVO) In ähnlicher Weise stellt sich die Frage nach dem Verhältnis der Schiedsgerichtsbarkeit zum europäischen Zivilverfahrensrecht auch im Beweisrecht, welches durch die EuBeweisVO931 europaweit vereinheitlicht wurde. Das bisher geltende Haager Beweisrechtsübereinkommen932 wird gemäß Art. 21 Abs. 1 EuBeweisVO verdrängt.933 Das Anliegen der Verordnung ist es, durch eine Kooperation der Gerichte der Mitgliedstaaten eine effiziente Beweiserhebung zu ermöglichen.934 Grundlage ist die Einführung eines standardisierten Verfahrens zur Übermittlung von Beweisaufnahmeersuchen zwischen den Gerichten.935 Auch hier geht es im Kern um die Wahrung staatlicher Souveränitätsrechte, indem eine eigenmächtige Beweisaufnahme eines Gerichts in einem fremden Staat unterbunden und nur unter Einhaltung der vereinheitlichten Regeln gestattet wird.936 Inwieweit Schiedsgerichten gestattet werden sollte, zur eigenen Beweiserhebung auf dieses Verfahren Rückgriff nehmen zu können, ist umstritten.937 Jedenfalls ist diese Frage im Verordnungstext der EuBeweisVO nicht adressiert. Alleiniger Adressat der Verordnung sind nach Art. 1 Abs. 1 EuBeweisVO die „Gericht[e] eines Mitgliedstaats“, wovon auch Schiedsgerichte erfasst sein können. Solange die vom Schiedsgericht zu erhebenden Beweise freiwillig zugänglich gemacht werden, ist diese Frage nicht erheblich. Das Schiedsgericht kann dann schlicht in Übereinstimmung mit den Bestimmungen der vereinbarten 930 So auch Mankowski, FS v. Hoffmann, S. 1012, 1020 und Halfmeier, LMK 2009, 288747, der sich für eine generelle Berücksichtigung von Privaturkunden nach dem Vorbild des § 132 BGB ausspricht; a.A. Schlosser, EU-ZPR, Art. 1 EuZustVO, Rn. 1, welcher den Schiedsspruch als solchen als außergerichtliches Schriftstück im Sinne der EuZustVO anerkennt. 931 Verordnung (EG) Nr. 1206/2001 des Rates vom 28. Mai 2001 über die Zusammenarbeit zwischen den Gerichten der Mitgliedstaaten auf dem Gebiet der Beweisaufnahme in Zivil- oder Handelssachen (ABl. EG 2001, Nr. L 174, S. 1). 932 Haager Übereinkommen über die Beweisaufnahme im Ausland in Zivil- und Handelssachen vom 18. März 1970, BGBl. 1977 II, S. 1472. 933 Berger, FS Rechberger, S. 39, 40; Varga, Beweiserhebung im transatlantischen Schiedsverfahren, S. 251. 934 Siehe Erwägungsgrund 8 der EuBeweisVO. 935 Berger, IPRax 2001, 522, 522. 936 Berger, IPRax 2001, 522, 522; die direkte Beweisaufnahme eines Gerichts in einem anderen EU-Mitgliedstaats ist nur gemäß Art. 17 EuBeweisVO und unter dem Verbot der Anwendung von Zwangsmitteln zulässig. 937 Dafür Knöfel, RIW 2007, 832, 836 ff.; Mankowski, FS v. Hoffmann, S. 1012, 1020 f.; dagegen unter anderem Berger, IPRax 2001, 522, 523; Varga, Beweiserhebung im transatlantischen Schiedsverfahren, S. 252; McGuire/Rechberger, ÖJZ 2006, 829, 830 f.
§ 10 Integration der Schiedsgerichtsbarkeit in den europäischen Rechtsraum
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Schiedsordnung ein Beweiserhebungsverfahren durchführen. Problematischer ist die Situation jedoch, wenn das Schiedsgericht darauf angewiesen ist, Beweise mittels Zwangsandrohungen zu erheben. Hierzu ist das Schiedsgericht aufgrund des Gewaltmonopols des Staates nicht befugt. Es ist auf Beweishilfe seitens der staatlichen Gerichte angewiesen, welche es den Schiedsgerichten erlaubt, etwa zur Zeugenvernehmung auf gerichtliche Unterstützung zu rekurrieren.938 Diese Möglichkeit wird ihnen in vielen Schiedsrechten gewährt, allerdings häufig lediglich dann, wenn es sich um inländische Schiedsverfahren handelt. Im Hinblick auf die Bereitstellung gerichtlicher Beweishilfe für ausländische Schiedsverfahren lässt sich aus den nationalen Schiedsrechten eine deutliche Zurückhaltung entnehmen.939 Besonders problematisch ist die Situation somit dann, wenn sich ein zwangsweise zu vernehmender Zeuge im europäischen Ausland befindet. Das Schiedsgericht steht in diesem Fall vor der Aufgabe, abzuwägen, auf welchem Wege es zur Erhebung des Beweises gelangen möchte. Grundsätzlich sind dabei zwei Vorgehensweisen denkbar:940 Entweder wendet es sich an ein Gericht seines Sitzstaates und erbittet von diesem, ein Beweisaufnahmeersuchen an das Gericht am Aufenthaltsort des Zeugen zu richten. Das Verfahren zwischen den beiden staatlichen Gerichten richtete sich dann nach der EuBeweisVO. Eine Beweisaufnahme würde damit nur mittelbar über die Zwischenschaltung staatlicher Gerichte erfolgen. Für die Parteien ist ein solches Vorgehen im Falle einer zwangsweisen Beweisaufnahme regelmäßig mit einer Verfahrensverzögerung verbunden.941 Daneben könnte das Schiedsgericht erwägen, sich unmittelbar mit einem entsprechenden Beweisaufnahmeersuchen an das Gericht am Aufenthaltsort des Zeugen zu wenden. Das würde allerdings bedeuten, dass es sich wie ein staatliches Gericht auf die Regelungen zur grenzüberschreitenden Beweisaufnahme in der EuBeweisVO berufen kann. Auch hier fehlt es jedoch am hoheitlichen Charakter von internationalen Schiedsgerichten.942 Ein funktionaler Vergleich der Schiedsgerichtsbarkeit und der staatlichen Gerichtsbarkeit zeigt jedoch, dass die Auslegung von Rechts938
Bredow, SchiedsVZ 2009, 22, 25. In Europa sehen eine Unterstützung ausländischer Schiedsverfahren bei der Beweiserhebung bislang nur Deutschland (§ 1050 ZPO), Österreich (§ 602 ZPO), Polen, Schweden und Slowenien vor, siehe Mankowski, FS v. Hoffmann, S. 1012, 1021; Varga, Beweiserhebung im transatlantischen Schiedsverfahren, S. 250 f.; den Vergleich zum US-Amerikanischen Recht herstellend Knöfel, RIW 2007, 832 ff.; Wolff, Am.Rev.Int’lArb. 19 (2008) 145, 153 ff. 940 Schoibl, FS Rechberger, S. 513, 520; Varga, Beweiserhebung im transatlantischen Schiedsverfahren, S. 249 f. 941 Beispiele zu strategischem Vorgehen der Parteien im Hinblick auf die Beweisaufnahme finden sich bei Pastalozzi, FS Forstmoser, S. 579, 587. 942 Mankowski, FS v. Hoffmann, S. 1012, 1020. 939
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Kapitel 4 Ausblick und weiterführende Überlegungen
vorschriften, die Sachverhaltsfeststellung und Beweiswürdigung als Wesenszüge der Rechtsprechungstätigkeit943 auf beiden Wegen der Streitbeilegung weitgehend identisch abläuft. Es mangelt lediglich an der Eigenbefugnis eines Schiedsgerichts, die Anwendung von Zwangsgewalt zur Beweiserhebung anzuordnen. Diese Möglichkeit ist jedoch von der EuBeweisVO gar nicht erfasst, denn eine unmittelbare Beweisaufnahme darf nach Art. 17 EuBeweisVO nur ohne Zwangsmaßnahmen erfolgen und auch bei der Beweisaufnahme durch das ersuchte Gericht kommen gemäß Art. 13 EuBeweisVO nur die Zwangsmittel des ersuchten Gerichts zur Geltung. Es besteht folglich nicht die Gefahr, dass ein Schiedsgericht durch den „Zugang“ zur EuBeweisVO in die Lage versetzt würde, staatliche Zwangsmaßnahmen anwenden zu können, die ihm ansonsten aufgrund seines Naturells als privates Schiedsgericht verwehrt blieben.944 Im Ergebnis sollten Schiedsgerichten somit in den Anwendungsbereich der EuBeweisVO einbezogen werden und ihnen somit gestattet sein, sich mit Beweisaufnahmeersuchen im Anwendungsbereich der EuBeweisVO direkt an die Gerichte des Beweiserhebungsstaates zu wenden. VIII. Zusammenfassung Es lässt sich festhalten, dass die These, der europäische Gesetzgeber habe die Schiedsgerichtsbarkeit generell aus den Harmonisierungsbestrebungen auf dem Gebiet des europäischen IPR ausnehmen wollen, nicht zutrifft. Spätestens die intensiven Diskussionen um die Aufnahme der Schiedsgerichtsbarkeit in die EuGVVO haben gezeigt, dass die Zurückhaltung des europäischen Gesetzgebers, im Rahmen der justiziellen Zusammenarbeit auf dem Gebiet des Schiedsverfahrensrechts tätig zu werden, kein unverbrüchliches Dogma ist.945 Das europäische IPR und das Internationale Schiedsverfahrensrecht bilden keine hermetisch voneinander getrennten Rechtsgebiete, sondern sind miteinander verwoben. Außerhalb der Diskussion um die Rom I-VO zeigt sich dies durch die Berücksichtigung insolvenzrechtlicher Entscheidungen nach der EuInsO oder der Möglichkeit von Schiedsgerichten, auf die Instrumente des Europäischen Zustell- oder Beweiserhebungsrechts zurückgreifen zu können. Im Ergebnis kann dies als Konsequenz aus der funktionalen Gleichwertigkeit von privaten Schiedsgerichten und staatlicher Gerichtsbarkeit betrachtet werden. Es eröffnet den Schiedsgerichten, wie im Fall der EuZustVO und der EuBeweisVO, sogar neue Möglichkeiten einer effizienten Verfahrensdurchführung. 943
Siehe EuGH 13.6.2006 – Rs. C-173/03 (Traghetti del Mediterraneo), Slg. 2006, I-5204. Im Ergebnis so auch Knöfel, RIW 2007, 838; Mankowski, FS v. Hoffmann, S. 1012, 1021 führt für diese Sicht außerdem das Arguments der Wettbewerbsfähigkeit des Schiedsstandorts Deutschlands im Vergleich zur Schweiz an, wonach die Verfügbarkeit direkter Beweishilfe innerhalb der EU ein wichtiges Kriterium bei der Wahl eines geeigneten Schiedsortes für die Parteien sei; so auch Klausegger, Aust.Arb.Yb. 2007, 277, 279. 945 McGuire, SchiedsVZ 2011, 257, 263. 944
§ 11 „Schiedsstandort Europa“ statt Rechtszersplitterung
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§ 11 „Schiedsstandort Europa“ statt Rechtszersplitterung – Recht als Standortfaktor im Wettbewerb der Rechtsordnungen § 11 „Schiedsstandort Europa“ statt Rechtszersplitterung
Mit der zunehmenden Verflechtung und Öffnung der Märkte geht der Aufstieg des Konzepts eines „Wettbewerbs der Rechtsordnungen“ einher, wonach Recht im internationalen Wettbewerb die Rolle eines Standortfaktors zukommt und sich als vom jeweiligen Staat offeriertes „Produkt“946 auf einem internationalen „Rechtsmarkt“ gegen andere Rechtsordnungen behaupten muss. Der Verweis auf mögliche Vor- bzw. Nachteile im Wettbewerb der Rechtsordnungen scheint insbesondere in der Schiedsgerichtsbarkeit als Motiv zu dienen, mit dem Rechtsentwicklungen kritisch begleitet werden.947 Nach der Analyse Maultzsch hat sich dadurch im internationalen Kontext ein Funktionswandel des Rechts als Gegenstand eines Wettbewerbs vollzogen.948 Dieser ließe sich im Einklang mit Dammann/Hansmann auch als „global market for judicial services“ charakterisieren.949 Voraussetzung hierfür bilden Wahlmöglichkeiten im Hinblick darauf, welche Rechtsordnungen und Konfliktlösungsmechanismen für die jeweiligen Rechtsbeziehungen maßgeblich sein sollen.950 Insbesondere im Bereich des Wirtschaftsrechts scheinen die nationalen Gesetzgeber innerhalb der Europäischen Union trotz des Bekenntnisses zum gemeinsamen Binnenmarkt einen Wettbewerb um die effektivste Rechtsordnung eröffnet zu haben. Das vom Bundesministerium der Justiz ausgerufene „Bündnis für das deutsche Recht“ sowie die Initiative zur Stärkung des Rechtsstandorts Deutschland unter dem Titel „Law – Made in Germany“ sind aus deutscher Sicht Ausdruck dieses Wettbewerbs.951 Auch die Position des englischen Richters Lord Hoffmann im Vorlageersuchen des House of Lords an den EuGH im Fall West Tankers zeugt von dem Bestreben, die eigene Rechtsordnung für internationale Schiedsverfahren durch die Möglichkeit des Erlasses von anti-suit 946 Zur Beschreibung von materiellem Recht als Produkt, das je nach Präferenz der Beteiligten Marktteilnehmer gewählt oder abgewählt werden kann, siehe Eidenmüller, JZ 2009, 641. 947 Aus jüngerer Zeit Wolff, SchiedsVZ 2016, 293, 302, der im Hinblick auf eine Bindung von Schiedsgerichten an die Rom I-VO formuliert: „Im Wettbewerb der Schiedsorte um die Austragung internationaler Schiedsverfahren wäre es ein Schritt rückwärts, die Schiedsgerichte an die Kette der Rom I-Verordnung zu legen.“ 948 Maultzsch, FS v. Hoffmann, S. 304; zur Kritik hieran siehe exemplarisch Stürner, Markt und Wettbewerb über alles?, S. 31 f. 949 Dammann/Hansmann, Yale Law & Economics Research Paper No. 347 (2007) abrufbar unter . 950 Wagner, in: Regulatory Competition in Contract Law and Dispute Resolution, S. 347, 353 ff.; Rühl, Statut und Effizienz, S. 351, die einen Wettbewerb der Rechtsordnungen per se für wünschenswert hält und sich im Folgenden mit der Frage beschäftigt, wie ein solcher im Wege einer ökonomischen Analyse des Internationalen Privatrechts bestmöglich gefördert werden kann. 951 Wernicke, ZRP 2014, 33 ff.; siehe auch .
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Kapitel 4 Ausblick und weiterführende Überlegungen
injunctions im Vergleich zu anderen Rechtsordnungen attraktiver zu gestalten.952 Die Konkurrenz der Mitgliedstaaten untereinander birgt jedoch die Gefahr einer Umgehung wichtiger gesellschafts- und ordnungspolitischer Wertentscheidungen im Hinblick auf den Grad der Regulierung in den einzelnen nationalen Rechtsordnungen. Wie dargestellt, verfolgten die im Schiedsverfahrensrecht auf Grundlage des UMG vollzogenen Reformen der nationalen Schiedsverfahrensrechte als wichtiges Ziel, den eigenen Mitgliedstaat als Schiedsstandort gegenüber anderen Staaten möglichst attraktiv zu gestalten.953 Es ist auch hier ein Wettbewerb der Rechtsordnungen entstanden.954 Wilske spricht sinnfällig davon, dass die einzelnen Rechtsordnungen und ihre Regierungen nicht mehr nur „arbitration-friendly“, sondern geradezu „arbitration-eager“ geworden seien.955 Folgen dieses Wettlaufs sind, dass immer größere Rechtsbereiche Schiedsverfahren zugänglich gemacht werden und die Verfahrensbeteiligten eines Schiedsverfahrens mit größerer Freiheit ausgestattet werden.956 Es stellt sich die Frage, ob ein solcher Wettbewerb zwischen den einzelnen Mitgliedstaaten der EU auf dem Gebiet des Schiedsverfahrensrechts weiter forciert werden sollte, oder ob die Europäische Union mit einem einheitlichen europäischen Schiedsverfahrensrecht den Wettbewerb mit den außereuropäischen Schiedszentren aufnehmen sollte.957 Der Gegenentwurf zum Wettbewerb der Mitgliedstaaten untereinander läge in einer europäischen Harmonisierung des Schiedsverfahrensrecht mit dem Ziel, Schiedsverfahren in der Europäischen Union insgesamt attraktiv zu gestalten und so den Wettbewerb der Mitgliedstaaten untereinander zugunsten eines globalen Wettbewerbs der Europäischen Union mit anderen Schiedsstandorten auszugestalten. Dabei ginge es nicht darum, einen prinzipiell effizienzsteigernden internationalen Wettbewerb um den attraktivsten Schiedsstandort auszuschließen, sondern durch einen gemeinsamen „Schiedsstandort Europa“ ein einheitliches Schiedsverfahrensrecht zur Verfügung zu stellen. Die Ausgestaltung 952
West Tankers [2007] UKHL 4, para. 21: „Finally, it should be noted that the European Community is engaged not only with regulating commerce between Member States but also in competing with the rest of the world. If the Member States of the European Community are unable to offer a seat of arbitration capable of making orders restraining parties from acting in breach of the arbitration agreement, there is no shortage of other states which will. For example, New York, Bermuda and Singapore are also leading centres of arbitration and each of them exercises the jurisdiction which is challenged in this appeal. There seems to me to be no doctrinal necessity or practical advantage which requires the European Community handicap itself by denying its courts the right to exercise the same jurisdiction.“ 953 Für viele Schroeder/Oppermann, ZVglRWiss 99 (2000) 410, 423. 954 Benedettelli, Arb.Int’l 27 (2011) 583; Wilske, Contemp.AsiaArb.J. 1 (2008) 21 ff.; Mankowski, Interessenpolitik und europäisches Kollisionsrecht, S. 60. 955 Wilske, Contemp.AsiaArb.J. 1 (2008) 21, 24. 956 Wilske, Contemp.AsiaArb.J. 1 (2008) 21, 24. 957 Dies Frage aufwerfend auch de Ly, in: Conflict of Laws in International Arbitration, S. 3, 14; Gómez Jene, IPRax 2005, 84, 92.
§ 11 „Schiedsstandort Europa“ statt Rechtszersplitterung
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dieses Schiedsverfahrensrechts könnte das Nebeneinander von europäischem Recht und nationalen Schiedsverfahrensrechten mit ihren Überschneidungen und Konflikten abmildern und die bestehende Beeinflussung des Schiedsverfahrensrechts durch die Rechtsprechung des EuGH in ein kohärentes Regelwerk gießen. Durch Bezugnahmen oder Verweisungen auf das europäische Kollisionsrecht ließe sich die Reichweite der Bindung von Schiedsgerichten an kollisionsrechtliche Vorgaben normieren. Gleiches gilt auch für eine Integration des auf dem Gebiet des Schiedsverfahrensrechts geltenden Völkerrechts – dieses könnte ebenfalls mittels Verweisung in ein europäisches Schiedsverfahrensgesetz integriert werden.958 Daneben könnten Fragen der Kooperation von staatlichen Gerichten und Schiedsgerichten, wie sie vereinzelt in den Schiedsrechten der Mitgliedstaaten bereits geregelt sind,959 in der Europäischen Union einer einheitlichen Lösung zugeführt werden.960 Speziell auf letzterem Gebiet ließe sich auf diesem Weg eine für alle Seiten befriedigende Situation etwa für die Behandlung von Parallelverfahren vor staatlichen und privaten Schiedsgerichten erreichen.961 Auch eine Harmonisierung der formalen Anforderungen an den Abschluss einer Schiedsvereinbarung könnte in einem gemeinsamen europäischen Schiedsverfahrensrecht enthalten sein, da alleine auf diesem Gebiet eine Reihe unterschiedlicher Standards in den nationalen Schiedsverfahrensrechten existieren.962 So unterliegt etwa aufgrund des Ausschlusses der Schiedsgerichtsbarkeit vom Anwendungsbereich der EuGVVO eine Entscheidung eines nationalen Gerichts über die Wirksamkeit einer Schiedsvereinbarung nicht der Anerkennungspflicht in einem anderen Mitgliedstaat, sodass die Gefahr widersprüchlicher Entscheidungen besteht.963 958 Vgl. Kreuzer, RabelsZ 70 (2006) 1, 86, der dieses Modell für die Kodifikation eines „Europäischen IPR-Gesetzbuch“ vorschlägt; das Bedürfnis einer Berücksichtigung dieser staatsvertraglichen Instrumente betont auch de Ly, in: Conflict of Laws in International Arbitration, S. 3, 15. 959 Siehe zum Umfang staatlicher Unterstützungshandlungen für Schiedsgerichte in Deutschland § 1050 ZPO, für England Art. 45 Arbitration Act 1996 sowie für Österreich Art. 602 öZPO. 960 Zur Kooperation von staatlichen Gerichten und Schiedsgerichten in der EU auch di Brozolo, J.Priv.Int.L. 7 (2011) 423, 426; in diese Richtung auch van Houtte, Arb.Int`l 21 (2005) 509: „The discordance between arbitration and court proceedings is the less tolerable in a European Union that fosters judicial cooperation, efficient dispute settlement and legal certainty.“ 961 Siehe zur Rechtsprechungspraxis des EuGH unter Kapitel 2 – § 4.III. sowie di Brozolo, J.Priv.Int.L. 7 (2011) 423, 426, der eine Reihe weiterer Probleme auflistet, die aus dem Nebeneinander von 28 verschiedenen nationalen Schiedsverfahrensrechten in Europa folgen. Auch Wilske, Contemp.AsiaArb.J. 1 (2008) 21, 26 weist auf die Probleme hin, die sich widersprechende nationale Schiedsrechte in der EU mit sich bringen können; ebenso de Ly, in: Conflict of Laws in International Arbitration, S. 3, 15. 962 di Brozolo, J.Priv.Int.L. 7 (2011) 423, 456. 963 di Brozolo, J.Priv.Int.L. 7 (2011) 423, 426.
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Kapitel 4 Ausblick und weiterführende Überlegungen
Wie ein gemeinsames europäisches Schiedsverfahrensrecht aussehen und wie weit die Harmonisierung gehen könnte, ließe sich im Detail und unter Berücksichtigung sowohl der Interessen der Schiedsgerichtsbarkeit als auch der politischen Regelungsinteressen austarieren. Ein einheitliches Regelwerk, welches die europäische Rechtsprechung als Teil des acquis communautaire durch die Formulierung gesamteuropäischer Standards bei der Durchführung von Schiedsverfahren in Europa konsolidiert, könnte hier Abhilfe schaffen.964 Die Transaktionskosten für die Parteien würden damit bei Schiedsverfahren in der Europäischen Union sinken, die Attraktivität von Schiedsverfahren in der Europäischen Union insgesamt würde zunehmen. Ob sich in der Europäischen Union die Idee eines europäischen Schiedsverfahrensgesetzes („EU Federal Arbitration Act“965) durchsetzen kann, hängt letztlich vom politischen Willen ab.966 Dass die Idee eines einheitlichen europäischen Schiedsverfahrensrechts jedenfalls nicht außerhalb des politischen Handlungsrahmens liegt, zeigt ein Blick in die Historie: So unterbreitete der Europarat bereits 1966 einen Vorschlag für ein „Übereinkommen zur Einführung eines einheitlichen Gesetzes über die Schiedsgerichtsbarkeit“.967 Das Scheitern dieses Vorstoßes beruhte damals im Wesentlichen auf der Unsicherheit über die Rechtsgrundlagen der Schiedsgerichtsbarkeit sowie der Befürchtung, mit dem erst kurz zuvor abgeschlossenen UNÜ zu kollidieren.968
§ 12 Auslegung und Rechtsfortbildung des europäischen Kollisionsrechts durch Schiedsgerichte § 12 Auslegung und Rechtsfortbildung des europäischen Kollisionsrechts
Eine weitere Überlegung schließt an die richterliche Auslegung und Rechtsfortbildung durch die Rechtspraxis an, die es ermöglichen, sich ändernden gesellschaftlichen Rahmenbedingungen Rechnung zu tragen.969 Dies gilt für das Kollisionsrechts wie auch das materielle Recht gleichermaßen.970 Die Rechtsfort964 Benedettelli, Arb.Int’l 27 (2011) 583, 622, der für ein optionales europäisches Regelwerk plädiert, welches die Parteien bei Abschluss der Schiedsklausel wählen können; zum schiedsgerichtlichen acquis communautaire siehe auch Eichstädt, Der schiedsrechtliche Acquis communautaire. 965 de Ly, in: Conflict of Laws in International Arbitration, S. 3, 15. 966 So auch de Ly, in: Conflict of Laws in International Arbitration, S. 3, 15, der von einer „political question“ spricht und gleichzeitig das grundsätzliche Bedürfnis einheitlicher europäischer Regelungen im Bereich des Schiedsverfahrensrecht betont. 967 Münch, in: MünchKommZPO3, Vor §§ 1025 ff., Rn. 133. 968 Münch, in: MünchKommZPO3, Vor §§ 1025 ff., Rn. 133 ff. 969 Zum verfahrensrechtlichen Rahmen richterlicher Rechtsfortbildung in Deutschland siehe instruktiv Basedow, RabelsZ 80 (2016) 237 ff. sowie Heinze, RabelsZ 80 (2016) 254 ff. 970 Ein Plädoyer für einen stärkeren Mut zur Rechtsfortbildung durch die Gerichte auf dem Gebiet des Kollisionsrechts findet sich bei Mäsch, Rechtswahlfreiheit und Verbraucherschutz, S. 155 ff., der vom IPR als „offenes System“ spricht.
§ 12 Auslegung und Rechtsfortbildung des europäischen Kollisionsrechts
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bildung kann dem Gesetzgeber Handlungsbedarf aufzeigen und Ausgangspunkt für Reformen zu sein.971 Aufgabe der Gerichte ist die Streitentscheidung auf Grundlage des materiellen Rechts. Hierzu hat der Richter das Recht mit Hilfe des anerkannten Methodenkanons auszulegen. Darüber hinaus sind dem Richter Werkzeuge an die Hand gegeben, die etwa im Wege einer Analogie oder einer teleologischen Reduktion eine Fortbildung des Rechts ermöglichen.972 Hier geht es darum, präzesierungsbedürftige Normen zu konkretisieren973 sowie Lücken zu füllen, die sich im Rahmen der Auslegung des Gesetzes auftun.974 Während diese Art der Rechtsfortbildung als „gesetzesimmanente“ Rechtsfortbildung bezeichnet wird, ist daneben eine „gesetzesüberschreitende“ Rechtsfortbildung zu beobachten, bei der der Richter sich vom eigentlichen (historischen) Willen des Gesetzgebers löst und neue, zeitgemäße Lösungen entwickelt.975 Die Rechtsprechung nimmt somit einerseits eine eng umgrenzte „schöpferische“ Rolle bei der Auslegung des Rechts ein und kann andererseits dem Gesetzgeber dazu dienen, zu evaluieren, wie sich die Gesetze in der Praxis bewähren, um hieraus Konsequenzen für zukünftige Gesetzes- bzw. Reformvorhaben zu ziehen. Ohne an dieser Stelle auf die fortwährende Diskussion über die Grenzen von Auslegung und Rechtsfortbildung einzugehen, ist anerkannt, dass der richterlichen Auslegung und Rechtsfortbildung eine wichtige Funktion im Rahmen der Entwicklung einer Rechtsordnung und deren Reaktionsfähigkeit auf Veränderungen zukommt. Dies trifft auch auf das Gebiet der internationalen Schiedsgerichtsbarkeit zu, indem Schiedsgerichte ihre Funktion mitunter auch dahingehend verstehen, die Grundregeln des internationalen Handelsverkehrs nicht nur anzuwenden, sondern auch an deren Fortentwicklung mitzuwirken.976 Nähme man das europäische Kollisionsrecht für vertragliche Schuldverhältnisse gänzlich von der Anwendung durch internationale Schiedsgerichte aus, würde dies bedeuten, dass das Kollisionsrecht einen nicht unerheblichen Teil seiner praktischen Relevanz einbüßen würde und von der richterlichen Fort971
Heinze, RabelsZ 80 (2016) 254, 271. Für das deutsche Recht ist dies durch die Rechtsprechung des BVerfG allgemein anerkannt, siehe nur BVerfG, Beschluss vom 25.1.2011, NJW 2011, 836 ff.; Mäsch, Rechtswahlfreiheit und Verbraucherschutz, S. 157. 973 Heinze, RabelsZ 80 (2016) 254, 264 ff. 974 Ein Beispiel für sowohl veränderte gesellschaftliche Umstände als auch technischen Fortschritt kann dabei der Grundsatz des „mater semper certa est“ im Familienrecht des BGB sein, welcher weitgehend auf dem traditionellen Familienbild zum Zeitpunkt des Inkrafttretens des BGB im Jahr 1900 fußt und die Entwicklungen auf dem Gebiet der Leihmutterschaft und den Möglichkeiten eines Auseinanderfallens von biologischer und genetischer Mutter durch Einpflanzung einer Eizelle nicht vorhersehen konnte, hierzu Heiderhoff, NJW 2014, 2673 ff. 975 Zur Unterscheidung siehe Canaris/Larenz, Methodenlehre der Rechtswissenschaft, S. 366 ff.; Hager, Rechtsmethoden in Europa, S. 126 ff.; Bruns, JZ 2014, 162, 163. 976 Roth, FS Jayme, S. 757, 765. 972
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Kapitel 4 Ausblick und weiterführende Überlegungen
entwicklung auf dem Gebiet des internationalen Wirtschaftsrechts de facto ausgeschlossen wäre.977 Nicht nur wäre die Rechtsfortbildung in Rechtsgebieten wie dem Unternehmenskaufrecht und dem Anlagenbau nahezu vollständig der Rechtsfortbildung durch staatliche Gerichte entzogen.978 Es würde sich darüber hinaus auch das europäische IPR etwa in Form der Rom I-VO aus dem grenzüberschreitenden unternehmerischen Wirtschaftsverkehr verabschieden, wie die Zahlen zur Häufigkeit der Verwendung von Schiedsklauseln in Vertragswerken zu grenzüberschreitenden Transaktionen indizieren.979 Der Umstand, dass ein Großteil der Schiedssprüche nicht veröffentlicht wird, tut ein Übriges. So haben Duve/Keller bereits im Jahre 2005 auf das Problem mangelnder Präjudizien in großen Bereichen des Wirtschaftsrechts hingewiesen und sich für eine Pflicht zur anonymisierten Veröffentlichung von Schiedssprüchen durch die Schiedsinstitutionen ausgesprochen.980 Sachs hat die fehlende Transparenz in Schiedsverfahren als Ursache mangelnder Rechtsfortbildung als allgemeines Dilemma der Schiedsgerichtsbarkeit bezeichnet.981 Vergleicht man dies mit den ambitionierten Zielen der Europäischen Kommission im Gesetzgebungsverfahren zur Rom I-VO, ein einheitliches Kollisionsrecht innerhalb der Europäischen Union für die möglichst alle vertraglichen Schuldverhältnisse zu schaffen, würde die Erreichung dieser Ziele vor dem Hintergrund eines Ausschlusses der Schiedsgerichtsbarkeit aus dem Anwendungsbereich der Verordnung erhebliche Einschränkung erfahren.
§ 13 Vorlagebefugnis von Schiedsgerichten nach Art. 267 AEUV § 13 Vorlagebefugnis von Schiedsgerichten nach Art. 267 AEUV
Zu den soeben gemachten Ausführungen gesellt sich schließlich ein Gedanke, der an die vorherigen Ausführungen anknüpft. Es handelt sich dabei um die Frage der Vorlageberechtigung von Schiedsgerichten im Vorlageverfahren nach Art. 267 AEUV. Ziel des Vorlageverfahrens ist es, eine einheitliche Anwendung des europäischen Rechts durch die mitgliedstaatlichen Gerichte durch eine autonome und letztverbindliche Auslegung durch den EuGH sicherzustellen. Nationale Gerichte können sich mittels einer Vorlage an den EuGH wenden
977 Hirsch, SchiedsVZ 2003, 49, 52; Mankowski, Interessenpolitik und europäisches Kollisionsrecht, S. 60. 978 Duve/Keller, SchiedsVZ 2005, 169 ff.; kritisch auch Risse, SchiedsVZ 2014, 266, 273 f. 979 Schätzungen zufolge sollen zwischen 70–90 % des Welthandels auf Basis von Verträgen mit Schiedsklauseln abgewickelt werden; zu den Nachweisen siehe bereits in der Einleitung in § 1. 980 Duve/Keller, SchiedsVZ 2005, 169 ff. 981 Sachs, SchiedsVZ 2004, 123, 124.
§ 13 Vorlagebefugnis von Schiedsgerichten nach Art. 267 AEUV
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und diesen um Auslegungsvorgaben ersuchen, ohne jedoch Aussagen zur Entscheidung eines konkreten Rechtsstreits zu treffen. Um eine Vorlage durch Schiedsgerichte zu ermöglichen, müssten diese vom Kreis der vorlageberechtigten Gerichte in Art. 267 AEUV erfasst sein. Dies jedoch lehnt der EuGH in seiner bisherigen Rechtsprechung ab, indem er sich in der Nordsee-Entscheidung auf den Standpunkt stellt, (private) Schiedsgerichte seien keine „Gerichte“ im Sinne des Art. 267 AEUV. Hierüber sollte aufgrund der bereits vorgebrachten Entwicklungen erneut nachgedacht werden, scheint es doch zu der mehrfach erörterten Annahme einer „funktionalen Gleichwertigkeit“ staatlicher und privater Gerichtsbarkeit sowie der skizzierten Tendenz einer Verrechtlichung der Schiedsgerichtsbarkeit in Widerspruch zu stehen.982 Wenn – wie hier vertreten – Schiedsgerichte vollwertige Rechtsprechung ausüben und aufgrund einer funktionalen Äquivalenz zu staatlichen Gerichten das europäische Kollisionsrecht zu beachten haben, muss ihnen auch die Möglichkeit einer Vorlage an den EuGH gestattet sein, damit das europäische Recht auch in der Rechtsprechung der Schiedsgerichte einheitlich ausgelegt wird. Die funktionale Gleichwertigkeit hat auch der EuGH in der Nordsee-Entscheidung anerkannt. Es handelt sich mitunter um zwei Seiten einer Medaille: Eine Verpflichtung zur Anwendung europäischen Rechts kann nur dann sinnvoll postuliert werden, wenn im Gegenzug auch die Möglichkeit gewährt wird, bei Unsicherheiten über die Auslegung des Rechts eine verbindliche Klarstellung durch den EuGH erwirken zu können.983 Dies wiederum stünde nicht nur im Interesse an Rechtssicherheit seitens der Schiedsgerichte und der beteiligten Parteien, sondern auch im Interesse an der Rechtsfortbildung des europäischen Rechts durch die zur Anwendung verpflichteten Gerichte. Eine Vorlageberechtigung durch Schiedsgerichte würde auch den mitunter erhobenen Vorwurf der „Schatten- oder Paralleljustiz“ privater Schiedsgerichte entkräften, da sie über eine Vorlage an den EuGH an den Entwicklung des europäischen Rechts mitwirken würden.984 Die in einigen nationalen Schiedsrechten bereits bestehende Möglichkeit von Schiedsgerichten, über den Umweg der Anrufung eines staatlichen Gerichts die Vorlage einer Frage an den EuGH zu erreichen, ist zwar vom EuGH in der Nordsee-Entscheidung zugelassen worden und als ein Schritt in die richtige Richtung zu sehen. Eine unmittelbare Vorlageberechtigung von Schiedsgerichten wäre eine zeitgemäße Weiterentwicklung dieser Möglichkeit. Zumal sich in Anbetracht dieser Möglichkeit die Frage aufdrängt, warum der EuGH in seiner Nordsee-Entscheidung konsequent an dem Gerichtsbegriff des Art. 267 AEUV festhält, um durch die Hintertür eine Vorlage durch Schiedsgerichte zu ermögli982
So auch jüngst vertreten von Basedow, J.Int’lArb. 32 (2015) 367 ff. Vgl. Zobel, Schiedsgerichtsbarkeit und Gemeinschaftsrecht, S. 212, die von einer „einseitig verpflichtenden“ Integration der Schiedsgerichtsbarkeit in das europäische Rechtssystem spricht. 984 Vgl. Zobel, Schiedsgerichtsbarkeit und Gemeinschaftsrecht, S. 190 f. 983
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Kapitel 4 Ausblick und weiterführende Überlegungen
chen. Konsequent – und im Sinne der hier vertretenen Auffassung einer Bindung von Schiedsgerichten an das europäische Kollisionsrecht – wäre es, Schiedsgerichten eine unmittelbare Vorlageberechtigung zuzusprechen und sie auf diesem Weg weiter in den europäischen Rechtsraum zu integrieren.985 Dies gilt umso mehr, da die Nordsee-Entscheidung mittlerweile über 30 Jahre zurück liegt und sich in der Zwischenzeit die rechtlichen und tatsächlichen Rahmenbedingungen der Schiedsgerichtsbarkeit maßgeblich verändert haben.986 Der EuGH hätte Gelegenheit, vor dem Hintergrund der auch in anderen Bereichen ergangenen Entscheidungen zum Verhältnis des Europarechts zum Schiedsverfahrensrecht der gewachsenen Bedeutung der Schiedsgerichtsbarkeit sowie der zunehmenden Verflechtungen mit dem Europarecht Rechnung zu tragen. Wie genau die Vorlagebefugnis durch Schiedsgerichte ausgestaltet sein könnte, kann einer vertieften Auseinandersetzung an anderer Stelle überlassen werden. Zu klären wären unter anderem die Fragen danach, wie eine Kommunikation zwischen privaten Schiedsgerichten und dem EuGH im Rahmen eines Vorlageersuchen in der Praxis ablaufen kann, ob sich aus einer Vorlagebefugnis unter gewissen Umständen eine Vorlagepflicht für Schiedsgerichte ergibt und in welcher Form sich die Beachtung einer Vorlageentscheidung des EuGH durch das entsprechende Schiedsgericht nachvollziehen und sichern lässt.
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Vgl. Benedettelli, Arb.Int’l 27 (2011) 583, 596 f. Siehe bereits oben unter Kapitel 2 – § 4.II.2.d).
Zusammenfassung der Thesen Zusammenfassung der Thesen Zusammenfassung der Thesen
Die Ergebnisse der vorangegangenen Untersuchung lassen sich wie folgt zusammenfassen: 1. Schiedsgerichte mit Sitz innerhalb der EU sind aufgrund des in den meisten Schiedsverfahrensrechten der Mitgliedstaaten verankerten Territorialitätsprinzips an das Kollisionsrecht am Sitz des Schiedsgerichts gebunden. Die lex arbitri-Lehre hat sich damit gegen die Theorie vom Sonderkollisionsrecht für Schiedsgerichte durchgesetzt, nach der die kollisionsrechtliche Rechtsermittlung durch Schiedsgerichte im Wesentlichen im Ermessen der Schiedsrichter und ohne Bindung an eine konkrete Rechtsordnung erfolgen sollte. Die Frage einer „natürlichen“ lex fori von Schiedsgerichten erübrigt sich spätestens in dem Moment, in dem ein Schiedsgericht aufgrund parteiautonomer Entscheidung oder Bestimmung durch das Schiedsgericht seinen Sitz in einem Mitgliedstaat der EU nimmt und gegebenenfalls mit der staatlichen Gerichtsbarkeit am Schiedsort etwa im Rahmen von gerichtlichen Hilfsmaßnahmen bei der Benennung von Schiedsrichtern oder aber für die Anerkennung und Vollstreckbarerklärung eines Schiedsspruchs in Kontakt tritt. Zum Kollisionsrecht am Sitz eines Schiedsgerichts innerhalb der EU zählt seit dem 17. Dezember 2009 auch die Rom I-VO zur Bestimmung des auf vertragliche Schuldverhältnisse anzuwendenden Rechts, welche das bis dahin geltende staatsvertragliche EVÜ ablöst und in den Mitgliedstaaten unmittelbare Geltung beansprucht. 2. Die Rom I-VO steht wie auch das sonstige europäische Kollisionsrecht einer Einbeziehung der Schiedsgerichtsbarkeit keineswegs entgegen. Dem Unionsgesetzgeber stand mit Art. 61 lit. c) i.V.m. Art. 65 lit. b) EGV zum Zeitpunkt des Erlasses der Verordnung eine Kompetenzgrundlage zur Verfügung, die es ihm erlaubte, die Schiedsgerichtsbarkeit in die Harmonisierungsbestrebungen auf dem Gebiet des IPR einzubeziehen. Darüber hinaus konnte durch Auslegung der Bereichsausnahme des Art. 1 Abs. 2 lit. e) Rom I-VO gezeigt werden, dass der Ausnahme ein enges Verständnis zugrunde zu legen ist. Danach ist zwar das Schiedsvereinbarungsstatut aufgrund der durch den Verordnungsgeber gesehenen Gefahr möglicher Überschneidungen mit dem UNÜ vom Anwendungsbereich ausgenommen, das Schiedsverfahren als solches und damit auch die Bestimmung des in der Hauptsache anwendbaren Rechts bleibt jedoch unberührt. Dies steht auch in Einklang mit dem primärrechtlich in Art. 4 Abs. 3 AEUV verankerten unionsrechtlichen Grundsatz des effet utile, wonach
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bei bestehenden Auslegungsunsicherheiten insbesondere im Anwendungsbereich des europäischen Verordnungsrechts im Zweifel eine Auslegung zugunsten eines größtmöglichen Anwendungsbereichs zu wählen ist. Auch eine möglicherweise entgegenstehende spätere Staatenpraxis vermag an diesem Ergebnis aufgrund der autonomen Auslegung des Unionsrechts sowie des Auslegungsmonopols des EuGH nichts zu ändern. Schließlich steht auch eine Auslegung des unionsrechtlichen Gerichtsbegriffs der Einbeziehung der Schiedsgerichtsbarkeit in den Anwendungsbereich der Verordnung nicht entgegen. Dieser ist vielmehr vor dem Hintergrund der Nordsee-Entscheidung des EuGH und des daraus erwachsenen Kriterienkatalogs sowie der stetigen Verrechtlichung und des Bedeutungszuwachses der Schiedsgerichtsbarkeit einer dynamischen Auslegung unterworfen, welche für eine Öffnung des Gerichtsbegriffs für institutionalisierte private Schiedsgerichte streitet. Darüber hinaus lässt sich das gefundene Ergebnis auch in Einklang bringen mit der weiteren Rechtsprechung des EuGH. Obgleich sich der Rechtsprechung des EuGH zur Frage der Geltung der Rom I-VO in Schiedsverfahren eine eindeutige Aussage nicht entnehmen lässt, hat der EuGH – durch seine Entscheidung in der Rechtssache Eco Swiss sowie den Urteilen in den Rechtssachen West Tankers und Asturcom – deutlich gemacht, dass er eine Trennung von Unionsrecht und Schiedsverfahrensrecht nicht anerkennt, sondern die schiedsgerichtliche Rechtsprechung auf ihre Konformität mit dem europäischen Primär- und Sekundärrecht hin prüft. Schließlich stimmt das vertretene Auslegungsergebnis auch mit der vorangegangenen Rechtslage unter dem EVÜ überein. Die entsprechende Bereichsausnahme des Art. 1 Abs. 2 lit. d) EVÜ erfasste ebenfalls nur das Schiedsverfahrensstatut, nicht jedoch die Bestimmung des Hauptsachestatuts im Schiedsverfahren. Indem die Bundesrepublik Deutschland sich zwar zur Umsetzung des Übereinkommens in das nationale IPR verpflichtete, gleichzeitig aber in § 1051 ZPO eine eigene Kollisionsnorm für Schiedsgerichte schuf, handelte sie jedenfalls insoweit völkerrechtswidrig, als die Vorgaben des § 1051 ZPO mit denen des EVÜ kollidierten. Wie dem Verfasser dieser Arbeit bekannt ist, hat die Diskussion um die Bindung von Schiedsgerichten an das europäische Kollisionsrecht nunmehr auch den deutschen Gesetzgeber erreicht. Rund 20 Jahre nach dem Inkrafttreten des Schiedsverfahrens-Neuregelungsgesetzes liegen im Bundesjustizministerium Vorschläge für eine Überarbeitung und Modernisierung des bestehenden Regelungsbestandes in der ZPO vor. Gegenstand der Diskussionen in der bereits eingesetzten Arbeitsgruppe bildet auch der Vorschlag einer in § 1051 ZPO aufzunehmenden einfach-gesetzlichen Klarstellung der Bindung von Schiedsgerichten an das europäische Kollisionsrecht. 3. Eine Analyse der Folgen einer Bindung der Schiedsgerichtsbarkeit an die Rom I-VO hat darüber hinaus ergeben, dass eine Anwendung der Verordnung zu weit weniger gravierenden Konsequenzen für die Rechtspraxis führt als bisweilen befürchtet. Eine Anwendung der ausdifferenzierten Anknüpfungsregeln der Rom I-VO führt vielmehr zu einer gesteigerten Vorhersehbarkeit und Rechts-
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sicherheit für die Parteien eines Schiedsverfahrens. Die von der Schiedsgerichtsbarkeit geforderte Flexibilität in der Entscheidungsfindung wird darüber hinaus nicht wesentlich beeinträchtigt, wie sich exemplarisch an folgenden Punkten festmachen lässt: So enthält die Rom I-VO im Rahmen der objektiven Anknüpfung neben den auf dem Prinzip der engsten Verbindung beruhenden Regelanknüpfungen des Art. 4 Abs. 1 Rom I-VO in Art. 4 Abs. 3 und 4 Rom I-VO Ausweichklauseln, die eine individuelle Bewertung der Besonderheiten des Einzelfalls ermöglichen. Eine Anknüpfung ganz ohne kollisionsrechtliche Prüfung im Wege des voie directe, wie sie von einigen nationalen Schiedsverfahrensrechten unter Rückgriff auf die Theorie vom Sonderkollisionsrecht für Schiedsgerichte vorgesehen ist, scheidet unter Geltung der Rom I-VO aus. Darüber hinaus bleibt allerdings die in den nationalen Schiedsverfahrensrechten verbreitete – in ihrer Bedeutung aber wohl eher eine untergeordnete Rolle spielende – Möglichkeit einer Ermächtigung von Schiedsgerichten zu einer Entscheidung nach Billigkeit auch unter Geltung der Rom I-VO zulässig, sofern die strengen formellen Voraussetzung an eine ausdrückliche Ermächtigung durch die Parteien eingehalten werden. Schließlich ist mit Blick auf den Umfang und die Grenzen der Rechtswahlfreiheit zu konstatieren: Die Rom I-VO geht wie auch die Schiedsverfahrensrechte der Mitgliedstaaten im Ausgangspunkt vom Grundsatz der Parteiautonomie aus. Ihr Umfang ist de lege lata anders als in den meisten nationalen Schiedsverfahrensrechten auf die Wahl staatlicher Rechte beschränkt. Eine – de lege ferenda wünschenswerte – Öffnung der Rechtswahlfreiheit für bestimmte Regelwerke nicht-staatlichen Ursprungs wie der PECL oder der PICC würde den Konflikt zwischen europäischem Kollisionsrecht und nationalen Kollisionsnormen für Schiedsgerichte auflösen. Sie würde darüber hinaus dem qualitativ und quantitativ gestiegenen Umfang privater Rechtsetzung Rechnung tragen und stünde in Einklang mit den bereits bei Entstehung der Rom I-VO geführten Diskussionen. Grenzen der Rechtswahl ergeben sich für die Parteien eines Schiedsverfahrens in reinen Inlandssachverhalten nach Art. 3 Abs. 3 Rom I-VO sowie bei der Beachtung von Eingriffsnormen durch das Schiedsgericht gemäß Art. 9 Rom I-VO. Im Hinblick auf letztere ist jedoch zu beobachten, dass Schiedsgerichte bereits in der bisherigen Rechtspraxis einer Beachtung von Eingriffsnormen tendenziell offener gegenüber standen als dies staatliche Gerichte taten, um die Vollstreckbarkeit des Schiedsspruchs nicht zu gefährden. Darüber hinaus würde die in dieser Arbeit vorgeschlagene systemkonforme Integration des Eingriffsrechts in ein autonomistisch-multilateralistisches europäisches Kollisionsrecht die Herausbildung eines einheitlichen unionsrechtlichen Eingriffsnormbegriffs, der sowohl für staatliche Gerichte wie auch private Schiedsgerichte gleichermaßen Geltung beansprucht, verstärken. 4. Die Durchsetzung der Geltung der Rom I-VO in Schiedsverfahren kann ausschließlich über die nationalen Anerkennungs- und Vollstreckungsregime erfolgen. Ein „Durchgriff“ der Rom I-VO auf die Ebene der Anerkennung und
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Vollstreckung von Schiedssprüchen lässt sich mit dem Willen des Verordnungsgebers und der Grundkonzeption der Verordnung nicht in Einklang bringen, sodass es bei der Maßgabe der nationalen Schiedsverfahrensrechte in Verbindung mit dem UNÜ bleibt. Festzuhalten ist darüber hinaus, dass eine bloße Fehlanwendung der kollisionsrechtlichen Bestimmungen der Rom I-VO aufgrund des Verbots der révision au fond eine Aufhebung bzw. Versagung der Vollstreckung nicht rechtfertigen kann. Eine natürliche Grenze bildet die ordre publicKontrolle durch die staatlichen Gerichte, welche mittelbar an die Bindung von Schiedsgerichten an die Rom I-VO etwa in Form der Beachtung von Eingriffsnormen oder der Rechtswahlbegrenzungen bei reinen Inlandssachverhalten anknüpft. Daneben lässt sich eine Beachtung der Rom I-VO aus Sicht der Parteien über die Begrenzungen der materiellen Entscheidungskompetenz des Schiedsgerichts erreichen. Das europäische Kollisionsrecht wird durch die Parteien im Wege des Abschlusses der Schiedsvereinbarung mitberufen. Ein Verstoß hiergegen ließe sich als Überschreitung der materiellen Entscheidungskompetenz des Schiedsgerichts nach Art. V Abs. 1 lit. c) 1. HS, 3. Var. UNÜ bzw. § 1059 Abs. 2 Nr. 1 lit. c) 1. HS, 3. Var. ZPO auf Antrag einer Partei ahnden. Hier sind insbesondere die Einhaltung der Grenzen der Parteiautonomie durch das Schiedsgericht und die Beachtung der Anknüpfungskriterien aus Art. 4 Rom I-VO im Rahmen der objektiven Anknüpfung zu nennen, sofern sich dies auf das Ergebnis des Rechtsstreits auswirkt. Darüber hinaus kann sich auch ein Schiedsgericht gegenüber den Parteien aufgrund der Bindung an die Rom I-VO wirksam auf die darin enthaltenen Restriktionen etwa im Rahmen der kollisionsrechtlichen Anerkennung einer Wahl nicht-staatlichen Rechts berufen, ohne eine Aufhebung des Schiedsspruchs aufgrund einer Überschreitung seiner materiellen Entscheidungskompetenz befürchten zu müssen. 5. Eine Umgehung der kollisionsrechtlichen Vorgaben der Rom I-VO in innereuropäischen Sachverhalten durch die Verlegung des Schiedsortes außerhalb des räumlichen Anwendungsbereichs der Rom I-VO ist mit rechtlichen Risiken verbunden. So ist etwa nach der Rechtsprechung des OLG München bereits die Schiedsvereinbarung dem Risiko einer Unwirksamkeit wegen Verstoßes gegen den anerkennungsrechtlichen ordre public ausgesetzt, wenn die „naheliegende Gefahr“ besteht, dass hierdurch zwingendes Recht des späteren Vollstreckungsforums umgangen wird. Selbst die einfach zwingenden Normen des Vollstreckungsstaates könnten dabei über ein Zusammenspiel mit Art. 3 Abs. 3 Rom IVO in den Fokus der Gerichte gelangen. Darüber hinaus ist die parteiautonome Wahl eines „fiktiven Schiedsortes“ dem Vorwurf des Rechtsmissbrauchs durch die Gerichte ausgesetzt und könnte somit auch aus diesem Grund zugunsten eines „effektiven Schiedsortes“ innerhalb der EU für unwirksam erklärt werden. 6. Schließlich hatte diese Arbeit zum Ziel, dazu anzuregen, über eine stärkere Verflechtung von privater und staatlicher Gerichtsbarkeit nachzudenken. Die Einbindung des Schiedsverfahrensrechts in das System des europäischen IPR entspräche der zu beobachtenden Tendenz der „Verrechtlichung“ von
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Schiedsverfahren und zur Rückbindung des internationalen Wirtschaftsrechts und ihrer Streitbeilegungsmechanismen an die nationalen Rechtsordnungen. Die abschließenden Überlegungen zum Kanon des europäischen Kollisionsrechts sowie der Stärkung des „Schiedsstandorts Europa“ anstelle einer weitergehenden Rechtszersplitterung auf dem Gebiet des Schiedsverfahrensrechts sollen Anlass für weiterführende Diskussionen geben. Mit der vorgeschlagenen Integration der Schiedsgerichtsbarkeit in das Unionsrecht sollte auch eine Befugnis von Schiedsgerichten zur Vorlage an den EuGH einhergehen, die eine logische Konsequenz aus der funktionalen Gleichwertigkeit von Schiedsgerichten und staatlichen Gerichten darstellt und die Auslegung und Fortentwicklung des europäischen Rechts befruchten würde.
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Sachverzeichnis Sachverzeichnis Sachverzeichnis AGB-Recht 142, 188–191, 196f. Anerkennung 20f., 35, 81–84, 158, 166, 174–177, 179f., 182, 186, 190 Anknüpfungsasymmetrie 148 anti-suit injunction 82, 210 Anwendungswille 10, 60 Arbitration Act 1996 18, 30f., 33, 105f., 161, 178, 211 Asturcom-Entscheidung 9, 158f., 182, 218 Aufhebungs- und Vollstreckungsversagungsgründe 175, 177, 179f., 182– 185 autonomistisch-multilateralistischer Ansatz 151, 156, 219 Bereichsausnahme 44, 52f., 58, 65, 68, 71, 95, 97f., 112, 114, 217 Billigkeitsentscheidung 29, 47, 133, 162f., 165f., 168f., 174 Bindungsthese 66 Bundesgesetz über das Internationale Privatrecht 18 Bundesjustizministerium 25, 51, 55, 218 Close Connection Test 157 Code de Procédure Civile 18, 32f., 170 Datumstheorie 149 denationaler Ansatz 14 Denuit-Entscheidung 89 Draft Common Frame of Reference for European Contract Law (DCFR) 127f., 130, 136 dynamische Auslegung 88, 94, 113, 132, 218
Eco Swiss-Entscheidung 63, 158f., 182, 218 effektiver Schiedsort 193f., 220 effet utile 63, 69, 82, 86, 112, 217 Einbettungsstatut 139 einfachgesetzlich-autonome Verweisung 48f. Einführungsgesetz zum Bürgerlichen Gesetzbuch (EGBGB) 27f., 39, 44– 46, 48–50, 52f., 58–60, 155–157, 171 Eingriffsnormen 146f., 151, 153f., 156, 160, 192 Element-Kollisionsnorm 152 en amiable composition 33 engste Verbindung 28, 31, 33, 37f., 48f., 54, 99, 104, 170–172, 174, 186, 219 Entscheidungseinklang 16, 101, 149 Ergebniswirkung 186 Erwägungsgründe 72, 75f. Europäische Beweisaufnahmeverordnung (EuBeweisVO) 206–208 Europäische Ehegerichtsstands- und Vollstreckungsverordnung (Brüssel IIa-Verordnung, EuEheVO) 200, 203 Europäische Erbrechtsverordnung (EuErbVO) 201f. Europäische Gerichtsstands- und Vollstreckungsverordnung (Brüssel Ia-Verordnung, EuGVVO) 21, 63, 74, 77f., 80–84, 87, 112, 143, 179, 199f., 203, 208, 211 Europäische Insolvenzverordnung (EuInsVO) 203f. Europäische Kommission 42, 95f., 127, 131, 138, 214
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Sachverzeichnis
Europäische Unterhaltsverordnung (EuUnthVO) 202f. Europäische Zustellungsverordnung (EuZustVO) 204–206, 208 Europäischer Gerichtshof (EuGH) 8, 10, 45, 57, 63, 68, 70, 79, 88–91, 94, 99, 105, 112, 115, 154f., 160–162, 182f., 197, 209, 211, 214–216, 218, 221 Europäisches Gerichtsstands- und Vollstreckungsübereinkommen (EuGVÜ) 21, 56, 65, 79–81 Europäisches Vertragsrechtsübereinkommen (EVÜ) 5, 10, 27, 29, 35f., 42–45, 60, 64, 67, 85, 104f., 114, 136, 140, 157, 170, 217f. fiktiver Schiedsort 193f., 197, 220 Forum 4, 11f., 17, 67, 73f., 101–103, 107 forum shopping 36, 77, 101–103, 149 funktionale Gleichwertigkeit 117, 143, 202, 208, 215, 221 funktionales Äquivalent 6, 175 Genfer Abkommen zur Vollstreckung von Schiedssprüchen 21 Genfer Europäisches Übereinkommen über die internationale Handelsschiedsgerichtsbarkeit (EuÜ) 22–24, 39f., 57, 97, 163 Genfer Protokoll über Schiedsklauseln im Handelsverkehr 21 Gerichtsbegriff 8, 87, 90, 92, 94, 165, 215 Gerichtsstandsvereinbarung 74, 76 Gesamtverweisung 57 Giuliano/Lagarde-Bericht 42f., 53–56, 59, 67, 97, 101, 106 Grünbuch 36, 74, 95f., 150 Grundsatz der einheitlichen Auslegung 77f., 80, 87 Haager Programm 35f. Hague Principles on Choice of Law in International Commercial Contracts 119, 127, 134f. Handelsbräuche 23, 26, 29, 122, 124, 128, 131–133
Hauptsachestatut 56 High Court 106, 158, 161f. Hoge Raad 158 House of Lords 82, 178, 209 hypothetisches Vertragsstatut 195 IBA Guidelines on Conflict of Interest in International Commercial Arbitration 93f. Incoterms 128, 133 Ingmar-Entscheidung 147, 161f., 191, 197 Institutionalisierung 6–8 Integration 6, 8, 69, 152f., 160, 199, 211, 215, 219, 221 International Accounting Standards (IAS) 130 International Commercial Terms 128 International Financial Reporting Standards (IFRS) 130 internationaler Entscheidungseinklang 145, 148f. Kollisionsgrundnorm 10f., 19 Kollisionsrechtsvereinheitlichung 9, 41, 61, 151, 179 lex arbitri-Lehre 13, 15–19, 217 lex causae 106, 131, 148f. lex fori 11–14, 16f., 19, 106f., 111, 152, 158, 177, 204, 217 lex mercatoria 30, 37, 121–124, 126, 132f., 137, 174, 187 lex rei sitae 51 Lückenfüllung 134, 136 Max-Planck-Institut 36, 44, 68, 96, 131, 138 modifizierte Übernahme 27 Mostaza Claro-Entscheidung 158f., 182 New Yorker Übereinkommen über die Anerkennung und Vollstreckung ausländischer Schiedssprüche (UNÜ) 7, 20, 39, 49, 56, 74, 81, 95–98, 112, 174 176f., 191, 196, 204, 212, 217, 220
Sachverzeichnis nicht-staatliches Recht 9, 30, 36, 38, 120f., 130–132, 144, 166, 172–175, 184f., 220 Nordsee-Entscheidung 89, 105, 113, 215, 218 objektive Anknüpfung 26, 29f., 33, 36–38, 40, 47f., 54, 80, 104, 117, 119, 131, 134, 144, 148, 170–173, 219f. ordre public 47, 72f., 107, 142, 145, 155, 159, 166, 180, 182–184, 187, 189, 191f., 196f., 204, 220 parteiautonome Internationalisierung 188 Parteiautonomie 40, 47, 117–120, 131, 137f., 140, 180, 184, 186, 188, 219f. persuasive authority 5, 67 Principles of European Contract Law (PECL) 37, 125, 127f., 130, 132, 134, 136f., 174, 219 Pugliese-Entscheidung 79 Raape, Leo 3, 19 Rechtsfortbildung 24, 94, 135, 145, 154, 156, 165, 212–215 Rechtssetzungskompetenz 61 Rechtssicherheit 16, 36, 64, 67, 78, 98–100, 124, 141, 155, 171, 174, 215 Rechtswahl 23, 26, 28, 30, 32, 34, 37, 39, 46f., 49, 51, 73, 76, 79, 105, 117–121, 124, 131, 133f., 137–144, 157, 160, 167, 172f., 175, 184–187, 201, 219 Rechtszersplitterung 54, 209, 221 Reformkommission 27, 50f., 55 révision au fond 178, 180, 182, 186f., 220 Rom II-Verordnung 70, 75, 77f., 84– 87, 98, 105, 112, 132, 199 sachlicher Anwendungsbereich 39, 45, 48, 53, 58, 64, 87, 114, 126, 168 Sachnormverweisung 26, 30 Savigny, Friedrich Carl von 100f., 122, 149, 151, 153, 171
249
SchiedsRÄG 29 Schiedsstandort Europa 209f. Schiedsvereinbarungsstatut 3, 53, 71, 98, 190f., 217 Schiedsverfahrensstatut 3, 106, 108, 113, 187, 205, 218 Sonderkollisionsrecht für Schiedsgerichte 13–16, 18f., 57, 60, 119, 217, 219 Territorialitätsprinzip 17f., 41, 147, 194 These vom fehlenden Anwendungswillen 65 UNCITRAL-Modellgesetz über die internationale Handelsschiedsgerichtsbarkeit (UMG) 7, 20, 25–27, 30, 33, 42, 46, 50, 52, 100, 113, 117, 162, 165, 167–170, 172, 176–178, 187, 193f., 210 UNIDROIT Principles of International Commercial Contracts (PICC) 126– 128, 130–132, 134, 137, 219 Uniform Customs and Practice for Documentary Credits (UCP) 129, 133 unilateralistisches Konzept 151 UN-Kaufrecht (CISG) 123, 125, 127, 133 verfahrensrechtliche Qualifikation 109, 111 Verrechtlichung 2f., 9, 34, 113, 215, 218, 220 Versagung der Vollstreckung 179f., 185f., 220 Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV) 5, 8, 34, 60–62, 68, 70, 88, 101, 105, 158, 169, 214f., 217 Vertrag über die Europäische Union (EUV) 5, 34, 61f., 69, 169 Vertrag zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft (EGV) 34, 61, 63f., 154, 158, 217 voie directe 15, 17, 26, 31, 33, 104, 171–174, 185, 219
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Sachverzeichnis
Völkerrechtswidrigkeit 59f. Vollstreckung 10, 21, 49, 62, 81–84, 95, 158, 166, 175–177, 190, 201, 220 Vollstreckungsregime 14, 83, 179, 185, 187, 202, 219 Vorhersehbarkeit 64, 98, 99f., 113, 167, 171, 174, 218 Vorlagebefugnis 8, 214, 216
West Tankers-Entscheidung 9, 63, 82, 209f., 218 Wetboek van Burgerlijke Rechtsvordering 18, 158, 171 Wettbewerb der Rechtsordnungen 209f. Wiener Aktionsplan 35 Wiener Vertragsrechtskonvention (WVK) 57, 70