Europäische Themen in deutschen Parteiorganisationen: Relevanz und innerparteiliche Aufgabenteilung (Empirische Studien zur Parteienforschung) (German Edition) 3658347961, 9783658347963

Stefanie John untersucht, in welcher Weise sich die Vielfalt europäischer politischer Angelegenheiten in der Politikarti

123 35 6MB

English Pages 515 [505] Year 2021

Report DMCA / Copyright

DOWNLOAD PDF FILE

Table of contents :
Danksagung
Inhaltsverzeichnis
Abkürzungsverzeichnis
Abbildungsverzeichnis
Tabellenverzeichnis
Formelverzeichnis
1 Einleitung und Übersicht zur Arbeit
Teil I Problemstellung und theoretisches Argument
2 Europäische Themen in Parteiorganisationen: Einbettung der Problemstellung in den Forschungsstand
2.1 Die europäische Handlungsagenda in der Politikformulierung und Programmatik nationaler Parteien
2.1.1 Europäische Polity- und Policy-Themen in Händen nationaler Parteien und im nationalen Parteienwettbewerb: Positionen und Salienz als Untersuchungsgegenstand in der Forschung
2.1.2 Forschungslücke im Hinblick auf EU-Policy-Themen
2.1.3 Europäische Policy-Themen im Fokus nationaler Parteien und das damit verbundene theoretische Dilemma
2.2 Öffnen der Black Box: Politikartikulation in Parteiorganisationen
2.2.1 Politikformulierung im Kontext innerparteilicher Macht …
2.2.2 … und im Zeichen innerparteilicher Heterogenität
2.2.3 Forschungslücke: Politikartikulation im Kontext innerparteilicher Aufgabenteilung und in organisationsvergleichender Perspektive
2.3 Zusammenfassung
3 Europäische Policy-Themen: Ähnliche Anreize, aber unterschiedliche Möglichkeiten für innerparteiliche Akteure
3.1 Europäische Policy-Angelegenheiten: Weshalb setzen sich nationale Parteien damit auseinander?
3.1.1 Vote-Seeking und notwendige immaterielle Güter zum Verfolgen des Ziels
3.1.2 Kompetenz als notwendiges immaterielles Gut im politischen Wettbewerb
3.1.3 Politikartikulation: Bereitstellen von Politikangeboten und Kompetenz
3.2 Politikartikulation zu europäischen Themen in Parteiorganisationen
3.2.1 Parteiorganisation als ein einfaches Delegationsmodell
3.2.2 Innerparteiliche Aufgabenteilung in der Politikartikulation
3.2.3 Politikartikulation der drei innerparteilichen Akteure im Kontext ihrer Möglichkeiten und Restriktionen
3.3 Europäische Themen in der komplementären Themenselektionsstrategie von nationalen Parteiorganisationen: Erwartungen an die Empirie
3.4 Zusammenfassung
Teil II Forschungsdesign, Operationalisierung und Methodik
4 Politische Themen: Zugrundeliegendes Konzept und Operationalisierung
4.1 Definition des europäischen Themenkomplexes
4.2 Thematisches Abstraktionsniveau: Von spezifischen Einzelthemen bis hin zu Themenbereichen
4.3 Handlungsorientierung in der Sache als Attribut politischer Themen
4.4 Zusätzliche Charakterisierung europäischer Themen nach Policy-Typen
4.5 Zusammenfassung
5 Politische Themen in der Parteiorganisation: Konzeptspezifikation und Operationalisierung der abhängigen Variablen
5.1 Das dreidimensionale Analysegerüst
5.1.1 Dimension der Themenabdeckung
5.1.2 Dimension der Aufmerksamkeitsstärke
5.1.3 Dimension der innerparteilichen Akteure
5.2 Anwendung des dreidimensionalen Analysegerüsts auf die Politikartikulation in einer Parteiorganisation
5.2.1 Themen der innerparteilichen Akteure
5.2.2 Thematische Ähnlichkeit innerhalb der Parteiorganisation
5.2.3 Thematische Durchdringung der Parteiorganisation
5.2.4 Relevanz des Analysegerüsts für die Untersuchung des Wahlkontexts
5.3 Zusammenfassung
6 Unabhängige Variablen: Konzeptspezifikation und Operationalisierung
6.1 Parteiorganisationsverständnis
6.1.1 Operationalisierung des Parteiorganisationsverständnisses: Formeller Stellenwert des Prinzipals
6.2 Ideologisch-programmatische Ausrichtung der Parteien
6.2.1 Parteisalienz: Themenwichtigkeit der Gesamtpartei
6.2.2 Parteiposition zur EU-Integration als Kontrollvariable
6.2.3 Ideologische Position der Parteien als Kontrollvariable
6.3 Die europäische Handlungsagenda
6.3.1 Indikator I: Europäische Agenda der Finalitätsfragen
6.3.2 Indikator II: Europäische Legislative als europäische Handlungsagenda in der Politikgestaltung
6.4 Weitere Kontrollvariablen
6.5 Zusammenfassung
7 Untersuchungsanordnung: Untersuchungszeitraum und Auswahl der Parteien
7.1 Untersuchungszeitraum
7.2 Ein-Land-Design: Deutschland
7.3 Auswahl der Parteien
7.3.1 Bewertung des deutschen Parteiensystems als Grundgesamtheit hinsichtlich der zentralen Selektionskriterien
7.3.2 Auswahl von B90/Die Grünen, CDU, CSU und FDP
7.3.3 Einblick in die ausgewählten Parteien: Was noch zu erwähnen ist …
7.4 Zusammenfassung
8 Manuelle Inhaltsanalyse: Methodik zur Erhebung politischer Aussagen zum europäischen Themenkomplex
8.1 Datengrundlage: Parteidokumente zur Messung der Politikartikulation
8.1.1 Weshalb politische Dokumente?
8.1.2 Welche politischen Dokumente für die Messung der Politikartikulation?
8.1.3 Rückgriff auf diverse Dokumententypen
8.1.4 Empirische Evidenz für den Zusammenhang zwischen Dokumententypen und variierenden Themenmerkmalen
8.1.5 Textmaterialien der Parteien und ihrer innerparteilichen Akteure
8.1.6 Zwischenfazit
8.2 Manuelle Inhaltsanalyse als Datenerhebungsverfahren
8.2.1 Das Kategoriensystem zum strukturierten Erfassen des europäischen Themenkomplexes
8.2.2 Festlegung der Kodiereinheiten
8.2.3 Reliabilität
8.3 Zusammenfassung
9 Datenauswertung: Voraussetzungen, Besonderheiten und Methodik
9.1 Variierende Untersuchungsfälle in der Datenanalyse
9.2 Struktur der Beobachtungen auf Seiten der abhängigen Variablen
9.2.1 Variierendes thematisches Abstraktionsniveau in der Datenanalyse
9.2.2 Die verschiedenen Dimensionen der Politikartikulation: Variierende Beobachtungen der abhängigen Variablen
9.3 Struktur der Datenanalyse
9.4 Einsatz des qualitativen Vergleichs und quantitativer Analyseverfahren
9.4.1 Qualitativer Fallvergleich
9.4.2 Quantitative Analyseverfahren
9.5 Zusammenfassung
Teil III Empirische Ergebnisse – Grundlegende Erwartungen an die Selektionsentscheidungen für EU-Themen
10 Europäische Themen Gegenstand der Politikartikulation? Aufmerksamkeit für EU-Themen über die Zeit
10.1 Anmerkungen zum analytischen Vorgehen
10.2 Häufigkeiten europäischer Themen in der Politikartikulation der innerparteilichen Akteure
10.2.1 Parteitage
10.2.2 Parteiführungen
10.2.3 Fraktionen
10.3 Themenhäufigkeit in den Wahlprogrammen
10.4 Zusammenfassung
11 Thematische Abstraktion: Spezifische Einzelthemen in der Politikartikulation der innerparteilichen Akteure?
11.1 Anmerkungen zum analytischen Vorgehen
11.2 Thematische Konkretisierung in der Politikartikulation
11.3 Zusammenfassung
12 Stellenwert des europäischen Themenkomplexes in der Politikartikulation innerparteilicher Akteure
12.1 Anmerkungen zum analytischen Vorgehen
12.1.1 Indikator für den Stellenwert der europäisierten Politikartikulation
12.1.2 Explorative Datendeskription
12.2 Die europäisierte Politikartikulation der Parteitage
12.2.1 Parteitage
12.2.2 Kleiner Parteitag
12.3 Die europäisierte Politikartikulation der Parteiführung
12.4 Die europäisierte Politikartikulation der Bundestagsfraktionen
12.5 Zusammenfassung
Teil IV Empirische Ergebnisse
13 Relevanz der Europäischen Politikgestaltung? Eine Verortung innerhalb des europäischen Themenspektrums
13.1 Anmerkungen zum analytischen Vorgehen
13.2 Muster in der Themenrelevanz der innerparteilichen Akteure
13.2.1 Parteitage
13.2.2 Parteiführungen
13.2.3 Fraktionen
13.3 Die Bedeutung der fünf Themenbereiche in den Wahlprogrammen
13.4 Zusammenfassung
14 Europäische Politikfelder: Aufmerksamkeit nur für bestimmte Politiken der Europäischen Union?
14.1 Anmerkungen zum analytischen Vorgehen
14.1.1 Themenabdeckung und Ermittlung der wichtigsten Politikfelder über die Zeit
14.1.2 Thematische Ähnlichkeit zwischen Wahlprogrammatik und Politikartikulation der innerparteilichen Akteure
14.2 Themenabdeckung: Sämtliche europäische Politikfelder im Fokus der innerparteilichen Akteure?
14.3 Die wichtigsten Politikfelder in der Politikartikulation der innerparteilichen Akteure
14.4 Wahlprogramme: Ausmaß der Themenabdeckung und die wichtigsten europäischen Politikfelder
14.5 Zusammenfassung
15 Organisationsdimension in der Politikartikulation: Thematische Ähnlichkeit in der Parteiorganisation
15.1 Anmerkungen zum analytischen Vorgehen
15.1.1 Erfassen des Ausmaßes der innerparteilichen thematischen Ähnlichkeit
15.1.2 Bewertung der inhaltlich orientierten Aufgabenverteilung auf der Grundlage der innerparteilichen thematischen Ähnlichkeit
15.2 Ausmaß der thematischen Ähnlichkeit in den Parteiorganisationen: Muster in der Heterogenität?
15.3 Aufgabenteilung in der Politikartikulation zwischen den innerparteilichen Akteuren?
15.4 Zusammenfassung
16 Aufmerksamkeit für europäische Themen im Kontext von Parteisalienz und europäischer Handlungsagenda
16.1 Anmerkungen zum analytischen Vorgehen
16.2 Aufmerksamkeit für europäische Themen der innerparteilichen Akteure: Existenz einer inhaltlich orientierten Aufgabenteilung?
16.3 Aufmerksamkeit für EU-Themen im Wahlkontext: Stärker orientiert am Belief System einer Partei?
16.4 Zusammenfassung
17 Aufgabenteilung in der Politikartikulation: Strategische europäische Themen im Verantwortungsbereich der Parteiführung?
17.1 Anmerkungen zum analytischen Vorgehen
17.2 Relevanz strategischer und operativer Themen
17.3 Strategische Themen in Händen der Parteiführung und operative Themen eher in Verantwortung der Fraktion?
17.4 Exkurs in die Politikartikulation der Parteitage
17.5 Zusammenfassung
18 Thematische Durchdringung der vier Parteiorganisationen
18.1 Anmerkungen zum analytischen Vorgehen
18.2 Thematische Durchdringung der Parteiorganisationen aus dem Blickwinkel der drei innerparteilichen Akteure
18.2.1 Bedeutung der höchsten thematischen Durchdringung
18.2.2 Bedeutung der geringsten organisatorischen Durchdringung
18.2.3 Bedeutung der mittleren organisatorischen Durchdringung
18.3 Thematische Durchdringung im Kontext variierender Parteiorganisationen
18.4 Zusammenfassung
19 Europäische Themen im Fokus aller innerparteilichen Akteure: Anders als andere europäische Themen in einer Parteiorganisation?
19.1 Welche Themen beschäftigen alle Akteure in einer Partei?
19.2 Themen der höchsten Durchdringungsstufe in Abgrenzung zu anderen Themen in der Parteiorganisation
19.2.1 Vorbemerkungen zur Datenanalyse
19.2.2 Diskussion der empirischen Ergebnisse
19.3 Zusammenfassung
20 Zusammenführung der empirischen Ergebnisse
20.1 Stetige Aufmerksamkeit für europäische Themen und hohe Relevanz von Themen der europäischen Politikgestaltung
20.2 Adaption der EU-Handlungsagenda
20.3 Die komplementäre Themenselektionsstrategie: Unterschiedlicher Umgang mit europäischen Themen im Verlauf einer Wahlperiode
20.4 Europäische Themen nur bedingtes Instrument im Wettbewerb zwischen Regierungs- und Oppositionsparteien
20.5 Muster einer inhaltlich orientierten Aufgabenteilung in der Politikartikulation von Parteien
20.5.1 Thematische Durchdringung der Parteiorganisation: Innerparteiliche Aufgabenteilung und besondere Themen
20.5.2 Unterschiedliches Ausmaß beim Abdecken des europäischen Themenspektrums in der Politikartikulation der drei innerparteilichen Akteure
20.5.3 Bedeutung der europäischen Politikinhalte für Parteitage und Parteiführung: Unterschiedliche Ergebnisse in Abhängigkeit des beobachteten thematischen Abstraktionsniveaus
20.5.4 Themen der nationalen Politikgestaltung im EU-Regulierungskontext in Verantwortung der Fraktionen und zugleich im Fokus von Parteitagen und Parteiführungen
20.5.5 Operative Themen eher in den Händen der Fraktion und strategische EU-Themen eher in Verantwortung der Parteiführung
20.5.6 Einfluss der Parteisalienz und Einfluss der europäischen Handlungsagenda auf die Aufmerksamkeit für europäische Themen: andere Muster als erwartet
20.5.7 Die Existenz einer nationalen EP-Delegation mit Konsequenzen für die Politikartikulation der nationalen Parteiakteure
20.5.8 Parteiorganisationsverständnis: Weniger und anders für die Politikartikulation relevant als erwartet
20.5.9 Parteispezifische Erkenntnisgewinne über die Politikartikulation zum europäischen Themenkomplex
21 Schlussbetrachtung und Ausblick
Literatur
Recommend Papers

Europäische Themen in deutschen Parteiorganisationen: Relevanz und innerparteiliche Aufgabenteilung (Empirische Studien zur Parteienforschung) (German Edition)
 3658347961, 9783658347963

  • 0 0 0
  • Like this paper and download? You can publish your own PDF file online for free in a few minutes! Sign Up
File loading please wait...
Citation preview

Empirische Studien zur Parteienforschung

Stefanie John

Europäische Themen in deutschen Parteiorganisationen Relevanz und innerparteiliche Aufgabenteilung

Empirische Studien zur Parteienforschung Reihe herausgegeben von Sebastian Bukow, Heinrich-Heine-Universität, Düsseldorf, Deutschland

Parteien sind komplexe Organisationen von zentraler Bedeutung. Sie verbinden Staat und Bevölkerung und sind der dominante kollektive Akteur im politischen System. Die Reihe bündelt theoretisch fundierte empirische Studien, die unterschiedliche Facetten von Parteien als Organisationen und als Akteure des politischen Wettbewerbs untersuchen. Die Reihe wurde von Prof. Dr. Tim Spier und Dr. Sebastian Bukow gegründet. Prof. Dr. Tim Spier ist im Jahr 2017 verstorben

Weitere Bände in der Reihe http://www.springer.com/series/15689

Stefanie John

Europäische Themen in deutschen Parteiorganisationen Relevanz und innerparteiliche Aufgabenteilung

Stefanie John Weißenohe, Deutschland Dissertation Christian-Albrechts-Universität zu Kiel, 2020

Empirische Studien zur Parteienforschung ISBN 978-3-658-34796-3 ISBN 978-3-658-34797-0 (eBook) https://doi.org/10.1007/978-3-658-34797-0 Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. © Der/die Herausgeber bzw. der/die Autor(en), exklusiv lizenziert durch Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2021 Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung, die nicht ausdrücklich vom Urheberrechtsgesetz zugelassen ist, bedarf der vorherigen Zustimmung der Verlage. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Bearbeitungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Die Wiedergabe von allgemein beschreibenden Bezeichnungen, Marken, Unternehmensnamen etc. in diesem Werk bedeutet nicht, dass diese frei durch jedermann benutzt werden dürfen. Die Berechtigung zur Benutzung unterliegt, auch ohne gesonderten Hinweis hierzu, den Regeln des Markenrechts. Die Rechte des jeweiligen Zeicheninhabers sind zu beachten. Der Verlag, die Autoren und die Herausgeber gehen davon aus, dass die Angaben und Informationen in diesem Werk zum Zeitpunkt der Veröffentlichung vollständig und korrekt sind. Weder der Verlag noch die Autoren oder die Herausgeber übernehmen, ausdrücklich oder implizit, Gewähr für den Inhalt des Werkes, etwaige Fehler oder Äußerungen. Der Verlag bleibt im Hinblick auf geografische Zuordnungen und Gebietsbezeichnungen in veröffentlichten Karten und Institutionsadressen neutral. Planung/Lektorat: Stefanie Eggert Springer VS ist ein Imprint der eingetragenen Gesellschaft Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH und ist ein Teil von Springer Nature. Die Anschrift der Gesellschaft ist: Abraham-Lincoln-Str. 46, 65189 Wiesbaden, Germany

Danksagung

Die eigene wissenschaftliche Neugier treibt das Denken, Recherchieren und Analysieren im Rahmen einer Dissertation an. Doch ohne Unterstützung kann der intensive Entstehungsprozess der eigenen Studie kaum bewältigt werden, weshalb ich mich bei allen bedanken möchte, die zu dieser Arbeit beigetragen haben. Mein Dank gilt zunächst der Friedrich-Naumann-Stiftung, die die umfangreiche Dissertation im Zeitraum von September 2009 bis Februar 2014 im Rahmen eines Promotionsstipendiums förderte. Ferner möchte ich die hervorragende Unterstützung des sehr hilfsbereiten Personals in den Archiven der politischen Stiftungen der deutschen Parteien hervorheben. Ohne dessen wertvollen Hinweise wäre die Durchführung der geplanten Recherche nicht möglich gewesen. Namentlich zu nennen sind die Mitarbeiter*innen in den Archiven der FriedrichNaumann-Stiftung, der Hanns-Seidel-Stiftung, der Heinrich-Böll-Stiftung und der Konrad-Adenauer-Stiftung. Mein aufrichtiger Dank gebührt meinen beiden Gutachtern Prof. Dr. Christian Martin (Christian-Albrechts-Universität zu Kiel) und Prof. Dr. Thomas Saalfeld (Otto-Friedrich-Universität Bamberg). Sie standen mir kritisch beratend zur Seite, boten Chancen sowie Unterstützung und gewährten mir zugleich große wissenschaftliche Freiheiten. Im wissenschaftlichen Arbeitsprozess braucht es einen regelmäßigen inhaltlichen Austausch über eigene Ideen und Textentwürfe. Hier danke ich allen Kolleginnen und Kollegen sowie Freundinnen und Freunden, die mit ihren Hinweisen in Kolloquien, bei einer Tasse Kaffee oder abendlichen Diskussionsrunden meine Arbeit vorangebracht und das Entstehen des Manuskripts kritisch-konstruktiv begleitet haben. Besonderer Dank gilt hier Eric Bientzle, Sebastian Bukow, Simon Fink, Thomas Poguntke und Patricia Wruuck und den Teilnehmenden des Forschungskolloquiums an der Universität Bamberg. Meinen engsten Mitstreiterinnen Sandra Brunsbach und Margret Hornsteiner danke

V

VI

Danksagung

ich nicht nur für die kritische Reflexion meiner Arbeit, sondern auch für die so wertvolle mentale Unterstützung und kontinuierliche Aufmunterung. Meinem Mann danke ich aus tiefstem Herzen für die unendliche Geduld und den kontinuierlichen Zuspruch. Ohne diese wichtigste Unterstützung wäre dieses Projekt nicht umsetzbar gewesen. Gewidmet ist die Arbeit meinem besten Freund und Wegbegleiter Michael, der immer an mich geglaubt hat. Micha, Du fehlst. Stefanie John

Inhaltsverzeichnis

1

Einleitung und Übersicht zur Arbeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

Teil I 2

1

Problemstellung und theoretisches Argument

Europäische Themen in Parteiorganisationen: Einbettung der Problemstellung in den Forschungsstand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.1 Die europäische Handlungsagenda in der Politikformulierung und Programmatik nationaler Parteien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.1.1 Europäische Polity- und Policy-Themen in Händen nationaler Parteien und im nationalen Parteienwettbewerb: Positionen und Salienz als Untersuchungsgegenstand in der Forschung . . . . . . . . . 2.1.2 Forschungslücke im Hinblick auf EU-Policy-Themen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.1.3 Europäische Policy-Themen im Fokus nationaler Parteien und das damit verbundene theoretische Dilemma . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.2 Öffnen der Black Box: Politikartikulation in Parteiorganisationen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.2.1 Politikformulierung im Kontext innerparteilicher Macht … . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.2.2 … und im Zeichen innerparteilicher Heterogenität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

9

10

12 17

19 21 23 25

VII

VIII

Inhaltsverzeichnis

2.2.3

2.3 3

Europäische Policy-Themen: Ähnliche Anreize, aber unterschiedliche Möglichkeiten für innerparteiliche Akteure . . . . . 3.1 Europäische Policy-Angelegenheiten: Weshalb setzen sich nationale Parteien damit auseinander? . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.1.1 Vote-Seeking und notwendige immaterielle Güter zum Verfolgen des Ziels . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.1.2 Kompetenz als notwendiges immaterielles Gut im politischen Wettbewerb . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.1.3 Politikartikulation: Bereitstellen von Politikangeboten und Kompetenz . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.2 Politikartikulation zu europäischen Themen in Parteiorganisationen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.2.1 Parteiorganisation als ein einfaches Delegationsmodell . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.2.2 Innerparteiliche Aufgabenteilung in der Politikartikulation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.2.3 Politikartikulation der drei innerparteilichen Akteure im Kontext ihrer Möglichkeiten und Restriktionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.3 Europäische Themen in der komplementären Themenselektionsstrategie von nationalen Parteiorganisationen: Erwartungen an die Empirie . . . . . . . . . . . 3.4 Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

Teil II 4

Forschungslücke: Politikartikulation im Kontext innerparteilicher Aufgabenteilung und in organisationsvergleichender Perspektive . . . . . . . . . . Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

26 29 31 32 33 35 38 45 47 50

51

60 64

Forschungsdesign, Operationalisierung und Methodik

Politische Themen: Zugrundeliegendes Konzept und Operationalisierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.1 Definition des europäischen Themenkomplexes . . . . . . . . . . . . . 4.2 Thematisches Abstraktionsniveau: Von spezifischen Einzelthemen bis hin zu Themenbereichen . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.3 Handlungsorientierung in der Sache als Attribut politischer Themen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

69 70 73 79

Inhaltsverzeichnis

4.4 4.5 5

6

Zusätzliche Charakterisierung europäischer Themen nach Policy-Typen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

Politische Themen in der Parteiorganisation: Konzeptspezifikation und Operationalisierung der abhängigen Variablen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.1 Das dreidimensionale Analysegerüst . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.1.1 Dimension der Themenabdeckung . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.1.2 Dimension der Aufmerksamkeitsstärke . . . . . . . . . . . . . 5.1.3 Dimension der innerparteilichen Akteure . . . . . . . . . . . 5.2 Anwendung des dreidimensionalen Analysegerüsts auf die Politikartikulation in einer Parteiorganisation . . . . . . . . . . . . 5.2.1 Themen der innerparteilichen Akteure . . . . . . . . . . . . . 5.2.2 Thematische Ähnlichkeit innerhalb der Parteiorganisation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.2.3 Thematische Durchdringung der Parteiorganisation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.2.4 Relevanz des Analysegerüsts für die Untersuchung des Wahlkontexts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.3 Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Unabhängige Variablen: Konzeptspezifikation und Operationalisierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.1 Parteiorganisationsverständnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.1.1 Operationalisierung des Parteiorganisationsverständnisses: Formeller Stellenwert des Prinzipals . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.2 Ideologisch-programmatische Ausrichtung der Parteien . . . . . . 6.2.1 Parteisalienz: Themenwichtigkeit der Gesamtpartei . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.2.2 Parteiposition zur EU-Integration als Kontrollvariable . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.2.3 Ideologische Position der Parteien als Kontrollvariable . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.3 Die europäische Handlungsagenda . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.3.1 Indikator I: Europäische Agenda der Finalitätsfragen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

IX

80 82

83 84 84 86 87 88 89 90 91 96 97 99 100

102 107 108 116 118 122 123

X

Inhaltsverzeichnis

6.3.2

6.4 6.5 7

8

Indikator II: Europäische Legislative als europäische Handlungsagenda in der Politikgestaltung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Weitere Kontrollvariablen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

Untersuchungsanordnung: Untersuchungszeitraum und Auswahl der Parteien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7.1 Untersuchungszeitraum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7.2 Ein-Land-Design: Deutschland . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7.3 Auswahl der Parteien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7.3.1 Bewertung des deutschen Parteiensystems als Grundgesamtheit hinsichtlich der zentralen Selektionskriterien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7.3.2 Auswahl von B90/Die Grünen, CDU, CSU und FDP . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7.3.3 Einblick in die ausgewählten Parteien: Was noch zu erwähnen ist … . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7.4 Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Manuelle Inhaltsanalyse: Methodik zur Erhebung politischer Aussagen zum europäischen Themenkomplex . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8.1 Datengrundlage: Parteidokumente zur Messung der Politikartikulation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8.1.1 Weshalb politische Dokumente? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8.1.2 Welche politischen Dokumente für die Messung der Politikartikulation? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8.1.3 Rückgriff auf diverse Dokumententypen . . . . . . . . . . . . 8.1.4 Empirische Evidenz für den Zusammenhang zwischen Dokumententypen und variierenden Themenmerkmalen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8.1.5 Textmaterialien der Parteien und ihrer innerparteilichen Akteure . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8.1.6 Zwischenfazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8.2 Manuelle Inhaltsanalyse als Datenerhebungsverfahren . . . . . . . 8.2.1 Das Kategoriensystem zum strukturierten Erfassen des europäischen Themenkomplexes . . . . . . . 8.2.2 Festlegung der Kodiereinheiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8.2.3 Reliabilität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8.3 Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

125 128 130 131 132 134 136

137 146 148 153 155 157 157 159 163

171 176 178 180 181 191 193 198

Inhaltsverzeichnis

9

Datenauswertung: Voraussetzungen, Besonderheiten und Methodik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9.1 Variierende Untersuchungsfälle in der Datenanalyse . . . . . . . . . 9.2 Struktur der Beobachtungen auf Seiten der abhängigen Variablen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9.2.1 Variierendes thematisches Abstraktionsniveau in der Datenanalyse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9.2.2 Die verschiedenen Dimensionen der Politikartikulation: Variierende Beobachtungen der abhängigen Variablen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9.3 Struktur der Datenanalyse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9.4 Einsatz des qualitativen Vergleichs und quantitativer Analyseverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9.4.1 Qualitativer Fallvergleich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9.4.2 Quantitative Analyseverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9.5 Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

Teil III

XI

199 200 203 203

206 211 215 216 216 223

Empirische Ergebnisse – Grundlegende Erwartungen an die Selektionsentscheidungen für EU-Themen

10 Europäische Themen Gegenstand der Politikartikulation? Aufmerksamkeit für EU-Themen über die Zeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10.1 Anmerkungen zum analytischen Vorgehen . . . . . . . . . . . . . . . . . 10.2 Häufigkeiten europäischer Themen in der Politikartikulation der innerparteilichen Akteure . . . . . . . . . . . . 10.2.1 Parteitage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10.2.2 Parteiführungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10.2.3 Fraktionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10.3 Themenhäufigkeit in den Wahlprogrammen . . . . . . . . . . . . . . . . 10.4 Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

228 229 232 234 236 238

11 Thematische Abstraktion: Spezifische Einzelthemen in der Politikartikulation der innerparteilichen Akteure? . . . . . . . . . . . . . . 11.1 Anmerkungen zum analytischen Vorgehen . . . . . . . . . . . . . . . . . 11.2 Thematische Konkretisierung in der Politikartikulation . . . . . . . 11.3 Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

241 242 242 247

227 227

XII

Inhaltsverzeichnis

12 Stellenwert des europäischen Themenkomplexes in der Politikartikulation innerparteilicher Akteure . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12.1 Anmerkungen zum analytischen Vorgehen . . . . . . . . . . . . . . . . . 12.1.1 Indikator für den Stellenwert der europäisierten Politikartikulation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12.1.2 Explorative Datendeskription . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12.2 Die europäisierte Politikartikulation der Parteitage . . . . . . . . . . 12.2.1 Parteitage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12.2.2 Kleiner Parteitag . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12.3 Die europäisierte Politikartikulation der Parteiführung . . . . . . . 12.4 Die europäisierte Politikartikulation der Bundestagsfraktionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12.5 Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Teil IV

249 250 250 252 253 253 256 259 261 264

Empirische Ergebnisse

13 Relevanz der Europäischen Politikgestaltung? Eine Verortung innerhalb des europäischen Themenspektrums . . . . . . . 13.1 Anmerkungen zum analytischen Vorgehen . . . . . . . . . . . . . . . . . 13.2 Muster in der Themenrelevanz der innerparteilichen Akteure . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13.2.1 Parteitage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13.2.2 Parteiführungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13.2.3 Fraktionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13.3 Die Bedeutung der fünf Themenbereiche in den Wahlprogrammen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13.4 Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 14 Europäische Politikfelder: Aufmerksamkeit nur für bestimmte Politiken der Europäischen Union? . . . . . . . . . . . . . . . . . . 14.1 Anmerkungen zum analytischen Vorgehen . . . . . . . . . . . . . . . . . 14.1.1 Themenabdeckung und Ermittlung der wichtigsten Politikfelder über die Zeit . . . . . . . . . . . . . 14.1.2 Thematische Ähnlichkeit zwischen Wahlprogrammatik und Politikartikulation der innerparteilichen Akteure . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 14.2 Themenabdeckung: Sämtliche europäische Politikfelder im Fokus der innerparteilichen Akteure? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 14.3 Die wichtigsten Politikfelder in der Politikartikulation der innerparteilichen Akteure . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

269 270 272 272 276 281 285 288 291 292 293

295 297 301

Inhaltsverzeichnis

14.4 Wahlprogramme: Ausmaß der Themenabdeckung und die wichtigsten europäischen Politikfelder . . . . . . . . . . . . . . . . . . 14.5 Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15 Organisationsdimension in der Politikartikulation: Thematische Ähnlichkeit in der Parteiorganisation . . . . . . . . . . . . . . 15.1 Anmerkungen zum analytischen Vorgehen . . . . . . . . . . . . . . . . . 15.1.1 Erfassen des Ausmaßes der innerparteilichen thematischen Ähnlichkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15.1.2 Bewertung der inhaltlich orientierten Aufgabenverteilung auf der Grundlage der innerparteilichen thematischen Ähnlichkeit . . . . . . . . . 15.2 Ausmaß der thematischen Ähnlichkeit in den Parteiorganisationen: Muster in der Heterogenität? . . . . . . . . . . 15.3 Aufgabenteilung in der Politikartikulation zwischen den innerparteilichen Akteuren? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15.4 Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 16 Aufmerksamkeit für europäische Themen im Kontext von Parteisalienz und europäischer Handlungsagenda . . . . . . . . . . . . . . . 16.1 Anmerkungen zum analytischen Vorgehen . . . . . . . . . . . . . . . . . 16.2 Aufmerksamkeit für europäische Themen der innerparteilichen Akteure: Existenz einer inhaltlich orientierten Aufgabenteilung? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 16.3 Aufmerksamkeit für EU-Themen im Wahlkontext: Stärker orientiert am Belief System einer Partei? . . . . . . . . . . . . 16.4 Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 17 Aufgabenteilung in der Politikartikulation: Strategische europäische Themen im Verantwortungsbereich der Parteiführung? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 17.1 Anmerkungen zum analytischen Vorgehen . . . . . . . . . . . . . . . . . 17.2 Relevanz strategischer und operativer Themen . . . . . . . . . . . . . . 17.3 Strategische Themen in Händen der Parteiführung und operative Themen eher in Verantwortung der Fraktion? . . . . . . 17.4 Exkurs in die Politikartikulation der Parteitage . . . . . . . . . . . . . . 17.5 Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 18 Thematische Durchdringung der vier Parteiorganisationen . . . . . . 18.1 Anmerkungen zum analytischen Vorgehen . . . . . . . . . . . . . . . . .

XIII

305 314 317 318 320

321 324 331 336 339 340

343 349 356

359 360 361 364 369 390 393 394

XIV

Inhaltsverzeichnis

18.2 Thematische Durchdringung der Parteiorganisationen aus dem Blickwinkel der drei innerparteilichen Akteure . . . . . . . . . 18.2.1 Bedeutung der höchsten thematischen Durchdringung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 18.2.2 Bedeutung der geringsten organisatorischen Durchdringung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 18.2.3 Bedeutung der mittleren organisatorischen Durchdringung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 18.3 Thematische Durchdringung im Kontext variierender Parteiorganisationen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 18.4 Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19 Europäische Themen im Fokus aller innerparteilichen Akteure: Anders als andere europäische Themen in einer Parteiorganisation? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19.1 Welche Themen beschäftigen alle Akteure in einer Partei? . . . 19.2 Themen der höchsten Durchdringungsstufe in Abgrenzung zu anderen Themen in der Parteiorganisation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19.2.1 Vorbemerkungen zur Datenanalyse . . . . . . . . . . . . . . . . 19.2.2 Diskussion der empirischen Ergebnisse . . . . . . . . . . . . 19.3 Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 20 Zusammenführung der empirischen Ergebnisse . . . . . . . . . . . . . . . . . 20.1 Stetige Aufmerksamkeit für europäische Themen und hohe Relevanz von Themen der europäischen Politikgestaltung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 20.2 Adaption der EU-Handlungsagenda . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 20.3 Die komplementäre Themenselektionsstrategie: Unterschiedlicher Umgang mit europäischen Themen im Verlauf einer Wahlperiode . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 20.4 Europäische Themen nur bedingtes Instrument im Wettbewerb zwischen Regierungs- und Oppositionsparteien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 20.5 Muster einer inhaltlich orientierten Aufgabenteilung in der Politikartikulation von Parteien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 20.5.1 Thematische Durchdringung der Parteiorganisation: Innerparteiliche Aufgabenteilung und besondere Themen . . . . . . . . . . .

396 396 397 399 401 405

409 410

414 415 417 425 427

429 433

434

437 438

440

Inhaltsverzeichnis

XV

20.5.2 Unterschiedliches Ausmaß beim Abdecken des europäischen Themenspektrums in der Politikartikulation der drei innerparteilichen Akteure . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 20.5.3 Bedeutung der europäischen Politikinhalte für Parteitage und Parteiführung: Unterschiedliche Ergebnisse in Abhängigkeit des beobachteten thematischen Abstraktionsniveaus . . . . . . . . . . . . . . . . . 20.5.4 Themen der nationalen Politikgestaltung im EU-Regulierungskontext in Verantwortung der Fraktionen und zugleich im Fokus von Parteitagen und Parteiführungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 20.5.5 Operative Themen eher in den Händen der Fraktion und strategische EU-Themen eher in Verantwortung der Parteiführung . . . . . . . . . . . . . . . . 20.5.6 Einfluss der Parteisalienz und Einfluss der europäischen Handlungsagenda auf die Aufmerksamkeit für europäische Themen: andere Muster als erwartet . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 20.5.7 Die Existenz einer nationalen EP-Delegation mit Konsequenzen für die Politikartikulation der nationalen Parteiakteure . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 20.5.8 Parteiorganisationsverständnis: Weniger und anders für die Politikartikulation relevant als erwartet . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 20.5.9 Parteispezifische Erkenntnisgewinne über die Politikartikulation zum europäischen Themenkomplex . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

456

21 Schlussbetrachtung und Ausblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

459

Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

467

442

443

445

446

449

451

452

Abkürzungsverzeichnis

B90/Die Grünen BT BTF BVerfG BWG CAP CDU CMP/MARPOR CSU EP EU EuWG

FDP GASP GG HBS HSS IPA KAS MdB MdEP PAP PartG

Bündnis90/Die Grünen Deutscher Bundestag Bundestagsfraktion Bundesverfassungsgericht Bundeswahlgesetz Comparative Agenda Project Christlich Demokratische Union Deutschlands Comparative Manifesto Project; seit Oktober 2009: Manifesto Research on Political Representation Christlich-Sozial Union in Bayern e. V. Europäisches Parlament Europäische Union Gesetz über die Wahl der Abgeordneten des Europäischen Parlaments aus der Bundesrepublik Deutschland (Europawahlgesetz) Freie Demokratische Partei Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik Grundgesetz Heinrich-Böll-Stiftung Hanns Seidel Stiftung Innerparteilicher Akteur Konrad-Adenauer-Stiftung Mitglied des Deutschen Bundestages Mitglied des Europäischen Parlamentes Political Agenda Project Parteiengesetz (Gesetz über die politischen Parteien)

XVII

XVIII

PDS PF PT SPD

Abkürzungsverzeichnis

Linkspartei.PDS Parteiführung Parteitag Sozialdemokratische Partei Deutschlands

Abbildungsverzeichnis

Abbildung 5.1

Abbildung 5.2 Abbildung 7.1 Abbildung 9.1 Abbildung 9.2 Abbildung 9.3 Abbildung 9.4 Abbildung 9.5 Abbildung 10.1 Abbildung 10.2 Abbildung 10.3 Abbildung 10.4 Abbildung 10.5

Räumliche Darstellung des Analysegerüsts für die Themenselektion in der Parteiorganisationsperspektive . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Thematische Durchdringung der Parteiorganisation . . . Position der Parteiführung zur EU-Integration, 1999 bis 2010 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Variierende Untersuchungsfälle im Studiendesign . . . . . Das variierende thematische Abstraktionsniveau in der Datenbasis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Das variierende thematische Abstraktionsniveau und die Anzahl beobachteter Themen . . . . . . . . . . . . . . . Abhängige Variable – Struktur der Beobachtungen nach Dimensionen der Politikartikulation . . . . . . . . . . . Beobachtungssets und ihr Einsatz für die zu bearbeitenden Problemstellungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . Kumulierte EU-Themenhäufigkeiten in der Politikartikulation pro Partei, Juni 1999–Juni 2009 . . . EU-Themenhäufigkeiten in der Politikartikulation der Parteitage, Juni 1999–Juni 2009 . . . . . . . . . . . . . . . . EU-Themenhäufigkeiten in der Politikartikulation der Parteiführungen, Juni 1999–Juni 2009 . . . . . . . . . . . EU-Themenhäufigkeiten in der Politikartikulation der Fraktionen, Juni 1999–Juni 2009 . . . . . . . . . . . . . . . EU-Themenhäufigkeiten in Wahlprogrammen, Juni 1999–Juni 2009 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

89 94 144 201 204 206 212 214 229 230 233 235 238

XIX

XX

Abbildung 12.1 Abbildung 12.2 Abbildung 13.1

Abbildung 13.2

Abbildung 13.3

Abbildung 13.4

Abbildung 13.5

Abbildung 13.6 Abbildung 13.7 Abbildung 14.1 Abbildung 15.1

Abbildung 20.1 Abbildung 20.2

Abbildungsverzeichnis

Stellenwert der europäisierten Politikartikulation für die Parteitage, 1999–Juni 2009 . . . . . . . . . . . . . . . . . Stellenwert europäisierter Politikartikulation der Bundestagsfraktionen, Juni 1999–Juni 2009 . . . . . . . . . Relevanz der fünf europäischen Themenbereiche für die Parteitage von B90/Die Grünen und FDP, Juni 1999–Juni 2009 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Relevanz der fünf europäischen Themenbereiche für die Parteitage von CDU und CSU, Juni 1999– Juni 2009 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Relevanz der fünf europäischen Themenbereiche für die Parteiführungen von B90/Die Grünen und FDP, Juni 1999–Juni 2009 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Relevanz der fünf europäischen Themenbereiche für die Parteiführungen von CDU und CSU, Juni 1999–Juni 2009 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Relevanz der fünf europäischen Themenbereiche für die Fraktionen von B90/Die Grünen und FDP, Juni 1999–Juni 2009 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Relevanz der fünf europäischen Themenbereiche für die CDU/CSU-Fraktion, Juni 1999–Juni 2009 . . . . . Themenrelevanz in Bundestags- und Europawahlprogrammen, 1999 bis 2009 . . . . . . . . . . . . Boxplot standardisierte Themenabdeckung pro innerparteilichen Akteur, Juni 1999–Juni 2009 . . . . . . . Ausmaß der thematischen Ähnlichkeit zwischen den innerparteilichen Akteuren von B90/Die Grünen, CDU, CSU und FDP im Zeitverlauf (Juni 1999–Juni 2009) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Politikartikulation im Kontext parteiexterner Faktoren und innerparteilichen Bedingungen . . . . . . . . . Thematische Ähnlichkeit zum Abbild der inhaltlich orientierten Aufgabenteilung . . . . . . . . . . . . . .

255 262

273

274

278

279

283 284 286 298

327 429 440

Tabellenverzeichnis

Tabelle 4.1

Tabelle 6.1

Tabelle 6.2

Tabelle 7.1 Tabelle 7.2 Tabelle 7.3

Tabelle 7.4 Tabelle 7.5 Tabelle 8.1 Tabelle 8.2

Die vierstufige thematischen Abstraktion in Anwendung auf den europäischen Themenkomplex und ihre Relevanz für die Datenerhebung und Datenanalyse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Dimensionen der Prinzipal-Agenten-Beziehung und ihre Indikatoren als Grundlage für die Satzungsanalyse zur Messung des formellen Stellenwerts des Prinzipals in der Parteiorganisation . . . . . Restrukturierung der CMP-Inhaltskategorien in Politik- bzw. Handlungsfelder für die Abbildung der Parteisalienz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Formeller Stellenwert des Prinzipals in den deutschen Parteien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Regierungs-/Oppositionsstatus der Parteien, Juni 1999–Juni 2009 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Positionen deutscher Parteien entlang der ökonomischen und sozio-kulturellen Dimension, 1998–2009 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Innerparteiliche Akteure und ihre funktionalen Äquivalente in den ausgewählten Parteien . . . . . . . . . . . . . . Größe der Fraktionen im Deutschen Bundestag, 1998 bis 2009 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Merkmale und Merkmalsausprägungen zur Abgrenzung politischer Dokumente . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Abgrenzung politischer Dokumente nach Merkmalen erster und zweiter Ordnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

77

105

112 139 143

145 150 153 166 172

XXI

XXII

Tabelle 8.3 Tabelle 8.4 Tabelle 8.5 Tabelle 8.6 Tabelle 11.1 Tabelle 11.2 Tabelle 12.1 Tabelle 12.2 Tabelle 12.3 Tabelle 12.4 Tabelle 14.1 Tabelle 14.2 Tabelle 14.3

Tabelle 14.4

Tabelle 14.5

Tabelle 14.6

Tabellenverzeichnis

Zusammenhang zwischen Eigenschaften europäischer Themen und Dokumententypen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Textmaterialien für die Inhaltsanalyse sortiert nach Partei, Dokumententyp und Akteurstyp . . . . . . . . . . . . . . . . Struktur des Kategoriensystems–Oberkategorien . . . . . . . . Interkodierer-Reliabilität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Variierendes thematisches Abstraktionsniveau in der Politikartikulation der innerparteilichen Akteure . . . . . . . . . Logistische Regressionsanalyse zum thematischen Abstraktionsniveau in der Politikartikulation . . . . . . . . . . . . Kennziffern zum Stellenwert der europäisierten Politikartikulation der Parteitage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Europäisierte Politikartikulation der kleinen Parteitage, 1999–2009 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Europäisierte Politikartikulation der Parteiführung, 1999–Juni 2009 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Pressemitteilungen gesamt und europäisierte Politikartikulation der Fraktionen, 1999–Juni 2009 . . . . . . Themenabdeckung in der Politikartikulation der innerparteilichen Akteure, 5. und 6. EP-Wahlperiode . . . . . Die Wichtigkeit von EU-Politikfeldern für die innerparteilichen Akteure, Juni 1999–Juni 2009 . . . . . . . . . Range der standardisierten Themenabdeckung in Bundestags- und Europawahlprogrammen, 1999– 2009 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Themenabdeckung im Nichtwahlkontext im Vergleich zum Wahlkontext, getrennt nach Europawahl- und Bundestagswahlen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Die Wichtigkeit der EU-Politikfelder in Bundestags- und Europawahlprogrammen, 1999–2009 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Vergleichende Perspektive auf die Wichtigkeit von EU-Politikfeldern in der Wahlprogrammatik und akteursorientierter Politikartikulation: Ausmaß der Ähnlichkeit und Politikfelder mit den größten Differenzen, 1999–2009 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

174 178 186 197 244 245 256 257 260 263 300 303

306

308

309

312

Tabellenverzeichnis

Tabelle 15.1

Tabelle 15.2 Tabelle 15.3

Tabelle 15.4

Tabelle 16.1 Tabelle 16.2 Tabelle 16.3 Tabelle 16.4

Tabelle 16.5

Tabelle 16.6

Tabelle 17.1 Tabelle 17.2

Tabelle 17.3

Ausmaß der thematischen Ähnlichkeit – innerparteiliche und akteurstyporientierte Vergleichsperspektive, gesamter Untersuchungszeitraum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . OLS-Regressionsanalyse zum Ausmaß der thematischen Ähnlichkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Inhaltlich orientierte Aufgabenteilung (IOA) und thematische Ähnlichkeit (TÄ) im Hinblick auf die fünf Themenbereiche zwischen den innerparteilichen Akteuren von B90/Die Grünen, CDU, CSU und FDP über den gesamten Untersuchungszeitraum . . . . . . . . . . . . . Thematische Ähnlichkeit im Hinblick auf die fünf Themenbereiche nach Akteurstypen und parteiübergreifend über den gesamten Untersuchungszeitraum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Tobit-Regressionsmodelle zur Aufmerksamkeit für EU-Themen der Parteitage (einfach gepoolt) . . . . . . . . . . . . Tobit-Regressionsmodelle zur Aufmerksamkeit für EU-Themen der Parteiführungen (einfach gepoolt) . . . . . . Tobit-Regressionsmodelle zur Aufmerksamkeit für EU-Themen der Fraktionen (einfach gepoolt) . . . . . . . . . . . Tobit-Regressionsanalyse zur Aufmerksamkeit für EU-Themen durch die Parteien im Nichtwahlkontext (einfach gepoolt) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Tobit-Regressionsanalyse zur Aufmerksamkeit für EU-Themen in Bundestagswahlprogrammen (einfach gepoolt) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Tobit-Regressionsanalyse zur Aufmerksamkeit für EU-Themen in Europawahlprogrammen (einfach gepoolt) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Handlungsorientierung der EU- Themen in der Politikartikulation innerparteilicher Akteure . . . . . . . . . . . . Logistische Regressionsanalyse zu den strategischen EU-Themen in der Politikartikulation von CDU, CSU, FDP und B90/Die Grünen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Logistische Regressionsanalyse zu den EU-Finalitätsthemen in der Politikartikulation von CDU, CSU, FDP und B90/Die Grünen . . . . . . . . . . . . . . . .

XXIII

328 330

332

335 345 346 348

351

352

354 362

370

374

XXIV

Tabelle 17.4

Tabelle 17.5

Tabelle 17.6

Tabelle 18.1 Tabelle 19.1 Tabelle 19.2

Tabellenverzeichnis

Logistische Regressionsanalyse zu den operativen Themen in der Politikartikulation von CDU, CSU, FDP und B90/Die Grünen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Handlungsorientierung von Themen der Parteitage unter Berücksichtigung der Antragsstellung durch die Parteiführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Logistische Regressionsanalyse zu den strategischen Themen in der Politikartikulation von CDU, CSU, FDP und B90/Die Grünen (inkl. Parteiführung als Impulsgeber für den Parteitag) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Thematische Durchdringung der Parteiorganisation von B90/Die Grünen, CDU, CSU und FDP . . . . . . . . . . . . Themenmerkmale auf der höchsten thematischen Durchdringungsstufe der Parteiorganisation . . . . . . . . . . . . . Multinominale logistische Regressionsanalyse des thematischen Durchdringungsgrades von Parteiorganisationen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

378

383

386 398 412

418

Formelverzeichnis

Formel 14.1 Formel 14.2

Formel 15.1

Formel 15.2

Formel 15.3

Formel 15.4

Ermittlung der Themenwichtigkeit über einen Zeitraum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Ähnlichkeitsmaß I – Ähnlichkeit in der Themenwichtigkeit zwischen Wahlprogrammatik und innerparteilichem Akteur über die Zeit auf der Basis von Politikfeldern (TÄWIPA) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Ähnlichkeitsmaß II – Thematische Ähnlichkeit zwischen zwei innerparteilichen Akteuren auf der Basis von Politikfeldern (TÄPF) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Maß für eine inhaltlich orientierte Aufgabenteilung zwischen zwei innerparteilichen Akteuren über die Zeit (IOA) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Ähnlichkeitsmaß III.I – Thematische Ähnlichkeit für einen Themenbereich zwischen zwei innerparteilichen Akteuren über die Zeit (TÄTB2 ) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Ähnlichkeitsmaß III.II – Thematische Ähnlichkeit für einen Themenbereich zwischen drei innerparteilichen Akteuren über die Zeit (TÄTB3 ) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

294

296

320

323

323

324

XXV

1

Einleitung und Übersicht zur Arbeit

Die jüngsten Krisen und politischen Konflikte in der Europäischen Union haben den politischen Debatten über die Europäische Integration neuen Aufwind gegeben. Die EU-Integrationsdebatte und konkrete EU-Policy-Entscheidungen, wie z. B. das ökonomische Krisenmanagement im Zuge der Finanz- und Eurokrise, wurden präsenter in den Medien und in den Parlamenten. Neue Parteien sind entstanden, die die etablierten Parteien vor allem mit euroskeptischen Tönen herausfordern. Daraus resultiert auch ein Aufwind in den länger anhaltenden politikwissenschaftlichen Debatten, die die Bedeutung der EU-Integrationsdimension für den Parteienwettbewerb reflektieren. Gerade in der positionalen Verortung der nationalen Parteien zur EU-Integration lässt sich ein wesentliches Momentum für die neuen Wettbewerbsdynamiken ausmachen. Denn diese Dimension subsumiert verschiedene Aspekte der europäischen Politikprozesse unter den großen Fragestellungen nach der Ausgestaltung der Europäischen Union und dem Ausmaß des „Europäischen“ in der Politik. Neben dieser hohen Relevanz der europäischen Polity spielt die europäische Policy eine vergleichsweise untergeordnete Rolle, wenn eine analytische Bewertung von nationalen Parteien oder des nationalen Parteienwettbewerbs vorgenommen wird. Gleichwohl ist die Frage, ob sich nationale Parteien den „tagtäglichen“ europäischen Entscheidungsprozessen in den verschiedenen Politikfeldern widmen, keineswegs irrelevant oder trivial. Denn diese europäischen Politikentscheidungen haben mitunter einen erheblichen Einfluss auf das Leben der europäischen Bürgerinnen und Bürger. Ferner spielt eine untergeordnete Rolle in der politikwissenschaftlichen Reflexion, wie nationale Parteien als Organisationen mit den europäischen Themen © Der/die Autor(en), exklusiv lizenziert durch Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2021 S. John, Europäische Themen in deutschen Parteiorganisationen, Empirische Studien zur Parteienforschung, https://doi.org/10.1007/978-3-658-34797-0_1

1

2

1

Einleitung und Übersicht zur Arbeit

umgehen. Parteien sind keine geschlossenen Akteure. Vielmehr setzen sie sich aus verschiedenen innerparteilichen Akteuren zusammen, die im Namen der Partei handeln und sich artikulieren können. Ganz konkret können etwa Parteitag, Parteiführung und Fraktion europäische Themen mit ihrer Politikartikulation adressieren und somit deutlich signalisieren, dass sie Geschehnissen und Entwicklungen auf der europäischen politischen Ebene Aufmerksamkeit schenken. Offen ist bislang, ob sie das systematisch tun und ob verschiedene innerparteiliche Akteure mit europäischen Angelegenheiten unterschiedlich umgehen. Wie Parteien und ihre innerparteilichen Akteure die Politikartikulation zum europäischen Themenkomplex, der gleichermaßen Polity-Themen einschließt wie die tagtäglichen europäischen Policy-Politikentscheidungen, ausgestalten und ihre jeweilige Möglichkeiten nutzen, diesen Themen Aufmerksamkeit zu schenken, ist in mehrfacher Hinsicht aufschlussreich: Als erstes impliziert das Ausüben der Politikartikulation von Parteien als Organisationen eine innerparteiliche Arbeitsteilung und Verantwortung. Damit berührt der innerparteiliche Umgang mit politischen Themen auch Fragen der innerparteilichen Demokratie, die insbesondere im Zuge der Europäisierung von Parteiorganisationen einen besonderen Stellenwert einnehmen, insbesondere zu sehen an der gewonnenen Stärke von Parteieliten (Poguntke 2007; Carter und Poguntke 2010). Ist diese organisatorische Entwicklung gleichbedeutend mit einer innerparteilichen Aufgabenteilung in der Politikartikulation zugunsten der Parteielite? Oder anders ausgedrückt: Ist der Parteitag als Prinzipal auch präsent in der Politikartikulation zu Europa oder überlässt er das Feld der Parteiführung? Als zweites rückt die Organisationsperspektive stärker in den Blick, dass innerparteiliche Akteure insgesamt kontinuierlich zwischen den Wahlen die Aufgabe der Politikartikulation ausüben und politische Themen aufgreifen. Damit steht ihnen auch a priori die Möglichkeit offen, auf die europäische Handlungsagenda zu reagieren. Wären nun regelmäßig europäische Themen Gegenstand der Politikartikulation und stünden diese im unmittelbaren Zusammenhang mit der europäischen Agenda, dann könnten Aussagen über die Adaption der europäischen Umwelt weitaus differenzierter unterfüttert werden. Als drittes ist neben der Polity-Orientierung der Blick auf europäische PolicyThemen von Bedeutung, denn diese tagtäglichen Politikentscheidungen wirkten unmittelbar in den nationalen Wählermarkt hinein. An dieser Stelle ist die Scharnierfunktion der nationalen Parteien gefragt, die sie zwischen nationaler und europäischer Ebene als Repräsentanten auf beiden politischen Ebenen ausüben. Trotz der bekannten Relevanz von europäischen Politikentscheidungen für das Handeln nationaler Parteien und das Leben der Bürgerinnen und Bürger darf die Besonderheit der europäischen Themen für die nationalen Parteien nicht außer

1

Einleitung und Übersicht zur Arbeit

3

Acht gelassen werden: In der Regel stehen die nationalen Parteien im europäischen Mehrebenensystem der europäischen Handlungsagenda reaktiv gegenüber und können diese nur bedingt kontrollieren. Europäische Themen zeichnen sich neben den wenigen, wenngleich zentralen Polity- bzw. Finalitätsfragen stark durch technisch-regulative Inhalte aus, denn in der regulativen Politik liegt die wesentliche Kompetenz der Europäischen Union (Moravcsik 2002). Dagegen gehören distributive Politikbereiche weiterhin im Großen und Ganzen zum nationalen Politikportfolio (Buonanno und Nugent 2013: 14–18). Ergo sind die Politikfelder, an denen sich klassische Verteilungskonflikte kristallisieren und entscheidend für den politischen Wettbewerb sind, weiterhin Gegenstand der nationalen Politikarena. Deshalb befasst sich diese Arbeit mit den zwei folgenden leitgebenden Fragestellungen: Weshalb sollten sich nationale Parteien mit ihrer Politikartikulation im nationalen Parteienwettbewerb europäischen Themen und insbesondere europäischen Policy-Themen widmen? Wie gehen nationale Parteiorganisationen mit den europäischen Policy-Themen in ihrer Politikartikulation um? Die Arbeit fußt auf einem Parteiorganisationskonzept, das die Delegationsbeziehung zwischen den drei zentralen innerparteilichen Akteuren Parteitag, Parteiführung und Fraktion herausstellt. Innerparteiliche Delegation bedeutet zum einen, dass inhaltlich orientierte Aufgabenteilung existieren müsste. Zugleich implizieren Delegationsbeziehungen spezifische Macht- und Kräfteverhältnisse, die hier als Parteiorganisationsverständnis aufgefasst werden. Vor diesem Hintergrund wird Politikartikulation als eine innerparteiliche Aufgabe verstanden, die von mehreren Parteiakteuren ausgeübt wird. Dabei ist die Themenselektion zentral, andere Aspekte der Politikartikulation wie eingenommene Standpunkte zu einem Thema bleiben außen vor. Hingegen fließt systematisch in die Arbeit ein, dass politische Themen verschiedene Themenattribute aufweisen und diese relevant für das Verständnis über den Umgang mit dem europäischen Themenkomplex sind. Insgesamt verfolgt die Arbeit einen explorativen Ansatz und will mit einer tiefer gehenden Untersuchung über die Wahlprogrammatik hinaus einen besseren Einblick ermöglichen, wie Europa in den Parteien angekommen ist und wie diese als Organisationen mit der Delegation von Aufgaben und Verantwortung umgehen. Dabei findet Beachtung, wie dicht die Parteien mit ihrer Themenauswahl an der europäischen Agenda bleiben. Dafür wird der komparative Blick auf den Output der Politikartikulation der drei innerparteilichen Akteure gerichtet. Die Arbeit zielt nicht darauf ab, den Output der Politikartikulation als solches zu erklären. Sie fokussiert auf die Themenselektion, nicht jedoch auf einen etwaigen innerparteilichen Dissens über europäische Angelegenheiten. Die Arbeit bedient sich auch nicht einer

4

1

Einleitung und Übersicht zur Arbeit

prozessorientierten Inputperspektive, womit Veränderungen von parteipolitischen Positionen zu bestimmten europäischen Angelegenheiten erklärt werden könnten. Der analytische Ansatz erlaubt aber Schlussfolgerungen über die innerparteiliche Politikformulierung, ohne dafür eine prozessorientierte Inputperspektive einzunehmen. Grundlage für die Beantwortung der spezifischeren empirischen Fragestellungen ist ein eigens generierter Datensatz, der aus der manuellen inhaltsanalytischen Aufbereitung politischer Dokumente der drei innerparteilichen Akteure beruht und sämtliche Aussagen zu europäischen Themen beinhaltet. Konkret erfolgte die Vollerhebung europäischer Themen in der Politikartikulation der drei zentralen innerparteilichen Akteure Parteitag, Parteiführung und Fraktion von den Parteien B90/Die Grünen, CDU, CSU sowie FDP und basiert auf einem Untersuchungszeitraum von zehn Jahren (Juni 1999 bis Juni 2009). Mit der Auswahl dieses Zeitraums ist gewährleistet, auch tatsächlich die innerparteilich orientierte Aufgabenteilung in der Politikartikulation zum Gegenstand der Untersuchung zu machen und nicht ein etwaiges „Krisenthemenmanagement“ zu erfassen. Ließen sich bereits vor der besonderen Situation ab Januar 2010 klare Muster hinsichtlich der europäischen Themen in den Parteiorganisationen erkennen, dann würden diese in einer Umwelt, die sich durch eine höhere Politisierung europäischer Themen auszeichnet, kaum schwächer werden, erhöhen sich doch die Anreize, europäische Themen aufzugreifen. Besonderes Augenmerk war bei der Datenerhebung auf das thematische Abstraktionsniveau gerichtet, d. h. werden etwa europäische Politikfelder oder spezifische EU-Richtlinien mit der Politikartikulation adressiert. Dieser Ansatz ermöglicht wertvolle und weiterführende Erkenntnisse darüber, wie nationale Parteiakteure mit der europäischen Agenda umgehen. Denn es macht durchaus einen Unterschied, ob sie relativ abstrakt über die europäische Umweltpolitik sprechen oder konkrete Vorhaben wie beispielsweise das Europäische Klimapaket und daran gekoppelte Richtlinien zum Gegenstand ihrer Politikartikulation machen. Verbunden mit diesem gewählten Ansatz für die explorative Datenerhebung ist eine Fokussierung auf wenige Parteien und ihre innerparteilichen Akteure. Die Fallauswahlstrategie fußt unter anderem auf folgenden Überlegungen, um tragfähige Schlussfolgerungen ziehen zu können: Als erstes werden ausschließlich deutsche Parteien beobachtet, da dies einen identischen systemischen Kontext gewährleistet und folglich auf andernfalls notwendige Kontrollvariablen verzichtet werden kann. Als zweites basiert die Fallauswahl auf der Vermutung „organisation matters“ und soll deshalb die größtmögliche Organisationsvielfalt abbilden, wobei hier die größtmögliche Varianz hinsichtlich der innerparteilichen Delegationsbeziehungen zwischen Prinzipal und seinen Agenten gemeint ist.

1

Einleitung und Übersicht zur Arbeit

5

Die Struktur der nachfolgenden Arbeit gestaltet sich wie folgt: Der erste Teil der Arbeit (Kapitel 2 und Kapitel 3) bettet zunächst die aufgezeigte Problemstellung und die beiden daraus abgeleiteten leitgebenden Fragestellungen genauer in den Forschungsstand der Parteienforschung ein, wobei die Verortung in den beiden Zweigen der Europäisierungs- und Parteiorganisationsforschung erfolgt. Ferner beinhaltet der erste Teil die theoretische Grundlage der Arbeit. Die theoretische Argumentation umfasst zum einen eine Antwort auf die erste leitgebende Fragestellung und bietet zum anderen das Fundament für die überprüfbaren Erwartungen, wie die Parteien mit den europäischen Themen umgehen sollten. Der zweite Teil der Arbeit (Kapitel 4 bis Kapitel 9) widmet sich dem Forschungsdesign, indem die grundlegende Konzeption zu den politischen Themen vorgestellt, die Operationalisierung der abhängigen und unabhängigen Variablen dargelegt und die Fallauswahl begründet wird. Ferner stellt dieser Teil die eingesetzten Methoden für die Datenerhebung sowie Datenauswertung vor, sodass insgesamt die Basis transparent aufgezeigt wird, auf der die leitgebende empirische Fragestellung nach dem Umgang der nationalen Parteiorganisationen mit dem europäischen Themenkomplex beantwortet wird. Der dritte Teil der Arbeit (Kapitel 10 bis Kapitel 12) präsentiert empirische Ergebnisse, die stärker die grundsätzliche Selektion von europäischen Themen durch die Parteien und durch ihre innerparteilichen Akteure beleuchten. Diese Ergebnisse sind gewissermaßen den weiteren empirischen Analysen des vierten Teils vorgelagert und dienen unter anderem dazu, die empirisch gewonnenen Erkenntnisse zum EU-Themenkomplex in die gesamte Politikartikulation der innerparteilichen Akteure einordnen zu können. Der vierte und letzte Teil der Arbeit (Kapitel 13 bis Kapitel 20) reflektiert facettenreich die empirischen Ergebnisse zum Umgang der vier deutschen Parteiorganisationen mit den europäischen Themen. Von Interesse ist hierbei, welche Themen in den Parteien ausgewählt werden. Des Weiteren sind die parteiübergreifenden Gemeinsamkeiten relevant, die sich in der Themenselektion der drei innerparteilichen Akteurstypen abzeichnen. Gleichfalls stehen insbesondere die Unterschiede in der Politikartikulation im Mittelpunkt, die in den Blickwinkel variierender Parteiorganisationen gerückt werden. Weitere Schwerpunkte sind die innerparteiliche thematische Ähnlichkeit und die Unterschiede zwischen der Politikartikulation im Wahl- und Nichtwahlkontext. In der abschließenden Schlussbetrachtung werden die Ergebnisse zum Forschungsstand rückgebunden. Außerdem werden Potenziale für zukünftige Forschungsfragen aufgezeigt, die sich einerseits aus den Grenzen des hier gewählten Forschungsdesigns und andererseits aus den aufgedeckten empirischen Ergebnissen ergeben.

Teil I Problemstellung und theoretisches Argument

2

Europäische Themen in Parteiorganisationen: Einbettung der Problemstellung in den Forschungsstand

Zu Beginn des 21. Jahrhunderts zeichnet sich die Europäische Union durch weitgehende Kompetenzen in zahlreichen Politikbereichen aus, wobei nur noch wenige ausschließliche Kompetenzen bei den Nationalstaaten verblieben sind (siehe historischer Überblick bei Tömmel 2014: 35–37, 201–208). Von diesem Kompetenztransfer sind neben anderen politischen Akteuren auch die nationalen Parteien unmittelbar betroffen. Denn als erstes berührt der Kompetenztransfer eine der zentralen Funktionen von Parteien, das Policy-Making – also die Implementierung der politischen Interessen und Ziele (Scarrow et al. 2000: 144). Als zweites sind Parteien die zentralen Agenten oder „Instrumente“ (Sartori 2005 [1976]: 24) der repräsentativen Demokratie (u. a. Strøm und Müller 1999: 307; Katz 2005: 87). Daran ändert sich auch nichts im europäischen Mehrebenensystem: Im derzeitigen Institutionengefüge üben die nationalen Parteien eine besondere Scharnierfunktion zur europäischen Ebene aus. Denn über Mechanismen des nationalen Parteienwettbewerbs leitet sich zum einen die Mandatsverteilung für die dem Mitgliedstaat zustehenden Sitze im Europäischen Parlament ab. Zum anderen sind die nationalen Parteienregierungen in anderen zentralen EU-Institutionen wie dem Europäischen Rat oder den Ministerrat vertreten. Vor diesem institutionellen Hintergrund bettet sich das empirische Erkenntnisinteresse dieser Forschungsarbeit ein: Sie stellt in den Mittelpunkt, wie nationale Parteiorganisationen mit den europäischen Themen und insbesondere mit den Themen der europäischen Politikgestaltung in ihrer Politikartikulation umgehen. Der Fragestellung liegt die Erwartungshaltung zugrunde, dass sich nationale Parteiorganisationen mit der Europäischen Union und ihren tagtäglichen Politikentscheidungsprozessen auseinandersetzen und diesen Themen auch mit ihrer Politikartikulation Beachtung schenken. Diese Erwartung wird jedoch © Der/die Autor(en), exklusiv lizenziert durch Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2021 S. John, Europäische Themen in deutschen Parteiorganisationen, Empirische Studien zur Parteienforschung, https://doi.org/10.1007/978-3-658-34797-0_2

9

10

2

Europäische Themen in Parteiorganisationen: Einbettung …

gedämpft, wenn beispielsweise der Charakter europäischer Politikgestaltung und zugrundeliegende Handlungsziele von Parteien einbezogen werden. Folglich ist das empirische Erkenntnisinteresse am Umgang mit dem europäischen PolicyMaking eng verknüpft mit der theoretischen Fragestellung nach den Motiven, die dazu führen, dass sich die nationalen Parteiorganisationen mit europäischen Politikentscheidungsprozessen und damit recht spezifischen Policy-Themen auseinandersetzen. Damit widmet sich diese Arbeit zwei leitgebenden Fragestellungen: Weshalb sollten sich nationale Parteien mit ihrer Politikartikulation im nationalen Parteienwettbewerb europäischen Policy-Themen widmen? Wie gehen nationale Parteiorganisationen mit den europäischen Policy-Themen in ihrer Politikartikulation um? Mit diesen leitgebenden Fragestellungen werden zwei Forschungsstränge innerhalb der Parteienforschung miteinander verknüpft: Die Europäisierungsforschung und die Parteiorganisationsforschung, die die innerparteiliche Politikformulierung in den Mittelpunkt stellt. Die nachfolgende Diskussion zielt als erstes darauf ab, die Relevanz der verfolgten Fragestellungen in den Forschungsstand einzubetten und als zweites darzulegen, weshalb die vorgenommene Verbindung der zwei Forschungsstränge fruchtbar ist. Als drittes wird die leitgebende empirische Fragestellung zum Umgang der nationalen Parteiorganisationen mit den europäischen Themen in detailliertere Fragen überführt, die leitgebend für die empirische Untersuchung sein werden.

2.1

Die europäische Handlungsagenda in der Politikformulierung und Programmatik nationaler Parteien

Eine Vielzahl von Forschungsarbeiten zur Europäisierung fußt auf der grundsätzlichen Erwartungshaltung, nationale Parteien setzten sich mit der EU auseinander und gingen mit ihrer Politikformulierung auf sie ein, sodass diese als leitgebende Motivation für diesen Forschungszweig in der Parteienforschung betrachtet werden (Kritzinger und Sickinger 2008: 247; von dem Berge und Poguntke 2013: 877). Gleichwohl „Europäisierung“ als Namensgebung für den Forschungszweig dient (siehe Forschungsüberblicke bei Kritzinger und Sickinger 2008: 247; Mittag und Steuwer 2010; von dem Berge und Poguntke 2013), werden unter diesem zwei zentrale Analyseperspektiven subsumiert, die sich hinsichtlich des

2.1 Die europäische Handlungsagenda in der Politikformulierung …

11

Erklärungsgegenstands systematisch voneinander abgrenzen (siehe auch Ladrech 2012).1 Mit der ersten Analyseperspektive stehen die direkten Konsequenzen aus dem Europäischen Integrationsprozess auf nationale Parteien und das Parteiensystem im Mittelpunkt, wobei hier der kausale Wirkungsmechanismus der Veränderung und dessen Prozesscharakter entscheidend sind (Ladrech 1994: 69; Eising 2006). Zielsetzung ist hierbei also die Offenlegung des Änderungsmechanismus sowie die Evaluierung der inkrementellen (Ladrech 1994: 69) oder diskontinuierlichen (Lefkofridi 2008) Veränderung nationaler Parteien, die sich eindeutig auf die Europäische Integration und nicht auf andere Faktoren zurückführen lassen. Insgesamt greift diese Perspektive den originären Kern des Europäisierungskonzepts auf, welcher die Auswirkungen der Europäischen Integration auf nationale Akteure, Strukturen und Prozesse thematisiert und eindeutig als Ursache von Veränderungen identifiziert (Eising 2006: 396, 409–412; Vink und Graziano 2007: 9). Die zweite Analyseperspektive stellt den Umgang nationaler Parteien bzw. nationaler Parteiensysteme mit der EU-Integration und ihren Konsequenzen in den Mittelpunkt. Kern ist dabei nicht die oben betonte Offenlegung und Isolierung des kausalen Wirkungs- bzw. Änderungsmechanismus, sondern ob und wie die Europäische Union und damit verknüpfte Problemstellungen für die nationalen Parteien bzw. den Parteienwettbewerb eine Rolle spielen. Entsprechend ist die Europäische Union bzw. die Europäische Integration als diffuser respektive impliziter Stimulus konzipiert und der kausale Wirkungsmechanismus der originären Erforschung von Europäisierung ist nicht Gegenstand der Analyse.2 Diese zweite Perspektive kann als prägend für die Europäisierungsforschung bezeichnet werden. Der entsprechende Forschungsstand wird nachfolgend reflektiert, da auch mit den verfolgten zwei Leitfragen dieser Arbeit auf diese Analyseperspektive zurückgegriffen wird. Man kann die Fokussierung auf die zweite Analyseperspektive und das daraus resultierende Übergewicht in der Forschungsagenda durchaus wie Ladrech bemängeln (2012: 574).3 Diese Fokussierung unterstreicht indes nicht nur die 1

Diese Analyseperspektiven sind nicht zu verwechseln mit den diskutieren Wirkungsrichtungen von Europäisierung (etwa bei Auel 2005; von dem Berge und Poguntke 2013). 2 Vor diesem Hintergrund ist es kaum verwunderlich, dass eine Vielzahl von empirischen Studien, die sich dem ob und wie nähern, keine analytischen Referenzen zu einem Europäisierungsrahmen herstellen und somit die Gefahr einer Überdehnung des Europäisierungskonzepts umgangen wird. 3 Ladrech spricht hier vom Fokus auf Europäisierungseffekte. Der Begriff ist durchaus irreführend, da er eine Verbindung zum Europäisierungskonzept herstellt, dies aber wie oben

12

2

Europäische Themen in Parteiorganisationen: Einbettung …

Relevanz der damit zusammenhängenden Forschungsfragen, sondern steht auch für die zentralen Schwierigkeiten des Europäisierungskonzepts als „operationales Konzept“ (siehe hierzu die tiefgründige Diskussion bei Eising 2006: 401–408).4

2.1.1

Europäische Polity- und Policy-Themen in Händen nationaler Parteien und im nationalen Parteienwettbewerb: Positionen und Salienz als Untersuchungsgegenstand in der Forschung

Geht es darum, wie nationale Parteien mit dem besonderen Kontext der EU und entsprechenden europäischen Themen umgehen, dann ist zunächst eine Reflexion europäischer Themen unabdingbar. Entscheidend ist hier, dass unter diesen Themenkomplex Angelegenheiten fallen, die sich substanziell in ihrem Charakter respektive in ihrem Gegenstand unterscheiden. Als besonders entscheidend wird hierbei die thematische Abgrenzung in EU-Polity- und EU-Policy-Themen herausgestellt (Mair 2000; Schmitt 2009: 139). EU-Polity-Themen umfassen allgemein die grundsätzlichen Aspekte zur Mitgliedschaft in der Europäischen Union, zu den EU-Institutionen und deren Kompetenzen. Also jene Aspekte, die auch unter dem Schlagwort EU-Integration subsumiert werden. Mit den EU-Policy-Themen sind indes die tagtäglichen Politikentscheidungen gemeint. In der wissenschaftlichen Europäisierungs- und Politisierungsdebatte wird diesem variierenden Charakter eine hohe Relevanz für den politischen Diskurs, für den Parteienwettbewerb auf nationaler sowie europäischer Ebene und die Herausforderungen der europäischen Demokratie eingeräumt (Thomassen und Schmitt 1997: 169; Mair 2000) dargelegt nicht Kern der angesprochenen Studien ist und somit hier eine Tendenz zu einer problematischen Übertonung von Art und Stärke des Wirkungszusammenhangs inne liegt (Eising 2006: 409). 4 Eine zentrale Schwierigkeit ist unter anderem, den Netto-Effekt zwischen Zeitpunkt t (ohne 0 EU bzw. vor dem Integrationsschritt) und t1 (nach dem Integrationsschritt) auf der nationalen Ebene zu ermitteln und diesen auf die EU als Auslöser zurückzuführen (Vink und Graziano 2007: 9), zugleich andere mögliche Erklärungen systematisch auszuschließen, um Effekte der Multikollinearität zu vermeiden. Des Weiteren bietet das Konzept keinerlei Abgrenzung dafür, ab welchem Zeitpunkt diese „neue“ Umwelt in das reguläre Wahrnehmungsfeld der Akteure bzw. Parteien integriert ist. D. h. selbst wenn Veränderungen von Parteien zu einem Zeitpunkt t1 auf den Einfluss der EU-Integration zurückgeführt werden konnten, stellt sich die Frage, was es sich mit den Veränderungen zum Zeitpunkt t2 auf sich hat. Sind sie noch eindeutig auf die EU zurückzuführen oder sind sie nun mittlerweile Ausdruck des Lern- und Anpassungsprozesses, abgebildet in einem neuen „Standard-Verhaltensmodell“ der Partei?

2.1 Die europäische Handlungsagenda in der Politikformulierung …

13

2.1.1.1 Das EU-Integrationsthema In der Forschung erfährt die EU-Integration und damit die EU-Polity-Thematik besonders viel Aufmerksamkeit im Vergleich zu den EU-Policy-Themen. In der international vergleichenden Perspektive widmet man sich insbesondere der generellen Positionierung nationaler Parteien zum europäischen Integrationsprozess, die auf einem Pro-Kontra-Integrationsschemata abgebildet wird (Hooghe et al. 2002; Wüst und Volkens 2003; Hooghe et al. 2004; Braun et al. 2007; Marks et al. 2007; Hooghe et al. 2010; Bakker et al. 2015; Volkens et al. 2015).5 Diese Positionen werden im Zusammenhang mit der ideologischen Verortung von Parteien betrachtet und zudem findet Beachtung, inwieweit das Innehaben des Regierungsamtes einen Einfluss auf die Position hat (u. a. Hooghe et al. 2002, 2004; Arnold et al. 2012). Des Weiteren wurde diskutiert, ob sich hinter der EU-Integrationsdimension eine potenziell neue Konfliktlinie verbirgt, die den Parteienwettbewerb strukturiert (Marks und Wilson 2000). Tatsächlich sind Muster zwischen der Parteiideologie und der eingenommenen EU-Integrationsposition erkennbar (Hix und Lord 1997; Gabel und Hix 2002; Hooghe et al. 2004; Hellström 2008; Arnold et al. 2012), jedoch verändern sich diese über die Zeit (Gabel 2004; Hellström 2008). Als Ursache wird hier der veränderliche Charakter des EU-Integrationsprozesses gesehen, welcher sich durch eine variierende Betonung von Politikfeldern bei den Integrationsbemühungen auszeichnet (Marks 2004: 239). Da aber diese Veränderlichkeit dem Charakter einer Konfliktlinie widerspricht, wird in dieser Dimension keine strukturierende Wirkung für den Parteienwettbewerb gesehen (Mair 2007: 158).6 Darauf aufbauend nimmt die Relevanz der EU-Integrationsdimension für die nationalen Parteien und den nationalen Parteienwettbewerb einen wichtigen Stellenwert in der Forschung ein. Als prägend galt hier lange die Wirkung des sogenannte Permissive Consensus7 (Lindberg und Scheingold 1970), wonach 5

Anzumerken ist, dass mit der EU-Positionsmessung anhand des weitverbreiteten ProKontra-Integrationsschemata ein relativer grober Indikator vorliegt. Folglich lassen sich auch andere Ansätze in der Forschung finden. Um die grundlegenden und unterschiedlichen Finalitätskonzepte von Parteien zu erfassen, erhebt beispielsweise Maurer bereits in frühen Analysen zur EU-Integration (1996) die Positionierung nationaler Parteien im Verlauf von Verhandlungs- und Ratifikationsprozessen des EU-Vertragswerk. Darüber hinaus widmen sich weitere Studien der Entwicklung europapolitischer Positionen einzelner Parteien um Zeitverlauf, um diesbezüglich Kontinuität und Brüche herauszuarbeiten (u. a. Krell 2009). 6 Auch wenn diese Dimension in dem von Kriesi et al. (2006, 2008) strukturgebenden Globalisierungseffekts auf die westeuropäischen Parteiensysteme aufgeht. 7 Basierend auf den Überlegungen und den ersten empirischen Studien von Lindberg und Scheingold (Lindberg und Scheingold 1970) wird auf ein hohes Maß an Unterstützung der beteiligten Eliten für die Europäische Integration zumindest als konditional, aber nicht als

14

2

Europäische Themen in Parteiorganisationen: Einbettung …

bei einer mehrheitlich parteiübergreifenden Unterstützung der EU-Integration dieses Thema nicht Gegenstand der zwischenparteilichen Auseinandersetzung und insbesondere nicht der Wahlkämpfe ist. Infolgedessen besteht auch keine hohe Relevanz des EU-Integrationsthemas für den Parteienwettbewerb.8 Auch wenn in diesem Zusammenhang nicht beleuchtet wird, ob sich Parteien damit grundsätzlich anders verhalten als bei anderen, ausschließlich nationalen Themen, bezüglich derer ein ähnlicher Elitenkonsens existiert, erfährt das Vermeiden des EU-Integrationsthemas durch Parteien in der Forschung eine relativ große Beachtung.9 Besteht eine unterschiedliche Bewertung der EU-Integration seitens der Eliten und des Wählermarktes (siehe empirischer Nachweis bei Marsh und Weßels 1997), kann der (positive) Elitenkonsens zu einem Problem führen, wenn der Repräsentationslink zwischen Parteien und Wählermarkt nicht funktioniert und zugleich das EU-Integrationsthema unter den Wählerinnen und Wählern an Bedeutung gewinnt (van der Eijk und Franklin 2004; De Vries 2007). Erste Erosionstendenzen des Permissive Consensus und damit eine zunehmende Relevanz des EU-Integrationsthemas für den nationalen Parteienwettbewerb ließen sich bereits in einigen europäischen Mitgliedstaaten in den frühen 1990er Jahre und nicht erst seit den jüngsten Krisen in Europa10 ausmachen (Norris und Franklin 1997: 276; Taggart 2006: 12). Mit den jüngsten Krisen in Europa gilt jedoch die Existenz des Elitenkonsenses als vollends aufgehoben. Die Zunahme der euroskeptischen Stimmung in vielen Mitgliedstaaten sowie die Etablierung euroskeptischer Parteien (Heinisch et al. 2018) und die damit

deterministisch bewertet (Lindberg und Scheingold 1970: 250). Der Fokus auf die Eliten rekurriert aus der Tatsache, dass die EU von Anfang an ein Elitenprojekt war und deshalb deren Unterstützung eine hohe Relevanz hat. Die Autoren greifen bereits die Diskussionen der öffentlichen Unterstützung auf (Lindberg und Scheingold 1970: 43–63), die in der jüngeren Europaforschung wesentlich tiefer beleuchtet werden können, insbesondere aufgrund einer besseren Datengrundlage. 8 Bisweilen findet sich in der Literatur auch die Bewertung, dass nationale Parteien das EU-Integrationsthema dann meiden, wenn diesbezüglich innerhalb der Parteien ein höherer Dissens besteht und somit mit dem Thema im Parteienwettbewerb nur verloren werden kann (u. a. Pennings 2006: 267). 9 Häufig wird in diesem Zusammenhang von einer „Unterdrückung“ des Themas gesprochen. Diese normative Wertung impliziert, dass dem Thema mehr Aufmerksamkeit geschenkt werden müsste, zugleich erfolgen selten Angaben darüber, aus wessen Sicht dem Thema mehr Beachtung geschenkt werden müsste und wie das Thema zu behandeln sei, damit es nicht als unterdrückt gilt. 10 Beispielsweise die Eurokrise ausgelöst durch die Finanzmarktkrise; Umgang mit den Flüchtlingsströmen seit Beginn des 21. Jahrhunderts und der Brexit.

2.1 Die europäische Handlungsagenda in der Politikformulierung …

15

einhergehenden gestiegenen Relevanz des EU-Integrationsthemas für den Parteienwettbewerb ist in facettenreichen Problemstellungen Gegenstand und Kern der jüngsten Europäisierungsforschung (De Sio et al. 2016; Hellström und Blomgren 2016; Hoeglinger 2016; Otjes 2016; Rohrschneider und Whitefield 2016; Adam et al. 2017; Beach et al. 2017; Rovny und Polk 2018; Vasilopoulou 2018; Whitefield und Rohrschneider 2019).

2.1.1.2 Themen der europäischen Politikgestaltung Neben dem EU-Integrationsthema widmet sich die empirische Forschung auch der europäischen Politikgestaltung in der Politikformulierung nationaler Parteien. So beinhalten etwa die bereits zitierten Chapel-Hill-Befragungen zu ausgewählten Politikfeldern Positionen und Salienzen (Hooghe et al. 2002, 2004; Marks et al. 2007; Steenbergen und Marks 2007; Hooghe et al. 2010; Bakker et al. 2015). Mitunter bestehen hier Datenlücken, die auf die Grenzen einer Expertinnen- und Expertenbefragung als Methodik hinweisen, wenn es um die Bewertung von Parteipositionen sowie Parteisalienzen bei ausgewählten EU-Politikfeldern geht, die ein relativ spezifisches Fachwissen voraussetzen. Mit diesem Problem sind die Wahlprogrammanalysen wiederum nicht konfrontiert. Existierende Wahlprogrammanalysen widmen sich zuvörderst der Salienz europäischer Themen für die Parteien und sehen dabei abstrakt die Europäische Integration als Auslöser für das Aufgreifen europäischer Angelegenheiten (Binder und Wüst 2004; Brunsbach et al. 2011; Brunsbach et al. 2012). Folglich liefern diese Ergebnisse ausschließlich Erkenntnisse darüber, ob und wie Parteien mit der EU umgehen. In der Regel wird die Relevanz europäischer Themen mittels Längs- sowie Querschnittsanalysen basierend auf einer inhaltsanalytischen Aufbereitung von Wahlprogrammen erhoben. Vor allem dienen hierfür die Europawahlprogramme nationaler Parteien als Datengrundlage. Als erstes decken die wahlprogrammatischen Analysen auf, dass die Parteien diverse Politikthemen eingebettet in den EU-Kontext aufgreifen (Binder und Wüst 2004; Brunsbach et al. 2011; Brunsbach et al. 2012; John und Werner 2016). Als zweites belegen die Ergebnisse, dass das europäische Framing die dominierende Einbettung wahlprogrammatischer Aussagen ist und dass der Grad der Einbettung über die Zeit eher zunimmt (Binder und Wüst 2004: 40; Wüst und Schmitt 2007; Braun et al. 2016: 579).11 Als drittes zeigt eine jüngste Studie von Braun et al. (2016), die auf einer 11

Mit diesen Veränderungen über die Zeit keineswegs Europäisierung im eigentlichen Sinne angegeben wird, da eine direkte Verbindung zwischen dem Kompetenztransfer an die EUEbene bzw. zwischen der europäischen politischen Agenda und der thematischen Agenda der nationalen Parteien in ihren Wahlprogrammen nicht hergestellt wird.

16

2

Europäische Themen in Parteiorganisationen: Einbettung …

Trennung zwischen EU-Polity und EU-Policy fußt, dass EU-Policy-Fragen insgesamt mehr Aufmerksamkeit in den Europawahlprogrammen gewidmet wird als EU-Polity-Themen. Vor dem Hintergrund, dass der Kontext der Europawahlen einen exogenen Stimulus setzt, sich in irgendeiner Form mit europäischen Themen auseinanderzusetzen, werden die Ergebnisse zur europäisierten Politikformulierung basierend auf den Europawahlprogrammen mitunter kritisch als wenig überraschend bewertet, „da schon die Notwendigkeit, Europawahlkämpfe zu bestreiten, in der Regel ein Europawahlprogramm oder zumindest eine Wahlplattform erfordert und dies nahezu zwangsläufig die Programmatik der Parteien insgesamt beeinflusst.“ (von dem Berge und Poguntke 2013: 880). Dass dieser Stimulus fast automatisch zu einem europäischen Programm führen müsse, wird zwar relativiert, wenn der Nebenwahlcharakter der Europawahlen Beachtung findet (Reif und Schmitt 1980). So lassen sich bis heute die originären Merkmale der Nebenwahl – das sind das Wahlverhalten und die Wahlkampagnen nationaler Parteien – für die Europawahlen nachweisen (Tenscher 2005; Niedermayer 2009; Tenscher 2011a,b; Niedermayer 2014), wenngleich in den letzten Jahren eine Abschwächung von Nebenwahleffekten auf der Angebotsseite feststellbar ist. Basierend auf vergleichenden Analysen von nationalen und europäischen Wahlprogramme deutscher Parteien für die Überprüfung des Nebenwahlcharakters von Europawahlprogrammen, bleibt indes als Essenz, dass zwar einige Merkmale des programmatischen Angebots einen Nebenwahlcharakter aufweisen (z. B. der Ressourceneinsatz und die Polarisierung zwischen den Parteien), aber die Einbettung politischer Aussagen eben nicht von einer nationalen Einbettung dominiert wird (Brunsbach et al. 2011; Brunsbach et al. 2012; John und Werner 2016). Ergo ist der Verweis auf den europäischen Kontext als Einflussgröße für die Themenauswahl keineswegs trivial, wenn es um eine empirisch-fundierte Beantwortung der Fragestellung geht, wie die nationalen Parteien mit den europäischen Themen umgehen und diese in ihrem Handeln im nationalen Parteienwettbewerb berücksichtigen. Soweit bekannt, ist die Studie von Pennings (2006) die bislang einzige empirische Arbeit, die sich ausschließlich auf nationale Wahlprogramme konzentriert und somit den Kontext der Europawahlen ausschließt, um Europäisierungseffekte zu erfassen. Die gemessene Salienz weist auf einen relativ geringen Europäisierungseffekt hin (Pennings 2006: 265). Anders als die oben vorgestellten Analysen stellt diese Studie eine direkte Relation zum europäischen Integrationsprozess her,

2.1 Die europäische Handlungsagenda in der Politikformulierung …

17

sodass hier ein Europäisierungseffekt im originären Sinne ermittelt wird.12 Ausmaß und Varianz der Erwähnung der EU in den Wahlprogrammen stehen demnach weniger im Zusammenhang mit dem Europäischen Integrationsprozess als vielmehr mit der EU-Integrationsposition und wie stark der innerparteiliche Dissens über die EU-Integration ausgeprägt ist (Pennings 2006: 268).

2.1.2

Forschungslücke im Hinblick auf EU-Policy-Themen

Während die bisherige Forschung insgesamt umfängliche Analysen zur EUIntegration und damit zur EU-Polity liefert, sind die Erkenntnisse über den Umgang nationaler Parteien mit der EU-Policy weitaus eingeschränkter. Die Themen der EU-Politikgestaltung stehen nun wesentlich stärker im Mittelpunkt dieser Arbeit. Vor dem Hintergrund, dass im Policy-Making – also der Implementierung der politischen Interessen und Ziele – eine der zentralen Funktionen von Parteien zu sehen ist (Scarrow et al. 2000: 144), sind Erkenntnisse darüber, ob und wie nationale Parteien die spezifische europäische Politikgestaltung mit ihrer Politikartikulation adaptieren oder sich vorrangig mit den „großen“ Themen der Finalität beschäftigen, von zentraler Bedeutung. Auch wenn Mair für eine Arbeitsteilung plädiert, wonach europäische Policy stärker in den Parteienwettbewerb bei den Europawahlen aufzunehmen sei und europäische Polity eher Gegenstand der nationalen Wahlen sein sollte (Mair 2000: 45–46), sind es in beiden Fällen die nationalen Parteien, die als politische Repräsentantinnen auf beiden politischen Ebenen vertreten sind und folglich europäische Policy- und Polity-Themen bedienen. Dazu gehört letztlich auch eine höhere Kenntnis darüber, ob die nationalen Parteien mit ihrer Politikartikulation auf die EU-Agenda reagieren, da so Aussagen darüber möglich sind, wie dicht sie an der Agenda bleiben bzw. diese adaptieren und so ihre Scharnierfunktion über die politischen Ebenen ausüben. Diese Perspektive führt außerdem dazu, die gemessene Relevanz europäischer Themen einer fundierten Bewertung zu unterziehen. Während die oben vorgestellten Studien einiges über die Relevanz von europäischen Policy-Themen aufdecken, sind sie nur begrenzt geeignet für das Bilden

12

Kritisch kann hierzu angemerkt werden, dass die gewählten Zeiträume von fünf Jahren in der Längsschnittanalyse nicht geeignet sind, den Effekt der Integration zu messen, da weder der Fünf-Jahreszeitraum noch die ausschließliche Referenz zu den Meilensteinen der geografischen Erweiterungsrunden die Integration der Politikfelder (Analyseeinheit) abbilden.

18

2

Europäische Themen in Parteiorganisationen: Einbettung …

weiterführender Rückschlüsse über den Umgang der nationalen Parteien mit der tagtäglichen europäischen Politikgestaltung. Ursächlich sind hierfür als erstes die methodischen Grundlagen der oben diskutierten Wahlprogrammanalysen. Das dominierende Kategoriensystem von MARPOR (vormals CMP) (Volkens et al. 2015) und das damit eng verwandte Euromanifesto-Kategoriensystem (Wüst und Volkens 2003; Braun et al. 2007; Braun et al. 2010) konstruieren Themenbereiche, die nicht ausschließlich Politikfelder abbilden und zugleich Themen relativ stark aggregieren, sodass keine Angaben darüber vorliegen, inwiefern auf tagtägliche, spezifische europäische Politikentscheidungen eingegangen und nicht nur relativ allgemein über Anliegen der EU-Themenbereiche gesprochen wird. Auch die ChapelHill-Expertenbefragungen (Bakker et al. 2015) zielen ausschließlich auf Parteipositionen zu ausgewählten EU-Politikfeldern ab, ohne dabei tiefer in die Politikgestaltung auf europäischer Ebene einzusteigen. Als zweites verhindern die bisher verwendeten Datengrundlagen weiterführende Rückschlüsse darauf, wie die nationalen Parteien mit Angelegenheiten der europäischen Politikgestaltung in ihrer Politikformulierung umgehen und hiermit tatsächlich auf aktuelle Entwicklungen auf der europäischen Ebene reagieren. Bis auf die oben besprochene Arbeit von Pennings (2006) spielt diese Fragestellung bis dato keine Rolle. Zum einen spiegelt dies die Grenzen von Expertinnenund Expertenbefragung wider, wenn es um das spezifische Wissen über PolicyProblemstellungen geht. Zum anderen können Wahlprogramme als Datenbasis hierfür nur bedingt eingesetzt werden. Zunächst sind sie auf Wahlen und damit auf einen besonderen Zeitpunkt in der Wahlperiode ausgerichtet. Hierzu wird immer wieder betont, dass sich Parteien im Kontext von Wahlen eher Themen widmen, bei denen sie komparative Vorteile vermuten (Budge und Farlie 1983; Klingemann et al. 1994; Petrocik 1996). Ferner sollte nicht vergessen werden, dass Schwerpunkte innerhalb der europäischen Politikgestaltung und die zeitliche Agenda für die Entscheidungsfindung anders als in der nationalen Arena nicht unmittelbar in Händen der nationalen Parteien liegen. Um das Forschungsinteresse am Umgang mit den europäischen Politikgestaltungsthemen zu verfolgen, rückt die Arbeit von dem weitverbreiteten Fokus auf die (Europa-)Wahlprogrammatik ab und öffnet den Blick dafür, was innerhalb einer nationalen Partei zwischen den Wahlen respektive über die Wahlprogrammatik hinausgehend hinsichtlich der EU-Politikgestaltung passiert. Mit der Öffnung der Black Box Partei wird unmittelbar aufgegriffen, dass es sich bei der Politikartikulation um eine Aufgabe für Parteien handelt, die zum einen über eine gesamte Wahlperiode wahrgenommen wird und die zum anderen innerparteilichen Aufgabenteilungs- bzw. Delegationsmechanismen unterliegt. Damit verbindet die

2.1 Die europäische Handlungsagenda in der Politikformulierung …

19

Arbeit die Europäisierungs- mit Parteiorganisationsforschung. Zugleich greift sie mit dem Öffnen der Black Box eine bereits früh attestierte Forschungslücke auf, wonach wenig darüber bekannt ist, wie es in einer nationalen Partei bezüglich der EU-Themen zwischen den Wahlen bzw. den Parteitagen ausschaut (Raunio 2002: 405). Die eben geführte Reflexion der Forschungslücke und die kurze Skizzierung des angewandten Forschungsdesigns verdeutlichen ferner die weitere Konkretisierung der leitgebenden Fragestellung nach dem Umgang mit den europäischen Themen in spezifischen Forschungsfragen. Diese Fragen spiegeln einerseits die explorative Perspektive auf den (inhaltlichen) Gegenstand der Politikartikulation wider und richten andererseits den Blick auf konkrete Kontextbedingungen einer Themenauswahl. Konkret lauten diese Fragen: Wie relevant sind EU-PolicyAngelegenheiten für die nationalen Parteien und welche Policy-Themen greifen die Parteien auf? Reagieren die nationalen Parteien mit ihrer Themenselektion auf die europäische Handlungsagenda? Unterscheiden sich die ausgewählten Themen im Wahlkontext von den Themen der restlichen Wahlperiode? Bevor genauer auf die Verbindung zur Parteiorganisationsforschung eingegangen wird, ist zunächst eine Reflexion geboten, weshalb zu erwarten ist, dass sich nationale Parteiorganisationen mit spezifischen europäischen Politikangelegenheiten beschäftigen und sich dazu artikulieren.

2.1.3

Europäische Policy-Themen im Fokus nationaler Parteien und das damit verbundene theoretische Dilemma

Die gängige Antwort darauf, weshalb europäische Policy-Themen in der Politikartikulation präsent sein sollten, greift zurück auf die zu Beginn dieses Kapitels formulierte Erwartungshaltung, dass nationale Parteien den institutionellen europäischen Kontext aufgrund seiner besonderen Relevanz adaptieren. Die nationalen Parteien passen sich an die besondere und veränderte Umwelt an, wenn von den Veränderungen ihre Handlungsmöglichkeiten und ihre Verfolgung der klassischen Zieletrias (Office, Policy, Vote) betroffen sind (Lefkofridi 2008). Mit Blick auf die europäischen Policy-Angelegenheiten wird vor allem das Policy-Seeking in den Argumentationen gestärkt. So schätzen beispielsweise Mittag und Steuwer (2010: 25) ein, dass nationale Parteien diese Themen aufgreifen, weil sich diese durch den Ausbau der europäischen Legislativkompetenz veranlasst sehen, europapolitische Positionen zu entwickeln, die nicht nur allgemeine Positionen zur Europäischen Integration umfassen, sondern auch konkrete Positionierung in den Politikfeldern erfordert.

20

2

Europäische Themen in Parteiorganisationen: Einbettung …

Dieses Argument übersieht jedoch, was für die tagtäglichen EUPolitikentscheidungen kennzeichnend ist: Die europäischen Politikangelegenheiten zeichnen sich überwiegend durch stark technisch-regulative Inhalte aus, da in der regulativen Tätigkeit die wesentliche Kompetenz der Europäischen Union liegt (Moravcsik 2002). Wenngleich diese technischen Regulierungen nicht unbedeutend sind, ist zunächst nicht offensichtlich, in welcher Form Anreize für nationale Parteien bestehen, diese spezifischen Themen aufzugreifen und sie somit zum Gegenstand ihrer Politikartikulation – und damit der repräsentativen Demokratie – zu machen. Zumal vergleichbare Themen auch im nationalen Kontext keinen hohen demokratischen Input aufweisen und dies Moravcsik zum Anlass nimmt, eine Neujustierung der Diskussion über das Demokratiedefizit der EU anzumahnen (Moravcsik 2002). Lassen sich aber die erwarteten Anpassungseffekte nicht oder in nur sehr geringem Ausmaß feststellen, dann wird vor allem das Argument der fehlenden elektoralen Anreize gestärkt, europäische Themen zum Gegenstand des nationalen Parteienwettbewerbs zu machen (etwa bei Pollak und Slominski 2003; Saalfeld 2003). Der argumentative Rückgriff auf das Vote-Seeking stützt sich auf diverse Studien zum Wahlverhalten. Anhand der Beteiligung bei den Europawahlen zeigt sich bis 2014, dass europäische Themen für Wählerinnen und Wähler weniger entscheidend sind, ihr Interesse an Europa relativ gering ist und Einstellungen gegenüber Europa keinen Einfluss auf die Wahlteilnahme respektive Wahl einer Partei haben (Franklin et al. 1996; Blondel et al. 1997: 254–256; Wüst und Schmitt 2007: 87–88) und deshalb Europawahlen häufig als Nebenwahlen charakterisiert werden (Reif und Schmitt 1980; Reif 1984, 1997; Niedermayer 2014). Womöglich markieren hier die jüngsten Europawahlen im Mai 2019 einen Wendepunkt, da erstmalig ein Anstieg der Wahlbeteiligung in mehreren EULändern seit Einführung der Direktwahlen zum EP eintrat (Parlament 2019) und sich eine zunehmende Relevanz der EU-Integrationsdimension abzeichnet (vgl. Abschnitt 2.1.1.1 Das EU-Integrationsthema). Dennoch bleibt offen, ob dies gleichbedeutend mit einer höheren Relevanz von EU-Policy-Themen ist und sich damit auch elektorale Anreize für die nationalen Parteien bieten, EU-Policy-Themen grundsätzlich mit ihrer Politikartikulation zu adressieren. Insgesamt zeigt sich also als erstes, dass die leitgebende Fragestellung „Wie gehen nationale Parteiorganisationen mit den Themen der europäischen Politikgestaltung um?“ unmittelbar mit der Fragestellung „Weshalb sollten sie dies tun?“ einhergeht. Als zweites wird offensichtlich, dass die Antwort, weshalb sich Parteien mit den EU-Policy-Themen beschäftigen sollten, sich nicht in vereinfachten Argumenten auf die Zieletrias der Parteien zurückführen lässt, ohne schnell auf Gegenargumente bzw. gegensätzliche Argumentationslinien zu stoßen. Das

2.2 Öffnen der Black Box: Politikartikulation in Parteiorganisationen

21

verweist zwar auf die zugrundeliegende Perzeption, dass Parteiziele in Konflikt miteinander stehen können und deshalb für das Handeln Trade-Offs eingegangen werden (Strøm 1990). Zugleich deckt dies aber die theoretische Unschärfe auf und erzeugt den Eindruck einer gewissen Beliebigkeit im Umgang mit dem behavioristischen Ansatz der Parteiziele, wonach je nach Fokus bzw. empirischen Schwerpunkt das eine oder andere Ziele gestärkt wird. Im Rahmen dieser Arbeit soll dieses Dilemma aufgegriffen werden und eine theoretisch schlüssige Antwort mit Rückgriff auf einen rationalistischen Ansatz auf die Frage geboten werden, weshalb sich Parteien mit EU-PolicyThemen in ihrer (nationalen) Politikartikulation beschäftigen und es sich folglich lohnt, sich empirisch auf die Suche nach europäischen Policy-Themen in einer Parteiorganisation zu begeben. Um eine Auflösung des theoretischen Dilemmas zu bieten, ist folgende Idee leitgebend: Im Zusammenhang mit den europäischen Policy-Themen erweist sich das Vote-Seeking als das schwächste Argument in der Erklärung für die Themenselektion. Ergo wird genau für dieses Ziel theoretisch schlüssig herzuleiten sein, weshalb Parteien europäischen Policy-Themen unter den genannten Besonderheiten Aufmerksamkeit schenken. Sollte es eine schlüssige theoretische Argumentation für den Fall geben, in dem Parteien vorrangig als Vote-Seeker betrachtet werden, dann hat die theoretische Argumentation auch Bestand, wenn die Parteien weitere theoretische Ziele wie das Policy-Seeking verfolgen.

2.2

Öffnen der Black Box: Politikartikulation in Parteiorganisationen

Bislang wurde herausgestellt, dass in der Öffnung der Black Box Partei ein Teil der Lösungsstrategie gesehen wird. Das Öffnen der Black Box resultiert aus dem Verständnis der Politikartikulation als Aufgabe, die von Parteien über eine gesamte Wahlperiode ausgeübt wird und in der die Politikartikulation zu Wahlen (und in Form von Wahlprogrammen) einen, wenngleich wichtigen Baustein ausmacht. Ferner wird Politikartikulation als Aufgabe konzipiert, die innerparteilichen Aufgabenteilungs- bzw. Delegationsmechanismen unterliegt. Das Öffnen der Black Box bedeutet, Parteien nicht als einheitlich bzw. geschlossene Akteure zu konzipieren (u. a. Katz 2005), sondern sie als Organisationen bestehend aus „party subunits“ zu verstehen (Sartori 2005 [1976]: 63). Folglich ist neben dem grundlegenden Verständnis von Politikartikulation auch zu definieren, wer als party subunits herangezogen und somit als relevant betrachtet

22

2

Europäische Themen in Parteiorganisationen: Einbettung …

wird, um aufschlussreiche Antworten auf die leitgebende Fragestellung liefern zu können. In der Parteiorganisationsforschung existiert eine Vielfalt von subunits, die wiederum in zahlreiche Parteienkonzepte, Systematisierungen sowie kritische Reflexionen dieser Konzepte mündet (siehe Überblick und Diskussion u. a. von Deschouwer 2006; Krouwel 2006; Bukow und Poguntke 2013). In dieser Arbeit werden unter party subunits formelle Akteure gefasst, keine Einzelpersonen. Konkret stehen hier drei zentrale innerparteiliche Akteure im Mittelpunkt: Der Parteitag, die Parteiführung und die Fraktion. Damit wird also eine horizontale Öffnung der nationalen Partei vorgenommen, innerparteiliche Akteure auf der subnationalen Ebene spielen keine Rolle. Unverkennbar sind in dieser Auswahl die Parallelen zum Drei-Organisationsarenen-Modell von Katz und Mair (1993), welches zwei klassische Organisationsdichotomien verbindet, nämlich die erste, die zwischen Parteiführung und Mitgliedern (Michels 1973 [1925]; Strøm 1990) unterscheidet und Machtfragen innerhalb der Mitgliederorganisation aufgreift (Katz und Mair 1993: 595 f.), und die zweite, die eine Abgrenzung zwischen außerparlamentarischer Partei und der Partei im Parlament vornimmt. Anders als bei Katz und Mair stehen hier aber ausschließlich die formellen innerparteilichen Akteure im Mittelpunkt: (1) Der Parteitag als institutionalisierte Form der Parteimitglieder (1993: 598) und im Rahmen dieser Arbeit konzipiert als Prinzipal, um Politikartikulation im Kontext innerparteilicher Aufgabenteilungsbzw. Delegationsmechanismen analytisch erfassen zu können; (2) die Parteiführung, wobei hier nur die Parteiführungsstäbe relevant sind und nicht auch noch das von Katz und Mair thematisierte Back Office (1993: 598 f.) und (3) die Fraktion als kollektiver Akteur. In Abgrenzung zu Katz und Mair spielt im Rahmen dieser Arbeit die party in government keine Rolle. Die party in government wird bewusst ausgeblendet, da sie direkt an der europäischen Politikgestaltung mitwirkt. Das löst eine asymmetrische Informationslage innerhalb der Parteien mit den klassischen Delegationsproblemen „hidden action“ und „hidden information“ aus (Raunio 2002: 411). So hat sich die Autonomie der Minister gegenüber ihren Parteien erhöht, sodass letztlich die Stärkung der nationalen Regierung als Konsequenz des europäischen Integrationsprozesses auch ihre Spuren in der innerparteilichen Machtbalance hinterlässt (Aylott et al. 2007: 203; Poguntke 2007; Carter und Poguntke 2010), und zwar konkret auf Kosten der formellen innerparteilichen Akteure, d. h. von Parteiführung, Parteitag und Fraktion (Carter und Poguntke

2.2 Öffnen der Black Box: Politikartikulation in Parteiorganisationen

23

2010: 321).13 Ergo fokussiert sich die eigene empirische Untersuchung auf diese drei innerparteilichen Akteure und verfolgt, wie sie sich letztlich vor diesen im Hintergrund ablaufenden Prozessen mit ihrer Politikartikulation den europäischen Themen widmen. Folglich spiegeln sich im hier angewandten Modell die beiden klassischen Organisationsdichotomien wesentlich strikter wider als dies im Organisationsmodell von Katz und Mair der Fall ist.

2.2.1

Politikformulierung im Kontext innerparteilicher Macht …

Die empirische Auseinandersetzung mit der innerparteilichen Politikformulierung nimmt einen festen Bestandteil in der Parteiorganisationsforschung ein. An dieser Stelle wird bewusst von Politikformulierung anstatt Politikartikulation gesprochen, um hervorzuheben, dass in der empirischen Forschung zu großen Teilen die Entstehung politischer Standpunkte Analysegegenstand ist. Dies impliziert in hohem Maße einen Prozesscharakter, führt zur Betrachtung verschiedenster party subunits und stellt damit die Inputperspektive der Politikartikulation in den Vordergrund. Der Facettenreichtum dessen, womit sich Parteien inhaltlich auseinandersetzen und wie sie diese Prozesse ausgestalten, spiegelt sich auch in der Forschung wider. So können beispielsweise die Parteiprogrammentwicklung (Däubler 2012b,a) oder die Entwicklung bzw. Veränderung europapolitischer Positionen (z. B. Wielgoß 2002) Gegenstand der empirischen Analysen sein. Neben dem Analysegegenstand variieren auch die beobachteten party subunits, wobei diese von formell strukturellen Akteuren bis hin zu individuellen Parteiakteuren reichen. Da sich die vertiefende Reflexion des Forschungsstands zur Politikformulierung an dieser Stelle vorrangig auf Arbeiten bezieht, die entweder auf Parteiorganisationsmodellen fußen, die in Einklang mit den oben genannten drei innerparteilichen Akteuren stehen oder mit der eigenen Perspektive auf die Politikartikulation fruchtbar in Verbindung gebracht werden können, bleiben nur wenige Studien übrig, die für die eigene Forschungsarbeit relevant sind. Kennzeichnend für diese Studien ist, dass ein Großteil die innerparteiliche Politikformulierung in den Kontext innerparteilicher Machtverteilung bringt sowie 13

Zugleich erleichtert das Ausblenden der party in government die analytische Klarheit in der Untersuchung der Politikartikulation innerhalb von Parteiorganisationen, denn die Verortung der party in government wird zunehmend diffiziler bedingt durch Koalitionsregierungen und eine stärkere Individualisierung des innerparteilichen Akteurs (party in government = einzelne Minister).

24

2

Europäische Themen in Parteiorganisationen: Einbettung …

auf die Einflussmöglichkeiten einzelner party subunits zurückführt. Folglich findet sich die klassische Perspektive auf Parteiorganisationen, nämlich die Machtfragen in den Mittelpunkt zu rücken, auch in der Literatur zur innerparteilichen Politikformulierung wieder. Dabei spielen die drei zentralen innerparteilichen Akteure in unterschiedlicher Weise eine Rolle. Zunächst spiegelt sich die klassische Organisationsdichotomie zwischen Parteiführung und Mitgliedern in der Betrachtung der Politikformulierung wider, wenn beispielsweise Switek (2012) den Einfluss von Parteiführung und Parteitag auf wichtige Politikbeschlüsse von B90/Die Grünen evaluiert und herausstellt, welcher innerparteiliche Akteur sich letztlich durchsetzt. Auch die zweite klassische Dichotomie einer Parteiorganisation, die das Verhältnis zwischen der party in parliament und der außerparlamentarischen Partei erfasst, spielt im Kontext der Politikformulierung eine Rolle. Insbesondere gekoppelt an die institutionellen Rahmenbedingungen der Fraktionen, die sich etwa in einer besonderen Ressourcenausstattung oder im Zugriff auf die politischen Gestaltungsmöglichkeiten niederschlagen, wird immer wieder die herausragende Rolle der Fraktion in Bezug auf die Politikformulierung von Parteien betont (Schüttemeyer 1992, 1999). Erstaunlicherweise liegt bislang keine empirische Untermauerung des ressourcenbasierten Machtarguments vor, sodass weiterhin die von Helms (2000) attestierte Forschungslücke hinsichtlich des Verhältnisses zwischen Fraktion und Mitgliederorganisation besteht. Ein Stück weit liefert Treibel (2012, 2014) Erkenntnisse zu dieser Forschungslücke, indem er in hoher Anlehnung an das Drei-Organisationsarenen-Modell einzelne Policy-Entscheidungsprozesse innerhalb der FDP betrachtet. Andere Studien, die innerparteiliche Willensbildungs- und Politikformulierungsprozesse näher beleuchten, sind dem empirischen Nachweis des Einflusses der innerparteilichen Akteure verbunden, greifen dafür jedoch auf Parteiorganisationskonzepte zurück, die eine größere Diversität an innerparteilichen Akteuren abbilden. Mit diesem Ansatz werden etwa programmatische Entwicklungen erklärt (u. a. Prinz 2010) und Untersuchungen zum Entstehungsprozess von Landtagswahlprogrammen durchgeführt (Däubler 2012b,a). Kennzeichnend für die meisten empirischen Studien zum Einfluss innerparteilicher Akteure auf die Politikformulierung der Partei ist zunächst, dass dieser ermittelt wird, in dem jeweils ein politisches Dokument (Beschluss, Wahlprogramm) bzw. eine spezifische parteipolitische Entscheidung Gegenstand der Analyse ist und hierfür meist zugrundeliegende Prozesse beobachtet werden. Daran gekoppelt ist, dass in der Regel ein Small-N-Untersuchungsdesign zum Einsatz kommt, welches sich auf eine Partei bezieht und hierfür ausgewählte

2.2 Öffnen der Black Box: Politikartikulation in Parteiorganisationen

25

Policy-Entscheidungen im Hinblick auf den Input der innerparteilichen Akteure analysiert (u. a.Switek 2012; Treibel 2014). Ohne die Beobachtung einzelner Einflussschritte und des Inputs kommt als Ausnahme die Studie von Bäck et al. (2014) aus, die auf einer vertikalen Öffnung der Parteiorganisation basiert und den Einfluss von Landesverbänden auf die Politikpositionen innerhalb des nationalen Wahlprogramms (und damit auch wieder ein politisches Dokument) herausstellt. Die Ergebnisse zu relevanten Parteien im deutschen Parteiensystem fußen auf zahlreichen Beobachtungen des Outputs an Politikartikulation der jeweiligen party subunits (Politikpositionen in den Landtagswahlprogrammen) und in den nationalen Wahlprogrammen.

2.2.2

… und im Zeichen innerparteilicher Heterogenität

Eine zweite Analyseperspektive auf die Politikartikulation innerhalb von Parteiorganisation rückt die innerparteiliche Heterogenität zwischen den verschiedenen party subunits hinsichtlich ihrer Präferenzen stärker in den Mittelpunkt. Selbstredend ist die Heterogenität bei dem oben reflektierten analytischen Fokus auf innerparteiliche Machtfragen ein zentrales Element. Im Unterschied dazu steht aber in den nachfolgend reflektierten Arbeiten die Heterogenität losgelöst von der Machtdimension im Mittelpunkt. Ein analytischer Zugang zur innerparteilichen Heterogenität bietet die jeweils unabhängige Betrachtung des Outputs an Politikartikulation (klar definierter) innerparteilicher subunits. Die bisherigen empirischen Studien wenden eine vertikale Öffnung der Black Box an und fokussieren sich auf Landesverbände. Nicht zuletzt dank der gewachsenen technischen Möglichkeiten computergestützter Inhaltsanalysen werden analog zur Analyse der Politikpositionen von nationalen Parteien die Wahlprogramme der Landesverbände bzw. von regionalen Parteien als Datengrundlage verwendet und als unabhängige Beobachtungen für die jeweiligen subunits genutzt (Bräuninger und Debus 2012). Diese Beobachtungen wiederum dienen als Ausgangspunkt für weiterführende Erklärungen der ermittelten innerparteilichen Heterogenität (Müller 2009, 2012; Debus und Müller 2013). Mit einem weiteren Zugang wird das Ausmaß der Heterogenität bzw. der Heterogenitätsgrad in den Mittelpunkt gestellt. Hierfür wird im Kontext der europäischen Themen die innerparteiliche Heterogenität im Sinne eines Dissenses über einzunehmende Standpunkte bei bestimmten politischen Fragen beobachtet. Konkret widmet sich die Chapel-Hill-Befragung dem innerparteilichen Dissens über die eingenommene EU-Integrationsposition der Parteiführung (Hooghe et al.

26

2

Europäische Themen in Parteiorganisationen: Einbettung …

2002, 2004; Marks et al. 2007; Steenbergen und Marks 2007; Hooghe et al. 2010; Bakker et al. 2015).14 Liegen Ergebnisse zum Heterogenitätsgrad im Allgemeinen oder zu spezifischen politischen Problemstellungen vor, dann können weiterführende Problemstellungen zum innerparteilichen Konfliktmanagement untersucht werden. So findet etwa Pennings heraus (2006), dass ein höherer innerparteilicher Dissens über die Position zur EU-Integrationsfrage eher zur Meidung des Themas im Parteienwettbewerb führt (Pennings 2006: 267). Auch wenn in der empirischen Forschung die ausschließliche Untersuchung der existierenden innerparteilichen Heterogenität eher eine untergeordnete Rolle spielt, ist die konzeptionelle Herangehensweise für das Bearbeiten der eigenen Problemstellung äußerst fruchtbar, was im nachfolgenden Abschnitt konkretisiert wird.

2.2.3

Forschungslücke: Politikartikulation im Kontext innerparteilicher Aufgabenteilung und in organisationsvergleichender Perspektive

Für Parteien sind wie für andere Organisationen Arbeitsteilung und Verantwortungsdelegation (Endruweit 2004: 19) kennzeichnend. Im Rahmen dieser Arbeit werden die innerparteiliche Aufgabenteilung und Aufgabendelegation auch als solche verstanden und nicht a priori gleichbedeutend mit den Machtfragen gesetzt. Vielmehr können aus Arbeitsteilung und Verantwortungsdelegation innerparteiliche Machtfragen resultieren. Die Politikartikulation unter dem Blickwinkel einer innerparteilichen Aufgabenteilungs- bzw. Delegationsmechanismen zu betrachten, spielt in der empirischen Forschung bislang keine Rolle. Diese Perspektive wird hier jedoch als besonders zielführend bewertet, um die leitgebende Fragestellung zu beantworten, wie Parteien als Organisationen mit den europäischen Themen umgehen. Nur ein analytischer Fokus auf die innerparteiliche Aufgabenteilung wird der Tatsache gerecht, dass grundsätzlich die drei innerparteilichen (formellen) Akteure für die Politikartikulation einer Partei verantwortlich sind, sich also innerhalb einer Wahlperiode im Namen der Partei äußern können. Somit wird die leitgebende Fragestellung nach dem Umgang der nationalen Parteiorganisationen mit dem europäischen Themenkomplex dahingehend präzisiert, ob und inwiefern eine

14

Indes besteht bei dem gewählten Vorgehen eine gewisse Unschärfe darüber, zwischen welchen oder innerhalb welcher innerparteilichen Akteure der Dissens existiert.

2.2 Öffnen der Black Box: Politikartikulation in Parteiorganisationen

27

inhaltlich orientierte Aufgabenteilung in den Parteien zwischen den drei innerparteilichen Akteuren besteht. Des Weiteren gilt es in diesem Zusammenhang zu beantworten, ob darüber hinaus das Parteiorganisationsverständnis, welches die innerparteiliche Machtverteilung widerspiegelt, einen Einfluss auf die Politikartikulation der innerparteilichen Akteure und damit auf ihren Umgang mit dem europäischen Themenkomplex hat. Um sich der Politikartikulation im Sinne der innerparteilichen Aufgabenteilung anzunähern, ist der analytische Zugang der oben diskutierten Heterogenitätsmessung besonders geeignet. D. h. es wird der Output der Politikartikulation der drei innerparteilichen Akteure unabhängig voneinander über die Zeit beobachtet. Der Einfluss einzelner Akteure auf ein bestimmtes Dokument spielt im Rahmen dieser Arbeit keine Rolle. Innerparteiliche Politikformulierungsprozesse bleiben also ausgeblendet. Mit der systematischen Beobachtung der Politikartikulation in einer horizontal geöffneten Partei lassen sich unter Anwendung eines vergleichenden Studiendesigns Gemeinsamkeiten und Unterschiede im Umgang mit den europäischen Themen zwischen den drei zentralen innerparteilichen Akteuren herausarbeiten. Zudem kann der Umgang mit den politischen Themen in die beiden klassischen Organisationsperspektiven (Mitgliederorganisation mit Parteitag sowie Parteiführung und das Verhältnis der außerparlamentarischen Partei zu ihrer parlamentarischen Vertretung) eingebettet werden. Letzteres unterstreicht, dass mit dem Verständnis der Politikartikulation im Sinne einer inhaltlich orientierten Aufgabenteilung keineswegs ignoriert wird, dass die Fragen zum Umgang einer Parteiorganisation mit dem europäischen Themenspektrum die klassischen Machtfragen innerhalb einer Organisation berühren. Im Rahmen dieser Arbeit werden Machtfragen vielmehr in den Kontext der generellen Ausübung der Politikartikulation gesetzt. Die grundlegende Erwartung lautet hier, dass die Aufgabenverteilung in der Politikartikulation in den Kontext grundlegender Organisations- und damit Machtstrukturen eingebettet ist und sich diese infolgedessen im Output der Politikartikulation niederschlagen. Mit diesem Ansatz, die Politikartikulation in den Parteiorganisationskontext zu setzen, grenzt sich diese Arbeit von den oben diskutierten Forschungsarbeiten ab. Dafür greift die Arbeit auf einen Vergleich der Politikartikulation der innerparteilichen Akteure in verschiedenen Parteiorganisationen zurück. Der Blick auf die Politikartikulation der drei innerparteilichen Akteure trägt zudem ergänzend zum bisherigen Forschungsstand bei, der sich auf die Politikartikulation der innerparteilichen Akteure in Einzelbetrachtung bezieht: Die bisherigen Studien zum Parteitag konzentrieren sich auf dessen Programmdebatten und im Hinblick auf die europäischen Themen auf die Weiterentwicklung

28

2

Europäische Themen in Parteiorganisationen: Einbettung …

der EU-Programmatik (u. a. Krell 2009); ausgeblendet bleiben die EU-PolicyThemen. Der Parteiführung obliegt die Aufgabe, zwischen den Parteitagen die Politikformulierung wahrzunehmen (Poguntke 1998: 164–165). Die hier gewählte Analyseperspektive ermöglicht erstmals eine explorative Betrachtung, wie diese Aufgabe von der Parteiführung tatsächlich ausgeübt wird, denn bislang liegen dazu keinerlei empirischen Erkenntnisse vor. Bezogen auf die europäischen Themen kann an die obige Diskussion zum Permissive Consensus angeknüpft werden. Mit der hier gewählten Analyseperspektive ist empirisch überprüfbar, ob die Politikartikulation zu EU-Integrationsfragen vorzugsweise von der Parteiführung als innerparteiliche Elite wahrgenommen wird. Die bereits angesprochenen institutionellen Rahmenbedingungen, die unmittelbar im Zusammenhang mit der EU-Integration stehen, führen auch zu einer besonderen Rolle der Fraktion innerhalb der Parteiorganisation. Die Fraktion wird als der zentrale innerparteiliche Akteur gesehen, welcher über die Ressourcen verfügt, die Rückbindung der Parteieliten in der (staatlichen) Exekutive zu ermöglichen, wobei der institutionelle Kontrollmechanismus zwischen Regierung und Parlament entscheidend wäre, nicht jedoch innerparteiliche Mechanismen (Raunio 2002: 412). Auch Maurer stellt in diesem Zusammenhang heraus, dass das europapolitische Interesse nationaler Parteien im Wesentlichen von den institutionellen Voraussetzungen der nationalen Parlamente abhängig ist, an der Formulierung von Europapolitik mitwirken zu können (Maurer 1996: 269). Zahlreiche Studien stellen diese institutionellen Voraussetzungen in den Mittelpunkt und widmen sich den diversen institutionellen Lösungen in den europäischen Mitgliedstaaten (Norton 1995; Maurer und Wessels 2001; Auel und Benz 2003, 2005; Auel 2011). Der Rückgriff auf die institutionellen Anpassungen in den nationalen Parlamenten bietet durchaus hilfreiche Schlussfolgerungen etwa auf das Verhältnis zwischen Fraktion und Parteielite in den amtierenden Regierungsparteien. Zugleich erfährt bisher relativ wenig Aufmerksamkeit, wie die einzelnen Fraktionen unabhängig von ihrem Regierungsstatus als entscheidende Akteure des Parlaments tatsächlich mit den europäischen Policy-Impulsen umgehen, sodass hier der Blick auf den Output der Politikartikulation der Fraktion zu den EU-Themen eine aufschlussreiche Ergänzung bietet. Bislang fokussiert sich die Forschung auf die dafür nötigen grundlegenden Strukturen. So wird mitunter argumentiert, dass sich mit dem sukzessiven Ausbau der parlamentarischen Rückkopplungsmechanismen hinsichtlich der EU-Angelegenheiten die Informationssituation für die Abgeordneten verbessert hat und sie folglich PolicyExpertise in EU-Angelegenheiten generieren können (Raunio 2002: 414; Auel

2.3 Zusammenfassung

29

und Rittberger 2006: 135). Basierend auf Daten aus Hintergrundgesprächen belegen empirische Studien den sukzessiven Aufbau eines Informationsnetzwerks zu den Themen europäischer Politikgestaltung, welches abseits der parlamentarischen Abläufe zu verorten ist und insbesondere von den Fachpolitikerinnen und Fachpolitikern getragen wird (Kropp 2010; Kropp et al. 2011; Eisele 2012). Ferner weist eine Untersuchung zu den Plenardebatten des Deutschen Bundestags darauf hin, dass über die Zeit (März 1991 bis September 2013) die politische Kommunikation mit Bezug zu europäischen Themen an Relevanz gewonnen hat (Rauh 2015). An anderer Stelle wird aber wiederum auf die geringen Anreize für die nationalen Abgeordneten verwiesen, sich mit den europäischen Themen stärker zu beschäftigen und vorhandene institutionelle Möglichkeiten auszuschöpfen (Pollak und Slominski 2003; Saalfeld 2003; Auel 2007). Damit kristallisiert sich anhand der Fraktion eine durchaus widersprüchliche Debatte: Während einerseits in ihr der innerparteiliche Akteur gesehen wird, der wesentlich das europapolitische Interesse der Partei vorantreiben kann, werden andererseits die Hindernisse herausgestellt. Ob die Fraktion die formulierte Erwartung erfüllt, kann mit der hier bearbeiteten Fragestellung nach der innerparteilichen Aufgabenteilung aufgezeigt werden, welche die Fraktion in Relation zu anderen innerparteilichen Akteuren betrachtet.

2.3

Zusammenfassung

Die vorliegende Forschungsarbeit widmet sich zwei leitgebenden Fragestellungen zum Umgang nationaler Parteiorganisationen mit dem europäischen Themenkomplex und hierbei insbesondere den europäischen Policy-Themen. Als erstes wird eine theoretische Antwort auf die leitgebende Fragestellung entwickelt, weshalb sich nationale Parteien mit ihrer Politikartikulation den spezifischen europäischen Policy-Themen widmen sollten. Die zweite leitgebende Fragestellung zielt darauf ab, den Umgang der nationalen Parteiorganisationen mit dem europäischen Themenkomplex, insbesondere den tagtäglichen europäischen Politikentscheidungsprozessen empirisch zu untersuchen. Vor dem Hintergrund des Forschungsstands zur Europäisierungs- und Parteiorganisationsforschung wird diese zweite Fragestellung in die folgenden konkreten Forschungsfragen heruntergebrochen: Wie relevant sind Angelegenheiten der europäischen Politikgestaltung für die nationalen Parteien und welche Policy-Themen greifen die Parteien und ihre innerparteilichen Akteure auf? Lässt sich eine innerparteiliche inhaltlich orientierte Aufgabenteilung in den Parteien im Hinblick auf die europäischen Themen erkennen? Gibt es systematische

30

2

Europäische Themen in Parteiorganisationen: Einbettung …

Unterschiede im Umgang mit europäischen Themen zwischen Parteien, die im Zusammenhang mit dem Parteiorganisationsverständnis stehen? Reagieren die nationalen Parteien und ihre innerparteilichen Akteure mit ihrer Themenselektion auf die europäische Handlungsagenda? Unterscheiden sich die ausgewählten Themen im Wahlkontext von den Themen der restlichen Wahlperiode? Diese Forschungsfragen führen unterschiedliche Perspektiven auf den Umgang mit dem europäischen Themenkomplex in nationalen Parteiorganisationen zusammen. Sie drücken zunächst das explorative Interesse am inhaltlichen Gegenstand der Politikartikulation aus. Sie rücken die innerparteiliche Organisation als relevanten Rahmen für die Politikartikulation von Parteien in den Mittelpunkt. Und schließlich adressieren sie spezifische parteiexterne Kontextbedingungen für die Themenselektion, namentlich die europäische Agenda und die Abgrenzung zwischen Wahl- und Nichtwahlkontext. Die Beantwortung dieser facettenreichen Forschungsfragen wird in umfänglich empirisch-fundierten Erkenntnissen über den Umgang mit den europäischen Themen in nationalen Parteiorganisationen resultieren. Dafür wird die Politikartikulation als Aufgabe von Parteien konzipiert, die zum einen von Parteien in der gesamten Wahlperiode wahrgenommen wird und die zum anderen innerparteilichen Aufgabenteilungs- bzw. Delegationsmechanismen unterliegt. Folglich wird hierfür die Politikartikulation von party subunits beobachtet. Konkret kommt ein Parteiorganisationsmodell zum Einsatz, das die Black Box Partei in horizontaler Perspektive öffnet und sich auf die drei zentralen innerparteilichen Akteure Parteitag, Parteiführung und Fraktion bezieht, wobei der Parteitag als Prinzipal definiert ist. Mit diesem Vorgehen trägt die Forschungsarbeit sowohl zur Europäisierungsals auch zur Parteiorganisationsforschung bei. Der Beitrag zur Europäisierungsforschung speist sich zum einen aus einer stärkeren Beachtung von EU-PolicyThemen. Zum anderen wird mit dem hier zugrundeliegenden Verständnis der Politikartikulation der starke empirische Fokus auf die Wahlprogrammatik in der Europäisierungsforschung aufgehoben. Ferner findet Beachtung, inwiefern die Parteien auf die europäische Handlungsagenda reagieren und somit die erwartete Scharnierfunktion im Hinblick auf die Politikgestaltung ausüben. Bedingt durch die eingenommene Perspektive auf die Politikartikulation im Sinne einer inhaltlich orientierten Aufgabenteilung wird zusätzlich auch ein Beitrag zur Parteiorganisationsforschung geleistet. Denn bis dato bleibt dieser Aspekt in der empirischen Forschung unbeleuchtet, was gleichermaßen für das Zusammenspiel der drei zentralen innerparteilichen Akteure Parteitag, Parteiführung und Fraktion gilt und somit für die Analyse der zusammengeführten beiden klassischen Organisationsdichotomien.

3

Europäische Policy-Themen: Ähnliche Anreize, aber unterschiedliche Möglichkeiten für innerparteiliche Akteure

Der erste Teil dieses Kapitels widmet sich der theoretischen Beantwortung der leitgebenden Fragestellung, weshalb sich nationale Parteien europäischen Themen und insbesondere europäischen Policy-Themen über die gesamte Wahlperiode widmen. Im vorangestellten Kapitel wurde hierzu herausgestellt, dass vor dem Hintergrund der Zieletrias Office, Policy und Votes durchaus gegensätzliche Antworten gegeben werden: Einerseits wird argumentiert, dass sich nationale Parteien den europäischen Angelegenheiten im Sinne des Policy-Seeking als Teil einer veränderten Umwelt widmen. Andererseits sind insbesondere im Sinne des VoteSeeking die Anreize relativ gering, da europäische Policy-Themen zumindest bis zu den jüngsten Krisen (und darüber hinaus) keineswegs wahlentscheidend gewesen sind. Mit der hier gebotenen Antwort soll ein Ausweg aus dem argumentativen Dilemma im Rahmen des rational-behavioristischen Ansatzes aufgezeigt und somit ein theoretisch schlüssiges Fundament geboten werden, weshalb erwartet werden kann, dass innerparteiliche Akteure kontinuierlich über die Zeit EUThemen und insbesondere EU-Policy-Themen Aufmerksamkeit schenken. Dazu fokussiert sich die Argumentation auf das Vote-Seeking von Parteien. Der zweite Teil des Kapitels vertieft die Überlegungen dazu, wie Parteien mit den europäischen Themen umgehen und intensiviert dafür die Betrachtung der Politikartikulation innerhalb einer Partei. Dafür wird nun anders als im ersten Teil der theoretischen Argumentation die Black Box Partei geöffnet. Im Mittelpunkt stehen hierbei die mit der Politikartikulation verbundene Aufgabenteilung sowie die Aufgabendelegation vom Prinzipal an seine Agenten. Zugleich sind die drei zentralen innerparteilichen Akteure Parteitag, Parteiführung und Fraktion mit unterschiedlichen Ressourcen ausgestattet, die nicht ohne Einfluss auf die Politikartikulation im Allgemeinen und im speziellen zu europäischen Themen bleiben © Der/die Autor(en), exklusiv lizenziert durch Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2021 S. John, Europäische Themen in deutschen Parteiorganisationen, Empirische Studien zur Parteienforschung, https://doi.org/10.1007/978-3-658-34797-0_3

31

32

3

Europäische Policy-Themen: Ähnliche Anreize …

dürfte. Basierend auf einem kombinierten Delegations-Ressourcenansatz werden Differenzen in der Politikartikulation zwischen den innerparteilichen Akteuren herausgearbeitet. Zielsetzung ist das Aufdecken einer Themenselektionsstrategie im Kontext einer innerparteilichen Aufgabenteilung. Die theoretische Argumentation ist nicht interessiert an den innerparteilichen Konflikten über politische Themen und blendet deshalb diese Perspektive bewusst aus. Die Ausführungen in diesem Kapitel bieten die Grundlage für empirisch überprüfbare Hypothesen, die die Varianz in der Themenselektion zwischen innerparteilichen Akteuren und/oder Parteiorganisationen und zwischen dem Wahl- und Nichtwahlkontext zum Gegenstand haben. Die hergeleiteten Erwartungen werden im dritten Teil dieses Kapitels zusammengeführt.

3.1

Europäische Policy-Angelegenheiten: Weshalb setzen sich nationale Parteien damit auseinander?

Parteien werden hier konzipiert als rational handelnde Akteure, die sich mit ihrem Verhalten grundsätzlich an der Zieletrias Vote-, Office- und Policy-Seeking orientieren (Strøm 1990: 570). Dabei kommt dem Ziel des Vote-Seeking eine instrumentelle Bedeutung in dieser Trias zu. Denn ohne Wählerstimmen sind weder das Erlangen öffentlicher Ämter noch ein Einfluss auf die öffentliche Politik möglich. Aufgrund dieser hohen Relevanz des Vote-Seeking stellt das nachfolgende theoretische Argument dieses Ziel in den Mittelpunkt, ohne damit von Parteien als eindimensional denkende Akteure in der Verfolgung ihres Wahlzieles auszugehen (ähnliche Herangehensweise u. a. bei Cox und McCubbins 1993: 109).1 Zugleich bedeutet diese Vereinfachung keineswegs, dass Parteien x-beliebige Handlungsstrategien für die Stimmengewinnung umsetzen können. Neben dieser instrumentellen Bedeutung des Vote-Seeking leitet sich der Fokus auf dieses Handlungsziel aus dem aufgezeigten theoretischen Dilemma her, wenn es um rational-behavioristische Erklärungen von Parteiverhalten im Hinblick auf die europäische Handlungsagenda geht: Wenn nun theoretisch schlüssig abgeleitet wird, dass sich nationale Parteien in der am geringsten wahrscheinlichen Variante des alleinigen Handlungsziels des Vote-Seeking regelmäßig mit EUPolicy-Themen auseinandersetzen, dann ist dies auch weiterführend der Fall, wenn sie die anderen Ziele etwa das Policy-Seeking stärken. 1 Auch die Parteien bei Downs sind keine reinen Vote-Seekers, vielmehr bedarf es das Ziel der Stimmenmaximierung, um dem Eigennutz-Axiom der Parteimitglieder zu dienen (Office). Das politische Programm (Policy) ist dabei lediglich Mittel zum Zweck (Downs 1968: 27 f., 34).

3.1 Europäische Policy-Angelegenheiten: Weshalb setzen …

33

Um dieses Dilemma aufzulösen, rückt die folgende theoretische Argumentation stärker die Mittel und Wege in den Vordergrund, wie Parteien ihre Ziele bzw. das Ziel des Vote-Seeking erreichen können. D. h. für das Verständnis von Parteiverhalten ist es nur bedingt ausreichend, allein Handlungsziele zu definieren bzw. Annahmen über die Handlungsmotivation von Parteien zu treffen. Denn darüber hinaus ist für das Parteiverhalten entscheidend, welche Mittel und Wege den Parteien zur Verfügung stehen, um diese Ziele verfolgen und potenziell erreichen zu können, und schließlich welchen Restriktionen sie bei der Zielverfolgung unterliegen. Bereits Antony Downs (1957) vertieft in seinem prägenden Werk „An Economic Theory of Democracy“ Aspekte der Zielverfolgung. In späteren Werken der behavioristischen Schule haben diese in der theoretischen Argumentation zunehmend an Bedeutung verloren und spielen nur noch vereinzelt eine Rolle (z. B. bei Cox und McCubbins 1993). Um also die Bedeutung dieser Aspekte darzustellen, wird im Folgenden zunächst auf diesen Klassiker zurückgegriffen.

3.1.1

Vote-Seeking und notwendige immaterielle Güter zum Verfolgen des Ziels

In seinem Werk widmet sich Downs (1957) unter anderem detailliert den Anforderungen an das Verhalten von Parteien, damit diese die Wahrscheinlichkeit ihrer Wahl erhöhen können. Diese Anforderungen müssen die Parteien in der Downs’schen Modelllogik beachten, da sie laut der Modellprämissen unter der Bedingung unvollständiger Informationen auf den Wählermarkt reagieren und folglich auf die Situation sowie Bedürfnisse der Wählerinnen und Wähler eingehen müssen. Auf den Punkt gebracht, stellt er nichts anderes als die Reputation von Parteien in den Mittelpunkt.2 Als relevant für die Zielverfolgung diskutiert er unterschiedliche Aspekte von Reputation, auf die gleich genauer eingegangen wird. Diese Aspekte werden im Folgenden als immaterielle Güter bezeichnet. Immaterielle Güter tragen im engeren Sinne zur Reputation bei. Im weiteren Sinne ist deren Bereitstellung notwendig, um das eigentliche Ziel des Vote-Seeking zu verfolgen. Ergo lautet die Annahme, dass Parteien immaterielle Güter bereitstellen und hierbei eine Maximierungsstrategie verfolgen. Das Bereitstellen der 2

Cox und McCubbins (1993) sprechen in ihrem Modell zum Verhalten legislativer Parteien vom „party record“, welcher auf (vergangenen) Handlungen, (ideologischen) Grundüberzeugungen und politischen Ergebnissen basiert, die der Partei zugeschrieben werden (Cox und McCubbins 1993: 110).

34

3

Europäische Policy-Themen: Ähnliche Anreize …

immateriellen Güter ist für das Verhalten der Parteien im gesamten Zeitraum der Wahlperiode kennzeichnend. Downs leitet die Notwendigkeit von Ideologie (Downs 1968: 94–100) als auch die Notwendigkeit von Verlässlichkeit sowie Verantwortlichkeit seitens der Parteien in einem rationalen Verhaltensmodell her (ebd.: 100–106). Ideologie meint hierbei allgemein die politischen Grundüberzeugungen, Werte sowie Ideen, welche im weiteren Sinne die Konzeption einer wünschenswerten Gesellschaft beinhalten und manifestieren, wofür Parteien stehen (Arzheimer 2009: 86).3 Insbesondere ihre Funktion als Information Shortcut für den Wählermarkt wird von Downs herausgestellt (Downs 1968: 96). Damit die Ideologie bzw. das Belief System diese Funktion erfüllen kann, bedarf es seitens der Parteien eines jeweiligen Angebots, das in sich kohärent und auch über die Zeit relativ stabil bleibt und sich letztlich durch Verlässlichkeit auszeichnet (Downs 1968: 106–108). Ferner markiert Glaubwürdigkeit von Parteien ein weiteres wichtiges immaterielles Gut. Im Kern ist hier die Konsistenz zwischen den eingenommenen Positionen bzw. der Ideologie und dem Handeln von Parteien gemeint. Wählerinnen und Wähler würdigen Parteien, wenn deren Regierungshandeln in Einklang mit deren Versprechungen bzw. Politikpositionen stehen oder wenn sie als Oppositionsparteien ebenfalls über die Zeit konsistent in ihren Äußerungen bleiben (Downs 1968: 101, 103–106).4 Downs hebt hervor, dass insbesondere Regierungsparteien vor größere Herausforderungen als Oppositionsparteien bei der Bereitstellung von Glaubwürdigkeit stehen (Downs 1968: 53–59), denn institutionelle Rahmenbedingungen, Vetospieler oder exogene Schocks setzen Parteien in Regierungsverantwortung Restriktionen für ihr Handeln, die das Bereitstellen von Glaubwürdigkeit erschweren. Neben den von Downs herausgestellten immateriellen Gütern wird in der Kompetenz ein drittes immaterielles Gut gesehen, welches relevant für den politischen Wettbewerb ist. Dieses Gut steht nun im Mittelpunkt der weiteren Argumentation. Kompetenz meint zum einen die Fähigkeit Probleme zu 3

Mit dieser Definition wird bewusst die Vielschichtigkeit von Ideologie als politikwissenschaftliches Konzept ignoriert, das etwa in der Politischen Theorie und bei der Analyse der ideengeschichtlichen Entwicklung von Ideologien Beachtung findet. Des Weiteren spielt hier keine weitere Rolle, dass Werte und Ideologien durchaus abgrenzbare Konzepte sind, auch wenn sie eng miteinander verbunden sind (siehe ausführliche Diskussionen u. a. bei Jagodzinski und Kühnel 1997; Arzheimer 2009). 4 Downs spricht in diesem Zusammenhang nicht von Glaubwürdigkeit, sondern von Verlässlichkeit. Sein Verständnis von Verlässlichkeit unterscheidet sich von dem hier verwendeten Glaubwürdigkeitsbegriff. Denn er stellt die Vorhersagbarkeit basierend auf den Aussagen von Parteien im Wahlkampf in den Mittelpunkt, schließt dabei aber auch ein, dass Parteien, die stets das Gegenteil tun, von dem was sie sagen, ebenfalls verlässlich sind (Downs 1968: 101).

3.1 Europäische Policy-Angelegenheiten: Weshalb setzen …

35

erkennen (Awareness) und diese zu artikulieren (Signaling Awareness).5 Zum anderen schließt Kompetenz die Problemlösungsfähigkeit ein (u. a. auch bei Budge und Farlie 1983; Petrocik 1996). Das Liefern von Lösungen für gesellschaftliche Probleme (Problem Solving) kann dabei von einfachen Vorschlägen bis hin zu komplexen Entwürfen reichen. Im Rahmen dieser Argumentation beschränkt sich die Problemlösungskompetenz auf angebotene Lösungen, folglich können sowohl Regierungs- als auch Oppositionsparteien Kompetenz bereitstellen. Zusätzlich können Regierungsparteien zu diesem immateriellen Gut mit ihrem Regierungshandeln beitragen (Handlungskompetenz). Wie in der klassischen Modellierung von Downs, die keinerlei Bewertungen vornimmt, ab welchem Punkt etwa die ideologische Geschlossenheit nicht mehr gewährleistet ist, eine Partei als nicht mehr verlässlich gilt oder wie viele Abweichungen zwischen eingenommener Position und dem Handeln das immaterielle Gut Glaubwürdigkeit gefährden, bleibt auch in dieser Arbeit die theoretische Festlegung von Kriterien für die Bewertung der angebotenen Kompetenz aus. Entscheidend ist hier, dass die Parteien danach streben, als ideologisch geschlossen, als glaubwürdig und eben auch als kompetent aus Sicht der Wählerinnen und Wähler wahrgenommen zu werden.

3.1.2

Kompetenz als notwendiges immaterielles Gut im politischen Wettbewerb

Mit seinem Klassiker liefert Downs (1957) hinlängliche Argumente über die Notwendigkeit von einigen immateriellen Gütern, wobei er nicht nur die Anforderungen auf Seiten des Wählermarktes, sondern auch die Bedingungen des Parteienwettbewerbs reflektiert. Ähnliches bedarf es auch für das immaterielle Gut Kompetenz, denn bisher wurde ausschließlich benannt, dass der Wählermarkt Kompetenz bei Parteien schätzt und infolgedessen Parteien dieses Gut bereitstellen. Das heißt, es braucht eine theoretisch plausible Begründung, weshalb die Bereitstellung dieses immateriellen Gutes als notwendig erachtet wird, um das Parteiziel Vote-Seeking zu verfolgen. Dafür erfolgt hier analog zu Downs’ Vorgehen eine kurze Reflexion des Wählermarktes und des Parteienwettbewerbs.6 Die Wertschätzung für kompetente Parteien auf Seiten des Wählermarktes generiert sich unmittelbar aus der Logik des rationalen Wählens, wonach 5

Gesellschaftliche Probleme und gesellschaftliche Themen werden als Synonyme verwendet. Diese Reflexion zielt nicht darauf, Prognosen zum tatsächlichen Verhalten der Wählerinnen und Wähler zu liefern.

6

36

3

Europäische Policy-Themen: Ähnliche Anreize …

(erbrachte bzw. zukünftige) Leistungen von Parteien in Relation zum individuellen Nutzen gesetzt und bewertet werden und diese Bewertung zu einer Wahlentscheidung führt, die dem individuellen Nutzen am nächsten kommt (Downs 1957: 38–45). Hier bettet sich das immaterielle Gut Kompetenz in all’ seinen Facetten (Erkennen von Problemen, Lösungsvorschläge, Handlungskompetenz) als qualitative Bewertung dieser Leistungen ein. Kritischer Punkt ist hierbei, dass die Wählerinnen und Wähler die Parteien auch als kompetente Parteien wahrnehmen (können). Dies setzt eine gewisse Informiertheit der Wählerinnen und Wähler über Parteien, ihre spezifischen Lösungsangebote für gesellschaftliche Probleme und ihr politisches Handeln voraus. Diese Informiertheit ist weniger ein kritischer Punkt bei Wählerinnen und Wählern, die intrinsisch motiviert mehr über politische Prozesse wissen (wollen) (siehe hierzu auch die Diskussionen von Downs 1968: 233–251).7 Entscheidender ist nun, inwiefern diese gewisse Informiertheit mit einer gewissen Plausibilität auch für die anderen Wählerinnen und Wähler angenommen werden kann. Ein Stück weit kann hier die Ideologie der Parteien als Abstraktionsbasis dienen, die dem Wählermarkt ermöglicht, auf Politikangebote und potenzielle Entscheidungen bei anstehenden Politikproblemen auf der Angebotsseite zu schließen, ohne Kenntnisse über jedes detaillierte Politikangebot haben zu müssen. Für die Wahrnehmung von Parteien als (in)kompetent, bieten diese abstrakten Lösungen jedoch nur eine notwendige, wenngleich nicht hinreichende Basis; vielmehr braucht es hierzu tatsächlich eine gewisse Informiertheit auf Seiten der Wählerinnen und Wähler über spezifische Politikangebote und konkretes politisches Handeln von Parteien. Als wichtige Basis für die gewisse Informiertheit über spezifische Politikangebote wird hier die individuelle Betroffenheit der Wählerinnen und Wähler von politischen Problemen und den angebotenen sowie umgesetzten Politiklösungen gesehen. Entscheidend ist dabei, dass die Betroffenheit nicht nur bei großen sozialen Fragen und Umverteilungsproblemen erzeugt wird (Stichworte: Unterstützung sozial schwacher Gruppen, Arbeitslosigkeit, Steuersystem), sondern sie besteht auch bei (kleinen) allokativen oder technisch-regulativen Problemen für einzelne Sektoren bzw. Bereiche, die in einer vielfältigen Gesellschaft existieren. Ferner sind die Wählerinnen und Wähler in mehreren Kontexten in unterschiedlichen Rollen in einer Gesellschaft verankert.8 Folglich ist die Betroffenheit keineswegs eindimensional zu verstehen. Bezogen auf einen Lebensbereich oder eine 7

Ein Mindestmaß an Informiertheit steht nicht in Konflikt mit der Modellannahme unvollständiger Informationen. 8 Beispielsweise auf dem Arbeitsmarkt als selbständig, angestellt oder arbeitgebend in den verschiedensten Branchen; als Konsumentinnen und Konsumenten in den unterschiedlichsten

3.1 Europäische Policy-Angelegenheiten: Weshalb setzen …

37

spezifische Branche kann nun angenommen werden, dass die Wählerinnen und Wähler wiederum über eine gewisse Expertise verfügen, die auf ihren (positiven und negativen) Erfahrungen beruht. Ergo braucht es wiederum auch in den Parteien ein Mindestmaß an Policy-Expertise für verschiedene Lebensbereiche, um das Erkennen von Problemen signalisieren sowie Lösungen präsentieren zu können und somit zur Reputation der Partei beizutragen. Auf Dauer werden Parteien also eher nicht allein auf die zufällige Verteilung von individueller Fachkompetenz einzelner Parteimitglieder setzen, vielmehr zeigen sich in einer Parteiorganisation Dynamiken in Richtung von Fachspezialisierungen und eines (gezielten) Sammelns von Fachkompetenz. Letzteres bildet sich organisatorisch beispielsweise in Arbeitsgruppen für Themen ab, in denen Parteien mehr respektive besondere Kompetenz generieren wollen. Gewinnbringend ist dieser Einsatz der Parteien für Kompetenz, da Wählerinnen und Wähler als Multiplikatoren wirken und ihre spezifischen Erfahrungen in einem Bereich weiterführende Wirkungen haben können. Wenn Parteien also ein gewisses Maß an Policy-Expertise bzw. Kompetenz bereitstellen und zugleich diese Kompetenz signalisieren, dann gibt dies wiederum den Wählerinnen und Wählern Ansatzpunkte, ob gegebenenfalls als kompetent wahrgenommene Lösungen für bekannte Lebensbereiche auch für andere Bereiche möglich sind. Zum anderen stehen Wählerinnen und Wähler über die verschiedenen Lebensbereiche im Austausch miteinander. Wenn so wie hier angenommen, am Wählermarkt eher Parteien bevorzugt werden, die als kompetent (ideologisch geschlossen und glaubwürdig) wahrgenommen werden, dann bestehen auf der Angebotsseite nicht nur Anreize diese immateriellen Güter bereitzustellen, sondern die Güterbereitstellung anderer Parteien und damit deren Reputation kritisch zu begleiten. Mangelnde Kompetenz oder Glaubwürdigkeit im Handeln von anderen Parteien aufzuzeigen, ist somit ein fester Bestandteil des Parteienwettbewerbs und der Kommunikationsstrategien von Parteien. Im Ergebnis werden in Richtung Wählermarkt negative Glaubwürdigkeits- sowie Kompetenzsignale über andere Parteien und zusätzliche positive Signale über die eigene Partei gesendet. Auf der Hand liegt hier die klassische Konstellation Oppositions- gegen Regierungsparteien. Doch auch die gezielte Strategie, die Reputation anderer Oppositionsparteien (oder anderer Regierungsparteien) durch Kritik zu schwächen, ist hier sinnvoll im Sinne des

Facetten der Lebensbereiche – beispielsweise beim Kauf von Waren und Dienstleistungen, im Gesundheitswesen als Patientinnen und Patienten oder mit den vielfältigsten Freizeitaktivitäten; als Immobilien mietend oder vermietend usw.

38

3

Europäische Policy-Themen: Ähnliche Anreize …

Vote-Seeking.9 Die hier inne liegende und offensichtlich zerstörende Dynamik des Parteienwettbewerbs wird jedoch über zwei Mechanismen gedämpft. Zunächst zwingt diese gegenseitige Beobachtung die Parteien tatsächlich nach der Bereitstellung dieser immateriellen Güter zu streben und Angriffspunkte zu reduzieren. Ferner machen institutionelle Rahmenbedingungen die Zusammenarbeit zwischen Parteien erforderlich (Koalitionsregierungen, Verfassungsklagen etc.), sodass die „Angriffe“ reduziert werden. Als Zwischenfazit ist hier festzuhalten, dass mit Rückgriff auf die klassische rationale Perspektive von Downs begründet eingeordnet werden kann, dass es eine Wertschätzung für das immaterielle Gut Kompetenz auf Seiten des Wählermarktes gibt und es folglich in logischer Konsequenz dem rationalen Verhalten von Parteien entspricht, das immaterielle Gut Kompetenz bereitzustellen. Parteien bedürfen wiederum der Möglichkeit, dass dieses und andere immaterielle Güter auch im politischen Wettbewerb wahrgenommen werden können. Ein wichtiges Instrument, das den Parteien hierfür zur Verfügung steht, ist ihre Politikartikulation. Wie die Politikartikulation nun für die Bereitstellung der immateriellen Güter genutzt werden kann, ist Gegenstand der weiteren Ausführungen. Um die Politikartikulation entsprechend zu vertiefen, muss aber der Blick über Downs hinaus gerichtet werden. Denn er bezieht sich in seiner Modellbildung ausschließlich auf ideologische Standpunkte (also Positionen). Weitere Aspekte, die darüber hinaus relevant sind, spielen in seinem grundlegenden Werk keine Rolle.10

3.1.3

Politikartikulation: Bereitstellen von Politikangeboten und Kompetenz

Mit der Artikulation von Politikinhalten steht Parteien ein wichtiges Instrument zur Verfügung, direkt zu den immateriellen Gütern beizutragen. Dieses Instrument steht den Parteien über eine gesamte Wahlperiode zur Verfügung. Mit der Politikartikulation bringen Parteien zum Ausdruck, welche Themen ihnen besonders wichtig sind (Klingemann et al. 1994), welchen Standpunkt sie zu den 9

Der Blick auf den Parteienwettbewerb blendet die Medien als weiteren Spieler aus, der Äußerungen und das Handeln von Parteien kritisch auf Kompetenz und Glaubwürdigkeit reflektiert. 10 Die Themenauswahl muss auch keine große Rolle spielen, da Downs unter anderem auf einen ideologischen Wettbewerb zurückgreift, welcher auf Ideologie als information short cut aufbaut und er sich somit in seiner Abhandlung auf ein super issue fokussieren kann, wie beispielsweise auf die ökonomische Dimension zwischen völliger staatlicher Lenkung der Wirtschaft und einer vollkommenen freien Marktwirtschaft (Downs 1968: 112).

3.1 Europäische Policy-Angelegenheiten: Weshalb setzen …

39

diversen Angelegenheiten einnehmen und liefern die damit notwendigen Informationen über ihr Belief System (Laver 2001). Zugleich bietet die Politikartikulation die Möglichkeit, Kompetenz zu signalisieren. Auch für die Glaubwürdigkeit als immaterielles Gut spielt die Policy-Artikulation eine Rolle, gleichwohl in einer anderen Perspektive. Denn hierbei stellt sie eher einen Referenzpunkt dar, um die politischen Handlungen der Parteien mit den politischen Äußerungen abzugleichen. Aus diesem Grunde beschränken sich die weiteren Gedanken zur Politikartikulation auf die beiden erstgenannten immateriellen Güter Belief Systems und Kompetenz. Entscheidend ist nun, dass mit den zwei unterschiedlichen immateriellen Gütern auch unterschiedliche Anforderungen an die Politikartikulation einhergehen. Der wesentliche Unterschied wird hier in der Themenselektion gesehen, d. h. welche Themen von den Parteien aus den beständig existierenden, zahlreichen Problemen in einer Gesellschaft ausgewählt werden.11 Der Unterschied manifestiert sich in zwei abweichenden Themenselektionsstrategien.

3.1.3.1 Themenselektionsstrategie als Beitrag zum Generieren von immateriellen Gütern: Welche Themen wählen Parteien aus? Als erstes wird der Blick auf die Themenselektionsstrategie geworfen, die im Zeichen des ideologischen Fundaments der Parteien steht. Mit dem Belief System gehen bestimmte Positionen als auch Wichtigkeiten von Themen einher. Parteien nutzen nun ihre Politikartikulation, um ihre Standpunkte sowie ihre Gewichtung von Themen zu vermitteln und damit den Wählerinnen und Wählern die Möglichkeit einzuräumen, das Wertefundament und daran geknüpfte Politiken wahrzunehmen. Wie oben herausgestellt, ist die Wahrnehmung des Belief Systems für die Wahlentscheidung von besonderer Bedeutung. Folglich kommt diese Themenselektionsstrategie vor allem im Wahlkampf zum Einsatz, in dem die Parteien ihre jeweils wichtigsten Themen präsentieren (Klingemann et al. 1994: 26), auf deren Basis auf die Prioritätensetzung in der zukünftigen Handlungsagenda der Regierungsparteien geschlossen werden kann. Vor 11

Im Mittelpunkt steht hier eine Erklärung des unterbreiteten Angebots (Themenselektion) durch Parteien. Dieser Fokus ist auf keinen Fall gleichbedeutend damit, dass jegliche Artikulation über Politikinhalte auch innerhalb der vielfältigen Gesellschaft ankommt. Medien wie Funk, Fernsehen und Print stellen hier eine zentrale Vermittlerinstanz für die Botschaften der Parteien dar, auch wenn den Parteien vielfältige andere Kommunikationskanäle (z. B. neue soziale Medien, direkte Kommunikation in kleinere Adressatengruppen wie etwa diverse Fachwelten, das Vereinswesen oder Vorfeldorganisationen) und Kommunikationsmittel (Überblick u. a. bei Norris 2005) zur Verfügung stehen.

40

3

Europäische Policy-Themen: Ähnliche Anreize …

dem Hintergrund psychologischer Effekte, die mit Sprache und politischer Kommunikation einhergehen, meiden Parteien insbesondere im Wahlkampf Themen des politischen Gegners (Klingemann et al. 1994: 25; Frank 2004). Wenn also Parteien die Politikartikulation nutzen, um insbesondere ihr Belief System und damit verbundene Kernthemen zu vermitteln, folgt daraus, dass sie sich eher einem begrenzten Themenspektrum widmen und eine Vielzahl anderer politischen Themen ignorieren. Geht es darum mithilfe der Politikartikulation maximierend zum immateriellen Gut Kompetenz beizutragen, dann ist es indes sinnvoll, ein breites Themenspektrum abzudecken. Selbstredend können Parteien auch mit ihren Kernthemen zur Reputation als kompetente Partei beitragen. Um aber diese Reputation zu generieren, braucht es diesen Fokus auf diese Themen nicht. Vielmehr steht mit einem breiteren Themenspektrum die Möglichkeit zur Verfügung, häufiger in der Wahlperiode Kompetenz in ihren unterschiedlichen Facetten zu zeigen und somit die Chance zu erhöhen auch als kompetente Partei wahrgenommen zu werden.12 Dies gilt dann nicht nur für die einzelnen Lösungen, sondern am Ende für die in Summe gebotenen Lösungen für eine Themenvielfalt. Vor dem Hintergrund der oben diskutierten vielfältigen Wählerschaft und ihrer Einbettung in den verschiedenen gesellschaftlichen Kontexten ist die „Größe“ des aufgegriffenen Problems nicht so sehr entscheidend, d. h. auch Probleme, die eine kleine Gruppe der Gesellschaft betreffen, gehören zu dieser Themenselektionsstrategie. Von größerer Bedeutung ist indes, dass die politische Kommunikation nicht ausschließlich an die betroffenen gesellschaftlichen Gruppen gerichtet ist. Vielmehr ist hierbei zusätzlich eine Politikartikulation nutzbringend, die auch der restlichen Öffentlichkeit die Möglichkeiten einräumt, das Aufgreifen der kleinen

12

Hierzu ein kleines Gedankenspiel: Partei A fokussiert sich auf ein einziges Thema a, welches ihr besonders wichtig ist. Partei B hingegen ist Thema b besonders wichtig, besitzt zusätzlich Policy-Expertise für die Themen a und c. Im Ergebnis stehen Partei B mehr Möglichkeiten zur Politikartikulation zur Verfügung, in der sie nicht nur ihren Standpunkt ausdrücken, sondern auch ihre Kompetenz unterstreichen kann. Partei A hingegen wird häufiger schweigen (müssen), wenn sie nicht ihre Reputation als kompetente Partei gefährden will. Denn weist Partei A nicht über ein Mindestmaß an Policy-Expertise zu den Themen b und c und würde sie sich trotzdem dazu äußern, böte sie wiederum ihren Mitbewerbern bzw. anderen gesellschaftlichen Akteuren Gelegenheit, die mangelnde Expertise aufzugreifen und somit ihre Reputation als kompetente Partei zu schwächen, da die politische Auseinandersetzung nicht ausschließlich über die inhaltliche Positionierung (ideologische Grundüberzeugung) erfolgt, sondern auch in den Bereich der Qualitätsbewertung hineinreicht. Im Ergebnis überlässt Partei A freiwillig der Partei B mehr Möglichkeiten, zum immateriellen Gut Kompetenz beizutragen.

3.1 Europäische Policy-Angelegenheiten: Weshalb setzen …

41

Probleme wahrzunehmen und somit über das Noise of Awareness zur Reputation als kompetente Partei beizutragen. Diese eher konträren Selektionsstrategien (enges vs. breites Themenspektrum) fügen sich zu einer komplementären Themenselektionsstrategie zusammen, wenn zum einen stärker die zeitliche Komponente im Parteienwettbewerb Beachtung findet. Im Verlauf einer Wahlperiode nutzen Parteien ihre Möglichkeiten die immateriellen Güter zu generieren, um am Ende zum Wahlzeitpunkt so viele Wählerstimmen wie möglich zu gewinnen. Ergo ist es im Sinne der Zielverfolgung rational, über den Zeitraum einer Wahlperiode ein breiteres Themenspektrum aufzugreifen, welches die Möglichkeit bietet, das immaterielle Gut Kompetenz zu generieren. Im unmittelbaren Wahlkontext ist es wiederum sinnvoll, besonders die Kernthemen zu adressieren, um deutlicher das Fundament der Partei zu unterstreichen. Zum anderen werden diese Strategien zu einer komplementären Strategie, wenn Parteien nicht mehr als Black Box betrachtet werden, sondern einbezogen wird, dass Parteien als Organisationen die Politikartikulation praktizieren. Dieser Punkt wird weiter unten detaillierter aufgegriffen. Dieses Verständnis einer komplementären Themenselektionsstrategie beinhaltet einen alternativen Ansatz zum prägenden Konzept der Issue-Ownership, welches die Verbindung von Parteien mit bestimmten Themen kombiniert mit der besten Problemlösungsfähigkeit herausstellt (Budge und Farlie 1983; Petrocik 1996). Mit der hier vorgestellten Alternative steht indes im Vordergrund, dass mit der Politikartikulation unterschiedliche immaterielle Güter generiert werden können und im Laufe einer Wahlperiode die Bedeutung dieser immateriellen Güter variieren kann. Ferner umgeht die Alternative den konzeptionell problematischen Rückgriff auf die zwei Dimensionen – die assoziative Wahrnehmung von Parteien mit bestimmten Themen und die Kompetenzdimension – im Issue-OwnershipAnsatz, die jedoch nicht eindeutig verknüpft sind (Walgrave et al. 2012: 772), sodass dieser Ansatz letztlich in einer zirkulären Argumentation endet.13

3.1.3.2 Besonderheit europäischer Themen und ihre Anreize für die nationalen Parteien: Einbettung in die komplementäre Themenselektionsstrategie In die komplementäre Themenselektionsstrategie einer Vote-Seeking-Partei lässt sich nun die Aufmerksamkeit für die europäischen Angelegenheiten einbetten. 13

Walgrave et al. (2012: 772) schreiben hierzu: „Thus, Petrocik’s conceptualization mixes competence and associative dimensions; he defines issue ownership itself in terms of competence, but considers a party’s history of attention for the issue as the origin of this competence.“ (siehe die Argumentation von Petrocik (1996: 827–828)).

42

3

Europäische Policy-Themen: Ähnliche Anreize …

Dafür werden zunächst die europäischen Policy-Themen beleuchtet. Diese zuvörderst technisch-regulativen Angelegenheiten, welche sich zumeist auf einzelne Sektoren oder Branchen beziehen, eröffnen den nationalen Parteien eine zusätzliche Plattform, Kompetenz zu signalisieren. Zusätzlich meint, dass die europäischen Themen neben den nationalen oder regionalen Themen eine Möglichkeit für Parteien bieten, ihre Kompetenz dahingehend zu unterstreichen, welche Probleme existieren oder welche Chancen mit neuen Politikentscheidungen verbunden sind (Signaling Awareness). Zugleich können die Parteien mit alternativen Lösungen im Hinblick auf die spezifischen EU-Policy-Angelegenheiten werben (Problem Solving). In erster Linie richten sich diese Signale an die jeweils betroffenen Akteure respektive Wählerinnen und Wähler. Für die betroffenen Akteure sind die Konsequenzen der jeweiligen europäischen Politikentscheidungen direkt spürbar – sei es beispielsweise als Landwirte, als Bankbeschäftigte oder als Nutzerinnen und Nutzer von Internetplattformen – was wiederum mit einem Wissen um den Einfluss Europas auf das Handeln in den jeweiligen Branchen einhergeht. Ferner können diese Signale über die betroffenen Branchen hinaus in den Wählermarkt hineinreichen. Denn mit der Politikartikulation zu spezifischen europäischen Angelegenheiten erzeugen Parteien ein grundlegendes Rauschen von Aufmerksamkeit (Noise of Awareness), welches insgesamt ihr Bewusstsein für die hohe Bedeutung der europäischen Entscheidungsebene unterstreicht. Vornehmlich wird dieses Rauschen mit Bezug zur europäischen Ebene erzeugt, wobei die Orientierung an laufenden europäischen Entscheidungsprozessen das Optimum markiert. Das Erzeugen des Rauschens setzt sich mit dem Begleiten der Implementierung europäischen Rechts in den nationalen Rechtsrahmen fort. Auf das Rauschen indes zu verzichten, hieße eine suboptimale Strategie in Bezug auf die Reputation als kompetente Partei zu verfolgen. Denn unabhängig von der direkten Betroffenheit bei spezifischen, branchenbezogenen europäischen Politikentscheidungen sind sich Wählerinnen und Wähler wiederum der Bedeutung der EU bewusst. Ergänzend bringen die europäischen Themen den Regierungsparteien die Option, ihre Handlungskompetenz herauszustellen, da sie direkt an europäischen Entscheidungen im Ministerrat oder Europäischen Rat beteiligt sind. Diese zusätzlichen Möglichkeiten, die Reputation als kompetente Partei zu stärken, werden ihnen die Oppositionsparteien aber nicht ohne weiteres überlassen. Vielmehr werden diese wiederum diese zusätzliche Plattform nutzen, um die Reputation der Regierungsparteien anzugreifen. Es wurde bereits angerissen, dass die Orientierung an laufenden europäischen Entscheidungsprozessen als Optimum betrachtet wird und zwar dahingehend,

3.1 Europäische Policy-Angelegenheiten: Weshalb setzen …

43

die europäischen Themen bestmöglich in die kompetenzorientierte Themenselektion einzubetten. Denn mit der Orientierung der Themenselektion an der EU-Handlungsagenda steigt die Wahrscheinlichkeit für die nationalen Parteien, Probleme und/oder Chancen des jeweiligen europäischen Entscheidungsprozesses frühzeitig zu erkennen und dies als solches auch signalisieren zu können. Die mithilfe der Politikartikulation ausgesendeten Signale entfalten dabei in zweifacher Hinsicht ihre Wirkung. Zum einen richten sie sich, wie eingangs schon herausgestellt, an die betroffenen gesellschaftlichen Akteure. Mit Vorgriff auf die spätere Öffnung der Black Box Partei besteht zum anderen eine Signalwirkung gegenüber den Parteiakteuren, die in öffentlichen Ämtern auf der nationalen und europäischen Ebene unmittelbar Einfluss auf die europäische Entscheidung nehmen. Auch wenn unter das Signaling Awareness sowohl Probleme als auch Chancen fallen, ist mit einem stärkeren Rückgriff auf Probleme wesentlich ausgeprägter die Option verbunden, zugleich die Problemlösungskompetenz zu signalisieren. Infolgedessen gehen wohl mehr von den Parteien als kritisch wahrgenommene Aspekte europäischer Angelegenheiten in ihre Politikartikulation ein. So üben die nationalen Parteien eben auch eine Fire-Alarm-Funktion (Lupia und McCubbins 1994) gegenüber (ihren) europäischen Entscheidungsträgern aus. Die bisher beschriebene Logik trifft ebenso auf die europäischen PolityThemen zu. Auch EU-Polity-Themen, die etwa die institutionelle Architektur aufgreifen, die Kompetenzteilung zwischen Mitgliedstaaten und der supranationalen Ebene adressieren oder die geografische Ausdehnung der EU zum Gegenstand haben, betten sich in eine Themenselektionsstrategie ein, die dem Bereitstellen von Kompetenz als immaterielles Gut dient. Einzig hinsichtlich der Betroffenheit des Wählermarktes sind die Themen anders einzuordnen. Während Policy-Themen in der Regel wesentlich eindeutiger mit bestimmten Branchen bzw. Akteuren in Verbindung gebracht werden können, geht eine Vielzahl von Polity-Entscheidungen mit einer eher diffusen Betroffenheit des Wählermarktes einher. Damit ist gemeint, dass institutionelle Themen zwar insgesamt auf die Gesellschaft eines Mitgliedstaates wirken, aber die tatsächlichen Konsequenzen für die Wählerinnen und Wähler nicht unmittelbar bemerkbar sein müssen oder sich erst zu einem späteren Zeitpunkt indirekt bei spezifischen Policy-Themen niederschlagen. Daraus folgt, dass EU-Polity-Themen durchaus zum thematischen Repertoire der Parteien gehören, mit den Policy-Themen hingegen eine wesentlich bessere Verbindung zum Wählermarkt herstellbar ist, sodass im Ergebnis Policy-Themen wesentlich mehr Aufmerksamkeit durch die nationalen Parteien erfahren.

44

3

Europäische Policy-Themen: Ähnliche Anreize …

Im Kern betten sich also die europäischen Themen in die Themenselektionsstrategie zur Reputation als kompetente Partei ein. Zunächst ergibt sich daraus ein breiteres Themenspektrum (im Vergleich zu ausschließlich regionalen bzw. nationalen Themen). Weiter in das europäische Themenspektrum hineingezoomt folgt zudem daraus, dass Parteien wiederum eine große Vielfalt an Themen abdecken. Denn vor dem Hintergrund eines mittlerweile weitreichenden PolicyKompetenztransfers an die EU deckt wiederum die europäische Handlungsagenda ein weites Spektrum an Politikfeldern ab. Selbstredend können europäische Policy-Themen auch Kernthemen der nationalen Parteien berühren und sich somit stärker in die Themenselektionsstrategie zum Belief System einbetten. Hier wird jedoch angenommen, dass europäische Themen und insbesondere die EU-PolicyThemen in ihrer Verteilung eher zufällig mit den Kernthemen einer individuellen Partei zusammenzufallen und sich deshalb vordergründig in die Themenselektionsstrategie zur Maximierung der Reputation als kompetente Partei einbetten. Ein mehr zufälliges Zusammenfallen von Kernthemen und der europäischen Handlungsagenda hängt mit der europäischen Kompetenzordnung zusammen. Denn die einzelne nationale Partei steht den europäischen Angelegenheiten eher reaktiv gegenüber, weil anders als im nationalen politischen System einzelne Parteien eben nicht direkt ihre politische Agenda proaktiv angehen und mit exekutiven bzw. legislativen Entscheidungen umsetzen können, da die Agendasetzung für die europäischen Politikmaßnahmen in Händen der EU-Kommission liegt. In dieser theoretischen Argumentation werden im Bereitstellen von Kompetenz die zentralen Anreizstrukturen für Parteien gesehen, sich mit europäischen Themen zu beschäftigen. Dennoch abschließend ein Blick auf diese Themen im Kontext von Glaubwürdigkeit als ein weiteres immaterielles Gut: Europäische Politikthemen lassen sich wesentlich risikofreier handhaben als gesellschaftliche Probleme, die unmittelbar in der Verantwortung nationaler Parteien liegen. Denn im europäischen Kontext ist die einzelne Partei ein Akteur unter vielen, sodass die Verantwortung für politische Entscheidungen nur eingeschränkt auf die einzelne Partei zurückgeführt werden kann. Das wiederum reduziert die Gefährdung des immateriellen Guts Glaubwürdigkeit, welches auf der Konsistenz zwischen Reden und politischem Handeln beruht. Kehrseite der Medaille ist, dass somit auch nur begrenzt Möglichkeiten bestehen, die politische Kommunikation zu europäischen Themen auch für die Bereitstellung dieses Gutes positiv nutzen zu können.14 Möglichkeiten, die Reputation anderer Parteien etwa im Hinblick auf die Glaubwürdigkeit anzugreifen, eröffnen sich indes auch hier. So können vor 14

Die Parteien können dies insofern strategisch für sich nutzen, indem sie sich auf der europäischen Ebene erzielte politische Ergebnisse zuschreiben, wenn diese mit ihren Intensionen

3.2 Politikartikulation zu europäischen Themen …

45

allem die Entscheidungen der Regierungsparteien in den europäischen Institutionen (Europäischer Rat, Ministerrat) kritisch von den Oppositionsparteien begleitet werden. Weshalb sollten sich Parteien mit europäischen Policy-Themen auseinandersetzen? Um das eingangs aufgezeigte Dilemma zwischen den existierenden Argumenten im Kontext der Zieletrias von Parteien aufzulösen, kann ausgehend von den Prämissen einer Vote-Seeking-Partei und der Notwendigkeit immaterieller Güter zur Zielverfolgung folgende Antwort geboten werden: Als maßgeblich wird im Kontext europäischer Policy-Themen das Generieren von Kompetenz gesehen, d. h. auch wenn europäische Themen nicht direkt wahlentscheidend sind, bieten sie die Möglichkeit, zur Reputation als kompetente Partei beizutragen. Damit liegt die Antwort auf die erste leitgebende Fragestellung dieser Arbeit vor. Gleichwohl der erste Teil der theoretischen Argumentation auf diese Antwort ausgerichtet war, liefert er auch Argumente dazu, wie die Parteien mit diesen Themen umgehen. So wird unter anderem herausgestellt, dass für die nationalen Parteien ausreichend Anreize über die gesamte Wahlperiode bestünden, insbesondere europäische Policy-Angelegenheiten mit ihrer Politikartikulation zu adressieren und es Unterschiede in der Themenselektionsstrategie im Wahl- und Nichtwahlkontext gibt. Die weitere theoretische Argumentation ist nun wesentlich stärker darauf ausgerichtet, wie die Parteien mit dem europäischen Themenspektrum umgehen und somit das Fundament für die empirische Forschungsarbeit zu verfeinern. Dafür ist im nächsten Schritt erforderlich, genauer auf die Politikartikulation in einer Parteiorganisation einzugehen, bevor auf die differenzierten Erwartungen eingegangen werden kann, wie die nationalen Parteiorganisationen mit den europäischen Themen umgehen würden.

3.2

Politikartikulation zu europäischen Themen in Parteiorganisationen

Bislang wurden Parteien vereinfachend als geschlossene Akteure behandelt, um die zugrundeliegende Logik der immateriellen Güter und sich daraus resultierende komplementäre Themenselektionsstrategie darzustellen. Mit dieser Themenselektionsstrategie hängen indes unmittelbar die Umsetzungsmöglichkeiten einer Partei übereinstimmen, und die Ergebnisse von sich weisen, wenn diese den eigenen Lösungen widersprechen.

46

3

Europäische Policy-Themen: Ähnliche Anreize …

als Organisation zusammen. Denn eine Themenselektionsstrategie, die nicht nur den Wahlzeitpunkt, sondern die gesamte Wahlperiode betrifft, führt schlichtweg dazu zu berücksichtigen, dass mehrere innerparteiliche Akteure die Politikartikulation im Namen der Partei wahrnehmen. Damit ist die Partei auch analytisch als Organisation aufzunehmen, in der Aufgabenteilung existiert (Endruweit 2004: 19), in der zudem eigene interne Verhaltensregeln und -anreize bestehen und die von einer internen Parteipolitik gekennzeichnet ist (Katz 2005: 87). Nachfolgend wird die bisherige theoretische Argumentation erweitert, indem nun die Parteiorganisationsdimension einbezogen wird. Dies impliziert die Gültigkeit der oben getroffenen Prämissen zum Parteiverhalten auch für die innerparteilichen Akteure. D. h. es handelt sich hierbei um rational und zielorientiert handelnde Akteure, die für die Zielerreichung die Reputation ihrer Partei im Blick haben und deshalb danach streben, die dafür wichtigen immateriellen Güter wie das Belief System, Kompetenz und Glaubwürdigkeit bereitzustellen. Insbesondere für die Kompetenz nutzen die innerparteilichen Akteure das gebotene europäische Themenspektrum. Auch bleibt es bei der vereinfachenden Annahme innerparteiliche Akteure als Vote-Seekers zu betrachten. Folglich spielen hier jene innerparteilichen Konflikte keine Rolle, die aus einer unterschiedlichen Gewichtung der Ziele Office, Votes und Policy durch die innerparteilichen Akteure resultieren und die anderswo in theoretischen Diskussionen herausgestellt werden (u. a. May 1973; Strøm 1990). Entscheidend für das Verständnis von Politikartikulation einer Parteiorganisation sind hier zwei Punkte: Als erstes wird die Politikartikulation als eine innerparteiliche Aufgabe verstanden, die von den drei zentralen innerparteilichen Akteuren ausgeübt wird. Als Kernvermutung steht hier im Mittelpunkt, dass es dabei eine spezifische Aufgabenteilung im Hinblick auf die Politikartikulation gibt. Als zweites wird diese inhaltlich orientierte Aufgabenteilung zwischen den drei innerparteilichen Akteuren als Resultat zweier Faktoren konzipiert, nämlich aus den grundlegenden Delegationsmechanismen innerhalb einer Parteiorganisation und aus der individuellen Ressourcenausstattung der innerparteilichen Akteure. Um also die Politikartikulation zum europäischen Themenkomplex schlüssig zu beleuchten, wird zunächst das zugrundeliegende Parteiorganisationskonzept dargelegt, das die organisatorische Machtdelegation und die Ressourcenausstattung der innparteilichen Akteure zusammenbringt. Dafür wird die Parteiorganisation als ein einfaches Delegationsmodell skizziert. Anschließend wird die Aufgabenteilung in der Politikartikulation näher beleuchtet, wobei zugleich der Bogen zur Ressourcenausstattung der innerparteilichen Akteure gezogen und

3.2 Politikartikulation zu europäischen Themen …

47

somit die „interne Parteipolitik“ mit der spezifischen Aufgabenteilung in der Politikartikulation konzeptionell verbunden wird.

3.2.1

Parteiorganisation als ein einfaches Delegationsmodell

Parteiorganisationen bauen auf Delegationsbeziehungen auf, um gemeinsame Ziele zu erreichen (Koelble 1996: 253). Mit dieser Perspektive findet ein Rückgriff auf den Prinzipal-Agenten-Ansatz statt, der ursprünglich in der ökonomischen Theorie entwickelt wurde, jedoch zunehmend in die Politikwissenschaft diffundierte (Miller 2005) und für unterschiedlichste Institutionen sowie Akteurskonstellationen Verwendung findet (Kiewiet und McCubbins 1991; Pollack 1997; Strøm et al. 2003; Tallberg 2005). Der Rational-Choice-Delegationsansatz dient auch als Ausgangspunkt für die Betrachtung der innerparteilichen Beziehungen, wobei die einzelnen Konzepte abweichende Aspekte von Delegationsbeziehungen betonen bzw. unterschiedliche innerparteiliche Akteure berücksichtigen (Koelble 1996; Müller 2000; van Houten 2009). Relevant für das vereinfachende Parteiorganisationsmodell sind hier die drei innerparteilichen Akteure Parteitag, Parteiführung und Fraktion, die in einer Delegationsbeziehung zueinanderstehen und hierbei der Parteitag als Prinzipal fungiert.15 Der Prinzipal autorisiert die Agenten bestimmte Aufgaben zu übernehmen, da er sich mit der Delegation gewinnbringende Effekte im Hinblick auf die delegierten Aufgaben erhofft, die er selbst aufgrund von Ressourcenrestriktionen wie mangelnde Zeit, Expertise oder Personal oder aufgrund begrenzter Handlungsmöglichkeiten einer großen Gruppe (Poguntke 1998: 161) nicht wie gewünscht bewältigen kann. Während die Delegation von Aufgaben bzw. Verantwortung den Prinzipal in die Lage versetzt, beispielsweise von der Expertise der Agenten zu profitieren, bleibt mit ihr ein gewisses Risiko verbunden. Denn sie ermöglicht eine Machtverschiebung, die dann problematisch wird, wenn die Agenten andere Interessen verfolgen als der Prinzipal (Lupia 2003: 34). Für die weitere Argumentation gelten auch hier zunächst die grundlegenden Annahmen des Prinzipal-Agentenmodells, wonach es eine Informationsasymmetrie sowie abweichende Präferenzen zwischen Agenten und Prinzipal gibt (Miller 2005: 205). Dabei liegt eine klare 15

Wie in Kapitel 2 dargelegt, führt das Modell zwei klassische Akteurskonstellationen der Parteiorganisationsforschung zusammen, die Konstellation zwischen Parteiführung und Parteimitgliedern und die zwischen der Partei im Parlament und der außerparlamentarischen Partei. Die weitergehende institutionelle Delegationskette wie bei Müller (2000: 317) bleibt hier unbeachtet.

48

3

Europäische Policy-Themen: Ähnliche Anreize …

asymmetrische Beziehung vor, in der der Agent über Vorteile gegenüber dem Prinzipal verfügt (Koelble 1996: 253), sodass Agent Shirking (Miller 2005: 205) bzw. Agent Loss (Lupia 2003: 35) in logischer Konsequenz eintritt. Diese klassischen Annahmen müssen jedoch dezidierter in den Kontext von Parteiorganisationen eingeordnet werden: Mit dem klassischen Prinzipal-AgentenAnsatz werden vor allem die Delegationsbeziehungen zwischen unterschiedlichen Einheiten bzw. Institutionen adressiert.16 Hier stehen aber die Delegationsbeziehungen zwischen Einheiten innerhalb einer Organisation im Mittelpunkt, wobei diese Einheiten im Kern das gemeinsame Ziel des Vote-Seeking verfolgen. Ergo bewegen sich Abweichungen hinsichtlich der Präferenzen a priori in einem begrenzten Raum. In dieser theoretischen Argumentation resultieren die abweichenden Präferenzen im Wesentlichen aus der Situation unvollständiger Informationen und institutioneller Restriktionen.17 Des Weiteren wird hier an die Argumentation von Lupia (2003) erinnert, wonach Agent Loss nicht a priori ein schlechteres oder suboptimales Ergebnis impliziert. Denn Agent Loss bedeutet nichts anderes als die Differenz zwischen den Konsequenzen der Delegation und des perfekten Handelns des Agenten, also wenn der Prinzipal die Aufgabe unter Bedingungen vollständiger Informationen und Ressourcen selbst erledigen würde. Doch gerade, weil der Prinzipal Ressourcenrestriktionen unterliegt, kann er eben nicht die perfekte Lösung für sich selbst finden (Lupia 2003: 35–36). Um diese Agent-Loss-Probleme aufzufangen bzw. in ihrer Wirkung abzuschwächen, stehen dem Prinzipal wiederum vier grundsätzliche Mechanismen zur Verfügung, die ex-ante (Contract Design, Selektionsmechanismen) oder expost (Berichterstattung und Monitoring, institutionelle Checks) eingesetzt werden können (Kiewiet und McCubbins 1991: 27–34; Müller 2000: 323–329). Bezogen auf die innerparteilichen Delegationsbeziehungen kann hiervon der Parteitag 16

Zum Beispiel zwischen Versicherten und Versicherungen; Patienten und Ärzte (Miller 2005). 17 Abweichende Präferenzen beruhen hier nicht auf einer unterschiedlichen Gewichtung der Parteiziele Office, Vote und Policy. Die Situation der unvollständigen Informationen manifestiert sich in unterschiedlichen Bereichen. So auch in Bezug auf das immaterielle Gut des ideologischen Fundaments, woran sich exemplarisch die Konsequenzen für innerparteilich abweichende Präferenzen skizzieren lassen. Wenn das Belief System im Wesentlichen die Funktion des information shortcut erfüllt, dann impliziert dies eher allgemeine Formulierungen bzw. den Fokus auf die wesentlichen Anliegen der Partei (und blendet weiteres aus). Dieser shortcut fungiert nicht nur nach außen, sondern auch nach innen in die Parteiorganisation. Vor dem Hintergrund unvollständiger Informationen bietet dieser Anker Anknüpfungspunkte für abweichende Interpretationen, sodass am Ende Akteure mit abweichenden Präferenzen in einer Partei aktiv sind.

3.2 Politikartikulation zu europäischen Themen …

49

einige Mechanismen einsetzen: So handelt es sich bei der Berichterstattung von Parteiführung und Fraktion gegenüber dem Parteitag um einen fest etablierten Mechanismus. Ferner ist die Parteiführung direkt über den Wahl- bzw. Wiederwahlmechanismus vom Parteitag abhängig, auch wenn die Selektion des Parteivorsitzes nicht unbedingt in den Händen des Parteitags liegt (Kenig 2008; Kenig et al. 2015).18 Etwas anders gestaltet sich die Beziehung zwischen dem Parteitag und der Fraktion. Nicht in allen (europäischen) Parteien ist es gegeben, mithilfe des Selektionsmechanismus die Fraktion an den nationalen Prinzipal rückzubinden.19 Insofern fehlt dem Prinzipal mitunter dieser wichtige Mechanismus, dessen Stärke insbesondere in den Sanktionsmöglichkeiten – kein erneuter Listenplatz bei Verhalten gegen die Interessen des Prinzipals – liegt. Indes sind die einzelnen Kandidatinnen und Kandidaten im hohen Maße von ihrer Partei abhängig, denn ihr Einzug ins Parlament ist unmittelbar mit dem Parteilabel oder „brand name“ (Müller 2000: 313) verbunden. Insofern wirkt hier ein impliziter Vertrag (ebd.: 323) und folglich sind die Parteirepräsentanten in den öffentlichen Ämtern auch ultimativ die Agenten der außerparlamentarischen Partei (ebd.: 319). Ferner kann der Prinzipal auch die Agenten zur gegenseitigen Kontrolle einsetzen, so setzt er etwa die Parteiführung zur Rückbindung der Fraktion ein.20 Während jede Parteiorganisation auf der Delegation von Macht beruht, müssen wiederum die gewählten Wege zur Reduktion des Agent Loss in Art und Umfang nicht in jeder Parteiorganisation identisch sein. So kann ein Prinzipal die Risiken des Agent Loss geringer bewerten als ein anderer Parteitag, zumal Agent Loss nicht a priori ein schlechteres oder suboptimales Ergebnis bedeutet. Aus dem Ausmaß der Machtdelegation und aus den etablierten Mechanismen zur Reduktion des Agent Loss resultiert insgesamt die organisatorische Verteilung von Macht, die den Stellenwert des Prinzipals bestimmt. In Abhängigkeit der etablierten Lösungen – oder anders ausgedrückt abhängig vom Parteiorganisationsverständnis – variiert der Stellenwert von einem schwächeren bis zu einem 18

Zugleich muss der eingebrachte Vorschlag für den Vorsitz weitestgehend die Präferenzen des Parteitags antizipieren, andernfalls ließe sich der Kandidat oder die Kandidatin nicht bei der Wahl durchbringen. 19 So sind beispielsweise im Rahmen der Bundestagswahlen in den deutschen Parteien die Landesverbände entscheidend für die Nominierungslisten und nicht der Bundesparteitag. Bei den Europawahlen kann wiederum die Listennominierung über den Bundesparteitag erfolgen. 20 In diesem Zusammenhang vom Mechanismus des „institutional checks“ zu sprechen, wäre zu weit gegriffen, da Kiewiet und McCubbins davon sprechen, wenn „… authority has been delegated to an agent, there is at least one other agent with the authority to veto or to block the actions of that agent.“ (Kiewiet und McCubbins 1991: 34). Vielmehr liegt hier eine Möglichkeit vor, Kompromisse zu erzielen (Müller 2000: 329) und die Grenzen des Handlungsspielraums zu signalisieren.

50

3

Europäische Policy-Themen: Ähnliche Anreize …

stärkeren Prinzipal. Damit wird hier vor allem auf variierende Lösungen zwischen verschiedenen Parteiorganisationen abgezielt. Selbstredend kann die Machtdelegation innerhalb einer Organisation angepasst werden, wenn etwa gemeinsame Ziele nicht erreicht werden (Koelble 1996: 256), diese Veränderungen der Machtdelegationen spielen im weiteren Verlauf dieser Argumentation keine Rolle.

3.2.2

Innerparteiliche Aufgabenteilung in der Politikartikulation

Eingebettet in diesen organisatorischen Kontext erfolgt die Politikartikulation der Parteien. Politikartikulation wird hier als eine Aufgabe betrachtet, die arbeitsteilig von den innerparteilichen Akteuren ausgeübt wird. Arbeitsteilung bedeutet, dass keine vollständige Delegation der Aufgabe an eine Organisationseinheit oder einen innerparteilichen Akteur stattfindet, sondern dass die Aufgabe von mehreren innerparteilichen Akteuren wahrgenommen wird und folglich keine vollständige Verantwortungsdelegation vorliegt. Ferner verbirgt sich hinter dem Verständnis von Arbeitsteilung in der Politikartikulation, dass sich innerparteiliche Akteure jeweils auf bestimmte Themen „spezialisieren“. Wie der einzelne innerparteiliche Akteur letztlich diese Aufgabe wahrnimmt und folglich sein Beitrag zur komplementären Themenselektionsstrategie der Partei ausgestaltet ist, steht zunächst unmittelbar im Zusammenhang mit seiner Ressourcenausstattung. Sein Zugang zu Zeit, Expertise und Personal bestimmt in hohem Maße seine Möglichkeiten, Themen zu erkennen und mit seiner Politikartikulation aufzunehmen. Zudem bettet sich Arbeitsteilung in der Politikartikulation in die zugrundeliegende Delegation von Verantwortung innerhalb der Parteiorganisation ein. Dabei spielt das Delegationsprinzip in zweifacher Hinsicht eine Rolle: Als erstes impliziert die Delegation von Verantwortung (und Aufgaben) eine generelle Arbeits- bzw. Aufgabenteilung innerhalb der Parteiorganisation. Von dieser Arbeitsteilung ist die spezielle Arbeitsteilung in der Politikartikulation nicht losgelöst, d. h. die Politikartikulation des Parteiakteurs bettet sich in den Charakter seiner gesamten Aufgaben ein und spiegelt diesen auch wider. Als zweites folgen aus der innerparteilichen Delegation die im vorangegangenen Abschnitt diskutierten Machtfragen, die ebenfalls auf die innerparteiliche Ausübung der Politikartikulation wirken. Im Zusammenhang mit der Themenselektionsstrategie sind im Folgenden weniger die Konflikte relevant, die aus der oben angesprochenen Heterogenität innerparteilicher Präferenzen resultieren. Vielmehr steht hier im Mittelpunkt, inwiefern die innerparteilichen Akteure ihre

3.2 Politikartikulation zu europäischen Themen …

51

Möglichkeiten nutzen (können), europäische Themen mit der Politikartikulation zu adressieren. D. h., wenn die oben diskutierten Machtfragen innerhalb einer Parteiorganisation zentral sind, dann sollten diese auch prägend für das arbeitsteilige Ausüben der Politikartikulation durch die drei innerparteilichen Akteure sein. Kurzum, aus der Kombination von Ressourcenausstattung und Delegationsmechanismen leiten sich die Möglichkeiten und Restriktionen für die drei innerparteilichen Akteure ab, die ihre jeweilige individuelle Themenselektion beeinflussen und folglich ihren Beitrag zur Themenselektionsstrategie der Partei prägen. Dabei schlagen sich die variierenden Möglichkeiten sowie Restriktionen der drei Akteurstypen in unterschiedlicher Weise auf die Politikartikulation nieder, sodass sich Art und Umfang der politischen Themen in den jeweiligen Händen der drei innerparteilichen Akteure voneinander unterscheiden und abweichende Schwerpunkte in der Themenselektion deutlich werden. Die Unterschiede reflektieren zum einen die grundlegende Aufgabenteilung innerhalb der Parteiorganisation und spiegeln zum anderen ein variierendes Parteiorganisationsverständnis wider. Letzteres bedeutet, dass im weiteren besonderen Augenmerk auf die veränderte Themenselektion des Prinzipals gelegt wird, die mit seiner schwächeren bzw. stärkeren Rolle einhergeht.

3.2.3

Politikartikulation der drei innerparteilichen Akteure im Kontext ihrer Möglichkeiten und Restriktionen

Nachfolgend stehen nun Möglichkeiten und Restriktionen der drei innerparteilichen Akteure im Mittelpunkt, die sich aus den eben diskutierten Punkten des grundlegenden Parteiorganisationsverständnisses und der verfügbaren Ressourcen im Detail ergeben. Hiernach werden die daraus folgenden Konsequenzen auf die Politikartikulation von Parteitag, Parteiführung und Fraktion formuliert und konkret auf den Umgang mit dem europäischen Themenkomplex zugespitzt.

3.2.3.1 Parteitag Im Hinblick auf die Politikartikulation ist beim Parteitag ein breiter Fundus an Expertise versammelt. Als organisatorische Abbildung der Parteimitglieder mit ihren unterschiedlichen subnationalen Organisationseinheiten und Gruppierungen (Katz und Mair 1993: 598; Katz 2005: 96) manifestieren sich in ihm das Wissen und die politischen Überzeugungen zu sachpolitischen Fragen. So kann der Prinzipal auf das Wissen um politische Probleme und zu europäischen Themen im Spezifischen in einem Bottom-Up-Prozess zurückgreifen oder von einer horizontalen Perspektive profitieren. Signale aus dem Bottom-Up Prozess oder der „party

52

3

Europäische Policy-Themen: Ähnliche Anreize …

on the ground“ symbolisieren hier den „fire alarm“ für die Politikimplementierung (Müller 2000: 329). Die vertikalen Impulse sind unter anderem über das innerparteiliche Contract Design (also das Parteistatut) abgesichert, denn neben den verschiedensten Parteigliederungen verfügen auch die beiden Agenten Parteiführung und Fraktion über ein Antragsrecht und gestalten infolgedessen das Themenspektrum des Parteitags mit.21 Resultierend aus seiner besonderen legitimatorischen Rolle ist die Politikartikulation des Parteitags zudem stark mit der Vermittlung des ideologischen Fundaments verknüpft, einem weiteren immateriellen Gut. Mit dieser legitimatorischen Bedeutung ist ferner verbunden, dass die vom Parteitag verabschiedete Politikartikulation relevante Signale an andere innerparteiliche Akteure bzw. an die Agenten markiert. Sie ist somit entscheidend für die Parteiführung sowie für die Politikimplementierung, die von Agenten in öffentlichen Ämtern ausgeübt wird (Müller 2000: 329). Für die Agenten sind diese Signale wiederum sehr wertvoll und verlässlich für die gemeinsame Zielverfolgung. Diesen zentralen Ressourcen des Parteitags stehen jedoch Ressourcenrestriktionen gegenüber. Die wohl stärkste Ressourcenrestriktion des Parteitags resultiert aus seiner geringen Tagungsfrequenz und -dauer. Zunächst führt dies zu einer Konkurrenz (um die Ressource Zeit) zwischen inhaltlichen Politikentscheidungen und der zentralen Verantwortung des Parteitags für die regelgebenden Prämissen der Organisation (Poguntke 1998: 161) bzw. Anliegen der internen Delegationsbeziehungen. Wie oben skizziert ergibt sich die Notwendigkeit von Regeln aus der potenziellen Gefahr des Agent Loss (Müller 2000: 320–322), sodass der Parteitag in regelmäßigen Abständen mit Fragen der Selektion bzw. Wahl des Spitzenpersonals oder den Kontroll- sowie Rechenschaftsberichten der Agenten beschäftigt ist. Doch nicht nur die Zeit im Sinne der geringen Tagungsfrequenz oder -dauer führt zu einer Restriktion. Auch das Timing des Parteitags hat unmittelbare Konsequenzen darauf, wie er seine Politikartikulation nutzen kann. Im Wesentlichen resultiert die Terminsetzung des Parteitags aus parteiinternen Organisationsabläufen, beispielsweise die Festlegung seiner jährlichen Zusammenkunft auf einen bestimmten Monat, und ist damit unabhängig von der externen Politikagenda und somit auch von der europäischen Handlungsagenda. Zusätzlich können externe Ereignisse die Terminfestlegung des Parteitags beeinflussen. Beispielsweise werden die nationalen und/oder europäischen Wahlen berücksichtigt, sofern aus 21

In den deutschen Parteien, die als Fälle für die empirische Beobachtung dienen, obliegt dieses Antragsrecht der Parteiführung, aber nicht der Fraktion als kollektiver Akteur (hier kann nur der einzelne Abgeordnete allein oder mit Rückbindung zu subnationalen Parteigliederungen aktiv werden).

3.2 Politikartikulation zu europäischen Themen …

53

einem grundlegenden Delegations- bzw. Organisationsverständnis heraus auch die Parteibasis und damit der Parteitag an der Formulierung sowie Beschlussfassung von Wahlprogrammen beteiligt ist (Poguntke 1998: 161). Abgesehen von diesen Zusammenkünften bleibt das Timing der Parteitage weitestgehend losgelöst von der europäischen Handlungsagenda, sodass die Möglichkeiten für den Parteitag, die europäische Handlungsagenda unmittelbar mit seiner Politik-Artikulation aufzugreifen, eingeschränkter sind. Vor diesem Hintergrund wird erwartet, dass der Parteitag selektiv europäische Themen auswählt und hierbei nur ein begrenztes europäisches Themenspektrum abdeckt. Dabei kann er sich weniger an der EU-Handlungsagenda orientieren, insbesondere wenn es um die EU-Policy-Angelegenheiten geht. Vielmehr wird der Parteitag europäische Angelegenheiten stärker danach auswählen, wie diese mit dem ideologischen Fundament der Partei verbunden sind. Die Themenselektionsstrategie des Parteitags sollte also eher zur Untermauerung des Belief Systems dienen und sich folglich eher in die zugrundeliegenden Kernthemen einbetten. Darüber hinaus werden in der Verantwortung des Parteitags nicht nur Policy-Themen liegen. Vor allem vor dem Hintergrund seiner besonderen legitimatorischen Bedeutung in der Partei werden auch europäische Polity-Themen in seiner Politikartikulation eine Rolle spielen. Es wurde bereits angeschnitten, dass neben der Ressourcenrestriktion auch das Parteiorganisationsverständnis bestimmend für die Themenagenda des Parteitags ist und sich dieses etwa in seinem Beteiligungsmodus an der Wahlprogrammatik niederschlägt. Hier geht es nun weiter gefasst um den Zusammenhang zwischen dem Stellenwert des Prinzipals in der Parteiorganisation und der Politikartikulation des Prinzipals: Mit einem schwächeren Prinzipal wird verbunden, dass seine Bedeutung für die spezifische Politikartikulation einer Partei geringer ist als in Parteien mit einem stärkeren Prinzipal. Infolgedessen wird ein schwächerer Prinzipal auch ein geringeres europäisches Themenspektrum (im Vergleich zu einem stärkeren Prinzipal) abdecken, denn die Politikartikulation zum europäischen Themenkomplex wird stärker in der Verantwortung seiner Agenten liegen.

3.2.3.2 Parteiführung Der Parteitag wählt die Parteiführung als den zentralen Agenten, welcher im Namen des Parteitags agiert und Aufgaben zwischen den Parteitagen übernimmt (Katz 2005: 96). Neben organisatorischen Aspekten des täglichen Managements fallen darunter auch spezifische inhaltliche Politikentscheidungen (Poguntke 1998: 161). Dazu zählt nicht nur, im Namen des Prinzipals bei anstehenden Problemen eine Entscheidung zu treffen, sondern auch die Politikartikulation zwischen den Parteitagen vorzubereiten und in eine Beschlussvorlage zu überführen.

54

3

Europäische Policy-Themen: Ähnliche Anreize …

Wesentliche Ressourcen der Parteiführung liegen zunächst in ihrer formellen Autorität im Namen der Partei zu sprechen sowie zu entscheiden und in ihrer Aufsichtsfunktion im Namen des Prinzipals gegenüber der Partei in Public Office (Katz und Mair 1993: 599; Katz 2005: 100). Die Stärke der Parteiführung innerhalb der Partei (und damit eine für sie wichtige Ressource) resultiert zudem aus ihrer Geschlossenheit. Die vollumfängliche Nutzung dieser Ressource kann jedoch durch Interessendivergenzen innerhalb der Parteiführung beeinträchtigt sein, die sich aus ihrer Aufsichts- und Koordinationsfunktion zwischen verschiedenen innerparteilichen Akteuren (die zugleich in unterschiedlichen Arenen verankert sind) ergeben können und das Erreichen der Geschlossenheit erschweren (Katz 2005: 99). Verbunden mit der eher abstrakten Zuschreibung, dass die Parteiführung in der Mitte der Kommunikationsnetzwerke inner- und außerhalb der Partei steht (Katz und Mair 1993: 599; Katz 2005: 99), verfügt sie über diverse Wissenskanäle und das dadurch erschließbare Expertenwissen. Mit Blick auf den europäischen Themenkomplex ist hier eine besondere Ressource herauszustellen. Studien zur Europäisierung von Parteiorganisationen geben Hinweise, dass EU-Expertinnen und Experten wie die Mitglieder des Europäischen Parlaments (MdEP) auf die Politikformulierung der nationalen Parteien nicht ohne Einfluss sind und ihre Policy-Expertise insbesondere in nationale Wahlprogramme einbringen (Aylott et al. 2007: 197). Ferner binden Parteien die Europa-Abgeordneten bewusst in Parteigremien ein, um ihre Policy-Expertise zu nutzen (u. a. Aylott et al. 2007: 205–207) (Poguntke 2007).22 Auf diese besondere Ressource kann die Parteiführung zugreifen, wenn MdEPs direkt in der Parteiführung vertreten sind.23 Zugleich ist auch die Parteiführung mit knappen Zeit- sowie Personalressourcen konfrontiert, wenn es um die Wahrnehmung der übertragenen Aufgaben geht, die von den täglichen Organisationsentscheidungen, über Koordinationsaufgaben bis hin zur Politikartikulation reichen. Vor diesem Hintergrund wird zunächst vermutet, dass sich die Parteiführung eher auf wenige Themen konzentriert, und folglich auch ein vergleichsweise geringeres europäisches Themenspektrum abdeckt, welches unter dem Abdeckungsniveau des Parteitags liegen müsste. Ferner sollte die Aufgabendelegation im Sinne einer Aufgabenteilung zwischen Parteitag und Parteiführung dazu führen, dass sich die Parteiführung eher mit anderen europäischen Themen beschäftigt als der Parteitag und so 22

Die Anerkennung der Policy-Expertise ist jedoch nicht mit einem Zuwachs an innerparteilicher Macht verbunden (Aylott et al. 2007; Poguntke 2007). 23 Um die MdEPs als Ressource nutzen zu können, ist unerheblich worauf ihr Mandat in der Parteiführung beruht, d. h. es ist unerheblich, ob sie qua Amt oder per Wahl zur Parteiführung gehören.

3.2 Politikartikulation zu europäischen Themen …

55

die Politikartikulation zwischen den Parteitagen ausübt. So sollten die beiden innerparteilichen Akteure in Summe mehr Themen abdecken. Ergo sollte die Ähnlichkeit der aufgegriffenen Themen zwischen der Parteiführung und dem Parteitag eher gering sein. Kennzeichnend für das Verhältnis zwischen Parteiführung und Fraktion ist einerseits die Notwendigkeit der Koordination zwischen außerparlamentarischer und parlamentarischer Partei. Das angewandte Delegationsprinzip impliziert dabei, dass sich die grundlegende Politikausrichtung der Partei respektive des Prinzipals auch in der parlamentarischen Arbeit niederschlägt und hier die Parteiführung als eingesetzte Kontrollinstanz für den zweiten Agenten fungiert. Andererseits profitiert die Parteiführung wiederum von der Fraktion als einen zentralen Wissenskanal. Gestützt wird dieser Austausch mittels personeller Überlappung zwischen den beiden Agenten. Um also ihren Beitrag zu den immateriellen Gütern zu leisten, spielt die Fraktion für die Parteiführung eine wichtigere Rolle. Infolgedessen wird vermutet, dass die thematischen Überschneidungen zwischen den beiden Agenten deutlicher ausgeprägt sind als zwischen der Parteiführung und ihrem Prinzipal. Doch welche Themen sind nun eher in den Händen der Parteiführung zu vermuten? Die Ergebnisse aus der Europäisierungsforschung zeigen die hohe Relevanz der Parteielite auf, wenn es um die grundlegenden Standpunkte zur Europäischen Integration geht (Aylott et al. 2007; Poguntke 2007; Carter und Poguntke 2010). Infolgedessen wird hier vermutet, dass sich die Parteiführung eher auf strategische EU-Themen fokussiert. Diese umfassen zum einen die klassischen Polity-Themen wie die europäischen Finalitätsfragen zur institutionellen Architektur oder geografischen Ausbreitung. Zum anderen können auch PolicyThemen strategisch für den europäischen Raum sein, etwa wenn es um distributive Entscheidungen geht oder um eine Neuausrichtung in der Policy-Regulierung. Da die Parteiführung wesentlich öfter zusammentrifft als der Parteitag, wird des Weiteren vermutet, dass die Parteiführung deutlich bessere Voraussetzungen hat auf die EU-Handlungsagenda zu reagieren und sie ihre Politikartikulation nutzt, um eher die Themen ausgerichtet an der EU-Handlungsagenda auszuwählen und somit stärker zum immateriellen Gut der Kompetenz beizutragen. Die Kernthemen der Partei sollten hierbei weniger leitgebend für die Themenauswahl sein. Außerdem wird die Parteiführung ihre Möglichkeiten ausschöpfen, die Politikgestaltung des Parteitags zu beeinflussen und als besonders relevant bewertete Themen in die Beschlussfassung des Parteitags zu überführen. Auf diese Weise wird die Parteiführung die legitimatorische Absicherung vor allem für die strategischen EU-Polity-Themen einholen.

56

3

Europäische Policy-Themen: Ähnliche Anreize …

Die innerparteilichen Einflussmöglichkeiten der Parteiführung stehen in hohem Maße im Zusammenhang mit den organisatorisch etablierten Delegationsmechanismen, die zu einem schwächeren oder stärken Prinzipal führen. Infolgedessen wird mit dem variierenden Stellenwert des Prinzipals auch eine entsprechende Politikartikulation der Parteiführung erwartet. Mit einem schwächeren Parteitag wird verbunden, dass seine Agenten eine größere Bedeutung für die Politikartikulation der Partei einnehmen und folglich auch die Themenselektionsstrategie der Parteiführung anders ausgestaltet sein wird. Eine Konsequenz müsste sein, dass die Parteiführung bei einem schwächeren Prinzipal mehr EU-Themen aufgreift als eine Parteiführung, die einem stärkeren Prinzipal gegenübersteht. Eine weitere Konsequenz wäre ein vielfältigeres thematisches Potpourri, da die Parteiführung eine größere Verantwortung für die Politikartikulation übernimmt. Wenn die Parteiführung grundsätzlich eher innerparteilich die Verantwortung für die (strategischen) Polity-Themen übernimmt, dann sollte in einer Partei mit einem schwächeren Prinzipal in der Politikartikulation der Parteiführung zusätzlich eine höhere Aufmerksamkeit für die EU-Policy-Angelegenheiten erkennbar sein. Als letzte Konsequenz wird erwartet, dass die Parteiführung in einem höheren Ausmaß die Möglichkeiten der Antragstellung ausschöpft, um die Themenselektionsstrategie des Parteitags zu steuern. Folglich wird die Parteiführung nicht für die strategischen EU-Themen in der Politikartikulation des Parteitags als Impulsgeber auftreten, sondern auch für operative EU-Themen, die vor allem in den Bereich des EU-Policy-Making fallen.

3.2.3.3 Fraktion Die Fraktion als innerparteilicher Akteur in öffentlichen Ämtern verfügt über Ressourcen, die aus der öffentlichen Arena resultieren und die sie in die innerparteiliche Politik einbringen kann (Katz und Mair 1993: 597). Zunächst beinhaltet ihr Kerngeschäft rechtlich verbindliche Politikentscheidungen (ebd.). So entwickeln, verhandeln oder kontrollieren Fraktionen Politikentscheidungen und stimmen darüber im Parlament ab. Damit verbunden sind ein besonderer Informationszugang, Zeitressourcen und auch der Zugriff auf fachliche Expertise (ebd.). Infolgedessen ist die Fraktion der innerparteiliche Akteur, der schlichtweg die Policy-Expertise einer Partei symbolisiert. Darüber hinaus ist die Fraktion direkt von den europäischen Angelegenheiten betroffen, da sie mit ihrer Gesetzgebungsfunktion an der Implementierung des europäischen Rechts in die nationale Gesetzgebung mitwirkt. Damit ist sie

3.2 Politikartikulation zu europäischen Themen …

57

mehr als die anderen Parteiakteure mit der europäischen Politikgestaltung konfrontiert, was zugleich auch mit einem größeren Wissen um die europäische Handlungsagenda einhergeht. Abgesehen von diesen Ressourcen sieht sich auch die Fraktion gewissen Restriktionen unterworfen, die jedoch anders ausgestaltet sind als die der außerparlamentarischen Parteiakteure. Im Wesentlichen ist die Fraktion von der Regierungs-/Oppositionslogik betroffen, da sich ihre tagtäglichen Handlungsmöglichkeiten in den besetzten öffentlichen Ämtern unmittelbar daraus ableiten (Katz und Mair 1993: 596). Vor dem Hintergrund der spezifischen Ressourcen sowie Restriktionen wird für die Politikartikulation der Fraktion erwartet, dass sie sich einem wesentlich breiteren europäischen Themenspektrum widmet als die anderen beiden innerparteilichen Akteure. Ferner sollte sie sich bei ihrer Themenauswahl in hohem Maße an der europäischen Handlungsagenda orientieren und somit ihre Politikartikulation verstärkt im Sinne der Kompetenzorientierung nutzen. Die Fraktion sollte eher operative europäische Themen auswählen, die vor allem den Bereich der europäischen Politikgestaltung kennzeichnen. Abgeleitet aus der unmittelbaren Zuständigkeit für die Implementierung europäischen Rechts ist zu vermuten, dass sich die Fraktion stärker auf EU-Angelegenheiten im nationalen Kontext konzentriert (also auf die Implementierung des EU-Rechts in das nationale Recht). Wenn es in der Politikartikulation über die europäischen Themen einen Unterschied machen sollte, ob sich die Partei in Regierungs- oder Oppositionsfunktion befindet, dann sollte sich dies am ehesten in der Kommunikation der Fraktion niederschlagen. Zugleich wird der institutionelle Kontext für das Handeln der Fraktion als so prägend eingeschätzt, dass ein variierendes Parteiorganisationsverständnis ohne Einfluss auf die Themenselektionsstrategie der Fraktion sein sollte. Eine weitere Konsequenz des institutionellen Kontexts müsste sein, dass sich die Themenauswahl verschiedener Fraktionen wesentlich ähnlicher ist als die Themenauswahl zwischen den anderen innerparteilichen Akteuren der verschiedenen Parteien.

3.2.3.4 Zusammenwirken der drei innerparteilichen Akteure in der Politikartikulation Bisher wurde die Politikartikulation in erster Linie aus dem Blickwinkel von akteursbezogenen Möglichkeiten und Restriktionen diskutiert. Zentrale Vermutung ist hierbei, dass die Aufmerksamkeit für das Spektrum politischer Themen bei den innerparteilichen Akteuren unterschiedlich ausgeprägt sein dürfte. Zudem wurde hergeleitet, dass sich eine spezifische Aufgabenverteilung im Umgang mit politischen Themen ergibt.

58

3

Europäische Policy-Themen: Ähnliche Anreize …

Kennzeichnend für den Umgang mit politischen Themen ist, dass sich dieser Umgang in vielerlei Hinsicht unterscheidet und somit Unterschiede in der Politikartikulation in verschiedenen Dimensionen deutlich werden sollten, etwa in Bezug auf den Umfang des abgedeckten Themenspektrums oder in Bezug auf die Aufteilung europäischer Themen. Im Ergebnis liegt eine inhaltlich orientierte Aufgabenteilung vor, die es den innerparteilichen Akteuren ermöglicht zur komplementären Themenselektionsstrategie beizutragen und somit einerseits stärker Themen aufzunehmen, die das Belief System stützen, und andererseits die Politikartikulation zu nutzen, um das wichtige immaterielle Gut Kompetenz zu generieren. Das Zusammenwirken der innerparteilichen Akteure zu einer komplementären Strategie ihrer Politikartikulation fußt aber nicht nur auf den individuellen Ressourcenrestriktionen und den diskutierten akteursbezogenen Möglichkeiten. Darüber hinaus stehen die innerparteilichen Akteure in wechselseitiger Interaktion zueinander. In der bisherigen Diskussion wurde darauf an einigen Stellen eingegangen, in welcher Form diese Interaktion relevant für die Politikartikulation ist. So führen die Delegationsbeziehungen und die personellen Überschneidungen zwischen den drei innerparteilichen Akteuren dazu, dass sie bewusst in einem Austausch und auch in gegenseitiger Beeinflussung stehen, Themen auf die Agenda eines anderen Akteurs zu setzen. So kann beispielsweise die Parteiführung auf ihr Antragsrecht auf Parteitagen zurückgreifen. Darüber hinaus stellt für die außerparlamentarischen Parteiakteure die hohe Policy-Expertise der Fraktion einen besonderen Wissenszugang zu politischen Problemen respektive zu europäischen Themen dar, die wiederum von den anderen innerparteilichen Akteuren genutzt wird. Umgekehrt kann die Fraktion bewusst Themen in die außerparlamentarische Partei tragen, wenn aus ihrer Sicht auch die Aufmerksamkeit der außerparlamentarischen Partei als wichtig betrachtet oder die legitimatorische Bedeutung des Prinzipals für bestimmte Anliegen genutzt wird. Im Ergebnis ergänzen sich also die akteursbezogenen Möglichkeiten sowie Restriktionen und die Interaktionen zwischen den innerparteilichen Akteuren so, dass eine komplementäre Themenselektionsstrategie existiert, die von Mustern einer inhaltlich orientierten Aufgabenteilung geprägt ist. Am Ende bedeutet diese Aufgabenteilung und die gemeinsame bzw. additive Umsetzung der komplementären Themenselektionsstrategie aber auch, dass trotz des gemeinsamen ideologischen Fundaments die thematische Ähnlichkeit zwischen den innerparteilichen Akteuren einer Partei nicht besonders hoch sein wird. Konkret sollte sich die inhaltlich orientierte Aufgabenteilung in der Umsetzung der komplementären Themenselektionsstrategie wie folgt in der innerparteilichen

3.2 Politikartikulation zu europäischen Themen …

59

thematischen Ähnlichkeit niederschlagen: Wenn zum einen die Delegationsbeziehung zwischen Parteitag und Parteiführung so umgesetzt wird, dass die Parteiführung die Politikartikulation zwischen den Parteitagen übernimmt, dann sollte die thematische Ähnlichkeit zwischen Prinzipal und diesem Agenten vergleichsweise gering sein. Hingegen spielt die thematische Ähnlichkeit zwischen Prinzipal und Fraktion eine weitaus größere Rolle, kann doch der Prinzipal auf die wertvolle Policy-Expertise seines Agenten zurückgreifen. Ferner folgen aus der ausgeübten koordinierenden Rolle der Parteiführung zwischen parlamentarischer und außerparlamentarischer Partei zwei Konsequenzen für die Politikartikulation der Parteiführung. Als erstes sollte für die Parteiführung eine sich überlappende thematische Ähnlichkeit mit dem Prinzipal und der Fraktion von relativ hoher Bedeutung sein. Zugleich besteht aber als zweites eine klare Aufgabenteilung zwischen den beiden Agenten, die sich auch in der Politikartikulation niederschlägt. Ergo fällt die thematische Ähnlichkeit zwischen Parteiführung und Fraktion gering aus. Thematische Ähnlichkeit bedeutet im Umkehrschluss auch jene Themen zu bewerten, die nicht ähnlich bzw. identisch sind. Vor dem Hintergrund ihrer weitreichenden Möglichkeiten, stetig auf die europäische Handlungsagenda reagieren zu können und die Reputation als kompetente Partei zu stärken, werden von der Fraktion eine Vielzahl sowie Vielfalt von europäischen Themen aufgegriffen. Doch nicht alle Themen werden über die diverse Interaktions- und Wissenskanäle auch in der Politikartikulation der anderen beiden innerparteilichen Akteure wiederzufinden sein. Vielmehr sollte dies nur für einen Bruchteil der Themen zutreffen, die von der Fraktion aufgegriffen werden – und zwar unabhängig vom Parteiorganisationsverständnis. Folglich bleibt die Bedeutung der thematischen Ähnlichkeit mit den anderen Akteuren für die Fraktion auf einem geringen Niveau. Anhand der Themen in alleiniger Obhut des Parteitags müsste sich indes das Organisationsverständnis niederschlagen. Oben wurde argumentiert, dass sich stärkere Parteitage eher häufiger sowie in höherer Vielfalt mit politischen Themen beschäftigen und deshalb ein größeres Themenspektrum abdecken. Zugleich ist damit auch verbunden, dass die Aufgabe der Politikartikulation in größerer Unabhängigkeit von den Parteieliten ausgeübt wird. Ergo müssten in Parteien mit einem stärkeren Prinzipal vergleichsweise mehr Themen beobachtbar sein, die ausschließlich vom Parteitag aufgegriffen werden.

60

3.3

3

Europäische Policy-Themen: Ähnliche Anreize …

Europäische Themen in der komplementären Themenselektionsstrategie von nationalen Parteiorganisationen: Erwartungen an die Empirie

Aus beiden Teilen der theoretischen Argumentation lassen sich empirisch überprüfbare Erwartungen ableiten, wie die nationalen Parteien mit den europäischen Themen umgehen. Basierend auf der Annahme einer existierenden komplementären Themenselektionsstrategie folgen aus dem ersten Teil der theoretischen Argumentation zum einen eher grundsätzliche Erwartungen an den Umgang mit den europäischen Themen und zum anderen Erwartungen an die Politikartikulation in den variierenden Kontexten zwischen den Wahlen und der restlichen Wahlperiode. Der zweite Teil präsentiert das hier zugrundeliegende Verständnis von Politikartikulation als arbeitsteilige Aufgabe eingebettet in die Parteiorganisation im Nichtwahlkontext. Leitgebend ist hierbei die Annahme, dass die drei innerparteilichen Akteure Parteitag, Parteiführung und Fraktion einen unterschiedlichen Beitrag zur komplementären Themenselektionsstrategie leisten (können). Zusammengeführt ergeben sich die nachfolgenden Erwartungen an die Politikartikulation der nationalen Parteien zu den europäischen Themen: (1) Grundlegende Erwartungen an die Politikartikulation zum europäischen Themenkomplex Basierend auf der Annahme einer existierenden komplementären Themenselektionsstrategie, die politische Themen zum einen in den Kontext des Belief Systems und zum anderen mit einer Kompetenzorientierung in Verbindung bringt, leiten sich zunächst die eher grundlegenden Erwartungen ab: Hypothese 1.1:

Hypothese 1.2:

Innerparteiliche Akteure schenken kontinuierlich über die Zeit europäischen Themen mit ihrer Politikartikulation Aufmerksamkeit. Von insgesamt besonderer Bedeutung sind hier die europäischen Policy-Themen.

Zugleich impliziert die vorangegangene Argumentation, dass die komplementäre Themenselektionsstrategie unabhängig von der grundlegenden Haltung zur EUIntegration existiert. D. h. egal wie stark die grundlegende Skepsis einer Partei gegenüber der EU-Integration ausgeprägt ist, die Anreizstrukturen europäischer Themen für nationale Parteien bleiben davon unberührt.

3.3 Europäische Themen in der komplementären …

61

(2) Erwartungen an die Politikartikulation im Wahl- und Nichtwahlkontext Ferner leitet sich aus der Annahme einer existierenden komplementären Themenselektionsstrategie die Erwartung ab, dass die adressierten europäischen Themen zwischen dem Wahlkontext und Nichtwahlkontext variieren: Hypothese 2.1:

Hypothese 2.2:

Für anstehende Wahlen greift eine Partei eher auf europäische Themen zurück, die sich stärker in ihr Belief System einbetten und ihre Kernthemen berühren. Im Nichtwahlkontext richtet sich die Themenselektion insgesamt stärker nach den laufenden europäischen Politikgestaltungsprozessen auf der EU-Ebene. Mit ihrer Politikartikulation im Wahlkontext deckt die Partei eher ein geringeres europäisches Themenspektrum ab als im Nichtwahlkontext.

(3) Erwartungen an die Politikartikulation im Kontext innerparteilicher Aufgabenteilung Innerparteiliche Akteure üben die Politikartikulation arbeitsteilig aus. Vor dem Hintergrund grundlegender innerparteilicher Delegationsmechanismen und akteursbezogener Ressourcenrestriktionen resultiert eine inhaltlich orientierte Aufgabenteilung in der Politikartikulation. Unabhängig vom grundlegenden Parteiorganisationsverständnis wird erwartet, dass das jeweils aufgegriffene Themenspektrum zwischen den drei innerparteilichen Akteuren variiert und hierbei Muster einer inhaltlich orientierten Aufgabenteilung sichtbar werden sollten: Hypothese 3.1:

Hypothese 3.2:

Hypothese 3.3: Hypothese 3.4:

In Abhängigkeit des innerparteilichen Akteurtyps variiert der Umfang des adressierten europäischen Themenspektrums. Die geringste Themenabdeckung wird mit der Politikartikulation der Parteiführung und die größte Themenabdeckung mit der Politikartikulation der Fraktion vorliegen. Die Parteiführung thematisiert eher strategische EU-Themen, insbesondere strategische Polity-Themen, als die anderen beiden innerparteilichen Akteure. Die Fraktion adressiert eher operative EU-Angelegenheiten als die anderen beiden innerparteilichen Akteure. EU-Angelegenheiten im Kontext der nationalen Implementierung sind wesentlich relevanter in der Politikartikulation der Fraktion als in der Politikartikulation der anderen beiden innerparteilichen Akteure.

62

Hypothese 3.5:

3

Europäische Policy-Themen: Ähnliche Anreize …

Parteiführung und Fraktion orientieren ihre Auswahl europäischer Themen stärker an der EU-Handlungsagenda, während der Parteitag seine Auswahl europäischer Themen stärker am Belief System und damit den Kernthemen der Partei ausrichtet.

Resultierend aus der inhaltlich orientierten Aufgabenteilung und aus den diversen Interaktionen zwischen den drei Akteuren müsste sich ein Muster für die thematische Ähnlichkeit zwischen den innerparteilichen Akteuren einer Partei ergeben: Hypothese 3.6:

Hypothese 3.7:

Hypothese 3.8:

Die thematische Ähnlichkeit zwischen Parteitag und Parteiführung ist deutlich geringer als die thematische Ähnlichkeit zwischen Parteitag und Fraktion. Auch die thematische Ähnlichkeit zwischen Parteiführung und Fraktion ist deutlich geringer als die thematische Ähnlichkeit zwischen Parteitag und Fraktion. Für die Parteiführung ist die übergreifende thematische Ähnlichkeit mit der Fraktion und mit dem Parteitag von besonders hoher Bedeutung. Für die Fraktion spielt die thematische Ähnlichkeit mit den anderen innerparteilichen Akteuren nur eine geringe Rolle.

(4) Erwartungen an die Politikartikulation im Kontext variierender Parteiorganisationen Zusätzlich wirkt das Parteiorganisationsverständnis prägend auf einzelne Facetten der Politikartikulation, d. h. neben den oben genannten Mustern einer inhaltlich orientierten Aufgabenteilung sollten weitere Muster erkennbar sein, die im Zusammenhang mit dem Stellenwert des Prinzipals stehen. Der variierende Stellenwert des Prinzipals und damit das variierende Parteiorganisationsverständnis dürften sich vor allem in der Politikartikulation des Parteitags und der Parteiführung niederschlagen und hier zu einem veränderten Umgang mit dem europäischen Themenkomplex führen: Hypothese 4.1: Hypothese 4.2:

Ein schwächerer Prinzipal deckt verglichen zu einem stärkeren Prinzipal ein geringeres europäisches Themenspektrum ab. In Parteien mit einem schwächeren Parteitag wird die Parteiführung einen größeren Umfang an EU-Themen abdecken, sodass in ihrer Politikartikulation neben den Polity-Themen

3.3 Europäische Themen in der komplementären …

Hypothese 4.3:

63

die europäischen Policy-Angelegenheiten eine größere Rolle spielen. Ein stärkerer Parteitag greift mehr europäische Themen unabhängig von den beiden zentralen Agenten Parteiführung und Fraktion auf als ein schwächerer Parteitag.

(5) Politikartikulation im Kontext besonderer Parteiorganisationsbedingungen und institutioneller Rahmenbedingungen Ferner dürften weitere Parteiorganisationsmerkmale und institutionelle Rahmenbedingungen einen Einfluss auf die Politikartikulation der innerparteilichen Akteure haben. Als parteiorganisatorische Besonderheit wurde die direkte Einbindung bzw. Präsenz von EU-Parlamentariern in der Parteiführung herausgestellt, mit der ein besonderer Ressourcenzugang zu Informationen über die tagtäglichen Politikentscheidungsprozesse im Europäischen Parlament verbunden wird. Daraus folgt: Hypothese 5.1:

Eine direkte Präsenz von Europaabgeordneten in der Parteiführung führt zu einer höheren Aufmerksamkeit für europäische Policy-Themen durch die Parteiführung.

Mit Blick auf den institutionellen Handlungsrahmen für die Fraktionen gilt zu berücksichtigen, dass dieser mit einem besonderen Zugriff auf Informationen verbunden ist, beispielweise durch institutionalisierte Informationszugänge und Ausschuss- sowie Plenumssitzungen. Dieser Informationszugang bietet zudem ähnliche Voraussetzungen für Fraktionen eines Parlaments. Infolgedessen leitet sich folgende Erwartung ab, wenn Parteien eines Landes beobachtet werden: Hypothese 5.2:

Die thematische Ähnlichkeit zwischen den verschiedenen Fraktionen ist größer als zwischen der Fraktion und ihren korrespondierenden innerparteilichen Akteuren.

Zu guter Letzt bleibt auch bei den europäischen Politikangelegenheiten die klassische Konstellation zwischen Regierungs- und Oppositionsparteien bestehen. Die obige Diskussion reflektiert unterschiedliche Beschränkungen und Anreize für die Regierungs- und Oppositionsparteien, sodass am Ende die Effekte auf die Politikartikulation weniger eindeutig sein werden. Aufgrund ihrer institutionellen Einbettung in das Regierungssystem sollte aber am ehesten eine veränderte Politikartikulation bei den Fraktionen in Abhängigkeit vom Regierungs-/Oppositionsstatus erkennbar sein und nicht bei den anderen beiden innerparteilichen Akteuren.

64

3.4

3

Europäische Policy-Themen: Ähnliche Anreize …

Zusammenfassung

Die theoretische Argumentation bietet Antworten auf zwei zentrale Fragestellungen, die sich um die Themenselektionsstrategie von Parteien drehen: Weshalb sollten Parteien den europäischen Themen und insbesondere den europäischen Policy-Angelegenheiten Aufmerksamkeit schenken und wie setzen Parteien diese Aufmerksamkeit als Organisation um? Mit dem Rückgriff auf immaterielle Güter, die Parteien bereitstellen um ihre Ziele zu verfolgen, wird argumentiert, weshalb Parteien sich mit politischen Themen auseinandersetzen, die nicht unmittelbar als wahlentscheidend gelten. So bieten europäische Themen maßgeblich die Möglichkeit Kompetenz zu generieren, welches eines der zentralen immateriellen Güter ist, deren es zur Zielverfolgung einer Vote-Seeking-Strategie bedarf. Infolgedessen wird die grundlegende Erwartung abgeleitet, dass das europäische Themenspektrum eingebettet ist in eine komplementäre Themenselektionsstrategie der nationalen Parteien, die kombiniert zu den immateriellen Gütern Belief System und Kompetenz beiträgt. Auch wenn die innerparteilichen Akteure ähnliche Anreize haben, sich an dieser Themenselektionsstrategie der Partei zu beteiligen, variiert ihr jeweiliger Beitrag zu dieser Strategie. Für die theoretische Herleitung dieser innerparteilichen Varianz wird die Politikartikulation als Aufgabenteilung konzipiert, die aus der Kombination von Delegationsmechanismen innerhalb der Parteiorganisation und der jeweiligen Ressourcenausstattung der drei innerparteilichen Akteure resultiert. Im Ergebnis liegen klare Muster für die Themenselektion der drei innerparteilichen Akteure vor. Die formulierten Vermutungen über die Themenvarianz zwischen den innerparteilichen Akteuren einer Parteiorganisation sind Gegenstand der nachfolgenden empirischen Untersuchung. Mit dem Fokus auf die Themenselektionsstrategie von Parteien stehen Art und Umfang der aufgegriffenen Themen im Mittelpunkt der theoretischen Argumentation. Da sich die theoretische Argumentation auf die grundlegenden Delegationsmechanismen und (in weiteren Teilen) auf die grundsätzliche Ressourcenverteilung bezieht, liegen letztlich Vermutungen über den Umgang mit politischen Themen insgesamt vor. D. h. hier wird nicht argumentiert, dass die innerparteilichen Akteure anders mit europäischen Themen als mit anderen Themen umgehen. Zugleich impliziert dieser Modellansatz das Ausblenden potenzieller innerparteilicher Konflikte über die spezifischen europäischen Themen.

Teil II Forschungsdesign, Operationalisierung und Methodik

Die Untersuchung setzt sich vertiefend mit europäischen Themen in der Politikartikulation von Parteien und von ihren innerparteilichen Akteuren auseinander. Mit dieser leitgebenden Problemstellung werden Antworten auf die folgenden Fragen gesucht: Wie relevant sind die Themen der europäischen Politikgestaltung? Welche europäischen Themen greifen die nationalen Parteien mit ihrer Interesseartikulation auf? Wie sehr orientieren sich die Parteien dabei an der europäischen politischen Agenda? Gibt es systematische Unterschiede im Umgang mit europäischen Themen, die im Zusammenhang mit dem Parteiorganisationsverständnis stehen? Unterscheiden sich die thematisierten EU-Angelegenheiten im Wahlkontext zur Themenselektion in der weiteren Politikartikulation der innerparteilichen Akteure? Wie genau die aufgeworfenen Forschungsfragen untersucht werden sollen, ist nun Gegenstand des zweiten Teils dieser Arbeit. Strikt genommen beinhalten die Forschungsfragen sowohl eine explorative als auch eine erklärende Perspektive auf die Politikartikulation von Parteien. Bei der explorativen Perspektive steht zunächst im Mittelpunkt, inwieweit die Themen des EU-Themenkomplexes überhaupt kontinuierlich über die Zeit auf der Agenda von Parteien und ihren innerparteilichen Akteuren stehen und welche Themen ausgewählt werden. An diese „Entdeckungsreise“ sind zunächst jene forschungsstrategischen Überlegungen darüber geknüpft, wie diese Suche gestaltet ist und wie Suchergebnisse beschrieben werden. Bliebe es allein bei der explorativen Perspektive, dann wären weitere Überlegungen über den Untersuchungsaufbau überflüssig. Die erklärende Perspektive indes erfordert eine weitergehende klare und logische Festlegung des Forschungsdesigns, die eine Beweisführung für die Bestätigung oder Ablehnung theoretisch-modellierter Zusammenhänge ermöglicht. Damit ist zunächst die grundlegende forschungsstrategische Entscheidung verbunden, wie auf die Ursache-Wirkungsbeziehungen geblickt wird. Mit der Terminologie von Ganghof gesprochen, wird hier eine x-zentrierte Forschungsstrategie angewandt (Ganghof 2005), da mit den formulierten Forschungsfragen

66

Teil II: Forschungsdesign, Operationalisierung und Methodik

„das Hauptinteresse auf der Erklärungskraft kausaler Faktoren liegt“ (Gschwend und Schimmelfennig 2007: 21) und nicht wie in einem y-zentrierten Design, mit welchem die Varianz der abhängigen Variable unter Berücksichtigung möglichst aller (zentralen) Einflussfaktoren erklärt wird (Ganghof 2005: 77; Gschwend und Schimmelfennig 2007: 21). Denn im Wesentlichen geht es im Rahmen der Arbeit darum herauszufinden, ob sich die theoretisch diskutierten Wirkungen der Einflussgrößen (Parteiorganisation, ideologisch-programmatische Schwerpunkte und europäische Handlungsagenda) auf die Politikartikulation der Parteien zum EU-Themenkomplex in den empirischen Ergebnissen widerspiegeln. Konsequenzen für das Forschungsdesign resultieren nicht nur aus der angewandten Forschungsstrategie. So heben Gschwend und Schimmelfennig hervor, dass zentrale Entscheidungen zur Gestaltung des Forschungsdesigns stärker aus der Fallanzahl als aus der eingenommenen Kausalperspektive resultieren (Gschwend und Schimmelfennig 2011a: 225). Zugleich ist die eingenommene Kausalperspektive entscheidend für die Fallauswahl, denn eine x-zentrierte Strategie impliziert eine genaue Auswahl von Fällen und eine selektive Auswahl der Kontrollvariablen vor der empirischen Untersuchung sowohl in einem Small-Nals auch Large-N-Studiendesign (Gschwend und Schimmelfennig 2011a: 225; Sieberer 2011). Unabhängig von der Fallanzahl muss sich hierbei die Fallauswahl an den unabhängigen Variablen orientieren, da andernfalls erhebliche Verzerrungen eintreten, die eine gefundene Kausalität in Frage stellen (King et al. 1994: 137; Hönnige 2007: 237). Zweifellos sind mit diesem Vorgehen weitaus größere Herausforderungen im Rahmen eines Small-N- als in einem Large-NDesign verbunden, die letztlich in zentrale Entscheidungen zum Forschungsdesign münden. Dies verdeutlicht, dass die zahlreichen Überlegungen zum Forschungsdesign und Festlegungen zur Operationalisierung sowie Messung von Variablen, zur Untersuchungsanordnung (d. h. „wann, wo, wie und wie oft die empirischen Indikatoren an welchen Objekten erfasst werden sollen“ (Schnell et al. 2011: 201)1 ) und schließlich zur Methodik der Datenauswertung nicht gänzlich unabhängig voneinander sind, auch wenn sie unterschiedliche Aspekte des Forschungsdesigns berühren.

1

Für diese Autoren ist die Untersuchungsanordnung gleichbedeutend mit dem Forschungsdesign (Schnell et al. 2011: 201), während wiederum andere Autoren ein weiteres Verständnis vertreten, indem beispielsweise Konzeptspezifikation und die Operationalisierung der Variablen ein Teil davon sind (Gschwend und Schimmelfennig 2007, 2011b; Toshkov 2016), ja sogar die Relevanz des Forschungsproblems dazu gehört (Gschwend und Schimmelfennig 2007: 15).

Teil II: Forschungsdesign, Operationalisierung und Methodik

67

Vor diesem Hintergrund ist der Aufbau des zweiten Teils der Arbeit strukturiert: Da beispielsweise mit der Fallauswahlstrategie ein Small-N-Design vorliegt (wenige Parteien) und sich die Fallauswahl an der Varianz zentraler unabhängiger Variablen orientiert, braucht es zunächst eine klare Spezifikation der unabhängigen Variablen, bevor eine schlüssige Selektion der Parteien erfolgen kann. Deshalb gilt als Orientierung für die Reihenfolge der Kapitel in diesem Teil, dass jedes Kapitel so wenig Vorgriff auf die nachfolgenden Kapitel wie möglich benötigt. Zunächst widmet sich Kapitel 4 dem zugrundeliegenden Konzept von politischen Themen, indem es näher darauf eingeht, was politische Themen bzw. EU-Themen genau sind und wie diese hinsichtlich verschiedener Attribute näher spezifiziert werden. Kapitel 5 stellt die abhängige Variable – die Politikartikulation der Parteien zum EU-Themenkomplex – in den Mittelpunkt. Die theoretische Argumentation greift diverse Bedeutungsdimensionen im Umgang mit dem europäischen Themenkomplex in der Parteiorganisationsperspektive auf. Unter Bedeutungsdimensionen fallen hier die Themenabdeckung, die Stärke der Aufmerksamkeit, die thematische Ähnlichkeit zwischen den verschiedenen innerparteilichen Akteuren und die thematische Durchdringung der Parteiorganisation als eine besondere Form der thematischen Ähnlichkeit. Kapitel 5 stellt ein dreidimensionales Analysegerüst vor, das den Ausgangspunkt für die Operationalisierung der verschiedenen Facetten von Politikartikulation in der Organisationsperspektive bildet. Im Anschluss an diese zunächst vor allem konzeptuelle Aufbereitung der abhängigen Variablen widmet sich Kapitel 6 der Konzeption und Operationalisierung der zentralen unabhängigen Variablen. Im Mittelpunkt stehen hier (1) das Delegationsmodell innerhalb einer Partei, das das Parteiorganisationsverständnis ausdrückt, (2) die europäische Handlungsagenda und (3) die ideologischprogrammatische Orientierung der Parteien. Des Weiteren werden in diesem Kapitel die Kontrollvariablen konzeptualisiert, wie etwa die Regierungsbeteiligung oder die organisatorische Einbettung der Mitglieder des Europäischen Parlaments. Darauf aufbauend erfolgt in Kapitel 7 die Fallauswahl. Hierzu gehört neben der Auswahl der Parteien auch die Festlegung des Untersuchungszeitraums. Letzteres impliziert zwei zentrale Entscheidungen: als erstes ist zu überlegen, ob ein konstanter oder variierender polit-systemischer Kontext Grundlage der empirischen Untersuchung ist. Als zweites ist zu entscheiden, anhand welcher Auswahlkriterien die Parteien selektiert werden. Das Kapitel liefert zunächst eine begründete Entscheidung, Parteien eines konstanten polit-systemischen Kontextes auszuwählen und hierfür auf Deutschland zurückzugreifen. Die Selektion

68

Teil II: Forschungsdesign, Operationalisierung und Methodik

der zu untersuchenden Parteien leitet sich aus der Prämisse ab, die größtmögliche Varianz in den Ausprägungen ausgewählter unabhängiger Variablen und Kontrollvariablen zu erzielen. Konkret gilt es die größtmögliche Varianz in der Parteiorganisation sowie in der ideologisch-programmatischen Orientierung innerhalb des systemischen Kontexts abzubilden, wobei der Varianz in der Parteiorganisation eine größere Bedeutung beigemessen wird. Zusätzlich werden der Status als Regierungs- bzw. Oppositionspartei und das Vorhandensein einer nationalen Delegation im Europäischen Parlament berücksichtigt. Für die Umsetzung der Selektionsstrategie werden zunächst alle potenziell infrage kommenden Parteien innerhalb des politischen Systems Deutschlands im Untersuchungszeitraum hinsichtlich der Auswahlkriterien beschrieben, um darauf aufbauend unter Anwendung einer negativen Fallauswahl (Jahn 2005) schlüssig aufzuzeigen, dass mit den zu untersuchenden Parteien Bündnis90/Die Grünen, CDU, CSU und FDP die größtmögliche Varianz insbesondere mit Blick auf das Parteiorganisationsverständnis, die ideologisch-programmatische Orientierung und die Kontrollvariablen vorliegt. Zugleich resultieren aus dem Small-N-Design Limitationen für die empirisch-analytische Umsetzung der theoretischen Argumentation, die ebenfalls offen dargelegt werden. Kapitel 8 widmet sich genauer der Methodik, wie die Daten zur Politikartikulation von Parteien zum europäischen Themenkomplex erhoben werden. Sich erst in diesem Kapitel (und nicht in Kapitel 4) mit der Datengrundlage und der Datenerhebungsmethodik der abhängigen Variablen auseinanderzusetzen, folgt aus dem Umstand, dass Entscheidungen zur Datengrundlage unmittelbar aus der Fallauswahl folgen. Besondere Beachtung findet in Kapitel 8, dass im Rahmen dieser Arbeit unterschiedliche politische Dokumente Grundlage für die Textanalyse darstellen. Ferner erfolgt die begründete Auswahl der manuellen Inhaltsanalyse als bestmögliche Datenerhebungsmethodik, um die gewünschten Daten aus den Texten zu extrahieren. Ferner wird das eigens für die empirische Analyse entwickelte Kategoriensystem vorgestellt. Kapitel 9 schließt den zweiten Teil der Arbeit ab und widmet sich den Methoden der Datenauswertung, die für die explorative Analyse und die Überprüfung der formulierten Hypothesen angewendet werden. Der präsentierte Lösungsweg greift die Herausforderungen des Forschungsdesigns auf, die in zweierlei Hinsicht vorliegen. Zum einen muss angemessen mit der Small-N-Situation umgegangen werden, die bereits aufgrund der limitierten realen Existenz von Parteien gegeben ist und durch die hier vorgenommene Fokussierung auf die Parteien eines polit-systemischen Kontexts „verschärft“ wird. Zum anderen müssen die unterschiedlichen Dimensionen, die im Umgang mit den europäischen Themen eine Rolle spielen, in die Datenanalyse aufgenommen werden.

4

Politische Themen: Zugrundeliegendes Konzept und Operationalisierung

Geht es allgemein um Themen in der Politikartikulation von Parteien, dann ist zunächst näher zu spezifizieren, was ein Thema ist. Hierzu stellt Riker entmutigt fest, dass die Spezifikation eine äußerst ermüdende Arbeit ist (1993: 3) und formuliert deshalb allgemein, dass Themen objektive Probleme der Gesellschaft reflektieren (1993: 5).1 Um jedoch nicht nur „negativ“ besetzte Themen zu erfassen, werden hier allgemein politische Themen als Anliegen in der Gesellschaft definiert. Zugleich beschränkt sich die Betrachtung auf politische Themen, die dem europäischen Themenkomplex zuzuordnen sind. Diese inhaltliche Abgrenzung politischer Themen impliziert zum einen eine definitorische Abgrenzung europäischer Themen von anderen Themen und zum anderen genauere Angaben dazu, welche Themen wiederum mit dem europäischen Themenkomplex abgedeckt sind. Neben dieser „klassischen“ inhaltlichen Abgrenzung von europäischen Themen nimmt die theoretische Argumentation ein weiteres inhaltliches Attribut auf, das politische Themen voneinander abgrenzt. So kommt der Handlungsorientierung in der Sache, die die europäischen Angelegenheiten voneinander in strategische und operative Themen abgrenzt, eine wichtige Rolle in der theoretischen Argumentation zu. In diesem Zusammenhang wird auch näher auf die Abgrenzung von Themen nach Policy-Typen und die Besonderheit distributiver Themen eingegangen.

1

Wobei der Ermittlung objektiver Probleme durchaus konzeptionelle und analytische Grenzen gesetzt sind. © Der/die Autor(en), exklusiv lizenziert durch Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2021 S. John, Europäische Themen in deutschen Parteiorganisationen, Empirische Studien zur Parteienforschung, https://doi.org/10.1007/978-3-658-34797-0_4

69

70

4

Politische Themen: Zugrundeliegendes Konzept …

Unabhängig von verschiedenen Möglichkeiten, politische Themen hinsichtlich ihres Inhalts voneinander abzugrenzen, ist unbedingt das thematische Abstraktionsniveau bzw. die Themenbreite zu reflektieren. Denn in Abhängigkeit des thematischen Abstraktionsniveaus verändert sich die inhaltliche Reichweite von Themen. So macht beispielsweise die Betrachtung spezifischer Einzelthemen etwa in Form europäischer Richtlinien oder europäischer Politikfelder analytisch und substantiell sehr wohl einen Unterschied, implizieren doch Aussagen zu spezifischen EU-Richtlinien im Vergleich zu Aussagen zu einem europäischen Politikfeld durchaus eine andere Achtsamkeit gegenüber der europäischen Handlungsagenda. Folglich ist das thematische Abstraktionsniveau ausschlaggebend für die Aussagekraft sowie Erklärungsreichweite (ausgewerteter) politischer Aussagen und daher den anderen Themenmerkmalen als vorgelagert konzipiert. Für eine anschauliche Darstellung erfolgt zunächst die Definition des europäischen Themenkomplexes. Im Anschluss wird genauer auf das thematische Abstraktionsniveau eingegangen, wobei in der definitorischen Festlegung auf den europäischen Themenkomplex zurückgegriffen wird. Es folgen das Attribut Handlungsorientierung in der Sache und die Charakterisierung nach Policy-Typen.

4.1

Definition des europäischen Themenkomplexes

An erster Stelle zielt die Definition des europäischen Themenkomplexes auf die Abgrenzung zu nationalen oder regionalen Themen ab. Zum europäischen Themenkomplex werden alle Angelegenheiten gezählt, die auf der europäischen Ebene Gegenstand der politischen Agenda sind. Diese Angelegenheiten sind entweder auf das Handeln und Wirken auf der supranationalen Ebene oder auf die mitgliedstaatliche Ebene ausgerichtet. Die Festlegung des Themenkanons erfolgt unabhängig von einer Kompetenzordnungslogik, wonach es ausschließliche Kompetenzen der EU, geteilte Zuständigkeiten zwischen der EU und den Mitgliedstaaten gibt, und auch Bereiche, für die die Kompetenzen bei den Mitgliedstaaten verbleiben. Da letzteres nicht ausschließt, dass Mitgliedstaaten in diesen Angelegenheiten dennoch kooperieren und infolgedessen dann auch bei diesen Angelegenheiten von europäischen Themen gesprochen werden kann, wird die Kompetenzordnung als nicht hilfreich für die Definition des Themenkanons betrachtet. Anschaulichstes Beispiel hierfür ist die Steuerpolitik, für die die ausschließliche Kompetenz bei den Mitgliedstaaten liegt. Die Mitgliedstaaten kooperieren dennoch in Steuerangelegenheiten miteinander, beispielsweise indem Korridore für Körperschafts-, Mehrwert- oder

4.1 Definition des europäischen Themenkomplexes

71

Tabaksteuersätze vereinbart werden, um unter anderem ein Race-to-the-Bottom innerhalb der Gemeinschaft zu begrenzen. Wie in der Diskussion des Forschungsstands reflektiert, lassen sich die europäischen Angelegenheiten in die zwei groben Kategorien EU-Polity- und EU-Policy-Themen abgrenzen (vgl. Abschnitt 2.1.1). Während mit diesen beiden Kategorien durchaus die substantiellen Unterschiede zwischen Polity und Policy aufgegriffen werden, umfasst die Polity-Kategorie sehr unterschiedliche Aspekte: Neben der Kompetenzordnung zählen hierzu die geografische Erweiterung und letztlich weitere Integrationsschritte (Mair 2000: 45). Diese Punkte berühren die grundsätzliche Verfasstheit der EU auf sehr unterschiedliche Weise, was unter anderem die politische Debatte „Vertiefung vs. Erweiterung“ verdeutlicht.2 Im Rahmen dieser Arbeit wird deshalb die Polity-Kategorie differenzierter aufgefächert: Als erstes wird explizit das Europäische Vertragswerk aufgenommen, welches die Grundlagen der Zusammenarbeit innerhalb der EU kodifiziert. Davon abgegrenzt wird das institutionelle Design, wozu sämtliche Aspekte der Kompetenzordnung zählen, die nicht unmittelbar im Kontext zum Primärrecht stehen bzw. in diesen Kontext gesetzt sind. Als drittes wird hier die geografische Erweiterung aufgenommen. Auch die EU-Policy-Kategorie wird hier a priori in zwei Handlungs- bzw. Wirkungsbereiche differenziert. Der erste Bereich stellt die europäische Politikgestaltung dar, welche sämtliche Maßnahmen in den diversen Politikfeldern erfasst, die auf der supranationalen Ebene entwickelt, verhandelt und entschieden werden. Die nationale Politikgestaltung im europäischen Kontext markiert den zweiten Wirkungsbereich und erfasst allgemein die den europäischen Entscheidungen zeitlich nachgelagerten Politikprozesse auf der nationalen Ebene. Damit greift dieser Bereich den Anwendungsvorrang europäischen Unionsrechts 2

Interessanterweise spiegelt sich diese Trennung nicht vollends in den empirischen Analysen der Politikformulierung von Parteien wider. Dies ist durchaus verwunderlich, da die Trennung nicht nur kennzeichnend für die politischen Debatten der Parteien, sondern auch in den akademischen Kreisen ist. So bleibt eine Differenzierung in den Chapel-Hill-Befragungen von Expertinnen und Experten aus (Hooghe et al. 2002, 2004; Marks et al. 2007; Hooghe et al. 2010; Bakker et al. 2015). In den Manifesto-Studien wird der Themenbereich der geografischen Erweiterung unter EU-Integration subsumiert (In Studien, die auf dem CMPKategoriensystem aufbauen, fällt das Erweiterungsthema in die Inhaltskategorien „European integration positive“ bzw. „European integration negative“ (108, 110) (Volkens 2002; Werner et al. 2011). Während wiederum das Erweiterungsthema im Euromanifesto-Projekt in der Kategorie des Politischen Systems (Subkategorien 316, 317) abgebildet ist (Wüst und Volkens 2003)). Dies wirft nicht nur Fragen zur zugrundeliegenden Integrationsdefinition auf, sondern sollte stärker in die Diskussionen über die Reliabilität verschiedener Messverfahren zur EU-Integrationsdimension einfließen.

72

4

Politische Themen: Zugrundeliegendes Konzept …

gegenüber dem nationalen Recht auf. Konkret folgt daraus, dass europäische Policy-Entscheidungen in den nationalen Rechtsrahmen implementiert werden müssen und ergo Gegenstand von politischen Entscheidungen auf der nationalen Ebene sind. Des Weiteren fällt auch darunter, dass die Europäische Kommission gegenüber den Mitgliedstaaten eine Aufsichtsfunktion ausübt, die beispielsweise im Rahmen diverser Genehmigungs- und Prüfverfahren staatlicher Beihilfen besteht oder sich auf die angemessene Implementierung europäischen Rechts in den nationalen Rechtsrahmen bezieht. In Summe werden also hier politische Themen zum europäischen Themenkomplex gezählt, wenn sie einen der fünf Handlungs- bzw. Wirkungsbereiche berühren: (1) Europäisches Vertragswerk, (2) Institutionelles Design, wozu unter anderem alle Aspekte der Kompetenzordnung gehören und die Angelegenheiten europäischer Institutionen erfasst sind, die nicht unmittelbar im Kontext der Entwicklung des Primärrechts stehen bzw. betrachtet werden. Dazu gehört auch die Zusammenarbeit zwischen Mitgliedstaaten, die nicht unmittelbar im Zusammenhang mit einer spezifischen Policy-Maßnahme steht, (3) Geografische Erweiterung, (4) Europäische Politikgestaltung, die sämtliche legislative und judikative Maßnahmen auf der europäischen Ebene zu europäischen Politiken beinhaltet (Policy) und (5) Nationale Politikgestaltung im direkten europäischen Kontext, wozu die wahrgenommene Aufsichtsfunktion europäischer Institutionen über nationale Politikgestaltung (z. B. im Bereich staatlicher Beihilfen) und die Implementierung des europäischen Rechts zählen. Unumwunden weist die Abgrenzung der ersten beiden Wirkungsbereiche eine gewisse Schwäche auf, da letztlich beide die EU-Integration in ihrem engeren Verständnis beschreiben, nämlich verstanden als „Entstehung und Weiterentwicklung des EU-Institutionengefüges“ (Eising 2006: 394), und beide Formulierung der gemeinsamen Ziele oder Zukunftsvisionen der politischen Integration erfassen. Letztlich sind sie auf den ersten Blick nicht trennscharf, da im Grunde genommen alle Grundlagen zum institutionellen Design im Vertragswerk kodifiziert sind bzw. werden müssen. Sinnvoll ist die thematische Auffächerung dennoch, da sie ermöglicht, die politische Kommunikation zum bestehenden Vertragswerk oder zu laufenden

4.2 Thematisches Abstraktionsniveau: Von spezifischen Einzelthemen …

73

Vertragsverhandlungen von der restlichen politischen Kommunikation zum institutionellen Design der EU analytisch zu trennen und den Fragestellungen nach der Orientierung der Themenselektion an der europäischen Handlungsagenda nachzugehen. Ferner verschließt diese Auffächerung keineswegs die Möglichkeiten, in der Analyse auch den (aggregierten) Blick auf Polity- und Policy-Themen einzunehmen.

4.2

Thematisches Abstraktionsniveau: Von spezifischen Einzelthemen bis hin zu Themenbereichen

Themen unterscheiden sich in ihrem Abstraktionsniveau, d. h. je nach thematischer Konkretisierung verändert sich die Breite eines aufgegriffenen Anliegens.3 Im Rahmen dieser Arbeit spielt die thematische Konkretisierung eine besonders große Rolle. Denn wenn erwartet wird, dass sich Parteien mit der tagtäglichen europäischen Politikgestaltung beschäftigen, dann impliziert dies ein Aufgreifen der spezifischen Angelegenheiten mit einer hohen thematischen Konkretisierung. Das variierende Abstraktionsniveau resultiert aus der Veränderung des inhaltlichen Umfangs, der mit einem (politischen) Thema erfasst wird (siehe auch Budge und Farlie 1983: 26–28). Darauf aufbauend lässt sich zunächst eine dreistufige Abgrenzung von Themen hinsichtlich ihres Abstraktionsniveaus definieren: (a) spezifische Einzelthemen, (b) Politikfelder und (c) Themenbereiche, wobei das Abstraktionsniveau von (a) bis (c) zunimmt. Diese drei Gruppen stehen insofern in einem Zusammenhang als dass durch „issue grouping“ sich die Themen (a) in (b) wiederfinden und Themen (b) wiederum in unterschiedlicher Kombination Themen (c) bilden. Das geringste Abstraktionsniveau liegt vor, wenn spezifische Einzelthemen (single issues) betrachtet werden, etwa als spezifische Kampagnenthemen von Parteien (Budge und Farlie 1983: 28), als einzelnes Gesetzesvorhaben oder politisches Vorhaben (Klüver 2009). Werden indes Politikfelder als Themen und damit als Analyseebene definiert, wie als prinzipielle Unterteilung im Policy Agenda Project (PAP) (Baumgartner et al. 2013) bzw. im darauf aufbauenden Comparative Agendas Project

3

Bereits Budge und Farlie (1983: 26–28) weisen in ihren Überlegungen zu salienten Themen darauf hin, dass Themen eine unterschiedliche Breite aufweisen, wenngleich diese Überlegungen zur thematischen Breite in ihrer durchgeführten Analyse keine Rolle spielen. Auch in dem späteren, darauf aufbauenden CMP-Projekt wird dieser Unterschied der Themen nicht weiter diskutiert und erfährt keinerlei Berücksichtigung bei der Entwicklung der Kategorien.

74

4

Politische Themen: Zugrundeliegendes Konzept …

(CAP) angewandt, liegt ein mittleres Abstraktionsniveau vor. Für die zugrundeliegende definitorische Abgrenzung der Politikfelder wird beispielsweise auf Zuständigkeitsbereiche von Ministerien (Schmitt 2008; Baumgartner et al. 2013) zurückgegriffen. Die thematische Abstraktion muss nicht ausschließlich auf Politikfelder fokussiert bleiben. So verwenden oben genannte Autoren von PAP/CAP zusätzlich Subthemen innerhalb der Politikfelder, sodass sie die Analyseperspektive zwischen Sub- und Hauptthemen der Politikfelder wechseln können (ausführlicher dazu die Diskussionen in Kapitel 8, Abschnitt 8.2.1.1). Das höchste Abstraktionsniveau liegt vor, wenn Themenbereiche analysiert werden, die politikfeldübergreifend konstruiert sind. Für dieses „issue grouping“ werden entweder Politikfelder zu einer größeren Kategorie zusammengefasst oder übergreifende Wertedimensionen konstruiert. So greift etwa die obige Definition des europäischen Themenkomplexes auf dieses issue grouping für das Festlegen der fünf Handlungs- bzw. Wirkungsbereiche europäischer Angelegenheiten zurück (insbesondere bei der europäischen Politikgestaltung). Auf dem Abstraktionsniveau der Themenbereiche sind die meisten politikwissenschaftlichen Analysen angesiedelt, die sich mit Salienzen und PolicyPositionen von Parteien beschäftigen und dafür „breite“ Kategorien wie etwa Wirtschaft, Sozialsystem oder Außenpolitik bilden (Laver und Garry 2000; Volkens 2002; Laver et al. 2003; Wüst und Volkens 2003; Benoit und Laver 2010; Werner et al. 2011). Zum prominenten CMP-Kategoriensystem (Werner et al. 2011) ist anzumerken, dass es sich aus Kategorien zusammensetzt, die Themen auf unterschiedlichen Abstraktionsniveaus erfassen und hierbei aber unreflektiert bleibt, auf welchem Niveau die Datengewinnung respektive -analyse angesiedelt ist: Zum einen wird sich des Abstraktionsniveaus von Politikfeldern bedient (z. B. Umweltpolitik (Kat. 501) oder Handelspolitik (Kat. 406, 407)). Zum anderen werden Themenbereiche gebildet, die etwa in der Wirtschaftspolitik unterschiedliche Aspekte der Politikfelder Geld-, Haushalts-, Unternehmens- oder Steuerpolitik zusammenfassen (Kat. 401, 414). Eine Reflexion des angewandten Abstraktionsniveaus von Themen erfolgt in der Literatur relativ selten (Kritik auch bei Dolezal et al. 2014). Diskutiert wird es vorrangig in Arbeiten, die sich mit der Vergleichbarkeit von gemessenen bzw. geschätzten Policy-Positionen mittels verschiedener Datenerhebungsmethoden auseinandersetzen und hierbei vor allem auf den Zuschnitt thematischer Kategorien eingehen (Bräuninger et al. 2013: 9). Das Fehlen der umsichtigen Reflexion des Abstraktionsniveaus wird indes zu einem Problem, wenn sich die Analyseebene von der Datenerhebungsebene unterscheidet und die Gefahr logischer Fehlschlüsse besteht (u. a. Lauth et al. 2009: 191–195; Schnell et al. 2011; Jahn 2013: 184–185). Das ist beispielsweise dann der Fall, wenn Aussagen über

4.2 Thematisches Abstraktionsniveau: Von spezifischen Einzelthemen …

75

die thematischen Kernkompetenzen von Parteien auf der Grundlage der CMPDaten getroffen werden, obwohl Parteien ihre Kernkompetenzen stärker anhand spezifischer Politikfelder (Themengruppe b) definieren als in Themenbereichen (Themengruppe c). Angewandt auf die deutschen Parteien ließe sich etwa die Kernkompetenz von Bündnis90/Die Grünen aufzeigen (Umweltpolitik), aber nicht Steuerpolitik als gewählte Kernkompetenz der FDP. Diese kurze Diskussion verdeutlicht, dass die Reflexion des thematischen Abstraktionsniveaus unabdingbar für die Einordnung der Erklärungskraft ist und deshalb im Rahmen dieser Arbeit systematisch Berücksichtigung findet. Dafür wird der variierende Konkretisierungsgrad von politischen Themen bewusst in die Operationalisierung aufgenommen und ist leitgebend für die Strukturierung der Datenerhebung sowie der Datenanalyse. Im Gegensatz zu einer Vielzahl empirischer Studien werden die unterschiedlichen Abstraktionsniveaus bei der Datenerhebung berücksichtigt, d. h. es fließen spezifische Einzelthemen als solche ein, und erst mit der Datenanalyse erfolgt die Festlegung, auf welchem thematischen Abstraktionsniveau Aussagen getroffen werden. Der Vorteil des Auf- und Absteigens der Abstraktionsleiter (in Anlehnung an Sartori 1970) liegt in den weiterführenden Erkenntnissen, wie Parteien und ihre innerparteilichen Akteure mit dem europäischen Themenkomplex umgehen. So steht etwa ein Aufgreifen spezifischer Einzelthemen durchaus für eine weitaus tiefergehende bzw. andere Einbettung der europäischen Entscheidungsebene in den Beobachtungs- und Handlungsraum (Aktionsradius) von nationalen Parteien als etwa das Aufgreifen globaler Aussagen zu einem europäischen Politikfeld. Zudem manifestiert sich in den Einzelthemen wesentlich stärker das theoretische Argument des Unterstreichens von Policy-Kompetenz. Zusammengeführt resultiert diese Diskussion in einer Operationalisierung politischer Themen, die auf vier thematischen Abstraktionsniveaus beruht. Diese vier Niveaus bzw. Stufen sind im Detail wie folgt definiert: – spezifische Einzelthemen, die ein geringes Abstraktionsniveau bzw. einen hohen thematischen Konkretisierungsgrad aufweisen, – Subthemen innerhalb von Politikfeldern, die ein mittleres Abstraktionsniveau bzw. einen mittleren thematischen Konkretisierungsgrad aufweisen, – Politikfelder, die ebenfalls ein mittleres thematisches Abstraktionsniveau abbilden, wenngleich höher als das der Subthemen, und – Themenbereiche, welche mindestens zwei Politikfelder logisch miteinander verknüpfen und gruppieren und dabei ein hohes Abstraktionsniveau bzw. einen geringen thematischen Konkretisierungsgrad aufweisen.

76

4

Politische Themen: Zugrundeliegendes Konzept …

Die spezifischen Einzelthemen bzw. Subthemen lassen sich Politikfeldern zuordnen, die wiederum zu Themenbereichen gruppiert werden können. In Abhängigkeit von der Position auf dieser „Abstraktionsleiter“ (Sartori 1970) lassen sich Aussagen in unterschiedlicher Reichweite treffen. Hintenangestellt bleibt an dieser Stelle eine detaillierte Festlegung der Politikfelder. Diese erfolgt in Abschnitt 8.2.1, wenn ausführlicher auf die Datenerhebung und das dafür zugrundeliegende Kategoriensystem eingegangen wird. Entscheidender an dieser Stelle ist vielmehr, wie sich diese thematische Abstraktion nun in Relation zu den oben genannten fünf Handlungs- bzw. Wirkungsbereichen europäischer Angelegenheiten verhält. Da sich die beschriebene Diskussion der Bewegung auf der thematischen Abstraktionsleiter relativ stark an der gut strukturierten Politikfeldlogik orientiert und vor allem hier von großem Wert ist, muss bei der Übertragung auf die fünf Handlungsbereiche europäischer Angelegenheiten tiefgründig nach logischen funktionalen Äquivalenten4 gesucht werden. Denn die Abgrenzung der fünf Handlungsbereiche greift auf das thematische Abstraktionsniveau eines Themenbereichs zurück, es liegt aber nicht mit jedem Handlungsbereich auch ein Themenbereich vor. So fassen die Bereiche des Europäischen Vertragswerks und der Geografischen Erweiterung jeweils verschiedene Verträge bzw. Erweiterungsrunden zusammen, verknüpfen dabei nicht verschiedene Bereiche miteinander. Vielmehr sind diese Handlungsbereiche im Gegensatz zu den anderen auf dem analytischen Abstraktionsniveau der Politikfelder anzuordnen. Erst bei einer Verknüpfung dieser beiden Handlungsbereiche zum Bereich der europäischen Finalitätsfragen läge ein Themenbereich vor, der auf einer logischen Verknüpfung beruht. Darüber hinaus lassen sich auch nicht innerhalb jedes dieser fünf Bereiche funktionale Konstrukte für die thematischen Abstraktionsstufen finden (siehe Tabelle 4.1). Auch wenn hierfür die Ursache – entweder gibt es tatsächlich Themen, die in dieser Logik nicht alle Abstraktionsstufen durchschreiten oder ein mögliches funktionales Äquivalent blieb unentdeckt – nicht geklärt werden kann, schmälert dies keineswegs den analytischen Wert der hier vorgenommenen Abstufung der thematischen Abstraktion.

4

Mit der funktionalen Äquivalenz wird allgemein herausgestellt, dass Konzepte in unterschiedlichen Kontexten in ähnlichen Beziehungen zueinander stehen (van Deth 1998: 8).

4.2 Thematisches Abstraktionsniveau: Von spezifischen Einzelthemen …

77

Tabelle 4.1 Die vierstufige thematischen Abstraktion in Anwendung auf den europäischen Themenkomplex und ihre Relevanz für die Datenerhebung und Datenanalyse Abstraktions-stufen

Definition

Ankerbeispiele für die fünf Handlungs- und Wirkungsbereiche innerhalb des EU-Themenkomplexes

Verwendung

1. Stufe der Abstraktion

Einzelmaßnahme und Einzelthemen

(1) Europäisches Datenerhebung, Vertragswerk Datenanalyse ein EU-Vertrag und ggf. seine Detailaspekte (2) Institutionelles Design einzelne institutionelle Aspekte einer Institution oder einzelne Kompetenzprinzipien (3) geografische Erweiterung Beitritt eines EU-Landes und ggf. einzelne Schritte des Beitritts (4) und (5) Policy-Making einzelnes legislatives Verfahren und ggf. Detailaspekte

2. Stufe der Abstraktion

Subthemen innerhalb eines Politikfeldes

(1) Europäisches Datenerhebung Vertragswerk – nicht abbildbar – (2) Institutionelles Design Aussagen zu einer EU-Institutionen oder EU-Institutionen-Gruppe allgemein (3) geografische Erweiterung eine Erweiterungsrunde (4) und (5) Policy-Making Schwerpunkte innerhalb eines Politikfelds, z. B. Klimapolitik im Politikfeld Umweltpolitik (Fortsetzung)

78

4

Politische Themen: Zugrundeliegendes Konzept …

Tabelle 4.1 (Fortsetzung) Abstraktions-stufen

Definition

Ankerbeispiele für die fünf Handlungs- und Wirkungsbereiche innerhalb des EU-Themenkomplexes

Verwendung

3. Stufe der Abstraktion

Politik- bzw. Handlungsfeld mit klarer Abgrenzung zu anderen Themen

(1) Europäisches Vertragswerk EU-Vertragsgestaltung allgemein (2) Institutionelles Design EU-Institutionen allgemein (3) geografische Erweiterung EU-Erweiterung allgemein (4) und (5) Policy-Making z. B. Umweltpolitik

Datenerhebung, Datenanalyse

4. Stufe der Abstraktion

Themenbereich, der mehrere Politikfelder logisch miteinander verbindet

Verbindung bzw. Gruppieren von Politikfeldern innerhalb Handlungsbereich 4

Datenanalyse

Quelle: eigene Darstellung.

Leitgebend ist diese Operationalisierung des thematischen Abstraktionsniveaus für Datenerhebung und Datenauswertung. Die Datenerhebung orientiert sich daran, die angesprochenen Themen auf dem jeweils artikulierten Abstraktionsniveau zu erfassen (dazu ausführlich Kapitel 8), sodass hierfür ausschließlich die drei Abstraktionsstufen spezifische Einzelthemen, Subthemen innerhalb von Politikfeldern und Politikfelder zum Einsatz kommen. Das Abstraktionsniveau des Themenbereichs als logisches Gruppieren von mindestens zwei Politikfeldern spielt erst in der Datenanalyse eine Rolle. Insgesamt fließen in die Datenanalyse drei Abstraktionsstufen (Einzelthemen, Politikfelder und Themenbereiche) ein (dazu ausführlich Kapitel 5 und Kapitel 9).

4.3 Handlungsorientierung in der Sache als Attribut politischer …

4.3

79

Handlungsorientierung in der Sache als Attribut politischer Themen

Abgeleitet aus der theoretischen Argumentation ist ein weiteres inhaltliches Attribut von politischen Themen relevant. Politische Themen unterscheiden sich hinsichtlich ihrer Handlungsorientierung in der Sache. In Anlehnung an Begriffe des Unternehmensmanagement und Unternehmensplanung (Steinmann und Schreyögg 2000; Vahs und Schäfer-Kunz 2007) wird hier in strategische und operative Themen unterteilt.5 Strategische Themen beinhalten einen grundsätzlichen Orientierungsrahmen für Polity und Policy, während operative Themen eine konkrete Umsetzung von Sachverhalten umfassen.6 Damit ist dieses Merkmal ergänzend zur klassischen Abgrenzung zwischen europäischen Polity- und Policy-Themen (Mair 2000; Schmitt 2009: 139) zu verstehen. Um diese grundsätzliche Abgrenzung politischer Themen hinsichtlich ihrer Handlungsorientierung mit Leben zu füllen, ein Blick auf den europäischen Themenkomplex: die europäischen Verträge oder Fragestellungen zur geografischen Erweiterung markieren strategische Polity-Themen, d. h. darunter fallen die Themen, die unmittelbar die Finalitätsfragen der EU berühren. Ferner gibt es auch für die Politikbereiche strategische Themen, wenn sie die Grundlagen bzw. die Weichen für die zukünftige Ausrichtung der Policy beinhalten. Die Festlegung strategischer Policy-Themen fußt auf der Expertise, die auf dem Studium der Sekundärliteratur und der EU-Kommissionsangaben beruht. Zunächst zählen sämtliche Grün- und Weißbücher der Europäischen Kommission, weitere Strategiepapiere, die in einzelnen Politikbereichen die inhaltliche Agenda ggf. für einen befristeten Zeitraum festlegen (z. B. die Lissabon-Strategie) und Aussagen zur prinzipiellen Harmonisierung spezifischer Politikfelder zu den strategischen EU-Policy-Themen. Darüber hinaus beinhalten herausragende Einzelthemen bzw. -entscheidungen eine strategische Handlungsorientierung, z. B. 5

In der Unternehmensplanung wird zudem von taktischer Planung gesprochen, die als Zwischenstufe zwischen der operativen und strategischen Planung fungiert. Auf eine Analogie für die Handlungsorientierung politischer Themen wird hier verzichtet, da die Abgrenzungsmöglichkeiten sehr diffus werden. 6 Nicht gleichzusetzen ist die Handlungsorientierung mit einem zeitlichen Horizont: auch wenn strategische Themen durchaus eine langfristige Perspektive einnehmen können (wie etwa in den Finalitätsfragen der Europäischen Union), können auch strategische Fragen an eine kurzfristige Handlungsperspektive/-planung geknüpft sein (siehe hierzu die Diskussion im Managementbereich von Steinmann/Schreyögg (2000: 149), die sich von anderen Autoren (wie beispielsweise Vahs und Schäfer-Kunz 2007: 242–243) abgrenzen).

80

4

Politische Themen: Zugrundeliegendes Konzept …

Agrarreformen, Forschungsrahmenprogramme, die den finanziellen und damit strategischen Rahmen für die Ausrichtung der europäischen Forschungspolitik setzen oder die Richtlinien zum Schaffen des europäischen Strombinnenmarktes. Die legislativen Entscheidungsprozesse zu einzelnen Richtlinien bzw. Verordnungen oder exekutive Entscheidungen über staatliche Beihilfen indes markieren die operativen Themen innerhalb des europäischen Themenkomplexes. Die Beispiele verdeutlichen, dass sich die Handlungsorientierung der politischen Themen in Relation zur europäischen Ebene ergibt, also die strategische bzw. operative Bedeutung exogen für die nationalen Parteien gegeben ist. Zudem illustrieren die Beispiele, dass die Festlegung der Handlungsorientierung auf der 1. Stufe (Einzelthemen) und 2. Stufe (Subthemen) der thematischen Abstraktion erfolgt. Es lässt sich indes nicht ganz von der Hand weisen, dass die Abgrenzung zwischen operativer und strategischer Ausrichtung insbesondere bei den PolicyThemen nicht immer trennscharf ist und hier von Expertinnen und Experten durchaus unterschiedliche Bewertungen vorgenommen werden können. Die Konsequenzen aus einer ggf. Trennunschärfe sind allerdings für das hier verfolgte Forschungsanliegen weniger dramatisch, da die Kategorisierung der Themen unabhängig von den Äußerungen der Parteien erfolgt und demzufolge potenzielle Verzerrungen auf alle analysierten politischen Aussagen zum europäischen Themenkomplex (gleichgerichtet) wirken. Insgesamt soll mit dem Merkmal der Handlungsorientierung politischer Themen und seiner Abgrenzung in strategisch vs. operativ zwei zentrale Gedanken abgebildet werden: Als erstes greift dieses Merkmal auf, dass sich politische Themen qualitativ in ihrer Handlungsorientierung unterscheiden und diese Handlungsorientierung zweitens exogen für die Parteien vorliegt, und zwar unabhängig davon, ob das Thema für die Partei wichtig ist. Dieses Verständnis unterscheidet sich damit komplett von der Bedeutung strategischer Themen im Issue-Ownership-Ansatz, wonach sich strategische Themen aus den jeweiligen Parteipräfenzen ableiten und infolgedessen unterschiedlich für die Parteien aussehen (Petrocik 1996).

4.4

Zusätzliche Charakterisierung europäischer Themen nach Policy-Typen

In der theoretischen Argumentation, die auf die eben vorgestellte Abgrenzung zwischen strategischen und operativen Themen abzielt, wird auch am Rand aufgegriffen, dass politische Angelegenheiten unterschiedlichen Policy-Typen zugeordnet sind (1964, 1972). Diese zusätzliche Charakterisierung soll an dieser Stelle genauer beleuchtet werden. Auch wenn der Fokus auf strategisch bzw. operative Themen gerichtet ist, wird diese zusätzliche Charakterisierung in der

4.4 Zusätzliche Charakterisierung europäischer Themen …

81

empirischen Analyse aufgenommen und explorativ betrachtet, ob und inwiefern bestimmte Policy-Typen eine Rolle bei der innerparteilichen Themenselektion spielen. Die verschiedenen Policy-Typen spielen insbesondere in der (EU-) Politikfeldforschung eine herausragende Rolle, um so letztlich den Facettenreichtum im Politikportfolio abzubilden. Bezogen auf das EU-Policy-Making werden neben der Kategorisierung des Policy-Typs nach Lowi etwa bei Pollack (1994, 2000) oder Nugent (2006) die verschiedenen Policy-Modi als Abgrenzung angewandt (Wallace et al. 2005: 77–89).7 Auch für die Parteienforschung ist die Abgrenzung nach Policy-Typen relevant, da insbesondere die distributive Politiken und den durchaus resultierten Verteilungskonflikten entscheidend für den politischen Wettbewerb sind. Die Unterteilung europäischer Politikgestaltung in die vier Policy-Typen distributiv, restributiv, regulativ und konstituierend bzw. institutionell nach Lowi (1972: 300) wurde unter anderem von Pollack (1994) und Nugent (2006) aufgegriffen. Während die Definitionen regulativer Policy, also die Festlegung von Regeln für die Aktivitäten öffentlicher und privater Akteure (Pollack 1994: 110) und institutioneller Policy, d. h. Entscheidungen, die die generelle institutionelle und geografische Architektur der EU beinhalten (Bulmer 1994: 6, nach Pollack 1994: 113), eingängig sind, bietet die Abgrenzung zwischen redistributiver und distributiver Policy im EU-Kontext weniger Klarheit. Beide Typen beinhalten die Verteilung bzw. die Allokation finanzieller Ressourcen, wobei die redistributive Verteilung auf einen grundsätzlichen Transfer von Ressourcen abzielt, welches einem Null-Summenspiel gleichkommt und am Ende Gewinner (Netto-Empfänger) sowie Verlierer (Netto-Zahler) vorliegen, und die distributive Politik hingegen auf die Verteilung innerhalb eines Sektors abzielt (Pollack 1994: 111–112). Problematisch ist, dass eben auch die finanzielle Allokation innerhalb von Politikfeldern in einem gewissen Maße redistributiv bleibt, da es weiterhin Gewinner und Verlierer gibt, was Pollack für die Ausgaben in der Agrarpolitik und anderen Programmen feststellt (ebd., 112). Darüber hinaus attestiert 7

Mitunter wird auch die formale Kompetenzverteilung in den Mittelpunkt gerückt (Börzel 2005), denn der sukzessive Kompetenzausbau steht nicht für eine alleinige europäische Zuständigkeit in den Politikfeldern. Vielmehr existiert ein komplexes Geflecht aus ausschließlichen Zuständigkeiten der EU und geteilten Zuständigkeiten mit den Mitgliedstaaten, ergänzt von Bereichen, in denen die EU die Politik der Mitgliedstaaten in einzelnen Bereichen unterstützt und/oder ihre Koordination fördert. Diese variierende formale Kompetenzverteilung zwischen Mitgliedstaaten und Europäischer Union bei den verschiedenen Politikfeldern bleibt im Rahmen dieser Arbeit unberücksichtigt. Das bedeutet aber nicht, dass diese nicht intervenierend auf die Themenselektion wirken kann. Dieser Aspekt muss auf zukünftige Forschungsarbeiten vertagt werden.

82

4

Politische Themen: Zugrundeliegendes Konzept …

Nugent, dass der distributive Policy-Typ kaum eine Rolle auf der europäischen Ebene spielt (2006: 386). Aus diesen Gründen findet eine auf drei Policy-Typen reduzierte Unterteilung Anwendung: (1) distributive Policy, hier definiert als allgemeine finanzielle Allokation zwischen den Mitgliedstaaten, den Politikfeldern oder innerhalb von Politikfeldern, (2) regulative Policy und (3) institutionelle Policy. Während diese Reduktion auf eine klarere Abgrenzung zwischen den Typen abzielt, wird auf eine andere, in der Literatur gängige „Vereinfachung“ verzichtet: die Verortung von Politikfeldern in der Policy-Typologie. Denn in der Regel setzen sich einzelne Sektoren aus verschiedenen distributiven, regulativen und ggf. institutionellen Komponenten zusammen (siehe auch die Anmerkung bei Pollack 1994: 114). So steht beispielsweise die Gemeinsame Agrarpolitik durchaus für eine Verteilung europäischer Finanzmittel, zugleich trifft die EU eine Vielzahl von Entscheidungen über die Regulierung von Standards im Agrarsektor, z. B. Tierhaltungsregeln. Infolgedessen geht die praktizierte „Vereinfachung“ mit einer Vielzahl von Abwägungs- und Bewertungsprozessen bzw. -problemen einher, ob ein Politikfeld nun eher einen distributiven oder regulativen Typ aufweist. Diese Problematik wird besonders ausführlich bei der Kategorisierung des Politikfelds Außenpolitik diskutiert (Lowi 1964: 689, Fußnote 17; Stetter 2004), enthält es doch distributive, regulative und institutionelle Komponenten (Lowi 1967, nach Pollack 1994: 109), die erst auf einem thematischen Abstraktionsniveau unterhalb des Politikfelds identifizierbar sind. Deshalb erfolgt hier der Rückgriff auf Lowi’s originäres Vorgehen (1972), Subthemen innerhalb von Politikfeldern nach dem Policy-Typ zu kategorisieren. Diese Kategorisierung wird im Rahmen dieser Arbeit zusätzlich auf die spezifischen Einzelthemen angewandt.

4.5

Zusammenfassung

Mit diesem Kapitel sind die zentralen Attribute von politischen Themen definiert. Kennzeichnend für das vorgestellte Konzept ist die systematische Berücksichtigung, dass neben der inhaltlichen Spezifikation (Was sind europäische Themen?) dem thematischen Abstraktionsniveau von politischen Themen eine entscheidende Bedeutung zukommt. Denn das thematische Abstraktionsniveau sollte bei der Interpretation der gewonnenen empirischen Ergebnisse stärker berücksichtigt werden. Des Weiteren zeigt sich, dass weitere thematische Attribute wie die Handlungsorientierung und der Policy-Typ in Abhängigkeit vom thematischen Abstraktionsniveau erst bestimmbar bzw. leichter bestimmbar sind. Folglich ist das thematische Abstraktionsniveau prägend sowohl für die Datenerhebung und die Datenanalyse als auch für die Konzeption der innerparteilichen Politikartikulation (abhängige Variable).

5

Politische Themen in der Parteiorganisation: Konzeptspezifikation und Operationalisierung der abhängigen Variablen Das empirische Forschungsinteresse richtet sich auf den Umgang mit europäischen Themen in der Politikartikulation nationaler Parteien und ihrer innerparteilichen Akteure. Dafür wird in der theoretischen Argumentation die Themenselektion als Ausdruck von Politikpräferenzen konzipiert, die im Kontext einer Bereitstellung verschiedener immaterieller Güter und variierender Aufgaben- und Ressourcenausstattung zu verstehen sind. Zudem greift die theoretische Argumentation auf vielfältige Perspektiven im Umgang mit europäischen Themen zurück, anhand derer die Politikartikulation eingebettet in eine Parteiorganisation deutlich wird. So wird etwa thematisiert, ob und für welche europäischen Themen sich die innerparteilichen Akteure entscheiden und welche Bedeutung diese Themen für die Akteure haben. Es werden unterschiedliche Themenattribute bis hin zur thematischen Ähnlichkeit der Parteiorganisation diskutiert. Dieses Kapitel führt ein dreidimensionales Analysegerüst ein, welches diese verschiedenen Facetten der Politikartikulation bzw. der Themenselektion in der Parteiorganisationsperspektive schlüssig abbildet und damit den Ausgangspunkt für die Operationalisierung der abhängigen Variablen bietet. Ziel ist also, den analytischen Ausgangspunkt für die verschiedenen Facetten zu liefern. Hingegen ist es kein Ziel, diese verschiedenen Facetten als Indikatoren zu einem Index zusammenzuführen, der den Umgang mit den europäischen Themen abbildet. Nachfolgend werden zunächst die drei Dimensionen des Analysegerüsts vorgestellt. Im Anschluss wird präsentiert, wie das Analysegerüst zum Einsatz kommt, um die verschiedenen Facetten von Politikartikulation abzubilden. Dabei spielt wiederum das zuvor diskutierte thematische Abstraktionsniveau eine wichtige Rolle.

© Der/die Autor(en), exklusiv lizenziert durch Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2021 S. John, Europäische Themen in deutschen Parteiorganisationen, Empirische Studien zur Parteienforschung, https://doi.org/10.1007/978-3-658-34797-0_5

83

84

5.1

5

Politische Themen in der Parteiorganisation: Konzeptspezifikation …

Das dreidimensionale Analysegerüst

Das dreidimensionale Analysegerüst bildet das Fundament für die Operationalisierung der Politikartikulation in der Parteiorganisationsperspektive. Es greift dafür zunächst auf zwei Dimensionen zurück, die in Anlehnung an das grundlegende politikwissenschaftliche Konzept der Salienz (Humphreys und Garry 2000: 2) als zentral für das Erfassen der Themenselektion eines politischen Akteurs betrachtet werden. Als erstes ist grundsätzlich die Entscheidung eines politischen Akteurs für ein Thema zu berücksichtigen, da mit jeder Entscheidung für bzw. gegen ein bestimmtes Thema Präferenzen des politischen Akteurs deutlich werden (Humphreys und Garry 2000: 16). So bildet die Themenabdeckung als erste Dimension ab, welchen Themen ein Akteur überhaupt Aufmerksamkeit schenkt. Als zweites ist entscheidend, wie viel Aufmerksamkeit ein politischer Akteur den Themen schenkt. Dies wird mithilfe der Stärke der Aufmerksamkeit als zweite Dimension abgebildet. Dabei korrespondiert eine stärkere Aufmerksamkeit mit einer zunehmenden Wichtigkeit des Themas. Mit dem angewandten Parteienkonzept werden Parteien nicht als geschlossene Akteure betrachtet, sondern vielmehr wird hervorgehoben, dass es sich hierbei um kollektive Akteure bestehend aus mehreren innerparteilichen Akteuren handelt. Diese innerparteilichen Akteure stehen in einer Delegationsbeziehung zueinander und äußern sich legitimiert zu den verschiedenen gesellschaftlichen Themen. Werden nun die innerparteilichen Akteure als dritte Dimension hinzugenommen, dann liegt ein analytisches Grundgerüst vor, aus welchem die Analyseperspektiven hervorgehen, um die Politikartikulation zum europäischen Themenkomplex hinsichtlich ihrer inhaltlichen und organisatorischen Komponente zu erfassen. Diese drei Dimensionen lassen sich in einer räumlichen Ansicht zusammenführen, sodass die Politikartikulation im Raum von Themenabdeckung (y-Achse), Stärke der Aufmerksamkeit (z-Achse) und innerparteiliche Akteursdimension (x-Achse) visualisiert und konzeptualisiert ist (siehe Abbildung 5.1). Bevor genauer auf die Politikartikulation in der Parteiorganisation eingegangen wird, wird zuvor der grundlegende Ansatz für die Operationalisierung der drei Dimensionen erläutert.

5.1.1

Dimension der Themenabdeckung

In der Themenabdeckung spiegelt sich die Präferenz der politischen Akteure wider, sich mit bestimmten Themen auseinanderzusetzen, also Entscheidungen für diese Themen getroffen zu haben. Zugleich bildet diese Dimension auch

5.1 Das dreidimensionale Analysegerüst

85

Entscheidungen gegen Themen ab. Unabhängig davon, ob eher von Interesse ist, qualitativ zu beschreiben, welche Themen ausgewählt bzw. nicht ausgewählt werden, oder zu erfassen, wie viele Themen ausgewählt werden und somit die Reichweite der Themenabdeckung zu beschreiben, braucht es eine Festlegung der maximal möglichen Themenabdeckung. Für diesen analytischen Schritt existieren zwei idealtypische Zugänge. Der erste idealtypische Zugang beinhaltet eine exogene Festlegung des Themenspektrums, die sich allgemein an der Themenvielfalt nw innerhalb der Gesellschaft orientiert und sich unabhängig von der Themenauswahl der (beobachteten) politischen Akteure ergibt. Bei Anwendung dieses Zugangs können sowohl Aussagen über die Themenauswahl der politischen Akteure als auch über Themen getroffen werden, die die Akteure nicht aufgreifen. Der Ansatz einer exogenen Themenfestlegung impliziert, blind gegenüber Themen außerhalb dieser Definition zu bleiben. Daraus kann nicht nur eine Verzerrung hinsichtlich der Bewertung der Themenabdeckung resultieren, sondern gegebenenfalls auch in der analytischen Bewertung von Themen hinsichtlich ihrer Bedeutung, also entlang der zweiten Dimension (siehe dazu ausführlich 5.1.2). Der zweite idealtypische Zugang erfasst all die Themen ia des politischen Akteurs Pa , denen er Aufmerksamkeit schenkt. Mit dieser endogenen Festlegung des maximalen Themenspektrums wird die Entscheidung für Themen abgebildet. Die endogene Festlegung bleibt aber blind gegenüber Themen ix , die von Pa nicht beachtet werden. Das endogene Themenspektrum lässt sich etwa durch die Verwendung eines explorativen, offenen Kategoriensystems erfassen (siehe auch Helbling und Tresch 2011). Zugleich wird eine rein endogene Festlegung des maximalen Themenspektrums bereits aufgehoben, sobald mehr als ein politischer Akteur respektive eine Partei betrachtet wird: Denn wird angenommen, dass Partei Pa und Partei Pb aufgrund ihrer Präferenzen jeweils ganz bestimmten Themen Aufmerksamkeit schenken, dann resultiert daraus in Summe eine Themenauswahl beider Parteien, die größer ist als die Themenauswahl einer einzelnen Partei. Folglich ist es auch mit dem endogenen Ansatz möglich, Aussagen darüber zu treffen, welche Themen (im Vergleich zu anderen Parteien) nicht aufgegriffen werden. Hier zeigt sich, wie relevant der gewählte Zuschnitt des maximalen Themenspektrums für die Erklärungsreichweite der darauf aufbauenden empirischen Ergebnisse ist. Folglich ist eine Reflexion des Ursprungs des betrachteten Themenspektrums für eine Einordnung der daraus resultierenden Ergebnisse unabdingbar. Für die vorgesehene Analyse der Politikartikulation von Parteien zum europäischen Themenkanon kommt zum einen eine exogene Festlegung der maximalen Themenabdeckung zum Einsatz: Zunächst werden ausschließlich europäische

86

5

Politische Themen in der Parteiorganisation: Konzeptspezifikation …

Themen beobachtet, was den Ausschluss anderer (nationaler) gesellschaftlicher Themen bedeutet. Der Umfang des maximalen Themenspektrums (in Anzahl der Themen) wiederum leitet sich aus der (exogenen) europäischen Handlungsagenda ab. Sinnvoll ist dieses Vorgehen ausschließlich für Themen auf einem höheren thematischen Abstraktionsniveau, also für Politikfelder und Themenbereiche. Basierend auf dieser exogenen Festlegung kann das beobachtete Ausmaß der Themenabdeckung in der Politikartikulation der innerparteilichen Akteure als grobes Maß für die Adaption der europäischen Agenda verwendet werden. Zum anderen wird mit einem endogenen Zugang auf das Themenspektrum gearbeitet, wenn spezifische Angelegenheiten bzw. Einzelthemen der europäischen Politikgestaltung als Analysegegenstand zum Einsatz kommen. D. h. es werden nur die Einzelthemen analysiert, die tatsächlich von den drei innerparteilichen Akteuren benannt werden. Wie bereits erwähnt, führt die Betrachtung von mehr als einem politischen Akteur dazu, dass auch Aussagen darüber möglich sind, welche Themen im Vergleich zu den anderen Akteuren nicht aufgegriffen werden. Ein weiterreichender Bezug zum gesellschaftlichen Kontext – in diesem Falle die europäische Ebene – ist auf diesem thematischen Abstraktionsniveau indes nicht vorgesehen.

5.1.2

Dimension der Aufmerksamkeitsstärke

Die Stärke der Aufmerksamkeit als zweite Dimension der Themenselektion spiegelt wider, wie viel Aufmerksamkeit ein politischer Akteur den verschiedenen Themen widmet. Eine höhere Aufmerksamkeit für ein Thema verglichen zu anderen Themen wird interpretiert als eine höhere Wichtigkeit dieses Themas verglichen zu den anderen Themen.1 Parallelen zum grundlegenden politikwissenschaftlichen Konzept der Salienz (Humphreys und Garry 2000: 2) sind an dieser Stelle unverkennbar, welches die Wichtigkeit von Themen in den Vordergrund stellt (Wlezien 2005: 555). Auf „Salienz“ als Namensgeberin für die Dimension wurde hier bewusst verzichtet, da die Dimension im angewandten Analysegerüst in erster Linie dazu dient, die variierende Aufmerksamkeit über mehrere Themen hinweg abzubilden. 1

Dieses Verständnis von wichtigen Themen ist nicht zu verwechseln mit salienten Themen basierend auf der Salienz-Theorie, wonach Parteien bestimmte Themen im politischen Wettbewerb im Sinne ihrer ideologisch-programmatischen Orientierung hervorheben bzw. herunterspielen (Budge und Farlie 1983; Budge 2001a).

5.1 Das dreidimensionale Analysegerüst

87

Infolgedessen werden auch Themen bewertet, denen der politische Akteur prinzipiell Aufmerksamkeit schenkt,2 die Themen können jedoch insgesamt eher von geringerer Bedeutung sein und folglich wäre die Bezeichnung der Dimension als Themenwichtigkeit irreführend. Diese Dimension erlaubt aber besonders wichtige Themen zu ermitteln; dafür bedarf es eines klar definierten Vorgehens, wie die abgebildete Stärke der Aufmerksamkeit zu interpretieren ist.

5.1.3

Dimension der innerparteilichen Akteure

Die dritte Dimension bildet die innerparteilichen Akteure ab. Die Hinzunahme dieser dritten Dimension fußt auf dem Anliegen, stärker den Aspekt in ein Präferenzmodell zu integrieren, dass es sich bei Parteien um kollektive Akteure handelt, in denen verschiedene innerparteiliche Akteure legitimiert Präferenzen zum Ausdruck bringen. Der „Umfang“ der innerparteilichen Akteursdimension resultiert aus dem zugrundeliegenden theoretischen Parteienkonzept. Im Rahmen dieser Arbeit werden Parteien als Organisationen verstanden, in denen die innerparteilichen Akteure in Delegationsbeziehung zueinanderstehen. Die theoretische Argumentation greift eine horizontale Perspektive auf die Parteiorganisation auf und berücksichtigt den Parteitag als Prinzipal und Parteiführung sowie Fraktion als Agenten. Unter Parteitag werden in diesem Forschungsdesign sowohl der Parteitag als auch der sogenannte Kleine Parteitag gefasst. Der Parteitag ist formell der oberste Souverän der Partei, welcher verantwortlich für die fundamentale Programmatik und die Wahl des Parteivorsitzenden ist (Poguntke 1998: 165). Der Kleine Parteitag wiederum ist das höchste Parteiorgan zwischen den Parteitagen, indes in der Regel wesentlich kleiner als der reguläre Parteitag und ermöglicht bei geringerem Ressourceneinsatz die Bearbeitung von Sachverhalten, die der reguläre Parteitag – etwa aus Zeitgründen – nicht abarbeiten konnte (Poguntke 1998: 162). Auch andere Zusammensetzungsregeln für den kleinen Parteitag sind möglich, die aber unerheblich sind, solange der kleine Parteitag die Funktion eines Gremiums zwischen den Parteitagen ausübt. Die Parteiführung als kollektiver Akteur bildet sich meist aus einer „doppelten Führungsstruktur“, bestehend aus Vorstand und Präsidium, wobei dem Präsidium die tagespolitischen sowie organisatorischen Entscheidungen obliegen und es somit als das höchste Führungsgremium gilt (Poguntke 1998: 164–165). Beide 2

Was bereits vorliegt, wenn mindestens eine Entscheidung für ein Thema getroffen wurde.

88

5

Politische Themen in der Parteiorganisation: Konzeptspezifikation …

Gremien werden hier als Parteiführung operationalisiert, denn das Präsidium als geschäftsführender Vorstand geht in der Regel aus dem Vorstand hervor und ist kleiner als dieser. Die Zusammensetzung des Präsidiums ist unterschiedlichen Restriktionen unterlegen. Relativ häufig legen Parteien in ihren Satzungen Mitglieder qua Amt fest (siehe Übersicht für deutsche Parteien bei Bukow 2013: 134). Geht das Präsidium nicht aus dem Parteivorstand hervor, dann wird es ebenfalls wie der Vorstand vom Parteitag gewählt. Bei der Fraktion als dritten kollektiven innerparteilichen Akteur handelt es sich um die parlamentarische Gruppe mit Fraktionsstatus im nationalen Parlament. Allgemein vertreten die Fraktionen in dieser demokratischen Institution die Anliegen ihrer Partei bzw. setzen diese in legislative Entscheidungen um, wobei die organisatorischen Ressourcen auf erreichten Wahlerfolgen basieren und sich die verfügbaren Ressourcen bzw. Restriktionen systematisch zwischen Oppositionsund Regierungsparteien unterscheiden (Katz und Mair 1993: 595 f.). Aus dieser Definition folgt die Beobachtung der Politikartikulation der gesamten Fraktion und nicht einzelner Abgeordneter oder spezifischer Ausschüsse.

5.2

Anwendung des dreidimensionalen Analysegerüsts auf die Politikartikulation in einer Parteiorganisation

Sind diese drei Dimensionen nun in einem räumlichen Gerüst vereint (siehe Abbildung 5.1), dann können je nach eingenommener Perspektive die verschiedenen Facetten von Politikartikulation abgeleitet werden. Dies beginnt mit der klassischen Perspektive auf politische Inhalte, indem die Themenabdeckung und Stärke der Aufmerksamkeit einzelner Akteure beobachtet werden. Diese beiden Dimensionen – miteinander verzahnt –, erlauben Aussagen über das unterschiedliche Ausmaß der Aufmerksamkeit über verschiedene Themen hinweg und das Ermitteln von besonders wichtigen Themen. Weiterführend nimmt dieses Analysegerüst die Organisationsdimension in der Politikartikulation auf, wenn eine Vergleichsperspektive auf die Themenselektion der innerparteilichen Akteure eingenommen wird. Die Anwendung des dreidimensionalen Analysegerüsts fußt auf den folgenden Prämissen: Als erstes werden sämtliche Aussagen der drei innerparteilichen Akteure als gleichwertig behandelt (keine Gewichtung); erst bei der Auswertung der gewonnenen Ergebnisse erfolgt eine qualitative Bewertung. Als zweites ist dieses dreidimensionale Konzept prinzipiell auf jedem thematischen Abstraktionsniveau anwendbar. Um die Fragestellungen nach dem Umgang mit den europäischen Themen in einer nationalen Partei zu verfolgen, muss jedoch nicht

5.2 Anwendung des dreidimensionalen Analysegerüsts …

89

jede Analyseperspektive auf jedem thematischen Abstraktionsniveau eingenommen werden. Als drittes wird Zeit als Faktor insofern ausgeblendet, als dass ignoriert wird, welcher innerparteiliche Akteur ein Thema zuerst mit seiner Politikartikulation aufgreift (First-Mover).3

Abbildung 5.1 Räumliche Darstellung des Analysegerüsts für die Themenselektion in der Parteiorganisationsperspektive. (Quelle: eigene Darstellung)

Konkret kommen die folgenden Analyseperspektiven zum Einsatz, um die explorativen Fragestellungen zu beantworten und die formulierten Hypothesen zu überprüfen:

5.2.1

Themen der innerparteilichen Akteure

Zunächst wird die Themenselektion für jeden innerparteilichen Akteur entlang der beiden Dimensionen Themenabdeckung und Stärke der Aufmerksamkeit betrachtet. Dies findet Anwendung für die beiden thematischen Abstraktionsniveaus Politikfelder und Themenbereiche. 3

Eine First-Mover-Analyse wäre prinzipiell nur für Themen auf dem thematischen Abstraktionsniveau der Einzelthemen möglich.

90

5

Politische Themen in der Parteiorganisation: Konzeptspezifikation …

Damit wird als erstes abgebildet, wie weit die Themenabdeckung in der Politikartikulation der verschiedenen innerparteilichen Akteure reicht. Die Themenabdeckung präsentiert zugleich ein grobes Maß der Adaption der europäischen Handlungsagenda, also wie weit sich die Aufmerksamkeit über die verschiedenen europäischen Themen hinweg erstreckt. Als zweites dient das Hinzuziehen der Aufmerksamkeitsstärke als weitere Dimension, um Aussagen über die Bedeutung der verschiedenen europäischen Themen zu treffen. Zunächst kann auf den thematischen Abstraktionsniveaus der fünf Themenbereiche europäischer Angelegenheiten ermittelt werden, welche Rolle hier der Themenbereich der europäischen Politikgestaltung einnimmt. Eine durchweg hohe Aufmerksamkeit würde die theoretisch vermuteten genutzten Anreize unterstreichen, die die alltäglichen europäischen Politikprozesse den nationalen Parteiakteuren bieten. Ferner kann basierend auf der vergleichenden Betrachtung von der Aufmerksamkeitsstärke für die diversen Politikfelder herausgestellt werden, welche europäischen Politikfelder von den innerparteilichen Akteuren besonders viel Aufmerksamkeit erhalten und deshalb als wichtiger erachtet werden. Als besonders wichtig gelten hier jene Politikfelder, die verglichen zu anderen Politikfeldern mehr Aufmerksamkeit erhalten.4

5.2.2

Thematische Ähnlichkeit innerhalb der Parteiorganisation

Insgesamt stellt die Betrachtung der beiden Dimensionen Themenabdeckung und Stärke der Aufmerksamkeit in der Politikartikulation von den innerparteilichen Akteuren vor allem die inhaltliche Dimension der aufgegriffenen Themen in den Vordergrund. Erst mit einer intraparteilich vergleichenden Perspektive kann stärker die Organisationsdimension in der Politikartikulation herausgearbeitet werden, indem das Ausmaß der thematischen Ähnlichkeit bzw. thematischen Unähnlichkeit ermittelt wird. Basierend auf der Prämisse, dass Akteure einer Partei ein ideologischprogrammatisches Fundament teilen und infolgedessen die (inhaltliche) innerparteiliche Präferenzheterogenität einer gewissen Beschränkung unterliegt, wird die 4

Was unter „mehr Aufmerksamkeit“ und damit einer höheren Wichtigkeit genau gemeint ist, wird im entsprechenden Empiriekapitel ausführlich definiert und mit einem entsprechenden Indikator systematisch angewandt (siehe Kapitel 14).

5.2 Anwendung des dreidimensionalen Analysegerüsts …

91

thematische Unähnlichkeit als Indikator für die innerparteiliche Aufgabenteilung in der Politikartikulation herangezogen, die aus der zugrundeliegenden allgemeinen Aufgaben- und Ressourcenverteilung einer Partei resultiert. Grundsätzlich fußt die Operationalisierung der thematischen Ähnlichkeit auf einer paarweisen Gegenüberstellung der Politikartikulation von jeweils zwei innerparteilichen Akteuren. Auf die Indikatorbildung für die thematische Ähnlichkeit wird ausführlich im entsprechenden Kapitel für die empirische Auswertung eingegangen (Kapitel 15). Die Betrachtung der thematischen Ähnlichkeit bzw. Unähnlichkeit erfolgt auf den drei thematischen Abstraktionsstufen Themenbereiche, Politikfelder und Einzelthemen (siehe hierzu auch Tabelle 4.1 in Kapitel 4). Damit werden unterschiedliche Aspekte im Umgang mit den europäischen Themen herausgearbeitet. Analytische Grundlage für die Erhebung der thematischen Ähnlichkeit stellt auf jedem thematischen Abstraktionsniveau die Aufmerksamkeitsstärke dar. Somit wird die Themenselektion umfänglich erfasst, fließt doch die Dimension der Themenabdeckung in die Stärke der Aufmerksamkeit mit ein. Die thematische Ähnlichkeit wird als erstes beobachtet, um auf dem Abstraktionsniveau der Politikfelder die Heterogenität in der Themenselektion in der intraparteilichen Perspektive zu erfassen. Als zweites dient die komparative Gegenüberstellung der fünf Themenbereiche der Evaluierung, ob bestimmte Angelegenheiten eher in den Händen eines Akteurs liegen. So wird hiermit unter anderem die Vermutung überprüft, dass sich Fraktionen wesentlich stärker als die beiden außerparlamentarischen Akteure Themen der nationalen Politikgestaltung im europäischen Kontext widmen. Als drittes werden auf dem thematischen Abstraktionsniveau der Einzelthemen die Hypothesen überprüft, dass die Parteiführung eher strategische Themen und die Fraktion eher operative Themen aufgreifen als die jeweils anderen beiden Akteure.

5.2.3

Thematische Durchdringung der Parteiorganisation

Mit einem Perspektivwechsel innerhalb des räumlichen Gerüsts steht die thematische Durchdringung einer Parteiorganisation im Mittelpunkt, womit die innerparteiliche Aufmerksamkeitsverteilung für jeweils ein spezifisches Thema beobachtet wird. D. h. also anders als in der obigen Organisationsperspektive, die auf einer wortwörtlichen Ähnlichkeit in der Themenselektion fußt (wobei die Aufmerksamkeitsstärke paarweise verglichen wird), dient hier das einzelne Thema als Beobachtungseinheit. Damit erfasst die thematische Durchdringung eine besondere Variante der thematischen Ähnlichkeit.

92

5

Politische Themen in der Parteiorganisation: Konzeptspezifikation …

Der Blick auf die thematische Durchdringung der Parteiorganisation bietet einen besonderen Erkenntnisgewinn über die Politikartikulation in der Organisationsperspektive. Dabei werden zwei Aspekte betont: Als erstes spiegelt sich im Ausmaß der thematischen Durchdringung ebenfalls die innerparteiliche Aufgabenteilung in der Politikartikulation wider und legt die Interaktion zwischen den innerparteilichen Akteuren offen. Als zweites werden die Themen, welche von allen drei innerparteilichen Akteuren Aufmerksamkeit erhalten und folglich die Parteiorganisation komplett durchdringen, als besonders wichtige europäische Themen aus Sicht der Gesamtpartei – also der Summe aller innerparteilichen Akteure – verstanden. Von Interesse ist hier, ob sich diese Themen hinsichtlich ihrer Attribute von Themen mit einem geringeren Durchdringungsgrad der Parteiorganisation unterscheiden und somit eine Erklärung geliefert werden kann, welche Charakteristika von Themen eher dazu führen, von allen innerparteilichen Akteuren ausgewählt zu werden. Wie die thematische Durchdringung im Detail als Ausdruck der Parteiorganisationsdimension in der Politikartikulation verstanden werden kann und diese besondere Variante der thematischen Ähnlichkeit in die theoretische Argumentation eingebettet ist, wird nachfolgend ausführlicher darlegt. Innerhalb der Parteiorganisation stehen die innerparteilichen Akteure in wechselseitiger Interaktion zueinander, was eben auch für die Politikartikulation relevant ist. In der theoretischen Argumentation wurde dargelegt, in welcher Form diese Interaktion relevant für die Politikartikulation ist. So führen die Delegationsbeziehungen und die personellen Überschneidungen zwischen den drei innerparteilichen Akteuren dazu, dass sie bewusst in einem Austausch und auch in gegenseitiger Beeinflussung stehen, Themen auf die Agenda eines anderen Akteurs zu setzen. So kann beispielsweise die Parteiführung auf ihr Antragsrecht auf Parteitagen zurückgreifen. Darüber hinaus stellt für die außerparlamentarischen Parteiakteure die hohe Policy-Expertise der Fraktion einen besonderen Wissenszugang zu politischen Problemen respektive zu europäischen Themen dar, die wiederum von den anderen innerparteilichen Akteuren genutzt wird. Umgekehrt kann die Fraktion bewusst Themen in die außerparlamentarische Partei tragen, wenn aus ihrer Sicht auch die Aufmerksamkeit der außerparlamentarischen Partei als wichtig betrachtet oder die legitimatorische Bedeutung des Prinzipals für bestimmte Anliegen genutzt wird. Aus dieser wechselseitigen Interaktion folgt, dass neben der oben herausgestellten Aufgabenteilung und damit unterschiedlichen Schwerpunktsetzung in der Politikartikulation der drei innerparteilichen Akteure, es auch zu einer thematischen Durchdringung der Parteiorganisation kommt. D. h. politische Themen

5.2 Anwendung des dreidimensionalen Analysegerüsts …

93

verbleiben nicht ausschließlich in Händen eines innerparteilichen Akteurs, sondern können auch von anderen Akteuren aufgegriffen werden. Je häufiger nun thematische Übereinstimmungen auftreten, desto stärker ist diese Interaktion respektive Rückkopplung zwischen den innerparteilichen Akteuren. Anders als der obige Indikator der thematischen Ähnlichkeit, welcher in erster Linie auf eine inhaltlich orientierte Aufgabenteilung innerhalb des europäischen Themenkomplexes abzielt, kommt hier ein wesentlich abstrakteres Maß der innerparteilichen Aufgabenteilung zum Einsatz. Basierend auf der Quantifizierung alleiniger und geteilter Themen lassen sich Aussagen über genutzte Kapazitäten der eigenständigen bzw. miteinander verkoppelten Politikartikulation treffen, ohne dabei auf inhaltliche Attribute der Themen zurückzugreifen. Steht die thematische Durchdringung im Mittelpunkt, dann wird letztlich nichts anderes als die tatsächliche themenbezogene Übereinstimmung betrachtet, die in der Logik von thematischen Schnittmengen gedacht werden kann (siehe Abbildung 5.2). Als erstes durchdringen politische Themen eine Parteiorganisation komplett, wenn sie Gegenstand in der Politikartikulation aller drei innerparteilichen Akteure sind (Schnittmenge 1). Dann können Themen die Parteiorganisation so durchdringen, dass diese in der Politikartikulation von zwei innerparteilichen Akteuren einfließen (Schnittmengen 2, 3 und 4) und schließlich können Themen in den Händen eines innerparteilichen Akteurs verbleiben (Mengen 5, 6 und 7). Somit liegen drei thematische Durchdringungsstufen einer Parteiorganisation vor. Neben dem substantiellen Inhalt eines Themas, der einen Einfluss darauf haben könnte, dass dieses von mehr als einem Akteur in der Politikartikulation aufgenommen wird, spiegelt sich in den unterschiedlichen Themenmengen die Parteiorganisationsdimension in der Politikartikulation wider, denn sie bilden eigenständige bzw. unabhängige Kapazitäten der Politikformulierung einzelner Akteure und die Rückbindung zwischen den innerparteilichen Akteuren ab. Je größer eine der Themenmengen in seiner Bedeutung für einen innerparteilichen Akteur, desto stärker ist seine Politikartikulation davon geprägt. In den Themenmengen, die jeweils in den alleinigen Händen eines der drei innerparteilichen Akteure verbleiben, wird die Kapazität jedes einzelnen Akteurs gesehen, unabhängig von den anderen Akteuren eigenständig Themen auszuwählen. Dafür greifen sie auf die unterschiedlichsten Ressourcen zurück. Vermutlich wird hier der Anteil alleiniger Themen in den Händen der Fraktion am größten sein, denn sie müsste ihre weitreichende Policy-Expertise insbesondere dazu nutzen, im größeren Umfang auf die EU-Handlungsagenda zu reagieren. Ferner

94

Abbildung 5.2 Darstellung)

5

Politische Themen in der Parteiorganisation: Konzeptspezifikation …

Thematische Durchdringung der Parteiorganisation. (Quelle: eigene

spielt laut vorherrschender Lehrmeinung die Fraktion für die Politikartikulation einer Partei eine besonders wichtige Rolle.5 Ohne näher den Aspekt des First-Movers zu vertiefen, also welcher Akteur welches Thema zuerst auf seine Agenda setzt, oder tatsächlich eine Einflussrichtung zu betrachten, sollte sich die herausragende Rolle der Fraktion mit ihrer Policy-Expertise auch in der thematischen Übereinstimmung jeweils mit dem Parteitag und der Parteiführung niederschlagen. Anhand der Themen in alleiniger Obhut des Parteitags müsste sich indes das Organisationsverständnis niederschlagen. Oben wurde argumentiert, dass sich stärkere Parteitage eher häufiger sowie in höherer Vielfalt mit politischen Themen beschäftigen und deshalb ein größeres Themenspektrum abdecken. Zugleich ist damit auch verbunden, dass die Aufgabe der Politikartikulation in größerer Unabhängigkeit von den Parteieliten ausgeübt wird. Ergo müssten in Parteien mit einem stärkeren Prinzipal vergleichsweise mehr Themen beobachtbar sein, die ausschließlich vom Parteitag aufgegriffen werden. Um alleinige Themen des Parteitags als seine eigenständige Kapazität zur Politikformulierung sinnvoll zu 5

Empirische Studien dazu existieren bis dato indes nicht.

5.2 Anwendung des dreidimensionalen Analysegerüsts …

95

interpretieren, wird die Output-Perspektive auf die Politikartikulation etwas aufgeweicht, indem zusätzlich die Antragstellung beachtet wird und somit der direkte Impuls seiner Agenten Beachtung findet. Konzeptionell ist die mittlere organisatorische Durchdringung der oben dargestellten thematischen Ähnlichkeit am nächsten, da diese ebenfalls die Politikartikulation von zwei innerparteilichen Akteuren erfasst. Werden jedoch dieselben Themen von zwei innerparteilichen Akteuren aufgegriffen, reflektiert sich darin im Kontext der Parteiorganisationsdimension die Rückbindung zwischen den beiden Akteuren. Denn dem beobachteten Output desselbigen Themas liegen Entscheidungsprozesse zugrunde, dieses Thema eben nicht nur auf der inhaltlichen Agenda jenes Akteurs zu belassen, welcher das Thema als erstes aufgreift, sondern auch mit der Politikartikulation des anderen aufzunehmen. Natürlich kann die einzelne Selektionsentscheidung des zweiten Akteurs unabhängig von den Aktivitäten des ersten Akteurs erfolgen, zumal jeder Akteur über PolicyExpertise und damit über Informationen zum europäischen Themenspektrum verfügt. Es kann jedoch vermutet werden, dass, je häufiger Themen von Akteuren geteilt werden, komplett unabhängige Themenselektionsentscheidungen eher unwahrscheinlicher werden. Gemäß der theoretischen Argumentation sollte die thematische Durchdringung als spezielle Form der thematischen Ähnlichkeit besonders ausgeprägt sein zwischen der Fraktion und den jeweils anderen beiden Akteuren. Vor dem Hintergrund der abweichenden Themenselektionsstrategie zwischen Parteitag und Parteiführung sollte für den Parteitag die thematische Durchdringung in Relation zur Fraktion wesentlich bedeutender sein. Mit Rückgriff auf die dargelegte Delegationsbeziehung zwischen Parteitag und Parteiführung sollte die thematische Übereinstimmung zwischen diesen beiden Akteuren kaum eine Rolle spielen. Gemäß dem formellen Delegationsprinzip soll die Parteiführung Aufgaben der Politikformulierung zwischen den Parteitagen übernehmen, was letztlich impliziert, dass die Parteiführung zuvörderst andere Themen als der Parteitag mit seiner Beschlussfassung angeht. Während sich die alleinigen Themen eines Akteurs und die thematische Übereinstimmung in der Politikartikulation zweier Akteure in den Kontext der Organisationsperspektive setzen lassen, funktioniert diese Perspektive eher indirekt für die höchste thematische Durchdringungsstufe und damit für Themen, die von allen drei Akteuren aufgegriffen werden. Eine organisationsbezogene Definition der Rückbindung, die drei Akteure einbezieht, gestaltet sich konzeptionell als äußerst schwierig, da hier immer die Frage im Raum steht, wer eigentlich wen in einer Dreierkonstellation rückbindet und wie sich dies auf die Gesamtgrößenordnung auswirken sollte. Folglich ist hier nur eine sinnvolle Bewertung

96

5

Politische Themen in der Parteiorganisation: Konzeptspezifikation …

möglich, wenn die Bedeutung dieser gemeinsamen Themen für jeden der drei Akteure betrachtet wird. Besonderes Augenmerk gilt dabei der Bedeutung von Themen mit der höchsten Durchdringungsstufe für die Parteiführung. Vor dem Hintergrund der ausgeübten koordinierenden Aufgabe der Parteiführung zwischen parlamentarischer und außerparlamentarischer Partei sollten für die Parteiführung die Themen mit der höchsten parteiorganisatorischen Durchdringungsstufe von vergleichsweise hoher Bedeutung sein, wenn diese koordinierenden Prozesse im Hintergrund Implikationen auf den sichtbaren Output der Politikartikulation haben. Summa summarum lassen sich anhand der hier ermittelten Themenmengen in der prinzipiell eingenommenen Output-Perspektive Aussagen zu Zusammenhängen zwischen der Parteiorganisationsdimension und der Politikartikulation treffen, ohne dafür auf die klassische Herangehensweise in der Parteienforschung zurückzugreifen und auf die zugrundeliegenden Politikformulierungsprozesse (Input-Perspektive) zu schauen.

5.2.4

Relevanz des Analysegerüsts für die Untersuchung des Wahlkontexts

Das vorgestellte dreidimensionale Analysegerüst richtet sich in erster Linie auf die Politikartikulation innerhalb einer Parteiorganisation und beachtet hierbei die Akteursdimension, differenziert indes nicht nach Wahl- bzw. Nichtwahlkontext. Diese zusätzliche Perspektive kann aber ohne weiteres aufgenommen werden. Hierzu erfolgt eine „Umwandlung“ der Akteursdimension in eine abstrakte Zeitdimension, die die Wahlperiode grob unterteilt in Wahl- und Nichtwahlkontext. Unter dem Nichtwahlkontext wird die Politikartikulation der innerparteilichen Akteure (weiterhin nicht zusammengeführt zu einer additiven Politikartikulation einer Partei) subsumiert, mit dem Wahlkontext wird die Politikartikulation in den Wahlprogrammen erfasst. Relevant für die empirische Untersuchung sind die Dimensionen Themenabdeckung und Stärke der Aufmerksamkeit, die im Falle der Wahlprogramme auf allen drei thematischen Abstraktionsniveaus beobachtet werden. Die thematische Ähnlichkeit wird für die Exploration von Gemeinsamkeiten und Unterschieden zwischen den beiden Kontextsituationen hinzugezogen. Hierfür wird die Ähnlichkeit auf dem thematischen Abstraktionsniveau von Themenbereichen und Politikfeldern verwendet. Die thematische Durchdringung als eine besondere Variante der thematischen Ähnlichkeit ist nicht Gegenstand der analytischen Datenaufbereitung im Rahmen dieser Arbeit.

5.3 Zusammenfassung

5.3

97

Zusammenfassung

Um den Umgang der innerparteilichen Akteure mit dem europäischen Themenkomplex und damit die abhängige Variable abzubilden, kommt ein dreidimensionales Analysegerüst zum Einsatz. Die drei Dimensionen Themenabdeckung, Aufmerksamkeitsstärke und innerparteiliche Akteure bilden den Raum für die diversen Facetten der Politikartikulation, die über verschiedene eingenommene Perspektiven innerhalb des dreidimensionalen Analysegerüsts erfasst werden. Eine entscheidende Grundvoraussetzung für jede der eingenommenen Perspektiven ist das angewandte thematische Abstraktionsniveau. Die geführten Diskussionen verdeutlichen, dass das thematische Abstraktionsniveau einen unmittelbaren Einfluss auf die Erklärungsreichweite hat und es deshalb immer im Zusammenhang mit der eingenommenen Perspektive im Analysegerüst gedacht werden muss. Folgende Perspektiven werden eingenommen: Als erstes wird die Aufmerksamkeit für europäische Themen jedes individuellen Akteurs entlang der Themenabdeckung und der Aufmerksamkeitsstärke ermittelt. Dafür werden Themen auf den höheren Abstraktionsniveaus beobachtet (Themenbereiche und Politikfelder). Als zweites deckt die intraparteiliche komparative Perspektive die thematische Unähnlichkeit auf, die als Indikator für eine praktizierte inhaltlich orientierte Aufgabenteilung dient und sich hierfür prinzipiell der Stärke der Aufmerksamkeit bedient. Je nach angewandtem thematischen Abstraktionsniveau variiert das Erkenntnisinteresse. Die Analyse der thematischen Ähnlichkeit von Politikfeldern dient zuvörderst der Exploration innerparteilicher Varianz im Ergreifen europäischer Themen. Auf dem höheren thematischen Abstraktionsniveau der Themenbereiche erfolgt die Beantwortung der Fragestellung, ob die fünf Bereiche europäischer Angelegenheiten einer innerparteilichen Aufgabenteilung unterliegen. Dazu wird vertiefend auf dem niedrigsten thematischen Abstraktionsniveau überprüft, inwiefern strategische Themen eher in den Händen der Parteiführung und operative Themen eher in den Händen der Fraktionen liegen. Als drittes wird die Perspektive der thematischen Durchdringung eingenommen, indem die innerparteiliche Aufmerksamkeitsverteilung für jedes spezifische europäische Thema innerhalb einer Parteiorganisation evaluiert wird. Dies dient zum einen der Messung jener europäischen Themen, die aus Sicht der Gesamtpartei als salient zu bezeichnen sind, da sie von allen drei innerparteilichen Akteuren aufgegriffen werden, und ermöglicht die Exploration, ob sich inhaltliche Merkmale dieser Themen von denen der restlichen Themen innerhalb einer Partei unterscheiden. Zum anderen wird das Ausmaß der thematischen Durchdringung

98

5

Politische Themen in der Parteiorganisation: Konzeptspezifikation …

verwendet, um die innerparteiliche Aufgabenteilung in der Politikartikulation zum europäischen Themenkomplex zu quantifizieren. Die Diskussion der verschiedenen Facetten der abhängigen Variablen unterstreicht, dass diese sehr unterschiedliche Bedeutungsdimensionen abbilden. Dies fundamentiert das konzeptionelle Vorgehen, diese verschiedenen Facetten der Politikartikulation nicht als Indikatoren im klassischen Sinne zu begreifen, die zu einem Index für den Umgang mit dem europäischen Themenkomplex zusammengeführt werden können. Das vorgestellte Konzept deutet hinsichtlich einiger Punkte bewusst nur die grundlegende Operationalisierung an. Die konkrete Vorgehensweise beispielsweise bei der Messung der Themenabdeckung und der Aufmerksamkeitsstärke und die Bildung der Indikatoren für besonders wichtige Themen sowie für die thematische Ähnlichkeit ist von weiteren Entscheidungen des Forschungsdesigns und der Datenlage abhängig, wobei letzteres wieder eng mit der Fallauswahl und dem Untersuchungszeitraum zusammenhängt. Darauf wird erst an entsprechender Stelle im weiteren Verlauf der Arbeit genauer eingegangen.

6

Unabhängige Variablen: Konzeptspezifikation und Operationalisierung

Dieses Kapitel widmet sich der Spezifikation und Operationalisierung der erklärenden Variablen. Mit der theoretischen Argumentation sind drei zentrale Einflussgrößen auf die Politikartikulation der Parteien zum EU-Themenkomplex verbunden: Als erstes stellt das theoretische Argument das Parteiorganisationsverständnis heraus, ausgedrückt anhand der Rolle des Parteitags bzw. Prinzipals. Die zweite zentrale Einflussgröße lässt sich allgemein beschreiben mit „Wofür Parteien stehen“ und erfasst die ideologisch-programmatische Ausrichtung von Parteien. Die theoretische Argumentation bezieht sich hierbei vor allem auf die generelle Wichtigkeit von Themen für die Partei – kurz Parteisalienz genannt. Die europäische Handlungsagenda bildet die dritte zentrale unabhängige Einflussgröße. Das Besondere an dieser politischen Agenda ist, dass die nationalen Parteien ihr weitestgehend reaktiv gegenüberstehen und damit die einzigartige Möglichkeit existiert, nach Mustern in der Politikartikulation von Parteien zu suchen, da die europäische Handlungsagenda auch als exogenes Themenspektrum verstanden werden kann. Zudem greift die theoretische Argumentation auf weitere Faktoren zurück, die in diesem Forschungsdesign konzeptionell als Kontroll- bzw. intervenierende Variablen aufgenommen werden. Zunächst ist hier die Existenz einer nationalen Delegation im Europäischen Parlament zu nennen, die einen direkten Einfluss auf die individuelle Ressourcenausstattung der Parteiführung hat und intervenierend

Elektronisches Zusatzmaterial Die elektronische Version dieses Kapitels enthält Zusatzmaterial, das berechtigten Benutzern zur Verfügung steht https://doi.org/10.1007/978-3-658-34797-0_6.

© Der/die Autor(en), exklusiv lizenziert durch Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2021 S. John, Europäische Themen in deutschen Parteiorganisationen, Empirische Studien zur Parteienforschung, https://doi.org/10.1007/978-3-658-34797-0_6

99

100

6

Unabhängige Variablen: Konzeptspezifikation …

auf ihre Politikartikulation wirken soll. Zudem wird auf den Regierungs- bzw. Oppositionsstatus verwiesen, auf dessen Einfluss zu kontrollieren ist. Ferner bedarf es einer weiteren Explikation der ideologisch-programmatischen Ausrichtung von Parteien. Hierfür ist als erstes geboten, auf die ideologische Position hin zu kontrollieren. Damit kann der Tatsache Rechnung getragen werden, dass die Politikpräferenzen – Themenwichtigkeit und Themenposition – zwar klar voneinander trennbare Aspekte behandeln (Laver 2001: 69–70), diese nichtsdestotrotz theoretisch nicht komplett unabhängig voneinander sind, was selbst Verfechter der klaren analytischen Trennung einräumen (Laver 2001: 71). Als zweites wird die grundlegende Haltung der Parteien zur EU-Integration als Kontrollvariable genutzt. Hierzu folgt implizit aus der theoretischen Argumentation, dass der Umgang der Parteien mit den europäischen Themen unabhängig von der EU-Integrationsposition sein müsste. Auch muss die individuelle Ressourcenausstattung eines innerparteilichen Akteurs berücksichtigt werden, die potenziell einen Einfluss auf die Möglichkeiten zur Politikartikulation hat. Die Struktur dieses Kapitels ergibt sich aus der folgenden Logik: Es werden die drei zentralen Einflussgrößen in oben aufgeführter Reihenfolge aufgenommen. Stehen Kontrollvariablen in unmittelbarer Beziehung mit besagten Einflussgrößen, dann erfolgt die Beschreibung ihrer Konzeption und/oder Operationalisierung auch in diesem Kontext, was insbesondere für die ideologisch-programmatische Orientierung der Parteien zutrifft. Andernfalls werden die Kontrollvariablen im letzten Abschnitt dieses Kapitels diskutiert. Für die Darlegung der Operationalisierung ist mitunter nötig, auf andere Komponenten des Forschungsdesigns wie beispielsweise den Untersuchungszeitraum bzw. die Fallauswahl vorzugreifen, die erst im nachfolgenden Kapitel 7 ausführlicher vorgestellt werden.

6.1

Parteiorganisationsverständnis

Parteien als Organisationen zeichnen sich wie andere Organisationen auch durch Arbeitsteilung und Verantwortungsdelegation (Endruweit 2004: 19) aus, wobei die Delegation von Aufgaben etwa auf organisatorische Ressourcenrestriktionen (Zeit, Effizienz, Expertise) und der begrenzten Handlungsmöglichkeiten einer großen Gruppe zurückgeführt werden kann (Poguntke 1998: 161). Eng verbunden mit der Delegation sind innerparteiliche Machtdifferenzierungen, anhand derer sich die innerparteilichen Akteursbeziehungen charakterisieren lassen.

6.1 Parteiorganisationsverständnis

101

Mit dem Fokus auf die innerparteiliche Delegation wird die organisatorische Struktur einer Partei durch die Augen des Parteitags als Prinzipals gesehen. Mit dem Fokus auf die innerparteiliche Delegation wird die organisatorische Struktur einer Partei durch die Augen des Parteitags als Prinzipal gesehen. Dessen Stellenwert innerhalb der innerparteilichen Akeursbeziehungen bzw. innerhalb der Parteiorganisation resultiert aus dem Ausmaß der Aufgabenteilung bzw. Delegation als etablierter Mechanismus zur Reduktion des agent loss (Kiewiet und McCubbins 1991: 27–33; Müller 2000: 322–329), sodass als ein Resultat von einem schwachen oder starken Parteitag gesprochen werden kann. Um Parteiorganisationen im Hinblick auf die Rolle des Prinzipals voneinander abzugrenzen, werden Parteisatzungen als Ausdruck des formellen ContractDesigns verstanden und als Datengrundlage verwendet. Denn gleichwohl die „realen Organisations- und Arbeitsstrukturen zusätzlich von informellen Verfahren und Strukturen bestimmt werden“ (Bukow 2013: 115), beinhalten Parteisatzungen bzw. Organisationsstatute Regeln zum innerparteilichen Handeln, auf die sich die innerparteilichen Akteure (in mehr oder weniger kontroversen Verhandlungen) geeinigt haben. So wird immer wieder betont, dass sich in dieser „official story of the party“ (Katz und Mair 1992a: 7) das Organisationsverständnis niederschlägt oder wie Parteien auf besondere interne oder externe Anforderungen auch mit ihrem Regelwerk reagieren und gesetzliche Rahmenbedingungen adaptieren (Poguntke 2001; Smith und Gauja 2010). Vor diesem Hintergrund verwundert es kaum, dass die Satzungsanalysen einen festen Bestandteil der Parteiorganisationsforschung bilden, ermöglichen sie doch transparente und reliable Messungen verschiedener Aspekte der Parteiorganisation. So bieten Satzungsanalysetools etwa einen systematischen, komparativen Blick auf funktional äquivalente Parteigremien im Längsschnitt- und/oder Querschnittsdesign (Katz und Mair 1992b; Poguntke und Boll 1992; Bukow 2013). Darüber hinaus werden Satzungen exponierter als formelles Abbild von Organisationsprinzipien verstanden und darauf aufbauend als Messgrundlage etwa für das Ausmaß der innerparteilichen Demokratie verwendet (von dem Berge et al. 2013) oder als Ausdruck von Reaktionsmustern auf innerparteiliche und gesellschaftliche Herausforderungen analysiert (Smith und Gauja 2010). Für das eigene Anliegen, den formellen Stellenwert des Prinzipals abzubilden, kann aber nicht auf existierende Satzungsanalysen bzw. Analysetools zurückgegriffen werden, da entweder die analytische Perspektive zu stark vom eigenen Anliegen abweicht oder keine Angaben für deutsche Parteien zum Zeitpunkt der eigenen Forschungsarbeit vorlagen.

102

6

Unabhängige Variablen: Konzeptspezifikation …

Deshalb wurde ein eigenes Analysetool zur Messung bzw. Operationalisierung des formellen Stellenwerts des Prinzipals entwickelt, welches nun näher vorgestellt wird. Die Konzeptualisierung der innerparteilichen Akteursbeziehungen fußt auf der Annahme, dass sich Parteiorganisationen nur schwerfällig ändern. Ursächlich hierfür sind die relativ hohen Kosten und Risiken von Organisationsveränderungen, die etwa Änderungen in den innerparteilichen Machtbeziehungen zur Folge haben könnten (Bukow und Poguntke 2013: 195). Die beiden Autoren betonen zudem, dass den formellen Regeln eine „hohe symbolische Bedeutung“ inne liegt, sodass sie prägend für durchgeführte Organisationsreformen sind und sich Lösungen abseits der eingeschlagenen organisatorischen Pfadabhängigkeit schwerer durchsetzen (ebd.). Die daraus resultierende hohe Stabilität in den innerparteilichen Akteursbeziehungen einer Partei gestattet das Vorgehen, ihre Charakteristika zu Beginn des Untersuchungszeitraums zu evaluieren und zunächst als feststehend für den gesamten Untersuchungszeitraum zu definieren. Nichtsdestotrotz entscheiden sich Parteien für organisatorische Veränderungen, die sich in Art und Umfang sowie hinsichtlich ihrer Konsequenzen auf die innerparteilichen Akteursbeziehungen unterscheiden (Bukow und Poguntke 2013). Als relevant für die eigene Untersuchung sind ausschließlich jene Organisationsveränderungen definiert, die von signifikantem Einfluss auf die innerparteilichen Akteursbeziehungen sind und somit den Charakter der innerparteilichen Akteursbeziehung einer Partei verändern. Dafür wird für den Untersuchungszeitraum zum einen auf Änderungen des formellen Stellenwerts des Prinzipals kontrolliert und zum anderen auf entsprechende Hinweise in der Sekundärliteratur zur Organisationsrealität im Untersuchungszeitraum geachtet.

6.1.1

Operationalisierung des Parteiorganisationsverständnisses: Formeller Stellenwert des Prinzipals

Das Analysetool beruht auf dem Verständnis, dass Satzungen einen Vertrag zwischen dem Prinzipal und seinen Agenten darstellen, in dem neben delegierten Aufgaben und den damit verbundenen Gestaltungsmöglichkeiten der Agenten jene Mechanismen schriftlich fixiert sind, die es dem Prinzipal ermöglichen, die eingesetzten Agenten in Verantwortung zu halten. Da diese Verhandlungen im Rahmen (exogener) institutioneller Beschränkungen ablaufen, spiegeln Parteistatute nicht nur die unterschiedlichen Präferenzen und Verhandlungsmöglichkeiten innerhalb

6.1 Parteiorganisationsverständnis

103

einer Partei, sondern auch die institutionellen Beschränkungen, die hier vor allem in Form rechtlicher Restriktionen existieren (ausführliche Diskussion rechtlicher Vorgaben für das Verhalten von Parteien u. a. bei Müller und Sieberer 2006; Bukow 2013: 87–113). Die Analyse des formellen Regelwerks berücksichtigt zunächst die klassischen Instrumente im Sinne des Prinzipal-Agenten-Ansatzes, die es dem Prinzipal erlauben, einen möglichen agent loss zu minimieren. Um hier noch präziser zu sein: Parteistatute als formelles Vertragsdesign sind bereits eine der zentralen klassischen ex-ante Mechanismen zur Rückbindung der Agenten. Sie dienen aber zugleich dazu, weitere ex ante- (Screening und Selektionsmechanismen) und ex post-Mechanismen (Berichterstattungspflichten und Monitoring; institutionelle Checks) zu kodifizieren, die den agent loss minimieren können (Kiewiet und McCubbins 1991: 27–33; Müller 2000: 322–329). Entsprechend zielt die Analyse von den Parteistatuten auf die Identifizierung verankerter Screening- und Selektionsmechanismen bei Personalentscheidungen, kodifizierter institutioneller Checks sowie Monitoring- und Berichterstattungsverpflichtungen in Relation zur Parteiführung und zur parlamentarischen Vertretung. Des Weiteren ist die Aufgabenund Kompetenzverteilung in der Politikformulierung Gegenstand der Analyse. Der originäre Untersuchungsgegenstand des Prinzipal-Agenten-Ansatzes setzt sich mit Delegationsbeziehungen zwischen zwei unabhängigen Institutionen bzw. Organisationen auseinander. Folglich muss eine Konzeption, die sich mit den Delegationsbeziehungen innerhalb einer Organisation beschäftigt, entsprechende Anpassungen enthalten: Als erstes ist zu berücksichtigen, dass Aufgaben innerhalb der Organisation nicht vollständig an Agenten delegiert werden und somit der Prinzipal eigene Ressourcen bereitstellt, um Aufgaben der Partei wahrnehmen zu können. Auch wenn beispielsweise der Parteitag die Parteiführung formell beauftragt in politischen Fragen zu handeln, so nimmt er selbst politische Aufgaben etwa mit seiner Politikformulierung wahr. Erhöht er seine formellen Verpflichtungen, selbst Ressourcen bereitzustellen – ausgedrückt in seiner Tagungsfrequenz oder in der Etablierung eines zusätzlichen Gremiums, dem Kleinen Parteitag – dann verändert das die innerparteiliche Delegationsbeziehung. Als zweites berühren Delegationsbeziehungen innerhalb einer Organisation wesentlich stärker Fragen der personellen Überschneidung oder Interdependenz zwischen dem Prinzipal und den Agenten. Vor dem Hintergrund der zentralen Problematik von Delegationsbeziehungen, nämlich der Gefahr potenzieller Abweichungen der Agenten vom Prinzipal, eröffnen personelle Überschneidungen eben nicht nur dem Prinzipal Möglichkeiten, seine Agenten einzubinden, sondern eben auch den Agenten einen Spielraum, ihre Agenda gegenüber dem

104

6

Unabhängige Variablen: Konzeptspezifikation …

Prinzipal durchzusetzen. Zudem wird auf eine personelle Interdependenz zwischen den Agenten geachtet. Interdependenzen zwischen den Agenten – also zwischen der Parteiführung und der Fraktion – ermöglichen bestenfalls (im Sinne des Prinzipals), die Rückkopplung der parlamentarischen Vertretung an die außerparlamentarische Partei über die Parteiführung. Die formellen Möglichkeiten der Agenteninterdependenzen ermöglichen auch eine Einflussnahme in die entgegengesetzte Richtung. Zudem verringern diese Interdependenzen die Hürden für die Agenten (geringere Transaktionskosten bezüglich einer Absprache und Koordination), gegebenenfalls ihre Präferenzen koordiniert gegenüber dem Prinzipal einzubringen und sodass die Agenten an Stärke gegenüber dem Prinzipal gewinnen. Zusammengefasst bildet die Satzungsanalyse die folgenden sechs Dimensionen ab: (1) wie viele Ressourcen stellt der Prinzipal bereit, um selbst Aufgaben der Partei wahrzunehmen, (2) inwiefern kann der Prinzipal die Personalauswahl seiner Agenten Parteiführung und Fraktion beeinflussen, (3) gibt es Monitoringund Berichterstattungsmechanismen und (4) institutionelle Checks, mit denen der Prinzipal diese Agenten in Verantwortung halten kann, (5) inwieweit sind Interdependenzen zwischen den innerparteilichen Akteuren formell zulässig bzw. beschränkt und (6) wie ist die Ausübung der Politikformulierung zwischen den innerparteilichen Akteuren delegiert und formell kodifiziert. Diese sechs Dimensionen sind mittels Indikatoren bzw. Inhaltskategorien genauer spezifiziert, die die Grundlage für die Satzungsanalyse darstellen (zur Übersicht siehe Tabelle 6.1). Die Festlegung dieser insgesamt 27 Indikatoren bzw. Inhaltskategorien und ihrer möglichen Ausprägungen berücksichtigt gesetzliche Beschränkungen, sofern diese Mindestanforderungen für die hier berücksichtigen Aspekte festlegen oder gar theoretische Analyseaspekte ausschließen. Damit unterscheidet sich das hier verwendete Analyseraster für Parteistatute von vielen anderen. Denn wenngleich der Einfluss des institutionellen Kontexts immer wieder hervorgehoben wird (Poguntke 2001; Müller und Sieberer 2006; Smith und Gauja 2010), bleibt er bei Satzungsanalysen weitestgehend unberücksichtigt. Ursächlich hierfür ist vor allem die damit verbundene Komplexitätssteigerung für ein länderübergreifendes Analysetool. Mit dem vorliegenden Forschungsdesign indes wird der Einbezug gesetzlicher Restriktionen im Analyseraster erleichtert, da nur deutsche Parteien (eines institutionellen Kontextes) untersucht werden (siehe hierzu ausführlich die Darlegung der Fallauswahl im folgenden Kapitel 7). Konkret führen die Regelungen im Deutschen Parteiengesetz, welche insbesondere gewährleisten, dass der Parteitag das „oberste Organ“ (§9 Abs. 1 PartG)

6.1 Parteiorganisationsverständnis

105

ist, insgesamt zu einer erheblichen Komplexitätsreduktion des Analysetools. Darüber hinaus müssen die detaillierten Regelungen der Wahlgesetzgebung beachtet werden, welche intervenierend auf die Möglichkeiten des Parteitags wirken, die Personalauswahl für die Fraktion zu beeinflussen. Die Regelungen im Bundeswahlgesetz sehen keine Entscheidungsgewalt bei der Kandidatenaufstellung in Händen des (nationalen) Parteitags vor, gestatten indes Entscheidungsgewalt für die Kandidatenaufstellung im Europäischen Parlament, sodass dieser Aspekt (Einfluss des Prinzipals auf die Personalauswahl des Agenten Fraktion) ausschließlich anhand der europäischen Kandidaten aufgenommen wird. Somit fokussiert die Bewertung der innerparteilichen Vertragsgestaltung ausschließlich auf den möglichen Bereich im institutionellen Rahmen, welcher in Deutschland als „heartland of party law“ (Müller und Sieberer 2006: 435) besonders ausgebildet ist.

Tabelle 6.1 Dimensionen der Prinzipal-Agenten-Beziehung und ihre Indikatoren als Grundlage für die Satzungsanalyse zur Messung des formellen Stellenwerts des Prinzipals in der Parteiorganisation Dimension der Prinzipal-AgentenBeziehung

Indikatoren

Ressourcenbereitstellung des Prinzipals

Tagungsfrequenz Parteitag Existenz eines kleinen Parteitags kleiner Parteitag: Tagungsfrequenz

Personalentscheidungen → Parteiführung

Vorschlagsrecht für Parteivorsitz Wahl des Vorstands Wahl des Präsidiums Doppelspitze Parteiführung

Begrenzung der Amtszeit der Parteiführung →Kandidatenauswahl Vorschlagsrecht für Kandidaten zur Europawahl fürs Parlament (hier: EP) Wahl der Kandidaten zur Europawahl Rechenschaftspflicht gegenüber dem Prinzipal

Tätigkeitsbericht der Parteiführung

Institutionelle Checks

Innerparteilicher Akteur mit Vetomöglichkeit gegenüber der Parteiführung

Tätigkeitsbericht der Fraktion Tätigkeitsbericht der EP-Delegation

(Fortsetzung)

106

6

Unabhängige Variablen: Konzeptspezifikation …

Tabelle 6.1 (Fortsetzung) Dimension der Prinzipal-AgentenBeziehung

Indikatoren

Interdependenz der Akteure

Stimmrecht auf dem Parteitag Stimmrecht auf kleinem Parteitag Antragsrecht der Parteiführung auf dem Parteitag Antragsrecht der Fraktion auf dem Parteitag Zusammensetzung des Vorstands Zusammensetzung des Präsidiums

Politikformulierung

Spezifikation der Politikformulierung im Aufgabenfeld des Parteitags Wahrnehmung von Politikformulierung durch den kleinen Parteitag Wahrnehmung von Politikformulierung durch die Parteiführung Wahrnehmung von Politikformulierung durch die Fraktion Rückkopplung vor parlamentarischen Aktivitäten im Bundestag Rückkopplung vor parlamentarischen Aktivitäten im EP Fachausschuss als verfügbare Ressource für Politikformulierung

Quelle: eigene Darstellung.

Die Kodierung der Inhaltskategorien fußt auf einer dichotomen Struktur. Der Wert Null spiegelt die gesetzlichen Mindestanforderungen wider. Geht die formelle Satzungsregel über die Mindestanforderung hinaus und sichert somit formell die Position des Prinzipals stärker ab, dann wird der Wert 1 vergehen. Liegen keine gesetzlichen Mindestanforderungen für einen der benannten Indikatoren bzw. definierten Inhaltskategorien vor, dann erfolgt die Kategorienbildung im Sinne des theoretischen Ansatzes.1 Insgesamt lässt sich so der formelle Stellenwert des Prinzipals auf einer standardisierten Skala zwischen 0 und 1 abbilden, wobei der Wert Null die geringste formelle Absicherung seiner Beteiligung und Kontrollmechanismen respektive die weitreichendste Delegation repräsentiert. Da wie erläutert der Wert Null auch die gesetzlichen Mindestanforderungen widerspiegelt, ist dieser nicht gleichbedeutend mit einer kompletten Delegation oder Irrelevanz des Prinzipals. Der 1

Detaillierte Darlegung des Kategoriensystems und weitere Diskussion im Anhang A im elektronischen Zusatzmaterial.

6.2 Ideologisch-programmatische Ausrichtung der Parteien

107

Wert 1 wiederum bedeutet die größtmögliche formelle Absicherung der Verantwortung innerparteilicher Akteure gegenüber dem Prinzipal und eine hohe Eigenbeteiligung des Prinzipals an den Aufgaben der Partei.

6.2

Ideologisch-programmatische Ausrichtung der Parteien

Die ideologisch-programmatische Orientierung der Parteien stellt die zweite zentrale unabhängige Einflussgröße dar, die zur Erklärung der Politikartikulation von Parteien zum europäischen Themenkomplex herangezogen wird. Abstrakt gesprochen zielt die zweite Einflussgröße auf einen Zusammenhang zwischen „Wofür Parteien stehen“ und die spezifische Selektion europäischer Themen. Wofür Parteien stehen wird in zweierlei Weise deutlich: Basierend auf zugrundeliegenden politischen Ideen, Werten und Überzeugungen – also Ideologien (Arzheimer 2009: 86) – sind einer einzelnen Partei bestimmte Ziele bzw. Themen wichtiger als andere und erfolgt die Bewertung von Themen, indem dazu eine politische Richtung bzw. Position eingenommen wird (Kleinnijenhuis und Pennings 2000: 57). Damit wird hier dem Ansatz gefolgt, dass es sich bei der Themenwichtigkeit und Themenposition um voneinander trennbare Aspekte von Politikpräferenzen handelt (Laver 2001: 69–70), wenngleich sie theoretisch nicht komplett unabhängig voneinander sind, was selbst Verfechter der klaren analytischen Trennung einräumen (Laver 2001: 71). Mit der theoretischen Argumentation werden zwei Aspekte der ideologischprogrammatischen Ausrichtung aufgegriffen, zum einen die Themenwichtigkeit für die Partei, kurz Parteisalienz, und zum anderen die Position zur EU-Integration (als Kontrollvariable). Vor dem Hintergrund der eben angesprochenen nicht kompletten Unabhängigkeit zwischen Themenwichtigkeit und Position ist es notwendig, die ideologische Positionierung der Parteien als Kontrollvariable in das Forschungsdesign zu integrieren. Ferner greift die theoretische Argumentation die eingenommene Position zu europäischen Angelegenheiten auf, die hier ebenfalls als Kontrollvariable behandelt wird. Aufgrund der hohen Relevanz von Parteipräferenzen für das Verständnis des politischen Wettbewerbs bzw. des demokratischen Prozesses hinsichtlich diverser Aspekte (siehe Überblick bei Mair 2001: 10–13) existieren zahlreiche Alternativen für die Messung der Präferenzen, wobei hier unterschiedliche Datenquellen Anwendung finden (allgemeiner Überblick über die einzelnen Datenquellen bei Mair 2001; Debus 2009): So sind auf der einen Seite Umfragedaten aus Expertenoder Wählerbefragungen etabliert, auf der anderen Seite finden textbasierte

108

6

Unabhängige Variablen: Konzeptspezifikation …

Ansätze Anwendung, wobei hier vorrangig auf Wahlprogramme zurückgegriffen wird, aber auch Printmedien als Datengrundlage dienen (z. B. Kleinnijenhuis und Pennings 2000; Helbling und Tresch 2011). Zudem ist die Präferenzermittlung anhand von parlamentarischen Abstimmungsdaten etabliert (am Beispiel Europäisches Parlament: Hix 2001, 2002; Hix et al. 2003). Diese Datengrundlage wird hier nicht in Betracht gezogen werden, da sie Präferenzen anhand von Handlungen messen, in die neben den Policy-Präferenzen andere Motive einfließen, die beispielsweise mit dem Status als Regierungs- oder Oppositionspartei verbunden sind. Aus der Existenz dieser alternativen Messungen folgen lebhafte Debatten über die bestgeeignete Datenquelle für die Abbildung von Präferenzen und den Umgang mit diesen „Rohdaten“ etwa bei der Bildung von Indizes. Dabei beziehen sich die methodischen Diskussionen vorrangig auf die Messung von Positionen, in geringerem Ausmaß auf die Messung thematischer Schwerpunkte bzw. der Themensalienz. Von Vorteil ist dieser reichhaltige Forschungsstand in zweierlei Hinsicht: Zum einen können existierende Datensätze für die Operationalisierung der Variablen verwendet und zum anderen können im Umgang mit diesen „Rohdaten“ bekannte Probleme vermieden werden.

6.2.1

Parteisalienz: Themenwichtigkeit der Gesamtpartei

Wie wichtig Themen generell für eine Partei sind und damit – etwas weiter gefasst – wie die ideologisch-fundierte thematische Schwerpunktsetzung einer Partei ausgestaltet ist, stellt eine zentrale Variable in der theoretischen Argumentation dar. Im Folgenden wird hier von der Parteisalienz gesprochen. Für die Abbildung der Parteisalienz wird hier auf nationale Wahlprogramme und deren inhaltsanalytische Aufbereitung mit der CMP/MARPOR-Kodierung (Volkens 2002; Werner et al. 2011, 2014) zurückgegriffen. Diese Auswahl beruht auf mehreren Abwägungen: Als erstes handelt es sich bei einem Wahlprogramm um ein zentrales Dokument für den Parteienwettbewerb, welches der Vermittlung der Anliegen einer Partei dient; daher ist es als ein legitimes Dokument zur Ableitung der Präferenzen der Gesamtpartei definiert (Klingemann et al. 1994: 21; Budge 2001a: 51). Die Verwendung von Wahlprogrammen als Datengrundlage bedeutet zudem, dass für alle Parteien zu einem bestimmten Messzeitpunkt Wahlprogramme vorliegen. Das impliziert ähnliche Kontextbedingungen und erleichtert den Vergleich.

6.2 Ideologisch-programmatische Ausrichtung der Parteien

109

Als zweites liegen keine ähnlichen Daten aus Expertenbefragungen vor, die die Themenwichtigkeit für die ausgewählten Parteien für den gewünschten Untersuchungszeitraum wiedergeben und so als alternative Messung hinzugezogen werden könnten.2 Als drittes beruht die Verwendung der nationalen Wahlprogramme auf der Annahme, dass die darin formulierte Schwerpunktsetzung unabhängig(er) von der europäischen politischen Agenda erfolgt und sich in ihr die generelle Themensalienz der Parteien widerspiegelt. Gestützt wird die Annahme durch vergleichende Studien von Europa- und nationalen Wahlprogrammen, die Veränderungen in den thematischen Schwerpunkten aufzeigen, welche auf den variierenden Kontext zurückgeführt werden können (Brunsbach et al. 2011; Brunsbach et al. 2012; John und Werner 2016). Die Abbildung der Parteisalienz ist für das Forschungsdesign von besonderer Bedeutung, da es darum geht, die zugrundeliegende Themenwichtigkeit einer Partei in den Zusammenhang mit der Themenselektion europäischer Angelegenheiten zu setzen. Als viertes stellt die Ermittlung der Salienz bzw. von thematischen Schwerpunkten eines der Anliegen des CMP/MARPOR-Projekts dar. Basierend auf der Annahme, dass eine höhere Aufmerksamkeit für ein Thema mit einer höheren Wichtigkeit korrespondiert, werden programmatische Schwerpunkte bzw. Wichtigkeit von Themen anhand ihrer relativen Anteile am gesamten Wahlprogramm (und somit zu einem Messzeitpunkt) ermittelt. Andererseits bleiben Probleme mit der Verwendung von Wahlprogrammen für die Themenwichtigkeit und weiterführend auch für die später weiter unten diskutierte Positionsschätzung verbunden, die nicht aufgelöst werden können: Der Zweck von Wahlprogrammen ist nicht frei von (kurzfristigen) wettbewerbsstrategischen Überlegungen, wie etwa als Richtschnur für zukünftiges Regierungshandeln oder Koalitionsverhandlungen. Demzufolge könnten bestimmte Themen nicht aufgegriffen oder Positionen in abgeschwächter Form verschriftlicht sein. Somit bleibt abschließend ungeklärt, ob Veränderungen von Messzeitpunkt t0 zu t1 tatsächlich eine Veränderung der Themenwichtigkeit bzw. ideologischen Position bedeuten oder diese „künstlich“ erzeugt werden durch die kontextbezogene Betonung bestimmter Policy-Dimensionen.3 Vermutlich böten die 2

Zwar beinhaltet beispielsweise die Chapel Hill-Expertenbefragung durchaus Fragen nach der Wichtigkeit von Policy-Dimensionen, der entsprechende Fragenkatalog wurde jedoch erst mit der Neuauflage der Expertinnen-/Expertenbefragung von 2010 eingeführt (Bakker et al. 2015). 3 Darüber hinaus ist bisher relativ wenig darüber bekannt, wie Wahlprogramme entstehen (Dolezal et al. 2012). Vor dem Hintergrund ihrer hohen Verbreitung insbesondere für die Positionsmessung ist dies hingegen sehr erstaunlich, zumal sie als legitimes Dokument zur

110

6

Unabhängige Variablen: Konzeptspezifikation …

Grundsatzprogramme eine bessere Datengrundlage, da sie der Formulierung der Politikpräferenzen in die Partei hinein dienen und letztlich frei von (kurzfristigen) wettbewerbsstrategischen Überlegungen sind. Aber da diese grundsätzliche programmatische Formulierung innerhalb der Parteien in zeitlich sehr großen Abständen erfolgt und der Beschlusszeitpunkt zwischen den Parteien variiert, wären womöglich Effekte des Zeitgeists bzw. Kontextes unterschätzt. Für das eigene Forschungsanliegen liefert der CMP/MARPOR-Datensatz (Volkens et al. 2015) Rohdaten. Der Datensatz beinhaltet die relative Häufigkeit von Themen bzw. Themenpositionen entlang von 56 Inhaltskategorien in den nationalen Wahlprogrammen relevanter Parteien mehrerer Nationen. Die Werte des Datensatzes beruhen auf der manuellen Kodierung der Wahlprogramme durch trainierte Kodierer, die basierend auf einem Kodierhandbuch das jeweilige Wahlprogramm in sogenannte Quasi-Sätze zerlegen und diesen jeweils eine Inhaltskategorie zuordnen (Volkens 2002; Werner et al. 2011, 2014). Die nächsten Abschnitte widmen sich der vorgenommenen Datenaufbereitung. Als erstes wird die Restrukturierung der CMP/MARPOR-Inhaltskodes vorgestellt, die für das Erreichen der Konstruktäquivalenz zwischen den beobachteten Themen auf Seiten der abhängigen Variablen und auf Seiten der unabhängigen Variablen nötig ist. Darauf aufbauend wird die konkrete Bildung zweier Indikatoren für die Parteisalienz beschrieben, die ihre Berücksichtigung als erklärende Variable in den unterschiedlichen Analyseperspektiven ermöglichen.

6.2.1.1 Restrukturierung der CMP/MARPOR-Kodierung zur Abbildung der Parteisalienz Leitgebend für die Restrukturierung der CMP/MARPOR-Daten ist das Erreichen der Konstruktäquivalenz zwischen den beobachteten Themen auf Seiten der abhängigen Variablen und auf Seiten der unabhängigen Variablen. Um mithilfe der CMP/MARPOR-Daten die Themenwichtigkeit von Politikbzw. Handlungsfeldern abzubilden, wurde bei der Restrukturierung darauf geachtet, enthaltene Positionskodes weitestgehend aufzuheben und zu inhaltlichen Schwerpunkten zusammenzufassen. Hintergrund dafür ist das Bestreben nach einer analytischen Trennung von Themenwichtigkeit und ideologischer Position, auch wenn diese Variablen nicht in Gänze unabhängig voneinander sind. Denn die ideologische Ausrichtung einer Partei hat durchaus einen Einfluss darauf, welche Themen ihr besonders wichtig sind. Zugleich hat die analytische Konstruktion der Themen einen erheblichen Einfluss auf den beobachtbaren Zusammenhang. D. h. Ableitung der Präferenzen der Gesamtpartei definiert sind (Klingemann et al. 1994: 21; Budge 2001a: 51).

6.2 Ideologisch-programmatische Ausrichtung der Parteien

111

je stärker die Festlegung von Themen spezifische ideologische Merkmale – und damit Positionen – aufgreift, desto deutlicher werden Zusammenhänge zwischen den aufgegriffenen Themen und der ideologischen Position erkennbar (Lowe et al. 2011). Als Orientierung für die Bildung der Politik- bzw. Handlungsfelder dienten dabei die Inhaltskategorien, die für das Erfassen der Politikartikulation zum europäischen Themenkomplex verwendet wurden.4 Die Anzahl der möglichen Themenbereiche für die Messung der programmatischen Schwerpunkte wiederum leitet sich im Wesentlichen aus der Struktur der CMP-Inhaltskodes ab, welche Themen auf unterschiedlichen Abstraktionsniveaus abbilden, Positionskodes beinhalten und gesellschaftliche Werte erfassen, die außerhalb einer Policy-Logik angesiedelt sind und somit Limitationen für die Ableitung von Politikfeldern bzw. Themenbereichen setzen. Die Neugruppierung der CMP-Inhaltskodes führt aber nicht zu einer vollständigen Aufhebung der Positionskodes für alle Politikfelder. Ausnahmen bilden hierbei etwa die Politikfelder Landwirtschaft und „Rechtsraum & Verbrechensbekämpfung“: Die CMP/MARPOR-Inhaltskategorien greifen diese ausschließlich als Positionsthemen auf, allerdings nur unidirektional. Strikt genommen liegt hiermit keine Messung einer Salienz in der gewünschten Policy-Logik vor. Ergo sind Verzerrungen in diesen beiden Kategorien in jenem Sinne möglich. Dies wird in Kauf genommen, um diese wichtigen Themenbereiche nicht vollends aus der Analyse auszuschließen. CMP-Kodes, die sich nicht in die Logik von Politikbereichen einordnen bzw. neu gruppieren ließen, wurden aus Gründen der Vergleichbarkeit in eine Kategorie „nicht abbildbar“ überführt. Dies betrifft die Kodes zu gesellschaftlichen Wertedimensionen („Fabric of Society“, Kodes 601 bis 608), welche sich nicht mit der Policy-Logik für die Kodierung der Politikartikulation zum EU-Themenkomplex vereinbaren lassen. Aus der Struktur der CMP-Kodes folgt leider auch, dass relevante europäische Politikbereiche, wie beispielsweise die Regional- und Strukturpolitik sowie die Asyl- und Einwanderungspolitik, außenvorgelassen werden, da diese in dieser Form nicht Gegenstand der CMP-Kodierung sind. Denn auch wenn insbesondere die Asyl- und Einwanderungspolitik eine Policy-Dimension für die Links-RechtsPositionierung von Parteien bietet (Benoit und Laver 2006: 200) und somit ebenfalls prädestiniert für das Manifesto-Projekt wäre, lassen sich entsprechende

4

Für den Überblick siehe Anhang D im elektronischen Zusatzmaterial.

112

6

Unabhängige Variablen: Konzeptspezifikation …

Kodes nicht schlüssig aus den CMP-Daten extrahieren, ohne die Gefahr einer Verzerrung in der Messung einzugehen.5 In Summe liegen dreizehn Politikfelder bzw. Themenbereiche vor (siehe Tabelle 6.2), anhand derer die programmatische Schwerpunktsetzung bzw. Parteisalienz abgebildet wird. Diesen Politikfeldern bzw. Themenbereichen stehen zugleich Konstruktäquivalente auf Seiten der abhängigen Variablen gegenüber (siehe Anhang H im elektronischen Zusatzmaterial), sodass die Überprüfung der Hypothesen möglich ist (dazu ausführlich Kapitel 9). Tabelle 6.2 Restrukturierung der CMP-Inhaltskategorien in Politik- bzw. Handlungsfelder für die Abbildung der Parteisalienz Politik- bzw. Handlungsfelder

CMP-Inhaltskategorien1

Außen- und Verteidigungspolitik

Foreign Special Relationship: Positive (101), Foreign Special Relationship: Negative (102), Anti Imperialism (103), Military: Positive (104), Military: Negative (105), Peace (106), Internationalism: Positive (107), Internationalism: Negative (109)

Wirtschaftspolitik

Free Enterprise (401), Incentives (402), Market Regulation (403), Economic Planning (404), Corporatism (405), Economic Goals (408), Keynesian Demand Management (409), Productivity (410), Controlled Economy (412), Nationalisation (413), Economic Orthodoxy (414), Marxist Analysis (415), Anti-Growth Economy (416) (Fortsetzung)

5

Zwar ist in einer jüngeren Version des CMP-Handbuchs durchaus das Bemühen zu erkennen, Integrationsthemen schlüssig mit zusätzlichen Detailkodes innerhalb der Domain „Fabric of Society“ für eine sinnvolle Auswertung zu erfassen (Werner et al. 2014). Allerdings deckte die eigens durchgeführte Überprüfung der CMP-kodierten, für den Untersuchungszeitraum relevanten Wahlprogramme auf, dass Aspekte der Asyl- und Einwanderungspolitik je nach Betonung etwa mit den Kodes 201 (Freedom and Human Rights: Positive), 302 (Centralisation: Positive), 303 (Governmental and Administrative Efficiency: Positive), 503 (Equality: Positive) oder mit den Kodes im Bereich „Fabric of Society“ versehen sind und also keinesfalls von einer kohärenten Anwendung weder über die Zeit noch innerhalb eines Wahlprogramms gesprochen werden kann. Die eben angesprochenen Kodes wiederum decken weitere Aspekte außer der Asyl- und Einwanderungspolitik ab, sodass auch diese schlichtweg nicht für die Operationalisierung der Einwanderungs- und Asylpolitik geeignet sind.

6.2 Ideologisch-programmatische Ausrichtung der Parteien

113

Tabelle 6.2 (Fortsetzung) Politik- bzw. Handlungsfelder

CMP-Inhaltskategorien1

Technologie und Infrastruktur

Technology and Infrastructure (411)

Außenhandelspolitik (außer Agraraußenhandel)

Protectionism: Positive (406), Protectionism: Negative (407)

Umwelt

Environmental Protection (501)

Kultur und Sport

Culture (502)

Soziales und Gesundheit

Welfare State Expansion (504), Welfare State Limitation (505), Non-economic Demographic Groups (706)

Arbeitnehmerpolitik

Labour Groups: Positive (701), Labour Groups: Negative (702)

Bildung

Education Expansion (506), Education Limitation (507)

Landwirtschaft

Agriculture and Farmers (703)

Rechtsraum und Verbrechensbekämpfung Law and Order (605) Freiheits- und Bürgerrechte, einschließlich Gleichheitsgrundsätze

Freedom and Human Rights (201), Social Justice (503), Underprivileged Minority Groups (705)

Demokratisches politisches System einschließlich seiner Institutionen und Verfassung

European Community: Positive (108), European Community: Negative (110), Democracy (202), Constitutionalism: Positive (203), Constitutionalism: Negative (204), Decentralisation (301), Centralisation (302), Governmental and Administrative Efficiency (303), Political Corruption (304)

n.a.*

Political Authority (305), National Way of Life: Positive (601), National Way of Life: Negative (602), Traditional Morality: Positive (603), Traditional Morality: Negative (604), Social Harmony (606), Multiculturalism: Positive (607), Multiculturalism: Negative (608), Middle Class and Professional Groups (704)

Anmerkungen: 1 basiert auf Werner et al. (2011); *ausgeschlossene Kodes, für die keine Konstruktäquivalenz existiert. Quelle: eigene Darstellung.

114

6

Unabhängige Variablen: Konzeptspezifikation …

6.2.1.2 Parteisalienz Indikator I Der erste Indikator für die Parteisalienz gibt die Themenwichtigkeit der Gesamtpartei im Verlauf des Untersuchungszeitraums von Juni 1999 bis Juni 2009 wieder (siehe hierzu ausführlich nachfolgendes Kapitel 7). Die Berechnung dieses Indikators erfolgte gemäß dem Ansatz, den Untersuchungszeitraum in zehn Beobachtungszeiträume von jeweils zwölf Monaten zu unterteilen, um auch im Small-N-Design eine ausreichende Anzahl an Beobachtungen für die empirische Analyse zur Verfügung zu haben (hierzu ausführlich Kapitel 9). Dafür wurden im ersten Schritt die relativen Anteile der oben aufgelisteten CMP-Inhaltskategorien aus der CMP-Datenbank für die Bundestagswahlprogramme der Jahre 1998, 2002, 2005 und 2009 extrahiert und zu den dreizehn Themenbereichen additiv zusammengeführt (vgl. Tabelle 6.2). Im zweiten Schritt wurden die fehlenden Werte für die Jahre zwischen den nationalen Wahlen mittels linearer Interpolation gebildet. Zusammengefasst beinhaltet dieser Indikator I der Parteisalienz die relative Bedeutung von Themen für die Gesamtpartei in Bezug zu anderen Themen. Die numerischen Werte rangieren im Wertespektrum zwischen 0 und 100, wobei ein höherer Wert mit einer höheren Salienz verglichen zu den anderen Themen korrespondiert.

6.2.1.3 Parteisalienz Indikator II Der zweite Indikator für die Parteisalienz gibt die wichtigen Themen bzw. die thematische Schwerpunktsetzung einer Partei in Relation zu anderen Parteien im Parteienwettbewerb wieder. Folglich werden als besonders wichtige Themen für eine Partei nicht jene verstanden, die innerhalb ihres Wahlprogramms besonders stark betont werden, sondern jene Themen, die im Vergleich zu den Mitwettbewerbern stärker gewichtet werden. Vorteilhaft an der Verwendung dieser relationalen Salienzwerte6 ist zweierlei: Als erstes können Aussagen über besonders wichtige Themenbereiche getroffen werden, ohne dass die Festlegung der Wichtigkeit an einen theoriefreien Schwellenwert gekoppelt ist, also bis zu welchem relativen Anteil eines Themas innerhalb eines Wahlprogramms von einem wichtigen Themenbereich gesprochen werden kann. Als zweites können existierende Unterschiede zwischen den Parteien auch für jene Themenbereiche abgebildet werden, die mit ihrem prozentualen Anteil an einem Wahlprogramm immer im unteren Bereich der Randordnung landen. Als ein einschlägiges Beispiel ist hier das Politikfeld Landwirtschaft zu nennen.

6

Franzmann spricht hier von „relativen Salienzwerten“ (2009: 188). Dieser Begriff ist insofern missverständlich, da es sich bei einem Salienzwert a priori um einen relativen Wert handelt.

6.2 Ideologisch-programmatische Ausrichtung der Parteien

115

Der Indikator II für die Parteisalienz dient der Abbildung der besonders wichtigen Themenbereiche für die Parteien über den gesamten Untersuchungszeitraum, d. h. er liefert eine abschließende Bewertung der besonders wichtigen Themenbereiche für den zehnjährigen Beobachtungszeitraum. In Anlehnung an Franzmann (2009: 188) wurde eine Transformation der Salienzwerte pro Wahlprogramm in relationale Salienzwerte bezogen auf den Parteienwettbewerb zum Zeitpunkt einer Wahl vorgenommen.7 Dafür wird die Distanz des Salienzwerts si der Partei A für einen Themenbereich vom Salienz-Mittelwert aller Parteien berechnet, wobei negative Werte eine geringere Betonung und positive Werte eine stärkere Betonung im Vergleich zum durchschnittlichen Parteienwettbewerb beschreibten.8 Wie beim Indikator I der Parteisalienz dienten die nationalen Wahlprogramme der Jahre 1998, 2002, 2005 und 2009 als Datengrundlage. Ein positiver relationaler Salienzwert führt zunächst zu einer Klassifizierung des Themenbereichs als salientes Thema für die Partei zum jeweiligen Messzeitpunkt. Die abschließende Festlegung salienter Themenbereiche für den gesamten Untersuchungszeitraum greift nun alle vier Messungen (basierend auf den vier Wahlprogrammen) auf und überführt diese in eine Dummy-Kodierung nach der folgenden Entscheidungsregel: Ist ein Thema nie oder selten als salient klassifiziert (hier: keinmal oder einmal), dann wird es als nichtsalient (0) für die Partei behandelt. Führen wiederum die positiven relationalen Salienzwerte dazu, dass ein Thema sehr häufig oder immer als salient (1) klassifiziert wird (hier: drei- oder viermal), dann ist dieses Thema als salient für die Partei über den Untersuchungszeitraum definiert. Bedingt durch den Rückgriff auf vier Wahlprogramme kann ebenfalls die Situation eintreten, dass zwei von vier Messungen als salient klassifiziert sind und die eben dargelegte Entscheidungsregel an ihre Grenzen führt. Zugleich

7

Der Fokus ist hier auf parteisystemrelevante Parteien gerichtet (Niedermayer 1996). Im Untersuchungszeitraum sind das für den deutschen Parteienwettbewerb B90/Die Grünen, CDU/CSU, FDP, PDS bzw. Die Linke und SPD (Niedermayer 2013). 8 Einen anderen Ansatz verfolgen hier Steenbergen und Scott (2004) und in weiterer Anwendung bei Netjes und Binnema (2007): Hier wird die sogenannte systemische Salienz operationalisiert, indem ein durchschnittlicher Salienzwert aller Parteien eines Parteiensystems berechnet wird, dabei aber der jeweilige Salienzwert der betrachteten Partei unberücksichtigt bleibt. Im Ergebnis ergibt sich für jede einzelne Partei eine andere systemische Salienz. Dieses Vorgehen impliziert indes, dass die individuelle Partei nicht Bestandteil des Parteienwettbewerbs ist und unterschlägt ergo ihren Beitrag zur systemischen Salienz.

116

6

Unabhängige Variablen: Konzeptspezifikation …

handelt es sich hierbei um ein seltenes Ergebnis9 , was unterstreicht, dass die Parteien überwiegend dieselben Themen im gesamten Untersuchungszeitraum stärker bzw. weniger herausstellen als ihre jeweiligen Mitwettbewerber und somit weitestgehend Stabilität der Parteisalienz über die Zeit vorliegt.10 Es erfolgte eine qualitative Bewertung der nicht eindeutigen Ergebnisse, wofür unter anderem der Blick geworfen wurde auf den spezifischen Themenbereich und seine Bedeutung für die Partei, den tatsächlichen Abstand vom Salienz-Mittelwert aller Parteien und auf weitere Wahlprogramme außerhalb des Untersuchungszeitraums. Diese qualitative Absicherung führte bei allen für die Untersuchung relevanten Fällen zu einer abschließenden Klassifizierung als salientes Thema.

6.2.2

Parteiposition zur EU-Integration als Kontrollvariable

Mit der EU-Integrationsposition ist die Unterstützung des allgemeinen europäischen Integrationsprozesses mit seiner engeren Zusammenarbeit auf europäischer Ebene und des dafür notwendigen Kompetenzausbaus der EUGemeinschaftsorgane gemeint. Das eine Ende der Positionsdimension markiert die Ablehnung der EU-Integration bzw. die Befürwortung der nationalen Autonomie und am anderen Ende steht die uneingeschränkte Unterstützung der (weiteren) politischen EU-Integration. Zugrundeliegende Annahme ist hierbei, dass das Thema EU-Integration als ein politischer Raum existiert und infolgedessen Parteien in diesem Raum verortet und letztlich in eine gewisse Ordnung gebracht werden können (Ray 2007: 13). Die EU-Integrationsposition getrennt von der ideologischen Position der Parteien (siehe Abschnitt 6.2.3) aufzunehmen begründet sich damit, dass sich ihre räumliche Ordnung von der klassischen ideologischen Links-Rechts-Dimension unterscheidet und bis dato nicht in der Links-Rechts-Dimension absorbiert ist (Marks und Wilson 2000; Hooghe und Marks 2009). Vielmehr symbolisiert die „inverted u-curve“ (Hooghe et al. 2002: 968), dass extrem links- und rechtsorientierte Parteien eine ablehnende Haltung einnehmen, während die Parteien der

9

Auf den gesamten deutschen Parteienwettbewerb bezogen tritt dieses Ergebnis bei 9 von 65 Werten (also fünf Parteien mit je 13 Themenbereiche; knapp 14 Prozent) ein, bei den im Rahmen dieser Arbeit untersuchten Parteien nur bei drei von 39 Werten (knapp 8 Prozent). 10 Was wiederum unterstreicht, dass Aussagen über saliente Themen für Parteien durchaus über einen längeren Zeitraum getroffen werden können und die hier angewandte Operationalisierung angemessen ist.

6.2 Ideologisch-programmatische Ausrichtung der Parteien

117

Mitte (sozialdemokratische, christdemokratische, konservative und liberale Parteifamilien) eine befürwortende Integrationshaltung einnehmen (siehe auch bei Marks et al. 2002; Hooghe et al. 2004; Helbling et al. 2010). Existierende Messungen der EU-Integrationsposition von Parteien greifen auf verschiedene Datenerhebungsansätze zurück. Als etabliert sind hier Expertenbefragungen zu nennen (Ray 1999; Steenbergen und Marks 2007; Hooghe et al. 2010; Bakker et al. 2015). Verwendung finden auch CMP/-MARPOR-Daten (Carrubba 2001; Marks et al. 2007; Ray 2007). Die Debatte über Reliabilität und Validität der Messinstrumente zeigt indes auf, dass diese beiden Datenquellen mitunter zu abweichenden Ergebnissen in der Positionsermittlung führen und im Ergebnis Expertenbefragungen als das stärkere Instrument bewertet werden (Marks 2007; Marks et al. 2007; Ray 2007; Steenbergen und Marks 2007; Whitefield et al. 2007). Eine gewisse Skepsis gegenüber dieser Einschätzung bleibt geboten, da einerseits in der Debatte etwas unterbelichtet bleibt, dass die Messinstrumente mitunter unterschiedliche Aspekte von Positionen bzw. Präferenzen erheben und andererseits die kompetitiven Studien zu den Messinstrumenten vorrangig von Autoren durchgeführt wurden, die selbst Expertenbefragungen durchführen. Hier ist durchaus eine Tendenz festzustellen, Abweichungen zwischen den Messungen übermäßig zugunsten der eigenen Methodik und ausschließlich im Sinne systematischer Fehler einer Methodik und ihrer Validität zu interpretieren (Marks et al. 2007; Ray 2007). Trotz dieser Skepsis kommt hier als Indikator für die EU-Integrationsposition die etablierte und in mehreren Runden durchgeführte Chapel-HillExpertenbefragung zum Einsatz (Steenbergen und Marks 2007; Hooghe et al. 2010; Bakker et al. 2015), welche eine Einstufung der eingenommenen Position der Parteiführung zur EU-Integrationauf einer 7-Punkt-Skala liefert. Als vorteilhaft wird bewertet, dass mit dieser Datenbasis getrennte Positionen für CDU und CSU vorliegen, was bei einer Verwendung der CMP-/MARPOR-Daten nicht möglich ist. Die mangelnde analytische Trennung zwischen Politikartikulation und politischem Handeln bei Daten aus Expertenbefragungen wird an dieser Stelle weniger schwerwiegend eingestuft als es für die abhängige Variable der Fall ist (siehe Abschnitt 8.1.1). Zudem ergaben die eigens durchgeführten Positionsberechnungen anhand der CMP-/MARPOR-Daten mitunter stark volatile Positionswerte für die deutschen Unionsparteien, die wenig plausibel erscheinen.11 11

Für die Positionsmessung wurden aus dem CMP/MARPOR-Datensatz ausschließlich die Salienzwerte der Inhaltskategorien Pro-EU-Integration (per108) und Kontra-EU-Integration (per110) verwendet. Umgewandelt werden diese Salienzwerte in einen Positionsindikator, indem das Nettomaß positiver EU-Aussagen (per108-per110) ins Verhältnis zu den

118

6.2.3

6

Unabhängige Variablen: Konzeptspezifikation …

Ideologische Position der Parteien als Kontrollvariable

Es wurde bereits angesprochen, dass Salienz und Position unterschiedliche Konzepte der ideologisch-programmatischen Verortung von Parteien beschreiben, diese jedoch nicht gänzlich unabhängig voneinander sind (Laver 2001; Lowe et al. 2011). Deshalb wird die ideologische Positionierung der Parteien als Kontrollvariable im Forschungsdesign aufgenommen. Geht es um die ideologische Verortung von Parteien, dann bietet die LinksRechts-Dimension die wichtigste Ordnungsmöglichkeit (Mair 2001), sodass diese auch als „super issue“ (Gabel und Huber 2000: 96) in der Positionsmessung bezeichnet wird. Insgesamt liegt der Links-Rechts-Orientierung eine beeindruckende Absorptionskraft inne, da sie viele politische Konfliktlinien subsumiert (Knutsen 1995: 87) und somit länderübergreifend Parteien innerhalb ihres Parteienwettbewerbs in eine Ordnung bringt. Zugleich werden mit der Reduktion des politischen Wettbewerbs auf die (eine) Links-Rechts-Dimension andere zentrale Konflikte, die quer zur klassischen Links-Rechts-Dimension liegen, ignoriert (Stokes 1963). Aus diesem Grunde sei es weniger sinnvoll, die Links-RechtsDimension als „Container“ anzuwenden und sämtliche Aspekte des politischen Wettbewerbs in der Operationalisierung des Indikators aufzugreifen (Keman 2007: 79). Vielmehr sollte der politische Raum zwei- bzw. mehrdimensional konzeptualisiert werden (Laver und Hunt 1992; Benoit und Laver 2006, 2007; Keman 2007; Linhart und Shikano 2009; Jahn 2011). Im Rahmen dieses Forschungsdesigns kommt deshalb eine Konzeption zur Anwendung, welche die übergeordnete Links-Rechts-Dimension in zwei Dimensionen auflöst.12 Die Stärke der zweidimensionalen Konstruktion des politischen Raumes zeigt sich bezogen auf die Fallauswahl (Parteien des deutschen Parteiensystems). Denn so kann die FDP als „Spezialfall“ mit ihrer rechten Positionierung auf der Wirtschaftsdimension und ihrer linken (hier im Sinne einer liberalen)

Gesamtaussagen zur EU-Integration (per108+per110) gesetzt wird. Im Ergebnis liegt eine Skala von -1 bis 1 vor, wobei der positive Wert für eine Pro-Integration-Haltung steht. Das damit angewandte „Ratio-Scaling“ ist anderen Umwandlungsverfahren wie der Differenzmethodik (Anwendung u. a. bei Carrubba 2001) vorzuziehen, da der daraus entwickelte Indikator die höchste Validität basierend auf den Wahlprogrammdaten aufweist (Marks et al. 2007; Ray 2007). 12 Ein anderer Ansatz ergänzt die Links-Rechts-Dimension um eine „progressive vs. conservative“-Dimension (Keman und Pennings 2006; Keman 2007) bzw. LiberalismusKonservatismus-Dimension (Jahn 2011).

6.2 Ideologisch-programmatische Ausrichtung der Parteien

119

Position auf der Wertedimension (Linhart und Shikano 2009: 302) besser verortet werden. Zugleich weist dieser Spezialfall darauf hin, dass mindestens zwei voneinander unabhängige Dimensionen im deutschen Parteiensystem existieren. Die erste Dimension stellt den sozioökonomischen Links-Rechts-Konflikt dar, welcher die verschiedenen Zielsetzungen zur zugrundeliegenden Wirtschaftsordnung beinhaltet, d. h. klassische Verteilungsfragen bzw. Verteilungsmechanismen öffentlicher Güter, und demzufolge die traditionelle Konfliktlinie im Sinne der Cleavage-Theorie beschreibt. Für die westlichen Demokratien gilt bis heute, dass diese Dimension bzw. Konfliktlinie noch immer die Parteiensysteme am stärksten ideologisch strukturiert (Saalfeld 2007: 74). Die gesellschaftspolitische bzw. soziokulturelle Wertedimension wird hier als zweite Dimension herangezogen, da sie neben der ökonomischen Dimension die entscheidende ideologisch-prägende Dimension für die Verortung der modernen Partei ist.13 Allgemein formuliert werden unter dieser Dimension Aspekte des politischen Lebens aufgegriffen, welche die (ideologischen) Konzeptionen über die Beziehung von Gesellschaft zum einzelnen Individuum widerspiegeln z. B. ausgedrückt in Loyalitäten gegenüber dem Staat, individuellen Freiheitsrechten, aber auch im Offenheitsgrad der Gesellschaft. Abstrakt gesprochen spiegeln sich in dieser Wertedimension eine der viel diskutierten neuen Konfliktlinien wider, die seit den 1970er Jahren die „historisch gewachsene parteipolitisch-ideologische Landkarte Westeuropas“ (Saalfeld 2007: 75) ergänzen. Auch wenn diesbezüglich diverse Autoren ähnliche Konfliktlinien definieren, sind diese im Detail nicht identisch (siehe Überblick bei Siaroff 2000; Saalfeld 2007: 76–82), was sich auch in jenen Forschungsbeiträgen niederschlägt, die die Messung von Positionen in den Vordergrund stellt (z. B. Keman und Pennings 2006; Benoit und Laver 2007; Keman 2007; Linhart und Shikano 2009). Ähnlich wie bei die Messung von Themenwichtigkeit oder der EUIntegrationsposition sind diverse Datenquellen sowie Analyseverfahren für die Messung der ideologischen Parteiposition in der Forschung etabliert, deren Stärken und Schwächen u. a. mit Rückgriff auf Reliabilitätsmessungen diskutiert werden und weitestgehend der Schluss gezogen wird, dass sie zumindest dasselbe Konstrukt messen und die verschiedenen Datengrundlagen und ihre Skalen für die Positionsmessung von Parteien geeignet sind (u. a. Gabel und Huber 2000: 98; Kleinnijenhuis und Pennings 2001; McDonald und Mendes 2001; Volkens 2007;

13

Des Weiteren werden auch andere „klassische“ Konfliktlinien nach Lipset und Rokkan (1967, 1990) aufgegriffen, wie die Konflikte zwischen säkular vs. religiös und Zentrum vs. Peripherie (Siaroff 2000).

120

6

Unabhängige Variablen: Konzeptspezifikation …

Lowe et al. 2011).14 Einige Autoren wenden hier ein, dass Expertenbefragungen über die Zeit übermäßig stabile Ergebnisse produzieren und Veränderungen über die Zeit nicht angemessen erfassen, wofür wiederum textbasierte Ansätze – hier in Bezug auf Wahlprogramme – besser geeignet sind (Mair 2001: 20–21; Keman 2007: 86; McDonald et al. 2007). Um diese Problematik einer zu hohen Stabilität zu umgehen, werden hier Wahlprogramme als Datengrundlage für die ideologische Positionsmessung herangezogen, die eine adäquate Abbildung möglicher Veränderungen innerhalb des zehnjährigen Untersuchungszeitraums erlauben.15 Zugleich bleibt der bereits oben eingeworfene Einwand bei der Verwendung von Wahlprogrammen für die Messung von Positionen (und thematischen Schwerpunkten) bestehen, dass Positionsveränderungen zwischen den einzelnen Messpunkten auch aus kurzfristigen strategischen Entscheidungen im Zusammenhang mit der spezifischen Wahlsituation resultieren können. Wie auch für die Messung der Parteisalienz bietet der CMP/MARPORDatensatz eine geeignete Datengrundlage, die Parteien im politischen Raum zu verorten. Mit der Entscheidung, die ideologische Positionierung als zweidimensionalen Raum abzubilden, wird ein zentraler Kritikpunkt am CMP/MARPORProjekt obsolet, nämlich am verwendeten RILE-Index zur Messung der ideologischen Links-Rechts-Position (Klingemann et al. 2006: 5–6), wonach dieser Index nicht plausible Ergebnisse für einige Parteien bzw. Parteiensysteme liefert (u. a.Pelizzo 2003) und dessen Bildung als arbiträr bewertet wird (Jahn 2011, 2014). Stattdessen kann hier die Forschungsliteratur aufgegriffen werden, welche in den letzten Jahren eine Vielzahl von Verbesserungsvorschlägen produzierte, wie die räumliche Verortung von Parteien anhand der vorliegenden CMP-Daten mittels Restrukturierung und anderer angewandter mathematischer Verfahren ermittelt werden kann, sodass plausiblere Ergebnisse vorliegen (Franzmann und Kaiser 2006; Jahn 2011) (u. a. Keman und Pennings 2006; Benoit und Laver 2007; Keman 2007; Linhart und Shikano 2009)und letztlich eine wertvolle, transparente und einfach zugängliche Datenquelle für die Messung ideologischer Positionierung genutzt werden kann. 14

Wobei hier anzumerken ist, dass in Teilen eine Tendenz unter den Autoren erkennbar ist, Schwächen alternativer Varianten besonders zu betonen, insbesondere dann, wenn es darum geht, die eigene Datenerhebungsmethodik zu stärken und die eigens entwickelten Schätzer zu etablieren (siehe hierzu auch die Kritik von Volkens (2007)). 15 Der Rückgriff auf eine Expertenbefragung könnte trotz des genannten Einwandes einen sinnvollen Robustheitstest liefern. Es sind aber keine Befragungen bekannt, die es ermöglichen, die ideologische Position im Untersuchungszeitraum unter Rückgriff auf mehrere Messzeitpunkte abzubilden.

6.2 Ideologisch-programmatische Ausrichtung der Parteien

121

Als Verfahren zur Ermittlung der ideologischen Positionierung von Parteien kommt im Rahmen dieser Untersuchung das zweidimensionale Skalenmodell von Linhart und Shikano (2009) zur Anwendung, dessen Vorzüge wie folgt eingeschätzt werden: Als erstes können die Autoren überzeugend darlegen, dass die zwei Dimensionen zur übergeordneten Links-Rechts-Dimension beitragen (Benoit und Laver 2006), sodass die konzeptionelle Verbindung der übergeordneten Links-Rechts-Dimension mit einer weiteren Wertedimension wie bei Keman (2007) und Keman/Pennings (2006) als weniger geeignet eingestuft wird.16 Als zweites basiert das Linhart-Shikano-Verfahren im Gegensatz zur Konstruktion der zweidimensionalen Skalen nach Benoit und Laver (2007: 100) auf einer weitaus schlüssigeren Zuordnung der CMP-Inhaltskategorien zu den beiden ökonomischen und sozio-kulturellen Dimensionen, wobei eine Abgrenzung von linken und rechten Positionsthemen sowie von Valenzthemen17 erfolgt. Als drittes greift dieses Skalenmodell für die Restrukturierung der CMPKategorien den politischen Kontext des deutschen Parteiensystems auf, was einer der wichtigsten Botschaften der Forschungsliteratur um die Positionsmessung gerecht wird, nämlich dass die Bedeutung von Links-Rechts zwischen den politischen Systemen variiert (Gabel und Huber 2000; Benoit und Laver 2006, 2007), sodass mehr „context-sensitive indicators“ in eine Links-Rechts-Messung integriert werden sollten (Franzmann 2013: 825). Daran geknüpft sind letztlich Entscheidungen darüber, welche Themen basierend auf ex-ante-Annahmen als bestimmend für die Positionierung im Raum betrachtet werden können. Dass das ausgewählte zweidimensionale Skalenmodell diesem länderspezifischen Kontext gerecht wird, zeigt sich exemplarisch am Umgang mit der Inhaltskategorie soziale Marktwirtschaft (CMP-Kode 403), welche etwa bei RILE und im Benoit- LaverAnsatz (2007: 100) als linkes Positionsthema definiert ist. Linhart und Shikano halten hingegen fest, dass das Konzept der sozialen Marktwirtschaft in Deutschland keiner expliziten politischen Richtung zugeordnet werden kann und deshalb als Valenz-Thema für die ökonomische Dimension zu behandeln ist (Linhart und Shikano 2009: 304).18 16

Zumal die Festlegung der verwendeten CMP-Kodes für die Bildung der Skalen auch aus theoretischer Perspektive nicht in Gänze überzeugen kann (siehe hierzu auch die Kritik von Jahn 2011: 747). 17 Die Abgrenzung der Valenzthemen von Positionsthemen geht zurück auf Stokes (1963), und zielt auf Themen ab, über die ein allgemeines positives oder negatives Verständnis existiert, die Abgrenzung aber nicht über Positionen erfolgt, sondern darüber wie stark diese Themen mit einer Partei durch die Wähler in Verbindung gebracht werden. 18 Im Gegensatz dazu RILE oder das Skalenmodell von Benoit und Laver (2007: 100), die beide den Kode 403 als linkes Positionsthema definieren.

122

6

Unabhängige Variablen: Konzeptspezifikation …

Als viertes ermöglicht die Berücksichtigung der Valenzthemen, die ohne Einfluss auf die jeweilige Links-Rechts-Position bleiben, eine angemessene Bereinigung der Daten um die Salienzwerte der jeweiligen Dimension und führt mittels Normalisierung der Werte zur Position entlang der ökonomischen bzw. soziokulturellen Dimension (Linhart und Shikano 2009: 308). Analog zur Messung der Parteisalienz wurden ebenfalls die Bundestagswahlprogramme zwischen 1998 und 2009 als relevante Messpunkte definiert. Die Berechnung der ideologischen Positionierung entlang der ökonomischen und soziokulturellen Dimension erfolgte zunächst für die vier Messpunkte. Im zweiten Schritt wurden auch hier relevante bzw. fehlende Werte zwischen den Wahlzeitpunkten mittels linearer Interpolation ermittelt.

6.3

Die europäische Handlungsagenda

Die theoretische Argumentation stützt sich auf die europäische Themen- bzw. Handlungsagenda als dritten zentralen Erklärungsfaktor, in dem ein wichtiger Impuls für die Politikartikulation gesehen wird. Diesen greifen die nationalen Parteien auf, um ihre Policy-Kompetenz in den nationalen Wettbewerb hinein zu signalisieren. Unter der europäischen Handlungsagenda werden hier die politischen Aktivitäten auf der europäischen Ebene verstanden. Unter dem Sammelbegriff der europäischen politischen Aktivitäten verbergen sich indes höchst unterschiedliche Angelegenheiten hinsichtlich des Inhalts, Charakters und der Zuständigkeiten, sodass es unumgänglich ist mit mehreren Indikatoren zu arbeiten. So ist es angebracht die EU-Finalitätsfragen, die das EU-Vertragswerk und die geografische Erweiterung beinhalten, abzugrenzen von der europäischen Politikgestaltung, also den politischen Aktivitäten in den diversen Politikfeldern (vgl. hierzu Kapitel Abschnitt 4.1). Die darauf aufbauenden beiden Indikatoren spiegeln im weitesten Sinne die Abgrenzung zwischen europäischen Primär- und Sekundärrecht und damit verbundenen unterschiedlichen Zuständigkeiten auf europäischer Ebene wider. Während die Handlungshoheit bei der Weiterentwicklung des Primärrechts in den Händen der Mitgliedstaaten liegt und hier zumeist die intergouvernementale Verhandlungslogik Anwendung findet, liegt die Verantwortung für das europäische Sekundärrecht und damit für die europäische Politikgestaltung bei der europäischen Institutionentrias Europäische Kommission, Ministerrat und Europäisches Parlament, begleitet vom Europäischen Gerichtshof. Zugleich geht der Indikator für die EU-Finalitätsfragen über die Abgrenzung zwischen Primär- und Sekundärrecht hinaus, da dieser zusätzlich die geografische Erweiterung einbezieht. Denn auch wenn die grundlegenden

6.3 Die europäische Handlungsagenda

123

Erweiterungsentscheidungen (z. B. die Aufnahme von Beitrittsverhandlungen oder Beschluss zum Beitritt) von den Staats- und Regierungschefs getroffen werden, verbleiben die Erweiterungsangelegenheiten nicht ausschließlich in den Händen des Europäischen Rats, sondern beziehen die anderen europäischen Institutionen ein. Bei der Operationalisierung der beiden Indikatoren für die europäische Handlungsagenda sind zwei zentrale Punkte zu beachten: Als erstes muss das gewählte thematische Abstraktionsniveau dieser unabhängigen Variablen mit dem thematischen Abstraktionsniveau der gewählten Analyseperspektive auf Seiten der abhängigen Variablen korrespondieren, um logische Fehlschlüsse zu vermeiden. Eine Lösung besteht darin, die Handlungsagenda in unterschiedlichen Varianten abzubilden und je nach Analyse auf die entsprechende Variante zurückzugreifen. Einsetzbar ist diese Strategie für die europäische Handlungsagenda bei den Finalitätsfragen. Als zweites muss beachtet werden, dass die innerparteilichen Akteure über (bedingt durch ihre Ressourcenausstattung) unterschiedliche Reaktionsmöglichkeiten verfügen, sodass die europäische Handlungsagenda mit Blick auf die zeitliche Dimension nicht dieselben Impulse für die drei innerparteilichen Akteurstypen setzt. So besteht beispielsweise für Fraktionen mit ihren Pressemitteilungen die Möglichkeit, unmittelbar und tagesaktuell auf europäische Ereignisse zu reagieren. Einem Parteitag wiederum steht diese Option nur zur Verfügung, wenn seine Tagungszeit zufällig mit europäischen Ergebnissen zusammenfällt. Folglich würden bei einer Gegenüberstellung von der EU-Handlungsagenda und der Politikartikulation vor allem für die Parteitage verzerrte Ergebnisse entstehen, blieben abweichende Reaktionsmöglichkeiten unbeachtet.

6.3.1

Indikator I: Europäische Agenda der Finalitätsfragen

Die Weiterentwicklung der institutionellen Ausgestaltung und die geografische Ausdehnung der Europäischen Union gehören zur europäischen Handlungsagenda seit der Gründung der EU. Um die zentralen Handlungsschritte in Relation zu den Themenschwerpunkten EU-Vertragswerk und geografische Erweiterung innerhalb des Untersuchungszeitraums19 vollständig abzubilden, wurden zunächst die Dokumentationen Annual Review des Journal of Common Market Studies qualitativ ausgewertet. So fallen in den Untersuchungszeitraum von Juni 1999 bis Juni 2009 beispielsweise die Verhandlungen um einen neuen EU-Vertrag, die mit 19

Begründung der Auswahl des Untersuchungszeitraums, siehe Kapitel 7.

124

6

Unabhängige Variablen: Konzeptspezifikation …

der Arbeit des dafür einberufenen Konvents zwischen März 2002 und Juli 2003 begannen und erst im Dezember 2007 mit der Unterzeichnung des sogenannten Lissaboner Vertrags durch die Staats- und Regierungschefs endeten, nachdem der erste verabschiedete sogenannte Verfassungsentwurf in nationalen Referenden in Frankreich und in den Niederlanden im Sommer 2005 keine mehrheitliche Unterstützung in der Bevölkerung fand. Bezüglich der geografischen Erweiterung sind der Vollzug der größten Erweiterungsrunde – die Osterweiterung, vollzogen in zwei Schritten – und der Beschluss über die Aufnahme der Beitrittsverhandlungen mit der Türkei und weiteren Staaten in Südosteuropa zu nennen. Überführt wurden die erfassten detaillierten Angaben dann in zwei DummyVariablen, die die europäischen Prozesse bzw. das Eintreten von Entscheidungen über die Zeit widerspiegeln. Zwei Dummy-Variablen sind hierfür nötig, denn die Auswertung der Politikartikulation bezieht sich auf unterschiedliche thematische Abstraktionsniveaus und abweichende Beobachtungen (siehe hierzu weiter unten ausführlich Kapitel 9).

6.3.1.1 Dummy-Variable A für die EU-Agenda zu Finalitätsfragen Die erste Dummy-Variable – Dummy-Variable A – wird verwendet, wenn die Analyse auf dem thematischen Abstraktionsniveau der einzelnen politischen Aussagen (also nicht aggregiert) durchgeführt wird. Das ist beispielsweise der Fall, wenn es um die innerparteiliche Zuständigkeit für strategische Themen geht. Damit mithilfe dieser Dummy-Variable sinnvolle Aussagen über die Berücksichtigung der EU-Finalitätsagenda in der Politikartikulation der drei innerparteilichen Akteure getroffen werden können, beachtet die Bildung der Variablen zwei verschiedene Komponenten: Zum einen wird der Ablauf bzw. der zeitliche Kontext der europäischen Prozesse berücksichtigt. Für die Operationalisierung wurden die Treffen des Europäischen Rats verwendet, die die Finalitätsthemen wie beispielsweise den Verfassungsentwurf bzw. den Lissaboner Vertrag auf der Tagungsagenda hatten. Zum anderen fließen in die Bildung dieser Dummy-Variable die unterschiedlichen Möglichkeiten ein, über die die drei Akteurstypen a priori verfügen, um auf die europäische Handlungsagenda zu reagieren. Bei der Dummy-Kodierung für die Fraktionen wird eine zeitliche Reaktion von zwei Kalendertagen vor und nach dem Ereignis berücksichtigt. Die Zeit vor einem Ereignis kann bei der Abbildung der Reaktion auf die EU-Agenda einfließen, da Entscheidungen zum EU-Vertrag bzw. die Meilensteine der EU-Integration vom Europäischen Rat getroffen werden, dessen jeweilige Tagungsagenda im Vorfeld bekannt ist. Für die Parteitage werden drei Monate nach einem Ereignis auf der EUEbene als Reaktionsmöglichkeit definiert, um noch als von der EU-Agenda

6.3 Die europäische Handlungsagenda

125

beeinflusst eingestuft zu werden. Gleiches gilt für Parteitage einen Monat vor unmittelbar anstehenden Entscheidungen, wenn der dazugehörige europäische Verhandlungsprozess läuft. Aufgrund einer höheren Tagungsfrequenz fallen die Zeiträume für die Parteiführungen im Vergleich zu denen der Parteitage kürzer aus, in denen die Selektion europäischer Finalitätsfragen als unmittelbar durch die europäische Agenda beeinflusst definiert werden. Hier ist ein Monat nach und ein Monat vor einem Ereignis als Abgrenzungskriterium festgelegt.

6.3.1.2 Dummy-Variable B für die EU-Agenda zu Finalitätsfragen Die Dummy-Variable B findet ihre Anwendung, wenn die Analyse auf einer jährlichen Beobachtung der Themenschwerpunkte in der Politikartikulation fußt. Dann werden die europäischen Ereignisse ebenfalls auf jährlicher Basis abstrahiert.20 Das damit gröbere Maß für die europäischen Ergebnisse impliziert zugleich längere Reaktionszeiträume für die innerparteilichen Akteure, in denen die Selektion von Finalitätsfragen als von der europäischen Ebene induziert definiert wird. Folglich kann bei dieser Dummy-Variablen für die europäische Agenda der Finalitätsfragen auf eine differenzierte Kodierung der drei Akteurstypen verzichtet werden, d. h. die Terminierung des externen Ereignisses ist für alle Akteure identisch.

6.3.2

Indikator II: Europäische Legislative als europäische Handlungsagenda in der Politikgestaltung

Abgeleitet aus dem Forschungsinteresse am Umgang nationaler Parteien mit der europäischen Politikgestaltung greift der zweite Indikator auf die Entwicklungen im europäischen Sekundärrecht zurück und damit auf die entscheidende Komponente der europäischen Politikgestaltung.21 Als relevant definiert sind hier die legislativen Aktivitäten der drei zentralen europäischen Institutionen EUKommission, Ministerrat und Europäisches Parlament. Zwar werden mit diesem Ansatz die Leitlinien des Europäischen Rats und damit wichtige Impulse für die europäische Politikgestaltung ausgeklammert. Diese bleiben jedoch nicht gänzlich 20

So fällt beispielsweise der Vollzug der ersten Runde der Osterweiterung am 1.5.2004 in das Beobachtungsjahr 2003/04, sodass dieses mit 1 in der Dummy-Variablen der europäischen Agenda kodiert ist. 21 Eine weitere wichtige Komponente der europäischen Politikgestaltung liegt in der ausgeübten Kontrolle der Implementierung des europäischen Rechts in den Mitgliedstaaten durch die Europäische Kommission.

126

6

Unabhängige Variablen: Konzeptspezifikation …

unberücksichtigt, da sie zeitlich versetzt Bestandteil der europäischen Legislativagenda sind und zwar dann, wenn die Europäische Kommission entsprechende Mitteilungen veröffentlicht und den legislativen Initiativvorschlag unterbreitet hat. Generell gibt der Indikator die relative Bedeutung von Politikfeldern in der europäischen Handlungsagenda wider, ausgedrückt als Anteile der Gesamtaktivitäten im legislativen Bereich. Dieser Ansatz abstrahiert von den verschiedenen Einzelmaßnahmen und negiert damit durchaus die mitunter variierende Bedeutung bzw. Reichweite der einzelnen europäischen Gesetzesvorhaben. Zugleich wird aber ein Maß für die Bedeutung der verschiedenen Politikfelder für die europäische Handlungsagenda gewonnen, die der Bedeutung der Politikfelder in der Politikartikulation der Parteien gegenübergestellt werden kann. Infolgedessen ist es bei diesem Indikator nicht nötig, die abweichenden Reaktionsmöglichkeiten der drei innerparteilichen Akteurstypen bei der Bildung der Variablen zu berücksichtigen. Als Datenbasis für die Bildung des Indikators der europäischen Handlungsagenda diente die Pre-Lex-Datenbank, welche detailliert interinstitutionelle Verfahren dokumentiert und die mittlerweile in die EUR-Lex-Datenbank überführt wurde.22 Der Rückgriff auf diese Datenbasis erfolgte, da die bisherige Forschung zu den legislativen EU-Entscheidungsprozessen zeigt, dass mit der quantitativen Auswertung basierend auf den Informationen europäischer Datenbanken wertvolle Ergebnisse gewonnen werden können (Golub 2007; Golub und Steunenberg 2007; Golub 2008; Kovats 2009). Zugleich konnte auf den bisherigen Kenntnisstand zu technischen und methodischen Fallstricken bei der Verwendung der Datenbanken zurückgegriffen werden (König et al. 2006; Werner und Kovats 2010; Kovats und Werner o. J.). Kennzeichnend für die Pre-Lex-Datenbank war, dass in ihr nur interinstitutionelle Prozesse aufgenommen wurden, die durch ein offizielles Dokument der EU-Kommission ausgelöst wurden, welches an Legislativorgane der EU sowie andere Institutionen zur entsprechenden weiteren Behandlung weitergeleitet wird. Dazu gehören Gesetzesvorschläge, Mitteilungen sowie Berichte. Angaben aus der Pre-Lex-Datenbank wurden mit der Software LawLeecher 1.4 heruntergeladen, welche einen Rohdatensatz produziert, der ausschließlich Legislativverfahren enthält (Kovats 2009, 2010).23 Eine Überprüfung der Reliabilität 22

Die EUR-Lex-Datenbank ist wesentlich umfangreicher, da sie beispielsweise auch EUVerträge, EU-Rechtsprechung und EFTA-Dokumente beinhaltet. 23 Demzufolge sind Berichte und Mitteilungen der Europäischen Kommission nicht Bestandteil des Datensatzes. Mit Berichten stellt die EU-Kommission beispielweise den Stand der Umsetzung europäischer Gesetzgebung dar, Mitteilungen wiederum nutzt die EUKommission, um Gesetzesinitiativen vorzubereiten.

6.3 Die europäische Handlungsagenda

127

dieser gewonnenen Daten führen Kovats und Werner (o. J.) durch, indem sie die Resultate basierend auf Law-Leecher mit denen von König et al. (2006) sowie Brandsma (2010) vergleichen. Die beiden Autoren zeigt mit ihrer Reliabilitätsprüfung, dass trotz Abweichungen hinsichtlich der Gesamtanzahl von Verfahren und ihrer Verteilung nach ihrem Rechtsmodus hohe Ähnlichkeiten in der Beschreibung der Legislativaktivitäten vorliegen, infolgedessen die erhobenen Daten mit LawLeecher als reliabel bewertet werden können.24 Diese Rohdaten nach Kovats wurden weiter eigens aufbereitet, um die gewünschte Datenanalyse durchführen zu können. Erster zentraler Punkt war die Bereinigung des Datensatzes, sodass er am Ende nur die Legislativverfahren enthält, deren Anfang oder Ende im Untersuchungszeitraum liegt. Zweiter zentraler Punkt war eine äquivalente Kodierung der Politikfeldzuordnung zwischen den europäischen Legislativaktivitäten und der Politikartikulation von Parteien. Da die Issue-EUP-Kodierung bereits die Politikfeldstruktur auf der europäischen Ebene berücksichtigt, stellte die Herstellung der Konstruktäquivalenz für die meisten Verfahren keine Probleme dar. Manuelle Nachrecherchen wurden durchgeführt, wenn Angaben zu den Politikfeldern im Rohdatensatz fehlten oder wenn vorliegende Angaben nicht eindeutig waren. Letzteres war etwa der Fall, wenn die Kombination aus Politikfeld und Angaben zur zuständigen Generaldirektion (GD) Fragen aufwarf oder mehrere Politikfelder aufgeführt wurden. Nicht eineindeutig klassifizierbare Legislativverfahren wurden als solche gekennzeichnet und gehören weiterhin zur Grundgesamtheit der legislativen Aktivitäten. Basierend auf dem so aufbereiteten Datensatz konnte nun der Indikator für die europäische Handlungsagenda gebildet werden. Dabei waren zwei Prämissen entscheiden: Als erstes müssen die europäischen Aktivitäten den entsprechenden Beobachtungszeiträumen in der Analyse entsprechen. Dafür wurden jeweils alle laufenden Legislativverfahren eines Beobachtungszeitraums ausgewählt (dazu ausführlich Kapitel 9). Werden alle laufenden Verfahren berücksichtigt (und nicht nur beginnende oder endende Verfahren), subsumiert das alle potenzielle intraoder interinstitutionelle Aktivitäten im laufenden Verfahren, die wiederum als Impuls für die Politikartikulation nationaler Parteien dienen können. Als zweites müssen Zuschnitt und Anzahl der verwendeten Politikfelder auf Seiten der europäischen Handlungsagenda mit dem Zuschnitt und der Anzahl von Politikfeldern anderer Variablen in der durchgeführten Analyse korrespondieren. Dafür kam hier ebenfalls die entwickelte Übersicht zur Konstruktäquivalenz zum 24

Es zeigt sich auch, dass PreLex als Datengrundlage für die legislativen Aktivitäten weniger stark verzerrt ist als noch von König et al. (2006) herausgestellt und somit insgesamt eine gute Datengrundlage bietet, die quantitativen Daten zu den europäischen Legislativaktivitäten in thematische Schwerpunkte zu überführen.

128

6

Unabhängige Variablen: Konzeptspezifikation …

Einsatz25 , wie für die unabhängige Variable „Parteisalienz“, sodass nun insgesamt dreizehn Politikfelder bzw. Themenbereiche vorliegen. Konnten europäische Politikfelder und die entsprechenden Legislativverfahren aufgrund mangelnder Konstruktäquivalenz diesen definierten Politikfeldern bzw. Themenbereichen nicht zugeordnet werden, dann wurden sie in die Kategorie „nicht abbildbar“ überführt. Im Ergebnis, bildet dieser Indikator für die legislative Handlungsagenda die relative Bedeutung der dreizehn Politikfelder bzw. Themenbereiche innerhalb eines Beobachtungszeitraums ab, wofür jeweils die laufenden Legislativverfahren eines Politikfeldes in Relation zu allen laufenden Legislativverfahren gesetzt wurden.

6.4

Weitere Kontrollvariablen

Die weiteren Kontrollvariablen dienen im Wesentlichen dazu, die individuelle Ressourcenausstattung der innerparteilichen Akteure zu berücksichtigen und somit auf eine variierende Ausstattung zu achten. Um Missverständnissen vorzubeugen: Eine grundlegende Unterscheidung der Ressourcenausstattung zwischen den drei Akteurstypen ist bereits in der Modelllogik angelegt und fließt auf Seiten der abhängigen Variablen in die Akteursdimension sein. Ressourcen als Kontrollvariable hingegen zielen auf die Bedeutung der individuellen Ressourcenausstattung. Diese Kontrollvariable dient der Prüfung, ob mit einer quantitativen bzw. qualitativen Veränderung der verfügbaren Ressourcen eine Veränderung der Themenselektion einhergeht bzw. dient dazu, diesen variierenden Kontext zu berücksichtigen. Die Variable kommt ausschließlich für die Betrachtung des individuellen Akteurs bzw. mehrerer Akteure eines Akteurstyps zum Einsatz und erfasst analytisch eine andere Bedeutungsdimension der Ressourcenausstattung als auf Seiten der abhängigen Variablen. Folglich ist die nötige konzeptionelle Trennung zwischen abhängiger Variable und den unabhängigen Variablen gewährleistet. Leitgebend für die Bildung der Indikatoren ist der Rückgriff auf zentrale Organisationsressourcen jedes individuellen Akteurstyps. Da sich zentrale Ressourcen a priori zwischen den Akteurstypen unterscheiden, variieren auch die verwendeten Indikatoren. In der theoretischen Argumentation kommt der nationalen Delegation der Partei im Europäischen Parlament als Kontrollvariable eine besondere Bedeutung 25

Siehe Anhang H im elektronischen Zusatzmaterial.

6.4 Weitere Kontrollvariablen

129

zu. Da unterschiedliche Ressourcenstrukturen per se kennzeichnend für die drei innerparteilichen Akteure sind, lässt sich eine Wirkung dieser Policy-Kompetenz der MdEP’s nur schwer empirisch nachweisen – es sei denn, es kann auf die schlichte Existenz/Nichtexistenz der nationalen Delegation im EP kontrolliert werden. Bedingt durch die eher stärkere personelle Einbindung der MdEP’s in die Parteiführung dient diese Variable vor allem als Kontrolle der individuellen Ressourcenausstattung für die Parteiführung; gleichwohl wird auf potenzielle Effekte der Existenz/Nichtexistenz auch bei den anderen innerparteilichen Akteuren geachtet. Für die Parteitage wird als zentrale Ressource die tatsächliche Tagungsfrequenz berücksichtigt. Aus der Literatur ist bekannt, dass zwischen Fraktionen innerhalb eines Parlaments hinsichtlich ihrer Ressourcenausstattung, Strukturen und Willensbildungsprozesse einige Gemeinsamkeiten bestehen, und diesbezügliche Unterschiede insbesondere aus der Größe der Fraktionen resultieren (Ismayr 2001b: 371). Prägend für die Fraktion ist zudem ihre Arbeit entweder als Regierungs- oder Oppositionspartei (Ismayr 2001b: 371, 373). Da mit dem Forschungsdesign ausschließlich ein institutioneller Kontext ausgewählt wird (siehe Abschnitt 7.2), ist es ausreichend die Größe der Fraktionen (Anzahl der Abgeordneten) zu berücksichtigen bzw. abstrakt in große und kleine Fraktionen abzugrenzen. Der Zugang zur Regierungsbank ist zudem mit einer weiteren Kontrollvariablen erfasst. Anzumerken ist hierbei, dass der Regierungs- bzw. Oppositionsstatus nicht nur für die Fraktion Anwendung findet, sondern auch für die Politikartikulation der anderen beiden innerparteilichen Akteure und der Partei. Prinzipiell beruht das angewandte Parteiorganisationskonzept auf einer analytischen Trennung zwischen den drei zentralen innerparteilichen Akteuren. Dennoch bestehen zwischen ihnen personelle Interdependenzen, die intervenierend auf die Ressourcenausstattung wirken und deshalb in den Analysen nicht komplett ausgeblendet werden. Zum einen bestehen personelle Interdependenzen zwischen dem Prinzipal und seinen Agenten, wonach die Parteiführung sowie Mitglieder der Fraktion dem Parteitag angehören bzw. angehören können. Entscheidend für die Beobachtung der Politikartikulation ist nun, inwiefern diese personellen Interdependenzen in Form des tatsächlich genutzten Antragsrechts der Agenten auf dem Parteitag genutzt werden. Das Anliegen darauf zu kontrollieren, ob Beschlüsse des Parteitags auf die beiden Agenten zurückgeführt werden können, wird im Rahmen dieses Forschungsdesigns auf die Anträge der Parteiführung fokussiert. Dies resultiert

130

6

Unabhängige Variablen: Konzeptspezifikation …

aus der Fallauswahl deutscher Parteien, in denen die Fraktion als innerparteilicher Akteur über kein Antragsrecht auf dem Parteitag verfügt (ausführlich zur Fallauswahl das nachfolgende Kapitel 7). Zum anderen wird auf die tatsächliche personelle Überschneidung zwischen den Agenten geachtet, d. h. inwiefern Fraktionsmitglieder in der Parteiführung vertreten sind. Diese personelle Überschneidung wird abstrakt als Möglichkeit verstanden, die inhaltliche Agenda zwischen den beiden Agenten zu koordinieren.

6.5

Zusammenfassung

Mit diesem Kapitel liegen nun die notwendigen Spezifikationen der unabhängigen Variablen bzw. Kontrollvariablen vor, die in eine entsprechende Operationalisierung überführt wurden. Um die unabhängigen Variablen angemessen (im Sinne des Forschungszieles) zu operationalisieren, kommen verschiedene Datenquellen zum Einsatz. Die Parteiorganisation als erste zentrale unabhängige Variable fußt auf dem Indikator des formellen Stellenwerts des Prinzipals innerhalb seiner Parteiorganisation, welcher aus einem eigens entwickelten Satzungsanalysetool hervorgeht und die nötige Einstufung des Parteitags hinsichtlich seiner Stärke erlaubt. Die Operationalisierung der zweitens zentralen Einflussgröße, die ideologischprogrammatische Ausrichtung von Parteien, greift auf existierende Datensätze des CMP-/MARPOR-Projekts und der Chapel-Hill-Survey als auch auf etablierte Messverfahren zurück, um die unabhängige Variable Parteisalienz und die beiden Kontrollvariablen Position zur EU-Integration und ideologische Position abzubilden. Die europäische Handlungsagenda, die die dritte zentrale Einflussgröße darstellt und hier verstanden wird als das exogene Themenspektrum aus dessen „Pool“ Parteien Themen auswählen können, wird anhand zweier Indikatoren (Agenda der Finalitätsfragen und legislative Aktivitätsagenda) abgebildet. Zurückgegriffen wird hier u. a. auf Rohdaten der Sekundärliteratur und auf Daten aus den offiziellen Legislativ-Datenbanken der Europäischen Union; diese Daten wurden wiederum im Sinne des Forschungsinteresses aufbereitet. Die weiteren Kontrollvariablen zur individuellen Ressourcenausstattung basieren auf eigenen Erhebungen. Das nächste Kapitel dokumentiert die Festlegung des Untersuchungszeitraums und die Umsetzung der Fallauswahlstrategie, die auf die eben vorgestellten unabhängigen Variablen zurückgreift. Wie die unabhängigen Variablen wiederum in die Datenauswertung integriert werden, ist Gegenstand von Kapitel 9.

7

Untersuchungsanordnung: Untersuchungszeitraum und Auswahl der Parteien

Geht es um die Festlegung der Untersuchungsanordnung, greifen verschiedene Aspekte ineinander: Die Konzeption der abhängigen Variablen ist nicht unerheblich für die Anzahl der Fälle, die Anzahl der Fälle wiederum greift in die Überlegungen zum Untersuchungszeitraum ein. So führt das Forschungsinteresse an der Politikartikulation von Parteien und ihren drei zentralen innerparteilichen Akteuren zu einer aufwendigen Datenerhebungsmethodik, die es erforderlich macht, die Anzahl der zu untersuchenden Parteien zu reduzieren. Um aus dem daraus resultierenden Small-N-Design valide kausale Rückschlüsse ziehen zu können, muss die Fallauswahlstrategie sicherstellen, dass die getroffene Auswahl letztlich jene Kontrollfunktion einnimmt, „die im Experiment durch die bewusste und kontrollierte Manipulation einer unabhängigen Variablen existiert“ (Jahn 2005: 60). Auch wenn bei der Analyse von Parteien diese „reinste Form wissenschaftlichen Arbeitens“ nicht zur Verfügung steht (Jahn 2005: 59), ist eine Annäherung mit bewussten Auswahlentscheidungen möglich. Dafür wird zunächst der Einfluss potenziell intervenierender Variablen reduziert, indem prinzipiell nur Parteien eines politischen Systems, in diesem Falle Deutschland, in Frage kommen. Die Auswahl der einzelnen deutschen Parteien orientiert sich zuvörderst an der Parteiorganisation als wichtige Einflussgröße, d. h. hinsichtlich des Stellenwerts des Prinzipals ist eine größtmögliche Varianz erwünscht. Zusätzlich ist eine mögliche Varianz in der Existenz der nationalen Delegation im Europäischen Parlament zu Elektronisches Zusatzmaterial Die elektronische Version dieses Kapitels enthält Zusatzmaterial, das berechtigten Benutzern zur Verfügung steht https://doi.org/10.1007/978-3-658-34797-0_7.

© Der/die Autor(en), exklusiv lizenziert durch Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2021 S. John, Europäische Themen in deutschen Parteiorganisationen, Empirische Studien zur Parteienforschung, https://doi.org/10.1007/978-3-658-34797-0_7

131

132

7

Untersuchungsanordnung: Untersuchungszeitraum …

nennen, die intervenierend auf die Ressourcenausstattung insbesondere der Parteiführung wirkt. Darüber hinaus ist die Fallauswahl danach ausgerichtet, auf den Einfluss des Regierungs- bzw. Oppositionsstatus zu kontrollieren. Die nächsten Abschnitte vertiefen diesen groben Überblick zur Fallauswahlstrategie und die daraus resultierende Untersuchungsordnung. Als erstes wird die Festlegung auf den zehnjährigen Untersuchungszeitraum von Juni 1999 bis Juni 2009 begründet. Im Anschluss daran werden die Vorteile präsentiert, die in der Verwendung eines systemischen Kontexts für die Analyse der Politikartikulation liegen. Zugleich werden damit verbundene Beschränkungen benannt, die im Falle Deutschlands insbesondere im Hinblick auf die unabhängige Variable EU-Integrationsposition auftreten, und angemessen in der darauffolgenden Fallauswahl der zu untersuchenden deutschen Parteien aufgegriffen. Die Entscheidung die Politikartikulation von B90/Die Grünen, CDU, CSU und FDP zum Gegenstand dieser Forschungsarbeit zu machten, beruht auf einer negativen Fallauswahlstrategie (Jahn 2005: 61), die hier präsentiert wird. D. h. zunächst werden alle infrage kommenden deutschen Parteien hinsichtlich der Selektionskriterien bewertet, um im Anschluss die begründete Auswahl vorzunehmen. Dieses Vorgehen bietet eine Verortung der ausgewählten Parteien im Gesamtspektrum möglicher Ausprägungen der unabhängigen Variablen und gewährleistet die gewünschte experimentelle Kontrollfunktion sowie eine fundierte Bewertung der empirischen Erkenntnisse. Des Weiteren werden Grenzen der gewählten Untersuchungsanordnung offen dargelegt. Das Kapitel schließt mit notwendigen Angaben zu den ausgewählten Parteien ab.

7.1

Untersuchungszeitraum

Für die Festlegung des Untersuchungszeitraums sind zwei Prämissen ausschlaggebend: Als erstes wird die europäische politische Agenda als leitgebend herangezogen, denn wie nationale Parteien mit dieser umgehen, ist Kernanliegen der Forschungsarbeit. Mit der Ausrichtung am europäischen Themenspektrum, dem die nationalen Parteien vornehmlich reaktiv gegenüberstehen, können verschiedene Aspekte der Themenselektion herausgearbeitet werden, ohne bereits mit Orientierung auf den nationalen Handlungszyklus Einschränkungen vorzunehmen und sich so der Möglichkeit fundierter abschließender Hypothesenbildung für Parteien außerhalb des deutschen Kontexts zu berauben. Als zweites soll mit der Festlegung des Untersuchungszeitraums die Limitation der Small-N-Situation aufgehoben werden, die sich bereits schlichtweg aus einer begrenzten realen Existenz von Parteien ergibt und durch die notwendige weitere

7.1 Untersuchungszeitraum

133

Reduzierung der Anzahl der zu beobachteten Parteien aufgrund der geöffneten Black Box-Perspektive verschärft wird. Denn auch wenn ein einfaches Modell mit wenigen unabhängigen Variablen arbeitet, existiert relativ schnell ein Freiheitsgradproblem, zumal intervenierende Variable nicht gänzlich ausgeschlossen werden können. Um dennoch Rückschlüsse ziehen zu können, kann mit einem längeren Untersuchungszeitraum die Anzahl der Beobachtungen (und damit der Fälle) für die ausgewählten Parteien erhöht werden (u. a. King et al. 1994: 217–228; Tiemann 2009), ohne wiederum zusätzliche intervenierende Variablen des Länderkontexts berücksichtigen zu müssen, was bei der Aufnahme weiterer Parteien außerhalb des deutschen Parteiensystems notwendig wäre. Als institutioneller Anker für die Determinierung des Untersuchungszeitraums dienen die Wahlperioden des Europäischen Parlaments. Abgesehen von der hohen institutionellen Stabilität ausgedrückt in gleichbleibenden fünfjährigen Wahlperioden stellen die Europawahlen einen direkten Anknüpfungspunkt an den Handlungszyklus der nationalen Parteien her.1 Ausgewählt werden hier die 5. und 6. Wahlperiode des Europäischen Parlaments, wobei der jeweils letzte Wahltag der Europawahlen als Stichtag verwendet wird, sodass der Untersuchungszeitraum am 14. Juni 1999 beginnt und mit dem 7. Juni 2009 endet. Mit Blick auf die europäische Handlungsagenda steht im Zeitraum von Juni 1999 bis Juni 2009 ein Facettenreichtum zur Verfügung, der das europäischen Themenspektrum in Gänze abbildet: neue Integrationsschritte gemessen am EU-Vertragswerk werden implementiert (Nizza-Vertrag) und neu entworfen (Verfassungsvertrag). Darüber hinaus erfolgt die schrittweise Umsetzung der fünften europäischen Erweiterungsrunde (Osterweiterung). Zugleich existiert eine relativ hohe Stabilität bezogen auf die Politikkompetenzen der EU, da ab 1995 weniger ein Kompetenztransfer zur Etablierung des europäischen Politikfeld-Portfolios beiträgt, als vielmehr die Etablierung von Governance-Modi, die der Diversität zwischen den Mitgliedstaaten gerecht werden sollen und nationale Politikbereiche koordinieren (Tömmel 2014: 201–208). Dass nicht die letzte abgeschlossene Wahlperiode des EP (7. Wahlperiode, 2009 bis 2014) im Untersuchungszeitraum enthalten ist, bringt sicherlich hinsichtlich der Aktualität Einbußen, gewährleistet aber die relativ hohe Stabilität bezogen auf die vertikale Kompetenzverteilung zwischen Mitgliedstaaten und EU und die horizontale Kompetenzausgestaltung der EU-Institutionen. Denn mit dem Inkrafttreten des Lissabonner Vertrags im Dezember 2009 werden hier wichtige zentrale 1

Die Orientierung am EP soll aber keineswegs darüber hinwegtäuschen, dass das Europäische Parlament über kein legislatives Initiativrecht verfügt und seine Mitentscheidungsmöglichkeiten bei weitem nicht in sämtliche Politikbereiche reichen.

134

7

Untersuchungsanordnung: Untersuchungszeitraum …

institutionelle Reformen umgesetzt. Bezogen auf das Forschungsdesign bringt dies eine Vereinfachung, da zusätzliche (veränderte) exogene Kontextbedingungen außenvorgelassen werden können. Ist nun der Blick auf die Parteien gerichtet, dann gewährleistet dieser zehnjährige Untersuchungszeitraum zunächst, dass prinzipiell für jeden innerparteilichen Akteur mehrere Beobachtungen möglich sind. Von besonderer Relevanz ist dies für den Parteitag. Pro forma wurden in jeder Partei mehrmals Parteitage einberufen, womit mehrere Beobachtungspunkte für diesen innerparteilichen Akteur vorliegen, ob und welche europäische Themen Gegenstand seiner Beschlussfassung gewesen sind. Des Weiteren bietet der Zeitraum von Juni 1999 bis Juni 2009 die Möglichkeit, mehrfach den europäischen bzw. deutschen Wahlkontext im Blick zu haben und die entsprechende Wahlprogrammatik im Hinblick auf die Selektion europäischer Themen zu untersuchen. Konkret werden die drei Europawahlprogramme von 1999, 2004 sowie 2009 aufgenommen.2 Auf Seiten der Bundestagswahlen fließen die Wahlprogramme von 2002, 2005 und von 2009 ein. Auch wenn die Bundestagswahl erst im September 2009 stattfand, werden die Programme berücksichtigt, weil die Vorbereitung und die Beschlussfassung der Programmatik in den meisten Parteien in den Untersuchungszeitraum fallen.3 Insgesamt sichert der gewählte Untersuchungszeitraum mit seiner Ausrichtung an der politischen Agenda der Europäischen Union sowohl einen adäquaten Ausschnitt des europäischen Themenkomplexes als auch ein umfängliches Abbild des Handlungszyklus nationaler Parteien, welcher nationale und europäische Wahlen als zentrale Punkte und die Politikartikulation der innerparteilichen Akteure jenseits des Wahlkontexts berücksichtigt.

7.2

Ein-Land-Design: Deutschland

Mit einer ausschließlichen Betrachtung der Politikartikulation deutscher Parteien können landesspezifische Kontextbedingungen, die unmittelbaren Einfluss auf die vermuteten Zusammenhänge haben können und denen nicht das Forschungsinteresse gilt, für alle Analyseeinheiten konstant gehalten werden. Damit greift dieser 2

Auch wenn die Programmatik von 1999 in den Parteien vor Beginn des Untersuchungszeitraums verabschiedet wurden, werden sie verwendet, da sie den Wahlkontext der Europawahlen vom Juni 1999 und damit den Auftakt des Untersuchungszeitraums symbolisieren. 3 Das Wahlprogramm von CDU/CSU wurde zwar erst auf der gemeinsamen Vorstandssitzung vom 28. Juni 2009 und damit außerhalb des Untersuchungszeitraums beschlossen, wird aber aus Gründen des parteiübergreifenden Vergleichs in die Datenbasis aufgenommen.

7.2 Ein-Land-Design: Deutschland

135

Teil der Fallauswahlstrategie Lijpharts (1971, 1975) Überlegungen zu Small-NSituationen auf und fokussiert sich auf Fälle, die viele Kontextbedingungen teilen, sich aber hinsichtlich der Variablen unterscheiden, die von Interesse sind. Konkret bleiben die folgenden landesspezifischen Kontextbedingungen für alle Parteien konstant: Zunächst ist das institutionelle Setting, in dem die nationalen Parteien agieren, identisch. Hier sind insbesondere zwei Punkte relevant, nämlich, dass (1) die Parteien demselben Wahlzyklus unterliegen und dass (2) die untersuchten Fraktionen als ein zentraler Parteiakteur im selben institutionellen Kontext tätig sind. Somit kann sich die vorliegende Arbeit auf die Politikartikulation fokussieren, ohne beispielsweise weiter auf die zwischenstaatliche Varianz hinsichtlich parlamentarischer Verfahrensregeln im Allgemeinen und der institutionellen Regeln für den Umgang mit europäischen Angelegenheiten im Besonderen eingehen zu müssen. Ebenfalls konstant bleiben Besonderheiten bzw. exogene Schocks, welche Einfluss auf die thematische Agenda der Parteien haben können. Damit stehen die untersuchten politischen Akteure demselben politischen Themenspektrum gegenüber, sodass dezidiert die Selektion europäischer Themen von innerparteilichen Akteuren unter sonst gleichen Bedingungen betrachtet wird. Gerade, weil nur deutsche Parteien Gegenstand der Untersuchung sind, kann ein zusätzlicher Aspekt der europäischen Agenda berücksichtigt werden, der die europäische politische Agenda direkt mit der nationalen Arena verbindet: Die Übernahme der europäischen Ratspräsidentschaft in der ersten Jahreshälfte 2007 unter der Regierung Merkel. D. h. in der empirischen Analyse wird das Augenmerk darauf gerichtet, ob sich dieser spezifische Impuls in der Politikartikulation niederschlägt.4 Mit der Auswahl Deutschlands ist auch verbunden, dass ein Parteiensystem vorliegt, welches sich im Untersuchungszeitraum durch einen Permissive Consensus auszeichnet und der starke pro-europäische Elitenkonsens darauf hinausläuft,

4

In den Untersuchungszeitraum fallen auch zwei Wochen der deutschen Ratspräsidentschaft in der ersten Jahreshälfte 1999 unter der Rot-Grünen-Regierung. Darauf wird hier nicht weiter achtgegeben, da der Zeitraum zu kurz ist und keine sinnvollen Vergleichsmöglichkeiten existieren, um die Ratspräsidentschaft als zusätzlichen Impuls für die Interessenartikulation belegen zu können.

136

7

Untersuchungsanordnung: Untersuchungszeitraum …

Auseinandersetzungen über die grundsätzliche Haltung zur europäischen Integration aus dem nationalen Parteienwettbewerb weitestgehend herauszuhalten (Lees 2002; Poguntke 2007: 109).5 Dieser Kontext bietet durchaus die Basis für weiterführende Überlegungen, wenn sich unter diesen Bedingungen (Permissive Consensus und Vorkrisenzeiten) eine kontinuierliche Aufmerksamkeit für europäische Angelegenheiten in den Parteiorganisationen feststellen ließe. Zugleich schränkt der Elitenkonsens die empirische Überprüfung der theoretischen Argumentation hinsichtlich eines Punktes ein. Denn unter diesen Bedingungen kann nicht schlüssig getestet werden, dass sich Parteien und ihre innerparteilichen Akteure unabhängig von der eingenommenen Position zur EU-Integration dem europäischen Themenkomplex widmen, wie in der theoretischen Argumentation formuliert. Deshalb wird die Varianz in der EU-Integrationsposition bei der Auswahl der zu untersuchenden Parteien so gering wie möglich gehalten, sodass diese Einflussgröße aus der Untersuchungsordnung ausgeschlossen wird.

7.3

Auswahl der Parteien

Die Auswahl der zu untersuchenden Parteien wiederum orientiert sich an ausgewählten unabhängigen Variablen und der notwendigen Varianz in ihren Ausprägungen, sodass die Überprüfung der vermuteten Zusammenhänge erfolgen kann: Als erstes orientiert sich die Auswahl der einzelnen deutschen Parteien an der Parteiorganisation, eine der zentralen Einflussgrößen, hier abgebildet anhand des Stellenwerts des Prinzipals. Mit der vorzunehmenden Selektion soll die größtmögliche Varianz in der Ausprägung dieser unabhängigen Variablen erzielt werden. Als zweites sollten Fälle vorliegen, die die intervenierende Wirkung der nationalen Delegation im Europäischen Parlament auf die Politikartikulation, insbesondere auf die der Parteiführung überprüfbar macht. Bedingt durch die generelle Festlegung auf deutsche Parteien ist als drittes darauf zu achten, dass nur eine geringe Varianz hinsichtlich der EU-Integrationsposition vorliegt. 5

Zwar ist die PDS/DIE LINKE in diesem Zeitraum als integrationskritisch einzustufen, jedoch liegt insgesamt in Deutschland eine geringe Varianz auf dem Pro-KontraIntegrationskontinuum vor. Zudem führt die noch relativ geringe Bedeutung dieser Partei im Parteiensystem dazu, noch nicht von einem Aufbrechen des Konsenses zu sprechen. Erst mit dem Auftreten der AfD, deren Gründungsursprung in der starken Oppositionshaltung gegenüber dem europäischen Schuldenkrisenmanagement und dem deutschen Regierungshandeln im Fall Griechenland liegt, sind ernsthafte Überlegungen angebracht, ob dieser Elitenkonsens auch in Deutschland aufbricht.

7.3 Auswahl der Parteien

137

Dies schließt zwar einen Teil des theoretischen Arguments von der empirischen Überprüfung aus, liefert aber einen klaren analytischen Fokus. Als viertes ist die Fallauswahl danach ausgerichtet, auf den Einfluss des Regierungs- bzw. Oppositionsstatus zu kontrollieren. Unberücksichtigt in der Fallauswahlstrategie kann die zentrale Einflussgröße Parteisalienz bleiben, da mit ihrer Operationalisierung die für die Analyse nötige Varianz über Parteien und Zeit vorliegt – nahezu unabhängig davon, welche Parteien ausgewählt werden. Dies gilt indes nicht für die Kontrolle auf die ideologische Position der Partei, sodass diese als fünftes Kriterium in die Auswahlstrategie einfließt. Daran ist jedoch ein nicht auflösbares Problem der Multikollinearität zwischen der ideologischen Position und der Parteiorganisationsvariablen gekoppelt, welches Limitationen für die Auswertung setzt. Insgesamt orientiert sich die Fallauswahl also an ausgewählten unabhängigen Variablen, sodass Verzerrungen ausgelöst durch die Fallauswahl vermieden werden und gefundene Zusammenhänge nicht in Frage gestellt werden müssen (King et al. 1994: 137; Landman 2000: 44; Hönnige 2007: 237). Nur die Begrenzung in der Breite oder Varianz in der unabhängigen Variablen führt zu einer Einschränkung der Generalisierbarkeit (King et al. 1994: 137), auf die in der Auswertung angemessen zu achten sein wird. Um letzteres besser bewerten zu können, erfolgt die Selektion der zu untersuchenden Parteien mittels der Strategie einer negativen Fallauswahl (Jahn 2005: 61), indem zunächst alle infrage kommenden deutschen Parteien hinsichtlich der Selektionskriterien bewertet werden (also die Grundgesamtheit innerhalb Deutschlands).

7.3.1

Bewertung des deutschen Parteiensystems als Grundgesamtheit hinsichtlich der zentralen Selektionskriterien

Gekoppelt an die theoretische Konzeption werden hier jene Parteien als Grundgesamtheit definiert, die im Untersuchungszeitraum über die drei zentralen innerparteilichen Akteure verfügen: Parteitag, Parteiführung und Fraktion. Während die ersten Akteure in jeder deutschen Partei existieren müssen (PartG §8), ergibt sich die Existenz der parlamentarischen Repräsentanz aus den Wahlerfolgen einer Partei, worin sich zugleich die Relevanz der Partei widerspiegelt und deshalb ein Rückgriff auf die Definition des deutschen Parteiensystems für die Festlegung der Grundgesamtheit hilfreich ist, ohne dabei auf die Diskussionen und Perspektiven der Parteiensystemforschung für die Fallauswahl zurückzugreifen.

138

7

Untersuchungsanordnung: Untersuchungszeitraum …

Innerhalb des Untersuchungszeitraums wird von einem „fluiden Fünfparteiensystem“ gesprochen, welches sich seit der deutschen Wiedervereinigung im Jahr 1990 entwickelt und etabliert hat (Niedermayer 2001, 2003, 2008).6 Diese fünf Parteien sind konkret: die zwei Großparteien SPD und CDU/CSU sowie die drei kleineren Parteien FDP, Grüne und PDS bzw. Die Linke. Im Unterschied zur Parteiensystemperspektive, in die die Unionsparteien als ein bundespolitischer Akteur einfließt, werden diese im nachfolgenden als zwei Parteiorganisationen in der Grundgesamtheit berücksichtigt. Maßgeblich hierfür ist, dass die CSU eine autonome Landespartei ist, die bundespolitisch Verantwortung übernimmt (Kießling 2007: 223; Hempel 2010: 287), die CDU/CSU-Fraktionsgemeinschaft im Bundestag auf Vertragsbasis beruht und zu Beginn jeder Legislaturperiode neu begründet wird und last but not least Parteitag und Parteiführung existieren, die funktional äquivalent mit den Bundesakteuren der anderen Parteien sind (und nicht mit deren subnationalen Landesverbänden). In Summe bilden also sechs Parteien die Grundgesamtheit, die nun im Hinblick auf die fünf Selektionskriterien bewertet werden.

7.3.1.1 Selektionskriterium I: Varianz im Parteiorganisationsverständnis Für die vorzunehmende Fallauswahl wurden die Satzungen der sechs relevanten Parteien mit dem in Abschnitt 6.1.1 vorgestellten Analysetool inhaltsanalytisch aufbereitet, das Aussagen zum formellen Stellenwert des Prinzipals in einer Parteiorganisation ermöglicht. Ausgewählt wurden dafür die Satzungen, die jeweils zu Beginn des Untersuchungszeitraums Gültigkeit besaßen. Um sicherzustellen, dass die Rolle des Prinzipals als stabil über den gesamten Untersuchungszeitraum hinweg bewertet werden kann, wurden zusätzlich Neufassungen von Satzungen (innerhalb des Untersuchungszeitraums) dahingehend untersucht, ob sich verabschiedete Satzungsänderungen auf Dimensionen der Prinzipal-AgentenBeziehung auswirken. Die analytische Aufbereitung der Satzungen der sechs Parteien führt als erstes zu dem Ergebnis, dass Satzungsänderungen im Zeitverlauf nicht die relevanten Dimensionen bzw. Indikatoren der Prinzipal-Agenten-Beziehung betrafen und

6

Auflösungen dieses Fünf-Parteiensystems und seine Entwicklung in Richtung sechs Parteien werden erst mit der Entstehung und den zunehmenden Erfolgen der Alternative für Deutschland (AfD) diskutiert, wobei hier eine abschließende Festlegung noch aussteht (Niedermayer 2015).

7.3 Auswahl der Parteien

139

infolgedessen die quantifizierten Angaben zum Stellenwert des Prinzipals basierend auf den gültigen Satzungen zu Beginn des Untersuchungszeitraum den formellen Stellenwert des Prinzipals über den gesamten Zeitraum wiedergeben.7 Als zweites zeigen die Ergebnisse eine Varianz in der Parteiorganisation zwischen den sechs Parteien (siehe Tabelle 7.1), auch wenn sich diese nur in einem kleinen Ausschnitt des theoretisch möglichen Spektrums zwischen 0 und 1 bewegt. Zunächst kommt dem Prinzipal innerhalb der Parteiorganisationen von B90/Die Grünen und der PDS ein weitaus größerer Stellenwert zu als den Prinzipalen in den anderen vier Parteien. In letzteren ist die formelle Absicherung relativ ähnlich und die ermittelten Werte schwanken nur in einem kleinen Ausmaß. Trotz der eher graduellen Abstufung lässt sich aber festhalten, dass identische Werte für die beiden Unionsparteien vorliegen und die SPD mit ihrer formellen Absicherung etwas näher an den Unionsparteien als bei dem leicht höheren Wert der FDP für die Absicherung ihres Prinzipals liegt. Tabelle 7.1 Formeller Stellenwert des Prinzipals in den deutschen Parteien

standardisiert [0;1]

B90/Die Grünen

CDU

CSU

FDP

PDS

SPD

0,48

0,33

0,33

0,38

0,48

0,35

Anmerkungen: 0 bedeutet ein geringerer Stellenwert unter Berücksichtigung der gesetzlichen Mindestvorgaben und 1 bedeutet die theoretisch-höchstmögliche Absicherung des Stellenwerts in einem Delegationsverhältnis. Quelle: eigene Kodierung der Parteistatute von B90/Die Grünen (1998), CDU (1996), CSU (1999), FDP (1999), PDS nach Bartsch (1997) und SPD (1997). Details siehe Anhang B im elektronischen Zusatzmaterial.

Für alle Parteien gilt, dass sich die formelle Absicherung fast ausschließlich auf das Verhältnis zwischen Parteitag und Parteiführung bezieht. Einzige Ausnahmen stellen hier die Kandidatenselektion für die Wahlen zum Europäischen Parlament in allen Parteien und die Berichtspflichten der Fraktion gegenüber dem Parteitag in den beiden Unionsparteien dar. Auch wenn also die Fraktion im Deutschen Bundestag einer der zentralen Akteure der nationalen Partei ist, sichern 7

Das schließt auch die bei den Grünen 2003 durchgeführte Urabstimmung ein, die die Trennung zwischen Amt und Mandat für die Mitglieder des Bundesvorstands aufgehoben hat (Probst 2013: 522). Die daraus resultierende Interdependenz zwischen den Agenten Parteiführung und Fraktion verändert die Bewertung im Analysetool nicht, da unter Parteiführung das Präsidium und der Vorstand (bzw. engerer und erweiterter Vorstand) erfasst sind und bereits vor der Urabstimmung eine Interdependenz zwischen dem Grünen Parteirat, dem funktionalen Äquivalent zum Vorstand, und der Fraktion existierte.

140

7

Untersuchungsanordnung: Untersuchungszeitraum …

die deutschen Parteien die Rückkopplung der parlamentarischen Vertretung an die Partei respektive an den Prinzipal in ihren Satzungen formell nicht ab. Dieses Ergebnis resultiert auch aus der Tatsache, dass ein wesentliches Instrument des Prinzipals zur Absicherung des Delegationsverhältnisses, nämlich die Kandidatenauswahl, formell nicht in seinen Händen liegt, sondern vielmehr bei den subnationalen innerparteilichen Akteuren. Ergo bleibt im betrachteten formellen Akteursverhältnis der Fraktion eine große Autonomie. Dass mit diesem Indikator keineswegs eine abwegige Einstufung deutscher Parteiorganisationen hinsichtlich der Rolle ihres Prinzipals vorliegt, verrät ein Blick auf die Parteiorganisationsforschung, die sich zuvörderst der Organisationsrealität widmet und somit in der Sprache des Prinzipal-Agenten-Ansatzes den Agency Loss in den Mittelpunkt stellt. Der Verweis auf die Literatur bietet einzig einen groben Plausibilitätscheck, dient jedoch in keinem Fall als Reliabilitätsmessung des hier angewandten Analysetools zur Ermittlung des Stellenwerts des Prinzipals in seiner Parteiorganisation; dafür ist der Forschungsstand zu uneinheitlich, was das zugrundeliegende Organisationskonzept und die damit beobachteten innerparteilichen Machtbeziehungen anbelangt. Der vergleichsweise hohe formelle Stellenwert des Prinzipals in der GrünenParteiorganisation geht mit der Literatur zu Organisationsrealität einher, denn seit Gründung der Grünen stehen diese Analysen implizit und explizit im Zeichen des Anliegens einer basisdemokratischen Orientierung und damit eines herausgehobenen Stellenwerts des Parteitags (Heinrich und Raschke 1993; Raschke 1993; Poguntke 1994; Probst 2013). Auch wenn das schrittweise Aufweichen des basisdemokratischen Organisationsmodells Gegenstand der Analysen ist (u. a. Heinrich 1993; Poguntke 1999: 85–86), sodass von einer Annäherung an die anderen deutschen Parteiorganisationsmodelle gesprochen wird (Poguntke 1999: 94; 2001: 272 f.), die letztlich einen geringeren Stellenwert des Parteitags bedeutet, existieren weiterhin Spuren der originär angelegten Eigenständigkeit des Parteitags (Switek 2012: 125). Hingegen spielt nach diversen Analysen zu den innerparteilichen Machtzentren der CSU der Prinzipal keine Rolle (Kießling 2007: 232; Weigl 2012: 75; 2013: 478) (Kießling 2004; Sebaldt 2010: 568). Vielmehr ist die hohe Dominanz der Parteiführung insbesondere gegenüber dem Parteitag eines der strukturellen Merkmale der CSU (Weigl 2012). Ebenso wird der Einfluss des Parteitags innerhalb der CDU eher gering bewertet (Bösch 2007: 213). Diskussionen über Machtzentren fokussieren sich stattdessen auf das Verhältnis zwischen Kanzleramt, Parteiführung (und ihre organisatorische Ressource, die Bundesgeschäftsstelle) und Fraktion (Schroeder und Neumann 2010: 269; Zolleis und Schmid 2011, 2013).

7.3 Auswahl der Parteien

141

Auch in der Literatur über die SPD-Organisationsrealität lassen sich keine Hinweise auf einen Prinzipal als Machtzentrum entnehmen. Wenngleich stark vereinfacht, kann die SPD auch für den Untersuchungszeitraum noch immer als Paradebeispiel für Michels Gesetz der ehernen Oligarchie (Michels 1973 [1925]) herangezogen werden: Die Parteiführung verfügt über eine große Macht – oder präziser: das Präsidium (Jun 2007: 393; Spier und Alemann 2013: 448). Daneben stellt die Fraktion einen zentralen machtpolitischen Akteur dar. An dieser Machtverteilung haben auch die eingeleiteten Parteiorganisationsreformen zu Beginn des Untersuchungszeitraums nichts geändert, die letztlich die Mitglieder stärken sollten. Diese führten zwar zu einer Entmachtung der mittleren Funktionärsebene, aber kaum zu mehr Macht der Mitglieder auf der Bundesebene (Jun 2007: 394). Soweit bekannt liefert einzig Treibel (2012) eine systematische Analyse der innerparteilichen Akteursbeziehungen in der FDP, die es erlaubt, Aussagen über die Akteursbeziehung zwischen Parteitag, Parteiführung und Fraktion zu treffen. Auch wenn innerhalb der FDP viel Macht bei der Parteiführung und der Bundestagsfraktion liegt, kann basierend auf seinen Analysenergebnissen ein Unterschied zu den Unionsparteien und der SPD festgehalten werden, wonach insbesondere in der Politikformulierung dem Parteitag im Machtverhältnis zur FDP-Parteiführung durchaus ein Gewicht zukommt (Treibel 2012: 175–177). Der vergleichsweise hohe formelle Stellenwert des Prinzipals innerhalb der PDS bzw. der Linken, der zudem über die Zeit stabil bleibt, spiegelt sich indes so nicht in der Literatur zur Organisationsrealität wider. Vielmehr wird auf die Diskrepanz zwischen dem basisdemokratischen Statut und der Organisationswirklichkeit verwiesen, da die Parteimitglieder keineswegs ständig auf ihre partizipatorischen Rechten dringen würden (Micus 2007: 205–207; Oppelland und Träger 2014). Vielmehr würde bei den Mitgliedern eine hohe Bereitschaft existieren, der Parteiführung zu folgen und somit nicht das formelle Gewicht des Prinzipals mit Leben füllen, was Beobachter vor allem mit der Sozialisation der PDS- und ehemaligen WASG-Mitgliedern erklären und hier auf vorherrschende „Handlungsund Denkmuster(n) einer hierarchisch-zentralistischen Organisationspraxis“ verweisen (Koch-Baumgarten 1997: 870 zitiert nach Micus (2007:207)) (Micus 2007: 207, 217; Oppelland und Träger 2012: 208).8 Entscheidend für die Organisationsrealität sei das Machtverhältnis zwischen Parteiführung und Fraktion,

8

An anderer Stelle wird indes wieder auf Grenzen der Parteiführung verwiesen. Denn intervenierend auf die Macht der Parteiführung wirken diverse innerparteiliche Strömungen, die stark abstrahiert auf zwei zentrale Lager – die Reformer und die Orthodoxen – reduziert werden können (Koß 2007: 128–132; Oppelland und Träger 2014: 117–121, 128–161). Wenn es der Parteiführung mit ihren Programm- und Personalvorschlägen nicht gelingt, die Balance

142

7

Untersuchungsanordnung: Untersuchungszeitraum …

welches jedoch gegensätzlich bewertet wird (Micus 2007: 209–210; Neugebauer 2011: 165). Die Angaben zum formellen Stellenwert des Prinzipals in seiner Parteiorganisation verdeutlichen, dass sich die deutschen Parteien voneinander unterscheiden. Auch wenn also das politische System der Bundesrepublik mit seinen institutionell-strukturellen Merkmalen (z. B. Föderalismus) sowie seiner Gesetzgebung (z. B. Parteiengesetz, Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts) die „historisch-soziologisch bedingten organisatorischen Unterschiede [der deutschen Parteien] … erheblich eingeebnet“ (Poguntke 2001: 260) haben, existiert durchaus (weiterhin) Varianz zwischen den Parteiorganisationen. Der Vorteil des angewandten Instruments zur Bewertung der Parteiorganisation liegt eindeutig darin, dass transparent, theoretisch fundiert und mit demselben Bewertungsschema die Parteien in Organisationen mit einem stärkeren und schwächeren Parteitag abgrenzbar sind. Der durchgeführte Plausibilitätscheck anhand der Literatur zur Organisationsrealität zeigt auf, dass das Ranking der Parteien für fünf der sechs Parteien passend ist – unter den Bedingungen der existierenden Einschränkungen durch angewandte divergierende Organisations- und Machtkonzepte.

7.3.1.2 Selektionskriterium II: Varianz in der Existenz einer nationalen Delegation im Europäischen Parlament Während CDU, CSU, Grüne, PDS bzw. Linke und SPD sowohl in der 5. als auch 6. Wahlperiode des Europäischen Parlaments und damit im gesamten Untersuchungszeitraum mit einer nationalen Delegation im Europäischen Parlament vertreten sind, gelingt es der FDP erst wieder mit der Europawahl 2004, in das Europäische Parlament einzuziehen und somit eine zehnjährige Phase ohne parlamentarische Repräsentation auf europäischer Ebene zu beenden. Insgesamt ermöglicht also einzig die FDP empirische Ergebnisse zu liefern, ob sich aus dem Vorhandensein der nationalen Delegation im Europäischen Parlament Implikationen auf die Politikartikulation der anderen nationalen Parteiakteure ergeben.

zwischen den Strömungen herzustellen, dann reduziert das erheblich die Durchsetzungsfähigkeit der Parteiführung gegenüber dem Parteitag (Oppelland und Träger 2012: 213; 2014: 70–74).

7.3 Auswahl der Parteien

143

7.3.1.3 Selektionskriterium III: Möglichkeit zur Kontrolle des Einflusses der Regierungsbeteiligung Des Weiteren ist auf den Regierungs- bzw. Oppositionsstatus einer Partei zu kontrollieren, da an diesen Opportunitäten und Beschränkungen in der Kommunikationsstrategie gekoppelt sind. In den Untersuchungszeitraum von Juni 1999 bis Juni 2009 fallen zwei Bundestagswahlen, wobei die Bundestagswahl 2002 die Fortsetzung der rot-grünen Regierungskoalition von 1998 legitimierte und der Bundestagswahl von 2005 eine große Koalition folgte (Tabelle 7.2).

Tabelle 7.2 Regierungs-/Oppositionsstatus der Parteien, Juni 1999–Juni 2009 ab BTW B90/Die Grünen

CDU

CSU

1998

Regierung

Opposition Opposition Opposition Opposition Regierung

2002

Regierung

Opposition Opposition Opposition Opposition Regierung

2005

Opposition Regierung

Regierung

FDP

PDS bzw. Linke

SPD

Opposition Opposition Regierung

Anmerkungen: BTW: Bundestagswahl. Quelle: eigene Darstellung.

Hinsichtlich der Regierungsbeteiligung lassen sich die sechs Parteien in zwei Gruppen unterteilen: die erste Gruppe bilden jene Parteien, die im Untersuchungszeitraum kontinuierlich entweder den Status als Oppositions- oder als Regierungspartei innehatten (FDP, PDS bzw. Linke und SPD). In die zweite Gruppe fallen jene Parteien, die ihren Status im Untersuchungszeitraum wechselten (Grüne, CDU, CSU). Für die Analyse bieten die Parteien der zweiten Gruppe die Möglichkeit, auf Veränderungen in der Politikartikulation zu achten, die mit dem Wechsel von der Regierungs- auf die Oppositionsbank und vice versa einhergehen. Parteien der ersten Gruppe wiederum fungieren ausschließlich als Kontrollgruppe.

7.3.1.4 Selektionskriterium IV: geringe Varianz in der Position zur EU-Integration Aufgrund des hohen positiven Elitenkonsens zur EU-Integration innerhalb des deutschen Parteiensystems zielt die Selektion der auszuwählenden Parteien darauf ab, eine so gering wie mögliche Varianz zwischen den eingenommenen Positionen zu erreichen, sodass diese Variable aus den der empirischen Analyse ausgeschlossen werden.

144

7

Untersuchungsanordnung: Untersuchungszeitraum …

Abbildung 7.1 Position der Parteiführung zur EU-Integration, 1999 bis 2010. Anmerkungen: Skala von 0 (Anti-EU-Integration) bis 7 (Pro-EU-Integration), gemessen mittels Expertenbefragungen. (Quelle: eigene Darstellung nach Chapel Hill Expert Survey (Bakker et al. 2015))

Bezüglich der Verortung entlang der EU-Integrationsdimension zeigt sich eine vergleichsweise geringe Varianz zwischen CDU, FDP, SPD und den Grünen, wenn die Positionierung der Parteiführungen beobachtet wird (vgl. Abbildung 7.1). Über die Zeit nimmt der Konsens zwischen diesen Parteien sogar leicht zu. Im Vergleich dazu unterstützt die CSU-Parteiführung die EU-Integration zwar in etwas geringerem Maße, die eingenommene Haltung wird aber von den Autoren der Chapel-Hill-Expertenbefragung noch als eine Pro-Position eingestuft (Bakker et al. 2015).9 Im deutlichen Abstand dazu wird die Position der PDSbzw. Linken-Parteiführung verortet, die als einzige im deutschen Parteiensystem als Anti-EU-Integration kategorisiert wird (Bakker et al. 2015). Folglich sollte die Fallauswahl die PDS bzw. die Linke nicht aufnehmen.

9

Alle Werte größer gleich 4,51 auf der Skala zwischen 0 und 7 werden als Pro-EU-Integration eingestuft.

7.3 Auswahl der Parteien

145

7.3.1.5 Selektionskriterium V: Möglichkeit zur Kontrolle der ideologischen Position Die Fallauswahl sollte möglichst gewährleisten, dass auf die ideologische Position hin kontrolliert werden kann. Nachfolgend sind die für den Untersuchungszeitraum relevanten ideologischen Positionen der deutschen Parteien abgebildet, wobei das zweidimensionale Konzept des politischen Raums anhand der ökonomischen und sozio-kulturellen Dimension zur Anwendung kommt (siehe Tabelle 7.3). Tabelle 7.3 Positionen deutscher Parteien entlang der ökonomischen und sozio-kulturellen Dimension, 1998–2009 Jahr

B90/Die Grünen

CDU/CSU

FDP

PDS bzw. Linke

SPD

Ökonomische Dimension 1998

−0,276

0,060

0,032

−0,607

−0,058

2002

−0,319

0,132

0,242

−0,381

−0,126

2005

−0,339

0,088

0,162

−0,615

−0,159

2009

−0,435

0,028

0,178

−0,579

−0,344

Soziokulturelle Dimension 1998

−0,579

0,695

−0,246

−0,570

0,115

2002

−0,458

0,376

−0,192

−0,497

0,043

2005

−0,492

0,496

−0,210

−0,577

−0,014

2009

−0,526

0,116

−0,294

−0,587

−0,282

Anmerkungen: Skala jeweils von −1 bis 1, wobei negative Werte jeweils für eine linke Position und positive Werte für eine rechte Position entlang der jeweiligen Dimension stehen. Quelle: eigene Berechnungen und Werte nach Linhart/Shikano (2009) basierend auf dem CMP/MARPOR-Datensatz (Volkens et al. 2015).

Für die weitere Analyse stellt sich als problematisch dar, dass die ideologische Verortung in hohem Maße mit der Charakterisierung der Parteiorganisationen einhergeht, d. h. Veränderungen in der Ausrichtung beider Variablen korrelieren positiv miteinander. Besonders gravierend ist dies für die soziokulturelle Dimension, denn die Links-Rechts-Verortung der Parteien korrespondiert mit einem abnehmenden Stellenwert des Prinzipals. Auch die Positionierung auf der ökonomischen Links-Rechts-Achse und der Parteiorganisationsvariable korrelieren stark miteinander, wenngleich auf einem etwas geringeren Niveau. Unabhängig davon, welche Parteien in die Analyse aufgenommen werden, das Problem der Multikollinearität zwischen der Parteiorganisationsvariablen und

146

7

Untersuchungsanordnung: Untersuchungszeitraum …

der ideologischen Position bleibt bestehen. Aus theoretischer Sicht ist es nicht sinnvoll, das Problem aufzulösen, indem diese Kontrollvariable aus dem Forschungsdesign ausgeschlossen wird. Es bleibt nur, offen damit umzugehen und im Rahmen dieser Arbeit an den entsprechenden Stellen auf die Limitation zu verweisen. Da der Zusammenhang zwischen den beiden Variablen etwas schwächer ist, wenn die Positionen entlang der ökonomischen Achse verwendet werden, kommt ausschließlich diese Dimension als Kontrollvariable zum Einsatz.

7.3.2

Auswahl von B90/Die Grünen, CDU, CSU und FDP

Für die nachfolgende Studie zur Politikartikulation von Parteien zum europäischen Themenspektrum werden B90/Die Grünen, CDU, CSU und die FDP aus der möglichen Grundgesamtheit an deutschen Parteien ausgewählt. Mit Bezug auf die Parteiorganisation als eine zentrale unabhängige Variable bilden diese vier Parteien die maximal mögliche Abbildung der Parteiorganisationsvarianz: B90/Die Grünen stellen den Fall mit dem höchstmöglichen Stellenwert des Prinzipals dar, die beiden Unionsparteien wiederum dienen als Fälle für Parteien, in denen der Parteitag über den geringsten beobachteten Stellenwert innerhalb der Parteiorganisation verfügt. Da sich die Parteiorganisation der FDP deutlicher von den beiden Unionsparteien abgrenzt als die der SPD ist ihre Verwendung besser geeignet, den Einfluss der Parteiorganisation zu überprüfen. Oder anders ausgedrückt: Unter dem Aspekt, dass die SPD der CDU und der CSU in der Bewertung der Rolle des Prinzipals relativ ähnlich ist, läge in ihr als zusätzlicher Fall hinsichtlich der Parteiorganisationsvariable kein unmittelbarer Mehrwert für die „quasi-experimentelle“ Ausrichtung der Fallauswahl. Beide Unionsparteien als Fälle für einen schwächeren Parteitag in die Analyse aufzunehmen anstatt in der Fallauswahl nur eine Unionspartei und die SPD zu berücksichtigen, beruht auf dem erwarteten empirischen Gewinn aufgrund der Besonderheit einer Union zwischen zwei Parteien mit unabhängigen Parteitagen, Parteiführungen, aber einer gemeinsamen Fraktion. D. h. unter der Prämisse der Zielsetzung einer ausreichenden Varianz hinsichtlich der Parteiorganisation kann zusätzlich in Augenschein genommen werden, was die Politikartikulation der gemeinsamen Fraktion im Verhältnis zu den anderen beiden Parteiakteuren auszeichnet und wie viele Gemeinsamkeiten zwischen den Akteuren beider Parteien bestehen. Mit der Berücksichtigung der PDS läge durchaus eine weitere Partei mit einem stärkeren formellen Parteitag vor und wäre deshalb zunächst ein besserer Fall für einen stärkeren Parteitag als die FDP. Dagegen sprechen hier einige Aspekte,

7.3 Auswahl der Parteien

147

sodass die PDS als Fall unberücksichtigt bleibt: Als erstes verfügt die Partei nicht über den gesamten Untersuchungszeitraum über eine Fraktion, da sie zwischen 2002 und 2005 nur mit zwei fraktionslosen Abgeordneten im Bundestag vertreten ist. Im Ergebnis fiele also für etwas über ein Drittel des Untersuchungszeitraums die Fraktion als Beobachtungs- und Messpunkt für diese Partei aus, was nicht nur vor dem Hintergrund begrenzter Beobachtungsmöglichkeiten im Small-N-Design weniger wünschenswert ist, sondern auch eine Diskontinuität impliziert, die auf weitere intervenierende Faktoren hinweist. Dazu gehören im weiteren Sinne auch die gravierenden Transformationsprozesse der Partei bedingt durch den Zusammenschluss mit der WASG, die sich zwar nicht auf den hier berücksichtigten formellen Stellenwert des Parteitags auswirkt, aber durchaus intervenierend wirken kann. Obendrein grenzt sich die PDS bzw. Die Linke im Untersuchungszeitraum mit ihrer negativen EU-Integrationsposition deutlich von den anderen Parteien ab, sodass mit ihrer Auswahl die Abbildung einer geringen Varianz auf der EU-Integrationsdimension nicht möglich wäre. Summa summarum bedeutet die hier getroffene Fallauswahl, dass FDP und Grüne zwei Parteiorganisationen darstellen, in denen der Parteitag eine stärkere bzw. leicht stärkere Rolle einnimmt, sodass – sofern diese Variable einen Einfluss auf die Politikartikulation haben sollte – Unterschiede zu den beiden Unionsparteien, als Fälle mit einem schwächeren Prinzipal, beobachtbar sein sollten. Die Fallauswahl erlaubt zudem alle überhaupt möglichen Fälle eines Wechsels des Regierungsstatus zu überprüfen. Anhand von drei Parteien (B90/Die Grünen, CDU und CSU) ist beobachtbar, ob mit Übernahme der Regierungsverantwortung bzw. mit der Rückkehr in die Oppositionsrolle (B90/Die Grünen) Veränderungen in den hier beobachteten Dimensionen der Politikartikulation einhergehen. Die FDP dient hier als Kontrollfall, wenn sich der Status nicht ändert – in ihrem Fall die Zugehörigkeit zur Opposition im gesamten Untersuchungszeitraum. Zugleich ermöglicht die Berücksichtigung der FDP, eine Fallanalyse zum intervenierenden Einfluss der Existenz der nationalen Delegation im Europäischen Parlament vorzunehmen. Da der Turnus der Europawahlen unabhängig vom nationalen Wahlturnus ist, können potenzielle Zusammenhänge durchaus getrennt werden. Die Hypothesen zum Zusammenhang zwischen den programmatischen Schwerpunkten und der Politikartikulation der innerparteilichen Akteure können ohne Einschränkungen überprüft werden, da hier Varianz hinsichtlich der Themensalienzen zwischen den ausgewählten Parteien existiert. Auf der ökonomischen Links-Rechts-Achse decken die ausgewählten Parteien durchaus ein breites Spektrum ab, wobei mit CDU, CSU und FDP mehr Parteien mit einer

148

7

Untersuchungsanordnung: Untersuchungszeitraum …

ökonomischen Rechtspositionierung untersucht werden. Negative Konsequenzen für die Analyse ergeben sich daraus nicht, denn weder wird das Problem der Multikollinearität zwischen der Parteiorganisationsvariable und der ideologischen Positionierung verschärft noch verhindert diese Auswahl Rückschlussmöglichkeiten darauf, wie nationale Parteien mit dem europäischen Themenspektrum umgehen.

7.3.3

Einblick in die ausgewählten Parteien: Was noch zu erwähnen ist …

Nachdem begründet wurde, warum für die Untersuchung der Politikartikulation zum europäischen Themenkomplex B90/Die Grünen, CDU, CSU und die FDP ausgewählt werden, folgen noch einige relevante Angaben. Als erstes ist die Festlegung der funktionalen Äquivalente für die drei innerparteilichen Akteure in den ausgewählten Parteien nötig. Als zweites wird näher auf die spezifische Ressourcenausstattung der drei innerparteilichen Akteure eingegangen: Als zentrale Ressourcenrestriktion des Parteitags wird seine Tagungsfrequenz betrachtet, sodass eine kurze Evaluierung der tatsächlich einberufenen Parteitage erfolgt. Für die Parteiführung bietet die personelle Interdependenz mit der parlamentarischen Vertretung im Europäischen Parlament einen besonderen Ressourcenzugang zu europäischen Angelegenheiten. Mit einem kurzen Blick in die vier Parteiorganisationen wird aufgezeigt, dass diese Ressource allen Parteiführungen zur Verfügung steht – mit Ausnahme der FDP zu Zeiten einer fehlenden nationalen Delegation (Juni 1999 bis Juni 2004). Zudem wird kurz auf die personelle Interdependenz zwischen Parteiführung und den Bundestagsfraktionen eingegangen. Auf die Fraktionsstärke wird ein kurzer Blick geworfen, um kurz die verfügbaren Ressourcen an Policy-Expertise der Fraktionen einzuordnen.

7.3.3.1 Die drei innerparteilichen Akteure und ihre funktionalen Äquivalente in den ausgewählten Parteiorganisationen Die drei zentralen innerparteilichen kollektiven Akteure sind der Parteitag, die Parteiführung und die Fraktion, wobei als Prinzipal der Parteitag und als Agenten die Parteiführung sowie die Fraktion konzeptualisiert sind. Gilt es, diese Akteure in den Parteien für die vergleichende Analyse zu identifizieren, ist hierbei auf die funktionale Äquivalenz zu achten, mit der allgemein herausgestellt wird, dass Konzepte in unterschiedlichen Kontexten in ähnlicher Beziehung zueinanderstehen (van Deth 1998: 8). Poguntke diskutiert die Bedeutung der funktionalen

7.3 Auswahl der Parteien

149

Äquivalenz für Parteiorganisationen vorrangig für die länderübergreifende Vergleichsperspektive, betont jedoch zugleich Probleme bei einer Fallauswahl innerhalb eines Landes (Poguntke 1998). Er stellt heraus, dass „die Suche nach strikt identischen Objekten sinnlos ist“ (Poguntke 1998: 160, eigene Übersetzung), vielmehr seien vor dem Hintergrund des angestrebten Erkenntnisinteresses relevante Kriterien festzulegen, nach denen Parteiorgane verglichen werden sollen und wonach die entsprechenden Parteiorgane ausgewählt werden (Poguntke 1998: 160). Mit der nachfolgenden Tabelle 7.4 werden die angewandte Operationalisierung und die funktionalen Äquivalente der drei innerparteilichen Akteure in den vier ausgewählten Parteien zusammengetragen. Wie oben eingeführt (Abschnitt 5.1.3), werden als Parteitage neben den Bundesparteitagen auch die sogenannten Kleinen Parteitage berücksichtigt. Während aus der Analyse von Parteistatuten bekannt ist, dass dieses Gremium in vielen Parteien existiert und wie es sich zusammensetzt, gibt es keine systematischen empirischen Erkenntnisse, in welchem Ausmaß die Parteien die Delegation an den Kleinen Parteitag nutzen und unter welchen Prämissen. Die Berücksichtigung der kleinen Parteitage in der explorativen Studie kann somit zusätzlich aufdecken, ob diese ggf. mehr dazu genutzt werden, europäische Themen in den Mittelpunkt zu stellen. Im zugrundeliegenden Parteiorganisationsmodell wird die Parteiführung als kollektiver Akteur definiert, welcher durch die Wahl des Parteitags legitimiert ist. Eine weitere Legitimation fußt auf der Parteisatzung, die ggf. eine Zugehörigkeit zur Parteiführung qua Amt festlegt. Operationalisiert wird die Parteiführung anhand des Vorstands und des Präsidiums, also den Gesamtvorstand und Kernvorstand (Bukow 2013: 132–133). Gerade in diesem Zusammenhang wird die hohe Bedeutung der funktionalen Äquivalenz sichtbar, wenn die Parteiführung der Grünen analysiert wird. Denn trotz der Benennung als Parteirat entspricht dieses Gremium den Funktionen eines Bundesvorstands in den anderen relevanten Parteien, wohingegen der grüne Bundesvorstand das funktionale Äquivalent zum Präsidium, also dem kleineren Führungsgremium für das tagespolitische Geschäft, darstellt (Poguntke 1999: 94). Des Weiteren greift die Festlegung der beobachteten innerparteilichen Akteure die Besonderheit der Unionsparteien auf, welche eine gemeinsame Fraktion im Bundestag bilden und zugleich über voneinander unabhängige Parteitage und Parteiführungen verfügen. Daraus folgt für die empirische Analyse, dass die gemeinsame Fraktion jeweils im Kontext einer Unionspartei betrachtet wird, sodass für alle untersuchten Parteien ein funktionales Äquivalent einer Fraktion vorliegt. Mit der CSU-Landesgruppe wäre genau dieses nicht gegeben, denn sie kann nicht eigenständig als Fraktion im Parlament agieren, stellt also innerhalb

Bundesvorstand Grünen-Fraktion

Präsidium

Bundestagsfraktion

Parteirat

Vorstand

Länderrat

Kleiner Parteitag

CDU/CSU-Fraktion

Präsidium

Bundesvorstand

Bundesausschuss

Bundesparteitag

CDU

CDU/CSU-Fraktion

Präsidium

Vorstand

Parteiausschuss bzw. kleiner Parteitag

Parteitag

CSU

FDP-Fraktion

Präsidium

Bundesvorstand

nicht vorhanden

Bundesparteitag

FDP

Anmerkungen. BTF: Bundestagsfraktion. *Darunter fallen auch Sonderparteitage. Quelle: eigene Darstellung nach Poguntke/Boll (1992), Poguntke (1998: 164–165) und Satzungen der deutschen Parteien.

Fraktion

Parteiführung

Bundes delegiertenkonferenz

Bundesparteitag *

B90/Die Grünen

Funktionale Äquivalente für: 7

Parteitag

Innerparteiliche Parteiakteure und ihre Operationalisierung

Tabelle 7.4 Innerparteiliche Akteure und ihre funktionalen Äquivalente in den ausgewählten Parteien

150 Untersuchungsanordnung: Untersuchungszeitraum …

7.3 Auswahl der Parteien

151

der Fraktion ein Äquivalent zu einer Gruppe von CDU-Abgeordneten eines Bundeslandes dar, und ist zugleich mit ihrer Politikartikulation der Unionsfraktion integriert.10 Zusammengefasst stehen also elf innerparteiliche Akteure im Rahmen dieser Arbeit zur Verfügung: jeweils vier Parteitage sowie Parteiführungen und drei Fraktionen. Der besonderen Rolle der Unionsfraktion wird dadurch Rechnung getragen, indem sie eingebettet wird in die Parteiorganisation der CDU und der CSU.

7.3.3.2 Ressourcenausstattung der innerparteilichen Akteure Für den Parteitag als Prinzipal verkörpert der Faktor Zeit die wohl wichtigste Restriktion für seine Politikartikulation, denn neben der Politikformulierung dient seine knappe Tagungsdauer auch der Beschlussfindung in parteiorganisatorischen Belangen und der Wahl des Parteiführungspersonals. Mit einer höheren Tagungsfrequenz und/oder dem zusätzlichen Einberufen eines Kleinen Parteitags besteht für den Prinzipal die Möglichkeit, potenziell mehr Spielraum für die inhaltlich orientierte Beschlussfassung zu erlangen. Der Blick auf die tatsächliche Tagungsfrequenz der vier Parteitage (hier betrachtet in seiner großen und kleinen Zusammensetzung) zeigt zunächst auf, dass in allen Parteien mindestens einmal jährlich ein Parteitag einberufen wird und zwar auch dann, wenn die formelle Vereinbarung nur einen zweijährigen Turnus als Mindestmaß beinhaltet, so wie es für die CDU der Fall ist. Nur im Jahr 2009 weicht die CDU von der Praxis ab.11 Mehr als einmal einen Parteitag innerhalb des Kalenderjahres einzuberufen, ist ein Instrument, welches in allen Parteien zum Einsatz kommt, jedoch in unterschiedlicher Intensität: Der Prinzipal in der Grünen-Parteiorganisation trifft sich in allen Kalenderjahren von 1999 bis 2009 mehr als einmal, im Jahr 2002 kommt er auf einen Spitzenwert von sechs Tagungen. Auch innerhalb der CSU nutzt der Prinzipal das Instrument einer häufigeren Tagungsfrequenz in fast allen Kalenderjahren (einzige Ausnahme: das Jahr 2003). In der CDU und in der FDP wiederum sind mehr als eine Zusammenkunft des Prinzipals in einem Kalenderjahr seltener; nur in weniger als der Hälfte der beobachteten Jahre kam es zu einer weiteren Einberufung des Parteitags. Zusammengefasst schafft sich der Prinzipal in den vier Parteiorganisationen Ressourcen, um sich nicht nur turnusmäßig den Wahlen des Vorstands zu widmen,

10 11

D. h. auch, dass Pressemitteilungen der CSU-Landesgruppe nicht erhoben werden. Siehe detaillierte Aufstellung in Anhang C im elektronischen Zusatzmaterial.

152

7

Untersuchungsanordnung: Untersuchungszeitraum …

sondern auch der Politikformulierung und damit potenziell auch die Möglichkeit, mit seiner Beschlussfassung Aspekte des europäischen Themenkomplexes aufzugreifen. Für die Parteiführung stellt die Einbettung der nationalen EP-Delegation eine wichtige Ressource dar, den Informationszugang über Aktivitäten auf der europäischen Ebene organisatorisch abzusichern (Poguntke 2007: 117). In drei der vier untersuchten Parteien wird dafür das Instrument der formellen Absicherung genutzt, wonach EU-Mandatsträger qua Amt Mitglied in der nationalen Parteiführung sind. Konkret ist dies der Fall innerhalb von CDU, CSU und FDP, nicht jedoch bei den Grünen.12 Die mangelnde de jure-Absicherung innerhalb der Grünen-Parteiorganisation ist aber nicht gleichbedeutend mit einer fehlenden de facto-Rückkopplung, denn zumindest ein Mitglied der nationalen EP-Delegation gehört dem Grünen Parteirat an, was fast durchgängig über den gesamten Untersuchungszeitraum der Fall ist.13 Folglich kann für die Analyse vereinfacht angenommen werden, dass in allen untersuchten Parteien eine personelle Interdependenz zwischen nationaler EP-Delegation und Parteiführung existiert und die Parteiführung über diesen Ressourcenzugang verfügt – bis auf die FDP im Zeitraum zwischen Juni 1999 und Juni 2004. Dies ermöglicht nicht nur einen intertemporären Vergleich der Politikartikulation der FDP-Parteiführung, sondern auch einen parteiübergreifenden Vergleich zwischen den verschiedenen Parteiführungen. Darüber hinaus impliziert auch die personelle Interdependenz mit der Bundestagsfraktion eine wichtige Ressource für die Parteiführung. In allen vier Parteiorganisationen wird diese Rückkopplung zwischen Fraktion und Parteiführung praktiziert; auch innerhalb der Grünen-Parteiorganisation, für die eine Trennung zwischen Amt und Mandat im Parteirat im betrachteten Zeitraum nicht galt und für den Bundesvorstand mit der Urabstimmung von 2003 abgeschafft wurde.14 Abschließend ein kurzer Blick auf die Fraktion, für die die Größe ein wichtiger Indikator für verfügbare Ressourcen darstellt, wenn dies wie hier als Akkumulation von Policy-Expertise verstanden wird (vgl. Tabelle 7.5). Hier kann zwischen 12

Siehe Parteistatute von B90/Die Grünen (1998, 2007), CDU (1996), CSU (1999, 2002, 2008), FDP (1999, 2009). 13 Namentlich: Heide Rühle und später Rebecca Harms. 14 Einschränkungen wurde aber aufrechterhalten, wonach u. a. Fraktionsvorsitzende im Bundestag nicht dem Bundesvorstand angehören dürfen. Zum Parteirat ist anzumerken: Aufgrund der relativ kleinen Größe von max. 16 Personen ist der Anteil der Bundestagsabgeordneten von über 40 Prozent sogar relativ hoch verglichen zu den vergleichbaren Bundesvorständen der anderen drei Parteien.

7.4 Zusammenfassung Tabelle 7.5 Größe der Fraktionen im Deutschen Bundestag, 1998 bis 2009

153

Bundestag Partei

14. WP 1998–2002

15. WP 2002–2005

16. WP 2005–2009

Bündnis90/Die Grünen

47

55

51

CDU/CSU

245

248

226

CDU

198

190

180

CSU

47

58

46

43

47

61

FDP

Quelle: Datenhandbuch Abschnitt 5.3).

Deutscher

Bundestag

(2011:

den kleinen Fraktionen der Grünen sowie der FDP und der großen Unionsfraktion unterschieden werden. Eine weitere wichtige Ressource der Fraktion, nämlich der Zugang zur Regierungsbank, fließt bekanntlich mit einer separaten Variablen ein.

7.4

Zusammenfassung

Das gewählte Forschungsdesign rückt die Politikartikulation mit ihrer Organisationsdimension in den Mittelpunkt, womit deskriptive Fragestellungen verfolgt und Erklärungsansätze untersucht werden können. Die Betrachtung der drei innerparteilichen Akteure - und damit der Parteien in einer analytischen Tiefe - erfordert eine Betrachtung weniger Parteien. Um auch mit dem Small-N-Design Rückschlüsse ziehen zu können, wird ein zehnjähriger Untersuchungszeitraum von Juni 1999 bis Juni 2009 gewählt, womit die Anzahl der Beobachtungen für jeden innerparteilichen Akteur erhöht wird und somit ausreichend Fälle vorliegen, um die vermuteten Zusammenhänge auch überprüfen und valide Aussagen treffen zu können. Des Weiteren werden nur deutsche Parteien untersucht, sodass intervenierende Variablen des systemischen Kontexts ausgeschlossen sind. Mit der Auswahl der vier deutschen Parteien von Bündnis90/Die Grünen, CDU, CSU sowie FDP ist sichergestellt, dass eine ausreichende Varianz bezüglich der Parteiorganisation vorliegt, d. h. Gegenstand der Analyse sind Parteien mit einem schwächeren Prinzipal (CDU, CSU) und einem stärkeren bzw. etwas stärkeren Prinzipal (Grüne, FDP). Die Angaben über den Stellenwert des Prinzipals

154

7

Untersuchungsanordnung: Untersuchungszeitraum …

beruhen auf dem Analysetool für Satzungen, welches die formelle Absicherung des Prinzipals im Delegationsverhältnis wiedergibt. Die ausgewählten Parteien ermöglichen die Kontrolle des Einflusses der Regierungsbeteiligung auf die Politikartikulation zum europäischen Themenspektrum. Ferner kann anhand der FDP beobachtet werden, ob und in welcher Weise die Existenz von Abgeordneten im Europäischen Parlament die Politikartikulation der nationalen Parteiakteure beeinflusst, insbesondere die der Parteiführung. Die Fallauswahl berücksichtigt den positiven Elitenkonsens hinsichtlich der EUIntegration und schließt diese Einflussgröße aus. Auf die intervenierende Wirkung der ideologischen Position kann indes nur bedingt kontrolliert werden, da eine hohe Multikollinearität zur Parteiorganisationsvariablen besteht. Dies wirkt aber keinesfalls einschränkend auf alle eingenommenen Untersuchungsperspektiven: Steht die Organisationsdimension der Politikartikulation im Mittelpunkt, also der innerparteiliche Vergleich der ausgewählten Themen, dann spielt diese Limitation keine Rolle.

8

Manuelle Inhaltsanalyse: Methodik zur Erhebung politischer Aussagen zum europäischen Themenkomplex

Die Konzeptualisierung der Politikartikulation zum europäischen Themenkomplex liegt mit Kapitel 4 vor. Kapitel 5 widmete sich der Konzeptualisierung der abhängigen Variablen und stellt vor, wie die Politikartikulation in der Parteiorganisationsperspektive erfasst wird. Offen ist indes noch, wie im Detail die Themenselektion erhoben werden soll. Dieses Kapitel widmet sich nun ausführlich der Datenerhebung für die Messung der abhängigen Variablen. Bereits in die Vorstellung der vorgenommenen Operationalisierung der unabhängigen Variablen – hier konkret: die ideologisch-programmatische Orientierung von Parteien – wurde auf diverse Verfahren eingegangen, die für Messung von Präferenzen der Parteien in der Forschung zum Einsatz kommen. Auf diese Verfahren wird in diesem Kapitel zurückgegriffen und darauf aufbauend begründet, dass politische Texte die bestmögliche Annäherung an die Politikartikulation der innerparteilichen Akteure bieten und deshalb als Datengrundlage dienen. Da den Parteien verschiedene Typen politischer Texte als Kommunikationsinstrumente zur Verfügung stehen, ist hier eine fundierte Auswahl nötig, die auf der Prämisse beruht, dass die politischen Texte als Präferenz des jeweiligen innerparteilichen kollektiven Akteurs gewertet werden können. Der analytische Blick auf die politischen Texte muss dabei deren unterschiedliche Charaktere aufgreifen und berücksichtigen, welche Kommunikationsinstrumente respektive politischen Texte der einzelne Parteiakteur für die Politikartikulation nutzt bzw. nutzen kann.

Elektronisches Zusatzmaterial Die elektronische Version dieses Kapitels enthält Zusatzmaterial, das berechtigten Benutzern zur Verfügung steht https://doi.org/10.1007/978-3-658-34797-0_8.

© Der/die Autor(en), exklusiv lizenziert durch Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2021 S. John, Europäische Themen in deutschen Parteiorganisationen, Empirische Studien zur Parteienforschung, https://doi.org/10.1007/978-3-658-34797-0_8

155

156

8

Manuelle Inhaltsanalyse: Methodik zur Erhebung politischer …

Nachdem die verwendete Datengrundlage definiert und die analytische Abgrenzung verschiedener Texttypen vorgenommen ist, folgt im Anschluss eine Beschreibung über die praktische Umsetzung des Datenzugangs und die Zusammenstellung des Datenrohmaterials für die ausgewählten Parteien, bevor detailliert auf die Inhaltsanalyse als angewandte Datenerhebungsmethodik eingegangen wird. Dafür steht als erstes das Kategoriensystem der Inhaltsanalyse im Mittelpunkt, das als „Herzstück“ (Rustemeyer 1992: 13) der systematischen Textaufbereitung sämtliche zu erfassenden Informationen bzw. Bedeutungsdimensionen festlegt sowie definiert. Vor dem Hintergrund, dass nicht nur die Datenerhebung, sondern auch die Entwicklung eines eigenen Kategoriensystems mit einem hohen Ressourcenaufwand verbunden ist, sollte zunächst eine sorgfältige Prüfung etablierter und erprobter Schemata dahingehend erfolgen, ob diese für die eigenen forschungsleitenden Fragestellungen geeignet sind. Anhand einer kurzen Reflexion renommierter existierender Kategoriensysteme wird die Notwendigkeit für ein eigenes System zum Erfassen politischer Aussagen zum europäischen Themenkomplex unterstrichen, wobei konzeptionelle Ideen existierender Kategoriensysteme einfließen, die zudem Anknüpfungsmöglichkeiten an übergreifende Problemstellungen für die Zukunft ermöglichen. Im Anschluss daran wird die generelle Struktur des Kategoriensystems skizziert, gefolgt von der Definition der Kodiereinheiten, eine der notwendigen zentralen Festlegungen jeder Inhaltsanalyse. Als zweites steht die Methodik im Mittelpunkt, mit deren Hilfe die Daten gemäß dem Kategoriensystem aus den Texten extrahiert werden. Mittlerweile sind diverse Verfahren in der Forschung etabliert, die von manuellen Erhebungsverfahren (Wüst und Volkens 2003; Werner et al. 2011; Baumgartner et al. 2013; Bevan 2014b) bis zu computergestützten Verfahren reichen (siehe Überblick u. a. von Alexa und Zuell 2000), wobei hier der Anteil menschlicher Entscheidungen variiert und die zum Teil nicht mehr erforderlich sind (z. B. Laver et al. 2003; Slapin und Proksch 2008; Proksch und Slapin 2009). Trotz der fortschreitenden Möglichkeiten und Verbreitung computergestützter Verfahren erfolgt ein bewusster Rückgriff auf die manuelle Inhaltsanalyse, da andernfalls die vielseitigen Textinformationen aus den unterschiedlichen Dokumententypen nicht adäquat erfasst werden können. Zur Beschreibung der zugrundeliegenden Datenerhebungsmethodik gehört auch, auf die Reliabilität als ein zentrales wissenschaftliches Gütekriterium einzugehen, was den Abschluss dieses Kapitels darstellt.

8.1 Datengrundlage: Parteidokumente zur Messung …

8.1

157

Datengrundlage: Parteidokumente zur Messung der Politikartikulation

Nachdem die verwendete Konzeption politischer Themen in Kapitel 4 vorgestellt wurde, geht es hier darum, die Datengrundlage zu definieren, anhand derer die artikulierten politischen Präferenzen der Parteien und ihrer drei innerparteilichen Akteure erhoben wird. Dafür wird zunächst die Entscheidung begründet, weshalb politische Dokumente als Datengrundlage ausgewählt werden. Im Anschluss daran wird spezifiziert, welche politischen Texte für die Erhebung der Politikartikulation zum europäischen Themenkomplex herangezogen werden.

8.1.1

Weshalb politische Dokumente?

In der Parteienforschung sind unterschiedliche Datenquellen etabliert, mittels derer sich den Politikpräferenzen von Parteien angenähert wird (siehe Überblick u. a. von Kleinnijenhuis und Pennings 2000; Mair 2001; Debus 2009). Als erstes gelten politische Dokumente als wichtige Quellen für das Schätzen und Bestimmen von Präferenzen politischer Akteure (Benoit et al. 2009: 495), wobei hier im Folgenden darunter allgemein Texte von Parteien bzw. ihren innerparteilichen Akteuren verstanden werden. In der Forschung liegt durchaus eine Fokussierung auf Wahlprogramme als Datengrundlage vor (u. a. bei Budge 2001b; Budge und Bara 2001; Budge et al. 2001; Pennings 2006; Bräuninger et al. 2013; Debus und Müller 2013), wenngleich in jüngster Zeit auch andere politische Dokumente, wie etwa parlamentarische Reden (Proksch und Slapin 2010) Verwendung finden. Zur textbasierten Präferenzermittlung dienen des Weiteren Medienanalysen, die die Berichterstattung über Parteien als Datengrundlage nutzen (Kleinnijenhuis und Pennings 2000, 2001; Helbling et al. 2010; Helbling und Tresch 2011). Darüber hinaus sind Befragungen insbesondere von Experten, aber auch der Bevölkerung etablierte Datenquellen, insbesondere für die Ermittlung der ideologischen Positionierung, bestimmter Policy-Positionen oder salienter Themen von Parteien. Außerdem werden Daten über namentliche Abstimmungen für die Messung der Positionierung von Parteien verwendet (Debus 2009: 286). Nicht jede dieser etablierten Datenquellen ist geeignet, die Problemstellung dieser Arbeit adäquat zu bearbeiten, wobei sich Grenzen der einzelnen Datenquellen nicht ausschließlich aus einem rein technischen Sinne der Operationalisierung ergeben, sondern ebenso aus dem gewählten theoretischen Konzept der Präferenzen. So schließt die hier zugrundeliegende konzeptionelle Trennung von Politikartikulation bzw. Politikformulierung und Politikimplementierung die

158

8

Manuelle Inhaltsanalyse: Methodik zur Erhebung politischer …

Abbildung von Politikpräferenzen anhand parlamentarischen Abstimmungsverhaltens und Regierungshandeln kategorisch aus. Darüber hinaus ist anzumerken, dass diese Datengrundlage zwar erlaubt, Dimensionen des parlamentarischen Entscheidungsprozesses und die Positionierung der Abgeordneten in diesem politischen Raum zu erheben, jedoch Rückschlüsse auf die Themenselektion von Parteien und ihren innerparteilichen Akteuren schwerlich möglich sind. Mit einer Annäherung mittels Expertenbefragungen an die artikulierten Interessen von Parteien zum europäischen Themenkomplex ließe sich nicht sicherstellen, dass sich die befragten internen und/oder externen Experten ausschließlich auf die Politikartikulation beziehen und vergangenes Parteiverhalten (wie etwa legislatives Handeln) von Parteien außer Acht lassen (Mair 2001: 25). Zwar ermöglicht die Qualifikation von Expertinnen und Experten durchaus fundierte Bewertungen über inhaltliche Schwerpunkte sowie Positionen von Parteien (Mair 2001: 24), Zweifel sind indes angebracht, ob insbesondere Externe1 im Einzelnen detailliert Kenntnis darüber besitzen, welche spezifischen Themen der europäischen Politikgestaltung die Parteien und ihre innerparteilichen Akteure aufgreifen. Letzteres könnte womöglich mit der Befragung interner Experten – also Parteifunktionsträger oder Parteiaktivisten – umgangen werden, gleichwohl die Komplexität des europäischen Themenkanons und die Rückerinnerungsproblematik bei längeren Untersuchungszeiträumen, insbesondere bei den gewünschten Detailangaben, nicht zu unterschätzen sind. Mit einer textbasierten Präferenzermittlung können diese Probleme umgangen werden, sodass hier der Rückgriff auf politische Dokumente der drei innerparteilichen Akteure erfolgt. Hierin wird die bestmögliche Operationalisierung für das Forschungsanliegen gesehen, da als erstes ausschließlich die Politikartikulation abgebildet wird und die analytische Trennung zum politischen Handeln gewährleistet ist. Die Vorteile politischer Dokumente sind darüber hinaus, dass sie den drei innerparteilichen Akteuren genau zugeordnet werden können und ermöglichen, die Politikpräferenzen über einen längeren Zeitraum nachvollziehbar zu erheben und einzuordnen. Die innerparteilichen Dokumente sind einer Medienanalyse vorzuziehen, auch wenn diese geeignet ist, die notwendige konzeptionelle Trennung der Politikartikulation von anderem Parteiverhalten in der empirischen Messung umzusetzen, über einen längeren Untersuchungszeitraum durchgeführt werden kann und eine stärkere Berücksichtigung von „sub-issues“ erlaubt als es beispielsweise mittels 1

Mit externen Expertinnen und Experten sind Beobachterinnen und Beobachter des Untersuchungsgegenstands – also von Parteien – gemeint. Dazu zählen beispielsweise Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, Journalistinnen und Journalisten, aber auch Akteure in Interessengruppen.

8.1 Datengrundlage: Parteidokumente zur Messung …

159

Experteninterviews möglich ist (Helbling und Tresch 2011: 181). Medienanalysen sind indes weniger geeignet, die Themenauswahl von Parteien adäquat widerzuspiegeln – und damit eines der zentralen empirischen Anliegen dieser Arbeit. Vielmehr zeigen Validitätstests auf, dass Zeitungsanalysen verzerrte Aussagen über die Themenauswahl liefern (Helbling und Tresch 2011). Das ist kaum verwunderlich, weil Entscheidungen über Berichte bzw. Prioritätensetzung innerhalb von Zeitungsredaktionen und nach der Logik von Medien getroffen werden. Das trifft umso mehr zu, je geringer der Einfluss der Parteien auf die Massenmedien ist bzw. je geringer die Verflechtung zwischen Parteien und Medien ausgeprägt ist.2

8.1.2

Welche politischen Dokumente für die Messung der Politikartikulation?

Das Forschungsinteresse richtet sich auf die Politikartikulation der drei innerparteilichen Akteure über die Wahlprogrammatik hinaus und will aufdecken, ob sich die innerparteilichen Akteure dem europäischen Themenspektrum widmen und inwiefern hierbei Muster in der Themenselektion erkennbar sind. Darüber hinaus wird eine komparative Perspektive zum Umgang mit europäischen Themen im Wahlkontext eingenommen, um die vermuteten Unterschiede überprüfen zu können. Folglich kommen zwei unterschiedliche Strategien für die Auswahl der politischen Dokumente zum Einsatz: Als erstes ist ein akteursorientierter Blick für die Festlegung geeigneter Dokumente nötig, um die Politikartikulation der drei innerparteilichen Akteurstypen zu erheben. Als zweites ist ein funktionales Textverständnis leitgebend für die Auswahl der Dokumente, die für die Messung der Themenselektion im Wahlkontext herangezogen werden. Die nachfolgenden Ausführungen widmen sich der Begründung verschiedener Dokumententypen, die für die Abbildung der Politikartikulation verwendet werden. Konkret wird in Wahldokumenten, Grundsatzprogrammen, PolicyBeschlüssen und Pressemitteilungen eine geeignete Datengrundlage gesehen. Unterschiede zwischen den Dokumententypen und potenzielle Konsequenzen für die Datenauswertung werden ausführlich im nachfolgenden Kapitelabschnitt aufgegriffen.

2

So existiert beispielsweise in Deutschland abgesehen von der Sonderstellung des CSUParteiblattes „Bayernkurier“ keine nennenswerte Parteienpresse mehr (Sarcinelli 2009: 191).

160

8

Manuelle Inhaltsanalyse: Methodik zur Erhebung politischer …

Für die Messung der europäischen Themen im Wahlkontext stellen politische Texte die Datengrundlage dar, die explizit für anstehende Bundestags- oder Europawahlen verfasst wurden und durch eine abschließende Beschlussfassung eines zentralen innerparteilichen Akteurs bestätigt wurden. Als beschließendes Organ kann hierbei der Parteitag oder die Parteiführung auftreten. Folglich werden hier die Wahldokumente Wahlprogramme und Wahlaufrufe als textliche Grundlagen verwendet.3 Allgemein lässt sich festhalten, dass den innerparteilichen Akteuren eine Vielzahl von kommunikativen Mitteln und damit auch von politischen Texten zur Verfügung, mit denen sie ihre Präferenzen artikulieren können (siehe Überblick von Norris 2005). Im Rahmen dieser Untersuchung kommen jedoch nur jene politischen Texte in Betracht, die begründet als Ausdruck der Politikartikulation des jeweiligen innerparteilichen Akteurs herangezogen werden können. Grundsätzlich muss dabei im Auge behalten werden, dass es sich bei den drei innerparteilichen Akteuren Parteitag, Parteiführung und Fraktion wiederum um kollektive Akteure handelt, die sich durch eine Präferenzheterogenität auszeichnen. Als Ausdruck der Politikartikulation des kollektiven Akteurs werden zunächst sämtliche Texte betrachtet, die auf einer Abstimmung mit einem befürwortenden Votum beruhen. Gegenstand eines Beschlusses können unterschiedliche Dokumententypen sein, wobei die Wahldokumente (Wahlprogramme, Wahlaufrufe) explizit ausgeschlossen sind. Angewandt auf den Parteitag kommen generell alle Dokumente in Frage, die auf einer Beschlussgrundlage beruhen, sofern sie nicht die Satzung oder andere parteiorganisatorische Angelegenheiten zum Gegenstand haben. Konkret kommen hier Grundsatzprogramme und Policy-Beschlüsse in Frage. Korrespondierend dazu werden ebenfalls sämtliche Policy-Beschlüsse der Parteiführung als adäquate Abbildung der Politikpräferenzen dieses kollektiven innerparteilichen Akteurs herangezogen, wenn diese eine Beschlussgrundlage aufweisen und unmittelbar dem Ausdruck inhaltlicher Präferenzen der Parteiführung dienen. Diese Definition schließt wiederum jene Beschlüsse der Parteiführung als Ausdruck ihrer Politikartikulation aus, die einzig von ihr formuliert worden sind, um als Antrag auf dem Parteitag eingebracht zu werden. Denn diese Beschlüsse zielen nicht darauf ab, die Politikartikulation der Parteiführung als individuellen

3

Sogenannte Kurzprogramme als gekürzte Wahlprogramme, die ausschließlich eine redaktionelle Überarbeitung des genuinen Wahlprogramms hin zu einer höheren sprachlichen Verständlichkeit durch Vereinfachung und Kürzung darstellen, gehören nicht zur Datengrundlage, da in keiner untersuchten Partei Kurzprogramme Gegenstand einer Abstimmung bzw. Beschlussfassung der zentralen innerparteilichen Akteure gewesen sind.

8.1 Datengrundlage: Parteidokumente zur Messung …

161

Parteiakteur zu unterstreichen, sondern dienen vielmehr dazu, die Politikartikulation des Parteitags zu gestalten.4 Äquivalent wäre hier auch mit Beschlüssen der Fraktion zu verfahren – dies spielt aber im Rahmen der Untersuchung keine Rolle, da in keiner der untersuchten Parteien die Fraktion über ein Antragsrecht auf dem Parteitag verfügt.5 Mit dieser Abgrenzung wird die analytische Trennung der Politikartikulation der drei innerparteilichen Akteure umgesetzt, wobei eben auch Beachtung findet, dass die Politikartikulation des Parteitags auf dem Input von diversen innerparteilichen Akteuren beruht, die Anträge einreichen und über die der Parteitag mehr und weniger ausführlich debattiert sowie entscheidet, ob diese Anträge als Politikformulierung des Parteitags (verändert) angenommen werden oder nicht. Da die Antragsteller von Parteitagsbeschlüssen mit der Dokumentenanalyse erfasst wurden (siehe dazu siehe auch Abschnitt 8.2.1.2), bleiben die gesetzten Impulse der Parteiführung für die Politikartikulation des Parteitags für die Datenanalyse sichtbar, ohne den analytischen Fokus auf den Output der Politikartikulation zu verlieren und die Komplexität der Datenstruktur unnötig zu erhöhen. Unter Policy-Beschlüsse der Fraktion – kurz: Fraktionsbeschlüsse – fällt ausschließlich die Verständigung der Fraktion auf inhaltliche Prämissen. Je nach Fraktion bzw. Anliegen variieren die Dokumentenbezeichnungen (z. B. Fraktionsbeschluss, Positionspapier), ausschlaggebend ist hier einzig die funktionale Äquivalenz. Nicht verwendet werden indes Dokumente, die genuin für den parlamentarischen Arbeitsablauf bestimmt sind, wie Gesetzesinitiativen oder parlamentarische Anträge einzelner Abgeordneter bzw. der Fraktionen.6 Denn diese parlamentarischen Gestaltungselemente machen den Kern legislativen Handelns 4

Gestützt wird diese vorgenommene analytische Trennung zudem durch die Kommunikationsstrategien der Parteiführungen: In allen untersuchten Parteien wurden mit den Internetauftritten ausschließlich die eigenständigen Beschlüsse der Parteiführung als ihre politischen Aussagen kommuniziert, nicht indes ihre Parteitagsanträge, auch wenn diese auf einer internen Beschlusslage beruhen. 5 Diese Regelung schließt indes nicht aus, dass einzelne Mitglieder des nationalen Parlaments in ihrer Rolle als Delegierte/r eines Kreis- oder Landesverbands Anträge einreichen. Dieser Sachverhalt wiederum fließt in die Auswertung ein. 6 Dazu zählen auch die sogenannten selbständigen Anträge zur Sache, auf deren Grundlage „zu jedem denkbaren politischen Thema im Plenum eine Aussprache“ (Deutscher Bundestag 2011: Abschn. 7.10, S. 1) eröffnet werden kann, und welche losgelöst von laufenden parlamentarischen Legislativverfahren sind. Die empirische Auswertung über die Anwendung des Instruments zeigt, dass eigenständige Anträge einer Fraktion ausschließlich in der Ausübung der Oppositionsrolle erfolgen (siehe Datenzusammenstellung Deutscher Bundestag 2011: Abschn. 7.10).

162

8

Manuelle Inhaltsanalyse: Methodik zur Erhebung politischer …

dieses innerparteilichen Akteurs aus und sind somit bereits ein Indikator für die Umwandlung der Politikartikulation in legislatives Handeln. Neben den politischen Texten, die auf einer Beschlussfassung beruhen, können Texte ohne Beschlussfassung als Ausdruck der Politikpräferenzen kollektiver Akteure herangezogen werden, die im Namen bzw. im Auftrag dieses Akteurs veröffentlicht werden. Dies trifft auf Pressemitteilungen der Fraktion insbesondere im hier ausgewählten institutionellen Kontext des Deutschen Bundestags zu. Auch wenn die Pressemitteilungen einer Fraktion7 aus den Federn einzelner Abgeordneten stammen, sind sie geeignet die Anliegen der Fraktion als kollektiver Akteur widerzuspiegeln: Gekoppelt an die arbeitsteilige Arbeitsweise der Fraktionen des Deutschen Bundestages ist der thematische Zuschnitt fraktionsinterner Verantwortlichkeiten strukturiert, sodass jene Abgeordnete, die Ausschussvorsitzende bzw. federführende Berichterstattung sind und somit prägend für die spezifische Fachpositionen der Fraktion wirken, zugleich in Verantwortung für die Pressemitteilungen stehen. Sind mehrere Ausschüsse betroffen, dann erfolgt eine Koordination durch das Fraktionssekretariat, welches zudem auch als Prüfinstanz der einzelnen Pressemitteilungen auftritt. Prinzipiell arbeiten alle Fraktionen im Deutschen Bundestag nach diesem Prinzip, wenngleich in den kleineren Fraktionen mehr Freiheiten für die einzelnen Abgeordneten und schlankere Kontrollbzw. Koordinationsverfahren als in den großen Fraktionen existieren. Die größeren Freiheiten resultieren vor allem daraus, dass der/die einzelne Abgeordnete in den kleineren Fraktionen mehr Verantwortung übernimmt, da sie/er in wesentlich mehr Ausschüssen vertreten ist und wesentlich häufiger Berichterstatter-Posten besetzt als in den großen Fraktionen (Ismayr 2001a).8 Auch die Parteiführung nutzt die Pressemitteilungen als ein zentrales Kommunikationsmittel. Im Rahmen dieser Forschungsarbeit bleiben diese aber außen vor, was auf folgenden Überlegungen beruht: Für die hier angewandte Konzeption sollen nur politische Texte außer Beschlüsse als Datengrundlage Verwendung finden, wenn sie als Präferenzmessung des kollektiven Akteurs geeignet sind. Das ist einerseits der Fall, wenn eindeutige Belege für eine hohe Geschlossenheit des kollektiven Akteurs existieren oder andererseits ausreichend Kenntnisse über 7

Berücksichtigt werden ausschließlich Pressemitteilungen der Fraktion. Pressemitteilungen der individuellen Abgeordneten (z. B. veröffentlicht über die eigenen Internetauftritte) finden keine Beachtung. Eine Auswahl nach Ausschüssen findet keine Anwendung, denn EU-Policy-Angelegenheiten werden nach dem arbeitsteiligen Vorgehen von den diversen Fachausschüssen bearbeitet und verbleiben nicht im Europaausschuss. 8 Die Erkenntnisse aus der Literatur wurden zudem durch eigens durchgeführte Hintergrundgespräche mit Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern in unterschiedlichen Fraktionen des Deutschen Bundestags abgesichert.

8.1 Datengrundlage: Parteidokumente zur Messung …

163

die internen Politikformulierungsprozesse vorliegen. Ersteres ist anzuzweifeln. So stellen Katz und Mair (1993: 599) heraus, dass insbesondere die Parteiführung jener Parteiakteur ist, der gegebenenfalls nicht seine Stärke in Gänze erreichen kann, die aus der Geschlossenheit seiner Mitglieder resultiert, da die Mitglieder der Parteiführung zugleich Positionen in den anderen Organisationsarenen ausüben und sich somit die Parteiführung durch eine hohe Präferenzheterogenität auszeichnet. Damit unterstreichen die Autoren, dass es für die Parteiführung schwieriger sein kann, Geschlossenheit und damit Stärke zu erreichen, sagen jedoch nicht, dass das so sein muss. Anders als bei den Fraktionen existieren abgesehen von vereinzelten Anmerkungen9 keine tiefergehenden empirischen Forschungsergebnisse darüber, wie die Veröffentlichung z. B. von Pressemitteilungen durch die Bundesgeschäftsstelle oder einzelne Vorstandsmitglieder in interne Verfahren eingebettet ist. Im Ergebnis sind hier keine abschließenden Bewertungen darüber möglich, ob dieses Kommunikationsinstrument von einzelnen Mitgliedern der Parteiführung genutzt wird, die individuelle Position zu stärken, oder es ausgewählt wird, um die Position der Parteiführung als kollektiver Akteur zu unterstreichen. Aufgrund dieser Limitationen wird darauf verzichtet, weitere Dokumente als die Beschlüsse der Parteiführung für die empirische Analyse zu verwenden. Gleichwohl wird in Pressemitteilungen als Datengrundlage enormes Potential für die Erforschung der Kommunikationsstrategien von Parteiführungen gesehen, welches in zukünftigen Forschungsprojekten aufgegriffen werden sollte.

8.1.3

Rückgriff auf diverse Dokumententypen

Gemäß existierender Ansätze zur Systematik der Programmatik von Parteien zeichnen sich politische Texte durch abweichende Funktionen und Merkmale aus (Kaack 1971; Klingemann 1989; Merz und Regel 2013). In der empirischen Forschung spielen diese Abgrenzungen verschiedener politischer Texte nur eine Rolle, wenn es um die Begründung ihrer Verwendung geht. Darüber hinaus bleiben potenzielle Zusammenhänge z. B. zwischen der Funktion von Texten 9

So verweist beispielsweise Dittberner darauf, dass die Presseaktivitäten der FDPBundesgeschäftsstelle mit anderen innerparteilichen Akteuren wie etwa Landesgeschäftsstellen, Landesverbänden oder der Bundestagsfraktion abgestimmt werden und insbesondere der Medienstrategie des Präsidiums bzw. des Bundesvorsitzenden in Wahlkampfzeiten unterworfen sind (Dittberner 2010: 182). Damit gibt es einen Hinweis auf eine vertikale Koordination innerhalb einer Parteiorganisation. Offen bleibt indes, inwieweit hier auch eine interne Koordination existiert.

164

8

Manuelle Inhaltsanalyse: Methodik zur Erhebung politischer …

in der Politikartikulation und der Art und Weise der artikulierten Politikinteressen unbeachtet, da sich die empirischen Untersuchungen in der Regel auf einen Dokumententypus stützen und folglich Zusammenhänge zwischen Dokumententyp und artikulierten Politikinteressen auch nicht berücksichtigt werden müssen. Als analytisch hervorragende Ausnahme ist hier die vergleichende Analyse von Wahlprogrammen in ihrer Lang- und Kurzfassung zu nennen (Kercher und Brettschneider 2013).10 Mit dem hier gewählten Ansatz zur Abbildung der Politikartikulation von Parteien werden indes unterschiedliche Dokumententypen verwendet, sodass eine Reflexion potenzieller Unterschiede in der Art und Weise der Politikartikulation aufgrund des politischen Texttyps unabdingbar ist. Dies sichert nicht nur die Auswahl der Datengrundlage ab, sondern wirkt unterstützend in der Einbettung der Forschungsergebnisse. Ausgangspunkt für die hier angewandte Typologie sind die Überlegungen von Klingemann (1989), der die Programmatik von Parteien in Grundsatz-, Wahlund sich auf einzelne Politikbereiche beziehende Aktionsprogramme unterteilt, die sich hinsichtlich der zu erfüllenden Funktion und der folgenden Merkmale abgrenzen lassen: (1) Grad der Konkretisierung der politischen Ziele, (2) Grad der Handlungsorientierung, (3) Zeithorizont, (4) thematische Breite und (5) Verbindlichkeitsgrad (Klingemann 1989: 99–100), wobei eine weiterführende Präzisierung der Merkmale nicht erfolgt. Die hier angewandte Typologie dient der Abgrenzung von Wahldokumenten, also den Wahlprogrammen und Wahlaufrufen, Grundsatzprogrammen, PolicyBeschlüssen und Pressemitteilungen.11 10

In der Literatur sind durchaus weitere Arbeiten zu finden, in denen verschiedene Dokumententypen als Datengrundlage dienen, dies aber völlig unreflektiert bleibt. So greift beispielsweise Prinz (2010) für die Analyse der programmatischen Entwicklung der PDS auf verschiedene Dokumententypen zurück, ohne dabei auf mögliche Unterschiede zwischen Reden, Briefen oder Programmdebatten auf Parteitagen einzugehen. 11 Der von Klingemann (1989: 99–100) verwendete Typ des Aktionsprogramms und seine aufgezählten Merkmalsausprägungen fließt in dieser Form nicht ein, da er in der empirischen Anwendung mehr Probleme generiert als zur Vereinfachung beiträgt. Denn wie die eigene explorative Studie zu Beschlussgrundlagen von Parteien hervorbrachte, handelt es sich bei dem Begriff „Aktionsprogramm“ um ein besonderes politisches Vokabular der Parteien, mit denen die Parteien ihre eigene Handlungsfähigkeit („Aktion“) unterstreichen wollen. Politisches Vokabular des Parteienwettbewerbs ist es deshalb, weil vor allem Parteien in der Opposition vereinzelt Policy-Beschlüsse als ein Aktionsprogramm benennen. Letzteres weist wiederum auf den Kern hin: in ihrer Funktion sind Aktionsprogramme Policy-Beschlüsse, die sich auf einzelne Politikbereiche beziehen, und unterscheiden sich deshalb nicht von anderen vergleichbaren Beschlüssen. Abschließend bleibt kritisch anzumerken, dass der

8.1 Datengrundlage: Parteidokumente zur Messung …

165

Anders als bei Klingemann (1989) sowie später bei Merz und Regel (2013) werden als erstes Dokumentenmerkmale grundsätzlich unterteilt in Merkmale erster und zweiter Ordnung, wobei sich die Merkmale der zweiten Ordnung, die ausschließlich inhaltliche Eigenschaften umfassen, direkt aus den Merkmalen der ersten Ordnung ableiten. Diese Konditionalität bietet den Vorteil einer besseren Darlegung mitunter recht ähnlicher Merkmalsausprägungen der inhaltlichen Eigenschaften politischer Texte. Als zweites findet Berücksichtigung, dass vielfach empirische Belege für unterschiedliche Ausprägungen schlichtweg nicht existieren, was insbesondere für die inhaltlichen Eigenschaften der politischen Dokumente zutrifft. Deshalb werden erwartete Muster der Merkmalsausprägungen im Rahmen dieser Konzeption als Hypothesen und nicht als gesetzte Charakteristika formuliert. Die hier angewandte Klassifizierung von politischen Dokumenten erfasst unter den Merkmalen der ersten Ordnung ihre Abgrenzbarkeit (1) hinsichtlich ihres primären Zwecks bzw. ihrer Hauptfunktion und (2) hinsichtlich des Zeithorizonts, der beim Verfassen der politischen Dokumente abgedeckt werden soll, woran letztlich auch die mit dem Dokument verbundene Gültigkeit gekoppelt ist. Jene Merkmale, die die Inhalte der politischen Dokumente betreffen, werden als Merkmale zweiter Ordnung bezeichnet, da sie in unmittelbarem Zusammenhang insbesondere mit der Primärfunktion des politischen Textes und seinem Zeithorizont stehen. Das sind als erstes das Ausmaß der Themenabdeckung, d. h. wie viele Themen- bzw. Politikbereiche Gegenstand des politischen Textes sind, als zweites das thematische Abstraktionsniveau bzw. der Konkretisierungsgrad von Themen, der von allgemeinen Aussagen zu einem Politikbereich bis hin zu einer spezifischen Politikformulierung einzelner Maßnahmen reichen kann und als drittens die Handlungsorientierung von Themen, also die Bewertung des Sachinhalts hinsichtlich seiner Zugehörigkeit zur operativen Umsetzung der Politik oder zur strategischen Ausrichtung (vgl. hierzu Abschnitt 4.3). Als viertes Merkmal ist das Potenzial zur Handlungsanleitung zu nennen (oder wie bei Klingemann als Grad der Handlungsorientierung aufgeführt (1989: 99)), d. h. in welchem Maße und in welcher Art der politische Text Orientierung für das Parteiverhalten insbesondere in Legislative und Exekutive bieten kann. Entscheidend für das hier angewandte Verständnis der Merkmale von politischen Texten ist, dass das

attestierte „Charakter von Empfehlungen“ (Klingemann 1989: 100) schwerlich durch die Tatsachen unterstützt wird, dass beispielsweise auf Parteitagen immer wieder auf die vergangene Beschlusslage als bindend für die Politikpositionen der Partei verwiesen wird oder die Beschlusslage wiederum die Grundlage für die Formulierung von Wahlprogrammen ist.

166

8

Manuelle Inhaltsanalyse: Methodik zur Erhebung politischer …

Potenzial zur Handlungsanleitung letztlich nicht nur aus den Merkmalen der ersten Ordnung resultiert, sondern auch in engem Zusammenhang mit den anderen Merkmalen der zweiten Ordnung steht. Das von Klingemann (1989: 99) definierte und von Merz und Regel (2013) erneut aufgegriffene Merkmal „Verbindlichkeit“ bleibt hier außen vor, da es sich konzeptionell nicht in Einklang bringen lässt mit dem Verständnis der Politikartikulation als Ausdruck von Politikpräferenzen. D. h., wenn Parteien politische Texte nutzen, um auszudrücken wofür sie stehen, muss den Texten ein gewisses Maß an Verbindlichkeit inne liegen. Darüber hinaus bringen innerparteiliche Akteure Ressourcen für das Aushandeln und Formulieren von Themen sowie Positionen auf, sodass unklar bleibt, weshalb sie diesen Aufwand betreiben, wenn andere Programm- oder Dokumententypen neben der Wahl- und Grundsatzprogrammatik nur einen geringen Verbindlichkeitsgrad aufweisen (Klingemann 1989: 99) und nicht als verbindliche Instrumente der Politikformulierung zwischen den Wahlprogrammen bzw. Grundsatzprogrammen betrachtet werden.12 Zusammenfassend stellt Tabelle 8.1 die relevanten Merkmale zur Beschreibung von politischen Dokumenten dar und macht zugleich transparent, entlang welcher Merkmalsausprägungen die Bewertung erfolgt. Tabelle 8.1 Merkmale und Merkmalsausprägungen zur Abgrenzung politischer Dokumente Merkmalsausprägungen Merkmale 1. Ordnung Funktion

Zeithorizont

12

qualitative Beschreibung der Hauptfunktion Berücksichtigung der Adressaten mit der klaren Unterscheidung zwischen Innen- und Außenorientierung Abbildung des abzudeckenden und damit gültigen Zeithorizonts. Abstufung zwischen: – langfristig (länger als 5 Jahre) – mittelfristig (4 bis 5 Jahre) – kurzfristig (alles bis zu 4 Jahre) – sehr kurzfristig (Orientierung unterhalb eines Jahres) (Fortsetzung)

Eine analytische Übertragung des Merkmals wird zudem dadurch erschwert, dass keinerlei Erläuterungen darüber erfolgen, auf wen oder was sich die Verbindlichkeit bezieht bzw. was die Verbindlichkeit erhöhen oder schwächen könnte. Auch eine variierende Verbindlichkeit der Dokumententypen aufgrund einer abweichenden innerparteilichen Autorenschaft bzw. Beschlusslage kann nicht gemeint sein, da diese Dimension keinerlei Rolle bei Klingemann spielt, insbesondere, weil er sich ausschließlich auf die Programmatik bezieht.

8.1 Datengrundlage: Parteidokumente zur Messung …

167

Tabelle 8.1 (Fortsetzung) Merkmalsausprägungen Merkmale 2. Ordnung: inhaltliche Merkmale Themenabdeckung Abbildung der aufgegriffenen Themen- bzw. Politikbereiche: – sehr breit (10 und mehr Themenbereiche) – breit (4 bis 9 Themenbereiche) – eng (2 bis 3 Themenbereiche) – sehr eng (1 Themenbereich) Thematische Konkretisierung Abbildung, wie tief in die inhaltliche Materie eingestiegen wird: – geringe Konkretisierung, d. h. allgemein politische Aussagen zu Themenbereichen – mittlere Konkretisierung, d. h. Aussagen zu spezifischen Politikfeldern – hohe Konkretisierung, d. h. Aussagen zu spezifischen Einzelmaßnahmen Handlungsorientierung von Themen Abbildung der Handlungsorientierung hinsichtlich der Sache: – strategische Ausrichtung, d. h. Themen mit Grundsatzfragen bzw. grundlegender Perspektive auf Polity und Policy – operative Ausrichtung, d. h. legislative und exekutive Umsetzung Potenzial zur Anleitung politischen Bewertung des Potenzials eines politischen Handelns Textes als Handlungsanweisung basierend auf seinem Zeithorizont, seiner thematischen Konkretisierung sowie der Handlungsorientierung von Themen: – gering, wenn langfristige Ausrichtung und geringe Konkretisierung – mittel, wenn nicht länger als ein mittelfristiger Zeithorizont, wenn mittlere Konkretisierung sowie operative Ausrichtung der Themen – hoch, wenn nicht länger als mittelfristiger Zeithorizont, wenn hohe thematische Konkretisierung sowie operative Ausrichtung der Themen Quelle: eigene Darstellung.

168

8

Manuelle Inhaltsanalyse: Methodik zur Erhebung politischer …

Im nächsten Schritt erfolgt nun für die vier Dokumententypen Grundsatzprogramme, Wahlprogramme, Beschlüsse und Pressemitteilungen eine Darlegung der jeweiligen Merkmalsausprägungen, wobei für die Merkmale zweiter Ordnung relativ häufig Annahmen und Erwartungen formuliert sind, wenn keine gesicherten empirischen Erkenntnisse für die Merkmalsausprägungen vorliegen. Für die eigene Abgrenzung der vier Dokumententypen ist an dieser Stelle unerheblich, wie Parteien allgemein ihre Beschlüsse oder Programmatik benennen, sodass auf die Benennung diverser anderslautender Begrifflichkeiten wie in anderen Abgrenzungen verzichtet wird (siehe Merz und Regel 2013: 215).

8.1.3.1 Grundsatzprogramme Wie Merz und Regel zusammenfassen, handelt es sich bei Grundsatzprogrammen um „zeithistorische Analysen der gesellschaftlichen Herausforderungen“, wobei die Bildung der kollektiven Identität im Vordergrund steht und die ideologische Verortung in ihrer Verknüpfung mit der Politikgestaltung eine besondere Rolle spielt. Entscheidend ist, dass sich Grundsatzprogramme vorrangig an die Parteimitglieder und Anhänger sowie Vorfeldorganisationen richten und deshalb auch losgelöst von Wahlzyklen sind (Merz und Regel 2013: 215). Die Formulierung eines Grundsatzprogramms ist nicht an einen spezifischen Zeithorizont geknüpft, vielmehr geht es um eine unbefristete schriftliche Kodifizierung der kollektiven Identität. Erst wenn aus Sicht der Parteiorganisation die Notwendigkeit besteht, diese existierende kodifizierte Identitätsverortung neu zu formulieren, erfolgt die „Entfristung“ des existierenden Grundsatzprogramms und wird in einem parteiindividuellen Zeitrahmen in ein neues Grundsatzprogramm überführt. Für die im Untersuchungszeitraum relevanten deutschen Parteien variiert die Gültigkeitsdauer ihrer Grundsatzprogramme, liegt im Schnitt bei über elf Jahren.13 Damit lässt sich insgesamt für die Grundsatzprogrammatik ein durchaus langfristig-strategischer Zeithorizont festhalten. Es wird vermutet, dass sich Grundsatzprogramme außerdem durch eine thematische Breite auszeichnen, d. h. Parteien greifen darin mehrere Themenbereiche des gesellschaftlichen Lebens auf und legen dafür ihre Politikgestaltung eingebettet in ihre ideologische Verortung dar.

13

Angaben basieren auf eigener Auswertung der Gültigkeitsdauer von Grundsatzprogrammen von B90/Die Grünen, CDU, CSU, FDP, Linke/PDS und SPD seit Gründung der Bundesrepublik bis zum Zeitpunkt des Verfassens der Arbeit. Weitaus kürzere Laufzeiten wie etwa bei der Linken stehen in hohem Maße in Zusammenhang mit parteiindividuellen Umbrüchen.

8.1 Datengrundlage: Parteidokumente zur Messung …

169

Ausgelöst durch das Anliegen, mit dem Grundsatzprogramm langfristig das ideologische Fundament der Partei zu kodifizieren, ist zudem zu vermuten, dass dort eher strategische Problemstellungen zu finden wird und insgesamt nur ein geringer thematischer Konkretisierungsgrad vorliegt. Vor diesem Hintergrund und ihrer Funktion der schriftlichen Kodifizierung der kollektiven Parteiidentität können Grundsatzprogramme insgesamt grundsätzliche Handlungsorientierung bieten, aber beinhalten vermutlich nur ein geringes Potenzial zur Anleitung für legislatives und exekutives Parteihandeln.

8.1.3.2 Wahlprogramme Wahlprogramme hingegen sind ausschließlich am Wahlzyklus ausgerichtet, sodass ihr abgedeckter Zeithorizont im Gegensatz zu den Grundsatzprogrammen bereits beim Verfassen a priori befristet ist und sie ihre Gültigkeit mit dem Wahlprogramm für die nächste Wahlperiode verlieren. Auch wenn durchaus kritisch diskutiert wird, ob Wählerinnen und Wähler Wahlprogramme der Parteien tatsächlich lesen und kennen, gilt allgemein der politische Wettbewerb – bestehend aus Wählerinnen und Wählern, anderen Parteien und Medien als wichtige intermediäre Akteure – als zentraler Adressat der Wahlprogramme. Darüber hinaus werden damit auch Signale in die eigene Partei gesendet; zentral sind hier die Annahmen über ihre Funktion als Richtschnur für den Wahlkampf und für anstehende potenzielle Koalitionsverhandlungen (Budge et al. 2001). Anders als bei den Grundsatzprogrammen liegen empirische Daten dazu vor (u. a. des CMP/MARPOR-Projekts (Volkens et al. 2015)), dass Parteien ihre Wahlprogrammatik nutzen, um in der Regel einen breiten Themenkanon abzudecken.14 Bedingt durch Zweck und Zeithorizont ist zu erwarten, dass die thematische Konkretisierung in den Wahlprogrammen wesentlich höher ist als in den Grundsatzprogrammen und diese Plattform genutzt wird, Themen vorrangig mit einer operativen Perspektive auszuwählen. Insgesamt beinhaltet ein Wahlprogramm ein hohes Potenzial zur Handlungsorientierung für die innerparteilichen Akteure in legislativer sowie exekutiver Verantwortung.

8.1.3.3 Policy-Beschlüsse Policy-Beschlüsse widmen sich der Politikformulierung und dienen dazu, die Politikformulierung zwischen den beiden Programmtypen voranzubringen und gegebenenfalls zu konkretisieren bzw. auf aktuelle Situationen anzupassen. Vermutlich richten sie sich vordergründig an die eigene Parteiorganisation, um letztlich den inhaltlichen Kurs der Partei und Handlungsmaximen festzulegen 14

Womöglich mit Ausnahme der sogenannten Single Issue Parties.

170

8

Manuelle Inhaltsanalyse: Methodik zur Erhebung politischer …

bzw. zu festigen.15 Gleichwohl kann ihnen eine Signalwirkung an die politischen Wettbewerber nicht gänzlich abgesprochen werden. Aussagen über den abgedeckten Zeithorizont der Policy-Beschlüsse und damit ihrer Gültigkeit müssen wesentlich stärker in den Kontext ihrer Inhalte gesetzt werden als es bei den Grundsatz- und Wahlprogrammen der Fall ist. Andernfalls sind keine sinnvollen Aussagen über den Zeithorizont als Merkmal von politischen Dokumenten im Falle der Policy-Beschlüsse möglich. Zunächst sehr strikt formuliert: Die Gültigkeit von Beschlüssen ist keinem externen Handlungszyklus wie etwa die Wahlprogramme unterworfen, sodass auch diese wie Grundsatzprogramme grundsätzlich unbefristet sind. Doch gekoppelt an das Kernanliegen von Beschlüssen – politische Lösungen sowie praxisorientierte Handlungsanweisungen zu liefern – ergibt sich aus den Inhalten eine befristete Gültigkeit bzw. einen a priori begrenzten Zeithorizont, der jedoch wesentlich kürzer als der von Grundsatzprogrammen ist. Gerade, weil Beschlüsse genutzt werden können, sowohl zeitnah zu aktuellen Problemen die inhaltliche Verortung von Parteien als auch Lösungsvorschläge zu präsentieren, ergeben sich daraus mehrere Konsequenzen: Als erstes ist der am Ende tatsächlich abgedeckte Zeithorizont weniger eine Entscheidung, die sich ausschließlich aus der Parteiorganisation ergibt (wie etwa bei den Grundsatzprogrammen), sondern eben auch sehr stark mit den aufgegriffenen Themen zusammenhängt. Als zweites ist die Ablösung eines früheren Beschlusses weniger stringent als bei den Grundsatz- und Wahlprogrammen. Vielmehr können in Abhängigkeit der jeweils gewählten thematischen Breite und der Konkretisierung Beschlüsse in einer ergänzenden Symbiose zueinanderstehen oder nur in Teilen ältere Beschlüsse in ihrer Gültigkeit ablösen. Auch verlieren Beschlüsse ihre Gültigkeit, weil der Gegenstand des Beschlusses hinfällig geworden ist. Insgesamt variiert also der abgedeckte Zeithorizont von Policy-Beschlüssen erheblich. Abgeleitet aus Zweck sowie zeitlichem Horizont der Policy-Beschlüsse ist zu erwarten, dass hier eine hohe Varianz zwischen den Policy-Beschlüssen hinsichtlich ihrer thematischen Breite sowie Konkretisierung in Abhängigkeit des aufgegriffenen politischen Problems existiert. So sind sowohl Beschlüsse mit kurzen prägnanten Aussagen zu einem spezifischen gesellschaftlichen Problem möglich bis hin zu einer umfänglichen Lösungskonzeption denkbar, die mehrere Politikbereiche berühren kann. Darüber hinaus bearbeiten sie mutmaßlich operative bis hin zu strategischen Themen. Bezogen auf die Handlungsorientierung wird abschließend vermutet, dass Policy-Beschlüsse insgesamt über ein 15

So richten sich Beschlüsse durchaus direkt an die Repräsentanten im Parlament oder in der Regierung, und beinhalten eine direkte Handlungspraxis bzw. Handlungsanweisung.

8.1 Datengrundlage: Parteidokumente zur Messung …

171

hohes Potenzial zur Handlungsorientierung für die Parteiakteure in Legislative und Exekutive beinhalten.

8.1.3.4 Pressemitteilungen Pressemitteilungen richten sich an die Öffentlichkeit mit besonderem Augenmerk auf die Medien, stehen also insbesondere im Zeichen der externen Kommunikation. Sie dienen der schnellen Reaktion auf aktuelle politische Ereignisse bzw. Probleme und der sehr kurzfristigen Verbreitung politischer Aussagen. Wie für Policy-Beschlüsse gilt auch hier, dass diese Form der Politikartikulation mit keinen klaren Gültigkeitsprämissen verbunden ist, sondern sich diese aus den Politikinhalten ergibt, sodass auch hier mit der Annahme gearbeitet wird, dass ihr Gültigkeit befristet ist und vor allem einen sehr kurzfristigen bzw. kurzfristigen Zeithorizont abdeckt. Insbesondere abgeleitet aus ihrer Funktion als ad-hoc-Kommunikationsinstrument wird vermutet, dass sich Pressemitteilungen jeweils auf ein sehr spezifisches Thema fokussieren, sodass insgesamt sowohl eine geringe thematische Breite als auch ein hoher Konkretisierungsgrad erwartet werden. Auch wenn dieses Kommunikationsinstrument zum Tagesgeschäft innerparteilicher Akteure gehört, wird vermutet, dass damit sowohl Themen mit operativer als auch strategischer Handlungsorientierung aufgegriffen werden. Das vermutete Potenzial zur Handlungsanleitung wird hier als sehr hoch eingestuft.

8.1.4

Empirische Evidenz für den Zusammenhang zwischen Dokumententypen und variierenden Themenmerkmalen

Die vorangestellte Diskussion verschiedener Dokumententypen zeigt auf, dass sich diese hinsichtlich ihrer Funktion und abgedeckten Zeithorizonte unterscheiden. Bezogen auf die Merkmale zweiter Ordnung, die den Inhalt der politischen Texte beschreiben, ergeben sich dadurch vermutete Unterschiede hinsichtlich der thematischen Breite sowie Konkretisierung als auch der damit verbundenen Handlungsorientierung der Themen. Dennoch sind die vermuteten Merkmalsausprägungen zwischen den verschiedenen Dokumententypen weniger trennscharf (siehe Tabelle 8.2).

Hypothese: gering

Hypothese: strategisch

Hypothese: gering

Thematische Konkretisierung

Handlungsorientierung der Themen

Potenzial zur Handlungsanleitung für legislatives und exekutives Handeln

Quelle: eigene Darstellung.

Hypothese: breit

Themenabdeckung

Merkmale 2. Ordnung

Hypothese: mittel

Hypothese: operativ

Hypothese: gering bis mittel

sehr breit

mittelfristig

nach innen und außen gerichtet

nach innen gerichtet

langfristig

Politische Verortung und Absichtserklärung für eine potentielle Regierungsübernahme

Wahlprogramm

Abbildung der kollektiven Identität

Grundsatzprogramm

Hypothese: mittel bis hoch

Hypothese: operativ, strategisch

Hypothese: mittel bis hoch

Hypothese: eng bis sehr breit

sehr kurzfristig bis mittelfristig

nach innen gerichtet

politische Verortung mit hoher Praxisorientierung

Policy-Beschluss

Hypothese: hoch

Hypothese: operativ, strategisch

Hypothese: hoch

Hypothese: sehr eng

sehr kurzfristig

nach außen gerichtet

ad hoc-Kommunikation politischer Aussagen zu tagespolitischen Ereignissen

Pressemitteilung

8

Zeithorizont

Funktion

Merkmale 1. Ordnung

Tabelle 8.2 Abgrenzung politischer Dokumente nach Merkmalen erster und zweiter Ordnung

172 Manuelle Inhaltsanalyse: Methodik zur Erhebung politischer …

8.1 Datengrundlage: Parteidokumente zur Messung …

173

Um die empirische Analyse des Umgangs mit dem europäischen Themenkomplex auf ein gesichertes Fundament zu stellen, erfolgt eine Überprüfung der vermuteten Zusammenhänge zwischen den Dokumententypen und den Merkmalen der zweiten Ordnung, d. h. thematische Abdeckung innerhalb eines Dokuments, thematische Konkretisierung bzw. thematisches Abstraktionsniveau und Handlungsorientierung der Themen. Dafür werden alle europäischen Themen im eigens erstellten Rohdatensatz, der die Daten der manuellen Inhaltsanalyse zusammenfasst, verwendet. Geht es um die Merkmale thematisches Abstraktionsniveau und Handlungsorientierung, dann stellt jedes Thema eine Beobachtung dar. Für das Merkmal der Themenabdeckung wiederum stellt jedes analysierte Dokument einen Fall dar, für welchen die Anzahl der abgedeckten Politik- bzw. Handlungsfelder ermittelt wurde.16 Die Ergebnisse des gemessenen Zusammenhangs zwischen den jeweiligen Merkmalen und des Dokumententyps sind in der nachfolgenden Tabelle 8.3 dargestellt. Hinsichtlich der Themenabdeckung finden die vermuteten Zusammenhänge Bestätigung. Wird der Konkretisierungsgrad der europäischen Themen in den verschiedenen Dokumententypen betrachtet, dann zeigt sich deutlich die Dominanz einer hohen thematischen Konkretisierung über alle Dokumententypen hinweg. Vor dem Hintergrund der formulierten Hypothesen ist dieses Ergebnis überraschend, da hier variierende dominierende Abstraktionsniveaus in Abhängigkeit von den Typen erwartet wurden. Zumindest variiert der Anteil des hohen thematischen Konkretisierungsgrades: Er ist besonders hoch in den Pressemitteilungen und verringert sich sukzessive über Policy-Beschlüsse und Wahlprogramme bis hin zu den Grundsatzprogrammen, d. h. die Konkretisierung nimmt mit längerem Zeithorizont, den die politischen Texte abdecken, ab. Insofern findet sich eine Bestätigung des erwarteten Zusammenhangs, jedoch auf einem deutlich geringeren Niveau. 16

Das beobachtete Themenspektrum wurde hier auf achtzehn Politik- bzw. Handlungsfelder festgelegt. Die Anzahl ist größer als die oben definierte Anzahl für ein sehr breites Themenspektrum, was sicherstellt, dass durch eine zu geringe Anzahl eine künstliche Erhöhung der Themenabdeckung vermieden wird. Im Detail sind das: (1) EU-Integration (Vertragswerk & Erweiterung), (2) EU-Governance, einschl. Institutionen, (3) Wirtschafts- und Finanzpolitik (Makroebene), (4) Binnenmarkt, einschl. Verbraucherschutz, (5) Justiz u. Inneres, (6) Einwanderung und Asyl, (7) Agrar- und Fischereipolitik, (8) Gesundheit, (9) Arbeit und Soziales, (10) demokratische Freiheits- und Schutzrechte, (11) Umweltpolitik, (12) Infrastrukturpolitik, (13) Technologie und Forschung, (14) Regionalpolitik, (15) Bildung, Jugend, Sport, (16) Kultur, Medien, Tourismus, (17) Außenwirtschaftspolitik und (18) Außenpolitik, einschl. Entwicklungshilfe.

Grundsatzprogramm

66,7 %

33,3 %

sehr breit

Gesamt in Prozent 100,0 %

breit

16,4 %

13,7 %

Subthema-Politikfeld

Politikfeld

100,0 %

47,9 %

Gesamt 100,0 %

operativ

100,0 %

62,1 %

37,9 %

100,0 %

5,6 %

12,4 %

82,0 %

451

100,0 %

2,4 %

14,6 %

100,0 %

73,0 %

27,0 %

100,0 %

3,0 %

6,6 %

90,4 %

5.522

100,0 %

0,0 %

0,8 %

7,1 %

92,1 %

Pressemitteilung

100,0 %

68,9 %

31,1 %

100,0 %

4,4 %

9,1 %

86,5 %

6.003

100,0 %

0,6 %

1,9 %

8,4 %

89,1 %

Gesamt

Anmerkungen: *Angabe des Zusammenhangs zwischen Dokumententyp und Handlungsorientierung mit zwei Ausprägungen (strategischoperativ). Quelle: eigene Erhebung und Berechnung.

N = 11.913, Anzahl Themen; Cramer’s V = 0,122.*

61,0 %

52,1 %

39,0 %

100,0 %

8,8 %

14,9 %

76,3 %

strategisch

Handlungsorientierung der Themen

N = 11.913, Anzahl Themen; Cramer’s V = 0,116.

Gesamt 100,0 %

69,9 %

Einzelthema

Abstraktionsniveau der Themen

N = 6.003, Anzahl der Dokumente; Cramer’s V = 0,465.

21

18,5 %

24,8 %

58,1 %

Policy-Beschluss

8

Gesamt in N 3

81,5 % 100,0 %

0,0 %

0,0 %

0,0 %

eng

0,0 %

Wahlprogramm

sehr eng

Themenabdeckung innerhalb des Dokumententyps

Dokumententypen

Tabelle 8.3 Zusammenhang zwischen Eigenschaften europäischer Themen und Dokumententypen

174 Manuelle Inhaltsanalyse: Methodik zur Erhebung politischer …

8.1 Datengrundlage: Parteidokumente zur Messung …

175

Das Merkmal der Handlungsorientierung grenzt das Grundsatzprogramm insofern von den anderen Dokumententypen ab, als dass in diesem die strategische Orientierung dominierend ist und hier vorrangig Aspekte der EU-Finalitätsfragen eine Rolle spielen. Nichtsdestotrotz fließt ein nicht geringer Anteil Themen mit einer operativen Handlungsorientierung ein, sodass sich die Hypothese nicht bestätigt, dass Grundsatzprogramme ausschließlich dazu genutzt werden, strategische Themen zu bearbeiten. Pressemitteilungen indes widmen sich zuvörderst operativen Themen, wenngleich Themen mit einer strategischen Handlungsorientierung nicht ignoriert werden.17 Wahlprogramme und Policy-Beschlüsse unterscheiden sich hier kaum. Beide Dokumententypen werden genutzt, um sowohl strategische als auch operative Themen aufzugreifen, mit einem Fokus auf letztere. Insgesamt zeigt sich ein Zusammenhang zwischen den Dokumententypen und der Handlungsorientierung ihrer Themen, allerdings ebenfalls weniger stark als vermutet, da beide Ausrichtungen der Handlungsorientierung in allen Dokumententypen eine Rolle spielen. Dabei werden aber strategische Themen intensiver in Grundsatzprogrammen aufgegriffen und operative Themen sind das Markenzeichen für Pressemitteilungen. Insgesamt zeigt sich also ein durchaus variierender Umgang mit politischen Angelegenheiten im Zusammenhang mit dem gewählten Dokument, die Unterschiede sind aber tendenziell geringer ausgeprägt als in der Literatur vermutet. Infolgedessen ist die Verwendung mehrerer Dokumententypen für die Messung der Politikartikulation der verschiedenen Akteurstypen weitestgehend unproblematisch. Jedoch muss der vergleichsweise hohe Anteil strategischer Themen in Grundsatzprogrammen Beachtung finden, da diese neben den Policy-Beschlüssen als Datengrundlage für die Politikartikulation der Prinzipale fungieren. Um eine Verzerrung hinsichtlich der strategischen Themen in Händen des Prinzipals ausgelöst durch die Datengrundlage zu vermeiden, ist darauf zu achten, dass entweder alle untersuchten Prinzipale im Untersuchungszeitraum ein Grundsatzprogramm verabschiedet haben oder aber dieser Dokumententyp ist als Datengrundlage auszuschließen.

17

Einschränkend wirkt hier, dass die Pressemitteilungen ausschließlich von Fraktionen stammen und damit eine eher akteursbedingte Verwendung dieses Texttyps betrachtet wird.

176

8.1.5

8

Manuelle Inhaltsanalyse: Methodik zur Erhebung politischer …

Textmaterialien der Parteien und ihrer innerparteilichen Akteure

Die Vorab-Festlegung der relevanten Dokumententypen für die Erhebung politischer Aussagen war leitgebend für die durchgeführte Recherche in den Parteiarchiven18 und die Durchsuchung der Partei-Internetplattformen. Die Erfahrung lehrte, dass insbesondere bei der Bearbeitung eines langen Untersuchungszeitraums der ausschließliche Rückgriff auf die Internetauftritte der Parteien und ihrer Fraktionen keinesfalls die vollständige Dokumentengrundlage gewährleistet, sodass eine umfängliche Recherche in den Parteiarchiven und damit die abschließende Absicherung des tatsächlichen Dokumentenbestands unabdingbar ist. Der Zugang zum Rohmaterial für die Inhaltsanalyse ist von der Gesetzgebung beeinflusst, da der Zugriff auf das Archivmaterial mit einer 30jährigen Sperrfrist für das Aktenmaterial parteipolitischer Akteure wie Bundestagsfraktion, Parteivorstand und -präsidium beschränkt ist (Bundesarchivgesetz (BArchG)). Ausgenommen von der Sperrfrist sind die Dokumente der Bundesparteitage und auch jene Dokumente, die zum Zeitpunkt ihrer Veröffentlichung für die Öffentlichkeit vorgesehen waren. Wenn diese Dokumente zusammen mit Aktenmaterialien archiviert sind, die der Sperrfrist unterliegen, bleiben sie für die wissenschaftliche Untersuchung unzugänglich. Demzufolge hat die praktizierte Archivierung einen starken Einfluss auf den Zugang zu Dokumenten der Bundestagsfraktion, Parteivorstand und -präsidium. Da sich die Suche auf Beschlüsse – und damit in der Regel auf veröffentlichte Dokumente – konzentrierte (und nicht etwaige Sitzungsprotokolle), halfen die Archivare im Rahmen der gesetzlichen Möglichkeiten, die Dokumente zur Verfügung zu stellen. So konnten beispielsweise für die FDP und die CDU Vorstandsbeschlüsse über die Pressearchive der Parteien recherchiert werden, da diese in der Regel auch Beschlüsse der Parteiführung enthalten. Auf diese Weise konnte sich dem Ziel der Vollerhebung europäischer Themen in der Politikartikulation der drei innerparteilichen Akteure nahezu angenähert werden.19 Gleichwohl bleibt das Rechercheergebnis zu den einzelnen Parteiakteuren abhängig von der Dokumentationspraxis in den Archiven. Damit ist eine gewisse Restunsicherheit über die 18

Konkret wurden die Archive der Heinrich-Böll-Stiftung, der Friedrich-Naumann-Stiftung, der Konrad-Adenauer-Stiftung und der Hanns-Seidel-Stiftung jeweils für mehrere Tage besucht. 19 So übereinstimmende Aussagen der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Archivs der Konrad-Adenauer-Stiftung und der Friedrich-Naumann-Stiftung. In beiden Archiven wurde die Suche über das Pressearchiv ermöglicht.

8.1 Datengrundlage: Parteidokumente zur Messung …

177

tatsächliche Grundgesamtheit hinsichtlich der Beschlusslage von Parteiführung und Bundestagsfraktion verbunden. Diese wirkt sich vor allem einschränkend auf die Einordnung der Politikartikulation zum europäischen Themenkomplex in Relation zur gesamten Politikartikulation der Parteien aus und wird deshalb in der entsprechenden Analyse beachtet (siehe Kapitel 10). Trotz dieser Restunsicherheit wird die Zielsetzung, die Politikartikulation der ausgewählten Parteien und ihrer innerparteilichen Akteure zum europäischen Themenkomplex vollständig abzubilden, als weitestgehend umgesetzt bewertet. Gegenstand der umfänglichen Recherche war zunächst, alle jene Texte zu identifizieren, die zum Datenrohmaterial der Inhaltsanalyse gehören, d. h.: enthielt ein Text mindestens einen eindeutigen Bezug zum europäischen Themenkomplex, dann ist er als relevant klassifiziert worden. Dafür wurde das Datenausgangsmaterial bestehend aus den ex-ante festgelegten Dokumententypen zunächst komplett manuell für den gesamten Untersuchungszeitraum hinsichtlich politischer Aussagen zum europäischen Themenkomplex gesichtet. Eine Vereinfachung der Recherche etwa mithilfe von vorgegebenen Schlagwörtern, Filtern oder ausschließlich anhand der Überschriften (z. B. bei Pressemitteilungen) erwies sich teilweise als recht fehlerhaft oder stand nicht zur Verfügung, da die Dokumente in den Archiven zu großen Teilen ausschließlich in der Druckfassung hinterlegt sind. Im Ergebnis sind knapp 6.000 Dokumente identifiziert (siehe Tabelle 8.4), die den Anforderungen für die Festlegung des Datenrohmaterials entsprechen, d. h. das Dokument stammt von einem der vorab festgelegten Parteiakteure, es ist der entsprechende Dokumententyp, es wurde im festgelegten Untersuchungszeitraum veröffentlicht und enthält mindestens eine eindeutige Referenz zum europäischen Themenkomplex. Da nur drei der vier Parteien – B90/Die Grünen, CDU und CSU – im Untersuchungszeitraum ein neues Grundsatzprogramm verabschiedeten, wird dieser Dokumententyp von der weiteren Analyse ausgeschlossen und nicht zur Abbildung der Politikartikulation des Prinzipals verwendet, um Verzerrungen der Ergebnisse ausgelöst durch die Datengrundlage zu vermeiden. Tabelle 8.4 präsentiert abschließend die Datengrundlage aufgeschlüsselt nach Parteien, Dokumententypen und innerparteilichen Akteuren.

178

8

Manuelle Inhaltsanalyse: Methodik zur Erhebung politischer …

Tabelle 8.4 Textmaterialien für die Inhaltsanalyse sortiert nach Partei, Dokumententyp und Akteurstyp B90/Die Grünen

CDU

CSU

CDU/CSU*

FDP

Summe

Wahlprogrammatik Bundestagswahl

3

--

--

3

3

Europawahl

3

3

3

--

3

Politikartikulation der innerparteilichen Akteure Parteitag Parteiführung

101

23

95

--

39

50

18

9

8

36

31

--

--

30

11

1.986

--

--

1.378

2.158

Fraktion PolicyBeschlüsse Pressemitteilungen Summen nach Dokumententyp Wahlprogrammatik

21

Policy-Beschlüsse

451

Pressemitteilungen

5.522

Summe politische Texte pro Partei

2.174

44

107

1.419

2.250

5.994

Anmerkungen: --: trifft nicht zu. *Gemeinsame Beschlüsse der CDU- und CSU-Führung sind unter CDU/CSU erfasst. Quelle: eigene Darstellung.

8.1.6

Zwischenfazit

Die obigen Ausführungen begründen, weshalb die gewählten politischen Texte besonders geeignet sind, um die Selektion europäischer Themen von Parteien und ihren innerparteilichen Akteuren empirisch zu messen. Vor dem Hintergrund der theoretischen Argumentation ist dabei der Blick auf den Output der Politikartikulation entscheidend. Der Blick auf den Output impliziert auch sicherzustellen, dass letztlich die Politikpräferenzen des jeweiligen innerparteilichen kollektiven Akteurs Gegenstand der analytischen Beobachtungen sind. Folglich werden ausschließlich Dokumente ausgewählt, denen eine mehrheitlich getragene Übereinkunft des innerparteilichen Akteurs vorausgeht – sei es aufgrund eines Beschlusses oder basierend auf den zugrundeliegenden Übereinkünften zu Arbeitsteilung in den Fraktionen. Ferner wurde dargelegt, dass die politischen

8.1 Datengrundlage: Parteidokumente zur Messung …

179

Dokumente eindeutige Referenzen zu europäischen Angelegenheiten enthalten müssen, um zur Datengrundlage zu zählen. Abschließend werden aus diesen Auswahlentscheidungen folgende Konsequenzen auf die Validität der Aussagen über den Umgang mit dem europäischen Themenkomplex reflektiert. Als erstes kann die Bedingung, dass eine klare Referenz zu europäischen Angelegenheiten im politischen Text enthalten sein muss, eine Unterschätzung des Ausmaßes der Aufmerksamkeit für europäische Angelegenheiten zur Folge haben. Das Weglassen des europäischen Referenzrahmens in der Politikartikulation kann unter anderem dadurch verursacht sein, dass die Formulierung eines politischen Textes immer in einem bestimmten Kontext eingebettet ist und zum Zeitpunkt der Veröffentlichung der Bezug zur EU-Ebene eindeutig gegeben und verständlich ist, jedoch nicht mehr zum Zeitpunkt der durchgeführten Textanalyse. Ferner kann durchaus von den politischen Akteuren gewünscht sein, den Bezug zum europäischen Referenzrahmen bewusst nicht zu erwähnen.20 Als zweites implizieren der Fokus auf den Output der Politikartikulation und die daraus abgeleiteten Bedingungen für die Auswahl der Dokumente, dass insbesondere die Aufmerksamkeit von Parteitagen und Parteiführungen für europäische Themen unterschätzt sein könnte. Denn mit dem gewählten Vorgehen werden die europäischen Themen nicht erfasst werden, die Gegenstand von Vorschlägen bzw. von Diskussionen innerhalb des innerparteilichen kollektiven Akteurs gewesen sind, aber nicht bzw. noch nicht Gegenstand eines Mehrheitsbeschlusses im Untersuchungszeitraum wurden. Ein fehlender Mehrheitsbeschluss kann unterschiedliche Ursachen haben, beispielsweise ein mehrheitlich fehlendes Interesse des innerparteilichen Akteurs für das vorgeschlagene Thema, fehlende Zeit, ein Dissens über die einzunehmende Position bzw. die daran geknüpften politischen Forderungen oder unvollständige Informationen über den Sachverhalt, sodass noch interne Prozesse der fachlichen Aufbereitung nötig sind. So nutzen

20

Ein Verschweigen könnte verursacht sein, um die eingeschränkte Handlungsfähigkeit bei der Umsetzung von EU-Recht nicht weiter in den Mittelpunkt zu stellen oder aber um die europäischen Themen besser in den politischen Wettbewerb einbetten zu können. So wurde beispielsweise in der politischen Kommunikation zur Erhöhung der Tabaksteuer in Deutschland der zuvor beschlossene Referenzrahmen für Tabaksteuern auf europäischer Ebene nicht thematisiert.

180

8

Manuelle Inhaltsanalyse: Methodik zur Erhebung politischer …

etwa Parteitage das Instrument, gestellte Anträge für eine tiefergehende fachliche Bearbeitung an die Bundestagsfraktion zu überweisen.21 Das heißt also, wenn in den nachfolgenden Analysen Aussagen über Ausmaß und Muster in der Aufmerksamkeit für europäische Themen getroffen werden, dann unter Beachtung dieser Einschränkungen.

8.2

Manuelle Inhaltsanalyse als Datenerhebungsverfahren

Vor dem Hintergrund einer zunehmend verbreiteten Verwendung computergestützter bzw. vollautomatisierter Verfahren zur Analyse politischer Texte steht heutzutage relativ schnell die Frage im Raum, weshalb sich Forscherinnen und Forscher für die manuelle Inhaltsanalyse entscheiden. Dies gilt insbesondere für Projekte wie dem vorliegenden, wenn es um die Verarbeitung eines hohen Textbestands geht und sich letztlich durch den Einsatz computergestützter Verfahren der zeitliche Aufwand für die Inhaltskodierung reduzieren ließe22 und die Reliabilität der Messung per Definition besser sei. Diese Frage lässt sich relativ schnell und klar beantworten: Die etablierten Verfahren sind nicht dazu geeignet, die relevanten und relativ komplexen Daten (dazu im Detail das Kategoriensystem, siehe Abschnitt 8.2.1.2) zur Bearbeitung der Problemstellung aus den Texten zu extrahieren. So stellt die Ermittlung der aufgegriffenen europäischen Themen eines der zentralen Anliegen dieser Forschungsarbeit dar. Für diese explorative Zielsetzung

21

Mit der Überweisung der Anträge an die Bundestagsfraktion ist nicht unbedingt verbunden, dass diese Anträge bzw. die fachliche Aufbereitung auch wieder an den Parteitag zurückgeführt werden. Empirische Forschungsarbeiten darüber, was mit dieser Delegation thematischer Impulse vom Prinzipal zum parlamentarischen Agenten passiert, existieren nicht. Die eigene Durchsicht sämtlicher Parteitagsbeschlüsse brachte hervor, dass hin und wieder vom Parteitag eine bessere Berichterstattung über den Verbleib bzw. den Umgang mit diesen Überweisungen eingefordert wird. Eigene (nicht systematisch) durchgeführte Hintergrundgespräche mit aktiven Mitgliedern in Parteien geben zusätzlich Hinweise darauf, dass in Parteien durchaus eine Unsicherheit vorherrscht, was mit diesen Anträgen tatsächlich passiert. Selbst befragte Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter im Bundestag konnten hierzu keine näheren Angaben machen. 22 Bisher fehlen hierzu allerdings verlässliche Vergleichsangaben, denn auch für die automatisierten Verfahren benötigt es zahlreiche z. T. zeitintensive Vorarbeiten – z. B. die maschinenlesbare Aufbereitung der zu analysierenden Texte – bevor die Textanalyse und Auswertung durchgeführt werden kann.

8.2 Manuelle Inhaltsanalyse als Datenerhebungsverfahren

181

bräuchte es ein Wörterbuch, welches die Textanalyse bzw. Worthäufigkeitsanalyse in sinnvolle Daten überführt. Um aber ein solches Wörterbuch zu entwickeln, braucht es klare Definitionen des möglichen europäischen „Themenuniversums“. Zwar ist der europäische Themenkomplex zu großen Teilen in der Pre-Lexbzw. EUR-Lex-Datenbank abgebildet, aber diese Datenbank ist für die Bildung eines Wörterbuchs ungeeignet, da hier nur die offiziellen Bezeichnungen der Maßnahmen enthalten sind, nicht jedoch die verwendeten Bezeichnungen (z. B. Kurznamen, besondere Namen in der politischen Kommunikation, siehe dazu Abschnitt 8.2.1.2) in der Kommunikation der Parteien. Vielmehr ist hier eine induktive Festlegung der Kategorienausprägungen erforderlich, um dem explorativen Charakter der Untersuchung gerecht zu werden. Diese kurze Diskussion zeigt auf, dass trotz der Verbreitung computergestützter Textanalysen zum Zeitpunkt der eigenen Datenerhebung ihre Möglichkeiten nicht für die Bearbeitung der gewählten Problemstellung geeignet waren, sodass hier die manuelle Inhaltsanalyse aufgrund einer ihrer zentralen Stärke, nämlich komplexe bzw. vielfältige Informationen aus den Texten zu extrahieren, zum Einsatz kommt. Die nächsten Abschnitte widmen sich als erstes dem Kategoriensystem, welches die analytische Grundlage für das Erfassen des europäischen Themenkomplexes darstellt, und als zweites den Kodiereinheiten, d. h. die Definition jener Texteinheiten, die in die Inhaltsanalyse einfließen und entscheidend für die Grenzen und Möglichkeiten der Auswertungen sind.

8.2.1

Das Kategoriensystem zum strukturierten Erfassen des europäischen Themenkomplexes

Letztlich unabhängig von jeglicher Entscheidung, mit welcher Technik die Informationen aus den Texten zu extrahieren sind, bedarf eine wissenschaftliche Textanalyse die Festlegung eines klaren Analyserasters, welches präzise festhält, welche Informationen zu berücksichtigen und wie diese Informationen zu bewerten sind (Mayring 2008: 43). Da diese Festlegungen entscheidend für die Ergebnisse der Inhaltsanalyse sind, verwundert es kaum, dass Rustemeyer das Analyseraster bzw. das Kategoriensystem als „Herzstück“ jeder Inhaltsanalyse bezeichnet (1992: 13). Abgeleitet aus den forschungsleitenden Fragestellungen soll das Kategoriensystem ermöglichen, systematisch Textinformationen entlang der sogenannten Bedeutungsdimensionen „Wer sagt was, wie, wann, wozu und warum?“ zu erfassen, wobei sich hinter jeder Bedeutungsdimension symbolisiert mit einem

182

8

Manuelle Inhaltsanalyse: Methodik zur Erhebung politischer …

Fragewort mehrere, voneinander abgrenzbare Bedeutungen bzw. Oberkategorien verbergen (siehe unten). Kann auf existierende und erprobte Kategoriensysteme zurückgegriffen werden, dann ist das mit dem Vorteil verbunden, den hohen Ressourcenaufwand für die Entwicklung eines tragfähigen Kategoriensystems zu vermeiden. Ein tragfähiges Kategoriensystem meint, dass die mittels der Inhaltsanalyse erhobenen Daten replizierbare und valide Rückschlüsse auf den Untersuchungsgegenstand ermöglichen. Der Rückgriff auf existierende Kategoriensysteme bzw. Datensätze entfällt, wenn diese vom Untersuchungsgegenstand abweichende Bedeutungsdimensionen widerspiegeln. Denn so käme es zu einer (Konzept-)Überdehnung der originären Bedeutungsdimensionen. Dies würde die Datenauswertung auf eine nichtvalide Datengrundlage stellen, womit ein zentrales wissenschaftliches Gütekriterium nicht eingehalten wäre.

8.2.1.1 Die Notwendigkeit eines neuen Kategoriensystems Vor dem Hintergrund dieser Anforderungen führte die Sichtung etablierter und damit erprobter Kategoriensysteme23 (u. a. Koopmans 2002; Volkens 2002; Wüst und Volkens 2003; Baumgartner et al. 2013) zu Beginn der eigenen empirischen Forschung zur Schlussfolgerung, dass keines in Gänze sämtliche Bedeutungsdimensionen abdeckt, die für die Bearbeitung des Untersuchungsgegenstands relevant sind. Gleichwohl können etablierte Kategoriensysteme aber als Orientierung für einzelne Bedeutungsdimensionen bzw. Inhaltskategorien dienen. Der nachfolgende Abschnitt widmet sich einer detaillierteren Begründung der Notwendigkeit eines neuen Kategoriensystems, indem drei in der Forschung erprobte Kategoriensysteme vertiefend betrachtet werden: Auf das CMP-Kategoriensystem (Volkens 2002) wird wegen seiner hohen Bedeutung für das Erfassen politischer Aussagen von Parteien eingegangen. Dem Kategoriensystem des Policy Agenda Projects (Baumgartner et al. 2013) bzw. dem darauf aufbauenden Comparative Agenda Project (CAP), welches originär der Strukturierung von Exekutivaktivitäten und somit letztlich der Ermittlung einer Policy-Agenda dient, wird hier Aufmerksamkeit geschenkt, da es sich auf Handlungs- bzw. Politikfelder fokussiert und dabei systematisch unterschiedliche thematische Abstraktionsniveaus beachtet. Die Analysen des Projekts Europub.com zur politischen Kommunikation in der europäischen Öffentlichkeit stellen Äußerungen politischer Akteure zu europäischen Angelegenheiten in den Mittelpunkt und verwenden als Datengrundlage 23

„Erprobt“ beschränkt sich hier auf Kategoriensysteme bzw. Handbücher, wenn darauf aufbauend Publikationen in einschlägigen Journalen fußen.

8.2 Manuelle Inhaltsanalyse als Datenerhebungsverfahren

183

Tageszeitungen (Koopmans und Statham 1999; Koopmans 2007; Statham und Koopmans 2009; Helbling et al. 2010). Relevant ist das zugrundeliegende Kategoriensystem deshalb, da es „Claims“ ähnlich wie im eigenen Projekt entlang zentraler Fragewörter ausrichtet und u. a. die Diversität europäischer Akteure berücksichtigt (Koopmans 2002). Eine zentrale Anforderung an das zu verwendende Kategoriensystem stellt die Möglichkeit dar, politische Aussagen zum europäischen Themenkomplex hinsichtlich seiner thematischen Vielfalt und seiner Spezialisierung ausdrücken können, d. h. die Politikfelder bzw. Aufgabenbereiche der EU müssen abgedeckt werden und zugleich muss das Kategoriensystem die spezifischen Politikmaßnahmen abbilden können. Diese Anforderung schließt das dominierende CMP-Kategoriensystem zum Erfassen politischer Aussagen von Parteien mit seinen 56 Inhaltskategorien aus, da diese nicht an der Abbildung der Bandbreite von Politikfeldern ausgerichtet sind. Vielmehr nehmen die Inhaltskategorien unterschiedliche Bedeutungsdimensionen politischer Aussagen wie Politikbereiche (z. B. Ökonomie (Kodes 401–416), Umwelt (503)), politische sowie gesellschaftliche Werte (z. B. Frieden (106), Demokratie (202), soziale Gerechtigkeit (503)) und soziale Gruppen (z. B. Arbeitnehmer (701/702)), Minderheiten (705)) auf (Definition der Inhaltskategorien siehe Volkens 2002; Werner et al. 2011). Darüber hinaus stellt die teilweise gewählte Kombination von Thema und Position in einer Inhaltskategorie24 keine geeignete Lösung für die eigene Forschungsproblematik dar. Vielmehr wird in einer klaren Trennung zwischen dem aufgegriffenen europäischen Thema und der dazu gegebenenfalls eingenommenen (ablehnenden oder zustimmenden) Position eine analytische Notwendigkeit gesehen, da im Aufgreifen eines Themas und der dazu geäußerten Positionen zwei voneinander abgrenzbare Präferenzen gesehen werden. Gleiches gilt für das Euromanifesto-Kodierhandbuch, da es auf den CMPInhaltskategorien aufbaut (Wüst und Volkens 2003) und deshalb die eben diskutierten Einschränkungen ohne Abstriche gelten. Stärker orientiert an Politikfeldern ist das Kategoriensystem des Policy Agenda Projects (PAP) (Baumgartner et al. 2013), welches dem Zweck dient, politische Ereignisse insbesondere von staatlichen legislativen sowie exekutiven Aktivitäten oder in der Medienberichterstattung nach Themen zu klassifizieren. Die ursprüngliche Konzeptionierung des Kategoriensystems für Analysen 24

Zum Beispiel die Gegensatzpaare in der Außenpolitik „Foreign Special Relationships: Positive“ (101), „Foreign Special Relationships: Negative“ (102), „Military: Positive“ (104) – „Military: Negative“ (105).

184

8

Manuelle Inhaltsanalyse: Methodik zur Erhebung politischer …

im US-amerikanischen Kontext wurde im Comparative Agendas Project (CAP) angepasst, um politische Aktivitäten auch in anderen Staatsgebilden in ähnlicher Systematik abzubilden (Baumgartner et al. 2011; Jennings et al. 2011). Hierzu wurde ein „Master-Codebook“ verfasst, welches die funktionale Äquivalenz der Inhaltskategorien in der länderübergreifenden Anwendung gewährleistet werden soll (zum Entstehungshintergrund Bevan 2014b). Diese Kategoriensysteme bestehen aus 19-PAP bzw. 21-CAP-Hauptthemen, die wiederum in 225 bzw. 192 Subthemen aufgegliedert sind. Aufgrund dieser Policy-Orientierung und dem impliziten Aufgreifen von Themen auf zwei Abstraktionsniveaus stellen die Kategoriensysteme des PAP bzw. CAP eine gute Orientierung für die Entwicklung jener Inhaltskategorie dar, mit der die europäischen Themen in der Politikartikulation systematisch erfasst werden sollen. Diese etablierten Kategoriensysteme können jedoch nur als Orientierung dienen, da zum einen für die Bearbeitung der eigenen Problemstellung die Politikthemen zusätzlich wesentlich detaillierter sein müssen, d. h. auf einem geringen Abstraktionsniveau zu erfassen und deshalb weitere Unterkategorien noch feingliedriger zu gestalten sind. Zum anderen weist die originäre Klassifizierung der Politikfelder im PAP einen hohen Bezug zum US-amerikanischen Kontext auf, d. h. in der Struktur der Hauptthemen bzw. Hauptkategorien spiegeln sich die formale Kompetenzordnung des (US-amerikanischen) Staates, das praktizierte Wohlfahrtsstaatsmodell, die zugrundeliegende Staatsorganisation als auch die Portfolios der nationalen Ministerien als zentrale Orientierungspunkte. Infolgedessen besteht hier die Notwendigkeit einer sinnvollen Anpassung der Themenstruktur.25 Anpassungsbedarf besteht nun ebenfalls für die Analyse des europäischen Themenkomplexes, welcher aufgrund der spezifischen europäischen Kompetenzordnung und damit möglicher Themen wiederum von der nationalstaatlichen Ebene abweicht, sodass im Ergebnis definierte Subthemen im PAP/CAP irrelevant für die Analyse des europäischen Themenkomplexes sind oder wiederum Themen, die ausschließlich für die europäische Agenda relevant sind, dort nicht 25

Zur Illustration dient hier die Hauptkategorie „Labor, Employment, and Immigration“ (Baumgartner et al. 2013: 12–14), welche Aspekte der Flüchtlings- sowie Immigrationspolitik in den Kontext der Arbeitsmarktpolitik setzt. Im Gegensatz dazu gehört Flüchtlingspolitik in Kontinentaleuropa sowie im politischen System der EU in den Bereich der Rechtsund Innenpolitik, sodass beispielsweise als Lösung im CAP-Kodierhandbuch „Immigration“ als separate Hauptkategorie eingefügt ist (Bevan 2014a). Kurzum, bereits das Weglassen oder Ergänzen von Themenkategorien im CAP-Kategoriensystem unterstreicht den Entstehungskontext des ursprünglichen Projekts (Baumgartner et al. 2013) und die Notwendigkeit sinnvoller Anpassungen der Themenstruktur.

8.2 Manuelle Inhaltsanalyse als Datenerhebungsverfahren

185

aufgegriffen werden. Dies zeigt auch ein zum eigenen Forschungsprojekt parallel entwickeltes Kategoriensystem auf, welches zur Analyse der Aktivitäten des Ministerrats weitestgehend die Kategorien des CAP verwendet (Alexandrova et al. 2014, 2015). Insgesamt ermöglichen die im eigenen Kategoriensystem eingeführten Abweichungen in der Themenstruktur hinsichtlich der Haupt- und Subthemen (siehe Abschnitt 8.2.1.2) und der ergänzten spezifischen Einzelthemen zum einen eine sinnvolle bzw. die gewünschte Abbildung des EU-Themenkomplexes, und gewährleisten zum anderen die Gegenüberstellung der europäischen Handlungsagenda und die Themen in der Politikartikulation der Parteien. Dabei erwies sich die Orientierung an der zunächst externen Definition der Haupt- und Unterthemen des PAP bzw. CAP-Kategoriensystems als sehr vorteilhaft, da diese losgelöst von der institutionellen Struktur der Europäischen Institutionen und ihrem inneren Organisationsaufbau entwickelt wurden: Denn auch wenn korrespondierend zu den nationalen Ministerien Verantwortlichkeiten innerhalb der Europäischen Kommission nach Politikfeldern gesplittet sind, zeichnen sich die Direktorates General (DG) durch einen hohen Veränderungsgrad hinsichtlich ihrer Anzahl und inhaltlichen Zuschnitte im Zeitverlauf aus (Wallace 1996; Nugent 1999: 111; 2003: 121; Wallace 2005), sodass hier eine ähnlich starke Orientierung an ihren Portfolios wie mit dem PAP-Kategoriensystem an der US-amerikanischen Administration die Entwicklung des Kategoriensystems erheblich erschwert hätte. Abgesehen von den PAP- bzw. CAP-Kategoriensystemen, die für die Entwicklung einer Inhaltskategorie (Variable Issue_EUP)26 als Orientierung dienten, ist abschließend auf das Kodierhandbuch des Europub.com-Projekts zu verweisen (Koopmans und Statham 1999; Koopmans 2002), welches das Grundgerüst für die Analyse der politischen Kommunikation im europäischen Raum anhand diverser Tageszeitungen darstellt und ebenfalls als Inspiration für die Entwicklung des eigenen Kategoriensystems einfloss. Als Orientierung dienten hier insbesondere die aufgeführte Struktur von Argumenten bzw. Claims entlang zentraler Fragen (Koopmans 2002: 2) und die detaillierte Strukturierung handelnder (europäischer) Akteure, wenngleich keine der Ober- und Unterkategorien aus dem Projekt direkt übernommen werden konnten, da die analytischen Zielsetzungen der Projekte und die Datengrundlagen voneinander abweichen.27

26

Siehe Anhang I im elektronischen Zusatzmaterial – Kodierhandbuch, Teil II, S. I–90 ff. Was wiederum einen direkten Einfluss auf den Zuschnitt bzw. die Definition der Inhaltskategorien hat.

27

186

8

Manuelle Inhaltsanalyse: Methodik zur Erhebung politischer …

Insgesamt verdeutlicht die Diskussion etablierter Kategoriensysteme, dass durchaus auf konzeptionelle Überlegungen und grundlegende Strukturen einzelner Inhaltskategorien zurückgegriffen werden kann, aber eigene Festlegungen von Inhaltskategorien bzw. Anpassungen vorliegender Analysetools erforderlich sind, damit jene Daten aus den Texten extrahiert werden können, die für die Bearbeitung der eigenen Problemstellungen nötig sind.

8.2.1.2 Struktur des entwickelten Kategoriensystems Das entwickelte Kategoriensystem besteht aus Oberkategorien, die allgemein formuliert klar abgrenzbare Bedeutungsdimensionen darstellen, und aus Unterkategorien, die unterschiedliche Varianten innerhalb dieser Bedeutungsdimensionen erfassen. Mithilfe der Oberkategorien werden Informationen zusammengetragen, die zur Beantwortung der leitgebenden Frage „Wer sagt wann, wie, was, wozu und warum?“ beitragen. Hinter jedem Fragewort verbergen sich unterschiedliche Aspekte, die entsprechend mit mehreren Oberkategorien abgebildet sind (siehe Tabelle 8.5). Tabelle 8.5 Struktur des Kategoriensystems – Oberkategorien WER

1. Akteur: Wer hat den politischen Text verabschiedet bzw. veröffentlicht? Oberkategorien: 1.1 Welche Partei? (Partei) 1.2 Welches Parteiorgan? (POrgan) 1.3 Bei Parteitagsbeschluss: Wer ist der Antragsteller? (AS) 1.4 Welche Rolle nimmt die Partei im Parteienwettbewerb ein? (Reg_Opp)

WANN

2. Zeit: Wann wurde der politische Text verabschiedet/veröffentlicht? Oberkategorien: 2.1 Beschluss-/Veröffentlichungsdatum (Datum) 2.2 In welche Wahlperiode des Europäischen Parlaments fällt die Position? (WP_EP) 2.3 In welche Legislaturperiode des Deutschen Bundestages fällt die Position? (WP_BT) 2.4 Zeitangaben zum Referenzdokument bzw. zur Referenzhandlung? (Dat_Ref.) (Fortsetzung)

8.2 Manuelle Inhaltsanalyse als Datenerhebungsverfahren

187

Tabelle 8.5 (Fortsetzung) WOZU

3. Thema: Welche Politikmaßnahme wird thematisiert? Oberkategorien: 3.1 Um welchen Typ von Politikvorhaben handelt es sich? (PolVor; dum_Ostweiterung) 3.2 Name der europäischen Politikmaßnahme? (Issue_EUP) 3.3 Auf welche EU-Institutionen wird Bezug genommen? (EU_Inst) 3.4. Welche Angaben zum Instrument der Politikgestaltung und zum Entwicklungsstand der Maßnahme? (Instr_EUP; progress_EUP)

WAS

4. Positionsrichtung: Wird die Politikmaßnahme befürwortet oder abgelehnt? Oberkategorien: 4.1 Welche Position zur europäischen Politikmaßnahme? (PolPos; PosDir)

WIE

5. Form: Wie wird über die europäische Politikmaßnahme kommuniziert? Oberkategorien: 5.1 Welche Art des politischen Textes? (DocType) 5.2 In welchem Modus wird das europäische Politikvorhaben erwähnt? (Modus) 5.3 Wird die europäische Politikmaßnahme in den Parteienwettbewerb eingebettet? (NatPW; SelbstPar; EPPW)

WARUM

6. Begründung: Welche Begründungen werden für die Positionierung genannt? Oberkategorien: 6.1 Welcher Anlass für den politischen Text insgesamt? (AnL) 6.2 Welche Interessen sind von der europäischen Politikmaßnahme betroffen? (IntV; IntG)

Quelle: eigene Darstellung.

Die Oberkategorien erfassen sowohl manifeste und latente Inhalte als auch relevante Kontextinformationen. So ist das Kategoriensystem nicht nur darauf ausgerichtet, Informationen zum europäischen Themenkomplex zu generieren und dafür die einzelnen europäischen Themen in der Politikartikulation zu erfassen (Oberkategorie Issue_EUP), sondern auch den institutionellen Kontext auf europäischer Ebene zu beschreiben, in den das Thema durch den Autor des politischen Textes gesetzt ist. Im Detail zielen die entsprechenden Kategorien darauf ab, ob das Thema im Kontext einer bestimmten EU-Institution diskutiert wird und ob Aussagen über den legislativen Entwicklungsstand getroffen werden. Zudem gilt es die Haltung bzw. den Standpunkt zum jeweiligen Thema zu erfassen. Da die

188

8

Manuelle Inhaltsanalyse: Methodik zur Erhebung politischer …

Themen auf europäische Ebene im Verlauf der politischen Aushandlungsprozesse begleitet werden und sich geäußerte Standpunkte relativ häufig auf Entwicklungsschritte in Bezug auf das Handeln einer spezifischen EU-Institution beziehen, ist bei der Kodierung dieser institutionelle Bezug zu beachten.28 Des Weiteren ist von Interesse, wie im nationalen Parteienwettbewerb über das europäische Thema kommuniziert wird. Dies spiegelt sich beispielsweise im gewählten Dokumententyp wider und inwieweit das Thema in Relation zum Parteienwettbewerb aufgegriffen wird, etwa indem Bezug zu anderen Parteien auf nationaler oder europäischer Ebene genommen wird. Ferner erfasst das Kategoriensystem verwendete Begründungsmuster zum einen für die Selektion der europäischen Angelegenheiten und zum anderen für den jeweils eingenommenen Standpunkt. Vor dem Hintergrund, dass die Bedeutungsdimensionen a priori Aspekte mit einer unterschiedlichen Komplexität zum Gegenstand haben, zeichnen sich die verwendeten Oberkategorien durch eine hohe Varianz im Grad ihrer Ausdifferenzierung in Unterkategorien aus. So braucht beispielsweise die Ausdifferenzierung der Rolle im Parteienwettbewerb nur zwei Unterkategorien (Regierungs-, Oppositionspartei), während sich hinter der Oberkategorie zum Erfassen der europäischen Themen (Issue_EUP) eine komplexe Themensystematik verbirgt.29 Daraus ergeben sich nicht nur Konsequenzen für die Vorgehensweise bei der Explikation der Kategorien, sondern auch für die Reliabilitätsmessung (siehe Abschnitt 8.2.3). Die Entwicklung der Ober- und Unterkategorien aus einer Kombination aus deduktiver und induktiver Explikation (methodische Diskussion bei Rustemeyer 1992: 100–102) wurde gewählt, um zum einen mit dieser unterschiedlichen Komplexität der Bedeutungsdimensionen umzugehen und zum anderen dem explorativen Charakter der Forschungsarbeit gerecht zu werden. So konnten beispielsweise akteurs- und zeitbezogene sowie Kategorien zur Abbildung des institutionellen europäischen Kontextes deduktiv definiert werden. Die Ausdifferenzierung der Kategorien zur Abbildung des EU-Themenspektrums (Issue_EUP) oder zu den Begründungsmustern fußt hingegen auf einem hohen Anteil induktiver Explikation. Der nächste Abschnitt liefert einige Anmerkungen zur Entwicklung der Oberkategorie Issue_EUP, die dem Erfassen des europäischen Themenkomplexes dient und zentrales Fundament für die Beantwortung der empirischen Fragestellungen bildet. 28

Die genauen Definitionen der Ober- und Unterkategorien sowie notwendige Ankerbeispiele sind im Kodierhandbuch dokumentiert. Siehe Anhang I im elektronischen Zusatzmaterial. 29 Siehe Anhang I im elektronischen Zusatzmaterial – Kodierhandbuch, Teil II, S. I–90 ff.

8.2 Manuelle Inhaltsanalyse als Datenerhebungsverfahren

189

8.2.1.3 Erfassen des europäischen Themenkomplexes – Bildung und Ausdifferenzierung der Oberkategorie Issue_EUP Für die Ausdifferenzierung der Oberkategorie Issue_EUP, die den europäischen Themenkomplex abbildet, sind zunächst Unterkategorien für die Politikfelder bzw. Themenbereiche weitestgehend a priori mithilfe des CAP-Kategoriensystems und der Kompetenzstrukturen der Europäischen Union definiert worden. Für die spezifischen europäischen Politikmaßnahmen bzw. -themen sind indes induktiv Unterkategorien gebildet worden, da eine ex ante Festlegung an pragmatische Grenzen stößt. Mit der induktiven Vorgehensweise ist aber das Problem verbunden, dass die Explikation der Unterkategorien durch die politische Rhetorik oder die Verwendung von Synonymen verzerrt wird, sodass am Ende die Anzahl der Unterkategorien weitaus höher ist als die tatsächliche politische Agenda der Europäischen Union. Dies sei am folgenden Beispiel illustriert: Innerparteiliche Akteure kritisieren mit ihren politischen Aussagen eine sogenannte EU-Werbeverbotsverordnung für Lebensmittel, die aber als solche nicht existiert. Vielmehr greifen sie die „Verordnung über nährwert- und gesundheitsbezogene Angaben über Lebensmittel“ (Verordnung (EG) 1924/2006) auf, welche unter anderem regelt, dass in der Werbung keine Gesundheitsaussagen mehr getroffen werden dürfen, wenn diese nicht mit den tatsächlichen Inhalten des Lebensmittels in Einklang zu bringen sind. Bei einer induktiven Explikation der Unterkategorien entstehen nun zwei Unterkategorien, da zunächst aus der vom politischen Akteur aufgegriffenen politischen europäischen Maßnahme nicht eindeutig hervorgeht, dass dieselbe politische Maßnahme Gegenstand der politischen Aussage ist. Eine Überspezifikation kann zudem daher rühren, dass sich politische Akteure auf unterschiedliche Regelungsbereiche einer europäischen Politikmaßnahme konzentrieren, ohne dabei den direkten Bezug zum zugrundeliegenden Legislativverfahren zu benennen. Diese kurze Diskussion verdeutlicht letztlich die Komplexität von Themen in der Kommunikation von Parteien: Nicht nur, dass Parteien Themen auf unterschiedlichen Abstraktionsniveaus aufgreifen, sie transportieren Themen eben auch mittels unterschiedlicher „Labels“ mit ihrer Kommunikation in die Öffentlichkeit. Um letztlich die Äquivalenz jeder benannten europäischen Politikmaßnahme bzw. jedes europäischen Themas bei der Entwicklung der Unterkategorien zu kennen, bedürfte es einer extrem hohen Policy-Expertise in Tiefe und Breite über sämtliche EU-Politikfelder und zugleich viel Phantasie für politisches Marketing und mögliche veränderte neue Labels für die einzelnen Maßnahmen. Um pragmatisch mit Defiziten an Policy-Expertise und Phantasie umzugehen, ist

190

8

Manuelle Inhaltsanalyse: Methodik zur Erhebung politischer …

das dargelegte Problem der induktiven Vorgehensweise durch ein zweistufiges Verfahren der Explikation von Unterkategorien für die europäischen Themen (Issue_EUP) gelöst worden: Als erstes wurden die Unterkategorien induktiv anhand der politischen Texte gebildet, wobei die Kodieranleitung zu befolgen war, dass neue Unterkategorien nur gebildet werden dürfen, wenn eine eineindeutige Zuordnung zu bereits existierenden Unterkategorien und deren Definitionen nicht möglich ist. Im zweiten Schritt sind die gebildeten Unterkategorien einem Realitätscheck unterzogen worden, indem nach äquivalenten Maßnahmen auf der EU-Ebene in der Dokumentation der Europäischen Union gesucht wurde. Diese Kontextinformationen ermöglichten, funktionale Äquivalente und Teilregelungsbereiche von Verordnungen oder Richtlinien zu ermitteln und zugleich die Definitionen der Unterkategorien zu verbessern, z. B. durch die Ergänzung politischer Labels. Basierend auf dieser Expertise ist die abschließende Entscheidung getroffen worden, ob Unterkategorien beizubehalten oder aufzulösen sind. Erst wenn dieser Abgleich keine Zuordnung zu spezifischen europäischen Maßnahmen ermöglichte, sind diese Unterkategorien in die Restkategorie jedes Politikfelds überführt worden. Zusammengefasst bildet die Struktur der Inhaltskategorie „Issue_EUP“ das europäische Themenspektrum in seiner gesamten Komplexität wie folgt ab: – Strukturgebend sind neunzehn Themenbereiche30 , die zentrale Politik- bzw. Handlungsfelder der Europäischen Union gruppieren, – diese Themenbereiche setzen sich aus insgesamt 69 Politik- bzw. Handlungsfeldern zusammen (siehe Anhang G im elektronischen Zusatzmaterial), – die sich wiederum in weitere Subthemen und zahlreiche spezifische Einzelmaßnahmen untergliedern. Diese detaillierte Struktur spiegelt die oben diskutierte Varianz der thematischen Abstraktion wider und führt letztlich zu einem sehr umfangreichen Kategoriensystem, das die Grundlage für die empirischen Analysen entlang der verschiedenen thematischen Abstraktionsniveaus liefert.31

30 31

Diese sind nicht identisch mit den neunzehn Hauptthemen des CAP-Kategoriensystems. Siehe Kodierhandbuch, Teil II im Anhang I im elektronischen Zusatzmaterial, S. I–90 ff.

8.2 Manuelle Inhaltsanalyse als Datenerhebungsverfahren

8.2.2

191

Festlegung der Kodiereinheiten

Neben dem Kategoriensystem ist die Festlegung der Kodiereinheiten, d. h. also jene Texteinheiten, denen die Bedeutungsdimensionen des Kategoriensystems zugeordnet werden, zentral für die Durchführung der Inhaltsanalyse als auch für die Auswertung der damit gewonnenen Daten. Die hohe Flexibilität der Inhaltsanalyse hinsichtlich ihrer Einsatzmöglichkeiten spiegelt sich auch in den diversen Alternativen bei der Bildung der Kodiereinheiten wider, wobei hier unterschiedliche Kriterien herangezogen werden können (Krippendorff 1980, 2004; Mayring 2008). Stellen Texte die Datengrundlage dar, dann sind prinzipiell syntaktische oder thematische Abgrenzungen der Kodiereinheiten sinnvoll, wobei die endgültige Festlegung auf einer Kombination von Überlegungen zum Analysegegenstand und zum eingesetzten Umfang des Computers beruht. So kommen beispielsweise Wörter als Kodiereinheiten vor allem in automatisierten Textanalysen zum Einsatz (Laver et al. 2003; Slapin und Proksch 2008). Werden indes die Texte vor der automatisierten Textanalyse thematisch aufbereitet, dann spielt sowohl die thematische als auch syntaktische Abgrenzung der Kodiereinheiten eine Rolle (u. a. Anwendung bei Pappi und Seher 2011; Pappi et al. 2013). Im CMP/MARPOR-Projekt erfolgt ebenfalls die Bildung der Quasi-Sätze nach inhaltlichen (eine in-sich-geschlossene politische Aussage) und syntaktischen (Satzende erzwingt den Abschluss des Quasi-Satzes) Kriterien (Werner et al. 2011: 5). In anderen Zugängen zur Wahlprogrammanalyse wird wiederum auf die Vorteile der „natural sentences“ und somit auf eine rein syntaktische Festlegung der Kodiereinheiten verwiesen (Däubler et al. 2012), während die bereits oben angesprochene Claim-Analyse in der Medienberichterstattung rein thematische Kodiereinheiten verwendet (Koopmans 2002). Für die eigene Problemstellung wird ausschließlich auf die thematische bzw. inhaltliche Abgrenzung der Kodiereinheiten zurückgegriffen: Als Kodiereinheiten sind jene Textstellen definiert, die eine in sich geschlossene Aussage zu den Oberkategorien beinhalten. Textteile wiederum, die keine Informationen dem Kategorienschema entsprechend beinhalten, bleiben für die Inhaltsanalyse unberücksichtigt. Die Kodiereinheiten können einen unterschiedlichen Umfang von einzelnen Wörtern bis hin zu mehreren Sätzen haben. Möglich ist obendrein, dass die Kodiereinheiten über den Gesamttext verteilt sind, was auch auf Informationen einer Inhaltskategorie zutreffen kann. Es liegt also an der Kodiererin bzw. am Kodierer, diese Informationen und damit die Kodiereinheiten herauszufiltern und gemäß dem Kategoriensystem zu erfassen.

192

8

Manuelle Inhaltsanalyse: Methodik zur Erhebung politischer …

Entscheidend ist dabei, dass jedes eineindeutig angesprochene europäische Thema innerhalb eines Textes einen Fall darstellt, dem die Informationen der entsprechenden Oberkategorien entlang der oben aufgezeigten Fragestellung „Wer sagt wann, wie, was, wozu und warum?“ zugeordnet werden. Unerheblich dafür ist, wie oft das jeweilige Thema benannt wird, d. h. allein die Mehrfachnennung desselben Themas innerhalb eines Textes führt nicht zu seiner Mehrfacherhebung in der Kodierung. Nur wenn dasselbe Thema in einen anderen Kontext gesetzt wird, kann es mehr als mit einem Fall pro Text erfasst werden. Ein anderer Kontext liegt beispielsweise vor, wenn das Thema in Relation zu mehreren handelnden europäischen Akteuren aufgegriffen wird und die dabei eingenommenen Standpunkte voneinander abweichen.32 Insbesondere vor dem Hintergrund der gewählten Datengrundlage können inhaltlich definierte Kodiereinheiten ihre volle Stärke entfalten: Sie erfassen die gesuchten politischen Aussagen über die diversen Texttypen hinweg, ohne dass ihre Varianz in Sprache, Syntax oder Umfang einen verzerrenden Einfluss auf die Ergebnisse hätte. Aufgrund dieser variierenden Eigenschaften wurde überdies darauf verzichtet, zusätzlich „context units“, d. h. Informationen über die „Verortung“ der Kodiereinheiten in Relation zum Gesamttext, zu erfassen (Krippendorff 2004: 101–104). Das bedeutet aber auch, dass nicht erfasst wurde, welchen Stellenwert das angesprochene Thema innerhalb des politischen Textes einnimmt, also ob der Text ausschließlich dem kodierten Thema gewidmet ist, es sich um ein gleichrangiges Thema von vielen handelt oder ob das europäische Thema nur „beiläufig“ Erwähnung im Text findet.33 32

Das ist zum Beispiel der Fall, wenn der Vorschlag des Europäischen Parlaments zur Richtlinie XY unterstützt, die Abstimmung im Ministerrat hingegen abgelehnt wird. 33 Ein durchaus plausibler Einwand gegen dieses Vorgehen fußt auf der Annahme, dass der variierende Stellenwert der kodierten Maßnahme innerhalb des Textes als variierende Relevanz für den innerparteilichen Akteur gleichgesetzt werden könne. D. h. die Wichtigkeit eines kodierten europäischen Themas sei weitaus geringer, wenn es nur im Nebensatz erwähnt wird, als wenn sich ein komplettes Dokument diesem europäischen Thema widmet. Entsprechend könne sich die Bedeutung des europäischen Themas bzw. des europäischen Themenkomplexes nur adäquat bemessen lassen, wenn dieser Stellenwert berücksichtigt würde; eine Gleichsetzung aller politischen Aussagen zum europäischen Themenkomplex führe zu einer Fehlinterpretation. Dieser Argumentation, die letztlich auf einer impliziten Übertragung der Relevanz- bzw. der Salienzmessung des CMP-Ansatzes beruht, wird ein anderes Verständnis der Bedeutung eines Themas entgegengesetzt: Auch eine „beiläufige“ Erwähnung eines europäischen Themas, welches womöglich nur in geringem inhaltlichen Zusammenhang zum wesentlichen Teil des Textes steht, unterstreicht dessen Relevanz. Denn unabhängig davon, dass sich der politische Text vorrangig einem anderen Sachverhalt widmet, hat sich der Parteiakteur dafür (bewusst) entschieden, das europäische Thema aufzugreifen. Zur Illustration ein Beispiel: Ein politischer Text widmet sich der Bedeutung der Kommunen im (nationalen)

8.2 Manuelle Inhaltsanalyse als Datenerhebungsverfahren

8.2.3

193

Reliabilität

Wie bei allen anderen wissenschaftlichen Messverfahren kommt auch bei einer Inhaltsanalyse der Reliabilität eine hohe Bedeutung zu (u. a. Krippendorff 2013) (Neuendorf 2002; Mayring 2008). Stärker als bei anderen Messverfahren geht es bei dieser sozialwissenschaftlichen Methodik nicht nur um die Zuverlässigkeit der Messung und damit der Reproduzierbarkeit der Ergebnisse, sondern dass eine wiederholte Messung auch intersubjektiv zu denselben Ergebnissen führt. Deshalb wird die Intrakodierung (Test und Re-Test durch ein und dieselbe Kodiererin) nur als ein schwacher Reliabilitätstest eingestuft (Krippendorff 2004)34 und die Interkodierung als Maßstab für die Reliabilitätsmessung gesehen, die Angaben über die Zuverlässigkeit der inhaltsanalytischen Messung unter Berücksichtigung der intersubjektiven Nachvollziehbarkeit liefert (Kolb 2004; Kuckartz 2012; Krippendorff 2013). Neben den Voraussetzungen, dass für die Intersubjektivität und die Möglichkeiten der Reproduzierbarkeit ein wie oben beschriebenes Kategoriensystem mit eindeutigen Kodierregeln und Begriffsdefinitionen vorliegt, bedarf es intensiver Kodierertrainings, um die Reliabilität der Messung zu überprüfen. Diese Trainings bedürfen jedoch eines ausreichenden Zugriffs auf personelle und/oder finanzielle Ressourcen. Diesem Forschungsprojekt standen jedoch keine Ressourcen zur Verfügung, weitere Personen intensiv über mehrere Sessions hinweg zu trainieren und eine ausreichend große Stichprobe einer Reliabilitätsmessung zu unterziehen. Um aber dennoch die gewonnenen Daten mithilfe einer intersubjektiven Reliabilitätsmessung abzusichern, wurde die folgende Lösung umgesetzt:

politischen System für die Bevölkerung in vielfältiger Weise, unter anderem geht er dabei auf die Notwendigkeit des Schutzes der Daseinsvorsorge ein und lehnt in diesem Zusammenhang Vorschläge der Europäischen Kommission zur Einschränkung bestimmter Hoheitsrechte ab. In Relation zum Gesamttext nimmt das spezifische europäische Thema nur einen Bruchteil ein, aber zugleich unterstreicht der Text, dass in diesem Zusammenhang die Aufmerksamkeit für die europäische politische Agenda vorhanden ist und das Thema als relevant erachtet wird, es in diesem Kontext aufzugreifen. Die Bedeutung eines Themas lässt sich eben nicht nur anhand der Logik „Je mehr Anteil in einem Text, desto wichtiger“ operationalisieren, sondern auch in der geschilderten Logik des inhaltlichen Kontexts. Demzufolge werden hier sämtliche Aussagen zum europäischen Themenkomplex gleichwertig behandelt – unabhängig davon, ob der politische Text einzig dem kodierten europäischen Thema gewidmet ist, oder nicht. 34 Gleichwohl auch dieser Test Aussagen über Reproduzierbarkeit und Fehlerquote im Hinblick auf die gewonnenen Daten liefert. Krippendorff spricht hier von Stabilität (2013: 271).

194

8

Manuelle Inhaltsanalyse: Methodik zur Erhebung politischer …

Es wurden für zwei unterschiedliche Personengruppen zwei eintägige Workshops durchgeführt, die in das Kategoriensystem einführten und Gelegenheit für ein einfaches Training boten. Der erste Workshop wurde mit Freiwilligen aus dem privaten Umfeld veranstaltet. Von diesen Personen zeichnete sich niemand durch eine politikwissenschaftliche Vorbildung aus. Während des Workshops wurden Trainingskodierungen durchgeführt. Da sich das Training von Fachfremden als deutlich zeitintensiver herausstellte als ursprünglich eingeplant, mussten die Kodierungen, die Gegenstand der Reliabilitätsmessung sind, von den Teilnehmenden nach dem Workshop in der Freizeit geleistet werden. Den zusätzlichen zeitlichen Aufwand konnten nur vier von sieben trainierten Personen aufbringen. Der zweite Workshop wurde mit dreizehn Studierenden an der Universität Düsseldorf durchgeführt. Die Zielsetzung des Workshops war, die Studierenden in die methodischen Grundlagen der qualitativen Inhaltsanalyse einzuführen. Zur Veranschaulichung diente das Kategoriensystem dieser Forschungsarbeit. Das Training der politikwissenschaftlich vorgebildeten Studierenden gestaltete sich wesentlich einfacher. Die Kodierungen, die Gegenstand der Reliabilitätsmessung sind, wurden im Rahmen des Workshops erbracht. Naheliegend ist, dass sich für Personen ohne politikwissenschaftliche Expertise die sozialwissenschaftliche Methodik und der Untersuchungsgegenstand schwerer erschließen. Umso deutlicher unterstreicht ein hierbei erreichtes und angemessenes Maß der Übereinstimmung die Güte der Messung. Naheliegend ist ferner, dass eintägige Workshops nur ein eingeschränktes Training ermöglichen. Dies kann negative Auswirkungen auf die Reliabilität haben (Neuendorf 2002), da wiederholtes und intensives Kodierertraining nachweislich zu einer Erhöhung der Reliabilität führt (Lacewell und Werner 2013). Naheliegend ist ebenso, dass die auf diese Weise gewonnene Stichprobe für die Reliabilitätsmessung nur einen begrenzten Umfang erreichen kann. Auch wenn eine größere Anzahl an Personen mit den zwei separaten Workshops trainiert wurde, darf nicht außer Acht gelassen werden, dass eine erste Anwendung der inhaltsanalytischen Methode und/oder eines Kategoriensystems immer mit einer langsameren Kodierung einhergeht. Der Effekt, dass eine größere Vertrautheit mit einem Kategoriensystem in einer schnelleren Kodierung resultiert und somit in einer bestimmten Zeit auch mehr Material kodiert wird, konnte hier aufgrund der zeitlichen Restriktionen nicht abgeschöpft werden. Gedanken über die Größe der Stichprobe sind relevant. In der Literatur sind diverse Überlegungen zu finden, wie die Stichprobe festzulegen ist (z. B. Anteil an der Grundgesamtheit oder absolute Größe N an intersubjektiv kodierten Einheiten) und wie groß sie eigentlich sein sollte; von einem existieren Standard kann hier jedoch nicht gesprochen werden (Neuendorf 2002: 158–160; Krippendorff

8.2 Manuelle Inhaltsanalyse als Datenerhebungsverfahren

195

2004: 321–324).35 Für diese Arbeit ist festzuhalten, dass eine in der Literatur benannte Stichprobengröße von mindestens 10 Prozent unter den bestehenden Ressourcenrestriktionen in diesem Projekt nicht erreichbar war.36 Deshalb wurde angestrebt, eine brauchbare Anzahl intersubjektiv kodierter Einheiten zu erzielen. Hier spricht Neuendorf von einer Größe zwischen 50 bis 300 Einheiten (2002: 159). Im Rahmen der durchgeführten Testkodierungen wurden die geschilderten Limitationen der Stichprobegröße etwas abgemildert, indem die Materialzusammenstellung wie folgt angelegt wurde: Als erstes kamen nur kurze Texte als Datenrohmaterial in Betracht, um so die Zeitressourcen eher für die Kodierung als für die Auseinandersetzung mit dem Datenrohmaterial nutzen zu können. Gegenstand der Testkodierungen waren folglich kurze Policy-Beschlüsse und Pressemitteilungen. Die Auswahl erfolgte per Zufall. Als zweites erhielten nicht alle Personen dieselben Texte für die Kodierung. Damit konnte die Anzahl der kodierten Texte erhöht werden. Zugleich fließt in die Reliabilitätsmessung Intersubjektivität in verschiedenen Konstellationen ein. So wurde einer Gruppe von dreizehn Personen dasselbe Datenrohmaterial gegeben (zwei Texte). Zusätzlich wurden weitere 33 Texte zufällig unter Kodiererinnen und Kodierern verteilt. Für dieses Rohmaterial liegen zwei bzw. drei Kodierungen vor (einschließlich der eigenen Masterkodierung). Die Reliabilitätsmessung fußt insgesamt auf knapp 200 Beobachtungen pro Oberkategorie, die Informationen über intersubjektiv geteilte Textinterpretationen enthalten. Vor dem Hintergrund mathematischer Effekte, die insbesondere bei kleineren Zahlen auftreten, bietet diese Anzahl eine solide Grundlage für Aussagen über die Reliabilität. Als Reliabilitätskoeffizient kommt die Berechnung einer einfachen prozentualen Übereinstimmung zur Anwendung, die die übereinstimmende Kodierung ins Verhältnis zur Anzahl der Messungen pro Kodiereinheit setzt. Die Entscheidung für das einfache Maß basiert vor allem darauf, dass andere etablierte Maße darauf ausgerichtet sind, die ermittelte Übereinstimmung um zufällig eintretende Übereinstimmungen bei den Testkodierungen zu korrigieren (beispielsweise Cohen’s kappa). Diese Maße spielen ihre Stärke aber nur dann aus, wenn die Anzahl der möglichen Ausprägungen von Kategorien (Unterkategorien) relativ klein ist. Dies trifft auf die meisten Oberkategorien des hier angewandten Kategorienschemas nicht zu (siehe z. B. Oberkategorie Issue_EUP). Ferner erlaubt das eingesetzte Maß der prozentualen Übereinstimmung eine 35

Zugleich fehlen in etablierten Studien häufig Angaben über die Größe der Stichprobe. Auf das Datenrohmaterial bezogen hätten demnach mindestens 600 Texte einer Testkodierung unterzogen werden müssen.

36

196

8

Manuelle Inhaltsanalyse: Methodik zur Erhebung politischer …

sinnvolle Komplexitätsreduktion bei der Bildung der Reliabilitätsmatrix, die die Kodierungen der verschiedenen Personen zu den Oberkategorien in paarweisen Vergleichen zusammenführt. Für die Bewertung der Interkodierer-Reliabilität wird auch im Rahmen dieser Studie auf die in der Literatur benannten Faustregeln zurückgegriffen, wohlwissend, dass deren Begründung oft willkürlich sind (siehe Kritik bei Kolb 2004: 340; Lacewell und Werner 2013). Jedoch ist die Verwendung von groben Faustregeln vor dem Hintergrund des eingeschränkten Methodentrainings mehr als angemessen, da unter diesen Bedingungen auch ausgefeilte bzw. theoretisch oder statistisch fundierte Maßzahlen verschiedene Ursachen einer geringeren Replizierbarkeit nur schwerlich voneinander abgrenzen können. Basierend auf der Diskussion verschiedener Reliabilitätskoeffizienten und angewandter Schwellenwerte für die Güte der Messung (z. B. Landis und Koch 1977; Krippendorff 2013: 325) erfolgt hier die Adaption auf die prozentuale Übereinstimmung, indem eine Übereinstimmung von mindestens 90 Prozent als nahezu komplett, von mindestens 80 bis 90 Prozent als sehr gut, zwischen 60 und 80 Prozent als gut und unter 40 Prozent als kritisch bewertet wird. Des Weiteren findet die Komplexität der einzelnen Variablen (insbesondere von Issue_EUP) und die Abgrenzung zwischen manifesten und latenten Inhalten Berücksichtigung. Ferner wird auf die unterschiedlichen Voraussetzungen der Kodiergruppen achtgegeben. Die nachfolgende Tabelle 8.6 präsentiert die Ergebnisse der Reliabilitätstests. Diese sind sowohl getrennt nach den zwei Gruppen als auch für die gesamte Testkodierung angegeben. Insgesamt zeigen sich trotz der Limitationen im Training sehr gute Reliabilitätswerte, insbesondere im Identifizieren und Zuordnen der Informationen zu manifesten Inhalten, wie bei den Kontextinformationen zur Partei, zur zeitlichen Verortung und zur Rolle der Partei im Parteienwettbewerb. Auch bei der Messung latenter Inhalte, die beispielsweise mit den eingenommenen Standpunkten (PolPos, PosDir) oder Begründungsmustern erfasst werden (Int_V, Int_G), führt die Methodik zu angemessenen Reliabilitätswerten. Die inhaltsanalytische Aufbereitung zu den EU-Themen und ihrer Einbettung in den europäischen institutionellen Kontext ist mit mehr Schwierigkeiten für beide Testgruppen verbunden (Issue_EUP, EU_Inst, Instr_EUP, progress_EUP), aber besonders für die Testgruppe, die über keine politikwissenschaftlichen Vorkenntnisse verfügt (Gruppe 1). Offensichtlich sind eben nicht nur das methodische Training und die Qualität des Kategoriensystems ausschlaggebend für die Reliabilität, sondern auch eine gewisse Expertise über den Gegenstand der Kodierung – ein Umstand der in den methodischen Diskussionen nur am Rande eine Rolle spielt (siehe auch Kolb 2004: 336).

8.2 Manuelle Inhaltsanalyse als Datenerhebungsverfahren

197

Tabelle 8.6 Interkodierer-Reliabilität Kategorie/ Variable

Prozentale Übereinstimmung Gruppe 1 (vier Kodierer + Masterkodierung)

Prozentuale Übereinstimmung Gruppe 2 (13 Kodierer + Masterkodierung)

Prozentuale Übereinstimmung insgesamt

Partei

0,929

1,000

0,964

POrgan

0,929

1,000

0,964

Reg_Opp

0,929

0,994

0,961

DocType

1,000

0,930

0,965

WP_EP

0,929

1,000

0,964

WP_BT

1,000

0,994

0,997

Dat_Ref

0,905

0,497

0,701

AnL

0,500

0,515

0,507

Modus

0,750

0,965

0,857

PolVor

0,500

0,825

0,662

Issue_EUP

0,518

0,725

0,622

EU_Inst

0,500

0,673

0,586

Instr_EUP

0,214

0,614

0,414

progress_EUP

0,214

0,497

0,356

PolPos

0,857

0,754

0,806

PosDir

0,929

0,743

0,836

Int_V

0,619

0,717

0,668

Int_G

0,690

0,712

0,701

NatPW

(nicht trainiert)

0,643

0,643

NatPar

(nicht trainiert)

1,000

1,000

SelbstPar

(nicht trainiert)

0,801

0,801

EPPW

(nicht trainiert)

0,860

0,860

Alle Kategorien/Variablen Quelle: eigene Berechnungen und Darstellung.

0,765

198

8

Manuelle Inhaltsanalyse: Methodik zur Erhebung politischer …

Dennoch fußen die inhaltsanalytisch gewonnenen Informationen zu den zentralen Variablen in den nachfolgenden empirischen Auswertungen (PolVor, Issue_EUP) auf soliden Reliabilitätswerten. Informationen zu den Oberkategorien, bei denen nur eine relativ geringe Übereinstimmung erzielt wurde (Instr_EUP, progress_EUP), bleiben in den durchgeführten empirischen Auswertungen zur Beantwortung der Forschungsfragen außen vor.

8.3

Zusammenfassung

Dieses Kapitel lieferte die Begründung dafür, weshalb die Politikartikulation der deutschen Parteien und ihrer innerparteilichen Akteure anhand von politischen Texten erhoben wird. Um sowohl die Politikartikulation im Wahlkontext als auch der innerparteilichen Akteure zu erfassen, werden unterschiedliche politische Dokumententypen als Datenbasis verwendet (Wahlprogramme, PolicyBeschlüsse, Pressemitteilungen). Die Auswahl der Dokumententypen fußt sowohl auf klaren Kriterien als auch auf einer empirischen Überprüfung von vermuteten Merkmalen, die mit verschiedenen politischen Dokumententypen verbunden werden. Beides zusammen bietet nicht nur die größtmögliche Transparenz über die Datengrundlage, sondern liefert auch erstmalig eine empirische Überprüfung von variierenden Merkmalen, die im Zusammenhang mit verschiedenen Dokumententypen in der politikwissenschaftlichen Literatur erwähnt werden. In Summe umfasst die Datenbasis der empirischen Studie rund 6.000 politische Texte der vier deutschen Parteien B90/Die Grünen, CDU, CSU und FDP, die inhaltsanalytisch aufbereitet wurden. Grundlage für diese Aufbereitung ist ein eigens entwickeltes Kategoriensystems. Dabei greift die Inhaltskategorie, die dem Erfassen des europäischen Themenkomplexes dient (Issue_EUP), die grundlegende Struktur des Comparative Agendas Project (CAP) auf und entwickelt diese weiter, um den europäischen Themenkomplex unter Berücksichtigung der unterschiedlichen thematischen Abstraktionsniveaus in der Politikartikulation bestmöglich abbilden zu können. Für die Datengewinnung kam die manuelle Inhaltsanalyse zum Einsatz, deren Stärken im Rahmen dieses Projekts zum Tragen kommen, nämlich komplexe und vielseitige Informationen aus Texten zu extrahieren.

9

Datenauswertung: Voraussetzungen, Besonderheiten und Methodik

Mit den vorangestellten Kapiteln des zweiten Teils der Forschungsarbeit liegt eine Vielzahl von Informationen zum Forschungsdesign und zur Datengrundlage vor, die relevant für die Beantwortung der explorativen Forschungsfragen und für die Untersuchung der vermuteten Zusammenhänge sind. Dieses Kapitel widmet sich nun den Analyseverfahren, die der Beantwortung der explorativen Forschungsfragen und der Überprüfung der vermuteten Zusammenhänge dienen. Essentiell für die Auswahl des Analyseverfahrens sind mehrere Aspekte, wie beispielsweise die zugrundeliegende Fragestellung, die Merkmale der abhängigen Variablen und die Datenstruktur der Beobachtungen. Eine Besonderheit des hier gewählten Forschungsdesigns liegt darin, dass die explorativen und erklärenden Forschungsfragen zum Umgang nationaler Parteien und ihrer innerparteilichen Akteure mit dem europäischen Themenkomplex auf unterschiedliche Aspekte der Politikartikulation abzielen und deshalb die Operationalisierung der abhängigen Variablen auf unterschiedliche Dimensionen zurückgreift, die kennzeichnend für die Politikartikulation sind. Die damit eingenommenen variierenden Analyseperspektiven auf die Politikartikulation wurden mit der Vorstellung des zugrundeliegenden Themenkonzepts (Kapitel 4) und des dreidimensionalen Analysegerüsts (Kapitel 5) eingeführt. Bislang fehlen noch Angaben dazu, wie die Struktur der Beobachtungen der abhängigen Variablen nun im Detail ausgestaltet ist. Ihre Vorstellung obliegt diesem Kapitel, da die dafür weiteren notwendigen Informationen für diesen letzten Schritt der Operationalisierung Elektronisches Zusatzmaterial Die elektronische Version dieses Kapitels enthält Zusatzmaterial, das berechtigten Benutzern zur Verfügung steht https://doi.org/10.1007/978-3-658-34797-0_9.

© Der/die Autor(en), exklusiv lizenziert durch Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2021 S. John, Europäische Themen in deutschen Parteiorganisationen, Empirische Studien zur Parteienforschung, https://doi.org/10.1007/978-3-658-34797-0_9

199

200

9

Datenauswertung: Voraussetzungen, Besonderheiten und Methodik

mittlerweile vorliegen (Auswahl der Parteien und angewandter Untersuchungszeitraum (Kapitel 7); Kategoriensystem für die inhaltsanalytische Datenerhebung (Kapitel 8)). Aus den oben genannten variierenden Analyseperspektiven ergeben sich zentrale Konsequenzen für die Datenauswertung: Variierende Analyseperspektiven führen ebenfalls zu veränderten Beobachtungseinheiten, sodass auch die Datenstruktur der Beobachtungen für die Beantwortung der verschiedenen Forschungsfragen variiert und hier von wenigen Vergleichsfällen bis hin zu vielen Beobachtungen reicht. Infolgedessen braucht es unterschiedliche Methoden für die Datenauswertung. Außerdem bedarf nicht jede eingenommene Perspektive auf die Politikartikulation die Beachtung sämtlicher unabhängiger Variablen, weil dies theoretisch-analytisch nicht erforderlich ist. Des Weiteren ist für das gewählte Forschungsdesign die quasi-experimentelle Untersuchungsordnung kennzeichnend, die mit einer systematischen Fallauswahlstrategie umgesetzt wird (siehe Kapitel 7), sodass auch anhand der wenigen Parteien und ihrer innerparteilichen Akteure fundierte empirische Aussagen geliefert werden können. Nachfolgend wird nun genauer darauf eingegangen, wie diese verschiedenen Aspekte des Forschungsdesigns in der Datenauswertung aufgegriffen werden. Dafür werden als erstes die variierenden Beobachtungen dargelegt, die sich einerseits aus den variierenden Untersuchungsfällen (Abschnitt 9.1) und andererseits aus den variierenden Dimensionen der Politikartikulation (Abschnitt 9.2) ergeben. Auf deren Basis ergibt sich die Struktur der Datenanalyse (Abschnitt 9.3), die der Beantwortung der spezifischen Fragen zum Umgang mit dem EUThemenkomplex dient. Dafür kommt ein variierender Methodeneinsatz vom qualitativen Fallvergleich bis hin zu statistischen Analyseverfahren zur Anwendung (Abschnitt 9.4).

9.1

Variierende Untersuchungsfälle in der Datenanalyse

Mit variierenden Untersuchungsfällen ist gemeint, dass die vier ausgewählten Parteiorganisationen nicht in jeder bearbeiteten Problemstellung auch die (analytischen) Fälle sind und dafür beispielsweise die innerparteilichen Akteure beobachtet werden, sondern ebenso die innerparteilichen Akteure die Untersuchungsfälle sein können. Folglich liegen dann bis zu zwölf Fälle vor (siehe Abbildung 9.1). Aus Gründen der Vereinfachung werden im weiteren Verlauf sowohl die Parteiorganisationen als auch die innerparteilichen Akteure als Untersuchungsfälle bezeichnet.

9.1 Variierende Untersuchungsfälle in der Datenanalyse

201

Ferner werden die Wahlprogramme für die Bundestags- und Europawahlen als Untersuchungsfälle bezeichnet – wohlwissend, dass es sich hierbei um Beobachtungen von Parteien (als Fälle) im Wahlkontext handelt. Konkret sind das die Bundestagswahlprogramme der Jahre 2002, 2005 und 2009 sowie die Europawahlprogramme aus den Jahren 1999, 2004 und 2009. Trotz des Wissens um die forschungsmethodisch leicht unsaubere Vereinfachung wird auf diese Definition der Untersuchungsfälle zurückgegriffen, um im weiteren Verlauf der Arbeit schlüssiger zwischen den variierenden beobachteten Fällen und den variierenden Beobachtungen der Politikartikulation (Varianz in der Dimension; Varianz im thematischen Abstraktionsniveau) abgrenzen zu können. Diese definitorische Vereinfachung impliziert indes keine Blindheit gegenüber den Verbindungen zwischen den Untersuchungsfällen. So wird bei der Datenanalyse beachtet, dass beispielsweise die innerparteilichen Akteure über eine gemeinsame Parteiorganisation miteinander verbunden sind und es sich infolgedessen nicht um gänzlich unabhängige Untersuchungsfälle handelt. Ferner liegt grundsätzlich ein Small-N-Design vor und zwar unabhängig davon, ob die Parteiorganisation oder die innerparteilichen Akteure als Untersuchungsfälle dienen. Dieses Small-N-Design stellt den übergeordneten Rahmen für die grundsätzlichen Überlegungen für die Vorgehensweise bei der Datenauswertung dar.

Abbildung 9.1 Variierende Untersuchungsfälle im Studiendesign. Anmerkung: IPA: innerparteilicher Akteur, PT: Parteitag, PF: Parteiführung, FRA: Fraktion (Quelle: eigene Darstellung)

Bei der detaillierten Betrachtung der Untersuchungsfälle darf ein genauerer Blick auf zwei Besonderheiten nicht fehlen, die mit der Fallauswahl der beiden Unionsparteien einhergeht. Ihre gemeinsame Bundestagsfraktion markiert hier die erste Besonderheit, die aus der Fallauswahlstrategie und aus dem grundsätzlichen Vorgehen folgt, in der gemeinsamen Bundestagsfraktion das funktionale Äquivalent der Fraktion für die beiden individuellen Parteien zu sehen. Diese Besonderheit fließt wie folgt in die spezifische Festlegung der Untersuchungsfälle ein: Wird die Politikartikulation von Fraktionen mithilfe eines interparteilichen

202

9

Datenauswertung: Voraussetzungen, Besonderheiten und Methodik

Vergleichs betrachtet, dann liegen drei Fraktionen (als Fälle) vor. Ist jedoch für die Analyse die Politikartikulation der drei innerparteilichen Akteure in ihrer Parteiorganisation relevant, dann wird die CDU/CSU-Fraktion jeweils als eigener innerparteilicher Akteur der CDU und der CSU behandelt, sodass dann analytisch gesprochen vier Fraktionen als Fälle vorliegen. Dieser analytische Kniff erlaubt nicht nur den systematischen Blick auf die gemeinsame Bundestagsfraktion im Kontext der zwei Parteiorganisationen, sondern ermöglicht auch das Aufdecken potenzieller Unterschiede in der Politikartikulation, die mit den beiden Varianten der organisatorischen Einbettung der gemeinsamen Fraktion einhergehen. Als zweite Besonderheit müssen die gemeinsamen Klausurtagungen der Parteiführungen von CDU und CSU berücksichtigt werden, die sich unmittelbar aus der parlamentarischen Kooperation ergeben. Gemeinschaftsbeschlüsse werden grundsätzlich in die jeweilige Politikartikulation von CDU- und CSU-Parteiführung überführt. Auch darf hier der Hinweis auf die duale Verwendung der Wahlprogramme sowohl als Untersuchungsfall für die Darstellung der Politikartikulation im Wahlkontext (abhängige Variable) als auch für die Messung der zugrundeliegenden Parteisalienz (unabhängige Variable) nicht fehlen. Hier könnte der Einwand eingebracht werden, dass ein gemessener Zusammenhang aus derselben Datengrundlage induziert sei und somit kein empirischer Beleg für den Zusammenhang vorläge. Dieser methodische Fallstrick kann zwar nicht durch den Einsatz einer anderen, unabhängigen Datengrundlage zur Messung der Parteisalienz behoben werden (vgl. hierzu auch die Diskussion zur Messung der Parteisalienz in Abschnitt 6.2.1). Der Einwand ist aber entkräftet, wenn man sich der höchst unterschiedliche Umgang mit den Wahlprogrammen als Datenquelle auf Seiten der abhängigen und unabhängigen Variablen in Erinnerung ruft: Als erstes bezieht sich die Ermittlung der Parteisalienz ausschließlich auf die Bundestagswahlprogramme.1 Als zweites fußen beide Variablen auf einer grundlegend anderen Logik der inhaltsanalytischen Datenauswertung.2

1

Das schließt mindestens einen induzierten Zusammenhang für die Europawahlprogramme aus. 2 Es besteht keine Übereinstimmung im Anliegen der Kodierung, in den verwendeten Inhaltskategorien und in den Kodiereinheiten. Das schließt einen induzierten Zusammenhang für beide Wahlprogrammarten aus.

9.2 Struktur der Beobachtungen auf …

9.2

203

Struktur der Beobachtungen auf Seiten der abhängigen Variablen

Dieser Abschnitt widmet sich der genauen Struktur der Beobachtungen zum Umgang der nationalen Parteien mit dem europäischen Themenkomplex. Die Beobachtungen zur abhängigen Variablen fußen einerseits auf konzeptionellen Grundlagen zur Politikartikulation (Definition politischer Themen (Kapitel 4) und der Politikartikulation in Parteiorganisationsperspektive (Kapitel 5)). Andererseits resultieren die Beobachtungen der abhängigen Variablen aus weiteren zentralen Festlegungen zum Forschungsdesign. So müssen die genaue Struktur des beobachteten europäischen Themenspektrums (Kapitel 8), der Untersuchungszeitraum (Kapitel 7) und für die Überprüfung vermuteter Zusammenhänge wiederum die Struktur der unabhängigen Variablen (Kapitel 6) beachtet werden. Ferner fließt das Kontextwissen zu den innerparteilichen Akteuren ein. Nachfolgend wird nun das Ergebnis aus der gedanklichen Synthese dieser verschiedenen Punkte dargestellt. Damit die Struktur der Beobachtungen auf Seiten der abhängigen Variablen schlüssig beschrieben werden kann, wird zunächst das variierende thematische Abstraktionsniveau in der Datenbasis veranschaulicht.

9.2.1

Variierendes thematisches Abstraktionsniveau in der Datenanalyse

Neben variierenden Untersuchungsfällen greift auch die Datenanalyse auf unterschiedliche thematische Abstraktionsniveaus zurück. Zum Einsatz kommen die thematischen Abstraktionsstufen Einzelthemen, Politikfelder und Themenbereiche, um die Politikartikulation zu beobachten. Grundsätzlich sind die drei Abstraktionsstufen über Aggregation miteinander verbunden, sodass die spezifischen Einzelthemen in den Politikfeldern und die Politikfelder in den Themenbereichen aufgehen. Mit einer zunehmenden thematischen Abstraktion, die gleichbedeutend mit einer höheren thematischen Breite ist, geht eine abnehmende Themenanzahl einher. D. h. je breiter ein einzelnes Thema angelegt ist, desto weniger beobachtbare Themen existieren, die in Summe das gesamte Themenspektrum abdecken (vgl. hierzu Abschnitt 4.2). Der analytische Zuschnitt der Themenbereiche richtet sich an den leitgebenden Fragestellungen aus. Deshalb kommen hier die fünf Themenbereiche zur Anwendung, die einerseits zwischen europäischen Polity- und Policy-Angelegenheiten

204

9

Datenauswertung: Voraussetzungen, Besonderheiten und Methodik

und andererseits den europäischen vom nationalen Handlungskontext abgrenzen.3 Ferner erfolgt keine vollständige Aggegration bzw. Disaggregation aller europäischen Themen, die im Rohdatensatz erfasst sind. D. h. nicht alle Themen fließen auf jeder thematischen Abstraktionsstufe in die Datenanalyse ein. Abbildung 9.2 veranschaulicht das Vorgehen: Alle erhobenen Themen werden für die Aggregation zu Themenbereichen verwendet. Analysen, die auf Einzelthemen und Politikfeldern fußen, klammern den Themenbereich nationale Politikgestaltung im europäischen Kontext vollständig aus. Das ermöglicht zum einen eine Bewertung des europäischen Themenspektrums anhand der breiten Themen vorzunehmen (Themenbereiche) und zum anderen eine differenziertere Datenbewertung, wie mit Themen der europäischen Ebene in der Politikartikulation auf der nationalen Ebene umgegangen wird (Beobachtung: Politikfelder und Einzelthemen), ohne diese Angelegenheiten mit den europäischen Prozessen zu vermengen, die bereits Gegenstand der nationalen Implementierung sind. Für die thematischen Abstraktionsstufen Themenbereiche und Politikfelder wurde a priori definiert, welche Themen beobachtet werden, sodass damit auch die Anzahl der beobachteten Themen festgelegt ist. Für die Datenanalyse werden Politikfelder anhand von 13 und 26 Politikfeldern abgebildet. Die zweifache Abbildung des europäischen Themenspektrums anhand von Politikfeldern ergibt sich aus den Zielsetzungen, die neuen Daten sinnvoll zu präsentieren und Zusammenhänge zu ermitteln. Letzteres führt wiederum dazu, dass auch die Datenstruktur der unabhängigen Variablen berücksichtigt werden muss, worauf später noch einmal eingegangen wird.

Abbildung 9.2 Das variierende thematische Abstraktionsniveau in der Datenbasis. (Quelle: eigene Darstellung) 3

Entsprechend kommen hier die 19 Themencluster, die das europäische Themenspektrum im inhaltsanalytischen Kategoriensystem abbilden, nicht zur Anwendung.

9.2 Struktur der Beobachtungen auf …

205

Die 26 Politikfelder erfassen vier der fünf Themenbereiche detaillierter (vgl. Abbildung 9.2). Die Abbildung der Politikfelder greift auf das zugrundeliegende Kategoriensystem mit seinen 69 Politikfeldern bzw. Subthemen zurück. Die relativ hohe Kategorienanzahl im Kategoriensystem kann das Handlungsspektrum der EU gut strukturiert erfassen und die Grundlage für eine systematisierte Inhaltsanalyse bieten. Für die Datenexploration verhindert die hohe Anzahl an Inhaltskategorien die gewünschte Übersichtlichkeit, sodass die 69 Themenkategorien zu 26 Politikfeldern aggregiert wurden. Dafür wurde vor allem die Abstraktionsstufe der Subthemen unter die höheren Politikfelder subsumiert.4 Die beobachteten 13 Politikfelder greifen ebenfalls auf das zugrundeliegende Kategoriensystem zurück; sie fußen aber zum einen auf einer stärkeren Aggregation der 69 Inhaltskategorien und lassen zum anderen bestimmte Politikfelder bzw. Subthemen außen vor.5 Hintergrund ist die Verwendung dieser Beobachtungen in der weiterführenden Datenanalyse, für die die Datenstruktur der unabhängigen Variablen Parteisalienz beachtet werden muss. Ergo bilden die 13 Politikfelder nur einen Ausschnitt der vier von fünf Themenbereichen ab (vgl. Abbildung 9.2). Auf dem thematischen Abstraktionsniveau der Einzelthemen ist hingegen eine a priori-Festlegung der zu beobachteten Themen im Sinne der zu beantwortenden Fragestellungen nicht zielführend. Ergo variiert hier die Anzahl der beobachteten Themen in Händen der innerparteilichen Akteure respektive Parteien (vgl. hierzu Abbildung 9.3). Insgesamt liegt also eine variierende Anzahl an Beobachtungen in Abhängigkeit vom thematischen Abstraktionsniveau und in Abhängigkeit von den Parteien bzw. innerparteilichen Akteuren vor. Daraus ergeben sich unmittelbare Konsequenzen für die Datenanalyse und die Methodik der Datenauswertung. Bevor näher auf die Methodik eingegangen wird, wird im nächsten Schritt erläutert, wie die verschiedenen thematischen Abstraktionsniveaus zur Abbildung der verschiedenen Dimensionen der Politikartikulation genutzt werden.

4 5

Siehe Anhang G im elektronischen Zusatzmaterial. Siehe Anhang H im elektronischen Zusatzmaterial.

206

9

Datenauswertung: Voraussetzungen, Besonderheiten und Methodik

Abbildung 9.3 Das variierende thematische Abstraktionsniveau und die Anzahl beobachteter Themen. Anmerkung: IPAs = innerparteiliche Akteure (Quelle: eigene Darstellung)

9.2.2

Die verschiedenen Dimensionen der Politikartikulation: Variierende Beobachtungen der abhängigen Variablen

Die Politikartikulation wird im Rahmen dieser Untersuchung mithilfe mehrerer Dimensionen operationalisiert, namentlich: Themenabdeckung, Aufmerksamkeitsstärke, die thematische Ähnlichkeit zwischen den innerparteilichen Akteuren und die thematische Durchdringung der Parteiorganisation als besondere Variante der thematischen Ähnlichkeit (vgl. hierzu Kapitel 5). Dieser Abschnitt beschreibt, wie die Struktur der Beobachtungen im Detail ausschaut, die die benannten Dimensionen der Politikartikulation abbilden. Bereits in der Darstellung des dreidimensionalen Analysetools wurde darauf verwiesen, dass hierfür die drei thematischen Abstraktionsniveaus sinnvoll eingesetzt werden (vgl. Abschnitt 5.2). Zusätzlich fließt hier nun ein, wie mit dem zehnjährigen Untersuchungszeitraum für die Abbildung der verschiedenen Dimensionen der Politikartikulation und mit der variierenden Ressourcenausstattung zwischen den innerparteilichen Akteuren für eine sinnvolle Datenauswertung umzugehen ist.

9.2.2.1 Themenabdeckung und Stärke der Aufmerksamkeit Die Themenabdeckung und Stärke der Aufmerksamkeit werden auf den Abstraktionsniveaus Themenbereiche und Politikfelder beobachtet.

9.2 Struktur der Beobachtungen auf …

207

Die Themenabdeckung und Aufmerksamkeitsstärke in der Politikartikulation der innerparteilichen Akteure werden mithilfe einer zeitlichen Bezugsgröße ermittelt. Der zeitliche Bezug gewährleistet eine sinnvolle Vergleichsbasis, um mit den unterschiedlichen Ressourcenstrukturen der innerparteilichen Akteure adäquat umgehen zu können. Es kommt ein zwölfmonatiger Zeitraum6 zur Anwendung, der Beobachtungen für alle drei innerparteilichen Akteurstypen gewährleistet, da potenziell Parteitage einberufen werden und die Parteiführung inhaltliche Themen auf ihre Agenda setzen kann.7 Zudem ermöglicht dieser Zuschnitt des Beobachtungszeitraums genügend Beobachtungen, die eine ausreichende Variation in der abhängigen Variablen sicherstellen – ohne dabei die Anzahl der Beobachtungen künstlich in die Höhe zu treiben, was unter anderem von Wilson und Butler (2007: 120) kritisch im Zusammenhang mit gepoolten Zeitreihenanalysen bewertet wird, dem gewählten Ansatz bei der Beobachtung einer begrenzten Anzahl Einheiten N über die Zeit t. Basierend auf dieser Vorgehensweise liegen zunächst zehn Beobachtungen (über den gesamten Untersuchungszeitraum) für jeden innerparteilichen Akteur hinsichtlich (a) seiner Themenabdeckung und (b) seiner relativen Aufmerksamkeit für jeden beobachteten Themenbereich bzw. jedes beobachtete Politikfeld vor. Aus der variierenden Anzahl beobachteter Themen in Abhängigkeit vom thematischen Abstraktionsniveau folgt unmittelbar, dass eine unterschiedliche Anzahl der beobachteten Themen pro Beobachtungszeitraum vorliegt. Für die Bewertung der Themenabdeckung anhand von Themenbereichen und 26 Politikfeldern stehen somit 5×10 bzw. 26×10 Beobachtungen pro innerparteilichen Akteur zur Verfügung. Die Stärke der Aufmerksamkeit wird zusätzlich heruntergebrochen für 13 Politikfelder angegeben. Die Themenabdeckung und die Stärke der Aufmerksamkeit in den Wahlprogrammen werden ebenfalls gemessen. Beobachtungen liefern hier die einzelnen Wahlprogramme. Konkret werden Themenbereiche und Politikfelder betrachtet und Aussagen zu den Bundestagswahlprogrammen (2002, 2005, 2009) und Europawahlprogrammen (1999, 2004, 2009) der vier Parteien gewonnen. Auch hier liegt eine Datenstruktur von N Einheiten über die Zeit t vor.

6

Damit ist nicht das Kalenderjahr gemeint. Gemäß dem Zuschnitt des Untersuchungszeitraums von Juni 1999 bis Juni 2009 beginnt die Messung eines zwölfmonatigen Zeitraums ab Juni 1999. 7 Weniger kritisch stellt sich hierbei die Politikartikulation der Bundestagsfraktionen dar; hier wäre durchaus eine kleinere Zeiteinheit möglich.

208

9

Datenauswertung: Voraussetzungen, Besonderheiten und Methodik

Unabhängig davon, ob die Beobachtungen auf dem Abstraktionsniveau der Themenbereiche oder der Politikfelder zu verorten sind, zeichnen sich die Variablen zur Abbildung der verschiedenen Dimensionen durch folgende Eigenschaften aus: (1) Die Themenabdeckung wird als standardisiertes Maß angegeben, wobei sich die Grundgesamtheit aus der a priori definierten Themenanzahl des Abstraktionsniveaus ergibt. Die ermittelten Werte sind damit unabhängig voneinander. (2) Die Stärke der Aufmerksamkeit fußt auf den relativen Anteilen der Themen an der Gesamtheit der Themen im Beobachtungszeitraum. Hervorzuheben ist hier, dass sich die Themengesamtheit bei den Politikfeldern auf den europäischen Referenzrahmen bezieht.8 Die ermittelten relativen Werte für einen Beobachtungszeitraum sind nicht unabhängig voneinander. In Summe liegen somit fünf Beobachtungssets vor, die die beiden Dimensionen der Politikartikulation empirisch abbilden (vgl. Abbildung 9.4). Dabei ergibt sich ein Beobachtungsset aus der spezifischen Kombination aus dem thematischen Abstraktionsniveau, der Anzahl beobachteter Themen und der angewandten Logik, wie mit den Informationen über die Zeit umgegangen wird.

9.2.2.2 Thematische Ähnlichkeit Für die Beobachtung der thematischen Ähnlichkeit werden zunächst die thematischen Abstraktionsniveaus Themenbereiche und Politikfelder (26) verwendet. Die Beobachtungen dienen dazu, zum einen die thematische Ähnlichkeit in der Parteiorganisationsperspektive und zum anderen im Hinblick auf den variierenden Kontext (Wahl-/Nichtwahlkontext) zu erfassen. Dafür werden die oben vorgestellten Beobachtungen zur Themenabdeckung, aber vor allem zur Stärke der Aufmerksamkeit herangezogen und in einen angemessenen Vergleich überführt. Angemessen bezieht sich hier zum einen auf das Vergleichspaar, das entweder zwei innerparteiliche Akteure umfasst oder die Politikartikulation eines innerparteilichen Akteurs mit den Wahlprogrammen gegenüberstellt. Angemessen meint zum anderen, dass bei den Vergleichen die beobachtete Themenbasis sorgfältig reflektiert sein muss, um somit mit den variierenden Beobachtungen sinnvoll umzugehen. Infolgedessen kommen verschiedene Indizes zum Ausmaß der thematischen Ähnlichkeit zum Einsatz. Grundsätzlich 8

Der Referenzrahmen ist mit dem Kodierhandbuch abgebildet und findet sich vollständig aggregiert in den 26 Politikfeldern wieder. D. h. die Verteilung der Aufmerksamkeit über die 26 Politikfelder ergibt in Summe 100 Prozent. Die abgebildete Aufmerksamkeitsstärke anhand der 13 Politikfelder bezieht sich ebenfalls auf den exogenen Referenzrahmen, sodass die Aufmerksamkeitsverteilung in Summe nur dann 100 Prozent beträgt, wenn die aus der Analyse ausgeschlossenen Politikfelder auch nicht Gegenstand der Politikartikulation sind (vgl. Anhang H im elektronischen Zusatzmaterial).

9.2 Struktur der Beobachtungen auf …

209

werden hierzu standardisierte Werte berechnet, die die thematische Ähnlichkeit in einem Wertebereich zwischen 0 und 1 angeben. Wie im Spezifischen mit den jeweiligen Beobachtungen (5×10 oder 26×10 Beobachtungen pro paarweisen Vergleich) bei der Indexbildung umgegangen wird, ist Gegenstand in jeweiligen Analysekapiteln im vierten Teil der Arbeit. Die thematische Ähnlichkeit innerhalb einer Parteiorganisation wird ferner mithilfe der Beobachtungen auf dem thematischen Abstraktionsniveau der Einzelthemen operationalisiert. Anders als in der Verwendung der beiden anderen thematischen Abstraktionsstufen ist eine zeitliche Bezugsgröße nicht notwendig, d. h. alle politischen Aussagen der innerparteilichen Akteure über den gesamten Untersuchungszeitraum bilden hier die Datenbasis und werden für die Datenanalyse nicht weiter aggregiert. Es besteht kein temporaler Zusammenhang zwischen den Beobachtungseinheiten und es liegt grundsätzlich eine hohe Anzahl Einheiten N vor. Anhand der Einzelthemen wird die thematische Ähnlichkeit zwischen den innerparteilichen Akteuren im Hinblick auf das Themenmerkmal Handlungsorientierung (strategisch-operativ) evaluiert. Die thematische Ähnlichkeit in Form der Handlungsorientierung ist als nominale Variable abgebildet. Die drei innerparteilichen Akteure in einer Parteiorganisation sind hier die Untersuchungsfälle, beobachtet werden die Einzelthemen, die sich jeweils in den Händen eines innerparteilichen Akteurs befinden. Ergo ergibt sich die Grundgesamtheit aus drei Akteuren x N-Themen (pro Akteur). Insgesamt kommen drei verschiedene Beobachtungssets zur Anwendung, um die thematische Ähnlichkeit in der Politikartikulation darzustellen und weiterführend zu analysieren (vgl. Abbildung 9.4).

9.2.2.3 Thematische Durchdringung einer Parteiorganisation Die aus den Einzelthemen gewonnene Datenbasis wird auch verwendet, um die thematische Durchdringung einer Parteiorganisation zu messen. Mit der thematischen Durchdringung wird eine besondere Form der thematischen Ähnlichkeit abgebildet, die die tatsächliche Übereinstimmung in der Themenselektion zwischen den innerparteilichen Akteuren wiedergibt. Folglich fokussiert sich die thematische Durchdringung auf die Aufmerksamkeitsverteilung für ein Thema innerhalb einer Parteiorganisation. Entsprechend werden die spezifischen Einzelthemen innerhalb einer Parteiorganisation beobachtet und bilden die Grundgesamtheit für jede Parteiorganisation. Damit unterscheidet sie sich von der Grundgesamtheit für die Darstellung der thematischen Ähnlichkeit (basierend auf den spezifischen Einzelthemen).

210

9

Datenauswertung: Voraussetzungen, Besonderheiten und Methodik

In Bezug auf die durchgeführte Inhaltsanalyse und der Verwendung des dafür entwickelten Kategoriensystems heißt das, zunächst die politischen Aussagen auf jenem Niveau zu beobachten, auf welchem sie in die politische Kommunikation (und damit in die Datenerhebung) eingeflossen sind. Da vielfach Teilaspekte beispielsweise von Richtlinien9 oder des neuen EU-Vertragswerks (z. B. den Gottesbezug in der Einleitung oder die Kompetenzen des Europäischen Parlaments) thematisiert werden, wurden diese differenzierten Detailaussagen soweit zusammengeführt, dass sie sich tatsächlich auf eine EU-Maßnahme beziehen. Dieses Vorgehen vermeidet das künstliche Erhöhen der Themen innerhalb einer Partei und eine daraus resultierende Minderung der thematischen Übereinstimmung zwischen den innerparteilichen Akteuren.10 Für die Ermittlung der thematischen Durchdringung ist der Zeitpunkt, wann ein innerparteilicher Akteur das Thema aufgreift, irrelevant. D. h. unabhängig davon, wann innerhalb des zehnjährigen Untersuchungszeitraums ein spezifisches Thema von mindestens zwei innerparteilichen Akteuren aufgegriffen wird, wird es als Eintreten einer thematischen Übereinstimmung eingestuft. Dieses Vorgehen beruht auf den folgenden Überlegungen: Als erstes resultieren aus unterschiedlichen Zeitressourcen der innerparteilichen Akteure abweichende Möglichkeiten, auf Themen auf der europäischen Handlungsagenda zu reagieren. Als zweites wäre die Festlegung arbiträr, wann die Aufnahme desselben Themas durch einen weiteren innerparteilichen Akteur noch als Durchdringung gewertet werden kann, und wann nicht. Dies hängt nicht nur mit den innerparteilichen Prozessen und Entscheidungen der innerparteilichen Akteure zusammen, sich dem jeweiligen Thema zu widmen, sondern auch mit den europäischen Themen selbst. So dauern europäische Entscheidungsprozesse mitunter mehrere Jahre (einschließlich Vorbereitungsphasen) und aufgrund der Abwesenheit des Diskontinuitätsprinzips auch über die Wahlperioden des Europäischen Parlaments hinaus, sodass eine zeitlich stark verspätete Aufnahme des Themas durch Akteur B im Vergleich zu Akteur A noch immer hoch aktuell in Relation zur EU-Ebene sein kann.

9

Beispielsweise der Regelungsbereich zu den Tierversuchen oder die Informations/Prüfanforderungen in der REACH-Verordnung (Verordnung zur Registrierung, Bewertung, Zulassung und Beschränkung chemischer Stoffe (Reach) und zur Schaffung einer Europäischen Agentur für chemische Stoffe). 10 Da zunächst alle politischen Aussagen innerhalb einer Partei die Datengrundlage darstellen, folgt auch daraus, dass strikt genommen nicht nur spezifische Einzelthemen Gegenstand der Datenanalyse sind, sondern auch die Themen, die auf einem höheren thematischen Abstraktionsniveau in die Politikartikulation einfließen.

9.3 Struktur der Datenanalyse

211

Die so gebildete Grundgesamtheit an Themen pro Partei wird nun auf zwei verschiedenen Wegen weiter aufbereitet, sodass zwei Beobachtungssets für die empirischen Analysen zur thematischen Durchdringung vorliegen. Als erstes wird die Grundgesamtheit der europäischen Themen in einer Partei in Beobachtungsset 9 so aufgeschlüsselt wiedergegeben, dass die innerparteiliche Themenverteilung in Händen eines innerparteilichen Akteurs, zweier innerparteilicher Akteure und in Händen aller drei innerparteilichen Akteure wiedergegeben wird. Somit liegt eine innerparteiliche Verteilung der Themen in Bezug zu den drei thematischen Durchdringungsstufen vor (vgl. hierzu Abschnitt 5.2.3). In dieser Analyse sind die Fälle (Themen) identisch mit den Beobachtungen. Da an dieser Stelle keine Aggregation der Themen erfolgt, liegt hier eine hohe Anzahl N vor. Als zweites wird die Grundgesamtheit verwendet, um das Ausmaß der thematischen Durchdringung mithilfe von sieben Werten als Schnittmengengrößen darzustellen und somit die thematische Durchdringung in den differenzierten Akteurskonstellationen wiederzugeben (vgl. hierzu Abbildung 5.2). Ergo basiert die darauf aufbauende Bewertung der thematischen Durchdringung auf diesen sieben Werten pro Partei. Diese sieben Werte fußen wiederum auf dem Aggregat einer Vielzahl von Themen und illustrieren den Umgang mit den einzelnen europäischen Themen über einen Zeitraum von zehn Jahren. Das Ausmaß der thematischen Durchdringung einer Parteiorganisation wird mittels relativer Anteile angegeben und ist mit dem Beobachtungsset 10 abgebildet. Summa summarum kommen zehn Beobachtungssets zum Einsatz, die die Themenselektion in Parteiorganisationsperspektive anhand mehrerer Dimensionen offenlegen. Illustrativ bringt Abbildung 9.4 Dimensionen und Beobachtungssets zusammen. Die in diesem Abschnitt beschriebene Struktur der Beobachtungen auf Seiten der abhängigen Variablen ist nun von essentieller Bedeutung für die Festlegung der durchgeführten Datenanalyse. Der nächste Abschnitt präsentiert die zugrundeliegende Logik für die Datenanalyse, wie mithilfe welcher Dimensionen der Politikartikulation und Beobachtungssets die leitgebenden Fragestellungen beantwortet und die Hypothesen überprüft werden (Abschnitt 9.3).

9.3

Struktur der Datenanalyse

Basierend auf dem Rohdatensatz und den gebildeten zehn Beobachtungssets ist es nun zum einen möglich, die explorative Zielsetzung dieser Arbeit zu verfolgen, ob und welche europäische Themen in den Händen der verschiedenen innerparteilichen Akteure auftauchen. Zum anderen bilden die Beobachtungssets

212

9

Datenauswertung: Voraussetzungen, Besonderheiten und Methodik

Abbildung 9.4 Abhängige Variable – Struktur der Beobachtungen nach Dimensionen der Politikartikulation. (Quelle: eigene Darstellung)

das Fundament für die Suche nach den vermuteten Mustern in der Politikartikulation, die als erstes im Kern Ausdruck einer inhaltlich orientierten Aufgabenteilung sind und die sich in die zugrundeliegende Parteiorganisation einbetten, und die als zweites aus der komplementären Themenselektionsstrategie zwischen Wahlkontext und Nichtwahlkontext herrühren. Die erwarteten Muster beziehen sich in der Regel auf eine Dimension der Politikartikulation. Im Rahmen der empirischen Überprüfung kommen deshalb die Beobachtungssets zum Einsatz, die die entsprechende Dimension adäquat abbilden, für die Beantwortung der spezifischen Fragestellungen und für den jeweiligen Hypothesentest gut geeignet sind. Das meint zunächst, dass nicht für jede Hypothesenüberprüfung auch jedes Beobachtungsset in Frage kommt, da sich dies nicht schlüssig aus der theoretischen Fundierung ergibt. Das meint auch, dass ein Beobachtungsset besser als ein anderes Beobachtungsset derselben Dimension für die Hypothesenüberprüfung geeignet ist. Hervorgerufen ist dies zum einen aus dem Einfluss des gewählten thematischen Abstraktionsniveaus auf die Erklärungsreichweite und die Aussagekraft. So implizieren beispielsweise die analytische Verwendung des Themenbereichs als Abstraktionsniveau eine höhere Wahrscheinlichkeit das gesamte europäische Themenspektrum abzudecken, da hierfür „nur“ fünf Themen nötig sind. Folglich ist dieses Abstraktionsniveau für eine sinnvolle und systematische Bewertung des abgedeckten Themenspektrums in der

9.3 Struktur der Datenanalyse

213

Politikartikulation der innerparteilichen Akteure und im Wahlkontext ungeeignet. Ursächlich für die abweichende Eignung der Beobachtungssets einer Dimension für die Hypothesenüberprüfung ist zum anderen, dass erst mit einer höheren Anzahl an Beobachtungen (mehr) erklärende Variablen einbezogen werden können und so die systematische Suche nach Zusammenhängen ermöglicht wird. Eine weitere Implikation der verschiedenen Beobachtungssets ist, dass Hypothesen auch anhand mehrerer Beobachtungssets empirisch überprüfbar sind. Das ermöglicht wiederum den Blick darauf, ob sich in Abhängigkeit des angewandten thematischen Abstraktionsniveaus die empirischen Ergebnisse verändern. Ergänzend zu den erwarteten Mustern entlang einer Dimension der Politikartikulation, wird auf potenzielle Auswirkungen einer erklärenden Variablen auch entlang anderer Dimensionen geachtet. Das entspricht dem explorativen Grundgedanken dieser Forschungsarbeit und bietet die Möglichkeit, Hinweise für einen gegebenenfalls zu eng gewählten Fokus in der theoretischen Argumentation aufzudecken. So wird beispielsweise auf Veränderungen in der Politikartikulation aller drei innerparteilichen Akteure geachtet, die einhergehen mit der Existenz/Nichtexistenz einer nationalen Delegation im Europäischen Parlament. D. h. im Fokus steht hier nicht nur die erwartete Veränderung in der Politikartikulation der Parteiführung, die sich explizit auf die Dimension der Aufmerksamkeitsstärke bezieht (Hypothese 5.1). Mit der zugrundeliegenden Konzeption der Politikartikulation wird unter anderem herausgestellt, dass die Dimensionen der Politikartikulation unterschiedliche Facetten ausmachen, die miteinander verbunden sein können, aber nicht alle verbunden sind (vgl. Kapitel 5). Folglich werden die gewonnenen empirischen Ergebnisse sich als gegenseitig ergänzend behandelt und ggf. hinsichtlich beobachteter Widersprüche (in Bezug zu einer Dimension) diskutiert, sie werden aber nicht in einen additiven Index einer innerparteilichen Politikartikulation überführt. Die nachfolgende Abbildung 9.5 auf der nächsten Seite veranschaulicht, welches Beobachtungsset für die Bearbeitung welcher Problemstellung bzw. für die Überprüfung welcher Hypothesen zum Einsatz kommt. Darin spiegeln sich die eben dargestellten Abwägungsprozesse zwischen Forschungsinteresse und geeigneter Datenbasis wider. So kommen beispielsweise „nur“ die Beobachtungssets 1, 2, 6 und 7 zum Einsatz, um Erkenntnisse über die komplementäre Themenselektionsstrategie im Wahl- und Nichtwahlkontext zu gewinnen (Hypothesen 2.1 und Hypothesen 2.2). Wie mit dem vorherigen Abschnitt zur Struktur der Beobachtungen beschrieben, fußen die verschiedenen Beobachtungssets auf einer variierenden Anzahl an Beobachtungen. Abbildung 9.5 beinhaltet bereits Informationen darüber, welche Methoden deshalb für die Datenanalyse zum Einsatz kommen. Auf diesen

214

9

Datenauswertung: Voraussetzungen, Besonderheiten und Methodik

Methodenmix in der Datenauswertung geht der nachfolgende Abschnitt 9.4 ausführlicher ein. Die genauen Angaben dazu, welche unabhängigen Variablen im Rahmen welcher Analyse einbezogen werden, erfolgen in den Analysekapiteln.

Abbildung 9.5 Beobachtungssets und ihr Einsatz für die zu bearbeitenden Problemstellungen. (Quelle: eigene Darstellung)

9.4 Einsatz des qualitativen Vergleichs …

9.4

215

Einsatz des qualitativen Vergleichs und quantitativer Analyseverfahren

Die Struktur der variierenden Fälle und variierenden Beobachtungen politischer Themen legt nahe, dass mit einem Methodenmix am sinnvollsten die gewonnenen Daten ausgewertet werden können. Stehen gekoppelt an die eingenommene Analyseperspektive auf die Politikartikulation nur wenige Beobachtungen zur Verfügung, dann wird auf einen qualitativen Fallvergleich11 zurückgegriffen, mit dessen Hilfe vor dem Hintergrund der kontrollierten Untersuchungsordnung prinzipiell die Daten interpretiert und Rückschlüsse gezogen werden können. Liegen hingegen ausreichend Beobachtungsfälle vor, dann kommen statistische Auswertungsverfahren zum Einsatz, um etwaige Gemeinsamkeiten und Unterschiede zwischen den vier Parteien und ihren innerparteilichen Akteuren herauszufinden und die vermuteten Zusammenhänge zu überprüfen. In der oben vorgestellten Datenstruktur schlägt sich die angewandte Lösungsstrategie für die Small-N-Situation nieder, wonach der Untersuchungszeitraum von zehn Jahren eine hohe Anzahl an Beobachtungen zu den Untersuchungsfällen ermöglicht. Auf der Basis dieser hohen Anzahl können Schlussfolgerungen für die Fälle gezogen werden, ohne weiterhin mit dem klassischen Freiheitsgradproblem eines Small-N-Forschungsdesigns konfrontiert zu sein (King et al. 1994: 117; Toshkov 2016: 116). Was sich zunächst als Wunderwaffe für den Umgang mit einer Small-N-Situation anhört, generiert jedoch wieder ein neues methodisches Problem: Denn diese Beobachtungen zu einem Fall sind nicht unabhängig voneinander, sodass sie letztlich weniger Informationen enthalten als ein tatsächlich neuer, unabhängiger Fall. Leitgebend ist deshalb, dass dies bei der Datenauswertung und Interpretation der Ergebnisse Beachtung finden sollte (King et al. 1994: 222) – und zwar unabhängig davon, mit welchem eingesetzten Verfahren die Datenauswertung vorgenommen wird.

11

Die Begrifflichkeit des qualitativen Fallvergleichs bezieht sich einzig auf die Small-NSituation in einer strukturierten Versuchsanordnung, aber nicht auf qualitative Analysetools wie beispielsweise das Process Tracing (Bennett 2010) oder Qualitative Reasoning (Freedman 2010). Auf die Begrifflichkeit von Lijphart, der den strukturierten Vergleich weniger Fälle als eigentliche „comparative method“ bezeichnet (Lijphart 1975), wird an dieser Stelle bewusst verzichtet, da Kopplung von Fallanzahl und Auswertungsverfahren eher verwirrend ist (Lauth et al. 2015: 52), zumal Lijphart damit eher eine Strategie für die Untersuchungsanordnung darlegt als Tools für die Datenanalyse. Ferner unmittelbar damit zusammenhängend ermöglicht die statistische Methodik ebenfalls eine vergleichende Perspektive.

216

9.4.1

9

Datenauswertung: Voraussetzungen, Besonderheiten und Methodik

Qualitativer Fallvergleich

Mit dem in Abbildung 9.5 gebotenen Überblick werden die Problemstellungen benannt, die mithilfe des qualitativen Fallvergleichs bearbeitet werden. Das trifft zu auf die Aufmerksamkeitsverteilung für EU-Angelegenheiten über die Zeit (Kapitel 10) und auf spezifische Fragen wie zur Bedeutung der europäischen Politikgestaltung (Kapitel 13), zu den wichtigsten Politikfeldern oder zur Themenabdeckung (beides Kapitel 14) und zum Ausmaß der thematischen Durchdringung als besonderer Form der innerparteilichen thematischen Ähnlichkeit (Kapitel 18). Beim Einsatz des qualitativen Fallvergleichs geht es vordergründig darum, entweder Gemeinsamkeiten und Unterschiede zwischen den innerparteilichen Akteuren oder zwischen den verschiedenen Parteiorganisationen herauszuarbeiten. In Abhängigkeit von der Beobachtungsstruktur werden in den jeweiligen qualitativen Fallvergleich weitere erklärende Variablen berücksichtigt. Die begrenzte Anzahl der Beobachtungen kann die Berücksichtigung von erklärenden Variablen bzw. Kontrollvariablen jedoch einschränken, kommt doch relativ schnell das Freiheitsgradproblem zum Tragen (Details in den Analysekapiteln). Der qualitative Fallvergleich kommt zudem zum Einsatz, um mögliche Veränderungen in der Politikartikulation in Abhängigkeit von der Existenz einer nationalen EP-Delegation zu bewerten. Methodisch bietet er das adäquate Instrument, um mit den vergleichsweise wenigen Beobachtungen zu einer nichtexistierenden EP-Delegation umzugehen. D. h. die Politikartikulation der FDP wird genauer dahingehend betrachtet, ob Veränderungen über die Zeit und im Vergleich zu den anderen Parteien im Zusammenhang mit dem Wiedereinzug in das Europäische Parlament erkennbar sind. Weil zur Nichtexistenz einer EP-Delegation zu wenige Beobachtungen vorliegen, bleibt diese Variable wiederum in den statistischen Analysen außen vor.

9.4.2

Quantitative Analyseverfahren

Für die Verfolgung weiterer Fragen stehen Beobachtungssets zur Verfügung, die quantitative Analyseverfahren ermöglichen. Dies gilt für eine vertiefende Exploration des thematischen Abstraktionsniveaus in der politischen Kommunikation der innerparteilichen Akteure (Kapitel 11), der innerparteilichen thematischen Ähnlichkeit bzw. Heterogenität (Kapitel 15) und der Besonderheit europäischer Themen auf der höchsten thematischen Durchdringungsstufe (Kapitel 19). Ferner kann so die Auswertung der Themenselektion im Kontext von

9.4 Einsatz des qualitativen Vergleichs …

217

EU-Handlungsagenda und Parteisalienz im Wahl- und Nichtwahlkontext erfolgen (Kapitel 16) als auch der Blick auf die thematische Ähnlichkeit bezüglich der Verantwortung für strategische und operative EU-Themen gerichtet werden (Kapitel 17). Auch wenn die Beobachtungssets eine hohe Anzahl an Beobachtungen bereitstellen, sind diese Beobachtungen vor dem Hintergrund der Small-N-Situation jedoch nicht gänzlich unabhängig voneinander. Vielmehr kann die vorliegende Datenstruktur als eine hierarchische Datenstruktur beschrieben werden, da grundsätzlich die Themenselektion von innerparteilichen Akteuren einer Partei beobachtet wird (bei zusätzlicher Datenvarianz über die Zeit in den Beobachtungssets 6 und 7). Für die hierarchische Datenstruktur kommt als Lösungsansatz zunehmend die Mehrebenen-Analyse zum Einsatz (Tiemann 2009). Um die Stärke der Mehrebenen-Analyse jedoch vollends auszuspielen, sind eine ausreichende Anzahl von Gruppen auf dem zweiten bzw. dritten Analyse-Level und ausreichend viele Beobachtungen notwendig. Für robuste Ergebnisse sind bereits in einem Zwei-Ebenen-Modell mindestens zwanzig Gruppen (Field et al. 2013: 871) bzw. 30 Gruppen (Maas und Hox 2004: 135) für die zweite Ebene nötig; weniger als zehn Gruppen sind hoch problematisch, da die Standardfehler der Varianzen auf der zweiten Ebene zu hoch sind (Maas und Hox 2004: 135). Diese Gruppenstärken liegen hier nicht vor, sodass der Mehrebenen-Ansatz als Lösungsstrategie im Rahmen dieser Arbeit ausscheidet. Stattdessen wird für die Beobachtungssets, die die Datenstruktur eines Time Series Cross Sectional (TSCS)-Datensatzes aufweisen, auf angewandte methodische Lösungsansätze für gepoolte Zeitreihenanalysen zurückgegriffen (dazu Abschnitt 9.4.2.1). Die Gruppenzugehörigkeit bzw. die hierarchische Datenstruktur wird mittels nötiger Dummy-Variablen abgebildet oder mithilfe getrennter Regressionsanalysen aufgefangen (Pötschke 2006: 174). Dies sind auch die adäquaten Lösungsansätze zu einem Mehrebenen-Modell für die Beobachtungssets, in denen kein temporaler Zusammenhang zwischen den Beobachtungseinheiten besteht (Rohdatensatz, Beobachtungssets 8 und 9). Des Weiteren ist für die hier durchzuführenden statistischen Analysen auf die Merkmale der abhängigen Variablen zu achten: Sowohl mit der Stärke der Aufmerksamkeit als auch der thematischen Ähnlichkeit liegen metrische OutcomeVariablen mit einem zensierten Wertebereich zwischen 0 und 100 vor. Mit dem Einsatz von Tobit-Regressionsmodellen statt einer OLS-Regressionsanalyse kann diesem Merkmal gerecht werden (dazu Abschnitt 9.4.2.2). Zudem ist der Einsatz von binären und von multinominalen logistischen Regressionsmodellen erforderlich, um die kategorialen Outcome-Variablen in den Regressionsanalysen abzubilden, die zum einen für die innerparteiliche Verantwortung für strategische

218

9

Datenauswertung: Voraussetzungen, Besonderheiten und Methodik

respektive operative EU-Themen (Beobachtungsset 8) und zum anderen für die Zugehörigkeit zu den thematischen Durchdringungsstufen innerhalb einer Parteiorganisation (Beobachtungsset 9) verwendet werden (dazu Abschnitt 9.4.2.3).

9.4.2.1 Gepoolte Daten in der politikwissenschaftlichen Analyse Für die Bearbeitung der Problemstellungen zur Themenselektion im Kontext von EU-Handlungsagenda und Parteisalienz im Wahl- und Nichtwahlkontext (Kapitel 16) und zur innerparteilichen thematischen Ähnlichkeit bzw. Heterogenität (Kapitel 15) liegt eine Datenstruktur eines Time Series Cross Sectional (TSCS)Datensatzes vor, sodass auf angewandte methodische Lösungsansätze für gepoolte Zeitreihenanalysen zurückgegriffen werden kann (Beobachtungssets 6 und 7). Auch wenn dieses Verfahren zur Analyse heterogener Kausalitäten durchaus mehr leistet, kommt hier ausschließlich sein Kernanliegen zum Tragen, einen adäquaten Umgang mit einer Datenstruktur zu gewährleisten, mit welcher Beobachtungen einer begrenzten Anzahl Einheiten n über die Zeit t vorliegen und deshalb diese Beobachtungen vermutlich nicht unabhängig voneinander sind. Als Konsequenz wird die Fehlerstruktur in den Daten erhöht, sodass am Ende – wenn diese unbeachtet bleibt – falsche Schätzungen und somit auch verzerrte Schlussfolgerungen zu den vermuteten Zusammenhängen stehen (Plümper et al. 2005; Fink 2008; Plümper und Troeger 2009; Tiemann 2009). Allgemein können die folgenden Fehler auftreten: Erstens kann eine serielle Korrelation der Fehler bestehen, d. h. die Fehler sind nicht unabhängig zwischen den Zeitpunkten einer Beobachtungseinheit (innerparteilicher Akteur oder Beziehung zwischen zwei Akteuren). Zweitens korrelieren die Fehler über die Einheiten, da unbeobachtete Unterschiede zwischen den Einheiten existieren und drittens weisen die Fehler wahrscheinlich Panel-Heteroskedastizität auf, da sich die Fehlervarianz zwischen den Einheiten unterscheidet (u. a. Fink 2008: 74; Tiemann 2009: 217). In der Politikwissenschaft diskutierte Lösungsansätze für den Umgang mit dieser Fehlerstruktur haben ihren Ursprung in der politischen Ökonomie (u. a.Beck und Katz 1995; Plümper et al. 2005; Plümper und Troeger 2009) und finden überwiegend in länderübergreifenden Querschnitts- und Längsschnittperspektiven Anwendung, was wiederum die Techniken zur Analyse der gepoolten Daten beeinflusst. Auch wenn sich de facto Standards (Beck und Katz 1995) etabliert haben, darf dies nicht darüber hinwegtäuschen, dass Vorschläge zum Umgang mit der Fehlerstruktur kritisch begleitet und Alternativvorschläge unterbreitet werden (Achen 2001; Plümper und Troeger 2004; Plümper et al. 2005), denn es

9.4 Einsatz des qualitativen Vergleichs …

219

gibt nicht das „Patentrezept“ oder die „richtige“ Methode, wie mit den Problemen umzugehen sei, vielmehr bringt jede ökonometrische Lösung wieder neue Komplikationen mit sich (u. a. Fink 2008: 74). Wie bereits angesprochen können die Daten miteinander kausal verflochten sein, d. h. der Wert des Zeitpunkts bzw. Zeitraums t1 hängt mit dem Wert für t2 zusammen (temporale Dynamik der Daten), woraus Probleme der seriellen Autokorrelation und Nicht-Stationarität der Daten respektive im Fehlerterm entstehen können, die zu ineffizienten Schätzern führen (u. a.Wenzelburger et al. 2014: 131–136). Besonders einleuchtend ist die temporale Dynamik bzw. die Pfadabhängigkeit für politökonomische Variablen, dem klassischen Anwendungsgebiet der ökonometrischen Lösungen, wie beispielsweise die Haushaltsgröße oder das Wachstum. Bevor allerdings über statistische Modellkorrekturen zum Erfassen der temporalen Dynamik in den Daten nachgedacht und mit einer „lagged dependent variable“ gearbeitet wird (Beck und Katz 1995: 685)}(Kritik u. a. bei Achen 2001), ist die theoretische Reflexion über die kausale Verflochtenheit unabdingbar, denn offenkundig ist: Mit jeder Implementierung einer Modellkorrektur kann gegebenenfalls genau jene Varianz in der Outcome-Variable korrigiert bzw. sogar aufgelöst werden, die letztlich auf die Zusammenhänge zu den unabhängigen Variablen zurückzuführen sind. Um hier einen klaren Standpunkt einnehmen zu können, wird ein kurzer Blick auf die Bildung der abhängigen Variablen geworfen, welche auf verschiedenen Dokumententypen fußt. Für die Politikartikulation der Fraktionen ist es beispielsweise wenig plausibel anzunehmen, dass Anzahl und thematische Verteilung der veröffentlichten Pressemitteilung eines Jahres beeinflusst ist von dem Veröffentlichungsniveau des Vorjahres. Für den Parteitag hingegen ist durchaus denkbar, dass die thematische Beschlussagenda des vorangegangenen Parteitags einen Einfluss auf den folgenden Parteitag haben könnte, da beispielsweise ein spezifisches Thema, das auf Parteitag zum Zeitpunkt t1 behandelt wurde, nicht Gegenstand des Parteitags t0+1 sein wird. Allerdings kann diese Argumentation für ein Einzelthema nicht ohne weiteres auf ein aggregiertes Politikfeld oder einen aggregierten Themenbereich angewandt werden; d. h. es lässt sich nicht schlüssig argumentieren, dass das wiederholende bzw. nicht wiederholende Aufgreifen eines Themenbereichs in direkter Abhängigkeit zum vorherigen Wert steht. Kurzum, auch auf die Gefahr hin, dass eine unbekannte Autokorrelation und Nicht-Stationarität im Fehlerterm vorliegt, wird vor dem Hintergrund der Dateneigenschaften der abhängigen Variablen keine ökonometrische Modellkorrektur implementiert. Des Weiteren wird in der Literatur die Spezifizierung eines Fixed-EffectsModells empfohlen, womit entweder auf die unbeobachtete Unit-Heterogenität

220

9

Datenauswertung: Voraussetzungen, Besonderheiten und Methodik

zwischen den innerparteilichen Akteuren und deren Einfluss auf die abhängige Variable bzw. ihrer Korrelation mit den Regressoren modelliert oder mit PeriodenDummys auf zeitlich übergreifende Effekte kontrolliert wird (Tiemann 2009: 217–219). Eine Spezifizierung eines Fixed-Effects-Modells kommt basierend auf den folgenden Überlegungen hier nicht zum Einsatz: Als erstes liegt mit der klassischen Reduktion der unbeobachteten Unit-Heterogenität (innerparteilicher Akteur) mittels n-1 Dummys nicht automatisch eine verbesserte Schätzung vor und ist vor allem nicht angemessen, wenn – wie hier – theoretisches Interesse an der Varianz zwischen den Einheiten besteht (Plümper et al. 2005: 330–334; Plümper und Troeger 2009: 268–270; Wenzelburger et al. 2014: 128). In diesen Fällen gilt “… allowing for a mild bias resulting from ommitted variables is less harmful than running a fixed effects specification” (Plümper et al. 2005: 334). Als zweites ist die Hinzunahme von Perioden- bzw. Jahre-Dummys nur sinnvoll, wenn Anlass besteht, auf exogene Schocks kontrollieren zu müssen und so die Berechnungen auf die Variation zwischen den untersuchten Einheiten zu reduzieren (u. a. Fink 2008: 78). Andernfalls erfolgt eine unnötige Absorption der Variation in der Datenstruktur. Abgesehen von den bereits abgebildeten Veränderungen, die mit den unabhängigen Variablen zum Ausdruck kommen, liegt diese Art von Ereignissen im Untersuchungszeitraum nicht vor.

9.4.2.2 Tobit-Regressionsanalyse: Umgang mit der zensierten Datenstruktur Sowohl mit der Stärke der Aufmerksamkeit als auch der thematischen Ähnlichkeit liegen metrische Outcome-Variablen mit einem zensierten Wertebereich zwischen 0 und 100 vor. Unter Verwendung einer klassischen Regressionsanalyse (OLS) können durchaus die Parameter auch bei einer zensierten Datenstruktur geschätzt werden, allerdings liefern diese nur inkonsistente Schätzungen (Long 1997; Greene 2005). Die Gefahr dieser inkonsistenten Schätzungen und damit einer Fehlspezifikation des Modells steigt, je stärker die Limitationen der Outcome-Variable sind. Dies ist vor allem dann der Fall, wenn etwa die Aufmerksamkeitsstärke den Wert Null bzw. 100 annimmt, also die Sachverhalte einer Nichtselektion bzw. einer starken thematischen Fokussierung vorliegen. Im Falle der thematischen Ähnlichkeit liegen diese Werte beispielsweise vor, wenn sich zwei innerparteiliche Akteure in ihrer Themenselektion komplett unterscheiden oder komplett identisch sind. Infolgedessen ist der Einsatz eines OLS-Regressionsmodells nur dann sinnvoll, wenn die abhängige Variable keine oder nur selten Werte annimmt, die mit der unteren und oberen Grenze zusammenfallen (0 bzw. 100), und somit

9.4 Einsatz des qualitativen Vergleichs …

221

eine inkonsistente Parameterschätzung bedingt durch die Datenstruktur der abhängigen Variablen nicht auftreten wird. Liegt eine zensierte Datenstruktur vor, dann wird auf ein Tobit-Regressionsmodell zurückgegriffen, welches zweiseitige Begrenzungen (wie im vorliegenden Fall) in den Ausprägungen der abhängigen Variablen berücksichtigt und somit die Gefahr der inkonsistenten Parameterschätzung reduziert.12 Die Voraussetzungen des Tobit-Analyseverfahrens wurden wiederum mithilfe von ex-ante Tests kontrolliert.13 Zugleich gewinnt mit der Verwendung der Tobit-Regressionsanalyse der Stichprobenumfang an Bedeutung, da die Analyse auf Maximum-Likelihood-Schätzer (ML-Schätzer) zurückgreift, deren Verhalten wiederum in kleinen Stichproben weitestgehend unbekannt sind (Long 1997: 53). Als Daumenregel für den Umgang mit kleinen Stichproben gibt Long an (1997: 54), dass diese nicht kleiner als 100 zu wählen sind und zugleich jedem Modellparameter zehn Beobachtungen gegenüberstehen sollten.14 Mit diesem Problem ist die hier durchgeführte Datenanalyse nicht konfrontiert, da ausreichend Beobachtungen vorliegen. Dies trifft auch auf die separaten Regressionsanalysen zu, die durchgeführt wurden, um adäquat mit der hierarchischen Datenstruktur umzugehen (siehe Kapitel 16).

9.4.2.3 Multinominale logistische Regressionsanalysen: Evaluierung der Verteilung von Themen innerhalb einer Parteiorganisation Der Einsatz von binären und von multinominalen logistischen Regressionsmodellen begründet sich auf den kategorialen abhängigen Variablen, die verwendet werden. Solche Modelle werden daher hier angewandt, um die Politikartikulation bezüglich der Bedeutung spezifischer EU-Angelegenheiten einordnen zu können (Kapitel 11 unter Verwendung des Rohdatensatzes), die innerparteiliche Verantwortung für strategische respektive operative EU-Themen zu untersuchen (Kapitel 17) und um die Besonderheit politischer Themen in Abhängigkeit von ihrer Zuordnung zu den thematischen Durchdringungsstufen innerhalb einer Parteiorganisation (Kapitel 19) zu evaluieren (Beobachtungssets 8 und 9). Um adäquat mit der hierarchischen Datenstruktur und den fehlenden Voraussetzungen für eine Mehrebenen-Analyse umzugehen, werden die logistischen 12

Eine Alternative stellt eine Beta-Regression-Modellierung dar (Paolino 2001; Ferrari und Cribari-Neto 2004; Cook et al. 2008). 13 Bei Werten im zensierten Bereich (d. h. Werte von 0 oder 100) ist die Normalverteilung nicht gegebenen, sodass auf die Tobit-Regressionsanalyse zurückgegriffen wurde. 14 In einschlägigen statistischen Foren ist mitunter die Rede von mindestens 20 bzw. 30 Beobachtungen pro Parameter.

222

9

Datenauswertung: Voraussetzungen, Besonderheiten und Methodik

Regressionsanalysen bei beiden Problemstellungen separat für jede Partei durchgeführt. Auch wenn damit die parteispezifischen erklärenden Variablen (z. B. das Parteiorganisationsverständnis) wegfallen, können dennoch mithilfe des modellübergreifenden Parametervergleichs etwaige Unterschiede zwischen den vier Parteien aufgedeckt werden. Mit der Anwendung logistischer Regressionsanalysen sind mehrere Konsequenzen verbunden. Als erstes entfallen damit einige Annahmen der klassischen linearen Regressionsanalyse (Normalität, Linearität und Homoskedastizität). Die zugrundeliegende Maximum-Likelihood-Schätzung bedarf aber wiederum einiger anderer Bedingungen in der Datenstruktur, bei deren Verletzung andernfalls unrealistische Schätzer ermittelt werden. Dazu gehören eine ausreichende Anzahl an Beobachtungen für die Maximum-Likelihood-Schätzung (Long 1997: 54), die sehr grobe Richtlinie von nicht weniger als zehn Beobachtungen pro Modellparameter (Long 1997: 54; Hosmer et al. 2013: 302), der Ausschluss von Multikollinearität zwischen den unabhängigen Variablen und andere numerische Probleme, die sich aus der Datenstruktur ergeben (Hosmer et al. 2013: 113–116). Limitationen für die Maximum-Likelihood-Schätzung bedingt durch eine zu geringe Beobachtungsanzahl kommen für keines der logistischen Regressionsmodelle zum Tragen. Im Falle der multinominalen logistischen Regressionsmodelle treten aber sogenannte numerische Probleme auf (Beobachtungsset 9 und Analyse in Kapitel 19): Es existieren Null-Zellen und daraus resultierend eine komplette Separation, d. h. die Zugehörigkeit zu einer Kategorie wird perfekt durch die unabhängige Variable erklärt, und ferner liegen mitunter zu wenige Beobachtungen einzelner Parameter vor.15 Diese Datenstrukturprobleme folgen unmittelbar aus der Entscheidung, die Modellierung für die vier Parteien zu separieren. Die separate Modellierung ist jedoch aus zwei Punkten einer Modellierung für alle Parteien vorzuziehen: Zum einen kann so besser verfolgt werden, ob die Vermutungen über die Bedeutung bestimmter Themenmerkmale für alle Parteien zutreffend ist und/oder ob diesbezüglich eine Varianz zwischen den Parteien existiert. Zum anderen wird hier eine angemessene einfachere Modellierung bevorzugt gegenüber einer komplexen Modellspezifikation des logistischen Regressionsmodells.16 Die separate Modellierung wird hier durch die Verwendung einer Penalized-Maximum-Likelihood-Schätzung ermöglicht, welche diesen

15

Multikollinearität zwischen den unabhängigen Daten existiert indes nicht, wie die Regressionsdiagnostik hervorbrachte. 16 Die Komplexität nimmt unter anderem zu, da logistische Modelle nicht in der additiven Logik funktionieren und infolgedessen die Parteizugehörigkeit für jedes Themenattribut als Interaktionseffekt modelliert werden müsste.

9.5 Zusammenfassung

223

potenziellen Verzerrungen in der Parameterschätzung ausgelöst durch die genannten Datenstrukturprobleme entgegenwirkt (Heinze und Schemper 2002; Heinze 2006).17 Als zweites stehen mit den logistischen Regressionsmodellen keine vergleichbaren Modellgütemaße wie in der klassischen linearen Regressionsanalyse zur Verfügung, was auf die Maximum-Likelihood-Schätzung zurückzuführen ist. Diverse Pseudo-R2-Maße existieren, die Aussagen über die erklärte Variation (nicht Varianz) in der abhängigen Variablen bieten oder zum Ausdruck bringen, wie groß die Verbesserung des Modells vom Null-Modell (ohne erklärende Variablen) ist. Die Interpretation dieser Maße muss mit Vorsicht erfolgen, ein Standard-Gütemaß existiert nicht (Long 1997: 102–108; UCLA: Statistical Consulting Group 2011). Verwendet werden hier die Maße von Cox & Snell und von Nagelkerke, da ersteres Maß das theoretische Maximum von 1 nicht erreichen kann (Field et al. 2013: 316 ff.). Beide Maße sind in der Logik der Modellverbesserung des angepassten Modells gegenüber dem Null-Modell konzipiert. Als drittes folgt aus der Verwendung der logistischen Regression, dass für die Interpretation die Werte der sogenannten Odds Ratio entscheidend sind, d. h. die Veränderung im Verhältnis zweier Wahrscheinlichkeiten ausgelöst durch eine veränderte Einheit im Prädiktor (siehe ausführliche Diskussion Andreß et al. 1997: 24f).

9.5

Zusammenfassung

Dieses Kapitel schließt die Erläuterungen zum Forschungsdesign der empirischen Arbeit zum Umgang nationaler Parteiorganisationen mit dem europäischen Themenspektrum ab. Basierend auf einem differenzierenden konzeptionellen Zugang zur Politikartikulation von Parteien und ihren innerparteilichen Akteuren wird die Politikartikulation entlang unterschiedlicher Dimensionen unter Rückgriff auf unterschiedliche thematische Abstraktionsniveaus beobachtet. Die explorativen Fragestellungen und aufgestellten Hypothesen werden anhand der vier deutschen Parteiorganisationen von B90/Die Grünen, CDU, CSU und FDP über den Zeitraum von 10 Jahren (Juni 1999 und Juni 2009) untersucht. Die vorangestellten Ausführungen führen die konzeptionellen Überlegungen und die besondere 17

Andere Lösungsvorschläge in der Literatur wären (a) das Modell ohne die problematische Variable neu zu berechnen (UCLA: Statistical Consulting Group o. J.) oder (b) eine Rekodierung der unabhängigen Variablen vornehmen (Kategorienreduktion) (Allison 2008), was aber im hiesigen Fall nicht möglich ist, da die Probleme bereits bei Dummy-kodierten Prädiktoren auftreten.

224

9

Datenauswertung: Voraussetzungen, Besonderheiten und Methodik

Datenstruktur der abhängigen Variablen unter der grundlegenden Bedingung eines Small-N-Designs zusammen. Im Ergebnis stellen verschiedene Beobachtungssets die Datenbasis bereit, um den Facettenreichtum der Politikartikulation abzubilden und die Forschungsfragen beantworten zu können. Diese verschiedenen Beobachtungssets bedürfen wiederum des Einsatzes verschiedener Methoden, um etwa mit der variierenden Anzahl an Beobachtungen und dem variierenden Charakter der abhängigen Variablen adäquat umgehen zu können. Des Weiteren sind die erklärenden und die Kontrollvariablen in abweichender Konstellation mit den Beobachtungssets verbunden: Nicht jede dieser Variablen ist theoretischanalytisch mit jedem Beobachtungsset verbunden und nicht jede dieser Variablen kann in die einzelnen Analysen aufgenommen werden, wenn zu wenige Beobachtungen zur Verfügung stehen und infolgedessen das Freiheitsgradproblem besteht. In Summe geben aber alle empirischen Analysen Antwort auf die spezifischen Fragestellungen zum Umgang der nationalen Parteien mit den europäischen Themen.

Teil III Empirische Ergebnisse – Grundlegende Erwartungen an die Selektionsentscheidungen für EU-Themen Bevor die Ergebnisse zu den empirischen Fragestellungen präsentiert werden, liefern die folgenden drei Kapitel einige grundlegende Informationen über das Themenselektionsverhalten der innerparteilichen Akteure. Dabei geht es zum einen um die empirische Unterfütterung der theoretischen Argumentation und zum anderen um eine Verortung der gewonnenen Daten zum europäischen Themenkomplex in die Politikartikulation der Akteure. Damit sind die in diesem Teil präsentierten Ergebnisse gewissermaßen den weiteren empirischen Analysen vorgelagert und zugleich relevant für die Bewertung der empirischen Ergebnisse in Teil IV der Forschungsarbeit. Kapitel 10 stellt die Aufmerksamkeitsverteilung für europäische Themen im Zeitverlauf dar und unterfüttert damit die theoretisch begründete Annahme mit empirischen Daten, dass für die Parteien und ihre Akteure die EU-Themenagenda Anreizstrukturen bietet, der EU-Agenda beständig über die Zeit Aufmerksamkeit zu widmen (Hypothese 1.1). Mit dem kurzen Kapitel 11 wird genauer auf die empirischen Belege der Annahme eingegangen, dass insbesondere spezifische EU-Themen im Mittelpunkt der Politikartikulation stehen. Es präsentiert die Ergebnisse, inwieweit also tatsächlich die politischen Themen auf einem geringen thematischen Abstraktionsniveau in die Politikartikulation der innerparteilichen Akteure einfließen. Ferner wird mit Kapitel 12 die Politikartikulation zum europäischen Themenkomplex in den Kontext der gesamten Politikartikulation gesetzt und gibt den Stellenwert dieses Themenkomplexes für die innerparteilichen Akteure wieder. Dafür greift das Kapitel letztlich auf die klassische Perspektive der Europäisierungsforschung zurück, die auf eine Relevanzbewertung der europäischen Themen abzielt. Diese Perspektive erlaubt eine generelle Einbettung der empirisch gewonnenen Erkenntnisse zum EU-Themenkomplex.

Europäische Themen Gegenstand der Politikartikulation? Aufmerksamkeit für EU-Themen über die Zeit

10

Mit der theoretischen Argumentation wird unter anderem die grundlegende Annahme formuliert, dass für die nationalen Parteien die europäischen Themen eine besondere Anreizstruktur bieten und infolgedessen europäische Themen nicht nur vereinzelt und selten in der Politikartikulation eine Rolle spielen würden, sondern dass die Parteien diesen Themen kontinuierlich Aufmerksamkeit mit ihrer Politikartikulation widmen. Dieses Kapitel präsentiert nun die Selektionsentscheidungen der innerparteilichen Akteure für die europäischen Themen über die Zeit und überprüft damit Hypothese 1.1. Die explorative Deskription dient zum einen der empirischen Unterfütterung der formulierten Annahme. Zum anderen legt die Deskription Grundlegendes zum Rohdatensatz offen, welcher die Datenbasis für die weiterführenden empirischen Analysen darstellt. Bevor die Verteilung der aufgegriffenen EU-Themen in der Politikartikulation der drei innerparteilichen Akteure und in den Wahlprogrammen vorgestellt wird, startet das Kapitel mit einigen kurzen Anmerkungen zum analytischen Vorgehen.

10.1

Anmerkungen zum analytischen Vorgehen

Die Betrachtung der Themenselektion erfolgt in erster Linie nach den drei innerparteilichen Akteurstypen. So kann am sinnvollsten die für die Typen spezifische Elektronisches Zusatzmaterial Die elektronische Version dieses Kapitels enthält Zusatzmaterial, das berechtigten Benutzern zur Verfügung steht https://doi.org/10.1007/978-3-658-34797-0_10.

© Der/die Autor(en), exklusiv lizenziert durch Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2021 S. John, Europäische Themen in deutschen Parteiorganisationen, Empirische Studien zur Parteienforschung, https://doi.org/10.1007/978-3-658-34797-0_10

227

228

10

Europäische Themen Gegenstand …

Ressourcenausstattung einfließen, welche sich unter anderem auch in den variierenden Dokumententypen für die Messung der Politikartikulation widerspiegelt. Folglich werden die Themenhäufigkeiten der Fraktionen a priori höher sein als die der anderen Akteure. Die Verteilung der Themenselektion in den Parteien wird anhand aggregierter Häufigkeiten erfasst. Datenbasis stellt hierfür der Rohdatensatz dar (vgl. Abbildung 9.2). Die Themenhäufigkeiten sind jeweils für einen Zeitraum von zwölf Monaten angegeben, sodass für jeden innerparteilichen Akteur bzw. jede Partei zehn Beobachtungen im Untersuchungszeitraum von Juni 1999 bis Juni 2009 vorliegen. Ferner werden die Häufigkeiten europäischer Themen in den Wahlprogrammen dargestellt. Wie mit dem Forschungsstand dargelegt, ist aus der Forschung bereits bekannt, dass europäische Themen Gegenstand der nationalen und europäischen Wahlprogrammatik sind (Brunsbach et al. 2012; John und Werner 2016). Folglich steht bei dieser Deskription anders als bei der Betrachtung der innerparteilichen Akteure weniger im Mittelpunkt zu illustrieren, ob EU-Themen tatsächlich Aufmerksamkeit erhalten. Vielmehr dient dieser Abschnitt der Transparenz über die erhobenen Daten und der vergleichenden Einordnung von wahlprogrammbasierten und akteursbasierten Daten. Dies ist notwendig, da im Rahmen dieser Arbeit die Anzahl europäischer Themen in den Wahlprogrammen beobachtet wird und dieses Vorgehen vom weitverbreiteten Vorgehen in der Forschung abweicht, europäisches Framing mithilfe relativer Anteile am gesamten Wahlprogramm abzubilden (Binder und Wüst 2004; Braun et al. 2016). Die qualitative Datenexploration orientiert sich in erster Linie an der grundlegenden Fragestellung, ob europäische Themen tatsächlich über die Zeit beständig Aufmerksamkeit von den innerparteilichen Akteuren erhalten. Dabei wird auf relevante Kontrollvariablen (nationale Delegation im EP, Status als Regierungspartei, individuelle Ressourcenausstattung) und Kontextbedingungen (deutsche Ratspräsidentschaft, Wahlen bzw. Besonderheiten bei Wahlen) geachtet.

10.2

Häufigkeiten europäischer Themen in der Politikartikulation der innerparteilichen Akteure

Als erstes wird ein kurzer Blick auf die kumulierten Themenhäufigkeiten in den vier Parteiorganisationen gerichtet (siehe Abbildung 10.1). Die vier Parteiorganisationen widmen sich über den gesamten Zeitraum regelmäßig den europäischen Angelegenheiten, und damit bereits vor einer Phase, in der die Relevanz der

10.2 Häufigkeiten europäischer Themen …

229

Europäischen Union in der politischen Debatte bedingt durch die diversen Krisen gestiegen ist. Die Anzahl thematisierter EU-Angelegenheiten variiert über die Zeit innerhalb jeder Parteiorganisation. Niveauunterschiede zwischen den Parteien sind ebenfalls sichtbar. Mit Abstand die meisten EU-Themen sind innerhalb von B90/Die Grünen über den gesamten Zeitraum zu beobachten. Kennzeichnend ist hierbei, dass dieser „Vorsprung“ erst ab 2006/07 deutlich auftritt; in den Jahren zuvor ist der Unterschied zwischen den vier Parteien eindeutig geringer.

Abbildung 10.1 Kumulierte EU-Themenhäufigkeiten in der Politikartikulation pro Partei, Juni 1999–Juni 2009. Anmerkungen: Parteiführungen von CDU und CSU beinhalten jeweils die Gemeinschaftsbeschlüsse. B90/Die Grünen: N = 4.164; CDU: N = 2.533; CSU: N = 2.589; FDP: N = 3.003. (Quelle: eigene Erhebungen)

10.2.1 Parteitage Bevor auf die Aufmerksamkeit für europäische Themen eingegangen wird, ist zunächst kurz zu erwähnen, dass die vier Prinzipale mindestens einmal in

230

10

Europäische Themen Gegenstand …

jedem der zehn beobachteten Zeiträume getagt haben und somit ganz einfach eine Voraussetzung geschaffen haben, inhaltliche Angelegenheiten auf ihre Tagungsagenda zu setzen.1 Abbildung 10.2 veranschaulicht nun die Aufmerksamkeit für europäische Themen der vier Parteitage im Zeitverlauf. Anhand der grafischen Datenexploration lässt sich festhalten, dass die Parteitage grundsätzlich regelmäßig über die Zeit europäische Angelegenheiten mit ihrer Politikartikulation aufnehmen. Folglich ist eher nicht von einer sporadischen Aufmerksamkeit seitens des Parteitags für EU-Themen zu sprechen. Die Nichtbeachtung europäischer Themen durch den CDU-Parteitag in drei der zehn beobachteten Zeiträume (2002/03, 2003/04 und 2005/06) sind jedoch ein Indiz dafür, dass die mit den europäischen Themen verbundenen Anreizstrukturen nicht gleichbedeutend mit einem Automatismus in der Themenauswahl für einberufene Parteitage sind. Zugleich weist die Nichtselektion europäischer Themen ausschließlich beim CDU-Parteitag darauf hin, dass der CDU-Parteitag sich anders verhält als die anderen Parteitage. Des Weiteren veranschaulicht die grafische Abbildung variierende Themenhäufigkeiten in Händen der Parteitage. Es treten mitunter deutliche Niveauunterschiede zwischen den Parteitagen (an einer Beobachtung) auf, es zeigen sich mitunter relativ starke Veränderungen von Beobachtung zu Beobachtung eines Parteitags und zudem sind Veränderungen in der Themenselektion über die Zeit

Abbildung 10.2 EU-Themenhäufigkeiten in der Politikartikulation der Parteitage, Juni 1999–Juni 2009. Anmerkungen: N = 1.069, davon: B90/Die Grünen: 426; CDU: 237, CSU: 270, FDP: 136. (Quelle: eigene Erhebungen) 1

Das bedeutet auch, dass der Parteitag der CDU öfter zusammentrifft als in der Satzung festgelegt.

10.2 Häufigkeiten europäischer Themen …

231

keineswegs gleichgerichtet. Im Vorfeld der Europawahlen (Juni 2004) ist nur ein Anstieg der Themenintensität bei den Parteitagen von B90/Die Grünen und CSU zu beobachten, der CDU-Parteitag widmet sich EU-Themen erst wieder nach den EP-Wahlen 2004. Anhand der Themenhäufigkeit lässt sich demnach nicht für alle Parteitage der Zusammenhang erkennen, Impulse der EU-Agenda aufzunehmen. Insgesamt zeigt sich hier in der Themenselektion also ein heterogenes Handeln der Parteitage. Über den gesamten Zeitraum bewertet, greift der Grünen-Parteitag die meisten EU-Themen auf, während für den FDP-Parteitag das niedrigste Niveau in der Themenselektion vorliegt. Vor dem Hintergrund der Bedeutung von Ressourcenausstattung und Ressourcenrestriktionen, wird an dieser Stelle kurz die vereinfachte Relation zwischen Themenhäufigkeiten und Tagungsfrequenz der vier Parteitage betrachtet2 : Zunächst besteht in der Tat ein positiver Zusammenhang zwischen der Summe der über den gesamten Untersuchungszeitraum ausgewählten europäischen Themen und der Anzahl der einberufenen Parteitage in einer Partei, so geht beispielsweise die merkliche Summe an Themen in Händen des Grünen-Parteitags (426) mit einer hohen Anzahl an Parteitagen (32) einher. Dieser einfache Zusammenhang löst sich aber auf, wenn die einberufenen Parteitage in Relation zu den oben illustrierten Themenhäufigkeiten gesetzt werden.3 Die weitere Betrachtung der Themenhäufigkeiten über die Zeit der einzelnen Parteitage deckt einige Besonderheiten auf: Auffallend für den Grünen-Parteitag ist ein deutlicher Anstieg ab 2006/07. Dies fällt mit der anstehenden Übernahme der EU-Ratspräsidentschaft durch die Bundesrepublik ab Januar 2007 zusammen. Eine ähnliche Feststellung lässt sich auch für den CDU-Parteitag und auf einem sehr viel geringeren Niveau für den CSU-Parteitag treffen. Vor allem die merkliche Zunahme europäischer Themen in Händen des Grünen-Parteitags und CDU-Parteitags werden hier als Indiz dafür bewertet, dass der Impuls der EU-Ratspräsidentschaft für eine höhere Aufmerksamkeit für EU-Angelegenheiten benutzt wird. Interessant ist zudem, dass die Themenhäufigkeiten zwischen Parteitagen der Unionsparteien recht eindrücklich abweichen.

2

Siehe Anhang C im elektronischen Zusatzmaterial. Korrelationskoeffizient zwischen Anzahl Themen und Anzahl Parteitage: Aggregat Gesamtanzahl Themen und Parteitage (0,80); jährliche Themenselektion und einberufene Parteitage (0,01).

3

232

10

Europäische Themen Gegenstand …

10.2.2 Parteiführungen Nun wird der Blick auf die Parteiführungen gerichtet (siehe Abbildung 10.3). Grundsätzlich fließen in ihre Politikartikulation europäische Themen ein. Auch hier variiert die Anzahl der Themen in Händen einer Parteiführung deutlich im Zeitverlauf. Erkennbar ist eine niedrige Themenhäufigkeit verglichen zur Politikartikulation der Parteitage. Ersichtlich ist ferner, dass die Parteiführungen häufiger in ihrer Politikartikulation auf europäische Angelegenheiten verzichten. Während die Politikartikulation der Parteitage im Hinblick auf ihr Selektionsverhalten relativ heterogen ausfällt, lassen sich in der Politikartikulation der Parteiführungen Muster erkennen: Zunächst zeichnen sich die Grünen-Parteiführung und die CDU-Parteiführung durch eine über die Zeit kontinuierliche Aufmerksamkeit für EU-Themen aus, d. h. in nahezu allen Beobachtungszeiträumen machen diese beiden Parteiführungen europäische Themen zum Gegenstand ihrer Beschlussfassung. Verglichen zum Selektionsverhalten der anderen Parteiführungen greift die GrünenParteiführung insgesamt sichtlich mehr europäische Themen auf. Die CSUParteiführung hält sich am deutlichsten zurück; in nur vier der zehn beobachteten Jahre spielen die europäischen Themen für sie eine Rolle. Werden zusätzlich die Gemeinschaftsbeschlüsse mit der Parteiführung der Schwesterpartei berücksichtigt, dann erhöht sich die Anzahl auf fünf Beobachtungen. Insgesamt agiert die CSU-Parteiführung damit auffällig anders als die CDU-Parteiführung. In der Beschlussfassung der FDP-Parteiführung ist bis Mitte 2003 der europäische Themenkomplex nicht präsent. Erst danach spielen die europäischen Themen eine Rolle. Hier liegt eine zeitliche Koinzidenz mit dem Wiedereinzug einer FDPDelegation in das Europäische Parlament vor. Die einsetzende Aufmerksamkeit der FDP-Parteiführung für EU-Themen fällt in den Zeitraum vor den Europawahlen 2004. In diesem Zeitraum ist auch ein Anstieg der Themenhäufigkeit für die Parteiführungen von B90/Die Grünen und CSU erkennbar, sodass hier eher von einer Reaktion seitens der Parteiführungen auf die anstehenden Europawahlen ausgegangen wird als seitens der Parteitage. Wird die Politikartikulation der Parteiführungen gemeinsam mit der der Parteitage bewertet, dann zeigt sich zunächst deutlich, dass sich sowohl der GrünenParteitag als auch die Grünen-Parteiführung aufgrund ihrer hohen Themenhäufigkeiten deutlich von ihrer jeweiligen Vergleichsgruppe abheben. Veränderungen in der Aufmerksamkeit für EU-Themen im Zeitverlauf (Zu- oder Abnahme der Themenhäufigkeit) verlaufen zwischen diesen beiden innerparteilichen Akteuren parallel. Ferner ist auch bei der Grünen-Parteiführung ein deutlicher Anstieg der Themenhäufigkeit im Beobachtungsjahr 2006/07 erkennbar, also zum Zeitpunkt

10.2 Häufigkeiten europäischer Themen …

233

Abbildung 10.3 EU-Themenhäufigkeiten in der Politikartikulation der Parteiführungen, Juni 1999–Juni 2009. Anmerkungen: N = 630. Davon: B90/Die Grünen: 273; CDU: 94, CSU: 117, CDU/CSU: 33; FDP: 113. (Quelle: eigene Erhebungen)

der turnusmäßigen Übernahme der EU-Ratspräsidentschaft durch die Bundesrepublik in der ersten Jahreshälfte 2007. Ein genauerer Blick in die Beschlüsse der Grünen-Parteiführung zeigt, dass dieses Ereignis bewusst zum Anlass genommen wurde, sich dezidiert mit dem Programm der deutschen Ratspräsidentschaft auseinanderzusetzen, indem zum einen das Programm der Bundesrepublik und deren Umsetzung begleitet wurde und zugleich eigene Forderungen für die europäische politische Agenda verabschiedet wurden. Ein konträres Verhalten lässt sich innerhalb der Unionsparteien ausmachen: Im Gegensatz zum CDU-Parteitag wählt die CDU-Parteiführung kontinuierlich über die Zeit europäische Themen aus und nutzt zusätzlich im Zeitraum von Mitte 2001 bis Mitte 2004 das Instrument der Gemeinschaftsbeschlüsse mit der CSUFührung, um europäische Angelegenheiten aufzugreifen. Die Parteiführung der Schwesterpartei wiederum greift europäische Themen relativ selten auf und verhält sich ebenfalls anders als ihr Prinzipal, welcher kontinuierlich EU-Themen im beobachteten Zeitraum auf seine Agenda setzt. Auch innerhalb der FDP ist ein eher unterschiedliches Selektionsverhalten sichtbar, wonach sich der Parteitag beständiger über die Zeit den europäischen Themen widmet als die FDP-Parteiführung, deren ungebrochene Aufmerksamkeit für Europa erst ab Mitte 2003 einsetzt.

234

10

Europäische Themen Gegenstand …

10.2.3 Fraktionen Die Aufmerksamkeitsverteilung der drei Fraktionen für europäische Themen beschreibt zunächst, dass diese Themen kontinuierlich über die Zeit mit ihrer Politikartikulation adressiert werden (siehe Abbildung 10.4). Verglichen zu den anderen beiden innerparteilichen Akteuren greifen die Fraktionen aller Parteien europäische Themen wesentlich häufiger auf. Dieses empirische Resultat ist wenig überraschend, wenn ihre verfügbaren Ressourcen sowie ihr Informationszugang und ihre Rolle als Policy-Experten für die Parteien berücksichtigt werden. Hierbei variieren die Themenhäufigkeiten über die Zeit und zwischen den drei Fraktionen, jedoch treten enorme Niveauunterschiede seltener auf als bei den beiden anderen innerparteilichen Akteurstypen. Deutlich sichtbar ist, dass eine umfangreichere Ressourcenausstattung hinsichtlich Personal und Expertise (in einer größeren Fraktion) nicht in eine höhere Aufmerksamkeit für europäische Themen mündet. Stattdessen zeigt sich vielmehr umgekehrt, dass die beiden kleineren Fraktionen von B90/Die Grünen und der FDP den europäischen Themen über den gesamten Zeitraum mehr Aufmerksamkeit widmen. Die Verteilung der Themenhäufigkeiten und ihre Veränderungen im Zeitverlauf lassen sich wie folgt charakterisieren: Die Anzahl europäischer Themen in der Politikartikulation der B90/Grünen-Fraktion nimmt mit der Zeit zu. Ein sprunghafter Anstieg liegt auch hier zum Jahr 2006/7 vor; danach geht die Themenanzahl wieder zurück, verbleibt aber auf einem deutlich höheren Niveau als zuvor. Letzteres fällt mit ihrem Status als Oppositionspartei zusammen. Damit zeigt sich insgesamt, dass alle drei innerparteilichen Akteure der Grünen anlässlich der deutschen EU-Ratspräsidentschaft intensiver europäische Themen auswählen, sie also dieses Window of Opportunity nutzen, um häufiger über europäische Angelegenheiten zu kommunizieren. Auch in der FDP-Fraktion steigt die Anzahl ausgewählter europäischer Themen im Zeitraum der deutschen EU-Ratspräsidentschaft an. Darüber hinaus nimmt die Häufigkeitsverteilung europäischer Themen in der FDP-Faktion ein etwas andere Bild an: Im Zeitverlauf ergibt sich eher eine sinusähnliche Kurve, die im Mittel über den gesamten Zeitraum weder eine steigende noch fallende Tendenz erkennen lässt. Interessant ist die vergleichsweise stärkere Themenselektion in den ersten vier Untersuchungsjahren, in denen wiederum die anderen Fraktionen weniger häufig europäische Themen auswählen. D. h. europäische Themen stehen bereits in den frühen Untersuchungsjahren im Fokus der liberalen Fraktion und das relativ häufig, während die Bedeutung des europäischen Themenspektrums – ausgedrückt in einer steigenden Anzahl europäischer Themen – in den

10.2 Häufigkeiten europäischer Themen …

235

Abbildung 10.4 EU-Themenhäufigkeiten in der Politikartikulation der Fraktionen, Juni 1999–Juni 2009. Anmerkungen: N = 8.388. Davon: B90/Die Grünen: 3.465; CDU/CSU: 2.169; FDP: 2.754. (Quelle: eigene Erhebungen)

anderen Fraktionen erst über die Zeit stetig zunimmt. Die vergleichsweise hohe Aufmerksamkeit der FDP-Fraktion für die europäischen Themen fällt mit jener Zeit zusammen, in der die FDP über keine nationale Delegation im EP verfügt und die europäische Agenda von der FDP-Parteiführung nahezu ignoriert wird. Im Falle der FDP wird also sichtbar, dass die MdEP’ler wichtige Impulsgeber für die Themenselektion der Parteiführung sind, während Parteitag und Bundestagsfraktion auch in Abwesenheit einer nationalen EP-Delegation europäischen Themen Aufmerksamkeit schenken. Dennoch ist die EP-Delegation keineswegs ein Garant für die Thematisierung europäischer Angelegenheiten durch die Parteiführung, wie das äußerst selektive Verhalten der CSU-Parteiführung zeigt. Die Entwicklung der EU-Themenhäufigkeiten innerhalb der FDP weist ferner darauf hin, dass die Zuwendung zum europäischen Themenspektrum als grundsätzlich notwendig innerhalb der Partei eingeschätzt wird. Denn insbesondere bis Mitte 2004 scheint die FDP-Fraktion eine zentrale Kompensationsleistung für die fehlenden Akteure auf der europäischen Ebene zu erbringen. Dieser Gedanke wird im Lauf der empirischen Analyse weiterverfolgt. Denn sollte diese vermutete innerparteiliche Aufgabenteilung tatsächlich so bestehen, dann müssten auch veränderte inhaltliche Schwerpunkte in der Politikartikulation der FDP-Fraktion erkennbar sein. Die Selektionsentscheidungen der Unionsfraktion führen wiederum zu einem etwas anderen Verlauf der Häufigkeiten über die Zeit als bei den beiden kleineren

236

10

Europäische Themen Gegenstand …

Fraktionen: Ähnlich wie bei der Grünen-Fraktion nimmt die Themenhäufigkeit bis zur Periode 2004/05 kontinuierlich zu, bleibt aber unter dem Niveau der der Grünen-Fraktion, die in diesem Zeitraum die Regierung stellt. Anders als bei der Grünen-Fraktion sinkt die gemessene Themenhäufigkeit für die Unionsfraktion ab Mitte 2005 und damit mit der übernommenen Regierungsverantwortung. Gegensätzlich zum Verhalten der anderen beiden Fraktionen schlägt sich der Impuls der deutschen EU-Ratspräsidentschaft nicht in einem Anstieg der Themenselektion nieder, vielmehr nimmt die Themenhäufigkeit in dieser Zeit ab. Diese Abnahme könnte daraus resultieren, dass unter den Bedingungen der Ratspräsidentschaft die Kommunikation der Regierungsparteien zu den europäischen Angelegenheiten noch stärker im Kanzleramt gebündelt wurden, also stärker auf weitere Ressourcen, die den Regierungsparteien zur Verfügung stehen, zurückgegriffen wurde. Abgesehen von dieser Besonderheit, dass die deutsche Ratspräsidentschaft Anfang 2007 zu unterschiedlichen Veränderungen der Themenhäufigkeiten von Regierung- und Oppositionsfraktionen führt, kann mithilfe dieser Datenexploration kein systematischer Zusammenhang zwischen dem Regierungs/Oppositionsstatus und den Häufigkeiten von Entscheidungen für europäische Themen bei den Fraktionen aufgedeckt werden. Auffälligkeiten im Niveau der Themenhäufigkeiten im Vorfeld der Europawahlen 2004 wie etwa bei den Parteiführungen sind bei den Fraktionen ebenfalls nicht erkennbar.

10.3

Themenhäufigkeit in den Wahlprogrammen

Vor dem Hintergrund, dass das EU-Framing dominierend in den Europawahlprogrammen von Parteien ist (Binder und Wüst 2004; Brunsbach et al. 2012; Braun et al. 2016; John und Werner 2016) wird hier erwartet, dass sich dies auch auf die Anzahl thematisierter EU-Angelegenheiten durchschlagen müsste. D. h. es sollten mehr EU-Themen in die Europawahl- als in die Bundestagswahlprogramme einfließen. Für eine Bewertung der beobachteten variierenden Themenhäufigkeiten werden die zeitnahen Wahlprogramme miteinander verglichen.4 Zunächst ist sehr deutlich erkennbar, dass die EU-Wahlprogramme von B90/Die Grünen wesentlich mehr EU-Themen enthalten als ihre nationalen Wahlprogramme (siehe Abbildung 10.5). Grundsätzlich trifft dies auch für die 4

So werden potenzielle Entwicklungen beim Verfassen von Programmen, die über die Zeit eintreten, nicht zu stark überbewertet.

10.3 Themenhäufigkeit in den Wahlprogrammen

237

Wahlprogramme der FDP zu, auch wenn das Europawahlprogramm von 1999 nur geringfügig mehr europäische Themen enthält als das Bundestagswahlprogramm von 2002. Dass mehr EU-Themen in den Europawahlprogrammen zu finden sind, lässt sich in dieser Eindeutigkeit nicht für die Programme von CDU und CSU feststellen. Vielmehr kann die Anzahl europäischer Themen in der gemeinsamen Bundestagswahlprogrammatik höher sein als in den zeitnahen eigenen EU-Wahlprogrammen. Diese Beobachtungen unterstreichen ferner, dass ein dominierendes EU-Framing nicht zwangsläufig mit einer höheren Anzahl von EU-Themen korrespondiert. Ein vergleichender Blick auf die Wahlprogrammatik aller Parteien deckt auf, dass die Niveauunterschiede in den Themenhäufigkeiten deutlicher bei den EUWahlprogrammen ausfallen. Dies ist vor allem auf die beträchtlich größeren Themenhäufigkeiten in den EU-Programmen von B90/Die Grünen zurückzuführen. Damit setzen sich die beobachteten Niveauunterschiede in der Politikartikulation der innerparteilichen Akteure bei der EU-Wahlprogrammatik fort. Des Weiteren lässt sich im Zeitverlauf eine Zunahme europäischer Themen in der EU-Wahlprogrammatik von B90/Die Grünen, FDP und CSU erkennen, wenngleich in unterschiedlichem Ausmaß. In der CDU sinkt indes die Anzahl der thematisierten EU-Angelegenheiten über die Zeit und mit dem EU-Wahlprogramm von 2009 auf ein sehr deutliches Niveau im Vergleich zur Programmatik der Schwesterpartei. Auch in der Bundestagswahlprogrammatik ist über den gesamten Zeitraum tendenziell eine Zunahme von thematisierten EU-Angelegenheiten erkennbar. Zugleich fallen die niedrigen Werte in den Bundestagswahlprogrammen 2005 von der FDP und den Unionsparteien auf. Als eine mögliche Erklärung wird hier der besondere Kontext der Wahl von 2005 gesehen: Nach erneuten Wahlniederlagen auf der Landesebene im ersten Halbjahr 2005 stand die Bundesregierung unter Gerhard Schröder (SPD) unter einem hohen Handlungsdruck, zum einen durch die damit verlorene Mehrheit im Bundesrat und zum anderen aufgrund der nur hauchdünnen Mehrheit im Bundestag seit der Bundestagswahl 2002 (Bruter 2003: 145; von Alemann 2003: 43). Mit einer gescheiterten Vertrauensfrage am 1. Juli 2005 im Bundestag strebte Kanzler Schröder Neuwahlen an, womit er wohl auf eine Verbesserung seiner Handlungsoptionen hofft (Clemens und Saalfeld 2008; von Alemann und Spier 2008: 42; Holtmann 2009). Diese Neuwahlen wiederum wurden von den Oppositionsparteien als eine Chance bewertet, die rotgrüne Regierung abzulösen und wieder eine bürgerliche Koalition aus CDU/CSU

238

10

Europäische Themen Gegenstand …

Abbildung 10.5 EU-Themenhäufigkeiten in Wahlprogrammen, Juni 1999–Juni 2009. Anmerkungen: N = 1.635. EPW: Europawahlprogramme; BTW: Bundestagswahlprogramme. (Quelle: eigene Erhebungen)

und FDP in das Regierungsamt zu bringen. Infolgedessen wurden die Wahlprogramme vermutlich stärker genutzt, sich auf den nationalen Wettbewerb und nationale Themen zu konzentrieren.5 Zuvorderst zielte dieser Abschnitt zu den Wahlprogrammen darauf ab, die nötige Transparenz über die Datengrundlage für die weiteren Datenanalysen zu bieten. Insgesamt zeigt sich, dass in der Anzahl adressierter EU-Angelegenheiten wertvolle Informationen liegen, die die Framing-Analysen substanziell ergänzen.

10.4

Zusammenfassung

Die Exploration der Häufigkeiten von europäischen Themen von Parteitagen, Parteiführungen und Fraktionen über die Zeit deckte auf, dass Parteitage, Parteiführungen und Fraktionen mit einer gewissen Kontinuität den europäischen Angelegenheiten Aufmerksamkeit schenken und folglich Hypothese 1.1 bestätigt 5

Die vorgezogenen Wahlen und eine daraus resultierende kürzere Vorbereitungszeit für die Wahlprogramme führten nicht zu kürzeren Wahlprogrammen (vgl. hierzu die Angaben zu den Quasi-Sätzen im CMP/Marpor-Datensatz (Volkens et al. 2015)).

10.4 Zusammenfassung

239

werden kann. Deutlich wurde hierbei die Heterogenität im Selektionsverhalten (Entscheidungen für EU-Themen) in der jeweiligen Gruppe eines Akteurstyps. Unabhängig davon ist parteiübergreifend erkennbar, dass eine höhere Kontinuität und häufigere Selektion europäischer Themen eher den Parteitagen als den Parteiführungen obliegt und die Aufmerksamkeit der Fraktionen am ausgeprägtesten ist. Parteispezifische Besonderheiten zeigen sich ebenfalls: So wählen beispielsweise die Akteure von B90/Die Grünen europäische Themen insgesamt am häufigsten aus. Vergleichsweise hohe Themenhäufigkeiten liegen auch für die EU-Wahlprogrammatik der Grünen vor. Der CDU-Parteitag wiederum ist der einzige Prinzipal, der die EU-Themen nicht kontinuierlich über die Zeit auf seine Agenda setzt und über die Zeit nimmt die Anzahl europäischer Themen nur in der EU-Wahlprogrammatik der CDU ab. Anhand der FDP konnte gezeigt werden, dass mit der Existenz einer nationalen EP-Delegation durchaus ein verändertes Verhalten in der Politikartikulation einhergeht. Die Datenexploration in diesem Kapitel weist als erstes darauf hin, dass die MdEP’ler notwendige Impulse für die Politikartikulation liefern. Zugleich sind die EU-Abgeordneten keine hinreichende Bedingung dafür, dass die Parteiführung sich den EU-Themen auch tatsächlich widmet (siehe CSU-Parteiführung). Als zweites scheint die Fraktion wichtige Kompensationsleistungen für die fehlenden EU-Parlamentarier zu übernehmen. Ob sich diese parteispezifischen Besonderheiten auch in den weiteren Beobachtungen der Politikartikulation niederschlagen und hier systematische Zusammenhänge zur Parteiorganisation bestehen, wird mit den weiteren Analysen weiterverfolgt. Ebenso werden die präsentierten Vermutungen über die besondere Aufgabenteilung im Falle einer fehlenden EP-Delegation mit weiteren empirischen Analysen überprüft. Generell wurde bei der hier durchgeführten Dateninspektion kein systematischer Zusammenhang zwischen Regierungs- bzw. Oppositionsstatus und den Themenhäufigkeiten erkannt. Selbst wenn also für die Parteien unterschiedliche Anreizstrukturen im Umgang mit den europäischen Themen in Abhängigkeit ihrer Funktion im politischen System existieren, in der Anzahl der Selektionsentscheidungen für EU-Themen schlägt sich dies nicht eindeutig nieder. Einzig mit der Übernahme der EU-Ratspräsidentschaft lässt sich der Effekt erkennen, dass die Oppositionsfraktionen häufiger über EU-Themen kommunizieren als Regierungsfraktionen. Die turnusmäßige EU-Ratspräsidentschaft stellt durchaus eine besondere Situation für den jeweils verantwortlichen Mitgliedstaat dar – stellt sie doch eine direkte Verbindung zwischen den europäischen Angelegenheiten und dem Handlungsbereich der amtierenden Regierung her. Infolgedessen werden die mediale und öffentliche Aufmerksamkeit für die europäischen Geschehnisse in

240

10

Europäische Themen Gegenstand …

diesem Zeitraum vermutlich höher als gewöhnlich sein. In diesem Window of Opportunity kann sich eine häufigere Kommunikation zu europäischen Themen für die Oppositionsparteien in zweifacher Hinsicht als lohnend erweisen: Zum einen wird die eigene Expertise und Kompetenz unterstrichen und zum anderen können diese Themen vollständig in der Logik des Wettbewerbs zwischen Regierung und Opposition verwendet werden.

Thematische Abstraktion: Spezifische Einzelthemen in der Politikartikulation der innerparteilichen Akteure?

11

In der theoretischen Argumentation kommt dem thematischen Abstraktionsniveau eine grundsätzliche Bedeutung zu. Denn die theoretische Annahme, dass Themen der europäischen Politikgestaltung den Parteien die zusätzliche Option bieten, ihre Kompetenz – ein zentrales immaterielles Gut des politischen Wettbewerbs – zu unterstreichen, impliziert ein niedriges Abstraktionsniveau in der politischen Kommunikation. Demzufolge wurde dieses Merkmal leitgebend für die Datenerhebung. Das thematische Abstraktionsniveau beschreibt die thematische Konkretisierung und erfasst, in welcher Breite politische Themen in der Politikartikulation aufgegriffen werden. Gekoppelt an ein variierendes thematisches Abstraktionsniveau ist ein variierender inhaltlicher Gegenstand. So macht es einen Unterschied, ob allgemein über Umweltpolitik gesprochen wird oder beispielsweise konkret über die Bodenschutzrahmenrichtlinie. Gegenstand dieses kurzen Kapitels ist nun, einen explorativen Blick auf das thematische Abstraktionsniveau in der Politikartikulation der innerparteilichen Akteure zu werfen. Damit wird zunächst fundiert, inwieweit die implizite theoretische Bedeutung des Abstraktionsniveaus empirisch trägt. Des Weiteren kann so eine neue Perspektive auf die politische Kommunikation von Parteien gerichtet werden, die mit den etablierten inhaltsanalytischen Ansätzen in der Parteienforschung nicht möglich ist. Und schließlich widmet sich die Datendeskription etwaigen Auffälligkeiten in der Relevanz des thematischen Abstraktionsniveaus in der Politikartikulation der drei innerparteilichen Akteure und in den verschiedenen Parteiorganisationen.

© Der/die Autor(en), exklusiv lizenziert durch Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2021 S. John, Europäische Themen in deutschen Parteiorganisationen, Empirische Studien zur Parteienforschung, https://doi.org/10.1007/978-3-658-34797-0_11

241

242

11.1

11

Thematische Abstraktion: Spezifische Einzelthemen …

Anmerkungen zum analytischen Vorgehen

Dafür werden die europäischen Themen hinsichtlich dieses Merkmals beobachtet, wobei hier die thematische Konkretisierung so erfasst wird, wie sie in der Politikartikulation der innerparteilichen Akteure eine Rolle spielt. Für die Exploration ist das variierende thematische Abstraktionsniveau in der Politikartikulation der unterschiedlichen innerparteilichen Akteurstypen und in den unterschiedlichen Parteiorganisationen relevant. Folglich spielen die Themen in den Wahlprogrammen hier keine Rolle. Anders als im vorherigen Kapitel ist die Verteilung der europäischen Themen über die Zeit nicht entscheidend. Datengrundlage stellen alle Themen des Rohdatensatzes dar (vgl. Abschnitt 9.2.2, Abbildung 9.2). Technisch wird hierfür auf die Kreuztabellenlogik und die binär-logistische Regressionsanalyse zurückgegriffen. Erstere dient zur Abbildung des variierenden thematischen Abstraktionsniveaus. Letztere findet Anwendung, um Zusammenhänge zwischen dem thematischen Abstraktionsniveau und Parteiorganisationsmerkmalen abzubilden. Hierfür wird die Wahrscheinlichkeit des Auftretens eines breiteren Themas in der Politikartikulation modelliert. Unter breitere Themen werden hier alle Themen gefasst, die nicht auf dem Niveau spezifischer Einzelthemen formuliert worden sind. Im Kern widmet sich die Regressionsanalyse der beobachteten Themenvarianz in Abhängigkeit des innerparteilichen Akteurstyp und der Parteiorganisation (Variable P-Org.). Zudem wird auf einen Einfluss auf der Regierungsbeteiligung kontrolliert (Reg., Dummy-Variable). Des Weiteren fließt die Handlungsorientierung in der Sache ein (ThStrat., Dummy-Variable), womit darauf kontrolliert wird, inwiefern das gewählte Abstraktionsniveau in der politischen Kommunikation von der Auswahl strategischer oder operativer Themen beeinflusst ist. Die Exploration des thematischen Abstraktionsniveaus als ein Merkmal im Kontext der verschiedenen politischen Dokumente zeigte, dass es im Zusammenhang mit dem politischen Dokumententyp variiert und besonders in Pressemitteilungen eine höhere thematische Konkretisierung die politische Kommunikation kennzeichnet (vgl. Abschnitt 8.1.4). Deshalb wird auf den Dokumententyp (Pressemitteilung) kontrolliert (PM, Dummy-Variable).

11.2

Thematische Konkretisierung in der Politikartikulation

Ein erster Blick auf das angewandte thematische Abstraktionsniveau in der Politikartikulation der innerparteilichen Akteure deckt auf, dass die europäischen

11.2 Thematische Konkretisierung in der Politikartikulation

243

Angelegenheiten von allen drei Akteurstypen am häufigsten auf dem Niveau des spezifischen Einzelthemas thematisiert werden (siehe Tabelle 11.1). Dieser hohe Konkretisierungsgrad in der Politikartikulation ist an dieser Stelle insofern nichts Neues, da in Abschnitt 8.1.4 bereits aufgedeckt wurde, dass der Anteil spezifischer Einzelthemen insbesondere in Policy-Beschlüssen und Pressemitteilungen besonders hoch ist, also in jenen Dokumenten, die für die hier durchgeführte Analyse die Datengrundlage darstellen. Darüber hinaus unterstreicht die vergleichende Betrachtung der in Tabelle 11.1 präsentierten Daten, dass als erstes Parteiführungen und Parteitage häufiger auf breitere Themenzuschnitte zurückgreifen und als zweites sich die drei Fraktionen mit ihrer thematischen Konkretisierung ähnlicher sind als Parteitage und Parteiführungen in einer jeweils interparteilichen Vergleichsperspektive. Eine systematische Betrachtung des thematischen erfolgt mit der binär logistischen Regressionsanalyse (siehe Tabelle 11.2). Das grundlegende Modell gibt die signifikant sinkende Wahrscheinlichkeit breiterer Themen in der Politikartikulation der Fraktionen im Vergleich zum Parteitag wieder (Tabelle 11.2, Modell 1). Dieser Zusammenhang bleibt weitestgehend auch unter Hinzunahme weiterer Variablen bestehen. Nur unter Kontrolle des Dokumententyps hebt sich der Zusammenhang auf (Modell 5). Dies ist der starken Multikollinearität zwischen dem Akteurstyp Fraktion und dem Dokumententyp Pressemitteilung geschuldet, da nur die Pressemitteilungen in die Datenbasis für die Fraktion einfließen. Daraus folgt aber auch, dass die beobachteten Unterschiede im thematischen Abstraktionsniveau nicht endgültig auf den Akteurstyp zurückgeführt werden können. Eindeutig lässt sich hingegen formulieren, dass die Wahrscheinlichkeit breiterer Themen in Parteien mit einem stärkeren Prinzipal statistisch signifikant sinkt. Ferner geht mit strategischen EU-Themen eine größere Wahrscheinlichkeit einer höheren thematischen Abstraktion in der politischen Kommunikation einher (Tabelle 11.2, Modell 4). Hingegen hat die Regierungsbeteiligung keinen Einfluss auf die thematische Abstraktion in der Politikformulierung.

244

11

Thematische Abstraktion: Spezifische Einzelthemen …

Tabelle 11.1 Variierendes thematisches Abstraktionsniveau in der Politikartikulation der innerparteilichen Akteure Parteitag

Einzelthema Subthema-Politikfeld Politikfeld Gesamt

Einzelthema Subthema-Politikfeld Politikfeld Gesamt

Einzelthema Subthema-Politikfeld Politikfeld Gesamt

B90/Die Grünen 85,0 % (362) 10,1 % (43) 4,9 % (21) 100,0 % (426) B90/Die Grünen 87,9 % (240) 8,8 % (24) 3,3 % (9) 100,0 % (273)

CDU

CSU

77,2 % (183) 12,7 % (30) 10,1 % (24) 100,0 % (237) CDU*

71,5 % (193) 20,0 % (54) 8,5 % (23) 100,0 % (270) Parteiführung CSU*

89,0 % (121) 4,4 % (6) 6,6 % (9) 100,0 % (136)

76,0 % (114) 17,3 % (26) 6,7 % (10) 100,0 % (150)

87,6 % (99) 8,0 % (9) 4,4 % (5) 100,0 % (113)

74,8 % (95) 16,5 % (21) 8,7 % (11) 100,0 % (127)

B90/Die Grünen 90,3 % (3.128) 7,1 % (245) 2,7 % (92) 100,0 % (3.465)

FDP

Fraktion CDU/CSU 88,2 % (1.912) 7,5 % (163) 4,3 % (94) 100,0 % (2.169)

FDP

FDP 90,6 % (2.496) 6,9 % (189) 2,5 % (69) 100,0 % (2.754)

Anmerkungen: Anzahl der Themen in Klammern; ohne Wahl- und Grundsatzprogramme; *einschließlich der Unions-Gemeinschaftsbeschlüsse. Quelle: eigene Erhebungen.

Modell 1

Konstante

PM, Dummy

ThStrat., Dummy

Reg., Dummy

334,848

0,244

0,48

0,858

Odds Ratio

0,408 − 0,565

0,668 − 1,104

95 % K.I. f. Odds

Modell Chi-Quadrat 88,862(2), p < 0,001. Pseudo R2 0,007 (Cox & Snell), 0,014 (Nagelkerke). N = 12.289.

−1,409*** (0,077)

77,635

−0,734*** (0,083)

BTF

P-Org.

1,417

−0,153 (0,128)

97,407***

WaldStatistik

PF

IPA1

b (Std.Fehler)

Modell 2

0,831

0,039

0,478

0,868

Odds Ratio

0,012 − 0,127

0,406 − 0,563

0,675 − 1,117

95 % K.I. f. Odds

Modell Chi-Quadrat 118,295(3), p < 0,001. Pseudo R2 0,010 (Cox & Snell), 0,019 (Nagelkerke). N = 12.289.

0,601

28,965

−3,24*** (0,602)

−0,185 (0,239)

78,197

1,207

99,143***

WaldStatistik

−0,738*** (0,083)

−0,141 (0,129)

b (Std.Fehler)

Modell 3

0,857

0,917

0,039

0,476

0,862

Odds Ratio

0,809 − 1,04

0,012 − 0,127

0,404 − 0,561

0,67 − 1,109

95 % K.I. f. Odds

(Fortsetzung)

Modell Chi-Quadrat 120,119(4), p < 0,001. Pseudo R2 0,010 (Cox & Snell), 0,019 (Nagelkerke). N = 12.289.

0,415

1,806

−0,086 (0,064)

−0,155 (0,24)

28,936

78,943

1,339

99,623***

WaldStatistik

−3,249*** (0,604)

−0,742*** (0,084)

−0,149 (0,129)

b (Std.Fehler)

Tabelle 11.2 Logistische Regressionsanalyse zum thematischen Abstraktionsniveau in der Politikartikulation

11.2 Thematische Konkretisierung in der Politikartikulation 245

18,568 3,3

−2,627*** (0,61)

−0,118 (0,065)

0,868*** (0,058)

P-Org.

Reg., Dummy

ThStrat., Dummy

0,45

Modell 5

0,463

0,538

2,498

0,918

0,061

0,932

0,851

Odds Ratio

0,444 − 0,652

2,23 − 2,798

0,807 − 1,043

0,019 − 0,202

0,735 − 1,181

0,658 − 1,1

95 % K.I. f. Odds

Modell Chi-Quadrat 406,795(6), p < 0,001. Pseudo R2 0,033 (Cox & Snell), 0,063 (Nagelkerke). N = 12.289.

9,812

40,128

−0,62*** (0,098) −0,769** (0,246)

250,658

0,915*** (0,058)

2,128 − 2,667

1,722

20,982

0,339

1,522

1,533

WaldStatistik

−0,086 (0,065)

−2,792*** (0,61)

−0,07 (0,121)

−0,162 (0,131)

b (Std.Fehler)

0,783 − 1,009

0,022 − 0,239

0,447 − 0,623

0,656 − 1,094

Modell Chi-Quadrat 34,379(5), p < 0,001. Pseudo R2 0,027 (Cox & Snell), 0,054 (Nagelkerke). N = 12.289.

10,535

2,382

0,889

0,072

0,528

0,847

95 % K.I. f. Odds

Anmerkungen: Abhängige Variable thematische Abstraktion ist kodiert als 1 „breites Thema“ und 0 „engeres Thema“. 1 Innerparteiliche Akteure, Dummy-Kodierung, Baseline: Parteitag. PF: Parteiführung; BTF: Bundestagsfraktion, P-Org: Parteiorganisation, Reg.: Regierungsbeteiligung. * p < 0,05, ** p < 0,01, *** p < 0,001.

Konstante

−0,799*** (0,246)

56,684

−0,64*** (0,085)

BTF

226,839

1,616

−0,166 (0,131)

Odds Ratio

11

PM, Dummy

Modell 4

68,857***

WaldStatistik

PF

IPA1

b (Std.Fehler)

Tabelle 11.2 (Fortsetzung)

246 Thematische Abstraktion: Spezifische Einzelthemen …

11.3 Zusammenfassung

11.3

247

Zusammenfassung

Die Daten unterstreichen, dass die mit der theoretischen Argumentation implizit formulierte Erwartung an die politische Kommunikation trägt, wonach Parteien und ihre innerparteilichen Akteure tendenziell auf detaillierte Einzelmaßnahmen und spezifische EU-Themen eingehen. Zugleich muss hier offenbleiben, ob die höhere Relevanz breiterer Themen in Händen von Parteitag und Parteiführung tatsächlich eine akteursbezogene Besonderheit ist oder nicht doch auf die zugrundeliegenden Eigenschaften der verwendeten politischen Dokumente zurückzuführen ist. Analytisch spannend ist der beobachtete Parteiorganisationseffekt: Zeigen sich solch markante Unterschiede wie bei diesem Merkmal der politischen Kommunikation auch entlang anderer Merkmale bzw. Dimensionen der Politikartikulation? Das wird dann Gegenstand in Teil IV dieser Arbeit sein. Darüber hinaus stößt dieser beobachtete Unterschied weiterführende Fragen über die zugrundeliegenden Mechanismen an, welche jedoch nicht weiter im Rahmen dieser Arbeit verfolgt werden: Folgt aus einer stärkeren Position der Agenten eine tendenziell allgemeinere politische Kommunikation innerhalb der Partei? Steht das für einen größeren Handlungsspielraum, den sie beispielsweise bei der Umsetzung politischen Handelns im nationalen oder europäischen Parlament gegenüber den Agenten in Parteien mit einem stärkeren Prinzipal genießen? Wird zugleich mit einer tendenziell allgemeineren Politikartikulation vermieden, dass Widersprüche zwischen politischen Aussagen und politischem Handeln auftreten und damit die Bereitstellung von Glaubwürdigkeit leiden könnte?

Stellenwert des europäischen Themenkomplexes in der Politikartikulation innerparteilicher Akteure

12

Hauptforschungsinteresse der Arbeit liegt auf dem Umgang nationaler Parteien mit dem europäischen Themenkomplex. Entsprechend bleibt die weitere Politikartikulation der Parteien zu anderen Themen ausgeblendet. Dieses Kapitel zielt dennoch darauf ab, die Aufmerksamkeit der innerparteilichen Akteure für europäische Themen stärker in den Kontext ihrer gesamten Politikartikulation zu setzen. Diesem Anliegen liegt eine zweifache Motivation zugrunde: Als erstes können die präsentierten Daten zu den Selektionsentscheidungen für den europäischen Themenkomplex stärker qualitativ unterfüttert werden. Das erlaubt unter anderem eine weiterführende Reflexion bzw. empirische Absicherung des Arguments, Parteien und ihre innerparteilichen Akteure seien bereit, für diese Themen Ressourcen aufzubringen. Als zweites ermöglicht diese Einbettung der „europäisierten“ Politikartikulation weiterführende Überlegungen, die auf den gewonnenen Analyseergebnissen beruhen und die sich auch auf die nicht-europäisierte Politikartikulation beziehen. Mit der Zielsetzung, das Ausmaß der europäisierten Politikartikulation zu bestimmen, knüpft dieses Kapitel an den Forschungsstrang an, der sich dem programmatischen Europäisierungsgrad widmet und Aussagen über die Relevanz europäischer Themen trifft (u. a. Binder und Wüst 2004; Braun et al. 2007; Brunsbach et al. 2011; Brunsbach et al. 2012). Anders als in diesem Forschungsstrang üblich wird hier nicht mit dem europäisierten Textanteil (eines Dokuments) Elektronisches Zusatzmaterial Die elektronische Version dieses Kapitels enthält Zusatzmaterial, das berechtigten Benutzern zur Verfügung steht https://doi.org/10.1007/978-3-658-34797-0_12.

© Der/die Autor(en), exklusiv lizenziert durch Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2021 S. John, Europäische Themen in deutschen Parteiorganisationen, Empirische Studien zur Parteienforschung, https://doi.org/10.1007/978-3-658-34797-0_12

249

250

12

Stellenwert des europäischen Themenkomplexes …

als Indikator gearbeitet, da damit nur unzureichend variierende Textmaterialien berücksichtigt werden können. Der nachfolgende Abschnitt widmet sich deshalb zunächst dem hier verwendeten Indikator, dem relativen Anteil der europäisierten politischen Texte, und geht zudem auf einige Anmerkungen zum analytischen Vorgehen ein.

12.1

Anmerkungen zum analytischen Vorgehen

12.1.1 Indikator für den Stellenwert der europäisierten Politikartikulation Bisher ist der Anteil des sogenannten Framings – also die Einbettung politischer Aussagen in den europäischen Kontext – der etablierte Indikator für die Messung der europäisierten Politikartikulation, wobei in der Regel sämtliche Aussagen eines Wahlprogramms die jeweilige Grundgesamtheit darstellen (Binder und Wüst 2004; Braun et al. 2007; Brunsbach et al. 2011; Brunsbach et al. 2012). Mit der hier vorgenommenen Datenerhebung des europäischen Themenkomplexes ist dieses Vorgehen schlichtweg nicht möglich, denn dies erforderte eine zu den europäischen Themen korrespondierende Kodierung der nationalen Themen. Die vorliegende Datengrundlage ermöglicht indes die Verwendung eines anderen Indikators, der den Stellenwert der europäisierten Politikartikulation angibt und bislang in der Untersuchung der Politikartikulation von Parteien keine Rolle spielte: In Anlehnung an die quantitative Messung der Europäisierung der nationalen Gesetzgebung (Töller 2004; König und Mäder 2008; Töller 2008; König und Mäder 2009; Töller 2010) wird hier der relative Anteil der europäisierten politischen Texte erhoben. Als europäisierte Texte sind jene Dokumente definiert, die mindestens eine politische Aussage zu einem Aspekt des europäischen Themenkomplexes beinhalten.1 Die Berechnung des Stellenwerts setzt genaue Kenntnis über die Grundgesamtheit der politischen Texte eines innerparteilichen Akteurs voraus. Liegen

1

Unerheblich ist hierfür, ob sich der jeweilige Text ausschließlich einem oder mehreren europäischen Themen widmet oder ein anderes Thema Kern des politischen Textes ist. Denn allein das Aufgreifen eines europäischen Themas signalisiert die Berücksichtigung der europäischen Politikgestaltungsebene und eben auch dann, wenn sich der politische Text vornehmlich einem Thema widmet, das vorrangig in den subnationalen oder nationalen Kontext eingebettet ist.

12.1 Anmerkungen zum analytischen Vorgehen

251

hierzu keine genauen Angaben vor, wird von der Berechnung des Stellenwerts Abstand genommen.2 Bei der Berechnung des Stellenwerts für die drei Akteurstypen müssen akteursbedingte Besonderheiten für die Politikartikulation berücksichtigt werden, um Verzerrungen bei der Berechnung zu minimieren und Fehlschlüsse bei der Interpretation zu vermeiden. In besonderem Maße gilt dies für den Prinzipal, da dessen Tagungsfrequenzen über die Zeit in einer Partei und zwischen den Parteien in hohem Maße variieren und seine Zeitressourcen für die inhaltliche Beschlussfassung in hohem Maße mit seinen organisatorischen Aufgaben konkurrieren. Deshalb wird für die Parteitage als Bemessungsgrundlage jeder einzeln durchgeführte Parteitag herangezogen. So wird aufgefangen, dass in den Parteien unterschiedlich viele Parteitage innerhalb eines bestimmten Zeitraums durchgeführt werden und folglich der Stellenwert entweder die europäisierte Politikartikulation eines Parteitags oder die durchschnittliche europäisierte Politikartikulation mehrerer Parteitage widerspiegeln würde. Mit diesem Absichern einer äquivalenten Bemessungsgrundlage über die Zeit und/oder über die Parteitage der verschiedenen Parteien kann auch besser mit dem mathematischen Effekt relativer Anteile bei einer kleinen Grundgesamtheit umgegangen werden. Des Weiteren wird die Dokumentenauswahl für die jeweilige Grundgesamtheit ebenfalls sorgfältig an die Kontextbedingungen des Prinzipals angepasst. Satzungsbeschlüsse oder Beschlüsse mit organisatorischem Inhalt bleiben für die Ermittlung der jeweiligen Grundgesamtheit ausgeschlossen. In letzter Konsequenz führt dieses Vorgehen dazu, dass hier jene Parteitage von der Auswertung ausgeschlossen sind, an denen keine Inhaltsbeschlüsse verabschiedet wurden. Für den Akteur Parteiführung kann der Stellenwert der europäisierten Politikartikulation pro Kalenderjahr ermittelt werden, da die Tagungsfrequenz der Parteiführung über die Zeit und über die verschiedenen Parteien hinweg relativ homogen ist. Grundgesamtheit stellen hier sämtliche Policy-Beschlüsse dar. Die jährliche Ermittlung des Stellenwerts kann auch für die Fraktionen erfolgen. Die

2

Ursache hierfür ist die variierende Qualität in der Dokumentation zwischen Parteiarchiven (siehe Abschnitt 8.1.5). Die daraus folgende Annäherung an die Vollerhebung ist für die anderen Analysen in diesem Kapitel unproblematisch. Für die Berechnung des Stellenwerts indes ist eine Annäherung dann nicht ausreichend, wenn selbst durch verschiedene Datenzugänge keine sicheren Angaben über die Grundgesamtheit getroffen werden können, es sich aber zugleich nur um eine kleine Anzahl wie bei der Beschlusslage der Parteitage oder der Parteiführung handelt. In diesen Fällen würden schnell verzerrte Angaben resultieren.

252

12

Stellenwert des europäischen Themenkomplexes …

Ermittlung der Anteile europäisierter Dokumente beruht hierbei ausschließlich auf den Pressemitteilungen.3 Für die Einordnung der europäisierten Politikartikulation in die Politikartikulation der drei innerparteilichen Akteure werden die Wahlprogramme integriert und dem innerparteilichen Akteur zugeordnet, dem die finale Beschlussfassung obliegt. Insgesamt bietet der gewählte Indikator (Anteil der europäisierten Dokumente) den Vorteil, den Stellenwert europäisierter Politikartikulation über einen längeren Zeitraum und für verschiedene innerparteiliche Akteure abzubilden, ohne sämtliches Textmaterial der Grundgesamtheit einer aufwendigen Kodierung unterziehen zu müssen. Zugleich sind mit der relativ groben Konstruktion auch Nachteile verbunden: So lässt sie die substantielle Bedeutung aufgegriffener Themen außen vor – ein Problem, dass auch im Zusammenhang mit der quantitativen Messung der Europäisierung der nationalen Gesetzgebung diskutiert wird (Göler 2009). Zudem bleiben bereits aufgedeckte Unterschiede zwischen den Texttypen unberücksichtigt (siehe Kapitel 8, Abschnitt 8.1.4), was nicht ohne Einfluss auf die Interpretation und Vergleichbarkeit der ermittelten Stellenwerte bleibt.4 Deshalb wird auf einen intraparteilichen Vergleich weitestgehend verzichtet und stattdessen die interparteiliche vergleichende Perspektive auf äquivalente Parteiakteure eingenommen.

12.1.2 Explorative Datendeskription Aus eben genannten Gründen orientiert sich die Deskription des Stellenwerts der europäisierten Politikartikulation an den drei Akteurstypen. Hierbei wird wie in Kapitel 10 auf relevante Kontrollvariablen (nationale Delegation im EP, Status als Regierungspartei, individuelle Ressourcenausstattung) und Kontextbedingungen 3

Eine Hinzunahme der Fraktionsbeschlüsse würde die Erklärungskraft nicht signifikant erhöhen und nur Probleme inkludieren, die aus der Verwendung unterschiedlicher Dokumententypen resultieren könnten. 4 Wenn bereits die Erwähnung mindestens eines Themas zur Klassifizierung als europäisiertes Dokument ausreicht, dann fallen Beschlüsse tendenziell eher in die Gruppe der europäisierten Dokumente, da sie eher mehrere Themen beinhalten. In dieser Logik werden Pressemitteilungen eher nicht als europäisiert klassifiziert, da sie in der Regel nur ein Thema bzw. sehr wenige Themen aufgreifen. Zudem führt eine geringe Grundgesamtheit zu wesentlich größeren Ausschlägen bei relativen Werten, wenn sich die Teilmenge um eine Einheit erhöht. Heruntergebrochen auf die drei innerparteilichen Akteure heißt das: Die ermittelten Werte sind nur bedingt vergleichbar zwischen der Fraktion auf der einen Seite und der Parteiführung bzw. dem Parteitag auf der anderen Seite.

12.2 Die europäisierte Politikartikulation der Parteitage

253

(deutsche Ratspräsidentschaft, Wahlen und Besonderheiten bei Wahlen) geachtet. Für die Parteitage stützt sich hierfür die Analyse auf eine eigens erstellte Auflistung sämtlicher Zusammentreffen.5 Zudem werden die Ergebnisse zu den Themenhäufigkeiten (Kapitel 10) einbezogen. Von Interesse ist hierbei etwa, ob die mangelnde Aufmerksamkeit des CDU-Parteitags für die EU-Themen mit besonderen Restriktionen einhergeht und ob sich Niveauunterschiede in der Themenhäufigkeit auch so im Stellenwert abzeichnen. In diesem Kapitel ist die Deskription der Daten einem statistischen Analysemodell vorzuziehen, da so besser mit der variierenden Datenqualität umgegangen werden kann.

12.2

Die europäisierte Politikartikulation der Parteitage

Im Untersuchungszeitraum traten die Prinzipale der vier Parteiorganisationen bei insgesamt 86 Parteitagen zusammen, wobei sich diese Treffen auf 59 große und 27 kleine Parteitage verteilen. Davon widmeten sich lediglich drei Parteitage ausschließlich organisatorischen bzw. Personalangelegenheiten (CDU-Parteitag 2005; kleiner CDU-Parteitag 2006; CSU-Parteitag Oktober 2008). Wie oben ausgeführt werden Parteitage ohne inhaltliche Aufgaben von der weiteren Analyse ausgenommen, sodass in Summe 83 Parteitage mit Blick auf ihren Stellenwert europäisierter Politikartikulation betrachtet werden (57 große und 26 kleine Parteitage). Davon weisen lediglich knapp 13 Prozent keinerlei Verweise auf das europäische Themenspektrum auf. Parteitage ohne Referenzen zum europäischen Themenkomplex verteilen sich über alle Parteien. Im weiteren Verlauf wird auf den Stellenwert europäisierter Politikartikulation getrennt zwischen Parteitagen und kleinen Parteitagen eingegangen. Zum einen können so die Ergebnisse der Datengrundlage angemessen vorgestellt werden und zum anderen wird so der in der FDP fehlende kleine Parteitag adäquat berücksichtigt.

12.2.1 Parteitage Die grafische Darstellung unterstreicht die Präsenz europäischer Themen auf den einzelnen Parteitagen im gesamten Untersuchungszeitraum (siehe Abbildung 12.1). Für den CSU-Prinzipal spielt die europäisierte Beschlussfassung auf

5

Siehe detaillierte Aufstellung der Parteitage in Anhang C im elektronischen Zusatzmaterial.

254

12

Stellenwert des europäischen Themenkomplexes …

jedem CSU-Parteitag eine Rolle. Insgesamt ist die hohe Volatilität des Stellenwerts der europäisierten Politikartikulation auffällig. Eine Ursache liegt in der Natur der Daten, da bei einer stark limitierten Anzahl von Beschlüssen Veränderungen um eine Einheit zu relativ großen Veränderungen in den relativen Anteilen führen. Davon abgesehen spielt die europäisierte Politikartikulation keine unerhebliche Rolle, denn immerhin für gut die Hälfte alle Parteitage nimmt sie einen Stellenwert in einem Wertebereich zwischen 20 und 60 Prozent ein. Erkennbar sind hierbei Niveauunterschiede zwischen den Parteien: Die europäisierte Politikartikulation nimmt für die Parteitage der Grünen und der FDP höherer Werte ein als für die Parteitage der Unionsparteien (vgl. hierzu Tabelle 12.1). Eine weitere Auffälligkeit markieren auf der einen Seite die Parteitage, die sich durch eine vollständig europäisierte Politikartikulation auszeichnen und auf der anderen Seite Parteitage ohne Bezug zu europäischen Themen. Zunächst kann dieses große Ausmaß europäisierter Politikartikulation häufiger beobachtet werden (neun Parteitage) als das Phänomen, dass sich Parteitage nicht mit europäischen Angelegenheiten beschäftigen (sechs Parteitage). Zudem tritt die vollständig europäisierte Politikartikulation am häufigsten bei FDP-Parteitagen auf (vier Parteitage). Vor dem Hintergrund knapper Zeitressourcen sieht sich der Prinzipal stärker als die beiden anderen innerparteilichen Akteure Abwägungsprozessen ausgesetzt, welche Inhalte und Aufgaben er auf die Tagungsagenda setzt. Resultat kann eine starke Fokussierung eines angesetzten Parteitags auf bestimmte Inhalte oder organisatorische Aufgaben sein. Folglich sollten vollständig europäisierte Parteitage im Kontext von Europawahlen wahrscheinlicher sein und Parteitage ohne Berührungen mit EU-Angelegenheiten vor allem bei konkurrierenden Organisationsaufgaben oder anderen thematischen Schwerpunkten auftreten. Die vollständig europäisierte Politikartikulation steht nur beim FDP-Parteitag in einem unmittelbaren Zusammenhang mit den Europawahlen. In dieser inhaltlichen Fokussierung manifestiert sich zugleich die organisatorische Besonderheit, dass die FDP als einzige Partei in ihrer Satzung die Einberufung eines sogenannten Europaparteitags festgeschrieben hat (FDP-Bundessatzung, §15). Für die anderen Prinzipale lässt sich dieser Zusammenhang so nicht erkennen. Zunächst obliegt dem CDU-Parteitag nur im Jahr 1999 die Beschlussfassung über die EU-Wahlprogrammatik, die anderen Programme aus den Jahren 2004 und 2009 werden allein von der CDU-Parteiführung beschlossen. Der CSUPrinzipal beschäftigt sich mit der EU-Wahlprogrammatik auf seinen kleinen Parteitagen. Folglich steht die vollständig europäisierte Politikartikulation dieser

12.2 Die europäisierte Politikartikulation der Parteitage

255

Abbildung 12.1 Stellenwert der europäisierten Politikartikulation für die Parteitage, 1999– Juni 2009. Anmerkung: Beobachtungen: B90/Die Grünen: 20; CDU: 10; CSU: 10; FDP: 17. 2009 keine CDU- u. CSU-Parteitage im Untersuchungszeitraum. FDP-Datenpunkt 100 % Jahr 2004 bildet zwei Parteitage ab. (Quelle: eigene Berechnungen und Darstellung)

beiden Parteitage nicht im Kontext der Europawahlen. Vielmehr ist der hohe Stellenwert bei ihnen und beim Grünen-Parteitag eher zu beobachten, wenn nationale Wahlprogramme verabschiedet werden. Der Umstand fehlender europäisierter Beschlüsse lässt sich nicht schlüssig in Zusammenhang mit einer konkurrierenden Agenda etwa in Form von organisatorischen Aufgaben wie Wahlen der Parteiführung oder einer starken anderen inhaltlichen Fokussierung der Parteitage bringen. Zwar können andere thematische oder organisatorische Schwerpunkte mit einer fehlenden Aufmerksamkeit für EU-Angelegenheiten zusammenfallen. Zugleich weist der vergleichende Blick auf die europäisierte Politikartikulation und die Themensetzung der Parteitage darauf, dass eben auch bei anderen Schwerpunkten der Parteitage EU-Themen präsent sind. Werden diese Beobachtungen in Verbindung mit den zuvor präsentierten Ergebnissen zur Aufmerksamkeit für EU-Themen gebracht (vgl. Abschnitt 10.2.1), lässt sich festhalten, dass im Zeitraum 2005/06 der Fokus des CDU-Prinzipals auf andere Aufgaben bzw. thematische Schwerpunkte fällt und durchaus mit einer fehlenden Aufmerksamkeit für EU-Themen einhergeht. In diesem Zeitraum wurden zwei seiner drei Zusammentreffen ausschließlich organisatorischen Fragen gewidmet und das dritte Zusammentreffen im Rahmen eines kleinen Parteitags diente der Abstimmung über die Koalitionsvereinbarung.

256

12

Stellenwert des europäischen Themenkomplexes …

Gleiches lässt sich jedoch nicht zu den CDU-Parteitagen in den Zeiträumen 2002/03 und 2003/04 sagen. Selbst wenn also für 2005/06 eine gewisse Ressourcenbeschränkung attestiert wird, lässt sich mithilfe konkurrierender Aufgaben nicht erklären, weshalb der CDU-Prinzipal die europäischen Themen in seiner Beschlussfassung außen vorlässt und er sich damit von den anderen Prinzipalen unterscheidet. Tabelle 12.1 Kennziffern zum Stellenwert der europäisierten Politikartikulation der Parteitage Gesamt Median

B90/ Die Grünen

CDU

CSU

FDP

37,50

50,00

29,947

28,931

37,500

32,866

29,643

38,554

28,477

37,576

Minimum

0,0

0,0

0,0

12,5

0,0

Maximum

100,0

100,0

100,0

100,0

100,0

57

20

10

10

17

Standardabweichung

Beobachtungen

Anmerkungen: Datengrundlage sind die in Abbildung 12.1 präsentierten Beobachtungen. Quelle: eigene Berechnungen und Darstellung.

12.2.2 Kleiner Parteitag Der Blick auf die Tagungsfrequenz des kleinen Parteitags in den drei Parteien B90/Die Grünen, CDU und CSU6 zeigt zunächst, dass seine Einberufung zwischen den Parteien variiert: „Jährliche Zusammentreffen“ beschreibt am ehesten die Situation bei den Grünen und der CSU, bei den Grünen sind durchaus mehrmalige Treffen pro Jahr möglich. Somit ist der kleine Parteitag eine gut genutzte Ressource der Prinzipale von den Grünen und der CSU. Hingegen wird der kleine Parteitag der CDU wesentlich seltener einberufen (siehe Tabelle 12.2).

6

FDP entfällt, kein kleiner Parteitag vorhanden.

6 8 10 ---

k.A. 1 1 1 3 4 2 5 8 4 4 4 ---

4 1 1 1 1 2 0 3 4 66,6 50,0 40,0 --50,0 31,380 0,0 100,0

k.A. 100,0 100,0 100,0 33,3 50,0 0,0 60,0 50,0 ----2 1 n.b. -------

1 ---

1 1

----0 0 n.b. -------

1 ---

0 1

----0 0 n.b. ------22,5 43,944 0,0 100,0

100 ---

0 100

Kleiner Parteitag von … CDU Anzahl Beschlüsse Anteil gesamt europäisiert europäisiert

11 k.A. k.A. k.A.

--k.A. k.A.

41 4

1 29

2 1 1 1

--1 1

11 0

1 7

CSU Anzahl Beschlüsse gesamt europäisiert

18,2 k.A. k.A. k.A. k.A. k.A. k.A. k.A.

--k.A. k.A.

26,8 0,0

100,0 24,1

Anteil europäisiert

Anmerkungen: k.A.: keine genauen Angaben möglich; ---: keine Einberufung des kleinen Parteitags; n.b.: nicht berücksichtigt wegen fehlender inhaltlicher Agenda. Quelle: eigene Zusammenstellung und Berechnung.

2006 2007 2008 2009 Median Std.Ab. Min. Max.

2003 2004 2005

2001 2002

1999 2000

Jahr

B90/Die Grünen Anzahl Beschlüsse Anteil gesamt europäisiert europäisiert

Tabelle 12.2 Europäisierte Politikartikulation der kleinen Parteitage, 1999–2009

12.2 Die europäisierte Politikartikulation der Parteitage 257

258

12

Stellenwert des europäischen Themenkomplexes …

Aufgrund der geringeren Anzahl an Beobachtungen im Vergleich zum (großen) Parteitag wird hier nur kurz auf die beobachteten Werte eingegangen. Erkennbar ist das beständige Verabschieden europäisierter Beschlüsse auf den kleinen Parteitagen der Grünen und der CSU.7 Der Stellenwert europäisierter Politikartikulation ist relativ ähnlich zwischen dem kleinen und großen Parteitag der Grünen. Gleiches lässt sich schwerlich für die CDU attestieren, deren kleiner Parteitag seltener europäische Referenzen einbringt. Ein Zusammenhang zu seinen gesetzten Themenschwerpunkten und seiner Aufmerksamkeit für EU-Themen lässt sich hier nicht von der Hand weisen: So widmen sich die Zusammenkünfte in den Jahren 1999 und 2005 der Familienpolitik, für die die Europäische Union keine Kompetenzen innehat (keine europäisierten Beschlüsse), wohingegen den Schwerpunkten Bildungspolitik (2000) und Zuwanderungspolitik (2001) Kompetenzen bzw. Gestaltungsmöglichkeiten der EU gegenüberstehen (europäisierte Beschlüsse). In Summe veranschaulicht die Deskription eine beständige Präsenz und eine nicht unwesentliche Bedeutung der europäisierten Politikartikulation für den Prinzipal. Um sich den europäischen Themen zu widmen und ihnen eine gewisse Bedeutung beizumessen, wartet der Prinzipal nicht auf die Europawahlen als Impuls für seine Politikartikulation. Ferner unterstreicht der separate Blick auf die kleinen und großen Parteitage, dass die europäisierte Politikartikulation nicht den kleinen Parteitagen vorbehalten ist. Um den Stellenwert der europäisierten Politikartikulation des Prinzipals angemessen bewerten zu können, erwies sich das Einbeziehen der Kontextbedingungen der einzelnen Parteitage als äußerst fruchtbar. Zunächst zeigt sich, dass Parteiorganisations- und Politikformulierungsaufgaben nicht in einem einfachen Trade-Off-Verhältnis stehen. Im Allgemeinen werden beide Aufgabenbereiche auf den einzelnen Parteitagen integriert. Die Erhöhung der Tagungshäufigkeit über das formell vereinbarte Niveau schafft hierfür weitere Ressourcen. Liegt indes im Spezifischen eine starke Fokussierung auf organisatorische Aufgaben oder einen thematischen Schwerpunkt im Rahmen eines durchgeführten Parteitags vor, dann kann dies durchaus zu einer fehlenden europäisierten Politikartikulation führen. Um einen zwangsläufigen Mechanismus handelt es sich hierbei aber nicht.

7

Auch wenn für die CSU aufgrund der Archivlage relativ wenige Anteilwerte berechnet werden können, weisen zumindest die absoluten Zahlen für die europäisierten Beschlüsse darauf hin, dass europäische Referenzen der Standard denn die Ausnahme sind.

12.3 Die europäisierte Politikartikulation der Parteiführung

12.3

259

Die europäisierte Politikartikulation der Parteiführung

In der Beschlussfassung der Grünen-Parteiführung spielen europäische Themen seit dem Jahr 2000 durchgehend über den gesamten Untersuchungszeitraum eine Rolle (siehe Tabelle 12.3). Der Stellenwert der europäisierten Politikartikulation beträgt mindestens ein Drittel der jährlichen Beschlussfassung. Ein Anstieg in Beschlussanzahl und/oder Bedeutungszuwachs der europäisierten Politikartikulation ist nicht im Vorfeld der Europawahlen 2004 zu erkennen, aber in den Jahren 2005 bis 2007. Bereits anhand der Beobachtungen der Themenhäufigkeiten (vgl. Kapitel 10) konnte an dieser Stelle der Zusammenhang zur deutschen Ratspräsidentschaft in der ersten Jahreshälfte 2007 aufgezeigt werden. Mit der hier vorliegenden Analyseperspektive wird der stärkere Fokus auf EU-Angelegenheiten der Grünen-Parteiführung in diesem Zeitraum noch eindeutiger. Die Beschlussfassung der FDP-Parteiführung kennzeichnet eine interessante Entwicklung bezüglich verabschiedeter Beschlüsse und der europäisierten Politikartikulation: Zunächst zeigt sich grundsätzlich ab dem Jahr 2004 eine deutlich höhere Beschlussrate; folglich sind die geringen Fallzahlen europäisierter Beschlüsse in den Jahren 2001 und 2003 in ihrer Bedeutung für die Politikartikulation der FDP-Parteiführung jedoch weitaus entscheidender.8 Ab dem Jahr 2005 sind europäische Angelegenheiten offenkundig präsenter. Damit kann auch für die Politikartikulation der FDP-Parteiführung kein Zusammenhang zur Europawahl 2004 aufgezeigt werden. Aufgrund der insgesamt gestiegenen Beschlussfreudigkeit spiegelt sich allerdings die absolute Zunahme der europäisierten Beschlüsse nicht in einem zunehmenden Stellenwert europäisierter Politikartikulation wider. Mit dem veränderten Zuschnitt des Beobachtungszeitraums im Vergleich zu Kapitel 10 kann noch expliziter der Zusammenhang zwischen der Politikartikulation der Parteiführung und der Existenz der nationalen EP-Delegation aufgezeigt werden: Mit dem Wiedereinzug der FDP in das Europäische Parlament ist ab Juni 2004 die Vorsitzende der nationalen EP-Delegation, Silvana Koch-Mehrin, qua Amt als Mitglied im Präsidium vertreten. Zusätzlich ziehen mit den Bundesvorstandswahlen 2005 drei weitere Mitglieder der nationalen EP-Delegation in den FDP-Vorstand ein (FDP 2005, 2007),9 was insgesamt die personelle Präsenz jener individuellen Parteiakteure erhöht, die aktiv auf der europäischen

8 9

Vgl. hierzu die Beobachtungen 2001/02 und 2002/03 in Kapitel 10, Abbildung 10.3. Alexander Alvaro und Jorgo Chatzimarkakis sowie Alexander Graf Lambsdorff als Gast.

6

7

8

7

2

9

2

2003

2004

2005

2006

2007

2008

2009

1

4

2

6

5

3

2

2

50,0

44,4

100

85,7

62,5

42,7

33,3

66,6

k.A.

k.A.

Max.

FDP**

2

25

33

10

34

11

3

k.A.

3

1

k.A.

gesamt

3

9

0

2

0

1

0

0

1

10

10

europäisiert

Anzahl Beschlüsse

66,6

0,0

22,827

30,0

50,0

40,0

30,3

30,0

26,5

0,0

66,6

0,0

33,3

0,0

0,0

europäisiert

Anteil

CSU*

Union**

2

4

1

2

1

3

3

1

2

1

0

2

0

0

0

2

4

2

0

1

0

1

Anzahl Beschlüsse europäisiert

CDU*

2

0

0

0

1

3

2

4

0

0

0

Anmerkungen: k.A.: keine genauen Angaben möglich; *umfasst Bundesvorstand bzw. funktionale Äquivalente, **umfasst Bundesvorstand und Präsidium. Quelle: eigene Zusammenstellung und Berechnung.

0,0 100,0

Min.

29,430

3

2002

3

6

0,0

europäisiert

Std.Ab.

k.A.

2001

0

50,0

k.A.

2000

europäisiert

Anteil

Parteiführung von …

12

Median

k.A.

gesamt

Anzahl Beschlüsse

1999

Jahr

B90/Die Grünen*

Tabelle 12.3 Europäisierte Politikartikulation der Parteiführung, 1999–Juni 2009

260 Stellenwert des europäischen Themenkomplexes …

12.4 Die europäisierte Politikartikulation der Bundestagsfraktionen

261

Ebene in die Politikgestaltung involviert sind. Infolgedessen verbessern sich letztlich die personellen Ausgangsbedingungen in der FDP-Parteiführung, um diesem Themenkomplex mehr Aufmerksamkeit widmen zu können. Aufgrund von Unsicherheiten über die Grundgesamtheit an Beschlüssen der Unionsparteien wurde von der Berechnung des Stellenwerts der europäisierten Politikartikulation Abstand genommen. In Tabelle 12.3 ist deshalb ausschließlich die Anzahl der europäisierten Beschlüsse dokumentiert. Auf die geringere Präsenz europäischer Themen in der Politikartikulation der CSU-Parteiführung ist bereits in der detaillierten Deskription der EU-Themenhäufigkeiten eingegangen worden (vgl. Abschnitt 10.2.2). An dieser Stelle wird nur auf den auffälligen Anstieg in der Beschlussanzahl aufmerksam gemacht, welcher sich im Kontext der Europawahlen sowohl bei der CDU- als auch CSU-Parteiführung erkennen lässt. Zumindest im Falle der CDU-Parteiführung fließt ihre Beschlussfassung über die Wahlprogrammatik ein. Mit dieser markanten Erhöhung unterscheiden sich die beiden Akteure der Unionsparteien von denen der beiden anderen Parteien.

12.4

Die europäisierte Politikartikulation der Bundestagsfraktionen

Kennzeichnend für die Entwicklung des Stellenwerts europäisierter Politikartikulation ist die prägnante zunehmende Relevanz europäischer Themen für die Unionsfraktion und die Grünen-Fraktion über die Zeit (vgl. Abbildung 12.2). Dabei bestand seitens der Unionsfraktion zu Beginn der Beobachtungen eine vergleichsweise niedrige Bedeutung dieser Themen. Einen markanten Punkt nimmt in ihrer Politikartikulation das Jahr 2005 ein, da in diesem Jahr die Unionsfraktion mindestens jede fünfte Pressemitteilung europäischen Angelegenheiten widmet. Danach fällt der Stellenwert wieder markant ab, bleibt aber insgesamt auf einem höheren Niveau als im zuvor beobachteten Zeitraum. Die Grünen-Fraktion misst dem europäischen Themenkomplex einen vergleichsweisen hohen Stellenwert bei. Der Stellenwert unterscheidet sich ab 2007 sichtlich von den beiden anderen Fraktionen und wächst nochmals. Wenn mindestens jede vierte Pressemitteilung einen Bezug zum europäischen Themenkomplex herstellt, kann wahrlich nicht mehr von Themen gesprochen werden, die für die nationalen Parlamentarier zu wenig Anreize böten.

262

12

Stellenwert des europäischen Themenkomplexes …

In der FDP-Fraktion ist hingegen eine eher gleichbleibende Bedeutung der europäisierten Politikartikulation kennzeichnend. Ihre Relevanz bleibt dabei augenfällig über dem Niveau in der Unionsfraktion. Darüber hinaus ist der Stellenwert der europäisierten Politikartikulation relativ lange ähnlich zwischen den beiden kleinen Fraktionen; erst ab 2006 vergrößert sich der Abstand.

Abbildung 12.2 Stellenwert europäisierter Politikartikulation der Bundestagsfraktionen, Juni 1999–Juni 2009. Anmerkungen: Lineare Trendberechnung. (Quelle: eigene Berechnung und Darstellung)

Die Entwicklung des Stellenwerts ähnelt in hohem Maße der aufgezeigten Entwicklung der absoluten Themenhäufigkeiten (vgl. Abschnitt 10.2.3). Weniger deutlich wird hier jedoch die vergleichsweise hohe Themenintensität in Händen der FDP-Fraktion bis Mitte 2003. Indes zeigt sich wesentlich dezidierter, dass die Relevanz europäischer Themen in der Unionsfraktion weitestgehend unter dem Niveau in den beiden kleineren Fraktionen verbleibt und der fehlende Zusammenhang zwischen der Themenselektion und der Übernahme der Regierungsverantwortung. Letzteres wird besonders offenkundig, wenn zusätzlich die detaillierten Angaben in Tabelle 12.4 hinzugezogen werden: Die jährliche Anzahl veröffentlichter Pressemitteilungen unterstreicht, dass die Oppositionsparteien dieses Kommunikationsmittel in stärkerem Maße nutzen als die Regierungsparteien – ist es doch hinreichend für sie, die Regierungsarbeit kritisch zu

15,8

289

1830

3,5

55

1574

4,5

34

753

2000

13,6

238

1752

6,2

106

1707

13,9

100

720

2001

14,9

173

1159

3,3

53

1603

15,2

101

666

2002

16,5

212

1283

6,0

111

1835

19,9

165

830

2003

17,0

232

1362

11,9

207

1737

20,8

199

955

2004

16,7

228

1365

21,1

330

1561

16,0

206

1287

2005

11,1

167

1506

14,0

157

1124

18,7

313

1675

2006

Anmerkungen: Angaben 1999 und 2009 nur für den Zeitraum Januar bis Juni. Anteilswerte gerundet. Quelle: eigene Zusammenstellung und Berechnung.

75 9,3

PM europäisiert

804

Anteil europäisiert

Pressemitteilung ges.

FDP-Fraktion

33 3,4

PM europäisiert

Anteil europäisiert

Pressemitteilung ges.

983

8,4

Anteil europäisiert

CDU/CSU-Fraktion

48

575

PM europäisiert

Pressemitteilung ges.

Bündnis 90/Die Grünen-Fraktion

1999

17,0

257

1510

13,7

152

1111

26,1

370

1417

2007

Tabelle 12.4 Pressemitteilungen gesamt und europäisierte Politikartikulation der Fraktionen, 1999–Juni 2009

13,0

208

1600

12,4

133

1070

27,2

366

1345

2008

10,7

67

627

14,6

73

501

26,0

127

489

2009

12.4 Die europäisierte Politikartikulation der Bundestagsfraktionen 263

264

12

Stellenwert des europäischen Themenkomplexes …

kontrollieren bzw. zu begleiten und nicht unbedingt eigene Vorschläge präsentieren zu müssen. So steigt die Anzahl der Pressemitteilungen der Grünen-Fraktion nach der Rückkehr in die Opposition (2005) erheblich an, während sie für die CDU/CSU-Fraktion ab 2005 erkennbar zurückgeht und bei der FDP-Fraktion über die üblichen Schwankungen hinausgehend keine deutlichen Niveauveränderungen vorliegen. Insgesamt ist die Relevanz europäischer Angelegenheiten für die Fraktionen also unverkennbar und impliziert, dass ausreichend Anreizstrukturen für die Parlamentarier eines nationalen Parlaments bestehen, sich beständig mit europäischen Angelegenheiten auseinanderzusetzen. Offensichtlich bestehen diese Anreizstrukturen auch vor den später einsetzenden Krisen in Europa. Die hier präsentierten Ergebnisse ergänzen somit Ergebnisse aus jüngeren Studien (Rauh 2015; Wonka 2015). Von einer weitergehenden Bewertung des Relevanzniveaus wird hier bewusst Abstand genommen: Erstens fehlen Informationen über die abgedeckten europäischen Inhalte und zweitens würde hier ausschließlich eine normativ-subjektive Erwartungshaltung als Bewertungsgrundlage dienen, um letztlich die Angemessenheit der Anteile einer europäisierten Politikartikulation einzuschätzen.

12.5

Zusammenfassung

Mithilfe des Stellenwerts wurde in diesem Kapitel die europäisierte Politikartikulation in den Kontext der Politikartikulation der drei innerparteilichen Akteure gesetzt. Trotz seiner Schwächen ermöglicht der angewandte Indikator erstmalig einen Blick auf die Relevanz des europäischen Themenkanons in der innerparteilichen Perspektive und geht somit über die etablierte Relevanzmessung basierend auf Wahlprogrammen hinaus. Die explorative Perspektive weist auf einen fehlenden systematischen Zusammenhang zwischen der Relevanz der europäisierten Politikartikulation und dem Regierungs-/Oppositionsstatus hin. Im Zusammenhang mit Kapitel 10 lässt sich hervorheben, dass sich die aufgedeckte höhere Themenselektion durch die Parteiakteure von B90/Die Grünen auch im hier präsentierten Stellenwert europäisierter Politikartikulation widerspiegelt. Das Nichtbeachten europäischer Angelegenheiten zeigt sich bei drei innerparteilichen Akteuren: Für den CDU-Parteitag konnte im Rahmen dieses Kapitels unter Rückgriff auf die Parteitagsschwerpunkte herausgearbeitet werden, dass mangelnde Aufmerksamkeit für EU-Themen mit konkurrierenden organisatorischen Aufgaben und anderen Themenschwerpunkten einhergeht. Zugleich bietet

12.5 Zusammenfassung

265

diese Konkurrenz um knappe Zeitressourcen dafür nur bedingt eine umfängliche Erklärung, wie die vielen anderen Parteitage belegen. Liegt also innerhalb der CDU eine besondere Aufgabenteilung in der Politikartikulation vor? Fehlende Aufmerksamkeit der FDP-Parteiführung für EU-Themen steht in unmittelbarem Zusammenhang mit der fehlenden EP-Delegation. Zugleich führt diese mangelnde Aufmerksamkeit zu einer angepassten Politikartikulation der FDP-Fraktion, die die fehlende europäisierte Politikartikulation der Parteiführung kompensiert. Die Beobachtungen zur CSU-Parteiführung weisen aber darauf hin, dass die Existenz einer nationalen EP-Delegation keinesfalls eine hinreichende Bedingung für eine beständige europäisierte Politikartikulation einer Parteiführung ist. Fokussiert sich die CSU-Parteiführung besonders ausgeprägt auf strategische EU-Themen? Insgesamt zeigt sich hier also ein spannendes Feld auf, sodass im weiteren Verlauf der Analysen auch der Blick auf diese besonderen Fälle der Nichtselektion gerichtet sein wird.

Teil IV Empirische Ergebnisse

Der vierte Teil der Forschungsarbeit widmet sich nun der Beantwortung der spezifischen (Teil-)Fragen und der Überprüfung der Hypothesen, die in Summe Antworten auf die leitgebende Fragestellung geben sollen, wie die deutschen Parteiorganisationen mit dem europäischen Themenkomplex in ihrer Politikartikulation umgehen. In sieben Kapiteln werden die empirischen Ergebnisse präsentiert, um dem facettenreichen Blick auf die Politikartikulation und der Vielschichtigkeit der Fragen gerecht zu werden. Von Interesse sind hierbei (1) die gewählten Themen der vier Parteien und ihrer innerparteilichen Akteure, (2) parteiübergreifende Gemeinsamkeiten zwischen den innerparteilichen Akteurstypen, (3) Heterogenität innerhalb einer Parteiorganisation und (4) die Unterschiede zwischen der Politikartikulation im Wahl- und Nichtwahlkontext. Im Detail vertiefen die einzelnen Kapitel spezifische Facetten und Fragen: Kapitel 13 widmet sich der Relevanz von Themen der europäischen Politikgestaltung in der Politikartikulation der innerparteilichen Akteure. Ferner richtet das Kapitel den explorativen Blick auch auf die Wahlprogrammatik, sodass Unterschiede zwischen dem Wahlkontext und dem Nichtwahlkontext aufgedeckt werden. Beschäftigen sich die innerparteilichen Akteure mit der europäischen Umweltpolitik, der europäischen Fischereipolitik oder mit der Gemeinsamen Außenund Sicherheitspolitik (GASP)? Diese explorative Fragestellung greift Kapitel 14 etwas weitergefasst auf, indem es analysiert, welchen europäischen Politikfeldern die innerparteilichen Akteure Aufmerksamkeit schenken, ob dabei bestimmte Politikfelder mehr Beachtung finden als andere und welche EU-Politikfelder hierbei als die wichtigsten einzustufen sind. Ebenfalls kommt auch hier die komparatistische Perspektive zwischen der akteursorientierten Politikartikulation und der Wahlprogrammatik zur Anwendung.

268

Teil IV: Empirische Ergebnisse

Während Kapitel 13 und Kapitel 14 sich somit vorrangig der Frage widmen, welche europäischen Themen die innerparteilichen Akteure mit ihrer Politikartikulation adressieren und inwiefern sich ihre Themenselektion von den präsentierten EU-Themen in den Wahlprogrammen der Parteien unterscheidet, rückt Kapitel 15 die Parteiorganisationsperspektive in den Mittelpunkt und widmet sich der innerparteilichen thematischen Ähnlichkeit in den vier Parteiorganisationen von B90/Die Grünen, CDU, CSU und FDP. Einerseits liefert das Kapitel Ergebnisse zum Ausmaß der innerparteilichen Heterogenität und andererseits deckt es Muster in der thematischen Ähnlichkeit auf, die auf eine inhaltlich orientierte Aufgabenteilung schließen lassen. Kapitel 16 vertieft die aufgedeckte innerparteiliche Heterogenität zwischen den innerparteilichen Akteuren und analysiert Einflussfaktoren auf die unterschiedliche Aufmerksamkeitsstärke für die europäischen Themen in der Politikartikulation der innerparteilichen Akteure. Konkret wird in diesem Kapitel untersucht, inwiefern sich diese Stärke der Aufmerksamkeit mithilfe der vermuteten unterschiedlichen Bedeutung von Parteisalienz und exogener EU-Handlungsagenda für die Politikartikulation der innerparteilichen Akteure erklären lassen. Darüber hinaus verfolgt das Kapitel, ob die Aufmerksamkeit für EU-Themen in den Wahlprogrammen tatsächlich stärker von der Parteisalienz als von der EU-Handlungsagenda geprägt ist. Kapitel 17 beschäftigt sich mit der innerparteilichen Heterogenität aus einem anderen Blickwinkel und bietet weitere Erkenntnisse zur inhaltlich orientierten Aufgabenteilung in den Parteiorganisationen, indem es überprüft, ob die Parteiführung eher für strategische EU-Themen zuständig ist und sich die Fraktionen als Agenten in der nationalen Legislative stärker den operativen europäischen Themen widmen. Die thematische Durchdringung einer Parteiorganisation ist Gegenstand von Kapitel 18. Somit widmet sich dieses Kapitel einer besonderen Variante der thematischen Ähnlichkeit, nämlich inwiefern tatsächlich dieselben Themen Gegenstand der Politikartikulation von mehr als einem innerparteilichen Akteur sind. Anhand des Ausmaßes der thematischen Durchdringung werden Rückschlüsse auf die Aufgabenteilung und das Zusammenwirken der drei innerparteilichen Akteure in der Politikartikulation gezogen. Kapitel 19 verfolgt die weiterführende Fragestellung, ob die europäischen Themen, die von allen drei innerparteilichen Akteuren einer Partei aufgegriffen werden und deshalb aus Sicht der Parteiorganisation von besonderer Relevanz sind, sich von jenen Themen unterscheiden, die ausschließlich in die Politikartikulation eines innerparteilichen Akteurs einfließen bzw. nur von zwei innerparteilichen Akteuren aufgegriffen werden.

Relevanz der Europäischen Politikgestaltung? Eine Verortung innerhalb des europäischen Themenspektrums

13

Der erste Teil der theoretischen Argumentation stellt in den Vordergrund, dass der europäische Themenkomplex und hierbei insbesondere Themen der europäischen Politikgestaltung für die nationalen Parteien Gelegenheit böten, ihre Kompetenz zu signalisieren. Folglich sollten diese europäischen Themen beständig Gegenstand ihrer Politikartikulation sein und ihnen grundsätzlich eine hohe Relevanz beigemessen werden (Hypothese 1.2). Mit dem empirischen Fokus auf die Relevanz der europäischen Politikgestaltung innerhalb des europäischen Themenkomplexes greift das Kapitel diese Hypothese auf. In erster Linie werden die drei innerparteilichen Akteure parteiübergreifend betrachtet, um so über die verschiedenen Parteiorganisationen hinweg etwaige Muster in der Themenrelevanz aufzudecken. Zusätzlich wird dieser akteursorientierten Perspektive die Relevanz der europäischen Politikgestaltung in den Wahlprogrammen der Parteien gegenübergestellt. Dieses Kapitel nimmt auch die theoretische Argumentation der innerparteilichen Varianz in der Politikartikulation auf. So müsste sich die Politikartikulation der FDP-Parteiführung mit dem Einzug der nationalen Delegation in das Europäische Parlament dahingehend verändern, dass eine deutliche höhere Aufmerksamkeit für europäische Policy-Themen sichtbar werden sollte (Hypothese 5.1). Des Weiteren findet in diesem Kapitel Beachtung, dass EU-Angelegenheiten im Kontext der nationalen Implementierung relevanter für die Fraktionen als Elektronisches Zusatzmaterial Die elektronische Version dieses Kapitels enthält Zusatzmaterial, das berechtigten Benutzern zur Verfügung steht https://doi.org/10.1007/978-3-658-34797-0_13.

© Der/die Autor(en), exklusiv lizenziert durch Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2021 S. John, Europäische Themen in deutschen Parteiorganisationen, Empirische Studien zur Parteienforschung, https://doi.org/10.1007/978-3-658-34797-0_13

269

270

13

Relevanz der Europäischen Politikgestaltung? …

für die anderen beiden innerparteilichen Akteure sind (Hypothese 3.4) und dass Parteiführungen eher den strategischen EU-Angelegenheiten, insbesondere aus dem Polity-Bereich, Aufmerksamkeit schenken als die anderen beiden innerparteilichen Akteure (Hypothese 3.2). Direkte Aussagen zur inhaltlich orientierten Aufgabenteilung sind dabei aber nicht die Zielsetzung dieses Kapitels. Vielmehr wird hier beleuchtet, ob die erwartete inhaltlich orientierte Aufgabenteilung mit einer höheren Relevanz dieser Themen in der Politikartikulation der einzelnen Akteure einhergeht. Die nötige intraparteiliche vergleichende Perspektive zur Überprüfung der Hypothesen 3.2 und 3.4 und damit der Bewertung der inhaltlich orientierten Aufgabenteilung wird erst in späteren Kapiteln eingenommen.

13.1

Anmerkungen zum analytischen Vorgehen

Um die Relevanz der europäischen Politikgestaltung zu bewerten, wird das höchste thematische Abstraktionsniveau verwendet. Dafür stellen Beobachtungssets 1 und 2 die Datenbasis dar. Folglich wird evaluiert, ob und in welchem Ausmaß die ausgewählten europäischen Themen den fünf Themenbereichen (1) Europäisches Vertragswerk, (2) Geografische Erweiterung, (3) das institutionelle Design, (4) die europäische Politikgestaltung und (5) nationale Politikgestaltung im europäischen Regulierungskontext zugeordnet sind. Mit den Themenbereichen (1) bis (3) werden EU-Polity-Themen ausdifferenziert (vgl. Abschnitt 4.1). Die Bewertung des abgedeckten Themenspektrums fließt implizit in die qualitative Datenexploration ein.1 Um die Relevanz der fünf verschiedenen europäischen Themenbereiche zu evaluieren, werden nachfolgend die relativen Anteile der Themenbereiche präsentiert. Eine besondere Bedeutung eines Themenbereichs für einen innerparteilichen Akteur liegt vor, wenn dem Themenbereich in jedem Beobachtungsjahr die höchste Aufmerksamkeit verglichen zu den anderen Themenbereichen zukommt. Im Falle der Wahlprogramme wird von einem dominierenden Themenbereich gesprochen, wenn mit mehr als die Hälfte der EU-Themen in einem Wahlprogramm einem Themenbereich zugeordnet sind. Als erstes wird die Stärke der Aufmerksamkeit für Themen von jedem innerparteilichen Akteur beobachtet. Erkenntnisse werden im Rahmen dieses Kapitels im Wesentlichen durch die akteursorientierte Perspektive gewonnen. Als zweites

1

Eine Überführung der Themenabdeckung für die fünf Themenbereiche in standardisierte Werte findet hier nicht statt, da die geringe Anzahl an Themen systematisch eine hohe Themenabdeckung befördert.

13.1 Anmerkungen zum analytischen Vorgehen

271

wird die Aufmerksamkeitsstärke für Themen in den Wahlprogrammen analysiert. Dafür werden Bundestags- und Europawahlen getrennt beobachtet.2 Mit dieser nach Wahlkontexten getrennten Beobachtung kann besser nachvollzogen werden, ob der variierende Wahlkontext mit deutlichen Unterschieden in der Themenselektion einhergeht. Zum anderen wird die vergleichende Perspektive auf die Politikartikulation der innerparteilichen Akteure und die Bedeutung der fünf europäischen Themenbereiche in den Wahlprogrammen gerichtet. Die besondere Themenbedeutung wird für die europäische Politikgestaltung erwartet. Weichen die gemessenen relativen Anteile von dieser Erwartung ab, dann wird als erstes darauf geachtet, ob womöglich die Agenda europäischer Finalitätsfragen (Indikator I für die europäische Handlungsagenda (Finalitätsfragen); Dummy-Variable B) mit einer geringeren Bedeutung der europäischen Politikgestaltung in der Politikartikulation der innerparteilichen Akteure einhergeht. Als zweites wird beobachtet, ob die Abweichungen vor allem bei den Parteiführungen auftreten. Dabei wird insbesondere auf eine höhere Relevanz für die Themenbereiche zur grundlegenden Ausgestaltung der EU (geografische Erweiterung, europäisches Vertragswerk und institutionelles Design) geachtet. Denn diese Themenbereiche umfassen grundsätzlich mehr strategische EU-Themen als die anderen beiden Themenbereiche. Läge systematisch eine höhere Relevanz der Polity-Themenbereiche in der Politikartikulation der Parteiführung vor, dann würde die erwartete innerparteiliche Aufgabenteilung bezüglich der strategischen EU-Themen auch mit einer höheren Relevanz dieser Themen für die Parteiführung einhergehen. Als drittes wird die die Bedeutung des Themenbereichs „Nationale Politikgestaltung im EU-Regelungskontext“ beobachtet, wobei hier eine relativ hohe Bedeutung für die Fraktionen erwartet wird. Diese relativ hohe Bedeutung sollte sich in der individuellen Themenselektion niederschlagen. Auch in diesem Kapitel fließen die Kontrollvariablen Regierungsbeteiligung und Existenz der EP-Delegation ein. Letzteres erfordert wie zuvor eine besondere Betrachtung der FDP-Akteure, wofür ein vergleichender Blick sowohl auf die zwei Perioden (ohne und mit EP-Delegation) als auch auf die innerparteilichen Akteure der anderen Parteien eingenommen wird. 2

Substantiell unterscheiden sich die hier präsentierten Ergebnisse von den bisherigen Manifesto-Studien für die Messung der Europäisierung der Parteiprogrammatik (etwa bei Binder und Wüst 2004; Pennings 2006; Brunsbach et al. 2011; Brunsbach et al. 2012; John und Werner 2016). Denn beobachtet wird hier die Anzahl der aufgegriffenen EU-Themen unabhängig von den sich wiederholenden Betonungen innerhalb eines Wahlprogramms und unabhängig von weiteren politischen Themen, die nicht im europäischen Kontext aufgegriffen werden.

272

13

Relevanz der Europäischen Politikgestaltung? …

Um die deskriptiven als auch erklärenden Elemente in diesem Kapitel zusammenzuführen, beruht die Auswertung in diesem Kapitel auf einem qualitativen Fallvergleich. Das ermöglicht zum einen eine sinnvolle Präsentation der neuen Daten. Zum anderen können so Probleme vermieden werden, die mit einer Anwendung statistischer Auswertungsverfahren verbunden wären. Die Probleme basieren im Wesentlichen auf der Datenstruktur der abhängigen Variablen. Mit den vorliegenden Prozentwerten liegt eine zensierte Datenstruktur vor (Wertebereich [0,100]), die nicht mit einer OLS-Regressionsanalyse ausgewertet werden kann, ohne die Gefahr verzerrter Schätzer einzugehen. Der Datenstruktur angemessene Verfahren wie etwa Tobit- oder Fractional-Logit-Regressionsanalysen beruhen auf einer Maximum-Likelihood-Schätzung, die wiederum höhere Anforderungen an die Mindestanzahl von Beobachtungen stellen (Long 1997), die mit der Beobachtung der fünf Themenbereiche nicht erfüllt sind. Ergo können existierende statistische Lösungen für die hier verfolgte Problemstellung keine Parameterschätzungen liefern, ohne dass die Unsicherheit verzerrter Resultate ausgeräumt werden kann. Folglich ist im Rahmen der hier gewünschten Auswertung der qualitative Fallvergleich vorzuziehen und auf Angaben in Effektstärken zu verzichten.

13.2

Muster in der Themenrelevanz der innerparteilichen Akteure

13.2.1 Parteitage Für alle Parteitage ist die europäische Politikgestaltung der wichtigste der fünf Themenbereiche (siehe Abbildung 13.1 und Abbildung 13.2). Es kann sogar von einer Dominanz des europäischen Policy-Making gesprochen werden. Denn über die Hälfte der ausgewählten europäischen Themen der vier Parteitage gehören fast über den gesamten Zeitraum zu diesem Themenbereich. Abweichungen3 von diesem generellen Dominanzmuster resultieren aus einer stärkeren Bedeutung der Themenbereiche zur zugrundeliegenden Struktur der EU (EU-Verträge, institutionelles Design4 ) und/oder des Themenbereichs der geografischen Erweiterung. 3

In Summe acht Beobachtungen von insgesamt 36 Beobachtungen für die Parteitage. Gemäß der Kodieranleitung für die Datenerhebung lassen sich diese beiden Themenbereiche klar voneinander abgrenzen, da Diskussionen zum institutionellen Design im Kontext eines spezifischen Vertrags unter dem Themenbereich EU-Verträge erfasst sind.

4

13.2 Muster in der Themenrelevanz der innerparteilichen Akteure

273

Abbildung 13.1 Relevanz der fünf europäischen Themenbereiche für die Parteitage von B90/Die Grünen und FDP, Juni 1999–Juni 2009. Anmerkungen: Relative Häufigkeiten der fünf europäischen Themenbereiche pro Beobachtungsperiode. (Quelle: eigene Berechnung und Darstellung)

Fast alle Abweichungen fallen in den Zeitraum zwischen 1999 und Mitte 2004, also in genau jenen Zeitraum, in dem auf europäischer Ebene diese Fragen präsent sind – mit den zentralen Ereignissen wie die Verhandlungen des Nizza-Vertrags im Jahr 1999 (Beschlussfassung 2000), der relativ schnell folgenden LaekenErklärung des Europäischen Rates im Dezember 2001 zur Einberufung eines Konvents für die Überarbeitung der Unzulänglichkeiten des Nizza-Vertrags, die Vorlage eines Verfassungsentwurfs im Juli 2003 durch den Konvent und nicht

274

13

Relevanz der Europäischen Politikgestaltung? …

Abbildung 13.2 Relevanz der fünf europäischen Themenbereiche für die Parteitage von CDU und CSU, Juni 1999–Juni 2009. Anmerkungen: Relative Häufigkeiten der fünf europäischen Themenbereiche pro Beobachtungsperiode. (Quelle: eigene Berechnung und Darstellung)

zuletzt die Durchführung der größten geografischen Erweiterungsrunde der EU im Mai 2004. Anders als bei den präsentierten Themenhäufigkeiten in Abschnitt 10.2.1 lässt sich hier keine Veränderung in der Themenrelevanz erkennen, die in Zusammenhang mit der deutschen Ratspräsidentschaft in der ersten Jahreshälfte 2007 steht. Zwar greifen innerparteiliche Akteure der Grünen und der FDP während der deutschen Ratspräsidentschaft mehr europäische Themen auf. Die höhere

13.2 Muster in der Themenrelevanz der innerparteilichen Akteure

275

Themenselektion geht jedoch nicht mit einem veränderten thematischen Fokus einher. Trotz der beobachteten Gemeinsamkeit zwischen den vier Prinzipalen, dass mit der EU-Finalitätsagenda eine höhere Relevanz der Polity-Themenbereiche (EUVertragswerk, geografische Erweiterung und institutionelles Design der EU) in ihrer Politikartikulation einhergeht, existiert ein variierendes Relevanzniveau der einzelnen Themenbereiche. Am auffälligsten sind hier die Abweichungen des FDP-Parteitags zu den anderen Parteitagen. Zunächst kann der Themenbereich geografische Erweiterung für den FDP-Parteitag als nahezu irrelevant eingestuft werden. Einzig auf dem Parteitag Mai 2003 spielt dieses Thema eine Rolle: Hier wird der potenzielle EU-Beitritt der Türkei debattiert und abschließend in eine Beschlussfassung überführt. Ferner spielt der Themenbereich EU-Vertragswerk nur eine geringe Rolle: Ebenfalls nur auf einem Parteitag (ebenso Mai 2003) erfolgt eine Auseinandersetzung mit dem Europäischen Verfassungsvertrag, die in die Beschlussfassung einfließt. Folglich trifft für den FDP-Parteitag die Fokussierung auf das EU-Policy-Making am deutlichsten zu. Für die anderen drei Prinzipale gilt eine relativ beständige, wenngleich schwankende Relevanz (zwischen den Parteitagen und über die Zeit) der Fragen um die geografische Finalität der EU. Im Detail gilt hier die Aufmerksamkeit der Osterweiterung, eines potenziellen Türkeibeitritts, aber auch weiteren Erweiterungsplänen wie etwa in Richtung Südosteuropa. Des Weiteren räumen die Parteitage von B90/Die Grünen und der beiden Unionsparteien eine durchaus nicht unerhebliche Bedeutung dem EU-Vertragswerk respektive dem Europäischen Verfassungsvertrag ein und greifen diese Themenbereiche über mehrere Jahre auf. Dem Themenbereich „nationale Politikgestaltung im EU-Regelungskontext“ schenken die vier Parteitage eine durchaus beachtliche Aufmerksamkeit. Über die Zeit betrachtet ist dieser Themenbereich wichtiger für die Prinzipale von CDU und FDP, da nahezu jeder ihrer Parteitage mit aufgegriffenen europäischen Themen auch diesen Themenbereich zum Gegenstand macht. Wiederum auffallend für alle vier Parteitage ist, dass das Aufgreifen dieses Themenbereichs eher in Zeiten zu beobachten ist, wenn eine Partei als Oppositionspartei auf Bundesebene agiert. Infolgedessen kann hier von einem besonderen Anreiz der Implementierungsthemen für Oppositionsparteien gesprochen werden – sei es, um die Implementierung oder die Einhaltung des EU-Rechts anzumahnen – und damit letztlich die Möglichkeit zu nutzen, europäische Themen in den Kontext des nationalen Wettbewerbs zu integrieren.

276

13

Relevanz der Europäischen Politikgestaltung? …

Etwas genereller betrachtet unterstreicht die Bedeutung dieses Themenbereichs, dass der komplette Zyklus europäischer Entscheidungen Aufmerksamkeit durch die Parteitage erhält, der mit den Vorschlägen der Europäischen Kommission beginnt (in grober Ausrichtung angestoßen durch die Ratsbeschlüsse der nationalen Regierungen) und mit der Implementierung in das nationale Recht endet. Zusammengefasst zeigen die Parteitage aller Parteien Gemeinsamkeiten hinsichtlich der folgenden Punkte: (1) die europäische Politikgestaltung ist nicht nur der wichtigste, sondern sogar der dominierende Themenbereich, (2) eine höhere Bedeutung von EU-Polity-Themen (EU-Verträge, geografische Erweiterung und institutionelles Design) stellt sich dann ein, wenn diese Angelegenheiten Gegenstand der EU-Handlungsagenda sind, und (3) Themen der nationalen Politikgestaltung im EU-Regulierungskontext gewinnen an relativer Bedeutung eher in Oppositionszeiten. Abweichend von den Parteitagen von B90/Die Grünen, CDU sowie CSU spielen für den FDP-Parteitag die Themenbereiche geografische Erweiterung und das EU-Vertragswerk so gut wie keine Rolle.

13.2.2 Parteiführungen Während also insgesamt für den Prinzipal aller Parteien das EU-Policy-Making der wichtigste Themenbereich ist, lässt sich dieses Bild von der PolicyOrientierung nicht verallgemeinernd für die Parteiführung zeichnen: Zutreffend ist diese Policy-Orientierung zunächst für die Grünen-Parteiführung, für die dieser Themenbereich stets der wichtigste und dominierende ist (siehe Abbildung 13.3). Auch EU-Polity-Themen und damit eher strategische EU-Themen sind durchaus relevant für die Grünen-Parteiführung, dominieren aber nie ihre europäische Themenselektion. Die CDU-Parteiführung hingegen setzt ihre thematischen Schwerpunkte recht abwechslungsreich (siehe Abbildung 13.4). Nur vier von zehn Beobachtungen weisen die europäische Politikgestaltung als den wichtigsten Themenbereich aus. Selbst wenn die nationale Politikgestaltung im EU-Regulierungskontext als ein Aspekt der Policy-Orientierung verstanden wird, kann bei der CDU-Parteiführung von keiner dominierenden Policy-Orientierung gesprochen werden. Bei der Hälfte der Beobachtungen dominieren in Summe die EU-Polity-Themenbereiche. Auch wenn sich hier eine wesentlich höhere Relevanz der eher strategischen Themenbereiche verglichen zur Grünen-Parteiführung manifestiert, kann insgesamt in der Themenselektion der CDU-Parteiführung kein dominierender Themenbereich festgestellt werden. Vielmehr liegt hier ein thematisches Potpourri vor.

13.2 Muster in der Themenrelevanz der innerparteilichen Akteure

277

Durchaus ähnlich gestaltet sich das Bild für die CSU-Parteiführung, wenngleich sie sich relativ selten europäischen Themen widmet. Anhand der fünf Beobachtungen lässt sich zumindest festhalten, dass die europäische Politikgestaltung häufig der wichtigste Themenbereich ist (3 Beobachtungsjahre). Die parlamentarische Kooperation von CDU und CSU bedingt eine Zusammenarbeit ihrer Parteiführungen, die die Möglichkeit nutzen, auf gemeinsamen Klausurtagungen Beschlüsse zu verabschieden. Die Gemeinschaftsbeschlüsse der beiden Parteiführungen sind in die jeweiligen Analysen der CDU- und CSUParteiführung als ein Teil ihrer Beschlussfassung bereits berücksichtigt. Dennoch wird hier noch ein zusätzlicher Blick ausschließlich auf die Gemeinschaftsbeschlüsse geworfen. Das gibt wertvolle Hinweise zur Zusammenarbeit der beiden Parteien. Gemeinschaftsbeschlüsse, die einen EU-Bezug enthalten, wurden ausschließlich zwischen Mitte 2001 und Mitte 2004 auf den Weg gebracht. Das fällt mit den Entwicklungen auf der europäischen Ebene zu den EU-Finalitätsfragen zusammen (ebenfalls Abbildung 13.4). Dieser externe Impuls der europäischen Handlungsagenda wird zudem vorrangig dazu genutzt, EU-Finalitätsthemen und somit strategische EU-Themen aufzugreifen, sodass diese Themen in Summe die gemeinschaftliche Beschlussfassung dominieren. Im Detail spielen hier die unterschiedlichen Aspekte (grundlegende vertragliche, institutionelle und geografische Ausgestaltung der EU) eine Rolle. Die thematische Schwerpunktsetzung der FDP-Parteiführung lässt deutlich zwei Phasen erkennen (siehe Abbildung 13.3): In der ersten Phase, die bis Mitte 2005 dauert, liegt ein recht heterogenes Bild vor, da entweder gar keine EU-Themen aufgegriffen werden oder unterschiedliche Themenbereiche (EUVertragswerk oder nationale Politikgestaltung im EU-Kontext) betont werden. Ab Mitte 2005 setzt die zweite Phase ein, in der die europäische Politikgestaltung zum wichtigsten Themenbereich wird und bleibt. Damit ähnelt dieser Output einer policy-orientierten Themenschwerpunktsetzung, die auch bei der Grünen-Parteiführung existiert. Diese zweite Phase der höheren Wichtigkeit des EU-Policy-Making für die FDP-Parteiführung beginnt mit der erweiterten organisatorischen Einbindung der europäischen Parteielite seit den Vorstandswahlen im Mai 20055 , aber nicht unmittelbar mit dem Einzug der Vorsitzenden der nationalen Delegation Sylvana Koch-Mehrin in den Parteivorstand qua Amt im Juni 2004. Diese Beobachtung lässt unterschiedliche Interpretationen zu. Zum einen könnte hier eine Auswirkung der Personalentscheidung sichtbar werden, wonach Sylvana Koch-Mehrin weniger wegen ihrer europapolitischen Kompetenz zur 5

Veränderte Zusammensetzung des Vorstands ab der Beobachtung 2005/06 wirksam.

278

13

Relevanz der Europäischen Politikgestaltung? …

Abbildung 13.3 Relevanz der fünf europäischen Themenbereiche für die Parteiführungen von B90/Die Grünen und FDP, Juni 1999–Juni 2009. Anmerkungen: * einschließlich Gemeinschaftsbeschlüsse. Relative Häufigkeiten der fünf europäischen Themenbereiche pro Beobachtungsperiode. (Quelle: eigene Berechnung und Darstellung)

Spitzenkandidatin des EU-Wahlkampfs und damit zur Vorsitzenden der nationalen Delegation wurde als vielmehr wegen ihres Potenzials für eine medienwirksame Wahlkampagne (Poguntke 2007: 118–119). Infolgedessen konnte sie aber auch weniger EU-Policy-Impulse in die Parteiführung hineintragen.6 Dies gelang dann erst den ausgewiesenen Europapolitikern Alexander Alvaro, Jorgo Chatzimarkakis sowie Alexander Graf Lambsdorff (als Gast). Zum anderen könnte der 6

Trotz dieser Funktion in der Partei und im Europäischen Parlament profilierte sich KochMehrin nicht als Europapolitikerin, sondern glänzte vielmehr durch hohe Abwesenheit im EU-Parlament (o.A. 2009; Scheffer 2009)

13.2 Muster in der Themenrelevanz der innerparteilichen Akteure

279

Abbildung 13.4 Relevanz der fünf europäischen Themenbereiche für die Parteiführungen von CDU und CSU, Juni 1999–Juni 2009. Anmerkungen: * einschließlich Gemeinschaftsbeschlüsse. Relative Häufigkeiten der fünf europäischen Themenbereiche pro Beobachtungsperiode. (Quelle: eigene Berechnung und Darstellung)

280

13

Relevanz der Europäischen Politikgestaltung? …

beobachtete Wechsel zur policy-orientierten Themenauswahl auch bedeuten, dass ein inhaltlicher Wechsel einer kritischen Anzahl an Personen bedarf, die in einer Gruppe (Parteiführung) Impulse für neue Themen so einbringen kann, dass diese auch deutlich erkennbar in die Beschlussfassung einfließen. Nachdem die Relevanz der europäischen Politikgestaltung für die Themenselektion der vier Parteiführungen näher in Augenschein genommen wurde, richtet sich nun der Blick auf die Themenbereiche Europäisches Vertragswerk und geografischen Erweiterung. Ähnlich wie bei den Parteitagen ist eine gewisse Parallelität zwischen der Themenwichtigkeit in der Politikartikulation der Parteiführungen und den Entwicklungen auf der europäischen Ebene bezüglich der Fragen der geografischen Erweiterung sowie der vertraglichen Entwicklung erkennbar. Für die Grünen-Parteiführung gilt zuvörderst eine erhöhte Aufmerksamkeit für die Vertragsgestaltung. Anders als beim Grünen-Parteitag führt die Aufmerksamkeit für die grundlegende Ausgestaltung der Europäischen Union jedoch nicht dazu, dass die dominierende Orientierung auf das europäische Policy-Making gebrochen wird. Auch seitens der FDP-Parteiführung gilt vor allem die Aufmerksamkeit für die europäische Vertragsgestaltung. Ähnlich wie ihr Prinzipal ist der Themenbereich der geografischen Erweiterung von geringerer Relevanz. Anders sieht es hingegen bei der CDU-Parteiführung und der CSU-Parteiführung aus: Neben der hohen Relevanz des EU-Vertragswerks und der institutionellen Struktur der EU, stellt die geografische Erweiterung einen wichtigen Themenbereich dar, der über die Zeit immer wieder in die Beschlüsse der beiden Parteiführungen einfließt. Konkret widmen sie sich der Osterweiterung, weitere Erweiterungsrunde in Richtung Südosteuropa, aber insbesondere dem Beitritt der Türkei zur EU. Beide Parteiführungen begleiten mit ihren Beschlüssen die Verhandlungen der EU mit der Türkei über die Aufnahme der Beitrittsverhandlungen und werben für ihr Konzept der strategischen Partnerschaft. Abschließend noch ein Blick auf die Relevanz der nationalen Politikgestaltung im EU-Regulierungskontext. Ähnlich wie bei den Parteitagen lässt sich beobachten, dass Angelegenheiten dieses Themenbereichs in die Politikartikulation der Parteiführungen einfließen. Ebenfalls übereinstimmend mit den Parteitagen zeigt sich hier ein Zusammenhang zur Rolle als Oppositionspartei auf Bundesebene: Die Grünen-Parteiführung misst diesem Themenbereich ab Mitte 2005 eine stärkere sowie kontinuierlichere Bedeutung bei als zuvor. D. h. mit dem Übergang der Grünen ins Oppositionslager spielen diese Themen für die Parteiführung eine wichtigere Rolle. Auch die Parteiführungen von CDU und CSU nehmen diesen Themenbereich stärker auf während ihrer Zeit als Oppositionsparteien auf Bundesebene bis September 2005.

13.2 Muster in der Themenrelevanz der innerparteilichen Akteure

281

Insgesamt fällt die Schwerpunktsetzung der Parteiführungen wesentlich heterogener aus als die der Parteitage. Mit Ausnahme von der Schwerpunktsetzung der Grünen-Parteiführung und teilweise der FDP-Parteiführung kann nicht von einer hervorstechenden Hinwendung zur europäischen Politikgestaltung gesprochen werden. Vielmehr liegt in Summe eine höhere Relevanz der EU-Polity-Themen vor. Dabei gilt, dass in Parteien mit einem schwächeren Prinzipal (Unionsparteien) die EU-Polity-Themen eine eher größere Rolle für die Parteiführungen spielen als in den Parteien mit einem stärkeren Prinzipal. Die damit eher präsenten strategischen EU-Themen liefern ein erstes Indiz für die innerparteiliche Aufgabenteilung, wonach diese Themen eher in der Verantwortung der Parteiführung liegen und sich diese Verantwortung in einer höheren Relevanz dieser Themen in der Politikartikulation der Parteiführung niederschlagen kann. Die Beobachtung der thematischen Schwerpunktsetzung im Falle der FDPParteiführung erlaubt zudem, die bereits gewonnenen Erkenntnisse über den Zusammenhang zwischen dem Output ihrer Politikartikulation und der Existenz der nationalen Delegation im Europäischen Parlament zu erweitern: Die organisatorische Rückbindung von EU-Abgeordneten in die Parteiführung geht nicht nur einher mit einer deutlich höheren Anzahl von aufgegriffenen EU-Themen (vgl. Kapitel 10). Darüber hinaus verschiebt sich der thematische Schwerpunkt deutlich hin zur europäischen Politikgestaltung und bedeutet für die Themenselektion der FDP-Parteiführung eine Ausweitung des Themenkanons. Das bestätigt die Hypothese 5.1.

13.2.3 Fraktionen Last but not least wird die Relevanz der fünf Themenbereiche für die Fraktionen diskutiert. Es zeigt sich für alle Fraktionen sowie über die Zeit hinweg eine Dominanz der europäischen Politikgestaltung. Hierbei handelt es sich mit Abstand um den wichtigsten Themenbereich (siehe Abbildung 13.5 und Abbildung 13.6). In der Regel folgt die nationale Politikgestaltung im EU-Regulierungskontext als zweitwichtigster Themenbereich. Dieses Ergebnis spiegelt zum einen die allgemein höhere Policy-Orientierung der Fraktionen wider, die allgemeinhin mit ihren parlamentarischen Aufgaben verbunden wird. Zum anderen geht hier mit der vermuteten Verantwortung der Fraktion für die nationale Politikgestaltung im EU-Regulierungskontext eine hohe Relevanz dieses Themenbereichs einher. Zu ergänzen ist, dass die anderen beiden innerparteilichen Akteure dem Themenbereich mehr Relevanz einräumen als

282

13

Relevanz der Europäischen Politikgestaltung? …

grundsätzlich vermutet und insbesondere die Parteiführung eine durchaus stärkere Betonung ausüben kann. Die Ergebnisse geben Hinweise darauf, dass die Abgeordneten die Prozesse auf der europäischen Ebene verfolgen, bevor deren Endresultat in das nationale Recht umgesetzt werden muss und die Kommunikation über die europäischen Angelegenheiten als nutzbringend eingestuft wird.7 Zudem impliziert die durchaus hohe Relevanz des Themenbereichs der nationalen Politikgestaltung im EU-Regulierungskontext, dass die Gestaltungsmöglichkeiten im Rahmen des EU-Rechts bei der Implementierung genutzt werden und Gegenstand der parlamentarischen Arbeit – und damit auch des politischen Wettbewerbs – sind. Denn politische Kommunikation bei einem einfachen Durchwinken bzw. Abnicken europäischen Rechts einzusetzen, diente kaum dem Unterstreichen der Policy-Kompetenz noch der Handlungskompetenz. Doch nicht nur die Gestaltungsmöglichkeiten bei der Implementierung des EU-Rechts in das nationale Recht bieten Anreize für die politische Kommunikation. Gleiches gilt auch für die Problematik der mangelnden Umsetzung des EU-Rechts und darauffolgende Auseinandersetzungen mit der Europäischen Kommission.8 Aspekte rund um die Implementierung des europäischen Rechts in die nationale Politikgestaltung sind für die Unionsfraktion vergleichsweise wichtiger und für die Grünen-Fraktion wiederum am unwichtigsten (Abbildung 13.5 und Abbildung 13.6). Während sich aber die Relevanz der nationalen Politikgestaltung im EU-Regulierungskontext für die anderen beiden innerparteilichen Akteurstypen durchaus in die generelle Wettbewerbslogik zwischen Regierungs- und Oppositionsparteien einbetten lässt, zeigt sich dieser Zusammenhang nicht für die Fraktionen. Auch wenn also unterschiedliche Anreizstrukturen für Regierung- und Oppositionsfraktionen bestehen, Angelegenheiten dieses Themenbereichs zum Gegenstand ihrer politischen Kommunikation zu machen, spiegeln sich diese Unterschiede nicht in der Relevanz dieses Themenbereichs für die Fraktionen wider. Das schließt nicht aus, dass darüber hinaus Unterschiede zwischen den Regierungs- und Oppositionsparteien in der Selektion der spezifischen Einzelthemen und/oder in dem eingenommenen Standpunkt bestehen, was aber im Rahmen dieser Arbeit nicht weiterverfolgt wird.

7

Der empirische Beweis lässt sich am ehesten anhand der Beobachtung von Einzelthemen erbringen. Diese Forschungsfrage wird hier nicht weiterverfolgt. 8 Die EU-Kommission nutzt verschiedene Instrumente zur Überwachung der Einhaltung des EU-Vertragsrechts, die je nach rechtlicher Grundlage anders benannt sein können und unterschiedliche Eskalationsstufen abdecken, sodass an dieser Stelle allgemein von Auseinandersetzungen gesprochen wird.

13.2 Muster in der Themenrelevanz der innerparteilichen Akteure

283

Abbildung 13.5 Relevanz der fünf europäischen Themenbereiche für die Fraktionen von B90/Die Grünen und FDP, Juni 1999–Juni 2009. Anmerkungen: Relative Häufigkeiten der fünf europäischen Themenbereiche pro Beobachtungsperiode. (Quelle: eigene Berechnung und Darstellung)

Zudem belegt die über die Zeit beständige Präsenz der drei EU-PolityThemenbereiche in der Politikartikulation, dass auch die Fraktionen kontinuierlich

284

13

Relevanz der Europäischen Politikgestaltung? …

Abbildung 13.6 Relevanz der fünf europäischen Themenbereiche für die CDU/CSUFraktion, Juni 1999–Juni 2009. Anmerkungen: Relative Häufigkeiten der fünf europäischen Themenbereiche pro Beobachtungsperiode. (Quelle: eigene Berechnung und Darstellung)

ihre Aufmerksamkeit auf die entsprechenden Entwicklungen richten. Dabei lassen sich hier durchaus Fraktionsspezifika erkennen. Den drei Themenbereichen zusammen misst die Grünen-Fraktion eine relativ stabile Relevanz bei. Ausnahme stellt die Zeit 2002/03 dar, in der die Bedeutung des Vertragswerks besonders hoch ist und mit der Einberufung sowie Arbeit des Verfassungskonvents auf europäischer Ebene zusammenfällt. Zudem ist der Grünen-Fraktion der Themenbereich geografische Erweiterung über die Zeit wichtiger als den anderen Fraktionen, während wiederum der Themenbereich für die Unionsfraktion weniger wichtig ist. Verglichen zu den anderen Fraktionen sind der FDP-Fraktion die drei PolityThemenbereiche häufiger in jedem Zeitraum wichtiger, in dem die Partei ohne parlamentarische Vertretung in Brüssel gewesen ist. In diesem Zeitraum schenkt

13.3 Die Bedeutung der fünf Themenbereiche …

285

die FDP-Fraktion dem EU-Vertragswerk und dem institutionellen Design der EU verstärkt Aufmerksamkeit. Als mit den FDP-Vorstandswahlen Mai 2005 ein erweiterter Einzug der europäischen Elite in die Parteiführung erfolgt (d. h. über die personelle Veränderung qua Amt hinausgehend), sinkt parallel die Relevanz der drei Polity-Themenbereiche stark im Vergleich zu den eigenen Relevanzwerten des Vorjahres und zu den anderen Fraktionen (Vergleichswert: 2005/06). Die FDP-Fraktion springt also für die fehlenden europäischen Abgeordneten ein und unterstützt die FDP-Parteiführung mit ihrer europäisierten Politikartikulation, indem sie mit ihrer deutlich häufigeren Selektion von EU-Themen (vgl. Kapitel 10 und 12) verstärkt auf EU-Polity-Themen eingeht und EUAngelegenheiten mit einer mehr strategischen Handlungsorientierung adressiert. Sie greift damit also genau jene Themen verstärkt auf, die eher im Verantwortungsbereich der Parteiführung vermutet werden. Die FDP-Fraktion kompensiert auf diese Weise letztlich die sehr geringe Aufmerksamkeit der FDP-Parteiführung für EU-Angelegenheiten bis zum Beobachtungszeitraum 2005/06. Interessanterweise betont die FDP-Parteiführung jedoch ab 2005/06 gerade nicht die EU-Polity-Themenbereiche, sondern die EU-Politikgestaltung. Ob es sich dabei auch um Themen mit einer strategischen Handlungsorientierung handelt und somit diese Vermutung auch für das Verhalten der FDP-Parteiführung zutreffend ist und nicht nur für das Kompensationsverhalten der FDP-Fraktion, wird in Kapitel 17 untersucht.

13.3

Die Bedeutung der fünf Themenbereiche in den Wahlprogrammen

Auch in den Wahlprogrammen für die Bundestags- und Europawahlen stellt die europäische Politikgestaltung den wichtigsten Themenbereich dar (vgl. hierzu Abbildung 13.7). Bis auf zwei Ausnahmen (CSU-Europawahlprogramm 2004 und das CDU/CSU-Bundestagswahlprogramm 2005) handelt es sich um den dominierenden Themenbereich in allen Wahlprogrammen.9 Infolgedessen ist hier ebenfalls von einer hohen Policy-Orientierung bei der Auswahl europäischer Themen zu sprechen, so wie es auch für alle untersuchten Parteitage, Fraktionen und in Teilen für die Parteiführungen beobachtet wurde.

9

Dominierend heißt, dass mehr als die Hälfte der Themen dem Themenbereich der europäischen Politikgestaltung zugeordnet sind.

286

13

Relevanz der Europäischen Politikgestaltung? …

Abbildung 13.7 Themenrelevanz in Bundestags- und Europawahlprogrammen, 1999 bis 2009. (Quelle: eigene Berechnung und Darstellung)

Nach der europäischen Politikgestaltung ist das institutionelle Design der zweitwichtigste Themenbereich in fast allen Wahlprogrammen, wobei den Problemstellungen zur grundlegenden Struktur der EU eine wichtige Rolle sowohl in den nationalen als auch Europawahlprogrammen zukommt. Nennenswerte Unterschiede zwischen dem variierenden Wahlkontext existieren also nicht. Vielmehr besteht der Unterschied zur bereits vorgestellten Politikartikulation der innerparteilichen Akteure, denn in den Wahlprogrammen erfährt dieser Themenbereich deutlich mehr Aufmerksamkeit. Wird darüber hinaus der Blick auf die Bedeutung des EU-Vertragswerks in den Wahlprogrammen gerichtet, dann lässt sich dieser Unterschied hinsichtlich des Umgangs mit Polity-Themen noch präzisieren: In der Wahlprogrammatik werden Polity-Themen weniger stark mit Verweis auf das EU-Vertragswerk aufgegriffen als es für die Politikartikulation der innerparteilichen Akteure der Fall ist. Das schließt jedoch nicht aus, dass auch die Wahlprogramme dazu genutzt werden, auf die EU-Handlungsagenda zu reagieren. So erhält dieser Themenbereich in allen Wahlprogrammen zwischen 2003 und 2005 von allen Parteien mehr Aufmerksamkeit, was mit den Verhandlungen zum Vertragswerk auf EU-Ebene zusammenfällt.

13.3 Die Bedeutung der fünf Themenbereiche …

287

In besonderem Umfang wird dieser Impuls von der CSU mit ihrem Europawahlprogramm 2004 umgesetzt, in welchem die Aspekte des EU-Vertragswerks und des institutionellen Designs deutlicher betont werden als in den Programmen zu anderen Zeitpunkten und/oder der anderen Parteien. Parteien werben also verstärkt in ihrer Wahlprogrammatik mit Aspekten der grundlegenden Ausgestaltung der EU und letztlich mit ihrem Verständnis des Zusammenspiels der verschiedenen Kompetenzebenen. Mit ihrer Politikartikulation greifen die innerparteilichen Akteure Polity-Themen wiederum wesentlich gezielter in den Debatten um die Entwicklung des zugrundeliegenden Vertragswerks auf. Zugleich unterstreichen die Ergebnisse, dass selbst in einem Parteiensystem, in dem ein Permissive Consensus über die Europäische Integration existiert, das Aufgreifen von Polity-Themen keinesfalls als überflüssig von den politischen Akteuren eingeschätzt wird. Vielmehr gehören die EU-Polity-Themen zum festen Bestandteil des Wahlwettbewerbs. Ein Ignorieren dieser Themen käme dem Ausblenden eines zentralen Rahmens politischen Handelns gleich, was die Parteien nicht ernsthaft in Betracht ziehen können, wenn sie ihre Handlungskompetenz unterstreichen wollen. D. h. unabhängig davon, wie wichtig einzelne europäische Themenbereiche für die innerparteilichen Akteure sind, zumindest in der Zuspitzung des politischen Wettbewerbs im Wahlkampfkontext existiert die Notwendigkeit, darauf einzugehen. Neben der stärkeren Betonung der Aspekte des institutionellen Designs der EU in allen analysierten Wahlprogrammen unterstreicht die Politikartikulation der FDP diese Notwendigkeit des Aufgreifens von Themen, die die grundlegende Ausgestaltung der EU beinhalten, besonders anschaulich: Die obige Analyse der Politikartikulation ihrer innerparteilichen Akteure legte offen, dass der Themenbereich der geografischen Erweiterung nahezu irrelevant für den FDP-Parteitag und für die FDP-Parteiführung ist. Damit unterscheidet sich die FDP deutlich von den anderen Parteien. In der Wahlprogrammatik indes spiegelt sich diese Besonderheit nicht wider. Vielmehr räumt die FDP-Wahlprogrammatik diesem Themenbereich eine zum Teil weitaus höhere Bedeutung ein als die der anderen Parteien und spricht ihm über die Zeit auch zunehmend mehr Bedeutung zu. Bei den bisher analysierten Themenbereichen zeichneten sich keine klaren Unterschiede zwischen Europa- und Bundestagswahlprogrammen ab. Die ermittelten Werte für die Bedeutung der nationalen Politikgestaltung im EURegulierungskontext zeigen den Unterschied auf, wonach eine höhere Relevanz des Themenbereichs eher in den nationalen Wahlprogrammen als in den Europawahlprogrammen feststellbar ist. Mitunter wird auf Referenzen zur

288

13

Relevanz der Europäischen Politikgestaltung? …

nationalen Politikgestaltung im EU-Regulierungskontext sogar in den Wahlprogrammen verzichtet, d. h. hierbei handelt es sich eher von einem hinreichenden, aber nicht notwendigen Themenbereich im Wahlkontext. Zudem ist für diesen Themenbereich ein Ausreißer erkennbar, welcher den Bogen zu den Ausnahmen von der dominierenden EU-Policy-Orientierung schließt: Das CDU/CSU-Bundestagswahlprogramm aus dem Jahr 2005 greift überproportional stark Themen der nationalen Politikgestaltung im EU-Regulierungskontext auf. Mit der Deskription der Themenhäufigkeiten wurde bereits darauf eingegangen, dass der besondere Kontext dieser Bundestagswahl (vorgezogene Neuwahlen nach dem verlorenen Misstrauensvotum gegen Kanzler Gerhard Schröder) einhergeht mit vergleichsweise wenigen EU-Themen in der CDU/CSU-Wahlprogrammatik (siehe Abschnitt 10.3). Diese wenigen EU-Themen werden zudem noch stärker als sonst in den nationalen Kontext gesetzt. D. h. Unter den Vorzeichen der mittlerweile erreichten Unionsmehrheit im Bundesrat und der potenziellen Chance, in die Regierungsverantwortung zurückzukehren, werden nun EU-Themen verstärkt genutzt, die eigene Handlungskompetenz zu unterstreichen. Dafür ist der Themenbereich der nationalen Politikgestaltung im EU-Regelungskontext besonders gut geeignet, denn mit ihm lässt sich einerseits wesentlich für den eigenen Implementierungskurs werben (z. B. strikte 1 zu 1 Umsetzung des EU-Rechts in nationales Recht) und andererseits der Implementierungskurs der amtierenden Regierung kritisieren.10

13.4

Zusammenfassung

Über alle vier Parteiorganisationen hinweg besteht eine dominierende Relevanz der europäischen Politikgestaltung in der Politikartikulation von Parteitag und Fraktion. Für diese beiden innerparteilichen Akteurstypen lässt sich also die erwartete Policy-Orientierung eindeutig bestätigen. Eine dominierende PolicyOrientierung liegt indes nicht für alle Parteiführungen vor. In der Politikartikulation von Parteiführungen, die in Parteien mit einem stärkeren Prinzipal handeln, 10

Mit der Inhaltsanalyse wurde unter anderem erhoben, ob und wie europäische Themen in die Logik des nationalen Parteienwettbewerbs eingebettet sind, u. a. ob in direktem Zusammenhang mit dem Thema die amtierende Regierung für ihr Handeln/Nichthandeln kritisiert wird. Über alle Wahlprogramme und Parteien zeigt sich, dass Oppositionsparteien immer auf das Instrument des Bashings im Kontext von EU-Themen zurückgreifen. Die Unionsparteien greifen darauf besonders ausgeprägt im Wahljahr 2005 zurück und vor allem bei Themen des oben benannten Themenbereichs der nationalen Politikgestaltung im EU-Regulierungskontext (im Detail siehe Anhang F im elektronischen Zusatzmaterial).

13.4 Zusammenfassung

289

ist eher eine höhere bzw. dominierende Policy-Orientierung zu beobachten als in Parteien mit einem schwächeren Prinzipal. Wesentlich relevanter für Parteiführungen von Parteien mit schwächeren Prinzipalen sind die Polity-Themenbereiche. Dieser Zusammenhang zwischen Parteiorganisationsverständnis und Politikartikulation führt an dieser Stelle zur vorläufigen Feststellung, dass die vermutete Verantwortung der Parteiführung für strategische Themen nur bedingt mit einer grundsätzlich höheren Relevanz korrespondierender Themenbereiche einhergeht. Offengeblieben ist im Rahmen dieses Kapitels die Überprüfung der vermuteten innerparteilichen Aufgabenteilung. Diese ist Gegenstand in den Kapiteln 15 und 17, wo zudem die hier vorläufig festgehaltenen Ergebnisse noch einmal reflektiert werden. Ein weiteres Ergebnis zum Umgang mit den europäischen Themen liefert die Berücksichtigung der europäischen Handlungsagenda zu den Finalitätsfragen: Dieser externe Impuls schlägt sich direkt auf die thematische Schwerpunktsetzung der innerparteilichen Akteure nieder. In der Politikartikulation aller drei innerparteilichen Akteurstypen ist eine höhere Relevanz der Themenbereiche europäisches Vertragswerk respektive institutionelles Design zu beobachten, wenn auf der europäischen Ebene wichtige Veränderungen des europäischen Vertragswerks angestoßen und verhandelt werden. D. h. die innerparteilichen Akteure reagieren unmittelbar auf die europäische Handlungsagenda. Die Relevanz der nationalen Politikgestaltung im EU-Regelungskontext lieferte mehr Aufschlüsse als ursprünglich erwartet. Zunächst bestätigt sich die Vermutung, dass dieser Themenbereich bedingt durch die parlamentarischen Aufgaben von hoher Bedeutung für die Fraktionen ist. Weiterführend zeigt sich zudem, dass die anderen beiden innerparteilichen Akteure diesem Themenbereich eine nicht unerhebliche Beachtung einräumen und folglich der komplette Zyklus europäischer Entscheidungen bis hin zu seiner Implementierung in nationales Recht Aufmerksamkeit von allen drei innerparteilichen Akteuren erfährt. An diesem Themenbereich manifestiert sich zudem der Wettbewerb zwischen den Regierungs- und Oppositionsparteien. Allgemein kommt diesem Themenbereich mehr Relevanz zu, wenn Parteien in der Oppositionsrolle auf der Bundesebene am politischen Wettbewerb teilnehmen. Dabei gewinnt dieser Themenbereich eher an Relevanz für die Parteitage und die Parteiführungen, aber nicht für die Fraktionen. Anhand des Fallbeispiels der FDP konnten Unterschiede in der Politikartikulation in Abhängigkeit einer existierenden EP-Delegation herausgearbeitet werden. Kann die Parteiführung auf die Informationen des europäischen Spitzenpersonals zurückgreifen, gibt ihr das die Möglichkeit, ihre Aufmerksamkeit wesentlich stärker auf das Kerngeschäft des Europäischen Parlaments zu richten,

290

13

Relevanz der Europäischen Politikgestaltung? …

der europäischen Politikgestaltung. Die FDP-Fraktion springt für die fehlenden EU-Parlamentarier ein und kompensiert die fehlende Aufmerksamkeit der FDP-Parteiführung für EU-Themen, in dem sie vergleichsweise stärker die PolityThemenbereiche betont. D. h. sie greift mehr Themen mit einer strategischen Handlungsorientierung auf, die im Rahmen dieser Arbeit eher in den Händen der Parteiführung vermutet werden. Mithilfe der komparativen Perspektive auf die Bedeutung der fünf Themenbereiche in den Wahlprogrammen und in der innerparteilichen Politikartikulation lässt sich ableiten, dass die Thematisierung von Polity-Themen im Wahlkontext als notwendig erachtet wird, auch wenn die innerparteilichen Akteure den PolityThemen eine eher geringere Relevanz einräumen. Damit fundieren diese Ergebnisse in der Mikrofundierung die Ergebnisse von Steenbergen und Scott (2004) für die Makroebene, wonach eine höhere Salienz der EU-Integrationsdimension im Parteienwettbewerb mit einer höheren Salienz dieses Themas für die individuellen Parteien korreliert. Ferner unterstreichen die hier gewonnenen Ergebnisse, dass die differenzierte Unterteilung der EU-Polity-Themen in drei Themenbereiche sinnvoll gewählt ist, um mehr über den Umgang der Parteien mit europäischen Themen zu erfahren.

Europäische Politikfelder: Aufmerksamkeit nur für bestimmte Politiken der Europäischen Union?

14

Mit dem vorherigen Kapitel liegen nun Erkenntnisse darüber vor, welche Bedeutung die europäischen Policy- und Polity-Themen in der Politikartikulation der drei innerparteilichen Akteure einnehmen und wie sich ihre Themenselektion von der Wahlprogrammatik der Partei unterscheidet. Dieses Kapitel betrachtet nun näher die europäischen Politikfelder und steigt somit auf der Leiter der thematischen Abstraktion eine Stufe hinab. Es verfolgt die generellen Fragestellungen, welchen europäischen Politikfeldern schenken die Parteien und ihre innerparteilichen Akteure ihre Aufmerksamkeit, welche Politikfelder sind für sie besonders wichtig und welche Unterschiede gibt es. Mit der Beantwortung dieser explorativen Fragestellungen werden mehrere Zielsetzungen verfolgt: Als erstes soll grundsätzlich aufgedeckt werden, welchen europäischen Politikfeldern sich die innerparteilichen Akteure überhaupt widmen. Als zweites sollen weitere Informationen im Hinblick auf die leitgebenden Hypothesen über variierende Themen im Kontext einer innerparteilichen Aufgabenteilung, einer variierenden Parteiorganisation und des variierenden Wahl-/Nichtwahlkontextes generiert werden. Konkret steht hier die Suche nach Antworten auf die Hypothese über eine variierende Themenabdeckung zwischen den innerparteilichen Akteuren an, wonach Parteiführungen mit ihrer Politikartikulation grundsätzlich die geringste Themenabdeckung und die Fraktionen die höchste Themenabdeckung vornehmen (Hypothese 3.1). Zugleich sollten

Elektronisches Zusatzmaterial Die elektronische Version dieses Kapitels enthält Zusatzmaterial, das berechtigten Benutzern zur Verfügung steht https://doi.org/10.1007/978-3-658-34797-0_14.

© Der/die Autor(en), exklusiv lizenziert durch Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2021 S. John, Europäische Themen in deutschen Parteiorganisationen, Empirische Studien zur Parteienforschung, https://doi.org/10.1007/978-3-658-34797-0_14

291

292

14

Europäische Politikfelder: Aufmerksamkeit …

Parteiführungen in Parteien mit einem schwächen Prinzipal deutlich mehr EUPolitikfelder aufnehmen als Parteiführungen in Parteien mit einem stärkeren Prinzipal (Hypothese 4.2) und schwächere Prinzipale sollte verglichen zu den stärkeren Prinzipalen wiederum ein geringeres Themenspektrum abdecken (Hypothese 4.1). Des Weiteren sollten die Parteien ein geringeres Themenspektrum mit ihren Wahlprogrammen abdecken (Hypothese 2.2). Wie im vorherigen Kapitel wird auch hier die Themenselektion der drei innerparteilichen Akteure anhand ihrer jeweiligen Themenabdeckung und Stärke der Aufmerksamkeit bewertet. Des Weiteren findet auch hier eine komparatistische Perspektive zwischen der akteursorientierten Politikartikulation und der Wahlprogrammatik Anwendung. Bevor die empirischen Ergebnisse präsentiert werden, startet das Kapitel mit einigen analytischen Vorbemerkungen.

14.1

Anmerkungen zum analytischen Vorgehen

Die Antworten auf die generellen Fragestellungen nach der Themenabdeckung, den wichtigsten Politikfeldern und den Unterschieden zwischen Wahlprogrammen sowie der Politikartikulation der innerparteilichen Akteure zielen darauf ab, Aussagen über den gesamten Untersuchungszeitraum zu liefern. Als Basis dienen die Beobachtungssets 4 und 5, die das europäische Themenspektrum entlang von 26 Politikfeldern abbilden (vgl. Kapitel 9). Dafür müssen die Beobachtungen angemessen umgewandelt werden, sodass im Ergebnis entsprechende Werte für die Themenabdeckung, für die Themenwichtigkeit und für den Grad der Ähnlichkeit zwischen Wahlprogrammatik und Politikartikulation der innerparteilichen Akteure vorliegen. Die gewählten Lösungswege sind in nächsten Abschnitten dargelegt (siehe 14.1.1 und 14.1.2). Da mit diesem Vorgehen die Beobachtungen zu (wenigen) Werten aggregiert werden, um deskriptive Aussagen über den gesamten Untersuchungszeitraum zu gewinnen, kommt darauf aufbauend die qualitative Datenexploration zum Einsatz. Die Ergebnisse zur Themenabdeckung werden insbesondere im Hinblick eines Zusammenhangs mit dem Akteurstyp und der variierenden Parteiorganisation vorgestellt. Bei der Präsentation der wichtigsten Politikfelder wird unter anderem darauf geachtet, ob markante Ergebnisse in Einklang mit der Parteisalienz oder der EU-Handlungsagenda stehen. Diese Achtsamkeit bei der Datendeskription ist nicht mit einem empirischen Nachweis eines möglichen Einflusses der beiden zentralen Faktoren gleichzusetzen.

14.1 Anmerkungen zum analytischen Vorgehen

293

14.1.1 Themenabdeckung und Ermittlung der wichtigsten Politikfelder über die Zeit Für Aussagen über die Themenabdeckung wird die Anzahl der tatsächlich ausgewählten europäischen Politikfelder in Relation zur Anzahl der maximal möglichen 26 Politikfelder pro Beobachtung gesetzt. Für die innerparteilichen Akteure liegen somit jeweils zehn Beobachtungen vor, die in standardisierte Werte umgewandelt werden und somit die Basis für die Bewertung der Themenabdeckung darstellen. Die Themenabdeckung für die Wahlprogramme wird für jedes Programm ermittelt. Getrennt nach Wahlkontext wird auf Basis dieser Werte die Reichweite (bzw. der Range) der standardisierten Themenabdeckung wiedergegeben, um so sinnvoll die Angaben für jeweils drei Europa- und drei Bundestagswahlen zu präsentieren. Für den Vergleich der Themenabdeckung zwischen Wahlkontext und Nichtwahlkontext wird die folgende Überlegung umgesetzt: Je häufiger im Nichtwahlkontext ein höheres Themenspektrum beobachtbar ist, desto zutreffender wird die Aussage, dass Parteien bewusst ein breiteres Themenspektrum wählen. Deshalb wird jede der zehn Beobachtungen zur Politikartikulation der innerparteilichen Akteure für den Vergleich verwendet, da diese die Politikartikulation im Nichtwahlkontext darstellen. Zusätzlich wird für die Gesamtpartei die Themenabdeckung in der Politikartikulation ermittelt, indem für jede der zehn Beobachtungen die Themenabdeckung der drei innerparteilichen Akteure insgesamt betrachtet wird.1 Anhand von standardisierten Werten wird wiedergegeben, wie häufig eine größere Themenabdeckung im Nichtwahlkontext auftritt. Auf Seiten der Wahlprogramme dienen als Vergleichsbasis die Grenzwerte des ermittelten Ranges, sodass eine variierende Themenabdeckung in den Wahlprogrammen angemessen berücksichtigt werden kann. Angaben über die Stärke der Aufmerksamkeit werden meist dazu benutzt, die wichtigsten Themen anhand der größten relativen Anteile zu ermitteln. Während dieses Vorgehen sehr gut ermöglicht, die wichtigsten Themen vergleichend beispielsweise zwischen Manifestos verschiedener Parteien zu einem Zeitpunkt zu betrachten, kommt es an seine Grenzen, wenn Aussagen über die wichtigsten Themen über einen Zeitraum gewünscht sind, dafür viele und/oder exogene Themenkategorien verwendet werden und/oder wenn wie im Falle von innerparteilichen Akteuren die beobachtete Politikartikulation stärker fokussiert ist.2 Denn 1

Das ist kein einfacher additiver Wert, der sich aus der Themenabdeckung der drei innerparteilichen Akteure ergibt. Dieser hätte zur Folge, dass dieselben Themen in Händen mehrerer innerparteilicher Akteure mehrfach gewertet würden. 2 Die klassischen Manifesto-Studien, die die Themensalienz über die Zeit in den Mittelpunkt stellen, sind mit diesen Problemen nicht konfrontiert: Als erstes sind in der Regel

294

14

Europäische Politikfelder: Aufmerksamkeit …

unter diesen Bedingungen nimmt die Wahrscheinlichkeit von Extremwerten in der Stärke der Aufmerksamkeit zu, d. h. Null bei Nichtselektion eines Themas und Werte nahe 1 bei einer starken inhaltlichen Fokussierung. Als Folge treten mehr Schwankungen in den relativen Anteilen eines Themas auf, die wiederum zu inkonsistenten Bewertungen der wichtigsten Politikfelder führen. Konsistente Aussagen über die wichtigsten Politikfelder über die Zeit sind indes möglich, wenn hier auf die der Arbeit zugrundeliegende Konzeption der Themenselektion zurückgegriffen wird und zugleich Themenwichtigkeit bzw. Salienz verstanden wird als Präferenzmodellierung, die auf zwei Präferenzen zurückzuführen ist (Humphreys und Garry 2000). Konkret heißt das, es fließen die beiden Dimensionen der Themenselektion (Themenabdeckung und Stärke der Aufmerksamkeit) in die Bewertung jedes einzelnen Themas ein. In der konkreten Umsetzung bedeutet das, dass als erstes die Selektionsentscheidung für oder gegen das jeweilige individuelle Thema erfasst wird, worin sich die erste die beiden Präferenzen manifestiert. Als zweites wird die Stärke der Aufmerksamkeit berücksichtigt. Diese lässt sich einfach ermitteln, wenn die auf dieser Dimension abgebildeten unterschiedlichen Aufmerksamkeitsausprägungen für Themen in Beziehung zueinander gesetzt werden und eine relativ hohe Betonung bzw. eine höhere Aufmerksamkeit als höhere Relevanz interpretiert wird. Beide Präferenzen zusammen ergeben nun die Themenwichtigkeit: Ein Thema ist über einen Zeitraum als wichtiger definiert, je häufiger Selektionsentscheidungen für das Thema erfolgen und je häufiger es im Themenranking zu den wichtigsten Themen gehört. Als die wichtigsten Themen werden hier die ersten drei Themen im Ranking definiert. Zusammengefasst beschreibt Formel 14.1 das Berechnen der Themenwichtigkeit über einen Zeitraum: Formel 14.1: Ermittlung der Themenwichtigkeit über einen Zeitraum Themenwichtigkeit =

 Selektionsentscheidung n

+

 Rang in der Aufmerksamkeitsst¨arke ≤ 3 n

2

wobei n = Anzahl der Beobachtungen über die Zeit Wertebereich für Themenwichtigkeit zwischen 0 und 1

Themen auf einem relativ hohen Abstraktionsniveau Gegenstand der Beobachtung. Mit dieser Themenaggregation sinkt aber auch die Wahrscheinlichkeit der Nichtselektion. Als zweites weisen Wahlprogramme eine höhere Themenbreite auf als andere Dokumente (siehe Kapitel 8, Abschnitt 8.1.4)

14.1 Anmerkungen zum analytischen Vorgehen

295

Die Vorteile dieser Berechnung liegen darin, dass die Entscheidung für Themen stringent berücksichtigt wird, was bei einer bloßen Beachtung der Rangordnung relativer Anteile nicht der Fall wäre. Denn anders als bei einer ausschließlichen Betrachtung der relativen Anteile, die die Aufmerksamkeitsstärke wiedergeben, erfolgt hier eine explizite Abgrenzung zur Nichtselektion von Themen, die insbesondere den Unterschied zu den Themen mit geringen relativen Anteilen ausmacht. Ermöglicht wird dieses Vorgehen durch ein exogen definiertes Themenspektrum als Ausgangspunkt der Analyse. Des Weiteren werden Extremwerte bei den relativen Werten der Aufmerksamkeitsstärke gemindert, die insbesondere bei einer selektiven und fokussierten Themenauswahl auftreten. Nichtsdestotrotz bleibt die Festlegung der wichtigsten drei Themen als die wichtigsten Themen eine arbiträre Festlegung der Autorin.

14.1.2 Thematische Ähnlichkeit zwischen Wahlprogrammatik und Politikartikulation der innerparteilichen Akteure Im vorherigen Kapitel wurde die grafische Exploration verwendet, um Gemeinsamkeiten und Unterschiede zwischen Wahlprogrammatik und akteursorientierter Politikartikulation hinsichtlich der Bedeutung der fünf europäischen Themenbereiche herauszustellen. Dieser Ansatz ist im Rahmen dieses Kapitels weniger zielführend, denn auf einem niedrigeren thematischen Abstraktionsniveau liegt eine weitaus höhere Anzahl an Beobachtungen vor. Deshalb kommt hier ein Ähnlichkeitsmaß bezüglich der Wichtigkeit von Politikfeldern zum Einsatz, um die Wahlprogrammatik und Politikartikulation der innerparteilichen Akteure zu vergleichen. Bereits in der Literatur angewandte Verfahren zur Bestimmung der thematischen Übereinstimmung, die ihren Einsatz zuvörderst in der Auswertung CMP/-Marpor-kodierter Wahlprogramme finden, stellen an dieser Stelle keine geeignete Grundlage dar.3 Der erste Ansatz, der auf den Korrelationskoeffizienten zwischen Salienzwerten der Inhaltskategorien zu den unterschiedlichen Messzeitpunkten (Janda et al. 1995) bzw. zwischen Parteien (Volkens 1989) zurückgreift, ist methodisch weniger überzeugend, dient der Koeffizient doch der Abbildung eines Zusammenhangs zwischen zwei unterschiedlichen (und unabhängigen) Merkmalen. Der zweite Ansatz, welcher Salienzwerte für jede Inhaltskategorie 3

Auch wenn der programmatischen Salienzmessung in der Parteienforschung ein großer Stellenwert eingeräumt wird, richten nur wenige Beiträge ihr Augenmerk auf die Messung der thematischen Kongruenz.

296

14

Europäische Politikfelder: Aufmerksamkeit …

gegenüberstellt und dafür eine Partei zu (zwei) unterschiedlichen Messzeitpunkten oder zwei unterschiedliche Parteien zu einem Messzeitpunkt beobachtet, zielt darauf ab, über sämtliche beobachtete Themen hinweg, ein sogenanntes Übereinstimmungsmaß anzugeben (Franzmann 2008; Brunsbach et al. 2011; Brunsbach et al. 2012; Louwerse 2012). Problematisch an diesem Übereinstimmungsmaß ist, dass das Berechnungsverfahren Angaben zur thematischen Ähnlichkeit über alle Themen hinweg mittelt und eine additive Datenstruktur voraussetzt, d. h. für jeden Beobachtungs(zeit-)punkt müssen die verwendeten Salienzwerte eines politischen Akteurs respektive eines Wahlprogramms die relativen Anteile wiedergeben und in Summe 100 ergeben.4 In dieser Arbeit kommt hingegen ein Ähnlichkeitsmaß zum Einsatz, welches die bereits vorgestellten stark aggregierten Werte verwenden kann und darauf aufbauend Aussagen über die Ähnlichkeit in der Wichtigkeit der verschiedenen EU-Politikfelder zwischen Wahlprogrammatik und innerparteilichen Akteuren ermöglicht.5 Dafür werden die Abweichungen zwischen den ermittelten Wichtigkeitswerten pro Politikfeld in der jeweiligen Vergleichsperspektive zunächst in Relation zur Gesamtwichtigkeit des Politikfelds gesetzt und dann über die Anzahl der beobachteten Politikfelder gemittelt, sodass die folgende Formel 14.2 zur Anwendung kommt: Formel 14.2: Ähnlichkeitsmaß I – Ähnlichkeit in der Themenwichtigkeit zwischen Wahlprogrammatik und innerparteilichem Akteur über die Zeit auf der Basis von Politikfeldern (TÄWIPA) n |W ichtigkeit P F i, W P−W ichtigkeit P F i, i pa| i=1 W ichtigkeit P F i, W P+W ichtigkeit P F i, i pa ¨ TAWIPA = n wobei i=Thema (Politikfeld), ipa=innerparteilicher Akteur, WP = Wahlprogramm, n=Anzahl der beobachteten Themen. Wertebereich 0 bis 1. Das Ausmaß der Ähnlichkeit variiert in einem Wertebereich von 0 bis 1, wobei gilt: Je weniger sich die Wichtigkeit unterscheidend, desto kleiner ist der ermittelte 4

Diese Bedingung der Datenstruktur wird bei der Herleitung des Übereinstimmungsmaßes nicht thematisiert, da es für den Vergleich von vorliegenden Manifestos entwickelt wurde. Sie ist dann verletzt, wenn (a) zu einem Beobachtungszeitpunkt ein innerparteilicher Akteur kein einziges Thema auswählt (also zum europäischen Themenkomplex schweigt) oder wenn (b) wie in diesem Kapitel die Wertangaben Themenwichtigkeit nicht ausschließlich auf den relativen Anteilen beruhen. 5 Die vorgestellte Formel 14.2 setzt diese stark aggregierten Werte aber nicht voraus.

14.2 Themenabdeckung: Sämtliche europäische Politikfelder im Fokus …

297

Wert. Der Vorteil des hier gewählten Vorgehens ist das stärkere Berücksichtigen des Unterschiedes zwischen Unwichtigkeit (bedingt durch Ignorieren eines Politikfeldes) und geringer Wichtigkeit, während die Unterschiede auf einem hohen Wichtigkeitsniveau abgeschwächt in das Gesamtergebnis der Ähnlichkeit einfließen.

14.2

Themenabdeckung: Sämtliche europäische Politikfelder im Fokus der innerparteilichen Akteure?

Der systematische Vergleich der aufgegriffenen Themen mit dem exogenen europäischen Themenspektrum führt nun zu den folgenden Ergebnissen: Als erstes veranschaulicht der Boxplot Niveauunterschiede in der Themenabdeckung zwischen den innerparteilichen Akteurstypen, die gleichermaßen in allen Parteien existieren (siehe Abbildung 14.1). Daraus geht hervor, dass die Fraktionen jeweils deutlich mehr europäische Politikfelder abdecken. Sie nutzen also ihre politische Kommunikation im nationalen Parteienwettbewerb für eine breitgefächerte Aufmerksamkeit für europäische Angelegenheiten. Inhaltlich wesentlich fokussierter agieren Parteitag und Parteiführung, wobei die Parteiführung in der Regel weniger Politikfelder abdeckt als der Parteitag. Obwohl erst in späteren Kapiteln explizit die Blickrichtung auf die innerparteiliche Aufgabenteilung eingenommen wird, wird das ermittelte Ergebnis zur Themenabdeckung bereits an dieser Stelle in den Kontext der innerparteilichen Delegation respektive Aufgabenteilung gesetzt. Eine höhere Themenabdeckung der Parteitage verglichen zur Parteiführung steht im Einklang mit der Politikformulierung als eine zentrale Aufgabe des Prinzipals, auch wenn er diese Aufgabe an die Parteiführung in Zeiten delegiert, in der er nicht zusammentritt. Die weitaus höhere Themenabdeckung der Fraktionen wiederum geht einher mit ihren besseren Ressourcenzugängen sowie institutionellen Aufgaben. Bezeichnend ist insgesamt, dass diese Niveauunterschiede in der Themenabdeckung zwischen den drei innerparteilichen Akteuren unabhängig vom variierenden Stellenwert des Prinzipals existieren, also die Parteiorganisation als Einflussfaktor für die relative Themenabdeckung nicht relevant ist. Folglich findet sich hier die Hypothese 3.1 bestätigt. Als zweites deckt die vergleichende Betrachtung der Themenabdeckung pro Akteurstyp auf, dass immer die Akteure der Grünen eine wesentlich breitere Themenabdeckung aufweisen. Sie setzen also die oben aufgezeigten häufigeren

298

14

Europäische Politikfelder: Aufmerksamkeit …

Abbildung 14.1 Boxplot standardisierte Themenabdeckung pro innerparteilichen Akteur, Juni 1999–Juni 2009. Anmerkungen: Themenabdeckung ermittelt für einen Zeitraum von einem Jahr (pro innerparteilichem Akteur 10 Beobachtungen), maximal 26 Politikfelder, standardisierte Werte. (Quelle: eigene Berechnung und Darstellung)

Selektionsentscheidungen für europäische Angelegenheiten in eine Aufmerksamkeit für ein breiteres Themenspektrum um. Die parteiübergreifende Perspektive auf die Themenabdeckung in Händen der Prinzipale bringt aber keinen Beleg für die erwarteten Parteiorganisationseffekte hervor: Es zeigt sich keineswegs, dass in Parteien mit schwächeren Prinzipalen (hier CDU und CSU) die Prinzipale ein geringeres europäisches Themenspektrum abdecken. Hypothese 4.1 ist also zu verwerfen. Dass häufigere Entscheidungen für EU-Themen indes nicht automatisch zu einer höheren Themenabdeckung führen, verdeutlicht die komparative Perspektive auf die drei Fraktionen. So zeichnet sich die Politikartikulation der FDP-Fraktion durch eine deutlich geringere Themenabdeckung aus, obwohl sie fast über den gesamten Zeitraum mehr EU-Themen als die Unionsfraktion auswählt (siehe

14.2 Themenabdeckung: Sämtliche europäische Politikfelder im Fokus …

299

Kapitel 10, Abbildung 10.4). Sie bleibt also wesentlich fokussierter als die anderen beiden Fraktionen. Aufschlussreich ist zudem ein Blick auf die Themenabdeckung der Parteiführungen, insbesondere der beiden Unionsparteien. Der niedrigere Median der CSU-Parteiführung resultiert aus ihrer weitaus geringeren Selektion europäischer Themen, zugleich liegt eine weitaus größere Spannbreite in der Themenabdeckung verglichen zur Parteiführung der Schwesterpartei vor. Folglich ist die CDU-Parteiführung in ihrer Themenabdeckung eingeschränkter. Bisher liegen Aussagen über das Ausmaß der Themenabdeckung vor. Doch welche der 26 Politikfelder greifen die innerparteilichen Akteure überhaupt auf? Um dies zu illustrieren, ist nachfolgend die Themenabdeckung korrespondierend zu den zwei beobachteten Wahlperioden des Europäischen Parlaments dargestellt (siehe Tabelle 14.1). Natürlich verändern sich aufgrund der viel stärkeren zeitlichen Aggregation die Angaben zur Themenabdeckung im Vergleich zur obigen Analyse. Ein Politikfeld gilt nun als abgedeckt, wenn es mindestens einmal in der fünfjährigen Periode aufgegriffen wird. Für die Auswertung sind deshalb insbesondere die nichtausgewählten Politikfelder von Interesse und ob auffällige Unterschiede zwischen den beiden EP-Wahlperioden deutlich werden. Über alle innerparteilichen Akteure hinweg häuft sich die Nichtselektion bei den Politikfeldern Fischereipolitik, Gesundheit, Arbeit und Soziales, Bildung und Jugend sowie dem Bereich von Kultur, Medien, Sport. Auffällig ist hierbei zum einen, dass es sich abgesehen von der Fischereipolitik um Politikfelder handelt, in denen die EU nur über eingeschränkte Kompetenzen verfügt. Zum anderen verwundert die Nichtselektion etwa des Politikfelds Arbeit und Soziales kaum, da mit den ausgewählten Parteien nicht jene beobachtet werden, deren Schwerpunkt auf der Arbeitnehmerpolitik liegen.6 Inwieweit diese beiden Einflussfaktoren – europäische Handlungsagenda und Parteisalienz – tatsächlich eine Rolle spielen und die Themenselektion beeinflussen, ist Gegenstand von Kapitel 16. An dieser Stelle nun zurück zur weiteren Deskription nichtausgewählter Politikfelder. Innerhalb einer Partei ist das Ignorieren eines Politikfeldes durch alle drei innerparteilichen Akteure nur relativ selten festzustellen. So bleibt das Politikfeld „weitere Infrastrukturpolitik“7 in der Politikartikulation der CDU-Akteure während der 5. EP-Wahlperiode gänzlich außen vor. Im selben Zeitraum ignorieren 6

Vergleich hierzu die Salienzwerte basierend auf den CMP-Wahlprogrammanalysen in Anhang E im elektronischen Zusatzmaterial. 7 Dies umfasst allgemeine Infrastrukturpolitikansätze und Telekommunikationspolitik, Details siehe Anhang G im elektronischen Zusatzmaterial.

300

14

Europäische Politikfelder: Aufmerksamkeit …

Tabelle 14.1 Themenabdeckung in der Politikartikulation der innerparteilichen Akteure, 5. und 6. EP-Wahlperiode B90/Die Grünen

PT

PF

FDP

CDU

CSU

Union

BTF

PT

PF

BTF

PT

PF*

PT

PF*

BTF

EU-Vertragswerk Geogr. Erweiterung EU-Haushalt 1

Binnenmarkt Verbraucherschutz

Einwanderung u. Asyl

Gesundheit Arbeit und Soziales dem. Freiheitsrechte

weitere Infrastruktur Techn. u. Forschung 2

Bildung und Jugend Kultur, Medien, Sport k

GASP Entwicklungshilfe

Themenabdeckung, absolute Werte

5. EP

20

15

26

16

5

25

22

13

19

14

25

6. EP

22

22

26

14

17

26

21

15

15

15

26

Themenabdeckung, standardisiert 5. EP

0,77 0,58 1,00 0,62 0,19 0,96 0,85 0,50 0,73 0,54

0,96

6. EP

0,85 0,85 1,00 0,54 0,65 1,00 0,81 0,58 0,58 0,58

1,00

Anmerkungen: ohne Wahl- und Grundsatzprogramme. 5. Wahlperiode des EP, 6. Wahlperiode des EP. *einschließlich der Unions-Gemeinschaftsbeschlüsse; PT: Parteitag; PF: Parteiführung; BTF: Bundestagsfraktion. 1: Wirtschafts- und Finanzpolitik auf der Makroebene; 2: einschließlich Tourismus. Quelle: eigene Erhebungen.

14.3 Die wichtigsten Politikfelder in der Politikartikulation …

301

die FDP-Akteure das Feld der demokratischen Freiheits- und Schutzrechte. Überraschend ist die Nichtselektion eines der zentralen Felder des politischen Liberalismus weniger, wenn die häufige Einschätzung zur inhaltlichen Ausrichtung der FDP berücksichtigt wird, wonach sie sich von diesem Kompetenzbereich zunehmend zurückgezogen hat respektive sich über die Zeit thematisch zunehmend auf die Wirtschaftspolitik bzw. Steuerpolitik verengt hat. Die hier abgebildete Themenabdeckung widerspricht der formulierten Vermutung, dass in Parteien mit einem schwächeren Prinzipal die Parteiführungen letztlich Verantwortung für mehr EU-Themen und vor allem für mehr EU-PolicyThemen nehmen (Hypothese 4.2). Entlang dieser beobachteten Dimension der Politikartikulation zeigt sich nicht, dass die CDU- und die CSU-Parteiführung mehr Policy-Themen abdecken als die Parteiführungen von B90/Die Grünen und von der FDP. Abschließend ist noch der vergleichende Blick auf das Ausmaß der Themenabdeckung zwischen der 5. und 6. EP-Wahlperiode gerichtet, welcher auf einem stark aggregierten Niveau Veränderungen über die Zeit liefert. In der 6. Wahlperiode greifen die Akteure tendenziell mehr Politikfelder auf. Nur die Parteitage von FDP und CSU reduzieren ihre Themenabdeckung leicht. Auffällig ist die erheblich ausgeweitete Themenabdeckung in der 6. EP-Wahlperiode der GrünenParteiführung und der FDP-Parteiführung. Basierend auf den Erkenntnissen über die Selektionsentscheidungen über die Zeit (vgl. Kapitel 10) zeigt sich hier, dass die häufigere Zuwendung zu EU-Angelegenheiten im Beobachtungsjahr 2006/07 mit einer Zunahme der Themenabdeckung in der Politikartikulation der GrünenParteiführung einhergeht. Die höhere Themenabdeckung der FDP-Parteiführung steht im Zusammenhang mit ihrer generell höheren Aufmerksamkeit für EUAngelegenheiten seitdem die organisatorische Rückkopplung mit der europäischen Parteielite wieder in der Parteiführung etabliert ist. Diese hier abgebildete Ausweitung der Themenabdeckung unterfüttert das obige Ergebnis, wonach die Bedeutung der EU-Politikgestaltung für die FDP-Parteiführung gestiegen ist, nun mit detaillierten Angaben zu Politikfeldern.

14.3

Die wichtigsten Politikfelder in der Politikartikulation der innerparteilichen Akteure

Dieser Abschnitt widmet sich nun den wichtigsten europäischen Politikfeldern, die die akteursorientierte Politikartikulation prägen. Die nachfolgende Tabelle 14.2 gibt die Werte für die ermittelte Themenwichtigkeit über die Zeit für jeden innerparteilichen Akteur wieder. Für die weitere Exploration ist der Fokus

302

14

Europäische Politikfelder: Aufmerksamkeit …

auf die jeweils wichtigsten drei Politikfelder gerichtet, die mithilfe eines Rankings der angegebenen Werte ermittelt wurden (grau hinterlegte Werte in Tabelle 14.2). Für alle innerparteilichen Akteure besteht eine hohe Relevanz der Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik (GASP). Neben dem Binnenmarkt stellt die Agrarpolitik partei- und akteursübergreifend ein weiteres wichtiges Politikfeld dar, wobei die Agrarpolitik für die Fraktionen das wichtigste Politikfeld im gesamten Untersuchungszeitraum ist und von der es wiederum im EU-Kontext heißt, dass es sich hier um eines der wichtigsten Politikfelder der EU handelt (siehe u. a.Hix 2005: 281; Nugent 2006: 455–463). Von jenen Themen, die zuvörderst Polity-Aspekte abbilden (EU-Vertragswerk, geografische Erweiterung, EU-Institutionen) tritt die geografische Erweiterung partei- und akteursübergreifend am ehesten als besonders wichtig hervor. Davon ausgenommen sind zwei Prinzipale (FDP-Parteitag und CDU-Parteitag). Somit korrespondiert dieses Bild mit den obigen Ergebnissen über die geringe Relevanz dieses Themas für den FDP-Parteitag. Weitaus weniger Überraschendes liefert der Blick in die CSU, wenn wie bei den Grünen für die Datenexploration die grundlegenden wichtigen (Kern-) Themen der Partei im Hinterkopf behalten werden. So verwundert es kaum, dass in einer Partei mit starken Wurzeln in der Agrarwirtschaft die europäische Agrarpolitik für den Parteitag besonders wichtig istund dieses deutlich stärker als für den Parteitag der Schwesterpartei oder der FDP. Hingegen ist für den CDUParteitag das Politikfeld Justiz und Inneres besonders wichtig, was durchaus mit dem Kernthema Sicherheit der CDU korrespondiert. Besonders wichtige europäische Politikfelder für den FDP-Parteitag betten sich ebenfalls in die generelle inhaltliche Ausrichtung der Partei ein. So überrascht keineswegs die hohe Bedeutung der Binnenmarkt- und Steuerpolitik sowie des Bereichs der Justiz- und Innenpolitik. Jedoch schenkt die FDP-Parteiführung letzterem Politikfeld besonders wenig Beachtung – was sich noch verschärft, wenn hier die Grünen-Parteiführung vergleichend hinzuzogen wird. Erstaunlich ist dies vor dem Hintergrund, dass es sich hierbei um ein Politikfeld handelt, welches die Grundfesten des Liberalismus berührt. Denn insbesondere nach den Terroranschlägen in Spanien 2004 werden die Entwicklungen der europäischen Terrorismusbekämpfung vorangetrieben, die einen nicht unerheblichen Einfluss auf die Freiheits- sowie Schutzrechte der EU-Bürgerinnen und Bürger haben. Auch am Politikfeld der demokratischen Freiheits- und Bürgerrechte zeigen die FDP-Akteure gegenüber den europäischen Entwicklungen nur ein geringes Interesse und zwar deutlich geringer als das die innerparteilichen Akteure der Grünen und der CDU (einzig für die CSU-Parteiführung ist der Bereich noch unwichtiger).

0,40

0,70

0,30

0,00

0,15

0,30

0,35

0,55

0,40

0,40

0,50

0,05

0,00

0,10

0,45

0,45

0,20

0,40

EU-Vertragswerk

Geogr. Erweiterung

EU-Institutionen

EU-Haushalt

Wirtschaft u. Finanz1

Binnenmarkt

Verbraucherschutz

Steuerpolitik

Justiz und Inneres

Einwanderung u. Asyl

Agrarpolitik

Fischereipolitik

Gesundheit

Arbeit und Soziales

dem. Freiheitsrechte

Umweltpolitik

Verkehrspolitik

Energiepolitik

0,45

0,00

0,55

0,20

0,05

0,05

0,05

0,40

0,35

0,40

0,25

0,30

0,30

0,15

0,05

0,15

0,40

0,15

0,50

0,40

0,60

0,45

0,35

0,40

0,30

0,95

0,45

0,40

0,55

0,65

0,70

0,45

0,35

0,55

0,80

0,60

0,20

0,05

0,25

0,05

0,10

0,05

0,10

0,35

0,05

0,45

0,55

0,10

0,55

0,35

0,10

0,30

0,15

0,10

FDP PT

BTF

PT

PF

Grüne

0,15

0,00

0,20

0,10

0,00

0,00

0,05

0,30

0,05

0,05

0,15

0,00

0,05

0,10

0,20

0,30

0,40

0,15

PF

0,45

0,45

0,65

0,25

0,25

0,40

0,25

0,85

0,40

0,55

0,50

0,50

0,65

0,60

0,45

0,60

0,70

0,50

BTF

0,25

0,25

0,20

0,15

0,05

0,10

0,00

0,15

0,20

0,35

0,10

0,15

0,40

0,10

0,10

0,30

0,25

0,30

PT

CDU

0,05

0,20

0,10

0,20

0,00

0,00

0,00

0,15

0,00

0,15

0,00

0,10

0,10

0,30

0,15

0,30

0,50

0,50

PF*

0,20

0,20

0,30

0,05

0,00

0,10

0,00

0,55

0,10

0,05

0,35

0,40

0,35

0,05

0,10

0,40

0,55

0,75

PT

CSU

Tabelle 14.2 Die Wichtigkeit von EU-Politikfeldern für die innerparteilichen Akteure, Juni 1999–Juni 2009

0,00

0,05

0,10

0,05

0,00

0,05

0,00

0,15

0,00

0,05

0,10

0,10

0,30

0,20

0,20

0,30

0,30

0,25

PF*

Union

(Fortsetzung)

0,40

0,55

0,70

0,35

0,30

0,35

0,15

1,00

0,50

0,30

0,25

0,70

0,65

0,50

0,35

0,40

0,65

0,45

BTF

14.3 Die wichtigsten Politikfelder in der Politikartikulation … 303

0,15

0,15

0,10

0,05

0,20

0,80

0,15

Strukturpolitik2

Bildung und Jugend

Kultur, Medien, Sport

Außenwirtschaftspolitik

GASP

Entwicklungshilfe

0,05

0,50

0,15

0,00

0,00

0,05

0,05

0,10

0,35

0,65

0,40

0,35

0,25

0,35

0,45

0,20

0,05

0,55

0,30

0,25

0,20

0,10

0,25

0,05

0,05

0,25

0,00

0,00

0,00

0,05

0,15

0,00

PF

0,35

0,85

0,50

0,15

0,25

0,30

0,45

0,35

BTF

CDU

0,10

0,30

0,20

0,05

0,10

0,10

0,20

0,05

PT

0,00

0,25

0,00

0,10

0,00

0,25

0,10

0,05

PF*

CSU

0,05

0,50

0,30

0,05

0,00

0,35

0,15

0,05

PT

0,05

0,25

0,10

0,05

0,00

0,15

0,00

0,00

PF*

Union

0,35

0,60

0,50

0,35

0,35

0,30

0,50

0,20

BTF

14

Anmerkungen: Standardisierte Werte der Themenwichtigkeit unter Berücksichtigung von Themenselektion und Stärke der Aufmerksamkeit (eines der wichtigsten drei Themen pro Beobachtung), wobei 0 für unwichtig und 1 sehr wichtig steht. Fett hervorgehoben sind die wichtigsten Politikfelder. *einschließlich Gemeinschaftsbeschlüsse der Parteiführungen von CDU und CSU. 1: Wirtschafts- und Finanzpolitik auf der Makroebene; 2: einschließlich Tourismus. Quelle: eigene Berechnung und Darstellung.

0,05

Techn. u. Forschung

FDP PT

BTF

PT

PF

Grüne

weitere Infrastruktur

Tabelle 14.2 (Fortsetzung)

304 Europäische Politikfelder: Aufmerksamkeit …

14.4 Wahlprogramme: Ausmaß der Themenabdeckung …

305

Anhand dieser Diskussion auffälliger Ergebnisse zu den besonders wichtigen europäischen Politikfeldern wird bereits deutlich, dass sich mitunter Parallelen zu bekannten Kernthemen bzw. thematischen Schwerpunkten der Parteien insgesamt erkennen lassen. Zugleich weisen aber die relativ hohe Bedeutung der Umweltpolitik insbesondere für die FDP-Fraktion und die Unionsfraktion und die durchgängig hohe Wichtigkeit der Agrarpolitik für alle innerparteilichen Akteure darauf hin, dass allein in der Parteisalienz keine Erklärung für die Themenselektion liegen kann. So gehört die Umweltpolitik nicht zu den besonders wichtigen Themen von FDP und den Unionsparteien. Auch die hohe Bedeutung der Agrarpolitik für alle Parteien erschließt sich nicht wirklich aus den bekannten Daten über Parteisalienzen.8 Wird indes bedacht, dass in den Untersuchungszeitraum die größten Reformprojekte der europäischen Agrarpolitik fallen – angefangen mit der Agenda2000 (Umstellung der Agrarpolitik insbesondere vor dem Hintergrund der EU-Osterweiterung) bis hin zur Gesundheitsprüfung der Agrarpolitik im Jahr 2008, mit der die Umstellung auf produktionsunabhängige Direktzahlungen fortgesetzt bzw. in vielen Bereichen vollendet wurde – dann wird die hohe Bedeutung des Themenbereichs wieder nachvollziehbarer, wenn die europäische Handlungsagenda als zweite erklärende Variable für die Themenselektion berücksichtigt wird. Inwiefern die hier vorgestellte Auswahl der wichtigsten europäischen Politikfelder bzw. allgemeiner formuliert, die thematische Schwerpunktsetzung, der innerparteilichen Akteure nun systematisch in den Zusammenhang mit den zugrundeliegenden Parteisalienzen und der europäischen Handlungsagenda gebracht werden können, ist Gegenstand der Analyse in Kapitel 16. Diese Fragestellung nach den Einflussfaktoren bleibt noch für einen Moment hintenangestellt. Denn im nächsten Abschnitt soll noch die Themenabdeckung und Stärke der Aufmerksamkeit in den Wahlprogrammen vorgestellt werden.

14.4

Wahlprogramme: Ausmaß der Themenabdeckung und die wichtigsten europäischen Politikfelder

Parallel zur vorangestellten Analyse der akteursorientierten Politikartikulation wird nun ebenfalls als erstes das Ausmaß der Themenabdeckung in den Wahlprogrammen in Augenschein genommen. Da innerhalb des Untersuchungszeitraums nur je drei Europa- und Bundestagswahlprogramme verabschiedet wurden, erfolgt 8

Siehe hierzu im Vergleich die Salienzwerte aus den CMP/MARPOR-Datensätze abgebildet in Anhang E im elektronischen Zusatzmaterial.

306

14

Europäische Politikfelder: Aufmerksamkeit …

die Deskription mithilfe der Spannweite bzw. des Ranges der standardisierten Themenabdeckung. Die dargestellten Ergebnisse in Tabelle 14.3 belegen eine tendenziell höhere Themenabdeckung in den Europa- als in Bundestagswahlprogrammen. Konkret liegt eine Themenabdeckung von mindestens mehr als der Hälfte der 26 Politikfelder in allen Europawahlprogrammen vor (geringster Wert von 0,58 bei der CSU), mitunter tritt die komplette Abdeckung des Themenspektrums ein. Bezeichnend für das Ausmaß der Themenabdeckung in der Europawahlprogrammatik ist, dass die Werte bei Grünen und FDP über dem Niveau ihrer Bundestagswahlprogramme liegen. Bei den Unionsparteien hingegen tritt eine höhere Themenabdeckung im nationalen Wahlprogramm ein, auch wenn das Ausmaß der Themenabdeckung in ihrer Bundestagswahlprogrammatik auf einem eher niedrigeren Niveau startet.

Tabelle 14.3 Range der standardisierten Themenabdeckung in Bundestags- und Europawahlprogrammen, 1999–2009 Europawahlprogramme

Bundestagswahlprogramme

B90/Die Grünen

0,88 – 1,00

0,42 – 0,73

CDU

0,65 – 0,77

0,38 – 0,81*

CSU

0,58 – 0,77

0,38 – 0,81*

FDP

0,69 – 0,85

0,38 – 0,69

Median

0,77

0,65

Anmerkungen: *gemeinsames Wahlprogramm von CDU und CSU. Themenabdeckung maximal 26 Themenbereiche, standardisierte Werte. Median ermittelt für alle Wahlprogramme pro Kategorie. Quelle: eigene Berechnung und Darstellung.

Insgesamt unterstreichen die wenigen Beobachtungen zu den Wahlprogrammen, dass die Parteien EU-Policy-Themen wesentlich ausgefeilter im Kontext der Europawahlen aufgreifen – zumindest in der Wahlprogrammatik – und damit letztlich jenen Kontext wählen, der gemäß Mair Ort der Auseinandersetzungen über EU-Policy sein sollte (Mair 2000).9

9

Seine Argumente für eine komplette Arbeitsteilung zwischen europäischen und nationalen Wahlkämpfen in Policy-Themen (europäischer Wettbewerb) und Polity-Themen (nationaler Wettbewerb) vernachlässigt indes die Implikationen der EU-Policy für den nationalen Handlungsrahmen und die daraus entstehende Notwendigkeit nationaler Parteiakteure, ebenfalls EU-Policy im nationalen Wettbewerb zu adressieren.

14.4 Wahlprogramme: Ausmaß der Themenabdeckung …

307

Hinsichtlich der Themenabdeckung ist des Weiteren die vergleichende Perspektive auf die Politikartikulation im Nichtwahlkontext und im Wahlkontext relevant. Vor dem Hintergrund der theoretischen Argumentation zur komplementären Themenselektionsstrategie wird erwartet, dass die Themenabdeckung im Nichtwahlkontext einen wesentlich größeren Umfang haben müsste. Wird die Politikartikulation der drei innerparteilichen Akteure in ihrer Gesamtheit betrachtet (Gesamtpartei in Tabelle 14.4), dann zeigt sich zunächst für fast alle Vergleiche, dass ein breiteres Themenspektrum im Nichtwahlkontext wahrscheinlicher. Als Ausnahme sind hier die Grünen-Europawahlprogramme zu nennen, für die eine sehr breite Themenabdeckung kennzeichnend ist. Das Auftreten einer geringeren Themenabdeckung in den Bundestagswahlprogrammen ist insgesamt deutlich häufiger, sodass sich zumindest in Bezug zu den nationalen Wahlen der erwartete unterschiedliche Umgang mit den europäischen Themen (enges vs. breites Themenspektrum) eindeutig bestätigt findet. Vor dem Hintergrund der ermittelten höheren Themenabdeckung in der Politikartikulation der drei Fraktionen ist weniger überraschend, dass diese wesentlich häufiger ein breiteres Themenspektrum abdecken als die Wahlprogrammatik ihrer Parteien. Ein Stück weit überraschend ist jedoch, dass die beiden anderen innerparteilichen Akteure mit ihrer jeweiligen Politikartikulation eine größere Themenabdeckung als in der Bundestagswahlprogrammatik aufweisen. Also trotz der vermuteten inhaltlich orientierten Aufgabenteilung und damit einhergehenden vermuteten Spezialisierung auf Themen, sie allein ein breiteres Themenspektrum bedienen. Damit reichen die empirischen Belege für die komplementäre Themenselektionsstrategie über die formulierten Erwartungen hinaus, die die Verantwortung für das breitere Themenspektrum in den gemeinsamen Händen aller innerparteilichen Akteure zum Ausdruck brachten. Als nächstes ist der Blick auf die Wichtigkeit der verschiedenen EUPolitikfelder in der Wahlprogrammatik gerichtet. Bei der Inspektion der Daten fällt zunächst auf, dass EU-Politikfelder häufiger die Wertzuschreibung der höchsten Wichtigkeit (Wert 1) erhalten und infolgedessen auch von einer größeren Kontinuität über die Zeit in der thematischen Wichtigkeit zu sprechen ist (siehe Tabelle 14.5).10 Dies unterscheidet die Wahlprogrammatik von der Politikartikulation der innerparteilichen Akteure zu EU-Politikfeldern. Besonders hohe

10

Der Wert 1 kommt dann zustande, wenn über den Beobachtungszeitraum dem entsprechenden Politikfeld in jedem Wahlprogramm die stärkste Aufmerksamkeit zukommt (Rankingplatz Rang ipa i j wobei t=Beobachtungszeitpunkt, ipa=innerparteilicher Akteur, n=Anzahl der Beobachtungen. Wertebereich −1 bis +1, wobei −1 inhaltlich orientierte Aufgabenteilung zugunsten von ipaj und +1 inhaltlich orientierte Aufgabenteilung zugunsten von ipai .

Wichtig für die Bewertung des IOA-Maßes ist, den Grad der thematischen Ähnlichkeit zwischen den Akteuren zu beachten, da dieser den theoretisch erreichbaren Wertebereich des IOA-Maßes beschränkt. Infolgedessen muss zusätzlich die thematische Ähnlichkeit für einen Themenbereich ermittelt werden. Für die Interpretation folgt daraus, dass eine höhere thematische Ähnlichkeit die Bedeutung eines Themenbereichs in Händen eines innerparteilichen Akteurs im Sinne der inhaltlich orientierten Aufgabenteilung deutlich abmildert. Für die Berechnung der thematischen Ähnlichkeit kommt hier das Ähnlichkeitsmaß III zum Einsatz, welches ausdifferenziert ist für die Messung der Ähnlichkeit zwischen zwei innerparteilichen Akteuren (Formel 15.3) bzw. drei innerparteilichen Akteuren (Formel 15.4). In Bezug zur obigen Diskussion erfasst das Ähnlichkeitsmaß III das Verhältnis zwischen dem möglichen Ereignis „innerparteiliche Akteure räumen einem Themenbereich dieselbe Relevanz ein“ und dem Ereignis einer variierenden Relevanz. Formel 15.3 Ähnlichkeitsmaß III.I – Thematische Ähnlichkeit für einen Themenbereich zwischen zwei innerparteilichen Akteuren über die Zeit (TÄTB2 )

n ¨ 2= TATB

t=1 Rangvergleicht

n

  ipai , ipaj

324

15

Organisationsdimension in der Politikartikulation …

  Rangvergleicht ipai , ipaj =

0, wenn ungleicher Rang 1, wenn gleicher Rang

wobei t=Beobachtungszeitpunkt, ipa=innerparteilicher Akteur, n=Anzahl der Beobachtungen. Wertebereich 0 bis 1, wobei 0: komplette Unähnlichkeit und 1=komplette Ähnlichkeit.

Formel 15.4 Ähnlichkeitsmaß III.II – Thematische Ähnlichkeit für einen Themenbereich zwischen drei innerparteilichen Akteuren über die Zeit (TÄTB3 )

  ipa Rangvergleich , ipa , ipa t i j k t=1

n ¨ 3= TATB

  Rangvergleicht ipai , ipaj, ipak =

n 0, wenn ungleicher Rang 1, wenn gleicher Rang

wobei t=Beobachtungszeitpunkt, ipa=innerparteilicher Akteur, n=Anzahl der Beobachtungen. Wertebereich 0 bis 1, wobei 0: komplette Unähnlichkeit und 1=komplette Ähnlichkeit.

Abschließend soll noch einmal der Unterschied zum oben eingeführten Ähnlichkeitsmaß II herausgestellt werden: Das Ähnlichkeitsmaß II gibt das Ausmaß der thematischen Ähnlichkeit zwischen zwei innerparteilichen Akteuren wieder und greift deshalb auf sämtliche Themen des ex-ante festgelegten Themenspektrums zurück. Das Ähnlichkeitsmaß III fokussiert sich hingegen auf die Ähnlichkeit im Umgang mit einem Thema, hier operationalisiert anhand eines Themenbereichs.

15.2

Ausmaß der thematischen Ähnlichkeit in den Parteiorganisationen: Muster in der Heterogenität?

In allen vier Parteiorganisationen verdeutlicht die grafische Exploration dasselbe Muster im Hinblick auf die thematische Ähnlichkeit (vgl. Abbildung 15.1): Als erstes ist die Ähnlichkeit zwischen Parteitag und Parteiführung immer höher als

15.2 Ausmaß der thematischen Ähnlichkeit ...

325

zwischen Parteitag und Fraktion bzw. als zwischen Parteiführung und Fraktion. Als zweites liegt die Ähnlichkeit der Fraktion zum Parteitag auf einem leicht höheren Niveau als ihre Ähnlichkeit mit der Parteiführung. Damit widersprechen diese Beobachtungen zunächst der aufgestellten Hypothese 3.6, wonach die thematische Ähnlichkeit zwischen Parteitag und Parteiführung deutlich geringer sein sollte. Eine weiterführende Reflexion der abgebildeten thematischen Ähnlichkeit innerhalb einer Parteiorganisation bietet die Hinzunahme der thematischen Ähnlichkeit zwischen den drei Akteurstypen in parteiübergreifender Perspektive (vgl. Tabelle 15.1). Die aggregierten Angaben zur thematischen Ähnlichkeit für den gesamten Untersuchungszeitraum verdeutlichen, dass das Ausmaß der thematischen Ähnlichkeit zwischen den drei Fraktionen deutlich höher ist als das in ihrer Beziehung zu den innerparteilichen Akteuren ihrer Partei. Hintergrund hierfür könnte das Agieren der Fraktionen im selben institutionellen Kontext sein, welches beispielsweise bedingt durch gemeinsame Ausschuss- und Plenumssitzungen mit einer ähnlichen Zeitplanung als auch mit ähnlichen Informationszugängen einhergeht. Zugleich ist auch die thematische Ähnlichkeit zwischen den Parteiführungen und Parteitagen über die vier Parteiorganisationen hinweg hoch, d. h. sie sind deutlich ähnlicher als die der drei Fraktionen und grenzen sich kaum von der innerparteilichen Ähnlichkeit zwischen Parteitag und Parteiführung ab. Dieses Ergebnis ist insofern überraschend als dass grundsätzlich der institutionelle Kontext für die Fraktionen als wesentlich wirkungsvoller für die Themenselektion erachtet wurde. Deshalb wurde implizit eine deutliche höhere thematische Ähnlichkeit nur bei den Fraktionen erwartet wurde (siehe Hypothese 5.2) und nicht in stärkerem Ausmaß für das Handeln der Parteiführungen und Parteitage. Die Inspektion der Ergebnisse bringt eine weitere Auffälligkeit zu Tage: Abbildung 15.1 gibt eine sehr hohe thematische Ähnlichkeit zwischen Parteitag und Parteiführung wieder, beispielsweise für die FDP im Jahr 1999/00 oder für die CSU 2005/06. Diese beiden hohen Werte fallen mit der Tatsache zusammen, dass seitens beider Parteiführungen keine europäisierten Beschlüsse verabschiedet wurden. Im Ergebnis resultiert also die hohe thematische Ähnlichkeit auf einer hohen Überstimmung in der Nichtselektion europäischer Angelegenheiten. Vor diesem Hintergrund erfolgt eine weiterführende Betrachtung, die auf die Nichtselektion für das Zustandekommen der thematischen Ähnlichkeit eingeht. Um bezüglich der Relevanz von Nichtselektionsentscheidungen mehr Aufschluss zu erlangen, erfolgt ergänzend eine OLS-Regressionsanalyse, die die beobachteten Zusammenhänge absichert und zu einer abschließenden Interpretation des

326

15

Organisationsdimension in der Politikartikulation …

Ausmaßes der thematischen Ähnlichkeit überleitet. Trotz der zensierten Datenstruktur der Outcome Variable, wonach sich die Variable in einem Wertebereich zwischen 0 und 100 bewegt, ist hier der Einsatz der OLS-Regressionsanalyse statt eines Tobit-Regressionsmodells vertretbar, da die verzerrte Parameterschätzung umso wahrscheinlicher eintritt, je stärker die Limitationen der Outcome-Variable sind. Hier liegt hingegen nur einmalig der Wert im Grenzbereich vor (0, Beobachtungspunkt für die FDP, 2006/07, Vergleich Parteiführung-Fraktion).6 Für die weiterführende Analyse zum Ausmaß der thematischen Ähnlichkeit kommen zwei Variablen zum Einsatz: Mit der ersten Variablen dumnoSel wird erfasst, ob ein innerparteilicher Akteur keinerlei Aspekte des europäischen Themenkanons aufgreift. In der Regel handelt es sich hierbei um die Parteiführung, im Falle der CDU vor allem um den Parteitag. Die zweite Variable erfasst die Anzahl der Übereinstimmungen zweier Akteure in ihrer Nichtselektion von europäischen Politikfeldern zu einem Messpunkt, die immer zu einer 100 %igen thematischen Übereinstimmung im jeweiligen Politikfeld führt (NoSel). Die Regressionsanalyse veranschaulicht signifikante Unterschiede im Ausmaß der thematischen Ähnlichkeit in Abhängigkeit vom betrachteten Akteurspaar: Die Ähnlichkeit zwischen der Fraktion und den jeweils beiden anderen Akteuren ist niedriger als zwischen Parteitag und Parteiführung (Tabelle 15.2, Modell 1) und dieser Zusammenhang besteht unabhängig von der Partei (Tabelle 15.2, Modell 2). Die Kontrolle auf die Nichtselektion zu jenen Messpunkten, an denen ein einzelner Akteur keinem einzigen EU-Thema Aufmerksamkeit schenkt, führt zu keinem statistischen Effekt des „Schweigens“ (Tabelle 15.2, Modell 3). Ein signifikant statistischer Effekt besteht für die Anzahl übereinstimmender Nichtselektionsentscheidungen von zwei beobachteten innerparteilichen Akteuren (NoSel): Eine höhere Anzahl übereinstimmender Nichtbeachtung der europäischen Angelegenheiten führt zu einem höheren Ausmaß der thematischen Übereinstimmung zwischen zwei innerparteilichen Akteuren und schwächt zugleich bestehende Unterschiede im Ausmaß der thematischen Ähnlichkeit innerhalb einer Partei deutlich ab (Tabelle 15.2, Modell 4). Konkret bedeutet das als erstes, dass sich Parteitag und Parteiführung in der Stärke der Aufmerksamkeit vor allem aufgrund übereinstimmender Nichtselektion europäischer Angelegenheiten weitaus ähnlicher sind. Als zweites ist festzuhalten, dass das abgebildete höhere Ausmaß der thematischen Ähnlichkeit zwischen 6

Infolgedessen weicht die getestete Parameterschätzung mithilfe eines Tobit-Modells von den Parametern der OLS-Regression nicht ab. Vorzuziehen ist die OLS-Regressionsanalyse, da hier Gütemaße geboten werden, die mit der Maximum-Likelihood-Schätzung einer TobitRegressionsanalyse nicht gegeben sind.

15.2 Ausmaß der thematischen Ähnlichkeit ...

327

Abbildung 15.1 Ausmaß der thematischen Ähnlichkeit zwischen den innerparteilichen Akteuren von B90/Die Grünen, CDU, CSU und FDP im Zeitverlauf (Juni 1999–Juni 2009). Anmerkungen: PT: Parteitag, PF: Parteiführung, BTF: Bundestagsfraktion. Thematische Ähnlichkeit zwischen 0 und 100, wobei 0 = keine Ähnlichkeit und 100 = komplette Ähnlichkeit. Berechnungen auf Basis von Formel 15.1. (Quelle: eigene Berechnungen und eigene Darstellung)

Parteitag und Parteiführung als ein herausragendes Merkmal an Bedeutung verliert. Vielmehr verbleibt das Ausmaß an innerparteilicher Ähnlichkeit in den verschiedenen Vergleichsperspektiven auf einem vergleichbaren Niveau. Es liegt nur noch ein statistisch signifikanter Zusammenhang (jedoch auf einem geringen Signifikanzniveau) mit einer deutlich geringeren Effektstärke dafür vor, dass sich Fraktion und Parteiführung in ihrer Themenauswahl unähnlicher sind als Parteitag und Parteiführung.7 Mit diesen Ergebnissen wird also deutlich, dass auch unter Berücksichtigung einer von der Nichtselektion induzierten Ähnlichkeit in der Politikartikulation die Vermutung nicht belegt wird, dass die grundsätzliche innerparteiliche Ressourcenausstattung und Aufgabenteilung zu einer deutlich geringeren thematischen Ähnlichkeit zwischen Parteitag und Parteiführung führen müsste (Hypothese 3.6). 7

Zugleich erhöht die Hinzunahme dieser Kontrollvariable deutlich die erklärte Varianz um knapp 24 Prozentpunkte auf 82 Prozent.

328

15

Organisationsdimension in der Politikartikulation …

Wird also die Aufmerksamkeitsstärke für die diversen europäischen Politikfelder in der Politikartikulation der drei innerparteilichen Akteure in vergleichender Perspektive betrachtet und anhand des Ausmaßes der thematischen Ähnlichkeit zusammengeführt, dann lassen sich nicht die vermuteten Konsequenzen auf die Politikartikulation erkennen. Darüber hinaus ist ein Parteieneffekt erkennbar, wonach die thematische Ähnlichkeit zwischen den Akteuren innerhalb der Grünen-Parteiorganisation deutlich höher ist. Die zusätzliche Kontrolle auf den interagierenden Effekt zwischen Partei und der Anzahl übereinstimmender Nichtselektion (Tabelle 15.2, Modell 5) unterstreicht, dass die höhere thematische Ähnlichkeit zwischen der Politikartikulation der Grünen-Parteiakteure signifikant weniger auf übereinstimmende

Tabelle 15.1 Ausmaß der thematischen Ähnlichkeit – innerparteiliche und akteurstyporientierte Vergleichsperspektive, gesamter Untersuchungszeitraum Thematische Ähnlichkeit: Innerparteiliche Vergleichsperspektive Mittelwert

Median

Standardab-weichung

Grüne PT zu PF

60,13

58,58

12,333

PT zu BTF

40,07

45,61

14,208

PF zu BTF

30,71

31,93

16,579

PT zu PF

71,26

73,81

17,212

PT zu BTF

29,66

31,96

14,215

PF zu BTF

23,88

25,79

10,722

CDU

CSU PT zu PF

66,80

60,38

16,374

PT zu BTF

33,61

34,49

15,241

PF zu BTF

27,92

33,68

11,544

FDP PT zu PF

68,00

71,10

15,264

PT zu BTF

27,17

30,53

11,439

PF zu BTF

24,41

23,98

10,131 (Fortsetzung)

15.2 Ausmaß der thematischen Ähnlichkeit ...

329

Tabelle 15.1 (Fortsetzung) Thematische Ähnlichkeit: Akteurstyporientierte Perspektive, parteiübergreifend Mittelwert

Median

Standardab-weichung

Grüne – CDU

52,45

52,75

16,241

Grüne – CSU

57,29

56,09

12,003

Grüne – FDP

51,33

51,84

14,915

CDU – CSU

61,18

57,15

15,178

CDU – FDP

61,78

59,93

17,370

CSU – FDP

60,71

57,03

13,035

Grüne – CDU

63,41

69,20

14,419

Grüne – CSU

65,55

65,64

17,100

Grüne – FDP

69,26

66,45

18,091

CDU – CSU

81,41

87,91

15,657

CDU – FDP

74,01

76,92

14,644

CSU – FDP

77,79

78,85

14,163

54,91

53,87

4,149

Parteitage

Parteiführungen

Fraktionen Grüne – CDU/CSU Grüne – FDP

55,25

57,54

7,327

FDP – CDU/CSU

55,62

55,73

5,823

Anmerkungen: PT: Parteitag, PF: Parteiführung, BTF: Bundestagsfraktion. Thematische Ähnlichkeit zwischen 0 und 100, wobei 0 = keine Ähnlichkeit und 100 = komplette Ähnlichkeit. Berechnungen auf Basis von Formel 15.1. Quelle: eigene Berechnungen und eigene Darstellung.

Nichtselektion zurückzuführen ist. Sie ist vielmehr ein Resultat der breiteren thematischen Abdeckung europäischer Politikfelder aller drei innerparteilichen Akteure (vgl. hierzu in Kapitel 14 Abbildung 14.1). Hierbei handelt es sich ausschließlich um einen parteispezifischen Effekt, nicht jedoch um einen Zusammenhang zu den zugrundeliegenden Parteiorganisationsmustern. Zwar weist Modell 6 in Tabelle 15.2 der Parteiorganisation einen positiv statistisch signifikanten Einfluss zu, demzufolge ein höherer formeller Stellenwert des Prinzipals zu einem höheren Ausmaß thematischer Ähnlichkeit führt. Hier mahnen aber das relativ große Konfidenzintervall des Parameters und die Modellspezifikationen

von

bis

95% K.I.

von

bis

95% K.I.

Modell 2 b (Std.Fehler) von

bis

95% K.I.

Modell 3 b (Std.Fehler)

6,136 -0,915 13,187 (3,559)

0,355 -7,228 7,938 (3,827) 2,850 -4,733 10,433 (3,827) -1,741 -9,266 5,783 (3,798)

2,851*** (0,227)

2,401

3,301

0,586 119

0,579 119

0,587 119

0,823 119

2,511

0,826 119

bis

3,249

0,814 119

1,260 -16,770 19,291 (9,103)

2,331

57,696** 17,516 97,876 (20,285)

-1,768 -8,626 5,089 (3,462) -8,779* -15,496 -2,061 (3,391)

von

95% K.I.

Modell 6 b (Std.Fehler)

3,727 2,790*** (0,232)

-0,196 -0,921 0,529 (0,366) -0,817* -1,58 -0,053 (0,385) -0,139 -0,844 0,567 (0,356) 16,92*** 7,741 26,098 (4,631)

3,119*** (0,307)

1,839 3,585 -4,4 11,569 -3,090 6,767 (2,488) (4,029) 8,114** 14,157*** 6,484 21,831 3,094 13,134 (2,534) (3,872) -1,266 -0,02 -7,891 7,851 -6,194 3,662 (2,487) (3,972)

66,549*** 66,183*** 64,342*** 57,491 71,193 19,472*** 61,941 71,157 59,611 72,755 10,951 27,993 (2,327) (3,317) (3,458) (4,301)

5,847

9,620

8,762

bis

-0,784 -7,46 5,892 (3,369) -7,813* -14,352 -1,275 (3,299)

von

95% K.I.

Modell 5 b (Std.Fehler)

Anmerkungen: 1 IPP: innerparteiliches Akteurspaar. Referenzkategorie: Parteitag – Parteiführung; 2 Referenzkategorie: CDU. PT: Parteitag, PF: Parteiführung, BTF: Bundestagsfraktion. * p < 0,05, ** p < 0,01, *** p < 0,001.

R2 adjusted N

Konstante

_FDP

_Grüne

_CSU

NoSel x Partei

NoSel

dumnoSel

Parteiorganisation

1,173 -6,415 (3,831) 2,032 -5,557 (3,831) -1,741 -9,330 (3,831)

bis

-1,063 -7,781 5,655 (3,391) -8,097* -14,677 -1,518 (3,321)

von

95% K.I.

Modell 4 b (Std.Fehler)

15

FDP

Grüne

CSU

Parteien2

PT_BTF

-33,933*** -33,922*** -32,541*** -39,248 -25,835 -40,438 -27,406 -40,494 -27,350 (3,290) (3,317) (3,385) -39,816*** -39,816*** -39,356*** -45,894 -32,818 -46,332 -33,300 -46,388 -33,244 PF_BTF (3,290) (3,317) (3,300)

IPP1

b (Std.Fehler)

Modell 1

Tabelle 15.2 OLS-Regressionsanalyse zum Ausmaß der thematischen Ähnlichkeit

330 Organisationsdimension in der Politikartikulation …

15.3 Aufgabenteilung in der Politikartikulation ...

331

mit Parteien-Dummys (Tabelle 15.2, Modell 4 und 5), die nur einen statistischen Effekt für die Grünen aufzeigen, zur Vorsicht. Die geringe Bedeutung der Nichtselektion europäischer Themen innerhalb der Grünen erklärt nun wiederum, weshalb in der parteiübergreifenden Perspektive ein deutlich geringeres Ausmaß der Ähnlichkeit mit der Grünen-Parteiführung und dem Grünen-Parteitag besteht (siehe Tabelle 15.1). Ferner mahnen die Analyseergebnisse dazu, die höhere thematische Ähnlichkeit zwischen den vier Parteiführungen und vier Parteitagen nicht zu überbewerten. Stattdessen unterstreichen sie die qualitative Bedeutung der deutlich höheren thematischen Ähnlichkeit zwischen den Fraktionen und stützen somit das argumentative Hervorheben des besonderen institutionellen Kontexts für ihre ähnlichere Themenselektion.

15.3

Aufgabenteilung in der Politikartikulation zwischen den innerparteilichen Akteuren?

Dieser Abschnitt widmet sich nun der inhaltlich orientierten Aufgabenteilung und greift hierfür auf die thematische Ähnlichkeit zurück, die auf dem höchsten thematischen Abstraktionsniveau ermittelt wird. Mit der Betrachtung der thematischen Ähnlichkeit anhand der fünf europäischen Themenbereiche beruhen die nachfolgenden Ergebnisse auf einer anderen Datengrundlage und anderen Messung der thematischen Ähnlichkeit als die oben präsentierten Daten. Leitgebend für die Bewertung der ermittelten Werte sind die Vermutungen, dass Parteiführungen eher Polity−Themenbereiche bedienen (Hypothese 3.2) und dass Fraktionen eher die Themen der nationalen Politikgestaltung im EU-Kontext übernehmen (Hypothese 3.4). Zunächst ein Blick auf Auffälligkeiten über alle vier Parteiorganisationen hinweg. Markant ist die variierende thematische Ähnlichkeit zwischen den vier Parteiorganisationen (siehe Tabelle 15.3): Die höchste thematische Ähnlichkeit zwischen den verschiedenen innerparteilichen Akteuren existiert innerhalb von B90/Die Grünen. Damit zeigt sich eine hohe thematische Ähnlichkeit für diese Partei sowohl auf dem zuvor bewerteten thematischen Abstraktionsniveau der Politikfelder als auch hier für die fünf Themenbereiche. Zugleich folgt aus der hier attestierten vergleichsweise hohen thematischen Ähnlichkeit, dass die inhaltlich orientierte Aufgabenteilung innerhalb dieser Parteiorganisation vergleichsweise gering ausfällt. Die hier beobachtete thematische Ähnlichkeit ist innerhalb der FDP deutlich geringer, liegt aber über dem Niveau der beiden Unionsparteien. Im Hinblick auf die inhaltlich orientierte Aufgabenteilung zeigt sich über alle

332

15

Organisationsdimension in der Politikartikulation …

Parteien hinweg am häufigsten eine thematische Verschiebung zugunsten der Fraktion, in Summe jedoch in unterschiedlicher Bedeutung für die vier Parteien. Innerhalb der Grünen besteht die geringste inhaltlich orientierte Aufgabenteilung zugunsten der Fraktion. Innerhalb der CDU macht die Parteiführung der Fraktion deutlich Konkurrenz, wenn es um die stärkere Bedeutung in der Politikartikulation geht.

Tabelle 15.3 Inhaltlich orientierte Aufgabenteilung (IOA) und thematische Ähnlichkeit (TÄ) im Hinblick auf die fünf Themenbereiche zwischen den innerparteilichen Akteuren von B90/Die Grünen, CDU, CSU und FDP über den gesamten Untersuchungszeitraum PT u. PF

PT u. BTF

PF u. BTF

PT, PF, BTF

B90/Die Grünen

IOA



IOA



IOA



IOA*



Geograf. Erweiterung

0,3

0,5

−0,2

0,4

−0,6

0,2

BTF

0,2

Europäische Verträge

0,2

0,2

0,1

0,1

−0,2

0,4

PT

0,0

institutionelles Design

0,5

0,3

0,6

0,2

−0,5

0,1

PT

0,1

EU-Politikgestaltung

0,1

0,9

0,0

1,0

−0,1

0,9

keine

0,9

Nat. Pol-Making (EU-R.)

−0,3

0,5

−0,7

0,3

−0,4

0,6

BTF

0,2

Mittelwert TÄ

0,48

0,4

0,44

0,28

PT u. PF

PT u. BTF

PF u. BTF

PT, PF, BTF

CDU

IOA



IOA



IOA

IOA*

Geograf. Erweiterung

−0,3

0,3

−0,3

0,1

0,3

0,1

PF

0,1

Europäische Verträge

−0,4

0,4

−0,4

0,0

−0,2

0,0

BTF

0,0

institutionelles Design

−0,1

0,5

−0,2

0,0

0,2

0,0

PF

0,0

EU-Politikgestaltung

−0,1

0,5

−0,4

0,6

−0,5

0,5

BTF

0,4

Nat. Pol-Making (EU-R.)

0,0

0,4

−0,7

0,3

−0,7

0,1

BTF

0,1

Mittelwert TÄ

0,42





0,2

0,14

0,12

PT u. PF

PT u. BTF

PF u. BTF

PT, PF, BTF

CSU

IOA



IOA



IOA



IOA*

Geograf. Erweiterung

0,3

0,3

0,6

0,0

−0,2

0,2

PT

0,0

Europäische Verträge

0,3

0,3

0,0

0,2

−0,6

0,2

BTF

0,1

institutionelles Design

0,0

0,4

−0,3

0,1

−0,4

0,0

BTF

0,0

EU-Politikgestaltung

0,4

0,2

−0,2

0,8

−0,6

0,4

BTF

0,2

Nat. Pol-Making (EU-R.)

0,0

0,4

−0,7

0,3

−0,8

0,2

BTF

0,0

Mittelwert TÄ

0,32

0,28

0,2



0,06 (Fortsetzung)

15.3 Aufgabenteilung in der Politikartikulation ...

333

Tabelle 15.3 (Fortsetzung) PT u. PF

PT u. BTF

PF u. BTF

PT, PF, BTF

FDP

IOA



IOA



IOA



IOA*



Geograf. Erweiterung

−0,1

0,7

−0,9

0,1

−0,6

0,0

BTF

0,0

Europäische Verträge

−0,4

0,4

−0,8

0,0

−0,2

0,0

BTF

0,0

0,3

0,3

0,0

0,0

−0,3

0,1

BTF

0,0

institutionelles Design EU-Politikgestaltung

0,6

0,4

0,0

1,0

−0,6

0,4

keine

0,4

Nat. Pol-Making (EU-R.)

0,2

0,4

−0,5

0,5

−0,6

0,2

BTF

0,1

Mittelwert TÄ

0,44

0,32

0,14

0,1

Anmerkungen: PT: Parteitag, PF: Parteiführung, BTF: Bundestagsfraktion. Inhaltlich orientierte Aufgabenteilung (IOA) berechnet anhand der Formel 15.2. Positive Werte beziehen sich in der paarweisen Betrachtung immer auf den erstgenannten innerparteilichen Akteur. IAO*: für drei innerparteiliche Akteure unter Anwendung des paarweisen Vergleichs basierend auf Formel 15.2. Angegeben ist die eindeutige IAO zugunsten eines Akteurs. Thematische Ähnlichkeit (TÄ) berechnet anhand der Formel 15.3 für zwei innerparteiliche Akteure und anhand der Formel 15.4 für drei innerparteiliche Akteure. Wertebereich TÄ 0 bis 1, wobei 0 = keine Ähnlichkeit und 1 = komplette Ähnlichkeit. Wertebereich IOA −1 bis + 1. Standardisierte Werte. Quelle: eigene Berechnungen und Darstellung.

Als nächstes nun eine vertiefende Betrachtung der Parteiorganisationen in der Einzelperspektive. In der Parteiorganisation von B90/Die Grünen existiert eine sehr hohe Ähnlichkeit beim Themenbereich der europäischen Politikgestaltung, sodass sich hier keine innerparteiliche Aufgabenteilung erkennen lässt. Hier kommt die außergewöhnlich hohe Policy-Orientierung der Grünen-Parteiführung, die als eine Besonderheit im Vergleich zu den anderen Parteiführungen herausgearbeitet wurde, zum Tragen (vgl. hierzu Abschnitt 13.2.2). Erkennbar ist eine inhaltlich orientierte Aufgabenteilung zugunsten des Grünen-Parteitags hinsichtlich der Polity-Themen EU-Verträge und institutionelles Design gegenüber den anderen beiden Akteuren. Seine stärkere Verantwortung zeigt sich aber nicht beim Themenbereich geografische Erweiterung, welcher stärker in den Händen der Grünen-Fraktion liegt (siehe Kapitel 13, Abschnitt 13.2.3). Ferner liegt die nationale Politikgestaltung im EU-Regulierungskontext eindeutig in den Händen der Fraktion. Interessanterweise zeigt sich eine Aufgabenteilung zugunsten der Grünen-Parteiführung nur für den Themenbereich institutionelles Design im Verhältnis zur Fraktion. Innerhalb der FDP variiert die thematische Ähnlichkeit der einzelnen Themenbereiche recht stark. Besonders auffällig ist hier die fehlende bzw. geringe

334

15

Organisationsdimension in der Politikartikulation …

thematische Ähnlichkeit zwischen Fraktion und Parteitag bzw. Parteiführung, wenn es um die Themenbereiche geografische Erweiterung, EU-Verträge und institutionelles Design geht. Im Ergebnis liegt bei diesen Themenbereichen eine inhaltlich orientierte Aufgabenteilung zugunsten der Parlamentarier vor. Im Zusammenhang mit den zugrundeliegenden Erwartungen dieser Arbeit ist dieses Ergebnis durchaus überraschend, da diese höhere Verantwortung für die PolityThemen nicht unbedingt bei der Fraktion vermutet wurde. Darin manifestiert sich unter anderem die oben aufgedeckte Vertretungsrolle die die FDP-Fraktion eingenommen hat, als die FDP-Parteiführung zu Zeiten einer nichtexistierenden EP-Delegation den europäischen Angelegenheiten nur relativ selten Aufmerksamkeit schenkte. Des Weiteren liegt die Verantwortung für den Themenbereich nationale Politikgestaltung im EU-Kontext ebenfalls in Händen der Fraktion. Wie innerhalb der Grünen-Parteiorganisation lässt sich insgesamt keine hauptsächliche Verantwortung eines FDP-Akteurs für die EU-Politikgestaltung ausmachen. Verantwortlich ist hier die besonders hohe Policy-Orientierung des FDP-Parteitags (und nicht wie bei den Grünen die der Parteiführung). Ähnlich wie bei den Grünen zeichnet sich das Verhältnis zwischen Parteiführung und Fraktion durch eine stärkere Betonung aller Themenbereiche durch die Fraktion aus. Parallelen lassen sich für die CDU sowohl zu den Grünen als auch zur FDP ziehen: Wie in der FDP manifestiert sich eine thematische Ähnlichkeit bei den Polity-Themenbereichen zwischen Parteitag und Parteiführung. Ähnlich zu den Grünen zeigen sich die größten Gemeinsamkeiten bei allen innerparteilichen Akteuren beim Themenbereich der EU-Politikgestaltung, gleichwohl auf niedrigerem Niveau. Genauso wie in diesen beiden Parteien liegt auch hier die Verantwortung für die nationale Politikgestaltung im EU-Kontext bei der Unionsfraktion. Im Unterschied zu den beiden Parteien zeigt sich indes keine inhaltlich orientierte Aufgabenverteilung zugunsten des Parteitags. Damit unterscheidet sich die Aufgabenverteilung in der CDU erheblich von der in den anderen Parteien, in denen der Parteitag mit einer inhaltlich orientierten Aufgabenteilung bei mehreren Themenbereichen gegenüber der Parteiführung präsent ist. Eine hohe Bedeutung misst die CDU-Parteiführung den Polity-Themenbereichen geografische Erweiterung und institutionelles Design zu. Hier zeichnet sich eine inhaltlich orientierte Aufgabenteilung zugunsten der Parteiführung ab. Innerhalb der CSU besteht die größte thematische Ähnlichkeit zwischen CSU-Parteiführung und CSU-Parteitag, allerdings auf einem weitaus niedrigeren Niveau verglichen zu den anderen Parteien. Denn insgesamt zeigt sich hier zugunsten des CSU-Parteitags bei drei von fünf Themenbereichen eine Aufgabenteilung (geografische Erweiterung, EU-Verträge und EU-Politikgestaltung).

15.3 Aufgabenteilung in der Politikartikulation ...

335

Ähnlich wie bei der FDP und bei den Grünen zeichnet sich das Verhältnis zwischen Parteiführung und Fraktion durch eine inhaltlich orientierte Verantwortung bei der Fraktion aus. Die geografische Erweiterung erfährt eine deutlich stärkere Betonung durch den CSU-Parteitag, sodass dieser Themenbereich deutlich in der Verantwortung des Prinzipals liegt. Interessanterweise ist beim CSU-Parteitag und bei der CSU-Parteiführung eine höhere thematische Ähnlichkeit mit der Unionsfraktion zu beobachten als dass der Fall für die innerparteilichen Akteure der CDU ist. Ein ergänzender Blick auf die thematische Ähnlichkeit innerhalb der drei Akteursgruppen verdeutlicht die weitaus höhere thematische Ähnlichkeit zwischen den drei Fraktionen im Vergleich zu den Parteitagen und den Parteiführungen (vgl. Tabelle 15.4). D. h. hier liegt ein wesentlich deutlicherer Hinweis als mit der obigen Analyse vor, dass eine höhere thematische Ähnlichkeit mit einem gemeinsamen institutionellen Handlungskontext einhergeht und bekräftigt die Hypothese 5.2.

Tabelle 15.4 Thematische Ähnlichkeit im Hinblick auf die fünf Themenbereiche nach Akteurstypen und parteiübergreifend über den gesamten Untersuchungszeitraum Parteitag

Parteiführung

Fraktion

Geografische Erweiterung

0,1

0,2

0,2

Europäische Verträge

0,1

0,0

0,1

institutionelles Design

0,1

0,2

0,5

EU-Politikgestaltung

0,5

0,1

1,0

Nat. Politikgestaltung (EU-Reg.)

0,1

0,1

0,8

Anmerkungen: Thematische Ähnlichkeit berechnet anhand der Formel 15.4. Wertebereich 0 bis 1, wobei 0 = keine Ähnlichkeit und 1 = komplette Ähnlichkeit. Standardisierte Werte. Quelle: eigene Berechnungen und Darstellung.

Werden die Ergebnisse aus Tabelle 15.3 und Tabelle 15.4 zusammengeführt, dann zeigt sich unabhängig von der Parteiorganisation eine Verantwortung aller Fraktionen für die nationale Politikgestaltung im EU-Regulierungskontext. Somit bestätigen diese die formulierte Erwartung in Hypothese 3.4. Indes liegt nicht in allen Parteien eine größere Verantwortung für EU-Polity-Themen in Händen der Parteiführungen. Vielmehr wird hier ein sehr diverses Bild aufgedeckt. Dementsprechend bestätigen die Beobachtungen entlang der fünf Themenbereiche nicht die formulierte Erwartung in Hypothese 3.2. Ferner wird trotz der generell höheren thematischen Ähnlichkeit zwischen Parteitag und Parteiführung eine gewisse

336

15

Organisationsdimension in der Politikartikulation …

Aufgabenteilung zugunsten des Parteitags offensichtlich. Ausnahme ist hierbei der CDU-Parteitag. In den beiden Parteien mit einem stärkeren Prinzipal (B90/Die Grünen, FDP) betont dieser vergleichsweise häufiger Themenbereiche gegenüber der Fraktion und der Parteiführung als in beiden Parteien mit einem schwächeren Prinzipal. Jedoch zeichnet sich der CSU-Parteitag durch eine deutlich höhere Dominanz aus, sodass für die Parteiorganisationen mit einem schwächeren Prinzipal kein einheitliches Bild vorliegt. Folglich lassen sich diese Ergebnisse nicht systematisch in den Zusammenhang mit einer variierenden Parteiorganisation bringen.

15.4

Zusammenfassung

Um die Fragestellungen nach einer inhaltlich orientierten Aufgabenteilung zu beantworten, wurde im Rahmen dieses Kapitels in intraparteilicher Perspektive die Politikartikulation der drei innerparteilichen Akteure gegenübergestellt. Eine zentrale Bedeutung hat hierbei die thematische Ähnlichkeit innerhalb der Parteiorganisation, deren Ausmaß als indirekter Indikator für die Aufgabenteilung in Parteien dient. Dieses Kapitel präsentierte zum einen die Heterogenität im Ausmaß der thematischen Ähnlichkeit zwischen den innerparteilichen Akteuren. Zum anderen wurden die Beobachtungen zur thematischen Ähnlichkeit dazu verwendet, Muster einer inhaltlich orientierten Aufgabenteilung aufzudecken. Basierend auf der grundlegenden Annahme, dass innerparteiliche Akteure einer Partei grundsätzlich ein breites Fundament an inhaltlichen Präferenzen teilen, spiegelt sich die Aufgabenteilung insbesondere in der thematischen Unähnlichkeit zwischen den innerparteilichen Akteuren wider. Die Auswertungen zur thematischen Ähnlichkeit auf dem Abstraktionsniveau der europäischen Politikfelder und der fünf europäischen Themenbereiche brachten übereinstimmend hervor, dass die Politikartikulation in allen Parteien eher eine größere Ähnlichkeit zwischen Parteitag und Parteiführung aufweist als zwischen Parteitag und Fraktion sowie zwischen Fraktion und Parteiführung. Dieses Ergebnis widerspricht somit der aufgestellten Hypothese 3.6. Vor dem Hintergrund der Agentenrolle der Parteiführung, zwischen den Parteitagen die Politikartikulation zu übernehmen und hier vertretend für den Prinzipal zu agieren, war hierzu in der theoretischen Argumentation die Erwartung formuliert worden, dass zwischen Prinzipal und Parteiführung eine geringere Ähnlichkeit bei der Selektion europäischer Themen bestehen müsste.

15.4 Zusammenfassung

337

Darüber hinaus zeigte sich unabhängig von der Parteiorganisation die Verantwortung aller Fraktionen für die nationale Politikgestaltung im EURegulierungskontext. Entsprechend kann die Hypothese 3.4 bestätigt werden. Im Zusammenspiel mit den Ergebnissen aus Kapitel 13 zeigt sich, dass die höhere Relevanz dieses Themenbereichs in der Politikartikulation der Fraktionen eindeutig mit einer höheren Verantwortung für diese Themen in der Parteiorganisation einhergeht. Anhand der beiden verwendeten Beobachtungssets und damit auch anhand eines anderen beobachteten Themenspektrums lässt sich indes aufzeigen, dass die thematische Ähnlichkeit zwischen den Fraktionen wesentlich größer ist als zu ihren korrespondierenden außerparlamentarischen Akteuren (Bestätigung Hypothese 5.2). Indes deckte das hier beobachtete Ausmaß der thematischen Ähnlichkeit nicht auf, dass eine größere Verantwortung für EU-Polity-Themenbereiche in Händen der Parteiführung liegt. Vielmehr zeigt sich im Hinblick auf die drei Polity-Themenbereiche ein recht diverses Bild über die innerparteiliche Aufgabenteilung. Die hier gewonnenen Ergebnisse bedeuten als erstes, dass die in Kapitel 13 aufgedeckten Relevanzmuster in der Politikartikulation eines Akteurs kein ausreichendes Indiz für die innerparteiliche Verantwortung bieten: So geht beispielsweise die höhere Relevanz von Polity-Themen in der Politikartikulation der CDU-Parteiführung mit einer innerparteilichen Verantwortung für diese Themenbereiche einher; gleiches lässt sich nicht für die inhaltlich orientierte Aufgabenteilung der CSU feststellen. Als zweites widersprechen die Ergebnisse der eingangs formulierten Hypothese über Polity-Themenbereiche in Händen der Parteiführung, da diese tendenziell mehr strategische EU-Themen beinhalten und damit die Themen, die hier stärker in der Verantwortung der Parteiführung vermutet werden (Hypothese 3.2). Ob damit die Hypothese komplett widerlegt werden muss oder ob hier die Beobachtung der Aufmerksamkeitsstärke auf dem hohen Abstraktionsniveau den Blick auf die feineren Unterscheidungen verhindert, wird in Kapitel 17 untersucht. Das ermittelte Ausmaß der thematischen Ähnlichkeit und die gewonnenen Muster zur inhaltlich orientierten Aufgabenteilung lassen sich hier nicht systematisch in den Zusammenhang mit der variierenden Parteiorganisation bringen: So zeigte sich bei der Betrachtung der Politikfelder nur ein Parteieneffekt, wonach die thematische Ähnlichkeit zwischen den Akteuren innerhalb der GrünenParteiorganisation deutlich höher ist. Ferner lässt sich durchaus eine stärkere Bedeutung des Parteitags anhand seiner größeren Dominanz gegenüber der Fraktion und der Parteiführung innerhalb von Parteiorganisationen mit einem stärkeren Prinzipal beobachten, gleiches liegt aber auch in der CSU vor und damit in einer

338

15

Organisationsdimension in der Politikartikulation …

Partei mit einem schwächeren Prinzipal. D. h. der vermutete Effekt des Parteiorganisationsverständnisses, wonach eine höhere Verantwortung für Policy-Themen bei der Parteiführung in Parteien mit einem schwächeren Prinzipal liegen würde, lässt sich hier nicht erkennen (Ablehnung der Hypothese 4.2).

Aufmerksamkeit für europäische Themen im Kontext von Parteisalienz und europäischer Handlungsagenda

16

Mit den vorangestellten Kapiteln liegen bislang facettenreiche Ergebnisse dazu vor, ob die innerparteilichen Akteure in den vier Parteiorganisationen europäische Themen aufgreifen, welche Themen dabei von Interesse sind bzw. besonders viel Aufmerksamkeit erhalten und wie ähnlich sich die Themenselektion der Akteure einer Partei ist. Unter anderem deckte das vorangestellte Kapitel 15 das mitunter geringe Ausmaß der thematischen Ähnlichkeit zwischen den innerparteilichen Akteuren einer Partei im Hinblick auf die adressierten europäischen Politikfelder auf. In Kapitel 14 wurde mit Blick auf die besonders wichtigen europäischen Politikfelder auf der einen Seite deutlich, dass Kernthemen einer Partei auch ihren Niederschlag in der Selektion europäischer Themen finden. So stellt etwa die europäische Agrarpolitik ein besonders wichtiges Politikfeld für den CSUParteitag dar. Auf der anderen Seite erfährt die europäische Umweltpolitik durch die FDP-Fraktion vergleichsweise viel Aufmerksamkeit, was wiederum vor dem Hintergrund der Kernanliegen der FDP zunächst nicht auf der Hand liegt. Dieses Kapitel widmet sich der Erklärung dieser exemplarisch aufgezeigten Beobachtungen, indem es die Fragestellung verfolgt, inwieweit sich die Aufmerksamkeit für die europäischen Themen in die komplementäre Themenselektionsstrategie einbettet. Mit der theoretischen Argumentation wird betont, dass Parteien mit ihrer Politikartikulation unter anderem zu den immateriellen Gütern Kompetenz und Belief System beitragen. Infolgedessen wählen Parteien ihre Themen zum einen stärker in Orientierung an die europäische Handlungsagenda aus und unterstreichen zum anderen mit ihrer Themenselektion jene Angelegenheiten, die für die Partei von besonderer Wichtigkeit sind. Dem theoretischen Argument gemäß kommt diese komplementäre Themenselektion in zweifacher Hinsicht zur

© Der/die Autor(en), exklusiv lizenziert durch Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2021 S. John, Europäische Themen in deutschen Parteiorganisationen, Empirische Studien zur Parteienforschung, https://doi.org/10.1007/978-3-658-34797-0_16

339

340

16

Aufmerksamkeit für europäische Themen im Kontext …

Anwendung: Als erstes tragen die drei innerparteilichen Akteure vor dem Hintergrund der innerparteilichen Aufgaben- und Ressourcenverteilung unterschiedlich zur Umsetzung dieser Strategie bei. Hier wird vermutet, dass der Prinzipal seine Aufmerksamkeit für europäische Themen stärker am Belief System und damit an den Kernthemen der Partei ausrichtet, während sich seine Agenten stärker an der europäischen Handlungsagenda orientieren würden. Dieses innerparteiliche Muster wird für alle Parteien unabhängig von der Parteiorganisation erwartet (Hypothese 3.5). Als zweites sollten Parteien im Kontext von Wahlen eher auf europäische Themen zurückgreifen, die sich stärker in ihr Belief System einbetten. Den Nichtwahlkontext nutzen Parteien wiederum stärker zum Generieren des immateriellen Guts Kompetenz, indem sie ihre Themenselektion wesentlich stärker an der europäischen Handlungsagenda ausrichten. Gemäß diesem theoretischen Argument sollte also ein differenziertes Themenselektionsverhalten der Parteien im Verlauf einer Wahlperiode beobachtbar sein (Hypothese 2.1).

16.1

Anmerkungen zum analytischen Vorgehen

Das Beobachtungsset 7 stellt im Rahmen dieses Kapitels die Datenbasis dar. Es liefert Daten zur Stärke der Aufmerksamkeit für die europäischen Themen, die sich in der Politikartikulation der verschiedenen Untersuchungsfälle wiederfinden (d. h. innerparteiliche Akteure, Parteien und Wahlprogramme).1 Mit der Stärke der Aufmerksamkeit wird zum einen beschrieben, ob europäische Themen in der Politikartikulation berücksichtigt werden (Selektion und Nichtselektion von Themen) und zum anderen, in welchem Ausmaß die Aufmerksamkeit ausgeübt wird. Dafür wurden dreizehn europäische Politikfelder bzw. Themenbereiche beobachtet. Entscheidend für die Bearbeitung der hier gewählten Problemstellung ist, inwiefern das Ausmaß der Aufmerksamkeit im Zusammenhang mit den zwei zentralen Einflussgrößen – EU-Handlungsagenda und Parteisalienz – steht. Folglich sind detaillierte Informationen bzw. Analysen dazu, welches Politikfeld mehr oder weniger Aufmerksamkeit erhält, nicht von Interesse. Grundsätzlich kommen im Rahmen dieses Kapitels separate Regressionsanalysen zur adäquaten Abbildung der verschiedenen Kontexte bzw. Perspektiven zum

1

Damit unterscheidet sich der analytische Zuschnitt der Politikfelder zu den vorangestellten Kapiteln 14 und 15. Dieser veränderte Themenzuschnitt respektive die veränderte Aggregation der Themen dient dem Erreichen der Konstruktäquivalenz zwischen der abhängigen Variablen (Aufmerksamkeitsverteilung) und der unabhängigen Variablen Parteisalienz, deren Operationalisierung auf der CMP-Kodierung beruht. Siehe dazu ausführlich Kapitel 9.

16.1 Anmerkungen zum analytischen Vorgehen

341

Einsatz. Dabei bleibt eine gute Vergleichbarkeit der Parameter erhalten, da insgesamt eine überschaubare Anzahl von innerparteilichen Akteuren, Parteien bzw. von Kontexten untersucht wird. Um zunächst Hypothese 3.5 zur spezifischen inhaltlich orientierten Aufgabenteilung zwischen den drei innerparteilichen Akteuren zu überprüfen, wird in den Analysen zwischen den drei Akteurstypen separiert. Mit dieser analytischen Perspektive ist es möglich, die zentralen unabhängigen Variablen, deren Ausprägungen zwischen den Parteien variieren (Parteiorganisation, Parteisalienz), in die Modellierung aufzunehmen. Für die Überprüfung von Hypothese 2.1, die die vermutete unterschiedliche Themenselektion zwischen Wahl- und Nichtwahlkontext adressiert, wird zunächst mit Regressionsanalysen gearbeitet, die sich auf die Stärke der Aufmerksamkeit in den Wahlprogrammen beziehen und so den Wahlkontext abbilden. Mit getrennten Regressionsanalysen wird eine Abgrenzung zwischen der Bundestagsund Europawahlprogrammatik vorgenommen, um dem variierenden Wahlkontext gerecht zu werden. Für eine schlüssige Überprüfung der Hypothese 2.1 bedarf es des Weiteren einer Abbildung der Politikartikulation der Gesamtpartei im Nichtwahlkontext. In der Logik des Forschungsdesigns gibt die Politikartikulation der innerparteilichen Akteure die Politikartikulation im Nichtwahlkontext wieder. Für den sinnvollen Vergleich zwischen Wahl- und Nichtwahlkontext wurde aus der Politikartikulation der drei innerparteilichen Akteure ein Aggregat gebildet, welches hier als Politikartikulation der Gesamtpartei im Nichtwahlkontext verstanden wird. D. h. auch wenn die drei innerparteilichen Akteure mit den vermuteten unterschiedlichen Schwerpunkten zur komplementären Themenselektionsstrategie beitragen und sich hier eine inhaltlich orientierte Aufgabenteilung abzeichnen müsste (Hypothese 3.5), sollte sich die Gesamtheit ihrer Politikartikulation im Nichtwahlkontext von ihrer Aufmerksamkeit für europäische Themen im Wahlkontext unterscheiden. Gemäß den theoretischen Überlegungen ist der Einfluss der zugrundeliegenden Parteisalienz und der EU-Handlungsagenda auf die Aufmerksamkeit für europäische Themen zu überprüfen. Die Operationalisierung der Parteisalienz erfolgt in dieser Analyse anhand des Indikators I, welcher jährliche Werte für die Salienz liefert, die die Partei den Themen bedingt durch ihr Belief Systems einräumt (PSal). Die Abbildung der europäischen Handlungsagenda erfolgt hier mithilfe des Indikators II, der auf den europäischen legislativen Aktivitäten beruht und deren jährliche Intensität in Bezug auf diverse Politikfelder wiedergibt (EUAg). Anzumerken ist, dass das Skalenniveau dieser beiden unabhängigen Variablen identisch ist, was die Interpretation der Koeffizienten in den Modellen erleichtert (Urban und Jochen 2011: 103–108).

342

16

Aufmerksamkeit für europäische Themen im Kontext …

Der Einfluss dieser beiden Variablen Parteisalienz und EU-Handlungsagenda sollte unabhängig vom zugrundeliegenden Parteiorganisationsverständnis in den erwarteten Mustern beobachtbar sein. Folglich markiert die Parteiorganisation die dritte zentrale Variable in den Analysen. Hier ist festzuhalten, dass in der theoretischen Argumentation ein möglicher Einfluss des Parteiorganisationsverständnisses auf die Politikartikulation ausschließlich explizit im Zusammenhang mit der Politikartikulation der drei innerparteilichen Akteure offen diskutiert wird. In der Reflexion der komplementären Themenselektionsstrategie, die über den Verlauf einer Wahlperiode und für die geschlossene Partei diskutiert wird, spielt das Parteiorganisationsverständnis keine Rolle. Für die nachstehende Analyse wird aus dieser Nichtbeachtung induziert, dass die erwarteten Effekte unabhängig vom Parteiorganisationsverständnis eintreten sollten. Da sich die theoretische Vermutung auf die Unabhängigkeit der erwarteten Muster hinsichtlich des Einflusses der Parteisalienz und der EU-Handlungsagenda bezieht (und nicht auf das Niveau der Aufmerksamkeit an sich), ist die Parteiorganisationsvariable als Interaktionsvariable in der Analyse zu konzipieren. Um die Interpretation der Interaktionseffekte angemessen zu erleichtern, ist die Parteiorganisationsvariable, die die Ausprägungen des formellen Stellenwerts in einem metrischen Maß wiedergibt, in eine Dummy-Variable umgewandelt worden (POrg). Dabei steht der Wert 1 für einen stärkeren Prinzipal, der Wert 0 für einen schwächeren Prinzipal. Als Abgrenzung diente hier der Median aus den formellen Stellenwerten des Prinzipals. Der mit dieser Umwandlung einhergehende Informationsverlust ist an dieser Stelle vertretbar, da die Varianz der metrischen Parteiorganisationsvariable bedingt durch die geringe Anzahl der beobachteten Parteien a priori von einem überschaubaren Ausmaß ist. Der Einsatz von Interaktionstermen in Regressionsanalysen führt grundsätzlich dazu, dass die Koeffizienten nicht direkt interpretiert werden können. Einzige Ausnahme besteht beim Einsatz einer Dummy-Variablen, wenn der Wert Null annimmt (Wenzelburger et al. 2014: 41–43). Die nachfolgende Auswertung macht sich diese Ausnahme zunutze, indem Aussagen über die unterschiedliche Bedeutung der zwei zentralen Einflussfaktoren konkret und bildhaft für den schwächeren Prinzipal (POrg = 0) erfolgen. In den Analysen sind die ideologische Position der Partei und die Regierungsbeteiligung als Kontrollvariablen berücksichtigt. Die ideologische Position wird mittels der Positionierung der Partei auf der ökonomischen Links-Rechts-Achse (ecopos1) operationalisiert.2 2

Begründung für die Auswahl der ökonomischen Links-Rechts-Position als Abbildung der ideologischen Position, siehe Abschnitt 7.3.1.5.

16.2 Aufmerksamkeit für europäische Themen …

343

Bedingt durch die zensierte Datenstruktur der abhängigen Variablen kommen Tobit-Regressionsmodelle zum Einsatz. Die Regressionsanalysen sind für sämtliche Analyseperspektiven wie folgt aufgebaut: Das erste Modell gibt die Parameterschätzung für die drei zentralen Variablen wieder (PSal, EUAg, POrg), das zweite Modell kontrolliert auf die ideologische Position der Partei (ecopos1) und das dritte Modell nimmt die Regierungsbeteiligung (Reg) auf.

16.2

Aufmerksamkeit für europäische Themen der innerparteilichen Akteure: Existenz einer inhaltlich orientierten Aufgabenteilung?

Als erstes wird die Politikartikulation der innerparteilichen Akteure im Nichtwahlkontext betrachtet, was die Problemstellung einer inhaltlich orientierten Aufgabenteilung in den Mittelpunkt rückt. Leitgebend sind hierbei die Vermutungen, dass zunächst für alle drei Akteure die europäische Handlungsagenda eine zentrale Bezugsgröße für ihre Aufmerksamkeit darstellt und sich dies in ihrer Politikartikulation niederschlägt. Ferner wird erwartet, dass eine inhaltlich orientierte Aufgabenteilung existiert, die sich in der Politikartikulation niederschlagen sollte, wonach die Themenselektion des Prinzipals stärker das Belief System der Partei berücksichtigen würde, während Parteiführung und Fraktion sich mit ihrer Themenselektion stärker an der EU-Handlungsagenda ausrichten sollten. Diese inhaltlich orientierte Aufgabenteilung sollte unabhängig von der Parteiorganisation zum Tragen kommen. Der modellübergreifende Vergleich im Hinblick auf die drei zentralen Einflussfaktoren bringt folgendes hervor (Tabelle 16.1 bis Tabelle 16.3): Die Parteisalienz und die EU-Handlungsagenda üben statistisch signifikante positive Effekte auf die Aufmerksamkeit für EU-Themen aller drei innerparteilichen Akteurstypen aus. Diese statistisch signifikanten Effekte treten unabhängig vom Parteiorganisationsverständnis auf, was aus den nichtsignifikanten Koeffizienten der Interaktionseffekte hervorgeht (POrg x PSal, POrg x EUAg). Folglich können die positiven Effekte von der Parteisalienz und von der EU-Handlungsagenda auf die Aufmerksamkeit für EU-Themen in der jeweiligen Modellierung als gleichgerichtet betrachtet werden, auch wenn sich die Parteien in ihrem Parteiorganisationsverständnis voneinander abgrenzen. Die nichtsignifikanten Koeffizienten vereinfachen im Nachfolgenden zudem die Interpretation der signifikanten Variablen Parteisalienz und EU-Handlungsagenda, da diese unter diesen Bedingungen direkt interpretierbar sind.

344

16

Aufmerksamkeit für europäische Themen im Kontext …

Die weitere Auswertung der Analyseergebnisse erfolgt nun separat für den Prinzipal und die beiden Agenten. In ihrer Aufmerksamkeit für europäische Themen lassen sich die folgenden Zusammenhänge bzw. Muster erkennen: Für die Politikartikulation der Parteitage liegt eine statistisch signifikante höhere Effektstärke der EU-Handlungsagenda als für die zugrundeliegende Parteisalienz vor (Tabelle 16.1). Konkret führt ein Anstieg der Parteisalienz um eine Einheit zu einer höheren Aufmerksamkeit für EU-Themen um 0,67 Einheiten bzw. ein Anstieg der legislativen Aktivitäten auf EU-Ebene um eine Einheit führt zu einer höheren Aufmerksamkeit für EU-Themen um 1,2 Einheiten. Im Vergleich weist also die EU-Handlungsagenda einen um den Faktor von 1,8 höheren Effekt auf die Aufmerksamkeit für europäische Themen auf als die Parteisalienz. Diese größere Bedeutung der EU-Handlungsagenda bleibt auch unter Hinzunahme der Kontrollvariablen bestehen (Tabelle 16.1, Modell 2 und 3). Ferner zeigt sich, dass weder die ideologische Position noch die Regierungsbeteiligung einen Einfluss auf die Aufmerksamkeit für europäische Themen haben. Insgesamt deckt damit die statistische Analyse nicht den erwarteten Zusammenhang auf, wonach der Parteitag seine Themen stärker vor dem Hintergrund des Belief Systems der Partei auswählt. Vielmehr ist die Themenselektion der Prinzipale stärker an der EU-Handlungsagenda orientiert. Die Politikartikulation der Parteiführungen ist indes von einer statistisch signifikant höheren Effektstärke der zugrundeliegenden Parteisalienz verglichen zur EU-Handlungsagenda gekennzeichnet (Tabelle 16.2).3 Zudem bleibt das statistische Signifikanzniveau für die EU-Handlungsagenda als Einflussfaktor auf einem geringeren Niveau. Damit zeigt sich, dass die Aufmerksamkeit für europäische Angelegenheiten durch die Parteiführung in hohem Maße von der Parteisalienz beeinflusst ist, was nicht den formulierten Erwartungen zur inhaltlich orientierten Aufgabenteilung in den Parteien entspricht. Vielmehr agieren die beiden außerparlamentarischen Parteiakteure anders als erwartet. In der Modellierung zur Politikartikulation der Parteiführungen zeigt sich ein statistischer Effekt der ideologischen Position (Tabelle 16.2, Modell 2 und Modell 3). Hiernach führt eine ökonomisch eher linksorientierte Position zu einer höheren Aufmerksamkeit für europäische Themen durch die Parteiführungen. Diese statistische Evidenz muss aber mit einiger Vorsicht behandelt werden. Mit der zugrundeliegenden Fallauswahl liegt einzig eine linksorientierte ökonomische Position für die Partei B90/Die Grünen vor. Zugleich belegen die vorangestellten Analysekapitel, dass in dieser Partei insgesamt eine höhere Aufmerksamkeit für 3

Die Parteisalienz weist eine um den Faktor 1,4 höhere Effektstärke auf als die EUHandlungsagenda.

520 298 220 2 −1150,569 (5 df) 0,0381

−26,054

0,732 0,903

0,031 (0,357) −0,670 0,132 (0,392) −0,638

−20,273*** (2,942)

9,254

−14,493

1,797

1,173

0,670** 0,166 (0,256) 1,205*** 0,614 (0,301) 1,312 (4,043) −6,630

95 % K.-Int. von bis

Anmerkungen: * p < 0,05, ** p < 0,01, *** p < 0,001.

N linkszensiert unzensiert rechtszensiert Log-Likelihood McFadden’s Pseudo R2

Konstante

Reg

POrg x PSal POrg x EUAg ecopos1

POrg

EUAg

PSal

Modell 1 b (Std.-Fehler)

−25,239

−13,548

0,738 0,917 1,170

7,526

−9,187 −0,670 −0,631 −22,535

1,801

1,177

0,613

0,166

95 % K.-Int. von bis

520 298 220 2 −1148,970 (6 df) 0,0394

−19,393*** (2,975)

0,671** (0,257) 1,207*** (0,302) −0,831 (4,254) 0,034 (0,359) 0,143 (0,394) −10,683 (6,033)

Modell 2 b (Std.-Fehler)

−13,015

5,004

−5,163 −25,694

0,738 0,917 2,439

7,643

1,802

1,177

−0,670 −0,631 −23,986

−9,353

0,613

0,166

95 % K.-Int. von bis

520 298 220 2 −1148,969 (7 df) 0,0394

0,671** (0,257) 1,207*** (0,302) −0,855 (4,326) 0,034 (0,359) 0,143 (0,394) −10,774 (6,725) −0,079 (2,588) −19,355*** (3,227)

Modell 3 b (Std.-Fehler)

Tabelle 16.1 Tobit-Regressionsmodelle zur Aufmerksamkeit für EU-Themen der Parteitage (einfach gepoolt)

16.2 Aufmerksamkeit für europäische Themen … 345

−84,097

520 400 114 6 −732,974 (5 df) 0,0515

−67,043*** (8,681)

−49,988

2,597

0,809

27,222

3,123

3,445

Anmerkungen: * p < 0,05, ** p < 0,01, *** p < 0,001.

N linkszensiert unzensiert rechtszensiert Log−Likelihood McFadden’s Pseudo R2

Konstante

Reg

POrg x EUAg ecopos1

−0,761 −2,330 (0,799) 0,780 (0,925) −1,037

2,259*** 1,072 (0,604) 1,661* 0,198 (0,744) 8,020 (9,774) −11,181

95 % K.-Int. von bis

−46,858

2,665 −8,898

−0,985 −62,614

−80,693

0,903

19,863

−21,213 −2,247

3,125

3,443

0,200

1,072

95 % K.-Int. von bis

520 400 114 6 −729,332 (6 df) 0,0562

−63,776*** (8,611)

2,258*** (0,603) 1,662* (0,744) −0,675 (10,454) −0,672 (0,802) 0,840 (0,929) −35,756** (13,671)

Modell 2 b (Std.-Fehler)

−41,263

0,013

−23,447 −75,666

2,704 −18,113

0,877

16,851

3,107

3,473

−0,945 −77,391

−2,279

−24,784

0,193

1,095

95 % K.-Int. von bis

520 400 114 6 −727,349 (7 df) 0,0588

2,284*** (0,605) 1,650* (0,742) −3,967 (10,596) −0,701 (0,803) 0,879 (0,929) −47,752** (15,086) −11,717 (5,971) −58,464 (8,756)

Modell 3 b (Std.-Fehler)

16

POrg x PSal

POrg

EUAg

PSal

Modell 1 b (Std.-Fehler)

Tabelle 16.2 Tobit-Regressionsmodelle zur Aufmerksamkeit für EU-Themen der Parteiführungen (einfach gepoolt)

346 Aufmerksamkeit für europäische Themen im Kontext …

16.2 Aufmerksamkeit für europäische Themen …

347

europäische Themen vorliegt als in den anderen Parteien, was insbesondere für die Politikartikulation der Parteiführung zutrifft. Ob dies nur zufällig zusammenfällt oder die ideologische Position tatsächlich zur Erklärung der Aufmerksamkeit von Parteiführungen für EU-Themen beiträgt, kann nicht abschließend im Rahmen dieses Forschungsdesigns geklärt werden.4 Bei den Fraktionen existiert wie bei den Parteitagen eine Aufmerksamkeit für EU-Themen, die wesentlich stärker von der EU-Handlungsagenda als von der Parteisalienz beeinflusst ist. Verglichen zur Parteisalienz übt die EU-Handlungsagenda eine 4fache Effektstärke auf das Ausmaß der Aufmerksamkeit aus (Tabelle 16.3). Dieses Ergebnis der größeren Bedeutung der EUHandlungsagenda für die Politikartikulation der Fraktion entspricht der formulierten Erwartung. Der grundlegende Zusammenhang bleibt auch unter Hinzunahme der Kontrollvariablen bestehen. Die Kontrollvariablen wiederum weisen keine statistisch signifikanten Effekte auf die Stärke der Aufmerksamkeit für EU-Themen durch die Fraktionen auf (Tabelle 16.3 Modell 2 und Modell 3). Insgesamt decken diese Regressionsanalysen zur innerparteilichen Aufmerksamkeit für europäische Themen auf, dass Muster einer inhaltlich orientieren Aufgabenteilung vorliegen und diese Muster unabhängig vom zugrundeliegenden Parteiorganisationsverständnis existieren. Diese Muster weichen jedoch in Teilen von den formulierten Erwartungen ab. So findet zunächst empirische Bestätigung, dass Fraktionen mit ihrer Themenselektion wesentlich stärker die Schwerpunktsetzung auf der europäischen Handlungsebene aufgreifen. Die statistischen Analysen können indes nicht die Erwartung bestätigen, dass der Prinzipal eher den europäischen Themen Aufmerksamkeit schenkt, die stärker mit den Kernthemen der Partei verbunden sind. Des Weiteren zeigt sich entgegen der eingangs formulierten Erwartung, dass Parteiführungen die Aufmerksamkeit für europäische Angelegenheiten erhöhen, wenn diese Angelegenheiten stärker mit dem Belief System der Partei verbunden sind. Damit weisen die empirischen Ergebnisse eine anders gelagerte inhaltlich orientierte Aufgabenteilung zwischen den außerparlamentarischen Parteiakteuren auf als mit der theoretischen Argumentation hergeleitet. Folglich ist die Hypothese 3.5 in Teilen als widerlegt zu betrachtet. Zugleich können diese Ergebnisse als Denkanstoß für eine Weiterentwicklung der theoretischen Argumentation genutzt werden: Für die inhaltlich orientierte Aufgabenteilung zwischen Prinzipal und Parteiführung scheint die Delegation 4

Hier können aufbauende Forschungsarbeiten anschließen, indem sie zunächst im theoretischen Argument die ideologische Position noch stärker in den Zusammenhang zur Politikartikulation zum EU-Themenkomplex setzen und im Forschungsdesign die ideologische Links−Rechts-Position konsequent bei der Fallauswahl berücksichtigen.

−3,877 3,003

−0,437 (1,751)

POrg x EUAg

85

Anmerkungen: * p < 0,05, ** p < 0,01, *** p < 0,001.

0,1031

−1528,601 (6 df)

0,1031

−1528,632 (5 df)

Log-Likelihood

435 0

unzensiert 0

85 435

linkszensiert

520

rechtszensiert

520

McFadden’s Pseudo R2

0,334 (0,756)

−0,057 (1,950)

0,028 (0,113)

0,199 (0,108)

−1,644 (1,209)

−4,085 −0,668

−1,150 1,819

−3,888 3,774

−0,194 0,251

−0,014 0,412

435

85

520

0

1,120

0,385

bis

−4,018 0,730

0,1032

−1528,503 (7 df)

−2,234** (0,751) −3,709 −0,759 −2,195** (0,766) −3,701 −0,690 −2,376 (0,870)

N

Konstante

Reg

−0,012 0,414

−4,078 0,546

0,080

von

95 % K.-Int.

0,952*** (0,085) 0,785

0,233** (0,078)

b (Std.-Fehler)

Modell 3

16

ecopos1

−0,193 0,251

0,201 (0,108) 0,029 (0,113)

−0,012 0,414 −0,194 0,251

0,201 (0,108)

0,029 (0,113)

POrg x PSal

0,384 1,119

−1,766 (1,177)

0,079 0,785

−3,914 0,540

0,231** (0,078) 0,952*** (0,085)

−1,687 (1,134)

1,119

0,384

POrg

0,079 0,785

0,231** (0,078)

0,952*** (0,085)

bis

EUAg

von

95 % K.-Int.

PSal

bis

b (Std.-Fehler)

von

b (Std.-Fehler)

95 % K.-Int.

Modell 2

Modell 1

Tabelle 16.3 Tobit-Regressionsmodelle zur Aufmerksamkeit für EU-Themen der Fraktionen (einfach gepoolt)

348 Aufmerksamkeit für europäische Themen im Kontext …

16.3 Aufmerksamkeit für EU-Themen im Wahlkontext …

349

in der Politikartikulation dahingehend eine größere Rolle zu spielen, wonach die Parteiführung die Verantwortung in der Politikartikulation zwischen den Parteitagen übernimmt. Als eine Konsequenz kommt deshalb den europäischen Themen eine höhere Relevanz zu, die besonders mit dem Belief System der Partei verbunden sind. Der Prinzipal wiederum gebraucht seine Politikartikulation, um stärker die Aktivitäten auf der europäischen Ebene zu reflektieren. Letztlich nutzt der Parteitag die legitimatorische Bedeutung seiner Politikartikulation, um die Aufmerksamkeit einer Partei für anstehende Probleme auf der europäischen Entscheidungsebene hervorzuheben, ohne den Bezug zu den Kernthemen zu verlieren.

16.3

Aufmerksamkeit für EU-Themen im Wahlkontext: Stärker orientiert am Belief System einer Partei?

Dieser Abschnitt widmet sich der empirischen Evidenz für die komplementäre Themenselektionsstrategie. Gemäß den theoretischen Erwartungen müssten sich die Parteien auf der einen Seite zu Zeiten von Nichtwahlen in ihrer Themenauswahl stärker an der EU-Handlungsagenda orientieren, da ihnen dies ermöglicht, insbesondere zum immateriellen Gut Kompetenz beizutragen. Auf der anderen Seite bedarf es zu Zeiten der Wahlen eine Betonung vor allem jener Themen, die den Parteien ermöglichen zu unterstreichen, wofür sie stehen (Orientierung am Belief System). Für die vergleichende Perspektive zwischen Politikartikulation im Wahl- und Nichtwahlkontext erfolgt zuerst ein genauerer Blick auf die Politikartikulation der Parteien im Nichtwahlkontext. Aufgrund des Einsatzes von Interaktionstermen werden zunächst die entsprechenden Parameter und die Parteiorganisationsvariable betrachtet (vgl. hierzu Tabelle 16.4). Hier zeigt sich anders bei den vorangestellten innerparteilichen akteursorientierten Analysen ein Einfluss des Parteiorganisationsverständnisses auf die Aufmerksamkeit für EU-Themen. Wenngleich auf einem geringeren statistischen Signifikanzniveau (p < 0,05), ist erkennbar, dass der Einfluss der Parteisalienz auf die Aufmerksamkeit für EU-Themen vom zugrundeliegenden Parteiorganisationsverständnis abhängig ist (POrg x PSal), d. h. mit einem Anstieg der formellen Macht des Prinzipals verstärkt sich der positive Effekt der Parteisalienz auf das Niveau der Aufmerksamkeit. Der nichtsignifikante multiplikative Term aus Parteiorganisation und EU-Handlungsagenda gibt wieder, dass der positive Effekt der EU-Handlungsagenda unabhängig vom Parteiorganisationsverständnis ist.

350

16

Aufmerksamkeit für europäische Themen im Kontext …

Sowohl die Parteisalienz als auch die EU-Handlungsagenda üben einen statistisch signifikanten Effekt auf die Aufmerksamkeit für EU-Themen aus. Die Parameter geben unter Berücksichtigung des Interaktionsterms wieder, dass in Parteien mit einem schwächeren Prinzipal ein Anstieg in der Bedeutung von Themen auf der EU-Handlungsagenda um eine Einheit zu einer höheren Aufmerksamkeit um 0,84 Einheiten führt, wohingegen der positive Effekt der Parteisalienz nur bei 0,25 liegt. D. h. für den Nichtwahlkontext lässt sich der erwartete größere Effekt für die Variable EU-Handlungsagenda im Vergleich zur Parteisalienz feststellen. Ferner bringt die Tobit-Regressionsanalyse hervor, dass auch für die gesamte Politikartikulation im Nichtwahlkontext die ideologische Position und die Regierungsbeteiligung ohne Effekte auf die Aufmerksamkeit für EU-Themen bleiben. Als nächstes stehen die Regressionsanalysen zur Aufmerksamkeit für europäische Themen im Wahlkontext im Mittelpunkt, wobei die Analyseergebnisse getrennt nach nationalem und europäischem Wahlkontext vorgestellt werden. Die Tobit-Regressionsanalyse zu den Bundestagswahlprogrammen zeigt, dass es keinen statistisch signifikanten Effekt des Parteiorganisationsverständnisses auf die zwei zentralen Einflussfaktoren gibt (vgl. Tabelle 16.5). Damit stehen diese Ergebnisse im Einklang mit der theoretischen Argumentation, wonach ein variierendes Parteiorganisationsverständnis im Kontext von Wahlen für die Themenauswahl keine Rolle spielt. Da mit dem Parteiorganisationsverständnis kein statistisch signifikanter Effekt einhergeht, können die statistisch signifikanten positiven Effekte direkt interpretiert werden. Für die Bundestagswahlprogrammatik liegt eine höhere Effektstärke für die Parteisalienz und nicht für die EU-Handlungsagenda vor. Dieses Ergebnis deckt sich also mit der Erwartung, wonach im Wahlkontext das Belief System entscheidender für die Themenselektion und Aufmerksamkeitsstärke ist als die EU-Handlungsagenda. Die Tobit-Regressionsanalyse zur Aufmerksamkeit für EU-Themen in den Europawahlprogrammen legt mintunter andere Resultate offen (vgl. hierzu Tabelle 16.6). So besteht anders als im Kontext nationaler Wahlen ein Einfluss des Parteiorganisationsverständnisses auf die Aufmerksamkeit für EU-Themen. Zwar weist das Regressionsgewicht der Indikatorvariable POrg auf keinen signifikanten Mittelwertunterschied zwischen den Parteien mit einem schwächeren und stärkeren Prinzipal hin. Aber es liegt ein statistisch signifikanter Effekt des Interaktionsterms POrg x PSal vor, wonach eine Zunahme des formellen Stellenwerts des Prinzipals zu einer Abschwächung des positiven Effekts der Parteisalienz auf das Niveau der Aufmerksamkeit für EU-Themen in den Europawahlprogrammen führt.

POrg x PSal

POrg x EUAg

0,999

0,399

Anmerkungen: * p < 0,05, ** p < 0,01, *** p < 0,001.

0,1027

−1554,495 (6 df)

−1554,515 (5 df)

Log-Likelihood 0,1027

0

454

66

520

−1,912 0,845

0

unzensiert

−0,533 (0,702)

rechtszensiert

66 454

linkszensiert

−1,911 0,787

−3,538 2,884

−0,327 (1,635)

0,416

−0,137 0,277

0,017

0,217* (0,102) 0,070 (0,105)

0,416

520

McFadden’s Pseudo R2

0,999

0,399

bis

von

0,215* (0,102)

−2,221 0,900

−1,140 1,621

−3,629 3,527

454

66

520

0

0,415 −0,137 0,277

0,016

0,1028

−1554,437 (7 df)

−0,661 (0,794)

0,241 (0,703)

−0,051 (1,821)

0,070 (0,105)

0,400 0,999 −4,715 −0,331

0,843*** (0,079) 0,688

bis

95 % K.-Int.

0,257*** (0,073) 0,114

b (Std.-Fehler)

Modell 3

−4,746 −0,469 −2,523* (1,116)

0,844*** (0,079) 0,688

0,256*** (0,073) 0,113

von

95 % K.-Int.

−0,137 0,277

0,017

N

Konstante

Reg

−0,562 (0,687)

0,217* (0,102)

0,070 (0,105)

POrg

ecopos1

−2,548* (1,047)

EUAg −4,605 −0,491 −2,607* (1,089)

0,256*** (0,073) 0,113

0,844*** (0,079) 0,688

PSal

bis

b (Std.-Fehler)

von

b (Std.-Fehler)

95 % K.-Int.

Modell 2

Modell 1

Tabelle 16.4 Tobit-Regressionsanalyse zur Aufmerksamkeit für EU-Themen durch die Parteien im Nichtwahlkontext (einfach gepoolt)

16.3 Aufmerksamkeit für EU-Themen im Wahlkontext … 351

−417,387 (5 df)

Log-Likelihood

Anmerkungen: * p < 0,05, ** p < 0,01, *** p < 0,001.

0,1134

−417,127 (6 df)

0

rechtszensiert

McFadden’s Pseudo R2

0

108

unzensiert

0,1139

108

48

156

48

−9,842

156

−6,188** (1,849)

linkszensiert

−2,815

−2,534

4,685

−10,063

−2,689 (3,732)

0,277

3,808

0,824

−0,723

−7,289

1,020

1,446

bis

0,294 (0,268) −0,235

−0,223 (0,253)

−1,740 (2,808)

0,223

0,700

von

N

Konstante

Reg −10,024

0,293 (0,268) −0,236

POrg x EUAg

−6,420** (1,824)

0,822

−0,726

−0,226 (0,253)

POrg x PSal

4,128

0,621** (0,202)

1,073*** (0,189)

95 % K.-Int.

−4,073

0,1140

−417,094 (7 df)

0

108

48

156

−10,329

−0,464 (1,826) −5,855* (2,264)

−10,776

−0,236

−0,722

−8,051

0,222

0,699

von

−1,381

3,144

4,771

0,825

0,279

3,978

1,021

1,446

bis

95 % K.-Int.

−3,003 (3,934)

0,295 (0,268)

−0,222 (0,253)

−2,037 (3,044)

0,622** (0,202)

1,072*** (0,189)

b (Std.-Fehler)

Modell 3

16

ecopos1

0,273

−6,578

−1,225 (2,709)

POrg

1,020

0,222

0,621** (0,202)

1,446

EUAg

0,700

1,073*** (0,189)

PSal

bis

b (Std.-Fehler)

von

Modell 2

b (Std.-Fehler)

95 % K.-Int.

Modell 1

Tabelle 16.5 Tobit-Regressionsanalyse zur Aufmerksamkeit für EU-Themen in Bundestagswahlprogrammen (einfach gepoolt)

352 Aufmerksamkeit für europäische Themen im Kontext …

16.3 Aufmerksamkeit für EU-Themen im Wahlkontext …

353

Vor dem Hintergrund eines statistisch signifikanten Interaktionsterms ist die Interpretation der Parameter Parteisalienz und EU-Handlungsagenda einzuordnen. Die direkte Interpretation des Parameters Parteisalienz zeigt auf, dass in Parteien mit einem schwächeren Prinzipal ein Anstieg der Parteisalienz um eine Einheit zu einer Erhöhung der Aufmerksamkeit für EU-Themen im Kontext der Europawahlen um 1,13 Einheiten führt. Auf einem geringeren Signifikanzniveau lässt sich ein adäquater Effekt in Höhe von 0,23 Einheiten für die EU-Handlungsagenda feststellen. Damit erweist sich also auch die Aufmerksamkeit für EU-Themen im europäischen Wahlkontext im stärkeren Maße von der Parteisalienz beeinflusst als von der EU-Handlungsagenda. Im Unterschied zur nationalen Wahlprogrammatik ist die Parteisalienz von weitaus höherer Relevanz für die Themenselektion.5 Hingegen lassen sich genauso wie im nationalen Wahlkontext keine statistisch signifikanten Zusammenhängen zwischen der ideologischen Position oder der Regierungsbeteiligung mit der Aufmerksamkeit für EU-Themen nachweisen. Die Ergebnisse der drei Regressionsanalysen bestätigen somit zusammen die Hypothese, wonach im Wahlkontext das Belief System und im Nichtwahlkontext die externe EU-Handlungsagenda prägender für die Aufmerksamkeit für EU-Themen ist (Hypothese 2.1). Zusätzlich liefern die Analysen in diesem Abschnitt Erkenntnisse, die über die Überprüfung der leitgebenden Hypothese hinausgehen: Als erstes deckt die vergleichende Perspektive auf die Politikartikulation der vier deutschen Parteien im Wahl- und Nichtwahlkontext auf, dass im Nichtwahlkontext ein Anstieg des formellen Stellenwerts des Prinzipals mit einem positiven Effekt der Parteisalienz auf das Niveau der Aufmerksamkeit einhergeht. Im Wahlkontext – genauer im Kontext der europäischen Wahlen – geht hingegen ein Anstieg des formellen Stellenwerts des Prinzipals mit einer Abschwächung des positiven Effekts der Parteisalienz auf das Niveau der Aufmerksamkeit für EU-Themen einher. Dieser Parteiorganisationseffekt wurde in der theoretischen Argumentation nicht erwartet. Zukünftige empirische Forschungsarbeiten, die entweder hier nicht beachtete Variablen und/oder weitere Parteien integrieren, können Aufschluss darüber geben, ob die hier ermittelten statistischen Effekte sich erneut bestätigen lassen oder ausschließlich als Resultate der hier angewandten Fallauswahl verstanden werden müssen. Letzteres stünde dafür, dass die Politikartikulation zum europäischen Themenkomplex von Grünen und FDP über die gesamte Wahlperiode stärker von ihrem jeweiligen Belief System beeinflusst ist, aber diese Parteien im Zuge der Europawahlen der Orientierung an 5

Basierend auf dem Vergleich der Parameter und deren Verhältnis zueinander in einer Modellierung.

−0,475** (0,162) 0,001 −5,722 3,513

−1,104 (2,337)

0 −425,519 (6 df)

0

−425,631 (5 df)

rechtszensiert

Log-Likelihood

Anmerkungen: * p < 0,05, ** p < 0,01, *** p < 0,001.

24

0,1398

132

24 132

156

unzensiert

0,1395

1,595 (1,598)

0,229* (0,116)

1,132*** (0,127)

b (Std.-Fehler)

0,124 (1,035)

−0,949 (2,672)

0,193 (0,151)

0,458

1,382

bis

−1,563 4,752

0,001

0,882

von

95 % K.-Int.

0

132

24

156

−4,863 −0,308

−1,920 2,168

−6,229 4,332

−0,106 0,492

0,1398

−425,512 (7 df)

−4,625 −0,437 −2,585* (1,153)

−0,106 0,492

0,193 (0,151)

linkszensiert

McFadden’s Pseudo R2

0,458

1,382

−1,556 4,688

0,001

0,882

bis

−0,473** (0,162) −0,793 −0,154 −0,473** (0,162) −0,793 −0,154

−4,680 −0,555 −2,531* (1,060) 156

−2,618* (1,044)

0,457

−0,106 0,491

N

Konstante

Reg

ecopos1

0,193 (0,151)

POrg x PSal

−0,794 −0,155 1,566 (1,580)

0,229* (0,116)

1,132*** (0,127)

von

95 % K.-Int.

Modell 3

16

POrg x EUAg

1,773 (1,517)

POrg

1,382

−1,225 4,771

EUAg

0,882

1,132*** (0,127)

0,229* (0,116)

PSal

bis

b (Std.-Fehler)

von

b (Std.-Fehler)

95 % K.-Int.

Modell 2

Modell 1

Tabelle 16.6 Tobit-Regressionsanalyse zur Aufmerksamkeit für EU-Themen in Europawahlprogrammen (einfach gepoolt)

354 Aufmerksamkeit für europäische Themen im Kontext …

16.3 Aufmerksamkeit für EU-Themen im Wahlkontext …

355

ihrem Belief System eine geringere Bedeutung einräumen als von den beiden Unionsparteien umgesetzt. Ließen sich die oben präsentierten Ergebnisse hingegen auch in weiteren empirischen Analysen bestätigen, müsste die theoretische Argumentation dahingehend verfeinert werden, wie und weshalb die Aufmerksamkeit für politische Themen der gesamten Partei sich in Abhängigkeit des Parteiorganisationsverständnisses zwischen dem Wahl- und Nichtwahlkontext verändert. Als zweites konnte der interessante Unterschied zwischen der Bundestags- und Europawahlprogrammatik aufgedeckt werden, wonach die EU-Handlungsagenda bei der Themenselektion eine weitaus größere Bedeutung für die nationalen Wahlen als für die Europawahlen spielt.6 Auch wenn die Parteien im Kontext der nationalen Wahlen weniger EU-Themen adressieren7 , scheint es im Wettbewerb um das nationale Regierungsamt wichtiger zu sein auf die europäische Handlungsagenda einzugehen als dies für den Wettbewerb um die Mandate im EU-Parlament der Fall ist. Eingebettet in die zugrundeliegende theoretische Argumentation bedeuten diese Ergebnisse, dass die Parteien im Rahmen der nationalen Wahl europäische Themen wesentlich stärker dazu nutzen, ihre Kompetenz zu signalisieren und zu unterstreichen, dass sie den europäischen Angelegenheiten die nötige Aufmerksamkeit schenken und sie in potenzieller Regierungsverantwortung auf der EU-Ebene reaktions- und handlungsfähig wären. Eingebettet in den generellen Forschungsstand präsentieren diese Ergebnisse neue Erkenntnisse über die Bedeutung des variierenden Wahlkontextes für die Programmformulierung, denn wie im einführenden Kapitel 2 reflektiert, sind systematisch vergleichende Aufbereitungen der nationalen und europäischen Wahlprogrammatik bislang eher selten. Zudem verweisen die Ergebnisse auf das zukünftige Forschungspotenzial, sich zum einen theoretisch differenzierter, über die Nebenwahlthese hinausgehend mit der unterschiedlichen Programmformulierung auseinanderzusetzen und zum anderen weitere systematische empirische Vergleiche verschiedener Wahlprogramme vorzunehmen.

6

An diesem Ergebnis ändert sich auch nichts, wenn die Operationalisierung der EUHandlungsagenda verändert wird, indem nicht mehr die Aktivitäten innerhalb eines zwölfmonatigen Zeitraums, sondern über die vorangegangene bzw. bevorstehende europäische Wahlperiode herangezogen werden. 7 Vgl. hierzu die höhere Anzahl der linkszentrierten Werte in Tabelle 16.5 als in Tabelle 16.6 und die vorangestellte Analyse zur Themenabdeckung in Kapitel 14.

356

16.4

16

Aufmerksamkeit für europäische Themen im Kontext …

Zusammenfassung

Gegenstand dieses Kapitels war die Klärung, inwiefern sich die Aufmerksamkeit für den EU-Themenkomplex in eine komplementäre Themenselektionsstrategie von Parteien einbettet. Basierend auf der zugrundeliegenden Prämisse, dass es für Parteien notwendig ist, unterschiedliche immaterielle Güter bereitzustellen um ihre Ziele zu erreichen, beinhaltet das Konzept als erste zentrale Säule, dass dementsprechend die ausgewählten Themen in der Politikartikulation von Parteien über eine Wahlperiode hinweg variieren. So sollten sie sich im Wahlkontext wesentlich stärker auf Themen fokussieren, die näher mit ihrem zugrundeliegenden Belief System verbunden sind. Demgegenüber haben sie in der restlichen Wahlperiode die Möglichkeit, mithilfe eines weitgefächerten Themenkomplexes und der Orientierung an der EU-Handlungsagenda zum immateriellen Gut Kompetenz beizutragen. Folglich variiert die Themenselektion bzw. die Stärke der Aufmerksamkeit für EU-Themen zwischen dem Wahl- und Nichtwahlkontext (Hypothese 2.1). Die empirischen Ergebnisse bestätigen eindrucksvoll signifikante Unterschiede in der Aufmerksamkeit für europäische Themen zwischen dem Wahl- und Nichtwahlkontext und bestätigen die formulierte Erwartung, wonach im Wahlkontext die Themenauswahl deutlicher stärker von der Parteisalienz als von der EU-Handlungsagenda geprägt ist. Der nicht erwartete und gemessene Einfluss des Parteiorganisationsverständnisses auf die Bedeutung der Parteisalienz als zentrale Einflussgröße weist indes auf die Notwendigkeit weiterer empirischer Untersuchungen und/oder einer Verfeinerung der theoretischen Argumentation hin. Das Konzept der komplementären Themenselektionsstrategie beinhaltet eine zweite Säule, die die Themenselektion in den Parteiorganisationskontext setzt. Demnach tragen die innerparteilichen Akteure zu dieser Strategie in unterschiedlicher Weise und damit zur Bereitstellung der immateriellen Güter Belief System und Kompetenz über die Wahlperiode hinweg bei, wobei sich dieser Beitrag aus ihren verfügbaren Ressourcen und ihren Aufgaben begründet. Die empirischen Analysen decken eindeutige Muster in der inhaltlich orientierten Aufgabenteilung zwischen den innerparteilichen Akteuren auf und weisen somit auf einen jeweils spezifischen Beitrag zur komplementären Themenselektionsstrategie hin. Diese Muster bestehen unabhängig vom Parteiorganisationsverständnis, was einen zentralen Bestandteil von Hypothese 3.5 bestätigt. Die aufgedeckten Muster entsprechen jedoch nicht in Gänze den formulierten Erwartungen, sodass die aufgestellte Hypothese 3.5 in Teilen verworfen werden muss: Zwar findet Bestätigung, dass die Aufmerksamkeit für EU-Themen durch die Fraktionen

16.4 Zusammenfassung

357

vor allem von der EU-Handlungsagenda und weniger stark von der zugrundeliegenden Parteisalienz beeinflusst ist. Die erwartete Aufgabenteilung in der außerparlamentarischen Partei lässt sich jedoch nicht beobachten, d. h. nicht die Themenselektion der Parteitage orientiert sich stärker am Belief System, sondern die Aufmerksamkeit der Parteiführungen für die EU-Themen. Die in diesem Kapitel aufgezeigten Zusammenhänge liefern Erklärungen für besonders wichtige Politikfelder in der Politikartikulation der innerparteilichen Akteure, die nicht unmittelbar zu den Kernthemen der Parteien gezählt werden können (Kapitel 14). Ferner machen sie das Bild zum geringen Ausmaß der thematischen Ähnlichkeit zwischen den innerparteilichen Akteuren ein Stück weit schlüssiger und unterstreichen, dass die beobachtete Fokussierung von Parteiführung und Parteitag auf mitunter wenige europäische Politikfelder und die daraus resultierende Themenabdeckung oder die Aufmerksamkeitsstärke keineswegs ein zufälliges Resultat sind (Kapitel 15). Darüber hinaus belegen die präsentierten Ergebnisse eindrucksvoll die Relevanz des Kontextes für die Politikartikulation und unterstützen damit auch den klassischen Issue-Ownership-Ansatz bzw. die Salienztheorie, wonach vorrangig Kernanliegen einer Partei im Wahlkampf betont werden (Klingemann et al. 1994; Petrocik 1996; Budge 2015). Eindrucksvoll ist das Ergebnis zum einen, da bisherige empirische Untersuchungen zu den Kernanliegen im Wahlkampf ausschließlich auf der Beobachtung desselbigen beruhen und somit genau genommen ein wichtiger empirischer Baustein zur Verifikation dieser Theorie fehlt. Zum anderen ist das Ergebnis eindrucksvoll, da es ausschließlich auf der Analyse europäischer Themen in den Wahlprogrammen beruht, d. h. auch auf diesen spezifischen Teilbereich aufgenommener Themen schlägt sich dieses Muster durch. Zusätzlich liefert dieses Kapitel neue empirische Ergebnisse zum Unterschied zwischen der Bundestags- und Europawahlprogrammatik, die auch ein zukünftiges Forschungspotenzial rund um den Umgang mit variierenden Wahlsettings aus Sicht der Parteien implizieren.

Aufgabenteilung in der Politikartikulation: Strategische europäische Themen im Verantwortungsbereich der Parteiführung?

17

Neben dem Forschungsinteresse am Inhalt aufgegriffener europäischer Themen verfolgt die Arbeit den Gedanken einer inhaltlich orientierten Aufgabenteilung zwischen den innerparteilichen Akteuren, die sich aus der Parteiorganisationsdimension ergibt. Den theoretischen Überlegungen folgend sollte diese unter anderem deutlich werden, wenn die Handlungsorientierung von Themen beobachtet wird. Die Handlungsorientierung bildet die strategische oder operative Ausrichtung der Sache ab. Strategische Themen beinhalten einen grundsätzlichen Orientierungsrahmen für Polity und Policy, während operative Themen eine konkrete Umsetzung von Sachverhalten umfassen. Beispiele für strategische Policy-Themen sind etwa weitreichende Reformen, wie die Agenda 2000 oder der Gesundheitscheck 2008 in der Agrarpolitik, oder Richtlinien zur Festlegung eines neuen Kurses, beispielsweise zur Deregulierung des Energiemarktes. Strategische Polity-Themen beinhalten die grundlegende institutionelle Struktur und geografische Ausdehnung der EU und erfassen somit EU-Finalitätsfragen. Basierend auf der theoretischen Argumentation wurden hierzu die Erwartungen formuliert, dass die Parteiführung eher strategische EU-Themen aufgreift (Hypothese 3.2.) und sich die Fraktion als Agent in der nationalen Legislative stärker operativen Themen widmet (Hypothese 3.3.). Wenn die Handlungslogik und Anreizstrukturen für die innerparteilichen Akteure wie vermutet existieren, dann sollten diese Muster prinzipiell in allen Parteien beobachtbar sein, und zwar unabhängig von der Parteiorganisation. In den vorangestellten Analysen spielten diese strategischen Polity-Themen bereits eine Rolle. So legt beispielweise Kapitel 13 offen, dass die drei Themenbereiche, die eher strategische Themen beinhalten, ausschließlich für die

© Der/die Autor(en), exklusiv lizenziert durch Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2021 S. John, Europäische Themen in deutschen Parteiorganisationen, Empirische Studien zur Parteienforschung, https://doi.org/10.1007/978-3-658-34797-0_17

359

360

17

Aufgabenteilung in der Politikartikulation …

Parteiführungen von CDU und CSU von höherer Relevanz sind. Mit der in Kapitel 15 eingenommenen Organisationsperspektive auf die Politikartikulation ließ sich am beobachteten Ausmaß der thematischen Ähnlichkeit nicht belegen, dass eine größere Verantwortung für EU-Polity-Themenbereiche in Händen der Parteiführung liegt. Dieses Kapitel vertieft nun, ob nicht dennoch die vermutete grundlegende Aufgabenteilung in allen vier Parteiorganisationen existiert. Dafür wird anders als in den obigen Kapiteln nicht die Relevanz von Themenbereichen betrachtet, sondern vielmehr werden die spezifischen Einzelthemen beobachtet. Insgesamt dient der Blick auf die Handlungsorientierung von Themen dazu, um zum einen Rückschlüsse auf eine innerparteiliche Aufgabenteilung in der Politikartikulation ziehen zu können und zum anderen, um Erkenntnisse darüber zu liefern, ob sich in der Politikartikulation zu den EU-Finalitätsfragen eine Elitenorientierung innerhalb der Parteien widerspiegelt und diese Themen in den Händen der Parteiführung liegen.

17.1

Anmerkungen zum analytischen Vorgehen

Da die hier aufgegriffenen Problemstellungen um die Eigenschaften von politischen Themen kreisen, stellen diese mit dem jeweiligen Merkmal die Beobachtungseinheiten dar. Deshalb kommt in diesem Kapitel das Beobachtungsset 8 zum Einsatz, welches alle politischen Aussagen jedes innerparteilichen Akteurs der vier Parteiorganisationen beinhaltet. Für die Überprüfung der Hypothesen, dass Parteiführungen eher strategische Themen und die Fraktionen eher operative Themen aufgreifen, kommen binäre logistische Regressionsmodelle zum Einsatz. Entsprechend der Problemstellung sind zunächst „strategisches Thema“ und „operatives Thema“ als zwei abhängige Variable konzipiert, oder genauer, das Eintreten der Entscheidung für ein strategisches Thema (Modelle zur Überprüfung des Verhaltens der Parteiführung) und das Eintreten der Entscheidung für ein operatives Thema (Modelle zur Überprüfung des Verhaltens der Fraktion). Um ein genaueres Bild über die Verantwortung für die strategischen Polity-Themen zu gewinnen, erfolgt eine zusätzliche Betrachtung dieser besonderen Themen als weitere Ausprägung der abhängigen Variablen. Die Modellierung erfolgt separat für jede der vier Parteien. Mit dem damit letztlich vorgenommenen Ausschluss der Parteiorganisation als wichtige Variable kann sinnvoll die Modellkomplexität reduziert werden. Mithilfe des Modellvergleichs können dennoch Aussagen im Zusammenhang mit der variierenden Parteiorganisation getroffen werden. Die CDU/CSU-Bundestagsfraktion wird auch in

17.2 Relevanz strategischer und operativer Themen

361

den folgenden Analysen in die komparative Perspektive der zwei Unionsparteien einbezogen, sodass zusätzliche Erkenntnisse über die zweifache organisatorische Einbettung der gemeinsamen Fraktion gewonnen werden können. Die Datenanalyse ist darauf ausgerichtet, die Existenz der erwarteten innerparteilichen Aufgabenteilung im Umgang mit politischen Themen zu überprüfen. Neben den Dummy-Variablen, die die innerparteilichen Akteure abbilden, wird zusätzlich die EU-Handlungsagenda als erklärende Variable berücksichtigt. Zum Einsatz kommt hier die Dummy-Variable A für die Agenda europäischer Finalitätsfragen, die nicht nur die exogene Handlungsagenda sondern auch die individuellen Reaktionszeiten der drei Akteurstypen berücksichtigt (siehe Kapitel 6, Abschnitt 6.3.1.1) und diese Information für jedes beobachtete Thema wiedergibt. Des Weiteren wird auf die Regierungsbeteiligung kontrolliert. Aufgrund der fehlenden Varianz im Falle der FDP bleibt diese Variable im FDP-Modell außen vor. Insgesamt gibt die Datenanalyse Auskunft über die Entscheidungen für strategische respektive operative Themen in Abhängigkeit von der innerparteilichen Aufgabenteilung und unter Berücksichtigung von externen Impulsen.1 In einer ergänzenden Analyse werden die Möglichkeiten der Agenten (hier insbesondere der Parteiführung) einbezogen, mit Beschlussvorlagen den Output der Politikartikulation ihres Prinzipals mitzugestalten. Dieses Aufweichen der strikten analytischen Trennung zwischen den drei innerparteilichen Akteuren wird hier vorgenommen, um die Hypothese über die Verantwortlichkeit der Parteiführung für strategische EU-Themen sinnvoll zu verfolgen.

17.2

Relevanz strategischer und operativer Themen

Bevor die Hypothesen überprüft werden, zunächst ein Blick auf die Verteilung der Themen hinsichtlich ihrer Handlungsorientierung in der politischen Kommunikation der innerparteilichen Akteure. Offensichtlich greifen alle drei Akteurstypen in allen untersuchten Parteien operative und strategische EU-Themen auf (siehe Tabelle 17.1). Strategische Themen sind in der Beschlussfassung der untersuchten Parteiführungen von variierender Relevanz: Ausschließlich die CDUParteiführung widmet sich vorrangig strategischen Polity-Themen. Die Parteiführungen von CSU und FDP wählen relativ häufig strategische Themen, um die 1

Parteisalienz als erklärende Variable bleibt in dieser Analyse unberücksichtigt, da in ihr keine logische Erklärung für die Entscheidung für ein strategisches oder operatives Thema liegt. Die Parteisalienz gewinnt erst wieder an Erklärungskraft, wenn im Mittelpunkt steht, welche strategischen oder operativen Themen ausgewählt werden. Diese Perspektive wird im Rahmen dieses Kapitels nicht eingenommen.

362

17

Aufgabenteilung in der Politikartikulation …

Tabelle 17.1 Handlungsorientierung der EU- Themen in der Politikartikulation innerparteilicher Akteure

Anmerkungen: Anzahl der Themen in Klammern; ohne Wahl- und Grundsatzprogramme; *einschließlich der Unions-Gemeinschaftsbeschlüsse. Quelle: eigene Erhebungen.

17.2 Relevanz strategischer und operativer Themen

363

dominierende Themenselektion handelt es sich aber nicht. Von besonders hoher Relevanz sind für die FDP-Parteiführung die strategischen Policy-Themen. Einen Sonderfall stellt die Grünen-Parteiführung dar, für die eine hohe Zuwendung zu operativen Themen – und damit eine geringere Zuwendung zu strategischen Themen – vorliegt. Ein ergänzender Blick auf die Gemeinschaftsbeschlüsse der Unionsparteiführungen verdeutlicht ihre insgesamt größere Orientierung auf die strategischen Polity-Themen. Bereits die generelle Verortung der drei Polity-Themenbereiche (geografische Erweiterung, EU-Vertragswerk und institutionelles Design) unterstreicht die tendenziell höhere Relevanz der Polity-Aspekte in der gemeinsamen Politikartikulation (vgl. Abschnitt 13.2.2). Zusammengefügt unterstreichen die Ergebnisse, dass auf den gemeinsamen Klausurtagungen, die sich jeweils unterschiedlichen thematischen Anlässen bzw. Schwerpunkten widmen, die europäische Handlungsebene berücksichtigt wird, und insgesamt strategische EU-Fragen entscheidender für die gemeinsame Politikformulierung der Unionsparteiführungen sind als operative EU-Themen. Für die Politikartikulation der Fraktionen zeigt sich ein sehr klares und einheitliches Bild: Die dominierende Relevanz der operativen Themen charakterisiert ihre Politikartikulation zu europäischen Angelegenheiten. Strategische Themen fließen durchaus auch in ihre Kommunikation ein. Dass dabei EU-Finalitätsfragen nicht ignoriert werden, zeigte die bereits präsentierte Relevanz der fünf europäischen Themenbereiche (vgl. Abschnitt 13.2.3). Die hier dargestellte Verteilung deckt nun eine nahezu gleichwertige Bedeutung von strategischen Policy-Themen und Polity-Themen auf. Die Prinzipale aller vier Parteien widmen sich stärker den operativen als den strategischen Themen, allerdings kommt den operativen Themen nicht dasselbe Relevanzniveau zu wie bei ihren Agenten im Parlament. Die operativen Themen sind für den Grünen- und den FDP-Parteitag deutlich wichtiger als für die Parteitage der Unionsparteien. Im Umkehrschluss spielen die strategischen Themen insgesamt für die Parteitage von CDU und CSU eine bedeutendere Rolle. Abgesehen vom FDP-Parteitag fließen in die Beschlussfassung der Parteitage eher EU-Finalitätsthemen als strategische Policy-Themen ein.

364

17.3

17

Aufgabenteilung in der Politikartikulation …

Strategische Themen in Händen der Parteiführung und operative Themen eher in Verantwortung der Fraktion?

Als erstes ist das Augenmerk auf die innerparteiliche Verantwortung für strategische EU-Themen gerichtet. Gemäß den Ergebnissen des logistischen Regressionsmodells zu den strategischen Polity- und Policy-Themen (siehe Tabelle 17.2) lässt sich festhalten, dass die CDU-Parteiführung wahrscheinlicher strategische EU-Themen aufgreift als ihr Prinzipal und die korrespondierende Fraktion. Der Unterschied ist besonders deutlich zum parlamentarischen Agenten. Gibt es auf der EU-Ebene konkrete Ereignisse im Hinblick auf die Finalitätsfragen, dann steigt signifikant die Wahrscheinlichkeit, dass in der CDU strategische Themen in der eigenen Themenselektion aufgenommen werden, die Wahrscheinlichkeit sinkt aber bei ihrer Regierungsbeteiligung. Da strategische Themen signifikant wahrscheinlicher in Händen der CDU-Parteiführung sind, bedeutet diese Ergebnisse nichts anders als eine hohe Adaption der externen EU-Handlungsagenda durch die CDU-Parteiführung (Tabelle 17.2, Modelle 1.1 bis 1.3). Die Ergebnisse zum Einfluss dieser beiden Variablen (EU-Handlungsagenda, Regierungsbeteiligung) werden weiter unten ausführlicher diskutiert. Für die Politikartikulation in der CSU lassen sich ähnliche statistische Effekte feststellen, wobei jedoch ein gravierender Unterschied besteht: Es ist nicht wahrscheinlicher, dass sich strategische EU-Themen in Händen der CSU-Parteiführung anstatt in der Verantwortung des CSU-Parteitags befinden (Tabelle 17.2, Modelle 2.1 bis 2.3). Ergo findet sich in der CSU nicht in Gänze die erwartete innerparteiliche Aufgabenteilung. Auffallend ist die vergleichsweise große Bedeutung der EU-Handlungsagenda für die Wahrscheinlichkeit eines strategischen Themas in der CSU. Auch innerhalb der FDP lassen sich nur statistisch signifikante Unterschiede zwischen Parteiführung und Fraktion aufzeigen, d. h. auch hier sind strategische EU-Themen nicht wahrscheinlicher in Händen der Parteiführung als beim Parteitag. Anzumerken ist, dass die externe EU-Handlungsagenda keinen statistisch signifikanten Effekt hat, in der Modellierung aber dennoch die statistische Bedeutung des eben vorgestellten Unterschieds stärkt (Tabelle 17.2, Modelle 3.1 bis 3.3). Gegensätzlich zu CDU, CSU und FDP weisen die Modelle zur Parteiorganisation von B90/Die Grünen darauf hin, dass strategische EU-Themen etwas wahrscheinlicher in Händen des Grünen-Parteitags sind, der schwache statistische Effekt verschwindet jedoch, sobald die EU-Handlungsagenda und die Regierungsbeteiligung im Modell berücksichtigt werden. Folglich zeigt sich hier nicht das

17.3 Strategische Themen in Händen …

365

erwartete Muster für die Verteilung strategischer Themen. Zudem steigt auch die Wahrscheinlichkeit für strategische EU-Themen in der Politikartikulation der Partei, wenn Finalitätsfragen auf der europäischen Agenda stehen. Die Regierungsbeteiligung ist hier allerdings mit einer positiven Wahrscheinlichkeit an die Entscheidung für strategische Themen gekoppelt (Tabelle 17.2, Modelle 4.1 bis 4.3). Das angewandte Konzept strategischer EU-Themen schließt europäische Angelegenheiten ein, die als EU-Finalitätsfragen in die akademische und politische Debatte einfließen. Mit der weiteren Modellierung erfolgt die Zuspitzung auf diese Finalitätsthemen (Tabelle 17.3). Grundsätzlich weisen die Modelle für die vier Parteiorganisationen ähnliche Ergebnisse auf wie eben für sämtliche strategische EU-Themen beschrieben. Es werden aber auch erkenntnisreiche Unterschiede offensichtlich: Als erstes zeigt sich in den CSU-Modellen (Tabelle 17.3, Modelle 2.1 bis 2.3) die vergleichsweise größte Bedeutung der EUHandlungsagenda für die Auswahl strategischer EU-Themen. Wenn also innerhalb der CSU die Wahrscheinlichkeit für EU-Finalitätsthemen wesentlich stärker im Zusammenhang mit der europäischen Agenda zu betrachten ist, dann liegt hierin ein wichtiger Hinweis für die Erklärung der beobachteten Nichtselektion europäischer Themen bei der CSU-Parteiführung (vgl. Kapitel 10 und Kapitel 13): Mit einem größeren Fokus auf Finalitätsthemen ist im Umkehrschluss auch ein Schweigen in den Zeiten verbunden, in denen diese Angelegenheiten nicht auf der europäischen Handlungsagenda stehen. Auch innerhalb der FDP steigt nun statistisch signifikant die Wahrscheinlichkeit für EU-Finalitätsthemen in Abhängigkeit von der EU-Handlungsagenda. Für die Grünen zeigt sich, dass die erwartete innerparteiliche Aufgabenteilung in dieser Parteiorganisation nicht zu finden ist. Vielmehr sind die strategischen Polity-Themen wahrscheinlicher in Händen des Parteitags (Tabelle 17.3, Modelle 4.1 bis 4.3). Die zweite Perspektive auf eine innerparteiliche Aufgabenteilung in der Politikartikulation widmet sich nun den Fraktionen und ihrer Themenauswahl. Hier wird vermutet, dass sich Fraktionen stärker operativen europäischen Themen zuwenden. Dass operative Themen eher in den Händen der Fraktion liegen als von Parteitag und Parteiführung ausgewählt zu werden, findet sich umfänglich für die CDU, CSU und FDP bestätigt (Tabelle 17.4).2 Innerhalb der Grünen grenzt sich die Fraktion mit ihrer Auswahl der operativen Themen ausschließlich 2

Die vorgenommene Modellierung soll die vermutete Abgrenzung zwischen den drei innerparteilichen Akteuren mit Blick auf die operativen Themen überprüfen. Da die Modellierung abgesehen von der Ordnung der innerparteilichen Akteure eine logische Umkehrung der Modelle zu den strategischen Themen bedeutet, wird hier die schrittweise Hinzunahme der Variablen nicht mehr dargestellt.

366

17

Aufgabenteilung in der Politikartikulation …

gegenüber dem Parteitag ab. Vor dem Hintergrund der geringeren Bedeutung strategischer EU-Themen für die Grünen-Parteiführung ist dieses Ergebnis weniger überraschend (Tabelle 17.4, Modelle 4.1 und 4.2). Der negative Zusammenhang zur EU-Handlungsagenda in allen Parteimodellen ist übrigens eine logische Konsequenz der Modellierung und beschreibt die statistisch signifikante sinkende Wahrscheinlichkeit einer Zuwendung zu operativen Themen in Zeiten der Finalitätsdebatten auf europäischer Ebene. Mit Blick auf die Relevanz der Regierungsbeteiligung liegen in allen Modellen zwar statistisch signifikante Effekte liegen vor, allerdings erlauben die unterschiedlichen Wirkungsrichtungen für die Grünen auf der einen Seite und die Unionsparteien auf der anderen Seite keine Rückschlüsse darauf, dass aus der Regierungsbeteiligung ein eindeutiges, gleichgerichtetes Selektionsverhalten von politischen Themen resultiert und darin letztlich eine Erklärung liegt. Insbesondere im Hinblick auf die strategischen EU-Themen erlaubt die inhärente Zeitdimension in der Variable Regierungsbeteiligung die Schlussfolgerung, dass unabhängig vom Regierungsstatus die Parteien eher strategische EU-Themen im Zeitraum bis September 2005 als in der nachfolgenden (beobachteten) Zeitperiode bis Juni 2009 ausgewählt haben. Vor dem Hintergrund, dass die europäische Handlungsagenda als ein wichtiger Impulsgeber für die Selektion strategischer Themen fungiert, liegt die Vermutung nahe, dass sich die Entwicklungen auf der europäischen Ebene zwischen den benannten Zeiträumen unterscheiden und es sinnvoll ist, sich die Entwicklungen auf der europäischen Ebene genauer in Erinnerung zu rufen: In den Zeitraum der Regierungsverantwortung von SPD und den Grünen fallen die Entscheidung zur Eröffnung der Beitrittsverhandlungen mit den osteuropäischen Staaten, die Durchführung der Verhandlungen und der Vollzug der Osterweiterung zum 1. Mai 2004 sowie die Verhandlung einer neuen vertraglichen Grundlage für die EU. Die Entwicklung des Vertragswerks prägte die europäische Agenda letztlich von Dezember 2001 bis Juni 2004 nicht nur mit seiner inhaltlichen Überarbeitung, sondern auch durch den eingeschlagenen neuen institutionellen Weg mit der Einberufung eines Konvents als Verhandlungsarena, welcher als „hybrides Repräsentationsmodell“ eine Abkehr von den traditionellen Vertragsverhandlungen in der intergouvernementalen Arena bedeutete (Taggart 2006: 10). Den Entwurf eines neuen Vertragswerks legte der Vorsitzende des Konvents, Giscard d’Estaing, dem Europäischen Rat im Juli 2003 vor, wobei die gewählte Titulierung Verfassungsvertrag auf die Eigendynamik der Konventsarbeit zurückzuführen ist (Dinan 2002: 36; 2003; detaillierte Analyse der Akteursinteressen: Dinan 2004; Craig 2013: 1–16). Mit der Übergabe des Entwurfs erfolgte letztlich der Rückgriff auf die traditionelle Verhandlungsmethodik des europäischen Vertragswerkes. Diese begannen mit Verzögerungen unter der italienischen

17.3 Strategische Themen in Händen …

367

Ratspräsidentschaft im Herbst 2003, die Mitgliedstaaten scheiterten jedoch, sich auf den vorliegenden Entwurf im Rahmen ihrer Zusammenkunft im Dezember 2003 zu einigen (Miles 2004: 7). Erzielt wurde die Einigung im Juni 2004 unter dem irischen Ratsvorsitz (detaillierte Darlegung der Verhandlungshistorie u. a. bei Dinan 2005: 38–49; Rees 2005; Craig 2013: 16–20). Der Beginn der großen Koalition im September 2005 fiel in den Zeitraum des Innehaltens im Umgang mit dem Verfassungsentwurf, nachdem in nationalen Referenden in Frankreich und in den Niederlanden im Sommer 2005 der Vertrag abgelehnt wurde. Ausgelöst durch diese Negativentscheidungen hielten die restlichen Mitgliedstaaten ihre Ratifizierungsprozesse an3 und es begannen sowohl generelle Diskurse über die Zielsetzung einer europäischen Verfassung als auch über den Umgang mit den erarbeiteten Einigungen, die weiterhin als essentiell für die europäische Zusammenarbeit bewertet wurden (Dinan 2007: 69–70; Craig 2013: 20–21). Erst wieder unter der deutschen Ratspräsidentschaft in der ersten Jahreshälfte 2007 intensivierten sich die Gespräche über den Umgang mit dem Entwurf bzw. mit Teilen davon, um dessen Akzeptanz zu stärken (Dinan 2007: 68). Erreicht wurde eine Vereinbarung des Europäischen Rats im Juni 2007 über die Umrisse einer überarbeiteten Version des Verfassungsvertrags als Reformvertrag (Craig 2013: 22). Die Verhandlungen der Details währten nur kurz, sodass letztlich am 13. Dezember 2007 die Staats- und Regierungschefs den Lissaboner Vertrag unterzeichneten und in den nationalen Ratifizierungsprozess überführten. Auch wenn er zum Erfolg geführt hatte, wurde der Verhandlungsstil unter der deutschen Ratspräsidentschaft kritisiert (Schwarzer 2007; Dinan 2008: 75; Maurer 2008). Zudem fielen in den Zeitraum der großen Koalition die weiteren, am Ende erfolgreichen Verhandlungen mit Bulgarien und Rumänien, deren Beitritt in der ersten Runde der Osterweiterung aufgrund der teilweise mangelhaften Umsetzung des acquis communitaire nicht vollzogen wurde, und die Entscheidung zur Eröffnung der Beitrittsverhandlungen mit der Türkei (Oktober 2005). Kurzum, gleichwohl über den gesamten Zeitraum Finalitätsfragen Gegenstand der europäischen Handlungsebene gewesen sind, fällt die Amtszeit der rot-grünen Regierung mit der besonderen Phase der europäischen Vertragsentwicklung zusammen, in der ein neuer institutioneller Weg für die inhaltliche Revision 3

Dazu zählt auch Deutschland: zwar wurde der Vertrag durch den Bundestag im Mai 2005 ratifiziert, aber der Bundespräsident hielt seine Bestätigung wegen eines anhängigen Urteils am Bundesverfassungsgericht zurück. Das BVerfG entschied am 30. Juni 2009, dass der Lissabonner Vertrag mit dem Grundgesetz vereinbar ist. Zugleich setzt das BVerfG durchaus Grenzen für die weitere EU-Integration, u. a. mit Berufung auf das existierende Demokratiedefizit – oder besser: mangelndes gleichberechtigtes Repräsentationsprinzip (one man, one vote) im Europäischen Parlament (Copsey und Haughton 2010; Dinan 2010; Dougan 2010).

368

17

Aufgabenteilung in der Politikartikulation …

bestehender Verträge beschritten wurde und umfänglichere Vertragsveränderungen angestrebt wurden. Im Gegensatz dazu lassen sich die Vertragsverhandlungen zu Zeiten der großen Koalition eher als eine klassische Situation beschreiben, in denen die traditionelle intergouvernementale Verhandlungsmethodik der Standard und der Verhandlungsspielraum eingeschränkter ist, da der bereits vorliegende Verfassungsvertrag den inhaltlichen Rahmen darstellte und nur einzelne Aspekte Gegenstand einer Veränderung sein sollten. Insgesamt bot also die erste Phase des Verfassungsvertrags neue und größere Spielräume für politische Ideen, was wiederum besondere Anreize für Parteien und andere gesellschaftliche Akteure setzte, sich intensiver mit den Vertragsentwicklungen auseinanderzusetzen. Zusammengefasst bedeuten diese Ergebnisse zur innerparteilichen Aufgabenteilung, dass die Fraktionen grundsätzlich wahrscheinlicher operative Themen aufgreifen als die anderen beiden innerparteilichen Akteure. Einzig innerhalb der Parteiorganisation von B90/Die Grünen liegt eine vergleichsweise hohe Zuwendung der Parteiführung zu operativen Themen vor, sodass keine deutliche Abgrenzung zwischen ihr und der Fraktion vorliegt. Dennoch lässt sich insgesamt das erwartete Muster der innerparteilichen Aufgabenteilung in der Politikartikulation über alle Parteiorganisationen nicht von der Hand weisen, sodass die Hypothese 3.3 grundsätzlich nicht verworfen werden muss. Eine eindeutige Verantwortung der Parteiführung für strategische Themen lässt sich indes nicht in den vier Parteiorganisationen erkennen. Vielmehr variiert hierbei die innerparteiliche Aufgabenverteilung: Für die CDU findet sich das erwartete Muster komplett bestätigt. Im Falle der CDU-Parteiführung spiegelt sich die Verantwortung für die strategischen EU-Themen auch in der höheren Relevanz von den Polity-Themenbereichen wider (Kapitel 13 und 15). Für die CSU und FDP liegt nur eine klare Verantwortungsteilung zwischen Parteiführung und Fraktion vor, darüber hinaus besteht keine Verantwortungsteilung zwischen der Parteiführung und ihrem Prinzipal. Für die Grünen lassen sich keine signifikanten Effekte einer Aufgabenteilung in der Bearbeitung aller strategischen Themen zwischen den innerparteilichen Akteuren feststellen. Wenn es um die EU-Finalitätsthemen geht, zeichnet sich sogar eine Aufgabenteilung ab, wonach aber die strategischen Themen eher in Händen des Parteitags und nicht wie erwartet in Händen der Parteiführung liegen.4 Folglich ist an dieser Stelle die Hypothese 3.2 zu verwerfen. Diese parteispezifischen Besonderheiten sind ein Indiz dafür, dass sich zwar 4

Die diskutierten Muster in der Themenselektion müssen jedoch mit einer gewissen Vorsicht behandelt werden, da die Modellgütemaße nur sehr geringe Werte aufweisen. Da die hier durchgeführte Modellierung dem Aufdecken der vermuteten Zusammenhänge dient und nicht der Erklärung der Outcome-Variablen, ist das Streben nach einer hohen Modellgüte zweitrangig. Trotz der wertvollen Informationen in den „schlechten“ Modellen, besteht aber

17.4 Exkurs in die Politikartikulation der Parteitage

369

prinzipiell eine Aufgabenverteilung in der Politikartikulation manifestiert, aber diese Aufgabenverteilung eben nicht unabhängig von der Partei ist. Die beobachteten Unterschiede lassen sich aber nicht systematisch in den Kontext der variierenden Parteiorganisationen setzen. Dafür wäre eine höhere Ähnlichkeit zwischen FDP und Grünen bzw. zwischen CDU und CSU vonnöten, da sich diese Parteiorganisationen durch einen eher stärkeren bzw. schwächeren Prinzipal auszeichnen. Folglich ist der unterschiedliche Umgang mit den strategischen Themen auf andere Ursachen zurückzuführen. Eine Ursache könnte die womöglich stringente Anwendung der OutputPerspektive auf die Politikartikulation sein. Die ausschließliche Messung der nach außen sichtbaren politischen Kommunikation bietet vielfache und sinnvolle Analysemöglichkeiten, blendet aber aus, dass insbesondere die Politikartikulation des Parteitags nicht unabhängig von anderen innerparteilichen Akteuren ist. Vielmehr stellen diese Anträge, die dann in Beschlüssen des Parteitags resultieren. Zu diesen Antragsberechtigten gehört in allen untersuchten Parteien die Parteiführung.5 Wenn aber nun die Parteiführung verstärkt Impulse für strategische Themen in den Parteitag trägt, dann negiert die Output-Messung letztlich die „Verantwortung“ der Parteiführung für die strategischen Themen, vor allem dann, wenn sie darüber hinaus diese seltener zum Gegenstand der eigenständigen Beschlussfassung macht – so wie im Sonderfall der Grünen-Parteiführung. Wie gestaltet sich die Verteilung der Themen hinsichtlich ihrer Handlungsorientierung, wenn die Parteiführung als Antragssteller berücksichtigt wird? Lässt sich dann besser der Sonderfall der Grünen-Parteiführung einordnen und das relativ uneinheitliche Verhalten der Parteitage verstehen? Diesen Fragestellungen wendet sich nun der explorative und deskriptive Exkurs im nachfolgenden Abschnitt zu.

17.4

Exkurs in die Politikartikulation der Parteitage

Um den Einfluss der Parteiführung auf die Themenselektion des Parteitags abzubilden, werden die europäischen Themen in der Beschlusslage des Parteitags separiert, die auf einen Antrag der Parteiführung zurückgehen. Unberücksichtigt bleibt, ob der vorgestellte Antrag der Parteiführung Gegenstand einer Parteitagsdebatte gewesen ist, daraufhin textliche Änderungen vorgenommen wurden und so die Gefahr, dass zentrale erklärende Variablen unberücksichtigt geblieben sind, welche die hier beobachteten Zusammenhänge als Scheinkorrelationen entlarven könnten. 5 Der Fraktion steht kein Antragsrecht zu, was nicht ausschließt, dass Abgeordnete in ihrer Rolle als Delegierte eines Kreis- bzw. Landesverbands oder in der Mitgliedschaft eines Fachausschusses der Parteiorganisation Anträge stellen können.

b (Std.Fehler)

N = 2.533

Konstante

0,492

0,927

−0,539*

(0,197)

0,111

(0,091)

0,255**

(0,188)

−0,985***

(0,223)

0,319

7,963

27,395

5,859

1,117

1,291

0,373

0,583

1,081

0,258

0,377

Pseudo R2 0,021 (Cox & Snell), 0,029 (Nagelkerke).

0,238

0,388

Modell Chi-Quadrat 54,590(3), p < 0,001.

1,396

0,342

0,6

33,566***

95 % K.I. f. von

Odds Ratio Odds

bis

Modell 1.2 WaldStatistik

von

b (Std.Fehler)

Odds

95 % K.I. f.

Pseudo-R2 0,018 (Cox & Snell), 0,025 (Nagelkerke).

3,44

33,377

5,296

46,327***

Odds Ratio

Modell Chi-Quadrat 46,597(2), p < 0,001.

(0,18)

0,334

Modell 1.1

WaldStatistik

1,542

0,54

0,903

bis

Modell 1.3

0,489

5,887

12,007

26,399

6,212

31,392***

WaldStatistik

1,148

0,799

1,395

0,379

0,574

Odds Ratio

Pseudo R2 0,024 (Cox & Snell), 0,033 (Nagelkerke).

0,958

1,684

0,549

0,888

bis

(Fortsetzung)

0,667

1,156

0,262

0,37

von

Odds

95 % K.I. f.

Modell Chi-Quadrat 60,516(4), p < 0,001.

(0,197)

0,138

(0,092)

−0,224*

(0,096)

0,333***

(0,189)

−0,969***

(0,223)

−0,556*

b (Std.Fehler)

17

Regierungsbeteiligung

EU-Agenda, D.

(0,186)

Fraktion −1,073***

(0,222)

Parteitag −0,511*

IPA1

CDU

Tabelle 17.2 Logistische Regressionsanalyse zu den strategischen EU-Themen in der Politikartikulation von CDU, CSU, FDP und B90/Die Grünen

370 Aufgabenteilung in der Politikartikulation …

b (Std.Fehler)

N = 2.589

Konstante

Regierungsbeteiligung

EU-Agenda

Modell 2.1

0,741

1,587

0,119

(0,175)

−0,389*

(0,084)

0,394***

(0,171)

−0,561***

(0,205)

4,935

21,732

10,755

0,338

0,678

1,483

0,571

1,127

1,256

0,408

0,754

Pseudo R2 0,023 (Cox & Snell), 0,032 (Nagelkerke).

0,381

0,714

34,885***

95 % K.I. f. von

Odds Ratio Odds

bis

Modell 2.2 WaldStatistik

von

b (Std.Fehler)

Odds

95 % K.I. f.

Modell Chi-Quadrat 60,346(3), p < 0,001.

0,899

0,531

1,064

Odds Ratio

Pseudo R2 0,015 (Cox & Snell), 0,020 (Nagelkerke).

0,426

13,861

0,093

38,93***

WaldStatistik

Modell Chi-Quadrat 38,435(2), p < 0,001.

(0,164)

−0,107

(0,17)

Fraktion −0,632***

(0,204)

Parteitag 0,062

IPA1

CSU

Tabelle 17.2 (Fortsetzung)

1,75

0,798

1,684

bis

Modell 2.3

5,178

2,863

24,563

8,973

0,383

29,763***

WaldStatistik

0,671

0,851

1,563

0,596

1,136

Odds Ratio

Pseudo R2 0,024 (Cox & Snell), 0,033 (Nagelkerke).

1,026

1,865

0,836

1,698

bis

(Fortsetzung)

0,707

1,31

0,424

0,759

von

Odds

95 % K.I. f.

Modell Chi-Quadrat 63,222(4), p < 0,001.

(0,175)

−0,399*

(0,095)

−0,161*

(0,09)

0,447***

(0,173)

−0,518**

(0,205)

0,127

b (Std.Fehler)

17.4 Exkurs in die Politikartikulation der Parteitage 371

b (Std.Fehler)

N = 3.003

−0,089

0,563

1,055

−0,42

(0,2)

−0,215

(0,084)

0,157

(0,194)

−0,916***

(0,26)

1,157

3,502

22,227

2,618

0,806

1,17

0,4

0,657

0,993

0,273

0,395

Pseudo R2 0,011 (Cox & Snell), 0,016 (Nagelkerke).

0,264

0,382

Modell Chi-Quadrat 32,806(3), p < 0,001.

0,915

0,385

0,635

28,258***

95 % K.I. f. von

Odds Ratio Odds

bis

Modell 3.2 WaldStatistik

von

b (Std.Fehler)

Odds

95 % K.I. f.

Pseudo R2 0,010 (Cox & Snell), 0,014 (Nagelkerke).

0,221

24,352

3,069

30,461***

Odds Ratio

Modell Chi-Quadrat 29,289(2), p < 0,001.

(0,188)

Modell 3.1

WaldStatistik

1,38

0,586

1,093

bis

b (Std.Fehler)

WaldStatistik

Odds Ratio

von

bis

(Fortsetzung)

Odds

95 % K.I. f.

17

Konstante

Regierungsbeteiligung

EU-Agenda

(0,193)

Fraktion −0,954*

(0,259)

Parteitag −0,454

IPA1

FDP

Tabelle 17.2 (Fortsetzung)

372 Aufgabenteilung in der Politikartikulation …

b (Std.Fehler)

−0,898***

−0,937*** 40,08

0,392

1,049

0,914 0,897

0,696

Pseudo R2 0,004 (Cox & Snell), 0,006 (Nagelkerke).

(0,148)

0,359

0,423

1,023

Modell Chi-Quadrat 17,8011(3), p < 0,001.

0,407

(0,08)

0,048

(0,139)

1,421

Pseudo R2 0,004 (Cox & Snell), 0,006 (Nagelkerke).

45,312

1,193

4,388

Modell Chi-Quadrat 17,441(2), p < 0,001.

(0,133)

0,692

0,351*

Anmerkungen: Abhängige Variable „strategische Themen“: 1 „strategische Themen“, 0 „nicht strategische Themen. 1 Innerparteiliche Akteure, Referenzkategorie: Parteiführung. * p < 0,05, ** p < 0,01, *** p < 0,001.

N = 4.164

Konstante

Regierungsbeteiligung

EU-Agenda

0,909

1,988 −0,09

(0,139)

0,474

1,033

16,201***

95 % K.I. f. von

Odds Ratio Odds

bis

WaldStatistik

von

b (Std.Fehler)

Modell 4.2

Odds

95 % K.I. f.

Fraktion −0,096

1,433

Odds Ratio

(0,168)

4,644

18,037***

WaldStatistik

Modell 4.1

(0,167)

Parteitag 0,36*

IPA1

B90/Die Grünen

Tabelle 17.2 (Fortsetzung)

1,227

1,2

1,974

bis

55,599

29,177

3,954

0,636

1,908

9,809**

WaldStatistik

0,318

1,49

1,18

0,895

1,264

Odds Ratio

1,289

1,002

0,681

0,907

von

Odds

95 % K.I. f.

Pseudo R2 0,011 (Cox & Snell), 0,016 (Nagelkerke).

Modell Chi-Quadrat 46,804(4), p < 0,001.

−1,145*** (0,154)

0,399*** (0,074)

0,166* (0,083)

(0,14)

−0,111

(0,17)

0,234

b (Std.Fehler)

Modell 4.3

1,722

1,389

1,176

1,763

bis

17.4 Exkurs in die Politikartikulation der Parteitage 373

Modell Chi-Quadrat 97,430(2), p < 0,001. Pseudo R2 0,038 (Cox & Snell), 0,066 (Nagelkerke).

N = 2.533

0,74

0,127

0,332

−0,301 (0,179)

2,821

0,184

0,522

von

95 % K.I. f. Odds

0,268

0,82

bis

3,46

0,678

71,269

8,195

89,232***

0,675

1,111

0,191

0,516

Odds Ratio

Modell 1.2 WaldStatistik

0,865

0,13

0,328

von

95 % K.I. f. Odds

Modell Chi-Quadrat 98,109(3), p < 0,01. Pseudo R2 0,038 (Cox & Snell), 0,067 (Nagelkerke).

−0,394 (0,212)

0,105 (0,128)

−1,656*** (0.196)

−0,662** (0,231)

b (Std.Fehler)

1,427

0,28

0,812

bis

0,721

0,575

1,333

0,196

0,492

0,446

1,024

0,133

0,311

von

95 % K.I. f. Odds

0,741

1,734

0,289

0,777

bis

(Fortsetzung)

Modell Chi-Quadrat 117,118(4), p < 0,001. Pseudo R2 0,045 (Cox & Snell), 0,079 (Nagelkerke).

2,346

18,306

−0,553*** (0,129) −0,327 (0,213)

4,579

68,077

9,261

82,461***

Odds Ratio

Modell 1.3 WaldStatistik

0,287* (0,134)

−1,63*** (0,198)

−0,71** (0,233)

b (Std.Fehler)

17

Konstante

Regierungsbeteiligung, D.

EU-Agenda, D.

78,264

Fraktion −1,692*** (0,191)

106,63***

Odds Ratio

Modell 1.1

WaldStatistik

7,952

b (Std.Fehler)

Parteitag −0,651** (0,231)

IPA1

CDU

Tabelle 17.3 Logistische Regressionsanalyse zu den EU-Finalitätsthemen in der Politikartikulation von CDU, CSU, FDP und B90/Die Grünen

374 Aufgabenteilung in der Politikartikulation …

Modell Chi-Quadrat 126,641(2), p < 0,001. Pseudo R2 0,048 (Cox & Snell), 0,082 (Nagelkerke).

N = 2.589

0,579

0,165

0,629

−0,547** (0,169)

10,405

0,235

0,953

von

95 % K.I. f. Odds

Konstante

Regierungsbeteiligung

EUHandlungsagenda, D.

63,308

Fraktion −1,447*** (0,182)

136,403***

Odds Ratio

Modell 2.1

WaldStatistik

0,052

b (Std.Fehler)

Parteitag −0,048 (0,212)

IPA1

CSU

Tabelle 17.3 (Fortsetzung)

0,336

1,443

bis

18,996***

11,456

56,846

0,001

129,218***

0,437

1,472

0,251

1,006

Odds Ratio

Modell 2.2 WaldStatistik

1,177

0,175

0,663

von

95 % K.I. f. Odds

Modell Chi-Quadrat 138,282(3), p < 0,01. Pseudo R2 0,052 (Cox & Snell), 0,089 (Nagelkerke).

−0,827 (0,19)

0,387*** (0,114)

−1,381*** (0,183)

0,006 (0,213)

b (Std.Fehler)

1,842

0,36

1,528

bis

0,429

0,696

1,647

0,275

1,023

0,539

1,299

0,191

0,673

von

95 % K.I. f. Odds

0,901

2,087

0,396

1,555

bis

(Fortsetzung)

Modell Chi-Quadrat 146,048(4), p < 0,001. Pseudo R2 0,055 (Cox & Snell), 0,094 (Nagelkerke).

19,793

7,605

−0,362** (0,131) −0,847*** (0,19)

16,998

48,188

0,011

109,414***

Odds Ratio

Modell 2.3 WaldStatistik

0,499*** (0,121)

−1,291*** (0,186)

0,022 (0,214)

b (Std.Fehler)

17.4 Exkurs in die Politikartikulation der Parteitage 375

Modell Chi-Quadrat 9,994(2), p < 0,01. Pseudo R2 0,003 (Cox & Snell), 0,006 (Nagelkerke).

N = 3.003

0,329

−1,11*** (0,218)

0,305

0,295

Konstante

25,971

0,474

0,554

von

95 % K.I. f. Odds

0,737

1,042

bis

32,402

6,864

9,007

2,702

9,196*

0,261

1,332

0,507

0,588

Odds Ratio

Modell 3.2 WaldStatistik

1,075

0,325

0,312

von

95 % K.I. f. Odds

Modell Chi-Quadrat 16,967(3), p < 0,01. Pseudo R2 0,006 (Cox & Snell), 0,010 (Nagelkerke).

−1,345*** (0,236)

0,287** (0,109)

−0,68** (0,226)

−0,531 (0,323)

b (Std.Fehler)

1,651

0,79

1,108

bis

b (Std.Fehler)

WaldStatistik

Odds Ratio von

bis

(Fortsetzung)

95 % K.I. f. Odds

17

Regierungsbeteiligung

EUHandlungsagenda, D.

11,012

Fraktion −0,746** (0,225)

11,218**

Odds Ratio

Modell 3.1

WaldStatistik

3,353

b (Std.Fehler)

Parteitag −0,59 (0,322)

IPA1

FDP

Tabelle 17.3 (Fortsetzung)

376 Aufgabenteilung in der Politikartikulation …

1,292

3,034

bis

93,5

1,292

0,191

11,706

39,031

WaldStatistik

0,161

1,125

0,926

2

Odds Ratio

0,918

0,655

1,345

von

95 % K.I. f. Odds

Modell Chi-Quadrat 41,974(3), p < 0,01. Pseudo R2 0,010 (Cox & Snell), 0,017 (Nagelkerke).

−1,828*** (0,189)

0,118 (0,104)

−0,077 (0,177)

0,693*** (0,203)

b (Std.Fehler)

Modell 4.2

1,378

1,309

2,976

bis

116,958

36,341

6,896

0,374

6,696

25,801***

WaldStatistik

0,119

1,734

1,327

0,897

1,702

Odds Ratio

1,45

1,074

0,634

1,138

von

95 % K.I. f. Odds

Modell Chi-Quadrat 77,928(4), p < 0,001. Pseudo R2 0,019 (Cox & Snell), 0,032 (Nagelkerke).

−2,128*** (0,197)

0,551*** (0,091)

0,283** (0,108)

−0,109 (0,177)

0,532* (0,205)

b (Std.Fehler)

Modell 4.3

2,074

1,639

1,27

2,545

bis

Anmerkungen: Abhängige „strategische Themen“ ist kodiert als 1 „strategische Themen“ und 0 „nicht strategische Themen. 1 Innerparteiliche Akteure, Referenzkategorie: Parteiführung. * p < 0,05, ** p < 0,01, *** p < 0,001.

Modell Chi-Quadrat 40,666(2), p < 0,001. Pseudo R2 0,010 (Cox & Snell), 0,017 (Nagelkerke).

N = 4.164

0,177

0,647

1,375

von

95 % K.I. f. Odds

−1,733*** (0,169)

104,662

0,914

2,043

Odds Ratio

Konstante

Regierungsbeteiligung

EUHandlungsagenda, D.

0,258

Fraktion −0,09 (0,176)

44,777***

WaldStatistik

12,524

b (Std.Fehler)

Modell 4.1

Parteitag 0,714*** (0,202)

IPA1

B90/Die Grünen

Tabelle 17.3 (Fortsetzung)

17.4 Exkurs in die Politikartikulation der Parteitage 377

Modell Chi-Quadrat 49,307(2), p < 0,001. Pseudo R2 0,019 (Cox & Snell), 0,027 (Nagelkerke).

N = 2.533

2,296

0,979*** (0,072)

316,788

0,831*** (0,047)

Konstante

2,662

1,067

0,526

0,283

0,477

1,541

0,773

0,589

0,843

bis

(Fortsetzung)

Modell Chi-Quadrat 72,043(4), p < 0,001. Pseudo R2 0,028 (Cox & Snell), 0,039 (Nagelkerke).

187,317

1,282

0,637

0,408

0,634

von

95 % K.I. f. Odds

17

7,018

0,249** (0,094)

Regierungs beteiligung

9,866

29,38***

21,083

−0,455** (0,145)

Odds Ratio

Modell 1.2 Wald-Statistik

−0,45*** (0,098)

0,509

0,682

bis

b (Std.-Fehler)

EU-Handlungs agenda, Dummy

0,247

0,396

von

95 % K.I. f. Odds

22,843

0,355

0,520

Odds Ratio

−0,896*** (0,187)

31,604

Parteiführung −1,037*** (0,184)

49,697***

Wald-Statistik

22,261

b (Std.-Fehler)

Modell 1.1

Logistische Regressionsanalyse zu den operativen Themen in der Politikartikulation von CDU, CSU, FDP und B90/Die

Parteitag −0,654*** (0,139)

IPA1

CDU

Tabelle 17.4 Grünen

378 Aufgabenteilung in der Politikartikulation …

Modell Chi-Quadrat 49,224(2), p < 0,001. Pseudo R2 0,019 (Cox & Snell), 0,026 (Nagelkerke).

N = 2.589

2,903

1,188

0,575

0,553

0,48

0,983

0,48

0,394

0,37

von

95 % K.I. f. Odds

1,435

0,689

0,778

0,622

bis

(Fortsetzung)

Modell Chi-Quadrat 86,045(4), p < 0,001. Pseudo R2 0,033 (Cox & Snell), 0,045 (Nagelkerke).

228,858

1,066*** (0,07)

2,296

0,831*** (0,047)

Konstante

316,788

0,172 (0,097) 3,171

Regierungs beteiligung

30,516

38,223***

36,2

−0,735*** (0,133)

−0,553*** (0,092)

0,676

0,588

Odds Ratio

Modell 2.2 Wald-Statistik

EU-Handlungs agenda, Dummy

0,347

0,353

bis

b (Std.-Fehler)

11,625

0,485

0,455

von

95 % K.I. f. Odds

−0,592** (0,174)

18,150

Parteiführung −0,725*** (0,170)

49,989***

Odds Ratio

Modell 2.1 Wald-Statistik

36,414

b (Std.-Fehler)

Parteitag −0,787*** (0,130)

IPA1

CSU

Tabelle 17.4 (Fortsetzung)

17.4 Exkurs in die Politikartikulation der Parteitage 379

Modell Chi-Quadrat 27,956(2), p < 0,001. Pseudo R2 0,009 (Cox & Snell), 0,013 (Nagelkerke).

0,712

0,27

0,459

0,991

0,579

0,951

bis

(Fortsetzung)

Modell Chi-Quadrat 32,245(3), p < 0,001. Pseudo R2 0,011 (Cox & Snell), 0,016 (Nagelkerke).

3,179

0,84

0,396

0,661

von

95 % K.I. f. Odds

17

311,493

N = 3.003

2,879

1,157*** (0,066)

589,187

1,057*** (0,044)

Konstante

4,98

26,676***

4,268

−0,414* (0,186)

−0,175* (0,085)

0,554

0,946

Odds Ratio

Modell 3.1 Wald-Statistik

EU-Handlungs agenda, Dummy

0,260

0,457

bis

b (Std.-Fehler)

22,762

0,380

0,658

von

95 % K.I. f. Odds

−0,927*** (0,194)

25,121

Parteiführung −0,969*** (0,193)

29,104***

Odds Ratio

Modell 3.1 Wald-Statistik

5,100

b (Std.-Fehler)

Parteitag −0,419* (0,185)

IPA1

FDP

Tabelle 17.4 (Fortsetzung)

380 Aufgabenteilung in der Politikartikulation …

Modell Chi-Quadrat 17,458(2), p < 0,001. Pseudo R2 0,004 (Cox & Snell), 0,006 (Nagelkerke).

N = 4.164

3,626

0,652

0,848

0,874

0,71

0,564

0,719

0,665

0,57

von

95 % K.I. f. Odds

0,754

0,998

1,149

0,885

bis

Anmerkungen: Abhängige „operative Themen“ ist kodiert als 1 „operative Themen“ und 0 „nicht operative Themen“. 1 Innerparteiliche Akteure, Referenzkategorie: Fraktion. * p < 0,05, ** p < 0,01, *** p < 0,001.

Modell Chi-Quadrat 50,720(4), p < 0,001. Pseudo R2 0,012 (Cox & Snell), 0,017 (Nagelkerke).

251,472

1,288*** (0,081)

2,758

1,015*** (0,038)

Konstante

696,506

33,217

−0,427*** (0,074)

9,291

9,72**

Regierungs beteiligung

−0,342** (0,112)

Odds Ratio

Modell 4.1 Wald-Statistik

3,914

1,169

0,783

bis

b (Std.-Fehler)

−0,165* (0,084)

0,678

0,513

von

95 % K.I. f. Odds

EU-Handlungs agenda, Dummy

0,890

0,634

Odds Ratio

0,928

0,699

17,885

18,062***

Wald-Statistik

Modell 4.1

−0,135 (0,14)

Parteitag −0,456*** (0,108)

b (Std.-Fehler)

Parteiführung −0,116 (0,139)

IPA1

B90/Die Grünen

Tabelle 17.4 (Fortsetzung)

17.4 Exkurs in die Politikartikulation der Parteitage 381

382

17

Aufgabenteilung in der Politikartikulation …

gegebenenfalls einzelne europäische Themen nicht auf die Parteiführung zurückgehen, sondern strikt genommen dem Parteitag zugeordnet werden müssten. Mit dieser pragmatischen Vereinfachung wird in Kauf genommen, dass die damit präsentierten Werte leicht verzerrt sein könnten. Sie bietet aber dennoch einen guten Schätzer für die gesetzten Impulse durch die Parteiführung. Die nachfolgende Tabelle 17.5 bildet die Separierung zwischen Themen, die auf die Parteiführung zurückgehen, und der restlichen Politikformulierung des Parteitags für alle Parteien ab. Die Darstellung bietet Aufschlussreiches in mehrfacher Hinsicht: Zunächst zeigt sich sehr deutlich, wie unterschiedlich mit den europäischen Themen in den Parteien umgegangen wird. Knapp 87 Prozent der europäischen Themen, die Gegenstand der Beschlussfassung des CDU-Parteitags sind, gehen auf Anträge der Parteiführung zurück. Damit ist dieser Anteil mindestens doppelt so hoch wie bei den Grünen. Auf dem FDP- und CSU-Parteitag setzt die jeweilige Parteiführung Impulse für gut die Hälfte der europäischen Themen (rund 53 %). Insgesamt bedeutet das nichts anderes, als dass die Politikformulierung des CDU-Parteitags zum europäischen Themenkomplex nahezu komplett von der CDU-Parteiführung dominiert wird. In den anderen Parteien besteht diese Dominanz der Parteiführung mit Blick auf die europäischen Themen nicht. Das unterstreicht die Aufmerksamkeit für europäische Themen innerhalb der gesamten Parteiorganisation von CSU, Grünen und FDP. Es existieren innerhalb dieser Parteien also ausreichend Anreize, diesbezüglich Anträge einzubringen, welche in die Beschlusslage übernommen werden.6 Oder anders ausgedrückt: ein grundlegendes Interesse an europäischen Angelegenheiten existiert über die Parteiführungselite hinaus, was sich auch in der Politikformulierung des Prinzipals widerspiegelt.7 Welche Impulse setzen nun die Parteiführungen in den Parteien? Die GrünenParteiführung bringt verstärkt Impulse bei Themen mit strategischer Handlungsorientierung ein: Mehr als die Hälfte dieser Themen in der Politikformulierung 6

Eine Analyse der Anträge zu europäischen Angelegenheiten böte weitere spannende empirische Ergebnisse darüber, wie die Parteien und ihre subnationalen Akteure mit EU-Themen umgehen. Denn aus den Parteitagsprotokollen geht hervor, dass hierzu vielfach Anträge eingebracht werden, die nicht abgelehnt werden, sondern zur weiteren Bearbeitung an die Fraktion oder an die Parteiführung für die weitere Bearbeitung überwiesen werden. 7 Dieses Ergebnis bleibt auch bestehen, wenn auch jene Themen von der Beschlussfassung des Parteitags separiert werden, die auf Anträge einzelner Abgeordneter oder Abgeordnete in Kooperation mit subnationalen Verbänden zurückzuführen sind. So steigt der Anteil der Themen, die auf Impulse von Mitgliedern der Fraktion und der Parteiführung zurückzuführen sind, in der CSU auf 80 Prozent und bei den Grünen auf knapp 60 Prozent.

17.4 Exkurs in die Politikartikulation der Parteitage

383

Tabelle 17.5 Handlungsorientierung von Themen der Parteitage unter Berücksichtigung der Antragsstellung durch die Parteiführung B90/Die Grünen Parteitag gesamt

Themen Anteile PF

FDP Parteitag ohne PF

Parteitag gesamt

29,1 % (72)

34,6 % (47)

Themen Anteile PF

Parteitag ohne PF

strategisch

36,4 % (155)

strategisch EU-Finalität

26,5 % (113)

51,3 %

22,3 % (55)

15,4 % (21)

76,2 %

7,8 % (5)

strategisch Policy-Making

9,9 % (42)

59,5 %

6,9 % (17)

19,1 % (26)

50,0 %

20,3 % (13)

operativ

63,6 % (271)

35,4 %

70,9 % (175)

65,4 % (89)

48,3 %

71,9 % (46)

Gesamt

100,0 % (426)

42,0 %

100,0 % (247)

100,0 % (136)

52,9 %

100,0 % (64)

Themen Anteile PF

Parteitag ohne PF

CDU Parteitag gesamt

28,1 % (18)

CSU Themen Anteile PF

Parteitag ohne PF

Parteitag gesamt

81,3 % (26)

48,9 % (132)

strategisch

45,6 % (108)

33,3 % (42)

strategisch EU-Finalität

27,8 % (66)

68,2 %

65,6 % (21)

35,6 % (96)

77,1 %

17,5 % (22)

strategisch Policy-Making

17,7 % (42)

88,1 %

15,6 % (5)

13,3 % (36)

44,4 %

15,9 % (20)

operativ

54,4 % (129)

95,3 %

18,8 % (6)

51,1 % (138)

39,1 %

66,7 % (84)

Gesamt

100,0 % (237)

86,5 %

100,0 % (32)

100,0 % (270)

53,3 %

100,0 % (126)

Anmerkungen: PF = Parteiführung. Quelle: eigene Erhebungen und Berechnungen.

des Parteitags geht auf die Parteiführung zurück. Letztlich trägt also die GrünenParteiführung die strategischen Themen in die Politikformulierung des Parteitags und behält sich diese europäischen Themen nicht für ihre Beschlussfassung vor. Dies impliziert, dass es innerhalb der Grünen als notwendig erachtet wird, strategische EU-Finalitätsfragen mit Beschlüssen des Prinzipals abzudecken.

384

17

Aufgabenteilung in der Politikartikulation …

Abgesehen von den Impulsen der Grünen-Parteiführung existiert ein unabhängiges Interesse des Prinzipals an den EU-Finalitätsfragen, denn er bringt davon losgelöst strategische Themen in seine Beschlussfassung ein. Ähnliches lässt sich auch für die CSU attestieren, da einerseits die Parteiführung Impulse für die strategischen Themen – vor allem für die Finalitätsfragen – setzt und andererseits die strategischen Themen ohne diesen Parteiführungsimpuls im Fokus der Politikartikulation des CSU-Parteitags steht. Auch in der FDP setzt die Parteiführung Impulse für die strategischen Themen, insbesondere für die EU-Finalitätsthemen. Im Gegensatz zu den Grünen und zur CSU ist das Interesse des FDP-Prinzipals für diese Themen äußerst gering; ohne die Anträge der Parteiführung stünden sie kaum auf der Agenda des FDPParteitags. Darin drückt sich nicht nur das geringe Interesse des Parteitags an den EU-Finalitätsfragen aus, sondern auch eine klare Aufgabenteilung für strategische und operative Themen zwischen den innerparteilichen Akteuren der FDP, wobei die Parteiführung für die strategischen Themen verantwortlich ist. Mit der hohen Dominanz der CDU-Parteiführung in der Politikartikulation des Parteitags ist verbunden, dass der Prinzipal darüber hinaus nur wenige eigene Themen einbringt. Seine Aufmerksamkeit gilt dann vor allem strategischen EUFinalitätsthemen. Operative Themen spielen so gut wie keine Rolle, sodass diese Themen fast ausschließlich auf die Impulsgebung der CDU-Parteiführung zurückzuführen sind. Das wiederum offenbart durchaus eine gewisse Aufteilung von Themen hinsichtlich ihrer Handlungsorientierung, aber im Falle der CDU angestoßen und gelenkt durch die Parteiführung: Für die eigene Beschlussfassung behält sie sich vorrangig strategische Themen vor, während sie operative Themen stärker in die Beschlussfassung des Prinzipals überführt. Letzteres fügt sich durchaus in das Bild der anderen Parteien ein, in denen der Prinzipal – allerdings aus eigenem Antrieb – eher operative Themen auswählt. An dieser Stelle kommen nun wieder logistische Regressionsmodelle zum Einsatz, um unter diesen veränderten Bedingungen den Zusammenhang zwischen der strategischen Handlungsorientierung und der innerparteilichen Aufgabenteilung zu ermitteln. Dafür werden alle Themen des Parteitags, die auf Impulse der Parteiführung zurückzuführen sind, der Politikartikulation der Parteiführung zugeordnet.8

8

Aufgrund der ansonsten ähnlichen Modelllogik zu den obigen Modellen werden nachfolgend die Gesamtmodelle abgebildet. Eine Dokumentation der schrittweisen Berücksichtigung der weiteren Variablen erfolgt deshalb nicht.

17.4 Exkurs in die Politikartikulation der Parteitage

385

Für CSU und FDP zeigt sich nun, dass sich strategische Themen eher in der Verantwortung der Parteiführung als in der Verantwortung von Parteitag und Fraktion befinden. Dies trifft auf die strategischen Themen insgesamt als auch auf die EU-Finalitätsthemen zu (Tabelle 17.6, Modelle 3 bis 6). Damit ähnelt die Verantwortung in diesen beiden Parteien nun stärker dem zuvor beobachteten Muster in der CDU. Auch für die Grünen liegt nun ein anderes Ergebnis als bisher vor: Werden alle strategischen Themen berücksichtigt, dann grenzt sich die Parteiführung eindeutig vom Parteitag und der Fraktion ab, indem sie signifikant wahrscheinlicher diese Themen in ihrer eigenen Beschlussfassung und als Impulse auf dem Parteitag einbringt (Tabelle 17.6, Modelle 7). Ergo löst sich hier die oben beobachtete Besonderheit der Grünen auf. Bezogen auf die EU-Finalitätsthemen zeigt sich ebenfalls ein interessantes Ergebnis (Tabelle 17.6, Modelle 8). Verglichen mit den vorangegangenen Analysen haben sich die Parameter und Odds Ratio im Modell für die Grünen in dieselbe Richtung wie bei den strategischen Themen allgemein verändert (Finalitätsthemen sind weniger in Parteitag und Fraktion). Allerdings ist der Parameter für den Parteitag statistisch nicht signifikant, was auf den weiterhin vergleichsweisen hohen Anteil strategischer Themen in der Beschlussfassung des Parteitags (unabhängig von der Parteiführung) zurückzuführen ist. Die vorangestellte Verteilung der strategischen Themen unter Berücksichtigung der Impulsgebung durch die Parteiführung lässt bereits erahnen, dass sich die Besonderheiten in der CDU auch im Regressionsmodell niederschlagen müssen und nun mit dem Modell strategische Themen signifikant stärker beim Parteitag erwartet werden (Tabelle 17.6, Modelle 1 und 2). Vor dem Hintergrund der hohen Dominanz der Parteiführung und der geringen Anzahl von Themen, die unabhängig von der Parteiführung eingebracht werden, wird dieses statistische Ergebnis jedoch nicht überbewertet. Insgesamt hat sich also das Aufweichen der klaren analytischen Trennung zwischen dem Output der Politikartikulation in Händen der drei innerparteilichen Akteure als sehr fruchtbar erwiesen. Im Ergebnis zeigt sich, dass unabhängig von der Parteiorganisation alle Parteiführungen die Möglichkeit nutzen, mit Anträgen europäische Impulse für die Politikartikulation ihres Prinzipals zu setzen. Werden diese Impulse in die Logik der innerparteilichen Aufgaben- bzw. Verantwortungsteilung gesetzt, dann zeigt sich für alle vier Parteiorganisationen eine höhere Wahrscheinlichkeit für strategische Themen in Händen der Parteiführung im Vergleich zum Parteitag und zur Fraktion. Unabhängig von der Parteiorganisation existiert also eine Aufgabenverteilung innerhalb der Parteien, nach der die Parteiführung die Verantwortung für die strategischen Themen übernimmt – sei es mit der eigenen Beschlussfassung und/oder mit der Impulssetzung für

11,884

−0,486** (0,141)

Modell Chi-Quadrat 82,619(4), p < 0,001. Pseudo R2 0,032 (Cox & Snell), 0,045 (Nagelkerke).

N = 2.533

0,615

0,964

Konstante

0,667

27,237

14,97

3,449

51,453

12,462

0,409

0,606

1,283

0,347

4,012

Odds Ratio

0,471

0,986

0,26

1,855

von

0,781

1,67

0,463

8,677

bis

95 % K.I. f. Odds

(Fortsetzung)

Modell Chi-Quadrat 121,141(4), p < 0,001. Pseudo R2 0,047 (Cox & Snell), 0,082 (Nagelkerke).

−0,894*** (0,171)

−0,5*** (0,129)

0,25 (0,134)

−1,059*** (0,148)

1,389*** (0,394)

81,5***

Wald-Statistik

Modell 2 EU-Finalitätsthemen b (Std.-Fehler)

17

0,802

5,529

1,87

0,781

−0,221* (0,094)

1,273

0,477

12,2

bis

Reg.-Beteiligung, D.

1,543

0,61

1,953

von

95 % K.I. f. Odds

19,595

15,458

Fraktion −0,494*** (0,126)

4,882

Odds Ratio

0,434*** (0,098)

11,512

Parteitag 1,586** (0,467)

33,886***

Wald-Statistik

Modell 1 strategische Themen gesamt

b (Std.-Fehler)

EU-Agenda, D.

IPA1

CDU

Tabelle 17.6 Logistische Regressionsanalyse zu den strategischen Themen in der Politikartikulation von CDU, CSU, FDP und B90/Die Grünen (inkl. Parteiführung als Impulsgeber für den Parteitag)

386 Aufgabenteilung in der Politikartikulation …

1,132

Modell Chi-Quadrat 97,204(4), p < 0,001. Pseudo R2 0,037 (Cox & Snell), 0,051 (Nagelkerke).

N = 2.589

0,868

1,026

−0,141 (0,133)

0,702

Konstante

0,849

2,868

2,006

0,521

−0,164 (0,097)

1,397

0,313

0,731

bis

Reg.-Beteiligung

1,674

0,404

0,303

von

95 % K.I. f. Odds

31,181

48,918

Fraktion −0,906*** (0,13)

0,47

Odds Ratio

0,515*** (0,092)

11,256

Parteitag −0,754** (0,225)

48,924***

Wald-Statistik

Modell 3 strategische Themen gesamt

b (Std.-Fehler)

EU-Agenda

IPA1

CSU

Tabelle 17.6 (Fortsetzung)

11,113

6,987

11,851

135,022

20,902

135,022***

0,618

0,706

1,524

0,199

0,298

Odds Ratio

0,545

1,199

0,151

0,177

von

0,914

1,936

0,261

0,501

bis

95 % K.I. f. Odds

(Fortsetzung)

Modell Chi-Quadrat 169,905(4), p < 0,001. Pseudo R2 0,064 (Cox & Snell), 0,109 (Nagelkerke).

−0,482** (0,144)

−0,348** (0,132)

0,421** (0,122)

−1,616*** (0,139)

−1,211*** (0,265)

Wald-Statistik

Modell 4 EU-Finalitätsthemen b (Std.-Fehler)

17.4 Exkurs in die Politikartikulation der Parteitage 387

Modell Chi-Quadrat 33,904(3), p < 0,001. Pseudo R2 0,011 (Cox & Snell), 0,016 (Nagelkerke).

N = 3.003

0,715

4,411

1,417

−0,335* (0,16)

1,018

0,593

Konstante

1,201

0,323

0,901

bis

4,7

0,438

0,262

von

95 % K.I. f. Odds

0,183* (0,084)

28,57

Fraktion −0,826*** (0,155)

0,486

Odds Ratio

EU-Agenda

5,25

28,586***

Wald-Statistik

Modell 5 strategische Themen gesamt

b (Std.-Fehler)

Parteitag −0,722* (0,315)

IPA1

FDP

Tabelle 17.6 (Fortsetzung)

52,093

7,268

12,825

6,719

15,049**

Wald-Statistik

0,253

1,342

0,521

0,276

Odds Ratio

1,084

0,364

0,104

von

1,663

0,744

0,73

bis

95 % K.I. f. Odds

Modell 6 EU-Finalitätsthemen

(Fortsetzung)

17

Modell Chi-Quadrat 22,890(3), p < 0,001. Pseudo R2 0,008 (Cox & Snell), 0,014 (Nagelkerke).

−1,376*** (0,191)

0,294** (0,109)

−0,653*** (0,182)

−1,289* (0,497)

b (Std.-Fehler)

388 Aufgabenteilung in der Politikartikulation …

49,672

Modell Chi-Quadrat 55,121(4), p < 0,001. Pseudo R2 0,013 (Cox & Snell), 0,019 (Nagelkerke).

N = 4.164

125,469

42,247

9,181

15,611

0,409

18,553***

0,168

1,805

1,383

0,608

0,884

Odds Ratio

1,511

1,121

0,475

0,605

von

2,157

1,705

0,778

1,291

bis

95 % K.I. f. Odds

Modell Chi-Quadrat 71,341(4), p < 0,001. Pseudo R2 0,017 (Cox & Snell), 0,030 (Nagelkerke).

−1,785*** (0,159)

0,591*** (0,091)

0,324** (0,107)

−0,498*** (0,126)

−0,124 (0,193)

Wald-Statistik

Modell 8 EU-Finalitätsthemen b (Std.-Fehler)

Anmerkungen: Abhängige Variable „strategische Themen“ ist kodiert als 1 „strategische Themen“ und 0 „nicht strategische Themen. 1 Innerparteiliche Akteure, Referenzkategorie: Parteiführung, schließt die Anträge der Parteiführung auf dem Parteitag unter der Politikartikulation der Parteiführung ein. * p < 0,05, ** p < 0,01, *** p < 0,001.

0,4

1,826

−0,916*** (0,13)

1,367

Konstante

1,58

1,425

0,826

38,251

1,028

0,543

0,926

bis

0,457*** (0,074)

1,21

0,67

0,47

von

95 % K.I. f. Odds

Reg.-Beteiligung, D.

5,262

14,064

Fraktion −0,401*** (0,107)

0,66

Odds Ratio

0,191* (0,083)

5,788

Parteitag −0,416* (0,173)

14,358**

Wald-Statistik

Modell 7 strategische Themen gesamt

b (Std.-Fehler)

EU-Agenda

IPA1

B90/Die Grünen

Tabelle 17.6 (Fortsetzung)

17.4 Exkurs in die Politikartikulation der Parteitage 389

390

17

Aufgabenteilung in der Politikartikulation …

die Beschlussfassung des Prinzipals. Diese Verantwortung schließt natürlich nicht aus, dass auch losgelöst von der Parteiführung strategische Themen in die Politikartikulation des Parteitags einfließen. Wie wahrscheinlich das Einbringen dieser strategischen Themen in die Parteitage ohne Impulse der Parteiführung ist, variiert zwischen den Parteien. Der zusätzliche Blick auf die Möglichkeiten der Parteiführung, Impulse für die Politikartikulation ihres Prinzipals zu setzen, deckte zudem die enorme Dominanz der CDU-Parteiführung in der Politikartikulation auf. Sie setzt für knapp 87 Prozent der Themen des Parteitags die Impulse, d. h. über den untersuchten Zeitraum von zehn Jahren ist nur ungefähr jedes dreizehnte Thema in der Beschlussfassung auf einen Impuls anderer innerparteilicher Akteure zurückzuführen. Dieses Ergebnis setzt die aufgedeckte Nichtselektion von europäischen Themen ausschließlich beim Prinzipal der CDU (vgl. hierzu Kapitel 10 und 12) noch einmal in einen anderen Kontext, nämlich in den Zusammenhang mit einem bewussten Management europäischer Themen durch die CDU-Parteiführung.

17.5

Zusammenfassung

Vor dem Hintergrund unterschiedlicher Ressourcenausstattung und Aufgaben innerhalb einer Parteiorganisation wurden die Hypothesen formuliert, dass sich Fraktionen eher den operativen Themen zuwenden (Hypothese 3.3), während sich die Parteiführungen stärker den strategischen Themen widmen würden (Hypothese 3.2). Diese Zusammenhänge sollten unabhängig von der Parteiorganisation beobachtbar sein. Die Datenauswertung bestätigt insgesamt die Hypothese 3.3, wonach sich Fraktionen eher operativen Themen widmen und diese stärkere Selektion im Vergleich zu Parteitag und zur Parteiführung besteht. Dieses Ergebnis liegt für drei der vier Parteiorganisationen vor. In vorangestellten Analysen konnte sowohl für die FDP- als auch für Grünen-Parteiführung eine stärkere Relevanz der europäischen Politikgestaltung herausgearbeitet werden (vgl. Kapitel 13). Mit der Analyse in diesem Kapitel wurde deutlich, dass die höhere Policy-Orientierung der Grünen-Parteiführung tendenziell mit einem stärkeren Fokus auf operative statt strategische EU-Themen einhergeht, sodass die innerparteiliche Aufgabenteilung zwischen Grünen-Parteiführung und Grünen-Fraktion weniger deutlich ist. Die Analyseergebnisse zu den strategischen Themen sind etwas vielschichtiger: Die Beobachtung der Politikartikulation mit einer grundlegenden klaren Trennung zwischen den drei innerparteilichen Akteuren führt dazu, dass die Hypothese 3.2 über strategische Themen eher in Händen der Parteiführung zu

17.5 Zusammenfassung

391

verwerfen ist. Diese Vermutung über die innerparteiliche Aufgabenteilung lässt sich nicht über alle vier Parteiorganisationen hinweg bestätigen. So liegen die strategischen Themen in Verantwortung der CDU-Parteiführung gegenüber ihrem Prinzipal und der Unionsfraktion; in CSU und FDP lässt sich ein Unterschied nur im Verhältnis zur Fraktion erkennen und innerhalb von B90/Die Grünen liegen die strategischen Themen wahrscheinlicher in den Händen des Parteitags. Wird die klare analytische Trennung zwischen den drei innerparteilichen Akteuren etwas aufgeweicht, indem die Interdependenz zwischen Prinzipal und Parteiführung einfließt und die Möglichkeiten der Parteiführung beachtet werden, die Beschlussfassung des Prinzipals mitzugestalten, dann ergibt sich ein anderes Ergebnis. Über diesen Weg wird die vermutete innerparteiliche Aufgabenteilung in allen vier Parteiorganisationen sichtbar. Insgesamt kann also die Hypothese 2.2 bestätigt werden. Vor diesem Hintergrund belegen die Ergebnisse eine Parteielitenorientierung, wenn es um strategische EU-Themen und damit um die EU-Finalitätsfragen geht. Zugleich ist das variierende Ausmaß der Elitenorientierung zwischen den vier deutschen Parteiorganisationen sehr markant. Die hohe Dominanz der CDU-Parteiführung bei der Selektion europäischer Themen des Prinzipals sticht hier hervor und wird als Denkanstoß für weitere Forschungsfragen gesehen. Liegt hierin eine Ursache, weshalb der Widerstand innerhalb der CDU-Parteiorganisation gegen das spätere Krisenmanagement im Rahmen der Griechenland- bzw. Eurokrise besonders groß gewesen ist und zu einer Gründung einer euroskeptischen Partei durch ehemalige CDU-Mitglieder führte?

Thematische Durchdringung der vier Parteiorganisationen

18

Um den Umgang mit den europäischen Themen in einer Parteiorganisation analytisch aufzubereiten, greift das zugrundeliegende Konzept der innerparteilichen Themenselektion prinzipiell zwei Analyseperspektiven auf: Als erstes bietet das Ausmaß der thematischen Ähnlichkeit Auskunft über eine inhaltlich orientierte Aufgabenteilung. Ähnlichkeiten in der thematischen Schwerpunktsetzung wurden im vorangestellten Kapitel in der intraparteilichen Vergleichsperspektive evaluiert. Dabei belegen Ähnlichkeiten buchstäblich eine ähnliche Themenselektion respektive Aufmerksamkeitsstärke, was keineswegs gleichbedeutend damit ist, dass die innerparteilichen Akteure auch tatsächlich über dieselben spezifischen Sachverhalte sprechen. So können beispielsweise zwei innerparteiliche Akteure der Gemeinsamen Agrarpolitik gleich viel Aufmerksamkeit schenken, dabei jedoch unterschiedliche Aspekte hervorheben, wie beispielsweise die finanziellen Direktzahlungen oder Standards für die Tierhaltung bzw. Anbau landwirtschaftlicher Erzeugnisse. Die Untersuchung der thematischen Durchdringung einer Parteiorganisation als eine besondere Form der thematischen Ähnlichkeit rückt nun in den Mittelpunkt, inwiefern politische Themen einen oder mehrere innerparteiliche Akteure beschäftigen. Anders als bei der betrachteten Ähnlichkeit anhand der Aufmerksamkeitsstärke richtet sich der Blick hier auf tatsächlich dieselben Themen. Basierend auf der generellen innerparteilichen Aufgaben- und Ressourcenverteilung wurden einige Erwartungen formuliert, wie die thematische Ähnlichkeit innerhalb einer Parteiorganisation ausgestaltet wäre und somit Erklärungen für die innerparteiliche Heterogenität in der Politikartikulation liefern würde. Zugespitzt auf die thematische Durchdringung gilt es in diesem Kapitel zunächst Hypothese 3.6 zu überprüfen: Wenn die Delegationsbeziehung zwischen Parteitag und © Der/die Autor(en), exklusiv lizenziert durch Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2021 S. John, Europäische Themen in deutschen Parteiorganisationen, Empirische Studien zur Parteienforschung, https://doi.org/10.1007/978-3-658-34797-0_18

393

394

18

Thematische Durchdringung der vier Parteiorganisationen

Parteiführung so umgesetzt wird, dass die Parteiführung die Politikartikulation zwischen den Parteitagen übernimmt, dann sollte die thematische Durchdringung zwischen Prinzipal und diesem Agenten vergleichsweise gering sein. Ferner sollte auch die thematische Durchdringung zwischen Parteiführung und Fraktion vergleichsweise gering sein, da sich die Politikartikulation der beiden Agenten durch die oben aufgedeckte inhaltlich orientierte Aufgabenteilung auszeichnet. Des Weiteren müsste die ausgeübte koordinierende Rolle der Parteiführung zwischen parlamentarischer und außerparlamentarischer Partei dazu führen, dass für die Parteiführung die Themen mit der höchsten parteiorganisatorischen Durchdringungsstufe von vergleichsweise hoher Bedeutung sind (Hypothese 3.7). Und schließlich wird erwartet, dass alleinige Themen, also Themen, die nur von einem Akteur aufgegriffen werden, den Kernbestand der Politikartikulation von Fraktionen ausmachen; sollten sie doch als Policy-Experten eine Vielzahl von Themen aufgreifen, um somit ihre Expertise auch zu signalisieren. Folglich ist die thematische Durchdringung mit den beiden anderen innerparteilichen Akteuren für die Fraktion von geringerer Bedeutung (Hypothese 3.8). Neben diesen erwarteten Gemeinsamkeiten über alle Parteien hinweg, die aus der generellen Aufgaben- und Ressourcenteilung resultieren, sollten aber auch Differenzen zwischen den Parteiorganisationen in Abhängigkeit des formellen Stellenwerts des Prinzipals erkennbar sein. So wird vermutet, dass ein höherer Stellenwert des Prinzipals mit einem größeren Ausmaß eigenständiger Themen einhergeht (Hypothese 4.3). Das Kapitel ist wie folgt aufgebaut: Als erstes werden die Überlegungen zum analytischen Vorgehen vorgestellt. Im Anschluss daran werden die empirischen Ergebnisse zunächst im Kontext der vermuteten Zusammenhänge zur innerparteilichen Aufgabenteilung vorgestellt. Dafür ist eine stärker akteursorientierte Perspektive notwendig. Im Anschluss wird ein Parteivergleich vorgenommen, der systematisch nach Zusammenhängen zwischen der Parteiorganisation und der Politikartikulation sucht.

18.1

Anmerkungen zum analytischen Vorgehen

Die Grundlage für die empirische Analyse zur thematischen Durchdringung der vier Parteiorganisationen bietet das Beobachtungsset 10, welches auf den spezifischen europäischen Themen innerhalb einer Partei beruht1 und diese zu sieben 1

Damit bleibt der Themenbereich nationale Politikgestaltung im EU-Regulierungskontext ausgeschlossen (vgl. hierzu Abschnitt 9.2).

18.1 Anmerkungen zum analytischen Vorgehen

395

Werten aggregiert, die die tatsächliche thematische Übereinstimmung zwischen den innerparteilichen Akteuren in der Logik von Schnittmengen wiedergeben (vgl. hierzu Kapitel 5, Abbildung 5.2). Diese Werte bilden das Ausmaß der thematischen Übereinstimmung auf drei Durchdringungsstufen ab, wobei die erste Durchdringungsstufe die Themen in Händen eines Akteurs widerspiegelt und mit der höchsten Durchdringungsstufe die Themen erfasst werden, die in der Politikartikulation aller drei innerparteilichen Akteure aufgegriffen wurden. Da diese sieben aggregierten Werte auf dem Umgang mit einer Vielzahl von Themen beruhen, kann mit ihnen ein empirisch fundiertes Bild zur thematischen Durchdringung der jeweiligen Parteiorganisation gezeichnet werden. Konzeptionell erfasst die mittlere organisatorische Durchdringung die thematische Ähnlichkeit zwischen zwei innerparteilichen Akteuren. Im Unterschied zu den obigen Analysen zur thematischen Ähnlichkeit in Kapitel 15 wird hier die tatsächliche thematische Übereinstimmung betrachtet. Damit ist hier also nicht die Gesamtheit der Selektionsentscheidung (also Themenabdeckung und Stärke der Aufmerksamkeit) wie bei der thematischen Ähnlichkeit Gegenstand. Folglich können die hier gewonnenen Ergebnisse von den obigen Erkenntnissen abweichen. Die nachfolgende Vorstellung der thematischen Durchdringung wird auf etwaige Unterschiede eingehen. Die empirische Umsetzung des Konzepts der thematischen Durchdringung berücksichtigt zusätzlich, dass die Politikartikulation des Prinzipals nicht gänzlich unabhängig von seinen Agenten ist. So wird die Output-Perspektive auf die Politikartikulation des Parteitags insofern leicht aufgeweicht und die Impulsgebung für Themen durch die Parteiführung berücksichtigt, indem die Antragstellung der Parteiführung beobachtet wird.2 Dieses Vorgehen unterstützt die sinnvolle Interpretation der verschiedenen Themen- und Schnittmengen einer Parteiorganisation. Blind bleibt die gewählte Analyse indes gegenüber dem First-Mover, also welcher innerparteiliche Akteur ein Thema als erstes auf die inhaltliche Agenda gesetzt hat, bevor es Gegenstand der Politikartikulation eines weiteren Akteurs bzw. weiterer Parteiakteure wurde. Auch wenn die sieben aggregierten Werte auf einer Vielzahl von Themen in der Parteiorganisation beruhen, bezieht sich die analytische Auswertung 2

Fraktionen verfügen über kein Antragsrecht auf Parteitagen. Letzteres schließt indes nicht aus, dass Bundestagsabgeordnete in ihrer Rolle als Delegierte eines Kreis- bzw. Landesverbands oder in der Mitgliedschaft eines Fachausschusses der Parteiorganisation Anträge stellen. Zudem bleibt bewusst unbeachtet, dass die Anträge der Parteiführung durch Änderungsanträge anderer innerparteilicher Akteure verändert werden können, die nicht nur angepasste Formulierungen, sondern gegebenenfalls die Hinzunahme eines weiteren Aspekts (womöglich des betrachteten europäischen Themas) zur Folge haben könnten.

396

18

Thematische Durchdringung der vier Parteiorganisationen

nur auf die aggregierten Werte, die das Ausmaß der thematischen Durchdringung erfassen. Infolgedessen kommt ein qualitativer Fallvergleich zum Einsatz, der die jeweiligen Akteure und die Parteiorganisationen gegenüberstellt. Die begrenzte Anzahl der Beobachtungen schränkt die Berücksichtigung von erklärenden Variablen bzw. Kontrollvariablen stark ein, kommt doch relativ schnell ein Freiheitsgradproblem zum Tragen. Folglich dient das deskriptive Erschließen der thematischen Durchdringung ausschließlich dem Erkennen eines Zusammenhangs zur Parteiorganisationsdimension – einmal in Relation zu parteiübergreifenden Aufgaben respektive Ressourcen der innerparteilichen Akteure und des Weiteren zur zugrundeliegenden Parteiorganisation. Darüber hinaus muss offenbleiben, ob gegebenenfalls andere Faktoren außer der Parteiorganisation zum Zustandekommen der Muster beitragen bzw. intervenierende Faktoren die Herausbildung verstärken oder schwächen.

18.2

Thematische Durchdringung der Parteiorganisationen aus dem Blickwinkel der drei innerparteilichen Akteure

Die Präsentation der empirischen Ergebnisse zum Ausmaß der thematischen Durchdringung startet mit der vergleichenden Perspektive, die zunächst die Hypothesen ähnlicher Muster über die verschiedenen Parteiorganisationen hinweg überprüft. Dafür werden die Bedeutung der drei Durchdringungsstufen für die Partei insgesamt und die Bedeutung der thematischen Übereinstimmungen aus Sicht der innerparteilichen Akteure diskutiert. Tabelle 18.1 dokumentiert das Ausmaß der thematischen Durchdringung der vier Parteiorganisationen und stellt die Grundlage für die nachfolgende Datenevaluation dar.

18.2.1 Bedeutung der höchsten thematischen Durchdringung Als erstes ist der Blick gerichtet auf die höchste thematische Durchdringungsstufe. Innerhalb der vier Parteiorganisationen lassen sich europäische Themen nachweisen, die von allen drei innerparteilichen Akteuren aufgegriffen werden, also die Parteiorganisation komplett durchdringen. Die Bedeutung der höchsten thematischen Durchdringungsstufe verbleibt für die Partei insgesamt relativ gering verglichen zur (Gesamt-)Bedeutung der beiden anderen Durchdringungsstufen, insbesondere zur Bedeutung der ersten Stufe. Folglich erfährt nur ein ausgewählter Teil europäischer Themen tatsächlich die Aufmerksamkeit aller

18.2 Thematische Durchdringung der Parteiorganisationen …

397

drei innerparteilichen Akteure, sodass diese Themen durchaus eine Besonderheit markieren. Welche Bedeutung haben nun die Themen der höchsten thematischen Durchdringungsstufe für die drei innerparteilichen Akteurstypen? In allen untersuchten Parteien sind diese Themen mit Abstand von größter Bedeutung für die Parteiführung, d. h. für keinen der anderen beiden Akteure nehmen die Themen denselben Stellenwert innerhalb der aufgegriffenen EU-Themen ein wie für die Parteiführung. Dieses Ergebnis deckt sich mit der Vermutung, dass sich die ausgeübte Koordinationsfunktion der Parteiführung als Bindeglied zwischen Fraktion und Parteitag in der Politikartikulation niederschlägt. Resultierend aus der Aufgabe, auf Kongruenz bzw. Einbindung von politischen Inhalten des Prinzipals und der Agenten im Parlament zu achten, zeichnet sich die Politikartikulation der Parteiführung in hohem Maße durch eine thematische Übereinstimmung mit Parteitag und Fraktion aus.

18.2.2 Bedeutung der geringsten organisatorischen Durchdringung Die Bedeutung der Themen mit der geringsten organisatorischen Durchdringung ist in allen Parteien insgesamt sehr hoch. Zwischen knapp 70 und gut 80 Prozent der aufgegriffenen europäischen Themen verbleiben ausschließlich in den Händen eines einzigen innerparteilichen Akteurs. Wenig überraschend ist in allen vier Parteiorganisationen ein hoher Anteil alleiniger Themen bei den Fraktionen feststellbar. Die Fraktionen greifen also jeweils auf eine Vielzahl von europäischen Maßnahmen zurück, ohne dass diese in der weiteren Parteiorganisation eine Rolle spielen. Zugleich erfassen die alleinigen Themen in Händen der Fraktionen in allen Parteien den Kern ihrer Themenselektion, denn diese sind dominierend für ihre Politikformulierung. Die umfängliche, alleinige Themenauswahl der Fraktionen führt wiederum zu der hohen Bedeutung dieser Durchdringungsstufe für die Gesamtpartei. Für Parteitag und Parteiführung gilt, dass sie ebenfalls Themen allein aufgreifen. Für die Gesamtheit der europäischen Themen in einer Partei spielen diese Themen jedoch keine nennenswerte Rolle. In Relation zur jeweiligen Politikartikulation der Parteitage und Parteiführungen spielen die alleinigen Themen durchaus eine Rolle, sind aber keineswegs kennzeichnend für ihre Politikartikulation. Da aber gerade in diesen alleinigen Themen ein wichtiger Aspekt der innerparteilichen Aufgaben- und Ressourcenteilung im Kontext der variierenden Parteiorganisation gesehen wird, erfolgt die Bewertung der Ergebnisse weiter unten im parteiübergreifenden Vergleich.

398

18

Thematische Durchdringung der vier Parteiorganisationen

Tabelle 18.1 Thematische Durchdringung der Parteiorganisation von B90/Die Grünen, CDU, CSU und FDP B90/ Die Grünen EU-Themen insgesamt in der Partei

721

CDU*

CSU*

FDP

548

559

570

76

29

36

18

Anteil an Themen des PT gesamt

34,5 %

19,7 %

28,3 %

18,6 %

Anteil an Themen der PF gesamt

57,1 %

39,7 %

39,1 %

27,7 %

Anteil an Themen der BTF gesamt

11,6 %

5,9 %

7,3 %

3,4 %

10,5 %

5,3 %

6,4 %

3,2 %

6

5

1

Höchste Durchdringung: 3 innerparteiliche Akteure Übereinstimmung PT, PF und BTF Anzahl Themen

Höchste Durchdringung

Mittlere Durchdringung: 2 innerparteiliche Akteure Übereinstimmung PT und PF Anzahl Themen

11

Anteil an Themen gesamt

1,5 %

1,1 %

0,8 %

0,7 %

Anteil an Themen des PT gesamt

5,0 %

4,1 %

3,9 %

1,0 %

Anteil an Themen der PF gesamt

8,3 %

8,2 %

5,4 %

1,0 %

9 (82 %)

6 (100 %)

1 (20 %)

1 (100 %)

PF als Antragsteller: Anzahl (Anteil) Übereinstimmung PT und BTF Anzahl Themen

103

77

51

49

Anteil an Themen gesamt

14,1 %

14,1 %

8,5 %

8,6 %

Anteil an Themen des PT gesamt

46,8 %

52,4 %

40,2 %

50,5 %

Anteil an Themen der BTF gesamt

15,7 %

15,7 %

10,4 %

9,2 %

49 (48 %)

73 (95 %)

22 (43 %)

28 (57 %)

PF als Antragsteller: Anzahl (Anteil) Übereinstimmung PF und BTF Anzahl Themen Anteil an Themen gesamt Anteil an Themen der PF gesamt Anteil an Themen der BTF gesamt Mittlere Durchdringung

31

23

24

38

4,3 %

4,2 %

4,0 %

6,7 %

23,3 %

31,5 %

26,1 %

58,5 %

4,7 %

4,7 %

4,9 %

7,1 %

20,1 %

19,3 %

14,3 %

15,4 %

(Fortsetzung)

18.2 Thematische Durchdringung der Parteiorganisationen …

399

Tabelle 18.1 (Fortsetzung) B90/ Die Grünen

CDU*

CSU*

FDP

Geringste Durchdringung: 1 innerparteilicher Akteur Anzahl alleinige Themen PT Anteil an Themen gesamt Anteil an Themen des PT gesamt PF als Antragsteller: Anzahl (Anteil)

30

35

35

29

4,2 %

6,4 %

6,3 %

5,1 %

13,6 %

23,8 %

27,6 %

23,8 %

15 (50 %)

28 (80 %)

21 (60 %)

17 (59 %)

Anzahl alleinige Themen PF

15

15

27

8

Anteil an Themen gesamt

2,1 %

2,7 %

4,8 %

1,4 %

11,3 %

20,5 %

29,3 %

12,3 %

455

363

381

427

Anteil an Themen gesamt

63,1 %

66,3 %

68,2 %

74,9 %

Anteil an Themen der BTF gesamt

69,5 %

73,8 %

77,4 %

80,3 %

69,3 %

75,4 %

79,2 %

81,4 %

Anteil an Themen der PF gesamt Anzahl alleinige Themen BTF

Geringste Durchdringung

Anmerkungen: Untersuchungszeitraum Juni 1999 bis Juni 2009. *Gemeinsame Beschlüsse der Unionsparteiführungen in der Politikartikulation berücksichtigt. PT: Parteitag, PF: Parteiführung, BTF: Bundestagsfraktion. Abweichungen resultieren aus Rundungsfehlern. Quelle: eigene Erhebung und Berechnung.

18.2.3 Bedeutung der mittleren organisatorischen Durchdringung Nun erfolgen die Exploration und die Bewertung der thematischen Übereinstimmung zwischen jeweils zwei Akteuren, also der thematischen Durchdringung auf der mittleren Stufe. Hier kommen drei Schnittmengen in Betracht, nämlich die thematische Übereinstimmung zwischen Parteitag und Parteiführung, Parteitag und Fraktion sowie Parteiführung und Fraktion. Werden diese drei Schnittmengen in Relation zur Gesamtheit der Themen innerhalb einer Partei gesetzt, dann ist in allen vier Parteien die thematische Übereinstimmung zwischen Parteitag und Fraktion von größerem Ausmaß bzw. größerer Bedeutung. Aus Sicht der Fraktionen markieren die gemeinsamen Themen mit dem Parteitag immerhin die zweitwichtigste Themenmenge in allen vier Parteiorganisationen. Für die Parteitage wiederum ist diese thematische Übereinstimmung die dominierende Themenmenge in ihrer Politikartikulation. D. h.

400

18

Thematische Durchdringung der vier Parteiorganisationen

unabhängig von der Parteiorganisation stimmen die gewählten europäischen Themen des Prinzipals am stärksten mit den Themen seines Agenten im nationalen Parlament überein. In drei von vier Parteiorganisationen (CDU, FDP, Grüne) stimmt in etwa die Hälfte der durch den Parteitag artikulierten europäischen Themen mit der Fraktion überein. Innerhalb der CSU liegt der Anteil bei „nur“ 40,2 Prozent. Diese vergleichsweise geringe Bedeutung der thematischen Übereinstimmung zwischen CSU-Parteitag und Unionsfraktion gibt hier also ein anderes Bild wieder als die thematische Ähnlichkeit über alle fünf europäischen Themenbereiche. Dort wurde deutlich, dass der CSU-Parteitag ähnlicher zur Unionsfraktion ist als der CDU-Parteitag (vgl. Abschnitt 15.3). Der zusätzliche Blick auf die Verteilung der Antragstellung deckt auf, dass ein nicht unerheblicher Teil der übereinstimmenden Themen zwischen Parteitag und Fraktion auf einen Antrag der Parteiführung zurückzuführen ist: In drei der vier Parteiorganisationen basiert grob die Hälfte der thematischen Durchdringung zwischen Parteitag und Fraktion auf Parteitagsanträgen der Parteiführung (Grüne, CSU, FDP). Ausnahme stellt hier die CDU dar, in der die thematische Übereinstimmung zwischen Fraktion und Parteitag gar zu 95 Prozent (!) auf die Impulssetzung der CDU-Parteiführung zurückzuführen ist. Auf diese Aufnahme wird weiter unten noch einmal eingegangen. Diese Daten zur Antragstellung in allen Parteien führen zu Schlussfolgerung, dass in diesem Mechanismus des Antragsrechts der Parteiführung eine wichtige Grundlage für das Zustandekommen der relativ hohen thematischen Übereinstimmung zwischen Parteitag und Fraktion liegt. Hierin manifestiert sich die ausgeübte Koordinationsfunktion der Parteiführung zwischen der parlamentarischen und außerparlamentarischen Partei sein. Offenbleiben muss, woher die Parteiführung die Impulse für diese thematische Durchdringung gewinnt. Sie kann hierfür aus dem Mechanismus personeller Überschneidungen zwischen Fraktion und Parteiführung (und damit als Indikator für die Rolle der Fraktion) profitieren oder von der Einbindung der EUParlamentarier. Naheliegender ist hier der Impuls aus der Bundestagsfraktion; eine empirische Überprüfung ist zukünftigen Forschungsarbeiten vorbehalten. In Relation zu allen Themen spielen die gemeinsamen Themen von Parteiführung und Fraktion in allen vier Parteiorganisationen nur eine geringe Rolle. Die gemeinsamen Themen spielen für die Fraktionen nur eine geringe Rolle. Für die Parteiführungen kommt diesen Themen generell eine nicht unerhebliche Bedeutung zu, wenngleich die besonders relevanten Themen der Parteiführung eher auf der höchsten Durchdringungsstufe verortet sind. Dieses Ergebnis ergänzt die bisherigen Analysen, die sich der thematischen Ähnlichkeit und der inhaltlich orientierten Aufgabenteilung zwischen den beiden Agenten widmeten. So deckte Kapitel 17 die unterschiedliche Bedeutung

18.3 Thematische Durchdringung im Kontext …

401

strategischer bzw. operativer Themen für Parteiführung und Fraktion auf. Ferner liegt die thematische Ähnlichkeit zwischen den beiden Agenten immer auf einem vergleichsweisen geringen Niveau (vgl. Kapitel 15). D. h. unabhängig von der gewählten Beobachtung der Politikartikulation bestehen Unterschiede zwischen Parteiführung und Fraktion, die sich letztlich systematisch in den Kontext ihrer unterschiedlichen Aufgaben innerhalb einer Parteiorganisation einbetten lassen. In allen Parteien und damit ebenfalls unabhängig von der Parteiorganisation ist die thematische Übereinstimmung zwischen Parteitag und Parteiführung von nahezu verschwindend geringer Bedeutung in Relation zu den europäischen Themen innerhalb einer Partei. Auch in Bezug zur Politikartikulation des Parteitags respektive der Parteiführung spielen diese Themen so gut wie keine Rolle. Unabhängig von der Parteiorganisation grenzt sich also die Beschlussfassung von Parteiführung und Parteitag klar voreinander ab, indem von beiden Akteuren unterschiedliche europäische Einzelmaßnahmen aufgegriffen werden. Die Kontrolle an dieser Stelle auf die Antragstellung auf den Parteitagen unterstreicht, dass die thematische Übereinstimmung vor allem auf die Impulse der Parteiführung zurückgeht. Einzig die CSU stellt hier einen Sonderfall dar, wonach nur eines der fünf übereinstimmenden Themen auf einen Impuls der Parteiführung zurückgeführt werden kann. Auch dieser Punkt wird in der parteiorganisationsvergleichenden Perspektive noch einmal aufgegriffen. Damit bringt die thematische Durchdringung zwischen Parteitag und Parteiführung durchaus andere Ergebnisse hervor als die Beobachtung der thematischen Ähnlichkeit: Die Auswertungen der thematischen Ähnlichkeit auf dem Abstraktionsniveau der europäischen Politikfelder und der fünf europäischen Themenbereiche zeigten übereinstimmend eher eine größere Ähnlichkeit zwischen Parteitag und Parteiführung auf (vgl. Kapitel 15). Während die Ergebnisse dort also der Hypothese 3.6 widersprechen, zeigt sich hier deutlich eine empirische Bestätigung der Hypothese, wonach das formelle Delegationsprinzip vom Prinzipal zur Parteiführung, in der Politikformulierung Aufgaben zwischen den einberufenen Parteitagen zu übernehmen, damit einhergeht, nicht dieselben Themen abzudecken.

18.3

Thematische Durchdringung im Kontext variierender Parteiorganisationen

Mit der bisher eingenommenen Perspektive auf die thematische Durchdringung, die parteiübergreifend auf Ähnlichkeiten zwischen den innerparteilichen Akteuren

402

18

Thematische Durchdringung der vier Parteiorganisationen

abzielte, wurden akteursorientierte Muster aufgedeckt, die in den Zusammenhang mit der generellen Aufgaben- und Ressourcenteilung innerhalb von Parteien stehen. In diesem Abschnitt gilt nun das analytische Interesse einer unterschiedlichen Politikartikulation im Zusammenhang mit einer variierenden Parteiorganisation. Als erstes wird eine weitergefasste Datenbewertung durchgeführt, die sich auf Besonderheiten in der Bedeutung der thematischen Durchdringung konzentriert. Als zweites erfolgt die Datenexploration vor dem Hintergrund der formulierten Erwartung, dass mit dem veränderten formellen Stellenwert des Prinzipals seine wahrgenommenen eigenständigen Kapazitäten in der Politikformulierung variieren. Konkret werden mehr alleinige Themen in den Händen von stärkeren Prinzipalen vermutet (Hypothese 4.3). Um die thematische Durchdringung der vier Parteiorganisationen etwas grundsätzlicher zu bewerten, erfolgt zunächst ein Blick auf das Ausmaß. Dafür wird die gemeinsame Bedeutung der mittleren und höchsten thematischen Durchdringungsstufe für die Parteiorganisation herangezogen. Vor dem Hintergrund dieser Werte zeichnet sich innerhalb der Grünen die stärkste thematische Durchdringung ab. Innerhalb der FDP liegt die geringste thematische Durchdringung vor, die insbesondere auf das geringe Ausmaß der höchsten thematischen Durchdringungsstufe zurückgeführt werden kann. Damit liegen zwei gegensätzliche Beobachtungen für Parteiorganisationen mit einem stärkeren Prinzipal vor. Das Ausmaß der thematischen Durchdringung innerhalb der beiden Unionsparteien ist wiederum vergleichsweise ähnlich. Implizit wurde bereits auf einen großen Unterschied hingewiesen: Das Ausmaß der höchsten thematischen Durchdringung variiert deutlich zwischen den Parteien. So werden 10,5 Prozent (76 Themen) aller europäischen Themen von allen Grünen-Akteuren aufgegriffen. In der CDU teilen alle drei Akteure 5,3 Prozent (29 Themen) und in der CSU sind es 6,4 Prozent (26 Themen), während wiederum innerhalb der FDP nur 18 Themen (3,2 Prozent) die Partei komplett durchdringen. Neben dem großen Abstand zwischen den Grünen und der FDP zeigt sich auch in der Bedeutung dieser Themen ein weiterer großer Unterschied zwischen ihnen: Eine besonders hohe Relevanz dieser Themen besteht für die Grünen-Parteiführung, da mit knapp 60 Prozent weit über die Hälfte ihrer Themen auch Gegenstand der Politikartikulation von Parteitag und Fraktion sind. Für die FDP-Parteiführung nehmen die gemeinsamen Themen nur einen Stellenwert von rund 28 Prozent ein. Sie erreichen damit nicht einmal die Hälfte des Relevanzniveaus wie für die Grünen-Parteiführung und bleiben ebenfalls mit Abstand unter dem Relevanzniveau für die Parteiführungen der Unionsparteien.

18.3 Thematische Durchdringung im Kontext …

403

Das Ausmaß der thematischen Durchdringung zwischen zwei innerparteilichen Akteuren variiert zwischen den vier Parteiorganisationen ebenfalls sehr facettenreich: So gleicht sich die Bedeutung der thematischen Übereinstimmung zwischen Parteiführung und Fraktion eher innerhalb von B90/Die Grünen und CSU. Dagegen weisen die Werte für die FDP auf eine deutlich höhere thematische Durchdringung zwischen diesen beiden Akteuren. Die hohe Bedeutung ihrer gemeinsamen Themen für die FDP-Parteiführung (60 Prozent ihrer Themen) steht vermutlich weitestgehend für das Einbringen von Themen der Fraktion in die Beschlussfassung der Parteiführung. Des Weiteren zeigt sich eine größere Gemeinsamkeit zwischen Grünen und CDU mit Blick auf die Bedeutung der gemeinsamen Themen von Parteitag und Parteiführung sowie von Parteitag und Fraktion. Auffällig sind hier die Unterschiede zwischen den beiden Unionsparteien: Es besteht nicht nur ein geringeres Ausmaß der thematischen Übereinstimmung zwischen CSU-Parteitag und Fraktion, sondern auch zwischen CSU-Parteiführung und Fraktion. Dies impliziert, dass entweder mehr Themen, die für den CDUParteitag bzw. die CDU-Parteiführung von Interesse sind, auch von der Unionsfraktion aufgegriffen werden und/oder umgekehrt, dass mehr Themen, denen die Unionsfraktion Aufmerksamkeit schenkt, auch ihren Weg in die Beschlussfassung des CDU-Parteitags respektive der CDU-Parteiführung finden. Die bis hierher aufgezeigte Heterogenität im Ausmaß der thematischen Durchdringung spricht eher für eine Wirkung von parteispezifischen Konstellationen als für einen systematischen Zusammenhang zur Parteiorganisation. Auch die Vermutung über eine variierende Bedeutung der Politikartikulation des Prinzipals unabhängig von seinen Agenten lässt sich mit den empirischen Ergebnissen zunächst nicht bestätigen, wenn die alleinigen Themen des Prinzipals ausschließlich in der Output-Perspektive beobachtet werden. In allen vier Parteiorganisationen nehmen die Parteitage allein europäische Themen in ihrer Politikartikulation auf, wobei die empirische Größenordnung diametral den theoretischen Erwartungen gegenübersteht, denn in Anzahl respektive relativen Anteilen sind die alleinigen Themen in den Parteien mit einem schwächeren Prinzipal (Unionsparteien) deutlich höher als in den Parteien mit einem stärkeren Prinzipal (Grüne und FDP). Erst wenn bei der Betrachtung der alleinigen Themen die Output-Perspektive etwas aufgeweicht und zusätzlich auf die Antragstellung der Parteiführung geachtet wird, zeigen sich zumindest in Teilen die vermuteten Ergebnisse. Es korrespondieren die empirischen Belege für eine vergleichsweise größere Unabhängigkeit der Parteitage der Grünen (50 Prozent eigenständig) und der FDP (41

404

18

Thematische Durchdringung der vier Parteiorganisationen

Prozent) sowie ein geringer Unabhängigkeitswert für den CDU-Parteitag (20 Prozent) durchaus mit den zugrundeliegenden Parteiorganisationsmustern. Gleiches lässt sich aber nicht über den CSU-Parteitag aussagen, dessen Themen zu 40 Prozent unabhängig von der Parteiführung sind. Damit ähnelt diese Beobachtung mehr den Beobachtungen von Grünen- und FDP-Parteitag, sodass diesbezüglich die CSU einen Sonderfall markiert. Zusätzlich zeigt sich, dass in den Parteiorganisationen mit einem schwächeren Prinzipal die alleinigen Themen der Parteiführung eine größere Rolle spielen. Darüber hinaus setzt die CDU-Parteiführung sehr starke Impulse für die Politikartikulation des CDU-Parteitags, indem sie einerseits die alleinigen Themen des Parteitags selektiert und andererseits in hohem Maße zur thematischen Kongruenz zwischen Parteitag und Fraktion beiträgt. Zudem spielen die Themen auf der höchsten Durchdringungsstufe für die beiden Parteiführungen der Unionsparteien eine weitaus ähnlichere Rolle verglichen mit der Relevanz dieser Themen für die Parteiführungen in den ausgewählten Parteien mit einem starken Prinzipal (vgl. Tabelle 18.1, Zeile „Anteil an Themen der PF gesamt“ unter „höchste Durchdringungsstufe“). Umgekehrt zeigt sich eine deutlich geringere Einflussnahme der Parteiführung auf die alleinigen Themen des Parteitags und eine weitaus geringere Bedeutung alleiniger Themen der Parteiführung in den beiden Parteiorganisationen mit einem starken Prinzipal. D. h. insgesamt teilen diese beiden Parteiführungen deutlich mehr Themen mit den anderen beiden Akteuren ihrer Partei. Hervorzuheben bleibt aber, dass auch die CSU-Parteiführung wesentlich zurückhaltender ist, wenn es darum geht, die Selektion europäischer Themen ihres Parteitags zu beeinflussen, und infolgedessen die oben diskutierte Gemeinsamkeit einer eigenständigen, von einer Parteiführung unabhängigen Politikartikulation des Parteitags wie bei den Grünen und der FDP existiert. Ferner greift die CSU-Parteiführung wesentlich mehr europäische Themen allein auf als die CDU-Parteiführung (knapp 30 Prozent verglichen zu 21 Prozent). Der Sonderfall der CDU-Parteiführung ist insofern interessant, wenn man sich noch einmal die Erkenntnisse zu ihrer Schwesterpartei und hier die Beschlussfassung der CSU-Parteiführung über die Zeit in Erinnerung ruft: Die CSU-Parteiführung verabschiedete vergleichsweise wenige eigene europäisierte Beschlüsse, die durch Gemeinschaftsbeschlüsse mit der CDU-Parteiführung ergänzt wurden (vgl. Kapitel 10, Abbildung 10.3). Die aufgegriffenen Themen der CSU-Parteiführung gehören zwar einerseits zu einem nicht unerheblichen Teil zur höchsten Durchdringungsstufe, bleiben aber andererseits zu einem hohen Anteil fern von den anderen beiden innerparteilichen Akteuren – als würde also die relativ seltene Auseinandersetzung mit europäischen Angelegenheiten zu einer stärkeren Abweichung zu den anderen Akteuren führen. Umgekehrt

18.4 Zusammenfassung

405

greift die CDU-Parteiführung beständig über die Zeit EU-Themen auf (siehe ebenfalls Abbildung 10.3) und setzt maßgeblich die Impulse für die Themenselektion des CDU-Parteitags. Folglich steht hier der Anteil alleiniger Themen der CDU-Parteiführung wesentlich stärker für eine bewusste Steuerung der Themenverteilung innerhalb der Politikartikulation der außerparlamentarischen Parteiakteure. Am Ende bleibt ein ambivalentes Bild hinsichtlich des Zusammenhangs zwischen Parteiorganisationsmustern und der thematischen Durchdringung von Parteiorganisationen. Der qualitative Fallvergleich deckte auf, dass anhand des eigenständigen Agierens des Prinzipals und des Verhaltens der Parteiführung durchaus auf einen Zusammenhang zwischen Parteiorganisationsmuster und dem Output der Politikartikulation, hier abgebildet als thematische Durchdringung, geschlossen werden kann. Zugleich unterstreichen die Fallanalysen, dass das Auftreten der parteispezifischen Besonderheiten in hohem Maße als ein Ergebnis variierenden Verhaltens der Parteiführungen zu verstehen ist.

18.4

Zusammenfassung

Einerseits zeigt dieses Kapitel eindrucksvoll auf, wie sich die Politikartikulation im Einklang mit der grundlegenden innerparteilichen Aufgabenteilung manifestiert. Als erstes schlägt sich die Koordinationsaufgabe der Parteiführung zwischen Fraktion und Prinzipal nieder. Als zweites verdeutlicht die untergeordnete Rolle gemeinsamer Themen zwischen Parteitag und Parteiführung die Ausübung der delegierten Politikformulierungsaufgabe durch die Parteiführung zwischen den Parteitagen. Somit führen diese Beobachtungen zur Bestätigung der Hypothese 3.6 über eine geringere thematische Ähnlichkeit zwischen Parteitag und Parteiführung. Als drittes unterstreicht das große Ausmaß europäischer Themen in Händen der Fraktion ihre besondere Relevanz für die Politikartikulation der Partei. So bieten diese empirischen Ergebnisse zur thematischen Durchdringung ein wichtiges empirisches Indiz für jene besondere Rolle von Fraktionen, die ihnen nach vorherrschender Lehrmeinung als Policy-Experten in der Politikformulierung von Parteien zukommt, bisher jedoch kaum Gegenstand der empirischen Analyse gewesen ist. Ferner ist bemerkenswert, dass dieses Indiz für die herausragende Rolle der Fraktion ausschließlich auf der Analyse des Umgangs mit europäischen Themen basiert und damit auf einem Themenkomplex, welcher im Kontext der betonten Policy-Expertise vermutlich nicht an erster Stelle adressiert wird. Folglich kann hier geschlussfolgert werden, dass mit europäischen Themen nicht anders als mit den anderen Themen der Politikartikulation umgegangen wird. Dies

406

18

Thematische Durchdringung der vier Parteiorganisationen

belegt die andernorts formulierte Behauptung, Themen des europäischen Themenkanons würden in den üblichen Prozess der Politikformulierung absorbiert (Ladrech 2007). Inwiefern die thematische Übereinstimmung indes tatsächlich Resultat dieser Rolle der Fraktion ist oder auf weiteren implementierten Aufmerksamkeitsmechanismen der anderen innerparteilichen Akteure für europäische Themen beruht, bleibt Gegenstand zukünftiger Forschung, wenn etwa Politikartikulation der innerparteilichen Akteure zu einem Thema in chronologischer Abfolge und beispielsweise der „First-Mover“ stärker Beachtung findet. Andererseits verweisen die obigen Ergebnisse eher darauf, dass die Auswirkungen variierender Parteiorganisationsmuster weniger bestimmend auf den Output der Politikartikulation – hier ausgedrückt als thematische Übereinstimmung innerhalb einer Parteiorganisation – sind als vermutet. Es zeigt sich aber, dass stärkere Prinzipale eher mehr europäische Themen unabhängig von seinen Agenten aufgreifen (Hypothese 4.3) und zusätzlich ihre Parteiführungen eher weniger Themen in ihrer alleinigen Verantwortung behalten. Darüber hinaus weisen die Ergebnisse auf weiteres Forschungspotenzial bezüglich der Auswirkungen einer variierenden Parteiorganisation auf den Output der Politikartikulation hin. Der obige qualitative Fallvergleich deckte unter anderem auf, dass insbesondere die Parteiführungen vergleichsweise unterschiedlich agieren und sich dieses Verhalten nicht in Gänze in den variierenden Parteiorganisationskontext im Hinblick auf den Stellenwert des Prinzipals bringen lässt. Abschließend bleibt hier offen, ob das unterschiedliche Verhalten einzig aus ihren Positionen in den formellen Delegationsbeziehungen resultiert (und damit die theoretische Argumentation zu falsifizieren ist) oder aber ihre prinzipielle Aufmerksamkeit für den europäischen Themenkanon intervenierend wirkt. Denn der hier gewählte Analyseansatz ermöglicht erstmalig Muster aufzudecken, die auf dem Umgang mit einer Vielzahl von europäischen Themen und den dahinter subsumierten Selektionsentscheidungen respektive Interaktionsprozessen beruhen. Zugleich reduziert aber das angewandte Vorgehen und die Beobachtung von vier Parteiorganisationen in erheblichem Maße die Kontrollmöglichkeiten auf intervenierende Faktoren. Weiterführend legen die empirischen Resultate über das Verhältnis zwischen CDU und CSU offen, dass eine größere thematische Nähe der gemeinsamen Fraktion zu den CDU-Akteuren als zu den CSU-Akteuren besteht. Bis dato sind keine Studien bekannt, die die inhaltliche Agenda der beiden Parteiorganisationen systematisch mit dem Verhalten – d. h. politische Kommunikation oder parlamentarisches Handeln – der gemeinsamen Bundestagsfraktion in Zusammenhang stellen. Wie gezeigt bietet der hier eingeschlagene Weg – Analyse der Politikartikulation mittels Output-Perspektive auf eine Vielzahl von Themen

18.4 Zusammenfassung

407

– eine Möglichkeit, mehr über thematische Übereinstimmungen und vor allem Unterschiede innerhalb der Akteurskonstellation der Unionsparteien zu erfahren. Dieser Weg ließe sich ohne weiteres auf den nichteuropäischen Themenkanon übertragen. Konsequent weiterverfolgt ließe sich die Frage nach potenziellen Einflussmöglichkeiten der unterschiedlichen Unionsakteure beantworten, die insbesondere in der Parteienforschung zur CSU eine wichtige Problemstellung ist (Deiß 2003; Hempel 2010). Denn wenn der Output der Politikartikulation etwa auf Antragsteller, eingenommene Haltung zum Thema und zeitliche Abfolge kontrolliert würde, dann ließen sich ohne weiteres Rückschlüsse auf die (informellen) Einflüsse der diversen Unionsakteure ziehen, worin ein alternativer Lösungsansatz zur dominierenden Inputperspektive auf die Resultate des Einflusses besteht. Ferner weist dieses Kapitel auf weiteres Forschungspotenzial zur hohen Dominanz der CDU-Parteiführung in der Politikartikulation der außerparlamentarischen Partei hin: Bezieht sich diese Dominanz ausschließlich auf den EU-Themenkanon und spiegelt sich hierin die Elitenorientierung bezüglich EU-Fragen wider oder stehen diese Ergebnisse eher für die grundlegenden Politikformulierungsprozesse innerhalb der CDU? Zukünftige Analysen derselben Parteien hinsichtlich ihres Umgangs mit nationalen Themen, vorzugsweise im selben Untersuchungszeitraum, böte hierüber Aufschluss. Diese Analysen könnten zudem den oben aufgegriffenen Absorptionsgedanken empirisch validieren, wonach europäische Themen in den üblichen innerparteilichen Prozess der Politikformulierung aufgenommen werden.

Europäische Themen im Fokus aller innerparteilichen Akteure: Anders als andere europäische Themen in einer Parteiorganisation?

19

Die empirischen Ergebnisse zur thematischen Durchdringung einer Parteiorganisation im vorangestellten Kapitel brachten unter anderem das Resultat hervor, dass nur wenigen europäischen Themen von allen drei innerparteilichen Akteuren Aufmerksamkeit zuteilwird. Für eine Parteiorganisation können diese Themen als besonders bezeichnet werden: Es widmen sich alle drei Akteure diesen Themen und tragen letztlich diese Themen horizontal durch die Parteiorganisation. Gleichzeitig praktizieren sie aber auch eine inhaltlich orientierte Aufgabenteilung, die wiederum zu eher unterschiedlichen Themen in Händen der einzelnen Akteure führt. Dieses Kapitel richtet sein Augenmerk nun auf diese besonderen Themen. Neben der qualitativen Exploration, um welche spezifischen europäischen Angelegenheiten es sich dabei handelt, steht dabei vor allem im Mittelpunkt, ob sich diese Themen von jenen Themen unterscheiden, die ausschließlich in die Politikartikulation eines innerparteilichen Akteurs einfließen bzw. nur von zwei innerparteilichen Akteuren aufgegriffen werden. Mit anderen Worten: Erhöhen bestimmte Themenmerkmale die Wahrscheinlichkeit, dass Themen eine Parteiorganisation komplett durchdringen? Damit leistet dieses Kapitel einen Beitrag zur Beantwortung der Fragestellung nach einer inhaltlich orientierten Aufgabenteilung in der Politikartikulation und greift hierfür auf die besonderen Erkenntnisse zurück, die mittels des Konzepts der thematischen Durchdringung gewonnen wurden. Dafür werden im nächsten Abschnitt zunächst die Themen in Händen aller drei innerparteilichen Akteure einer Partei vorgestellt. Aufbauend auf dieser Deskription kann das Vorgehen für die weitere Datenanalyse präzisiert werden, welche

© Der/die Autor(en), exklusiv lizenziert durch Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2021 S. John, Europäische Themen in deutschen Parteiorganisationen, Empirische Studien zur Parteienforschung, https://doi.org/10.1007/978-3-658-34797-0_19

409

410

19

Europäische Themen im Fokus aller innerparteilichen Akteure …

den Zusammenhang zwischen Themeneigenschaften und einem zunehmenden Durchdringungsgrad der Parteiorganisation untersucht.

19.1

Welche Themen beschäftigen alle Akteure in einer Partei?

Mit der nachfolgenden Deskription geht es weniger um eine reine Auflistung als um eine Strukturierung der Themen in den Händen der drei innerparteilichen Akteure und um eine Präsentation markanter Themen dieser Schnittmenge. Ersteres geschieht mit Rückgriff auf die verschiedenen inhaltlichen Attribute, die im Rahmen dieser Arbeit eine Rolle spielen. Als erstes findet die Handlungsorientierung in der Sache Beachtung, die prinzipiell zwischen strategischen und operativen Themen unterscheidet. Relevant ist an dieser Stelle, ob die Themen der höchsten Durchdringungsstufe eine strategische Handlungsorientierung aufweisen.1 Des Weiteren wird auf die Zuordnung nach Policy-Typ und nach Politikfeldern eingegangen. Zusätzlich wird auf das thematische Abstraktionsniveau geachtet, auf welchem diese Themen formuliert sind. Zu den 76 Themen, die die Grünen-Parteiorganisation komplett durchdringen, gehören der Europäische Verfassungsvertrag bzw. der Lissabonner Vertrag, die Osterweiterung und die Diskussionen über eine Erweiterung in Richtung Südosteuropa und die Türkei. Die Agrarreformen von 2003 und 2008 (GAP Gesundheitscheck) finden genauso Beachtung wie das Energie- und Klimapaket, welches unter anderem nachhaltige Konsequenzen für die CO2 -Abgasregulierung der PkwFlotten und damit für die deutsche Automobilindustrie zur Folge hatte. Insgesamt sind erstaunlich viele Richtlinien Bestandteil der thematischen Durchdringung, was letztlich ausdrückt, dass hier alle innerparteilichen Akteure dezidiert darauf eingehen. Dies spiegelt sich auch in der nachfolgenden Tabelle 19.1 im hohen Anteil der regulativen Inhalte (80 Prozent) wider. Innerhalb der FDP werden mit 18 Themen verhältnismäßig wenige Themen von allen drei Akteuren aufgegriffen, die allerdings zu 50 Prozent strategische Angelegenheiten beinhalten. Ähnlich wie bei den Grünen gehören dazu sowohl der EU-Vertrag als auch der Türkeibeitritt (aber nicht die Osterweiterung (!)), das Energie- und Klimapaket und die zentralen Agrarreformen (im 1

Mit der Definition der Handlungsorientierung wurde unter anderen aufgegriffen, dass sich die strategische Handlungsorientierung auf die Polity (z. B. EU-Vertragswerk, EUInstitutionen, geografische Erweiterung) und Policy (z. B. Agrarreformen, Deregulierung des Energiemarktes) beziehen kann. Diese Unterschiede spielen an dieser Stelle keine Rolle.

19.1 Welche Themen beschäftigen alle Akteure in einer Partei?

411

Rahmen der Agenda 2000 und die Reform von 2003). Interessanterweise durchdringt ein weiteres finanzielles Allokationsthema die FDP: Im März 2007 legt der EP-Berichterstatter Lamassoure einen endgültigen Bericht über die Zukunft der EU-Gemeinschaftsfinanzen vor, in welchem sich für die Möglichkeit der eigenen Steuerfähigkeit ausgesprochen wird (Politikfeld Haushalt). So ergibt sich insgesamt ein vergleichsweiser hoher Anteil von distributiven Maßnahmen, die die FDP-Parteiorganisation durchdringt. Letzteres Thema durchdringt auch die CSU-Parteiorganisation. Darüber hinaus sind auch die Themen des EU-Vertrags und der geografischen Erweiterung (Osterweiterung, Türkeibeitritt) von hoher Relevanz für die CSU, wenn die thematische Durchdringung als Ausdruck von Relevanz in Organisationsperspektive verstanden wird. Dazu gehören ebenso die Agrarfinanzierung (Direktzahlungen allgemein und die Milchquotenregelung) als auch deren Änderung (hier: GAP Gesundheitscheck 2008, der neben den Änderungen der Finanzstruktur für die Agrarpolitik auch die weiterführenden Vorschriften zur Berichterstattung der sogenannten Cross Compliance anpasst). Verglichen zu den anderen Parteien finden sich im Kern der CSU-Themen weniger Richtlinien, was sich unter anderem in einem größeren Anteil von Themen niederschlägt, die auf einem höheren Abstraktionsniveau formuliert sind. Ein erster Blick auf die Einzelthemen, die in der CDU-Parteiorganisation von allen innerparteilichen Akteuren aufgegriffen werden, legt zunächst den höheren Anteil von Themen offen, die auf einem höheren sprachlichen Abstraktionsniveau einfließen. Zu den zentralen strategischen Themen gehören der EU-Vertrag, die Osterweiterung und der Türkeibeitritt. Ebenso wie bei den anderen Parteien spielt die Agrarreform eine Rolle (hier: im Rahmen der Agenda 2000) und das Energieund Klimapaket. Ähnlich wie bei den Grünen werden Themen der GASP aufgegriffen. Diese unterscheiden sich im Detail, da innerhalb der CDU die Errichtung der Europäischen Verteidigungsagentur und die Diskussionen um die Bildung einer EU-Eingreiftruppe von allen drei innerparteilichen Akteuren thematisiert wird. Auffallend ist obendrein die durchgehende Betonung des Subsidiaritätsprinzips, was nicht zuletzt zu einem vergleichsweisen hohen Anteil institutioneller Themen führt. Diese Einzelthemen, die jeweils die vier Parteiorganisationen durchdringen, berühren insgesamt recht unterschiedliche Aspekte europäischer Angelegenheiten. Dies spiegelt sich in ihrer Verteilung über die EU-Politikfelder wider (vgl. Tabelle 19.1). Dabei geht eine größer werdende Themenmenge auf der höchsten Durchdringungsstufe mit einem zunehmenden Grad der Themenabdeckung

412

19

Europäische Themen im Fokus aller innerparteilichen Akteure …

einher.2 Mit Blick auf die oben diskutierten Einzelthemen ist die fehlende organisationsdurchdringende Aufmerksamkeit für die Osterweiterung und damit für die bislang größte Erweiterungsrunde der EU in der FDP auffällig, d. h. einzig in dieser Partei widmen sich nicht alle drei innerparteilichen Akteure diesem Thema. Tabelle 19.1 Themenmerkmale auf der höchsten thematischen Durchdringungsstufe der Parteiorganisation B90/ Die Grünen Anzahl Themen

CDU

CSU

FDP

76

29

36

18

28,9 %

34,5 %

27,8 %

50,0 %

13,2 %

10,3 %

19,4 %

27,8 %

Themenmerkmale Handlungsorientierung strategisch Policy-Typ distributiv institutionell

6,6 %

24,1 %

19,4 %

22,2 %

regulativ im weiteren Sinne

80,2 %

65,6 %

61,2 %

50,0 %

Anteil niedriges Abstraktionsniveau (spezifische Einzelthemen)

80,3 %

72,4 %

66,7 %

94,4 %

2,78 %

5,56 %

Verteilung der Einzelthemen über Politikfelder 1 Europäisches Vertragswerk

2,63 %

3,45 %

Geogr. Erweiterung

7,89 %

13,79 %

8,33 %

5,56 %

EU-Institutionen

2,63 %

6,90 %

16,67 %

11,11 %

EU-Haushalt

5,56 %

Wirtschafts- u. Finanzpolitik

1,32 %

3,45 %

Schaffen/Sichern Binnenmarkt

2,63 %

3,45 %

11,11 %

Verbraucherschutz

2,63 %

6,90 %

2,78 % (Fortsetzung)

2

Interessanterweise nimmt der Anteil strategischer Themen ab, je größer die Themenmenge der höchsten Durchdringungsstufe wird. Interessant deshalb, weil hier womöglich in Indiz dafür vorliegt, dass zugrundeliegende Selektionsentscheidungen zunächst strategische Themen favorisieren und erst mit einer wachsenden Anzahl von Entscheidungen für eine komplette thematische Durchdringung auch nicht-strategische Themen in die Auswahl gelangen. Dieser Gedanke prioritärer Selektionsentscheidungen muss jedoch an die zukünftige Forschung weitergereicht werden, da erst mit einem größeren Querschnitt (Fallanzahl Parteien) eine gesicherte empirische Beweisführung möglich ist.

19.1 Welche Themen beschäftigen alle Akteure in einer Partei?

413

Tabelle 19.1 (Fortsetzung) B90/ Die Grünen

CDU

Steuerpolitik

1,32 %

Justiz und Inneres

5,26 %

10,34 %

Einwanderungs- u. Asylpolitik

CSU

FDP

2,78 %

5,56 %

2,78 %

5,56 %

11,84 %

3,45 %

2,78 %

Agrarpolitik

9,21 %

6,90 %

13,89 %

22,22 %

Arbeit und Soziales

3,95 % 13,79 %

5,56 %

16,67 %

dem. Freiheits- u. Schutzrechte Umweltpolitik

6,58 % 10,53 %

Verkehrspolitik Energiepolitik

6,90 % 13,16 %

Technologie und Forschung

1,32 %

Strukturpolitik, inkl. Tourismus

1,32 %

Außenwirtschaftspolitik GASP Entwicklungshilfe Themenabdeckung über Politikfelder, standardisiert1

3,45 % 5,56 % 3,45 %

8,33 %

13,79 %

16,67 %

1,32 % 13,16 %

2,78 %

1,32 % 0,73

0,54

2,78 %

16,67 %

0,54

0,38

Anmerkungen: 1 Unterteilung der EU-Angelegenheiten in 26 Politikfelder, ebenfalls Basiswert für den standardisierten Wert für die Themenabdeckung (im Detail, siehe Kapitel 14, Abschnitt 14.1.1). Abgebildet sind hier nur die Politikfelder, zu denen die einzelnen Themen auf der höchsten Durchdringungsstufe zugeordnet sind. Quelle: eigene Erhebung und Berechnung.

Auch in den Analysen in den vorherigen Kapiteln fiel bereits auf, dass insbesondere für den FDP-Parteitag und die FDP-Parteiführung der Themenbereich der geografischen Erweiterung von weitaus geringerem Interesse ist, dieser Themenbereich jedoch im Wahlkontext gestärkt wird (vgl. Kapitel 13 und 14). Der hier beobachtete Ausreißer bezüglich eines spezifischen Einzelthemas verweist auf zukünftiges Forschungspotenzial rund um die Problematik der Nichtselektion von Themen, insbesondere wenn es sich um ein bedeutendes Thema auf der (externen) politischen Handlungsagenda und in der Politikformulierung der anderen Parteien, also den Mitwettbewerberinnen und Mitwettbewerbern handelt. Nichtsdestotrotz spielen zentrale strategische EU-Themen parteiübergreifend in der Politikformulierung aller innerparteilichen Akteure (aller beobachteten Parteien) eine Rolle, wie etwa der EU-Vertrag als auch wichtige Agrarreformen.

414

19

Europäische Themen im Fokus aller innerparteilichen Akteure …

Letztere haben unter anderem mit ihrem verfolgten Ansatz zur allgemeinen Kürzung der Direktzahlungen und zur Veränderung der Förderkriterien nicht nur wichtige Implikationen für den Agrarsektor, sondern auch für den EU-Haushalt insgesamt und infolgedessen auch für andere Politikbereiche. Vor dem Hintergrund der implizierten Tragweite dieser zentralen strategischen EU-Themen ist die Vermutung naheliegend, dass genau dieses Merkmal dazu beiträgt, dass diese Themen in der Politikartikulation aller Parteien und aller innerparteilichen Akteure aufgegriffen werden. Werden diese einzelnen Themen wiederum in ihrer Politikfeldverortung betrachtet, dann zeigt sich deutlich, dass wenige Politikfelder in allen Parteiorganisationen auftauchen, so etwa die Umweltpolitik, die Agrarpolitik, Justiz und Inneres und das EU-Vertragswerk wie die geografische Erweiterung. Ob nun die Tragweite der einzelnen Maßnahmen – oder genauer: die inne liegende strategische Handlungsorientierung – und/oder bestimmte Politikfelder die Wahrscheinlichkeit erhöhen, dass ein Thema eher von allen drei innerparteilichen Akteuren aufgegriffen wird, ist unter anderem Gegenstand der empirischen Analyse des nächsten Kapitelabschnitts.

19.2

Themen der höchsten Durchdringungsstufe in Abgrenzung zu anderen Themen in der Parteiorganisation

In der Organisationsperspektive sind die Themen, denen die Aufmerksamkeit von allen drei innerparteilichen Akteuren zuteilwird, durchaus von besonderer Bedeutung. Für das Verständnis einer inhaltlich orientierten Aufgabenteilung ist nun durchaus relevant, ob es sich bei den oben vorgestellten Themen um eine reine Zufallsauswahl handelt oder ob innerhalb einer Partei Themen mit bestimmten Merkmalen respektive Inhalten durch die gesamte Parteiorganisation gepusht werden. Leitgebend ist hier die Vermutung, dass die innerparteilichen Akteure in Summe ihre Ressourcen nur für ganz bestimmte Themen mit besonderen Merkmalen mehrfach aufbringen. Trifft die Vermutung zu, dann sollte sich die Verteilung der Themenattribute zwischen den drei Durchdringungsstufen unterscheiden.

19.2 Themen der höchsten Durchdringungsstufe …

415

19.2.1 Vorbemerkungen zur Datenanalyse Die innerparteiliche Zugehörigkeit des Themas zu einer der drei Durchdringungsstufen ist als abhängige Variable definiert, während die inhaltliche Dimension anhand verschiedener Themenattribute als unabhängige Variable erfasst ist. Dafür werden Merkmale betrachtet, die bereits für die qualitative Exploration der höchsten thematischen Durchdringungsstufe leitgebend waren. Das Beobachtungsset 9 stellt nun die Datenbasis mit einer Vielzahl an spezifischen Einzelthemen innerhalb jeder der vier Parteiorganisationen, wobei die Themen den drei Durchdringungsstufen zugeordnet sind. Die hohe Anzahl an Beobachtungen erlaubt die Berücksichtigung mehrerer erklärender Variablen und ermöglicht den Rückgriff auf Methoden der quantitativen Datenanalyse. Zu den erklärenden Variablen: Als erstes gilt das Augenmerk der Handlungsorientierung in der Sache (Variable Themstrat) wobei hier die bereits erwähnte Hypothese verfolgt wird, dass strategische Themen eher eine Parteiorganisation durchdringen als operative Sachverhalte. Diese Variable bildet zudem implizit besondere – heißt: strategische – Themen der exogenen EU-Handlungsagenda ab. Die beiden Indikatoren für die EU-Handlungsagenda können hier nicht verwendet werden, da diese Indikatoren die Aktivitäten auf der europäischen Ebene in Relation zum Zeitverlauf abbilden, die Zeitdimension bei der Ermittlung des Themenpools in einer Partei hingegen vernachlässigt wurde (vgl. hierzu Abschnitt 9.2.2.3). Des Weiteren wird der Policy-Typ berücksichtigt. Die obige Beobachtung der hohen Relevanz der Agrarreformen, die in hohem Maße die finanzielle Allokation zwischen den Mitgliedstaaten respektive den diversen europäischen Politikfeldern berühren, führt zur Hypothese, dass distributive Inhalte (Variable distrIss) die thematische Durchdringung fördern.3 Die Zuordnung eines Themas zu einem Politikfeld ist das dritte Merkmal, welches beobachtet wird und konzeptionell als Kontrollvariable fungiert. Mithilfe dieser Variablen soll prinzipiell darauf kontrolliert werden, ob sich die thematische Durchdringung auf bestimmte Politikfelder fokussiert. Weniger sinnvoll ist dabei, Dummy-Variablen für jedes Politikfeld in die Analyse zu integrieren. Vielmehr werden nur die Politikfelder berücksichtigt, die laut der obigen Exploration in mehreren Parteien auf der höchsten Durchdringungsstufe eine Rolle spielen

3

In der Policy-Typologie stellen die regulativen Maßnahmen die Referenzkategorie und die anderen Policy-Typen (distributiv, institutionell) sind als Dummy-Variablen integriert (distrIss, instIss).

416

19

Europäische Themen im Fokus aller innerparteilichen Akteure …

(Erweiterung, Agrarpolitik, GASP, Umweltpolitik). Dies gibt ferner die Möglichkeit auf den Einfluss der agrarpolitischen Themen zu achten, die zum wichtigsten Politikfeld der EU gehören (siehe u. a.Hix 2005: 281; Nugent 2006: 455–463). Gemäß dem theoretischen Argument hat womöglich die Gesamtsalienz einer Partei Einfluss auf die Themenselektion und sollte infolgedessen auch beeinflussen, ob ein spezifisches Thema die Parteiorganisation durchdringt. Um gleich dem Einwand einer vorliegenden Tautologie dem Wind aus den Segeln zu nehmen: Natürlich drückt sich, wie auch oben argumentiert, in einer kompletten thematischen Durchdringung eine besondere Wichtigkeit dieser spezifischen Themen für die innerparteilichen Akteure aus. Hier wird aber untersucht, ob diese individuellen Themen nun eher jenen Themenbereichen nahestehen, die in der programmatisch-ideologischen Orientierung besonders wichtig sind.4 Zur Abbildung der Gesamtsalienz kommt hier der Parteisalienz Indikator II zur Anwendung (siehe ausführlich Kapitel 6), welcher als Dummy-Variable die besonders wichtigen Themenbereiche einer Partei über die Zeit abbildet und somit der Tatsache gerecht werden kann, dass mit der Beobachtung von Einzelthemen hinsichtlich ihrer Durchdringung der Parteiorganisation die Zeitdimension aufgelöst wurde. Und schließlich wird als letzte Variable die individuelle Betonung des spezifischen Themas (ThemFREQ) durch den einzelnen innerparteilichen Akteur berücksichtigt. Grundlage hierfür ist die absolute Häufigkeit eines Themas in der Politikartikulation des einzelnen Akteurs. Da die Häufigkeitsverteilung sehr stark vom Akteurstyp und seinen Möglichkeiten abhängt und infolgedessen sehr viel höhere Werte bei den Fraktionen auftreten, kommt auch hier eine Dummy-Kodierung zur Anwendung, die die Unterschiede zwischen den Akteuren egalisiert.5 Um mit der kategorialen Datenstruktur der abhängigen Variablen angemessen umzugehen, kommt für die Datenauswertung die multinominale logistische Regressionsanalyse zum Einsatz. Die Modellierung erfolgt separat für die Parteien. So kann zum einen besser verfolgt werden, ob die Vermutungen über 4

Allgemein formuliert geht es darum, eine beobachtete Wichtigkeit auf der Makroebene (Themenbereiche) in den Zusammenhang mit der beobachteten Wichtigkeit auf der Mikroebene (Einzelthema) in Einklang zu bringen. Ein Endogenitätsproblem liegt nicht vor, da die Gesamtsalienz unabhängig von den hier analysierten Daten auf der Mikroebene gemessen wurde. 5 Mit 1 wird kodiert, wenn ein Thema mehr als einmal in der Interessenartikulation des individuellen Akteurs aufgegriffen wird. Bereits von einer stärkeren Betonung zu sprechen, wenn das Thema mehr als einmal aufgegriffen wird, folgt nicht aus einer willkürlichen Festlegung. Hierbei handelt es sich um den Median alleiniger Themen, der für alle innerparteilichen Akteure bei 1 liegt.

19.2 Themen der höchsten Durchdringungsstufe …

417

die Bedeutung bestimmter Themenmerkmale für alle Parteien zutreffend sind und/oder ob diesbezüglich eine Varianz zwischen den Parteien existiert. Zum anderen wird hier einer angemessenen einfacheren Modellierung einer komplexeren Modellspezifikation des logistischen Regressionsmodells der Vorzug gegeben. Den daraus resultierenden numerischen Problemen wird hier durch die Verwendung einer Penalized-Maximum-Likelihood-Schätzung entgegenwirkt (Heinze und Schemper 2002; Heinze 2006).6

19.2.2 Diskussion der empirischen Ergebnisse Grundsätzlich weisen die statistischen Effekte in den multinominalen logistischen Regressionsanalysen zunächst darauf hin, dass sich die Eigenschaften von Themen zwischen den Durchdringungsstufen durchaus unterscheiden und folglich davon gesprochen werden kann, dass bestimmte Themenattribute die Wahrscheinlichkeit einer zunehmenden thematischen Durchdringung erhöhen (vgl. Tabelle 19.2). Für welche Attribute im Detail statistische Effekte nachgewiesen werden konnten, wird sogleich besprochen. Zuvor ist noch ein weiteres, eher allgemeineres Ergebnis hervorzuheben: Die Wirkungszusammenhänge unterscheiden sich deutlich zwischen den jeweils beobachteten Durchdringungsstufen. Die Unterschiede zwischen der geringsten und höchsten Durchdringungsstufe weisen zumeist auf eine höhere Effektstärke auf einem höheren Signifikanzniveau auf als die Unterschiede zwischen der mittleren und höchsten Durchdringungsstufe. Anders ausgedrückt: Themen, die bereits von zwei Akteuren aufgegriffen werden und denen damit Entscheidungsprozesse zugrunde liegen, diese Themen eben nicht nur in der Politikartikulation eines Akteurs zu belassen, ähneln 6

Zur methodischen Diskussion siehe auch Abschnitt 9.4.2.3. Das von Heinze (2006) referenzierte R-Package logistf (aktuelle Version Ploner et al. 2016) kommt nicht zur Anwendung, da es nur für den Einsatz einer binären logistischen Regression programmiert ist und keine Konfidenzintervalle für die Odd Ratios angibt. Die technische Umsetzung basiert hier auf dem R-Package plmr, welches zum Zeitpunkt der durchzuführenden Analyse als einziges Package die Penalized-Maximum-LikelihoodSchätzung für ein multinominales Regressionsmodell ermöglichte (Colby et al. 2010). Dieses Package verzichtet jedoch auf Modellgütemaße oder BIC/AIC-Informationskriterien. Der Verzicht auf diese Maße ist im Rahmen der gewünschten Analyse aber vertretbar. Zum einen sind die Pseudo-R2 -Maße eines Maximum-Likelihood-Schätzverfahren eh von begrenzter Aussagekraft. Zum anderen liegt hier ein x-zentriertes Forschungsdesign vor, d. h. das Interesse richtet sich auf die Effekte bestimmter Variablen und nicht auf die (vollständige) Erklärung der Varianz der abhängigen Variablen.

Modell CDU Wald-Statistik Odds Ratio

95 % K.I. f. b (Std.-Fehler) Odds von bis Geringste Durchdringungsstufe (1 Akteur) im Verhältnis zur höchsten Durchdringungsstufe Themstrat, −0,382 (0,533) 0,513 0,683 0,240 1,940 −0,099 (0,498) Dummy distrIss, −1,185 (0,731) 2,629 0,306 0,073 1,281 −1,697** (0,561) Dummy instIss, −1,523** (0,567) 7,221 0,218 0,072 0,662 −1,400* (0,544) Dummy PF −3,141*** (0,947) 11,015 0,043 0,007 0,276 −2,373** (0,906) Erweiterung, Dummy PF Agrar, 0,462 (0,822) 0,316 1,587 0,317 7,944 −0,169 (0,603) Dummy PF GASP, −1,384* (0,612) 5,110 0,251 0,076 0,832 −2,133*** (0,553) Dummy PF Umwelt, −1,146 (0,612) 3,507 0,318 0,096 1,055 −0,192 (0,722) Dummy Parteisalienz, −0,001 (0,001) 1,310 0,999 0,997 1,001 0,000 (0,001) Dummy ThemFREQ, −2,068*** (0,507) 16,631 0,126 0,047 0,342 −2,193*** (0,462) Dummy Konstante 4,810*** (0,557) 74,580 4,670*** (0,513) N = 548. N = 559.

b (Std.-Fehler)

0,183 0,247 0,093 0,845 0,118 0,825 1,000 0,112

9,148 6,628 6,853 0,079 14,885 0,071 0,105 22,501

0,276

1,002

3,397

0,350

2,752

0,551

0,716

0,550

2,404

(Fortsetzung)

0,045

0,998

0,200

0,040

0,259

0,016

0,085

0,061

0,342

95 % K.I. f. Odds von bis

19

82,997

0,906

0,039

Modell CSU Wald-Statistik Odds Ratio

Tabelle 19.2 Multinominale logistische Regressionsanalyse des thematischen Durchdringungsgrades von Parteiorganisationen

418 Europäische Themen im Fokus aller innerparteilichen Akteure …

Modell CDU Wald-Statistik Odds Ratio

95 % K.I. f. b (Std.-Fehler) Odds von bis Mittlere Durchdringungsstufe (2 Akteure) im Verhältnis zur höchsten Durchdringungsstufe Themstrat, 0,271 (0,556) 0,237 1,311 0,441 3,896 −0,122 (0,586) Dummy distrIss, −0,697 (0,779) 0,802 0,498 0,108 2,290 −0,457 (0,635) Dummy instIss, −1,047 (0,598) 3,066 0,351 0,109 1,133 −0,775 (0,708) Dummy PF −2,392* (0,944) 6,415 0,091 0,014 0,582 −0,652 (1,089) Erweiterung, Dummy PF Agrar, −0,231 (0,885) 0,068 0,794 0,140 4,493 0,229 (0,707) Dummy PF GASP, −0,961 (0,651) 2,181 0,383 0,107 1,369 −0,664 (0,784) Dummy PF Umwelt, −1,509* (0,709) 4,525 0,221 0,055 0,888 −1,043 (1,17) Dummy Parteisalienz, 0,000 (0,001) 0,017 1,000 0,998 1,002 0,202 (0,645) Dummy ThemFREQ, −0,698 (0,538) 1,683 0,498 0,173 1,428 −0,441 (0,559) Dummy Konstante 2,413*** (0,585) 16,999 1,45 (0,801) N = 548. N = 559.

b (Std.-Fehler)

Tabelle 19.2 (Fortsetzung)

0,633 0,461 0,521 1,258 0,515 0,352 1,224 0,644

0,518 1,196 0,359 0,105 0,716 0,795 0,098 0,622 3,272

0,885

0,044

Modell CSU Wald-Statistik Odds Ratio

1,924

4,332

3,488

2,395

5,023

4,401

1,848

2,197

2,789

(Fortsetzung)

0,215

0,346

0,036

0,111

0,315

0,062

0,115

0,183

0,281

95 % K.I. f. Odds von bis

19.2 Themen der höchsten Durchdringungsstufe … 419

Modell B90/Die Grünen Wald-Statistik Odds Ratio

95 % K.I. f. b (Std.-Fehler) Odds von bis Geringste Durchdringungsstufe (1 Akteur) im Verhältnis zur höchsten Durchdringungsstufe Themstrat, −0,776* (0,358) 4,703 0,460 0,228 0,928 −1,808** (0,600) Dummy distrIss, −0,809 (0,444) 3,322 0,445 0,187 1,063 −1,973* (0,784) Dummy instIss, 0,151 (0,541) 0,078 1,163 0,403 3,356 −1,096 (0,808) Dummy PF −0,393 (0,616) 0,406 0,675 0,202 2,260 −0,311 (1,131) Erweiterung, Dummy PF Agrar, 0,280 (0,491) 0,326 1,324 0,505 3,468 −0,910 (0,801) Dummy PF GASP, −0,704 (0,415) 2,884 0,495 0,219 1,115 −1,729* (0,749) Dummy PF Umwelt, −0,508 (0,444) 1,309 0,602 0,252 1,436 −1,951* (0,782) Dummy Parteisalienz, −0,002*** (0,001) 15,920 0,998 0,997 0,999 −0,002 (0,002) Dummy ThemFREQ, −2,633*** (0,418) 39,714 0,072 0,032 0,163 −3,851** (1,293) Dummy Konstante 4,238*** (0,427) 98,309 7,834*** (1,381) N = 721. N = 570.

b (Std.-Fehler)

Tabelle 19.2 (Fortsetzung)

0,139 0,334 0,733 0,402 0,178 0,142 0,998 0,021

6,340 1,838 0,076 1,292 5,332 6,231 1,186 8,875

0,268

1,001

0,658

0,770

1,933

6,720

1,630

0,646

0,532

(Fortsetzung)

0,002

0,995

0,031

0,041

0,084

0,080

0,069

0,030

0,051

95 % K.I. f. Odds von bis

19

32,171

0,164

9,075

Modell FDP Wald-Statistik Odds Ratio

420 Europäische Themen im Fokus aller innerparteilichen Akteure …

Modell B90/Die Grünen Wald-Statistik Odds Ratio

0,287 0,620 0,339 0,234 0,232 0,124 0,998 0,066

2,288 0,333 0,718 2,771 3,484 5,945 1,145 4,301 14,409

0,345

2,868

Modell FDP Wald-Statistik Odds Ratio

0,005

0,995

0,023

0,050

0,042

0,028

0,123

0,057

0,101

0,862

1,002

0,664

1,076

1,294

4,133

3,138

1,446

1,182

95 % K.I. f. Odds von bis

Anmerkungen: Abhängige Variable Durchdringungsgrad ist kodiert als geringster Durchdringungsgrad (1-Akteur), mittlerer Durchdringungsgrad (2-Akteure) und höchster Durchdringungsgrad (3-Akteure). Letzte Kategorie ist die Referenzkategorie. Anzahl der Beobachtungen pro Partei resultiert aus der Summe der Anzahl von Themen auf jeder Stufe der thematischen Durchdringung einer Parteiorganisation. PF: Politikfeld. Keine Angabe von Gütemaßen oder Informationskriterien, siehe hierzu Fußnote 6. * p < 0,05, ** p < 0,01, *** p < 0,001. Quelle: eigene Erhebung und Berechnung.

95 % K.I. f. b (Std.-Fehler) Odds von bis Mittlere Durchdringungsstufe (2 Akteure) im Verhältnis zur höchsten Durchdringungsstufe Themstrat, −0,816* (0,402) 4,127 0,442 0,201 0,972 −1,064 (0,628) Dummy distrIss, −1,564** (0,572) 7,472 0,209 0,068 0,642 −1,248 (0,825) Dummy instIss, 1,036 (0,551) 3,535 2,817 0,957 8,290 −0,478 (0,827) Dummy PF −1,657 (0,999) 2,751 0,191 0,027 1,351 −1,081 (1,276) Erweiterung, Dummy PF Agrar, 0,246 (0,551) 0,199 1,278 0,434 3,764 −1,452 (0,872) Dummy PF GASP, −0,720 (0,460) 2,450 0,487 0,198 1,199 −1,459 (0,782) Dummy PF Umwelt, −0,686 (0,505) 1,842 0,504 0,187 1,356 −2,086* (0,855) Dummy Parteisalienz, −0,001* (0,001) 4,040 0,999 0,998 1,000 −0,002 (0,002) Dummy ThemFREQ, −1,026* (0,454) 5,109 0,358 0,147 0,873 −2,713* (1,308) Dummy Konstante 1,975*** (0,461) 18,380 5,286** (1,393) N = 721. N = 570.

b (Std.-Fehler)

Tabelle 19.2 (Fortsetzung)

19.2 Themen der höchsten Durchdringungsstufe … 421

422

19

Europäische Themen im Fokus aller innerparteilichen Akteure …

in ihren Themeneigenschaften bereits stärker jenen Themen, die die Parteiorganisation komplett durchdringen.7 Wenn man sich hier die dominierende Rolle der alleinigen Themen in den Händen der Fraktionen in Erinnerung ruft (vgl. Tabelle 18.1), dann lässt sich noch zugespitzter formulieren, dass die Wahrscheinlichkeit des Auftretens bestimmter Themenmerkmale zunimmt, sobald ein Thema den Wirkungsbereich der Fraktion verlässt. Die obige qualitative Inspektion der Themen auf der höchsten thematischen Durchdringungsstufe führte zu der Vermutung, dass eher Themen mit einer strategischen Handlungsorientierung die Wahrscheinlichkeit erhöhen, die Parteiorganisation zu durchdringen. Die Ergebnisse der Regressionsanalysen belegen diese Vermutung nur eingeschränkt. Signifikante Effekte – also eine geringere Wahrscheinlichkeit strategischer Themen auf der geringsten Durchdringungsstufe – lassen sich lediglich innerhalb der Grünen- und der FDP-Parteiorganisation feststellen, während diesbezüglich keinerlei statistische Effekte in den beiden Unionsparteien existieren.8 Insbesondere im Falle der CDU, in der die Parteiführung eine besonders große Verantwortung für strategische EU-Themen innehatte (vgl. Kapitel 17) und zugleich in hohem Maße ein EU-Themenmanagement ausübt (vgl. Kapitel 18), bietet dieses Ergebnis weitere Informationen über die ausgeübte Themensteuerung durch die CDU-Parteiführung. Die Abgrenzung der Themen nach der Policy-Typologisierung diente der Überprüfung der Hypothese, dass distributive europäische Angelegenheiten eher zu den Themen in Händen aller drei innerparteilichen Akteure gehören als regulative Angelegenheiten. Ein statistischer Zusammenhang ist hierzu für drei der vier Parteien nachweisbar. Die Modelle für die CSU und FDP zeigen eine höhere Wahrscheinlichkeit distributiver Angelegenheiten auf der höchsten verglichen zur geringsten Durchdringungsstufe auf. Innerhalb der Parteiorganisation von B90/Die Grünen tritt ein statistischer Effekt verglichen zwischen der mittleren und höchsten Durchdringungsstufe auf.9 In der CDU erhöht dieses Themenattribut indes nicht die Wahrscheinlichkeit einer Durchdringung, vielmehr trifft dies auf die institutionellen Angelegenheiten zu. Letzteres ist auch innerhalb der Schwesterpartei zu beobachten. Dass sich der vermutete Zusammenhang einzig 7

In den Modellen abgebildet anhand einer geringeren Anzahl statistisch signifikanter Parameter und/oder auf einem geringeren Signifikanzniveau. 8 Dieses Ergebnis bleibt für die Unionsparteien auch bestehen, wenn die Themenattribute (strategische Handlungsorientierung, Policy-Typ) separat in den Modellen berücksichtigt werden. Einzig bei den Grünen und der FDP verändert sich leicht das Signifikanzniveau der Parameterschätzung von Themstrat und distrIss (jedoch nicht die Wirkungsrichtung). 9 Dieser Zusammenhang bleibt auch so bestehen, wenn zur Kontrolle ein Modell ohne den Parameter Themstrat gerechnet wird.

19.2 Themen der höchsten Durchdringungsstufe …

423

nicht für die CDU nachweisen lässt, ist durchaus aufschlussreich, wenn berücksichtigt wird, dass es sich hierbei auch um diejenige Partei handelt, in der die Parteiführung übermäßig stark als Impulsgeber für europäische Themen in der Politikformulierung des Parteitags auftritt und somit auch übermäßig stark den Themencharakter auf den verschiedenen Durchdringungsstufen prägt. Führt diese starke Steuerung von europäischen Themen seitens der CDU-Parteiführung zu dieser Zurückhaltung bei distributiven Angelegenheiten? Insgesamt kann basierend auf den durchgeführten Analysen der Vermutung, dass distributive europäische Angelegenheiten eher eine Parteiorganisation durchdringen, zugestimmt werden. In allen Parteien lassen sich indes gleichgerichtete Muster beobachten, wenn es um den Einfluss der Gesamtsalienz der Partei geht. Ob ein individuelles Thema einem Themenbereich zugeordnet ist, welcher der Partei bedingt durch ihre ideologisch-programmatische Ausrichtung wichtiger als andere ist, erhöht nicht die Wahrscheinlichkeit, dass ein einzelnes Thema von allen drei innerparteilichen Akteuren aufgegriffen wird.10 Damit unterscheidet sich die Wirkung der Gesamtsalienz auf die innerparteiliche Politikartikulation: Während die Gesamtsalienz durchaus einen Einfluss auf die Themenselektion respektive die Stärke der Aufmerksamkeit jedes innerparteilichen Akteurs hat (vgl. Kapitel 16), trägt sie nicht zur Erklärung bei, welche individuellen Themen eine Parteiorganisation komplett durchdringen und folglich in der Organisationsperspektive als besonders wichtig eingestuft werden können. In dieser Perspektive fällt die zugrundeliegende programmatische Orientierung von Parteien also als Erklärung für die Durchdringung der Parteiorganisation weg. Des Weiteren tritt in allen Parteien ein statistisch signifikanter Effekt hinsichtlich der individuellen Aufmerksamkeit des einzelnen Akteurs ein. Je häufiger ein einzelner Akteur auf ein Thema eingeht, desto wahrscheinlicher ist die höchste thematische Durchdringung zu beobachten. Dies unterscheidet in allen Parteien die Themenverteilung zwischen der niedrigsten und höchsten Durchdringungsstufe. Zusätzlich tritt ein Effekt für die Parteiorganisation der Grünen und der FDP zwischen der mittleren und höchsten Stufe auf. Der statistische Zusammenhang zwischen individueller Aufmerksamkeit und Durchdringungsgrad sollte im Rahmen dieser Analyse nicht mit dem Beleg von Kausalität verwechselt werden.

10

An dieser Aussage ändern auch die oben dokumentierten statistischen signifikanten Effekte dieses Parameters im Grünen-Modell nichts, da ein Odd Ratio von nahezu gleich 1 dieselbe Wahrscheinlichkeit in den jeweiligen Vergleichsgruppen bedeutet. Auch im Kontrollmodell (hier nicht abgebildet) mit der Salienz operationalisiert als metrischer Wert (Mittelwert der CMP-Salienzwerte über den Beobachtungszeitraum) zeigen sich keine signifikanten Effekte.

424

19

Europäische Themen im Fokus aller innerparteilichen Akteure …

Denn mit der zugrundeliegenden Datenstruktur kann nicht nachgewiesen werden, ob die wiederholte Aufmerksamkeit eines individuellen Akteurs zu einem Pushen des Themas durch die Parteiorganisation führt oder ob umgekehrt, erst nach Eintreten der hohen organisatorischen Aufmerksamkeit (aller drei innerparteilichen Akteure) die Aufmerksamkeit jedes einzelnen Akteurs für dieses Thema höher ist. Dieses Forschungspotential kann mit zukünftiger Arbeit aufgegriffen werden, wenn die zugrundeliegende Datenstruktur die zeitliche Abfolge der Themenselektion innerhalb einer Partei berücksichtigt. Diese Limitation schmälert keineswegs den Wert der hier durchgeführten Analyse, deren Beitrag darin liegt, diesen Zusammenhang aufgedeckt zu haben. Last but not least ist der Blick auf die Kontrollvariablen zur Politikfeldverortung gerichtet. Hier variieren die Effekte über die Parteien hinweg. Zunächst lassen sich nur statistisch signifikante Effekte innerhalb der Unionsparteien und der FDP im Zusammenhang mit den thematischen Durchdringungsstufen erkennen. So steigt in diesen drei Parteien die Wahrscheinlichkeit einer thematischen Durchdringung, wenn es sich um Themen der europäischen Außenpolitik handelt. Zudem sind die Angelegenheiten der geografischen Erweiterung wahrscheinlicher in der Themenselektion aller drei Akteure beider Unionsparteien. Innerhalb der FDP sind es Angelegenheiten der europäischen Umweltpolitik, die die Wahrscheinlichkeit einer thematischen Durchdringung signifikant erhöhen. Letzteres bettet sich wiederum in das obige Ergebnis des nicht-signifikanten Zusammenhangs zwischen salienten Themenbereichen der Gesamtpartei und Selektionsentscheidungen zugunsten einzelner europäischer Themen ein, die in einer kompletten thematischen Durchdringung der Parteiorganisation resultieren. Für die Parteiorganisation der Grünen lassen sich wiederum keine statistischen Effekte bestimmter europäischer Politikfelder nachweisen. Ursächlich könnte hierfür die generell breitere Themenabdeckung sein, die die Politikartikulation der innerparteilichen Akteure und auch die höchste thematische Durchdringungsstufe innerhalb der Grünen charakterisiert (siehe Tabelle 19.1). Womöglich verblasst damit zunehmend die Politikfeldspezifikation. Kurzum, diese variierenden Effekte der Politikfeldzugehörigkeit auf die Wahrscheinlichkeit der thematischen Durchdringungen zwischen den Parteien führen zur Schlussfolgerung, dass es keine parteiübergreifende und damit übergeordnete, gleichgerichtete Bedeutung europäischer Politikfelder gibt, auch wenn spezifische europäische Angelegenheiten eben dieser Politikfelder alle vier Parteiorganisationen durchdringen. Werden noch einmal die Politikfelder in den vier Parteien betrachtet, für die statistische Effekte gemessen wurden, dann ist erkennbar, dass es sich um Politikfelder handelt, die in den jeweiligen Parteien durchaus mit kritischen Positionen

19.3 Zusammenfassung

425

begleitet werden. So steht die FDP den umweltpolitischen Angelegenheiten eher kritisch gegenüber. Die beiden Unionsparteien befürworten weitestgehend die Osterweiterung, trotz kritischer Haltung in der Umsetzung insbesondere in der zweiten Runde der Osterweiterung (Rumänien und Bulgarien). Doch hinsichtlich der Beitrittsverhandlungen mit der Türkei verfolgen beide Parteien eine klar ablehnende Haltung und favorisieren hier ausschließlich eine privilegierte Partnerschaft. Hier deutet sich zukünftiges Forschungspotenzial zum thematischen Durchdringungsgrad einer Parteiorganisation an, indem der Einfluss der eingenommenen Haltung bzw. Positionierung (Zustimmung bzw. Ablehnung) zu einem spezifischen Thema näher untersucht wird und damit eine Einflussgröße, die im Rahmen dieser Arbeit weitestgehend ausgeblendet wurde.

19.3

Zusammenfassung

Anliegen dieses Kapitels war, die europäischen Themen, die die Parteiorganisationen komplett thematisch durchdringen, systematisch zu bewerten und Informationen darüber zu liefern, weshalb innerhalb einer Parteiorganisation gerade diese Themen diese besondere Aufmerksamkeit erhalten. Insgesamt belegt die durchgeführte Analyse, dass die von innerparteilichen Akteuren geteilten Themenmengen und damit die thematische Durchdringung keineswegs ein Zufallsprodukt sind. Bestimmte Themenattribute wie die strategische Handlungsorientierung als auch distributive Inhalte können die Wahrscheinlichkeit der kompletten horizontalen thematischen Durchdringung erhöhen, wobei die variierende Bedeutung dieser Themenattribute zwischen den Parteien durchaus auf parteispezifische Abweichungen hinweist. Eine zentrale Vermutung, dass sich parteispezifische Selektionsentscheidungen in den Zusammenhang mit der zugrundeliegenden Parteisalienz für Themenbereiche setzen lassen, findet aber keine Bestätigung. Eine entscheidende Rolle spielt indes die Stärke der Aufmerksamkeit durch die einzelnen innerparteilichen Akteure. Ob aber eine erhöhte Aufmerksamkeit beispielsweise der Fraktion für ein spezifisches Thema die thematische Durchdringung der außerparlamentarischen Partei zur Folge hat, sie also Themen pushen kann, oder ob die erhöhte Aufmerksamkeit der Fraktion für ein Thema eher eine Folge der Beschlussfassung durch Parteitag und Parteiführung ist, muss Gegenstand zukünftiger Forschungsarbeiten bleiben.

Zusammenführung der empirischen Ergebnisse

20

In den vorangestellten Analysekapiteln wurden unterschiedliche Perspektiven auf die Politikartikulation von B90/Die Grünen, FDP, CDU und CSU eingenommen, um so Antworten auf die leitgebende Fragestellung zu finden, wie nationale Parteiorganisationen mit dem europäischen Themenkomplex umgehen. Konkret galt es hierfür die folgenden Forschungsfragen zu beantworten: (1) Wie viel Aufmerksamkeit erfahren EU-Policy-Angelegenheiten in der Politikartikulation nationaler Parteien und welche Policy-Themen greifen die Parteien auf? (2) Gibt es eine innerparteiliche inhaltlich orientierte Aufgabenteilung der Politikartikulation und existieren darüber hinaus Muster in der Themenselektion, die im Zusammenhang mit dem Parteiorganisationsverständnis stehen? (3) Reagieren die nationalen Parteien und ihre innerparteilichen Akteure mit ihrer Themenselektion auf die europäische Handlungsagenda? (4) Unterscheiden sich die ausgewählten Themen im Wahlkontext von den Themen der restlichen Wahlperiode? Ausgangspunkt für die empirische Analyse ist die theoretische Argumentation, die grundsätzlich eine beständige Aufmerksamkeit seitens der nationalen Parteien für das europäische Themenspektrum erwartet, wohlwissend, dass es sich bei den einzelnen spezifischen europäischen Angelegenheiten nicht um wahlrelevante Themen handelt. Kernargument ist dabei, dass rational handelnde Parteien, die das Ziel der Stimmenmaximierung verfolgen, die immateriellen Güter Belief System, Kompetenz und Glaubwürdigkeit über eine Wahlperiode hinweg generieren, um selbst bestmöglich die Voraussetzungen zu schaffen, das Ziel auch zu erreichen. Der europäische Themenkomplex bietet für die nationalen Parteien zusätzlich zu anderen (regionalen und nationalen) Themen die Möglichkeit, das immaterielle Gut Kompetenz zu generieren.

© Der/die Autor(en), exklusiv lizenziert durch Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2021 S. John, Europäische Themen in deutschen Parteiorganisationen, Empirische Studien zur Parteienforschung, https://doi.org/10.1007/978-3-658-34797-0_20

427

428

20

Zusammenführung der empirischen Ergebnisse

Unmittelbar damit verknüpft ist die theoretische Herleitung der komplementären Themenselektionsstrategie von Parteien. Diese Strategie hat zum Gegenstand, mit unterschiedlichen politischen Themen insbesondere zu den immateriellen Gütern Kompetenz und Belief System beizutragen. Zum Einsatz kommt diese Strategie im Verlauf einer Wahlperiode und äußert sich in einer unterschiedlichen Themenselektion im Wahl- und Nichtwahlkontext. Die theoretische Argumentation stellt des Weiteren heraus, dass eine inhaltlich orientierte Aufgabenteilung in der Politikartikulation von innerparteilichen Akteuren existiert und deshalb die drei innerparteilichen Akteure Parteitag, Parteiführung und Fraktion bestimmte europäische Themen auswählen. Infolgedessen leisten die innerparteilichen Akteure auch einen unterschiedlichen Beitrag zur komplementären Themenselektionsstrategie ihrer Partei. Die akteursbezogenen Themenselektionsmuster lassen sich unabhängig vom Parteiorganisationsverständnis feststellen. Letzteres schlägt sich nur in bestimmten Facetten der Politikartikulation nieder. Um die verschiedenen explorativen Fragen zum Umgang mit dem europäischen Themenkomplex in Parteiorganisationen zu beantworten und die theoretisch hergeleiteten Hypothesen zu überprüfen, wurde die Politikartikulation von Parteien zum einen in den Kontext parteiexterner Faktoren und innerparteilicher Bedingungen gesetzt. Zum anderen wurde die Themenselektion anhand mehrerer Themenmerkmale differenziert beleuchtet und im Parteiorganisationskontext betrachtet (Abbildung 20.1). Eine wesentliche Besonderheit der empirischen Analysen resultiert aus der Datenerhebung politischer Themen, die dezidiert das Abstraktionsniveau berücksichtigte. Abstraktionsniveau meint, wie spezifisch oder breit ein politischer Gegenstand in der politischen Kommunikation adressiert wird und wie infolgedessen die politische Aussagekraft variiert. Diese Vorgehensweise bei der Datenerhebung ermöglichte wiederum eine Datenanalyse, die auf die verschiedenen Abstraktionsstufen (spezifische Einzelthemen, Politikfelder, Themenbereiche) zurückgreifen konnte. Der Einsatz der verschiedenen Abstraktionsstufen fußt auf einer mehrfachen Motivation: (1) bestimmte Themenattribute und Dimensionen der Politikartikulation lassen sich nur auf bestimmten Abstraktionsstufen beobachten, (2) bestimmte Aussagen und Zusammenhänge lassen sich nur sinnvoll für ein spezifisches Abstraktionsniveau treffen und (3) bestimmte Dimensionen der Politikartikulation lassen sich auf mehreren Abstraktionsstufen überprüfen, was zugleich den Test ermöglicht, inwiefern die abweichenden Beobachtungen zu denselben Resultaten führen. Nachfolgend werden nun die verschiedenen Perspektiven auf die Politikartikulation zusammengeführt. Im Zentrum steht dabei, die Antworten zu den zentralen

20.1 Stetige Aufmerksamkeit für europäische Themen …

429

Abbildung 20.1 Politikartikulation im Kontext parteiexterner Faktoren und innerparteilichen Bedingungen. (Quelle: eigene Darstellung)

Forschungsfragen zusammenzutragen. Hierfür werden die Ergebnisse zu den überprüften Hypothesen reflektiert und Erkenntnisse zu zentralen Einflussfaktoren und besonderen Kontrollvariablen herausgestellt. Schließlich werden widersprüchliche Beobachtungen, die aus dem variierenden thematischen Abstraktionsniveau resultieren, vergleichend diskutiert und bewertet.

20.1

Stetige Aufmerksamkeit für europäische Themen und hohe Relevanz von Themen der europäischen Politikgestaltung

Ein zentrales Anliegen dieser Arbeit bestand darin aufzudecken, ob und inwiefern Angelegenheiten der europäischen politischen Entscheidungsebene von nationalen Parteiorganisation aufgegriffen werden und mit ihrer Politikartikulation adressiert werden. Leitgebend war hierbei die Vermutung, dass für die nationalen Parteien

430

20

Zusammenführung der empirischen Ergebnisse

und ihre innerparteilichen Akteure eine intrinsische Motivation besteht, europäischen Themen kontinuierlich Aufmerksamkeit zu schenken (Hypothese 1.1) und insbesondere europäische Policy-Angelegenheiten auszuwählen (Hypothese 1.2). Nichtbeachten von EU-Angelegenheiten ist eher die Ausnahme als die Regel Die Aufmerksamkeit, mit der Parteien und ihre innerparteilichen Akteure EUAngelegenheiten über die Zeit bedacht haben, wurde anhand von zwei Indikatoren erhoben, die ergänzende Informationen liefern. Als erstes wurde die Anzahl adressierter EU-Angelegenheiten erhoben, um so die Selektionsentscheidungen für diese Themen beschreiben zu können (Kapitel 10). Als zweites wurde die Relevanz des europäischen Themenspektrum für die innerparteilichen Akteure ermittelt, indem die Politikartikulation zu EU-Angelegenheiten in Relation zur gesamten Politikartikulation der innerparteilichen Akteure wurde (Kapitel 13). Europäische Themen zu adressieren, obliegt gleichermaßen den drei unterschiedlichen innerparteilichen Akteurstypen: Parteitage, Parteiführungen und Fraktionen gehen alle mit einer gewissen Kontinuität mit ihrer Politikartikulation auf den europäischen Themenkomplex ein. Parteiübergreifend konnte die kontinuierliche Präsenz europäischer Angelegenheiten in der Politikartikulation der Bundestagsfraktionen aufgedeckt werden. Diese Themen wird eine unverkennbare Relevanz eingeräumt, denn bei Spitzenwerten von 25 Prozent europäisierter Pressemitteilungen kann keineswegs von einem nichtbeachteten Themenkomplex in der tagtäglichen Politikkommunikation gesprochen werden. Diese Ergebnisse bilden eine Ergänzung zu anderen Studien, die die europäischen Themen in den parlamentarischen Debatten im Bundestag zum Gegenstand haben (Rauh 2015; Wonka 2015). Bemerkenswert ist die stetige Präsenz europäischer Themen auf den Parteitagen: In Summe gab es nur wenige Parteitage im Untersuchungszeitraum, auf denen nicht in irgendeiner Form ein Rückgriff auf ein europäisches Thema erfolgte (Kapitel 12). Folglich ist zu reüssieren, dass Parteitage trotz ihrer begrenzten zeitlichen Ressourcen, die sie für organisatorische Aufgaben und die Bearbeitung weiterer (nicht europäischer) Themenschwerpunkte zur Verfügung haben, europäische Angelegenheiten stetig zum Gegenstand ihrer Beschlussfassung machen und ihre Aufmerksamkeit keineswegs spärlich ist. Ferner kann auch nicht von einem „Abschieben“ dieses Themenkomplexes an die kleineren Parteitage die Rede sein. Verglichen zu den Parteitagen spielen auch für die Parteiführungen die EUThemen regelmäßig eine Rolle, ihre Aufmerksamkeit kann aber durchaus zwischenzeitlich ausbleiben. Das Nichtbeachten von europäischen Angelegenheiten ist damit parteiübergreifend am ehesten für die Beschlussfassung der Parteiführungen zu erkennen.

20.1 Stetige Aufmerksamkeit für europäische Themen …

431

Die parteiübergreifenden Ergebnisse decken in Summe auf, dass es sich beim Schweigen zu europäischen Angelegenheiten eher um die Ausnahme als die Regel handelt. Zugleich wurden mit der komparativen Perspektive zwei markante Ausnahmen offengelegt: CDU-Parteitag und FDP-Parteiführung ignorieren europäische Angelegenheiten in ihrer Politikartikulation über einen längeren Zeitraum. Auf diese beiden parteispezifischen Sonderfälle wird weiter unten eingegangen. Insgesamt erlauben die verschiedenen empirischen Analysen zur Aufmerksamkeit, die Hypothese 1.1 zu bestätigen, wonach innerparteiliche Akteure kontinuierlich europäischen Themen mit ihrer Politikartikulation Aufmerksamkeit schenken und damit die nationalen Parteien insgesamt ihre Politikartikulation dafür nutzt, EU-Angelegenheiten über eine gesamte Wahlperiode hinweg zu adressieren. Ferner kann von einer gewissen Relevanz des europäischen Themenkomplex für die innerparteilichen Akteure gesprochen werden. Mit Rückbezug zum gewählten Untersuchungszeitraum unterstreichen diese Ergebnisse, dass für nationale Parteien auch vor den später einsetzenden europäischen Krisen (z. B. Schuldensituation in Griechenland und die Entwicklung der Gemeinschaftswährung, Flüchtlingsbewegungen über den Mittelmehrraum) ausreichend Anreizstrukturen bestehen mussten, europäische Themen mit ihrer Politikartikulation zu adressieren. Fokus auf spezifische europäische Angelegenheiten Mit den empirischen Analysen wurden verschiedene Themenattribute beobachtet, die als aussagekräftig bewertet werden, um den Umgang mit politischen Themen zu bewerten. Besonders achtgegeben wurde im Rahmen dieser Arbeit auf das Themenmerkmal des thematischen Abstraktionsniveaus. Dieses Merkmal erfasst, wie spezifisch oder breit ein Thema in der politischen Kommunikation aufgegriffen wird, da sich mit der Themenbreite bzw. mit der thematischen Abstraktion die Reichweite der politischen Aussagen verändert. Der Arbeit lag implizit die Annahme zugrunde, dass Parteien sich auch sehr spezifischen europäischen Themen widmen, um damit ihre Kompetenz besonders unterstreichen zu können: Dies gelingt mit einem Rückgriff auf detaillierte Themen anstatt auf Metathemen wesentlich besser. Die innerparteilichen Akteure adressieren bevorzugend europäische Angelegenheiten auf einem sehr geringen Abstraktionsniveau, gehen also vor allem auf spezifische europäische Einzelthemen ein (Kapitel 11). Ein hoher Anteil spezifischer Einzelthemen in der politischen Kommunikation ist charakteristisch für die politische Kommunikation aller drei innerparteilichen Akteure. Festgestellt wurde zudem eine etwas höhere Bedeutung breiterer Themenformulierungen in der Politikartikulation von Parteitag und Parteiführung. Ob diese Besonderheit jedoch tatsächlich ausgelöst ist durch eine andere politische Kommunikation der außerparlamentarischen Parteiakteure verglichen zu den Fraktionen oder auf die

432

20

Zusammenführung der empirischen Ergebnisse

zugrundeliegenden Eigenschaften der verwendeten unterschiedlichen politischen Dokumente (Policy-Beschlüsse, Pressemitteilungen) zurückzuführen ist, muss am Ende dieser Arbeit offenbleiben. Mithilfe einer zukünftigen empirischen Analyse von Pressemitteilungen verschiedener Parteiführungen könnten die Ergebnisse abschließend verifiziert und zugleich eine bestehende empirische Forschungslücke zur politischen Kommunikation von Parteien geschlossen werden. Besonders hohe Bedeutung von EU-Policy-Themen für Parteitage und Fraktionen und ein facettenreiches Portfolio an EU-Politikfeldern in der Politikartikulation Des Weiteren galt es eine Bewertung des EU-Policy-Making und damit der tagtäglichen europäischen Politikentscheidungsprozesse für die Politikartikulation vorzunehmen. Dafür wurde die generelle Gewichtung von EU-Policy- und EUPolity-Themen in der Politikartikulation bewertet (Kapitel 13). Konkret wurden dafür Themen der europäischen Politikgestaltung im Verhältnis zu den verschiedenen Aspekten der EU-Finalitätsfragen und zur EU-Politikgestaltung im nationalen Kontext betrachtet (Kapitel 13). Bei Themen der europäischen Politikgestaltung handelt es sich um die wichtigsten Themen für alle Parteitage. Es kann sogar von einer Dominanz des europäischen Policy-Making gesprochen werden, denn über den gesamten Untersuchungszeitraum gehörten über die Hälfte aller ausgewählten europäischen Themen der Parteitage zu diesem Themenbereich. Als dominierend sind die Angelegenheiten der europäischen Politikgestaltung auch für die untersuchten Fraktionen einzustufen. Hingegen lässt sich keine dominierende Policy-Orientierung für alle Parteiführungen attestieren. Vielmehr zeichnet sich hier ein Effekt des Parteiorganisationsverständnisses ab, wonach eine höhere bzw. dominierende Policy-Orientierung eher für die Parteiführungen vorliegt, die in einer Parteiorganisation mit einem stärkeren Prinzipal eingebunden sind. Dieses Ergebnis wird weiter unten reflektiert. Ergänzend liefert die explorative Perspektive auf die adressierten EUPolitikfelder, wie facettenreich das EU-Politikportfolio in der Politikartikulation der innerparteilichen Akteure aufgegriffen wird. Der Facettenreichtum spiegelt sich unter anderem auch in der Unterschiedlichkeit wider, welche EU-Politikfelder als am wichtigsten für die innerparteilichen Akteure eingestuft werden können. Kennzeichnend ist hier die innerparteiliche Heterogenität, die systematisch unter dem Blickwinkel einer vermuteten inhaltlich orientierten Aufgabenteilung analysiert wurde (siehe unten).

20.2 Adaption der EU-Handlungsagenda

433

Alles in allem bestätigen die Resultate zur Relevanz des EU-Policy-Making die besondere Bedeutung dieser Themen für die nationalen Parteien und ihre innerparteilichen Akteure (Hypothese 1.2). Zugleich verdeutlichen die Ergebnisse jedoch auch, dass ein differenzierter innerparteilicher Umgang mit diesen Themen vorliegt. An späterer Stelle wird zusammenführend reflektiert, inwieweit die angesprochene innerparteiliche Heterogenität mit den Erwartungen zu einer inhaltlich orientierten Aufgabenteilung übereinstimmt.

20.2

Adaption der EU-Handlungsagenda

Eine weitere Problemstellung dieser Arbeit widmete sich der Bedeutung der EUHandlungsagenda für die Themenselektion der nationalen Parteien. Konkret galt es der Frage nachzugehen, inwiefern die nationalen Parteien und ihre innerparteilichen Akteure mit ihrer Politikartikulation auf aktuelle Entwicklung in der Politikgestaltung auf der europäischen Ebene eingehen. Auch für die Bearbeitung dieser Problemstellung wurde auf die zentrale Abgrenzung der europäischen politischen Aktivitäten zwischen den großen PolityThemen und dem EU-Policy-Themen zurückgegriffen. Mit dem analytischen Trennen der europäischen Handlungsagenda wird den substantiell verschiedenen politischen Inhalten sowie ihrer Bedeutung für die Europäische Union und den abweichenden europäischen Entscheidungsprozessen gerecht. Konkret wurde als erstes die europäische Handlungsagenda bezüglich fundamentaler Anliegen und Finalitätsfragen zur vertraglich-institutionellen oder geografischen Ausgestaltung der Politikartikulation gegenübergestellt. Als zweites wurde der Zusammenhang zwischen den europäischen Aktivitäten in den einzelnen Politikfeldern und der Politikartikulation der nationalen Parteiorganisationen untersucht. Die Adaption der EU-Finalitätsfragen wurde anhand der Aufmerksamkeitsstärke für die entsprechenden Themenbereiche überprüft (Kapitel 13). Ferner spielte der Einfluss dieser externen Handlungsagenda bei der innerparteilichen Auswahl von strategischen Themen eine Rolle (Kapitel 17). Beide Analysen zeigten eine deutlich höhere Relevanz von strategischen EU-Angelegenheiten bzw. Themenbereichen zur grundlegenden Struktur der EU in jenem Zeitraum bzw. zu jenen Zeitpunkten, zu denen auf der europäischen Ebene entsprechende Vertragsverhandlungen aktuell waren. Dieser externe Impuls schlägt sich also direkt auf die thematische Schwerpunktsetzung respektive Themenauswahl der innerparteilichen Akteure nieder. Auf die innerparteilichen Differenzen wird unten genauer eingegangen.

434

20

Zusammenführung der empirischen Ergebnisse

Des Weiteren konnte die Aufmerksamkeit in der Politikartikulation für die verschiedenen europäischen Politikfelder mit den legislativen Handlungsaktivitäten auf der europäischen Ebene in diesen Politikfeldern in Zusammenhang gebracht werden (Kapitel 16). Die empirischen Ergebnisse unterstreichen, dass die Themenselektion aller innerparteilichen Akteure statistisch signifikant mit der legislativen EU-Handlungsagenda korreliert. Und deshalb auf eine Adaption der europäischen Handlungsagenda durch die nationalen Parteiakteure geschlossen werden kann. Die Bedeutung der europäischen legislativen Handlungsagenda variiert jedoch für die Politikartikulation der verschiedenen innerparteilichen Akteure. Die Varianz wird später unter der Perspektive der inhaltlich orientierten Aufgabenteilung reflektiert. Somit konnten Belege über eine Adaption der europäischen Handlungsagenda hinsichtlich zweier verschiedenen Arten von politischen Aktivitäten geliefert werden. Daran anschließend kann geschlussfolgert werden, dass sich die nationalen Parteien unmittelbar an den europäischen Aktivitäten orientieren, wenn sie mit ihrer Politikartikulation das europäische Themenspektrum adressieren. Die nationalen Parteien und ihre innerparteilichen Akteure bringen also ihre Kompetenz zum Ausdruck, über aktuelle Entwicklungen und Probleme auf europäischer Ebene Bescheid zu wissen (Signaling Awareness). Übergeordnet sind diese Erkenntnisse besonders fruchtbar für die Europäisierungsforschung, die bis dato nur selten die von Parteien ausgewählten Themen unmittelbar in Zusammenhang mit der europäischen Handlungsagenda setzt. Denn wenn sich nationale Parteien und ihre innerparteilichen Akteure nachweislich mit ihrer Aufmerksamkeit für EU-Angelegenheiten an der europäischen Handlungsagenda orientieren, dann können die hier und anderswo gemessenen Relevanzwerte europäischer Themen anders bewertet werden. Die Bewertung eines „angemessenen“ Europäisierungsanteils in der politischen Kommunikation von Parteien muss nicht mehr auf normative oder arbiträre Einschätzungen zurückgreifen. Vielmehr leitet sich die Angemessenheit aus der Adaption der europäischen Handlungsagenda ab, die auch bei einem geringeren Anteil europäisierter Politikartikulation vorliegen kann.

20.3

Die komplementäre Themenselektionsstrategie: Unterschiedlicher Umgang mit europäischen Themen im Verlauf einer Wahlperiode

Mit dem Anliegen, insbesondere die Forschungslücke aufzugreifen, wie nationale Parteien mit dem EU-Themenkomplex über eine gesamte Wahlperiode und

20.3 Die komplementäre Themenselektionsstrategie …

435

damit auch zwischen den Wahlen umgehen, ist zugleich verbunden, theoretisch und empirisch zu beleuchten, inwiefern sich die Politikartikulation innerhalb einer Wahlperiode (Nichtwahlkontext) von der Politikartikulation in der Wahlprogrammatik (Wahlkontext) unterscheidet. Theoretisch wurde dazu argumentiert, dass sich eine komplementäre Themenselektionsstrategie in einem differenzierten Umfang mit politischen Themen niederschlüge. Die vergleichende Perspektive auf die Politikartikulation im Wahl- und Nichtwahlkontext richtete sich auf mehrere Dimensionen in der Politikartikulation bzw. auf unterschiedliche Themenattribute. Als Resultat können erstmalige und umfängliche empirische Ergebnisse über die Unterschiede in der Politikartikulation präsentiert werden, die unmittelbar im Zusammenhang mit dem variierenden Kontext (Themenselektion im Wahlkampf vs. in Nichtwahlkampfzeiten) stehen. Zusammengeführt konnten die diversen Analysen die folgenden Unterschiede in der Politikartikulation aufdecken: Themenselektion im Wahlkontext wesentlich stärker vom Belief System der Partei geprägt als von der externen EU-Handlungsagenda Ein zentrales Element der komplementären Themenselektionsstrategie beinhaltet die im Verlauf einer Wahlperiode variierende Bedeutung von politischen Themen, die stärker mit dem Belief System einer Partei bzw. mit der europäischen Handlungsagenda verbunden sind. Konkret wurde erwartet, dass im Wahlkontext das Belief System einer Partei wesentlich entscheidender für die Themenselektion ist und folglich stärker europäische Themen ausgewählt bzw. betont werden, die dem Belief System näherstehen. Für den Nichtwahlkontext wiederum wurde erwartet, dass Parteien diesen Zeitraum stärker nutzen können, zur Kompetenz als ein weiteres zentrales immaterielles Gut beizutragen und deshalb eher europäische Themen adressieren, die stärker die externe EU-Handlungsagenda adaptieren. Die Analyseergebnisse bestätigen eindrucksvoll die abweichende Relevanz dieser beiden Einflussfaktoren für Auswahl europäischer Themen im Verlauf einer Wahlperiode (Kapitel 16). Im Wahlkontext ist das Belief System einer Partei wesentlich entscheidender für die Themenselektion, während im Nichtwahlkontext die externe EU-Handlungsagenda prägender ist. Damit bestätigen die Ergebnisse die entsprechende Hypothese 2.1. Besonders interessant ist hierbei, dass auch bei einem ausschließlichen analytischen Fokus auf europäische Themen die grundlegende höhere Bedeutung des Belief Systems einer Partei für die Themenauswahl in der Wahlprogrammatik belegt werden konnte. Eine weiterführende Implikation dieses Ergebnisses ist, dass der Zusammenhang auch dann vorliegen sollte, wenn Themen Gegenstand der Analyse wären, die sich auf die nationale politische Handlungsarena fokussieren.

436

20

Zusammenführung der empirischen Ergebnisse

Abgedecktes europäisches Themenspektrum im Wahlkontext geringer als in der gesamten Wahlperiode Resultierend aus einer existierenden komplementären Themenselektionsstrategie, sollten sich die Parteien in ihren Wahlprogrammen auf ein engeres Themenspektrum fokussieren als sie mit ihrer Politikartikulation über eine Wahlperiode adressieren (Hypothese 2.2). Mit der Bundestagswahlprogrammatik bedienen alle untersuchten Parteien ein wesentlich engeres Themenspektrum im Vergleich zu dem Themenspektrum, das die Parteien und ihre innerparteilichen Akteure mit ihrer Politikartikulation im Nichtwahlkontext abdecken. Diese Beobachtung bestätigt sich auch weitestgehend für die Europawahlen, solange die Parteien den europäischen Wahlkontext nicht in besonderem Maße nutzen, europäische Policy-Themen zu adressieren (Kapitel 14). Die Ergebnisse bestätigen damit die Hypothese 2.2 und stützen empirisch das theoretische Argument zur komplementären Themenselektionsstrategie. Der zusätzliche tiefergehende Vergleich des Themenspektrums in der Wahlprogrammatik und in der Politikartikulation der drei innerparteilichen Akteurstypen unterstreicht, dass nicht nur die Fraktionen mit ihrer Politikartikulation wesentlich häufiger ein breiteres Themenspektrum abdecken als die Bundestagswahlprogrammatik ihrer Parteien. Auch für die Politikartikulation von Parteitagen und Parteiführungen ist das breitere Themenspektrum zutreffend. Differenzierter Umgang mit EU-Polity-Themen im Verlauf der Wahlperiode Über die zentralen Hypothesen zur komplementären Themenselektionsstrategie im Verlauf einer Wahlperiode hinausgehend wurde in einer weiterführenden Analyse die Bedeutung von EU-Polity-Themen differenzierter beleuchtet. Hier stellte sich die feinere Differenzierung von EU-Policy- und EU-PolityThemen mithilfe von fünf Themenbereiche als äußerst fruchtbar heraus (Kapitel 13). Zwei entscheidende empirische Beobachtungen sind: Im Verlauf einer Wahlperiode werden institutionelle Polity-Themen wesentlich stärker im Kontext des europäischen Vertragswerkes von den innerparteilichen Akteuren thematisiert. Anhand dieser Einbettung drückt sich also die festgestellte Adaption der europäischen Handlungsagenda zu den Finalitätsfragen aus. In der Wahlprogrammatik rücken die Parteien jedoch den Bezug zur grundlegenden Ausgestaltung der EU mit wesentlich weniger Betonung des EU-Vertragswerks in den Mittelpunkt. Das bedeutet, dass die Parteien ihr jeweiliges Verständnis bzw. Bild zum institutionellen Zusammenspiel der verschiedenen Kompetenzen und Kompetenzebenen in Europa darlegen und dabei auf weniger explizite Bezüge zum bestehenden EU-Vertragswerk oder zu aktuellen Verhandlungen zum EU-Vertragswerk zurückgreifen.

20.4 Europäische Themen nur bedingtes Instrument im Wettbewerb …

437

Die Thematisierung von Polity-Themen durch die Parteien wird im Wahlkontext als notwendig erachtet, auch wenn die innerparteilichen Akteure den Polity-Themen im Verlauf der Wahlperiode eine eher geringe Relevanz einräumen. Insbesondere das EU-Finalitätsthema der geografischen Ausgestaltung spielt für FDP-Akteure (Parteitag und Parteiführung) im Vergleich zu den Akteuren der anderen Parteien keine oder nur eine sehr geringe Rolle. In den Wahlprogrammen räumt die FDP diesem EU-Finalitätsthema hingegen eine vergleichsweise hohe Bedeutung ein. Diese Beobachtung unterstreicht in einer Mikrofundierung, dass bedingt durch den Parteienwettbewerb ein gewisser Druck für die Auseinandersetzung mit einem politischen Thema und in diesem Falle mit EU-Finalitätsthemen besteht (Steenbergen und Scott 2004).

20.4

Europäische Themen nur bedingtes Instrument im Wettbewerb zwischen Regierungs- und Oppositionsparteien

In theoretischen Perzeptionen und empirischen Untersuchungen zum Parteienwettbewerb spielen unterschiedliche Beschränkungen und Anreize für Regierungs- und Oppositionsparteien eine zentrale Rolle. Daraus leitete sich auch für die empirischen Analysen dieser Arbeit ab, etwaiges abweichendes Verhalten in der Politikartikulation zu berücksichtigen. Im Rahmen des hier zugrundeliegenden theoretischen Arguments wurde herausgearbeitet, dass unterschiedlich gelagerte Anreizstrukturen und Beschränkungen in Abhängigkeit der Rolle im Parteienwettbewerb für die hier betrachteten Dimensionen der Politikartikulation nicht zu eindeutigen Effekten im Umgang mit dem europäischen Themenkomplex führen dürften. Am ehesten wurde für die Politikartikulation der Fraktionen erwartet, dass hier abweichende Muster in Abhängigkeit vom Regierungs-/Oppositionsstatus aufgrund ihrer institutionellen Einbettung in das Regierungssystem erkennbar sein müssten. Die systematische Berücksichtigung des Regierungs-/Oppositionsstatus in den diversen Analysen bringt insgesamt hervor, dass sich der Einfluss des jeweiligen Status nur bedingt in der Politikartikulation zum europäischen Themenspektrum niederschlägt. Konkret konnten hierzu folgende Zusammenhänge aufgedeckt werden: Grundsätzlich bleibt der Regierungs-/Oppositionsstatus ohne Einfluss auf die Selektionsentscheidungen von EU-Angelegenheiten, auf den Stellenwert europäisierter Politikartikulation und auf die Stärke der Aufmerksamkeit für europäische

438

20

Zusammenführung der empirischen Ergebnisse

Politikfelder (Kapitel 10, Kapitel 12 und Kapitel 16). Einzig mit der Übernahme der EU-Ratspräsidentschaft wird ein Unterschied deutlich, wonach Oppositionsfraktionen häufiger über EU-Themen als Regierungsfraktionen kommunizieren und den EU-Themen in ihrer Politikartikulation einen höheren Stellenwert einräumen. Darüber hinaus zeigte sich überraschenderweise, dass auch die außerparlamentarischen Akteure die Wettbewerbslogik zwischen Regierungs- und Oppositionsparteien mit ihrer thematischen Schwerpunktsetzung aufnehmen. In Oppositionszeiten räumen sie den Themen der nationalen Politikgestaltung im EURegulierungskontext eine höhere Bedeutung ein. Interessanterweise zeigt sich dieser Zusammenhang nicht in der Politikartikulation der Fraktionen (Kapitel 13). Als ein Nebenprodukt konnte ferner empirische Evidenz dafür geliefert werden, dass Oppositionsparteien jedes Wahlprogramm nutzen, um europäische Themen in das Framing eines Bashing der amtierenden Regierungspartei einzubetten (Kapitel 13). Dieser Gedanke über kritische bzw. abwertende Äußerungen über andere Parteien wird zwar durchaus im Kontext der Manifesto-Studien (Budge und Farlie 1983) aufgegriffen, blieb aber bislang ohne empirische Überprüfung. Hier zeigt sich also, dass die Rolle als Regierungs- oder Oppositionspartei durchaus einen Einfluss auf die Politikartikulation zum EU-Themenkomplex hat. Diese Auswirkungen lassen sich aber nur für einzelne Attributen der Politikartikulation feststellen und beziehen sich nicht ausschließlich auf die Politikartikulation der Fraktionen. In die Wettbewerbsdynamik eingebettete EU-Themen können insgesamt nur dann beobachtet werden, wenn mit diesen Themen ein eineindeutiger und unmittelbarer Bezug zum nationalen Parteienwettbewerb hergestellt werden kann: Dies trifft für die Themen der nationalen Politikgestaltung im EU-Kontext zu als auch für den Kontext der EU-Ratspräsidentschaft. Letzteres erlaubt unmittelbar für die Oppositionsparteien europäische Themen mit den Aktivitäten der (nationalen) Regierungsparteien zu verbinden.

20.5

Muster einer inhaltlich orientierten Aufgabenteilung in der Politikartikulation von Parteien

Politikartikulation wurde hier als eine Aufgabe von Parteien konzipiert, die von mehreren innerparteilichen Akteuren wahrgenommen wird. Die innerparteilichen Akteure teilen grundsätzlich gemeinsame Anschauungen und Überzeugungen der Partei (Belief System), so die zentrale zugrundeliegende Annahme. Zugleich unterscheiden sich die zentralen innerparteilichen Akteure Parteitag, Parteiführung und Fraktion in ihrer Ressourcenausstattung und in ihren vorrangig

20.5 Muster einer inhaltlich orientierten Aufgabenteilung …

439

auszuübenden Aufgaben in der Partei. Ferner grenzen sie sich in ihrer eingenommenen Rolle in der innerparteilichen Delegationsbeziehung (Prinzipal und Agenten) voneinander ab. Als eine Konsequenz variieren ihre Beiträge zur Politikartikulation der Partei. Im Ergebnis, so die Vermutung, existiert eine inhaltlich orientierte Aufgabenteilung, die in der Politikartikulation sichtbar wird. Akteure einer Partei adressieren also jeweils andere europäische Themen. Auf eine inhaltlich orientierte Aufgabenteilung wird dann geschlossen, wenn parteiübergreifend derselbe Parteiakteurstyp ähnliche Themenselektionsentscheidungen trifft – auch wenn er in einer Partei mit einem anderen Belief System oder mit einem anderen Parteiorganisationsverständnis verankert ist. Kern der empirischen Untersuchung war es deshalb, das Ausmaß der thematischen Ähnlichkeit zwischen den Themen bzw. den Themenwolken und damit eben auch die thematischen Abweichungen zwischen den innerparteilichen Akteuren einer Partei zum Gegenstand zu machen. Hierbei markieren die Unterschiede bzw. die Abweichungen die inhaltlich orientierte Aufgabenteilung. Mit Abweichungen ist hier gemeint, dass bestimmte innerparteiliche Akteure in unterschiedlicher Intensität Themen zum Gegenstand ihrer Politikartikulation machen. Relevant sind hierbei verschiedene Facetten bzw. Attribute von politischen Themen (vgl. Abbildung 20.2). Gegenstand der Analysen war zum einen dieses empirische Neuland deskriptiv zu erfassen und zum anderen galt es leitgebende Hypothesen zu überprüfen, die eine Aufgabenteilung zwischen den innerparteilichen Akteuren mit Blick auf spezifische Attribute von Themen zum Gegenstand haben. Dabei wurde systematisch berücksichtigt, inwiefern sich aus dem Parteiorganisationsverständnis konkrete Konsequenzen für die Umsetzung der Politikartikulation als ein zentrales Instrument von Parteien im politischen Wettbewerb ergeben. Im Fokus stand hier, ob in Abhängigkeit des Parteiorganisationsverständnisses abweichende Muster in der inhaltlich orientierten Aufgabenteilung sichtbar werden. Ein variierendes Parteiorganisationsverständnis bedeutet im Rahmen dieser Arbeit den Stellenwert des Prinzipals, also des Parteitags, in den Blickwinkel zu rücken. In Abhängigkeit von seinem formellen Stellenwert im Rahmen der innerparteilichen Delegationsbeziehungen ergibt sich die Stärke seiner formellen Position. Des Weiteren wurden Auswirkungen einer existierenden nationalen EPDelegation reflektiert, die im Kontext europäischer Themen eine besondere Organisationsressource für die nationalen Parteiakteure bedeutet.

440

20

Zusammenführung der empirischen Ergebnisse

Abbildung 20.2 Thematische Ähnlichkeit zum Abbild der inhaltlich orientierten Aufgabenteilung. (Quelle: eigene Darstellung)

20.5.1 Thematische Durchdringung der Parteiorganisation: Innerparteiliche Aufgabenteilung und besondere Themen Basierend auf dem Konzept der thematischen Durchdringung wurden die drei Themenwolken in einer Partei gegenübergestellt, indem alle europäischen Themen pro innerparteilichem Akteur zu einer Wolke aggregiert und thematische Schnittmengen zwischen den Wolken innerhalb einer Partei ermittelt wurden (Kapitel 18). Thematische Durchdringung der Parteiorganisation bildet die Aufgabenteilung in Parteien ab Das Aggregat bildet eindrucksvoll ab, wie sich im Output der Politikartikulation die grundlegende innerparteiliche Aufgabenteilung manifestiert: Als erstes schlägt sich die Koordinationsaufgabe der Parteiführung zwischen Fraktion und Prinzipal nieder. Als zweites verdeutlicht die untergeordnete Rolle gemeinsamer Themen zwischen

20.5 Muster einer inhaltlich orientierten Aufgabenteilung …

441

Parteitag und Parteiführung die Ausübung der delegierten Politikformulierungsaufgabe durch die Parteiführung zwischen den Parteitagen. Als drittes unterstreicht das große Ausmaß europäischer Themen in Händen der Fraktion ihre besondere Relevanz für die Politikartikulation der Partei. Das Konzept der thematischen Durchdringung von Parteiorganisationen bietet also die Möglichkeit, die innerparteiliche Aufgabenteilung in der Politikartikulation anhand des Outputs zu erfassen und damit die in der Parteienforschung vorherrschende beschreibende Perspektive auf die innerparteiliche Aufgabenteilung mit messbaren Größen zu ergänzen. So bieten diese empirischen Ergebnisse zur thematischen Durchdringung ein wichtiges empirisches Indiz für jene besondere Rolle von Fraktionen, die ihnen nach vorherrschender Lehrmeinung als Policy-Experten in der Politikformulierung von Parteien zukommt, bisher jedoch kaum Gegenstand der empirischen Analyse gewesen ist. Bemerkenswert an den Ergebnissen ist die Tatsache, dass die innerparteiliche Aufgabenteilung in der Politikartikulation und die herausragende Rolle der Fraktion ausschließlich auf der Analyse des Umgangs mit europäischen Themen basiert. Folglich markiert dieses Ergebnis ein wichtiges Indiz dafür, dass mit europäischen Themen nicht anders als mit den anderen Themen der Politikartikulation umgegangen wird, was wiederum ein empirischer Hinweis dafür wäre, dass Themen des europäischen Themenkanons in den üblichen Prozess der innerparteilichen Politikformulierung absorbiert würden (Ladrech 2007). Offen bleibt, inwieweit etwa Fraktionen in ihrer Rolle als Policy-Experten auch als Impulsgeber für die thematische Durchdringung der Parteiorganisation auftreten und in welcher Richtung die thematische Durchdringung von politischen Themen in Parteiorganisationen am ehesten erfolgt. Diese und ähnliche Aspekte, die sich aus diesem Konzept ableiten lassen, bleiben zukünftigen Forschungsarbeiten über innerparteiliche Aufgabenteilung und Einflussmöglichkeiten überlassen. Gemeinsame Themenwolke der drei innerparteilichen Akteure einer Partei Das Konzept der thematischen Durchdringung ermöglicht zudem auf eine Besonderheit in der Politikartikulation der Parteien einzugehen, die mit dieser Arbeit erstmals analytisch erfasst wurden: Die gemeinsame Themenwolke der innerparteilichen Akteure einer Partei (Kapitel 19). Bei politischen Themen, die die Parteiorganisation komplett durchdringen, handelt es sich insofern um besondere Themen, da ihnen von allen drei innerparteilichen Akteuren Aufmerksamkeit zuteilwird und eher Muster einer inhaltlich orientierten Aufgabenteilung in der Politikartikulation existieren. Gegenstand der gemeinsamen Themenwolke sind eher Themen mit einer strategischen Handlungsorientierung und auch distributive europäische Angelegenheiten.

442

20

Zusammenführung der empirischen Ergebnisse

Ferner erhöht die größere Aufmerksamkeit einzelner Parteiakteure für ein bestimmtes Thema die Wahrscheinlichkeit, dass ein Thema auch in der Themenwolke anderer Parteiakteure zu finden ist. Als unerheblich für die Zugehörigkeit zur gemeinsamen Themenwolke erweist sich aber die Verbindung von europäischen Themen zum zugrundeliegenden Belief System der Partei, d. h. für die komplette thematische Durchdringung der Parteiorganisation ist die Nähe zu den Kernthemen der Partei respektive zum parteispezifischen Wertefundament irrelevant. Insgesamt markieren diese Analysen einen wichtigen Anfang für zukünftiges Forschungspotenzial, das in der Verknüpfung von Parteiorganisationsfragen mit der Output-Messung von Politikartikulation liegt.

20.5.2 Unterschiedliches Ausmaß beim Abdecken des europäischen Themenspektrums in der Politikartikulation der drei innerparteilichen Akteure Mit der Themenabdeckung in der Politikartikulation galt es aufzudecken, in welchem Ausmaß sich die Vielfalt der europäischen Handlungsagenda in der Politikartikulation der nationalen Parteiorganisationen widerspiegelt. Die Vielfalt des europäischen Themenspektrums wurde anhand von 26 Politikfeldern dargestellt. Mithilfe dieses groben Indikators werden Aussagen über die innerparteiliche Heterogenität möglich, die bei der Adaption der EU-Handlungsagenda auftritt. Die empirischen Ergebnisse belegen systematische und gleichgerichtete Niveauunterschiede in der Themenabdeckung zwischen den innerparteilichen Akteurstypen (Kapitel 14). Diese Unterschiede treten in allen Parteien und damit unabhängig vom zugrundeliegenden Parteiorganisationsverständnis auf. Die Fraktionen aller Parteien decken jeweils ein deutlich umfänglicheres Themenspektrum ab als die anderen beiden innerparteilichen Akteurstypen. Parteitage und Parteiführungen agieren im Vergleich dazu inhaltlich wesentlich fokussierter. Dabei adressieren Parteitage ein breiteres Themenspektrum als die Parteiführungen. Somit steht das beobachtete variierende Themenspektrum im Einklang mit den formulierten Erwartungen an eine inhaltlich orientierte Aufgabenteilung in der Politikartikulation. Die breitere Themenabdeckung des Parteitags spiegelt wider, dass die Politikformulierung für die Partei eine zentrale Aufgabe des Prinzipals ist und die Parteiführung diese Aufgabe in Vertretung wahrnimmt, wenn der Prinzipal nicht tagt. Die weitaus höhere Themenabdeckung der Fraktion geht einher mit ihren Aufgaben im Parlament und der damit zusammenhängenden Ressourcenausstattung. Insgesamt wird also die Hypothese 3.1 bestätigt.

20.5 Muster einer inhaltlich orientierten Aufgabenteilung …

443

Ergänzend konnte aufgedeckt werden, dass die Häufigkeit der Selektionsentscheidungen von europäischen Themen (Kapitel 10) durchaus mit einer höheren Abdeckung europäischer Politikfelder einhergeht, aber nicht per se zu mehr adressierten europäischen Politikfeldern führen muss (Kapitel 14). D. h. auch wenn eine Partei die Intensität ihrer Aufmerksamkeit für europäische Angelegenheiten erhöht, kann die Themenabdeckung davon unberührt bleiben.

20.5.3 Bedeutung der europäischen Politikinhalte für Parteitage und Parteiführung: Unterschiedliche Ergebnisse in Abhängigkeit des beobachteten thematischen Abstraktionsniveaus Ein zentrales Anliegen bestand darin, das Ausmaß der thematischen Ähnlichkeit im Hinblick auf die europäischen Politikinhalte zu bestimmen und Aussagen über die innerparteiliche Heterogenität zu liefern. Darüber hinaus galt es genauer die formulierte Erwartung zu überprüfen, dass die thematische Ähnlichkeit bezogen auf die Politikinhalte zwischen Prinzipal und Parteiführung geringer sein müsste (Hypothese 3.6). Hintergrund hierfür ist die eben angesprochene Delegation der Politikformulierung vom Prinzipal zur Parteiführung. Das Ausmaß der innerparteilichen thematischen Ähnlichkeit bzw. Heterogenität wurde mehrfach ermittelt, indem adressierte europäische Politikinhalte auf den drei thematischen Abstraktionsniveaus (Themenbereiche, Politikfelder, spezifische Einzelthemen) vergleichend betrachtet wurden. Konkret wurden die folgenden Analyseperspektiven eingenommen: (1) Gegenübergestellt wurde die Aufmerksamkeitsstärke für die insgesamt fünf europäischen Themenbereiche, die Polity-Themen (EU-Vertragswerk, institutionelles Design, geografische Erweiterung) und differenziert das EU-Policy-Making erfassen. (2) Zusätzlich wurde die Aufmerksamkeitsstärke für die verschiedenen europäischen Politikfelder gegenübergestellt, um wesentlich differenzierter den Umgang mit dem EU-PolicyMaking zu beleuchten. (3) Ferner wurde in den Mittelpunkt gestellt, inwiefern die innerparteilichen Akteure tatsächlich dieselben Themen adressieren, indem die thematische Durchdringung einer Parteiorganisation gemessen wurde. Die großen EU-Themenbereiche und die EU-Politikfelder: Mehr Ähnlichkeit zwischen Parteiführung und Parteitag als erwartet Die vergleichenden Analysen zur Aufmerksamkeitsstärke für die differenzierten EU-Policy- und EU-Polity-Themen und für die spezifischen EU-Policy-MakingFacetten deckten für alle Parteien übereinstimmende Muster auf. Zunächst konnte

444

20

Zusammenführung der empirischen Ergebnisse

eine innerparteiliche Heterogenität bei den ausgewählten europäischen Inhalten zwischen den drei innerparteilichen Akteuren nachgewiesen werden. Gestützt durch einen zusätzlichen überparteilichen Vergleich der Politikartikulation ließ sich aufzeigen, dass die Heterogenität innerhalb der Parteien grundsätzlich ein hohes Ausmaß einnimmt. Im Weiteren konnte das innerparteiliche Muster aufgedeckt werden, dass eine größere Ähnlichkeit in der Politikartikulation zwischen Parteitag und Parteiführung als zwischen Parteitag und Fraktion sowie zwischen Fraktion und Parteiführung besteht. Diese Ergebnisse stehen jedoch im Widerspruch zur aufgestellten Hypothese 3.6, wonach die innerparteiliche Ressourcenausstattung und Aufgabenteilung in einer Partei zu einer deutlich geringeren thematischen Ähnlichkeit zwischen Parteitag und Parteiführung führen müsste und diese in einer innerparteilichen Perspektive deutlich erkennbar sein müsste. Eine tiefergehende Analyse zur Aufmerksamkeitsstärke für die diversen europäischen Politikfelder zeichnete nach, dass die größeren Gemeinsamkeiten in der Politikartikulation von Parteitag und Parteiführung in hohem Maße aus der Ähnlichkeit resultieren, bestimmte europäische Politikfelder nicht zum Gegenstand ihrer Politikartikulation zu machen. D. h. eine hohe Ähnlichkeit resultiert aus den Entscheidungen, zu denselben Politikfeldern zu schweigen. Die ausgewählten Politikfelder von Parteitag und Parteiführung sind sich hingegen nicht mehr viel ähnlicher, d. h. die höhere thematische Ähnlichkeit zwischen den beiden Akteuren verliert an Bedeutung innerhalb der innerparteilichen Politikartikulation. Gleichwohl nimmt die Ähnlichkeit in der Aufmerksamkeit für europäische Politikfelder zwischen Parteitag und Parteiführung kein signifikant geringeres Niveau an. Geteilte Themen innerhalb einer Parteiorganisation decken die erwartete geringere thematische Ähnlichkeit zwischen Parteitag und Parteiführung auf Die thematische Durchdringung einer Parteiorganisation als besondere Form der thematischen Ähnlichkeit stellt die tatsächliche Übereinstimmung zwischen adressierten europäischen Themen in den Mittelpunkt der Analyse (Kapitel 18). Auch das Ausmaß der thematischen Durchdringung zeigt eine heterogene Verteilung europäischer Themen innerhalb einer Politikartikulation. Anders als mit den oben genannten Analysen zeigte dieser analytische Zugang auf die politischen Themen, dass gemeinsame Themen zwischen Parteitag und Parteiführung nur eine untergeordnete Rolle in der Politikartikulation der beiden innerparteilichen Akteure und in Relation zu allen europäischen Themen in einer Partei spielen. Dieser analytische Blickwinkel deckte also das vermutete Resultat aus dem Delegationsverhältnis zwischen Parteitag und Parteiführung auf. Insbesondere die delegierte Politikformulierungsaufgabe, wonach die Parteiführung die

20.5 Muster einer inhaltlich orientierten Aufgabenteilung …

445

Politikartikulation zwischen den Parteitagen übernimmt, konnte empirisch belegt werden. Somit führen diese Beobachtungen zur Bestätigung der Hypothese 3.6 über eine geringere thematische Ähnlichkeit zwischen Parteitag und Parteiführung. Alles in allem konnten die empirischen Analysen erstmalig die innerparteiliche Heterogenität in der Politikartikulation aufdecken. Gestützt durch die verschiedenen Analyseperspektive liegt als Resultat eine quantitative und qualitative Bewertung dieser innerparteilichen Heterogenität vor. Außerdem unterstreichen die abweichenden Resultate zu den erwarteten Unterschieden in der Politikartikulation zwischen Parteitag und Parteiführung, wie entscheidend das thematische Abstraktionsniveau und die analysierte Dimension der Politikartikulation für das Aufdecken von etwaigen Mustern in der Politikartikulation sind. Während die innerparteiliche Selektion spezifischer europäischer Einzelthemen erwartete Muster widerspiegelt, verlieren diese Muster an Bedeutung auf höheren thematischen Abstraktionsniveaus.

20.5.4 Themen der nationalen Politikgestaltung im EU-Regulierungskontext in Verantwortung der Fraktionen und zugleich im Fokus von Parteitagen und Parteiführungen Für Themen der nationalen Politikgestaltung, die in einem direkten europäischen Kontext stehen – sei es durch die Aufsicht der EU-Kommission über nationale Entscheidungen (z. B. im Bereich staatlicher Beihilfen) oder durch die Notwendigkeit, europäisches Recht in das nationale Recht zu implementieren – wurde ebenfalls ein bestimmtes Muster erwartet. Die innerparteiliche Aufmerksamkeit für diese speziellen politischen Inhalte sollte sich ebenfalls durch eine innerparteiliche Heterogenität auszeichnen, die unmittelbar eine inhaltlich orientierte Aufgabenteilung zwischen den innerparteilichen Akteuren abbilden sollte. Bedingt durch die Zuständigkeit des Bundestags, europäisches Recht in die nationale Gesetzgebung zu implementieren, müssen sich vor allem die Fraktionen in besonderem Maße mit diesen Angelegenheiten beständig beschäftigen. Folglich sollte dieser Themenbereich auch in der Politikartikulation der Fraktionen einen gewichtigen Platz einnehmen und dabei von höherer Relevanz sein als in der Politikartikulation der beiden anderen innerparteilichen Akteure (Hypothese 3.4). Der systematische vergleichende Blick auf die Politikartikulation der innerparteilichen Akteure deckt auf, dass in allen untersuchten Parteiorganisationen besonders die Fraktionen ihr Augenmerk auf Themen der nationalen Politikgestaltung im EU-Regulierungskontext richten und insgesamt von einer Verantwortung

446

20

Zusammenführung der empirischen Ergebnisse

der Fraktionen für diesen Themenbereich zu sprechen ist (Kapitel 15). Folglich bestätigt die empirische Evidenz die aufgestellte Hypothese. Darüber hinaus wurde aber auch bei der Bewertung der fünf europäischen Themenbereiche deutlich, dass diese inhaltlich orientierte Aufgabenteilung zugunsten der Fraktionen keineswegs bedeutet, dass Themen der nationalen Politikgestaltung im EU-Regulierungskontext ohne Bedeutung für Parteitage und Parteiführungen sind (Kapitel 13). Oben wurde bereits reflektiert, dass Parteitag und Parteiführung diesen Themenbereich in ihrer Politikartikulation stärken, wenn ihre Partei als Oppositionspartei im Parteienwettbewerb agiert. Übergeordnet unterstreicht die Präsenz dieses Themenbereichs in der Politikartikulation, dass auch bei einer existierenden inhaltlich orientierten Aufgabenteilung zugunsten der Fraktion der komplette Zyklus europäischer Entscheidungen – angefangen bei den Verhandlungen auf der europäischen Eben bis hin zur Implementierung in das nationales Recht – Aufmerksamkeit von allen drei innerparteilichen Akteuren erfährt.

20.5.5 Operative Themen eher in den Händen der Fraktion und strategische EU-Themen eher in Verantwortung der Parteiführung Mit der Unterscheidung zwischen operativen und strategischen Themen wird die Handlungsorientierung in Bezug auf politische Themen in den Mittelpunkt gerückt. Strategische Themen umfassen einen grundsätzlichen Orientierungsrahmen für Polity oder für Policy; sie umschließen also europäische Themen, die unmittelbar die Finalitätsfragen der EU berühren und die markante Weichen für die zukünftige Ausrichtung einer Policy bedeuten. Operative Themen umfassen hingegen eine konkrete Umsetzung von Sachverhalten. Somit ergänzt die Handlungsorientierung als Merkmal von Themen die in der Europäisierungsforschung vorherrschende Unterscheidung in EU-Polity- und EU-Policy-Themen (Mair 2000; Schmitt 2009: 139). Diese Ergänzung ermöglicht, der strategischen Bedeutung von EU-Angelegenheiten auch im Bereich des Policy-Making gerecht zu werden. Auch hinsichtlich dieses Merkmals wurde eine innerparteiliche Heterogenität erwartet, die aus einer unterschiedlichen Zuwendung der innerparteilichen Akteure zu europäischen operativen bzw. strategischen Themen resultiert. Eingangs wurde theoretisch-empirisch fundiert hergeleitet, dass eine inhaltlich orientierte Aufgabenteilung dahingehend erkennbar sein müsste, wonach sich die Parteiführungen stärker den strategischen Themen widmen (Hypothese 3.2) und die Fraktionen eher den operativen Themen zuwenden würden (Hypothese 3.3).

20.5 Muster einer inhaltlich orientierten Aufgabenteilung …

447

Diese Form der inhaltlich orientierten Aufgabenteilung sollte unabhängig vom Parteiorganisationsverständnis eintreten. Die Suche nach empirischer Evidenz wurde auf zwei thematischen Abstraktionsniveaus (spezifische Einzelthemen und Themenbereiche) angesiedelt und griff auf verschiedene Dimensionen der Politikartikulation zurück. Die primäre Untersuchung der erwarteten Zusammenhänge stellte das spezifische individuelle Themenattribut in den Mittelpunkt, untersuchte deshalb dessen Verteilung innerhalb der Parteien und griff hierfür auf die spezifischen Einzelthemen zurück (Kapitel 17). Des Weiteren wurde das Ausmaß der thematischen Ähnlichkeit bezogen auf die fünf europäischen Themenbereiche systematisch ausgewertet, um ebenfalls Aussagen über etwaige Verantwortlichkeiten zu treffen (Kapitel 15). Diese analytische Perspektive erlaubt aber nur Aussagen zu den strategischen Polity-Themen, die im hohen Maße Gegenstand der drei Themenbereiche „institutionelles Design“, „EU-Vertragswerk“ und „geografische Erweiterung“ sind. Ergänzend wurde die Relevanz dieser Themenbereiche in der Politikartikulation der einzelnen innerparteilichen Akteure im Kontext der inhaltlich orientierten Aufgabenteilung reflektiert (Kapitel 13). Operative EU-Themen vorrangig in Händen der Fraktion Die empirischen Untersuchungen zur Verantwortung für operative europäische Themen innerhalb einer Parteiorganisation belegen grundsätzlich eine stärkere Fokussierung der Fraktionen auf operative europäischen Themen, die sie im Vergleich zu Parteitag und Parteiführung signifikant stärker auswählen (Kapitel 17). Diese klare inhaltlich orientierte Aufgabenteilung zugunsten der Fraktionen wird jedoch abgeschwächt, wenn die Parteiführung eine höhere Policy-Orientierung mit ihrer Politikartikulation verfolgt. Dies wird durch die Tatsache induziert, dass insbesondere für Themen der Politikgestaltung eine operative Handlungsorientierung kennzeichnend ist. Eine höhere Policy-Orientierung der Parteiführungen konnte für B90/Die Grünen und FDP aufgedeckt werden (Kapitel 13). Im Fall der GrünenParteiführung geht die hohe Policy-Orientierung mit einem deutlich stärkeren Fokus auf operative EU-Policy-Themen einher, der die Abgrenzung zwischen Fraktion und Parteiführung nivelliert. Strategische EU-Themen insgesamt eher in Verantwortung der Parteiführung, hingegen keine spezifische Verantwortung für EU-Finalitätsfragen Die empirischen Resultate zu Verantwortlichkeitsmustern bezüglich strategischer EU-Themen sind etwas vielschichtiger: Wird zunächst der analytische Blick auf die Verteilung des Themenattributs innerhalb einer Parteiorganisation gerichtet und

448

20

Zusammenführung der empirischen Ergebnisse

bleiben die Interdependenzen zwischen den innerparteilichen Akteure unbeachtet, dann gibt es keinen eindeutigen parteiübergreifenden Beleg dafür, dass der Parteiführung die Verantwortung für strategische EU-Themen obliegt (Kapitel 17). Wird aber zusätzlich die Interdependenz zwischen Prinzipal und Parteiführung berücksichtigt, die hier anhand der Mitgestaltungsmöglichkeiten der Parteiführung an den Parteitagsbeschlüssen abgebildet wurde, dann zeigt sich in allen vier Parteiorganisationen (und damit unabhängig vom Parteiorganisationsverständnis) die vermutete innerparteiliche Aufgabenteilung und damit eine signifikante Verantwortung für die strategischen Themen in Händen der Parteiführung (Kapitel 17). Jedoch liegt auch unter Berücksichtigung dieser Interdependenz zwischen Parteitag und Parteiführung die Verantwortung für strategische EU-Themen nur eindeutig bei der Parteiführung, wenn das hier angewandte Verständnis von strategischen Themen die Grundlage bildet, also wenn sowohl strategische Polity-Themen als auch strategische Policy-Themen berücksichtigt werden. Sobald die klassische Abgrenzung zwischen europäischen Polity- und Policy-Themen als konzeptionelle Grundlage zum Einsatz kommt, verliert die Aussage über die innerparteiliche Verantwortlichkeit bei strategischen EU-Angelegenheiten ihre Gültigkeit. Dass mit Blick auf die strategischen Polity-Themen keine parteiübergreifenden Muster zur Verantwortung bei der Parteiführung vorliegen und stattdessen auch die Parteitage eine relevante Rolle einnehmen, spiegelt sich auch in den sehr heterogenen Analyseergebnissen wider, die auf der Beobachtung der innerparteilichen thematischen Ähnlichkeit bezüglich der fünf großen europäischen Themenbereiche beruhen (Kapitel 15). Ergänzend ist aber festzuhalten, dass in Parteiorganisationen mit einem schwächeren Prinzipal die Parteiführung den strategischen Polity-Themen eine höhere Relevanz einräumt als in Parteien mit einem stärkeren Prinzipal (Kapitel 13). Kurzum, Hypothese 2.2 findet Bestätigung, wonach die Parteiführung die innerparteiliche Verantwortung für strategische EU-Polity- und EU-Policy-Themen in der Politikartikulation trägt. Hieran zeigt sich auch der zusätzliche Wert der Handlungsorientierung als relevantes Themenmerkmal, um eine inhaltlich orientierte Aufgabenteilung erkennen zu können. Des Weiteren decken die Ergebnisse auf, dass die immer wieder herausgestellte besondere Rolle von (Partei-)Eliten im Zusammenhang mit den europäischen Finalitätsfragen nicht gleichbedeutend mit einer innerparteilichen Verantwortung der Parteiführung für die strategischen PolityThemen ist. Und schließlich zeigten sich hier nicht erwartete Zusammenhänge mit dem Parteiorganisationsverständnis, auf die weiter unten noch einmal einzugehen ist.

20.5 Muster einer inhaltlich orientierten Aufgabenteilung …

449

20.5.6 Einfluss der Parteisalienz und Einfluss der europäischen Handlungsagenda auf die Aufmerksamkeit für europäische Themen: andere Muster als erwartet Oben wurde bereits als ein zentrales Ergebnis aufgeführt, dass Parteien und ihre innerparteilichen Akteure die Politikartikulation nutzen, um auf der europäischen Ebene gesetzte politische Impulse oder Schwerpunkte in der Politikgestaltung aufzugreifen und folglich die europäische Handlungsagenda adaptieren (siehe Abschnitt 20.2). Theoretisch wurde weiterführend argumentiert, dass eine komplementäre Themenselektionsstrategie nicht nur im Verlauf einer Wahlperiode die Themenselektion prägt, sondern auch kennzeichnend für die inhaltlich orientierte Aufgabenteilung ist. Damit ist gemeint, dass die innerparteilichen Akteure einerseits Impulse der europäischen Ebene aufgreifen und andererseits europäischen Themen Aufmerksamkeit schenken, die stärker mit dem ideologischen Fundament der Partei in Verbindung stehen. Mit dieser zweifachen Orientierung können die innerparteilichen Akteure zwei zentrale immaterielle Güter (Kompetenz und das Belief System) mit ihrer Politikartikulation stärken. Vor dem Hintergrund ihrer spezifischen Ressourcenausstattung und der grundlegenden innerparteilichen Aufgabenverteilung variiert der Beitrag zwischen den innerparteilichen Akteuren zu dieser komplementären Themenselektionsstrategie in der Parteiorganisationsperspektive, so die Vermutung. Zusammengeführt galt hierzu die Hypothese zu überprüfen, dass sich Parteiführung und Fraktion mit ihrer Auswahl europäischer Themen stärker an der EU-Handlungsagenda orientieren, während der Parteitag seine Auswahl europäischer Themen stärker am Belief System und damit den Kernthemen der Partei ausrichten würde (Hypothese 3.5). Für die empirische Überprüfung dieser Hypothese wurden die zentralen Einflussfaktoren Parteisalienz und Schwerpunktsetzung in der legislativen europäischen Handlungsagenda der Stärke der Aufmerksamkeit für europäische Politikfelder in der Politikartikulation der innerparteilichen Akteure unter Einbezug von Kontrollvariablen gegenübergestellt (Kapitel 16). Im Ergebnis konnten Muster einer inhaltlich orientierten Aufgabenteilung aufgedeckt werden, die einen Wirkungszusammenhang mit den zentralen Einflussfaktoren belegen und die unabhängig des zugrundeliegenden Parteiorganisationsverständnisses Bestand haben. Die ermittelten Zusammenhänge weichen jedoch teilweise von theoretisch hergeleiteten Erwartungen ab.

450

20

Zusammenführung der empirischen Ergebnisse

Für die Fraktionen ist die europäische Handlungsagenda entscheidender als die Parteisalienz Bestätigt werden konnte, dass Fraktionen mit ihrer Themenselektion wesentlich stärker die Schwerpunktsetzung auf der europäischen Handlungsebene aufgreifen. Für die Fraktionen im Deutschen Bundestag bedeuten diese Ergebnisse also, dass sie vor dem Hintergrund verfügbarer Informationen, institutionell abgesicherter Informationszugänge innerhalb des Deutschen Bundestags und nach Straßburg/Brüssel sowie implementierten informellen Informationsnetzwerken (Eisele 2012) die europäische Agenda der Politikgestaltung im Blick haben und Themen entsprechend aufnehmen. Parteisalienz bedeutenderer Faktor für die Themenauswahl der Parteiführung und nicht für die den Parteitag Hingegen konnten keine empirischen Belege für die Vermutung geliefert werden, dass der Prinzipal seine Aufmerksamkeit für europäische Themen erhöht, wenn sie mit den Kernthemen der Partei und somit dem Belief System verbunden sind. Vielmehr führen die empirischen Ergebnisse zur Schlussfolgerung, dass die Parteiführungen die Aufmerksamkeit für europäische Angelegenheiten erhöhen, wenn diese Angelegenheiten stärker mit dem Belief System der Partei verbunden sind. Folglich ist die Hypothese 3.5 in Teilen als widerlegt zu betrachtet. Insgesamt liefern diese Ergebnisse Indizien dafür, dass Parteien eine komplementäre Themenselektionsstrategie verfolgen und sich nachweislich die innerparteiliche Auswahl von politischen Themen sowohl am Belief System als auch an der externen EU-Handlungsagenda orientiert. Des Weiteren kann geschlussfolgert werden, dass die innerparteilichen Akteure in unterschiedlichem Maße mit ihrer Politikartikulation die immateriellen Güter bedienen und somit auch in unterschiedlichem Maße zur komplementären Themenselektionsstrategie beitragen. Die aufgedeckten Muster entsprechen jedoch nicht den Erwartungen. Stattdessen wurde nachgewiesen, dass sich Fraktionen und Parteitage stärker an der EU-Handlungsagenda orientieren und die Parteiführung mit ihrer Themenauswahl deutlich enger am Belief System der Partei bleibt. Diese Ergebnisse implizieren, dass die Parteiführung die übertragene Verantwortung für die Politikartikulation insbesondere nutzt, europäische Anliegen zu adressieren, die stärker mit den Kernthemen der Partei verbunden sind. Die legitimatorische Bedeutung, die mit der Politikartikulation des Prinzipals verbunden ist, wird wiederum genutzt, die Aufmerksamkeit der Partei für (anstehende) Probleme auf der europäischen Entscheidungsebene zu unterstreichen, ohne dabei den Bezug zu den Kernthemen der Partei zu verlieren.

20.5 Muster einer inhaltlich orientierten Aufgabenteilung …

451

20.5.7 Die Existenz einer nationalen EP-Delegation mit Konsequenzen für die Politikartikulation der nationalen Parteiakteure In der Europäisierungsforschung, die potenzielle Veränderungen von Parteiorganisationen vor dem Hintergrund der europäischen Integration in den Mittelpunkt stellt, spielt eine organisatorische Anpassung eine wichtige Rolle, nämlich die organisatorisch-personelle Einbindung der nationalen EP-Delegation in die nationale Parteiorganisation und hier insbesondere in der Parteiführung (Poguntke 2007). Im Rahmen dieser Arbeit wurde die Bedeutung der EP-Delegation für die Politikartikulation der nationalen Parteiorganisation dahingehend aufgegriffen, ob mit der Existenz einer EP-Delegation eine veränderte Politikartikulation einhergeht. Da vor allem die organisatorisch-personelle Einbindung der europäischen Parlamentarier in der Parteiführung eine besondere Rolle spielt, wurde im Rahmen der Arbeit die Hypothese untersucht, wonach die Existenz einer nationalen EPDelegation zu einer höheren Aufmerksamkeit der Parteiführung für europäische Policy-Themen führen müsste (Hypothese 5.1). Anhand der Fallstudie zur innerparteilichen Politikartikulation der FDP konnten besondere Abweichungen im Falle einer nichtexistierenden nationalen EP-Delegation herausgearbeitet werden, die zugleich in parteiübergreifenden Vergleichen verifiziert werden konnten. Die Fallstudie zur FDP deckt verändertes Verhalten in der Politikartikulation auf, welches mit der Existenz einer nationalen EP-Delegation einhergeht. Als erstes ist hervorzuheben, dass die FDP-Parteiführung ab dem Zeitpunkt mehr EU-Themen adressierte und die Intensität ihrer Politikartikulation zu EUAngelegenheiten erhöhte als der FDP im Jahr 2004 der Wiedereinzug in das Europäische Parlament gelang (Kapitel 10). Damit erklärt sich auch der eine oben erwähnte Sonderfall, wonach die FDP-Parteiführung europäische Themen über einen längeren Zeitraum ignorierte. Daneben hat sich der thematische Schwerpunkt der FDP-Parteiführung mit der personellen Präsenz mehrerer Europaabgeordneter in der Parteiführung verlagert. Standen ohne nationale EP-Delegation eher Themenbereiche zur grundlegenden institutionellen EU-Ausgestaltung auf der Agenda, verschob sich mit der nationalen EP-Delegation der thematische Schwerpunkt deutlich hin zur europäischen Politikgestaltung und damit zu dem Themenbereich, der das Kerngeschäft des Europäischen Parlaments symbolisiert (Kapitel 13). Für die Politikartikulation der Parteiführung kann also festgehalten werden, dass die Europaabgeordneten als ein wichtiger Impulsgeber für die Auswahl europäischer Themen fungieren. Die parteiübergreifende komparative Analyse

452

20

Zusammenführung der empirischen Ergebnisse

zeigt aber deutlich auf, dass die Existenz einer nationalen EP-Delegation keineswegs als eine notwendige Bedingung dafür zu verstehen ist, dass europäische Themen respektive europäische Policy-Themen auch von der Parteiführung adressiert werden. Nichtsdestotrotz findet der vermutete Zusammenhang zwischen der Existenz einer nationalen Delegation und einer höheren Aufmerksamkeit für EU-Policy-Themen durch die Parteiführung Bestätigung (Hypothese 5.1). Darüber hinaus konnten weitere Erkenntnisse über die Politikartikulation innerhalb einer Parteiorganisation gewonnen werden, die unmittelbar mit der Existenz eigener Europaparlamentarier zusammenhängen: Eine verminderte Aufmerksamkeit für EU-Themen ließ sich nur für die FDP-Parteiführung feststellen. Parteitag und Bundestagsfraktion schenken hingegen auch in Abwesenheit einer nationalen EP-Delegation europäischen Themen beständig Aufmerksamkeit. Ferner zeigte sich, dass die Fraktion eine herausragende Kompensationsleistung für die fehlenden EU-Parlamentarier übernimmt, da sie die fehlende bzw. vergleichsweise geringe Aufmerksamkeit der Parteiführung für EU-Themen ausgleicht. Der Ausgleich erfolgt zum einen mit einer deutlich höheren Intensität an adressierten EU-Themen. Zum anderen betont sie als Ausgleich auch wesentlich stärker Polity-Themenbereiche und damit die strategischen Themen, die in der innerparteilichen Aufgabenteilung eher in den Händen der Parteiführung liegen.

20.5.8 Parteiorganisationsverständnis: Weniger und anders für die Politikartikulation relevant als erwartet Die bisher zusammengeführten Erkenntnisse zu den verschiedenen Aspekten der Politikartikulation zeichneten sich dadurch aus, dass bis auf wenige Ausnahmen eine gleichgerichtete inhaltlich orientierte Aufgabenteilung über alle vier Parteiorganisationen hinweg aufgedeckt werden konnte. Darüber hinaus galt es auch die theoretisch hergeleiteten Vermutungen zu überprüfen, dass sich aus dem zugrundeliegenden Parteiorganisationsverständnis konkrete Konsequenzen für die Umsetzung der Politikartikulation als eine zentrale Aufgabe von Parteien ergeben müssten. Neben den explizit formulierten Hypothesen wurde die Parteiorganisationsvariable systematisch in die empirischen Analysen integriert, andere Effekte erkennen zu können. Der Hauptfokus der erwarteten Parteiorganisationseffekte richtete sich auf eine veränderte Politikartikulation von Parteitag und Parteiführung. Für die Politikartikulation der Fraktionen wurden in diesem Zusammenhang hingegen keine Veränderungen erwartet und auch nicht unerwartet mit den Datenanalysen aufgedeckt. Vielmehr ist für diese das institutionelle Setting des Bundestags

20.5 Muster einer inhaltlich orientierten Aufgabenteilung …

453

entscheidender, was mit der empirischen Analyse belegt werden konnte: Thematisch sind sich die drei Fraktionen untereinander deutlich ähnlicher als mit ihren korrespondierenden außerparlamentarischen Parteiakteuren (Bestätigung Hypothese 5.2; Kapitel 15). Zusammengeführt mit den oben aufgezeigten Ergebnissen zur Politikartikulation der Fraktionen unterstreicht dieses Resultat die Unterschiedlichkeit zwischen den innerparteilichen Akteuren. Ergo reflektieren Studien über die Bedeutung europäischer Themen im Deutschen Bundestag (Rauh 2015; Wonka 2015) ausschließlich „Party Politics in Parliament“. Kein Zusammenhang zwischen Parteiorganisationsverständnis und adressiertem Themenspektrum in der Politikartikulation vom Parteitag und Parteiführung Es galt zu überprüfen, ob das Parteiorganisationsverständnis einen Einfluss darauf hat, in welchem Ausmaß die Prinzipale europäische Themen abdecken. So wurde vermutet, dass schwächere Prinzipale ein deutlich geringeres Themenspektrum abdecken (Hypothese 4.1) und damit zusammenhängend, die Parteiführungen in Parteien mit einem schwächeren Prinzipal einen größeren Umfang an EU-Themen bedienen und neben den Polity-Themen verstärkend EU-Policy-Themen adressieren (Hypothese 4.2). Die Beobachtung der adressierten EU-Politikfelder in der Politikartikulation von Parteitagen und Parteiführungen konnte diese theoretischen Erwartungen nicht bestätigen: Weder lässt sich ein eingeschränkteres Themenspektrum in Händen eines schwächeren Prinzipals erkennen noch zeigt sich, dass die zugehörigen Parteiführungen systematisch mehr Policy-Themen neben den aufgenommenen Polity-Themen adressieren (Kapitel 13). Auch die systematische Betrachtung der Aufmerksamkeitsstärke für die europäischen Themenbereiche, die eine inhaltlich orientierte Aufgabenteilung abbildet, lässt nicht die Schlussfolgerung zu, dass eine höhere Verantwortung für PolicyThemen bei der Parteiführung in Parteien mit einem schwächeren Prinzipal liegen würde (Kapitel 15). Indes zeigte sich aber eine weitaus größere Aufmerksamkeit von Parteiführungen für EU-Polity-Themenbereiche in Parteien mit einem schwächeren Prinzipal als in Parteien mit einem stärkeren Prinzipal (Kapitel 13). Demgemäß wird anhand eines anderen Blickwinkels deutlich, dass sich ein variierendes Parteiorganisationsverständnis im Verhalten der Parteiführung niederschlägt.

454

20

Zusammenführung der empirischen Ergebnisse

Keine empirische Evidenz für ein variierendes unabhängiges Agieren des Prinzipals aufgrund des Parteiorganisationsverständnisses Eine weitere zentrale Erwartung lautete, dass mit einem veränderten formellen Stellenwert des Prinzipals dessen Möglichkeiten variieren, unabhängig von seinen Agenten seine Politikartikulation wahrzunehmen und europäische Anliegen zu adressieren. Konkret wurden mehr alleinige Themen in den Händen von stärkeren Prinzipalen vermutet (Hypothese 4.3). Hierzu liegen differenzierte empirische Ergebnisse vor, die auf der gemessenen thematischen Durchdringung der Parteiorganisationen beruhen (Kapitel 18). In allen vier Parteiorganisationen adressieren die Parteitage europäische Themen, die einzig in ihrer Politikartikulation eine Rolle spielen. Erst beim Achtgeben auf die Möglichkeit der Parteiführung, Anträge auf den Parteitagen stellen zu können und somit die thematische Agenda des Parteitags mitzugestalten, zeichnet sich eine vergleichsweise größere Unabhängigkeit der stärkeren Prinzipale ab. Es liegt jedoch kein einheitliches Bild für die schwächeren Prinzipale vor, sodass eher auf parteispezifische Konstellationen als auf einen systematischen Zusammenhang zwischen der Politikartikulation des Prinzipals und der Parteiorganisation zu schließen ist; die Hypothese 4.3 ist daher zu verwerfen. Dennoch deckt die Analyse der thematischen Durchdringung Zusammenhänge zum Parteiorganisationsverständnis und der Politikartikulation auf, die sich erneut am Verhalten der Parteiführungen verdeutlichen: Themen, die ausschließlich von der Parteiführung adressiert werden, spielen eine größere Rolle im innerparteilichen europäischen Themenspektrum von Parteien mit einem schwächeren Prinzipal und zugleich teilen diese Parteiführungen mehr Themen mit den anderen innerparteilichen Akteuren. D. h. diese Parteiführungen gewinnen bei einer innerparteilich verteilt ausgeübten Politikartikulation an Relevanz durch mehr alleinige Themen und zugleich durch eine stärkere Vernetzung mit den anderen Parteiakteuren respektive durch Koordination von politischen Themen. Einfluss des Parteiorganisationsverständnisses auf weitere Facetten der Politikartikulation Nicht erwartet wurde der Zusammenhang, wonach die Parteien in Abhängigkeit ihres Parteiorganisationsverständnisses eine andere Bewertung der Europawahlen vornehmen würden und deshalb ein abweichender Umgang mit der Europawahlprogrammatik eintritt (Kapitel 16): So steht in Parteien mit einem stärkeren Prinzipal (B90/Die Grünen und FDP) die Auswahl europäischer Themen über die gesamte Wahlperiode deutlich stärker im Zeichen ihres Belief Systems als dies überraschenderweise der Fall für ihre Europawahlprogrammatik ist. In diesen Wahlprogrammen

20.5 Muster einer inhaltlich orientierten Aufgabenteilung …

455

hat die Orientierung an ihrem Belief System eine weitaus geringere Bedeutung als für die beiden Unionsparteien. Zukünftige empirische Forschungsarbeiten, die entweder hier nicht beachtete Variablen und/oder weitere Parteien integrieren, können Aufschluss darüber geben, ob die hier ermittelten statistischen Effekte des Parteiorganisationsverständnisses sich erneut bestätigen lassen oder ausschließlich als Resultate der hier angewandten Fallauswahl verstanden werden müssen. Ließen sich diese Zusammenhänge auch für die Programmatik weiterer Parteien bestätigen, dann gäben diese Resultate Anlass, die theoretischen Ansätze zur Wahlprogrammatik dahingehend weiterzuentwickeln, voneinander abweichende Strategien von Parteien im Hinblick auf ihre programmatische Ausrichtung stärker als bis dato zu reflektieren. Außerdem zeigte sich als ein kleineres Nebenprodukt, dass eine stärkere Tendenz zu allgemeineren Formulierungen kennzeichnend für die politische Kommunikation in Parteien mit einem schwächeren Prinzipal ist. Dieses Ergebnis gibt Anstoß für weitere Forschungsfragen, die die politische Kommunikation von Parteien in den Kontext von internen Delegationsbeziehungen setzen. Folgt aus einer stärkeren Position der Agenten eine tendenziell allgemeinere politische Kommunikation innerhalb der Partei? Steht das für einen größeren Handlungsspielraum, den sie beispielsweise bei der Umsetzung politischen Handelns im nationalen oder europäischen Parlament gegenüber den Agenten in Parteien mit einem stärkeren Prinzipal genießen? Parteiorganisationsverständnis ohne Relevanz für den Output der Politikartikulation? Diese Ergebnisse unterstreichen, dass die inhaltlich orientierte Aufgabenteilung in der Politikartikulation, die aus der Ressourcenausstattung und der grundlegenden Aufgabenteilung in den Parteien hergeleitet wurde und die unabhängig vom Parteiorganisationsverständnis existiert, kennzeichnend für die Politikartikulation der drei innerparteilichen Akteurstypen ist. Erwartete Ausprägungen in der inhaltlich orientierten Aufgabenteilung, die auf das Parteiorganisationsverständnis zurückzuführen sind, ließen sich nicht nachweisen. Zusätzlich aufgedeckte Zusammenhänge unterstreichen, dass sich vor allem im Verhalten der Parteiführung ein variierendes Parteiorganisationsverständnis niederschlägt, aber nicht in der Politikartikulation des Prinzipals. Summa summarum sind Effekte des Parteiorganisationsverständnisses auf den Output der Politikartikulation weniger relevant als vermutet. Vor dem Hintergrund der grundlegenden Annahme in der Parteiorganisationsforschung „organisation matters“ ist dieses Resultat sehr aufschlussreich.

456

20

Zusammenführung der empirischen Ergebnisse

20.5.9 Parteispezifische Erkenntnisgewinne über die Politikartikulation zum europäischen Themenkomplex Das Small-N-Design (vier Parteiorganisationen) ermöglicht einen zusätzlichen Blick auf markante Parteispezifika im Umgang mit den europäischen Themen, die ebenfalls als ein zentrales Ergebnis zu bewerten sind, insbesondere vor dem Hintergrund, dass nur eingeschränkt Zusammenhänge zwischen der Politikartikulation und dem Parteiorganisationsverständnis bestehen. Das Verhältnis zwischen den Unionsparteien: Neue Erkenntnisse Auf eine Besonderheit wurde bereits mit dem Forschungsdesign abgezielt: Mit der Untersuchung der beiden Unionsparteien konnte erstmalig aufgedeckt werden, wie die Politikartikulation der außerparlamentarischen Parteiakteure sich im Verhältnis zur gemeinsamen Fraktion auszeichnet. Hierzu zeigte die empirische Analyse zur thematischen Durchdringung der Parteiorganisationen, dass der Anteil der von allen drei innerparteilichen Akteuren geteilten Themen in der CSU höher als in der CDU ist (Kapitel 18). Zum anderen ist aber wiederum das Ausmaß der thematischen Übereinstimmung zwischen CDU-Parteitag bzw. CDU-Parteiführung und Unionsfraktion größer als zwischen den außerparlamentarischen Akteuren der CSU und der gemeinsamen Unionsfraktion. Es werden also entweder mehr Themen, die für den CDU-Parteitag bzw. die CDU-Parteiführung relevant sind, auch von der Unionsfraktion aufgegriffen werden und/oder umgekehrt, es finden mehr Themen, denen die Unionsfraktion Aufmerksamkeit schenkt, ihren Weg in die Beschlussfassung des CDU-Parteitags respektive der CDU-Parteiführung. Unter Rückgriff auf diffusionstheoretische Ansätze können zukünftige Forschungsprojekte die Wirkungsrichtung stärker in den analytischen Fokus nehmen. Die parlamentarische Kooperation von CDU und CSU bedingt auch eine Zusammenarbeit ihrer Parteiführungen, die die Möglichkeit nutzen, auf gemeinsamen Klausurtagungen Beschlüsse zu verabschieden. In der Arbeit wurde daher noch ein zusätzlicher Blick ausschließlich auf die Gemeinschaftsbeschlüsse geworfen, der wertvolle Hinweise zur Zusammenarbeit der beiden Parteien lieferte. Hier zeigte sich eine besonders hohe Affinität für strategische EU-Polity-Themen (Kapitel 13). Hier wurde deutlich, dass mit dem eingeschlagenen Weg, die Output-Perspektive auf eine Vielzahl von Themen in der Politikartikulation einzunehmen, mehr über thematische Übereinstimmungen und vor allem Unterschiede in der Akteurskonstellation der Unionsparteien in Erfahrung gebracht werden kann.

20.5 Muster einer inhaltlich orientierten Aufgabenteilung …

457

Besondere Erkenntnisse zu CDU und CSU Des Weiteren deckten die empirischen Analysen diverse signifikante Unterschiede zwischen den beiden Schwesternparteien auf. Dieses Ergebnis ist in zweierlei Hinsicht überraschend: Als erstes wurden vor dem Hintergrund eines ähnlichen formellen Stellenwertes des Prinzipals in den beiden Parteien mehr Gemeinsamkeiten erwartet. Auch hätte ein gemeinsam getragenes Belief System auf deutlich mehr Gemeinsamkeiten schließen lassen. Innerhalb der CDU zeichnete sich eine herausragende Rolle der Parteiführung in der außerparlamentarischen Parteiarena ab. Die CDU-Parteiführung adressiert kontinuierlich über die Zeit europäische Themen mit ihrer Politikartikulation, während der CDU-Parteitag der einzige Parteitag ist, welcher die europäischen Angelegenheiten öfter und über einen längeren Zeitraum ignoriert. Auch ist der Parteitag der einzige, für den keine einzige inhaltlich orientierte Zuständigkeit für einen europäischen Themenbereich feststellbar ist (Kapitel 15). Die Parteiführung übernimmt hingegen deutlich mehr EU-Angelegenheiten in alleiniger Verantwortung. Die Verantwortung für die strategischen Polity-Themen in Händen der Parteiführung ist in der CDU am stärksten ausgeprägt. Ferner zeigte sich eine hohe Beeinflussung der Politikartikulation des CDU-Parteitags durch die Parteiführung, indem sie einerseits die alleinigen Themen des Parteitags selektiert und andererseits in hohem Maße zur thematischen Kongruenz zwischen Parteitag und Fraktion beiträgt. Die hohe Dominanz der CDU-Parteiführung in der Politikartikulation der außerparlamentarischen Akteure steht herausragend für eine bewusste Steuerung von europäischen Themen durch die Parteispitze und steht sinnbildlich für die Elitenorientierung, auf die immer wieder im Kontext der EU-Integration eingegangen wird. Feststeht aber, dieser hohe Einfluss einer Parteiführung auf die Politikartikulation zum EU-Themenspektrum existiert nur in der CDU. Ob dieses innerparteiliche Themenmanagement ausschließlich bei dem „besonderen“ EU-Themenspektrum oder aber auch bei anderen politischen Themen Anwendung findet, muss Gegenstand zukünftiger Forschung bleiben. Die hohe Dominanz der CDU-Parteiführung auf den Output der Politikartikulation wird auch als Denkanstoß in Richtung innerparteiliche Beteiligung und Diskurse bewertet. Liegt hierin eine mögliche Ursache, weshalb der Widerstand innerhalb der CDU-Parteiorganisation gegen das spätere Krisenmanagement im Rahmen der Griechenland- bzw. Eurokrise besonders groß gewesen ist und zu einer Gründung einer euroskeptischen Partei durch ehemalige CDU-Mitglieder führte? Innerhalb der CSU verhalten sich die beiden außerparlamentarischen Akteure komplett umgekehrt: Die CSU-Parteiführung greift Themen des europäischen Themenspektrums vergleichsweise selten auf. Der CSU-Parteitag thematisiert hingegen auf allen seinen (großen) Parteitagen europäische Angelegenheiten und ist damit

458

20

Zusammenführung der empirischen Ergebnisse

der „aktivste“ Prinzipal von allen untersuchten. Er agiert mit seiner Politikartikulation wesentlich unabhängiger von der Parteiführung als der CDU-Parteitag. Konkret zeigte sich, dass ein hoher Anteil von den Themen, die allein vom CSUParteitag adressiert werden, unabhängig von der CSU-Parteiführung seinen Weg in die Politikartikulation findet. Das ermittelte Ausmaß der Unabhängigkeit des CSUParteitags ähnelt deutlich den Beobachtungen zum Grünen- und FDP-Parteitag, also den Prinzipalen mit einem stärkeren formellen Stellenwert. Diese präsentere Rolle des CSU-Parteitags schlägt sich auch in der inhaltlich orientierten Aufgabenteilung nieder (Kapitel 14): Insgesamt zeigt sich bei drei von fünf Themenbereichen (geografische Erweiterung, EU-Verträge und EU-Politikgestaltung) eine Aufgabenteilung zugunsten des CSU-Parteitags. Besonderheiten in der Politikartikulation der FDP und von B90/Die Grünen Die Fallanalyse zum Einfluss einer nationalen EP-Delegation auf die Politikartikulation hat bereits in hohem Maße die parteispezifischen Besonderheiten der FDP herausgestellt (siehe Abschnitt 20.5.7). Darüber hinaus ist das auffallend geringe Interesse der außerparlamentarischen Akteure für die europäischen Finalitätsfragen im Hinblick auf die geografische Erweiterung und die Ausgestaltung des EU-Vertragswerks eine weitere Besonderheit. Hierzu stellt sich die weiterführende Frage: Warum sind es genau diese Themen, die für die FDP-Akteure nicht relevant sind? Diese Ausnahme illustriert ein spannendes Forschungspotenzial, das in der Nichtselektion von politischen Themen liegt. Markant für die Politikartikulation der innerparteilichen Akteure von B90/Die Grünen sind die häufigste Zuwendung von allen drei innerparteilichen Akteuren zu europäischen Angelegenheiten und die umfänglichste Abdeckung des EU-Themenspektrums. Die weitgefächerte Aufmerksamkeit für das EUThemenspektrum bedingt auch, dass die Politikartikulation zwischen den GrünenAkteuren deutlich ähnlicher ist als innerhalb der anderen Parteiorganisationen. Im Unterschied zu den anderen Parteien ist für die thematische Ähnlichkeit also die Themenselektion und nicht die Nichtselektion entscheidender. Europa ist also tatsächlich und vergleichsweise umfänglich präsent innerhalb der GrünenParteiorganisation.

Schlussbetrachtung und Ausblick

21

In der vorliegenden Arbeit wurden im Kern Beiträge zu zwei Forschungssträngen in der Parteienforschung geleistet: Zum einen konnten zentrale Aussagen zur Frage erarbeitet werden, wie sich Parteien mit europäischen Themen beschäftigen (Europäisierungsforschung), zum anderen wurde untersucht, wie sich die einzelnen Akteure innerhalb der Parteien mit diesen Themen auseinandersetzen (Parteiorganisationsforschung). Außerdem konnten die gewonnenen Ergebnisse in vielschichtiger Weise verknüpft und verwertet werden, sodass weiterführende Erkenntnisse daraus resultierten. Der theoretisch-empirische Ansatz der Arbeit gewährleistete eine systematische Herangehensweise und erforderte eine umfangreiche Datenerhebung der Politikartikulation von Parteien, die einen Untersuchungszeitraum von zehn Jahren abdeckt. Der zentrale Beitrag zur Europäisierungsforschung resultiert aus der eingenommenen Perspektive auf die Politikartikulation über eine gesamte Wahlperiode. Damit konnte zunächst die Forschungslücke geschlossen werden, die darin bestand, dass viele Erkenntnisse zum Umgang der Parteien mit den europäischen Themen sich auf die programmatischen Grundlagen von Parteien beziehen und hier insbesondere die Europawahlprogrammatik verwendet wurde. Ferner legte die Arbeit als Ausgangspunkt die Gesamtheit des europäischen Themenspektrums zugrunde. Die darauf aufbauende systematische Analyse der adressierten EU-Themen ermöglichte systematische und tiefergehende Ergebnisse zu den europäischen Policy-Themen, die im Vergleich zu den EU-Polity-Themen und der EU-Integrationsdimension deutlich weniger Beachtung in der Forschung erfahren. Ein weiterer Beitrag zur Europäisierungsforschung liegt in der systematischen Reflexion der EU-Handlungsagenda als Einflussfaktor auf die Politikartikulation

© Der/die Autor(en), exklusiv lizenziert durch Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2021 S. John, Europäische Themen in deutschen Parteiorganisationen, Empirische Studien zur Parteienforschung, https://doi.org/10.1007/978-3-658-34797-0_21

459

460

21

Schlussbetrachtung und Ausblick

von Parteien und in der herausgearbeiteten, unterschiedlichen Bedeutung der EUAgenda für die Themenselektion. Bislang blieb die Verbindung zwischen der europäischen Agenda und den parteipolitischen Inhalten in der Forschung unterrepräsentiert, da zumeist die Präsenz von EU-Themen in der Politikartikulation bereits als Adaption der EU-Agenda interpretiert wird. Im Rahmen dieser Arbeit wurde dagegen themenspezifisch die direkte Verbindung hergestellt. Die Ergebnisse unterstreichen deutlich, dass die nationalen Parteien ihre Aufmerksamkeit auf die EU-Ebene richten und Themen adaptieren, jedoch zum Teil sehr selektiv. Damit ist letztlich keine abschließende normative Bewertung dessen nötig, was als angemessene Europäisierung gilt. Denn wenn der Blick darauf gerichtet ist, inwieweit die entscheidenden Themen tatsächlich von den Parteien aufgegriffen und bearbeitet werden, können objektive Aussagen dazu getroffen werden. Für die Parteiorganisationsforschung liegt der zentrale Beitrag dieser theoretisch-empirischen Arbeit in der untersuchten Perspektive auf eine inhaltlich orientierte Aufgabenteilung zwischen den Parteiakteuren. Erstmalig in der Parteienforschung wurde der Fokus auf die innerparteiliche Aufgabenteilung gelegt und dafür relevante Merkmale der Politikartikulation unter diesem Blickwinkel untersucht. Der systematische Vergleich erfolgte anhand der Politikartikulation mehrerer deutscher Parteien und lieferte Erkenntnisse über innerparteiliches Verhalten anhand der Beobachtung des Outputs der Parteiakteure. Dies stellt eine Besonderheit in der Herangehensweise in der Parteiorganisationsforschung dar, weil gewöhnlich die innerparteiliche Perspektive auf die deutschen Parteien in hohem Maße auf den Input und damit auf innerparteiliche Prozesse gerichtet ist und hierfür zumeist Fallstudien zu einzelnen deutschen Parteien vorliegen. Im Ergebnis zeigte sich, dass die Politikartikulation der innerparteilichen Akteure über Parteigrenzen hinweg durchaus vergleichbar ist und somit weniger das Parteiorganisationsverständnis als vielmehr die Arbeitsteilung der Akteure maßgeblichen Einfluss dafür hat. Die Ergebnisse zur Aufgabenteilung sind auch deshalb besonders aufschlussreich, da die Muster zwar ausschließlich anhand europäischer Themenselektion aufgedeckt wurden, die arbeitsteilige Perspektive aber aus den grundlegenden Aufgaben abgeleitet wurde. Der vorliegende Test legt also nahe, dass es sich hier um „gängige“ Muster handelt, die auch für andere, nationale Themen gelten könnten. Infolgedessen geben diese Ergebnisse einen starken Hinweis darauf, dass der Umgang mit europäischen Angelegenheiten in die zugrundeliegenden innerparteilichen Organisationsmuster der Politikformulierung absorbiert ist und empirische Evidenz für die im Rahmen der Europäisierungsforschung geäußerte Adaptionshypothese vorliegt.

21

Schlussbetrachtung und Ausblick

461

Die aufgedeckten Ergebnisse führen auch zu einer gewissen Entzauberung der Bedeutung der Parteielite, die immer wieder in der Europäisierungsliteratur herausgestellt wird, wenn es um die Europäische Integration und um die europäischen Themen geht. Im Hinblick auf die Parteiführung (als eine wichtige Gruppe der Parteielite) zeigt sie sich nur für die CDU ein dominierender Effekt bei der Themenselektion. Zugleich besteht allerdings ein Einfluss der Europaabgeordneten auf die Themenauswahl, eine weitere Gruppe der (europäischen) Parteieliten. Der dritte wesentliche Mehrwert zur Parteienforschung resultiert aus der vergleichenden Betrachtung der Politikartikulation über die gesamte Wahlperiode. Mit dem Nachweis von signifikanten Unterschieden zwischen dem direkten Wahlkontext und der weiteren Politikartikulation wurde ein Beitrag zum IssueOwnership-Ansatz geleistet, welcher äußerst prägend für die empirische Parteienforschung zu politischen Themen im Parteienwettbewerb ist und die besondere Hervorhebung von Kernthemen im Wahlkampf bislang nur als Annahme liefert. Des Weiteren unterstreichen die verschiedenen Analyseergebnisse eine hohe Relevanz des angewandten Abstraktionsniveaus in der Datenerfassung und Datenauswertung, denn mitunter unterscheiden sich die Ergebnisse in Abhängigkeit vom Abstraktionsniveau. Dies ist von hoher Bedeutung für die Parteienforschung, die in hohem Maße auf Textanalysen setzt und zu oft das angewandte Abstraktionsniveau unreflektiert verwendet. Auch bieten sich die neu entwickelten und eingesetzten analytischen Instrumente als Grundlage für andere, weiterführende Analysen an. So wurde mit der Ermittlung des formellen Stellenwerts des Prinzipals ein Vergleichsinstrument entworfen, um die Parteiorganisationen gegenüberzustellen. Dies stellt ein wichtiges Hilfsmittel dar, da die Literatur zu den deutschen Parteiorganisationen bisher in hohem Maße von Einzelstudien geprägt ist. Des Weiteren wurden Werkzeuge und Indizes für die Analyse von Themen in der Parteiorganisationsperspektive entwickelt, z. B. das Konzept der thematischen Durchdringung. Dieses ist auch auf nicht-europäische Themen übertragbar und könnte breite Anwendung finden. Das feingliedrige Kategoriensystem zum europäischen Themenkomplex, das kompatibel zum CAP-Kategoriensystem ist, bietet Grundlage für die empirische Untersuchung der politischen Kommunikation weiterer Parteien und stellt die Anschlussfähigkeit an andere Studien sicher. Potenziale der geleisteten fundierten Absicherung und Erhebung politischer Aussagen können für computergestützte Textanalysen abgeschöpft werden.

462

21

Schlussbetrachtung und Ausblick

Mit dem gewählten Untersuchungsdesign sind aber auch Limitationen verbunden: Die im Rahmen der Untersuchung betrachteten deutschen Parteien waren im Untersuchungszeitraum Akteure in einem Parteiensystem, für das der Permissive Consensus zur EU-Integration kennzeichnend war. Damit wurde aber die formulierte Vermutung nicht überprüfbar, wonach die Anreize für nationale Parteien, sich dem europäischen Themenspektrum über die gesamte Wahlperiode zu widmen und hierbei insbesondere europäischen Policy-Themen Aufmerksamkeit zu schenken, unabhängig von ihrer eingenommenen Position zur EU-Integration bestehen. Die empirische Evidenz aus länderübergreifenden Analysen verdeutlicht zwar, dass eine EU-kritische Haltung zu einer höheren Relevanz von EU-PolityThemen in Europawahlprogrammen führt und somit die Perspektive auf Policy abgeschwächt wird (Braun et al. 2016). Jedoch legen die empirischen Ergebnisse dieser Arbeit nahe, auf dieser Basis nicht auf die Politikartikulation der gesamten Wahlperiode zu schließen. Die Berücksichtigung dieses theoretischen Arguments zur Bedeutung von europäischen Policy-Themen bleibt für nachfolgende Studien relevant, insbesondere vor dem Hintergrund einer gestiegenen Anzahl euroskeptischer Parteien (Emanuele und Chiaramonte 2018). Eine weitere Limitation folgt aus dem erklärten Ziel, nicht umfänglich Einflussfaktoren auf Themenselektion von Parteien ergründen zu wollen, sondern sich auf wenige zentrale Einflussfaktoren auf die Politikartikulation zu fokussieren. Damit blieb die Arbeit aber blind gegenüber anderen Faktoren, die einen Einfluss auf die Themenselektion der innerparteilichen Akteure nehmen können. Weitere Erklärungen ließen sich beispielsweise durch eine Einbettung der hier aufgedeckten innerparteilichen Selektion in den Kontext des Parteienwettbewerbs herausfinden, indem etwa die Dynamiken der parteiwettbewerblichen Themenselektion einfließen oder der Einfluss der Medien auf die Thematisierung europäischer Angelegenheiten Berücksichtigung findet. Zugleich repräsentiert der gewählte Fokus auf wenige Faktoren einen Startpunkt für zukünftiges Forschungspotenzial, das darin besteht, die hier aufgedeckte Auswahl des facettenreichen europäischen Themenspektrums weiterführend zu erklären. Als weiterführend haben sich hier im Laufe der Arbeit folgende Aspekte herausgestellt: Im Zusammenhang mit Forschungsfragen zur Themenselektion von Parteien könnte die Frage der Nichtselektion näher in Augenschein genommen werden. Als besonders spannender Aufhänger werden hier die Ergebnisse aus der FDP betrachtet, die das Thema geografische Erweiterung im Wahlkontext betont und sogar noch stärker betont als die anderen Parteien. Das Thema war jedoch kaum relevant für die innerparteilichen Akteure! Weshalb aber nicht? Häufig wird als Erklärung für die Nichtselektion im Kontext europäischer Themen auf

21

Schlussbetrachtung und Ausblick

463

den innerparteilichen Dissens verwiesen, insbesondere wenn es sich um ein EU-Integrationsthema handelt (Steenbergen und Scott 2004; Hellström 2008; Hellström und Blomgren 2016). Doch wie plausibel ist das Meiden eines Themas aus Gründen eines innerparteilichen Konflikts über einen längeren Zeitraum? Nachvollziehbar ist eine gewisse Zurückhaltung aufgrund einer kurzfristigen Uneinigkeit. Aber das Aufrechterhalten des Schweigens bei innerparteilichen Konflikten zu einem Thema über einen Zeitraum mehrerer Jahre ist für Parteien nicht überzeugend; vor allem nicht in Parteien mit einem stärkeren Prinzipal. Weiterhin bieten sich die bereits angesprochenen unterschiedlichen Standpunkte zu EU-Themen für eine fruchtbare Fortsetzung der empirischen Analysen im Kontext des hier präsentierten theoretischen Rahmens an. Mit dem theoretischen Argument wurde unter anderem herausgestellt, dass sich die Kompetenz nicht nur darin auszeichnet zu erkennen, welche Themen auf der EU-Ebene relevant sind (Signaling Awareness), sondern auch dadurch, die damit zusammenhängenden Probleme und ggf. Lösungsansätze zu thematisieren. Eine Konsequenz daraus könnte sein, dass sich die innerparteilichen Akteure besonders verstärkt den EU-Angelegenheiten widmen, denen sie kritisch gegenüberstehen. Im Hinblick auf die Aufgabenteilung in der Politikartikulation könnte überprüft werden, ob hier unterschiedliche Haltungen artikuliert werden und ob tatsächlich kritische Haltungen von allen Akteuren vertreten werden. Bedingt durch die stärkere Orientierung der Fraktion an der EU-Handlungsagenda ist es durchaus möglich, dass eher die Fraktionen kritische Punkte adressieren und hier eine Fire-Alarm-Rolle ausüben. Dadurch könnte gleichermaßen der Wählermarkt auf Themen aufmerksam gemacht werden und kritische Signale an die parlamentarische Vertretung auf europäischer Ebene und/oder an nationale Regierungen gesendet werden. Unabhängig davon, mit welchem Anliegen eingenommene Standpunkte zu den europäischen Themen in die innerparteiliche Perspektive integriert werden, ist basierend auf den gewonnenen fundierten inhaltsanalytischen Kenntnissen für zukünftige Forschungsansätze eine differenziertere Reflexion von politischen Standpunkten empfehlenswert: Als erstes ist zu bedenken, dass die einzelnen Politikfelder viele verschiedene, facettenreiche Maßnahmen vereinen, und dass sich im Rahmen der inhaltsanalytischen Aufbereitung der Daten eine erhebliche Diversität an Standpunkten in den einzelnen Politikfeldern gezeigt hat. Daher wird die Ableitung von (abstrakten) Positionen zu europäischen Politikfeldern als wenig zielführend bewertet. Als zweites müsste bei Äußerungen von nationalen Parteiakteuren zu EU-Themen stärker reflektiert werden, dass im Laufe von Verhandlungen nicht nur zu unterschiedlichen Zeitpunkten, sondern ggf. auch zu einem unterschiedlichen Entwicklungsstand oder zu abweichenden Aktivitäten eines europäischen Akteurs Stellung bezogen wird.

464

21

Schlussbetrachtung und Ausblick

Weiteres Forschungspotenzial leitet sich aus dem hier angewandten Konzept der thematischen Durchdringung von Parteiorganisationen ab. In Verbindung mit diffusionstheoretischen Ansätzen, die insbesondere in der Innovations- und Policy-Forschung etabliert sind, könnten weiterführend die Diffusion von Themen in Parteiorganisationen unter Berücksichtigung der Komponente Zeit beobachtet und daraus Aussagen über die innerparteiliche Aufgabenteilung und das innerparteiliche Themenmanagement abgeleitet werden. So könnte etwa die Rolle der Fraktion als Agenda-Setter für Policy-Themen in der Partei empirisch fundiert werden oder überprüft werden, dass die Parteiführung als besondere Schnittstelle für Themen zwischen Fraktion und Parteitag Impulse für die thematische Durchdringung setzt. Erkenntnisreich wären hier auch weiterführende Analysen, die die Politikartikulation der innerparteilichen Akteure in den Zusammenhang mit der Wahlprogrammatik setzt. Die im Rahmen dieser Arbeit aufgedeckten Muster wiesen auf eine höhere Ähnlichkeit zwischen den Fraktionen und den Wahlprogrammen und auf eine vergleichsweise geringe Ähnlichkeit zwischen der Politikartikulation der Parteiführungen und den Wahlprogrammen hin. Zudem war die Wichtigkeit der EU-Politikfelder zwischen Parteitag und der Bundestagswahlprogrammatik weitaus ähnlicher als zwischen Parteitag und den Europawahlprogrammen. Zu guter Letzt trägt das neu gewonnene Wissen über die Präsenz insbesondere von EU-Policy-Angelegenheiten in den nationalen Parteien dazu bei, die Beziehung zwischen den nationalen Parteien und ihren Repräsentanten im Europäischen Parlament neu zu reflektieren. Das Verständnis von EU-Parlamentariern als unabhängige „Satelliten“ scheint zunehmend weniger tragfähig, bleibt doch die Politikartikulation von innerparteilichen Akteuren unmittelbar verbunden mit Signalen für das politische Handeln. Die Forschung adressiert seit längerem, inwieweit die Zugehörigkeit zur nationalen Partei das Abstimmungsverhalten der EP-Abgeordneten beeinflusst (Hix 2002; Hix et al. 2007; Thiem 2009; Klüver und Spoon 2013). Inwieweit die Standpunkte der nationalen Parteiorganisationen zu europäischen Legislativverfahren eine Rolle für das parlamentarische Handeln spielen, ließe sich mit der im Rahmen dieser Arbeit neu generierten Datengrundlage aufdecken. Zugleich führt diese Verbindung von Politikartikulation und legislativem Handeln zum Kernbereich von Glaubwürdigkeit, die als drittes immaterielles Gut in der theoretischen Argumentation aufgegriffen wurde und sich unter anderem aus der Konsistenz zwischen politischen Aussagen und Handeln erzielen lässt. Vor dem Hintergrund der jüngsten Entwicklungen in Europa ist dies ein Feld, das für weitere theoretische sowie politische Überlegungen und empirische Untersuchungen lohnenswert scheint.

21

Schlussbetrachtung und Ausblick

465

Neben den vielfältigen Ergebnissen der Arbeit wurde zuletzt eine Reihe von Fragestellungen aufgelistet, die entweder aus Begrenzungen des Forschungsdesigns oder aus neu gewonnenen Erkenntnissen resultieren. Insbesondere versprechen die neu entwickelten Instrumente ergänzende Sichtweisen auf bisher ungeklärte oder lediglich vermutete Zusammenhänge in der Parteienforschung, so dass mit Spannung auf die weitere Forschung geblickt werden kann.

Literatur

Achen, Christopher H. (2001): Why Lagged Dependent Variables Can Suppress the Explanatory Power of Other Independent Variables, https://www.princeton.edu/csdp/events/Ach en121201/achen.pdf. Adam, Silke, Eva-Maria Antl-Wittenberg, Beatrice Eugster, Melanie Leidecker-Sandmann, Michaela Maier und Franzisca Schmidt (2017): Strategies of pro-European parties in the face of a Eurosceptic challenge, European Union Politics, 18:2, S. 260–282. Alexa, Melina und Cornelia Zuell (2000): Text Analysis Software: Commonalities, Differences and Limitations: The Results of a Review, Quality & Quantity, 34:3, S. 299–321. Alexandrova, Petya, Marcello Carammia, Sebastian Princen und Arco Timmermans (2014): Measuring the European Council agenda: Introducing a new approach and dataset, European Union Politics, 15:1, S. 152–167. Alexandrova, Petya, Marcello Carammia, Sebastian Princen und Arco Timmermans (2015): European Union Policy Agendas Project Codebook, Version 3.3 – April 2015. Allison, Paul D. (2008): Convergence Failures in Logistic Regression, SAS Global Forum 2008 – Statistics and Data Analysis:Paper 360–2008. Andreß, Hans-Jürgen, Jaques A. Hagenaars und Steffen Kühnel (1997): Analyse von Tabellen und kategorialen Daten. Log-lineare Modelle, latente Klassenanalyse, logistische Regression und GSK-Ansatz, Berlin, Heidelberg: Springer Verlag. Archiv für Christlich-Soziale Politik (2010): CSU-Parteitage 1946–2000: Repertorium, München, Hanns Seidel Stiftung, http://www.hss.de/fileadmin/media/downloads/Publik ationen/CSU_Parteitage_1946-2000.pdf. Archiv für Christlich-Soziale Politik (2011): Die Landesversammlungen/Parteitage der CSU, München, Hanns Seidel Stiftung. Archiv für Christlich-Soziale Politik (2013): Ergebnisse der Wahlen zum Parteivorsitzenden, München, Hanns Seidel Stiftung, http://www.hss.de/fileadmin/media/downloads/ACSP/ CSU_Neu/2013-CSU-Parteivorsitzende-Wahlergebnisse.pdf. Archiv für Christlich-Soziale Politik (2014): Chronologie zur Geschichte der CSU (1945– 2013), München, Hanns Seidel Stiftung.

© Der/die Herausgeber bzw. der/die Autor(en), exklusiv lizenziert durch Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2021 S. John, Europäische Themen in deutschen Parteiorganisationen, Empirische Studien zur Parteienforschung, https://doi.org/10.1007/978-3-658-34797-0

467

468

Literatur

Arnold, Christine, Eliyahu V. Sapir und Catherine de Vries (2012): Parties’ Positions on European Integration: Issue Congruence, Ideology or Context?, West European Politics, 35:6, S. 1341–1362. Arzheimer, Kai (2009): Ideologien, in: Kaina, Viktoria und Andrea Römmele (Hrsg.): Politische Soziologie – Ein Studienbuch, Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften, S. 83–108. Auel, Katrin (2005): Europäisierung nationaler Politik, in: Bieling, Hans-Jürgen und Marika Lerch (Hrsg.): Theorien der europäischen Integration, Opladen: Leske + Budrich (UTB), S. 293–318. Auel, Katrin (2007): Democratic Accountability and National Parliaments: Redefining the Impact of Parliamentary Scrutiny in EU Affairs, European Law Journal, 13:4, S. 487–504. Auel, Katrin (2011): Europäisierung der parlamentarischen Demokratie – theoretische Perspektiven und methodologische Herausforderungen, in: Abels, Gabriele und Annegret Eppler (Hrsg.): Auf dem Weg zum Mehrebenenparlamentarismus? Funktionen von Parlamenten im politschen System der EU, Baden-Baden: Nomos Verlagsgesellschaft, S. 65–77. Auel, Katrin und Arthur Benz (2003): National Parliaments in EU Multilevel Governance – Strategies of Adaptation, Fernuniversität Hagen: 8.–10. Mai 2003. Auel, Katrin und Arthur Benz (2005): The Politics of Adaptation: The Europeanisation of National Parliamentary Systems, The Journal of Legislative Studies, 11:3/4, S. 372–393. Auel, Katrin und Berthold Rittberger (2006): Fluctuant nec merguntur: the European Parliament, National Parliaments, and European Integration, in: Richardson, Jeremy (Hrsg.): European Union: Power and Policy-Making, London: Routledge, S. 121–145. Aylott, Nicholas, Laura Morales und Luis Ramiro (2007): Some things change, a lot stays the same. Comparing the country studies, in: Poguntke, Thomas, Nicholas Aylott, Elisabeth Carter, Robert Ladrech und Kurt Richard Luther (Hrsg.): The Europeanization of National Political Parties: Power and organizational adaption, London, New York: Routledge, S. 190–210. Bäck, Hanna, Marc Debus und Heike Klüver (2014): Bicameralism, intra-party bargaining, and the formation of party policy positions: Evidence from the German federal system, Party Politics, S. 1–13. Bakker, Ryan, Catherine De Vries, Erica Edwards, Liesbet Hooghe, Seth Jolly, Gary Marks, Jonathan Polk, Jan Rovny, Marco Steenbergen und Milada Anna Vachudova (2015): Measuring party positions in Europe: The Chapel Hill expert survey trend file, 1999–2010, Party Politics, 21:1, S. 143–152. Bartsch, Dietmar (Hrsg.) (1997): Partei des Demokratischen Sozialismus: Statut, Stand: Januar 1997, Signatur: 02 A 340: Rosa-Luxemburg-Stiftung. Baumgartner, Frank R., Bryan D. Jones und John Wilkerson (2011): Comparative Studies of Policy Dynamics, Comparative Political Studies, 44:8, S. 947–972. Baumgartner, Frank R., Bryan D. Jones, Steven Wilkinson und Scott Alder (2013): Topics Codebook: Policy Agenda Project 2013, http://www.policyagendas.org/page/topic-cod ebook, 01.06.2013. Beach, Derek, Kasper M. Hansen und Martin V. Larsen (2017): How Campaigns Enhance European Issues Voting During European Parliament Elections, Political Science Research and Methods, 6:4, S. 791–808.

Literatur

469

Beck, Nathaniel und Jonathan N. Katz (1995): What to do (and not to do) with Time-Series Cross-Section Data, The American Political Science Review, 89:3, S. 634–647. Bennett, Andrew (2010): Process Tracing and Causal Inference, in: Brady, Henry E. und David Collier (Hrsg.): Rethinking Social Inquiry: Diverse Tools, Shared Standards, 2. Auflage, Lanham, Boulder, New York, Toronto, Plymouth: Rowan & Littlefield Publishers, S. 207–219. Benoit, Kenneth und Michael Laver (2006): Party Politics in Modern Democracies, elektronische Version, London, New York: Routledge. Benoit, Kenneth und Michael Laver (2007): Estimating party policy positions: Comparing expert surveys and hand-coded content analysis, Electoral Studies, 26:1, S. 90–107. Benoit, Kenneth und Michael Laver (2010): Estimating Irish party policy positions using computer wordscoring: the 2002 election – a research note, Irish Political Studies, 18:1, S. 97–107. Benoit, Kenneth, Michael Laver und Slava Mikhaylov (2009): Treating Words as Data with Error: Uncertainty in Text Statements of Policy Positions, American Journal of Political Science, 53:2, S. 495–513. Bevan, Shaun (2014a): The Comparative Agendas Project Master Codebook – List of Topics, https://dl.dropboxusercontent.com/u/552280/CAPMasterCodebook/Mas terCodebookTopics.csv, 20.04.2015. Bevan, Shaun (2014b): Gone Fishing: The Creation of the Comparative Agendas Project Master Codebook, ECPR General Conference, 3.–6. September 2014, University of Glasgow, Glasgow. Binder, Tanja und Andreas M. Wüst (2004): Inhalte der Europawahlprogramme deutscher Parteien 1979–1999, Aus Politik und Zeitgeschichte, B 17, S. 38–45. Blondel, Jean, Richard Sinnott und Palle Svensson (1997): Representation and voter participation, European Journal of Political Research, 32:2, S. 243–272. Börzel, Tanja A. (2005): Mind the gap! European integration between level and scope, Journal of European Public Policy, 12:2, S. 217–236. Bösch, Frank (2007): Christlich Demokratische Union Deutschlands (CDU), in: Decker, Frank und Viola Neu (Hrsg.): Handbuch der deutschen Parteien, Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften, S. 201–219. Brandsma, Gijs Jan (2010): Backstage Europe: Comitology, accountability and democracy in the European Union, Utrecht, Universität Utrecht. Braun, Daniela, Swen Hutter und Alena Kerscher (2016): What type of Europe? The salience of polity and policy issues in European Parliament elections, European Union Politics, 17:4, S. 570–592. Braun, Daniela, Slava Mikhaylov und Hermann Schmitt (2010): Manifesto Study Documentation Advance Release (user beware/ pre-release B), 22/07/2010, www.pirede u.eu. Braun, Daniela, Maike Salzwedel, Christian Stumpf und Andreas M. Wüst (2007): Euromanifesto Documentation, Mannheim: MZES. Bräuninger, Thomas und Marc Debus (2012): Parteienwettbewerb in den deutschen Bundesländern, Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften. Bräuninger, Thomas, Marc Debus und Jochen Müller (2013): Estimating Policy Positions of Political Actors Across Countries and Time, Arbeitspapiere – Mannheimer Zentrum für Europäische Sozialforschung: 153.

470

Literatur

Brunsbach, Sandra, Stefanie John, Andrea Volkens und Annika Werner (2011): Wahlprogramme im Vergleich, in: Tenscher, Jens (Hrsg.): Superwahljahr 2009. Vergleichende Analysen aus Anlass der Wahlen zum Deutschen Bundestag und zum Europäischen Parlament, Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften, S. 41–64. Brunsbach, Sandra, Stefanie John und Annika Werner (2012): The Supply Side of SecondOrder Elections: Comparing German National and European Election Manifestos, German Politics, 21:1, S. 91–115. Bruter, Michael (2003): Developments in the Member States, Journal of Common Market Studies, 41:Annual Review, S. 137–155. Budge, Ian (2001a): Theory and Measurement of Party Policy Positions, in: Budge, Ian, HansDieter Klingemann, Andrea Volkens, Judith Bara und Eric Tanenbaum (Hrsg.): Mapping Policy Preferences. Estimates for Parties, Electors, and Governments 1945–1998, Oxford, New York: Oxford University Press, S. 75–90. Budge, Ian (2001b): Validating the Manifesto Research Group Approach. Theoretical Assumptions and Empirical Confirmations, in: Laver, Michael (Hrsg.): Estimating the Policy Positions of Political Actors, London, New York: Routledge, S. 50–65. Budge, Ian (2015): Issue Emphases, Saliency Theory and Issue Ownership: A Historical and Conceptual Analysis, West European Politics, 38:4, S. 761–777. Budge, Ian und Judith Bara (2001): Manifesto-based Research: A Critical Review, in: Budge, Ian, Hans-Dieter Klingemann, Andrea Volkens, Judith Bara und Eric Tanenbaum (Hrsg.): Mapping Policy Preferences. Estimates for Parties, Electors, and Governments 1945– 1998, Oxford, New York: Oxford University Press, S. 51–73. Budge, Ian und Dennis J. Farlie (1983): Explaining and Predicting Elections: Issue Effects and Party Strategies in Twenty-Three Democracies, London: George Allen & Unwin. Budge, Ian, Hans-Dieter Klingemann, Andrea Volkens, Judith Bara und Eric Tanenbaum (Hrsg.) (2001): Mapping Policy Preferences. Estimates for Parties, Electors, and Governments 1945–1998, Oxford, New York: Oxford University Press. Bukow, Sebastian (2009): Parteireformen zwischen Mythos und Notwendigkeit: Wandel und Zukunft der Mitgliederpartei, in: Schalt, Fabian, Micha Kreitz, Fabian Magerl, Katrin Schirrmacher und Florian Melchert (Hrsg.): Neuanfang statt Niedergang – Die Zukunft der Mitgliederparteien, Berlin: LIT Verlag, S. 321–332. Bukow, Sebastian (2013): Die professionalisierte Mitgliederpartei. Politische Parteien zwischen institutionellen Erwartungen und organisationaler Wirklichkeit, Wiesbaden: Springer VS. Bukow, Sebastian und Thomas Poguntke (2013): Innerparteiliche Organisation und Willensbildung, in: Niedermayer, Oskar (Hrsg.): Handbuch Parteienforschung, Wiesbaden: Springer VS, S. 179–209. Bulmer, Simon (1994): Institutions, Governance Regimes and the Single European Market: Analyzing the Governance of the European Union, Conference of Europeanists, Chicago, 31.3. – 2.4.1994. Bündnis90/Die Grünen (1998): Satzung des Bundesverbandes Bündnis 90/Die Grünen, Stand: Dezember 1998, Signatur: 051–8 (1998–12): Archiv Grünes Gedächtnis. Bündnis90/Die Grünen (2007): Satzung des Bundesverbandes Bündnis 90/Die Grünen, Stand: 25.11.2007. Buonanno, Laurie und Neill Nugent (2013): Policies and Policy Processes of the European Union, Houndsmills, Basingstoke, Hampshire: Palgrave Macmillan.

Literatur

471

Carrubba, Clifford J. (2001): The Electoral Connection in European Union Politics, Journal of Politics, 63:1, S. 141–158. Carter, Elisabeth und Thomas Poguntke (2010): How European Integration Changes National Parties: Evidence from a 15-Country Study, West European Politics, 33:2, S. 297–324. CDU (1996): Statut, Stand: 1.12.1996. Clemens, Clayton und Thomas Saalfeld (2008): Introduction, in: Clemens, Clayton und Thomas Saalfeld (Hrsg.): The German Election of 2005: Voters, Parties and Grand Coalition Politics, London, New York: Routledge, S. 1–12. Colby, Sarah, Sophia Lee, Juan Pablo Lewinger und Shelley Bull (2010): pmlr: Penalized Multinomial Logistic Regression, 1.0, https://CRAN.R-project.org/package=pmlr. Cook, Douglas O., Robert Kieschnick und B.D. McCullough (2008): Regression analysis of proportions in finance with self selection, Journal of Empirical Finance, 15, S. 860–857. Copsey, Nathaniel und Tim Haughton (2010): Editorial: 2009, a Turning Point for Europe?, Journal of Common Market Studies, 48:Annual Review, S. 1–6. Cox, Gary W. und Mathew D. McCubbins (1993): Legislative leviathan: party government in the House, Berkeley, Los Angeles: University of California Press. Craig, Paul (2013): The Lisbon Treaty. Law, Politics and Treaty Reform, Oxford: Oxford University Press. CSU (1999): Satzung. Fassung vom 8. Oktober 1999, Website-Archiv vom 22.11.2000. CSU (2002): Satzung. Fassung vom 23. November 2002, Website-Archiv vom 12.08.2004. CSU (2008): Satzung, Stand: Oktober 2008. Däubler, Thomas (2012a): The Preparation and Use of Election Manifestos: Learning from the Irish Case, Irish Political Studies, 27:1, S. 51–70. Däubler, Thomas (2012b): Wie entstehen Wahlprogramme? Eine Untersuchung zur Landtagswahl in Baden-Württemberg 2006, Zeitschrift für Politikwissenschaft, 22:3, S. 333–365. Däubler, Thomas, Kenneth Benoit, Slava Mikhaylov und Michael Laver (2012): Natural Sentences as Valid Units for Coded Political Texts, British Journal of Political Science, 42:4, S. 937–951. De Sio, Lorenzo, Mark N. Franklin und Till Weber (2016): The risks and opportunities of Europe: How issue yield explains (non-)reactions to the financial crisis, Electoral Studies, 44, S. 483–491. De Vries, Catherine E. (2007): Sleeping Giant: Fact or Fairytaile? How European Integration Affects National Elections, European Union Politics, 8:3, S. 363–385. Debus, Marc (2009): Analysing Party Politics in Germany with New Approaches for Estimating Policy Preferences of Political Actors, German Politics, 18:3, S. 281–300. Debus, Marc und Jochen Müller (2013): The Programmatic Development of CDU and CSU since Reunification: Incentives and Constraints for Changing Policy Positions in the German Multi-Level System, German Politics, 22:1–2, S. 151–171. Deiß, Matthias (2003): Die Führungsfrage. CDU und CSU im zwischenparteilichen Machtkampf , München: Schriftenreihe der Forschungsgruppe Deutschland. Deschouwer, Kris (2006): Political Parties as Multi-Level Organizations, in: Katz, Richard S. und William Crotty (Hrsg.): Handbook of Party Politics, London: SAGE Publications Ltd., S. 291–300. Deutscher Bundestag (2011): Datenhandbuch zur Geschichte des Deutschen Bundestages: 1990–2010 (Online-Version), https://www.bundestag.de/datenhandbuch. DIE LINKE (2009): Bundessatzung der Partei DIE LINKE, Stand: 28.02.2009.

472

Literatur

Dinan, Desmond (2002): Institutions and Governance 2001–02: Debating the EU’s Future, Journal of Common Market Studies, 40:Annual Review, S. 29–43. Dinan, Desmond (2003): Governance and Institutions: Anticipating the Impact of Enlargement, Journal of Common Market Studies, 41:Annual Review, S. 27–43. Dinan, Desmond (2004): Governance and Institutions: The Convention and the Intergovernmental Conference, Journal of Common Market Studies, 42:Annual Review, S. 27–42. Dinan, Desmond (2005): Governance and Institutions: A New Constitution and a New Commission, Journal of Common Market Studies, 43:Annual Review, S. 37–54. Dinan, Desmond (2007): Governance and Institutional Developments: Coping Without the Constitutional Treaty, Journal of Common Market Studies, 45:Annual Review, S. 67–87. Dinan, Desmond (2008): Governance and Institutional Developments: Ending the Constitutional Impasse, Journal of Common Market Studies, 46:Annual Review, S. 71–90. Dinan, Desmond (2010): Institutions and Governance: A New Treaty, a Newly Elected Parliament and a New Commission, Journal of Common Market Studies, 48:Annual Review, S. 95–118. Dittberner, Jürgen (2010): Die FDP. Geschichte, Personen, Organisation, Perspektiven. Eine Einführung: VS Verlag für Sozialwissenschaften. Dolezal, Martin, Laurenz Ennser-Jedenastik, Wolfgang C. Müller und Anna Katharina Winkler (2012): The Life Cycle of Party Manifestos: The Austrian Case, West European Politics, 35:4, S. 869–895. Dolezal, Martin, Laurenz Ennser-Jedenastik, Wolfgang C. Müller und Anna Katharina Winkler (2014): How parties compete for votes: A test of saliency theory, European Journal of Political Research, 53:1, S. 57–76. Dougan, Michael (2010): Legal Developments, Journal of Common Market Studies, 48:Annual Review, S. 163–181. Downs, Anthony (1957): An Economic Theory of Democracy, New York: Harper. Downs, Anthony (1968): Ökonomische Theorie der Demokratie, Tübingen: J.C.B. Mohr (Paul Siebeck). Eisele, Celia (2012): Europa im parlamentarischen Alltag: Die Europäisierung der Bundestagsfraktion Bündnis 90/Die Grünen, Tübinger Arbeitspapiere zur Integrationsforschung, 2012: 7. Eising, Rainer (2006): Europäisierung und Integration. Konzepte in der EU-Forschung, in: Jachtenfuchs, Markus und Beate Kohler-Koch (Hrsg.): Europäische Integration, unveränderter Nachdruck der 2. Auflage, Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften. Emanuele, Vincenzo und Alessandro Chiaramonte (2018): A growing impact of new parties: Myth or reality? Party system innovation in Western Europe after 1945, Party Politics, 24:5, S. 475–487. Endruweit, Günter (2004): Organisationssoziologie, 2., überarbeitete und erweiterte Auflage, Stuttgart: Lucius & Lucius Verlagsgesellschaft mbH (UTB). FDP (1999): Bundessatzung der Freien Demokratischen Partei, Stand: Mai 1999; LotusDatenbank „Dokumente Presse FDP“, archiviert als pdf-Dokument, Signatur IN5–119: Archiv des Liberalismus. FDP (2005): Geschäftsbericht 2003–2005. FDP (2007): Geschäftsbericht der Freien Demokratischen Partei 2005–2007. FDP (2009): Bundessatzung der Freien Demokratischen Partei. Fassung vom 15. Mai 2009.

Literatur

473

Ferrari, Silvia L. P. und Francisco Cribari-Neto (2004): Beta Regression for Modelling Rates and Proportions, Journal of Applied Statistics, 31:7, S. 799–815. Field, Andy, Jeremy Miles und Zoë Field (2013): Discovering Statistics Using R, London, Thousand Oaks, New Delhi: SAGE. Fink, Simon (2008): Forschungspolitik zwischen Innovation und Lebensschutz: Die Determinanten von Embryonenforschungspolitiken im internationalen Vergleich, Baden-Baden: Nomos. Frank, Thomas (2004): What’s the matter with Kansas? How Conservatives won the Heart of America, New York: Metropolitan Books. Franklin, Mark N., Cees Van der Eijk und Erik Oppenhuis (1996): The Institutional Context: Turnout, in: Van der Eijk, Cees und Mark N. Franklin (Hrsg.): Choosing Europe? The European Electorate and National Politics in the Face of Union, Ann Arbor: Michigan University Press. Franzmann, Simon (2008): Programmatische Konvergenz innerhalb der westeuropäischen Parteienfamilien? Ein Vergleich von christ- und sozialdemokratischen Parteien in Europa, Österreichische Zeitschrift für Politikwissenschaft, 37:1, S. 79–98. Franzmann, Simon (2009): Der Wandel der Ideologien: Die Transformation des LinksRechts-Gegensatzes in einen themenbasierten Parteienwettbewerb. Eine Analyse von Parteisystemen auf der Basis von Wahlprogrammdaten, http://d-nb.info/100342645x/34. Franzmann, Simon und André Kaiser (2006): Locating Political Parties in Policy Space. A Reanalysis of Party Manifesto Data, Party Politics, 12:2, S. 163–188. Franzmann, Simon T. (2013): Towards a real comparison of left-right indices: A comment on Jahn, Party Politics, S. 1–8, published online: 5 September 2013. Freedman, David A. (2010): On Types of Scientific Inquiry: The Role of Qualitative Reasoning, in: Brady, Henry E. und David Collier (Hrsg.): Rethinking Social Inquiry: Diverse Tools, Shared Standards, 2. Auflage, Lanham, Boulder, New York, Toronto, Plymouth: Rowan & Littlefield Publishers, S. 221–236. Gabel, Matthew J. (2004): Defining the EU political space: an empirical study of the European election manifestos, 1979–1999, in: Marks, Gary und Marco R. Steenbergen (Hrsg.): European Integration and Political Conflict, Cambridge: Cambridge University Press, S. 93–119. Gabel, Matthew J. und Simon Hix (2002): Defining the EU Political Space – An empirical Study of the European Elections Manifestos, 1979–1999, Comparative Political Studies, 35:8, S. 934–964. Gabel, Matthew J. und John D. Huber (2000): Putting Parties in Their Place: Inferring Party Left-Right Ideological Positions from Party Manifestos Data, American Journal of Political Science, 44:1, S. 94–103. Ganghof, Steffen (2005): Kausale Perspektiven in der vergleichenden Politikwissenschaft: X-zentrierte und Y -zentrierte Forschungsdesigns in: Kropp, Sabine und Michael Minkenberg (Hrsg.): Vergleichen in der Politikwissenschaft, Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften, S. 76–93. Gesetz über die Sicherung und Nutzung von Archivgut des Bundes (Bundesarchivgesetz – BArchG) vom 06. Januar 1988 (BGBl. I S. 62), zuletzt geändert durch das Dritte Gesetz zur Änderung des Bundesarchivgesetzes vom 27. Juni 2013 (BGBl. I S. 1888). Göler, Daniel (2009): Europäisierung hat viele Gesichter. Anmerkungen zur Widerlegung des Mythos einer 80-Prozent-Europäisierung, Politische Vierteljahresschrift, 50:1, S. 75–79

474

Literatur

Golub, Jonathan (2007): Survival Analysis and European Union Decision-making, European Union Politics, 8:2, S. 155–179. Golub, Jonathan (2008): The Study of Decision-Making Speed in the European Union, European Union Politics, 9:1, S. 167–179. Golub, Jonathan und Bernard Steunenberg (2007): How Time Affects EU Decision-Making, European Union Politics, 8:4, S. 555–566. Greene, William (2005): Censored Data and Truncated Distribution, https://papers.ssrn.com/ sol3/papers.cfm?abstract_id=825845. Gschwend, Thomas und Frank Schimmelfennig (2007): Forschungsdesign in der Politikwissenschaft: Ein Dialog zwischen Theorie und Daten, in: Gschwend, Thomas und Frank Schimmelpfennig (Hrsg.): Forschungsdesign in der Politikwissenschaft. Probleme – Strategien – Anwendung, Frankfurt/New York: Campus, S. 13–35. Gschwend, Thomas und Frank Schimmelfennig (2011a): Conclusion: Lessons for the Dialogue between Theory and Data, in: Gschwend, Thomas und Frank Schimmelpfennig (Hrsg.): Research Design in Political Science. How to Practice What They Preach, Houndsmills, Basingstoke, Hampshire: Palgrave Macmillan, S. 216–225. Gschwend, Thomas und Frank Schimmelfennig (2011b): Introduction: Designing Research in Political Science – A Dialogue between Theory and Data, in: Gschwend, Thomas und Frank Schimmelpfennig (Hrsg.): Research Design in Political Science. How to Practice What They Preach, Houndsmills, Basingstoke, Hampshire: Palgrave Macmillan, S. 1–18. Heinisch, Reinhard, Emanuele Massetti und Oscar Mazzoleni (2018): Populism and ethnoterritorial politics in European multi-level systems, Comparative European Politics, 16:6, S. 923–936. Heinrich, Gudrun (1993): Basisdemokratie (Regelungen und Revisionen), in: Raschke, Joachim (Hrsg.): Die Grünen. Was sie wurden, was sie sind, Köln: Bund-Verlag, S. 488–498. Heinrich, Gudrun und Joachim Raschke (1993): Parteiapparat, in: Raschke, Joachim (Hrsg.): Die Grünen. Was sie wurden, was sie sind, Köln: Bund-Verlag, S. 571–575. Heinze, Georg (2006): A comparative investigation of methods for logistic regression with separated or nearly separated data, Statistics in Medicine, 25:24, S. 4216–4226. Heinze, Georg und Michael Schemper (2002): A solution to the problem of separation in logistic regression, Statistics in Medicine, 21:16, S. 2409–2419 Helbling, Marc, Dominic Hoeglinger und Bruno Wüest (2010): How political parties frame European integration, European Journal of Political Research, 49:4, S. 496–521. Helbling, Marc und Anke Tresch (2011): Measuring party positions and issue salience from media coverage: Discussing and cross-validating new indicators, Electoral Studies, 30:1, S. 174–183. Hellström, Johan (2008): Partisan responses to Europe: the role of ideology for national political parties’ positions on European integration, Journal of European Public Policy, 15:2, S. 189–207. Hellström, Johan und Magnus Blomgren (2016): Party debate over Europe in national election campaigns: Electoral disunity and party cohesion, European Journal of Political Research, 55:2, S. 265–282. Helms, Ludger (2000): Parliamentary Party Groups and their Parties: A Comparative Assessment, The Journal of Legislative Studies, 6:2, S. 104–120.

Literatur

475

Hempel, Yvonne (2010): Statthalter einer bundespolitischen Partei oder Juniorpartner der Union? Die Stellung der CSU-Landesgruppe in Berlin, in: Hopp, Gerhard, Martin Sebaldt und Benjamin Zeitler (Hrsg.): Die CSU: Strukturwandel, Modernisierung und Herausforderungen einer Volkspartei, Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften, S. 287–308. Hix, Simon (2001): Legislative Behaviour and Party Competition in the European Parliament. An Application of Nominate to the EU, Journal of Common Market Studies, 39:4, S. 663– 688. Hix, Simon (2002): Parliamentary Behavior with two Principals: Preferences, Parties, and Voting in the European Parliament, American Journal of Political Science, 46:3, S. 688– 698. Hix, Simon (2005): The Political System of the European Union, 2. überarbeitete und aktualisierte Auflage, Basingstoke, New York: Palgrave Macmillan. Hix, Simon, Amie Kreppel und Abdul Noury (2003): The Party System in the European Parliament: Collusive or Competitive?, Journal of Common Market Studies, 41:2, S. 309– 331. Hix, Simon und Christopher Lord (1997): Political Parties in the European Union, New York: St. Martin’s Press. Hix, Simon, Abdul G. Noury und Gérard Roland (2007): Democratic Politics in the European Parliament, Cambridge: Cambridge University Press. Hoeglinger, Dominic (2016): The politicisation of European Integration in domestic Election Campaigns, West European Politics, 39:1, S. 44–63. Holtmann, Everhard (2009): Die politische Vorgeschichte der vorgezogenen Bundestagswahl, in: Gabriel, Oscar W., Berhard Weßels und Jürgen W. Falter (Hrsg.): Wahlen und Wähler. Analysen aus Anlass der Bundestagswahl 2005, Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften, S. 15–39. Hönnige, Christoph (2007): Die mittlere Sprosse der Leiter: Fahlauswahl in Forschungsdesigns mit kleiner Fallzahl, in: Gschwend, Thomas und Frank Schimmelfennig (Hrsg.): Forschungsdesign in der Politikwissenschaft. Probleme – Strategien – Anwendung, Frankfurt/New York: Campus, S. 223–250. Hooghe, Liesbet, Ryan Bakker, Anna Brigevich, Catherine De Vries, Erica Edwards, Gary Marks, Jan Rovny, Marco Steenbergen und Milada Vachudova (2010): Reliability and validity of the 2002 and 2006 Chapel Hill expert surveys on party positioning, European Journal of Political Research, 49:5, S. 687–703. Hooghe, Liesbet und Gary Marks (2009): A Postfunctionalist Theory of European Integration: From Permissive Consensus to Constraining Dissensus, British Journal of Political Science, 39:1, S. 1–23. Hooghe, Lisbet, Gary Marks und Carole J. Wilson (2002): Does Left/Right structure Party Positions on European Integration?, Comparative Political Studies, 35:8, S. 965–989. Hooghe, Lisbet, Gary Marks und Carole J. Wilson (2004): Does Left/Right structure Party Positions on European Integration?, in: Marks, Gary und Marco R. Steenbergen (Hrsg.): European Integration and Political Conflict, Cambridge: Cambridge University Press, S. 120–140. Hosmer, David W. Jr., Stanley Lemeshow und Rodney X. Sturdivant (2013): Applied Logistic Regression, Third Edition, Hoboken: Wiley.

476

Literatur

Humphreys, Macartan und John Garry (2000): Thinking About Salience, http://www.col umbia.edu/~mh2245/papers1/salience.pdf (unveröffentlicht). Ismayr, Wolfgang (2001a): Der Deutsche Bundestag, Opladen: Leske + Budrich. Ismayr, Wolfgang (2001b): Parteien in Bundestag und Bundesregierung, in: Gabriel, Oscar W., Oskar Niedermayer und Richard Stöss (Hrsg.): Parteiendemokratie in Deutschland, 2., aktualisierte Auflage, Bonn: Bundeszentrale für politische Bildung, S. 360–384. Jagodzinski, Wolfgang und Steffen M. Kühnel (1997): Werte, Ideologien und Wahlverhalten, in: Gabriel, Oscar W. (Hrsg.): Politische Orientierungen und Verhaltensweisen im vereinigten Deutschland. Beiträge zu den Berichten der Kommission für die Erforschung des sozialen und politischen Wandels in den neuen Bundesländern e.V. (KSPW), Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften, S. 449–471. Jahn, Detlef (2005): Fälle, Fallstricke und die komparative Methode in der vergleichenden Politikwissenschaft, in: Kropp, Sabine und Michael Minkenberg (Hrsg.): Vergleichen in der Politikwissenschaft, Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften, S. 55–75. Jahn, Detlef (2011): Conceptualizing Left and Right in comparative politics: Towards a deductive approach, Party Politics, 17:6, S. 745–765. Jahn, Detlef (2013): Einführung in die vergleichende Politikwissenschaft, 2. Auflage: Springer VS. Jahn, Detlef (2014): What is left and right in comparative politics? A response to Simon Franzmann, Party Politics, 20:2, S. 297–301. Janda, Kenneth, Robert Harmel, Christine Edens und Patricia Goff (1995): Changes in Party Identity: Evidence from Party Manifestos, Party Politics, 1:2, S. 171–196. Jennings, Will, Shaun Bevan, Arco Timmermans, Gerard Breeman, Sylvian Brouard, Laura Chaqués-Bonafort, Christoffer Green-Pedersen, Peter John, Peter B. Mortensen und Anna M. Palau (2011): Effects of the Core Functions of Government on the Diversity of Executive Agendas, Comparative Political Studies, 44:8, S. 1001–1030. John, Stefanie und Annika Werner (2016): Nebenwahleffekte auf der Angebotsseite? Bundestagswahlprogramme 2013 und Europawahlprogramme 2014 im Vergleich, in: Tenscher, Jens und Uta Rußmann (Hrsg.): Vergleichende Wahlkampfforschung: Studien anlässlich der Bundestags- und Europawahlen 2013 und 2014, Wiesbaden: Springer VS, S. 21–53. Jun, Uwe (2007): Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD), in: Decker, Frank und Viola Neu (Hrsg.): Handbuch der deutschen Parteien, Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften, S. 381–400. Kaack, Heino (1971): Geschichte und Struktur des deutschen Parteiensystems, Opladen: Westdeutscher Verlag. Katz, Richard S. (2005): The Internal Life of Parties, in: Luther, Kurt Richard und Ferdinand Müller-Rommel (Hrsg.): Political Parties in the New Europe: Political and Analytical Challenges, Oxford: Oxford University Press, S. 87–118. Katz, Richard S. und Peter Mair (1992a): Introduction: The Cross-National Study of Party Organizations, in: Katz, Richard S. und Peter Mair (Hrsg.): Party Organizations: A Data Handbook on Party Organizations in Western Democracies, 1960–90, London/ Thousand Oaks: SAGE Publications Ltd., S. 1–20. Katz, Richard S. und Peter Mair (Hrsg.) (1992b): Party Organizations: A Data Handbook on Party Organizations in Western Democracies, 1960–90, London/ Thousand Oaks: SAGE Publications Ltd.

Literatur

477

Katz, Richard S. und Peter Mair (1993): The Evolution of Party Organizations in Europe: The Three Faces of Party Organization, The American Review of Politics, 14:Winter, S. 593–617. Keman, Hans (2007): Experts and manifestos: Different soruces – Same results for comparative research?, Electoral Studies, 26, S. 76–89. Keman, Hans und Paul Pennings (2006): Competition and Coalescence in European Party Systems: Social Democracy and Christian Democracy Moving into the 21stCentury, Swiss Political Science Review, 12:2, S. 95–126. Kenig, Ofer (2008): Democratization of party leadership selection: Do wider selectorates produce more competitive contests?, Electoral Studies, 28:2, S. 240–247. Kenig, Ofer, Gideon Rahat und Or Tuttnauer (2015): Competitiveness of Party Leadership Selection Processes, in: Cross, William P. und Jean.Benoit Pilet (Hrsg.): The Politics of Party Leaderhip: A Cross-National Perspective, Oxford: Oxford University Press, S. 50– 72. Kercher, Jan und Frank Brettschneider (2013): Wahlprogramme als Pflichtübung? Typen, Funktionen und Verständlichkeit der Bundestagswahlprogramme 1994–2009 in: Weßels, Bernhard, Harald Schoen und Oscar W. Gabriel (Hrsg.): Wahlen und Wähler. Analysen aus Anlass der Bundestagswahl 2009, Wiesbaden: Springer VS, S. 269–290. Kießling, Andreas (2004): Die CSU: Machterhalt und Machterneuerung, Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften. Kießling, Andreas (2007): Christlich-Soziale Union in Bayern e.V. (CSU), in: Decker, Frank und Viola Neu (Hrsg.): Handbuch der deutschen Parteien, Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften, S. 223–235. Kiewiet, D. Roderick und Mathew D. McCubbins (1991): The Logic of Delegation: Congressional Parties and the Appropriations Process, Chicago: The University of Chicago Press. King, Gary, Robert O. Keohane und Sidney Verba (1994): Designing Social Inquiry. Scientific Inference in Qualitative Research, Princeton: Princeton University Press. Kleinnijenhuis, Jan und Paul Pennings (2000): Die Messung der Parteipositionen auf der Basis von Parteiprogrammen, Medienberichterstattung und Wahrnehmung durch die Wähler, in: Van Deth, Jan W. und Thomas König (Hrsg.): Europäische Politikwissenschaft – Ein Blick in die Werkstatt Frankfurt am Main: Campus, S. 57–86. Kleinnijenhuis, Jan und Paul Pennings (2001): Measurement of party positions on the basis of party programmes, media coverage and voter perceptions, in: Laver, Michael (Hrsg.): Estimating the Policy Positions of Political Actors, London, New York: Routledge, S. 162– 182. Klingemann, Hans-Dieter (1989): Die programmatischen Profile der politischen Parteien in der Bundesrepublik Deutschland: Eine quantitative Inhaltsanalyse der Wahlprogramme von SPD, FDP und CDU von 1949 bis 1987, in: Herzog, Dietrich und Berhard Weßels (Hrsg.): Konfliktpotentiale und Konsensstrategien. Beiträge zur politischen Soziologie der Bundesrepublik, Opladen: Westdeutscher Verlag, S. 99–115. Klingemann, Hans-Dieter, Richard I. Hofferbert und Ian Budge (1994): Parties, Policies, and Democracy, Boulder, San Francisco, Oxford: Westview Press. Klingemann, Hans-Dieter, Andrea Volkens, Judith L. Bara, Ian Budge und Michael D. McDonald (2006): Mapping Policy Preferences II: Estimates for Parties, Electors, and

478

Literatur

Governments in Eastern Europe, European Union, and OECDE 1990–2003, Oxford, New York: Oxford University Press. Klüver, Heike (2009): Measuring Interest Group Influence Using Quantitative Text Analysis, European Union Politics, 10:4, S. 535–549. Klüver, Heike und Jae-Jae Spoon (2013): Bringing salience back in: Explaining voting defection in the European Parliament, Party Politics:1–2, S. 1–12. Knutsen, Oddbjorn (1995): Value Orientation, political conflicts and left-right identification: A comparative study, European Journal of Political Research, 28, S. 63–93. Koch-Baumgarten, Sigrid (1997): Postkommunisten im Spagat. Zur Funktion der PDS im Parteiensystem, Deutschland-Archiv:6, S. 864–878. Koelble, Thomas A. (1996): Economic Theories of Organization and the Politics of Institutional Design in Political Parties, Party Politics, 2:2, S. 251–263. Kolb, Steffen (2004): Verlässlichkeit von Inhaltsanalysedaten. Reliabilitätstest, Errechnen und Interpretieren von Reliabilitätskoeffizienten für mehr als zwei Codierer, Medien & Kommunikationswissenschaft, 52:3, S. 335–354. König, Thomas, Brooke Luetgert und Tanja Dannwolf (2006): Quantifying European Legislative Research. Using CELEX and PreLex in EU Legislative Studies, European Union Politics, 7:4, S. 553–574. König, Thomas und Lars Mäder (2008): Das Regieren jenseits des Nationalstaates und der Mythos einer 80-Prozent-Europäisierung in Deutschland, Politische Vierteljahresschrift, 49:3, S. 438–463. König, Thomas und Lars Mäder (2009): The Myth of 80% and the Impact of Europeanisation on German Legislation, Arbeitspapiere – Mannheimer Zentrum für Europäische Sozialforschung: 118. Koopmans, Ruud (2002): Codebook for the analysis of political mobilisation and communication in European public spheres. Koopmans, Ruud (2007): Who inhabits the European public sphere? Winners and losers, supporters and opponents in Europeanised political debates, European Journal of Political Research, 46:2, S. 183–210. Koopmans, Ruud und Paul Statham (1999): Political Claims Analysis: Integrating Protest Event and Political Discourse Approaches, Mobilization: An International Quarterly, 4:2, S. 203–222. Koß, Michael (2007): Durch die Krise zum Erfolg? Die PDS und ihr langer Weg nach Westen in: Spier, Tim, Felix Butzlaff, Matthias Micus und Franz Walter (Hrsg.): Die Linkspartei: Zeitgemäße Idee oder Bündnis ohne Zukunft?, Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften, S. 117–153. Kovats, Laszlo (2009): Do elections set the pace? A quantitative assessment of the timing of European legislation, Journal of European Public Policy, 16:2, S. 239–255. Kovats, Laszlo (2010): EU Inter-Institutional Legislation based on PreLex: University of Potsdam. Kovats, Laszlo und Annika Werner (o.J.): The Process of Inter-Institutional DecisionMaking in the European Union: Providing PreLex Data for Quantitative Analysis, (unveröffentlicht). Krell, Christian (2009): Sozialdemokratie und Europa. Die Europapolitik von SPD, Labour Party und Parti Socialiste, Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften.

Literatur

479

Kriesi, Hanspeter, Edgar Grande, Romain Lachat, Martin Dolezal, Simon Bornschier und Timotheos Frey (2006): Globalization and the transformation of the national political space: Six European countries compared, European Journal of Political Research, 45:6, S. 921–956. Kriesi, Hanspeter, Edgar Grande, Romain Lachat, Martin Dolezal, Simon Bornschier und Timotheos Frey (2008): West European Politics in the Age of Globalization, Cambridge: Cambridge University Press. Krippendorff, Klaus (1980): Content Analysis. An Introduction to Its Methodology, Beverly Hills, London: Sage. Krippendorff, Klaus (2004): Content Analysis. An Introduction to Its Methodology, 2nd edition, Thousand Oaks: Sage. Krippendorff, Klaus (2013): Content Analysis. An Introduction to Its Methodology, 3. Auflage, Thousand Oaks: Sage. Kritzinger, Sylvia und Hubert Sickinger (2008): Europäische Parteien und die Europäisierung nationaler Parteien(systeme). Eine Einführung in das Heft, Österreichische Zeitschrift für Politikwissenschaft, 37:3, S. 247–252. Kropp, Sabine (2010): German Parliamentary Party Groups in Europeanised Policymaking: Awakening from the Sleep? Institutions and Heuristics as MP’s Resources, German Politics, 19:2, S. 123–147. Kropp, Sabine, Jonas Buche und Aron Buzogány (2011): Parlamentarisch-exekutive Steuerung in europäisierten Fachpolitiken – ein Blick auf die Mikroebene, in: Abels, Gabriele und Annegret Eppler (Hrsg.): Auf dem Weg zum Mehrebenenparlamentarismus? Funktionen von Parlamenten im politschen System der EU, Baden-Baden: Nomos Verlagsgesellschaft, S. 227–239. Krouwel, André (2006): Party Models, in: Katz, Richard S. und William Crotty (Hrsg.): Handbook of Party Politics, London: SAGE Publications Ltd., S. 249–269. Kuckartz, Udo (2012): Qualitative Inhaltsanalyse. Methoden, Praxis, Computerunterstützung, Weinheim, Basel: Beltz Juventa. Lacewell, Onawa P. und Annika Werner (2013): Coder Training: Key to Enhancing Reliability and Validity, in: Volkens, Andrea, Judith Bara, Ian Budge und Hans-Dieter Klingemann (Hrsg.): Mapping Policy Preferences From Texts III: Statistical Solutions for Manifesto Analysts, Oxford: Oxford University Press, S. 169–194. Ladrech, Robert (1994): Europeanization of Domestic Politics and Institutions: the Case of France, Journal of Common Market Studies, 32:1, S. 69–88. Ladrech, Robert (2007): Europeanization and national party organization. Limited but appropriate adaptation?, in: Poguntke, Thomas, Nicholas Aylott, Elisabeth Carter, Robert Ladrech und Kurt Richard Luther (Hrsg.): The Europeanization of National Political Parties: Power and organizational adaption, London, New York: Routledge, S. 211–229. Ladrech, Robert (2012): Party Change and Europeanisation: Elements of an Integrated Approach, West European Politics, 35:3, S. 574–588. Landis, J. Richard und Gary G. Koch (1977): The Measurement of Observer Agreement for Categorial Data, Biometrics, 33:1, S. 159–174. Landman, Todd (2000): Issues and Methods in Comparative Politics: An Introduction, London, New York: Routledge. Lauth, Hans-Joachim, Gert Pickel und Susanne Pickel (2009): Methoden der vergleichenden Politikwissenschaft. Eine Einführung, Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaft.

480

Literatur

Lauth, Hans-Joachim, Gert Pickel und Susanne Pickel (2015): Methoden der vergleichenden Politikwissenschaft. Eine Einführung, 2., aktualisierte Auflage, Wiesbaden: Springer VS. Laver, Michael (2001): Position and Salience in the Policies of Political Actors, in: Laver, Michael (Hrsg.): Estimating the Policy Positions of Political Actors, London, New York: Routledge, S. 66–76. Laver, Michael, Kenneth Benoit und John Garry (2003): Extracting Policy Positions from Political Texts Using Words as Data, American Political Science Review, 97:2, S. 311–331. Laver, Michael und John Garry (2000): Estimating Policy Positions from Political Texts, American Journal of Political Science, 44:3, S. 619–634. Laver, Michael und W. Ben Hunt (1992): Policy and Party Competition, New York, London: Routledge. Lees, Charles (2002): ‘Dark Matter’: Institutional Constraints and the Failure of Party-Based Euroscepticism in Germany, Political Studies, 50:2, S. 244–267. Lefkofridi, Zoe (2008): An Integrated Model of National Party Response to European Integration, Reihe Politikwissenschaft, 115. Lijphart, Arend (1971): Comparative Politics and the Comparative Method, The American Political Science Review, 65:3, S. 682–693. Lijphart, Arend (1975): The Comparable-Cases Strategy in Comparative Research, Comparative Political Studies, 8:2, S. 158–177. Lindberg, Leon N. und Stuart A. Scheingold (1970): Europe’s Would-Be Polity, Englewood Cliffs, New Jersey: Prentice-Hall. Linhart, Eric und Susumu Shikano (2009): Ideological Signals of German Parties in a MultiDimensional Space: An Estimation of Party Preferences Using the CMP Data, German Politics, 18:3, S. 301–322. Lipset, Seymour und Stein Rokkan (1967): Party Systems and Voter Alignments, New York: Free Press. Lipset, Seymour und Stein Rokkan (1990): Cleavage Structures, Party Systems, and Voter Alignments, in: Mair, Peter (Hrsg.): The West European Party System, Oxford: Oxford University Press, S. 91–138. Long, Scott J. (1997): Regression Models for Categorial and Limited Dependent Variables, Thousand Oaks: Sage. Louwerse, Tom (2012): Mechanisms of Issue Congruence: The Democratic Party Mandate, West European Politics, 35:6, S. 1249–1271. Lowe, Will, Kenneth Benoit, Slava Mikhaylov und Michael Laver (2011): Scaling Policy Preferences from Coded Political Texts, Legislative Studies Quarterly, XXXVI:1, S. 123– 155. Lowi, Theodore J. (1964): American Business and Public Policy: The Politics of Foreign Trade, World Politics, 16:4, S. 677–715. Lowi, Theodore J. (1967): Making Democracy Safe for the World: National Politics and Foreign Policy, in: Rosenau, James (Hrsg.): Domestic Sources of Foreign Policy, New York: Free Press, S. 295–332. Lowi, Theodore J. (1972): Four Systems of Policy, Politics, and Choice, Public Administration Review, 32:4, S. 298–310. Lupia, Arthur (2003): Delegation and its Perils, in: Strøm, Kaare, Wolfgang C. Müller und Torbjörn Bergman (Hrsg.): Delegation and Accountability in Parliamentary Democracy, Oxford: Oxford University Press, S. 33–53.

Literatur

481

Lupia, Arthur und Mathew D. McCubbins (1994): Learning From Oversight: Fire Alarms and Policy Patrols Reconstructed, The Journal of Law, Economics, and Organization, 10:1, S. 96–125. Maas, Cora J. M. und Joop J. Hox (2004): Robustness issues in multilevel regression analysis, Statistica Neerlandica, 58:2, S. 127–137. Mair, Peter (2000): The Limited Impact of Europe on National Party Systems, West European Politics, 23:4, S. 27–51. Mair, Peter (2001): Searching for the Positions of Political Actors: A Review of Approaches and a Critical Evaluation of Expert Surveys, in: Laver, Michael (Hrsg.): Estimating the Policy Positions of Political Actors, London, New York: Routledge, S. 10–30. Mair, Peter (2007): Political Parties and Party Systems, in: Graziano, Paolo und Maarten P. Vink (Hrsg.): Europeanization: New Research Agendas, Houndsmills, Basingstoke, Hampshire: Palgrave Macmillan, S. 154–166. Marks, Gary (2004): Conclusion: European integration and political conflict, in: Marks, Gary und Marco R. Steenbergen (Hrsg.): European Integration and Political Conflict, Cambridge: Cambridge University Press, S. 235–259. Marks, Gary (2007): Introduction: Triangulation and the square-root law, Electoral Studies, 26:1, S. 1–10. Marks, Gary, Liesbet Hooghe, Marco R. Steenbergen und Ryan Bakker (2007): Crossvalidating data on party positioning on European integration, Electoral Studies, 26:1, S. 23–38. Marks, Gary und Carole J. Wilson (2000): The Past in the Present: A Cleavage Theory of Party Response to European Integration, British Journal of Political Science, 30, S. 433–459. Marks, Gary, Carole J. Wilson und Leonard Ray (2002): National Political Parties and European Integration, American Journal of Political Science, 46:3, S. 585–594. Marsh, Michael und Bernhard Weßels (1997): Territorial Representation, European Journal of Political Research, 32:2, S. 227–241. Maurer, Andreas (1996): Europapolitische Orientierungen nationaler Parteien in der Europäischen Union, perspektivends, 13:4, S. 267–280. Maurer, Andreas (2008): The German Council Presidency: Managing Conflicting Expectations, Journal of Common Market Studies, 46:Annual Review, S. 51–59. Maurer, Andreas und Wolfgang Wessels (Hrsg.) (2001): National Parliaments on their Ways to Europe: Loosers or Latecomers?, Baden-Baden: Nomos Verlagsgesellschaft. May, John D. (1973): Opinion Structure of Political Parties: The Special Law of Curvilinear Disparity, Political Studies, 21:2, S. 135–151. Mayring, Philipp (2008): Qualitative Inhaltsanalyse: Grundlagen und Techniken, Weinheim und Basel: Beltz Verlag. McDonald, Michael D. und Silvia M. Mendes (2001): The policy space of party manifesto, in: Laver, Michael (Hrsg.): Estimating the Policy Positions of Political Actors, London, New York: Routledge, S. 90–114. McDonald, Michael D., Silvia M. Mendes und Myunghee Kim (2007): Cross-temporal and cross-national comparisons of party left-right positions, Electoral Studies, 26:1, S. 62–75. Merz, Nicolas und Sven Regel (2013): Die Programmatik der Parteien, in: Niedermayer, Oskar (Hrsg.): Handbuch Parteienforschung, Wiesbaden: Springer VS, S. 211–238.

482

Literatur

Michels, Robert (1973 [1925]): Organisation und Demokratie, in: Greiffenhagen, Martin (Hrsg.): Demokratisierung in Staat und Gesellschaft, München: R. Piper & Co. Verlag, S. 112–116. Micus, Matthias (2007): Stärkung des Zentrums. Perspektiven, Risiken und Chancen des Fusionsprozesses von PDS und WASG, in: Spier, Tim, Felix Butzlaff, Matthias Micus und Franz Walter (Hrsg.): Die Linkspartei: Zeitgemäße Idee oder Bündnis ohne Zukunft?, Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften, S. 185–237. Miles, Lee (2004): Editorial: The Paradox of a Popular Europe, Journal of Common Market Studies, 42:Annual Review, S. 1–8. Miller, Gary J. (2005): The Political Evolution of Principal-Agent Models, Annual Review of Political Science, 8, S. 203–225. Mittag, Jürgen und Janosch Steuwer (2010): Politische Parteien in Europa, Wien: facultas wuv UTB. Moravcsik, Andrew (2002): In Defense of the ‘Democratic Deficit’: Reassessing the Legitimacy of the European Union, Journal of Common Market Studies, 40:4, S. 604–634. Müller, Jochen (2009): The Impact of Socio-Economic Context on the Länder Parties’ Policy Positions, German Politics, 18:3, S. 365–384. Müller, Jochen (2012): Vergleichende Analysen, in: Bräuninger, Thomas und Marc Debus (Hrsg.): Parteienwettbewerb in den deutschen Bundesländern, Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften, S. 153–201. Müller, Wolfgang C. (2000): Political Parties in Parliamentary Democracies: Making Delegation and Accountability Work, European Journal of Political Research, 37, S. 309–333. Müller, Wolfgang C. und Ulrich Sieberer (2006): Party Law, in: Katz, Richard S. und William Crotty (Hrsg.): Handbook of Party Politics, London: SAGE Publications Ltd., S. 435–446. Netjes, Catherine E. und Harmen A. Binnema (2007): The salience of the European integration issue: Three data sources compared, Electoral Studies, 26, S. 39–49. Neuendorf, Kimberly A. (2002): The Content Analysis Guidebook, Thousand Oaks: Sage. Neugebauer, Gero (2011): „Quo vadis? Wie die LINKE versucht, sich als Partei und für sich eine Position im Parteiensystem zu finden.“ Interne Konsolidierungsprozesse und Orientierungssuche im Fünf-Parteien-System, in: Niedermayer, Oskar (Hrsg.): Die Parteien nach der Bundestagswahl 2009, Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften, S. 157–177. Niedermayer, Oskar (1996): Zur systematischen Analyse der Entwicklung von Parteiensystemen in: Gabriel, Oscar W. und Jürgen W. Falter (Hrsg.): Wahlen und politische Einstellungen in westlichen Demokratien: Peter Lang – Europäischer Verlag der Wissenschaften S. 19–49. Niedermayer, Oskar (2001): Nach der Vereinigung: Der Trend zum fluiden Fünfparteiensystem, in: Gabriel, Oscar W., Oskar Niedermayer und Richard Stöss (Hrsg.): Parteiendemokratie in Deutschland, 2., aktualisierte Auflage, Bonn: Bundeszentrale für politische Bildung, S. 107–127. Niedermayer, Oskar (2003): Die Entwicklung des deutschen Parteiensystems bis nach der Bundestagswahl 2002, in: Niedermayer, Oskar (Hrsg.): Die Parteien nach der Bundestagswahl 2002, Opladen: Leske+Budrich, S. 9–41. Niedermayer, Oskar (2008): Das fluide Fünfparteiensystem nach der Bundestagswahl 2005, in: Niedermayer, Oskar (Hrsg.): Die Parteien nach der Bundestagswahl 2005, Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften, S. 9–35.

Literatur

483

Niedermayer, Oskar (2009): Die Wahl zum Europäischen Parlament vom 7. Juni 2009 in Deutschland: SPD-Debakel im Vorfeld der Bundestagswahl, Zeitschrift für Parlamentsfragen:4, S. 711–731. Niedermayer, Oskar (2013): Die Entwicklung des bundesdeutschen Parteiensystems, in: Decker, Frank und Viola Neu (Hrsg.): Handbuch der deutschen Parteien, 2., überarbeitete und erweiterte Auflage, Wiesbaden: Springer VS, S. 111–132. Niedermayer, Oskar (2014): Immer noch eine „nationale Nebenwahl“? Die Wahl zum Europäischen Parlament vom 25. Mai 2014, Zeitschrift für Parlamentsfragen, 45:3, S. 523–546. Niedermayer, Oskar (2015): Eine neue Konkurrentin im Parteiensystem? Die Alternative für Deutschland, in: Niedermayer, Oskar (Hrsg.): Die Parteien nach der Bundestagswahl 2013, Wiesbaden: Springer VS, S. 175–207. Norris, Pippa (2005): Political Parties and Democracy in Theoretical and Practical Perspectives: Developments in Party Communications, https://www.ndi.org/files/1950_polpart_ norris_110105.pdf. Norris, Pippa und Mark Franklin (1997): Representation and the democratic deficit, European Journal of Political Research, 32:2, S. 273–282. Norton, Philip (Hrsg.) (1995): National Parliaments and the European Union, London: Frank Cass. Nugent, Neill (1999): The Government and Politics of the European Union, 4. Auflage, Houndsmills, Basingstoke, Hampshire: Palgrave Macmillan. Nugent, Neill (2003): The Government and Politics of the European Union, 5. Auflage, Houndsmills, Basingstoke, Hampshire: Palgrave Macmillan. Nugent, Neill (2006): The Government and Politics of the European Union, 6. Auflage, Houndsmills, Basingstoke, Hampshire: Palgrave Macmillan. o.A. (2009): Koch-Mehrin entgeht nur knapp einer Blamage, FAZ.NET, 14.07.2009, http:// www.faz.net/aktuell/politik/europaeisches-parlament-koch-mehrin-entgeht-nur-knappeiner-blamage-1829106.html, Zugriff: 20.09.2014. Oppelland, Torsten und Hendrik Träger (2012): DIE LINKE: Die Macht der Strömungen, in: Korte, Karl-Rudolf und Jan Treibel (Hrsg.): Wie entscheiden Parteien? Prozesse innerparteilicher Willensbildung in Deutschland: Zeitschrift für Politikwissenschaft, S. 189–217. Oppelland, Torsten und Hendrik Träger (2014): Die Linke: Willensbildung in einer ideologisch zerstrittenen Partei, Baden-Baden: Nomos. Otjes, Simon (2016): How the eurozone crisis reshaped the national economic policy space: The Netherlands 2006–2012, Acta Politica, 51:3, S. 273–297. Paolino, Philip (2001): Maximum Likelihood Estimation of Models with Beta-Distributed Dependent Variables, Political Analysis, 9:4. Pappi, Franz Urban und Nicole Michaela Seher (2011): Politikfeldspezifische Positionen der Landesverbände der deutschen Parteien, Arbeitspapiere – Mannheimer Zentrum für Europäische Sozialforschung: 139. Pappi, Franz Urban, Nicole Michaela Seher und Anna-Sophie Kurella (2013): Wahlprogramme als Quellen für die Politikfeldinteressen deutscher Landtagsparteien, Arbeitspapiere – Mannheimer Zentrum für Europäische Sozialforschung: 149.

484

Literatur

Parlament, Europäisches (2019): Europawahl 2019: Höchste Wahlbeteiligung seit 20 Jahren, https://www.europarl.europa.eu/news/de/headlines/eu-affairs/20190523STO52402/ europawahl-2019-hochste-wahlbeteiligung-seit-20-jahren, Zugriff: 19. November 2019. Pelizzo, Riccardo (2003): Party positions or party direction? An analysis of Party Manifesto Data, West European Politics, 26:2, S. 67–89. Pennings, Paul (2006): An Empirical Analysis of the Europeanization of National Party Manifestos, 1960–2003, European Union Politics, 7:2, S. 257–270. Petrocik, John R. (1996): Issue Ownership in Presidential Elections, with a 1980 Case Study, American Journal of Political Science, 40:3, S. 825–850. Ploner, Meinhard, Daniela Dunkler, Harry Southworth und Georg Heinze (2016): logistf: Firth’s bias reduced logistic regression, 1.22, https://CRAN.R-project.org/package=log istf. Plümper, Thomas und Vera E. Troeger (2004): The Estimation of Time-Invariant Variables in Panel Analyses with Unit Fixed Effects, https://ssrn.com/abstract=565904. Plümper, Thomas und Vera E. Troeger (2009): Fortschritte in der Paneldatenanalyse: Alternativen zum de facto Beck-Katz-Standard, in: Pickel, Susanne, Gert Pickel, HansJoachim Lauth und Detlef Jahn (Hrsg.): Methoden der vergleichenden Politik- und Sozialwissenschaft. Neue Entwicklungen und Anwendungen, Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften, S. 264–276. Plümper, Thomas, Vera E. Troeger und Philip Manow (2005): Panel data analysis in comparative politics: Linking method to theory, European Journal of Political Research, 44:2, S. 327–354. Poguntke, Thomas (1994): Basisdemokratie and Political Realities: The German Green Party, in: Lawson, Kay (Hrsg.): How Political Parties work: Perspectives from within, Westport, Connecticut: Praeger, S. 3–22. Poguntke, Thomas (1998): Party organisations, in: van Deth, Jan W. (Hrsg.): Comparative Politics. The problem of equivalence, London, New York: Routledge, S. 156–179. Poguntke, Thomas (1999): Die Bündnisgrünen in der babylonischen Gefangenschaft der SPD?, in: Niedermayer, Oskar (Hrsg.): Die Parteien nach der Bundestagswahl 1998, Opladen: Leske + Budrich, S. 83–101. Poguntke, Thomas (2001): Parteiorganisationen in der Bundesrepublik Deutschland: Einheit in der Vielfalt?, in: Gabriel, Oscar W., Oskar Niedermayer und Richard Stöss (Hrsg.): Parteiendemokratie in Deutschland, Bonn: Bundeszentrale für Politische Bildung, S. 253– 273. Poguntke, Thomas (2007): Europeanization in a Consensual Environment? German Political Parties and the European Union, in: Poguntke, Thomas, Nicholas Aylott, Elisabeth Carter, Robert Ladrech und Kurt Richard Luther (Hrsg.): The Europeanization of National Political Parties: Power and organizational adaption, London, New York: Routledge, S. 108–133. Poguntke, Thomas und Bernhard Boll (1992): Germany, in: Katz, Richard S. und Peter Mair (Hrsg.): Party Organizations: A Data Handbook on Party Organizations in Western Democracies, 1960–90, London/ Thousand Oaks: SAGE Publications Ltd., S. 317–380. Pollack, Mark A. (1994): Creeping Competence: The Expanding Agenda of the European Community, Journal of Public Policy, 4:2, S. 95–145. Pollack, Mark A. (1997): Delegation, Agency, and Agenda Setting in the European Community, International Organization, 51:1, S. 99–134.

Literatur

485

Pollack, Mark A. (2000): The End of Creeping Competence? EU Policy-Making Since Maastricht, Journal of Common Market Studies, 38:3, S. 519–538. Pollak, Johannes und Peter Slominski (2003): Influencing EU Politics? The Case of the Austrian Parliament, Journal of Common Market Studies, 41:4, S. 707–729. Pötschke, Manuela (2006): Mehrebenenanalyse, in: Behnke, Joachim, Thomas Gschwend, Delia Schindler und Kai-Uwe Schnapp (Hrsg.): Methoden der Politikwissenschaft. Neuere qualitative und quantitative Analyseverfahren, Baden-Baden: Nomos Verlagsgesellschaft, S. 167–179. Prinz, Sebastian (2010): Die programmatische Entwicklung der PDS, Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften. Probst, Lothar (2013): Bündnis 90/Die Grünen (Grüne), in: Niedermayer, Oskar (Hrsg.): Handbuch Parteienforschung, Wiesbaden: Springer VS, S. 509–540. Proksch, Sven-Oliver und Jonathan B. Slapin (2009) Wordfish. Manual (Version 1.3). Proksch, Sven-Oliver und Jonathan B. Slapin (2010): Position Taking in European Parliament Speeches, British Journal of Political Science, 40:3, S. 587–611. Raschke, Joachim (1993): Die Grünen. Was sie wurden, was sie sind, Köln: Bund-Verlag. Rauh, Christian (2015): Communicating supranational governance? The salience of EU affairs in the German Bundestag, 1991–2013, European Union Politics, 16:1, S. 116–138. Raunio, Tapio (2002): Why European integration increases leadership autonomy within political parties, Party Politics, 8:4, S. 405–422. Ray, Leonard (1999): Measuring party orientations towards European integration: Results from an expert survey, European Journal of Political Research, 36:2, S. 283–306. Ray, Leonard (2007): Validity of measured party positions on European integration: Assumptions, approaches, and a comparison of alternative measures, Electoral Studies, 26, S. 11–22. Rees, Nicholas (2005): The Irish Presidency: A Diplomatic Triumph, Journal of Common Market Studies, 43:Annual Review, S. 55–58. Reif, Karlheinz (1984): National Electoral Cycles and European-Elections 1979 and 1984, Electoral Studies, 3:3, S. 244–255. Reif, Karlheinz (1997): Reflections: European elections as member state second-order elections revisited, European Journal of Political Research, 31:1, S. 109–124. Reif, Karlheinz und Hermann Schmitt (1980): Nine Second-Order National Elections – A Conceptual Framework for the Analysis of European Election Results, European Journal of Political Research, 8:1, S. 3–44. Riker, William H. (1993): Introduction, in: Riker, William H. (Hrsg.): Agenda Formation, Ann Arbor: The University of Michigan Press, S. 1–10. Rohrschneider, Robert und Stephen Whitefield (2016): Party Positions about European Integration in Germany: An Electoral Quandary?, German Politics, 26:1, S. 83–103. Rovny, Jan und Jonathan Polk (2018): New wine in old bottles: Explaining the dimensional structure of European party systems, Party Politics, 25:1, S. 12–24. Rustemeyer, Ruth (1992): Praktisch-methodische Schritte der Inhaltsanalyse. Eine Einführung am Beispiel der Analyse von Interviewtexten, Münster: Aschendorff. Saalfeld, Thomas (2003): The Bundestag: Institutional Incrementalism and Behavioural Reticence, in: Dyson, Kenneth und Klaus H. Goetz (Hrsg.): Germany, Europe and the Politics of Constraint, Oxford: Oxford University Press, S. 73–96. Saalfeld, Thomas (2007): Parteien und Wahlen, Baden-Baden: Nomos Verlagsgesellschaft.

486

Literatur

Sarcinelli, Ulrich (2009): Politische Kommunikation in Deutschland. Zur Politikvermittlung im demokratischen System, 2., überarbeitete und erweiterte Auflage, Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften. Sartori, Giovanni (1970): Concept Misformation in Comparative Politics, The American Political Science Review, 64:4, S. 1033–1053. Sartori, Giovanni (2005 [1976]): Parties and Party systems. A Framework for analysis, new published by the ECPR Press: ECPR Press. Scarrow, Susan E., Paul Webb und David M. Farrell (2000): From Social Integration to Electoral Contestation: The Changing Distribution of Power within Political Parties, in: Dalton, Russell J. und Martin P. Wattenberg (Hrsg.): Parties without Partisans. Political Change in Advanced Industrial Democracies, Oxford: Oxford University Press, S. 129– 153. Scheffer, Ulrike (2009): Widerstand gegen Koch-Mehrin, Zeit Online, 14. Juli 2009, http:// www.zeit.de/online/2009/29/koch-mehrin-eu, Zugriff: 20. September 2014. Schmitt, Hermann (2009): The Nature of European Issues: Conceptual Clarifications and Some Empirical Evidence, in: Ganghof, Steffen, Christoph Hönnige und Christian Stecker (Hrsg.): Parlamente, Agendasetzung und Vetospieler. Festschrift für Herbert Döring, Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften, S. 137–146. Schmitt, Ralf (2008): Die politikfeldspezifische Auswertung von Wahlprogrammen am Beispiel der deutschen Bundesländer, Arbeitspapiere – Mannheimer Zentrum für Europäische Sozialforschung: 114. Schnell, Rainer, Paul B. Hill und Elke Esser (2011): Methoden der empirischen Sozialforschung, München: Oldenbourg Verlag. Schroeder, Wolfgang und Arijana Neumann (2010): Die CDU in der Großen Koalition – auf dem Weg zu einer neuen strategischen Zeitgenossenschaft, in: Bukow, Sebastian und Wenke Seemann (Hrsg.): Die Große Koalition: Regierung – Politik – Parteien 2005–2009, Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften, S. 262–284. Schüttemeyer, Suzanne S. (1992): Der Bundestag als Fraktionenparlament, in: Hartmann, Jürgen und Uwe Thaysen (Hrsg.): Pluralismus und Parlamentarismus in Theorie und Praxis, Opladen: Westdeutscher Verlag, S. 113–136. Schüttemeyer, Suzanne S. (1999): Parteien und ihre Fraktionen in der Bundesrepublik Deutschland: Veränderte Beziehungen im Zeichen professioneller Politik, in: Helms, Ludger (Hrsg.): Parteien und Fraktionen. Ein internationaler Vergleich, Opladen: Leske + Budrich, S. 39–66. Schwarzer, Daniela (2007): Die Berliner Erklärung – Testlauf für die Verhandlungen zum Verfassungsvertrag, in: Kietz, Daniela und Volker Perthes (Hrsg.): SWP-Studie, Berlin: Stiftung Wissenschaft und Politik, S. 20–26. Sebaldt, Martin (2010): Erfolgreiche Volkspartei – Volkspartei mit Zukunft? Entwicklungslinien, Leistungen und aktuelle Herausforderungen der CSU, in: Hopp, Gerhard, Martin Sebaldt und Benjamin Zeitler (Hrsg.): Die CSU: Strukturwandel, Modernisierung und Herausforderungen einer Volkspartei, Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften, S. 559–580. Siaroff, Alan (2000): Comparative European Party Systems: An Analysis of Parliamentary Elections since 1945, New York: Routledge. Sieberer, Ulrich (2011): Selecting Independent Variables: Competing Recommendations for Factor-Centric and Outcome-Centric Research Designs, in: Gschwend, Thomas und Frank

Literatur

487

Schimmelpfennig (Hrsg.): Research Design in Political Science. How to Practice What They Preach, Houndsmills, Basingstoke, Hampshire: Palgrave Macmillan, S. 163–182. Slapin, Jonathan B. und Sven-Oliver Proksch (2008): A Scaling Model for Estimating TimeSeries Party Positions from Texts, American Journal of Political Science, 52:3, S. 705–722. Smith, Rodney und Anika Gauja (2010): Understanding party constitutions as responses to specific challenges, Party Politics, 16:6, S. 755–775. SPD (1997): Organisationsstatut, Wahlordnung, Schiedsordnung, Finanzordnung der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands. Stand: 4. Dezember 1997, Archiv-Signatur: A98–07260, Bonn: Friedrich-Ebert-Stiftung. Spier, Tim und Ulrich von Alemann (2013): Die Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD), in: Niedermayer, Oskar (Hrsg.): Handbuch Parteienforschung, Wiesbaden: Springer VS, S. 439–467. Statham, Paul und Ruud Koopmans (2009): Political party contestation over Europe in the mass media: who criticizes Europe, how, and why?, European Political Science Review, 1:3, S. 435–463. Steenbergen, Marco R. und Gary Marks (2007): Evaluating expert judgments, European Journal of Political Research, 46:3, S. 347–366. Steenbergen, Marco R. und D.J. Scott (2004): Contesting Europe? The salience of European Integration as a Party Issue, in: Marks, Gary und Marco R. Steenbergen (Hrsg.): European Integration and Political Conflict, Cambridge: Cambridge University Press, S. 165–192. Steinmann, Horst und Georg Schreyögg (2000): Management: Grundlagen der Unternehmensführung. Konzepte – Funktionen – Fallstudien, 5., überarbeitete Auflage, Wiesbaden: Gabler. Stetter, Stephan (2004): Cross-pillar politics: functional unity and institutional fragmentation of EU foreign policies, Journal of European Public Policy, 11:4, S. 720–739. Stokes, Donald E. (1963): Spatial Models of Party Competition, The American Political Science Review, 57:2, S. 368–377. Strøm, Kaare (1990): A Behavioral Theory of Competitive Political Parties, American Journal of Political Science, 34:2, S. 565–598. Strøm, Kaare und Wolfgang C. Müller (1999): Conclusion: Party Behavior and Representative Democracy, in: Müller, Wolfgang C. und Kaare Strøm (Hrsg.): Policy, Office, or Votes?: How Political Parties in Western Europe make Hard Decisions, Cambridge: Cambridge University Press, S. 279–309. Strøm, Kaare, Wolfgang C. Müller und Torbjörn Bergman (Hrsg.) (2003): Delegation and Accountability in Parliamentary Democracy, Oxford: Oxford University Press. Switek, Niko (2012): Bündnis 90/Die Grünen: Zur Entscheidungsmacht grüner Bundesparteitage, in: Korte, Karl-Rudolf und Jan Treibel (Hrsg.): Wie entscheiden Parteien? Prozesse innerparteilicher Willensbildung in Deutschland: Zeitschrift für Politikwissenschaft, S. 121–154. Taggart, Paul (2006): Keynote Article: Questions of Europe – The Domestic Politics of the 2005 French and Dutch Referendums and their Challenge for the Study of European Integration, Journal of Common Market Studies, 44:Annual Review, S. 7–25. Tallberg, Jonas (2005): Delegation to Supranational Institutions: Why, How, and with What Consequences?, in: Thatcher, Mark und Alec Stone Sweet (Hrsg.): The Politics of Delegation, London, Portland: Frank Cass, S. 23–46.

488

Literatur

Tenscher, Jens (2005): Mit halber Kraft voraus! Parteikampagnen im Europawahlkampf 2004, in: Tenscher, Jens (Hrsg.): Wahl-Kampf um Europa. Analysen aus Anlass der Wahlen zum Europäischen Parlament 2004, Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften, S. 30–55. Tenscher, Jens (2011a): Defizitär – und trotzdem professionell? Die Parteienkampagnen im Vergleich, in: Tenscher, Jens (Hrsg.): Superwahljahr 2009. Vergleichende Analysen aus Anlass der Wahlen zum Deutschen Bundestag und zum Europäischen Parlament, Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften, S. 65–95. Tenscher, Jens (2011b): (K)eine wie die andere? Zur vergleichenden Analyse der Europaund Bundestagswahlen 2009, in: Tenscher, Jens (Hrsg.): Superwahljahr 2009. Vergleichende Analysen aus Anlass der Wahlen zum Deutschen Bundestag und zum Europäischen Parlament, Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften, S. 7–38. Thiem, Janina (2009): Nationale Parteien im Europäischen Parlament. Delegation, Kontrolle und politischer Einfluss, Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften. Thomassen, Jacques und Hermann Schmitt (1997): Policy representation, European Journal of Political Research, 32:2, S. 165–184. Tiemann, Guido (2009): Zwei Verfahren zur Analyse heterogener Kausalität: Time-SeriesCross-Section- und Mehrebenenmodelle, in: Pickel, Susanne, Gert Pickel, Hans-Joachim Lauth und Detlef Jahn (Hrsg.): Methoden der vergleichenden Politik- und Sozialwissenschaft. Neue Entwicklungen und Anwendungen, Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften, S. 213–232. Töller, Anette Elisabeth (2008): Mythen und Methoden. Zur Messung der Europäisierung der Gesetzgebung des Deutschen Bundestages jenseits des 80-Prozent-Mythos, Zeitschrift für Parlamentsfragen, 39:1, S. 3–17. Töller, Anette Elisabeth (2010): Measuring and Comparing the Europeanization of National Legislation: A Research Note, Journal of Common Market Studies, 48:2, S. 417–444. Töller, Annette Elisabeth (2004): Dimensionen der Europäisierung – Das Beispiel des Deutschen Bundestages, Zeitschrift für Parlamentsfragen, 35:1, S. 25–50. Tömmel, Ingeborg (2014): The European Union: What it is and how it works, Houndsmills, Basingstoke, Hampshire: Palgrave Macmillan. Toshkov, Dimiter (2016): Research Design in Political Science, London: Palgrave Macmillan. Treibel, Jan (2012): Die FDP: Entscheidungsprozesse zwischen hierarchischer Führung, Konsenssuche und Mehrheitsentscheidungen, in: Korte, Karl-Rudolf und Jan Treibel (Hrsg.): Wie entscheiden Parteien? Prozesse innerparteilicher Willensbildung in Deutschland: Zeitschrift für Politikwissenschaft, S. 155–187. Treibel, Jan (2014): Die FDP. Prozesse innerparteilicher Führung 2000–2012, Baden-Baden: Nomos Verlagsgesellschaft. UCLA: Statistical Consulting Group (2011): What are Pseudo R-Squareds?, http:// stats.idre.ucla.edu/other/mult-pkg/faq/general/faq-what-are-pseudo-r-squareds/, Zugriff: 02.11.2016. UCLA: Statistical Consulting Group (o.J.): Multinomial Logistic Regression: SPSS Data Analysis Examples, https://stats.idre.ucla.edu/spss/dae/multinomial-logistic-regression/, Zugriff: 02.11.2016. Urban, Dieter und Mayerl Jochen (2011): Regressionsanalyse: Theorie, Technik und Anwendung, 4., überarbeitete und erweiterte Auflage, Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften.

Literatur

489

Vahs, Dietmar und Jan Schäfer-Kunz (2007): Einführung in die Betriebswirtschaftslehre, 5., überarbeitete und erweiterte Auflage, Stuttgart: Schäffer-Poeschel Verlag. van der Eijk, Cees und Mark Franklin (2004): Potential for contestation on European matters at national elections in Europe, in: Marks, Gary und Marco R. Steenbergen (Hrsg.): European Integration and Political Conflict, Cambridge: Cambridge University Press, S. 32–50. van Deth, Jan W. (1998): Equivalence in comparative political research, in: van Deth, Jan W. (Hrsg.): Comparative Politics. The problem of equivalence, London, New York: Routledge, S. 1–19. van Houten, Pieter (2009): Multi-Level Relations in Political Parties. A Delegation Approach, Party Politics, 15:2, S. 137–156. Vasilopoulou, Sofia (2018): The party politics of Euroscepticism in times of crisis: The case of Greece, Politics, 38:3, S. 311–326. Vink, Maarten P. und Paolo Graziano (2007): Challenges of a New Research Agenda, in: Graziano, Paolo und Maarten P. Vink (Hrsg.): Europeanization: New Research Agendas, Houndsmills, Basingstoke, Hampshire: Palgrave Macmillan, S. 3–20. Volkens, Andrea (1989): Parteiprogrammatik und Einstellungen politischer Eliten: Konsensund Konfliktstrukturen in Wahlprogrammen, in: Herzog, Dietrich und Berhard Weßels (Hrsg.): Konfliktpotentiale und Konsensstrategien: Beiträge zur politischen Soziologie der Bundesrepublik, Opladen: Westdeutscher Verlag, S. 116–144. Volkens, Andrea (2002): Manifesto Coding Instructions (Second Revised Edition). Discussion Paper FS III 02–201, Berlin: Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung (WZB). Volkens, Andrea (2007): Strengths and weaknesses of approaches to measuring policy positions of parties, Electoral Studies, 26:1, S. 108–120. Volkens, Andrea, Pola Lehmann, Theres Matthieß, Nicolas Merz, Sven Regel und Annika Werner (2015) The Manifesto Data Collection. Manifesto Project (MRG/CMP/MARPOR). Version 2015a. Berlin: Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung. von Alemann, Ulrich (2003): Der Zittersieg der SPD. Mit einem blauen und grünen Auge davon gekommen, in: Niedermayer, Oskar (Hrsg.): Die Parteien nach der Bundestagswahl 2002, Opladen: Leske+Budrich, S. 43–69. von Alemann, Ulrich und Tim Spier (2008): Doppelter Einsatz, halber Sieg? Die SPD und die Bundestagswahl 2005, in: Niedermayer, Oskar (Hrsg.): Die Parteien nach der Bundestagswahl 2005, Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften, S. 37–65. von dem Berge, Benjamin und Thomas Poguntke (2013): Die Europäisierung nationaler Parteien und europäische Parteien, in: Niedermayer, Oskar (Hrsg.): Handbuch Parteienforschung, Wiesbaden: Springer VS, S. 875–904. von dem Berge, Benjamin, Thomas Poguntke, Peter Obert und Diana Tipei (2013): Measuring Intra-Party Democracy. A Guide for the Content Analysis of Party Statutes with Examples from Hungary, Slovakia and Romania, Heidelberg, New York, Dordrecht, London: Springer. Walgrave, Stefaan, Jonas Lefevere und Anke Tresch (2012): The Associative Dimension of Issue Ownership, Public Opinion Quarterly, 76:4, S. 771–782. Wallace, Helen (1996): Politics and Policy in the EU: The Challenge of Governance, in: Wallace, Helen und William Wallace (Hrsg.): Policy-Making in the European Union, Oxford: Oxford University Press, S. 3–36. Wallace, Helen (2005): An Institutional Anatomy and Five Policy Mode, in: Wallace, Helen, William Wallace und Mark A. Pollack (Hrsg.): Policy-Making in the European Union, 5. Auflage, Oxford: Oxford University Press, S. 49–90.

490

Literatur

Wallace, Helen, William Wallace und Mark A. Pollack (Hrsg.) (2005): Policy-Making in the European Union, 5. Auflage, Oxford: Oxford University Press. Weigl, Michael (2012): Die CSU: Abschied von der „Ein-Mann-Demokratie“, in: Korte, KarlRudolf und Jan Treibel (Hrsg.): Wie entscheiden Parteien? Prozesse innerparteilicher Willensbildung in Deutschland: Zeitschrift für Politikwissenschaft, S. 63–91. Weigl, Michael (2013): Die Christlich-Soziale Union in Bayern e.V. (CSU), in: Niedermayer, Oskar (Hrsg.): Handbuch Parteienforschung, Wiesbaden: Springer VS, S. 469–495. Wenzelburger, Georg, Sebastian Jäckel und Pascal König (2014): Weiterführende statistische Methoden für Politikwissenschaftler. Eine anwendungsorientierte Einführung mit Stata, Oldenbourg: De Gruyter. Werner, Annika und Laszlo Kovats (2010): An automated database for EU legislative studies: Making PreLex Data available for analysis, Annual Conference of the Swiss Political Science Association, Genf, 7. bis 8. Januar 2010. Werner, Annika, Onawa Lacewell und Andrea Volkens (2011): Manifesto Coding Instructions (4th fully revised edition), Berlin: Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung. Werner, Annika, Onawa Lacewell und Andrea Volkens (2014): Manifesto Coding Instructions (5th revised edition), Berlin: Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung. Whitefield, Stephen und Robert Rohrschneider (2019): Embedding integration: How European integration splits mainstream parties, Party Politics, 25:1, S. 25–35. Whitefield, Stephen, Milada Anna Vachudova, Marco R. Steenbergen, Rober Rohrschneider, Gary Marks, Matthew P. Loveless und Liesbet Hooghe (2007): Do expert surveys produce consistent estimates of party stances on European integration? Comparing expert surveys in the difficult case of Central and Eastern Europe, Electoral Studies, 26:1, S. 50–61. Wielgoß, Tanja (2002): PS und SPD im europäischen Integrationsprozess. Vergleich der Europapositionen und Analyse der Interaktionsstrukturen der französischen und deutschen Sozialdemokraten 1989 bis 2001, Band 7, Baden-Baden: Nomos Verlagsgesellschaft. Wilson, Sven E. und Daniel M. Butler (2007): A Lot More to Do: The Sensitivity of TimeSeries Cross-Section Analyses to Simple Alternative Specifications, Political Analysis, 15:2, S. 101–123. Wlezien, Christopher (2005): On the salience of political issues: The problem with ‘most important problem’, Electoral Studies, 24:4, S. 555–579. Wonka, Arndt (2015): The party politics of the Euro crisis in the German Bundestag: frames, positions and salience, West European Politics, 39:1, S. 125–144. Wüst, Andreas M. und Hermann Schmitt (2007): Comparing the Views of Parties and Voters in the 1999 Election to the European Parliament, in: van der Brug, Wouter und Cees van der Eijk (Hrsg.): Europan Elections and Domestic Politics, Notre Dame: University of Notre Dame Press, S. 73–93. Wüst, Andreas M. und Andrea Volkens (2003): Euromanifesto Coding Instructions, Arbeitspapiere – Mannheimer Zentrum für Europäische Sozialforschung: 64. Zolleis, Uwe und Josef Schmid (2011): Regierungswechsel statt Machtverlust – die CDU nach der Bundestagswahl 2009, in: Niedermayer, Oskar (Hrsg.): Die Parteien nach der Bundestagswahl 2009, Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften, S. 37–56. Zolleis, Uwe und Josef Schmid (2013): Die Christlich Demokratische Union Deutschlands (CDU), in: Niedermayer, Oskar (Hrsg.): Handbuch Parteienforschung, Wiesbaden: Springer VS, S. 415–437.