Europäische Migrationspolitik und Raumproduktion. Internationale Regierungsorganisationen im Management von Migration in Albanien, Bosnien-Herzegowina und der Ukraine [1. ed.] 9783832965747


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German Pages 333 [336] Year 2011

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Europäische Migrationspolitik und Raumproduktion. Internationale Regierungsorganisationen im Management von Migration in Albanien, Bosnien-Herzegowina und der Ukraine [1. ed.]
 9783832965747

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Martin Geiger

Europäische Migrationspolitik und Raumproduktion Internationale Regierungsorganisationen im Management von Migration in Albanien, Bosnien-Herzegowina und der Ukraine

2.Auflage

Nomos

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. Zugl.: Universität Bonn, Math.-Nat. Fakultät, Diss., 2010 ISBN 978-3-8329-6574-7

1. Auflage 2011 © Nomos Verlagsgesellschaft, Baden-Baden 2011. Printed in Germany. Alle Rechte, auch die des Nachdrucks von Auszügen, der fotomechanischen Wiedergabe und der Übersetzung, vorbehalten. Gedruckt auf alterungsbeständigem Papier.

Für meine Eltern in Liebe und Dankbarkeit П

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В -

12:00:54.

Vorwort

Dieses Buch ist eine überarbeitete Fassung meiner im Sommer 2010 an der Mathematisch-Naturwissenschaftlichen Fakultät der Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn eingereichten Promotionsschrift. An erster Stelle danke ich Herrn Prof. Dr. Hans Dieter Laux (Geographisches Institut der Universität Bonn) sehr herzlich für die gute und motivierende Betreuung meines Promotionsvorhabens. Herr Prof. Dr. Hans-Georg Bohle hat sich dankenswerterweise für meine Dissertation und mein Promotionsverfahren als Gutachter und Prüfer zur Verfügung gestellt. Ein weiterer Dank geht an die übrigen Mitglieder der Promotionskommission, an Herrn Prof. Dr. Jörg Blasius (Soziologie, Universität Bonn) und Herrn Prof. Dr. Jean Thein (Geologie, Universität Bonn). Für die finanzielle Förderung meines Dissertationsvorhabens danke ich der Studienstiftung des deutschen Volkes und den beiden Gutachtern, die meine Aufnahme in die Promotionsförderung befürwortet haben. Ein großer Dank gebührt den vielen Gesprächs- und Interviewpartnern bei internationalen Regierungsorganisationen, lokalen und internationalen NGOs, »Think Tanks«, staatlichen Behörden und EU-Institutionen, die ich zu meinem Forschungsthema in Budapest, Kiew, Sarajevo, Tirana, Wien und einigen weiteren Städten befragen durfte. Ohne die mir meist unproblematisch und gerne gewährten (informellen) Gespräche und Experteninterviews wäre die vorliegende Arbeit nicht möglich gewesen: Köszönöm, Д , Hvala/Х , Faleminderit, Thank you – Danke! Herr Prof. Dr. Gunther Dietz (Universidad Veracruzana, Xalapa/Mexiko) und Herr Dr. Jochen Blaschke (Europäisches Migrationszentrum, Berlin) haben mir im Rahmen meines Vorhabens hilfreiche Unterstützung, Ideen und Ratschläge zukommen lassen, für die ich mich an dieser Stelle ebenfalls bedanken möchte. Dankbar bin ich auch Herrn Fabian Georgi (Freie Universität Berlin) und Herrn Dr. Antoine Pécoud (UNESCO, Paris), die wiederholt für einen wissenschaftlichen Austausch zur Verfügung standen: Danke & Merci! Für eine schöne Zeit »zwischen« meinen Untersuchungsländern und Feldforschungsaufenthalten danke ich Herrn Ovidiu Simina und Herrn Prof. Dr. Grigore Silaşi. Beide haben mich 2006 zu einem Gastaufenthalt an das Jean Monnet Centre der Universitatea de Vest din Timişoara (Rumänien) eingeladen. Mersi mult! Ein herzlicher Dank gebührt Herrn Dr. Malte Steinbrink, meiner »besseren Hälfte« am Osnabrücker Institut für Geographie, der mir, wie es eben für »bessere Hälften« üblich ist, während der Endphase der Dissertation als Kollege immer wieder hilfreich mit Rat zur Seite stand. Herrn Prof. Dr. Andreas Pott, für den 7 12:00:54.

ich seit 2008 als Wissenschaftlicher Mitarbeiter arbeite, bin ich ebenfalls sehr verbunden, konnte ich durch ihn, vom neuen gemeinsamen Standort Osnabrück und vom IMIS aus, doch zusätzliche Kontakte in der Geographie und der interdisziplinären Migrationsforschung schließen und wichtige Impulse für meine Arbeit und meinen weiteren wissenschaftlichen Werdegang erhalten. Ein herzlicher Dank für Tipps und anderen »Support« während der Schreibphase geht auch an die übrigen Mitglieder der Arbeitsgruppe Sozialgeographie am Institut für Geographie, an Herrn Dr. Carsten Felgentreff, Frau Regine Prabel und Frau Friederike Zigmann. Bei meinen übrigen Arbeitskollegen (stellvertretend nenne ich die drei C’s Carsten Peter, Christian Wuttke und Cora Arbach), der Institutsleiterin Frau Prof. Dr. Britta Klagge und den beiden »Ehemaligen« des Instituts Herrn Hans-Joachim Wenzel und Herrn Gerhard Hard bedanke ich mich dafür, dass sie immer wieder nach dem Fortgang meiner Arbeit gefragt und am Thema Interesse gezeigt haben. Frau Swantje Steinbrink und Herrn Philipp Schehka danke ich für Ihre hilfreiche Unterstützung bei Korrektur- und Formatierungsarbeiten. Euch und Ihnen allen: Vielen Dank! Mein größter Dank gilt schließlich meinen Eltern, die, zusammen mit meinem Promotionsbetreuer, sicherlich die wichtigsten Unterstützer meiner Dissertation waren und mich immer wieder ermutigt haben, weiter zu »migrieren«, weiter zu forschen, zu schreiben und die Dissertation fertig zu stellen. Ein besonders herzlicher Dank gilt meiner Frau Valentina, ihrer Schwester und meinen Schwiegereltern. Sowohl meiner deutschen Familie als auch meiner russisch-ukrainischen Familie (die ich nicht zuletzt Dank meines Promotionsvorhabens kennenlernen und hinzugewinnen durfte) ist diese Arbeit gewidmet. Und in ein paar Jahren kann dann sicher auch unser Töchterchen Taisa Mei-Lin (*April 2011) diese Arbeit lesen; einige lautstarke und mehr oder weniger konstruktive Kommentare konnte sie dieser Publikation immerhin schon mit auf den Weg geben. Ein herzlicher Dank für alles – О ьз !

Osnabrück, im Mai 2011

Martin Geiger

8 12:00:54.

Inhalt

Abkürzungen Abbildungen und Tabellen

13 17

I.

19

Einleitung

II. Eine politisch-geographische Forschungsperspektive für die Geographische und Interdisziplinäre Migrationsforschung 1. Migrationssteuerung als geographisches Forschungsthema 1.1 Migrationssteuerung: Historische Entstehung und Konzeptionalisierung 1.2 Disziplinbezogene Erkundungen 1.2.1 Die deutschsprachige Geographie und das Thema Migration 1.2.2 Kennzeichen der bisherigen Beschäftigung mit Migration 2. Herleitung einer politisch-geographischen Forschungsperspektive 2.1 Neue Impulse für die Migrationsforschung 2.1.1 Krise der Migration – Migrationssteuerung in der Krise 2.1.2 Transnationalisierung des Sozialen – Soziale Produktion des Raumes 2.1.3 Die Vision von einem internationalen Migrationsregime 2.1.4 Neue Akteure, Arrangements und Formen der Steuerung 2.1.5 Instrumentalisierung von Raum und Funktion des Raumes im Politischen 2.2 Eine politisch-geographische Perspektive für die Migrationsforschung 2.3 Anwendung der hergeleiteten Forschungsperspektive 2.3.1 Europäisierung der Migrationssteuerung in drei Nicht-EU-Staaten 2.3.2 Vorgehensweise und Methodik

25 25 25 35 35 41 49 49 49 56 63 67 75 78 86 86 90

9 12:00:54.

III. Die Europäische Union und die Steuerung der internationalen Zuwanderung aus Drittstaaten 3. Europäisierung der Migrationspolitik und Steuerungsvorschläge der EU 3.1 Zuwanderung in die EU und das Projekt einer EU-Migrationspolitik 3.2 Wahrnehmung internationaler Migration – Steuerungsvorschläge 3.2.1 Konstruktion von Migration als Problem und Gefahr 3.2.2 Verortungen des Migrationsproblems und Steuerungsbedarfs 3.2.3 Grundzüge der EU-Migrationspolitik 3.2.4 Einschätzungen und Steuerungsvorschläge zu den Untersuchungsländern 3.3 Instrumentalisierung internationaler Regierungsorganisationen 3.3.1 Funktionen internationaler Regierungsorganisationen aus Sicht der EU 3.3.2 Verortung der Aktivitäten internationaler Regierungsorganisationen 4. EU-Migrationssteuerung und die Frage ihrer Umsetzung 4.1 Migration im Fokus der EU-Politik – Ziele von EUMigrationssteuerung 4.2 Die Kategorie Raum und die Wahrnehmung und Steuerung von Migration 4.2.1 Raum als Beobachtungs- und Wahrnehmungskonzept 4.2.2 (Re-)Konstruktion von Räumen der Sicherheit und der Intervention 4.3 Internationale Regierungsorganisationen in der EUMigrationspolitik IV. Die exterritoriale Implementation von EU-Migrationspolitik durch internationale Regierungsorganisationen: Albanien, Bosnien-Herzegowina und Ukraine 5. Migrationssteuerung durch internationale Regierungsorganisationen 5.1 Die Untersuchungsländer und das Migrationsgeschehen in den 1990er Jahren

10 12:00:54.

100

100 100 112 112 119 122 135 141 141 147 149 149 152 152 155 162

166

166 166

5.2 Empfehlungen internationaler Regierungsorganisationen 5.2.1 ICMPD, IOM, OSCE und UNHCR im Kurzprofil 5.2.2 Wahrnehmung des aktuellen Wanderungsgeschehens 5.2.3 Vorschläge zur Steuerung von Migration 5.3 Steuerungsaktivitäten internationaler Regierungsorganisationen 5.3.1 Produktion und Vermittlung steuerungsdienlicher Wissensbestände 5.3.2 Informationszentren und -kampagnen für legale und sichere Migration 5.3.3 Anti-Trafficking, Schutz und Reintegration 5.3.4 Beratung und technische Unterstützung für den Grenzschutz 5.3.5 Freiwillige Rückkehr und Reintegration 5.3.6 Aufnahme von Asylsuchenden und Integration von Flüchtlingen 5.3.7 Entwurf und Implementation nationaler Migrationsstrategien 5.4 Kooperation spezialisierter IRO mit lokalen und internationalen Akteuren 5.4.1 Die Europäische Kommission als wichtigster Geldgeber 5.4.2 Lokale Akteure und INRO als Implementationspartner 5.5 Bewertung der Steuerungsaktivitäten und ihrer Folgen 5.5.1 Rechtfertigung von Steuerungsaktivitäten 5.5.2 Zweifel an der Wirksamkeit und Angemessenheit von Steuerungseingriffen 5.5.3 Das Spiel mit migrationsbezogenen Wissensbeständen und Interpretationen 5.5.4 Mangel an politischer Legitimation und Transparenz 5.5.5 Fremdbestimmung durch IRO und implantierte Politiknetzwerke 5.5.6 Migranten als Opfer eines Teufelskreislaufs der Restriktion 5.5.7 Steuerungsaktivitäten im Kontext europäischer Raumproduktion

175 175 184 190 195 195 198 200 203 205 208 210 215 215 220 229 229 232 240 244 247 254 258

11 12:00:54.

V. Internationale Regierungsorganisationen und die EU-ropäisierung der Migrationspolitik (Schlussbetrachtung) 6. EU-Migrationssteuerung und internationales Migrationsmanagement 6.1 Gouvernementalität der Migration: Akteure, Praktiken und Diskurse 6.2 Migrationsmanagement als Lösung für die Steuerungsdefizite der EU? 6.3 Relevanz einer politisch-geographischen Forschungsperspektive 6.4 Resümee – Beantwortung der Leitfragen

267

267 267 276 282 287

Literatur

291

Anhang A1 (Ausgewertete Primärdokumente) Anhang A2 (Interviewleitfaden) Anhang A3 (Experteninterviews)

321 330 331

12 12:00:54.

Abkürzungen

AIIS AVR BIVS BKTF BRD CARDS CESS CIS CRCA CSCE DDR DONGO EEA EFTA EG EGKS ENP ESS EU EUBAM EUPM EWG FFM FRONTEX

FYROM GAMP GASP GATT GCIM Gédap GFK GONGO

Albanian Institute for International Studies Assisted Voluntary Return Berliner Institut für Vergleichende Sozialforschung Bashke Kunder Trafikimit te Femijeve (Bündnis gegen Trafficking, Albanien) Bundesrepublik Deutschland Community Assistance for Reconstruction, Development and Stabilisation Centre for Economic and Social Studies Commonwealth of Independent States Children Rights Centre Albania Conference on Security and Co-operation in Europe Deutsche Demokratische Republik Donor-Created NGO Einheitliche Europäische Akte European Free Trade Area Europäische Gemeinschaft(en) Europäische Gemeinschaft für Kohle und Stahl Europäische Nachbarschaftspolitik Europäische Sicherheitsstrategie Europäische Union European Union Border Assistance Mission European Union Police Assistance Mission Europäische Wirtschaftsgemeinschaft Forschungsgesellschaft Flucht und Migration European Agency for the Management of Operational Cooperation at the External Borders of the Member States of the European Union Former Yugoslav Republic of Macedonia General Agreement on Movements of People Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik General Agreement on Tariffs and Trade Global Commission on International Migration Groupe d´Étude de Démographie Appliquée Genfer Flüchtlingskonvention Government-Organized NGO

13 12:03:16.

GTZ GUS HIAS HLWG IBRD ICEM ICM ICG ICRC IDMC ICMPD ICPS IDP IGC IGO ILO IMIS INGO INRO IOM IRC IRO IST KSZE MTM NATO NGO NIROMP NRO OECD OHCHR OSCE OSZE PAMECA PHARE PICMME QUANGO

Gesellschaft für Technische Zusammenarbeit Gemeinschaft unabhängiger Staaten Hebrew Immigrant Aid Society High-Level-Working Group International Bank for Reconstruction and Development Intergovernmental Committee for European Migration Intergovernmental Committee for Migration International Crisis Group International Committee of the Red Cross International Displacement Monitoring Centre International Centre for Migration Policy Development International Centre for Policy Studies Internally Displaced Person Intergovernmental Consultations on Asylum, Refugees and Migration Policies in Europe, North America and Australia Intergovernmental Organization International Labor Organization Institut für Migrationsforschung und Interkulturelle Studien (Universität Osnabrück) International Governmental Organization Internationale Nichtregierungsorganisation International Organization for Migration Intergovernmental Committee on (Political) Refugees Internationale Regierungsorganisation Institute for Society Transformation Konferenz für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa Dialogue on Mediterranean Transit Migration North Atlantic Treaty Organization Non-Governmental Organization New International Regime for Orderly Movements of People Nichtregierungsorganisation Organization for Economic Cooperation and Development Office of the High Commissioner for Human Rights Organization for Security and Co-Operation in Europe Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa Police Assistance Mission of the European Community to Albania Poland and Hungary: Aid for Restructuring of the Economies Provisional Committee for the Movement of Migrants from Europe Quasi-Non-Governmental Organization

14 12:03:16.

RCP RCMP SAA SAP SIDA SOPEMI TACIS TCC TREVI UCIPR UdSSR UN UNCTAD UNDESA UNDP UNESCO UNFPA UNHCR UNICEF UNITAR UNODC UNWTO USA USAID VARRP WTO

Regional Consultative Process Regional Consultative Migration Process Stabilisierungs- und Assoziierungsabkommen Stabilisierungs- und Assoziierungsprozess für die Länder Südosteuropas Swedish International Development Agency Système d'Observation Permanente des Migrations Technical Assistance to the Commonwealth of Independent States Technical Cooperation Centre Terrorisme, Radicalisme, Extremisme et Violence Internationale Ukrainian Centre for Independent Political Research Union der Sozialistischen Sowjetrepubliken United Nations United Nations Conference on Trade and Development UN Department of Economic and Social Affairs United Nations Development Programme United Nations Educational, Scientific and Cultural Organization United Nations Population Fund (Office of the) United Nations High Commissioner for Refugees United Nations International Children’s Emergency Fund United Nations Institute for Training and Research United Nations Office on Drugs and Crime United Nations World Tourism Organization United States of America United States Agency for International Development Voluntary Assisted Return and Reintegration Programme World Trade Organization

15 12:03:16.

12:03:16.

Abbildungen und Tabellen

Abbildungen 1: 2: 3: 4: 5: 6:

Europäische Union und Untersuchungsländer (2006-2007) Hauptlinien der deutschsprachigen Geographischen Migrationsforschung Herleitung einer politisch-geographischen Forschungsperspektive (I) Herleitung einer politisch-geographischen Forschungsperspektive (II) Erkenntnisinteressen in Kapitel 3 und 4 Erkenntnisinteressen in Kapitel 5

22 36 81 85 94 97

Tabellen 1: 2: 3: 4: 5: 6: 7: 8: 9: 10: 11: 12: 13: 14: 15: 16: 17:

Internationale Migration im Vergleich zu anderen Kenngrößen Regionale Entwicklung der Zahl internationaler Migranten Ausländische Bevölkerung in den EU-Staaten (1950-2004) Phasen europäischer Wanderungsgeschichte im 20. Jahrhundert Nettozuwanderung von Ausländern in die EU (2005) Migrationspolitische Europäisierung innerhalb der EU Migrationspolitische Europäisierung außerhalb der EU Steuerungsvorschläge der EU für Albanien, Bosnien-Herzegowina und die Ukraine Auffassungen der EU zur Funktion spezialisierter IRO Funktionen der Kategorie Raum Statistische Informationen zu den Untersuchungsländern Informationen zu ICMPD, IOM, OSCE und UNHCR Steuerungsvorschläge im Vergleich: EU und IRO Finanzierung migrationsbezogener Projekte durch die Europäische Kommission Aufgriffe illegaler Migranten aus Albanien, Bosnien-Herzegowina und der Ukraine Aufgriffe illegaler Migranten in Albanien, Bosnien-Herzegowina und der Ukraine Beispiele für die Persistenz raumbezogener Wahrnehmungen in Bezug auf Migration (IRO)

51 54 101 102 107 124 129 140 142 153 167 176 192 217 233 235 260

17 12:03:21.

12:03:21.

I.

Einleitung

Erstmals seit dem Stopp der Gastarbeiteranwerbung in Europa (1973) diskutieren die Mitgliedsstaaten der Europäischen Union (EU) wieder über eine gezielte Anwerbung von Arbeitsmigranten. Während künftig eine beschränkte Anzahl von Migranten von neuen Anwerbemaßnahmen profitieren dürfte, wird die Situation für den Großteil aller zuwanderungswilligen Nicht-EU-Bürger (Drittstaatsangehörigen) unverändert bleiben – Seitens der EU als Zuwanderungsregion und der EU-Mitgliedsstaaten ist kein grundlegender migrationspolitischer Paradigmenwechsel in Sicht. Das übergeordnete Ziel der EU und ihrer Mitgliedsstaaten wird in den kommenden Jahren aller Voraussicht nach weiterhin in der Begrenzung von Zuwanderung liegen und gleichzeitig in einer weiteren Bekämpfung von allen Migrationsformen jenseits der behördlich vorgesehenen und als legal eingestuften Zuwanderungsmöglichkeiten. Im Hinblick auf die Unterbindung von politisch und behördlich unerwünschten und deshalb als »illegal« erklärten Migrationsbewegungen sieht die EU auch die Herkunfts- und Transitländer von Migranten in der Pflicht. Um diese Länder als Partner zu gewinnen und sie als sogenannte, nicht der EU selbst angehörende Drittstaaten auf dem Gebiet der Migrationsprävention zu unterstützen, gewähren die Europäische Kommission und die Mitgliedsstaaten der EU seit Jahren umfangreiche Finanzhilfen. Mit diesen Geldern wird in den außerhalb der EU liegenden Herkunfts- und Transitländern eine Vielzahl von technisch-operativen Steuerungsaktivitäten finanziert, so beispielsweise der Ausbau des Grenzschutzes oder Informationskampagnen zur Vermeidung des internationalen Menschenschmuggels und -handels. Diese sowohl direkt wie auch indirekt wirkenden Maßnahmen, die zusammen alle auf die Ziele der Kontrolle, Prävention und Unterbindung unerwünschter Wanderungsbewegungen ausgerichtet sind, werden im Regelfall nicht direkt durch die Institutionen der EU und in aller Regel auch nicht selbst durch die Regierungsbehörden der Herkunfts- und Transitländer implementiert. Vielmehr ist es so, dass die operative Umsetzung der EU-finanzierten Steuerungsmaßnahmen im Wesentlichen durch spezialisierte internationale Regierungsorganisationen (IRO) erfolgt. Wie in anderen Regionen der Welt übernehmen auch in Europa internationale Regierungsorganisationen immer häufiger Aufgaben zur Steuerung von Migration. Ihre Steuerungsaktivitäten finden dabei teilweise im Rahmen einer eigenen, zunehmend selbstbewusst gegenüber Staaten und regionalen Zusammenschlüssen (EU) vertretenen Programmatik des sogenannten »Managements« von Migration statt. 19 12:03:33.

Für die von der EU verfolgte Europäisierung der Migrationspolitik und die migrationsbezogene Partnerschaft der EU mit den Herkunfts- und Transitländern von Migranten sind vier internationale Regierungsorganisationen besonders bedeutsam – das »International Centre for Migration Policy Development« (ICMPD), die »International Organization for Migration« (IOM), die »Organization for Security and Co-Operation in Europe« (OSCE) und das »Office of the United Nations High Commissioner for Refugees« (UNHCR) (Kapitel 5.2.1). Es sind diese vier Organisationen, deren Steuerungsaktivitäten im Folgenden einer theoriegeleiteten Betrachtung und Analyse unterzogen werden.

Albanien, Bosnien-Herzegowina und die Ukraine als Untersuchungsländer Die empirische Untersuchung der Steuerungsaktivitäten des ICMPDs, der IOM, der OSCE und des UNHCRs konzentriert sich mit Albanien, Bosnien-Herzegowina und der Ukraine auf drei Länder, die selbst nicht der EU angehören, aber in unmittelbarer Nachbarschaft zur EU liegen (Abbildung 1) und für die Mitgliedsstaaten der EU als Herkunfts- und Transitländer von Migranten bedeutsam sind. Die seit den 1990er Jahren anhaltende und äußerst umfangreiche Emigration aus Albanien und der Ukraine zählt zusammen mit der Flucht und Vertreibung sowie der anschließenden (erzwungenen) Rückkehr von mehreren hunderttausenden Bürgerkriegsflüchtlingen aus Bosnien-Herzegowina (Kapitel 5.1) sicherlich mit zu den bedeutendsten Ereignissen der jüngeren europäischen Migrationsgeschichte. Albanien, Bosnien-Herzegowina und die Ukraine sind als Untersuchungsländer auch deshalb von besonderem Interesse, weil alle drei Länder besonders stark durch die Einflussnahmen der EU und die Steuerungsaktivitäten der vier zu untersuchenden internationalen Regierungsorganisationen gekennzeichnet sind. Während der Zeit der empirischen Untersuchungen (Frühjahr 2006 bis Sommer 2007), die mit Hilfe von leitfadengestützten Experteninterviews durchgeführt wurden, gehörten Albanien und Bosnien-Herzegowina dem Stabilisierungsund Assoziierungsprozess der EU für die Länder Südosteuropas (SAP) an. Die Ukraine war dagegen in der Europäischen Nachbarschaftspolitik (ENP) eingebunden. Das mittel- bis langfristige Ziel des SAPs, dem neben Albanien und Bosnien-Herzegowina auch das Kosovo, Kroatien, Mazedonien, Montenegro und Serbien angehören, liegt im Beitritt dieser südosteuropäischen Länder zur EU. Für die Ukraine ist im Rahmen der ENP dagegen, wie für alle übrigen Teilnehmerländer der Europäischen Nachbarschaftspolitik, auch längerfristig kein Beitritt zur EU vorgesehen (Kapitel 4.2.2).

20 12:03:33.

Vergemeinschaftung, Externalisierung und Exterritorialisierung – Europäisierung der Migrationspolitik Die Migrationspolitik der EU stellte sich 2006 und 2007 eher als ein migrationspolitischer »Flickenteppich« denn eine tatsächlich einheitliche und gemeinsame EU-Migrationspolitik dar: Wie Abbildung 1 zeigt, beteiligten sich während des Zeitraums der empirischen Untersuchungen drei EU-Mitgliedsstaaten (Dänemark, Großbritannien und Irland) am Projekt einer gemeinsamen EU-Migrationspolitik entweder gar nicht oder nur teilweise; während Großbritannien und Irland das wichtigste migrationspolitische Vertragswerk der EU – das Abkommen von Schengen – nicht anwendeten, gab es zwei Nicht-EU-Staaten, die dieses Abkommen bereits ratifiziert und voll in ihre nationale Gesetzgebung übernommen hatten (Island und Norwegen). Im Fall der 2004 bzw. 2007 beigetretenen neuen EU-Staaten Zypern, Bulgarien und Rumänien war 2007 dagegen noch nicht einmal klar, wann diese Länder (trotz Vollmitgliedschaft in der EU) das Abkommen von Schengen tatsächlich voll anwenden könnten. Obwohl also noch nicht von einer einheitlichen und bereits vollentwickelten EU-Migrationspolitik die Rede sein kann, vermittelt die EU den sogenannten Drittstaaten, und darunter den Herkunfts- und Transitländern (beispielsweise Albanien, Bosnien-Herzegowina und die Ukraine), den Eindruck, es gäbe bereits so etwas wie eine einheitlich-kohärente und konsolidierte EU-Migrationspolitik, die man vollständig zu übernehmen habe, wolle man selbst der EU angehören (Kapitel 4.2.2). Während sich die EU als ein einheitlicher und gemeinsamer »Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts« konstituieren will, versuchen der Europäische Rat, der (EU-)Ministerrat für Justiz und Inneres und die Europäische Kommission über eine spezifische Form der »Migrationsaußenpolitik« sowie den SAP, die ENP und andere Politikprozesse die Migrationspolitik in Albanien, Bosnien-Herzegowina und der Ukraine zu beeinflussen. Das Pendant zur Vergemeinschaftung (Supranationalisierung) der Migrationspolitik innerhalb der EU besteht dabei in der Verlagerung von migrationsbezogenen Steuerungsaktivitäten, sowohl räumlich (Exterritorialisierung) als auch akteursbezogen (Externalisierung): Die Herkunfts- und Transitländer von Migranten sind (unfreiwillig) Partner der EU in der Prävention und Unterbindung von unerwünschten Wanderungsbewegungen geworden, zugleich sind im Zuge der Europäisierung der Migrationspolitik auch nicht der EU angehörende Akteure, darunter insbesondere das ICMPD, die IOM, die OSCE und das UNHCR, zu Co-Akteuren der EU bei der Steuerung der internationalen Migration geworden (Kapitel 2.3.1).

21 12:03:33.

Abbbildung 1: Eu uropäische Uniion und Unterrsuchungsländ der (2006-20007)

Quelle: Eigenerr Entwurf.

22 12:03:33.

Genau am Punkt des Zusammentreffens der exterritorialen Verlagerung von Steuerungsaktivitäten (Beispiel der drei Untersuchungsländer) und der Verlagerung von Steuerungsaufgaben auf Nicht-EU-Akteure (gezeigt an den Beispielen ICMPD, IOM, OSCE und UNHCR) setzt im Folgenden (Kapitel 3 ff.) die auf eigenen empirischen Befunden des Autors basierende Analyse an.

Leitfragen, Forschungsperspektive und Vorgehensweise Das Engagement spezialisierter internationaler Regierungsorganisationen auf dem Gebiet der Migrationspolitik ist bislang kaum untersucht worden. Der zugleich paradoxe als auch paradigmatische Fall einer migrationspolitischen Europäisierung von Nicht-EU-Staaten durch Nicht-EU-Akteure markiert ein politikwissenschaftlich äußerst interessantes Untersuchungsthema. Die Verzahnung des internationalen »Managements« von Migration (Steuerungsaktivitäten internationaler Regierungsorganisationen) mit der Europäisierung von Migrationspolitik stellt insbesondere aber auch für die Politische Geographie und die Geographische Migrationsforschung ein interessantes Forschungsfeld dar – Praxen der strategischen Verräumlichung begleiten nämlich beide Prozesse und bewirken damit eine (Re-)Konstruktion von (neuen) Räumen der Sicherheit und Intervention. Gewissermaßen aus der deutschsprachigen Geographie und ihrer bisherigen Forschungspraxis zu Migration heraus und zugleich auf der Grundlage von zusätzlichen Theorieangeboten der Sozialgeographie und der interdisziplinären Migrationsforschung wird in den Kapiteln 1 und 2 eine politisch-geographische Forschungsperspektive hergeleitet. In Kapitel 2.2 wird für die folgende theoriegeleitete Analyse in einem ersten Herleitungsschritt zunächst eine akteurs- und handlungsbezogene Forschungsperspektive entwickelt, die gezielt auf das Wie, Durch wen und Warum von Migrationssteuerung ausgerichtet ist und dabei auch die Folgen von Steuerungsaktivitäten für die Wanderungssituation, die Untersuchungsländer, die Migranten und die EU berücksichtigt. Das empirisch-analytische Vorgehen wird in den Kapiteln 3 bis 5 zuerst durch zwei Leitfragen (LF) angeleitet: »Wie und warum tragen spezialisierte IRO zur Steuerung internationaler Migration bei?« (LF1) und »Welche Folgen sind mit den Steuerungsversuchen dieser spezialisierten Akteure verbunden?« (LF2).

23 12:03:33.

Das angesprochene »Raumprojekt« eines »Raumes der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts«, das die EU seit 1999 verfolgt und das in einem engen Bezug mit der Europäisierung der Migrationspolitik, den Exterritorialisierungs- und Externalisierungsbemühungen der EU und den Steuerungsaktivitäten spezialisierter internationaler Regierungsorganisationen steht, ist ein erster Hinweis darauf, dass der Kategorie Raum im Zusammenhang mit migrationspolitischen Maßnahmen bestimmte Funktionen zukommen. In Kapitel 2.2 wird in einem zweiten Herleitungsschritt deshalb die akteurs- und handlungsbezogene Perspektive um eine raumkonstruktivistische Sichtweise ergänzt, bei der nun auch die Kategorie Raum und deren Produktion und Funktion im Migrationspolitischen im Zentrum steht. Diese Perspektivenerweiterung für die (Geographische) Migrationsforschung bietet sich auch deshalb an, weil, wie anhand der empirischen Befunde in den Kapiteln 3 bis 5 deutlich werden wird, sowohl die Konzeption als auch die Implementation von steuerungsbezogenen Aktivitäten auf Praxen der Verräumlichung und der politischen Instrumentalisierung von Raum beruhen. Bei der theoretisch-inhaltlichen und empirischen Erschließung des Forschungsthemas und der Interpretation der Forschungsergebnisse wird vor diesem Hintergrund in den Kapiteln 3 bis 5 noch eine weitere Leitfrage verfolgt: »Welche Funktion kommt der Kategorie Raum im Prozess der Europäisierung von Migrationssteuerung und im Zuge der Steuerungsversuche internationaler Regierungsorganisationen zu?« (LF3). In der Schlussbetrachtung in Kapitel 6 wird ausgehend von den erhobenen empirischen Befunden ein Rückbezug auf den theoretisch-konzeptionellen Teil der Arbeit (Kapitel 1 und 2) sowie eine Weiterführung der theoretischen Einordnung und Erörterung der empirischen Ergebnisse erfolgen. Außerdem wird im Hinblick auf die drei Leitfragen ein kurzes Resümee gezogen (Kapitel 6.4).

24 12:03:33.

II.

Eine politisch-geographische Forschungsperspektive für die Geographische und Interdisziplinäre Migrationsforschung

1. Migrationssteuerung als geographisches Forschungsthema 1.1 Migrationssteuerung: Historische Entstehung und Konzeptionalisierung Obwohl Bevölkerungswanderungen im Laufe der Menschheitsgeschichte immer wieder aufgetreten sind, werden Migrationsbewegungen früherer Epochen, wie etwa die Völkerwanderungen im europäischen Raum, heute üblicherweise von jenen abgegrenzt, die sich ab Mitte des 17. Jahrhunderts innerhalb eines neu entstehenden internationalen Staatensystems zu vollziehen begannen. Im Westfälischen Frieden von 1648, der nach dem Dreißigjährigen Krieg eine grundlegende Revision der früheren Auffassungen zu Staatlichkeit und der internationalen Staaten- und Werteordnung mit sich brachte, wurde festgelegt, dass die Integrität der staatlichen Gebietshoheit von nun an höchsten Schutz genieße und jeder Staat für sich die Verfügungsmacht darüber besitze, wer das nationalstaatliche Territorium verlassen, betreten und wer in diesem verbleiben dürfe.1 Ausgehend von diesem »Territorialprinzip«, wie es 1648 erstmals festgelegt worden war, wird heute zwischen zwei Hauptformen der Migration2 unterschieden, zwischen (1) Binnenwanderungen, die innerhalb der Grenzen eines Territorial- bzw. Nationalstaates vollzogen werden, und (2) internationalen Wanderungen (Außenwanderungen), bei denen die auf Dauer erfolgende bzw. dauerhaft werdende Wohnortverlagerung über die Staatsgrenzen mindestens zweier souveräner Staaten hinweg erfolgt.3 Seit 1648 steht der Begriff der internationalen Mi-

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2

3

Vgl. hierzu und im Folgenden Behr (2004: 52-59) und Weiner (1996: 442). Als Migration (Wanderung) werden räumliche Verlagerungen des Wohnsitzes üblicherweise dann bezeichnet, wenn mit ihnen ein »auf Dauer angelegte[r]« oder zumindest nach und nach »dauerhaft werdende[r] Wechsel in eine andere Gesellschaft bzw. in eine andere Region« [Treibel (1999: 21)] verbunden ist. Mittlerweile hat sich auf internationaler Ebene die Regel durchgesetzt, Wanderungen erst dann als Fälle einer dauerhaften (permanenten) internationalen Migration zu werten, wenn die Wohnortverlagerung mindestens ein Jahr Bestand hat. Wird der Wohnort im Zielland weniger als zwölf Monate aufrechterhalten, spricht man von temporärer internationaler Migration, während die zeitliche Grenze von drei Monaten als Kriterium zur Unterscheidung von temporären internationalen Wanderungen und Fällen internationaler Mobilität herangezogen wird. Vgl. Düvell (2006: 5-6), Treibel (1999: 19-21) und Zlotnik (1999: 22).

25 12:03:42.

gration, der trotz einer Vielzahl von Differenzierungsversuchen bis in die Gegenwart viele Fragen aufwirft4, für einen »devianten« Prozess und eine Abweichung von der als »Normalität« empfundenen Auffassung, jeder Staatsbürger lebe für die Spanne seines gesamten Lebens in einem (und nur einem) nationalstaatlichen »Containerraum« und sei in diesem gewissermaßen verwurzelt. Der Figur des internationalen Migranten wird deshalb auch bis heute Argwohn und Furcht entgegengebracht, personifiziert er doch die Irritation, die nicht bestehende Deckungsgleichheit zwischen Realität und Idealvorstellung, und führt er das Nationalstaatskonstrukt im Grunde ad absurdum. Die Thematisierung internationaler Wanderungen in Form eines Problems durchlief seit dem 17. Jahrhundert dabei unterschiedliche Phasen; Migration wurde einmal stärker und einmal weniger stark problematisiert.5 Genauso verhielt es sich mit den Steuerungsbemühungen, mit denen die Nationalstaaten auf die »Grenzüberschreitung« durch internationale Migration zu reagieren versuchten. Bei genauerer Betrachtung ist die Steuerung von Migration, die mit dem Anspruch einer möglichst lückenlosen Kontrolle über den Zutritt, Aufenthalt und die Beschäftigung von Personen ausländischer Herkunft verknüpft ist, als koordinierte staatliche Interventionsleistung erst im Kontext des Ersten Weltkriegs und der bis 1933 folgenden Zwischenkriegszeit in Erscheinung getreten. Während der Zeit des Merkantilismus und der Industrialisierung bildeten restriktive Steuerungseingriffe in den meisten europäischen Staaten noch eher die Ausnahme. Ausländische Arbeitskräfte waren in aller Regel erwünscht und gesellschaftlich akzeptiert. Im Zuge einer raschen wirtschaftlichen Entwicklung kam vieler-

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So ergeben sich manche Fälle dauerhaft-permanenter internationaler Migration erst nach einiger Zeit aus temporären Formen der Migration und Mobilität heraus. Fraglich ist oft, ob die behördliche Meldung einer Wohnortverlagerung oder der Besitz eines Aufenthaltstitels für ein anderes Land zwangsläufig bedeuten müssen, dass der Lebensmittelpunkt einer Person tatsächlich dauerhaft an einen anderen Ort und in ein anderes Land verlegt worden ist. Neben der Kategorie Zeit bereitet auch das Kriterium der per Definition ja zu überschreitenden internationalen Grenze Probleme: Wenn die staatliche Unabhängigkeit des Herkunfts- oder Zielgebietes völkerrechtlich nicht geklärt ist, kommt es beispielsweise vor, dass die registrierten Wohnsitzverlagerungen als Binnenwanderungen und nicht als Fälle internationaler Migration gewertet werden. Genauso ist es möglich, dass nach dem Zerfall von Staaten die Angehörigen nationaler Minderheiten in den nunmehr unabhängig gewordenen Staaten als internationale Migranten behandelt werden, obwohl die internationale Grenze gewissermaßen erst »über ihren Köpfen hinweg« entstanden ist. Für einen historischen Überblick zur Migrations- bzw. Ausländerpolitik in Deutschland und Europa siehe beispielsweise Bade (2002), Bade et al. (2007) und Oltmer (2003a).

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orts gerade der »industriellen Reservearmee«6 von Ausländern und Zuwanderern aus anderen Regionen (Binnenmigranten) eine wichtige Rolle zu.7 Unter stärkerer Regulierung und Restringierung durften ab der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts in vielen Ländern dann nur noch alleinstehende Arbeitskräfte zuwandern. Die Möglichkeit der Arbeitsausübung im Zielland wurde zeitlich befristet, den männlichen wie auch weiblichen Arbeitsmigranten war es außerdem untersagt, im Zielland zu heiraten oder Angehörige nachzuholen.8 Starke nativistische Strömungen hatten in Preußen und in anderen deutschen Ländern zur Folge, dass sich die staatlichen Behörden immer eingehender mit dem Wanderungsgeschehen zu beschäftigen begannen und unter anderem auf der Basis von Melderegistern ihren sanktionierenden Einfluss auf Migrationsbewegungen langsam ausweiteten und perfektionierten. Die Durchführung migrationssteuernder Maßnahmen, einschließlich der Überwachung ausländischer Personen und der Einführung einer saisonalen Rückkehrpflicht wurden zur Routine, zu einer Frage des Prinzips. Ende des 19. Jahrhunderts wurden immer häufiger Zwangsausweisungen durchgeführt, während die europäischen Staaten gleichzeitig damit begannen, ihre Bürger mit Personalausweisen und Reisepässen auszustatten. Auch in den USA, in denen zwischen 1800 und 1925 der Großteil der schätzungsweise 48 Millionen nach Übersee ausgewanderten Europäer eine neue Heimat gefunden hatte, endete nach dem Ersten Weltkrieg (1914-1918) die zuvor praktizierte »Open-Door Policy«. Theoretisch konzeptionalisieren lässt sich der Begriff Migrationssteuerung mit Hilfe des traditionellen Steuerungsverständnisses in den Politikwissenschaften: Steuerung wird als eine Leistung betrachtet, die vom Staat (Steuerungssubjekt) für die Gesellschaft (Steuerungsobjekt) erbracht wird. Die auch als dominanthierarchisch bezeichnete, vom Staat unidirektional ausgehende Steuerung der Gesellschaft und des Gesellschaftlichen zielt nach BROZUS et al. auf

6 7

8

Dieser Begriff entstand im Zuge der Kapitalismuskritik von MARX, vgl. Marx (1983: Band 1) [1867]. Rückblickend betrachtet ist es wohl kaum möglich, die europäische Sozial- und Wirtschaftsgeschichte vor und während der Industrialisierung ohne den Faktor innerstaatlicher und internationaler Wanderungen zu denken. Vgl. Oltmer (2003a) und Santel (1995: 33). Noch stärker als internationale Wanderungen waren Binnenwanderungen, meist von entlegeneren ländlichen Gebieten in die entstehenden Industriestädte bedeutsam. Die hohe Bedeutung von Migration motivierte Ende des 19. Jahrhunderts den deutschstämmigen Geographen RAVENSTEIN, sich näher mit Wanderungsvorgängen zu beschäftigen und nach bestimmten Gesetzen der Migration zu suchen, vgl. Ravenstein (1885). Vgl. hierzu und im Folgenden Santel (1995: 33) und Oltmer (2003a).

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»[...] die Formulierung und die Durchsetzung von allgemeinverbindlichen Verhaltensregeln, die die Bereitstellung öffentlicher Güter wie etwa Sicherheit, Wohlfahrt oder eine gesunde Umwelt sicherstellen sollen [...].«9

Der Staat greift, so das traditionelle Steuerungsverständnis, also im Interesse des Wohls seiner Bürger »von oben her« ein. Seine Steuerungsaktivitäten gelten als legitimiert und gerechtfertigt, da davon ausgegangen wird, dass die Ministerien und Verwaltungen des staatlichen Herrschaftsapparates mittels Wahl oder Zustimmung durch die Bürger beauftragt sind. Staatliche Steuerungseingriffe gelten als absolut unerlässlich, besonders in solchen Fällen, in denen »[...] ungesteuerte Handlungszusammenhänge unerwünschte Folgen hervorrufen, also die negativen Konsequenzen der Abwesenheit bzw. des Ungenügens politischer Steuerung die positiven Effekte überwiegen.«10

Prinzipiell gilt dabei das Postulat, dass sich durch einen rationalen, an den gesetzten Zielen und vorausgesehenen Problemen orientierten und gezielt geplanten Mitteleinsatz eigentlich jeder Handlungszusammenhang steuern lässt und die Steuerungsobjekte und eventuell auftretenden Risiken zuvor vollständig eingeschätzt bzw. kalkuliert werden können.11Aufgrund der Annahme, die staatlichen Steuerungseingriffe seien am Wohl der Gesellschaft orientiert, kann man auch von gemeinwohlorientierter Steuerung sprechen. Steuerung ist dabei ein viel spezifischerer Begriff als Regieren: Mit Steuerung ist die Annahme verbunden, dass der Staat mehr oder weniger aktiv handelt, zum Wohle der Gesellschaft in gesellschaftliche Vorgänge und Zustände steuernd eingreift und gegenüber seinen Bürgern eine gewisse Fürsorge walten lässt. Steuerung meint in diesem Sinne anordnen, ausführen und handeln, nicht lediglich Gesetze machen und repräsentieren. Die Auffassung, der Staat habe für das Wohl seiner Bürger Verantwortung zu tragen, ist keineswegs alt, sie setzte sich erst im 20. Jahrhundert durch. Ausgehend vom 18. Jahrhundert mussten sich die Bürger der europäischen Staaten erst in einem mühsamen und äußerst konfliktreichen Prozess bürgerliche, politische und schließlich auch soziale und wohlfahrtsstaatliche Rechte vom Souverän erkämpfen.12 Erst im Zuge dieser Entwicklung differenzierte sich in einigen Ländern der Nationalstaat langsam zu einem Sozial- und Wohlfahrtsstaat aus.13 Wie FOUCAULT schreibt, ist der Nationalstaat im Zuge dieser Entwicklung gewissermaßen zu einem »treu sorgenden Vater« geworden und das Volk zur »Hauptzielscheibe« seines Regierens, während die einst ausschließlich verfolgten und we9 10 11 12 13

Brozus et al. (2003: 19). Brozus et al. (2003: 19). Vgl. Bommes (2011: 116). Siehe dazu Marshall/Bottomore (1992) [1950]. Vgl. Bommes/Halfmann (1998a).

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nig am Wohl des Volkes orientierten Bemühungen um territoriale Expansion und Machterhalt in den Hintergrund getreten sind.14 AGAMBEN ergänzt diese Gedanken durch die Aussage, dass mit der Transformation der ehemals feudalistischen Staaten zu entwickelten Sozial- und Wohlfahrtsstaaten eine »biologische Modernitätsschwelle«15 überschritten worden sei. Er schließt sich FOUCAULT an, indem er davon ausgeht, dass die Gattung Mensch und das menschliche Individuum als lebender Körper nun zum Hauptziel politisch-staatlicher Strategien und Ordnungsbemühungen geworden sind. Das staatliche Regieren, genauer die gemeinwohlorientierte Steuerung, ist nach Meinung der beiden Philosophen seit dem 20. Jahrhundert nun vor allem darauf ausgerichtet, biologisch-lebensbezogene und gesellschaftliche Prozesse (so auch internationale Migration) zu überwachen und steuernd zu manipulieren. Wie äußert sich Steuerung nun im Hinblick auf internationale Wanderungen, wie lässt sich Migrationssteuerung vor dem Hintergrund dieser Ausführungen theoretisch konzeptionalisieren? Zunächst ist der Hinweis wichtig, dass das gemeinwohlorientierte Steuern des Staates prinzipiell und strenggenommen nur auf die Staatsangehörigen des betreffenden Staates ausgerichtet ist. Es ist der Staat, so ZOLBERG, der auf der Basis seiner territorialen Verfasstheit und durch seine Kontrollbemühungen über territorialen Zutritt und Verbleib internationale Migration als einen besonderen sozialen Vorgang begründet.16 Nur aufgrund der territorialen Verfasstheit von Nationalstaaten kann letztlich überhaupt internationale Migration beobachtet und als sozialer Sachverhalt oder auch »Problem« kommuniziert werden. Die »Quintessenz der Nationform« liegt für BALIBAR dabei in der Ausgrenzung all derer, die nicht der Nation zugerechnet werden können – also beispielsweise auch den Migranten.17 Folglich gelten Ausländer und Nicht-Bürger als nicht voll teilhabeberechtigt und nicht gleichberechtigt im Zugang zu bestimmten sozialen und wohlfahrtsstaatlichen Leistungen des Staates, aber auch vielen politischen und teilweise sogar bürgerlichen Rechten. Auch als ausdifferenzierter Sozial- und Wohlfahrtsstaat ist der Nationalstaat weiterhin ein Nationalstaat. Mit ihm in Verbindung bleibt die Idealvorstellung, dass in jedem Nationalstaat ein auserwähltes Volk von Menschen mit gemeinsamen Wurzeln, gleicher ethnisch-nationaler Abstammung und gemeinsamer Zukunft lebe. Auch in Gestalt des Sozial- und Wohlfahrtsstaates ist der Nationalstaat bis heute eine im WEBER’schen Sinne nach außen geschlossene soziale Be-

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Vgl. Foucault (2004: 147-158). Agamben (2002: 13). Vgl. Zolberg (1989: 405). Vgl. Balibar (2005: 50).

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ziehung geblieben.18 Greift der Staat steuernd in internationale Wanderungsvorgänge ein, dann vor dem Hintergrund, dass er weiterhin daran festhält, die für die Staatsbürger reservierten bürgerlichen, politischen, sozialen und wohlfahrtsstaatlichen Rechte, Leistungen und Möglichkeiten gegenüber Zuwanderern und Zuwanderungswilligen zu verteidigen und zu verschließen.19 Ausländer und NichtBürger gelten, wie BIGO schreibt, prinzipiell weiterhin eine »Gefahr für die Homogenität des Volkes« und werden als eher ungewollte/unliebsame Anspruchbzw. Bittsteller gesehen.20 In der Konsequenz kann Migrationssteuerung, insbesondere wenn sich diese Steuerung in der Abwehr und Kontrolle von Zuwanderung und Zuwanderern äußert, als eine spezielle Ausprägung der zuvor angesprochenen gemeinwohlorientierten Steuerung verstanden werden. Denn die Steuerungsversuche auf internationale Migration müssen unweigerlich im Zusammenhang damit gesehen werden, inwieweit – erstens – jeder originär anspruchsberechtigte Bürger an den für ihn verbürgten Rechten unbeeinträchtigt partizipieren kann, und – zweitens – inwiefern der Nationalstaat weiterhin die exklusive, nach außen geschlossene Bürgergemeinschaft vereint halten kann. Steuerungsmaßnahmen, die auf die Kontrolle von Migranten, Wanderungsbewegungen und die Unterbindung unerwünschter Migration ausgerichtet sind, unterstützen damit den, in Bezug auf Nationalstaaten, wichtigsten »Modus sozialer Schließung«21 – die Staatsbürgerschaft. Sie ist es, die bis heute die soziale Differenzierung zwischen Nicht-Bürgern und Bürgern betont und aufrechterhält. Als Modus sozialer und nationalstaatlicher Schließung wirkt sie zugleich sozial einschließend (inkludierend) wie auch ausschließend (exkludierend). Migrationssteuernde Maßnahmen unterstützen die Schließungsformel Staatsbürgerschaft dadurch, dass mit ihrer Hilfe der Kreis der potenziellen Anspruchsberechtigten bewusst klein gehalten wird. Migrationssteuerung dient in den heutigen Sozialund Wohlfahrtsstaaten also, in anderen Worten ausgedrückt, dazu, den »Kampf um Zugehörigkeit«22 unter Kontrolle zu halten und den Anspruch von Zuwanderern gegenüber dem Staat und auf bestimmte bürgerliche, politische, soziale und wohlfahrtsstaatliche Rechte und Ressourcen zu regulieren. Wie die Staatsbürgerschaft unterstützt und »verteidigt« somit auch die Steuerung internationaler Wanderungen die Exklusivität der Staatsbürgernation, in18 19 20 21 22

Zur Theorie geschlossener (und offener) sozialer Beziehungen siehe Weber (1956: 31) [1922]. Siehe diesbezüglich auch Brubacker (2000) und Mackert (1999). Vgl. Bigo (2010: 45). Mackert (1999). Mackert (1999).

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dem, mit Blick auf das Gemeinwohl der Bürger, der Zutritt und der Verbleib von Nicht-Bürgern überwacht und zielgerichtet beeinflusst wird. Steuernde Eingriffe in das Wanderungsgeschehen werden, wie das traditionelle Beispiel der Kontrolle von Pässen an den Staatsgrenzen zeigt, typischerweise oft territorial umgesetzt. Diese territorial erfolgenden Maßnahmen sind eine Konsequenz des gesellschaftlichen Konstruktes namens Nationalstaat, selbst sind sie die Ursache oder Konsequenz (neuer) sozialer Effekte, beispielsweise der gezielten Ausgrenzung der »Anderen« oder der politisch-bürokratischen Diskriminierung von Zuwanderern im Zugang zu zentralen gesellschaftlichen Ressourcen. Ausgehend von den bisherigen Erörterungen soll der Begriff der Migrationssteuerung im Folgenden im Sinne von gezielten Handlungsweisen und Politik-/ Handlungsentwürfen verwendet werden, mit denen staatliche Behörden oder andere Akteure die Kontrolle, Vermeidung oder aber auch die Ermöglichung internationaler Wanderungen bezwecken. Migrationssteuerung wird als spezifischer Begriff anstelle der sehr allgemeinen Bezeichnung und Umschreibung der Migrationspolitik verwendet. Dies erfolgt aus dem Verständnis heraus, dass Steuerungsinterventionen, die auf die Unterbindung, Kontrolle oder Ermöglichung von Migration zielen, nur einen Aspekt von Migrationspolitik repräsentieren. Außerdem stellt sich Migrationspolitik in aller Regel als ein recht diffuses und auch diffus bleibendes Feld dar, das sich über mehrere traditionelle Politikfelder hinweg erstreckt (Innen-, Außen-, Sicherheits-, Justiz- oder auch Entwicklungspolitik).23 Neben dem Begriff der internationalen Migration wird in der politischen, der behördlich-rechtlichen und der wissenschaftlichen Praxis allerdings noch eine Vielzahl anderer Bezeichnungen verwendet. Üblich ist beispielsweise die Unterscheidung nach freiwilligen und unfreiwilligen internationalen Wanderungen. Letztere werden als Flucht(-wanderungen) bezeichnet, für die die Definition der sogenannten Flüchtlingseigenschaften, wie sie in der Genfer Flüchtlingskonvention (GFK) 1951 völkerrechtlich festgelegt ist, den maßgeblichen Referenzpunkt bildet. Artikel 1 der GFK zufolge gilt eine Person dann als Flüchtling, sobald sie sich »[...] aus der begründeten Furcht vor Verfolgung wegen ihrer Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen ihrer politischen Überzeugung [...] außerhalb des Landes befindet, dessen Staatsangehörigkeit sie besitzt, und den Schutz dieses Landes nicht in Anspruch nehmen kann oder wegen dieser Befürchtungen nicht in Anspruch nehmen will [...].«24

23 24

Vgl. Birsl (2005: 75). UNHCR (2010).

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Als Flüchtlinge und damit in vielen Ländern asylberechtigte Personen werden allerdings meist nur die Personen anerkannt, die aufgrund der in der GFK benannten Gründe in ihrem Heimatland individuell verfolgt wurden, diesen Umstand einwandfrei belegen können und für die im Herkunftsland nachweislich kein ausreichender Schutz mehr besteht. Gemäß Artikel 33 der GFK sollen Flüchtlinge nicht in Länder zurückgeschickt oder abgeschoben werden, in denen ihre Sicherheit gefährdet ist (Prinzip des »Non-Refoulement«). Diejenigen, die keine Belege für eine individuelle Verfolgung oder Vertreibung im Sinne der GFK anführen können oder sich bei der Antragstellung auf Asyl nicht außerhalb ihres Heimatlandes befinden, werden in aller Regel nicht als Flüchtlinge anerkannt. Ihnen werden ökonomische oder andere Wanderungsmotive anstelle einer individuellen politischen Verfolgung oder Vertreibung unterstellt. Im schlimmsten Fall droht ihnen deshalb eine Ausweisung oder Abschiebung. Ohne diese sehr einfache Unterscheidungsweise, wie sie durch die politische und behördlich-rechtliche Praxis verfolgt wird, kommt in vielen Fällen auch die Migrationsforschung nicht aus. Neben einigen Wanderungstypologien, in denen ebenfalls strikt-dichotom nur zwei Typen internationaler Wanderungen (Migration vs. Flucht bzw. Vertreibung) unterschieden werden25, liegen auch differenziertere Typologisierungsversuche vor. So stellt RICHMOND26 in seiner Wanderungstypologie beispielsweise heraus, dass Wanderungsvorgänge fast nie auf vollständig freiwillig oder auf vollständig unfreiwillig getroffenen Migrationsentscheidungen beruhen. Außerdem hebt er hervor, dass Wanderungsentscheidungen immer auch durch größere soziale Kollektive und den Staat beeinflusst werden. Seiner Meinung nach passen deshalb die wenigsten Migranten in vermeintlich eindeutige Idealkategorien. Sie befinden sich in der Regel zwischen diesen: in einem fließenden Übergang zwischen ausschließlich reaktiven und rein proaktiv handelnden Migranten.27 Die Differenzierung zwischen legalen und illegalen Wanderungsformen stellt ein weiteres Beispiel einer strikt-dichotomen Unterscheidungsweise dar. Auch sie ist in vielen Fällen problematisch, unter anderem schon deshalb, weil das verwende25 26 27

Siehe beispielsweise Price (1969). Vgl. Richmond (1988). PETERSEN spricht sich in seiner Typologie dafür aus, neben der »Primitive Migration« (durch ökologische Veränderungen ausgelöste Wanderungen), der »Free Migration« (Motive des individuellen Strebens nach sozialem Aufstieg und nach einer Verbesserung der Lebensverhältnisse), der »Mass Migration« (durch gruppendynamische Prozesse ausgelöst) als weitere Wanderungstypen auch die »Impelled Migration«, bei der trotz äußerer Zwangseinwirkung noch eine gewisse individuelle Entscheidungs- und Handlungsfreiheit gegeben ist, und die vollständig auf Zwang beruhende »Forced Migration« zu unterscheiden. Vgl. Petersen (1958).

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te Adjektiv (illegal) bestimmte Formen der Einreise, des Aufenthaltes oder der Beschäftigung direkt in die Nähe eines kriminellen Tatbestandes rückt. Ausgehend von den Grunddimensionen Einreise, Aufenthalt und Beschäftigung gibt es eigentlich eine Vielzahl äußerst unterschiedlicher Fälle illegaler Migration.28 So können legale Migranten beispielsweise zu illegal aufhältigen Migranten werden, wenn ihre Einreiseerlaubnis abläuft und sie keine neue Aufenthalts- und Arbeitserlaubnis erhalten. In eine solche Situation können Migranten auch unverschuldet geraten, zum Beispiel wenn bürokratisch-rechtliche Regelungen äußerst unflexibel gehandhabt werden oder die Erteilung neuer Aufenthalts- und Beschäftigungserlaubnisse mit erheblicher Verzögerung erfolgt. Und selbst bei einer legalen Einreise und einer gültigen Aufenthaltsbefugnis ist es möglich, dass Migranten im Hinblick auf ihre Beschäftigung als illegale Migranten bezeichnet werden, unter anderem dann, wenn der Arbeitgeber es versäumt oder bewusst unterlässt, sie ordnungsgemäß bei der Sozialversicherung anzumelden.29 Die »UN Convention on Transnational Organized Crime« unterscheidet zwei weitere Fälle illegaler Migration: »Smuggling of migrants shall mean the procurement, in order to obtain, directly or indirectly, a financial or other material benefit, of the illegal entry of a person into a State Party of which the person is not a national or a permanent resident.« »Trafficking in persons shall mean the recruitment, transportation, transfer and harbouring or receipt of persons, by means of the threat or use of force or other forms of coercion, of abduction, of fraud, of deception, of the abuse of power or of a position of vulnerability or of giving or receiving payments or benefits to achieve the consent of a person having control over another person, for the purpose of exploitation.«30

Unter den Begriff Menschenschmuggel (Human Smuggling/Smuggling in Human Beings) fallen gemäß dieser internationalen Konvention solche Fälle illegaler Migration, bei denen Migranten mit Hilfe professioneller Schleuser und gegen Bezahlung ohne gültige Einreisedokumente und unter bewusster Umgehung oder Täuschung von Grenzkontrollen in ein anderes Land gelangen.

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Es wird auch von irregulärer oder undokumentierter Migration gesprochen. Das erste Adjektiv wertet bestimmte Fälle der Einreise, des Aufenthaltes oder der Beschäftigung als gravierende Regelverstöße, während die Bezeichnung undokumentierte Migration auch im Sinne von statistisch nicht erfassten Wanderungsfällen missverstanden werden kann. Vielerorts ist es illegalen Migranten möglich, sich dank einer gewissen »LaissezFaire«-Haltung lokaler Behörden trotz ihres illegalen Aufenthaltsstatus wohnhaft niederzulassen und einer Erwerbstätigkeit nachzugehen. Vgl. die Beobachtungen zu zugewanderten Arbeitskräften in der Landwirtschaft Südspaniens in Geiger (2005) und Ortiz Molina (2001). UN (2000: Annex II).

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Als Menschenhandel (Human Trafficking/Trafficking in Human Beings) werden im Unterschied dazu solche Fälle illegaler Migration bezeichnet, bei denen Migranten gegen ihren Willen in ein anderes Land verschleppt werden oder bei denen Migranten durch Kriminelle bewusst über die im Zielland anschließende Beschäftigung getäuscht werden (beispielsweise statt Au-Pair-Beschäftigung sexuelle Ausbeutung als Zwangsprostituierte). Zentral für das Konzept des Menschenhandels ist das Kriterium, dass Migranten nach ihrem Grenzübertritt in ausbeuterische und menschlich unwürdige Beschäftigungsverhältnisse geraten, die sie unter Zwang ausüben müssen, um für die Menschenhändler materielle Gewinne zu erwirtschaften. Im Unterschied zum Menschenschmuggel gelten beim Trafficking die illegal eingereisten Migranten als Opfer und nicht als Täter. Zahlreiche Migrationsforscher und Sozialarbeiter, die sich mit dem Phänomen des Menschenhandels auseinandersetzen oder die Opfer von Menschenhändlern betreuen, äußern allerdings ernste Zweifel an dieser simplen Unterscheidungsweise.31 Ihrer Meinung zufolge ist es in den allermeisten Fällen äußerst schwierig und im Nachhinein oft geradezu unmöglich festzustellen, welche Kenntnisse die betroffenen Personen zu Beginn ihrer Verschleppung tatsächlich über ihr späteres Schicksal besaßen und zu welchem Grad Zwangs- oder Täuschungsmittel eingesetzt wurden.32 Deutlich geworden ist, dass unter dem allgemeinen Oberbegriff der internationalen Migration üblicherweise eine Vielzahl von unterschiedlichen Phänomenen subsumiert wird, die, trotz aller Unterschiede zueinander, dennoch keine eindeutigen Abgrenzungen zulassen. Die bestehenden Typen oder Begriffskategorien sind mit der Annahme verbunden, bestimmte Phänomene der Realität würden sich tatsächlich »nur so« ausprägen und könnten deshalb leicht und eindeutig von anderen, sich ebenfalls »nur so, und nicht anders« darstellenden Formen der internationalen Migration unterschieden werden. Durch die geschaffenen Begriffe werden bestimmte Ausprägungen von Migration und von verschiedenen Figuren des Migranten (legale und illegale Migranten, Opfer, Täter etc.) allerdings erst beobachtbar und in der Folge dann auch als eine spezifisch andere Form der Migration wahrgenommen, problematisiert und praktisch gehandhabt. Wie CROSBY und LENZ anmerken, sind Benennungen wie legale und illegale Migration, Fluchtwanderung/Asylsuche und in gleicher Weise auch »Trafficking« 31 32

Vgl. Agustín (2003), Brennan (2005), Kelly (2005) und Salt (2000). Die scheinbar so eindeutige Grenzziehung zwischen dem Menschenschmuggel und -handel, zwischen Mittätern und Opfern, verwischt unter anderem dann, wenn die Migranten nach ihrer illegalen Einreise im Zielland zu weitergehenden Zugeständnissen gezwungen werden und, ähnlich wie in Fällen des Menschenhandels, in ausbeuterische Beschäftigungsverhältnisse geraten.

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und »Smuggling« sogar extra dafür angelegt worden, um die als relevant und eventuell besonders problematisch empfundene Grenzüberschreitung durch internationale Migration ausgehend von verschiedenen Interessenslagen als Auffälligkeit sichtbar zu machen und dann zu kontrollieren und zu steuern.33 Eine direkte Folge der Setzung und alltäglichen Rekonstruktion dieser Begriffe ist die Produktion und Reproduktion von Subjekten mit bestimmten Rechten und Möglichkeiten: In manchen Fällen eröffnen sich für die Bezeichneten besondere Schutz- und Hilfsangebote (Opfer des Trafficking und Flüchtlinge), während ihnen in anderen Fällen harsche Gegenmaßnahmen drohen (Abschiebung oder Inhaftierung von illegalen Migranten) oder ihnen, relativ unverhohlen, ökonomische Wünsche und Anspruchshaltungen entgegengebracht werden (hochqualifizierte, temporäre Arbeitsmigranten). Die vorgestellten Begriffe sind somit bereits selbst Bestandteil von Migrationssteuerung. Nimmt man das Migrationsgeschehen mit ihrer Hilfe (durch ihren »Blick«) wahr, liegen bereits mehr oder weniger automatisch bestimmte Steuerungsmaßnahmen als »angemessen«, »logisch« und »richtig« nahe.34

1.2 Disziplinbezogene Erkundungen 1.2.1 Die deutschsprachige Geographie und das Thema Migration In der deutschsprachigen Geographie haben die Steuerung internationaler Wanderungen und das Themenfeld Migrationspolitik bislang kaum Beachtung gefunden. Dies erstaunt, da in der Geographie der Untersuchung räumlicher Mobilitäten, ihren Begründungsfaktoren und Auswirkungen eigentlich schon immer eine große Aufmerksamkeit zuteil wurde. Recherchiert man nach Monographien, Sammelbandbeiträgen und Zeitschriftenaufsätzen, die seit dem Ende des 19. Jahrhunderts in der deutschsprachigen Geographie entstanden sind und sich mit dem Thema (internationale) Migration auseinandersetzen, so lassen sich drei Hauptlinien der bisherigen Forschungsarbeit feststellen (Abbildung 2).35

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Vgl. Crosby (2006: 3-4) und Lenz (2007: 141). Siehe dazu Krasmann (2003: 72). Die folgenden Ausführungen sind nicht mit dem Anspruch auf Vollständigkeit verbunden, gleichwohl sie auf sorgfältigen und intensiven Recherchen des Autors beruhen. Als Ausgangsbasis dienten die Verzeichnisse einschlägiger deutschsprachiger Zeitschriften (Erdkunde, Geographische Rundschau, Die Erde etc.) und verschiedene Literaturdatenbanken und -kataloge der Universitäten Erlangen-Nürnberg (Geodok) und Bonn.

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Abbbildung 2: Haauptlinien der deutschsprach higen Geograp phischen Mi forrschung

Quelle: Eigenerr Entwurf auf dder Basis von n Literaturrech herchen.

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Bereits deutlich vor dem Beginn des 20. Jahrhunderts begann man sich in der deutschsprachigen Geographie mit dem Thema Binnenwanderungen zu beschäftigen. Der überwiegende Teil der Forschungsaktivitäten und daraus hervorgehenden Veröffentlichungen konzentrierte sich dabei auf Länder und Gebiete außerhalb Europas. Zu den Schwerpunktthemen der ersten Hauptlinie der geographischen Forschungsarbeit36 zählten schon zur Zeit der Kolonialgeographie (ca. 1871-1933) sowie der Geopolitik vor und während der Zeit des Nationalsozialismus (1933-1945) Nomadismus, Landflucht, politisch bedingte Flucht, Vertreibung, Umsiedlung, Verstädterung und Wanderarbeit37 – Themen, denen auch heute noch, im Rahmen der Geographischen Entwicklungsforschung, große Aufmerksamkeit zuteil wird.38 Im Hinblick auf Europa stand bis in die 1960er Jahre die sogenannte »Entvölkerung« der europäischen Mittel- und Hochgebirgslagen im Vordergrund.39 Erst danach begann man, sich verstärkt innerstädtischen Umzügen, Stadt-Land- und Stadt-Stadt-Wanderungen zuzuwenden.40 Als eine zweite Hauptlinie geographischer Forschungsarbeit zu Migration lässt sich die Beschreibung und Erklärung der internationalen Zuwanderung in die sogenannten klassischen Einwanderungsländer41, allen voran die USA, bezeichnen42 (Abbildung 2). Neben dem Interesse an der Porträtierung und Analyse dieser Zuwanderungsbewegungen begann sich die deutschsprachige Geographie im Laufe der Zeit zunehmend auch mit den sozialen, wirtschaftlichen und politischen Folgen der Immigration zu beschäftigen. Seit den 1990er Jahren wird im36

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Im Folgenden wird nicht näher auf diese erste Hauptlinie der geographischen Forschungsarbeit eingegangen, da in der vorliegenden Arbeit internationale Wanderungsvorgänge im Zentrum stehen. Siehe beispielsweise Meyer (1893), Sievers (1903) und Penck (1937). Zu den nach 1945 entstandenen Beiträgen zählten unter anderem Suter (1967) zu Nomadismus; Bähr (1975), Mertins (1977) und Bronger (1984) zu Landflucht und Verstädterung; Röll/Leemann (1982) zu staatlichen Umsiedlungsmaßnahmen; Scholz (1972) zu Flucht. Zum Thema Wanderarbeit siehe beispielsweise Vorlaufer (1979). Als Beispiele können die Arbeiten von Wenzel (1995), Wenzel (2000a), der Sammelband von Wenzel (2000b) sowie die Arbeiten von Doevenspeck (2005) und Steinbrink (2009) genannt werden. Siehe beispielsweise Bernhard et al. (1928) und Graafen (1961). Vgl. unter anderem Gatzweiler (1975) und Schöller (1956). 1968 erschien zudem die Zweitauflage der Monographie von CHRISTALLER zu zentralen Orten, vgl. Christaller 1968 [1933]. Interessant ist, dass sich RATZEL, ein wesentlicher Begründer der deutschsprachigen Anthropogeographie, bereits in den 1870er Jahren intensiv mit einem ganz anderen Auswanderungsprozess beschäftigt hatte: die nach Europa und in andere Weltregionen erfolgende chinesische Emigration. Vgl. Ratzel (1876). Für die Zeit des Nationalismus siehe beispielsweise Pfeifer (1935). In der Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg siehe hinsichtlich den USA unter anderem Vollmar (1983), Laux/Thieme (1996), Thieme/Laux (2003), Gamerith (2004) und Parnreiter (2008).

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mer stärker auch die Frage der praktischen Übertragbarkeit thematisiert: Ob und inwieweit können Deutschland, Österreich, die Schweiz und die EU aus den Erfahrungen der klassischen Einwanderungsländer lernen?43 Die letzte, dritte Hauptlinie der Beschäftigung mit Migration und migrationsbezogenen Aspekten begann sich innerhalb der deutschsprachigen Geographie erst nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges herauszubilden (Abbildung 2). Sie beschäftigt sich mit dem nun auch für den früheren traditionellen Auswanderungskontinent Europa bedeutsam werdenden Thema der internationalen Zuwanderung.44 Gleich nach Ende der NS-Zeit und des Zweiten Weltkrieges wurden die Heimkehr der Kriegsgefangenen, die Flucht und Vertreibung der europäischen Zivilbevölkerung sowie die Frage der gesellschaftlichen Integration dieser Personengruppen im Rahmen einer »Geographischen Flüchtlings- und Vertriebenenforschung«45 untersucht. In den 1960er Jahren trat dann das Interesse an der Rekrutierung und der zeitlich begrenzten Zuwanderung von ausländischen Gastarbeitern in den Vordergrund. Diese neue Form einer »Geographischen Gastarbeiterforschung«46 richtete ihr Augenmerk zunächst auf die Herkunftsländer und -regionen der Gastarbeiter, die dortigen Wanderungsursachen, die Wanderungsmotive der Angeworbenen und die aus der Emigration für den Herkunftsraum resultierenden Folgen. Ab den späten 1970er Jahre begann sich die Geographische Gastarbeiterforschung im Sinne einer »Geographischen Remigrationsforschung« dann verstärkt mit der Rückkehr der Gastarbeiter zu beschäftigen – der Umsetzung und den Folgen dieses Prozesses also, der durch die Staaten der europäischen Gastarbeiteranwerbeländer (darunter auch Westdeutschland, Österreich und die Schweiz) als neue politische Zielvorstellung vorgegeben worden war.47 Erneut standen vor allem die früheren Herkunfts- und jetzigen Rückkehrregionen im Mittelpunkt der geographischen Betrachtung.48 Mit den Gastarbeitern, die trotz aller staatlichen Bemühungen nicht in ihre Herkunftsländer zurückkehrten, wie auch mit den nachgezogenen oder in den Gastarbeiteraufnahmeländern geborenen und aufgewachsenen Familienangehörigen dieser Arbeitsmigranten beschäftigte sich die Geographie erst relativ spät. Erst seit wenigen Jahren wird die 43 44

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Vgl. Hahn (1991), Maass (1991), Hillmann (2000) und Bauder (2008). Obwohl auch schon vor 1945 über internationale Wanderungen nach Europa berichtet wurde, kann von einer Forschungstradition im engeren Sinne erst nach 1945 gesprochen werden. Siehe beispielsweise Schlenger (1961). Vgl. unter anderem Bartels (1968a), Weber (1973) und Lienau (1976). Ende der 1970er Jahre markierten mehrere Überblicksdarstellungen zur Gastarbeiterforschung den Übergang zur Remigrationsforschung, so zum Beispiel Lienau (1977), Hermanns et al. (1979) und Schrettenbrunner (1982). Vgl. unter anderem Eggeling (1978), Toepfer (1980), Hermanns/Lienau (1980) und Heller et al. (1988).

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Integration von ausländischen Zuwanderern und von Einwohnern mit Migrationshintergrund auch innerhalb der Geographie verstärkt thematisiert. Im Blickwinkel einer »Geographischen Integrations- und Segregationsforschung« stehen die sozialen, kulturellen, wirtschaftlichen und politischen Strukturen der Zielgesellschaft, in die sich Zuwanderer integrieren, zusammen mit den Strukturen, die von Migranten selbst ins Leben gerufen werden. Zur Sprache kommt auch der innergesellschaftliche Konflikt um Migration.49 Während die Integration von ausländischen Mitbürgern nun eine stärkere Thematisierung erfährt, bleibt in Deutschland das Feld der »Geographischen Aussiedlerforschung« (Integration deutscher Über-, Aus- und Spätaussiedler) weiterhin durch größere Forschungslücken geprägt.50 Das ab den 1990er Jahren spürbare gestiegene Interesse von Geographen51 an internationalen Wanderungen und Zuwanderern hatte neben dem Ende der Trennung Europas sicherlich auch damit zu tun, dass internationale Migration und Migranten zunehmend als normale und feste Bestandteile des gesellschaftlichen und politischen Lebens empfunden wurden, weshalb es galt, sich nun auch wissenschaftlich verstärkt mit Wanderungsvorgängen, Zuwanderern und dem Aspekt ihrer gesellschaftlichen (Nicht-)Integration auseinanderzusetzen.52 Bemerkenswert ist im Hinblick auf den Zeitraum 2000 bis 2009, dass sich die deutschsprachige Geographie in ihrer Betrachtung immer stärker von dem bisher meist verfolgten, ausschließlich auf einzelne Staaten oder Gebiete ausgerichteten Blick zu lösen beginnt. Außerdem werden die internationale Zuwanderung und der Umgang mit Zuwanderungsfolgen stärker hinsichtlich der gesamteuropäischen Implikationen bedacht und erforscht, wie beispielsweise durch FASSMANN, HILLMANN53 und ETZOLD.54 Mittlerweile deutet sich an, dass das Thema der in49

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52

53 54

Vgl. beispielsweise Bürkner et al. (1999), Kemper (1996), Lichtenberger (1995), Pott/Thieme (1999) und Schmitt (2003). Für den Zeitraum vor 1990 siehe beispielsweise Eggeling (1981), Geiger (1975), Glebe (1984), Hottes/Pötke (1977), Leitner (1981) und Lichtenberger (1982). Siehe Bürkner et al. (1997). Zu den wenigen Veröffentlichungen zählen Wendt (1991), Wenzel (2004) und Savoskul (2005). Als ein wichtiger Beitrag der deutschsprachigen Geographie zur Migrationsforschung kann die Arbeit von FASSMANN (zusammen mit HINTERMANN) zum Migrationspotential Ost- und Mittelosteuropas gelten. Vgl. Fassmann/Hintermann (1997). So erschienen nach 1990 vergleichsweise viele Publikationen zu internationaler Migration und Integration, vgl. etwa Mammey (1990), Bähr (1995), Kemper (1997) und Kemper (2000). Auf das große Interesse an internationalen Wanderungen und ihren Folgen deutet auch der 1995 speziell zu Migration vorgelegte Tagungsband des Arbeitskreises Bevölkerungsgeographie hin, siehe Gans/Kemper (1995). Siehe Fassmann (2002), Hillmann (2000), Hillmann (2007) und Hillmann (2008). Vgl. Etzold (2009).

39 12:05:06.

ternationalen Migration zu einem stärker bearbeiteten Themenfeld – einem »Emerging Field« – an der Schnittstelle der Geographie zu anderen Wissenschaften und zwischen verschiedenen Zweigen der Geographie wird. Es werden zunehmend auch bislang nicht so stark wahrgenommene Themen bearbeitet, wie etwa die Frage nach dem künftigen Bedarf an Zuwanderern im Zuge des demographischen Wandels55, die Wohneigentumsbildung durch Migranten56 oder der Bildungsaufstieg von Zugewanderten57 und deren Nachkommen. Mit Hilfe des gegebenen Rückblicks ist deutlich geworden, dass die deutschsprachige Geographie auf mehr als einhundert Jahre zurückblicken kann, in denen sie wichtige Beiträge zur Migrationsforschung leisten konnte. Es erstaunt daher, dass die Geographie in manchen Übersichten zur interdisziplinären Migrationsforschung schlichtweg vergessen wird.58 Erstaunlich ist aber auch, dass in der deutschsprachigen Geographie bislang, neben einigen kürzeren konzeptionellen Artikeln59, lediglich eine einzige größere Übersichtsdarstellung zur »Geographischen Migrationsforschung« (bzw. Mobilitätsforschung)60 erschienen ist. In dieser Arbeit stellt ihr Autor (WEBER) bereits 1982 verwundert fest, dass man »[b]ei der innergeographischen Rückfrage nach Untersuchungsansätzen zur räumlichen Mobilität des Menschen [...]« auf die »[...] erstaunliche Tatsache [stoße], dass sich die Geographie [bisher] sehr schwer getan [habe], die Bewegung des Menschen im Raum als zentrale Forschungsaufgabe zu erkennen.«61

Aufgrund des Fehlens weiterer Überblicksdarstellungen und Lehrbüchern er– staunt es kaum, dass die Bezeichnungen Migrationsgeographie oder Geographische Migrationsforschung in der deutschsprachigen Geographie bisher selten verwendet worden sind. Im Rahmen der Jahrestagung des Instituts für Migrationsforschung und Interkulturelle Studien (IMIS) der Universität Osnabrück hat sich im November 2009 nun ein neuer Arbeitskreis zur Geographischen Migrationsforschung gegründet. Seine Mitglieder verfolgen das Anliegen, internationale Migration und Integration aus den Perspektiven verschiedener Teilbereiche der Geographie in den Blick zu nehmen und die Geographische Migrationsfor55 56 57

58 59 60 61

Vgl. Gatzweiler/Schlömer (2008). Siehe Firat/Laux (2003). Vgl. Pott (2002). Einige neuere Arbeiten beschäftigen sich mit dem Einstieg in internationale Berufskarrieren durch Migration oder der internationalen Wanderung zu Bildungszwecken, zum Beispiel: Jöns (2003), Freihöfer (2007) und Goeke (2007). Siehe beispielsweise Oswald (2007: 27). Zu diesen zählen die Aufsätze von Evrensel (1985) und Bachmann/Sanz (1994). Einige kürzere konzeptionelle Überlegungen sind auch in Hillmann (2007) enthalten. Vgl. Weber (1982). Weber (1982: 4).

40 12:05:06.

schung innerhalb der Geographie weiterzuentwickeln und gegenüber anderen wissenschaftlichen Disziplinen zu stärken.62

1.2.2 Kennzeichen der bisherigen Beschäftigung mit Migration Wie in anderen Disziplinen, die sich mit Binnen- oder Außenwanderungen beschäftigen, wird das Phänomen (internationale) Migration auch in der Geographie als eine spezifische Form räumlicher Mobilität63 angesprochen. Wie WEBER mit der folgenden Aussage betonen möchte, ist die Geographie mit ihrer »Raumexpertise« als Disziplin eigentlich geradezu prädestiniert, Migrationsforschung (oder allgemein: Mobilitätsforschung) zu betreiben. »Die räumliche Bewegung des Menschen bildet ein zentrales Thema der Geographie, da durch die Ortsveränderungen des Menschen die wichtigsten Eigenschaften des Raumes betroffen werden: erdräumliche Distanzen und Standörtlichkeiten [...]. Jede räumliche Positionsveränderung basiert auf einer vergleichenden Bewertung von Standorten. Zugleich werden durch vollzogene Bewegungen im Raum die Standortqualitäten verändert, d.h. durch Umverteilungen der Bevölkerung werden neue Raumstrukturen geschaffen.«64

Während der letzten Jahrzehnte hat die Geographie den Forschungsgegenstand räumliche Mobilität im Sinne dieser Umschreibung wahrgenommen und deshalb stark raumbezogen geforscht. Für WEBER und andere Geographen lag der Auftrag der Wissenschaft Geographie ganz eindeutig in der räumlichen Erfassung, Beschreibung, Analyse und Prognose von Wanderungsvorgängen und den mit ihnen verbundenen Folgen. Im Mittelpunkt geographischer Forschungsarbeiten standen dabei zumeist Fragestellungen wie: 





62

63

64 65

Welche räumlichen Eigenschaften bedingen im Herkunftsgebiet das Entstehen von Auswanderung? Wie verändert sich der Raum des Zielgebiets (des Gebiets der Rückkehr) durch Migration? Welche räumlichen Regelmäßigkeiten lassen sich feststellen in Bezug auf Migration?65

Vgl. Pott (2010) und Farwick et al. (2010). Die Sprecher dieses Arbeitskreises sind momentan Andreas Farwick (Bochum), Andreas Pott (Osnabrück) und Felicitas Hillmann (Bremen). Mobilität dient in der Regel als Oberbegriff der beiden Hauptformen Migration (dauerhafte Wohnortverlagerungen) und zirkuläre Mobilität (Pendeln zwischen verschiedenen Funktionsstandorten). Weber (1982: 1 und 2). Eigene Zusammenstellung auf der Basis von Literaturrecherchen (Kapitel 1.2.1).

41 12:05:06.

In Bezug auf diese Fragen wechselte innerhalb der Geographischen Migrationsforschung zu gewissen Zeiten der Fokus der Betrachtung: So galt das Interesse deutschsprachiger Geographen im Rahmen der Geographischen Gastarbeiterforschung in den 1960er und 1970er Jahren abwechselnd den räumlichen Wanderungsursachen in den Herkunftsgebieten und den Effekten der Zuwanderung auf die Gastarbeiteranwerbeländer, während sich in den 1970er Jahren der Fokus stärker hin zu den Herkunftsländern und den räumlichen Effekten der Gastarbeiterrückkehr (Geographische Remigrationsforschung) verschob (Abbildung 2, Kapitel 1.2.1). Zur Gegenwart hin hat sich im Zuge der Geographischen Integrations- und Segregationsforschung die Hauptaufmerksamkeit schließlich wieder auf die Zielländer verlagert. Die Auseinandersetzung der Geographie mit Wanderungen ist einer raumgebundenen Betrachtung und zugleich wiederum raumbindenden Konzeptionalisierung von Migration bis heute verhaftet geblieben. Raum gilt in den meisten Untersuchungen weiterhin als eine gegebene und auch statische Bezugsgröße, als eine Kategorie, die wie selbstverständlich den Bezugsrahmen für die Betrachtung und Analyse von (internationaler) Migration bildet. Aus dieser »eingewöhnten« Betrachtungsweise heraus werden Wanderungsprozesse, ihre Ursachen und die aus Wanderungen entstehenden Konsequenzen im Hinblick auf bestimmte »Raumcontainer« (Stadtbezirke, Bundesländer, Staaten etc.) betrachtet, beurteilt und auf diese rückbezogen. An dieser Stelle ist die Bemerkung wichtig, dass diese raumgebundene und raumbindende Konzeptionalisierungs- und Betrachtungsweise nicht nur innerhalb der Geographie Tradition66 hat, sondern auch außerhalb, so beispielsweise in der Rechtswissenschaft oder in der Soziologie. An der »Falle« eines grundsätzlich räumlich angelegten Denkens und Forschens über (internationale) Migration ist nämlich kaum vorbeizukommen: Dieses generelle, alle Zweige der Migrationsforschung gleichermaßen betreffende Problem wurzelt in der »raumfixierten« Definition von Migration. Schließlich kann Migration als Phänomen nur auf der Grundlage von bestimmten territorialen Grenzziehungen beobachtet und analysiert werden. Von einer internationalen, interregionalen oder intraregiona66

So hatte man in der deutschsprachigen Geographie bis in die 1940er Jahre beispielsweise versucht, Migration mit Hilfe von naturdeterministischen Erklärungsansätzen zu erklären. Unter anderem wurde argumentiert, dass die Entvölkerung oder Übervölkerung bestimmter Räume eine direkte Folge naturräumlicher (Un-) Gunstfaktoren sei. Zur Zeit der Kolonialgeographie [siehe dazu bereits Ratzel (1896)] und der Geopolitik verwendete man dann ganz ähnliche Argumentationsweisen (Beispiel »Lebensraum«-Konzept) um zu »begründen«, warum bestimmte räumliche Bevölkerungsverlagerungen von Menschen (Umsiedlungen und Vertreibungen) unausweichlich seien. Vgl. Grabowsky (1933) und Haushofer (1935).

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len Migration kann nur dann gesprochen werden, wenn zuvor bekannt ist, wo Staaten oder Regionen räumlich beginnen und wo sie enden. Erst dann kann beobachtet werden, dass ein Individuum von dem einen scheinbar gegenständlich gegebenen »Raumcontainer« in einen anderen wechselt, in diesen seinen Wohnort verlagert und dabei eine als relevantes Unterscheidungsmerkmal erachtete (internationale) Grenze überwindet. Das methodologische, nicht nur die Geographische Migrationsforschung sondern auch alle anderen Wissenschaftsdisziplinen betreffende Grundproblem, das Gesellschaftliche und bestimmte gesellschaftliche Phänomene wie Migration nie völlig losgelöst von spezifischen reifizierten Raumkonstrukten wahrnehmen und erforschen zu können, wird in der englischsprachigen Geographie unter dem Schlagwort »Territorial Trap«67 zusammengefasst. Der Raum steht gewissermaßen als Bühne des Gesellschaftlichen von vornherein fest; und wie selbstverständlich wird angenommen, dass sich das Gesellschaftliche und damit auch das Politische, Wirtschaftliche, Kulturelle, Rechtliche etc. immer innerhalb dieses bestimmten Raumes ereigne und folglich alle gesellschaftlichen Vorgänge auch in Bezug auf diesen Raum zu analysieren seien. Mit diesen Sätzen lässt sich der mit »Territorial Trap« bezeichnete »Fallstrick« eines prinzipiell räumlich angelegten Denkens umschreiben.68 Das zuvor angeführte Zitat von WEBER, das zu begründen versucht, warum Migration ein geographisches Thema ist (Antwort: weil es bei Migration wie auch in der Geographie um Raum geht), ist ein eindeutiger Beleg für diese »Falle des Territorialen«. Der Begriff der »territorialen Falle« lässt sich mit einem weiteren, vor allem in der Soziologie viel diskutierten epistemologischen »Fallstrick« in Bezug setzen: »[Methodological nationalism is an] ideological orientation that approaches the study of social processes and historical processes as if they were contained within the borders of individual nation-states. Nation-states are conflated with societies and the members of those states are assumed to share a common history and set of values, norms, social customs, and institutions.«69

Mit dem Schlagwort »Methodological Nationalism«70 wird eine ganz ähnliche, ebenfalls schon seit langer Zeit eingeschliffene und ideologisierte Denktradition beschrieben. Allerdings reicht diese noch weiter über den »Territorial Trap« hinaus: Argumentiert wird, dass vor allem im westlichen und westeuropäischen Denken die Vorstellung tief verankert sei, dass Gesellschaft automatisch im Sinne einer nationalstaatlich organisierten Gesellschaft zu verstehen sei und die Na67 68 69 70

Siehe dazu unter anderem Agnew (1994). Vgl. Berking (2006b: 9) und Schroer (2006: 20). Glick-Schiller (2007: 6). Dieser Begriff geht zurück auf Smith (1979: 191).

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tion somit, neben dem Räumlichen, ebenfalls einen Container für alles Gesellschaftliche darstelle, was leicht zu der Annahme verleite, dass sich alles SozialGesellschaftliche zwangsläufig immer innerhalb der Nation und innerhalb eines territorial abgegrenzten Nationalstaates ereignen müsse. Aus dieser eingewöhnten Denktradition und Perspektive heraus betrachtet, ist es somit kaum möglich, die Begriffe Nation und Gesellschaft voneinander gelöst und als Konzepte jeweils für sich genommen zu betrachten. Erschwerend kommt hinzu, dass die Nation üblicherweise verkörpert, in Form eines territorialen Nationalstaates gedacht wird, und dass Nation, Territorium und Staat (im Sinne von Herrschaftsapparat) im Denken ebenfalls eine enge, analytisch schwer aufzulösende Symbiose eingegangen sind.71 »Diese Auffassung, die Gesellschaften mit Nationalstaatsgesellschaften gleichsetzt, die Gesellschaft als territorial beschränkt denkt, ist tief in das Verständnis der Sozialwissenschaften, ihrer Begriffe, ihrer Sichtweisen, ihrer Art, empirische Untersuchungen durchzuführen, Daten zu erheben und zu vergleichen, man kann sagen: in die soziologische Imagination eingegraben.«72

Sichtet man die seit Ende des 19. Jahrhunderts entstandene deutschsprachige geographische Literatur zu Migration, so lassen sich für die Geographische Migrationsforschung folgende Kennzeichen festhalten:73 Sehr charakteristisch für die bisherige Forschungsarbeit war die Anfertigung empirischer Einzelstudien, die meist als länderkundliche Studien oder Arbeiten zu bestimmten Zuwanderergruppen konzipiert waren. Oft verband sich mit ihnen der Anspruch, einen möglichst vollständigen Überblick zu vermitteln.74 Eine Gemeinsamkeit der Geographischen Migrationsforschung mit anderen Zweigen der Migrationsforschung lag bisher darin, dass bei der Erklärung von Wanderungsvorgängen üblicherweise auf die gleichen theoretischen Ansätze zurückgegriffen wurde. Die meisten von ihnen lassen sich als Theorien »mittlerer Reichweite« ansprechen. Zu erwähnen ist die neoklassische Wanderungstheorie, die (internationale) Arbeitskräftewan71

72 73 74

Neben dem »Territorial Trap« und dem methodologischen Nationalismus könnte bei der Beschäftigung mit Migration ein weiterer »Fallstrick« des Denkens zu Migration auftreten, wenn man statt Gesellschaft lediglich Bevölkerung als Referenzpunkt für die Betrachtung von Wanderungsvorgängen heranziehen würde: Bevölkerung ist nicht gleichbedeutend mit Gesellschaft, genauso wenig wie Nation und Gesellschaft deckungsgleich sind. Würde man bei der Betrachtung von Migration nur auf Bevölkerung (im Grund nur ein bestimmtes Teilmodell/eine bestimmte Veranschaulichungshilfe zu Gesellschaft) fokussieren und eine gesellschaftliche Kontextualisierung der Fragestellung, des Forschungsprozesses und der Interpretation der Ergebnisse unterlassen, so wäre von einem dritten, möglichst zu vermeidenden »Fallstrick« zu sprechen. Beck/Grande (2004: 34). Ergebnisse auf der Basis eigener Literaturrecherchen, siehe Kapitel 1.2.1. Siehe beispielsweise Schrettenbrunner (1982).

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derungen mit Marktungleichgewichten und unter Annahme ökonomisch vollständig rational handelnder Wirtschaftssubjekte zu erklären versuchen.75 Während die »Dual« bzw. »Segmented Labour Market Theory«76 die Entstehung und zeitliche Kontinuität von Wanderungsprozessen durch die Ausbildung spezifischer Teilarbeitsmärkte begründet, wird in den »New Economics of Migration«77 davon ausgegangenen, dass Migrationsentscheidungen in aller Regel durch größere soziale Kollektive getroffen werden und auf Strategien der Risikodiversifizierung und der Inwertsetzung von Rücküberweisungen beruhen. In Ergänzung und in Abkehr von diesen und anderen rein ökonomisch argumentierenden Ansätzen sind vermittelnde und stärker sozialwissenschaftlich bzw. soziologisch argumentierende Theorien entwickelt worden, zu denen beispielsweise entscheidungs- bzw. verhaltensorientierte Ansätze zählen. Bei diesen wird davon ausgegangen, dass Wanderungsentscheidungen stark durch individuell-subjektive Wahrnehmungs- und Interpretationsprozesse geprägt sind und sich Migranten deshalb für gewöhnlich nicht ökonomisch rational entscheiden.78 In anderen Ansätzen wird zusätzlich auch auf die Bedeutung sozialer Kontakte, Netzwerke bzw. von verschiedenen Formen von Sozialkapital hingewiesen.79 MASSEY et al. sind sehr skeptisch, ob es zu internationaler Migration überhaupt eine »Grand Theory« gibt und je geben kann. Alle bestehenden Erklärungsansätze sind lediglich Teilerklärungen eines großen und äußerst komplexen Phänomens.80 Sehr wichtig für die vorliegende Arbeit ist die Bemerkung einiger Autoren, dass die Rolle des Politischen, das heißt der Einfluss politischer Steuerungsversuche des Staates und anderer Akteure, in den bisher vorliegenden migrationsbezogenen Theorieansätzen und Typologien entweder vollständig ausgeblendet oder lediglich indirekt und äußerst unzureichend berücksichtigen werde.81 Neben der Wanderungstypologie von PETERSEN82 weisen tatsächlich relativ wenige Er-

75 76 77 78 79 80 81 82

Siehe beispielsweise Todaro (1980) und Sjaastad (1962). Vgl. Piore (1979), Dickens/Lang (1985) und Sengenberger (1978). Für eine neomarxistisch argumentierende Erklärung siehe Castles (1986) und Cohen (1987). Vgl. Stark/Bloom (1985) und Stark (1992). Siehe beispielsweise Esser (1980), Langenheder (1968) und Langenheder (1975). Vgl. Hugo (1981) und Portes (1978). Siehe Massey et al. (1993). Vgl. Hammar (1992), Massey (1999), Weiner (1996), Zolberg (1989) und weitere kritische Äußerungen in Penninx et al. (2008). Vgl. Petersen (1958).

45 12:05:06.

klärungsansätze auf die Rolle des Politischen hin, und wenn dann doch, dann eher indirekt.83 Im Migrationssystemansatz, der sich der sogenannten »Institutional Theory« zuordnen lässt, und der zuerst durch den Geographen MABOGUNJE84 erarbeitet und dann in der Folge durch KRITZ85 und andere Nicht-Geographen weiterentwickelt worden ist, wird internationale Migration als ein Austauschprozess unter vielen betrachtet, der die Beziehungen zwischen Staaten und Gesellschaften beeinflusst. Internationale Migrationsbewegungen sind stets im Kontext von zahlreichen komplexen zwischenstaatlichen und zwischengesellschaftlichen Bezügen zu betrachten und zu erklären. Migrationssysteme entstehen über längere Zeiträume hinweg, sobald sich die Migration auslösenden, begleitenden, verstärkenden oder aus der Migration resultierenden Faktoren (ökonomische, demographische, gesellschaftliche und politisch-regulative Faktoren) verstetigen. Der Migrationssystemansatz versucht deshalb alle diese Faktoren zu berücksichtigen und dabei explizit auch die politisch-regulativen Einflüsse auf Migration. Aus dem Migrationssystemansatz lässt sich ableiten, dass die hohe Komplexität der verschiedenen Einfluss- und Begleitfaktoren jegliche Form der politischen Einflussnahme wohl äußert schwierig macht. Obwohl politisch-regulative Prozesse im Migrationssystemansatz berücksichtigt werden, ist als Kritikpunkt hervorzuheben, dass in diesem Ansatz lediglich von politisch-regulativen Rahmenbedingungen die Rede ist, während von der Rolle handelnder Akteure (soziale Kollektive, Organisationen, Parteien, Unternehmen, Migranten etc.) vollständig abstrahiert wird. Für einen systemtheoretischen Ansatz ist dies allerdings nicht ungewöhnlich. Ein Grund für die mangelnde Berücksichtigung des Politischen und insbesondere der steuernden Interventionen in internationale Wanderungsprozesse ist sicherlich, dass sich selbst in den 1980er Jahren allgemein noch relativ wenige Forscher mit Migration befassten. Erst nachdem einige international wegweisende Beiträge erschienen waren, in denen der Einfluss des Staates und anderer Akteure auf internationale Wanderungen oder auch die (Un-)Möglichkeiten staatlicher

83

84 85

So beispielsweise im Migrationsmodell von Lee (1966), im Ansatz von HOFFMANNNOWOTNY zur Erklärung von Migration mit Hilfe des Modells struktureller und anomischer Spannungen [Hoffmann-Nowotny (1970: Kapitel 14) bzw. HoffmannNowotny (1973)] oder auch bei der Übertragung des Weltsystemansatzes von WALLERSTEIN auf internationale Migration [Wallerstein (1979)]. Siehe Mabogunje (1970). Der Autor beschäftigte sich in dieser ersten Arbeit allerdings ausschließlich mit Binnenwanderungen im Entwicklungsländerkontext. Vgl. Kritz/Keely (1983) und Kritz/Zlotnik (1992).

46 12:05:06.

Migrationskontrolle thematisiert wurden86, kam es – ausgehend von der nordamerikanischen Migrationsforschung – in den 1990er Jahren zu einer Trendwende.87 Die Mitwirkung internationaler Regierungsorganisationen an steuerungsbezogenen Maßnahmen, die in der vorliegenden Arbeit untersucht wird, zählt allerdings genau zu den Themen, die bislang kaum näher analysiert wurden.88 1982 hatte WEBER in dem bereits angesprochenen, bis heute einzigen deutschsprachigen Überblickswerk zur Geographischen Mobilitäts- und Migrationsforschung angemerkt, dass man nicht nur über die Vernachlässigung der Migration als einem eigentlich zentralen geographischen Thema sehr erstaunt sein müsse, sondern angesichts der engen »[...] Abhängigkeit räumlicher Mobilität von staatlich-politischen Regulierungen [...]« auch darüber, dass der Zusammenhang zwischen Migration und Politik bisher in der Geographie »[...] nur sehr unvollständig behandelt worden [...]« sei.89 In Abbildung 2 (Kapitel 1.2.1) ist graphisch angedeutet, dass politische Maßnahmen zur Beeinflussung von (internationalen) Migrationsbewegungen sowie der Integration von Zuwanderern in der deutschsprachigen Geographischen Migrationsforschung tatsächlich erst ab den 1990er Jahren verstärkt aufgegriffen wurden und erst seit etwa fünf Jahren intensiver thematisiert werden.90 Auf einigen Forschungsfeldern der deutschsprachigen Geographie wurde dem Politischen in Bezug auf Migration allerdings auch schon vor den 1990er Jahren nachgegangen, so unter anderem im Rahmen der Geographischen Entwicklungsländerforschung.91 Der Fokus lag dabei allerdings nicht auf Europa. Thematisiert wurden allerdings dennoch die politischen Ursachen und Folgen von Flucht,

86

87

88 89 90

91

In chronologischer Reihenfolge sind unter anderem zu erwähnen: Hammar (1992), Hollifield (1992), Loescher (1993), Cornelius et al. (1994), Cornelius/Tsuda (1994), Weiner (1995), Sassen (1996), Hollifield (1999) und Massey (1999). In Deutschland zählten vor dem Jahr 2000 Bös (1997), Faist (1995), Santel (1995) und Thränhardt (1992) zu einer noch überschaubaren Zahl von Beiträgen, in denen die Intervention des Staates (teilweise unter dem Einfluss einer Europäisierung der nationalen Migrationspolitik) explizit angesprochen wurde. Mit wenigen Ausnahmen wie Loescher (2001) und Georgi (2003). Weber (1982: 56). Vgl. Fassmann/Münz (1990), Hahn (1991), Maass (1991), Fassmann/Münz (1996b), Laux/Thieme (1996), Fassmann (2002), Bauder (2008), Parnreiter (2008) und Etzold (2009). Als einer der wenigen Beiträge in der Zeit vor 1990, der sich mit der Binnenwanderung von Ausländern unter dem Einfluss politisch-bürokratischer Regelungen beschäftigt hat, sei Selke (1977) genannt. Vgl. außerdem Puls (1975) und Mertins (1983). Siehe beispielsweise Scholz (1972) und Wiebe (1985).

47 12:05:06.

Vertreibung und Migration sowie die in einigen Ländern erfolgende (Zwangs-) Umsiedlung von Bevölkerungsgruppen.92 Die Vernachlässigung der politischen Ursachen, Begleitumstände und Konsequenzen von Migration oder des staatlichen Eingriff in Wanderungsbewegungen, wurde innerhalb der deutschsprachigen Geographie sicherlich durch den Umstand begünstigt, dass die eigentlich »zuständige« Teildisziplin, die Politische Geographie, nach dem Zweiten Weltkrieg über längere Zeit ein Schattendasein fristete. Nach dem Ende der nationalsozialistischen Geopolitik93 hatte man sich zwar darum bemüht, eine wissenschaftlich »gesäuberte« und neutrale Disziplin aufzustellen.94 Vor allem den Geographen sollte es wie anderen Sozialwissenschaftlern in den folgenden Jahrzehnten allerdings weiterhin schwerfallen, die Politische Geographie losgelöst von der NS-Geopolitik zu denken und neu zu akzeptieren. Zugleich enthielt sich die Bevölkerungsgeographie, in der bisher mit Abstand die meisten Arbeiten zu Migration entstanden sind, lange einer eingehenderen Beschäftigung mit dem Politischen. 2001 schrieb OßENBRÜGGE, dass die Politische Geographie in der deutschsprachigen Geographie recht »undynamisch« sei und sich höchst unzureichend mit den gesellschaftlich-politischen Themen und Umbrüchen der Gegenwart beschäftige.95 Ähnlich kritisch hatte sich drei Jahrzehnte zuvor BERRY in Bezug auf die anglo-amerikanische Politische Geographie geäußert, indem er diese als ein »moribund backwater«96 bezeichnete. Wie ist nun mit diesen »Beobachtungen« umzugehen? Wie eingangs erwähnt (Einleitung), besteht ein wesentliches Anliegen der vorliegenden Arbeit und ihres konzeptionellen Grundlagenteils (Kapitel 1 und 2) darin, den analytischen Blick der Migrationsforschung um eine neue, dezidiert politisch-geographisch ausgerichtete Forschungsperspektive zu ergänzen. Das Ziel liegt in einer For-

92 93 94

95 96

Vgl. unter anderem Zimmermann (1975) und Röll/Leeman (1982). Eine propagandistisch und rassistisch verbrämte Pseudowissenschaft, die maßgeblich durch den Geographen HAUSHOFER geprägt wurde. Vgl. Haushofer (1935). So schrieb beispielsweise SCHÖLLER: »Die entscheidende Grenze zwischen Politischer Geographie und Geopolitik ist [...] die Scheide zwischen wissenschaftlicher Forschung und praktisch-propagandistischer Prognose. [Die] Gefahr besteht immer, dass eine Arbeit mit politischen Forderungen zur literature engagée wird, sich selbst politischen Zielen einordnet oder durch ihre Tendenz zum Propagandamittel wird«: Schöller (1957: 5). Zur Disziplingeschichte der Politischen Geographie und Geopolitik in Deutschland siehe unter anderem Kost (1988), Schultz (2003a) und Schultz (2003b). Vgl. Oßenbrügge (2001: 177). Übersetzbar als »absterbendes Gewässer«: Berry (1969: 450).

48 12:05:06.

schungsperspektive, die gezielt auf die Fragen Wie?, Durch wen? und Warum? von Migrationssteuerung gerichtet ist, neben den Folgen von Migrationssteuerung zusätzlich aber auch die Kategorie Raum und deren Funktion im Migrationspolitischen betrachtet. Um diese Forschungsperspektive zu entwickeln, sollen die gewonnen Beobachtungen in Kapitel 2 produktiv genutzt werden, in dem sie mit weiteren Denkanstößen und neueren theoretischen Überlegungen zusammengebracht und verknüpft werden.

2. Herleitung einer politisch-geographischen Forschungsperspektive 2.1 Neue Impulse für die Migrationsforschung 2.1.1 Krise der Migration – Migrationssteuerung in der Krise In den frühen 1990er Jahren – in einer Zeit, die stark durch den Zusammenbruch der Sowjetunion und die demokratische Transformation der ehemals kommunistisch regierten Satelliten- und Bruderstaaten der UdSSR bestimmt war – gingen viele Migrationsforscher davon aus, dass dem Thema der internationalen Migration in Zukunft eine weitaus stärkere Bedeutung zukomme als in den Jahrzehnten zuvor. Während OHMAE angesichts des Ende des Kalten Krieges bereits den Niedergang des Nationalstaates und der gewohnten territorial-einzelstaatlichen Ordnung der Welt prophezeite97, sprachen CASTLES & MILLER in einer stark rezipierten Publikation von einem neuen bzw. sogar dem »Zeitalter der Migration«:98 »The perspective for the 1990s and the early part of the next century is that migration will continue to grow, and that it is likely to be one of the most important factors in global change.«99

Nach Ansicht von CASTLES & MILLER wird sich die internationale Migration in den kommenden Jahren und Jahrzehnten zu einem tatsächlich globalen Phänomen entwickeln – zu einer Herausforderung, der sich alle Länder stellen müssten, und zu einem Prozess, der, direkt oder indirekt, die gesamte Weltbevölkerung tangiere und involvieren werde: »The hallmark of the age of migration is the global character of international migration: the way it affects more and more countries and regions, and its linkages with complex processes affecting the entire world […] international migration has never been as pervasive, nor as socioeconomically and politically significant, as it is today.« 100

97 98 99 100

Vgl. Ohmae (1990) und Ohmae (1995). »The Age of Migration«, siehe Castles/Miller (1993). Castles/Miller (1993: 4). Castles/Miller (1993: 260).

49 12:05:06.

Der Politikwissenschaftler WEINER sprach 1995 sogar unverhohlen von einer existenziellen Bedrohung durch eine »globale Migrationskrise«:101 »The number of people fleeing to escape violence or persecution, to find employment, or to improve their own lives and those of their family members is greater than it has ever been […] In many countries, citizens have become fearful that they are now being invaded not by armies and tanks but by migrants who speak other languages, worship other gods, belong to other cultures, and they fear, will take their jobs, occupy their land, live off the welfare system, and threaten their way of life, their environment, and even their polity.« 102 »Many citizens feel that their governments have lost control of their borders, and governments are in turn alarmed by the growing hostility of their citizens to the foreigners living and working in their midst […] As the pressures for international population movements increase, we can expect to live in a world in which the great global collisions are not only among states but among peoples, when the world outside a country’s border intrudes, and when global forces continue to erode states and the communities that live in them.«103

Gerade die letzte Aussage, in der WEINER die von ihm postulierte globale Migrationskrise als Vorbote für größere globale Konflikte und einen »Clash of Civilizations«104 deutet, muss als eine äußerst bedenkliche und in weiten Teilen sogar völlig unangemessene Panikmache gewertet werden. So belegen die in Tabelle 1 (folgende Seite) enthaltenen Daten, dass es schlichtweg falsch ist, im Hinblick auf die ganze Welt eine »Migrationskrise« anzunehmen: Zwischen 1985 und 1990 hat sich der Anteil der behördlich registrierten und statistisch erfassten internationalen Migranten an der Weltbevölkerung zwar etwas erhöht. Bis ins Jahr 2005 lag dieser Anteil aber weiterhin bei nicht einmal drei Prozent der Weltbevölkerung. Dieser Anteil ist seit 45 Jahren außerdem so gut wie stabil; dass er in den letzten Jahren etwas angestiegen ist, beruht wohl eher auf dem mittlerweile etwas abgeschwächten Weltbevölkerungswachstum als auf einem besorgniserregenden Zuwachs der Zahl der Migranten. Der Umstand, dass die Zahl der internationalen Migranten in den vergangenen Jahrzehnten wuchs, ist vermutlich auch darauf zurückzuführen, dass in der Zwischenzeit immer mehr Staaten ihre Unabhängigkeit erreicht haben. In Tabelle 1 ist ersichtlich, dass sich zwischen 1960 und 2005 die Zahl der UN-Mitgliedsstaaten in nicht unbeträchtlichem Maß (Faktor 1,9) erhöht hat. Aufgrund der am Merkmal der internationalen Grenze angelehnten Definition der internationalen Migration (Kapitel 1.1) werden bei einer wachsenden Zahl unabhängiger Staaten automatisch auch mehr internationale Migranten gezählt.

101 »Global Migration Crisis«, siehe Weiner (1995). HOFFMANN-NOWOTNY sprach in einem Aufsatz auch von einer neuen »globalen Völkerwanderung«, vgl. HoffmannNowotny (1992). 102 Weiner (1995: 1 und 2). 103 Weiner (1995: 3 und 20). 104 Huntington (1998).

50 12:05:18.

Tabelle 1: Internationale Migration im Vergleich zu anderen Kenngrößen

Internat. Migranten [Mio.]

Ankunftszahlen im internat. Tourismus [Mio.]

Zahl der UNMitgliedsstaaten

Migranten/ Weltbevölkerung [%]

Jahr

Weltbevölkerung [Mrd.]

1960

3,02

75,50

2,16

69,30

99

2,50

1965

3,38

78,44

3,87

112,90

117

2,32

1970

3,70

81,30

3,90

165,80

127

2,20

1975

4,07

86,79

4,22

222,30

144

2,13

1980

4,40

99,30

9,10

278,10

154

2,26

1985

4,84

111,01

13,20

320,10

159

2,29

1990

5,27

154,00

18,50

439,50

159

2,92

1995

5,69

165,00

18,49

540,60

185

2,90

2000

6,06

177,00

15,70

687,00

189

2,92

2005

6,46

191,00

13,50

806,80

191

2,96

1,9

1,2

Flüchtlinge [Mio.]

1960-2005: Faktor der Zunahme/Vervielfachung: *

2,1

2,5

6,3

11,6

Prozentuale Zunahme [%]: 1960-65

12

4

79

63

18

-7

1965-70

9

4

1

47

9

-5

1970-75

10

7

8

34

13

-3

1975-80

8

14

116

25

7

6

1980-85

10

12

45

15

3

1

1985-90

9

39

40

37

0

28

1990-95

8

7

0

23

16

-1

1995-00

7

7

-15

27

2

1

2000-05

7

8

-14

17

1

1

Quelle: Zusammenstellung auf Grundlage verschiedener Statistiken.105

105 IOM (2008a), UN (2001), UN (2002), UN (2005), UN (2006a), UN (2006b), UN (2008), UNWTO (2006) und UNWTO (2008).

51 12:05:18.

Selbst, wenn man die Zahl der illegalen und statistisch nicht erfassten Migranten einbezöge und diese Zahl auf ein ähnliches Niveau setzte wie die Zahl der legalen Migranten: Von einer Migrationskrise zu sprechen wäre immer noch übertrieben!106 Tatsächlich beachtenswert stellt sich bei genauerer Betrachtung weniger das internationale Migrationsgeschehen dar, sondern das Wanderungsgeschehen innerhalb bestimmter Staaten, also die Binnenmigration. 2004 wurde vermutet, dass es allein in der Volksrepublik China 126 Millionen Binnenmigranten geben könnte.107 Wie Tabelle 1 ebenfalls zeigt, war das Ausmaß internationaler Fluchtwanderungen, über die letzten Jahrzehnte betrachtet, ebenfalls weitaus größeren Zuwächsen (zugleich aber auch stärkeren Schwankungen) unterworfen als die internationale Migration. Der aktuelle Rückgang der Zahl internationaler Flüchtlinge ist allerdings nicht auf den Abbau von Fluchtursachen zurückzuführen. In erster Linie drückt sich in diesem Rückgang die fehlende Aufnahmebereitschaft vieler Staaten gegenüber Zufluchtsuchenden aus. Aber auch die Zahlen zu internationalen Fluchtbewegungen (Tabelle 1) zeigen ein unvollständiges Bild der sich weltweit darstellenden Gesamtsituation: So wurden 2007 beispielsweise allein für Kolumbien zwei bis vier Millionen Binnenvertriebene (IDPs108) angenommen, für den Sudan etwa sechs Millionen.109 Geht man von den Zahlen in Tabelle 1 aus, so sind es letzten Endes weniger die internationalen Wanderungen und Fluchtbewegungen, sondern die Ankunftszahlen im internationalen Tourismus, die mit einer Zunahme um den Faktor 11,6 eine tatsächlich beachtenswerte Zunahme aufweisen.

106 Man könnte argumentieren, dass angesichts einer mittlerweile stark globalisierten und vom Tourismus geprägten Welt ein Migrantenanteil von damit rund sechs Prozent (legale plus illegale Migranten) nicht wirklich besorgniserregend und alarmierend ist. 107 Vgl. IOM (2008b: 176). 108 Abkürzung für »Internally Displaced Persons«. 109 Das Beobachtungszentrum zu Binnenvertreibung (IDMC) ging Ende 2007 weltweit von rund 26 Millionen (IDPs) aus. Zu vielen Ländern (darunter Afghanistan, Liberia, Pakistan und Ruanda) existieren lediglich Schätzungen. 1989 wurde die Zahl der weltweiten IDPs noch auf 16,5 Millionen geschätzt. Vgl. IDMC (2009) und IOM (2008b: 508). In Bezug auf die Aufnahme von Binnenvertriebenen wie auch auf international, also über Staatsgrenzen hinweg Asyl suchende Personen ist zudem anzumerken, dass während der letzten Jahrzehnte der Großteil innerhalb der »fluchtgenerierenden« Weltregionen (zuvorderst Afrika und Asien) Zuflucht gefunden hat und nur ein verhältnismäßig geringer Teil in Westeuropa oder Nordamerika Asyl zugesprochen bekam. Flüchtlingswanderungen sind also weiterhin vor allem das Problem des »globalen Südens«. Vgl. IOM (2005: 485), IOM (2008b: 508-509) und IOM/UN (2000: 197).

52 12:05:18.

Blickt man auf die Situation in Europa, so macht Tabelle 2 (folgende Seite) deutlich, dass zwischen 1970 und 2000 in dieser Region der »Migrant Stock« zwar gewachsen ist, dieses Wachstum aber im Vergleich mit Nordamerika niedriger ausfiel.110 Europa stand, was den Anteil internationaler Migranten an der Gesamtbevölkerung ausmacht, in den letzten Jahrzehnten immer erst an dritter Stelle, nach Ozeanien und Nordamerika. Erkennbar ist in Tabelle 2 auch, dass sich im Jahr 2000 nur noch 18,7 % der weltweit gezählten Migranten in Europa aufhielten. 1970 lebte dagegen noch mehr als ein Viertel aller weltweit gezählten internationalen Migranten in Europa.111 Im Hinblick auf Europa sollte also ebenfalls nicht von einer Migrationskrise gesprochen werden112, auch wenn viele der früheren Zuwanderer mittlerweise aus den Ausländerstatistiken »verschwunden sind«, weil sie in ihren einstigen Aufnahmeländern mittlerweile selbst zur Gruppe der Staatsangehörigen zählen (also »naturalisiert« wurden). Die statistischen Belege zum internationalen Wanderungs- und Fluchtgeschehen stellen sich, kritisch betrachtet, also weitaus weniger dramatisch dar als von manchen Autoren suggeriert. Der »World Migration Report« der IOM von 2008 geht davon aus, dass sich der jährliche Zustrom von Migranten in Richtung der »entwickelten« Länder auf einem Niveau von weniger als 2,3 Millionen Personen stabilisieren wird. Nachdem die Zahl der jährlichen Zuwanderer zuvor sprunghaft angestiegen war, deutet sich seit 2003 eine Trendwende an.113 Nach der Prognose der IOM wird der Peak von annähernd 3,5 Millionen Migranten pro Jahr, der 2003 erfasst wurde, in den kommenden Jahren nicht mehr erreicht werden – ein weiterer Beleg dafür, dass es sich eigentlich verbietet, von einer globalen Migrationskrise zu sprechen.

110 Kumulierte Angaben für die EU und einige Nicht-EU-Staaten mit Ausnahme der Nachfolgestaaten der Sowjetunion. 111 Im Jahr 2000 wiesen auch die früheren Sowjetrepubliken einen insgesamt höheren Migrantenanteil auf (10,2 %) als das übrige Europa. Naheliegenderweise hing dies mit der Auflösung der Sowjetunion zusammen: Es waren zwischen den früheren UdSSR-Republiken internationale Grenzen entstanden, was zur Folge hatte, dass Angehörige ethnischer Minderheiten und einstige Binnenmigranten als internationale Migranten gezählt wurden. 112 Zur Entwicklung der Zuwanderung in die Mitgliedsstaaten der EU siehe Kapitel 3.1. 113 Vgl. IOM (2008b: 36).

53 12:05:18.

Tabelle 2: Regionale Entwicklung der Zahl internationaler Migranten Internationale Migranten [Millionen]

Durchschnittlicher jährlicher Zuwachs des Bestands internat. Migranten [%]

Anteil der Migranten an der Gesamtbevölkerung [%]

Regionale Verteilung internat. Migranten [%]

Jahr

1970

2000

1970 -1980

1980 -1990

1990 -2000

1970

2000

1970

2000

Welt* Afrika Asien**

28,1

32,3

41,8

43,8

1,4

2,6

0,5

1,3

1,2

34,5

25,0

Amerika: Lateinamerika Karibik

5,8

6,1

7,0

5,9

0,7

1,3

-1,7

2,0

1,1

7,1

3,4

Amerika: Nordamerika

13,0

18,1

27,6

40,8

3,3

4,2

3,9

5,6

12,9

15,9

23,3

Europa**

18,7

22,2

26,3

32,8

1,7

1,7

2,2

4,1

6,4

22,9

18,7

Frühere UdSSR

3,1

3,3

30,3

29,5

0,5

22,3

-0,3

1,3

10,2

3,8

16,8

Ozeanien

3,0

3,8

4,8

5,8

2,1

2,3

2,1

15,6

18,8

3,7

3,3

1980

1990

81,5

99,8

154

174,9

2,0

4,3

1,3

2,2

2,9

100

100

9,9

14,1

16,2

16,3

3,6

1,4

0,0

2,8

2,0

12,1

9,3

* Aufgrund einer anderen Datengrundlage kleinere Abweichungen zu Tabelle 1 ** Asien und Europa ohne Staaten der früheren UdSSR

Quelle: Eigene Darstellung auf Grundlage von IOM (2005: 396).

Schenkt man den Aussagen von WEINER und CASTLES & MILLER Glauben, so stehen die Nationalstaaten allerdings noch vor einer anderen ernsten Herausforderung. Die drei Autoren behaupten, dass die Nationalstaaten ihre migrationspolitischen Steuerungsfähigkeiten mittlerweile weitgehend eingebüßt hätten. Diese »Steuerungskrise« der Nationalstaaten auf dem Gebiet der Migrationspolitik hängt, wie auch die sogenannte Migrationskrise, mit einer der großen Paradoxien der Gegenwart in Zusammenhang, die darin besteht, dass das aktuelle Weltwirtschaftssystem zwar für eine weitgehende Liberalität gegenüber Kapital- und Güterströmen eintritt, es aber zugleich auf der Abschottung der wohlhabenden Zentren des Systems gegenüber Zuwanderern aus der globalen Peripherie beruht.114

114 Siehe dazu Hollifield (2004: 885 und 905).

54 12:05:18.

Es wird allerdings nicht nur im Hinblick auf Migrationspolitik, sondern mittlerweile auch ganz allgemein hinterfragt, ob der Staat als einheitlich-unitär gedachter Akteur heute überhaupt noch in der Lage ist, alleine und in hierarchisch-übergeordneter Weise, also ohne die Mitwirkung anderer Akteure, Steuerung im Sinne einer »[...] intentionalen Handlungskoordination zur gemeinwohlorientierten Gestaltung der gesellschaftlichen Verhältnisse [...]«115 durchzusetzen. Während sich die Steuerungstheorie zusehends von der staatszentrierten Gesetzgeberperspektive abwendet, greift zugleich ein gewisser Steuerungspessimismus um sich und es ist von einer grundlegenden Steuerungskrise des Staates die Rede.116 Argumentiert wird einerseits, dass die »Erosion« von Staatlichkeit und das Infragestellen des traditionellen Steuerungskonzepts auf die Globalisierung zurückzuführen seien. Andererseits wird das Argument vertreten, dass die Entmachtung des Staates durch den Staat selbst verursacht wurde, indem sich dieser auf seinem Weg zum Sozial- und Wohlfahrtsstaat immer mehr Aufgaben selbst auferlegt hat und in der Folge zwangsläufig unter einen erhöhten Komplexitäts- und Aufgabendruck geraten musste.117 Zugleich wird allerdings auch behauptet, dass der Staat seiner eigenen Steuerungskrise und seinem zunehmenden Bedeutungsverlust auf dem Gebiet der Steuerung auch insofern Vorschub geleistet hat, als er mehr und mehr Aufgaben delegiert, sprich auf andere Akteure übertragen hat. Bei der zu Governance und Staatlichkeit im Wandel118 geführten Diskussion ist es letztlich wahrscheinlich unmöglich zu einer endgültigen Aussage darüber zu gelangen, welche der angeführten Argumentationsweisen richtig ist. Fest steht allerdings, dass nunmehr intensiv über neue Steuerungsformen und Steuerungsakteure diskutiert wird. Diese Diskussion macht auch vor dem Gebiet der Migrationssteuerung nicht halt – einem Politikfeld, das bislang stark durch staatliche und unilaterale Steuerungsvorbehalte und -eingriffe geprägt war.

115 Scharpf (1988: 5). 116 Vgl. hierzu und im Folgenden Brozus et al. (2003: 27), Görlitz/Burth (1998), Mayntz/Scharpf (1995a: 44), Mayntz/Scharpf (1995c: 9) und Schmidt (1997: 567). 117 Siehe Brozus et al. (2003: 13-31), Genschel/Zangl (2007: 10) und Voigt (2005: 19). 118 Zur Diskussion um Staatlichkeit im Wandel siehe beispielsweise Genschel/Zangl (2007), Jachtenfuchs (2003), Voigt (2005: 14) und Zürn (2002).

55 12:05:18.

2.1.2 Transnationalisierung des Sozialen – Soziale Produktion des Raumes Die seit den 1980er Jahren vor allem in der soziologischen und kulturwissenschaftlichen Migrationsforschung119 zur Transnationalisierung des Sozialen geführte Diskussion bietet einige interessante Anknüpfungspunkte an die Diskussion zur Steuerungsfähigkeit von Nationalstaaten. Außerdem lässt sie sich mit der in der Sozialgeographie diskutierten »sozialen Produktion« des Raumes in Bezug setzen. Der Ansatz des Transnationalismus120 knüpft an die empirische Beobachtung eines vermeintlich neuen Typus von Migration an.121 Nach Ansicht einiger Migrationsforscher weisen Wanderungsbewegungen aus den karibischen Ländern, Mexiko und den Philippinen in Richtung der USA seit den 1980er Jahren einen stärker zirkulierenden, sich zwischen Herkunfts- und Zielland »hin und her« bewegenden Verlauf auf. Festgestellt wird außerdem, dass viele Migranten nach ihrer Ankunft und Niederlassung in den USA eine weitaus intensiver ausgeprägte Bindung zum Heimatland behalten als früher. Zudem gibt es Anzeichen dafür, dass ihrer Niederlassung viel seltener die Assimilierung in Richtung der Mehrheitsbevölkerung folgt als zuvor. Diese als qualitativ neu und anders empfundene Sonderform der Migration, die nicht von einer Entwurzelung aus dem gesellschaftlichen Kontext des Herkunftslandes heraus und einer mühevollen Integration im Zielland begleitet ist, sondern sich in einem »in-between« zwischen Herkunfts- und Zielstaat äußert, wird mittlerweile als Transmigration bezeichnet.122 In den verschiedenen Ansätzen zu Transmigration und Transnationalismus wird argumentiert, dass sich im Zuge erheblich verbesserter und günstiger gewordener Kommunikations- und Transportmöglichkeiten zwischen den Herkunfts- und Zielländern von Migranten sogenannte transnationale Gemeinschaften herausbilden.123 In diese Argumentation fügt sich der Ansatz der Autonomie der Migration124 ein, der die Figur des Migranten und dessen Kreativität, Individualität und Unabhängigkeit gegenüber staatlichen Ordnungs- und Steuerungsbemühungen

119 Im Anschluss an den Ansatz des Transnationalismus ist teilweise auch von einem »Transnational Turn« der Migrationsforschung die Rede, vgl. auch Bailey (2001) und Levitt/Nyberg-Sørensen (2004). 120 Vgl. Basch et al. (1994) und Glick-Schiller et al. (1997) sowie Glick-Schiller (2007). 121 Hierzu und im Folgenden vgl. zudem Han (2006: 149-152), Levitt/Nyberg-Sørensen (2004) und Nassehi (2003: 204). 122 Kurzform von transnationale Migration. 123 Siehe beispielsweise Portes (1996). 124 Moulier-Boutang (1993) und Moulier-Boutang (2002).

56 12:05:18.

hervorhebt.125 Auch mit Hilfe des Migrationssystemansatzes (Kapitel 1.2.2) und des Konzepts der »Postnational Membership« von Migranten (SOYSAL126) lässt sich begründen, warum es eventuell zu einem Steuerungsverlust des Staates gekommen ist bzw. warum staatliche Steuerungsinterventionen heute eventuell weniger wirksam und viel schwieriger sind als früher. So sind Politikansätze, die auf die Rückführung nicht mehr benötigter ausländischer Arbeitskräfte setzen und auf einer zirkulären und temporären Arbeitsmigration beharren, letztlich wegen der gewachsenen Autonomie von Migranten und der Verselbstständigung von Migrationssystemen eigentlich kaum durchsetzbar. Wie die viel diskutierte Arbeit von SOYSAL zeigt, haben sogar temporäre und illegale Arbeitsmigranten ihre Teilhabe an bürgerlichen, sozialen, wohlfahrtsstaatlichen und zum Teil auch an politischen Rechten mittlerweile so weit ausbauen können, dass sie in vielen Ländern wirksam vor staatlicher Willkür, Repressalien und Massenausweisungen geschützt sind und Anspruch auf ein gewisses Minimum an Lebensstandard haben. Alle vier Ansätze – die Transnationale Migration, die Autonomie der Migration, der Migrationssystemansatz (Argument der Verstetigung von Migrationspfaden) und die »Postnational Membership« von Migranten – lassen sich mit dem bei HILLMANN angesprochenen Konzept der Migration als einer sogenannten räumlichen Definitionsmacht127 in Zusammenhang bringen. Im Anschluss an dieses Konzept und im Rückbezug auf ähnliche Gedanken von WERLEN128 lässt sich sagen: Migranten machen, vom Staat mehr oder weniger unbeeindruckt, zunehmend ihre eigene »alltägliche Geographie«. Die von ihnen erzeugten »Geographien der Migration« sind in aller Regel nicht mehr deckungsgleich mit den bis125 Siehe dazu auch Karakayalı/Tsianos (2005: 28). An der Herausbildung transnationaler »Communities« sind neben den Migranten auch die im Heimatland verbleibenden Familienmitglieder und grenzüberschreitende Massenmedien beteiligt. Aus Sicht der Theorieansätze zu Transnationalismus und Transmigration wird der Transmigrant jedoch als der entscheidende Akteur bei der Herausbildung transnationaler Bezüge betrachtet. PRIES stellt ihn sogar als einen neuen modernen Typus des Migranten vor, obgleich die Kritik beachtet werden sollte, dass es sich bei Transmigration bzw. Transmigranten lediglich um ein zeitlich befristetes Übergangsphänomen handeln könnte: Da heute mehr und bessere Medien zur Verfügung stehen, um den Bezug zum Herkunftsland aufrechtzuerhalten, lässt eine dauerhafte Niederlassung und Angleichung an die Mehrheitsgesellschaft möglicherweise nur länger auf sich warten, sollte aber nicht von vornherein ausgeschlossen werden. Vgl. Bailey (2001), Pries (2000: 58 und 61), Pries (2001: 5-9) und Pries (2003: 28-29). 126 Vgl. Soysal (1994). 127 Siehe Hillmann (2007: 21). HILLMANN führt dieses Konzept allerdings äußerst unvollständig aus. 128 Vgl. Werlen (1995) und Werlen (1997).

57 12:05:18.

her gewohnten »Geographien politischer Kontrolle«, dem Nationalstaat und der mit ihm traditionell verbundenen Auffassung von staatlich-territorialer Steuerung. Ganz ähnlich wird auch in den Überlegungen zum Transnationalismus und zur Herausbildung und Bedeutung von transnationalen Gemeinschaften argumentiert.129 So spricht PRIES beispielsweise von einer grundsätzlichen »[...] Neubestimmung des Verhältnisses von geographischem Raum und sozialen Raum [...].«130 Der Faktor Raum, so PRIES, verliere ganz und gar nicht an Bedeutung.131 Transnationalismus, Transmigration und transnationale Gemeinschaften würden vielmehr bewirken, dass neue soziale Räume132 konstruiert und erschlossen würden. Sind der Nationalstaat und der bisher gewohnte Raum/Ort der Regulation (das Staatsgebiet und dessen Grenzen) mittlerweile tatsächlich obsolet geworden? Sind Migranten in der Lage, ihre eigene »Geographie« der Migration und räumliche »Definitionsmacht« gegenüber den traditionellen »Geographien« des Nationalstaates durchzusetzen? Geht es nach BOMMES, so liegt man falsch, wenn man sich allzu leichtfertig den vorgestellten Diskussionen und Konzepten anschließt: Jeder Migrant, obwohl dem Diskurs zufolge nur noch im transnationalen Raum verortet, komme, so BOMMES, »realpolitisch« nämlich immer wieder im Nationalstaat und damit im bisher gewohnten Raum der Regulation an. Auch die transnationale Migration bleibt, trotz aller transnationalen Bezüge, damit weiterhin den Steuerungseingriffen des Nationalstaates ausgesetzt.133 Der Raum des Nationalstaates und der Nationalstaat sind somit noch längst nicht obsolet. Denn selbst im Fall der EU-Mitgliedsstaaten und des Schengen-Raumes sind Aufenthaltsberechtigungen und langfristige Einreiseerlaubnisse weiterhin an einen Mitgliedsstaat und damit einen nationalstaatlichen Geltungsraum gekoppelt. Im Hinblick auf das Konzept der transnationalen sozialen Räume und dessen Rezeption ist zudem der Hinweis wichtig, dass hier erneut, wie übrigens auch im Fall des Konzepts der räumlichen Definitionsmacht, die Gefahr droht, soziale 129 Als eine erste wesentliche Arbeit, die innerhalb der deutschsprachigen Geographie zu Transmigration und transnationalen sozialen Räumen entstanden ist, kann die Arbeit von MÜLLER-MAHN zu ägyptischen Migranten in Paris genannt werden. Vgl. Müller-Mahn (1999). 130 Pries (1997a: 16). 131 Vgl. Pries (2008: 18) und Pries (2000). 132 Im Gegensatz zu PRIES spricht FAIST von transstaatlichen Räumen und definiert diese als »[...] verdichtete ökonomische, politische und kulturelle Beziehungen zwischen Personen und Kollektiven, die Grenzen von souveränen Staaten überschreiten [und] Menschen, Netzwerke und Organisationen [an] mehreren Orten über [...] Staatsgrenze[n] hinweg [verbinden]«, Faist (2000a: 10). Vgl. auch Faist (2000b). 133 Vgl. Bommes (2003a).

58 12:05:18.

Tatbestände und gesellschaftliche Prozesse zu verräumlichen, also einfach neue Behälterräume zu konstruieren. Allerdings ist die Idee, das Gesellschaftliche nicht mehr ausschließlich in einem Raumcontainer zu suchen, ein interessanter Hinweis für die weitere Diskussion. Mit dem Konzept des alltäglichen Geographie-Machens von WERLEN ist bereits kurz auf einen jüngeren Diskussionsstrang innerhalb der deutschsprachigen Geographie verwiesen worden. In Abkehr von raumzentristischen und geodeterministischen Ansätzen setzt man sich seit den 1990er Jahren innerhalb der Sozialgeographie verstärkt mit der sogenannten »sozialen Produktion« von Raum und der Funktion der Kategorie Raum im Gesellschaftlichen (inklusive Politischen) auseinander. Bevor später noch einmal auf diese Diskussion eingegangen wird (Kapitel 2.1.5), ist zunächst die Entwicklung zu beschreiben, die die deutschsprachige Geographie im Zuge des sogenannten »Spatial Turns« vollzogen hat. Nach dem Ende der nationalsozialistischen Herrschaft und der NS-Geopolitik waren raumbezogene Erörterungen innerhalb der Sozialwissenschaften zunächst diskreditiert und wurden vermieden. Es sollten Jahrzehnte vergehen, bis in der deutschsprachigen Geographie – mit dem Umweg über die französische und angelsächsische Geographie, Soziologie und andere Fächer – schließlich eine Diskussion einzusetzen begann, die interessanterweise auch in Deutschland bereits Anfang des 20. Jahrhunderts schon einmal angestoßen worden war, unter anderem von dem Soziologen SIMMEL. 1908 hatte dieser gegen den auch außerhalb der Geographie weit verbreiteten Raumdeterminismus argumentiert.134 Raum bestimme, so SIMMEL, nicht den sozialen Handlungs- und Vergesellschaftungsprozess, er stelle eine Kategorie und nicht etwas selbstverständlich und dinglich Gegebenes dar. Im Unterschied zu den anderen Vertretern seines Fachs und anderer Wissenschaften, so auch den meisten Geographen, nahm SIMMEL Raum in erster Linie als ein soziales Produkt wahr. Sowohl die sogenannte klassische und postklassische135 Tradition der deutschsprachigen Geographie als auch der durch BARTELS136 Ende der 1960er Jahre vorgestellte raumwissenschaftliche Ansatz standen einem solchen Verständnis entgegen. Zwar wurden im Anschluss an HARTKE und SCHÖLLER Anstrengungen unternommen, die Humangeographie als 134 Vgl. Simmel (1995b) [1908]. 135 Siehe die Unterscheidung der klassischen und der postklassischen deutschen Geographie in Weichhardt (2008: 67): Während der Phase der klassischen Geographie vereinten sich Natur und Kultur für Geographen in der Landschaft. In der postklassischen Geographie fungierte dann ein reifizierter Raum, eine vergegenständlichte Region, als Synthesekonzept. Landschaft und Region wurden als real existierende Gegenstände wahrgenommen, die es innerhalb der Geographie zu dieser Zeit hauptsächlich zu erforschen galt. 136 Siehe Bartels (1968b).

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eine Sozialwissenschaft zu etablieren und statt des Raumes den Menschen und die Gesellschaft in den Vordergrund zu rücken.137 Trotz allem dauerte es bis in die 1980er Jahre, bis sich im Zusammenhang mit der sogenannten Münchener Schule der Sozialgeographie138 eine nunmehr auf das Gesellschaftliche fokussierende Herangehensweise zu etablieren begann. Die bereits durch SIMMEL verfolgte raumkonstruktivistische Sichtweise gewinnt in der deutschsprachigen Geographie allerdings erst seit wenigen Jahren an Bedeutung. Bedeutsame Impulse für eine raumkonstruktivistische Perspektive der Geographie lieferten die Anfang der 1960er Jahre entstandenen Denkschulen der »Radical Geography« und »New Regional Geography«.139 Diese und einige weitere Ausrichtungen der anglo-amerikanischen Geographie nahmen endgültig Abstand von der bisherigen Raumzentriertheit der Geographie und dem in Geographenkreisen bis dahin weit verbreiteten Desinteresse an sozialen Grundsatzfragen und -problemen. Während des Deutschen Geographentages in Kiel wurden 1969 auch innerhalb der deutschsprachigen Geographie Stimmen gegen den bisher verfolgten idiographischen Regionalismus und die gewohnte länderkundliche Betrachtungsweise laut. Die »Radical Geography« und die »New Regional Geography«, die bis in die Gegenwart für die deutschsprachige Sozial- und Politische Geographie eine wichtige Vorbildsfunktion übernehmen, sind ihrerseits stark von den französischen Geistes- und Sozialwissenschaften beeinflusst. 1967 hatte FOUCAULT mit einem Redebeitrag wesentlich dazu beigetragen, eine Entwicklung in Gang zu

137 Vgl. Schöller (1958) und die Arbeiten von HARTKE zur Neuausrichtung der Humangeographie und zum »Spurenlesen sozialer Prozesse im Raum«, so unter anderem: Hartke (1948), Hartke (1956) und Hartke (1959). 138 Siehe Maier et al. (1977) und bereits davor Ruppert/Schaffer (1969). 139 Die »Radical Geography« entwickelte sich vor dem Hintergrund des Vietnamkrieges, der amerikanischen Bürgerrechtsbewegung und den rebellischen 1968ern. Sie versuchte zu diesen Themen, aber auch zu anderen gesellschaftlichen Problemen wie Armut, Hunger und Kriminalität, Stellung zu beziehen und diese zu erforschen. Vgl. dazu Peet (1977), Harvey (1975), Mitchell (2000), Smith (1996) und Taylor (1992). Die »Critical Geography« entstand als Forschungsrichtung Ende der 1980er Jahre und hob das bisher durch die »Radical Geography« verfolgte, einseitig strukturalistisch und (neo-)marxistisch ausgerichtete Denken auf, indem sie für einen Ideologienpluralismus innerhalb der (Politischen) Geographie plädierte. Neben postmodernen Ansätzen (unter anderem Konstruktivismus) orientiert sich die »Critical Geography« bis heute an der »Frankfurter Schule« (Adorno, Horkheimer, Habermas etc.), vgl. Harvey (2006). Zusätzlich zu erwähnen ist neben der »Radical« und der »Critical Geography« auch die in den 1970er Jahren entstandene und ebenfalls an sozialen Problemstellungen interessierte Schule der sogenannten »Welfare Geography«, vgl. Smith (1977).

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bringen, die heute als »Spatial Turn«140 der Sozial- und Kulturwissenschaften bezeichnet wird. »Die große Obsession des 19. Jahrhunderts ist bekanntlich die Geschichte gewesen: die Entwicklung und der Stillstand, die Krise und der Kreislauf, die Akkumulation der Vergangenheit, die Überlast der Toten, die drohende Erkaltung der Welt[.] Hingegen wäre die aktuelle Epoche eher die Epoche des Raumes.«141

Gegenüber diesen historisch begründeten Vorbehalten plädierten FOUCAULT, LEFEBVRE und CASTELLS142 und andere Autoren der sogenannten Postmoderne gegen die weitere Vernachlässigung des Raumes und setzten sich für eine stärkere Thematisierung und Erörterung der Funktion(en) ein, die die Kategorie Raum für das Sozial-Gesellschaftliche übernimmt. Die »Wende hin zum Raum« wurde Ende der 1980er Jahre allmählich auch außerhalb Frankreichs vollzogen. Besonders das Hauptwerk von LEFEBVRE zur sozialen Produktion des Raumes143 fand breite Rezeption und wurde zu einem wesentlichen Element im Neuaufbruch der anglo-amerikanischen Humangeographie. Die Parole lautete nun: »Geography matters!«.144 Wie SIMMEL deutete auch LEFEBVRE den Raum als soziales Produkt.145 Wie die Zeit stellt seiner Ansicht nach auch der Raum keine materiell gegebene Kategorie dar. Zeit und Raum sind integrale Bestandteile der gesellschaftlichen Praxis, sie sind sowohl gesellschaftliche Produkte als auch wiederum selbst Resultat und Voraussetzung der Produktion von Gesellschaft. In der Konsequenz hieraus, so LEFEBVRE, sollte deshalb nicht der Raum (oder die Zeit) im Mittelpunkt wissenschaftlicher Betrachtungen stehen, sondern vielmehr gelte es der Rolle des Raumes (und genau das gleiche gilt wieder für die Zeit) innerhalb der sozialen Praxis nachzugehen. Angeregt durch die unterschiedlichen Gedankenanstöße von FOUCAULT, LEFEBVRE und CASTELLS begann sich innerhalb der angelsächsischen Geographie eine wachsende Zahl an Geographen für die soziale Produktion von Raum zu interessieren und nach der Relevanz der Kategorie

140 Eine erste Verwendung dieses Begriffs lässt sich interessanterweise bei einem Geographen feststellen: Soja (1989: 39). 141 Zitat in der deutschsprachigen Übersetzung entnommen aus Foucault (1999: 145). Der Originalbeleg findet sich in dem erst 1984 abgedruckten Redebeitrag von 1967: Foucault (1984: 317). 142 Vgl. Lefebvre (1974) und Castells (1972). 143 Im französischen Original: »La Production de l’Espace«, siehe Lefebvre (1974). Vgl. auch Lefebvre (2006). 144 Vgl. den Titel des programmatischen Sammelbandes von Massey/Allen (1984). 145 Siehe dazu Lefebvre (1974: 88) und Lefebvre (2006: 330). Siehe im Folgenden auch Belina/Michel (2007b: 17-18) und Schmid (2005: 316-320).

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Raum für das Soziale zu fragen.146 In der deutschsprachigen Geographie hielt sich dagegen auch nach dem Kieler Geographentag hartnäckig ein einseitig raumzentristisch angelegtes Wissenschaftsparadigma aufrecht. Nur einige wenige Vertreter der Geographie, die teilweise als »Raumexorzisten« bezeichnet wurden, gingen gegen diese tief eingeschliffene Denkweise vor.147 Erst Mitte der 1990er Jahre rückte der soziale Konstruktionsprozess von Raum dann allmählich doch ins Zentrum der Diskussion. Einen wesentlichen Impuls bildete das Erscheinen der beiden Monographien von WERLEN, der den letzten Schritt von einer Geographie der sozial-orientierten Raumforschung (Münchener Schule der Sozialgeographie) hin zu einer geographischen Gesellschaftsforschung unternahm.148 WERLEN stellte der Geographie die Aufgabe, das sogenannte »alltägliche Geographie-Machen« des Menschen und die daraus entstehenden Geographien oder Regionalisierungen zu untersuchen.149 Raum wird von WERLEN als Handlungsprodukt betrachtet, als Produkt eines »alltäglichen« Prozesses der Reifikation. Die zuvor angesprochenen, mit Hilfe von Migranten entstehenden transnationalen Sozialräume könnte man als spezielle Formen der alltäglichen Regionalisierung begreifen – als soziale Produkte, die jeden Tag neu durch das Handeln bzw. »Geographie-Machen« von Migranten herausgebildet, in ihrer Existenz bestätigt und/oder verändert werden. Der aktuell im Anschluss an eher systemtheoretische150 denn akteurs- und handlungsorientierte Überlegungen von einigen Geographen151 beschrittene Weg führt über die Argumentationen von WERLEN hinaus und schlägt eine etwas andere Richtung ein: Ausgangspunkt ist die Beobachtung, dass Raum in vielen Fällen rein metaphorisch und als Kürzel für komplexere Sachverhalte verwendet wird und dass diese unklaren, metaphorischen Raumbegrifflichkeiten oft mit der Vorstellung von Raum als etwas Physisch-Materiellem und Natürlichem kombiniert und »gedacht« werden. Im Vordergrund steht deshalb für die Vertreter die146 Dazu unter anderem Gregory/Urry (1985a: 3): »[...] spatial structure [was] now seen [...] rather as a medium through which social relations are produced and reproduced.« 147 So unter anderem KLÜTER und HARD. Vgl. beispielsweise Klüter (1986), Hard (1993) und Hard (1999). 148 Werlen (1995: 16) und Werlen (1997). 149 Allerdings geht WERLEN dabei von der Grundposition des methodologischen Individualismus aus, demzufolge nur Individuen (natürliche Einzelpersonen) handlungsfähig sind. 150 Im Anschluss an die Arbeiten von LUHMANN [beispielsweise Luhmann (1987) und Luhmann (1998)]. 151 Vgl. dazu beispielsweise Miggelbrink (2002a), Pott (2001) und Pott (2007) und Redepenning (2005) und die vorangegangenen Arbeiten von KLÜTER und HARD [zum Beispiel Klüter (1986), Hard (1993) und Hard (1999)].

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ses Zweigs einer raumkonstruktivistischen Geographie weder die Aufgabe, »[...] Handlungen, Kommunikationen, Beobachtungen, soziale Prozesse, Beziehungen oder ähnliches im Raum zu untersuchen [...]« oder sich auf die Betrachtung alltäglicher Regionalisierungen als Handlungsprodukt zu beschränken. Die Aufgabe der Geographie wird vielmehr darin gesehen, die soziale Funktion des Raumes »[...] in oder als Bestandteil von Handlungen, Kommunikationen, Beobachtungen, sozialen Prozessen oder Ähnlichem«152 herauszuarbeiten und so auch der Frage nachzugehen, welche Rolle oder Funktion die Kategorie Raum im Gesellschaftlichen übernimmt. Auf diese Denkweise zur sozialen Produktion und Funktion von Raum soll in Kapitel 2.1.5 noch einmal eingegangen werden. Zunächst ist allerdings noch eine weitere inhaltliche Auseinandersetzung mit der vermeintlichen Migrationskrise und migrationspolitischen Steuerungskrise notwendig.

2.1.3 Die Vision von einem internationalen Migrationsregime Aufgrund des engen Zusammenhangs zwischen der Transnationalisierung des Sozialen und den Phänomenen der internationalen Migration und der Globalisierung muss sich eigentlich jede Arbeit zu Migrationspolitik und -steuerung mit zwei Denkpositionen auseinandersetzen. Pointiert ausgedrückt würde die erste lauten: Der Nationalstaat ist schon jetzt annähernd handlungs- oder steuerungsunfähig, woran unter anderem die allzu exzessiv ausgeprägte Globalisierung und Transnationalisierung der Welt sowie die Zunahme von Migration schuld sind.153 Die Gegenposition dazu ließe sich folgendermaßen auf den Punkt bringen: Der Staat »lebt munter weiter«, er hat seinen Einfluss in vielen Politikbereichen, so möglicherweise auch in der Migrationspolitik, in den letzten Jahrzehnten sogar noch ausbauen können.154 Eine zwischen diesen beiden Positionen liegende Möglichkeit zu argumentieren bringt MAYER155 zur Sprache, indem er schreibt, dass die künftige Rolle und Steuerungsfähigkeit der Staaten vor allem davon abhängen wird, inwiefern und in welchem Umfang die heute bestehenden Nationalstaaten andere (Co-)Akteure für Steuerungsaufgaben in Anspruch nehmen können. Demnach müsste man im Folgenden, wie in dieser Arbeit vorgeschlagen, der Frage nachgehen, wie die EU und ihre Mitgliedsstaaten mit Hilfe anderer

152 Zitiert (mit eigenen Hervorhebungen) nach Pott (2007: 10). Vgl. zudem Pott (2007: 13). 153 Vgl. Guéhenno (1994) und Weiner (1995). 154 Siehe dazu Krasner (1999), Scharpf (1991) und Scharpf/Schmidt (2000). 155 Vgl. Mayer (1998: 295).

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Akteure (Beispiel: spezialisierte IRO) neue Steuerungsansätze entwerfen und umsetzen. Zu Beginn der Suche nach neuen migrationspolitischen Ansätzen steht zum einen ein gewisser Pragmatismus der national- und einzelstaatlichen Migrationspolitik, wonach es nicht mehr um eine Entscheidung für oder gegen Migration geht, »[...] sondern nur noch darum, ob und wie [Migration] politisch gestaltet werden soll.«156 Zum anderen hat sich in Ergänzung dazu auf der Ebene der internationalen Politik mittlerweile, trotz aller nationalstaatlichen Souveränitätsvorbehalte im Hinblick auf Migrationssteuerung und -politik, ein gewisser Grundkonsens hinsichtlich der Notwendigkeit und Form von Steuerungseingriffen gebildet. Demnach kann und soll eine effektive Steuerung internationaler Wanderungen aufgrund des globalen und grenzüberschreitenden Charakters von Migration wie der quantitativen Dimensionen des »Migrationsproblems« nicht mehr mit den Mitteln einzelstaatlicher Selbsthilfe in Angriff genommen werden. Stattdessen werden bilaterale oder multilaterale Kooperationsansätze diskutiert und angeraten. Wie im Hinblick auf andere kollektive Güter, so wird nun auch in Bezug auf die »Sicherheit vor zu viel bzw. unkontrollierter Migration« angenommen, dass der gemeinsame Nutzen eines konzertierten Vorgehens größer wäre als der Nutzen, der sich bislang aus unkoordinierten Einzelaktionen ergibt.157 Die Internationalisierung des »Problems« internationale Migration und die gleichzeitige Transformation von Migrationssteuerung hin zu einer neuen Form der internationalisierten Migrationssteuerung können zusammen als eine Option betrachtet werden, die den Nationalstaaten die Chance eröffnet, zumindest zu einem gewissen Grade steuerungsfähig zu bleiben. Eine Möglichkeit der Internationalisierung von Migrationssteuerung bieten auch Regime, also international gültige, durch möglichst viele Staaten verabschiedete und befolgte Regelsysteme wie das »Bretton-Wood-« und GATT158-System, auf denen das derzeitige Welthandelssystem beruht. 1993 erhielt ein führender Angestellter der UN namens Bimal GHOSH von der »Commission on Global Governance« und der schwedischen Regierung den Auftrag, Vorschläge zu einer neuen Form der Steuerung internationaler Wanderungen aufzustellen. Nach seinem Bericht an die UN wurde 1997 mit Mitteln des UN-Weltbevölkerungsfonds UNFPA159 sowie der niederländischen, schwedi156 Wöhlcke (2001: 32). 157 Vgl. Müller (1993: 31) und Wöhlcke (2001: 31-32). 158 Abkürzung für »General Agreement on Tariffs and Trade« (Internationales Zollund Handelsabkommen). 159 Akronym für »United Nations Population Fund« (UN-Weltbevölkerungsfond).

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schen und schweizerischen Regierung das sogenannte »NIROMP-Projekt« gegründet.160 Zum Direktor dieses Projekts, das in den kommenden Jahren Vorschläge für ein »neues internationales Regime für ‚geordnete’ Wanderungen« (New International Regime for Orderly Movements of People) entwerfen sollte, wurde GHOSH selbst bestellt. In der Zwischenzeit war er bereits Berater der IOM geworden – genau der internationalen Regierungsorganisation, die im NIROMPProjekt die Rolle der wichtigsten »Executing Agency« übernehmen sollte.161 In seinem Bericht »Movements of People. The Search for a New International Regime« argumentiert GHOSH, dass die Zunahme der internationalen Migration ein neues weltumspannendes Normen- und Regelsystem notwendig mache. Das von ihm angedachte neue Migrationsregime NIROMP soll internationale Wanderungsvorgänge geordneter, vorhersehbarer und planbarer machen. Auf der Basis von weltweit abgestimmten Normen und Prinzipien müsste deshalb versucht werden, sowohl die Interessen der Sende- und Zielländer als auch die Interessen der internationalen Migranten miteinander in Einklang zu bringen. GHOSH schlägt dafür ein alle Interessen miteinander abwägendes und ausgleichendes Vorgehen vor – einen sogenannten »Balanced Approach« – der in Zukunft allen Ländern und Migranten einen größtmöglichen Nutzen bringen soll:162 »An internationally harmonised policy for movements of people should aim at making the movements more orderly, manageable and productive at both ends of the flow.«163

Die Vision von GHOSH zielt auf ein neues internationales Migrationsregime hin – ein Regime ähnlich wie das der Genfer Flüchtlingskonvention.164 In den Politikwissenschaften werden (Politik-)Regime üblicherweise wie folgt definiert: »International regimes are […] principles, norms, rules, and decision-making procedures around which actor expectations converge in a given issue-area.«165

Zu den Bestandteilen von Regimen müssen nicht notwendigerweise geschriebene und ratifizierte völkerrechtliche Verträge zählen. So können bestimmte Handlungsroutinen, Prinzipien und Normen auch implizit – also nicht parlamentarisch verabschiedet – die internationalen Beziehungen prägen. Insofern ist es die regel160 161 162 163 164

Vgl. Ghosh (1993) und Commission on Global Governance (1995). Siehe dazu Ghosh (2000a). Vgl. Ghosh (1993), Ghosh (2000b) und Ghosh (2000d). Zitat aus Ghosh (1993: 4). Die GFK besteht schon seit 1951 als ein System mit konkreten völkerrechtlichen Regeln, Standards und Empfehlungen. Im Jahre 2005 hatten 145 Staaten diese Konvention ratifiziert. Interessant ist, dass die GFK zunächst nur eine regionale und zeitlich beschränkte Gültigkeit (Kontinent Europa, Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg) besessen hatte und diese Beschränkungen erst 1967 durch ein Zusatzprotokoll aufgehoben wurden. Vgl. Martin (2005: 1). 165 Zitat nach Krasner (1983b: 1).

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geleitete Praxis des Handelns, die ein Regime im eigentlichen Sinne ausmacht – und nicht allein die Ratifikation und das Vorhandensein gemeinsamer Regeln oder Verträge. Durch Regime werden in erster Linie Reziprozität und Erwartungssicherheit betont.166 Staaten legen mit Hilfe von Regimen gemeinsame Aufgaben und Verantwortlichkeiten fest.167 Ganz im Sinne des politikwissenschaftlichen Regime-Konzepts schlägt GHOSH in seinem Entwurf einer neuen »Weltordnung für Migration« ein Drei-PfeilerModell vor. Der erste Pfeiler soll sich seiner Ansicht nach aus den übergeordneten Politikzielen möglichst aller Staaten hinsichtlich internationaler Wanderungen zusammensetzen. Den zweiten Pfeiler seines Modell sieht GHOSH in einem neuen internationalen Rahmenabkommen zu Migration. Der dritte Pfeiler unterscheidet sich in seiner Konzeption von diesen beiden ersten, eher auf Normen und völkerrechtlichen Vereinbarungen basierenden Pfeilern. Unter ihm fasst GHOSH nämlich alle Akteure, die seiner Meinung nach mit der Vorbereitung, dem Entwurf und der praktischen Ausführung des Regimes und seiner konkreten Maßnahmen betraut werden sollten. Dabei denkt er nicht nur an staatliche Akteure, sondern er hebt besonders die Rolle und Mitverantwortung von (internationalen) Nichtregierungsorganisationen (NRO/INRO), internationalen Regierungsorganisationen (IRO) und suprastaatlichen Akteuren hervor. Nach Ansicht von GHOSH liegt die nachhaltige Lösung im Hinblick auf eine effektivere Ordnung, Steuerung und »nützlichere« Ausgestaltung von Wanderungsprozessen in der Einbeziehung möglichst vieler Co-Akteure, also auch solchen »jenseits« des Nationalstaates.168 Im Zuge seiner Konzeption plädiert GHOSH, wie auch der Ökonom STRAUBHAAR169, für das Prinzip einer »regulierten Offenheit«:170 Migration 166 Hierzu und im Folgenden vgl. Krasner (1983b: 1-7), Rosenau (1992: 8-9), Ruggie (2002: 56), Stein (1983: 115-116). 167 Ausgehend von der Behauptung, dass Migration und Flucht in der Realität häufig sowieso kaum voneinander zu unterscheiden wären, plädiert GHOSH in seinem Entwurf für die Fusion der bisher gültigen Regeln zu Flucht/Asyl und den neu für Migration zu schaffenden Normen. Er argumentiert für ein einziges Migrationsregime, einen sogenannten »Global Approach«. In letzter Konsequenz würden seine Vorschläge also eine vollständige Inkorporation des bestehenden GFK-Regimes in das neu zu schaffende Migrationsregime bedeuten. 168 Vgl. Ghosh (1993: 4). 169 In seinem eigenen Vorschlag, dem »GAMP« (General Agreement on Movements of People), schlägt STRAUBHAAR vor, die Steuerung internationaler Migration mittels Marktinstrumenten zu gestalten. Ein geeignetes Mittel könne zum Beispiel eine »Migrationssteuer« sein, eine Einnahmequelle, die man in den Zielländern unter anderem zur besseren Integration von Migranten, in den Herkunftsländern zur Abmilderung der negativen Effekte (Brain Drain) verwenden könne. Vgl. Straubhaar (2000).

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soll nach Maßgabe der Arbeitskräftenachfrage in den Zielländern und unter Berücksichtigung der Negativeffekte für die Herkunftsländer gesteuert werden. Alle gewünschten und notwendigen Migrationsströme sollen deshalb erleichtert werden, während gleichzeitig an dem restriktiven Vorgehen gegenüber allen »ungewollten« und (vermeintlich) »keinen Nutzen bringenden« Wanderungsformen festgehalten wird. Dem Wunschdenken von GHOSH, STRAUBHAAR und anderen »Visionären« zufolge kann nur eine stärkere »Kanalisierung« durch zugleich restriktiv und liberal ausgerichtete Steuerungsformen das internationale Migrationsgeschehen in einen Prozess überführen, der »orderly« und »productive« ist.

2.1.4 Neue Akteure, Arrangements und Formen der Steuerung Die Vision eines globalen Migrationsregimes, wie sie vor allem durch GHOSH in den frühen 1990er Jahren angeregt worden ist, lässt sich mit der allgemein zu »Governance« und zu »globalem Regieren« geführten Debatte in Bezug setzen. Mit dem Begriff und dem Konzept der Governance wird auf grundsätzlich neue Steuerungsarrangements und -formen verwiesen, die sich in Alternative zu dem bisher gewohnten staatlich-hierarchischen Steuerungskonzept (Kapitel 1.1) herausbilden. Die »Commission on Global Governance« hat 1995 in ihrem Endbericht Governance wie folgt definiert: »Governance is the sum of the many ways individuals and institutions, public and private, manage their common affairs. It is a continuing process through which conflicting or diverse interests may be accommodated and co-operative action may be taken. It includes formal institutions and regimes empowered to enforce compliance, as well as informal arrangements that people and institutions either have agreed to or perceive to be in their interest.«171

Vom Konzept der »International Governance« unterscheidet sich das der »Global Governance« dadurch, dass bei der »Global Governance« neben staatlichen Akteuren, supranationalen Organisationen und internationalen Regierungsorganisationen auch nichtstaatliche Interessenvertreter an Politiklösungen beteiligt sind.172 Gerade im Umgang mit grenzüberschreitenden Problemlagen wie der internationalen Migration wird argumentiert, dass die Einbeziehung von Akteuren »jenseits« des bislang üblichen einzelstaatlichen Steuerungsrahmens dringend geboten sei. Die Beteiligung einer Vielzahl von verschiedenen Interessensvertretern verspricht, grenzüberschreitende und sehr komplexe Politikprobleme einer Lösung zugänglich zu machen und Lösungsansätze zu erreichen, die durch 170 Vgl. Ghosh (2000e: 25) und Straubhaar (2000). 171 Commission on Global Governance (1995: 2). 172 Brühl/Rittberger (2001: 2).

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die Einbindung zivilgesellschaftlicher Akteure auch demokratisch legitimiert und gesellschaftlich akzeptiert sind – so die Idealvorstellung von Governance (im Sinne der sogenannten »Good Governance«). Ein Ausweitungsprozess, der sich über den Rahmen des bisher gewohnten Regulations- oder Steuerungsraumes hinaus erstreckt, zeichnet sich also nicht nur hinsichtlich des Gesellschaftlichen ab. Die verschiedenen Diskussionen zu Governance deuten vielmehr darauf hin, dass mittlerweile verstärkt auch »jenseits« des Staates regiert und gesteuert wird, dies sogar zwingend notwendig ist, und dass sich dieses Steuern und Regieren unter der Einbeziehung von neuen Co-Akteuren vollzieht. In Anlehnung an die Überlegungen von WERLEN und im Anschluss an das Konzept der transnationalen sozialen Räume (Kapitel 2.1.2) könnte man sagen, dass auch diese Co-Akteure »Geographie machen« und neue Räume oder »Geographien« der Steuerung konstruieren. Ausgehend von dem innerhalb der deutschsprachigen Politikwissenschaft entstandenen Ansatz des akteurzentrierten Institutionalismus lässt sich wiederum die These aufstellen, dass die Entstehung neuer Regelkontexte (wie beispielsweise Regimen) entscheidend durch die an Steuerungsaufgaben beteiligten Akteure geprägt wird.173 Die neu entstehenden Regeln strukturieren in der Folge zwar auch das Handeln und die Steuerungsbeiträge dieser Akteure. Grundsätzlich besitzen die Handlungsträger aber immer die Möglichkeit, die entstehenden oder bereits gegebenen Regeln zu hinterfragen und zu remodifizieren. Das heißt aber nicht, dass bei der Analyse der Akteure und ihrer Aktivitäten nicht auch der Handlungsrahmen, die bereits gegebenen Regeln und die spezifische Situation zu berücksichtigen sind, vor deren Hintergrund die mit an Steuerung beteiligten Akteure jeweils handeln. Migrationspolitik und Migrationssteuerung stellen sich als ein Politikbereich dar, der der traditionellen Auffassung zufolge, ausschließlich durch das Handeln staatlicher Akteure geprägt ist. Die Vorschläge zu einem neuen globalen Migrationsregime unter Einbeziehung zusätzlicher Steuerungsakteure deuten auf die Entstehung eines neuen globalen Steuerungsmodells und eine Internationalisierung bzw. Transnationalisierung des Politischen hin – Auf welche Akteure sollte sich die Aufmerksamkeit konzentrieren, wenn man sich lösen möchte von der bisher gewohnten, rein »staatszentristischen« Perspektive? Bei der Diskussion von neuen Formen der politischen Steuerung wird in erster Linie auf eine stärkere Beachtung von korporativen Akteuren verwiesen. Anders

173 Vgl. Mayntz/Scharpf (1995a) und Scharpf (2000).

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als im methodologischen Individualismus174 anderer Handlungstheorien175 wird beim Ansatz des akteurzentrierten Institutionalismus davon ausgegangen, dass überindividuell verfasste korporative Akteure in gleicher Weise handlungsfähig sind wie individuelle Akteure.176 Korporative Akteure verfügen im Gegensatz zu individuellen Akteuren und sozialen Bewegungen (Typus des kollektiven Akteurs) über eigene organisationsinterne Entscheidungsgremien und Leitungsebenen. Diese ermöglichen eigene strategische Handlungsentscheidungen, die die korporativen Akteure dann auch gegenüber anderen Akteuren zu vertreten versuchen. Zur Gruppe der korporativen Akteuren sind neben Nichtregierungsorganisationen177 auch die im Zentrum dieser Arbeit stehenden internationalen Regierungsorganisationen sowie suprastaatliche bzw. supranationale Akteure zu zählen. Als Nichtregierungsorganisationen (NRO bzw. NGOs178) gelten vom Staat unabhängige und freiwillige Zusammenschlüsse von Einzelpersonen, die im Unterschied zu locker organisierten sozialen Bewegungen über eine eigene Leitungsund Repräsentanzstruktur verfügen.179 Ganz allgemein werden NRO in der Governance-Diskussion als Akteure bezeichnet, »[...] die einen spezifischen Beitrag zur Bearbeitung auch grenzüberschreitender Problemlösungen leisten können [...]«180 und nicht durch den Staat, sondern in erster Linie durch die Gesellschaft Legitimation und Anerkennung erfahren. In den vergangenen Jahren wurden in der Auseinandersetzung zu Governance wohl nicht zuletzt deshalb große Erwartungen laut: Mit NRO ist die Hoffnung verbunden, auf nationaler und internationaler Ebene ein Mehr an Demokratie und Transparenz in der Politik erreichen zu können.181 Diese Hoffnung speist sich nicht zuletzt aus der Beobachtung, dass viele NRO heute international vernetzt sind und als sogenannte internationale Nichtregierungsorganisationen (INRO bzw. INGO182) in Erscheinung treten und dann auch weltweit bzw. international als sogenannte »Pressure Groups« fungieren können. Mit (I)NRO verbindet sich die Erwartung, dass sie, 174 Dieser Position zufolge sind nur Individuen (natürliche Einzelpersonen) handlungsfähig. 175 Vgl. beispielsweise Giddens (1984). 176 Hierzu und im Folgenden siehe Mayntz/Scharpf (1995a: 49-50), Rittberger (1994: 27) und Scharpf (2000: 96-101 und 105-107). 177 Zusätzlich aufzuführen wären privatwirtschaftliche Unternehmungen, die in dieser Arbeit nicht thematisiert werden. 178 Im Englischen: »Non-Governmental Organizations« (NGOs). 179 Hierzu und im Folgenden vgl. Freyhold (2002), Furtak (1997) und Take (2002). 180 Take (2002: 60). 181 Vgl. Demirovic (2001: 142), Lake/McCubbins (2006: 342) und Roth (2005: 103). 182 Im Englischen: »International Non-Governmental Organization« (INGO).

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aufgrund ihres spezifischen Wissens zu gesellschaftlichen Problemlagen und ihres privilegierten Zugangs zur Zivilgesellschaft in besonderem Maße dazu befähigt sind, »[...] Probleme auf die mediale und politische Agenda zu bringen; über Ursache, Natur und potenzielle Folgen des Problems Bescheid zu wissen; die identifizierten Probleme in einen globalen Zusammenhang einordnen zu können; Problemlösungsstrategien entwickeln zu können; sowie die Strategien zu kennen, mit denen lokale Aktivisten gegen die Auswirkungen globaler Probleme kämpfen.«183

Andere Autoren äußern diesbezüglich Zweifel, vor allem wenn es sich um sogenannte harte oder besonders sensible Politikfelder der internationalen Politik handelt, zu denen bisher üblicherweise auch das Feld der Migrationspolitik/ -steuerung gezählt wurde.184 Außerdem ist nicht immer klar, ob und inwieweit NRO und INRO tatsächlich unabhängig vom Staat und unmittelbar durch die Zivilgesellschaft legitimiert sind und ob sie nur ihre eigenen partikularen Anliegen vertreten.185 In manchen Fällen ähneln (I)NRO aufgrund ihrer eigenen finanziellen Interessen und Finanzverflechtungen privatwirtschaftlichen Unternehmungen.186 Internationale Regierungsorganisationen (IRO/IGO187) werden im Gegensatz zu NRO nicht von natürlichen Einzelpersonen oder anderen NRO gegründet, sondern aufgrund eines völkerrechtlichen Vertrages zwischen zwei oder mehreren 183 Take (2002: 63). 184 So schreibt GEBAUER beispielsweise: »Solange [NRO/INRO] im üblichen Politikzyklus konstruktiv mitwirken und für das agenda-setting sorgen, Sachverstand mobilisieren, Ethik-Konzepte beisteuern, Lösungsvorschläge entwickeln sowie Überwachungs- und Evaluierungsaufgaben übernehmen oder vielfältige karitative Funktionen ausüben, sind sie den Repräsentanten der Staaten gern gesehene Partner. Insbesondere in den so genannten ‚weichen’ Politikfeldern der Sozial- und Umweltpolitik gelten [(I)NRO-Vertreter] als geschätzte Fachleute [...] Hingegen scheint eine autonome [...] Präsenz von [NRO/INRO] in den ‚harten’ Sphären der Wirtschafts- und Sicherheitspolitik nach wie vor zu stören [...]«, Gebauer (2001: 98). 185 Vgl. Debiel/Sticht (2005) und Demirovic (2001: 143-145). Im Englischen haben sich deshalb noch andere Begriffe eingebürgert. So werden manche (I)NGOs mittlerweile auch als QUANGOs (»Quasi-Non-Governmental Organization« – stark abhängig von staatlichen Finanztransfers), DONGOs (»Donor-Created NGO« – von bestimmten Finanzgebern abhängig, nicht durch Aktivisten der Zivilgesellschaft oder andere NRO gegründet) oder GONGOs (»Government-Organized NGO« – von staatlichen Akteuren gegründete NRO) bezeichnet, je nachdem wie stark ihre finanzielle Abhängigkeit von staatlichen oder anderen Akteuren ist und welchen Motiven die einzelnen Organisationen ihre Gründung verdanken. 186 Nicht zuletzt deshalb ist zur weiteren Differenzierung auch der Begriff der NonProfit-Organisation entstanden. 187 Englisch für »Intergovermental Organization«.

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Staaten. Eine IRO kann auch von einer anderen IRO ins Leben gerufen werden.188 In der Regel besitzen IRO im Hinblick auf ein bestimmtes Politikfeld ein internationales Mandat, das ihnen bei der Gründung übertragen wurde. Dank dieses Mandats wird eine IRO zu einem addressierbaren Akteur der internationalen Politik. Nach ABBOTT & SNIDAL189 dienen IRO der Zentralisierung von staatlichen Interessen, Handlungsressourcen und Handlungsaufträgen. Eine institutionell, durch Normen und Regeln begründete und permanent bestehende Verwaltungs- und Entscheidungsstruktur befähigt internationale Regierungsorganisationen, die ihnen gestellten Aufgaben weitgehend selbstständig und autonom zu bearbeiten, Handlungsempfehlungen an die Mitgliedsstaaten auszugeben (Typus der Programmorganisation) sowie den Dialog zwischen Staaten zu organisieren und vorzustrukturieren (Forumorganisation). IRO, die im Auftrag der Mitgliedsstaaten an der praktischen Umsetzung von Politiklösungen beteiligt sind, werden als sogenannte operative Organisationen bezeichnet. Eine andere Funktion, die oft von IRO übernommen wird, ist es zu kontrollieren, ob die gemeinsam von allen Mitgliedsstaaten vereinbarten Regeln (Kontrollorganisation) auch tatsächlich eingehalten werden. Supranationale, sprich überstaatliche Organisationen sind internationalen Regierungsorganisationen sehr ähnlich. Doch während bei einer IRO die staatliche Souveränität der einzelnen Mitgliedsländer formal unangetastet bleibt und man sich lediglich auf die Einhaltung gemeinsamer Normen und Regeln verpflichtet, zieht der Beitritt eines Staates zu einer supranationalen Organisation den Übertrag substanzieller staatlicher Hoheitsrechte an diesen überstaatlichen Akteur und seine Gremien nach sich. Eine supranationale Organisation wird damit zu einem den staatlichen Behörden übergeordneten Souverän. Die Europäische Union stellt sich zwar hinsichtlich mancher Politikbereiche schon heute als supranationaler Akteur dar, das »Regieren« der EU-Institutionen (EU-Kommission, Europäisches Parlament und Europäischer Gerichtshof) kommt aber streng genommen aus der Überlappung sowohl intergouvernementaler (zwischenstaatlicher), supranationaler (überstaatlicher) wie auch vertikaler Regierungsmodi (Ebenen der EU, der Nationalstaaten, der Europäischen Regionen etc.) zustande.190 Die EU tritt dadurch auf manchen Politikfeldern als IRO, auf anderen Feldern hingegen bereits als supranationale Organisation in Erscheinung. Zudem stellt sich 188 Vgl. Pevehouse et al. (2005: 9-10), Simmons/Martin (2002: 192) und Wolf (2003: 415). 189 Siehe Abbott/Snidal (2005: 26 und 31-35). 190 Vgl. Andersen/Eliassen (2001a), Decker (2002) und Grande (2000). Einige Autoren bezeichnen die EU deshalb auch als »komplexe internationale Organisation«; vgl. unter anderem Gehring (2002).

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die EU auf einigen Politikfeldern auch als ein komplexes Gefüge einer kaum noch überschaubaren Zahl internationaler Regime dar. Der Politikwissenschaftler JACHTENFUCHS hat die EU deshalb in einer seiner Veröffentlichungen auch als ein schwer begrifflich zu greifendes System speziellen Ursprungs, ein »Gebilde sui generis«191, bezeichnet. Im Rahmen dieser Arbeit wird die EU nicht als internationale Regierungsorganisation im eigentlichen Sinne betrachtet. Das Konzept der Governance weist neben der Mitbeteiligung der vorgestellten Akteursgruppen und anderer Steuerungsakteure192 auch auf die Entstehung neuer Steuerungsmodelle oder -arrangements hin: VOIGT unterscheidet diesbezüglich drei verschiedene Grundformen von Governance: Neben der »Governance by Government«, der traditionellen Form des hierarchischen Regierens und Steuerns durch den Staat (Steuerungsobjekt: »die Gesellschaft«, Kapitel 1.1), unterscheidet er als zweite und dritte Grundform die »Governance with Government« und die »Governance without Government«. »Governance with Government« bezeichnet ein kooperatives Regieren und Steuerung innerhalb eines durch viele Akteure geprägten Verhandlungs- und Entscheidungssystem. Der Staat ist als »primus inter pares« bei diesem Steuerungsmodell noch an der Ausarbeitung und Umsetzung von Steuerungsansätzen beteiligt. Schaffen die anderen Akteure ohne den Staat Verhandlungsregelungen und können sie ohne den Staat auch die gewünschten Ergebnisse erreichen, so ist von »Governance without Government« zu sprechen.193 Bei den verschiedenen Formen von Governance kommt der engen Vernetzung von Akteuren zweifellos eine hohe Bedeutung zu.194 Es wird deshalb auch von einer »Network Governance«195 durch (internationale) Politiknetzwerke und »Policy Communities«196 gesprochen. Im Rahmen von »Global« bzw. »International Governance« deutet sich damit eine Verschneidung und ein Zusammenfallen der bisher gewohnten »Maßstabsebenen« (Scales) des Politischen an. Würde man nichtstaatliche Akteure auf der regionalen oder lokalen Ebene verorten und würden sie bei der Lösung bestimmter Politikproblemen sowohl mit staatlichen (nationale Ebene) als auch mit ausländischen/internationalen Akteuren interagieren, so wäre dies ein paradigmatisches Beispiel für ein solches Zusammenfallen und Verschneiden bisher getrennt voneinander gedachter Handlungs- und Zu191 192 193 194 195 196

Siehe Jachtenfuchs (1997). Zu nennen sind zusätzlich auch privatwirtschaftliche Unternehmen. Vgl. Voigt (2005: 214). Vgl. Jachtenfuchs (2003: 514-517). Kohler-Koch (2005). Siehe Mayntz (1996: 473) und Windhoff-Héritier (1985: 2).

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ständigkeitsebenen. Es wäre deshalb in Bezug auf Governance in manchen Fällen richtiger, nicht lediglich von »Network Governance«, sondern auch von »Multi-Level Governance«197 zu sprechen. In Fällen, in denen Akteure zur Lösung von bestimmten Politikproblemen bewusst den Wechsel von der ihnen üblicherweise zugeordneten Politikebene auf eine andere vollziehen, sie sich also auf einer anderen Zuständigkeitsebene als der »ihrigen« bei Steuerungsaufgaben beteiligen, kommen sogenannte »Politics of Scale« ins Spiel – Bewusst werden die einst voneinander strikt getrennten politischen Maßstabsebenen benutzt, um Politik zu machen und bestimmte Lösungen und Ziele zu erreichen. Besonders in der anglo-amerikanischen Geographie werden die »Politics of Scale« seit einigen Jahren intensiv diskutiert.198 Im Zuge von »Global/International Governance« und eines Regierens und Steuerns »jenseits« des Staates gewinnen nach der Überzeugung von JACHTENFUCHS neben neuen Steuerungsarrangements auch wissensbasierte und sogenannte »weiche« Steuerungsformen an Bedeutung.199 Einen wesentlichen Beitrag zu wissensbasierten Steuerungsformen leisten »Epistemic Communities«200 – sogenannte Expertengemeinschaften, die sich aus Wissenschaftlern, Politikberatern, hochrangigen Beamte und anderen Personen mit relevanter Expertise zusammensetzen.201 Die Experten, die bestimmten »epistemic communities« angehören, vereint, dass sie von der gleichen Ursache-Effekt-Beziehung ausgehen, das gleiche »Vokabular« pflegen und meist auch über ein gemeinsames »Weltbild« verfügen.202 Als Experten können sie selbst dazu beitragen, eine bestimmte Art von »Realität« entstehen zu lassen – eine strategisch konstruierte Realität, die den vorgeschlagenen Lösungsweg und die dafür notwendigen Ansätze und Instrumente als naheliegend, richtig und alternativlos erscheinen lässt. Auf der Basis von Wissen und Wissensverfügbarkeit kann es damit durchaus zur Verschiebung 197 BRÜHL und RITTBERGER schreiben dazu: »[...] global governance is equated with multilevel governance, meaning that governance takes place not only at the national and the international level [...] but also at the subnational, regional, and local levels«, Brühl/Rittberger (2001: 2). Vgl. dazu auch Hooghe/Marks (2003: 234). 198 Siehe beispielsweise Brenner (2001), Jessop (2004), Marston (2000) und Moore (2008). Empirische Belege zur Verschneidung und zum Zusammenfallen von »Scales« und der Privatisierung von Politiklösungen finden sich zum Beispiel der spanischen Integrationspolitik in Agrela et al. (2006). 199 Vgl. Jachtenfuchs (2003: 514). 200 HAAS definiert »Epistemic Communities« wie folgt: »An epistemic community is a network of professionals with recognized expertise and competence in a particular domain and an authoritative claim to policy-relevant knowledge within domain or issue-area«, Haas (1992: 3). Vgl. auch Haas (1990a). 201 Hierzu und im Folgenden vgl. Nye (2004: 176-185), Zintl (1992: 16). 202 Vgl. Haas (1990b) und Haas (1992: 2-3 und 21).

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von Machtbalancen zugunsten der Wissenslieferanten kommen. Der ebenfalls von JACHTENFUCHS203 gegebene Hinweis auf die zunehmende Bedeutung sogenannter »weicher« Steuerungsformen, bei denen stärker die Freiwilligkeit im Befolgen als der Gehorsam durch Kontrolle im Vordergrund steht, lässt sich, ausgehend von der Konzeption der traditionellen staatlichen Steuerung in Form einer gemeinwohlorientierten Steuerung (Kapitel 1.1), mit der Gouvernementalitätskonzeption des französischen Philosophen FOUCAULT in Bezug setzen. FOUCAULT spricht in Bezug auf »Regieren« von einem »Effekt« einer Vielzahl sich miteinander verschränkender und einander auch widerstrebender Regierungsweisen. Hinter diesen sieht er nicht den Staat als unitären Akteur stehen, vielmehr abstrahiert er von diesem weitgehend und geht davon aus, dass Gesellschaft und gesellschaftliche Prozesse generell von Macht, aber eben nicht ausschließlich nur von staatlicher Macht, durchdrungen sind. Im Rahmen seiner Beobachtungen zur Herausbildung einer neuen Form des Regierens und Steuerns, der sogenannten Gouvernementalität, weist FOUCAULT den Leser auf das Aufeinandertreffen und die Verschmelzung höchst unterschiedlicher Formen der Fremd- und Selbststeuerung hin.204 Neben »Technologien«, die direkt auf menschliche Individuen wirken (Fremdsteuerung) kommen seiner Meinung nach in zunehmendem Maße auch subtilere und indirekt wirkende »Techniken« und »Taktiken« zum Einsatz. Mit Hilfe dieser neuen Formen versuche der Staat, neben der Fremdsteuerung von Personen auch die individuelle Selbst-Lenkung von Personen, das heißt deren eigene selbstverantwortliche Lebensführung, zu beeinflussen. Interessanterweise wirken diese Techniken und Taktiken so, dass sie den Gesteuerten in der Regel gar nicht (mehr) bewusst werden. »[Was] kann, im Grunde genommen, das Ziel der Regierung sein? [...] Im Wesentlichen wird es die Bevölkerung selbst sein, auf die sie direkt mittels Kampagnen oder auch indirekt mittels Techniken einwirkt, die es beispielsweise erlauben, ohne dass es die Leute merken, die Geburtenrate zu steigern oder die Bevölkerungsströme in diese oder jene Region oder zu dieser oder jener Bestätigung zu leiten. Statt als Ausdruck der Macht des Souveräns tritt die Bevölkerung vielmehr als Zweck und Instrument der Regierung hervor.«205

Mit dieser Äußerung stellt FOUCAULT einen direkten Bezug zwischen Techniken der Machtausübung her, die allgemein auf das Wohl der Bürger ausgerichtet sind, und solchen, die speziell auf räumliche Bevölkerungsbewegungen zielen. Unter Bezugnahme auf dieses Zitat und die Gouvernementalitätskonzeption von FOUCAULT drängt sich damit die Frage auf, ob die im Folgenden zu untersu-

203 Vgl. Jachtenfuchs (2003: 514-517) 204 Hierzu und im Folgenden vgl. Foucault (2000) und Foucault (2004: 158-162). 205 Foucault (2000: 61).

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chenden Einflussnahmen zum Zwecke der Migrationssteuerung auch Aktivitäten umfassen, die darauf zielen, dass sich Individuen, ohne sich einer Steuerungsintervention bewusst zu sein, zu einer bestimmten Verhaltensweise entschließen, dass sie also beispielsweise von einer Wanderungsentscheidung wieder Abstand nehmen oder diese modifizieren.

2.1.5 Instrumentalisierung von Raum und Funktion des Raumes im Politischen In seiner Arbeit zu Gemeindegebietsreformen hat REUBER206 Ende der 1990er Jahre festgestellt, dass Akteure im Rahmen von Konflikten bestimmte Raumkonstrukte als strategische Regionalisierungen schaffen und diese zielgerichtet einsetzen.207 In der unter anderem durch REUBER begründeten Geographischen Konfliktforschung wird deshalb für notwendig erachtet, die zum Einsatz kommenden Raumbilder zu untersuchen und die mit ihnen verknüpften Zielsetzungen herauszuarbeiten. Raumbezogene Begriffe oder Semantiken wie Heimat und Vaterland stellen Metakonzepte dar, die von Akteuren je nach Bedarf produziert und herangezogen werden. Zum Teil werden sie mit neuen Bedeutungen aufgeladen, um die intendierten Ziele schneller oder einfacher erreichen zu können. Raumbezogene Semantiken besitzen ihre Funktion, so MIGGELBRINK, in der »[...] Kondensierung und Bewahrung von Sinn mittels räumlicher Form [...].«208 Kondensierung bedeutet dabei »[die] selektive Reduktion auf einen identischen Kern unter Verzicht auf situationsbedingte Details [...]«209. Da raumbezogene Semantiken oder räumliche Konstrukte in jedem beliebigen Moment auch durch andere Akteure herangezogen werden können und sie trotz veränderter Situation auf die neu angetroffene »Wirklichkeit« zuzutreffen scheinen, sind sie besonders nützlich, da mit ihrer Hilfe Komplexität reduziert und Orientierung erleichtert wird.210 Raumbezogene Semantiken und raumbezogene Leitbilder erleichtern damit Kommunikation, denn weitergehende Erkenntnisbemühungen werden in aller Regel blockiert und für nicht notwendig erachtet.211 Jede Streiterei erscheint

206 Siehe Reuber (1999). 207 Allerdings ging REUBER dabei von der Grundposition des methodologischen Individualismus aus, demzufolge nur Individuen (natürliche Einzelpersonen) handlungsfähig sind. 208 Miggelbrink (2002b: 292). 209 Redepenning (2005: 74). 210 Vgl. Hard (1993: 55). 211 MARESCH und WERBER bezeichnen solche Raumkonstrukte in Bezug auf ihre Funktion als Kontingenzbeschränker, vgl. Maresch/Werber (2002: 14).

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überflüssig, da die »Realität« ja so (und nicht anders) »gegeben« ist.212 Diese »Naturalisierung« von grundsätzlich diskutierbaren sozialen Sachverhalten ist auch deshalb möglich und leicht, weil raumbezogene Semantiken von der vermeintlichen Nähe der Kategorie Raum zum physisch-materiellen (Natur-)Raum leben. Durch die Naturalisierung werden gewissermaßen »Naturzwänge« geschaffen und nachgeahmt, raumbezogene Semantiken oder räumliche Leitbilder gewinnen dadurch ein Eigenleben. Zugleich beruhen sie auf der Illusion einer, wiederum »naturgegebenen«, zeitlichen Persistenz und Unveränderbarkeit.213 Raumbezogene Semantiken und Leitbilder sind daher in höchstem Maße manipulativ. Mit ihrer Hilfe lässt sich die Notwendigkeit der Steuerung und Beeinflussung sozialer Prozesse und Sachverhalte untermauern – und durchsetzen214, wie unter anderem REUBER in seiner Arbeit zu Gemeindegebietsreformen gezeigt hat. Nach MIGGELBRINK sollte es nicht um die Frage gehen, ob die beobachteten Verräumlichungen oder raumbezogenen Semantiken gut oder schlecht, wahr oder falsch sind.215 Es ist ihrer Meinung nach viel entscheidender, nach den Funktionsweisen, Effekten und Instrumentalisierungen von Verräumlichungen und raumbezogenen Semantiken im Gesellschaftlichen zu fragen. Dies kann mitunter schwierig sein, weil raumbezogene Semantiken und Raumbilder oft tief »eingegraben« sind in das scheinbar durch jedermann geteilte »Allgemeinwissen«. Wie HARD anmerkt, werden Verräumlichungen typischerweise von sozialen Großeinheiten hervorgebracht und verwendet.216 Insbesondere das verräumlichte Bild des Nationalstaates kann als eine normativ-politische Regionalisierung217 par excellence gelten: ein raumbezogenes Konstrukt, das in höchstem Grade emotionalisiert und emotionalisierbar ist und deshalb in den letzten Jahrhunderten auch immer wieder strategisch eingesetzt worden ist. Traditionell wurde in der Geschichte immer wieder davon ausgegangen, dass bestimmte Bedrohungen von einem territorial gebundenen und klar identifizier- und verortbaren Akteur, in aller Regel war dies ein anderer Staat, ausgingen. Folglich wurde deshalb zumeist auch raumstrategisch bzw. territorial gehandelt (beispielsweise Invasion des Feindstaates).218 Wie WERLEN219 schreibt, wurde Macht dabei in aller Regel einseitig als »Macht auf und über Räume« gedacht und konzeptionalisiert, und

212 213 214 215 216 217 218 219

Hard (1993: 58). Vgl. Miggelbrink (2002a: 82) und Redepenning (2005: 131). Siehe dazu Miggelbrink (2002b: 274). Miggelbrink (2002b: 274). Vgl. Hard (1993: 58). Siehe Werlen (1997: 274). Vgl. auch Weichhardt (2008: 308). Vgl. Behr (2004: 108). Siehe Werlen (1997: 333).

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nur höchst selten im Sinne von Macht als »Macht über menschliche Subjekte bzw. Körper« oder Gesellschaft. Mit den »Critical Geopolitics« besteht seit den 1980er Jahren eine speziell auf Raumargumentationen ausgerichtete Forschungsperspektive. Als Ideenschule entwickelten sich die »Critical Geopolitics« in der angelsächsischen Geographie aus der Kritik an der Geopolitik der NS-Zeit und der Zeit des Kalten Krieges. Das Anliegen der Vertreter der »Critical Geopolitics« liegt darin, Sichtweisen aufzuzeigen, die nichts gemein haben mit den Raumargumentationen, wie sich durch den Staat, führende Politiker oder Militärs entworfen und medial propagiert werden. Die Schule der »Critical Geopolitics« beanstandet und untersucht, wie in der internationalen Politik raumbezogene Leitbilder und Ordnungsvorstellungen produziert und instrumentalisiert werden.220 Jede Form des raumbezogenen Wissens und des Verräumlichens von Politik und Politikproblemen wird grundsätzlich angezweifelt und dann im Hinblick auf Objektivität und alternative Denkweisen untersucht.221 DALBY, DODDS, Ó TUATHAIL, SIDAWAY und die französische Schule der »Critical Geopolitics« greifen dabei auf konstruktivistische und poststrukturalistische Ansätze zurück, wie sie von BARTHES, FOUCAULT, LYOTARD und anderen Denkern der Postmoderne entwickelt worden sind.222 In den »Critical Geopolitics« stehen allerdings zumeist nicht die Raumproduzenten und Rauminstrumentalisierer als Akteure im Mittelpunkt, das Ziel liegt vornehmlich in der Analyse und kritischen »Dekonstruktion« der propagierten Leitbilder und raumbezogenen Diskurse (Raumargumentationen). 223 »Je mehr Transparenz durch eine Dekonstruktion für die Relativität und den strategischen Charakter politisch-geographischer Schachspiele, kartographischer Repräsentationen und Regionalisierungen entsteht, desto weniger können sie – sowohl im politischen Diskurs selbst, als auch bei einer Polarisierung und Instrumentalisierung der Öffentlichkeit – ihre manipulative Rolle erfüllen.«224

Geht man vom Forschungsprogramm der »Critical Geopolitics« aus, so wäre im Folgenden im Hinblick auf das angesprochene Projekt eines »Raumes der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts« (Einleitung) nicht nur danach zu fragen, welche Akteure sich an der Verwirklichung dieses Raumbildes beteiligen. Vielmehr gilt es zu untersuchen, welche Funktionen dieses Raumbild und andere 220 Vgl. Reuber/Wolkersdorfer (2003: 51 und 52). 221 Siehe dazu Ó Tuathail (1996: 7). 222 Siehe die grundlegenden Übersichtsbeiträge von Dalby (1991), Dodds (1994), Dodds/Sidaway (1994) und Ó Tuathail (1996). Als Vertreter der französischen Schule der Kritischen Geopolitik ist beispielsweise LACOSTE [siehe die deutsche Übersetzung Lacoste (1990)] zu erwähnen. 223 Vgl. Barthes (2002), Foucault (1976) und Lyotard (1986). 224 Reuber/Wolkersdorfer (2003: 62).

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räumliche Konstrukte oder Bezeichnungen im Zuge der Steuerung von Migration (eventuell) übernehmen. Ausgehend von den in Kapitel 2.1 zusammengetragenen Denkanstößen, Thesen und Theorieangeboten und den zuvor (Kapitel 1.2) gewonnenen Einblicken in die (Geographische) Migrationsforschung, liegt das Ziel des folgenden Kapitels darin, eine politisch-geographische Forschungsperspektive zu entwickeln, mit der der analytische Blick der interdisziplinären und der Geographischen Migrationsforschung eine Erweiterung erfährt.

2.2 Eine politisch-geographische Perspektive für die Migrationsforschung Im Folgenden wird in einem ersten Herleitungsschritt zunächst eine akteurs- und handlungsbezogene politisch-geographische Forschungsperspektive entwickelt, die gezielt nach dem Wie, Durch wen und Warum von Migrationsssteuerung fragt und dabei auch die Folgen von Steuerungseingriffen berücksichtigt. In einem zweiten Schritt soll diese Perspektive schließlich noch um eine raumkonstruktivistische Sichtweise ergänzt werden, bei der die Kategorie Raum und deren Produktion und Funktion im Migrationspolitischen im Zentrum steht. Für die beiden Herleitungsschritte wird auf die zentralen Beobachtungen, Argumente und Anregungen zurückgegriffen, die in den Kapiteln 1 und 2.1 erarbeitet worden sind. Wie in Kapitel 1.2.2 festgestellt worden ist, befasst sich die Migrationsforschung erst seit kurzer Zeit eingehender mit Migrationspolitik und den an Migrationssteuerung beteiligten Akteuren; vernachlässigt wurde das Politische nicht nur in der Geographischen Migrationsforschung. Auch die anderen Teildisziplinen der Migrationsforschung beschäftigen sich erst seit neuerer Zeit mit Migrationspolitik und Migrationssteuerung. Anzumerken ist außerdem, dass in den meisten Fällen, in denen sich Migrationsforscher in den vergangenen Jahrzehnten mit den politischen Ursachen, Einflussnahmen auf Wanderungsbewegungen und den Konsequenzen von Migration auseinandersetzten, eine staatszentristische Forschungsperspektive dominierte. Im Fall der deutschsprachigen Geographie und Geographischen Migrationsforschung kann dies daran gelegen haben, dass die Beschäftigung mit korporativen Akteuren »jenseits« des Staates und mit zivilgesellschaftlichen Gruppen erst in den späten 1990er Jahren an Bedeutung gewann. Trotz der »wilden« 1960er Jahre und den in den 1970er und 1980er Jahren weiter an Bedeutung gewonnenen Friedens- und Umweltbewegungen enthielt das 1983 erschienene Standardlehrbuch zur Politischen Geographie von BOESLER beispielsweise nur an einer Stelle einen Hinweis darauf, dass man sich nicht nur mit »dem Staat«, sondern auch mit den politischen Aktivitäten

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staatlicher Akteure zu beschäftigen habe.225 Das lange Zeit dominierende, zutiefst staats- und raumzentristische Konzept der raumwirksamen Staatstätigkeit von BOESLER226 wurde erst allmählich durch andere Perspektiven und Herangehensweisen abgelöst. Es waren im wesentlichen OßENBRÜGGE und REUBER, die mit ihren Beiträgen in den 1980er bzw. 1990er Jahren eine Neuausrichtung der deutschsprachigen Politischen Geographie bewirkten und die Etablierung einer akteurs- und handlungsbezogene Forschungsperspektive vorantrieben.227 Im Rahmen der neu begründeten Geographischen Konfliktforschung begann man sich neben dem Staat zunehmend auch für das politische Handeln von nichtstaatlichen Gruppen und anderen Akteuren (Einzelpersonen, Unternehmen etc.) zu interessieren.228 Angesichts der postulierten Migrationskrise und Steuerungskrise (Kapitel 2.1.1) liegt es nahe, die bisherigen Steuerungsmodi zu überdenken und die traditionellen Konzepte durch neue Ansätze zu ersetzen oder zumindest zu ergänzen. Wie in Kapitel 2.1.3 angesprochen, entstand in den 1990er Jahren die Vision eines globalen Regimes zur Steuerung von Migration. Anstatt allerdings Regeln und Normen in den Mittelpunkt der folgenden Untersuchungen zu stellen und zu fragen, ob und inwiefern sich diese auf das Verhalten von Migranten und auf Migration auswirken, fokussiert Kapitel 5 auf die konkreten Aktivitäten der neu bzw. in veränderter Weise an Steuerungsversuchen beteiligten internationalen Regierungsorganisationen. In Kapitel 2.1.4 wurde bereits darauf verwiesen, dass die Emergenz und der Bedeutungszuwachs von Steuerungsakteuren »jenseits« des Nationalstaates seit geraumer Zeit im Mittelpunkt der Governance-Diskussion steht. Die vorliegende Arbeit überträgt diese Diskussion auf das Feld der Migrationspolitik/-steuerung. Dieses Politikfeld ist zwar weiterhin stark durch staatliche Souveränitätsvorbehalte geprägt, mittlerweile gibt es aber ernstzunehmende Hinweise darauf, dass sich an der Steuerung von Migration auch andere Steuerungsakteure beteiligen (Kapitel 2.3.1) und es zur Herausbildung neuer Steuerungsarrangements und -formen kommt. Stimmt es tatsächlich, dass die Nationalstaaten heute vor einer ernstzunehmenden Steuerungskrise stehen, so liegt eine mögliche Lösung des 225 Vgl. Boesler (1983: 29): »Politische Geographie ist dabei nicht nur Staatengeographie, sondern betrachtet die Staatstätigkeit als eine neben anderen raumbezogenen politischen Handlungen.« 226 Boesler (1969). Auch 1983 beschrieb BOESLER die Politische Geographie noch im Sinne einer Raumwissenschaft: »Als empirische Wissenschaft befasst sich die Politische Geographie also mit der politischen Realität in ihrer Raumabhängigkeit und in ihrer Raumwirksamkeit«, Boesler (1983: 29) 227 Vgl. Oßenbrügge (1983) und Reuber (1999). 228 Siehe beispielsweise Soyez (1997), Soyez (1999) und Soyez (2001).

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Steuerungsproblems in der Einbeziehung zusätzlicher Steuerungsakteure. Es gilt daher, neben dem Staat auch andere Steuerungsakteure in den Blick zu nehmen. In der Diskussion zu einem globalen Migrationsregime wird, wie auch im Zuge der Governance-Debatte und im akteurzentrierten Institutionalismus, korporativen Akteuren eine entscheidende Bedeutung bei der Steuerung politischer Prozesse zugewiesen (Kapitel 2.1.3 und 2.1.4). Korporative Akteure gelten als befähigt, das Entstehen neuer (internationaler) Regeln entscheidend zu beeinflussen, indem sie diese selbst hervorbringen oder bestehende Regeln abändern. Außerdem wird ihnen eine vergleichsweise höhere Durchsetzungsfähigkeit im Vergleich zu individuellen oder kollektiven Akteuren nachgesagt. Die vorliegende Arbeit wendet sich deshalb korporativen Akteuren zu und legt dabei ihren Schwerpunkt auf internationale Regierungsorganisationen, die auf den Bereich der Migrationspolitik und -steuerung spezialisiert sind. Die angestellten Beobachtungen zur (Geographischen) Migrationsforschung und die vorgestellten Theorieangebote und Überlegungen zu Steuerung, Governance und einem globalen Migrationsregime können dazu verwendet werden, um für die folgenden empirischen Untersuchungen zur »Europäisierung von Migrationssteuerung« und zu den Steuerungsaktivitäten internationaler Regierungsorganisationen in einem ersten Schritt eine akteurs- und handlungsbezogene Untersuchungsperspektive herzuleiten. Diese Forschungsperspektive schenkt neben den Akteuren (Fokus auf IRO) und neuen Steuerungsarrangements auch den zum Einsatz kommenden Steuerungsformen (Steuerungsinstrumenten) Beachtung. In den Blick genommen werden sollen dabei auch solche »Regierungstechniken«, die in eher subtil-indirekter statt direkt-traditioneller Weise auf Steuerung zielen (Kapitel 2.1.4). Diese akteurs- und handlungsbezogenen Forschungsperspektive ist eine politisch-geographische Herangehensweise, die sich sowohl für die Akteure der Migrationssteuerung (IRO) als auch für die Motive, den Verlauf und die Konsequenzen von migrationssteuernden Eingriffen interessiert. Wie Abbildung 3 (folgende Seite) zeigt, sollen in den Kapiteln 3 bis 5 mit Hilfe der entwickelten Forschungsperspektive zunächst zwei Leitfragen verfolgt werden: »Wie und warum tragen spezialisierte IRO zur Steuerung internationaler Migration bei? (LF1)« und »Welche Folgen sind mit den Steuerungsversuchen dieser spezialisierten Akteure verbunden?« (LF2).

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Abbbildung 3: Heerleitung einerr politisch-geo ographischen ForschungsF perspektive (I)

Quelle: Eigene Darstellung. D

Diee empirischen n Untersuchunngen konzentrrieren sich daabei auf das FFallbeispiel derr EU, den Prrozess einer ssogenannten Europäisierun E ng der Migrattionspolitik bzw w. -steuerung und die Steuuerungsaktivittäten von speezialisierten IR RO in drei Nacchbarländern der EU (Kapiitel 2.3.1). Unter der ersten n Leifrage solll neben der Betrachtung B der d stattfindennden Steuerunngsaktivitäten auch untersuccht werden, wodurch w die Einbindung E voon IRO und aucch wodurch deren d Steuerunngsaktivitäten n begründet siind und inwieeweit diese Steeuerungseingriiffe überhauptt demokratisch legitimiert sind. s Die zweeite Leitfrage wendet w sich den d Folgen derr beobachteten n Steuerungsaaktivitäten zu,, sowohl im 81 12:07:05.

Hinblick auf die Migranten, das Wanderungsgeschehen, die betreffenden Untersuchungsländer als auch die EU. Im Hinblick auf das Wanderungsgeschehen soll dabei auch erörtert werden, inwieweit die vorgenommenen Maßnahmen »wirksam« sind, also tatsächlich auf den Verlauf und die Folgen von Migrationsprozessen Einfluss nehmen. Die in den folgenden Kapiteln zur Anwendung kommende Forschungsperspektive ist nicht nur deshalb eine politisch-geographische Untersuchungsperspektive, weil sie das Handeln von Steuerungsakteuren (IRO) in bestimmten »Raumcontainern« (Albanien, Bosnien-Herzegowina und Ukraine) und im Hinblick auf einen anderen »Raum« (den »Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts« bzw. den »Raum« der EU-Staaten) untersucht. Dies wäre keine neue Perspektive; und dies wäre auch kein tatsächlicher Perspektivengewinn für die interdisziplinäre und Geographische Migrationsforschung. Ausgehend von den vorangegangenen Denkanstößen und Überlegungen (Kapitel 1 und 2.1) soll aus der bereits hergeleiteten akteurs- und handlungsbezogenen Perspektive in einem zweiten Herleitungsschritt vielmehr ein tatsächlich neuer, dezidiert politisch-geographisch ausgerichteter Ansatz entstehen. Die Bezeichnung »geographisch« ist dabei im Sinne von »raumkonstruktivistisch inspiriert« und »für die soziale/politische Funktion der Kategorie Raum sensibel« zu verstehen. Bis heute liegt es auf der Hand, dem Phänomen der internationalen Migration in allererster Linie in Bezug auf die anscheinend »gegebenen« Raumeinheiten des National- bzw. Territorialstaates oder anderer administrativer Gebietseinheiten nachzugehen und internationale Wanderungen und Migrationssteuerung eben dann auch im Hinblick auf diese Räume zu beobachten und zu erforschen (Kapitel 1.2.2). Wie die disziplinbezogenen »Erkundungen« zur Geographischen Migrationsforschung und der Migrationsforschung im Allgemeinen (Kapitel 1.2) ergeben haben, hat die Geographie (in vielen Fällen aber nicht nur sie!) immer stark raumbezogen geforscht und ihren analytischen Blick auf bestimmte Containerräume ausgerichtet. Während der Blick auf den Faktor des Politischen und die alternativen Steuerungsakteure »jenseits« des Staates oft »verstellt« blieb, wurde meist auch nicht weiter über die räumliche »Rahmung« reflektiert. Allerdings ist diesbezüglich eben nicht nur die Geographische Migrationsforschung zu kritisieren, sondern über einen längeren Zeitraum auch die interdisziplinäre Migrationsforschung an sich. Grundsätzlich war und ist an einem raumbezogenen »Blick« auf internationale Migration auch nichts Falsches: So wie es unangemessen ist, Territorien und Grenzen als dinglich gegeben zu erachten und diese Raumeinheiten oder Raumstrukturen anstelle des Gesellschaftlichen in den Mittelpunkt der Forschung zu rücken, so wäre es sicherlich ebenso verkehrt, den Nationalstaat als territorial verfasste Einheit ganz für obsolet zu erklären, nur 82 12:07:05.

weil er sich als ein historisch konstruiertes und eventuell bereits »überholtes« Gebilde darstellt.229 Geht man von den Hinweisen auf die angeblich signifikante bzw. sogar krisenhafte Zunahme internationaler Wanderungsvorgänge (Kapitel 2.1.1) und die zunehmende Transnationalisierung des Sozialen aus (Kapitel 2.1.2), so lässt sich internationale Migration als eine spezifische Form des »Geographie-Machens« begreifen. Die aus dem sozialen Prozess der Migration hervorgehenden, von Migranten produzierten und genutzten transnationalen sozialen Räume können entsprechend als neuer Typ einer Regionalisierung aufgefasst werden. Vorausgesetzt, Migranten entwerfen und festigen selbst mittels ihres eigenen »Geographie-Machens« neue transnationale soziale Räume, so bedeutet dies, dass die Steuerung internationaler Wanderungen nicht mehr ausschließlich innerhalb des staatlichen »Steuerungscontainers« (dem Nationalstaat) vorgenommen werden kann (Kapitel 2.1.4. und 2.1.5). Würde man weiter in dieser Weise traditionellraumbezogen argumentieren, so müsste sich die Migrationsforschung heute neben den neuen »Geographien der Migration« auch den neuen Räumen der Steuerung widmen. Die Frage nach den neuen Akteuren, Arrangements und Formen der Steuerung von Migration ist für die Geographie und die Politische Geographie – auch aus dieser traditionell raumzentristischen Blickrichtung heraus – ein interessantes und relevantes Forschungsthema. Behälterräume wie der Nationalstaat und verfestigte territoriale Grenzziehungen bleiben für die Geographie und die Politische Geographie sowie die Geographische Migrationsforschung und die Migrationsforschung im Allgemeinen weiterhin relevant. Es ist allerdings wichtig, alle räumlich gebundenen und verräumlicht-reifiziert gedachten Konstrukte – und diese Gefahr droht auch beim Ansatz der transnationalen sozialen Räume! – immer als grundsätzlich künstliche, sozial produzierte Konstrukte im Hinterkopf zu behalten und die scheinbar dinglich gegebenen Räume und räumlichen Einflussgrößen nicht an die Stelle des eigentlich Bedeutsamen – des Gesellschaftlichen – zu rücken. Diese Überlegungen und (Teil-)Konzepte zur Transnationalisierung des Sozialen, zu Transmigration und transnationalen Gemeinschaften (Kapitel 2.1.2) können als ein Plädoyer dafür verstanden werden, dass es an erster Stelle auch in der Geographischen Migra-

229 Dieser traditionelle raumbezogene Blick ist auch insofern legitim und nicht falsch, da sich viele migrationssteuernde Aktivitäten territorial bemerkbar machen, beispielsweise entlang der internationalen Grenzen eines Staates oder an bestimmten Plätzen wie Häfen und Flughäfen. Migrationssteuerung greift auch im Innern des Staates, also innerhalb bestimmter Containerräume, man denke zum Beispiel an die Kontrolle und das erforderliche Erneuern von Aufenthalts- und Arbeitstiteln durch die Ausländerbehörden.

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tionsforschung nicht um reifizierte Räume, Raumpunkte und räumliche Trennlinien (Grenzen) gehen sollte, sondern um soziale Bezüge oder Netzwerke – das Gesellschaftlich-Soziale an sich, einschließlich des Politischen. BOMMES lenkt mit seinem systemtheoretisch hergeleiteten Hinweis, internationale Migration sei als Reaktion auf die Inklusions- und Exklusionsbedingungen funktional differenzierter sozialer Systeme zu verstehen, den Blick genau darauf: Auf das Gesellschaftliche, und nicht das Räumliche bzw. den Raum.230 Die in den Kapiteln 2.1.2 und 2.1.5 vorgestellten Ansätze und Denkangebote zur sozialen Produktion des Raumes, der politischen Instrumentalisierung von Raum und der Funktion des Raumes im Politischen erlauben es, im Folgenden eine raumkonstruktivistische und für die Kategorie Raum, inklusive deren Verwendungsweise und Funktion, sensible Forschungsperspektive zu eröffnen. Diese Forschungsperspektive ergänzt die bereits ausführlich thematisierte traditionelle Blickweise dadurch, indem sie nicht nur auf das soziale und politische Geschehen innerhalb eines gegebenen Raumes schaut, sondern zusätzlich auch den Blick für die Konstruktion und Funktion der Kategorie Raum im Sozialen und im Politischen schärft. Wie die Kapitel 2.1.2 und 2.1.5 nahelegen, ist danach zu fragen, welche Bedeutung Räume und räumliche Unterscheidungen als soziale Konstruktionen für den Aufbau und die Stabilisierung sozialer und politischer Strukturen haben. Raum bzw. das Räumliche wird damit also selbst zu einer Forschungsperspektive: Welche Bedeutung hat Raum, haben Verortungen, Verräumlichungen und raumbezogene Benennungen und Raumbilder für politische Prozesse – und hier im speziellen Zusammenhang dieser Arbeit für den Entwurf und die Durchführung von migrationssteuernden Maßnahmen? Diese Fragen werden deshalb gestellt, weil angenommen wird, dass die an Migrationssteuerung beteiligten Akteure dazu befähigt sind, eigene strategische Regionalisierungen zu entwerfen, diese zielorientiert gegenüber den anderen Akteuren zu propagieren und im Endeffekt dann auch durchzusetzen (Kapitel 2.1.5). Neben den eigentlichen Handlungen der an Migrationssteuerung beteiligten Akteure und den hieraus resultierenden Konsequenzen ist folglich auch zu untersuchen, »[...] unter welchen Bedingungen das Raummedium durch wen, warum und wozu verwendet wird.«231

230 Vgl. Bommes (1999). Auch einige Beiträge der deutschsprachigen Geographischen Migrationsforschung, wie beispielsweise die Arbeit von MÜLLER-MAHN zu ägyptischen Migranten in Paris und ihren sozialen Netzwerken weisen daraufhin, dass das Gesellschaftliche im Mittelpunkt steht und deshalb noch vor dem Raum den Referenzpunkt für die Betrachtung und Analyse von Wanderungsvorgängen bilden sollte. Vgl. Müller-Mahn (1999). 231 Pott (2007: 42).

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Abbbildung 4: Heerleitung einerr politisch-geo ographischen Forschungsperspektive (II)

Quelle: Eigene Darstellung. D

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Wie in Abbildung 4 verdeutlicht, richtet sich deshalb die Aufmerksamkeit des Forschungsprozesses in der Arbeit zusätzlich auch auf eine dritte Leitfrage: »Welche Funktion kommt der Kategorie Raum im Prozess der Europäisierung232 von Migrationssteuerung und im Zuge der Steuerungsversuche internationaler Regierungsorganisationen zu?« (LF3) – Diese weitere, dritte Leitfrage ist allerdings als eine offene empirische Frage zu verstehen: Raum muss nicht unbedingt immer oder überhaupt eine Funktion besitzen. Dennoch ist es zunächst einmal wichtig, die eventuell auf räumlichen Konstrukten beruhenden, selbst verräumlichenden oder Raum politisch instrumentalisierenden Praxen von Steuerungsakteuren (beispielsweise IRO und EU) in den Blick zu nehmen. Obwohl die Untersuchungen und Erörterungen der Kapitel 3 bis 5 zunächst ebenfalls an bestimmten »gegebenen« Räumen (EU und Untersuchungsländer) ansetzen, wird im Folgenden also über die Kategorie Raum und deren Funktion im Politischen nachgedacht. Die in zwei Herleitungsschritten entwickelte und nun vorliegende politisch-geographische Forschungsperspektive stellt eine Erweiterung und Ergänzung der bisher in der interdisziplinären Migrationsforschung und der Geographischen Migrationsforschung verfolgten Forschungsperspektiven dar. Außerdem ist sie ein Beleg dafür, dass es in der Migrationsforschung und bei der Beschäftigung mit Migration »[...] nicht immer oder vorrangig um Migranten [...]«233 geht und auch nicht etwa um vergegenständlicht gegebene Räume, sondern ganz allgemein um Gesellschaft, um die soziale Funktion von Raum, um Politik, handelnde Akteure und vieles mehr.

2.3 Anwendung der hergeleiteten Forschungsperspektive 2.3.1 Europäisierung der Migrationssteuerung in drei Nicht-EU-Staaten Die empirischen Untersuchungen zu Migrationsteuerung beschäftigen sich in den Kapiteln 3 bis 5 mit Europa, und dabei schwerpunktmäßig mit der Europäischen Union und drei wichtigen, zur EU benachbart liegenden Herkunfts- und Transitländern von Migranten (Albanien, Bosnien-Herzegowina und Ukraine). Europa und die EU können im Vergleich mit anderen Weltregionen und Staatenbündnissen derzeit als die großen und interessantesten »Laboratorien« gelten, was die Entwicklung und Durchsetzung neuer Steuerungsansätze zu Migration anbelangt. Seit Inkrafttreten des Amsterdamer Vertrags (1999) vollzieht sich in-

232 Siehe dazu Kapitel 2.3.1. 233 Bommes (2003b: 44).

86 12:07:05.

nerhalb des Kreises der EU-Mitgliedsstaaten ein Übergang von einer rein national bestimmten Migrationspolitik zu einer gemeinsamen EU-Migrationspolitik. Schenkt man der Zielsetzung der EU-Mitgliedsstaaten und der EU-Institutionen Glauben, so soll irgendwann tatsächlich eine in erster Linie supranational, das heißt nur durch die Gemeinschaftsinstitutionen234 der EU bestimmte Migrationspolitik entstehen (Kapitel 3.1). Obwohl Europa und die EU keineswegs stärker als andere Weltregionen durch internationale Migrationsbewegungen (inklusive Fluchtwanderungen) »betroffen« sind (Kapitel 2.1.1 und 3.1), wird in vielen europäischen Staaten und Mitgliedsländern der EU dem Thema Migration eine überaus hohe politische und gesellschaftliche Aufmerksamkeit entgegengebracht, allerdings ist diese Aufmerksamkeit nicht immer den Interessen von Migranten förderlich. Die Diskurse von Politik und Medien haben in den letzten Jahrzehnten wohl wesentlich dazu beigetragen, Ressentiments gegenüber Zuwanderern und eine restriktive Grundhaltung gegenüber Migration und Asyl zu schüren bzw. weiter zu bestärken. Im Hinblick auf die EU-Mitgliedsländer ist seit den 1990er Jahren die Rede von einer sogenannten Europäisierung235 der Migrationspolitik. In der allgemein zu Europäisierung geführten politikwissenschaftlichen Diskussion wird argumentiert, dass der Einfluss der supranationalen und intergouvernementalen Ebene (EU-Institutionen) auf die Ebene der nationalen und subnationalen Politikgestaltung (Staaten und beispielsweise Bundesländer, Counties etc.) deutlich gewachsen und es zugleich auch zu einer wechselseitigen Verzahnung der gewohnten Politikebenen (EU-national-subnational bzw. regional/lokal) gekommen sei. Gerade deshalb steht die EU als neuartiges politisches System auch im Fokus der weltweit zu Governance geführten Diskussionen (Kapitel 2.1.4). Der Prozess der Europäisierung, der nach RADAELLI236 den Entwurf, die Diffusion (Verbreitung) und nachfolgend die Institutionalisierung formeller und informeller Regeln, Prozeduren, Paradigmen, Arbeitsweisen und Normen auf der Ebene der Mitgliedsstaaten umfasst, wurde bisher meist ausschließlich in Bezug auf die EU und ihre Mitgliedsländer wahrgenommen und untersucht.237

234 Zu den Gemeinschaftsinstitutionen der EU zählen unter anderem die Europäische Kommission, der Ministerrat (für Justiz und Inneres), der Europäische Rat (Versammlung der Regierungs-/Staatschefs), das Europäische Parlament und der Europäische Gerichtshof. 235 Vgl. Olsen (2002), Radaelli (2003) und Knill (2005). 236 Vgl. Radaelli (2003: 27-30). RADAELLI spricht neben »Europeanization« selbst auch von »EU-isation«. 237 Zur Europäisierung der nationalen Migrationspolitik der EU-Mitgliedsstaaten und der Vergemeinschaftung von Migrationspolitik siehe als deutschsprachige Beiträge beispielsweise Klos (1998), Tomei (1997) und Tomei (2001).

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Während die EU noch weit davon entfernt ist, selbst ein homogenes Ganzes, also in sich selbst vollständig »europäisiert« zu sein238, wurde gerade im Hinblick auf die gemeinsame Migrationspolitik und -steuerung der EU von verschiedenen Autoren gezeigt, dass sich der Prozess der Europäisierung auch schon außerhalb der Grenzen der EU bemerkbar macht 239 – im Territorium der sogenannten Drittstaaten.240 Demnach müsste eigentlich von einer durch die EU angetriebenen »EU-ropäisierung« der Migrationspolitik gesprochen werden und von einem EUinduzierten gesamt- oder »paneuropäischen Migrationsregime«, das weit über die eigentlichen Grenzen der EU (und eventuell auch Europas) hinausreicht. In Bezug auf die Wirkungen der EU-Migrationspolitik und dieser »EU-ropäisierung« von Migrationspolitik auf Drittstaaten besteht allerdings noch ein großer Forschungsbedarf.241 Einen wichtigen empirischen Hinweis darauf, dass es im Hinblick auf die Europäisierung der Migrationspolitik und Migrationssteuerung geradezu unerlässlich ist, der Bedeutung von spezialisierten IRO nachzugehen, liefert GEORGI242 mit seiner Studie zum »International Centre for Migration Policy Development«243. Seine empirischen Ergebnisse belegen eindrucksvoll, dass das ICMPD und seine Aktivitäten ein paradigmatisches Beispiel dafür sind, wie stark spezialisierte internationale Regierungsorganisationen mittlerweile in die Europäisierung der Migrationspolitik involviert sind. GEORGI liefert einen wesentlichen Beweis dafür, dass die Europäisierung der Migrationspolitik und -steuerung ein Prozess ist, der nicht allein durch »die EU« bewirkt wird und wohl auch nicht bewerkstelligt werden kann. Die wachsende Bedeutung von spezialisierten IRO wird auch im Endbericht der »Global Commission on International Migration« (GCIM) thematisiert.244 Der Bericht ruft die auf dem Gebiet der Migrationspoli-

238 Man denke diesbezüglich nur einmal an die unterschiedlichen Zugehörigkeiten der EU-Mitgliedsländer zum Vertrag von Schengen (Kapitel 3.1) oder zum Geltungsbereich des Euros, 239 Siehe beispielsweise Boswell (2003), Grabbe (2000), Guiraudon (2000), Lavenex (1999), Lavenex/Uçarer (2002a) und Van Selm (2002). 240 Im EU-Jargon fallen unter diesen Begriff alle Staaten, die nicht selbst Mitglied in der EU sind. 241 Darauf weisen auch LAVENEX und UÇARER in ihrem Sammelband zur Europäisierung der Migrationspolitik hin: Lavenex/Uçarer (2002b: 12). 242 Vgl. Georgi (2003). 243 Das ICMPD ist eine internationale Regierungsorganisation mit Sitz in Wien. 244 Die GCIM wurde Ende 2003 auf Vorschlag des damaligen UN-Generalsekretärs ANNAN ins Leben gerufen. Dem internationalen Expertenrat, der Vorschläge für den künftigen Umgang mit internationalen Wanderungen machen sollte, gehörte unter anderem die ehemalige deutsche Bundestagspräsidentin SÜSSMUTH an.

88 12:07:41.

tik tätigen internationalen Regierungsorganisationen dazu auf, sich künftig noch stärker an globalen und regionalen Steuerungsansätzen zu beteiligen.245 Angesichts der Bedeutung, die spezialisierten IRO bereits zukommt oder zumindest künftig zukommen soll, ist es erstaunlich, dass ihre Beteiligung an der Steuerung von Migration bisher kaum in der öffentlichen und wissenschaftlichen Diskussion angekommen und bisher nur selten wissenschaftlich untersucht worden ist.246 Die vorliegende Arbeit liefert einen Beitrag zu einem jungen Forschungsgebiet, indem sie sich mit der Europäisierung der Migrationssteuerung befasst und dabei die Steuerungseingriffe spezialisierter IRO in drei europäischen Herkunfts- und Transitländern untersucht. Anstatt nur in einem Fallbeispiel die Steuerungseingriffe von spezialisierten IRO zu untersuchen, wurde, ausgehend von den Überlegungen der »Multi-Sited Ethnography«247 die Entscheidung getroffen, mehrere Länder als Fallbeispiele für eine empirische Untersuchung zu wählen. Vor der Untersuchung der Produktion, Funktion und Instrumentalisierung der Kategorie Raum im Zuge von Migrationssteuerung (Kapitel 2.2) steht zunächst der »traditionelle« Blick auf Albanien, Bosnien-Herzegowina und die Ukraine, und damit in diese drei »Containerräume«. Wie von den Vertretern der »Multi-Sited Ethnography« argumentiert wird, ist es gerade im Hinblick auf sich neu entfaltende gesellschaftliche Phänomene und Prozesse sinnvoll, die Forschungsarbeit in verschiedenen »Localities« (oder hier: unterschiedlichen Ländern) durchzuführen, um einen weitgefächerten und tiefen Einblick in die Neukonstruktion gesellschaftlicher und politischer Verhältnisse zu erhalten. Die seit den 1990er Jahren äußerst umfangreiche Auswanderung aus Albanien und der Ukraine sowie die Flucht und Vertreibung von mehreren hunderttausend Bürgerkriegsflüchtlingen aus Bosnien-Herzegowina zählen bis heute sicherlich zu den bedeutendsten Ereignissen der jüngeren europäischen Migrationsgeschichte (Kapitel 5.1). In den vergangenen zwei Jahrzehnten war es unter anderem die Wanderungssituation der genannten drei Länder, die von den EU-Mitgliedsstaaten als Anlass dafür gesehen wurde, gesamteuropäische Strategien im Umgang mit ungewollten Wanderungsbewegungen zu entwickeln und umzusetzen. Grundsätzlich weist jedes Land allerdings seine eigene, individuell-spezifische »Wanderungsproblematik« auf. Es lässt sich deshalb vermuten, dass sich

245 Siehe unter anderem GCIM (2005: Absätze 12, 14, 47, 52 bis 60). 246 Zu den wenigen Beiträgen zu diesem Themenfeld zählen neben Hyndman (2000), Loescher (2001) und Georgi (2003) bisher vor allem kürzere Artikel, wie beispielsweise Angenendt (2003). 247 Vgl. Marcus (1995).

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die Steuerungseingriffe in den drei Ländern voneinander unterscheiden und sich auch unterschiedlich auswirken. Hinsichtlich ihrer politischen Verfasstheit und Situation ähneln sich Albanien, Bosnien-Herzegowina und die Ukraine insofern, als es sich bei allen drei Ländern um politisch vergleichsweise schwache und fragile Staaten handelt. Die unsichere politische und sozioökonomische Lage ist auch ein wesentlicher Grund für das starke Engagement internationaler Nichtregierungs- und Regierungsorganisationen in den drei Ländern. Bosnien-Herzegowina könnte man weiterhin als »Quasi-Protektorat« der internationalen Gemeinschaft und der EU bezeichnen. In Albanien und der Ukraine waren dagegen in den letzten Jahren, glaubt man den Einschätzungen internationaler und nationaler Beobachter, einige Fortschritte auf dem Weg zum Aufbau einer stabileren innerstaatlichen Verfasstheit zu verzeichnen.248 Eine Untersuchung der drei ausgewählten Länder im Hinblick auf die migrationsbezogenen Steuerungsbemühungen der EU und die Aktivitäten von IRO verspricht auch deshalb aufschlussreich zu sein, da alle drei Länder bereits enge vertragliche Beziehungen mit der EU eingegangen sind, so auch auf dem Gebiet der Migrationspolitik. Allerdings unterscheiden sich die drei Länder diesbezüglich wiederum stark voneinander: Für Albanien und Bosnien-Herzegowina sieht die EU mittel- bis langfristig eine Vollmitgliedschaft in der EU vor (Kapitel 4.2.2). Albaniens Chancen auf einen Beitritt dürften in den kommenden Jahren wohl höher sein als die Bosnien-Herzegowinas oder beispielsweise auch des Kosovos. Dennoch gehört Albanien wie Bosnien-Herzegowina weiterhin dem Stabilisierungs- und Assoziierungsprozess der EU (SAP) an und ist noch kein offizieller Beitrittskandidat geworden. Für die Ukraine, die zu den Teilnehmerländern der Europäischen Nachbarschaftspolitik (ENP) gehört, sieht die EU wie für alle ENP-Staaten auch für die Zukunft keinen Beitritt zur EU vor. Der Ukraine wird durch die EU auch für die kommenden Jahrzehnte die Rolle einer Brücke oder eines Puffers zwischen der EU und der Russischen Föderation zugewiesen (Kapitel 4.2.2).

2.3.2 Vorgehensweise und Methodik Die empirischen Untersuchungen zu Migrationssteuerung teilen sich in den folgenden Kapitel in zwei Teilstränge auf: In den Kapiteln 3 und 4 liegt der Fokus der Betrachtung auf der Europäischen Union und ihren Vorschlägen zur Steue248 Vgl. unter anderem Brusis (2004: 71), Chandler (2006: 44-45), Jackson (2005), Reljić (2004) und Triantaphyllou (2004). Siehe außerdem die Internet-Berichte der »International Crisis Group« (ICG): www.crisisgroup.org.

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rung von Migration. Anschließend stehen in Kapitel 5 die Steuerungsaktivitäten internationaler Regierungsorganisationen im Mittelpunkt. Die empirische Untersuchung zielt dabei auf Albanien, Bosnien-Herzegowina und die Ukraine. Während die analytischen Betrachtungen und Interpretationen zu den Steuerungsvorschlägen der EU (Kapitel 3 und 4) auf der Auswertung von offiziellen Verlautbarungen der EU beruhen, basieren die Darstellungen und Erörterungen von Kapitel 5 neben der Auswertung von Primärdokumenten zu einem wesentlichen Teil auf leitfadengestützten Experteninterviews. Diese Interviews wurden in den drei Untersuchungsländern mit Vertretern internationaler Regierungsorganisationen und anderer Akteure geführt.249 Zunächst soll auf die Untersuchungsmethodik der Kapitel 3 und 4 eingegangen werden. Bei den ausgewerteten Primärdokumenten handelt es sich vorwiegend um EU-Dokumente, die zwischen 1999 und 2005 entstanden sind.250 Um mit der Fülle von EU-Verlautbarungen zu Migration überhaupt umgehen zu können, war es unumgänglich, diesen zeitlichen Rahmen zu setzen und bei der Analyse einzuhalten. Diese Einschränkung lässt sich allerdings rechtfertigen, denn gerade die Jahre 1999 bis 2005 stellen für die Herausbildung einer gemeinsamen EUMigrationspolitik eine bedeutsame Umbruchsphase dar (Kapitel 3.1): Mit dem Amsterdamer Vertrags (1999) sind die EU-Gemeinschaftsinstitutionen auf dem Feld der Migrationspolitik und -steuerung erheblich gestärkt und damit tatsächlich selbst zu steuerungsfähigen Akteuren geworden. Auch die Gründung der gemeinsamen EU-Grenzschutzagentur FRONTEX251 (2004) macht diese neue Phase und neue Qualität von EU-Migrationspolitik deutlich. Die Möglichkeiten einer tatsächlichen Mitgestaltung und Festlegung der EU-Migrationspolitik stehen allerdings nur drei EU-Gemeinschaftsinstitutionen offen: der Europäischen Kommission, dem Europäischen Rat (Versammlung der Regierungschefs der EU-Mitgliedsländer) und dem (EU-)Ministerrat für Justiz und Inneres. Die Mit249 Anhang A3 enthält eine Liste aller Experteninterviews. Neben den Interviews in den Untersuchungsländern wurden drei weitere Experteninterviews in Budapest (IOMVertretung für Südosteuropa) und Wien (ICMPD Hauptzentrale und »Technical Cooperation Centre« der IOM) geführt. 250 Eine Ausnahme bilden die Primärdokumente, die im Zuge des sogenannten Stabilisierungs- und Assoziierungsprozesses (SAP) und der Europäischen Nachbarschaftspolitik (ENP) entstanden sind. In Bezug auf die Wanderungssituation der drei Untersuchungsländer sind von ihnen auch solche ausgewertet worden, die schon vor 1999 entstanden sind. 251 Dieses Kürzel geht auf den französischen Begriff »Frontières Extérieures« zurück; der offizielle Name von FRONTEX lautet auf Deutsch: Europäische Agentur für die operative Zusammenarbeit an den Außengrenzen der Mitgliedsstaaten, auf Englisch: »European Agency for the Management of Operational Cooperation at the External Borders of the Member States of the European Union«.

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wirkungsbefugnisse des Europäischen Parlamentes und des Europäischen Gerichtshofes in Migrationsbelangen sind dagegen weiterhin äußerst limitiert (Kapitel 3.1). Um die Zahl der zu sichtenden und auszuwertenden Dokumente beschränkt zu halten, wurde deshalb entschieden, nur Dokumente des Europäischen Rats, des Ministerrats und der EU-Kommission252 zur Grundlage der Darstellungen und Erörterungen in Kapitel 3 und 4 zu machen – Eine weitere Einschränkung der Datenquellen, die letztlich ebenfalls vertretbar ist. Anzumerken ist diesbezüglich auch, dass die Untersuchungen und Feststellungen in Kapitel 3 und 4 nicht mit dem Anspruch auf Vollständigkeit verbunden sind. Das eigentliche Ziel liegt darin, die wesentlichen Hauptlinien253 der EU-Politik gegenüber Migration vorzustellen und dadurch eine Basis zu bilden, auf deren Grundlage in den Kapiteln 5 und 6 die Befunde zu den Steuerungsaktivitäten von IRO diskutiert werden können.254 Die zwischen 1999 und 2005 entstandenen Dokumente der EU-Kommission, des Europäischen Rates und des EU-Ministerrates für Justiz und Inneres wurden bei der Vorbereitung der Kapitel 3 und 4 als »institutionalisierte Spuren«255 betrachtet, das heißt als Primärquellen/-texte, aus denen aufgrund ihres »amtlichen Charakters« Rückschlüsse gezogen werden können auf die Aktivitäten, Absichten und Erwägungen der Organisationen, die sie repräsentieren. Die verwendeten Primärdokumente sind vom sogenannten virtuellen Dokumentationszentrum256 des EU-Generaldirektorats für Justiz und Inneres, den digitalen Datenbanken EUR-Lex257, Scadplus258 und PreLex259 der EU und den Seiten des »Consili252 Obwohl der Europäische Rat und der Ministerrat für Justiz und Inneres offiziell zu den Gemeinschaftsinstitutionen der EU zählen, ist zu bedenken, dass in beiden Institutionen die Mitgliedsstaaten das Wort führen und ihre entsandten Vertreter in Personalunion die amtierenden Regierungschefs der Mitgliedsstaaten oder die zuständigen Minister für Justiz oder Inneres sind. 253 Die Hauptlinien der EU-Migrationspolitik werden durch die Schlussfolgerungen und Beschlüsse des Europäischen Rates, des Ministerrates und, im Zuge der Erarbeitung von Richtlinien und Empfehlungen, der EU- Kommission (als Exekutivorgan der EU) bestimmt. 254 Im Ansatz des akteurzentrierten Institutionalismus wird der Erfassung des Handlungsrahmens (hier: die EU-Migrationspolitik und ihre Hauptlinien) eine entscheidende Bedeutung bei der Erklärung des Handelns von Steuerungsakteuren (hier: spezialisierte IRO und ihre Aktivitäten in den Untersuchungsländern) zugewiesen (Kapitel 2.1.4). 255 Siehe Wolff (2000: 502-511). 256 Zugriff über: http://ec.europa.eu/justice_home/doc_centre/intro/doc_intro_de.htm. 257 Neben dem Amtsblatt der EU kann auch auf die Verträge, Rechtsetzungsakte, die Rechtsprechung und vorbereitenden Rechtsakte der EU zugegriffen werden (online über: http://eur-lex.europa.eu/de/index.htm). 258 Eine Zusammenfassung der EU-Gesetzgebung findet sich unter: http://europa.eu/ legislation_summaries/index_de.htm.

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ums«260 (Europäischer Rat und Ministerrat) erhältlich. In den folgenden Kapiteln wird auf sie in den Fußnoten mit Hilfe einer eigenen Nummerierung (»P_« + laufende Nummer) verwiesen; Anhang A1 enthält eine Liste aller verwendeten Primärdokumente. Ihre Auswertung orientierte sich an den Vorschlägen in FLICK (Globalauswertung) und MAYRING (Qualitative Inhaltsanalyse).261 Ausgehend von den aufgestellten Leitfragen (Kapitel 2.2) und dem Interesse an der Migrationspolitik der EU und der Europäisierung der Migrationssteuerung (Kapitel 2.3.1) wurden zunächst drei Erkenntnisinteressen formuliert (Abbildung 5, folgende Seite):262 Das erste Erkenntnisinteresse (E1) bezieht sich auf die Wahrnehmung des Phänomens internationale Migration durch die EU. In den Primärdokumenten wurde dazu nach Textpassagen gesucht, in denen sich Aussagen zu internationaler Migration bzw. zu Teilformen von Migration finden und aus denen sich Rückschlüsse auf die Denkpositionen der EU gegenüber Migration ziehen lassen. Den auf der Basis von bestimmten Wahrnehmungen und Grundpositionen zu Migration formulierten Auffassungen zur Steuerung von Migration und konkreten Steuerungsvorschlägen widmet sich das zweite Erkenntnisinteresse (E2): Mit welchen Argumentationen begründet die EU die Notwendigkeit von Migrationssteuerung? Und was ist aus Sicht der EU konkret zu tun, um Migration steuern zu können? Die beiden Erkenntnisinteressen E1 und E2 widmen sich dabei neben den allgemeinen Denkpositionen und Vorschlägen der EU in Bezug auf Drittstaaten auch der speziellen Situation der drei Untersuchungsländer. Das dritte Erkenntnisinteresse (E3) bezieht sich schließlich auf die Inanspruchnahme von internationalen Regierungsorganisationen durch die EU: Was erhofft sich die EU von IRO? Welche Funktionen sollen diese Organisationen im Zuge der Steuerung von Migration erfüllen, welchen Beitrag sollen sie zur Europäisierung der Migrationspolitik/-steuerung leisten?

259 Mit dieser Datenbank lassen sich die Etappen des gemeinschaftlichen Gesetzgebungsprozesses zwischen der Kommission und anderen EU-Institutionen verfolgen: http://ec.europa.eu/prelex/apcnet.cfm/CL=de. 260 Zugriff über: http://www.consilium.europa.eu. 261 Vgl. Flick (2000: 215-217) und Mayring (1983). 262 Die in Kapitel 2.2 aufgestellten Leitfragen lauten: »Wie und warum tragen spezialisierte IRO zur Steuerung internationaler Migration bei?« (LF1) – »Welche Folgen sind mit den Steuerungsversuchen dieser spezialisierten Akteure verbunden?« (LF2) – »Welche Funktion kommt der Kategorie Raum im Prozess der Europäisierung von Migrationssteuerung und im Zuge der Steuerungsversuche internationaler Regierungsorganisationen zu?« (LF3)

93 12:07:41.

Abbbildung 5: Erk kenntnisintereessen in Kapittel 3 und 4

Quelle: Eigene Darstellung. D

Nebben der Beanttwortung der Leitfragen 1 und u 2 ist in den d Kapitel 3 uund 4 auch dass in Leitfrage 3 formuliertee Forschungsiinteresse zu verfolgen.263 B Bei der Unterssuchung der Primärdokum P mente zu den drei Erkenntn nisinteressen E1 bis E3 wurrde deshalb jeeweils auch nnach solchen Formulierunge F en gesucht, inn denen die EU U raumbezogen ne Semantikenn verwendet, selbst verräum mlicht oder auuf bestimmte Raumkonstruk R kte verweist. Die Ergebnissse, die sich aus der Verfo folgung der 2633 Diese dritte Leitfrage L lautett: »Welche Funktion kommt deer Kategorie Raaum im zess der Europäisierung voon Migrationssteuerung und im m Zuge der St suche internaationaler Regierrungsorganisationen zu?«

94 12:07:41.

drei Erkenntnisinteressen ergaben, werden in Kapitel 3 und 4 vorgestellt, diskutiert und dann mit den theoretisch-konzeptionellen Vorüberlegungen (Kapitel 1 und 2) in Bezug gesetzt. Mit Hilfe der Auswertung von Primärdokumenten der EU lässt sich zwar bereits eine recht konkretes Abbild der Wahrnehmungen zu Migration und den Steuerungsvorschlägen der EU gewinnen, allerdings bleiben einige wichtige Fragen doch offen: Was genau passiert in den Drittstaaten, die im Visier der EU-Migrationspolitik stehen? Wie konkretisieren sich in den drei exemplarisch untersuchten Ländern die Steuerungsansprüche und -vorschläge der EU? Und inwiefern tragen spezialisierte IRO tatsächlich zur Europäisierung von Migrationssteuerung und zur Umsetzung von Steuerungsvorschlägen bei? Diesen Fragen nachzugehen ist wichtig, denn bisher handelt es sich bei den meisten Steuerungsvorschlägen der EU lediglich um Ratschläge und Forderungen, bei denen unklar ist, ob überhaupt Chancen auf Realisierung bestehen oder tatsächlich bereits eine praktische Umsetzung erfolgt. In Kapitel 5 schwenkt der analytische Blick daher auf das Implementationsgeschehen in den drei Untersuchungsländern und auf die Steuerungsbeiträge spezialisierter IRO. Die Untersuchungsmethodik von Kapitel 5 basiert dabei neben leitfadengestützten Experteninterviews ebenfalls auf der textanalytischen Auswertung von Primärdokumenten. In erster Linie handelt es sich bei diesen Primärdokumenten um Selbstdarstellungen, Berichte, Empfehlungen und andere Verlautbarungen der untersuchten IRO. Die für Kapitel 5 ausgewerteten Primärdokumente sind in Anhang A1 aufgelistet. In den Fußnoten der Kapitel wird mit Hilfe der bereits in Kapitel 3 und 4 begonnenen Nummerierung (»P_« + laufende Nummer) auf sie verwiesen. Die gesammelten Primärdokumente wurden nach den Vorschlägen FLICK264 und MAYRING265 zunächst gesichtet, quergelesen und dann im Hinblick auf bestimmte Erkenntnisinteressen ausgewertet, indem relevante und auffällige Textpassagen identifiziert wurden. Ausgehend von den drei in Kapitel 2.2 enthaltenen Leitfragen wurden in der Vorbereitung für Kapitel 5 ebenfalls drei Erkenntnisinteressen (E4 bis E6) aufgestellt (Abbildung 6, folgende Seite). Das Erkenntnisinteresse E4 beschäftigt sich mit der Wahrnehmung der drei Untersuchungsländer durch internationale Regierungsorganisationen, wobei der Schwerpunkt auf der Wahrnehmung der Wanderungssituation der drei Länder liegt. Das nächste Erkenntnisinteresse (E5) widmet sich den Steuerungsansätzen (oder -maßnahmen), die die untersuchten IRO für die drei Untersuchungsländer

264 Vgl. Flick (2000: 215-217). 265 Siehe Mayring (1983).

95 12:07:41.

vorschlagen. Das letzte Erkenntnisinteresse (E6) befasst sich schließlich mit den Steuerungseingriffen von internationalen Regierungsorganisationen, also mit jenen Aktivitäten, mittels denen spezialisierte IRO in Albanien, Bosnien-Herzegowina und der Ukraine in das Wanderungsgeschehen einzugreifen versuchen. Ausgehend von Leitfrage 2 wurde dabei auch nach Textbelegen gesucht, die die Folgen von Steuerungseingriffen thematisieren – sowohl im Hinblick auf Migranten, das Wanderungsgeschehen, die drei Untersuchungsländer als auch die EU. Allen drei Erkenntnisinteressen übergeordnet ist die Frage nach der Relevanz und Funktion der Kategorie Raum (LF3, Kapitel 2.2). Bei den Untersuchungen zu den drei aufgestellten Erkenntnisinteressen wurde deshalb jeweils auch nach Textpassagen gesucht, in denen auf das Medium Raum verwiesen wird. Die wichtigste Untersuchungsmethode für Kapitel 5 bildeten allerdings leitfadengestützte Experteninterviews. In Experteninterviews stellt allgemein nicht die Biographie oder das Verhalten der befragten Person den Gegenstand der Untersuchung dar.266 Von Interesse sind die Interviewpartner lediglich aufgrund ihrer Eigenschaft als Funktionsträger in der entsprechenden Organisationseinheit. Bei den befragten »Experten« handelt es sich um Personen, die »[in] irgendeiner Weise Verantwortung [...] für den Entwurf, die Implementierung oder die Kontrolle einer Problemlösung [tragen] oder [...] über einen privilegierten Zugang zu Informationen über [...] Entscheidungsprozesse [verfügen].«267

Als qualitative Untersuchungsmethode sind Interviews und, insbesondere wenn es sich um politikwissenschaftliche Fragestellungen handelt, Experteninterviews in vielen Fällen unabdingbar: Sie eröffnen in der Regel die Möglichkeit, bei gesellschaftlich oder politisch aktuellen und sensiblen Themen hinter die Kulissen des Geschehens zu schauen und die Denk- und Handlungsweisen der Akteure »von innen heraus« zu erschließen. Für den Erfolg der Methode Experteninterview ist es allerdings notwendig, eine professionelle zwischenmenschliche Beziehung zwischen Interviewtem und Interviewer aufzubauen, gewissermaßen eine Gesprächsebene zwischen Experten. Die Auswertung von EU-Dokumenten und akteursbezogenen Informationen (beispielsweise Internetseiten) war deshalb für den Interviewer sehr nützlich, um bereits im Vorfeld der Interviews ein eigenes »Expertenwissen« zu erwerben.

266 Vgl. Flick (2000: 73-77 und 112-113) und Meuser/Nagel (1991). 267 Meuser/Nagel (1991: 443).

96 12:07:41.

Abbbildung 6: Erk kenntnisintereessen in Kapittel 5

Quelle: Eigene Darstellung. D

Derr in Anhang A2 A enthaltenee Leitfaden en nthält die stan ndardisierten FFragen, die bei den Gespräch hen mit Vertre retern internatiionaler Regierrungsorganisaationen und andderer Akteure durch den Innterviewer gesstellt worden sind. In die K Konzeption dess Leitfadens gingen g auf derr Basis der th heoretisch-kon nzeptionellen Vorüberlegunngen (Kapitel 2.1 und 2.2) und der verfo folgten Leitfraagen und Erkeenntnisinteresssen auch die Ergebnisse deer Sichtung und u Auswertun ng von Primäärdokumenten (EU-Dokumeente und Selbsstdarstellungeen von IRO) ein. A Anhang A3 liistet die gefüührten Experteeninterviews auf. a Ersichtlicch ist, dass nebben den leiten nden Angestel lten internatio onaler Regieru ungsorganisattionen auch Verrtreter einer Vielzahl V von aanderen Akteu uren befragt worden w sind. IIm Rahmen 97 12:07:41.

von Feldforschungsaufenthalten in den drei Untersuchungsländern konnten zwischen Frühjahr 2006 und Sommer 2007 insgesamt 72 Experteninterviews geführt werden. Für Albanien und Bosnien-Herzegowina waren jeweils drei einwöchige Feldaufenthalte notwendig, in der Ukraine waren es fünf sieben- bis zehntätige Aufenthalte. Zusätzlich wurden drei weitere Experteninterviews in Budapest und Wien geführt. Bei den befragten Akteuren handelte es sich dabei um die migrationspolitisch wichtigen »Schaltzentralen« der »IOM Mission with Regional Functions for Southeast Europe« (Budapest), des »Technical Cooperation Centre« der IOM (Wien) und der Hauptzentrale des ICMPD (Wien). Die meisten Gespräche konnten digital aufgezeichnet werden; war dies nicht möglich, so wurden bereits während des Gesprächs die wichtigsten Aussagen schriftlich festgehalten. Die Konsultation von Dolmetschern erwies sich als unnötig. Die befragten leitenden Angestellten konnten fließend in mindestens einer dem Interviewer geläufigen Sprache (Englisch, Italienisch oder Deutsch) kommunizieren. Bei der Auswertung der Gesprächsprotokolle und Interviewtranskripte wurden im Hinblick auf die Leitfragen und vorformulierten Erkenntnisinteressen die wesentlichen, charakteristischen und aussagekräftigen Aussagen identifiziert und wenn nötig zusammengefasst und paraphrasiert. Neben den individuell-spezifischen Aussagen wurde anhand der vergleichenden Gegenüberstellung auch nach dem Überindividuell-Gemeinsamen zwischen verschiedenen Akteuren und Akteursgruppen, beispielsweise in Bezug auf geteilte Wissensbestände, Sichtweisen und Steuerungsverständnisse, geschaut.268 Ein weiteres Ziel der Auswertung bestand in der Herausarbeitung der Widersprüche und konträren Standpunkte der Akteure und Akteursgruppen. Auf die Interviews und ihre Aussagen wird in Kapitel 5 mit Hilfe der auch in Anhang A3 verwendeten Nummerierung verwiesen (»I_« + laufende Nummer + Länderkürzel). Die Interviewpartner, auf deren Aussagen die Darstellungen und Erörterungen von Kapitel 5 zu einem wesentlichen Teil beruhen, lassen sich in folgende Akteursgruppen untergliedern: Neben internationalen Regierungsorganisationen (IRO) und Vertretungen und Institutionen der EU in den Untersuchungsländern zählten zu den befragten Akteuren auch Regierungsbehörden, lokale und internationale Nichtregierungsorganisationen (NRO bzw. INRO), Forschungs- und Politikberatungsinstitute und ausländische Organisationen der Entwicklungszusammenarbeit in staatlicher Trägerschaft. Bei der Auswahl der Interviewpartner war entscheidend, ob die betreffenden Akteure Verantwortung für den Bereich der Migrationspolitik/-steuerung tragen (Regierungsbehörden), an der Finanzierung und Auftragsvergabe von Steuerungsaktivitäten beteiligt waren, sich an der Um-

268 Die Auswertung der Experteninterviews orientierte sich an den methodischen Vorschlägen in Meuser/Nagel (1991: 452-466).

98 12:07:41.

setzung von Migrationssteuerung beteiligen, mit anderen Steuerungsakteuren zusammenarbeiten oder die Migrationspolitik des jeweiligen Untersuchungslandes kritisch begleiten (beispielsweise »Think Tanks« und NRO). Durch die Berücksichtigung der Kooperationspartner von spezialisierten IRO und den Befürwortern, Auftraggebern, Geldgebern sowie den Kritikern und Gegnern ihrer Steuerungsaktivitäten war es möglich, ein vielperspektivistisches Bild des Implementationsgeschehens zu gewinnen und die ablaufenden Prozesse und deren Wirkungen besser und kritisch einschätzen zu können. Die Ergebnisse der Experteninterviews bilden die wesentliche Grundlage für die Darstellungen und Erörterungen in Kapitel 5.

99 12:07:41.

III.

Die Europäische Union und die Steuerung der internationalen Zuwanderung aus Drittstaaten

3. Europäisierung der Migrationspolitik und Steuerungsvorschläge der EU 3.1 Zuwanderung in die EU und das Projekt einer EU-Migrationspolitik Um im späteren Verlauf die Europäisierung der Migrationspolitik und die EUVorschläge zur Steuerung von Migration verstehen und interpretieren zu können, ist es notwendig auf die Zuwanderungsentwicklung in Europa und der EU während der letzten sechs Jahrzehnte einzugehen.269 Wie in Tabelle 3 (folgende Seite) gezeigt, hat sich der Ausländeranteil in den Mitgliedsstaaten der heutigen EU zwischen 1950 und 2004 mehr als verdreifacht. Gleichzeitig breitete sich der europäische Integrationsprozess auf immer mehr Staaten aus: Gehörten dem ersten Vorläufer der heutigen EU – der Europäischen Gemeinschaft für Kohle und Stahl (EGKS) – 1951 bei der Gründung noch sechs europäische Länder an, so zählte die Europäische Gemeinschaft (EG) 1995 bereits fünfzehn Mitgliedsstaaten. 2004 traten schließlich auf einen Schlag zehn weitere Staaten der nun als EU bezeichneten europäischen »Staatengemeinschaft«270 bei.271

269 Die Wahrnehmungen der EU im Hinblick auf internationale Migration sowie die von ihr entworfenen Hauptlinien einer gemeinsamen Migrationspolitik und Steuerungsvorschläge bilden im Folgenden den Gegenstand einer empirischen Untersuchung. Die Auswertung von EU-Primärdokumenten (dargestellt in den Kapiteln 3.2 bis 3.3) konzentriert sich dabei auf den Zeitraum 1999 bis 2005 – eine wichtige Umbruchphase der EU-Migrationspolitik. Die Skizzierung der Zuwanderungsentwicklung und der bisher auf dem Gebiet der Vergemeinschaftung erreichten Fortschritte dienen dazu, einen Interpretationsrahmen zu bilden, der – erweitert durch die Ergebnisse und Schlussfolgerungen der Kapitel 3 und 4 – in Kapitel 6 herangezogen wird, um die zwischen 2006 und 2007 in den drei Untersuchungsländern erhobenen Befunde (Kapitel 5) zu kontextualisieren und zu diskutieren. Siehe diesbezüglich auch die methodischen Anmerkungen in Kapitel 2.3.2. 270 Für die Europäische Union ist es äußerst schwierig einen treffenden politologischen Begriff zu finden. JACHTENFUCHS hat die EU deshalb bereits auch einmal als »Gebilde sui generis« bezeichnet, vgl. Jachtenfuchs (1997). In den letzten Jahrzehnten hat die heutige EU außerdem auch unterschiedliche Namen getragen (EGKS, EWG und EG). 271 Gemeint sind die Länder Estland, Lettland, Litauen, Malta, Polen, Slowakei, Slowenien, Tschechien, Ungarn und Zypern.

100 12:08:01.

Tabelle 3: Ausländische Bevölkerung in den EU-Staaten (1950-2004) Phasen 1951 EGKS der EU-Integration: 1957 EWG

1985 Abkommen von Schengen 1990 Übereink. von Dublin u. Schengener Durchführungsabk. 1992 Vertrag von Maastricht (in Kraft: 1993) 1997 Vertrag von Amsterdam (in Kraft: 1999)

Jahr/Zeitraum

1950

1982

1990

EWG/EG/EU

2.881 1,8

6.612 * 5,0

12.556 4,6

14.056 4,3

696 7,2

886 9,0

905 9,1

1970

1996

2000

2004

Veränderung

1996-2004 [%]

*

°

#

14.32 ° 4,9

19.041 5,1

912 9,0

862 8,4

871 8,4

-4,5

7.314 8,9

7.297 8,9

6.73 9

-7,9

18.5 80

°+26

#

Belgien Deutschland

368 4,3 **

568 1,1

**

2.977 4,9

**

4.667 7,6

**

5.242 8,2

**

**

**

**

1.765 4,1

2.621 5,3

3.680 6,8

3.608 6,4

k. A

Italien

47 0,1

k. A.

312 0,5

781 1,4

Luxemburg

29 9,9

63 18,4

96 26,4

Niederlande

104 1,1

255 2,0

Frankreich

Norderweiterung (1973) – Erste Süderweiterung (1981)

œ



3.263 œ 5,6

k.A.

986 2,0

1.380 2,4

2.40 2

+143,6

109 28,0

143 34,1

165 37,3

177 39,0

+23,8

547 3,9

692 4,6

680 4,4

668 4,2

699 4,3

+2,8

Dänemark

102 2,0

161 3,1

238 4,7

259 4,8

268 4,9

+12,6

Griechenland

60 0,7

70 0,9

k. A.

305 2,9

533 5,0

+231,1

2.137 3,9

1.875 3,3

1.934 3,4

2.342 4,0

2.85 7

+47,7

69 2,0

90 2,5

118 3,2

126 3,3

223 5,5

+89,0

Portugal

108 1,0

173 1,7

208 2,1

469 4,5

+171,1

Spanien

415 1,1

539 1,4

896 2,2

1.97 7

+266,8

Finnland

74 1,4

91 1,8

108 2,1

+45,9

Österreich

682 8,6

702 8,8

776 9,5

+13,8

Schweden

527 6,0

477 5,4

481 5,3

-8,7

Großbritannien Irland Zweite Süderweiterung (1986): „Europa der Zwölf“

Beitritt der DDR zur BRD (1989) EFTA-Erweiterung (1995) zur „EU-15“

-9,6

Ausländische Bevölkerung in den einzelnen Mitgliedsstaaten jeweils in 1.000 Kursiv: Ausländeranteil in Prozent k. A. keine Angabe; *mit Ausnahme von Italien; **ohne Deutsche Demokratische Republik (DDR), Daten für die alte Bundesrepublik Deutschland (BRD); °mit Ausnahme von Frankreich und Griechenland; œDaten für Frankreich aus dem Jahre 1999; #mit Ausnahme von Frankreich; ∆hier Zeitraum 1990-2000

Quelle: Diverse Statistiken272 und eigene Berechnungen. 272 Vgl. Fassmann/Münz (1994a), Fassmann/Münz (1992: 460), IOM/UN (2000: 190) und OECD (2007: 343).

101 12:08:01.

Tabelle 4: Phasen europäischer Wanderungsgeschichte im 20. Jahrhundert

I: 1914 – 1945

Umsiedlung Flucht und Vertreibung Überseeische Emigration

(Re-)Integration

II: 1945 - 1973

Übersiedler und Aussiedler Entkolonialisierung

Gastarbeiterwanderung

III: 1973 – 1989

Rückkehr, Neu- und Wiederansiedlung: Aufgabe der (Re-)Integration von Vertriebenen, Flüchtlingen, Kriegsheimkehrern, Rückkehrern, Zwangsarbeitern und befreiten KZ-Häftlingen Aufnahme in der BRD von deutschen/deutschstämmigen Übersiedlern aus der DDR und Aussiedlern aus den früheren Ostgebieten Rückkehr und Neuansiedlung von Kolonialbeamten, Soldaten und in den Kolonien geborenen Staatsangehörigen – Steigende Zuwanderung von Bürgern der nun unabhängigen ehemaligen Kolonien. Ab Mitte der 1950er Jahre Anwerbung südeuropäischer, nordafrikanischer und türkischer Gastarbeiter

Anwerbestopp und andere Zuwanderungsrestriktionen Zunahme von Asylsuche und illegaler Migration (Übersiedler und Aussiedler)

Ende der Gastarbeiteranwerbung: Ein Teil der Gastarbeiter entschließt sich zum dauerhaften Verbleib – Niederlassung und Familiennachzug von Ehepartnern und anderen Angehörigen Ein Teil der Zuwanderungswilligen wählt bewusst den Weg des Asylverfahrens oder der illegalen Migration (Der Aufnahme von Übersiedlern und Aussiedlern in der BRD kommt eine deutlich untergeordnete Bedeutung zu)

Neue Ost-WestMigration

Zusammenbruch des Kommunismus in Ost- und Mitteleuropa: Bis Ende 1992 rund 5,5 Millionen ost- und mitteleuropäische Zuwanderer in Richtung der EG und andere westeuropäische Staaten (darunter 2,3 Millionen Aus- und Spätaussiedler mit Ziel BRD) Konsolidierung der Asylbewerberzahlen auf hohem Niveau nach anfänglicher Verringerung – Anerkennungsquoten sinken weiter; Zunahme illegaler Migration

IV: 1990 – 1992 Fortsetzung des restriktiven Umgangs mit Zuwanderung und Asyl

V: ab 1993

Im Kontext der beiden Weltkriege und der Zwischenkriegszeit äußerst umfangreiche Wanderungsbewegungen – die meisten dieser Wanderungen erfolgten unfreiwillig Fortsetzung der europäischen Emigration nach Übersee (nach Schätzungen bis zu 50 Millionen Europäer zwischen 1815 und 1939) – USA als Hauptziel der europäischen Emigration

Rückgang der Ost-West-Migration Migrationswende Südeuropas Migrationswende Westeuropas

Rückgang der Zuwanderung (einschließlich Spätaussiedler) aus den Transformationsländern in Ost- und Mitteleuropa Viele ehemalige Gastarbeiterherkunftsländer werden von Auswanderungs- zu Einwanderungsländern Zwischen 1996 und 2004 Rückgang des Ausländeranteils (Tabelle 3) in einigen der früheren Gastarbeiteranwerbeländer und EU-Gründungsstaaten

Quelle: Eigener Entwurf auf Grundlage der in Kapitel 3.1 zitierten Quellen.

102 12:08:01.

Drei Jahre später folgten mit Bulgarien und Rumänien zwei weitere Mitgliedsländer – innerhalb von nur zwölf Jahren war damit aus der »alten EU der 15« (1995) die »neue EU der 27« (2007) geworden.273 Wie in Tabelle 4 deutlich wird, haben die europäischen Länder (die zum Teil heute bereits auch der EU angehören) in den letzten einhundert Jahren äußerst umfangreiche und unterschiedliche Formen von Wanderungsbewegungen verzeichnet.274 Im Jahr vor der Gründung der EGKS wiesen Belgien, die Bundesrepublik Deutschland, Frankreich, Italien, Luxemburg und die Niederlande (die sechs Gründungsländer der EGKS) zusammen noch einen äußerst geringen Ausländeranteil von lediglich 1,8 Prozent auf. Dieser Anteil nahm binnen zwei Jahrzehnten relativ stark zu (Tabelle 3). Ein wesentlicher Grund hierfür waren die Gastarbeiter-Anwerbeverträge, die einige Staaten der EGKS, darunter auch die BRD, mit verschiedenen ost- bzw. südosteuropäischen und afrikanischen Ländern sowie mit der Türkei abgeschlossen hatten und über die zwischen 1955 und den frühen 1970er Jahren mehr als 17 Millionen ausländische »Zeitarbeitskräfte« nach Westeuropa gelangten (Tabelle 4, Wanderungsphase II). Bevor die weitere Zuwanderungsentwicklung nach (West-)Europa beschrieben wird, ist im Hinblick auf Westdeutschland bzw. die BRD zunächst noch auf die Zuwanderung einer hohen Zahl von Vertriebenen, Übersiedlern und deutschstämmigen (Spät-)Aussiedlern aus Ostdeutschland/der DDR und den früheren »Ostgebieten« des Deutschen Reiches hinzuweisen275 (Wanderungsphasen II bis IV, Tabelle 4) – obwohl diese spezielle Form der auf (West-)Deutschland ausgerichteten »Ost-West-Migration« deutscher Staatsbürger und deutschstämmiger 273 Die Datenlage zu den Beitrittsländern von 2004 und 2007 ist für die Zeit vor 2004/2005 höchst unzureichend. In Tabelle 3 wurden sie deshalb nicht berücksichtigt. 274 Eine nicht unwesentliche Bedeutung für das Wanderungsgeschehen besaßen bis 1945 Migrationsbewegungen, die durch Gewalt- und Kriegseinwirkungen, Vergeltungs- und Vertreibungsaktionen ausgelöst wurden. Bedeutsam blieb bis 1945 auch die Emigration nach Übersee (Wanderungsphase I, Tabelle 4). 275 Vertriebene und Flüchtlinge machten 1950 rund 20 Prozent der damaligen Gesamtbevölkerung der Bundesrepublik Deutschland (BRD) aus, vgl. Kemper (1993: 258). Zwischen 1950 und 1998 (Wanderungsphase III und IV) sollen insgesamt rund 3,9 Millionen ethnische Deutsche als (Spät-)Aussiedler in die BRD gekommen sein, rund 1,8 Millionen Personen mit deutscher Abstammung wanderten dabei aus dem Gebiet der UdSSR und der nach ihrem Zerfall entstandenen Gemeinschaft Unabhängiger Staaten (GUS) zu, während es aus Polen 1,4 Millionen, aus Rumänien 428.000 und aus der Tschechoslowakei (bzw. aus der Tschechischen Republik und der Slowakei) 105.000 Menschen waren [gerundete Werte, vgl. OECD (2001b: 47 und Tabelle 2.1) und Blaschke (2001a: 21)]. Außerdem kamen aus der Sowjetischen Besatzungszone bzw. der nachfolgend im Jahre 1949 gegründeten DDR bis zum Bau der Mauer (1961) rund 3,8 Millionen Menschen in die westdeutschen Besatzungszonen (Trizone) bzw. in die BRD. Trotz der militärisch ausgebauten Grenze zwischen der DDR und BRD gelang es zwischen 1961 und 1989 rund 810.000 Ostdeutschen, aus der DDR in die BRD überzusiedeln. Vgl. Fassmann/Münz (1994c: 24-25).

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(Spät-)Aussiedler nicht zum Wachstum des Ausländeranteils in der BRD bzw. im wiedervereinigten Deutschland beigetragen hat. Ganz im Sinne, wie die Anwerbestaaten die Gastarbeiteranwerbepolitik der 1950er bis 1970er Jahre verstanden haben wollten, kehrte ein Großteil der angeworbenen Gastarbeiter nach relativ kurzer Zeit und »getaner Arbeit« wieder in die Herkunftsländer zurück.276 Nach dem Anwerbestopp, der 1972/1973 aufgrund einer weltweiten Öl- und Weltwirtschaftskrise verhängt wurde, drängten die Anwerbeländer schließlich auch noch die letzten verbliebenen Gastarbeiter zu einer möglichst schnellen und umfassenden Rückkehr in die Heimat (Tabelle 4, Wanderungsphase III). Das neue Migrationssystem, das durch die Anwerbung der Gastarbeiter etabliert worden war, erwies sich allerdings widerständiger als gedacht.277 Es ist nach Arbeitern gerufen worden, es kamen aber Menschen – so drückte es FRISCH278 1965 in seinem berühmten Zitat aus. Viele der Gastarbeiter entwickelten den Wunsch, in der neuen Heimat zu verbleiben und sesshaft zu werden – einem großen Teil gelang dies auch. Schließlich durften dann auch die Ehepartner, Kinder und andere nahestehende Familienangehörige in die neue Heimat nachziehen. Einen letzten Weg trotz der verhängten Anwerbestopps nach Westeuropa und in die Länder der EWG zu gelangen, bildete in Wanderungsphase III (1973 bis 1989) neben der Familienzusammenführung der Weg des politischen Asyls. Während sich viele Zuwanderungswillige für einen Asylantrag entschieden, kam es zeitgleich zu einem Anstieg der illegalen Migration:279 Ein Teil der Zuwanderungswilligen versuchte gleich direkt illegal einzuwandern, während andere im Asylverfahren scheiterten und in Westeuropa und in der EWG verblieben, ohne eine Aufenthaltsberechtigung dafür erhalten zu haben. Nachdem die EWG-Staaten und viele andere Länder im nicht kommunistisch regierten »Westen« Europas auf den starken Anstieg der Asylbewerberzahlen mit einer ersten Verschärfung ihrer Asyl- und Ausländerpolitik reagiert hatten und zunächst ein starker Rückgang der Asylanträge eingetreten war, schnellten in der zweiten Hälfte der 1980er Jahre die Asylbewerberzahlen wieder in die

276 Vgl. Zlotnik (2001: 234). Die BRD schloss für die Anwerbung von Gastarbeitern Verträge mit Italien (1955 und 1965), Griechenland und Spanien (1960), Türkei (1961 und 1964), Marokko (1963, 1966 und 1971), Portugal (1964), Tunesien (1965) und Jugoslawien (1968). Vgl. Schrettenbrunner (1982: 22). 277 Siehe Kapitel 1.2.2 für eine kurze Erläuterung des Migrationssystemansatzes. 278 Siehe Frisch (1965). 279 Unter anderem weil immer mehr Zuwanderungswillige den Weg über das Asylverfahren wählten, stieg beispielsweise in der BRD zwischen 1976 und 1977 die Zahl der Asylbewerber von 11.123 auf 16.410. Im Jahr 1980 wurden dann sogar 107.818 Anträge registriert. Daten in Nuscheler (1995: 140).

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Höhe.280 Zwischen 1988 und 1990 verzeichneten die zwölf EG-Staaten eine plötzliche Verdoppelung der Neuanträge (Übergang Wanderungsphase III zu IV, Tabelle 4). Dieser Anstieg setzte sich weiter fort, 1992 lag die Zahl der neuen Asylanträge dann schließlich dreimal höher als im Jahr 1988.281 Der wesentliche Grund für diesen plötzlich eingetretenen und starken Wiederanstieg der Asylanträge ist vor allem auf die Migrationspolitik der EWG-Staaten zurückzuführen, mit denen diese versuchten nun auch auf die Massenzuwanderung zu reagieren, die wegen des Zusammenbruchs der kommunistischen Regime in Ost- und Mitteleuropa (1989 und frühe 1990er Jahre) befürchtet wurde und zu einem gewissen Teil dann auch eintrat (Wanderungsphase IV, Tabelle 4). Da keine anderen Zuwanderungsmöglichkeiten gewährt wurden, blieb für diejenigen, die keine Zugehörigkeit zu einer bestimmten ethnischen Volksgruppe nachweisen konnten, erneut nur der Weg über das Asyl. Trotz der Hindernisse, die die westeuropäischen (EWG-)Staaten dem neuen Zustrom entgegenzustellen versuchten, wird geschätzt, dass zwischen 1989 und 1992 rund 5,5 Millionen Bürger der ost- und mitteleuropäischen Transformationsstaaten dennoch in den EWG- bzw. EG-282 und EFTA283-Staaten eine neue Heimat fanden, darunter wohl auch etwa eine halbe Million illegale Migranten.284 Zwischen 1992 und 1993 kam es schließlich zu einer deutlichen Trendwende und damit auch zu einem Übergang in die letzte, in Tabelle 4 noch aufgeführte Wanderungsphase (V): Die Zahl neu gestellter Asylanträge nahm aufgrund einer nochmals verschärften Asylpraxis der EG- und EFTA-Staaten wieder stark ab. 1996 war bei den neu gestellten Asylanträgen bereits wieder das Niveau der frühen 1980er Jahre erreicht. Die restriktive Handhabe des Asylrechts äußerte sich dabei auch in einem starken Rückgang der Anerkennungsraten in den Asylverfahren.285

280 Daten des UNHCR in Zolberg et al. (1989: 280) zufolge, wurden in der BRD 1985 bereits wieder 73.300, im Jahr darauf sogar 94.500 Anträge gestellt. Damit war annähernd wieder die Zahl der Anträge des Jahres 1980 erreicht. 281 Siehe IOM/UN (2000: 197). 282 Die Europäische Gemeinschaft (richtigerweise die Europäischen Gemeinschaften) wurde durch den 1992 geschlossenen und 1993 in Kraft getretenen Vertrag von Maastricht gegründet, durch den auch die Europäische Union als neue übergreifende Institutionen entstand. Vgl. Europäischer Rat (1992). 283 Abkürzung für »European Free Trade Area«, zu dieser Freihandelszone zählten damals bereits viele der heutigen EU-Staaten und außerdem auch die Schweiz, Norwegen und Island. 284 Schätzung des damaligen Generaldirektors des ICMPD: Widgren (1994: 77). Unter den geschätzten 5,5 Millionen Ost-West-Migranten befanden sich schätzungsweise 2,3 Millionen deutschstämmige Aus- und Spätaussiedler mit Ziel (der wiedervereinigten) BRD. 285 Wurden in Europa 1984 noch rund 42 Prozent aller Asylanträge positiv beschieden, so waren es 1993 nur noch 8 Prozent, vgl. Angaben in Santel (1995: 174).

105 12:08:01.

Während es nach 1989/1990 mit dem Ende der Trennung Ost- und Westeuropas bereits zu einer Wiederbelebung des traditionell-innereuropäischen hauptsächlich auf Deutschland ausgerichteten Ost-West-Migrationssystems gekommen war, setzte in den frühen 1990er Jahren auch in Südeuropa eine bemerkenswerte Entwicklung ein (Wanderungsphase V, Tabelle 4): Die EU-Länder Griechenland, Italien, Spanien und Portugal, die zu den wichtigsten Herkunftsländern im Rahmen der europäischen Gastarbeiterwanderungen zwischen 1955 und 1972/73 (Wanderungsphase I, Tabelle 4) zählten, wurden durch eine sich nach und nach vollziehende »Migration Transition«286 selbst zu Zuwanderungsländern. Diese Migrationswende wurde vor allem durch eine bessere wirtschaftliche Entwicklung der südeuropäischen Länder begünstigt. Viele Bürger dieser Länder entschieden sich statt zu emigrieren für einen Verbleib in der Heimat, während einige der bereits emigrierten Staatsbürger sich zur Rückkehr in ihr Heimatland (bzw. das Herkunftsland ihrer Vorfahren) entschlossen. Der zweite, noch wesentlichere Grund für die Migrationswende in den südeuropäischen EU-Staaten liegt aber darin, dass Griechenland, Italien, Spanien und Portugal in den 1990er Jahren auch zu Zielländern einer wachsenden Zahl europäischer und nicht-europäischer Zuwanderer wurden. Ein wichtiger Grund dafür bildete die vergleichsweise liberalere (Laissez-Faire) Migrationspolitik dieser südeuropäischen Länder. Denn die in den 1990er Jahren eingetretene Migrationswende Südeuropas war nicht zuletzt auch eine Folge des restriktiven Umgangs mit Migration und Asyl in den nord- und westeuropäischen Kernländern der EG bzw. späteren EU. Die EG-Mitgliedsstaaten Griechenland, Italien, Portugal und Spanien praktizierten schon in den Jahren zuvor eine recht liberale Zuwanderungspolitik. Bereits kurz vor dem Beitritt zur EG musste Spanien deshalb eine erste Kampagne zur Legalisierung illegaler Zuwanderer durchführen und setzte damit zugleich ein Beispiel, dem später auch Italien, Griechenland und Portugal folgten. Spanien legalisierte bis 2005 rund 1,5 Millionen Migranten; eine gleich hohe Zahl wurde auch von Italien erreicht. In Portugal und Griechenland wurden bis 2001 mehr als 1 Million Migranten legalisiert.287 Wie die statistischen Angaben in Tabelle 3 belegen, kann im Hinblick auf die EU als Ganzes und in Bezug auf den Zeitraum 1950 bis 2004 nicht von einer krisenhaften Zunahme der ausländischen Bevölkerung oder einem besorgniserregenden Anstieg des Ausländeranteils die Rede sein.

286 Vgl. Arango (2000) und King (1997a: 170-178). 287 Vgl. Levinson (2005).

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Tabelle 5: Nettozuwanderung von Ausländern in die EU (2005) EU-Mitgliedsstaat

EU-25 EU-15-Staaten: Belgien Dänemark Deutschland Finnland Frankreich Griechenland Großbritannien Irland Italien Luxemburg Niederlande Österreich Portugal Schweden Spanien

Nettozuwanderung im Jahr 2005 [Promille]

EU-Mitgliedsstaat

Nettozuwanderung im Jahr 2005 [Promille]

3,7 3,2 1,4 1,2 1,7 1,7 3,1 3,3 11,4 5,8 3,4 -1,2 7,4 3,9 2,7 15,0

Beitrittsländer 2004: Estland Lettland Litauen Malta Polen Slowakei Slowenien Tschechien Ungarn Zypern

-0,3 -0,5 -3,0 5,0 -0,3 0,8 3,6 3,5 1,8 27,2

Beitrittsländer 2007: Bulgarien Rumänien

-1,8 -0,5

Quelle: Eigene Darstellung nach IOM/UN (2000: 191) und IOM (2008b: 457).

Das Thema Zuwanderung war für die EU ohne Zweifel äußerst relevant; aber auch die in Tabelle 5 enthaltenen Angaben machen deutlich, dass es falsch wäre, von einer Migrationskrise (Kapitel 2.1.1) oder dergleichen zu sprechen, zumindest wennman sich dabei auf die EU als Ganzes bezieht.288 2005 verzeichnete die »EU der 25« ein positives Zuwanderungssaldo von 3,7 Promille, was einem Zuwanderungsgewinn von knapp 1,8 Millionen Menschen entsprach.289

288 Der Anstieg des Ausländeranteils der EU (Tabelle 3) fiel zwischen 1970 und 2004 erstaunlich gering aus. Dieser Umstand und die zusätzlich in diesem Zeitraum feststellbaren Schwankungen des Ausländeranteils der EU sind darauf zurückzuführen, dass im Rahmen der Erweiterungsrunden auch viele Auswanderungsländer (beispielsweise Irland und Spanien vor Beginn der 1990er Jahre) und Länder mit einem relativ geringen Ausländeranteil (Beispiel Finnland) aufgenommen wurden. Ein weiter Grund für den geringen Anstieg des Ausländeranteils liegt darin, dass ein Teil der Migranten in der Zwischenzeit die Staatsbürgerschaft des jeweiligen Zuwanderungslandes angenommen hatte und statistisch nicht mehr als Ausländer erfasst wurde. 289 Dieser Zuwanderungsgewinn war allerdings äußerst bedeutsam, was die Gesamtbevölkerungsentwicklung der »EU-25« anbelangt, denn er trug im betreffenden Jahr rund 85 Prozent zum Gesamtbevölkerungszuwachs der EU bei. Vgl. IOM (2008b: 457).

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Wie in den Tabellen 3 und 5 deutlich wird, gibt es allerdings Hinweise auf eine signifikante Zuwanderungsentwicklung der EU, was einzelne EU-Mitgliedsstaaten anbelangt. Wenn man unbedingt wollte, könnte man diese Entwicklungen auch unter dem Schlagwort Migrationskrise thematisieren. Die verfügbaren Daten zeigen, dass in den Jahren 1996 bis 2004 die Länder Spanien, Griechenland, Portugal, Italien, Irland, Großbritannien und Finnland eine beachtliche Zunahme ihrer ausländischen Bevölkerung verzeichnet haben.290 Mit Ausnahme Griechenlands, Großbritanniens und Finnlands setzte sich diese Entwicklung in den genannten Ländern auch 2005 fort (Tabelle 5). Eine hohe Nettozuwanderung wurde im gleichen Jahr auch in Österreich registriert. In vielen »Kernländern« der EU, darunter auch Deutschland, lag die Neuzuwanderung im Jahr 2005 dagegen nur noch leicht über der Auswanderung, was an niedrigen Promillewerten für die Nettozuwanderung erkennbar ist. Die Niederlande verzeichneten 2005 insgesamt sogar mehr Auswanderung als Zuwanderung. In diesem Sinne könnte man für die kommenden Jahre und Jahrzehnte eventuell bereits eine Migrationswende Westeuropas bzw. der früheren Gastarbeiteranwerbestaaten und traditionellen Zuwanderungsländer Europas annehmen (Tabelle 4: Wanderungsphase V). Wenn man ausgehend von Kapitel 2.1.1 unbedingt von einer signifikanten Zunahme der Zuwanderung oder einer Migrationskrise sprechen wollte, so fand diese, wie die Daten zum Zeitraum 1996 bis 2004 und zum Jahr 2005 belegen, vorwiegend im südlichen Teil der EU statt. In Bezug auf die überwiegende Zahl der EU-Mitgliedsstaaten und die EU als Ganzes wäre es aber völlig unangemessen, von einer bedeutsamen oder bedrohlichen Zuwanderungsentwicklung zu sprechen. Interessant ist im Hinblick auf die 2004 neu zur EU beigetretenen Mitgliedsstaaten, dass eigentlich nur eines dieser Länder (Litauen) im Jahr 2005 noch als ein bedeutsames Herkunftsland von Migranten gelten konnte. Ein weiteres Netto-Auswanderungsland war Bulgarien, das 2007 der EU beitrat. Die 2004 der EU beigetretenen Länder Malta und Zypern standen im Jahr 2005 wie die anderen südeuropäischen EU-Staaten ebenfalls unter einem verhältnismäßig starken »Zuwanderungsdruck«, während die anderen neuen Mitgliedsländer zusammen mit dem 2005 noch nicht der EU angehörenden Rumänien (Beitritt 2007) möglicherweise bereits zu Zuwanderungsländern geworden waren oder vor dem »Tipping Point« hin zu einer Migrationswende standen.

290 Die Zunahme des Ausländeranteils konzentrierte sich in den vier südeuropäischen Mitgliedsstaaten besonders stark auf diesen Zeitraum, da in den Jahren 1996 bis 2004 mehrere umfangreiche Legalisierungskampagnen durchgeführt wurden. Eine Vielzahl der legalisierten Migranten lebte aber bereits zuvor – allerdings ohne eine gültige Aufenthaltsberechtigung – in Spanien, Griechenland, Portugal und Italien und trat in den Statistiken durch die Legalisierung somit »zeitversetzt« und »zeitlich konzentriert« in Erscheinung.

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Während sich in den letzten Jahrzehnten somit, was die Zuwanderung nach Europa und in die Mitgliedsstaaten der EU anbelangt, gleich mehrere interessante Entwicklungen ergeben haben und sich für die Zukunft bereits abzuzeichnen begannen, ist es noch zu einer weiteren entscheidenden Veränderung gekommen: Es sind neue Akteure in Erscheinung getreten, die sich nun ebenfalls an der Steuerung internationaler Wanderungsbewegungen beteiligen.291 Zu diesen neuen Akteuren zählen an erster Stelle die Gemeinschaftsinstitutionen der EU: der Europäische Rat, der Ministerrat für Justiz und Inneres und die Europäische Kommission.292 Als Folge des Abbaus der Grenzkontrollen zwischen den Schengener Vertragsstaaten ist das vermeintliche Migrationsproblem der einzelnen Mitgliedsstaaten eine politische Herausforderung aller EU-Staaten geworden. Da die Mitgliedsländer der EU zugleich einen Teil ihrer Souveränität auf dem Gebiet der Migrationspolitik an die Gemeinschaftsinstitutionen der EU abgegeben haben, fällt die Steuerung von Migration nun mit in den Aufgabenbereich der genannten EU-Institutionen und anderen, zusätzlich beteiligten Nicht-EU-Akteuren.293 Die Bereitschaft der EU-Mitgliedsländer auf dem Gebiet der Migrationspolitik und -steuerung eine enge Kooperation einzugehen, lässt sich als Reaktion auf einen eventuell eingetretenen Steuerungsverlust der einzelnen Mitgliedsländer und die Wahrnehmung einer Migrationskrise deuten (Kapitel 2.1.1). Der erste, tatsächlich ernsthafte Schritt zu einer engen migrationsbezogenen Kooperation der Mitgliedsstaaten erfolgte im Gesamtprozess der europäischen Integration allerdings erst relativ spät – im Jahre 1986: Der Einheitlichen Europäischen Akte294 (EEA), die für 1993 die Umsetzung eines Europäischen Binnenmarktes vorbereiten sollte, fügten die EWG-Mitgliedsländer eine Erklärung bei, in der sie ihre Absicht kundtaten, künftig verstärkt auf dem Gebiet der Migrationspolitik zu kooperieren. Allerdings dachten die Unterzeichner dabei an eine Zusammenarbeit strikt außerhalb des Rahmens der EWG, also ohne direkte Beteiligung der

291 Siehe dazu die Kapitel 1.1, 2.1.4 und 2.3.1. 292 Die Europäische(n) Gemeinschaft(en) wurde(n) erst mit dem Vertrag von Lissabon (in Kraft seit Ende 2009) offiziell aufgelöst. Die Bezeichnung EU besteht bereits seit dem Vertrag von Maastricht (1992, in Kraft seit 1993), zunächst stellte sie aber lediglich den Oberbegriff für alle Politikpfeiler der Mitgliedsländer dar, während in Bezug auf die bereits vergemeinschafteten Politikfelder 1992 offiziell die Bezeichnung EG eingeführt wurde. In Bezug auf die EWG (den formell richtigen Ausdruck) fand die Bezeichnung Europäische Gemeinschaft(en) allerdings auch schon in den 1980er Jahren eine zunehmende Verbreitung. 293 Zur Einbeziehung spezialisierter internationaler Regierungsorganisationen in die EU-Migrationspolitik siehe Kapitel 3.3. Die Steuerungsaktivitäten von IRO in Albanien, Bosnien-Herzegowina und der Ukraine stellen den Untersuchungsgegenstand von Kapitel 5 dar. 294 In Kraft getreten im Juli 1987: Europäischer Rat (1986).

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Gemeinschaftsinstitutionen.295 Allgemein war man ohnehin noch der festen Überzeugung, jedes Land könne weiter alleine für sich, unilateral, Migration steuern und habe diese alleinige Verantwortung auch gegenüber den Institutionen der EWG zu verteidigen. 1985 war allerdings bereits ein erstes wegweisendes Vertragswerk geschlossen worden, das bis in die heutige Zeit einen der wichtigsten Pfeiler der EU-Migrationspolitik bildet: das Abkommen von Schengen. Während in diesem Abkommen ein Abbau der Personengrenzkontrollen zwischen den Mitgliedsstaaten der Gemeinschaft vereinbart und im Folgenden zumindest teilweise auch realisiert wurde296, ist im Übereinkommen von Dublin (1990) für alle Unterzeichnerländer verbindlich festgelegt worden, welcher Staat künftig über den Antrag von Asylsuchenden zu entscheiden habe297 und welche Asylsuchende keinen Anspruch auf Asyl298 haben sollten.299 Obwohl die Unterzeichnerstaaten beide Abkommen als notwendige Begleitentwicklun-

295 Diese Haltung wurde 1987 durch ein Urteil des Europäischen Gerichtshofes bekräftigt, in welchem festgestellt wurde, dass alle Belange in Bezug auf Ausländer und Ausländerpolitik alleinige Kompetenz der nationalen Regierungen seien. Vgl. Lavenex (2001: 84-85), Tamas (2004: 47), Tomei (2001: 37) und Von Outrive (1995: 30). 1978 hatte die EWGKommission vergeblich versucht, die Mitgliedsstaaten zur Annahme einer Richtlinie zu bewegen, in der erstmals eine Harmonisierung der Gesetzgebung gegen illegale Zuwanderung und die illegale Beschäftigung von Ausländern angedacht war [Kommission der Europäischen Gemeinschaften (1978)]. Die Mitgliedsstaaten setzten sich gegen dieses Vorpreschen der Kommission zur Wehr. Es sollte schließlich sieben Jahre dauern, bis die Kommission eine erneute Empfehlung zur Vergemeinschaftung der Migrationspolitik aufsetzte: Commission of the European Communities (1985). Vgl. Von Outrive (1995: 29). 296 Offizieller Titel: »Schengen Agreement on the Gradual Abolition of Checks at the Common Borders«, vertraglich in Kraft getreten 1993; in den Benelux-Staaten sowie in Frankreich und Deutschland im März 1995 operativ umgesetzt. Vgl. dazu Rat der Europäischen Union (1999). 1990 erweitert durch das sogenannte Schengener Durchführungsabkommen. Bis heute zählt nur ein Teil der EU-Mitgliedsstaaten zum Geltungsbereich dieses Abkommen. Die neuen Beitrittsländer sollen etappenweise in den sogenannten Schengen-Raum integriert werden, während Großbritannien und Irland dem Abbau ihrer Grenzkontrollen bisher nicht zugestimmt haben. Zu den Unterzeichnerstaaten des Abkommens von Schengen und des Schengener Durchführungsabkommens zählen auch die Nicht-EU-Staaten Island, Norwegen und seit 2008 auch die Schweiz. 297 In der Regel das zuerst durch einen Asylsuchenden betretene Mitgliedsland. 298 Abgelehnt werden sollten demzufolge künftig alle, denen bereits in einem anderen Mitgliedsland kein Asyl zugesprochen wurde, die selbst Bürger eines als »sicher« deklarierten Drittstaates waren oder die auf dem Weg in die EG bereits einen anderen »sicheren Drittstaat« durchquert hatten. 299 Das Übereinkommen von Dublin trägt offiziell den Titel »Convention determining the State responsible for Examining Asylum Applications for Asylum lodged in one the Member States of the EC«, am 13. Juni 1991 offiziell in Kraft getreten. Vgl. Rat der Europäischen Union (1997).

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gen zum Binnenmarktprojekt300 verstanden wissen wollten, ist es wichtig festzuhalten, dass die beiden Abkommen eben nicht unter Beteiligung der Gemeinschaftsinstitutionen und auch nicht innerhalb des offiziellen Kooperationsrahmens der Gemeinschaft zustande gekommen sind. Eine wesentliche Rolle kam bei der Anbahnung und Vereinbarung der beiden Vereinbarungen nämlich informell abgehaltenen Treffen von Regierungsvertretern zu, die unter strikter Umgehung der Gemeinschaftsinstitutionen und unter Ausschluss jeglicher Form der parlamentarischen Überwachung oder Zustimmung abgehalten wurden.301 Besonders auffällig ist außerdem, dass die beiden Vereinbarungen auch nach Inkrafttreten des Vertrags von Maastricht (1993) formell kein Gemeinschaftsrecht bildeten, obwohl in diesem neuen Grundlagenvertrag der Politikbereich Migration explizit als Verantwortungsbereich der Gemeinschaft und der Gemeinschaftsinstitutionen festgelegt worden war. Eine tatsächlich innerhalb der EU und unter maßgeblicher Beteiligung der EU-Gemeinschaftsinstitutionen stattfindende Zusammenarbeit – und damit eine Europäisierung der Migrationspolitik im Sinne des Konzeptes (Kapitel 2.3.1) – wurde erst im Mai 1999, mit Inkrafttreten des bereits 1997 unterzeichneten Vertrags von Amsterdam, begründet.302 Seit dem neuen Grundlagenvertrag der EU fällt der Politikbereich Migration nun fast vollständig in den Zuständigkeitsbereich der EU-Gemeinschaftsinstitutionen. So ist nun alleine die Europäische Kommission dazu ermächtigt, für den Bereich der Migrations-, Asyl-, Visa- und Grenzsicherungspolitik Richtlinien vorzuschlagen und als supranationales Exekutivorgan die Mitgliedsstaaten dann auch zur Umsetzung und Übernahme dieser Richtlinien in geltendes nationales Recht zu verpflichten. Ausgenommen bleiben hiervon nur wenige politische Teilbereiche. So obliegt es beispielsweise weiterhin der freien Entscheidung der Mitgliedsstaaten, über die Erteilung von dauerhaften oder temporären Aufenthaltserlaubnissen für Erwerbszwecke zu bestimmen. Neu ist hinsichtlich des Vertrags von Amsterdam außerdem auch, dass das Abkommen von Schengen und dessen Durchführungsabkommen zusammen mit 300 Durch den Binnenmarkt sollten auf dem Territorium der Mitgliedsländer die vier Grundfreiheiten eines freien Waren-, Dienstleistungs-, Kapital- und Zahlungsverkehrs und einer Niederlassungsfreiheit (Freizügigkeit) für alle Arbeitnehmer realisiert werden. Die Vision der Freizügigkeit bezog (und beschränkt sich bis in die heutige Zeit) allerdings nur auf Bürger der Mitgliedsländer. 301 Solche Gesprächsrunden hatten allerdings schon eine gewisse Tradition: So traf man sich beispielsweise bereits Mitte der 1970er Jahre in der TREVI-Gruppe (französische Abkürzung für »Terrorisme, Radicalisme, Extremisme et Violence Internationale«). In den 1980er Jahren wurde das »Mandat« von TREVI auf Migrationsbelange ausgeweitet. 1986 spaltete sich schließlich sogar ein neues spezialisiertes Konsultationsforum ab: die sogenannte »Ad Hoc Immigration Group«. Vgl. Lavenex (2001: 86). 302 Vgl. Europäischer Rat (1997).

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dem Übereinkommen von Dublin nun offiziell Bestandteil des EU-Acquis geworden und demzufolge von allen künftigen Beitrittskandidaten direkt als geltendes Recht zu übernehmen sind. Die gemeinsame EU-Migrationspolitik gilt allerdings nicht für Dänemark, das entschieden hat, von seinem Recht auf einen »Opt-Out« Gebrauch zu machen. Auch die EU-Mitgliedsländer Großbritannien und Irland haben eine Sonderregelung erwirken können. Ihnen ist es erlaubt, von Fall zu Fall über ihre Teilnahme an bestimmten Maßnahmen der gemeinsamen Migrationspolitik zu entscheiden und gegebenenfalls ihr Recht auf einen »optin« anzuwenden. Außerdem wenden fünf von 27 EU-Staaten das Abkommen von Schengen und das dazugehörige Durchführungsabkommen (noch) nicht an, während die Nicht-EU-Staaten Island und Norwegen zu den Schengener Vertragsstaaten zählen (Abbildung 1, Einleitung). Die Schweiz stand vor dem Ende der Feldforschungen in den drei Untersuchungsländern (2007) noch kurz vor ihrem Beitritt zur sogenannten Schengen-Zone. Im Vertrag von Amsterdam wurde mit dem Ziel der beschriebenen fast vollständigen Europäisierung der Migrationspolitik mit Hilfe von bindenden und durch die Kommission gesetzten EU-Richtlinien ein Übergangszeitraum von fünf Jahren vereinbart.303 Von 1999 bis 2004 befand sich die EU deshalb in einer wichtigen Umbruchsphase; genau auf diese Phase und das Folgejahr 2005 fokussiert im Folgenden die empirische Herausarbeitung der Wahrnehmungen der EUGemeinschaftsinstitutionen zu Migration zusammen mit der Herausarbeitung der Hauptlinien der EU-Migrationspolitik und der Steuerungsvorschläge der drei EU-Institutionen Europäischer Rat, Ministerrat für Justiz und Inneres und Europäische Kommission (Kapitel 3.2).304

3.2 Wahrnehmung internationaler Migration - Steuerungsvorschläge 3.2.1 Konstruktion von Migration als Problem und Gefahr In Kapitel 2.3.2 sind drei Erkenntnisinteressen (E1 bis E3305) für die Kapitel 3 und 4 formuliert worden. Um diesen nachzugehen, ist zunächst eine Vielzahl von Primärdokumenten gesichtet worden. Im Anschluss wurde eine Auswahl getroffen und schließlich mit den ausgewählten Dokumenten eine Textanalyse durchgeführt. Die ausgewerteten Primärdokumente sind in Anhang A1 aufge303 Siehe Europäischer Rat (1997: Artikel 73o, 1 und 2). 304 Informationen zur Methodik und Vorgehensweise finden sich in Kapitel 2.3.2. 305 E1: Wahrnehmung des Phänomens internationale Migration durch die EU; E2: Auffassungen der EU zur Steurerung von Migration – Steuerungsvorschläge der EU; E3: Inanspruchnahme spezialisierter IRO durch die EU.

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dem Übereinkommen von Dublin nun offiziell Bestandteil des EU-Acquis geworden und demzufolge von allen künftigen Beitrittskandidaten direkt als geltendes Recht zu übernehmen sind. Die gemeinsame EU-Migrationspolitik gilt allerdings nicht für Dänemark, das entschieden hat, von seinem Recht auf einen »Opt-Out« Gebrauch zu machen. Auch die EU-Mitgliedsländer Großbritannien und Irland haben eine Sonderregelung erwirken können. Ihnen ist es erlaubt, von Fall zu Fall über ihre Teilnahme an bestimmten Maßnahmen der gemeinsamen Migrationspolitik zu entscheiden und gegebenenfalls ihr Recht auf einen »optin« anzuwenden. Außerdem wenden fünf von 27 EU-Staaten das Abkommen von Schengen und das dazugehörige Durchführungsabkommen (noch) nicht an, während die Nicht-EU-Staaten Island und Norwegen zu den Schengener Vertragsstaaten zählen (Abbildung 1, Einleitung). Die Schweiz stand vor dem Ende der Feldforschungen in den drei Untersuchungsländern (2007) noch kurz vor ihrem Beitritt zur sogenannten Schengen-Zone. Im Vertrag von Amsterdam wurde mit dem Ziel der beschriebenen fast vollständigen Europäisierung der Migrationspolitik mit Hilfe von bindenden und durch die Kommission gesetzten EU-Richtlinien ein Übergangszeitraum von fünf Jahren vereinbart.303 Von 1999 bis 2004 befand sich die EU deshalb in einer wichtigen Umbruchsphase; genau auf diese Phase und das Folgejahr 2005 fokussiert im Folgenden die empirische Herausarbeitung der Wahrnehmungen der EUGemeinschaftsinstitutionen zu Migration zusammen mit der Herausarbeitung der Hauptlinien der EU-Migrationspolitik und der Steuerungsvorschläge der drei EU-Institutionen Europäischer Rat, Ministerrat für Justiz und Inneres und Europäische Kommission (Kapitel 3.2).304

3.2 Wahrnehmung internationaler Migration - Steuerungsvorschläge 3.2.1 Konstruktion von Migration als Problem und Gefahr In Kapitel 2.3.2 sind drei Erkenntnisinteressen (E1 bis E3305) für die Kapitel 3 und 4 formuliert worden. Um diesen nachzugehen, ist zunächst eine Vielzahl von Primärdokumenten gesichtet worden. Im Anschluss wurde eine Auswahl getroffen und schließlich mit den ausgewählten Dokumenten eine Textanalyse durchgeführt. Die ausgewerteten Primärdokumente sind in Anhang A1 aufge303 Siehe Europäischer Rat (1997: Artikel 73o, 1 und 2). 304 Informationen zur Methodik und Vorgehensweise finden sich in Kapitel 2.3.2. 305 E1: Wahrnehmung des Phänomens internationale Migration durch die EU; E2: Auffassungen der EU zur Steurerung von Migration – Steuerungsvorschläge der EU; E3: Inanspruchnahme spezialisierter IRO durch die EU.

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führt; In den Fußnoten wird auf sie mit Hilfe einer speziellen Nummerierung hingewiesen.306 Im Folgenden werden die gewonnenen Ergebnisse kurz vorgestellt, diskutiert und interpretiert (Kapitel 3.2 und 3.3), dazu wird auf einige aus dem gesammelten Datenmaterial exemplarisch ausgewählte Textpassagen zurückgegriffen. In Kapitel 4 schließt sich eine kurze zusammenfassende Diskussion aller Teilergebnisse von Kapitel 3 an, die sich auf die übergeordneten Leitfragen (Kapitel 2.2) konzentriert und zur Überleitung auf die anschließenden Kapitel dient. Obwohl sich die drei Verfasser der untersuchten EU-Verlautbarungen, der Europäische Rat, der (Minister-)Rat für Justiz und Inneres und die Europäische Kommission, institutionell stark voneinander unterscheiden, weichen die in den Primärdokumenten festgestellten und in diesem Teilkapitel diskutierten Wahrnehmungen dieser Institutionen nur geringfügig voneinander ab. Im Unterschied zum Europäischen Rat und dem Ministerrat für Justiz und Inneres, die als Gremien durch die Regierungs-/Staatschefs bzw. die Ressortminister der Mitgliedsstaaten gebildet werden, kann der Europäischen Kommission in manchen Fällen allerdings dennoch eine etwas liberalere Haltung nachgesagt werden, obwohl sie sich in den meisten ihrer Verlautbarungen, offiziell zumindest, der strengeren Linie der beiden anderen Institutionen anschließt.307 Hinsichtlich der (möglichen) Adressaten der ausgewerteten Dokumente (Anhang A1) ist zu sagen, dass sich die Verlautbarungen der EU generell an alle am Thema der internationalen Migration interessierten Leser wenden – also sowohl an Vertreter der Medien, Wissenschaftler, die breite Öffentlichkeit als auch nicht zuletzt an politische Entscheidungsträger, die auf internationaler, europäischer, nationaler, kommunaler oder lokaler Ebene an den Ursachen, Konsequenzen und der Steuerung von Migration interessiert sind. Eine wesentliche Rolle kommt den Verlautbarungen und Entscheidungen des Europäischen Rates, des Ministerrates und der Europäischen Kommission allerdings dahingehend zu, dass diese Dokumente in erster Linie dafür abgefasst werden, den weiteren Vergemeinschaftungsprozess anzuleiten und den Arbeitsprozess der anderen EU-Institutionen zu unterstützen oder in bestimmender Weise auf diesen Einfluss zu nehmen. In Bezug auf die Wahrnehmung des Phänomens internationale Migration durch die drei genannten und untersuchten EU-Institutionen (Erkenntnisinteresse 306 Verweise auf diese Primärdokumente erfolgen mit dem Kürzel »P_« (+ laufende Nummer). 307 Eine liberalere Position hat die Europäische Kommission in den zwischen 1999 und 2005 entstandenen und ausgewerteten Dokumenten beispielsweise im Hinblick auf die Arbeitsmigration vertreten, indem sie sich mehrmals für eine größere Offenheit der EU gegenüber benötigten ausländischen Arbeitskräften einsetzte: vgl. beispielsweise P_001, siehe Anhang A1.

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E1, Kapitel 2.3.2) kann man feststellen, dass in den ausgewerteten Dokumenten das Phänomen internationale Migration vornehmlich im Sinne eines ernstzunehmenden politischen und gesamtgesellschaftlichen Problems und einer Gefahr wahrgenommen und erörtert wird. Mit der innerhalb der EU stattfindenden »Binnenmigration« zwischen den Mitgliedsländern setzt sich keines der ausgewerteten Dokumente auseinander. In den wenigen Fällen, in denen die internationale Migration positiv konnotiert wird, befassen sich die EU-Gemeinschaftsinstitutionen mit der Migration zu Erwerbszwecken, der Arbeitsmigration also. Ausschließlich im Hinblick auf diese betont die Europäische Kommission, wie im folgenden Zitat zu lesen ist, dass Migration ein grundsätzlich positives Phänomen sei, weil sie – allerdings ist dabei eben nur von der Arbeitsmigration die Rede – einen wesentlichen Beitrag »[...] zum Wirtschaftswachstum und zu den notwendigen Anpassungen am Arbeitsmarkt [, zu] Unternehmertum, Vielfalt und Innovationen [leiste].«308

Hinweise darauf, dass auch die illegale Migration, die meist (aber nicht immer) ebenfalls erwerbsorientiert ist, einen wichtigen ökonomischen Beitrag leisten kann, fehlen dagegen.309 Da die untersuchten EU-Institutionen in ihren Verlautbarungen die internationale Migration in der überwiegenden Zahl der Fälle nicht als legale Arbeitskräftewanderungen, sondern in Form illegaler Wanderungen thematisieren, sich ihr Diskurs zu Migration im Allgemeinen also auf die illegale Migration im Speziellen verkürzt, entsteht allzu leicht der Eindruck, bei der internationalen Migration handele es sich vor allem um illegale Wanderungsbewegungen. In einem der untersuchten Texte findet sich darüber hinaus die Behauptung, dass illegale Migranten einen negativen Einfluss auf die Entwicklung des Arbeitsmarktes hätten und den Integrationsprozess insgesamt vor ernstzunehmende Probleme stellen würden: »Eine große Zahl illegal in der EU lebender Einwanderer hat negative Auswirkungen [, denn sie] verhindern [...] langfristig notwendige Strukturreformen und leisten somit einen Beitrag zu einem ineffizienten Arbeitsmarkt [...] Drittstaatsangehörige, die sich illegal in der EU aufhalten, stellen den Integrationsprozess vor große Herausforderungen [...].«310

Dem illegalen Migranten wird unterstellt, ein gefährlicher Störer zu sein – ein problematischer Fall, der sich nicht einfügt und einfügen lässt, und deswegen das Funktionieren, die Effizienz und die Entwicklung des Integrationsprozesses und 308 P_002 (2). 309 Deutlich wird dies beispielsweise an der hohen Abhängigkeit der spanischen Gemüselandwirtschaft von der freien Verfügbarkeit illegaler Arbeitsmigranten und den hohen Profiten, die diese Branche, gerade aufgrund von kostengünstigen rechtlosen Arbeitskräften, generieren kann. Vgl. Geiger (2005) und Ortiz Molina (2001). 310 P_002 (Absatz 3.6).

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des Arbeitsmarktes empfindlich in Frage stellt. Weil die Begriffe illegale Migration, organisierte Kriminalität und Terrorismus in vielen EU-Dokumenten im Textfluss äußerst dicht beieinander stehen, gewissermaßen in einem Atemzug miteinander genannt werden, wird außerdem die Vermutung bestärkt, bei der illegalen Migration handele es sich um ein (Schwer-)Verbrechen und der illegale Migrant sei ein Täter, ein Verbrecher oder sogar ein Terrorist.311 Um die Gefahr der illegalen Migration eindringlich zu verdeutlichen, greifen die EU-Institutionen in den ausgewerteten Texten auf zugespitzte Formulierungen zurück. Während das Phänomen der internationalen Migration häufig auf das Problem und die Gefahr der illegalen Migration verkürzt wird, wird in vielen der ausgewerteten Dokumente erneut verkürzt und die illegale Migration ausschließlich unter Referenz auf den Menschenhandel thematisiert. Der Menschenhandel wird durch die Europäische Kommission dabei als »[...] illegale Migration in ihrer schlimmsten [...]«312 bzw. »[...] verabscheuungswürdigsten Form [...]«313 beschrieben. Die Verkürzung des Diskurses zu (illegaler) Migration auf das Problem und die Gefahr des Menschenhandels ist dabei sicher nicht ganz zufällig. In den analysierten Primärdokumenten der EU weist sie sogar eine gewisse Systematik auf. Mit den wiederholten und besonders eindringlich illustrierten Verweisen auf das Trafficking und seine Opfer wird der Gesamtdiskurs der EU-Institutionen, so könnte man auf Basis der ausgewerteten Primärdokumente argumentieren, mit einer überspitzten Dramatik unterlegt. Anders ausgedrückt: Das Schlagwort Menschenhandel wird ganz gezielt in den Diskurs eingebracht, schließlich ist es ein Reizwort, das sich in besonderer Weise dazu eignet, Emotionen hervorzurufen, wie beispielsweise Mitleid oder auch Abscheu. Mit Hilfe des Verweises auf die unschuldig durch skrupellose Verbrecherbanden verschleppten, missbrauchten, meist hilflosen, minderjährigen und weiblichen Opfer, ist es möglich die Gefahren der illegalen Migration – aber tendenziell auch jeder Form der uninformierten, unüberlegten und spontanen Migration – in besonders eindringlicher und »einfühlsamer« Weise zu verdeutlichen. Mit Hilfe des für jeden Leser zwischen den Zeilen les- und vorstellbaren Martyriums der verschleppten Personen 311 Vgl. beispielsweise die Schlussfolgerungen des Europäischen Ratstreffens von Laeken: P_003 (Punkt 42). Selbst anerkannte Flüchtlinge bleiben nicht von dem Verdacht verschont, eventuell Terroristen zu sein: So sah sich die Europäische Kommission nur wenige Wochen nach dem 11. September 2001 dazu veranlasst, ein Arbeitsdokument zu verfassen, das sich mit dem zu wahrenden Gleichgewicht »[...] zwischen der Gewährleistung der inneren Sicherheit und der Erfüllung der Anforderungen aus internationalen Schutzverpflichtungen [...]« auseinandersetzt (siehe P_004). In diesem Dokument geht es unter anderem darum, eine gemeinsame Vorgehensweise der EU in Bezug auf die Aberkennung und erneute Überprüfung des Asylstatus von anerkannten Flüchtlingen zu finden. 312 P_005 (Absatz 3.2) mit eigenen Hervorhebungen. 313 P_006 (Kontext) mit eigenen Hervorhebungen.

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springt die hervorgerufene Abscheu vor den Gräueln sowie die Angst und das Mitleid mit den Opfern gewissermaßen auf alle übrigen Formen der Migration über. Weil die Begriffe Menschenhandel, Menschenschmuggel, illegale Migration und internationale Migration in den untersuchten Dokumenten oft in einem Atemzug genannt werden, müssen diese Bezeichnungen gerade dem uninformierten Leser als annähernd synonym und miteinander austauschbar erscheinen. In den meisten der ausgewerteten Dokumente wird internationale Migration zusätzlich auch noch als ein Phänomen dargestellt, über das man bislang kaum etwas wisse. Die illegale Migration, auf die sich (wie bereits erwähnt) fast der gesamte Diskurs zu internationaler Migration zuspitzt, wird beispielsweise beschrieben als ein »[sich] naturgemäß im Dunkeln [vollziehender Vorgang, zu dem] aus der Natur der Sache [heraus überhaupt] keine exakten Aussagen möglich sind [...].«314

Andere Textpassagen legen den Eindruck nahe, internationale Migration sei auch deshalb gefährlich, weil sich internationale Wanderungsbewegungen heute viel stärker durch Beliebigkeit und damit mangelnde Vorhersehbarkeit auszeichnen – was überdies die Steuerung von Migration sehr schwierig machen könnte: »[Es wäre wichtig,] dass bei dem künftigen Ansatz [zur Steuerung von Migration] der sich wandelnde Charakter der Migration berücksichtigt würde, die sich zunehmend flexibel im Sinne von Bewegungen zwischen verschiedenen Ländern und nicht mehr nur als Bewegung in eine Richtung gestaltet. Insgesamt ändern die Migrationsströme häufiger die Richtung und nehmen je nach der wirtschaftlichen und demokratischen Situation sowohl in den Aufnahme- als auch in den Entsendestaaten zu oder ab.«315

Zu lesen ist auch, dass die EU und ihre Mitgliedsstaaten heute akzeptieren müssten, dass die »[...] Einwanderung nicht [mehr] aufzuhalten [sei]«316 und, wie in den vergangenen Jahrzehnten weltweit, auch in Europa und in den Mitgliedsländern der EU weiter steigen dürfte und sich diese Zunahme sogar noch »beschleunigen« könnte.317 In Bezug auf den »Migrationsdruck« bzw. den »Ein314 P_007 (Absatz 3.1) mit eigenen Hervorhebungen. 315 P_005 (Absatz 3.2) mit eigenen Hervorhebungen. Der internationale Migrant wird dadurch in die Nähe der von BAUMAN beschriebenen Figur eines modernen, willkürlich herumziehenden Vagabundens gerückt: Vgl. Bauman (2002: 163-186). Im Sinne der Konzeption von SIMMEL bleibt der Migrant von heute der klassische Fremde, also jemand, der heute kommt und schon morgen wieder geht bzw. gehen könnte – eine Person, die sich selbst nicht festlegt, deren Verhalten nicht einschätzbar und deren »Loyalität« deshalb grundsätzlich anzuzweifeln ist. Siehe dazu den »Exkurs über den Fremden« bei Simmel (2002: 47-53) [Neuveröffentlichung der Originalfassung aus dem Jahre 1908]. 316 P_005 (Zusammenfassung). 317 So steht in P_008 (Absatz 1.1) unter anderem folgendes: »In den vergangenen Jahrzehnten haben die weltweiten Migrationsströme erheblich zugenommen. Wirtschaftliche Unterschiede und demografische Veränderungen [...] haben alle zu einer stetig wachsenden Mobilität der Arbeitskräfte beigetragen«. Siehe diesbezüglich auch: P_001 (Absatz 1.1) und P_008 (Teil 1; Einleitung und Teil 1; A, 1).

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wanderungsdruck«, über den auffallend viele EU-Dokumenten berichten, wird angenommen, dass sich dieser fast ausschließlich in Form der illegalen Migration äußern und für die EU-Mitgliedsstaaten bemerkbar mache. Das bereits erreichte Niveau der illegalen Migration bezeichnen die untersuchten EU-Institutionen unisono als zu hoch, dabei gehen sie von einer Zahl von bis zu 600.000 jährlich neu in die EU-Staaten gelangenden illegalen Migranten aus.318 Aus den Wahrnehmungen der EU-Institution in Bezug auf internationale Migration lassen sich somit leicht die Argumente herauslesen, mit deren Hilfe der Europäische Rat, der Ministerrat für Justiz und Inneres und die Europäische Kommission die Notwendigkeit von Steuerungseingriffen zu begründen versuchen und zugleich auch für ein gemeinsames, noch stärker vergemeinschaftetes und durch supranationale Institutionen der EU bestimmtes Vorgehen gegenüber Migration plädieren.319 Das erste Argument für mehr oder noch wirksamere migrationssteuernde Maßnahmen (Erkenntnisinteresse E2, Kapitel 2.3.2320) kann wie folgt umschrieben werden: Steuerungseingriffe sind notwendig, weil Migration tendenziell problembehaftet bzw. gefährlich ist, und es gilt, die negativen Ursachen, Begleiterscheinungen und Folgen von Migration zu vermeiden. In den untersuchten Dokumenten wird diesbezüglich betont, dass Migration nicht nur im Interesse der Zielgesellschaft gesteuert werden solle, sondern eine angemessene Migrationspolitik und wirksame Steuerung von Migration auch helfe, die berechtigten Ansprüche von Flüchtlingen auf Asyl zu wahren und Migranten vor den Gefahren der Migration (beispielsweise Missbrauch, Ausbeutung oder gewaltsamer Tod) zu schützen:321 »Der Europäische Rat verpflichtet sich, [...] eine gemeinsame Asyl- und Einwanderungspolitik zu beschließen, die das notwendige Gleichgewicht zwischen dem Schutz der Flüchtlinge [...], dem legitimen Wunsch nach einem besseren Leben und der Aufnahmekapazität der Union und ihrer Mitgliedsstaaten wahrt.«322

Dabei ist allerdings nicht nur von Asyl die Rede, sondern durchaus auch von dem »[...] legitimen Wunsch [der Migranten] auf ein besseres Leben [...]« in der EU. Eine gemeinsame Migrationspolitik und -steuerung der EU-Staaten wird für 318 Vgl. unter anderem P_005 (Zusammenfassung und Absatz 3.1), P_002 (Absatz 2.1), P_007 (Absatz 4.2.1), P_008 (Teil 1; A, 1) und P_009 (Absatz 2.1). 319 Während zunächst im Hinblick auf Erkenntnisinteresse E1 die migrationsbezogenen Wahrnehmungen der drei wesentlichen EU-Institutionen herausgearbeitet, vorgestellt und interpretiert worden sind, wird mit der Frage nach der Begründung von Steuerungseingriffen bereits ein Teil des zweiten Erkenntnisinteresses (E2) bearbeitet. 320 E2: Auffassungen der EU zur Steuerung von Migration – Steuerungsvorschläge der EU. 321 Siehe dazu beispielsweise auch P_010 (Einleitung). 322 P_003 (Punkt 39) mit eigenen Hervorhebungen.

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äußerst notwendig befunden, denn neben der Offenheit gegenüber bestimmten Wanderungsformen gelte es, so die Europäische Kommission, auch an die beschränkte »Aufnahmekapazität« der EU zu denken und das »Gleichgewicht« zu wahren.323 Das zweite, für eine wirksamere Steuerung von Migration und für gemeinsame Steuerungseingriffe der EU plädierende Argument ist somit bereits in der Aussage enthalten, die EU stehe einem zu hohen »Migrationsdruck«324 gegenüber (an anderer Stelle ist auch die Rede von einer zu hohen »Flüchtlingslast«325). Die EU schließt sich diesbezüglich zumindest teilweise der in Kapitel 2.1.1 erläuterten Behauptung an, die Welt – oder in diesem Fall Europa und die EU – stünden einer signifikanten und besorgniserregenden Zunahme der Migration, insbesondere auch der illegalen Migration gegenüber. »Die erwartete Fortsetzung oder sogar Beschleunigung internationaler Migrationsströme wird jedoch große Auswirkungen auf die EU [haben. Deshalb] ist es notwendig, [...] an einer weiteren Stärkung der Fähigkeiten der Europäischen Union [...] zur Migrationssteuerung zu arbeiten.«326

Die Europäische Kommission teilt also ebenfalls die Annahme, dass die Steuerungsfähigkeit der Nationalstaaten (hier: der einzelnen Mitgliedsländer der EU) in eine ernste Krise geraten sei (Kapitel 2.1.1). Obwohl die Europäische Kommission offen zugibt, dass es »[...] stets ein gewisses Maß an illegaler Migration geben [werde], weil immer bestimmte Push- oder Pull-Faktoren wirken werden, die von [den angedachten] Maßnahmen nicht berührt [werden könnten],«327

bleibt sie grundsätzlich steuerungsoptimistisch eingestellt. Sie beharrt jedoch auf dem Standpunkt, dass Migrationssteuerung nur dann wirksamer als bisher gestaltet und umgesetzt werden könne, wenn sich alle Mitgliedsstaaten rasch auf eine gemeinsame EU-Migrationspolitik verständigten. Eine »geordnete Einwanderung«, eine »umfassende Migrationspolitik« und ein »integrierter Gesamtansatz«328 sind nach Ansicht der Kommission und der anderen EU-Institutionen nur erreichbar, wenn die mit dem Amsterdamer Vertrag eingeleitete Harmonisierung und Supranationalisierung der Migrationspolitik und Migrationssteuerung (Kapi-

323 In Bezug auf das zu wahrende Gleichgewicht wird unter anderem auch argumentiert, dass nur durch eine stärkere Steuerung der Wanderungsströme (und das Verhindern von Asylmissbrauch) das »[...] Rechtsinstitut des Asyls [...]« und die »[...] humanitäre Tradition Europas [...]« vor nachhaltigem Schaden bewahrt werden könne: P_011 (Einleitung). 324 Siehe beispielsweise P_005 (Zusammenfassung), P_008 (Teil 1; A, 1), P_002 (Absatz 2.1) und P_009 (Absatz 2.1). 325 P_008 (Teil 1; A, 3). 326 P_008 (Teil I; Einleitung) mit eigenen Hervorhebungen. 327 P_009 (Absatz 2.1) mit eigenen Hervorhebungen. 328 Diese Begriffe finden sich unter anderem in P_005 (Absätze 1, 2.1 und 3.2).

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tel 3.1) konsequent weiterverfolgt und ausgebaut wird. Diese Meinung der EU kann als ein drittes Argument begriffen werden, mit dem für mehr gemeinsame Steuerungseingriffe und direkt durch die EU durchgeführte Maßnahmen geworben wird. Aus der folgenden, exemplarisch ausgewählten Textpassage lässt sich schließlich noch ein weiteres, viertes Argument für eine zukünftig noch stärker vergemeinschaftete EU-Migrationspolitik und -migrationssteuerung entnehmen: Eine gemeinsame Steuerung durch die EU, die durch die EU-Gemeinschaftsinstitutionen supranational umgesetzt wird, ist angeraten, weil die bisher in anderen Politikbereichen erreichte Vergemeinschaftung eine weitere Europäisierung der Migrationspolitik zwingend erforderlich macht. »Beschließt ein Mitgliedsstaat [Drittstaatsangehörige] zuzulassen, hat dies allerdings Auswirkungen auf die anderen Mitgliedsstaaten (Reisefreiheit im Schengen-Raum, Dienstleistungsfreiheit in anderen Mitgliedsstaaten, das Recht nach Erlangen der Daueraufenthaltsgenehmigung, seinen Wohnsitz in andere Mitgliedsstaaten zu verlegen, Auswirkungen auf den [gesamten] EU-Arbeitsmarkt) [...].«329

Die Notwendigkeit von Migrationssteuerung und gemeinsamen Steuerungsmaßnahmen ist also nicht nur deshalb gegeben, weil es mehr Zuwanderung gibt oder für die Zukunft ein Anstieg der Zuwanderung angenommen wird. Als »SpillOver« anderer Politikbereiche ergibt sich innerhalb des politischen Systems der EU kontinuierlich ein weiterer Vergemeinschaftungsbedarf auch auf dem Gebiet der Migrationspolitik – eben weil das Binnenmarktprojekt der EU, das Abkommen von Schengen (Kapitel 3.1) und viele weitere Abkommen bereits Tatsachen geschaffen haben und sich auf Migration(-spolitik) auswirken, während sie zugleich durch eine nachlässige Migrationssteuerung selbst beeinträchtigt werden könnten. Die erreichten Vergemeinschaftungsschritte mit dem Ziel, den Handel und den Personenverkehr der EU-Bürger zwischen den Mitgliedsstaaten zu fördern, haben es mit sich gebracht, dass das Migrationsproblem des einen Mitgliedsstaates durch den Wegfall fast aller Grenzkontrollen zwischen den EUStaaten automatisch auch zum Migrationsproblem der übrigen Schengener Vertragsstaaten und damit auch der EU insgesamt geworden ist. Eine vergemeinschaftete, supranationale europäisierte Migrationspolitik und -steuerung wird deshalb als zwingend erforderlich erachtet.

3.2.2 Verortungen des Migrationsproblems und Steuerungsbedarfs Die Wahrnehmungen des Europäischen Rates, des Ministerrates für Justiz und Inneres und der Europäischen Kommission im Hinblick auf Migration zeichnen 329 P_012 (Einführung).

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sich durch eine stark problemzentristische Perspektive aus (Kapitel 3.2.1). Obwohl die untersuchten drei EU-Institutionen die internationale Migration in erster Linie als ein soziales und politisches Problem wahrnehmen, herrscht neben der problemzentristischen Perspektive auch eine stark raumbezogene Sichtweise auf Migration vor, wie anhand der folgenden Textbelege deutlich wird:330 »Die EU sieht sich einer Reihe migrationsbezogener Herausforderungen gegenüber, die in verschiedenen Teilen der Welt ihren Ursprung haben [...] Eine unangemessene oder mangelhafte nationale Politik und fehlende Reformen in den Entwicklungsländern selbst sind häufig [für die Entstehung von Migration] verantwortlich.«331 »Angesichts der starken Zunahme der Zahl junger Erwachsener in vielen Drittstaaten [...] dürfte der Migrationsdruck in nächster Zeit kaum nachlassen.«332 »The aggravation of the economic situation in these countries [Eastern Europe] has had a direct effect on the flow of trafficking in women. Lack of education and sexual discrimination are also important elements at the root of the trafficking problem [...].«333

Wie an diesen Äußerungen exemplarisch gezeigt werden kann, legen die drei untersuchten EU-Institutionen in ihren Verlautbarungen dem Leser334 eine raumbezogene Sichtweise nahe. Sie lenken die Aufmerksamkeit unter Verwendung von räumlichen Verweisen auf Länder oder bestimmte Raumkategorien jenseits bzw. außerhalb der EU-Außengrenze. Ausschließlich dort, in den »Entwicklungsländern«, in den »Drittstaaten« bzw. in »Osteuropa« liegen die »Wurzeln« des Migrationsproblems, das die EU angeblich bedroht (Kapitel 3.2.1) – so die vermittelte Botschaft. Im Hinblick auf die Wahrnehmung und Beschreibung des Phänomens internationaler Migration kann im Hinblick auf das Erkenntnisinteresse E1 (Kapitel 2.3.2) somit festgehalten werden, dass in den ausgewerteten Dokumenten viele räumliche Verweise und raumbezogene Semantiken verwendet werden. Zu den Bestandteilen der untersuchten EU-Dokumente zählt in vielen Fällen auch eine recht charakteristische Form einer raumbezogenen Erklärung: Das Zustandekommen von Migration wird damit begründet, dass dort – jenseits der EUAußengrenze, außerhalb der EU – bestimmte Auslösefaktoren vorlägen, wie beispielsweise eine »[...] unangemessene oder mangelhafte nationale Politik [...]«, eine »[...] starke Zunahme der Zahl junger Erwachsener [...]« oder beispielsweise 330 Kursiv und in fetter Schrift werden im Folgenden Textteile gekennzeichnet, die räumliche Verweise oder Semantiken enthalten. Andere auffällige Textpartien werden mit kursiver Schrift hervorgehoben. 331 P_008 (Teil 1; A, 2) mit eigenen Hervorhebungen. 332 P_002 (Absatz 2.1) mit eigenen Hervorhebungen. 333 P_013 (Part 3; Methods used by Traffickers und Part 3; Recent Trends in Trafficking in Women). 334 Zu den möglichen Lesern bzw. Adressaten der untersuchten Verlautbarungen siehe Kapitel 3.2.1.

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ein ausgeprägter »Mangel an Bildung«.335 In den ausgewerteten Dokumenten ist diesbezüglich eine gewisse Systematik zu erkennen: Die Aufmerksamkeit wird einerseits gezielt auf Raumkategorien außerhalb der EU gelenkt, gleichzeitig werden in diese Raumkategorien (beispielsweise »Entwicklungsländer«) auch die sozioökonomischen, politischen oder auch ökologischen Ursachen von Migration »hineingepackt«. Die neu gebildeten oder rekonstruierten raumbezogenen Kategorien stehen schließlich stellvertretend als räumliche Kürzel für die Entstehungszusammenhänge und Auslöser von Migration. Liest man die Bezeichnungen »Drittstaat«, »Entwicklungsland« oder »Osteuropa«, so denkt man als Leser irgendwann unweigerlich die räumlich »eingepackten« Ungunst- bzw. migrationsauslösenden Faktoren als vermeintliche Raum-Faktoren mit:336 Unterentwicklung, Armut, mangelnde Bildung, Arbeitslosigkeit und andere »PushFaktoren« gehören gewissermaßen automatisch und logisch dorthin, in die außerhalb der EU liegenden Drittstaaten, Entwicklungsländer oder Transformationsstaaten Osteuropas. Man gewinnt also den Eindruck, sie seien dort, und nur dort – nicht aber in der EU – verortet. Dort staut sich unweigerlich der »Migrationsdruck« auf, der dann die EU (wie vorgegeben) bedroht. Indem die Aufmerksamkeit auf Raumeinheiten außerhalb der EU gelenkt wird, gerät aus dem Blick, dass auch die EU als Zielregion (wie generell alle Zielländer von Migranten) für die Initiierung und Aufrechterhaltung von Wanderungsströmen eine Mitverantwortung trägt. Die textanalytische Auswertung von EUDokumenten belegt, dass tatsächlich nur in äußerst wenigen Dokumenten explizite Hinweise darauf zu finden sind, dass es auch die EU ist, die Migrationsbewegungen induziert, beispielsweise durch höhere Löhne, bessere Beschäftigungsmöglichkeiten, eine steigende Nachfrage nach ausländischen Arbeitskräften im Zuge des demographischen Wandels oder auch durch vergleichsweise stabilere und sichere politische Gegebenheiten. »Wirtschaftliche Unterschiede und demografische Veränderungen zwischen Industrieund Entwicklungsländern, vor dem Hintergrund von [...] politischen Problemen und Instabilität in den Herkunftsländern, haben alle zu einer stetig wachsenden Mobilität der Arbeitskräfte beigetragen.«337

335 P_002 (Absatz 2.1), P_008 (Teil 1; A, 2) und P_013 (Part 3; Methods used by Traffickers und Part 3; Recent Trends in Trafficking in Women). In einer der Mitteilungen der Europäischen Kommission findet sich eine Liste der »Push-Faktoren«, die nach Ansicht der EU für die Herkunftsländer von (illegalen) Migranten typisch sind: P_008 (Teil 1; A, 2). 336 Insbesondere liegt dies bei der Bezeichnung Drittstaat sehr nahe, bei dieser denkt man unweigerlich auch an den Begriff der »Dritten Welt«, der im allgemeinen Sprachgebrauch oft ebenfalls negativ konnotiert ist. 337 P_001 (Absatz 1.1) mit eigenen Hervorhebungen.

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»Während Konflikt und Armut die wichtigsten Push-Faktoren für Migration sind, [stellt] die durch die Nachfrage nach Arbeitskräften in den Aufnahmeländern bedingte Aussicht auf Sicherheit und Verbesserung der sozioökonomischen Lage [einen der] wichtigsten Pull-Faktoren dar.«338

Ausgehend von der Behauptung, dass die Ursachen von unerwünschten Wanderungsbewegungen zuallererst in Raumeinheiten außerhalb der EU zu suchen seien, wird die Argumentation verfolgt, dass es deshalb auch Sinn mache, dort – jenseits der EU-Außengrenze – die Ursachen von Migration anzugehen (Erkenntnisinteresse E2, Kapitel 2.3.2339). Der Verortung des »Migrationsdrucks« in bestimmten Raumeinheiten schließt sich also die räumliche Lokalisierung des Steuerungsbedarfs in genau den gleichen Raumeinheiten an. Eines der Hauptargumente der EU lautet, dass Steuerungsmaßnahmen nur dann wirksam seien, wenn man bereits dort – in den Ländern oder Regionen, von denen Migrationsbewegungen in Richtung der EU ausgehen – eingreife. »Die Bemühungen zur Steuerung der Migrationsströme können nur dann ihre volle Wirkung entfalten, wenn die Maßnahmen am Anfang der ‚Migrationskette’ ansetzen, d.h. [...] in den Herkunftsländern [...].«340

Es sind also die Herkunfts-, aber auch die zwischen der EU und diesen Ländern liegenden Transitländer, die als die vorrangigen Implementationsgebiete von migrationssteuernden Maßnahmen ins Visier geraten. »In Bezug auf die Transitländer hob der Europäische Rat hervor, dass es sowohl an den südlichen als auch an den östlichen Grenzen der EU einer intensivierten Zusammenarbeit und eines verstärkten Kapazitätsaufbaus bedarf, damit die betreffenden Länder die Wanderungsbewegungen besser steuern und Flüchtlingen angemessenen Schutz bieten können.«341

3.2.3 Grundzüge der EU-Migrationspolitik Die Wahrnehmung internationaler Migration als Problem und Gefahr (Erkenntnisinteresse E1, Kapitel 2.3.2342) bildet zusammen mit der recht charakteristischen räumlichen und exterritorialen Verortung des Migrationsproblems die Ausgangsgrundlage, auf deren Basis der Europäische Rat, der Ministerrat für Justiz und Inneres und die Europäische Kommission bestimmte Hauptlinien einer gemeinsamen EU-Migrationspolitik entwickeln, die dann durch spezifische

338 339 340 341 342

P_008 (Teil 1; A, 2) mit eigenen Hervorhebungen. E2: Auffassungen der EU zur Steuerung von Migration – Steuerungsvorschläge der EU. P_007 (Absatz 3.3) mit eigenen Hervorhebungen. P_014 (Einleitung, Punkt 2) mit eigenen Hervorhebungen. E1: Wahrnehmung des Phänomens internationale Migration durch die EU.

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Steuerungsvorschläge vorangetrieben werden sollen (Erkenntnisinteresse E2, Kapitel 2.3.2343). Ausgehend von der Annahme, das Migrationsproblem sei vornehmlich außerhalb der EU verortet und deshalb auch dort am sinnvollsten und wirksamsten anzugehen, bezieht sich ein Großteil der Steuerungsvorschläge auf das Außenverhältnis der EU zu Nicht-EU-Ländern (Drittstaaten). Die Hauptlinien der EUMigrationspolitik bestehen im Wesentlichen in drei Zielsetzungen. Zu diesen zählen a) die Verhinderung von illegalen Migrationsbewegungen und die Durchführung von bestimmten Gegenmaßnahmen gegen illegale Migration und illegale Migranten, b) die (temporäre) Aufnahme von Schutzbedürftigen, und c) die Ermöglichung oder gezielte Förderung von Migration. Diese drei Hauptlinien prägen neben den migrationsbezogenen Beziehungen der EU zu Drittstaaten auch die »Migrationsinnenpolitik« innerhalb der EU, also den Vergemeinschaftungsprozess zwischen den EU-Mitgliedsländern und den EU-Gemeinschaftsinstitutionen. Damit ist bereits darauf hingewiesen, dass die Konzeption der EUMigrationspolitik und ihrer Steuerungsvorschläge auf einer charakteristischen Trennung zwischen innen und außen bzw. zwischen Binnen- und Außenbeziehungen der EU beruht. In Tabelle 6 sind zunächst die Vorschläge zusammengefasst, mit denen die EU-Gemeinschaftsinstitutionen im Binnenverhältnis der EU eine weitere Vergemeinschaftung und Supranationalisierung vorantreiben wollen (Erkenntnisinteresse E2, Kapitel 2.3.2). Tabelle 6 ist im Hinblick auf diese Vorschläge auch mit dem Begriff des »internen Migrationsregimes« überschrieben. Damit wird bereits angedeutet, dass die EU auch in ihren Außenbeziehungen (in Form einer besonderen Form der »Migrationsaußenpolitik«) an einem Migrationsregime arbeitet, das im Folgenden auch als »externes Migrationsregime« der EU bezeichnet werden könnte. Um illegale Wanderungsbewegungen zu verhindern und gegen diese vorzugehen (Tabelle 6), setzen die EU-Gemeinschaftsinstitutionen in den ausgewerteten Verlautbarungen vor allem auf die Steuerungsinstrumente des Grenzschutzes, der Visapolitik und der Prüfung von Dokumenten auf Echtheit (Dokumentensicherheit) sowie auf die Rückführung von Migranten.344

343 E2: Auffassungen der EU zur Steuerung von Migration – Steuerungsvorschläge der EU. 344 Siehe unter anderem P_003 (Punkt 42).

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Tabelle 6: Migrationspolitische Europäisierung innerhalb der EU Entwicklung und Durchsetzung verbindlicher Mindeststandards, Regeln und Vorgehensweisen in den EU-Mitgliedsstaaten (internes EU-Migrationsregime) 1) Verhinderung illegaler Wanderungsbewegungen und Gegenmaßnahmen gegen illegale Migranten

Grenzschutz entlang der EU-Außengrenze: Verbesserung der Kontrollen und Verstärkung der Grenzschutzschutzmaßen auf Basis gemeinsamer Normen und Handlungsempfehlungen Einrichtung gemeinsamer Dienststellen und Einheiten Einbindung von Transportunternehmen Gemeinsame Regeln zur Überprüfung von Dokumenten Archivieren von Fingerabdrücken und personenbezogenen Daten Visapolitik und Dokumentensicherheit: Gemeinsame konsularische Stellen Einrichtung eines Visa-Identifizierungssystems Einheitliche Regeln für die Visavergabe Gemeinsame Regeln zur Prüfung von Dokumenten Verschärfung der Visaverfahren bzw. Wiedereinführung der Visapflicht für bestimmte Herkunftsländer Rückführung: Gemeinsame Regeln für aufenthaltsbeendende Maßnahmen Gemeinsame EU-Rückkehrpolitik

2) (Temporäre) Aufnahme von Schutzbedürftigen

Flüchtlinge: Schutzgewährung im Sinne der Genfer Flüchtlingskonvention Gemeinsame Leitlinien für Asylentscheidungen und Mindestnormen für die Aufnahme von Flüchtlingen Einführung eines EU-weit anerkannten Asylstatus Verhinderung von Sekundärmigration/„Asylum shopping“ Bürgerkriegsflüchtlinge: Mindestnormen für die temporäre und subsidiäre Schutzgewährung Rückkehr: EU-Rückkehrprogramm für abgelehnte Asylbewerber und temporär Geduldete Menschenhandel: Schutz, temporärer Aufenthaltstitel und Unterstützung für die Opfer des Menschenhandels Überprüfung und Vereinheitlichung der Strafrechtsvorschriften und Strafverfolgungsmethoden in den Mitgliedsstaaten

3) Ermöglichung bzw. gezielte Förderung von Migration

Arbeitsmigration: Gemeinsame Regeln zu Aufnahme, Aufenthalt und Beschäftigungsaufnahme von Drittstaatsangehörigen (Hochqualifizierte, Saisonarbeitnehmer, bezahlte Auszubildende und innerbetrieblich/transnational versetzte Arbeitnehmer) als Instrument, um Lücken auf dem Arbeitsmarkt der EU-Staaten zu füllen. Beibehalten der „Gemeinschaftspräferenz“ Familienzusammenführung: Recht auf Zusammenleben in der Familie für legal daueraufhältige Drittstaatsangehörige Gewährung des Nachzugs von Ehepartnern und minderjährigen Kindern

Quelle: Eigene Darstellung nach Auswertung von EU-Dokumenten

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Auf der Grundlage des Abkommens von Schengen von 1985 und dem dazugehörigen Durchführungsabkommen von 1990 (Kapitel 3.1) sind neben den Mitgliedsstaaten und deren Grenzkontrollbehörden auch Transportunternehmen dazu verpflichtet, einen Teil der Kontrolle zu übernehmen, indem sie die Einreisedokumente jedes Passagiers vor dem Grenzübertritt bzw. bereits bei der Ausreise (beispielsweise vor Abflug) überprüfen.345 Die Vision eines gemeinsamen Grenzschutzes entlang der gemeinsamen EU-Außengrenzen ist Gegenstand einer Mitteilung der Europäischen Kommission aus dem Jahr 2002.346 Seit 2004 unterstützt FRONTEX (Kapitel 2.3.2) als spezialisierte Agentur der EU die in dieser Mitteilung angedachte enge operative Zusammenarbeit der Mitgliedsstaaten. Auf dem Gebiet der Visapolitik liegt bereits seit 2001 eine für alle EUMitgliedsstaaten verbindliche Liste von Drittstaaten mit Visaerfordernissen vor.347 Mit Hilfe einheitlicher EU-Regeln wollen die Europäische Kommission, der Ministerrat für Justiz und Inneres und der Europäische Rat künftig auch gemeinsame aufenthaltsbeendende Maßnahmen und konzertierte Abschiebemaßnahmen (einschließlich eines sogenannten EU-Rückkehrprogramms) der Mitgliedsstaaten durchsetzen.348 Bei der (gewaltsamen) Rückführung von illegalen Migranten oder sich »freiwillig«349 zur Rückkehr bereit erklärende Migranten, geht es der EU, so die Europäische Kommission, auch darum, »[eine] Signalwirkung für andere Illegale in den Mitgliedsstaaten und für potenzielle illegale Migranten außerhalb der EU [zu erzielen].«350

Hinsichtlich der zweiten, in den ausgewerteten Primärdokumenten festgestellten Hauptlinie der EU-Migrationspolitik – der (temporären) Aufnahme von Schutzbedürftigen – werden von der EU gemeinsame Normen und Regeln zur Aufnahme und zum Schutz von Asylsuchenden, temporär Schutz suchenden Bürgerkriegsflüchtlingen und Opfern des Menschenhandels vorgeschlagen (Tabelle 6).351 Mit der Erarbeitung und Durchsetzung einheitlicher Gesetze und Regelungen bezwecken der Europäische Rat, der Ministerrat für Justiz und Inneres und 345 346 347 348 349

Vgl. P_015. Vgl. P_016. Siehe P_017. P_005 (Absatz 2.4), P_018 und P_019. Im Zusammenhang mit der Rückführung (Abschiebung) von Migranten wird immer wieder betont, Migranten könnten auch zu einer freiwilligen Rückkehr motiviert werden könnten. Aber auch im Falle der sogenannten freiwilligen Rückkehr ist diese Rückkehr meist nicht völlig freiwillig: Die betreffenden Migranten haben lediglich die Wahl zwischen einer zwangsweise durchgeführten Abschiebung in Handschellen oder einer Rückkehr ohne Zwangsmaßnahmen. 350 P_020 (Absatz 2.2) mit eigenen Hervorhebungen. 351 Siehe unter anderem P_014 und P_021.

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die Europäische Kommission auch die »Schaffung vergleichbarer Lebensbedingungen« und eines »einheitlichen Asylstandards«.352 Neben der Verbesserung der Situation von Asylbewerbern sind diese beiden Maßnahmen auch dazu angedacht, unerwünschte Migrationsbewegungen von Asylbewerbern oder abgelehnten Antragstellern353 wirksam zu unterbinden. »Nach Ansicht der Kommission ist der Harmonisierungsbedarf im Bereich der Aufnahmebedingungen im Wesentlichen mit zwei Zielen verbunden: [1.] den Asylbewerbern gemeinschaftsweit (unabhängig von dem Mitgliedsstaat, in dem sie sich befinden) ein einheitliches Niveau der Lebensbedingungen zu bieten und [2.] Sekundärbewegungen zu vermeiden, die sich aus unterschiedlichen Bedingungen in den einzelnen Mitgliedsstaaten ergeben würden.«354

Das sogenannte »Asylum Shopping«355 wird allerdings bereits durch das Übereinkommen von Dublin (1990) wirksam verhindert (Kapitel 3.1).356 Um die sogenannte Sekundärmigration und den illegalen Verbleib abgelehnter Asylbewerber in der EU zu vermeiden, setzen die EU-Institutionen auf künftig noch schneller durchgeführte Asylverfahren und, wie im Falle der illegalen Migration, auf ein gemeinsames EU-Rückkehrprogramm aller EU-Staaten, das eine raschere Rückkehr der abgelehnten Antragsteller ermöglichen soll.357 Neben einem vehementeren Vorgehen gegen den Menschenhandel, dem unter anderem eine Überprüfung und Vereinheitlichung der in den Mitgliedsstaaten geltenden Strafrechtsbestimmungen und Strafverfolgungsmethoden dienen soll, schlägt die Europäische Kommission ein temporäres Aufenthaltsrecht für die Opfer des Menschenhandels vor. Dieses soll allerdings nur dann gewährt werden, wenn sich die Opfer von Menschenhändlern dazu bereit erklären, die Strafverfolgung der Täter durch Hinweise und Aussagen vor Gericht zu unterstützen.358 Im Hinblick auf die dritte, in Tabelle 6 genannte Hauptlinie der EU-Migrationspolitik – die Ermöglichung bzw. gezielte Förderung von bestimmten Wanderungsformen – setzt sich der Europäische Rat bereits im Text des Vertrags von Amsterdam (1997) mit Nachdruck dafür ein, zusätzliche »[...] Kanäle für die Migration aus wirtschaftlichen Gründen [...]« zu öffnen, um damit den aufgrund von Rückgang und Überalterung der Bevölkerung in den EU-Staaten entste352 P_022 (Absatz 2.4) 353 Im EU-Jargon bezeichnet als »Asylum Shopping« bzw. unerwünschte Sekundärmigrationen. 354 P_022 (Absatz 2.4). 355 Damit wird im Jargon der EU der Versuch von Asylsuchenden bezeichnet, nacheinander Asylanträge in verschiedenen (EU-) Staaten zu stellen, um damit laufende Asylverfahren in die Länge zu ziehen und die Chancen auf Anerkennung des Asylgesuchs zu erhöhen. 356 Siehe dazu auch P_023 (Punkt 8). 357 Vgl. P_022 (Absatz 2.6) und P_024 (Absatz 3.1). 358 Vgl. P_025.

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henden »[...] dringenden Bedarf [der EU] an qualifizierten wie unqualifizierten Arbeitskräften zu decken [...].«359

Vier Richtlinienvorschläge der Europäischen Kommission unterstützen diese Forderung, indem sie für die EU-Mitgliedsstaaten die Annahme gemeinsamer Normen für die Aufnahme, den Aufenthalt und die Beschäftigung von hochqualifizierten Arbeitnehmern, Saisonarbeitnehmern, bezahlten Auszubildenden sowie innerbetrieblich (und transnational) versetzten Arbeitnehmern vorschlagen.360 Bei allen vier Richtlinienvorschlägen ist allerdings unsicher, wann diese tatsächlich verabschiedet und zu Bestandteilen des geltenden Gemeinschaftsrechts der EU werden.361 Der Vertrag von Amsterdam (in Kraft seit 1999) und der 2003 in Kraft getretene Vertrag von Nizza362 sehen vor, dass die Zulassung von Arbeitsmigranten und Migranten weiterhin der Entscheidung der einzelnen EU-Mitgliedsstaaten obliegt. Außerdem gilt weiterhin die schon seit Jahren in den EU-Staaten praktizierte Gemeinschaftspräferenz, derzufolge eine Zulassung für neue Zuwanderer zum Arbeitsmarkt bzw. eine Verlängerung der Arbeitserlaubnis in der Regel nur dann gestattet wird, wenn sich für eine offene Arbeitsstelle nachweislich kein inländischer Bewerber (Staatsangehöriger des betreffenden EU-Mitgliedsstaates oder bereits aufenthaltsberechtigter Drittstaatsangehöriger) oder ein anderer EU-Bürger findet.363 In Bezug auf Drittstaatsangehörige, die zu bereits in der EU dauerhaft und legal lebenden Zuwanderern ziehen – also zu »legal dauerhaft aufhältigen« Migranten, wie es im EU-Jargon heißt – setzt sich die EU für den Schutz von Ehe und Familie ein und unterstützt daher diese Form des Zuzugs.364 359 P_005 (Absatz 3.2). 360 Diese Richtlinienvorschläge basieren auf der Annahme der Europäische Kommission, dass »[in] Bezug auf die Wirtschaftsmigration [...] die gegenwärtige Lage [...] auf den EU-Arbeitsmärkten weitgehend einem ‚Bedarfsszenario’ [entspräche und es in] einigen Mitgliedsstaaten [...] in bestimmten Wirtschaftssektoren bereits ein erhebliches Defizit an Arbeitskräften und Fertigkeiten [gäbe]«, P_001 (Absatz 1.1). 361 Einen ersten Vorstoß für eine gemeinsame Anwerbepolitik hatte die Europäische Kommission (allerdings erfolglos) bereits 2001 unternommen. Siehe P_066. 362 Im Gegensatz zum Vertrag von Amsterdam und dem neuesten EU-»Verfassungsvertrag« (Vertrag von Lissabon, unterzeichnet 2007, in Kraft seit Ende 2009) enthielt der Vertrag von Nizza (unterzeichnet 2001) keine tatsächlichen Neuerungen, was die Umsetzung einer gemeinsamen EU-Migrationspolitik anbelangt. 363 Die Europäische Kommission betont, dass die Zuwanderung »[...] keine langfristige Lösung für das Problem sinkender Geburtenraten und einer alternden Bevölkerung [...]« darstelle [P_001 (Absatz 1.2)], deshalb statt der Anwerbung von Zuwanderern solche »[...] Maßnahmen Vorrang haben [müssten], die mehr EU-Bürger und rechtmäßig [bereits innerhalb der EU] aufhältige Migranten in Arbeit bringen [...].« Es soll also auch in Zukunft weiter nach dem Prinzip der Gemeinschaftspräferenz verfahren werden. 364 Seit 2003 besteht eine für alle EU-Mitgliedsstaaten geltende Richtlinie, die allen auf Dauer innerhalb der EU lebenden Migranten mit legalem Aufenthaltsstatus das Recht zugesteht, den Ehepartner und minderjährige Kinder in die EU nachzuholen: vgl. P_026.

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Parallel zur Harmonisierung der EU-Migrationspolitik innerhalb der EU und zwischen den EU-Mitgliedsstaaten engagieren sich der Europäische Rat, der Ministerrat für Justiz und Inneres und die Europäische Kommission allerdings auch in den Außenbeziehungen der EU. Die Gemeinschaftsinstitutionen arbeiten dabei auf eine Externalisierung und Exterritorialisierung der Migrationssteuerung hin. Externalisierung meint diesbezüglich, dass Steuerungsvorschläge und -aufgaben durch die EU an Nicht-EU-Akteure übertragen werden, also beispielsweise an spezialisierte internationale Regierungsorganisationen. Exterritorialisierung bezeichnet einen eng damit verknüpften Prozess, und zwar eine räumliche Verlagerung von Steuerungsaufgaben in das Territorium anderer Länder – also beispielsweise in Staaten außerhalb der EU, in die sogenannten Drittstaaten. Die Forschung zur EU-Migrationspolitik hat sich bisher vor allem mit dem Prozess der »EU-internen« Europäisierung der nationalen Migrationspolitik in den Mitgliedsländern beschäftigt (Kapitel 2.3.1). In Bezug auf die (Außen-)Wirkungen der EU-Migrationspolitik auf Drittstaaten besteht dagegen noch ein großer Forschungsbedarf.365 Untersucht man die Dokumente der EU zu Migrationspolitik, so ist bereits auf ersten Blick erkennbar, dass bei der Steuerung von Migration gerade der Verzahnung der Externalisierung und Exterritorialisierung von Steuerungsmaßnahmen eine wesentliche Bedeutung zugemessen wird, weshalb diese Verzahnung dringend zu untersuchen wäre. Wie bereits in Kapitel 3.2.2 festgestellt wurde, ist es nach Aussage der EU logischer und wirksamer, dort steuernd einzugreifen, wo das Migrationsproblem in erster Linie verortet ist.366 Richtigerweise müsste man sagen: es erscheint erst deshalb logisch dort steuernd einzugreifen, weil die EU das Steuerungsproblem zuvor selbst in gezielter Weise dort verortet hat. Genauso wie die EU-Gemeinschaftsinstitutionen für die EU und ihre Mitgliedsstaaten Vorschläge zu einer weiteren Vergemeinschaftung der Migrationspolitik entwickeln (Tabelle 6), schlagen sie auch für die außerhalb der EU liegenden Drittstaaten – die sogenannten »Partnerländer«367 der EU – bestimmte Steuerungsmaßnahmen vor (Tabelle 7). Diese orientieren sich an den gleichen, zuvor bereits vorgestellten Hauptlinien der EU-Migrationspolitik.

365 Dieser Hinweis findet sich auch in Lavenex/Uçarer (2002b: 12). 366 Vgl. im Folgenden: Funktion/Rolle des Raumes in Bezug auf Erkenntnisinteressen E1 und E2. 367 P_027 (Punkt 33) oder P_028 (Punkt 19).

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Tabelle 7: Migrationspolitische Europäisierung außerhalb der EU Entwicklung von Steuerungsvorschlägen für die Herkunfts- und Transitländer zur Externalisierung und Exterritorialisierung von Migrationssteuerung (Aufbau eines „externen EU-Migrationsregimes“) 1) Verhinderung illegaler Wanderungsbewegungen und Gegenmaßnahmen gegen illegale Migranten

Wirtschaftspolitik: Intensivierung der wirtschaftlichen Zusammenarbeit Erleichterung von Rücküberweisungen und Investitionen etc. zum Abbau von Wohlstandsgefällen und Armut Instrumentalisierung der Auslandsdiaspora (Unterstützung temporärer und permanenter Rückkehr) Good governance und Kapazitätsaufbau: Reform der Verwaltungsstrukturen und Überprüfung von Gesetzen und Vorschriften in den Herkunfts- und Transitländern Übernahme des EU-/Schengen Acquis (Beitrittskandidaten) Schulungen, Finanzierungshilfen und technische Unterstützung Verstärkung der Grenzschutzschutzmaßen Engagierte(re) Maßnahmen zur Bekämpfung des Menschenhandels Einbeziehung von Transportunternehmen in Kontrollmaßnahmen Informationskampagnen: Aufklärung von Regierung und Bevölkerung in Herkunfts- und Transitländern über Gefahren der illegalen Migration und des Menschenhandels Migrationsklausel und Rückkehrpolitik: Verpflichtung der Herkunfts- und Transitländer auf die Ziele wirksamer und gemeinsamer Migrationssteuerung Abschluss bilateraler Rückführungsabkommen Logistische Unterstützung der EU-Staaten bei der Rückführung

2) (Temporäre) Aufnahme von Schutzbedürftigen

Flüchtlinge und Bürgerkriegsflüchtlinge: Übernahme von internationalen und EU-Standards Kapazitätsausbau mit EU-Hilfe (Temporäre) Schutzgewährung und Prüfung von Asylanträgen außerhalb der EU (regionale Schutzprogramme) Rückkehr: Abschluss bilateraler Rückübernahmeabkommen zur Rückkehr von illegalen Migranten, abgelehnten Asylbewerbern und temporär Geduldeten Rückübernahme und Schutzgewährung der Opfer von Menschenhandel in den Herkunftsländern EU-Niederlassungsprogramm: Niederlassungsmöglichkeit für eine begrenzte Zahl anerkannter Asylbewerber in den EU-Staaten (verknüpft mit regionalen Schutzprogrammen)

3) Ermöglichung bzw. gezielte Förderung von Migration

Arbeitsmigration: Bilaterale Abkommen der EU zur Rekrutierung von Arbeitsmigranten (eventuell mit Länderquoten) Informationsstellen und Ausbildungszentren in den Herkunftsländern Ermöglichung temporärer und zirkulärer Migration Vermeidung von „brain drain“

Quelle: Eigene Darstellung nach Auswertung von EU-Dokumenten

Zur Vermeidung und Bekämpfung von unerwünschten Wanderungsbewegungen sind, wie während des Treffens des Europäischen Rates von Sevilla (2002) vor129 12:08:22.

geschlagen, vor allem gezielte wirtschaftspolitische Maßnahmen angedacht, mit denen der Wohlstand in den Herkunfts- und Transitländern gefördert werden soll, um »[...] dadurch die den Migrationsströmen zugrunde liegenden Ursachen [...]«368 von Migration abzubauen. Außerdem sollen Rücküberweisungen erleichtert, sicherer und kostengünstiger gemacht werden. Unterstützung erhofft man sich auch von einer stärkeren Einbeziehung der Auslandsdiaspora (das heißt der im Ausland lebenden Migranten) in spezielle wirtschafts- und entwicklungspolitische Maßnahmen.369 Geht es nach dem Willen der Europäischen Kommission, so soll es Angehörigen der Auslandsdiaspora künftig leichter möglich sein, zeitlich befristet wieder ins Heimatland zurückzukehren, um dort Hilfe beim Wiederaufbau bzw. bei Wirtschafts- und Entwicklungsprojekten zu leisten.370 Aber auch die endgültige Rückkehr von Migranten zur Unterstützung der Entwicklung ihrer Herkunftsländer wird im Rahmen einer künftigen EU-Rückkehrpolitik angedacht. Zusätzlich regen die EU-Gemeinschaftsinstitutionen an, in den Außenbeziehungen der EU auch auf dem Gebiet der Migrationspolitik auf die Durchsetzung einer guten und effektiven Regierungsführung (Good Governance) zu achten und hinzuarbeiten.371 Mit dem Ziel, unerwünschte Wanderungen zu vermeiden und zu bekämpfen, will die EU die Reform der bisher für Migration zuständigen staatlichen Institutionen und Verwaltungsstrukturen unterstützen und die kooperierenden Drittstaaten zu einer Überprüfung und, falls nötig, auch zu einer Reform der bestehenden migrationsbezogenen Gesetze, Vorschriften und Verfahrensweisen veranlassen. Doch auch der Schutz der Menschenrechte, bürgerlichen Grundrechte und Freiheiten ist für die EU ein wichtiges Ziel, schließlich sieht sie neben wirtschaftlichen Gründen auch politische Motive als Auslöser für Wanderungsprozesse. Von den Drittstaaten, die eine engere bilaterale Beziehung mit der EU eingehen möchten, verlangen die EU-Gemeinschaftsinstitutionen zudem eine weitgehende Angleichung (Harmonisierung) an die Standards der EU, das heißt die Vorgaben des geltenden Schengen- bzw. EU-Acquis. Für die künftigen Mitgliedsländer und Beitrittskandidaten der EU ist die Übernahme dieser EURegelungen sogar Pflicht (Kapitel 3.1). Um den Aufbau EU-ähnlicher und EU-konformer Verwaltungsstrukturen, Normen und Praktiken in den Herkunfts- und Transitländern von Migration voranzubringen, stellen die Gemeinschaftsinstitutionen der EU den betreffenden Drittstaaten spezielle Schulungen/Trainingsangebote, Finanzierungshilfen und technische Unterstützungsleistungen in Aussicht. Einen Schwerpunkt bildet die 368 369 370 371

P_027 (Punkt 33). Vgl. beispielsweise P_029 (Absatz 2.2). Siehe P_005 (Absatz 2.1) und P_029. Vgl. hierzu und im Folgenden unter anderem P_008 (Absatz 8.2).

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Verbesserung des Grenzschutzes der Drittstaaten.372 Die EU betont diesbezüglich erneut das partnerschaftliche Element im Rahmen ihrer »Migrationsaußenpolitik«: Zuerst gelte es, »[...] im Vorfeld der Außengrenze [...]« in gemeinschaftlicher Zusammenarbeit die drohenden »Risiken« festzustellen, bevor sie dann gemeinsam anzugehen seien.373 Mit Hilfe von gezielten Informationskampagnen verfolgt die EU das Ziel, sowohl die Regierungen als auch die Bevölkerung von besonders problematischen Herkunftsländern zu erreichen und diese mit Hilfe von Broschüren, TV-Spots und Plakaten über die Gefahren illegaler Migration und des Menschenhandels aufzuklären. Verbunden mit diesen Kampagnen ist die Hoffnung, dass seitens der Regierungen der Drittstaaten der Wille zur migrationsbezogenen Kooperation mit der EU wächst, während in der Bevölkerung der betreffenden Länder zugleich ein öffentliches Bewusstsein für internationale Migration und die damit (eventuell) verbundenen Gefahren geschaffen wird.374 Mit dem Ziel, die Drittstaaten zu einer engen, auf die Steuerung von Migration angelegten Partnerschaft mit der EU zu bewegen, sehen die Gemeinschaftsinstitutionen der EU auch eine sogenannte Migrationsklausel vor, die in alle künftig zwischen der EU und Drittstaaten geschlossenen Verträge aufgenommen werden soll. Dieser Vorschlag liegt seit den Treffen des Europäischen Rates von Sevilla (2002) und Thessaloniki (2003)375 vor und findet sich mittlerweile, teils in abgeschwächter und vorsichtiger formulierter Form, in vielen EU-Dokumenten wieder, die seit 2002 entstanden sind. »Der Europäische Rat ist der Ansicht, dass die Beziehungen zu den Drittländern, die nicht zur Zusammenarbeit bei der Bekämpfung der illegalen Einwanderung bereit sind, systematisch evaluiert werden müssen [...]. Eine unzureichende Zusammenarbeit seitens eines Landes könnte einer Intensivierung der Beziehungen zwischen dem betreffenden Land und der Union abträglich sein.«376 »Wurden die bestehenden gemeinschaftlichen Mechanismen ausgeschöpft, ohne dass ein Ergebnis zu verzeichnen ist, so kann der Rat einstimmig eine nicht gerechtfertigte mangelnde Kooperation eines Drittlandes bei der gemeinsamen Steuerung der Migrationsströme feststellen. In diesem Fall kann der Rat im Einklang mit den Verträgen und unter Einhaltung der vertraglichen Verpflichtungen der [Europäischen] Union Maßnahmen oder Standpunkte im Rahmen der Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik und anderer Politiken der Europäischen Union annehmen, ohne dabei die Ziele der Entwicklungszusammenarbeit zu gefährden.«377

372 373 374 375 376 377

Vgl. P_005 (Absatz 2.1) und P_008 (6). P_016 (37). Siehe zudem P_016 (38). Siehe beispielsweise P_013 (Part III; 1). Vgl. P_027 (Punkt 33) und P_028 (Punkt 19). P_027 (Punkt 34) mit eigenen Hervorhebungen. P_027 (Punkt 36) mit eigenen Hervorhebungen.

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Im zweiten Zitat wird sogar ein Mechanismus genannt, demzufolge der Rat der EU (gemeint ist der Ministerrat für Justiz und Inneres) einstimmig die mangelnde Kooperation eines Drittstaates feststellen muss, um im nächsten Schritt dann über geeignete Maßnahmen zu entscheiden oder im Namen der EU bestimmte Standpunkte (Stellungnahmen) zu verfassen. Während im ersten Textbeleg unklar bleibt, wie die Gegenmaßnahmen der EU aussehen könnten, ist im zweiten Textbeleg der Vermerk zu finden, dass diese Maßnahmen oder Sanktionen in allen Politikbereichen durchgeführt bzw. verhängt werden könnten. Ausgenommen sei lediglich die Entwicklungszusammenarbeit.378 Die EU wirkt also auf eine strenge Konditionalisierung der bilateralen Beziehungen zu Drittstaaten hin: Tragen Drittstaaten nicht ausreichend zur Steuerung von Migration bei, so drohen ihnen empfindliche Sanktionen, wie beispielsweise das Aussetzen der Zusammenarbeit in bestimmten Politikbereichen. Dem Thema Migrationssteuerung wird in den Außenbeziehungen der EU also eine erhebliche Bedeutung zugewiesen. Gleichzeitig wird deutlich, dass kaum von einer freiwilligen Kooperation der Drittstaaten die Rede sein kann. Im Rahmen der Partnerschaft mit den Herkunfts- und Transitländern von Migranten fordert die EU von den wichtigsten Herkunfts- und Transitländern (darunter auch die drei Untersuchungsländer dieser Arbeit, Kapitel 3.2.4 und 5.3.5) unter anderem den Abschluss eines bilateralen Rückführungsabkommens. Dieses Abkommen soll neben den Staatsangehörigen der Unterzeichnerstaaten auch illegale Migranten anderer Staaten einschließen, die vor ihrem Aufgriff in der EU als Transitmigranten nachweislich das Territorium des Unterzeichnerstaates durchquert haben.379 Eine enge »Solidarität« mit den Herkunfts- und Transitländern von Migranten wird in den ausgewerteten Dokumenten auch hinsichtlich der Aufnahme von Schutzbedürftigen – der zweiten Hauptlinie der EU-Migrationspolitik (Tabelle 7) – bekundet: »Jeder neue Ansatz [soll] sich auf ein System der echten Lastenteilung innerhalb der EU und mit den Aufnahmedrittländern stützen, statt die Lasten auf diese [Aufnahmedrittländer] abzuwälzen.«380

Obwohl die Europäische Kommission in dieser Textpassage behauptet, die EU wolle mit ihren Bemühungen einer Externalisierung und Exterritorialisierung der Migrations- bzw. Asylpolitik die Aufgabe der Aufnahme und Schutzgewährung von Zufluchtsuchenden nicht auf die Drittstaaten abwälzen, sondern auf eine 378 In den Schlussfolgerungen des Treffens des Europäischen Rates in Sevilla (2002) [P_027] ist eine strenge Konditionalisierung der Entwicklungszusammenarbeit unter Maßgabe der Kooperation auf dem Gebiet der Migrationssteuerung angedacht. In den EU-Verlautbarungen, die nach diesem Treffen entstanden sind, ist dagegen der Bereich der Entwicklungszusammenarbeit explizit ausgenommen. 379 Vgl. P_005 (Absatz 2.4). 380 P_024 (5) mit eigenen Hervorhebungen.

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»echte Lastenteilung« innerhalb der EU und mit den Aufnahmedrittländern hinarbeiten, steht in einer anderen Verlautbarung etwas ganz anderes. Bekundet wird im folgenden Zitat das Ziel, die Frage der Schutzgewährung künftig in »[...] den politischen Dialog mit Drittstaaten, die Prüfung der Strategiepapiere der Länder und Regionen sowie die Programmplanung und Steuerung der Gemeinschaftshilfe zu integrieren [...] Durch [die] Aufnahme des Asyls in diese [Länder-/Regionalen Strategie-] Papiere [...] sollte eine uneingeschränkte Einbindung und Verpflichtung des betreffenden Landes oder der jeweiligen Region [...] gewährleistet sein.«381

Diese Formulierungen klingen sehr nach einer weiteren, nun dezidiert aber für den Teilbereich der Asyl- und Flüchtlingspolitik abgefassten Migrationsklausel. Diese Klausel ist ebenfalls zur Konditionalisierung der bilateralen Zusammenarbeit nach Maßgabe der Kooperation der Drittstaaten auf dem Gebiet der Migrationssteuerung angedacht. Mit ihr verfolgt die EU unter anderem das Anliegen, die Prüfung von Asylanträgen und die Schutzgewährung künftig zu weiten Teilen außerhalb der EU durchzuführen, möglichst in der direkten Nachbarschaft zu den Krisenherden und Herkunftsländern von Schutzsuchenden. Die EU will zu diesem Zweck den kooperierenden Drittstaaten, die sich bereit erklären, in ihrem Territorium Flüchtlinge aufzunehmen und die EU damit bei der Prüfung von Asylanträgen und Aufnahme von Flüchtlingen entlasten, im Rahmen einer gemeinschaftlichen »[...] Suche nach dauerhaften Lösungen in Solidarität mit den Drittländern [...]«382 angemessene politische, finanzielle und technisch-logistische Hilfen zukommen lassen. Dazu sollen unter anderem sogenannte »Regional Protection Programmes« (regionale Schutzprogramme) dienen.383 Mit diesen Programmen soll die »lokale Schutzkapazität«384 von Drittstaaten mittels effizienterer Verfahren zur Festsstellung des Flüchtlingsstatus und durch die Schaffung besserer Aufnahme- und Integrationsbedingungen erhöht werden. Parallel ist dazu ein sogenanntes EU-Neuansiedlungsprogramm (EU-Resettlement Programme) angedacht. Dieses soll einen Teil der in den Drittstaaten als asylberechtigt befundenen Personen in die EU-Staaten umsiedeln, um die mit der EU kooperierenden Drittstaaten nicht mit der Aufnahme und Schutzgewährung von Asylsuchenden und Flüchtlingen alleine zu lassen.385 Mit Hilfe ihrer Steuerungsvorschläge für Drittstaaten will die EU in gewissem Umfang auch erwerbsorientierte Arbeitskräftewanderungen in die EU ermöglichen (Tabelle 7), und damit zugleich auch

381 382 383 384 385

P_011 (Absatz 2.3) mit eigenen Hervorhebungen. P_011 (Absatz 2.3). Vgl. P_030. Vgl. unter anderem P_030 und P_031. Siehe P_011 (Absatz 6.1.1).

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»[...] die positiven Wirkungen der Einwanderung für die [Europäische] Union, für die Migranten und für die Herkunftsländer [...] maximieren.«386

Die Europäische Kommission will dazu in der Zukunft im Auftrag ihrer Mitgliedsstaaten bilaterale Anwerbeabkommen mit Drittstaaten aushandeln und abschließen.387 Angedacht ist diesbezüglich auch, dass die Europäische Kommission und andere EU-Institutionen in bestimmten Drittstaaten spezielle Informationsstellen, Arbeitsagenturen und eventuell sogar Ausbildungszentren einrichten könnten, in denen Personen mit Migrationsabsicht ermöglicht würde, bereits vor ihrer Einreise und Zuwanderung in eines der EU-Mitgliedsländer einen Integrations- und Sprachkurs oder auch eine Ausbildung zu absolvieren.388 Die Europäische Kommission regt in diesem Zusammenhang außerdem an, stärker als bislang Möglichkeiten der legalen, zeitlich aber beschränkten (temporären) Zuwanderung in die EU zu eröffnen und Migranten die Gelegenheit zu geben, zwischen der EU und dem Herkunftsland zu »pendeln« (zirkuläre Migration), sofern es sich bei den betreffenden Migranten um dringend benötigte Arbeitskräfte handelt.389 Offen bleibt aber die Frage, mit welchen Maßnahmen verhindert werden soll, dass aus temporären und zirkulären Migranten irgendwann schließlich doch permanente Migranten, also dauerhaft aufhältige Drittstaatsangehörige werden. Interessanterweise spricht die Europäische Kommission in Bezug auf dieses Problem selbst von einer »[...] in vielen Fällen nicht realistisch[en]« und haltbaren Annahme, man könne eine dauerhafte Niederlassung mit gesetzgeberischen Maßnahmen verhindern. Im gleichen Zusammenhang findet sich auch eine, in den anderen untersuchten Dokumenten so nicht enthaltene Aussage, in der die Europäische Kommission darüber aufzuklären versucht, dass die demographische Entwicklung in der EU demnächst statt einer temporären auch eine unbefristete Zuwanderung erfordern werde: »[...] die Erfahrungen der letzten Jahre mit Migration [haben] gezeigt, dass es äußerst schwierig ist, eine auf Zeit angelegte Zuwanderung umzusetzen, denn Menschen, die bleiben wollen, finden häufig einen Weg. Zudem sollte nicht vergessen werden, dass es gegebenenfalls etwas Zeit braucht, bis sich die Zuwanderer integriert haben und einen Beitrag zum Arbeitsmarkt leisten können, und dass die für die kommenden Jahre erwarteten de-

386 P_005 (Zusammenfassung). 387 Vgl. P_009 (Absatz 1.3 und Absatz 1.4). Manchen Drittstaaten könnten dabei auch besondere Präferenzquoten eingeräumt werden. 388 Vgl. P_001 (5). 389 Vgl. P_029 (Absatz 2.3) und P_032 (Einleitung; 3).

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mographischen Verwerfungen weitgehend nur über eine unbefristete Zuwanderung ausgeglichen werden können.«390

Im Hinblick auf die Anwerbung von temporären und zirkulären oder vielleicht sogar auf Dauer einreisenden Migranten schlägt die Europäische Kommission einen neuen Grundsatz für die Steuerung der Arbeitsmigration vor: Bei jeder Neuanwerbung von Arbeitsmigranten soll künftig geprüft werden, ob dieser Rückgriff auf die Arbeitskraftressourcen des Herkunftslandes dem betreffenden Staat und seiner Ökonomie schadet. Die EU möchte negative Effekte für die Herkunftsländer, beispielsweise in Form des »Brain Drains«, das heißt des Entzugs von im Heimatland selbst dringend benötigten, gut ausgebildeten und hochqualifizierten Fachkräften in kritischen Sektoren wie etwa dem Gesundheitssektor, wenn möglich vermeiden.391 Diese Selbstverpflichtung der Europäischen Union zur »[...] Prüfung der Effekte von Emigration für die Herkunftsländer [...]« lässt sich allerdings auch als ein Steuerungsinstrument gegen unerwünschte Migrationsbewegungen verstehen. Unter dem Vorwand, negative Effekte für die Herkunftsländer vermeiden zu wollen, ließe sich prinzipiell jederzeit auch eine (weitere) Beschränkung der Zuwanderung begründen.

3.2.4 Einschätzungen und Steuerungsvorschläge zu den Untersuchungsländern Mit dem Wanderungsgeschehen in Albanien beschäftigten sich die Länder- und Fortschrittsberichte der EU erst seit 2001; dies ist erstaunlich, weil Albanien bereits in den 1990er Jahre außerordentlich stark durch illegale Wanderungsbewegungen gekennzeichnet war (Kapitel 5.1).392 In den folgenden Textpassagen, die den Berichten der Europäischen Kommission der Jahre 2001 und 2006 entnommen sind, macht die Europäische Kommission deutlich, dass sie um die Wande390 P_002 (Absatz 2.4). Im Hinblick auf den demographischen Wandel macht die Europäische Kommission in ihrem strategischen Plan zur legalen Zuwanderung allerdings deutlich, dass die Zuwanderung von Ausländern »[...] keine langfristige Lösung für das Problem sinkender Geburtenraten und einer alternden Bevölkerung [...]« darstelle: P_001 (Absatz 1.2). Die Zuwanderung von Arbeitskräften kann in den kommenden Jahrzehnten die Lage auf den Arbeitsmärkten höchstens in einzelnen Segmenten stabilisieren oder entspannen; der Bevölkerungsrückgang und die Alterung der Bevölkerung lassen sich durch Zuwanderung alleine aber kaum beeinflussen. 391 Siehe dazu beispielsweise P_005 (Absatz 2.1) und P_029 (Absatz 2.4). 392 Vgl. die im Rahmen des »Regional Approach« und des SAP entstandenen Primärdokumente P_033 bis P_059, Anhang A1. Vor dem Jahr 2001 wird Migration tatsächlich nur einmal (im April 1999) durch die Europäische Kommission angesprochen: Ohne den albanischen »Exodus« der 1990er Jahre auch nur mit einem Wort zu erwähnen, wird die albanische Regierung für ihre »konstruktive Haltung« und Bereitschaft gelobt, nach dem neuerlichen Konflikt zwischen dem Kosovo und Serbien knapp 20.000 Flüchtlinge aufzunehmen [P_036 (Absatz 5.5)].

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rungssituation in Albanien äußerst besorgt ist (Erkenntnisinteresse E1, Kapitel 2.3.2393). Sie bezeichnet das direkt zum EU-Mitgliedsland Griechenland benachbarte Land als ein wichtiges Herkunfts- und Transitland von illegalen Migranten, ein Durchgangsland für Asylsuchende und ein wichtiges »Quellgebiet« und »Transitzentrum« des Menschenhandels. »Albanien ist sowohl Quellgebiet als auch Transitzentrum des Menschenhandels [...]. Die illegale Einwanderung [von Albanern in die EU] und der Waffenhandel sind [...] Bereiche, die bei der EU Besorgnis wecken [...].«394 »Illegal migration to Greece still remains a concern [...] Albania continues to be a transit country for economic migrants, asylum seekers and trafficked persons [...] Trafficking through Albania’s borders with its Western Balkan neighbours remains problematic.«395

Mit Hilfe von räumlichen Verweisen zeichnete die Europäische Kommission in ihren Fortschrittsberichten gewissermaßen ein Bild der Wanderungsproblematik Albaniens und wies dabei auch auf eine besondere »Raumlage« Albaniens – als Ausgangs- und Durchgangsort für Migration in Richtung der EU – hin. Deutlich erkennbar ist der Versuch, das Wanderungsproblem außerhalb der EU – eben in Albanien – zu verorten und gewissermaßen auch dort verortet zu halten, und im Anschluss daran die Bedrohung für die EU, das EU-Mitgliedsland Griechenland und andere benachbarte Länder (Western Balkan Neighbours) deutlich zu machen. In einem anderen Bericht der Europäischen Kommission wurde Albanien zusammen mit den anderen Staaten des westlichen Balkans396 – wegen seiner besonderen »Raumlage« in direkter Nachbarschaft zu den beiden EU-Staaten Italien und Griechenland – auch als »[...] eines der Einfalltore in die Europäische Union für kriminelle Aktivitäten, illegale Einwanderung und andere Bedrohungen [...].«397

bezeichnet. Die Europäische Kommission berichtete zudem, dass der westliche Balkan »[...] einen ständigen Wegzug von Menschen [...]« verzeichne – von Emigranten, »[...] die ihr Glück anderswo versuchen [...]«398 – Damit machte sie unmissverständlich klar, dass die EU wachsam sein sollte, was das Wanderungsgeschehen im westlichen Balkan anbelangt. Im Fall von Bosnien-Herzegowina befasste sich die Europäische Kommission in ihren Berichten bis 2001 ausschließlich mit der Rückkehr der Flüchtlinge und Vertriebenen nach Bosnien-Herzegowina. Die Rückkehr und Entschädigung der 393 394 395 396

Vgl. E1: Wahrnehmung des Phänomens internationale Migration durch die EU. P_042 (Zusammenfassung) mit eigenen Hervorhebungen. P_058 (Absatz 4.3.5 und Absatz 4.3.1) mit eigenen Hervorhebungen. Im EU-Jargon fallen unter diesen Begriff Albanien und alle Nachfolgestaaten des früheren Jugoslawiens mit Ausnahme Sloweniens. 397 P_046 (Absatz 1.1) mit eigenen Hervorhebungen. 398 P_046 (Absatz 2.2.) mit eigenen Hervorhebungen.

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durch den Bürgerkrieg aus dem Gebiet des heutigen Bosnien-Herzegowinas geflohenen und vertriebenen Personen zählte zu den wichtigsten Zielen des Friedensvertrags von Dayton (1995).399 Selbst im Jahr 2005 war die Rückkehr der Flüchtlinge und Vertriebenen im Länderbericht zu Bosnien-Herzegowina deshalb noch ein wichtiges Thema. Nach Aussage der Europäischen Kommission war der Rückkehrprozess auch zehn Jahre nach Kriegsende noch nicht abgeschlossen; angeblich stehe die Rückkehr von knapp einer halben Million Menschen noch aus.400 Im Länderbericht des Jahres 2001 wurde dann erstmals auch im Fall von Bosnien-Herzegowina über ernste Probleme mit der illegalen Migration und dem Menschenhandel berichtet.401 Im Unterschied zu Albanien wurde Bosnien-Herzegowina durch die Europäische Kommission allerdings nicht als ein Herkunftsland illegaler Migranten angesprochen, sondern vornehmlich als ein Transitland, über das Staatsangehörige anderer Länder illegal in die EU gelangen. Außerdem bezeichnete die Europäische Kommission Bosnien-Herzegowina als ein wichtiges Transit- und sogar »Zielland« des internationalen Menschenhandels. »A further worrying phenomenon is the trafficking of women and children for sexual exploitation. Often, victims transit; others remain [in Bosnia and Herzegovina], working illegally or with corruptly issued documentation.«402 »[Bosnia and Herzegovina] has been both a transit country for illegal migration towards western Europe and a destination for victims of trafficking from countries further to the east.«403

In den untersuchten Länderberichten wurde also, wie diese exemplarisch ausgewählten Textpassagen belegen, der Eindruck erzeugt, in Bosnien-Herzegowina sei das Migrationsproblem verortet und das Land besäße eine besondere »Raumlage« (zwischen »Westeuropa« und »noch weiter im Osten«), weswegen es hinsichtlich des Wanderungsgeschehens in Bosnien-Herzegowina aufmerksam zu sein gelte.

399 Das »General Framework Agreement for Peace« findet sich unter anderem auf folgender Internetseite: http://avalon.law.yale.edu/subject_menus/daymenu.asp (20.11.2009). 400 P_055 (Absatz 1.4) mit eigenen Hervorhebungen; diese hohe Zahl ist zu bezweifeln, da zehn Jahre nach Kriegsende nicht mehr davon ausgegangen werden kann, dass alle der einst ins Ausland geflohenen oder vertriebenen Menschen auch tatsächlich zurückkehren wollen. 401 Vgl. E1: Wahrnehmung des Phänomens internationale Migration durch die EU. 402 P_045 (Absatz 4.4.4) mit eigenen Hervorhebungen. 403 P_048 (Absatz 4.4.1) mit eigenen Hervorhebungen. Der Umstand, dass Bosnien-Herzegowina Menschenhändlern als Zielland dient, wird meist mit der starken Präsenz ausländischer Truppen – und damit möglichen Klienten von (Zwangs-)Prostitutierten – und mit einer unzureichende Strafverfolgung begründet: Interviews in Bosnien-Herzegowina, vgl. Anhang A3.

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Im Hinblick auf die Ukraine kann man feststellen, dass dieses Land bereits in den frühen 1990er Jahren in verschiedenen Verträgen und Verlautbarungen mit der EG als ein wichtiges Herkunfts- und Transitland der illegalen Migration angesprochen worden ist. Das erste Vertragswerk zwischen der EG und der Ukraine, das sogenannte Partnerschafts- und Kooperationsabkommen von 1994, enthielt deshalb bereits den Aufruf, dass man gemeinsam gegen die illegale Migration vorgehen müsse.404 2004 äußerte sich die Europäische Kommission in ihrem ersten, im Rahmen der ENP entstandenen Länderbericht zur Ukraine zusätzlich auch über das große Ausmaß des Menschenhandels besorgt: »Eine erhebliche Anzahl von Frauen ohne wirtschaftliche Alternative sind Opfer von Menschenhandel zum Zweck sexueller Ausbeutung.«405

Auch das Thema der illegalen (Transit-)Migration galt nach Ansicht der Europäischen Kommission weiterhin als ein großes Problem der Ukraine. Die Europäische Kommission wies in diesem Zusammenhang darauf hin, dass sich auch die Ukraine für eine wirksamere Steuerung der Migration einsetzen müsse – auch deshalb weil in der Ukraine selbst bis zu sechs Millionen illegale Migranten vermutet werden könnten. Die Ukraine besitze, so die Europäische Kommission, ebenfalls eine besondere »Raumlage«; ausgehend von den verwendeten räumlichen Verweisen könnte man die Ukraine als eine »Migrationsdrehscheibe« zwischen dem westlichen und östlichen Europa bzw. Europa und Asien bezeichnen. »In terms of the migration situation, Ukraine is both a source [...] and a transit country for illegal migrants to the EU. [...] Migrants to Ukraine come not only from neighbouring countries such as Russia, Moldova and Belarus but also from Asian countries such as China, Pakistan and Vietnam. Estimates regarding the total number of illegal migrants vary widely; [in Ukraine] there could be as many as 6 million.«406

Wie in den ausgewerteten Berichten und Verlautbarungen der EU407 deutlich wird, sahen die Europäische Kommission und die anderen Gemeinschaftsinstitutionen der EU ihre drei (süd-)osteuropäischen Partnerländer Albanien, BosnienHerzegowina und Ukraine zwischen 1999 und 2005 vor einer großen Zahl von migrationsbezogenen Problemen oder Herausforderungen stehen. Die Europäische Kommission betonte dabei in ihren Länderberichten, dass die Migrationsprobleme dort – in Albanien, Bosnien-Herzegowina und der Ukraine – automatisch auch Probleme für das hier – also für die EU und ihrer Mitgliedsstaaten seien. Die Regierungen von Albanien, Bosnien-Herzegowina und der Ukraine wurden von ihr allerdings als zu schwach und zu wenig vorbereitet befunden, um 404 P_060 (Article 27). Vgl. E1: Wahrnehmung des Phänomens internationale Migration durch die EU. 405 P_061 (Absatz 2.4) mit eigenen Hervorhebungen. 406 P_062 (Annex 5) mit eigenen Hervorhebungen. 407 Vgl. Primärdokumente P_033 bis P_065, Anhang A1.

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mit den verschiedenen migrationsbezogenen Herausforderungen selbstständig und alleine umgehen zu können (Erkenntnisinteresse E2, Kapitel 2.3.2). Um die Migrationsprobleme dennoch bereits dort – im Vorfeld der EU-Außengrenze – in Griff zu bekommen, schlugen die Europäische Kommission, der Ministerrat für Justiz und Inneres und der Europäische Rat für Albanien, BosnienHerzegowina und die Ukraine deshalb eine umfangreiche Liste von Steuerungsmaßnahmen vor (Tabelle 8, folgende Seite). Diese Liste liest sich in Hinblick auf die drei genannten Länder allerdings annähernd gleich. Offensichtlich lag der Europäischen Kommission und den anderen Gemeinschaftsinstitutionen der EU wenig daran, in den Berichten, Empfehlungen und Beschlüssen zu Albanien, Bosnien-Herzegowina und der Ukraine tatsächlich länderspezifisch vorzugehen, also für jedes Untersuchungsland und dessen individuelle »Migrationsproblematik« speziell gefasste Steuerungsvorschläge zu entwickeln. Die in Tabelle 8 enthaltenen Vorschläge decken sich außerdem mit den allgemein für die Außenbeziehungen zu Drittstaaten entwickelten Ansätzen (Kapitel 3.2.3), sie sind deshalb auch kaum als regional- oder länderspezifisch zu bezeichnen.408 Wie generell allen Drittstaaten gegenüber empfohlen, schlossen die Vorschläge der EU die Aufforderung ein, die Regierungen von Albanien, Bosnien-Herzegowina und der Ukraine hätten ihre national bisher geltenden Bestimmungen zu Migration (einschließlich Grenzverwaltung, illegaler und legaler Migration, Menschenhandel und Asyl) nach Maßgabe des EU-Acquis und anderer internationaler Normen oder Vereinbarungen zu prüfen, und wenn nötig auch zu reformieren. Die Forderung nach einem Ausbau des Grenzschutzes zählt wie der Aufruf zu einem entschiedenen oder sogar entschiedeneren Vorgehen gegen die illegale (Transit-)Migration und den Menschenhandel ebenfalls zu den Hauptinteressen der EU-»Migrationsaußenpolitik« (Kapitel 3.2.3). Genauso verhält es sich mit dem Vorschlag, in Albanien, Bosnien-Herzegowina und der Ukraine die Schutzkapazitäten bzw. Aufnahmemöglichkeiten für Asylsuchende auszubauen,

408 Da die Ukraine üblicherweise einer anderen Region (der Europäischen Nachbarschaft/spolitik) zugeordnet wird, und Albanien und Bosnien-Herzegowina zu den Staaten des sogenannten westlichen Balkans und des SAP gezählt werden (Kapitel 4.2.2), könnte man noch nicht einmal von regionalspezifischen Vorschlägen sprechen. Das mangelnde Interesse an länderspezifischen Vorschlägen ist auch darin erkennbar, dass sich in den untersuchten Primärdokumenten im Hinblick auf alle drei Untersuchungsländer im Wortlaut ähnliche oder sogar komplett gleich gefasste Formulierungen finden. Statt einer sorgfältigen und länderspezifischen Abwägung der jeweiligen Migrationssituation und Steuerungsprobleme dient den Beamten der Europäischen Kommission und anderer EU-Institutionen beim Verfassen neuer Länderberichte in vielen Fällen wohl eher ein schnelles »copy and paste« der in den Jahren zuvor verwendeten Textpassagen.

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die sogenannte Dokumentensicherheit zu gewährleisten und die Überprüfung von Reisedokumenten zu verbessern.

Tabelle 8: Steuerungsvorschläge der EU für Albanien, Bosnien-Herzegowina und die Ukraine Neue gesetzliche Bestimmungen zu Grenzverwaltung, (illegaler) Migration, Trafficking und Asyl in Konformität mit dem EU-Acquis und anderen internationalen Normen [P_065 (Anhang), P_054 (Absatz 3.3.1), P_059 (Absatz 4.3.1), P_063 (Absatz II. 2) und P_064 (Absatz 6.1)] Verstärkung der Grenzschutzmaßnahmen [P_065 (Anhang), P_054 (Absatz 3.3.1), P_059 (Absatz 4.3.1), P_064 (Absatz 6.1)] Entschiedenes Vorgehen gegen illegale (Transit-)Migration und Menschenhandel [P_065 (Anhang), P_054 (Absatz 3.3.1), P_059 (Absatz 4.3.1) und P_064 (Absatz 6.1)] Ausbau der Schutzkapazitäten für Asylsuchende und Flüchtlinge [P_065 (Anhang), P_054 (Absatz 3.3.1), P_059 (4.3.1) und P_064 (Absatz 6.1)] Abschluss bilateraler Rückübernahmeabkommen mit der EU und vollständige Erfüllung der Rückübernahmeverpflichtungen [P_065 (Anhang), P_047 (Executive Summary)] Regelmäßiger Austausch wanderungsbezogener Daten und Informationen [P_065 (Anhang), P_063 (Absatz II. 1) und P_064 (Absatz 6.1)] Erhöhung der Dokumentensicherheit und wirksamere Überprüfung von Reisedokumenten [P_065 (Anhang), P_054 (Absatz 3.3.1) und P_063 (C)] Mehr Kooperationsbereitschaft mit der EU und stärkere Eigenverantwortung (national ownership) [P_065 (Anhang) und P_063 (Absatz II. 1)]

Quelle: Eigene Darstellung nach Auswertung von EU-Dokumenten.

Im Vergleich mit den allgemein die »Migrationsaußenpolitik« der EU kennzeichnenden Vorschlägen (Kapitel 3.2.3) wurden in den Länderberichten der Europäischen Kommission zu Albanien, Bosnien-Herzegowina und der Ukraine drei zusätzliche Steuerungsvorschläge stärker thematisiert und betont: Zu diesen Vorschlägen zählte zum einen die Forderung an die drei Länder, ein bilaterales Rückübernahmeabkommen mit der EU zu schließen und den daraus entstehenden und bereits in anderen Verträgen festgelegten Rückübernahmeverpflichtungen auch in vollem Umfang nachzukommen. Nach Auskunft der lokalen EUVertretungen in den drei Untersuchungsländern versuchte die EU in den vergan140 12:08:22.

genen Jahren die Länderregierungen zum Abschluss eines Rückführungsabkommens dadurch zu bewegen, dass sie diese Vereinbarung zur Vorbedingung einer vertieften Zusammenarbeit mit der EU im Rahmen eines sogenannten Stabilisierungs- und Assoziierungsabkommens (SAA) beziehungsweise im Falle der Ukraine verschiedener Verträge machte.409 Eine hohe Bedeutung wiesen die Länderberichte auch dem regelmäßigen Austausch wanderungsbezogener Daten und Informationen zu. Besonders häufig findet sich in den ausgewerteten Dokumenten auch die Aussage, dass die bisherige Kooperationsbereitschaft Albaniens, Bosnien-Herzegowinas bzw. der Ukraine mit der EU äußerst mangelhaft sei und die Regierungen dieser drei Länder stärker eigenverantwortlich handeln sollten. In diesem Zusammenhang plädierte die Europäische Kommission in ihren Verlautbarungen dafür, die Aufgabe der Migrationssteuerung als ein eigenes nationales Interesse zu begreifen und zu einer sogenannten »National Ownership« zu gelangen – einem eigenverantwortlicheren und selbstständigeren Umgang mit Migration also, verbunden mit dem Willen und der Fähigkeit, im nationalen Rahmen autonom Steuerungsmaßnahmen zu entwickeln und umzusetzen.410

3.3 Instrumentalisierung internationaler Regierungsorganisationen 3.3.1 Funktionen internationaler Regierungsorganisationen aus Sicht der EU In den ausgewerteten EU-Dokumenten wird gleich an mehreren Stellen auf die besondere Bedeutung von internationalen Regierungsorganisationen hingewiesen. Nach Ansicht der drei untersuchten EU-Institutionen (Europäischer Rat, Ministerrat für Justiz und Inneres und Europäische Kommission) sollen IRO sechs wesentliche Funktionen für die EU-Migrationspolitik übernehmen, auf die ausgehend von dem in Kapitel 2.3.2 formulierten Erkenntnisinteresse E3411 im Folgenden eingegangen werden soll.412

409 Vgl. Interviews I_06_AL, I_35_BH und I_56_UA, siehe Anhang A3. 410 Siehe beispielsweise in P_043 (6). 411 Vgl. E3, Kapitel 2.3.2. Das Erkenntnisinteresse E3 bezieht sich auf die Inanspruchnahme internationaler Regierungsorganisationen durch die EU. Es soll bezüglich dieses Erkenntnisinteresses auch der Frage nachgegangen werden, inwieweit die Kategorie des Raumes eine Rolle spielt im Zuge der Einbeziehung von IRO in die EU-Migrationspolitik und in bestimmte Steuerungsaufgaben, siehe dazu Kapitel 3.3.2 und Kapitel 4.3. 412 Die sechste Funktion wird in Kapitel 3.3.2 beschrieben.

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genen Jahren die Länderregierungen zum Abschluss eines Rückführungsabkommens dadurch zu bewegen, dass sie diese Vereinbarung zur Vorbedingung einer vertieften Zusammenarbeit mit der EU im Rahmen eines sogenannten Stabilisierungs- und Assoziierungsabkommens (SAA) beziehungsweise im Falle der Ukraine verschiedener Verträge machte.409 Eine hohe Bedeutung wiesen die Länderberichte auch dem regelmäßigen Austausch wanderungsbezogener Daten und Informationen zu. Besonders häufig findet sich in den ausgewerteten Dokumenten auch die Aussage, dass die bisherige Kooperationsbereitschaft Albaniens, Bosnien-Herzegowinas bzw. der Ukraine mit der EU äußerst mangelhaft sei und die Regierungen dieser drei Länder stärker eigenverantwortlich handeln sollten. In diesem Zusammenhang plädierte die Europäische Kommission in ihren Verlautbarungen dafür, die Aufgabe der Migrationssteuerung als ein eigenes nationales Interesse zu begreifen und zu einer sogenannten »National Ownership« zu gelangen – einem eigenverantwortlicheren und selbstständigeren Umgang mit Migration also, verbunden mit dem Willen und der Fähigkeit, im nationalen Rahmen autonom Steuerungsmaßnahmen zu entwickeln und umzusetzen.410

3.3 Instrumentalisierung internationaler Regierungsorganisationen 3.3.1 Funktionen internationaler Regierungsorganisationen aus Sicht der EU In den ausgewerteten EU-Dokumenten wird gleich an mehreren Stellen auf die besondere Bedeutung von internationalen Regierungsorganisationen hingewiesen. Nach Ansicht der drei untersuchten EU-Institutionen (Europäischer Rat, Ministerrat für Justiz und Inneres und Europäische Kommission) sollen IRO sechs wesentliche Funktionen für die EU-Migrationspolitik übernehmen, auf die ausgehend von dem in Kapitel 2.3.2 formulierten Erkenntnisinteresse E3411 im Folgenden eingegangen werden soll.412

409 Vgl. Interviews I_06_AL, I_35_BH und I_56_UA, siehe Anhang A3. 410 Siehe beispielsweise in P_043 (6). 411 Vgl. E3, Kapitel 2.3.2. Das Erkenntnisinteresse E3 bezieht sich auf die Inanspruchnahme internationaler Regierungsorganisationen durch die EU. Es soll bezüglich dieses Erkenntnisinteresses auch der Frage nachgegangen werden, inwieweit die Kategorie des Raumes eine Rolle spielt im Zuge der Einbeziehung von IRO in die EU-Migrationspolitik und in bestimmte Steuerungsaufgaben, siehe dazu Kapitel 3.3.2 und Kapitel 4.3. 412 Die sechste Funktion wird in Kapitel 3.3.2 beschrieben.

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Tabelle 9: Auffassungen der EU zur Funktion spezialisierter IRO

1) IRO als Wissenslieferanten Die Inanspruchnahme von IRO führt zu Synergien und Kosteneinsparungen

2) IRO stellen praktisches Wissen (Knowhow) zur Verfügung Die Inanspruchnahme von IRO führt zu Synergien und Kosteneinsparungen

„One of the main problems experienced in the field of trafficking in women is the lack of reliable statistics and data, making it difficult to assess the real dimension of the phenomenon [. The European Commission] has therefore supported an IOM study [that] analyses in particular the reasons why present statistics and data are so poor.“ [P_013 (Absatz I, 2)] Internationale Regierungsorganisationen erheben migrationsbezogene Statistiken, verfassen Expertenberichte oder führen Evaluationen durch. Dieses Expertenwissen lässt sich durch die EU nutzen. „Am erfolgreichsten waren generell [solche] Projekte [zur Rückführung], die von erfahrenen [internationalen] Organisationen unter Einsatz einer ausgereiften Methodik durchgeführt wurden [...].“ [P_020 (Absatz 3.5)] IRO generieren im eigenen Umgang mit Migration ein direkt der Implementation von Steuerungsmaßnahmen dienendes Knowhow sowie bestimmte Methoden oder Vorgehensweisen, die sich auch für die EU nutzen lassen. „In jedem Fall ist die [Europäische] Kommission der Ansicht, dass [das] UNHCR in Abstimmung mit anderen Partnern in erster Linie die Merkmale der aufgrund von Vertreibung entstehenden Krisen detailliert analysieren und die Ziele hinsichtlich der Maßnahmen sowie der Lösungen festlegen muss.“ [P_011 (Absatz 2.3)]

3) IRO als Programmorganisationen IRO entwickeln Handlungsempfehlungen und Strategien Die Inanspruchnahme von IRO führt zu Synergien und Kosteneinsparungen

„Die [Europäische] Kommission merkt an, dass das UNHCR gleichzeitig [selbst] einen Prozess globaler Konsultationen über die Verstärkung des internationalen Schutzsystems eingeleitet hat und sich die europäischen Überlegungen über das gemeinsame Verfahren und den einheitlichen Status in diesen Prozess einfügen.“ [P_022 (Absatz I, 5.3)] „Ferner ist die [Europäische] Kommission der Auffassung, dass die [...] verschiedenen Organe und Agenturen der Vereinten Nationen [...] zum einen die Mandate jedes Organs im Hinblick auf [...] Flüchtlingsbelange eindeutiger definieren und zum anderen einen strategischen und koordinierten Aktionsplan zur konkreten Verbesserung der Aussichten auf dauerhafte Lösungen [für Flüchtlinge] erstellen müssen.“ [P_011 (Absatz 2.3)]

IRO sollen auf der Basis ihres Wissens und Knowhows Empfehlungen und Strategieansätze entwickeln und diese der EU zur Verfügung stellen. Die EU-Institutionen oder Mitgliedsstaaten beschränken sich in der Regel auf die Rolle des Auftrag- und Geldgebers. In manchen Fällen entwickeln IRO schon im Voraus – ohne einen Auftrag dafür bekommen zu haben – Politiklösungen oder initiieren Konsultationen, die später auch die EU und ihre Mitgliedsstaaten nutzen können. Die EU fordert von IRO (Beispiel UN und UN-Teilorganisationen) eine Überprüfung der bestehenden Mandate und auf dieser Basis die Erstellung strategischer und koordinierter Aktionspläne

Quelle: Eigene Darstellung nach Auswertung von EU-Dokumenten.

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Tabelle 9: Auffassungen der EU zur Funktion spezialisierter IRO (Fortsetzung)

4) IRO als Kontrollorganisationen IRO stehen für die Wahrung von Normen und die Legitimität von Steuerungsmaßnahmen

5) IRO als Forumorganisationen IRO als Initiatoren und Unterstützer internationaler Zusammenarbeit – IRO als unabhängige Vermittler Die Inanspruchnahme von IRO führt zu Synergien und Kosteneinsparungen

„Die Einleitung, Durchführung und Beendigung des vorübergehenden Schutzes sind Gegenstand regelmäßiger Konsultationen mit dem [...] UNHCR [...] und anderen einschlägigen internationalen Organisationen.“ [P_014 (Artikel 3, 3)] „Insbesondere bei der Durchführung von Maßnahmen gegen die illegale Einwanderung [können diese Organisationen] sicherstellen, dass die Maßnahmen vollumfänglich mit den berechtigten Schutzbedürfnissen in Einklang stehen.“ [P_007 (Absatz 3.3)] IRO repräsentieren internationale Normen und Konventionen. Die Einbeziehung von IRO stellt sicher, dass die Politiklösungen der EU diesen Vereinbarungen entsprechen. „The [EU-]Commission and the EU Member States have participated actively in [...] these international and regional organisations, in order to develop [...] policies based on the exchange of information and experiences relating to activities under way and on research projects.“ [P_013 (Chapter I, 1)] „Insbesondere bei der Durchführung von Maßnahmen [...] kann ihr Engagement [das Engagement von internationalen Organisationen] auch dazu beitragen, dass die Beteiligten größeres Verständnis für einander entwickeln.“ [P_007 (Absatz 3, 3)] Multilaterale Konsultationen zwischen Staaten, die von IRO initiiert und unterstützt werden, ermöglichen die Konzeption von nationalen, internationalen und von EU-Politikansätzen. Mit Hilfe der einbezogenen IRO wird es den beteiligten Staaten erleichtert, eine gemeinsame Sichtweise auf Politikprobleme zu entwickeln und den Nutzen der Zusammenarbeit zu erkennen.

6) IRO als operative Akteure IRO als ausführende Akteure für Steuerungsmaßnahmen der EU in Drittstaaten Inanspruchnahme von IRO als Möglichkeit der Externalisierung und Exterritorialisierung von Migrationssteuerung Die Inanspruchnahme von IRO führt zu Synergien und Kosteneinsparungen IRO stehen für die Wahrung von Normen und die Legitimität von Steuerungsmaßnahmen

„[...] bei der Durchführung von Maßnahmen gegen die illegale [Migration] in Drittländern kann das Fachwissen internationaler Organisationen [und die Möglichkeit der] Nutzung bereits vorhandener Infrastrukturen zu Synergieeffekten führen.“ [P_007 (Absatz 3.3)] „So könnten im Zusammenhang mit der freiwilligen und – gegebenenfalls – der erzwungenen Rückkehr Maßnahmen festgelegt werden, um die Zusammenarbeit zwischen Aufnahmestaaten, Herkunftsländern, dem UNHCR und der Internationalen Organisation für Migration sowie NRO zu verbessern und somit die freiwillige Rückkehr und die Rückführung zu erleichtern [...].“ [P_018 (Absatz 2.3)] „Die Beförderung der Personen, die für eine Neuansiedlung in der EU ausgewählt wurden, könnte von der Internationalen Organisation für Migration (IOM) in die Wege geleitet werden, die auf langjährige Erfahrungen auf diesem Gebiet zurückblickt.“ [P_031 (Punkt 31)]

IRO besitzen Wissen, Knowhow und Infrastruktur – und sind damit selbst steuerungsfähig. Die EU will/muss auf sie zurückgreifen, um Maßnahmen in Drittstaaten möglichst wirksam und mit möglichst geringen Kosten durchführen zu können.

Quelle: Eigene Darstellung nach Auswertung von EU-Dokumenten. 143 12:08:35.

Internationale Regierungsorganisationen werden durch die EU zunächst einmal als Wissenslieferanten wahrgenommen (Funktion 1, Tabelle 9): Die EU ist sich des Problems bewusst, dass es zur Steuerung von Migration einer möglichst genauen und zeitlich aktuellen Kenntnis des Wanderungsgeschehens und des jeweiligen Implementationsgebietes (einzelner Drittstaat oder Region) bedarf, um Steuerungsansätze möglichst wirksam zu konzipieren und umzusetzen. Internationale Regierungsorganisationen wie die IOM und das UNHCR besitzen dieses Wissen, da es ihnen entweder zur Verfügung gestellt wird (beispielsweise von staatlichen Statistikämtern), sie es selbst »in-house« generieren (zum Beispiel: Durchführung von Flüchtlingszählungen durch das UNHCR) oder sie es im Rahmen einer engen Zusammenarbeit mit wissenschaftlichen Beratern und Forschungseinrichtungen erwerben. IRO sollen den ausgewerteten EU-Dokumenten zufolge aber nicht nur als Lieferanten von statistischen Informationen oder Länder- und Regionalberichten fungieren. Vielmehr sollen sie der EU auch ein der praktischen Implementation dienendes Wissen bereitstellen. IRO »wissen« oft besser als die EU-Gemeinschaftsinstitutionen selbst, was im Umgang mit Migration »zu tun ist« und »wie dies zu tun ist«. Wie angenommen wird, verfügen IRO auf der Basis ihrer eigenen täglichen Arbeit eine der unmittelbaren technisch-operativen Implementation dienende praktische Expertise – ein steuerungsdienliches Knowhow. Als Dienstleister mit Knowhow sollen internationale Regierungsorganisationen deshalb der EU bei der Konzeption und Durchsetzung von Steuerungsvorschlägen behilflich sein (Funktion 2, Tabelle 9). Bevor die EU selbst daran geht, Wissen und Knowhow zu erwerben, soll, wie in folgendem Zitat deutlich wird, erst einmal geprüft werden, was die anderen Akteure (also beispielsweise die internationalen Regierungsorganisationen) schon »wissen«. Nach eigener Aussage verfügt die Europäische Kommission über keine eigene spezialisierte Expertise, sie will aber auch nicht die Erfahrung von IRO duplizieren oder mit ihnen konkurrieren: »[...] EU institutions should take proper account of the work already done by a number of international organisations [...], the [EU-]Commission does not necessarily possess the specialist expertise available in these organisations. [The European] Commission will therefore reinforce its ongoing dialogue [...] with organisations such as the World Bank, ILO, UNHCR, the OECD, UNDP or IOM.«413

Da sie aus Sicht der Europäischen Kommission über einen generellen Wissensund Kenntnisvorsprung verfügen, ermöglicht die Inanspruchnahme von spezialisierten IRO Arbeitsteilung und eröffnet Möglichkeiten, den Aufwand und damit die Kosten von Steuerungseingriffen und deren Konzeption zu reduzieren. Um die Steuerung von Fluchtwanderungen neu gestalten zu können, fordert die Europäische Kommission, dass die von der EU für die Zukunft geplanten regionalen 413 P_029 (Annex 7) mit eigenen Hervorhebungen.

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Schutzprogramme (Kapitel 3.2.3) unbedingt gemeinsam mit dem UNHCR entwickelt werden sollten, um das praktische Wissen dieser Organisation nutzen zu können.414 Weitere Synergien und positive Kosteneffekte werden erwartet, wenn spezialisierte IRO selbst, aus eigener Initiative heraus, Handlungsempfehlungen und Maßnahmen entwerfen und der EU zur Annahme vorschlagen.415 Die Europäische Kommission nimmt internationale Regierungsorganisationen demzufolge also auch in der Funktion von Programmorganisationen wahr (Funktion 3, Tabelle 9 und Kapitel 2.1.4). Allerdings sind die Ansprüche, die von der Europäischen Kommission und anderen EU-Institutionen an die Adresse internationaler Regierungsorganisationen gerichtet werden, recht weitreichend. Wie das letzte, unter Funktion 3 in Tabelle 9 angeführte Zitat belegt, fordert die Europäische Kommission beispielsweise von der UN unverhohlen eine komplette Überprüfung und gegebenenfalls Neuausrichtung ihrer Unterorganisationen (zu diesen zählt unter anderem auch das UNHCR). Außerdem ist die Rede davon, dass die UN und andere IRO konkrete Maßnahmen und Aktionspläne zu entwerfen hätten. Die Europäische Kommission nimmt die von ihr in Anspruch genommenen IRO also nicht als freiwillige Dienstleister wahr, sondern als IRO, die kraft ihres Mandats dazu »gezwungen« sind, Unterstützung zu leisten und der EU dienlich zu sein. Die EU instrumentalisiert internationale Regierungsorganisationen zusätzlich noch in einer anderen Weise und weist ihnen damit eine vierte Funktion im Rahmen der EU-Migrationspolitik zu; diese ist aus den vielfach wiederholten Bekundungen der EU-Gemeinschaftsinstitutionen herauszulesen, wonach bei der Konzeption und Umsetzung von asyl- und flüchtlingsbezogenen Maßnahmen immer darauf zu achten sei, dass das UNHCR konsultiert und/oder in die praktische Umsetzung einbezogen ist:416 »Das UNHCR muss zu den Initiativen der Europäischen Union für ein gemeinsames Verfahren und einen einheitlichen [Asyl-]Status konsultiert werden.«417 »Das Mandat des [UNHCR] sollte geachtet werden, und der der Schlussakte des Vertrags von Amsterdam beigefügten Erklärung [...], wonach in asylpolitischen Angelegenheiten Konsultationen mit dem Hohen Kommissar der Vereinten Nationen für Flüchtlinge und 414 Vgl. P_030 (Einleitung). 415 Ein gutes Beispiel für eine gewissermaßen »vorauseilende« Politikentwicklung sind die neue »Agenda für den Flüchtlingsschutz« (Agenda for Protection) des UNHCR (2003) und ihre Vorschläge zur Reform der Genfer Flüchtlingskonvention (Convention Plus). Diese Vorschläge sehen vor, Asylanträge künftig außerhalb der EU zu prüfen und dort auch dauerhafte Lösungen zu finden. Vgl. P_024 und P_031 (Einleitung). 416 Siehe beispielsweise die Kommissionsmitteilung zu einem gemeinsamen Asylverfahren und einem EU-weit geltenden Status für Asylberechtigte: P_022 (Vorwort). Vgl. außerdem P_024 (Absatz 6.2.2.3 und Absatz III, 3.1.). 417 P_022 (Absatz I, 5.3) mit eigenen Hervorhebungen.

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anderen einschlägigen internationalen Organisationen aufgenommen werden, sollte Folge geleistet werden.«418

Wie diese Zitate deutlich machen, gewinnt das UNHCR in den Richtlinien und Verlautbarungen der EU eine höchst offizielle und prominente Bedeutung, die das UNHCR fast in den Rang einer EU-eigenen Kontrollinstanz wie dem Europäischen Gerichtshof oder Europäischen Parlament hebt.419 Die EU bezieht sich in ihrer Migrations- und Asylpolitik auf das UNHCR in Funktion einer Kontrollorganisation (Funktion 4, Tabelle 9 und Kapitel 2.1.4); dies geschieht nicht rein zufällig: Kraft des 1951 durch die internationale Staatengemeinschaft an das UNHCR verliehenen Mandates, hat sich diese Organisation zwingend für die Wahrung der Genfer Flüchtlingskonvention und anderer asyl- und fluchtbezogener Normen einzusetzen. Die Einbeziehung des UNHCR in die Steuerung von Migration bietet der EU die Möglichkeit, ihren Mitgliedsstaaten, der Öffentlichkeit, den Medien, und schließlich auch den Migranten und Drittstaaten gegenüber, die Normkonformität und Legitimität bestimmter asylund migrationspolitischer Maßnahmen zu demonstrieren. Suggeriert werden soll, dass das UNHCR kraft seines Mandates selbst für die Norm steht und als verantwortungsbewusster Co-Akteur bei bestimmten Steuerungsmaßnahmen gewährleisten wird, dass nichts wider die Norm geschieht, die Rechte von Asylsuchenden und Flüchtlingen also gewahrt werden. Eine weitere, fünfte Funktion übernehmen internationale Regierungsorganisationen, den ausgewerteten Primärdokumenten zufolge, als Forumorganisationen (Kapitel 2.1.4), die zum Thema Migration in eigener Regie multilaterale Konsultationsprozesse initiieren oder begleiten. Eine damit verbundene Zusatzfunktion von IRO besteht darin, dass sie im Rahmen dieser Konsultationen als unabhängige Dritte zwischen den Teilnehmerländern vermitteln und damit dem Interessensausgleich dienen können. Multilaterale Konsultationsprozesse, die von IRO initiiert und unterstützt werden, erleichtern dank des Austauschs von Informationen und Kenntnissen die Konzeption von nationalen und internationalen Politikansätzen, die sich auch durch die EU nutzen lassen. Auch bei dieser fünften Funktion und ihrer zugehörigen Teilfunktion stehen also Synergieeffekte und kostengünstige Politiklösungen in Aussicht.

418 P_014 (Punkt 15) mit eigenen Hervorhebungen. 419 Belege dazu finden sich in P_014 (Artikel 25, 1 und Artikel 26, 2) – einer Richtlinie des Rates der Europäischen Union (Ministerrat), die besagt, dass die EU-Staaten dem UNHCR mitteilen müssen, wie vielen Flüchtlingen sie Schutz gewähren können. In diesem Fall könnte man von einer Informationspflicht der EU gegenüber dem UNHCR sprechen.

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3.3.2 Verortung der Aktivitäten internationaler Regierungsorganisationen In Ergänzung zu den fünf herausgearbeiteten und erläuterten Hauptfunktionen (Kapitel 3.3.1) sind in den ausgewerteten EU-Dokumenten noch Hinweise auf eine sechste Funktion enthalten (Tabelle 9): Die EU greift auf internationale Regierungsorganisationen zurück, um ihre Steuerungsvorschläge praktisch-operativ umzusetzen und dabei die Implementation von Migrationssteuerung zu einem wesentlichen Teil in das Territorium der Herkunfts- und Transitländer zu verlagern. Spezialisierte IRO sollen also die Funktion operativ ausführender Steuerungsakteure übernehmen und zur Externalisierung und Exterritorialisierung von Migrationssteuerung beitragen (Kapitel 3.2.3). Tatsächlich wird in den untersuchten Dokumenten fast ausschließlich auf den »Handlungsort« der Drittstaaten verwiesen, wenn es um die Inanspruchnahme bzw. Instrumentalisierung von spezialisierten IRO und die Lokalisierung der von ihnen zu erbringenden Steuerungseingriffe geht. So sollen spezialisierte IRO mit ihrem »Fachwissen« und ihrer eigenen lokalen »Infrastruktur« in Drittstaaten dazu beitragen, illegale Wanderungsbewegungen zu unterbinden (Erkenntnisinteresse E3, Kapitel 2.3.2420). »[...] bei der Durchführung von Maßnahmen gegen die illegale [Migration] in Drittländern kann das Fachwissen internationaler Organisationen [und die Möglichkeit der] Nutzung bereits vorhandener Infrastrukturen [internationaler Organisationen] zu Synergieeffekten führen.«421

Internationale Regierungsorganisationen wie die IOM und das UNHCR, aber auch Nichtregierungsorganisationen, sind als Dienstleister zudem für die praktische Durchführung von (freiwilligen) Rückkehr- bzw. Abschiebemaßnahmen vorgesehen. Die Europäische Kommission will für die Konzeption eines EURückkehrprogramms (Kapitel 3.2.3) zur Rückführung oder Rückkehr von (illegalen) Migranten und abgelehnten Asylbewerbern die Hilfe von spezialisierten IRO in Anspruch nehmen, um gruppen- und länderspezifische Programme auszuarbeiten. An diesen Schritt soll sich dann auch die praktische Umsetzung anschließen. Während die Europäische Kommission eine finanzielle Unterstützung der Einführung und Umsetzung von Rückkehrprogrammen prüfen will – selbst aber nicht operativ zu ihrer Implementation beitragen will – wird die »vor Ort« erfolgende Umsetzung in den Herkunfts- und Transitländern spezialisierten IRO übertragen. Es findet also ein Übertrag von Steuerungsaufgaben an Organisationen wie die IOM oder das UNHCR statt. Diese Externalisierung von Steuerungsaufgaben beinhaltet eine raumbezogene Komponente; sie ist mit einer räumlichen Verortung der Steuerungseingriffe in den »Raum« außerhalb der EU, 420 E3: Inanspruchnahme spezialisierter IRO durch die EU. 421 P_007 (Absatz 3.3). Der Kontext, in dem diese Textpassage steht, macht deutlich, dass es tatsächlich um Maßnahmen geht, die in den Drittländern durchgeführt werden sollen.

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also in das Territorium von bestimmten Drittstaaten begleitet – eine Exterritorialisierung der Steuerung von Migration findet mit der Hilfe von spezialisierten IRO statt: »[...] gestützt auf die Erfahrungen der Mitgliedsstaaten und der internationalen Organisationen ist es wünschenswert, die Grundelemente eines integrierten Programms zu definieren [, das] je nach der spezifischen Situation der betreffenden Personengruppen und Länder angepasst werden kann. Ein solches Programm sollte zwingend nicht nur die Rückkehr als solche, sondern auch die verschiedenen Phasen ihrer Vor- und Nachbereitung umfassen, um so die besten Voraussetzungen dafür zu schaffen, dass die Rückkehr dauerhaft bleibt. Die [Europäische] Kommission ist bereit, gegebenenfalls die Möglichkeit zu prüfen, finanzielle Mittel der Gemeinschaft zur Unterstützung der Einführung [und Durchführung] derartiger Programme bereitzustellen [...].«422

Die Europäische Kommission will vor dem Übertrag von Steuerungsaufgaben allerdings genau prüfen, ob die betreffende Organisation zur Ausführung fähig und geeignet ist. Als Kriterien sind ihr dabei wichtig: »[Eine] ausreichende Kenntnis des Herkunftslandes in der durchführenden [internationalen] Organisation; [die] Einrichtung konkreter Verbindungen der Organisation zum Herkunftsland entweder in Form eines Büros, einer Kontaktperson oder durch Nutzung der Infrastruktur einer anderen Organisation im Herkunftsland und [die enge] Zusammenarbeit mit Organisationen der lokalen Zivilgesellschaft [...].«423

Das UNHCR und die IOM sind im Rahmen der geplanten Maßnahmen zusammen mit Nichtregierungsorganisationen außerdem dafür vorgesehen, eine Brückenfunktion zu übernehmen, indem sie im Zuge der ihnen übertragenen Aufgaben dazu beitragen, »[die] Zusammenarbeit zwischen Aufnahmestaaten [und] Herkunftsländern [...]« auch insgesamt zu verbessern.424 »Der Europäische Rat stellt fest, dass eine Reihe von Mitgliedsstaaten beabsichtigt [zur Prüfung der Mittel und Wege, mit denen die Schutzkapazität von Herkunftsregionen erhöht werden kann], mit dem UNHCR die Möglichkeiten für einen verbesserten Schutz der Flüchtlinge in ihrer Herkunftsregion zu untersuchen. Diese Arbeit wird auf der Grundlage von Empfehlungen des UNHCR in uneingeschränkter Partnerschaft mit den betreffenden Ländern durchgeführt.«425 »In diesem Zusammenhang hat der Europäische Rat die [Europäische] Kommission ersucht, in Partnerschaft mit den betreffenden Drittländern und in enger Abstimmung und Zusammenarbeit mit dem UNHCR regionale Schutzprogramme der EU auszuarbeiten.«426

Spezialisierte internationale Regierungsorganisationen wie das UNHCR und die IOM sollen also auch im Rahmen der angesprochenen regionalen Schutzprogramme (Kapitel 3.2.3) aktiv werden und eine wichtige Rolle übernehmen, so422 423 424 425 426

P_018 (Vorwort) mit eigenen Hervorhebungen. P_018 (Absatz 3.5) mit eigenen Hervorhebungen. P_018 (Absatz 2.3). P_028 (Punkt 26) mit eigenen Hervorhebungen. P_030 (Einleitung) mit eigenen Hervorhebungen.

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wohl was die Planung als auch die praktische Umsetzung dieser Programme anbelangt. Mit eigenen operativen Maßnahmen sollen sie zur »[...] Unterstützung von Drittländern bei der Einhaltung internationaler Verpflichtungen im Rahmen des Genfer Abkommens und anderer einschlägiger internationaler Instrumente und [zur] Erhöhung der Schutzkapazität durch Maßnahmen für einen verbesserten Zugang zu Registrierung und Integration am Aufnahmeort [...]«

beitragen, und damit auch generell zur »[...] Verbesserung der Infrastruktur und der Steuerung der Migrationsströme vor Ort.«427 Erneut stehen durch die Einbeziehung von spezialisierten IRO Synergie- und positive Kosteneffekte in Aussicht, wie sich ebenfalls auch wieder die Legitimität und Normkonformität von bestimmten Steuerungseingriffen dadurch demonstrieren lässt, dass bestimmte IRO (Beispiel UNHCR) in die Steuerung einbezogen werden.

4. EU-Migrationssteuerung und die Frage ihrer Umsetzung 4.1 Migration im Fokus der EU-Politik – Ziele von EU-Migrationssteuerung Mit dem Fall des Eisernen Vorhangs hat in Europa das fast fünfzig Jahre gewaltsam unterdrückte Ost-West-Migrationssystem eine Reaktivierung erfahren (Kapitel 3.1). Als Folge der Anwerbung von Gastarbeitern in den 1950er bis 1970er Jahren sind viele europäische Länder zudem in ganz neue Migrationssysteme eingebunden worden. Auch im Süden der EU ist es zu einer Neuausbildung respektive einer Intensivierung von Migrationsbeziehungen zwischen den südeuropäischen EU-Staaten und Ländern in Ost-, Südost- und Mitteleuropa, Asien, Afrika und Lateinamerika gekommen.428 Neu ist seit dem Ende der 1990er Jahre und dem Inkrafttreten des Vertrags von Amsterdam aber auch, dass die Steuerung von Migration im Fall der EUStaaten in zunehmendem Maße supranational konzipiert, bestimmt und umgesetzt wird (Kapitel 3.1). Die traditionell äußerst starken einzelstaatlichen Souveränitätsvorbehalte und Handlungsautonomien im Politikbereich Migration sind durch die Europäisierung der Migrationspolitik und -steuerung (Kapitel 2.3.1) mittlerweile zu einem erheblichen Teil abgebaut worden. Europa und die EU können deshalb gut und gerne als das bedeutendste und interessanteste migra427 P_031 (Einleitung) mit eigenen Hervorhebungen. 428 In diesem Zusammenhang ist auch auf die wachsende Bedeutung von Ruhesitzwanderungen zwischen den nord- und mitteleuropäischen Staaten der EU (beispielsweise Deutschland und Großbritannien) und den EU-Staaten in Süd- und Südosteuropa (unter anderem Spanien, Portugal, Italien und Bulgarien) hinzuweisen: Vgl. beispielsweise Breuer (2003) und Kaiser (2001). Für eine detaillierte Diskussion der »jungen und alten Einwanderungsländern« Europas siehe Fassmann (2009).

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tionspolitische »Laboratorium« der Welt bezeichnet werden. Neben den Staaten als traditionellen migrationspolitischen Akteuren sind neue Co-Akteure aufgetreten und haben an Bedeutung gewonnen. Ein Teil von ihnen gehört den supranationalen Institutionen der EU an, während andere nicht den Institutionen der EU angehören, dennoch aber wichtige Funktionen im Zuge der Europäisierung von Migrationspolitik und -steuerung übernehmen. Wie die in Kapitel 3.3.1 herausgearbeiteten Ergebnisse belegen, kommt wohl gerade der Inanspruchnahme bzw. Instrumentalisierung von spezialisierten IRO eine wesentliche Bedeutung zu. Hinsichtlich der Wahrnehmung des Phänomens internationale Migration durch die drei EU-Hauptakteure Europäischer Rat, Ministerrat für Justiz und Inneres und Europäische Kommission (Erkenntnisinteresse E1, Kapitel 2.3.2) konnte festgestellt werden, dass sich die Thematisierung zu internationaler Migration fast ausschließlich auf illegale Migration und Menschenhandel beschränkt.429 Außerdem wird die Figur des illegalen Migranten häufig mit denen des (Schwerst-)Kriminellen und des Terroristen in Zusammenhang gebracht. Der allgemein zu Kriminalität und Terrorismus bestehende Sicherheitsdiskurs trägt damit zur Konstruktion bzw. Rekonstruktion der internationalen Migration als Sicherheitsproblem bei. Wie WALTERS könnte man davon sprechen, dass die EU und ihre drei dominanten Steuerungsakteure (Europäischer Rat, Ministerrat für Justiz und Inneres und Europäische Kommission) hauptsächlich auf einen »Anti-Illegal Immigration Discourse«430 zurückgreifen, der in den Mitgliedsländern der EU und in Europa bereits (historisch) verbreitet ist, und diesen Diskurs selbst aktiv »pflegen«, indem sie ihn selbst verbreiten und die angebliche Problembehaftetheit und Gefährlichkeit von Migration dabei noch zusätzlich betonen. Die (Re-)Konstruktion der internationalen Migration als Problem und Gefahr unter Bezugnahme auf die Thesen der Migrations- und Steuerungskrise (Kapitel 2.1.1) bilden in den untersuchten Primärdokumenten das Hauptargument, auf dessen Grundlage die drei EU-Institutionen Europäische Kommission, Ministerrat für Justiz und Inneres und Europäischer Rat die Notwendigkeit von Steuerungsmaßnahmen begründen und Vorschläge für eine wirksamere Steuerung von Migration entwerfen. Nach Ansicht der EU sind Eingriffe in das Wanderungsgeschehen nicht nur deshalb notwendig, weil Migration einen problematischen und gefährlichen Prozess 429 Vgl. E1: Wahrnehmung des Phänomens internationale Migration durch die EU. Die folgenden Feststellungen und Argumentationen werden in Kapitel 6 erneut aufgegriffen und diskutiert. 430 Walters (2010) bzw. siehe auch Walters (2008). Diskurse lassen sich als »[...] Anstrengungen verstehen [...] symbolische Ordnungen zu erzeugen, zu stabilisieren und dadurch einen verbindlichen Sinnzusammenhang, eine Wissensordnung in sozialen Kollektiven zu institutionalisieren«: Keller (2005b: 49).

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darstellt. Argumentiert wird auch, dass an die beschränkte »Aufnahmekapazität« der EU zu denken sei (Kapitel 3.2.1) und deshalb wirksamer als bisher gegen illegale bzw. unerwünschte Wanderungsbewegungen vorgegangen werden müsse (Erkenntnisinteresse E2, Kapitel 2.3.2431). Ein gemeinsames Vorgehen der EU, das die Entwicklung und Umsetzung von einheitlichen Vorgehensweisen und Vorschlägen beinhaltet, wird in den untersuchten Dokumenten außerdem damit begründet, dass sich nur so Migration wirksam steuern lasse, denn die Steuerungsfähigkeit der einzelnen EU-Mitgliedsländern sei, für sich allein genommen, einfach zu begrenzt. Schließlich werden ein gemeinsames Vorgehen und die Entwicklung und Umsetzung einer einheitlichen EU-Migrationspolitik auch deshalb als notwendig erachtet, weil der Vergemeinschaftungsprozess auf anderen Politikfeldern (Beispiel Binnenmarkt der EU und Abbau der Grenzkontrollen zwischen den Mitgliedsstaaten) unmittelbar selbst Steuerungsbedarf hervorruft (Kapitel 3.2.1). In Kapitel 3.2.3 wurden drei Hauptlinien herausgearbeitet, die für die EU-Migrationspolitik bestimmend sind. Als Reaktion auf die Wanderungsbewegungen, die auf die EU ausgerichtet sind, verfolgen der Europäische Rat, der Ministerrat für Justiz und Inneres und die Europäische Kommission folgende Ziele: (1.) die Verhinderung illegaler Wanderungsbewegungen zusammen mit wirksamen Gegenmaßnahmen gegen illegale Migranten und deren Verbleib in den Mitgliedsstaaten der EU, (2.) die weitere (temporäre) Aufnahme von Schutzbedürftigen, und (3.) die Ermöglichung und gezielte Förderung bestimmter Formen der internationalen Zuwanderung. Die wichtigste Hauptlinie und das Hauptinteresse der gemeinsamen EU Migrationspolitik liegen in dem ersten genannten Ziel – dem »Kampf« gegen illegale Migration und in gezielten Gegenmaßnahmen gegen illegale Migranten (beispielsweise freiwillige oder unfreiwillige Rückkehrmaßnahmen). In Bezug auf die drei Hauptlinien der EU-Migrationspolitik ist festzuhalten, dass diese einerseits die EU-Migrationspolitik innerhalb der EU und zwischen den EU-Mitgliedsstaaten prägen und anleiten, andererseits aber auch die »Migrationsaußenpolitik« der EU bestimmen. Es ist allerdings noch zu früh von einem einheitlichen EU-Migrationsregime432 zu sprechen, sowohl was die Innen- als auch die Außenbeziehungen der EU anbelangt. Einige Mitgliedsstaaten haben sich bewusst für ein »Opt-Out« oder ein »Opt-In« entschieden.433 Fünf EU431 E2: Auffassungen der EU zur Steuerung der EU – Steuerungsvorschläge der EU. 432 Zum Begriff des Regime siehe Kapitel 2.1.3. 433 Dänemark nimmt nicht an der gemeinsamen Migrationspolitik der EU teil (Opt-Out), während es Großbritannien und Irland erlaubt ist, von Fall zu Fall über ihre Teilnahme an bestimmten Maßnahmen der EU zu entscheiden (Opt-In).

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Staaten wenden das Abkommen von Schengen und das dazugehörige Durchführungsabkommen überhaupt (noch) nicht an; sie sind deshalb nicht Teil des »Raums der Schengener Vertragsstaaten«434, während die Nicht-EU-Staaten Island und Norwegen zu den Schengener Vertragsstaaten zählen (Kapitel 3.1 und Abbildung 1, Einleitung).435 Wichtig ist auch der Hinweis, dass es sich bei vielen der zwischen 1999 und 2005 entstandenen Steuerungsvorschläge (Tabellen 6 und 7, Kapitel 3.2.3) nicht um rechtlich verbindliche Regelungen, Maßnahmen oder Strategien handelt, sondern eben lediglich um Vorschläge – um bestimmte Vorstellungen, Ansprüche und Leitlinien, die in den kommenden Jahren in rechtlich verbindliche Richtlinien, Verordnungen oder Beschlüssen einfließen könnten (Erkenntnisinteresse E2, Kapitel 2.3.2).436 Obwohl nicht von einer einheitlichen und bereits vollentwickelten EU-Migrationspolitik die Rede sein kann, vermittelt die EU den Drittstaaten gegenüber allerdings dennoch den Eindruck, es gäbe bereits so etwas wie eine einheitlich-kohärente und konsolidierte EU-Migrationspolitik, die man vollständig zu übernehmen habe, wolle man selbst der EU angehören (Kapitel 3.2.4). Während fraglich ist, inwieweit die Steuerungsvorschläge der EU überhaupt demokratisch legitimiert und zum Zwecke der Steuerung von Migration tatsächlich auch angemessen und wirksam sind, bleibt hinsichtlich der in den Kapitel 3.2.3 und 3.2.4 herausgearbeiteten Vorschläge die Frage offen, ob und wie diese Empfehlungen und Ansprüche von den betreffenden Herkunfts- und Transitstaaten (Beispiel Albanien, Bosnien-Herzegowina und Ukraine) tatsächlich aufgenommen, »befolgt« und praktisch-operativ umgesetzt werden und durch wen dies geschieht.

4.2 Die Kategorie Raum und die Wahrnehmung und Steuerung von Migration 4.2.1 Raum als Beobachtungs- und Argumentationskonzept Der Gesamtdiskurs der EU-Gemeinschaftsinstitutionen zu Migration zeichnet sich neben einer stark problemfokussierten Perspektive auch durch eine ausge434 Großbritannien und Irland haben den Vertrag von Schengen und das Durchführungsabkommen nicht unterzeichnet. Im Fall der neuen EU-Beitrittsländer Bulgarien, Rumänien und Zypern ist noch nicht abschließend über die Vollanwendung des Schengen-Besitzstandes entschieden (Stand Januar 2010); diese drei Länder werden in den nächsten Jahren aber voll dem Raum der Schengener Vertragsstaaten angehören. 435 Die Grenzkontrollen zwischen den Schengener Staaten und der Schweiz fielen Ende 2008 weg, seitdem gehört auch die Schweiz zum sogenannten »Schengen-Raum«. 436 Diese wären von den Mitgliedsstaaten verbindlich umzusetzen, das heißt in die jeweils nationale Gesetzgebung zu überführen. Siehe Anhang A1 für eine Liste der ausgewerteten Primärdokumente, Kommission der Europäischen Gemeinschaften (2004b) und Europäische Union (2010).

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Staaten wenden das Abkommen von Schengen und das dazugehörige Durchführungsabkommen überhaupt (noch) nicht an; sie sind deshalb nicht Teil des »Raums der Schengener Vertragsstaaten«434, während die Nicht-EU-Staaten Island und Norwegen zu den Schengener Vertragsstaaten zählen (Kapitel 3.1 und Abbildung 1, Einleitung).435 Wichtig ist auch der Hinweis, dass es sich bei vielen der zwischen 1999 und 2005 entstandenen Steuerungsvorschläge (Tabellen 6 und 7, Kapitel 3.2.3) nicht um rechtlich verbindliche Regelungen, Maßnahmen oder Strategien handelt, sondern eben lediglich um Vorschläge – um bestimmte Vorstellungen, Ansprüche und Leitlinien, die in den kommenden Jahren in rechtlich verbindliche Richtlinien, Verordnungen oder Beschlüssen einfließen könnten (Erkenntnisinteresse E2, Kapitel 2.3.2).436 Obwohl nicht von einer einheitlichen und bereits vollentwickelten EU-Migrationspolitik die Rede sein kann, vermittelt die EU den Drittstaaten gegenüber allerdings dennoch den Eindruck, es gäbe bereits so etwas wie eine einheitlich-kohärente und konsolidierte EU-Migrationspolitik, die man vollständig zu übernehmen habe, wolle man selbst der EU angehören (Kapitel 3.2.4). Während fraglich ist, inwieweit die Steuerungsvorschläge der EU überhaupt demokratisch legitimiert und zum Zwecke der Steuerung von Migration tatsächlich auch angemessen und wirksam sind, bleibt hinsichtlich der in den Kapitel 3.2.3 und 3.2.4 herausgearbeiteten Vorschläge die Frage offen, ob und wie diese Empfehlungen und Ansprüche von den betreffenden Herkunfts- und Transitstaaten (Beispiel Albanien, Bosnien-Herzegowina und Ukraine) tatsächlich aufgenommen, »befolgt« und praktisch-operativ umgesetzt werden und durch wen dies geschieht.

4.2 Die Kategorie Raum und die Wahrnehmung und Steuerung von Migration 4.2.1 Raum als Beobachtungs- und Argumentationskonzept Der Gesamtdiskurs der EU-Gemeinschaftsinstitutionen zu Migration zeichnet sich neben einer stark problemfokussierten Perspektive auch durch eine ausge434 Großbritannien und Irland haben den Vertrag von Schengen und das Durchführungsabkommen nicht unterzeichnet. Im Fall der neuen EU-Beitrittsländer Bulgarien, Rumänien und Zypern ist noch nicht abschließend über die Vollanwendung des Schengen-Besitzstandes entschieden (Stand Januar 2010); diese drei Länder werden in den nächsten Jahren aber voll dem Raum der Schengener Vertragsstaaten angehören. 435 Die Grenzkontrollen zwischen den Schengener Staaten und der Schweiz fielen Ende 2008 weg, seitdem gehört auch die Schweiz zum sogenannten »Schengen-Raum«. 436 Diese wären von den Mitgliedsstaaten verbindlich umzusetzen, das heißt in die jeweils nationale Gesetzgebung zu überführen. Siehe Anhang A1 für eine Liste der ausgewerteten Primärdokumente, Kommission der Europäischen Gemeinschaften (2004b) und Europäische Union (2010).

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sprochen raumbezogene Beobachtungs- und Argumentationsweise aus (Kapitel 3.2.2 und 3.3.2). Verweise auf Raum finden sich in den ausgewerteten EUDokumenten in überraschend vielen Textpassagen, die Aufschluss über die Wahrnehmung des Phänomens internationale Migration (Erkenntnisinteresse E1) geben oder sich mit der Wanderungssituation der drei Untersuchungsländer (Kapitel 3.2.4) auseinandersetzen. Häufig wird auch auf Raum referiert, wenn es in den untersuchten Dokumenten um die Formulierung von Steuerungsvorschlägen geht (Erkenntnisinteresse E2; Kapitel 2.3.2). Die sehr häufige und charakteristische Verwendung von räumlichen Verweisen lässt die Vermutung zu, dass die Kategorie Raum bewusst in den Diskurs eingebracht wird; Raum soll für die Steuerung von Migration bestimmte Funktionen (Kapitel 2.1.5) übernehmen.

Tabelle 10: Funktionen der Kategorie Raum Funktion

Beschreibung

(1) Konkretisierung

Migration wird als raumgebundenes Phänomen konstruiert und veranschaulicht, dem Leser wird dadurch Übersichtlichkeit und Konkretheit vermittelt.

(2) Lokalisierung

Migrationsauslösende Faktoren werden als „Raumfaktoren“ in bestimmten Raumeinheiten verortet; an diese Verortungsweisen knüpfen raumbezogene Erklärungen zur Entstehung von Migration an.

(3) Visibilisierung

Mit Hilfe räumlicher Verweise und Benennungen wird die Aufmerksamkeit auf bestimmte Raumelemente gelenkt, die dadurch sichtbar bzw. visibler werden.

(4) Reduktion von Komplexität

Gezieltes Ausblenden von Widersprüchlichkeiten, multiplen Wahrnehmungs- und Deutungsmöglichkeiten mittels räumlicher Verweise/Benennungen.

(5) Stabilisierung

Argumentatives Abstützen von Aussagen mit Hilfe von Raum und Produktion räumlicher „Schicksalsgemeinschaften“.

Quelle: Eigene Darstellung nach Auswertung von EU-Primärdokumenten

Eine erste Funktion, die mit dem Einsatz raumbezogener Semantiken und Verweise bezweckt wird, könnte als Konkretisierung bezeichnet werden (Funktion 1, Tabelle 10): Indem mittels klar und simpel erscheinender räumlicher Verweise »erläutert« wird, von wo nach wohin Wanderungsbewegungen verlaufen, welche Länder bzw. Räumeinheiten von Zuwanderung »betroffen« sind und aus welchen Raumeinheiten die »Gefahr« der Migration droht, wird der Anschein erweckt, Migration sei konkret fassbar und übersichtlich. Damit lässt sich der Eindruck vermitteln, dass Migration tatsächlich politisch steuerbar ist. In den aus153 12:09:23.

gewerteten EU-Dokumenten stellt sich diese Frage an vielen Stellen ja unweigerlich, weil die EU gezielt auf übertreibende und meist eher uneindeutige Formulierungen zurückgreift, um die (angebliche) Problembehaftetheit und Gefährlichkeit von Migration zu unterstreichen (Kapitel 3.2.1). Durch den Einsatz räumlicher Verweise und Semantiken wird Migration als ein räumlich gebundenes Phänomen (re-)konstruiert und im Hinblick auf als »gegeben« erachtete Raumeinheiten veranschaulicht. Die Funktion der Konkretisierung wird durch die Möglichkeit der Lokalisierung (Funktion 2, Tabelle 10) unterstützt: Die migrationsauslösenden »PushFaktoren« werden dabei bestimmten Raumcontainern (Territorien oder Raumkonstrukte wie »Dritte Welt« etc.) zugeordnet (Kapitel 3.2.2), wodurch sie gewissermaßen zum festen »Inventar« dieser Raumeinheiten werden. Mittels der Funktion der Lokalisierung ist nicht nur die Möglichkeit gegeben, Migration als Phänomen »konkreter« wahrzunehmen. Anhand der angebotenen raumbezogenen »Migrationstheorie« kann auch das Zustandekommen von Migration und der räumliche und zeitliche Verlauf von Migrationsbewegungen »erklärt« und nachvollzogen werden.437 Eine weitere Funktion von Raum, die mit der Konkretisierung und Lokalisierung verknüpft ist, könnte man als Visibilisierung bezeichnen (Funktion 3, Tabelle 10): Mit Hilfe des gezielten Verweises auf bestimmte Raumeinheiten werden diese »sichtbarer«, während andere mehr oder weniger aus dem Blickfeld »verschwinden«. Der Europäische Rat, der Ministerrat für Justiz und Inneres und die Europäische Kommission lenken, wie in Kapitel 3.2.2 gezeigt worden ist, die Aufmerksamkeit gezielt auf die vermeintlichen alleinigen »Verursacherräume« von Migrationsbewegungen – die außerhalb der EU liegenden Herkunfts- und Transitländer. Gleichzeitig wird die EU als »Pull-Region« geschickt invisibilisiert. Auch angebliche »Hauptmigrationsrouten« oder »traditionelle Migrationspfade« werden mittels gezielter räumlicher Verweise auf Kosten alternativer Migrationswege betont. Damit lässt sich der Eindruck vermitteln, es seien vor allem oder sogar nur die EU-Staaten, die von illegaler Migration, Menschenhandel oder anderen gefährlichen, migrationsbezogenen Phänomenen betroffen sind.438 Die gezielte Verwendung von raumbezogenen Verweisen führt außerdem zu einer Reduktion von Komplexität (Funktion 4, Tabelle 10): Vieles, was zu internationaler Migration ebenfalls oder sogar unbedingt zu erwähnen wäre, wird in den untersuchten Dokumenten mit Hilfe von raumbezogenen Verweisen und Verortungen ausgeblendet oder mit den bereits angesprochenen Funktionen der Konkretisierung, Lokalisierung und Visibilisierung auf wenige, gut zu über437 Zu den möglichen Lesern bzw. Adressaten der untersuchten Verlautbarungen siehe Kapitel 3.2.1. 438 P_013 (Context and Scope/Recent Trends in Trafficking in Women).

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blickende »Tatbestände« reduziert. Durch die Reduktion von Komplexität gewinnen die »Raumtheorien« der EU zu Migration (Entstehung, Ursachen, Verlauf etc.) und die Argumente für die Verortung von Steuerungseingriffen in den Drittstaaten (Kapitel 3.2.2) an Erklärungskraft und Plausibilität – sie erscheinen richtig, angemessen, logisch und anschlussfähig an bereits bestehende Populärmeinungen und alltägliche Regionalisierungen (Industrie-/entwickelte Länder vs. unterentwickelte Länder/Dritte Welt etc.). Schließlich lässt sich noch eine fünfte Funktion identifizieren: die Stabilisierung mittels Raum (Funktion 5, Tabelle 10) im Sinne einer argumentativen Abstützung sozialer Sachverhalte oder politischer Projekte.439 Auf Raum wird im Diskurs zu Migration und Migrationssteuerung bewusst referiert, um bestimmte symbolische Ordnungen und Sinnzusammenhänge in sozialen Kollektiven zu stabilisieren440, unter anderem lassen sich damit auch räumlich geschlossene »Schicksalsgemeinschaften« konstruieren. In Kapitel 4.2.2 wird dies deutlich, wenn man den gezielten Rückgriff auf räumliche Verweise und raumbezogene Argumentationen im Rahmen bestimmter politischer Projekte beobachtet, so beispielsweise des EU-Projekts eines sogenannten »Raumes der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts«.

4.2.2 (Re-)Konstruktion von Räumen der Sicherheit und der Intervention Der Versuch des Rückgriffs auf Raum mit dem Ziel symbolische Ordnungen und Sinnzusammenhänge zu erzeugen, zu stabilisieren und in der Folge für die Steuerung von Migration oder andere Zwecke zu instrumentalisieren, ist unter anderem im sogenannten »Haager Programm«441 der EU, der Europäischen Sicherheitsstrategie (ESS)442 und in einer Reihe weiterer Handlungsprogramme der EU erkennbar. 1999 hatte der Europäische Rat unter der Bezeichnung »Tampere Milestones«443 ein Aktionsprogramm verabschiedet, das darauf zielt, das Territorium der EU-Mitgliedsstaaten (das »Staatsgebiet« der EU) zu einem »Gemeinsamen Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts«444 zu machen. 2004 wur439 440 441 442 443 444

Vgl. Schroer (2006: 21-22). Vgl. Keller (2005b: 49) und Foucault (1974). Europäischer Rat (2004). Europäischer Rat (2003). Europäischer Rat (1999). Siehe dazu auch Europäischer Rat (2001a: Punkt 37). »A Common Area of Freedom, Security and Justice« – Dieses Vorhaben war bereits im Vertrag von Amsterdam (Kapitel 3.1), in einem ersten Vorentwurf eines Aktionsplanes sowie in einem Beschluss des Ministerrates für Justiz und Inneres und des Europäischen Rates angedacht worden: Vgl. Europäischer Rat (1997: Präambel und Titel IV), Rat der Europäischen Union (1998) [oft als Wiener Aktionsplan bezeichnet], Europäischer Rat (1998: Punkt 83) und P_067.

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de aus dem Aktionsprogramm von Tampere das sogenannte »Haager Programm«.445 Für die Jahre 2005 bis 2009 sieht dieses Handlungsprogramm der EU eine Beschleunigung und Intensivierung des Vergemeinschaftungsprozesses auf dem Feld der Migrationspolitik vor. Dies soll unter anderem dadurch erreicht werden, dass mit dem Ende des im Vertrag von Amsterdam beschlossenen Übergangszeitraums von fünf Jahren (Kapitel 3.1) und dem 2003 in Kraft getretenen neuen EU-Vertrags (Vertrag von Nizza446) nun auch in Bezug auf Migration und die Steuerung von Migration Mehrheitsentscheide anstelle des bisher geltenden Einstimmigkeitsprinzips eingeführt werden. Neben dem Rat der EU (Ministerrat für Justiz und Inneres) soll künftig auch das Europäische Parlament am Beschluss von verbindlichen EU-Regelungen beteiligt sein.447Auffällig ist bezüglich des »Haager Programmes«, welche Aufmerksamkeit darin dem Aspekt der inneren und äußeren Sicherheit zuteil wird. Das mag der Tatsache geschuldet sein, dass das »Haager Programm« kaum acht Monate nach den Anschlägen der islamistischen Terrorgruppe Al-Qaida auf Madrider Vorortzüge entstanden ist. »Die Sicherheit der Europäischen Union und ihrer Mitgliedsstaaten ist dringlicher denn je, insbesondere in Anbetracht der Terroranschläge, die am 11. September 2001 in den Vereinigten Staaten und am 11. März 2004 in Madrid verübt wurden. Die Bürger Europas erwarten zu Recht von der Europäischen Union, dass sie im Hinblick auf die grenzüberschreitenden Probleme wie illegale Einwanderung, Menschenhandel und -schmuggel, Terrorismus sowie organisierte Kriminalität und deren Verhütung gemeinsam und noch wirksamer vorgeht, dabei jedoch die Achtung der Grundfreiheiten und -rechte sicherstellt.«448

Illegale Einwanderung, Menschenhandel und -schmuggel werden, wie dieses Zitat aus der Präambel des »Haager Programms« deutlich macht, aus einer stark und einseitig auf Sicherheit fixierten Perspektive betrachtet. Das dominante Interesse an Sicherheit und das Bestreben nach einer »Versicherheitlichung«449 von Migration (Securitization of Migration) steht eindeutig im Vordergrund des »Haager Programms«. Durch das gezielte Einbringen der Kategorie Raum in den Diskurs um einen »Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts« wird eine bestimmte symbolische Ordnung und ein strategischer Sinnzusammenhang erzeugt und betont: Mit dem Rückgriff auf Raum wird zunächst suggeriert, die EU 445 Europäischer Rat (2004). 446 Europäischer Rat (2001b) und Europäischer Rat (2002: Artikel 61). 447 Allerdings kam erst im Juni 2008 eine Richtlinie zustande – die sogenannte EU-Rückkehrrichtlinie: Europäisches Parlament/Europäischer Rat (2008) – die erstmals gemeinsam durch den Rat und das Europäische Parlament verabschiedet wurde. 448 P_068 (Einleitung) mit eigenen Hervorhebungen. 449 Dieser in den deutschen Sozialwissenschaften mittlerweile sehr geläufige Begriff leitet sich aus dem englischen Begriff der »Securitization« ab, der unter anderem in der sogenannten Kopenhagener Schule der Politikwissenschaften Verwendung findet: siehe unter anderem Buzan et al. (1998).

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stelle sich als ein »quasi-staatliches« Territorium dar – eine ungeachtet aller internen Differenzen räumlich nach außen abgeschlossene Gemeinschaft: Jeder, der ihr angehört, hat einen »festen Platz« und »ist gut aufgehoben« in einer ansonsten unsicheren, instabilen Welt. Im Umkehrschluss heißt das allerdings ebenso, dass alle im gleichen Boot sitzen und die EU dazu verpflichtet ist, gegen die von außen drohenden Gefahren einschließlich der (illegalen) Migration vorzugehen.450 Die Europäische Kommission spricht ganz offen von einer »Schicksalsgemeinschaft«, die es mittels eines wirksamen bzw. wirksameren Schutzes der Grenzen – einer von vielen Maßnahmen zur Steuerung (Verhinderung) von Migration – zu schützen gelte: »[Nur ein] schlüssiger, wirksamer und gemeinsamer Schutz der Außengrenzen der EUMitgliedsstaaten [kann] zur Sicherheit der Bürger beitragen [...] und ihnen das Gefühl vermitteln [...], dass sie Teil eines gemeinsamen Raums und einer Schicksalsgemeinschaft sind.«451

Der »Gemeinsame Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts« ist nach Ansicht der EU ernsthaft gefährdet, da er »eingekreist« ist durch eine Vielzahl von »relevanten Herkunftsregionen«; buchstäblich aus allen Himmelsrichtungen droht die Gefahr der Migration: »In diesem Zusammenhang ist zu berücksichtigen, dass Afrika und die Mittelmeerländer zwar in dieser Mitteilung im Mittelpunkt stehen, aber nur zwei der relevanten Herkunftsregionen darstellen. Die Migrationsproblematik ist ein wesentlicher Bestandteil des Dialogs zwischen der EU und ihren östlichen Nachbarn [...]. Migrationsströme gehen auch von Lateinamerika und dem karibischen Raum aus [...] Außerdem haben viele Migrationsströme in Asien ihren Ursprung [...].«452

In dem 2002 durch das damalige EU-Kommissionsmitglied PATTEN und den damaligen Hohen Repräsentanten für die Gemeinsame Sicherheits- und Außenpolitik (GASP) der EU SOLANA verfassten Brief an die EU ist ebenfalls die Rede von »[...] increased threats from crime, trafficking and illegal migration etc. [...]«, die den Raum der Europäischen Union schon jetzt, in Zukunft aber noch stärker bedrohen würden.453 Wie in den Kapiteln 3.2.2 und 3.2.4 festgestellt werden konnte, wird auch in vielen anderen, dezidiert auf Migration und die Steuerung von Migration bezogenen EU-Verlautbarungen der Eindruck erzeugt, der »Migrationsdruck« baue sich ausschließlich außerhalb der EU auf. Im Zusammenhang mit dem Projekt eines »Raumes der Freiheit, der Sicherheit und des 450 »Die Bürger Europas erwarten zu Recht von der Europäischen Union, dass sie im Hinblick auf die grenzüberschreitenden Probleme wie illegale Einwanderung, Menschenhandel und -schmuggel, Terrorismus sowie organisierte Kriminalität und deren Verhütung gemeinsam und noch wirksamer vorgeht, dabei jedoch die Achtung der Grundfreiheiten und -rechte sicherstellt,« P_068 (Einleitung) mit eigenen Hervorhebungen. 451 P_016 (Einleitung) mit eigenen Hervorhebungen. 452 P_032 (Teil 1) mit eigenen Hervorhebungen. 453 Patten/Solana (2002: Punkt 3).

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Rechts« deutet vieles daraufhin, dass die Migrationspolitik der EU ein wesentliches Instrument der Außen- und Sicherheitspolitik der EU ist. Die Vorschläge der EU zur Steuerung sind, da sie unmittelbar im Kontext des »Haager Programms« und weiterer »Raumprojekte« der EU entstanden sind, verbunden mit einer ausgeprägten Hypostasierung und Reifizierung des Raumes und einer gewissen Raumdialektik zwischen »böser« Welt (Drittstaaten, aus denen Migration und andere Sicherheitsbedrohungen drohen) und »heiler« und zu schützender Welt (EU-Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts). Den Steuerungsvorschlägen der EU in Bezug auf Migration liegt nicht zuletzt deshalb eine scharfe räumliche Trennung zwischen Innen und Außen zugrunde: Die EU entwirft für die Drittstaaten (gezielt also für »den Raum des Außen«) Maßnahmen, die von den jeweiligen Partnerländern umzusetzen sind, während zugleich in ihrem Inneren eine Harmonisierung und vollständige Supranationalisierung der Migrationspolitik verfolgt (Kapitel 3.2.3). Die Europäisierung der Migrationssteuerung bleibt also nicht auf den »Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts« beschränkt. Vielmehr »stülpt« die EU über die Drittstaaten ein Geflecht von Vorschlägen für Regeln, Normen, Verhaltens- und Handlungsweisen über. Es entsteht daraus ein externes Migrationsregime, das man, weil es über die EU hinausreicht, auch als gesamt- oder »paneuropäisches Migrationsregime«454 bezeichnen könnte. In diesem Zusammenhang wäre es allerdings richtiger von einer »EU-ropäisierung« der Migrationssteuerung zu sprechen, wenn man sich auf die Integration von Drittstaaten in die Steuerungsprojekte der EU bezieht, oder wenn es um die Übernahme von EU»Vorschlägen« in die Praxis bestimmter Drittstaaten geht. Mit diesem exakteren Begriff wird kenntlich gemacht, dass das Projekt der Steuerung von Migration jenseits der EU eben durch die EU und ihre Steuerungsakteure vorangetrieben wird. Die EU-ropäisierung von Migrationssteuerung vollzieht sich aus purem Eigeninteresse der EU und dient als Mittel, um den »Binnenraum« der EU als einen »Gemeinsamen Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts« zu konstruieren und vor unerwünschten Wanderungsbewegungen zu schützen. Die EU exterritorialisiert Migrationssteuerung, indem sie Steuerungsaufgaben an die Staaten außerhalb der EU-Außengrenze abgibt. Suggeriert wird damit, dass man illegale Migration durch raumbezogene und räumlich ausgerichtete Eingriffe und Steuerungsprojekte steuern kann. Raum fungiert also nicht nur als ein strukturierendes Beobachtungs- und Argumentationskonzept (Kapitel 4.2.1), Raum ist auch als Mittel der Steuerung – als Steuerungskonzept – angedacht. Während sich die EU selbst als »Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts« konstituieren will, nimmt sie ihr nahes und weiter entfernt liegendes

454 Geiger (2008a: 95-96).

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Umfeld als Gefahrenraum wahr, verortet dort ihre Steuerungsbestrebungen (Kapitel 3.2.2), wodurch Interventionsräume der EU entstehen. Im Hinblick auf einen wirksameren Umgang mit (illegalen) Wanderungsbewegungen bezieht sich der Europäische Rat im Haager Programm zwar mehr oder weniger auf die gleichen Steuerungsvorschläge, wie sie in den speziell zu Migration und Migrationssteuerung entstandenen Verlautbarungen der EU aufgeführt sind (Kapitel 3.2.3). Im »Haager Programm« hebt der Europäische Rat allerdings noch stärker hervor, dass die »[...] Entwicklung einer kohärenten externen Dimension der Unionspolitik für Freiheit, Sicherheit und Recht [...]«455 auf dem migrationspolitischen Gebiet absolute Priorität habe und Interventionen in das Wanderungsgeschehen möglichst bereits auf dem Territorium der Drittstaaten erfolgen sollten. Die Drittstaaten sind nach Meinung des Europäischen Rates »partnerschaftlich« zu unterstützen, »[...] um ihre Fähigkeit zur Regulierung von Wanderungsbewegungen und zum Schutz von Flüchtlingen zu verbessern, illegale Zuwanderung zu verhindern und zu bekämpfen, über legale Zuwanderungsmöglichkeiten zu informieren, Flüchtlingsprobleme durch besseren Zugang zu dauerhaften Lösungen zu begegnen, Grenzschutzkapazitäten aufzubauen, die Dokumentsicherheit zu verbessern sowie die Rückkehrproblematik anzugehen [...]«456

– um letztendlich eben einen Großteil der Steuerung von Migration für die EU übernehmen zu können. In Ergänzung zum »Haager Programm« und ihrer »Migrationsaußenpolitik« hat die EU zusätzlich noch eine Reihe regional spezifisch ausgerichteter Politikprozesse initiiert. Bei einem dieser Politikprozesse handelt es sich um die 2003 verabschiedete Europäische Sicherheitsstrategie (ESS).457 Diese zielt darauf, »[...] östlich der Europäischen Union und an den Mittelmeergrenzen ein[en] Ring verantwortungsvoll regierter Staaten zu schaffen [...]«458 und damit den drohenden Gefahren bereits exterritorial zu begegnen.459 Der ebenfalls 2003 vorgelegte Bericht von KOK zur künftigen Erweiterungsfähigkeit der EU hebt hervor, dass der Erweiterungsprozess der EU ein bedeutsames Instrument der EU darstelle, um im Vorfeld der EU für Sicherheit und Wohlstand zu sorgen.460 Nach Ansicht von

455 456 457 458 459

P_068 (Kapitel III, Absatz 4). P_068 (Kapitel III, Absatz 1.6.1). Europäischer Rat (2003). P_069 (Kapitel II). Diese Zielsetzung war bereits in dem 2002 von PATTEN und SOLANA verfassten Brief an die EU [Patten/Solana (2002)] enthalten, in dem für die Schaffung eines »Wider Europe« plädiert wurde, eines Raumes der Sicherheit, Stabilität, des Friedens und des Wohlstands im direkten Vorfeld der EU-Außengrenze. 460 Vgl. Kok (2003).

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KOK »importiere« die EU durch künftige Erweiterungen nicht die Probleme der betreffenden Länder; vielmehr entstünden durch die Aufnahme neuer Mitglieder und die Vorbereitung der nächsten Erweiterungsrunden immer neue »[...] Möglichkeiten hinsichtlich der Bereitstellung von Lösungen [...].«461 Zugleich macht KOK allerdings auch klar, dass sich die EU nur nach und nach erweitern könne, und letztlich auch einmal an Grenzen der Erweiterungsfähigkeit stoßen würde, weshalb es gelte, auch in Ländern, die nicht als Beitrittsländer vorgesehen sind, für Sicherheit, Stabilität und Wohlstand zu sorgen. Der 1999 gegründete Stabilisierungs- und Assoziierungsprozess für die Länder Südosteuropas (SAP) ist eine Weiterentwicklung des sogenannten »Regional Approach«, den die Europäische Kommission 1997 für Albanien, Bosnien-Herzegowina, Kroatien, Mazedonien und Serbien-Montenegro (bzw. die Bundesrepublik Jugoslawien) initiiert hat.462 In den EU-Dokumenten zum SAP und zum »Regional Approach« wird betont, dass die Zukunft der teilnehmenden Länder mittel- bis langfristig innerhalb der EU liege.463 Die »Membership Perspective« ergab sich für die Teilnehmerländer allerdings erst nach und nach. Zuerst war lediglich von einer engen bilateralen Zusammenarbeit mit den Mitgliedsstaaten der EU die Rede; erst seit 2000 verspricht die EU den Staaten des »Westlichen Balkans« auch offiziell den Beitritt zur EU.464 Im Gegensatz zu Albanien, Bosnien-Herzegowina und den anderen Ländern des SAP wird der Ukraine, die seit 2004 zu den Teilnehmerländern der sogenannten Europäischen Nachbarschaftspolitik (ENP) der EU zählt, bisher keine Möglichkeit auf einen mittel- bis langfristigen EU-Beitritt eingeräumt. Die EU ist allerdings bereits frühzeitig eine enge vertragliche Zusammenarbeit mit der Ukraine eingegangen. Bereits das 1994 mit der Ukraine geschlossene Partnerschafts- und Kooperationsabkommen enthält die Vereinbarung, gemeinsam gegen illegale Migration vorzugehen.465 2001 entwarf der EU-Ministerrat für Justiz und Inneres sogar einen spezifisch für den Bereich Justiz und Inneres ausgear461 Kok (2003: Punkt 21 und Punkt 22). 462 Commission of the European Communities (1997). Slowenien zählt(e) nicht zu den Mitgliedsstaaten im »Regional Approach« und im SAP, da es Mitte der 1990er Jahre bereits offiziell dem Kreis der nächsten Beitrittskandidaten angehörte; der Beitritt Sloweniens zur EU erfolgte am 1. Januar 2007. 463 Commission of the European Communities (1999). 464 Offiziell bekräftigt wurde das Ziel eines EU-Beitritts das erste Mal während des Europäischen Ratstreffens im portugiesischen Santa Maria da Feira (Juni 2000). Nur wenige Monate später wurde in Zagreb ein erstes Treffen aller EU-Regierungs- und Staatschefs (des Europäischen Rates) mit ihren Kollegen aus den fünf »Westbalkanländern« (alle Nachfolgestaaten Jugoslawiens ohne Slowenien plus Albanien) abgehalten: European Council (2000: Artikel 67) und European Union (2000). 465 European Communities/Government of Ukraine (1994: Article 27). Dieses Abkommen ist allerdings erst 1998 in Kraft getreten.

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beiteten Aktionsplan zur Ukraine. Im Grunde stellt dieser einen Strategieplan zur Kontrolle und Vermeidung illegaler Wanderungen dar. Gemäß Artikel 6 soll sich die EU im Rahmen ihrer Zusammenarbeit mit der Ukraine vor allem um eine »[...] bessere Regelung der Migrationsfragen und Anwendung geeigneter Maßnahmen in den Bereichen Grenzverwaltung, Rückübernahme und Visa [bemühen], um zu verhindern, dass das Hoheitsgebiet der Ukraine zunehmend für die illegale Einwanderung und den Transit illegaler Zuwanderer in das Gebiet der Europäischen Union genutzt wird.«466

Die ENP, zu deren Teilnehmerländern die Ukraine seit 2004 zählt, ist als ein Politikprozess konzipiert, der eine Alternative zu einer immer weiter räumlich ausgreifenden und immer weiter fortgesetzten Erweiterung der EU darstellen soll. Den unmittelbar an die EU angrenzenden Staaten, die von einer künftigen EUMitgliedschaft ausgeschlossen sind, soll mittels der ENP eine enge Partnerschaft mit der EU angeboten werden.467 Entlang der EU-Außengrenze sollen keine »scharfen Ränder« entstehen – so die Intention der ENP und ihrer wesentlichen Strategiepapiere.468 Die Teilnehmerländer der ENP sollen deshalb in ihrer wirtschaftlichen, politischen und gesamtgesellschaftlichen Entwicklung durch die EU unterstützt werden.469 Bisher hatte sich die fortwährende Erweiterung der EU und das Angebot einer Beitrittsmöglichkeit immer als ein wirksamer Anreiz (ein »Incentive«) angeboten, um die Nachbarländer der EU zu einer engen Kooperation auf dem Gebiet der Migrationssteuerung anzuhalten. Bezüglich der ENPStaaten stellt sich nun aber die Herausforderung, wie diese Länder zu einer Kooperation bewegt werden können, obwohl ihnen kein Beitrittsversprechen gemacht wird. PATTEN & SOLANA gehen davon aus, dass die aus der »Nachbarschaft« der EU drohenden Gefahren für die EU bald spürbarer werden können – eben weil die EU nun mit ihrer Ostgrenze jetzt auch in Gebiete »vorrücke«, in denen tatsächlich größere Probleme »lauern« würden. »When the frontier of the Union shifts eastwards, the opportunities and challenges raised by our eastern neighbours will affect us more directly than today [...] there are [...] challenges in areas like illegal migration, trafficking and spillover from local or regional crises.«470

466 467 468 469

P_070 (Absatz I. 6 und Absatz I. 7). Kommission der Europäischen Gemeinschaften (2004a). P_071. Siehe auch Patten/Solana (2002) und Kok (2003). An der Europäischen Nachbarschaftspolitik (ENP, gegründet 2004) nehmen teil: Algerien, Armenien, Aserbaidschan, Belarus, Ägypten, Georgien, Israel, Jordanien, Libanon, Libyen, die Republik Moldau, Marokko, das Gebiet Palästina (Westjordanland und GazaStreifen), Syrien, Tunesien und die Ukraine. Im Fall von Belarus (»Weißrussland«), Libyen und Syrien ist die ENP bisher allerdings noch nicht offiziell initiiert. Die Russische Föderation gehört nicht der ENP an; die EU verfolgt mit ihr eine sogenannte strategische Partnerschaft. 470 Patten/Solana (2002: Punkt 4).

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Für die ENP-Staaten ist deshalb begonnen worden, spezifische Aktionspläne für den Bereich Justiz und Inneres auszuarbeiten, die auch Bestimmungen zur Steuerung von Migration beinhalten. Im Fall der Ukraine ist der erst 2005 neu ausgearbeitete Aktionsplan nach kürzester Zeit schon wieder neu überarbeitet worden. Seit 2007 liegt ein neuer Aktionsplan vor – zweifelsohne ein Beleg dafür, wie wichtig der EU die migrationsbezogene Zusammenarbeit mit der Ukraine ist.471 Erneut stellt sich allerdings die Frage, ob, inwieweit und durch wen eigentlich die Vorschläge bzw. Forderungen der EU in der Ukraine tatsächlich umgesetzt werden. Das Gleiche gilt es im Fall des SAP auch in Bezug auf Albanien und Bosnien-Herzegowina zu fragen.

4.3 Internationale Regierungsorganisationen in der EU-Migrationspolitik Ausgehend von Erkenntnisinteresse E3 (Kapitel 2.3.2) wurde in Kapitel 3 die Inanspruchnahme von spezialisierten IRO durch die EU untersucht. Insgesamt konnten sechs Funktionen herausgearbeitet werden (Kapitel 3.3.1), die spezialisierte IRO nach Meinung des Europäischen Rates, des Ministerrates für Justiz und Inneres und der Europäischen Kommission bei der Steuerung von Migration im Auftrag der EU übernehmen sollen: Internationale Regierungsorganisationen sollen als Lieferanten von Wissen und Knowhow (Funktionen 1 und 2), als Programm-, Kontroll- und als sogenannte Forumorganisationen (Funktionen 3 bis 5) dienen, und schließlich als operative Akteure auch einen Teil der praktischen Umsetzung von EU-Migrationspolitik unterstützen oder ganz übernehmen (Kapitel 3.3.1: Tabelle 9 und Kapitel 3.3.2). Die gewonnenen empirischen Befunde deuten darauf hin, dass die Exterritorialisierung von Steuerungsaktivitäten, die ein wichtiges Kennzeichen der EU-Migrationspolitik darstellt (Kapitel 3.2.2 bis 3.2.4), begleitet ist durch die Externalisierung von Steuerungsaufgaben an internationale Regierungsorganisationen (Kapitel 3.3472). Die Einbeziehung von IRO in eine vermeintlich gesamt- oder »pan-europäische« Migrationspolitik, die im Wesentlichen aber durch die EU und ihre Institutionen und Mitgliedsstaaten bestimmt wird, ist allerdings nichts Neues und nicht weiter ungewöhnlich.473 Bereits in den frühen 1990er Jahren kam spezialisierten IRO eine wichtige Rolle zu, als es um die Anbahnung einer räumlichen Verlagerung (Exterritorialisierung) von Steuerungsaufgaben in die 471 European Communities/Government of Ukraine (2007). 472 Dies ist wichtig im Hinblick auf die Frage, ob, wie und warum Raum im Zuge der Instrumentalisierung von internationalen Regierungsorganisationen eine Funktion übernimmt, vgl. Kapitel 2.3.2. 473 Siehe hierzu und im Folgenden unter anderem Geiger (2008b: 8-18) und Georgi (2003).

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Für die ENP-Staaten ist deshalb begonnen worden, spezifische Aktionspläne für den Bereich Justiz und Inneres auszuarbeiten, die auch Bestimmungen zur Steuerung von Migration beinhalten. Im Fall der Ukraine ist der erst 2005 neu ausgearbeitete Aktionsplan nach kürzester Zeit schon wieder neu überarbeitet worden. Seit 2007 liegt ein neuer Aktionsplan vor – zweifelsohne ein Beleg dafür, wie wichtig der EU die migrationsbezogene Zusammenarbeit mit der Ukraine ist.471 Erneut stellt sich allerdings die Frage, ob, inwieweit und durch wen eigentlich die Vorschläge bzw. Forderungen der EU in der Ukraine tatsächlich umgesetzt werden. Das Gleiche gilt es im Fall des SAP auch in Bezug auf Albanien und Bosnien-Herzegowina zu fragen.

4.3 Internationale Regierungsorganisationen in der EU-Migrationspolitik Ausgehend von Erkenntnisinteresse E3 (Kapitel 2.3.2) wurde in Kapitel 3 die Inanspruchnahme von spezialisierten IRO durch die EU untersucht. Insgesamt konnten sechs Funktionen herausgearbeitet werden (Kapitel 3.3.1), die spezialisierte IRO nach Meinung des Europäischen Rates, des Ministerrates für Justiz und Inneres und der Europäischen Kommission bei der Steuerung von Migration im Auftrag der EU übernehmen sollen: Internationale Regierungsorganisationen sollen als Lieferanten von Wissen und Knowhow (Funktionen 1 und 2), als Programm-, Kontroll- und als sogenannte Forumorganisationen (Funktionen 3 bis 5) dienen, und schließlich als operative Akteure auch einen Teil der praktischen Umsetzung von EU-Migrationspolitik unterstützen oder ganz übernehmen (Kapitel 3.3.1: Tabelle 9 und Kapitel 3.3.2). Die gewonnenen empirischen Befunde deuten darauf hin, dass die Exterritorialisierung von Steuerungsaktivitäten, die ein wichtiges Kennzeichen der EU-Migrationspolitik darstellt (Kapitel 3.2.2 bis 3.2.4), begleitet ist durch die Externalisierung von Steuerungsaufgaben an internationale Regierungsorganisationen (Kapitel 3.3472). Die Einbeziehung von IRO in eine vermeintlich gesamt- oder »pan-europäische« Migrationspolitik, die im Wesentlichen aber durch die EU und ihre Institutionen und Mitgliedsstaaten bestimmt wird, ist allerdings nichts Neues und nicht weiter ungewöhnlich.473 Bereits in den frühen 1990er Jahren kam spezialisierten IRO eine wichtige Rolle zu, als es um die Anbahnung einer räumlichen Verlagerung (Exterritorialisierung) von Steuerungsaufgaben in die 471 European Communities/Government of Ukraine (2007). 472 Dies ist wichtig im Hinblick auf die Frage, ob, wie und warum Raum im Zuge der Instrumentalisierung von internationalen Regierungsorganisationen eine Funktion übernimmt, vgl. Kapitel 2.3.2. 473 Siehe hierzu und im Folgenden unter anderem Geiger (2008b: 8-18) und Georgi (2003).

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postkommunistischen Transformationsländer Ost-, Mittel- und Südosteuropas ging. 1991 wurde auf Initiative Österreichs und Deutschlands damit begonnen, regelmäßig Treffen von Regierungschefs, Ministern und hochrangigen Verwaltungsbeamten speziell zum Thema der Ost-West-Migration abzuhalten. Das Novum war, dass zu diesen Gesprächsrunden neben den Mitgliedsländern der EG und der EFTA auch die Transformationsländer selbst eingeladen waren. Von Beginn an saßen als (vermeintlich) unabhängige Dritte aber auch Vertreter internationaler Regierungsorganisationen mit am Tisch. Aus dem bis heute wichtigsten europäischen Konsultationsforum zu Migration, dem sogenannten Budapester Prozess (gegründet 1991), ist 1993 sogar selbst eine IRO entstanden: Das in Wien ansässige ICMPD (International Centre for Migration Policy Development).474 Allein mit der Hilfe dieser vergleichsweise recht kleinen IRO (Kapitel 5.2.1) wurden bis Ende 2004 weit mehr als 100 Regierungstreffen zu Migration abgehalten. Beachtlich ist auch die Fülle an Empfehlungen, die während dieser Treffen unter Vermittlung des ICMPDs beschlossen worden sind. So wurden beispielsweise 1997 während eines einzigen Treffens in Prag mehr als 55 Empfehlungen angenommen, unter anderem zur Bekämpfung des Menschenhandels, zu besseren Visaverfahren, zur Implementation von Rückführungsabkommen und zur Standardisierung migrationsbezogener Daten.475 Für die Staaten auf dem Gebiet der GUS entstand 1993 als Pendant zum Budapester Prozess auf Initiative der Russischen Föderation, des UNHCRs und der IOM der sogenannte CIS-Prozess.476 1996 stieß zu diesem Forum noch eine weitere IRO hinzu: Die OSCE (dt. OSZE), die als Neugründung aus der Konferenz für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (KSZE) hervorgegangen war, übernahm zusammen mit dem UNHCR und der IOM die Rolle einer verwaltenden Forumorganisation.477

474 Vgl. Hansen (2005: 10) und Hofmann et al. (2004: 79-96). 475 In Europa entstand in den 1990er Jahren eine beachtliche Anzahl von sogenannten RCPs oder RCMPs (Regional Consultative Processes bzw. Regional Consultative Migration Processes). HOFMANN el al. sprechen von insgesamt über fünfzehn Foren, die alleine bis Ende des Jahres 1993 initiiert wurden und mehr oder weniger regelmäßig tagten. Vgl. Hofmann et al. (2004: 79-93), siehe außerdem Thouez/Channac (2005). Das große Vorbild der europäischen RCPs waren die »Intergovernmental Consultations on Asylum, Refugees and Migration Policies in Europe, North America and Australia« (IGC) – ein globales Konsultationsforum zu Migration, das bereits 1985 gegründet worden war. Den internationalen Regierungsorganisationen UNHCR und IOM kam innerhalb dieses Forums von Anfang an eine Schlüsselfunktion in der Organisation zu. 476 Englische Abkürzung für »Commonwealth of Independent States«. 477 IOM/UNHCR (1993: 348).

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Rückblickend spielten internationale Regierungsorganisationen somit schon Anfang der 1990er Jahre eine bestimmende Rolle in der Externalisierung und Exterritorialisierung der Steuerungsbestrebungen der EG- und EFTA-Staaten.478 Wie GEORGI anhand einer Vielzahl von empirischen Ergebnissen zum ICMPD belegt, begannen spezialisierte IRO in dieser Zeit neben der Organisation von Gesprächsforen auch als Lieferanten von Wissen und Knowhow, als Programm- und Kontrollorganisationen sowie als operative Akteure innerhalb eines neu entstehenden gesamteuropäischen Migrationsregimes zu fungieren.479 Die IOM, die OSCE und das UNHCR eröffneten in den mittel-, ost- und südosteuropäischen Ländern und auf dem Gebiet der UdSSR eigene Vertretungen und wurden »lokal« selbst aktiv. Eine polnische Zeitzeugin berichtet, dass erst die Eröffnung der Büros des UNHCRs und der IOM in Warschau das Startsignal für die Entwicklung einer neuen polnischen Migrations- und Asylpolitik gegeben habe.480 Erst nachdem sich das UNHCR und die IOM »vor Ort« als Akteure niedergelassen hatten und begannen, die polnische Regierung in Migrationsfragen zu beraten, wurde der Beitritt Polens zur GFK und anderen internationalen Verträgen überhaupt möglich; nur damit gelang es der deutschen Regierung und anderen westeuropäischen Zielländern dann auch, mit der polnischen Seite Abkommen zur Rückführung illegaler Migranten auszuhandeln und das Land zur Angleichung seiner Gesetzgebung an das Schengener Vertragswerk, die Dubliner Konvention und andere Normen der EG zu bewegen.481 Allein für die Modernisierung der Grenzüberwachung der mittel- und osteuropäischen Transformationsländer wurden zwischen 1995 und 1997 rund 54 Millionen Euro durch das PHARE-Programm der EG bereitgestellt;482 der größte Teil dieser Transfers kam Aktivitäten zugute, die spezialisierte IRO im Auftrag der EU auf dem Staatsgebiet der Transformationsländer umsetzten.

478 Diese Annahme wird auch von Geddes (2003: 182), Grabbe (2002), Lavenex (1999: xi) und Pollet (2001: 349-355) geteilt. 479 Vgl. Georgi (2003). 480 Vgl. Głąbicka (ohne Jahr: 1-5). 481 Der Beitritt Polens zur GFK und die Etablierung eines polnischen Asylsystems mit Hilfe des UNHCRs ermöglichte es den westeuropäischen Ländern innerhalb kürzester Zeit (bereits 1993), Polen als »sicheres Herkunfts- und Transitland« einzustufen und von nun an allen polnischen Asylantragstellern in den Vertragsstaaten des Schengener und des Dubliner Abkommens Asyl zu verweigern und Transitmigranten wieder an das polnische Asylsystem zu verweisen. Vgl. Kaźmierkiewicz (2004: 3-13). 482 Dieses Programm (PHARE für »Poland and Hungary: Aid for Restructuring of the Economies«) war 1989 ursprünglich nur für Polen und Ungarn von der EG aufgelegt worden, wurde später dann aber auf insgesamt 13 Transformationsländer in (Süd-)Ost- und Mitteleuropa ausgeweitet. Vgl. Kommission der Europäischen Gemeinschaften (2001).

164 12:10:05.

In Kapitel 5 wird es nun um die konkrete Umsetzung von migrationssteuernden Maßnahmen durch spezialisierte IRO gehen. Wie die Auswertung von EU-Dokumenten in Kapitel 3.3.2 ergab, referieren die Gemeinschaftsinstitutionen der EU, was die Einbeziehung von internationalen Regierungsorganisationen in Aufgaben zur Steuerung von Migration anbelangt, auf den »Raum« außerhalb der EU. IRO sollen dort im Auftrag der EU Steuerungsaufgaben übernehmen. Für die Analyse der Implementation von EU-Migrationssteuerung durch spezialisierte IRO wurden in Kapitel 2.3.2 drei weitere Erkenntnisinteressen formuliert: Erkenntnisinteresse E4 beschäftigt sich mit der Wahrnehmung der drei Untersuchungsländer und ihrer Wanderungssituation durch spezialisierte IRO. Die Frage, welche Vorschläge die betrachteten IRO selbst zur Beeinflussung der Wanderungssituation der drei Untersuchungsländer und damit zur Steuerung von Migration vorschlagen, steht im Mittelpunkt von Erkenntnisinteresse E5. Ausgehend von dem letzten Erkenntnisinteresse (E6) werden schließlich die konkreten Steuerungsaktivitäten von spezialisierten IRO in den Blick genommen und die sich aus ihnen ergebenden Folgen (für Migranten, das Wanderungsgeschehen, die Untersuchungsländer und die EU). Bei den Erkenntnisinteressen E4 bis E6 wird außerdem jeweils untersucht, ob Raum als Kategorie für die Steuerung von Migration bestimmte Funktionen übernimmt.

165 12:10:05.

IV.

Die exterritoriale Implementation von EU-Migrationspolitik durch internationale Regierungsorganisationen: Albanien, Bosnien-Herzegowina und Ukraine

5. Migrationssteuerung durch internationale Regierungsorganisationen 5.1 Die Untersuchungsländer und das Migrationsgeschehen in den 1990er Jahren Wie in Kapitel 3.2.4 anhand von Primärdokumenten der EU gezeigt worden ist, geben sich der Europäische Rat, der Ministerrat für Justiz und Inneres und die Europäische Kommission hinsichtlich des Wanderungsgeschehens in den drei Untersuchungsländern äußerst besorgt. Gerade in Albanien, Bosnien-Herzegowina und der Ukraine ist nach dem Zusammenbruch der kommunistischen Regime gerade das eingetreten, was viele zuvor befürchtet hatten, nämlich die Emigration bzw. im Fall von Bosnien-Herzegowina die Flucht eines beachtlichen Teils der Bevölkerung. Wie Tabelle 11 (folgende Seite) zeigt, sahen sich in den 1990er Jahren rund 500.000 bis 600.000 Albaner, und damit rund ein Fünftel der damaligen Gesamtbevölkerung Albaniens, zur Auswanderung veranlasst. Bezüglich der Ukraine ist die Datenlage schlechter als in Bezug auf Albanien. Die Schätzungen zum Ausmaß der Emigration variieren zwischen zwei und bis zu sieben Millionen ukrainischen Staatsbürgern, die zwischen 1990 und 1999 ihrer Heimat, entweder für immer oder für eine gewisse Dauer, den Rücken gekehrt haben könnten. Je nach Schätzung machte diese Emigration entweder »nur« rund vier Prozent oder beachtliche fünfzehn Prozent der damaligen Gesamtbevölkerung aus. Im Gebiet des heutigen Staates Bosnien-Herzegowina wurden im Zuge des gewaltsamen Auseinanderbrechens der früheren Volksrepublik Jugoslawien zwischen 1991 und 1995 wohl 2,3 Millionen Menschen, und damit mehr als zwei Drittel der damaligen Bevölkerung, zu Binnenflüchtlingen, Binnenvertriebenen oder sahen sich zur Flucht ins Ausland veranlasst.483

483 Vg. Pastore (1998) und Vullnetari (2007) sowie Tabelle 11.

166 12:10:31.

2.440 US$

1.745 Mio. US$ 43 %

3,785 Mio. 4,435 Mio. 74 E/km2 17 %

2.580 US$

889 Mio. US$ 14 %

3,103 Mio. 3,182 Mio. 108 E/km2 27 %

Bruttonationaleinkommen pro Kopf, 2005

Rücküberweisungen, 2003

Arbeitslosigkeit (15-24jährige), 2002

Bevölkerung

Bevölkerungsdichte, 2004

Bevölkerungsanteil < 15 Jahren, 2005

ca. 2.300.000

+ 40.000 EU-25 (352.500) Dänemark (17.600 fb) Deutschland (157.000) Österreich (145.200) Schweden (55.500 fb)

ca. 500.000 bis 600.000

- 100.000 EU-25 (780.000) Griechenland (347.400) Italien (375.900)

Emigration/Flucht/Vertreibung in den 1990er Jahren

Wanderungssaldo, 2000-2005

Wichtigste Zielländer in der EU (migrant stock), 2006

2004 1998

Sarajevo

Tirana

Hauptstadt

51.129 km

28.748 km

Fläche

2

SAP

SAP

Teilnahme EU-Politikprozess 2

1992

1945

Bosnien-Herzegowina

Staatliche Unabhängigkeit

Albanien

12:10:31.

EU-25 (450.000) Deutschland (129.000) Italien (120.100) Polen (312.300 fb) Portugal (41.900) Spanien (67.000) Tschechien (102.600)

- 700.000

ca. 2.000.000 bis 3.000.000 (maximal 7.000.000)

15 %

79 E/km2

47,400 Mio. 51,700 Mio.

39 %

330 Mio. US$

1.520 US$

Kiew

603.700 km2

ENP

1991

Ukraine

Tabelle 11: Statistische Informationen zu den Untersuchungsländern fb = Im Ausland geborene Staatsbürger (foreign borns).

Quelle: Commission of the European Communities (2007: 75); IBRD/The World Bank (2007a: 31-63 und 115-125); IBRD/The World Bank (2007b: 274-297) und OECD (2008: 247, 253, 301 und 303-348).

Obwohl es Albanern unter kommunistischer Herrschaft (1945 bis 1990) bei Todesstrafe verboten war, ihr Heimatland zu verlassen, besitzt Albanien heute eine

167

große Auslandsdiaspora im Gebiet der EU-Staaten; diese Diaspora ist hauptsächlich das Resultat der umfangreichen Emigration in den 1990er Jahren. Nach PASTORE und VULLNETARI lassen sich vier Phasen der albanischen Emigration unterscheiden: 1990 gilt als das Jahr der sogenannten Protest- bzw. Botschaftsmigration, bei der einigen tausend Albanern mittels der Erstürmung und Besetzung westlicher Botschaften die Flucht aus Albanien gelang.484 Bereits 1991 kam es zu einer zweiten Auswanderungsbewegung aus Albanien, die als Phase der unkontrollierten Migration bezeichnet wird: Relativ spontan verließen rund 275.000 Menschen ihr Heimatland und machten sich vor allem in die beiden unmittelbaren Nachbarländer und EG-Mitgliedsstaaten Griechenland und Italien auf.485 Dabei zogen vor allem die Gegenmaßnahmen der italienischen Regierung gegen diese große Wanderungsbewegung die Aufmerksamkeit der Weltöffentlichkeit auf sich: Denn während man die albanischen Migranten 1990 noch mit großer Solidarität (und nicht als »illegale Migranten« sondern als »Flüchtlinge«) empfangen hatte, wurde nun die italienische Marine zur Abwehr der meist gekaperten und völlig überladenen Fracht- und Passagierschiffe eingesetzt; außerdem wurden innerhalb kürzester Zeit Zehntausende Albaner wieder zurück in ihr Heimatland abgeschoben.486 Aber auch Griechenland, wenngleich von den Medien weniger beachtet, entschloss sich zu einer radikalen Lösung des albanischen »Migrationsproblems«, zur sogenannten »Kehraktion«, bei der allein im Dezember 1991 schätzungsweise 100.000 Albaner wieder in ihr Heimatland abgeschoben wurden. 1992 setzte nach Meinung von PASTORE eine weitere, dritte Phase der albanischen Emigration ein, die der sogenannten sensiblen Migration.487 Unter der Regierung von Ministerpräsident BERISHA hatte sich die sozioökonomische und politische Lage Albaniens etwas stabilisiert, die Emigration vollzog sich weniger spontan und unkontrolliert, sondern basierte zunehmend auf Planung; oft wurden nur noch einzelne Familienangehörige ins Ausland geschickt, um mit deren Rücküberweisungen das Einkommen der in Albanien verbleibenden Familienmitglieder abzusichern.488 In der Folge des Zusammenbruchs eines spekulativen Geldanlagesystems (Pyramidensystem) setzte 1997 allerdings erneut eine umfangreiche Auswanderungsbewegung ein. Ihrer finanziellen Rücklagen beraubt, blieb für Zehntausende Albaner abermals nur die Flucht nach vorn: die Emigration. Die Hauptziele der albanischen Migranten bildeten erneut Griechenland und Italien.489 Diese vierte Auswanderungsbewegung 484 Im Original: »Stage of Protest Migration” [Pastore (1998: 2)] bzw. »Embassy Migrants« [Vullnetari (2007: 31-32)]. 485 Vgl. Pastore (1998: 2; »Stage of Uncontrolled Migration«) und Doka (2000: 36). 486 Vgl. hierzu und im Folgenden King/Vullnetari (2003: 5-6) und Leuthardt (1994: 45-47). 487 Vgl. Pastore (1998: 2; »Stage of Sensible Migration«). 488 Siehe Vullnetari (2007: 33). 489 Vgl. Pastore (1998: 2) und Vullnetari (2007: 34-35).

168 12:10:31.

innerhalb von nur sieben Jahren – PASTORE verwendet für sie den etwas irreführenden Begriff der »Flight Migration«490 – führte zu einer erneuten Seeblockade durch Italien. Der UN-Sicherheitsrat erteilte schließlich sogar das Mandat für eine internationale Schutztruppe: Rund 6.000 Soldaten und Polizisten aus Frankreich, Spanien, der Türkei, Rumänien, Österreich und Dänemark landeten in Albanien und arbeiteten mit der »Lead Nation« Italien an der Umsetzung des UNMandates zur Stabilisierung Albaniens.491 Für eine kurze Zeit gelang es damit, den Auswanderungsstrom zu reduzieren. 1999 kam es dann allerdings schon wieder zu einem raschen Anstieg der Emigration aus Albanien: Grund war diesmal der Konflikt zwischen der NATO und Serbien im benachbarten, mehrheitlich durch ethnische Albaner besiedelten Kosovo. Freiwillig und von den Mitgliedsstaaten von EU und NATO begrüßt, nahm Albanien innerhalb von nur vier Monaten rund 450.000 Flüchtlinge aus dem Kosovo auf. Dieser Massenzustrom musste zwangsläufig zu einer erneuten Destabilisierung der Lage in Albanien führen, aus der sich wiederum eine Auswanderungsbewegung entwickelte, die neben Staatsangehörigen Albaniens allerdings nun auch Transitmigranten und Asylsuchende aus dem Kosovo einschloss.492 Bosnien-Herzegowina entstand als Staat im November 1995 durch das Friedensabkommen von Dayton, nachdem es sich bereits 1992, nur wenige Monate später als die anderen Teilrepubliken Kroatien, Slowenien und Mazedonien, von der Volksrepublik Jugoslawien losgesagt hatte.493 Mit seiner Unabhängigkeitserklärung zog sich Bosnien-Herzegowina den Zorn der serbisch dominierten Führung Restjugoslawiens und der unter ihrem Kommando stehenden »jugoslawischen« Volksarmee zu. Zwischen 1992 und 1995 kam es im Zuge der kriegerischen Auseinandersetzungen zwischen Serben, muslimischen Bosniaken und Kroaten zur Flucht und Vertreibung von rund 2,3 Millionen Menschen. 1993 sahen sich die internationale Gemeinschaft und die NATO unter Führung der USA schließlich veranlasst, innerhalb von Bosnien-Herzegowina spezielle Gebiete zur Aufnahme und zum Schutz von Flüchtlingen einzurichten, unter anderem rund um die Städte Srebrenica und Zepa. Im Juli 1995 wurden dann allerdings auch diese Schutzzonen von serbischen Einheiten erobert; es kam zu unbeschreiblichen Gräueltaten an der Zivilbevölkerung, während die internationale Gemeinschaft 490 491 492 493

Pastore (1998: 2). Vgl. Perlmutter (1998). Vgl. Vullnetari (2007: 35). Siehe Brusis (2004: 71-73), Falkenstein (1997: 84-86), Fassmann/Münz (1994c: 26), Janjetovic (2004: 182-183), Krech (1997) und Oschlies (1997: 21-47). Aufgrund eines Namensstreits zwischen Griechenland und Mazedonien wird Mazedonien offiziell weiterhin als Frühere Jugoslawische Republik Mazedonien (FYROM; Former Yugoslav Republic of Macedonia) bezeichnet.

169 12:10:31.

und das UNHCR tatenlos zusehen mussten. Als die Kampfhandlungen schließlich durch die NATO unterbunden worden waren, vermittelten die USA Ende 1995 im Vertrag von Dayton (Annex 7) einen Friedensschluss. Diesem zufolge sollten alle Flüchtlinge und Vertriebene gefahrlos in ihre Heimat zurückkehren können und mittels Rückgabe oder Rekompensation ihres Eigentums entschädigt werden. In den Jahren vor dem Friedensschluss hatten sich rund eine Million Menschen als Binnenflüchtlinge oder -vertriebene in anderen Teilen des heutigen bosnisch-herzegowinischen Gebiets niedergelassen. 550.000 waren in die anderen, ebenfalls unabhängig gewordenen Teilrepubliken des früheren Jugoslawiens und in andere südosteuropäische Staaten geflüchtet. 580.000 Personen aus Bosnien-Herzegowina waren als Bürgerkriegsflüchtlinge nach West- und Nordeuropa gelangt, während etwa 90.000 in Ländern außerhalb Europas Zuflucht gefunden hatten.494 Deutschland war mit rund 350.000 aufgenommenen Flüchtlingen weltweit das wichtigste Aufnahmeland. Wie in vielen anderen Aufnahmeländern auch, wurde den Bürgerkriegsflüchtlingen aus Bosnien-Herzegowina und anderen Teilen des früheren Jugoslawiens in Deutschland kein Asyl im Sinne der GFK gewährt, sondern ein neu geschaffener Rechtsstatus: die sogenannte Duldung – Man hatte beschlossen, die Abschiebung der temporär aufgenommenen Flüchtlinge einfach so lange auszusetzen, bis die Kampfhandlungen in BosnienHerzegowina beendet waren und dann möglichst rasch mit der Rückführung bzw. Abschiebung zu beginnen. Im Januar 1996, nur wenige Monate nach dem Friedensabkommen von Dayton, fasste die deutsche Innenministerkonferenz einen Beschluss, der für eine gestaffelte Rückkehr aller Bürgerkriegsflüchtlinge plädierte. In einer ersten Phase sollten bis Anfang 1997 alle alleinstehenden Erwachsenen, alle Ehepaare ohne Kinder und alle Erwachsenen, deren Ehegatte oder minderjährige Kinder in Bosnien-Herzegowina verblieben waren, in ihre Heimat zurückkehren – wenn nötig, unter Einsatz von staatlichen Zwangsmaßnahmen. Diese forcierte Rückkehrpolitik Deutschlands und anderer Aufnahmeländer war aus heutiger Sicht äußerst effektiv, unter humanitären und moralisch-ethischen Gesichtspunkten jedoch äußerst problematisch. Schon im Juni 1997 hielten sich von den 350.000 einst aufgenommenen Flüchtlingen schätzungsweise nur noch knapp 75.000 in Deutschland auf. Bestärkt durch den Erfolg ihrer Bemühungen, starteten die deutsche Regierung und die Länderregierungen im Juli 1997 die zweite Phase ihrer Politik der gestaffelten Rückkehr: Auch Traumatisierte, Behinderte, Rentner und mittlerweile nicht mehr in der (Schul-)Ausbildung oder im Studium befindliche Jugendliche und junge Erwachsene sollten nun zurückkehren.495 Bis Ende 2000 verringerte sich die Zahl der in 494 Vgl. Baldwin-Edwards (2006: 3) und Widgren (1999). Insgesamt verteilte sich der Strom von Flüchtlingen aus Bosnien-Herzegowina auf sage und schreibe 110 Länder. 495 Vgl. Currle/Rühl (2004: 48-49).

170 12:10:31.

Deutschland »geduldeten« Bürgerkriegsflüchtlinge aus Bosnien-Herzegowina dadurch auf nur noch 23.000.496 Da viele andere Aufnahmeländer ebenfalls Rückführungen durchführten, lebte 1998 bereits rund ein Viertel (580.000 Personen) aller Geflohenen und Vertriebenen wieder in Bosnien-Herzegowina.497 Im Jahr 1989, zwei Jahre vor der (erneuten498) staatlichen Unabhängigkeit der Ukraine, lebten als Folge von Vertreibungen, Umsiedlungsaktionen und freiwilligen Binnenwanderungen fast 6,8 Millionen Ukrainer außerhalb der Ukrainischen Sozialistischen Sowjetrepublik in einer anderen Republik der Sowjetunion, 4,4 Millionen davon in der Russischen Sozialistischen Föderativen Sowjetrepublik und rund 890.000 in der Kasachischen Sozialistischen Sowjetrepublik.499 Die 1991 staatlich wieder unabhängig gewordene Ukraine konnte bis 1993 zunächst von einem Wanderungsüberschuss profitieren: Neben ethnischen Ukrainern kehrten auch Deutsche, Juden und Tataren aus dem Norden und fernen Osten Russlands sowie aus Kasachstan in die Ukraine zurück.500 Zwischen 1994 und 1998 änderte sich die Lage grundlegend: Die Ukraine wies mit den anderen GUS-Staaten plötzlich ein beachtliches Wanderungsdefizit (-300.000 Migranten) auf: Nach dem Ende des Rückkehrprozesses ethnischer Ukrainer aus anderen Teilen der früheren UdSSR war es zu einer erheblichen Verschlechterung der sozioökonomischen Lage der Ukraine gekommen. Viele der in der Ukraine lebenden ethnischen Russen zog es deshalb zusammen mit ukrainischen Staatsbürgern (erneut) in die Russische Föderation. Nach 1999 wies die Ukraine mit den anderen früheren Sowjetrepubliken dann beständig ein negatives Wanderungssaldo auf.501 Bezüglich der internationalen Emigration aus der Ukraine in Staaten außerhalb des Gebietes der früheren UdSSR lässt sich für den Zeitraum bis 1989 als umfangreiche Wanderungsbewegung lediglich die seit den frühen 1970er Jahren behördlich unterstützte Emigration von Juden, Deutschen und anderen Minderheiten nennen. In der ersten Hälfte der 1990er Jahre sollen dann pro Jahr rund 300.000 frühere Sowjetbürger einschließlich ukrainische Staatsangehörige nach Westeuropa, Nordamerika und in andere Länder außerhalb der früheren

496 Siehe D’Onofrio (2004: 8). 497 Vgl. Widgren (1999). 498 Die Ukraine hatte nach der Oktoberrevolution 1917 erstmals ihre staatliche Unabhängigkeit ausgerufen. Dieser Proklamation folgte im Dezember 1917 eine Invasion durch Sowjettruppen und die gewaltsame Einverleibung der Ukraine in die UdSSR. 499 Hierzu und im Folgenden vgl. Malynovska (2006), Schwarz (1998: 5-7) und Tishkov et al. (2005: 1-2). 500 Siehe Malynovska (2004: 6-10). 501 Laut Ivakhnyuk (2008: 25) betrug der Wanderungsverlust der Ukraine mit den anderen Nachfolgestaaten der UdSSR bis 1999/2000 jährlich noch rund 75.000, in den Jahren nach 2000 durchschnittlich nur noch 17.700 Personen pro Jahr.

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Sowjetunion ausgewandert sein.502 Ab der Mitte der 1990er Jahre kam es schließlich vor allem unter den Ukrainern zu einem signifikanten Anstieg der Emigration. Dadurch erhöhte sich zwischen 1998 und 2001 in Westeuropa und Nordamerika auch die Zahl der ukrainischen Asylantragsteller von 1.826 auf fast 10.000.503 Wichtig ist im Zusammenhang mit diesen wanderungsbezogenen Daten allerdings der Hinweis, dass bis in die Gegenwart erhebliche Probleme bei der statistischen Erfassung von Wanderungen bestehen, insbesondere hinsichtlich der Wanderungsbewegungen zwischen der Ukraine und Russland, die sich größtenteils »spontan« und rechtlich nicht legitimiert (illegal) vollziehen.504 Weitgehend unklar geblieben ist deshalb auch das Ausmaß der ukrainischen Auswanderung nach 1991: Die Behörden und Auslandsvertretungen der Ukraine gaben im Jahr 2003 an, dass sie von etwas mehr als zwei Millionen ukrainischen Arbeitsmigranten ausgehen, die legal oder illegal, auf Dauer oder zeitlich befristet außerhalb der Ukraine beschäftigt seien. Die Zahl der in der Russischen Föderation tätigen Ukrainer wurde dabei auf etwa eine Million geschätzt; 300.000 ukrainische Arbeitsmigranten wurden für Polen, 200.000 für Italien, 100.000 bis 200.000 für die Tschechische Republik, 150.000 für Portugal, 100.000 für Spanien, 35.000 für die Türkei und etwa 20.000 für die USA angenommen.505 Nach Aussage der ukrainischen Migrationsforscherin MALYNOVSKA lagen die tatsächlichen Auswandererzahlen seit Beginn der 1990er Jahre vermutlich noch um einiges höher. So kursiert auch eine Schätzung derzufolge seit den 1990er Jahren bis zu sieben Millionen Ukrainer in Richtung der EU und Nordamerika ausgewandert sein könnten, in anderen Veröffentlichungen ist dagegen von lediglich zwei bis drei Millionen die Rede.506 Tabelle 11 enthält über diese Angaben zu den 1990er Jahren hinaus auch Zahlen zu den im Jahre 2006 in den 25-EU-Mitgliedsstaaten lebenden Staatsangehörigen von Albanien, Bosnien-Herzegowina und der Ukraine; außerdem sind auch die wichtigsten Zielländer der albanischen, bosnisch-herzegowinischen und ukrainischen Emigration innerhalb der EU aufgeführt. Die genannten Zahlen umfassen allerdings nur die behördlich registrierten, legal aufhältigen und statistisch erfassten Migranten. Genauere Angaben zur Zahl der tatsächlich (legal und illegal bzw. statistisch erfasst und nicht erfasst) innerhalb der EU lebenden albanischen, bosnisch-herzegowinischen oder ukrainischen Staatsangehörigen sind nicht ver502 Hierzu und im Folgenden vgl. Shamshur (1998: 5) und Tishkov et al. (2005: 14-15). 503 Vgl. Tishkov et al. (2005: 25). 504 Ivakhnyuk (2008: 39) schätzt, dass sich im Jahr 2000 in der Russischen Föderation bis zu 1,5 Millionen illegale, statistisch und melderechtlich nicht erfasste ukrainische Arbeitsmigranten aufgehalten haben. 505 Vgl. hierzu und im Folgenden Malynovska (2004: 13) und Tishkov et al. (2005: 25-26). 506 Siehe Keryk (2004: 1) und Malynovska (2004: 14).

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fügbar.507 Die Zahl der illegalen Migranten aus Albanien, Bosnien-Herzegowina und der Ukraine ist wohl nicht unerheblich, bedenkt man, dass die EU-Mitgliedsländer allein im Jahr 2005 rund 27.000 illegale ukrainische Migranten aufgegriffen haben, oder beispielsweise 2003 fast 39.000 Fälle508 registriert wurden, in denen albanische Staatsangehörige als illegale Migranten aufgegriffen worden sind. Bereits die Zahlen zu den legal innerhalb der EU lebenden Migranten machen deutlich, dass Albanien, Bosnien-Herzegowina und die Ukraine für die EUMitgliedsstaaten bedeutsame Herkunftsländer darstellen (Tabelle 11). Fasst man alle Herkunftsländer Ost-, Südost- und Mitteleuropas einschließlich der Türkei und der Russischen Föderation zusammen, so ist interessant, dass Albanien (Rang 3 nach der Türkei und Serbien-Montenegro) und Bosnien-Herzegowina (Rang 6) bedeutsamer sind als das weitaus bevölkerungsstärkere Russland und die Ukraine (Rang vier bzw. fünf), wenn man die Zahl der innerhalb der EU lebenden Migranten in Bezug zur Gesamtbevölkerung des Herkunftslandes setzt.509 In Griechenland und Italien stellt bereits die Gruppe der legal aufhältigen albanischen Staatsangehörigen (die illegalen Migranten gar nicht mitgerechnet) die größte ausländische Bevölkerungsgruppe. In Deutschland, Österreich und Schweden510 gehört dagegen die Gruppe der Staatsangehörigen aus BosnienHerzegowina zu den wichtigsten Migrantengruppen. Ukrainische Staatsangehörige bilden in Polen511, Portugal und in der Tschechischen Republik die größte Zuwanderergruppe, sie zählen aber auch in Italien, Spanien und in Deutschland zu den wichtigsten Herkunftsgruppen (Tabelle 11).

507 Für einige Zielstaaten ist in Tabelle 11 die Zahl der ursprünglich in einem der Untersuchungsländer geborenen Personen (Foreign Borns/fb) angegeben, weil infolge von Naturalisierung mittlerweile viele »Ausländer« Staatsangehörige der Aufnahmeländer geworden sind und folglich nicht mehr als Ausländer gezählt werden. So weicht beispielsweise für Polen die Zahl der 2006 mit einer gültigen Aufenthaltsberechtigung im Land lebenden Ukrainer (5.200) extrem von der Zahl der in der Ukraine geborenen »Foreign Borns« (312.300) ab. 508 Dabei lagen allerdings gerade aus einem der wichtigsten Zielländer der illegalen Migration aus Albanien, nämlich Griechenland, keine Angaben vor. Vgl. Commission of the European Communities (2007: Annex Table 4) und Gédap/BIVS (2003). 2003 bildeten die Albaner die mit Abstand größte Nationalitätengruppe unter allen in der EU aufgegriffenen illegalen Migranten. 509 Vgl. Commission of the European Communities (2007: 75). In dieser Mitteilung wurde von 2,5 Millionen Türken, 840.000 Staatsangehörigen aus dem damaligen SerbienMontegro, 780.000 Albanern, 485.000 Russen, 450.000 Ukrainern und 352.500 Staatsbürgern Bosnien-Herzegowinas ausgegangen, die legal aufhältig in der EU (EU-25) leben. 510 Hier wurde die Zahl der »Foreign Borns« verwendet. 511 In diesem Fall wurde ebenfalls von den »Foreign Borns« ausgegangen.

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Neben einigen weiteren Kenndaten lässt sich Tabelle 11 auch die Information entnehmen, dass zumindest für zwei der drei Untersuchungsländer die Rücküberweisungen ihrer im Ausland lebenden Staatsangehörigen nicht unerheblich sind. Schätzungen der Weltbank und der Internationalen Bank für Wiederaufbau und Entwicklung (IBRD) besagen, dass Rimessen mehr als vierzig Prozent bzw. sogar die Hälfte des Exports und mehr als fünfzehn Prozent bzw. zwanzig Prozent des Bruttosozialprodukts von Albanien bzw. Bosnien-Herzegowina entsprechen.512 Hingegen fallen die Rücküberweisungen für die Ukraine, zumindest die statistisch erfassten bzw. gegenüber den Behörden und den örtlichen Banken gegenüber deklarierten, eher gering aus: Sie entsprechen weniger als fünf Prozent der Exporte und des Bruttosozialprodukts. Die starke Abhängigkeit Albaniens und Bosnien-Herzegowinas von Rücküberweisungen und die hohe Arbeitslosigkeit unter Jugendlichen und Erwachsenen in allen drei Ländern (Tabelle 11) würden, zusammen mit dem für europäische Verhältnisse äußerst niedrigen Pro-Kopf-Einkommen der Bevölkerung aller drei Untersuchungsländer, aus Sicht der wirtschaftswissenschaftlichen Erklärungsansätze zu Migration (Kapitel 1.2.2) eigentlich dafür sprechen, dass sich die Emigration aus Albanien, Bosnien-Herzegowina und Ukraine auch in Zukunft weiter fortsetzen müsste.513 Die sozioökonomische, demographische und politische Situation der drei Untersuchungsländer stellt sich generell betrachtet relativ ungünstig dar: So zählen die Ukraine, Bosnien-Herzegowina und Albanien zu den ärmsten Ländern Europas. Während in Albanien zwischen 1998 und 2004 ein hoher natürlicher Bevölkerungszuwachs den gleichfalls hohen Außenwanderungsverlust annähernd ausgeglichen hat, haben Bosnien-Herzegowina und Ukraine wesentlich an Bevölkerung verloren. In den beiden Ländern war für diesen Rückgang allerdings vor allem eine äußerst ungünstige natürliche Bevölkerungsentwicklung (Fertilitätsrückgang) verantwortlich, und weniger der Faktor der Emigration.514 Während in Albanien zwischen 2000 und 2005 nach Aussage von Beobachtern eine gewisse innenpolitische Stabilisierung eintrat515, stellt sich Bosnien-Herzegowina weiterhin als ein »Quasi-Protektorat« der internationalen Gemeinschaft und der EU dar und ist nicht als ein selbstständig handlungsfähiger Staat zu be-

512 Vgl. hierzu und im Folgenden IBRD/The World Bank (2007a: 58, 63 und 125). 513 Albanien ist außerdem auch durch einen hohen Bevölkerungsanteil von (größtenteils arbeitslosen) Jugendlichen und jungen Erwachsenen gekennzeichnet, was ebenfalls für eine mögliche Kontinuität der Emigration spräche. 514 Vgl. IBRD/The World Bank (2007a: 31). 515 Siehe beispielsweise Meksi (2003) und Vullnetari (2007).

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zeichnen.516 Die Ukraine zeigt sich innenpolitisch wie außenpolitisch zerrissen und steht politisch unentschlossen zwischen der wieder erstarkenden Russischen Föderation und der Europäischen Union; große Teile der Bevölkerung sprechen sich nach der Orangenen Revolution von 2004/05 mittlerweile wieder für eine Annäherung an Russland aus, während die Skepsis gegenüber der EU zunimmt.517

5.2 Empfehlungen internationaler Regierungsorganisationen 5.2.1 ICMPD, IOM, OSCE und UNHCR im Kurzprofil Zusammen mit der »International Organization for Migration« (IOM), der »Organization for Security and Co-Operation in Europe« (OSCE) und dem »Office of the United Nations High Commissioner for Refugees« (UNHCR) zählt das »International Centre for Migration Policy Development« – kurz ICMPD – auf dem Gebiet der Migrationspolitik und -steuerung zu den in Europa und für die EU wichtigsten und direkt in Albanien, Bosnien-Herzegowina und der Ukraine aktiven internationalen Regierungsorganisationen (Tabelle 12, folgende Seite). Wie bereits in Kapitel 4.3 erwähnt, ist das ICMPD aus einem für Europa sehr bedeutsamen zwischenstaatlichen Konsultationsprozess zu Migration hervorgegangen, dem sogenannten Budapester Prozess. Zwei Jahre nach der Initiierung dieses regionalen Konsultationsprozesses wurde 1993 das ICMPD durch die Re-

516 Nach dem Friedensschluss von Dayton wurde Bosnien-Herzegowina, bestehend aus den Entitäten der Bosniakisch-Kroatischen Föderation (Föderation Bosnien-Herzegowina), der serbischen Teilrepublik Republika Srpska und dem sogenannten Brcko-Distrikt, zu einem »Quasi-Protektorat« der internationalen Gemeinschaft, vertreten durch die UN, die es mit Hilfe eines Hohen Repräsentanten und einer speziellen UN-Administration verwaltete. Obwohl mittlerweile ein Staatspräsidium mit Vertretern der drei Volksgruppen (Kroaten, Serben und Bosniaken) besteht, hält der Hohe Repräsentant weiterhin den entscheidenden Teil der Staatsgewalt inne. Falls notwendig, ist es ihm unter anderem möglich, alle demokratisch gewählten Volksvertreter einschließlich des Staatspräsidiums abzusetzen. Das Amt des Hohen Repräsentanten wurde 2006/2007 von dem ehemaligen deutschen Bundespostminister SCHWARZ-SCHILLING und von 2007 bis 2009 von dem Slowenen LAJCÁK geführt. 2009 übernahm es der Österreicher INZKO. Seit 2002 ist der Hohe Repräsentant der UN in Personalunion auch der EU-Sonderbeauftragte für Bosnien-Herzegowina, weshalb Bosnien-Herzegowina seit 2002 auch als ein »Quasi-Protektorat« der EU bezeichnet werden kann. 517 2006 sprachen sich in einer repräsentativen Umfrage rund 30 Prozent der Befragten für eine EU-Annäherung aus. 45 Prozent waren allerdings für eine stärkere Partnerschaft mit Russland [Kyiv Weekly (2006: 3)]. Einen wichtigen Faktor bildet dabei sicherlich die russische Minderheit, die mehr als 20 Prozent der ukrainischen Gesamtbevölkerung stellt.

175 12:10:31.

gierungen Österreichs und der Schweiz als Sekretariat des Budapester Prozesses gegründet.518

Tabelle 12: Informationen zu ICMPD, IOM, OSCE und UNHCR

Gründung/Hauptsitz

Website

Lokale Vertretungen in den Untersuchungsländern

Gründung/Hauptsitz

Website

Lokale Vertretungen in den Untersuchungsländern

International Centre for Migration Policy Development

International Organization for Migration

1993, Wien

1951, Genf

www.icmpd.org

www.iom.ch

Keine eigenen Landesvertretungen, lediglich Kontaktpersonen

Tirana (Albanien), Sarajevo (Bosnien-Herzegowina), Kiew (Ukraine) sowie Budapest (IOM Mission mit Regionalfunktion für Südosteuropa) und Wien (IOM Technical Cooperation Centre)

Organization for Security and Co-Operation in Europe

Office of the United Nations High Commissioner for Refugees

1995, Wien

1950, Genf

www.osce.org

www.unhcr.org

Tirana (OSCE Presence in Albania), Sarajevo, Banja Luka und Mostar (OSCE Mission to Bosnia and Herzegovina) und Kiew (OSCE Project Co-Ordinator in Ukraine)

Tirana (UNHCR in Albania), Sarajevo (UNHCR in Bosnia and Herzegovina) und Kiew (UNHCR Mission for Ukraine, Belarus and Moldova)

Quelle: Eigene Zusammenstellung.

2007 zählten neben den beiden Gründerstaaten neun weitere Länder zu den Mitgliedern des ICMPDs.519 Darüber hinaus ist das ICMPD eine Reihe von bilatera-

518 Ergänzende Informationen zum ICMPD finden sich in der Monographie von Georgi (2003) und in dem Sammelbandbeitrag von Hess (2010).

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len Verträgen eingegangen, womit die Zahl der an den Treffen des ICMPDs beteiligten und von Aktivitäten der Organisation profitierenden Staaten mittlerweile bei mehr als dreißig liegen dürfte. Während sich das »International Centre for Migration Policy Development« anfangs auf die Regionen Südost- und Osteuropa konzentrierte, engagiert es sich heute auch auf dem Gebiet der ehemaligen UdSSR (CIS-Region), in Afrika (Schwerpunkt Nordafrika) und im Mittleren Osten. 2003 hat das ICMPD zusätzlich auch die Rolle des Sekretariats für den »Dialogue on Mediterranean Transit Migration« (MTM) übernommen. Seit 2003 ist die rund sechzig Mitarbeiter zählende Organisation zudem als Beobachter bei den UN akkreditiert. Der Webseite des ICMPDs zufolge, liegen die Kernkompetenzen der internationalen Regierungsorganisation auf den drei Feldern »Intergovernmental Dialogues« (beispielsweise MTM und Budapester Prozess), »Capacity Building« (Beratungs- und Schulungsangebote etc.) und »Research and Documentation« (Forschung und Dokumentation).520 Das ICMPD bezeichnet sich selbst als »Centre of Excellence« in der Entwicklung und praktischen Umsetzung von Migrationspolitik. »ICMPD [...] strives at being the centre of excellence in migration policy development. It fosters regional and international orderly migration regimes by supporting governments and institution through policy expertise, research and information, dialogue and networking facilities.«521

Das Ziel des ICMPDs liegt, wie der verstorbene erste Leiter der Organisation immer wieder betont hat, explizit darin, die Steuerungsfähigkeiten der europäischen Staaten zu stärken und auszubauen, und dabei auch auf eine weitgehende Europäisierung der Migrationspolitik im Sinne von einheitlichen und gemeinsamen Regeln und Handlungsweisen hinzuarbeiten.522 Dies wird auch in dem folgenden Zitat führender Mitarbeiter des ICMPDs deutlich: »A major task of ICMPD is to develop a pan-European co-operation framework, so as to ensure that the countries in Central, Eastern and South Eastern Europe are fully included in a common European migration and asylum regime.«523

Das ICMPD verfolgt mit dem Ziel eines regionalen/europäischen Migrationsregimes ein ganz ähnliches Vorhaben wie GHOSH (Kapitel 2.1.3) mit seinen Vorschlägen für ein internationales globales Regime für »geordnete«, »legale« und »sichere« Migration. »Our task is [...] to think how these EU policies and visions really can become implemented. The main lines, this is clear and obvious, are drawn in Brussels, at the Commission, 519 Die Länder Bulgarien, Kroatien, Tschechische Republik, Ungarn, Polen, Portugal, Slowakei, Slowenien und Schweden, siehe www.icmpd.org (13.03.2007). 520 Website-Informationen des ICMPD: www.icmpd.org (13.03.2007). 521 Zitat mit eigenen Hervorhebungen: P_072 (94). 522 Vgl. P_073 (2002). 523 P_072 (2004: 94).

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the Council, the EU institutions... but we have to see how to do it, how to translate all these ideas into local and regional practice. We provide our expertise, our practical knowledge concerning policy implementation […] We are helping third states who are in target of EU policies to figure out how to come into line with EU standards, the expectations the EU has towards these states.«524

Das ICMPD, so machen diese Äußerungen klar, versteht sich als »steuerungsdienlicher Vermittler und Praktiker« zwischen der EU und den im Rahmen der EU-Migrationspolitik anvisierten Nicht-EU-Staaten (Beitrittsländer und andere Drittstaaten) bzw. Herkunfts- und Transitländern. Die internationale Regierungsorganisation sieht sich aufgrund ihrer eigenen, selbst gewonnenen »lokalen« (beispielsweise Albanien) und »regionalen« (beispielsweise Südost- bzw. Osteuropa) Expertise dazu berufen, den Herkunfts- und Transitländern zu helfen, die Forderungen der EU nach einer wirksameren Steuerung von Migration in die Tat umzusetzen. Während die wesentlichen Entscheidungen »in Brüssel« – also durch die EU selbst – getroffen werden, will das ICMPD dafür Sorge tragen, dass die steuerungsbezogenen Vorschläge und Forderungen der EU im Anschluss daran lokal und regional auch tatsächlich implementiert werden. In Albanien, Bosnien-Herzegowina und in der Ukraine ist das ICMPD als unmittelbar operativ in das Wanderungsgeschehen eingreifende IRO allerdings erst Ende der 1990er Jahre in Erscheinung getreten. In Albanien bildete eine Expertenmission des Budapester Prozesses den Anlass für die albanische Regierung, den damaligen Leiter des ICMPDs (WIDGREN) um Unterstützung bei der Entwicklung und Umsetzung einer neuen albanischen Migrationspolitik zu bitten. Ähnlich verhielt es sich in Bosnien-Herzegowina und der Ukraine, wobei sich das ICMPD erst nach 2003 näher mit der Ukraine auseinanderzusetzen begann und selbst erst relativ spät in der Ukraine aktiv wurde.525 Das ICMPD ist im Gegensatz zur IOM, zur OSCE und zum UNHCR in Albanien und Bosnien-Herzegowina nicht mit eigenen Zweigstellen, sondern mittels Kontaktpersonen vertreten. 2007 besaß das ICMPD in der Ukraine noch keine Mittelsperson. Auskünfte zur Ukraine und zu den Aktivitäten des ICMPDs in der Ukraine waren daher nur über den Hauptsitz des ICMPDs in Wien zu erhalten. Während sich das ICMPD als eine Organisation mit vorwiegend europäischer Ausrichtung ihrer Aktivitäten und ihres Auftrags versteht, präsentiert sich die »International Organization for Migration« auf ihrer Homepage selbstbewusst als die globale Vorreiterin auf dem Gebiet der Migrationspolitik und spricht von sich selbst als der »Leading International Organization for Migration« oder als 524 Zitat mit eigenen Hervorhebungen: Interview ICMPD, Frühjahr 2007, I_74_W. Siehe Anhang A3 für eine Aufstellung aller geführten Experteninterviews. 525 Vgl. Interview ICMPD, Frühjahr 2006, I_01_AL und Interview ICMPD, Frühjahr 2007, I_74_W.

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»The Migration Agency.«526 Damit unterstreicht sie ihren weltweiten Führungsanspruch und vermeintlichen Vorsprung an Wissen und Knowhow vor allen anderen migrationspolitischen Akteuren. Der IOM gehörten Ende 2007 insgesamt 127 Staaten527 und 17 Länder mit Beobachterstatus an. Der Zuwachs an Mitgliedsländern war in den letzten Jahren beachtlich, immerhin waren es 1998 »nur« 67 Länder, die der IOM angehörten. Während das Budget des ICMPDs kaum mehr als 3 bis 5 Millionen EUR jährlich umfasst, liegt es bei der IOM bei mittlerweile mehr als einer Milliarde US$ – 1998 waren es noch 242,2 Millionen US$. Und statt 60 Mitarbeitern wie beim ICMPD arbeiten aktuell weltweit rund 6.700 Menschen für IOM (1998: 1.100), von diesen allerdings relativ wenige am Hauptsitz der IOM in Genf, sondern an einer der zurzeit 450 »Field Locations« und in einem der mehr als 2.000 Projekten weltweit. Wie beim ICMPD, der OSCE und dem UNHCR übernehmen die Mitgliedsstaaten der IOM den überwiegenden Teil der administrativen Kosten der Organisation, während die Aufwendungen für die spezifischen »Feldprojekte« mit gezielten Zuweisungen einzelner Mitgliedsländer und zu einem wesentlichen Teil auch durch Förderprogramme der EU-Kommission gedeckt werden.528 Gegründet wurde die IOM in den Jahren 1951 und 1952, zunächst als »Provisional Committee for the Movement of Migrants from Europe« (PICMME) und dann als »Inter-governmental Committee for European Migration« (ICEM). In den 1980er Jahren bürgerte sich langsam die Bezeichnung ICM ein (Intergovernmental Committee for Migration), da die Organisation inzwischen ihren einst auf Europa ausgerichteten Schwerpunkt zugunsten eines globalen Engagements aufgegeben hatte. Das PICMME und das ICEM waren zunächst vorwiegend für die Heimkehr und Umsiedlung von Flüchtlingen, Vertriebenen und Staatenlosen im Europa der Nachkriegszeit verantwortlich gewesen.529 1987 wurde das ICM schließlich in IOM umbenannt. Nachdem GHOSH in den frühen 1990er Jahren die Vision eines neuen internationalen Regimes für Migration entworfen hatte (Kapitel 2.1.3), wurde die IOM zu der wichtigsten Umsetzerin der Vorschläge von GHOSH. Dieser hatte in seiner Konzeption bereits den Begriff des sogenannten Migrationsmanagements (Mig526 Siehe die Selbstdarstellung der IOM auf ihrer Website www.iom.ch (20.11.2009). Weitere Informationen zur IOM finden sich in Georgi (2010) und Perruchoud (1989). 527 Zu diesen Mitgliedsländern zählen Albanien, Bosnien-Herzegowina und die Ukraine. 528 Interviews IOM, Sommer 2006, I_73_B und IOM, Sommer 2006, I_75_W. 529 Nach Ansicht mancher Autoren [siehe beispielsweise FFM (2004: 15)] liegen die Ursprünge der IOM sogar noch früher, und zwar bei dem 1938 während der Konferenz von Evian gegründeten »Intergovernmental Committee on (Political) Refugees« (IRC), der späteren »International Refugee Organization«, das sich für die Übersiedlung von Juden aus dem nationalsozialistischen Deutschland und Österreich nach England, in die USA, die Schweiz und andere Länder einsetzen sollte und informell mit der deutschen Reichszentrale für jüdische Auswanderung zusammenarbeitete.

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ration Management) geprägt. Genau unter dieser Bezeichnung vertritt die IOM seither die Ideen von GHOSH und die von diesen abgeleiteten, eigenen migrationspolitischen Steuerungsvorstellungen zu Migration. Mittlerweile ist »Migration Management« das Schlagwort in der Diskussion unter EU-Bediensteten, Politikern und Wissenschaftlern. Einen wesentlichen Beitrag dazu haben sicherlich die von IOM selbst herausgegebene Zeitschrift »International Migration« geleistet und die kaum noch zu überblickende Zahl von Veröffentlichungen der IOM zu verschiedensten Themen und Fragen der Migration.530 Die IOM steht als »Macherin« außerdem hinter einer Vielzahl von Konsultationsforen zu Migration, wie beispielsweise den in der zweiten Hälfte der 1990er Jahre gegründeten RCPs531 des Puebla- (Nord- und Zentralamerika) und Manila-Prozesses (Ostasien) oder den 2001 initiierten Konsultationen im Rahmen der »Berne Initiative« oder dem »International Dialogue on Migration«.532 Das im Rahmen der »Berne Initiative« anvisierte Projekt einer »International Agenda for Migration Management« stellt eine Fortsetzung des von GHOSH angedachten NIROMP (Kapitel 2.1.3) dar. Das Ziel liegt darin, auf der Basis von international abgestimmten Regeln und Handlungsweisen ein neues Gleichgewicht zwischen der Ermöglichung von bestimmten Migrationsformen und der Kontrolle und Unterbindung von ungewollten Wanderungsbewegungen zu finden.533 Zu den wesentlichen Bestandteilen des sogenannten Managements von Migration und der »managementbezogenen« Dienstleistungen, die IOM allen interessierten Staaten gegen Bezahlung offeriert, zählen für die IOM die Bereiche »Migration and Development«, »Facilitating Migration«, »Regulating Migration« und »Forced Migration«. Im erstgenannten Bereich möchte IOM dazu beitragen, dass die Entwicklungspotenziale der Migration besser genutzt werden; zum Beispiel sollen die Rücküberweisungen von Migranten gezielt der Verbesserung der sozioökonomischen Verhältnisse in den Herkunftsländern dienen. Auf dem Feld der »Forced Migration« überlappen sich die Aktivitäten, Ziele und Steuerungsansprüche der IOM mit denen des UNHCRs, beispielsweise bei der Betreuung, Schutzgewährung und logistischen Unterstützung von Asylsuchenden und Bürgerkriegsflüchtlingen. Die Bereiche »Facilitating« und »Regulating Migration« stellen seit 2000 die Schwerpunkte des Engagements von IOM dar. Die Organisation bietet hier unter anderem die Konzeption und Implementation maßgeschneiderter Lösungen zur gezielten Anwerbung von Migranten und der logistischen Abwicklung ihrer Migration an. Eine andere Dienstleistung stellt die Durchführung von »freiwilligen« Rückkehr- und Reintegrationsmaßnahmen ille530 531 532 533

Siehe das beachtliche Publikationsangebot der IOM unter www.iom.ch. Abkürzung für »Regional Consultation Process«. Vgl. P_074. Siehe P_074 (10).

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galer Migranten, nicht akzeptierter Asylantragsteller oder rückkehrwilliger Migranten durch IOM dar. Unter dem Slogan »Managing Migration for the Benefit of All« wird bei den Aktivitäten der IOM suggeriert, dass Migration zum Wohle aller Beteiligten (Ziel-, Herkunfts- und Transitländer, beteiligte Gesellschaften und Migranten) »gemanagt« wird und unter »menschenwürdigen« und »geordneten« Bedingungen abläuft. »IOM is committed to the principle that humane and orderly migration benefits migrants and society. As the leading international organization, IOM acts with its partners in the international community to assist in meeting the operational challenges of migration management, advance understanding of migration issues, encourage social and economic development through migration and uphold the human dignity and well-being of migrants.«534

Mit eigenen lokalen Vertretungen ist die IOM bereits seit 1992 »vor Ort« und »on the ground« in Albanien und Bosnien-Herzegowina vertreten; die »IOMMission« in Kiew, die 1996 gegründet worden ist, zählt zu den größten Vertretungen der IOM. Neben ihrem Hauptsitz Genf besitzt die IOM eine weitere wichtige Vertretung in New York. In Europa gibt es außerdem noch einige weitere wichtige Zentren, so unter anderem in Wien das »Technical Cooperation Centre« für die Länder der früheren UdSSR und in Budapest eine Mission mit »Regionalfunktion« für Südosteuropa. Aus der Konferenz für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (KSZE535) ging 1995 die OSCE (auf Deutsch OSZE) hervor.536 Die »Organization for Security and Co-Operation in Europe« stellt ein regionales Sicherheitsbündnis im Sinne von Kapitel 8 der UN-Charta dar. Der Hauptsitz der OSCE befindet sich in Wien, ihr gehören 56 Staaten in Europa, Nordamerika und Asien an.537 In Südosteuropa, Osteuropa, im südlichen Kaukasus und in Zentralasien unterhält die OSCE achtzehn »OSCE-Missions« oder sogenannte »OSCE Field Operations«, darunter auch die drei, seit 1995 bestehenden OSCE-Vertretungen in Albanien, Bosnien-Herzegowina und der Ukraine. Für die OSCE arbeiten insgesamt knapp 3.500 Menschen, der jährliche Etat der Organisation beläuft sich auf rund 150 Millionen Euro. Mit diesem Etat ist die »Organization for Security and Co-Operation in Europe« in einer Vielzahl von mittelbar oder unmittelbar sicherheitsrelevanten Aufgabenbereichen tätig. Sie unterstützt Maßnahmen zur Prä534 Zitat mit eigenen Hervorhebungen: P_075. 535 Englisch: »Conference on Security and Co-operation in Europe« (CSCE). 536 Hierzu und im Folgenden siehe www.osce.org (20.11.2009) und die lokalen Webseiten der Vertretungen der OSCE in Albanien, Bosnien-Herzegowina und der Ukraine: www.osce.org/albania, www.oscebih.org und www.osce.org/ukraine (20.11.2009). 537 Die OSCE stellt damit noch vor der NATO die weltweit größte sicherheitspolitische Organisation dar.

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vention des Menschenhandels und des Schutzes und der Reintegration von Opfern des Traffickings genauso wie Aktivitäten, die dem Ausbau von Grenzschutzmaßnahmen dienen. Der Schutz der Menschenrechte und der Rechte von Minderheiten, die Bekämpfung von Terrorismus und die Vermeidung von Konflikten stellen weitere Aufgabenbereiche dar, für die sich die OSCE verantwortlich fühlt. Weitere Tätigkeiten der OSCE liegen in den Bereichen Demokratisierung, wirtschaftliche Zusammenarbeit, Bildungsarbeit, Wahlbeobachtung, Umweltschutz, Gleichberechtigung, Presse- und Medienfreiheit, Militärreform und Prävention militärischer Konflikte, von der OSCE koordinierte internationale Polizeieinsätze, Stärkung von Rechtsstaatlichkeit, Einsatz für Toleranz und Nichtdiskriminierung sowie in der Kontrolle des internationalen Waffenhandels. Zusammen mit der IOM und dem UNHCR beteiligt sich die OSCE unter anderem auch an der 1996 gegründeten und weiterhin bestehenden »CIS-Conference on Population Movements« auf dem Gebiet der ehemaligen Sowjetrepubliken.538 Nach dem Ende des Krieges in Jugoslawien wurde die OSCE 1995 außerdem zu einer der »Lead Agencies« für den demokratischen Wiederaufbau der früheren jugoslawischen Teilrepubliken. Die OSCE-Vertretung in Bosnien-Herzegowina zählt zu den größten Vertretungen der Organisation. In der Ukraine ist die OSCE seit 1994, in Albanien seit 1997 tätig. Das »Office of the United Nations High Commissioner for Refugees« (UNHCR) stellt streng genommen keine internationale Regierungsorganisation, sondern eine besondere Teilagentur der UN, somit eine spezialisierte Untereinheit einer großen IRO, dar.539 Das UN-Hochkommissariat für Flüchtlinge540 wurde beinahe zeitgleich (1950) wie die IOM (1951/1952) gegründet. Der zur Entstehung des UNHCRs führende Beschluss erfolgte durch die UN-Generalversammlung, während die IOM (bzw. ihre Vorläuferorganisation PICMEE) als unabhängige IRO auf Betreiben der USA außerhalb des Systems der UN ins Leben gerufen wurde.541 In den 1960er Jahren veränderte sich die Ausrichtung des UNHCRs, das seit seiner Gründung als Hüterin der Genfer Flüchtlingskonvention und als stärkste Befürworterin der Rechte von Flüchtlingen auftrat. Das UNHCR war 538 Vgl. die lokalen Webseiten der OSCE in Albanien, Bosnien-Herzegowina und der Ukraine: www.osce.org/albania, www.oscebih.org und www.osce.org/ukraine (20.11. 2009). 539 Siehe im Folgenden die Selbstdarstellung des UNHCR auf der Website www.unhcr.org. 540 Meist ist vom UN-Hochkommissariat für Flüchtlinge oder vom »United Nations High Commissioner for Refugees« die Rede, die Organisation des UNHCR trägt ganz offiziell aber den Titel »Office of the United Nations High Commissioner for Refugees«. 541 Mit der außerhalb des UN-Systems erfolgenden Gründung der IOM wollten die USA bewusst eine Einflussnahme der Sowjetunion auf »ihre« Organisation verhindern. Für eine ausführliche Diskussion des Werdegangs und der Aktivitäten des UNHCR: Loescher (1993), Loescher (2001) und Hyndman (2000).

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nun nicht mehr nur eine humanitäre und Flüchtlinge unterstützende Organisation, sondern kam darüber hinaus auch bei Naturkatastrophen, (Bürger-) Kriegen und anderen Konflikten zum Einsatz. Die UN-Organisation war damit auch zu einer Katastrophen-, »Post-Conflict-« und Entwicklungsorganisation geworden. Das UNHCR, das sich in Abgrenzung zur IOM (The Migration Agency) selbst als »The Refugee Agency« bezeichnet, unterhält in 118 Ländern eigene Vertretungen und ist somit global genauso präsent wie die IOM. Auch das Budget des UNHCRs stieg ähnlich stark wie das der IOM: Stand dem UNHCR 1950 einst lediglich ein Jahresbudget von 300.000 US$ zur Verfügung, so sind es mittlerweile mehr als 2 Milliarden US$. Für das UNHCR arbeiten weltweit knapp 6.600 Mitarbeiter, die meisten von ihnen sind außerhalb des Genfer Hauptquartiers für das UNHCR tätig. Zusammen mit der IOM ist das UNHCR somit der wichtigste »Global Player« im Umgang mit Migrations- bzw. Fluchtbewegungen. »The Office of the United Nations High Commissioner for Refugees [...] was given the mandate to lead and co-ordinate international action to protect refugees and resolve refugee problems worldwide. With its primary objective to safeguard the rights and well-being of refugees, UNHCR strives to ensure that everyone can exercise the right to seek asylum and find safe refuge in another State, with the option to return home voluntarily, integrate locally or to resettle in a third country.«542

Aufgrund des in diesem Zitat beschriebenen Mandats und der Selbstverpflichtung des UNHCRs, Flüchtlingen als eine der drei sogenannten »Durable Solutions« entweder eine neue Heimat in einem anderen Land (Resettlement), eine auf die temporäre Schutzgewährung in einem anderen Land folgende freiwillige Rückkehr in das Heimatland (Return) oder eine dauerhafte Integration im zuerst aufgesuchten Aufnahmeland (Local Integration) zu bieten, ist es für das UNHCR wichtig, mit der EU und ihren Mitgliedsstaaten zu kooperieren. Neben dem Interesse an einer dauerhaften Lösung für Flüchtlinge ist eine enge Kooperation mit der EU für das UNHCR aber auch aus finanziellen Gründen notwendig. Seit Jahrzehnten sind die EU-Staaten neben den USA, Japan und Kanada die wichtigsten finanziellen Unterstützer des UNHCRs. In einer starken Abhängigkeitssituation gegenüber den Mitgliedsstaaten und Institutionen der EU befinden sich allerdings auch das ICMPD, die IOM und die OSCE. Seit 1992 unterhält das UNHCR eigene Vertretungen in Albanien und auf dem Gebiet des heutigen Bosnien-Herzegowina; 1994 nahm die Regionalvertretung des UNHCRs für die Länder Ukraine, Belarus (Weißrussland) und Republik Moldau (Moldawien) ihre Arbeit in der ukrainischen Hauptstadt Kiew auf. Eine ernste Herausforderung für das UNHCR bildeten die Kriegshandlungen, Vertreibungsaktionen und Flücht542 Homepage des UNHCR in Tirana/Albanien, www.un.org.al/subindex.php?faqe=details& id =32 (20.11.2009).

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lingsströme auf dem Gebiet des früheren Jugoslawiens (1992-1995) sowie der kriegerische Konflikt zwischen Serben und Kosovo-Albanern um das nach Unabhängigkeit strebende Kosovo.543 Als sich zwischen 1992 und 1995 die meisten humanitären Organisationen aufgrund der Kriegshandlungen aus Bosnien-Herzegowina zurückzogen, blieb das UNHCR mehr oder weniger unfreiwillig als »Lead Agency« im Lande, musste inmitten des Krieges agieren und sah sich dabei wiederholt Instrumentalisierungsversuchen und Übergriffen durch die Kriegsparteien sowie erheblicher öffentlicher und medialer Kritik ausgesetzt. 1995 wurde das UNHCR zum Hauptverantwortlichen in der Umsetzung des Annex VII des Daytoner Abkommens gemacht. Das UN-Hochkommissariat für Flüchtlinge ist in Bosnien-Herzegowina seitdem, neben anderen Aufgaben im Bereich Asyl und Flucht, auch für die Rückkehr, Reintegration und Entschädigung der in andere Länder geflüchteten und vertriebenen Personen sowie der Binnenflüchtlinge und -vertriebenen verantwortlich.

5.2.2 Wahrnehmung des aktuellen Wanderungsgeschehens Fragt man Vertreter des ICMPDs, der IOM, der OSCE und des UNHCRs nach ihren Einschätzungen in Bezug auf die drei Untersuchungsländer und ihre migrationsbezogene Situation und Bedeutung (Erkenntnisinteresse E4, Kapitel 2.3.2), so stellt man fest, dass diese die Migrationssituation der drei Untersuchungsländer in ganz ähnlicher Weise wie die EU (Kapitel 3.2.4) thematisieren und problematisieren. Die in Tirana, Budapest und Wien zu Albanien befragten Vertreter des ICMPDs, der IOM, der OSCE und des UNHCRs waren sich 2006 bzw. 2007 im Unterschied zur EU allerdings darin einig, dass sich die Wanderungssituation in Albanien im Vergleich mit den 1990er Jahren entscheidend verändert habe, es mittlerweile zu einem Rückgang der illegalen (Transit-)Migration und damit auch zu einer gewissen Entschärfung der »Migrationsproblematik« gekommen sei.544 »I would argue that illegal emigration and transit migration of illegal migrants from Albania, through the Albanian borders […] has been significantly reduced.«545 »Here in Albania we came a long way. From mass exodus to where we are today. The situation has improved, we do not see high levels of illegal migration, transit migration and trafficking. But... there is still some risk […] that there could be some new mass emigration from Albania. You have certainly seen all these people standing in front of the embas543 Vgl. die Webseiten des UNHCR: www.unhcr.org, www.un.org.al/subindex.php?faqe=details&id=32, www.unhcr.ba und www.unhcr.org.ua (20.11.2009). 544 Vgl. Interviews ICMPD, IOM und UNHCR, Frühjahr 2006 und Frühjahr 2007: I_05_AL, I_73_B, I_74_W und I_75_W. 545 Zitat mit eigenen Hervorhebungen: Interview ICMPD, Frühjahr 2006, I_01_AL.

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sies. They want to leave. Who should, or let’s say could hinder them? The emigration risk is a matter of fact, also given the demand that exists for Albanian labour.«546 […] Albania however is still a country at risk, the wishes to emigrate are still strong, we could even face up with a new mass emigration […].«547

Die befragten IRO-Vertreter warnten, wie die letzten beiden Zitate zeigen, allerdings davor, dass es jederzeit zu einem Wiederanstieg der illegalen Migration und sogar zu einer »Massenemigration« kommen könnte; vor allem dann, wenn die wirtschaftliche Entwicklung des Landes einen Einbruch erleide oder es im Zuge der von der Regierung angekündigten Privatisierung von ehemaligen Staatsbetrieben zu Massenentlassungen komme. Bosnien-Herzegowina wurde durch die befragten Vertreter des ICMPDs, der IOM, der OSCE und des UNHCRs vor allem als Transitland – und weniger als Herkunftsland – von illegalen Migranten wahrgenommen.548 Diesbezüglich deckten sich die Wahrnehmungen der vier IRO mit der Problematisierung Bosnien-Herzegowinas durch den Europäischen Rat, den Ministerrat für Justiz und Inneres und die Europäische Kommission (Kapitel 3.2.4). Nach Ansicht der Leiterin der IOM-Vertretung in Sarajevo hat sich in Bezug auf das Problem der Transitmigration mittlerweile allerdings auch in Bosnien-Herzegowina eine positive Veränderung der Situation ergeben; es würden weniger Fälle registriert, in denen Migranten Bosnien-Herzegowina als Durchgangsland auf dem Weg ihrer illegalen Einreise in die EU benutzen, allerdings gebe es noch weiteren Verbesserungsbedarf: »I would say […] the country is [still] used for transit migration and trafficking. The borders are not sealed, there is still room for maneouvre for smugglers, traffickers, illegals on transit. A lot has changed, indeed, but nothing has completely solved, still a lot of things to do, you see?«549

Auch die lokale Vertretung des ICMPDs schloss sich der Einschätzung der IOM an, allerdings mit dem klaren Verweis darauf, dass mehr statistische Daten und Informationen notwendig seien, um den Fortschritt tatsächlich verifizieren zu können und zu bestätigen, dass das Problem tatsächlich erfolgreich gelöst werden konnte: »Transit migration of illegal migrants towards the EU […]: we realize there has been progress. Developments we thought of did not take place […]. We need more information in order to verify if the problem really has been successfully tackled.«550

546 547 548 549 550

Zitat mit eigenen Hervorhebungen: Interview IOM, Frühjahr 2006, I_02_AL. Zitat mit eigenen Hervorhebungen: Interview OSCE, Frühjahr 2007, I_03_AL. Vgl. Interviews I_26_BH bis I_33_BH sowie I_73_B, I_74_W und I_75_W. Zitat mit eigenen Hervorhebungen: Interview IOM, Frühjahr 2007, I_27_BH. Zitat mit eigenen Hervorhebungen: Interview ICMPD, Sommer 2006, I_26_BH.

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Im Fall des dritten Untersuchungslandes – der Ukraine – stellte sich die Situation nach Ansicht der vier befragten IRO 2006 und 2007 dagegen eher problematischer dar, als in den Jahren zuvor. Eine Vertreterin des ICMPD-Hauptquartiers in Wien sprach davon, dass die »großen Sorgen«, was illegale Migrationsbewegungen anbelange, zwar eindeutig nicht mehr in Albanien, Bosnien-Herzegowina oder auf dem Balkan lägen, allerdings aber eben genau in der Ukraine, der Türkei und anderen Nachfolgestaaten der UdSSR: »I think: why to be worried about Albania or Bosnia, Macedonia these days? These countries are little countries! A certain stabilisation has indeed taken place in these countries. The big worries at the moment have more to do with Ukraine or with Turkey, migration, including illegal flows from and through these countries, trafficking and so on... There might be still some risk located in the Balkans but I think it is urgent to act there, in Ukraine, in the whole CIS region.« 551

In der Ukraine wurde für die kommenden Jahre ein weiterhin groß bleibendes »Migrationspotential« vermutet; auch wenn sich die Emigration von Ukrainern reduziert habe, ging die IOM-Vertretung in der Ukraine davon aus, dass sich die illegalen Einreiseversuche von Ukrainern in die EU-Staaten in den kommenden Jahren schnell wieder erhöhen könnten. Die Ukraine wurde von den befragten IRO-Vertretern als ein Transitland mit wachsender Bedeutung für die EU wahrgenommen – die Experten der IOM in Kiew sprachen von der Ukraine als dem mit Abstand wichtigsten Transitland für die EU – dem Durchgangsland für eine Vielzahl unterschiedlicher Wanderungsbewegungen (»gemischte Ströme«: Asylsuche, Menschenhandel und -schmuggel, legale und illegale (Transit-)Migration): »Emigration of Ukrainians has been reduced to some extent, but Ukraine has still high potential, the flows are mixed, asylum seeking, trafficking, smuggling, legal and illegal migration, not to forget a considerably high transit migration of foreign nationals through Ukraine and many of them end up involuntarily in Ukraine.«552 »Ukraine is currently ‚the’ transit country for the EU. We are concerned about rising transit flows.« 553

Wie in den zuvor untersuchten Primärdokumenten der EU (Kapitel 3.2.1 und 3.2.4) kam auch in den geführten Experteninterviews dem grenzüberschreitenden (internationalen) Menschenhandel eine überaus große Aufmerksamkeit zu. Die befragten IOM-Vertreter sprachen interessanterweise von einem Rückgang des Menschenhandels aus der Ukraine und der durch die Ukraine hindurch verlaufenden Verschleppung von Menschen. Allerdings habe das sogenannte »Internal

551 Zitat mit eigenen Hervorhebungen: Interview ICMPD, Frühjahr 2007, I_74_W. 552 Zitat mit eigenen Hervorhebungen: Interview IOM, Frühjahr 2007, I_51_UA. 553 Zitat mit eigenen Hervorhebungen: Interview IOM, Sommer 2006, I_49_UA.

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Trafficking« (die Verschleppung und Ausbeutung von ukrainischen Staatsangehörigen innerhalb ihres eigenen Landes) beträchtlich an Bedeutung gewonnen. »We do not have these shocking picture of trafficking anymore, but we are witnessing more internal trafficking inside Ukraine.«554

Die ebenfalls in Kiew interviewten Vertretern der OSCE bestritten den von der IOM wahrgenommenen Rückgang des »internationalen« Menschenhandels vehement: Der Menschenhandel nehme insgesamt betrachtet zu, sowohl was das »Internal Trafficking« als auch den grenzüberschreitenden Menschenhandel angehe. Die Wünsche auszuwandern seien weiterhin so stark, dass sich viele Ukrainer auch wissentlich in Gefahr begeben würden, um auszuwandern. Wie die IOM ging auch die OSCE davon aus, dass die Ukraine bald zu einem Zielland des Trafficking werden könnte, also zu einem Land, in das Opfer gezielt zu ihrer Ausbeutung verbracht und verschleppt werden. Besondere Besorgnis äußerte die OSCE darüber, dass immer mehr behinderte und obdachlose Minderjährige zu Opfern von Menschenhändlern werden würden. Eine besondere Sorge wurde auch bezüglich der stark zunehmenden Zahl sogenannter »Sozialwaisen« laut – Kindern von Emigranten, die während der Abwesenheit ihrer Eltern zur Betreuung bei Verwandten oder anderen Familien untergebracht sind, und die nach Ansicht der OSCE äußerst vulnerabel sind, in die Hände von Menschenhändlern zu fallen. »The emigration potential is still high; Ukrainians easily fall into the trap of traffickers, get involuntarily integrated into the sex business, or they pay money to get smuggled abroad.«555 »What concerns us very much is the trafficking of disabled, homeless children and of so called ‚social orphans’, these groups are trafficked inside Ukraine in most cases. The other concern is the trafficking of Ukrainian girls and women abroad. It is highly speculative to say that Ukraine soon will become a destination country as well, but we see some signs.«556

Für Albanien und Bosnien-Herzegowina gingen die befragten Experten und Angestellten des ICMPDs, der IOM und der OSCE von einem Rückgang des Menschenhandels seit dem Ende der 1990er Jahre aus; leider habe zeitgleich aber auch in Albanien und Bosnien-Herzegowina das »Internal Trafficking« an Bedeutung gewonnen.557 »Now the trend is that foreign victims have decreased but unfortunately the numbers of internal trafficking has increased significantly. Groups that are especially vulnerable are children of the Roma community, disabled children as well as girls and young women

554 555 556 557

Zitat mit eigenen Hervorhebungen: Interview IOM, Frühjahr 2007, I_51_UA. Zitat mit eigenen Hervorhebungen: Interview OSCE, Herbst 2006, I_53_UA. Interview OSCE, Herbst 2006, I_53_UA. Vgl. dazu Interviews I_26_BH und I_27_BH.

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from families that returned after the war to Bosnia and Herzegovina and have not been able to secure income and jobs.«558

Als äußerst problematisch empfand eine Vertreterin OSCE in Bosnien-Herzegowina auch die Entwicklung, dass im Rahmen des »Internal Traffickings« Opfer direkt aus dem Kreise der nach Bosnien-Herzegowina zurückgekehrten Flüchtlinge und deren Kinder »rekrutiert« würden, sowie aus der Gruppe der ohnehin benachteiligten und marginalisierten Minderheit der Sinti und Roma. Zum Opfer von Menschenhändlern würden wie in der Ukraine zudem auch behinderte Kinder. In Albanien nahm die dortige Vertretung der OSCE an, dass die Zahl der albanischen Opfer des Traffickings bald wieder steigen könne, weil der Wunsch zu emigrieren – zu welchem Preis auch immer – weiterhin sehr verbreitet sei. Der Rückgang des »internationalen« bzw. grenzüberschreitenden Menschenhandels wurde vor allem auf die Verstärkung des albanischen Grenzschutzes zurückgeführt. »There is consensus that the number of trafficking victims has decreased, but there is an increase in so called ‚internal trafficking’ and other more hidden forms of trafficking. The tendency of foreign victims coming to and transiting through Albania has decreased because of stricter border control. Albania however is still a country at risk, the wishes to emigrate are still strong, we could even face up with a new mass emigration, so also a new increase of international trafficking concerning Albanian victims could happen.«559

Wie in Kapitel 3.2.4 berichtet wurde, hielt die Europäische Kommission auch im Jahr 2005 (also zehn Jahre nach dem Ende der Kriegshandlungen in BosnienHerzegowina) die Rückkehr der Bürgerkriegsflüchtlinge und Vertriebenen nicht für abgeschlossen und rechnete noch mit einer halben Million potentieller Rückkehrer.560 Obwohl sich das UNHCR aufgrund seines Mandates im Rahmen des Abkommens von Dayton offiziell weiterhin um die Rückkehr und Entschädigung aller einst vertriebenen und geflohenen Bewohner Bosnien-Herzegowinas bemüht, ging die in Sarajevo befragte UNHCR-Vertreterin im Gegensatz zur EU aber davon aus, dass der Rückkehrprozess mittlerweile weitgehend beendet und keine größere Zahl an Rückkehrwilligen mehr zu erwarten sei.561 »Return is at the latest stage now. We think it has been mostly completed now.«562

Dieser Annahme schlossen sich auch die Vertreter der anderen drei in BosnienHerzegowina befragten IRO (ICMPD, IOM und OSCE) an.563 »Most of the return has been managed, nearly all people that wanted to return did so.«564 558 559 560 561

Zitat mit eigenen Hervorhebungen: Interview OSCE, Frühjahr 2007, I_30_BH. Zitat mit eigenen Hervorhebungen: Interview OSCE, Frühjahr 2007, I_03_AL. P_055 (Absatz 1.4) mit eigenen Hervorhebungen. Bis März 2006 sollen nach Angaben des UNHCR rund eine Million Menschen zurückgekehrt und reintegriert worden sein: vgl. Interview UNHCR, Sommer 2006, I_33_BH. 562 Interview UNHCR, Sommer 2006, I_33_BH. 563 Vgl. Interviews I_27_BH und I_28_BH.

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Nachdem in den Mitgliedsstaaten der EU und in anderen Zielländern die Zahl der albanischen, bosnisch-herzegowinischen und ukrainischen Asylantragsteller in den letzten Jahren stark zurückgegangen war565, führten die befragten Vertreter von ICMPD, IOM, OSCE und UNHCR als nun wichtigstes asyl- und flüchtlingsbezogenes Thema die Frage an, wie die drei Untersuchungsländer selbst künftig mit Zufluchtsuchenden umgehen und diesen Schutz gewähren könnten, weil dies ja eine der Kernforderungen der EU darstelle (Kapitel 3.2.3 und 3.2.4). In Albanien, Bosnien-Herzegowina und der Ukraine war die Zahl der Asylsuchenden und anerkannten Flüchtlinge in den vergangenen Jahren noch vergleichsweise gering geblieben: 2004 lebten in Albanien lediglich 51 anerkannte Flüchtlinge, 2002 waren es gerade einmal 17. In Bosnien-Herzegowina betrug die Zahl der im Land lebenden anerkannten Flüchtlinge 2006 insgesamt 183, die meisten von ihnen stammten aus Serbien-Montenegro oder dem Kosovo. In den beiden potenziellen EU-Beitrittsländern Albanien und Bosnien-Herzegowina, die im Zuge ihres Assoziierungs- und späteren Beitrittsprozesses den Acquis der EU inklusive aller asylrechtlichen Vorgaben vollständig in die eigene nationale Gesetzgebung zu übernehmen haben, wurde das Thema Asyl von den befragten IRO-Vertretern eindeutig als ein Thema mit steigender Relevanz angesprochen. »Whether the number of asylum seekers in Albania remains low in the future is a tough question. Many other countries in the region are approaching the EU experience at the moment, they experience a growth in numbers of asylum seekers and become countries of asylum. This may easily happen here in some years, especially in the light of the EUAlbania-accession process and the readmission agreement.«566 As regards asylum-seeking [...] We do not yet see rising numbers, but this does not mean asylum-seeking is not relevant for Bosnia-Herzegovina. It may be on the agenda in the coming years. Bosnia Herzegovina will have to take over asylum-seekers from the EU, being safe countries at the periphery of the European Union.567

In der Ukraine hatte sich das UNHCR bereits 2004 und 2005 wegen der Situation entlang der ukrainischen Westgrenze äußerst besorgt gezeigt. 2006 berichtete das UNHCR schließlich, dass sich entlang der Westgrenze der Ukraine zur EU (Region Zakarpattia) die Zahl der auf ukrainischer Seite gestellten Asylanträge zwischen 2004 und 2005 fast vervierfacht habe. Viele Migranten würden »in letzter Verzweiflung« versuchen, einen Asylantrag in der Ukraine einzureichen, um nach einem Aufgriff durch die ukrainischen Grenztruppen ihre Abschiebung

564 Interview ICMPD, Sommer 2006, I_26_BH. 565 So stellten beispielsweise im Jahr 2000 noch rund 8.000, 2003 noch 4.300 und 2004 schließlich nur 3.300 Bürger aus Albanien in einem anderen Staat einen Antrag auf Asyl. Vgl. P_076. 566 Zitat mit eigenen Hervorhebungen: Interview UNHCR, Frühjahr 2006, I_05_AL. 567 Zitat mit eigenen Hervorhebungen: Interview UNHCR, Sommer 2006, I_33_BH und P_077.

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zu verhindern. Der verstärkte Anstieg an Asylanträgen entlang der Westgrenze der Ukraine habe für die »genuin« asylberechtigten Zufluchtsuchenden, die bereits in Kiew oder an der Ostgrenze der Ukraine einen Antrag stellen, allerdings eher Nachteile zur Folge – so die in Kiew befragte UNHCR-Leiterin. Als Konsequenz der ständig gestiegenen Anträge erkenne die Regierung der Ukraine nämlich nur noch wenige Asylanträge an: 2005 betrug die Anerkennungsrate weniger als 0,4%.568 Zwischen 1990 und 2006 hatte die Ukraine lediglich 5.500 Flüchtlinge anerkannt und aufgenommen.569 Die Zahl der Anträge wäre bisher jedoch noch nicht so »dramatisch« hoch, wie man eigentlich befürchten müsse – so das UNHCR in der Ukraine. Allerdings sei es wohl nur eine Frage der Zeit, bis im Zuge der Exterritorialisierungsbemühungen der EU, der weiteren Annäherung der Ukraine an die EU und neuer Abkommen wesentlich mehr Anträge auf Asyl in der Ukraine eingereicht würden. »There is an increasing number of asylum requests, well yes, but the numbers are not that ‚dramatic’. The Government of Ukraine is however quite reluctant in granting refugee status. Many ‚economic migrants’ try to launch an asylum request at the last stage of their journey. Why not before, if they have serious concerns to return, serious reasons to ask for asylum?... This all makes the situation difficult, for genuine asylum-seekers that should be granted with refugee status and even for us [...].«570

5.2.3 Vorschläge zur Steuerung von Migration Die befragten Vertreter des ICMPDs, der IOM, der OSCE und des UNHCR sahen 2006 und 2007 in den drei Ländern Albanien, Bosnien-Herzegowina und der Ukraine weiterhin einen großen migrationsbezogenen Interventions- und Steuerungsbedarf. Ausgehend von Erkenntnisinteresse E5 (Kapitel 2.3.2) soll im Folgenden auf die Steuerungsansätze und -maßnahmen eingegangen werden, die die untersuchten vier IRO für die drei Untersuchungsländer vorschlagen. Vergleicht man die Steuerungsvorschläge der EU im Hinblick auf Drittstaaten im Allgemeinen (Tabelle 7, Kapitel 3.2.3) und die drei Untersuchungsländer im Speziellen (Tabelle 8, Kapitel 3.2.4) mit den Steuerungsvorschlägen, die das ICMPD, die IOM, die OSCE und das UNHCR in den untersuchten Primärdokumenten äußern, oder die während der mit ihnen geführten Experteninterviews aufgestellt wurden, so lässt sich eine Deckungsgleichheit zwischen den EU-Vorschlägen und den Steuerungsvorschlägen dieser vier spezialisierten IRO feststellen. In Tabelle 13 (folgende Seiten) wird diese Deckungsgleichheit deutlich, allerdings aber auch eine gewisse Arbeitsteilung zwischen den vier untersuchten 568 Vgl. Interview UNHCR, Sommer 2006, I_54_UA. 569 Vgl. P_078. 570 Zitat mit eigenen Hervorhebungen: Interview UNHCR, Sommer 2006, I_54_UA.

190 12:11:42.

IRO. Diese hatte während der Interviews zur Folge, dass sich die Vertreter des ICMPDs und der IOM stärker für die Verstärkung des Grenzschutzes und der wirksameren Bekämpfung der illegalen Migration und des Menschenhandels einsetzten, während sich die Empfehlungen der befragten UNHCR-Vertreter auf den Bereich der Asyl- und Flüchtlingspolitik beschränkten. Alle vier befragten Organisationen unterstützen laut den ausgewerteten Primärdokumenten und den mit verschiedenen Vertretern dieser IRO geführten Experteninterviews die EU in ihrer Forderung, dass Albanien, Bosnien-Herzegowina und die Ukraine die auf den Gebieten Grenzverwaltung, (illegale) Migration, Menschenhandel und Asyl bisher national bestehenden Regelungen und Gesetze an die Standards der EU und an andere international geltende und bewährte Verfahrensweisen und Normen angleichen oder diese direkt übernehmen sollten.571 Der EU-Forderung nach einer Verstärkung der Grenzschutzmaßnahmen stimmten lediglich die Vertreter von zwei der befragten IRO (ICMPD und IOM) zu. In den Interviews wurde deutlich, dass sowohl das ICMPD als auch die IOM den weiteren Ausbau des Grenzschutzes als das wichtigste und zugleich auch angeblich wirksamste Mittel erachteten, um illegale (Transit-)Wanderungen und den Menschenhandel in Richtung der EU-Staaten zu verhindern. Die Vertreter der OSCE waren dagegen eher skeptisch, ob mit der Hilfe von Grenzschutzmaßnahmen alleine illegale Migration und Menschenhandel überhaupt zu verhindern seien. Die OSCE setze sich in ihrer Arbeit stärker als das ICMPD und die IOM für die Durchführung von öffentlichkeitswirksamen Präventionskampagnen ein, um illegale Migration und Menschenhandel zu verhindern – so die Interviewpartner der OSCE. Den Themen Asyl und Flucht widmeten in den geführten Experteninterviews vor allem die Vertreter des UNHCRs ihre Aufmerksamkeit. Gefordert wurde für alle drei Länder ein Ausbau der Schutzkapazitäten für Asylsuchende und eine bessere soziale Integration der Flüchtlinge. Obwohl in allen drei Ländern die Flüchtlings- und Asylzahlen noch relativ niedrig seien, könne sich das in nicht allzu ferner Zukunft, beispielsweise im Rahmen der fortgesetzten Exterritorialisierungsbemühungen der EU und einer stärkeren politischen »Zwangskooperation« der drei Untersuchungsländer mit der EU, rasch ändern, deshalb sei nun zu handeln und die notwendigen Kapazitäten müssten erweitert und gestärkt werden – so die wiederholt vorgebrachte Argumentation der befragten UNHCR-Vertreter.

571 Vgl. Experteninterviews in Albanien, Bosnien-Herzegowina und der Ukraine sowie in Budapest und Wien, Anhang A3 und Tabelle 13.

191 12:11:42.

Tabelle 13: Steuerungsvorschläge im Vergleich: EU und IRO EUForderung:

„Neue gesetzliche Bestimmungen zu Grenzverwaltung, (illegaler) Migration, Trafficking und Asyl in Konformität mit dem EU-Acquis und anderen internationalen Normen“ ICMPD

IOM

OSCE

UNHCR

Forderung durch IRO unterstützt:

Interviews in Tirana und Wien1

Interviews in Tirana, Sarajevo, Kiew, Budapest u. Wien2

Interviews in Tirana, Sarajevo und Kiew3

Interviews in Tirana, Sarajevo und Kiew4

EUForderung:

„Verstärkung der Grenzschutzmaßnahmen“ OSCE

UNHCR

ICMPD

IOM

Forderung durch IRO unterstützt:

Interviews in Tirana, Sarajevo und Wien5

Interviews in Tirana, Sarajevo, Kiew, Budapest u. Wien6

EUForderung:

„Entschiedenes Vorgehen gegen illegale (Transit-)Migration und Menschenhandel“ ICMPD

-

IOM 7

Interviews in Sarajevo, Kiew, Budapest u. Wien8

-

OSCE

Forderung durch IRO unterstützt:

Interview in Tirana

EUForderung:

„Ausbau der Schutzkapazitäten für Asylsuchende und Flüchtlinge“ ICMPD

Forderung durch IRO unterstützt:

-

1 2 3 4 5 6 7 8 9 10

Interviews in Tirana, Sarajevo, Kiew9

IOM -

OSCE -

UNHCR -

UNHCR Interviews in Tirana, Sarajevo und Kiew10

Vgl. I_01_AL und I_74_W. Erwähnt außerdem in P_079 (13). Vgl. I_02_AL, I_27_BH, I_49_UA bis I_52_UA, I_73_B und I_75_W und siehe P_080 (77-80). Vgl. I_03_AL, I_28_BH, I_30_BH und I_53_UA. Vgl. I_05 AL, I_33_BH und I_54 UA. Vgl. außerdem P_081. Vgl. I_01_AL, I_26_BH und I_74_W. Siehe dazu auch P_079 (269). Vgl. I_02_AL, I_27_BH, I_49_UA, I_73_B und I_75_W. Vgl. I_01_AL. Vgl. I_27_BH, I_49_UA, I_73_B und I_75_W. Vgl. I_03_AL, I_28_BH, I_29_BH und I_53_UA. Vgl. I_05_AL, I_33_BH und I_54_UA. Vgl. außerdem P_081.

Quelle: Zusammenstellung auf Basis von Dokumentenanalysen und Interviews

192 12:11:42.

Tabelle 13: Steuerungsvorschläge im Vergleich: EU und IRO (Fortsetzung) EUForderung:

„Abschluss bilateraler Rückübernahmeabkommen mit der EU und vollständige Erfüllung der Rückübernahmeverpflichtungen“ ICMPD

IOM

Forderung durch IRO unterstützt:

Interviews in Tirana und Wien11

Interviews in Tirana, Sarajevo, Kiew und Budapest12

EUForderung:

„Regelmäßiger Austausch wanderungsbezogener Daten und Informationen“ ICMPD

OSCE -

IOM

-

OSCE -

UNHCR

Forderung durch IRO unterstützt:

Interviews in Tirana, Sarajevo und Wien13

EUForderung:

„Erhöhung der Dokumentensicherheit und wirksamere Überprüfung von Reisedokumenten“ ICMPD

Interviews in Kiew, Budapest u. Wien14

UNHCR

IOM

OSCE

UNHCR

Forderung durch IRO unterstützt:

Interviews in Tirana, Sarajevo und Wien15

EUForderung:

„Mehr Kooperationsbereitschaft mit der EU und stärkere Eigenverantwortung (National Ownership)“

Forderung durch IRO unterstützt:

Interviews in Sarajevo und Budapest16

-

-

-

ICMPD

IOM

OSCE

UNHCR

Interviews in Tirana, Sarajevo und Wien17

Interviews in Tirana, Sarajevo, Kiew, Budapest u. Wien18

Interviews in Tirana und Kiew19

Interviews in Tirana, Sarajevo und Kiew20

11 12 13 14 15 16 17 18 19 20

Vgl. I_01_AL und I_74_W. Siehe außerdem P_079 (283). Vgl. I_02_AL, I_27_BH, I_49_UA, I_50_UA und I_73_B. Vgl. I_01_AL, I_26_BH und I_74_W. Vgl. dazu auch P_079 (11). Vgl. I_51_UA, I_73_B und I_75_W. Vgl. außerdem P_080 (77-80). Vgl. I_01_AL, I_26_BH und I_74_W. Vgl. I_27_BH und I_73_B. Vgl. I_01_AL, I_26_BH und I_74_W. Siehe dazu auch P_082 (2). Vgl. I_02_AL, I_27_BH, I_49_UA - I_52_UA, I_73_B und I_75_W. Vgl. Außerdem P_083 (17). Vgl. I_03_AL und I_53_UA. Vgl. I_05 AL, I_33_BH und I_54 UA.

Quelle: Zusammenstellung auf Basis von Dokumentenanalysen und Interviews

193 12:11:42.

Mit Ausnahme der OSCE und des UNHCRs sprachen sich die befragten Vertreter des ICMPDs und der IOM darüber hinaus auch für die drei EU-Forderungen nach dem Abschluss bilateraler Rückübernahmeabkommen mit der EU, einer vollständigen Erfüllung der Rückübernahmeverpflichtungen572 und einem regelmäßigen Austausch wanderungsbezogener Daten und Informationen sowie einer Erhöhung der Dokumentensicherheit und einer künftig wirksameren Überprüfung von Reisedokumenten aus (Tabelle 13). Wie die EU forderten alle vier IRO die Regierungen der drei Untersuchungsländer zu mehr Bereitschaft zur Kooperation mit den Institutionen der EU, mit spezialisierten IRO sowie lokalen und internationalen NRO auf. Auch vonseiten des ICMPDs, der IOM, der OSCE und des UNHCRs erging an die Adresse Albaniens, Bosnien-Herzegowina und der Ukraine der Aufruf, künftig mehr Eigenverantwortung auf dem Gebiet der Steuerung von Migration zu übernehmen. In allen drei Untersuchungsländern mangelte es nach Meinung der befragten internationalen Regierungsorganisationen 2006 und 2007 noch erheblich an der Bereitschaft zur Übernahme von Verantwortlichkeiten (National Ownership) und deren Umsetzung. Die Vertreterin des ICMPDs in Bosnien-Herzegowina äußerte den Verdacht, viele Regierungsvertreter seien der Meinung, dass mit der Rückkehr der Bürgerkriegsflüchtlinge und Vertriebenen nun das »bosnisch-herzegowinische Migrationsproblem« gelöst sei. Die Unterbindung illegaler Wanderungsbewegungen würde aus Sicht der lokalen Amtsträger und Behördenvertreter nun eher als ein Problem der EU denn eine nationale Herausforderung betrachtet.573 In Kapitel 5.3 wird anhand von Fallbeispielen gezeigt, wie die internationalen Organisationen ICMPD, IOM, OSCE und UNHCR, ausgehend von ihrer eigenen Wahrnehmung der Wanderungssituation (Erkenntnisinteresse E4) und ihren Steuerungsvorschlägen (Erkenntnisinteresse E5), mit bestimmten Aktivitäten in den Jahren 2006 und 2007 selbst zur Steuerung des Wanderungsgeschehens beizutragen versuchten (Erkenntnisinteresse E6, Kapitel 2.3.2). In Kapitel 5.5 kommen die Folgen bzw. Wirkungen zur Sprache, die mit den entsprechenden Steuerungseingriffen und allgemein mit den migrationsbezogenen Interventionen der EU und der untersuchten vier IRO verbunden waren.

572 Die EU machte von der Unterzeichnung eines bilateralen Rückübernahmeabkommen die Vertiefung der gesamten Beziehung mit den Drittstaaten abhängig (Kapitel 3.2.4). 573 Vgl. Interview ICMPD, Sommer 2006, I_26_BH.

194 12:11:42.

5.3 Steuerungsaktivitäten internationaler Regierungsorganisationen 5.3.1 Produktion und Vermittlung steuerungsdienlicher Wissensbestände Wie in den Kapiteln 5.2.2 und 5.2.3 deutlich geworden ist, geben die vier befragten internationalen Regierungsorganisationen und Nicht-EU-Akteure ICMPD, IOM, OSCE und UNHCR ebenfalls Einschätzungen zur Wanderungssituation der Untersuchungsländer ab und formulieren Vorschläge, was ihrer Ansicht nach zu tun ist, um das Wanderungsgeschehen wirksam(er) zu steuern. Die Einschätzungen der vier untersuchten IRO lassen auf eine langjährige Erfahrung im Umgang mit Migration und in Bezug auf Albanien, Bosnien-Herzegowina und die Ukraine (bzw. die zwei Herkunfts- und Transitregionen des Balkans und der Nachfolgestaaten der UdSSR) schließen. »The irregular movements of migrants within, from and through the CIS region is on a steady rise and it can be foreseen that this trend will intensify in the future. A substantial part of these migrants have Europe as their ultimate destination. However, there is not enough information, statistical data and analysis of the illegal migratory movements within, from and through these countries.«574 (ICMPD, 2005)

Allerdings können Äußerungen wie diese aufgrund ihrer eher unpräzisen Formulierung und den in ihnen enthaltenen, fast nie mit »harten Fakten« belegten Mutmaßungen nicht darüber hinwegtäuschen, dass über das tatsächliche Ausmaß der (illegalen) Emigration und Transitmigration keine gesicherten, statistisch einwandfrei belegbaren Daten und Kenntnisse vorliegen (Kapitel 5.1). Die vier untersuchten IRO sind selbst gezwungen, zu »vermuten«, sie wissen eigentlich nicht mehr als die EU selbst. Vor diesem Hintergrund wird klar, warum neben dem Europäischen Rat, dem Ministerrat für Justiz und Inneres und der Europäischen Kommission zumindest zwei der befragten IRO (das ICMPD und die IOM) in den geführten Interviews ebenfalls die Forderung nach einem regelmäßigen oder regelmäßigeren Austausch von wanderungsbezogenen Daten und Informationen erhoben haben.575 Beim ICMPD und der IOM handelt es sich wiederum selbst um Produzenten und Vermittler von migrationsbezogenen Daten, Wissensbeständen und praktischem Knowhow. Das ICMPD und die IOM bieten sich auf dem Gebiet der Erhebung und Vermittlung migrationsbezogener Information den drei im Fokus stehenden Herkunfts- und Transitländern als Wissenslieferanten an. Zugleich erfüllen das ICMPD und die IOM aber auch die von der EU erwünschte Rolle des Lieferanten von statistischen und praktischem Wissen/Knowhow (Kapitel 3.3.1), in574 P_079 (10) mit eigenen Hervorhebungen. 575 Tabelle 14 (Kapitel 5.4.1) gibt eine Übersicht über einige der Finanztransfers, die durch die EU für diesen Bereich bereitgestellt worden sind.

195 12:11:42.

dem sie parallel auch die Institutionen der EU mit statistischen Informationen, Expertenberichten, Prognosen und praktischen Handlungsanweisungen beliefern. Zwar handelt es sich bei der Erhebung und Weitergabe statistischen Datenmaterials und anderer migrationsbezogener Informationen und Kenntnisse nicht um einen Steuerungseingriff im eigentlichen Sinne, aber die Rolle, die internationale Regierungsorganisationen dabei spielen, ist dennoch einen Blick wert. Für eine Diskussion bietet sich vor allem das ICMPD an, das sich ja selbst als »[...] centre of excellence in migration policy development [...]«576 (Kapitel 5.2.1) bezeichnet und sich gegenüber der EU, einzelnen Ländern und anderen internationalen Organisationen als Dienstleister für Politikberatung, Forschungsleistungen und Informationen empfiehlt. Auf die Frage, welcher Medien und Institutionen sich die in Tirana, Sarajevo und Kiew ansässigen Delegationen der Europäischen Kommission bedienen, um die Entwicklungen in Bezug auf (illegale) Migration, Menschenhandel, Flucht/ Asyl, Grenzschutz und Rückführung (Abschiebung) beurteilen und Aussagen über Fort- oder Rückschritte der Steuerungsbestrebungen der betreffenden Länder abgeben zu können, wurde neben den Informationen des statistischen Amtes der EU (EUROSTAT) wiederholt auf eine besondere Publikation des ICMPD hingewiesen. Die befragten EU-Vertreter empfanden diese als außerordentlich hilfreich für ihre tägliche Arbeit577 – Gemeint ist das »Yearbook on Illegal Migration, Human Smuggling and Trafficking in Central and Eastern Europe. A Survey and Analysis of Border Management and Border Apprehension Data from 20 States«, das seit 1998 jährlich vom ICMPD herausgegeben wird.578 In diesem Jahrbuch fasst das ICMPD Daten und Informationen zusammen, die es in den meisten Fällen nicht selbst erhebt, sondern von den Regierungen von zwanzig südost-, mittel- und osteuropäischen Länder erhält.579 In den vergangenen Jahren enthielten die Jahrbücher aber auch Informationen und Statistiken, die das ICMPD im Rahmen der eigenen migrationsbezogenen Forschungsarbeit gewonnen hatte. Nach Aussage der ICMPD-Vertreterin in Albanien580 spielt das ICMPD beim Prozess der Zusammenstellung des Jahrbuches eine weitaus größere Rolle als nur die des »Datensammlers« und Herausgebers: Das ICMPD instru576 P_072 (94). 577 Vgl. Interviews mit den örtlichen EU-Kommissionsdelegationen in Albanien, BosnienHerzegowina und der Ukraine (I_06_AL, I_35_BH und I_56_UA) sowie der Polizeilichen Unterstützungsmission der EU für Albanien (PAMECA, I_07_AL) und der EUPolizeimission in Bosnien-Herzegowina (EUPM; I_36_BH). 578 Siehe beispielsweise P_084, P_085 und P_086. 579 Die Liste dieser 20 Länder veränderte sich in den letzten Jahren immer wieder; so waren beispielsweise im 2006 erschienenen Jahrbuch sogar Datensätze aus 22 Ländern enthalten. 580 Vgl. Interview ICMPD, Frühjahr 2006, I_01_AL.

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iert die am Jahrbuch beteiligten Herkunfts- und Transitländer, wie die erforderlichen Daten standardisiert zu erheben sind, um zumindest eine gewisse Vergleichbarkeit der Daten und Informationen zu gewährleisten.581 In vielen Fällen übernehme das ICMPD auch die Aufbereitung der oft in äußerst mangelhafter Qualität oder nur unvollständig gelieferten Rohdaten. Schließlich komme dem ICMPD darüber hinaus oft auch noch die Aufgabe der Interpretation zu: Was kann aus den gelieferten Daten abgelesen werden und welche Schlussfolgerungen und Steuerungsvorschläge sind aus ihnen abzuleiten? In den länderspezifischen Kapiteln der ICMPD-Jahrbücher finden sich neben Statistiken unter anderem auch Erläuterungen dazu, wie sich die nationale Migrationspolitik der untersuchten Länder seit dem vorangegangenen Jahrbuch verändert hat und welche Konsequenzen bestimmte Maßnahmen hatten. Die Aufbereitung und Interpretation von Daten fließt in den Jahrbüchern des ICMPDs und anderen Veröffentlichungen der Organisation zusammen mit Ergebnissen aus der »Überwachung« (Monitoring) und der Evaluation der Herkunfts- und Transitländer durch das ICMPD selbst. Auf das Jahrbuch des ICMPD berufen sich andere Publikationen des ICMPD, zu denen neben dem »Overview of the Migration Systems in the CIS countries« beispielsweise auch der Bericht über die »EU Justice, Freedom and Security Assessment Missions to Ukraine«582 des ICMPDs zählen. Diese Veröffentlichungen sind einerseits Endprodukte, andererseits dienen sie aber auch als Vorlagen für weitere vom ICMPD vorangetriebene Vorhaben der Wissensproduktion und der Wissensvermittlung. Mit Hilfe der von einzelnen Ländern zur Verfügung gestellten und dann durch das ICMPD ausgewerteten und interpretierten Daten, oder der in anderen Fällen aktiv durch das ICMPD selbst erhobenen Daten und Kenntnisse, gewinnt die Organisation einen Wissensvorsprung gegenüber den Institutionen der EU und anderen Steuerungsakteuren. Indem das ICMPD Datenmaterial erhebt oder sammelt, interpretiert und auf Wunsch verfügbar macht, empfiehlt sich die IRO sowohl gegenüber der EU als auch gegenüber den Regierungs- und Verwaltungsstellen Albaniens, Bosnien-Herzegowinas und der Ukraine dann auch als kompetenter und sachkundiger Implementationspartner für Steuerungseingriffe.583 581 Nach Aussage eines in Wien befragten Vertreters besteht in den meisten »Teilnehmerländern« des Jahrbuchs (gemeint sind die in diesem erfassten Länder) ein gravierendes Defizit, was die verlässliche Erhebung migrationsbezogener Daten und deren zuverlässige Weitergabe an die EU, andere Länder und internationale Organisationen anbelangt: Interview ICMPD, Frühjahr 2007, I_74_W. 582 Vgl. P_079 und P_087. 583 So bewarb sich zur Zeit der empirischen Untersuchung in Albanien das ICMPD beispielsweise gerade bei der EU-Kommission um die Finanzierung von zwei großen Projekten, die in den folgenden Jahren der Gewinnung und dem Austausch migrationsbezogener Daten und Kenntnisse zu Albanien und den übrigen Ländern Südosteuropas dienen sollten, vgl. Interview ICMPD, Frühjahr 2006, I_01_AL.

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5.3.2 Informationszentren und -kampagnen für legale und sichere Migration »The only way is the legal way. Promoting safe and orderly migration« – Mit diesem Slogan und anderen Parolen584 wirbt in Albanien, Bosnien-Herzegowina, der Ukraine und vielen anderen Herkunfts- und Transitländern die IOM für Betreuungs- und Informationsdienstleistungen, die auf auswanderungswillige Personen zugeschnitten sind und die die IOM in ihren eigenen »Migration Service Centres« in den Hauptstädten der drei Untersuchungsländer, aber auch auf Provinz-/Distrikt- oder Regionsebene bereithält. Im IOM-Informationszentrum in Tirana sind 2006 und 2007 jeden Monat rund 100 Personen betreut worden; kostenfrei vermittelten ihnen albanische Ortskräfte eine grundlegende Übersicht darüber, welche Zuzugs-, Arbeits- und Studienmöglichkeiten albanischen Staatsangehörigen in den EU-Mitgliedsländern oder in anderen Zielstaaten offenstanden.585 Bis 2007 gab es für albanische Staatsangehörige allerdings nur äußerst begrenzte Möglichkeiten, legal in ein anderes Land zur Aufnahme einer Beschäftigung einzureisen; nur einige Staaten, darunter Kanada, die USA, Australien, Neuseeland und die skandinavischen Länder, gewährten ausgewählten Migranten oder Studenten tatsächliche Zuzugsund Zuwanderungsmöglichkeiten. Albanien besaß lediglich mit drei Ländern ein bilaterales Abkommen, das für albanische Arbeitskräfte Zuzugs- und Beschäftigungsmöglichkeiten bot und regelte. Ein 1991 mit Deutschland zwar geschlossenes, aber noch nicht in Kraft getretenes Abkommen und zwei, in den Jahren 1996 und 1997 mit Italien und Griechenland vereinbarte Arbeitskräfteabkommen. Diese Abkommen mit Griechenland und Italien waren eigentlich dazu angedacht, albanischen Staatsangehörigen saisonale Beschäftigungsmöglichkeiten anzubieten; nach Auskunft der IOM in Wien und Tirana dienten sie allerdings vornehmlich der nachträglichen Legalisierung von albanischen Migranten, die bereits in Griechenland oder Italien eingereist waren und sich dort illegal aufhielten. Die Zahl der Migranten, denen über diese beiden Abkommen tatsächlich ein Zuzug und eine Beschäftigung in Griechenland oder in Italien gestattet worden ist, wurde bisher nie veröffentlicht und ist eventuell sehr gering.586 Da für albanische Staatsangehörige kaum Möglichkeiten zur legalen Arbeitsaufnahme in anderen Ländern bestanden, kamen bis 2007 nur wenige der Informationssuchenden tatsächlich in den Genuss von den weiteren Leistungen und Unterstützungsangeboten der IOM. Zu diesen Dienstleistungen zählten zum Zeitpunkt der Befragungen unter anderem Hilfestellungen bei der Beantragung 584 Wie beispielsweise »Safe Migration is a Choice and an Opportunity«, vgl. die Informationsbroschüre P_088. 585 Vgl. Interview IOM, Frühjahr 2006, I_02_AL und P_088. 586 Vgl. Interview IOM, Frühjahr 2006, I_02_AL und P_089 (54).

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von Visa und Arbeitserlaubnissen, Übersetzungsdienstleistungen oder juristische Beratungsangebote. Die IOM wolle den Migranten, die eine reelle Chance auf einen legalen Zuzug und die Aufnahme einer Erwerbstätigkeit im Ausland hätten, so der Leiter der IOM in Albanien, im Informations- und Servicezentrum möglichst alles an Informationen und Unterstützung anbieten, damit der Aufenthalt im Ausland für den Migranten auf jeden Fall »erfolgreich« (successful), »sicher« (safe) und unter »menschenwürdigen« Arbeits- und Lebensbedingungen (humane) ablaufe.587 Als Organisation empfinde die IOM eine »unbedingte und ungeteilte Informationspflicht«588 gegenüber allen (potenziellen) Migranten, so der IOM-Vertreter in Albanien. Als außerordentlich wichtig erachtet werde daher auch die Aufgabe, die Informationssuchenden bei ihrem Besuch im IOMInformationszentrum über die besonderen Gefahren aufzuklären, die allen Migranten vor oder nach Verlassen ihres Heimatlandes drohen. Insbesondere weibliche, minderjährige oder behinderte Migranten müssten – so der befragte IOMVertreter – bei mangelhafter Information und schlechter Ausbildung damit rechnen, dass sie skrupellosen Menschenhändlern in die Hände fallen, gewaltsam ins Ausland verbracht und dort gegen ihren Willen (sexuell) ausgebeutet werden könnten. Ihre Servicezentren, Informationsbroschüren und zusätzlich angebotenen Telefon-Hotlines für (potenzielle) Migranten versteht die IOM, den Aussagen des Leiters für Albanien zufolge, daher auch als wichtigen Beitrag im Umgang mit illegaler Migration. Ziel sei es nämlich, möglichst viele Migrationswillige von dem Versuch abzuhalten, auf eigene Faust oder mit Hilfe von Menschenschmugglern oder Menschenhändlern in ein anderes Land einzureisen, um sich dort dann illegal aufzuhalten und illegal einer Beschäftigung nachzugehen. Außerhalb ihrer Informations- und Servicezentren versuchte die IOM mit Hilfe von Informationskampagnen auf kommunaler und regionaler Ebene die Öffentlichkeit auf die Gefahren der illegalen Migration aufmerksam zu machen. Die unter dem Slogan »Safe Migration is a Choice and an Opportunity« in Albanien 2006 und 2007 durchgeführte IOM-Informationskampagne, die speziell im ländlichen Raum Albaniens (Shkodra, Durres, Vlora, Elbasan, Kukes und Peshkopi) implementiert wurde, woher viele der im Ausland aufgegriffenen bzw. identifizierten illegalen Migranten und Trafficking-Opfer stammen, kostete rund 400.000 Euro und wurde finanziert durch die britische Botschaft in Albanien.589 Im Rahmen dieser Kampagne sind durch IOM eine große Zahl an Informationsblätter und Broschüren verteilt worden, unter anderem in Schulen, an Polizisten und an Vertreter von lokalen Nichtregierungsorganisationen. In diesen

587 Vgl. Interview IOM, Frühjahr 2006, I_02_AL. 588 Ins Deutsche übersetzte Aussage: Interview IOM, Frühjahr 2006, I_02_AL. 589 P_088.

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Broschüren wurde zumeist ausschließlich über die Risiken illegaler, »uninformierter« (uninformed) und »unüberlegter« (spontaneous) Migration aufgeklärt.

5.3.3 Anti-Trafficking, Schutz und Reintegration Groß angelegte Informationskampagnen, in denen per TV- und Kino-Spots oder mittels großformatiger Plakate insbesondere Frauen und Mädchen vor den Gefahren der Täuschung, Verschleppung und des Missbrauchs durch Menschenhändler gewarnt werden, führt die IOM seit Ende der 1990er Jahre in Albanien, Bosnien-Herzegowina, der Ukraine und in vielen anderen Ländern durch. 2003 implementierte die IOM in den Ländern des SAP das Projekt »Prevention of Trafficking in Human Beings in the Balkans through Educational Activities and Capacity Building of Schools590«, das die Aufklärung über die Gefahren, die von skrupellosen Menschenhändlern ausgehen, und über deren Tricks, um potenzielle Opfer zu täuschen, zu einem festen Bestandteil des Unterrichts an allen Grund- und weiterführenden Schulen machte. Einzelprojekte in Albanien, Bosnien-Herzegowina und den anderen Teilnahmestaaten des SAP, die ebenfalls von der IOM durchgeführt wurden, ergänzten dieses regionale Projekt. Seit einer entsprechenden Übereinkunft mit dem Bildungsministerium zählt die »AntiTrafficking-Aufklärung« zum regulären Curriculum aller allgemein- und berufsbildenden Schulen in Albanien und Bosnien-Herzegowina. Die Lehrer, die ihre Schüler vor den Gefahren des Trafficking – generell aber auch jeder anderen Form der illegalen Migration – warnen sollen, sind von der IOM dafür speziell geschult worden. In den letzten Jahren sind zu den Aufklärungsstunden an Schulen oft Opfer des Menschenhandels und Menschenschmuggels eingeladen worden, um über ihr Schicksal zu berichten. Im Rahmen ihres Engagements gegen den Menschenhandel war die IOM seit Ende der 1990er Jahre zudem durch die EU damit betraut, die Regierungen Albaniens, Bosnien-Herzegowinas und der Ukraine bei der Erarbeitung nationaler »Anti-Trafficking-Strategien« zur Bekämpfung des Menschenhandels zu unterstützen. Obwohl diese Strategien mittlerweile als Regierungsdokumente verabschiedet worden sind, machten die befragten IOM-Vertreter deutlich, dass die praktische Implementation dieser Strategien noch nicht sehr weit fortgeschritten sei.591 Der Kampf gegen den Menschenhandel müsse deshalb weiterhin konsequent durch die IOM fortgesetzt respektive in Zusammenarbeit mit lokalen und internationalen NRO durch die IOM begleitet werden (Kapitel 5.4.2). 590 Vgl. Interview IOM, Frühjahr 2006, I_02_AL. 591 Vgl. Interviews IOM in Albanien, Bosnien-Herzegowina und der Ukraine: I_02_AL, I_27_BH und I_52_UA.

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An Aktivitäten des »Anti-Traffickings« waren in Albanien, Bosnien-Herzegowina und der Ukraine in den vergangenen Jahren neben der IOM noch zwei weitere große IRO beteiligt: Von 2000 bis 2004 führte die OSCE in Albanien unter der Bezeichnung »Women’s Rights and Anti-Trafficking Education« eine landesweite Informationskampagne zur Stärkung der Rechte von Mädchen und Frauen und gegen den Menschenhandel durch.592 Wie in Albanien arbeitete die OSCE dabei auch in Bosnien-Herzegowina, der Ukraine und vielen anderen ostund südosteuropäischen Ländern eng mit der IOM zusammen.593 Nach Aussage der befragten OSCE-Vertreter hat sich gewissermaßen eine feste Arbeitsteilung mit der IOM ergeben: Die OSCE beschränke sich darauf, die Annäherung der betreffenden Länder an die Rechtsgrundlagen der EU und der internationalen Gemeinschaft sowie die Einhaltung der eingegangenen Vereinbarungen beratend zu begleiten und zu kontrollieren, während die IOM die Aufgabe übernommen habe, die Öffentlichkeit über die Gefahren des Menschenhandels (und der illegalen Migration) aufzuklären und den Opfern des Menschenhandels Schutz und Reintegrationshilfen zu bieten.594 In Kooperation mit nationalen/lokalen Partnern, mit der EU und ausländischen Geldgebern bot die IOM 2006 und 2007 in Albanien, Bosnien-Herzegowina und der Ukraine eine Vielzahl von Unterstützungsleistungen an, die weit über die beschriebenen Aufklärungskampagnen und Beratungstätigkeiten hinausreichten. Zum Zeitpunkt der Untersuchungen zählten die lokalen IOM-Vertretungen zu den wichtigsten und oft auch einzigen Anlaufstellen für die Opfer des Menschenhandels. Hatten der Grenzschutz, die Polizei oder eine andere Behörde in Albanien, Bosnien-Herzegowina oder der Ukraine eine Person als (mögliches) Opfer des Menschenhandels identifiziert, kam in den drei Untersuchungsländern folgende Kette in Gang:595 Die (Grenz-)Polizei nahm mit der IOM-Vertretung in Tirana, Sarajevo oder Kiew Kontakt auf. In Zusammenarbeit mit der IOM und Vertretern ausländischer Botschaften gelang es dann in den meisten Fällen, die Nationalität der befreiten bzw. identifizierten Person zu klären. Sozialarbeiter und Psychologen, die als Ortskräfte bei der IOM angestellt waren, prüften dann, ob es sich bei der betreffenden Person tatsächlich um ein Opfer des Menschenhandels handelte. Dabei wurde in Zusammenarbeit mit der Polizei auch geklärt, ob das Opfer gewillt war, im Falle eines Gerichtsprozesses auszusagen.596 Die 592 593 594 595

Vgl. Interview OSCE, Frühjahr 2007, I_03_AL. Vgl. Interview OSCE, Frühjahr 2007, I_30_BH. Vgl. Interviews I_03_AL, I_30_BH und I_53_UA. Dieser idealtypische Verlauf basiert auf den Schilderungen zweier Interviews mit Vertretern der IOM in Kiew und Wien (Interviews I_52_UA und I_75_W). 596 In allen drei Ländern bestand zum Zeitpunkt der Feldforschung für ausländische Opfer die Möglichkeit einer zeitlich befristeten Aufenthaltserlaubnis und Schutzgewährung, eine Möglichkeit, die bisher in Deutschland und vielen anderen EU-Staaten nicht besteht.

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von der IOM überprüften Opfer wurden anschließend temporär in einem gesicherten Haus (Shelter) untergebracht. Ausländische Opfer, die nicht zu einer Aussage bereit waren, wurden dagegen in den meisten Fällen, sofern keine schwerwiegenden psychologischen und medizinischen Beeinträchtigungen vorliegen, mit Hilfe von IOM direkt in ihr Heimatland verbracht, wo dann, wiederum über IOM organisiert, Möglichkeiten zur Schutzgewährung, Rehabilitation und Reintegration angeboten wurden. Die sozialen und ökonomischen Reintegrationsmaßnahmen, die IOM in Zusammenarbeit mit spezialisierten Nichtregierungsorganisationen in den Jahren 2006 und 2007 anbot, umfassten die Unterstützung der Opfer bei der Kontaktaufnahme mit Familienangehörigen, Freunden und ehemaligen Arbeitgebern, Möglichkeiten der Opfer, sich sozial, zum Beispiel in der Präventionsarbeit der IOM, zu engagieren und Hobbys nachzugehen sowie Angebote im Bildungsbereich (Sprachkurse, Schulabschlüsse etc.) und der Berufsqualifikation (Kurse in EDV, Schreibmaschinenschreiben, einfachere Berufsausbildungen etc.). 2006 gab die IOM-Vertretung in Tirana an, dass in den vergangenen Jahren 252 ausländische und 332 albanische Opfer direkt von der IOM unterstützt worden seien.597 Für das Jahr 2006 veranschlagte die IOM für ihre Unterstützungsleistungen in Albanien einen Bedarf von 350.000 Euro.598 In Bosnien-Herzegowina ging die IOM von einem benötigten Finanzvolumen von insgesamt 900.000 US$ aus.599 In der Ukraine wurden nach Aussagen der IOM zwischen 2000 bis 2003 knapp 400 Opfer von der IOM betreut und unterstützt.600 Aktuellere Zahlen waren im Rahmen der geführten Experteninterviews nicht zu erhalten; allerdings habe die IOM Ukraine, so der Leiter der IOM-Vertretung in Kiew, in der letzten Zeit mehreren hundert Opfern pro Jahr Hilfe und Schutz zukommen lassen601 – Eine Aussage, die sicherlich auch den relativ hohen Finanzbedarf rechtfertigen sollte, den die IOM für ihre Arbeit 2006 veranschlagt hatte: rund 4,4 Mio. US$, die für Informationskampagnen, Lobbying- und Beratungstätigkeiten der IOM sowie den Schutz und die Reintegration von Opfern vorgemerkt waren.602

597 598 599 600 601 602

Siehe P_088. Vgl. P_080 (68). Vgl. P_080 (69). P_089 (417). Vgl. Interview IOM, Sommer 2006, I_49_UA. P_080 (81). Tabelle 14 (Kapitel 5.4.1) gibt eine Übersicht über einige der Finanztransfers, die durch die EU für diesen Bereich bereitgestellt worden sind

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5.3.4 Beratung und technische Unterstützung für den Grenzschutz Geht es nach den Vorstellungen der EU, so soll im Rahmen des Ausbaus der Grenzschutzmaßnahmen in den drei Untersuchungsländern ein sogenanntes »integriertes Grenzschutzmanagement« aufgebaut werden, das unter anderem in einer besseren Vernetzung aller relevanten Behörden und Polizeieinheiten bestehen soll.603 Außerdem sollen die Grenzkontrollen flexibler gestaltet werden: Für alle Güterströme und Personen, die erwünscht und behördlich zugelassen sind, sollen die Außengrenzen der drei Länder möglichst offen bleiben, während sie gegenüber allen illegitimen Formen des Grenzverkehrs widerstandsfähiger gemacht werden und geschlossen bleiben sollen. Das ICMPD und die IOM begleiten in Albanien, Bosnien-Herzegowina und der Ukraine seit dem Beginn ihrer »Vor-Ort-Aktivitäten« (1999/2000) den Aufbau eines solchen integrierten Grenzschutzmanagements. Neben dem Grenzschutz der drei Länder soll das integrierte Grenzschutzmanagement auch direkt dem Schutz der mittlerweile an alle drei Länder nahe »herangerückten« EU-Außengrenze dienen. In Albanien und Bosnien-Herzegowina war 2006 und 2007 der Fortschritt auf dem Weg hin zu einem integrierten Grenzschutz schon erkennbar; anders als in der Ukraine. Seit mehreren Jahren hatten die albanischen und bosnisch-herzegowinischen Behörden und Polizeieinheiten bereits, angeleitet von Experten des ICMPDs und der IOM, gelernt, wie der Schutz, die Überwachung und die Kontrolle der Außengrenzen beider Länder im Sinne der EUVorgaben verbessert werden könnten. Beide Länder setzten die von außen an sie herangetragenen Vorschläge, nach Aussage von Experten, recht gut um. Allerdings gab es 2006 und 2007 dennoch auch weiterhin Verbesserungsbedarf.604 In Albanien und Bosnien-Herzegowina haben neben dem ICMPD und der IOM auch die PAMECA605 (Polizeiliche Unterstützungsmission der EU für Albanien) und EUPM (Europäische Polizeimission in Bosnien-Herzegowina) an der Umsetzung einer EU-finanzierten »National Strategy for Integrated Border Management« teilgenommen.606 Die beiden internationalen Regierungsorganisationen ICMPD und IOM trugen maßgeblich zum Entwurf dieser Strategien bei. So evaluierte das ICMPD in Albanien beispielsweise schon im Jahr 2000 die 603 Vgl. Tabelle 14 (Kapitel 5.4.1). 604 Vgl. Interviews mit PAMECA, Sommer 2006, I_07_AL und EUPM, Sommer 2006, I_36_BH. 605 Seit 1997 existiert in Albanien eine polizeiliche Unterstützungsmission der EU. 2006 beteiligten sich 16 EU-Länder an PAMECA, deren Aufgabe in der Begleitung und Unterstützung aller Tätigkeitsfelder der albanischen Polizei (inklusive Grenzschutz) lag. Vgl. http://www.pameca.org.al (20.11.2009). 606 Vgl. Interviews mit PAMECA, Sommer 2006, I_07_AL und EUPM, Sommer 2006, I_36_BH.

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Grenzkontrollen am internationalen Flughafen von Tirana und legte 2005 Empfehlungen zur Verbesserung des Grenzschutzes entlang der adriatischen Seegrenze (»Definition of a Blue Border Management System in Albania«)607 vor. Im gleichen Jahr erschien auch ein Expertenbericht der IOM, der sich damit beschäftigte, den »Gap«, das heißt die Defizite Albaniens auf dem Gebiet des Grenzschutzes und der migrationsrechtlichen Bestimmungen im Vergleich zu den Vorgaben der EU und anderen internationalen Standards, festzustellen.608 Interessant ist überdies, dass das ICMPD und die IOM neben PAMECA und der EUPM eine große Rolle in der bereits Ende der 1990er Jahre eingeleiteten ersten Reform (und teilweisen Demilitarisierung) des Grenzschutzes in Albanien und Bosnien-Herzegowina spielten. Den Aussagen der Interviewpartner von ICMPD und IOM zufolge profitierten beide Grenzpolizeien erheblich von den Empfehlungen und Schulungen, die durch das ICMPD und die IOM angeboten oder vermittelt worden waren. Die durch die IOM organisierten Schulungen schlossen unter anderem auch das Training mit verschiedenen technischen Hilfsmitteln zur Überwachung und Absicherung von Grenzen ein.609 Ein großer Teil dieser Hilfsmittel war zuvor durch die EU finanziert worden und wurde in manchen Fällen dann im Rahmen der angebotenen Trainings über die IOM den lokalen Behörden der Implementationsländer zur Verfügung gestellt. In Albanien und Bosnien-Herzegowina führte die IOM zusammen mit der OSCE und dem UNHCR bis 2006 eine »Status Determination« aller an den Grenzen Albaniens und Bosnien-Herzegowinas ankommenden oder aufgegriffenen Migranten durch: Angestellte der IOM waren dafür zuständig, illegale Migranten zu identifizieren, während das UNHCR bestimmten »Migranten« dabei half, einen Asylantrag zu stellen. Die Ortskräfte der OSCE kümmerten sich um eine dritte Kategorie – um Personen, bei denen es sich nach Ansicht der OSCEMitarbeiter (wahrscheinlich) um Opfer des Menschenhandels handelte. An die »Status Determination« durch die Fachkräfte dieser drei spezialisierten IRO schloss sich die Übergabe an die zuvor durch ICMPD, IOM und OSCE geschulte Grenzpolizei und zuständigen Behörden Albaniens bzw. Bosnien-Herzegowinas an. Im Falle von illegalen Migranten hatte dies eine Zurückweisung bzw. Abschiebung oder eine »freiwillige Rückkehr« in das Heimat- oder das zuvor bereiste Transitland zur Konsequenz. Die als asylberechtigt klassifizierten Personen wurden dagegen durch das UNHCR während ihres weiteren Weges im Asylverfahren unterstützt. Zugleich erhielten die entsprechenden Behörden durch das UNHCR Hilfestellung bei der Prüfung der Asylanträge. Der OSCE fiel 607 Vgl. P_090. 608 Vgl. P_091. Zwei Jahre zuvor war von der IOM bereits eine »Gap Analysis of Albanian Legislation in the Field of Border Control« vorgenommen worden, siehe P_092. 609 Vgl. Interviews I_01_AL, I_26_BH, I_073_B und I_074_W.

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bis 2006 schließlich die Aufgabe zu, den Umgang der Behörden bei der (temporären) Schutzgewährung, Rehabilitation und eventuell Reintegration oder Rückführung der Opfer des Menschenhandels zu überwachen.610 Während der Grenzschutz in Albanien und Bosnien-Herzegowina vorangetrieben wurde und dabei dem ICMPD und der IOM eine große Rolle zukam, stand das Engagement der beiden spezialisierten IRO im Hinblick auf die Verstärkung der Grenzschutzmaßnahmen in der Ukraine zum Zeitpunkt der Befragung (2006/2007) noch relativ am Anfang. Das mag der Grund dafür sein, warum die IOM für das Jahr 2006 einen recht hohen Betrag von 5,3 Mio. US$ als notwendig erachtete, um die Aktivitäten der IOM auf dem Gebiet des (integrierten) Grenzschutzes in die Tat umzusetzen.611 Im Gegensatz dazu war für Bosnien-Herzegowina 2006 kein spezieller Finanzbedarf mehr im Bereich Grenzschutz vorgemerkt; für Albanien ging die IOM immerhin noch von einem Finanzbedarf von 800.000 Euro aus.612

5.3.5 Freiwillige Rückkehr und Reintegration »Do you find yourself currently in a difficult situation? Do you wish to return to your home country?« – Mit diesen beiden Fragen wandte sich die IOM 2007 mittels eines Informationsfaltblattes613 an Migranten, die entweder als albanische Staatsangehörige im Ausland lebten oder sich als ausländische Staatsbürger in Albanien aufhielten. Auf Albanisch und Englisch machte die IOM mit Hilfe dieses Flyers auf ein weiteres Instrument aufmerksam, mit dem die IOM in das Wanderungsgeschehen einzugreifen versuchte: Unter der Bezeichnung »Voluntary Assisted Return and Reintegration Programme« (VARRP) bzw. »Assisted Voluntary Return« (AVR) ist die IOM zur Anbieterin von maßgeschneiderten »Transport- und Reintegrationslösungen« geworden, die sich an Migranten richten, die sich illegal im Ausland aufhalten (beispielsweise nach Ablauf ihrer Aufenthaltserlaubnis) und zur Ausreise gezwungen werden, deren Asylbegehren abgelehnt wurde oder die aus anderen Gründen in ihre Heimat zurückkehren müssen oder wollen. Zwischen 2002 und 2006 brachte die IOM im Rahmen seiner VARRP- und AVR-Programme rund 400 dieser »freiwilligen Rückkehrer« wieder nach Albanien zurück.

610 Vgl. Interviews mit Vertretern der IOM, der OSCE und des UNHCRs in Albanien (I_02_AL, I_03_AL und I_05) und in Bosnien-Herzegowina (I_27_BH, I_29_BH und I_33_BH). 611 P_080 (81). 612 P_080 (69). 613 Vgl. P_093.

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Diese »freiwillige Rückkehr« durch die IOM unterscheidet sich von einer zwangsweise vorgenommenen Abschiebung (Deportation) dadurch, dass keine polizeiliche Gewalt eingesetzt wird und finanzielle wie materielle Beihilfen geleistet werden, um den Rückkehrern Anreize zu bieten, »freiwillig« in die Heimat zurückzukehren. Es ist anzunehmen, dass den meisten Rückkehrern vor ihrer »freiwilligen Rückkehr« allerdings bereits eine zwangsweise Abschiebung angedroht ist; »freiwillig« ist somit lediglich die Wahl des IOM-Programms als Alternative zu einer Deportation in Handschellen. Die befragten Vertreter der IOM insistierten dennoch auf dem grundsätzlich »freiwilligen« Charakter der IOMProgramme und wehrten sich gegen den Vorwurf, die IOM unterstütze mittels ihrer Rückkehrprogramme die Abschiebepolitik der EU-Staaten und anderer Länder.614 Ein zum Zeitpunkt der Untersuchung in Albanien von der IOM durchgeführtes VARPP-Programm, das durch die Regierungen von Großbritannien, Belgien, Irland, der Schweiz, Spanien, der Tschechischen Republik, der Niederlande und Portugal finanziert wurde, gewährte den Rückkehrern Kleinkredite für den Aufbau einer beruflichen Selbstständigkeit. Im Rahmen von anderen Programmen, die auch in Bosnien-Herzegowina und der Ukraine durch die IOM implementiert wurden, bot die IOM zudem Bewerbungstrainings und andere Hilfestellungen bei der Stellensuche an. Bei einzelnen VARRP- oder AVR-Programmen bezuschusste die IOM außerdem in den ersten neun Monaten der Berufstätigkeit die Lohnkosten. Rückkehrern mit fehlenden Berufsqualifikationen wurde in manchen Fällen sogar die Übernahme von Ausbildungskosten in Aussicht gestellt, während eine finanzielle »Community Assistance« dafür sorgen sollte, dass nicht nur die »freiwillig zurückgekehrte« Person, sondern auch die ganze Dorfgemeinschaft, in die der Migrant zurückkehrte, durch die »freiwillige« Rückführung profitierte.615 2006 und 2007 wurde in Albanien bereits über eine Ausweitung der AVRund VARRP-Programme nachgedacht, denn am 1. Mai 2006 war das bilaterale Rückübernahmeabkommen mit der EU in Kraft getreten.616 Dieses Abkommen sah vor, dass nach einer Übergangsfrist von zwei Jahren (also ab 2008) Albanien nicht nur seine eigenen Staatsangehörigen aus der EU zurücknehmen müsse, sondern auch alle illegalen Migranten anderer Länder, die vor ihrer Einreise in die EU nachweislich das Territorium Albaniens durchquert haben. Im Falle der Implementation dieses Bestandteils des Rückübernahmeabkommens rechneten viele in Albanien bereits mit einer steigenden Zahl von nach Albanien überstell614 Vgl. Interviews mit Vertretern der IOM in Tirana und Budapest: I_02_AL und I_73_B. 615 Vgl. beispielsweise P_088 und P_093. 616 Vgl. Interview Delegation der Europäischen Kommission in Albanien, Sommer 2006, I_06_AL.

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ten illegalen Transitmigranten und dem Problem, dass Albanien nach 2008 dann selbst auch die Rückführung/Abschiebung dieser Migranten in die Heimatländer organisieren und finanzieren müsse.617 Für das Jahr 2006 plante die IOM für Albanien deshalb bereits mit einem Finanzbedarf von rund 1,2 Mio. Euro618, damit Albanien in die Lage versetzt werden könnte, seine Rückübernahmeverpflichtungen gegenüber der EU einzulösen, zum Beispiel mit Hilfe der von IOM angebotenen Programme zur »freiwilligen Rückkehr«.619 Zusammen mit Griechenland, bezeichnenderweise also gerade mit dem Land, das neben Italien eines der wichtigsten Ziele illegaler albanischer Migranten darstellt, führte die IOM in den Jahren 2006 und 2007 ein Projekt durch, das dazu dienen sollte, die Kapazitäten Albaniens auf dem Gebiet der Rückkehr gezielt auszubauen. Die dafür notwendigen Finanzmittel von 1,8 Mio. Euro wurden zu achtzig Prozent von der Europäischen Kommission getragen620, während der Rest durch die griechische Regierung aufgebracht wurde. Im Zuge dieses Projekts entstanden mehrere Empfehlungen, unter anderem die äußerst umfangreichen Handbücher »The Return of Irregular Migrants to Albania. An Assessment of Case Processing, Reception and Return. Needs and Modalities«, »Compendium of Best Practices in Return, Readmission and Reintegration«, »The Readmission Agreement between the European Community and the Republic of Albania. Manual for Application« und »Proposal for a System for Handling Irregular Migrants in Line with the EU Acquis and International Norms«.621 In Bosnien-Herzegowina stellten 2006 und 2007 die von der IOM angebotenen »freiwilligen« Rückkehrprogramme eine Fortsetzung der bereits seit 1999 von IOM durchgeführten Programme zur Rückkehr der temporär im Ausland aufgenommenen Bürgerkriegsflüchtlinge dar. Für die »sichere« und »freiwillige« Rückkehr (safe and voluntary return) von Migranten, die im Transitland Bosnien-Herzegowina unfreiwillig »gestrandet« und als illegale Migranten zur Ausreise gezwungen sind, nahmen die befragten IOM-Vertreter in Sarajevo für die kommenden Jahre ebenfalls einen steigenden Finanzbedarf an. Zum Zeitpunkt der Untersuchung (2006 und 2007) hatte die Regierung von Bosnien-Herzegowina zwar noch kein Rückführungsabkommen mit der EU geschlossen, war allerdings schon dabei dieses auszuhandeln.622 Wie im Falle Albaniens ist es 617 618 619 620

Vgl. Interviews mit Vertretern der IOM in Albanien (I_02_AL) und Budapest (I_73_B). Vgl. P_080 (68). Vgl. Interview IOM, Frühjahr 2006, I_02_AL. Tabelle 14 (Kapitel 5.4.1) gibt eine Übersicht über einige der Finanztransfers, die durch die EU für diesen Bereich bereitgestellt worden sind. 621 Vgl. P_094, P_095, P_096 und P_097. 622 Vgl. Interview Delegation der Europäischen Kommission in Bosnien-Herzegowina, Sommer 2006, I_35_BH. Das Rückübernahmeabkommen mit der EU trat am 1. Januar 2008 in Kraft.

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Bosnien-Herzegowina erst nach Unterzeichnung dieses Abkommens möglich, seine Beziehungen zu der EU durch ein sogenanntes Stabilisierungs- und Assoziierungsabkommens (SAA) zu vertiefen (Kapitel 3.2.4). Auch für Bosnien-Herzegowina rechneten die befragten Experten und IRO-Angestellten mit einem starken Anstieg der aus der EU wieder nach Bosnien-Herzegowina abgeschobenen illegalen Transitmigranten und illegalen bosnisch-herzegowinischen Migranten. Die IOM in Bosnien-Herzegowina war 2006 deshalb bereits damit beschäftigt, der Regierung von Bosnien-Herzegowina VARRP- oder AVR-Programme anzubieten, die das Land bei seiner künftigen Aufgabe der Rückübernahme von Migranten unterstützen sollten. Der Finanzbedarf für ein erstes Pilotprojekt der IOM belief sich im Jahr 2006 auf rund 120.000 Euro.623 2006 wurde auch in der Ukraine bereits über die Ausweitung und Neukonzipierung von IOM-organisierten Programmen zur freiwilligen Rückkehr nachgedacht. Nach Auskunft der befragten IOM-Vertreter kehrten in die Ukraine (wie auch nach Albanien und Bosnien-Herzegowina) die meisten illegalen Migranten allerdings noch weiter im Rahmen von zwangsweise durchgeführten Deportationen zurück. Gerade im Fall der Ukraine mahnte die IOM zu entschlossenem Handeln und zur schnellstmöglichen Ausarbeitung von Rückkehrprogrammen aufgrund des Umstands, dass die Ukraine eines der bedeutendsten Transit- und Herkunftsländer für illegale Migranten in Richtung der EU darstelle. Nach äußerst langwierigen Verhandlungen beugte sich auch die Ukraine im Juni 2007 dem Druck der EU und vereinbarte mit der Europäischen Kommission ein bilaterales Rückübernahmeabkommen. Zum Zeitpunkt der geführten Interviews (2006 und 2007) war allerdings noch unklar, ob und wann dieses Abkommen tatsächlich durch die Ukraine implementiert werden würde. Auch im Fall der Ukraine war in Bezug auf die Rückübernahme von nicht-ukrainischen Staatsangehörigen (Transitmigranten) zunächst eine Übergangszeit von zwei Jahren vereinbart worden.624

5.3.6 Aufnahme von Asylsuchenden und Integration von Flüchtlingen Die Aufnahme, Unterstützung und Integration von Asylantragstellern und Flüchtlingen ist nach der mittlerweile von allen befragten IRO als abgeschlossen erachteten Rückkehr der Bürgerkriegsflüchtlinge (Kapitel 5.2.2) zum primären Aufgabenfeld des UNHCRs in Bosnien-Herzegowina geworden. 2006 war die Zahl der Asylsuchenden mit 183 in Bosnien-Herzegowina noch sehr gering, zu623 Vgl. P_085 (69) und Interview IOM, Frühjahr 2007, I_27_BH. 624 Vgl. Interview, Delegation der Europäischen Kommission in der Ukraine, Frühjahr 2007, I_56_UA.

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mal nur 59 von ihnen tatsächlich aus Drittstaaten (und nicht aus anderen Landesteilen des ehemaligen Jugoslawiens) stammten.625 Als eine große, fundamentale Schwierigkeit Albaniens, Bosnien-Herzegowinas und der Ukraine wurde durch die befragten UNHCR-Vertreter angeführt, dass keines der drei Länder bisher eigenständig seinen auf dem Gebiet Asyl gegenüber der EU eingegangenen Verpflichtungen der Asylgewährung und der Angleichung an internationale und EUStandards nachkommen könne. In Albanien und Bosnien-Herzegowina besaß das UNHCR 2006 und 2007 weiterhin die Möglichkeit, die Behörden bei der Prüfung von Asylanträgen zu überwachen und diesen Rat und Unterstützung zukommen zu lassen.626 In der Ukraine hingegen waren viele Entscheidungsprozesse der Behörden selbst für das UNHCR undurchsichtig. Allerdings verzeichnete die Ukraine einen weitaus stärkeren Anstieg der Asylanträge als Albanien und Bosnien-Herzegowina, wodurch die ohnehin undurchsichtigen und sehr langwierigen Asylverfahren in der Ukraine zum Zeitpunkt der Untersuchung noch mehr in die Länge gezogen wurden.627 Als ein weiteres Problem führten die befragten Vertreter des UNHCRs an, dass weder in Albanien und Bosnien-Herzegowina noch in der Ukraine adäquate und ausreichende Unterkunftsmöglichkeiten für Asylantragsteller bereitstünden und auch kaum Unterstützungs- und Integrationsangebote für anerkannte Flüchtlinge angeboten würden. Die Leiterin des UNHCR in der Ukraine bezifferte die Zahl der für Asylsuchende in der Ukraine zur Verfügung stehenden Aufnahmeplätze 2007 auf etwa 330, während sie zugleich von einer Mindestzahl von 2.000 Plätzen ausging.628 Nach Ansicht der befragten UNHCR-Vertreter werden die in Albanien, Bosnien-Herzegowina und der Ukraine bisher kaum beachteten Themen der Asylgewährung und Flüchtlingsintegration in den kommenden Jahren erheblich an Bedeutung gewinnen: Die befragten UNHCR-Vertreter gingen 2006 und 2007 in allen drei Untersuchungsländern von einem erheblichen Anstieg der Asylbewer-

625 Vgl. Interview UNHCR, Sommer 2006, I_33_BH. 626 Vgl. Interviews mit dem UNHCR in Albanien, Bosnien-Herzegowina und der Ukraine: I_05_AL, I_33_BH und I_54_UA. 627 Wie in Albanien und Bosnien-Herzegowina stammten in den vergangenen Jahren auch in der Ukraine viele Antragsteller aus Pakistan, Afghanistan und anderen asiatischen Ländern. Eine weitere wichtige Gruppe waren Staatsbürger der Russischen Föderation, von denen ein Großteil aus Tschetschenien und anderen kaukasischen Teilgebieten (und Krisengebieten) Russlands in die Ukraine kam. Von den zwischen 2002 und März 2006 in der Ukraine insgesamt gestellten rund 6.300 Anträgen wurden bis März 2006 lediglich 237 Anträge positiv beschieden. Während viele Begehren direkt abgelehnt wurden, gab es im Frühjahr 2006 in der Ukraine noch einen »Rückstau« von knapp 2.300 Anträgen, die noch nicht entschieden waren oder sich in der Berufungsphase befanden. Vgl. P_098, P_099. 628 Vgl. Interview UNHCR, Sommer 2006, I_54_UA. Tabelle 14 (Kapitel 5.4.1) gibt eine Übersicht über einige der für diesen Bereich geleisteten EU-Finanztransfers.

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berzahlen und Flüchtlinge aus, sollte die EU ihre Bestrebungen nach einer Exterritorialisierung der Asylprüfung und Flüchtlingsaufnahme (Kapitel 3.2.3) weiter verfolgen. Für diesen Fall forderten die befragten Vertreter des UNHCR eine massive Aufstockung der EU-Finanzmittel an das UNHCR, die mit dem UNHCR kooperierenden NRO und die Regierungen von Albanien, Bosnien-Herzegowina und der Ukraine, um Asylsuchende und Flüchtlinge in Zukunft angemessener aufnehmen und integrieren zu können.629 Negative Effekte wurden 2006 und 2007 bereits aus den kurz vor ihrem Abschluss bzw. kurz vor ihrer operativen Umsetzung stehenden Rückübernahmeabkommen mit der EU erwartet: Diese Abkommen werden in den kommenden Jahren auch dazu dienen, in der EU ankommende Asylbewerber wieder nach Albanien, Bosnien-Herzegowina und in die Ukraine rückzuführen, damit diese dort einen Asylantrag stellen – dies könnte für die drei besagten Länder einen erheblichen Anstieg der Bewerberzahlen und Flüchtlinge bedeuten.

5.3.7 Entwurf und Implementation nationaler Migrationsstrategien Neben einer Strategie zum Aufbau eines integrierten Grenzschutzmanagements und einer nationalen »Anti-Trafficking-Strategie«630 verfügt Albanien seit Ende 2004 über eine Gesamtstrategie zur Steuerung von Migration – die »National Strategy on Migration.«631 »The aim of this strategy is to provide Albania with a more comprehensive policy on migration from one that has mainly reacted to combat irregular flows to a more holistic policy [...].«632

Dieser Strategie liegt die Überlegung zugrunde, dass die bisherigen Maßnahmen auf dem Gebiet der Migrationssteuerung wenig koordiniert, teilweise auch zu kurzfristig, rein reaktiv und zu ineffektiv waren und sich ausschließlich an dem Ziel orientierten, die illegale Migration aus und durch Albanien zu stoppen. Dem Vorwort des Strategiepapiers zufolge, ist es nun an der Zeit, einen neuen und möglichst holistischen Politikansatz zu verfolgen; dieser soll Albanien dazu verhelfen, in den kommenden Jahren folgende Ziele zu erreichen: a) besserer Schutz der Rechte albanischer Emigranten im Ausland, b) Schaffung einer »integrierten 629 Vgl. Interviews I_05_AL, I_I_33_BH und I_54_UA. 630 Diese Strategien, zu deren Entwurf die drei untersuchten internationalen Regierungsorganisationen ICMPD, IOM und OSCE einen wesentlichen Beitrag lieferten, wurden 2003 bzw. 2001 (Anti-Trafficking-Strategie) von der albanischen Regierung verabschiedet: vgl. P_100 (1). 631 Vgl. P_100 und P_101. Siehe spezifisch zum Projekt der albanischen Migrationsstrategie Geiger (2010). 632 P_100 (3).

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albanischen Auslandsdiaspora« mit organisierten Interessensvertretern, c) Lenkung der Rücküberweisungen von albanischen Migranten in sogenannte produktive (entwicklungsförderliche) Investitionen im Heimatland Albanien, d) Schaffung einer »angemesseneren« Migrationspolitik für Albaner, die temporär im Ausland einer Beschäftigung nachgehen wollen, e) Visa-Erleichterungen für bestimmte Berufsgruppen und f) Entwicklung eines neuen institutionellen und rechtlichen Rahmens, um all diese Ziele zu erreichen.633 Dem Anschein nach sind in der albanischen Migrationsstrategie somit mehr Teilaspekte abgedeckt als nur der Kampf gegen illegale Migration. Statt sich ausschließlich auf die Kontrolle und Unterbindung von unerwünschten Wanderungsbewegungen aus Albanien zu konzentrieren, sollen in Zukunft selektiv bestimmte Migrationsströme zugelassen werden. Von einer »angemessenen« Migrationspolitik ist die Rede, diese soll Migranten fördern, sofern sich diese zu einer temporär befristeten Beschäftigungsaufnahme im Ausland entschließen, während ihres Auslandsaufenthaltes nicht nur für ihren privaten Konsum arbeiten, sondern mit Rücküberweisungen auch gesamtgesellschaftlich nützliche Investitionen im Heimatland tätigen. Im Ausland sollen sich die Migranten, geht es nach der Strategie, stärker als bisher mit anderen Albanern organisieren, sich als sogenannte »integrierte Auslandsdiaspora« zusammenschließen, die als Ansprechpartner für den albanischen Staat zur Verfügung steht und zur »Entwicklung« des Heimatlandes beitragen soll. Auch von einer stärkeren konsularischen Betreuung dieser Auslandsdiaspora durch den albanischen Staat ist die Rede. Diese soll unter anderem vermeiden helfen, dass albanische Emigranten im Ausland um ihren Lohn gebracht, ausgebeutet oder gegen ihren Willen von einer Rückkehr ins Heimatland abgehalten werden. Schließlich ist in der Migrationsstrategie auch das Ziel fixiert, dass möglichst alle temporär ins Ausland entsandten Migranten nach einer gewissen Zeit des Aufenthalts wieder nach Albanien zurückkehren sollten, bei ihrer Rückkehr unterstützt werden müssten und im Heimatland dann ihre im Ausland erworbenen Kenntnisse einsetzen könnten. Der nationalen Migrationsstrategie Albaniens liegen demnach zwei wesentliche Gedanken zugrunde, die stark an die in Kapitel 2.1.3 vorgestellten Überlegungen von GHOSH erinnern: Erstens die Idee, dass die Steuerung internationaler Migration am Wohl und Nutzen der Migranten und der beteiligten Staaten und Gesellschaften orientiert sein müsse, und zweitens, dass Migrationssteuerung dem Konzept einer »regulierten Offenheit« Rechnung tragen sollte: Während aktiv gegen alle Formen der unerwünschten und unerlaubten Migration vorgegangen werden soll, setzt die albanische Migrationsstrategie auf eine größere Liberalität gegenüber bestimmten Wanderungsformen. Die temporäre und zirkulä633 Vgl. P_102.

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re Migration soll gefördert werden – während Maßnahmen entwickelt werden, welche die Ursachen (Root Causes) abbauen helfen, die so lange die permanente Abwanderung von albanischen Staatsangehörigen begünstigt haben. Es kommt allerdings nicht von ungefähr, so lässt sich bei genauerer Betrachtung feststellen, dass die albanische Migrationsstrategie den Ideen von GHOSH sehr nahe kommt: Die Migrationsstrategie Albaniens wurde nämlich von genau der gleichen internationalen Regierungsorganisation konzipiert, für die GHOSH einst als Chefberater tätig war – der International Organization for Migration (IOM). Bereits im Vorwort des vermeintlichen Regierungspapiers heißt es nämlich: »The National Strategy for Migration is a project financed by the European Community [...] It has been implemented with the technical and co-funding support of the International Organization for Migration (IOM) through its representation in Tirana. The Albanian Government intends to thank warmly those two international organizations for their generous support and all the work.«634

Mit der »nationalen« Strategie für Migration hat es auf Nachfrage bei dem Leiter der IOM-Vertretung in Albanien folgende Bewandtnis: Bereits 2001 begannen einzelne Angestellte der IOM, sich damit zu befassen, wie Albanien mit Hilfe einer Gesamtstrategie in die Lage versetzt werden könnte, illegale Wanderungsbewegungen in Richtung der EU-Staaten zu vermeiden und darüber hinaus sowohl rechtlich als auch institutionell die notwendigen Grundvoraussetzungen zu erwerben, um Migration zu steuern und den steuerungsbezogenen Forderungen der EU Rechnung tragen zu können.635 Gezielt brachte die IOM, wie ihr leitender Vertreter in Albanien berichtete, die Idee ein, es müsse eine andere Vorgehensweise als bisher gefunden werden – ein Ansatz, der Albanien weniger stigmatisiere und negativ betreffe wie der zuvor durch die EU-Staaten und andere Zielstaaten verfolgte »100%-Kontroll- und Verhinderungsansatz«.636 Statt weiterhin nur eine Unterbindung illegaler Migration einzufordern, begann die IOM in Albanien einen sogenannten »proaktiven« Ansatz zur Steuerung von Migration auszuarbeiten und gegenüber den Entscheidungsträgern zu propagieren: ein »Management« von Migration, das den berechtigten Wünschen bestimmter Gruppen von Albanern auf (temporäre) Emigration genauso entgegenkommt, wie den Interessen Albaniens an Zusatzeinnahmen durch Rücküberweisungen und dem Anliegen der Zielstaaten albanischer Migranten (in der EU), eine Reduktion des illegalen Zustroms von Migranten herbeizuführen. »Of course, in promoting a different approach we [achieved] that our Albanian counterparts took great interest in the process. It was crucial that we [IOM Albania] made clear,

634 Zitat mit eigenen Hervorhebungen: P_100 (5). 635 Vgl. Interview IOM, Frühjahr 2006, I_02_AL. 636 Übersetzt aus dem Interview I_02_AL.

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from the start, that there should be a change in perspective, a shift from control to facilitation in order to allow Albania and Albanians to benefit from migration [...] while, simultaneously, [we have been] supporting the EU in its efforts to prevent illegal migration and human trafficking.«637

Indem die IOM als Fürsprecherin der Interessen Albaniens und der albanischen Emigranten auftrat, sicherte sie sich die politische Zustimmung der albanischen Regierung. Am 19. November 2004 wurde die Strategie der IOM in Form einer schlichten Annahmeerklärung durch das albanische Regierungskabinett zu einer »nationalen Strategie für Migration«. Interessant ist, dass diesem Schritt noch ein anderer voranging; ein Schritt, bei dem zugleich noch ein weiterer Akteur in den Prozess einbezogen wurde, nämlich die Europäische Kommission und ihre Vertretung in Albanien. Noch bevor die IOM mit irgendeiner albanischen Regierungsstelle eine offizielle Absichtserklärung abschloss, unterzeichnete sie nämlich bereits ein Abkommen mit der Europäischen Kommission und ihrer lokalen Dienststelle in Albanien. Schon im September 2003 sicherte sie sich damit die finanzielle Unterstützung der EU, während sie von der EU-Kommission zugleich offiziell damit beauftragt wurde, »für Albanien« eine Migrationsstrategie zu entwickeln. Auf ihrer Webseite verweist die IOM-Vertretung in Albanien stolz auf dieses Abkommen mit der Europäischen Kommission und den damit an sie erteilten »Auftrag« für das vorbereitende Projekt zu einer nationalen Migrationsstrategie (September 2003: »IOM signs Agreement with EC to implement the Project on the National Migration Management System«638). Im Februar 2005 verkündete die IOM die Fertigstellung und das »Inkrafttreten« der Strategie: »IOM launches the National Migration Strategy, a policy document to manage migration«639 – Es war also erneut die IOM – und nicht die albanische Regierung – die das Politikdokument »offiziell« in Kraft treten ließ. Dies ist zumindest der Eindruck, den man gewinnen muss, da sich auf einer Website mit der »Geschichte der IOM in Albanien« keinerlei Hinweis auf den Tag (19.11.2004) findet, an dem die »IOMStrategie« durch den Ministerrat Albaniens angenommen und damit tatsächlich zu einem nationalen Regierungsdokument geworden war. Den offiziellen Anlass für den »Start« der »National Strategy on Migration« bildete ein zweitägiger Workshop mit dem Titel »Towards a National Action Plan on Migration for Albania in Partnership with the European Union«, zu dem die IOM rund 200 Vertreter der albanischen Regierung, der EU, albanischer und internationaler Nichtregierungsorganisationen, anderer IRO und der albanischen 637 Mit eigenen Hervorhebungen: Interview IOM, Frühjahr 2006, I_02_AL. 638 Vgl. »15 years of IOM Mission in Albania«, http://www.iomtirana.org.al/index.php?faqe =iom_history (22.06.2009). 639 Vgl. »15 years of IOM Mission in Albania«, http://www.iomtirana.org.al/index.php?faqe =iom_history (22.06.2009).

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Emigrantendiaspora einlud. Den Schauplatz dieses Geschehens bildete am 21. und 22. Februar 2005 nicht etwa ein öffentliches Gebäude der albanischen Regierung, sondern das beste Hotel im Zentrum von Tirana. Wie der Leiter der IOM in Albanien erläuterte, sollte der Workshop neben dem angekündigten Ziel, einen nationalen Aktionsplan vorzubereiten, auch dazu dienen, der Strategie Akzeptanz und politische Legitimation zu verschaffen, indem sie eben einer breiteren Öffentlichkeit vorgestellt wurde.640 Nur wenige Monate nach dem Workshop gelang es der IOM schließlich, wie ihr oberster Leiter in Albanien nicht ohne Stolz erwähnte, nach der Strategie auch den avisierten Aktionsplan zu konzipieren und diesen am 6. Mai 2005 dem albanischen Regierungskabinett zur Annahme vorzuschlagen. Mit einem einfachen Kabinettsbeschluss wurde auch aus dem »IOM-Aktionsplan« ein albanisches Regierungsdokument: der »National Action Plan on Migration«.641 Dieser Aktionsplan entpuppt sich, wie zuvor das Strategiepapier, im wahrsten Sinne des Wortes als ein »quite ambitious undertaking«642: Er sieht mehr als 130 Einzelmaßnahmen vor, mit denen in den kommenden Jahren in Albanien Migration gesteuert respektive »gemanagt« werden soll. Obwohl der Aktionsplan bei allen Maßnahmen zunächst auf die Verantwortlichkeit bestimmter Ministerien und Verwaltungseinheiten des albanischen Staates verweist, wird angesichts der Fülle der Vorschläge sowie der bisherigen Entstehungsgeschichte der Migrationsstrategie und des Aktionsplans schnell klar, dass die tatsächlich entscheidende Rolle in der Umsetzung auch in den kommenden Jahren der IOM (praktischer Implementationsakteur) und der Europäischen Kommission (wichtigster Geldgeber) zukommen wird. Alleine für das Jahr 2006 veranschlagte die IOM ihren Finanzbedarf zur Implementation der Strategie und des Aktionsplanes auf rund 800.000 Euro und eine weitere Million Euro für zwei andere Ziele, die in äußerst engem Zusammenhang mit der Migrationsstrategie stehen: 600.000 Euro waren für ein Projekt vorgesehen, mit dessen Hilfe die Rücküberweisungen von Migranten gezielt in die sozioökonomische Entwicklung Albaniens gelenkt werden sollten. Mit weiteren 400.000 Euro wollte die IOM 2007 »im Auftrag der albanischen Regierung« im Ausland eine Kampagne durchführen, die albanische Emigranten dazu aufruft und ermutigt, sich »re-registrieren« zu lassen, damit der albanische Staat – genauso aber auch die IOM und alle anderen interessierten »Stakeholder« – einen besseren Zugriff auf diese Migranten und eine bessere Kenntnis zur albanischen

640 Vgl. Interview IOM, Frühjahr 2006, I_02_AL. 641 Vgl. P_101. 642 Aussage des Leiters der IOM in Albanien: Interview IOM, Frühjahr 2006, I_02_AL.

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Emigration erhält und die erfassten Emigranten in Zukunft an albanischen Wahlen teilnehmen und konsularisch besser betreut werden können.643 Die albanische Migrationsstrategie und ihr Aktionsplan stellten 2006 und 2007 weltweit das einzige Projekt ihrer Art dar. In Bosnien-Herzegowina und der Ukraine waren sich die befragten IOM-Vertreter darin einig, dass ein solches Projekt für diese beiden Länder noch zu früh und unrealistisch sei. Dennoch hatten 2006 zumindest in der Ukraine schon die Arbeiten zu einer »Migration« der albanischen Migrationsstrategie in die Ukraine, sprich zu einem Übertrag dieser Strategie als »Best Practice« auf die Ukraine begonnen. So plante die IOM in Kiew eine Summe von knapp 630.000 US-Dollar ein, um für die Ukraine eine spezielle »Labour Migration Strategy« zu entwickeln. Eine beträchtliche Summe von 2,6 Millionen US-Dollar sollte darüber hinaus allgemein in die Verbesserung der Migrationssteuerung und ein sogenanntes »Capacity Building in Migration Management« investiert werden.644

5.4 Kooperation spezialisierter IRO mit lokalen und internationalen Akteuren 5.4.1 Die Europäische Kommission als wichtigster Geldgeber 2006 und 2007 stellte die Europäische Kommission auf dem Gebiet der Migrationspolitik sowohl in Albanien als auch in Bosnien-Herzegowina und der Ukraine mit Abstand den größten Finanzgeber dar. Allerdings gibt es keine Veröffentlichung der EU, in der alle (co-)finanzierten Maßnahmen und geleisteten Zahlungen (Zuschüsse) der EU vollständig aufgeführt sind. In Ergänzung zu den Finanzierungsinstrumenten CARDS645, HLWG646, TACIS647 und Aeneas648 wurden migrationsbezogene Aktivitäten in Albanien, Bosnien-Herzegowina und der Ukraine in den vergangenen Jahren auch über andere Gemeinschaftsprogramme 643 Vgl. P_080 (69). 644 Vgl. Interview IOM, Frühjahr 2007, I_27_BH und siehe P_080 (81). 645 »Community Assistance for Reconstruction, Development and Stabilisation«, zwischen 2000 und 2006 das wichtigste Finanzierungsinstrument für die Länder des SAP. 646 Ende der 1990er Jahre wurde ein informelles Gremium aus hochrangigen EU-Experten gebildet, dass als eine »Cross-Pillar Task Force« die Arbeit der Gemeinschaftsinstitutionen auf dem Feld der Migrationspolitik unterstützen sollte, vgl. Gent (2002: 13-15). Das als »High-Level-Working Group« (HLWG) bezeichnete Gremium sollte für eine Reihe von Ländern Maßnahmen vorschlagen, die dann mit einem speziellen Finanzierungsprogramm (zugeordnet zu dieser HLWG und deshalb auch so benannt) umgesetzt werden sollten. 647 Abkürzung für »Technical Assisatance to the Commonwealth of Independent States«. 648 »Programme for Financial and Technical Assistance to Third Countries in the Area of Migration and Asylum«, Programm der Europäischen Kommission, 2004 bis 2006.

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der EU finanziert. Zusätzlich wurden noch durch einige EU-Mitgliedsländer selbst, unter Umgehung von EU-Programmen und -Finanzierungsinstrumenten, Zahlungen an spezialisierte IRO geleistet, zu denen allerdings keine Zahlen erhältlich sind.649 Tabelle 14 (folgende Seite) zeigt somit nur einen begrenzten Überblick über die Finanzflüsse zwischen der EU und spezialisierten IRO. Trotzdem ist erkennbar, dass das finanzielle Engagement der EU und der Europäischen Kommission in den vergangenen Jahren nicht unerheblich war. Nach Auskunft der befragten Regierungsvertreter in Albanien, Bosnien-Herzegowina und der Ukraine betrugen die Zuweisungen der EU und anderer ausländischer »Donors« regelmäßig ein Vielfaches der staatlich (das heißt durch die betreffenden Regierungen der Implementationsländer) für den Bereich der Migrationspolitik aufgebrachten Finanzmittel.650 Wichtig ist hinsichtlich Tabelle 14 auch der Hinweis, dass die dort aufgelisteten Finanztransfers eben unmittelbar internationalen Regierungsorganisationen zu Gute kamen – sie also nicht zuerst an die Regierungen Albaniens, Bosnien-Herzegowinas und der Ukraine geleistet worden sind, die dann die ihr zugesprochenen Mittel auf verschiedene Akteure verteilen und selbst internationale Regierungsorganisationen mit bestimmten Aufgaben hätten beauftragen können. Die in Tabelle 14 zusammengefassten Transfers dienten vielmehr in aller Regel einzig und allein der (Co-)Finanzierung von Projekten, die vorher selbst von der Europäischen Kommission oder ihrer örtlichen Delegation in Albanien, Bosnien-Herzegowina bzw. Ukraine ausgeschrieben worden waren, oder von Projekten, die durch internationale Regierungsorganisationen (Beispiel IOM und die albanische Migrationsstrategie) oder nichtstaatliche Akteure (INRO oder lokale NRO) bei der Europäischen Kommission mit der Bitte um eine Co- oder Vollfinanzierung eingereicht worden waren.

649 Vgl. Interviews mit den lokalen Delegationen der Europäischen Kommission in Albanien, Bosnien-Herzegowina und der Ukraine: I_06_AL, I_35_BH und I_56_UA. 650 Vgl. Interviews mit Regierungsvertretern in Albanien, Bosnien-Herzegowina und der Ukraine: I_08_Al bis I_11_AL, I_37_BH bis I_39_BH und I_57_UA bis I_59_UA.

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Tabelle 14: Finanzierung migrationsbezogener Projekte durch die Europäische Kommission Albanien Nationale CARDS-Projekte (Implementation in Albanien), 2000-2006: 315,5 Mio. EUR, davon ein Großteil für den Politikbereich Justiz und Inneres Regionale CARDS-Projekte (Implementation in den Staaten des „Westlichen Balkans“), 2000-2005: 105,15 Mio. EUR für „Grenzschutzmanagement“ HLWG-Projekte, 2001-2003: 441.000 EUR an ICMPD: „Upgrading the Border Control System of Albania“ (2001) 636.000 EUR an IOM: „Sustainable Return, Reintegration and Development in Albania“ (2001) 732.000 EUR an UNHCR: „Development of the Asylum System in Albania“ (2001) 613.000 EUR an IOM: „Fostering Sustainable Reintegration in Albania, the Kosovo Province and FYROM, by Reinforcing Local NGO Capacity for Service Provision to Returnees“ (Albanien, Kosovo und Frühere Jugoslawische Republik Mazedonien) (2002) 713.000 EUR an IOM: „Combatting Irregular Migration in Albania and the Wider Region; Targetted Support to Capacity Building within the Framework of Readmission Support to Albania“ (2003) 658.000 EUR an IOM: „Promoting Regular Migration in the Western Balkans“ (Albanien und übrige Westbalkanstaaten) (2003) Aeneas-Projekte, 2004-2006: 1,5 Mio. EUR: „Building on Mechanisms to Effectively and Sustainably Implement Readmission Agreements between Albania, the EC and Concerned Third Countries“ (2004, für 2006-2008), Antragsteller: Griechisches Ministerium für Inneres, Öffentliche Verwaltung und Dezentralisierung (in Kooperation mit IOM) 1,2 Mio. EUR: „Strong Institutions and a Unified Approach in the Asylum, Migration and Visa Management in the Western Balkans“ (2005, für 2007 und 2008, Albanien und übrige Westbalkanstaaten), Antragsteller: Swedish Migration Board (in Kooperation mit ICMPD, IOM und UNHCR) 500.000 EUR: „Development of Communication and Information Exchange Systems on Illegal Migration in the Western Balkan Region“ (2005, für 2006-2007, Albanien und übrige Westbalkanstaaten), Antragsteller: u.a. ICMPD 1,2 Mio. EUR: „Capacity Building, Information and Awareness Rising towards Promoting Orderly Migration in the Western Balkans“ (2006, für 2008 bis 2010, Albanien und übrige Westbalkanstaaten), Antragsteller: IOM

(Auszug, Zusammenstellung ohne Anspruch auf Vollständigkeit.)

Quelle: P_103 bis P_110, Anhang A1.

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Tabelle 14: Finanzierung migrationsbezogener Projekte durch die Europäische Kommission (Fortsetzung) Bosnien-Herzegowina Nationale CARDS-Projekte (Implementation in Bosnien-Herzegowina), 2000-2006: 502,8 Mio. EUR, davon ein Großteil für den Politikbereich Justiz und Inneres Regionale CARDS-Projekte (Implementation in den Staaten des „Westlichen Balkans“), 2000-2005: 105,15 Mio. EUR für Grenzschutzmanagement HLWG-Projekte, 2001-2003: 658.000 EUR an IOM: „Promoting Regular Migration in the Western Balkans“ (Albanien und übrige Westbalkanstaaten) (2003) Aeneas-Projekte, 2004-2006: 617.000 EUR: „Strengthening the Protection of Asylum Seekers, Refugees, Victims of Human Trafficking and Persons under International Protection in Bosnia and Herzegovina“ (2004, für 2005-2007), Antragsteller: Vaša Prava (in Kooperation mit UNHCR) Ukraine Aeneas-Projekte, 2004-2006: 1,3 Mio. EUR: „The Cross-Border Co-operation/Söderköping Process“ (2004, für 2006-2009, Weißrussland, Republik Moldau und Ukraine), Antragsteller: UNHCR 530.000 EUR: „The Protection of Refugees, Asylum Seekers and Forced Migrants“ (2004, für 20052008, Weißrussland, Republik Moldau und Ukraine), Antragsteller: European Council on Refugees and Exiles (ECRE) 700.000 EUR: „Enhancing Capacities in the Area of Protection and Treatment of Refugees and Asylum Seekers in Zakarpattya/Western Ukraine“ (2005, für 2006-2008), Antragsteller: Österreichische Caritas 630.000 EUR: „Strengthening Capacities and Cooperation in the Identification of Forged and Falsified Documents in Ukraine“ (2005, für 2006-2008), Antragsteller: ICMPD 1,8 Mio. EUR: „Combating Trafficking in Human Beings in Ukraine and Moldova“, (2005, für 20062008, Republik Moldau und Ukraine), Antragsteller: IOM 1,8 Mio. EUR: „Capacity Building and Technical Support to Ukrainian Authorities to Effectively Respond to Irregular Transit-Migration. A Comprehensive and Complementary Approach to Migration Management Support in Ukraine“ (2006, für 2008-2010), Antragsteller: Innenministerium der Tschechischen Republik (in Kooperation mit ICMPD)

(Auszug, Zusammenstellung ohne Anspruch auf Vollständigkeit.)

Quelle: P_103 bis P_110, Anhang A1.

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Während die von der Europäischen Kommission angebotenen und verwalteten Gemeinschaftsprogramme und Finanzierungsinstrumente sehr unterschiedliche Formen von Migrationssteuerung (»Anti-Trafficking«, Ausbau von Grenzschutzmaßnahmen, Verlagerung von Asylgewährung etc.) förderten, lag die Priorität des zweitwichtigsten ausländischen Finanzgebers, der »US-Agency for International Development« (USAID), in den Jahren 2006 und 2007 eindeutig auf dem sogenannten »Anti-Trafficking« und der Rehabilitation und Reintegration von Opfern des Menschenhandels. Die seit den 1990er Jahren durch das USAID gewährte Finanzierung von »Anti-Trafficking-Aktivitäten« und Betreuungs- und Reintegrationsangeboten trägt der Aufmerksamkeit Rechnung, die das US-Außenministerium, dem die USAID unterstellt ist, dem weltweiten Kampf gegen den Menschenhandel schenkt. Alljährlich gibt das »US State Department« einen speziellen Bericht651 heraus, der alle Länder der Erde in drei Kategorien einteilt. Länder, die dem »First Tier« zugeordnet sind (unter anderem Deutschland, Österreich, die Schweiz und die meisten EU-Staaten), haben den politischen Druck der USA nicht zu fürchten. Allen Ländern im »Third Tier«652 droht die USA hingegen mit dem Abbruch ihrer diplomatischen und wirtschaftlichen Beziehungen. Zu dieser dritten Kategorie zählen all jene Staaten, in denen nach Ansicht des US-Außenministeriums nicht entschieden genug gegen den Menschenhandel vorgegangen wird. Eine Zwischenposition nehmen die Länder des »Second Tier« und der sogenannten »Second Tier Watch List« ein. Albanien und Bosnien-Herzegowina haben es in den letzten Jahren auf einen sicheren Platz im »Second Tier« geschafft; die Ukraine drohte 2006 und 2007 dagegen vom »Second Tier« in die sogenannte »Watch List« oder sogar in den »Third Tier« abzurutschen.653 Zu den wichtigsten Kooperationspartnern der USAID bei ihren Aktivitäten gegen den Menschenhandel und chren Reintegrationsangeboten zählte 2006 und 2007 in allen drei untersuchten Ländern an erster Stelle die IOM, an zweiter Stelle standen die OSCE und im Fall von Albanien und der Ukraine auch die internationale NRO »La Strada«.654 651 Vgl. beispielsweise US Department of State (2006). 652 Von 2005 bis 2007 fielen unter anderem Nordkorea und Eritrea, aber auch Kuwait und Saudi-Arabien unter diese Kategorie (obgleich die USA bei den beiden letztgenannten Staaten sicherlich nicht ernsthaft an einem Abbruch der Beziehungen interessiert sein dürfte). 653 Vgl. Interview USAID, Ukraine, Sommer 2007, I_72_UA. 654 Vgl. Interviews mit Vertretern der USAID in Bosnien-Herzegowina und der Ukraine: Interviews I_25_AL, I_48_BH und I_72_UA. »La Strada« unterstützt seit Jahren in vielen ost- und südosteuropäischen Ländern die Präventionsarbeit der IOM und der OSCE auf dem Gebiet des Menschenhandels und bietet zusammen mit lokalen NRO den Opfern des Menschenhandels Schutz und Reintegrationshilfen an (Interviews mit Vertretern der internationalen NRO »La Strada« in Bosnien-Herzegowina und der Ukraine: I_45_BH und I_68_UA).

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Ein weiterer wichtiger Finanz- und Auftraggeber von Aktivitäten des ICMPD, der IOM, der OSCE und des UNHCRs war seit den 1990er Jahren in Albanien und Bosnien-Herzegowina die »Swedish International Development Cooperation Agency« (SIDA). Wie die USAID und die Europäische Kommission bezuschusste die SIDA zum Zeitpunkt der Untersuchungen (Frühjahr 2006 bis Sommer 2007) in Albanien und Bosnien-Herzegowina die Arbeit von lokalen NRO. Die von SIDA geleisteten Zuwendungen flossen zunächst allerdings immer über eine der drei großen schwedischen NRO (Olof Palme Foundation, Helsinki Foundation oder Kvinna till Kvinna655). Dies geschah den befragten Vertretern der SIDA zufolge vor allem deshalb, weil SIDA auf diesem Umweg eine wirksame Implementation und Nachhaltigkeit der von ihr finanzierten Projekte erreichen wollte.656 Bei den co- oder vollfinanzierten Projekten von internationalen Regierungsorganisationen, von lokalen und internationalen NRO (beispielsweise »Save the Children« und »Terre des Hommes«) handelte es sich oft ebenfalls um Projekte zur Vermeidung und Bekämpfung des Menschenhandels und zur Betreuung und Reintegration der Opfer. In Bosnien-Herzegowina finanzierte die SIDA zudem eine Vielzahl von Projekten zur Unterstützung der aus Schweden und anderen Ländern zurückgekehrten Bürgerkriegsflüchtlinge.

5.4.2 Lokale Akteure und INRO als Implementationspartner Mit Hilfe der Finanztransfers der Europäischen Kommission und der von anderen ausländischen Gebern (beispielsweise USAID und SIDA) geleisteten Zuwendungen sind in Albanien, Bosnien-Herzegowina und der Ukraine enge Finanz-, Interessens- und Akteursgeflechte entstanden, die sich dadurch auszeichnen, dass innerhalb dieser Netzwerke den eigentlich primär für Migrationspolitik und -steuerung zuständigen staatlichen Akteuren weitaus weniger Bedeutung und Einfluss zukommt, als dies für gewöhnlich in anderen Ländern (beispielsweise den EU-Mitgliedsstaaten) der Fall ist. Im dichten Geflecht von migrationspolitischen Vorschlägen und Forderungen der EU, einer Vielzahl von zeitlich terminierten Projektaufträgen und finanziellen Zuwendungen waren es spezialisierte IRO, die zum Zeitpunkt der Untersuchungen in Albanien, BosnienHerzegowina und der Ukraine gegenüber den anderen beteiligten Akteuren eine unbestrittene Vorrangstellung einnahmen. Wie die Auswertung von Primärdokumenten (Anhang A1) und den geführten Experteninterviews (Anhang A3) ergaben, wurden die Projektaufträge und Finanzierungsmittel der Europäischen 655 Auf Englisch: »Women to Women«. 656 Vgl. Interviews mit Vertretern der SIDA in Albanien und Bosnien-Herzegowina: Interviews I_24_AL und I_47_BH.

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Kommission und anderer ausländischer Geberorganisationen (USAID, SIDA etc.) in den Jahren 2006 und 2007, wie bereits in den Jahren zuvor, vor allem an spezialisierte IRO wie die IOM vergeben – unter anderem deshalb, weil sich die untersuchten IRO kontinuierlich selbst bei der EU und ausländischen Gebern um Finanzierungsangebote und Projektaufträge bemühten (Beispiel albanische Migrationsstrategie, Kapitel 5.3.7). Die vier Organisationen ICMPD, IOM, OSCE und UNHCR fungierten zum Zeitpunkt der empirischen Erhebung dabei als wichtige »Gatekeeper«, die relativ autonom über die Partizipation aller übrigen an Steuerungsaktivitäten interessierten Akteure (lokale/internationale NRO, Forschungs-/Politikberatungsinstitute, andere IRO etc.) bestimmen konnten. »Many NGOs worked in the field of womens’ rights, they were specialists in antitrafficking or assisting victims. Then trafficking became a big issue, realized as a big problem, with the help of IOM, OSCE and other organizations, foreign donors such as SIDA. They gave funding, training and so on. And that’s how we became active in this field.«657 »Trafficking began here immediately after the war [...] a lot of nightclubs opened around SFOR bases. So the perception over a longer time was: the client is foreign, the victim – the »willing prostitute« – is foreign as well, so why is that our problem? Then the international organizations came and a lot of NGOs made the trafficking issue their activity. With all the consequences! Now many are absolutely depending on the money and the projects of IOM or USAID!«658

Diese beiden Interviewzitate von Vertreterinnen der auf den Gebieten des »AntiTraffickings« und der Rehabilitation und Reintegration von Opfern des Menschenhandels engagierten NRO »Vatra« (Albanien) und »Lara« (Bosnien-Herzegowina) sind Belege dafür, dass in den 1990er Jahren viele zivilgesellschaftliche Organisationen erst aufgrund der Informationskampagnen und Schulungsangebote der IOM oder der OSCE und mittels der Finanzierung von bestimmten Maßnahmen durch die EU und andere ausländische Geldgeber aktiv geworden sind. Ein Hauptgrund für das Engagement der lokalen NRO war sicherlich auch der Wunsch und die Möglichkeit, an internationalen Projekten zu partizipieren und sich damit grenzüberschreitend mit anderen Organisationen zu vernetzen sowie die eigene NRO-Arbeit mit Hilfe von internationalen Finanzzuwendungen zu stärken bzw. auszubauen. Allerdings hatte das schnelle, meist unüberlegte Einschwenken auf die Prävention des Menschenhandels oder die Bereitstellung von Schutz- (Shelters/Sichere Häuser) und Reintegrationsmaßnahmen zur Folge, dass viele lokale NRO ihre bisherigen Aktivitäten neu bewerteten, zurückstuften oder sogar ganz

657 Interview NRO »Vatra« (Albanien), Frühjahr 2006, I_27_AL. 658 Interview NRO »Lara« (Bosnien-Herzegowina), Sommer 2006, I_41_BH.

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aufgaben.659 Wie die in Albanien, Bosnien-Herzegowina und in der Ukraine befragten NRO-Vertreter berichteten, sind manche lokale NRO wegen einer allzu einseitigen Ausrichtung der eigenen Projektaktivitäten an internationalen Geberinteressen auch schon gescheitert; irgendwann wurden sie von den Geberorganisationen oder den koordinierenden IRO ganz bewusst nicht mehr für Projekte berücksichtigt, weil die allzu einseitige Ausrichtung und zu hohe Abhängigkeit der NRO von externen Vorgaben und Finanzierungsmitteln schließlich auch von den Auftraggebern und Geldgebern selbst als kontraproduktiv und wenig nachhaltig erkannt worden war. »[The] UNHCR established here NGOs and finances them. We are an executive partner of UNHCR, so we do what UNHCR asks us to do. That is actually not bad that UNHCR works here, the government is doing nearly nothing.«660

Zwischen NRO und IRO sind starke und einseitige Abhängigkeiten entstanden, wie auch in diesem Zitat deutlich wird, das dem Interview mit einer Vertreterin der ukrainischen Flüchtlingshilfsorganisation »Rokada« entnommen wurde. Die uneingeschränkte Ausrichtung an einem Geldgeber bzw. einer Organisation, wie hier an dem UNHCR, wird dabei oft gar nicht als Problem erkannt. Wichtig ist für einige der befragten NRO einzig und allein, dass überhaupt eine internationale Regierungsorganisationen oder ein anderer Akteur (EU) die Initiative ergreift und die Arbeit der eigenen NRO und die Belange von Asylsuchenden und Flüchtlingen fördert. Vonseiten der durch spezialisierte IRO »kooptierten« lokalen Nichtregierungsorganisationen gab es auch noch kritischere Stellungnahmen als die der ukrainischen »Rokada«. So war in einem anderen Interview die Rede davon, dass lokale NRO oft allzu leichtfertig und völlig ungerechtfertigt als Akteure diffamiert werden, die lediglich an einer Aktivität interessiert seien oder nur auf internationale Projektgelder schielten. Zudem werde häufig angenommen, lokale NRO könnten nur für einen Zweck und einen bestimmten Zeitraum ihre Funktion erfüllen und hätten irgendwann, wenn die Aufgabe erfüllt oder das Problem gelöst ist, keine Daseinsberechtigung mehr: »That is their policy, their thinking: They just think we exist for the moment, for their purposes and we will only do their work. At the very beginning there were people of IOM driving around in Bosnia telling the local NGOs that IOM is a NGO as well, they then ‘coopted’ these NGOs, to build their reintegration network […] Most of these NGOs engaged

659 So waren einige der befragten lokalen NRO einst entstanden, um generell für die Rechte von Frauen zu kämpfen und Frauen beispielsweise vor häuslicher Gewalt zu schützen. Einige der befragten NRO gaben indirekt zu, dass diesen Aufgabenbereich nicht mehr so stark verfolgen würden wie einst, nun der Bereich der Prävention von Trafficking und das Angebot von Reintegrationsmaßnahmen Vorrang hätten: Vgl. unter anderem Interview mit der NRO »Zenski Centar« (Bosnien-Herzegowina), Sommer 2006, I_43_BH und der ukrainischen NRO »Salus«, Frühjahr 2007, I_65_UA. 660 Interview NRO »Rokada« (Ukraine), Frühjahr 2007, I_64_UA.

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in this network are not existing anymore. They actually died, because when the attention on trafficking was high they were needed – of course IOM was not able to do all this work alone and for so little money – but now the international attention and money has shifted, out of Bosnia, so these NGOs had to close down, are not existing anymore.«661

2006 und 2007 waren in Albanien, Bosnien-Herzegowina und der Ukraine die lokalen Delegationen der Europäischen Kommission jeweils dafür verantwortlich, den Fortschritt der Partnerländer im Hinblick auf die von der EU für die SAP-Staaten Albanien und Bosnien-Herzegowina662 bzw. das ENP-Land Ukraine663 vorgegebenen Ziele und die migrationsbezogenen Steuerungsvorschläge der EU (Kapitel 3.2.3) zu kontrollieren. Sie gaben über die eingetretenen Fortschritte (oder Rückschritte) regelmäßig Bericht an die Europäische Kommission in Brüssel und andere EU-Institutionen.664 Die vier untersuchten IRO des ICMPDs, der IOM, der OSCE und des UNHCRs haben 2006 und 2007 (wie in Jahren zuvor), was den Ausbau des Grenzschutzes (Kapitel 5.3.4) und »AntiTrafficking-Maßnahmen« anbelangt (Kapitel 5.3.3), regelmäßig mit zwei weiteren, vor Ort vertretenen EU-Akteuren kooperiert: der Polizeilichen Unterstützungsmission der EU in Albanien (PAMECA) und der EUPM (EU-Polizeimission) in Bosnien-Herzegowina. Die zum Zeitpunkt der Befragungen neu durch die EU gegründete EUBAM (EU Border Assistance Mission) könnte in Zukunft im Fall der Ukraine ein neuer migrationspolitischer Kooperationspartner werden. Das Entwicklungsprogramm der Vereinten Nationen (UNDP665) arbeitete Anfang 2007 bereits mit der EUBAM zusammen, allerdings ging es bei dieser Zusammenarbeit noch ausschließlich um die Förderung des Zollwesens in der Republik Moldau und der Ukraine und Maßnahmen zur Bekämpfung des grenzüberschreitenden Warenschmuggels. In Albanien pflegte 2006 bis 2007 vor allem die IOM intensive Beziehungen zu staatlichen, zivilgesellschaftlichen und anderen internationalen Akteuren: Mehrere Jahre hatte die IOM bereits Regierungsinstitutionen, darunter das Innenminis661 662 663 664

Interview NRO »Lara« (Bosnien-Herzegowina), Sommer 2006, I_41_BH. Ziel: Enge Assoziierung und Beitritt zur EU. Ziel: Engere nachbarschaftliche Beziehungen zur EU. Vgl. Interviews mit den lokalen EU-Kommissionsdelegationen in Tirana (Albanien, I_06_AL), Sarajevo (Bosnien-Herzegowina, I_35_BH) und Kiew (Ukraine, I_56_UA). 665 UNDP, das Entwicklungsprogramm der Vereinten Nationen, setzt sich als spezialisierte Unterorganisation der UN in mehr als 160 Ländern für eine am Wohl des Menschen und an demokratischen Maßstäben orientierte Regierungsführung (Good/Democratic Governance), Bekämpfung von Armut, Vermeidung von Konflikten und Kriegen bzw. Wiederaufbau sowie für Verbesserungen im Energiesektor und Umweltschutz ein. Das UNDP wurde 1965 gegründet, der Hauptsitz der Organisation befindet sich in New York. Vgl. www.undp.org (20.11.2009).

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terium und das Ministerium für Arbeit und Soziales beraten. Diese »Beratung« ging teilweise so weit, dass die IOM (ähnliches gilt aber auch für das ICMPD, die OSCE und das UNHCR) eigene Experten in diese Schlüsselministerien entsandte, um dort den Entwurf bestimmter Strategien (beispielsweise Grenzschutzstrategie) und Gesetze mit vorzubereiten.666 In anderen Fällen wurden Projekte wie die nationale Migrationsstrategie (IOM), das »Blue Border Management System« für Albanien (ICMPD), Regeln zur strafrechtlichen Verfolgung des Menschenhandels (OSCE), Vorschläge zur Identifizierung von asylberechtigten Personen oder Empfehlungen zur Annäherung an die Asylstandards der EU (UNHCR) zunächst innerhalb der betreffenden spezialisierten IRO – ausgearbeitet und erst danach an die »Partnerbehörden« der Implementationsländer übergeben.667 Eine enge Kooperation, die der Förderung der Anliegen und der (rechtlichen) Unterstützung von Asylsuchenden und Flüchtlingen dienen sollte, bestand 2006 und 2007 zwischen dem UNHCR und der albanischen NRO »Albanian Human Rights Group« (AHRG).668 Die NRO »Hope for the Future« diente derweil der IOM als wichtigster lokaler Partner bei der Implementation ihrer freiwilligen Rückkehr- und Reintegrationsprogramme (Kapitel 5.3.5). 2006 gründete die IOM ergänzend zu ihrem bisherigen Partner allerdings eine neue, »eigene NRO« – die NRO »Different but Equal«, die in der Zukunft dazu dienen soll, die überwiegende Mehrzahl der nach Albanien »freiwillig« zurückgeführten Migranten zu reintegrieren.669 Zusammen mit den beiden Geldgeberorganisationen USAID und SIDA (und indirekt über Finanzzuweisungen auch mit der Europäischen Kommission) stand in Albanien die IOM 2006 und 2007 als wichtigster Akteur hinter einer Koalition von 13 lokalen und internationalen NRO namens BKTF670 (Bündnis gegen Menschenhandel), die sich alle für die Bekämpfung und Verhinderung des Menschenhandels und die Betreuung und Reintegration von Opfern des Traffickings einsetzten und die praktisch-operativen Aktivitäten der IOM zu einem wesentlichen Teil unterstützten. Dieser Koalition gehörten neben den internationalen NRO »Save the Children« und »World Vision« auch die lokalen NRO »Gender

666 Vgl. Interviews mit relevanten albanischen Regierungsbehörden: I_08_Al bis I_11_AL. 667 Interviews in Albanien mit Vertretern des ICMPDs (I_01_AL), der IOM (I_02_AL), der OSCE (I_03_AL) und des UNHCRs (I_05_AL). 668 Vgl. Interview, AHRG, Frühjahr 2006, I_12_AL. 669 Vgl. Interview, »Hope for the Future«, Frühjahr 2006, I_16_AL. 670 Ursprünglich nur ausgerichtet auf den Frauenhandel (albanische Abkürzung für »Bashke Kunder Trafikimit te Femijeve«). Vgl. Interview mit der Direktorin von BKTF, Frühjahr 2006, I_14_AL.

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Alliance for Development« und »Vatra« an.671 BKTF wurde laut Aussage seiner Direktorin vor allem deshalb gegründet, weil die beteiligten ausländischen Geldgeber (USAID und SIDA) eine bessere Kontrolle über die Verwendung ihrer Mittelzuweisungen und die Arbeit lokaler NRO bezweckten und die IOM außerdem die »Zuarbeit« ihrer lokalen Partner besser miteinander vernetzen wollte.672 Eher abseits der aufgespannten und eingespielten Netzwerkbeziehungen standen 2006 und 2007 die »Think Tanks« AIIS (Albanian Institute for International Studies) und CESS (Centre for Economic and Social Studies).673 Auch andere lokale Organisationen, wie beispielsweise das Albanische Rote Kreuz oder die albanische NRO »Children Rights Centre Albania«, zählten nicht zu den regelmäßigen Projektpartnern des ICMPDs, der IOM, der OSCE und des UNHCRs. Im Fall der beiden Forschungsinstitute hatte die Nichtberücksichtung dieser Organisationen durch das ICMPD, die IOM, die OSCE und das UNHCR wohl damit zu tun, dass diese internationalen Regierungsorganisationen ihr Wissen und Knowhow vorzugsweise selbst und durch eigene Mitarbeiter generierten. Beim CRCA und dem Albanischen Roten Kreuz fiel die Ausrichtung der Projektaktivitäten außerdem schwerpunktmäßig nicht mit den durch die genannten IRO üblicherweise bearbeiteten Feldern zusammen. Das CRCA wurde vornehmlich durch das UN-Kinderhilfswerk UNICEF674 unterstützt. Da sich die NRO aber ganz generell für den Schutz der Rechte von Kindern einsetzen wollte und – so der befragte Leiter der NRO – dabei ganz bewusst unabhängig bleiben und nicht ausschließlich nur den spezialisierten IRO zuarbeiten und nur auf dem Feld des »Anti-Traffickings« aktiv sein wollte – war sie von anderen Finanzzuweisungen und Kooperationsbeziehungen abgeschnitten.675 Auch die deutsche Entwicklungsorganisation GTZ (Gesellschaft für technische Zusammenarbeit) und das Entwicklungsprogramm der Vereinten Nationen UNDP zählten 2006 und 2007 nicht zum engeren Kreis der Projektpartner von ICMPD, IOM, OSCE und UNHCR. Die GTZ war in den genannten Jahren selbst noch nicht im Bereich Migration tätig geworden, hatte dies aber für die kommenden Jahre vor. Das UNDP war 2006 indessen schon aktiv geworden, um einen eigenen Arbeitsbereich zu Migration aufzubauen. Dieser Arbeitsbereich sollte vor allem dazu dienen, für 671 Vgl. die Interviews mit Vertretern dieser Organisationen: I_17_AL, I_18_AL, I_19_AL und I_20_AL. 672 Vgl. Interview mit der Direktorin von BKTF, Frühjahr 2006, I_14_AL. 673 Vgl. Interviews AIIS und CESS, Frühjahr und Sommer 2006, I_21_AL und I_22_AL. 674 Der »United Nations International Children’s Emergency Fund« (gegründet 1946) setzt sich in rund 160 Ländern für den Schutz von Kindern und Minderjährigen und die Bereiche Gesundheit, Familienplanung, Hygiene, Ernährung, Bildung ein. Der Hauptsitz ist New York. 675 Vgl. Interview, CRCA, Sommer 2006, I_15_AL.

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Albanien eine sogenannte »Brain-Gain-Initiative« zu entwickeln, mittels der, unterstützt durch das UNDP, hochqualifizierte Albaner zur Rückkehr motiviert und bei ihren Investitionen und neuen beruflichen Tätigkeiten beraten, begleitet und anderweitig unterstützt werden sollten.676 Auch in Bosnien-Herzegowina konnten das ICMPD, die IOM, die OSCE und das UNHCR zur Zeit der Befragungen bereits auf eine langjährige Erfahrung im Umgang mit verschiedenen staatlichen Institutionen verweisen. Unter den Kooperationspartnern fanden sich das Ministerium für Menschenrechte und Flüchtlinge und das Ministerium für Sicherheit677. Die OSCE und das UNHCR waren 2006 und 2007 als Akteure in Bosnien-Herzegowina relativ bedeutsam, da ihnen aufgrund ihrer Bedeutung im sogenannten »Post-Dayton-Prozess« (dem Friedensprozess nach dem Abkommen von Dayton) und der ihnen übertragenen Mandate für demokratische Stabilisierung und Flüchtlingsrückkehr lange Zeit eine zentrale Rolle zugekommen war.678 Ein wichtiger Implementationspartner von IOM, USAID und SIDA – und indirekt durch große Finanzzuweisungen auch der EU – war auf dem Gebiet des »Anti-Traffickings« sowie in der Betreuung und Reintegration von Opfern des Menschenhandels die in Bijelina (Nordost-Bosnien) ansässige NRO »Lara«.679 Eine bedeutsame Rolle kam in Bosnien-Herzegowina außerdem auch der internationalen NRO »La Strada« zu, die zur Zeit der Untersuchungen ebenfalls Betreuungs- und Reintegrationshilfen anbot. Zusätzlich waren an dem »Anti-Trafficking«-Netzwerk der IOM 2006 und 2007 noch einige andere lokale und internationale NRO beteiligt. Das »Zenski Centar« (Frauenzentrum) in Trebinje (südliches Bosnien-Herzegowina) stellte dagegen eine lokale NRO dar, die zum Zeitpunkt ihrer Befragung (Sommer 2006) nicht mehr an Projektaktivitäten internationaler Geldgeber teilnahm und um die Fortsetzung ihrer Aktivitäten auf dem Gebiet des »Anti-Traffickings« und der Frauenrechte kämpfte – und damit auch um ihre weitere Existenz. Die Verzweiflung plötzlich von allen Geldgebern allein gelassen worden zu sein, obwohl die Projektarbeit erfolgreich geleistet worden war, wurde in der folgenden Aussage der Leiterin der NRO deutlich:

676 Vgl. Interviews GTZ und UNDP, Sommer 2006, I_04_AL und I_23_AL. 677 Vgl. Interviews mit relevanten Regierungsbehörden in Bosnien-Herzegowina: I_38_BH und I_39_BH. 678 Vgl. Interviews mit verschiedenen Vertretern der OSCE und des UNHCRs in BosnienHerzegowina: I_28_BH bis I_31_BH und I_33_BH. 679 Vgl. Interviews mit Vertretern der genannten Akteure: I_27_BH, I_30_BH, I_47_BH und I_48_BH. Vgl. Interview mit der lokalen NRO »Lara«, Sommer 2006, I_41_BH.

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»We have reached up to 10.000 women and girls through our campaigns. What is left now for us? A lot of recommendation letters from our old donors, but we do not find new ones!«680

Asylsuchende, Flüchtlinge und zurückkehrende Vertriebene und Bürgerkriegsflüchtlinge (Kapitel 5.3.6) wurden 2006 und 2007 in Bosnien-Herzegowina durch die lokale NRO »Vaša Prava« und das »Helsinki Komitee« in BosnienHerzegowina beraten und unterstützt. Die Arbeit dieser beiden Organisationen wäre allerdings nicht möglich gewesen, wenn sie nicht beide zu einem erheblichen Teil finanziell durch das UNHCR bezuschusst worden wären.681 Im Gegensatz zu Albanien waren in Bosnien-Herzegowina die beiden internationalen NRO »World Vision« und »Save the Children« während der Zeit der Untersuchung nicht aktiv am Kampf gegen den Menschenhandel und dem IOM-organisierten »Anti-Trafficking-Netzwerk« beteiligt. Das Internationale Komitee des Roten Kreuzes (ICRC) und die UNICEF bereiteten eigene Maßnahmen vor, bei denen allerdings der Handel mit Minderjährigen stärker im Mittelpunkt stehen sollte.682 Das UNDP wiederum erarbeite 2006, nach Auskunft eines Vertreters der Organisation, wie in Albanien, auch in Bosnien-Herzegowina eine Initiative, mit der hochqualifizierte Migranten zur Rückkehr und zur Existenzgründung bewegt werden sollten.683 ICMPD, IOM, OSCE und UNHCR sind seit dem Ende der 1990er Jahre auch in der Ukraine eine enge Zusammenarbeit mit Regierungsinstitutionen eingegangen, zum Beispiel mit den Ministerien für Arbeit und Soziales und für Innere Angelegenheiten sowie dem Staatskomitee für Migration und Nationalitätenangelegenheiten684. Wie in Albanien und Bosnien-Herzegowina sind auch in der Ukraine ehemalige Ortskräfte internationaler Regierungsorganisationen mittlerweile zu leitenden Regierungsbeamten aufgestiegen. Da sich die ukrainische Regierung nicht ausreichend für die Beratung von Asylsuchenden und der Integration von Flüchtlingen engagiert hatte, initiierte das UNHCR ein Netzwerk aus rund 20 lokalen und internationalen NRO, dem 2006 und 2007 unter anderen die ukrainischen NRO »Rokada« (Kiew, soziale und psychologische Unterstützungsleistungen und Bildungsangebote), »Solidarity« (Lemberg, soziale und psychologische Unterstützungs- und Bildungsangebo680 Interview mit der Leiterin der NRO »Zenski Centar« (Bosnien-Herzegowina), Sommer 2006, I_43_BH. 681 Vgl. Interviews mit Vertretern des UNHCRs und der lokalen NRO »Vaša Prava« und »Helsinki Komitee« in Bosnien-Herzegowina: I_33_BH, I_40_BH und I_42_BH. 682 Vgl. Interviews ICRC und UNICEF, I_34_BH und I_44_BH. 683 Vgl. Interview UNDP, Frühjahr 2006, I_32_BH. 684 Vgl. Interviews in der Ukraine mit Vertretern der genannten Akteure: I_49_UA bis I_54_UA und I_57_UA bis I_59_UA.

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te), »NEEKA« (Zakarpatiya, soziale und rechtliche Unterstützung) sowie die internationale jüdische Hilfsorganisation HIAS (Kiew, Rechtsberatung) angehörten. Da in der Regel andere Finanzquellen fehlten, war das UNHCR für die im Netzwerk aktiven Organisationen der wichtigste und manchmal auch einzige Geldgeber und Projektpartner.685 Das UNHCR bekam 2006 und 2007 den größten Teil seiner Projektmittel für die Ukraine durch die Europäische Kommission und einzelne Mitgliedsstaaten der EU bereitgestellt. Nach Aussage des Leiters der IOM-Vertretung unterhielt die IOM zum Zeitpunkt der Untersuchungen in der Ukraine ebenfalls ein Netzwerk, dem rund 90 lokale und internationale NRO angehörten, die sich bei der Bekämpfung und Prävention des Menschenhandels engagierten und die Rehabilitation und Reintegration von Opfern des Traffickings unterstützten.686 Die durch dieses Netzwerk implementierten Aktivitäten wurden dabei, ähnlich wie in Albanien und Bosnien-Herzegowina, strikt durch die IOM koordiniert und meistens durch die USAID, die EU und andere Geldgeber unterstützt. Obwohl der lokale IOM-Chef stolz vom »Netzwerk der IOM« sprach, wurde in einem Interview mit »La Strada« deutlich, dass nicht von einem »Netzwerk der IOM« gesprochen werden sollte: »It was in 2001 in the framework of a IOM project in which we trained NGO activists to provide assistance to victims. After the project was over, IOM continued to work with these NGOs, but we did as well and all other partners continued to co-operate as well, not only IOM, and we were in touch with them some time before IOM. Now they publish on their website: IOM runs this network, is the founder. That is simply not fair, because all these local NGOs have so much energy and their own will. But IOM is a foreign organization, run by a lot of money, working closely with the government, they are eager to stress that they have their own network created, although it is not true! Most of these NGOs have other activities as well, so they are absolutely not their NGO!687

Dem vermeintlichen »IOM-Netzwerk« gehörte zum Zeitpunkt der Erhebung auch die ukrainische NRO »Womens Consortium« an, die ebenfalls bestritt, dass das Netzwerk durch die IOM gegründet worden sei. Vielmehr war auch in diesem Interview offen die Rede von einer gezielten Kooptierung lokaler NRO durch die IOM und andere ausländische Akteure.688 Der in Lemberg befragten lokalen NRO »Salus«, die ebenfalls dem »IOM-Netzwerk« angehörte, wurde Anfang 2007 – kurz vor dem mit ihr geführten Interview – relativ unvermittelt keine neuen Projektmittel mehr durch die IOM gewährt. Die NRO war, nach

685 686 687 688

Vgl. Interviews in der Ukraine: I_54_UA, I_61_UA, I_62_UA, I_63_UA und I_64_UA. Vgl. Interview IOM, Sommer 2006, I_49_UA. Interview mit der INRO »La Strada« in der Ukraine, Frühjahr 2007, I_68_UA. Vgl. Interview »Womens Consortium«, Sommer 2006, I_60_BH.

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Auskunft ihrer Leiterin, gezwungen, schnell neue Geldgeber zu finden, um überhaupt weiter arbeiten zu können.689 Nicht einbezogen in die Projektaktivitäten der IOM und der anderen drei untersuchten IRO (ICMPD, OSCE und UNHCR) waren 2006 und 2007 die drei ukrainischen Politikberatungs-/Forschungsinstitute ICPS, IST und UCIPR.690 Das Nationale Komitee des Roten Kreuzes, die katholische Caritas und die ukrainische NRO »NEEKA« engagierten sich, obwohl sie 2006 und 2007 nicht von Zuweisungen der vier untersuchten IRO profitierten, dennoch für die Belange von Asylsuchenden, Flüchtlingen, illegalen Migranten und Opfern des Menschenhandels.691 Das UN-Kinderhilfswerk UNICEF war zur Zeit der Experteninterviews in der Ukraine (Sommer 2006 und Frühjahr 2007) wie in Bosnien-Herzegowina dabei, ein eigenes Programm zur Verhinderung des Traffickings von Kindern und Jugendlichen zu initiieren, obwohl sich nach den Worten des Leiters von UNICEF eigentlich »schon zu viele« ausländische Akteure und internationale Organisationen an der Prävention von Trafficking und der Rehabilitation der Opfer von Menschenhändlern beteiligten.692

5.5 Bewertung der Steuerungsaktivitäten und ihrer Folgen 5.5.1 Rechtfertigung von Steuerungsaktivitäten Wie in Kapitel 5.2.2 und bei der Verfolgung des Erkenntnisinteresses E4693 deutlich geworden ist, nehmen die vier untersuchten internationalen Regierungsorganisationen die Untersuchungsländer im Hinblick auf ihre Migrationssituation und ihre Bedeutung für das gesamteuropäische Wanderungsgeschehen in recht ähnlicher Weise wahr wie der Europäische Rat, die Europäische Kommission und der Ministerrat für Justiz und Inneres (Kapitel 3.2.4): Auch das ICMPD, die IOM, die OSCE und das UNHCR sind besorgt über die illegale Migration aus Albanien, Bosnien-Herzegowina und der Ukraine und die durch diese Länder hindurch verlaufende Transitmigration in Richtung der EU – ungeachtet aller positiven Veränderungen, die in den vergangenen Jahren eventuell eingetreten sind 689 Vgl. Interview mit der ukrainischen NRO »Salus«, Frühjahr 2007, I_65_UA. 690 Für: »International Centre for Policy Studies«, »Institute for Society Transformation« und »Ukrainian Centre for Independent Political Research«. Interviews ICPS, IST und UCIPR, Sommer 2006 und Frühjahr 2007, I_69_UA, I_70_UA und I_71_UA. 691 Vgl. Interviews Nationales Komitee des Roten Kreuzes, Caritas und NEEKA, Sommer 2006 und Frühjahr 2007, I_61_UA, I_62_UA und I_66_UA. 692 Vgl. Interview UNICEF, Herbst 2006, I_55_UA. 693 E4: Wahrnehmung der Untersuchungsländer und ihrer Wanderungssituation durch spezialisierte IRO, vgl. Kapitel 2.3.2.

229 12:12:11.

Auskunft ihrer Leiterin, gezwungen, schnell neue Geldgeber zu finden, um überhaupt weiter arbeiten zu können.689 Nicht einbezogen in die Projektaktivitäten der IOM und der anderen drei untersuchten IRO (ICMPD, OSCE und UNHCR) waren 2006 und 2007 die drei ukrainischen Politikberatungs-/Forschungsinstitute ICPS, IST und UCIPR.690 Das Nationale Komitee des Roten Kreuzes, die katholische Caritas und die ukrainische NRO »NEEKA« engagierten sich, obwohl sie 2006 und 2007 nicht von Zuweisungen der vier untersuchten IRO profitierten, dennoch für die Belange von Asylsuchenden, Flüchtlingen, illegalen Migranten und Opfern des Menschenhandels.691 Das UN-Kinderhilfswerk UNICEF war zur Zeit der Experteninterviews in der Ukraine (Sommer 2006 und Frühjahr 2007) wie in Bosnien-Herzegowina dabei, ein eigenes Programm zur Verhinderung des Traffickings von Kindern und Jugendlichen zu initiieren, obwohl sich nach den Worten des Leiters von UNICEF eigentlich »schon zu viele« ausländische Akteure und internationale Organisationen an der Prävention von Trafficking und der Rehabilitation der Opfer von Menschenhändlern beteiligten.692

5.5 Bewertung der Steuerungsaktivitäten und ihrer Folgen 5.5.1 Rechtfertigung von Steuerungsaktivitäten Wie in Kapitel 5.2.2 und bei der Verfolgung des Erkenntnisinteresses E4693 deutlich geworden ist, nehmen die vier untersuchten internationalen Regierungsorganisationen die Untersuchungsländer im Hinblick auf ihre Migrationssituation und ihre Bedeutung für das gesamteuropäische Wanderungsgeschehen in recht ähnlicher Weise wahr wie der Europäische Rat, die Europäische Kommission und der Ministerrat für Justiz und Inneres (Kapitel 3.2.4): Auch das ICMPD, die IOM, die OSCE und das UNHCR sind besorgt über die illegale Migration aus Albanien, Bosnien-Herzegowina und der Ukraine und die durch diese Länder hindurch verlaufende Transitmigration in Richtung der EU – ungeachtet aller positiven Veränderungen, die in den vergangenen Jahren eventuell eingetreten sind 689 Vgl. Interview mit der ukrainischen NRO »Salus«, Frühjahr 2007, I_65_UA. 690 Für: »International Centre for Policy Studies«, »Institute for Society Transformation« und »Ukrainian Centre for Independent Political Research«. Interviews ICPS, IST und UCIPR, Sommer 2006 und Frühjahr 2007, I_69_UA, I_70_UA und I_71_UA. 691 Vgl. Interviews Nationales Komitee des Roten Kreuzes, Caritas und NEEKA, Sommer 2006 und Frühjahr 2007, I_61_UA, I_62_UA und I_66_UA. 692 Vgl. Interview UNICEF, Herbst 2006, I_55_UA. 693 E4: Wahrnehmung der Untersuchungsländer und ihrer Wanderungssituation durch spezialisierte IRO, vgl. Kapitel 2.3.2.

229 12:12:21.

oder, vorsichtiger formuliert, eingetreten sein könnten. Internationale Migration wird durch das ICMPD, die IOM und die OSCE ebenfalls vornehmlich in Form der illegalen Migration und des Menschenhandels problematisiert und als eine Gefahr für die Zielstaaten (beispielsweise EU-Mitgliedsländer) wahrgenommen. Das UNHCR schließt sich der Problematisierung von Migration zumindest indirekt ebenfalls an. Nach Meinung einer in Kiew befragten Vertreterin der Organisation hat der starke Anstieg von Asylanträgen entlang der Westgrenze der Ukraine negative Konsequenzen auf all diejenigen Antragsteller, die ihr Asylbegehren bereits in Kiew oder in anderen Regionen der Ukraine einreichen. Durch das hohe Aufkommen von in vielen Fällen tatsächlich unbegründeten Asylanträgen geraten alle Asylantragsteller, und darunter auch die mit berechtigten Ansprüchen auf politisches Asyl, in Generalverdacht lediglich illegale Migranten zu sein.694 Diese gemeinsame bzw. die recht ähnliche Problemsicht bezüglich der internationalen (illegalen) Migration und die von allen Akteuren geteilte Wahrnehmung der Untersuchungsländer als »Verursacher« und »Ausgangsorte« oder auch »Durchgangsstationen« von unerwünschten bzw. illegalen Wanderungsbewegungen stellt eines der Hauptmotive dar, warum das ICMPD, die IOM, die OSCE und das UNHCR in Albanien, Bosnien-Herzegowina und der Ukraine aktiv geworden sind und versuchen, mit eigenen Steuerungsaktivitäten in das Wanderungsgeschehen einzugreifen. Mittels ihrer eigenen Steuerungseingriffe versuchen die vier untersuchten Organisationen dabei in erster Linie ihren Mandaten Rechnung zu tragen, die ihnen durch die internationale Staatengemeinschaft bzw. die Mitgliedsstaaten übertragen wurden (Kapitel 5.2.1). So versucht beispielsweise die Organisation des UNHCR mit ihren Aktivitäten im Sinne des ihr zugewiesenen Mandats für die Rechte von Asylsuchenden und Flüchtlingen einzutreten. Wie spätestens in Kapitel 5.4.1 mit Hilfe des Überblicks über die an das ICMPD, die IOM, die OSCE und das UNHCR geleisteten Finanztransfers der EU deutlich geworden ist, kommt den untersuchten internationalen Regierungsorganisationen als Nicht-EU-Akteuren eine zentrale Rolle bei der Umsetzung der Steuerungsvorstellungen der EU zu. Das wesentliche Hauptmotiv in das Wanderungsgeschehen der drei Untersuchungsländer einzugreifen, lag in dieser gezielten Beauftragung und der umfangreichen und über die Zeit hinweg verstetigten Finanzierung durch die Europäische Kommission, andere EU-Institutionen sowie zusätzliche Geldgeber (USAID, SIDA etc.). Anzunehmen ist, dass die weitgehende Kongruenz der Wahrnehmungsweisen aufseiten der drei untersuchten EU-Gemeinschaftsinstitutionen (Kapitel 3.2) und der vier untersuchten spezialisierten IRO (Kapitel 5.2.2) dieser engen Koopera-

694 Vgl. Interview UNHCR (Ukraine), Frühjahr 2007, I_55_UA.

230 12:12:21.

tion zwischen der EU, dem ICMPD, der IOM, der OSCE und der UN-Organisationen des UNHCR äußerst förderlich war. Die sehr ähnlichen Wahrnehmungsweisen und die ausgeprägte Abhängigkeit der IRO von den Zahlungen der EU und einzelnen Staaten führten daher auch zum Vorschlag von mehr oder weniger denselben Steuerungsansätzen.695 In Kapitel 5.2.3 und Tabelle 13 wurde ausgehend von Erkenntnisinteresse E5696 gezeigt, dass sich die vier untersuchten IRO, insgesamt betrachtet, den Kernforderungen der EU nach (a) neuen gesetzlichen Bestimmungen zu Grenzverwaltung, (illegaler) Migration, Trafficking und Asyl, (b) einer Verstärkung der Grenzschutzmaßnahmen, (c) einem entschiedenen Vorgehen gegen illegale (Transit-)Migration und Menschenhandel, (d) einem Ausbau der Schutzkapazitäten für Asylsuchende und Flüchtlinge, (e) dem Abschluss bilateraler Rückübernahmeabkommen mit der EU und einer vollständigen Erfüllung dieser Vereinbarungen durch die Untersuchungsländer, (f) einem regelmäßigen Austausch wanderungsbezogener Daten und Informationen, (g) einer Erhöhung der Dokumentensicherheit und einer wirksameren Überprüfung von Reisedokumenten, sowie (h) nach mehr Kooperationsbereitschaft mit der EU und einer stärkeren Eigenverantwortung (National Ownership) auf dem Gebiet der Migrationspolitik/-steuerung anschlossen. Wie in einem Interview mit der IOM-Vertretung in Kiew geäußert wurde, verfolgen spezialisierte IRO mit ihren Aktivitäten allerdings nicht nur das Ziel, im Auftrag der EU oder anderer Geldgeber bestimmte Zielstaaten vor illegaler Migration zu »schützen«, sondern auch die Migranten selbst vor Ausbeutung (Menschenhandel) oder anderen Gefahren illegaler Migration (beispielsweise beim Menschenschmuggel) zu bewahren. Die Steuerungs- oder »Managementaktivitäten«, wie sie im Zuge der Aktivitäten des »Anti-Trafficking« oder der »Informed Migration« unter anderem durch die IOM umgesetzt werden, erhalten dadurch einen gewissen »humanitären« Anstrich. »Of course, we feel and we know that illegal migration is a big challenge for Ukraine and [the] Ukrainian authorities need our support in managing migration. But [...] with our activities we also try to support the people here [...], to avoid people being trafficked or smuggled, put at risk [...].«697

695 Im Hinblick auf die EU siehe Kapitel 3.2.3 und 3.2.4; in Bezug auf die vier untersuchten IRO vgl. Kapitel 5.2.3. 696 E5: Welche Steuerungsansätze schlagen spezialisierte IRO vor, vgl. Kapitel 2.3.2. 697 Interview IOM (Ukraine), Frühjahr 2007, I_50_UA.

231 12:12:21.

5.5.2 Zweifel an der Wirksamkeit und Angemessenheit von Steuerungseingriffen Zeigten die in der Vergangenheit durchgeführten Maßnahmen im Bereich Grenzschutz und »Anti-Trafficking« bzw. »informierte Migration« tatsächlich eine Wirkung auf das Wanderungsgeschehen? Geht man dieser Frage (Erkenntnisinteresse E6698, Kapitel 2.3.2) nach, so stellt sich das Problem, dass sich die tatsächlichen Effekte der Steuerungseingriffe von spezialisierten IRO und, allgemein, der »Migrationsaußenpolitik« der EU in vielen Fällen gar nicht abschätzen lassen, da es keine ausreichenden und meist nur widersprüchliche Informationen und statistischen Daten zum Verlauf der (illegalen) Migration gibt. So hat sich laut den bereits erwähnten Jahrbüchern des ICMPDs (Kapitel 5.3.1) beispielsweise die Zahl der Staatsangehörigen von Albanien, die als illegale Migranten in einem der 20 bzw. 22 »Teilnahmeländer« des Jahrbuchs aufgegriffen wurden, zwischen 2006 und 2007 stark verringert, obwohl die Zahl der aufgegriffenen albanischen Migranten im Jahr zuvor fast um den gleichen Prozentwert nach oben geschnellt war (Tabelle 15, folgende Seite). Die Daten des ICMPD-Jahrbuches deuten im Fall von Bosnien-Herzegowina darauf hin, dass das Land nicht nur als Transitland (für andere Staatsangehörige) bedeutsam war, sondern auch selbst illegale Migration »produziert« hat – auch Staatsangehörige aus Bosnien-Herzegowina sind in den Jahren 2004 bis 2007 als illegale Migranten außerhalb der Landesgrenzen Bosnien-Herzegowinas aufgegriffen worden. 2007 lagen die Staatsangehörigen aus Bosnien-Herzegowina im Jahrbuch des ICMPDs allerdings nur auf Platz 17, vier Plätze weiter vorne lag Albanien (Platz 13), während die Ukraine nach dem Irak das zweitwichtigste Herkunftsland illegaler Migranten war – glaubt man zumindest den Aufgriffzahlen der 20 mittel-, südost- und osteuropäischen Länder, die diese an das ICMPD weitergegeben hatten.699 Die illegale Migration aus Bosnien-Herzegowina verhielt sich, ginge man nur nach den Informationen des ICMPD-Jahrbuches, zwischen 2004 und 2007 entgegen der Trends der Entwicklungen, die bezüglich der albanischen und ukrainischen Emigration feststellbar waren. Bei den illegal im Ausland aufgegriffenen Bürgern aus Albanien und der Ukraine ist ein Rückgang eingetreten, im Fall von Bosnien-Herzegowina dagegen ein Anstieg.

698 E6: Steuerungseingriffe spezialisierter IRO und ihre Folgen (bezüglich der Wanderungssituation, für Migranten, die Untersuchungsländer und die EU). 699 Vgl. P_086 (9).

232 12:12:21.

Tabelle 15: Aufgriffe illegaler Migranten aus Albanien, Bosnien-Herzegowina und der Ukraine

Jährliche Veränderung in %

Zahl aufgegriffener illegaler Migranten

Angaben im Jahrbuch 2005 für die Jahre

Angaben im Jahrbuch 2006 für die Jahre

Nach dem jeweiligen Jahrbuch (JB) für die Jahre

Angaben im Jahrbuch 2007 für die Jahre

JB 2005

JB 2006

JB 2007

2007

20042005

20052006

20062007

4.229

2.339

+ 7,5

+ 35,9

- 45

1.573

905

981

- 9,9

+ 8,2

+8

8.512

10.122

8.791

+ 25,2

-15,7

-13

Herkunftsland der illegalen Migranten:

2004

2005

2005

2006

2006

Albanien

2.421

2.603

2.464

3.348

BosnienHerzegowina

1.634

1.472

1.454

Ukraine

8.439

10.629

10.103

Auf Grundlage der Erhebungen der 20 bzw. 22 (2005) im Jahrbuch des ICMPD erfassten mittel-, ost- und südosteuropäischen Länder. Angaben entsprechen jeweils der Summe der in den »Teilnehmerländern« des ICMPD-Jahrbuchs aufgegriffenen illegalen Migranten mit Staatsangehörigkeit Albaniens, Bosnien-Herzegowinas oder der Ukraine.

Quelle: Eigene Zusammenstellung. P_084 (8), P_085 (9) und P_086 (9).

Tabelle 15 zeigt hinsichtlich der drei Herkunftsländer nicht unerhebliche absolute und relative Veränderungen zwischen den verschiedenen Berichtsjahren. Erschwerend kommt hinzu, dass, die Zahlen aus den Berichtsjahren nicht vollständig bzw. überhaupt nicht miteinander vergleichbar sind. So wurden 2005 beispielsweise Daten aus 22 Staaten gesammelt, in den anderen Jahren nur aus 20 Ländern. Ohne dass in den Jahrbüchern des ICMPDs näher darauf eingegangen worden wäre, kam es darüber hinaus regelmäßig auch zu Abweichungen »zwischen« den Jahrbüchern. So entsprachen die Daten für 2005, die im Jahrbuch von 2006 enthalten waren, beispielsweise nicht mehr den Angaben, die für dasselbe Jahr im zuvor erschienenen Jahrbuch (2005) genannt worden waren (Tabelle 15).

233 12:12:21.

Auch die in Tabelle 16 (folgende Seite) aufgeführten Daten machen deutlich, dass die verfügbaren Informationen aus den Jahrbüchern des ICMPDs nicht dafür sprechen, dass sich die hohen Investitionen in den Grenzschutz (siehe die Finanztransfers der EU für diesen Bereich: Tabelle 14, Kapitel 5.4.1) tatsächlich »gelohnt« haben, sie also wirklich zu einer Verringerung der illegalen Migration und Transitmigration geführt hätten. Die in der Tabelle enthaltenen Daten sind von den Regierungen der drei Untersuchungsländer an das ICMPD geliefert worden und (sollen) belegen, wie viele Migranten als illegale Migranten in den drei Untersuchungsländer (bzw. an deren Außengrenzen) aufgegriffen worden sind. Die gelieferten Daten beziehen dabei neben Transitmigranten aus anderen Ländern jeweils auch die eigenen Staatsangehörigen des jeweiligen Untersuchungslandes ein. Während sich die Aufgriffzahlen in Bosnien-Herzegowina zuerst stark erhöhten (+97 Prozent), im folgenden Jahr dann aber auch gleich wieder kräftig absanken (-34 Prozent), haben sich die Aufgriffe in der Ukraine nach 2005 immer weiter verringert. Kaum nachvollziehbar ist die im Vergleich zur Ukraine fast sechsmal so hohe Summe aller Aufgriffe in Albanien, die zwischen 2006 und 2007 sogar noch angestiegen ist, obwohl in den Jahren vor 2006 nie Daten an das ICMPD geliefert worden waren. Noch stärker als im Hinblick auf die in Tabelle 15 enthaltenen Informationen sind gegenüber den Daten in Tabelle 16 ernsthafte Zweifel bezüglich Echtheit, Verlässlichkeit und Vergleichbarkeit angebracht. Das in Tabelle 16 enthaltene Datenmaterial kann außerdem, wie auch die statistischen Informationen von Tabelle 15, höchst unterschiedlich gedeutet werden und nicht zum Beweis gereichen, dass bestimmte Maßnahmen (Grenzschutz, Aufklärungskampagnen über Menschenhandel und illegale Migration etc.) tatsächlich nachhaltig etwas an der Wanderungssituation verändert oder »verbessert« hätten. So könnte man beispielsweise die seit 2005 gesunkenen Aufgriffzahlen in der Ukraine auch so interpretieren, dass sich der »Migrationsdruck« aus der Ukraine bzw. durch die Ukraine hindurch in andere Länder (Transitmigration) verringert hat, weshalb es zu weniger Aufgriffen kam. Genauso gut könnten die sinkenden Summen der Aufgriffe aber auch darauf hindeuten, dass die ukrainischen Grenzschutzmaßnahmen in ihrer Wirksamkeit nachgelassen haben oder dass sich die illegalen Migranten, Schlepper und Menschenhändler besser auf diese Maßnahmen eingestellt haben und diese nach 2005 leichter umgehen konnten. Der starke Anstieg der Aufgriffzahlen zwischen 2004 und 2005 könnte aber genauso gut dadurch zustande gekommen sein, dass die ukrainischen Behörden in diesem Zeitraum ihre Kontrollfähigkeit nach außen, zum Beispiel gegenüber der EU, demonstrieren wollten und zu diesem Zweck »Korrekturen nach oben« vorgenommen haben bzw. tatsächlich mehr »Aktionismus« zeigten beim Aufgreifen illegaler Migranten. Alternative Deutungsmöglichkeiten bestünden darin, dass 234 12:12:21.

zwischen 2004 und 2005 die durch die Ukraine verlaufenden bzw. aus ihr herausführenden Migrations- und Transitbewegungen einfach weitaus stärker ausgeprägt waren als in den Jahren nach 2005.

Tabelle 16: Aufgriffe illegaler Migranten in Albanien, Bosnien-Herzegowina und der Ukraine

Jährliche Veränderung in %

Zahl aufgegriffener illegaler Migranten

Angaben im Jahrbuch 2005 für die Jahre

Angaben im Jahrbuch 2006 für die Jahre

nach dem jeweiligen Jahrbuch (JB) für die Jahre

Angaben im Jahrbuch 2007 für die Jahre

Land des Aufgriffs

Albanien

BosnienHerzegowina

Ukraine

JB 2005

JB 2006

JB 2007

2004

2005

2005

2006

2006

2007

20042005

20052006

20062007

?

?

?

?

61.880

63.942

?

?

+3

875

655

655

1.289

1.289

851

- 25,1

+ 97

- 34

8.500

12.976

12.977

12.363

12.363

10.984

+ 52,7

-5

- 11

Auf Grundlage der Erhebungen der 20 bzw. 22 (2005) im Jahrbuch des ICMPD erfassten mittel-, ost- und südosteuropäischen Länder. Angaben entsprechen jeweils der Summe der in Albanien, Bosnien-Herzegowina oder der Ukraine aufgegriffenen illegalen Migranten.

Quelle: Eigene Zusammenstellung. P_084 (7), P_086 (8) und P_086 (7).

Da eine unabhängige Überprüfung der gemeldeten Aufgriffe nicht stattfindet und das ICMPD auf die Daten der nationalen Behörden und Grenzpolizeien Albaniens, Bosnien-Herzegowinas und der Ukraine angewiesen ist, erlauben die Jahrbücher des ICMPD keine endgültigen Aussagen über die Effektivität von Grenzschutzmaßnahmen oder anderen Steuerungsaktivitäten von IRO (beispielsweise Informationskampagnen). Das abwechselnde Sinken und Wiederansteigen der Aufgriffzahlen in Bosnien-Herzegowina kann deshalb eben ganz unterschiedlich gewertet werden: als Ausdruck von Erfolg bzw. Misserfolg bestimmter Methoden der Grenzüberwachung, als Folge der erfolgreichen oder weniger erfolgreichen Verlagerung von Migrationsrouten illegaler Migranten oder als korrigier235 12:12:21.

te Zahlen einer nationalen Behörde, die in den betreffenden Jahren mit »guten Ergebnissen« glänzen wollte. Dem »strategischen Spiel« mit migrationsbezogenen Wissens-/Datenbeständen und Auslegungsweisen, an dem sich neben den Regierungen der Untersuchungsländer auch die EU und die vier untersuchten internationalen Regierungsorganisationen in den vergangenen Jahren rege beteiligt haben, ist im Folgenden Kapitel 5.5.3 gewidmet. Neben den hohen Investitionen in den Grenzschutz der drei Untersuchungsländer sind auch die in großem Stil in Albanien, Bosnien-Herzegowina und der Ukraine durchgeführten Informationskampagnen und übrigen Maßnahmen zur Prävention des Menschenhandels im Hinblick auf ihre tatsächliche Effektivität anzuzweifeln. Die ebenfalls wenigen und sehr unvollständigen Daten, die zum Menschenhandel verfügbar sind, deuten in Bezug auf die drei Untersuchungsländer auf einen starken Rückgang der Opferzahlen zwischen dem Ende der 1990er Jahre und dem Jahr 2007 hin:700 Wurden in den Jahren 1999 und 2000 in Italien beispielsweise noch 593 albanische Mädchen und Frauen, und in den gleichen Jahren in Griechenland 46 Albanerinnen als Opfer von Menschenhändlern befreit und identifiziert, hat sich die Zahl der registrierten albanischen und ukrainischen Opfern in den darauf folgenden Jahren immer stärker (auf wenige Hundert bzw. auf einzelne Fälle) verringert. Der starke Rückgang der Opferzahlen ist wohl auch ein Grund, weshalb 2006 oder 2007 kein weiterer Bericht zu Trafficking in Südosteuropa von der IOM erschienen ist, nachdem 2003 und 2005 zwei »Annual Reports on Trafficking in South-Eastern Europe« herausgegeben worden waren.701 Die befragten Vertreter der IOM und der OSCE konnten für den Rückgang der Opferzahlen selbst keine schlüssige Erklärung finden.702 Das Argument, der Menschenhandel sei weiterhin ein großes und eventuell sogar wachsendes Problem lässt sich somit nicht überprüfen. Die Experten und Angestellten der IOM und der OSCE versuchten die Fortsetzung ihrer Maßnahmen auf dem Gebiet des »Anti-Traffickings« mit der Aussage zu rechtfertigen, die Menschenhändler hätten dazu »gelernt« und ihre kriminellen Vorgehenswiesen geändert, viele Formen des Menschenhandels würden heute mit legalen Einreise- und Aufenthaltserlaubnissen abgewickelt und außerdem nehme anstelle des »internationalen« Menschenhandels nun das »Internal Trafficking« zu. Gerade im Hinblick auf die umfangreichen Zuwendungen, die durch die USAID, die Europäische Kommission und andere Geldgeber während der vergangenen Jahren für den Bereich des »Anti-Traffickings« und der Reintegration 700 Vgl. P_111 und P_112. 701 Siehe P_111 und P_112. 702 Vgl. Interviews IOM (unter anderem I_73_B und I_75_W) und OSCE (beispielsweise I_03_AL).

236 12:12:21.

der Opfer des Menschenhandels gewährt worden sind (Kapitel 5.3.3 und 5.4.1), wurden in einigen der geführten Interviews kritische Stimmen laut. Die Leiterin der lokalen NRO »Lara« (Bosnien-Herzegowina) kritisierte die Praxis, dass ein Großteil der ausländischen Zuwendungen in Händen spezialisierter IRO (explizit genannt wurde hierbei die IOM) verbleibe. Diese Mittel würden vorwiegend für Konferenzprojekte und die administrativen Ausgaben und »Overheads« der spezialisierten internationalen Organisationen ausgegeben, während sie mit ihrer lokalen (einheimischen) NRO darum kämpfen müsse, mit den sehr geringen Zuwendungen über die Runden zu kommen und die Opfer angemessen zu betreuen und zu reintegrieren. »They have and they get a lot of money! They organise big conferences with everybody from everywhere, yes! I have at the same time problems in my shelter, how to pay the rent, how to organise food, and then sometimes I cannot contact the persons responsible, because Mr. A. from IOM is on conference in Italy or person B from the Ministry of Security is at the same conference and so on. I tell you, I can get money for doing stupid things, travel to Italy, sit in a nice room, sightseeing, tell them what we do. But here, practical work remains unsolved, problems not fixed, to assist the victims, the girls and women. I have no money for my girls, but for conferences yes! And they keep a lot of money for carrying out the ’administrative tasks’ of this and that project. Here you see [pointing on table in document]: Here, it is written that I shall organize full rehabilitation for 20 victims, I have an amount of 9.500 dollars, that’s all. How can I organise full rehabilitation for 20 victims with this little money, even here in Bosnia this is nothing! All that while IOM makes leaflets and so on, doing things very bad. But well, they have a nice big budget for these little things.«703

Die anderen befragten NRO hielten sich mit derart kritischen Äußerungen zurück und verpackten ihre Kritik während der zwischen 2006 und 2007 geführten Interviews eher in vorsichtige Andeutungen. Offenbar befürchteten die lokalen und internationalen NRO-Partner von IOM und anderen IRO, dass die Projektpartnerschaft wegen zu harscher Kritik schnell beendet sein könnte; der immensen Abhängigkeit von den großen internationalen Organisationen (explizit dabei genannt erneut die IOM) und Geldgebern war man sich sehr bewusst. Einige andere Akteure äußerten in Bezug auf die »Anti-Trafficking«- und Reintegrationsbemühungen der IOM, der USAID und anderer internationaler Akteure Zweifel daran, ob man bei diesen Maßnahmen nicht die eigentlichen Probleme vernachlässige und an diesen eventuell sogar »vorbeisteuere«. Oft bereiten bereits die verwendeten Kategorisierungen und die daran geknüpften Deutungsweisen Probleme – Probleme, die dann dazu führen, dass nicht angemessen gehandelt wird. So berichteten beispielsweise zwei Vertreterinnen der albanischen NRO »Vatra« darüber, dass von den im Jahr 2005 betreuten 238 Frauen und Mädchen mehr als die Hälfte (135) schon zum zweiten Mal oder noch öf-

703 Interview mit der NRO »Lara«, Sommer 2006, I_41_BH.

237 12:12:21.

ter »re-trafficked« (wieder verschleppt und ausgebeutet) worden seien.704 Daher sei es falsch, erklärten die befragten Vatra-Vertreterinnen705, die »Opfer« des Menschenhandels pauschal für naiv, hilflos oder unschuldig zu halten, denn es seien viele von ihnen ja bewusst wiederholt und bisweilen sogar mit den gleichen Menschenhändlern ins Ausland gegangen, erneut aufgegriffen und repatriiert worden oder von allein für eine gewisse Zeit nach Albanien zurückgekehrt. Nimmt man diese Hinweise ernst, stellt sich die Frage, ob die Kampagnen des »Anti-Traffickings« und die Rückkehr- und Reintegrationsangebote der IOM und anderer Akteure tatsächlich angemessen sind, oder ob nicht ganz andere Wege gefunden werden müssten, um zu vermeiden, dass Migrantinnen »freiwillig« und zum Teil wiederholt Menschenhändler kontaktieren, um ihren Wunsch nach Emigration in die Tat umzusetzen. Kritisiert wurde in den geführten Experteninterviews auch, dass das Hauptaugenmerk bisher einzig und allein auf dem »internationalen« Menschenhandel liege, also lediglich der Form des Traffickings, bei der das Opfer gegen seinen Willen über internationale Grenzen verschleppt und dort ausgebeutet wird. Einige der befragten Akteure äußerten Zweifel, ob dies tatsächlich angemessen sei und ob es nicht die Betreuung von bestimmten Opfern und damit auch die Arbeit von NRO verhindere. »Donors and international organizations are a more interested in foreign victims, that is generally true, there is the big money, now we have more internal victims but less foreign money, we find difficulties to fund our shelters, our work for reintegration is threatened by this. International donors simply do not care enough about internal, Albanian victims.«706

Die Vertreterinnen von »Vatra« erklärte, internationale Geldgeber und IRO seien in den letzten Jahren vor allem dann aktiv geworden, sobald es um ausländische (internationale) Opfer in Albanien ging oder darum, albanische Opfer nach ihrer Rückführung nach Albanien wieder zu reintegrieren. Nun gebe es für die einheimischen Opfer kaum Unterstützung, weil man lange Zeit nur auf die ausländischen Opfer geschaut habe und nur für diese Kategorie von Opfern internationale Zuweisungen fließen. Zudem lasse das Engagement der internationalen Gemeinschaft generell nach, da das Problem des »internationalen Menschenhandels« zum Teil als gelöst oder zumindest als »abgehakt« betrachtet werde. Im folgenden Zitat kommt ein weiterer Kritikpunkt zur Sprache, der ausgerechnet von einem OSCE-Vertreter geäußert wurde – einem Repräsentanten genau der Organisation, die sich 2006 und 2007 (wie bereits in den Jahren zuvor) äußerst stark auf dem Gebiet der Prävention und der Strafverfolgung von Trafficking engagierte: 704 Vgl. Vatra (2005: 23). 705 Vgl. Interview mit der lokalen NRO »Vatra« (Albanien), Frühjahr 2006, I_17_AL. 706 Interview mit der lokalen NRO »Vatra« (Albanien), Frühjahr 2006, I_17_AL.

238 12:12:21.

»Again and again there is the problem what really is trafficking and what are the conditions that create the need for trafficking. One big problem is that the Albanian police does not recognize internal trafficking as a problem, because there is no illegal border crossing involved. That’s because of all this training they got from international organizations, they know the definition of trafficking just in this sense that the crossing of an international border has to be involved, otherwise they think it is not trafficking, so they just ask us: where was the border?«707

– So grotesk es erscheinen mag: Offenbar verhindert gerade das über Jahre durch spezialisierte IRO (wie die IOM und die OSCE) angebotene Training zum »internationalen« Menschenhandel eine angemessene Beachtung (und Prävention) des »Internal Traffickings«.708 Kritik bezüglich der Wirksamkeit/Nachhaltigkeit und Angemessenheit bestimmter Maßnahmen wurde außerdem auch im Hinblick auf die »freiwilligen Rückkehr- und Reintegrationsprogramme« (Kapitel 5.3.5) der IOM geäußert. Die zwei Vertreterinnen der albanischen NRO »Hope for the Future« sprachen sich zwar dafür aus, dass die IOM und die EU das Angebot von »freiwilligen« Rückkehr- und Reintegrationsprogrammen angesichts einer schon jetzt (2006) bestehenden Übernachfrage und eines in Zukunft weiter wachsenden Bedarfs dringend ausbauen sollten.709 Die beiden Vertreterinnen machten aber deutlich, dass sie selbst in vielen Fällen nicht von einer wirklich nachhaltigen Reintegration der »freiwilligen Rückkehrer« ausgehen. Die von IOM in Zusammenarbeit mit »Hope for the Future« durchgeführten Programme hätten in den vergangenen Jahren eine zu hohe Zahl von Abbrechern zu verzeichnen gehabt. Einige der Abbrecher seien wahrscheinlich mittlerweile erneut illegal im Ausland aufhältig. Bemängelt wurde auch, dass man kaum von einer nachhaltigen Reintegration ausgehen könne, wenn die dafür vorgesehenen Maßnahmen nur über einen Zeitraum von neun Monaten finanziell unterstützt werden würden. Das Interesse würde aufseiten der »rückführenden« Staaten meist einzig und allein darin bestehen, möglichst schnell abzuschieben bzw. »freiwillig« zur Rückkehr zu bewegen. »We cannot expect so much from these programmes, let’s say, in general. The interest of the returning states is to return, to deport, safely, orderly, whatsoever, but quickly. We have a lot of clients that are not easy to reintegrate, because they lack education for example, they won’t find their dream here, that’s unlikely. So what will they do? I am sure a lot

707 Interview OSCE (Albanien), Frühjahr 2007, I_03_AL. 708 Ein ähnlicher Kritikpunkt machte sich daran fest, dass die von internationalen Akteuren »trainierten« lokalen Behörden und NRO meist nur dann von Menschenhandel ausgehen würden, wenn auf die Verschleppung ins Ausland eine sexuelle Ausbeutung folgte. Andere Formen der Ausbeutung (Zwangsarbeit, Ausbeutung am Arbeitsplatz etc.) würden damit automatisch ausgeklammert. 709 Vgl. Interview mit der NRO »Hope for the Future« (Albanien), Frühjahr 2006, I_16_ AL.

239 12:12:21.

of them think again about emigrating illegally, there is no doubt. We just offer assistance over a period of nine month, afterwards, well we don’t know what happens with them.« 710

5.5.3 Das Spiel mit migrationsbezogenen Wissensbeständen und Interpretationen Im Hinblick auf die beschriebene gemeinsame oder zumindest doch recht ähnliche Problemsicht und Wahrnehmung der Wanderungssituation und der Untersuchungsländer (Erkenntnisinteresse E4, Kapitel 2.3.2) ist der Hinweis wichtig, dass die herausgearbeiteten Steuerungseingriffe spezialisierter IRO während des Zeitraums der empirischen Untersuchungen Teil eines »strategischen Spiels« mit migrationsbezogenen Wissensbeständen bildeten. Wie in den Kapiteln 5.3.1 und 5.5.1 beschrieben wurde, trugen die von Steuerungsaufträgen der EU und anderen Auftrag- und Geldgebern erheblich profitierenden spezialisierten IRO (Beispiel ICMPD und IOM) zum Teil selbst zur Produktion und Vermittlung migrationsbezogener Daten und Kenntnisse bei. Viele dieser migrationsbezogenen Wissensbeständen waren dabei eher widersprüchlich und konnten in unterschiedlicher Weise ausgelegt werden. Das eigentliche Problem eröffnete sich dadurch, dass die untersuchten spezialisierten IRO aufgrund ihres Wissensmonopols und ihres Wissensvorsprungs oft eine Deutungshoheit über diese Informationen beanspruchten; und da niemand sonst Daten sammelte oder erhob, konnten sie dieses »Interpretations-Vorrecht« auch teilweise mit gutem Recht für sich einfordern. Ihren Auslegungsweisen und Aussagen wurde vonseiten der anderen Akteure hohe Beachtung zuteil und meist Glaubwürdigkeit geschenkt. So wurde beispielsweise in den Interviews mit den Delegationen der Europäischen Kommission in Albanien, Bosnien-Herzegowina und der Ukraine oft betont, dass die lokalen EU-Vertretungen in höchstem Grade auf den Kenntnisstand und die Informationen des ICMPDs, der IOM, der OSCE und des UNHCRs angewiesen seien, um mit Hilfe des Wissens und der Aussagen dieser Organisationen die jährlichen Fortschrittsberichte der Europäischen Kommission herausgegeben zu können.711 Einige Vertreter von nichtstaatlichen Akteuren, anderen IRO und den Regierungsbehörden der Implementationsländer gaben allerdings zu bedenken, dass die Art und Weise, wie migrationsbezogene Daten durch spezialisierte IRO gesammelt, (vor-)interpretiert und dann präsentiert oder auch an andere Akteure (Beispiel EU) weitergegeben werde, stark durch die Interessen der involvierten IRO geprägt sei. Den spezialisierten IRO, allen voran der IOM, wurde unterstellt, strategisch-zielgerichtet mit den »Zahlen und Fakten 710 Interview mit der NRO »Hope for the Future« (Albanien), Frühjahr 2006, I_16_ AL. 711 Vgl. Interviews mit den lokalen Delegationen der Europäischen Kommission: I_06_AL, I_35_BH und I_56_UA.

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zu spielen«712, um die eigenen Interessen (Fortführung der bisher ausgeübten Aktivitäten, Absicherung künftiger Finanzzuweisungen etc.) zu bedienen. Mehrfach wurde auf eine möglicherweise strategisch durch die IOM und andere Akteure verfolgte »Re-Stigmatisierung« der Untersuchungsländer (als Verursacher illegaler Migration) hingewiesen – eine Fortschreibung der Problemsicht, mit der sich letztlich wieder bestimmte Steuerungseingriffe begründen ließen. Äußerst kritisch gab sich diesbezüglich unter anderem ein Vertreter des UN-Kinderhilfswerk UNICEF, der allerdings auch deutlich machte, dass die IOM und die anderen spezialisierten IRO eigentlich nicht anders verfahren könnten, als diese Problemwahrnehmungen weiter zu befördern und am Leben zu erhalten. Sie seien eben Dienstleister, die den Großteil ihrer Finanzierung vornehmlich oder sogar ausschließlich über Projektaufträge erhalten würden. »They are – of course! – eager to show their progress, to stress their efforts and the high effectiveness of their programmes, but there is no independent monitoring or evaluation, that is the kind of the ’business’ in anti-trafficking and also voluntary return and so on [...] IOM is a service provider and it is necessary to show for IOM that the services of IOM are needed, that there is need to continue with certain activities, and that these activities, of course, also have to be financed by someone in the next years and so on.«713

Die von dem Leiter der IOM-Vertretung in Albanien vorgegebene Begründung, seine Organisation wolle mit ihren Steuerungseingriffen dem Land »helfen« und es vor weiterer »Stigmatisierung« bewahren (Kapitel 5.5.5), müsste man denn auch nicht ohne Grund als ein vorgeschobenes Scheinargument deuten – eine »Begründung«, mit der die IOM viel eher die Fortschreibung ihrer eigenen Aktivitäten befördern wollte, als dem Land Albanien tatsächlich migrationspolitisch »auf die Beine« zu helfen und es vor »Stigmatisierung« zu schützen; zumindest legen diesen Schluss die Begleitumstände und die Vorgehensweise nahe, die zur »nationalen Migrationsstrategie« Albaniens geführt haben (Kapitel 5.3.7 und 5.5.5). Vermutet werden muss, dass die Steuerungseingriffe der IOM, und gleiches gilt auch für die Aktivitäten der anderen drei untersuchten IRO, immer auch von der Motivation angeleitet wurden, die Projektarbeit der eigenen Organisation im Implementationsland fortzusetzen, weitere Projektaufträge zu erhalten (etwa von der EU), die Bedeutung der eigenen Organisation zu unterstreichen oder beispielsweise auch Steuerungsideen, stellvertretend für andere Länder, einmal in einem »kleinen, offenen Land« (Kapitel 5.5.5) – wie eben Albanien – ausprobieren zu können.

712 Übersetzt aus dem Zitat mit dem ukrainischen »Think Tank« UCIPR, Frühjahr 2007, I_71_UA. 713 Interview UNICEF, Herbst 2006, I_55_UA, mit eigenen Hervorhebungen.

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Interessanterweise gab in Bezug auf die Daten zum Trafficking einer der befragten IOM-Vertreter sogar selbst zu, dass an diesen vieles zweifelhaft sei und diese, ausgehend von den ausgeprägten finanziellen Abhängigkeiten und Interessenslagen der beteiligten Akteure strategisch »produziert« bzw. gezielt übertrieben oder verfälscht seien: »I would argue: The phenomenon of trafficking has never had such a magnitude that some people were dreaming of, one million and six hundred thousands etc., nobody has anything to proof that. I mean, there are so many so-called experts, throwing around with numbers. It is very grave for the individual, numbers don’t count, but the whole issue indeed has been pumped up and pumped up, maybe with the aim to be big in business, to secure funding. Well, some of the criminals have probably found new channels, more hidden ways, they use visa and so on, so we cannot find all the victims. But, in my opinion, the phenomenon was never, never ever, at the level that it was claimed to be by so many people, researchers, organisations, politicians and so on.«714

In einem Interview mit dem Ministerium für Menschenrechte und Flüchtlinge in Bosnien-Herzegowina kritisierte die befragte Abteilungsleiterin den Anspruch der EU und der IOM darauf, dass nur sie die »richtigen« Daten besäßen und auch nur sie diese Daten richtig interpretieren könnten. Wie die Vertreterin des Ministeriums deutlich machte, werden der Kenntnisstand und die Daten der staatlichen Stellen des Implementationslandes (hier: Bosnien-Herzegowina) allzu geflissentlich und in geradezu arroganter Weise ignoriert: »Some EU officials and IOM representatives said in one meeting that our country is still a country of illegal migration and trafficking. Then we asked for their data, to verify this picture. There was great astonishment on our side! They had data that surprised us. But our ministries are collecting data as well! And, in fact, we have to say: There are not so many movements taking place like there are mentioned in their reports and are imagined in Brussels or elsewhere!«715

Während des Zeitraums der empirischen Untersuchungen setzten die EU und einzelne spezialisierte IRO, wie beispielsweise die IOM, das »strategische Spiel« mit migrationsbezogenen Wissensbeständen und Interpretationsweisen darüber hinaus aber auch gezielt ein, um die Regierungsbehörden der Implementationsländer zur Kooperation zu verleiten oder diese im Rahmen der gemeinsamen Zusammenarbeit nicht zu diskreditieren. So sprachen die befragten EU- und IOMVertreter in der Ukraine oft lediglich von einer überaus hohen und wachsenden Zahl illegaler Transitmigranten, auch in ihren Berichten war oft nur über die Transitmigration zu lesen.716 Offenbar wollte man der Ukraine die migrationspolitische Zusammenarbeit und die notwendigen restriktiven Grenzschutzmaßnah714 Interview IOM (TCC Wien), Sommer 2006, I_75_W, mit eigenen Hervorhebungen. 715 Interview Ministerium für Menschenrechte und Flüchtlinge (Bosnien-Herzegowina), Frühjahr 2007, I_38_BH. 716 Vgl. Auswertung von Primärdokumenten der EU und der IOM zur Ukraine sowie Interviews I_49_UA und I_56_UA.

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men »erleichtern«, indem man bewusst nicht die ebenfalls hohe Zahl illegaler ukrainischer Migranten ansprach.717 Aber auch die Regierungen der Untersuchungsländer beteiligten sich aktiv am »Spiel« mit migrationsbezogenen Wissensbeständen bzw. der »Produktion« von zweckdienlichen Aussagen oder Daten und des gezielten Verweises auf diese, um bestimmte Argumentationen zu vertreten. Ein Vertreter des ukrainischen Staatskomitees für Migration und Nationalitätenangelegenheiten betonte in dem mit ihm geführten Interview beispielsweise, die Ukraine habe ein »Migrationsproblem« nur deshalb, weil es »zum Durchgangs- und Warteraum für illegale Migranten aus anderen Ländern« geworden sei, die »alle« in Richtung EU unterwegs seien.718 Mit keinem Wort erwähnte er die ukrainischen Staatsbürger, die von der Ukraine aus versuchen, illegal in die EU zu gelangen oder sich bereits in der EU illegal niedergelassen haben. Wie in den folgenden drei Äußerungen des damaligen ukrainischen Außenministers und von Vertretern des Innenministeriums und des Ministeriums für Arbeit und Soziales deutlich wird, wurde 2006 und 2007 von ukrainischer Seite ganz bewusst nur über die illegale Transitmigration gesprochen (beispielsweise in Bezug auf das Problem der Rückführung im Rahmen eines Rückübernahmeabkommens zwischen der Ukraine und der EU), um dann direkt die Forderung erheben zu können, künftig mehr finanzielle und politische Unterstützung von der EU zu bekommen: »As to readmission, this should concern illegal migrants more so than Ukrainian citizens [...].«719 »Ukraine is not prepared for taking these people back. There is nearly no professionally regulated detention centre, most of the existing centres have no clear legal status [...] With Russia, Belarus and Kazakhstan we do not have yet any readmission agreement, so the irregulars will simply stay here in Ukraine, and we have already here some problems with racism as well. International organisations play a crucial role, because they can help in mediating and helping Ukraine to tackle this problem. For this maybe they should get more finances granted from the EU, Ukraine simply does not have this money.«720 »In my view the problem of readmission first and foremost is a problem caused by the EU, it concerns illegal transit migrants who are eager to get to the EU through the Ukraine, so it is a negative externality of their EU migration policy so to say. So it is for me reasonable to argue that the EU has the duty to support Ukraine’s ministries and all other actors in getting out of this ‘readmission trouble’.«721

717 Die Möglichkeit, dass diese Interpretation zutreffen könnte, wurde durch die Vertreter der ukrainischen Politikberatungsinstitute ICPS und IST im Rahmen der mit ihnen geführten Interviews bestätigt, vgl. Interviews ICPS und IST, I_69_UA und I_70_UA. 718 Übersetzte Äußerungen aus dem Interview, Herbst 2006, I_59_UA. 719 Interview mit dem ukrainischen Außenminister TARASYUK, abgedruckt in: Kyiv Weekly (2006: 13). 720 Interview Innenministerium der Ukraine, Sommer 2006, I_58_UA. 721 Interview Ministerium für Arbeit und Soziales (Ukraine), Frühjahr 2007, I_57_UA.

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Einen weiteren Beleg für das »strategische Spiel« mit migrationsbezogenen Kenntnissen und die bewusste Verdrehung von Tatsachen durch staatliche Akteure der Implementationsländer stellt auch eine Äußerung des albanischen Ministers für Arbeit und Soziales dar, die in dessen Willkommensrede an die Teilnehmer des IOM-Workshops (Kapitel 5.3.7) zur albanischen Migrationsstrategie enthalten war: »Albania is not the ‚land of unregular migrants and motorboats’ anymore [...] Albania is a country where people have turned to work, people who trust their country and their government. In fact, there are fewer and fewer Albanians wanting to leave the country and more emigrants wanting to return.«722

Das beschriebene »strategische Spiel« mit migrationsbezogenen Daten und Einschätzungen hat sicherlich unweigerlich dazu beigetragen, dass während des Zeitraums der Untersuchungen in vielen Fällen an den eigentlichen »Problemen« der Untersuchungsländer vorbeigesteuert wurde (strategisches Ausblenden des Problems der illegalen Migration von Ukrainern) und ungeklärt blieb, wer (welches Land, die EU, welcher Akteur?) eigentlich für bestimmte Steuerungsaktivitäten Verantwortung zu tragen hätte, ob beispielsweise die Ukraine einzugreifen habe und an erster Stelle zuständig sein sollte (National Ownership?), oder ob es alleinige Aufgabe der EU und internationaler Organisationen sei, Steuerungsaktivitäten zu finanzieren und umzusetzen. Unter anderem darin äußerte sich eine recht bedenkliche oder negative Folge der Steuerungseingriffe im Hinblick auf die Untersuchungsländer (Erkenntnisinteresse E6723, Kapitel 2.3.2).

5.5.4 Mangel an politischer Legitimation und Transparenz Die untersuchten IRO wurden während des Untersuchungszeitraumes (2006 und 2007) und in den Jahren davor prinzipiell über zwei verschiedene Wege beauftragt und dazu »legitimiert«, bestimmte Aktivitäten umzusetzen:724 Der eigentliche Auftrag bestimmte Aktivitäten durchzuführen, erfolgte in den meisten Fällen durch die Europäische Kommission und über deren lokale Delegationen in Tirana, Sarajevo oder Kiew oder durch andere Geld- und Auftraggeber, wie beispielsweise die SIDA oder USAID. In anderen Fällen hatten die spezialisierten IRO zuvor selbst »Lobbying« bei potenziellen Geld- und Auftraggebern betrieben und dabei bestimmte Maßnahmenvorschläge und Finanzierungsanträge un722 Äußerung des albanischen Ministers für Arbeit und Soziales BEJTAJ, siehe Bejtaj (2005: 15). 723 E6: Steuerungseingriffe spezialisisierter IRO und ihre Folgen. 724 Informationen aus den in Albanien, Bosnien-Herzegowina, der Ukraine sowie in Budapest und in Wien mit Vertretern verschiedener Akteure (Anhang A3) geführten Experteninterviews.

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terbreitet. Beispielsweise waren 2006 in der durch IOM herausgegebenen Broschüre »Migration Initiatives«725 gleich mehrere Projekte für die drei Untersuchungsländer vorgeschlagen und jeweils mit einem »Preisschild« versehen worden. Die IOM machte sich mit diesem Portfolio an möglichen Aufträgen selbst auf die Suche nach Geldgebern. In beiden Fällen der »Beauftragung« der IOM und anderer IRO zur Ausführung von bestimmten Aktivitäten wurde die Regierung des Implementationslandes (Albanien, Bosnien-Herzegowina oder Ukraine) in der Regel nicht in den Entscheidungs- und Vergabeprozess einbezogen. Bei den meisten der 2006 und 2007 Aktivitäten von spezialisierten IRO und deren Projektpartnern (NRO und INRO) war deshalb nicht von einem demokratisch und politisch legitimierten Auftrag zu sprechen – eben deshalb, weil die Projektaufträge dieser ausländischen/externen Akteure nicht durch die lokalen politischen/staatlichen Behörden des Implementationslandes vergeben worden waren, sondern durch Akteure der EU oder andere internationale Akteure. In Fällen wie der albanischen Migrationsstrategie (Kapitel 5.3.7) waren sich der Implementationsakteur (IOM) und der Auftraggeber (Europäische Kommission/lokale Delegation) von Anfang an sogar des demokratischen Legitimationsdefizits bewusst. Die Regierung Albaniens wurde gezielt vor vollendete Tatsachen gestellt. Da ihr erfolgreich kommuniziert werden konnte, die Strategie helfe Albanien auf dem Weg in die EU, »verabschiedeten« die Regierungsvertreter schließlich die Migrationsstrategie und verhalfen damit dem EU-finanzierten und durch IOM konzipierten (und später auch ausgeführten) Projekt zu einer »nachträglichen« politischen und demokratischen Legitimation. Wie bereits in Kapitel 5.3.7 angesprochen, organisierte die IOM schließlich sogar eigens noch einen Workshop mit Vertretern der Zivilgesellschaft, Vertretern der albanischen Auslandsdiaspora und der internationalen Gemeinschaft, der ebenfalls der nachträglichen Korrektur des Mangels an demokratischer Legitimation dienen und das Projekt Migrationsstrategie für die Öffentlichkeit bekannt und transparenter machen sollte. »The strategy is accepted because we made sure a lot of different stakeholders came to the workshop where the strategy was presented.«726

Der aus Sicht der Implementationsländer eigentlich angemessene und demokratische(re) Weg hätte darin bestanden, dass die IOM zunächst mit der albanischen Regierung ein sogenanntes »Memorandum of Understanding« vereinbart hätte, mit dem die albanische Regierung von Anfang an offiziell der Auftraggeber der IOM gewesen wäre und die Ausarbeitung der Migrationsstrategie überwachen 725 Siehe P_080. Einen solchen Katalog, aus dem die verschiedenen Geldgeber auswählen können, stellte zum Zeitpunkt der Untersuchungen auch das UNHCR unter der Bezeichnung »Global Appeal« zusammen, siehe P_113. 726 Vgl. Interview mit IOM in Albanien, Frühjahr 2006, I_02_AL.

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hätte können. Eine solche Vereinbarung kam beispielsweise 2005 zustande; die IOM erhielt dabei durch die albanische Regierung den Auftrag (und damit auch die politische Legitimation), in den Schulen des Landes auf das Problem des Menschenhandels aufmerksam zu machen (Kapitel 5.3.3). Die albanische Migrationsstrategie kann demnach als ein paradigmatisches Beispiel dafür gelten, dass die Implementation von Steuerungsaktivitäten durch spezialisierte IRO in den meisten Fällen – zumindest in den drei untersuchten Ländern zwischen 2000 und 2007 – ohne eine ausreichende demokratische Legitimierung durch die Regierungen (und Parlamente) der Implementationsländer zustande gekommen ist. Diesen Eindruck bestätigten verschiedene Interviewpartner zivilgesellschaftlicher Organisationen und »Think Tanks« in Albanien, Bosnien-Herzegowina und der Ukraine.727 Die Vertreter des AIIS, des ukrainischen »Think Tanks« ICPS728 und des Helsinki-Komitees in Bosnien-Herzegowina wiesen darauf hin, dass die nationalen Regierungsinstitutionen überhaupt selten und kaum eine Gelegenheit zur Kontrolle, Evaluation und Modifikation (Abänderung) der in ihrem Land durch die EU und ausländische/internationale Akteure durchgeführten Aktivitäten hätten.729 Angesprochen auf das Problem der mangelnden Legitimation, Transparenz und der ebenfalls kaum zu klärenden Frage der demokratischen Verantwortlichkeit, äußerten die Vertreter der Politikberatungs- und Forschungsinstitute AIIS (Albanien) und UCIPR (Ukraine) den Wunsch nach einer stärkeren Beteiligung am Politikprozess und den migrationsbezogenen Implementationsvorgängen. Zwar würden sie immer wieder von ausländischen Akteuren und der Regierung des Landes um Expertisen und Einschätzungen gebeten, doch fehle ihnen der vertiefte Einblick in das, was im Lande eigentlich vor sich gehe, zumal ihnen von den internationalen Regierungsorganisationen und der EU nur in den seltensten Fällen detaillierte Projektberichte zur Verfügung gestellt würden.730 Ihre Aufgabe als lokale Politikberatungs- und Forschungsinstitute sahen die befragten Vertreter allerdings gerade darin, die Politik der Regierung sowie die Interventionen der EU und spezialisierter IRO im Interesse der Öffentlichkeit genauer unter die Lupe zu nehmen und dann auch kritisch-konstruktiv begleiten zu können. Wie anhand der gesammelten empirischen Befunde deutlich geworden ist, waren die Aktivitäten spezialisierter IRO in den drei Implementationsländern in den 727 728 729 730

Vgl. unter anderem I_21_AL, I_40_BH, I_71_UA und I_72_UA. Abkürzung für »International Centre for Policy Studies«. Vgl. Interviews I_21_UA, I_40_BH und I_70_UA. Vgl. Interviews AIIS (Albanien), I_21_AL und UCIPR (Ukraine), I_71_UA.

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vergangenen Jahren durch ein ausgeprägtes Legitimationsdefizit gekennzeichnet: Während die demokratischen Entscheidungsorgane (Regierung und Parlament) kaum als gleichberechtigte Partner anerkannt und diese Organe in ihren demokratischen Entscheidungs- und Kontrollrechte empfindlich eingeschränkt und teilweise auch gezielt umgangen wurden, ist zugleich auch nicht anzunehmen, dass die Maßnahmen spezialisierter IRO in den drei Implementationsländern öffentlich bekannt und zumindest indirekt durch die Bürger »gewollt« waren. Die Frage, wer (welcher Akteur) letztlich demokratisch und politisch für die diversen Steuerungsaktivitäten verantwortlich war und durch den Bürger, die Parlamente oder die Regierungen der drei untersuchten Länder hätten zur Rechenschaft gezogen werden können, ist nicht oder nur äußerst zu beantworten. Insgesamt müssen die Folgen und Wirkungen der Steuerungseingriffe von spezialisierten IRO im Verbund mit der EU und anderen exogenen Auftrag- und Geldgebern, was die Effekte auf die Untersuchungsländer (Erkenntnisinteresse E6) und im Hinblick auf ihr politisches System anbelangt, also als äußerst negativ eingeschätzt werden.

5.5.5 Fremdbestimmung durch IRO und implantierte Politiknetzwerke Die Frage nach den letztlich politisch verantwortlichen und demokratisch zur Rechenschaft zu ziehenden Akteuren ist nicht zuletzt deshalb schwer zu beantworten, weil sich in den vergangenen Jahren in den drei Untersuchungsländern sehr engmaschige und undurchsichtige Politiknetzwerke herausgebildet und verstetigt haben (Kapitel 5.4.2). Zum Zeitpunkt der Feldforschung in Albanien, Bosnien-Herzegowina und der Ukraine herrschten starke und geradezu klientelistische Abhängigkeitsbeziehungen zwischen den lokalen (Regierungsbehörden und einheimische/lokale NRO) und den exogen-internationalen Akteuren (EU, ausländische Geberorganisationen, IRO und INRO), bei denen die letzteren Akteure klar dominierten. Wie in Kapitel 5.4.2 erläutert, fungierten die IOM und das UNHCR 2006 und 2007 als wichtige »Gatekeeper«, die den Zugang der nichtstaatlichen Kooperationspartner und der staatlichen Akteure der Implementationsländer zu den Netzwerken regelten, die allen an ihnen Beteiligten finanzielle Ressourcen und Aufträge versprachen. Während der empirischen Untersuchungen in Albanien verfolgte die IOM dabei das Anliegen, selbst eine »eigene NRO« zur Unterstützung und Reintegration »freiwillig« rückkehrender Migranten zu gründen. Überdies stellten sich auch die meisten anderen der 2006 und 2007 in Albanien, Bosnien-Herzegowina und der Ukraine befragten internationalen und lokalen NRO bei näherer Betrachtung

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als »Donor-Created NGOs« (DONGOs731) oder »Donor-Driven NGOs« dar. Neben diesen quasi-nichtstaatlichen Organisationen gehörten während des Zeitraums der Untersuchungen in Albanien, Bosnien-Herzegowina und der Ukraine zwar auch die Regierungsbehörden dieser Länder den beschriebenen Akteurs-, Finanzierungs- und Projektgeflechten an. Gerade das Beispiel der albanischen Migrationsstrategie zeigt aber, wer (welche Akteure) zwischen 2006 und 2007 tatsächlich die »Strippen« zog – Es waren spezialisierte IRO wie die IOM, und neben der Europäischen Kommission noch einige andere ausländische/exogene Finanz- und Auftraggeber, die für und in Albanien, Bosnien-Herzegowina und der Ukraine migrationspolitische Maßnahmen festlegten, finanzierten und praktisch umsetzten. Die durch die vier untersuchten internationalen Regierungsorganisationen und andere ausländische Geld- und Auftraggeber dominierten Politiknetzwerke, die man auch als extern hervorgebrachte und beeinflusste »Implantate« in den Untersuchungsländern bezeichnen könnte, bieten mittlerweile berechtigterweise Anlass zur Kritik. Die gesammelten Interviewaussagen und ausgewerteten Primärdokumente lassen den Schluss zu, dass sich die operative Arbeit der vier betrachteten IRO in vielen Fällen verselbstständigt hat; ausgeführt und fortgesetzt wird das, was bereits seit Jahren als richtig und angemessen befunden wird – selbst wenn keine triftigen und nachprüfbaren Indizien vorliegen, dass die implementierten Aktivitäten tatsächlich die erhofften Wirkungen (beispielsweise Reduzierung illegaler Migration) zeigen (Kapitel 5.5.1 und 5.5.2). Eine genaue Übersicht über alle ausländischen/internationalen Akteure und deren Steuerungsaktivitäten zu gewinnen, ist allerdings selbst für Experten und »Insider« außerordentlich kompliziert, wenn nicht gar unmöglich. Das Zusammenwirken auf dem Gebiet der Migrationssteuerung war 2006 und 2007 nämlich durch eine extreme Aufsplittung einzelner Aufgaben in Teilaktivitäten gekennzeichnet, die meist als zeitlich befristete, meist nur wenige Monate andauernde Projekte durchgeführt wurden. Diese kaum überschaubare Vielzahl unterschiedlicher Aktivitäten verschiedenster Akteure und Auftraggeber war außerdem durch große Überlappungen gekennzeichnet: Viele Akteure taten genau das gleiche oder zumindest etwas sehr ähnliches, was andere Akteure ebenfalls (bzw. schon seit längerem auch) taten. Das große Rätsel, welche Akteure tatsächlich Verantwortung für den Bereich der Migrationspolitik und -steuerung tragen und auf diesem Bereich politisch zur Verantwortung gezogen werden könnten, könne, so der Vertreter des AIIS in Albanien, aufgrund der extremen Komplexität der mittlerweile bestehenden Politiknetzwerke letztlich überhaupt nicht zur Gänze geklärt werden.732 731 Nichtregierungsorganisationen, die finanziell stark abhängig sind von ausländischen Finanz- und Auftraggebern und deren Arbeitsweise durch diese Akteure bestimmt wird. 732 Vgl. Interview AIIS (Albanien), Frühjahr 2006, I_21_AL.

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Eigentlich müsste man in Bezug auf diese Frage an die ausländischen (exogenen/internationalen) Geld- und Auftraggeber sowie Implementationsakteure herantreten – also an die EU, die USAID, die SIDA und die spezialisierten IRO – und diese in die Pflicht nehmen, für mehr Übersicht und klarere Strukturen zu sorgen. Die Regierung Albaniens habe sich in den vergangenen Jahren allerdings nie ernsthaft darum bemüht, noch habe sich irgendeine albanische Partei oder NRO bisher ernsthaft über bestimmte Aktivitäten der EU oder spezialisierter IRO beschwert. 2006 und 2007 begannen einige der befragten IRO in dem sehr komplexen und ungleichen Beziehungsgeflecht zwischen »lokalen« und internationalen Akteuren allerdings selbst ein ernstzunehmendes Koordinations- und demokratiebezogenes Problem zu sehen. Die folgende Äußerung der Vertreterin des ICMPD in Albanien ist exemplarisch für eine Vielzahl von Kommentaren, wie beispielsweise auch von einer Vertreterin der OSCE in Bosnien-Herzegowina.733 »All work on something, the big international organisations like IOM, the international donors, the NGOs and their international networks and partners, the government, the EU and so on. There is a widespread lack of coordination, an intense overlapping of activities, I absolutely agree!«734

Auf die Frage, ob die OSCE in der Ukraine nicht die Aktivitäten der IOM im Hinblick auf »Anti-Trafficking« dupliziere, antwortete ein anderer, in Kiew befragter Vertreter der OSCE beschwichtigend und pragmatisch-lapidar, die Größe der Ukraine und des Problems ins Spiel bringend: »First of all, both organisations [IOM and OSCE] do really a lot in the fight against trafficking. But we nevertheless try to avoid overlapping. We have more or less regularly meetings, we are in constant contact. If our organisations are doing something similar, well then we can always say: The country is big enough for us both and the problem of trafficking is so big we cannot solute it.«735

Vor dem Hintergrund der meist unzureichenden demokratischen bzw. politischen Legitimation, Transparenz sowie der ungeklärten »Accountability« (demokratische Verantwortlichkeit; Kapitel 5.5.2) und der berechtigten Zweifel, ob die Steuerungsaktivitäten von spezialisierten IRO in den vergangenen Jahren tatsächlich eine positive Wirkung (beispielsweise Reduzierung illegaler Migration; Kapitel 5.5.1) zeigten, sind Argumentationen wie die des OSCE-Vertreters in der Ukraine äußerst fragwürdig. In allen drei Untersuchungsländern stieß zum Zeitpunkt der Befragungen (2006 und 2007) das allzu selbstbewusste Auftreten der internationalen Geld733 Vgl. Interview OSCE (Bosnien-Herzegowina), Sommer 2006, I_29_BH. 734 Interview ICMPD (Albanien), Frühjahr 2006, I_01_AL. 735 Zitat mit eigenen Hervorhebungen: OSCE (Ukraine), Herbst 2006, I_53_UA.

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und Auftraggeber und ihrer ausländischen bzw. internationalen Implementationsakteure deshalb auf mehr oder weniger unverhohlene Kritik seitens des Staates und zivilgesellschaftlicher Gruppen/NRO, wie beispielsweise auch in einem Interview mit der Direktorin von »Lara« (Bosnien-Herzegowina) deutlich wurde: »Honestly, I tell you, I have my doubts – I have big doubts! – if this is really appropriate. The big international organizations here are dominating everything while the government is doing nothing or even less and less. That is the true reality. Of course we need them (international organizations such as IOM), otherwise nothing would work here. But, it does not seem appropriate to me, that we as civil society organizations have to do the bulk of work while others [international organizations such as IOM] take the big money and organize conferences. It is hard to establish ‘national ownership’ as you call it. We are the ‘national actors’, local civil society organizations, it is not IOM! National ownership has to start with us, plus the government of course, the government in Sarajevo and on the level of the entities and the local level. We are still far from that, but blocking our work and all this little money, that won’t work!«736

Folgendes Zitat des Leiters der IOM in Albanien zeigt am Beispiel der »Migrationsstrategie« das enge, wechselseitige und geradezu »klientelistische« Verhältnis zwischen der IOM und der Europäischen Kommission (respektive deren lokaler Delegation in Albanien). Das Zitat kann außerdem als Beleg für die hohe Autonomie und das überaus große Selbstverständnis der IOM dienen – einer internationalen Regierungsorganisation, die die Entwicklung von Politikansätzen für einen kompletten Politikbereich und ein ganzes Land übernimmt: »Some of our priorities became acknowledged during the talks with the [European] Commission and so on, then this link between our project and the SAP talks occurred. Then, soon afterwards, while we were already preparing a proposal for the strategy, the [European] Commission [through its local delegation here in Albania] now on its own stated that a proper holistic approach to migration is necessary, here in Albania, and started to propose this idea – that was already our idea before – to the Albanian Government. We thought then that the time has come and showed our strategy proposal to the [European] Commission, then afterwards to the Government – of course, as well, to the Government of Albania – the strategy proposal. In the next months and years, of course, I agree, IOM will have to do most of the work here. The capacities still do not exist for implementation, so we have to continue to work and support the government, we can help in facilitating the process.«737

Wüsste man nicht, dass IOM eine internationale Regierungsorganisation ist, so könnte man beim Lesen dieser Äußerung und den beiden folgenden IOM-Verlautbarungen meinen, bei der IOM handele es sich um eine Agentur der EU, die gleichzeitig ein »Hilfsministerium« der albanischen Regierung ist. IOM versuchte sich, wie die folgenden Zitate von der Homepage der IOM in Albanien und eines hochrangigen IOM-Vertreters belegen, im Kontext der albanischen 736 Zitat mit eigenen Hervorhebungen: NRO »Lara« (Bosnien-Herzegowina), Sommer 2006, I_41_BH. 737 Zitat mit eigenen Hervorhebungen, Interview IOM (Albanien), Frühjahr 2006, I_02_AL.

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Migrationsstrategie sowohl als »Quasi-EU-Akteur« wie auch als quasi-gouvernementaler Akteur gegenüber Öffentlichkeit, EU und Regierung zu empfehlen: »The National Strategy for Migration and its Action Plan is one of the strategic tools produced by IOM in collaboration with [the] Albanian Government and with the financial assistance of the EU, in order to provide efficient and long-term tools to manage migration.«738 »IOM is the technical support unit of the Albanian Government that is responsible for the elaboration of the National Strategy on Migration with the financial support of the European Community […] This strategy is a unique experience of collaboration between a government and an international organization like IOM. The method used to elaborate it, is innovative […] I can for my part assure the full support of IOM.«739

Die IOM brachte sich bei ihrem Projekt einer Migrationsstrategie für Albanien selbstbewusst in die durchaus konfliktreiche migrationsbezogene Partnerschaft zwischen der EU und Albanien ein und gab dabei vor, sowohl auf der einen Seite (EU) als auch auf der anderen Seite (Albanien) zu stehen bzw. für beide Seiten Position zu ergreifen. Wie der Leiter der IOM in Albanien während des mit ihm geführten Interviews 2006 mehrfach unterstrich, wollte die IOM mit ihrer Strategie für Albanien dem wegen illegaler Migration so stark stigmatisierten Land »helfen«, eine Lösung zu finden (Kapitel 5.3.7): »The principle aim of our strategy was, well… We thought that we could and should help Albania to come out of this shallows, out of this position of a problematic case, an underdog, let’s say. Albania at the end of the 1990s was left completely alone by the international community, with all its problems. Albania simply does not deserve that and we knew we could do something for them. The aim now is to bring Albania closer to the EU with the help of this strategy and to help Albania and Albanians to benefit from migration. The Stabilisation and Association Process of the EU was the context, now we try to help Albania to achieve the goals of the SAP.«740

Mit ihrem Projekt einer Migrationsstrategie für Albanien hat die IOM damit begonnen, gewissermaßen »pro-aktiv«, vorausschauend und vorausgreifend die künftigen Schritte und Phasen albanischer Migrationspolitik zu entwerfen. Erneut in der vorgegebenen Funktion eines quasi-gouvernementalen Akteurs wolle sich die IOM, so der Leiter der IOM in Albanien, in den kommenden Jahren dafür stark machen, die notwendigen Finanzierungshilfen für die Umsetzung der »nationalen« Migrationsstrategie von verschiedenen Geldgebern einzutreiben:

738 Website IOM-Tirana, Informationen zur Migrationsstrategie, http://www.iomtirana.org.al (22.06.2009). 739 Zitate mit eigenen Hervorhebungen, entnommen aus der Begrüßungsrede an die Teilnehmer des IOM-Workshops zur Präsentation der albanischen Migrationsstrategie (als Redner der Direktor der IOM-Vertretung mit Regionalfunktion für den Mittelmeerraum, einschließlich Albanien): P_114 (19 und 21). 740 Zitat mit eigenen Hervorhebungen, Interview IOM (Albanien), Frühjahr 2006, I_02_AL.

251 12:12:21.

»The strategy was, after being finalised by us, approved by the government and thus became a national reference document. And now we said that we will help to find the finances, the programme to support the next five years ahead at least, to keep political momentum on the document, we go around, to Greece, to the European Commission, the Parliament, other EU member states [...].«741

Während die albanische Regierung sicher Gefallen daran findet, dass eine so große spezialisierte IRO für die migrationspolitischen Belange und den Finanzierungsbedarf Albaniens eintritt, könnte man das folgende Zitat allerdings auch dahingehend interpretieren, dass die IOM und mit ihr andere spezialisierte IRO (Beispiel UNHCR) die Regierung Albaniens erfolgreich zur Abhängigkeit »erzogen« haben. Eine Vertreterin der albanischen Regierung gab sich unschlüssig darüber, wie Albanien selbst die Verpflichtungen des SAP und die migrationspolitischen Forderungen der EU erfüllen könne, wenn keine Unterstützung durch die IOM oder das UNHCR geboten würde. »We try to fulfil with our migration policy and activities the Stabilisation and Association Process, but of course our capacities are weak, we need the support of international organizations such as IOM or UNHCR in migration and all related matters, including asylum matters.«742

Albanien, aber auch die beiden anderen Untersuchungsländer Bosnien-Herzegowina und die Ukraine sind nach mehreren Jahren des fortgesetzten Engagements der EU und anderer internationaler Geldgeber sowie der praktisch-operativen Steuerungseingriffe von IRO somit migrationspolitisch weitgehend unselbstständig geblieben. Wie in Albanien stellte sich zum Zeitpunkt der empirischen Untersuchungen (2006 und 2007) auch in Bosnien-Herzegowina und der Ukraine nach Ansicht der befragten IRO- und EU-Vertreter die Frage, wie die Regierungs- und Verwaltungsstellen der Implementationsländer in ihren Fähigkeiten unterstützt, zunächst aber auch zur Übernahme von mehr nationaler/staatlicher Eigenverantwortung (National Ownership, Kapitel 3.2.3 und 5.2.3) »motiviert« und gebracht werden könnten. 2006 unternahm das ICMPD in ihrem Bericht zur Evaluation der ukrainischen Migrationspolitik den Versuch, die ukrainische Regierung zu mehr Eigenverantwortung dadurch aufzurufen, indem sie ihr das eigene, nationale Eigeninteresse an einer wirksamen Steuerung von Migration zu verdeutlichen versuchte. Bald sei die Ukraine selbst auf Immigranten angewiesen (demographischer Wandel), deshalb könne es nicht schaden, die ukrainische Regierung ergreife nun die Initiative und beteilige sich an einer »besseren« (wirksameren) Steuerung von Migration.

741 Zitat mit eigenen Hervorhebungen, Interview IOM (Albanien), Frühjahr 2006, I_02_AL. 742 Interview mit der Direktorin des Direktorats für Migration, Ministerium für Arbeit und Soziales, Sommer 2006, I_10_AL.

252 12:12:21.

»Ukraine has a self-interest in a better handling of migration, should the country, for reasons such as the declining population in recent years, become in need of certain categories of immigrants.«743

Einige der befragten Regierungsvertreter, die sich in diesem Zusammenhang sehr wohl der ihnen zur Verfügung stehenden beschränkten Finanzmittel und der großen Steuerungsherausforderungen bewusst waren, reagierten auf die Frage nach mehr Eigenverantwortung allerdings mit der Aussage, das Problem von zu wenig »National Ownership« sei zu einem wesentlichen Teil die Schuld der internationalen Geber, der EU und der internationalen (Nicht-)Regierungsorganisationen: »The problem is: We are the state authorities responsible for migration policy. So all these actions of international organizations should take place in a proper framework, regardless if they are NGOs or organizations like IOM. We cooperate with the EU quite closely, but then we find out often – too often – that EU is financing activities we actually don’t know about. And they even do not ask us. The NGOs that are included in the projects of international organizations and the EU have to have a proper licence, have to pay taxes, and they should be selected and controlled by us, not by the EU or any other non-Ukrainian institution!«744

Der Vorwurf, der in dieser Äußerung eines Vertreters des ukrainischen Staatskomitees für Migration und Nationalitätenangelegenheiten deutlich wurde, lautete dahingehend, dass die EU und die internationalen Organisationen (Beispiel IOM) sich in den vergangenen Jahren häufig allzu leichtfertigt »über die Köpfe« der an erster Stelle zuständigen und deshalb unbedingt zu konsultierenden Regierungsbehörden hinweggesetzt hätten. Der befragte ukrainische Regierungsvertreter machte in diesem Zusammenhang auch seinem Ärger darüber Luft, dass die meisten ukrainischen NRO, die mit der EU und anderen »ausländischen« (nichtukrainischen) Akteuren kooperieren würden, nicht ausreichend von der ukrainischen Regierung überwacht werden könnten und auch nicht durch die ukrainischen Behörden für die entsprechenden Aufgaben ausgewählt worden wären. In Bosnien-Herzegowina äußerte sich in gleicher Weise ein Vertreter des Ministeriums für Sicherheit: »NGOs became a permanent part of this country’s development, a process that cannot be stopped by us, unfortunately! All NGOs, in my view, should pay respect to the government of Bosnia Herzegovina and its rules. NGOs must to their work, they have to do their things properly. But only when there is enough funding for them, they should receive donations from time to time – yes. But! Some of the money that went to them over the last years should have been provided to our government, to other governments in the regions.

743 Mit eigenen Hervorhebungen: P_087 (12). 744 Interview mit dem ukrainischen Staatskomitee für Migration und Nationalitätenangelegenheiten, Herbst, 2006, I_59_UA.

253 12:12:21.

We, as government, should then have been asked what NGOs should do what and where and why.«745

Der Vorwurf, dass sich IOM und andere IRO wissentlich »unentbehrlich« gemacht hätten und nun von der erzeugten Abhängigkeit profitieren und bisher wenig tun, um eine stärkere Beteiligung staatlicher Stellen zu befördern, ist durchaus berechtigt: »It is more a strategic work, to have this strategy document now [...] Albania is a perfect case for such an endeavour, it is a little land, you can really do experiments, it is an open society, open to persuasion, relatively confined and it is a safe environment. You have a very good access here, you have sufficient support, there is great interest on side of the [European] Commission.«746

Ganz offen sprach der Leiter der IOM in Albanien davon, dass das »kleine« Albanien für die IOM (lediglich) ein »Labor« für die Ausarbeitung und Erprobung neuer migrationspolitischer Ansätze darstelle. Wie man der IOM nachsagen könnte, hat sie vor allem deshalb die albanische Migrationsstrategie vorgefertigt, um mit Hilfe der Finanzierungszusagen und dem »großen Interesse der Europäischen Kommission« in Albanien zu »experimentieren« und damit die eigene Projektarbeit fortzuschreiben. In diesem Zusammenhang wies der Leiter der IOM in dem mit ihm geführten Interview bereits darauf hin, die Migrationsstrategie könne von IOM in den kommenden Jahren ja als »Best Practice« auch in andere Länder exportiert und auf diese übertragen werden (Kapitel 5.3.7). Albanien bildete in diesem Sinne nur den »Anlass«, eine für die IOM selbst »strategisch« bedeutsame Arbeit in einem vergleichsweise kleinen und offenen Land beginnen und »erproben« zu können, bevor man sie, eventuell erneut mit der finanziellen Unterstützung der EU, auch in anderen Ländern implementiert.

5.5.6 Migranten als Opfer eines Teufelskreislaufs der Restriktion Der Überblick über die von der Europäischen Kommission geleisteten Zuwendungen (Tabelle 14, Kapitel 5.4.1) zeigt, dass die EU und die von ihr beauftragten IRO (insbesondere die IOM) während der letzten Jahre den Ausbau des Grenzschutzes im »Kampf« gegen illegale (Transit-)Migration äußerst wichtig genommen haben. Die Effekte intensivierter Grenzschutzmaßnahmen lassen sich vor allem entlang der Westgrenze der Ukraine studieren: Die Grenze mit den Nachbarländern Polen, Slowakei, Ungarn, Rumänien und der Republik Moldau wurde in den vergangenen Jahren mit der Hilfe der Unterstützung durch speziali745 Interview mit dem Ministerium für Sicherheit (Bosnien-Herzegowina), Leiter der Abteilung für Immigration, Sommer 2006, I_39_BH. 746 Zitat mit eigenen Hervorhebungen, Interview IOM (Albanien), Frühjahr 2006, I_02_AL.

254 12:12:21.

sierte IRO (beispielsweise IOM) immer besser kontrolliert. Wichtig zu wissen ist, dass im Zuge der verstärkten Grenzschutzmaßnahmen und aufgehobenen Visaerleichterungen (Beispiel: Visazwang für Ukrainer durch das neue EU-Mitgliedsland Polen, 2004) allerdings auch zusätzlich illegale Migration »erzeugt« wurde; eben dadurch, dass die traditionell bestehenden Migrationsrouten durchschnitten und neue bzw. zusätzliche Migrationshindernisse (Grenzschutzmaßnahmen und Visaerfordernisse) eingeführt wurden.747 Trotz ausgebauter Grenzschutzmaßnahmen fanden viele Zuwanderungswillige weiterhin einen Weg und gelangten, teilweise nach wiederholten Versuchen, schließlich doch über die relativ unwegsame Grenze (Beispiel westukrainische Grenzregion Zakarpattia) in die Slowakei, nach Ungarn und die anderen westlichen Nachbarländer der Ukraine. Immer häufiger waren die Migranten dazu allerdings auf die Hilfe von Menschenschmugglern und -händlern angewiesen. Den Berichten internationaler Menschenrechtsorganisationen wie »Human Rights Watch« (HRW)748 und Aussagen ukrainischer wie internationaler Nichtregierungsorganisationen zufolge, setzte der Ausbau des Grenzschutzes, an dem seit den 1990er Jahren sowohl die Europäische Kommission (finanzielle Unterstützungsangebote) als auch spezialisierte internationale Regierungsorganisationen wie ICMPD und IOM aktiv beteiligt waren (Kapitel 5.3.4), einen für Migranten und Asylsuchende verhängnisvollen »Teufelskreis der Restriktion«749 in Gang. Die negativen Folgen dieses Teufelskreises bzw. des einseitigen Vorgehens gegen illegale Migration, das nicht zu einem Rückgang der illegalen Migration geführt hat, sondern neue illegale Migration erzeugt hat, trugen die aufgegriffenen, inhaftierten und schließlich abgeschobenen oder zu einem ungewissen Leben in Illegalität gezwungenen Migranten. 2006 und 2007 wurden die entlang der westlichen Grenze der Ukraine mit der EU aufgegriffenen illegalen Migranten unter äußerst bedenklichen sanitären und humanitären Bedingungen in provisorisch eingerichteten Aufnahmelagern festgesetzt. Diese Lager waren nach Berichten der Caritas und des ukrainischen Roten Kreuzes750 regelmäßig überfüllt, so warteten manchmal 500 statt der 200 »geplanten« Migranten auf die Klärung ihres weiteren Verbleibs, auf ihre Abschiebung oder die Bearbeitung der 747 Auf diesen direkten Zusammenhang zwischen neuen und verstärkten Mobilitäts- und Migrationshindernissen und der dadurch zusätzlich verursachten illegalen Migration wiesen unter anderem die Vertreter des »Centre for Economic and Social Studies« (CESS, Albanien) und des »International Centre for Policy Studies« (ICPS, Ukraine) hin. Vgl. Interviews AIIS (Albanien) und ICPS (Ukraine): I_21_AL und I_69_UA. 748 Vgl. Human Rights Watch (2005). 749 Aussage aus dem Interview mit einem Vertreter der NRO »NEEKA« (Ukraine), Sommer 2006, I_62_UA. 750 Vgl. Interviews in der Ukraine mit der Caritas I_66_UA und dem Roten Kreuz, I_61_UA.

255 12:12:21.

oft kurz vor oder nach der Inhaftierung noch hastig gestellten Asylanträge. Während das UNHCR überhaupt kein Zutrittsrecht besaß, hatten die ukrainische NRO »NEEKA«, die ukrainische Caritas und das ukrainische Rote Kreuz lediglich ein höchst unzureichendes Zugangsrecht zu den Inhaftierten: Die von den ukrainischen Behörden eingeräumten »Besuchszeiten« bei den Migranten waren, wie die Vertreter dieser Organisationen berichteten, meistens viel zu kurz, um den Inhaftierten, zum Beispiel beim Ausfüllen eines Asylantrags, helfen zu können.751Auch entlang der Ostgrenze der Ukraine zur Russischen Föderation und an der Grenze zu Weißrussland griffen 2006 und 2007 die ukrainischen Grenzschutztruppen regelmäßig illegale Migranten auf. Die aus Baracken bestehenden Aufnahmelager befanden sich nach Berichten der Caritas und »NEKKA« in einem noch miserableren Zustand als entlang der ukrainischen Westgrenze. Waren die »Verschläge« der Grenzpolizeistationen voll, so wurden die Inhaftierten nach Kiew oder in die Aufnahmelager entlang der Westgrenze der Ukraine ausgeflogen. Angesichts dieser äußerst bedenklichen Zustände begrüßten viele Vertreter lokaler und internationaler NRO sowie internationaler Regierungsorganisationen zum Zeitpunkt ihrer Befragung (2006/2007) das Vorhaben der Europäischen Kommission, vor der Außengrenze der EU, so auch in der Ukraine, »regionale Schutzprogramme« (Kapitel 3.2.3) in Auftrag zu geben und zu finanzieren. Mehrfach wurde argumentiert, dass es schließlich die EU und ihre Nachbarstaaten gewesen wären, die durch ihr gestiegenes Interesse an Grenzschutz und restriktiven Visabestimmungen die Situation verschärft hätten, daher dürfte die ukrainische Regierung und Gesellschaft nun auch nicht mit dem Problem einer wachsenden Anzahl inhaftierter illegaler Migranten und illegal in der Ukraine gestrandeter Transitmigranten alleine gelassen werden. Auch in Albanien und Bosnien-Herzegowina befürchteten 2006 und 2007 das AIIS, die NRO »Albanian Human Rights Group« (AHRG) und das Helsinki Komitee (Bosnien-Herzegowina) eine Verschärfung der Situation illegaler Migranten als Konsequenz aus den ungebrochenen Bemühungen um eine »Eindämmung« und »Zurückdrängung« illegaler Wanderungsbewegungen mit Hilfe von Grenzschutzmaßnahmen.752 2006 und 2007 wurden die in den beiden Ländern aufgegriffenen illegalen Migranten ebenfalls in äußerst unzureichend ausgestatteten Aufnahmelagern inhaftiert. Wie die lokalen NRO AHRG (Albanien)

751 Vgl. Interviews mit der NRO »NEEKA« (I_62_UA), der Caritas (I_66_UA) und dem ukrainischen Roten Kreuz (I_61_UA). 752 Vgl. Interviews AIIS (Albanien), AHRG (Albanien) und dem »Helsinki Komitee« (Bosnien-Herzegowina): I_21_AL, I_12_AL und I_42_BH.

256 12:12:21.

und »Vaša Prava« (Bosnien-Herzegowina) berichteten753, habe sich die Lage der inhaftierten Migranten in den letzten Jahren zusehends verschlechtert, obwohl auch in Albanien und Bosnien-Herzegowina mit Hilfe von EU-Geldern und der Beratung durch die IOM und das ICMPD versucht worden sei, neue und besser ausgestattete Aufnahmezentren zu errichten. 2006 und 2007 kam es allerdings immer noch vor, dass Asylantragsteller und Opfer von Menschenhändlern, illegale Grenzübertreter, Menschenschmuggler und Menschenhändler (damit Opfer und Täter gemeinsam!) behelfsmäßig im gleichen Gebäude oder sogar im selben Raum untergebracht wurden; teilweise wurden minderjährige Migranten nicht von erwachsenen Inhaftierten getrennt, Frauen und Mädchen sogar zusammen mit Männern untergebracht. Angesichts des Umstandes, dass bezüglich der Wirksamkeit und auch der Angemessenheit der Steuerungseingriffe spezialisierter IRO, sowohl was die Unterstützung des Grenzschutzes, Projekte der »informierten« Migration und des »Anti-Traffickings« oder auch die Durchführung »freiwilliger« Rückkehrmaßnahmen anbelangt, in den vergangenen Jahren ernste und berechtigte Zweifel anzumelden waren (Kapitel 5.5.2), sieht es ganz danach aus, dass das eigentliche migrationspolitische Ziel der EU – die Verhinderung und Unterbindung illegaler Wanderungsbewegungen in Richtung der EU – durch all diese Maßnahmen nicht erreicht wurde. Dabei blieben neben den Migraten auch die Untersuchungsländer und deren Gesamtbevölkerung in den vergangenen Jahren in einem Zirkel einer kontinuierlichen Re-Stigmatisierung, und in der Folge damit auch in einem Zirkel fortgesetzter restriktiver Steuerungseingriffe gefangen: Die Bevölkerung und das Implementationsland blieben in den Augen der EU und der spezialisierten IRO weiterhin »gefährlich« bzw. wurden sogar gezielt in dieser Weise dargestellt und rekonnotiert. Damit ließen sich Argumente am Leben erhalten, die bisherigen restriktiven ausgerichteten Maßnahmen beizubehalten (Visaerfordernisse, Grenzschutzmaßnahmen etc.) oder durch bestimmte Akteure (beispielsweise IOM) sogar noch verstärken zu lassen.

753 Interviews AHRG (Albanien; I_12_AL) und »Vaša Prava« (Bosnien-Herzegowina; I_40_BH).

257 12:12:21.

5.5.7 Steuerungsaktivitäten im Kontext europäischer Raumproduktion Bei der Verfolgung der drei Erkenntnisinteressen E4-E6754 wurde auch das übergeordnete Forschungsinteresse nach der möglichen Relevanz und Funktion der Kategorie Raum im Rahmen der Wahrnehmungsweisen zu Migration, der Konzeption von Steuerungsansätzen und der Umsetzung von Steuerungsaktivitäten berücksichtigt. Wie festgestellt werden kann, dient die Kategorie Raum in den Primärdokumenten der vier untersuchten IRO und in den mit Vertretern dieser Organisationen geführten Experteninterviews ebenfalls (wie im Fall der untersuchten EU-Dokumente, Kapitel 4.2.1), als Beobachtungs- und Argumentationskonzept. So werden durch raumbezogene Verweise beispielsweise bei der »Beobachtung« (Wahrnehmung) von Wanderungsbewegungen auch durch die untersuchten internationalen Regierungsorganisationen bestimmte Raumeinheiten (etwa Südosteuropa) als »Verursacherregionen« für die »Produktion« illegaler Migration besonders hervorgehoben: »As regards illegal migration as such, it could be noted that no other sub-region of Europe [South Eastern Europe] is producing so many illegal migrants and that the propensity for voluminous irregular movements will remain over decades.«755

Auch in anderen Verlautbarungen des ICMPDs wird die Region Südosteuropa bzw. der Balkan als bedeutsame Herkunfts- und Transitregion betont: So war beispielsweise in einem Bericht aus dem Jahr 2000 von einer »[...] Revitalisierung der klassischen Balkanroute [...]« die Rede; die Aufmerksamkeit wurde dabei nicht lediglich auf Südosteuropa oder den Balkan gelenkt, sondern es wurde von einer bereits historisch »etablierten« Migrations- bzw. Schmuggelroute über den Balkan und durch Bosnien-Herzegowina hindurch (siehe Verweis auf Abkommen von Dayton) gesprochen. Daran schloss sich die Begründung an, warum man vorrangig Südosteuropa »angehen müsse«, um der illegalen (bzw. irregulären) Migration entgegenzuwirken. »[...] revitalization of the classical ’Balkan route’ for the smuggling and trafficking of migrants after the conclusion of the Dayton-agreements [...].«756 »There are several reasons why South-East Europe now has to be dealt with as a priority in terms of counteracting irregular migration. In fact, no other sub-region of Europe has been affected by such massive migration flows in recent times and it is also an area through which hundreds of thousands of migrants from countries outside the European region have been trafficked over the last years.«757

754 E4: Wahrnehmung der Untersuchungsländer und ihrer Wanderungssituation durch spezialisierte IRO; E5: Welche Steuerungsansätze schlagen spezialisierte IRO vor?; E6: Steuerungseingriffe spezialisierter IRO und ihre Folgen, vgl. Kapitel 2.3.2. 755 P_115 (5) mit eigenen Hervorhebungen. 756 P_116 (3) mit eigenen Hervorhebungen. 757 P_116 (30) mit eigenen Hervorhebungen.

258 12:12:21.

Vergleicht man diese Zitate aus den Jahren 1999 und 2000 mit Äußerungen, die aus neuerer Zeit stammen – siehe Tabelle 17 (folgende Seite) mit Textpassagen aus Primärdokumenten und Experteninterviews – so wird deutlich, dass sich die raumbezogenen Wahrnehmungsweisen zur Region Südosteuropa (vermeintlich eine »Verursacherregion« illegaler Migration) durch eine hohe zeitliche Persistenz auszeichnen. Gleiches gilt für Äußerungen im Hinblick auf die »CIS-Region« (GUS-Staaten). Auch die Textbelege der IOM und der OSCE belegen, dass sich mittlerweile eine typische Verortungsweise bezüglich des »Problems« Migration ergeben und verfestigt hat. Der Balkan bzw. Südosteuropa (inklusive Albanien und Bosnien-Herzegowina) und die »Region der Gemeinschaft Unabhängiger Staaten« (alle Nachfolgestaaten der UdSSR, inklusive der Ukraine) stellen Raumeinheiten dar, aus denen nach Ansicht des ICMPDs und der anderen drei untersuchten IRO die »Gefahr« der (illegalen) Migration für die EU-Staaten und andere Länder vermeintlich droht. Auch wenn sich mittlerweile nach Ansicht einiger IRO-Vertreter einige Veränderungen (Rückgang der illegalen Migration/Transitmigration) in den Untersuchungsländern ergeben haben (Kapitel 5.2.2), werden die Länder »der Region« durch ihre Zugehörigkeit zu den problematisierten Raumeinheiten Südosteuropa oder »CIS-Region« weiterhin pauschal als »Verursacher« illegaler Migration betrachtet, bleiben sie negativ konnotiert bzw. stigmatisiert. Anhand der in Tabelle 10 (Kapitel 4.2.1) zusammengefassten Text- und Interviewpassagen, den zuvor zitierten Belegen und den noch folgenden Textpassagen wird deutlich, dass räumliche Verweise und raumbezogene Semantiken, wie im Fall der untersuchten EU-Dokumente, auch durch die untersuchten IRO zum Zwecke der (a) Konkretisierung (Migration wird als raumgebundenes Phänomen konstruiert und veranschaulicht, dem Leser wird dadurch Übersichtlichkeit und Konkretheit vermittelt), (b) Lokalisierung (migrationsauslösende Faktoren werden als »Raumfaktoren« in bestimmten Raumeinheiten verortet), (c) Visibilisierung (die Aufmerksamkeit wird auf bestimmte Raumelemente gelenkt, die dadurch sichtbar bzw. visibler werden) sowie der (d) Reduktion von Komplexität (gezieltes Ausblenden von Widersprüchen, multiplen Wahrnehmungs- und Deutungsmöglichkeiten) eingesetzt werden. In den ausgewerteten Primärdokumente finden sich darüber hinaus äußerst interessante (und zudem teilweise recht erstaunliche) raumbezogene »Erklärungen«, warum es angeblich genau dort (und logischerweise nur dort) – in den bezeichneten Raumeinheiten – zur Entstehung von unerwünschten/illegalen Wanderungsbewegungen in Richtung der EU-Mitgliedsländer kommt.

259 12:12:21.

Tabelle 17: Beispiele für die Persistenz raumbezogener Wahrnehmungen in Bezug auf Migration (IRO) Zitate aus Primärdokumenten

Zitate aus Experteninterviews

Beispiele zur Wahrnehmung der Wanderungssituation in Südosteuropa bzw. der CIS-Region „The cruel presence of human „Trafficking still is, I would say, Organization for trafficking in and through South one of the biggest worries here in Security and Eastern Europe [...] is a story that the Balkans, in South Eastern Co-Operation in Europe (OSCE) generally is well known. South East Europe. [...] the region still is one Europe remains one of the central of the most important areas where regional hubs of global human people are trafficked.“2 1 trafficking.“ (OSCE, 2004) (OSCE, 2007) International Centre for Migration Policy Development (ICMPD)

„As a general observation, it has emerged that the [CIS] region is strongly affected by irregular migration both in terms of interand intra-regional movements and that a significant part of it is organized by the operations of smugglers [...].“3 (ICMPD, 2005)

„The big worries at the moment have more to do with Ukraine [...], migration, including illegal flows from and through these countries, trafficking and so on [...] I think it is urgent to act there [...] in the whole CIS region.“4 (ICMPD, 2007)

Zitate aus Primärdokumenten

Zitate aus Experteninterviews

Beispiele zur Wahrnehmung der Wanderungssituation in Albanien / Bosnien-Herzegowina Organization for Security and Co-Operation in Europe (OSCE)

International Organization for Migration (IOM)

1 2 3 4 5 6 7 8

„[Trafficking] is still a big issue, although the figures for the trafficking in human beings [...] have probably been reduced a little bit [...].“5 (OSCE, 2003)

„Albania [...] is still a country at risk, the wishes to emigrate are still strong, we could even face up with a new mass emigration, so also a new increase of international trafficking concerning Albanian victims could happen.“6 (OSCE, 2007)

„Bosnia Herzegovina [BiH] is considered a major transit point for illegal migration.“7 (IOM, 2004)

„[…] The country is [still] used for transit migration and trafficking. The borders are not sealed, there is still room for maneouvre for smugglers, traffickers, illegals on transit [...]“8 (IOM, 2007)

P_117 (1) mit eigenen Hervorhebungen. Interview OSCE, Frühjahr 2007, I_30_BH mit eigenen Hervorhebungen. P_116 (13) mit eigenen Hervorhebungen. Interview ICMPD, Frühjahr 2007, I_74_W mit eigenen Hervorhebungen. P_118 mit eigenen Hervorhebungen. Interview OSCE, Frühjahr 2007, I_03_AL mit eigenen Hervorhebungen. P_119 (45) mit eigenen Hervorhebungen. Interview IOM, Frühjahr 2007, I_27_BH mit eigenen Hervorhebungen.

Quelle: Eigene Zusammenstellung auf der Grundlage von Primärdokumenten und Experteninterviews. 260 12:12:21.

So findet sich in einem Artikel des früheren ICMPD-Direktors WIDGREN beispielsweise die Behauptung, dass die Bevölkerungsbewegungen »auf dem Balkan«, einschließlich der in den 1990er Jahren stattgefundenen Fluchtbewegungen und Vertreibungen, dadurch ausgelöst worden seien, weil der Balkan sehr dicht bevölkert sei und ein hohes Bevölkerungswachstum verzeichnet habe. Als »sehr hoch« galt zur Entstehungszeit des Artikels (1999) für WIDGREN eine Bevölkerungsdichte von 100 Einwohnern pro km2, die zugegeben weitaus höher war als die ihm vertraute Bevölkerungsdichte Schwedens von knapp 20 Einwohnern pro km2. Würde man seine Argumentation aber auf die bestehenden Siedlungsverhältnisse in Mittel- und Westeuropa übertragen, so müssten hier bei meist weitaus höheren Bevölkerungsdichten noch viel umfangreichere Bevölkerungsbewegungen registriert werden – die von WIDGREN angebotene raumbezogene und demographische Erklärung ist höchst unplausibel. »The population displacements on the Balkans of today are to a large extent related to the fact that the region is densely populated [...] Today, there are some 75 million people living on the peninsula, with a very high average population density. Demographic growth has been considerable over the last hundred years, and during the last ten years it has been slightly over the West European average [...] Thus, one of the major factors influencing movements is the population density in the region.«758

Eine weitere, ebenfalls wieder unmittelbar auf Raum, und auch wieder räumliche Dichteverhältnisse/räumliche Beengtheit bezogene »Erklärung« für die Entstehung unerwünschter und illegaler Wanderungsbewegungen, bot der damalige Direktor des ICMPDs im gleichen Dokument mit folgender Äußerung an: »The Balkans constitute, by definition, a unique patchwork of peoples, religions and languages. No borders of any Balkan nation can ever take these habitation patterns into account [...].«759

Der Balkan war nach Meinung WIDGRENs demnach geradezu »auserkoren«, ein »Gefahrenraum« für die EU zu werden, aus dem illegale bzw. unerwünschte und unkontrollierte Wanderungsbewegungen drohen, weil das »complicated ethnic habitation pattern« nach Ansicht von WIDGREN eben einfach keine zeitlich und räumlich persistenten Grenzen erlaube. In einem 2004 erschienenen Bericht des »IOM Counter-Trafficking Service« für Südosteuropa findet sich eine ähnliche raumbezogene Erklärungsweise: Zu illegalen bzw. unerwünschten Wanderungsbewegungen (bzw. zum Problem des grenzüberschreitenden Menschenhandels) und zur Herausbildung bestimmter »Hauptrouten« aus und durch Albanien kam es seit dem Beginn der 1990er Jahre angeblich deshalb, weil Albanien in den 1990er Jahren neben einer »verarmten Bevölkerung« nicht zuletzt auch eine »strategische Raumlage« besessen habe. 758 P_115 (2) mit eigenen Hervorhebungen. 759 P_115 (2) mit eigenen Hervorhebungen.

261 12:12:21.

»For many years Albania has been a major route for the illegal transit of migrants as well as for trafficking in humans, drugs and weapons by sea. Albania’s strategic geographical location and impoverished population have made it a target for traffickers since the fall of the communist regime in the beginning of the 1990s.«760

– beide Faktoren bestehen allerdings sicherlich auch noch heute. Zu illegalen und unerwünschten Wanderungsbewegungen kommt es nach Ansicht der vier IRO gerade deshalb, weil dort (und eben angeblich nur dort) – in den Untersuchungsländern bzw. im »Balkan« oder in der Region der UdSSR-Nachfolgestaaten – bestimmte migrationsauslösende Faktoren (Armut, fehlende Gleichberechtigung der Geschlechter, Verbrechen, Korruption, die Folgen des Bürgerkriegs in Jugoslawien etc.) verortet sind: »Trafficking of Albanian women and children is the result of chronic economic conditions together with traditional gender imbalance and inequalities.«761 »Albania, the poorest country in Europe, has bad security conditions and widespread crime and corruption – factors that contribute and facilitate unauthorized migration from the country.«762

In einigen Fällen sind mit diesen Aussagen direkte Schuldzuweisungen an die Adresse der Regierungen der betreffenden Länder oder Regionen verbunden. So ist in einem der untersuchten Primärdokumente beispielsweise von einer »negativen Rolle« der Region Südosteuropa die Rede, die darin bestehe, dass diese Region eine beträchtliche Anzahl illegaler Wanderungsbewegungen »generiere« und außerdem umfangreiche Transitwanderungen toleriere bzw. »erlaube«: »In the working paper which had been prepared for the meeting by the Secretariat [ICMPD], the prominent negative role of the South East European region, in terms of generating considerable irregular movements, and also by allowing for significant illegal transit flows from various Asian and African countries, was highlighted.«763

Weil Länder wie Bosnien-Herzegowina nach Ansicht des ICMPDs nicht fähig sind, ihre eigenen Grenzen angemessen zu überwachen und dadurch bestimmte »Grenzschwächen« begünstigt würden, ergeben sich nach Ansicht der internationalen Regierungsorganisation »Sicherheitsrisiken« für das Land; es bilden sich »Handelsrouten« heraus, die Kriminelle nützen, um Menschen gegen ihren Willen nach Bosnien-Herzegowina oder durch Bosnien-Herzegowina hindurch in andere Länder zu verschleppen: »Bosnia and Herzegovina [...] suffers from border weaknesses which create security issues for the country, and foster a criminal network which can affect BiH citizens on many levels. Border weaknesses produce trade routes from which drugs, small arms and light weapons, and possibly fissile material can be smuggled into BiH or be transferred 760 761 762 763

P_119 (16) mit eigenen Hervorhebungen. P_119 (21) mit eigenen Hervorhebungen. Zitat mit eigenen Hervorhebungen: P_120 (176). P_116 (4) mit eigenen Hervorhebungen.

262 12:12:21.

through BiH's borders to other states. These same trade routes can also be used to traffic human beings from countries such as Serbia and Montenegro, Moldova, Ukraine and many others for sexual exploitation [...].«764

Im Vergleich erweisen sich diese Äußerungen und die in Tabelle 13 zusammengefassten Text- und Interviewbelege mit den zuvor (Kapitel 4.2.1) herausgearbeiteten Wahrnehmungs- und Verortungsweisen des Europäischen Rates, der Europäischen Kommission und des Ministerrates für Justiz und Inneres als nahezu identisch: Die Probleme und Gefahren der illegalen Migration und des Menschenhandels und ihre Entstehungs- und Ausgangsorte verorten die vier untersuchten IRO in genau der gleichen Weise wie die EU – die migrationsbezogene und migrationspolitische Aufmerksamkeit wird gezielt nach »außen« gelenkt; die Probleme und Gefahren werden ausschließlich außerhalb der EU – in den Herkunfts- und Transitländern der Migranten – verortet, während die EU als »Pull-Region« für Zuwanderer nahezu invisibel wird. In den untersuchten Primärdokumenten spezialisierter IRO finden sich darüber hinaus Textpassagen, in denen Prognosen zur künftigen Entwicklung der (illegalen) Migration abgegeben werden: »Taking into consideration that the irregular movements of migrants within, from and through the CIS region is on a steady rise, it can be foreseen that this trend will intensify in the near future, especially as the European Union can be expected to attract more migrants [...]«765 (ICMPD, 2004) »Ukraine is facing an increasing influx of illegal migrants, which requires enhanced efforts and means in fighting illegal migration.«766 (ICMPD, 2006) »I personally think: why to be worried about Albania or Bosnia, Macedonia these days? These countries are little countries! A certain stabilisation has indeed taken place in these countries. The big worries at the moment have more to do with Ukraine or with Turkey, migration, including illegal flows from and through these countries, trafficking and so on... There might be still some risk located in the Balkans but I think it is urgent to act there, in Ukraine, in the whole CIS region.«767 (ICMPD, 2007)

Diese raumbezogenen Prognosen zu (illegaler) Migration lassen sich als Argumente lesen, weshalb Steuerungseingriffe notwendig sind und warum diese in bestimmten Raumeinheiten »mit Priorität« zu erfolgen haben. Gesteuert werden soll dort, wo das Problem angeblich räumlich lokalisiert ist (und sich gegebenenfalls momentan verstärkt) – also in Südosteuropa oder den Nachfolgestaaten der UdSSR, in Albanien, Bosnien-Herzegowina und der Ukraine. Raum dient somit als argumentatives Konzept, um Steuerungseingriffe auf Basis charakteristischer 764 765 766 767

P_121 mit eigenen Hervorhebungen. P_122 (6) mit eigenen Hervorhebungen. P_087 (12) mit eigenen Hervorhebungen. Zitat mit eigenen Hervorhebungen: Interview ICMPD, Frühjahr 2007, I_74_W.

263 12:12:21.

raumbezogener Erklärungen oder Prognosen zu begründen und dabei zugleich auch Argumente dafür zu liefern, warum die für notwendig befundenen Maßnahmen in bestimmten Raumeinheiten – und genau in diesen und nicht in anderen – zu verorten sind. (Kapitel 4.2.1). Die Kategorie Raum wird im Zuge der Steuerungsaktivitäten internationaler Regierungsorganisationen aber auch noch in einer anderen Weise relevant: In den ausgewerteten Primärdokumenten und Interviews finden sich auffällig viele Äußerungen, in denen ein direkter Zusammenhang zwischen der operativen Arbeit von spezialisierten IRO und den übergeordneten Politikprozessen der EU (Haager Programm, SAP, ENP etc.), und damit auch zur Konstruktion von Räumen der Sicherheit und der Intervention (Kapitel 4.2.2) hergestellt wird. Folgende Äußerung aus einem Jahresbericht des ICMPDs könnte beispielsweise auch in einem EU-Dokument zur Europäischen Nachbarschaftspolitik oder zur Europäischen Sicherheitsstrategie stehen: »On the Eastern and Southern borders of the European Union, new cooperation structures must be established, based on fundamental principles of good governance and the rule of law. At the same time, different policy interests will have to be reconciled in order to create a neighbourhood of sustained and effective cooperation«768

Zum Vergleich: In der Europäischen Sicherheitsstrategie wird gefordert, die EU müsse alles unternehmen, um »[...] östlich der Europäischen Union und an den Mittelmeergrenzen ein[en] Ring verantwortungsvoll regierter Staaten zu schaffen [...]«769 und damit den drohenden Gefahren (beispielsweise illegale Migration) bereits dort – exterritorial – zu begegnen. In einem ähnlichen Fall versah das ICMPD einen seiner Tätigkeitsberichte mit der Überschrift »EU Justice, Freedom and Security Assessment Missions to Ukraine«770. Diese Referenz auf das »Haager Programm« der EU und das damit verbundene Vorhaben, auf dem Gebiet der EU-Mitgliedsländer einen »Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts« zu schaffen, kam allerdings sicher nicht ganz zufällig zustande; anzunehmen ist, dass die Aktivitäten, die das ICMPD während seiner »Evaluierungsmissionen« in der Ukraine durchgeführt hat, durch die EU finanziert wurden und der entsprechende Finanzierungsantrag oder das von der EU in Auftrag gegebene Projekt bereits zuvor den besagten Titel getragen hatte. In einem anderen Zitat, das aus einem Interview mit zwei Vertreterinnen der IOM in der Ukraine stammt, findet sich zwar ebenfalls eine Referenz auf das Projekt eines »Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts«. Die beiden befragten IOM-Vertreterinnen betonten aber, dass die IOM neben der EU auch 768 P_123 (6). 769 P_069 (Kapitel II). 770 Siehe P_090.

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der ukrainischen Regierung helfen wolle, die IOM also nicht lediglich ein »Handlanger« der EU sei: »Of course, we feel that it is necessary to act here, here in Ukraine, to support the country, because here are many of the problems located. It is necessary to better manage migration here, emigration of Ukrainians or transit migration, both here [...] Here are the needs located. If we are able to manage migration here in Ukraine, we can help the country and, in the end, we also help the EU. Of course, the EU is trying to promote its own idea of a so-called ‚Area of Freedom, Security and Justice’, but we actually feel, apart from that, the need to act here. We are a non-EU-actor, we take into consideration what the EU is trying to achieve, but our policy is different and it is independent of the EU. Of course we support the EU in some activities, but we also try to support the Ukrainian government in finding answers, both to migration as well as to EU demands.«771

Interessanterweise finden sich auch in den Interviews, die mit staatlichen und nichtstaatlichen Akteuren in den Implementationsländern geführt wurden, Referenzen auf das »Haager Programm« und das Bestreben der EU, einen EU-internen »Sicherheitsraum« zu konstruieren. In den beiden folgenden Interviewzitaten wurde beispielsweise durch eine albanische Regierungsvertreterin und den Leiter eines ukrainischen »Think Tanks« der Wunsch geäußert, dass Albanien bzw. die Ukraine bald selbst Teil dieses »Sicherheitsraumes« der EU werde. Beide Interviewpartner unterstrichen die Notwendigkeit, dass ihr eigenes Land/ihre eigene Regierung die EU unterstützen müsse, um diesen »Sicherheitsraum« realisieren zu können. Diese Unterstützung, so die Hoffnung der beiden Interviewpartner, würde dann auch Albanien bzw. die Ukraine näher an die EU heranrücken, beide Länder könnten dann selbst von der Sicherheit (der Freiheit und dem Recht) der EU profitieren (und eventuell Mitglied der EU werden): »Here in Albania there is, without any doubt, an urgent need to manage migration better. The Government of Albania at the moment is preparing steps to better organise its work and to establish an own ’Ministry for Migration’. With this, we try to achieve our membership goal, to become member of the EU soon [...] It is necessary to prepare all necessary for this membership. The Albanian Government and Albania wants to be part of the EU – and its Area of Freedom, Security and Justice – and we have to take all necessary steps to help the EU in creating a secure neighbourhood.«772 »Because the EU is extending and is establishing an ’Area of Freedom, Security and Justice’, Ukraine has to follow these developments. As Ukraine now has a common border with the EU, we should take care that the ’Area of Security’ does not end at the border. Ukraine has own security interests and we have to do all to become part of new security arrangements [...] Not only because there is threat of new problems with Russia but also because there are new security challenges – illegal migration for example! We have to try to stop illegal transit migrants to get to the EU here in Ukraine, and we have to secure

771 Zitat mit eigenen Hervorhebungen: IOM, Frühjahr 2007, I_50_UA. 772 Zitat mit eigenen Hervorhebungen: Ministerium für Arbeit und Soziales (Albanien), Sommer 2006, I_10_AL.

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the border for the EU, to help the EU with this, so in our interest lies also becoming a part of the EU and its ’Area of Security’.«773

Wie diese exemplarisch ausgewählten Äußerungen belegen, stützten die untersuchten spezialisierten IRO, und genauso auch einige der befragten staatlichen und nichtstaatlichen Akteure, ihre Argumente für die Notwendigkeit von Steuerungseingriffen mit Hilfe des Hinweises auf das EU-Projekt eines »Raumes der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts« ab. Man könnte auch in diesem Fall von einer Funktion der Stabilisierung (argumentatives Abstützen von Aussagen mit Hilfe von Raum und Produktion räumlicher »Schicksalsgemeinschaften«) sprechen, die die Kategorie Raum im Zusammenhang mit der Steuerung von Migration übernimmt (Tabelle 10, Kapitel 4.2.1). Ein für die Kooperation der verschiedenen, lokal in den Untersuchungsländern an Steuerungsaktivitäten beteiligten Akteure (IRO, EU-Akteure, NRO und INRO, staatliche Akteure, Entwicklungsagenturen und »Think Tanks«) sehr förderlicher und wichtiger Effekt kann sich gerade dadurch ergeben, wenn alle Implementationspartner in ähnlicher oder gleicher Weise den nach ihrer Ansicht bestehenden Steuerungsbedarf verorten und sich an den räumlichen »Referenzprojekten« der EU (»Haager Programm«, ENP, SAP etc.) orientieren – Politiknetzwerke oder bestimmte Implementationsoder Wissensgemeinschaften (Epistemic Communities, Kapitel 2.1.4) also auf die gleichen Gefahren-, Interventions- oder »Sicherheitsräume« referieren.

773 Zitat mit eigenen Hervorhebungen: IST (Ukraine), Sommer 2006, I_70_UA.

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V.

Internationale Regierungsorganisationen und die EU-ropäisierung der Migrationspolitik (Schlussbetrachtung)

6. EU-Migrationssteuerung und internationales Migrationsmanagement 6.1 Gouvernementalität der Migration: Akteure, Praktiken und Diskurse Die empirischen Befunde zur EU-ropäisierung der Migrationspolitik und den Steuerungsaktivitäten internationaler Regierungsorganisationen weisen darauf hin, dass die Steuerung von Migration als Zuständigkeitsbereich nicht mehr ausschließlich den Regierungen und Behörden der Einzelstaaten vorbehalten ist. Im Fall der EU wird der politische Umgang mit Migration mittlerweile weitgehend durch die supranationalen Institutionen des Europäischen Rates, des Ministerrates für Justiz und Inneres und die Europäische Kommission bestimmt (Kapitel 3.1). In der Supranationalisierung (Vergemeinschaftung), also dem Übertrag von politischer Verantwortung und Zuständigkeitsrechten auf die supranationale Ebene der EU-Institutionen, äußert sich eine erste wichtige Teilkomponente des migrationspolitischen Regierens »jenseits« des Nationalstaates (Kapitel 2.1.4) und der EU-ropäisierung von Migrationspolitik (Kapitel 2.3.1). Eine zweite wichtige Teilkomponente besteht, wie in Kapitel 3.2.3 deutlich geworden ist, darin, dass die EU-Institutionen bestimmte Steuerungsaufgaben verlagern, sowohl räumlich, im Sinne von Exterritorialisierung, als auch akteursbezogen in Form von Externalisierung. Im Fall der EU wird die Steuerung internationaler Migration neben den EU-Gemeinschaftsinstitutionen und den Regierungsbehörden der Mitgliedsstaaten daher noch durch eine Vielzahl anderer Akteure bestimmt; unter diesen Co-Akteuren der Steuerung sind insbesondere spezialisierte internationale Regierungsorganisationen bedeutsam. Gerade sie stehen für das Verschmelzen der regionalen (EU bzw. Europa) mit der globalen Politikebene – Auf der Ebene der Weltpolitik ist die internationale Migration mittlerweile nämlich ebenfalls zu einem Politikgegenstand geworden, der in Ergänzung zu staatlichen Behörden auch durch nichtstaatliche (NRO und INRO), privatwirtschaftliche (beispielsweise multinationale Unternehmen) und insbesondere auch durch zwischenstaatliche Akteure (internationale Regierungsorganisationen, IRO) Bearbeitung findet. Die bei der Umsetzung von Steuerungseingriffen in den Implementationsländern beobachtbare Form der »Governance«, die neben spezialisierten IRO auch lokale und internationale nichtstaatliche Akteure (I/NRO), »Think

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Tanks«, staatliche Behörden der jeweiligen Implementationsländer774 und EUAkteure einschließt (Kapitel 5.4), könnte man als sehr speziellen Fall von »Multi-Actor-« oder »Network Governance« bezeichnen (Kapitel 2.1.4). Das ICMPD, die IOM, die OSCE und das UNHCR dienen der EU allerdings nicht nur als operativ ausführende Akteure. Die in Albanien, Bosnien-Herzegowina und der Ukraine erhobenen Befunde belegen, dass die vier genannten Organisationen auch die übrigen Funktionen erfüllen, die sich die EU auf dem Gebiet der Migrationssteuerung von internationalen Regierungsorganisationen erhofft (Tabelle 9, Kapitel 3.3.1). Wie das Beispiel der Jahrbücher des ICMPDs zeigt (Kapitel 5.3.1), dienen spezialisierte IRO, wie von der EU erwünscht und gefordert, auch als Wissenslieferanten, indem sie entweder selbst Daten und Informationen erheben (»produzieren«) oder vorhandene Kenntnisse sammeln und an andere Akteure weitergeben. Dadurch gründen bzw. erleichtern sie die Entstehung lokaler »Epistemic Communities«, die miteinander ähnliche oder gleiche Welt- bzw. Problemsichten schaffen und vertreten. Die vier untersuchten IRO fungieren zudem als Anbieter von Knowhow, das zur Implementation von Migrationssteuerung eingesetzt werden kann. Dieses Knowhow besitzen diese Organisationen, weil sie beispielsweise schon seit vielen Jahren im Implementationsland die gleichen Maßnahmen umsetzen, diese schon in anderen Ländern verfolgt haben oder für andere Auftraggeber ähnliche Steuerungseingriffe durchführen oder schon durchgeführt haben. Außerdem offerieren die untersuchten IRO, wie etwa das Beispiel der IOM zeigt, eine Vielzahl von Dienstleistungen, die bezüglich ihrer Konzeption in allen drei Untersuchungsländern gleich sind, so beispielsweise Programme zur »freiwilligen« Rückkehr, Informationskampagnen zur Prävention illegaler Migration (einschließlich Menschenhandel) oder Betreuungsangebote für Opfer des Menschenhandels (Kapitel 5.3.2, 5.3.3 und 5.3.5). Auch das Beispiel der albanischen Migrationsstrategie zeigt, dass spezialisierte IRO im Sinne von Programmorganisationen auftreten, die selbst Steuerungsmaßnahmen entwickeln und diese dann »als Paketlösung« der EU und anderen möglichen Auftraggebern vorschlagen und zur Finanzierung unterbreiten. Im Anschluss an den Auftrag durch diese externen Geldgeber können sie sogar für eine demokratische »Ersatzlegitimation« der als notwendig befundenen Maßnahmenpakete sorgen, indem sie diese den eigentlich zuständigen Regierungsbehörden zur Annahme empfehlen und zusätzlich eventuell auch noch, beispielsweise im Rahmen eines Workshops oder durch andere PR-Maßnahmen (Kapitel 5.3.7), der Öffentlichkeit vorstellen. Spezialisierte IRO wie das ICMPD, die IOM, die OSCE oder das UNHCR fungieren darüber hinaus, wie die gesammel774 Durch die Beteiligung von staatlichen Akteuren handelt es sich hierbei um einen Fall von »Governance with Government« (Kapitel 2.1.4).

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ten Fallbeispiele belegen, zudem als Kontrollorganisationen, indem sie etwa die Normkonformität der national in den Implementationsländern bestehenden Regeln und angewandten Praktiken (beispielsweise Grenzschutz) mit den Vorgaben des EU-Acquis oder internationalen Konventionen (Beispiel GFK) überprüfen (Gap Analysis) und Empfehlungen zu ihrer Harmonisierung geben (Kapitel 5.3.4). Auch wenn die Funktion von IRO als Forumorganisationen nicht in den drei Untersuchungsländern beobachtet werden konnte, ist in den Kurzvorstellungen zu den untersuchten IRO deutlich geworden, dass alle vier Akteure schließlich auch noch diese weitere migrationspolitisch relevante Funktion bedienen (Kapitel 5.2.1). Die EU-ropäisierung der Migrationspolitik und das Projekt einer gemeinsamen EU-Migrationssteuerung werden also nicht ausschließlich durch Akteure der EU (Europäischer Rat, Ministerrat für Justiz und Inneres, Europäische Kommission etc.) vorangetrieben. Eine aktive Beihilfe leisten dazu die vier untersuchten internationalen Regierungsorganisationen ICMPD, IOM, OSCE und UNHCR. Die Beobachtung, dass die EU aufgrund der Verfügbarkeit von diesen externen Dienstleistern dazu befähigt ist, Migrationssteuerung zu externalisieren (also Steuerungsaufgaben auf diese spezialisierten IRO zu übertragen) und es ihr zugleich auch möglich ist, Steuerungsaufgaben exterritorial zu verlagern, nämlich in das Territorium der Herkunfts- und Transitländer, erlaubt eine sehr interessante Schlussfolgerung: Die von der EU vorangetriebene EU-ropäisierung der Migrationspolitik und Migrationssteuerung wird zu weiten Teilen außerhalb der EU umgesetzt – in Nicht-EU-Staaten wie Albanien, Bosnien-Herzegowina und der Ukraine. Dadurch, dass die vier untersuchten IRO dort steuernd eingreifen, macht sich bereits in diesen Ländern (also außerhalb der EU) die EU-ropäisierung der Migrationssteuerung bemerkbar. Das ICMPD, die IOM, die OSCE und das UNHCR arbeiten in diesem Sinne aktiv an der Konzeption und Umsetzung eines gesamt- oder »pan-europäischen«775 Migrationsregimes mit, das weit über die Außengrenzen der EU hinausreicht. In diesem Sinne könnte man die vorliegende Arbeit auch unter die Überschrift »EU-ropäisierung von Migrationssteuerung in Nicht-EU-Staaten durch Nicht-EU-Akteure« stellen. Neben den Zielsetzungen der EU verfolgen das ICMPD, die IOM, die OSCE und das UNHCR im Zuge der größtenteils durch die EU in Auftrag gegebenen Steuerungsaktivitäten allerdings auch ihre eigenen Interessen, wie in Kapitel 5 an mehreren Stellen deutlich wurde. Die vier untersuchten IRO sind keineswegs starr und einseitig an den Handlungskontext gebunden, der durch die EU vorge-

775 Geiger (2008a: 95-96).

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geben wird. Vielmehr ist es so, dass die vier Akteure diesen Handlungskontext selbst aktiv mit gestalten, indem sie beispielsweise der EU bestimmte Programme vorschlagen, die sie zuvor eigenständig und autonom ausgearbeitet haben (Beispiel albanische Migrationsstrategie).776 Die Steuerungseingriffe der vier untersuchten IRO, die in Form von Fallbeispielen in Kapitel 5.3 vorgestellt und diskutiert wurden, muten teilweise recht technisch und abstrakt an (Grenzschutzmaßnahmen); in anderen Fällen handelt es sich um neue Formen einer eher indirekten subtilen Steuerung bzw. Intervention (beispielsweise Informationskampagnen) oder auch um Aktivitäten der Wissensproduktion und des Wissenstransfers – alles Aktivitäten oder Steuerungsformen, die man üblicherweise nicht zu den traditionellen Formen und Einflussnahmen staatlicher Migrationspolitik zählen würde (Kapitel 1.1 und 2.1.4). In der Zusammenschau stellen sich diese Aktivitäten allerdings, wenn man ihre Effekte in Betracht zieht, als absolut nicht zu vernachlässigende Formen der Beeinflussung dar. Sie wirken sich teilweise sehr direkt und konsequenzenreich auf die Lebenswirklichkeiten von Migranten aus. Die Aktivitäten, mit denen spezialisierte IRO im Auftrag der EU und anderer Akteure in das Wanderungsgeschehen eingreifen, leiten sich aus spezifischen Diskursen ab, in denen wie im besprochenen Problematisierungs- und Gefahrendiskurs der EU zu (illegaler) Migration (Kapitel 3.2.1) »begründet« wird, warum, wo und wie Migration gesteuert werden sollte. Die untersuchten Aktivitäten von IRO lassen sich zwar direkt aus den Forderungen der EU an Albanien, Bosnien-Herzegowina und der Ukraine (Kapitel 3.2.4) ableiten, viele Aktivitäten stehen zugleich aber auch mit dem auf global-überregionaler Ebene geführten Diskurs zu Migrationssteuerung oder »Migrationsmanagement«777 in Bezug.778 Auf die Vorschläge von GHOSH zu einem international verbindlichen Regime für den Umgang mit Migration (NIROMP, Kapitel 2.1.3) sind seit den 1990er Jahren keine konkreten Schritte gefolgt; es gibt weiterhin kein verbindliches globales Regime für Migration, wie es beispielsweise seit den 1950er und 1960er Jahren ein Regime für den Bereich Flucht und Asyl (Genfer Flüchtlingskonvention) gibt. Die EU und Europa stellen eine Ausnahme dar; hier entwickelt sich auf Druck der EU-Staaten seit den 1990er Jahren ein regional verbindliches EUdominiertes Migrationsregime. GEORGI führt den mittlerweile verschwundenen 776 Vgl. den Ansatz des akteurzentrierten Institutionalismus (Kapitel 2.1.4). Bei diesem Ansatz wird davon ausgegangen, dass das Handeln korporativer Akteure Einfluss besitzt auf den Handlungskontext. Handelnde Akteure können diesen Kontext umformen, während der Handlungskontext zugleich auch eine strukturierende Funktion für ihr Handeln besitzen kann. 777 Vgl. Geiger/Pécoud (2010b). 778 Siehe Kalm (2010).

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Optimismus ein verbindliches Regime auch auf globaler Ebene zu etablieren, unter anderem darauf zurück, dass die USA in der Zeit nach den Anschlägen des 11. Septembers äußerst zurückhaltend wurden, was den Entwurf eines solchen, maßgeblich durch die UN gestalteten Regelungsrahmens anbelangt.779 Statt eines Regimes sind auf globaler Ebene allerdings eine Vielzahl pragmatischer, wenn auch nicht international verbindlicher Steuerungsansätze entstanden, die für die drei Untersuchungsländer, Europa und die EU Bedeutung besitzen. So ist beispielsweise anzunehmen, dass die IOM ihre Migrationsstrategie für Albanien (Kapitel 5.3.7) nicht nur deshalb entworfen hat, weil sie die Nützlichkeit einer solchen Strategie für die EU erkannt hatte, sondern weil diese Strategie – einmal erfolgreich »in einem kleinen, gut zugänglichen Land wie Albanien ausprobiert« – durch die IOM als sogenannte »Best Practice« auch auf andere europäische und nichteuropäische Länder übertragen werden kann. Zusammen mit anderen Steuerungsansätzen, die durch die IOM weltweit angeboten und durchgeführt werden, leitet sich die albanische Migrationsstrategie aus dem globalen Diskurs zu »Migration Management« ab, den die IOM auf Grundlage der Ideen von GHOSH (Kapitel 2.1.3 und 5.2.1) Ende der 1990er Jahre selbst hervorgebracht hat.780 Das Ziel des Managements von Migration liegt, wie in Kapitel 5.2.1 bereits angemerkt, darin, Migration (vorgeblich!) im Interesse und zum Wohle aller Beteiligten zu steuern: »So right now [migration] is a very, very important factor in the entire world economy. And the best way to cope with this is to manage it properly, so that you maximise the benefits and you get rid of some of the disadvantages.«781 »In every part of the world, there is now an understanding that the economic, social and cultural benefits of international migration must be more effectively realized, and that the negative consequences of cross-border movement could be better addressed.«782

Ein erfolgreiches Management von Migration würde sich darin äußern, dass mittels bestimmter Steuerungsaktivitäten ein sogenannter »Triple Win« erzielt wird: Durch eine Maximierung der »Benefits« von Migration und eine Minimierung der negativen Begleiterscheinungen von Migration (beispielsweise illegale Migration oder finanzielle Verluste bei Rücküberweisungen) sollen alle drei beteiligten Parteien (Herkunftsländer, Zielstaaten und Migranten) aus Migrationsprozessen einen höchstmöglichen Profit (ökonomischer Gewinn/soziokulturelle Bereicherung) ziehen können. »Managing Migration for the Benefit of All« – dieser Slogan, mit dem die IOM bis vor wenigen Jahren noch Werbung für ihre Steuerungsaktivitäten machte, soll nach Ansicht der IOM einen Politikwechsel be779 780 781 782

Vgl. Georgi (2010). Vgl. Geiger/Pécoud (2010b) und Georgi (2009: 82-85). McKinley (2004). GCIM (2005: vii).

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zeichnen: Statt nur auf Restriktion und Verhinderung von Migration zu setzen, soll Migration (sofern es sich eben um »nützlich« erachtete Wanderungsbewegungen handelt) auch in einem gewissen Ausmaß erlaubt und ermöglicht werden.783 Der Diskurs zu Migrationsmanagement ist nach Ansicht einiger Autoren (GEORGI und KALM) mittlerweile so dominant, dass viele nichtstaatliche und zwischenstaatliche Steuerungsakteure heute nicht mehr von Migrationssteuerung oder -politik sprechen, sondern nur noch von »Migration Management« – obwohl es Stimmen gibt, die Migrationsmanagement lediglich als Euphemismus für eine weiterhin restriktiv bleibende Migrationspolitik deuten.784 Mit Management suggeriere man, so der Direktor des ICMPDs fälschlicherweise, dass man die internationale Migration als Prozess vollständig unter Kontrolle habe und sie frei nach Belieben beeinflussen und gestalten könne.785 Wie die IOM, die EU, die OSCE, das UNHCR und viele andere internationale Organisationen, benutzt das ICMPD in seinen Verlautbarungen allerdings selbst oft das Wort Migrationsmanagement. Dieser Begriff ist mittlerweile eben ein »Catch Word« geworden, mit dem verschiedene Akteure unterschiedliches meinen und das einer eingehenden Klärung bedarf, obwohl, und gerade vielleicht weil es in aller Munde ist.786 Am Beispiel der Untersuchungsländer Albanien, Bosnien-Herzegowina und Ukraine ließen sich nicht nur das Auftreten spezialisierter IRO und anderer Akteure beobachten, sondern auch die zwischen diesen Akteuren herausgebildeten Politiknetzwerke und Steuerungsarrangements.787 Im Zuge der EU-ropäisierung der Migrationssteuerung und der Umsetzung einer externalisierten und ausgesprochen exterritorialisierten Form der Steuerung durch spezialisierte IRO kann eine Verschränkung unterschiedlicher Steuerungsweisen festgestellt werden. Viele der in Kapitel 5.3 vorgestellten Aktivitäten zielen direkt auf die Beeinflussung der Gesellschaft und einzelner Individuen. So versuchen die Informationskampagnen der IOM und der OSCE gezielt das Verhalten von Individuen zu beeinflussen und zu verändern. Demnach kann von einer Gouvernementalität der Migrationssteuerung gesprochen werden, die sich, im Anschluss an FOUCAULT, als ein Ensemble verschiedener »Regierungstechniken« (Kapitel 2.1.4) bzw. Steuerungsaktivitäten darstellt – eine besondere Gouvernementalitätsform, die sich oft eher in subtil-indirekter als in direkter Weise äußert. Auch im Zuge von

783 Siehe Kalm (2010). 784 Vgl. dazu Geiger/Pécoud (2010b), Georgi (2009), Georgi (2010), Hess (2010) und Kalm (2010). 785 Siehe Interview mit dem ICMPD-Direktor ZÜRCHNER in Hess (2010). 786 Vgl. Geiger/Pécoud (2010b). 787 Vgl. Kapitel 2.1.4.

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Migrationssteuerung ist das menschliche Individuum, dessen Körper und die Bevölkerung/Gesellschaft zur Zielscheibe des Regierens geworden.788 In ihren Informationskampagnen für »sichere«, »legale« und »informierte« Migration, gegen Trafficking oder für »freiwillige Rückkehrmaßnahmen« sprechen die IOM, und im Fall des »Anti-Traffickings« auch die OSCE, gezielt das Individuum als mögliches Opfer illegaler Migration und des Menschenhandels an: »Du darfst nur legal, also mit gültigen Einreisedokumenten in ein anderes Land reisen« – »Du darfst dich dort nur legal mit einer Arbeits- und Aufenthaltserlaubnis aufhalten und einer Beschäftigung nachgehen« – »Du solltest wieder in dein Heimatland zurückkehren, sobald deine Erwerbstätigkeit beendet ist oder deine Aufenthaltserlaubnis abgelaufen ist« – mit diesen Sätzen lässt sich grob der Inhalt umschreiben, den die Informationskampagnen und sonstigen Aufklärungsmaßnahmen beinhalten. Der IOM-»World Migration Report 2003« enthält ein Beispiel, das diese subtile Form der Steuerung von Migration illustriert:789 Ein Bild von albanischen Migranten. Fröhlich lachend stehen sie in einer italienischen Backstube und backen Pizza. Darüber der Titel »A Migrant’s Story. A New Start through Regular Labour Migration from Albania to Italy«. Die IOM weist damit auf das ihrer Meinung nach äußerst erfolgreiche Arbeitsanwerbeprogramm hin, das die IRO im Auftrag der italienischen Regierung seit 2000 in Albanien implementiert. Im Text ist die Rede von »successful Albanian job seekers« und ein solcher kommt auch zu Wort: Er berichtet, dass er erst illegal für eine Weile in Griechenland gearbeitet habe, dann aber verhaftet und wieder nach Albanien abgeschoben worden sei. Nun habe er aus seinem Fehler gelernt und es auf legalem Weg versucht. Nach Italien kam er, weil er in der Zeitung eine Annonce sah, in der auf die Gefahren illegaler Migration aufmerksam gemacht und dabei für das italienische Programm der IOM geworben wurde. Er habe »IOM« gelesen und gleich gewusst, dass er über diese Organisation auf sicherem und legalem Weg ins Ausland kommen würde … »I applied immediately because I knew IOM was an international organization that I could trust; unlike private organizations that advise employment abroad but after charging a high fee disappear into thin air.«

Die mit Hilfe solcher und ähnlicher Erfolgsgeschichten angesprochenen potenziellen Migranten versuchte IOM 2006 und 2007 in den bereits angesprochenen, speziell eingerichteten Informationszentren (Kapitel 5.3.2) zu beraten und zu unterstützen. Im Informationsbüro der IOM waren zugleich einige andere Broschü788 Bei FOUCAULT und AGAMBEN ist jeweils von der Bevölkerung die Rede (Kapitel 1.1), man müsste eigentlich aber (auch) von der Gesellschaft als Zielscheibe des Regierens sprechen. 789 Vgl. IOM (2003: 251-252).

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ren erhältlich. Diese verdeutlichten die Gefahren der illegalen, unüberlegten und nicht durch IOM begleiteten Migration. Ihre implizite Botschaft lautete: »Auch du könntest so enden« (zum Beispiel in einem Bordell in der EU) bzw. »Das könnte auch deiner Tochter, Freundin oder Frau passieren« (zum Beispiel Verschleppung und sexuelle Ausbeutung). Mit ihren Kampagnen gegen den Menschenhandel verbreitet die IOM wiederum, wie im Fall des albanischen Pizzabäckers unter dem Vorwand, im Interesse der potenziell Betroffenen selbst zu agieren, eine Warnung vor allen Formen der illegalen, unüberlegten und uninformierten Migration. Die Gefährlichkeit von Migration wird plakativ illustriert mittels des Verweises auf das Bild des unschuldigen Opfers des Menschenhandels. Die von spezialisierten IRO wie der IOM oder der OSCE mit hohem finanziellen Aufwand seit Jahren durchgeführten Kampagnen gegen Menschenhandel lassen sich daher nicht nur als Maßnahmen verstehen, die den Handel mit Menschen verhindern helfen sollen. Im Fokus dieser Steuerungsstrategien steht, wie NIEUWENHUYS & PÉCOUD argumentieren, vielmehr das generelle Bemühen möglichst alle Formen der illegalen und unerwünschten, frei bestimmten und spontanen Migration zu verhindern – eben mit dem Verweis auf die Opfer, die schlimmsten Seiten des Wanderungsgeschehens: »Anti-Trafficking« bedeutet nicht ausschließlich Verhinderung des Frauen- oder Menschenhandels, sondern lässt sich auch als eine gezielte Strategie der »AntiMigration« deuten.790 Im Zuge der Steuerung von Migration referiert aber auch die EU, wie in Kapitel 3.2.1 deutlich wurde, gezielt auf bestimmte »Figuren der Delinquenz« bzw. des abweichenden oder gefährlichen Verhaltens.791 »Entweder arbeiten die Akteure [...] mit dem Bild des bösen kriminellen Ausländers oder aber dem des armen Menschenhandelsopfers. Derartige Pauschalisierungen sollen der Abschottungspolitik einen wohlmeinenden Tenor verleihen: der Staat avanciert zum Beschützer und Retter zugleich.«792

WALTERS spricht in diesem Zusammenhang von einer »Imagined Sociality« im Zuge von Migrationssteuerung, bei der nur die Opfer, Täter und bestimmte andere Figuren (beispielsweise Rückkehrer) auf die Bühne der Migrationspolitik gelangen, während alle anderen, »normalen« und ganz gewöhnlichen Migranten ausgeblendet bleiben.793 Auch bei den von der IOM propagierten Programmen zur »freiwilligen« Rückführung illegaler Migranten und abgelehnter Asylbewerber (siehe ebenfalls Kapitel 5.3) wendet sich die IOM direkt an die Migranten der Implementations790 791 792 793

Vgl. Nieuwenhuys/Pécoud (2007). Vgl. Krasmann (2003: 12). Najafi/Rosner (1999: 150). Walters (2010).

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länder. Mittels Plakaten, Informationsveranstaltungen, Broschüren und TV-Spots versucht die IOM illegale Migranten und abgelehnte Asylbewerber zur »freiwilligen« Rückkehr in ihr Heimatland zu motivieren und verspricht dabei, Migranten vor der Schmach zu bewahren, in Handschellen in die Heimat überführt zu werden. Geschickt wählt die IOM dabei die Bezeichnungen »erfolgreiche« oder »nachhaltige« Rückkehr: »A successful return and reintegration in the home country positively and directly affects not only returnees and their families, but also the whole society, which gains in economic terms and from the setting up and fostering of local businesses.«794

Die Broschüren, die IOM an Migranten im Ausland verteilt, warten erneut mit einer charakteristischen Form von »Story Telling« auf: Begleitet von zahlreichen Abbildungen wird zum Beispiel die Geschichte einer Migrantin erzählt, die nach ihrer Rückkehr mit Hilfe von IOM einen Friseurkurs besucht, danach sofort einen Job bekommt und deren Leben nun viel glücklicher ist als zuvor – damals, als sie sich noch im Ausland illegal durchschlagen musste.795 In einer Broschüre zur albanischen Migrationsstrategie richtet sich die IOM direkt an das albanische Volk und die albanische Auslandsdiaspora. Mit der Überschrift »Why? What? You!« und dem Slogan »Everybody is affected by migration. We all have family members or friends abroad«796 fordert die IOM alle Albaner dazu auf, zur Umsetzung der albanischen Migrationsstrategie beizutragen, sprich, das vermeintlich »nationale« Projekt auch zu einem persönlichen Projekt jedes Einzelnen zu machen, denn nur so sei es möglich, Migration zu einem für alle nützlichen Prozess werden zu lassen. »The interests in migration may vary [...] Everybody is invited to raise his or her voice to turn migration into a benefit for all.«797

Bei diesen sehr speziellen Steuerungsaktivitäten deutet sich somit eine tatsächlich neue, eher ungewohnte, nicht »traditionelle« Form der Migrationssteuerung an, die sich neben den gewohnten Einflussnahmen auf Wanderungsbewegungen (beispielsweise Grenzschutz, Visaerfordernisse etc.) eben vor allem auch durch subtilere Formen der Einflussnahme auf Individuen (deren Körper) und Gesellschaft auszeichnet. Diese Form der Gouvernementalität unterstützt das Bestreben des Migrationsmanagements, das, wie KALM argumentiert, darin liegt, den lange Zeit als »devianten sozialen Vorgang« erachteten Prozess der internationalen Migration (Kapitel 1.1) zu einem »potenziell positiven Phänomen« werden zu lassen.798 Bestimmte Formen der Migration, die »legal«, »geordnet«, »informiert« 794 795 796 797 798

IOM Tirana (2006). Vgl. IOM (2006). Government of Albania/IOM (2006). Government of Albania/IOM (2006). Siehe Kalm (2010).

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und »gewollt« ablaufen und für die beteiligten Staaten und die Migranten einen bestimmten Nutzen mit sich bringen, sollen liberalisiert werden, dann aber eben unter Berücksichtigung aller »Wertschöpfungsmöglichkeiten« im Sinne des von GHOSH und STRAUBHAAR vorgeschlagenen Prinzips der regulierten Offenheit (Kapitel 2.1.3) »gemanagt« werden. Gleichzeitig sollen alle unerwünschten Formen der Migration – unter Mitwirkung der potenziellen Migranten selbst – verhindert werden. Die einst als devianter Prozess erachtete internationale Migration erfährt somit eine gewisse Normalisierung.799 Weil Migrationssteuerung bzw. Migrationsmanagement in aller Regel einseitig an der Maximierung der positiven ökonomischen Effekte von Migration und der Minimierung der Risiken orientiert ist, spricht KALM im Hinblick auf Migrationssteuerung bzw. –management deshalb nicht ohne Grund auch von einer starke utilitaristische Züge tragenden Form der Gouvernementalität, einer vornehmlich rein am ökonomischen Neoliberalismus orientierten Gouvernementalität.800

6.2 Migrationsmanagement als Lösung für die Steuerungsdefizite der EU? In einer Mitteilung der Europäischen Kommission heißt es, dass die EU bisher, was »[...] die außenpolitische Dimension der Politik auf dem Gebiet der Kontrollen an den Außengrenzen und deren Überwachung [anbelange]«, nicht fähig sei, »[...] mit einer Stimme [die Vorstellungen der EU] zu artikulieren [...]«.

Außerdem merkt die Europäische Kommission an, dass die »[...] Fähigkeit der EU, ihre eigene Politik durchzusetzen [regelmäßig bei] Verhandlungen oder Beratungen mit Drittländern sowie in den Fachgremien internationaler Organisationen [auf dem] Prüfstand [stehe, sobald es] direkt oder indirekt um Grenzkontrollen geh[e]«.801

Ganz offensichtlich geht die Europäische Kommission selbst von einem Defizit an eigener Steuerungsfähigkeit aus, das sich nachteilig im Politikbereich Migration bemerkbar macht. Die in Kapitel 3.3.1 genannten Funktionen, die spezialisierte internationale Regierungsorganisationen für die EU bei der Steuerung von Migration übernehmen sollen, lassen ebenfalls den Schluss zu, dass die EU aufgrund eines EU-internen Mangels an gemeinsamer Steuerungsfähigkeit im Zuge der EU-ropäisierung von Migrationssteuerung dringend auf externe Unterstützer angewiesen ist. Die größten Hoffnungen setzen die drei untersuchten EU-Institutionen (Europäischer Rat, Ministerrat für Justiz und Inneres und Europäische 799 Vgl. Düvell (2002a: 161) und Kalm (2010). 800 Siehe Kalm (2010). 801 Commission of the European Communities (2002: I.5).

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Kommission) dabei in spezialisierte internationale Regierungsorganisationen. Wie in Tabelle 9 (Kapitel 3.3.1) angemerkt, erwarten die drei EU-Institutionen neben einem Ausgleich des EU-internen Steuerungsdefizits von der Einbeziehung spezialisierter Nicht-EU-Akteure auch Synergieeffekte und damit Kosteneinsparungen. Die Inanspruchnahme spezialisierter Nicht-EU-Akteure ist dabei zu einem wesentlichen Teil sicher auch mit dem Nicht-Vorhandensein eigener spezialisierter EU-Akteure oder EU-Agenturen auf dem Gebiet der Migrationssteuerung zu begründen. Die im Mai 2005 gegründete EU-Grenzschutzagentur FRONTEX war als operativer Akteur während des Zeitraums der empirischen Erhebungen (2006 bis 2007) in den Untersuchungsländern selbst noch nicht in Erscheinung getreten.802 Da die EU selbst noch keine eigenen operativen Steuerungsakteure besaß, die die gleiche Fülle an Steuerungsaufgaben anbieten konnten wie das ICMPD, die IOM, die OSCE und das UNHCR, war sie gezwungen auf spezialisierte IRO und deren »lokale« Implementationspartner (NRO und INRO) zurückzugreifen, wenn sie Steuerungsaufgaben in Auftrag gab. Hilfreich war dabei, dass in den internationalen Regierungsorganisationen IOM, OSCE und UNHCR neben den EU-Staaten auch die drei Implementationsländer Albanien, Bosnien-Herzegowina und Ukraine Mitglied waren. Für die IOM, die OSCE und das UNHCR war es damit leichter, Steuerungseingriffe in diesen drei Implementationsländern durchzuführen oder vorzuschlagen. Nicht zuletzt bildete das in Aussicht gestellte Beitrittsversprechen im Fall der SAP-Staaten (Albanien und Bosnien-Herzegowina) oder das Versprechen einer engen Assoziierung mit der EU (Ukraine, ENP-Staaten) einen Anreiz der EU, damit die Implementationsländer die Steuerungseingriffe spezialisierter IRO in ihrem Territorium und staatlichen Verantwortungsbereich erlaubten. Da Albanien, Bosnien-Herzegowina und die Ukraine mittlerweile das einst zur wichtigsten Bedingung für eine weitere Assoziierung mit der EU gemachte Rückübernahmeabkommen mit der EU vereinbart haben (Kapitel 5.3.5), der weiteren Assoziierung oder dem späteren Beitritt zur EU diese Bedingung somit nicht mehr im Wege steht, hat die EU allerdings mittlerweile erheblich an eigenem Sanktions- und damit Steuerungspotenzial eingebüßt, wie in den Interviews mit den lokalen EU-Kommissionsvertretern deutlich geworden ist.803 Nahezu alles, was die EU den drei Untersuchungsländern einst an Bedingungen gemacht hatte, einschließlich des Rückübernahmeabkommens, wurde »eifrig« ratifiziert – das Problem besteht nun in der tatsächlichen Implementation der getroffenen Vereinbarungen. »If you ask me ... Really! A lot has been ratified, a lot of rules have been established, most of them actually in full line with EU- or other international standards. But ... well, the 802 FRONTEX erstellt für die Mitgliedsstaaten der EU Risikoanalysen, Expertisen und unterstützt sie in verschiedenen operativen Belangen des Grenzschutzes. 803 Vgl. Interviews I_06_AL, I_35_BH und I_I_56_UA.

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problem really is: These standards, norms and rules ... to have them, it does not change the situation. What is needed is 100% implementation of these norms, laws, bylaws and so on. For most stakeholders here this is evident: Albania, Bosnia Herzegovina and so on are all ready to sign nearly everything on paper, if this brings their countries closer to the European Union.«804

Aus der mittlerweile reduzierten Fähigkeit der EU den weiteren Annäherungsprozess der drei Untersuchungsländer zu konditionalisieren und zu sanktionieren, lässt sich ein anderer Grund ableiten, der für die weitere Inanspruchnahme von internationalen Regierungsorganisationen und anderen Co-Akteuren spricht: Die EU ist dringend auf »lokal« präsente Implementationsakteure angewiesen, die sich eben gerade für diese »100%ige Implementation« verbürgen. In einem Interview mit der Vertretung der Europäischen Kommission in der Ukraine wurde außerdem deutlich, dass die EU mit den Aktivitäten von IOM und anderen spezialisierten IRO die Sicherstellung der Nachhaltigkeit und Kontinuität von Steuerungsmaßnahmen verbindet – inmitten der unsicheren politischen Situation der Implementationsländer, die geprägt ist durch wiederkehrende Regierungswechsel und Korruption.805 In Kapitel 5.5 konnte auf Grundlage der erhobenen empirischen Befunde allerdings festgestellt werden, dass bezüglich der Angemessenheit, Wirksamkeit und der induzierten »Nebenwirkungen« (beispielsweise anhaltende »Produktion« illegaler Migration durch Festhalten an Restriktion) im Hinblick auf die Steuerungsaktivitäten spezialisierter IRO ernste Bedenken und Zweifel geäußert werden müssen. Fasst man die Verhinderung illegaler Migration als eigentliche Hauptzielsetzung der EU-Migrationspolitik (Kapitel 3.2.3) auf, so gibt es keine empirischen Belege, die dafür sprechen, dass der Ausbau und die Unterstützung von Grenzschutzmaßnahmen unter Einbeziehung spezialisierter IRO (Kapitel 5.3.4), die durchgeführten Aufklärungs- bzw. Informationskampagnen oder stationären Informationszentren (Kapitel 5.3.2) oder der Entwurf und die Implementation spezifischer Strategien und Maßnahmenpakete (beispielsweise zum integrierten Grenzschutzmanagement; Kapitel 5.3.7) sich in den vergangenen Jahren effektiv und »positiv« (im Sinne einer Reduzierung der illegalen Migration und des Menschenhandels) auf das Wanderungsgeschehen ausgewirkt haben. Nach Sichtung der empirischen Befunde kann nicht davon gesprochen werden, dass die Steuerungsaktivitäten spezialisierter IRO tatsächlich das migrationspolitische Steuerungsdefizit der EU ausgeglichen hätten.

804 Interview mit der Delegation der Europäischen Kommission in Albanien, Sommer 2006, I_06_AL. 805 Vgl. Interview mit der Delegation der Europäischen Kommission in der Ukraine, Frühjahr 2007, I_56_UA.

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»Typical for the region is: The road chosen was to build better fences, enforcement was a kind of solution thought to be effective. That is where the money, most of it, has gone. Prevention, root causes, are much lower on the priority list because they are harder to address, there you look at more fundamental problems that are at the core of everything and most actors try to avoid to talk about.«806

Viel Geld wurde durch die EU in Grenzschutzmaßnahmen investiert (Tabelle 14, Kapitel 5.4.1), nur unzureichend wurden dagegen die Ursachen der Migration angegangen; statt diesen wurden eher schlecht als recht die Symptome kuriert. Geht es nach der Vertreterin der GTZ in Albanien, so müsste dringend mehr für die Sektoren Landwirtschaft und Tourismus getan werden, nur damit könnte man das derzeitig wichtigste »Migrationsproblem« Albaniens angehen – die Entvölkerung der ländlichen Gebiete und die Land-Stadt-Migration in die albanischen Städte. »We have to invest in agriculture because most people live in rural areas without the investments or remittances of migrants going there. In order to keep people there, agriculture and tourism are important, far more important than borders. They are secured now, development is necessary now. The big issue today is how to reduce internal migration from rural to urban areas, far more important today then reducing the migration from urban areas to other countries!«807

In den anderen in Albanien, Bosnien-Herzegowina und der Ukraine mit Entwicklungsagenturen wie der GTZ, der schwedischen SIDA, USAID und den INRO »World Vision« und »Save the Children« geführten Interviews wurde neben einer Stärkung des Tourismus und der Landwirtschaft auch die Einführung bzw. der Ausbau eines Mikrokreditwesens gefordert: Kleinkredite sollen leichter verfügbar gemacht werden, diese sollen den Bürgern der Implementationsländern unbürokratisch zur Verfügung stehen und gezielt für entwicklungsförderliche Maßnahmen genutzt werden. Eine andere Möglichkeit, die illegale Migration aus den drei Implementationsländern zu verringern, bestünde darin, mehr Möglichkeiten der legalen Migration zu schaffen. Genau dieses Ziel hatte ja bereits GHOSH mit seinen Vorschlägen eines neuen internationalen Regimes für Migration in Blick gefasst (Kapitel 2.1.3). Auch die IOM propagiert im Rahmen ihres Managements von Migration »for the benefit of all« einen neuen, weniger restriktiven und Chancen auf Mobilität einräumenden Weg der Migrationspolitik. In den drei Untersuchungsländern war die IOM 2006 und 2007 bereits damit beschäftigt, erste Maßnahmenvorschläge für die Förderung sogenannter temporärer und zirkulärer Migration bzw. Mobilität zu entwerfen. Im Mai 2007 legte schließlich auch die Europäische Kommission einen Vorschlag zur Förderung zirkulärer Migration und zur Einführung von sogenannten Mobilitätspartnerschaften (Erleichterung der Visabe806 Interview mit dem albanischen »Think Tank« AIIS, Frühjahr 2006, I_21_AL. 807 Interview mit der lokalen Vertreterin der GTZ in Albanien, Sommer 2006, I_23_AL.

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dingungen und leichtere Zugangsmöglichkeiten zum Arbeitsmarkt) zwischen der EU und bestimmten Partnerländern vor.808 Ein Beispiel aus dem Jahr 2007 zeigt allerdings die Widersprüchlichkeiten der immer noch nicht einheitlichen, sondern vielmehr sehr widersprüchlich in Erscheinung tretenden »gemeinsamen« EU-Migrationspolitik auf: Während im Sommer 2007 die Europäische Kommission für ukrainische Staatsbürger Visaerleichterungen in Aussicht stellte und im Hinblick auf die Ukraine von einer »Mobilitätspartnerschaft« zu sprechen begann, hatte das EU-Mitgliedsland Großbritannien kurz davor ersatzlos sein Programm für die Anwerbung temporärer ukrainischer Arbeitskräfte gestrichen. Seit 2002 hatte dies jährlich etwa 5.000 Ukrainern eine zeitliche beschränkte Erwerbstätigkeit im Vereinigten Königreich ermöglicht – ganz im Sinne der von der Europäischen Kommission vorgeschlagenen neuen Migrationsmöglichkeiten und der Philosophie eines liberaleren Managements von Migration. Der wichtigste Grund für das Stoppen des Programms war ausgerechnet der, dass aus Polen, dem direkten Nachbarland der Ukraine, zu viele Migranten nach Großbritannien gekommen waren. Der EU-Beitritt Polens und die Freizügigkeitsregelungen Großbritanniens für die neuen EU-Mitgliedsstaaten hatten für die Ukraine somit äußerst negative Konsequenzen.809 Angesichts der Steuerungsdefizite und Widersprüche der gemeinsamen EU-Migrationspolitik stellt sich unweigerlich die Frage nach der künftigen Rolle und Funktion spezialisierter IRO. Geht es nach dem Vertreter des »Technical Cooperation Centre« der IOM in Wien, so könnte alles so weiter gehen wie bisher: Die EU stellt weiterhin Finanzzuweisungen bereit und überträgt bestimmte Aufgaben an spezialisierte IRO. Die EU wird ihre Souveränität in Migrationsbelangen nach Ansicht des befragten IOM-Vertreters wohl auch nie vollständig aufgeben. Alle wesentlichen Grundsatzentscheidungen und Maßnahmen werden aller Voraussicht nach auch künftig durch die Institutionen der EU und die Mitgliedsländer getroffen bzw. umgesetzt. Dennoch ist aber denkbar, dass künftig noch mehr Aufgaben an spezialisierte internationale Regierungsorganisationen wie die IOM übertragen werden und damit die Bedeutung spezialisierter IRO sogar noch weiter zunehmen könnte: »I don’t see that the role of IOM and other international organizations will diminish. I mean on side of the EU the budgets are growing for the whole neighbourhood area. And it is not the EU itself; the EU is not having an agency for doing all things. It is more that they give it to other partner states and international organizations. The money in the whole migration area since years is only growing, growing, I mean [...] I don’t see that from that perspective we have something to fear [...] We will continue playing an important role in

808 Vgl. Kommission der Europäischen Gemeinschaften (2007). 809 Siehe Kyiv Weekly (2006).

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this field. There is a certain trend of outsourcing, they won’t give up their sovereignty completely, but they think to outsource some of the more technical aspects.«810 »We are already doing everything else, they only do deportation, we offer already a whole package, in advising and informing people, even in some cases reintegration. So it means we are already on-board, except deportations, in the readmission area [...] It would make sense to let IOM do all, you know, technical things, such as finger prints, medical screening and so on, or what we do in the assisted voluntary return sector, while the governments keep their sovereignty in admitting foreigners, issuing visas to them and so on.« 811

In Bezug auf einige wenige Steuerungsaufgaben sieht der befragte IOM-Vertreter aber dennoch Schranken für die Reichweite des künftigen Engagements der IOM. Nach seiner Ansicht sollten gewisse Aufgaben nie durch den Staat (oder die EU) auf die IOM oder andere Akteure übertragen werden: »But even in some areas of hard-core law enforcement, so to say, we have become deeply involved. I mean in Ukraine, IOM is the only actor that gave training for prosecutors, investigators, risk analysers, there was absolutely no awareness in the law enforcement departments concerning trafficking. But again, we do not do anything in the law enforcement area per se. This hard core jurisdiction where no state should give up sovereignty and we also should never become active!« 812

Gerade in Bezug auf die IOM kann man sich allerdings kaum dem Eindruck verwehren, die Organisation würde als Aufgabe eigentlich bereitwillig alles übernehmen, was von der EU oder durch andere Akteure finanziert wird. Die IOM gibt offen zu, wie ein privatwirtschaftliches und in erster Linie profitorientiertes Unternehmen zu arbeiten, das die Aufgaben durchführt, die sich finanziell für die Organisation rentieren. Der ausgeprägte »Geschäftssinn« der IOM wird in folgendem Zitat deutlich: »We have some advantages, let’s say a business and managerial advantage, because we have been here on the ground for so long time, have such a close cooperation with the host governments already. That is something that will pay from now on. We know exactly whom to contact and how to proceed with whom, if there is something we are asked to do.«813

Nicht zuletzt dieser offensive »Business Approach« der IOM bewegte 2005 die »Global Commission on International Migration« (GCIM) dazu, von den an Migrationssteuerung beteiligten internationalen Regierungsorganisationen eine künftig bessere, effektivere und mehr an den Rechten und Interessen von Migranten orientierte Zusammenarbeit einzufordern.814 Die GCIM schlug in diesem Zusammenhang unter anderem eine Fusion der beiden größten Akteure – der IOM und des UNHCRs – vor, beide Organisationen wehrten sich allerdings ve810 811 812 813 814

Interview TCC Wien, Sommer 2006, I_75_W. Interview TCC Wien, Sommer 2006, I_75_W. Mit eigenen Hervorhebungen: Interview TCC Wien, Sommer 2006, I_75_W. Mit eigenen Hervorhebungen: Interview TCC Wien, Sommer 2006, I_75_W. Siehe GCIM (2005), vgl. auch Newman (2005) und Tamas/Palme (2006).

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hement gegen diese Idee. Die Bedeutung internationaler Regierungsorganisationen wird in den kommenden Jahren angesichts der zunehmenden Thematisierung von Migration höchstwahrscheinlich noch zunehmen. Darauf deutet auch die 2006 gegründete »Global Migration Group« hin, der mittlerweile 14 Mitgliedsorganisationen angehören, die sich ausnahmslos alle spezialisiert mit dem Thema Migration beschäftigen.815

6.3 Relevanz einer politisch-geographischen Forschungsperspektive Bei der Steuerung von Migration respektive dem »Management« von Migration durch spezialisierte IRO ist eine Verschneidung der gewohnten »Maßstabsebenen« (Scales) des Politischen zu beobachten. Wie in Kapitel 5.4.2 beschrieben, dienen auf der »lokalen« Ebene der Politikgestaltung und –implementation in den Untersuchungsländern nichtstaatliche Akteure den spezialisierten internationalen Regierungsorganisationen als wichtig(st)e Implementationspartner. Aufgrund ihrer eigenen langjährigen Erfahrung in den Untersuchungsländern und ihrer »lokalen« Niederlassungen können das ICMPD, die IOM, die OSCE und das UNHCR in gewisser Hinsicht als »quasi-lokale« Implementationsakteure aufgefasst werden, obwohl sie eigentlich der Ebene der internationalen bzw. regionalen oder globalen Politikgestaltung- und -ausführung zuzurechnen wären. Da die vier genannten Organisationen für die EU häufig Steuerungsaufgaben übernehmen, könnte man sie zusätzlich sogar auch als »Quasi-EU-Akteure« ansprechen. Neben ihnen sind allerdings aber auch noch andere Akteure an der Umsetzung von Steuerungs- bzw. »Managementaktivitäten« beteiligt, die ebenfalls auf der zwischenstaatlich-internationalen Handlungsebene verortet gedacht werden müssten. Zu diesen Akteuren zählen unter anderem internationale Nichtregierungsorganisationen (INRO), die auch als »quasi-lokale« Akteure in Erscheinung treten, nicht zuletzt deshalb, weil sie eng mit tatsächlich lokalen (einheimischen/ortsansässigen) NRO vernetzt sind. An der »Multi-Actor« und zugleich »Multi-Level Governance« (Kapitel 2.1.4) auf dem Feld der Migrationssteuerung sind neben internationalen Regierungsorganisationen, lokalen NRO sowie internationalen Nichtregierungsorganisationen auch die staatlichen Akteure der Implementationsstaaten selbst beteiligt. Auf der Ebene der Implementationsländer treten außerdem »lokal« verortete EUAkteure (Delegationskommissionen oder Akteure wie PAMECA, EUPM oder 815 Bestehend aus: ILO, IOM, UNHCR, OHCHR, UNCTAD, UNDP, UNDESA, UNESCO, UNFPA, UNICEF, UNITAR, UNODC und der World Bank. Außerdem zählen die für jede Weltregion bestehenden »UN Regional Commissions« zu den Mitgliedern dieser Gruppe.

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EUBAM) und ausländische Entwicklungs- und Geberorganisationen (SIDA, USAID etc.) auf. In den Implementationsstaaten haben sich aus all diesen verschiedenen Akteuren mittlerweise, wie in Kapitel 5.4.2 beschrieben wurde, steuerungsdienliche und strategisch konzipierte Politiknetzwerke herausgebildet. Diese könnte man als quasi-lokale Implementationsnetzwerke oder gemeinschaften bezeichnen. Da zwischen den Akteuren auch spezifische, meist strategisch-zielgerichtet ausgerichtete und manipulative Wahrnehmungsweisen und Wissensbestände ausgetauscht werden, einige der beteiligten Akteure sogar gezielt eine bestimmte Form der Wissens- bzw. »Wahrheitsproduktion« – bzw. ein »strategisches Spiel« mit migrationsbezogenen Wissensbeständen (Kapitel 5.5.1 bzw. 5.5.3) – betreiben, um von bestimmten Facetten des Migrations- oder Implementationsgeschehens abzulenken oder ihre eigenen Steuerungsaktivitäten zu begründen, stellen sich diese Politiknetzwerke auch als »lokal« eingebettete »Epistemic Communities« (Kapitel 2.1.4) dar. In Anlehnung an das Modell des »Boomerang-Effekts«, entworfen durch KECK & SIKKINK816 könnte man verdeutlichen, was in der Geographie oft als »Politics of Scale« (Kapitel 2.1.4) bezeichnet wird: Die EU nimmt bewusst den Umweg über internationale Regierungsorganisationen und andere internationale Akteure, um auf den lokalen Kontext der Implementationsstaaten und die auf dieser (»lokalen«) Ebene angesiedelten staatlichen Akteure einzuwirken und dort Druck aufzubauen, damit Migration im Interesse der EU gesteuert bzw. »gemanagt« wird. Gleichzeitig nimmt die EU aber auch die Regierungen der Implementationsländer selbst, beispielsweise im Rahmen der Politikprozesse SAP oder ENP, in die Pflicht zur EU-ropäisierung der Migrationssteuerung beizutragen; interessanterweise übernehmen damit auch die staatlichen Akteure des Implementationslandes eine Funktion auf einer anderen, nämlich der international-zwischenstaatlichen und regional-»EU-ropäischen« Politikgestaltungs- und –ausführungsebene. Indem die EU parallel selbst Druck auf die Regierungen der Implementationsländer ausübt, zugleich zu demselben Zweck aber auch internationale Regierungsorganisationen und andere nicht-lokale Akteure in Steuerungsaufgaben einbezieht, gelingt es der EU somit doppelt politischen Druck aufzubauen. In der Zusammenschau der Befunde lassen sich die EU-ropäisierung der Migrationssteuerung und das Migrationsmanagement spezialisierter IRO als ausgemachte Gegenprojekte zur »National Ownership« der Implementationsländer identifizieren. Interessanterweise wird durch die Steuerungseingriffe der EU und spezialisierter IRO zeitgleich aber auch ein sehr wesentlicher Aspekt traditioneller Staatlichkeit und staatlicher Territorialhoheit gestärkt: Der Ausbau von Grenzschutzmaßnahmen. Was überwiegt, sind allerdings Tendenzen, die zur

816 Keck/Sikkink (1998). Vgl. auch Soyez (1999).

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Aushöhlung und Aushebelung nationalstaatlicher und lokaler Kompetenzen führen (Kapitel 5.4, 5.5.4 und 5.5.5). Das von der EU zugleich aber dennoch eingeforderte Ziel einer stärkeren Alleinverantwortung und Souveränität ihrer »Partnerstaaten« auf dem Gebiet der Migrationssteuerung gerät damit in Gefahr. In einigen Fällen könnte allerdings begründet davon ausgegangen werden, dass die beschriebenen kontraproduktiven Effekte von der EU sogar wissentlich in Kauf genommen werden, um Migration mit Hilfe nicht-lokaler Akteure vermeintlich einfacher, zuverlässiger und nachhaltiger steuern zu können. Die fremdbestimmten Netzwerke, die im Zuge der EU-ropäisierung der Migrationssteuerung in den Herkunfts- und Transitländern Albanien, Bosnien-Herzegowina und Ukraine auf lokaler Ebene »implantiert« wurden, sind zwar weitgehend EU-dominiert, bei genauerer Untersuchung faktisch allerdings eher IRObestimmt (Beispiel IOM). An den untersuchten Politiknetzwerken sind die staatlichen Behörden der Implementationsländer zwar formell oft beteiligt, zynisch könnte man vor dem Hintergrund der gesammelten Befunde zu den tatsächlichen Mechanismen der Steuerungseingriffe aber dazu anmerken, dass die EU und ihre Co-Akteure bei gewissen Anlässen, wenn es beispielsweise um die Ratifizierung von migrationsdienlichen Abkommen oder die »Legitimation« von Steuerungskonzepten wie beispielsweise der albanischen Migrationsstrategie geht, auch gar nicht umhinkommen, die zuständigen Regierungsbehörden letztlich doch zu konsultieren und für bestimmte Maßnahmen eine politische Zustimmung einzuholen. Durch die überaus starke Dominanz nicht-lokaler, EU-beauftragter Steuerungsakteure ist in einigen Fällen allerdings tatsächlich von »geteilten Souveränitäten«817 zwischen staatlichen Akteuren, EU-Institutionen, spezialisierten IRO und anderen Akteuren auszugehen. Wie COCHRANE & ALLEN könnte man auch von einer »Assemblage of State Power« sprechen, einer Aufteilung staatlicher Macht auf sehr unterschiedliche, in diesem Fall eben vorwiegend nicht-lokale Akteure.818 Diese Aufteilung vollzog sich in den drei untersuchten Ländern, die alle drei seit Jahren bereits wegen ihrer migrationspolitischen Bedeutung einerseits, andererseits aber auch im Hinblick auf ihre fragile bzw. schwache Staatlichkeit, in der Diskussion stehen. Im Anschluss an die politisch-geographische Forschungsperspektive, die in Kapitel 2 hergeleitet wurde, und ausgehend von der Frage nach der migrationspolitischen Bedeutung der Kategorie Raum (Kapitel 2.1.5), konnte in den Kapiteln 3 bis 5 anhand einer Vielzahl von Textpassagen und Interviewauszügen gezeigt werden, dass im Rahmen von Migrationssteuerung nicht nur strategische »Politics of Scale« zum Einsatz kommen, sondern auch sehr häufig auch in anderer 817 Siehe Krasner (2004). 818 Vgl. Cochrane/Allen (2008).

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Weise auf Raum referiert wird. Die Kategorie Raum erfährt demnach Relevanz, sie ist bedeutsam und übernimmt, wie in den Kapiteln 4.2.1 und 5.5.7 herausgearbeitet wurde, verschiedene Funktionen im Migrationspolitischen. Raum dient dabei sowohl als Beobachtungs- als auch als Argumentationskonzept: Migration wird raumbezogen wahrgenommen und strategische Verräumlichungen werden hervorgebracht, indem auf bestimmte »Räume« verwiesen wird, wenn es darum geht, Migration als Problem und Gefahr zu konnotieren und zu verorten, oder wenn es gilt, den Steuerungsbedarf im Hinblick auf bestimmte Raumeinheiten sichtbar zu machen und dann letztlich auch die Notwendigkeit von Steuerungseingriffen argumentativ abzustützen.819 Die gesammelten Befunde zur Relevanz und Funktion der Kategorie Raum im Migrationspolitischen können somit dem Beweis dienen, dass Raum als Ordnungsschema weiterhin relevant bleibt. Im Fokus der EU-Migrationspolitik und der Steuerungsaktivitäten spezialisierter IRO stehen nicht nur Migranten, Individuen oder die Gesellschaft der Herkunfts- und Zielländer. In sehr auffälliger und charakteristischer Weise wird eben auch auf Raum bzw. bestimmte Gebiete oder Territorien referiert. Der Bezug auf bestimmte Raumkonstrukte ermöglicht neben der Verortung von steuerungsbezogenen Aufmerksamkeiten und Interventionen dabei nicht zu letzt auch eine Stabilisierung von Politiknetzwerken und dient damit letztlich auch der Verstetigung der Zusammenarbeit. Wie in den Kapiteln 4.2.1 und 5.5.7. gezeigt werden konnte, referieren die unterschiedlichen, an Steuerungsmaßnahmen beteiligten Akteure in vielen Fällen tatsächlich auf ein und dieselben Raumkonstrukte (Beispiel: »Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts«). Die an Steuerung beteiligten Akteure verfolgen das Anliegen, bestimmte Raumkonstrukte im Rahmen ihrer eigenen Möglichkeiten und Steuerungseingriffe zu schützen, indem sie in bestimmten Gefahrenräumen aktiv werden und diese zu Interventionsräumen werden lassen. Auch Nicht-EU-Akteure tragen somit zur Produktion und Rekonstruktion der Raumprojekte der EU bei, sie fördern die Erzeugung und Durchsetzung von bestimmten strategischen Raumbildern EU-politischen Handlungsräumen (SAP und ENP).820 Die an Migrationssteuerung beteiligten Akteure sind somit selbst »Raumproduzenten« und »Rauminstrumentalisierer«, sie »machen« alltäglich selbst »Geographie« (Kapitel 2.1.4). Da sehr häufig auf Raum referiert wird, wenn es um die Beobachtung des Problems und die Gefahr der illegalen Migration oder des Menschenhandels, die (räumliche) Identifizierung von Steuerungserfordernissen, die Begründung und 819 WALTERS spricht von einer »Imagined Spatiality« und einer gewissen Form der »Geographisierung« von Migrationspolitik im Zuge des »Anti-Illegal Immigration Discourse« der EU und der EU-Migrationspolitik, vgl. Walters (2008) und Walters (2010). 820 Siehe Kapitel 2.1.5.

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schließlich auch die Konzeption und Umsetzung von Steuerungseingriffen geht, wird suggeriert, dass Migration durch raumbezogene Eingriffen steuerbar ist, die Steuerung von Migration deshalb in Form von räumlich ausgerichteten bzw. raumorientierten Eingriffen zu geschehen habe – Raum dient also nicht nur als Beobachtungs- und Argumentationskonzept, die Kategorie Raum ist auch für den Einsatz in raumbezogenen Steuerungskonzepten angedacht; Raum soll als Steuerungskonzept dienen. In Bezug auf einige der untersuchten Steuerungsaktivitäten (Beispiel Informationskampagnen) könnte man deshalb berechtigterweise von »raumorientierten Präventionsstrategien«821 sprechen, mit denen versucht wird, die illegale respektive unerwünschte Migration unter Kontrolle zu bekommen und zu steuern. Ganz in diesem Sinne äußert sich die Europäische Kommission in einer ihrer Mitteilungen, in der es heißt, dass im Interesse des Schutzes der EU-Staaten vor illegalen Migrationsbewegungen »[...] mit und in den Drittstaaten [gehandelt werden müsse,] um die Risiken [bereits] im Vorfeld der Außengrenze festzustellen [...].«822

Der Raum vor der Außengrenze der EU soll, wie dieses Zitat nahelegt, im Hinblick auf das Risiko unerwünschter Migration »kalkulierbar« gemacht werden, ZANOTTI spricht diesbezüglich auch von »Calculated Spaces«, die im Rahmen von Bemühungen zur Ordnung, Risikoabschätzung und Steuerung entstehen.823 Interessanterweise fokussiert der Blick der untersuchten EU-Institutionen und spezialisierten IRO nicht, wie eigentlich vermutet, auf die gewohnte, traditionelle »lineare« Einflussmöglichkeit auf Migration – die Grenze – sondern eben gleich auf ganze »Raumcontainer«. Die Gouvernementalität der Migrationssteuerung nimmt dabei alle Individuen ins Visier, die innerhalb der als »Gefahrenräume« konstruierten Raumcontainer leben. Auf sie zielen dann beispielsweise die Informations- und Aufklärungskampagnen bzw. »Better Stay at Home«Strategien, die unter anderem die IOM seit Jahren schon in Albanien, BosnienHerzegowina und der Ukraine durchführt. Die in den Kapiteln 3 bis 5 diskutierten empirischen Belege zur Relevanz und Funktion des Raumes im Migrationspolitischen und für die Steuerung von Migration verweisen auf die Notwendigkeit einer politisch-geographischen, sowohl akteurs- und handlungsbezogenen als auch raumkonstruktivistisch orientierten Forschungsperspektive, wie sie in Kapitel 2.2 hergeleitet worden ist. Diese For821 Vgl. Michel (2005: 117): »Die Orientierung auf den Raum, die diesen zum wichtigen gouvernementalen Interventionsfeld macht, schreibt bestimmten Orten bestimmte Eigenschaften zu und deren spezifische Risiken werden mittels raumorientierter Präventionsstrategien zu minimieren versucht.« 822 P_016 (Punkt 37). 823 Siehe Zanotti (2005: 480).

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schungsperspektive stellt eine Erweiterung des bisherigen Blickwinkels der Geographischen und interdisziplinären Migrationsforschung dar.

6.4 Resümee – Beantwortung der Leitfragen Die vorliegende Arbeit hat sich unter dem Obertitel »Europäische Migrationspolitik und Raumproduktion« mit der mittlerweile weitgehend vergemeinschafteten Migrationspolitik der Europäischen Union (EU) beschäftigt. Der Schwerpunkt lag dabei allerdings nicht auf der EU und ihrer »gemeinsamen Migrationspolitik«, sondern auf den Steuerungsbeiträgen, die internationale Regierungsorganisationen (IRO) im Auftrag der EU und anderer Geldgeber in den Herkunfts- und Transitländern von Migranten erbringen. Die Europäisierung der Migrationspolitik, die im Rahmen dieser Arbeit auch als EU-ropäisierung der Migrationspolitik bzw. der Steuerung bezeichnet wird, um kenntlich zu machen, dass es sich um ein vornehmlich durch die Institutionen der EU vorangetriebenes Politikprojekt handelt, besteht neben der Supranationalisierung (Vergemeinschaftung) auch in einer weitgehenden Externalisierung und Exterritorialisierung von Steuerungsaufgaben. Die auf die Kontrolle, Prävention und Unterbindung unerwünschter Wanderungsbewegungen ausgerichteten Steuerungsvorstellungen der EU werden in vielen Fällen bereits außerhalb des Territoriums der EU-Mitgliedsstaaten umgesetzt, also exterritorial. Wie empirisch gezeigt werden konnte, erfolgt die in den Herkunfts- und Transitländern von Migranten stattfindende Implementation von Steuerungseingriffen tatsächlich in erster Linie nicht durch die EU selbst, sondern vor allem durch spezialisierte IRO. Bislang ist dieses Engagement von internationalen Regierungsorganisationen auf dem Gebiet der Migrationspolitik allerdings nur in wenigen wissenschaftlichen Arbeiten untersucht worden. Gerade für die Politische Geographie und die Geographische Migrationsforschung stellt das Zusammentreffen der Exterritorialisierung und Externalisierung von Migrationssteuerung im Kontext einer Europäisierung der Migrationspolitik aber ein höchst interessantes Forschungsthema dar. Die in der vorliegenden Arbeit diskutierten empirischen Befunde belegen die hohe Forschungsrelevanz dieses Themas. In einem ersten Schritt ist auf der Grundlage von Theorieangeboten der Sozialgeographie (einschließlich der Politischen Geographie), der Sozialwissenschaften sowie der interdisziplinären Migrationsforschung eine politisch-geographische Forschungsperspektive hergeleitet worden. Diese Forschungsperspektive, die einer perspektivischen Erweiterung der Migrationsforschung dienen könnte, setzt sich sowohl aus einer akteurs- und handlungsbezogenen Herangehensweise als auch einer raumkonstruktivistisch inspirierten Perspektive zusammen. Mithilfe der hergeleiteten Forschungsperspektive wurden in den beiden empirischen Teilen der Arbeit (Kapitel 3 und 4 sowie Kapitel 5) drei 287 12:13:45.

nete Leitfragen (LF1 bis LF3) verfolgt. Diese drei Leitfragen wurden in sechs Erkenntnisinteressen (E1 bis E6) unterteilt, deren Beantwortung jeweils am Ende der beiden empirischen Teile erfolgte. Die empirische Untersuchung konzentrierte sich neben der EU-Migrationspolitik (Textanalyse zu den Verlautbarungen des Europäischen Rates, des Ministerrates für Justiz und Inneres und der Europäischen Kommission) auf die drei Nicht-EU-Staaten Albanien, Bosnien-Herzegowina und Ukraine und die vier wichtigsten, in diesen Ländern tätigen internationalen Regierungsorganisationen – das »International Centre for Migration Policy Development« (ICMPD), die »International Organization for Migration« (IOM), die »Organization for Security and Co-Operation in Europe« (OSCE) und das »Office of the United Nations High Commissioner for Refugees« (UNHCR) (Textanalyse der Verlautbarungen dieser Organisationen und Experteninterviews mit Vertretern dieser und anderer Akteure) »Wie und warum tragen spezialisierte IRO zur Steuerung internationaler Migration bei? (LF1)« Die vier untersuchten IRO greifen in das Wanderungsgeschehen der Untersuchungsländer sowohl aufgrund des ihnen durch ihre Mitgliedsstaaten übertragenen Mandats ein als auch auf der Basis der ihnen überantworteten Steuerungsaufträge. Diese Aufträge erhalten das ICMPD, die IOM, die OSCE und das UNHCR in vielen Fällen von der Europäischen Kommission. Die Umsetzung der Steuerungsaktivitäten erfolgt im Verbund mit lokalen staatlichen und nichtstaatlichen Akteuren der Implementationsländer, internationalen Nichtregierungsorganisationen, vor Ort vertretenen EU-Akteuren, anderen internationalen Regierungsorganisationen und weiteren Akteuren, zu denen auch Entwicklungsagenturen anderer Staaten zählen (beispielsweise USAID). Zu den Steuerungseingriffen von IRO zählt unter anderem die Erhebung und Weitervermittlung steuerungsdienlicher Wissensbestände. IRO bieten außerdem Trainings für den Grenzschutz der Implementationsstaaten an. In einigen Fällen sind sie außerdem damit betraut, für die Implementationsstaaten steuerungsdienliche Handlungsprogramme aufzustellen. So hat beispielsweise die IOM für das Untersuchungsland Albanien einen umfangreichen Maßnahmenkatalog an Steuerungsmaßnahmen aufgestellt (albanische Migrationsstrategie). Einige der untersuchten IRO unterstützen mit eigenen operativen Tätigkeiten auch die Rückkehr und Reintegration von illegalen Migranten und abgelehnten Asylbewerbern, während mit ihrer Hilfe zugleich Kapazitäten geschaffen werden, um Asylbewerber in den Implementationsländern aufnehmen zu können. Ein wichtiges Aufgabenfeld stellt auch der Schutz und die Rehabilitation von Opfern des Menschenhandels dar, einschließlich der Prävention des »Traffickings in Human Beings« durch

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legte Informationskampagnen. Eine der untersuchten IRO bietet zudem auch Informationsmöglichkeiten für »sichere« und legale Migration an. »Welche Folgen sind mit den Steuerungsversuchen dieser spezialisierten Akteure verbunden? (LF2)« In allen drei Untersuchungsländern haben sich Politiknetzwerke verfestigt, die der Übernahme nationaler Verantwortlichkeit (National Ownership) im Wege stehen. Die drei untersuchten Länder Albanien, Bosnien-Herzergowina und Ukraine bleiben dadurch migrationspolitisch weitgehend fremdbestimmt. Ihre staatliche Souveränität ist durch die Fortschreibung von Steuerungseingriffen stark beschnitten worden, dabei sind hinsichtlich der Steuerungseingriffe spezialisierter IRO berechtigte Zweifel hinsichtlich der demokratischen Legitimität und Transparenz dieser Maßnahmen zu äußern. Gleiches gilt im Hinblick auf die Frage, ob die vorgenommenen Steuerungseingriffe tatsächlich zur Prävention und Reduzierung illegaler Wanderungsbewegungen geführt haben. Alle drei Untersuchungsländer sind mit ihren Staatsbürgern in einem fortgesetzten Zirkel der Restriktion und Re-Stigmatisierung gefangen. Die aus humanitärer und sozialer Hinsicht bedenklichsten Folgen haben die Migranten zu tragen. Obwohl nicht abgeschätzt werden kann, ob die Steuerungseingriffe spezialisierter IRO zu einer positiven Veränderung der Wanderungssituation (Rückgang illegaler Migration) für die EU beigetragen haben, setzt die EU weiterhin auf Restriktion und den mit Hilfe von spezialisierten IRO erreichten Ausbau von Grenzschutzmaßnahmen. Mit ihren Steuerungsaktivitäten kommen die untersuchten Organisationen der EU zu Hilfe, sie übernehmen wichtige Funktionen im Rahmen der EU-Migrationspolitik und der Externalisierung und Exterritorialisierung von Migrationssteuerung. »Welche Funktion kommt der Kategorie Raum im Prozess der Europäisierung von Migrationssteuerung und im Zuge der Steuerungsversuche internationaler Regierungsorganisationen zu? (LF3)« In den beiden empirischen Teilen der Arbeit konnte anhand einer Vielzahl von Textpassagen und Interviewauszügen gezeigt werden, dass im Rahmen von Migrationssteuerung sehr häufig auf Raum referiert wird. Die Kategorie Raum erfährt demnach Relevanz, sie ist bedeutsam und übernimmt verschiedene Funktionen im Migrationspolitischen, in der EU-Migrationspolitik und im Prozess einer Europäisierung der Migrationssteuerung. Strategische Verortungen bzw. Verräumlichungen bilden das Fundament für das Projekt einer »gemeinsamen« EU-Migrationspolitik und der Steuerungseingriffe internationaler Regierungsorganisationen. Raum dient als Beobachtungs- und als Argumentationskonzept: 289 12:13:57.

Migration wird raumbezogen wahrgenommen, auf bestimmte »Räume« wird verwiesen, wenn es darum geht, Migration als Problem und Gefahr zu konnotieren und zu verorten, oder wenn es gilt, den Steuerungsbedarf im Hinblick auf bestimmte Raumeinheiten sichtbar zu machen und dann letztlich auch die Notwendigkeit von Steuerungseingriffen argumentativ abzustützen. Auch die untersuchten spezialisierten IRO tragen zur Produktion und Rekonstruktion der Raumprojekte der EU bei, sie sind selbst Raumproduzenten und Rauminstrumentalisierer. Sie und die untersuchten EU-Institutionen suggerieren, dass Migration durch raumbezogene Eingriffe steuerbar ist, die Steuerung von Migration deshalb in Form von räumlich ausgerichteten bzw. raumorientierten Eingriffen zu geschehen habe – Raum dient also auch als Steuerungskonzept.

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Anhang A1

Ausgewertete Primärdokumente P_001 Kommission der Europäischen Gemeinschaften (2005): Mitteilung der Kommission: Strategischer Plan zur legalen Zuwanderung [KOM (2005) 669 endgültig, 21.12.2005]. Brüssel. P_002 Kommission der Europäischen Gemeinschaften (2003): Mitteilung der Kommission an den Rat, das Europäische Parlament, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss und den Ausschuss der Regionen: Über Einwanderung, Integration und Beschäftigung [KOM (2003) 336 endgültig, 03.06.2003]. Brüssel. P_003 Europäischer Rat (2001): Europäischer Rat von Laeken 14. und 15. Dezember 2001. Schlussfolgerungen des Vorsitzes. Brüssel. P_004 Kommission der Europäischen Gemeinschaften (2001): Arbeitsdokument der Kommission: Das Verhältnis zwischen der Gewährleistung der inneren Sicherheit und der Erfüllung der Anforderungen aus internationalen Schutzverpflichtungen und den diesbezüglichen Instrumenten [KOM (2001) 743 endgültig, 05.12.2001]. Brüssel. P_005 Kommission der Europäischen Gemeinschaften (2000): Mitteilung der Kommission an den Rat und das Europäische Parlament: Über eine Migrationspolitik der Gemeinschaft [KOM (2000) 757 endgültig, 22.11.2000]. Brüssel. P_006 Kommission der Europäischen Gemeinschaften (2002): Vorschlag für eine Richtlinie des Rates: Über die Erteilung kurzfristiger Aufenthaltstitel für Opfer der Beihilfe zur illegalen Einwanderung und des Menschenhandels, die mit den zuständigen Behörden kooperieren [KOM (2002) 71 endgültig, 11.02.2002]. Brüssel. P_007 Kommission der Europäischen Gemeinschaften (2001): Mitteilung der Kommission an den Rat und das Europäische Parlament: Über eine gemeinsame Politik auf dem Gebiet der illegalen Einwanderung [KOM (2001) 672 endgültig, 15.11.2001]. Brüssel. P_008 Kommission der Europäischen Gemeinschaften (2002): Mitteilung der Kommission an den Rat und das Europäische Parlament: Einbeziehung von Migrationsbelangen in die Beziehungen der Europäischen Union zu Drittländern: I. Migration und Entwicklung – II. Bericht über die Wirksamkeit der auf Gemeinschaftsebene verfügbaren finanziellen Mittel im Hinblick auf die Rückführung von Einwanderern und abgelehnten Asylbewerbern, die Verwaltung der Außengrenzen und die Durchführung von Projekten im Bereich Asyl und Migration in Drittländern [KOM (2002) 703 endgültig, 03.12.2002]. Brüssel. P_009 Kommission der Europäischen Gemeinschaften (2004): Mitteilung der Kommission an den Rat, das Europäische Parlament, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss und den Ausschuss der Regionen: Studie über die Zusammenhängen zwischen legaler und illegaler Migration [KOM (2004) 412 endgültig, 04.06.2004]. Brüssel. P_010 Kommission der Europäischen Gemeinschaften (2001): Mitteilung der Kommission an den Rat und das Europäische Parlament: Bekämpfung des Menschenhandels und Bekämpfung der sexuellen Ausbeutung von Kindern und der Kinderpornographie. Vorschlag für einen Rahmenbeschluss des Rates zur Bekämpfung des Menschenhandels. Vorschlag für einen Rahmenbeschluss des Rates zur Bekämpfung der sexuellen Ausbeutung von Kindern und der Kinderpornographie [KOM (2000) 854 endgültig /2, 22.01.2001]. Brüssel.

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P_011 Kommission der Europäischen Gemeinschaften (2003): Mitteilung der Kommission an den Rat und das Europäische Parlament: Über die gemeinsame Asylpolitik und die Agenda für den Flüchtlingsschutz. Zweiter Bericht der Kommission über die Durchführung der Mitteilung KOM (2000) 755 endgültig vom 22. November 2000 [KOM (2003) 152 endgültig, 26.03.2003]. Brüssel. P_012 Kommission der Europäischen Gemeinschaften (2005): Grünbuch: Über ein EU-Konzept zur Verwaltung der Wirtschaftsmigration [KOM(2004) 811 endgültig, 11.01.2005]. Brüssel. P_013 Commission of the European Communities (1998): Communication from the Commission to the Council and the European Parliament: For further Actions in the Fight against Trafficking in Women [COM (1998) 726 final, 09.12.1998]. Brussels. P_014 Rat der Europäischen Union (2001): Richtlinie 2001/55/EG des Rates vom 20. Juli 2001: Über Mindestnormen für die Gewährleistung vorübergehenden Schutzes im Falle eines Massenzustroms von Vertriebenen und Maßnahmen zur Förderung einer ausgewogenen Verteilung der Belastungen, die mit dieser Aufnahme dieser Personen und den Folgen dieser Aufnahme verbunden sind, auf die Mitgliedsstaaten [Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaften L 212 (12) vom 07.08.2001: 12-23]. Brüssel. P_015 Rat der Europäischen Union (2004): Richtlinie 2004/82/EG des Rates vom 29. April 2004: Über die Verpflichtung von Beförderungsunternehmen, Angaben über die beförderten Personen zu übermitteln [Amtsblatt der Europäischen Union L261 vom 06.08.2004: 24-27]. Brüssel. P_016 Kommission der Europäischen Gemeinschaften (2002): Mitteilung der Kommission an den Rat und das Europäische Parlament: Auf dem Weg zu einem integrierten Grenzschutz an den Außengrenzen der EU-Mitgliedsstaaten [KOM (2002) 233 endgültig, 07.05.2002]. Brüssel. P_017 Rat der Europäischen Union (2001): Verordnung 2001/539/EG des Rates vom 15. März 2001: Zur Aufstellung der Liste der Drittländer, deren Staatsangehörige beim Überschreiten der Außengrenzen im Besitz eines Visums sein müssen, sowie der Liste der Drittländer, deren Staatsangehörige von dieser Visumpflicht befreit sind [Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaften L81 vom 21.03.2001: 1-7]. Brüssel. P_018 Kommission der Europäischen Gemeinschaften (2002): Mitteilung der Kommission an den Rat und das Europäische Parlament: Über eine Gemeinschaftspolitik zur Rückkehr illegal aufhältiger Personen [KOM (2002) 564 endgültig, 14.10.2002]. Brüssel. P_019 Kommission der Europäischen Gemeinschaften (2005): Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlamentes und des Rates: Über gemeinsame Normen und Verfahren in den Mitgliedsstaaten zur Rückführung illegal aufhältiger Drittstaatsangehöriger [KOM (2005) 391 endgültig, 01.09.2005]. Brüssel. P_020 Kommission der Europäischen Gemeinschaften (2002): Grünbuch: Über eine Gemeinschaftspolitik zur Rückkehr illegal aufhältiger Personen [KOM (2002) 175 endgültig, 10.04.2002]. Brüssel. P_021 Rat der Europäischen Union (2004): Richtlinie 2004/83/EG des Rates vom 29. April 2004: Über Mindestnormen für die Anerkennung und den Status von Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen als Flüchtlinge oder als Personen, die anderweitig internationalen Schutz benötigen, und über den Inhalt des zu gewährenden Schutzes [Amtsblatt der Europäischen Union L304 vom 30.09.2004: 12-23]. Brüssel.

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P_022 Kommission der Europäischen Gemeinschaften (2000): Mitteilung der Kommission an den Rat und das Europäische Parlament: Für ein gemeinsames Asylverfahren und einen unionsweit geltenden einheitlichen Status für die Personen, denen Asyl gewährt wird [KOM (2000) 755 endgültig, 22.11.2000]. Brüssel. P_023 Rat der Europäischen Union (2003): Richtlinie 2003/9/EG des Rates vom 27. Januar 2003: Zur Festlegung von Mindestnormen für die Aufnahme von Asylbewerbern in den Mitgliedsstaaten [Amtsblatt der Europäischen Union L31 vom 06.02.2003: 18-25]. Brüssel. P_024 Kommission der Europäischen Gemeinschaften (2003): Mitteilung der Kommission an den Rat und das Europäische Parlament: Für leichter zugängliche, gerechtere und besser funktionierende Asylsysteme [KOM (2003) 315 endgültig, 03.06.2003]. Brüssel. P_025 Rat der Europäischen Union (2004): Richtlinie 2004/81/EG des Rates vom 29. April 2004: Über die Erteilung von Aufenthaltstiteln für Drittstaatsangehörige, die Opfer des Menschenhandels sind oder denen Beihilfe zur illegalen Einwanderung geleistet wurde und die mit den zuständigen Behörden kooperieren [Amtsblatt der Europäischen Union L261 vom 06.08.2004: 19-23]. Brüssel. P_026 Rat der Europäischen Union (2003): Richtlinie 2003/86/EG des Rates vom 22. September 2003: Betreffend das Recht auf Familienzusammenführung [Amtsblatt der Europäischen Union L251 vom 03.10.2003: 12-18]. Brüssel. P_027 Europäischer Rat (2002): Europäischer Rat von Sevilla 21. und 22. Juni 2002. Schlussfolgerungen des Vorsitzes. Brüssel. P_028 Europäischer Rat (2003): Europäischer Rat von Thessaloniki 19. und 20. Juni 2003. Schlussfolgerungen des Vorsitzes. Brüssel. P_029 Kommission der Europäischen Gemeinschaften (2005): Mitteilung der Kommission an den Rat, das Europäische Parlament, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss und den Ausschuss der Regionen: Migration und Entwicklung: Konkrete Leitlinien [KOM (2005) 390 endgültig, 01.09.2005]. Brüssel. P_030 Kommission der Europäischen Gemeinschaften (2005): Mitteilung der Kommission an den Rat und das Europäische Parlament: Über regionale Schutzprogramme [KOM (2005) 388 endgültig, 01.09.2005]. Brüssel. P_031 Kommission der Europäischen Gemeinschaften (2004): Mitteilung der Kommission an den Rat und das Europäische Parlament: Zur kontrollierten Einreise von Personen, die internationalen Schutz benötigen, in die EU und zur Stärkung der Schutzkapazität von Herkunftsregionen – »Verbesserung des Zugangs zu dauerhaften Lösungen« [KOM (2004) 410 endgültig, 04.06.2004]. Brüssel. P_032 Kommission der Europäischen Gemeinschaften (2005): Mitteilung der Kommission an den Rat und das Europäische Parlament: Vorrangige Maßnahmen zur Lösung von Migrationsproblemen. Erste Folgemaßnahmen nach Hampton Court [KOM(2005) 621 endgültig, 30.11.2005]. Brüssel. P_033 Commission of the European Communities (1997): Commission Services Report: Regional Approach to the Countries of South-Eastern Europe: Compliance with the Conditions set out in the Council Conclusions of 29 April 1997 [First Conditionality Report]. BosniaHerzegovina, Croatia, Federal Republic of Yugoslavia [03.10.1997]. Brussels. P_034 Commission of the European Communities (1997): Commission Services Report: Regional Approach to the Countries of South-Eastern Europe: Compliance with the Conditions set out in the Council Conclusions of 29 April 1997 [First Conditionality Report]. The former Yugoslav Republic of Macedonia, and Albania [03.10.1997]. Brussels.

323 12:14:26.

P_035 Commission of the European Communities (1998): Commission Staff Working Paper: Regional Approach to the Countries of South-Eastern Europe: Compliance with the Conditions in the Council Conclusions of 29 April 1997 [Second Conditionality Report]. Bosnia and Herzegovina, Croatia, Federal Republic of Yugoslavia, former Yugoslav Republic of Macedonia and Albania [SEC (1998) 586, 30.03.98]. Brussels. P_036 Commission of the European Communities (1998): Commission Staff Working Paper: Regional Approach to the Countries of South-Eastern Europe: Compliance with the Conditions in the Council Conclusions of 29 April 1997 [Third Conditionality Report]. Bosnia and Herzegovina, Croatia, Federal Republic of Yugoslavia, former Yugoslav Republic of Macedonia and Albania [SEC (98) 1727, 19.10.98]. Brussels. P_037 Commission of the European Communities (1999): Commission Staff Working Paper: On Compliance with the Conditions set out in the Council Conclusions of 29 April 1997, in the Framework of the Regional Approach to the Countries of South-Eastern Europe [Fourth Conditionality Report]. Bosnia and Herzegovina, Croatia, Federal Republic of Yugoslavia, former Yugoslav Republic of Macedonia and Albania [SEC (99) 714, 17.05.99]. Brussels. P_038 Commission of the European Communities (2000): Commission Staff Working Paper: EU Stabilisation and Association Process for the Countries of South-Eastern Europe. Compliance with the Council Conclusions of 29 April 1997 & 21/22 June 1999 [Fifth Conditionality Report]. Bosnia and Herzegovina, Croatia, Federal Republic of Yugoslavia, former Yugoslav Republic of Macedonia and Albania [SEC (2000) 168 /2, 09.02.00]. Brussels. P_039 Kommission der Europäischen Gemeinschaften (2000): Mitteilung der Kommission an den Rat und das Europäische Parlament: Über die Schlußfolgerungen für das weitere Vorgehen. Maßnahmen der EU zur Stabilisierung und Assoziierung der Länder Südosteuropas: Bosnien und Herzegowina, Kroatien, Bundesrepublik Jugoslawien, ehemalige jugoslawische Republik Mazedonien und Albanien [KOM (20002) 49 endgültig /2, 02.03.2000], Brüssel. P_040 European Council (2000): Santa Maria da Feira European Council 19 and 20 June 2000. Presidency Conclusions. Brussels. P_041 European Union (2000): Zagreb Summit 24 September 2000. Final Declaration. Press Release. Brussels. P_042 Kommission der Europäischen Gemeinschaften (2001): Bericht der Kommission an den Rat: Über die Arbeit der Hochrangigen Lenkungsgruppe EU-Albanien zur Vorbereitung der Verhandlungen über ein Stabilisierungs- und Assoziierungsabkommen mit Albanien [KOM (2001) 300 endgültig, 06.06.2001]. Brüssel. P_043 Kommission der Europäischen Gemeinschaften (2002): Bericht der Kommission: Der Stabilisierungs- und Assoziierungsprozess für Südosteuropa. Erster Jahresbericht [KOM (2002) 163 endgültig, 03.04.2002]. Brüssel. P_044 Commission of the European Communities (2002): Commission Staff Working Document: Albania Stabilisation and Association Report 2002 [SEC (2002) 339, 04.04.2002]. Brussels. P_045 Commission of the European Communities (2002): Commission Staff Working Document: Bosnia and Herzegovina Stabilisation and Association Report 2002 [SEC (2002) 340, 04.04.2002]. Brussels. P_046 Kommission der Europäischen Gemeinschaften (2003): Bericht der Kommission: Der Stabilisierungs- und Assoziierungsprozess für Südosteuropa. Zweiter Jahresbericht [KOM (2003) 139, 26.03.2003]. Brüssel.

324 12:14:26.

P_047 Commission of the European Communities (2003): Commission Staff Working Document: Albania Stabilisation and Association Report 2003 [SEC (2003) 339, 26.03.2003]. Brussels. P_048 Commission of the European Communities (2003): Commission Staff Working Document: Bosnia and Herzegovina Stabilisation and Association Report 2003 [SEC (2003) 340, 26.03.2003]. Brussels. P_049 Kommission der Europäischen Gemeinschaften (2003): Mitteilung der Kommission an den Rat und das Europäische Parlament: Der Westbalkan und die europäische Integration [KOM (2003) 285 endgültig, 21.05.2003]. Brüssel. P_050 European Union (2003): EU-Western Balkans Summit Declaration, Thessaloniki 21 June 2003. Press Release. Brussels. P_051 Kommission der Europäischen Gemeinschaften (2004): Bericht der Kommission: Der Stabilisierungs- und Assoziierungsprozess für Südosteuropa. Dritter Jahresbericht [KOM (2004) 202 endgültig, 30.03.2004]. Brüssel. P_052 Commission of the European Communities (2004): Commission Staff Working Document: Albania Stabilisation and Association Report 2004 [SEC (2004) 374/2]. Brussels. P_053 Commission of the European Communities (2004): Commission Staff Working Document: Bosnia and Herzegovina Stabilisation and Association Report 2004 [SEC (2004) 375]. Brussels. P_054 Kommission der Europäischen Gemeinschaften (2005): Albanien Fortschrittsbericht 2005 [SEK (2005) 1421, 09.11.2005]. Brüssel. P_055 Kommission der Europäischen Gemeinschaften (2005): Bosnien und Herzegowina 2005 Fortschrittsbericht [SEK (2005) 1422, 09.11.2005]. Brüssel. P_056 Kommission der Europäischen Gemeinschaften (2006): Mitteilung der Kommission an den Rat und das Europäische Parlament: Der westliche Balkan auf dem Weg in die EU: Konsolidierung der Stabilität und Steigerung des Wohlstands [KOM (2006) 27 endgültig, 27.01.2006]. Brüssel. P_057 Council of the European Union (2006): Stabilisation and Association Agreement between the European Communities and their Member States, of the one part, and the Republic of Albania, of the other part [22.05.2006]. Brussels. P_058 Commission of the European Communities (2006): Commission Staff Working Document: Albania 2006 Progress Report [SEC (2006) 1383, 08.11.2006]. Brussels. P_059 Commission of the European Communities (2006): Commission Staff Working Document: Bosnia and Herzegovina 2006 Progress Report [SEC (2006) 1384, 08.11.2006]. Brussels. P_060 European Communities/Government of Ukraine (1994): Partnership and Co-operation Agreement between the European Communities and their Member States, and Ukraine. Brussels/Kiev. P_061 Kommission der Europäischen Gemeinschaften (2004): Arbeitsdokument der Kommissiondienststellen: Europäische Nachbarschaftspolitik. Länderbericht Ukraine [SEK (2004) 566,12.05.2004]. Brüssel. P_062 Kommission der Europäischen Gemeinschaften (2007): Europäisches Nachbarschaftsund Partnerschaftsinstrument. Ukraine Länderstrategiepapier 2007-2013 [Annex in englischer Sprache]. Brüssel. P_063 European Communities/Government of Ukraine (2007): Revised EU-Ukraine Action Plan on Freedom, Security and Justice Challenges and Strategic Aims. Brussels/Kiev.

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P_064 Kommission der Europäischen Gemeinschaften (2003): Tacis-Regionales Aktionsprogramm 2003 für die Ukraine. Brüssel: http://ec.europa.eu/europeaid/projects/tacis/publicat ions_en.htm#national (20.11.2009). P_065 Kommission der Europäischen Gemeinschaften (2006): Mitteilung der Kommission an den Rat und das Europäische Parlament: Erweiterungsstrategie und wichtigste Herausforderungen für den Zeitraum 2006-2007 mit Sonderbericht über die Fähigkeit der EU zur Integration neuer Mitglieder [KOM (2006) 649 endgültig, 08.11.2006]. Brüssel. P_066 Kommission der Europäischen Gemeinschaften, 2001, Vorschlag für eine Richtlinie des Rates: Über die Bedingungen für die Einreise und den Aufenthalt von Drittstaatsangehörigen zur Ausübung einer unselbständigen oder selbständigen Erwerbstätigkeit [KOM (2001) 386 endgültig, 11.07.2001], Brüssel. P_067 Europäischer Rat (1999): Europäischer Rat von Tampere 15. und 16. Oktober 1999. Schlussfolgerungen des Vorsitzes. Brüssel. P_068 Europäischer Rat (2004): Europäischer Rat von Brüssel 4. und 5. November 2004. Schlussfolgerungen des Vorsitzes. Anlage 1: Haager Programm zur Stärkung von Freiheit, Sicherheit und Recht in der Europäischen Union. Brüssel. P_069 Europäischer Rat (2003): Ein sicheres Europa in einer besseren Welt. Europäische Sicherheitsstrategie. Brüssel. P_070 Rat der Europäischen Union (2001): EU-Aktionsplan für den Bereich Justiz und Inneres in der Ukraine [Amtsblatt der Europäischen Union Nr. C 077 vom 29.03.2003: 1-5]. Brüssel. P_071 Kommission der Europäischen Gemeinschaften (2002): Mitteilung der Kommission an den Rat und das Europäische Parlament: Größeres Europa - Nachbarschaft: Ein neuer Rahmen für die Beziehungen der EU zu ihren östlichen und südlichen Nachbarn [KOM (2003) 104 endgültig, 11.03.2003]. Brüssel. P_072 Hofmann, Martin et al. [International Centre for Migration Policy Development] (2004): The Multilateral Response to Migration in Europe. In: Jandl, Michael/Stacher, Irene (Hrsg.): Towards a Multilateral Migration Regime. Special Anniversary Edition dedicated to Jonas Widgren. Vienna, 79-114. P_073 Widgren, Jonas (2002): New Trends in European Migration Policy Cooperation [Paper presented to the Migration Seminar at MIT, Cambridge 19 November 2002]. Vienna. P_074 IOM/Federal Office for Migration (2005) (Hrsg.): Interstate Cooperation and Migration. Berne/Geneva. P_075 IOM (2009): Mission Statement. Geneva: www.iom.ch (20.11.2009). P_076 UNHCR (2004): 2004 UNHCR Statistical Yearbook: Albania. Geneva, 210-211. P_077 UNHCR (2006): Statistical summary as at 31 March 2006. UNHCR Representation in Bosnia and Herzegovina. Sarajevo. P_078 UNHCR (2006): Summary statistics as of 1st March 2006. UNHCR Representation in Ukraine. Kiev. P_079 ICMPD (2005): Overview of the Migration Systems in the CIS countries. Vienna. P_080 IOM (2005): Migration Initiatives 2006. Geneva. P_081 UNHCR (2006): Update on UNHCR Operations in Belarus, Moldova and Ukraine [UNHCR Representation for Belarus, Moldova and Ukraine]. Kiev. P_082 ICMPD, 2005, ICMPD activities in the field of trafficking in human beings, Vienna. P_083 IOM (2008): World Migration 2008. Managing Labour Mobility in the Evolving Global Economy. Geneva.

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P_084 ICMPD (2006): 2005 Yearbook on Illegal Migration, Human Smuggling and Trafficking in Central and Eastern Europe. A Survey and Analysis of Border Management and Border Apprehension Data from 20 States. Vienna. P_085 ICMPD (2007): 2006 Yearbook on Illegal Migration, Human Smuggling and Trafficking in Central and Eastern Europe. A Survey and Analysis of Border Management and Border Apprehension Data from 20 States. Vienna. P_086 ICMPD (2008): 2007 Yearbook on Illegal Migration, Human Smuggling and Trafficking in Central and Eastern Europe. A Survey and Analysis of Border Management and Border Apprehension Data from 20 States. Vienna. P_087 ICMPD (2006): EU Justice, Freedom and Security Assessment Missions to Ukraine. Final report. Vienna. P_088 IOM Tirana (2006): Safe Migration is a Choice and an Opportunity [IOM AlbaniaNewsletter September 2006]. Tirana. P_089 IOM (2005): World Migration 2005. Costs and Benefits of International Migration. Geneva. P_090 ICMPD (2005): Definition of a Blue Border Management System in Albania. Prepared by the ICMPD. Commissioned and Funded by the Delegation of the European Community in Albania. Vienna. P_091 IOM (2005): Gap Analysis of Albanian Immigration Legislation and Practice as Compared to EU and International Standards. Tirana. P_092 IOM (2003): Gap Analysis of Albanian Legislation in the Field of Border Control. Tirana. P_093 IOM (2005): Voluntary Assisted Return and Reintegration Programme (VARPP). Tirana. P_094 IOM/Government of Greece (2006): The Return of Irregular Migrants to Albania. An Assessment of Case Processing, Reception and Return. Needs and Modalities. Athens/Tirana. P_095 IOM/Hellenic Republic Ministery of Interior, Public Administration and Decentralisation (2006): Compendium of Best Practices in Return, Readmission and Reintegration. Athens/Tirana. P_096 IOM/Hellenic Republic Ministery of Interior, Public Administration and Decentralisation, (2006): The Readmission Agreement between the European Community and the Republic of Albania. Manual for Application. Athens/Tirana. P_097 IOM/Hellenic Republic Ministery of Interior, Public Administration and Decentralisation (2006): Proposal for a System for Handling Irregular Migrants in Line with the EU Acquis and International Norms. Athens/Tirana. P_098 UNHCR (2005): Refugee Statistics in Ukraine. UNHCR Representation in Ukraine. Kiev. P_099 UNHCR (2006): Fortress Europe. The wall is getting higher. News from UNHCR [27.04.2006]. Kiev. P_100 Government of Albania/IOM (2004): National Strategy on Migration. Tirana. P_101 Government of Albania/IOM (2005): National Action Plan on Migration. Tirana. P_102 Government of Albania/IOM (2004): Press Release: The Launch of the National Strategy for Migration of Albania [20.12.2004]. Tirana. P_103 Kommission der Europäischen Gemeinschaften (2006): Infoportal: Programm CARDS. Brüssel: http://europa.eu.int/scadplus/leg/de/lvb/r18002.htm (04.06.2006).

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P_104 Commission of the European Commission (2001): Communication from Commissioner Vitorino to the Commission: On Framework for Preparatory Actions 2001. Budget line CoOperation with Third Countries in the Area of Migration B7-667. Brussels: http://ec.europa. eu/justice_home/funding/2004_2007/cooperation/content/framework_prep_actions_2001_e n.pdf (22.11.2009). P_105 Commission of the European Commission (2001): List of Selected projects HLWG 2001. Brussels: http://ec.europa.eu/justice/home/funding/cooperation/content/list_projects_ 2001_en.pdf (20.11.2009). P_106 Commission of the European Commission (2002): Communication from the Commission to the Council and the European Parliament: Integrating Migration Issues in the European Union’s Relations with Third Countries: 1. Migration and Development, 2. Report on the Effectiveness of Financial Resources Available at Community Level for Repatriation of Immigrants and Rejected Asylum Seekers, for Management of External Borders and for Asylum and Migration Projects in Third Countries [COM (2002) 703 final, 03.12.2002]. Brussels. P_107 Commission of the European Commission (2002): List of Selected Projects HLWG 2002. Brussels: http://ec.europa.eu/justice/home/funding/cooperation/content/list_projects_ 2002_en.pdf (20.11.2009). P_108 Commission of the European Commission (2003): List of Selected Projects HLWG 2003. Brussels: http://ec.europa.eu/justice/home/funding/cooperation/content/list_projects_ 2003_en.pdf (20.11.2009). P_109 Commission of the European Communities (2007): CARDS Statistics. Various Years. Brussels: http://ec.europa.eu/enlargement/financial_assistance/cards/statistics2000-2006_en. html (01.05.2007). P_110 EuropeAid (2010): Aeneas Programme. Overview of Projects funded 2004-2006. Brussels: http://ec.europa.eu/europeaid/infopoint/publications/europeaid/documents/aeneasoverv iew.pdf (01.02.2010). P_111 IOM (2003): First Annual Report on Trafficking in South-Eastern Europe. Geneva. P_112 IOM (2005): Second Annual Report on Victims of Trafficking in South-Eastern Europe. Geneva. P_113 UNHCR (2006): Global Appeal 2006. Geneva. P_114 Schatzer, Peter (2005): Welcoming Words. In: IOM/Government of the Republic of Albania, (Hrsg.): Workshop on the National Strategy for Migration. 21-22 February 2005. Selected Papers. Tirana, 19-21. P_115 Widgren, Jonas (1999): South-East Europe as a Key Area for Illegal Migration. Statement by Mr. Jonas Widgren at the Symposium organized by Bundesnachrichtendienst (BND) in Pullach (Germany) on 28 October 1999. Pullach. P_116 ICMPD (2000): How to Halt Illegal Migration to, from and through South East Europe? A Report on the Activities of the Working Group on South East Europe of the Budapest Group, with Proposals on Further Action in the Overall Framework of the Stability Pact. Vienna. P_117 OSCE [Task force on trafficking in human beings. Stability Pact for South Eastern Europe] (2004): South Eastern Europe’s Struggle Against Trafficking in Persons. Vienna. P_118 BBC Radio (2003): Ambassador Lipponen speaks about Trafficking, Interview with Head of the OSCE Presence in Albania Ambassador Osmo Lipponen [23 January 2003]. London/Tirana: http://www.osce.org/documents/pia/2003/01/18_en.pdf (20.11.2009).

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P_119 IOM Counter-Trafficking Service (2004): Changing Patterns and Trends of Trafficking in Persons in the Balkan Region. Assessment carried out in Albania, Bosnia and Herzegovina, the Province of Kosovo (Serbia and Montenegro), the Former Yugoslav Republic of Macedonia and the Republic of Moldova. Geneva. P_120 IOM (2000): World Migration Report 2000. Geneva. P_121 OSCE Mission to Bosnia and Herzegovina (2005): Trafficking in Humans in Bosnia and Herzegovina Follows Regional Trends. Sarajevo. P_122 ICMPD (2004): The Development of the Budapest Process since the Rhodes Ministerial Conference. Twelfth Meeting of the Budapest Group of Senior Officials. St. Petersburg 1112 October 2004. Vienna. P_123 ICMPD (2004): The 2003 Activity Report of ICMPD. Vienna.

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Anhang A2

Interviewleitfaden

Akteursinformationen

Entstehung der Organisation Mandat und Aktivitäten der Organisation

Wahrnehmung des Untersuchungslandes und der aktuellen Wanderungssituation

Wanderungsformen Trends der letzten Jahre Bedeutung und Konsequenzen der Migration

Steuerungsbedarf, Kapazitäten und Steuerungsakteure

Steuerungserfordernisse und Steuerungsvorschläge Steuerungskapazitäten und Steuerungsakteure Gründe des Engagements spezialisierter IRO

Steuerungsaktivitäten

Welchen Beitrag leistet der befragte Akteur? Aufgabenbereiche und Steuerungsaktivitäten Motive, Finanzierung und Legitimation Kooperation mit anderen Akteuren

Folgen der Steuerungsaktivitäten und der Europäisierung von Migrationssteuerung mit Hilfe spezialisierter IRO

Wirksamkeit, Angemessenheit und Effekte eigener Aktivitäten (Migranten, Wanderungssituation, Untersuchungsland, EU) Bewertung der Aktivitäten anderer Akteure (Wirksamkeit, Angemessenheit, Legitimation, Konsequenzen) Bewertung der Migrationspolitik der EU

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Anhang A3

Experteninterviews

ALBANIEN (AL) Internationale Regierungsorganisationen: I_01_AL ICMPD, Vertreterin des ICMPD in Albanien I_02_AL IOM, Leiter der IOM in Albanien und Mitarbeiter I_03_AL OSCE, Mitarbeiterin des »Anti-Trafficking-Teams« I_04_AL UNDP, Mitarbeiter der »Brain-Gain-Initiative« I_05_AL UNHCR, Leiter des UNHCR in Albanien und Mitarbeiter Lokale Vertretungen und Institutionen der Europäischen Union: I_06_AL EU, Delegation der Europäischen Kommission in Albanien: Leiter der Abteilung Justiz und Inneres I_07_AL PAMECA, Leiter des Teams Grenzschutzmanagement und Mitarbeiter Regierungsbehörden des Staates Albanien: I_08_AL Innenministerium, Direktorin des Direktorats für Flüchtlinge I_09_AL Innenministerium, Direktor des Direktorats für Grenzschutz und Ausländerangelegenheiten I_10_AL Ministerium für Arbeit und Soziales, Direktorin des Direktorats für Migration I_11_AL Ministerium für Arbeit und Soziales, Berater der Regierung für Migration Albanische Nichtregierungsorganisationen: I_12_AL AHRG, Vertreter der NRO I_13_AL Albanisches Rotes Kreuz, Direktorin I_14_AL BKTF, Direktorin I_15_AL CRCA, Direktor I_16_AL Hope for the Future, Direktorin und Mitarbeiterin I_17_AL Vatra, Projektkoordinatorin und Mitarbeiterin I_18_AL Gender Alliance for Development Centre, Projektmitarbeiterin Internationale Nichtregierungsorganisationen: I_19_AL Save the Children, Direktor und Projektkoordinator für Südosteuropa I_20_AL World Vision, Projektkoordinatorin für Albanien Forschungs- und Politikberatungsinstitute (Think Tanks): I_21_AL AIIS, Direktor I_22_AL CESS, Direktor Ausländische Organisationen der Entwicklungszusammenarbeit (in staatlicher Trägerschaft): I_23_AL GTZ (Deutschland), Koordinatorin I_24_AL Sida (Schweden), Vertreterin in Albanien und Mitarbeiterin

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I_25_AL USAID (USA), Beraterin für »Anti-Trafficking« BOSNIEN-HERZEGOWINA (BH) Internationale Regierungsorganisationen: I_26_BH ICMPD, Vertreterin des ICMPD in Bosnien-Herzegowina I_27_BH IOM, Leiterin der IOM in Bosnien-Herzegowina und Projektmitarbeiter I_28_BH OSCE, Leiter der OSCE in Bosnien-Herzegowina I_29_BH OSCE, Beraterin für Menschenrechte, Ökonomische und Soziale Rechte I_30_BH OSCE, Beraterin für »Anti-Trafficking« und Maßnahmen gegen illegale Migration I_31_BH OSCE, Leiterin der OSCE in der serbischen Teilrepublik (Bosnien-Herzegowina) I_32_BH UNDP, Leitender Mitarbeiter I_33_BH UNHCR, Leitende Mitarbeiterin I_34_BH UNICEF, Leitende Mitarbeiterin Lokale Vertretungen und Institutionen der Europäischen Union: I_35_BH EU, Delegation der Europäischen Kommission in Bosnien-Herzegowina: Leiter der Abteilung Justiz und Inneres I_36_BH EUPM, Berater für Grenzschutz Regierungsbehörden des Staates Bosnien-Herzegowina: I_37_BH DEI, Direktor des Direktorats für EU-Integration und Mitarbeiterin I_38_BH Ministerium für Menschenrechte und Flüchtlinge, Abteilungsleiter und Mitarbeiterin I_39_BH Ministerium für Sicherheit, Leiter, Abteilung für Immigration und Leiter, Abteilung für Asyl und Flüchtlingsrückkehr Lokale Nichtregierungsorganisationen Bosnien-Herzegowinas: I_40_BH Helsinki Komitee für Menschenrechte, Leiter des lokalen Komitees in BosnienHerzegowina I_41_BH Lara, Direktorin I_42_BH Vaša Prava, Direktorin I_43_BH Zenski Centar, Leiterin der NRO Internationale Nichtregierungsorganisationen: I_44_BH ICRC, Leiterin der Vertretung in Bosnien-Herzegowina I_45_BH La Strada, Leiterin der Vertretung in Bosnien-Herzegowina I_46_BH World Vision, Mitarbeiterin Ausländische Organisationen der Entwicklungszusammenarbeit (in staatlicher Trägerschaft): I_47_BH Sida (Schweden), Vertreter in Bosnien-Herzegowina I_48_BH USAID (USA), Berater für »Anti-Trafficking« UKRAINE (UA) Internationale Regierungsorganisationen: I_49_UA IOM, Leiter der IOM in der Ukraine I_50_UA IOM, Leitende Projektmitarbeiterinnen I_51_UA IOM, Mitarbeiter der Statistikabteilung I_52_UA IOM, Mitarbeiterin im Bereich »Anti-Trafficking«

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I_53_UA OSCE, Mitarbeiter im Bereich »Anti-Trafficking« I_54_UA UNHCR, Vertreterin für die Ukraine, Belarus und die Republik Moldau I_55_UA UNICEF, Leiter von UNICEF in der Ukraine Lokale Vertretungen und Institutionen der Europäischen Union: I_56_UA EU, Delegation der Europäischen Kommission in der Ukraine: Stellvertretender Delegationsleiter und Abteilungsleiter Regierungsbehörden der Ukraine: I_57_UA Ministerium für Arbeit und Soziales, Beraterin für Fragen der Arbeitsmigration I_58_UA Innenministerium, Abteilungsleiter, Bereich Migration I_59_UA Staatskomitee für Migration und Nationalitätenangelegenheiten, Abteilungsleiter, Bereich Migration Ukrainische Nichtregierungsorganisationen: I_60_UA Womens Consortium, Direktorin und Mitarbeiterin I_61_UA Nationales Komitee des Roten Kreuzes, Programmkoordinatorin I_62_UA NEEKA, Mitarbeiter I_63_UA Solidarity, Direktorin und Mitarbeiterin I_64_UA Rokada, Direktorin und Mitarbeiterin I_65_UA Salus, Programmkoordinatorin und Sozialarbeiterin Internationale Nichtregierungsorganisationen: I_66_UA Caritas Europa in der Ukraine, Leiter der Vertretung in der Ukraine I_67_UA HIAS, Programmkoordinator für die Ukraine I_68_UA La Strada, Projektkoordinatorin in der Ukraine Forschungs- und Politikberatungsinstitute (Think Tanks): I_69_UA ICPS, Expertin für Beziehungen der Ukraine zur EU und Experte für Sicherheitsund Verteidigungspolitik I_70_UA IST, Direktor I_71_UA UCIPR, Direktorin Ausländische Organisationen der Entwicklungszusammenarbeit (in staatlicher Trägerschaft): I_72_UA USAID, Berater für »Anti-Trafficking« BUDAPEST und WIEN I_73_B IOM, IOM-Mission mit regionalen Funktionen für Südosteuropa (Budapest): Leiterin und Mitarbeiter I_74_W ICMPD, Direktorin, Bereich Politikentwicklung und Mitarbeiter der Forschungsabteilung (Wien) I_75_W IOM-TCC, Leiter des Zentrums (Wien)

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