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German Pages 454 [448] Year 2023
Hans Blokland Migrationspolitik auf der Flucht
Kultur und soziale Praxis
Editorial Die Reihe Kultur und soziale Praxis präsentiert sozial- und kulturwissenschaftliche Studien, die zwischen empirischer Forschung, theoretischer Reflexion/ Konzeption und textueller Praxis neue Zugänge zu Kultur und sozialer Praxis entwickeln. Im Rahmen dieses Programms werden soziale Differenzen und identitäre Prozesse auf verschiedenen Ebenen und entlang verschiedener raumzeitlicher Achsen – etwa als (trans-)lokale oder (trans-)nationale Prozesse – untersucht.
Hans Blokland (Prof. Dr.) ist Direktor der NGO Social Science Works in Potsdam. Er lehrte Politikwissenschaft, Soziologie und Wissenschaftstheorie an der HumboldtUniversität zu Berlin und war Inhaber des Corelio-Lehrstuhls für Medien und Demokratie an der Freien Universität Brüssel sowie des Alfred-Grosser-Lehrstuhls für Soziologie an der Sciences Po in Frankreich. Außerdem hatte er Gastpositionen an der Yale University und der Manchester University inne und war Fellow der Königlichen Niederländischen Akademie der Künste und Wissenschaften.
Hans Blokland
Migrationspolitik auf der Flucht Erfahrungen von Neuankömmlingen mit Untätigkeit, Trägheit und Gleichgültigkeit Unter Mitarbeit von Laila Keeling, Sahba Salehi, Anjali Zyla und Nadia Lejaille
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Inhalt
Vorwort ..................................................................................13 Allgemeine Einleitung.................................................................... 19 Aufbau des Buches ..................................................................... 25
TEIL I. Interviews 1. 1.1 1.2 1.3
Einleitung .......................................................................... 29 Was veröffentlicht werden soll ...................................................... 29 Durchführung der Interviews ......................................................... 31 Auswahl der Interviewpartner ........................................................ 31
2. Afghanistan........................................................................ 33 Naseem.................................................................................. 33 Zayn ...................................................................................... 41 Gulshan ................................................................................. 43 Alieh..................................................................................... 48 Emad .................................................................................... 51 Sharif und Arezo ......................................................................... 55 Ali Ghaznawi ............................................................................. 60 Almar .................................................................................... 65 3. Algerien............................................................................ 69 Fatima .................................................................................. 69 4. Dagestan............................................................................ 71 Islam ..................................................................................... 71
5. Gambia............................................................................. 75 Ab ....................................................................................... 75 6. Irak ................................................................................. 81 Afra ...................................................................................... 81 Adeel .................................................................................... 82 7. Iran ................................................................................ 85 Kasra und Mona .......................................................................... 85 Sahar und Baran ......................................................................... 88 Majid .................................................................................... 92 Sarah .................................................................................... 99 8. Kamerun ...........................................................................107 Miranda ..................................................................................107 Ines .....................................................................................108 Mama Stacy, Stacy und Tom .............................................................. 112 Layanah ................................................................................. 116 Aline..................................................................................... 118 9. Libanon/Palästina ................................................................. 121 Yasmina ................................................................................. 121 Akilah ...................................................................................122 10. Marokko ...........................................................................127 Karina ...................................................................................127 11. Pakistan ...........................................................................129 Fidvi .....................................................................................129 Shireen ................................................................................. 130 12. Sierra Leone ....................................................................... 141 Joyce .................................................................................... 141 13. Syrien............................................................................. 143 Yaqout ..................................................................................143 Die Bashar Familie .......................................................................152 Zahra und Farida .........................................................................160 14. Tschetschenien ................................................................... 163 Khava................................................................................... 163
Malik ....................................................................................165 Dukvakha ................................................................................173 Malia und Eliana..........................................................................174 15. Türkei.............................................................................. 177 Meryem, Ayaz, und ihre Tochter Esila ..................................................... 177 16. Vietnam und Ukraine ............................................................. 183 Hung.................................................................................... 183
TEIL II. Auswertung der Interviews 1. 1.1 1.2 1.3 1.4 1.5 1.6 1.7 1.8
Das Verlassen des Heimatlandes: Gründe und Ursachen ..........................187 Politische Gründe .................................................................. 188 Krieg ...............................................................................190 Emanzipation und Gleichberechtigung ............................................... 191 »Persönliche Gründe« ............................................................. 193 Wirtschaftliche Gründe..............................................................195 Kettenmigration ....................................................................195 Medizinische Gründe ................................................................196 Ein Geflecht von Motivationen .......................................................197
2. 2.1 2.2 2.3 2.4 2.5
Die Reise nach Deutschland .......................................................199 Lange Reisen aus dem Nahen Osten mit langen Zwischenstopps......................199 Migration aus Afrika ............................................................... 202 Traumatische Reisen............................................................... 203 Schleusen von Menschen........................................................... 204 Mangelnde Kenntnisse und falsche Erwartungen in Bezug auf Deutschland .......... 206
3. 3.1 3.2 3.3
Erlernen der deutschen Sprache ................................................. 209 Viele Fremdsprachen, aber kein Deutsch.............................................210 Die Schwierigkeiten, Zugang zu Deutschkursen zu erhalten...........................212 Kein Deutschunterricht wegen fehlender Kinderbetreuung und traditioneller Geschlechterrollen ................................................214 Schneller Spracherwerb bei Kindern im Schulalter ...................................214 Deutsch lernen in der Arbeitswelt ...................................................216 Deutsch lernen mit Hilfe von Freiwilligen und Community-Mitgliedern ................. 217 Lernen im Alleingang................................................................218
3.4 3.5 3.6 3.7
4. 4.1 4.2 4.3 4.4 4.5
Arbeit und Bildung .................................................................221 Analphabetische Migranten......................................................... 222 Subsistenz und informelle Wirtschaft ............................................... 223 Frauen und Emanzipation .......................................................... 224 Gut ausgebildete Zuwanderer....................................................... 226 Illegale Arbeit ...................................................................... 229
5.
Die Bedeutung der Kinderbetreuung...............................................231
6. 6.1 6.2 6.3 6.4 6.5
Das Leben in den Flüchtlingsheimen ............................................. 235 Enge und fehlende Privatsphäre .................................................... 235 Physischer Zustand der Flüchtlingszentren und Hygiene............................. 237 Unterschiede zwischen den Menschen .............................................. 239 Mangel an Gemeinschaft, Einsamkeit und Gleichgültigkeit ............................241 Gesetzlosigkeit .................................................................... 242
7.
Der Wunsch nach einer eigenen Wohnung und das Problem, eine solche zu bekommen ..................................................................... 245
8. 8.1 8.2 8.3 8.4 8.5 8.6 8.7
Diskriminierung....................................................................251 Diskriminierung im Heimatland ......................................................251 Diskriminierung in Deutschland .................................................... 252 Verschleierte Diskriminierung ...................................................... 258 Begegnungen mit bürokratischen Institutionen ..................................... 258 Ungleiche Behandlung von Geflüchteten mit unterschiedlicher Staatsangehörigkeit .. 260 Ungleiche Behandlung von Flüchtlingen mit vergleichbarem Hintergrund .............261 Unverständnis für Behördenentscheidungen ........................................ 263
9.
Soziale Ausgrenzung und Einsamkeit............................................. 265
10. Leere, Müßiggang und Warten .....................................................271 11.
Psychische Gesundheitsprobleme ................................................ 277
12. Unterstützung .................................................................... 283 12.1 Fehlende Hilfe ..................................................................... 284 12.2 Fördernde Sozialarbeiter und Freiwillige ............................................ 285
13. Enttäuschungen, Desillusionierungen und Dankbarkeit .......................... 289 14. Zukünfte, Hoffnungen und Träume ............................................... 295 15. Haben die Interviews das Interesse von Lesern geweckt? ....................... 301
TEIL III. Quantitative Daten und Wahrnehmungen von Stakeholdern 1. 1.1 1.2 1.3 1.4 1.5 1.6 1.7 1.8 1.9
Daten zu den Flüchtlingen in den Wohnheimen in Teltow-Fläming ................ 311 Geschlechter, Kinder und Erwachsene ...............................................313 Herkunftsländer ....................................................................313 Alter................................................................................314 Familienstand ......................................................................315 Asylstatus ..........................................................................315 Aufenthaltsdauer ...................................................................316 Deutschkenntnisse der Bewohner ...................................................316 Kinder .............................................................................. 317 Arbeit und Schulung ................................................................318
2. 2.1 2.2 2.3 2.4 2.5 2.6 2.7 2.8 2.9 2.10
Themen in den Interviews mit Heimleitern und Sozialarbeitern...................321 Überlastung und Gleichgültigkeit ....................................................321 Unverständnis ..................................................................... 322 Vakuum ........................................................................... 322 Geistige Gesundheit ................................................................ 323 Arbeit ............................................................................. 323 Corona ............................................................................ 324 Bürokratie und Kuriose Briefe ...................................................... 324 Diskriminierung.................................................................... 325 Ehrenamtliche Arbeit .............................................................. 325 Ausschreibungen und Heime ....................................................... 326
3.
Themen in den Interviews mit Freiwilligen, Integrationsbeauftragten und Koordinatoren ................................................................ 327 Zahl und Aktivitäten der Ehrenamtlichen............................................ 327 Konzentration auf relativ erfolgreiche Flüchtlinge................................... 330 Vergessene Flüchtlinge, die selbständig leben....................................... 330 Gleichgültigkeit, Resignation, Pragmatismus .........................................331
3.1 3.2 3.3 3.4
TEIL IV. Erwägungen, Empfehlungen und Ausblick 1.
Offene Kommunikation ........................................................... 335
2.
Die Beweggründe für das Verlassen des Heimatlandes........................... 337
3.
Regulierte oder unregulierte Migration, und Arbeitskräfte ....................... 339
4.
Sprachkenntnisse ................................................................ 343
5.
Bildung der Erwachsenen......................................................... 349
6.
Kindergarten und Schule ......................................................... 353
7. 7.1 7.2 7.3 7.4 7.5
Integration in den Arbeitsmarkt .................................................. 357 Der lange Weg zur Arbeitsintegration ............................................... 357 Wer darf arbeiten? ................................................................. 358 Erklärungen für die niedrige Erwerbsbeteiligung .................................... 359 Nicht angemeldete Erwerbstätigkeit ................................................ 362 Was zu tun ist ..................................................................... 363
8. 8.1 8.2 8.3
Verwaltung........................................................................ 365 Die Aufteilung der Zuständigkeiten ................................................. 365 Erfahrungen von Flüchtlingen mit der Bürokratie ................................... 367 Erfahrungen von Sozialarbeitern, Freiwilligen und anderen Beteiligten mit der Bürokratie ................................................................. 369 8.4 Was ist zu tun? .................................................................... 370
9.
Wohnungsmarkt und ländlicher Raum ............................................ 375
10. Die Situation der Frauen .......................................................... 381 11.
Die Situation der Familienväter................................................... 385
12. Integration und Orientierung ..................................................... 387 13. Der physische Zustand der Übergangsheime ......................................391 13.1 Ausschreibungen von Flüchtlingszentren ........................................... 392
14. 14.1 14.2 14.3 14.4
Die soziale Situation in den Übergangsheimen ................................... 395 Das Fehlen einer Gemeinschaft ..................................................... 395 Diskriminierung.................................................................... 395 Gewalt ............................................................................. 396 Unterstützung durch Mitbewohner, Sozialarbeiter und Freiwillige .................... 396
15. 15.1 15.2 15.3 15.4
Die psychologische Situation der Bewohner...................................... 397 Eine Epidemie von Einsamkeit und ihre Folgen ...................................... 398 Erzwungene Untätigkeit ............................................................ 402 Warten ............................................................................ 402 Was ist zu tun? .................................................................... 403
16. Arbeitslosigkeit, Nichterwerbstätigkeit und ihre Auswirkungen ................. 405 16.1 Kurze und aktive Aufnahmezeit fördert den Integrationsprozess..................... 407 17. Freiwilligentätigkeit als Alternative oder Weg zu einer bezahlten Beschäftigung ................................................ 409 17.1 Leistungen von Migranten ........................................................... 411 17.2 Vorteile des freiwilligen Engagements ...............................................413 18. 18.1 18.2 18.3
Ausarbeitung einer persönlichen Akte und eines Integrationsplans ..............415 Die Probleme Einzelner handlungsfeldübergreifend erörtern.......................... 417 Integrationsverträge ................................................................418 Professionelles Coaching............................................................418
19. Aktivierende Rolle der Sozialarbeiter..............................................421 20. Zum Schluss ...................................................................... 423
TEIL V. Epilog .................................................................................. 427 Literatur ............................................................................... 433 Register .................................................................................441
Vorwort
Nach Angaben des Hohen Flüchtlingskommissars der Vereinten Nationen (UNHCR) gab es Anfang 2023 weltweit mehr als 100 Millionen Menschen, davon etwa 40 % Kinder, die aufgrund von Krieg und Gewalt gezwungen waren, ihr Zuhause aufzugeben. Etwa die Hälfte von ihnen hatte notgedrungen auch ihr Heimatland verlassen. Allein der Krieg in der Ukraine zwang acht Millionen Menschen, ins Ausland zu gehen. Rund sieben Millionen Menschen flohen aus Syrien, sechs Millionen aus Venezuela und drei Millionen aus Afghanistan. Die Zahl der Flüchtlinge steigt immer weiter an. Ständig brechen neue Kriege und Bürgerkriege aus, selbst dort, wo wir sie bis vor kurzem noch für unwahrscheinlich hielten. Überall gibt es Minderheiten, die von Mehrheiten oder Machthabern nicht respektiert werden und sich gezwungen sehen, ihre Heimat zu verlassen. Überall gibt es Streitigkeiten über nationale Grenzen; Grenzen, welche oft von Kolonialmächten relativ willkürlich gezogen wurden und Menschen in Ländern zusammenführen, die keine Nationen sind. Auch der Klimawandel und die großen internationalen Ungleichheiten in Bezug auf Wohlstand und Zukunftsaussichten treiben immer mehr Menschen in die Migration. Zwischen 2005 und 2010 beantragten im Durchschnitt etwa 30 Tausend Menschen in Deutschland Asyl (BAMF 2023). Danach stieg die Zahl von 200 Tausend im Jahr 2014, über 477 Tausend im Jahr 2015, auf 746 Tausend im Jahr 2016. Unter anderem aufgrund der eingeführten Restriktionen und der Corona-Pandemie sanken die Zahlen danach, erreichten aber 2022 wieder eine Viertelmillion, Tendenz steigend. Hinzu kommt, dass Deutschland mehr als eine Million registrierte Geflüchtete aus der Ukraine aufgenommen hat. Die meisten Asylanträge wurden 2022 von Menschen aus Syrien (32 %), Afghanistan (16 %), der Türkei (12 %), dem Irak (6 %), Georgien (4 %) und dem Iran (3 %) gestellt. Fast die Hälfte der Asylbewerber (46 %) war zwischen 18 und 35 Jahre alt und etwa 70 % waren männlich. Etwa ein Viertel bis ein Drittel der Anträge wird in keiner Weise bewilligt. Migration und Integration sind untrennbar mit vielen grundlegenden Fragen in den Sozial- und Politikwissenschaften sowie in der Politik und Gesellschaft verbunden. Dazu gehören Fragen nach Identität, Zugehörigkeit, Autonomie, Emanzipation, Diskriminierung, Vielfalt, sozialem Zusammenhalt, Solidarität, Verantwor-
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Hans Blokland: Migrationspolitik auf der Flucht
tung, sozialer Ordnung und Sozialpolitik. Wie wichtig sind Identitäten, wie kommen sie zustande und inwieweit sind sie veränderbar? Müssen Neuankömmlinge Teile ihrer bisherigen Identität anpassen oder aufgeben, um sich im Aufnahmeland erfolgreich zu integrieren? Gibt es Werte, Einstellungen, Sitten, Erwartungen, die aus einer normativen oder empirischen Perspektive die Integration in einem westlichen Land wie Deutschland erschweren können? Wodurch werden Diskriminierung und Rassismus ausgelöst, und auf welche bewusste oder unbewusste, offene oder verdeckte, strukturelle oder zufällige Weise äußern sie sich? Kann man andere Kulturen, Werte oder Lebensanschauungen mit rationalen Gründen kritisieren? Gibt es eine Grenze für die kulturelle Vielfalt, die Gesellschaften ertragen oder tolerieren können? Können Gesellschaften zu vielfältig werden? Sind Parallelgesellschaften ein Problem? Inwieweit können Migranten und Geflüchtete die Unterstützung und Solidarität der westlichen Bürger und Gesellschaften in Anspruch nehmen? Inwieweit trägt der Westen Verantwortung für die Flüchtlingsströme? Was bewegt Menschen zur Auswanderung und welche Beweggründe sind vertretbar? Was können uns Migranten, die alles zurücklassen, um anderswo ein neues Leben aufzubauen, über die menschliche Existenz lehren: Welche Werte und Ziele versuchen die Menschen zu verwirklichen, welche Bedürfnisse müssen erfüllt werden? Welche Formen der Unterstützung oder politischen Instrumente können Neuankömmlingen am besten helfen, sich in die Aufnahmegesellschaft zu integrieren? Wie verhält sich Zuwanderung zu Populismus und Demokratie? Viele der Fragen, die sich in Bezug auf die Integration von Neuankömmlingen stellen, können auch in Bezug auf Einheimische gestellt werden. Große Gruppen von Menschen, die in unseren Gesellschaften geboren und aufgewachsen sind, zeichnen sich regelmäßig durch eine geringe soziale, politische oder wirtschaftliche Teilhabe aus. Sollten sich Politik und Gesellschaft um ihre Integration bemühen? Sollten sie sich darauf verlassen können? Und wie sollten diese Bemühungen aussehen? Bei der Integration von Neuankömmlingen werden die Schwächen und Stärken der verschiedenen Wohlfahrtsstaaten deutlich. In den ersten Jahren nach ihrer Ankunft sind Geflüchtete in der Regel in hohem Maße auf den Wohlfahrtsstaat angewiesen, um ihren Lebensunterhalt zu bestreiten und sich ein neues Leben aufzubauen. Sie sind in erster Linie auf den Staat angewiesen, wenn es um Einkommen, Wohnraum, Sprach- und Integrationskurse, Allgemeinbildung und Berufsausbildung geht. Darin unterscheiden sie sich nicht wesentlich von vielen anderen Menschen am unteren Ende der sozialen Leiter. Auch diese Menschen sind weitgehend von kollektiven Sozialleistungen abhängig, um weiterhin an der Gesellschaft teilhaben zu können. Doch wie kann der Staat diese Menschen am besten unterstützen? Wo gibt es Defizite und wie können sie behoben werden? Wir werden zum Beispiel sehen, dass in Deutschland viele Aufgaben an private Anbieter ausgelagert wurden, die auf einem vermeintlichen Markt miteinander konkurrieren müssen. Ist das wirklich eine gute Idee?
Vorwort
Eine zentrale Frage in den Diskussionen über den Sozialstaat ist auch, inwieweit er aktivierend oder schützend sein sollte: Garantiert der Staat hauptsächlich den Einkommensverlust, der im Falle von Arbeitslosigkeit, Krankheit, Behinderung, Alter oder anderen Rückschlägen im Leben eintreten kann, oder versucht er, den Menschen durch aktivierende Programme zu helfen, ein unabhängiges Leben aufzubauen? Die Unzulänglichkeiten des deutschen Sozialsystems, welches hauptsächlich ein Fallschirm und kein Trampolin darstellt, werden wahrscheinlich nirgendwo deutlicher als bei der Integration von Neuankömmlingen. Kurzum, viele Fragen, die gemeinhin mit Migration und Integration in Verbindung gebracht werden, sind nicht weniger relevant für die gegenwärtigen, grundlegenden wissenschaftlichen, politischen und öffentlichen Debatten über die Probleme und die Gestaltung der Aufnahmegesellschaften. Die Relevanz von Migrationsund Integrationsdebatten reicht also wesentlich weiter, als oft angenommen wird. Dieses Buch befasst sich mit den Themen Migration und Integration, indem es über ein Forschungsprojekt berichtet, das von Social Science Works in den Jahren 2021 und 2022 in einer Region des Landes Brandenburg durchgeführt wurde. Wir beleuchten die Erfahrungen von Geflüchteten, Ehrenamtlichen, zivilgesellschaftlichen Organisationen und politischen Entscheidungsträgern in Teltow-Fläming und versuchen, aus diesen Erfahrungen allgemeinere Erkenntnisse zu den oben genannten großen Themen zu gewinnen. Zunächst einmal kommen die Geflüchteten, die Erfahrungsexperten für das Thema Migration und Integration, sehr ausführlich zu Wort. Vielfach wird nur über sie diskutiert und entschieden. Im Gespräch mit ihnen können wir jedoch wichtige Erkenntnisse gewinnen und die Chancen für eine erfolgreiche Integration deutlich erhöhen. Darüber hinaus kommen auch diejenigen zu Wort, die versuchen, den Neuankömmlingen in Teltow-Fläming im Alltag und bei der Integration zu helfen: die beteiligten Sozialarbeiter, kommunale Amtsträger, Vertreter sozialer und öffentlicher Organisationen, Ehrenamtliche und so weiter. Indirekt kommen auch übergeordnete politische Entscheidungsträger zu Wort, insbesondere aus der Kreisverwaltung Teltow-Fläming, die diese Studie ursprünglich initiiert hatten: Wie gehen sie mit den Problemen im Zusammenhang mit Migration und Integration um und wie entwickeln sie ihre Politik in diesem Bereich? Indem wir den politischen und sozialen Kontext darstellen, in dem dieses Projekt entstanden ist, können wir auch etwas über dieses Umfeld erlernen. Wie gehen die Behörden insbesondere mit Migrations- und Integrationsfragen in einem Land um, in dem es relativ wenig Migrationserfahrung gibt, in dem der Widerstand gegen Migranten relativ groß ist, in dem demokratische Strukturen erst vor kurzem eingeführt wurden und in dem sich eine demokratische Kultur erst noch entwickeln muss? Dieses Buch spiegelt meine Ansichten über den Beitrag wider, den die Sozialund Politikwissenschaften zur Entwicklung von nützlichem Wissen sowie zur demokratischen Meinungsbildung und Politikentwicklung leisten können (Blokland
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Hans Blokland: Migrationspolitik auf der Flucht
2018d; 2024 in Vorbereitung). Die Stärke von Politikwissenschaftlern und Soziologen liegt nicht in der Entwicklung oder Entdeckung von zeitlosen, universellen, objektiven Gesetzen und Theorien. Indem wir uns darauf konzentrieren, laufen wir ständig Gefahr, gesellschaftlich irrelevant und ohnmächtig zu werden: Die einseitige Betonung von Methoden und Theorien, die für die Verwirklichung des Ziels einer Sozial- und Politikwissenschaft nach naturwissenschaftlichem Vorbild als notwendig erachtet werden, lässt die konkreten sozialen und politischen Probleme von Gesellschaften und ihren Bürgern immer weiter in den Hintergrund geraten. Sinnvoller ist es, bei den Problemen anzusetzen und zu erkunden, welche theoretischen Erkenntnisse gegebenenfalls zu ihrer Lösung beitragen können. Oft stellt sich jedoch heraus, dass es nur wenige nützliche, anwendbare Theorien gibt. Statt die eigenen Beobachtungen so lange zu kneten, bis sie in die Theorien passen, ist es dann produktiver zu versuchen, von unten nach oben Beobachtungen, Erfahrungen, Ideen, Einsichten und Perspektiven zu sammeln, die zusammen ein Licht auf das jeweilige Problem werfen können (cf. Lindblom 1990). Durch eine kontinuierliche Auseinandersetzung mit den Erfahrungen der Menschen, die täglich mit den Problemen konfrontiert sind, sei es in der Position derjenigen, die darunter leiden, oder derjenigen, die versuchen, etwas dagegen zu tun, hat man auch eine größere Chance, theoretische Erkenntnisse zu entwickeln, die der Realität gerecht werden und gleichzeitig nützlich sind. Darüber hinaus nehmen wir Probleme wahr, weil wir die entsprechenden Beobachtungen mit unseren normativen Ansichten darüber, wie die Welt sein sollte, vergleichen. Wenn es keine Diskrepanz zwischen unseren Werten und der Realität gibt, gibt es auch kein Problem. Die Probleme, mit denen wir uns befassen, sind also zwangsläufig normativ besetzt. Das Gleiche gilt für alle Lösungen: Sie unterscheiden sich dadurch, inwieweit sie die Verwirklichung unserer Werte ermöglichen. Anstatt also in dem Versuch, »objektiv« zu sein, normative Fragen krampfhaft zu vermeiden, werden diese normativen Fragen hier ausdrücklich mit unseren empirischen Beobachtungen in Verbindung gebracht. Die übliche Trennung zwischen empirischer und normativer Politikwissenschaft wird also nicht eingehalten. Ebenso wird nicht auf die Formulierung von politischen Überlegungen und Empfehlungen verzichtet. Wenn man sich mit relevanten Problemen befassen will, liegt es nahe, auch zu fragen, wie diese Probleme gemildert werden könnten. Zudem werden Probleme oft erst dann wirklich in all ihren Facetten verstanden, wenn sie im Zusammenhang mit möglichen Lösungen analysiert werden. *** Abschließend möchte ich mich bei den vielen Menschen bedanken, die zur Gestaltung dieses Buches beigetragen haben. Zuallererst gilt der Dank den Bewohnern der Flüchtlingsunterkünfte, die bereit waren, mit uns zu sprechen, manchmal sehr aus-
Vorwort
führlich. Es war nicht immer einfach und risikofrei für sie, über ihre Hintergründe, Erfahrungen und Probleme zu reden. Weil sie gehört werden wollten, haben sie es dennoch getan. Auch den rund 40 Akteuren, die ihr Wissen und ihre Erkenntnisse mit uns geteilt haben, ist zu danken. Sicherlich setzten sich die Sozialarbeiter mit ihrer Offenheit regelmäßig einem Risiko aus, auch wenn dieses natürlich nicht lebensbedrohlich war. Die Interviews wurden von sechs verschiedenen Personen von Social Science Works in fünf verschiedenen Sprachen abgehalten: Laila Keeling, Sahba Salehi, Anjali Zyla, Nadia Lejaille, Isabel Romijnders, und Hans Blokland. Marwa Farraj übersetzte für uns mehrmals vom Arabischen ins Deutsche. Laila und Anjali, die zusammen etwa die Hälfte der Interviews mit beeindruckendem Einfühlungsvermögen und Geschick führten, unterstützten zusätzlich die Erhebung und Analyse der quantitativen Daten. Zélie Marchand und Annie Schwerdtfeger halfen u.a. bei der Erstellung eines Indexes. Alle waren außerdem hilfreich bei der Übersetzung und Bearbeitung der Interviews der jeweils anderen. Nadia hat eine erste Version dieses Buches Korrektur gelesen. Hans Blokland ist für die Analyse der Interviews und anderer Daten sowie für die politischen Überlegungen und Empfehlungen verantwortlich. Alle Schwächen in diesen Teilen sind meine. Die gegenseitige Zusammenarbeit und Solidarität dieser Iraner, Franzosen, Niederländer, Amerikaner und Deutschen mit Migrationshintergrund war spannend, anregend und herzerwärmend. Es ist eigentlich gar nicht so kompliziert, zusammen zu leben und zu arbeiten.
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Allgemeine Einleitung
Wie kam es zu diesem Projekt und was war der ursprüngliche Plan? Dazu müssen wir in das Jahr 2020 zurückgehen. In diesem Jahr wurden wir von der Gemeinde Rangsdorf, im sogenannten Speckgürtel südlich von Berlin, eingeladen, Workshops für die Flüchtlinge durchzuführen, die in dieser Gemeinde untergebracht waren. Seit 2016 hat Social Science Works Hunderte solcher Workshops mit den unterschiedlichsten Gruppen von Migranten und Einheimischen durchgeführt (Blokland 2018ab, 2019abcd). Die Themen dieses Workshops wurden in Absprache mit den beiden in Rangsdorf tätigen Sozialarbeitern festgelegt und reichten von Demokratie, Gleichberechtigung, Autonomie und Eigenverantwortung bis hin zur pädagogischen Bedeutung des Spielens mit und von Kindern. Wir begannen mit diesen Workshops Ende 2020 und kamen dadurch mit immer mehr Akteuren in dieser Gemeinde in Kontakt. Dazu gehörten natürlich die 150 geflüchteten Menschen, die in den beiden Containerdörfern lebten, aber auch Sozialarbeiter, verantwortliche Beamte der Gemeinde, Vertreter verschiedener NGOs, die in diesem Ort tätig waren, und Bürger, die sich ehrenamtlich für die Integration der Neuankömmlinge einsetzten.1 Bei all diesen Personen konnten wir eine gewisse Verzweiflung in Bezug auf die Integrationsfrage feststellen. Wir bekamen den Eindruck, dass die Integration in eine Sackgasse geraten war. Die Gemeinde hatte eine Genehmigung für die Container für fünf Jahre erhalten, aber nach Ablauf dieser Frist hatte sich die Situation der Bewohner kaum verändert. Viele Geflüchtete hatten keine Arbeit, sprachen kaum Deutsch und wirkten lethargisch und desorientiert. Auch bei den Freiwilligen und den verschiedenen zivilgesellschaftlichen und staatlichen Organisationen schien Orientierungslosigkeit zu herrschen. Auf die anfängliche Euphorie und sehr große Hilfsbereitschaft folgten Enttäuschungen, Frustrationen und Konflikte. Langsam hatte sich die Erkenntnis durchgesetzt, dass die Container, die offensichtlich nicht als dauerhafte Unterkunft gedacht waren, zu einem festen Bestandteil des Lebens in der Gemeinde geworden waren.
1
Aus Gründen der Lesbarkeit wird in diesem Buch nicht immer gegendert. Wenn nur maskuline oder feminine Substantive verwendet werden, sind in der Regel auch Frauen oder Männer gemeint, oder Personen, die sich weder als Mann noch als Frau definieren.
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Hans Blokland: Migrationspolitik auf der Flucht
Da sich die Situation als wenig praktikabel erwies – selbst die Durchführung der Workshops erwies sich als kaum machbar –, schlug Social Science Works der Gemeinde Rangsdorf vor, eine Studie über die Hintergründe und Lebensbedingungen der Geflüchteten und ihre Zukunftsaussichten zu erstellen. Ziel war es, die Probleme zu erforschen und zu benennen und darauf aufbauend Lösungen zu erarbeiten. Die zuständige Beamtin und der Bürgermeister nahmen unseren Vorschlag an und unterstützten die Durchführung der Studie aktiv. Im Januar und Februar 2021 haben wir rund ein Dutzend Akteure aus den Bereichen Verwaltung, Wohlfahrt und Ehrenamt sowie ein Dutzend Neuankömmlinge befragt. Zentrale Themen waren: Wie schätzen die Akteure die aktuelle Situation der Geflüchteten ein? Welche Probleme und Perspektiven nehmen sie wahr? Welche Lösungen sehen sie? Wie wird sich die Situation in den nächsten Jahren entwickeln, wenn die Politik unverändert bleibt? Darüber hinaus führten wir eine kleine quantitative Studie über den demografischen Hintergrund und die aktuelle Situation der Bewohner der beiden Flüchtlingszentren durch. Wie in den meisten Unterkünften in Deutschland waren auch in Rangsdorf bis dahin wenig bis gar keine Daten über die Geflüchteten erhoben worden. So war wenig darüber bekannt, wer eigentlich in den Containerdörfern lebte. Es ergab sich ein unschönes Bild. Insgesamt lebten 41 Männer und 29 Frauen, sowie 41 Kinder in den Containern. 21 der 70 Erwachsenen hatten eine Aufenthaltsgenehmigung. Alle anderen warteten, manchmal schon Jahre, auf eine Entscheidung über ihren Status, oder wurden geduldet. Die meisten der Menschen lebten schon seit mehr als drei Jahren in den Unterkünften. Nur sehr wenige Bewohner sprachen einigermaßen oder gut Deutsch. Viele waren arbeitslos und hatten aufgrund ihrer geringen Qualifikationen kaum Chancen auf dem Arbeitsmarkt. Viele Kinder unter 6 Jahren hatten keinen Platz in einer Kindertagesstätte. Damit wären sie bereits bei ihrer Einschulung enorm benachteiligt. Die im Lager lebenden Frauen und Männer zeigten sich oft psychisch und sozial überlastet. Viele waren traumatisiert. Bei vielen Bewohnern schien sich eine Kultur der Armut entwickelt zu haben, die durch Lethargie und Hoffnungslosigkeit gekennzeichnet war. Die Menschen, die sich in Rangsdorf seit mehreren Jahren hauptberuflich oder ehrenamtlich für die Integration der Geflüchteten eingesetzt hatten, hatten bewundernswerte Anstrengungen unternommen. Viele von ihnen waren aber inzwischen ausgebrannt und angesichts der Vorgaben staatlicher Flüchtlingspolitik auch sprachlos. Sie fühlten sich von einer Politik allein gelassen, die, ebenso wie die Medien, ihren Blick abgewandt und sich neuen Themen zugewandt hatte. Die Gemeinde organisierte daraufhin ein Treffen, zu dem alle für Rangsdorf relevanten Akteure eingeladen wurden und bei dem die Ergebnisse unserer Untersuchung ausführlich diskutiert wurden. Auch für die Neuankömmlinge wurde ein Treffen organisiert, bei dem die Ergebnisse auf Deutsch, Englisch und Französisch vorgestellt wurden. Der Artikel Kein Plan, keine Hoffnung, keine Zukunft. Sackgassen für
Allgemeine Einleitung
Flüchtlinge auf dem Lande (Blokland & Neebe 2021) wurde u.a. auf der Website von Social Science Works veröffentlicht und anschließend von der Märkischen Allgemeinen Zeitung ausführlich kommentiert.2 Diese Zeitung hat danach weiter über unser Projekt berichtet.3 Aus der Überzeugung heraus, dass Probleme erst dann angegangen werden, wenn sie offen benannt sind, wurde diese Berichterstattung auch von der Gemeinde Rangsdorf bewusst gefördert. Nach dem Treffen, bei dem die Ergebnisse unserer Forschung diskutiert wurden, wurde beschlossen, eine Zukunftskonferenz für die Integration von Geflüchteten zu veranstalten. Wir luden alle Stakeholder ein, sich zu beteiligen, um alle verfügbaren Kenntnisse, Einsichten und Perspektiven zu nutzen. Teilnehmer an den Gesprächen waren die beteiligten Heimleiter; Sozialarbeiter; Ehrenamtliche; politische Entscheidungsträger aus Kommunen, Kreisverwaltung und Brandenburg; Vertreter zivilgesellschaftlicher Organisationen, der Arbeitsagentur, des Jobcenters, der Ausländerbehörden und Vertreter der Neuzuwanderer. Aufbauend auf der oben genannten Analyse zur Situation der Geflüchteten und der Flüchtlingsarbeit identifizierten wir Problemfelder, die wir in einem partizipativen Prozess weiter diskutierten und analysierten, um Leitlinien, Handlungsziele, Maßnahmen und Verantwortlichkeiten zu identifizieren und die gewünschte Zusammenarbeit zu diskutieren. Den ersten Workshop widmeten wir dem Thema Integration, um zu klären, welche verschiedenen Vorstellungen und Erwartungen von und an Integration die Beteiligten mitbrachten. In den darauf folgenden Monaten besprachen wir die Handlungsfelder Deutschkenntnisse, Wohnen, Bildung, Kinder und Schule, Probleme der Frauen, Arbeitsmarkt sowie Beratung und Orientierung. Die Gemeinde lud auch immer Vertreter der Presse zu diesen Treffen ein, eine Einladung, die regelmäßig angenommen wurde. Wie von uns intendiert, förderte der Austausch die Zusammenarbeit und Koordinierung zwischen den Beteiligten, welche entscheidend sind, da die Integration von Geflüchteten von der Zusammenarbeit verschiedenster Akteure abhängt. Zum Teil aufgrund von Unklarheiten in Gesetzen und Verordnungen schien dieses abgestimmte Handeln regelmäßig zu fehlen. Das Wissen, die Fähigkeiten und die Ressourcen, die zur Erreichung gemeinsamer Ziele benötigt werden, sind bei den Beteiligten oft bereits vorhanden, werden aber aufgrund mangelnder Kommunikation und Kooperation nicht oder nicht ausreichend genutzt. Zudem war die Kommunikation durch Meinungsverschiedenheiten und über die Zeit gewachsene Animosi-
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Udo Böhlefeld. Chancen, Dilemmas und Sackgassen. Sozialwissenschaftler aus Potsdam legen ernüchternde Analyse zur Situation Geflüchteter in Rangsdorf vor. Märkische Allgemeine Zeitung. 13. August 2021, Seite 17. Lisa Neugebauer. Rangsdorf sucht Antworten: Wie gelingt die Integration von Geflüchteten? Märkische Allgemeine Zeitung, 29 Oktober 2021.
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täten belastet. Wir versuchten daher vor allem, einen flexiblen Rahmen zu schaffen, in dem die Ehrenamtlichen und die Angehörigen der Verwaltung sich austauschen konnten, gemeinsame Ziele für die Zukunft formulierten und Handlungsoptionen besprachen. Viele der Teilnehmenden sahen einen wichtigen Fortschritt darin, dass im Zuge der gemeinsamen Workshops die Beteiligten (wieder oder zum ersten Mal) miteinander zu reden begonnen hatten. Hinter E-Mail-Adressen und Telefonnummern wurden Gesichter erkennbar, die nun direkt angesprochen werden konnten, um Aktionen zu koordinieren und Probleme zu lösen. Da gemeinsame Werte, Ziele und Motive identifiziert wurden, konnten auch Gegensätze und Animositäten etwas abgebaut werden. Außerdem waren sich die Beteiligten zuvor oft nicht oder nur unzureichend über die gegenseitigen Verantwortlichkeiten und Handlungsmöglichkeiten im Klaren. Es gab Integrationsprojekte und -instrumente, die infolgedessen ungenutzt blieben. Durch gegenseitiges Informieren konnten neue Kooperationen initiiert werden.4 Zu den Treffen in Rangsdorf wurden von der Gemeinde auch Vertreter der Kreisverwaltung Teltow-Fläming eingeladen. Letztere aus der Erkenntnis heraus, dass viele lokale Probleme nur in Zusammenarbeit mit anderen Gemeinden und mit höheren Verwaltungsebenen wirklich angegangen werden können. Ein oder mehrere Vertreter dieser Verwaltung waren vom Projekt, das wir in der Gemeinde durchgeführt hatten, begeistert und baten Social Science Works, das Projekt im Herbst 2021 in ganz Teltow-Fläming zu wiederholen. Dazu haben wir einen Projektantrag geschrieben, der Ende 2021 von der Kreisverwaltung und der Landrätin angenommen wurde. Teltow-Fläming liegt im Bundesland Brandenburg, grenzt im Norden an Berlin und im Süden an Sachsen und besteht aus 16 Gemeinden, darunter Blankenfelde-Mahlow mit fast 30.000 Einwohnern, Ludwigsfelde (28.000), Luckenwalde (20.000), Jüterbog (12.000) und Rangsdorf (12.000). Die meisten der insgesamt rund 173.000 Einwohner leben im Umland von Berlin, wo auch die meisten wirtschaftlichen Aktivitäten stattfinden, insbesondere in der Logistik. Teltow-Fläming gilt als einer der wirtschaftlich erfolgreichsten Kreise in Ostdeutschland. Die Geflüchteten werden in Deutschland auf der Grundlage der Steuereinnahmen und der Bevölkerungszahl auf die verschiedenen Bundesländer verteilt. So wird Brandenburg die Betreuung von etwa 3 % aller Neuankömmlinge zugewiesen (BAMF 2023: 14).5 In den Bundesländern werden die Geflüchteten dann auf die
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Wir haben ausführlich über diese Zukunftskonferenzen berichtet, unter anderem auf unserer Webseite in: Wege aus dem Vakuum. Zukunftswerkstatt zur Integration Geflüchteter im ländlichen Raum (Blokland und Neebe 2022). Zum Vergleich: Berlin betreut fünf Prozent der Flüchtlinge, Nordrhein-Westfalen 21 % und Bayern 16 %. In NRW werden mehr Flüchtlinge aufgenommen als in allen Ländern der ehe-
Allgemeine Einleitung
verschiedenen Landkreise umverteilt. In Brandenburg gibt es 14 solcher Kreise und darüber hinaus vier sogenannte kreisfreie Städte (Cottbus, Frankfurt an der Oder, Potsdam und Brandenburg an der Havel). Das Projekt würde so ablaufen, wie es in Rangsdorf gemacht wurde. Zunächst würden wir mit Hilfe der verantwortlichen Leiter der elf in Teltow-Fläming vorhandenen Flüchtlingsheime versuchen, quantitative Daten über die Bewohner dieser Heime zu erheben. Darüber hinaus würden wir Interviews mit den relevanten Stakeholdern führen und sie nach ihrer Einschätzung der Situation fragen. Außerdem würden wir ausführliche Interviews mit den Bewohnern der Heime führen. Auf der Grundlage all dieser Informationen würden wir einen Zwischenbericht erstellen und diesen auf einer Sitzung erörtern, zu der alle Beteiligten eingeladen würden. Anschließend würden wir in separaten Arbeitsgruppen die verschiedenen Themen – Wohnen, Beschäftigung, Schule, Deutschkenntnisse, Kindergärten, Gesundheit, Orientierung, Bürokratie – mit den für diese Themen relevanten Akteuren diskutieren.
maligen DDR zusammen. Es scheint ein gegenläufiges Verhältnis zwischen den Flüchtlingszahlen und dem Widerstand der Einheimischen gegen Migranten zu geben.
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Aufbau des Buches
Entsprechend der oben skizzierten Zielsetzung haben wir im Zeitraum von Januar bis Mai 2022 zunächst quantitative Daten in Flüchtlingsheimen erhoben.1 In Teltow-Fläming standen insgesamt 1078 Betten für Neuankömmlinge zur Verfügung. Fast nirgends gab es einen systematischen Überblick über die Hintergründe der Bewohner. Wir mussten die Daten auf der Grundlage verschiedener vorhandener, sehr begrenzter Akten und dem informellen Wissen eines oder mehrerer Sozialarbeiter zusammenstellen. Infolgedessen konnten viele Fragen nicht oder nur teilweise beantwortet werden. Dazu gehörten Fragen zum beruflichen Hintergrund, zur Berufserfahrung, zur Ausbildung und zu den Sprachkenntnissen. Die wichtigsten Daten sind in Teil III zusammengefasst. Auch weil wir so wenig über die Menschen wissen oder wissen wollen, die in den so genannten »Übergangsheimen« leben, haben wir zusätzlich qualitative Daten erhoben. Wir haben mit etwa 50 Bewohnern ausführlich gesprochen, manchmal mehr als drei Stunden. Dabei wurden viele Fragen gestellt: Warum sind die Menschen gekommen, wie sah ihr Leben vorher aus, welche Erwartungen haben sie, was wollen sie in Deutschland erreichen, welche Erfahrungen haben sie bisher gemacht, welche Probleme haben sie, welche Lösungen sehen sie dafür? In Teil I sind diese Interviews in alphabetischer Reihenfolge nach dem Herkunftsland der Befragten geordnet. Auch aus Respekt habe ich mich dafür entschieden, die Geflüchteten in diesem Buch zuerst zu Wort kommen zu lassen. Zu oft sprechen wir über sie und nicht mit ihnen. Dadurch geht viel Wissen und Einsicht verloren.
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Die neun Heime waren in Rangsdorf (Seebadallee, 37 Erwachsene und 14 Kinder), Luckenwalde (Anhaltstrasse, 89 Erwachsene und 26 Kinder), Luckenwalde (Grabenstrasse, 44 Erwachsene und 14 Kinder), Blankenfelde Mahlow (129 Erwachsene und 72 Kinder), Niedergörsdorf (24 Erwachsene und 10 Kinder), Jüterbog (77 Erwachsene und 30 Kinder), Ludwigsfelde (117 Erwachsene und 47 Kinder), Am Mellensee (23 Erwachsene und 26 Kinder) und Trebbin (15 Erwachsene und 13 Kinder). Leider haben wir keine Daten für den Kurparkring in Rangsdorf erhalten. Hier gibt es Platz für 60 Personen. Es ist weiter anzumerken, dass das Heim in Großbeeren zum Zeitpunkt unserer Recherche wegen einer notwendigen Renovierung geschlossen war. Die Bewohner dieses Heims wurden jedoch auf andere Heime verteilt. Die Gesamtzahl der Einwohner von Heimen in Teltow-Fläming kann also nicht sehr unterschiedlich sein.
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Um den Zugang zu den Interviews zu erleichtern, haben wir einen umfassenden Index erstellt, in dem die wichtigsten Themen aufgeführt sind. Außerdem wurden die Interviews im Detail analysiert: Was sind die Hauptthemen, was sind die Gemeinsamkeiten und Unterschiede? Diese Analyse der von den Befragten genannten Hintergründe, Erfahrungen, Ideen, Probleme und Hoffnungen folgt in Teil II. Anschließend sprachen wir ausführlich mit verschiedenen für Teltow-Fläming relevanten Akteuren. Dazu gehörten Flüchtlingsheimleiter, Sozialarbeiter, Ehrenamtliche, kommunale Verwaltungsmitarbeiter, Bürgermeister, Integrationsbeauftragte, Vertreter der verschiedenen zivilen und öffentlichen Organisationen, die in der Integrationsarbeit tätig sind, das Jobcenter, das Sozialamt.2 Zentrale Fragen waren: Wie schätzen die Akteure die aktuelle Situation und die Perspektiven der Neuankömmlinge ein? Welche Probleme nehmen sie wahr? Welche Lösungsansätze? Wie wird sich die Situation in den nächsten Jahren entwickeln, wenn die politischen Rahmenbedingungen unverändert bleiben? Ein Eindruck von den Leitmotiven dieser Interviews wird in Teil III wiedergegeben. Auf der Grundlage der von uns gesammelten Informationen wurden Überlegungen und Empfehlungen zur Migrations- und Integrationspolitik formuliert. Diese sind in Teil IV enthalten. Der Epilog schließlich berichtet, wie sich das Projekt entwickelt hat, nachdem Social Science Works im Juni 2022 auf einer Konferenz bei der Kreisverwaltung einen ersten Überblick über die quantitativen Daten und die Erfahrungen, Eindrücke und Ansichten der Beteiligten und Geflüchteten gegeben hat.
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Wir sprachen u.a. mit Nadine Patzer, Torsten Schulz, Daniel Küsters, Marcel Klömich, Karsten Stolze, Herr Voluntrova, Morten Baumgartner, Christopher Schewe, Annette Mahnke, Beatrice Wiedig, Marwa Farraj, Michael Krentz, Frau Rothe-Förster, Nadine Fischer, Sandra Jüngst, Uta Schwarze, Christiane Witt, Frau Stadelmeyer, Frau Röseler, Anke Habelmann, Barbara Radtke, Peter Baade, Doreen Boßdorf, Herr M. Schwuchow, Frau Wunder, Dirk Krause, Rainer Grunert, Herr Heine, Laura-Sophie Schaaf, Herr Hochbaum, Mechthild Falk, Wolfgang Bonneß, Ulrike Hildebrand, Monika Timpe-Held, Klaus Rocher, und Andreas Rau.
1. Einleitung
Obwohl Neuankömmlinge regelmäßig seit Jahren unter uns leben, haben Bürger, Politiker und Entscheidungsträger oft wenig Ahnung von den persönlichen Hintergründen dieser Menschen. Dies führt nicht nur zu Einsamkeit, Missverständnissen und Anfeindungen. Es hat auch zur Folge, dass die Integration unnötig erschwert wird und die darauf ausgerichteten Maßnahmen weniger wirksam sind, als sie sein könnten. Um mehr Einblick in die Hintergründe zu erhalten, haben wir eine große Anzahl von ausführlichen Interviews mit Neuankömmlingen geführt. Wir haben viele Fragen gestellt: Warum sind die Menschen gekommen, wie sah ihr Leben vorher aus, welche Erwartungen hatten sie, wie sind sie gekommen, was wollen sie in Deutschland erreichen, welche Erfahrungen haben sie bisher gemacht, welche Probleme haben sie, welche Lösungen sehen sie dafür? Die Namen der Beteiligten wurden geändert, ebenso wie einige Ortsnamen. Die Interviews wurden in Deutsch, Englisch, Farsi, Arabisch und Französisch geführt und werden mit Zustimmung der Beteiligten veröffentlicht. Die Interviews wurden von sechs verschiedenen Personen abgehalten: Laila Keeling, Sahba Salehi, Anjali Zyla, Nadia Lejaille, Isabel Romijnders und Hans Blokland.
1.1
Was veröffentlicht werden soll
Auf Wunsch der Befragten wurden hier einige Aussagen weggelassen. Es handelt sich dabei vor allem um Aussagen, die die Betroffenen oder andere in Gefahr hätten bringen können. Menschen, meist Familienangehörige, die noch im Heimatland lebten, könnten z.B. mit den örtlichen Behörden in Konflikt geraten. Vor allem Flüchtlinge aus Tschetschenien äußerten diese Befürchtung. In anderen Fällen befürchteten die Betroffenen, dass ihre Kritik an den Sozialarbeitern, die für ihr Flüchtlingsheim zuständig sind, oder an den Funktionären der Ausländerbehörde, des Jobcenters oder des Sozialamtes Konsequenzen haben könnte. Der Landkreis Teltow-Fläming, der diese Untersuchung finanziell unterstützt hat, wollte auch, dass bestimmte Äußerungen gestrichen werden: u.a. Kritik an deutschen Funktionären, am Zustand der Flüchtlingsheime, Äußerungen über
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Drogen- und Alkoholkonsum, über Schwarzarbeit, über Gewalt in den Heimen. Auf diese Politik werden wir später noch eingehen. Da wir das gesamte Projekt nicht gefährden wollten, sind wir bei der Veröffentlichung der Interviews auf unserer Website zumeist ihren Wünschen gefolgt. Die Interviews in diesem Buch enthalten jedoch alle Aussagen, die wir früher entfernen mussten. Einzelne Flüchtlinge haben uns regelmäßig von Fehlverhalten anderer Personen, meist bestimmter Beamter, berichtet: Rassismus, Sexismus, Machtmissbrauch, Gewalt, Inkompetenz, Untätigkeit. Diese Äußerungen über bestimmte Personen blieben in unseren Interviews unerwähnt: Die Betroffenen konnten sich nicht verteidigen, und es war nicht unsere Aufgabe, durch Rede und Gegenrede genau zu untersuchen, ob die entsprechenden Vorwürfe zutreffen. Das überstieg unsere Kapazität und Aufgabe. Wir sind keine Juristen oder Polizisten und können Einzelfälle oft nicht beurteilen. Als Sozialwissenschaftler interessieren wir uns für Strukturen und Prozesse, für Muster und Regelmäßigkeiten. Soweit einzelne Fälle diese Strukturen und Abläufe veranschaulichten, haben wir sie anonymisiert wiedergegeben. Wir bekommen jedoch ein Integritätsproblem, wenn eine große Anzahl von Personen – nicht nur Flüchtlinge, sondern auch Sozialarbeiter, Freiwillige, Beamte – systematisch auf Fehlverhalten derselben Personen hinweisen. In diesen Fällen haben wir unsere Erkenntnisse den zuständigen Behörden mitgeteilt und sie gebeten, den Vorfällen nachzugehen. Wir haben jedoch nicht den Eindruck, dass diese Mitteilungen irgendwelche Konsequenzen hatten. Außerdem machen die Befragten regelmäßig Aussagen, die uns nicht sehr plausibel erscheinen. Wir werden der Realität aber nicht gerecht, wenn wir aus all ihren Geschichten eine nach unseren Maßstäben glaubwürdige Geschichte machen. Wir haben zum Beispiel jemanden interviewt, der nach mehr als fünf Jahren in einer Vielzahl von Unterkünften zu dem Schluss gekommen war, dass in Brandenburg eigentlich jeder ein Rassist sei. In Berlin hingegen sei dieser Typus Mensch selten oder gar nicht anzutreffen. Wir vermuten, dass Berlin vergleichsweise toleranter und offener ist als Brandenburg, aber dass ihr Urteil dennoch etwas extrem ist. Dennoch ist es eine Tatsache, dass sie diese Ansicht vertritt. Wenn wir solche Tatsachen nicht bemerken und melden, kann es passieren, dass wir später plötzlich von Menschen heimgesucht werden, die scheinbar leidenschaftlich an etwas glauben, was wir für unplausibel halten, was sie aber zu Taten mit weitreichenden Auswirkungen motiviert. Diese Handlungen sind für uns jedoch unverständlich geworden, weil wir zu einem früheren Zeitpunkt entschieden haben, dass bestimmte Ansichten nicht erwähnenswert sind, da sie als unplausibel eingestuft werden sollten. Es ist daher sinnvoll, die Wahrnehmung der Realität durch die Menschen zu ermitteln, auch wenn wir – und hoffentlich auch die Leser – wissen, dass diese Wahrnehmung kaum plausibel ist.
1. Einleitung
1.2
Durchführung der Interviews
Wir haben versucht, so wenige Fragen wie möglich zu stellen. Natürlich gab es Themen, von denen wir hofften, dass die Flüchtlinge sie ansprechen würden, und wenn nötig, haben wir das Gespräch darauf gelenkt. Allerdings haben wir mit jeder Frage das Denken und die Prioritätensetzung der Befragten beeinflusst: Wir haben für sie bestimmt, was in ihrem Leben oder in ihrer Situation wichtig ist. Auch weil wir den Beteiligten ausdrücklich eine eigene Stimme geben wollten, verzichteten wir weitestgehend darauf, von uns vorgegebene Fragen abzuarbeiten. Vor allem aber haben wir die Menschen ermutigt, ihre eigenen Geschichten zu erzählen. Das erklärt auch, warum die Interviews, die im Folgenden vorgestellt werden, größtenteils die Form eines Monologs haben. Wir haben uns so klein wie möglich gemacht. Die Treffen mit den Gesprächspartnern fanden in ihrem eigenen Zimmer im Flüchtlingsheim oder in einem Raum statt, in dem wir etwas Privatsphäre haben konnten. Manchmal sprachen wir auch im Garten oder, wenn es ihnen gelungen war, eine eigene Wohnung zu erwerben, zu Hause. Wir fragten die Menschen, ob wir die Interviews auf Tonband aufnehmen dürften, was fast alle bejahten. Die Interviews dauerten im Durchschnitt etwa eine Stunde, mindestens eine halbe Stunde, höchstens drei Stunden.
1.3 Auswahl der Interviewpartner In unseren Interviews wollten wir mit möglichst vielen Menschen aus verschiedenen Herkunftsländern, Religionen, Altersgruppen, Geschlechtern, mit unterschiedlichen Sprachkenntnissen und so weiter sprechen. Zusammen ergeben sie ein Bild von den Erfahrungen, Umständen, Einsichten und Motivationen der Flüchtlinge in Teltow-Fläming. In diesem Zusammenhang wollten wir sicherstellen, dass wir mit einer einigermaßen repräsentativen Gruppe sprechen. Da es zum Beispiel viel mehr Menschen aus Afghanistan und Tschetschenien als aus Marokko oder Algerien gab, haben wir mit mehr Menschen aus den ersten beiden Ländern gesprochen als aus den letzten. Natürlich könnte es einen Unterschied zwischen den Menschen geben, die sich bereit erklärten, mit uns zu sprechen, und denjenigen, die dies nicht taten. Vielleicht handelte es sich bei der ersten Gruppe um Flüchtlinge, denen es relativ gut ging, und bei der zweiten um solche, die die Hoffnung verloren zu haben schienen, sich in die deutsche Gesellschaft integrieren zu können. Auch vor diesem Hintergrund musste erst einmal Vertrauen aufgebaut werden, vor allem zu Menschen, die zögerten, mit uns zu sprechen. Die Themen waren sensibel und nicht jeder würde sich sofort wohl fühlen, wenn er sich uns gegenüber öffnen würde. Daher arbeiteten wir mit Heimleitern, Sozialarbeitern und zivilen Frei-
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willigen zusammen, die die Bewohner bereits kannten und hoffentlich in der Vergangenheit ein gewisses Vertrauen aufgebaut hatten. Meistens gelang es ihnen, die Menschen davon zu überzeugen, dass wir gute Absichten verfolgten oder nicht den Staat vertraten und dass es in Ordnung war, sich mit uns zu treffen. Die Flüchtlinge, die wir zuvor interviewt hatten, waren auch hilfreich, um neue Gesprächspartner zu finden. Die meisten der von uns befragten Personen lebten in einem der zwölf Flüchtlingsheime in Teltow-Fläming. Diese Gruppe unterscheidet sich von den Menschen, die eine eigene Wohnung haben. Für letzteres könnte es eine Erklärung geben, die sich auf ihren individuellen Hintergrund oder auf die Gruppe, der sie angehören, bezieht. Flüchtlinge aus Syrien und der Ukraine zum Beispiel erhielten sofort die Erlaubnis, außerhalb der Flüchtlingsunterkünfte zu leben und eine bezahlte Arbeit zu finden. Flüchtlinge aus Tschetschenien und seit vielen Jahren auch aus Afghanistan kommen nicht in den Genuss dieser Rechte und sind die meiste Zeit gezwungen, in den Unterkünften zu bleiben und zu warten. Außerdem haben die Menschen unterschiedliche Persönlichkeiten, Fähigkeiten und andere Ressourcen. Einige haben eine gute Ausbildung erhalten und in der Heimat einen Beruf erlernt, andere sind Analphabeten und führen ein Leben als Selbstversorger. Manche lernen fleißig Deutsch, auch wenn sie keine Unterstützung bekommen, suchen sich einen Job und bombardieren die zuständigen Funktionäre immer wieder mit Anträgen auf eine Wohngenehmigung. Andere versinken in einem Sumpf aus Müßiggang, sozialer Isolation, Apathie und Depression. Folglich haben viele Menschen, die in den Lagern leben, geringere Aussichten, sich ein Leben in Deutschland aufzubauen, als die Menschen außerhalb der Lager. Das heißt aber nicht, dass es allen, die allein leben, besser geht als den Bewohnern der Unterkünfte.1
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Viele Menschen, die dem »richtigen« Land angehörten und das System der Migrationsbehörden und Flüchtlingslager sofort verlassen konnten, waren ebenfalls auf sich allein gestellt, ohne die Unterstützung, die sie im Prinzip von Sozialarbeitern erhalten können, während sie in einem Heim leben. Aus den Erzählungen von zivilen Freiwilligen, die manchmal noch mit Mitgliedern dieser Gruppe in Kontakt sind, wissen wir, dass sie oft mit den Erwartungen und der Verantwortung in ihrer neuen Umgebung überfordert sind. Außerdem sind sie auch einfach aus dem Blickfeld geraten. Es werden keine Daten über sie gesammelt, so dass wir zu einem großen Teil einfach nicht wissen, wie es ihnen geht.
2. Afghanistan
Naseem Ich bin in Afghanistan geboren, habe das Land aber nach der Machtübernahme der Taliban verlassen. Meine Familie und ich sind nach Pakistan geflohen, wo ich weiter zur Schule gegangen bin. Ich bin 2003 nach Afghanistan zurückgekehrt, nachdem die Vereinigten Staaten das Land besetzt hatten und meine Familie zurückkehren konnte. Ich habe dann die Universität in Kabul besucht, wo ich russische Literatur studiert habe. Eigentlich wollte ich keine russische Literatur studieren, aber ich habe vor dem Studium eine Prüfung bestanden, die mich für das Fach Literatur qualifizierte. Ich wollte eigentlich eher Journalismus oder Informatik studieren, aber es hat sich einfach so ergeben, dass ich Literatur studiert habe. Ich hatte die Wahl, welche Sprache ich lernen wollte, und habe Russisch gewählt, weil ich es noch nicht kannte. Ich spreche jetzt zwischen sieben und acht Sprachen. Ich spreche Arabisch, Englisch, Paschtu, Farsi, Urdu und Russisch, aber ich verstehe auch Hindi und Ukrainisch, weil sie so ähnlich sind wie die Sprachen, die ich schon spreche. Es war hilfreich, so viele Sprachen zu kennen, besonders nachdem ich Kabul verlassen hatte. Ich habe Afghanistan im Jahr 2015 verlassen, als ich etwa 25 Jahre alt war. Ich hatte gerade mein Studium abgeschlossen und beschloss, das Land wegen der Sicherheitsprobleme zu verlassen. Meine Familie ist in Afghanistan sehr bekannt, und alle meine Geschwister sind in der Politik oder in den Medien tätig. Meine Schwester ist eine bekannte Politikerin in Afghanistan, und ihr Leben ist seit der Ankunft der Taliban in Gefahr, vor allem in den letzten sechs Monaten. Sie ist in der Vergangenheit oft in Länder wie die Vereinigten Staaten oder Deutschland gereist, um an politischen Veranstaltungen teilzunehmen, und schließlich ist sie nach Kanada geflohen, weil man ihr ein Visum dort angeboten hat. Mein Bruder hat zehn Jahre lang als Übersetzer für die NATO gearbeitet, so dass er 2014 in die Vereinigten Staaten gehen konnte und jetzt in North Carolina lebt. Als wir alle in Afghanistan waren, lebten wir im Zentrum von Kabul in einer sehr politischen Gegend mit all den Ausländern und Regierungsgebäuden. Wir haben jeden Tag Kämpfe in unserer Nachbarschaft gesehen. Als die deutsche Botschaft bombardiert wurde, waren die
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Hans Blokland: Migrationspolitik auf der Flucht
Glasfenster unseres Hauses durch die Explosion zerbrochen. Ich musste also wegen all dieser Sicherheitsbedrohungen weggehen. Ich bin allein nach Russland gereist und war nur auf dem Weg nach Norwegen, wo ich eigentlich hinwollte, also wollte ich nur durch Russland fahren. Leider wurde ich in Russland sehr krank und war mehrere Monate lang im Krankenhaus, darunter zwei Monate im Koma. In dieser Zeit hatte ich viele Operationen und verlor sogar einmal mein Leben. Ich betrachte dies jetzt als mein zweites Leben. In Russland dachte ich oft, ich würde sterben. Eine Nacht hatte ich so starke Schmerzen, dass jemand den Krankenwagen für mich gerufen hat. Der Krankenwagen ist gekommen, aber sie haben mir gesagt, dass sie mich ohne Papiere nicht ins Krankenhaus bringen können. Sie haben mir nur ein paar Schmerzmittel gegeben. Dann, mitten in der Nacht, habe ich wieder Schmerzen bekommen. Der Krankenwagen ist zurückgekommen, aber er hat mich nicht wieder mitgenommen. Die Schmerzen wurden immer schlimmer, und schließlich wurde ich mit einem dritten Krankenwagen ins Krankenhaus gebracht. Ich habe das Krankenhaus unter dem Namen einer anderen Person betreten, die genauso alt war wie ich und auch aus Afghanistan gekommen ist. Es war, als ob Gott selbst mir diese Person gegeben hätte, die mir so ähnlich war. Am Ende hatte ich eine Art Bauchspeicheldrüsen-Schaden, aber nach mehreren Operationen fühlte ich mich besser und konnte das Krankenhaus verlassen. Ich war bei meiner Reise durch Russland nicht sehr erfolgreich. Ich musste ein zusätzliches Dokument vorlegen, das ich nicht hatte, also hat man mir gesagt, ich müsste mich innerhalb von einem Monat abschieben lassen und dürfte fünf Jahre lang nicht zurückkehren. Wenn ich nicht innerhalb dieses Monats ausreisen würde, würde man mich ins Gefängnis stecken. Viele Leute, die ich gekannt habe, wurden ins Gefängnis gesteckt, wenn sie nicht ausreisen konnten. Also musste ich das Krankenhaus gleich nach meinen Operationen verlassen, um rechtzeitig aus Russland auszureisen. Ich habe ein paar Leute gefunden, die Flüchtlingen bei der Überquerung des Landes geholfen haben, weil Russland so groß ist, und sie haben mich zur westlichen Grenze gebracht. Ich habe mich entschieden, die Grenze nach Finnland und nicht nach Norwegen zu überqueren, weil Norwegen die Grenze für Flüchtlinge geschlossen hat, während ich in Russland war, und ich habe gehört, dass Finnland eine gute Möglichkeit wäre, nach Europa zu kommen. Aber auch Finnland hat in dieser Zeit die Grenze teilweise geschlossen. Ich war mit vielen anderen Flüchtlingen dort, und wir wurden in der Kälte draußen gelassen. Zu dieser Zeit waren es -40 Grad Celsius, und viele Menschen aus Ländern wie Indien oder Afrika waren solche Temperaturen nicht gewöhnt. Ich hatte Glück, denn ich hatte noch gute warme Kleidung aus meiner Zeit in Russland. Wir haben versucht, verschiedene Unterkünfte zu finden, aber in vielen Unterkünften durften die Flüchtlinge gar nicht erst hinein. Wir konnten zwar einige private Unterkünfte finden, aber es war sehr schwierig, eine Unterkunft zu finden, die uns aufnehmen wür-
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de. Wir haben mehrere Hotels aufgesucht, aber alle haben sich geweigert, uns aufzunehmen, obwohl es oft schon spät in der Nacht war und es eiskalt war. Drei Flüchtlinge, die mit mir dort waren, sind in einer Nacht an der Kälte gestorben, nachdem sie in einem Auto geschlafen hatten. Mein Gesundheitszustand war zu diesem Zeitpunkt noch nicht gut. Ich hatte immer noch eine offene Wunde von meinen Operationen, und die Verbände, die meinen Bauch umhüllten, waren mit Blut gefüllt. Einige finnische Journalisten haben mich gesehen und ein Interview mit mir gemacht, weil ich so schlecht ausgesehen habe und Russisch und Englisch gesprochen habe. Die Journalisten haben einen Artikel geschrieben über die Flüchtlinge, die nach der Schließung der Grenze dort festsaßen, also habe ich ihnen geholfen, für Menschen aus verschiedenen Ländern zu übersetzen. Ich glaube, die Journalisten hatten Mitleid mit mir und haben mir deswegen geholfen, die Grenze zu überqueren, ohne in der Schlange zu stehen. Sie haben mit der Polizei gesprochen und mich dann in ihrem Auto mitgenommen. Jeden Tag durften nur 50–60 Menschen aus Russland nach Finnland einreisen, und selbst die durften nur mit dem Auto über die Grenze fahren. Es war wirklich gut, dass sie mir über die Grenze geholfen haben, denn wäre ich auch nur eine Woche länger geblieben, hätten sie mich ins Gefängnis gesteckt. Eine Familie, die ich gekannt habe, wurde mit ihren kleinen Kindern ein Jahr lang in einem russischen Gefängnis festgehalten und dann zurück nach Afghanistan abgeschoben. Sie kennen kein Erbarmen mit Menschen aus diesen Ländern, aus Nepal oder Bangladesch oder Syrien oder wo auch immer. Als ich in Finnland angekommen war, haben sie mich auf eine Polizeistation gebracht, weil ich so viel geblutet habe. Ich war damals in einer wirklich schlimmen Situation. Ich hatte zwei Bolzen im Bauch und Eiter lief an mehreren Stellen heraus. Die Polizei hat mich überall durchsucht, aber sie haben mir nicht geholfen. Ich habe ihnen gesagt, dass ich eine Krankenschwester oder ein Krankenhaus brauche, um meine Wunde zu säubern, und sie haben mir nur gesagt, ich solle in die Duschen gehen, um meine Wunde zu waschen. Ich habe ihnen sogar alle Gründe erklärt, warum ich Afghanistan verlassen musste, und ihnen Papiere gezeigt, um die Sicherheitsbedrohung zu beweisen, aber sie hatten kein Verständnis für meine Situation. Zu dieser Zeit lag der Fokus auf syrischen Flüchtlingen, und sie haben Menschen aus anderen Ländern ignoriert. Die nächste Operation, die ich brauchte, konnte ich in Finnland nie bekommen, aber meine Wunde wurde mit der Zeit besser. Selbst als meine Wunde geheilt war, hat sich meine psychische Gesundheit verschlimmert. Ich hatte mit schlimmen Depressionen, Angstzuständen und vielem mehr zu kämpfen. Manchmal habe ich 18 Stunden geschlafen, als wäre ich ein Drogenkonsument. In Finnland wurden mir immer wieder Behandlungen und Asyl verweigert, so dass es wirklich schwer war, dort hoffnungsvoll zu bleiben. Ich war fast zwei Jahre lang dort und habe dreimal das Lager gewechselt. Ich habe mich hauptsächlich im Norden Finnlands aufgehalten, weil ich aus einem Gebiet in der Nähe
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von Kovdor an der russischen Grenze eingereist bin. Die Lager dort waren sehr überfüllt, weil die Grenzen für syrische Flüchtlinge lange Zeit offen waren, so dass 15–16 Personen in einem einzigen Raum untergebracht werden konnten. In dem zweiten Lager, in dem ich sechs Monate lang gelebt habe, waren insgesamt etwa 300 Männer in einem Lager. Ich habe versucht, so vielen Menschen wie möglich zu helfen, während ich dort im Lager war. Ich bin ein sehr geselliger Mensch und habe daher versucht, mit allen in ihrer eigenen Sprache zu sprechen. Die meisten der Flüchtlinge konnten nicht lesen und schreiben, also war es oft schwierig für sie, Dinge wie Papierkram zu erledigen. Deshalb habe ich mit den Sozialarbeitern zusammengearbeitet, um für die Menschen dort zu übersetzen. Außerdem liebe ich es, für andere Menschen zu kochen, und so habe ich viel Zeit im Lager mit Kochen verbracht. Ich musste Finnland verlassen, weil ich kurz vor der Abschiebung war. Ich hatte drei negative Bescheide von der Einwanderungsbehörde erhalten, selbst nachdem ich ein Gespräch geführt hatte, bei dem ich ihnen alles erklärt hatte. Aber sie haben mir nicht zugehört, also musste ich einfach weiter warten. Alle haben gesagt, dass ich aufgrund meiner Situation schnell eine Aufenthaltsgenehmigung bekommen sollte. Als ich einen negativen Bescheid von der Einwanderungsbehörde erhalten habe, haben sogar die Sozialarbeiter und das Sicherheitspersonal um mich geweint. Ich hatte in dieser Zeit wirklich sehr mit Depressionen zu kämpfen, weil ich ständig unter dem Stress einer möglichen Abschiebung war. In Finnland habe ich gesehen, wie viele Menschen abgeschoben wurden. Mitten in der Nacht ist die Polizei gekommen und hat die Leute angeschrien, dass sie gehen sollen, manchmal haben sie sie sogar getreten. Einer meiner Freunde im Lager ist mitten in der Nacht an gesundheitlichen Problemen gestorben, und die Polizei ist am Morgen gekommen und hat die Leute, mit denen er unterwegs war, abgeschoben. Ich weiß nicht, ob es Familienangehörige waren, aber sie waren alle aus der gleichen Stadt in Nepal, also habe ich geholfen, für sie zu übersetzen. Ich habe versucht, für sie zu kämpfen, weil wir alle dachten: Was macht ihr da? Lasst doch wenigstens die Tränen trocknen, bevor ihr die anderen abschiebt. Ich habe das Flüchtlingsheim in Finnland verlassen, um nicht abgeschoben zu werden. Ich habe Google Maps benutzt, um meinen Weg nach Deutschland zu finden, und bin mit Bus und Bahn durch Stockholm und Kopenhagen gereist. In Schweden musste ich zwei Wochen länger bleiben, weil ich 2017 dort war, und zur gleichen Zeit hat ein Mensch einen Wagen in eine Menschenmenge gefahren. Die Menschen hatten Angst vor Flüchtlingen und brauner Hautfarbe und haben deshalb die Grenze geschlossen, um nach Personen ohne Papiere zu suchen. Einer meiner finnischen Freunde hat mir gesagt, dass ich in Stockholm bleiben sollte, um nicht geschlagen oder ins Gefängnis gesteckt zu werden, also bin ich dort für zwei Wochen geblieben.
2. Afghanistan
Ich bin Mitte 2017 in Deutschland angekommen. Es war nicht allzu schwer, hierher zu kommen, und ich hatte keine Probleme mit der Polizei. Das einzige Problem war, dass sie mich nach Eisenhüttenstadt geschickt haben, ein Lager in der Nähe der polnischen Grenze, obwohl ich ihnen gesagt hatte, dass ich in Berlin sein wollte, weil ich Englisch spreche und medizinische Behandlung brauchte. Aber es war in Ordnung, denn ich war nur ein oder zwei Monate in Eisenhüttenstadt, es war also eine relativ kurze Zeit. Ich habe versucht, den anderen Leuten zu helfen, während ich dort war, zu übersetzen oder ihre Einkäufe zu erledigen, was immer ich konnte. Die Sozialarbeiter haben mir gesagt, ich solle es langsamer angehen lassen, ich bräuchte Zeit für mich, damit ich genug Energie hätte. Aber ich kann niemanden abweisen, der um 22 Uhr an meine Tür klopft, keine Familie oder Verwandte hat und um Hilfe bittet. Wenn ich die Tür nicht öffnen würde, könnte ich mich dann als Mensch betrachten? Die Sozialarbeiter haben mir schließlich 80 Cent pro Stunde für meine Arbeit gezahlt, aber das war nur etwas zusätzliches Geld für mich und nicht der Grund, warum ich es getan habe. Während meiner Zeit in Eisenhüttenstadt habe ich das Asylantragsverfahren durchlaufen. Ich habe mehrere Leute gebeten, Empfehlungen für mich zu schreiben und diese zusammen mit Beweisen für meine Situation bei der Ausländerbehörde einzureichen, aber man hat mir gesagt, dass ich zurück nach Afghanistan gehen müsse. Also habe ich weitergekämpft und versucht, eine Organisation, eine Kirche oder einen Anwalt zu finden, der mir helfen konnte. Ich habe alle meine Dokumente, vielleicht 20 oder 30 Kilo, durch Berlin getragen. Schließlich habe ich eine Organisation namens Xenion in Berlin gefunden. Ich hatte einer Frau aus Tschetschenien beim Übersetzen geholfen, und sie hatte mir von dieser Organisation erzählt. Ich habe sie besucht und ein kurzes Gespräch mit einer netten Dame dort geführt. Sie hat sich meine Geschichte angehört und mir dann Tipps gegeben, wie ich in Deutschland bleiben und Hilfe bekommen kann. Danach haben wir einfach Schritt für Schritt gearbeitet. Ich habe einen Aufenthaltstitel für ein Jahr bekommen, aber ich bin mir nicht sicher, ob ich ihn nächstes Jahr wieder bekommen kann. Es kann sein, dass sie mich wieder in mein Land zurückschicken. Nach Eisenhüttenstadt wurde ich in ein zweites Lager geschickt, wo ich etwa acht Monate geblieben bin. Dann bin ich Anfang 2018 hierher nach Luckenwalde gekommen. Dieses Heim war bisher gar nicht so schlecht. Es ist viel schöner als in Finnland, weil es nur drei Männer pro Zimmer gibt. Wenn man Glück hat, bekommt man einen guten Mitbewohner. Ansonsten kann es nervig werden, wenn sie respektlos sind, wenn man schlafen will. Ich habe hier ein paar Probleme erlebt. Ich musste mehrmals die Polizei rufen, weil es Beschwerden gab, wie z.B. dass Leute Geld gestohlen oder im Zimmer geraucht haben. So etwas ist ganz normal. Es gibt überall Leute, die so etwas tun. Aber die Polizei hat nie auf unsere Anzeigen reagiert, also musste ich mich selbst verteidigen. Wenn es niemanden gibt, der sich um dich kümmert, musst du es selbst tun.
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Ich musste mich auch sehr anstrengen, um hier ein Einzelzimmer zu bekommen, weil ich gesundheitliche Probleme hatte. Im Jahr 2018 hatte ich endlich in Berlin die Operation an meinem Bauch, die ich brauchte. Sie setzten mir eine Art Netz und Klammern in den Bauch, um ihn danach zusammenzuhalten, also war mein ganzer Körper von dieser Operation betroffen. Mehrmals habe ich Beweise für meine medizinische Situation an das Amt geschickt, damit ich allein leben kann, aber niemand hat darauf reagiert. Kurz nach der Operation wurde ich in ein anderes Zimmer auf der anderen Seite des Flurs verlegt. Das habe ich natürlich getan, weil sie mein altes Zimmer an eine afrikanische Familie vergeben wollten. Aber niemand hat zugehört, niemand hat gedacht: Oh, dieser Mensch ist krank, er sollte bleiben. Letztes Jahr konnte ich endlich ein Einzelzimmer bekommen, aber sie versuchen immer wieder, mehr Leute in mein Zimmer zu bringen. Das ist die Erfahrung meines Lebens, oder vielleicht könnte ich sagen, der größte Teil meines Flüchtlingslebens. In den ersten Jahren hier hatte ich auch große Schwierigkeiten, die Sprache zu lernen. Der Stress durch meine Krankheit und die Behandlung machte es mir schwer, mich auf etwas zu konzentrieren. Manchmal habe ich versucht, allein zu lernen, aber das war wegen der Schmerzen schwierig. Ich würde gerne Deutsch lernen, und ich sollte es auch können. Ich lerne ständig verschiedene Sprachen; ich habe sogar meine eigene Sprache wieder gelernt, als ich als Kind zurück nach Afghanistan gekommen bin. Trotzdem ist es schwer, sie allein zu lernen. Ich habe erst vor drei Monaten endlich eine Arbeitserlaubnis erhalten. Ich glaube, sie wollen, dass ich direkt arbeiten gehe, damit ich Geld verdiene und für mich und natürlich für die Steuern aufkommen kann. Aber zuerst möchte ich mein Deutsch verbessern. Ich möchte ein B2-Niveau erreichen und dann an der Universität studieren, um eine Art Sozialarbeiter oder Lehrer zu werden. Viele Leute haben mir geraten, dass ich, solange ich hier bin, etwas aus meinem Leben machen und mir einen Job suchen sollte, damit ich hier ein angenehmes Leben führen kann. Ich sage ihnen, dass ich nur Zugang zu einem Deutschkurs brauche, dann kann ich genug lernen, um zu arbeiten. Nachdem ich seit fünf Jahren in diesem Land bin, konnte ich gestern endlich meinen A1-Deutschkurs beginnen. Das Jobcenter hat ihn mir offiziell genehmigt, aber ich verstehe nicht, warum es so lange gedauert hat. Warum spielen sie so mit den Menschen? Die Hoffnungen und das Leben der Menschen hängen von der Sprache ab, warum macht man es ihnen also so schwer? Ich möchte zu der Universität oder einer anderen höheren Ausbildung gehen, damit ich hier ein gutes Leben führen kann, aber zuerst muss ich die Sprache lernen. Ich habe von einem Freund gehört, dass es sogar an der Universität eine Beschränkung für Flüchtlinge gibt; wenn ich älter als 36 Jahre bin, bekomme ich keine Unterstützung vom Jobcenter. Ich muss also schnell Deutsch lernen, um in Deutschland studieren zu können.
2. Afghanistan
Mein Deutschkurs ist gut. Die nächsten 8 Monate ist der Kurs fast Vollzeit, und hoffentlich schaffe ich in dieser Zeit B1. Ich bin überrascht, wie viele Ukrainer in meinem Kurs sind. Wie kommt es, dass manche Leute so viel Glück haben, dass sie schon in den ersten Wochen Zugang zu allem bekommen, während ich fünf Jahre lang kämpfen musste? Ich beschwere mich nicht darüber, aber ich finde es verrückt. Mit vielen von ihnen spreche ich im Unterricht auf Ukrainisch, und wir sind Freunde geworden. Sie haben mir erzählt, dass sie bald in ihr Land zurückkehren werden, und scherzten, dass ich die Klasse für mich allein haben würde. Ich habe gesagt: Nein, so habe ich das nicht gemeint! Es ist nur so, dass das System nicht gut ist. Einige meiner Freunde haben noch nicht einmal Zugang zu einem Integrationskurs. Auch wenn wir für das Geld, das wir bekommen, dankbar sind, wäre es besser, wenn wir auch einen Kurs besuchen könnten. Warum gibt es nicht für alle Flüchtlinge Kurse? Es ist nicht gut für die Gesellschaft, wenn wir die Kultur und die Sprache nicht lernen. Für Flüchtlinge ist es auch schwieriger, die deutsche Sprache zu lernen, als für Menschen aus Spanien oder anderen Ländern. Wir haben so viele Probleme, dass es schwer ist, neue Dinge zu lernen. Wenn man es bequem hat und nicht über sein Leben nachdenken muss, kann man Dinge schnell lernen. In meiner Sprache gibt es ein Sprichwort, das bedeutet: Du bringst die Probleme und den Kummer von draußen in dein Zimmer. Wenn man den ganzen Schmerz von draußen sieht, bringt man diesen Schmerz mit nach Hause, so dass man weder schlafen noch sich ausruhen kann. So ist es in meinem Leben seit 2015. Keine Ruhe. Kein Frieden, nicht einmal in meiner eigenen Wohnung. Draußen habe ich viele rassistische Menschen gesehen, die schreckliche Dinge tun, und ich bringe das in mein Zimmer. In Brandenburg sagen sogar Ärzte rassistische Dinge. Einmal bin ich in eine Arztpraxis gegangen und konnte mit der Assistentin Russisch sprechen. Ich habe ihr gesagt, dass ich Englisch spreche, und sie hat mir gesagt, dass ich mit einem Übersetzer kommen muss, obwohl es nur ein Bluttest war. Aber sie hat mich nett gefunden und gesagt, sie würde den Arzt fragen, ob er diesmal eine Ausnahme machen und mich akzeptieren würde, weil er Englisch spricht. Der Arzt kommt heraus und fängt einfach an, mich auf Englisch zu beschimpfen, indem er Dinge sagt wie: »Hey motherfucker, get out of here!«. Das Gleiche passiert in Berlin. Sie sagen mir, dass ich zu all meinen Terminen einen Übersetzer mitbringen muss, obwohl ich Englisch und ein bisschen Deutsch spreche. Warum sollte ich für so etwas wie eine Blutuntersuchung einen Übersetzer brauchen? Ansonsten war die medizinische Versorgung in Deutschland bisher gut. Ich konnte mich operieren lassen und gehe oft zu den Kontrolluntersuchungen. Manchmal habe ich noch starke Schmerzen, aber dann kommt der Krankenwagen und bringt mich ins Krankenhaus. Ich habe hier eine Versicherungskarte, die ich bei meiner Ankunft erhalten habe, nicht wie in Finnland.
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Ich weiß noch nicht, ob ich in Deutschland bleiben will. Als ich Afghanistan verlassen habe, wollte ich in ein Land wie Norwegen oder Finnland gehen, wo die Mehrheit der Menschen Englisch spricht. Aber es hat sich ergeben, dass ich in Deutschland gelandet bin, was schwierig war. In Brandenburg ist es noch schwieriger, weil die Leute nicht so viel Englisch sprechen. Wenn ich von diesem ganzen Asylverfahren und dem Duldungsstatus gewusst hätte, wäre ich nicht hierhergekommen. Aber die Organisation in Berlin hat mir gesagt, dass ich bleiben soll, und sie sind so freundlich, dass sie mich überzeugt haben, noch ein bisschen länger hierzubleiben. Ich bin ein positiver Mensch. Ich habe so lange in einer hoffnungslosen Situation gelebt, aber ich habe beschlossen, dass ich hoffnungsvoll bleiben werde. Ich weiß nicht, worauf ich meine Hoffnung setze, aber ich weiß, dass ich niemals aufgeben werde. Ich glaube, dass nach jeder dunklen Nacht ein heller Tag kommt. Ich möchte einfach nur einen friedlichen Ort finden, an dem ich mich ausruhen kann und tief durchatmen kann. Im Flüchtlingsheim ist es wegen den Kindern und dem Lärm in der Nacht oft schwer zu schlafen. Ich wollte nie ein Flüchtling sein. Wenn der Krieg in Afghanistan nicht gewesen wäre, wäre ich dort geblieben. Ich war so glücklich. Ich liebe mein Land. Alle meine Geschwister und ich wollten bleiben und Afghanistan helfen. Wir wollten nicht, dass die NATO oder die Vereinigten Staaten unserem Land diese Dinge antun, dass sie alles aufgeben. Ich komme aus dem Norden und weiß, dass die Taliban dort jede Nacht Menschen umbringen. Mehr als 90 % der Bevölkerung leben jetzt in Armut, weil sie nichts tun können. Ich verstehe nicht, warum sie jetzt, wo sie an der Macht sind, nicht helfen. Sie können doch etwas für das Land tun, für die Menschen! Aber sie stellen keine Arbeitsplätze zur Verfügung, sie lassen die Frauen nicht arbeiten oder studieren. Ich glaube, dass Afghanistan ein sehr schlechter Tag bevorsteht. Wir haben in unserem Land schon seit langem so viel Trauer erlebt. Trotzdem wollte ich mein Land nicht verlassen müssen. Warum sollte ich dieses Leben wählen? Ich habe so viele Schmerzen und muss trotzdem immer wieder kämpfen. Trotzdem bin ich dankbar für das deutsche Volk. Ich bin in dieses Land gekommen, um es zu schätzen. Wenn ich mein Land nicht verlassen müsste, würde ich Europa besuchen und als Tourist nach Deutschland kommen. Wir sind schließlich alle Menschen. So ist die Schöpfung Gottes. Der eine lebt vielleicht in Afrika, der andere in Afghanistan, ein anderer in den Vereinigten Staaten, ein anderer in Deutschland. Leben ist Leben. Ich weiß nicht, was in einem Jahr passieren wird, wenn ich meinen Aufenthaltstitel erneut beantragen muss. Ich kann nur versuchen, mein Bestes zu tun, um mein eigenes Leben zu retten. Ich wurde seit 2015 mit so vielen Problemen und Schwierigkeiten konfrontiert, aber ich versuche immer noch, Menschen zu helfen. Als Mensch, als Flüchtling, ist das alles, was ich tun kann. Ich muss mein Leben weiterführen, auch wenn es nicht einfach ist, auch wenn ich es nicht liebe.
2. Afghanistan
Zayn Ich komme aus Afghanistan. Ich bin geboren im Iran, aber meine Familie kommt aus Afghanistan. Ich war für acht oder zehn Jahre in einer Stadt, dann bin ich zu einer anderen Stadt gegangen. Als ich noch jung war, ist meine Familie nach Afghanistan gegangen und hat mir gesagt, ich soll im Iran bleiben, um zu arbeiten und dann ihnen Geld zu schicken. Ich habe ok gesagt. Mein älterer Bruder hatte einen Stand im Iran, wo er Schuhe verkauft hat. Er hat gesagt, er lässt den Stand für mich, dann kann ich übernehmen. Aber ich habe gesagt nein, ich wollte nach Afghanistan. Dann bin ich also auch nach Afghanistan gegangen. Ich glaube, ich war einen Monat in Afghanistan, dann bin ich alleine wieder nach Iran gegangen, weil es war einfach scheiße. Ich habe keine Ahnung, wie alt ich zu diesem Zeitpunkt war. Ich weiß, wie alt ich jetzt bin, ich bin 22. Aber ich weiß nicht, wie alt ich damals war. In Deutschland habe ich irgendeinen Ausweis, aber ich habe ihn bis jetzt noch nicht gesehen. Die haben ihn mir nicht gezeigt. Also weiß ich nicht genau, wie alt ich war. Im Iran gab es sehr viele Probleme. Zum Beispiel mit Kleidung. Wenn man ein T-Shirt trägt, oder mit einem Mädchen draußen ist, dann gibt es so viele Probleme. Vielleicht geht man dann ins Gefängnis, vielleicht wird man ganz viel geschlagen. In Afghanistan auch. Einmal habe ich in Afghanistan auf der Straße Kleidung gekauft. Dann kam ein Polizist zu mir und hat gesagt, komm her. Dann hat er mich einfach geschlagen. Ich weiß nicht, wieso. Einfach so. Also bin ich wieder nach Iran gegangen. Ich habe im Iran nochmal ein bisschen gelebt, ein bisschen Geld gemacht, dann bin ich in die Türkei gegangen. In der Türkei war es auch scheiße, also bin ich nach Deutschland gekommen. Nach der Türkei war ich noch in ein paar anderen Ländern, ich weiß aber nicht mehr, wie diese Länder heißen, oder wie lange die Reise war. Das war ja jetzt schon fünf Jahre her. Ich bin nicht mit meiner Familie gekommen, ich war alleine. Ich glaube, ich war zwei Monate in der Türkei. Dort war ich nicht in einem Heim, ich war auf der Straße. Es war sehr scheiße. Von da bin ich weitergereist. Ich habe mit dem Mann von meiner Schwester am Telefon gesprochen, und ich habe nach ein bisschen Geld gefragt. Ich habe gesagt, ich brauche ein bisschen Geld, weil ich aus der Türkei weggehen will, vielleicht nach Deutschland. Dann hat er mir das Geld geschickt. Er war damals im Iran. Jetzt ist er tot. Ich habe keine Familie in Deutschland, ich kenne niemanden hier. Im Iran hatte ich sehr viele Probleme, und wegen dieser Probleme bin ich gegangen. Als ich in der Türkei war, habe ich mit anderen gesessen und mit den Leuten geredet, und sie haben gesagt, wir sollten nach Deutschland gehen. Ich habe die Reise also nicht alleine gemacht, es sind andere aus der Türkei weggegangen, und ich bin mitgegangen.
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Als wir die Türkei verlassen haben, sind wir gelaufen. Ich weiß nicht, wie viele Tage das waren von der Türkei, aber wir sind sehr lange gelaufen. Wir haben in dieser Zeit nichts gegessen. Es ist jetzt fünf Jahre her, also weiß ich nicht mehr genau. Ich war aber in einer Gruppe, ich glaube, es waren 1000 Leute insgesamt. Die anderen haben sich manchmal hingesetzt, also sind manche Leute vorgegangen, und andere sind später weitergegangen. Aber wir hatten gutes Glück, weil die Polizei in Bulgarien sehr viele Leute festgenommen und dann wieder in die Türkei zurückgeschickt hat. Manche Leute wurden also zurückgeschickt, aber ich nicht. Meine Gruppe war sehr groß und gut und hat es geschafft, aber andere nicht. Wir sind nicht den ganzen Weg nach Deutschland gelaufen. Teilweise waren wir im Zug. Ich war in so vielen Städten, von der Türkei nach Deutschland. Die Polizei war auch im Zug. Ein Kumpel von mir hat mit dem Polizisten gesprochen, aber ich konnte nichts verstehen. Er hat einfach mit ihm gesprochen, dann war es ok. Dann sind wir in einer Stadt angekommen, und da haben viele Leute auf uns gewartet. Die Polizei hat gesagt, geh in diesen Bus, oder in diesen Zug. Dann, als ich angekommen bin, war ich in einem Heim für Minderjährige. Dieses Heim war ein bisschen wie hier. Ich kann mich nicht mehr erinnern, wie das Heim heißt. Ich weiß, dass ich in Luckenwalde war für vielleicht zwei Jahre, aber die Namen von den anderen Heimen weiß ich nicht mehr. Als ich in Deutschland angekommen bin, war es ein bisschen gut, ein bisschen nicht gut. Früher war es sehr schlecht. Früher wollte ich tot sein, ich wollte nicht mehr leben. Aber jetzt geht es schon. Ich habe keine Hilfe bekommen, als es mir schlecht ging. Keine Hilfe. Ich bin jetzt fünf Monate in diesem Heim. Der Heimleiter hier ist gut, es geht. Ich rede nicht wirklich mit ihm, nur wenn ich Post brauche oder so. Ich hatte keine Freunde in Luckenwalde und auch nicht in diesem Heim. Früher gab es einen anderen auch aus dem Iran und Afghanistan im Heim, aber jetzt wohnt er in Berlin und macht Schwarzarbeit. Ich bin alleine. Ich wache auf, gehe zur Arbeit, spiele ein bisschen auf meinem Handy, und dann schlafe ich wieder. Ich habe einen Job, aber ich habe meinen Job nicht durch das Jobcenter bekommen. Das Jobcenter hat mir einen Termin geschickt, aber ich bin nicht gegangen. Ich habe meine Arbeit selbst gefunden und bekommen. Meine Arbeit gefällt mir zwar nicht so, aber ich gehe zur Arbeit. Mein Deutsch ist nicht gut, und bei dieser Arbeit muss ich nicht lesen oder schreiben. Bei einer anderen Arbeit müsste ich das machen. Aber hier kann ich einfach arbeiten. Ich habe keine Lust zum Schreiben. Ich kann lesen, aber ich kann nicht schreiben. Auch in Farsi kann ich lesen, aber nicht schreiben. Ich bin ja nie im Iran oder Afghanistan zur Schule gegangen. Ich habe die neunte und zehnte Klasse in einer deutschen Schule in Luckenwalde gemacht, aber ich habe alles Sechsen bekommen. Sehr schlecht. Ich habe gar nichts verstanden. Ich habe einfach geschlafen. Alle anderen haben geredet, und ich habe geschlafen. In Deutschland war ich also zwei Jahre in der Schule, aber vorher nie. Ich habe ein bisschen mit den Deutschen in der
2. Afghanistan
Schule gesprochen, und die waren gut. Nett. Aber ich war nicht gut. Früher war ich ein bisschen … mein Kopf war nicht so gut. Vor einem Jahr habe ich einen Aufenthaltstitel bekommen. Jetzt möchte ich eine Wohnung finden. Ich rede nicht mit anderen Leuten im Heim, weil ich hier nicht bleiben will. Ich will woanders hingehen, in eine Wohnung. Ich will nicht im Heim bleiben, ich möchte eine Wohnung finden, vielleicht in einer anderen Stadt. Zum Beispiel in Luckenwalde oder in Berlin. Ich möchte jetzt eine Wohnung finden, aber bis jetzt habe ich keine Wohnung gefunden. Die Leute hier helfen mir nicht. Ich habe vor einem Monat zu den Leuten im Heim gesagt, ich möchte eine Wohnung finden. Die haben mir gesagt, ich soll alleine suchen, aber ich kann nicht selber suchen. Mein Deutsch ist nicht gut, ich kann auch nicht schreiben. Ich habe so viele Probleme. Ich möchte jetzt einfach eine Wohnung finden. Ich habe keine Ahnung, was meine Hoffnungen sind für die Zukunft. Keine Ahnung.
Gulshan Ich bin 25 Jahre alt und komme aus Afghanistan. Ich lebe jetzt seit etwa neun Monaten hier, seit Juli 2021. Ich gehe hier nicht zur Schule. Wer etwas für die Zukunft planen will, braucht natürlich ein hohes Sprachniveau; man muss Deutsch können. Manche Leute hier wollen zum Beispiel Krankenschwester werden. Ich hatte große Träume für mein Leben und habe sie nicht erreichen können. Jetzt, wo ich hier bin, möchte ich einen Job haben, damit ich den Stress, den ich zu Hause habe, bekämpfen kann. Ich möchte auf eigenen Beinen stehen. Die Sprache ist das Wichtigste. Ich sollte einen Kurs besuchen, damit ich meinen eigenen Weg gehen kann, egal welchen Plan ich habe. Seit ich hier lebe, bin ich depressiv und habe viel Stress. Ich bin hier auf mich allein gestellt. In diesem Lager, in dem ich lebe, gibt es keine Frauen oder Mädchen, mit denen ich etwas unternehmen kann. Frauen und Mädchen sind die sympathischeren Menschen. Es ist schon lange her, dass ich Afghanistan verlassen habe. Als wir das Land verlassen haben, gab es noch keinen Krieg. Das war vor 2017, ich weiß es nicht mehr genau. Ich habe die Türkei 2017 erreicht. Da ich dort in der Türkei gearbeitet habe, kann ich mich an das Jahr erinnern, in dem ich die Stelle bekommen habe. Wir haben dort mehr als zwei Jahre gelebt. Ich habe Türkisch gelernt und kann es gut sprechen. Ich kann auch Hindi und Urdu sprechen. Wir haben bis 2020 in der Türkei gelebt. Im Februar oder März 2020 sind wir nach Griechenland gekommen. Dort waren wir ungefähr eineinhalb Jahre lang. Und als wir dann die Anerkennung von Griechenland erhalten haben, sind wir hierhergekommen. Wir haben hier einige Familienangehörige und Verwandte. Die Brüder
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meiner Mutter wohnen in Deutschland, aber sie sind weit weg, vier Stunden von hier. Ich habe sie noch nicht gesehen, seit ich hier angekommen bin. Zwei meiner Brüder leben in Berlin. Sie sind vor sechs oder sieben Jahren hierhergekommen. Meine eigene Familie ist erst letztes Jahr vor Weihnachten hierhergekommen. Ich bin also vor ihnen angekommen. Jetzt warte ich darauf, die Aufenthaltsgenehmigung aus Deutschland zu bekommen, die Sprache zu lernen und dann meine Pläne zu verfolgen. In der Türkei gab es staatliche Kurse zum Lernen, aber die waren weit weg von uns. Die türkische Sprache ist sehr einfach, man kann sie leicht lernen. Sie ist wie die pakistanische Sprache: einfach … die einzige schwierige Sprache ist Deutsch [lacht]. Aber ich möchte auch diese Sprache lernen. Wenn es einen Kurs gibt, werde ich mich bemühen, sie zu lernen. In der Türkei war der Ort, an dem wir gearbeitet haben, sehr schwierig. Die Regierung hat das Arbeiten auch nicht erlaubt. Manchmal waren sie sehr streng mit den Regeln und wir mussten zu Hause bleiben. Die Regierung hat uns kein Geld [Rente] gezahlt, also haben wir illegal gearbeitet. Wenn sie zu streng mit uns gewesen wären, wären wir hungrig geworden. Sie haben verstanden, dass die Einwanderer für ihr Essen arbeiten, um zu überleben [und deshalb haben sie die Regeln manchmal gelockert]. Ich habe Afghanistan mit meiner Schwester und meinem Onkel verlassen. Wir sind gegangen, weil wir Angst hatten, dass die Taliban wieder an die Macht kommen könnten. Auch die Stipendien sind abgeschafft. In der Vergangenheit gab es Stipendien, mit denen Mädchen in Frankreich, der Türkei oder Indien studieren konnten, um zu lernen und die Zukunft in Afghanistan zu verbessern. Als das abgeschafft wurde, war uns klar, dass es in Afghanistan nicht mehr dasselbe sein würde. Wegen persönlicher Dinge in unserem Leben und wegen der Angst, die wir hatten, haben wir uns entschieden, einen sicheren Ort zu suchen. Zum Beispiel in die Türkei, nach Pakistan oder in den Iran. Ich war nicht sehr lange in Pakistan und im Iran. Die meiste Zeit haben wir in der Türkei gelebt. In Afghanistan bin ich bis zur zwölften Klasse zur Schule gegangen. Ich habe auch ein bisschen Englisch gelernt. Ich hatte auch viele Freunde aus anderen Ländern, z.B. aus den Niederlanden, mit denen ich zusammengearbeitet habe, um mit Lebensmitteln und Kindern zu helfen. Sie kamen von verschiedenen Organisationen [im Lager], und ich habe mit ihnen zusammengearbeitet. Meistens hole ich mir hier Essen zum Mitnehmen, zum Beispiel Döner. Manchmal mache ich auch einfaches Essen. Ich bin nur eine Person. Wenn ich allein bin, bin ich faul. Als ich noch bei meiner Familie gelebt habe, habe ich morgens und mittags das ganze Essen selbst gemacht. Ich habe die ganze Hausarbeit gemacht. Jetzt, wo ich allein bin, bin ich faul und sitze nur herum. Es gibt niemanden. Das Alleinsein macht einen allmählich faul.
2. Afghanistan
Wenn ich hier mit jemandem spreche, antwortet er mir auf Deutsch. Ich verstehe sehr wenig. Es gibt einige Ähnlichkeiten zum Englischen. Ich kann es lesen, aber ich lese es wie Englisch. Das ist nicht korrekt. Die Aussprache und das Alphabet sind anders. Ich habe einen Kurs in Berlin gefunden. Sie haben mir gesagt, dass ich eine Genehmigung brauche, und die habe ich noch nicht. Es ist jetzt schon zwei bis drei Monate her, dass ich die Unterlagen dafür abgeschickt habe, aber ich habe sie noch nicht erhalten. Jedes Mal, wenn ich mich danach erkundige, sagen sie mir, ich solle selbst studieren. Mein Gott, ich kann nicht alleine lernen. Ich lerne zwar manchmal Deutsch, aber dann verstehe ich nichts mehr. Wenn man mit Leuten spricht und viel übt, kann man es lernen. Zum Beispiel Englisch. Als ich in Afghanistan zur Schule gegangen bin, war mein Englisch sehr schlecht. Als ich dann mit meinen europäischen Freunden Englisch sprechen konnte, hat es sich verbessert. Ich habe keinen Kontakt zu jemandem in Deutschland. Ich habe einen Freund weit weg von mir, zum Beispiel in den Niederlanden, den ich schon von früher kenne. Dann … gibt es hier auch afghanische Leute, alleinstehende Männer. Aber die würden schnell nach einer Heirat fragen. Deshalb halte ich mich von allen fern. Ich will nicht, dass sich jemand an mich bindet oder sich Hoffnungen macht. Die täglichen Dinge und Einkäufe erledige ich selbst. Die Menschen hier sprechen afrikanische Sprachen oder die tschetschenische Sprache. Wenn ich ein Problem habe, versuche ich, mit ihnen auf Englisch zu reden, aber sie reden mit mir auf Deutsch. Ich sage ihnen: »Du kannst doch Englisch, warum sprichst du das nicht? Ich weiß, dass du Englisch kannst.« Sie sagen: »Ja, ich weiß, aber ich will nicht auf Englisch sprechen, weil ich es nicht mag. Man sollte dich zwingen, Deutsch zu lernen.« Wenn ich hier im Büro zu einem Termin [mit der Regierung] gehen muss, sprechen sie mit mir auf Deutsch. [lacht] Ich persönlich lerne gerne Sprachen aus der ganzen Welt. Gott weiß, wie gerne ich sie alle lernen würde. Sogar mit diesen vier Sprachen, die ich kenne, habe ich das Gefühl, nichts zu wissen. Warum sollte man nur eine Sprache kennen? Wir sollten alle Sprachen können. Ich bin sehr gut in Hindi. Ich habe es gelernt, als ich klein war. In Afghanistan waren unsere Nachbarn aus Pakistan. Ihre Kinder sprachen Urdu. Damals war ich etwa 6 Jahre alt. Als ich auch indische Filme gesehen habe, hat mir das geholfen, die Sprache zu lernen. Ich spreche Hindi und Urdu wie Farsi. Wenn es eine Stelle gibt, an der auf Türkisch oder Hindi gearbeitet wird, wie in einem indischen Hotel, oder einen Job auf Türkisch, kann ich das machen. Aber dann lerne ich hier auch Deutsch, denn das ist die Sprache und die Regel hier. Die deutschen Menschen hier sind sehr nett, wie die Menschen in Griechenland. Die Polizei hier respektiert einen, wie in anderen europäischen Ländern. Ich mag es sehr, wie sie sich verhalten und miteinander umgehen. Sie sprechen höflich und respektvoll mit dir. Ich bin sehr zufrieden mit der Polizei und den Menschen hier.
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Aber ich sehe Menschen in der Klasse oder an anderen Orten, und … sie wirken alle sehr isoliert und einsam. Wenn ich im Zug sitze und die Frauen ansehe … frage ich mich, ob sie alle allein leben? [lacht] Ich schaue mir die Leute an, und sie sind sehr nette Leute. Im Zug sehe ich vor allem die Frauen. Sie sind alle alt und haben nichts [einen Ring] an ihren Händen. Ich frage mich, ob sie ihr ganzes Leben lang allein waren. [lacht] In den ersten paar Tagen, als ich hier angekommen bin, waren die Leute sehr hilfsbereit. Seitdem nicht mehr so sehr. Ich habe nichts Neues mehr gehört. Ich habe ein bisschen Deutsch gelernt und konnte etwas sprechen, aber auch das habe ich vergessen. Es gab einen Kurs in Frankfurt Oder, den ich ein paar Monate lang besucht habe. Ich war fast fertig mit A1. Wir haben dort gesprochen und Sätze wiederholt. Das war gut. Aber jetzt gibt es hier keinen Kurs mehr. Früher gab es einen Kurs, einmal pro Woche, aber der wurde geschlossen. Einmal, als wir in der Türkei waren, habe ich meiner Mutter erzählt, dass ich in der Nacht zuvor geträumt habe, dass wir in Deutschland leben würden. Meine Mutter sagte, ich sei verrückt geworden. Ich hatte keinen Plan [hierherzukommen] … Ich wusste es nicht, glaubte nicht, dass ich eines Tages hierherkommen würde. Meine beiden Brüder, die in Deutschland leben, habe ich angerufen und sie gefragt, ob sie mir die Erlaubnis geben würden, nach Deutschland zu kommen? Sie haben gesagt: »Nein, nein, nein, das kannst du nicht machen. Du siehst das Meer. Du darfst das nicht tun«. Es war wegen des Meeres, das sehr gefährlich war. Es ist ein riesiges Meer. Meine Brüder waren also nicht einverstanden, aber ich habe es trotzdem gemacht, aus eigenem Interesse. Mein Bruder hat gesagt, er hat diese Reise gesehen und wusste von der Gefahr. »Die Türkei ist besser für dich«. Aber er wusste nichts über uns, über die vielen Schwierigkeiten, die wir dort hatten. In der Nacht, in der wir mit dem Schiff über das Meer fuhren, war es sehr stürmisch. Die ganze Nacht war das Schiff vom Sturm bedroht. Die Kinder weinten alle. Alle unsere Sachen sind gesunken. Wir haben eine Organisation angerufen, um uns zu helfen. Wir haben ihnen unseren Standort mitgeteilt. Sie haben das ganze Meer abgesucht und konnten uns nicht finden. Als sie uns gefunden haben, war es schon fast Morgen. Das Schiff war kaputt, stand unter Wasser und war voller Wasser. Zu viel Wasser. Sie haben zuerst die kleinen Kinder geholt, dann die Frauen und dann die Männer. Weil das Schiff kaputt war, sind alle unsere Sachen ins Wasser gefallen. Gott sei Dank, dass sie uns gerettet haben. Ich habe meinen Bruder angerufen und gesagt, dass wir jetzt in Griechenland sind. Er war glücklich, aber auch traurig, dass dieser [Vorfall] passiert war. Er hat gesagt: »Ich wusste, dass so etwas passieren kann. Deshalb habe ich euch gesagt, dass ihr nicht kommen sollt«. Zwei Monate nach unserer Ankunft in Griechenland waren wir in Lesbos, als das Feuer geschah. Überall, wo wir waren, sind gefährliche Dinge passiert. Wieder haben wir unser Hab und Gut bei dem Feuer verloren. Mein Reisepass ist im Wasser verloren
2. Afghanistan
gegangen. Ich hatte meine Tazkira [afghanischer Personalausweis] in meiner Tasche dabei, aber auch die ist im Feuer verbrannt. Bevor ich nach Deutschland gekommen bin, hat sich der Name des Landes für mich so schön angehört. Alle haben gesagt: Nein, kommt nicht hierher, es gibt hier zu viele Einwanderer. Keiner hat uns gesagt, wir sollen kommen. Ich habe gedacht, die sind alle weggegangen und sagen uns jetzt, wir sollen nicht kommen. Mein Bruder hat mir gesagt, dass sich das alles nur aus der Ferne schön anhört. Aber hier gibt es auch gute Dinge. Sie unterstützen die Einwanderer so sehr, die deutsche Regierung hilft sehr viel. Manchmal denke ich mir: Hat die deutsche Regierung eine Geldmaschine? [lacht] Ich denke, Gott muss ihnen helfen. Ich bin mit allem zufrieden, ich kann gar nicht genug sagen. Das Einzige, was mir fehlt, ist der Unterricht, der hoffentlich bald stattfinden wird. Manchmal fahre ich mit dem Fahrrad zu diesem See hier in der Nähe, wenn ich zu viel Zeit im Zimmer verbringe und etwas Luft schnappen möchte. Ich wünsche mir, dass es hier wenigstens ein paar andere Mädchen gibt, mit denen ich Freundschaften schließen kann. Deutschland ist ein schönes Land. Der ganze Stress, den ich habe, kommt von der Einsamkeit. Ich habe keine Freunde oder Verwandte um mich herum. Ich war hier noch nicht beim Arzt. Das war auch nicht nötig. Früher hatte ich sehr starke Allergien, aber seit ich hier bin, bin ich nicht mehr krank geworden. Als sie mich gefragt haben, ob ich irgendwelche Krankheiten habe, damit sie sie [in die Bewerbungsunterlagen] eintragen können, habe ich nur gesagt, dass ich Angstzustände habe. Ich wollte das nicht sagen, aber ich habe es trotzdem getan. Ich habe mit niemandem Kontakt. Manchmal, wenn ich irgendwo im Zug sitze, zum Beispiel zu einem Vorstellungsgespräch, schicke ich die Adresse an meine deutsche Freundin in den Niederlanden, und sie zeigt mir den Weg und die Züge, um mir zu helfen. Ich bin ein sehr geselliger Mensch, vor allem mit anderen Frauen. Ich möchte auch viele Aspekte der Kultur kennenlernen und nicht nur [die Sprache] lernen. Wir sollten ihre Kultur akzeptieren, uns verändern und uns so verhalten, wie sie es tun. Es stimmt, dass die afghanische Kultur sehr unterschiedlich ist. Wenn wir einige Dinge nicht akzeptieren können, müssen wir zumindest versuchen, uns trotzdem höflich zu verhalten. Es gibt viele Dinge, die sich ändern müssen. Es gibt keinen Zwang, und manche Menschen ändern sich nicht wirklich, aber manche schon. Mit den Unterschieden meine ich den freundlichen Umgang mit Menschen und auch kulturelle Dinge. Ich habe zum Beispiel früher einen Hijab getragen. In Afghanistan konnte ich nicht ohne Hijab gehen. Im Iran war es etwas besser, aber trotzdem kann man nicht ohne ihn gehen. Man sollte einen Plan für das Leben haben, in Bezug auf das Leben und die Arbeit. Wenn man einen guten Job hat, wenn man die Sprache lernt, wenn man sich ein Leben aufbaut, dann wird man auch von der Regierung akzeptiert. Wenn sie
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dich nicht akzeptiert, zwingt sie dich sowieso nicht, du kannst deinen eigenen Weg gehen. Es ist wichtig, dass man nicht auf die Regierung angewiesen ist oder auf die Hilfe von Freunden und Verwandten, sondern dass man sich sein Leben selbst aufbaut. Es ist gut für einen Menschen, auf eigenen Beinen zu stehen. Wenn man hier die Sprache lernt, dann kann man eine Ausbildung machen. Für manche Stellen braucht man einen Abschluss der zwölften Klasse. Den habe ich aber nicht, weil er im Feuer verbrannt ist. Aber einige Leute mit guten Sprachkenntnissen können ein Studienfach wählen oder eine Ausbildung in der Küche oder in einem Hotel machen. Wenn man die Sprache kann, dann kann man etwas Nützliches tun, etwas Nützliches für sich selbst und für alle. Ich muss sehen, wie sehr sich meine Sprache verbessern kann, wie viel ich lernen kann. Ich schaue mir Videos auf YouTube [über Deutsch] an und sehe, wie sie sich von anderen Sprachen unterscheidet. Ich dachte immer, es sei einfach, aber es ist schwierig im Vergleich zu anderen Sprachen. Ich muss lernen, an mich selbst zu glauben. Wenn man an sich selbst glaubt, kann man im Leben etwas erreichen. Ich hätte gerne einen guten Beruf, zum Beispiel Krankenschwester oder Köchin, damit ich etwas zu tun habe. Ich spreche nicht oft mit anderen über mein Privatleben und mische mich auch nicht in das Leben anderer Leute ein. Wenn mir jemand von seinem Leben erzählen will, erzähle ich es ihm natürlich auch. Aber ich spreche nicht viel über mein Privatleben.
Alieh Ich bin 23 Jahre alt und komme aus Afghanistan. Es ist sechs Jahre her, dass ich Afghanistan verlassen habe. Als ich 17 war, wollte meine Familie, dass ich heirate. Ich wollte das nicht, aber ich musste es tun. Ich hatte keine andere Wahl. Ich bin bis zur neunten Klasse zur Schule gegangen und wollte weiter lernen. In der neunten Klasse musste ich mich verloben, um zu heiraten. Meine Familie hat mir gesagt: Du bist ein großes Mädchen und solltest heiraten. In Afghanistan sagt man, dass die Tochter zu anderen Leuten gehört, was bedeutet, dass sie früher oder später weggehen sollte, um bei der Familie ihres Mannes zu sein. Die Familie meines Mannes wollte nicht, dass ich weiter studiere. Sie fanden es unangebracht. Ich konnte also nicht mehr zur Schule gehen. Dann sind wir in den Iran gezogen, wo mein Mann arbeiten würde, und haben dort drei Jahre lang gelebt. Ich habe dort mein Kind bekommen. Mein Mann hat mich nicht wirklich unterstützt, und es war sehr schwierig. Ich musste mich bei der Geburt meines Kindes einem Kaiserschnitt unterziehen und war im Krankenhaus.
2. Afghanistan
Mein Mann ist nur einen Tag lang bei mir geblieben und dann wieder zur Arbeit gegangen. Wir hatten keine Familie, die uns unterstützt hat. Ich wollte trotzdem studieren, aber mit einem kleinen Kind war das nicht möglich. Das Geld, das für eine Kita benötigt wurde, war auch zu viel und ich konnte es mir nicht leisten. Wir hatten eine Nachbarin, die uns schöne Kleidung für das Baby geschenkt hat. Manchmal konnte ich das Kind bei meiner Nachbarin lassen und zweimal in der Woche zu einem Koranunterricht gehen. Es war ein Kurs zum Lesen und Rezitieren des Korans. Ich mochte es immer, eine schöne Rezitationsstimme zu haben, und ich wollte in der Lage sein, richtig zu lesen und zu rezitieren. Die Lebensbedingungen im Iran waren auch sehr schwierig. Wir hatten keine Papiere. Einmal wurde der Vater meines Sohnes nach Afghanistan zurückgeschickt. Die Polizei hatte ihn auf der Straße verhaftet. Am Morgen hat er mich angerufen und gesagt, dass sie in einem Lager festgehalten werden. Ich bin mit meinem Kind dorthin gefahren, um seine Abschiebung zu verhindern. Sie haben mich nicht hineingelassen. Sie haben immer wieder gesagt, dass er keine Papiere hat. Dann wurde er aus dem Iran abgeholt und zurück nach Afghanistan abgeschoben. Dort war er zwei Monate lang, bevor er wieder zurückkommen konnte. Nachdem er zurückgekommen war, sind wir in die Türkei gegangen. In der Türkei haben wir zuerst ein Haus für einen Monat gemietet. In diesem Haus war es nicht einfach zu leben. Es gab dort keine Heizung und es war sehr kalt. Der Vater meines Sohnes hat dort gearbeitet. Nach einem Monat sind wir nach Istanbul umgezogen und haben auch dort einen Monat lang gewohnt. Dann sind wir nach Griechenland gegangen. Wir waren eineinhalb Jahre in Griechenland, die meiste Zeit in einem Lager auf der Insel Lesbos, demselben, in dem es später gebrannt hat.1 Wir haben in diesen kleinen Zelten gelebt, und dort war es so kalt, dass am Morgen, wenn wir aufwachten, alles im Zelt nass und mit Tau bedeckt war. Wir waren schon neun Monate dort, als das Feuer ausgebrochen ist. Dann haben sie uns in ein neues Lager verlegt. In dem neuen Lager war es etwas einfacher zu leben. Ich habe dort mehrere Kurse besucht. Ich habe dort einen Englischkurs besucht, einen Malkurs und einige Sportund Gymnastikstunden. Ich habe auch den Griechischkurs ausprobiert, den es dort gab, und sogar ein bisschen Deutsch gelernt. Es gab jemanden im Lager, der Deutsch konnte, und ich habe dort einige Grundkenntnisse in Deutsch gelernt, zum Beispiel das Alphabet und einige Wörter. Nach sechs Monaten in diesem neuen Lager hatten wir ein Vorstellungsgespräch. Sie haben unsere Pässe registriert und uns Personalausweise aus Grie-
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Dieses Lager wurde für 3000 Menschen gebaut, beherbergte aber im Sommer 2020 20.000 Flüchtlinge. Etwa 6000 von ihnen waren unter 18 Jahre alt. Das Lager brannte im September 2020 nieder. In seinem Buch Die Schande Europas (2020) zeichnet Jean Ziegler ein erschütterndes Bild dieses Flüchtlingsheimes.
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chenland gegeben. Man hat uns gesagt, dass wir das Lager verlassen und uns eine Wohnung suchen sollen. Sie haben gesagt, wir sollen zu einem Büro gehen, um uns für die Suche nach einer Wohnung anzumelden. Zu diesem Zeitpunkt hatte die Corona-Pandemie bereits begonnen. Wir sind mehrmals in den frühen Morgenstunden zu diesem Büro gegangen, konnten aber nicht hereingehen. Es war immer geschlossen. Wir hatten kein Geld und konnten nicht von dem Taschengeld leben, das wir bekommen hatten. Wir bekamen nur 50 € pro Person und Monat. Also sind wir nach Deutschland gegangen. Es war im April letzten Jahres, als wir an dem Flughafen in Deutschland angekommen sind, und sie haben uns unsere Ausweise und Pässe abgenommen und uns in ein Lager in Eisenhüttenstadt geschickt. Von dort wurden wir in ein anderes Lager in der Nähe von Berlin geschickt und dann in dieses Lager hier. Als wir dort angekommen waren, haben mein Mann und ich uns getrennt und uns scheiden lassen. Er hatte kein Verständnis für mich und unterstützte mich nicht. In Griechenland hatten wir uns zerstritten, und unsere Beziehung wurde immer schlechter. Jetzt lebe ich hier mit meinem Sohn. Es war sehr schwer, damit umzugehen. Es ist sehr schwer, wenn das ganze Leben zerstört und auf den Kopf gestellt wird. Ich habe seelisch und geistig gelitten. Ich brauche Zeit, um mich zu erholen. Es gibt hier noch keine Tagesbetreuung für meinen Sohn. Ich kann also nicht wirklich etwas alleine machen. Ich habe versucht, eine Nummer anzurufen, um eine Kita für meinen Sohn zu finden. Sie haben mir gesagt, dass sie ein Dokument brauchen, damit sie uns eine finden können. Darauf warte ich immer noch. Ich habe hier eine Nachbarin, und wir stehen uns sehr nahe. Sie ist wie eine Schwester für mich. Ich kann das Kind manchmal bei ihr lassen. Eine Freundin von mir hat mir erzählt, dass es hier in der Stadt einen Sprachkurs gibt. Ich lasse mein Kind bei der Nachbarin und gehe zweimal pro Woche zu diesem Kurs. Außerdem lese ich manchmal Bücher. Ich versuche, motivierende Selbsthilfebücher zu lesen oder draußen spazieren zu gehen. Manchmal gehen wir auch mit anderen Leuten hier in der Gegend wandern. Das Camp hier ist wirklich gemütlich und schön. Wir fühlen uns hier sehr wohl. Das vorherige Camp war zu laut und zu überfüllt. Ich würde gerne hier draußen Volleyball spielen. Es gibt hier einen Platz, aber es wäre schön, auch einen Sportplatz zu haben. Unten gibt es einen Fitnessraum, aber der ist voll mit Männersportartikeln und es sind hauptsächlich Männer, die dort Sport treiben. Ich habe nicht viel Kontakt zu irgendjemandem, weder hier im Camp noch in der Stadt. Meine Sprachlehrer sind aber sehr nett und hilfsbereit, und ich mag sie sehr. Sie sind beide Deutsche. Ich fange an, ein paar Worte Deutsch zu verstehen, wenn ich es höre. Wenn ich später in den Hauptsprachkurs gehe, wird es sicher schneller besser werden. Ich warte auf die Kita, damit ich mich für diesen Kurs anmelden kann.
2. Afghanistan
Ich muss mich hier noch bei einem Arzt anmelden. Ich habe einen gefunden, aber dort wollte man mich nicht anmelden. Einmal, als mein Sohn krank war, habe ich ihn zur Behandlung ins Krankenhaus gebracht. Ich habe eine Hautkrankheit, und meine Tabletten gehen bald zu Ende. Ich muss mir eine Verschreibung dafür besorgen. Ich sollte mir einen anderen Arzt suchen, den ich kontaktieren und mich anmelden kann. Es gibt auch die Diakonie, die ich anrufen könnte, um Hilfe zu bekommen. Ich denke, es hängt von jedem Einzelnen ab, hier gut zu leben. Ich würde gerne rausgehen und Leute treffen. Aber ich habe noch nicht viel Kontakt gehabt und weiß nicht viel über die Menschen hier. Wegen der Sprache habe ich noch nicht mit vielen Menschen gesprochen und weiß nicht, was sie denken. Ich arbeite jetzt hart daran, die Sprache zu lernen. Ich würde später gerne zur Schule und auch zur Universität gehen. Ich würde gerne Sport treiben. Ich würde gerne etwas studieren, das mit Kunst zu tun hat, aber ich habe mich auch schon immer für ein Medizinstudium interessiert. Ich bin mir noch nicht sicher, aber das werden wir noch sehen.
Emad Ich bin 25 Jahre alt und komme aus Afghanistan. Ich komme aus der Provinz Herat, aber nicht aus Herat selbst. Wir lebten in einem Dorf 70 Kilometer von Herat entfernt. Im Jahr 2019 zog ich nach Iran, und von dort aus ging ich in die Türkei. Im Jahr 2020 bin ich nach Griechenland gegangen, und im Jahr 2021 nach Deutschland. Ich glaube, ich lebe jetzt seit etwa einem Jahr in diesem Lager. Ich bin mit meiner Frau und meiner Tochter hierhergekommen. Früher habe ich mit meiner Frau zusammengelebt, aber sie hat mich vor sechs Monaten verlassen. Bevor ich Afghanistan verlassen habe, habe ich dort gearbeitet. Ich habe im Bereich Zoll gearbeitet, und wenn Fracht aus Iran ins Land kam, habe ich die Sachen entladen und transportiert. Dann beschlossen wir, Afghanistan für immer zu verlassen, und zogen nach Iran. Aber auch im Iran war das Leben schwierig. Wir lebten dort sieben Monate lang, aber weil wir keine Aufenthaltspapiere bekamen und weil es Deportationen gab, bekamen wir Angst und gingen in die Türkei. In der Türkei kannten wir niemanden, und die Sprache war uns fremd. Wir verbrachten zwei Monate in der Türkei und schliefen auf der Straße oder in Bahnhöfen. Es war sehr schwierig, und so beschlossen wir erneut, die Türkei zu verlassen und in Griechenland um Asyl zu bitten. Ich wandte mich an viele Leute für Hilfe bei der Ausreise, und alle wollten Geld von uns. Man sagte uns, wir sollten ihnen kein Geld geben, weil die Gefahr bestand, dass sie uns betrügen würden. Schließlich fanden wir einen Schmuggler, der uns nach Griechenland brachte. Wir waren fünf Monate in Griechenland, auf einer Insel, bevor wir herausfanden, dass wir angenommen wurden. Als wir in Griechenland ankamen, wurden wir
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zuerst in einem Lager namens Moria untergebracht. Dieses Lager befand sich mitten im Wald, und vor kurzem brannte es ab. Wir lebten nur in einem Zelt, und es war schwer zu leben. Danach wurde uns gesagt, dass wir das Lager verlassen und selbständig leben sollten. Da ich die Sprache nicht kannte und wir nicht viel Geld hatten, gingen wir nach Athen. In Athen blieben wir sieben Tage lang im Park Victoria und haben dort geschlafen. Die Polizei hat uns gesehen und ins Gefängnis gebracht, wo sie uns nur alle zehn Tage etwas zu essen gegeben haben. Am Ende haben sie nicht viel getan; sie sagten uns nur, dass wir nicht mehr in den Park gehen sollten, und warnten uns, dass die Polizei beim nächsten Mal härter mit uns umgehen würde. Danach brachte uns die Polizei in ein Lager namens Schisto. Dort blieben wir, bis wir unsere Personalausweise aus Griechenland erhielten, aber die Lebensbedingungen waren für uns und unser Kind sehr schwierig. Deshalb haben wir beschlossen, nach Deutschland zu kommen und hier einen Asylantrag zu stellen. Ich warte jetzt auf die Antwort auf meinen Antrag. Ich hätte nie gedacht, dass ich eines Tages in Deutschland landen würde. Ich war auf dem Weg nach Iran, und von Iran bin ich irgendwie in der Türkei gelandet. Jetzt, Gott sei Dank, sind wir glücklich über unser Leben hier. Ich kann mir die Entscheidung, nach Deutschland zu kommen, einfach nicht erklären … manchmal frage ich mich: Wie bist du hier gelandet? Als wir in Deutschland angekommen sind, waren wir zuerst in München, dann kamen wir nach Berlin und haben Asyl beantragt. Das Asylverfahren wurde dort weitergeführt, also wurden wir nach Eisenhüttenstadt geschickt, dann in ein anderes Lager und jetzt hierher. Nach der Ankunft in diesem Lager trennte sich meine Frau von mir. Früher kam sie jeden Monat oder alle zwei Monate, um unsere Tochter zu besuchen, aber jetzt ist sie seit fast drei Monaten nicht mehr gekommen. Als wir hier im Lager ankamen, haben sie uns Sachen und Möbel für unser Zimmer gegeben. Sie haben uns eine Karte gegeben, mit der wir zum Arzt gehen können, so dass wir keine Gebühren zahlen müssen. Sie haben uns auch eine ID-Karte gegeben. Vor ein paar Monaten gab es hier einen Kurs, den wir zweimal pro Woche besuchten und eine Stunde lang lernten. Ich bin mir nicht sicher, warum, vielleicht wegen Corona, aber dieser Kurs wurde später gestrichen. Es war ein schöner Kurs; ich habe gelernt. Jede Woche konnte ich dort ein paar Wörter lernen, aber jetzt gibt es den nicht mehr. Seitdem bin ich hier und es ist nicht wirklich etwas passiert. Wir haben die Dokumente bei unserer Ankunft bekommen und sind seitdem in unserem Zimmer. Wir sind jetzt nur am Warten. Seit einem Jahr bin ich nun hier. Ich würde gerne etwas lernen. Ich kann die Sprache nicht, und ein Sprachkurs wurde für uns nicht gefunden. Ich war schon ein paar Mal in Berlin mit einem Brief vom Büro meines Camps. Dort sagte man mir, dass ich ein Dokument benötige, um in einem Kurs angemeldet zu werden. Ich spreche nun schon seit einiger Zeit mit dem Büro, aber sie konnten noch keine Klasse finden. Ansonsten bin ich immer im Lager, ich mache nichts Besonderes. Da ich
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ein Kind habe, kann ich nicht einfach zur Arbeit gehen; ich bin an sie gebunden. Ich habe mich auch beim Büro nach einem Kindergartenplatz für meine Tochter erkundigt, aber es hat sich nichts ergeben. Wir warten beide darauf, dass ein Unterricht angeboten wird. Damit wir etwas lernen können. Es ist wirklich schwierig, die Sprache nicht zu beherrschen. Ich leide darunter, weil ich nicht sprechen kann. Ich bekomme Depressionen. Wenn jemand vom Büro kommt oder Post kommt, kann ich nicht verstehen, was sie sagen. Ich sollte jemanden bitten, für mich zu übersetzen, aber das ist sehr schwer. Ich habe hier einen Nachbarn, der meine Sprache spricht; er ist ein netter Kerl. Wenn er nicht bei der Arbeit ist, kann ich zu ihm gehen, um Hilfe zu bekommen. Wenn ein Brief kommt, sagt er mir, was es ist, und hilft mir. Mit den anderen Bewohnern hier habe ich nur nachbarschaftliche Grüße, mehr nicht. Wir kommen aus einem vom Krieg zerstörten Land. In Afghanistan war es sehr schwer für uns, und wir mussten das Land verlassen. Gott sei Dank sind wir jetzt in Deutschland. Ich bin glücklich hier, sowohl mit den Menschen als auch mit der Regierung, und die Leistungen sind alle sehr gut für uns. Weil wir aus einem Land kommen, in dem wir nur Unglück und Kummer erlebt haben, bin ich jetzt hier glücklich. Ich kann hier studieren, ich kann etwas für mich und für meine Tochter tun. Wenn wir dort gewesen wären, hätte ich nichts tun können. Für mich ist das nicht schlimm, aber für meine Tochter ist es schlimmer, weil sie ein Mädchen ist. In Afghanistan haben die Frauen nichts. Aber hier, auch wenn ich nichts erreiche, kann meine Tochter etwas aus sich machen. Ich habe eigentlich keinen Kontakt zu Menschen. Ich spreche kein Deutsch. Ich gehe nur in den Supermarkt, um einzukaufen, und wenn sie die Summe ausrechnen, sehe ich die Zahl auf dem Ding und bezahle das Geld. Wenn es 20 € sind, gebe ich 30, und dann sagt mir die Frau, nein, das reicht schon. Ich weiß es nicht, weil ich noch nie zur Schule gegangen bin. Selbst wenn ich am Handy etwas lernen will, ist es schwierig, weil das Kind um mich herum ist. Wenn sie einen Kita-Platz hätte, könnte ich freier denken und versuchen, am Handy etwas zu lernen. Aber sie ist 24 Stunden am Tag bei mir. Wo immer ich hingehe, muss sie bei mir sein. Sie hat hier zwar einige Spielkameraden, aber die gehen bis zwei oder drei Uhr nachmittags in den Kindergarten. Wenn sie zurückkommen, spielen sie manchmal zusammen. Sie ist noch ein Kind. Sie lernt jetzt ein bisschen Deutsch und kann mit den Kindern, die hier sind, sprechen. Sie ist ein Kind und ihr Gehirn funktioniert einfach besser. Ich habe auch in Afghanistan nie studiert, nie etwas gelernt. Ich bin Analphabet. In Afghanistan war es zuerst ein bisschen möglich zu studieren, aber dann haben die Taliban Briefe an unsere Schule geschickt und die Eltern gewarnt, ihre Kinder nicht in die Schule zu schicken und dass sie die Schule bombardieren würden. Mein Vater sagte mir, ich könnte zur Schule gehen, wenn ich wollte, aber dass sie die Schule bombardieren könnten, dass also etwas passieren könnte. Zu dieser Zeit war ich in der ersten Klasse und ging nur seit ein paar Monaten zur Schule, aber ich ging nie
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wieder hin. Danach hatte ich nie wieder die Möglichkeit zu lernen. Als ich 12 oder 13 war, fing ich an zu arbeiten und arbeitete, bis ich nach Deutschland kam. Jetzt ist die Situation in Afghanistan noch schlimmer. Wer würde sein Land verlassen, um auf dem Meer und in den Wäldern zu leiden? Wir haben viel Kummer erlebt, bis wir hier angekommen sind. Auch meine Familie hat das Land verlassen. Bevor Afghanistan in die Hände der Taliban fiel, lebte meine Familie dort. Nachdem die Taliban die Macht übernommen haben, hat meine Familie das Land verlassen und ist nach Iran gegangen. Jetzt bin ich mir nicht mehr sicher. Sie haben mich einmal angerufen und gesagt, dass sie im Iran leben. Es stimmt, dass wir aus einem islamischen Land kommen, aber jetzt, wo wir hier leben, wo wir hier akzeptiert wurden, sollten wir anfangen, wie Deutsche zu leben. Wir sollten die Gedanken, die wir in unserem Land hatten, über Bord werfen und mit den Bedingungen leben, in denen die Deutschen selbst leben. Es ist nicht möglich, dass die Deutschen so leben, und ich lebe das alte Leben, das ich in Afghanistan hatte. Ich sollte so werden wie sie, um zu sehen, wie sie leben, und von ihnen das Leben lernen. Zum Beispiel, wie sie die Leute am Arbeitsplatz behandeln, ich sollte lernen, so zu sein. Das Leben, das wir in Afghanistan führten, war so anders als das Leben hier. Die Lebensbedingungen hier sind ganz anders, also sollte ich ihnen ähnlich werden. Wir haben in Afghanistan nichts anderes als Unglück gesehen. Wir sollten das Leben von den Deutschen lernen. Sie leben ein Leben. Wir haben nicht wirklich gelebt. Ich sollte zuerst einen Sprachkurs machen, um die Sprache zu lernen. Vor einiger Zeit sagte man mir, ich solle arbeiten gehen, um eine Ausbildung zu machen. Also ging ich zu diesem Ort für einen Maler Job. Ich meldete mich dort an und man sagte mir, ich sollte zur Arbeit kommen, aber weil ich mit meinem Kind zusammen bin, kann ich sie nicht um 5 Uhr morgens aufwecken und zur Arbeit gehen. Ich habe mich gerade für die Stelle beworben und noch keine Rückmeldung erhalten. Dort hat man mir gesagt, ich könnte einen Kindergarten für mein Kind finden, und ich habe gesagt, wenn ich den hätte, wäre das kein Problem. Ich würde gerne irgendwo anfangen, damit ich mein Ziel erreichen kann. Ich sagte ihnen, dass ich die Sprache nicht beherrsche. Es war eine Frau dabei, und ich sagte ihr, dass ich nicht verstehe, was sie sagt. Die Leute haben für mich übersetzt und sie sagte, sie könnte mir helfen und Kurse für mich finden. Vielleicht ein oder zwei Mal in der Woche. Dann sagte sie, wir könnten in der Stadt, in der ich wohne, Unterricht für mein Kind finden. Aber auch von denen habe ich keine Nachricht. Das ist jetzt vier oder fünf Monate her. Keine Nachricht. Das Wichtigste ist also, dass wir einen Kurs für mich und meine Tochter finden, damit ich etwas lernen und irgendwo anfangen kann. Wenn ich zum Beispiel zur Arbeit gehe und man mir sagt, ich soll diesen Stift mitbringen, aber ich kenne die Sprache nicht, weiß ich nicht, ob man mir sagt, ich soll den Stift oder das Buch mit-
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bringen. Das ist wirklich schwierig. Wenn ich vier oder fünf Monate lang lernen und ein bisschen mit Menschen kommunizieren könnte, mit Menschen Kontakt hätte, könnte ich die Sprache schneller lernen. Wenn ich jetzt mit meiner Tochter in den Park gehe und mich jemand etwas fragt, schaue ich ihn einfach an und sage ihm, dass ich nichts verstehe. Dann sagt er »ok, ok« und geht einfach. Ich möchte, dass die Menschen von meinen Erfahrungen lernen. Wenn ich meine Erfahrungen erzähle, wissen die Leute, dass das Leben für uns schwierig war. Wenn Sie in Afghanistan oder im Iran gelebt haben, wissen Sie vielleicht, wie die Situation in einem Land wie Afghanistan ist. Aber andere Menschen wissen das nicht. Vor ein paar Tagen ging ich zu meinem Interview, und dort fragte man mich, warum ich 24 Jahre lang dort gelebt und nie studiert habe? Nun, ich habe ihnen gesagt, dass in meinem Land immer Krieg herrscht; die Taliban sind dort, und sie wollen nur, dass die Menschen Analphabeten sind. Jetzt können in Afghanistan 90 % der Menschen nicht lesen und schreiben. Seit ich nach Deutschland gekommen bin, habe ich gemerkt, dass ich vorher gar nicht richtig gelebt habe, das kann ich schwören. Die Menschen hier leben wirklich, und ihre Kinder können lesen und schreiben. Sie studieren, und sie sind ganz anders als wir, die Einwanderer. Sie halten uns für Leute von hinter den Bergen. Wir haben so ein Leben noch nie erlebt. Schritt für Schritt sehe ich jetzt, wie die Menschen leben.
Sharif und Arezo Dieses Interview haben wir mit einem Paar aus Afghanistan, Sharif und Arezo, geführt. Sie ergänzten sich, indem sie ihre Lebensgeschichte gemeinsam erzählten. Um die Lektüre zu erleichtern, haben wir ihre Gespräche jedoch in separate Abschnitte unterteilt.
Sharif Wir haben Afghanistan vor langer Zeit, zur Zeit der Sowjetunion, verlassen. Wir gingen nach Pakistan und lebten dort ein Jahr lang. Dann gingen wir in den Iran. Wir verließen Afghanistan, als wir noch sehr jung waren, und wurden Einwanderer, und das sind wir bis heute. Im Jahr 2015, als die Grenzen in Europa geöffnet wurden, beschlossen wir, hierher zu kommen. Alle kamen in diese Richtung, und wir taten dasselbe. Unsere Kinder zogen nach Europa und wir blieben im Iran. Wir haben uns im Grunde in zwei Hälften geteilt. Unsere Kinder gingen mit einigen Familienmitgliedern. Dann beschlossen wir, auch zu gehen. Als wir an der Grenze waren, wurden wir verhaftet
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und zurück nach Afghanistan deportiert. Sie hielten uns zunächst eine Nacht lang in einem Lager fest und schoben uns dann ab. Es war ein schwieriges Leben. In Afghanistan, auf dem Weg nach Herat, hatten wir einen Autounfall. Das war im Jahr 2018. Meine Frau lag zehn Tage lang im Koma. Wir brachten sie nach Kabul in ein indisches Krankenhaus. Sie konnte ihr Gleichgewicht nicht halten. Sie sagten, sie habe ein Blutgerinnsel im Kopf. Schließlich ging es ihr ein wenig besser. Sie kann sich aber an nichts mehr erinnern. Selbst jetzt vergisst sie alle fünf Minuten etwas. Wenn sie zum Beispiel einen Termin hat, vergisst sie ihn. Meine Kinder schicken ihr immer eine Sprachnachricht auf ihr Telefon, um sie daran zu erinnern. Bei dem Unfall habe ich auch 30 Stiche an meinem Kopf bekommen. Aber ich war wach. Meine Frau hatte zwar einen Schlag auf den Kopf, aber es gab kein Blut. Dann gingen wir in den Iran und lebten dort ein Jahr lang. Dann zogen wir unseren Kindern zuliebe hierher. Wir gingen nach Griechenland, nahmen ein Boot auf die Insel Lesbos und blieben dort sechs Monate lang. Wir haben auch sechs Monate in Athen gelebt. Vor anderthalb Jahren erreichten wir Deutschland, legten unsere Ausweispapiere vor und beantragten Asyl. Wir haben eine Tochter, die ganz in der Nähe wohnt. Sie wohnt fünf Minuten von hier entfernt. Ich weiß es nicht genau, aber ich schätze, dass wir seit etwa 14 Monaten in diesem Heim sind. Es ist schwierig für uns hier im Lager. Meine Frau muss am Ende des Flurs in die Küche gehen, eine eigene Küche haben wir nicht. Auch die Benutzung der Toiletten ist schwierig. Es gibt nur zwei Toiletten für all die Menschen, die hier leben. Wir haben versucht, uns für ein Haus zu registrieren. Man hat uns gesagt, dass noch so viele andere Leute vor uns in der Schlange stehen. Wenn wir ein Haus hätten, hätten wir die Probleme, die wir hier haben, nicht. Ich habe diese Hautkrankheit am Kopf entwickelt. Ich habe sie jeden Tag gewaschen, aber sie geht nicht weg. Ursprünglich gab es hier jede Woche einen zweistündigen Deutschkurs. Das hat mir geholfen, so dass ich jetzt die Schilder lesen kann. In diesem Kurs habe ich das Alphabet gelernt. Aber er wurde gestrichen und jetzt waren wir in Berlin, um uns für einen Sprachkurs anzumelden. Wir haben einen Termin ausgemacht und werden nächsten Freitag hingehen und uns anmelden. Der Kurs findet viermal pro Woche statt. Damals im Iran war ich Landwirt und Gärtner. Meine Frau ist zu Hause geblieben und hat genäht. Wir lebten dort über 30 Jahre lang. 36 Jahre. Sie war Schneiderin im Iran. Aber jetzt … hat sie Schmerzen in ihren Händen. Sie geht zur Physiotherapie. Ich weiß nicht, ob es an dem Unfall liegt oder nicht. Aber als die Ärzte sie im Iran sahen … Wir gingen zu einem sehr guten Arzt in diesem Krankenhaus. Er sagte, er sei überrascht, dass sie überhaupt auf den Beinen sei. Denn mit diesem Blutgerinnse …. Gott hatte ihr dabei geholfen. Früher, als sie noch Schneiderin war, hatte sie einen so scharfen Verstand, dass sie die schwarzen Tschadors, die sie genäht hatte, nicht mit Nummern von Kunden versah. Aber jetzt vergisst sie alle fünf Minuten etwas.
2. Afghanistan
Um einen Job zu bekommen, müssen wir die Sprache beherrschen. Zuerst muss ich sie ein bisschen lernen. Deshalb habe ich auch nicht viel getan, um Arbeit zu finden. Ohne die Sprache kann man nichts machen. Der Unterricht, den wir hier zwei Stunden pro Woche hatten, hat nicht viel gebracht. Aber jetzt fängt der neue Kurs an, viermal die Woche, das wird gut sein. Wir werden etwas lernen. Dieser Kurs war die einzige Aktivität, die wir gemacht haben. Ansonsten haben wir nicht viele andere Aktivitäten. Meine Frau geht manchmal zu ihrer Tochter. Eine andere Tochter von uns ist in Berlin. Sie macht eine Ausbildung in der Zahnpflege. Sie kommt wöchentlich hierher, um uns zu besuchen. Wir haben einen Sohn in München. Ein anderer ist in Dortmund. Sie sind über das ganze Land verstreut. Wir haben auch einen Bruder, eine Schwester und Nichten und Neffen hier … Zu anderen Menschen als den Verwandten haben wir keinen Kontakt. Es gab einige deutsche Damen, die uns früher in der Sprachklasse unterrichtet haben. Sie kamen uns von Zeit zu Zeit besuchen. Aber wir verstehen ihre Sprache nicht. Was den Papierkram angeht, so sagt uns unsere Tochter, was wir tun sollen. Sie wohnt in der Nähe und hat selbst ein Kind. Wenn wir Hilfe brauchen, ist die Chefin hier, oder sie sagt uns, wir sollen es selbst machen. Unsere Tochter ruft die Chefin jede Woche an und sagt uns, wenn es etwas zu tun gibt. Unsere Kinder leben nun schon fast sechs Jahre hier. Sie sind 2015 oder 2016 angekommen. Fast sechs Jahre. Sie wurden alle im Iran geboren. Als die Kinder noch klein waren, waren wir ab und zu in Afghanistan. Sie finden, dass Afghanistan ein guter Ort ist. Aber sie waren noch klein und wussten nichts. Wir wissen, wie es ist, dort zu leben. Drei der Kinder haben die Schule abgeschlossen und eines von ihnen hat einen Bachelor-Abschluss in Iran gemacht. Er ist gegangen, weil er so viele Schikanen ertragen musste. Überall, wo er hinging, sagten sie ihm: Du bist Afghane. Oder sie haben auf seiner Kleidung herumgehackt. Wenn er zum Beispiel kurze Ärmel trug, sagten die Beamten in Büros ihm, er solle gehen, sich umziehen und an einem anderen Tag wiederkommen. Er hatte das alles so satt, dass er sagte, er würde gehen. Wir durften dort nicht einmal eine SIM-Karte kaufen. Und das, obwohl unsere Kinder alle dort geboren wurden und dort zur Schule gingen. Mein Sohn fragte uns immer: »Warum habt ihr mich hier im Iran zur Welt gebracht?« [lacht]. Aber das galt natürlich nicht nur für Afghanen. Auch die Iraner selbst wurden schikaniert. Wir hatten dort gute Nachbarn und mochten sie sehr. Sie haben alle geweint, als wir das Land verlassen haben. Als wir hier in Deutschland ankamen, haben sie uns eine Krankenversicherung gegeben. Wir gehen zum Arzt und müssen nichts bezahlen. Wir erhalten auch eine Leistung. Zuerst waren wir im Übergangslager. Dort bekamen wir ein kleines Gehalt für Ausgaben und Essen. Dann wurden wir hierher versetzt, und wir bekommen wieder eine Leistung. Wir haben unseren Ausweis erhalten. Für den Sprachkurs hat
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uns das Jobcenter einen Brief gegeben, damit wir studieren können. Vorher konnten wir das nicht machen. Jetzt mit dem Brief vom Arbeitsamt konnten wir uns anmelden. Damals in Afghanistan sind wir nie zur Schule gegangen. Im Iran haben wir dann einige Alphabetisierungskurse besucht und ein bisschen gelernt. Ich kann ein bisschen Farsi/Dari lesen. Aber nur lesen, nicht schreiben. Im Iran hatten wir die Amayesh-Karte [anerkannter Flüchtlingsstatus und unter der Obhut des UNHCR], und dann haben wir sie in eine Aufenthaltsgenehmigung [mit Pässen] umgewandelt. Als wir mit Hilfe von Schmugglern die Grenze zur Türkei überquerten, wurden wir verhaftet und unsere Papiere wurden ungültig. Denn wenn man beim illegalen Grenzübertritt verhaftet wird, wird die Aufenthaltsgenehmigung annulliert. Dann hatten wir keine Aufenthaltsgenehmigung und mussten zurückkehren. Wir waren ein Jahr lang auf der Reise nach Europa. Trotz meines hohen Alters würde ich gerne arbeiten. Aber dann braucht man die Sprache, um hier zu arbeiten. Ich brauche sie, um meine eigenen Arbeiten zu erledigen, um die Leute zu verstehen und ihnen zu antworten. Wenn ich anfange, ein wenig zu verstehen oder zu sprechen, würde ich gerne arbeiten. Ich mag es nicht, untätig zu sein. Es langweilt mich. Meine Frau war eine fähige Schneiderin. Das hatte sie 30 Jahre lang gemacht. Aber jetzt hat sie Schmerzen in den Händen. Es ist sogar schwierig für sie zu schlafen. Da unsere Kinder vor uns gekommen waren, wussten wir einiges über das Leben in Deutschland. Unsere Tochter, die hierherkam, war noch minderjährig. Wir haben uns große Sorgen um sie gemacht. Sie hatte damals keine Eltern, die sich um sie kümmern konnten, und lebte bei der Familie ihrer Schwester. Das war sehr schwierig für sie. Auch wir werden alt und können nicht alleine leben. Darum beschlossen wir, diese schwierige Reise auf uns zu nehmen, mit dem Boot zu kommen, auf der Insel zu leben und schließlich hier anzukommen. Gott sei Dank ist es hier jetzt gut. Wir hatten gehört, dass die Dienste in Deutschland gut sind. Und es war wirklich gut. Man wird hier nicht diskriminiert, weil du ein afghanischer Einwanderer bist. Wir wussten das schon vorher, aber dann haben wir auch den Beweis gesehen, dass das, was sie gesagt haben, wahr ist. Wir haben die gleiche Krankenversicherung wie alle anderen. Es gibt keinen Unterschied. Die einzige Schwierigkeit besteht darin, die Sprache nicht zu beherrschen. Es gibt hier eine afrikanische Frau. Sie wechseln sich hier mit der Reinigung der Küche ab. Sie haben meiner Frau gesagt, »du bist wie unsere Mutter«, und weil deine Hand weh tut, lassen wir dich nicht putzen. Sie sind wirklich nett. Wenn man älter wird, muss man seine Kinder um sich haben. Wenn wir die Sprache lernen, können wir sie leichter besuchen. Es wäre gut, wenn ich bis zum Rentenalter arbeiten könnte. Wir würden gerne in ein Haus ziehen. Vielleicht irgendwo hier in der Gegend. Meine Tochter hat einen Antrag auf Versetzung nach Berlin gestellt, aber wir haben noch keine Antwort bekommen.
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Arezo Ich würde so gerne hier die Sprache lernen. Mein Mann hat ein bisschen gelernt, aber ich konnte es nicht. Wegen des Unfalls kann ich jetzt nicht mehr arbeiten, aber ich liebe meinen Job trotzdem. Nähen. Ich würde gerne arbeiten, wenn sich meine Hand ein bisschen verbessert. Ich möchte auch studieren. Damals im Iran habe ich zwei bis drei Jahre lang Medikamente gegen den Gedächtnisverlust genommen. Ich habe auch Medikamente genommen, damit sich das Blutgerinnsel auflöst. Wenn es meiner Hand besser geht, möchte ich arbeiten. Im Iran sagte man mir, dass der Handnerv durchtrennt sei und ich mich einer Operation unterziehen müsse. Dann zogen wir hierher und ich konnte nicht operiert werden. Es ist jetzt drei Jahre her, dass wir weggegangen sind. Wenn es besser wird, werde ich erst die Sprache lernen und dann arbeiten. Wegen der Schmerzen kann ich nicht auf der Seite schlafen. Hier gehe ich zu einem iranischen Arzt. Er sagt, er habe Farsi nur ein bisschen von seinen Eltern gelernt. Aber er ist hier geboren. Es ist gut, wenn man jemanden hat, der seine Sprache spricht. Hier besteht meine einzige Tätigkeit auch nur darin, durch den Flur in die Küche und zurück zu gehen. Es war schön, im Iran zu leben, ich hatte nicht das Gefühl, fremd zu sein, weil wir die Sprache kannten, aber dann machte es die Regierung schwierig. Wir hatten Afghanistan verlassen und in Pakistan geheiratet. Einige Monate nach unserer Hochzeit bekamen wir im Iran unser erstes Kind. Vor einiger Zeit hatte ich Covid bekommen, sogar nach drei Impfdosen. Aber es war so leicht, dass ich nicht verstand, dass es Corona war. Man sagte mir, ich sei positiv und müsse 12 Tage in Quarantäne bleiben. Als ich nach der Quarantäne aus dem Zimmer kam, stand ich mit einem Topf in der Hand auf dem Flur. Plötzlich kam diese afrikanische Frau auf mich zu, umarmte mich und begann mich zu küssen. Man sagt, das Gesetz hier besagt, dass man erst drei Jahre im Heim leben muss und dann umziehen kann. Das ist ein schwieriges Gesetz. Die Schwester meines Mannes ist jetzt in Berlin und hat noch keinen anerkannten Fall. Aber sie haben ein Haus. Es gab hier eine freie Wohnung, in der Nähe der Wohnung meiner Tochter. Sie sagten uns, wir stünden auf der Warteliste. Meine Tochter war hingegangen, um sie um die Wohnung zu bitten, um zu sagen, dass ihre Eltern alt sind und eine Wohnung brauchen. Man hat ihr gesagt: Nein, deine Eltern sind noch jung. Auf der Liste stehen noch viele andere Leute und viele sind älter. Sie haben unsere Bewerbung nicht akzeptiert. Sie sagen, 60, 63 Jahre sind jung!
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Ali Ghaznawi Vom Leben in Afghanistan zur Einwanderung in die Ukraine und nach Deutschland2 1 – Afghanistan Unter Migration versteht man die Bewegung von Menschen von einem Ort zu einem anderen, um dort zu arbeiten oder zu leben. In der Regel wandern Menschen aus, um ungünstigen Umständen oder Faktoren wie Armut, Krankheit, politischen Problemen, Nahrungsmittelknappheit, Naturkatastrophen, Krieg, Arbeitslosigkeit und mangelnder Sicherheit zu entkommen. Der zweite Grund können günstigere Bedingungen und Faktoren sein, die das Ziel [Land] anziehend für eine Migration machen, wie zum Beispiel bessere Gesundheitseinrichtungen, bessere Bildung, höheres Einkommen, bessere Unterkünfte und größere politische Freiheiten. Wer nicht die Erfahrung gemacht hat, auszuwandern und sein Heimatland zu verlassen, kann die persönlichen Gefühle, das Leid und den Schmerz eines Einwanderers nie wirklich verstehen. Aber für mich, der auf eine bessere Zukunft in seinem Heimatland gehofft und sich darum bemüht hatte, war der Schmerz über den Verlust der Hoffnung und der Träume in meinem Land sehr schmerzhaft. Ich hatte mir viele Jahre lang eine Zukunft in Afghanistan aufgebaut. Ich hätte nie gedacht, dass ich eines Tages meine Heimat und meinen Arbeitsplatz verlassen, mein Leben verlieren und ein Geflüchteter in einem anderen Land werden würde. In Afghanistan war ich durch meine Arbeit in den Medien, in der Informationstechnologie sowie durch soziale, kulturelle und politische Aktivitäten in der Zivilgesellschaft mehr als ein Jahrzehnt lang bekannt. Allerdings stand ich ernsten Sicherheitsproblemen gegenüber, vor allem als ich beim größten Fernsehsender Tolo TV arbeitete, einem Unterhaltungssender für die Menschen in Afghanistan. Die wichtigsten Bestandteile der Sendungen dieses Senders waren internationale Fernsehserien, afghanische und ausländische Musik, Unterhaltungsprogramme für Jugendliche und andere soziale und kulturelle Aktivitäten. Fernsehsender, die Unterhaltungsprogramme ausstrahlen, sorgten für Ärger mit den extremistischen Islamisten (Taliban). Sie terrorisierten die Mitarbeiter von Tolo TV mit Morddrohungen und griffen mehrmals einige Mitarbeiter unseres
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Als wir (Isabel Romijnders und Hans Blokland) Ali interviewten, merkten wir sofort, dass er sehr interessiert daran war, seine Geschichte zu erzählen. Nachdem wir mehr als eine Stunde mit ihm und seinem Mitbewohner gesprochen hatten, luden wir sie ein, sich erneut mit uns zu treffen, da sie noch mehr zu erzählen hatten. Ein paar Tage später erhielten wir eine E-Mail von Ali. Er hatte sich die Freiheit genommen, seine Geschichte selbst zu schreiben, in seinen eigenen Worten, um seine persönlichen Erfahrungen und Gefühle zu beschreiben. Was folgt, ist die Geschichte von Ali, die wir nur leicht überarbeitet haben.
2. Afghanistan
Fernsehsenders an und töteten sie. Ende 2015, als die Terroranschläge der Taliban und des ISIS in Afghanistan, insbesondere in Kabul, zunahmen, beschloss ich, Afghanistan zu verlassen. Vielleicht werde ich die schöne Stadt Kabul nie wieder sehen und nur die Erinnerungen aus der Ferne mitnehmen können. Ich denke an das Leben, das ich in Kabul hatte, und manchmal weine ich in meinen einsamen Momenten, weil ich weit weg von zu Hause bin. Zunächst ging ich nach Islamabad, Pakistan, um ein Studentenvisum für die Ukraine zu beantragen. Nachdem ich das Visum über die Botschaft der Republik Ukraine erhalten hatte, kehrte ich nach Kabul zurück. Ich bereitete meine Reisesachen vor und kaufte ein Flugticket. Mein Flug ging vom internationalen Flughafen Kabul nach Dubai (mit einem etwa elfstündigen Transitaufenthalt am internationalen Flughafen Dubai) und dann nach Odessa in der Ukraine.
2 – Ukraine Am 9. Februar 2016 kam ich in Odessa, Ukraine, an. Es war sehr kalt. Als ich aus dem Flugzeug stieg, fühlte ich mich seltsam. Es war, als ob ich in eine neue Welt gereist wäre. Neue Menschen mit heller Hautfarbe, blauen Augen und blondem Haar. Und vor allem die ukrainische Sprache, die für mich völlig neu und ungewohnt war. Nach ein paar Tagen kam ich an die Nationale Polytechnische Universität Odessa, um Informatik zu studieren. Es gab viele Studenten, darunter Ukrainer, Afghanen, Araber, Türken, Inder, Afrikaner und so weiter. Wir hatten sehr gute Dozenten. Sie bemühten sich sehr darum, dass die ausländischen Studenten die Sprache gut lernten, damit sie an der Universität erfolgreich sein konnten. Ich arbeitete hart, und nach drei Jahren schloss ich die Polytechnische Universität ab. Und ich hatte zwei weitere Sprachen gelernt (Russisch und Ukrainisch). Odessa ist eine multikulturelle Stadt. Ukrainer, Russen, Afghanen, Türken, Inder, Pakistaner, Iraner und Menschen aus vielen anderen Ländern leben dort zusammen. Die Multinationalität von Odessa macht die Stadt schön und wohlhabend. Ich habe dort ukrainische Freunde gefunden. Sie waren sehr enthusiastisch, über Afghanistan und die Länder der Region zu sprechen und etwas über die guten Dinge dort zu erfahren. Auch wenn ich meine Heimat in Afghanistan vermisste, war ich in der Ukraine sehr glücklich. Ich hatte ein kleines Online-Unternehmen gegründet. Meine Tätigkeiten lagen in den Bereichen Grafikdesign, Erstellung von Unternehmenswebsites, Einrichtung von Online-Shops, Online-Werbung und Beratung. Ich lebte mein Leben in der Ukraine, bis der brutale russische Angriff auf die Ukraine begann. Am 24. Februar wachte ich gegen 5 Uhr morgens durch laute Explosionen auf, die von russischen Raketen verursacht wurden. Ich ging auf den Balkon und sah aus dem Fenster dichten schwarzen Rauch, der aus mehreren Stellen kam. Ich war sehr erschrocken. Ich eilte zurück ins Haus und griff nach meinem Handy,
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um die Nachrichten zu lesen. Nach wenigen Augenblicken war der russische Angriff auf die Ukraine in den Schlagzeilen der nationalen und internationalen Medien. An diesem Tag war ich so verängstigt, dass ich vielleicht mehr als zwei Schachteln Zigaretten geraucht habe. Der Stress und die Angst, die sich in mir aufgebaut hatten, als ich aus Afghanistan floh, verschonten mich nicht. Ich hatte überhaupt keinen Appetit auf Essen. Der brutale Angriff eines zivilisierten Landes auf ein befreundetes und benachbartes Land war für mich völlig unwahrscheinlich und unlogisch. Das Vorgehen der russischen Führung war völlige Dummheit. Meine Mutter rief jede Stunde an. Sie fragte nach meiner Gesundheit und der aktuellen Kriegssituation. Ich versicherte ihr immer, dass die Situation gut und ich an einem sicheren Ort sei. Sie lebt jetzt seit drei Jahren als Einwanderin in der Republik Tadschikistan. Sie hat sich Sorgen um mich gemacht, und ich habe mir Sorgen um sie und ihre Gesundheit gemacht. Der Krieg tut weh – dieser verdammte Krieg verletzt den Geist meiner Mutter und macht sie meinetwegen krank. Ich kontaktierte einige meiner ukrainischen und afghanischen Freunde, die in der gleichen Stadt lebten. Wir beschlossen, uns zu treffen und zu besprechen, ob wir bleiben oder aufs Land gehen sollten. Ich fuhr in ein Dorf in der Nähe von Odessa und übernachtete bei einem ukrainischen Freund von mir. Aber nach ein paar Tagen beschloss ich, in meine Stadt zurückzukehren und mein Zuhause zu besuchen. Alles war an seinem Platz. Das Einzige, was nicht mehr da war, war mein Lächeln. Meine Freunde brachten mich immer zum Lächeln, aber ich konnte es nicht mehr. In meiner Wohnung herrschte keine Freude. Nachts, wenn die Gefahrensirenen ertönten, mussten sich alle in die unterirdischen Schutzräume begeben. Wir mussten dort bleiben, bis der Alarm erlosch. Wenn russische Drohnen vom ukrainischen Radar- und Verteidigungssystem über der Stadt gesichtet wurden, ertönten in der Regel in der ganzen Stadt die Alarmsirenen. Ich habe lange im Internet gesucht, in welches Land ich, noch einmal, fliehen könnte und welches Land eine hoffnungsvolle Zukunft für Migranten hätte. Ich beschloss, die Ukraine zu verlassen und nach Europa zu reisen. Mein endgültiges Ziel war Deutschland. Ich war auf der Suche nach einem Transportmittel, um die Ukraine zu verlassen. Aber wegen des Krieges waren alle Züge und Busse für die Evakuierung von Frauen, Kindern, älteren und kranken Menschen reserviert. Es war nicht möglich, mit Zügen und Bussen zu reisen. Einige meiner Freunde verließen die Ukraine mit ihren Familien, und es war mir nicht möglich, mit ihnen zu reisen. In der Zwischenzeit rief mich einer meiner Nachbarn, der Taxifahrer war, an und sagte, er wolle mit seiner Tochter zur polnischen Grenze fahren. Seine Tochter wollte nach Polen fahren und er würde nach Odessa zurückkehren. Er sagte, wenn ich wolle, könne ich mit ihm und seiner Tochter mitfahren, da der Rücksitz des Wagens völlig leer sei. Ich akzeptierte das als eine Gelegenheit, dem Krieg zu entkommen.
2. Afghanistan
Am Sonntag um 8 Uhr verließen wir Odessa. Es gab viele Autos und Busse, da die Menschen versuchten, die europäischen Grenzen zu erreichen. Die Verkehrsstaus und Sicherheitskontrollen waren sehr langweilig. Wir fuhren fast 23 Stunden lang mit dem Auto, bis wir die polnische Grenze erreichten. Die ukrainischen und polnischen Grenzbeamten gingen sehr gut mit den Menschen um und arbeiteten mit allen zusammen. In der Nähe der Grenze gab es eine Flut von Migranten. Es war vielleicht die größte Migrantenflut der Welt in den letzten Jahrzehnten. Russland und seine Führer tragen die Schuld an diesem Elend und der Vertreibung. Sie werden sicherlich für diesen barbarischen Akt bezahlen, denn jede Aktion hat eine Reaktion zur Folge. Bei meiner Einreise nach Polen hatte ich zum ersten Mal Kontakt zu meiner Mutter und erzählte ihr, dass ich sicher in Polen und in der Europäischen Union angekommen war. Sie war sehr glücklich über diese Nachricht. Sie sagte, sie habe für mich gebetet, dass ich mein Ziel sicher erreichen würde. Ich bin wirklich froh über die Unterstützung meiner lieben Mutter. Ich bete, dass sie immer gesund bleibt und immer ein Lächeln auf dem Gesicht hat. In der Grenzstadt, in der ich nach Polen eingereist bin, haben die Einwanderungsbeamten jeden begleitet. Sie gaben allen Pakete mit Lebensmitteln und heißen Getränken wie Tee und Kaffee. Es gab kostenlose Busse, die die Geflüchteten zum Bahnhof brachten. Nachdem ich das Lebensmittelpaket erhalten hatte, stieg ich in den Bus und fuhr zum Bahnhof. Am Bahnhof halfen Polizei und Hilfsorganisationen den Menschen, in den Zug zu steigen und in andere Städte ihrer Wahl in Polen zu reisen. Ich stieg in den Zug und reiste nach Warschau. Am Warschauer Bahnhof gab es viele Geflüchtete aus der Ukraine, und die meisten von ihnen warteten auf die nächsten Züge nach Deutschland. Auch ich erhielt mit Hilfe von Sozialarbeitern ein kostenloses Zugticket von Warschau nach Berlin. Es ist wichtig, daran zu denken, dass Polen ein Nachbarland der Ukraine ist, aber das gilt auch für Russland. Was das Mitgefühl zwischen diesen beiden Nachbarländern angeht, gibt es viele Unterschiede. Russland hat mit brutalen Angriffen in der Ukraine eine große Anzahl des Militärs und der Zivilisten getötet. Sie haben die Infrastrukturen und ganze Städte zerstört. Polen hingegen ist barmherzig und human und hat die ukrainischen Geflüchteten freundlich aufgenommen. Sie gaben ihnen Nahrung und Unterkunft in ihrem Land und umarmten sie liebevoll und herzlich. Hier spüren wir den Unterschied von Freundschaft und Nachbarschaft.
3 – Deutschland Endlich bin ich in Deutschland angekommen, dem Land der Wissenschaft und des Wissens, dem Land der Menschlichkeit und der Liebe. Als ich am Berliner Hauptbahnhof ankam, sah ich, dass die Polizei, Wohlfahrtsverbände, Sozialarbeiter und Menschen die Ankunft der ukrainischen Geflüchteten mit so viel Freundlichkeit und Lächeln begrüßten. Hinter dem Berliner Hauptbahnhof war ein großes Zelt aufge-
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baut, in dem die neuen Einwanderer empfangen und mit Essen, Wasser und Tee versorgt wurden. Kostenlose SIM-Karten mit kostenlosen Anrufen in die Ukraine und Hochgeschwindigkeitsinternet wurden von Telekommunikationsunternehmen am Bahnhof an die ukrainischen Einwanderer verteilt. All diese Freundlichkeit und der Empfang der Einwanderer waren sehr schön, und es war ein interessanter und spektakulärer Moment für mich. Ich wartete auf meinen Freund, der in Berlin lebt und mich zu seiner Wohnung bringen sollte. Während ich auf ihn wartete, ging ich durch den Berliner Hauptbahnhof. Es ist ein großer und schöner Ort mit gut ausgestatteten Einrichtungen. Ich spürte die Unterschiede. Ich fragte mich, warum wir in Afghanistan trotz Milliarden von Dollar an internationaler Hilfe nicht über solche Einrichtungen verfügen. Warum haben wir keinen solchen Bahnhof? Warum haben wir in Afghanistan überhaupt keine Stadtbahnen? Der Grund für die Unterentwicklung Afghanistans sind die Regierungschefs. Sie sind immer auf ihre eigenen Interessen fixiert und nicht auf die Entwicklung des Landes. Ich hatte viele Fragen in meinem Kopf. Gleichzeitig dachte ich über die Güte und Freundlichkeit der deutschen Menschen nach. Wenn ich eine Frage hatte oder mich über etwas informieren wollte, fragte ich die Deutschen in englischer Sprache, und sie antworteten mit einem schönen Lächeln und einem fröhlichen Gesicht. Sie fragten oft, woher ich komme. Ich erzählte ihnen, dass ich ursprünglich aus Afghanistan stamme, aber sechs Jahre lang in der Ukraine gelebt habe und nach Kriegsbeginn nach Deutschland kam. Sie begrüßten mich und wir unterhielten uns ein wenig. Nachdem mein Freund mich besucht hatte, gingen wir in seine Wohnung. Ich duschte, wir aßen und ich ruhte mich aus, weil ich seit über 48 Stunden nicht mehr richtig geschlafen hatte. Nachdem ich zwei Tage in Berlin verbracht hatte, wollte ich in andere Städte in Deutschland reisen, da die Züge und öffentlichen Verkehrsmittel für Geflüchtete aus der Ukraine kostenlos waren. Ich habe davon profitiert und bin allein in mehrere Städte in Deutschland gereist. Sehr schöne Städte, sehr angenehmes Wetter und freundliche Menschen. Hier fand ich Menschen und eine Gesellschaft mit zivilisierten Gedanken. Nach etwa drei Wochen, in denen ich mehrere Städte in Deutschland bereiste und einige Freunde traf, mit denen ich natürlich viel Spaß hatte und die mir halfen, meinen Stress abzubauen, beschloss ich schließlich, zur Ausländerbehörde zu gehen und Asyl zu beantragen. Ich wählte das Land Brandenburg. Dreieinhalb Monate lang war ich in einem Heim in Eisenhüttenstadt. Dort hatte ich eine tolle Zeit, ich lernte neue Leute kennen und fand neue Freunde. Danach beschloss die Ausländerbehörde, mich nach Frankfurt (Oder) zu verlegen. Ich war einen Monat lang im Lager Markendorf. Danach wurde ich in ein drittes Heim in Wünsdorf verlegt, wo ich zwei Monate verbrachte. Danach wurde ich in das Lager verlegt, in dem ich jetzt lebe.
2. Afghanistan
Im Moment lerne ich die deutsche Sprache zu Hause. Ich habe mich für den Sprachkurs angemeldet. Im Moment warte ich auf die Erlaubnis der Regierung, die Sprache zu lernen. In Zukunft möchte ich mein Studium an einer der Universitäten in Berlin oder Potsdam fortsetzen, damit ich mein Wissen gut einsetzen und der Gesellschaft, in der ich lebe, dienen kann.
Almar Ich habe ein gutes Leben mit meiner Familie in Afghanistan, Herat, geführt. Ich studierte Informatik an der Universität Herat und meine Frau Literatur. Diese Universität hatte gute Beziehungen zur TU in Berlin. Meine Frau war Lehrerin an einer staatlichen Schule, und ich arbeitete im IT-Management einer deutschen Organisation. Die Organisation war in vier Provinzen Afghanistans tätig. Wir bildeten junge Menschen und Geflüchtete aus Pakistan und dem Iran in einem bestimmten handwerklichen Bereich aus. Sie konnten zum Beispiel das Tischlerhandwerk erlernen. Nach einer sechsmonatigen Ausbildung konnten sie anfangen zu arbeiten. Wir haben viele Kinder, vor allem Geflüchtete, ermutigt, dieses Programm bei unserer Organisation zu beginnen, damit sie ihren Lebensunterhalt mit einem guten Beruf verdienen können. Wir hatten gute Arbeit und ein gutes Haus und gründeten eine Familie. Aber dann kamen die Taliban in unsere Stadt. Zuerst schlossen sie alle Schulen, was meine Frau arbeitslos machte. Danach wurde die Situation immer schlimmer und wir waren in großer Gefahr. Da ich für eine deutsche Organisation arbeitete, lud die deutsche Regierung uns ein, nach Deutschland zu fliehen. Sie luden etwa 1300 Menschen aus der Organisation ein, zu kommen. Fast alle von uns sind jetzt in Deutschland. Wir sind in den Iran gegangen und vom Iran aus sind wir mit dem Flugzeug nach Deutschland gekommen. Im Januar 2022 sind wir mit unserer Familie hier angekommen. Als wir noch in Afghanistan waren, hatten wir eine andere Vorstellung von Deutschland. Man sagte uns, dass wir hier ein gutes Leben haben würden. Wir könnten anfangen zu arbeiten, Deutsch lernen, eine gute Wohnung bekommen. Man sagte uns, wir müssten nur ein paar Tage im Flüchtlingsheim bleiben. Aber wir blieben zwei Monate in dem Heim und mussten dann in ein anderes Heim wechseln. Wir hofften, dass wir nach dem Wechsel der Lager eine gute Wohnung bekommen würden. Wir hofften, dass wir endlich wieder ein neues Leben aufbauen könnten. Aber das war nicht der Fall. Im März 2022 mussten wir in dieses Lager umziehen. An dem Tag, an dem wir hier ankamen, bekamen wir ein Zimmer im dritten Stock. Alles war furchtbar schmutzig und zu klein für unsere vierköpfige Familie. Unser Sohn ist 8 Monate alt
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und unsere Tochter 2 Jahre. Als meine Frau das Zimmer betrat, konnte sie zunächst nicht glauben, dass dies unser Zimmer war. Sie fing an zu weinen. »Das Leben in Afghanistan unter dem Taliban-Regime ist besser, warum hast du uns hierhergebracht?«, sagte sie. Ich erinnere mich noch sehr gut an diesen Moment. Ich wollte das nicht für meine Familie, ich wollte nicht, dass meine Frau weint. Meine Frau sagte, sie wolle zurück nach Afghanistan. Ich ging zu der Sozialarbeiterin und fragte sie, wie wir nach Afghanistan zurückkehren könnten. Die Sozialarbeiterin fragte uns: »Warum?«. Ich zeigte ihr das sehr schmutzige Zimmer mit den Fotos, die ich mit meinem Handy gemacht hatte: »Wir können in diesem Zimmer nicht leben, warum haben Sie uns diesen Ort gegeben? Wir hatten ein besseres Leben in Afghanistan«. Die Sozialarbeiterin versprach uns, dass wir nach ein oder zwei Wochen eine bessere Wohnung haben würden. Zwei Tage lang mussten wir das ganze Zimmer putzen. Ich rief meine Familie an, dass wir zurück nach Hause kommen wollten, aber sie sagten, das sei nicht möglich. »Es ist zu gefährlich«, sagten sie. Wir sind aus dem Land geflohen, also dürfen wir nicht nach Hause zurückkehren. Es sind jetzt zehn Monate, die wir in dieser Einzimmerwohnung gewohnt haben. Schon vor sechs Monaten habe ich angefangen, eine Wohnung zu suchen. Ich habe mich auf fast 200 Wohnungen beworben. Aber sie haben uns alle abgelehnt. Sie schieben es auf unsere Unterlagen, dass sie nicht in Ordnung sind, aber das stimmt nicht. Wir haben auch einen Anwalt, der uns bei der Wohnungssuche hilft und nachweist, dass unsere Unterlagen in Ordnung sind. Wie viele andere Geflüchtete auch, finden wir keine Wohnung. Besonders in diesem Bezirk ist das ein großes Problem. Die Beschaffung der Dokumente ist sehr schwierig. Viele unserer Freunde haben ihre Aufenthaltsgenehmigung nach einem Monat bekommen. Aber in Brandenburg dauert alles länger. Wir mussten vier Monate lang warten. Wir haben oft gehört, dass unser Visum abgelaufen sei und das Jobcenter uns kein Geld zahlen würde. Ich habe die Sozialarbeiter oft gebeten, uns zu helfen. Viele Male habe ich ihnen gesagt, dass wir nicht die Art von Menschen sind, für die sie uns halten. Wir sind keine Menschen, die unsere Zeit verschwenden. Wir versuchen, uns hier ein Leben aufzubauen, wir wollen unsere Zukunft wiederaufbauen und unsere Kinder zur Schule schicken. Wir haben uns für Deutschkurse angemeldet, weil wir lernen wollen, damit wir arbeiten können. »Bitte helft uns«, habe ich sie oft gebeten. Wir glauben, dass es eine gewisse Diskriminierung gibt. Geflüchtete, die nicht aus Afghanistan, sondern zum Beispiel aus der Ukraine kommen, können leichter eine Wohnung bekommen. Wir brauchen wirklich eine Wohnung für unsere Familie. Dies ist kein Ort, an dem wir unsere Familie großziehen können, wir haben nur ein Zimmer. Das Bad ist draußen und das Wasser ist oft kalt. Meine Kinder werden oft krank, wenn sie auf die Toilette gehen, weil es so kalt ist. Es gibt hier immer ein Problem mit der Waschmaschine oder der Küche. Wir verschwenden hier unsere
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Zeit damit, uns um diese grundlegenden Einrichtungen zu kümmern. Wir wollen vorankommen. Meine Frau kümmert sich um unsere Kinder und lernt selbst Deutsch, indem sie sich YouTube-Videos ansieht. Sie war Lehrerin, also weiß sie sehr gut, wie man lehrt und lernt. Sie wartet darauf, dass ihre Universitätsabschlussdokumente von der deutschen Regierung anerkannt werden. Wenn sie hier anerkannt werden, kann sie hier an einer Schule unterrichten. Aber im Moment unterrichtet sie unsere Kinder jeden Tag zwei Stunden lang Deutsch. Meine 2-jährige Tochter geht nicht in den Kindergarten, aber mein Sohn geht in die Kita, die für Kinder unter zwei Jahren ist. Wir bereiten unsere Kinder auf ihre Zukunft hier vor. Wir machen ihnen Hoffnung und sagen ihnen, dass alles gut werden wird. Meine Kinder sehen die schlechten Dinge hier nicht. Sie lernen langsam Deutsch; sie geben sich große Mühe. Wir wollen zuerst eine Wohnung finden, eine sichere Umgebung, bevor wir unsere Tochter zur Schule schicken. Im Moment sind wir jeden Tag auf der Suche. Es sind schon neun Monate vergangen, aber wir sind nirgendwo angenommen worden. In der Zwischenzeit lernen wir Deutsch, weil wir denken und wissen, dass es wichtig ist. Als ich in Afghanistan studierte, war ich sehr daran interessiert, nach Deutschland zu kommen und hier meinen Masterabschluss oder meine Doktorarbeit zu machen. Zwei- oder dreimal habe ich mich um ein Stipendium beworben, aber ich wurde nicht angenommen. Es war mein Traum, in Deutschland zu studieren. Ich wollte meine IT-Kenntnisse Schritt für Schritt verbessern. Ich hoffe, dass ich in fünf Jahren hier einen Masterabschluss in IT-Management oder Cybersicherheit machen kann. Ich hoffe, ich kann ein guter Manager in einem IT-Unternehmen werden. Wir haben noch Freunde und Familie in Afghanistan. Einige von ihnen, die auch für eine europäische Organisation gearbeitet haben, versuchen, ein Visum zu bekommen. Aber es ist schwierig für sie. Die Situation in Afghanistan wird immer schlimmer, besonders für Frauen. Sie dürfen nicht mehr ohne ihren Mann oder Bruder aus dem Haus gehen. Sie können die Stadt nicht verlassen, oder sie sind arbeitslos und sitzen zu Hause. Die Wut der Menschen wächst. Die meisten Arbeitsplätze, die den Menschen Geld einbringen, wie Coffeeshops, Hochzeitsläden, Universitäten, sind alle geschlossen. Es gibt keine Möglichkeiten für die Menschen dort, Geld zu verdienen und zu leben. Wir hoffen, dass Afghanistan in zehn Jahren wieder ein besserer Ort sein wird. Früher gab es dort gute Institutionen, wie Universitäten und andere Organisationen. Ich weiß nicht, ob wir zurückgehen würden. Wir hatten uns in Afghanistan ein Leben aufgebaut, aber das ist jetzt alles zusammengebrochen. Wir haben alles verloren: unsere Arbeit, unser Zuhause, ein gutes Leben. Jetzt versuchen wir, in Deutschland neu anzufangen. Wenn wir nach Afghanistan zurückgehen würden, müssten wir wieder von vorne anfangen, und das ist schwer. Afghanistan war unsere Heimat. Damals hatten wir mit anderen Problemen zu kämpfen: den Taliban, unserer
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Sicherheit und Freiheit. Hier in Deutschland stehen wir vor anderen Problemen. Hier im Lager sind wir sicher. Die anderen Menschen haben die gleichen Probleme wie wir. Aber es ist kein Ort, an dem man bleiben und eine Familie großziehen kann.
3. Algerien
Fatima Ich bin in Algerien aufgewachsen und habe dort die Schule besucht, aber ich musste die Universität nach dem ersten Jahr verlassen, um zu heiraten. Leider mussten mein Mann und ich Algerien verlassen, nachdem er jemanden umgebracht hatte. Es gab einen großen Streit, und irgendwo dazwischen war ein Messer, und er hat versehentlich jemanden erstochen, der später gestorben ist. In der arabischen Kultur muss, wenn jemand einen anderen umbringt, auch der Mörder sterben. Es gab noch viele weitere Streits, und wir hatten Angst, dass mein Mann umgebracht werden würde. Ich habe Algerien geliebt und wollte nicht weggehen, aber schließlich mussten wir nach Deutschland ziehen, um ihn in Sicherheit zu bringen. Mein Bruder sagte, Deutschland sei ein viel sichereres Land als Algerien, und so entschieden wir uns, hierher zu kommen. Wir sind mit dem Boot von Algerien nach Spanien gereist, dann mit dem Bus durch Frankreich und Deutschland. Wir sind im September 2020 angekommen und haben in verschiedenen Lagern gelebt, bevor wir im September letzten Jahres hierher gekommen sind. Ich bin sehr enttäuscht von Deutschland. Mein Bruder hat mir gesagt, dass ich hier mehr Freiheiten und Möglichkeiten haben würde, aber das stimmt nicht. Mein Asylantrag wurde abgelehnt, also habe ich jetzt einen Duldungsstatus und kann nicht wirklich etwas tun. Ich musste ein Jahr auf die Erlaubnis warten, einen Deutschkurs zu besuchen, und habe erst letzten Monat damit angefangen. Der Kurs ist gut, aber auch ein bisschen langweilig. Mein Mann besucht jetzt den gleichen Deutschkurs, aber er tut sich in den Flüchtlingsheimen schwer. Ich habe viele Freunde hier in der Stadt, aber er streitet immer mit allen. Er hat angefangen, Drogen zu nehmen, und raucht ständig draußen. Aber ich bin sehr motiviert, diesen Kurs zu beenden. Ich möchte Deutsch lernen, damit ich hier an der Universität studieren kann. Jura hat mich schon immer interessiert, aber ich habe gehört, dass es hier sehr schwer ist und es viele lange Examen gibt, also werde ich vielleicht etwas anderes wählen. Ich bin offen für jede Art von Beruf in Deutschland und würde gerne weiter studieren. Ich möchte nicht 40 Jahre alt sein und immer noch diesen Deutschkurs belegen. Weil ich aber immer noch kein
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Deutsch spreche, sind die Deutschen rassistisch zu mir. Immer, wenn ich eine Frage nicht auf Deutsch beantworten kann, werden sie sauer und beleidigen mich. Einmal bin ich mit dem Zug nach Berlin gefahren und wusste nicht, dass ich eine spezielle Fahrkarte brauche oder meinen Ausweis dabeihaben muss. Die Polizei war sauer auf mich, weil ich das nicht wusste, und hat mich fast geschlagen. Die Deutschen sollten mehr Verständnis für Menschen haben, die keine Möglichkeit haben, Deutsch zu lernen.
4. Dagestan
Islam Russland, Dagestan, ist mein Heimatland. Ich kommen aus einer großen Familie; ich hatte acht ältere Geschwister, ich war also der neunte und meine Eltern waren schon 40 und 56, als ich geboren wurde. Meine Kindheit war ziemlich schwer. Meine Mutter und alle meine Geschwister sind immer noch in Russland. Ich habe in meinem Leben sehr viel gelernt, ich habe nämlich zweimal College gemacht, einmal Uni. Es war eigentlich immer meinen Traum, in der medizinischen Richtung zu studieren und zu arbeiten, aber bei uns ist das viel zu teuer. Deswegen habe ich stattdessen sechs Jahre lang Wirtschaftswissenschaften studiert, in Moskau. Im Sommer von 2016 habe ich meine Abschlussprüfung gemacht. Meine Frau kommt aus Tschetschenien, ist aber auch in Dagestan geboren. Ich habe sie im Internet kennengelernt. Wir hatten für zehn Monate Kontakt, und dann habe ich sie gefragt, ob sie meine Frau sein will. Sie hat nein gesagt, das wollte sie nicht, aber ich habe ihr gesagt, es ist mir egal, du bist jetzt meine Frau. Also Punkt, dann war sie meine Frau. Im März 2017 sind wir nach Deutschland gezogen. Meine Reise nach Deutschland war einfach, aber teuer; wir sind mit dem Flugzeug nach Italien geflogen, und dann mit dem Bus nach Deutschland. Wir haben vorher ein Visum bekommen, also war es ziemlich einfach. Ich hatte mich für Deutschland entschieden, weil ich einen Bekannten habe, der in Berlin wohnt, und ich bin ein sehr spontaner Mann. Ich hatte vorher nur kurz überlegt und dachte, wieso eigentlich nicht? Ich habe nichts geplant, nichts gedacht, ich habe nur meinen Bekannten gefragt, wie ich nach Deutschland kommen kann, und was ich dort machen kann mit meinen zwei Diplomen aus Russland. Mein Bekannter hat gesagt, es gibt sehr viele Möglichkeiten, ich soll einfach kommen, dann kann ich einen Antrag stellen, Deutsch lernen, und arbeiten. An dem Zeitpunkt hatte ich aber keinen Reisepass, ich musste also erst noch einen Reisepass bekommen. Ich habe meiner Mutter gesagt, dass ich nach Deutschland ziehe, und sie meinte nur: »Ja, ja, geh ruhig.« Später hat sie mich gefragt, ob ich mir sicher war, und ich sagte ihr, dass ich mir sehr sicher war. Ich habe nur an meine Zukunft gedacht, und an meine Familie. Natürlich habe ich vor meiner Reise ein bisschen
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YouTube geguckt und russische Webseiten gelesen über das Leben in Deutschland, aber das war’s. Wir sind dann einfach gekommen. Wir sind seit dem 15. März 2017 in Deutschland. Die ersten sechs Monate waren wir in Eisenhüttenstadt, und dort war es sehr schwer und unangenehm. Es war natürlich nicht einfach, weil einfach alles anders war: neue Gesetze, neue Leute, neue Sprache. Nach Eisenhüttenstadt wurden wir zu diesem Heim geschickt, und seitdem sind wir hier. Schon mehr als vier Jahre lang. Ich habe eine Weile als Lagerarbeiter gearbeitet, also als Paketzusteller bei Amazon. Ich habe auch einen B1 Deutschkurs besucht, den habe ich bestanden. Seit Oktober mache ich jetzt eine Ausbildung als Krankenpfleger, und es gefällt mir sehr gut. In dieser Ausbildung arbeite ich für einen Monat im Krankenhaus, dann im nächsten Monat bin ich in der Schule, dann wieder im Krankenhaus, und so weiter. Diese Ausbildung habe ich wegen der Organisation Internationaler Bund (IB) in Luckenwalde bekommen. Es gibt dort eine Frau, die mir sehr hilft, und sie hat mich gefragt, in welcher Richtung ich meine Ausbildung machen will, und hat dann meine Bewerbung weitergeschickt. Generell bekomme ich hier in Deutschland viele Unterstützungen. Der Heimleiter hilft mir immer, er hat zum Beispiel gestern meine Hausaufgaben mit mir gemacht. Am IB bekomme ich auch immer Hilfe, die Frau dort hat mir zum Beispiel heute mit einer Online-Präsentation geholfen. In Moskau war es ganz anders; es gibt einen großen Unterschied zwischen deutschen und russischen Leuten. Ich habe acht Jahre in Moskau gewohnt, und während dieser Zeit haben Leute dauernd gefragt: »Warum bist du hier? Geh doch nach Hause.« Es gab dort viele Nationalisten, es war ein richtiges Problem. Hier in Deutschland habe ich das noch nie gesehen. Mir wurde niemals gesagt, dass ich nach Hause gehen soll. Das gefällt mir sehr, und ist für mich und meiner Familie der wichtigste Punkt. Hier gibt es für uns keine Probleme. Wenn ich hier Hilfe brauche, kann ich sie immer bekommen. Im Moment haben wir nur eine normale Gestattung, also muss ich jede sechs Monate die Gestattung verlängern. Wegen der Pandemie ist dieser Verlängerungsprozess sehr einfach, wir können es einfach per Post machen. Wenn wir aber irgendwann eine negative Antwort bekommen, dann wird es sehr schwer für uns. Wir versuchen gerade, mit der Ausländerbehörde einen Antrag zu stellen, so dass wir vielleicht wegen meiner Ausbildung nach Ludwigsfelde ziehen können. Wir wären nämlich glücklicher, wenn wir umziehen könnten. Dieser Ort ist sehr klein, sehr weit weg. Wir sind noch jung und haben viel Kraft. Meine Frau möchte auch einen Deutschkurs besuchen, kann sie aber nicht, weil wenn ich zu meiner Ausbildung fahre, muss sie zu Hause bleiben. Oder wenn sie einen Termin in Berlin hat, muss ich mit den Kindern bleiben. Es gibt also einfach wenige Möglichkeiten in diesem kleinen Ort. Wir haben jetzt drei Kinder, zwei davon sind hier geboren. Mein ältestes Kind ist in der Schule, die zweite ist im Kindergarten, und die dritte ist noch zu klein. Den
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Kindern gefällt es hier gut, aber sie sind natürlich klein und verstehen alles nicht. Ich finde, es gibt für sie eine gute Zukunft hier. Ich habe meinen Führerschein bekommen, also fahre ich jeden Morgen mit meinen Kindern zur Schule und zum Kindergarten. Am Nachmittag mache ich immer meine Hausaufgaben und helfe den Kindern mit ihren Hausaufgaben. Im Winter ist es ziemlich langweilig hier, da bleiben wir nur drinnen und machen nichts. Wenn es wärmer ist, im Frühling oder Sommer, ist es ein bisschen interessanter an diesem Ort, wegen der Natur. Meine Frau spricht kein Deutsch. Sie kann vielleicht bis fünf oder zehn rechnen, aber das war’s. Sie hat ein bisschen ein Problem mit ihrem Kopf, sie hat nämlich ein posttraumatisches Syndrom und besucht deswegen immer einen Psychologen. Ihr gefällt es in Deutschland, aber sie bekommt oft Angst. Wenn sie einen Polizisten in Uniform sieht, zum Beispiel, oder wenn es kalt ist im Winter, da bekommt sie Angst und kann nicht nach draußen gehen. Es motiviert sie aber, dass wir vielleicht bald nach Ludwigsfelde ziehen. Langsam integrieren wir uns alle. Die Sprache ist das schwierigste, aber wir integrieren uns langsam, wir müssen es ja. Ich bin oft mit deutschen Leuten in Kontakt, meine ganze Klasse ist zum Beispiel Deutsch, und die sind alle sehr nett und freundlich. Als ich in Großbeeren gearbeitet habe, war mein Teamleiter auch Deutsch, und alle Mitarbeiter waren polnisch oder deutsch. Ich habe also viel Kontakt mit Deutschen gehabt, ohne Probleme. Ich möchte mich bei allen deutschen Leuten, die mir geholfen haben, bedanken. Ich möchte, dass die Deutschen wissen, dass ich und meine Familie nicht so schlechte Menschen sind. Wir sind nicht nach Deutschland gekommen, um einfach zu schlafen, zu essen, und das soziale Geld zu bekommen. Wir sind nur hier für unsere Zukunft, um uns zu integrieren, und ein normales Leben zu führen. Ich möchte nochmals ein großes Danke sagen, an alle, die uns helfen. Ich fühle mich jetzt natürlich noch nicht, als ob ich deutsch bin, aber es kommt so langsam.
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Ab Ich war 17 Jahre alt, als ich Gambia verlassen habe. Ich bin alleine gereist und habe meine Familie zurückgelassen. Ich bin nicht gegangen, um vor einem Krieg oder Ähnlichem zu fliehen, sondern eher wegen persönlicher Probleme. Es war nicht mein Traum, nach Deutschland zu kommen, aber ich wusste, dass ich Gambia verlassen musste. Die Reise hierher war unglaublich schwierig. Ich spreche nicht gerne darüber, aber ich habe auf dieser Reise so viele Dinge erlebt. Ich bin von Gambia nach Senegal gereist, dann nach Mali und von dort nach Burkina Faso. Dann fuhr ich durch Niger nach Libyen. Die Reise war wirklich schrecklich. Es dauerte insgesamt drei Monate, plus drei weitere Monate in Italien, nachdem ich Libyen verlassen hatte. Während meiner Zeit in Italien habe ich nur darüber nachgedacht, ob ich dort bleiben sollte, oder versuchen sollte, nach Deutschland zu kommen. Da muss jeder selbst überlegen, was für sich am besten ist. Für mich ist Deutschland viel besser, für meine Zukunft. Ich glaube aber nicht, dass es eine gute Idee ist, diese Reise zu machen. Es gibt viele Menschen, die diese Reise versuchen und denken, dass sie es schaffen werden, wenn sie hier sind, aber sie schaffen es nicht. Sie haben hier ein unglückliches Leben. Manchmal bereue ich es, die Reise gemacht zu haben, aber ich muss jetzt auf mich selbst vertrauen. Ich kam Ende 2016 in Deutschland an. Mein erster Tag in Deutschland war unglaublich überwältigend, aber insgesamt war es okay. Es gab viele Leute, die mir sagten, ich soll hierhin gehen, ich soll dorthin gehen, ich muss mich anmelden und so weiter, aber ich hatte keine Probleme damit. Die Deutschen haben mich wirklich unterstützt, und ich danke ihnen sehr für alles, was sie bei meiner Ankunft für mich getan haben. Ich wohnte in einem Flüchtlingsheim für alleinreisende minderjährige Flüchtlinge in Freiburg. Dort war es gut. Sie haben uns sehr geholfen, mit allem, was wir brauchen könnten. Es ist ein großes Flüchtlingsheim für Neuankömmlinge, deshalb versuchen sie, das Leben dort einfacher zu machen. Sie haben mir geholfen, zur Schule zu gehen und Deutsch zu lernen. Als ich hierherkam, sprach ich kein
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Deutsch, aber jetzt kann ich mich ziemlich gut verständigen. Deutsch zu lernen ist nicht einfach, aber es ist der erste Schritt, um sich hier zu integrieren und erfolgreich zu sein. In Freiburg gab es eine Schule, die uns von Anfang an Deutsch beigebracht hat, und sie haben uns auch bei den Hausaufgaben geholfen, wenn wir das brauchten. Außerdem hatte ich in Freiburg einen großen Freundeskreis aus meinem Heimatland, und das war schön. Später wurde ich nach Jüterbog versetzt, was im Vergleich zu Freiburg sehr isoliert war. Man sieht dort nicht so viele Leute, weil es eine kleinere Stadt ist, und es ist schwer, Freunde zu finden. Außerdem war es nach Freiburg klar, dass ich mich selbst unterstützen muss. Ich musste lernen, viele Dinge selbst zu tun, zum Beispiel zum Arzt zu gehen. Manchmal gibt es hier Unterstützung beim Übersetzen und so weiter, aber beim Übersetzen brauche ich keine Hilfe mehr. Nach Jüterbog wurde ich nach Großbeeren versetzt, wo ich meine Freundin kennengelernt habe, dann nach Luckenwalde, und jetzt bin ich in Rangsdorf. Ich bin jetzt seit etwas mehr als fünf Jahren in Deutschland, und in dieser Zeit war ich bereits in fünf Flüchtlingsheimen. In sechs Monaten muss ich auch nach Großbeeren zurückziehen. Das Leben in den Heimen war bisher nicht allzu schlimm. Manchmal haben die Leute Probleme miteinander, aber das ist normal, wenn man mit Menschen zusammenlebt. Man hat Probleme, und dann geht man weiter. Als ich das erste Mal in Großbeeren lebte, arbeitete ich bei einem Tech-Unternehmen namens Ingram. Ich kannte einige Leute, die dort arbeiteten, und sie sagten mir, ich sollte einfach zum Fulfillment Center gehen und mich dort für eine Stelle bewerben, weil sie normalerweise nicht auf Online-Bewerbungen antworten. Das Jobcenter hat mir nicht geholfen, diesen Job zu bekommen, aber ich brauche auch nicht so viel Hilfe wie andere, weil ich Deutsch spreche und die meisten Dinge selbst machen kann. Es war ein guter Job, und ich habe hauptsächlich online gearbeitet oder Kartons für Firmen wie ASOS gepackt. Die Bezahlung dort war ziemlich gut, und sie bezahlten direkt nach den Arbeitsstunden. Ich habe meinen Job bei Ingram aufgegeben, um hier in Deutschland eine Ausbildung zu machen, denn ich möchte etwas Eigenes machen und mein eigener Chef sein. Ich habe gedacht, dass eine Ausbildung mir dabei helfen wird. Allerdings war es damals schwer, eine zu finden, denn die meisten Leute sagten mir, ich müsste mein Deutsch erst verbessern. Aber es war schwierig für mich, mein Deutsch zu verbessern, weil die meisten Arbeiter bei Ingram Ausländer waren, also gab es nur wenige Deutsche und wenige Leute, die Deutsch sprechen. Ich wollte mit den Deutschen zusammenarbeiten, um mein Deutsch zu üben, aber es war ein Teufelskreis, in dem ich versuchte, Arbeit zu finden und gleichzeitig meine Deutschkenntnisse zu verbessern. Da ich keine Ausbildung finden konnte, nahm ich eine neue Stelle in Großbeeren bei GLS an, einem anderen Vertriebszentrum. Dieser Job war viel schwieriger. Wir arbeiteten den ganzen Tag lang, von 6 Uhr morgens bis 6 Uhr abends. Dazwischen
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konnten wir nur schlafen und wieder zur Arbeit gehen. Das war das Hauptproblem: Ich hatte keine Zeit, um zu studieren oder Deutsch zu lernen. Die Bezahlung dort war auch nicht so gut, obwohl wir sehr viel gearbeitet haben. Manchmal haben die Chefs ohne einen Grund die Zahlungen eingestellt. Ich weiß nicht, warum sie das taten, wahrscheinlich nur, weil wir Immigranten waren und sie das ohne Konsequenzen tun konnten. Am Ende habe ich gekündigt, weil es zu viele Stunden waren und ich mich auf mein Studium und meine Integration konzentrieren wollte. Ich spiele in einer Fußballmannschaft mit einigen Deutschen hier, und das ist einer der Gründe, warum mein Deutsch so gut ist. Einer meiner Mitspieler, Markus, hat mir einen Job als Maschinenreiniger in seiner Firma angeboten, und das würde ich sehr gerne machen. Er ist ein guter Mensch, und wir haben beim Fußballspielen viel miteinander geredet. Ich denke, dass ich durch diesen Job viel von ihm lernen kann. Außerdem ist der Job sehr interessant, weil wir jeden Tag etwas anderes machen, und das ist perfekt für mich. Allerdings kann ich jetzt nicht dort arbeiten, weil ich noch ein anderes Dokument brauche, um diesen Job zu bekommen. Ich habe jetzt eine Duldung, und sie haben mir gesagt, dass ich einen weiteren Identitätsnachweis brauche, um dieses Dokument zu erhalten und arbeiten zu können. Leider ist meine Geburtsurkunde noch in Gambia. Also habe ich Leute angerufen, die noch dort sind, um mir zu helfen, sie zu bekommen. Es ist allerdings nicht einfach, sie zu bekommen, wenn man nicht vor Ort ist. Man muss eine Menge Geld bezahlen, also versuche ich, jemanden zu finden, der mir helfen kann, die Geburtsurkunde zu bekommen. Markus hat mir sehr geholfen und sogar die Ausländerbehörde angerufen, um über mich zu sprechen, aber ich warte immer noch auf ein Update. Ich würde mich freuen, wenn ich von der Regierung mehr Hilfe bekommen wurde, dieses Dokument zu kriegen, aber wenigstens hilft mir Markus. Sobald ich diesen Job habe, werde ich meine Zeit zwischen Arbeit und Studium aufteilen. In Gambia habe ich meine Schule nach der neunten Klasse beendet und mache gerade einen Kurs in Online-Marketing, weil ich eines Tages mein eigenes Unternehmen führen möchte. Wenn ich damit fertig bin, gehe ich vielleicht in zwei bis drei Jahren wieder zur Schule und studiere etwas anderes, das mit Geschäft zu tun hat, aber jetzt will ich mich erst einmal auf meine Arbeit und mein Studium konzentrieren. Ich möchte auch weiter Deutsch lernen, damit ich die nächste Stufe erreichen kann, bevor ich meinen Job beginne. Im Flüchtlingsheim kann es schwierig sein zu lernen, weil es so laut ist. Am Tag ist es zu laut, und nachts muss ich mich ausruhen. Wenn ich nach Großbeeren zurückkehre, möchte ich mir eine eigene Wohnung suchen, damit ich stabiler bin und meine eigene Ruhe habe. In ein paar Jahren würde ich gerne in Berlin leben, weil man dort viel unternehmen kann. Ich habe Freunde aus meinem Heimatland, die in Berlin leben und für mich wie eine Familie sind, und die jetzt ihre Ausbildung beenden und dort arbeiten. In der Zukunft möchte ich auch anderen Menschen mehr helfen. In Rangsdorf habe ich früher manchen
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von den jüngeren Flüchtlingen geholfen beim Deutsch-Üübersetzen, und bei der Arbeitssuche. Ich möchte noch mehr tun und anderen helfen, so viel wie ich kann. Als ich Gambia verlassen habe, wollte ich einen Ort finden, an dem ich meine eigene Ruhe haben kann. Ich wollte nicht mehr die Probleme haben, die ich dort hatte; ich wollte einen Ort finden, an dem ich nicht dieselben Sorgen hatte. Hätte es diese Probleme nicht gegeben, wäre ich wahrscheinlich nur zum Studieren oder zu Besuch hierhergekommen und hätte dann in mein Heimatland zurückkehren können. Ein Flüchtling zu sein, in einem Haus mit vielen verschiedenen Menschen zu schlafen, war eigentlich nicht, was ich ursprünglich wollte. Ein Immigrant zu sein ist nicht einfach, das wünscht man sich nicht. Es gibt keinen Ort wie die eigene Heimat, und ein Flüchtling zu sein bedeutet, dass man seine Heimat für lange Zeit, wenn nicht sogar für immer, verlassen muss. Wegen der Probleme, die ich zu Hause hatte, kann ich jetzt nicht mehr nach Gambia zurückkehren. Die Einwanderung hat viel Stress und Druck mit sich gebracht, aber es hat sich gelohnt, von meinen persönlichen Problemen zu entfliehen. Ich bin glücklich hier in Deutschland. Meine Zeit in Deutschland hat mich definitiv sehr verändert. Wie ich spreche, mich bewege, und sogar denke, hat sich verändert. Ich komme hier mit Menschen aus der ganzen Welt in Kontakt – nicht nur aus Deutschland – und habe so viel gelernt und mich an viele verschiedene Kulturen angepasst. Ich habe angefangen, mich als Deutscher zu fühlen, als wäre dies mein Land. Ich fühle mich hier zu Hause. Ich kann die Sprache sprechen und mit den Leuten kommunizieren. Ich spiele in einer Fußballmannschaft mit deutschen Leuten, ich habe deutsche Freunde, ich habe hier verschiedene Jobs gemacht. An einige Dinge in Deutschland konnte ich mich sehr schwer anpassen, z.B. wie pünktlich die Deutschen sind, aber wir sind alle Menschen. Am Ende gibt es keine Unterschiede. Trotz der Verbundenheit, die ich mit Deutschland fühle, habe ich hier viel Diskriminierung erlebt. Ich weiß, dass die Deutschen vor uns kommen werden, aber manchmal ist es für mich schwierig, alltägliche Dinge zu machen. Es dauert zwei Stunden, bis ich einen Termin beim Arzt bekomme, und bei der Arbeit werde ich regelmäßig übergangen. Im Zug machen betrunkene Leute spöttische Kommentare aufgrund meiner Hautfarbe. Ich mache aber nichts dagegen. Ich würde mein Leben verteidigen und mich nicht verprügeln lassen, aber ich habe keine Zeit, mit ihnen zu streiten oder eine Schlägerei anzufangen. Ich versuche, diesen Leuten nicht zu viel Aufmerksamkeit zu schenken oder mich darüber aufzuregen. Ich versuche gerade, mich in Deutschland zu integrieren, also konzentriere ich mich nur auf mich selbst und meine Arbeit. Ich kann es diesen Leuten nicht verübeln, denn es zeigt, dass sie einfach keine Ahnung haben von dem Leben der Schwarzen und der Einwanderer im Allgemeinen. Das ist das Problem: Manche Leute wissen nicht, wie schwierig es ist, hier ein Einwanderer zu sein. Ich denke, es ist wichtig, mit den Menschen in den Flüchtlingsheimen zu sprechen, um ihre Probleme besser zu verstehen. Viele Menschen brauchen einfach je-
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manden, mit dem sie reden können, der sie fragt, was sie brauchen. Manche Menschen werden verrückt in den Heimen; sie trinken und rauchen zu viel, aber man kann ihnen keine Schuld geben, denn es ist die Situation, die sie dazu bringt. Jemand muss diese Menschen fragen, was sie gut können, und ihnen die Dinge geben, die sie brauchen, um erfolgreich zu sein, wie zum Beispiel die Schule. Es gibt hier in den Heimen so viele junge Menschen mit Talenten, die ungenutzt bleiben. Jetzt, wo ich hier bin, bin ich stolz auf alles, was ich erreicht habe, seitdem ich in Deutschland bin. Ich hatte hier viele Probleme und Schwierigkeiten – und habe sie immer noch –, aber ich muss mir selbst vertrauen. Ich habe das Gefühl, dass ich es schaffen kann. Ich weiß, dass es hier nicht einfach sein wird, weil ich kein Staatsbürger bin, aber ich weiß, dass es besser werden wird. Mein Traum ist es jetzt, jemand in Deutschland zu sein, mich selbst zu versorgen und meine eigene Kraft zu haben. Ich möchte mir selbst helfen können und anderen Menschen helfen. Ich weiß, dass ich es schaffen kann, wenn ich für mich selbst einstehe und nicht aufgebe. Nur dann kann ich meine Träume verwirklichen.
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Afra Ich bin am 1. Juli 2019 in Deutschland angekommen. Mein Mann arbeitete bei der Militärpolizei in Bagdad. Regierungsgegner haben unser Haus niedergebrannt und dabei einen meiner Söhne getötet. Seitdem habe ich mich im Irak nicht mehr sicher gefühlt. Auf Einladung meiner Schwester, die seit 2006 in Deutschland lebt und einen deutschen Pass besitzt, kam ich mit einem Touristenvisum in dieses Land und stellte dann einen Asylantrag. Ich bin mit meinen beiden Söhnen im Alter von 14 und 16 Jahren hier. Ich habe keinen Kontakt mehr zu meinem Mann im Irak. Auf meine E-Mails und Briefe wird nicht geantwortet. Vielleicht ist er auch umgebracht worden. Meine Kinder fragen regelmäßig nach ihrem Vater, aber ich weiß nicht, wo er ist oder was mit ihm passiert ist. Mein Asylantrag wurde abgelehnt. Ich habe gegen diese Entscheidung Berufung eingelegt. Diese Berufung läuft schon seit langem. Ich weiß nicht, wann eine Entscheidung getroffen wird. Mein Anwalt sagt, dass ich Geduld haben muss. Ich habe jetzt eine Aufenthaltsgestattung für die Dauer meines Verfahrens. Ich würde auch gerne einen Deutschkurs belegen, aber meine Bewerbungen für einen solchen Kurs wurden bereits zweimal abgelehnt. Ich weiß nicht, warum. Im Irak war ich ein Buchhalter. Ich möchte diesen Beruf hier nicht mehr ausüben. Ich würde gerne Innenarchitektin werden. Ich kann um die Erlaubnis bitten, wieder zu arbeiten, aber solange ich kein Deutsch spreche, scheint das nicht viel Sinn zu machen. Ich bin auch geistig noch nicht in der Lage, das zu tun. Ich kenne niemanden in Deutschland. Hier im Heim spreche ich auch fast mit niemandem. Ich habe nur Kontakt zu meiner Schwester. Sie erledigt auch den ganzen Papierkram. Ich bin hauptsächlich in meinem Zimmer. Die Vorhänge sind geschlossen, ja. Wenn meine Söhne nicht in die Schule müssen – sie sind beide in der Willkommensklasse und sprechen bereits Deutsch – versuche ich, mit ihnen Ausflüge zu machen. Im Irak konnte ich das nie tun, weil es zu gefährlich war, also versuche ich hier, das ein wenig nachzuholen.
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Im Irak hatte ich immer Angst. Als ich am Morgen mein Haus verließ, war ich nicht sicher, ob ich lebend zurückkommen würde. Es war unerträglich. In Deutschland bin ich glücklich, weil ich in Sicherheit bin. Sicherheit ist das Wichtigste im Leben. Dafür bin ich sehr dankbar. Viel mehr habe ich nicht zu wünschen. Es kann sein, dass ich kein Asyl erhalte. Mir wurde jedoch gesagt, dass ich höchstwahrscheinlich nicht abgeschoben werde, auch wenn das der Fall ist. Ich will und kann nicht in den Irak zurückkehren. Ich kenne dort niemanden mehr. Meine Mutter ist auch in Deutschland. Ich möchte gerne eine eigene Wohnung haben und Deutsch lernen. Aber das Wichtigste ist, dass es meinen Jungs gut geht. Im Idealfall möchte ich, dass sie eine Universität besuchen und einen guten Job bekommen. Aber vor allem, dass sie sicher sind. Das ist das Wichtigste. Mehr habe ich nicht zu sagen.
Adeel Ich bin 30 Jahre alt. Aber ich sehe viel jünger aus. Viele denken, dass ich 22 oder 23 Jahre alt bin. Im Irak war ich Lehrer für Geografie. Ich habe Kinder zwischen 12 und 13 Jahren unterrichtet. Es waren nur Jungs. Ich wurde drei Jahre lang nicht bezahlt und als ich mich beschwert habe, haben sie mich bedroht. Deswegen bin ich nach Deutschland gekommen. Ich komme aus einer Stadt im Südirak: Diwaniya. Um Lehrer zu werden, habe ich vier Jahre lang an der Universität gelernt. Ich spreche Arabisch, ein bisschen Englisch und jetzt lerne ich Deutsch. Bevor ich im Irak studiert habe, habe ich fünf Jahre als Designer gearbeitet. Ich habe in einem Unternehmen gearbeitet. Ich könnte diese Arbeit auch in Deutschland machen. Ich habe zwei Brüder. Sie sind beide Manager in Ölfirmen im Irak. Ich habe den Irak vor zwei Jahren verlassen. Ich habe einen Flug aus dem Irak nach Belarus genommen und war fünf Tage lang in Belarus. Für Belarus hatte ich keinen Reisepass, nur ein Visum. Dann bin ich nach Litauen gegangen und wurde dort festgenommen. Ich bin acht Monate in Litauen geblieben. Dann bin ich über Polen nach Deutschland gereist und bin in Stuttgart angekommen. In Deutschland habe ich politisches Asyl beantragt. Ich bin mit Ahmad und Leila nach Belarus gekommen. Leila wurde in Litauen festgenommen und ist dort seit zwei Jahren. Ich habe einen Freund in Frankreich besucht und wurde durch die Polizei in Lille festgenommen. Ich wusste nicht, dass ich als Flüchtling nicht reisen darf. Drei Monate bin ich in Frankreich geblieben. Als die Polizei mich freigelassen hat, bin ich selber zurück nach Deutschland gefahren. Ich war eine Woche in Stuttgart und wurde dann nach Eisenhüttenstadt geschickt. Dort war ich drei Monate und danach 20 Tage in dem Heim in Wünsdorf. Danach bin ich hierhergekommen.
6. Irak
Zuerst möchte ich Deutsch lernen und dann eine Ausbildung machen. Ich möchte wieder als Erdkundelehrer arbeiten. Jeden Tag gehe ich in die Schule zum Deutschlernen. Es gefällt mir. Wir sind nur 15 Schüler in meiner Klasse. Wir kommen aus Afghanistan, der Ukraine, Albanien und dem Iran. Im Irak sind ungefähr 50 Schüler in einer Klasse. Am Nachmittag arbeite ich in einem Supermarkt. Aber ich habe keine Papiere und warte auf eine Arbeitserlaubnis. Gerne möchte ich hierbleiben. Ich liebe eine Frau aus Tschetschenien, die ich in Litauen kennengelernt habe. Sie lebt jetzt im Heim in Wünsdorf. Sie war mit einem Mann verheiratet. Aber sie hat sich scheiden lassen, weil der Mann gewalttätig war. Ich kann sie nicht sehen, weil die Tschetschenen das nicht erlauben. Sie ist Zahnärztin. Wir sprechen Englisch und wollen heiraten. Ich möchte zwei Kinder haben. Ich möchte einen deutschen Pass haben. Zurück in den Irak kann ich nicht, weil ich dort ein toter Mann bin. Wenn ich meine Familie sehen will, kann ich sie nur in der Türkei treffen. Kein einziger Deutscher hat etwas Böses zu mir gesagt, nur weil ich ein Araber bin. Die Litauer sind aber Rassisten. Dort habe ich nur gewartet. Litauisch konnte ich nicht lernen. In Deutschland kann ich Deutsch lernen. Die Tschetschenen sind auch Rassisten. Weil ich Araber bin, wollen sie nicht, dass ich meine Freundin treffe. Die Tschetschenen sind Muslime, wie ich, aber sie mögen trotzdem keine Araber. Im Irak gibt es Rassismus gegen die Syrer zum Beispiel. Für mein Land sind der Iran und Amerika problematisch. Aber ich möchte die Zeit von Saddam Hussein auch nicht wiederhaben. Ich bin der Meinung, dass das Leben im Irak zur Zeit der Monarchie besser war. Ich wünsche mir, dass es wieder so wird.
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7. Iran
Kasra und Mona Ich, Kasra, komme aus dem Iran und bin seit drei Jahren in Deutschland. Mona ist meine Mutter. Ich bin 20. Seit zwei Jahren gehe ich zur Schule, ich lebe seit fast zwei Jahren in diesem Heim. Ich wohne mit meiner Mutter und meiner 12-jährigen Schwester. Wir sind mit dem Flugzeug nach Deutschland gekommen. Wir hatten ein bisschen Probleme mit der Politik im Iran, und deswegen haben wir das Land verlassen. Wir haben gehört, dass Deutschland ein gutes Land ist, mit guter Politik und guten Menschen, also deswegen haben wir Deutschland ausgesucht. Die Politik ist anders hier als im Iran. Im Iran ist die Politik nicht gut, aber in Deutschland ist es besser. Im Iran habe ich manchmal Rassismus gesehen und so was, aber hier gar nicht. Als wir 2019 in Deutschland angekommen sind, waren wir drei Monate in Hamburg, weil meine Tante dort gewohnt hat, also waren wir in ihrem Haus. Jetzt ist sie wieder im Iran, weil sie sich von ihrem Mann hat scheiden lassen, und ist wieder in den Iran gegangen, aber sie war zwei oder drei Jahre in Deutschland. Von Hamburg sind wir nach Eisenhüttenstadt gegangen. Nach zwei Tagen in Eisenhüttenstadt waren wir dann für sechs Monate in Doberlug-Kirchhain. Seitdem sind wir hier. Ich habe in Doberlug-Kirchhain als Übersetzer gearbeitet und dort gab es viel Unterricht und viele Leute, die Deutsch gelernt haben. Also habe ich drei Monate dort Deutsch gelernt und dann als Übersetzer gearbeitet. Ich habe Persisch zu Deutsch oder Englisch übersetzt. Das Heim war gut, weil es viel größer war als hier, und da gab es große Wohnungen mit vielen Familien und viele junge Leute, und einen Deutschkurs. Dieser Ort, wo wir jetzt sind, ist aber besser als Doberlug-Kirchhain, weil es viel näher an Berlin ist. In Doberlug-Kirchhain mussten wir immer viele Fahrkarten kaufen und es war sehr teuer. Hier ist es sehr klein und sehr entspannt. Diese Stadt ist gut, aber wir haben ein Problem hier; das Zimmer ist zu klein für uns. Wir wohnen alle zusammen in einem Zimmer, mit meiner Schwester und Mutter. Ich habe vier oder fünf Mal einen Brief geschrieben an das Sozialamt oder an die Ausländerbehörde, aber sie haben nicht geantwortet. Wir haben nur dieses
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eine Problem. Ich komme um 21 Uhr nach Hause von der Abendschule und möchte lernen oder meine Schularbeiten machen, aber meine Schwester möchte schon um 22 Uhr schlafen. Dann machen wir alle die Lichter aus, und dann kann ich nicht lernen. Es ist ein Problem. Es ist auch manchmal sehr laut im Heim. Hier wohnen ein paar andere Familien, und mit denen verstehen wir uns, aber manchmal haben die Probleme miteinander und streiten und schreien und kämpfen. Das ist manchmal schwierig. Im Iran habe ich bis zur elften Klasse gelernt, und dann sind wir nach Deutschland umgezogen. Alles war gut in der Schule im Iran, meine Noten waren gut. Ich habe zwei Jahre dort im Gymnasium studiert. Ja, alles war gut. Jetzt bin ich in der zehnten Klasse in einer Schule hier. Ich bin von 6 Uhr morgens bis 20 Uhr 30 in der Schule, weil ich nicht in der Nähe von der Schule wohne, und ich muss in den Abendkurs. In der Schule ist alles gut, ich habe viele Freunde und kann mit allen reden. In meiner Schule sind alle von 18 bis 24, es ist eine Schule für den zweiten Bildungsweg. Ich möchte meinen Abschluss bekommen für die zehnte Klasse und dann werde ich die nächsten zwei Jahre in Potsdam mein Abi machen. Nach diesen drei Jahren bekomme ich dann ein Diplom, und damit kann ich an der Uni weiter studieren oder eine Ausbildung machen. Ich möchte natürlich arbeiten, aber erst muss ich ein bisschen studieren, und danach möchte ich arbeiten. Jetzt dauert es noch drei Jahre. Ich möchte in der Richtung Medizin arbeiten, zum Beispiel Orthopäde sein, oder Krankenschwester. Alle Leute hier arbeiten im Krankenhaus. Es wird schwierig sein, wenn ich immer nach Potsdam fahren muss für das Abi, aber ich muss gehen, ich habe keine andere Wahl. Ich habe eine Beraterin an der Diakonie, und wir haben versucht, für mich einen Abi-Platz an vielen Schulen zu bekommen, und es hat nur in Potsdam geklappt. Weil meine jetzige Schule für Erwachsene und für den zweiten Bildungsweg ist, war es sehr schwer, eine Schule für das Abi zu finden. Ich denke, es wird eine Stunde dauern, jeden Tag, nach Potsdam zu fahren. Ich muss erst mit dem Zug nach Ludwigsfelde fahren, und dann mit einem Bus nach Potsdam. Ein bisschen blöd. Die Heimleiterin hilft mir manchmal, und ich habe eine Beraterin an der Diakonie, und sie hat mir auch geholfen. Ich habe nach vielen Schulen gesucht im Internet für meine Mutter, weil sie nur A1 Deutsch hat. Aber wegen Corona konnte sie für zwei Jahre nicht zu einem Kurs gehen. Aber jetzt geht sie zu einem Kurs. Mein Vater ist im Iran, aber wir möchten in Deutschland bleiben. Ich möchte in Berlin studieren und für die Arbeit möchte ich irgendwann in den Westen gehen, vielleicht Köln oder so. Meine Mutter sagt, sie möchte in einer spannenden Stadt wohnen, wo es viel zu tun gibt. Hier ist es langweilig. ***
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Ich heiße Mona und ich bin 43 Jahre alt, und ich komme aus dem Iran. Im Iran war ich eine Tanzlehrerin und ich bin dreimal die Woche ins Fitnessstudio gegangen, und ich war ein Basketball-Coach. Die Reise nach Deutschland war gut und Deutschland ist gut, aber wir haben nur ein Problem. Wir wohnen alle zusammen in einem Zimmer. Im Iran hatten wir vier Zimmer in unserer Wohnung. Mein Sohn hatte ein eigenes Zimmer, meine Tochter hatte ein Zimmer, und wir hatten ein Zimmer. Hier möchte ich um 22 Uhr Deutsch lernen, und meine Tochter will schlafen, das ist ein Problem. Um 15 Uhr, wenn ich nur kurz schlafen will, ist es sehr laut im Heim, und ich kann nicht. Ich nehme jede Nacht eine Tablette, so dass ich mich entspannen und schlafen kann. Wir haben Freunde in anderen Landkreisen und sie haben alle ihre eigenen Wohnungen. Zum Beispiel in Potsdam-Mittelmark oder in Bernau. Nur wir haben keine Wohnung und sind im Heim. Wir brauchten zuerst eine Genehmigung von der Ausländerbehörde, um uns zu sagen, wie groß und wie teuer unsere Wohnung sein konnte, aber jetzt wird uns immer gesagt, dass es keine freien Wohnungen gibt in Teltow-Fläming. Wir haben gerade eine Aufenthaltsgestattung. Wir haben aber andere Freunde, die auch eine Gestattung haben und immer noch eine eigene Wohnung haben. Ich gehe seit drei Monaten in einen Deutschkurs und mein Niveau ist wahrscheinlich A1 oder A2. Ich mag meinen Deutschkurs sehr. Ich bin sehr zufrieden mit meiner Lehrerin. Meine Klassenkameraden in der Pause sprechen Deutsch mit mir. Ich habe zwar keinen Kontakt zu den Deutschen, aber ich habe viele Leute in meinem Deutschkurs, mit denen ich reden kann und Deutsch üben kann. Der Kurs ist in Luckenwalde, und mein Sohn hat mir den Kurs selber gefunden. Leider hilft uns keiner mit solchen Sachen. Ich möchte nach dem Deutschkurs eine Ausbildung machen, um in der Kita zu arbeiten. Ich muss aber erst B2 bestehen, also wird es noch dauern. Das ist jetzt mein erster richtiger Kurs, außer die zwei Monate, wo ich Deutsch gelernt habe in Doberlug-Kirchain. Ich habe in Doberlug-Kirchhain als Mentor gearbeitet, also ich habe den Leuten aus dem Iran geholfen mit Übersetzen und so, und ich habe als Tanzlehrerin gearbeitet. Meiner Tochter geht es gut. Sie ist sehr leise, sie ist 12 Jahre alt und in der sechsten Klasse. Sie hat viel Stress, weil sie sehr lange in der Schule ist, und alle anderen in der Schule sind Deutsche. Aber das ist ja normal, sie muss Kontakt haben zu den Deutschen und so wird ihr Deutsch auch sehr gut. Ich habe nicht viele Freunde hier. Wir haben eine Familie, mit der wir befreundet sind. Und wir haben einen Familienfreund in Berlin, also verbringen wir oft den Samstag und Sonntag in Berlin. Es ist ja sehr langweilig hier. Unser Freund in Berlin arbeitet in Hamburg, und wir kennen ihn seit drei Jahren. Er ist der alte Freund von unserer Tante, also haben wir ihn früher auch oft gesehen.
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Ich möchte mich bei allen Deutschen bedanken, das Land ist sehr schön und die Menschen sind sehr nett. Ich habe keine Diskriminierung erlebt in Deutschland. Mein einziger Wunsch ist, dass ich nur eine kleine Wohnung haben möchte. Nur zweis Zimmer, eine Küche, nur etwas Kleines. Wir haben viele Briefe geschrieben an das Sozialamt und die Ausländerbehörde, aber nichts. Das ist mein einziger Wunsch.
Sahar und Baran Wir haben dieses Interview mit einer iranischen Frau, Sahar, und ihrer Tochter, Baran, gleichzeitig geführt. Sie ergänzten sich beim Erzählen. Um die Lektüre zu erleichtern, haben wir ihre Gespräche jedoch in separate Abschnitte unterteilt.
Ich bin Sahar, 43 Jahre alt und lebe seit etwa viereinhalb Jahren mit meiner Familie in diesem Heim. Ich habe an einem B1-Deutschkurs teilgenommen, aber den Test nicht bestanden. Im Moment haben wir einen neuen Kurs beantragt, aber der Brief ist noch nicht angekommen und wir warten noch ab. Ich lebe hier mit meinem Mann und meiner Tochter. Wir haben vorher in Teheran gelebt, und ich war Hausfrau. Meine Tochter war in der Schule und mein Mann arbeitete. Wir haben dort eine Wohnung gemietet, und dann waren wir wegen einiger Probleme meines Mannes gezwungen, auszuwandern und hierherzukommen. Wir kamen zuerst in Frankreich an. Der Schleuser hat uns dorthin gebracht und von dort aus wurden wir hierhergeschickt. Ich glaube, dies ist das vierte Heim, in dem wir waren. Wir haben uns zuerst irgendwo in der Nähe von Hamburg vorgestellt, aber sie haben uns hierhergeschickt. Wir haben zwei Wochen im Lager Eisenhüttenstadt verbracht und sind von dort direkt in dieses Lager gekommen. Wir haben einmal ein Vorstellungsgespräch gehabt, aber unser Fall wurde abgelehnt. Wir warten immer noch auf einen Brief, in dem uns mitgeteilt wird, wann das nächste Gespräch stattfindet und wie es weitergeht. Ich weiß nicht mehr, wie wir beschlossen haben, hierherzukommen. Ich bin mit den Problemen hier so überfordert, dass ich mich nicht erinnern kann. Mein Schwager wohnt auch hier. Vielleicht sind wir hierhergekommen, damit er uns helfen kann, wenn wir Schwierigkeiten haben. Aber wir wussten nichts über Deutschland. Wir wollten nur weglaufen aus den Schwierigkeiten, in denen wir steckten. Mein Mann ging für etwa elf Monate in einer Firma in einer anderen Stadt arbeiten, aber leider wurde er entlassen. Jetzt hat er zum Glück seit zwei Monaten einen Vertrag an einem anderen Ort. Wir kennen die Leute hier, zumindest grüßen wir jeden hier. Es gibt immer neue Leute, die kommen und gehen. Aber heute, ich weiß nicht, ich muss das wohl sagen,
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ist das Leben im Heim sehr schwierig geworden. Die Zahl der Bewohner ist zu hoch, und die Kinder machen viel Lärm. Mein Mann muss um 5 Uhr morgens aufstehen und die Kinder hier rennen bis 11 Uhr nachts durch den Flur. Sie sagen uns alle, wir sollen einfach warten. Es gab hier Leute, die nach uns kamen und schon wieder weg sind, und das hat uns sehr beschäftigt. Das Warten hat uns einfach so müde gemacht. Jetzt geht mein Mann arbeiten, und wir haben Briefe an das Sozialamt geschickt, dass wir dieses Heim einfach verlassen wollen, wir wollen die Aufenthaltsgenehmigung nicht mehr, gebt uns einfach die Wohngenehmigung, damit wir eine Wohnung finden und umziehen können. Mein Mann muss drei Monate lang arbeiten gehen, und dann schicken wir die Gehaltsabrechnung, um das Verfahren zu erledigen. Im Heim besprechen wir die Dinge unter uns. Aber wenn wir dann hier ins Büro gehen und darüber versuchen zu reden, gehen sie nicht wirklich auf die Probleme ein. Eigentlich sagen die nicht viel mehr als: »So ist es nun mal, komme einfach damit klar«. Es gibt hier mehrere Familien, und für manche Dinge, wie die Reinigung der Toiletten, ist es normal, dass sie unter den Frauen aufgeteilt wird. Aber bei manchen Dingen hier passiert nichts. Die Frau, die vor diesem Mann hier die Chefin war, die hat nicht darauf geachtet, ob die Reinigungskraft kommt oder nicht. Glauben Sie mir, sie würde ihre Hosen hochkrempeln und alle Treppen und Flure selber putzen. Es war ihr egal, dass sie die Chefin war. Ich habe ihre Einstellung wirklich geschätzt. Aber nachdem sie weg war, sind die Flure hier schrecklich schmutzig geworden. Als sie noch hier war, haben wir regelmäßig Partys gefeiert, jeder hat etwas gekocht und mitgebracht. Das war wirklich gut für die Moral der Flüchtlinge. Sie kümmerte sich sehr um alle, nicht nur um uns, sie mochte alle hier. Sie kam immer an die Tür und fragte, ob alles in Ordnung sei. Ich wünsche ihr wirklich alles Gute, wo immer sie auch ist. Sie hat uns bei allen persönlichen Dingen geholfen, um die wir sie gebeten haben. Früher gab es hier jeden Samstag ein Treffen mit deutschen Leuten. Sie hatten einen Raum für Flüchtlinge, und wir gingen dorthin und trafen Menschen aus verschiedenen Kulturen, aus der ganzen Welt, und schlossen Freundschaften mit ihnen. Mit Corona wurde das Ganze dann abgesagt. Wir sind ein paar Mal über das Internet mit ihnen in Kontakt geblieben. Wir haben damals auch angefangen, Masken zu basteln; ich, mein Mann und einer unserer Freunde. Sie baten uns, zu helfen. Sie stellten uns einen Raum zur Verfügung und wir begannen zu dritt, Gesichtsmasken zu nähen. Wir machten das ein paar Monate lang und verteilten sie überall kostenlos. Dann bedankte sich bei uns die Stadtverwaltung Luckenwalde. Unsere Namen und Fotos wurden in den Zeitungen abgedruckt. Ich denke, die Beziehung zu den Menschen hier hängt von jedem Einzelnen ab. Ich versuche, die Leute zu grüßen, ob sie nun respektvoll sind oder nicht. Es gab viele nette Menschen und viele, die mich schlecht behandelt haben. Und ich verstehe
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es, wenn sie das tun. Aber wenn ich ehrlich bin, habe ich persönlich noch nicht viel schlechtes Verhalten gesehen. Wir hatten viele Pläne für die Zukunft, aber wir sind schon so lange hier, dass wir uns gar nicht mehr an sie erinnern. Jetzt ist unser größtes Ziel, hier rauszukommen. Und mit Corona hat sich auch alles verändert. Vor der Pandemie hatten wir viele Pläne, die wir mit Gottes Hilfe umsetzen wollten. Aber Corona schränkte alles ein, wir durften nirgendwo hin, nicht einmal unsere Verwandte besuchen, die in der Nähe von Hamburg wohnt. Wir hatten natürlich Angst, sowohl um unsere, als auch um ihre Gesundheit. Jetzt hat das Sozialamt wieder geöffnet und wir können Termine machen, wenn es etwas zu tun gibt. Mein Mann hat gerade einen Job angefangen, und ich selbst, ich habe viele Bewerbungen abgeschickt, aber bis jetzt kam keine Antwort. Natürlich möchte jeder mit der Gesellschaft, in der er lebt, vertraut sein. Man möchte so leben wie sie, so sein wie sie. Ich möchte mit den Menschen verbunden sein und nicht isoliert oder getrennt werden. Ich denke die ganze Zeit an diese schwierige Sprache. Die Interaktion mit Menschen findet meist in der Arbeitsumgebung statt. Wenn ich die Sprache beherrsche, kann ich in der Arbeit oder in der Gesellschaft unter Menschen sein. Das ist sehr effektiv. Ich glaube, dass man durch das Erlernen einer Sprache näher an die Menschen herankommen kann. Wenn ich mich jetzt mit Deutschen unterhalte, sage ich ihnen zuerst, dass ich ein wenig weiß, und sie sagen, das sei kein Problem, und reden dann in einfacher Sprache weiter. Die Einstellung der Leute ist für mich auch sehr wichtig. Ich persönlich bin ein geduldiger Mensch, und ich kann mit allen Arten von Menschen umgehen. Aber es hängt alles davon ab, wie die Person mich behandelt, so dass ich mit ihr weiter kommunizieren kann oder nicht. Wir haben hier viele Erfahrungen gemacht. Es ist ein neues Land, neue Regeln und neue Menschen. Was die Deutschen über uns wissen sollten … Ich denke, sie sollten wissen, dass es überall gute und schlechte Menschen gibt. Hier gibt es viele Farsi sprechende Leute. Seit wir hier sind, sind die Afghanen sehr hilfsbereit zu uns. Ich habe früher im Iran gelebt, aber ich hatte keine Ahnung vom Leben und Glauben eines Afghanen und auch nicht von dem eines Deutschen. Diese Erfahrung habe ich in den vier Jahren, die ich hier lebe, gemacht. In den 18 bis 19 Jahren, in denen ich im Iran verheiratet war, hatte ich nichts von alledem erfahren. Damals hat es mich nicht interessiert, warum Afghanen in den Iran kommen, um zu arbeiten, weil ich dachte, sie sind wie wir, und ich hatte kein Problem damit, dass sie in mein Land kommen, ich habe mir nie Gedanken über diese Dinge gemacht. Und seit ich hier bin, weiß ich, wie viele kultivierte, anständige Menschen unter ihnen sind. Davor hatte ich keinen Kontakt mit ihnen. Vielleicht habe ich sie auch nur als Bauarbeiter gesehen und mich von ihnen distanziert. Oder ich hatte nie Kontakt zu einer afghanischen Frau. Aber seit ich hier bin, habe ich viele verschiedene Menschen gesehen, mit denen man sich anfreunden und Beziehungen haben kann.
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Die Deutschen haben diese Eigenschaft, ein bisschen kalt zu sein, denke ich. Aber es gibt auch viele sensible, emotionale Menschen unter ihnen. Ich denke, sie sollten erkennen, dass es überall gute und schlechte Menschen gibt, und ihre Einstellung gegenüber den Flüchtlingen verbessern. Nicht jeder ist ein schlechter Mensch, und die Menschen werden nicht böse aus dem Mutterleib geboren. Die Menschen haben unterschiedliche Situationen und unterschiedliche Lebenserfahrungen. Letztendlich hat jeder, der hierhergekommen ist, ein Problem gehabt. Vielleicht ist ein kleiner Prozentsatz nur eingewandert, um mehr Spaß zu haben oder um ein luxuriöseres Leben zu führen, aber viele hatten ein Problem, das sie dazu veranlasst hat, hierher einzuwandern. *** Meine Mutter und ich, Baran, haben vor Corona einen Deutschkurs besucht. Ich habe mein B1 gemacht und ich glaube, meine Mutter hat das A-Niveau erreicht. Für den Kurs mussten wir in eine andere Stadt fahren. In dieser Stadt gibt es keinen Kurs für Leute wie uns. Normalerweise kommen Leute aus allen anderen Städten zu diesem Kurs. Der Deutschkurs dauerte sechs Monate. Wir haben ihn gemeinsam besucht. Meiner wurde sogar noch länger, weil der Kurs zwischendurch abgebrochen war. Und dann kam der Lehrer etwa einen Monat lang nicht, ich weiß nicht, ob er krank war. Meine erste Klasse dauerte etwa acht Monate und dann hatte ich eine Wiederholung, die, glaube ich, drei Monate dauerte. Als wir das erste Mal hierherkamen, bin ich auch ein paar Monate zur Schule gegangen, in der neunten Klasse. Die Schule war so schwierig, dass ich nicht mehr hingegangen bin. Ich glaube, ich war nur zwei bis drei Monate dort. In der Schule bin ich nur in eine Willkommensklasse gegangen, weil ich damals kein Deutsch konnte und gerade erst angekommen war. Ich habe mich dort früh angemeldet. Wir hatten einen arabischen und einen deutschen Lehrer. Die deutsche Lehrerin war vielleicht einmal in der Woche da, und die arabische Lehrerin war meistens dabei. Die meisten Schüler in der Klasse waren auch arabischsprachig, und es hat mich gestört, dass in der Klasse mehr Arabisch als Deutsch gesprochen wurde. Und es fand kein Unterricht statt. Ich weiß nicht, ob das die Regel war oder ob die Lehrerin sich nur die Zeit vertreiben wollte. Ich dachte mir, dass ich mehr Arabisch als Deutsch lerne. Und unser Lehrer war nicht wirklich gut, und die Kinder in der Klasse waren nicht wirklich gut erzogen, und es war schwierig. Das Schwierigste am Leben im Heim ist die Sauberkeit, um die man sich nicht kümmert. Früher gab es jemanden, der täglich kam und alle Bäder und Duschen reinigte. Aber jetzt, mit diesem Chef, funktioniert nichts mehr so, wie es sollte. Die Lobby ist nicht mehr in Ordnung. Früher gab es dort viele Stühle und Tische, an denen wir sitzen konnten, um Tee zu trinken und uns zu unterhalten. Jetzt lässt die Person im Büro niemanden mehr dorthin, und nichts ist mehr an seinem Platz.
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Und die Reinigung findet jetzt nur alle zwei Wochen statt. Es ist wirklich furchtbar. Manchmal kommt niemand zum Putzen und wir machen es selbst. Der Zustand des Heims ist jetzt so, dass, wenn wir irgendwelche Einwände zu den Problemen hier machen, der Chef sich über uns ärgert, und zwar so sehr, dass er einige Tage lang nicht mit uns sprechen würde. Es gibt in dieser Stadt Gruppen, die Einwanderern helfen. Es gibt eine deutsche Gruppe, und sie kommen und fragen, ob wir irgendwelche Probleme haben. Wir sagen es ihnen, und sie gehen zum Chef und fragen ihn, warum dieses und jenes Problem nicht gelöst wird. Er wird wütend auf uns und sagt: »Warum erzählt ihr den Leuten draußen von den Problemen hier?«. Für Einwanderer ist es schwierig, hier einen Job zu finden. Den Job, den mein Vater bekommen hat, hat er durch reines Glück gefunden. Eines Tages kam der Pfarrer der Kirche und sagte, dass ein Unternehmen Arbeitskräfte sucht und dass der Manager dort ein netter Mensch ist. Sie sind hingegangen und haben geredet und er hat ein Praktikum gemacht und dann einen Vertrag bekommen. Ich selbst weiß noch nicht, welches Fach ich studieren möchte. Es ist eine große Entscheidung und ich denke darüber nach. Ich mag vor allem künstlerische Bereiche, aber das scheint hier nicht zu funktionieren. Am Anfang wollte ich hundertprozentig Friseurin studieren. Aber dann habe ich mich über andere Ausbildungen informiert und meine Meinung ein wenig geändert. Ich weiß noch nicht genau, was ich machen soll. Ich denke, es ist besser, wenn die Leute gar nicht nach Deutschland kommen. Aber wenn es nach mir ginge, würde ich ihnen sagen, dass sie nicht auf die Ratschläge anderer hören und das tun sollen, was sie für sich selbst am besten finden. Auf diese Weise ist es ihre Entscheidung, was auch immer mit ihrem Asyl-Fall passiert. Anfangs haben wir so viele Ratschläge bekommen, die unseren Fall behinderten. Ich finde, die Einwanderer sollten nicht auf andere Leute hören und tun, was sie wollen. Es gibt hier Leute, die sich den Neuankömmlingen gegenüber überlegen fühlen wollen. Sie wollen, dass man klein bleibt und sich nicht weiterentwickelt. Und Personen, die hier neu sind, wissen nichts von diesen Dingen.
Majid Ich komme aus Ahvaz, in der Provinz Khuzestan im Süden des Iran. Ich bin 38 Jahre alt, verheiratet und habe eine 16-jährige Tochter. Ich bin 2019 nach Deutschland gekommen. Im Iran hatte ich ein Geschäft für Innenarchitektur. Dort habe ich 15 bis 16 Jahre gearbeitet. Seit ich hier bin, habe ich ein Jahr lang einen Deutschkurs gemacht und einen Integrationskurs. Dann kam Corona und alles war zu. Danach habe ich angefangen, meinen Führerschein zu beantragen. Ich habe meinen Führerschein bekommen, und jetzt warte ich seit ein paar Monaten auf eine Arbeitserlaubnis. Ich
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weiß nicht, ich glaube, die Ausländerbehörde ist zu beschäftigt mit all den Ukrainern, die hierhergekommen sind. Also warte ich noch. Ich bin Anfang 2019 hier angekommen. Am Anfang habe ich mich in Berlin angemeldet. Ich war einen Monat lang in einem Lager in Spandau, dann in Eisenhüttenstadt, dann in Doberlug und jetzt hier. Ich bin jetzt schon drei Jahre hier. Mein [Asyl-]Antrag war ein ganz echter Fall. Man kann es im Internet nachlesen; alle Namen in meinem Fall waren echt. Ich habe zwei Onkel, die von der Islamischen Republik umgebracht wurden. Einer war Anfang der 2000er Jahre im Iran im Gefängnis. Erst wurde seine Freilassung bekanntgegeben, dann hieß es, er habe Selbstmord begangen. Der andere wurde erschossen. Meine Familie hat ihren Nachnamen geändert, aber weil wir Araber sind, haben wir einen Familienstammbaum, und alles ist dokumentiert und echt. Ein anderer [Verwandter] wurde ebenfalls in einem Gefängnis getötet, während der 88 Massenhinrichtungen [von politischen Gefangenen] in den 80er Jahren. Er war ein Cousin meines Vaters. [Im Interview] haben sie mich gefragt, wann ich zum Christentum konvertiert sei, und ich habe ihnen gesagt, dass ich das nicht getan habe. Sie fragten mich, wo ich in die Kirche gegangen bin, und ich sagte, ich bin in der Kirche gewesen. Alles, was ich gesagt habe, war die Wahrheit. Und ich habe ihnen erzählt von dem Problem, das ich im Land hatte. Aufgrund meiner Arbeit hatte ich im Iran viel Kontakt mit verschiedenen Menschen und verschiedenen Ämtern. Ich hatte einen Kunden, der ein Mitarbeiter der Sepah [IRGC – Korps der Islamischen Revolutionswächter] war. Wir haben uns befreundet und wurden ziemlich schnell enge Freunde. Wir lernten eine Menge übereinander. Irgendwann hatten wir eine Meinungsverschiedenheit, die immer schlimmer wurde, und es kam zu bösen Streitereien. Eines Tages hat er mein Handy in die Finger bekommen, und er hatte mehrmals gesehen, wie ich mein Handy-Passwort eingegeben habe, also hat er alle Sachen auf meinem Handy angeschaut und hat daraufhin angefangen, mich zu bedrohen. Ich bin mit meinem Haus in eine andere Provinz umgezogen, aber die Drohungen hörten nicht auf. Die Leute sagten mir, dass es wirklich schlimm wurde. Ich dachte, wenn ich hierherkomme und mich retten kann, dann kann ich vielleicht bald meine Familie nachholen. Jetzt bin ich seit mehr als drei Jahren hier. Meine Familie ist immer noch im Iran. Ich war etwa vier Monate lang unterwegs, durch die Türkei, Serbien, Kroatien, Slowenien, die Schweiz und dann nach Deutschland. In dem Interview, das ich beim BAMF hatte, haben sie mir gesagt, wenn Sie einfach die Augen schließen und wieder im Iran sind, was würde dann passieren? Ich habe ihnen gesagt, ich würde aus Angst einen Schlaganfall bekommen. Sie sagten: »Würden Sie dann das Christentum predigen/vermitteln? Zum Beispiel es lehren.« Ich sagte nein. Sie fragten warum. Ich sagte, weil ich Angst hätte, es ist gefährlich, das dort zu tun. Und zu der Zeit [im Iran] hatte ich weniger Wissen über das Christentum. Ich will damit nicht sagen, dass ich jetzt alles weiß, aber ich weiß viel mehr als früher. Also habe ich ihnen gesagt: Nein, ich hätte Angst davor, es zu tun. Und
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dann fragten sie, wie es wäre, es hier zu tun? Ich habe ihnen gesagt, wenn ich genug weiß und die Kompetenz dazu habe, würde ich es gerne tun und hätte keine Angst, weil dies hier ein freies Land ist. Das war alles. Und es gab keine Antwort [in dieser Sache]. Ich habe meinen Anwalt gefragt, was jetzt passieren soll, nachdem das Gericht diese Sachen angefordert hat. Er sagte, wir hoffen, dass wir Anfang des nächsten Jahres einen Termin bekommen, in drei bis vier Monaten im neuen Jahr, hoffentlich einen Gerichtstermin, oder eine einjährige Aufenthaltsgenehmigung, irgendeine Nachricht. Und keine Nachricht ist gekommen. Und hier ist es leider so, dass egal wie sehr man sich bemüht, ein gutes Leben zu führen, sich an die Regeln zu halten, nicht gegen das Gesetz zu verstoßen, alles richtig zu machen, man sein Ziel einfach nicht erreicht. Ich weiß nicht, so habe ich es verstanden, seitdem ich hier lebe, vielleicht ist es nicht ganz richtig. Ich warte jetzt seit drei bis vier Monaten auf die Arbeitserlaubnis, und es gibt Leute, die in dieser Zeit auf dem Schwarzmarkt gearbeitet haben und etwa 10.000 Euro verdient haben. Es ist nicht so, dass ich neidisch auf das Geld bin, das sie verdienen. Mein Problem ist, dass ich mit der Vorstellung hierhergekommen bin, dass es hier fair ist, dass es keine Diskriminierung gibt und dass man, wenn man sich an das Gesetz hält, unterstützt wird. Aber leider sieht man, dass [es nicht so ist]. Ich hatte schon früher große Angst, auch im Iran. Sowohl Ängste als auch Stress. Ich hatte dort ein medizinisches Problem und habe Medikamente genommen. Das Leben im Lager hier hat mich sehr belastet, aber sie wollen uns keine Wohngenehmigung geben. Ich hatte zwei Mitbewohner, die süchtig waren und in unserem Zimmer Heroin konsumierten. Ich habe im Zimmer geschlafen, und sie nahmen Drogen. Und ich bekam Ärger mit ihnen. Das habe ich dem Chef hier mehrmals gesagt. Sie haben mein Zimmer gewechselt. Dann nahm der Mitbewohner, der über mir schlief, heimlich Heroin. Er ist ausgezogen und wurde obdachlos, und dann bekam ich einen anderen Mitbewohner. Wegen all dieser Probleme wurde ich damals ins Krankenhaus eingeliefert und zu einem Psychologen aus Potsdam gebracht. Und ich sagte ihnen, dass ich nicht in die Psychiatrie gehen würde und auch die verschriebenen Medikamente nicht nehmen würde. Ich hatte starke Angstzustände, aber ich hatte kein psychisches Problem, das mir irgendwelche Probleme bereiten würde. Dann habe ich versprochen, selbst einen Arzt aufzusuchen. Das habe ich nie getan. Aber ich möchte einfach von diesem Thema wegkommen. Ich fliehe vor diesem Stress, und manchmal ist es wirklich schlimm, aber ich versuche, nicht darüber zu sprechen, nicht daran zu denken, und deshalb habe ich es nie weiterverfolgt, um Beweise für meinen Fall zu haben. Ich kann eine Arbeitserlaubnis bekommen. Jedes Unternehmen, für das ich arbeiten möchte, sollte die Erlaubnis auf seinen Namen ausstellen und auf meinem Ausweis vermerken, dass ich bei diesem Unternehmen bis zu diesem Datum arbeiten darf. Als ich hierherkam, wurde mein Antrag im vierte Monat 2019 überprüft. Ende 2019 wurde mein Antrag nochmal geprüft. Mein Anwalt gab mir einen Ter-
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min und fragte mich nach einigen Dokumenten, was ich mache, und stellte mehrere Fragen zum Christentum, und ich beantwortete all das. Ich gab ihnen alle Unterlagen über meine ehrenamtliche Arbeit mit der Kirche. Einen Monat später teilte man mir mit, dass der Richter gesagt habe, mein Kirchenbrief sei zu alt. Ich bekam einen neuen Brief, und seither ist mein Antrag einfach inaktiv, ohne dass es Neuigkeiten gibt. Die Wohnungsgenehmigung ist auch nur willkürlich. Sie geben die Genehmigung den Leuten nur, wenn sie wollen. In Berlin sieht man, dass jeder die Genehmigung hat. Sie geben die Genehmigung mit einem unbefristeten Arbeitsvertrag und Lohnabrechnungen, aber sie ist nicht garantiert. Wir haben hier Leute mit einem Arbeitsvertrag, die trotzdem keine [Wohngenehmigung] haben. Und es gibt hier auch Leute, die seit fünf oder sechs Jahren arbeitslos sind und dann innerhalb von ein paar Tagen ihre Arbeitserlaubnis und auch ihre Wohngenehmigung bekommen haben. Das ist alles Glückssache. Ich meine, es gibt keine Garantie für irgendetwas. Sie handeln einfach, wie sie wollen. Eigentlich sollten sie die Wohngenehmigung nach 18 Monaten Aufenthalt im Heim bekommen, aber ich weiß nicht, warum sie das nicht tun. Ich bin zu meinem Anwalt gegangen und habe gefragt, ob es möglich ist, eine schriftliche Zusage zu machen, dass ich keine Rentengelder vom Staat haben will und mich selbst finanziell versorgen werde, aber ein Haus bekommen kann und nicht im Heim bleiben muss. Aber sie sagten nein, und es liegt in ihren Händen, und seitdem habe ich keine Antwort erhalten. Ich habe zwei große Probleme. Das eine ist die Unterbringung, das andere, meine Frau und meine Tochter hierherzubringen. Denn wenn meine Tochter 18 Jahre alt wird, kann ich sie nicht mehr nachholen, auch wenn ich eine Aufenthaltserlaubnis habe. Auch sie hatte viele Probleme, weil ich weg bin. Sie ist ein Einzelkind und hängt sehr an uns. In den letzten beiden Jahren konnte sie aufgrund des OnlineUnterrichts immer wieder zu ihren Großeltern fahren, aber die Entfernung ist zu groß. Ihre Großmutter mütterlicherseits ist nach den Schwierigkeiten, in die ich geraten bin, in eine andere Stadt gezogen. Sie wurden auch bedroht, und nachdem mein Schwiegervater gestorben war, zogen sie in eine andere Stadt. Es gibt so viele Probleme, so viele, dass ich nicht in der Lage bin, in einem einzigen Interview über sie alle zu sprechen. Ich habe Angst um ihre Sicherheit, und sie haben wegen dieser Situation sehr gelitten. Was das Leben hier im Heim angeht, ist es mir völlig egal. Ich meine, es ist mir alles egal. Ich habe so viele Probleme gehabt, dass nichts mehr wichtig ist. Du kannst es hier sehen, wie es aussieht, es ist überhaupt nicht sauber. Nichts funktioniert hier richtig. Niemand macht seine Arbeit richtig. In den ersten Monaten, als ich keine Sprache konnte, habe ich meinen Freund angerufen und ihn auf Lautsprecher gestellt, damit er übersetzen konnte. Ich habe ihnen mehrmals von meinen Problemen erzählt, aber sie tun nichts. Sie sagen, das sei hier kein Hotel. Eines Tages war ich sogar so wütend, dass ich geblieben bin und gesagt habe, dann lasst uns warten, bis
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die Polizei kommt und unser Problem löst, weil wir einfach die Nase voll hatten. Sie sagten, wenn die Polizei käme, würden sie euch zurück in eure Länder bringen. Ich war gerade erst angekommen und wusste nicht viel und habe es geglaubt und dann nichts gesagt. Mein alltägliches Leben ist nichts Besonderes. Ich wache einfach morgens auf und kaufe ein paar Lebensmittel ein. Dann sitze ich wie ein Rentner. Ich wiederhole ein bisschen Deutsch, um zu lernen. Und warte einfach auf meinen Antrag, ich kann jetzt nicht viel anderes machen. Ich habe keine anderen Pläne, ich warte nur darauf, einen Job zu finden, um arbeiten zu gehen. Ich habe einen sehr alten Freund, der hier in Deutschland lebt und einen festen Wohnsitz hat, und ich habe auch einen Bruder hier, der ungefähr zu der Zeit kam, als ich hierherkam. Das sind die engsten Menschen, die ich habe, ansonsten bin ich sehr spitzfindig und sensibel in meinen Beziehungen. Aber es gibt Leute, mit denen ich mich unterhalte, aber ich stehe ihnen nicht nahe. Die deutschen Menschen, die ich kenne, sind diejenigen, die in der Wohltätigkeitsorganisation arbeiten. Ich kenne sie schon seit drei Jahren. Wenn es etwas zu tun gibt, rufen sie mich an, oder wenn ich etwas fragen möchte, rufe ich sie an. Ansonsten schicke ich nur Grüße, Geburtstags- oder Neujahrswünsche und das war es. Die Wohltätigkeitsarbeit, die ich geleistet habe, fand an verschiedenen Orten statt. Zu der Zeit gab es noch kein Corona. Ich erinnere mich, dass es in Berlin ein Gymnasium gab, auf das ich ging. Dort haben wir viel gearbeitet; ich meine, zwei ganze Tage lang haben wir schwere Arbeit geleistet. Für die ganze große Schule haben wir alle Sachen weggeräumt, die Räume vorbereitet, Dekorationen gemacht oder Geschenke eingepackt. In den nächsten Jahren haben wir während Corona die Sachen, die die Leute gespendet hatten, sortiert, von Kindern bis zu alten Leuten, und sie den Leuten zugeordnet, die wir auf der Liste hatten. Auch im letzten Jahr gab es eine Kirche in Berlin, die ich bemalt habe. Auch dieses Heim habe ich gestrichen. Also ja, wie immer ich helfen konnte, habe ich geholfen. Ich bin seit zwei Jahren Mitglied bei der Caritas in dieser Stadt, aber die haben mir gesagt, dass sie wegen der Pandemie nicht viele Aktivitäten machen können. Ich bin dort auch Mitglied, und ich habe ein paar Mal nachgefragt, aber sie sagten, es gäbe keine Arbeit und sie hätten jetzt weniger Personal. Ich wusste nicht wirklich etwas über Deutschland, und der Fehler liegt bei unserer schlechten Kultur. Wenn du mit Freunden sprichst, die im Ausland waren, in Deutschland oder in den Niederlanden oder in den USA oder in Kanada – wir haben nämlich viele Verwandte, die überall auf der Welt leben, wegen unserer Situation im Land sind sie alle überall hin geflüchtet –, dann reden die immer so, dass sie sich nicht selbst herabsetzen. Ja, die Regierung gibt dir hier eine Leistung, aber sie [Freunde] sagen dir nicht, wie viel sie dir zahlen, dass es nicht einmal für deine Zigaretten reicht. Sie sagen,
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ja, wenn du hier arbeitslos wirst, gibt es eine Rente, ja, es gibt Unterstützung, aber so, dass deine Menschenwürde gewahrt bleibt. Das ist wirklich gut, das haben wir im Iran nicht, aber ich meine, sie lassen es so bunt und verträumt klingen, dass man eine falsche Vorstellung davon bekommt. Aber sie sagen einem nicht, was passiert, wenn man die Aufenthaltsgenehmigung nicht bekommt, dass man vielleicht mehrere Jahre im Heim leben muss, oder was ist überhaupt Familienzusammenführung? Ich meine, wenn ich diese Dinge gewusst hätte … Ich wollte zuerst in die Niederlande gehen, und man sagte mir, nein, wenn du dorthin gehst, bekommst du keine Antwort, und du bekommst keine Arbeitserlaubnis, und dass Deutschland anders ist, also blieb ich in Deutschland. Ich wusste nicht viel und hatte keine Ahnung von den Regeln und Vorschriften, und die Leute, mit denen ich gesprochen hatte, lobten alle das Land, in dem sie lebten, und sagten nie die andere Wahrheit. Ich weiß nicht, ob ich das gut erklären kann, aber sehen Sie, wenn sich die Lebensbedingungen um 70 % verschlechtern, wird es für mich 100 % schwierig, weil ich ein sensibler Mensch bin und so etwas noch nicht erlebt habe. Für jemanden, der ein schweres Leben hatte, der viel durchgemacht hat, sei es in finanzieller Hinsicht, oder für jemanden, der von Natur aus stärker ist und einen höheren Geist hat, ist die gleiche Situation nur zu 10 % schwierig. Wenn man nicht einmal in dem Raum, in dem man schlafen soll, seine Privatsphäre hat, habe ich das Gefühl, dass niemand er selbst sein kann und nicht die richtige Person ist, die er sein sollte. Als ich das erste Mal hier ankam, musste ich mich gegen jeden wehren, der an die Tür klopfte bevor er ins Zimmer kam. Jemand wollte sich umziehen und der Typ kam einfach ins Zimmer. Jeder hat sich so verhalten. Und wenn ich an die Tür klopfte, bevor ich eintrat, machten sie sich über mich lustig: »Was glaubst du, wo du bist, dass du klopfst?«. Ich sagte: »Nirgendwo«, aber wir sind dieselben Leute wie vorher, und auch wenn dieser Ort die Hölle ist, kenne ich mich selbst [so zu sein]. Das ist nur ein winziger Teil der Probleme, die ich habe. Es ist mir eigentlich egal. Manchmal sage ich mir, dass ich nicht hier bleiben würde, wenn es eine Chance gäbe, dass keine Bedrohung über meinem Kopf [im Iran] läge. Die Leute hier mögen mich, und ich helfe allen. Es gibt hier einen Iraker. Ich kann nur ein bisschen Arabisch, vielleicht eine Handvoll Wörter. Ich bringe ihm Deutsch bei. Er war in einem Kurs, hat aber nicht viel gelernt. Ich versuche, mit ihm Lesen zu üben. Und er kann auch nicht Arabisch lesen, damit er die Bedeutungen schreiben kann. Ich fotografiere die Seiten, nehme den Text auf und sage ihm, er soll zuhören und üben. Er wird jetzt besser. Und als ich meinen Führerschein gemacht habe, habe ich eine sehr gute Fahrschule gefunden, zu der die anderen Jungs gehen können. Ich meine, die Leute hier mögen mich, aber ich fühle mich nicht wohl, bin nicht glücklich. Mein Bruder, der in Berlin lebt, ist diesen Monat ein ganzes Jahr nicht bei mir gewesen. Obwohl er mich oft einlädt und wir sehr eng sind, sind wir nur ein Jahr unterschiedlich alt. Auch bei einem anderen engen Freund, der ganz in der Nähe
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wohnt, war ich seit neun Monaten nicht mehr zu Hause. Da ich selbst keine Wohnung habe, fühle ich mich nicht wohl dabei, zu ihnen zu gehen. Aber wenn ich ein Haus hätte, würde ich sie jedes Wochenende einladen, und sie würden mich auch einladen. Ich will nicht, dass sie denken, dass ich zu ihnen gehe, weil ich im Heim wohne. Das ist schwierig für mich, aber was kann man schon tun?
Zukunft Da ich früh geheiratet habe und früh angefangen habe zu arbeiten, bin ich es gewöhnt, zu arbeiten. Ob ich nun in einer guten oder in einer schlechten Situation bin, ich muss arbeiten und leben wie die Menschen. Aber die einzige Hoffnung, die ich habe, ist, dass meine Tochter hierherkommt. Ich habe keine andere Hoffnung, keine andere Hoffnung auf ein Leben oder von Deutschland aus. Ansonsten werde ich wie jeder andere Mensch leben, mit dem Aufenthaltsstatus, den ich habe. Man sollte sowieso leben. Ich habe hier die Bibel gelesen. Bei meinen Vorstellungsgesprächen haben sie mich gefragt, ob ich eine Bibel habe? Ich habe nein gesagt. Sie sagten mir, dass sie im Iran verkauft wird. Davon wusste ich nichts. Als mir dann jemand hier eine FarsiBibel schenkte, hat mich das sehr beeindruckt. Wenn sie mich nicht gebeten hätten, einen Brief von der Kirche für mein Gericht zu besorgen, hätte ich so etwas nie getan. Denn sie wollen Dokumente als Beweis haben, sonst ist das meiner Meinung nach gegen das Christentum. Ich habe die Briefe von der Kirche bekommen, zu der ich im Übergangslager in Berlin gegangen bin, und jetzt von der Kirche in meiner Stadt, in der ich Mitglied bin. Ich glaube, ich habe mich in dieser Hinsicht sehr verändert. Abgesehen davon ist mein geistiger Zustand überhaupt nicht gut. Ich habe versucht, alles richtig zu machen, aber es hat nicht geklappt, und jetzt ist mir alles egal. Aber ich rege mich wirklich auf, wenn ich daran denke. Ich möchte nur, dass mein Kind zu mir kommt, denn alles hat sie sehr betroffen. Ich habe überhaupt keine guten Erfahrungen gemacht. Nichts Gutes. Ich habe deutsche Freunde, mit denen wir uns manchmal zu Wohltätigkeitsveranstaltungen treffen, und sie sind gute Menschen, und wenn ich sie um etwas bitten würde, würden sie es für mich tun, aber das habe ich bis jetzt nicht getan. Es gibt auch zwei Ukrainerinnen, die schon seit Jahren hier in Deutschland leben, und sie sind sehr nette Frauen. Aber das Leben im Lager macht einen total verrückt. Es gibt Leute, die sind von Land zu Land gereist, sechs Jahre im Iran, vier Jahre in der Türkei, fünf Jahre irgendwo anders. Denen ist es egal, ob sie im Lager oder in ihrem Haus leben. Die Menschen sind unterschiedlich, aber es ist wirklich schlimm, dass sie auf die gleiche Weise behandelt werden. Es ist ihnen egal, ob jemand hier ist und versucht, sich zu integrieren, oder ob jemand nur dasitzt und Drogen nimmt, das ist ihnen egal. Diese Dinge erdrücken mich langsam. Es gibt Leute aus Afghanistan, die eine Aufenthaltsgenehmigung haben, aber nicht versuchen, eine Wohnung zu
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bekommen. Aber für uns würden wir arbeiten und den ganzen Lohn bezahlen, aber nicht in diesem Zustand leben. Und dann ist da noch der Altersunterschied. Es gibt afghanische Jungs hier, um die 18 oder 20, die waren 15, als sie hier ankamen. Sie kommen mit der Situation viel besser zurecht. Wenn ich mit 15 oder 18 hierhergekommen wäre, würde ich nicht gehen, selbst wenn sie mir ein Haus geben würden, und ich würde sagen, ich kann nicht allein sein und will mit meinen Freunden zusammen sein. Irgendwann ändert man sich. Nun, ja, das Hauptproblem, das wir haben, ist die Wohngenehmigung, auch wenn ich alle Kosten selbst bezahle. Und für mich persönlich ist das Wichtigste, dass ich meine Familie sehen kann. Abgesehen davon habe ich keine guten Erinnerungen an Deutschland und das Heim. Vielleicht geht es anderen Menschen schlechter, vielleicht gibt es schlimmere Heime, aber so habe ich es gesehen.
Sarah Ich bin 30 Jahre alt und habe eine Tochter. Zusammen mit meinem Ex-Mann und meiner Tochter bin ich im Rahmen eines Familienverfahrens hierhergekommen. Ich bin jetzt seit fünf Jahren in Deutschland. Im Iran war ich Diplom-Ingenieurin im IT-Bereich. Meine Tochter war acht Monate alt, als wir hierherkamen. Ich bin mir nicht sicher, was Sie genau hören möchten, aber ich werde über die Probleme sprechen, die ich hier selbst erlebt habe. Zuerst war ich drei Monate lang im Lager in Eisenhüttenstadt. Dort war es furchtbar schmutzig. Niemand hat sich um unseren Fall gekümmert. Wir haben dort keine Unterstützung erhalten. Danach wurden wir nach Wünsdorf verlegt, welches zu dieser Zeit eine Erstaufnahmeeinrichtung war. Ich glaube, jetzt ist es ein permanentes Heim. Ich kenne Leute, die dort schon seit einem Jahr leben. Wir lebten seit fast drei Monaten in Wünsdorf. Und ich war sehr müde. Ich wollte etwas erreichen. Ich bin an der Universität gewesen. Ich wollte unbedingt arbeiten. Ich war daran interessiert, die Sprache zu lernen. Aber es gab keine Unterstützung. Wir stellten einen Asylantrag, hatten eine Anhörung und wurden sofort abgelehnt. Es gab etwa zehn iranische Familien, die damals abgelehnt wurden, egal welchen Fall sie hatten. Dann wurden wir in ein permanentes Heim verlegt. Dieses Heim war irgendwo in der Nähe von Zossen. Es war ein Ort ohne Busanbindung. Vielleicht gab es alle vier Stunden einen Bus. Und das Heim war zwei Stunden zu Fuß durch den Schlamm von der Bushaltestelle entfernt. Es gab keine Straßen. Im Winter standen wir bis zu den Knien im Schlamm. Kein Supermarkt in unserer Nähe. Es war schrecklich. Ich sagte dem Sozialamt, dass ich seit eineinhalb Jahren dort war und studieren wollte. Meine Tochter war acht Monate alt und hatte keine Kinderbetreuung. Sie sagten mir dann: »Nein, das ist nicht nötig«. Sie wollen nicht, dass man im Le-
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ben weiterkommt. Das Sozialamt sagte nur: »Nimm diese Leistungen und geh in dein Heim. Du brauchst nicht zu studieren oder zu arbeiten, gar nichts«. Was ist das für eine Regel? Ich habe die ganze Zeit Briefe geschrieben, dass ich arbeiten gehen möchte. Sie sagten: »Nein, bleib zu Hause. Dein Kind ist noch klein. Das ist nicht nötig«. Jetzt ist mein Kind sechs und geht seit sieben Monaten in eine Kita. Die ganze Zeit, in der ich in Deutschland war, musste ich zu Hause bleiben, um mich um sie zu kümmern. Trotzdem habe ich in Berlin einen Sprachkurs gefunden, der Kitabetreuung anbot. Das war meine einzige Chance, mich aus dieser Situation zu befreien. Jeden Tag fuhr ich mit ihr für zwei Stunden nach Berlin. Der Weg zum Bahnhof dauert mit einem kleinen Kind zwischen 45 Minuten und einer Stunde zu Fuß. Jeden Tag bin ich diese Strecke gependelt. Damit ich mich verbessern konnte, um aufzusteigen. Ich bin seit etwa zwei Jahren in diesem Heim. Seitdem ich mich von meinem Mann getrennt habe, bin ich in mehreren Heimen gewesen. Vielleicht in vier oder fünf Frauenhäusern und fünf Heimen. Aber es ist wirklich eine Katastrophe [in Heimen zu leben]. In diesen fünf Jahren habe ich nirgendwo Menschen wie die Leiter hier gesehen, die sich wirklich um einen bemühen. Es spielt keine Rolle, welches Anliegen du hast. Sie kümmern sich um dein Anliegen, egal ob sie dich mögen oder nicht. Man braucht ihnen nur zu sagen, ich brauche einen Brief für etwas, sie sagen nichts und helfen einfach selbstlos. Besonders der Chef des Heims, Marcel. Wenn ich sage, dass ich eine Kita oder eine Wohnung suche, sucht und hilft er schnell. Diese Leute sind jetzt erst seit vier bis fünf Monaten hier. Davor waren es andere Leute. Ich bin einmal zu ihnen [der früheren Leitung] gegangen, als meine Tochter einen Termin im Krankenhaus hatte. Sie ist in Deutschland dreimal operiert worden. Ich habe ihnen gesagt, dass ich zwar etwas Deutsch kann, aber das medizinische Vokabular für das Krankenhaus nicht verstehe. Können Sie anrufen, um nach einem Narkosetermin zu fragen? Sie sagten nur: »Das ist nicht meine Aufgabe«. Als ich in Rangsdorf war, gab es ein afghanisches Paar, das große Probleme miteinander hatte. Es wurde viel gestritten und verprügelt. Die Frau war meine Freundin. Ich habe mich nicht in ihr Leben eingemischt. Aber als die Frau sich trennte, ging der Ehemann zu anderen Afghanen in Rangsdorf und sagte ihnen, dass ich [Sarah] seiner Frau beigebracht habe, unabhängig zu sein, und dass ich die Scheidung wolle. Ich glaube, das war der Grund, warum sie mich wieder in ein anderes Heim verlegt haben. Aber wenn ich nur noch zwei Monate dortgeblieben wäre, hätte mein Kind eine Kita finden können. Mein Asylantrag wurde beim ersten Mal zusammen mit meinem Mann gestellt. Beim zweiten Mal hatte ich mich scheiden lassen, aber als ich zu meinem Termin kam, war mein Fall immer noch nicht von meinem Mann getrennt. Auch der Name meines Anwalts war nicht dabei. Mein Fall hätte nach der Scheidung neu aufgerollt werden müssen, aber der Richter hatte die Ablehnung bereits für uns vorbereitet. Er hätte uns Fragen stellen müssen, um festzustellen, ob unser Leben wirklich in Ge-
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fahr war oder nicht. Hat er auf der Grundlage von Halluzinationen und Einbildungen entschieden? Ich war alleinstehend, aber das haben sie überhaupt nicht berücksichtigt. Nach der zweiten Ablehnung war ich am Boden zerstört, denn ich hatte so hart für den Gerichtstermin gearbeitet. Sie sagten mir, ich würde eine Duldung erhalten. Aber ich habe Berufung eingelegt. Ich meine, mein Anwalt hat das getan, und bis jetzt habe ich den Duldungsstatus noch nicht erhalten. Ich habe immer noch den normalen grünen Ausweis. Jetzt mache ich eine zehnmonatige Weiterbildung in IT. Danach werde ich direkt in meinem eigenen Bereich arbeiten und ein gutes Gehalt bekommen. Aber die interessieren sich nicht dafür, was du studiert hast, welchen Abschluss du hast, was für ein Mensch du bist, wer deine Familie ist. Wir sind auf dem Landweg hierhergekommen. Wir sind mit gefälschten Pässen in die Türkei geflogen und dann auf dem Landweg nach Deutschland gekommen. Das Hauptproblem war, dass [..] mein Mann für zwei seiner Brüder und seinen Onkel gebürgt hat. Sie zahlten ihre Raten nicht und die Bank setzte uns unter Druck. Sie erwirkten einen Haftbefehl gegen ihn, für ein Verbrechen, das er nicht begangen hat. Er hat einfach für jemand anderen gebürgt. Ansonsten hatten wir kein Problem, das Land zu verlassen. Aber wenn wir geblieben wären, hätte er ins Gefängnis gemusst. Ich war nicht wirklich bereit zu gehen. Seine Schwester sagte immer wieder, dass es viel besser ist, wenn man mit einem Kind [als Familie] dorthin geht. Wenn er allein dorthin geht, würde er zurückgeschickt werden. Ansonsten war ich nicht daran interessiert, in ein Land zu kommen, in dem man sich so anstrengt und [..] wenn ich das alles im Iran gemacht hätte, wäre ich jetzt Professorin. Wir hatten nicht an Deutschland gedacht, als wir gingen. Wir wollten nur irgendwohin gehen, damit mein Mann nicht ins Gefängnis muss. Als wir dann Schmuggler und all das gefunden hatten, konnten wir nirgendwo anders hingehen. Die Wege in alle anderen Länder waren verschlossen. Aber ich wollte nicht irgendwohin kommen, wo so viel Leid auf dich wartet. Bevor ich das Land verließ, war ich bis zum letzten Tag mit meinem Studium beschäftigt. Mein acht Monate altes Baby war immer bei meiner Mutter, damit ich studieren und meine Dissertation einreichen und den Abschluss machen konnte. Ich habe einfach das Gefühl, dass ich kein Glück und keine Freude erlebt habe. Ich war 13 Jahre lang verheiratet und habe nach sieben Jahren ein Kind bekommen. Es war alles schrecklich, das Asylverfahren und all diese Probleme. Zurück im Iran ist mein Vater schon lange verstorben. Ich habe dort nur eine Mutter. Ich meine, ich hatte keine finanzielle Unterstützung. Weder ich noch mein Mann. Wir waren eine ganz normale Familie mit nicht viel. Ich habe keine Unterstützung, falls ich zurückgehen sollte. Wir hatten nur eine schäbige Wohnung im Iran. Mein Mann war berufstätig, und ich arbeitete in Teilzeit als Sekretärin in einer Anwaltskanzlei. Wir hatten uns mit unseren Ersparnissen und einer Hypothek eine kleine Wohnung gekauft, aber das alles haben wir für den Schleuser ausgegeben. Wären wir im Iran geblieben, wäre die Wohnung beschlagnahmt worden. Er wäre im Gefängnis ge-
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landet, und die Wohnung wäre beschlagnahmt worden. Dann hätten wir kein Geld mehr und keine Unterstützung. Es gibt eine afghanische Familie, ein Ehepaar, das vor ein paar Tagen hier angekommen ist. Sie haben früher in der deutschen Botschaft in Afghanistan gearbeitet und sind jetzt in unserem Heim. Sie sind in so einem dreckigen Zimmer. Alle Zimmer hier haben Kakerlaken. Es sind so viele, dass ich mich manchmal nachts nicht traue zu schlafen. Alle Toiletten. In der Küche, wenn man das Geschirr abwäscht, laufen überall Kakerlaken herum. Schrecklich und schmutzig. Menschen ziehen in diese Räume ein, und die Räume werden nicht gereinigt oder gestrichen. Nichts. Jemand bleibt hier sechs Jahre lang. Die ganze Wand ist schmutzig, dann kommt die nächste Person und geht direkt in dieses Zimmer. In den Zimmern gibt es Schimmel und Flöhe. Es gibt Dinge in der Wand, die wie eine Nadel in die Haut eindringen können. So etwas hatte ich noch nie gesehen. Es gibt Flöhe, Läuse und Kakerlaken. Was kann der Direktor tun, wenn er kein Budget hat? Der arme Mann bringt Schabenfallen an den Wänden an. Aber das funktioniert nicht. Die Kakerlaken sind von der Größe einer Zelle bis zu dieser Größe. Ich fühle mich nicht sauber, wenn ich hier einen Löffel zum Essen benutzen will. Wie oft sollte ich mich waschen? Dieses Heim braucht eine Grundreinigung. Seitdem der neue Chef hier angekommen ist, ist es viel besser geworden. Es hat sich viel verändert. Vorher hatten wir keine einzige Glühbirne auf dem Flur. Es war dunkel wie in einem Kerker. Er hat alle Lampen repariert. Aber das Hauptproblem ist das Gebäude selbst. Die Zimmer sind unglaublich schmutzig. Es muss komplett renoviert werden. Die Insekten kommen aus den Wänden. Das lässt sich nicht mit einem Anstrich oder einem Austausch der Fußböden beheben. Der Schimmel geht nicht durch einen Anstrich weg. Im vierten Stock gibt es eine Damentoilette, im zweiten Stock gibt es keine. Es gibt nur ein Badezimmer mit einer Dusche. Einige Leute hatten Covid hier auf unserer Etage. Sie wurden in ihrem eigenen Zimmer unter Quarantäne gestellt. Sie hatten ihnen den Schlüssel für die Toilette und die Duschen gegeben. Wir mussten vier Stockwerke hoch und runter gehen, nur um eine Toilette zu finden. Von den vier Toiletten sind zwei kaputt. Zwei Toiletten für zwei Stockwerke mit Frauen und Kindern. Wie ist das möglich? Auf jeder Etage gibt es eine Küche, aber zwei der vier Waschbecken sind kaputt. Ich meine, man muss Schlange stehen, nur um einen einzigen Löffel abzuwaschen. Aber leider kann dieses arme Ding [Chef] nichts tun. Das Problem sind auch die kulturellen Aspekte. Auf unserer Etage gibt es tschetschenische und afghanische Frauen, die mit ihren Füßen auf den Toiletten sitzen. Das geht dann natürlich kaputt. Sie reparieren den Wasserhahn, und die Kinder machen ihn wieder kaputt. Denn sie sind den ganzen Tag zu Hause und bekommen keine Bildung. Warum zwingt sie niemand, zur Schule zu gehen? Ich kann den Leuten in ihrem privatesten Bereich nicht sagen, wie sie auf der Toilette sitzen sollen. Das sollten sie selbst
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lernen. An der Tür hängt ein Zettel, auf dem steht, dass man nicht so sitzen soll. Die kapieren das nicht. Weil sie das Heim nie verlassen. Es gibt eine Familie aus Tschetschenien, die lebt seit sieben Jahren hier. Und sie haben das Heim nie verlassen. Sie haben vier Kinder. Die Frau ist entweder schwanger oder stillt. Sie denken, wenn sie zehn Kinder haben, werden sie nicht abgeschoben. Die Kultur ist hier falsch. Ich habe mehrere Wohnungen gefunden, aber sie wurden nicht akzeptiert. Erstens ist es sehr schwierig, in Brandenburg eine Wohnung zu finden. Wenn man den Deutschen sagt, dass man nach Zossen gehen will, lachen sie einen aus und sagen: »Mach dir erst mal die Haare blond«. Wenn ich mit meinem Kind auf der Straße spazieren gehe, grüßt sie die Leute, und sie antworten ihr nicht. Berlin ist nicht so. Natürlich gibt es auch in Brandenburg gute Menschen, aber ich habe sie nicht gesehen. Ich habe so viele Häuser gefunden, und weil die Miete nur 18 Euro über der Spanne lag, haben sie es nicht erlaubt. Den Rest hätte ich selbst gezahlt, aber sie haben es nicht akzeptiert. Das Haus, das ich gefunden habe, liegt in der gleichen Straße, in den Gebäuden gegenüber. Ich habe es über eine Firma in Blankenfelde gefunden. Leider gibt es immer noch das Problem mit der Entfernung. Aber wenigstens wird meine Tochter hier rauskommen. Ich fühle mich nicht wohl dabei, sie zu baden. Meine Tochter ist fünf, geht aber noch nicht auf die Toilette. Weil die Toiletten hier zu schmutzig sind, kann ich sie nicht mitnehmen. Sie ist fünf und geht immer noch auf das Töpfchen im Zimmer. Das ist ein furchtbarer Zustand. Jetzt beobachte ich, was sie für die Ukrainer machen. Im Fernsehen haben sie gesagt, dass sie [die Ukrainer] farbige Augen haben. Wir gehen zum Sozialamt und sagen, ich möchte studieren, und bekommen ein Nein. Aber sie werden akzeptiert, sobald sie ankommen. Die Deutschen nehmen sie auch bei sich zu Hause auf. Aber sie machen sich nicht die Mühe, uns zurückzugrüßen. Es ist richtig, in meinem Land gab es keinen Krieg, aber was ist mit Afghanistan, dort gibt es Krieg. Im Fernsehen war zu sehen, dass jemand mit bloßen Händen vor einem Panzer steht und der Panzer nichts tut. Aber in einem Land wie Afghanistan kommen die Taliban in dein Haus und vergewaltigen deine Frau und dein Kind, und du kannst nichts dagegen tun. Aber werden Afghanen wirklich genauso behandelt [wie Ukrainer]? Als ich vor fast zwei Monaten die B2-Qualifikation erhielt, habe ich mich sofort um eine Stelle beworben. Ich habe mich mehrfach beworben, und man hat mir gesagt, dass ich nicht arbeiten darf, weil mein Abschluss fünf Jahre alt ist und ich nicht mehr in der Praxis tätig war, und dass im IT-Bereich alles täglich aktualisiert wird. Ich sollte eine Art Kurs machen, ein Praktikum, eine Weiterbildung, irgendetwas. Ich habe mich für ein Praktikum beworben und sie haben mich nicht angenommen, weil meine Kenntnisse nicht auf dem neuesten Stand waren. Ich habe mich für eine zweijährige Umschulung beworben. Sie sagten mir, nein, nein, wir können nicht so viel für Sie bezahlen. Sie haben keine Aufenthaltsgenehmigung und wir können nicht so viel bezahlen. Dann sagte ich OK, dann eine Weiterbildung. All diese Optionen erforderten so viel Kommunikation und Briefe, jede ein anderes Verfahren,
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Termine, Beratungen. Es brauchte so viel Zeit. Schließlich konnte ich eine zehnmonatige Weiterbildung in IT machen, um mein Wissen aufzufrischen. Ich möchte arbeiten gehen, aber es gibt keine Unterstützung. Ohne Unterstützung habe ich, während ich ein Kind hatte, das B2-Niveau erreicht. Ich habe das gesamte B1 in nur drei Monaten gelernt. Ich habe einen B1-Wiederholungskurs besucht. Er war für Leute, die sechs Monate lang gelernt und die Prüfung nicht bestanden hatten. Sie hatten vom Alphabet bis zum B1 gelernt. Ich habe keinen anderen Kurs besucht. Ich bin nur zu diesem B1-Kurs gegangen. Für sie war es eine Wiederholung, für mich ein neuer Unterricht. Dann habe ich auch schnell B2 bekommen. Ich habe keine Zeit, sonst hätte ich auch für das C-Niveau gelernt. Ich könnte für sie nützlich sein. Sie haben mich für fünf Jahre bezahlt. Meine Abschlussanerkennung hat nur etwa 1000 Euro gekostet. Ich hatte das Geld nicht. Sie haben das alles bezahlt, so dass mein Abschluss jetzt einer Ausbildung gleichkommt. All diese Kosten … und jetzt sagen sie mir, dass sie mich hier nicht haben wollen. Ihr gebt mir den Status Duldung und wollt mich zurückschicken. In Berlin ist das alles ganz anders. Ich gehe mit meinem Kind hier in Blankenfelde in den Park und die Deutschen erlauben ihren Kindern nicht, mit ihr zu spielen. Mein Kind ist jetzt seit sieben Monaten in der Kita und hat nicht einen einzigen deutschen Freund. Die deutschen Kinder spielen nicht mit unseren Kindern, weil ihre Eltern das nicht erlauben. Sie kommen in den Park, und sobald das Kind in die Nähe meiner Tochter kommt, nimmt die Mutter es weg. Aber in Berlin ist das nicht so. Ich gehe mit meinem Kind dort spielen, und hier spielen 50 deutsche Kinder. Aber hier in Brandenburg ist es einfach furchtbar. Ihre Gedanken und ihr Glaube, es ist wie in den sehr kleinen, isolierten Dörfern im Iran. Ich habe eine Freundin in Berlin, die von ihrem Mann getrennt lebt. Die Regierung unterstützt sie. Das Jugendamt unterstützt sie. Meine Freunde in Berlin bekommen Sozialhilfe, weil sie alleinerziehend sind, und andere Dinge. Aber hier in Brandenburg gibt es so etwas nicht. Es gibt überhaupt keine Unterstützung in irgendeinem Bereich. Jemand wie ich, wenn ich einen Weg zurück nach Hause hätte, würde ich das auf jeden Fall tun. Ich mache all diese Schwierigkeiten nur durch, weil es für mich keinen Weg zurück gibt. Wenn ich in mein Land zurückkehre, werden sie mir als Erstes meine Tochter wegnehmen. Nach dem Gesetz gehört das Kind dem Mann, und danach der Familie des Mannes. Sie kümmern sich überhaupt nicht um meine Situation [bei der Rückkehr nach Hause]. Wenn ich zurückkehre … ist mein Kind das einzige Enkelkind sowohl meiner als auch der Familie des Vaters. Mein Kind wird ein Spielball zwischen meiner Familie und der Familie meines Onkels sein. Jeder von ihnen würde sie haben wollen. Ich bin nicht so dumm, zurückzugehen. Wenn ich zurückkehre, gibt es natürlich einen Platz für mich im Haus meiner Eltern. Dann muss ich mich nicht mit diesen schmutzigen Toiletten und [der schlechten Behandlung] herumschlagen.
7. Iran
Mein Plan ist, dass ich in zwei Monaten mein Haus bekommen werde. Im Februar nächsten Jahres werde ich meine Weiterbildung abschließen und gleich danach einen Monat lang ein Praktikum machen. Dann werde ich einen Job in der gleichen Firma bekommen. Ich werde die Miete selbst zahlen und für alles andere aufkommen. Mein Kind wird auch studieren und ich werde Blankenfelde sofort verlassen. Denn ich hasse Brandenburg. Mein größter Wunsch ist es, sofort einen Job zu bekommen und einen Platz in Berlin zu finden und mein Kind aus dieser verdammten Provinz wegzubringen. Ich werde nach Berlin gehen, um zu studieren und zu arbeiten. Mir gefällt es hier überhaupt nicht. Nichts funktioniert hier richtig. Es ist voll von Rassismus. Ich sage nicht, dass es in Berlin keinen Rassismus gibt. Aber ich kann dort Fortschritte machen. Wenigstens machen sie mir keine zusätzlichen Probleme. In Berlin gibt es Tausende von Dienstleistungen, die ich nutzen kann. Hier muss ich zwei Stunden laufen, um einen Park zu erreichen, damit mein Kind spielen kann, und dann wird es von den deutschen Kindern so behandelt. In Berlin kann ich sie überall hinbringen, zum Park, ins Kino. Es gibt verschiedene Probleme. Aber ich kenne meine Pläne. Ich hoffe nur, dass sie mich nicht abschieben. Das Einzige, was mich daran hindern kann, mein Ziel zu erreichen, ist, plötzlich abgeschoben zu werden. Nun, Sie wissen nicht, wie die Regeln hier funktionieren. Sie können tun, was sie wollen. Es gibt kein Gesetz, das sie daran hindert, mich abzuschieben. Ich kannte Leute, die in die Schule kamen. Eines Tages rief ich sie an, und sie sagten, sie seien wieder zu Hause im Iran. Sie seien gestern Abend abgeschoben worden. Sie waren ein nettes junges Paar. Sie hatten ein Problem mit der Ausländerbehörde. Sie [die Behörde] waren gekommen und hatten sie zum Flughafen und gleich wieder nach Hause gebracht. Ich hatte angerufen, um zu fragen, warum sie die Schule verpasst hatten. Ich war einfach schockiert. Ich meine, es gibt kein Gesetz. Ich möchte nicht in den Iran zurückkehren, auch wenn er sich in ein Paradies verwandeln würde. Mir gefällt es dort auch nicht mehr. Ich habe hier so viel gelernt, warum sollte ich zurückgehen? Ich habe mich so sehr bemüht, die Sprache zu lernen. Ich habe das alles durchgemacht, mein Kind kann die Sprache hier. Warum sollte ich zurückkehren? Zurück in dieses islamische, voreingenommene Land, das sich nicht viel von Daesh oder Taliban unterscheidet? Ich, die hierbleiben will, bekommt keine Unterstützung. Sie mögen es nicht. Und dann gibt es Leute wie diesen Chef. Es gibt mehrere von ihnen hier in diesem Heim.
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Miranda Ich bin in Kamerun geboren, in der Stadt Yaoundé. Ich wuchs bei meinen Großeltern, Tanten und Cousins auf. Schon früh wusste ich, dass ich nach Deutschland gehen wollte. Deutschland ist die größte Wirtschaftsmacht in Europa, und es ist ein hoch entwickeltes Land, in dem man technische und naturwissenschaftliche Fächer und auch Medizin studieren kann. Aber ursprünglich wollte ich in die Politik gehen, meine eigene Partei gründen und Kamerun regieren. Nach dem Abitur habe ich am Goethe-Institut Deutsch gelernt und bin dann 2009 nach Deutschland gekommen. Bis 2017 habe ich Elektrotechnik, Ökolandbau, Marketing und Mathematik studiert. Allerdings konnte ich mein Studium nicht abschließen, weil ich große finanzielle Schwierigkeiten hatte. Also kehrte ich für ein Jahr nach Kamerun zurück. Es gibt einen Unterschied zwischen dem, was man hört, und dem, was man vor Ort erlebt. In Kamerun wurde mir zum Beispiel gesagt, dass man in Deutschland als Student 25 € pro Stunde verdienen kann. Aber das stimmt nicht. Als ich als Studentin gearbeitet habe, habe ich 6,67 € pro Stunde verdient. Vieles ist anders als in Kamerun: die Lebensweise, die Mentalität der Menschen, die Laune der Menschen. Manche Menschen sind unglücklich. Was mich überrascht hat, ist, dass sie nicht viele Kinder zur Welt bringen wollen. Viele Frauen, die man trifft, wollen gar keine Kinder haben. Sie wollen einfach nur Spaß haben. Also kehrte ich 2017 nach Kamerun zurück, aber das Leben war sehr schwierig. 2019 beschloss ich, illegal nach Deutschland zurückzukehren. Ich habe den Pass meines Bruders benutzt, mit dem ich eine kleine Ähnlichkeit hatte. Ich habe seinen Pass gestohlen. Jetzt lebe ich ohne Papiere, obwohl ich in komfortablen Verhältnissen leben sollte. Bei meiner zweiten Ankunft in Deutschland, in Eisenhüttenstadt, erhielt ich keine Hilfe. Dort blieb ich drei Wochen lang, bevor ich nach Wünsdorf-Waldstadt kam, einem Erstaufnahmezentrum. Alle zwei Wochen erhält man dort 60 €. Auch
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die Grundbedürfnisse werden abgedeckt. Aber ich habe nie einen Anwalt gehabt. Das ist für mich zu teuer. In diesem Heim bin ich seit dem 17. November 2020. Jetzt bekomme ich 330 € im Monat und muss für den Transport nach Berlin und für das Essen bezahlen. Das Essen kann 30 € oder 40 € kosten. Es ist nicht genug übrig, um einen Anwalt zu bezahlen. Ich lebe jetzt seit drei Jahren in Deutschland. Ich tue hier nichts. Ich möchte arbeiten und aktiv sein wie früher. Ich habe hier im Heim einige Freunde, die auch aus Kamerun kommen. Manchmal essen wir zusammen und machen etwas zusammen. Es gibt viele nette Leute hier. Aber manche Leute sind sehr schmutzig; sie benehmen sich wie Tiere. Die Atmosphäre ist ruhig, hier ist nichts Besonderes los. Jeder kümmert sich um seinen eigenen Kram. Integriert zu sein bedeutet für mich vor allem, dass man die Sprache spricht und ein soziales Leben hat. Ich denke, dass ich sagen kann, dass ich in die deutsche Gesellschaft integriert bin. Ich möchte eine Aufenthalts- und Arbeitserlaubnis haben. Ich würde auch gerne wieder studieren können. Da ich nach Kamerun zurückgekehrt bin, habe ich das Recht verloren, in Deutschland zu studieren. Ich würde auch gerne die deutsche Staatsbürgerschaft annehmen, weil ich mehr als zehn Jahre in diesem Land verbracht habe.
Ines Ich komme aus Kamerun. 2018 bin ich in Deutschland angekommen. Ich kann nicht von meinem Leben in Kamerun erzählen, weil ich gerade eine Therapie für meinen Kopf mache, um meine Erinnerungen wiederzubekommen. Wegen der Traumatisierung kann ich mich an nichts erinnern. In meinem Kopf funktioniert es nicht. Ich mache eine Therapie dafür. Ich war erst in Eisenhüttenstadt für ein oder zwei Monate. Ich vergesse alles langsam. Dann war ich in Blankenfelde und dann später im gleichen Jahr in Jüterbog. Seit 2019 bin ich in diesem Heim. In Eisenhüttenstadt gab es einen kleinen Deutschkurs; Montag, Mittwoch, Freitag für Niveau A und B. Sie hatten auch einen Sportplatz und ich war zwei Monate da. Ich war zwei Wochen in dem nächsten Heim, und da gab es auch einen kleinen Deutschkurs. Dann war ich neun Monate im folgenden Heim, aber dort gab es keinen Kurs und keinen Sportplatz, alles war schlecht. Hier gibt es auch nichts. Ich möchte einen Deutschkurs machen, aber ich bekomme ihn nicht. Alle anderen lernen Deutsch, und ich muss es auf dem Handy lernen. Die ganzen Jahre frage ich schon nach einer Schule, aber sie sagen, es gibt keine. Irgendwann bin ich nach
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Luckenwalde gegangen und sie haben gesagt, es gibt keinen Platz, aber sie werden mich anrufen, wenn es einen Platz gibt. Sie haben mich nie angerufen. Ich lerne mein Deutsch auf meinem Handy. Es gibt keine Probleme mit dem Heimleiter. Ich bleibe einfach immer in meinem Zimmer. Ich lebe nicht. Mein Kopf geht nicht mehr und ich lebe nicht. Ich bin einfach immer mit meinem Sohn zusammen. Mein Sohn ist jetzt 10 Monate alt. Er wurde in Köln geboren, mit seinem Vater. Jeden Tag wacht das Baby um 5:30 Uhr auf und möchte spielen, spielen, spielen. Ich muss kontrollieren und aufpassen, wenn er spielt. Um 8 Uhr gebe ich dem Baby eine Dusche und gebe ihm sein Essen und spiele mit ihm. Unser Zimmer hat keine Tür, also muss ich immer aufpassen, wo das Baby ist. Nachmittags gehe ich zum Spielplatz mit dem Baby. Ich bin in einem Zimmer mit einer anderen Frau, aber sie macht eine Ausbildung in Berlin. Sie hat auch ein Kind, ihr Kind ist eineinhalb Jahre alt. Wir wohnen zu viert in diesem Zimmer zusammen, und manchmal ist es schwer, wenn wir alle in einem Zimmer sind, aber was soll ich machen. Ich habe keine Freunde im Heim. Ich bin alleine Schwarz hier. Die anderen Araber haben ihre Gruppe, aber ich spreche kein Arabisch. Ich habe meine Kultur und sie haben ihre. Wenn ich die anderen sehe, sagen wir hallo, aber das war’s. In Eisenhüttenstadt habe ich ein Zimmer geteilt mit einer anderen Frau und sie war auch eine Schwarze Frau, also das war sehr gut. Jetzt wohnt diese Frau in Berlin. Wir haben immer noch manchmal Kontakt. Ich erlebe oft Diskriminierung in Deutschland, aber wenn irgendjemand etwas zu mir sagt, dann sage ich es zurück. Wenn die Leute mir Scheiße sagen, sage ich auch Scheiße zurück. Wenn sie mich schlagen, dann müssen sie aufpassen. Am 17. von diesem Monat musste ich nach Berlin fahren, um mich mit meinem Anwalt zu treffen. Ich war am Bahnhof, um mit dem Zug zu fahren. Mein Baby ist am Boden rumgelaufen und hat gespielt. Eine Frau hat dann rumgeschrien und mir gesagt, ich soll mein Baby aufheben. Aber was soll ich machen, es ist ein Kind! Es ist nicht ein Hund mit einer Leine, es ist ein Kind. Dann hat die Frau irgendwas gesagt darüber, dass ich aus Afrika komme. Ja, und? Ja, ich komme aus Afrika, ich spreche Französisch, Englisch, Spanisch, ein bisschen Deutsch, und sie? Sie weiß gar nichts. Ohne Deutsch spricht sie nichts und ich habe viele Sprachen in meinem Kopf. Sie ist in Deutschland, sie ist in ihrem Land, und ihre Arbeit ist Reinigung. Reinigung ist für die Leute, die nicht in der Schule waren oder nicht Deutsch sprechen. Diese Frau war sehr scheiße. Sie war wütend, weil ich aus Afrika komme und nicht deutsch bin. Ich habe sie also gefragt: »Aber was ist mit den Ukrainern, die kommen auch und da gibt’s kein Problem?« Dann hat sie gesagt: »Ja, aber die Ukraine ist Europa.« Diese Frau ging wahrscheinlich nicht zur Schule, also weiß sie wahrscheinlich gar nicht, dass Kamerun eine Kolonie war von Deutschland. Also bin ich eigentlich hier in meinem Land. Deutsch-
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land ist in mein Land reingekommen, und hat unsere Sachen von uns genommen, aber jetzt, wenn ich hierherkomme, ist es ein Problem? Klar, ok. Als ich mein Baby gehabt habe, musste die Ärztin eine Inzision auf meinem Arm machen. Es hat weh getan, und ich habe ihr gesagt, sie soll aufhören. Dann wurde sie wütend und hat gesagt, ich soll ihr nicht sagen, wie sie ihre Arbeit machen soll. Sie hat gesagt, es tut nicht weh. Aber es hat sehr weh getan. Ich habe geschrien, dass ich Schmerzen habe. Drei Tage nach der Geburt war ich zu Hause, und es hat immer noch weh getan. Für sechs Monate konnte ich meine Hand nicht richtig bewegen. Ich musste eine OP haben. Ich habe gesagt, es tut weh, aber die Frau hat nicht zugehört. Die Frau hat es kaputtgemacht. Ich hätte zur Polizei gehen sollen, aber ich bin Schwarz, wir haben keine Rechte. Ich musste für eine lange Zeit alles mit der anderen Hand machen. Ich konnte meinen Sohn nur mit der anderen Hand aufheben. Jetzt habe ich immer noch ein bisschen Schmerzen, aber ich kann die Hand benutzen. Hier in diesem Ort habe ich auch ein Problem. Um 21 Uhr gibt es keine Züge mehr, also muss ich ein Taxi anrufen. Ich habe es jetzt drei oder vier Mal gemacht. Aber wenn die Taxifahrer hören, dass ich afrikanisch bin, dann kommen sie nicht. Die wissen, wenn ich spreche, dass ich nicht Deutsche bin. Ich bin nett und sag hallo und frage, ob sie mich abholen können, aber sie sagen nein, sie können nicht. Ja, ich hatte schon mal Probleme mit manchen deutschen Leuten, aber andere sind gut. Der Vater von meinem Sohn ist deutsch, also kann ich nicht alle deutschen Leute in ein Päckchen tun und mich über alle beschweren. Ich bin immer noch im Asylverfahren. Ich weiß nicht, was los ist mit der Ausländerbehörde. Ich gehe da hin, bringe meinen Pass und den Pass von meinem Sohn mit allen meinen Dokumenten. Dann rufen sie mich an, und ich denke, dass ich endlich Asyl bekommen werde, aber nein, sie geben mir nur den Pass von meinem Sohn wieder. Mein Sohn hat einen deutschen Pass, weil sein Vater deutsch ist. An der Ausländerbehörde ist es nur schlecht. Ich treffe mich mit meinem Anwalt nächste Woche, um zu fragen, was passiert. Ich weiß nicht, wieso ich meine Dokumente nicht bekomme. Ich hätte sie eigentlich im Januar bekommen sollen, aber immer noch nichts. Ja, mein größtes Problem jetzt sind meine Dokumente. Wenn ich meine Dokumente habe, dann kann ich nach Berlin fahren mit meinen Dokumenten, und eine Schule finden. Jetzt muss ich immer nur fragen, ob andere bitte eine Schule für mich finden können, und ich bekomme nichts. Andere Leute kommen später als ich, und sie bekommen sofort eine Schule, aber ich nicht. Ich weiß nicht, warum. Ich kann nicht so bleiben. Ich möchte Deutsch lernen, B2 bekommen, dann kann ich eine Ausbildung machen und weiter leben. Ich lebe nicht. Im Moment lerne ich Deutsch auf meinem Handy, auf YouTube. Oder manchmal lerne ich mit dem Vater meines Sohns. Auf TikTok gibt es eine Frau, die gute Deutsch-Videos macht. Wenn ich irgendwas nicht verstehe, dann rufe ich den Va-
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ter an und er hilft mir. Zum Beispiel dieses Dativ, Akkusativ, das verstehe ich nicht. Mein Kopf tut sehr weh, wenn ich es versuche. Der Vater wohnt in Köln, aber er war letzte Woche hier. Zwei Mal war er hier, ansonsten gehen wir zu ihm. Ich möchte eine Pflegerin sein, aber erst muss ich Deutsch sprechen. Ich schreibe nicht gut, ich verstehe nicht gut. In meinem Land spreche ich Spanisch, Französisch, Englisch. Aber nicht Deutsch, und Deutsch ist sehr kompliziert. Jetzt bin ich auf Deutsch konzentriert, aber manchmal habe ich Wörter von den anderen Sprachen in meinem Kopf. Ich werde in Deutschland bleiben, deswegen brauche ich die Sprache. Ich mag Köln nicht, ich möchte in Berlin bleiben. Wenn die mir meine Dokumente geben, dann werde ich eine Wohnung in Berlin finden, aber ich brauche Hilfe. Ich weiß nicht, was ich mache, niemand hilft mir. Die Leute im Heim oder im Sozialamt können mir nicht helfen mit Wohnungen in Berlin. Aber ich will nicht in Teltow-Fläming wohnen, hier gibt es keine Arbeit. Ich muss also in Berlin arbeiten. Wenn ich hier wohne, aber in Berlin arbeite, dann muss ich ganz früh aufstehen. Als Pflegerin fängt die Arbeit um 5:30 oder 6 Uhr an, aber es gibt hier keine Züge oder Busse zu dieser Uhrzeit. Also deswegen wollen alle nach Berlin. Es geht nicht anders. Meine Träume sind, dass ich eine gute Arbeit habe und meine Kinder in Afrika zu mir kommen können. Ich habe zwei Kinder in Afrika, in Kamerun. Mein Kopf ist kaputt, ich weiß nicht, wie alt sie jetzt sind. Die Kinder wohnen mit meiner Mutter, aber sie ist krank und kann sich nicht wirklich um die Kinder kümmern. Niemand kümmert sich um die Kinder. Ich glaube, sie sind jetzt 7 Jahre und 12 Jahre alt. Meine Mutter ist immer noch in Kamerun, aber mein Vater ist tot. Er ist 2014 gestorben. Meine Mutter kann nicht genug auf die Kinder aufpassen, und mein Land ist nicht gut. Es gibt sehr viele sexuelle Aggressionen, auch gegen Kinder. Eine meiner Nachbarinnen hat ein Kind, das Kind war 10 Jahre alt, und es wurde sexuelle Aggression mit dem Kind gemacht. Das Kind wurde schwanger. 10 Jahre alt, und sie war schwanger. Ich habe sehr viel Angst um meine Kinder. Ich möchte, dass sie hierherkommen. Wenn ich einen guten Job habe, kann ich um eine Nachzugsgenehmigung bitten. Ich kann meine Kinder zu mir bringen. Ich brauche also einen Deutschkurs und eine Ausbildung. Wenn ich eine Ausbildung mache, dann weiß ich, ich kann eine gute Arbeit finden. Ich werde so viel arbeiten. Nur arbeiten, arbeiten, arbeiten, das ist mir egal. Ich muss nur etwas Geld verdienen. Ich möchte natürlich, dass mein Baby einen Kita-Platz bekommt, aber jetzt ist er zu klein. Ich werde ihm Deutsch und Französisch beibringen. Ich möchte ihm alle Sprachen beibringen, aber erst Deutsch und Französisch. Wenn er alle diese Sprachen spricht, dann kann er internationale Arbeit machen, zum Beispiel ein Pilot werden. Ich lebe nur für meinen Sohn. Irgendwann wird er Pilot. Mein Pilot.
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Alles ist Leben. Das Leben hat gute Sachen und schlechte Sachen. Man muss die Scheißsachen einfach nach unten tun, und die guten Sachen nach oben. So kommt man schneller voran.
Mama Stacy, Stacy und Tom Wir haben dieses Interview mit einer ganzen Familie geführt, aber ihre Geschichten getrennt, um ihre unterschiedlichen Perspektiven auf ihr bisheriges Leben in Deutschland zu zeigen.
Mama Stacy Wir sind 2018 aus Kamerun nach Deutschland gekommen, aber an das genaue Datum erinnere ich mich nicht mehr. Es ist eine ziemlich lange Geschichte, und sie ist sehr emotional. Ich glaube nicht, dass ich sie jetzt erzählen kann, aber es gab viele Umstände, die uns dazu brachten, unser Land zu verlassen, und deshalb sind wir jetzt hier. Wir warten immer noch darauf, dass der Prozess durchlaufen wird, dass sie uns hier akzeptieren. Ich kann deswegen über manche Themen nicht mehr sagen, denn es gibt Dinge, die für mich und meine Familie privat und vertraulich sind. Dieses Lager war bisher gar nicht so schlimm. Das einzige Problem, das wir mit diesem Lager haben, ist die Wohnsituation. Wir sind alle sechs in einem einzigen Zimmer zusammen. Das Zimmer ist mit sechs Betten und all unseren Sachen ziemlich vollgestopft. Mit vier Kindern ist das schwierig. Diese Kinder werden jetzt erwachsen, deshalb wollen wir nur ein zusätzliches Zimmer. Ich verstehe das nicht, denn ich habe versucht, mich bei den Verantwortlichen hier zu beschweren, aber es wurde nichts gemacht. Sie sagen uns, das ist euer Zimmer, ihr müsst warten, bis euer Prozess vorbei ist. Sie sagen: »Da gehört ihr hin«. Aber wenn man sich andere Flüchtlinge anschaut, die genau wie wir sind, die bekommen zwei Zimmer. Warum nicht wir? Ich finde das ziemlich ungerecht. Es gibt hier viele Extrazimmer, und alles, was wir wollen, ist ein weiteres Zimmer. Aber sie sagen uns immer wieder, wir sollen warten, und es ist ja nicht so, dass wir es uns mit Gewalt nehmen können. Mein Mann und ich würden beide gerne arbeiten. Wir wollen auf eigenen Beinen stehen, so wie alle anderen auch. Im Moment warte ich darauf, dass meine Jüngste in die Kita kommt. Wir haben noch keinen Kitaplatz für sie bekommen, und ich habe gehört, dass es ziemlich schwierig ist, einen zu bekommen. Wir haben auch große Probleme, ihre Geburtsurkunde zu bekommen, obwohl sie in Deutschland geboren wurde. Sie hat jetzt einen Personalausweis, aber ich kann ihre Geburtsurkunde nicht bekommen. Ich bin zu jedem Amt gegangen und habe alles getan, um sie zu
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bekommen, aber ich warte immer noch. Wir brauchen diese Geburtsurkunde, um sie in einer Kita anzumelden, wenn sie alt genug ist, damit ich arbeiten kann. Noch ein Problem ist es, dass einige der Leute in der Einwanderungsbehörde sehr unhöflich sind. Jedes Mal, wenn ich zu einem Termin gehe, muss ich mit einem meiner Kinder hingehen, denn die verstehen wenigstens ein bisschen Deutsch. Wenn ich alleine hingehe, wird mir niemand erklären, was los ist. Wenn es ein Problem gibt, sprechen sie nur Deutsch und erklären es mir nicht. Sie ignorieren mich einfach, und man kann ja nicht einfach ein Dokument unterschreiben, wenn man nicht versteht, worum es geht. Unser Verfahren verzögert sich also. Die Ärzte sind hier genauso; sie können sehr unhöflich sein. Die Ärztin meiner Kinder spricht die ganze Zeit nur Deutsch, aber sie will es den Eltern nicht erklären. Angeblich kann sie Englisch, aber immer, wenn ich sie um eine Erklärung bitte, wirft sie einfach die Hände hoch und geht. Das macht überhaupt keinen Sinn. Was ist, wenn das Kind in Gefahr ist? Alle diese Leute wissen, dass ich kein Deutsch verstehe, also sollten sie in der Lage sein, mir mit jemand anderem zu helfen. Ich kann meine Kinder nicht ständig aus der Schule nehmen, um mir zu erklären, was bei meinen Terminen los ist. Ich würde gerne Deutsch lernen – und ich lerne immer noch – aber ich kann nicht allzu viel tun, weil ich im Moment so viel um die Ohren habe. Ansonsten sind die meisten Menschen nett. Manchmal werden wir in Supermärkten oder Parks oder an anderen Orten ein bisschen diskriminiert. Vielleicht wollen die Kinder im Park mit anderen Kindern spielen, und jemand nimmt die anderen Kinder weg. Insgesamt liebe ich Deutschland. Es ist ein gutes Land. Manche Leute sind nicht sehr freundlich, aber es sind nur ein oder zwei Leute, die es verderben, und das passiert in jedem Land. Kein Land ist perfekt. Das Schulsystem hier ist sehr gut, und es ist kostenlos. In Afrika muss man kämpfen, um eine Ausbildung zu bekommen, und oft kann man es sich nicht leisten, seine Kinder zur Schule zu schicken. Was mir an diesem Land gefällt, ist, dass die Bildung an erster Stelle steht. Und auch das Gesundheitssystem ist sehr gut. Wenn man sich erst einmal verständigen kann und die Sprache spricht, ist es ein sehr gutes Land, in dem man bleiben kann. Mir gefällt auch die Unterstützung der deutschen Regierung für Flüchtlinge. Das ist etwas, wofür ich sie lobe. Ich kann mich nicht beklagen. Es ist nicht viel, aber es ist nachhaltig. Wenn sie es eines Tages noch mehr verbessern wollen, wäre das gut, aber es ist jetzt besser als nichts. Das Einzige, was mich an Deutschland schockiert hat, ist das Essen. Hier gibt es Dinge, die ich zu Hause nie gegessen habe. Hier lieben sie Brot und Würste so sehr. Es gibt etwa 100 verschiedene Wurst- und Käsesorten, die alle unterschiedliche Namen haben, aber ich kann sie nicht einmal unterscheiden. Wir müssen uns daran gewöhnen, weil wir nichts anderes tun können. Man muss sich an die Leute anpassen, mit denen man zusammenlebt; wenn man freundliche Leute trifft, sollte man freundlich zu ihnen sein. Wenn sie mit dir reden wollen, dann können sie das ma-
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chen. In diesem Heim ist niemand etwas Besonderes – wir benutzen alle dieselben Toiletten, denselben Wäscheraum. Wir werden uns alle dort begegnen, also kümmern wir uns einfach um unseren eigenen Kram. Das ist alles, was wir tun können. Auch mein drittes Kind macht gerade diese Erfahrung. Es ist ihr erstes Jahr in der Schule, also gewöhnt sie sich gerade erst daran. Sie sagt, dass einige der Kinder nicht so freundlich sind, so also ist sie die meiste Zeit alleine. Einige der Mädchen sind nett. Manchmal sehe ich, wie sie sich mit Freunden amüsiert, spielt und lacht, aber die meisten Kinder wollen nichts mit ihr zu tun haben. Ich weiß nicht, warum das so ist. Ich kann es nicht verstehen. Es kommt manchmal vor, dass sie nach Hause kommt und so unglücklich und enttäuscht ist. Die Lehrerin sagt, sie müsse Freundinnen machen, aber wenn sie auf diese Mädchen zugeht, wollen sie nicht mit ihr reden. Was soll sie denn tun? Trotzdem haben meine Kinder hier ihren Frieden. Wenn ich sie in der Schule sehe, wenn ich sehe, dass sie gute Noten bekommen und besser Deutsch sprechen, macht mich das glücklich. Ich weiß, dass sie hier einfach Seelenfrieden haben, und das ist das Wichtigste. Ich würde gerne mit alten Menschen arbeiten. Ich möchte wirklich zur Schule gehen, um einen Abschluss zu machen, so dass ich qualifiziert bin, mit ihnen zu arbeiten. Das gefällt mir so sehr. Ich weiß, dass mein Mann gerne Auto fährt, denn er ist zu Hause viel gefahren. Er ist gut in allem, was mit Fahren zu tun hat, vor allem im Lkw-Fahren. Aber das Fahren in Kamerun ist ganz anders, also muss er noch einmal hier zur Schule gehen, um den Führerschein zu machen. Das ist hier ziemlich teuer, also kann er vielleicht, sobald er wieder einen Job hat, sparen und zur Fahrschule gehen. Ich wünsche mir nur, dass die Leute uns wie Menschen behandeln. Wir sind alle Menschen. Es ist nur die Hautfarbe, die sich ändert. Wenn Sie mir die Hand abhacken, was wird dann aus dieser Hand kommen? Rotes Blut. Wenn Sie Ihre Hand abhacken, was kommt dann heraus? Es ist nicht grün oder schwarz, das Blut ist immer noch rot. Wir sind alle Menschen, also sollten wir auch so behandelt werden. Wenn jemand Hilfe braucht, helfen Sie ihm. Es kostet dich weder ein Bein noch einen Zahn, jemandem zu helfen. Helfen Sie ihm einfach mit einem reinen Herzen. Zeigen Sie Ihren Kindern einfach, dass sie freundlich sein sollten. Das kostet nichts.
Stacy Ich war 14, als wir Kamerun verlassen haben. Ich weiß noch, dass wir an einem Dienstag gegen 1 Uhr in den Zug gestiegen sind, um hierherzukommen. Wir haben gleich nach der Ankunft im Lager mit der Schule angefangen, so dass ich schnell Deutsch gelernt habe. Die Lehrerin hat mit uns auf Deutsch gesprochen und die meisten Schüler haben sich mit uns auf Deutsch unterhalten, also war es einfach zu lernen. Ich habe auch einige YouTube-Videos angesehen, um mein Deutsch zu verbessern. In meinem ersten Jahr hier habe ich eine Gruppe von Freunden kennen-
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gelernt, die mit mir in der Schule waren. In meiner jetzigen Schule gibt es nur sehr wenige Leute, die Englisch sprechen, also musste ich gut Deutsch lernen. Die Schule hier ist in Ordnung, und alle sind sehr nett, auch die Lehrer. Ich finde es gut, dass sich die Lehrer Zeit nehmen, um alles zu erklären und sicherzustellen, dass jeder alles versteht, bevor sie Hausaufgaben aufgeben. Ich habe das Gefühl, dass ich mich gut an das Leben hier angepasst habe. Seit ich hier bin, habe ich viel Deutsch gelernt, aber auch viel über Freundschaft gelernt. Ich habe gelernt, dass jemand sagen kann, er sei dein Freund, und dann hinter deinem Rücken über dich reden kann. Vor allem in meiner Klasse habe ich gesehen, wie eine Gruppe von Mädchen sich Freundinnen nennt, aber dann gleichzeitig über einander so reden: »Oh, sieh sie dir an, sieh dir an, wie sie sich anzieht.« In einem Moment sagt ein Mädchen: »Das ist meine beste Freundin«, und im nächsten Moment redet sie hinter ihrem Rücken. Das macht einfach keinen Sinn. Ich habe also gelernt, dass man hier in Deutschland meistens auf sich allein gestellt ist, dass man seinen eigenen Weg gehen muss. Es ist gut, eine gute Freundin zu haben, das reicht. Man braucht keine Gruppe von Freunden. Das ist es, was ich gelernt habe. Ich bin jetzt kurz vor meinem Schulabschluss. Nach meinem Abschluss möchte ich eine Ausbildung als Krankenschwester machen, also bewerbe ich mich gerade bei einigen. Ich habe mich bisher nur bei zwei beworben, aber mein Ziel ist es, mich bei zehn oder mehr zu bewerben, damit ich viele Möglichkeiten habe. Ich habe hier gerade ein Praktikum absolviert, das ich für meine Schule machen musste. Ich habe einen Praktikumsplatz in einem Krankenhaus bekommen, weil die Frau hier im Lager dort angerufen hat, und gefragt hat, ob es noch freie Plätze für mich gibt. Ich habe mich beworben und dort einen Praktikumsplatz bekommen, was ich eigentlich wollte. Aber ich mochte es nicht, weil ich mit alten Menschen arbeiten musste, und das war ein bisschen traumatisierend. Es war nur für zwei Wochen, und in der zweiten Woche war es ganz okay, weil ich mich daran gewöhnt hatte. Ich hatte allerdings nicht erwartet, dass ich mit alten Menschen arbeiten würde. Ich wollte mit Kindern arbeiten, weil ich Kinderärztin werden möchte, wenn ich älter bin. Ich wollte also unbedingt Erfahrungen mit Kindern sammeln, aber die einzige Stelle, die sie frei hatten, war die mit alten Menschen. Am Ende war es ganz okay. Jetzt werde ich erst einmal eine Ausbildung als Krankenschwester machen, um zu sehen, ob es mir gefällt, und dann kann ich mich vielleicht für ein Studium bewerben, um eine Ärztin zu werden. Ich habe gehört, dass das wirklich schwer ist, und ich will mir nicht zu viel Stress machen. Ich kann mich über unser Leben hier nicht beklagen. Zumindest haben wir eine Unterkunft. Wir haben Frieden, wir haben die Freiheit zu tun, was wir wollen. In Deutschland kann man mit 16 oder 17 Jahren machen, was man will, also gibt es hier diese Freiheit. Ich bin eigentlich froh, dass wir hier in Deutschland sind. Ich würde aber gerne aus dem Lager ausziehen. Ich möchte neue Leute kennenlernen, Leute in meinem Alter. Vielleicht irgendwo nach Berlin oder Köln oder Potsdam umziehen.
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Irgendwo, wo es nicht so ruhig ist wie in Luckenwalde, und wo es mehr Leute gibt, die in meinem Alter sind. Mein Traum war immer, nach Großbritannien oder in die USA zu gehen, um dort zu studieren. Ich habe mir nie vorgestellt, hier in Deutschland zu leben, aber es gefällt mir bisher gut. Jetzt möchte ich erst ein bisschen Geld verdienen, und dann kann ich sehen, wie es danach weitergeht. Ich möchte mein Studium fortsetzen und eines Tages eine erfolgreichere Ärztin werden, damit ich meinen Eltern helfen kann. Was ich den Deutschen sagen möchte, ist, dass jeder alle Menschen gleich behandeln sollte. Egal, welche Hautfarbe oder Religion. Denken Sie daran: Alles rächt sich irgendwann. Wenn du mich einmal schlecht behandelst, wirst du als Nächstes in mein Büro kommen und mich um einen Job oder etwas Ähnliches bitten. Man sollte also alle Menschen gleich behandeln. Wir sind alle gleich.
Tom Ich war erst 6 Jahre alt, als wir Kamerun verlassen haben, aber ich erinnere mich noch an alles über unser Leben dort. Mir gefällt mein Leben in Deutschland besser. Ich mag meine Schule. Meine Lehrer erklären mir alles, und meine Freunde helfen mir, wenn ich etwas nicht verstehe. Aber jetzt haben sie die Klasse in zwei Gruppen aufgeteilt, so dass eine Gruppe eine Woche in die Schule geht und die andere Gruppe zu Hause bleibt und Hausaufgaben macht. Sie geben uns jetzt viele Hausaufgaben, vor allem, wenn man in Quarantäne muss. Aber ich kann mich nicht beklagen. Die Schule ist in Ordnung für mich, und ich bin gut. Wenn ich groß bin, will ich Wissenschaftler werden. Hier sind auch alle sehr nett. Einige meiner Freunde sind neidisch, weil ich Englisch kann. Ich weiß nicht, warum. Aber einige von ihnen sind einfach nett. Sie setzen sich für mich ein, wenn ich allein bin oder so. Es ist wichtig, freundlich zu anderen zu sein, auch wenn sie nicht aus deinem Land sind. Wenn jemand deine Hilfe braucht, gib ihm einfach Hilfe.
Layanah Ich bin mit meinem Bruder nach Deutschland gekommen. In Kamerun habe ich als Friseurin gearbeitet. Mit der Zeit entwickelt sich das Gehirn und damit auch die Lust zu reisen. Aber das Reisen war nicht so, wie ich es mir vorgestellt hatte. Ich wünschte mir, nach Europa zu gehen. Deutschland war nicht wirklich eine Wahl. Unterwegs gab es Begegnungen, die Leute geben dir Tipps, wo es leichter ist, wo es besser ist. Die Fahrt von Kamerun nach Spanien war schwierig und ich kann mich nicht mehr genau erinnern, wie lange es gedauert hat. Von Spanien aus haben wir einen Bus genommen und sind in Deutschland angekommen.
8. Kamerun
Ich bin mit 32 Jahren nach Deutschland gekommen. Als ich ankam, habe ich sechs Monate lang einen Deutschkurs gemacht und war sehr engagiert. Danach habe ich mir die deutsche Sprache selbst beigebracht. Aber die deutsche Sprache ist hart. Ich spreche Deutsch und meine Kinder auch. Man hofft immer, dass man sich anpassen kann, aber das System in Europa blockiert die Afrikaner und ihre Meinungsfreiheit. Wenn du Kinder hast, schaust du sie an und versuchst zu sehen, was sie wert sind, was sie tun können. Und du hilfst und ermutigst sie, damit sie sich entwickeln können. Aber in Europa werden wir oft alle in einen Sack gesteckt und es wird uns nicht geholfen. Es ist wichtig, dass man sich ausdrücken und arbeiten kann. Ich bekomme 329 € im Monat, das ist nichts. Und ich kann nicht arbeiten. Hier reduziert man dich auf eine Bettlerin, auf jemanden, der Hilfe braucht. Dabei brauche ich eigentlich keine Hilfe, ich brauche nur, dass man mir Türen öffnet. In Europa funktioniert alles nach der Hierarchie. Es gibt viel Hass zwischen den Menschen, dabei brauchen wir Zusammenarbeit, eine gute Kooperation zwischen den Menschen. Es ist wichtig, die Kultur der anderen zu lernen. Es ist auch wichtig, anderen die Wahrheit zu sagen, Lügen ist falsch. Ehemalige Kameruner, die schon lange in Europa leben, sollten die Wahrheit sagen und keine Träume verkaufen. Sie müssen die guten und die schlechten Seiten des Lebens in Europa zeigen. Auf YouTube zeigen die Videos eher, dass das Leben hier einfach ist. Seit einem Jahr versuche ich, meinen Führerschein zu machen. Ich habe es bei zwei Fahrschulen in meinem Dorf versucht, aber sie haben meine Anmeldung abgelehnt. Dann habe ich eine Fahrschule in Berlin gefunden, die meine Anmeldung akzeptiert hat. Ich habe bereits bezahlt, aber danach hat mir eine Dame gesagt, dass man den Führerschein nur in seinem Dorf machen kann. Solche Ablehnungen sind schlecht für die Integration. Es blockiert dich, um weiterzumachen. Ich verstehe ein Land nicht, das dir eine Wohnung und Geld gibt, dir aber nicht erlaubt, im Land zu arbeiten und Steuern zu zahlen. Niemand kann nur schlafen und essen. Aber ich denke, das ist ein System, denn wenn man alle freilässt, gibt es keine Arbeit mehr. Aber das Problem ist der Hass und die Bosheit. Das ist das Gleiche in Afrika, das gibt es nicht nur in Europa. Denn wenn es dieses Problem in Afrika nicht gäbe, wären wir nicht hier in Europa. Das ist ein System, das tief sitzt. Dabei sollte doch jeder frei sein und andere Menschen respektieren. Seit acht Jahren kann ich nur essen und schlafen. Ich kann nichts tun. Ich gehe erst seit sechs Monaten in den Integrationskurs. Es ist sehr interessant. Es ist eine Offenheit, die du nicht erwartest. Kannst du acht Jahre lang kämpfen, ohne ein Ergebnis zu sehen, ohne ein Ende zu sehen? Es ist, als wollten sie dich in ein Loch schieben und dich dort halten. Schau, selbst wenn du eine Ausbildung machst, sind es drei Jahre und wenn du eine Schnellausbildung machst, sind es zwei Jahre und dann ist es vorbei. Es gibt immer ein Ergebnis für alles. Aber wenn es kein Ergebnis gibt, kannst du dich nicht
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motivieren, früh aufzustehen. Diejenigen, die früh aufstehen, sind diejenigen, die wissen, was sie im Leben suchen. Aber selbst wenn du das Gleiche tust wie diese Leute, nur weil du eine Migrantin bist, ist das nichts wert. Das, was du seit acht Jahren machst, ist nichts wert. In Afrika könnte ich zumindest einen Marktstand eröffnen und Dinge verkaufen, ohne um Erlaubnis zu fragen. Hier gibt es immer Ablehnungen. Im Zentrum sagen sich die Nachbarn nicht guten Tag. Sie sind nicht böse, manchmal sind sie nett, aber du siehst sofort, wenn jemand nicht gestört werden möchte. Als ich ankam, hat man mir ein Zimmer im Flüchtlingszentrum gegeben. Damals war es noch nicht die Krise mit der Ukraine, aber es war die Krise mit den Syrern. Und alle Syrer, mit denen ich ankam, sind alle gegangen und haben eine Unterkunft gefunden. Ich wurde nur in ein anderes Heim gebracht. Das ist das dritte, in dem ich bin. Nach acht Jahren hier ist es einfacher, mich in ein anderes Flüchtlingsheim zu verlegen, als mir eine Unterkunft zu geben. Diejenigen, die eine Wohnung bekommen, haben sie verdient, ich offensichtlich nicht. Was bedeutet es, integriert zu sein? Ich habe nicht einmal eine Adresse! Ich habe schon lange um eine Wohnung gebeten und tue es immer noch. Ich war auf Immo24, aber ich habe den Punkt erreicht, an dem ich keine Antwort mehr bekomme. Manchmal antwortet man mir und schickt mir die gleiche Anzeige zurück, nur teurer. Sie wissen, dass das Jobcenter zahlen wird, also denken sie, dass du das Haus nicht verdient hast. Nach einem dreijährigen Kampf habe ich vor fast einem Jahr eine Aufenthaltsgenehmigung erhalten. Es ist wichtig, alle Seiten der Medaille zu zeigen, auch die guten. Dank dieses Aufenthaltstitels konnte ich mit einem Integrationskurs wieder zur Schule gehen. Für die Zukunft wünsche ich mir eine Wohnung und eine Ausbildung als Friseurin. Ich habe bereits in Kamerun als Friseurin gearbeitet und möchte auch in Deutschland wieder als Friseurin arbeiten.
Aline Ich habe vier Kinder, drei Mädchen und einen autistischen Jungen. Meine erste Tochter ist 25 Jahre alt und lebt in Brandenburg, meine zweite Tochter ist 19 Jahre und lebt in Berlin und ich bin hier mit meinen letzten beiden Kindern: Mein autistischer Junge ist 9 Jahre und mein letztes Mädchen ist 4 Jahre alt. Ich bin Kamerunerin und wurde in Basou geboren. Mein Papa hatte 25 Frauen und 102 Kinder. Er war ein Dorfvorsteher. Ich bin nicht zur Schule gegangen, aber ich habe in der Firma Soleil Cameroun gearbeitet, die Haarsträhnen herstellte. Ich war in der Endfertigungsabteilung. Drei meiner Kinder wurden in Douala geboren,
8. Kamerun
meine jüngste Tochter in Deutschland. In Douala lebte ich mit einem Mann, aber wir waren nicht verheiratet. Er ist auch nicht der Vater meiner Kinder. Ich hatte mir gewünscht, ein Leben wie alle anderen zu führen, auszugehen … Aber ich habe ein Problem in Kamerun bekommen, das mich zur Ausreise zwang. Mein Lebensgefährte wurde von uns in Tripolis getrennt und seitdem habe ich nichts mehr von ihm gehört. Ich konnte mir nicht vorstellen, nach Deutschland zu kommen, also wusste ich nicht, welches Leben mich hier erwarten würde. Die Reise, das war Kamerun – Nigeria – Niger – Tripolis – Italien – Schweiz – Deutschland. Ich habe die Reise mit meiner kleinen Schwester und ihren Kindern und meinen drei Kindern und meiner Enkeltochter gemacht. Ich bin vor sechs Jahren in Deutschland angekommen. Als ich in Deutschland ankam, bin ich zu den Polizisten gegangen und habe um Hilfe gebeten. Sie nahmen mich mit ins Büro und stellten mir einige Fragen. Dann bin ich in ein Zentrum in Eisenhüttenstadt gegangen, dann in das Heim in Jüterbog und schließlich nach Am Mellensee, wo ich fünf Jahre lang geblieben bin. Ich bin neu hier im Heim. Ich habe versucht, einen Deutschkurs zu besuchen, aber es war nicht einfach mit den Kindern, die zur Schule gehen. Sie kamen schon um 13 Uhr nach Hause. Also blieb ich zu Hause, um einzukaufen und den Haushalt zu machen. Aber jetzt geht meine 4-jährige Tochter nicht mehr in die Schule, weil es keinen Platz gibt. Das benachteiligt sie, weil sie nicht gut Deutsch spricht. Aber mein Junge, er geht zur Schule. Die Schule ist weit weg, also muss ich ihn jeden Tag hinbringen und abholen. Ich fahre jedes Wochenende nach Berlin zu meiner kleinen Schwester. Sie hat drei Kinder und alle ihre Kinder sprechen bereits Deutsch. Es ist also gut für meine Kinder. Meine Schwester hat eine eigene Wohnung, aber sie arbeitet noch nicht, weil ihr Sohn noch keinen Platz in der Schule hat. Im Heim habe ich nur Kontakt zu einer Kamerunerin. Ich finde, dass die Hilfe, die ich erhalte, nicht ausreichend ist, wenn es um meinen Sohn, seine Umgebung und seine Betreuung durch die Ärzte geht. In Am Mellensee hatte ich so etwas wie eine Wohnung, das war gut. Aber hier werden die Küche und die Toiletten geteilt. Und ich habe nur ein Zimmer mit einem autistischen Kind. Es gibt nicht viel Privatsphäre. Mein Sohn wird u.a. von der Schule betreut, aber die Ärzte sind in Potsdam. Es gibt eine Dame, die mir hilft, die mich abholt und mich mit meinem Sohn zu den Ärzten bringt. Für mich habe ich alles, was ich brauche, ich habe einen Anwalt … Aber die Hilfe, die ich mir wünsche, ist, dass ich näher bei meiner Schwester in Berlin sein kann. Das wäre wirklich wichtig für meine Kinder, um mit den Kindern meiner Schwester die deutsche Sprache zu sprechen und bei den Hausaufgaben zu helfen. Für mich geht die Integration in die Gesellschaft durch die Sprache. Aber ich bin nicht zum Deutschkurs gegangen und es wäre wirklich wichtig für mich, in die Schule gehen zu können, um Deutsch zu lernen. Ich würde wirklich gerne in
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die Schule gehen und Deutsch sprechen. Ich habe auch keinen Integrationskurs besucht. Ich möchte nicht mehr zu Hause bleiben, seit fast sechs Jahren bleibe ich zu Hause, aber mein Kopf kann knacken. Ich bin ein Mensch, der gerne kämpft, ich bin an diesen Lebensrhythmus nicht gewöhnt.
9. Libanon/Palästina
Yasmina Ich bin in einem Flüchtlingslager im Libanon geboren und mit 10 Jahren in eine Stadt namens Sidon gezogen. Ich bin dort aufgewachsen und habe bis zur achten Klasse die Schule besucht. Mein Leben in Sidon war angenehm, aber es gab Probleme mit dem Krieg, also habe ich 2016 die Stadt verlassen. Mein Vater ist gestorben, als ich noch jünger war, und meine Schwester ist jetzt auch in Deutschland, aber ich habe immer noch Kontakt mit meiner Familie. Meine Reise nach Deutschland hat 27 Tage gedauert. Ich bin mit einer großen Gruppe zu Fuß, mit dem Auto, dem Bus, dem Zug und dem Schiff vom Libanon nach Syrien gereist, dann weiter nach Griechenland und in die Türkei, bevor ich schließlich im Februar 2016 in Deutschland angekommen bin. Als ich hier angekommen bin, habe ich kurz meine Schwester besucht und wurde dann zu einem Flüchtlingslager in Eisenhüttenstadt geschickt. Meine Schwester lebt seit 30 Jahren hier und hat einen deutschen Pass, sie findet das Leben in Deutschland also richtig gut. Ich hingegen habe nur eine Duldung und lebe seit sechs Jahren unter der Drohung der Abschiebung. Es ist schwierig, unsere Erfahrungen zu vergleichen, weil sie so unterschiedlich sind, aber ich hatte in Deutschland viel mehr zu kämpfen als meine Schwester. Es war nie mein Plan, nach Deutschland zu kommen, aber ich wusste, dass Deutschland viel sicherer ist als andere Länder und dass die Menschenrechte hier besser geschützt sind. Deshalb bin ich überrascht, dass ich nach sechs Jahren hier immer noch den Status einer Duldung habe. Ich kann weder arbeiten noch einen Deutschkurs besuchen, also kann ich nur den ganzen Tag im Heim bleiben. Jeden Tag stehe ich früh auf, bringe meinen Sohn zur Schule, schaue nach der Post, quatsche mit dem Sozialarbeiter im Heim, gehe einkaufen, koche und warte, bis meine Familie nach Hause kommt. Tag ein, Tag aus. Das Flüchtlingsheim ist auch überhaupt nicht schön. Die Gemeinschaftsräume wie die Küche, das Bad und die Duschen sind alle schmutzig und alt. Man sollte nicht sieben Jahre lang hier leben müssen, sondern höchstens ein oder zwei Jahre. Ich hätte gerne eine eigene Wohnung, besonders wenn man bedenkt, dass ich schon so lange hier bin.
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Das Leben im Flüchtlingsheim ist sehr schwierig, weil es keine arabischen Frauen gibt, also habe ich hier keine Freunde. Einer der Sozialarbeiter hier spricht Arabisch, also unterhalte ich mich jeden Tag gerne mit ihm, aber ansonsten habe ich niemanden, mit dem ich reden kann. Es kommen und gehen so viele Leute, also ist es schwer, mit jemandem innerhalb des Heims Kontakt aufzunehmen. Seit ich hier bin, bin ich sehr einsam, und ich habe mit psychischen Problemen zu kämpfen. Ich gehe zur Therapie, aber mein Sohn muss für mich übersetzen. Ich hätte gerne Nachhilfe für meinen 14-jährigen Sohn. Ich habe auch einen Stiefsohn von meinem Mann, aber der geht hier nicht zur Schule. Mein Sohn kann gut Deutsch sprechen und hilft mir oft beim Übersetzen, aber es wäre trotzdem schön, wenn es Nachhilfe gäbe, um ihm in der Schule zu helfen. Ich will nichts für mich, nur für meinen Sohn. Ihm gefällt es hier in Deutschland und er hat viele Freunde, also möchte ich, dass er erfolgreich ist und hier Arbeit findet. Als ich den Libanon verlassen habe, wollte ich nur die Sicherheit und Zufriedenheit, die ich in Deutschland finden konnte. Jetzt, wo ich hier bin, ist mein Leben definitiv sicherer, aber es ist nicht besser. Meine psychische Gesundheit hat sich verschlechtert, und ich fühle mich kaputt, seit ich in Deutschland bin. Ich will kein soziales Geld, ich will nur arbeiten und Steuern zahlen können. Mein Mann hat gerade eine Erlaubnis bekommen, um in Teilzeit zu arbeiten, aber ich muss immer noch warten, bis ich arbeiten kann oder sogar einen Deutschkurs besuchen kann, wegen meiner Duldung. Es frustriert mich, dass die ukrainischen Flüchtlinge in ihren ersten Wochen in Deutschland so viel mehr Hilfe bekommen haben, als ich in sieben Jahren bekommen habe. Die Deutschen sollten die Flüchtlinge wie Gleichberechtigte behandeln und ihnen mehr Möglichkeiten erlauben. Ich bin dankbar, dass Deutschland mir ein neues Leben geschenkt hat, aber ich kann nichts tun. Ich wünschte nur, die Deutschen würden sich mehr um ihre Flüchtlinge kümmern.
Akilah Ich bin 33 Jahre alt und lebe jetzt seit mehr als sechs Jahren in Deutschland. Ich wohne mit meinem Mann, meiner 6-jährigen Tochter und meinem 10-jährigen Sohn in einem Übergangsheim in einer Kleinstadt in Teltow-Fläming. Wir sind Palästinenser und kommen ursprünglich aus einem kleinen Lager im Libanon. Es gab nicht mehr als vielleicht 100 Menschen im Lager, und jeder kannte jeden. Ich wohnte bei meiner Schwiegermutter; es war sehr schwierig, eine eigene Wohnung zu finden. Mein Mann hatte nicht immer Arbeit und Einkommen. Er konnte gelegentlich auf dem Bau oder als Gärtner arbeiten, aber das waren immer nur kurze Jobs. Ende 2015 haben wir beschlossen, nach Deutschland zu gehen. Ich wollte vor allem eine bessere Zukunft für meine Kinder und hatte auch im Internet gelesen, dass Frauen in Deutschland arbeiten, eine Ausbildung machen und sich eine eigene Karriere auf-
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bauen können. Ich selbst bin bis zur neunten Klasse zur Schule gegangen und habe auch ein Jahr lang eine Ausbildung zur Sekretärin gemacht. Aber ich hätte gerne meine Ausbildung fortgesetzt und auch gearbeitet. Natürlich hoffte auch mein Mann, in Deutschland Arbeit zu finden. Wir hatten im Jahr 2015 gehört, dass es einfacher sei, nach Deutschland auszuwandern. Wir haben einen Menschenschmuggler bezahlt. Zuerst fuhren wir in die Türkei und dann auf einem überfüllten Gummiboot nach Griechenland. Ich hatte große Angst, dass das Boot leckschlagen würde und wir ertrinken würden. Es dauerte nur eine Stunde, aber in meiner Erinnerung ist es eine Ewigkeit. In Griechenland waren wir eineinhalb Tage in einer Polizeizelle. Wir bekamen nur Wasser und einige Kekse. Danach konnten wir plötzlich gehen. Wir fuhren mit Taxis, Bussen und Zügen durch den Balkan, bis wir in Deutschland ankamen. Wir waren hauptsächlich nachts unterwegs und ich kann mich nicht mehr an viel erinnern. Mein Sohn war 4 Jahre alt und meine Tochter, die ich die ganze Zeit an mich gedrückt habe, war noch ein Baby. Insgesamt dauerte die Reise 13 Tage. Es war sehr schwer. Ich habe viel geweint. Ich weiß nicht mehr, wo ich die Grenze in Deutschland überquert habe. Aber das erste Flüchtlingslager, an das ich mich erinnere, war Eisenhüttenstadt. Wir waren dort etwa sechs Wochen lang. Und seither leben wir hier im Containerdorf. Wir haben zwei kleine Zimmer für uns vier. Wir teilen uns die Toilette, die Dusche und die Küche mit allen anderen Bewohnern. Dies ist nicht immer einfach. Jeder kocht anders, und der Geruch all der anderen Speisen ist manchmal unangenehm. Wir kochen und essen nie zusammen. Wir essen in unseren eigenen Zimmern. Die Container sind aus Eisen und im Sommer ist die Hitze oft unerträglich. Im Libanon sind wir etwas gewöhnt, aber unsere Häuser dort sind nicht aus Eisen. Der Gesundheitszustand meines Mannes hat sich in den letzten Jahren verschlechtert. Er durfte nicht arbeiten, weil unser Status – wir hatten keine Papiere – nicht geklärt war. Da er nachts nicht schlafen kann, tut er dies hauptsächlich tagsüber. Er raucht viel zu viel und trinkt ununterbrochen Kaffee. Er ist ständig mit seinem Handy beschäftigt und sieht sich Filme und YouTube an. Er ist deprimiert, und das belastet uns natürlich alle. Wir sind alle traurig. Nach langer Suche fanden wir einen Therapeuten für ihn in Berlin, aber dann stellte sich heraus, dass er nur in Brandenburg therapiert werden durfte. Das hat mit der Versicherung zu tun. Danach hatte mein Mann keine Lust mehr. Er will auch nicht mehr Deutsch lernen. An einem Tag sagt er, dass er es tun wird, am nächsten Tag hat er dazu keine Kraft. Das Beste für ihn wäre, wenn er eine Arbeit hätte. Das würde Struktur in sein Leben bringen. Aber gleichzeitig glaube ich nicht, dass er in seinem jetzigen Zustand sofort wieder arbeiten kann. Er braucht zuerst Hilfe. Seit sieben Jahren hat er nichts mehr getan. An einem Tag sagt er, dass er gerne arbeiten würde, und am nächsten Tag sagt er, dass er sich nicht mehr dazu bringen kann. Die letzten beiden Jahre waren sehr schwierig, weil Corona die Kinder lange Zeit daran hinderte, zur Schule oder in die Kita zu gehen. Wir waren zu viert in den bei-
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den kleinen Zimmern. Zu bestimmten Zeiten, als viele Leute Corona hatten, durften wir unsere Zimmer nur verlassen, um auf die Toilette und unter die Dusche zu gehen. Wir mussten in den Zimmern kochen. Die Räume wurden dann immer kleiner. Ich musste den Kindern bei den Hausaufgaben helfen, die wir von der Schule über das Internet erhalten hatten. Die Container sind aus Eisen, daher ist der Empfang sehr schlecht. Ich musste mein Handy in die Nähe des Fensters oder aus dem Fenster halten, um überhaupt Empfang zu haben. Außerdem habe ich die Aufgaben auf Deutsch oft nicht verstanden und musste sie mit einer App übersetzen, bevor ich den Kindern erklären konnte, was von ihnen verlangt wurde. Wenn wir keine Hausaufgaben gemacht haben, haben wir ferngesehen. Die Langeweile, die erzwungene Untätigkeit, ist sehr hart. In dem Lager ist inzwischen fast jeder dreimal geimpft worden. Der Chef hat keinen Druck auf uns ausgeübt. Er erklärte uns, was die Impfung ist, und riet uns, uns impfen zu lassen. Wir haben um Bedenkzeit gebeten, und dann haben wir es fast alle getan. Das Problem mit unserer Einrichtung ist, dass man niemanden isolieren kann. In anderen Lagern gibt es dafür gesonderte Räume oder Gebäude. Bei uns konnten sie die Leute nur in ihren Zimmern einsperren, aber da sie sowieso auf die Toilette und in die Dusche mussten, wurden alle angesteckt. Das geschah mit Omikron, dann wurde jeder infiziert. Wenn die Schule geöffnet ist, bringe ich die Kinder morgens zur Schule. Dann putze ich, wasche, kaufe ein, koche und alles andere. Ich bin auf mich allein gestellt. Ich helfe auch den anderen Bewohnern bei der Übersetzung. Ich spreche besser Deutsch als die meisten und gehe deshalb mit, wenn sie etwas mit dem Chef, der Schule, der Kita oder den Behörden zu besprechen haben. Wann immer ich Zeit habe, gehe ich gerne draußen spazieren. Früher habe ich auch viel gejoggt. Meine Lieblingsbeschäftigung ist Radfahren. Das ist toll. Das ist mein Hobby. Entlang des Wassers und in den Wäldern ist es wunderschön. Wir haben viel Hilfe von einem deutschen Freiwilligen erhalten. Ich kann Brigitte jederzeit anrufen. Auch die Lehrer an der Schule sind sehr nett. Ich habe auch keine Probleme mit dem Heimleiter. Ich habe keine deutschen Freunde, und mein Mann schon gar nicht. Wir haben Angst vor den Ausländerbehörden. Jedes Mal, wenn wir dorthin mussten, konnten wir die Nacht davor nicht schlafen. Obwohl wir immer einen Termin haben, müssen wir oft zwei Stunden oder länger im Wartezimmer warten. Das verursacht immer mehr Stress. Das kann ich nicht verstehen. Die Menschen sind sehr unfreundlich. Es ist schon vorgekommen, dass sie, während wir uns unterhielten, eine halbe Stunde lang mit jemand anderem am Telefon über etwas anderes sprachen. Aber dank Corona brauchten wir nicht mehr dorthin zu gehen. Alles wurde schriftlich erledigt. Das war eine große Erleichterung. Ich trage ein Kopftuch, und manchmal kommentieren die Deutschen das. Auf der Straße oder im Zug machen sie aggressive Bemerkungen und beleidigen mich,
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sogar vor meinen Kindern. Ich glaube, das ist für sie das Schlimmste. So etwas tut man nicht, finde ich. Die Kinder nehmen alles auf. Mein Deutsch ist gut geworden. Ich beherrsche es fast auf dem B2-Niveau. Jeden Montag und Donnerstag lerne ich mit Ines B2 aus dem Lehrbuch und wenn ich damit fertig bin, werde ich in Berlin eine Prüfung ablegen. Mir wurde gesagt, dass es für mich einfacher ist, eine Ausbildung zu machen, wenn ich B2 habe. Meine Kinder sprechen jetzt fließend Deutsch und helfen mir, mein Deutsch zu verbessern. Mein Mann ist immer noch auf Stufe A2. Wir haben nach einem Deutschkurs für ihn in Berlin gesucht, aber die sind zu teuer. Da wir keinen Reisepass haben, haben wir eine geringere Unterstützung erhalten. Mein Mann und ich erhalten beide 170 € pro Monat. Es ist kein Geld mehr für einen Deutschkurs übrig. Da wir nur eine »Duldung« haben, dürfen wir nicht an den regulären Kursen teilnehmen. Die Kinder sind gut in der Schule. Meine Tochter ist sehr fröhlich und offen. Leider hat sie Asthma und erkältet sich sehr oft. Mein Sohn ist jedoch sehr schüchtern und findet es schwierig, sich einzufügen. Manchmal spielen sie mit anderen Kindern auf dem Spielplatz. Ab und zu werden sie eingeladen, bei Klassenkameraden zu spielen. Diese oder andere deutsche Kinder waren noch nie im Lager. Das ist auch nicht erlaubt. Ich selbst habe ein Praktikum in der Kita gemacht. Die Leute wollten, dass ich bleibe, und ich habe auch sehr gerne dort gearbeitet. Aber da unser Status nicht geklärt ist, durfte ich nicht weitermachen. Ich möchte eine Ausbildung zum Sozialassistenten machen. Dann kann ich in der Kita oder als Altenpflegerin arbeiten. Das würde ich gerne tun. Wir beantragten einen palästinensischen Pass beim palästinensischen Konsulat in Berlin. Der Sozialarbeiter sagte, sobald wir dieses Dokument haben, können wir arbeiten oder eine Ausbildung machen. Das Antragsverfahren dauert sechs Monate. Wir warten jetzt auf sie. In zwei weiteren Monaten werden wir die Ergebnisse erfahren. Wir wissen nicht, wie groß die Chance ist, dieses Dokument zu erhalten, und worauf genau die Entscheidung beruhen wird. Sie haben uns gesagt, dass sie auch dagegen entscheiden können, aber wir wissen nicht, warum sie das tun sollten. Wir müssen abwarten und sehen. Mein Mann hat zwei Brüder, die in Deutschland leben. Der eine ist mit einer arabischen Frau verheiratet, die einen deutschen Pass hat. Deshalb kann er hier leben und arbeiten. Er hat keine Probleme und kann alles machen. Der andere Bruder war von Anfang an in Berlin und nicht in Brandenburg. Wir wissen nicht warum, aber nach zwei Jahren hat er alle Papiere bekommen und darf arbeiten. Das ist in Berlin anders als in Brandenburg. Wir verstehen nicht, warum. Wir haben viele Bekannte in Berlin, und für sie ist es anders. Sie bekommen zum Beispiel einen Ausweis für zwei Jahre, wir aber nur für zwei Monate. Ich weiß nicht, warum. Es ist ja nur Zufall, dass wir in Brandenburg und nicht in Berlin sind.
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Hans Blokland: Migrationspolitik auf der Flucht
Seit kurzem dürfen wir uns ein eigenes Häuschen suchen. Wir ziehen es vor, in der Kleinstadt zu bleiben, in der wir jetzt sind. Die Kinder würden es nicht mögen, wenn wir woanders hingehen würden. Mein Sohn hat lange geweint, als wir ihm sagten, dass wir vielleicht an einen anderen Ort ziehen werden. Aber es ist schwer, hier etwas zu finden. Alles ist so teuer. Wenn es jedoch keine andere Möglichkeit gibt, werden wir an einen Ort ziehen, an dem die Mieten niedriger sind. Das Wichtigste ist jetzt, dass wir endlich unser eigenes Zuhause haben und nicht mehr in den Containern leben müssen. Dann können wir beide anfangen zu arbeiten und etwas für uns und die Kinder aufbauen.
10. Marokko
Karina Ich komme aus Nord-Marokko, aber ich bin vor einigen Jahren nach Libyen gezogen. In meiner Stadt in Marokko dürfen Frauen nicht zur Schule gehen, deshalb konnte ich nie richtig lernen. Ich kann immer noch nicht lesen und schreiben. Ich wurde mit 13 Jahren gezwungen zu heiraten, und blieb mit diesem Mann zehn Jahre lang zusammen. Wir haben die ganze Zeit versucht, Kinder zu bekommen, aber es hat nie geklappt, und mein Mann hatte kein Geld, um die notwendigen medizinischen Methoden zu bezahlen, die ich brauchte, um Kinder zu bekommen. Da wir keine Kinder bekommen konnten und ich ihn sowieso nicht liebte, haben wir uns nach zehn Jahren getrennt. Meine Mutter wollte, dass ich in Marokko bleibe und wieder heirate, um zu versuchen, Kinder zu bekommen, aber das wollte ich nicht. Stattdessen haben wir ausgemacht, dass ich nach Libyen gehen würde, um einen Job zu finden, und dann würde ich meiner Mutter regelmäßig etwas Geld nach Hause schicken. In Libyen arbeitete ich als Putzfrau. Aber es war hart, denn ich verdiente nicht viel Geld und musste trotzdem jeden Monat etwas nach Hause schicken. Dort lernte ich meinen zweiten Mann kennen, und schließlich konnte ich mit der Hilfe einer künstlichen Befruchtung Kinder bekommen. Ich habe zwei Kinder bekommen; Zwillinge. Als sie noch sehr klein waren, begann der Krieg in Libyen. Wir beschlossen, Libyen wegen des Krieges und weil wir kein Geld hatten, zu verlassen. Also sind wir im Jahr 2020 nach Deutschland gekommen. Ich wollte eigentlich nicht nach Deutschland kommen, aber wir mussten es für unsere Sicherheit tun. Wir sind mit einem Boot gereist, wir waren zwölf Personen auf dem Boot, insgesamt drei Tage lang. In diesen Tagen haben wir überhaupt nichts gegessen, und ich dachte, wir könnten sterben. Ich wollte nicht sterben. Es tut mir leid, ich kann nicht über diese Zeit sprechen. Mein Mann lebt in einem anderen Heim in dieser Region. Er darf nicht mehr bei uns wohnen, weil er mich und die Kinder einmal geschlagen hat. Das war ein einziges Mal und jetzt ist alles wieder in Ordnung. Ich verstehe nicht, warum sie ihn nicht wieder bei uns einziehen lassen; ich brauche ihn.
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Hans Blokland: Migrationspolitik auf der Flucht
Das Leben im Heim ist sehr, sehr schwierig. Die Kinder sind jetzt 4 Jahre alt, und sie haben immer noch keinen Kita-Platz bekommen. Ich kann nichts tun, weil ich mich immer um die Kinder kümmern muss. Die Kinder sind hier sehr unglücklich, denn sie haben keine Möglichkeit, mit anderen zu spielen. Deshalb haben sie auch Probleme mit der Sprache; sie haben niemanden, mit dem sie sprechen können. Die Kinder können noch nicht richtig sprechen, weder Deutsch noch Arabisch, weil wenn sie reden, beschweren sich die anderen Leute im Heim, dass sie zu laut sind. Meine Kinder haben keine Freiheit im Heim. Wenn sie versuchen zu spielen, beschweren sich die anderen Mütter, dass sie zu laut sind, und ich kann nichts dagegen tun. Es gibt ein Kind aus Afghanistan, das manchmal mit ihnen spielen kann, aber das passiert nicht sehr oft. Es gibt auch keinen Spielplatz. Die Kinder langweilen sich einfach. Wenn wir eine Art Kinderbetreuung im Heim hätten, wäre das eine große Hilfe. Vor allem, weil es keine Kita-Plätze gibt. Die Frau, die im Heim arbeitet, sagt, dass die Kinder bald einen Kindergartenplatz bekommen werden, aber ich glaube das nicht … Die Arbeiter im Heim machen uns immer wieder Hoffnung, sagen uns, dass wir einen Deutschkurs oder einen Kindergartenplatz bekommen werden, aber das sind nur leere Worte. Es gibt viele Probleme hier im Heim, und es würde helfen, wenn es andere Kinder gäbe, mit denen meine Kinder spielen könnten. Das Teilen der Küche mit den anderen Heimbewohnern ist auch sehr schwierig und es gibt oft Streit, aber niemand versucht, eine echte Lösung zu finden. Ich unterhalte mich manchmal mit den Frauen aus dem Irak, aber nicht sehr oft, und ich wünschte, ich hätte mehr soziale Interaktionen. Ich habe keinen Kontakt zu Deutschen, also werde ich auch nicht diskriminiert, aber es ist einsam. Ich mag es, dass es in Deutschland sicher ist, aber ich bin unglücklich, weil ich immer noch kein Deutsch sprechen kann und es gerne möchte, aber wegen der Kinder kann ich keinen Kurs besuchen. Mein Mann war mal in einem Deutschkurs, aber jetzt nicht mehr. Keiner von uns kann Deutsch sprechen. Ich habe in Deutschland einen Duldungsstatus, das heißt, ich könnte jederzeit eine Abschiebung bekommen. Mein Mann und meine Kinder haben eine Gestattung, aber ich nicht, weil die Ausländerbehörde meine Geschichte nicht geglaubt hat. Ich habe im Februar Widerspruch gegen meinen Duldungsstatus eingelegt und warte nun auf eine Entscheidung. Ich lebe ständig in der Angst, dass ich eine Abschiebung erhalte und Deutschland verlassen muss, während meine Kinder hier bleiben.
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Fidvi Ich bin seit acht Jahren in Deutschland und seit drei Jahren hier im Heim. Davor war ich zunächst in Eisenhüttenstadt und dann viele Jahre an einem anderen Ort in Teltow-Fläming. Ich wurde 1978 im Punjab in Pakistan geboren. Ich bin zehn Jahre lang zur Schule gegangen, habe dann als Küchenhilfe in einer Bäckerei und einem Restaurant gearbeitet und danach als Auslieferer für eine Apotheke. Ich bin verheiratet und habe zwei Kinder, eine 9-jährige Tochter und einen 12-jährigen Sohn. Ich habe sie nicht mehr gesehen, seit ich Pakistan verlassen habe. Acht Jahre ist eine lange Zeit. Ich spreche ab und zu mit ihnen über WhatsApp. In Pakistan war es gefährlich und es gab keine Arbeit, also beschloss ich, nach Deutschland zu kommen. Zuerst ging ich in den Iran, dann in die Türkei, nach Bulgarien, Ungarn und schließlich nach Deutschland. Die Reise dauerte insgesamt zwei oder drei Monate, ich kann mich nicht mehr genau erinnern. Der Plan war, dass irgendwann auch meine Frau und meine Kinder mitkommen würden. Wir würden hier eine bessere Zukunft haben. Ich würde Arbeit haben und meine Kinder könnten eine gute Schule besuchen. Ich habe einen Asylantrag gestellt, dem jedoch nicht zugestimmt wurde. Deshalb habe ich Berufung eingelegt. In der Zeit, in der das Asylverfahren lief, konnte ich arbeiten. Ich war wieder eineinhalb Jahre lang Küchenhilfe in einer Bäckerei. Es war harte Arbeit, aber die Bezahlung war besser als in Pakistan. Ich habe einen Monat lang Deutschunterricht gehabt. Ich spreche jetzt ein wenig Deutsch [etwa A2Niveau – HTB], weil ich viel zugehört habe, wenn Leute untereinander Deutsch gesprochen haben. Mein Einspruch im Asylverfahren wurde ebenfalls abgelehnt und seitdem habe ich eine »Duldung«, so dass meine Abschiebung aufgeschoben wurde. Allerdings darf ich weder arbeiten noch zur Schule gehen. Das geht nun schon seit vier Jahren so. Seit vier Jahren habe ich fast nichts mehr getan. Ich schlafe, ich koche, ich esse, ich mache etwas Schwarzarbeit, ich gehe spazieren und ich schaue YouTube. Früher habe ich mit Freunden Kricket gespielt, aber seit ich hier bin, mache ich das auch nicht mehr.
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Übrigens, das Essen in Pakistan ist anders als in Deutschland. Wir kochen andere Sachen. Am liebsten esse ich selber Huhn mit Reis. Ich bin ausreisepflichtig, aber ich kann nicht reisen, weil ich keine Papiere habe. Ich habe die pakistanische Botschaft um einen Reisepass gebeten. Ich warte jetzt auf sie. Dann wäre ich in der Lage zu reisen. Aber wenn ich Papiere habe, kann ich vielleicht wieder arbeiten. Ich habe keinen Anwalt, aber die Diakonie berät mich. Auch sie sehen keine Lösung. Ich muss warten. Vielleicht ändern sich die Dinge, zum Beispiel beginnt ein Krieg, und dann bekomme ich vielleicht eine Erlaubnis. Ich möchte auf jeden Fall hierbleiben. In Deutschland ist alles gut, zumindest viel besser als in Pakistan. Es ist friedlich. Das Essen und die Getränke sind gut. Man kann hier arbeiten. Wenn sich Menschen streiten, kann man die Polizei rufen, und sie kommt. In Pakistan kommt die Polizei nur, wenn jemand gestorben ist. Ich brauche eine Arbeitserlaubnis und dann kann ich arbeiten. Ich habe keine Papiere. Ich möchte arbeiten und dann meine Kinder zu mir holen. Ich habe nichts in Pakistan. Meine Mutter und mein Vater sind tot. Meine Schwester auch. Hier in der Unterkunft ist alles schmutzig. Die Küche, die Toiletten, die Bäder, alles ist schmutzig. Es krabbelt Ungeziefer herum. Niemand macht richtig sauber. Besonders an den Wochenenden, wenn der Chef nicht da ist, ist es hier ein Chaos. Ich habe keine Probleme mit anderen Menschen, weder im Heim noch außerhalb mit deutschen Menschen. Das Leben ist hier in Ordnung. Ich brauche eine Arbeitserlaubnis. Menschen aus Pakistan und Bangladesch kommen hierher, um zu arbeiten. Das ist das Wichtigste.
Shireen Ich bin in Pakistan aufgewachsen, in einer Ecke des Stadtgebiets von Karatschi. Ich saß jeden Tag eineinhalb Stunden im Bus, um zur Schule zu fahren, denn meine Eltern glaubten nicht an eine lokale Schule. Stattdessen schickten sie meine Geschwister und mich auf eine christliche Schule, die am anderen Ende der Stadt lag. Es wurde erwartet, dass wir in der Schule gut abschneiden würden, weil meine Eltern so viel in uns investierten. Wir sollten es zurückzahlen, aber nicht in Form von Geld, denn sie sind ohnehin schon stinkreich. Was meine Eltern stattdessen von mir wollten, war, dass ich eine nette, kleine, gehorsame Tochter bin und meinen Cousin heirate. Meine Familie ist seit mehr als 1300 Jahren inzestuös, weil sie glaubt, dass wir Nachkommen des Propheten Mohammed sind und dass wir die Blutlinien nicht vermischen sollten. Daher sind meine Eltern Cousins. Meine Geschwister und ich sollten das auch tun. Meine beiden Schwestern sind mit zwei Cousins verheiratet, und eine meiner Schwägerinnen ist die Schwester einer der Cousins. Einer meiner Brüder ist mit meiner anderen Cousine zusammen. Ich weiß nicht, ob ich es richtig
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erkläre; vielleicht wäre es einfacher, ein Venn-Diagramm zu zeichnen, wer mit wem verbunden ist, und in der Mitte wäre ein großer Haufen Scheiße. Von mir wurde auch erwartet, dass ich meinen Cousin heirate, aber ich konnte es nicht tun. Ich bin mit diesem Kerl aufgewachsen, und er sieht genauso aus wie mein Bruder! Es war, als wäre mein ganzes Leben für mich aufgeschrieben worden: Wenn ich diese Regeln befolge, würde meine Familie mir die beste Ausbildung geben, mich zum Studieren ins Ausland schicken und mich sogar Jeans tragen lassen. Aber als man von mir erwartete, dass ich heiraten würde, sagte ich mir: Ich bin raus, und ich kam nach Deutschland. Ich war 2015 zum ersten Mal in Deutschland, um Finanz- und Rechnungswesen zu studieren. Ich hatte bereits einen Abschluss an einer Wirtschaftsschule in Karatschi gemacht und eine Zeit lang in einer Bank gearbeitet, aber ich kam hierher, um meinen Master zu machen. Am Anfang war es ein gutes Gefühl, hier zu studieren. In Pakistan ist es ein Albtraum, wenn man auf die Straße geht – vor allem, wenn man so gekleidet ist wie ich. Selbst wenn man normal gekleidet ist, wird man oft angestarrt. Als ich hierherkam, kümmerte sich jeder um seine eigenen Angelegenheiten, und ich dachte: Das ist mein persönliches Paradies. Mein ganzes Leben lang wollte ich unsichtbar sein, und endlich war ich es. Allerdings konnte ich wegen der Sprachbarriere keine Arbeit finden, also begann ich, Deutsch zu lernen. Ich habe zwar das B1-Niveau erreicht, aber ich glaube, mein Niveau liegt eher bei A1, denn ich habe nur so viel gelernt, dass ich die Prüfung bestanden habe. Es hat also nicht geklappt, und ich hatte immer noch Schwierigkeiten, einen Job zu finden, nachdem meine Lebenshaltungskosten aufgebraucht waren. Schließlich bekam ich einen Job bei einer Restaurantkette, aber der Chef sagte, er könne meine Arbeit nicht als Teilzeitbeschäftigung angeben, weil er mich dann mehr bezahlen müsste. Er hat mir nur 100 € im Monat bezahlt, was für ihn eine großartige Möglichkeit war, Geld zu verdienen, weil es im Grunde eine Manipulation von Arbeitern war. Ich hätte das nicht tun sollen, aber ich habe es getan. Ich habe mir eingeredet, ich würde ein Semester aussetzen, viel Geld verdienen und dann zurück zum Studium gehen. Aber so hat es natürlich nicht funktioniert. Am Ende arbeitete ich dort sieben Monate lang, und am Ende hatte ich gerade genug gespart, um mein Rückflugticket zu kaufen. Gleichzeitig bekam ich gesundheitliche Probleme, und da ich allein lebte, wurde mein Leben immer einsamer und schwieriger. Mein Vater sagte mir, dass er mein Rückflugticket nach Pakistan bezahlen könnte, da ich mit der Sprache und der Integration in Deutschland zu kämpfen hatte. Er sagte, dass er mich nach meiner Rückreise nach Großbritannien zu meinen Geschwistern schicken würde, die alle mit ihren Ehepartnern dorthin gezogen waren. Er hat jedoch nicht erwähnt, dass ich nach meiner Rückkehr nach Pakistan gezwungen sein würde, meinen Cousin zu heiraten, und dass er uns dann beide nach Großbritannien schicken würde. Aber dann begann die Pandemie und verhinderte die Hochzeit, und ich war fast ein Jahr lang auf mein Haus beschränkt. Ich konnte über-
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haupt nicht rausgehen, und ich war sicher, dass mein Visum für Deutschland ablaufen würde, bevor ich ausreisen durfte. Als die Reisebeschränkungen aufgehoben wurden, habe ich mir von Freunden, die mir zur Flucht verhelfen wollten, eine Menge Geld geliehen und bin nach Deutschland zurückgekehrt. Ich hatte Glück, denn ich kam am 14. August zurück, und mein Visum sollte am 25. September ablaufen. Bevor ich angekommen bin, hat eine Freundin für mich ein Zimmer im Studentendorf Schlachtensee gemietet. Das Gebäude war nicht sehr schön, denn es sollte eigentlich renoviert werden, aber die Pläne wurden verschoben, aber zu diesem Zeitpunkt war ich so verzweifelt, dass ich überall hinziehen würde, wo es Heizung und Wasser gab. Nach meinem Einzug habe ich einige meiner Freunde in Berlin gefragt, wie das Verfahren zur Beantragung von Asyl Schritt für Schritt ablaufen würde. Sie sagten mir, dass es wahrscheinlich ein langer und schwieriger Prozess sein würde, aber dass die Erfahrungen bei jedem anders sind. Also habe ich angefangen, alle meine Unterlagen für den Asylantrag zusammenzusuchen. Ich besorgte mir einige Briefe von meinen Freunden in Pakistan und der Menschenrechtskommission und beantragte in Berlin Asyl. Das Ministerium in Berlin führte ein kurzes Gespräch mit mir und sagte mir, dass sie mich nach Brandenburg schicken würden, damit ich dort und nicht in Berlin registriert werden könnte. Ich wusste nicht, wo das Lager war, aber sie haben mir eine Karte und eine Fahrkarte mit einem Zeitstempel gegeben, wann ich am Hauptbahnhof sein sollte. Ich bin dorthin gefahren und landete in Eisenhüttenstadt, einem Lager fast an der polnischen Grenze. Ich blieb zwei Monate lang in Eisenhüttenstadt. Mein zweites Vorstellungsgespräch fand dort statt, und es dauerte mehr als sieben Stunden. Das liegt wahrscheinlich daran, dass ich viel rede, aber sie haben mich auch nicht von dem Gespräch weggelassen. Während ich in Eisenhüttenstadt war, hatte ich immer wieder Albträume, in denen ich im Flugzeug zurück nach Pakistan saß, aber ich hatte keinen Pass und musste dort festsitzen. Diese Albträume habe ich manchmal immer noch, sie stammen noch aus meinem Jahr in der Quarantäne, als ich so sicher war, dass ich in Pakistan festsitzen würde. Aber wenn ich im Lager erwachte, fühlte ich mich so gut. Das Zimmer dort war nur halb so groß wie das Zimmer, das ich in Pakistan hatte, aber ich fühlte mich darin so viel besser. Aus menschlicher Sicht habe ich diese Zimmer gehasst, weil sie viel zu klein waren, aber ich habe versucht, mich weniger auf die guten Dinge zu konzentrieren, die ich zurückgelassen habe, sondern mehr auf das, was mir wichtig war. Und ich habe bekommen, was mir wichtig war. Als meine Vorstellungsgespräche Ende November vorbei waren, wurde ich zu einem anderen Lager geschickt. Dort blieb ich etwa eineinhalb Monate und wartete auf das Ergebnis meines Vorstellungsgesprächs. Das Essen dort war viel besser als das in Eisenhüttenstadt, und die Lebensbedingungen waren ziemlich gut. Als ich dort ankam, wurde ich mit fünf anderen Personen isoliert, um sicherzustellen, dass wir kein Corona hatten, und das war sehr lästig. Nach der Quarantänezeit konnte
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ich jedoch in ein Zimmer einziehen, das ich mit nur zwei Personen teilte, und meine Mitbewohner waren sehr nett. Am 9. Februar wurde ich nach Rangsdorf geschickt, und eine Woche später erhielt ich die Nachricht, dass mein Asylantrag genehmigt worden war! Mein Sozialarbeiter sagte, er habe noch nie erlebt, dass es so schnell ging; innerhalb von sechs bis sieben Monaten war das gesamte Verfahren für mich abgeschlossen. In drei Jahren muss ich erneut einen Asylantrag stellen, aber in der Zwischenzeit kann ich meinen europäischen Reisepass benutzen. Jetzt bin ich seit über einem Jahr in Rangsdorf. Ich komme aus einer sehr großen Stadt, und ich habe Angst vor zu vielen Menschen, deshalb kann Berlin für mich zu überwältigend sein. Niedergörsdorf ist toll, denn wenn ich auf der Straße gehe, schaut niemand hin. Außerdem ist es im Vergleich sehr sauber. Je kleiner die Stadt, je kürzer die Gebäude, desto besser ist es für mich. Ich fühle mich ruhiger, obwohl ich aus einem großen kosmopolitischen Gebiet komme. Hier gibt es einen Verein zur Unterstützung von Flüchtlingen, und die Damen dort sind sehr nett. Durch diesen Verein habe ich eine Freundin gefunden, mit der ich mich sehr gut unterhalten kann, weil sie aus Kanada stammt. Im Moment leitet sie ein Theaterprojekt, und ich arbeite dort ehrenamtlich mit. Es gibt hier einen Verein für Freiwillige, und die haben früher viele Programme durchgeführt. Früher gab es donnerstags ein Programm, ein Frühstück für Frauen, wo man sich traf und über seine Probleme sprach. Es war wie ein Chat-Club, aber sie haben auch sehr viel geholfen. Es gibt auch viele Programme für jüngere Flüchtlinge, die ihnen zeigen, was sie mit ihrem Leben anfangen können. Ich kenne nicht viele ihrer Programme, weil ich nicht viel unternehme und ein ziemlich unsozialer Mensch bin. Sie organisieren einen Kleiderladen, und das Oberteil, das ich jetzt trage, habe ich dort gekauft. Außerdem veranstalten sie jedes Jahr zu Beginn des Sommers ein großes Sommerfest. Wegen Corona haben sie es Ende September veranstaltet, und alle haben gefroren. Als das Essen serviert wurde, war es schon so dunkel, dass es eher ein bisschen nach Gefühl funktionierte: Das fühlt sich an wie Kebab, das fühlt sich an wie Glas, das sollte man wahrscheinlich nicht essen. Aber es war sehr schön, und das war das erste Mal, dass ich die netten Leute vom Flüchtlingshilfeverein getroffen habe. Früher war ich hier in einem Deutschkurs, aber im Moment bin ich es nicht. Im Januar habe ich einen Kurs auf A2-Niveau gemacht, aber ich musste eine Pause machen, weil es mir gesundheitlich nicht gut geht. Der Arzt hat eine Menge Tests gemacht: Darmspiegelung, Schilddrüsentests und so weiter. Jeden Tag musste ich mir freinehmen, weil ich entweder zum Arzt musste oder so müde war, dass ich nicht zum Unterricht gehen konnte. Ich war zwar gut in der Klasse, aber das lag daran, dass ich B1 bereits in der Vergangenheit gemacht hatte, also habe ich nichts Neues gelernt. Die Leute in meiner Klasse, Gott segne sie, dachten, ich wäre wirklich fleißig, und deshalb fühlte ich mich wie ein Betrüger. Ich gehörte nicht wirklich dazu,
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denn alle anderen bemühten sich, und sie lernten zum ersten Mal, also hatte ich das Gefühl, dass ich nicht hier sein sollte. Ich habe den Zugang zu diesem Kurs über das Jobcenter erhalten. Anfangs wollte ich keinen richtigen Sprachkurs beginnen, sondern mich lieber nach einem Job umsehen. Aber man sagte mir, dass das ohne die Sprache sehr schwierig wäre. Ich spreche bereits vier Sprachen, also will ich keine fünfte lernen, aber ich muss mich integrieren, also wird es so sein. Zuerst sagte man mir, ich solle hier eine Berufsausbildung machen, aber dann hat mir ein anderer Sozialarbeiter davon abgeraten, weil ich bereits einen Bachelor-Abschluss in Wirtschaft habe. Man sagte mir, ich solle mich stattdessen auf die Sprache konzentrieren, um einen Job zu finden. Es ist also alles durcheinander, und es gibt keinen klaren Ansatzpunkt. Was mir an Rangsdorf gefällt, ist, dass es für Flüchtlinge besser ist, sich in einer kleineren Stadt wie dieser zu integrieren, als in Berlin, wo niemand seinen Nachbarn kennt. Aber hier kennt jeder jeden, es ist wie ein kleines Dorf. Das gefällt mir, auch wenn ich nicht viel unternehme. Ich mag das Gefühl, Teil von etwas zu sein, denn wenn man so weggeht, wie ich weggegangen bin, habe ich alles verlassen. Meine Familie, meine Freunde, ich habe keine Zukunftsaussichten. Ich kann niemals zurückkehren. Wenn ich hierherkomme, ist es, als wäre ich ein neugeborenes Baby, aber jetzt bin ich in meinen 30er Jahren, also muss ich die Beziehungen wieder aufbauen und die Lücken füllen. Wenn man seine früheren Beziehungen wegwerfen muss, entstehen dadurch Risse. Es ist nicht so, wie wenn die Leute sagen: »Oh, es war so toxisch, und ich bin so erleichtert, dass ich da rausgekommen bin.« Nein, so funktioniert das nicht. Die toxischen Beziehungen hinterlassen sehr schlechte Spuren. Man kann nicht alleine leben, man braucht Menschen und man braucht Hilfe. In dieser Hinsicht ist Niedergörsdorf gut. Meine Probleme in Rangsdorf liegen nicht bei den Menschen, mit denen ich zusammenlebe, sondern bei den Sozialarbeitern, die eigentlich die Verantwortung tragen sollten. Wenn die Leute Probleme mit ihren Nachbarn haben, ist das in Ordnung, weil wir ja auf gleicher Ebene sind, wir können es untereinander ausfechten und regeln. Wir leben alle dort, wir müssen es irgendwie hinkriegen. Aber wenn es ein Problem mit der Leitung gibt, dann sind wir nicht auf gleicher Ebene, und das ist für mich das größte Problem. In meinem Lager hatten wir früher einen deutschen Sozialarbeiter. Jetzt haben wir eine andere Sozialarbeiterin, und sie war vor 15 Jahren selbst ein Flüchtling. Manchmal sagt sie wirklich ausländerfeindliche Dinge, und sie merkt es nicht, aber sie kommt damit durch, weil sie selbst ein Flüchtling war. Wenn der vorherige Sozialarbeiter so gehandelt hätte wie sie, hätte er es keine zwei Tage ausgehalten. Es gibt mehrere Probleme mit ihr. Erstens merkt sie nicht, dass sie die Leute einschüchtert, weil sie eine Machtposition hat. Zweitens, wenn man etwas erwidern will, kann man das nicht tun, weil sie es nicht versteht. Und selbst wenn man es schafft, kann das Ergebnis alles Mögliche sein, von einem finste-
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ren Blick bis hin zu Kleinlichkeit auf Teenagerniveau. Aber man kann nicht kleinlich reagieren, weil sie das Sagen hat. Ich werde Ihnen ein Beispiel geben. Letzten Monat hatten wir einen lokalen Corona-Ausbruch. Ein Mädchen hat sich in ihrer Schule angesteckt, und in unserem Lager sind alle geimpft, aber wir mussten trotzdem die Vorschriften befolgen und die Leute trennen. Wir haben ein WC für Frauen und Kinder und eins für Männer. In jedem WC gibt es zwei Kabinen, und sie sagte uns, wir sollten die Infizierten in die eine Kabine stecken und die Nicht-Infizierten in die andere. Ich fragte die Sozialarbeiterin: »Wozu soll das gut sein? Wir leben in einer Metallbox, das sind doch nur Kabinen, in denen alle die gleiche Luft atmen, und es ist ein Virus, das durch die Luft übertragen wird, das macht doch keinen Sinn.« Als ich sie fragte, sagte sie: »Was soll ich denn tun?« Ich sagte ihr, dass wir zwei WCs haben und sie eine für Infizierte und die andere für Nicht-Infizierte machen sollte. Wenn die Leute ein Problem mit geschlechtsspezifischen Toiletten haben, dann sollten sie eine Toilette für Frauen einrichten und die zwei, drei Männer in unserem Korridor bitten, die Toiletten im anderen Gebäude zu benutzen. Natürlich hat sie nichts getan, und dann ist sie nach Hause gegangen. 25 Leute haben Corona bekommen, was nicht anders zu erwarten war. Ich meine, das ist doch ganz selbstverständlich! Die Frage war nicht, ob man Corona bekommt, sondern wann man Corona bekommt. Und sehr viele haben es bekommen. Aber sie hat nur gesagt, dass wir drinnen bleiben sollten, jeder sollte drinnen bleiben. Das war die einzige Anweisung, die wir bekamen, aber wir hatten kein Essen. Was soll ich denn essen, die frisch gestrichenen Wände? Ich bin dreimal geimpft worden, es wäre doch vernünftig, die Toiletten abzutrennen, mich kurz testen zu lassen und in den Supermarkt zu gehen, um Lebensmittel zu kaufen. Aber sie sagte, nein, niemand dürfe nach draußen gehen. Also haben die Leute angefangen, die Regeln zu brechen. Wenn die Leute hungrig sind, werden sie rausgehen. Es war nicht so, dass sich die Menschen hier nicht an die Regeln halten wollten, sondern sie versuchten es, vor allem diejenigen mit kleinen Kindern. Keiner wollte krank werden, aber die Regeln waren unmöglich zu befolgen. Es ging nicht nur um das Essen; was, wenn ich zum Beispiel meine Tage bekommen würde? Wie würde ich mich versorgen? Was sollte ich tun, nur ein T-Shirt falten? Es gab niemanden, mit dem man über diese Probleme sprechen konnte. 24 Stunden lang versuchten wir, die Notrufnummern der Corona Task Force zu erreichen. Die Telefonleitungen funktionierten nicht. Wir haben eine Flüchtlingshilfegruppe, die besteht aus einigen netten Leuten aus Niedergörsdorf, und sie helfen Flüchtlingen bei der Bürokratie, beim Ausfüllen von Dokumenten oder bei der Integration. Sie sind gekommen, und als wir ihnen die Situation im Bad gezeigt haben, haben zwei dieser netten Damen einen Haufen Schnelltests für uns gekauft. Sie haben uns gesagt, die Leute sollen die Schnelltests machen und dann für andere Leute einkaufen gehen. Wenn man
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das sagt, klingt es sehr einfach. Aber ich kann nicht so viele Sachen tragen, schon gar nicht für eine Familie. Es herrschte Chaos. In diesen Tagen machte gar nichts mehr Sinn, eine ganze Woche lang. Der Wachmann sagte uns, er hätte den mündlichen Auftrag erhalten, niemanden nach draußen gehen zu lassen, aber ich musste etwas zu essen holen. Ich habe ihm gesagt: »Ich gehe jetzt nach draußen, was wollen Sie dagegen tun?« Er sagte, er würde wegschauen, aber er bat mich, seinen Namen niemandem gegenüber zu erwähnen, weil er seinen Job verlieren könnte. Ich dachte nur, wie kann man seinen Job verlieren, wenn man Leuten erlaubt, nach draußen zu gehen und zu essen? Aber so ist es nun mal. Nach fünf Tagen ohne schriftliche Anweisungen und ohne Hilfe klopfte es an der Tür und alle kamen heraus. Endlich passierte etwas. Der Wachmann kam mit einer anderen netten Dame, die uns sagte, wir könnten eine Liste mit Lebensmitteln machen, und die Chefs würden sie besorgen. Ich dachte mir, endlich, die Engel sind gekommen! Aber als wir ihnen die Liste sechs bis sieben Stunden später übergaben, sagten sie uns, nein, das sei nur für die Leute, die einen positiven Test gemacht haben. Ich war also weder hier noch dort. Ich konnte keine Hilfe bekommen, weil ich nicht an Corona erkrankt war, aber ich konnte mir selbst nicht helfen, weil ich das Lager nicht verlassen konnte. Wenn ich nicht die Regeln gebrochen oder das Lager nicht verlassen hätte, wäre ich verhungert. Da es keine schriftliche Anweisung gab, wussten wir nicht einmal, wie lange wir bleiben mussten. Irgendwann waren die Schnelltests zu Ende. Das Dilemma war dann, dass ich nach draußen gehen wollte, aber nicht konnte, weil ich keinen Schnelltest hatte. Wenn ich rausgehen würde, könnte ich den Test kaufen und ihn machen. Es war also ein Teufelskreis aus Inkompetenz, schierer Inkompetenz. Was mich erstaunt, ist, dass die beteiligten Personen – das Sicherheitspersonal und eine Sozialarbeiterin – nur meine Kontaktperson zu den höheren Verantwortlichen sind. Ich kann mich den ganzen Tag über das Verhalten der Sozialarbeiterin beschweren, aber in dieser Situation war es nicht ihre Schuld, denn sie hatte nicht die nötigen Ressourcen, um für den Nachschub zu sorgen. Es ist ja nicht so, dass sie rausgehen und aus eigener Tasche etwas für uns kaufen kann. Ich möchte genau wissen, wer dafür verantwortlich war. Mir war es egal, ob ich krank wurde; ich lebe allein, für mich wäre es wie eine Grippe, und ich würde wieder gesund werden. Aber Leute mit Kindern! Damals gab es richtig große Kämpfe mit den Sozialarbeitern. Es gab ein ständiges Geschrei, man dachte, der Himmel stürzt ein. Ich bin rausgegangen, und da war eine kranke Frau, die die Sozialarbeiterin angeschrien hat, und ich habe versucht, ihr aus dem Weg zu gehen, aber der Flur war eng, und man konnte nirgendwo hingehen. Die kranke Frau hustete, und ihr Kind war 3 Jahre alt. Irgendwann muss sie rausgehen. Sie bekam weder etwas zu essen noch sonst irgendwas, und sie konnte sich nicht in ihrem Zimmer ohne Bad isolieren. Ich weiß nicht, was
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hätte passieren sollen, aber ein schriftliches Protokoll mit allgemeinen Vorschriften war notwendig. Meine Freundin im Lager erzählte mir, dass es im Jahr 2020, bevor ich dort war, auch einen lokalen Ausbruch von Corona gab. Der andere Sozialarbeiter war damals im Einsatz, und das erste, was er getan hat, war, die Toiletten zu trennen. Er sagte auch, dass die Menschen mit Corona nicht dieselbe Küche benutzen durften, also wurden ihnen Kochplatten zur Verfügung gestellt, die sie in ihren Zimmern benutzen konnten. Es ist also gar nicht so schwer, damit umzugehen, man muss nur Sinn haben und Empathie zeigen. Bei Empathie geht es nicht darum, was man tun würde, wenn man an der Stelle der anderen Person wäre, denn wir konnten nichts tun. Bei Empathie geht es darum, was man an der Stelle der anderen Person fühlen würde. Die derzeitige Sozialarbeiterin ist eindeutig nicht in der Lage, sich in die Gefühle einer anderen Person einzufühlen. Stattdessen schreit sie die Leute an und geht dann um 17 Uhr nach Hause und schläft. Wir anderen können nicht um 17 Uhr aufhören, hier zu leben. Wenn man wie sie in einer Machtposition ist, muss man sich fragen: Was würde passieren, wenn ich nicht nach Hause gehen könnte? Das ist nicht nur Inkompetenz und ein Fehlen von gesundem Menschenverstand, es ist auch ein Fehlen von Empathie. Das ist nur ein Beispiel. Die Art und Weise, in der die Sozialarbeiterin mit ihrer Macht umgeht, ist für mich nichts Neues; ich habe dieses Szenario mein ganzes Leben lang in meinem Heimatland gesehen. Vielleicht ist mein Schockniveau deshalb zu hoch, aber selbst für mich ist es zu seltsam. Die meiste Zeit ist es mir zum Beispiel egal, ob jemand schreit. Aber wenn ich vor die Tür gehe und sehe, wie eine Frau, die nicht einmal lesen oder schreiben, und schon gar nicht Deutsch sprechen kann, von der Sozialarbeiterin vor ihren Kindern angeschrien wird, dann macht mich das wütend. Das Kind kann nicht verstehen, was da passiert, und fängt an zu weinen. Und die Sozialarbeiterin fragt das Kind: »Warum weinst du?« Es ist ein Kind, und Sie schreien seine Mutter an, natürlich wird es weinen, es versteht nicht, was passiert. Auch wenn ich keine Kinder habe, das gehört doch zum gesunden Menschenverstand. Das ist eine erwachsene Frau, die so etwas zu einem Kind sagt. Ich fühle mich aus zweiter Hand beschämt. An einem Tag hat die Sozialarbeiterin an alle Türen geklopft und alle in der frisch renovierten Küche versammelt. Sie zeigte auf einen Fleck an der Wand und sagte: »Wer hat diesen Fleck an der Wand gemacht? Es ist mir egal, wer ihn reinigt, macht ihn einfach sauber.« Ich bin in einer Familie aufgewachsen, in der wir ein VollzeitHausmädchen, Fahrer und Wachmänner hatten. Bis ich 26 war, habe ich kein einziges Geschirr gespült. Das ist eine sehr peinliche Sache; ich gebe es nicht als etwas Gutes zu, ich möchte nur darauf hinweisen, dass es uns – selbst in diesem bourgeoisen Leben – nicht erlaubt war, mit unseren Helfern oder Dienern auf diese Weise zu sprechen. Wir wären bestraft worden, wenn wir so mit jemandem gesprochen hätten. Und sie hat so mit uns gesprochen. Ich koche nicht einmal in der Küche, ich
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kaufe nur mein Essen, ich komme in mein Zimmer und esse es. Es war mir egal, wer den Fleck gemacht hat, aber ich war froh, dass es jemand getan hat, denn diese Frau hat den Verstand verloren, und es war so amüsant, ihr zuzusehen. Man bekommt eine wirklich bittere Art von Freude. Es ist fast wie Schadenfreude, aber das ist nicht ganz der richtige Ausdruck, denn am Ende des Tages darf sie nach Hause gehen und wir nicht. Das ist es also nicht wert. Der vorherige Sozialarbeiter, den wir hatten, hat sich auch oft mit den Leuten gestritten, aber der Unterschied war, dass man bei ihm wusste, dass es auf gleicher Augenhöhe passierte. Alle waren gleichberechtigt. Man konnte sich bei ihm bedanken, er bedankte sich ebenfalls, und am nächsten Tag lachte man wieder zusammen. Ich hatte nie ein Problem mit ihm, aber mit dieser neuen Sozialarbeiterin ist es anders. Sie ist so herablassend, wie sie Dinge sagt und tut. Ich habe in Deutschland schon einige Male indirekte Xenophobie erlebt, aber keine absichtliche Xenophobie. Manchmal versuchen die Leute vielleicht, nett zu sein, aber sie klingen dann doch unangenehm. Wenn mir jemand sagt: »Du bist so mutig«, dann sage ich nicht, dass das Ausländerfeindlichkeit ist, aber es ist trotzdem falsch, denn mit Mut hatte das nichts zu tun. Ich war privilegiert. Ich weiß, dass es Millionen von Menschen gibt, die ihr Land verlassen wollen, aber nicht können, und das liegt nicht daran, dass sie nicht mutig sind. Sie meinen es also gut, aber das zu sagen, ist nicht richtig. Die Leute machen mir oft Komplimente, aber sie tun es, indem sie jemand anderen beleidigen. Ich bin eine Ex-Muslimin, aber ich werde niemals eine Frau beurteilen, die ihren muslimischen Glauben behält und sich weiterhin so kleidet, wie sie will, nachdem sie hier angekommen ist. Ich bin nicht besser als sie, also sollten die Leute nicht so tun, als wäre ich schlauer als sie, nur weil sie mit meiner Denkweise einverstanden sind. Die Menschen sollten lernen, ihre Gedanken für sich zu behalten und sie immer und immer wieder in ihrem Kopf zu wiederholen, bevor sie sie laut aussprechen. Ich wünschte, dass mehr Deutsche wüssten, dass niemand absichtlich etwas falsch macht. Wenn man denkt, dass die Flüchtlinge etwas falsch machen oder dass sie sich nicht genug in das System integrieren, dann sollte man wissen, dass das nicht ihre Absicht ist. Es gibt hier viele Probleme, die aufeinander aufbauen, und die Flüchtlinge sind diejenigen, die am wenigsten Macht haben, also ist es nicht fair, ihnen die Verantwortung zu übertragen. Eine Sache, die hier im System fehlt, ist eine Art von Verantwortlichkeit. Wer ist dafür verantwortlich, dass die Dinge gut laufen? Dieses ganze Durcheinander hat mich etwas desillusioniert, was das System angeht. Vielleicht funktioniert die Bürokratie so. Aber es muss eine Verantwortung geben, damit so etwas beim nächsten Mal nicht mehr vorkommt. Es zeigt, dass es große Probleme im System gibt, denn wenn die Verwaltung so gleichgültig gegenüber Flüchtlingen sein kann, dann wird es wieder passieren und sie werden weiterhin ungestraft davonkommen. In der gesamten Mechanik des Systems muss es also irgendwo eine Lücke geben. Irgend-
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jemand hat seine Arbeit nicht gemacht, und ich möchte genau herausfinden, wer. Ich weigere mich zu glauben, dass diese Probleme absichtlich entstehen. Der Corona-Schlamassel war nicht mit Absicht entstanden. So sehr ich die Sozialarbeiterin auch nicht leiden kann, kann ich doch mit Sicherheit sagen, dass die Dinge anders gelaufen wären, wenn sie ihren Chef so angeschrien hätte, wie sie ihre Flüchtlinge anschreit. Sie soll eine Sozialarbeiterin sein, das verblüfft mich. Ich bin von Beruf Bankerin, ich kann so herzlos sein, wie ich will. Aber sie sollte doch ein Herz haben. Vielleicht arbeitet sie in der falschen Karriere. In Harry Potter sagt Dumbledore: »Gleichgültigkeit ist manchmal schlimmer als reiner Hass.« Ich bin mir sicher, dass diese Art von Gleichgültigkeit niemals toleriert werden würde, wenn sie sich gegen Deutsche richten würde. Die Menschen kommen mit diesem Verhalten nur ungestraft davon, weil es um Flüchtlinge geht. Im Moment bin ich auf der Suche nach einem Job und einer Wohnung außerhalb des Lagers. Wenn ich einen Job habe und mich selbst versorgen kann, kann ich aus Brandenburg wegziehen, da ich nirgendwo anders wohnen kann, wenn ich auf das Geld des Jobcenters angewiesen bin. Im Moment nehme ich jede Arbeit an, die nicht durch die Sprache eingeschränkt ist, solange ich damit meine Rechnungen bezahlen kann. Zuerst muss es mir körperlich besser gehen, denn mein Gesundheitszustand ist im Moment sehr schlecht, aber ich würde gerne wieder in eine Routine zurückkehren. Früher habe ich meinen Job in der Buchhaltung und im Finanzwesen gehasst, denn solche Jobs saugen einem die Seele aus dem Leib. Man wird zu einer Zahl, und man fängt an, die Menschen nur noch als Zahlen zu betrachten. Aber im Moment würde ich jeden Job annehmen, nur um mich wieder normal zu fühlen, nur um das Gefühl zu haben, dass ich tatsächlich ein funktionierender Mensch bin. In der Zukunft würde ich gerne eines Tages ein eigenes Restaurant besitzen. Kochen ist für mich sehr therapeutisch, und jedes Mal, wenn ich ein gutes Essen genießen kann, fühle ich mich sofort dankbar für mein Leben. Ich würde gerne mehr im Flüchtlingslager kochen, aber es ist zu viel los, weil so viele Leute die Küchen benutzen. Aber immer, wenn ich bei einer Freundin in Berlin bin, koche ich als Erstes, weil es mir so viel Spaß macht. Ich würde auch gerne ein bedeutungsvolles Leben finden, in dem Sinne, dass ich mich mehr um das Allgemeinwohl kümmern kann und in der Gesellschaft etwas produktiver sein kann, um etwas zu bewirken. Es beunruhigt mich, wie viel Leidenschaft ich verloren habe, seit ich in Deutschland bin. Ich glaube, meine Erfahrungen in Deutschland haben mich im Allgemeinen zu einem egoistischeren Menschen gemacht. In Pakistan war ich sehr aktiv, und ich hatte verschiedene Themen, über die ich geschrieben habe; ich hatte einen Blog. Nachdem ich hierhergekommen bin, bin ich sehr passiv geworden. Manchmal bekomme ich schwere Anfälle von Überlebensschuld, aber danach bin ich passiver und lebe einfach mein Leben. Diese Veränderung gefällt mir nicht. Ich möchte zu den Zeiten zurückkehren, in denen ich mich mehr um die Dinge kümmerte und bestimmte Themen mit mehr Leidenschaft anging. Mit der Sozialarbeiterin zum Bei-
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spiel habe ich kein Problem, und ich kann sie überleben. Ich brauche nicht zu kämpfen. Wenn ich sehe, wie sie andere Menschen schlecht behandelt, erschaudere ich einfach. Aber das ist nicht gut. Vielleicht werden die Frustrationen mit meiner Sozialarbeiterin den Kampfgeist in mir zurückbringen. Eine Sache, die mich hier zurückhält, ist eine Art von Depression. Es ist nicht wirklich eine Depression, aber es ist schwer zu erklären. Nachdem ich mich so sehr um einen Job bemüht habe und daran gescheitert bin, hatte ich das Gefühl, dass ich vielleicht das Problem bin, dass ich keinen Job verdiene. Ich denke, dass die Menschen deshalb weniger kritisch miteinander umgehen sollten, insbesondere mit Flüchtlingen. Flüchtlinge haben oft diese ständige Selbstkritik in sich. Wir sind schon in dieser Position, dass wir uns weniger wert fühlen und nicht in diese Gesellschaft passen, und wir fangen an, uns zurückzuhalten. Hier in Deutschland sollen alle gleich sein, also gibt es keinen anderen, dem man die Schuld geben kann. Wir denken, dass wir das Ziel, nach Deutschland zu kommen, wo wir alle Rechte haben, erreicht haben, aber in Wirklichkeit müssen wir weiter kämpfen, und wir halten uns in diesem Kampf zurück. Aber diesen inneren Kampf kann man von außen nicht sehen, und deshalb sollten die Menschen mehr Mitgefühl mit allen haben, aber besonders mit den Flüchtlingen.
12. Sierra Leone
Joyce Ich bin in Nigeria geboren, aber ich habe als Baby das Land verlassen. Ich weiß also nicht, wie das Leben dort war. Meine Familie ist nach Sierra Leone gezogen, als ich noch sehr klein war, und ich bin dort etwa zehn oder elf Jahre lang geblieben. Ich bin also in Sierra Leone aufgewachsen in den Flüchtlingslagern, und dort konnte ich nicht zur Schule gehen, also konnte ich auch keine Ausbildung machen. Ich bin von meinen Eltern in Sierra Leone weggelaufen und nach Italien geflohen, wo ich mit meinem Mann und zwei Kindern in einem Flüchtlingslager in Apulien gelebt habe. Mein Mann hat versucht, dort zu arbeiten, aber es war schwer, Arbeit zu finden und die Löhne waren niedrig. Wir wollten aus dem Lager ausziehen, aber die Miete war zu hoch. Also sind wir nach Deutschland gekommen, weil wir gedacht haben, dass es hier mehr Arbeit geben würde. Wir sind Mitte 2017 zum ersten Mal in Deutschland angekommen und wurden nach Eisenhüttenstadt geschickt. Sie haben unseren Asylantrag abgelehnt und uns hierher, in ein neues Lager, geschickt. Wir haben gegen die Entscheidung Berufung eingelegt, aber sie haben sie erneut abgelehnt, also haben wir keine Dokumente. Ich habe vor zwei Jahren die Erlaubnis erhalten, in Deutschland zu bleiben, aber wegen der Kinder konnte ich noch nicht arbeiten oder einen Deutschkurs besuchen. Meine Kinder müssen einen Kitaplatz bekommen, damit ich Zeit habe, zu arbeiten oder einen Deutschkurs zu besuchen. Meine Älteste geht hier zur Schule, und sie mag ihre Schule und hat dort Freunde. Deshalb würde ich gerne meine beiden anderen Kinder in der Kita anmelden, aber ich kann keinen Platz für sie bekommen. Unser Hauptproblem ist im Moment, dass wir keine Wohnung bekommen können. Das Leben im Heim ist nicht so gut. Ich habe hier keine Freunde, weil die meisten Leute im Heim kein Englisch sprechen. Meine Kinder haben ein paar Freunde, aber das Spielzimmer ist jetzt seit zwei Jahren wegen Corona geschlossen. Also müssen sie in unserem Zimmer spielen, aber unser Zimmer ist sehr klein. Es ist sehr schwer, alle zusammen in einem Zimmer zu leben. Es ist zwar besser als das Leben auf der Straße, aber wir würden trotzdem gerne ausziehen, weil wir kleine Kinder haben. Aber im Moment können wir nichts tun, weil wir keine Wohnung finden, die
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wir uns leisten können. Mein Mann besucht jetzt einen Deutschkurs und arbeitet in einem Restaurant. Er hat auch einen Schweißnachweis aus unserer Zeit in Italien, aber er braucht ein Sprachniveau von B1. Im Moment kann er nur den Deutschkurs besuchen, damit er irgendwann Arbeit finden kann. Ich würde auch gerne einen Deutschkurs besuchen, damit ich arbeiten kann. Ich nehme jede Arbeit an, die mir hilft, für meine Kinder zu sorgen. Ich glaube, dass ich hier in Deutschland glücklich werden kann, wenn wir in eine neue Wohnung ziehen und ich einen Kurs besuchen kann. Bis jetzt war es hier sehr schwer. Mein Sohn ist 2018 verstorben, und das war ein sehr dunkler Moment für mich. Ich konnte hier einen Psychologen aufsuchen, und seitdem ist es etwas besser geworden, aber ich sitze immer noch hier fest. Ich habe keine Wohnung, ich habe keine Schule, ich habe keinen Job. Ich muss nur einen Kurs besuchen können, dann wird alles besser. Das ist meine Chance, endlich zur Schule zu gehen. Wenn ich zur Schule gehen könnte, könnte ich mir vorstellen zu arbeiten und unabhängig zu sein. Das ist mein Wunsch. Ich möchte ein anderes Leben führen.
13. Syrien
Yaqout Ich wurde in Homs, Syrien, in eine kleine Familie geboren – es gab nur mich und meine beiden Schwestern. Ich ging dort zur Schule und machte mein Abitur. Zu diesem Zeitpunkt hatte der Krieg in Syrien begonnen und fast alles in meiner Heimatstadt war zerstört. Ich zog nach Hama, einer Stadt in der Nähe, um an einer privaten Universität zu studieren, während der Rest meiner Familie in Homs blieb. Als ich jünger war, wollte ich Schauspieler werden, aber es war schwierig, an den Theaterschulen in Syrien angenommen zu werden, da die Aufnahmeprozesse während des Krieges sehr korrupt sein konnten. Also beschloss ich, statt Theater Architektur zu studieren, weil es mir Spaß macht, etwas aus dem Nichts zu entwickeln und mein Werk vor mir zu sehen. Ich wollte schon immer etwas Avantgardistisches kreieren – etwas, das aus der Reihe tanzt. Als ich 2017 mein Studium abgeschlossen hatte, versuchte ich, einen Job in Syrien zu finden, denn eigentlich gefiel es mir dort, wo ich vorher lebte. Aber es war zu schwierig, Arbeit zu finden oder auch nur irgendeine Ausbildung im Bereich Architektur zu machen, weil während des Krieges alles zerstört wurde. Also suchte ich nach einem Stipendium, um in Europa zu studieren, obwohl es als Syrer sehr schwierig ist, ein Studienvisum zu bekommen. Nach vielen Bewerbungen und Prüfungen schaffte ich es, ein Visum zu bekommen, um in Budapest Architektur zu studieren. Im Jahr 2019 kam ich in Ungarn an und begann mein Studium. Am Anfang hatte ich Heimweh und vermisste meine Familie, denn es ist sehr schwer, in einer anderen Kultur einen Neuanfang zu machen. Aber nach sechs Monaten habe ich mich in Budapest verliebt, weil ich Freunde an der internationalen Schule hatte und es nicht teuer war. Man kann dort eine Menge Geld verdienen und ein warmes Schwimmbad oder ein türkisches Bad genießen. Leider begann die Pandemie nur ein Jahr nach meiner Ankunft in Budapest. Ich habe meinen Job im Restaurant verloren, und konnte mir den Aufenthalt in Budapest nicht mehr leisten. Ich hatte einen Freund hier in Deutschland, mit dem ich zusammen an der Universität studiert hatte, also rief ich ihn an und fragte ihn, ob ich eine Weile bei ihm bleiben könnte, während ich nach Arbeit suchte. Er stimmte zu und
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sagte mir, dass ich für zwei Monate bei ihm wohnen konnte. Ich freute mich auf die Reise nach Berlin, weil ich viel Gutes über die Stadt gehört hatte, aber als ich Budapest verließ, hatte ich ein ungutes Gefühl. Als sich die Türen des Zuges am Hauptbahnhof öffneten, dachte ich: Oh mein Gott, das ist nicht Berlin. Ich zog bei meinem Freund ein, aber nach nur einer Woche sagte er mir, ich würde mir eine andere Unterkunft suchen müssen. Ich blieb noch eine Woche bei einem anderen Freund, aber ich hatte das Gefühl, dass keiner Zeit für mich hatte, und ich wollte nicht noch eine Freundschaft verlieren, indem ich dort wohnte. Da alle Geschäfte wegen der Pandemie geschlossen waren und ich hier keine Arbeit finden konnte, beschloss ich, Asyl zu beantragen. Am 14. Juli 2020 bin ich zu einer Organisation in Berlin gegangen, bei der man sein Asylverfahren beginnen kann. Die Mitarbeiter dort fragten nicht, warum ich Asyl beantragte, sondern verlangten nur meinen Reisepass und meine persönlichen Daten. Dann sagten sie mir, dass ich in einem bestimmten Gebäude wohnen müsste und verschiedene Gesundheitstests und Impfungen bekommen müsste, während ich warte, um zu erfahren, in welchem Flüchtlingslager ich untergebracht werden würde. Einigen wurde gesagt, sie sollten in Berlin bleiben, andere in München. Ich hatte nicht so viel Glück, denn mir wurde gesagt, ich müsste nach Eisenhüttenstadt gehen; einer Stadt in der Nähe der polnischen Grenze. Ich sammelte mein Gepäck aus der Wohnung meines Freundes, habe gegessen und geduscht. Ich stieg um 19 Uhr in den Zug und kam um 21 Uhr in Eisenhüttenstadt an. Der letzte Bus vom Bahnhof zum Lager war um 20:45 Uhr. Es war dunkel, und es war niemand zu sehen. Ich habe versucht, einen Uber oder ein Taxi zu finden, aber es gab nichts in meiner Nähe. Ich dachte: Oh mein Gott. Was soll ich nur tun? Nach 45 Minuten sah ich ein Taxi. Ich pfiff ihm zu, und er ist zu mir gekommen, aber er sprach kein Englisch. Ich versuchte, mit meinem Handy zu übersetzen, aber die Verbindung war in dieser Gegend zu schlecht. Er sagte: »Camp! Camp!«, und ich sagte: »Ja, Camp!« So konnte ich mit dem Taxi zum Lager fahren, aber diese Gegend ist sehr teuer, also musste ich viel Geld für das Taxi bezahlen. Als ich endlich am Lager in Eisenhüttenstadt ankam, klingelte ich an der Tür. Ich sagte dem Personal: »Das sind meine Unterlagen von der Regierung. Ich möchte einen Asylantrag stellen.« Die Frau im Lager sagte: »Okay, aber der Sicherheitsdienst ist nicht da, also müssen Sie bis zum Morgen warten. Wir werden Sie für die Nacht in einem Zimmer unterbringen. Warten Sie kurz hier.« Nach 30 Minuten begann sie, mich etwas über meine Bewerbung zu fragen. Ich erklärte ihr, dass ich zu müde war, um Fragen zu beantworten, und dass ich nur noch duschen und schlafen wollte. Deshalb brachte sie mich in ein Einzelzimmer und ich konnte endlich schlafen. Als ich morgens aufwachte, hatte ich Hunger und wollte etwas essen, aber ich hatte nichts dabei. Also habe ich versucht, zum Supermarkt zu gehen, aber die Frau sagte mir, dass ich in Quarantäne sei und mein Zimmer nicht verlassen durfte. Ich musste auf mein Essen im Zimmer warten, und es schmeckte furchtbar. Nach drei
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Tagen musste ich einen Corona-Test machen und konnte dann ins Hauptgebäude einziehen. Dort habe ich mein Asylverfahren begonnen, indem ich einen Ausweis für Asylbewerber bekam, mit dem ich ausschließlich in Brandenburg und Berlin reisen durfte. Danach musste ich in meinem Zimmer warten, bis ich Briefe von der Regierung bekam, in denen der Termin für meine Asylanhörung festgelegt wurde. Ich blieb in Eisenhüttenstadt von Mitte Juli bis Ende August, als ich meinen Anhörungstermin hatte und nach Wünsdorf verlegt wurde. Ich musste in Wünsdorf warten, bis die Regierung eine Entscheidung über meinen Antrag getroffen hatte. Diese Entscheidung hätte lauten können, dass der Antrag abgelehnt wurde und ich Deutschland in 15 Tagen verlassen müsste. In der ersten Woche in Wünsdorf passierte nichts. Wünsdorf war sauberer als Eisenhüttenstadt, aber es war sehr schwierig, mit der Leiterin dort in Kontakt zu kommen. Ich habe ihr gesagt, dass ich Englisch sprechen konnte und ihr bei Übersetzungen helfen konnte. Ich habe mit ihr zusammengearbeitet, aber es war keine richtige Arbeit. Ich bekam nur 1 € pro Stunde, aber ich hatte ja sonst nichts zu tun in dieser Zeit. Ich durfte das Lager nicht länger als 48 Stunden verlassen, sonst würde ich wieder in Quarantäne gesteckt werden, und ich wollte nicht dort bleiben, ohne etwas zu tun. Also fing ich an, mit den anderen Übersetzern und dem Wachpersonal in der Mensa zu arbeiten. Ich habe dabei geholfen, die Schlange zu organisieren oder Essen für hilfsbedürftige Menschen wie Kinder oder alte Menschen auszugeben. Ich war wie ein Freiwilliger mit einem kleinen Gehalt. Ich konnte ein Einzelzimmer in Wünsdorf bekommen, weil ich auch in Eisenhüttenstadt als Übersetzer für das Rote Kreuz gearbeitet hatte. Ich sagte der Leiterin von Eisenhüttenstadt bei meiner Abreise, dass ich gerne ein eigenes Zimmer hätte, und sie hat dann in Wünsdorf angerufen, um mir ein Einzelzimmer zu besorgen. Irgendwann hat der Mann, der für die Organisation der Aktivitäten im Lager zuständig war, zu mir gesagt: »Yaqout, ich möchte ein Picknick machen oder wir können zu einem Museum gehen in Berlin. Willst du mit mir gehen?« Ich sagte ihm, dass ich gerne mitkommen würde, und wir organisierten eine Gruppe, die gemeinsam zum Museum ging. Als ich danach wieder in meinem Zimmer war, öffnete ich das Fenster und schlief ein. Mitten in der Nacht habe ich mich im Schlaf umgedreht und war schockiert, als ich feststellte, dass jemand durch das Fenster in meinem Zimmer eingebrochen war, mein Geld gestohlen hatte und auf meinem Bett stand. Ich fing an zu schreien und er rannte weg. Ich versuchte, ihm zu folgen, aber er war sehr schnell. Ich habe sofort den Wachdienst informiert, aber niemand hat die Polizei angerufen. Ich durfte die Polizei nicht selbst anrufen, weil ich auf den Sozialarbeiter warten musste. Also sprach ich am folgenden Tag mit dem Sozialarbeiter. Er sagte mir, dass er mich in 30 Minuten in meinem Zimmer treffen würde, aber es kam niemand. Ich habe noch einmal mit ihm gesprochen, und er sagte mir, dass wir die Polizei nur per E-Mail informieren können und ich auf den Termin bei der
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Polizei warten müsste. Aber ich habe die Person nur von hinten gesehen, und sein Gesicht habe ich nicht erkannt, weil es zu dunkel war. Deshalb passierte nichts, und mein Geld war weg. Es war eine furchtbare Zeit. Meine Depressionen verschlimmerten sich, und ich bekam Albträume, also begann ich, den Psychologen im Lager zu besuchen. Jede Woche habe ich mir gesagt: Okay, du bist stark. Du kannst das schaffen. Du brauchst nur Zeit, dann wird alles gut. Aber Wünsdorf war ein sehr gefährlicher Ort. Es gab dort viele verschiedene Leute und eine Menge Drogen, Alkohol und Streit. Wir lebten alle im Sturm, und wir konnten nur versuchen, uns selbst zu retten und den Sturm zu überleben. Jede Woche sagte ich: »Okay, nächste Woche werde ich versetzt. Nächste Woche werde ich versetzt.« Aber weil es während Corona war, blieb ich dort vier Monate lang. Anfang Dezember wurde ich endlich von Wünsdorf nach Wandlitz versetzt. Wandlitz war zwar eine schöne Gegend, aber das Wohnheim war sehr alt. Die Toilette war kaputt und das Zimmer war schmutzig. Es war schwer, im Zimmer irgendetwas zu finden, das funktionierte. Ich habe sogar versucht, ein Hotel für diese Nacht zu finden, aber es war zu teuer und es war schon spät am Abend. Am nächsten Tag habe ich mit meinen beiden Mitbewohnern alles geputzt, aber es war immer noch sehr schmutzig. Gleich am ersten Tag in Wandlitz habe ich angefangen, ein WG-Zimmer oder eine Wohnung zu suchen. Im März erhielt ich einen Brief vom BAMF, in dem stand, dass sie mich zwar anerkennen, aber nicht als Asylbewerber. Sie würden mich zwar annehmen, aber nur für jeweils ein Jahr, und ich müsste meinen Aufenthalt jedes Jahr verlängern. Ich musste einen Anwalt bezahlen, um Widerspruch einzulegen, und ich warte immer noch auf die Entscheidung, weil der Prozess in Deutschland sehr lange dauert. Im Mai tauchte im Internet ein Angebot für ein Zimmer in einem Dorf fünf Minuten von Wandlitz entfernt auf. Zu diesem Zeitpunkt hatte ich mich bereits bei vielen anderen Wohnungen beworben. Dieses Zimmer sah gut aus, aber ich dachte mir, dass der Vermieter mich nicht nehmen würde. Trotzdem schickte ich ihm die Bewerbung und schaltete mein Handy aus. Nach 15 Minuten hatte ich eine Nachricht. Er fragte mich nach meinem Pass und meinem Zertifikat, warum ich kein Deutsch spreche, was ich in der Zukunft machen möchte und so weiter. Nachdem ich geantwortet hatte, sagte er mir, ich sollte ihm Zeit zum Nachdenken geben. Das lag wahrscheinlich daran, dass er wusste, dass ich aus einem Flüchtlingslager kam und dass es eine gefährliche Gemeinschaft war. Nicht alle Bewohner des Lagers waren gefährlich, aber wenn es eine schlechte Person gab, konnte das einen schlechten Eindruck von dem Lager hinterlassen, der sich auf alle Bewohner auswirkte. Nach einem Monat des Wartens habe ich ihn gebeten, mir mitzuteilen, ob er mir das Zimmer überlassen wollte, da ich meinem Lager eine 14-tägige Frist geben musste. Nach zehn Tagen schickte er mir den Vertrag per E-Mail.
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Ich wohne jetzt in dieser Wohnung. Das Zimmer ist sehr schön, und der Mann ist ein guter Mensch. Aber in dem kleinen Dorf gibt es nur ein Altersheim und ein Krankenhaus, deshalb ist es sehr selten, dass man andere junge Leute trifft. Am Anfang habe ich mir gesagt, dass es in Ordnung ist, weil es immer noch ein Fortschritt gegenüber dem Wohnheim in Wandlitz ist. Aber in Wandlitz hatten wir wenigstens einen Bahnhof. In diesem Dorf haben wir nur eine Bushaltestelle, und der letzte Bus fährt um 20:30 Uhr. Also hört mein Leben um 20:30 Uhr auf. Um 17 Uhr ist kein Mensch mehr auf der Straße. Als ich in Niella ankam, habe ich mir gesagt, dass es in Ordnung ist, weil es nur eine vorübergehende Wohnsituation ist. Trotzdem verschlimmerte sich am Anfang meiner Zeit dort meine Depression. Außerdem war es schwierig, jemanden zu finden, der mir helfen konnte, und ich musste alles selbst herausfinden. Selbst wenn ich andere Leute fragte, wussten sie nichts oder wollten nicht helfen. Also hatte ich nur mein Handy, meinen Laptop und mein Englisch. Ich begann zu recherchieren und suchte nach einer deutschen Schule. Ich kaufte mein Bett, meine Matratze, meinen Schreibtisch, einfach alles. Ich begann, nach irgendeiner Art von Arbeit zu suchen. Das war sehr schwierig, denn alle Unternehmen in Berlin oder Brandenburg sagten mir, meine Voraussetzungen seien perfekt, aber ich müsse Deutsch sprechen, und die Sprachschule, die ich gefunden hatte, fing erst im Oktober an. In den stressigen Monaten, in denen ich zwischen den Lagern hin- und hergezogen bin, hatte ich sehr viel Gewicht zugenommen. Als ich nach Niella zog, versuchte ich, durch Sport abzunehmen, aber ich habe eine Klinik besucht und dort wurde mir gesagt, dass ich eine Magenschlauchoperation brauche. Die Klinik sagte mir, dass ich diese Operation in den nächsten sechs Monaten durchführen könne, da meine Krankenkasse alles versichern würde. Ich sagte dem Arzt, dass ich die Operation in der darauf folgenden Woche durchführen lassen wollte, weil meine Deutschschule bald anfangen würde. Ich war sehr motiviert, Gewicht zu verlieren, denn das zusätzliche Gewicht war schlecht für mich. Ich konnte keinen Sport machen und nichts tun, was mir Spaß macht. Nach der Operation war ich zwei Tage im Krankenhaus und sagte dem Arzt, dass ich es nicht für nötig hielt, länger zu bleiben, und dass ich nach Hause gehen wollte, um mich vor dem Schulbeginn auszuruhen. Der erste Tag zurück in der Wohnung war in Ordnung, aber der zweite Tag war schwieriger. Ich konnte mir kaum etwas zu essen machen, weil ich so müde war und mir niemand helfen konnte. Ich fing an, ein wenig zu essen, aber ich konnte nur eine Suppe essen. Ich hatte schon vor der Operation Depressionen, aber diese Situation hat sie noch viel schlimmer gemacht. Ich habe jeden Tag einen Psychologen besucht, der mir sehr geholfen hat. Ich versuchte, in Syrien einen Ernährungsberater zu finden, denn die in Deutschland waren zu teuer und wurden nicht bei der Versicherung bezahlt. Außerdem mag ich die deutsche Küche nicht, also wusste ich nie, was ich essen sollte, und fühlte mich immer müde. Als meine deutsche Schule anfing, war ich
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in jeder Unterrichtsstunde müde. Mein Arzt sagte mir, ich sollte zu Hause bleiben, bis ich fertig war mit der Erholung, also konnte ich nie meinen Kurs beenden. Diese Zeit der Erholung war sehr, sehr schwierig. Wenn mich jetzt jemand fragen würde, ob ich diese Operation empfehle, würde ich ihm sagen, dass er sie nicht machen sollte, wenn er allein ist. Man braucht jemanden, der einen unterstützt und füttern kann. Bei meiner ersten Untersuchung nach der Operation sagte ich meinem Arzt, dass ich nicht glaube, dass ich stark genug bin, um die Erholung durchzuführen. Jetzt, wo ich mich erholt habe, bereue ich es nicht mehr und ich glaube, es war ein guter Schritt für mich. Ich muss immer noch meine Gedanken neu ordnen, um mit dem Essen aufzuhören, denn jedes Mal, wenn ich mich gestresst fühle, gehe ich zum Kühlschrank. Ich arbeite jetzt daran, die Kontrolle wiederzuerlangen und meinen Lebensstil zu ändern. Ich mache Sport, nehme Vitamine und versuche, andere Wege zu finden, um mich zu entspannen. Das alles hat mir schon ein wenig geholfen. Bei der Arbeitssuche ist die erste Voraussetzung, Deutsch zu sprechen, und das ist nicht einfach. Als ich zum Jobcenter in Niella ging, sagte mir die Frau, die dort arbeitete: »Yaqout, du musst Deutsch lernen. Wenn du Deutsch lernst, verspreche ich dir, dass du schnell etwas finden wirst. Aber zuerst musst du Deutsch sprechen.« Okay, ich wusste, dass ich Deutsch lernen musste, aber ich hatte in dieser Zeit viel zu tun. Ich hatte meine Operation, ich suchte eine Wohnung, ich hatte nicht so viel Zeit. Jetzt habe ich meine Wohnung, meine Operation ist beendet, und ich habe einen Job. Jetzt habe ich Zeit und ich muss Deutsch lernen. Die meisten Flüchtlinge hier versuchen nicht, die Sprache zu lernen, sie versuchen nicht, einen Job zu bekommen, sie bleiben einfach zu Hause. Das ist nicht richtig, das ist kein richtiges Leben. Ich habe versucht, Schulen zu finden, an denen ich mein Studium auf Englisch abschließen kann, aber es gibt nur eine in Stuttgart, also ist es nicht möglich – ich muss Deutsch lernen. Früher wollte ich wirklich Englisch lernen, aber dieses Gefühl habe ich hier bei Deutsch nicht. Das ist falsch, das ist nicht gut, aber ich habe nicht das gleiche Verlangen. Vielleicht liegt es daran, dass ich schlechte Erfahrungen in Deutschland hatte, so dass ich die Sprache nicht lernen will. Ich bin mir nicht sicher. Vielleicht ist es einfach zu schwierig. Versicherungsnummer – das ist ein Wort, es bedeutet eine »health insurance number«. Ein Wort! Es reicht nicht, die Wörter einfach zu lernen, man muss auch die verschiedenen Artikel für jedes Wort kennen … das ist sehr, sehr schwer. Ich habe hier an einem Sprachkurs schon teilgenommen, aber der war nicht effektiv, weil der Lehrer nur das Buch aufgeschlagen und vorgelesen hat. So lernt man keine Sprache; man muss mit anderen in Kontakt sein, mit Menschen sprechen. Um diese Kurse zu verbessern, sollten sie mindestens einmal pro Woche ein Treffen veranstalten, bei dem wir das Sprechen üben können. Sogar in Englisch reicht es nicht aus, die Grammatik zu lernen, man muss auch das Sprechen üben. In meinem Kurs
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hat uns der Lehrer nur die Regeln und Grammatik erklärt, und uns Übungen für zu Hause mitgegeben. Das ist einfach nicht genug. Wenn wir die Sprache wirklich lernen wollen, müssen die Kurse auf Konversation ausgerichtet sein. Einen Sprachkurs zu finden, ist eine Herausforderung. Niemand hilft einem bei der Suche nach einem Kurs, man muss selbst recherchieren. Man muss das Internet nutzen, Kurse finden und deren Bewertungen lesen, den Preis herausfinden. Das Jobcenter zahlt die Kosten für den Kurs, aber man muss ihn selbst finden. Ich beginne bald einen neuen Kurs in Berlin an der beliebtesten Deutschschule, und ich kann nur hoffen, dass er effektiver sein wird als mein vorheriger Kurs. Ein Job in Deutschland würde viel für mich verändern. Es würde mich zu einem anderen Menschen machen, mit einem Ziel. Deshalb habe ich jeden Tag mit der Arbeitssuche verbracht. Hier gibt es niemanden, der einem bei der Arbeitssuche hilft; das muss man selbst tun. In dem Flüchtlingslager, wo ich wohnte, war der Sozialarbeiter nicht sehr effektiv. In einigen anderen Lagern sind die Sozialarbeiter hilfreicher, aber sie sagen einem nur, auf welchen Webseiten man suchen soll. Sie werden keinen Job für einen finden. Das Internet war das beste Instrument bei der Arbeitssuche. Jeden Tag war ich auf LinkedIn, Indeed und anderen deutschen Arbeitsportalen auf der Suche nach Möglichkeiten. Während meiner Erholung von der Magenschlauchoperation habe ich jeden Tag drei Stunden an meinem Laptop verbracht und nach Arbeit gesucht, weil ich unbedingt einen Job finden wollte. Ich möchte Deutsch lernen. Es ist schwierig, ohne Arbeit und Kontakt mit anderen Menschen einen Weg aus meiner Depression zu finden. Vor einem Monat schrieb ein Mann in der Facebook-Gruppe für arabische Ingenieure, dass sein Unternehmen einen Architekten sucht, der Deutsch spricht. Ich schrieb ihm eine Nachricht und stellte mich vor, sagte aber, dass ich kein Deutsch spreche. Er sagte mir: »Tut mir leid, aber du musst Deutsch sprechen.« Zwei oder drei Monate später stellte er die Anzeige wieder auf Facebook ein, und ich schrieb ihm erneut eine Nachricht. Nach zwei Wochen meldete er sich bei mir und sagte, dass es für den Chef in Ordnung sei, wenn ich anfangs kein Deutsch spreche, aber ich müsse zu einem Bewerbungsgespräch nach Stuttgart kommen. Ich sagte ihm, dass ich die Arbeit und das Bewerbungsgespräch online erledigen könnte, dass es aber schwierig für mich wäre, nach Stuttgart zu kommen. Nach weiteren zwei Wochen sagte er, dass ich von zu Hause arbeiten könnte, aber ich müsste für ein paar Tage nach Stuttgart kommen, als Probezeit. Also reiste ich für eine dreitägige Probezeit nach Stuttgart. Als ich nach Niella zurückkehrte, schickte mir der Chef eine E-Mail mit dem Angebot eines sechsmonatigen Minijobs, in dem ich meine Sprachkenntnisse verbessern sollte. Wenn mein Deutsch besser ist und ich mit den deutschen Kunden sprechen kann, könnte mein Vertrag in eine Vollzeitstelle umgewandelt werden. Ich habe dieses Angebot angenommen, aber ich warte darauf, dass sie mir alle Einzel-
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heiten mitteilen, damit ich den Vertrag an das Jobcenter schicken kann. Ich warte also noch. Ich habe das Gefühl, dass dies ein wichtiger Schritt für mich ist, weil es eine neue Arbeitserfahrung sein wird, die meinen Lebenslauf unterstützt und es mir ermöglicht, mein Deutsch zu verbessern. Außerdem werde ich keine Zeit haben, deprimiert zu sein, wenn ich mich mit Arbeit ablenken kann. Die Arbeit wird mir helfen, all meine Probleme zu vergessen und etwas aus meinem Leben hier zu machen. Mit einem Job kann ich meiner Familie helfen, ich kann meiner Schwester in Syrien helfen. Wenn ich Arbeit habe, kann ich mir hier in Deutschland etwas aufbauen. Eine der größten Herausforderungen beim Leben in Deutschland ist das soziale Leben. Die Menschen hier nehmen sich keine Zeit füreinander; sie besuchen sich selten in ihren Wohnungen. An den Wochentagen gehen sie nur zur Arbeit, und am Wochenende treffen sie sich vielleicht in einem Restaurant oder einer Bar. Die Ungarn waren geselliger, die Menschen aus dem Nahen Osten noch mehr. Hier in Deutschland scheint jeder nur für sich selbst zu sorgen. Ich bin ein sehr gefühlsbetonter und sozialer Mensch, deshalb war das sehr schwer für mich. Andere Flüchtlinge haben wenigstens ihre Familien bei sich, aber ich bin allein hierhergekommen, habe also niemanden. Besonders jetzt, wo ich in Niella wohne, einem kleinen Dorf mit nur älteren Einwohnern, fühle ich mich sehr einsam. Ich habe einen Nachbarn, der ziemlich jung ist, vielleicht 35 oder 40 Jahre alt, und mit seiner Frau lebt. Ich habe versucht, sie auf einen Kaffee einzuladen, aber sie sagen immer, sie seien mit der Arbeit beschäftigt. Die einzigen Kontakte, die ich mit den Menschen in meiner Gemeinde habe, sind einfache Grüße, wenn wir uns begegnen. Die meisten Nachbarn sprechen anfangs nur Deutsch mit mir, aber wenn ich sie anlächle und grüße, fangen sie langsam an, mich auf Englisch anzusprechen. Eine meiner Nachbarinnen sprach immer nur Deutsch mit mir, bis ich ihr anbot, ein schweres Paket die Treppe hochzutragen. Daraufhin bedankte sie sich auf Englisch und spricht seitdem Englisch mit mir. Einige Flüchtlinge haben mir gesagt, dass sie sich in Deutschland nicht willkommen fühlen, dass die Deutschen sie nicht mögen. Ehrlich gesagt, habe ich nicht dieses Gefühl, aber ich denke, das liegt daran, wie ich mit den Deutschen bin. Wenn ich mit einem Lächeln auf die Leute zugehe und sie begrüße, reagieren sie auch so. Wenn ich kalt zu ihnen wäre, würden sie natürlich auch so reagieren. Ich habe doch eine schlechte Erfahrung gehabt, und zwar mit einem Busfahrer in Eisenhüttenstadt. Ich war schon zweimal mit dem Bus gefahren, und beide Male hatte ich meine Fahrkarte beim Fahrer auf Englisch gekauft. Als ich jedoch zum dritten Mal nach einer Fahrkarte auf Englisch fragen wollte, sagte er plötzlich zu mir: »Nein, wir sprechen hier nur Deutsch, wir sprechen kein Englisch, okay?« Daraufhin antwortete ich: »But you understand what I am saying in English? Give me my ticket, please.« Das schockierte ihn. Von diesem Moment hielt er den Bus nie mehr für mich an, wenn er mich an der Bushaltestelle warten sah, und ich musste stattdessen die 45 Minuten zurück zum Flüchtlingslager laufen. In dieser Gegend
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wird oft gesagt, dass die Deutschen die Flüchtlinge nicht mögen. Trotz dieser einen Erfahrung fühle ich mich in Deutschland nicht unwillkommen. Viele andere Flüchtlinge beschweren sich über die Menschen hier, aber ich selbst habe bisher nicht viel Unhöflichkeit erlebt. Wenn andere sich über die Unfreundlichkeit der Deutschen beschweren, denke ich mir: Sag mir, was du tust, damit die Deutschen dich mögen? Lernst du Deutsch? Versuchst du, einen Job zu finden? Dies ist Deutschland, dies ist ihr Land, nicht unseres. Wir leben zusammen, aber das ist Deutschland, also müssen wir uns an ihren Lebensstil anpassen – es sollte nicht an den Deutschen liegen, sich unserem Lebensstil anzupassen. Ich habe mich entschieden, hierherzukommen, also muss ich jetzt lernen, wie die Deutschen zu leben. Wenn Deutsche nach Syrien kämen, müssten sie lernen, wie die Syrer zu leben. Das ist das Leben. Wenn ich Deutsch spreche, dann fühle ich mich als Teil der deutschen Gemeinschaft. Ich muss mich einfach an den deutschen Lebensstil gewöhnen. Ich muss deutsch sein. Ich denke nicht mehr gerne über die Zukunft nach. Früher habe ich das getan, aber meine Erfahrungen in Deutschland haben dazu geführt, dass ich nicht mehr so weit vorausdenken will. Ich kann nur noch in der Gegenwart leben und für den nächsten Monat oder so planen. Wenn ich in fünf Jahren immer noch in Deutschland wohne, dann ist das eben so, ich habe keine andere Wahl. Als ich in Syrien studierte, war ich so leidenschaftlich. Ich wollte meinen Abschluss machen und ein eigenes Büro eröffnen, ich wollte mich in Syrien beweisen. Ich hatte immer die Zukunft und meine Träume im Kopf. Jetzt, in Deutschland, habe ich diese Leidenschaft verloren, und das ist sehr schwer für mich. Das Leben in Deutschland hat mich verändert. Es fällt mir schwer, die richtigen deutschen Worte zu finden, um zu erklären, wie Deutschland mich verändert hat, aber das arabische Wort, das mir einfällt, heißt übersetzt »herzlos«. Meine Erfahrungen in Deutschland haben mich herzlos gemacht. Ich erwarte nicht mehr, dass mir jemand hilft, selbst wenn ich ihm zuvor geholfen habe. Besonders von meinen Freunden habe ich gelernt, keine Unterstützung zu erwarten. Unabhängig davon, ob sie mir helfen oder nicht, habe ich meine Leidenschaft, anderen zu helfen, nicht verloren. Als mich vor kurzem ein alter Bekannter aus Budapest nach Hilfe mit seinem Asylantrag gefragt hat, habe ich ihm alles erzählt. Ich habe ihm jeden Schritt des Verfahrens erklärt und wie er sich darauf vorbereiten kann. Ich möchte sicherstellen, dass andere Flüchtlinge die Wahrheit über das Leben hier wissen, denn ich möchte nicht, dass sie die gleichen Erfahrungen haben, die ich hatte. In Syrien denken die Menschen, dass Deutschland das Paradies ist, dass das Leben hier perfekt ist. Ich war einmal einer dieser Menschen. Ich habe nichts über die deutsche Kultur gelernt, bevor ich hierherkam, ich dachte einfach, es sei das Paradies. Aber das ist es nicht – es ist ein normaler Ort. Das Leben hier ist hart. Es gibt Heimweh, egal in welchem Land man ist, und kein Land ist perfekt. In den USA
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zum Beispiel kann man schnell Arbeit finden, weil es nicht so viele Regeln gibt wie in Deutschland. In Deutschland haben wir aber eine Krankenversicherung. Jedes Land hat Vor- und Nachteile, und wir müssen einfach zufrieden sein damit, wo wir sind. Ich versuche, diese Zufriedenheit zu spüren. Ich bin erst seit eineinhalb Jahren in Deutschland. Ich habe noch nicht lange genug hier gelebt, um zu entscheiden, ob das Leben hier gut ist oder nicht. Ich kann nur hoffen, dass das Leben in der Zukunft schöner sein wird. Wenn die Menschen hier Erfolg haben wollen, müssen sie sich darauf vorbereiten, stark zu sein. Zuerst müssen sie wissen, was sie erwartet. Am wichtigsten ist es, mehr Flüchtlinge dazu zu bringen, ehrlich über ihre Erfahrungen zu sprechen, so wie ich es jetzt tue. Es gibt Aspekte in meinem Leben, über die ich noch nicht sprechen kann, empfindliche Themen. Ich möchte in der Zukunft offen über diese Themen sprechen, aber ich brauche Zeit. Ich möchte andere Menschen dazu inspirieren, offen über ihre Erfahrungen zu sprechen, und vielleicht werde ich eines Tages auch dazu in der Lage sein.
Die Bashar Familie Vater: Wir kommen aus Aleppo, Syrien. Ich habe bis zur achten Klasse gelernt, dann musste ich die Schule verlassen, weil wir nicht sehr viel Geld hatten, also musste ich meiner Familie helfen, um Geld zu verdienen. Ich kann zwar lesen und schreiben, aber ich habe die achte Klasse nicht geschafft und ich wollte es nicht wiederholen. Natürlich habe ich auch keine Unterstützung bekommen von meinen Eltern, dass ich mit der Schule weitermache, denn die wollten lieber, dass ich arbeiten gehe. Ich habe als Schneider gearbeitet, das war mein erster Beruf. Ich habe bei meinem Onkel angefangen zu arbeiten, und der hat mir dann alles beigebracht. Mein Onkel ist der Vater von meiner Frau. Ich habe schon in der ersten Klasse angefangen, ein bisschen bei meinem Onkel zu arbeiten, am Wochenende. In Syrien ist es sehr wichtig, dass man von Anfang an seinen Beruf lernt. Ab der achten Klasse war ich sozusagen der Chef und die Hauptverantwortung bei der Arbeit, weil ich schon wusste, wie man alles macht. Mutter: Ich habe bis zur sechsten Klasse gelernt, und dann wollten meine Eltern nicht mehr, dass ich zur Schule gehe. Sie wollten lieber, dass ich heirate, also war ich dann mit 17 verlobt und nach sieben Monaten haben wir geheiratet. Wenn ich nicht in der Schule war, war ich meistens einfach zu Hause, aber ich habe auch viel geholfen bei der Arbeit mit meinem Vater. Ich und mein Mann sind halt Cousins, also kennen wir uns sehr lange und wir haben auch zusammen bei meinem Vater gearbeitet.
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Vater: 2013, als der Krieg angefangen hat, bin ich erstmal alleine nach Russland gefahren, aber ohne Familie. Als ich nach Russland gegangen bin, wurde mein kleinster Sohn gerade 1 Jahr alt. Er hat gerade angefangen, ein bisschen zu laufen, und dann musste ich ihn verlassen. Ich habe zwei Jahre lang dort in Moskau gearbeitet, aber es hat sich nicht wirklich gelohnt, also haben wir uns überlegt, vielleicht sollten wir es lieber in der Türkei probieren, weil es dort mehr Arbeit und mehr Möglichkeiten gibt. Ich bin dann in die Türkei gegangen und habe von dort meine Familie eingeladen, zu mir in die Türkei zu kommen. Wir waren insgesamt vier Jahre in der Türkei, aber es war dort auch nicht so gut, also haben wir einen Antrag gemacht, um nach Deutschland zu kommen. Es hat drei Jahre gedauert, bis wir eine Antwort auf unseren Antrag bekommen haben. Wir sind also nicht illegal nach Deutschland gekommen, weil wir nicht mehr als Flüchtlinge leben wollten, und wir dachten, mit einem Antrag würde es besser sein, weil dann bekommt man sofort mehr Möglichkeiten. Wir dachten, das wäre ein besserer Weg. Aber dann war es eigentlich auch nicht so gut, als wir erst in Deutschland angekommen sind. In Russland war es sehr schwer. Ich wollte eigentlich alleine, illegal nach Deutschland kommen, als ich in Russland gearbeitet habe, und dann hätte ich meine Familie von dort nachholen können. Ich habe 3000 € gespart und das Geld einem Mann gegeben, der gesagt hat, er kann mich nach Deutschland bringen. Es hat aber nicht geklappt, und wir wurden an der Grenze von Finnland von der Polizei erwischt und festgenommen. Wir wollten durch den Wald gehen, aber wir wurden im Wald erwischt. Dann war ich sechs Monate in einem russischen Gefängnis. Deswegen wollte ich diesen illegalen Weg, um nach Deutschland zu kommen, nicht nochmal erleben. Also haben wir das nächste Mal es mit einem Antrag probiert. Im Gefängnis war es schlecht, ich wurde viel geschlagen. Die Schlägerei war so schlimm, dass ich irgendwann ohnmächtig wurde und eine Weile im Koma lag. Ich war ungefähr zwei Monate im Krankenhaus. Ich wollte die Polizisten anzeigen, die mich so schlimm geschlagen haben, und ich habe es auch probiert, aber als ich dann nicht mehr im Krankenhaus war und wieder im Gefängnis war, haben die Polizisten mich bedroht. Sie haben gesagt, entweder ich muss alles zurücknehmen, oder ich bekomme die ganze Schlägerei nochmal. Dann habe ich natürlich alles zurückgenommen. Ich hatte zu dieser Zeit überhaupt keinen Kontakt zu meiner Familie. Die wussten nichts über mich, wir haben für mehrere Monate den Kontakt verloren. Im Krankenhaus hat irgendjemand mir geholfen und hat mir ein Handy gegeben, so dass ich meiner Familie sagen konnte, dass ich festgenommen wurde und im Krankenhaus war. Mutter: Zuerst dachten wir alle, dass er gestorben ist, weil ich 15 Tage früher erfahren habe, dass unser anderer Cousin gestorben ist, als er versucht hat, durchs Meer zu fliehen. Also dachte ich, mein Mann muss wohl auch gestorben sein. In dieser Zeit
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war es sehr schwer für mich, weil ich kein Geld hatte, ich hatte vier kleine Kinder, ich musste alles ganz alleine machen und wusste nicht, ob mein Mann überhaupt noch lebt. Es war so schwer. Vater: Als ich endlich entlassen wurde vom Gefängnis, bin ich direkt von Russland mit meinem syrischen Pass zur Türkei geflogen. Der Krieg war dann schon schlimm, also hat die Türkei zu dieser Zeit die Tür geöffnet für Leute aus Syrien. Dadurch, dass ich illegal nach Russland gekommen bin, hätte ich eigentlich abgeschoben werden sollen, aber weil es Krieg in Syrien gab, konnten sie mich nicht nach Syrien abschieben, also haben sie mir erlaubt, irgendwo anders hinzugehen. Also bin ich in die Türkei geflogen, aber ich musste erst unterschreiben, dass ich nicht wieder nach Russland kommen würde. Mein Bruder war schon in der Türkei, also hat er mir geholfen, als ich in der Türkei angekommen bin. Wir hatten natürlich gar kein Geld, und ich wollte unbedingt arbeiten. Mein Bruder hat mir damit geholfen, also war ich nur eine Nacht in der Türkei, bis ich dann angefangen habe zu arbeiten, als Schneider. In der Türkei gibt es gar keine Arbeitserlaubnis, man kommt rein und fängt sofort an zu arbeiten. Es gibt kein Sozialamt oder so, also kann man sofort anfangen, Geld zu verdienen. Zuerst habe ich mit meinem Bruder gewohnt, aber ich habe sofort nach einer Wohnung gesucht, weil ich unbedingt wollte, dass meine Familie kommen konnte und mit mir wohnen konnte. In unserer Stadt in Syrien hatte der Krieg an dem Zeitpunkt schon angefangen, also wollte ich unbedingt meine Familie zu mir bringen. Es war nicht so einfach, eine Wohnung zu finden, aber viel leichter als in Deutschland. Es ist gar nicht vergleichbar. Zuerst habe ich über einen Makler probiert, eine Wohnung zu finden, und dafür musste ich auch bezahlen, aber dann hat mir irgendjemand zufälligerweise gesagt, dass sie eine Wohnung frei haben, also habe ich es doch ohne Makler gemacht. Ich musste aber für meine eigenen Möbel bezahlen. Mutter: Eigentlich wollte ich zu meiner Mutter fahren, als der Krieg angefangen hat, weil ich ganz alleine mit den Kindern war, aber als wir dann losgefahren sind, haben die angefangen, auf uns zu schießen. Wir waren also auf der Straße und wurden von allen Seiten angeschossen. Wir haben uns auf der Straße hingelegt, und wir waren die Einzigen, die es überlebt haben. Alle anderen, die auf der Straße waren, sind gestorben. Wir haben es alle gesehen, mit eigenen Augen, auch die Kinder haben es gesehen, wie die Leute um uns herum gestorben sind. Das war das letzte Mal, dass ich mich getraut habe, das Haus zu verlassen. Die Kinder waren auch alle krank danach, sie haben an posttraumatischer Krankheit gelitten. Aleppo war ja eigentlich in zwei Teile geteilt; es gab die Hälfte, die mit der Regierung war, und die Hälfte, die dagegen war. Wir haben eine Wohnung gekauft, die auf der Seite war mit der Regierung, sodass wir sicherer sein konnten. Aber es
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war natürlich immer noch gar nicht sicher. Als wir zu der anderen Wohnung gegangen sind, wurde unser altes Haus kurz danach angeschossen. Was für ein Glück wir hatten, dass wir es kurz davor noch rausgeschafft haben. Wir mussten fünf Mal umziehen, um in Sicherheit zu bleiben, und jedes Mal haben wir es nur knapp weg geschafft, bevor unser Haus angeschossen wurde. Sohn: Ich war 9 Jahre alt zu dieser Zeit, aber ich kann mich Gott sei Dank nicht mehr daran erinnern. Mein älterer Bruder, der ist zwei Jahre älter, der kann sich daran erinnern. Mutter: Wir sind mit dem Bus von Syrien weggefahren, und dann mit dem Boot in die Türkei gegangen. Die Tür für Geflüchtete auf war zu der Zeit, also durften wir zu der Türkei gehen. Es hat insgesamt drei Tage gedauert von Syrien bis in die Türkei, aber das waren drei furchtbare Tage ohne Unterkunft, Essen oder Schlaf. Eins von den Kindern wurde auch verletzt auf dem Boot. Es war ganz schwer, weil der Kleinste es nicht mehr aushalten konnte ohne Essen. Vater: In der Türkei haben meine Frau und ich beide gearbeitet, um halbwegs essen zu können. Natürlich war das Leben nicht so ein Paradies, ich habe zwar sofort einen Job bekommen, aber ich wurde nach drei Monaten gekündigt, und dann war ich zwei Monate lang nur zu Hause ohne Unterstützung, also musste ich Geld ausleihen. Deswegen hatte ich dann so viele Schulden. Ich habe dann angefangen, selbständig zu arbeiten. Ich habe mit meinem Bruder verschiedene kleine Unternehmen gehabt, wir haben angefangen mit T-Shirts. Zwei Jahre haben wir so gearbeitet, wir wollten unsere Sachen verkaufen, mit dem Ziel, nach Deutschland zu kommen. Wir waren insgesamt vier Jahre in der Türkei, und als wir endlich nach Deutschland gehen konnten, haben wir uns natürlich sehr gefreut. Als wir in Deutschland angekommen sind, sind wir erst zu der Erstaufnahme gegangen für zehn Tage. Dann wurden wir zu einem Heim geschickt, es war in sehr schlechtem Zustand. Der erste Monat in Deutschland war eine Katastrophe, wir konnten die Sprache überhaupt nicht sprechen, und es gab keine Unterstützung. Auch von der Ausländerbehörde wurde nichts gemacht. Für zwei Monate konnten wir nichts machen. Es gab auch so viele Insekten, wir konnten gar nicht schlafen gehen. Wir waren insgesamt eineinhalb Jahre im Heim. Wir hatten gar keinen Kontakt zu deutschen Leuten. Wir hatten nur eine einzige Familie, mit der wir geredet haben im Heim. Wir haben uns im Flugzeug kennengelernt, weil wir sind alle zusammen aus der Türkei gekommen, aber diese Frau und ihre Familie waren dann die einzigen Leute, mit denen wir geredet haben. Die Kinder hatten eigentlich keine Freunde im Heim. Unser kleinster Sohn hatte irgendwann Freunde von der Schule, aber die anderen nicht.
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Ein großes Problem in dem Heim war mit dem Wachschutz. Es war eine Katastrophe. Die Sozialarbeiter vor Ort waren überhaupt nicht hilfreich. Es wurde mehrere Male von mir geklaut im Zimmer. Ich wusste auch schon, wer von mir geklaut hat, ich habe ihn mit eigenen Augen gesehen. Ich habe es dem Wachschutz gesagt, aber ihm war das egal. Er hat mir gesagt, ich soll es einfach vergessen, weil auch wenn ich eine Anzeige mache, wird die Polizei jetzt nicht hierherkommen und irgendwas tun. Der Mann, der von mir geklaut hat, hat irgendwann gesagt, wenn ich ihn nicht in Ruhe lasse, dann wird er mich totschlagen. Wir hatten drei Zimmer im Heim. Es war in diesem Heim so wie in einem Wald; wenn man nicht stark genug ist, dann wird man gefressen. Ich hatte auch Corona während dieser Zeit im Heim und deswegen musste die ganze Familie in Quarantäne gehen. Sie haben das Zimmer einfach von außen geschlossen und uns eingesperrt. Niemand hat uns geholfen, niemand hat uns etwas zum Essen oder irgendwelche Einkäufe gebracht, niemand hat mir Medikamente gebracht. Ich bin fast gestorben. Mein Sohn ist irgendwann fast ertrunken, im See in Rangsdorf, und lag hinterher drei Wochen im Koma. Niemand hat uns geholfen in dieser Zeit. Mein Sohn lag im Koma und niemand hat mir geholfen mit den Ärzten oder beim Übersetzen. Ich konnte den Arzt gar nicht verstehen, weil ich kein Deutsch spreche. Nur durch die Maßnahme haben wir dann endlich Unterstützung vom Jobcenter bekommen. Wir haben von Anfang an gesagt, es ist uns egal wo wir wohnen, wir wollen nur eine eigene Wohnung, wir wollen nur ausziehen. Wir hätten auch in einem Zelt gewohnt, wir wollten nur weg von diesem Heim. Sogar als wir im Heim gewohnt haben, habe ich immer versucht, viel unterwegs zu sein. Ich wollte nicht, dass die Kinder immer in diesem schlimmen Zustand leben müssen. Wir wohnen jetzt in dieser Wohnung und sind seit einem Jahr hier. Wir haben viele Wohnungen angeschaut, aber das Jobcenter hat die Wohnungen immer wieder abgelehnt, weil es 20 oder 30 € zu teuer war. Endlich haben wir diese Wohnung bekommen, aber sie war in sehr schlechtem Zustand, als wir zuerst eingezogen sind. Wir haben alles selbst gemacht: Sogar den Boden haben wir selbst reingetan. Für einen Monat haben wir ganz intensiv an der Wohnung gearbeitet. Aber es war uns egal, wie die Wohnung aussah. Sobald wir unsere eigene Wohnung hatten, war es für uns wie ein Paradies. Alle unsere Möbel haben wir in der Türkei gekauft. In der Türkei war es viel billiger, also haben wir alles dort gekauft, und dann hierhergeschickt. Wir haben viel gespart, als wir im Heim waren, aber wir hatten immer noch so viele Schulden, dass wir sehr wenig Geld hatten. Aber wir haben gekämpft, um unsere eigene Wohnung zu bekommen. Mit der Schule in Deutschland war es nicht so gut. Die Kinder waren 18, 14, 8 und 6, als wir in Deutschland angekommen sind. Die Kinder sind zur Willkommensklasse gegangen, und sie haben nichts gelernt. Es waren nur fünf Kinder in der Willkom-
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mensklasse, und drei davon waren unsere Kinder. Trotzdem waren die Lehrer nicht gut, die Schule war eine Katastrophe, und es war Corona-Zeit, also war alles noch schlimmer. Unser kleinster Sohn musste nicht zur Willkommensklasse, er durfte sofort zur normalen Schule gehen, und er spricht jetzt fließend Deutsch. Aber die drei Kinder, die in der Willkommensklasse waren, können jetzt kein Deutsch sprechen. Dieses Jahr haben wir es endlich geschafft, dass unsere Kinder in eine andere Schule gehen können. Einer von unseren Söhnen wird bald 18, und mit 18 darf er nicht mehr zur normalen Schule gehen. Er hat jetzt nur sechs Monate in der normalen Schule, und er wird versuchen, in dieser Zeit Deutsch zu lernen, aber das ist einfach nicht genug Zeit. Er muss dann wohl einen Deutschkurs machen, mit anderen Erwachsenen. Das heißt, er muss noch mindestens ein paar Jahre warten, bis er Deutsch sprechen kann. Wir haben keine Hoffnung, dass irgendwas aus ihm wird, weil er in zwei Jahren nichts geschafft hat, und niemand kann mir jetzt sagen, dass er irgendwann zur Uni gehen wird. Bis er Deutsch gelernt hat, dauert es zu lange. Man kann auch nicht zur Berufsschule gehen ohne Deutsch. Mutter: In dem Heim hatten wir die Gemeinschafts-Küche und -Badezimmer, also musste ich immer mein Kopftuch tragen. Auch in meinem eigenen Zimmer, auch beim Schlafen hatte ich immer mein Kopftuch an, weil Leute ja immer ins Zimmer reinkommen würden. Das ist natürlich jetzt viel besser. Wir hatten auch Probleme mit Allergien im Heim, weil es so dreckig war. Wir sind jetzt seit Januar im Deutschkurs und wir sind sehr, sehr zufrieden damit. Ich kann nicht so gut Arabisch lesen oder schreiben, also hatte ich nicht so viel Hoffnung, aber es klappt doch ganz gut. Die Lehrerin scheint auch ganz begeistert zu sein von mir. Wir geben uns sehr viel Mühe. Als wir im Heim gewohnt haben, wollten wir auch unbedingt Deutsch lernen, aber wir haben keinen Kurs bekommen. Man muss es beantragen, um einen Deutschkurs zu bekommen, und wenn die Sozialarbeiter nichts machen, dann bekommt man keinen Kurs. Sohn: Nächstes Jahr mache ich die zehnte Klasse. Wir sind seit zwei Jahren hier, aber ich bin erst seit kurzer Zeit in der richtigen Schule. Ich lag im Koma, und dann hatte ich Probleme mit meiner Leber und war zu krank, um zur Schule zu gehen. Also bin ich noch nicht so lange in der Schule. Ich möchte jetzt meinen Abschluss bekommen, und dann möchte ich eine Ausbildung machen, als Informatiker. Ich habe bis jetzt noch keine Freunde in der Schule, es ist eine Berufsschule mit nur einer Klasse, nur zehn Studenten. Alle anderen in der Klasse machen schon eine Ausbildung, aber ich noch nicht. Mir gefällt es gut in Deutschland, es ist besser als in der Türkei. In Deutschland ist es ordentlich, in der Türkei muss man immer arbeiten, sonst geht gar nichts. In der Türkei habe ich gearbeitet. Morgens würde ich lesen, und dann nachmittags würde ich als Schneider arbeiten.
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Vater: Als Schneider werde ich leider in Deutschland nicht weiterkommen, weil ich kein Zeugnis habe, also werde ich in Deutschland nicht anerkannt werden. Ich bin auch ein Friseur, ich kann gut Haare schneiden. Als Friseur könnte ich wahrscheinlich in Deutschland arbeiten, oder vielleicht als Koch. Ich habe viele Hobbies und kann gut kochen, in Russland habe ich auch als Koch gearbeitet. Also vielleicht könnte ich mein eigenes Restaurant eröffnen. Ich weiß aber nicht, was der beste Weg ist, um das zu erreichen. Das Hauptproblem in Deutschland ist für uns mit den bürokratischen Leuten. Es ist so schwer, alles zu verstehen, und vor allem, wenn man die Sprache nicht sprechen kann, versteht man nichts. Ich bin fest davon überzeugt, dass alle bürokratischen Entscheidungen in Deutschland einfach von einem Mitarbeiter gemacht werden. Es ist kein festgelegtes System, sondern einfach einzelne Leute, die alles entscheiden. Deswegen wurden unsere Wohnungen so oft abgelehnt, weil es Mitarbeiter waren, die einfach Nein gesagt haben. Es gab kein System oder keine Regel, die das entschieden hat. Deswegen kann es schwieriger sein, für einen Araber eine Wohnung zu finden. In der Ausländerbehörde ist es auch schlecht. Wir schreiben der Ausländerbehörde und fragen nach unserem Ersatz-Reisepass, aber bekommen keine Antwort. Wir haben keinen Pass, also können wir gerade gar nicht fliegen. Wir haben einen Aufenthaltstitel, wir sind anerkannte Flüchtlinge, also dürfen wir eigentlich das Land verlassen und reisen, aber ohne den Pass können wir nicht fliegen. Schon seit Jahren warten wir auf unsere Ersatzreisepässe, aber die Ausländerbehörde antwortet nicht. Die normalen Flüchtlinge bekommen normalerweise einen blauen Ersatzpass, und Kontingentflüchtlinge wie wir bekommen einen silbernen Ersatzpass. Aber wegen bürokratischen Problemen bekommen wir keinen Pass und keine Antwort. Ich bin sicher hier in Deutschland, aber ich möchte gerne meine Mutter besuchen. Ich möchte mit meiner Familie reisen. Aber ich kann es nicht. Deutschland war immer unser Ziel, weil wir wussten, dass es hier Sicherheit gibt. Sicherheit und Freiheit. Ich habe mir Deutschland anders vorgestellt, als ich in der Türkei war. Ich habe gedacht, dass Deutschland viel sauberer wäre als die Türkei. Aber das Heim war ja so dreckig, ich habe es so nicht erwartet. Als ich dann hier angekommen bin, wurde es mir klar, dass das Leben viel schwieriger hier ist, als ich dachte. Ich bin immer noch davon überzeugt, dass Deutschland die beste Wahl für uns war. Ja, wir hatten sehr viele Schwierigkeiten, und es ist nicht leicht hier, aber es gibt hier viele Möglichkeiten. Was am schlimmsten für uns war, war das Heim, die Sozialarbeiter und die Bürokratie. Aber langsam, mit der Zeit, wird es besser. Es gibt in Deutschland viele Rassisten. Das größte Problem ist mit dem Kopftuch. Als wir hier angekommen sind, hatten wir immer das Gefühl, dass wir nicht willkommen waren. Alle haben uns angestarrt. Irgendwann haben wir gefragt, wieso alle Leute uns so anders angucken, und uns wurde gesagt, es ist wegen des Kopftuchs. Einmal war unsere Tochter im Aldi, und sie wurde festgenommen, weil sie
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dachten, dass sie irgendwas unter ihrem Kopftuch versteckt. Die Leute dort haben die Polizei angerufen, und meine Tochter wurde sogar zur Dienststelle gebracht. Natürlich haben sie es dann kontrolliert und festgestellt, dass sie nichts geklaut hat. Nur weil unsere Tochter ein Kopftuch trägt, heißt es nicht, dass sie eine Kriminelle ist. Seitdem traut sie sich gar nicht, zum Supermarkt zu gehen. Ich muss mir jetzt immer Sorgen machen, wenn meine Tochter irgendwo alleine ist. Bei den anderen Kindern mache ich mir auch Sorgen, dass irgendwas passieren wird, wenn sie alleine auf der Straße rumlaufen. Aber bei meiner Frau und Tochter mache ich mir am meisten Sorgen wegen des Kopftuchs. Deswegen bin ich natürlich enttäuscht, weil ich immer dachte, dass Deutschland ein sicheres und freies Land ist. Ich dachte nicht, dass ich mir in Deutschland solche Sorgen machen müsste. In der Zukunft würde ich gerne in Berlin arbeiten, weil es dort mehr Araber gibt, also sind sie mehr an Leute gewöhnt, die Kopftücher tragen, und sie würden meine Arbeit mehr schätzen. Am Anfang werde ich wahrscheinlich in Berlin arbeiten, weil es einfacher wird, einen Start dort zu haben. Aber mein Ziel ist es, eventuell in Brandenburg zu arbeiten. Ich möchte gerne selbständig sein. Wir wünschen uns hier weniger Rassismus, dass die Deutschen die Muslime mehr akzeptieren. Wir haben ja unseren Glauben, und wir werden bei diesem Glauben bleiben. Wichtig wäre es auch, dass der ganze bürokratische Kram weniger wird. Es hilft ja keinem. Mutter: Die Deutschen sollten wissen, dass nicht alle Ausländer gleich sind. Als Ausländer haben wir den Eindruck, dass die Deutschen uns anders sehen. Aber es muss nicht so sein, es gibt auch viele Ausländer, die sehr vernünftige Leute sind, die auch die Sprache lernen wollen, die arbeiten wollen, die sich integrieren wollen. Außer mit dem Glauben, die Integration hat ja nichts mit dem Glauben zu tun. Sohn: Wir sind auch für Deutschland sehr dankbar, für alles, was Deutschland für Flüchtlinge gemacht hat, aber wir hätten gerne mehr Möglichkeiten. Und nicht, dass sie uns immer im Weg stehen, weil wir Ausländer sind. Vater: Wir wollen gerne etwas an Deutschland zurückgeben, wir wollen hart arbeiten, um Deutschland besser zu machen. Ich mache mir Sorgen, dass meine Tochter und meine Frau keine Arbeit bekommen werden, weil sie ein Kopftuch tragen. Nicht alle Leute sind gleich. Es gibt die guten Leute, und die schlechten Leute. In Deutschland, und in anderen Ländern auch. Wir wollen nur eine bessere Chance haben.
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Zahra und Farida Dieses Interview wurde mit zwei Frauen geführt, die durch Heirat miteinander verbunden sind: eine junge Frau und ihre Schwiegermutter.
Meine Name ist Zahra. Ich wurde in Saudi-Arabien geboren, aber meine Familie ist nach Syrien gezogen, als ich 3 Jahre alt war, und ich bin in Syrien aufgewachsen. Ich habe die Schule bis zur neunten Klasse besucht, musste aber aufhören, nachdem mein Vater einen Unfall hatte, weil ich mehr im Haushalt helfen musste. Ich habe noch ein paar Jahre lang im Haushalt geholfen, bis ich mit 19 Jahren geheiratet habe. Als der Krieg in Syrien 2014 wirklich schlimm wurde, bin ich mit meiner Familie in den Libanon geflohen. Wir sind mit dem Bus von Syrien in den Libanon gefahren, weil das viel sicherer war, als zu Fuß zu gehen, aber es hat viel Geld gekostet und wir haben unsere gesamten Ersparnisse aufgebraucht. Das Leben im Libanon war nicht gut. Wir haben von der Regierung keine Hilfe erhalten, nicht einmal Sozialhilfe für Flüchtlinge. Mein Mann konnte dort keine Arbeit finden, also hatten wir auch nichts zu essen. Als die Pandemie ausgebrochen ist, waren wir auf unser Haus beschränkt und hatten keinen Unterricht für die Kinder. Meine älteste Tochter, die damals 6 Jahre alt war, konnte ohne Schule immer noch nicht gut sprechen. Sobald sie wieder zur Schule gehen konnte, konnte sie völlig fließend sprechen. Als wir in den Libanon gezogen sind, hat mir meine Tochter leidgetan, weil sie plötzlich keine Freunde und keine Kinder mehr hatte, die mit ihr spielen konnten. Ich hatte noch ein weiteres Kind, als ich im Libanon war, aber es ist jetzt erst 3 Jahre alt und kann sich an das Leben dort nicht mehr erinnern. Mein Mann und ich haben sogar ein Visum für Deutschland beantragt, als wir noch im Libanon lebten, aber es hat sieben Jahre gedauert, bis es genehmigt wurde, so dass wir erst 2021 ausreisen konnten. Bis dahin konnten wir im Libanon gerade so überleben, ohne Hilfe von der Regierung zu bekommen. Wir konnten im Januar 2021 nach Deutschland fliegen, da wir ein Visum für die legale Einreise hatten, aber die Tickets waren so teuer, dass wir bei unserer Ankunft kein Geld mehr hatten. Gleich nach meiner Ankunft wurde ich positiv auf Corona getestet und musste sofort in einem anderen Flüchtlingslager in Quarantäne gehen. Sobald die Quarantäne beendet war, sind meine Familie und ich in dieses Lager umgezogen. Eigentlich hätten mein Mann und ich sofort nach unserer Ankunft arbeiten und eine Wohnung suchen können, aber es waren keine Wohnungen verfügbar, so dass wir in einem Flüchtlingsheim leben, bis wir eine finden. Unser Visum gilt nur bis Ende Juli, also haben wir auch einen Aufenthaltstitel beantragt, um länger in Deutschland bleiben zu können. Wir hoffen, dass alles gut geht, damit wir hier bleiben können.
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Das Leben hier in Deutschland ist ziemlich gut. Meine Schwiegermutter ist mit uns gekommen und wohnt jetzt in der gleichen Wohnung wie wir, deshalb wünsche ich mir manchmal mehr Privatsphäre. Wir haben nur zwei Schlafzimmer für uns fünf, eine Toilette und eine Küche. In der arabischen Kultur ist es üblich, dass die Schwiegermutter viel dabei ist, aber in diesem kleinen Raum ist es trotzdem schwierig. Die Kinder sind auch ziemlich laut, aber es ist schwer, sie zur Ruhe zu ermahnen, weil sie als 9- und 3-Jährige so viel Energie haben. Meine Älteste ist seit Februar in der Schule, und es läuft wirklich gut für sie. Sie kann schon viel Deutsch verstehen und sogar ein bisschen sprechen, deshalb bin ich optimistisch, dass sie hier gut zurechtkommen wird. Mein jüngster Sohn hat noch keinen Kitaplatz, aber das wird sich hoffentlich bald ändern. Ich möchte Deutsch lernen, damit ich hier weiterlernen kann. Vielleicht kann ich zur Schule gehen, wenn meine beiden Kinder in der Schule oder in der Kita sind. Es war immer mein Traum, Lehrerin zu werden, aber im Moment möchte ich nur irgendeine Art von Ausbildung absolvieren, um hier arbeiten zu können. Ich muss nur einen Deutschkurs machen und eine Wohnung finden, bevor ich das tun kann. Ich habe mich entschieden, nach Deutschland zu kommen, weil ich wusste, dass es hier mehr Möglichkeiten für mich und vor allem für meine Kinder gibt. Ich wünsche mir nur, dass meine Familie im Libanon, die noch auf ein Visum wartet, bald nach Deutschland kommen kann. *** Ich, Farida, wurde in Syrien geboren und bin dort aufgewachsen, aber ich durfte nicht zur Schule gehen, deshalb kann ich immer noch nicht lesen und schreiben. Ich bin mit sieben Geschwistern in einer Zweizimmerwohnung aufgewachsen, deshalb war es oft eng. Es gab keine Schulpflicht und auch keine öffentlichen Parks, so dass ich meine Kindheit meist nur auf der Straße gespielt habe. Als ich sechzehn war, habe ich geheiratet und bin mit meinem Mann nach Kuwait gezogen, weil es dort etwas einfacher war, Arbeit zu finden. Wir haben dort zwei Kinder bekommen und uns ein sehr gutes Leben aufgebaut. Leider ist er nach elf Jahren in Kuwait verstorben, und ich bin mit meinen Kindern nach Syrien zurückgekehrt. Das Leben in Syrien war wirklich hart. Ohne Ehemann oder Eltern musste ich zwei Kinder allein ernähren, aber ich konnte keine Arbeit finden, da ich weder lesen noch schreiben konnte. Auch die Regierung hat mir keine finanzielle Unterstützung angeboten. Es war wirklich schrecklich. Mein Sohn musste schon mit 9 Jahren anfangen zu arbeiten, um unsere Familie zu unterstützen. Deshalb konnte er auch nicht zur Schule gehen, und er kann auch nicht lesen und schreiben. Jetzt will er Deutsch lernen, aber das ist besonders schwierig für ihn, weil er nicht einmal Arabisch, unsere Muttersprache, lesen und schreiben kann.
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Als mein Sohn 2010 geheiratet hat, hat sich nicht viel geändert, denn er hat sich weiterhin um mich gekümmert. Es war schwierig mit den Kindern, denn ich war in den letzten Jahren sehr krank, weil ich eine alte Frau bin. Als wir im Libanon gelebt haben, war es furchtbar. Mein Sohn hat gearbeitet, als wir dort waren, aber das reichte nicht aus, um vier Personen zu ernähren. Wir haben alle in einem Zimmer gewohnt und auf dem Boden geschlafen, selbst im Winter, wenn es draußen kalt war. Wir konnten es uns nicht leisten, Klamotten oder Essen zu kaufen. Wir konnten weder die Miete bezahlen noch die Kinder zur Schule schicken. Wenn ich krank war, konnte ich nicht einmal Medikamente für mich besorgen. Wir mussten dort weg. Im Vergleich dazu war das Leben in Deutschland ein Traum. Hier habe ich eine Krankenversicherung und alle Medikamente, die ich brauche. Ich kann wieder Obst und Gemüse essen. Meine Enkelin geht hier zur Schule, was ich nie für möglich gehalten hätte. Ich bin so dankbar, dass es so gekommen ist, dass es auf der Welt so viele Menschen mit einem guten Herzen gibt, die uns geholfen haben. Bevor ich hierhergekommen bin, habe ich gehört, dass die Deutschen rassistisch sind und nicht gerne teilen, aber das war überhaupt nicht meine Erfahrung. Ich möchte ihnen nur für all ihre Unterstützung danken, damit ich mein Leben hier leben kann. Ich weiß, dass ich eine alte Frau bin und wahrscheinlich bald sterben werde; ich bin ständig krank und habe keine Energie mehr. Mein einziger Wunsch ist, dass meine Enkelkinder zur Schule gehen und sich selbst versorgen können, wenn sie älter sind.
14. Tschetschenien
Khava In Tschetschenien hatten wir drei Kühe, 15 Ziegen, ein paar Schafe, Hühner und Kaninchen. Ich habe selbst Butter und Käse gemacht und einmal im Jahr haben wir eine Kuh geschlachtet. Hühner liefern Eier, mit denen man alles Mögliche anstellen kann, und man kann sie essen, genau wie Kaninchen. Wir waren sehr selbstversorgend. Mein Mann arbeitete auch als Elektriker und ich ging fast jeden Tag auf den Markt, um Kuchen und Kekse zu verkaufen. Ich habe es geliebt, auf den Markt zu gehen. Ich habe dort viele Leute kennengelernt und war immer im Gespräch mit anderen. Als ich eine Woche lang zu Hause bleiben musste, bekam ich Kopfschmerzen. Die Menschen müssen rausgehen und etwas zu tun haben, sonst wird es ihnen schlecht gehen. Mein Sohn wurde schwer krank und wir konnten keine medizinische Versorgung für ihn bekommen. Die Krankenhäuser wollten Geld, und auch für die Medikamente mussten wir mehr bezahlen, als wir konnten. Deshalb haben wir uns vor sieben Jahren entschlossen, nach Europa zu gehen. Ich war damals 25, mein Mann 32. Freunde und Verwandte sammelten Geld, um die Reise zu bezahlen. Zunächst fuhren wir mit dem Zug nach Belarus und dann mit dem Auto nach Eisenhüttenstadt. Es ging eigentlich recht schnell. Wir haben fünf Jahre in Luckenwalde und zwei Jahre hier gelebt. Mein Sohn wurde mehrmals operiert, aber da war es schon zu spät. Er starb. Wir haben fünf weitere Kinder, drei Mädchen und zwei Jungen. Der Älteste ist 13, der Jüngste fünf Monate alt. Keines der Kinder will zurück nach Tschetschenien, wir sind hier zu Hause. Es ist gefährlich in Tschetschenien. Sie können jederzeit plötzlich von der Polizei festgenommen werden. Dies geschah auch bei meinem Mann. Er wurde schnell freigelassen, schließlich hatte er nie etwas gegen die Regierung unternommen. Es war ein Fehler, sagten sie. Aber die Angst geht nie ganz weg. Wir haben zwei Räume zur Verfügung. Mit fünf Kindern ist das natürlich nicht immer einfach. Das verursacht eine Menge Stress, oft können wir nicht gut schlafen, weil immer jemand wach ist, und das ist alles schlecht für die Gesundheit.
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Meine älteste Tochter hat oft Probleme mit anderen Kindern, in der Schule und auch hier im Heim. Sie schlägt diese Kinder. Die Kinder in der Schule lassen sie nicht in Ruhe, sie spucken sie an. Ich habe ihr gesagt, sie soll mit ihnen reden und sie nicht schlagen, aber sie tut es trotzdem. Eines Tages wurde sie von den Eltern eines anderen Schulkindes bei der Polizei angezeigt. Plötzlich stand die Kriminalpolizei vor der Tür. Wer macht denn so etwas? Sie sind Kinder. Seitdem kommt jede Woche jemand vom Jugendamt vorbei, um uns zu helfen. Der Mann bringt uns auch mit dem Auto zum Kinderpsychologen in Potsdam, den wir für unseren 7-jährigen Sohn aufsuchen. In der Schule will er nicht reden und spielen. In den Pausen, wenn die anderen Kinder zum Spielen rausgehen, bleibt er drinnen und liest ein Buch. Der Arzt hat dem Sozialamt geschrieben, dass wir ein eigenes zu Hause brauchen, damit wir weniger Stress haben. Aber wir haben keine Antwort erhalten. Mein Mann macht eigentlich gar nichts; er schläft, isst, schaut auf sein Handy, raucht und spielt gelegentlich mit den Kindern. Es ist ihm nicht erlaubt zu arbeiten. Natürlich könnte er es auch schwarz machen, aber das ist zu gefährlich. Sie könnten uns nach Tschetschenien zurückschicken, und das wollen wir auf jeden Fall vermeiden. In Tschetschenien arbeitete er also als Elektriker. Ich selbst würde gerne in der Kinderbetreuung arbeiten, oder in der Altenpflege, oder wieder etwas auf dem Markt verkaufen. Wir haben jetzt eine Aufenthaltsgestattung, die alle sechs Monate erneuert werden muss. Diese Ungewissheit über unsere Zukunft führt auch zu Spannungen. In Tschetschenien bin ich sieben Jahre lang zur Schule gegangen. Danach musste ich mich um meine kranke Großmutter kümmern. Das war hart. Das habe ich getan, bis sie starb, und dann habe ich geheiratet. In Deutschland habe ich acht Monate lang Deutschunterricht bekommen. Auf diese Weise konnte ich die Stufe A2 erreichen. Danach habe ich mich einer Gesprächsgruppe mit Freiwilligen angeschlossen, in der man sein Deutsch üben konnte [ihr Niveau ist jetzt sicherlich B2 – HTB]. Meine Töchter im Alter von 13 und 8 Jahren sprechen nur Deutsch, natürlich lerne ich viel von ihnen. Mein Mann spricht überhaupt kein Deutsch. Er besuchte zweimal den Deutschunterricht und kam dann schnell zu dem Schluss, dass Deutsch zu schwierig für seinen Kopf sei. Ich habe deutsche Bekannte, die ich durch die Schule meiner Kinder und durch die Hilfsgruppe kennengelernt habe. Wir treffen uns in Luckenwalde zum Einkaufen und fahren auch gemeinsam mit den Kindern nach Berlin. Einmal im Monat, wenn wir das Geld vom Sozialamt erhalten haben, fahre ich nach Berlin, um einzukaufen. Fünfzehn Kilo Fleisch und zehn Kilo Fisch. Die Kinder wollen Fleisch essen und meine älteste Tochter nur Fisch. Wir bauen unser eigenes Gemüse in unserem Kleingarten an. Es ist zwanzig Minuten entfernt. Wir fahren fast jeden Tag mit den Kindern dorthin, mit dem Fahrrad. Es wäre schön, wenn wir hier auch Hühner und vielleicht Kaninchen halten könnten. Aber man muss um Erlaubnis bitten, und die Nachbarn waren damit nicht einverstanden.
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Unsere ganze Familie ist noch in Tschetschenien. Meine Mutter ist ganz allein. Sie weint viel, wenn ich mit ihr über WhatsApp spreche. Ich würde sie gerne hierherbringen. Hier im Heim habe ich gute Kontakte zu den anderen Erwachsenen. Wenn das Wetter schön ist, trinken wir gemeinsam draußen Kaffee. Es ist schade, dass sich die Kinder untereinander streiten. Ich würde alles für meine Kinder tun. Ich möchte nicht, dass sie so viel Stress haben, wie ich ihn mit meiner Großmutter hatte. Ich möchte, dass sie gut in der Schule sind und dass wir ein eigenes Zuhause haben. Ich möchte auch in der Lage sein zu arbeiten, um dies zu ermöglichen. Ich verstehe nicht, warum andere Leute eine Wohnung bekommen, oft sehr schnell, und wir nicht. Ich habe immer wieder darum gebeten, aber niemand antwortet. Das verstehe ich nicht.
Malik Ich komme aus Tschetschenien. Es ist sehr schwer für mich, über mein Heimatland zu sprechen, und ich spreche fast nie ganz frei über dieses Thema. Ich kann aber ein bisschen von Tschetschenien generell erzählen. In Tschetschenien gibt es Leute, vielleicht 20 % der Leute, die Putin und seine Politik unterstützen. Dann gibt es auch ungefähr 60 oder 70 % der Leute, die wollen nicht diese Politik unterstützen, aber die Gewalt, die es in Tschetschenien gibt, hält die Leute in Angst. Deshalb fliehen die Menschen aus Tschetschenien. Zum Beispiel bin ich nach Deutschland gekommen, weil es meine einzige Möglichkeit war. Für andere Leute gibt es manchmal andere Möglichkeiten, wie die Türkei oder die Ukraine, aber da gibt es natürlich jetzt auch Probleme mit Putin. Ja, in meinem Zuhause gibt es sehr viele Probleme, die Leute können da nicht frei leben. In meiner Heimat haben wir eine Diktatur; eine sehr starke Diktatur. Wenn die Behörde etwas sagt, dann muss man es machen, sonst gibt es Gewalt. Zum Beispiel, die Behörde könnte vielleicht zu mir kommen und sagen: »Geh in diese Moschee.« Aber ich will nicht gehen; ich will nicht mit diesen Leuten, mit dieser Gewalt, etwas unternehmen. Aber dann habe ich viele Probleme; dann kommt vielleicht die Polizei zu mir und wird mich foltern. Ich kann den Namen nicht sagen, aber in Tschetschenien gibt es eine Person, und all die Polizei und all die Macht hört auf diese eine Person. Nicht Putin, aber ich kann nicht sagen, wer. Alle Leute hören auf diese Person, und dann ist die Polizei seine linke und rechte Hand. Viele Leute haben dort Probleme, weil sie keine Freiheit haben. Ich habe auch Probleme mit dieser Macht. Ich bin nicht kriminell, ich liebe Regeln. Regeln machen alle Leute zu Menschen. Um richtig zu leben, muss jeder Regeln folgen, aber in meinem Land gibt es keine Regeln, es ist eine Diktatur. Vor fünf Jahren waren meine Frau und ich schon mal als Flüchtlinge in Deutschland. In Deutschland leben meine Cousinen und mein Onkel schon seit sechs oder
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sieben Jahren. Ich habe eine Cousine, die ist 25 und arbeitet in der Zahnarztpraxis. Bei meinem ersten Mal im Ausland hatte ich große Angst und wusste nicht, wo ich hinfahren sollte. Ich wusste, dass ich in der Nähe von meiner Cousine wohnen wollte. Also sind wir nach Deutschland gekommen. Wir waren drei Monate in Eisenhüttenstadt, dann noch drei Monate in einem anderen Heim. Nach drei Monaten haben wir eine Duldung bekommen. Dann haben wir eine Abschiebung bekommen. Die Polizei ist gekommen und uns zur Grenze von Polen gebracht. In Polen waren wir dann in einem geschlossenem Heim, für einen Monat. Dieses Heim war wie ein Familiengefängnis. Meine Frau war während dieser Zeit sehr schwer krank, aber wir hatten zu dieser Zeit noch kein Kind. Wir waren nur wir zwei in Polen. Meine Familie und meine Bekannten haben uns damals gesagt, wir können zurück nach Tschetschenien kommen, weil es jetzt weniger Überfälle gibt. Dann sind wir zurück nach Hause gefahren, und waren noch zwei Jahre dort. Wir haben diese zwei Jahre, von 2016 bis 2018, sehr ruhig gelebt. Ich habe auch 2017 in einem Minijob gearbeitet, in der Schule als Computerspezialist, ich bin nämlich ein IT-Programmierer von Beruf. 2018 habe ich einen Vollzeitjob bekommen, als IT-Spezialist. 2019 wurde es wieder schlimm mit den Überfällen. Die Macht hat viele Leute gesucht, überall in Tschetschenien, und sie haben viele Leute festgenommen. Sie hatten keinen Grund, diese Leute festzunehmen; es war schlimm. Meine Freunde wurden auch festgenommen. Sechs von meinen Freunden wurden für zwei Wochen bis zu sechs Monate im Gefängnis gehalten. Dort wurden sie viel geschlagen und so. Die Macht würde sie erst loslassen, wenn sie ein Papier unterschreiben. Auf diesem Papier stand irgendeine Lüge, die meine Freunde dann unterschreiben mussten. Es gab ein paar Kategorien: Es könnte sagen, mein Freund hat eine Waffe, mein Freund ist Terrorist, oder mein Freund hat Drogen, obwohl mein Freund nie diese Sachen machen würde. Ich und meine Freunde sind Muslime; wir rauchen nicht, wir haben noch nie Drogen genommen, wir haben keine Waffen. Es gibt noch eine Kategorie – dass meine Freunde kritische Wörter benützen über unseren Präsidenten. Aber wir haben viel zu viel Angst, frei mit anderen Leuten über unseren Präsidenten zu sprechen. Meine Freunde würden also niemals kritische Wörter über ihn sagen, das wäre viel zu mutig. Meine Freunde sind mutig, aber diese Leute haben viele Waffen. Sie können einen einfach töten mit den Waffen. Also wird man erst vom Gefängnis entlassen, wenn man dieses Papier unterschreibt. Mein Freund war zwei Monate lang im Gefängnis, und als er nach Hause kam, konnte man sehen, dass er überall geschlagen wurde. Er ist dann nach Polen geflohen, musste vielleicht zwei oder drei Tage an der Grenze warten, aber dann durfte er hereinkommen. Die Macht hat überall nach meinem Freund gesucht, überall in Russland. Sie haben seinen Eltern gedroht, und haben gesagt, sie würden sie erschlagen, wenn sie nicht genau sagen, wo er ist. Bis dahin war er aber schon in Po-
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len, jetzt ist er in Frankreich, glaube ich. Ich habe von ihm auch nichts gehört für ein oder zwei Monate. Bei mir ist es auch passiert. Diese Leute sind auch zu meinem Haus gekommen und haben meine Mutter und Großmutter gefragt, wo ich bin. Ich war aber nicht mehr zu Hause, und meine Großmutter hat gesagt, dass sie nicht weiß, wo ich bin. Als ich gehört habe, was meinen Freunden passiert ist, habe ich mich in dem Haus von meinem Onkel versteckt, und bin nirgendwo hingegangen. In diesem Haus hat fast drei Jahre lang niemand gewohnt, also habe ich das Haus schnell renoviert, so dass wir uns dort verstecken konnten, und dann habe ich dort gelebt. Mit meiner Frau und unserem Kind. Es waren wirklich sehr viele Überfälle in diesem Jahr. Meine Freunde sind alle ins Ausland gefahren, und ich wollte es auch machen. Ich habe entschieden, ich musste es nochmal probieren, aus meinem Heimatland zu fliehen. Ich hatte aber keine Ahnung, wo ich hingehen sollte. Dann habe ich von meinem Freund gehört, dass es Wege gibt, um nach Deutschland zu kommen. Also haben wir diesen Weg probiert. Meine Freunde sind nach Polen gegangen, oder nach Frankreich, viele Freunde sind in ganz verschiedene Ländern gegangen. Auch nicht alle in Europa, ich habe einen Freund in der Türkei und einen Freund noch in Russland, aber ich weiß nicht, wo er ist. Er ist fast verschwunden. Ich habe schon seit sechs Monaten nichts von ihm gehört. Wir haben auch probiert, vielleicht in andere Länder im Ausland zu gehen, aber wir haben uns doch für Deutschland entschieden. Es war der 26. Oktober 2019, als ich mein Heimatland verlassen habe, und ich bin eine Woche später in Deutschland angekommen. Von Tschetschenien bin ich in die Türkei geflogen, und von dort bin ich nach Bosnien und Herzegowina gefahren. Von dort bin ich mit dem Flugzeug nach Deutschland gekommen. Die ganze Reise war nur ungefähr eine Woche, ich war nur ein paar Stunden in der Türkei, und dann nur ein paar Tage in Bosnien und Herzegowina. Als ich in Deutschland angekommen bin, haben sie auf die europäische Weise mit dem Dublin-Verfahren meine Daten angeschaut, und haben gesehen, dass ich schon mal in Eisenhüttenstadt war. Also sind wir nach Eisenhüttenstadt gefahren. Wir waren für zwei Wochen in München, dann drei Monate in Eisenhüttenstadt, und dann in Wandlitz für vier oder fünf Monate, dann zu diesem Heim. In diesem Heim sind wir jetzt fast zwei Jahre. In einem der Heime habe ich zwei Leute kennengelernt, sehr nette Menschen, die haben mir sehr viel geholfen. Das Wichtigste, was man braucht, wenn man im Ausland ankommt, ist nicht Geld, nicht einmal Essen, sondern am wichtigsten ist es, dass Leute nette Wörter zu dir sagen. Unterstützung. Diese beiden Leute haben mich sehr viel unterstützt. Ihre Namen waren Max und Johanna, sie waren beide Sozialarbeiter und ich glaube, sie arbeiten beide immer noch dort. Die beiden waren sehr freundlich mit mir. Zum Beispiel, als ich zum ersten Mal in dem Heim angekommen bin, gab es nichts in dem Heim. Ich habe aber gehört, dass es in einem
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anderen Gebäude in der Nähe ein Sportzimmer gibt. Ich interessiere mich sehr für Sport, also bin ich da hingegangen, und der Max hat dort gearbeitet. Ich habe den Max gefragt, ob ich da Sport machen kann, und er hat gesagt ja, kein Problem. Dann haben wir oft zusammen gesprochen. Max war schon ziemlich alt und er hatte eine sehr freundliche Geschichte. Ich glaube, er war fast mein Freund. Johanna hat auch im Sportzimmer gearbeitet und ich habe sie auch da kennengelernt. Dieses Zimmer musste renoviert werden, also es musste neu angemalt werden. Ich habe meine Hilfe angeboten. Max hat ja gesagt und er hat auch mitgemacht. Dann waren wir immer da zusammen und haben geredet. Für mich war das Wichtigste in diesem Heim, einfach zu reden. Im ersten Monat ist es vielleicht nicht so wichtig zu reden, aber im zweiten oder im dritten Monat ist man alleine und dann muss man reden. Das Reden ist schon immer schwer für mich. Ich habe Angst. In meiner Heimat ist es schwer, mit anderen Leuten zu reden, weil es zwei Seiten gibt. Es gibt Leute, die für Kadyrow sind, und Leute, die dagegen sind. Es ist also schwer, mit anderen Leuten frei zu sprechen, weil vielleicht gehören sie zu der anderen Seite. Es gibt andere Leute in den Heimen aus Tschetschenien, aber ich habe ein bisschen Angst vor anderen Tschetschenen. Mit anderen deutschen Leuten kann ich freier sprechen. Aber ich kann mich noch nicht normal mit deutschen Leuten oder Familien unterhalten, weil ich nicht so gut Deutsch kann. Mit den Problemen ist es vielleicht besser, mit Deutschen zu reden, aber ich bin noch nicht so weit. Für mich und meine Frau gibt es in diesem Heim zwei oder drei Familien, mit denen wir frei sprechen können – die sind auch aus Tschetschenien. Es gibt sehr wenige Leute, die hier Russisch oder Tschetschenisch sprechen können. Im Heim gibt es ein paar ukrainische Leute, aber die sind alle Frauen. Wir sind Muslime, und für Muslime ist es nicht richtig, wenn ein Mann ohne Grund zu einer Frau spricht. In diesem Interview ist es ok, dass ich mit zwei Frauen spreche, weil es einen Grund gibt; wir machen ein Interview. Aber normalerweise ist es schwierig. Aber für meine Frau ist es ok, sie kann mit den anderen Frauen sprechen. Ich habe jetzt vier Kinder, vor ein paar Wochen war mein neues Kind geboren. Als wir in Deutschland angekommen sind, war meine Frau schon schwanger mit unserem dritten Kind. Jetzt haben wir vier Kinder. Meine Kinder sind nicht in der Kita, weil es keine Kitaplätze gibt. Vor ein paar Monaten habe ich ein Papier ausgefüllt, so dass meine Kinder vielleicht später einen Platz bekommen können, aber bis jetzt hatten wir keinen Erfolg. Mein ältester Sohn ist 5 Jahre alt, und ich möchte unbedingt einen Kitaplatz für ihn finden. Er ist jetzt zu alt, immer im Zimmer zu sein. Es ist ein Stress für ihn, immer im Zimmer zu bleiben. Ich versuche, jeden Tag Ausflüge zu machen mit meinen Söhnen. Beim Bahnhof gibt es einen kleinen Sportplatz, und draußen gibt es einen Spielplatz, oder manchmal mache ich kleine Fahrradfahrten mit den Kindern. Mein zweiter Sohn kann sich immer noch beschäftigen, indem er mit Spielsachen im Zimmer spielt, aber mein großer Sohn interessiert sich jetzt
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nicht mehr dafür. Er muss mit anderen Kindern spielen, und mit anderen Kindern reden. Deswegen möchte ich jetzt, dass er einen Kitaplatz bekommt. Zuerst haben ich, meine Frau und meine Kinder eine Duldung bekommen. Seit einem Jahr hat meine Frau diese Duldung nicht mehr, aber ich schon und ich weiß nicht, wieso. Am Anfang habe ich eine Abschiebung bekommen, aber dann hat mein Anwalt gesagt, ich kann nicht nach Hause gehen, weil in meinem Heimatland eine Gefahr besteht. Es ist zu gefährlich. Seitdem ist alles in Ruhe. Das war vor eineinhalb Jahren. Jetzt habe ich eine Duldung. Ich weiß nicht, ob ich einen Aufenthaltstitel bekommen kann, aber der Chef im Heim hat gesagt, ich habe eine Arbeitserlaubnis. Vielleicht, wenn ich zum Arbeitsamt gehe, können sie mir eine Minijob-Erlaubnis geben. Dann, wenn ich meine B1-Prüfung bestehe, kann ich eine Ausbildung machen in meinem Beruf, als IT-Programmierer oder Software-Entwickler. Aber ich habe gehört, dass man für diesen Beruf B2 braucht. Für mich ist das ein bisschen ein Problem. Aber ich werde erst probieren, eine Berufsausbildung zu machen, wenn ich das nicht finden kann, dann finde ich eine andere Arbeit. Ich glaube, das ist der beste Weg für mich. Ich habe einmal bei der Volkshochschule gefragt, ob ich einen A2-Kurs machen kann. A1 konnte ich schnell lernen, aber bei A2 brauchte ich Hilfe. Ich habe gefragt, aber die haben mir gesagt, ich kann es nicht machen, weil ich einen roten Strich habe auf meinem Papier – eine Duldung. Jedenfalls kann ich keinen A2-Kurs bekommen. Hier im Heim gibt es manchmal für ein oder zwei Monate Mini-Deutschkurse. Das ist gut, weil ich dann ein bisschen lernen und sprechen kann. Aber ich lerne meistens alleine in meinem Haus. Ich habe Bücher in unserer Wohnung, und ich kann das Internet benutzen. Also werde ich bald meine B1-Prüfung schreiben. Ich habe studiert in meinem Heimatland, aber ich habe mein Studium nie beendet, weil mein letztes Jahr in der Uni 2016 war. Ich hätte in dieser Zeit meine Abschlussprüfung schreiben sollen, aber ich musste fliehen wegen der Überfälle. Ich musste weg von meinem Heim, also konnte ich mein Studium nicht beenden, obwohl ich fünfs Jahre lang für den Beruf als Programmierer studiert habe. Ich könnte hier noch Hilfe gebrauchen mit meinem Beruf. Ich möchte sehr gerne in meinem Beruf arbeiten, als Programmierer. Die Arbeit gefällt mir sehr, ich mag Computer sehr gerne. Jetzt möchte ich gerne weiter in meinem Beruf kommen und arbeiten. Aber es ist wegen der Sprache, weil ich B1 oder B2 brauche, sehr schwierig. Zum Beispiel gab es in meiner Heimat sehr viele Programmiersprachen, die wir benutzt haben, wie Python oder Basic. Ich habe Python für ungefähr ein halbes Jahr gemacht, und in Russland kann ich programmieren. Aber hier ist es in Deutsch, man muss wenigstens B1 Deutsch und sogar B1 Englisch können, um programmieren zu können. Es werden überall IT-Spezialisten gebraucht, zum Beispiel im Sportzimmer, oder überall. Aber man muss Deutsch kennen. Meine Frau hat ihr A2-Zertifikat bekommen, vor einem Monat. Sie lernt auch ein bisschen mit mir zu Hause, aber ich lerne gerne mit Büchern, und sie nicht so.
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Sie lernt lieber, indem sie mit anderen Leuten spricht. Sie mag das Sprechen gerne. Mein Deutsch, vor allem meine Grammatik, ist insgesamt ein bisschen besser als ihres, aber sie kann besser sprechen. Meine Frau möchte gerne Sozialarbeit machen. Sie hat nie genau gearbeitet, aber sie hat eine Ausbildung in unserem Heimatland gemacht, im Fach Sozialarbeit. Mir gefällt der Chef in diesem Heim sehr. Er ist ein bisschen streng, aber für mich sind strenge Leute sehr gute Leute. Es gibt auch eine andere Frau, die hier arbeitet, und wenn es hier einen Deutschkurs im Heim gibt, dann passt sie auf die Kinder auf. Im Heim gibt es im Moment sehr viel Arbeit, sie machen kleine Renovierungen. Und mit den Ukrainern gibt es jetzt viel zu tun. Was schwer für mich hier ist, ist, dass ich immer zu Hause bin, mit den Kindern. Ich habe keine Freunde. Es gibt andere Männer in dem Heim, mit denen ich sprechen kann, aber wir haben unterschiedliche Mentalitäten. Die sind noch sehr jung, alle von 17 bis 21 Jahre, also interessieren wir uns einfach für andere Sachen. Aber wir können manchmal zusammen über etwas reden. Manche sind schon sechs Jahre hier. Einer arbeitet schon. Die sprechen auch alle sehr gut Deutsch. Manchmal übersetzen sie für mich, wenn ich etwas auf Deutsch nicht verstehe. Ich bin ziemlich glücklich hier, aber ich hätte gerne mehr Möglichkeiten. Wir haben immer noch keinen Kitaplatz, und wir wohnen immer noch hier in einem Zimmer. Vor einem Jahr habe ich einen Brief geschrieben an unser Sozialamt, und ich habe erst vor zwei Wochen eine Antwort bekommen. Was mir in Deutschland gefällt, sind die Regeln. Ich bin ein Mensch, für mich sind Regeln sehr wichtig. Ich habe es schon gesagt, aber Regeln machen jede Person zu einem Menschen. In Deutschland gibt es auch Freiheit, und viele andere Ausländer. Obwohl es viele Unterschiede gibt zwischen den Menschen, haben alle die gleiche Freiheit und die gleichen Regeln. Die Regeln funktionieren auch! In Russland ist das nicht so. Ist auch so mit Rechten. In Russland müssen nur manche Leute die Regeln befolgen. Zum Beispiel müssen hier alle Leute 60 km/h fahren. In meinem Heimatland können die Machthaber bis zu 200 fahren, und dann verursachen sie viele Unfälle, aber sie werden nicht festgenommen. Für manche Leute, für reiche Leute, in Russland, gibt es keine Regeln. Für arme Leute gibt es Regeln. In Deutschland ist es egal, aus welchem Land man kommt, alle Leute müssen die Regeln befolgen. Für mich, ich finde das gut. In den nächsten zehn Jahren würde ich gerne mein Deutsch verbessern, meinen Beruf ausüben, und eine Wohnung finden. Es gibt zwei andere Familien aus Tschetschenien, mit denen wir befreundet sind, und wir würden gerne in der Nähe von denen wohnen. Die wohnen jetzt im Zentrum von der Stadt hier, also wäre es schön, vielleicht zusammenzuwohnen. Weiter habe ich noch nicht gedacht. Ich glaube, im April habe ich meine B1-Prüfung bestanden, und dann geht es langsam, Schritt für Schritt, voraus. Dann suche ich nach einer Ausbildung und wenn das nicht geht, nach einer Arbeit.
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Meine Cousinen wohnen in Cottbus, in Brandenburg. Vielleicht können wir mal da wohnen, oder in dieser Gegend bleiben, weil es schön ruhig hier ist. Es gibt nicht sehr viel Verkehr hier, und es gefällt mir. Ich habe noch nicht viele andere Städte gesehen, aber ich finde es hier ganz gut. Aber wenn ich gute Arbeit finde in Berlin, oder irgendwo anders, dann geh ich da hin. Ich weiß nicht. Manche Probleme gibt es in jedem Land, dann macht es eigentlich keinen Sinn, über diese Probleme zu reden. Zum Beispiel gibt es in jedem Land manche Leute, die nicht freundlich sind. Andere sind doch freundlich. Das ist überall. Es gab ein oder zwei Fälle, in denen ich Diskriminierung erlebt habe, aber wir wohnen schon zwei Jahre hier. Zwei Erfahrungen mit Diskriminierung in zwei Jahren ist sehr wenig. Es gibt spinnende Leute in jedem Land – in Deutschland, in Tschetschenien, in Russland auch. Es ist normal. Die einzigen deutschen Leute, denen ich hier eigentlich begegne, sind die Sozialarbeiter im Heim. Für mich muss ich erst ein oder zwei Monate jemanden kennen, bevor ich wirklich mit dem sprechen kann. Wenn ich die Leute ein bisschen kenne und weiß, dass das gute Leute sind, die nicht schlechte Sachen sagen oder machen werden, dann kann ich anfangen, mit diesen Leuten freundlich zu sein. Wenn eine deutsche Person zu mir freundlich »Hallo!« sagt, dann sage ich auch freundlich »Hallo!« zurück. Aber ich würde mich nicht mit jemandem treffen, etwas zusammen unternehmen und viel sprechen. Das ist nicht nur mit deutschen Leuten so, sondern mit allen. Es ist einfach für mich schwer, auch mit Leuten aus Tschetschenien oder Russland. Es ist vielleicht mein psychologisches Problem. Ich muss erst jemandem vertrauen, bevor ich einfach mit dem sprechen kann. Ich muss sie erst ein oder zwei Monate kennen, um das Vertrauen aufzubauen. Auch mit den Sozialarbeitern, am Anfang habe ich nur mit denen gesprochen, wenn ich es musste. Jetzt,kann ich leicht mit denen sprechen, es ist leicht für mich, nach Hilfe von ihnen zu fragen. Wenn mein Deutsch besser ist, dann ist es auch bestimmt leichter, mit anderen Deutschen zu sprechen. Vielleicht wenn ich einen Beruf habe, dann kann ich im ersten oder zweiten Monat nicht so richtig mit meinen Kollegen sprechen, nur sehr wenig. Aber dann, vielleicht später, kann ich mehr mit denen reden. Für mich ist dieses Interview das erste Mal, dass ich frei mit einer deutschen Person spreche. Sogar mit Sozialarbeitern habe ich noch nie so frei gesprochen. Dieses Gespräch hat mir sehr gefallen. Ich kann nicht so oft mit anderen Leuten sprechen. In dieser Stadt gibt es ein Sprachcafé, und ich wollte da hingehen, aber ich habe Angst. Ich habe Angst, dass diese Leute mich nicht verstehen werden, oder dass Leute nicht mit Flüchtlingen reden möchten. Alle Leute haben diese Angst, es ist normal. Hier in Deutschland gibt es viele Flüchtlinge. Für jeden Menschen gibt es einen Grund, hierherzukommen. Manche fliehen vor Gewalt, andere möchten bessere Arbeitsmöglichkeiten, mehr Geld verdienen. Es gibt viele Gründe. Es sind auch viele Leute aus Tschetschenien hier, und jetzt aus der Ukraine. Ich habe viel im Internet gelesen über den Krieg in der Ukraine und beobachte immer die Nachrich-
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ten. Es gibt manche deutsche Leute, die sagen: »Wieso kommen diese Leute hierher. Bleibt da« und so weiter. Ich weiß, von diesen Leuten gibt es nicht viele, weil wenn ich zum Zentrum gehe, gibt es viele Leute, die den Ukrainern helfen möchten. Es gibt viele Leute, die sie unterstützen. Aber im Internet gibt es Leute, die schlechte Sachen sagen. Ich denke viel hierüber nach. Die Leute aus der Ukraine kommen wegen des Krieges. Manche Leute aus Tschetschenien und Russland kommen auch wegen des Krieges. Leute aus Russland und Tschetschenien kommen hierher, weil sie nicht in den Krieg gehen wollen, sie wollen die Leute aus der Ukraine nicht ermorden müssen. Aber sie haben auch keine Möglichkeiten, sie müssen fliehen. Bis jetzt hat die Regierung noch nicht gesagt, dass die kämpfen müssen. Aber vielleicht werden Russland und Tschetschenien später ihre Armee mobilisieren, und dann müssen Leute kämpfen. Also müssen sie fliehen. Manche deutschen Leute denken vielleicht, dass die Leute kommen, um die Sozialleistungen zu bekommen. Manchmal stimmt das ja vielleicht. Aber die meisten Leute haben einen guten Grund; sie wollen einfach frei leben. Sie wollen glücklich sein und eine Chance haben zu leben, ohne dass sie sich ständig in Gefahr fühlen. Das Erste, was diese Flüchtlinge brauchen, ist nicht Geld, Essen, eine Wohnung, sondern einfach ein freundliches Gesicht von den deutschen Leuten. Sie brauchen eine freundliche Beziehung mit den Deutschen. Für mich war es auch so. Max und Johanna waren sehr freundlich zu mir, und ich habe das gebraucht. Das hier ist nicht mein Heimatland, es ist sehr schwer. Ich möchte auch wieder zu meinem Heimatland gehen. Nicht jetzt, es ist zu gefährlich. Ich muss natürlich erst ein paar Jahre warten, aber irgendwann würde ich gerne mal zurück in meine Heimat fahren, und sie einfach besuchen, wie ein Urlaub, nur für ein oder zwei Monate. Vielleicht, wenn wir einen neuen Präsidenten bekommen, und alle Regeln in Tschetschenien funktionieren, dann kann ich vielleicht ganz nach Hause gehen. Deutschland ist ein gutes Land, und hier gibt es sehr viele nette Leute und gute Möglichkeiten, aber es ist nicht meine Heimat. Ich vermisse meine Mutter, meine Freunde. Meine Frau hat vier Schwestern zu Hause, eine Tante, ihre Mutter, und sie vermisst sie alle sehr. Aber wir können nicht zurückgehen. Die Deutschen sollten wissen, dass es am wichtigsten ist für uns, ein freundliches Gesicht zu sehen. Wenn man in einem neuen Land ist und ein wütendes Gesicht sieht, ist es sehr schwer. Zum Beispiel, wenn man in die Türkei fährt, dann sind da sehr viele Leute, die sagen: »Geht nach Hause, wir wollen euch nicht hier« und so weiter. Für mich wäre das sehr schwer. Keine Wohnung, das ist normal. Kein Essen, dann hast du Hunger, aber na ja. Aber für mich ist das Wichtigste, wie andere Leute einen behandeln. Ich weiß noch, einmal in Wandlitz war ich in einem Geschäft mit meiner Frau. Eine alte Frau ist zu uns rübergekommen, und sie hat uns ein kleines Geschenk gebracht. Für uns war das eine schöne Überraschung. Ich verstehe es, wenn Sozialarbeiter freundlich zu uns sind. Aber dieser Moment war das erste Mal in Deutsch-
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land, wo eine Person, die wir überhaupt nicht kennen, einfach freundlich zu uns war. Wir kannten sie nicht, sie kannte uns nicht, aber sie hat verstanden, dass wir Flüchtlinge sind, und sie wollte uns ein Geschenk geben. Das war sehr schön. Am allerwichtigsten ist es, eine nette Beziehung mit Menschen zu haben.
Dukvakha Im Alter von 13 Jahren kam ich mit meiner Mutter und zwei Schwestern aufgrund von Umständen nach Deutschland. Ich bin jetzt seit sieben Jahren in Deutschland, und bis auf zwei Wochen in diesem Übergangsheim. Obwohl ich Tschetschene bin, bin ich in Russland, in Rostow, geboren und aufgewachsen. Ich weiß nicht, wo mein Vater ist. Irgendwo in Russland, glaube ich. Nachdem ich in Deutschland angekommen war, ging ich zur Schule und blieb dort bis zur zehnten Klasse. Abitur war nicht möglich, weil ich nicht sehr gut Englisch spreche. In Russland wird kein Englisch unterrichtet. Dann habe ich ein Jahr lang Informatik studiert, aber ich hatte das gleiche Problem. Jetzt mache ich eine Ausbildung zur zahnmedizinischen Assistentin, genau wie meine älteste Schwester, die mich auch auf die Idee gebracht hat. Meine Mutter ist eine Pflegekraft, meine jüngste Schwester geht noch zur Schule. In der Schule haben sie mir immer geholfen. Die Leute waren sehr freundlich und hilfsbereit. Auf der Straße ist das oft anders. Fremde alte Damen sprechen mich plötzlich als »Scheißausländer« an und sagen mir, ich solle in mein eigenes Land gehen. Gruppen von Nazis haben auf mich gewartet, um mich zu verprügeln. Ich versuche jedoch, all diese Idioten zu meiden. Es gibt überall gute und schlechte Menschen, auch in Deutschland. Ich habe eine Aufenthaltsgestattung, weil ich eine Ausbildung mache. Sie muss alle sechs Monate erneuert werden. Eigentlich sollten es drei Jahre sein, aber ich belasse es dabei. Die Menschen müssen etwas zu tun haben, sonst werden sie krank im Kopf. 80 % der Menschen hier im Heim wollen arbeiten oder studieren, 20 % hängen nur herum und werden langsam verrückt. Man muss etwas aus seinem Leben machen, um Letzteres zu vermeiden. Ich fühle mich nicht wie ein Tschetschene, Russe oder Deutscher, sondern wie ein Mensch, der versucht, ein Mensch zu sein. Ich kann nichts mit Nationalitäten anfangen. Ein guter Mensch ist mit sich selbst zufrieden, akzeptiert andere so, wie sie sind, ist höflich und freundlich und versucht immer, anderen zu helfen, ganz gleich, wer sie sind. Ich wurde als Muslim erzogen. Ich fühle mich einfach gut, wenn ich bete oder faste. Der Glaube sorgt dafür, dass ich nicht allein bin oder mich einsam fühle. Ich bin auch ein geselliger Mensch, der gerne mit anderen spricht. Ich habe immer
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Freunde in der Schule und im Sportverein gehabt. Im Moment ist mein Bedürfnis nach Kontakt jedoch geringer. Ich bin gern allein. Ich habe auch keinen Kontakt zu Verwandten in Tschetschenien, Russland oder Deutschland. In zehn Jahren möchte ich mein eigenes Haus haben. Ich will hier weg, zusammen mit meinen Schwestern und meiner Mutter. Ich bin für sie verantwortlich. Viele Menschen hier im Lager sind nicht gut. Sie trinken, hängen herum, sind nicht sauber und kümmern sich nicht um sich selbst. Ich will meine Familie von hier wegbringen. Meine Mutter hat viel für uns getan, und ich möchte etwas zurückgeben. Ich spare auch Geld für meine Mutter, damit sie nach Mekka reisen kann. Das weiß sie noch nicht, also sollte sie das hier auch nicht lesen.
Malia und Eliana Wir kommen aus Tschetschenien und wir haben immer da gelebt. Dann sind wir 2015 wegen Russland nach Tschetschenien gekommen. Mama hatte in Tschetschenien ein Restaurant, und da hat sie gearbeitet. Papa hat bei einer Firma gearbeitet, wo man Säfte austeilt und so. Papa hatte in Tschetschenien ein Problem, und Mama wollte, dass wir Kinder gut zur Schule gehen könnten. Deswegen sind wir hierhergekommen. Aber alles andere in Tschetschenien war okay. Mama hat sich Deutschland nicht richtig vorgestellt, bevor wir hierherkamen. Es ist alles zu schnell gegangen dafür. Wir haben auch eigentlich nicht geplant, hierherzukommen, es ist alles sehr schnell passiert. Es war wegen Papas Problem. Wir sind erst nach Dagestan gegangen, und dann sind wir nach Deutschland gegangen. Ich war 7, als wir hierhergezogen sind. Die Reise nach Deutschland war ziemlich normal. Wir sind viel mit dem Zug gefahren, aber es war eigentlich ganz normal. Wir sind von Tschetschenien nach Moskau gefahren mit dem Zug, dann nach Polen und dann von dort nach Deutschland. Als wir in Deutschland angekommen sind, waren wir erst zehn Tage in Eisenhüttenstadt, und seitdem sind wir in diesem Heim. Also fast 7 Jahre. In Eisenhüttenstadt war es richtig schmutzig. Da waren wir in diesen Containern, und es war richtig schmutzig. Mama hat immer geweint, weil es richtig schmutzig war, aber dann nach zehn Tagen sind wir hierhergekommen. Die ganze Familie ist jetzt hier. Also wir beide, mein Papa und meine drei Brüder. Die sind alle jünger als ich. Einer meiner Brüder ist hier geboren. Der wird jetzt 6 dieses Jahr und geht in die Schule. Die Schule ist gut; wir hatten in der Schule bisher noch keine Probleme. Ich habe eigentlich das Meiste an Tschetschenien vergessen, weil wir ja jetzt so lange schon hier sind. Uns gefällt es hier. Mein ältester Bruder ist in einem Fußballverein und im Ringerverein, und meine anderen zwei Brüder sind auch im Ringerverein. Wir Kinder haben also Kontakt mit anderen Deutschen wegen der Schule und so, aber unsere Eltern nicht.
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Die erste Zeit hier in diesem Heim war richtig gut, aber jetzt ist es schlimmer und sehr schmutzig geworden, weil es halt zu viele Einwohner jetzt sind. Im Alltag macht Mama, was alle Mütter machen; kochen, aufräumen, auf die Kinder aufpassen. Sie putzt immer die Küche und den Flur. Ihr ist es egal, ob sie dafür bezahlt wird oder nicht. Hauptsache, es ist sauber da, wo sie ist. Sie wird nicht dafür bezahlt, aber die anderen Mitbewohner sind ihr dankbar. Mama ist einmal zu einem Deutschkurs gegangen, aber das war’s. Der Kurs war B1. Sie möchte nochmal einen Kurs besuchen. Sie hat B1 nicht bestanden, aber A2 schon. Wenn sie Zeit hätte, für den Kurs zu lernen und so, wäre es einfach. Aber sie hat keine Zeit, also ist es schwer. Das Problem ist, dass es hier zu viele Bewohner gibt. Alle schreien und rennen herum und singen, es gibt zu viele Geräusche draußen, man kann sich auf nichts konzentrieren. Mama muss auch Tabletten nehmen, weil sie kein gutes Gedächtnis hat. Sie weiß vieles schon, aber manche Sachen vergisst sie einfach. Kleinigkeiten vergisst sie. Also das ist auch mit dem Kurs ein bisschen schwer. Hier gibt es ganz viele andere Leute, die auch Russisch sprechen. Meine Mutter hat ganz viele Leute, mit denen sie Russisch sprechen kann. Jetzt, zurzeit geht es eigentlich mit der Sprache okay. Ganz am Anfang war es schwer, weil wir kein Deutsch konnten und so, aber jetzt, wo wir Kinder alles übersetzen können, und unsere Eltern auch ein bisschen verstehen können, ist es nicht mehr so schwer. Papa wollte eigentlich arbeiten gehen, aber hat er noch nicht. Er hat noch keine Arbeitserlaubnis. Seine Füße wurden operiert, also hat er auch viele Fußschmerzen. Unsere Probleme hier sind, dass die Duschen und alles andere sehr schmutzig sind, und dass es einfach zu viele Bewohner gibt, also gibt es manchmal Streit. Alles andere ist okay, es ist nur ein Problem, dass die Dusche und das Badezimmer und so nicht im eigenen Zimmer sind, also muss man die alle zusammen benutzen. Zum Beispiel ist gerade die Frauentoilette in der zweiten Etage kaputt, also ist es noch schlimmer geworden als sonst. Jetzt warten wir, bis die zweite Etage repariert wird. Mama sagt, wenn sie irgendwas verbessern könnte an dem System hier, wären es die Toiletten. Wir verstehen uns mit dem Heimleiter und den Sozialarbeitern. Wir brauchen aber keine Hilfe oder Unterstützung, wir kommen auch so klar. Wir haben noch keine Erlaubnis bekommen, um nach einer Wohnung zu suchen. Egal ob wir eine Erlaubnis haben, das brauchen wir jetzt nicht unbedingt. Also wir wollen nicht hier wohnen, aber vielleicht ein Wohnheim oder so, wo wir unser eigenes Badezimmer und Dusche und so haben können. Mit Deutschland haben wir kein Problem. Also manchmal zeigen Leute auf uns und machen irgendwelche Zeichen, weil wir Kopftücher tragen. Aber wir ignorieren sie. Wir haben unser Land verlassen wegen eines Problems, und in Deutschland wollen unsere Eltern einfach, dass wir zur Schule gehen können, und alles machen, was wir wollen.
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Ich möchte hier nur einen guten Schulabschluss bekommen und eine gute Arbeit finden. Ich muss in diesem Monat ein Praktikum machen, und ich habe mir überlegt, Sozialarbeit zu machen. Ich möchte später nicht an diesem Ort wohnen, also irgendwo anders, nicht in diesem Heim oder so. Hier kenne ich eigentlich fast alle Leute, in sieben Jahren kann man schon fast alle Leute kennenlernen. Also würde ich vielleicht in Berlin wohnen wollen oder so. Mama sagt, es gibt dieses Problem mit der Ukraine und Russland, und viele deutsche Leute haben angefangen, uns komisch zu behandeln. Zum Beispiel wurden unsere Sparkassenkontos blockiert, und dann haben sie sie wieder aufgemacht. Wir sind da hingegangen, und Mama durfte kein neues Konto eröffnen, weil sie meinten, mit der Ukraine-Russland-Situation konnten wir das nicht, aber sie hat es dann trotzdem probiert zu machen. Letzte Woche am Freitag hatten wir dann einen Termin, und sie haben die Kontoeröffnung gemacht, aber meinten, wir müssen warten. Die Leute benehmen sich anders, weil wir aus Russland kommen, aber wir sind ja auch dagegen. Wir mögen diese Situation ja auch nicht. Wir haben damit nichts zu tun. Nur weil Putin und Kadyrow zusammen sind, wir können ja nichts dafür. Mama meint, alles wird gut. Solange wir alles machen, was wir können, wird alles gut. Wir sind immer noch im Asylverfahren und haben dieses Jahr im Juni unseren Gerichtstermin. Wir haben keine Duldung. Aber wenn wir unser Gericht haben, müssen wir vielleicht raus aus der Stadt, oder müssen irgendwo anders hin. Oder wir bekommen Aufenthalt. Entweder uns wird gesagt, wir können hierbleiben und eine Wohnung bekommen, oder wir werden zurück in unser Land geschickt. Im Sommer wird diese Entscheidung getroffen. Mama möchte, dass die deutschen Leute wissen, dass sie keine Zeichen machen sollen, wenn sie uns sehen, und alle Leute akzeptieren, wie sie sind. Weil wir machen ja auch nichts zu ihnen, wir machen keine Zeichen zu ihnen. Also sollen sie uns einfach behandeln, wie sie auch ihre anderen deutschen Freunde behandeln. Es gibt ja viele deutsche Leute, die nett sind. Aber andere sind komisch. Leute reagieren viel zu aggressiv, wenn sie unsere Kopftücher sehen, also sie schreien viel herum. Im Netto ist es anscheinend meiner Mama auch passiert. Nur weil wir Kopftücher tragen, heißt es nicht, dass wir keine Menschen sind. Wir können ja nichts dafür.
15. Türkei
Meryem, Ayaz, und ihre Tochter Esila Vor fünf Jahren war alles ganz normal. Meine Mutter war Geschichtslehrerin und mein Vater Chemielehrer. Wir haben in Ankara gewohnt. Sie haben eine Prüfung bestanden und konnten danach für den Staat (Agrarministerium und Sport, und Jugendministerium) als Beamte arbeiten. Die Lebensbedingungen sind dann viel besser geworden, weil sie viel mehr verdient haben. Ich besuchte eine Privatschule. 2016 ist in der Türkei eine Art Putsch passiert und die Lage ist danach schlimm geworden. Alle Leute, die für den Gegner des jetzigen Präsidenten waren, also Gülen, wurden verfolgt. Ich war in einer seiner Schulen und deswegen wurden meine Eltern angezeigt. Sie wurden entlassen. Ich bin zuerst in unsere Heimatstadt Tokat umgezogen, wo meine Oma und mein Opa wohnen, und bin in eine normale Schule gegangen. Meine Eltern haben versucht, in Ankara die Lage zu klären und zu erklären, dass sie nicht schuldig sind, aber nichts wurde geklärt und sie sind auch nach Tokat gekommen. Wir haben ein Haus gekauft, damit wir dort wohnen können. Nach sieben Monaten wurde mein Vater festgenommen und er ist ein Jahr lang im Gefängnis geblieben. Nach zwei oder drei Monaten sind die Polizisten für meine Mutter gekommen, aber sie ist weggelaufen, da sie wusste, dass die Bedingungen im Gefängnis schlimm sind. Die Menschen wurden unterdrückt und bedroht. Ich wurde auch auf dem Weg zur Schule verfolgt und sie haben Fragen gestellt. Ich wurde von meinem Schulleiter und meinen Klassenkameraden gemobbt, da sie wussten, dass mein Vater im Gefängnis war. Mein Vater wurde entlassen. Danach haben sie meine Mutter gefunden und festgenommen. Ich war dabei und sie haben meiner Mutter gedroht. Zum Glück wurde sie nicht ins Gefängnis geschickt, sondern schon nach einer Woche entlassen. Mein Vater hat dann eine Strafe von sechs Jahren Gefängnis bekommen. Wir haben entschieden, dass es in der Türkei keine Zukunft für uns gibt und wir fliehen sollten. Wir haben mit Freunden gesprochen, wie sie aus der Türkei geflohen sind, und sind nach Istanbul gegangen. Wir hatten kaum noch Geld. Wir haben alles verkauft, was wir hatten: Haus, Auto, alles Mögliche. Von Istanbul sind wir über den Fluss nach Griechenland gegangen. Es war nicht einfach, es war richtig kalt im Novem-
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ber und wir mussten drei Stunden nachts laufen. Wir waren mit drei weiteren Personen auf dem Boot und das Boot ist kaputt gegangen, aber wir waren bereits fast am Ufer. Am Ufer haben wir zwei Stunden lang auf griechische Polizisten gewartet. Wir wurden festgenommen und ins Gefängnis geschickt. Bisher hatte ich nur die Geschichten von meinem Vater gehört, aber dann habe ich es wirklich erlebt. Es war nicht schön: Wir konnten nicht auf die Toilette, weil die Türen abgeschlossen waren. Wir hatten keine richtigen Betten, es war sehr nass und wir hatten nur die Kleidung, die wir getragen hatten. Nach vier Tagen im Gefängnis sind wir ins Flüchtlingsheim gebracht worden. Dort wurden wir mit anderen türkischen Familien zusammengebracht. Wir mussten zu 20 Personen in einem Zimmer schlafen. Ich konnte nicht richtig auf die Toilette gehen, ich konnte nicht duschen und für mich als Mädchen, ich habe Bedürfnisse und es war wirklich schlimm. Irgendwie haben wir das überstanden. Wir wurden dann entlassen und wir haben gedacht, wir machen etwas Schönes. Wir hatten ein bisschen Geld und wir sind in ein Hotel gegangen. Nichts Luxuriöses, aber mit einer Dusche. Wir hatten nur für eine Nacht genug Geld, aber das war sehr schön. Wir sind zwei Monate in Griechenland in Athen bei Freunden meiner Mutter geblieben. Sie waren zwei oder drei Jahre zuvor geflüchtet. Es war sehr langweilig. Dann haben wir entschieden, nach Deutschland zu fahren. Ich wollte wieder zur Schule gehen und ich habe ein bisschen angefangen zu lernen, damit ich nicht so viele Schwierigkeiten habe. Wir wollten als Familie nach Deutschland, aber es hat nicht geklappt. Mein Vater ist erst drei Monate später nach Deutschland gekommen. Eigentlich wollten wir nach Finnland, da ich recherchiert hatte, dass die Bildung dort viel besser ist. Wir hatten nicht vor, nach Deutschland zu gehen. Wir haben die Flugtickets gekauft und dachten, dass wir nur eine Nacht in Deutschland übernachten und dann weiterfahren würden. Aber eine türkische Familie – ein Freund von meinem Vater – hatte uns erzählt, wie es in Deutschland ist, zu leben. Wir haben gedacht, dass es vielleicht besser ist, um einen Job für meine Eltern zu finden. Und wir dachten, dass es in Deutschland einfacher ist, da es in Berlin so viele Türken gibt, die wir fragen könnten, wenn wir etwas nicht wüssten. Wir hatten gar keine Ahnung, wie es in Deutschland sein wird. Für Finnland hatte ich für die Bildung ein bisschen recherchiert. Aber für Deutschland, ich denke, wenn wir die Türken in der Türkei fragen, würden sie keine guten Sachen erzählen. Viele erzählen schlechte Sachen, damit die anderen Türken nicht nach Deutschland kommen. Ich habe noch Kontakte mit einem Freund in der Türkei und er hat mir gesagt, dass die Lehrer in der Türkei das auch erzählen, damit wir nicht hierherziehen. Wir sind erst in Eisenhüttenstadt angekommen und dann nach Doberlug verlegt worden. Dort sind wir fast vier Monate geblieben. Es war nicht so schön, weil die Security uns nicht so gut behandelt hat. Wir waren irgendwie Untermenschen für
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den, weil wir geflüchtet sind. Wir wurden manchmal rassistisch behandelt, aber ich konnte mich als 12-Jährige ohne Deutschkenntnisse nicht verteidigen. Ich habe eine Depressionsphase erlebt. Ich war oft krank und ich konnte nicht machen, was ich wollte. Mein Vater ist nachgekommen und wir konnten als Familie nach Königs Wusterhausen ziehen. Wir sind sieben Monate dort geblieben. Es war schrecklich. Zum Glück hatten wir ein Bad und eine Toilette im Zimmer. Aber ich wohnte im gleichen Zimmer wie meine Eltern und die Küche war draußen für mehrere Familien. Und ich habe angefangen zu lernen. Ich wollte immer zur Schule, richtig lernen und Freunde finden. Aber ich war richtig enttäuscht, weil ich wieder anders behandelt wurde als andere Kinder. Ich war in der Willkommensklasse. Am Anfang war es für mich sehr schwierig, nicht verstanden zu werden und nichts zu verstehen. Ich wurde ein bisschen unterschätzt, weil ich ein Flüchtling war. Ich habe also entschieden, ich werde mich beweisen. Ich habe mich hingesetzt und habe gelernt: In einem Jahr habe ich die deutsche Sprache gelernt. Nach einem Monat in Königs Wusterhausen haben meine Eltern Deutschkurse bekommen. Wir bekommen Hilfe vom Jobcenter. Wir sind richtig zufrieden damit. Es ist ausreichend für uns. Als wir im Flüchtlingsheim waren, haben wir unsere Aufenthaltserlaubnis erhalten, und unsere Ausweise. Danach war es mit dem Geld ein bisschen besser. Wir haben vier Monate auf diese Aufenthaltserlaubnis gewartet. Das ging richtig schnell! Wir hatten wirklich viel Glück, dass die Frau, die für uns zuständig war, uns sehr geholfen hat. Also das ist eine Glückssache: Wenn du einen guten Sozialarbeiter hast, kann es schnell gehen. Wenn der Sozialarbeiter schlecht ist, dann muss man richtig viel selber machen. Dann haben wir die Wohnung in Potsdam gefunden und sind umgezogen. Ab dann war unser Leben viel, viel besser. Um die Wohnung in Potsdam zu finden, haben wir keine Hilfe bekommen. Mein Vater hat sich hingesetzt und stundenlang nach einer Wohnung gesucht. Es gibt zwar Sozialarbeiter, aber ich glaube nicht, dass sie uns helfen konnten. Es gibt eine Frau, die uns ein bisschen geholfen hat. Aber ich glaube, eine Wohnung in Deutschland zu finden ist nicht einfach. Man muss sich richtig viel Mühe geben, damit man eine Wohnung findet. Ich glaube nicht, dass die Sozialerbeiter so viel Zeit dafür haben. Man muss sich hinsetzen und viel suchen. Manche sagen, wenn du keine Deutsche bist, dann bekommst du diese Wohnung nicht. Wir haben sieben Monate auf die Wohnung gewartet. Mit der Wohnung sind wir erleichtert: Endlich haben wir ein Zuhause! Und dann hat Corona angefangen. Es war schwierig, wieder einen Deutschkurs zu finden. Ich wollte in die Schule gehen und lernen, aber die Schule wurde geschlossen und alle Schüler wurden nach Hause geschickt. Die Anmeldung in der Schule war schwierig. Sie haben mir gesagt, dass ich erstmal einen Gesundheitscheck im
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Krankenhaus machen soll. Ich habe in der Schule gesagt, dass ich nicht weiß, wie das geht. Und ich wurde angeschnauzt, weil ich in die Schule gegangen bin, obwohl ich keinen vollständigen Impfpass hatte. Hinter mir war eine deutsche Familie und sie hatten auch keinen Impfpass, aber sie wurden richtig gut behandelt und ihnen wurde geholfen. Ich war richtig sauer und das hat meinen Ehrgeiz hochgedreht. Zu Hause habe ich angefangen, richtig zu lernen. Ich war fünf Monate zu Hause mit einem Lernplan, den ich entwickelt hatte, und habe die siebte Klasse nachgeholt und die achte Klasse vorbereitet. Endlich konnte ich zur Schule gehen. Meine Eltern sind zum Deutschkurs gegangen, um die B1-Prüfung zu machen. Ich habe die achte Klasse im August 2020 angefangen. Das hat richtig gut geklappt. Die Lehrer haben es gemerkt, dass ich mehr kann. Ich hatte das Ziel, aufs Gymnasium zu gehen. Innerhalb von fünf Monaten wurde ich Klassenbeste. Als ich die neunte Klasse angefangen habe, haben meine Eltern mit B2 angefangen, aber im Online-Unterricht. Vor zwei Monaten haben sie die B2-Prüfung bestanden. Es ist nicht so schwer, sich an das Leben hier zu gewöhnen, und wenn man ein bisschen Geld hat, dann hat man gute Bedingungen hier. Aber was schwierig für uns ist, ist, dass die Leute umdenken müssen. Das habe ich auch in der Schule erlebt: Wenn ich gesagt habe, dass ich ein Flüchtling war, haben sie mich behandelt, als ob ich außerirdisch war. Es wird den Menschen nicht beigebracht, dass Flüchtlinge keine Untermenschen sind oder dass es möglich ist, dass andere Leute unter schlechteren Bedingungen leben. Aber ich kann es auch verstehen: Manche Leute kommen hierher und bauen Scheiße. Um uns hier integrieren zu können, müssen wir mehr machen, uns Mühe geben, um uns zu beweisen. Aber das ist nicht richtig. Die Leute aus anderen Ländern sollten sich nicht beweisen müssen. Man sollte sich eher Zeit nehmen, um diese Leute kennenzulernen und nicht gleich denken, du trägst ein Kopftuch, dann heißt es so und so, zum Beispiel, dass du von deinen Eltern verprügelt wirst und zwölf Geschwistern hast. Es sollte einfach zu verstehen sein, dass nicht alle gleich sind, und wenn die Leute nicht so viele Vorurteile hätten, dann wäre es für uns viel, viel einfacher, uns hier zu integrieren. Mein Vater möchte gern mehr Möglichkeiten bei der Jobsuche haben. Manche sagen, dass er zum Beispiel bei Burger King arbeiten könnte. Aber nein, er hat studiert und er möchte mehr leisten und einen besseren Job haben. Und dass sie nicht so gut Deutsch können, heißt auch nicht, dass sie nicht gut arbeiten können. Aber sie sollten in der Lage sein, zeigen zu können, dass sie nicht so schlecht sind. Das Gefühl habe ich in der Schule auch: Man muss sich beweisen. Und das hat nicht so gut geklappt, da meine Gesundheit nicht so gut ist. Darum habe ich entschieden, zurück in die Gesamtschule zu gehen und nicht am Gymnasium zu bleiben. In der Gesamtschule gibt es mehr Ausländer und ich habe mich dort weniger als Außenseiterin gefühlt. Das Schulsystem ist gut, aber die Leute wissen nicht, wie
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sie helfen können. Zum Beispiel habe ich manchmal eine andere Meinung und wenn ich mich melde, schauen sie mich manchmal komisch an. Es könnte sogar ein Fach oder ein Projekt in der Schule geben, wo die Leute lernen könnten, mit verschiedenen Meinungen umzugehen. Wir möchten in Deutschland bleiben. Ich möchte für die Regierung arbeiten, die mich aufgenommen hat.
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16. Vietnam und Ukraine
Hung Ich bin in Russland geboren, weil meine Eltern dort gelebt haben, aber als ich 3 Jahre alt war, bin ich nach Vietnam gezogen, um bei meinen Großeltern zu leben. Ich bin dort aufgewachsen, aber als ich 18 war, bin ich zu meinen Eltern in die Ukraine zurückgekehrt. In der Ukraine habe ich fünf Jahre lang die Universität besucht und einen Abschluss in Wirtschaftswissenschaften gemacht. Nach meinem Abschluss habe ich einen Marktstand für Kleidung eröffnet, den ich fünf Jahre lang bis zum Beginn des Krieges allein betrieben habe. Es war eine sehr schwierige Entscheidung, ob ich die Ukraine verlassen sollte. Ich hatte meinen Marktstand und mein Leben dort. Ich hatte gehofft, dass der Krieg in ein paar Tagen zu Ende sein würde, aber nachdem er fünf Tage angedauert hatte und kein Ende in Sicht war, habe ich mit einigen anderen Leuten gesprochen und beschlossen, zu gehen. Die Bomben hatten bereits begonnen, auf unser Viertel zu fallen. Wenn wir bis zum Ende des Krieges bleiben würden, wäre es sehr schlimm. Also bin ich eines Morgens einfach aufgewacht, habe meine Sachen gepackt und bin gegangen. Ich bin mit meiner Freundin und ihrer Familie nach Deutschland gereist. Meine Freundin und ich hatten uns in der Ukraine kennengelernt, wo wir Nachbarn waren, aber sie ist auch Vietnamesin, so dass wir gemeinsame Freunde in Vietnam hatten. Sie war ein Jahr vor mir in die Ukraine gekommen und hat auf demselben Markt verkauft wie ich, also haben wir beschlossen, gemeinsam zu reisen. Wir haben uns entschieden, nach Berlin zu kommen, weil wir im Internet herausgefunden haben, dass es hier eine große vietnamesische Gemeinschaft gibt. Alle meine Freunde sind etwa zur gleichen Zeit weggegangen, aber sie sind alle in verschiedene Länder in Europa gegangen. Meine Schwester ist nach Polen geflohen, weil sie dort eine Freundin hat. Wir sprechen ziemlich oft miteinander, und es scheint ihr gut zu gehen. Meine Freundin und ich sind mit dem Zug und dem Bus nach Deutschland gereist, durch Moldawien, Rumänien, Ungarn, die Slowakei, Tschechien und dann hierher. Es war ein bisschen schwierig, mit ihren beiden Kindern zu reisen, aber sie haben sich die ganze Zeit über gut benommen. Der erste Tag in Berlin war stressig,
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aber die Leute waren sehr hilfsbereit. Als wir am Berliner Hauptbahnhof angekommen sind, gab es viele Freiwillige, die versucht haben, mir zu helfen und alle meine Fragen zu beantworten. Wir wussten nicht, wo wir unterkommen würden, aber ich habe einen Freund eines Freundes, der in Berlin lebt, also habe ich ihn angerufen und er hat mir gesagt, was wir tun sollten. Die erste Nacht haben wir in einem Flüchtlingslager in Ludwigsfelde verbracht, und dann hat uns der Sozialarbeiter hierhergeschickt, in ein neues Lager. Wir sind erst seit zwei Monaten hier, aber das Heim ist bis jetzt gut. Alle sind sehr freundlich. Die Kinder meiner Freundin spielen mit den anderen Kindern und gehen hier schon zur Schule. Die Schule gefällt ihnen sehr gut und sie haben sogar schon einige deutsche Freunde. Ich bin sehr dankbar für die Hilfe, die wir bisher in Deutschland bekommen haben. Ich fühle mich jetzt ein bisschen mehr im deutschen Leben zu Hause. Alles, was ich im Moment wirklich will, ist Deutsch zu lernen und einen Job zu finden, das ist alles. Die vietnamesische Gemeinschaft in Berlin war sehr hilfreich für uns. Ich besuche jetzt einen Deutschkurs über eine vietnamesische Organisation. Einige Freunde, die ich hier getroffen habe, haben mir schon einige Jobs angeboten. Es gibt viele Jobs in der Gastronomie oder in anderen deutschen Unternehmen, und ich hoffe, dass ich arbeiten kann, sobald ich etwas mehr Deutsch gelernt habe. Sobald ich etwas Geld gespart habe, möchte ich von zu Hause ausziehen und mir eine eigene Wohnung suchen. Im Moment warten wir eigentlich nur auf Nachrichten darüber, was in der Ukraine passieren wird. Wir wollen, dass der Krieg bald zu Ende ist, aber wir wissen nicht, ob wir zurückkehren können. Ich liebe die Ukraine, und es ist ein sehr schönes Land. Aber der Markt, auf dem wir beide gearbeitet haben, wurde bei einem Bombenangriff völlig zerstört, so dass wir nichts haben, wohin wir zurückkehren können. Vielleicht gibt es in Deutschland eine Chance für uns.
TEIL II. Auswertung der Interviews
In unseren Interviews fragten wir die Bewohner hauptsächlich nach ihrem Leben in ihrem Heimatland, warum sie ihr Land verlassen haben, wie sie nach Deutschland gekommen sind, welche Erfahrungen sie in den Heimen gemacht haben, welche Probleme sie in Deutschland haben und was sie gerne erreichen würden. Kein Interview glich dem anderen, aber es gab viele wiederkehrende Leitmotive. Diese werden deutlich, wenn wir die wichtigsten in den Interviews angesprochenen Themen auflisten. Dazu gehören die Motive für das Verlassen des Heimatlandes, die Reise nach Deutschland, die Kenntnisse und Erwartungen an das Zielland, das Erlernen der deutschen Sprache, die absolvierte Ausbildung und der ausgeübte Beruf, die in Deutschland ausgeübte oder gewünschte Arbeit, der Platz in einer Kindertagesstätte, das Leben im Flüchtlingsheim, der Versuch, sich eine eigene Wohnung zu sichern, Diskriminierungserfahrungen, Erfahrungen im Asylverfahren, soziale Ausgrenzung und Einsamkeit, das Warten auf Entscheidungen, der Zwang zum Nichtstun, psychische Probleme, erhaltene Hilfen, erlebte Enttäuschungen und Desillusionierungen sowie die Zukunftsperspektiven.
1. Das Verlassen des Heimatlandes: Gründe und Ursachen
Die Gründe für das Verlassen des Heimatlandes sind persönlicher, religiöser, politischer oder wirtschaftlicher Natur. In erster Linie flüchteten die Menschen, weil sie mit persönlichen Problemen konfrontiert waren, die in der Heimat nicht (mehr) gelöst werden konnten, weil sie aus politischen, religiösen, sexuellen oder ethnischen Gründen verfolgt oder diskriminiert wurden, weil ein (Bürger-)Krieg herrschte oder weil in der Heimat allgemeine Gesetzlosigkeit herrschte. In Europa oder Deutschland suchten die Menschen Sicherheit und Geborgenheit. Obwohl die Lebensbedingungen und Perspektiven in Deutschland regelmäßig zu wünschen übrig ließen, waren die Betroffenen meist schon sehr dankbar, überhaupt in Sicherheit zu sein. Auch wirtschaftliche Gründe wurden genannt, obwohl den Betroffenen in der Regel bewusst war, dass diese Gründe von den meisten europäischen Behörden für die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nicht akzeptiert werden. Die Menschen suchen einfach ein besseres Leben für sich und vor allem für ihre Familien und sind bereit, dafür sehr viel zu investieren. Natürlich ist dies kein neues Phänomen. So sind in den letzten Jahrhunderten Millionen von Europäern aus diesem Grund u.a. nach Amerika, Kanada, Australien und Neuseeland gezogen. Darüber hinaus gibt es Ursachen, von denen viele eine lange Geschichte haben und mit der internationalen wirtschaftlichen und politischen Konstellation zusammenhängen. Nicht alle von uns befragten Personen waren offensichtlich in der Lage, diese Ursachen in Worte zu fassen. Man denke nur an die Bürgerkriege, die zum Teil durch die relativ willkürliche Grenzziehung der europäischen Kolonialmächte im 19. Jahrhundert verursacht wurden. Diese Grenzen brachten unterschiedliche ethnische Gruppen zusammen, die eigentlich nie in einer politischen Einheit zusammenleben wollten, oder sie trennten eher diese Gruppen. Eine weitere, tiefer liegende Ursache ist, dass der Kolonialismus und dann der international operierende oder organisierte Kapitalismus die Heimatländer der Betroffenen oft in eine extreme Abhängigkeit von westlichen Märkten und Unternehmen gebracht haben. Eine lokale Wirtschaft, die stark auf eine begrenzte Anzahl von Rohstoffen oder Produkten ausgerichtet ist, eine Einseitigkeit, die regelmäßig – gewollt oder ungewollt – vom Westen initiiert wird, macht diese
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Wirtschaft und die Lebensgrundlagen der in ihr arbeitenden Menschen sehr anfällig für Bedingungen, Veränderungen und Entscheidungen im Westen. Mit dem Verlust der Existenzgrundlage sehen die Betroffenen oft keine andere Möglichkeit, als in den Westen abzuwandern: Sie folgen einfach dem Geld. Die Aufnahme von Migranten und Flüchtlingen kann daher nicht nur als eine Form selbstloser Menschlichkeit betrachtet werden: Wir teilen etwas mit Dritten, auch wenn diese Dritten nichts zu dem, was wir teilen, beigetragen haben, und auch wenn wir keine frühere Verbindung und somit keine Verantwortung mit dem Neuankömmling haben. In seinem Buch This Land is our Land erzählt Suketu Mehta eine schöne Anekdote über seinen indischen Großvater, der nach London auswanderte. Auf einer Parkbank sitzend, habe ihn ein Passant vorwurfsvoll gefragt, warum er nach England gekommen sei. Sein Großvater hatte geantwortet: »Ich bin hier, weil du dort warst« (2019: 3, 62). Es ist selten, dass die Befragten nur einen einzigen Grund für das Verlassen des Heimatlandes nennen. Meist ist es eine Kombination von Faktoren. Es ist auch nicht so, dass sie immer Deutschland als Ziel gewählt hätten. Oft führte eines zum anderen und man erreichte Deutschland erst nach mehreren Zwischenstopps. Während der Reise tauschten sie Informationen mit anderen aus, die ebenfalls unterwegs waren, oder schlossen sich Gruppen an, die eventuell von Schleusern gebildet worden waren.
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Politische Gründe
Einen eindeutig politischen Grund hatte Naseem: Er verließ 2015 Kabul in Afghanistan, weil seine Familie, die inzwischen fast vollständig ausgewandert ist, politisch und medial sehr prominent war und zunehmend um ihre Sicherheit durch die Taliban fürchtete. »Ich wollte nie ein Flüchtling sein«, sagt Naseem, »wenn es den Krieg in Afghanistan nicht gegeben hätte, wäre ich dort geblieben. Ich war so glücklich. Ich liebe mein Land. Alle meine Geschwister und ich wollten bleiben und Afghanistan helfen […]. Wir haben lange Zeit so viel Leid in unserem Land erlebt. Trotzdem wollte ich mein Land nicht verlassen müssen. Warum sollte ich dieses Leben wählen? Ich leide so sehr, und trotzdem muss ich die ganze Zeit kämpfen.« Eine ähnliche Geschichte hat Ali Ghaznawi. Er war ein prominenter westlich orientierter Journalist in Afghanistan und sah sich bereits 2015 aufgrund von Drohungen der Taliban gezwungen, das Land zu verlassen:
1. Das Verlassen des Heimatlandes: Gründe und Ursachen
»In Afghanistan war ich mehr als ein Jahrzehnt lang durch meine Arbeit in den Medien, in der Informationstechnologie und durch soziale, kulturelle und politische Aktivitäten in der urbanen Klasse bekannt. Ich sah mich jedoch mit ernsten Sicherheitsproblemen konfrontiert, vor allem, als ich im größten Fernsehnetzwerk namens Tolo TV arbeitete, einem Unterhaltungsnetzwerk für die Menschen in Afghanistan. Die wichtigsten Bestandteile der Sendungen dieses Senders waren internationale Fernsehserien, afghanische und ausländische Musik, Unterhaltungsprogramme für Jugendliche und andere soziale und kulturelle Aktivitäten. Fernsehsender, die Unterhaltungsprogramme ausstrahlen, sorgten bei den extremistischen Islamisten für Unmut. Sie terrorisierten die Mitarbeiter von Tolo TV mit Morddrohungen und griffen mehrmals einige Mitarbeiter unseres Fernsehsenders an und töteten sie. Deshalb beschloss ich Ende 2015, als die Terroranschläge der Taliban und des ISIS in Afghanistan, insbesondere in Kabul, zunahmen, Afghanistan zu verlassen.« Ali ging in die Ukraine, studierte dort und baute sich ein glückliches Leben als IT-Spezialist auf. Im Jahr 2022 fielen russische Bomben in der Nähe seiner Wohnung in Odessa und er musste erneut fliehen, dieses Mal nach Deutschland. Elisas Vater und Mutter verloren nach dem Putsch 2016 in der Türkei ihre Arbeit, weil sie angeblich Beifall geklatscht hatten. Der Vater verbrachte ein Jahr im Gefängnis, die Mutter wurde ebenfalls verhaftet und eine Woche lang festgehalten, woraufhin die Familie beschloss zu fliehen. Über Griechenland gelangten sie nach Deutschland. Afra kam 2019 mit einem Touristenvisum aus dem Irak nach Deutschland: »Mein Mann arbeitete bei der Militärpolizei in Bagdad. Regierungsgegner brannten unser Haus nieder und töteten einen meiner Söhne. Seitdem fühlte ich mich im Irak nicht mehr sicher. Auf Einladung meiner Schwester, die seit 2006 in Deutschland lebt und einen deutschen Pass besitzt, kam ich mit einem Touristenvisum in dieses Land und beantragte dann Asyl. Zu meinem Mann im Irak habe ich keinen Kontakt mehr […]. Vielleicht ist auch er getötet worden […]. Im Irak hatte ich immer Angst. Wenn ich morgens mein Haus verließ, war ich nicht sicher, ob ich lebend zurückkehren würde. Es war unerträglich. In Deutschland bin ich glücklich, weil ich in Sicherheit bin. Sicherheit ist das Wichtigste im Leben. Dafür bin ich sehr dankbar. Viel mehr kann ich mir nicht wünschen.« Majid hatte vor allem ein religiöses Problem: Im Iran interessierte er sich für das Christentum, was ein Freund von ihm, ein Mitglied der Revolutionsgarden, bemerkte. Die Freundschaft verschlechterte sich, artete in Feindschaft aus, und der Ex-Freund machte ihm das Leben zunehmend unmöglich. Daraufhin beschloss Majid, 2019 nach Deutschland zu flüchten, in der Hoffnung, seine Frau und seine Tochter später nachholen zu können.
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1.2
Krieg
Natürlich gab es auch diejenigen, die vor Kriegen geflohen waren. Das galt vor allem für Flüchtlinge aus Syrien und der Ukraine. Da diejenigen, die direkt nach Deutschland gekommen waren, sofort eine Aufenthaltserlaubnis erhielten, verblieben nur wenige von ihnen in Flüchtlingsheimen. Zahra und ihre Schwiegermutter Farida flohen 2014 aus Syrien in den Libanon und beantragten in Deutschland Asyl, das ihnen sieben Jahre später gewährt wurde. Hungs Familie stammt ursprünglich aus Vietnam, lebte und arbeitete aber in der Ukraine und floh nach der russischen Invasion in das Land. »Ich hoffte, dass der Krieg in ein paar Tagen zu Ende sein würde, aber nachdem er fünf Tage andauerte und kein Ende abzusehen war, sprach ich mit einigen anderen Leuten und beschloss, das Land zu verlassen. Die Bomben fielen bereits in unserem Viertel […]. Ich reiste mit meiner Freundin und ihrer Familie nach Deutschland […]. Wir haben uns für Berlin entschieden, weil wir im Internet herausgefunden hatten, dass es hier eine große vietnamesische Gemeinschaft gibt. Alle meine Freunde sind etwa zur gleichen Zeit abgereist, aber sie sind alle in verschiedene Länder Europas gegangen. Meine Schwester ist nach Polen geflohen, weil sie dort eine Freundin hat.« Karina stammt aus Marokko, lebte aber in Libyen. Dort hatte sie zwei Kinder mit ihrem zweiten Ehemann. »Ich hatte zwei Kinder, Zwillinge. Als sie noch Babys waren, begann der Krieg in Libyen. Wir beschlossen, Libyen wegen des Krieges und weil wir kein Geld hatten, zu verlassen. So kamen wir 2020 nach Deutschland. Ich wollte nicht nach Deutschland gehen, aber wir mussten es für unsere Sicherheit tun.« Der Afghane Emad ging zunächst in den Iran, fürchtete, nach Afghanistan abgeschoben zu werden und reiste deshalb weiter in die Türkei. Schließlich landete er, zu seinem eigenen Erstaunen, in Deutschland. Dennoch ist er sehr froh darüber, vor allem für seine Tochter: »Wir kommen aus einem vom Krieg gezeichneten Land. In Afghanistan war es sehr schwer für uns, und wir mussten das Land verlassen. Gott sei Dank sind wir jetzt in Deutschland. Ich bin glücklich hier, sowohl mit den Menschen als auch mit der Regierung, und die Dienstleistungen sind alle sehr gut für uns. Weil wir aus einem Land kommen, in dem wir nur Not und Elend erlebt haben, bin ich jetzt hier glücklich. Ich kann hier studieren, ich kann etwas für mich und für meine Tochter tun. Wenn wir dort gewesen wären, hätte ich nichts tun können. Für mich ist das nicht schlimm, aber für meine Tochter ist es schlimmer, weil sie ein Mädchen ist.
1. Das Verlassen des Heimatlandes: Gründe und Ursachen
In Afghanistan haben die Frauen nichts. Aber hier, auch wenn ich nichts erreiche, kann meine Tochter etwas werden.«
1.3 Emanzipation und Gleichberechtigung Für Frauen war die Flucht nach Deutschland oft eine Chance, sich zu emanzipieren und ein eigenständiges Leben zu führen. Shireen aus Pakistan ist ein, vielleicht etwas extremes, Beispiel. Sie kommt aus einer Familie, in der es üblich ist, an Verwandte verheiratet zu werden: »Meine Familie ist seit mehr als 1300 Jahren inzestuös, weil sie glaubt, dass wir Nachkommen des Propheten Mohammed sind und wir unsere Blutlinien nicht vermischen sollten. Daher waren meine Eltern Cousins und Cousinen. Meine Geschwister und ich sollten das auch tun. Meine beiden Schwestern sind mit zwei Cousins verheiratet, und eine meiner Schwägerinnen ist die Schwester einer der Cousins. Einer meiner Brüder ist mit meiner anderen Cousine zusammen. Ich weiß nicht, ob ich es richtig erkläre; vielleicht wäre es einfacher, ein Venn-Diagramm zu zeichnen, wer mit wem verbunden ist, und in der Mitte wäre ein großer Haufen Scheiße. Von mir wurde auch erwartet, dass ich meinen Cousin heirate, aber ich konnte es nicht tun. Ich bin mit diesem Kerl aufgewachsen, und er sieht genauso aus wie mein Bruder! Es war, als wäre mein ganzes Leben für mich aufgeschrieben worden: Wenn ich diese Regeln befolge, würde meine Familie mir die beste Ausbildung geben, mich zum Studieren ins Ausland schicken und mich sogar Jeans tragen lassen. Aber als man von mir erwartete, dass ich heiraten würde, sagte ich mir, ich bin raus, und kam nach Deutschland.« Alieh wurde von ihrer Familie verheiratet, als sie 17 Jahre alt war: »Ich wollte es nicht, aber ich musste es tun. Ich hatte keine Wahl […]. In Afghanistan sagt man, dass die Tochter zu anderen Leuten gehört, was bedeutet, dass sie früher oder später weggehen sollte, um bei der Familie ihres Mannes zu sein. Die Familie meines Mannes wollte nicht, dass ich weiter studiere. Sie hielten es für unangemessen. Also konnte ich nicht mehr zur Schule gehen.« Mit ihrem Mann ging sie in den Iran, wo sie ein Kind bekamen. Ihr Mann unterstützte sie nicht. Sie wollte immer noch studieren, aber es fehlte das Geld für die Kinderbetreuung. Sie hatten keine Papiere und ihr Mann wurde eines Tages nach Afghanistan abgeschoben. Zwei Monate später kehrte er zurück und sie beschlossen, in die Türkei zu gehen. Dort blieben sie mehrere Monate und reisten dann weiter nach Griechenland, wo sie eineinhalb Jahre lang in Zelten auf Lesbos lebten.
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»Ich habe dort mehrere Kurse besucht. Ich besuchte einen Englischkurs, einen Malkurs und einige Sport- und Bewegungskurse. Ich habe auch den Griechischkurs ausprobiert, den es dort gab, und sogar ein bisschen Deutsch gelernt. Es gab jemanden im Lager, der Deutsch konnte, und ich lernte dort ein paar Grundbegriffe der deutschen Sprache, wie das Alphabet und einige Wörter.« Nachdem sie Ausweispapiere erhalten hatten, mussten sie das Lager verlassen. Da sie sich in Griechenland keine Existenz aufbauen konnten, gingen sie nach Deutschland. »Als wir ankamen, trennten mein Mann und ich uns und ließen uns scheiden. Er hatte kein Verständnis für mich und unterstützte mich nicht. In Griechenland hatten wir uns zerstritten und unsere Beziehung wurde schlechter. Jetzt lebe ich hier mit meinem Sohn.« Später im Interview spricht sie über ihre Zukunftspläne: »Ich arbeite gerade hart daran, die Sprache zu lernen. Ich würde später gerne zur Schule und auch zur Universität gehen. Ich würde gerne Sport treiben. Vielleicht würde ich gerne etwas Künstlerisches studieren, aber ich habe mich auch schon immer für ein Medizinstudium interessiert. Ich bin mir noch nicht sicher, aber wir müssen abwarten.« Die Palästinenserin Akilah kam aus einem Flüchtlingslager im Libanon. Ihr Mann hatte nur eine unregelmäßige Arbeit, sie konnten kein eigenes Haus finden und mussten bei ihrer Schwiegermutter leben. »Ende 2015 haben wir uns entschieden, nach Deutschland zu gehen. Ich wollte vor allem eine bessere Zukunft für meine Kinder und hatte auch im Internet gelesen, dass Frauen in Deutschland arbeiten, eine Ausbildung machen und sich eine eigene Karriere aufbauen können. Ich selbst bin bis zur neunten Klasse zur Schule gegangen und habe ein Jahr lang eine Ausbildung zur Sekretärin gemacht, aber ich hätte mich gerne weitergebildet und einen Beruf ergriffen. Natürlich hat auch mein Mann gehofft, in Deutschland Arbeit zu finden.« Zahra, die ursprünglich aus Saudi-Arabien stammt, wuchs in Syrien auf. Sie musste die Schule verlassen, nachdem ihr Vater einen Unfall hatte und um ihre Hilfe im Haushalt bat. Nachdem sie sieben Jahre auf ein Visum im Libanon gewartet hatten, kamen sie nach Deutschland. »Ich möchte Deutsch lernen, damit ich meine Ausbildung hier fortsetzen kann […]. Es war immer mein Traum, Lehrerin zu werden, aber im Moment möchte ich nur
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irgendeine Art von Praktikum absolvieren, um hier arbeiten zu können […]. Ich habe mich entschieden, nach Deutschland zu kommen, weil ich wusste, dass es hier mehr Möglichkeiten für mich und vor allem für meine Kinder geben würde.« Als Motiv, Afghanistan zu verlassen, nannte Gulshan persönliche Gründe und den wachsenden Einfluss der Taliban. Letztere führten zu Gewalt und Unsicherheit und machten es ihr unmöglich, zu studieren und zu arbeiten. Auch sie hatte nicht sofort an Deutschland gedacht, sondern an Pakistan, die Türkei oder den Iran.
1.4 »Persönliche Gründe« Manche geben persönliche Gründe für die Auswanderung an oder benennen diese persönlich, weil sie wissen, dass vor allem »wirtschaftliche« Motive in Europa wenig Anerkennung finden. Aline aus Kamerun ist ein Beispiel dafür: »Ich hatte in Kamerun ein Problem, das mich gezwungen hat, das Land zu verlassen«. Ihre Landsfrau Layanah erklärte, dass sie mit zunehmendem Alter den Wunsch entwickelte, »eine Reise zu machen«. Sie wollte nach Europa gehen. Sie habe nicht sofort an Deutschland gedacht, aber während der Reise hätten andere sie auf die Idee gebracht. Ab aus Gambia erwähnte ebenfalls hauptsächlich persönliche Probleme: »Ich war 17 Jahre alt, als ich Gambia verließ. Ich reiste allein und ließ meine Schwestern und den Rest meiner Familie zurück. Ich bin nicht gegangen, um vor einem Krieg oder Ähnlichem zu fliehen, sondern eher wegen persönlicher Probleme, die mich dazu brachten, wegzugehen. Es war nicht einmal mein Traum, nach Deutschland zu kommen, aber ich wusste, dass ich Gambia verlassen musste […]. Als ich ging, wollte ich einen Ort finden, an dem ich mich ausruhen und meine eigene Ruhe haben konnte. Ich wollte nicht mehr die Probleme haben, die ich dort hatte […]. Wenn es diese Probleme nicht gegeben hätte, wäre ich wahrscheinlich nur zum Studieren oder zu Besuch hierhergekommen, um dann in mein Heimatland zurückzukehren. Ein Einwanderer zu sein, in einem Heim mit vielen verschiedenen Menschen zu wohnen: Das war nicht das, was ich ursprünglich wollte. Ein Flüchtling zu sein, ist nicht etwas, das man sich einfach aussucht. Es gibt keinen Ort, der wie das eigene Zuhause ist, und ein Flüchtling zu sein bedeutet, dass man sein Zuhause für eine lange Zeit, wenn nicht für immer, verlassen muss.« Zu ihren unmittelbaren Beweggründen wollte auch Mama Stacy aus Kamerun nicht viel sagen:
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»Das ist eine ziemlich lange Geschichte, und es wird sehr emotional. Ich glaube nicht, dass ich sie jetzt wiederholen kann, aber es gibt viele Umstände, die uns dazu gebracht haben, unser Land zu verlassen, und deshalb sind wir jetzt hier. Wir warten immer noch darauf, dass der Prozess abgeschlossen wird, dass man uns hier akzeptiert. Lassen wir es einfach dabei, denn es gibt Dinge, die für mich und meine Familie privat und vertraulich sind.« Später im Interview erklärt sie: »Insgesamt liebe ich Deutschland. Es ist ein gutes Land […]. Das Bildungssystem hier ist sehr gut, und es ist kostenlos. In Afrika muss man kämpfen, um eine Ausbildung zu bekommen, und man kann es sich oft nicht leisten, seine Kinder zur Schule zu schicken. Was mir an diesem Land gefällt, ist, dass die Bildung an erster Stelle steht. Und auch das Gesundheitssystem ist sehr gut. Also, Deutschland ist ein sehr gutes Land.« Die gleiche Zurückhaltung erleben wir bei Mona und ihrer erwachsenen Tochter Kasra, die aus dem Iran nach Deutschland gekommen sind, wenn es um ihre Beweggründe geht. »Wir sind mit dem Flugzeug nach Deutschland gekommen. Wir hatten ein kleines Problem mit der Politik im Iran, und deshalb haben wir das Land verlassen. Wir haben gehört, dass Deutschland ein gutes Land ist, mit einer guten Politik und guten Menschen, und deshalb haben wir uns für Deutschland entschieden. Die politische Situation ist hier anders als im Iran. Im Iran ist sie nicht gut, aber in Deutschland ist sie besser.« Vielleicht weil der Familienvater noch im Iran wohnt, wollten die Frauen nicht genau erklären, was ihre politischen Probleme waren. Ihre bisherigen Berufe und Ambitionen (Mona war Tanzlehrerin und Basketballtrainerin, Kasra will studieren und einen medizinischen Beruf ausüben) geben einige Hinweise. Yaqout hatte zum Teil persönliche Gründe, Syrien zu verlassen. Er stammt ursprünglich aus Homs, das bereits zu Beginn des Krieges weitgehend zerstört war. Dennoch studierte er in einer anderen Stadt Architektur, konnte aber nach Abschluss seines Studiums aufgrund des Krieges keinen Job oder Praktikumsplatz finden und ging 2019 mit einem Studienvisum nach Budapest, Ungarn, um sein Studium fortzusetzen. Nach einem Jahr begann die Corona-Pandemie und er verlor seinen Job in einem Restaurant, mit dem er sein Studium und seinen Unterhalt finanzierte. Er reiste zu einem Freund nach Berlin in der Hoffnung, dort Arbeit zu finden. »Da wegen der Pandemie alles geschlossen war und ich hier keine Arbeit finden konnte, beschloss ich, Asyl zu beantragen«, sagte er. Dieses wurde ihm nach sechs Monaten gewährt, woraufhin er doch noch Arbeit als Architekt fand. Im
1. Das Verlassen des Heimatlandes: Gründe und Ursachen
weiteren Verlauf des Interviews erklärt Yaqout: »Es gibt Aspekte meines Lebens, über die ich noch nicht sprechen möchte, sensible Themen. Ich möchte in Zukunft offen über diese Themen sprechen, aber ich brauche Zeit.« Sechs Monate später nannte er uns den zusätzlichen, dringenden Grund, warum er Syrien verlassen hatte und nie wieder zurückkehren wollte: Er war schwul.
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Wirtschaftliche Gründe
Wie bereits dargelegt, ist die übliche Aufteilung in politische und Wirtschaftsflüchtlinge meist konstruiert, da fehlende wirtschaftliche Perspektiven in der Regel politische Ursachen haben, für die der Westen regelmäßig teilweise oder ganz verantwortlich zu machen ist. Obwohl die europäischen Behörden wirtschaftliche Motive im Asylverfahren nicht bewerten und sich die Migranten dessen in der Regel bewusst sind, nannten einige dennoch explizit wirtschaftliche Gründe, um nach Deutschland zu kommen. Miranda ist ein Beispiel: »Ich wusste schon früh, dass ich nach Deutschland wollte. Deutschland ist die größte Wirtschaftsmacht in Europa, und es ist ein hoch entwickeltes Land, in dem man technische und naturwissenschaftliche Fächer und auch Medizin studieren kann.« Nach der Schule besuchte sie das Goethe-Institut in Kamerun, um Deutsch zu lernen, und ging tatsächlich nach Deutschland, um zu studieren.
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Kettenmigration
Ein wichtiges Motiv, nach Europa oder Deutschland zu kommen, ist offensichtlich die Wiedervereinigung mit Verwandten, die die Reise bereits vorher gemacht haben. Das Ehepaar Sharif und Arezo verließ Afghanistan bereits zur Zeit der russischen Besatzung. Zunächst gingen sie nach Pakistan und dann in den Iran. »Wir verließen Afghanistan, als wir noch sehr jung waren, und wurden Einwanderer, und heute sind wir immer noch Einwanderer. Im Jahr 2015, als die Grenzen [in Europa] geöffnet wurden, beschlossen wir, hierherzukommen. Alle kamen in diese Richtung, und wir taten das Gleiche.« Zuerst gingen ihre vier Kinder nach Europa, und nach einiger Zeit versuchten sie, ihnen nachzureisen. Sie wurden jedoch an einer Grenze aufgegriffen und zurück nach Afghanistan abgeschoben. Hier hatten sie einen Autounfall, bei dem Arezo einen Hirnschaden erlitt. Bis heute leidet sie unter schwerem Gedächtnisverlust. Sie kehrten in den Iran zurück und reisten ein Jahr später erneut nach Europa, diesmal
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mit Erfolg, um ihre Kinder wiederzusehen. Nach einem einjährigen Zwischenstopp in Griechenland erreichten sie Deutschland. »Als wir hier in Deutschland ankamen, haben sie uns eine Krankenversicherung gegeben. Wir gehen zum Arzt und müssen nichts bezahlen […]. Da unsere Kinder vor uns gekommen waren, wussten wir etwas über das Leben in Deutschland […]. Wir hatten gehört, dass die Leistungen in Deutschland gut sind. Und sie waren wirklich gut. Sie diskriminieren dich nicht, weil du ein afghanischer Einwanderer bist […]. Was sie sagten, war wahr. Sie gaben uns die gleiche Krankenversicherung wie allen anderen auch. Es gibt keinen Unterschied.« Eine andere Form der Kettenmigration besteht darin, dass die Menschen mit einem Strom reisen, der sich bereits gebildet hat. Zayn sagte, er sei sowohl in Afghanistan als auch im Iran regelmäßig mit Diskriminierung und Polizeigewalt konfrontiert gewesen, was ihn dazu bewogen habe, in den Westen zu gehen. Deutschland war nicht sofort das Land, in das er gehen wollte, aber in der Türkei schloss er sich einer Gruppe an, die Deutschland als Ziel gewählt hatte. Auch mehrere Menschen aus Afrika erzählten uns, dass sie sich erst während der Reise Gruppen anschlossen, die nach Deutschland wollten. Sie hatten nicht immer sofort an dieses Ziel gedacht.
1.7
Medizinische Gründe
Khava nannte hauptsächlich medizinische Gründe für die Ausreise aus Tschetschenien: »Mein Sohn wurde schwer krank und wir konnten keine medizinische Versorgung für ihn bekommen. Die Krankenhäuser wollten Geld sehen, und auch für die Medikamente mussten wir mehr bezahlen, als wir konnten. Also beschlossen wir vor sieben Jahren, nach Europa zu gehen. Ich war damals 25, mein Mann 32. Freunde und Verwandte sammelten Geld, um die Reise zu finanzieren.« Im weiteren Verlauf des Gesprächs erwähnt sie, wie alle Tschetschenen, mit denen wir gesprochen haben, auch die allgemeine Gesetzlosigkeit und Unsicherheit in ihrer Heimat: »In Tschetschenien ist es gefährlich. Man kann immer plötzlich von der Polizei aufgegriffen werden. Das ist auch meinem Mann passiert. Er wurde schnell wieder freigelassen, schließlich hat er nie etwas gegen die Regierung getan. Es war ein Fehler, sagten sie. Aber die Angst geht nie weg.«
1. Das Verlassen des Heimatlandes: Gründe und Ursachen
1.8 Ein Geflecht von Motivationen Wie bereits erwähnt, haben Menschen selten nur einen Grund, um Heim und Herd zu verlassen. In der Regel spielen verschiedene Beweggründe und Ursachen, bewusst oder unbewusst, eine Rolle. Sahar aus dem Iran erklärt: »Die Menschen haben unterschiedliche Situationen und ein unterschiedliches Leben. Letztendlich hat jeder, der hierhergekommen ist, ein Problem gehabt. Vielleicht ist ein kleiner Prozentsatz nur eingewandert, um mehr Spaß zu haben oder um ein luxuriöseres Leben zu führen, aber viele hatten ein Problem, das sie dazu veranlasst hat, hierher einzuwandern.« Islam aus Dagestan erklärt: »Ich möchte, dass die Deutschen wissen, dass meine Familie und ich keine so schlechten Menschen sind. Wir sind nicht nach Deutschland gekommen, um einfach zu schlafen, zu essen und das Sozialgeld zu bekommen. Wir sind nur für unsere Zukunft hier, um uns zu integrieren und ein normales Leben zu führen.« Malik hat die Beweggründe vieler Tschetschenen und anderer aufschlussreich zum Ausdruck gebracht: »Es ist sehr schwierig für mich, über mein Land zu sprechen, und ich spreche fast nie frei über dieses Thema. Aber ich kann ein wenig über Tschetschenien im Allgemeinen sagen. In Tschetschenien gibt es Menschen, vielleicht 20 % der Bevölkerung, die Putin und seine Politik unterstützen. Dann gibt es etwa 60 oder 70 % der Menschen, die diese Politik nicht unterstützen wollen, aber die Gewalt, die in Tschetschenien herrscht, hält die Menschen in Angst. Deshalb fliehen die Menschen aus Tschetschenien […]. In meiner Heimat haben wir eine Diktatur, eine sehr starke Diktatur. Wenn die Behörden etwas sagen, muss man es tun, sonst gibt es Gewalt […]. Vielleicht kommt die Polizei zu mir und foltert mich. Ich kann den Namen nicht sagen, aber in Tschetschenien gibt es eine Person, auf die die ganze Polizei und die ganze Macht hört. Nicht Putin, aber ich kann nicht sagen, wer. Das ganze Volk hört auf diese Person, und die Polizei ist seine linke und rechte Hand […]. Um richtig zu leben, muss jeder Regeln einhalten, aber in meinem Land gibt es keine Regeln, es ist eine Diktatur […]. Sechs meiner Freunde wurden zwischen zwei Wochen und sechs Monaten im Gefängnis festgehalten. Dort wurden sie oft geschlagen. Die Behörden ließen sie erst wieder frei, wenn sie ein Papier unterschrieben hatten. Auf diesem Papier stand eine Lüge, die meine Freunde dann unterschreiben mussten. Es gab verschiedene Kategorien: Es konnte heißen: Mein Freund hat eine Waffe, mein Freund ist ein Terrorist oder mein Freund hat Drogen, obwohl mein Freund diese Dinge nie tun würde. Meine Freunde und ich sind Muslime; wir rauchen nicht,
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wir haben noch nie Drogen genommen und wir haben keine Waffen. Es gibt noch eine andere Kategorie: Meine Freunde verwenden kritische Worte über unseren Präsidenten. Aber wir haben viel zu viel Angst, mit anderen Menschen frei über unseren Präsidenten zu sprechen […]. Mein Freund war zwei Monate lang im Gefängnis, und als er nach Hause kam, konnte man sehen, dass er überall geschlagen worden war. Er ist dann nach Polen geflohen […]. Meine Freunde sind alle ins Ausland gegangen, und ich wollte das auch tun […]. Aber ich hatte keine Ahnung, wohin ich gehen sollte. Dann hörte ich von meinem Freund, dass es Möglichkeiten gab, nach Deutschland zu kommen. Also haben wir diesen Weg versucht. Es gibt viele Flüchtlinge hier in Deutschland. Für jeden Menschen gibt es einen Grund, hierher zu kommen. Manche fliehen vor Gewalt, andere wollen bessere Arbeitsmöglichkeiten, um mehr Geld zu verdienen. Es gibt viele Gründe […]. Es gibt einige Deutsche, die sagen: ›Warum kommen diese Menschen hierher. Bleibt doch da‹ und so weiter […]. Ich denke oft darüber nach. Die Menschen aus der Ukraine kommen wegen des Krieges. Einige Menschen aus Tschetschenien und Russland kommen auch wegen des Krieges […]. Bis jetzt hat die Regierung nicht gesagt, dass sie kämpfen müssen. Aber vielleicht werden Russland und Tschetschenien später ihre Armee mobilisieren, und dann werden die Menschen kämpfen müssen. Sie werden also fliehen müssen.1 Einige Deutsche denken vielleicht, dass die Menschen nach Deutschland kommen, um Sozialhilfe zu kassieren. Manchmal mag das auch stimmen. Aber die meisten Menschen haben einen guten Grund; sie wollen einfach frei leben. Sie wollen glücklich sein und eine Chance haben, zu leben, ohne ständig das Gefühl zu haben, in Gefahr zu sein. Das erste, was diese Flüchtlinge brauchen, ist nicht Geld, Essen oder eine Wohnung, sondern einfach ein freundliches Gesicht der deutschen Bevölkerung. Sie brauchen ein freundschaftliches Verhältnis zu den Deutschen.«
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Dieses Interview wurde im Mai 2022 geführt. Erst im August 2022, nachdem die Ukraine erfolgreich gegen Russland vorgegangen war, mobilisierte Putin die Armee, und tatsächlich versuchten, wie von Malik vorhergesagt, viele Tausende junger männlicher Russen, aus dem Land zu fliehen. Seltsamerweise finden sie sich in den Ländern, in die sie zu fliehen versuchten – wie Finnland, die Türkei, Deutschland – oft in denselben Warteschlangen für Asyl wieder wie die Tausenden von ukrainischen Männern, die der Einberufung entkamen (Deutschlandfunk, 5. Oktober 2022).
2. Die Reise nach Deutschland
Viele Menschen waren oft jahrelang unterwegs und erreichten Deutschland über verschiedene Stationen. Die Entbehrungen während der Reise waren regelmäßig entwürdigend und lebensbedrohlich. Das hielt sie jedoch selten davon ab, ihr Ziel zu erreichen.
2.1
Lange Reisen aus dem Nahen Osten mit langen Zwischenstopps
Mehrere Personen aus Afghanistan berichteten, zunächst im Iran oder in Pakistan gelebt und gearbeitet zu haben und dann über die Türkei, Griechenland und den Balkan nach Deutschland gekommen zu sein. Dabei handelte es sich ausnahmslos um Personen, die vor der Machtergreifung der Taliban im Jahr 2021 nach Deutschland gereist waren. Vor dieser Machtergreifung galt Afghanistan de jure als sicheres Land – die Bundeswehr war nicht ohne Grund hier. Dass dies de facto anders war, wurde stillschweigend anerkannt, indem nur selten nach Afghanistan abgeschoben wurde. Gleichzeitig durften sich die Betroffenen nicht wirklich in Deutschland integrieren. Emad sagte, er sei zunächst sieben Monate mit seiner Frau und seiner neugeborenen Tochter im Iran geblieben. Sie beschlossen, den Iran zu verlassen, weil sie keine Aufenthaltsgenehmigung erhielten und eine Abschiebung befürchteten. In der Türkei verbrachten sie dann zwei Monate auf der Straße und in Bahnhöfen. Sie fanden einen Menschenschmuggler, der sie nach Griechenland brachte. Nachdem sie fünf Monate im Lager Moria auf Lesbos verbracht hatten, erhielten sie griechische Ausweispapiere. Sie fuhren nach Athen, schliefen in Parks, wurden von der Polizei geschnappt, verbrachten erneut einige Zeit in einem Flüchtlingslager und beschlossen dann, wegen der schlechten Lebensbedingungen und Perspektiven nach Deutschland zu kommen. »Ich hätte nie gedacht, dass ich eines Tages in Deutschland landen würde«, sagt Emad, »ich war auf dem Weg in den Iran, und vom Iran bin ich irgendwie in der Türkei gelandet. Jetzt sind wir, Gott sei Dank, glücklich über das Leben hier. Ich kann mir die
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Entscheidung, nach Deutschland zu kommen, einfach nicht erklären … manchmal frage ich mich: Wie bist du hier gelandet?« Zayn verbrachte den Großteil seiner Kindheit im Iran und reiste von dort aus ebenfalls illegal in die Türkei, wo er zwei Monate lang auf der Straße lebte. Mit geliehenem Geld schloss er sich einer großen Gruppe von Flüchtlingen an, die zu Fuß über die Grenze von Bulgarien gelangten. Wie viele andere Flüchtlinge kann er sich an wenig erinnern, aber nach zahlreichen Zwischenstopps erreichte er schließlich Deutschland. Alieh hat eine ähnliche Reise hinter sich. Sie und der Mann, mit dem sie verheiratet war, gingen zunächst in den Iran, wo sie drei Jahre lang blieben. Auch ihnen wurde die Aufenthaltsgenehmigung verweigert, sie fürchteten die Abschiebung nach Afghanistan und beschlossen, in die Türkei zu reisen. Nach zwei Monaten in diesem Land reisten sie nach Griechenland. Sie blieben anderthalb Jahre auf Lesbos, erhielten griechische Aufenthaltspapiere, mussten deshalb das Lager verlassen, fanden in Griechenland keine Möglichkeit, eine Wohnung, eine Arbeit oder ein Auskommen zu finden, und beschlossen dann, nach Deutschland zu fliegen. Sharif und Arezo gingen von Afghanistan zunächst für ein Jahr nach Pakistan und dann in den Iran. Vom Iran aus versuchten sie nach einiger Zeit, ihren Kindern nachzureisen, die nun in Europa lebten. Von Europa aus wurden sie jedoch nach Afghanistan abgeschoben. Dann verließen sie Afghanistan und gingen erneut in den Iran. Dort blieben sie ein Jahr lang und fuhren dann über die Türkei mit einem Gummiboot nach Griechenland. Hier blieben sie sechs Monate in Lesbos und sechs Monate in Athen. Und schließlich gelangten sie, wahrscheinlich über die Balkanroute, nach Deutschland. Nachdem die Taliban das erste Mal an die Macht kamen, floh Naseem mit seinen Eltern nach Pakistan. Als die Taliban 2003 vertrieben wurden, kehrten sie in ihr Heimatland zurück. Im Jahr 2015 floh Naseem nach Russland, mit dem Ziel, nach Norwegen zu gehen. In Russland wurde er schwer krank und musste sich mehreren Operationen unterziehen. Als er sich noch nicht vollständig erholt hatte, erhielt er Hilfe, um über die Grenze nach Finnland zu gelangen. In Finnland blieb er zwei Jahre lang ohne Aussicht auf eine Aufenthaltsgenehmigung. Um der Deportation zu entgehen, reiste er schließlich über Schweden und Dänemark nach Deutschland aus. Im Jahr 2013, als der Bürgerkrieg in Syrien begann, ging auch der Vater der Familie Bashar nach Russland. Er arbeitete zwei Jahre lang in Moskau, bezahlte einem Schleuser 3000 €, damit er ihm über Finnland nach Deutschland half, wurde an der Grenze gefasst, verbrachte ein halbes Jahr in einem russischen Gefängnis und ging dann in die Türkei. Seine Familie kam ebenfalls in die Türkei, wo sie vier Jahre lang lebte und arbeitete. Sie beantragten in Deutschland Asyl – er wollte nicht ein zwei-
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tes Mal illegal einreisen –, das nach drei Jahren gewährt wurde. Daraufhin nahmen sie ein Flugzeug nach Berlin. Das Thema der Kettenauswanderung wurde bereits erwähnt. Menschen reisen Verwandten oder Freunden nach, die bereits ausgewandert sind. Die Anwesenheit von Verwandten in Deutschland macht es auch oft einfacher, direkt nach Deutschland zu reisen. Afra aus dem Irak konnte von ihrer Schwester, die hier lebt, zu einem Familienbesuch eingeladen werden: »Auf Einladung meiner Schwester, die seit 2006 in Deutschland lebt und einen deutschen Pass besitzt, bin ich mit einem Touristenvisum hierhergekommen und habe dann einen Asylantrag gestellt.« Kasra und Mona nahmen einfach ein Flugzeug vom Iran nach Deutschland, wahrscheinlich ebenfalls mit einem Touristenvisum, blieben drei Monate bei einer Tante in Hamburg und stellten dann einen Asylantrag. Iraner ohne Familie in Deutschland mussten über Umwege kommen. Sahar, ihr Mann und ihre Tochter nutzten einen Schleuser, der sie vom Iran über Frankreich nach Deutschland brachte. Wie sie nach Frankreich gelangt waren, blieb unklar. Majid brauchte vier Monate, um Deutschland zu erreichen: »Ich war etwa vier Monate unterwegs, durch die Türkei, Serbien, Kroatien, Slowenien, die Schweiz und dann nach Deutschland.« Fidvi aus Pakistan hat eine ähnliche Reise hinter sich. Er verließ seine Heimat vor acht Jahren und reiste über den Iran, die Türkei, Bulgarien und Ungarn nach Deutschland. Zwei oder drei Monate hat er dafür gebraucht, genau weiß er es nicht mehr. Einfacher war die Reise dagegen für seine Landsfrau Shireen, die aus einer wohlhabenden Familie stammt. Sie kam 2015 nach Deutschland, um ihren MasterAbschluss in Finanz- und Rechnungswesen zu machen. Zurück in Pakistan wollte ihr Vater sie mit einem Cousin verheiraten. Sie bat Freunde um Geld und flog zurück nach Deutschland. Gulshan verließ Afghanistan um 2017 und kam über die Türkei (drei Jahre) und Griechenland (eineinhalb Jahre) nach Deutschland. Die Überfahrt von der Türkei nach Griechenland hat sie allein gemacht. Dies geschah ganz gegen den Willen ihrer Brüder, die diese Überfahrt schon vorher gemacht hatten und aus Erfahrung wussten, wie gefährlich sie war. »Meine Brüder waren also nicht damit einverstanden, aber ich habe es aus eigenem Interesse trotzdem gemacht. Mein Bruder sagte, sie hätten diese Reise gesehen und wüssten um die Gefahren. ›Die Türkei ist besser für dich.‹ Aber er wusste nicht, unter wie vielen Schwierigkeiten wir [in der Türkei] zu leiden hatten.« Nachdem sie in Griechenland eine Aufenthaltsgenehmigung erhalten hatte, kam sie nach Deutschland, wo viele Verwandte schon früher angekommen waren. Die Familie von Gulshan ist ein typisches Beispiel für Kettenmigration: »Wir haben hier einige Verwandte und Bekannte. Die Brüder meiner Mutter leben in Deutschland, aber sie sind weit weg, vier Stunden von hier. Ich habe sie nicht mehr gesehen, seit ich hier angekommen bin. Zwei meiner Brüder leben in Berlin.
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Sie kamen vor sechs oder sieben Jahren hierher. Meine eigene Familie [ihr Vater und ihre Mutter] sind erst letztes Jahr vor Weihnachten hierhergekommen. Ich bin vor ihnen angekommen.« Die türkische Familie, bestehend aus Meryem, Ayaz und Esila, floh aus der Türkei nach Griechenland, indem sie in einer Gruppe einen Grenzfluss überquerte. In Griechenland wurden sie für vier Tage inhaftiert. Nach ihrer Freilassung blieben sie zwei Monate lang bei türkischen Freunden in Athen und beschlossen dann, nach Deutschland zu fliegen. Ihr Ziel war eigentlich Finnland, aber sie blieben in Deutschland, weil sie hofften, von der großen deutsch-türkischen Gemeinschaft Unterstützung beim Aufbau eines neuen Lebens zu erhalten.
2.2 Migration aus Afrika Auch Menschen aus Kamerun neigen dazu, enge Gemeinschaften zu bilden. Zahlreiche Kameruner halten sich daher nur de jure in einem Aufnahmezentrum in Brandenburg auf. Oft finden sie schnell eine informelle Unterkunft bei Landsleuten, in diesem Fall in Berlin. Da sie den Landkreis, in dem sie registriert sind, während des laufenden Asylverfahrens oder der »Duldung« laut Gesetz nicht verlassen dürfen, haben sie weiterhin eine Adresse in der ihnen zugewiesenen Flüchtlingsunterkunft. Die Heimleiter sind sich dieser Situation bewusst und berücksichtigen sie bei der Zuweisung von Betten und Zimmern. Aline erreichte Deutschland über Nigeria, Niger, Libyen, Italien und die Schweiz. Sie reiste mit einer jüngeren Schwester, ihren eigenen drei Kindern und den drei Kindern ihrer Schwester sowie einem Enkelkind (ihre älteste Tochter war bereits 19, als sie Kamerun verließen). In Tripolis verlor sie ihren Lebenspartner aus den Augen. Seitdem hat sie nichts mehr von ihm gehört. Miranda, ebenfalls aus Kamerun, kam bereits 2009 zum Studium nach Deutschland (»Elektrotechnik, Ökolandbau, Marketing und Mathematik«). 2017 kehrte sie aufgrund finanzieller Probleme in ihr Heimatland zurück, ohne ihr Studium vollständig abgeschlossen zu haben. Zwei Jahre später reiste sie mit dem gestohlenen Reisepass ihres Bruders erneut illegal nach Deutschland ein. Seitdem wartet sie auf eine Entscheidung über ihre Situation. Layanah wartet schon seit acht Jahren auf eine endgültige Entscheidung. Sie kam im Alter von 32 Jahren mit ihrem Bruder aus Kamerun. Sie kann sich an wenig erinnern: »Unterwegs gab es Begegnungen, die Leute geben einem Tipps, wo es leichter ist, wo es besser ist. Die Reise von Kamerun nach Spanien war schwierig und ich kann mich nicht mehr genau erinnern, wie lange sie gedauert hat. Von Spanien aus sind wir mit dem Bus nach Deutschland gekommen.«
2. Die Reise nach Deutschland
Ines, die zwei Kinder in Kamerun zurückgelassen hat, kann sich an so gut wie nichts erinnern: »Wegen meines Traumas kann ich mich an nichts erinnern. Mein Kopf funktioniert nicht. Deshalb mache ich eine Therapie.«
2.3 Traumatische Reisen Für die meisten Menschen ist die Flucht oder Migration ein psychisch belastendes Ereignis. Für manche war aber auch schon die Reise nach Deutschland ein traumatisches Erlebnis, besonders wenn man Meere überqueren musste. Einige Geschichten oben haben dies bereits verdeutlicht. Karina, ursprünglich aus Marokko, kam aus Libyen. »Wir sind mit einem Boot gereist, wir waren zwölf Personen auf diesem Boot, insgesamt drei Tage lang. In diesen Tagen haben wir überhaupt nichts gegessen, ich dachte, wir würden sterben. Ich wollte nicht sterben. Es tut mir leid, ich kann nicht über diese Zeit sprechen.« Gulshan aus Afghanistan nahm ein Boot von der Türkei nach Griechenland: »In der Nacht, als wir mit dem Boot über das Meer fuhren, wurde es sehr stürmisch. Die ganze Nacht war das Schiff dem Sturm ausgeliefert. Die Kinder haben alle geweint. Alle unsere Sachen gingen unter. Wir riefen eine Organisation an, um uns zu helfen. Wir haben ihnen unseren Standort mitgeteilt. Sie suchten auf dem ganzen Meer und konnten uns nicht finden. Als sie uns erreichten, war es schon fast Morgen. Das Schiff war kaputt, stand unter Wasser und war voller Wasser. Zu viel Wasser. Sie holten zuerst die kleinen Kinder, dann die Frauen und dann die Männer. Weil das Schiff kaputt war, sind alle unsere Sachen ins Wasser gefallen. Gott sei Dank haben sie uns gerettet.« Zwei Monate später, im September 2020, erlebte Gulshan das Feuer im Lager Moria auf Lesbos und verlor ihre letzten persönlichen Gegenstände. Ab aus Gambia berichtete über seine Reise: »Die Reise hierher war unglaublich schwierig. Ich spreche nicht gerne darüber, aber ich habe auf dieser Reise so viele Dinge erlebt. Ich reiste von Gambia nach Senegal, dann nach Mali und von dort nach Burkina Faso. Dann ging es durch Niger nach Libyen. Die Reise war wirklich furchtbar. Sie dauerte insgesamt drei Monate, plus weitere drei Monate, die ich in Italien blieb, nachdem ich Libyen verlassen hatte.« Für andere war die Reise selbst relativ einfach. Man nahm schlicht den Zug, die Fähre oder das Flugzeug, u.a. mit einem Touristenvisum oder einem bewilligten Asylantrag. Fatima zum Beispiel erreichte Spanien von Algerien aus mit der Fähre (eine neunstündige Reise) und nahm dann einfach einen Bus über Frankreich nach
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Deutschland. Während ihres Aufenthalts in einem libanesischen Flüchtlingslager stellten Zahra und Farida aus Syrien einen Asylantrag in Deutschland. Dieses wurde ihnen nach sieben Jahren gewährt. Sie nahmen dann ein Flugzeug nach Deutschland. Die Familie Bashar hat, wie wir gesehen haben, vier Jahre lang in der Türkei auf deutsches Asyl gewartet und ist dann ebenfalls einfach nach Berlin geflogen. Auch die Menschen aus Tschetschenien hatten eine relativ kurze Reise nach Deutschland. Khava nahm den Zug nach Weißrussland und reiste dann mit dem Auto direkt nach Eisenhüttenstadt. Malia und Eliana kamen mit dem Zug aus Tschetschenien, über Dagestan, Moskau und Warschau. Und Malik flog von Tschetschenien in die Türkei, dann nach Bosnien und Herzegowina und schließlich nach Deutschland: »Die ganze Reise dauerte nur etwa eine Woche, ich war nur ein paar Stunden in der Türkei und dann nur ein paar Tage in Bosnien und Herzegowina.«
2.4 Schleusen von Menschen Menschenschmuggel hat sich zu einer globalen Industrie entwickelt. Bereits 2015 schätzten die Vereinten Nationen, dass jährlich 150 Millionen Dollar mit dem Schmuggel von Menschen aus Afrika nach Europa und mehr als 6 Milliarden Dollar mit dem Schmuggel von Menschen aus Lateinamerika nach Nordamerika verdient werden. Das European Migrant Smuggling Centre, eine Abteilung von Europol, stellt 2018 fest: »Seit der Migrationskrise im Jahr 2015 hat sich das Geschäft mit der Schleusung von Migranten als großer, lukrativer krimineller Markt etabliert, und die Schleusung von Migranten ist nach wie vor ein hochprofitables Geschäft, bei dem die kriminellen Syndikate ein geringes Entdeckungsrisiko haben. Das Geschäftsmodell der an diesem Verbrechen beteiligten Kriminellen entwickelt sich ständig weiter und reagiert auf die Dynamik und die Bedürfnisse der Migrationsströme […]. Sie organisieren sich immer besser, bauen ausgeklügelte professionelle Netzwerke auf und operieren grenzüberschreitend von den Herkunfts- zu den Zielländern.« Die Entlohnung, die die Schleuser von ihren Kunden verlangen, schwankt zwischen 1000 und 20.000 Dollar, je nach den angebotenen Dienstleistungen, den zurückgelegten Entfernungen und den Schwierigkeiten, das Zielland zu erreichen. Die französische Nichtregierungsorganisation Financial Action Task Force (FATF) schätzt, dass der Umfang dieses Menschenschmuggels im Jahr 2022 bereits mehr als 10 Milliarden Dollar beträgt. Ein großer Teil dieses Geldes wird in der formellen Wirtschaft gewaschen, was in Deutschland sehr einfach ist, und auch zur Finanzierung von Terrororganisationen wie ISIS und Boko Haram verwendet. Die FATF wies darauf
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hin, dass die europäischen Regierungen kaum Kontrolle über die Aktivitäten und Finanzströme haben. Der kriminelle Charakter der beteiligten Organisationen wird bereits deutlich, wenn man die Zahl der Menschen betrachtet, die ihre Reise nicht überlebt haben: »Migrantenschmuggel ist ein tödliches Geschäft, das von Gruppen betrieben wird, die aus Tausenden von Menschen Profit schlagen wollen, ohne deren Rechte und Würde zu achten. So hat beispielsweise der Migrantenstrom von Marokko, Algerien, Tunesien, Libyen und Ägypten über das Mittelmeer in Richtung der Küsten Italiens, Griechenlands und Spaniens schätzungsweise mehr als 20.000 Tote gefordert« (FATF 2022: 10). Nach Angaben von Amnesty International wurden etwa 60 % der Asylsuchenden, die in den Niederlanden ankommen, von jemandem gegen eine Gebühr bei der Reise unterstützt. Die Organisation weist jedoch darauf hin, dass ohne diese »Hilfe« viele Opfer struktureller Gewalt, denen unmittelbar nach ihrer Ankunft Asyl gewährt wird, das Zielland nie erreicht hätten. Wie in den vorangegangenen Abschnitten hervorgehoben wurde, ermöglichten Menschenschmuggler vielen der von uns befragten Personen, Deutschland zu erreichen. Dies erklärt auch, warum mehrere Personen in Gruppen reisten. Manchmal wurde eine Gruppe bereits an ihrem Wohnort gebildet. In anderen Fällen wurde die Gruppe an Sammelstellen in Libyen, der Türkei, Griechenland oder Russland formiert. Die Geschichte von Yasmina aus dem Libanon ist ein weiteres Beispiel dafür: »Meine Reise nach Deutschland dauerte 27 Tage. Ich bin mit einer großen Gruppe zu Fuß, mit dem Auto, dem Bus, dem Zug und dem Schiff gereist. Zuerst ging es vom Libanon nach Syrien, dann weiter in die Türkei und nach Griechenland, bis wir schließlich im Februar 2016 in Deutschland ankamen.« Akilah kam ebenfalls aus einem palästinensischen Flüchtlingslager im Libanon. Sie erzählte: »Wir hatten 2015 gehört, dass es einfacher sei, nach Deutschland zu immigrieren. Wir haben einen Menschenschmuggler bezahlt. Zuerst fuhren wir in die Türkei und dann mit einem überfüllten Schlauchboot nach Griechenland. Ich hatte große Angst, dass das Boot leckschlagen würde und wir ertrinken würden. Es dauerte nur eine Stunde, aber in meiner Erinnerung ist es eine Ewigkeit. In Griechenland waren wir eineinhalb Tage in einer Polizeizelle. Man gab uns nur Wasser und ein paar Kekse. Danach konnten wir plötzlich gehen. Wir reisten mit Taxis, Bussen und Zügen durch den Balkan, bis wir in Deutschland ankamen. Wir waren hauptsächlich nachts unterwegs, und ich erinnere mich nicht an viel. Mein Sohn war 4 Jah-
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re alt und meine Tochter, die ich die ganze Zeit im Arm hielt, war noch ein Baby. Insgesamt dauerte die Reise 13 Tage. Sie war sehr schwierig, und ich habe viel geweint. Ich weiß nicht mehr, wo ich die Grenze nach Deutschland überquert habe.« Schleuser haben einen großen Einfluss darauf, wohin Menschen ziehen. Sarah aus dem Iran erklärt: »Wir sind über Land hierhergekommen. Wir sind mit gefälschten Pässen in die Türkei geflogen und dann auf dem Landweg nach Deutschland gereist […]. Wir hatten Deutschland nicht im Sinn, als wir gingen. Wir wollten nur irgendwohin gehen, damit mein Mann nicht ins Gefängnis muss. Als wir dann Schlepper und all das gefunden haben, konnten wir nirgendwo anders hingehen. Die Wege in alle anderen Länder waren versperrt […]. Mein Mann arbeitete, und ich arbeitete in Teilzeit in einer Anwaltskanzlei als Sekretärin. Wir hatten mit unseren Ersparnissen und einer Hypothek eine kleine Wohnung gekauft, aber das alles wurde für den Schleuser ausgegeben.«
2.5 Mangelnde Kenntnisse und falsche Erwartungen in Bezug auf Deutschland Die meisten Menschen kamen praktisch unvorbereitet nach Deutschland. Die Menschen hatten wenig oder gar keine Informationen darüber, was sie im Zielland erwartete. Offensichtlich war dies für diejenigen, die um ihr Leben flohen, weniger relevant als für diejenigen, die hauptsächlich eine bessere Zukunft suchten. Die Erwartungen vor allem der letzteren Gruppe wurden von mehreren Akteuren und Faktoren beeinflusst. Erstens durch westliche Massenmedien (Fernsehserien, Filme, soziale Medien), die auch die Kulturen der Herkunftsländer durchdringen. Sie schaffen ein Bild vom Leben in den westlichen Ländern, das nur selten der Alltagsrealität entspricht. Im Westen weiß man das in der Regel, weil man das Bild an der Realität überprüfen kann. Diese Möglichkeit gibt es in Afghanistan, Ghana oder Pakistan offensichtlich nicht. Zweitens werden Erwartungen durch die Schleuser geweckt, die eine beträchtliche Anzahl von Menschen genutzt hat, um nach Deutschland zu kommen. Diese Schleuser haben ein finanzielles Interesse daran, Menschen davon zu überzeugen, sich auf den Weg nach Europa zu machen. In ihrer Erzählung bekommen die Migranten einfach Asyl und dann einen gut bezahlten Job und alles andere, was ein hohes Einkommen ermöglicht: ein eigenes Haus, ein Auto, Urlaub und so weiter. Mehrere Personen berichteten, dass sie sich von den Schleusern betrogen fühlten. Drittens spielen Migranten, die früher nach Europa und Deutschland gekommen sind, eine Rolle. Ein Großteil der Migration hat, wie bereits erwähnt, den Charakter
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einer Kette: Man folgt (entfernten und nahen) Verwandten, die zuvor das Heimatland verlassen haben. Viele der von uns befragten Personen hatten daher Verwandte in verschiedenen westlichen Ländern. Obwohl die Realität regelmäßig anders aussieht, senden diese Menschen meist positive Botschaften an die Heimatfront. Letzteres ist wahrscheinlich sowohl durch den Wunsch motiviert, die Menschen zu Hause zu beruhigen, als auch durch Stolz: Es fällt schwer, zuzugeben, dass die radikale Entscheidung, die Heimat zu verlassen und eine manchmal jahrelange, gefährliche Reise zu einem unbestimmten Ziel zu unternehmen, vielleicht doch nicht die richtige war. Außerdem liegt es wahrscheinlich an den sozialen Medien, die von vielen genutzt werden – Facebook, Instagram, TikTok –, um meist positive, optimistische, geschönte Bilder der Realität zu verbreiten. »Das Medium ist die Botschaft«, sagte McLuhan schon in den 1950er Jahren. Die sozialen Medien scheinen auch Migranten dazu zu verleiten, vor allem rosige Bilder zu verbreiten. Eine Reihe aufschlussreicher Zitate von Menschen aus verschiedenen Herkunftsländern verdeutlichen dies. »Ich hatte mich für Deutschland entschieden, weil ich einen Bekannten habe, der in Berlin lebt, und ich bin ein sehr spontaner Mensch. Ich habe nur kurz überlegt und dann gedacht, warum nicht? Ich habe nichts geplant, ich habe nichts gedacht, ich habe einfach meinen Bekannten gefragt, wie ich nach Deutschland kommen kann und was ich dort mit meinen beiden Diplomen aus Russland machen kann. Er hat mir gesagt, dass es viele Möglichkeiten gibt, ich soll einfach kommen, dann kann ich mich in Deutschland bewerben, Deutsch lernen und arbeiten […]. Ich habe nur an meine Zukunft und an meine Familie gedacht. Natürlich habe ich mir vor meiner Abreise ein bisschen YouTube angeschaut und russische Webseiten über das Leben in Deutschland gelesen, aber das war es auch schon. Wir sind dann einfach gekommen.« (Islam, Dagestan) »Ich weiß nicht mehr, wie wir wirklich beschlossen haben, hierherzukommen. Ich bin so mit den Problemen hier beschäftigt, dass ich mich nicht erinnern kann. Mein Schwager lebt auch hier. Vielleicht sind wir hierhergekommen, damit er uns helfen kann, wenn wir Schwierigkeiten haben. Aber wir wussten nichts über Deutschland. Wir wollten einfach nur fliehen vor den Schwierigkeiten, in denen wir steckten.« (Sahar, Iran) »Ich wusste nicht wirklich etwas über Deutschland, und der Fehler liegt bei unserer schlechten Kultur. Wenn man sich mit Freunden unterhält, die im Ausland waren, zum Beispiel in Deutschland oder in den Niederlanden oder in den USA oder in Kanada … ich glaube, wir reden immer so, dass wir uns nicht selbst herabsetzen … sie lassen es so bunt und verträumt klingen, dass man eine falsche Vorstellung bekommt. Sie sagen einem nicht, was passiert, wenn die Leute die Aufenthaltsgenehmigung nicht bekommen, dass man vielleicht mehrere Jahre im Heim leben muss, oder was ist überhaupt Familienzusammenführung? Ich
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meine, wenn ich diese Dinge gewusst hätte […]. Ich wusste nicht viel und kannte die Regeln und Vorschriften nicht, und die Leute, mit denen ich gesprochen hatte, lobten alle das Land, in dem sie lebten, und erzählten nie die andere Wahrheit.« (Majid, Iran) »In Syrien denken die Menschen, dass Deutschland das Paradies ist, dass das Leben hier perfekt ist. Ich war einmal einer von diesen Menschen. Ich habe nichts über die deutsche Kultur gelesen, bevor ich hierherkam, ich dachte einfach, es sei das Paradies. Aber das ist es nicht – es ist ein normaler Ort. Das Leben hier ist hart.« (Yaqout, Syrien) »Wir hatten überhaupt keine Vorstellung davon, wie es in Deutschland sein würde.« (Elisa, Türkei) »Ich konnte mir nicht vorstellen, nach Deutschland zu kommen, deshalb wusste ich nicht, was für ein Leben mich hier erwartet.« (Aline, Kamerun) »Ich wollte nach Europa gehen. Deutschland war nicht wirklich eine Wahl. Auf dem Weg dorthin gab es Begegnungen, die Leute geben dir Tipps, wo es einfacher ist, wo es besser ist … Es ist auch wichtig, anderen die Wahrheit zu sagen, lügen ist falsch. Ehemalige Kameruner, die lange Zeit in Europa gelebt haben, sollten die Wahrheit sagen und keine Träume verkaufen. Sie müssen die guten und die schlechten Seiten des Lebens in Europa zeigen. Auf YouTube neigen die Videos dazu zu zeigen, dass das Leben hier einfach ist.« (Layanah, Kamerun) »Ich bin ehrlich gesagt sehr enttäuscht von Deutschland. Mein Bruder hat mir gesagt, dass ich hier mehr Freiheiten und Möglichkeiten haben würde, aber das stimmt nicht. Mein Asylantrag wurde abgelehnt, also habe ich jetzt einen Duldungsstatus und kann nicht wirklich etwas tun.« (Fatima, Algerien) »Es gibt einen Unterschied zwischen dem, was man hört, und dem, was man vor Ort erlebt. In Kamerun hat man mir zum Beispiel gesagt, dass man in Deutschland als Student 25 € pro Stunde verdienen kann. Aber das stimmt nicht. Als ich als Studentin gearbeitet habe, habe ich 6,67 € pro Stunde verdient.« (Miranda, Kamerun) »Meine Mutter hat nicht wirklich versucht, sich das Leben in Deutschland vorzustellen, bevor wir hierherkamen. Dafür ging alles zu plötzlich. Wir haben auch nicht wirklich geplant, hierherzukommen, es ging alles sehr schnell. Es war wegen Papas Problem.« (Malia und Eliana, Tschetschenien)
3. Erlernen der deutschen Sprache »Die Deutschen werden sehr wütend, wenn wir kein Deutsch können, aber sie erlauben uns nicht, es zu lernen. Warum ist das so? Es ist für alle besser, wenn wir Deutsch sprechen.« (Ines, Kamerun)
Sobald die Menschen in Deutschland angekommen waren, bestand die erste Herausforderung darin, die deutsche Sprache zu lernen. Schon das erwies sich für viele als eine fast unüberwindbare Hürde. Fast alle Befragten beklagten, dass die deutsche Sprache sehr schwer zu erlernen sei und dass sie die Unterstützung eines Deutschkurses benötigten. Viele waren schon seit Jahren in Deutschland, hatten aber noch keine Gelegenheit, Deutschunterricht zu nehmen, und konnten nicht verstehen, warum. Manchmal hatten das Warten und die erzwungene Untätigkeit die Motivation, Deutsch zu lernen, untergraben: Wenn Menschen das Gefühl haben, nicht sehr willkommen zu sein, warum sollten sie dann hoch motiviert bleiben, die Sprache des Gastgebers zu lernen? Es waren noch weitere Hürden zu nehmen: Offensichtlich hilft die soziale Isolation, die die Situation vieler Menschen kennzeichnet, nicht beim Deutschlernen. Man braucht soziale Interaktionen, insbesondere mit Muttersprachlern, um die Sprache zu üben und zu verbessern – Interaktionen, die viele Migranten einfach nicht haben. In einem Arbeitsumfeld könnten sie diese Begegnungen haben, aber nur wenige haben einen Job, und sehr oft ist dieser am unteren Ende des Arbeitsmarktes, wo die Kollegen kaum Deutsche sind. Die Qualität der angebotenen Deutschkurse war nicht immer hoch. Bei einer hohen Nachfrage nach Kursen und einem geringen Angebot scheinen die Anbieter nicht wirklich gezwungen zu sein, nach den höchsten und neuesten Standards zu liefern. Oftmals, so erzählt Yaqout, lehren die Dozenten vor allem die Grammatik, ohne viel Gelegenheit zu bieten, diese in realen Gesprächen in die Praxis umzusetzen. Regelmäßig werden die Studenten auch in Klassen mit sehr unterschiedlichen Bildungshintergründen und Potenzialen eingeteilt. Die Integration in Deutschland und seine Sprache ist eine Herausforderung, der sich Migranten, die in Länder wie die Vereinigten Staaten, Kanada oder Australien
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Hans Blokland: Migrationspolitik auf der Flucht
gehen, regelmäßig nicht stellen. Viele Migranten in diesen Ländern sprechen bereits Englisch und damit die Sprache der Einheimischen. Migranten, die nach Deutschland, Schweden oder in die Niederlande gehen, haben diesen Vorteil nicht: Wer lernt schon Schwedisch, Niederländisch oder Deutsch in Afghanistan, Pakistan oder Nigeria? Mehrere Flüchtlinge erzählten uns von deutschen Bürgern und Beamten, die sich darüber aufregten, dass sie nicht gut Deutsch sprachen und sich weigerten, mit ihnen auf Englisch zu kommunizieren. Sie verstanden deshalb nicht, warum die Deutschen es ihnen so schwer machten, einen Deutschkurs zu besuchen.
3.1 Viele Fremdsprachen, aber kein Deutsch Naseem aus Afghanistan beherrscht acht Sprachen, aber sein Deutsch ist noch unterentwickelt, auch weil er fast fünf Jahre lang keinen Zugang zu Deutschkursen hatte. »Ich würde gerne Deutsch lernen, und ich sollte es auch können. Ich lerne die ganze Zeit verschiedene Sprachen […]. Aber es ist schwer, allein zu lernen.« Er beobachtet ein weiteres Problem, mit dem Flüchtlinge konfrontiert sind, wenn sie die Sprache ihres neuen Heimatlandes lernen: »Wir haben so viele Probleme, dass es schwer ist, neue Dinge zu lernen. Wenn man es bequem hat und nicht über sein Leben nachdenken muss, kann man Dinge schnell lernen. In meiner Sprache gibt es ein Sprichwort, das besagt: ›Du bringst das Problem und den Kummer von draußen in dein Zimmer.‹« Seit einem Tag macht Naseem aber einen Deutschkurs: »Nachdem ich fünf Jahre in diesem Land war, konnte ich gestern endlich meinen A1-Deutschkurs beginnen. Das Jobcenter hat ihn mir offiziell genehmigt, aber ich verstehe nicht, warum es so lange gedauert hat. Warum spielen sie so mit den Menschen? Die Hoffnungen und das Leben der Menschen hängen von der Sprache ab, warum macht man es ihnen also so schwer? Ich möchte an die Universität oder eine andere Hochschule gehen, damit ich hier ein gutes Leben führen kann, aber zuerst muss ich die Sprache lernen.« Yaqout aus Syrien konnte innerhalb eines Jahres alleine leben und hatte das Glück, einen Teilzeitjob als Architekt in englischer Sprache zu finden. Dennoch arbeitet er hart an seinen Deutschkenntnissen, auch weil sein Arbeitgeber deutlich gemacht hat, dass das Beherrschen der deutschen Sprache auf lange Sicht eine Voraussetzung ist. Die angebotenen Deutschkurse sind nicht immer von hoher Qualität, stellt
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Yaqout fest. Beim Jobcenter sagte man ihm, er solle so schnell wie möglich Deutsch lernen, dann sei es nicht so schwer, einen Job zu finden. Er überlegte: »Okay, ich wusste, dass ich Deutsch lernen musste, aber ich hatte in dieser Zeit viel zu tun. Ich hatte meine Operation, ich habe eine Wohnung gesucht, ich hatte nicht sofort Zeit. Jetzt habe ich meine Wohnung, meine Operation ist abgeschlossen, und ich habe einen Job. Jetzt habe ich Zeit und ich muss Deutsch lernen […]. Früher wollte ich unbedingt Englisch lernen, aber bei Deutsch habe ich dieses Gefühl nicht. Das ist falsch, das ist nicht gut, aber ich habe einfach nicht das gleiche Verlangen. Vielleicht liegt es daran, dass ich eine schlechte Zeit in Deutschland hatte, so dass ich die Sprache nicht lernen will. Ich bin mir nicht sicher. Vielleicht ist es einfach zu schwierig. ›Krankenversicherungsnummer‹ – das ist ein Wort. Ein Wort! Es reicht nicht, die Namen der Wörter auswendig zu lernen, man muss auch die verschiedenen Artikel für jedes Wort kennen ... das ist sehr, sehr schwer. Ich habe hier einen Sprachkurs besucht, aber der war nicht effektiv, weil der Lehrer einfach das Buch aufgeschlagen und laut vorgelesen hat. So lernt man keine Sprache; man muss mit anderen in Kontakt treten, mit Menschen reden […]. In meinem Kurs hat uns der Lehrer nur die Regeln erklärt, die Grammatik erläutert und uns Übungen für zu Hause mitgegeben. Das ist einfach nicht genug. Wenn wir die Sprache wirklich lernen wollen, müssen die Kurse auf Konversation aufbauen.« Fatima hat ihr erstes Jahr an einer Universität in Algerien abgeschlossen, vor anderthalb Jahren vergeblich einen Asylantrag gestellt und hat eine Duldung. Sie spricht Französisch, Englisch und Arabisch. Ihr Mann hat aus Versehen jemanden getötet und sie mussten vor der Rache der Familie des Opfers fliehen. »Ich musste ein Jahr auf die Erlaubnis warten, einen Deutschkurs zu besuchen, und habe erst letzten Monat damit angefangen. Der Kurs ist gut, aber auch ein bisschen langweilig. Mein Mann besucht jetzt denselben Deutschkurs, aber er hat es in den Flüchtlingsheimen nicht leicht. Ich habe hier viele Freunde, aber er streitet immer mit allen. Er hat angefangen, Drogen zu nehmen und raucht ständig draußen. Aber ich bin sehr motiviert, diesen Kurs zu beenden. Ich möchte Deutsch lernen, damit ich hier an der Universität studieren kann. Jura hat mich schon immer interessiert, aber ich habe gehört, dass es hier sehr schwer ist und es viele lange Prüfungen gibt, also werde ich vielleicht etwas anderes wählen. Ich bin offen für jede Art von Beruf in Deutschland und würde gerne weiter studieren.« Shireen erreichte das Niveau B1 während eines ersten Aufenthalts in Deutschland, um einen Master in Betriebswirtschaft zu absolvieren. Als sie nach Deutschland zurückkam, um einer Zwangsehe zu entkommen, stellte sie einen Asylantrag. Sie besuchte erneut einen Deutschkurs, musste diesen aber wegen gesundheitlicher Probleme aufgeben. Wie Yaqout würde sie lieber in den Sprachen arbeiten, die sie bereits beherrscht:
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»Ich habe über das Jobcenter Zugang zu diesem Kurs bekommen. Zunächst wollte ich keinen richtigen Sprachkurs beginnen und mich stattdessen nach einem Job umsehen. Aber man sagte mir, dass das ohne die Sprache sehr schwierig wäre. Ich spreche bereits vier Sprachen, also will ich keine fünfte lernen, aber ich muss mich integrieren, und das ist es, was es braucht. Zuerst sagte man mir, ich solle hier eine Berufsausbildung machen, aber dann riet mir ein anderer Sozialarbeiter davon ab, weil ich bereits einen Bachelor-Abschluss in Wirtschaft habe. Man sagte mir, ich solle mich stattdessen auf die Sprache konzentrieren, um einen Job zu finden. Es ist also alles durcheinander, und es gibt keinen klaren Ansatzpunkt.«
3.2 Die Schwierigkeiten, Zugang zu Deutschkursen zu erhalten Um Zugang zu einem Deutschkurs zu erhalten, müssen je nach Asylstatus des Flüchtlings Anträge bei verschiedenen Stellen gestellt werden. Angesichts der Komplexität dieser Antragsverfahren sind die Flüchtlinge nur selten in der Lage, einen solchen Antrag erfolgreich auszufüllen, und sind daher in hohem Maße von der Kompetenz und Bereitschaft des zuständigen Sozialarbeiters oder Heimleiters abhängig. Diese Fähigkeit und Bereitschaft sind keine Konstante. Die Mutter der Familie Bashar sagt: »Wir sind seit Januar in einem Deutschkurs, und wir sind sehr, sehr zufrieden damit. Ich kann nicht sehr gut Arabisch lesen und schreiben, deshalb hatte ich nicht viel Hoffnung, aber es klappt ganz gut. Der Lehrer scheint auch sehr beeindruckt von mir zu sein. Wir geben uns sehr viel Mühe. Als wir im Heim lebten, wollten wir auch unbedingt Deutsch lernen, aber wir haben keinen Zugang zu einem Kurs bekommen. Um einen Deutschkurs zu erhalten, muss man sich bewerben, und wenn die Sozialarbeiter nichts tun, bekommt man keinen Kurs.« Yaqout, der syrische Architekt, erklärt: »Einen Sprachkurs zu finden, ist schon eine Herausforderung für sich. Niemand hilft dir bei der Suche nach einem Kurs, du musst selbst recherchieren. Man muss im Internet nach Kursen suchen, ihre Bewertungen lesen und den Preis herausfinden. Das Jobcenter übernimmt die Kosten für den Kurs, aber man muss ihn selbst finden.« Afra kam 2019 aus dem Irak. Ihr Haus wurde von Regierungsgegnern in die Luft gesprengt. Sie hat bei diesem Angriff einen ihrer drei Söhne verloren. Ihr Asylantrag wurde abgelehnt, sie legte gegen diese Entscheidung Berufung ein und hat inzwischen eine befristete Aufenthaltsgenehmigung. Sie lebt in einem Flüchtlingszentrum für Frauen mit psychischen Problemen. »Ich würde gerne einen Deutschkurs
3. Erlernen der deutschen Sprache
machen, aber meine Anträge für einen solchen Kurs wurden zweimal abgelehnt. Ich weiß nicht, warum.« Ines spricht Französisch, Englisch und Spanisch und versucht, über YouTube und TikTok Deutsch zu lernen. Vor vier Jahren verließ sie Kamerun und beantragte in Deutschland Asyl, ein Antrag, der noch nicht abgeschlossen ist. Ihre Mutter kümmert sich um ihre beiden ältesten Kinder im Alter von 7 und 12 Jahren, die zurück in Kamerun sind. Sie kann sich nicht mehr an viel aus ihrem Leben in Kamerun erinnern, macht aber eine Therapie, um ihr Gedächtnis wiederzufinden. Seit acht Monaten hat sie ein Baby mit einem deutschen Staatsbürger, der 500 Kilometer entfernt in Köln lebt. Sie möchte Krankenschwester werden. Zugang zu Deutschkursen hat sie nicht. »Ich möchte einen Deutschkurs besuchen, aber ich kann keinen bekommen. Alle anderen nehmen Deutschunterricht, und ich muss es mit meinem Handy lernen. All die Jahre habe ich nach einer deutschen Schule gefragt, aber sie sagen, es gibt keine. Irgendwann habe ich mich an Luckenwalde gewandt, und sie sagten, es seien keine Plätze frei, aber sie würden mich anrufen, wenn es einen Platz gäbe. Sie haben mich nie angerufen. Ich bringe mir selbst Deutsch auf meinem Handy bei […]. Andere Leute kommen später ins Heim als ich und bekommen sofort eine deutsche Schule, aber ich nicht. Ich weiß nicht, warum. Ich kann nicht so bleiben. Ich will Deutsch lernen, das Niveau B2 erreichen, dann kann ich eine Lehrstelle bekommen und weiterleben. Jetzt lebe ich nicht […]. Ich habe vor, in Deutschland zu bleiben, also brauche ich die Sprache.« Mona ist eine 43-jährige Tanzlehrerin aus dem Iran. Sie lebt zusammen mit Kasra, ihrer 20-jährigen Tochter, und einer 12-jährigen Tochter. Sie kamen vor drei Jahren nach Deutschland. Für Mona war es weniger einfach, Deutschunterricht zu bekommen, als für ihre Töchter: »Ich besuche seit drei Monaten einen Deutschkurs und mein Sprachniveau ist wahrscheinlich A1 oder A2. Mein Deutschkurs gefällt mir sehr gut. Mit meiner Lehrerin bin ich sehr zufrieden. In der Mittagspause sprechen meine Klassenkameraden mit mir Deutsch. Ich habe keinen Kontakt zu den Deutschen, aber ich habe viele Leute in meiner Deutschklasse, mit denen ich reden und Deutsch üben kann. Der Kurs ist in Luckenwalde und meine Tochter hat den Kurs selbst für mich gefunden. Leider hilft uns bei solchen Dingen niemand.«
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3.3 Kein Deutschunterricht wegen fehlender Kinderbetreuung und traditioneller Geschlechterrollen Vor allem Frauen nehmen regelmäßig nicht am Deutschunterricht teil, weil ihre Kinder keine Kinderbetreuung oder Schule besuchen und sie sich um die Kinder kümmern müssen. Manchmal bieten die Einrichtungen auch Kinderbetreuung an, aber das ist die Ausnahme. Es gibt auch Frauen, die vielleicht so traditionelle Geschlechterrollen haben, dass sie nicht sofort die Notwendigkeit sehen, Deutsch zu lernen. Sie verstecken sich manchmal hinter ihren Kindern. Aline ist jetzt seit sechs Jahren in Deutschland und hat nie einen Deutschkurs besucht. Ihre beiden jüngsten Kinder von 4 und 9 Jahren haben sie zu Hause behalten. In Kamerun hat sie keine Schule besucht. »Für mich erfolgt die Integration in die Gesellschaft über die Sprache. Aber ich bin nicht zum Deutschkurs gegangen. Es ist wirklich wichtig für mich, zur Schule zu gehen, um Deutsch zu lernen. Ich würde wirklich gerne zur Schule gehen und Deutsch sprechen. Ich habe auch keinen Integrationskurs besucht.« Malia aus Tschetschenien erzählt von ihrer Mutter, die schon seit sieben Jahren in Deutschland ist: »Meine Mutter war einmal in einem Deutschkurs, aber das war alles. Der Kurs war B1. Sie möchte einen weiteren Kurs besuchen. Sie hat B1 nicht bestanden, aber sie hat A2 geschafft. Wenn sie Zeit gehabt hätte, für den Kurs zu lernen, wäre es einfach gewesen. Aber sie hatte keine Zeit, also war es schwer. Das Problem ist, dass es hier zu viele Bewohner gibt. Alle schreien und rennen herum und singen, draußen ist zu viel Lärm, man kann sich auf nichts konzentrieren.« Eliana hat mit ihrem Mann vier Kinder. Das jüngste ist 6 Jahre alt. Der Zeitmangel ist zum Teil darauf zurückzuführen. Malia erklärt: »Meine Mutter tut jeden Tag das, was alle Mütter tun: kochen, aufräumen, sich um die Kinder kümmern. Sie putzt immer die Küche und den Flur.« Drei der vier Kinder gehen noch zur Schule. Malia ist jetzt 14 und wurde sofort eingeschult. Auch sie dolmetscht für ihre Eltern: »Inzwischen kommen wir mit der Sprache gut zurecht. Ganz am Anfang war es schwierig, weil wir kein Deutsch sprechen konnten, aber jetzt, wo wir Kinder alles übersetzen können und unsere Eltern ein bisschen verstehen, ist es nicht mehr so schwierig.«
3.4 Schneller Spracherwerb bei Kindern im Schulalter Wie Malia zeigt, lernen die meisten Kleinkinder die Sprache schnell, weil sie zur Schule gehen müssen, das Flüchtlingsheim regelmäßig verlassen und einheimische Freunde finden. Gewöhnlich beherrschen sie die deutsche Sprache viel schneller als
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ihre Eltern, was natürlich auch mit ihrem Alter zusammenhängt, und helfen ihren Eltern, ihr Deutsch zu verbessern oder zu übersetzen, wenn sie mit deutschen Funktionsträgern zu tun haben. Auch deshalb mischen sie sich in Themen ein, die sie in ihrem Alter nichts angehen sollten, und sie werden schneller erwachsen als ihre einheimischen Altersgenossen. Vor allem Mädchen werden oft zur Sprecherin der Familie, was in traditionellen Familien zu Reibereien mit Vätern und Brüdern führen kann. Stacy verließ mit ihrer Familie Kamerun, als sie 14 Jahre alt war, und kam nach Deutschland. Heute ist sie 18. »Wir wurden sofort nach der Ankunft im Heim eingeschult, so dass ich schnell Deutsch lernte. Der Lehrer sprach mit uns auf Deutsch und die meisten Schüler sprachen mit uns auf Deutsch, so dass es einfach war, Deutsch zu lernen. Ich habe mir auch einige YouTube-Videos angesehen, um mein Deutsch zu verbessern. In meinem ersten Jahr hier habe ich eine Gruppe von Freunden kennengelernt, die auf dieselbe Schule gingen. In meiner jetzigen Schule gibt es nur sehr wenige Leute, die Englisch sprechen, also war ich gezwungen, gut Deutsch zu lernen.« Kasra ist 20 Jahre alt und lebt mit ihrer Mutter und einer 12-jährigen Schwester zusammen. Sie kamen vor drei Jahren aus dem Iran. Kasra besucht die zehnte Klasse eines deutschen Gymnasiums: »Ich bin von 6 bis 20:30 Uhr in der Schule, weil ich nicht in der Nähe der Schule wohne, und ich muss zum Abendunterricht gehen. In der Schule ist alles gut, ich habe viele Freunde, und ich kann mit jedem reden. In meiner Schule sind alle zwischen 18 und 24 Jahre alt, es ist eine Schule für den Sekundarbereich. Ich möchte die zehnte Klasse abschließen und werde dann in den nächsten zwei Jahren in Potsdam mein Abitur machen. Am Ende dieser drei Jahre werde ich ein Diplom bekommen, und damit kann ich an der Universität weiter studieren oder eine Ausbildung machen.« Ab kam 2017 aus Gambia. Zuerst kam er in ein kleines Flüchtlingsheim für unbegleitete Minderjährige in Freiburg. Die Behandlung dort ist so viel besser als in Lagern für Erwachsene, dass sich die Flüchtlinge oft als Minderjährige ausgeben. Ab erzählt: »Es war gut dort […]. Sie haben mir geholfen, zur Schule zu gehen und Deutsch zu lernen. Ich konnte kein Deutsch, als ich hierherkam, aber jetzt kann ich mich ziemlich gut verständigen. Deutsch zu lernen ist nicht einfach, aber es ist der erste Schritt, um sich hier zu integrieren und erfolgreich zu sein. In Freiburg gab es eine Schule, die uns von Anfang an Deutsch beigebracht hat und uns auch bei den Hausaufgaben half, wenn wir sie brauchten.«
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Nachdem Ab 18 Jahre alt geworden war, wurde er nach Brandenburg versetzt, wo er seither in vier verschiedenen Lagern untergebracht war. Die Unterstützung, die er zuvor erhalten hatte, fiel fast vollständig weg. Nicht alle Kinder haben die Möglichkeit, schnell Deutsch zu lernen. Der Vater der syrischen Familie Bashar erzählt: »Die Dinge mit der Schule in Deutschland waren nicht so gut. Die Kinder waren 18, 14, 8 und 6 Jahre alt, als wir in Deutschland ankamen. Die Kinder wurden in die Willkommensklasse für Nicht-Deutsche geschickt und haben nichts gelernt. Es waren nur fünf Kinder in der Klasse, und drei von ihnen waren unsere Kinder. Trotzdem waren die Lehrer nicht gut, die Schule war eine Katastrophe, und es war Corona-Zeit, also war alles noch schlimmer. Unser jüngster Sohn musste nicht in die Willkommensklasse gehen, er durfte gleich in die Regelschule einsteigen und spricht jetzt fließend Deutsch. Aber die drei Kinder, die in der Willkommensklasse waren, können jetzt kein Deutsch sprechen. Dieses Jahr haben wir es endlich geschafft, unsere Kinder in eine andere Schule zu vermitteln. Einer unserer Söhne wird bald 18, und mit 18 darf er nicht mehr in eine normale Schule gehen. Er hat jetzt nur noch sechs Monate in der normalen Schule, und er wird versuchen, in dieser Zeit Deutsch zu lernen, aber es ist einfach nicht genug Zeit. Wahrscheinlich wird er dann einen Deutschkurs mit anderen Erwachsenen machen müssen. Das heißt, er wird noch mindestens ein paar Jahre warten müssen, bis er Deutsch sprechen kann. Wir haben keine Hoffnung, dass aus ihm etwas wird, denn er hat zwei Jahre lang nichts geschafft, und niemand kann mir jetzt sagen, dass er irgendwann studieren wird. Es wird zu lange dauern, bis er Deutsch lernt. Ohne Deutsch kann man auch nicht in die Berufsschule gehen.«
3.5 Deutsch lernen in der Arbeitswelt Ab aus Gambia weist auf ein weiteres Problem hin, mit dem Flüchtlinge konfrontiert sind, wenn sie versuchen, Deutsch zu lernen und gleichzeitig einer bezahlten Arbeit nachzugehen: »[…] es war schwierig für mich, mein Deutsch zu verbessern, weil die meisten Arbeiter bei Ingram [ein Unternehmen, das Ab beschäftigte] Ausländer waren, also gab es nur ein paar Deutsche und ein paar Leute, die Deutsch sprachen. Ich wollte unbedingt mit Deutschen arbeiten, um mein Deutsch zu üben«. Ab kündigte daher und nahm eine Stelle in einem der vielen Logistikzentren in Großbeeren, unter dem Rauch von Berlin, an. Diese Zentren sind zu etwa 80 % mit Polen und anderen Menschen mit Migrationshintergrund besetzt und bieten ebenfalls wenig Aufstiegsmöglichkeiten: »Wir haben den ganzen Tag gearbeitet, von 6 Uhr morgens bis 6 Uhr abends. Alles, was wir dazwischen tun konnten, war schlafen und wieder zur Arbeit gehen.
3. Erlernen der deutschen Sprache
Das war das Hauptproblem: Ich hatte keine Zeit, um neben der Arbeit zu studieren oder Deutsch zu lernen. Die Bezahlung dort war auch nicht so gut, obwohl wir wirklich hart gearbeitet haben. Manchmal haben die Chefs die Zahlungen grundlos gestoppt. Ich weiß nicht, warum sie das taten, wahrscheinlich nur, weil wir Einwanderer waren und sie das ohne Strafe tun konnten. Am Ende habe ich den Job aufgegeben, weil es zu viele Stunden waren und ich mich auf mein Studium und meine Integration konzentrieren wollte.« Trotz der Erfahrungen vieler Flüchtlinge, die in der Distribution arbeiten – eine Tatsache, die zum Teil typisch für Teltow-Fläming ist, wo viele Distributionsunternehmen angesiedelt sind –, kann ein Arbeitsumfeld die Beherrschung der deutschen Sprache stark fördern. Sahar aus dem Iran bemerkt dazu: »Die Interaktion mit Menschen findet hauptsächlich in der Arbeitsumgebung statt. Ich mag es, mit Menschen verbunden zu sein und nicht isoliert oder getrennt zu sein. Ich denke die ganze Zeit an diese schwierige Sprache. Wenn ich die Sprache beherrsche, kann ich in der Arbeitsumgebung oder in der Gesellschaft unter Menschen sein. Das ist sehr effektiv. Ich glaube, dass man durch das Erlernen einer Sprache näher an die Menschen herankommen kann.« Dennoch könnten sich manche Menschen schneller in die Gesellschaft integrieren, wenn sie zunächst die Möglichkeit hätten, in einer der Sprachen, die sie beherrschen, zu arbeiten. Dank dieser schnelleren Integration hätten sie auch mehr Möglichkeiten, die lokale Sprache zu lernen. Gulshan zum Beispiel spricht Farsi, Urdu, Hindi, Englisch und Türkisch. Sie ist vor einem Jahr angekommen und wartet auf die Erlaubnis, Deutsch zu lernen. Aber sie würde gerne sofort anfangen zu arbeiten: »Wenn es eine Stelle gibt, an der auf Türkisch oder Hindi gearbeitet wird, wie in einem indischen Hotel, oder einen Job auf Türkisch, dann kann ich das machen. Aber dann werde ich auch Deutsch lernen, denn das ist die Sprache und die Regel hier.«
3.6 Deutsch lernen mit Hilfe von Freiwilligen und Community-Mitgliedern Da sie und ihr Mann keinen Pass haben und »geduldet« sind, haben die Palästinenserin Akilah und ihr Mann keinen Zugang zu regulären Integrationskursen oder Sprachkursen. Nachdem sie sieben Jahre lang in einer Notunterkunft gelebt hat, spricht Akilah jetzt ausgezeichnet Deutsch und fungiert oft als Dolmetscherin für andere Bewohner. Dank der Hilfe deutscher Freiwilliger, sowohl auf organisierter
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als auch auf individueller Basis, konnte sie sich die Sprache in hohem Maße aneignen: »Mein Deutsch ist gut geworden. Ich habe es fast bis zum B2-Niveau beherrscht. Jeden Montag und Donnerstag lerne ich mit Brigitte [der Freiwilligen] B2 aus dem Lehrbuch, und wenn ich damit fertig bin, werde ich in Berlin eine Prüfung ablegen. Man hat mir gesagt, dass es für mich leichter sein wird, eine Ausbildung zu bekommen, wenn ich B2 habe. Meine Kinder sprechen jetzt fließend Deutsch und sie helfen mir, mein Deutsch zu verbessern. Mein Mann ist noch auf dem Niveau A2. Wir haben nach einem Deutschkurs für ihn in Berlin gesucht, aber sie sind zu teuer. Da wir keine Pässe haben, haben wir weniger finanzielle Unterstützung erhalten. Mein Mann und ich erhalten beide 170 € pro Monat. Da bleibt kein Geld für einen Deutschkurs übrig. Da wir nur einen Duldungsstatus haben, dürfen wir die regulären Kurse nicht besuchen.« Auch beim Erlernen der Sprache kann die Anwesenheit einer Gemeinschaft ehemaliger Migranten aus dem Heimatland hilfreich sein. Der Vietnamese Hung aus der Ukraine sagt: »Alles, was ich jetzt wirklich will, ist Deutsch lernen und einen Job finden, das ist alles. Die vietnamesische Gemeinschaft in Berlin war sehr hilfreich für uns. Ich besuche jetzt einen Deutschkurs über eine vietnamesische Organisation.« Es ist denkbar, dass Flüchtlinge aus Ländern wie Syrien und Afghanistan, die 2014 oder 2015 nach Deutschland gekommen sind, solche Kurse anbieten oder dazu motiviert werden könnten.
3.7 Lernen im Alleingang Wenn man keinen Zugang zu regulären Sprachkursen hat oder keine Hilfe von Freiwilligen erhält, kann man versuchen, die Sprache auf eigene Faust zu lernen. Viele Menschen scheinen kürzere oder längere Zeit im Internet, insbesondere auf YouTube, zu verbringen, um ihre Deutschkenntnisse zu verbessern. Im Prinzip sind die Möglichkeiten sehr vielfältig. Der Verband der deutschen Volkshochschulen bietet zum Beispiel im Internet (https://www.vhs-lernportal.de) eine Vielzahl von kostenlosen Kursen auf verschiedenen Niveaus an. Diese können in den regulären Unterricht eingebettet oder eigenständig genutzt werden. Allerdings scheinen nur wenige der von uns befragten Flüchtlinge von deren Existenz zu wissen. Ohne ein soziales Umfeld oder eine Institution, die die Menschen permanent ermutigt, nicht aufzugeben, braucht es zudem viel Selbstdisziplin, um die digitalen Möglichkeiten voll auszuschöpfen.
3. Erlernen der deutschen Sprache
Allerdings gibt es auch Ausnahmen. Malik ist ein Softwareentwickler, der bereits seit drei Jahren einen Duldungsstatus hat. Er hat eine Arbeitserlaubnis, braucht aber die deutsche Sprache, um als Entwickler arbeiten zu können. »Ich habe mal bei der Volkshochschule gefragt, ob ich einen A2-Kurs machen kann. A1 konnte ich schnell lernen, aber bei A2 brauchte ich Hilfe. Ich habe gefragt, aber sie sagten mir, dass ich das nicht machen kann, weil ich einen roten Strich in meinen Papieren habe – einen Duldungsstatus. Ich kann also keinen A2Kurs machen. Hier zu Hause gibt es manchmal Mini-Deutschkurse für ein oder zwei Monate. Das ist gut, denn dann kann ich ein bisschen lernen und sprechen. Aber ich lerne meistens alleine in meinem Zimmer. Ich habe Bücher in unserem Zimmer, und ich kann das Internet benutzen. Bald werde ich also meine B1Prüfung machen.«
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4. Arbeit und Bildung
Arbeit ist offensichtlich ein wichtiges Thema im Leben der Migranten und damit auch in den Interviews. Die erwartete Möglichkeit, in Europa oder in Deutschland zu arbeiten, war regelmäßig ein wichtiges Motiv für das Verlassen des Heimatlandes. Der Wunsch zu arbeiten war für die überwiegende Mehrheit sehr groß, ebenso wie die Enttäuschung, wenn man nicht am Arbeitsprozess teilnehmen konnte oder durfte. Auch in Anbetracht der finanziellen Verpflichtungen, die man regelmäßig gegenüber den Zurückgebliebenen im Herkunftsland hatte, war Schwarzarbeit daher eine vertretbare Alternative. Um in einem hoch entwickelten Land wie Deutschland zu arbeiten, ist es förderlich, einen Beruf erlernt und ausgeübt zu haben. Doch genau hier drückte für viele Migranten der Schuh. Einige hatten nie eine Schule besucht und waren Analphabeten. Andere hatten nur eine begrenzte Anzahl von Schuljahren absolviert und waren anschließend in ihren eigenen Gemeinschaften oder in der Schattenwirtschaft tätig gewesen. Häufig waren sie zwar in einem Beruf tätig, hatten aber keine Berufsausbildung dafür. Anders als in Deutschland, wo man für fast jede mögliche Tätigkeit eine zertifizierte Ausbildung und ein Diplom benötigt, hatten viele Menschen einen Beruf »on the job« von Verwandten, Freunden oder Bekannten erlernt. Diplome konnten nur selten vorgelegt werden, und selbst wenn, wurden sie von den deutschen Behörden selten auf dem gleichen Niveau wie im Herkunftsland anerkannt. Um die Betroffenen in den Beschäftigungsprozess einzubeziehen, ist Flexibilität erforderlich, aber viele deutsche Beamte und Arbeitgeber haben diese Qualität nicht in dem Maße entwickelt, wie es in einem sich schnell entwickelnden und schnell an Komplexität gewinnenden Umfeld wünschenswert erscheint. Fast alle von uns befragten Neuankömmlinge wollten eine Erwerbstätigkeit ausüben, aber wie aus den quantitativen Daten hervorgeht, konnten die meisten von ihnen nicht arbeiten, entweder weil sie keine Arbeitserlaubnis hatten, weil sie sich um Kinder kümmern mussten, weil sie psychische Probleme hatten, weil ihre Deutschkenntnisse zu schlecht waren, weil sie nicht über die von deutschen Arbeitgebern und Arbeitsvermittlern gewünschte Schul- oder Berufsausbildung oder Erfahrung verfügten oder weil sie einfach keine Arbeit finden konnten. Die Befragten betonten oft, dass sie nicht nach Deutschland gekommen waren, um Sozialleistungen zu er-
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halten, sondern dass sie wirklich arbeiten wollten, um ein unabhängiges Leben zu führen.
4.1 Analphabetische Migranten Emad ist in Afghanistan nie zur Schule gegangen, kann weder lesen noch schreiben und war Lastenträger: »Ich habe auch in Afghanistan nie studiert, nie etwas gelernt. Ich bin Analphabet. In Afghanistan war es zunächst ein bisschen möglich zu studieren, aber dann schickten die Taliban Briefe an die Schule, in der wir lernten, und warnten die Eltern, ihre Kinder nicht zur Schule zu schicken, und dass sie die Schule bombardieren würden. Mein Vater sagte mir, ich könne zur Schule gehen, wenn ich wolle, aber dass sie die Schule bombardieren könnten, dass etwas passieren könnte. Zu dieser Zeit war ich in der ersten Klasse und ging seit ein paar Monaten zur Schule, aber ich ging nie wieder hin. Danach hatte ich nie wieder die Möglichkeit zu lernen. Als ich 12 oder 13 Jahre alt war, fing ich an zu arbeiten und arbeitete, bis ich nach Deutschland kam […]. Ich arbeitete beim Zoll, und wenn Fracht aus dem Iran ins Land kam, lud ich Sachen aus und transportierte sie.« Nachdem er mit seiner Frau und seinem Kind in Deutschland angekommen war, ließ sich seine Frau von ihm scheiden und ließ ihn mit ihrer 3-jährigen Tochter allein. Sie ist nicht in einer Kinderkrippe und deshalb kann Emad weder arbeiten noch einen Deutschkurs besuchen. Er hofft nun auf einen Kita-Platz, damit er und seine Tochter mit dem Lernen beginnen können. Auch Zayn hat in Afghanistan nie eine Schule besucht und ist als Minderjähriger allein nach Deutschland gereist. Hier ging er zwei Jahre lang zur Schule, ohne viel zu lernen: »Ich habe nichts verstanden. Ich habe nur geschlafen […]. Ich war immer ein bisschen … mein Kopf war nicht so gut.« Trotzdem kann er ein wenig lesen, aber nicht schreiben. Er arbeitet jetzt in Deutschland, in einem Beruf, in dem er weder lesen noch schreiben muss. Sharif und Arezo verließen Afghanistan bereits zur Zeit der russischen Besatzung. Sie lebten in Pakistan und dann lange Zeit im Iran. »Damals im Iran war ich Landwirt und Gärtner. Meine Frau blieb zu Hause und machte Näharbeiten. Wir lebten dort über 30 Jahre lang. 36 Jahre […]. Damals in Afghanistan sind wir nie zur Schule gegangen. Im Iran haben wir dann einige Alphabetisierungskurse besucht und ein bisschen gelernt. Ich kann ein bisschen Farsi/Dari lesen. Aber nur lesen, nicht schreiben.«
4. Arbeit und Bildung
Trotz ihres fortgeschrittenen Alters würden beide gerne wieder arbeiten, obwohl schwere gesundheitliche Probleme dies für Arezo eigentlich unmöglich gemacht haben. Aline ist in Kamerun nie zur Schule gegangen, sondern hat in einer Firma gearbeitet, die Haarsträhnen herstellt. Sie ist jetzt seit sechs Jahren in Deutschland, hat aber keine Integrations- oder Deutschkurse besucht, auch weil sie sich um ein autistisches Kind kümmern muss. Trotzdem will sie arbeiten: »Mir brummt der Schädel […]. Ich bin diesen Lebensrhythmus nicht gewohnt«. Farida, Zahras Schwiegermutter, erzählt: »Ich wurde in Syrien geboren und bin dort aufgewachsen, aber ich durfte nicht zur Schule gehen, deshalb kann ich immer noch nicht lesen und schreiben […]. Als ich 16 war, habe ich geheiratet und bin mit meinem Mann nach Kuwait gezogen.« Sie lebten elf Jahre in Kuwait und bekamen zwei Kinder. Nachdem ihr Mann gestorben war, musste sie nach Syrien zurückkehren. Da sie Analphabetin war, konnte sie keine Arbeit finden. Sozialleistungen gab es nicht. »Mein Sohn musste schon mit 9 Jahren anfangen zu arbeiten, um unsere Familie zu unterstützen. Er arbeitete mit Gelegenheitsjobs, aber hauptsächlich als Schneider. Deshalb konnte er auch nicht zur Schule gehen und kann auch nicht lesen und schreiben. Jetzt, wo er hier ist, will er Deutsch lernen, aber das ist besonders schwierig für ihn, weil er nicht einmal Arabisch, unsere Muttersprache, lesen und schreiben kann.«
4.2 Subsistenz und informelle Wirtschaft Mehrere Familien und Einzelpersonen, mit denen wir sprachen, waren in ihren Heimatländern nicht Teil einer formellen Wirtschaft, sondern versorgten sich weitgehend selbst. Sharif und Arezo waren ein Beispiel aus dem Iran. Khava und ihr Mann sind ein weiteres Beispiel. In Tschetschenien hatten sie drei Kühe, 15 Ziegen, ein paar Schafe, Hühner und Kaninchen und stellten u.a. ihre eigene Butter und ihren eigenen Käse her. Einmal im Jahr wurde eine Kuh geschlachtet. Außerdem verkaufte Khava auf dem Markt Kuchen und Gebäck, und ihr Mann arbeitete als Elektriker, übrigens wahrscheinlich ohne eine zertifizierte Berufsausbildung dafür. Jeden Tag war Khava auf dem Markt. »Ich liebte es, auf den Markt zu gehen. Dort traf ich viele Leute und unterhielt mich ständig mit anderen. Als ich eine Woche lang zu Hause bleiben musste, bekam ich Kopfschmerzen. Die Menschen müssen rausgehen und etwas zu tun haben, sonst werden sie krank.« Sie ist jetzt sieben Jahre in Deutschland und darf wie ihr Mann nicht arbeiten. Ihr Mann ist in einem Morast aus Lethargie und Apathie versunken, aber sie würde gerne wieder ausgehen: »Ich selbst
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würde gerne in der Kinderbetreuung arbeiten, oder in der Altenpflege, oder wieder etwas auf dem Markt verkaufen.« Der Vater der syrischen Bashar-Familie war bis zur achten Klasse in der Schule, »dann musste ich die Schule verlassen, weil wir nicht viel Geld hatten, also musste ich meiner Familie helfen, Geld zu verdienen […]. Ich begann als Schneider zu arbeiten, das war mein erster Job. Ich habe für meinen Onkel gearbeitet, und er hat mir alles beigebracht. Mein Onkel ist der Vater meiner Frau. Als ich in der ersten Klasse war, fing ich an, an den Wochenenden ein wenig im Haus meines Onkels zu arbeiten. In Syrien ist es sehr wichtig, dass man seinen Beruf von klein auf lernt. In der achten Klasse war ich schon so etwas wie der Chef und der Hauptverantwortliche auf der Arbeit, weil ich schon wusste, wie man alles macht.« Über Russland kam der Vater in die Türkei, wo seine Frau und seine Kinder nachzogen. Sein Bruder war bereits in der Türkei: »Wir hatten natürlich kein Geld, und ich wollte unbedingt arbeiten. Mein Bruder half mir dabei, und so war ich nur eine Nacht in der Türkei, bis ich anfing, als Schneider zu arbeiten. In der Türkei braucht man keine Arbeitserlaubnis, man kommt rein und fängt sofort an zu arbeiten. Es gibt kein Sozialamt oder so, man kann also sofort anfangen, Geld zu verdienen.« Nach vier Jahren, in denen sie mehrere kleine Geschäfte hatten und u.a. T-Shirts produzierten, ging die Familie nach Deutschland. Jetzt wollen sie wieder durchstarten, aber das könnte nicht so einfach werden wie in der Türkei: »Ich werde in Deutschland leider nicht als Schneider weiterkommen können, weil ich kein Zertifikat habe, also werde ich hier nicht als Schneider anerkannt werden. Ich bin auch Friseur, ich kann gut Haare schneiden. Ich könnte in Deutschland wahrscheinlich als Friseur arbeiten, oder vielleicht als Koch. Ich habe viele Hobbys und kann gut kochen; in Russland habe ich auch als Koch gearbeitet. Vielleicht könnte ich also mein eigenes Restaurant eröffnen. Aber ich weiß nicht, wie ich das am besten erreichen kann. Wie dem auch sei: Wir möchten Deutschland etwas zurückgeben, wir wollen hart arbeiten, um Deutschland besser zu machen.«
4.3 Frauen und Emanzipation Frauen hatten noch seltener eine Berufsausbildung als Männer. Sie wurden meist früh aus der Schule genommen, waren Hausfrauen und für die Familie verantwortlich. Einige leben auch mit diesen Erwartungen in Deutschland. Aber, wie wir bereits gesehen haben, war für einige andere Frauen die Motivation, nach Deutschland
4. Arbeit und Bildung
zu kommen, die Möglichkeit zu studieren, zu arbeiten und eine Karriere aufzubauen. Alieh ging in Afghanistan bis zur neunten Klasse zur Schule und wurde mit 17 Jahren verheiratet. Ihre neue Familie wollte nicht, dass sie ihre Schullaufbahn fortsetzt. Sie reiste mit Mann und Kind über Griechenland nach Deutschland und ließ sich dann scheiden. Jetzt arbeitet sie hart, um Deutsch zu lernen, und will dann wieder zur Schule und dann am liebsten an die Universität gehen. Um das alles zu ermöglichen, muss ihr kleiner Sohn aber erst einmal einen Kita-Platz bekommen. Gulshan erreichte die zwölfte Klasse, lernte auch ein wenig Englisch und half internationalen Hilfsorganisationen, die in Afghanistan tätig sind: »Ich habe mit ihnen zusammengearbeitet, um mit Lebensmitteln und Kindern auszuhelfen.« Sie machte eine lange Reise durch die Türkei und Griechenland nach Deutschland und will nun weiter lernen, was in ihrer Heimat durch den wachsenden Einfluss der Taliban unmöglich geworden war. Die Mutter der syrischen Familie Bashar erzählt: »Ich bin bis zur sechsten Klasse zur Schule gegangen, und dann wollten meine Eltern nicht mehr, dass ich noch weiter lerne. Sie wollten lieber, dass ich heirate, also habe ich mich mit 17 verlobt und nach sieben Monaten haben wir geheiratet. Wenn ich nicht in der Schule war, war ich meistens nur zu Hause, aber ich habe auch viel bei der Arbeit meines Vaters geholfen.« Auch in Deutschland sieht sie ihre Zukunft in erster Linie in der Familie und in den wirtschaftlichen Aktivitäten, die ihr Mann entwickeln könnte. Zahra kam aus Syrien über den Libanon, wo sie sieben Jahre lang in einem Flüchtlingslager lebte. Im Alter von 15 Jahren musste sie die Schule verlassen, um im Haushalt zu helfen, nachdem ihr Vater einen Unfall erlitten hatte. Sie würde gerne wieder zur Schule gehen und Lehrerin werden: »Es war schon immer mein Traum, Lehrerin zu werden, aber im Moment möchte ich nur irgendeine Art von Praktikum absolvieren, um hier arbeiten zu können. Vorher muss ich nur noch einen Deutschkurs machen und eine Wohnung finden. Ich habe mich entschieden, nach Deutschland zu kommen, weil ich wusste, dass es hier mehr Möglichkeiten für mich und vor allem für meine Kinder gibt.« Als Palästina-Flüchtling aus dem Libanon hat Akilah keinen klaren Status. Da ihr Mann und sie keine Pässe haben und »geduldet« sind, haben sie keinen Zugang zu regelmäßigen Integrationskursen oder Sprachkursen. Dennoch spricht Akilah inzwischen sehr gut Deutsch und ist oft als Dolmetscherin für andere Bewohner des »Übergangsheims« tätig. Sie würde sehr gerne beruflich tätig werden. Im Internet hatte sie gelesen, dass »Frauen in Deutschland arbeiten, eine Ausbildung machen
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und sich eine eigene Karriere aufbauen können«. Im Libanon ging sie bis zu ihrem 15. Lebensjahr zur Schule und machte ein Jahr lang eine Ausbildung zur Sekretärin. Sie hätte gerne weiter gelernt und dann eine Arbeit aufgenommen. In Deutschland hat sie ein Praktikum in einer Kindertagesstätte gemacht: »Die Leute wollten, dass ich bleibe, und ich habe dort auch sehr gerne gearbeitet. Aber da unser Status nicht festgelegt ist, durfte ich nicht weitermachen. Ich möchte eine Ausbildung zur Sozialassistentin machen. Dann kann ich in einer Kindertagesstätte oder als Altenpflegerin arbeiten. Das würde ich gerne machen.« Viele Frauen äußern den Wunsch, in der Pflege zu arbeiten, was angesichts des akuten Arbeitskräftemangels in diesem Sektor eine gute Nachricht sein könnte. Mama Stacy, die 2018 aus Kamerun kam, sagt zum Beispiel ebenfalls: »Ich würde gerne mit älteren Menschen arbeiten. Ich möchte unbedingt zur Schule gehen, um ein Zertifikat zu erwerben, das es mir ermöglicht, mit ihnen zu arbeiten. Das liebe ich so sehr.«
4.4 Gut ausgebildete Zuwanderer Mehrere von uns befragte Migranten waren gut oder sehr gut ausgebildet. Dies war jedoch nicht immer eine Garantie dafür, schnell Arbeit zu finden. Mangelnde Deutschkenntnisse waren in der Regel das größte Hindernis, obwohl fast alle fließend Englisch und regelmäßig auch einige andere Sprachen beherrschten. Darüber hinaus durften einige einfach nicht arbeiten. Die gut ausgebildeten Menschen kamen aus aller Welt. Shireen kam erstmals 2015 nach Deutschland, um Finanz- und Rechnungswesen zu studieren. »Ich hatte bereits einen Abschluss an einer Wirtschaftsschule in Karatschi gemacht und eine Zeit lang in einer Bank gearbeitet, aber ich kam hierher, um meinen Master zu machen.« Nach ihrer Rückkehr nach Pakistan im Jahr 2019 wollte ihre Familie sie mit einem anderen Verwandten verheiraten, woraufhin sie nach Deutschland floh. Nun ist sie auf der Suche nach einem Job, um das Lager so schnell wie möglich verlassen zu können: »Im Moment nehme ich jeden Job an, der nicht durch die Sprachbarriere eingeschränkt ist, solange er die Rechnungen bezahlt. Zunächst muss ich mich körperlich erholen, denn mein Gesundheitszustand ist im Moment sehr schlecht, aber ich würde gerne wieder in eine Routine einsteigen. Früher habe ich meinen Job in der Buchhaltung und im Finanzwesen gehasst, denn solche Jobs saugen einem die Seele aus dem Leib. Man wird zu einer Zahl und fängt an, die Menschen nur
4. Arbeit und Bildung
noch als Zahlen zu betrachten. Aber im Moment würde ich jeden Job annehmen, nur um mich wieder normal zu fühlen, nur um das Gefühl zu haben, dass ich tatsächlich ein funktionierendes menschliches Wesen bin.« Yaqout hat in Syrien und Budapest Architektur studiert. Sein syrischer Master wird von den deutschen Behörden als Bachelor anerkannt. Er hatte schwere gesundheitliche Probleme und Depressionen, ist aber fest entschlossen, einen Job zu finden, auch um seine Probleme zu überwinden: »Ein Job in Deutschland würde viel für mich verändern. Es würde mich zu einem anderen Menschen machen, der ein Ziel hat. Deshalb habe ich jeden Tag damit verbracht, nach Arbeit zu suchen. Hier gibt es niemanden, der dir bei der Arbeitssuche hilft; das musst du selbst tun […]. Das Internet war das hilfreichste Instrument bei der Arbeitssuche. Jeden Tag bin ich auf LinkedIn, Indeed und anderen deutschen Arbeitswebseiten und suche nach Möglichkeiten […]. Ich möchte Deutsch lernen. Es ist schwierig, ohne Arbeit und Kontakt zu anderen Menschen einen Weg aus meiner Depression zu finden […]. Wenn ich Arbeit habe, die mich ablenkt, habe ich keine Zeit, deprimiert zu sein. Die Arbeit wird mir helfen, all meine Probleme zu vergessen und etwas aus meinem Leben hier zu machen. Mit einer Arbeit kann ich meiner Familie helfen, ich kann meiner Schwester in Syrien helfen. Wenn ich Arbeit habe, kann ich mir hier etwas aufbauen.« Naseem ist hochgebildet, hat aber keinen »Beruf« erlernt, der ihm den Zugang zum Arbeitsmarkt leicht macht: Er hat in Kabul russische Literatur studiert. Im Jahr 2015 verließ er Afghanistan und kam über Russland und Finnland nach Deutschland. Seit seinem 25. Lebensjahr ist er in erster Linie ein Flüchtling, der versucht, eine Aufenthalts- und Arbeitserlaubnis zu erhalten. Dabei spricht er sieben Sprachen: »Ich spreche Arabisch, Englisch, Paschtu, Farsi, Urdu und Russisch, aber ich verstehe auch Hindi und Ukrainisch, weil sie den Sprachen, die ich bereits spreche, so ähnlich sind.« Diese Sprachkenntnisse führen dazu, dass er in den Flüchtlingsheimen, in denen er seit sieben Jahren lebt, oft als Dolmetscher eingesetzt wird. Erst kürzlich konnte er einen Deutschkurs besuchen und hat eine Arbeitserlaubnis. Er würde gerne wieder an die Universität gehen, um weiter zu lernen. »Aber zuerst möchte ich mein Deutsch verbessern. Ich möchte das Niveau B2 erreichen und dann an die Universität gehen, um eine Art Sozialarbeiter oder Lehrer zu werden. « Die mangelnden Deutschkenntnisse und die oft großen Schwierigkeiten, einen Deutschkurs zu besuchen, erschweren die Integration erheblich, wie gesagt. Der Tschetschene Malik, der mit seiner Frau und vier Kindern lebt, hat seit 2019 eine Duldung. Trotzdem darf er arbeiten. Er ist Softwareentwickler. Leider ist sein Deutsch nur auf A1-Niveau und er bekommt keinen Zugang zu einem Deutschkurs, weil er nur einen Duldungsstatus hat. Um in seinem Bereich arbeiten zu können, muss man auf dem Niveau B2 sein, in Deutsch oder Englisch.
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»Ich habe fünf Jahre lang studiert, um Programmierer zu werden […]. Ich würde sehr gerne in meinem Bereich arbeiten […]. Ich mag die Arbeit; ich mag Computer sehr […]. Aber es ist sehr schwierig wegen der Sprache, denn ich brauche B1 oder B2. In meinem Heimatland gab es zum Beispiel sehr viele Programmiersprachen, die wir verwendet haben, wie Python oder Basic. Ich habe etwa ein halbes Jahr lang Python gelernt, und auf Russisch kann ich programmieren. Aber hier ist es auf Deutsch, man muss mindestens B1 Deutsch und sogar B1 Englisch können, um programmieren zu können. IT-Spezialisten werden überall gebraucht […]. Aber man muss Deutsch können.« Meryem und Ayaz flohen nach dem Putsch 2016 aus der Türkei, den sie unterstützt haben sollen. Ihre Tochter Esila erzählt: »Meine Mutter war Geschichtslehrerin und mein Vater unterrichtete Chemie. Wir lebten in Ankara.« Nach dem Putsch verloren sie zunächst ihren Job, dann saß der Vater ein Jahr im Gefängnis. Über Griechenland kamen sie nach Deutschland. Sie bekamen inzwischen eine Aufenthaltsgenehmigung und eine eigene Wohnung, und sie belegen Deutschkurse. Esila macht große Fortschritte in der Schule und möchte später für die Regierung tätig werden: »Wir möchten in Deutschland bleiben. Ich möchte für die Regierung arbeiten, die mich aufgenommen hat.« Bei ihren Eltern verläuft die Integration etwas langsamer: »Mein Vater hätte gerne mehr Möglichkeiten bei der Arbeitssuche. Manche sagen, er könnte zum Beispiel bei Burger King arbeiten. Aber nein, er hat studiert und würde gerne einen besseren Job haben. Und die Tatsache, dass sie nicht so gut Deutsch sprechen, bedeutet nicht, dass sie nicht gut arbeiten können. Aber sie sollten in der Lage sein, ihre Fähigkeiten zu zeigen.« Vor allem politische Flüchtlinge sind oft besser ausgebildet, wie die Geschichte von Meryem und Ayaz zeigt. Ali Ghaznawi ist ein weiteres Beispiel. Er war in den liberalen, westlich orientierten Medien in Afghanistan aktiv, was zu großen Bedrohungen durch die Taliban führte. Ursprünglich floh er in die Ukraine, wo er Informatik studierte und ein eigenes Unternehmen in diesem Bereich gründete. Die größte Hürde, die er in Deutschland zu überwinden hat, scheint das Erlernen der Sprache zu sein. Dasselbe gilt für seinen Landsmann Almar, der mit seiner ebenfalls gut ausgebildeten Frau und zwei Kindern nach Deutschland floh, nachdem die Taliban endgültig an die Macht gekommen waren. Er studierte Informatik (seine Frau Literatur) und arbeitete in diesem Bereich für eine deutsche Organisation in Afghanistan. Obwohl sie auf Einladung der deutschen Regierung nach Deutschland gekommen sind, warten sie seit einem Jahr auf den Zugang zum Deutschunterricht und auf eine eigene Wohnung.
4. Arbeit und Bildung
4.5 Illegale Arbeit Regelmäßig erwähnten die Befragten, dass sie oder andere illegal arbeiteten, aber sie scheuten sich oft, darüber zu sprechen. Andere erwähnten nicht direkt, dass es sich um Schwarzarbeit handelte, aber aus ihren Beschreibungen konnten wir schließen, dass die Arbeit wahrscheinlich nicht legal war. Auf die Frage, wie viele Menschen in seinem Flüchtlingszentrum arbeiteten, antwortete ein Leiter: »Fast jeder arbeitet hier mehr oder weniger, die Frage ist nur, ob es legal oder illegal ist.« Fidvi aus Pakistan ist seit acht Jahren in Deutschland. Seine Frau und seine beiden Töchter sind noch in seinem Heimatland. »Zehn Jahre lang bin ich zur Schule gegangen, dann habe ich als Küchenhilfe in einer Bäckerei und einem Restaurant gearbeitet und dann als Auslieferer für eine Apotheke.« In den ersten Jahren in Deutschland, während seines Asylverfahrens, hat er wieder in einer Bäckerei gearbeitet, darf das aber formal nicht mehr, weil er nur eine »Duldung« hat: »Ich brauche eine Arbeitserlaubnis und dann kann ich wieder arbeiten. Ich habe keine Papiere. Ich will arbeiten und dann meine Kinder nachholen. Ich habe nichts in Pakistan. Mein Vater und meine Mutter sind tot. Meine Schwester auch […]. Das Leben hier ist in Ordnung. Ich brauche eine Arbeitserlaubnis. Menschen aus Pakistan und Bangladesch kommen hierher, um zu arbeiten. Das ist das Wichtigste.« Auf die Frage, was er tagsüber macht, antwortet er: »Seit vier Jahren tue ich fast nichts mehr. Ich schlafe, ich koche, ich esse, ich mache ein bisschen Schwarzarbeit, ich gehe ein wenig spazieren und ich schaue YouTube.« Das generelle Problem sind »Wirtschaftsflüchtlinge«, die erst nach Jahren des Asylverfahrens als solche eingestuft werden. Die Betroffenen haben dann jahrelang einen so genannten »Duldungsstatus«. Sie sind »ausreisepflichtig«, dürfen nicht arbeiten oder studieren, werden aber auch nicht abgeschoben. Sie sind nach Deutschland gekommen, um Geld zu verdienen, das sie dann an ihre Familie in der Heimat schicken können. Diese Familie rechnet höchstwahrscheinlich mit dieser Unterstützung. Wenn dies nicht auf legalem Wege möglich ist, machen die Beteiligten es auf illegale Weise. Wir werden auf dieses Thema im Abschnitt mit den politischen Empfehlungen zurückkommen.
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5. Die Bedeutung der Kinderbetreuung
Ein Platz in einer Kindertagesstätte erwies sich als äußerst wichtig für die Integration von Eltern und Kindern. Ohne einen solchen Platz konnten die Eltern oft keinen Deutschunterricht oder keine Ausbildung machen oder hatten keine Möglichkeit, einer Arbeit nachzugehen. Die betroffenen Kinder waren nicht in der Lage, Deutsch zu lernen und sich an den Schulalltag zu gewöhnen, so dass sie in der Regel mit einem großen Rückstand in die Grundschule kamen. Außerdem waren sie dazu verurteilt, ihre Zeit in überfüllten Flüchtlingsheimen zu verbringen, regelmäßig ohne viel Kontakt zu anderen Kindern, geschweige denn zu deutschen Gleichaltrigen. Es gab mehrere Gründe, warum die Kinder keine Kita besuchten. Der Hauptgrund war, dass es keine Kita-Plätze gab, ein Problem, mit dem auch deutsche Eltern konfrontiert sind. Es gibt oft lange Wartelisten, und Eltern, die einen Arbeitsplatz haben, werden bevorzugt behandelt. Da die meisten Flüchtlinge keine Arbeit haben, bekommen sie oft keinen Kita-Platz, was sie daran hindert, an Integrationsund Sprachkursen oder Schulungen teilzunehmen, was sie wiederum daran hindert, eine Arbeit zu finden, was sie daran hindert, einen Kita-Platz für die Kinder zu bekommen. Und so weiter. Dennoch sind große Unterschiede zwischen den Flüchtlingsheimen und den Gemeinden, in denen sie angesiedelt sind, zu beobachten. Diese Unterschiede lassen sich wiederum durch die unterschiedlichen Bemühungen der örtlichen Verwaltungen um die Schaffung von Kita-Plätzen sowie die Bemühungen dieser Verwaltungen und der beteiligten Sozialarbeiter um die Belegung der verfügbaren Plätze mit Flüchtlingskindern erklären. Schließlich gab es einige Familien aus Kulturen, in denen es weniger üblich ist, dass Kinder eine Kinderkrippe besuchen. Hier kam es wiederum auf die Überzeugungsarbeit der beteiligten Sozialarbeiter an, um die Bedeutung dieses Besuchs deutlich zu machen. Das Ausmaß, in dem diese Überzeugungsarbeit geleistet wurde, variierte wiederum von Sozialarbeiter zu Sozialarbeiter. Einige Zitate machen das oben Beschriebene noch einmal anschaulicher. Alieh erklärte: »Es gibt hier noch keine Tagesstätte für meinen Sohn. Ich kann also nicht wirklich etwas alleine machen.« Mama Stacy: »Ich warte darauf, dass mein Jüngster
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in die Krippe geht. Wir haben noch keinen Betreuungsplatz für sie bekommen, und ich habe gehört, dass es ziemlich schwierig ist, einen zu bekommen.« Malik hat vier Kinder und sagt: »Meine Kinder sind nicht in der Kita, weil es keine Kita-Plätze gibt. Vor ein paar Monaten habe ich ein Formular ausgefüllt, damit meine Kinder später vielleicht einen Platz bekommen, aber bisher hatten wir keinen Erfolg. Mein ältester Sohn ist 5 Jahre alt […]. Er ist jetzt zu alt, um die ganze Zeit im Zimmer zu bleiben […]. Ich versuche, jeden Tag mit meinen Söhnen einen Ausflug zu machen […]. Mein zweiter Sohn kann sich noch mit Spielzeug im Zimmer beschäftigen, aber mein großer Sohn ist daran nicht mehr interessiert. Er muss mit anderen Kindern spielen und mit anderen Kindern sprechen. Deshalb möchte ich, dass er einen Krippenplatz bekommt.« Karina aus Marokko lebt mit ihren Zwillingen in einem Heim für Frauen mit psychischen Problemen. Sie berichtet: »Das Leben im Heim ist sehr, sehr schwierig. Die Kinder sind jetzt 4 Jahre alt, und sie haben immer noch keinen Kindergartenplatz bekommen. Ich kann nichts tun, weil ich mich immer um die Kinder kümmern muss. Die Kinder sind hier sehr unglücklich, denn sie haben keine Möglichkeit, mit anderen zu spielen. Deshalb haben sie auch Probleme mit der Sprache; sie haben niemanden, mit dem sie sprechen können. Die Kinder können noch nicht richtig sprechen, weder Deutsch noch Arabisch, denn wenn sie sprechen, beschweren sich die anderen Heimbewohner, dass sie zu laut sind […]. Es gibt auch keinen Spielplatz. Die Kinder langweilen sich einfach. Wenn wir eine Art Tagesstätte oder Kinderbetreuung im Haus hätten, wäre das eine große Hilfe. Vor allem, weil es keine Kindergartenplätze gibt. Die Frau, die im Heim arbeitet, sagt, dass die Kinder bald einen Kindergartenplatz bekommen werden, aber ich glaube nicht daran.« Zhara aus Syrien hat zwei Kinder. Der Älteste wurde gerade eingeschult. »Mein jüngster Sohn hat noch keinen Platz in der Kita, aber das wird sich hoffentlich bald ändern […]. Vielleicht kann ich zur Schule gehen, wenn meine beiden Kinder in der Schule oder in der Kita sind.« Seit einem Jahr lebt Emad mit seiner Tochter in der Flüchtlingsunterkunft. Seine Frau hat sich nach seiner Ankunft in Deutschland von ihm scheiden lassen. Wie seine 2-jährige Tochter ist auch er Analphabet. »Weil ich ein Kind habe, kann ich nicht einfach arbeiten gehen; ich bin an sie gebunden. Ich habe mich auch beim Amt nach einem Kindergartenplatz für meine Tochter erkundigt, aber ich habe nichts gefunden. Wir warten beide darauf, dass der Unterricht organisiert wird. Damit wir etwas lernen können […]. Wenn sie in den Kindergarten ginge, könnte ich freier denken und versuchen, am Handy etwas
5. Die Bedeutung der Kinderbetreuung
zu lernen. Aber sie ist 24 Stunden am Tag bei mir. Wo immer ich hingehe, muss sie bei mir sein.« Sarah hat im Iran Informatik studiert und vor fünf Jahren vergeblich einen Asylantrag gestellt. Auch ihr Antrag wurde abgelehnt. Jetzt hat sie eine Duldung. »Ich habe dem Sozialamt gesagt, dass ich seit eineinhalb Jahren da bin und studieren will. Meine Tochter war acht Monate alt und hatte keine Kinderbetreuung. Sie sagten mir dann: ›Nein, das ist nicht nötig‹. Sie wollen nicht, dass man im Leben weiterkommt. Das Sozialamt würde nur sagen: ›Nimm diese Leistungen und geh in dein Heim. Du brauchst nicht zu studieren oder zu arbeiten, gar nichts‹. Was ist das für eine Regel? Ich habe die ganze Zeit Briefe geschrieben, dass ich arbeiten gehen möchte. Sie sagten: ›Nein, bleib zu Hause. Dein Kind ist noch klein. Das ist nicht nötig‹. Jetzt ist mein Kind sechs und geht seit sieben Monaten in eine Kita. Die ganze Zeit, die ich in Deutschland war, musste ich zu Hause bleiben, um mich um sie zu kümmern.«
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6. Das Leben in den Flüchtlingsheimen
Die Lebensqualität der Flüchtlinge, ihre psychische und physische Gesundheit und der Erfolg, mit dem sie sich in die Gesellschaft integrieren können, wird zum Teil durch die Lebensbedingungen in den Flüchtlingsunterkünften bestimmt. Diese Bedingungen sind nicht optimal.
6.1
Enge und fehlende Privatsphäre
Viele beklagen einen Mangel an Platz und Privatsphäre sowie einen hohen Lärmdruck. Man lebt mit zu vielen Menschen auf zu engem Raum und muss sich Einrichtungen wie Küche und sanitäre Anlagen mit zu vielen Menschen teilen. Das führt natürlich zu gegenseitigen Irritationen, vor allem, wenn man jahrelang in dieser Situation bleibt, ohne Aussicht auf Veränderung. Khava aus Tschetschenien ist schon seit sieben Jahren in Deutschland: »Wir haben zwei Zimmer zur Verfügung. Mit fünf Kindern ist das natürlich nicht immer einfach. Das bedeutet viel Stress, oft können wir nicht gut schlafen, weil immer jemand wach ist, und das ist alles schlecht für die Gesundheit.« Mama Stacy und ihre Familie sind schon seit vier Jahren in Deutschland: »Das einzige Problem, das wir mit diesem Lager haben, ist die Wohnsituation. Wir sind zu sechst in einem Zimmer eingepfercht. Das Zimmer ist ziemlich überfüllt, mit sechs Betten und all unseren persönlichen Sachen. Mit vier Kindern ist das schwierig. Diese Kinder werden jetzt erwachsen, also wollen wir nur ein zusätzliches Zimmer.« Vor drei Jahren kam Kasra mit ihrer Mutter und ihrer jüngeren Schwester aus dem Iran. Ihr größtes Problem ist der Platzmangel: »Die Stadt ist gut, aber wir haben hier ein Problem: Das Zimmer ist zu klein für uns. Wir leben alle zusammen in einem Zimmer […]. Ich habe vier oder fünf Mal einen Brief an das Sozialamt oder an die Ausländerbehörde geschrieben, aber sie haben nicht geantwortet. Wir haben nur dieses Problem. Ich komme um 21 Uhr
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von der Abendschule nach Hause und will lernen oder meine Schularbeiten machen, aber meine Schwester will um 22 Uhr schlafen gehen. Also machen wir alle das Licht aus, und dann kann ich nicht lernen. Das ist ein Problem. Außerdem ist es manchmal sehr laut im Haus. Hier leben noch einige andere Familien, mit denen wir uns gut verstehen, aber manchmal haben sie Probleme miteinander und streiten, schreien und kämpfen. Das ist manchmal schwierig.« Akilah kam vor sechs Jahren aus einem palästinensischen Flüchtlingslager im Libanon. Sie erzählt von ihren Lebensbedingungen: »Wir haben zwei kleine Zimmer für uns vier. Wir teilen uns die Toilette, die Dusche und die Küche mit allen anderen Bewohnern. Das ist nicht immer einfach. Jeder kocht anders, und der Geruch von all den anderen Speisen ist manchmal unangenehm. Wir kochen und essen nie gemeinsam, sondern essen in unseren eigenen Zimmern. Die Container sind aus Eisen und im Sommer ist die Hitze oft unerträglich. Im Libanon sind wir an diese Hitze gewöhnt, aber unsere Häuser dort sind nicht aus Eisen.« Auf Einladung der deutschen Regierung kam Almar nach der Machtübernahme durch die Taliban mit seiner Frau und zwei kleinen Kindern nach Deutschland. Sie sind beide gut ausgebildet und hatten ein gutes Leben in Afghanistan. Man hatte ihnen eine reibungslose Integration in Deutschland versprochen. Im März 2022 kamen sie in der Übergangsunterkunft für Flüchtlinge an. Er erzählt: »An dem Tag, an dem wir hier ankamen, haben sie uns ein Zimmer im dritten Stock gegeben. Alles war furchtbar schmutzig und zu klein für unsere vierköpfige Familie. Unser Sohn ist acht Monate alt und unsere Tochter zwei Jahre. Als meine Frau das Zimmer betrat, konnte sie zunächst nicht glauben, dass dies unser Zimmer war. Sie fing an zu weinen. ›Das Leben in Afghanistan unter dem TalibanRegime ist besser, warum hast du uns hierhergebracht?‹, sagte sie. Ich erinnere mich noch sehr gut an diesen Moment. Ich wollte das nicht für meine Familie, ich wollte nicht, dass meine Frau weint. Meine Frau sagte, sie wolle zurück nach Afghanistan. Ich ging zu der Sozialarbeiterin und fragte sie, wie wir nach Afghanistan zurückkehren könnten. Die Sozialarbeiterin fragte uns, warum? Ich zeigte ihr das sehr schmutzige Zimmer mit den Fotos, die ich mit meinem Handy gemacht hatte: ›Wir können in diesem Zimmer nicht leben, warum haben Sie uns diesen Ort gegeben? Wir hatten ein besseres Leben in Afghanistan‹. Die Sozialarbeiterin versprach uns, dass wir nach ein oder zwei Wochen eine bessere Wohnung haben würden.« Neun Monate später leben Almar und seine Familie immer noch in demselben Zimmer.
6. Das Leben in den Flüchtlingsheimen
Sahar lebt seit fast fünf Jahren mit ihrem Mann und ihrer Tochter in dem Flüchtlingszentrum. Ihr Mann hat seit kurzem wieder einen Job und muss früh aufstehen. Sie erzählt: »Wir kennen die Leute hier, zumindest grüßen wir jeden hier. Es gibt neue Leute, die kommen und gehen. Aber dann ich weiß nicht, ich muss das wohl sagen, das Leben im Heim ist sehr schwierig geworden und die Zahl [der Bewohner] ist zu hoch, und der Lärm der Kinder. Mein Mann muss um 5 Uhr morgens aufstehen und die Kinder hier rennen bis 11 Uhr nachts durch den Flur.« Naseem hat die gleiche Beobachtung gemacht: »Im Flüchtlingsheim ist es schwer, wegen der Kinder und des nächtlichen Lärms zu schlafen.« Ab aus Gambia erzählt, dass er gerne sein Deutsch weiter verbessern würde, was aber nicht immer einfach ist: »Im Flüchtlingsheim kann es schwierig sein zu lernen, weil es so laut ist. Tagsüber ist es zu laut, und nachts muss ich mich ausruhen […]. Ich würde mir gerne eine eigene Wohnung suchen, damit ich stabiler bin und meine eigene Ruhe habe.« Majid stört sich vor allem an der fehlenden Privatsphäre: »Wenn man nicht einmal in dem Raum, in dem man schlafen soll, seine Privatsphäre hat, habe ich das Gefühl, dass niemand sein wahres Ich ist und nicht die wirkliche Person ist, die er sein sollte. Als ich hier ankam, musste ich mich mit jedem anlegen, der nicht an die Tür klopfte, bevor er das Zimmer betrat. Jemand wollte sich umziehen und der Typ kam einfach ins Zimmer. Jeder hat sich so verhalten. Und wenn ich anklopfte, bevor ich eintrat, machten sie sich über mich lustig: ›Was glaubst du, wo du bist, dass du klopfst?‹«
6.2 Physischer Zustand der Flüchtlingszentren und Hygiene Die Mehrzahl der Flüchtlingszentren ist baufällig und schmutzig. Die Schließung vieler Zentren war bereits vor dem ersten großen Zustrom von Flüchtlingen im Jahr 2015 geplant. Notwendige Renovierungen und Investitionen wurden immer wieder aufgeschoben, in der scheinbaren Hoffnung und Erwartung, dass die Ankunft von Flüchtlingen und Migranten ein vorübergehendes Phänomen sei. Einige Flüchtlingsunterkünfte bestehen aus aneinandergebauten Containern, für die es nur eine befristete Baugenehmigung gab, eine Genehmigung, die im Jahr 2023 schon seit Jahren abgelaufen ist, aber dennoch immer wieder befristet verlängert wird. Die Reinigung durch externe Dienste oder durch die Bewohner selbst ist oft schlecht organisiert. Viele Heime haben daher mit Kakerlaken und anderem Un-
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geziefer zu kämpfen. Ein Leiter eines Zentrums erklärte, dies treffe auf fast alle Heime zu, und war sehr verärgert darüber, dass viele dies verschwiegen, vermutlich aus Angst, ihren Vertrag mit der Regierung und ihren Arbeitsplatz zu verlieren. Alle folgenden Zitate wurden von der Kreisverwaltung Teltow-Fläming nicht zur Veröffentlichung freigegeben. In einem Interview erzählte uns Sarah aus dem Iran: »In allen Zimmern hier gibt es Kakerlaken. Es sind so viele, dass ich mich manchmal nachts nicht traue zu schlafen. Alle Toiletten. In der Küche, wenn man das Geschirr abwäscht, laufen überall Kakerlaken herum. Schrecklich und schmutzig. In diesen Zimmern ziehen Menschen um, und die Zimmer werden nicht geputzt oder gestrichen. Nichts. Jemand wohnt hier sechs Jahre lang. Die ganze Wand ist schmutzig, dann kommt die nächste Person und geht direkt in dieses Zimmer. In den Zimmern ist Schimmel und Flöhe. Es gibt Dinge in der Wand, die wie eine Nadel in die Haut eindringen können. So etwas hatte ich noch nie gesehen. Es gibt Flöhe, Läuse und Kakerlaken. Was kann [der Heimleiter] tun, wenn es kein Budget gibt? Der arme Mann bringt diese Röhren an den Wänden an. Aber das funktioniert nicht. Die Kakerlaken sind von der Größe einer Zelle bis zu dieser Größe. Ich fühle mich nicht sauber, wenn ich hier einen Löffel zum Essen benutzen will. Wie oft sollte ich mich waschen?« Yasmina aus dem Libanon: »Das Flüchtlingsheim ist auch nicht gerade schön. Die Gemeinschaftsräume wie die Küche, das Bad und die Duschen sind alle schmutzig und alt. Die Menschen sollten nicht sieben Jahre hier leben müssen, sondern höchstens ein oder zwei Jahre.« Fidvi aus Pakistan: »Hier in der Unterkunft ist alles dreckig. Die Küche, die Toiletten, die Bäder, alles ist schmutzig. Es krabbelt Ungeziefer herum. Niemand macht richtig sauber. Vor allem an den Wochenenden, wenn der Leiter nicht da ist, herrscht hier ein Chaos.« Malia aus Tschetschenien: »Die erste Zeit hier im Heim war wirklich gut, aber jetzt ist es schlimmer geworden und sehr schmutzig […]. Unsere Probleme hier sind, dass die Duschen und alles andere sehr schmutzig sind, und es sind einfach zu viele Bewohner im Heim, so dass es manchmal zu Streitereien kommt. Alles andere ist in Ordnung, es ist nur ein Problem, dass die Duschen und Bäder nicht in den eigenen Zimmern sind, so dass wir sie alle zusammen benutzen müssen. Im Moment ist zum Beispiel die Damentoilette im zweiten Stock kaputt, so dass es schlimmer geworden ist als sonst. Jetzt warten wir darauf, dass der zweite Stock repariert wird. Meine Mutter sagt, wenn sie irgendetwas an dem System hier verbessern könnte, dann wären es die Toiletten.«
6. Das Leben in den Flüchtlingsheimen
Sahar aus dem Iran: »Aber bei einigen Problemen hier tun sie nicht wirklich etwas. Die Frau, die vor diesem Mann hier die Leiterin war, hat nicht darauf geachtet, ob die Reinigungskraft kam oder nicht. Glauben Sie mir, sie hätte ihre Hosen hochgekrempelt, die Maschine angestellt und alle Treppen und Flure geputzt. Es war ihr egal, dass sie der Chef ist oder was auch immer. Ich habe ihre Einstellung wirklich genossen. Aber nachdem sie weg war, waren die Flure hier schrecklich.« Ihre Tochter Baran: »Das Schwierigste am Leben im Heim ist die Sauberkeit, um die man sich nicht kümmert. Früher gab es jemanden, der täglich kam und alle Bäder und Duschen reinigte. Aber jetzt, mit diesem Heimleiter, funktioniert nichts mehr so, wie es sollte … Die Reinigung findet jetzt alle zwei Wochen statt. Es ist wirklich furchtbar. Manchmal kommt niemand zum Putzen und wir machen es selbst.«
Die Familie Bashar aus Syrien lebte anderthalb Jahre in einem Flüchtlingsheim, bevor sie ihre eigene Wohnung bekam. Das Flüchtlingsheim »war in einem sehr schlechten Zustand […]. Es gab auch so viele Insekten, dass wir gar nicht schlafen konnten […]. Wir hatten auch Probleme mit Allergien im Heim, weil es so schmutzig war […]. Ich dachte, dass es in Deutschland viel sauberer sein würde als in der Türkei. Aber die Unterkunft war so schmutzig, das hatte ich nicht erwartet.« Auch der bereits zitierte Almar und seine Familie hatten andere Erwartungen. Nachdem sie das Zimmer gesehen hatten, in dem sie untergebracht werden sollten, waren sie so entsetzt, dass sie am liebsten sofort nach Afghanistan zurückgeflogen wären. Ihre Wohnung dort war von erheblich höherer Qualität gewesen.
6.3 Unterschiede zwischen den Menschen Die Menschen unterscheiden sich hinsichtlich ihres Charakters, ihres Alters, ihres persönlichen und kulturellen Hintergrunds und erleben daher das Leben in einer Flüchtlingsunterkunft unterschiedlich. Dies wird bei der Verteilung der Ressourcen nicht immer berücksichtigt. Majid ist 38 Jahre alt und hat eine Frau und eine Tochter, die im Iran zurückgeblieben sind. In seinem Heimatland hatte er ein eigenes Geschäft für Innenraumpflege. Majid erklärt: »Ich weiß nicht, ob ich das gut erklären kann, aber wenn sich die Lebensbedingungen um bis zu 70 % verschlechtern, ist es für mich als sensiblen Menschen, der so etwas noch nie erlebt hat, 100 % schwierig. Für jemanden, der ein hartes Leben hatte, der viel durchgemacht hat […] oder für jemanden, der von Natur aus stärker ist und einen stärkeren Geist hat, ist die gleiche Situation nur zu 10 % schwierig.«
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Ab kann vielleicht ein Beispiel sein. Er verließ Gambia im Alter von 17 Jahren und erlebte während seiner Reise nach Deutschland viele Dinge, über die er nicht mehr sprechen kann und will. Er beschreibt das Leben in den Flüchtlingsheimen: »Ich bin jetzt seit etwas mehr als fünf Jahren in Deutschland und in dieser Zeit war ich schon in fünf Flüchtlingsheimen. In sechs Monaten muss ich auch wieder nach Großbeeren ziehen. Das Leben in den Heimen war bisher nicht allzu schlimm. Manchmal haben die Leute Probleme miteinander, aber das ist normal, wenn man mit Menschen zusammenlebt. Man hat Probleme, und dann geht man weiter.« Majid hingegen sagt später im Interview: »[…] das Leben im Lager macht einen total verrückt. Es gibt Leute, die sind von Land zu Land gereist, sechs Jahre im Iran, vier Jahre in der Türkei, fünf Jahre irgendwo anders. Denen ist es egal, ob sie im Lager oder in ihrem Haus leben. Die Menschen sind unterschiedlich, aber es ist wirklich schlimm, dass sie auf die gleiche Weise behandelt werden. Es ist ihnen egal, ob jemand hier ist und versucht, sich zu integrieren, oder ob jemand nur dasitzt und Drogen nimmt, das ist ihnen egal. Diese Dinge erdrücken mich langsam. Es gibt Leute aus Afghanistan, die eine Aufenthaltsgenehmigung haben, aber nicht hingehen, um ein Haus zu bekommen. Aber wir würden arbeiten und den ganzen Lohn bezahlen, nur um nicht in diesem Zustand zu leben. Und dann ist da noch der Altersunterschied. Es gibt afghanische Jungs hier, um die 18 oder 20, sie waren 15, als sie hier ankamen. Sie ertragen die Situation viel besser.« Auch bei der Qualität der Lager gibt es wichtige Unterschiede. Ein relativ gutes Lager ist das des Deutschen Roten Kreuzes in Luckenwalde, wo man, wie auch in der Erstaufnahmeeinrichtung in Wünsdorf, eigenen Standards zu folgen scheint, unabhängig von den Anforderungen der örtlichen Verwaltung. Die Unterkunft ist gut gepflegt und sauber, das Verhältnis zwischen der Zahl der Bewohner und der Zahl der Sozialarbeiter ist deutlich besser als in anderen Unterkünften, und es gibt zahlreiche Angebote, die es in anderen Unterkünften nicht gibt. Alieh erzählt: »Das Lager hier ist wirklich komfortabel und schön. Wir fühlen uns hier wohl. Das vorherige Lager war zu laut und überfüllt. Ich würde gerne hier draußen Volleyball spielen. Es gibt hier ein Spielfeld, aber es wäre schön, wenn wir auch einen Sportplatz hätten. Unten gibt es einen Fitnessraum, aber der ist voll mit Sportzeug für Männer, und es sind hauptsächlich Männer, die dort trainieren.«
6. Das Leben in den Flüchtlingsheimen
6.4 Mangel an Gemeinschaft, Einsamkeit und Gleichgültigkeit In der Regel leben die Menschen in den Unterkünften, vor allem diejenigen unterschiedlicher Nationalität, völlig nebeneinander her. Obwohl die Menschen offensichtlich Erfahrungen und Probleme teilen, tauschen sie sich selten darüber aus. Es gibt keine Gemeinschaft, und die anwesenden Sozialarbeiter scheinen auch keine Rolle für die Förderung dieser Gemeinschaft zu sehen. Dieser Mangel an Gemeinschaft ist eine der Ursachen für das weit verbreitete Gefühl der Einsamkeit und die geistigen und körperlichen Gesundheitsprobleme, die teilweise darauf zurückzuführen sind. Auf diese Einsamkeit gehe ich in einem späteren Abschnitt sowie im Abschnitt mit den politischen Empfehlungen näher ein. Ines aus Kamerun erklärt: »Ich habe keine Freunde im Heim. Ich bin die einzige schwarze Person hier. Die Araber haben ihre Gruppe, aber ich spreche kein Arabisch. Ich habe meine Kultur und sie haben die ihre. Wenn ich die anderen sehe, grüßen wir uns, aber das war’s.« Aline hat eine Schwester in Berlin, die sie jedes Wochenende besucht: »Im Heim habe ich nur Kontakt zu einer anderen Kamerunerin«. Layanah sagt: »Im Zentrum grüßen die Nachbarn einander nicht. Sie sind nicht gemein, manchmal sind sie sogar nett, aber man merkt sofort, wenn jemand nicht gestört werden will.« Miranda erklärt: »Ich habe einige Freunde in diesem Heim, die auch aus Kamerun stammen. Manchmal essen wir zusammen und unternehmen etwas zusammen. Es gibt viele nette Leute hier. Aber manche Leute sind sehr schmutzig, sie benehmen sich wie Tiere. Die Atmosphäre ist ruhig, hier ist nichts Besonderes los. Jeder kümmert sich um seinen eigenen Kram.« Alieh ist bereits seit einem Jahr in Deutschland, als wir sie interviewen. Nach ihrer Ankunft ließ sie sich von ihrem Mann scheiden und lebt nun allein mit ihrem kleinen Sohn. »Ich habe nicht viel Kontakt zu irgendjemandem, weder hier im Lager noch in der Stadt […]. Ich würde gerne rausgehen und Leute treffen. Aber ich habe noch nicht viel Kontakt gehabt und weiß nicht viel über die Menschen hier. Wegen der Sprache habe ich nicht mit vielen Menschen gesprochen und weiß nicht, was sie denken.« Malik sagt, er zögere, mit anderen Tschetschenen im Zentrum zu sprechen, weil er nie sicher sein könne, ob sie dem Diktator Kadyrow anhängen oder nicht. Außerdem kann er aus religiösen Gründen nie mit einer Frau allein sprechen. Und die Kommunikation mit Deutschen ist schwierig, weil er die deutsche Sprache noch nicht ausreichend beherrscht. Und schließlich ist keines seiner vier Kinder in einer Kindertagesstätte, weil es an Plätzen mangelt, so dass er stark ans Haus gebunden ist. Nach vier Jahren in seiner neuen Heimat war unser Gespräch daher das erste Mal, dass er mit jemandem über sein Leben gesprochen hat.
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Aber manchmal gibt es auch unerwartete Zeichen der Solidarität. Arezo aus Afghanistan erzählt: »Vor einiger Zeit hatte ich Covid bekommen, sogar nach drei Impfdosen. Aber es war so leicht, dass ich nicht verstanden habe, dass es Corona war. Man sagte mir, ich sei positiv und müsse zwölf Tage lang in Quarantäne bleiben. Als ich nach der Quarantäne aus dem Zimmer kam, stand ich mit einem Topf in der Hand auf dem Flur. Plötzlich kam diese afrikanische Frau zu mir, umarmte mich und begann mich zu küssen.« Wie noch erläutert wird, haben zahlreiche Bewohner psychische Probleme (entwickelt), was sich natürlich auch auf das Lebensumfeld im Flüchtlingsheim auswirkt. Psychisch belastete Menschen sind auch eine Belastung für andere. Darüber hinaus werden sie gleichgültig, kümmern sich weniger um sich selbst und um ihre physische Umgebung. Majid beobachtet: »Was das Leben hier im Heim angeht, kümmere ich mich überhaupt nicht mehr. Ich meine, ich kümmere mich um nichts mehr. Ich habe so viele Probleme gehabt, dass nichts mehr wichtig ist. Du kannst es hier sehen, wie es aussieht, es ist überhaupt nicht sauber. Nichts funktioniert hier richtig. Niemand macht seine Arbeit richtig.« Der größte Wunsch des 20-jährigen Tschetschenen Dukvakha, der seit sieben Jahren mit seiner Mutter und zwei Schwestern in einem Lager lebt, ist es, dieses zu verlassen: »Ich möchte hier weg, zusammen mit meinen Schwestern und meiner Mutter. Ich bin für sie verantwortlich. Viele Leute hier im Lager machen Scheiße. Sie trinken, hängen herum, putzen nicht, kümmern sich nicht um sich selbst. Ich will meine Familie hier rausholen. Meine Mutter hat viel für uns getan und ich möchte etwas dafür zurückgeben.«
6.5 Gesetzlosigkeit Das Flüchtlingslager scheint teilweise ein Niemandsland zu sein, in dem nicht dieselben Gesetze und Regeln gelten wie im Rest der Gesellschaft. Mehrere Bewohner berichteten uns von Diebstahl und Gewalt und von der Schwierigkeit, die Polizei dafür zu interessieren. Vielleicht gehen manche Polizisten implizit davon aus, dass in Flüchtlingsunterkünften einfach andere Gesetze gelten. Der afghanische Flüchtling Naseem erzählt: »Ich habe hier ein paar Probleme erlebt. Ich musste mehrmals die Polizei rufen, weil ich einige Beschwerden hatte,
6. Das Leben in den Flüchtlingsheimen
zum Beispiel dass Leute Geld stehlen oder im Zimmer rauchen. So etwas ist ganz normal. Es gibt überall Leute, die so etwas tun. Aber die Polizei hat nie auf unsere Anzeigen reagiert, also musste ich mich selbst verteidigen.« Der Vater der Familie Bashar sagte: »Ein großes Problem in unserem Heim war die Sicherheit. Es war eine Katastrophe. Auch die Sozialarbeiter vor Ort waren überhaupt nicht hilfreich. Mehrere Male kam jemand in mein Zimmer und bestahl mich. Ich wusste schon, wer mich bestohlen hatte, ich hatte ihn mit eigenen Augen gesehen. Ich habe es dem Wachmann gesagt, aber es war ihm egal. Er sagte mir, ich solle die Sache einfach vergessen, denn selbst wenn ich Anzeige erstatte, würde die Polizei nicht kommen und etwas unternehmen. Irgendwann sagte mir der Mann, der mich bestohlen hatte, dass er mich zu Tode prügeln würde, wenn ich ihn nicht in Ruhe ließe […]. In diesem Heim war es wie im Wald: Wenn du nicht stark genug bist, wirst du gefressen.« Yaqout erzählt: »Mitten in der Nacht drehte ich mich im Schlaf um und stellte mit Schrecken fest, dass jemand durch das Fenster in mein Zimmer eingebrochen war, mein Geld gestohlen hatte und auf meinem Bett war. Ich fing an zu schreien und er rannte weg. Ich versuchte, ihm zu folgen, aber er war sehr schnell. Ich habe sofort den Sicherheitsdienst verständigt, aber niemand hat die Polizei gerufen. Ich durfte nicht selbst die Polizei informieren, weil ich auf die Sozialarbeiterin warten musste. Also sprach ich am nächsten Tag mit dem Sozialarbeiter. Er sagte mir, dass er mich in 30 Minuten in meinem Zimmer sehen würde, aber es kam niemand. Ich habe noch einmal mit ihm gesprochen, und er sagte mir, dass wir die Polizei nur per E-Mail informieren können und ich auf den Termin bei der Polizei warten müsste. Aber ich kannte die Person nur von hinten, und ich konnte sein Gesicht nicht erkennen, weil es zu dunkel war. Danach passierte nichts mehr und mein Geld war weg. Es war eine furchtbare Zeit.«
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7. Der Wunsch nach einer eigenen Wohnung und das Problem, eine solche zu bekommen
Die meisten der Menschen, mit denen wir gesprochen haben, wollten das Flüchtlingsheim so schnell wie möglich verlassen. Es fiel ihnen schwer, diesen Wunsch zu verwirklichen. Viele hatten das Gefühl, dass sich ihre Lebensqualität deutlich verbessern würde, sobald sie eine eigene Wohnung hätten. Wir haben einige Personen und Familien interviewt, denen es gelungen ist, ihren Traum zu verwirklichen, und schon auf der Grundlage dieser wenigen Eindrücke können wir diese Erwartung bekräftigen. Aus diesem Grund wird in anderen Ländern wie Norwegen, Schweden und den Niederlanden versucht, die Zeit, in der Menschen in Flüchtlingsheimen leben, so kurz wie möglich zu halten. Je länger die Menschen in den Heimen bleiben, desto schwieriger wird es, sie in die Gesellschaft zu integrieren (siehe den Abschnitt über die politischen Empfehlungen). Um außerhalb des Flüchtlingsheims zu leben, benötigen die Menschen eine Wohngenehmigung. Diese erhalten sie im Prinzip nur, wenn sie eine Aufenthaltsgenehmigung haben. Einige Personengruppen, wie die Menschen aus Syrien und der Ukraine, erhalten diese sofort. Andere Gruppen, wie die Migranten aus Tschetschenien, Pakistan, Kamerun oder Palästina, erhalten diese erst, wenn sie arbeiten dürfen und einen Arbeitsplatz haben. Sobald die Menschen das Recht haben, ein Flüchtlingsheim zu verlassen, besteht die nächste Schwierigkeit darin, eine Wohnung zu finden. Vor allem, wenn sie in oder in der Nähe von Berlin wohnen wollen, ist das sehr schwierig: Das Angebot an Wohnungen ist relativ gering und die Nachfrage hoch. Folglich ist die Miete für Flüchtlinge meist unbezahlbar. Gleichzeitig ist es einfacher, in Berlin oder in der Nähe von Berlin einen Arbeitsplatz zu finden. Aufgrund der unzureichenden öffentlichen Verkehrsmittel und der finanziellen Unmöglichkeit, sich ein Auto zu leisten, wird das Leben auf dem Land unattraktiv, auch wenn es dort günstigere Wohnungen gibt. Ein weiteres Problem ist die Diskriminierung: Viele private und institutionelle Vermieter wollen ihre Immobilien nicht an Migranten vermieten, insbesondere wenn diese Schwarz sind. Das Ausmaß dieser Diskriminierung wurde auch im Jahr 2022 deutlich, als etwa eine Million Flüchtlinge aus der Ukraine nach Deutschland
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Hans Blokland: Migrationspolitik auf der Flucht
kamen: Plötzlich konnten Hunderttausende von Menschen aus der Ukraine etwas finden, was es vorher scheinbar oder angeblich nicht gab: freie Wohnungen und Häuser. Sahar lebt mit ihrem Mann und ihrer Tochter seit fast fünf Jahren in dem Flüchtlingsheim. »Ich muss sagen, dass das Leben im Heim sehr schwierig geworden ist […]. Sie sagen uns alle nur, dass wir warten sollen […]. Jetzt geht mein Mann arbeiten, und wir haben Briefe an das Sozialamt geschickt, dass wir dieses Heim einfach verlassen wollen, wir wollen die Aufenthaltsgenehmigung nicht mehr, geben Sie uns einfach die Wohngenehmigung, damit wir eine Wohnung finden und umziehen können.« Auf die Frage nach ihren Ambitionen antwortet Sahar: »Wir hatten viele Pläne für die Zukunft, aber wir sind schon zu lange hier, um uns noch daran zu erinnern. Jetzt ist unser größtes Ziel, von hier wegzukommen.« Majid ist seit drei Jahren in Deutschland. Er musste seine Frau und seine Tochter im Iran zurücklassen, nachdem er wegen seines Interesses am Christentum in Schwierigkeiten geraten war. Er leidet unter psychischen Problemen, die auch durch den Stress des Lebens im Flüchtlingsheim und die Unterbringung in einem Zimmer mit anderen Flüchtlingen verursacht werden: »Das Leben im Flüchtlingsheim hier hat mich sehr belastet, aber sie wollen uns keine Wohngenehmigung erteilen. Ich hatte zwei Mitbewohner, die süchtig waren und in unserem Zimmer Heroin konsumierten. Ich schlief im Zimmer, und sie nahmen Drogen. Und ich bekam Ärger mit ihnen. Das habe ich dem Chef hier mehrmals gesagt. Sie haben mein Zimmer gewechselt. Dann nahm der Mitbewohner, der über mir schlief, heimlich Heroin. Er zog aus und wurde obdachlos, und dann bekam ich einen anderen Mitbewohner. Wegen all dieser Probleme wurde ich damals ins Krankenhaus eingeliefert. Sie brachten mich zu einem Psychologen in Potsdam.« Majid leidet unter sozialer Isolation, aber obwohl er Menschen außerhalb des Flüchtlingsheims kennt, sucht er ihre Gesellschaft nicht: »Mein Bruder lebt in Berlin. Diesen Monat wird es ein ganzes Jahr sein, in dem ich nicht bei ihm gewesen bin. Obwohl er mich oft einlädt und wir uns sehr nahe stehen – wir sind nur ein Jahr unterschiedlich alt. Ein anderer enger Freund wohnt auch ganz in der Nähe. Ich war seit neun Monaten nicht mehr bei ihm zu Hause. Da ich selbst keine Wohnung habe, habe ich kein gutes Gefühl dabei, zu ihnen zu gehen. Aber wenn ich ein Haus hätte, würde ich sie jedes Wochenende einladen, und sie würden mich auch einladen. Ich will nicht, dass sie denken, dass ich zu
7. Der Wunsch nach einer eigenen Wohnung und das Problem, eine solche zu bekommen
ihnen gehe, weil ich im Heim wohne. Es ist schwierig für mich, aber was kann man schon tun?« Zayn wurde ebenfalls im Iran geboren und kam vor fünf Jahren, im Alter von 17 Jahren, nach Deutschland. Er hat einen Job, obwohl er Analphabet ist. Vor einem Jahr hat er seine Aufenthaltserlaubnis erhalten. »Jetzt möchte ich eine Wohnung finden. Ich spreche nicht mit den anderen Leuten im Heim, weil ich nicht hierbleiben will. Ich möchte woanders hingehen, in eine Wohnung. Ich will nicht im Heim bleiben, ich will mir eine Wohnung suchen, vielleicht in einer anderen Stadt. Zum Beispiel in Luckenwalde oder in Berlin. Ich will jetzt eine Wohnung finden, aber bis jetzt habe ich keine gefunden. Die Leute hier helfen mir nicht. Ich habe den Leuten in diesem Heim vor einem Monat gesagt, dass ich eine Wohnung suchen will. Sie sagten mir, ich solle selbst suchen, aber ich kann nicht selbst suchen. Mein Deutsch ist nicht gut, schreiben kann ich auch nicht.« Yasmina ist seit sechs Jahren in einem Flüchtlingsheim in Deutschland. Zuvor lebte sie in einem palästinensischen Flüchtlingsheim im Libanon. »Das Flüchtlingsheim ist auch nicht gerade schön. Die Gemeinschaftsräume wie Küche, Bad und Duschen sind alle schmutzig und alt. Die Menschen sollten hier nicht sieben Jahre lang leben müssen, sondern höchstens ein oder zwei Jahre. Ich hätte gerne eine eigene Wohnung, vor allem, wenn man bedenkt, dass ich schon so lange hier bin.« Layanah kommt aus Kamerun. Seit einem Jahr hat sie eine Aufenthaltsgenehmigung. Sie ist froh, dass sie nun einen Integrationskurs besuchen kann. Aber eine Wohnung zu finden, hat sich als viel schwieriger erwiesen. »Ich habe lange nach einer Wohnung gefragt und tue es immer noch. Ich war bei Immo24, aber ich bin an einem Punkt angelangt, an dem ich nicht einmal mehr eine Antwort bekomme. Manchmal schicken sie mir die gleiche Anzeige zurück, nur teurer. Sie wissen, dass das Jobcenter nicht zahlen wird, also denken sie, dass man die Wohnung nicht verdient.«1 Almar kam mit seiner Frau und seinen beiden Kindern auf Einladung der deutschen Regierung nach Deutschland. Ihnen wurde eine rasche Integration zugesichert:
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Wenn Menschen keine bezahlte Arbeit haben, aber auf der Suche nach einer solchen sind, zahlt das Jobcenter die Miete und entscheidet, ob die Menschen eine bestimmte Wohnung mieten können. Viele Flüchtlinge und Betroffene beschweren sich darüber, dass die Mietstandards, die das Jobcenter anwendet, nicht an die aktuellen durchschnittlichen Mietpreise angepasst sind. Diese ist in den letzten zehn Jahren stark angestiegen.
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»Es ist jetzt zehn Monate her, dass wir in dieser Einzimmerwohnung gewohnt haben. Schon vor einem halben Jahr habe ich angefangen, eine Wohnung zu suchen. Ich habe mich auf fast 200 Wohnungen beworben. Aber sie haben uns alle abgelehnt. Sie schieben es auf unsere Unterlagen, dass sie nicht in Ordnung sind, aber das stimmt nicht. Wir haben auch schon einen Anwalt beauftragt, der uns bei der Wohnungssuche und beim Nachweis der Ordnungsmäßigkeit unserer Unterlagen hilft […]. Viele unserer Freunde haben ihre Aufenthaltsgenehmigung nach einem Monat bekommen. Aber in Brandenburg dauert alles länger […]. Wir haben oft gehört, dass unser Visum abgelaufen sei und das Jobcenter uns kein Geld zahlen würde. Ich habe die Sozialarbeiter im Amt oft gebeten, uns zu helfen. Viele Male habe ich ihnen gesagt, dass wir nicht die Art von Menschen sind, für die sie uns halten. Wir sind keine Menschen, die unsere Zeit verschwenden. Wir versuchen, uns hier ein Leben aufzubauen, wir wollen unsere Zukunft gestalten und unsere Kinder zur Schule schicken. Wir haben uns für Deutschkurse angemeldet, weil wir lernen wollen, damit wir arbeiten können. ›Bitte helfen Sie uns‹, habe ich sie oft gefragt. Wir glauben, dass es eine gewisse Diskriminierung gibt. Flüchtlinge, die nicht aus Afghanistan kommen, sondern zum Beispiel aus der Ukraine, können leichter eine Wohnung bekommen. Wir brauchen wirklich eine Wohnung für unsere Familie. Dies ist kein Ort, um eine Familie zu beherbergen, wir haben nur ein Zimmer. Das Bad ist draußen und das Wasser ist oft kalt. Meine Kinder werden regelmäßig krank, wenn sie auf die Toilette gehen, weil es so kalt ist. Es gibt hier immer ein Problem mit der Waschmaschine oder der Küche. Wir verschwenden hier unsere Zeit, indem wir uns um diese grundlegenden Ausstattungen kümmern. Wir wollen vorankommen.« Die syrische Familie Bashar kam aus der Türkei, nachdem sie erfolgreich einen Asylantrag gestellt hatte. Sie lebten eineinhalb Jahre lang in einem Flüchtlingsheim in Deutschland, eine Zeit, die sie als Katastrophe erlebten. Seit einem Jahr haben sie eine eigene Wohnung. Der Vater erzählt: »Wir haben von Anfang an gesagt, es ist uns egal, wo wir wohnen, wir wollen nur eine eigene Wohnung haben, wir wollen nur ausziehen. Wir hätten auch in einem Zelt gelebt, wir wollten einfach nur weg von diesem Heim. Selbst als wir noch im Heim lebten, habe ich immer versucht, so viel wie möglich mit den Kindern draußen zu sein. Ich wollte nicht, dass die Kinder unter so schlechten Bedingungen leben müssen. Wir leben jetzt in dieser Wohnung und sind seit einem Jahr hier. Wir haben uns viele Wohnungen angesehen, aber das Jobcenter hat sie immer wieder abgelehnt, weil sie 20 oder 30 € zu teuer waren. Schließlich haben wir diese Wohnung bekommen, aber sie war in einem sehr schlechten Zustand, als wir eingezogen sind. Wir haben alles selbst gemacht: Sogar den Fußboden haben wir selbst verlegt. Einen Monat lang haben wir sehr hart an der Wohnung gearbeitet. Aber es war uns egal, wie die Wohnung aussah. Sobald wir unsere eigene Wohnung hatten, war es für uns wie ein Paradies.«
7. Der Wunsch nach einer eigenen Wohnung und das Problem, eine solche zu bekommen
Esila, die auch für ihre Eltern Meryem und Ayaz spricht, unterstreicht, wie wichtig es ist, ein Zuhause zu haben. Sie lebten etwa ein Jahr lang in Flüchtlingsheimen und beschreiben diese Zeit als »schrecklich«. Nachdem sie ihre Aufenthaltsgenehmigung erhalten hatten, begannen sie sofort mit der Suche nach einer Wohnung für sich selbst: »Dann haben wir die Wohnung in Potsdam gefunden und sind umgezogen. Von da an war unser Leben viel, viel besser. Um die Wohnung zu finden, haben wir keine Hilfe bekommen. Mein Vater hat sich hingesetzt und stundenlang nach einer Wohnung gesucht […]. Ich glaube, es ist nicht einfach, in Deutschland eine Wohnung zu finden. Man muss sich wirklich anstrengen […]. Ich glaube nicht, dass die Sozialarbeiter so viel Zeit dafür haben. Man muss sich hinsetzen und viel suchen. Manche Leute sagen, wenn man kein Deutscher ist, bekommt man keine Wohnung. Wir haben sieben Monate darauf gewartet. Mit der Wohnung sind wir erleichtert: Endlich haben wir ein Zuhause!« Akilah und ihre vierköpfige palästinensische Familie lebten sieben Jahre lang in einem Containerdorf in der Nähe von Berlin. Endlich hat sie die Erlaubnis bekommen, das Flüchtlingsheim zu verlassen: »Seit kurzem dürfen wir uns ein eigenes kleines Haus suchen. Wir würden lieber in der kleinen Stadt bleiben, in der wir jetzt sind. Die Kinder würden es nicht mögen, wenn wir woanders hingehen würden. Mein Sohn hat lange geweint, als wir ihm sagten, dass wir vielleicht in einen anderen Ort ziehen. Aber es ist schwer, hier etwas zu finden. Alles ist so teuer. Aber wenn es keine andere Möglichkeit gibt, werden wir an einen Ort ziehen, an dem die Mieten niedriger sind. Das Wichtigste ist jetzt, dass wir endlich eine eigene Wohnung haben und nicht mehr in den Containern leben müssen. Dann können wir beide anfangen zu arbeiten und für uns und die Kinder ein Leben aufbauen.«
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8. Diskriminierung »The one thing I’d like to say is that everyone should be treated equally. No matter what color or religion. Remember what goes around always comes back around. You might treat me badly one time, the next thing you know is, you’ll be in my office asking me for a job or something like that. Remember, we are all the same.« (Stacy, Kamerun)
Leider ist Diskriminierung ein universelles und zeitloses Phänomen. Die Menschen erlebten sie in ihrem Heimatland, während ihrer Reise nach Deutschland, in der deutschen Gesellschaft und bei ihren Begegnungen mit deutschen bürokratischen Institutionen. Und Flüchtlinge diskriminieren sich regelmäßig gegenseitig. Offensichtlich kann Diskriminierung viele Formen annehmen. Sie kann direkt, absichtlich und sehr sichtbar sein, und sie kann implizit, unbewusst und versteckt sein. Einzelne Personen können diskriminieren. Diskriminierung kann auch strukturell sein, in einer Kultur und einem System so tief verwurzelt, dass sie niemandem bewusst ist. Menschen können diskriminiert werden, ohne es zu bemerken. Oder sie können so sozialisiert werden, dass sie selbst glauben, es sei natürlich, vernünftig und gerecht, dass sie anders behandelt werden. Andererseits können Menschen auch zu Unrecht das Gefühl haben, diskriminiert zu werden. Wenn man eine Stelle nicht bekommt, für die man sich beworben hat, weil man einfach nicht qualifiziert ist, ist man kein Opfer.
8.1
Diskriminierung im Heimatland
Ein regelmäßig genannter Grund für die Migration war die Diskriminierung. Afghanen fühlen sich zum Beispiel im Iran oft diskriminiert. Viele Iraner fühlen sich den Afghanen überlegen, die sie als unterentwickelt, unzivilisiert und gewalttätig ansehen. Sharif und Arezo haben einen Sohn, der einen Abschluss an einer irani-
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schen Universität gemacht hat, aber den Iran verlassen hat, weil er sich ständig schikaniert fühlte: »Überall, wo er hinkam, sagten sie ihm, du bist Afghane. Oder sie haben auf seiner Kleidung herumgehackt. Wenn er zum Beispiel kurze Ärmel trug, sagten ihm die Angestellten in den Behörden, er solle gehen, sich umziehen und an einem anderen Tag wiederkommen. Er hatte die Nase voll von diesen Vorgängen und ging weg.« Nachdem sie erklärt hat, dass sie nicht versteht, warum sie nicht arbeiten und keine Steuern zahlen darf, erklärt Layanah aus Kamerun: »Das eigentliche Problem ist aber der Hass und die Bosheit. Das ist in ganz Afrika so, nicht nur in Europa. Wenn es dieses Problem in Afrika nicht gäbe, wären wir nicht hier. Das ist ein System, das tief sitzt. Aber jeder sollte frei sein und andere Menschen respektieren.« Während ihres Aufenthalts in einem Flüchtlingszentrum in Litauen verliebten sich Adeel aus dem Irak und eine Frau aus Tschetschenien ineinander. Die Familie der Frau erlaubt den beiden nicht, sich zu treffen. »Die Tschetschenen sind auch Rassisten. Weil ich Araber bin, wollen sie nicht, dass ich meine Freundin treffe. Die Tschetschenen sind Muslime, wie ich, aber sie mögen trotzdem keine Araber.« Mehrere Frauen gaben an, nach Deutschland gekommen zu sein, weil es ihnen in ihrem Heimatland nicht erlaubt war, zu studieren, zu arbeiten und sich ein unabhängiges Leben aufzubauen. Das haben wir schon oben gesehen, als wir die Gründe für das Verlassen der Heimat besprochen haben. Ursprünglich ist Sarah nur deshalb aus dem Iran weggegangen, weil ihr Mann in Schwierigkeiten geraten war. Man sagte ihr, dass er größere Chancen auf Asyl hätte, wenn sie als Familie nach Deutschland kämen. Nachdem sie fünf Jahre auf der Grundlage einer Duldung in Deutschland war, will sie nicht mehr zurück: »Ich möchte nicht zurück in den Iran, auch wenn es dort ein Paradies werden würde. Mir gefällt es dort auch nicht mehr. Ich habe hier so viel gelernt, warum sollte ich zurückgehen? Ich habe mich so sehr bemüht, die Sprache zu lernen. Ich habe das alles durchgemacht, mein Kind kann die Sprache hier. Warum sollte ich zurückkehren? Zurück in dieses islamische, bigotte Land, das nicht viel anders ist als Daesh [Islamischer Staat] oder Taliban?«
8.2 Diskriminierung in Deutschland Die Erfahrungen mit Diskriminierung in Deutschland waren recht unterschiedlich: Entweder sagten die Befragten, dass sie erstaunlich wenig Diskriminierung erfahren haben, oder sie beklagten sich sehr darüber. Die Erfahrungen der ersten Gruppe
8. Diskriminierung
lassen sich wahrscheinlich zum Teil durch die soziale Isolation erklären, die das Leben vieler Menschen prägt: Wenn man kaum Begegnungen mit anderen hat, kann man auch nicht viel offene, direkte Diskriminierung erleben. Bei der letzten Gruppe handelte es sich zumeist um Schwarze und kopftuchtragende Flüchtlinge, und sie schienen die Diskriminierung vor allem beim Einkaufen, beim Arzt oder bei der Einwanderungsbehörde zu erleben. Dies waren oft die einzigen Orte, an denen sie Kontakt zu einheimischen Deutschen hatten.
8.2.1 Weiße Migranten Der Tschetschene Malik ist ein Beispiel für die erste Gruppe. Nachdenklich erklärt er: »Es gibt einige Probleme, die es in jedem Land gibt, also macht es eigentlich keinen Sinn, über diese Probleme zu reden. Zum Beispiel gibt es in jedem Land einige Menschen, die nicht freundlich sind. Aber andere sind freundlich. Das ist überall so. Es gab ein oder zwei Fälle, in denen ich Diskriminierung erlebt habe, aber wir leben hier seit zwei Jahren. Zwei Erfahrungen mit Diskriminierung in zwei Jahren sind sehr wenig. Verrückte Menschen gibt es in jedem Land – in Deutschland, in Tschetschenien, auch in Russland. Das ist ganz normal.« Aber dann erklärt er ausführlich, dass er mit niemandem Kontakt hat: »Die einzigen Deutschen, die ich hier wirklich treffe, sind die Sozialarbeiter im Heim.« Auch Karina aus Marokko fühlt sich nicht diskriminiert, da sie nie jemanden trifft: »Ich unterhalte mich manchmal mit den Frauen aus dem Irak, aber nicht sehr oft, und ich wünschte, ich hätte mehr soziale Kontakte. Ich habe keinen Kontakt zu Deutschen, also fühle ich mich auch nicht diskriminiert, aber es ist einsam.« Islam kommt aus Dagestan und vergleicht Deutschland mit Russland: »Generell bekomme ich hier in Deutschland sehr viel Unterstützung. Der Leiter des Flüchtlingsheims hilft mir immer […]. Auch beim [NGO] Internationalen Bund bekomme ich immer Hilfe […]. In Moskau war es ganz anders; es gibt einen großen Unterschied zwischen deutschen und russischen Menschen. Ich habe acht Jahre in Moskau gelebt, und während dieser Zeit fragten mich die Leute ständig: ›Warum bist du hier? Warum gehst du nicht nach Hause?‹ Es gab dort eine Menge Nationalisten, das war ein echtes Problem. Hier in Deutschland habe ich das nie erlebt. Mir wurde nie gesagt, ich solle nach Hause gehen. Das gefällt mir sehr, und das ist das Wichtigste für mich und meine Familie. Hier gibt es für uns keine Probleme. Wenn ich hier Hilfe brauche, kann ich sie immer bekommen.«
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Der Tschetschene Dukvakha kam vor sieben Jahren, im Alter von 13 Jahren, aus Russland nach Deutschland und hat gemischte Erfahrungen gemacht: »In der Schule hat man mir immer geholfen. Die Menschen waren sehr freundlich und hilfsbereit. Auf der Straße ist das regelmäßig anders. Fremde alte Damen sprechen mich plötzlich als ›Scheißausländer‹ an und sagen mir, ich solle in mein eigenes Land gehen. Gruppen von Nazis haben auf mich gewartet, um mich zu verprügeln. Ich versuche jedoch, all diesen Idioten aus dem Weg zu gehen. Es gibt überall gute und schlechte Menschen, auch in Deutschland«. Naseem, ursprünglich aus Kabul, ist seit fünf Jahren in Deutschland: »Draußen habe ich viele rassistische Menschen erlebt, die schreckliche Dinge tun, und ich bringe das alles in mein Zimmer mit. In Brandenburg sagen sogar Ärzte rassistische Dinge. Einmal ging ich in eine Arztpraxis und konnte mit der Sprechstundenhilfe Russisch sprechen. Ich sagte ihr, dass ich Englisch spreche, und sie erklärte mir, dass ich eigentlich mit einem Dolmetscher kommen müsse, obwohl es sich nur um eine Blutuntersuchung handelte. Aber sie fand mich nett und sagte, sie würde den Arzt fragen, ob er dieses Mal eine Ausnahme machen würde, weil er auch Englisch spricht. Der Arzt kommt heraus und fängt einfach an, mich auf Englisch zu beschimpfen, mit Sätzen wie: ›Hey motherfucker, get out of here!‹ Das Gleiche passiert in Berlin. Sie sagen mir, dass ich zu all meinen Terminen einen Dolmetscher mitbringen muss, obwohl ich Englisch und inzwischen ein bisschen Deutsch spreche. Warum sollte ich für so etwas wie einen Bluttest einen Dolmetscher brauchen?« Yaqout, ein syrischer Architekt, will sich nicht über Diskriminierung beklagen. Wenn man ihn nach seinen Erfahrungen fragt, fallen ihm nur kleine Unfälle ein: »Einige Flüchtlinge haben mir gesagt, dass sie sich in Deutschland nicht willkommen fühlen, dass die Deutschen sie nicht mögen. Ehrlich gesagt, habe ich diese Erfahrung noch nicht gemacht, aber ich denke, das liegt an meiner Art. Wenn ich mit einem Lächeln auf die Leute zugehe und sie begrüße, werden sie auch so reagieren. Wenn ich kalt zu ihnen wäre, würden sie natürlich auch so reagieren. Ich habe eine schlechte Erfahrung gemacht, und zwar mit einem Busfahrer in Eisenhüttenstadt. Ich war schon zweimal mit dem Bus gefahren, und beide Male hatte ich meine Fahrkarte beim Fahrer auf Englisch gekauft. Als ich jedoch zum dritten Mal nach einer Fahrkarte auf Englisch fragen wollte, sagte er mir unvermittelt: ›Nein, wir sprechen hier nur Deutsch, wir sprechen kein Englisch, okay?‹ Daraufhin erwiderte ich: ›Aber Sie verstehen doch, was ich auf Englisch sage? Geben Sie mir mein Ticket, bitte.‹ Das schockierte ihn. Von diesem Moment an hielt er den Bus nie mehr für mich an, wenn er mich an der Haltestelle warten sah, und ich musste 45 Minuten laufen, um zurück ins Flüchtlingsheim zu kommen. In dieser
8. Diskriminierung
Gegend wird oft gesagt, dass die Deutschen die Flüchtlinge nicht mögen. Trotz dieser einen Erfahrung fühle ich mich in Deutschland nicht unwillkommen. Viele andere Flüchtlinge beschweren sich über die Menschen hier, aber ich selbst habe noch nicht viel Unhöflichkeit erlebt.«
8.2.2 People of Colour Ein Beispiel für die Gruppe, die viel Diskriminierung erfährt, ist Mama Stacy aus Kamerun. Sie erzählt: »Einige der Leute in der Ausländerbehörde sind sehr unhöflich. Jedes Mal, wenn ich einen Termin habe, muss ich mit einem meiner Kinder hingehen, denn die verstehen wenigstens ein bisschen Deutsch. Wenn ich alleine hingehe, erklärt mir niemand, was vor sich geht. Wenn es ein Problem gibt, sprechen sie nur Deutsch und erklären es mir nicht. Sie wimmeln mich einfach ab, aber man kann doch kein Dokument unterschreiben, wenn man nicht versteht, was darin steht? Einige der Ärzte sind einfach unprofessionell und können sehr unhöflich sein, aber einige von ihnen können auch nett sein. Die Bus- und Bahnfahrer sind auch nicht so freundlich, manche sind gut, aber manche sind einfach unprofessionell. Die Ärztin meiner Kinder spricht die ganze Zeit nur Deutsch, sie kümmert sich nicht darum, den Eltern etwas zu erklären, und sie will nicht hinterfragt werden. Ich habe gehört, dass sie Englisch kann, aber immer, wenn ich sie um eine Erklärung bitte, wirft sie einfach die Hände hoch und geht […]. Ansonsten sind die meisten Leute nett. In den Supermärkten oder Parks werden wir manchmal ein bisschen diskriminiert. Im Park wollen die Kinder mit anderen Kindern spielen, aber die Eltern ziehen ihre Kinder zur Seite, nur weil sie eine andere Hautfarbe haben.« Auch Ines hat eine dunkle Hautfarbe: »Ich werde in Deutschland oft diskriminiert, aber wenn jemand etwas zu mir sagt, dann sage ich es zurück. Wenn die Leute Scheiße zu mir sagen, sage ich Scheiße zurück. Wenn sie mich schlagen, dann müssen sie aufpassen. Am 17. dieses Monats musste ich nach Berlin fahren, um mich mit meinem Anwalt zu treffen. Ich war am Bahnhof, um den Zug nach Berlin zu nehmen. Mein Baby rannte auf dem Boden herum und spielte. Eine Frau schrie mich an und sagte mir, ich solle mein Baby hochnehmen. Aber was kann ich tun, es ist ein Kind! Es ist kein Hund mit einer Leine, es ist ein Kind. Dann sagte die Frau etwas darüber, dass ich aus Afrika stamme. Ja, und? Ja, ich bin aus Afrika, ich spreche Französisch, Englisch, Spanisch, ein bisschen Deutsch, und sie? Sie hat keine Ahnung […]. Sie war sauer, weil ich aus Afrika komme und kein Deutscher bin. Also fragte ich sie: ›Aber was ist mit den Ukrainern, die kommen auch und es gibt kein Problem?‹ Da sagte sie: ›Ja, aber die Ukraine ist Europa.‹ Diese Frau ist wahrscheinlich nicht zur Schule gegangen, also weiß sie wahrscheinlich nicht, dass Kamerun eine Kolonie Deutschlands war. Also,
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ich bin eigentlich hier in meinem Land. Deutschland ist in mein Land gekommen und hat uns unsere Sachen weggenommen, aber wenn ich jetzt hierherkomme, ist das ein Problem? Alles klar.« Ab kommt aus Gambia, und auch er erlebt viel Rassismus: »Trotz der Verbundenheit, die ich zu Deutschland fühle, habe ich hier viel Diskriminierung erlebt. Ich weiß, dass die Deutschen vor uns kommen werden, aber manchmal ist es für mich schwierig, alltägliche Dinge zu erledigen. Es dauert zwei Stunden, bis ich einen Termin beim Arzt bekomme, und bei Bewerbungen werde ich meistens abgewiesen. Im Zug machen betrunkene Leute spöttische Bemerkungen über meine Hautfarbe. Ich unternehme jedoch nichts gegen sie. Ich würde mein Leben verteidigen und nicht zulassen, dass mich jemand verprügelt, aber ich habe keine Zeit, mit ihnen zu diskutieren oder einen Streit anzufangen. Ich versuche, dem nicht zu viel Aufmerksamkeit zu schenken oder mich darüber aufzuregen. Ich bemühe mich gerade, mich in Deutschland einzuleben, also konzentriere ich mich nur auf mich selbst und meine eigene Arbeit. Ich mache diesen Leuten keinen Vorwurf, denn es zeigt, dass sie keine Ahnung von unserem Leben, von Schwarzen und Immigranten im Allgemeinen haben. Das ist das Problem: Einige Leute sind sich nicht bewusst, wie schwierig es ist, hier ein Einwanderer zu sein.«
8.2.3 Migrantinnen mit Kopftüchern Wie Ab sind auch Eliana und ihre Mutter vor sieben Jahren nach Deutschland gekommen. Sie tragen ein Kopftuch und werden auf der Straße regelmäßig darauf angesprochen. Eliana erklärt: »Mama möchte, dass die Deutschen keine Zeichen machen, wenn sie uns sehen, und dass sie alle Menschen so akzeptieren, wie sie sind. Schließlich tun wir ihnen ja nichts, wir machen keine Zeichen gegen sie. Also sollten sie uns einfach so behandeln, wie sie ihre anderen deutschen Freunde behandeln. Es gibt viele deutsche Menschen, die nett sind. Aber andere sind seltsam. Die Leute reagieren viel zu aggressiv, wenn sie unsere Kopftücher sehen, sie schreien sehr viel.« Auch die Palästinenserin Akilah erzählt: »Ich trage ein Kopftuch, und manchmal kommentieren die Deutschen das. Auf der Straße oder in der Bahn machen sie aggressive Bemerkungen und beleidigen mich, sogar vor meinen Kindern. Ich denke, das ist das Schlimmste. So etwas macht man einfach nicht, finde ich, die Kinder bekommen das alles mit.« Bezeichnend ist auch eine Geschichte des Vaters der Familie Bashar aus Syrien:
8. Diskriminierung
»Es gibt viele Rassisten in Deutschland. Das größte Problem ist das mit dem Kopftuch. Als wir hier angekommen sind, hatten wir immer das Gefühl, dass wir nicht willkommen sind. Alle starrten uns an. Irgendwann haben wir gefragt, warum uns alle so anders ansehen, und man hat uns gesagt, es sei wegen des Kopftuchs. Einmal war unsere Tochter im Supermarkt, und sie wurde verhaftet, weil man dachte, sie würde etwas unter ihrem Kopftuch verstecken. Die Leute dort riefen die Polizei, und meine Tochter wurde sogar auf die Polizeiwache gebracht. Natürlich haben sie dann ihr Kopftuch kontrolliert und festgestellt, dass sie nichts gestohlen hatte. Nur weil unsere Tochter ein Kopftuch trägt, heißt das nicht, dass sie eine Kriminelle ist. Seitdem traut sie sich gar nicht mehr, in den Supermarkt zu gehen. Jetzt muss ich mir jedes Mal Sorgen machen, wenn meine Tochter irgendwo allein ist. Bei den anderen Kindern mache ich mir auch Sorgen, dass etwas passiert, wenn sie allein auf der Straße herumlaufen. Aber bei meiner Frau und meiner Tochter mache ich mir am meisten Sorgen, wegen des Kopftuchs. Deshalb bin ich natürlich enttäuscht, weil ich immer dachte, dass Deutschland ein sicheres und freies Land ist. Ich hätte nicht gedacht, dass ich mir in Deutschland solche Sorgen machen müsste.« Was die Diskriminierung angeht, sieht Sarah aus dem Iran einen großen Unterschied zwischen Berlin und dem ländlichen Raum: »In Berlin ist das alles ganz anders. Ich gehe mit meinem Kind hier in Blankenfelde in den Park und die deutschen Leute erlauben ihren Kindern nicht, mit ihr zu spielen. Mein Kind ist jetzt seit sieben Monaten in der Kita und hat nicht einen einzigen deutschen Freund. Deutsche Kinder spielen nicht mit unseren Kindern, weil ihre Eltern das nicht erlauben. Sie kommen in den Park, und sobald das Kind in die Nähe meiner Tochter kommt, nimmt die Mutter es weg. Aber in Berlin ist das nicht so. Ich gehe mit meinem Kind dort spielen, und 50 deutsche Kinder spielen dort herum. Aber hier in Brandenburg ist es einfach furchtbar. Ihre Gedanken und ihr Glaube, das ist wie in den kleinen isolierten Dörfern im Iran.« Esila, die Tochter von Meryam und Ayaz aus der Türkei, erzählt: »Es ist nicht so schwer, sich an das Leben hier zu gewöhnen. Wenn man ein wenig Geld hat, sind die Lebensbedingungen gut. Aber was für uns schwierig ist, ist, dass die Leute Vorurteile haben. Das habe ich auch in der Schule erlebt: Als ich gesagt habe, dass ich ein Flüchtling bin, haben sie mich behandelt, als wäre ich ein Außerirdischer. Den Menschen wird nicht beigebracht, dass Flüchtlinge keine Minderwertigen sind oder dass andere Menschen unter schlechten Bedingungen leben können. Aber ich kann es auch verstehen: Manche Leute kommen hierher und bauen Scheiße. Um sich hier integrieren zu können, müssen wir mehr tun als andere, uns anstrengen, uns beweisen. Aber das ist nicht richtig. Menschen aus anderen Ländern sollten sich nicht beweisen müssen. Man sollte sich vielmehr Zeit
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nehmen, diese Menschen kennen zu lernen und nicht gleich denken, du trägst ein Kopftuch, dann heißt das so und so, dass du zum Beispiel von deinen Eltern verprügelt wurdest und zwölf Geschwister hast. Es sollte doch einfach zu verstehen sein, dass nicht alle Menschen gleich sind. Wenn die Menschen nicht so viele Vorurteile hätten, dann wäre es viel, viel einfacher für uns, uns hier zu integrieren.«
8.3 Verschleierte Diskriminierung Shireen ist ein gut ausgebildeter Flüchtling aus Pakistan, der aus einer privilegierten Familie stammt, die sie in eine Ehe mit einem Cousin zwingen wollte. Die Leiterin des Heims, in dem sie lebt, hat selbst einen Migrationshintergrund. Shireen beobachtet u.a., dass sie Migranten, die nach ihr in Deutschland angekommen sind, himmelschreiend diskriminiert. Dies ist ein häufig zu beobachtendes Phänomen: Die Gruppe, die als letzte angekommen ist, wird von der vorletzten Gruppe am meisten diskriminiert. Außerdem macht Shireen eine aufschlussreiche Beobachtung bezüglich des Lobes, das sie manchmal von deutschen Einheimischen erhält: »Ich habe in Deutschland Fremdenfeindlichkeit auf etwas versteckte Weise erlebt, aber keine bewusste Fremdenfeindlichkeit. Manchmal versuchen die Leute vielleicht, nett zu sein, aber sie kommen dabei unangenehm oder fies rüber. Wenn mir jemand sagt: ›Du bist so mutig‹, würde ich das nicht als Fremdenfeindlichkeit bezeichnen, aber es ist trotzdem falsch, denn mit Mut hatte das nichts zu tun. Ich war privilegiert. Ich weiß, dass es Millionen von Menschen gibt, die gehen wollen, aber nicht können, und das liegt nicht daran, dass sie nicht mutig sind. Sie meinen es also gut, aber das zu sagen, ist unangebracht. Die Leute machen mir oft Komplimente, aber sie beleidigen damit jemand anderen. Ich bin ein Ex-Muslim, aber ich werde niemals eine Frau verurteilen, die ihren muslimischen Glauben beibehält und sich weiterhin so kleidet, wie sie es möchte, nachdem sie hier angekommen ist. Ich bin nicht besser als sie, also sollten die Leute nicht so tun, als wäre ich schlauer als sie, nur weil sie mit meiner Denkweise übereinstimmen. Die Menschen sollten lernen, ihre Gedanken für sich zu behalten und sie immer und immer wieder im Kopf durchzusprechen, bevor sie sie laut aussprechen.«
8.4 Begegnungen mit bürokratischen Institutionen Bürokratie und bürokratische Einrichtungen sind eine wichtige Quelle der Frustration für Flüchtlinge (wie auch für Sozialarbeiter und Freiwillige, die in der Integration tätig sind). Sie treffen Entscheidungen, die nicht verstanden werden, die als inkonsequent oder ungerecht empfunden werden, und sie lassen die Kunden end-
8. Diskriminierung
los warten. Auf dieses Warten gehen wir in einem eigenen Absatz ein. Die Nichtbeantwortung von Briefen, E-Mails oder Anrufen, die Schaffung unnötiger bürokratischer Hürden und das Wartenlassen von Menschen, bis sie aufgeben, sind natürlich nicht nur auf einen Mangel an Ressourcen zurückzuführen, sondern können auch durch Vorurteile motiviert sein. Wir wollen hier nur einige direkte Beispiele für, nennen wir es, Unfreundlichkeit ansprechen. Das Warten auf bürokratische Entscheidungen behandeln wir in einem separaten Abschnitt. Akilah kam vor fast sieben Jahren aus einem palästinensischen Flüchtlingslager im Libanon. Sie spricht sehr gut Deutsch. Wie viele andere hat sie vor allem mit den Ausländerbehörden schlechte Erfahrungen gemacht: »Wir haben Angst vor den Ausländerbehörden. Jedes Mal, wenn wir dorthin gehen mussten, konnten wir die Nacht davor nicht schlafen. Obwohl wir immer einen Termin haben, müssen wir oft zwei Stunden oder länger im Wartezimmer warten. Das verursacht immer mehr Stress. Ich kann das nicht verstehen. Die Leute sind sehr unfreundlich. Es ist schon vorgekommen, dass sie, während wir uns unterhielten, eine halbe Stunde lang mit jemand anderem am Telefon über etwas anderes sprachen. Aber dank Corona brauchten wir nicht mehr dorthin zu gehen. Alles wurde schriftlich erledigt. Das war eine große Erleichterung.« Mama Stacy ist auch nicht gerade begeistert von der Ausländerbehörde: »Einige der Leute in der Ausländerbehörde sind sehr unhöflich. Jedes Mal, wenn ich zu einem Termin gehe, muss ich mit einem meiner Kinder hingehen, denn die verstehen wenigstens ein bisschen Deutsch. Wenn ich alleine hingehe, erklärt mir niemand, was vor sich geht. Wenn es ein Problem gibt, sprechen sie nur Deutsch und erklären es mir nicht. Sie wimmeln mich einfach ab, aber man kann doch kein Dokument unterschreiben, wenn man nicht versteht, was darin steht?« Malik, ein Softwareentwickler aus Tschetschenien, lebt mit seiner Frau und seinen vier Kindern in einem Zimmer: »Wir haben immer noch keinen Kita-Platz und leben hier in einem Zimmer. Vor einem Jahr habe ich einen Brief an das Sozialamt geschrieben, und erst vor zwei Wochen habe ich eine Antwort bekommen.« Kasra besucht die Oberschule und lebt mit ihrer Schwester und ihrer Mutter ebenfalls in einem Zimmer: »Die Stadt ist gut, aber wir haben hier ein Problem: Das Zimmer ist zu klein für uns. Wir leben alle zusammen in einem Zimmer, mit meiner Schwester und meiner Mutter. Ich habe vier oder fünf Mal einen Brief an das Sozialamt oder an die Ausländerbehörde geschrieben, aber sie haben nicht geantwortet.«
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8.5 Ungleiche Behandlung von Geflüchteten mit unterschiedlicher Staatsangehörigkeit Es gab viele Beschwerden über die ungleiche Behandlung von Flüchtlingen mit unterschiedlichem ethnischen Hintergrund durch die Behörden. Diese Situation hat sich seit der Ankunft der Ukrainer verschlechtert, aber auch schon vorher gab es Einwohner, die nicht verstanden, warum bestimmte Flüchtlinge sofort Ressourcen erhielten und andere jahrelang warten mussten. Die wohlwollende Behandlung von syrischen Flüchtlingen im Vergleich zu Flüchtlingen aus Afghanistan oder dem Irak ist ein wichtiges Beispiel. Der Unterschied zwischen diesen Ländern bestand aus Sicht der deutschen Behörden darin, dass die deutsche Bundeswehr zusammen mit anderen NATO-Mitgliedern die Lage in Afghanistan und im Irak sicherte. Für die tatsächlichen Erfahrungen der Flüchtlinge aus den drei genannten Ländern machte dies jedoch meist keinen großen Unterschied. Naseem aus Afghanistan hat gerade vom Jobcenter die Erlaubnis bekommen, einen Deutschkurs zu besuchen: »Mein Deutschkurs ist gut. Es ist fast ein Vollzeitkurs für die nächsten acht Monate, und hoffentlich schaffe ich in dieser Zeit B1. Ich bin überrascht, wie viele Ukrainer in meiner Klasse sind. Wie kommt es, dass manche Leute so viel Glück haben, dass sie schon in den ersten Wochen Zugang zu allem bekommen, während ich fünf Jahre lang kämpfen musste? Ich beschwere mich nicht darüber, aber ich finde es verrückt. Mit vielen von ihnen spreche ich im Unterricht auf Ukrainisch, und wir sind Freunde geworden. Sie erzählten mir, dass sie bald in ihr Land zurückkehren werden, und scherzten, dass ich die Klasse für mich allein haben würde. Ich sagte: Nein, so habe ich das nicht gemeint! Es ist nur so, dass das System nicht gut ist. Einige meiner Freunde haben noch nicht einmal Zugang zu einem Integrationskurs. Wir sind zwar dankbar für das Geld, das wir bekommen, aber es wäre besser, wenn wir auch einen Kurs besuchen könnten. Warum gibt es nicht für alle Flüchtlinge Kurse? Es ist nicht gut für die Gesellschaft, wenn wir weder die Kultur noch die Sprache lernen.« Die Iranerin Sarah hat eine Duldung und ist bereits seit fünf Jahren in Flüchtlingsheimen, zusammen mit ihrer kleinen Tochter: »Jetzt beobachte ich, was sie mit den Ukrainern machen. Im Fernsehen haben sie gesagt, dass sie [die Ukrainer] farbige Augen haben. Wir gehen zum Sozialamt und sagen, ich will studieren, und bekomme ein Nein. Aber sie werden akzeptiert, sobald sie ankommen. Die Deutschen nehmen sie auch bei sich zu Hause auf. Aber sie machen sich nicht die Mühe, uns zurückzugrüßen. Es ist richtig, in meinem Land gab es keinen Krieg, aber was ist mit Afghanistan, dort gibt es Krieg […]. In einem Land wie Afghanistan kommen die Taliban in dein Haus und vergewaltigen
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deine Frau und dein Kind, und du kannst nichts dagegen tun. Aber bekommen Afghanen wirklich die gleiche Behandlung [wie Ukrainer]?« Layanah kam vor acht Jahren nach Deutschland. Sie hat eine Aufenthaltsgenehmigung, kann aber keine Wohnung finden: »Als ich ankam, hat man mir ein Zimmer im Heim gegeben. Damals gab es noch nicht die Krise mit der Ukraine, sondern mit Syrien. Und alle Syrer, mit denen ich ankam, sind gegangen und haben eine Wohnung gefunden. Ich wurde einfach in ein anderes Heim gebracht. Dies ist das dritte, in dem ich bin. Nach acht Jahren hier ist es einfacher, mich in ein anderes Flüchtlingsheim zu verlegen, als mir eine Wohnung zu geben. Diejenigen, die eine Wohnung bekommen, haben sie auch verdient, ich offensichtlich nicht. Was bedeutet es, integriert zu sein? Ich habe nicht einmal eine Adresse!« Schon seit sieben Jahren lebt Khava mit ihren fünf Kindern und ihrem Mann in zwei Zimmern, was viel Stress verursacht. Deshalb haben sie und ihr Arzt um eine eigene Wohnung gebeten. Sie kommen allerdings aus Tschetschenien und haben nur eine befristete Aufenthaltsgenehmigung: »Ich verstehe nicht, wie andere Leute eine Wohnung bekommen, oft sehr schnell, und wir nicht. Ich habe immer wieder danach gefragt, aber niemand antwortet. Ich verstehe das nicht.« Yasmina ist in einem palästinensischen Flüchtlingsheim im Libanon geboren und 2016 nach Deutschland gezogen. Sie hat eine Duldung: »Mein Mann darf seit kurzem in Teilzeit arbeiten, aber ich muss aufgrund meines Duldungsstatus noch warten, bis ich arbeiten oder gar einen Deutschkurs besuchen kann. Es ist frustrierend, dass die ukrainischen Flüchtlinge in den ersten Wochen, die sie in Deutschland sind, so viel mehr Hilfe bekommen haben, während ich seit sieben Jahren hier bin und immer noch so viel kämpfen muss. Die Deutschen sollten die Flüchtlinge wie Gleiche behandeln und ihnen mehr Möglichkeiten geben, während sie hier sind. Ich bin dankbar, dass Deutschland mir ein neues Leben geschenkt hat, aber ich kann nichts tun. Ich wünschte nur, die Deutschen würden sich mehr um ihre Flüchtlinge kümmern.«
8.6 Ungleiche Behandlung von Flüchtlingen mit vergleichbarem Hintergrund Flüchtlinge haben oft Kontakte zu Familienangehörigen, Freunden und Bekannten, die ebenfalls aus dem Heimatland geflohen sind. Diese Menschen leben regelmäßig in verschiedenen Verwaltungsbereichen von Bundesländern, in verschiedenen Bundesländern und auch in verschiedenen Ländern der Europäischen Union. Meistens
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haben sich die Flüchtlinge nicht ausgesucht, ob sie in Teltow-Fläming oder in Brandenburg leben wollen. Die Behörden entscheiden für sie, wohin sie gehen. Wenn sie einmal in einem bestimmten Bundesland sind, dürfen sie nicht in ein anderes Land ziehen. Sie sitzen fest, bis sie eine Aufenthalts- und Arbeitserlaubnis haben. Natürlich kommunizieren die Flüchtlinge über ihre Fälle und die Entscheidungen, die getroffen werden. Es überrascht nicht, dass gleiche Fälle in verschiedenen Verwaltungseinheiten nicht gleich behandelt werden. In den verschiedenen Teilen Deutschlands gibt es unterschiedliche politische Kulturen, was dazu führt, dass unterschiedliche Regeln und Vorschriften formuliert oder dieselben Regeln und Vorschriften unterschiedlich ausgelegt werden. Akilah und ihr Mann kommen aus einem palästinensischen Flüchtlingslager im Libanon und haben seit sechs Jahren eine Duldung. Sie bemerkt: »Mein Mann hat zwei Brüder, die in Deutschland leben. Der eine ist mit einer Araberin verheiratet, die einen deutschen Pass hat. Deshalb kann er hier leben und arbeiten. Er hat keine Probleme und kann alles machen. Der andere Bruder war von Anfang an in Berlin und nicht in Brandenburg. Wir wissen nicht, warum, aber nach zwei Jahren hat er alle Papiere bekommen und darf arbeiten. In Berlin ist es anders als in Brandenburg. Wir verstehen nicht, warum. Wir haben viele Bekannte in Berlin, und bei denen ist es anders. Sie bekommen zum Beispiel eine Genehmigung für zwei Jahre, wir aber nur für zwei Monate. Ich weiß nicht, warum. Es ist einfach ein Zufall, dass wir in Brandenburg sind und nicht in Berlin.« Die iranische Mutter Mona von 43 Jahren: »Wir haben Freunde in anderen Gegenden und die haben alle ihre eigenen Wohnungen. Zum Beispiel in Potsdam-Mittelmark oder in Bernau. Wir sind die einzigen, die keine Wohnung haben und in einem Flüchtlingsheim leben. Wir brauchten erst die Genehmigung der Ausländerbehörde, die uns sagte, wie groß und wie teuer unsere Wohnung sein darf, aber jetzt sagt man uns immer, dass es in Teltow-Fläming keine freien Wohnungen gibt. Wir sind noch dabei, unsere Aufenthaltsgenehmigung zu bekommen. Aber wir haben andere Freunde, die auch im Verfahren sind und trotzdem eine eigene Wohnung haben.« Sarah ist ebenfalls eine Mutter aus dem Iran. Sie hat sich von ihrem Mann scheiden lassen, ist seit fünf Jahren in Brandenburg und hat eine Duldung: »Ich habe eine Freundin in Berlin, die sich von ihrem Mann getrennt hat. Der Staat unterstützt sie. Das Jugendamt unterstützt sie. Meine Freundinnen in Berlin bekommen Leistungen, weil sie alleinerziehend sind, und andere Dinge. Aber hier in Brandenburg gibt es so etwas nicht. Es gibt keinerlei Unterstützung in irgendeinem Bereich […]. Mein größter Wunsch ist es, sofort einen Job zu bekommen und
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eine Wohnung in Berlin zu finden und mein Kind aus dieser verdammten Provinz wegzubringen. Ich werde nach Berlin gehen, um zu studieren und zu arbeiten. Mir gefällt es hier überhaupt nicht. Nichts funktioniert hier richtig. Es ist voll von Rassismus. Ich sage nicht, dass es in Berlin keinen Rassismus gibt. Aber ich kann dort Fortschritte machen. Wenigstens machen sie mir keine zusätzlichen Probleme.«
8.7 Unverständnis für Behördenentscheidungen Viele Flüchtlinge verstanden wenig von den Entscheidungen, die die verschiedenen Behörden, mit denen sie zu tun hatten, in ihren Fällen trafen. Da sie keine klare Erklärung für diese Entscheidungen erkennen konnten, wurden sie regelmäßig als Diskriminierung empfunden. Dabei schienen sie nicht immer im Unrecht zu sein. Einige betrachteten ihre Erfahrungen in Deutschland eher als Glücksspiel; diejenigen, die erfolgreich waren, erhielten ihre Chancen nicht aufgrund eines festgelegten Systems, sondern durch zufällige Kontakte. So stellten sie fest, dass das System nicht für alle Flüchtlinge gleich funktioniert. Majid versucht seit 2019, eine Arbeitserlaubnis zu erhalten. Die Behörden haben ihn regelmäßig um neue Informationen gebeten, die er auch geliefert hat, aber sie haben aus ihm unbekannten Gründen keine Entscheidung getroffen. Er erklärt außerdem: »Die Aufenthaltsgenehmigung ist auch einfach willkürlich. Sie geben sie den Leuten, wenn sie es wollen. In Berlin sieht man, dass jeder die Genehmigung hat. Sie geben sie mit einem unbefristeten Arbeitsvertrag und Lohnabrechnungen. Aber sie ist nicht garantiert. Wir haben hier Leute mit einem Arbeitsvertrag, die immer noch keine [Wohngenehmigung] haben. Und es gibt hier auch Leute, die fünf bis sechs Jahre lang arbeitslos waren und dann innerhalb von ein paar Tagen ihre Arbeitserlaubnis und ihre Wohnungsgenehmigung bekommen haben. Das ist alles Glückssache. Ich meine, es gibt keine Garantie für irgendetwas. Sie tun einfach, was sie wollen.« Der Vater der Familie Bashar erklärt: »Das Hauptproblem in Deutschland sind für uns die bürokratischen Leute. Es ist so schwer, alles zu verstehen, und vor allem, wenn man die Sprache nicht beherrscht, versteht man nichts. Ich glaube fest daran, dass alle bürokratischen Entscheidungen in Deutschland einfach von einem Mitarbeiter getroffen werden. Es ist kein festes System, sondern es sind einfach einzelne Leute, die alles entscheiden. Deshalb wurden unsere Wohnungen auch so oft abgelehnt, weil es Mitarbeiter waren, die einfach Nein gesagt haben. Es gab kein System oder eine Regel, die das
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entschieden hat. Deshalb kann es schwieriger sein, als Araber eine Wohnung zu finden.« Andere Menschen stellen fest, dass sie kein Pech hatten, sondern Glück. Esila von der türkischen Familie von Meryem und Ayaz erklärt: »Als wir im Flüchtlingsheim waren, haben wir unsere Aufenthaltsgenehmigungen und unsere Personalausweise erhalten. Danach war es mit dem Geld ein bisschen besser. Wir haben vier Monate auf diese Aufenthaltsgenehmigung gewartet. Das war wirklich schnell! Wir hatten wirklich Glück, dass die Frau, die für uns zuständig war, uns sehr geholfen hat. Es ist also eine Frage des Glücks: Wenn man einen guten Sozialarbeiter hat, kann es schnell gehen. Wenn die Sozialarbeiterin schlecht ist, dann muss man viel selbst tun.«
9. Soziale Ausgrenzung und Einsamkeit
Fast alle Personen, mit denen wir gesprochen haben, beklagten sich über soziale Isolation und Einsamkeit. Wir haben dieses Thema bereits in Abschnitt 6.4 angesprochen. Es handelt sich um ein vorherrschendes Problem, das zu vielen anderen Problemen führt, wie der Unfähigkeit, Deutsch zu lernen oder zu praktizieren, Müßiggang und psychischen Problemen. In dem Kapitel, das der Politik gewidmet ist, werden wir auf dieses Problem näher eingehen. Viele wünschten sich mehr Kontakt zu anderen Menschen oder mehr Menschen, mit denen sie sich unterhalten können, obwohl sie in einer Unterkunft mit vielen anderen leben. Die meisten Erwachsenen gaben an, dass sie entweder gar keinen oder nur sehr wenig Kontakt zu deutschen Einheimischen haben. Die Tatsache, dass sie nicht gut Deutsch sprechen, trägt dazu bei. Selbst wenn sie einen Arbeitsplatz haben, ist es oft ein Arbeitsplatz, an dem ihre Kollegen ebenfalls Ausländer sind, an dem sie kein Deutsch sprechen müssen oder an dem sie gar nicht sprechen sollen. Nur die Schulkinder scheinen regelmäßig Kontakt zu den Einheimischen zu haben. Zayn aus dem Iran berichtet: »Ich habe keine Familie in Deutschland, ich kenne hier niemanden […]. Ich hatte keine Freunde in Luckenwalde, und ich habe auch keine in diesem Heim. Früher war noch ein anderer Mann aus dem Iran und Afghanistan im Heim, aber jetzt lebt er in Berlin und arbeitet illegal. Ich bin also allein. Ich wache auf, gehe zur Arbeit, spiele ein bisschen mit meinem Handy, und dann schlafe ich wieder […]. Ich mag meinen Job nicht so sehr, aber ich gehe zur Arbeit. Mein Deutsch ist nicht gut, und in diesem Job muss ich weder lesen noch schreiben. In anderen Berufen müsste ich das tun. Aber hier kann ich einfach arbeiten.« »Es ist wirklich schwierig, wenn man die Sprache nicht beherrscht«, erklärt auch Emad, »ich leide darunter, weil ich nicht sprechen kann. Ich werde depressiv. Wenn jemand vom Büro kommt oder Post kommt, kann ich nicht verstehen, was er sagt. Ich sollte jemanden um Hilfe fragen und ihn bitten, für mich zu übersetzen, aber das ist sehr schwer. Ich habe hier einen Nachbarn, der meine Sprache spricht; er ist
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ein netter Kerl. Wenn er nicht bei der Arbeit ist, kann ich zu ihm gehen, um Hilfe zu bekommen […]. Mit den anderen Bewohnern hier habe ich nur nachbarschaftliche Grüße, mehr nicht.« Mona aus dem Iran erzählt: »Ich habe hier nicht viele Freunde. Wir haben eine Familie, mit der wir befreundet sind. Und wir haben einen Freund der Familie in Berlin, mit dem wir oft den Samstag und Sonntag in Berlin verbringen. Es ist sehr langweilig hier.« Afra aus dem Irak, die in einem kleinen Heim für psychisch belastete Frauen lebt, erklärt: »Ich kenne niemanden in Deutschland. Selbst hier im Heim spreche ich kaum mit jemandem. Ich habe nur Kontakt zu meiner Schwester. Sie macht auch den ganzen Papierkram. Ich bin meistens in meinem Zimmer. Die Vorhänge sind geschlossen, ja.« Soweit vorhanden, sind Freiwillige oft der wichtigste Kontakt der Flüchtlinge mit der Außenwelt. Die Palästinenserin Akilah erzählt: »Wir haben viel Hilfe von einer deutschen Freiwilligen namens Brigitte erhalten. Ich kann Brigitte jederzeit anrufen. Auch die Lehrer an der Schule sind sehr nett. Mit dem Heimleiter habe ich ebenfalls keine Probleme. Ich habe keine deutschen Freunde, und mein Mann schon gar nicht.« Man könnte erwarten, dass die Menschen in Flüchtlingsheimen ein soziales Leben miteinander aufbauen. Die Menschen haben oft ähnliche Erfahrungen gemacht und stehen vor ähnlichen Problemen. Geteiltes Leid ist halbes Leid. Ein soziales Leben scheint es in den Zentren jedoch selten, wenn überhaupt, zu geben, wie bereits erwähnt wurde. Die Menschen leben weitgehend nebeneinander her. Der tschetschenische Malik erklärt: »Was für mich hier schwer ist, ist, dass ich immer zu Hause bei den Kindern bin. Ich habe keine Freunde. Es gibt zwar andere Männer im Heim, mit denen ich reden kann, aber wir haben unterschiedliche Mentalitäten.« Karina aus Marokko, gefragt nach möglichen Problemen, mit denen sie zu kämpfen hat: »Es gibt viele Probleme hier im Heim, und es würde helfen, wenn es andere Kinder gäbe, mit denen meine Kinder spielen könnten. Die gemeinsame Nutzung der Küche mit den anderen Bewohnern des Heims ist auch sehr schwierig, und es gibt oft Streit, aber niemand versucht, eine echte Lösung zu finden. Ich unterhalte mich manchmal mit den Frauen aus dem Irak, aber nicht sehr oft, und ich wünschte, ich hätte mehr soziale Interaktionen. Ich habe keinen Kontakt zu Deutschen, also werde ich auch nicht diskriminiert, aber es ist einsam.« Der Vater der syrischen Familie Bashar erzählt von der ersten Zeit in Deutschland: »Wir waren insgesamt eineinhalb Jahre im Heim. Wir hatten überhaupt keinen Kontakt zu deutschen Menschen. Es gab nur eine Familie, mit der wir im Heim
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gesprochen haben. Wir haben sie im Flugzeug kennengelernt, weil wir alle zusammen aus der Türkei gekommen sind, aber diese Frau und ihre Familie waren die einzigen Menschen, mit denen wir gesprochen haben. Die Kinder hatten keine wirklichen Freunde im Heim. Unser jüngster Sohn hatte irgendwann einmal Freunde aus der Schule, aber die anderen nicht.« Vereinsamung entsteht nicht nur durch die physische Unmöglichkeit, andere zu treffen, durch die Ablehnung durch andere, sondern auch durch teilweise selbst auferlegte Barrieren, bei denen frühere Erfahrungen, Angst und Traumata eine Rolle spielen können. Malik aus Tschetschenien bemerkt, wiederum mit außerordentlicher Einsicht: »Die einzigen Deutschen, denen ich hier wirklich begegne, sind die Sozialarbeiter im Heim. Ich muss jemanden erst ein oder zwei Monate kennen, bevor ich wirklich mit ihm reden kann. Wenn ich die Leute ein bisschen kenne und weiß, dass sie gute Menschen sind, die nichts Schlechtes sagen oder tun, dann kann ich anfangen, mit ihnen freundlich zu sein. Wenn ein Deutscher freundlich ›Hallo!‹ zu mir sagt, dann sage ich auch freundlich ›Hallo!‹ zurück. Aber ich würde mich nicht mit jemandem treffen, etwas gemeinsam unternehmen und ein langes Gespräch führen. Das ist nicht nur bei Deutschen so, das ist bei allen so. Es fällt mir einfach schwer, auch mit Menschen aus Tschetschenien oder Russland. Vielleicht ist das ein psychologisches Problem bei mir. Ich muss jemandem vertrauen, bevor ich einfach mit ihm reden kann. Ich muss sie erst ein oder zwei Monate kennen, um das Vertrauen aufzubauen […]. Für mich ist dieses Gespräch das erste Mal, dass ich frei mit einer deutschen Person spreche. Selbst mit Sozialarbeitern habe ich noch nie so frei gesprochen. Dieses Gespräch hat mir sehr gut gefallen. Ich kann nicht so oft mit anderen Menschen sprechen. In dieser Stadt gibt es ein Sprachcafé, und ich wollte dort hingehen, aber ich habe Angst. Ich habe Angst, dass die Leute mich nicht verstehen, oder dass sie nicht mit Flüchtlingen sprechen wollen. Diese Angst haben alle Menschen, das ist ganz normal.« Nicht nur Flüchtlinge sind von Einsamkeit betroffen. Einige stellen zutreffend fest, dass auch die Einheimischen wenig sozial unterwegs sind. Wir werden dies im Abschnitt mit den politischen Empfehlungen ausführlicher erörtern. Yaqout aus Syrien merkt an: »Eine der größten Herausforderungen beim Leben in Deutschland war das soziale Leben. Die Menschen hier nehmen sich keine Zeit füreinander; sie besuchen sich selten in ihren Wohnungen. An den Wochentagen gehen sie nur zur Arbeit, und am Wochenende treffen sie sich vielleicht in einem Restaurant oder einer Bar […]. Hier in Deutschland scheint jeder für sich selbst zu sorgen. Ich bin ein sehr emotionaler und sozialer Mensch, deshalb war das sehr schwer für mich. Andere Flüchtlinge haben wenigstens ihre Familien bei sich, aber ich bin allein hierher-
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gekommen, habe also niemanden. Vor allem jetzt, wo ich in Niella wohne, einem kleinen Dorf mit überwiegend älteren Einwohnern, fühle ich mich sehr einsam. Ich habe einen Nachbarn, der recht jung ist, vielleicht 35 oder 40 Jahre alt, und der mit seiner Frau lebt. Ich habe versucht, sie auf einen Kaffee einzuladen, aber sie sagen immer, sie seien mit der Arbeit beschäftigt. Die einzigen Kontakte, die ich mit den Menschen in meiner Gemeinde pflege, sind einfache Begrüßungen, wenn wir aneinander vorbeigehen. Die meisten Nachbarn reden anfangs nur Deutsch mit mir, aber wenn ich sie anlächle und begrüße, fangen sie langsam an, mich auf Englisch anzusprechen. Eine meiner Nachbarinnen hat nur Deutsch mit mir gesprochen, bis ich ihr anbot, ein schweres Paket die Treppe hinaufzutragen. Daraufhin bedankte sie sich auf Englisch und spricht seitdem Englisch mit mir.« Gulshan aus Afghanistan stellt fest: »Ich sehe Menschen im [Deutsch-]Unterricht oder an anderen Orten, und […] sie wirken alle sehr isoliert und einsam. Wenn ich im Zug sitze und die Frauen anschaue … frage ich mich, leben sie alle allein? […] Sie sind alle alt und haben nichts [einen Ring] am Finger. Ich kann nicht glauben, dass sie ihr ganzes Leben lang allein waren.« Über ihre eigene Situation sagt sie: »Ich wünschte, es gäbe hier wenigstens ein paar andere Mädchen, mit denen ich mich anfreunden könnte. Deutschland ist ein schönes Land. Der ganze Stress, den ich habe, kommt von der Einsamkeit. Es gibt keine Freunde oder Verwandten um mich herum […]. Ich habe mit niemandem Kontakt. Manchmal, wenn ich irgendwo im Zug sitze, zum Beispiel für ein Vorstellungsgespräch, schicke ich die Adresse an meine deutsche Freundin in den Niederlanden, und sie zeigt mir den Weg und die Züge, so dass ich sie finden kann.« Kinder im Schulalter kommen automatisch mit einheimischen Kindern in Kontakt, was ihnen regelmäßig ermöglicht, die Sprache schneller zu erlernen und Kontakte zu knüpfen. Eliana aus Tschetschenien erklärt: »Mein ältester Bruder ist in einem Fußballverein und in einem Ringerverein, und meine beiden anderen Brüder sind auch im Ringerverein. Wir Kinder haben also wegen der Schule und so Kontakt zu anderen Deutschen, aber unsere Eltern nicht.« Akilah sagt ebenfalls: »Die Kinder sind gut in der Schule. Meine Tochter ist sehr fröhlich und offen. Leider hat sie Asthma und erkältet sich sehr oft. Mein Sohn hingegen ist sehr schüchtern und findet es schwierig, sich anzupassen. Manchmal spielen sie mit anderen Kindern auf dem Spielplatz. Gelegentlich werden sie zum Spielen bei Klassenkameraden zu Hause eingeladen. Diese Kinder oder andere deutsche Kinder waren noch nie im Flüchtlingsheim. Das ist nicht erlaubt.« Es ist jedoch nicht selbstverständlich, dass Flüchtlingskinder leicht Anschluss finden. Mama Stacy spricht über ihre jüngste, schulpflichtige Tochter:
9. Soziale Ausgrenzung und Einsamkeit
»Sie sagt, dass einige der Kinder nicht so freundlich sind, so dass sie die meiste Zeit allein ist. Einige der Mädchen sind nett, aber die meisten Kinder wollen nichts mit ihr zu tun haben. Ich weiß nicht, warum das so ist. Ich kann es nicht verstehen. Es kommt vor, dass sie nach Hause kommt und so unglücklich und enttäuscht ist. Die Lehrerin sagt, sie müsse Freundschaften schließen, aber wenn sie auf diese Mädchen zugeht, wollen sie nicht mit ihr reden. Was soll sie denn tun?«
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10. Leere, Müßiggang und Warten
Viele Flüchtlinge dürfen nicht arbeiten oder studieren, bzw. finden keinen Arbeitsoder Studienplatz oder sind nicht mehr fähig zu arbeiten oder zu studieren. Sie nehmen in der Regel auch nicht auf andere Weise am gesellschaftlichen Leben teil, beispielsweise durch ehrenamtliche Arbeit. Der Zwang zum Nichtstun führt mit der Zeit zu Lethargie und Apathie sowie zu körperlichen und psychischen Problemen, einschließlich Depressionen. Fidvi reiste vor acht Jahren aus Pakistan nach Deutschland und beantragte Asyl. Während des Verfahrens wurde ihm erlaubt zu arbeiten, was er u.a. in einer Bäckerei tat. Sein Asylantrag wurde abgelehnt, ebenso wie sein Einspruch: »Mein Einspruch im Asylverfahren wurde ebenfalls nicht bewilligt, und seitdem habe ich eine ›Duldung‹, das heißt, die Abschiebung wurde aufgeschoben. Allerdings darf ich weder arbeiten noch zur Schule gehen. Das geht nun schon seit vier Jahren so. Seit vier Jahren mache ich fast nichts mehr. Ich schlafe, ich koche, ich esse, ich mache ein bisschen Schwarzarbeit, ich gehe ein wenig spazieren und schaue YouTube. Früher habe ich mit Freunden Kricket gespielt, aber seit ich hier bin, tue ich das auch nicht mehr.« Im Prinzip ist Fidvi ausreisepflichtig. Da er aber keine Papiere (mehr) hat, kann er nicht reisen. »Ich habe die pakistanische Botschaft um einen Pass gebeten und warte jetzt darauf. Wenn ich einen Pass habe, kann ich das Land verlassen. Aber wenn ich Papiere habe, kann ich vielleicht auch wieder arbeiten […]. Ich habe keinen Anwalt, aber die Diakonie berät mich. Die sehen auch keine Lösung. Ich muss abwarten. Vielleicht ändern sich die Dinge, zum Beispiel kommt ein Krieg, und dann bekomme ich vielleicht eine Genehmigung.« Yasmina, die aus einem palästinensischen Flüchtlingslager im Libanon stammt, ist seit sechs Jahren in Deutschland und hat ebenfalls einen Duldungsstatus.
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»Ich wusste, dass Deutschland viel sicherer als andere Länder ist und dass die Menschenrechte hier besser geschützt sind. Deshalb bin ich überrascht, dass ich nach sechs Jahren hier immer noch einen Duldungsstatus habe. Ich kann weder arbeiten noch einen Deutschkurs besuchen, also kann ich nur den ganzen Tag im Heim bleiben… Jeden Tag stehe ich früh auf, bringe meinen Sohn zur Schule, schaue nach, ob ich Post bekommen habe, unterhalte mich mit der Sozialarbeiterin im Heim, gehe einkaufen, koche und warte darauf, dass meine Familie nach Hause kommt. Tag ein, Tag aus.« Yasmina hat es satt, in Flüchtlingsheimen zu leben und zu warten: »Ich will keine Sozialleistungen mehr, ich will nur noch arbeiten und Steuern zahlen können.« Layanah kam vor acht Jahren mit ihrem Bruder aus Kamerun nach Deutschland, damals war sie 32 Jahre alt. Heute ist sie voller Unglauben: »Ich verstehe ein Land nicht, das einem eine Wohnung und Geld gibt, aber nicht erlaubt, zu arbeiten und Steuern zu zahlen. Niemand kann einfach nur schlafen und essen. Aber ich denke, es ist ein System, denn wenn man jeden sein Ding machen lässt, gibt es keine Arbeit mehr […]. Seit acht Jahren kann ich nur noch essen und schlafen. Ich kann nichts tun […]. Kann man acht Jahre lang kämpfen, ohne ein Ergebnis zu sehen, ohne ein Ende zu sehen? Es ist, als wollten sie dich in ein Loch stecken und dich dortbehalten.« Viele Frauen müssen sich immer noch um Mann und Kinder kümmern. Traditionell übernehmen sie die Hausarbeit, waschen, kochen, putzen, kaufen ein und passen auf die Kinder auf. Das bewahrt sie meist davor, in das tiefe Loch zu fallen, in dem viele Familienväter verschwinden. Khava, Mutter von fünf Kindern und bereits seit sieben Jahren in Deutschland, erzählt von ihrem Mann: »Mein Mann macht eigentlich nichts, außer schlafen, essen, auf sein Handy schauen, rauchen und ab und zu ein bisschen mit den Kindern spielen. Arbeiten darf er nicht. Natürlich könnte er schwarz arbeiten, aber das ist zu gefährlich. Sie könnten uns nach Tschetschenien zurückschicken, und das wollen wir auf jeden Fall vermeiden.« Aber auch einige Frauen, wie Shireen aus Pakistan, sind allein nach Deutschland gekommen, haben keine Arbeit und keine Familie, um die sie sich kümmern müssen: »Ich bin nur eine Person. Wenn es nur um mich geht, werde ich faul. Als ich noch mit meiner Familie zusammenlebte, habe ich morgens und mittags das ganze Essen selbst gekocht. Ich habe die ganze Hausarbeit gemacht. Jetzt, wo ich allein bin, werde ich faul und sitze nur herum. Es gibt niemanden. Das Alleinsein macht einen allmählich faul.« Vor drei Jahren kam Miranda zum zweiten Mal aus Kamerun nach Deutschland. Insgesamt ist sie nun seit mehr als zehn Jahren in diesem Land, ursprünglich um zu studieren. Sie kam beim zweiten Mal illegal, hat keinen Pass und wartet auf eine
10. Leere, Müßiggang und Warten
Entscheidung: »Ich lebe seit drei Jahren in Deutschland. Ich mache hier nichts. Ich möchte arbeiten und aktiv sein wie früher.« Auch Aline kommt aus Kamerun. Sie lebt mit ihren Kindern im Alter von neun und vier Jahren in der Flüchtlingsunterkunft. Zwei ältere Kinder, 25 und 19 Jahre alt, leben bereits selbständig in Berlin und Brandenburg. Deutschunterricht oder einen Integrationskurs hat sie nie besucht. Deutsch spricht sie nicht: »Ich will nicht mehr zu Hause bleiben, seit fast sechs Jahren bin ich zu Hause geblieben, aber mir brummt der Schädel. Ich bin ein Mensch, der gerne kämpft, aber an diesen Lebensrhythmus bin ich nicht gewöhnt.« Das wahrscheinlich häufigste Wort zur Beschreibung der eigenen Situation war »warten«. Man wartet auf eine Entscheidung im Asylverfahren, man wartet auf eine Arbeitserlaubnis, man wartet auf eine Wohngenehmigung, man wartet auf einen Platz in einem Sprachkurs, man wartet auf einen Kitaplatz, man wartet auf eine Wohnung. Der Afghane Emad sagt: »Seit einem Jahr bin ich hier. Ich würde gerne etwas studieren. Ich kann die Sprache nicht, und ein Sprachkurs wurde für uns nicht gefunden. Ich war schon ein paar Mal in Berlin, mit einem Brief vom Büro meines Flüchtlingsheims. Dort sagte man mir, dass ich ein Dokument benötige, um in einem Kurs angemeldet zu werden. Ich spreche nun schon seit einiger Zeit mit dem Büro, aber sie konnten noch kein Kurs finden. Ansonsten bin ich immer im Flüchtlingsheim, ich mache nichts Besonderes. Da ich ein Kind habe, kann ich nicht einfach zur Arbeit gehen; ich bin an sie gebunden. Ich habe mich auch beim Amt nach einem Kindergartenplatz für meine Tochter erkundigt, aber es hat sich nichts ergeben. Wir warten beide darauf, dass der Unterricht organisiert wird. Damit wir anfangen können, etwas zu lernen.« Landsmann Naseem wartet schon viel länger: »Nachdem ich seit fünf Jahren in diesem Land bin, konnte ich gestern endlich meinen A1-Deutschkurs beginnen. Das Jobcenter hat ihn mir offiziell genehmigt, aber ich verstehe nicht, warum es so lange gedauert hat. Warum spielen sie so mit den Menschen? Die Hoffnungen und das Leben der Menschen hängen von der Sprache ab, warum macht man es ihnen also so schwer?« Gulshan möchte ebenfalls Deutsch lernen, wartet aber noch auf die Genehmigung: »Ich habe einen Kurs in Berlin gefunden. Man hat mir gesagt, dass ich eine Genehmigung brauche, aber die habe ich noch nicht. Es ist jetzt zwei bis drei Monate her, dass ich die Unterlagen dafür geschickt habe, aber ich habe sie noch nicht erhal-
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ten. Jedes Mal, wenn ich mich danach erkundige, sagen sie mir, ich solle selbst studieren gehen. Mein Gott, ich kann nicht alleine studieren.« Alieh wartet auf ein Dokument, damit ihr Kind die Kita und sie einen Deutschkurs besuchen kann: »Hier gibt es noch keine Kita für meinen Sohn. Also kann ich nicht wirklich etwas alleine machen. Ich habe versucht, eine Nummer anzurufen, um eine Kita für meinen Sohn zu finden. Man sagte mir, sie bräuchten ein Dokument, damit sie uns eine Kita finden können. Darauf warte ich immer noch.« Mama Stacy, Tom und ihre vier Kinder leben seit 2018 in einem Einzelzimmer. Sie haben vergeblich um ein zusätzliches Zimmer gebeten: »Wir warten immer noch darauf, dass das Verfahren durchgeht, dass sie uns hier akzeptieren […]. Sie sagen uns, das ist euer Zimmer, ihr müsst warten, bis euer Verfahren abgeschlossen ist […]. Ich warte darauf, dass meine Jüngste in die Kita geht […]. Wir hatten viele Probleme, ihre Geburtsurkunde zu bekommen, obwohl sie in Deutschland geboren wurde […]. Ich bin zu jedem Amt gegangen und habe alles getan, um sie zu bekommen, aber ich warte immer noch. Wir brauchen diese Geburtsurkunde, um sie in der Kindertagesstätte anzumelden.« Sahar ist mit ihrem Mann und ihrer Tochter seit vier Jahren in Deutschland. Sie haben einen Asylantrag gestellt: »Wir hatten schon einmal eine Anhörung, aber unser Fall wurde abgelehnt. Wir warten immer noch auf einen Brief, in dem uns mitgeteilt wird, wann die nächste Anhörung stattfindet und wie es weitergeht.« Sie würden gerne das Flüchtlingsheim verlassen, was möglich wäre, da ihr Mann seit einiger Zeit einer bezahlten Arbeit nachgeht, aber sie warten auf die Wohngenehmigung: »Sie sagen uns alle, wir sollen warten. Es gab hier Leute, die nach uns kamen und schon weggegangen sind, und das hat uns sehr beschäftigt. Das hat uns einfach so müde gemacht.« Majid, ebenfalls aus dem Iran, ist 38 Jahre alt und hatte ein Geschäft für Innenarchitektur. Er arbeitete dort bis zu 16 Jahre lang und kam 2019 aufgrund religiöser Probleme nach Deutschland, wobei er seine Frau und seine Tochter zurückließ. Er absolvierte einen Deutschkurs und machte seinen deutschen Führerschein. »Ich habe meinen Führerschein bekommen, und jetzt warte ich seit ein paar Monaten auf eine Arbeitserlaubnis. Ich weiß nicht, ich glaube, die Ausländerbehörde ist zu beschäftigt mit all den Ukrainern, die hierhergekommen sind. Also warte ich einfach.« Er hatte ein Vorstellungsgespräch beim BAMF, bei dem sein christlicher Glaube im Mittelpunkt stand. Seitdem wartet er auf eine Entscheidung über seinen Asylantrag. »Ich habe meinen Anwalt gefragt, wie es jetzt weitergehen soll, nachdem das Gericht diese Unterlagen angefordert hat. Er sagte, wir hoffen, dass wir Anfang des nächsten Jahres, in drei bis vier Monaten im neuen Jahr, einen Termin bekommen, hoffentlich einen Gerichtstermin, oder eine einjährige Aufenthaltsge-
10. Leere, Müßiggang und Warten
nehmigung, irgendeine Nachricht. Und es ist keine Nachricht gekommen.« Auf die Frage nach seinen Aktivitäten während des Tages antwortete Majid: »Nichts Besonderes. Ich wache einfach morgens auf und erledige meine Einkäufe. Dann setze ich mich hin wie ein Rentner. Ich wiederhole ein wenig Deutsch, um zu lernen. Und warte einfach auf den Prozess, ich kann jetzt nicht viel anderes machen. Ich habe keine anderen Pläne, ich warte nur darauf, einen Job zu finden und arbeiten zu gehen.« Afra kam 2019 mit ihren beiden Söhnen nach Deutschland, nachdem ihr Haus im Irak von Regierungsgegnern gesprengt worden war. »Mein Asylantrag wurde nicht bewilligt. Gegen diese Entscheidung habe ich Berufung eingelegt. Dieser Einspruch läuft schon seit langem. Ich weiß nicht, wann es eine Entscheidung geben wird. Mein Anwalt sagt, dass ich Geduld haben muss […]. Ich würde gerne einen Deutschkurs machen, aber meine Anträge wurden schon zweimal abgelehnt. Ich weiß nicht, warum.« Akilah ist mit ihrem Mann und ihren zwei Kindern als palästinensische Flüchtlinge aus dem Libanon gekommen und wartet seit mehr als sechs Jahren auf Klarheit über ihre Situation. Sie haben keinen Pass und ebenso eine Duldung. Daher haben sie auch keinen Zugang zu regulären Integrationskursen oder Sprachkursen. Mit der Beantragung eines Passes versuchen sie, dies zu ändern: »Wir haben einen palästinensischen Pass beim palästinensischen Konsulat in Berlin beantragt. Die Sozialarbeiterin sagte, sobald wir dieses Dokument haben, können wir arbeiten oder eine Ausbildung machen. Das Antragsverfahren dauert sechs Monate. Wir warten jetzt darauf. In zwei weiteren Monaten werden wir das Ergebnis erfahren. Wir wissen nicht, wie hoch die Chance ist, dieses Dokument zu bekommen, und worauf genau die Entscheidung beruhen wird. Sie haben uns gesagt, dass sie auch dagegen entscheiden können, aber wir wissen nicht, warum sie das tun sollten. Wir müssen abwarten und sehen.«
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11. Psychische Gesundheitsprobleme
Die soziale Ausgrenzung, die Einsamkeit, die erzwungene Untätigkeit, die Lebensbedingungen in den Flüchtlingsheimen, das endlose Warten auf regelmäßig kafkaeske Entscheidungen, führen oft zunehmend zu psychischen Problemen. Diese kommen zu den psychischen Problemen hinzu, unter denen die Menschen bereits durch die erzwungene oder anderweitige Emigration und die regelmäßig lange, traumatische Reise nach Deutschland litten. Depressionen, Gefühle der Hilflosigkeit und Hoffnungslosigkeit wurden von vielen geäußert. Naseem reiste über Russland und Finnland nach Deutschland. In Russland musste er sich einer Operation unterziehen, von der er sich nur langsam erholte. In Finnland blieb er zwei Jahre lang. »Selbst als meine Wunde heilte, verschlechterte sich meine psychische Gesundheit. Ich kämpfte mit schlimmen Depressionen, Angststörungen und vielem mehr. Manchmal schlief ich 18 Stunden am Stück, als wäre ich ein Drogensüchtiger. In Finnland wurden mir immer wieder Behandlungen und Asyl verweigert, so dass es wirklich schwer war, dort hoffnungsvoll zu bleiben. Ich war fast zwei Jahre lang dort und habe dreimal das Flüchtlingsheim gewechselt.« Als Minderjähriger kam Zayn über die Balkanroute nach Deutschland. »Als ich in Deutschland ankam, war es ein bisschen gut, ein bisschen schlecht. Früher war es sehr schlecht. Früher wollte ich tot sein, ich wollte nicht mehr leben. Aber jetzt ist es gut. Ich habe keine Hilfe bekommen, als es mir schlecht ging. Keine Hilfe […]. Ich bin im Iran oder in Afghanistan nie zur Schule gegangen. Ich war in der neunten und zehnten Klasse in einer deutschen Schule in Luckenwalde, aber ich hatte alles Sechsen. Sehr schlecht. Ich habe nichts verstanden. Ich habe nur geschlafen. Alle anderen haben geredet und ich habe geschlafen […]. Ich habe ein bisschen mit den Deutschen in der Schule geredet, und die waren gut. Sehr gut. Aber ich war nicht gut. Ich war immer ein bisschen … mein Kopf war nicht so gut.« Alieh kam über den Iran, die Türkei und Griechenland nach Deutschland, wo sie sich nach ihrer Ankunft von ihrem Mann scheiden ließ, mit dem sie in Afghanistan
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verheiratet worden war. »Es ist mir schwer gefallen, damit umzugehen. Es ist sehr schwer, wenn das eigene Leben völlig zerstört und auf den Kopf gestellt wird. Ich habe seelisch und geistig gelitten. Ich brauche Zeit, um mich davon zu erholen.« Islam kam vor fünf Jahren mit seiner Frau aus Dagestan nach Deutschland. Inzwischen haben sie drei Kinder. Er erzählt von seiner Frau: »Meine Frau spricht kein Deutsch. Sie kann vielleicht bis fünf oder zehn zählen, aber das war’s. Sie hat ein kleines Problem mit ihrem Kopf, denn sie leidet unter posttraumatischen Stresssyndromen und geht deshalb oft zum Psychologen. Es gefällt ihr in Deutschland, aber sie bekommt oft Angst. Wenn sie zum Beispiel einen Polizisten in Uniform sieht, oder wenn es im Winter kalt ist, bekommt sie Angst und kann nicht nach draußen gehen.« Auch Ines aus Kamerun hat ein posttraumatisches Stresssyndrom: »Ich kann nicht über mein Leben in Kamerun sprechen, weil ich eine Therapie für meinen Kopf mache, um meine Erinnerungen zurückzubekommen. Wegen meines Traumas kann ich mich an nichts erinnern. Mein Kopf funktioniert nicht. Deshalb mache ich eine Therapie.« Majid kam 2019 aus dem Iran, nachdem sein Interesse am Christentum ihn in Schwierigkeiten gebracht hatte. Er wartet, gefühlt endlos, auf eine Aufenthalts-, Wohn- und Arbeitserlaubnis und ist zunehmend verbittert über dieses Warten und die Unklarheit und Unsicherheit. Schon im Iran litt er unter Stress und Beklemmungen, aber im Flüchtlingsheim hat sich das noch verschlimmert: »Ich hatte schon vorher große Angst, auch im Iran. Sowohl Ängste als auch Stress. Ich war dort ein medizinischer Fall und habe Medikamente genommen. Das Leben im Flüchtlingsheim hier hat mich sehr belastet, aber sie geben uns keine Wohngenehmigung.« Zweimal musste Majid ein Zimmer mit Heroinabhängigen teilen, was ihn noch mehr aus dem Gleichgewicht brachte. »All diese Probleme führten dazu, dass ich ins Krankenhaus eingeliefert wurde, und man brachte mich zu einem Psychologen aus Potsdam. Und ich habe ihnen gesagt, dass ich nicht in die Psychiatrie gehe und auch die verordneten Medikamente nicht nehmen werde. Ich hatte starke Angstgefühle, aber ich hatte kein psychisches Defizit, das mir Probleme bereitet hätte. Dann habe ich versprochen, selbst einen Arzt aufzusuchen. Das habe ich nie getan. Aber ich möchte einfach von diesem Thema wegkommen. Ich fliehe vor diesem Stress, und manchmal ist es wirklich schlimm, aber ich versuche, nicht darüber zu sprechen, nicht daran zu denken, und deshalb habe ich es nie weiterverfolgt […]. Mein geistiger Zustand ist überhaupt nicht gut. Ich habe versucht, alles richtig zu machen, aber es hat nicht geklappt, und jetzt ist mir alles egal. Aber ich rege mich wirklich auf, wenn ich daran denke. Ich möchte nur, dass mein Kind zu mir kommt, denn das alles hat
11. Psychische Gesundheitsprobleme
ihr sehr geschadet. Ich habe überhaupt keine guten Erfahrungen gemacht. Nichts Gutes … Das Leben im Flüchtlingsheim macht einen total verrückt.« Yasmina aus dem Libanon spricht vor allem über die Probleme, die ihr die Einsamkeit bereitet hat: »Das Leben im Flüchtlingsheim ist sehr schwierig, weil es keine Frauen gibt, die Arabisch sprechen, also habe ich hier keine Freunde. Einer der Sozialarbeiter hier spricht Arabisch, also unterhalte ich mich jeden Tag gerne mit ihm, aber ansonsten habe ich niemanden, mit dem ich reden kann, wenn meine Familie tagsüber weg ist. Es kommen und gehen so viele Leute, dass es schwer ist, mit jemandem innerhalb des Heims Kontakt aufzunehmen. Seit ich hier bin, bin ich sehr einsam, und ich habe mit psychischen Problemen zu kämpfen. Ich gehe zur Therapie, aber mein Sohn muss für mich übersetzen […]. Als ich den Libanon verließ, wollte ich nur die Sicherheit und Geborgenheit, die ich aus Deutschland kannte. Jetzt, wo ich hier bin, ist mein Leben sicherer, aber nicht besser. Meine psychische Gesundheit hat sich verschlechtert, und ich fühle mich gebrochen, seit ich in Deutschland bin.« Akilah, Mutter von zwei Kindern, spricht über ihren palästinensischen Ehemann: »Der Gesundheitszustand meines Mannes hat sich in den letzten Jahren verschlechtert. Er durfte nicht arbeiten, weil unser Status – wir hatten keine Papiere – nicht bestätigt war. Da er nachts nicht schlafen kann, tut er das hauptsächlich tagsüber. Er raucht viel zu viel und trinkt ununterbrochen Kaffee. Er ist ständig mit seinem Handy beschäftigt, sieht sich Filme und YouTube an. Er ist depressiv, und das belastet uns natürlich alle. Wir sind alle traurig. Nach langer Suche haben wir in Berlin einen Therapeuten für ihn gefunden, aber dann stellte sich heraus, dass er wegen der Versicherung nur in Brandenburg therapiert werden darf. Danach hatte mein Mann keine Lust mehr. Er hat auch keine Lust mehr, Deutsch zu lernen. An einem Tag sagt er, er will es, am nächsten Tag hat er keine Kraft mehr dazu. Am besten wäre es für ihn, wenn er eine Arbeit hätte. Das würde Struktur in sein Leben bringen. Aber gleichzeitig glaube ich nicht, dass er in seinem jetzigen Zustand sofort wieder arbeiten gehen kann. Er braucht erst einmal Hilfe. Er hat seit sieben Jahren nichts mehr gemacht. An einem Tag sagt er, dass er gerne arbeiten würde, und am nächsten Tag sagt er, dass er sich nicht dazu bringen kann, es zu tun.« Die Einsamkeit und der durch die Migration, die unklaren Zukunftsaussichten und die Lebensbedingungen in den Flüchtlingslagern verursachte Stress spielten ebenfalls eine Rolle bei der Entwicklung von Yaqouts Depression. Nachdem er in einem Flüchtlingsheim überfallen und ausgeraubt wurde, geriet er in eine Krise:
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»Meine Depressionen wurden schlimmer und ich bekam Albträume, also begann ich, den Psychologen im Flüchtlingsheim aufzusuchen. Jede Woche habe ich mir gesagt: Okay, du bist stark. Du kannst das schaffen. Du brauchst nur Zeit, dann wird alles wieder gut. Aber Wünsdorf war ein sehr gefährlicher Ort. Es gab dort viele verschiedene Leute und eine Menge Drogen, Alkohol und Streit. Wir lebten alle im Sturm, und wir konnten nur versuchen, uns zu retten und den Sturm zu überleben.« Während der Zeit, die er in verschiedenen Zentren verbrachte, nahm Yaqout enorm an Gewicht zu. Er aß, um den Stress zu bekämpfen, und wog am Ende mehr als 150 Kilo, was einer Zunahme von etwa 70 Kilo entspricht. Nachdem er eine eigene Wohnung in einem ländlichen Dorf gefunden hatte, versuchte er, an seiner Fitness zu arbeiten. Das Krankenhaus hielt eine Operation für notwendig, bei der sein Magen verkleinert wurde. Nach dem Verlassen des Krankenhauses fiel er erneut in ein tiefes Loch: »Ich hatte Mühe, etwas zu essen zu machen, weil ich so müde war und mir niemand helfen konnte. Ich fing an, ein wenig zu essen, aber ich konnte nur Suppe vertragen. Ich hatte schon vor der Operation mit Depressionen zu kämpfen, aber diese Situation hat sie noch viel schlimmer gemacht. Ich habe jeden Tag einen Psychologen aufgesucht, und er hat mir sehr geholfen.« Es versteht sich von selbst, dass auch die Kinder unter der Migration, der Flucht, dem Leben in den Unterkünften und der psychischen Verfassung ihrer Eltern leiden. Darauf gehen wir im Abschnitt mit den politischen Empfehlungen etwas ausführlicher ein. Khava lebt mit ihrem Mann und ihren fünf Kindern in zwei Zimmern. Vor sieben Jahren kamen sie aus Tschetschenien, weil ein Kind medizinische Hilfe brauchte, die sie in ihrem Heimatland nicht bekommen konnten. Dieses Kind ist inzwischen gestorben. Sie haben eine befristete Aufenthaltsgenehmigung, dürfen aber nicht arbeiten. Ihr Mann treibt sich ziellos herum. Das Leben in zwei Zimmern ist nicht einfach: »Es ist ziemlich stressig, wir können oft nicht gut schlafen, weil immer jemand wach ist, und das ist alles schlecht für die Gesundheit. Meine älteste Tochter hat oft Probleme mit anderen Kindern, in der Schule und auch hier im Flüchtlingsheim. Sie schlägt dann auch diese Kinder. Die Kinder in der Schule lassen sie nicht in Ruhe, spucken sie an. Ich habe ihr gesagt, sie soll mit ihnen reden und sie nicht schlagen, aber sie tut es trotzdem. Also haben die Eltern eines anderen Schulkindes Anzeige bei der Polizei erstattet. Plötzlich stand die Kriminalpolizei vor der Tür […]. Seitdem kommt jede Woche jemand vom Jugendamt vorbei, um uns zu helfen. Der Mann fährt uns auch mit dem Auto zum Kinderpsychologen in Potsdam, den wir für unseren 7-jährigen Sohn aufsuchen. Er will in der Schule nicht
11. Psychische Gesundheitsprobleme
reden und spielen. In den Pausen, wenn die anderen Kinder zum Spielen nach draußen gehen, bleibt er drinnen und liest ein Buch. Der Arzt hat dem Sozialamt geschrieben, dass wir eine eigene Wohnung brauchen, damit wir weniger Stress haben. Aber wir haben keine Antwort darauf erhalten.«
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12. Unterstützung »Ich habe kein Interesse an Nationalitäten. Ein guter Mensch ist zufrieden mit dem, was er ist, akzeptiert andere so, wie sie sind, ist höflich und freundlich und versucht immer, anderen zu helfen, ganz gleich, woher sie kommen.« (Dukvakha, Tschetschenien)
Die Höhe der Unterstützung, die die Flüchtlinge zu erhalten glaubten, hing von ihren Erwartungen ab, von ihrem rechtlichen Status, ihrer ethnischen Herkunft, ihrer Hautfarbe, ihrem persönlichen Charakter und ihrem Glück. Manche Menschen sind sehr dankbar für sehr wenig, andere erwarten so viel, dass sie jede Unterstützung als unzureichend oder sogar als Beleidigung empfinden. Manche bekamen sofort viel Hilfe, andere, vor allem jene, die weniger »europäisch« aussahen als »wir«, mussten jahrelang darauf warten. Sympathische Familien, vor allem solche mit kleinen Kindern, erhielten mehr Hilfe von Freiwilligen als minderjährige, alleinstehende Männer, vor allem, wenn sie ebenfalls traumatisiert waren. Einige Menschen erhielten viel Unterstützung, weil sie das Glück hatten, in ein Flüchtlingsheim zu ziehen, das von engagierten und gut ausgebildeten Sozialarbeitern geleitet wurde, während andere zufällig in einem Flüchtlingsheim lebten, das nur von einem Sicherheitsmann oder einem Verwalter geleitet wurde, der sich nicht (mehr) für sie interessierte. Einige Flüchtlinge lebten zufällig in einem Flüchtlingsheim in einer Stadt oder einem Dorf mit einer aktiven Gruppe von Freiwilligen, die alle Arten von Unterstützung anboten. Andere Flüchtlinge fanden sich in einem Heim tief auf dem Lande wieder, wo kein einziger Freiwilliger in Sicht war. Menschen, denen Asyl gewährt wurde, erhielten vom Arbeitsamt und vom Sozialamt Hilfe bei der Vorbereitung auf einen Arbeitsplatz oder bei der Jobsuche sowie bei der Wohnungssuche. Menschen, die eine Duldung hatten, erhielten keinerlei öffentliche Unterstützung zur Integration in die Gesellschaft; im Prinzip musste die Integration sogar verhindert werden, da sie ausreisepflichtig waren. Vor diesem Hintergrund ist es nicht verwunderlich, dass die Erfahrungen der von uns befragten Flüchtlinge sehr unterschiedlich waren. Einige dieser Erfahrun-
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gen werden auch in den nächsten Abschnitten über Enttäuschungen und Dankbarkeit beschrieben.
12.1 Fehlende Hilfe Zayn kam vor fünf Jahren allein aus dem Iran nach Deutschland. Er ist jetzt 22 Jahre alt und Analphabet. Seit einem Jahr hat er seine Aufenthaltserlaubnis, aber er findet keine Wohnung: »Die Leute hier helfen mir nicht. Ich habe den Leuten in diesem Heim vor einem Monat gesagt, dass ich eine Wohnung finden möchte. Sie sagten mir, ich solle selbst suchen, aber ich kann nicht selbst suchen. Mein Deutsch ist nicht gut, schreiben kann ich auch nicht. Ich habe so viele Probleme. Ich will jetzt einfach eine Wohnung finden.« Die Kamerunerin Layanah sieht die Potenziale von Flüchtlingen, die nicht gefördert werden: »Man hofft immer, dass man sich anpassen kann, aber das System in Europa blockiert die Afrikaner und ihre Freiheit der Gestaltung. Wenn man Kinder hat, schaut man sie an und versucht zu sehen, was sie wert sind, was sie können. Und man hilft und fördert sie, damit sie sich entwickeln können. Aber in Europa werden wir oft in eine Schublade gesteckt und erhalten keine Hilfe.« Mona aus dem Iran: »Ich besuche seit drei Monaten einen Deutschkurs und mein Sprachniveau ist wahrscheinlich A1 oder A2. Mir gefällt mein Deutschkurs sehr gut […]. Der Kurs ist in Luckenwalde und meine Tochter hat den Kurs für mich gefunden. Leider hilft uns bei solchen Dingen niemand.« Almar kam mit seiner vierköpfigen Familie nach Deutschland, nachdem die Taliban in Afghanistan die Macht übernommen hatten. Ihm wurde eine rasche Integration in Aussicht gestellt, doch schon seit fast einem Jahr hat er kaum Fortschritte bei der Suche nach einem Deutschkurs, einem Job oder einer Wohnung gemacht. Seine Bitten um Hilfe werden nicht erhört: »Ich habe die Sozialarbeiter im Amt oft gebeten, uns doch bitte zu helfen. Viele Male habe ich ihnen gesagt, dass wir nicht die Art von Menschen sind, für die sie uns halten. Wir sind keine Menschen, die unsere Zeit verschwenden. Wir versuchen, uns hier ein Leben aufzubauen, wir wollen unsere Zukunft wiederherstellen und unsere Kinder zur Schule schicken. Wir haben uns für Deutschkurse angemeldet, weil wir lernen wollen, damit wir arbeiten können. ›Bitte helft uns‹, habe ich sie oft gebeten.« Der Iraner Majid hat ähnliche Beschwerden:
12. Unterstützung
»Ich habe ihnen mehrmals von meinen Problemen erzählt, aber sie tun nichts. Sie sagen, das sei hier kein Hotel. Eines Tages war ich so wütend, dass ich sogar geblieben bin und gesagt habe: ›Dann lass uns warten, bis die Polizei kommt und unser Problem löst‹, weil ich einfach die Nase voll hatte. Sie sagten, wenn die Polizei käme, würden sie dich zurück in dein Land schicken. Ich war gerade erst angekommen und wusste nicht viel und habe es geglaubt und dann nichts mehr gesagt.« Gulshan aus Afghanistan berichtet von einer Erfahrung, die viele Flüchtlinge gemacht haben: »In den ersten paar Tagen, als ich hier ankam, waren die Leute sehr hilfsbereit. Seitdem ist nicht mehr viel passiert. Ich habe von nichts Neuem gehört.« Im Allgemeinen hatte sich die große Begeisterung für die Aufnahme von Flüchtlingen im Jahr 2015 nach etwa einem Jahr abgekühlt. Das freiwillige Engagement bei der Integration nahm danach rapide ab. Einzelne Geflüchtete werden auch häufig nach einiger Zeit alleingelassen (wenn auch nicht schon nach wenigen Tagen). Yaqout aus Syrien wurde operiert und litt unter Depressionen. Er bekam eine befristete Aufenthaltsgenehmigung und suchte sich eine Wohnung, einen Job und einen Deutschkurs: »Es war schwierig, jemanden zu finden, der mir hilft, und ich musste alles selbst recherchieren. Selbst wenn ich andere Leute gefragt habe, wussten sie nicht oder wollten nicht helfen. Also hatte ich mein Handy, meinen Laptop und mein Englisch. Ich begann zu recherchieren und suchte nach einer deutschen Schule. Ich kaufte mein Bett, meine Matratze, meinen Schreibtisch, einfach alles. Ich fing an, nach irgendeiner Art von Arbeit zu suchen.« Später im Interview erklärt er: »Das Leben in Deutschland hat mich verändert. Es fällt mir schwer, die richtigen englischen Worte zu finden, um zu erklären, wie Deutschland mich verändert hat, aber das arabische Wort, das mir einfällt, heißt übersetzt ›brutal‹ [cruel]. Meine Erfahrungen in Deutschland haben mich brutal gemacht. Ich erwarte nicht mehr, dass mir jemand hilft, selbst wenn ich ihm zuvor geholfen habe. Vor allem von meinen Freunden habe ich gelernt, keine Unterstützung zu erwarten.«
12.2 Fördernde Sozialarbeiter und Freiwillige Einige Personen sind mit der Hilfe, die sie erhalten haben, sehr zufrieden. Malik aus Tschetschenien, der sehr zögerlich ist, mit anderen Personen Kontakt aufzunehmen:
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»In einem der Heime habe ich zwei sehr nette Leute kennengelernt, die mir sehr geholfen haben. Das Wichtigste, was man braucht, wenn man im Ausland ankommt, ist nicht Geld, nicht einmal Essen, sondern das Wichtigste ist, dass man nette Worte hört. Unterstützung. Diese beiden Menschen haben mich sehr unterstützt. Sie hießen Max und Johanna, sie waren beide Sozialarbeiter und ich glaube, sie arbeiten immer noch dort. Sie waren beide sehr nett zu mir.« Islam aus Dagestan: »Generell bekomme ich hier in Deutschland sehr viel Unterstützung. Der Leiter des Flüchtlingsheims hilft mir immer, zum Beispiel hat er gestern meine Hausaufgaben mit mir gemacht. Beim Internationalen Bund [eine NGO, die im Bereich Integration arbeitet] bekomme ich auch immer Hilfe, zum Beispiel hat mir die Frau dort heute bei einer Online-Präsentation geholfen.« Kasra aus dem Iran hat ähnliche Erfahrungen gemacht: »Der Heimleiter hilft mir manchmal, und ich habe meine Beraterin bei der Diakonie, die mir auch geholfen hat.« Ab kam im Alter von 17 Jahren nach Deutschland: »Die Menschen in Deutschland haben mich wirklich unterstützt, und ich weiß es sehr zu schätzen, was sie für mich getan haben, als ich hier ankam. Ich wohnte in einem Flüchtlingsheim für jüngere Flüchtlinge in Freiburg, einer Stadt in Süddeutschland. Dort war es gut. Sie halfen uns sehr mit allem, was wir brauchen konnten.« Die Dinge änderten sich jedoch, als er nach Brandenburg verlegt wurde und in einem normalen Flüchtlingsheim leben musste. »Später wurde ich nach Jüterbog verlegt, das im Vergleich zu Freiburg sehr isoliert war. Man sieht dort nicht so viele Leute, weil es eine kleinere Stadt ist, und es ist schwer, Freunde zu finden. Außerdem war nach Freiburg klar, dass ich mich selbst versorgen muss. Ich musste herausfinden, wie ich viele Dinge selbst erledigen kann, wie zum Beispiel zum Arzt gehen.« Sahar erzählt von der früheren Sozialarbeiterin in ihrem Flüchtlingsheim, die alle Flure im Heim selbst geputzt hat, wenn der Reinigungsdienst nicht kam, und sich sehr persönlich um die Flüchtlinge gekümmert hat: »Als sie hier war, haben wir aus jedem Anlass Partys gefeiert, jeder hat etwas gekocht und mitgebracht. Das war wirklich gut für die Moral der Flüchtlinge. Sie kümmerte sich sehr um alle, nicht nur um uns, sie mochte alle hier. Sie klopfte immer an die Tür und fragte, ob alles in Ordnung sei. Ich wünsche ihr wirklich Gesundheit, wo immer sie auch ist. Sie hat uns bei allen persönlichen Dingen gehol-
12. Unterstützung
fen, um die wir sie gebeten haben. Sie rief an und sagte: ›Ich habe jetzt Zeit, wir können es schaffen.‹« Esila beschreibt ihre Erfahrungen und die ihrer Eltern: »Wir bekommen Hilfe vom Jobcenter. Damit sind wir sehr zufrieden. Es reicht für uns. Als wir im Flüchtlingsheim waren, haben wir unsere Aufenthaltsgenehmigung und unsere Personalausweise bekommen […]. Wir hatten wirklich Glück, dass die Frau, die für uns zuständig war, uns sehr geholfen hat. Es ist also eine Frage des Glücks: Wenn man einen guten Sozialarbeiter hat, kann es schnell gehen. Wenn die Sozialarbeiterin schlecht ist, muss man selbst viel tun.« Khava aus Tschetschenien fand viel Unterstützung in einer Gruppe von Freiwilligen: »Ich habe acht Monate lang Deutschunterricht genommen, hier in Deutschland. So habe ich es bis zum A2-Niveau geschafft. Dann habe ich mich einer Chatgruppe mit Freiwilligen angeschlossen, in der man sein Deutsch üben konnte […]. Ich habe deutsche Bekannte, die ich durch die Schule meiner Kinder und durch die Selbsthilfegruppe kennengelernt habe. Wir treffen uns in Luckenwalde zum Einkaufen und fahren auch gemeinsam mit den Kindern nach Berlin.« Wie Khava erhielt auch die Pakistanerin Shireen viel Hilfe von der örtlichen Freiwilligengruppe. Sie hat den richtigen Eindruck, dass diese Gruppen vor allem in kleinen Städten aktiv sind und nicht in einer riesigen, anonymen Stadt wie Berlin: »Hier gibt es einen Flüchtlingshilfeverein, und die Damen sind sehr nett. Ich habe durch diesen Verein eine Freundin gefunden, mit der ich mich sehr gut verständigen kann, weil sie Kanadierin ist. Im Moment leitet sie ein Theaterprojekt, und ich arbeite dort ehrenamtlich mit. Die Freiwilligenvereinigung hat früher viele Programme durchgeführt. Früher gab es donnerstags ein Programm, ein Frühstück für Frauen, bei dem sie zusammenkamen und über ihre Probleme sprachen. Es war wie ein Chat-Club, aber sie haben auch viel geholfen. Sie bieten auch viele Programme für jüngere Flüchtlinge an, um ihnen zu zeigen, was sie mit ihrem Leben anfangen können… Sie organisieren einen Kleiderladen, und das Oberteil, das ich jetzt trage, habe ich dort gekauft. Außerdem veranstalten sie jedes Jahr zu Beginn des Sommers ein großes Sommerfest.« Akilah ist auch sehr dankbar für die Hilfe, die sie und ihre Familie von einem bestimmten Freiwilligen bekommen haben: »Wir haben viel Hilfe von einer deutschen Freiwilligen namens Brigitte erhalten. Ich kann Brigitte jederzeit anrufen. Auch die Lehrer an der Schule sind sehr nett. Und auch mit dem Leiter des Heims habe ich keine Probleme.«
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13. Enttäuschungen, Desillusionierungen und Dankbarkeit
Wie aus den vorangegangenen Ausführungen zu entnehmen ist, erlebten viele Flüchtlinge Enttäuschungen über ihren Aufenthalt in Deutschland. Sie waren u.a. frustriert von der oft empörenden Langsamkeit, Undurchsichtigkeit und Kälte der Verfahren, von der Unterbringung in den Flüchtlingsheimen, von den Problemen, eine Arbeitserlaubnis und dann einen Arbeitsplatz zu bekommen, von den Problemen, eine Wohngenehmigung und dann eine Wohnung zu erlangen, von den Schwierigkeiten, Deutschkurse zu besuchen, Kinderbetreuung zu finden, von Diskriminierung, von mangelnder Unterstützung und so weiter. Manchmal waren die Menschen mit falschen Erwartungen nach Deutschland gekommen und hatten fälschlicherweise gehofft, relativ schnell eine unabhängige Existenz aufbauen zu können. Manchmal wurde auch ausdrücklich Bedauern darüber geäußert, überhaupt nach Deutschland gekommen zu sein. Majid ist ein Beispiel. Er hatte im Iran ein eigenes Geschäft, musste wegen religiöser Probleme fliehen, Frau und Tochter zurücklassen und ist seit drei Jahren in Deutschland: »Und hier, leider, egal wie sehr man sich bemüht, ein gutes Leben zu führen, die Regeln einzuhalten, nicht gegen das Gesetz zu verstoßen, alles richtig zu machen, man kommt nicht ans Ziel. Ich weiß nicht, so habe ich es verstanden, als ich hier lebte, vielleicht ist es nicht ganz richtig. Ich warte jetzt seit drei bis vier Monaten auf die Arbeitserlaubnis, und es gibt Leute, die in dieser Zeit auf dem Schwarzmarkt gearbeitet haben und etwa 10.000 Euro verdient haben. Es ist nicht so, dass ich neidisch auf das Geld bin, das sie verdienen. Mein Problem ist, dass ich mit der Vorstellung hierhergekommen bin, dass es hier fair zugeht, dass es keine Diskriminierung gibt und dass man, wenn man sich an das Gesetz hält, Unterstützung bekommt. Aber leider sieht man, dass [es nicht so ist].« Sarah hat ähnliche Enttäuschungen erlebt. Sie ist jetzt seit fünf Jahren in Deutschland und hat nur eine Duldung. Sie hat Angst, jeden Moment abgeschoben zu werden. Im Iran muss sie dann ihre Tochter an die Familie des Mannes abgeben, von
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dem sie geschieden ist. Auf eigene Faust hat sie Deutsch auf B2-Niveau gelernt und einen Auffrischungskurs in Informatik begonnen, die sie im Iran studiert hatte. Sie versteht nicht, warum die Behörden es ihr so schwer machen, ein unabhängiges Leben aufzubauen, und ihr scheinbar jedes Mal neue Hindernisse in den Weg legen, wenn sie versucht, zu studieren, zu arbeiten und ihre eigene Wohnung zu bezahlen. »Sie haben mich fünf Jahre lang bezahlt. Mein Abschluss, die Anerkennung, hat rund 1000 Euro gekostet. Ich hatte das Geld nicht. Sie haben das alles bezahlt, so dass mein Abschluss jetzt einer Ausbildung gleichkommt. All diese Kosten … und jetzt sagen Sie mir, dass Sie mich hier nicht haben wollen. Ihr gebt mir den Status Duldung und wollt mich zurückschicken […]. Jemand wie ich, wenn ich die Möglichkeit hätte, nach Hause zurückzukehren, würde ich das auf jeden Fall tun. Ich mache all diese Strapazen nur durch, weil es für mich keinen Weg zurück gibt. Wenn ich in mein Land zurückkehre, werden sie mir als Erstes meine Tochter wegnehmen. Nach dem Gesetz gehört das Kind dem Mann, und danach der Familie des Mannes.« Naseem aus Afghanistan hat gemischte Gefühle. Er wollte in ein skandinavisches Land gehen, landete vor fünf Jahren in Deutschland und wartet seitdem darauf, ein Leben zu beginnen. Er erklärt: »Wenn ich von diesem ganzen Antragsverfahren und dem Duldungsstatus gewusst hätte, hätte ich mich nicht entschieden, hierherzukommen.« Almar und seine Frau arbeiteten in Afghanistan für deutsche Institutionen und hatten ein gutes Leben. Als sie in Deutschland ankamen, folgten nur große Enttäuschungen. Für ihre vierköpfige Familie wurde ihnen ein schmutziges Zimmer in einem Flüchtlingsheim zugewiesen. Seine Frau war schockiert: »›Das Leben in Afghanistan unter dem Taliban-Regime ist besser, warum habt ihr uns hierher gebracht?!‹, sagte sie. Ich erinnere mich noch sehr gut an diesen Moment. Ich wollte das nicht für meine Familie, ich wollte nicht, dass meine Frau weint. Meine Frau sagte, sie wolle zurück nach Afghanistan.« Letzteres war nun nicht mehr möglich. Innerhalb von zwei Wochen wurde ihnen eine bessere Unterkunft versprochen. Fast ein Jahr später leben sie immer noch in demselben Zimmer, warten auf eine Arbeitserlaubnis und sogar auf einen Deutschkurs. Vor etwa fünf Jahren kamen Baran und ihre Eltern aus dem Iran. Sie geht immer noch zur Schule. Auf die Frage nach möglichen Ratschlägen für Flüchtlinge antwortet sie: »Ich denke, es ist besser, wenn die Leute gar nicht erst nach Deutschland kommen. Aber wenn es nach mir ginge, würde ich ihnen raten, auf keinen Rat zu hören und das zu tun, was sie selbst für das Beste halten. Auf diese Weise ist es ihre Entscheidung, was auch immer mit ihrem [Asyl-]Fall passiert.«
13. Enttäuschungen, Desillusionierungen und Dankbarkeit
Layanah aus Kamerun lebt bereits seit acht Jahren in einem vorübergehenden Flüchtlingsheim. Es ist ihr nicht erlaubt, zu arbeiten. Seit einem halben Jahr kann sie einen Integrationskurs besuchen und seit einem Jahr kann sie das Heim verlassen und sich eine eigene Wohnung suchen. Sie ist desillusioniert: »Kann man acht Jahre lang kämpfen, ohne ein Ergebnis zu sehen, ohne ein Ende zu sehen? Es ist, als wollten sie dich in ein Loch stecken und dort behalten […]. In Afrika konnte ich wenigstens einen Marktstand eröffnen und Dinge verkaufen, ohne um Erlaubnis zu fragen. Hier gibt es immer Ablehnungen.« Die Algerierin Fatima kam vor anderthalb Jahren nach Deutschland. Ihr Mann ist auf der Flucht vor der Rache der Familie der Person, die er »versehentlich« getötet hat. »Ich bin ehrlich gesagt sehr enttäuscht von Deutschland. Mein Bruder hat mir gesagt, dass ich hier mehr Freiheiten und Möglichkeiten haben würde, aber das stimmt nicht. Mein Asylantrag wurde abgelehnt, also habe ich jetzt einen Duldungsstatus und kann nicht wirklich etwas tun. Ich musste ein Jahr lang auf die Erlaubnis warten, einen Deutschkurs zu besuchen, und habe erst letzten Monat mit einem begonnen.« Ab reiste im Alter von 17 Jahren von Gambia nach Deutschland, eine Reise, die er als »unglaublich schwierig« beschreibt. Obwohl er in den letzten sechs Jahren große Fortschritte gemacht hat – er hat Deutsch gelernt und hat einen Job – sagt er: »Ich glaube aber nicht, dass es eine gute Idee ist, diese Reise zu machen. Es gibt viele Leute, die diese Reise versuchen und denken, dass sie es schaffen werden, wenn sie erst einmal hier sind, aber sie schaffen es nicht. Sie haben hier ein miserables Leben. Manchmal bereue ich es, die Reise gemacht zu haben, aber jetzt, wo ich hier bin, muss ich auf mich vertrauen.« Trotz der vielen Schwierigkeiten, die die Menschen beim Aufbau eines neuen Lebens in Deutschland haben, sind sie regelmäßig auch dankbar für die Unterstützung und die Möglichkeiten, die sie in diesem Land erhalten haben. Wie bereits erwähnt, hat Deutschland Naseem das Leben nicht leicht gemacht. Er musste fünf Jahre lang warten, bis er die Erlaubnis erhielt, einen Deutschkurs zu besuchen. Noch immer lebt er in einem provisorischen Flüchtlingsheim. »Trotzdem bin ich dem deutschen Volk dankbar. Ich bin hierhergekommen als eine Art Wertschätzung. Wenn ich mein Land nicht verlassen müsste, hätte ich Europa besucht und wäre nach Deutschland gekommen. Wir sind schließlich alle Menschen. So ist die Schöpfung Gottes. Der eine lebt vielleicht in Afrika, der andere in Afghanistan, ein anderer in den USA, ein anderer in Deutschland. Leben ist Leben.«
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Gulshan verließ Afghanistan im Jahr 2017 und kam über die Türkei und Griechenland nach Deutschland. Sie ist gestresst, einsam und depressiv. Sie kann keinen Sprachkurs besuchen und nicht arbeiten. »Aber es gibt auch gute Dinge hier. Sie unterstützen die Zuwanderer so sehr, die deutsche Regierung hilft viel. Manchmal frage ich mich, ob die deutsche Regierung eine Geldmaschine hat. [lacht] Ich denke, Gott muss ihnen helfen. Ich bin mit allem zufrieden, ich kann gar nicht genug sagen […]. Die deutschen Menschen hier sind wirklich nett. Wie die Menschen in Griechenland. Die Polizei hier respektiert dich, wie in anderen europäischen Ländern. Ich mag es sehr, wie sie sich verhalten und miteinander umgehen. Sie sprechen höflich und respektvoll mit dir. Ich bin sehr zufrieden mit der Polizei und den Menschen hier.« Seit 2018 lebt Mama Stacy aus Kamerun mit ihrem Mann und ihren vier Kindern in einem Einzelzimmer. Auf Ämtern und im öffentlichen Raum begegnete sie Unhöflichkeit und Rassismus. Trotzdem: »Insgesamt liebe ich Deutschland. Es ist ein gutes Land. Manche Menschen sind nicht sehr freundlich, aber es sind nur ein oder zwei Menschen, die ein Land verderben können, und das passiert in jedem Land. Kein Land ist perfekt […]. Eine Sache, die ich an diesem Land liebe, ist, dass die Bildung hier an erster Stelle steht. Und auch das Gesundheitssystem ist sehr gut. Deutschland ist also ein sehr gutes Land, vor allem wenn man die Sprache lernt […]. Mir gefällt auch, wie die deutsche Regierung Flüchtlinge unterstützt. Das ist etwas, wofür ich sie lobe. Ich kann mich nicht beklagen. Es ist nicht viel, aber es ist nachhaltig. Wenn sie es eines Tages erhöhen wollen, wäre das gut, aber es ist besser als nichts.« Islam aus Dagestan ist seit fünf Jahren mit seiner Frau in Deutschland. Sie haben drei Kinder, zwei wurden in Deutschland geboren. Islam macht eine Ausbildung zum Krankenpfleger, was ihm sehr gut gefällt. Das Leben war nicht immer einfach, aber: »Ich möchte mich bei allen Deutschen bedanken, die mir geholfen haben. Ich möchte, dass die Deutschen wissen, dass meine Familie und ich nicht so schlechte Menschen sind. Wir sind nicht nach Deutschland gekommen, nur um zu schlafen, zu essen und Sozialhilfe zu bekommen. Wir sind nur für unsere Zukunft hier, um uns zu integrieren und ein normales Leben zu führen. Ich möchte mich noch einmal ganz herzlich bei allen bedanken, die uns helfen. Ich fühle mich natürlich noch nicht wie ein richtiger Deutscher, aber es kommt langsam.« Der Sohn der Familie Bashar erklärt: »Wir sind sehr dankbar für alles, was Deutschland für die Flüchtlinge getan hat, aber wir hätten gerne mehr Möglichkeiten. Und
13. Enttäuschungen, Desillusionierungen und Dankbarkeit
dass sie uns nicht immer im Weg stehen, nur weil wir Ausländer sind.« Sein Vater fügt hinzu: »Wir möchten Deutschland etwas zurückgeben, wir möchten hart arbeiten, um Deutschland besser zu machen […]. Nicht alle Menschen sind gleich. Es gibt die guten Menschen und die schlechten Menschen. In Deutschland, aber auch in anderen Ländern. Wir wollen einfach eine bessere Chance haben.« Der Afghane Ali Ghaznawi kam kurz vor unserem Gespräch aus der Ukraine. Er beschrieb sein Leben in Afghanistan und der Ukraine und wie er nach der russischen Invasion nach Deutschland floh. In seinen eigenen Worten: »Ich bin endlich in Deutschland angekommen, dem Land der Wissenschaft und des Wissens, dem Land der Menschlichkeit und der Liebe. Als ich am Berliner Hauptbahnhof ankam, sah ich, wie Polizei, Wohlfahrtsverbände, Sozialarbeiter und Menschen die Ankunft der ukrainischen Flüchtlinge mit so viel Freundlichkeit und Lächeln begrüßten. Hinter dem Berliner Hauptbahnhof war ein großes Zelt aufgebaut, in dem die neuen Einwanderer empfangen und mit Essen, Wasser und Tee versorgt wurden. Kostenlose SIM-Karten mit kostenlosen Anrufen in die Ukraine und Hochgeschwindigkeitsinternet wurden von Telekommunikationsunternehmen am Bahnhof an die ukrainischen Einwanderer verteilt […]. Wenn ich eine Frage hatte oder mich über etwas informieren wollte, fragte ich die Deutschen in englischer Sprache, und sie antworteten mit einem wunderschönen Lächeln und einem fröhlichen Gesicht. Sie fragten oft, woher ich komme. Ich erzählte ihnen, dass ich ursprünglich aus Afghanistan stamme, aber sechs Jahre lang in der Ukraine gelebt habe und nach Kriegsbeginn nach Deutschland kam. Sie begrüßten mich und wir unterhielten uns einige Augenblicke.« Farida kam nach einem schwierigen Leben in Syrien und im Libanon mit ihrem Sohn und ihrer Schwiegertochter nach Deutschland. Ihr Mann starb jung, und seither musste sie sich allein um ihre beiden Söhne kümmern, ohne jegliche staatliche Unterstützung. Ihr Sohn musste im Alter von 10 Jahren die Schule verlassen und arbeiten gehen, um die Familie zu unterstützen. Sie sagt: »Im Vergleich dazu ist das Leben in Deutschland ein Traum. Hier bin ich krankenversichert und habe alle Medikamente, die ich brauche. Ich kann wieder Obst und Gemüse essen. Meine Enkelin geht hier zur Schule, was ich nie für möglich gehalten hätte. Ich bin so dankbar, dass es so gekommen ist, dass es auf der Welt so viele Menschen mit einem guten Herzen gibt, die uns geholfen haben. Bevor ich hierherkam, hörte ich, dass die Deutschen rassistisch sind und nicht gerne teilen, aber das war überhaupt nicht meine Erfahrung. Ich möchte ihnen nur für all ihre Unterstützung danken, damit ich mein Leben hier leben kann. Ich weiß, dass ich eine alte Frau bin und wahrscheinlich bald sterben werde; ich bin ständig krank und habe keine Energie mehr. Mein einziger Wunsch ist, dass meine Enkelkinder zur Schule gehen und sich selbst versorgen können, wenn sie älter sind.«
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Afra hat einen ihrer Söhne verloren, als ihr Haus in Bagdad von Regierungsgegnern in die Luft gesprengt wurde: »Im Irak hatte ich immer Angst. Wenn ich morgens mein Haus verließ, war ich nicht sicher, ob ich lebend zurückkehren würde. Es war unerträglich. In Deutschland bin ich glücklich, weil ich in Sicherheit bin. Sicherheit ist das Wichtigste im Leben. Dafür bin ich sehr dankbar. Viel mehr kann ich mir nicht wünschen.«
14. Zukünfte, Hoffnungen und Träume »Alles ist Leben. Das Leben hat gute und schlechte Dinge. Man muss nur die schlechten Dinge nach unten und die guten nach oben schieben. So kommst du schneller voran.« (Ines, Kamerun)
Viele der Ziele, die sich die Menschen gesetzt hatten, wurden bereits im vorherigen Abschnitt besprochen. Wir gingen auf die Beweggründe der Befragten ein, ihr Heimatland zu verlassen. Einige waren vor allem vor Krieg, Gewalt, Unterdrückung und Diskriminierung geflohen, andere waren vor allem nach Deutschland gekommen, um sich und ihren Kindern oder ihrer Familie eine bessere Zukunft zu schaffen. Oft hatten sie große Pläne und Träume, auch beeinflusst von allzu rosigen Berichten von früher angekommenen Migranten und von Schleppern, die ein Interesse daran hatten, Menschen zur Migration zu bewegen. In Deutschland angekommen, verflüchtigten sich für viele diese Träume und Pläne schnell, ebenso wie die Energie, sie zu verwirklichen. Die Menschen verstrickten sich in endlose, regelmäßig unvorhersehbare Asylverfahren, in undurchschaubare bürokratische Kämpfe um die Teilnahme an einem Deutschkurs, um einen Kindergartenplatz für die Kinder, um eine Wohn- und Arbeitserlaubnis und wurden mit dem oft tristen Leben in Übergangsheimen konfrontiert. Unter dem Einfluss von sozialer Ausgrenzung, erzwungener Untätigkeit und Perspektivlosigkeit entwickelten viele psychische Beschwerden und ein geistiges Vakuum aus Lethargie und Apathie. Deshalb war es auch nicht verwunderlich, dass viele Menschen nicht in der Lage waren, weit in die Zukunft zu denken. Wir haben immer wieder gefragt, wo die Leute sich in fünf oder zehn Jahren sehen oder was sie sich wünschen, und regelmäßig hatten sie überhaupt keine Antwort. Meistens fielen ihnen nur ganz konkrete Wünsche ein, zum Beispiel eine Wohnung oder ein Deutschkurs. Größere Träume konnten sie sich nicht vorstellen. Im Folgenden werden die Personen, die wir in den Interviews und oben ein wenig kennengelernt haben, nur mit ihrem Namen und Alter angegeben. Na-
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seem, Gulshan, Zayn, Alieh, Almar und Ali, die zuerst sprechen, stammen alle aus Afghanistan. Naseem (32): »Ich bin ein positiver Mensch. Ich habe so lange in einer hoffnungslosen Situation gelebt, aber ich habe beschlossen, dass ich hoffnungsvoll bleiben werde. Ich weiß nicht, worauf ich meine Hoffnung setze, aber ich weiß, dass ich niemals aufgeben werde. Ich glaube, dass nach jeder dunklen Nacht ein heller Tag kommt […]. Ich weiß nicht, was in einem Jahr passieren wird, wenn ich meinen Aufenthaltstitel erneut beantragen muss. Ich kann nur versuchen, mein Bestes zu tun, um mein eigenes Leben zu retten. Ich bin seit 2015 mit so vielen Problemen und Schwierigkeiten konfrontiert worden, aber ich versuche immer noch, Menschen zu helfen. Als Mensch, als Flüchtling, ist das alles, was ich tun kann. Ich muss mein Leben weiterführen, auch wenn es nicht einfach ist, auch wenn ich es nicht liebe.« Gulshan (25): »Nun, ich hatte große Träume für mein Leben und konnte sie nicht erreichen. Jetzt, wo ich hier bin, möchte ich einen Job haben, damit ich den Stress, den ich zu Hause habe, bekämpfen kann. Ich möchte auf eigenen Beinen stehen. Die Sprache ist das Wichtigste. Ich sollte einen Kurs besuchen, damit ich meinen eigenen Weg gehen kann, egal welchen Plan ich habe […]. Man sollte einen Plan für das Leben haben […]. Wenn man einen guten Job hat, wenn man die Sprache lernt, wenn man sich ein Leben aufbaut, dann wird man auch von der Regierung akzeptiert […]. Es ist wichtig, nicht auf die Regierung angewiesen zu sein oder sich auf die Hilfe von Freunden und Verwandten zu verlassen, sondern sein Leben aus eigener Kraft aufzubauen. Es ist gut, auf eigenen Füßen zu stehen […]. Ich muss lernen, an mich selbst zu glauben […]. Wenn man an sich selbst glaubt, kann man im Leben etwas erreichen. Ich würde gerne einen guten Job haben, wie Krankenpfleger oder Koch …« Zayn (22): »Ich habe so viele Probleme. Ich möchte jetzt einfach nur eine Wohnung finden. Ich habe keine Ahnung, was ich mir für die Zukunft wünsche. Keine Ahnung.« Alieh (23): »Ich arbeite gerade hart daran, die Sprache zu lernen. Ich würde später gerne zur Schule gehen und auch an die Universität. Ich würde gerne Sport treiben. Vielleicht würde ich gerne etwas Künstlerisches studieren, aber ich habe mich auch schon immer für ein Medizinstudium interessiert. Ich bin mir noch nicht sicher, aber wir werden sehen.« Almar (28): »Es war mein Traum, in Deutschland zu studieren. Ich wollte meine IT-Kenntnisse Schritt für Schritt verbessern. Ich hoffe, dass ich in fünf Jahren hier einen MSc-Abschluss in IT-Management oder Cybersicherheit machen kann. Ich hoffe, dass ich ein guter Manager in einem IT-Unternehmen werden kann.«
14. Zukünfte, Hoffnungen und Träume
Ali Ghaznawi (35): »Im Moment lerne ich die deutsche Sprache zu Hause. Ich habe mich für den Sprachkurs angemeldet. Im Moment warte ich auf die Erlaubnis der Regierung, die Sprache zu lernen. In Zukunft möchte ich mein Studium an einer der Universitäten in Berlin oder Potsdam fortsetzen, damit ich mein Wissen gut einsetzen und der Gesellschaft, in der ich lebe, dienen kann.« Ines (30) aus Kamerun: »Meine Träume sind, dass ich einen guten Job bekomme und meine Kinder in Afrika zu mir kommen können […]. Wenn ich einen guten Job habe, kann ich einen Familiennachzug beantragen. Ich kann meine Kinder zu mir holen. Ich brauche also einen Deutschkurs und eine Lehrstelle. Wenn ich eine Lehrstelle bekomme, dann weiß ich, dass ich eine gute Arbeit finden kann. Ich werde so viel arbeiten. Nur arbeiten, arbeiten, arbeiten, das ist mir egal. Ich muss nur etwas Geld verdienen.« Malik aus Tschetschenien (32): »In den nächsten zehn Jahren möchte ich mein Deutsch verbessern, meinen Beruf ausüben und eine Wohnung finden. Es gibt zwei andere Familien aus Tschetschenien, mit denen wir befreundet sind, und wir würden gerne in ihrer Nähe wohnen […]. Weiter habe ich noch nicht gedacht. Ich denke, im April werde ich meine B1-Prüfung bestanden haben, und dann geht es langsam, Schritt für Schritt, vorwärts. Dann werde ich mich nach einer Lehrstelle umsehen, und wenn das nicht klappt, nach einem Job.« Mona und Sarah sind beide aus dem Iran und 43 Jahre alt. Mona: »Ich möchte nach dem Deutschkurs eine Ausbildung machen, damit ich einen Job in einer Kindertagesstätte bekomme. Aber ich muss erst B2 bestehen, das wird also noch etwas dauern […]. Mein einziger Wunsch ist, dass ich gerne eine kleine Wohnung hätte. Nur zwei Zimmer, eine Küche, einfach etwas Kleines.« Sahar: »Wir hatten viele Pläne für die Zukunft, aber dann sind wir schon so lange hier, dass wir uns gar nicht mehr daran erinnern. Jetzt ist unser größtes Ziel, hier rauszukommen.« Hung (28) aus Vietnam und der Ukraine: »Alles, was ich im Moment wirklich will, ist Deutsch lernen und einen Job finden, das ist alles […]. Sobald ich etwas Geld gespart habe, möchte ich aus dem Heim ausziehen und mir eine eigene Wohnung suchen.« Akilah (33) aus Palästina: »Das Wichtigste ist jetzt, dass wir endlich eine eigene Wohnung haben und nicht mehr in den Containern leben müssen. Dann können wir beide anfangen zu arbeiten und uns ein Leben für uns und die Kinder aufbauen.« Afra (38) und Adeel (30) kamen aus dem Irak.
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Afra: »Ich möchte gerne eine eigene Wohnung haben und Deutsch lernen. Aber das Wichtigste ist, dass es meinen Jungs gut geht. Im Idealfall möchte ich, dass sie auf die Universität gehen und gute Jobs bekommen. Aber vor allem, dass sie in Sicherheit sind. Das ist das Wichtigste. Ansonsten habe ich nichts mehr hinzuzufügen.« Adeel: »Zuerst möchte ich Deutsch lernen und dann eine Ausbildung machen. Ich würde gerne wieder als Geografielehrer arbeiten. Jeden Tag gehe ich in die Schule, um Deutsch zu lernen […]. Nachmittags arbeite ich in einem Supermarkt […]. Ich würde gerne hier bleiben. Ich habe mich in eine Frau aus Tschetschenien verliebt, die ich in Litauen kennengelernt habe […]. Sie ist Zahnärztin. Wir sprechen Englisch und wollen heiraten. Ich möchte zwei Kinder haben.« Shireen (30) aus Pakistan: »In Zukunft möchte ich eines Tages mein eigenes Restaurant besitzen. Kochen ist für mich sehr therapeutisch, und jedes Mal, wenn ich ein gutes Essen zu mir nehmen kann, fühle ich mich sofort dankbar für mein Leben… Ich möchte auch ein sinnvolles Leben in dem Sinne führen, dass ich mich mehr um das Allgemeinwohl kümmere und mich auf eine Weise in die Gesellschaft einbringe, die etwas bewirkt. Es beunruhigt mich, wie viel Leidenschaft ich verloren habe, seit ich in Deutschland bin. Ich glaube, meine Erfahrungen in Deutschland haben mich im Allgemeinen zu einem egoistischeren Menschen gemacht. In Pakistan war ich sehr aktiv, und ich hatte Themen, über die ich schrieb; ich hatte einen Blog. Nachdem ich hierhergekommen bin, bin ich sehr passiv geworden. Manchmal bekomme ich schwere Anfälle von Überlebensschuld, aber danach bin ich noch passiver und lebe einfach mein Leben. Diese Veränderung gefällt mir nicht. Ich möchte zu der Zeit zurückkehren, als ich mich mehr um die Dinge kümmerte und bestimmte Themen mit mehr Leidenschaft verfolgte.« Herr Bashar (43), Zahra (27) und Yaqout (27) kommen alle aus Syrien. Herr Bashar: »In Zukunft würde ich gerne in Berlin arbeiten, weil es dort mehr Araber gibt, die es eher gewohnt sind, dass Menschen Kopftücher tragen, und die meine Arbeit mehr schätzen würden. Am Anfang werde ich wahrscheinlich in Berlin arbeiten, weil es dort einfacher ist, einen Anfang zu machen. Aber mein Ziel ist es, irgendwann in Brandenburg zu arbeiten. Ich möchte unabhängig sein.« Zahra: »Ich möchte Deutsch lernen, damit ich meine Ausbildung hier fortsetzen kann. Vielleicht kann ich zur Schule gehen, wenn meine beiden Kinder in der Schule oder in der Kita sind. Es war schon immer mein Traum, Lehrerin zu werden, aber im Moment möchte ich nur irgendeine Art von Praktikum absolvieren, um hier arbeiten zu können. Ich muss nur noch einen Deutschkurs machen und eine Wohnung finden, bevor ich das tun kann. Ich habe mich entschieden, nach Deutschland zu kommen, weil ich wusste, dass es hier mehr Möglichkeiten für mich und vor allem für meine Kinder gibt. Ich wünsche mir nur, dass meine
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Familie im Libanon, die noch auf ein Visum wartet, bald nach Deutschland kommen kann.« Yaqout: »Ich mag nicht mehr über die Zukunft nachdenken. Früher habe ich das getan, aber meine Erfahrungen in Deutschland haben dazu geführt, dass ich nicht mehr so weit vorausdenken will. Ich kann nur noch in der Gegenwart leben und für den nächsten Monat oder so planen. Wenn ich mich in fünf Jahren in Deutschland wiederfinde, dann ist das eben so, ich habe keine andere Wahl. Als ich in Syrien studierte, war ich so leidenschaftlich. Ich wollte meinen Abschluss machen und ein eigenes Büro eröffnen, ich wollte mich in Syrien beweisen. Ich hatte immer die Zukunft und meine Träume im Kopf. Jetzt in Deutschland habe ich diese Leidenschaft verloren und es ist sehr schwer für mich.« Trotz der vielen Hürden, die auch sie überwinden müssen, sind die Kinder von Geflüchteten oft motivierter, in der neuen Heimat erfolgreich zu sein, als ihre Eltern. Manchmal scheinen die Zukunftsaussichten der Eltern relativ düster zu sein, und soziale Integration und Mobilität scheinen nur bei der nächsten Generation Aussicht auf Erfolg zu haben. Stacy (18) aus Kamerun: »Ich denke, ich sollte zuerst eine Ausbildung als Krankenschwester machen und ein wenig Geld verdienen und dann sehen, was danach kommt. Ich möchte mein Studium fortsetzen und eines Tages eine erfolgreiche Ärztin werden, damit ich meinen Eltern helfen kann.« Ihr kleiner Bruder Tom (10): »Wenn ich groß bin, möchte ich Wissenschaftler werden, deshalb muss ich in der Schule sehr hart arbeiten.« Dukvakha (20): »In zehn Jahren möchte ich mein eigenes Haus haben. Ich möchte hier weggehen, zusammen mit meinen Schwestern und meiner Mutter. Ich bin für sie verantwortlich… Ich will meine Familie von hier wegbringen. Meine Mutter hat viel für uns getan, und ich möchte etwas dafür tun. Ich spare auch Geld für sie, damit sie nach Mekka gehen kann. Das weiß sie noch nicht, also sollte sie das hier nicht lesen.« Eliana (14), wie Dukvakha aus Tschetschenien: »Ich will hier nur gute Noten bekommen und einen guten Job finden. Ich muss diesen Monat ein Praktikum machen, und ich habe mir überlegt, es vielleicht im Bereich der Sozialarbeit zu machen. Ich möchte in Zukunft nicht hier leben, sondern woanders, nicht in diesem Heim oder so … vielleicht würde ich gerne in Berlin leben oder so.« Kasra (20): »Ich möchte die zehnte Klasse abschließen und dann werde ich die nächsten zwei Jahre mein Abitur in Potsdam machen. Am Ende dieser drei Jahre werde ich ein Diplom bekommen, und damit kann ich an der Universität
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weiter studieren oder eine Ausbildung machen. Natürlich will ich arbeiten, aber erst muss ich ein bisschen studieren, und dann will ich arbeiten. Jetzt wird es noch drei Jahre dauern. Ich möchte gerne im medizinischen Bereich arbeiten, zum Beispiel möchte ich Orthopäde werden oder Krankenschwester… Ich möchte in Berlin studieren und zum Arbeiten möchte ich nach Westdeutschland gehen, vielleicht nach Köln oder so.« Elisa (14) aus der Türkei: »Und dann begann Corona […]. Ich wollte zur Schule gehen und lernen, aber die Schule war geschlossen und alle Schüler wurden nach Hause geschickt […]. Ich war richtig sauer und das hat meinen Ehrgeiz geweckt. Zu Hause habe ich dann angefangen, richtig zu lernen. Fünf Monate lang war ich zu Hause mit einem Lernplan, den ich entwickelt hatte, und habe die siebte Klasse nachgeholt und mich auf die achte vorbereitet […]. Im August 2020 habe ich die achte Klasse begonnen. Das klappte wirklich gut. Die Lehrer haben gemerkt, dass ich mehr kann. Ich hatte das Ziel, auf das Gymnasium zu gehen. Innerhalb von fünf Monaten gehörte ich zu den Besten meiner Klasse.« Wir haben diesen Teil des Buches mit Ab (23) aus Gambia begonnen. Er hat auch das letzte Wort: »In Gambia habe ich meine Ausbildung bis zur neunten Klasse abgeschlossen und ich mache gerade einen Kurs in Online-Marketing, weil ich eines Tages mein eigenes Unternehmen führen möchte. Wenn ich damit fertig bin, gehe ich vielleicht in zwei bis drei Jahren wieder zur Schule und studiere etwas in Richtung Betriebswirtschaft, aber jetzt will ich mich erst einmal auf meine Arbeit und mein jetziges Studium konzentrieren. Ich möchte auch weiter Deutsch lernen, damit ich die nächste Stufe erreichen kann […]. Jetzt, wo ich hier bin, habe ich ein gutes Gefühl, was ich erreicht habe, seit ich in Deutschland bin. Ich hatte hier viele Probleme und Schwierigkeiten – und habe sie immer noch –, aber ich vertraue auf mich selbst. Ich habe das Gefühl, dass ich es schaffen kann. Ich weiß, dass es hier nicht einfach sein wird, weil ich keine Staatsangehörige bin, aber ich weiß, dass es besser werden wird. Mein Traum ist es jetzt, jemand in Deutschland zu sein, mich selbst zu versorgen und meine eigene Kraft zu haben. Ich möchte mir selbst helfen können und anderen Menschen helfen. Ich weiß, dass ich es schaffen kann, wenn ich für mich selbst einstehe und nicht aufgebe. Nur so werde ich meine Träume verwirklichen können.«
15. Haben die Interviews das Interesse von Lesern geweckt?
Wir Menschen lieben es, Geschichten zu erzählen. Daher besteht unsere Kultur weitgehend aus Erzählungen. Das gilt für die Literatur, die Kunst, die Wissenschaft, den Film, das Radio und das Fernsehen sowie die sozialen Medien. Auch die Nachrichten bestehen zu einem großen Teil aus Erzählungen – eine neue Episode im packenden Krieg zwischen Russland und der Ukraine; ein neues Kapitel im fesselnden Gerichtsverfahren zwischen Johnny Depp und Amber Heard; Spannungen, insbesondere personelle Spannungen, zwischen den Koalitionsparteien aufgrund unterschiedlicher Präferenzen bei der Steuerentlastung. Ein Blick in das Programm eines beliebigen Fernsehabends oder in die Angebote von Netflix, Disney oder Amazon (die Menschen verbringen den größten Teil ihrer Freizeit vor dem Bildschirm) zeigt, dass die meisten Sendungen in ähnlicher Weise aus Geschichten bestehen: Wer hat den Mord begangen? Bekommen die Protagonisten am Ende einander? Erreicht die Hauptfigur schließlich ihr Ziel, nachdem sie zuvor viele Hindernisse und Rückschläge überwunden hat? Das Ende ist in der Regel bekannt, und die Erzählungen verlaufen in der Regel sehr vorhersehbar. Trotzdem können wir nicht genug von ihnen bekommen. Das Bedürfnis nach Geschichten ist auch psychologisch wesentlich. Fast jeder versucht, aus seinem Leben eine kohärente und logische Geschichte zu machen, eine, in der alle Ereignisse letztlich verständlich sind, in gewisser Weise unvermeidlich waren und einen Sinn ergeben. Ereignisse, die nicht dazu passen, werden vergessen oder umgedeutet, und zwar aus der Perspektive der eigenen, sorgfältig konstruierten Geschichte. Eine Geschichte bietet einen Interpretationsrahmen, Harmonie, Einheit, inneren Ruhe und eine implizite Rechtfertigung: In Anbetracht all dessen, was vorher geschah, konnte die Geschichte nicht wirklich anders verlaufen. Angesichts der Vorliebe der Menschen für das Erzählen von Geschichten könnte man erwarten, dass die Interviews mit Flüchtlingen, die wir auf unserer Website veröffentlicht haben (sowohl auf Deutsch und Englisch als auch regelmäßig auf Französisch oder Farsi), auf eine sehr große Leserschaft zählen können. Ihre Geschichten über ihr bisheriges Leben, die Flucht und die lange Reise nach Deutschland, ihre Erfahrungen in diesem Land, ihre Kämpfe, sich ein neues Leben aufzu-
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bauen, sind aus dem Leben gegriffen, regelmäßig spannend und nicht ohne Dramatik. Sie lehren uns auch viel über die conditio humana: Was verstehen Menschen unter einem guten Leben, was sind sie bereit zu tun, um es zu erreichen, welche Rückschläge gibt es im Leben? Obwohl das Interesse an den Interviews noch immer zunimmt, war es bisher etwas enttäuschend. Ein einziges Interview hatte mehr als 500 Leser, aber die durchschnittliche Zahl der Personen, die ein Interview auf unserer Website weltweit geöffnet haben, übersteigt nicht etwa 200. Die meisten dieser Leser, so sagt uns die Besucherstatistik, kamen auch nicht aus Deutschland und schon gar nicht aus Brandenburg oder Teltow-Fläming. Bevor die Menschen eine Geschichte lesen können, müssen sie natürlich von ihrer Existenz erfahren. Zu diesem Zweck wurden die Interviews zunächst (organisch und durch bezahlte Werbung) auf Facebook bekannt gemacht. Dies geschah auf unserer eigenen Seite mit mehr als 1200 Followern sowie auf den Seiten verschiedener Organisationen, die sich für die Integration einsetzen.1 Wir nutzten auch Twitter (Social Science Works hat 1800 Follower) und Instagram (250 Follower). Die größte Regionalzeitung in Brandenburg, die Märkische Allgemeine Zeitung, berichtete außerdem in zwei Artikeln ausführlich über die Interviews auf unserer Website. Darüber hinaus wurden deutsche Bürger, betroffene Beamte, Sozialarbeiter, Ehrenamtliche und Flüchtlinge persönlich, per E-Mail, in Workshops und Vorträgen auf die Interviews aufmerksam gemacht. Schließlich hat unsere Website durchschnittlich etwa 500 Besucher pro Woche. Diese sind meist auf der Suche nach anderen Informationen, werden aber an verschiedenen Stellen auf der Website auf die Interviews aufmerksam gemacht. Trotz all dieser Versuche, Leser zu erreichen, haben wir also festgestellt, dass das Interesse an den Geschichten von Flüchtlingen nicht außerordentlich groß ist. Selbst diejenigen, die sich beruflich dafür interessieren könnten (oder vielleicht sollten), haben sich selten, wenn überhaupt, die Mühe gemacht, durch die Interviews etwas über die Hintergründe ihrer Klienten zu erfahren. Man denke an die Mitarbeiter von Sozialamt, Ausländerbehörden, Jobcenter, Arbeitsamt und Kreisverwaltung in Teltow-Fläming oder Brandenburg, an die Sozialarbeiter in den Flüchtlingsunterkünften, an die kommunalen Koordinatoren der Integrationsbemühungen oder an die ehrenamtlichen Organisationen. Natürlich gibt es auch wichtige Ausnahmen. Frau Antje Lüdde schrieb als Kommentar zu einem unserer Interviews:
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Es handelt sich um Facebookseiten wie die von Love Without Borders – For Refugees in Need (7500 Follower), Mit Herz für Flüchtlinge (7200), Berlin Refugee Help (4700), Helfen in Ludwigsfelde (159) und Potsdam Refugees Welcome (2300).
15. Haben die Interviews das Interesse von Lesern geweckt?
»Ich arbeite schon ein paar Jahre in der Flüchtlingshilfe mit und versuche, mich um unsere Flüchtlinge zu kümmern. Mit einigen bin ich gut bekannt. Trotzdem fand ich Ihren Beitrag sehr interessant. Es ist schon ein großer Unterschied, ob man zusammen lernt und Kaffee trinkt, oder ob man so ein Interview liest. Da erfährt man doch viel mehr über das ›Innenleben‹ der Leute. Vielen Dank dafür und alles Gute für Ihre Zukunft!« Die Beteiligten hätten die Interviews genau aus dem Grund lesen können, auf den diese Dame hinweist: um einen Eindruck von den Hintergründen der Menschen zu bekommen, denen sie Deutschunterricht erteilen, Leistungen gewähren, Arbeit vermitteln, eine vorübergehende Unterkunft anbieten oder Wohn-, Arbeits- oder Aufenthaltsgenehmigungen erteilen oder nicht erteilen. Vielleicht könnten sie ihre Arbeit erfolgreicher und zumindest mit (noch) mehr Einfühlungsvermögen ausführen, wenn sie die Geschichte, die Probleme, die Beweggründe und die Ziele der Kunden besser kennen würden. Auch der normale Bürger, der in seiner Straße, beim Bäcker oder im Supermarkt plötzlich auf Menschen trifft, die offensichtlich »nicht von hier« sind, könnte motiviert werden, sich über die Hintergründe der Beteiligten zu informieren. Vielleicht nicht aus Empathie oder echtem Interesse, aber zumindest aus Neugierde. Schließlich ist diese Neugier eine der wichtigsten Triebfedern der menschlichen Spezies. Tatsache ist jedoch, dass das Leben der Flüchtlinge die meisten Menschen nahezu gleichgültig lässt. Das scheint auch für viele zu gelten, die beruflich in der Migrations- und Integrationsbranche tätig sind. Wie lässt sich das erklären? Bei den Berufstätigen könnte es in erster Linie mit Selbstschutz zu tun haben. Mehrere Funktionäre sagten uns, dass sie nicht zu viel über ihre Kunden wissen wollen, da dies die Entscheidungsfindung erschwert, vor allem wenn sie hart sein sollte. Sie wollten auch keine Probleme mit nach Hause nehmen. Man könnte annehmen, dass die Lage der Flüchtlinge regelmäßig bedrückend ist. Aus Angst vor der psychischen Belastung, die das mit sich bringen könnte, schirmt man sich daher lieber ab. Dieses Bedürfnis nach Selbstschutz ist verständlich und legitim. Dennoch erscheint es wünschenswert, ein Gleichgewicht zu finden. Das eine Extrem ist der Beamte oder Sozialarbeiter, dem das Schicksal seiner Klienten so sehr am Herzen liegt, dass er, ständig von starken Emotionen überwältigt, seine Arbeit nicht mehr machen kann. Die gleichen Emotionen können es ihm unmöglich machen, Klienten mit ähnlichem Hintergrund gleich zu behandeln, wie es das Gesetz und die Vorschriften verlangen. Das andere Extrem sind die Beamten, die an der WannseeKonferenz teilgenommen haben und denen es schon durch einen entsetzlich an-
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gepassten Sprachgebrauch hervorragend gelungen ist, jede mögliche Empathie mit ihren Opfern zu vermeiden.2 Unterschiedliche Personen, Gruppen und Kulturen befinden sich auf dem oben genannten Spektrum in unterschiedlichen Positionen. Unterschiedliche Organisationsstrukturen und -kulturen ermöglichen ein unterschiedliches Maß an Eigenverantwortung und Empathie: Je bürokratischer und hierarchischer, desto wahrscheinlicher ist es einerseits, dass für alle die gleichen Regeln gelten, und desto leichter wird es andererseits, das Leid anderer an sich abprallen zu lassen: Ich wende nur die Regeln an, ich kann nicht anders. Auch der englische politische Philosoph Norman Geras hat sich in seinem Werk The Contract of Mutual Indifference: Political Philosophy after the Holocaust (1998) mit der Frage der Gleichgültigkeit beschäftigt. Dabei konzentriert er sich auf den Holocaust. Natürlich ist das Schicksal der Juden keineswegs mit dem der Flüchtlinge in Europa oder Amerika vergleichbar. Flüchtlinge werden nicht systematisch verfolgt und getötet. Innerhalb der Europäischen Union gibt es keine staatlich geförderte und umgesetzte Ideologie, die Flüchtlinge als minderwertige Wesen qualifiziert. Der Holocaust ist auch eine der Erklärungen, warum Deutschland Flüchtlinge relativ wohlwollend aufgenommen hat. Das Thema ist jedoch die Gleichgültigkeit, die viele gegenüber dem Schicksal Dritter aufbringen können. Wenn es schon möglich war, gegenüber dem Schicksal der Juden gleichgültig zu sein, wie viel Mitgefühl können dann Flüchtlinge erwarten? Eine schockierende und unerträgliche Tatsache der Massenvernichtung der Juden sei, so Geras, dass so viele nichts wissen wollten und so viele so schnell wie möglich vergessen wollten. Während die Menschen aus ihren Häusern geholt, durch die Straßen geführt, auf Plätzen und Plattformen versammelt wurden, bevor sie abtransportiert wurden, sahen andere Menschen – Nachbarn, Bekannte, Kollegen, Freunde – schweigend und, wie es scheint, gleichgültig zu. Einige, so geht aus den Aussagen von Opfern und Schaulustigen hervor, schlossen eilig die Fensterläden, andere gossen unbeirrt und ungerührt ihre Blumenkästen weiter. Wieder andere beschimpften und bespuckten die Opfer. Und als die wenigen Überlebenden zu-
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Bei diesem Treffen im Februar 1942 wurde der Holocaust bürokratisch organisiert. Der akademische Hintergrund der meisten Teilnehmer mag ihnen geholfen haben, die richtigen Worte zu finden. Von den 15 Teilnehmern hatten acht einen Doktortitel, sechs von ihnen in Rechtswissenschaften. Außerdem scheint Bildung nicht immer soziale Kompetenz, Empathie oder Toleranz zu fördern. Dr. Georg Leibbrandt (1899 -1982) zum Beispiel studierte Theologie, Philosophie, Geschichte und Volkswirtschaft in Tübingen, Marburg, Leipzig und London und unternahm Studienreisen nach Paris, London, Russland und in die USA. Er galt als Spezialist für »Volkstumfragen«. In den 1950er Jahren war er u.a. ein geschätzter Berater von Bundeskanzler Konrad Adenauer. Ein konfrontatives, auf Protokollen basierendes Dokudrama über die Wannsee-Gespräche ist »Die Wannsee-Konferenz«, das 2022 erschienen ist.
15. Haben die Interviews das Interesse von Lesern geweckt?
rückkehrten, wurden sie ignoriert. Dies geschah nicht nur in Deutschland, sondern auch in Polen, Frankreich, Ungarn oder den Niederlanden. Wie lässt sich erklären, dass Menschen anderen in Not nicht oder nur selten zu Hilfe kommen? Geras befürchtet, dass die Antwort in einem Vertrag liegt, den die Menschen stillschweigend miteinander geschlossen haben, einem Vertrag der gegenseitigen Gleichgültigkeit: Wir verschließen die Augen vor dem Elend anderer, entbinden aber auch andere von jeder Verpflichtung, uns zu helfen, wenn wir selbst in eine ähnliche Situation geraten. Wir helfen anderen nicht, selbst wenn sie eingesperrt, gefoltert, aus ihrer Heimat vertrieben, von ihren Angehörigen getrennt werden, selbst wenn sie verhungern, aber wir rechnen auch nicht damit, dass sie uns zu Hilfe kommen, wenn uns dasselbe Schicksal widerfährt. Das ist ein unangenehmer Gedanke. Wer sich jedoch die Schrecken unserer Zeit und die Gleichgültigkeit der Zuschauer vor Augen führt, wird ihn nur schwer verdrängen können. »Der Zustand, der durch diesen Vertrag gegenseitiger Gleichgültigkeit beschrieben wird«, urteilt Geras, »kommt dem tatsächlichen Zustand unserer Welt nahe genug, um die Beziehungen, die im Allgemeinen zwischen den meisten Menschen in ihr herrschen, genau zu beschreiben« (1998: 29). Man könnte entgegnen, dass man als Einzelner wenig gegen die Gräueltaten ausrichten kann, dass sie sich an zu weit entfernten Orten abspielen, dass die betreffenden Ungerechtigkeiten zu sehr ein institutionalisierter Teil eines Ganzen sind, der kaum oder gar nicht von uns beeinflusst werden kann. Geras ist nicht überzeugt: Jeder Einzelne kann kleine Dinge tun, die in der Summe und auf lange Sicht einen großen Unterschied machen können. Individuelle Proteste laden auch zum Protest anderer ein, »während umgekehrt Schweigen, Gleichgültigkeit, Komplizenschaft und dergleichen sich selbst nähren, sie nähren die gleichen Dispositionen in anderen« (1998: 30). Ein weiterer Einwand, auf den Geras eingeht, ist, dass Gleichgültigkeit nicht immer das Ergebnis bewusster und informierter Entscheidungen ist. Die Menschen wissen oft nicht, was anderen passiert oder passiert ist. Wenn man das Elend der anderen nicht kennt, kann man auch nicht für die eigene Passivität verantwortlich gemacht werden. Geras fragt sich jedoch, wie sich die Menschen heute hinter einem Mangel an Informationen verstecken können. Von allen Seiten erreichen uns täglich Beweise für menschliches Leid. Es nicht zu wissen, muss das Ergebnis einer Entscheidung sein, es nicht wissen zu wollen. In ähnlicher Weise wussten viele genug über die Deportationen von Juden, Roma, Sinti, Homosexuellen, Behinderten und anderen, um sich zu entscheiden, nicht weiter danach zu fragen. Man könnte auch einwenden, dass die aktive Hilfeleistung zu viel von der Solidarität der Menschen verlangt. Vielleicht sollten wir uns mit einem liberalen Grundsatz der Nichteinmischung begnügen. Es ist schon viel gewonnen, wenn Menschen sich gegenseitig in Ruhe lassen. Geras hält dies jedoch für einen Widerspruch. Nicht nur positive, sondern auch negative Rechte verlieren durch den Vertrag der gegen-
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seitigen Gleichgültigkeit ihren Sinn. Denn das Recht auf Nichteinmischung, auf einen privaten Bereich, in dem man tun und lassen kann, was in seiner Macht steht, bekommt nur dann einen praktischen Sinn, wenn andere einem zu Hilfe kommen, wenn dieses Recht verletzt wird. Wenn wir anderen nicht beistehen, wenn sie ohne Gerichtsverfahren inhaftiert werden, wenn sie von ihrem Land vertrieben werden oder wenn sie keine eigene Existenz aufbauen können, können wir dann noch erwarten, dass andere uns zu Hilfe kommen, wenn uns dasselbe widerfährt? Wenn wir die Rechte der anderen nicht schützen, haben wir selbst keine Rechte. Wenn wir uns nicht moralisch verpflichtet fühlen, den in Not Geratenen zu helfen, verlieren wir unsere eigenen Rechte, argumentiert Geras (1998: 40). Dennoch sieht Geras einige Lichtblicke. Der Vertrag kann qualifiziert werden. Erstens gibt es unbestreitbar Menschen, die sich für andere aufopfern oder zumindest einen nicht zu vernachlässigenden Teil ihrer Zeit und Energie aufwenden, um das Leid anderer zu lindern. Keineswegs will er die zuweilen heldenhaften Anstrengungen und Opfer dieser Menschen leugnen oder herunterspielen. Im Gegenteil, jeder von ihnen sollte gewürdigt und beispielhaft dargestellt werden. Zweitens sollte nicht von den Lebensumständen der Menschen abstrahiert werden. Einige sind eher in der Lage, anderen zu helfen, als andere, und aus diesem Grund kann es von ihnen mehr erwartet und verlangt werden. Und gesellschaftliche Strukturen und Prozesse können Gleichgültigkeit oder im Gegenteil Wohlwollen fördern. Generell schöpft Geras Hoffnung aus der Tatsache, dass Menschen, die nicht helfen, regelmäßig unter Scham und Reue leiden, selbst wenn sie völlig schuldlos sind. So beschreibt der italienische Schriftsteller Primo Levi in Die Untergegangenen und die Geretteten (1986), wie ihn jedes Mal die Scham überkam, wenn er in Auschwitz mit ansehen musste, wie andere gefoltert und ermordet wurden. Er schämte sich, weil das Verbrechen unwiderruflich in die Realität gemeißelt war und sein Wille sich als machtlos erwies, es zu verhindern. Wer oder was diese Scham hervorruft, ist nicht von primärer Bedeutung. Sie ist da. Auch diejenigen, die während des Krieges anderen zu Hilfe kamen, erklären ihr Verhalten oft mit der einfachen Feststellung: Was hätte ich sonst tun sollen? Ich fühlte mich angesprochen und verantwortlich. Ich hatte also wirklich keine andere Wahl (De Valk 1980). In diesem Sinne schrieb einer der Ehrenamtlichen in Teltow-Fläming einen offenen Brief an die Flüchtlinge, die 2015 in großer Zahl in seinen Wohnort kamen. Er half ihnen beim Sprachunterricht, beim Ausfüllen endloser Formulare von bürokratischen Institutionen, bei der Suche nach Arbeit oder Schule, beim Einkaufen, bei Arztbesuchen und so weiter. In seinem Brief versucht er zu erklären, warum er das alles tut. Er schreibt: »Ich bin kein Christ, kein Sunnit, kein Schiit, kein Jeside oder Alewit, kein Jude oder Buddhist, kein Hindu oder sonstig irgendeiner Religion anhängig. Für mich spielt
15. Haben die Interviews das Interesse von Lesern geweckt?
auch keine Rolle, ob Sie einer der verschiedenen Religionen angehören oder von wem Sie politisch oder wegen Ihrer Glaubensrichtung oder wie auch immer verfolgt werden. Des Weiteren interessieren mich auch nicht Ihre politischen Vorstellungen von der Welt, in der Sie leben möchten. Mir ist nur bewusst, dass Sie sich in einer Notlage befinden. Sei es durch religiöse oder politische Verfolgung, Krieg, Bürgerkrieg oder wirtschaftlicher Perspektivlosigkeit in Ihrem Herkunftsbeziehungsweise Heimatland. Sie waren oder fühlten sich so bedroht, dass Sie aus Ihren Ländern flüchteten. Nur aus diesem Grunde helfe ich Ihnen.«3
3
Das Schreiben war auf den 6. Juni 2016 datiert und wurde von der Person an Flüchtlinge in seinem Wohnsitz verteilt.
307
1. Daten zu den Flüchtlingen in den Wohnheimen in Teltow-Fläming
Aus Gründen, die im letzten Abschnitt näher erläutert werden, ist nur wenig über Flüchtlinge bekannt, die in Übergangsheimen leben. Die meisten Daten über die Herkunft der Menschen werden erst erhoben, nachdem sie eine Aufenthaltsgenehmigung und Zugang zum Arbeitsmarkt erhalten haben. Solange dies nicht der Fall ist, müssen die Menschen nicht integriert werden und ist ihr persönlicher Hintergrund irrelevant. Wie wir gesehen haben, kann sich diese Situation jedoch über Jahre hinziehen, Jahre, in denen es keine oder nur wenige Aktivitäten gibt, die eine eventuelle Integration fördern und zumindest verhindern könnten, dass die Menschen in Apathie und Lethargie versinken. Darüber hinaus verhindern Gesetze und Vorschriften zum Datenschutz, dass Daten zwischen Akteuren ausgetauscht und an Dritte, zum Beispiel wissenschaftliche Forscher, weitergegeben werden. Dies gilt nicht nur für Flüchtlinge. Die medizinischen Daten von Patienten dürfen beispielsweise auch in Deutschland nicht weitergegeben werden, so dass die medizinisch-wissenschaftliche Forschung, die offensichtlich von großen Datenbanken profitiert, hierzulande stark behindert wird (Specht-Riemenschneider und Radbruch 2021). Darüber hinaus können Mediziner bei Notfalleinsätzen (zum Beispiel nach Verkehrsunfällen) nicht auf Daten zugreifen, die regelmäßig Leben retten könnten.1 Da also keine Behörde uns die Hintergründe und Merkmale der Bewohner von Flüchtlingsheimen mitteilen konnte oder durfte, haben wir versucht, selbst quan1
Minister Karl Lauterbach kündigte im März 2023 an, dies zu ändern und ab 2024 digitale Patientenakten für alle einzuführen, die nicht ausdrücklich dagegen Einspruch erheben. Diese Dokumente sollen auch für die wissenschaftliche Forschung zur Verfügung stehen. Das Ärzteblatt (3. März 2023) zitiert Lauterbach: »Wir haben schon jetzt eine Menge Daten, die aber in getrennten Silos liegen und nicht miteinander verknüpft werden können. Der Grundgedanke ist, dass diese Daten in pseudonymisierter Form für Forschungszwecke kombiniert werden können. Ohne eine solche Möglichkeit werde Deutschland in der pharmazeutischen Forschung bald keine Rolle mehr spielen.« Ziel sei, »dass unser Gesundheitssystem endlich im 21. Jahrhundert ankommt«. Es ist zu hoffen, dass ähnliche Schritte auch im Bereich der Integration in Deutschland unternommen werden.
312
Hans Blokland: Migrationspolitik auf der Flucht
titative Daten zu erheben. Zu diesem Zweck haben wir ein Excel-Formular mit relevanten Kategorien erstellt und die Sozialarbeiter und Heimleiter in den Flüchtlingsunterkünften gebeten, es für uns auszufüllen. Bei sehr vielen Fragen konnten sie sich nur auf Daten stützen, die ihnen von ihren Bewohnern in persönlichen Gesprächen erzählt worden waren und an die sie sich noch erinnern konnten. Über eigene, einigermaßen aussagekräftige Datenbanken verfügten sie nur selten. In einigen Fällen waren die Bewohner der Unterkunft, in der sie arbeiteten, so gut wie nicht bekannt, da der Arbeitgeber die betreffende Unterkunft erst vor kurzem im Rahmen einer Ausschreibung der Kreisverwaltung erworben hatte. Auf diese alle zwei Jahre stattfindenden Ausschreibungen werden wir in dem Abschnitt über politische Erwägungen zurückkommen, aber schon jetzt kann festgehalten werden, dass sie die Gewinnung von Kenntnissen über die Bewohner sowie die Motivation, dies zu tun, erheblich beeinträchtigen. Nicht alle Sozialarbeiter waren sofort bereit, die Fragen zu ihren Bewohnern zu beantworten, und manchmal hatten sie auch Angst, dass die Daten missbraucht werden könnten, zum Beispiel von populistischen politischen Gruppen oder von den Behörden. Letztendlich haben aber alle mitgemacht. Die Menschen waren sich darüber im Klaren, dass Probleme nur gelöst werden können, wenn sie zuvor offengelegt werden. Nur eine Sozialarbeiterin gab keine Daten an, was jedoch nicht auf inhaltlichen Erwägungen beruhte. In drei der elf Fälle haben wir die Excels zusammen mit den Sozialarbeitern ausgefüllt. In einem Fall, in einem Zentrum mit 250 Bewohnern, verbrachten wir zu siebt (drei Mitarbeiter von Social Science Works und vier Sozialarbeiter) mehr als einen Tag damit. Dieser intensive Austausch war jedoch nicht nur angenehm, sondern auch sehr informativ. Wie schon bemerkt, grundsätzlich ist es nicht Aufgabe der Sozialarbeiter, Daten über ihre Bewohner zu sammeln. Es ist auch nicht ihre Aufgabe, die Menschen, die in ihren Unterkünften leben, in die Gesellschaft zu integrieren, eine Aufgabe, die zur Datenerhebung motivieren könnte. Nach den geltenden Vorschriften dürfen viele Bewohner sogar nicht integriert werden, weil sie entweder ausreisepflichtig sind oder auf die endgültige Entscheidung über ihren Asylantrag warten. Bei einem negativen Bescheid würde eine erfolgreiche Integration die Abschiebung erschweren. Tatsache ist jedoch, dass die Menschen auch nach einem negativen Bescheid nur selten zur Ausreise gezwungen werden. Weil sie nicht integriert werden, entsteht für alle Beteiligten ein Vakuum, eine Subkultur der Trägheit und Gleichgültigkeit, wenn man so will.
1. Daten zu den Flüchtlingen in den Wohnheimen in Teltow-Fläming
1.1
Geschlechter, Kinder und Erwachsene
In den Monaten Februar bis April 2022 konnten wir insgesamt 772 Personen in den Flüchtlingsheimen in Teltow-Fläming registrieren. Von den Erwachsenen waren 393 (76 %) männlich und 124 (24 %) weiblich. Außerdem gab es 255 Kinder.
1.2
Herkunftsländer
In den Zentren waren mindestens 40 verschiedene Nationalitäten repräsentiert. Die mit Abstand meisten Bewohner kamen aus Afghanistan (20 %). Es folgen die Russische Föderation (vor allem Tschetschenien – 14 %), Kamerun (11 %), Iran (9 %) und Syrien (8 %). Die nachstehende Tabelle gibt einen vollständigen Überblick.
Land
Anzahl
Prozentsatz
Afghanistan
101
19.54 %
RusFöd
70
13.54 %
Kamerun
57
11.03 %
Iran
46
8.90 %
Syrien
42
8.12 %
Pakistan
32
6.19 %
Somalia
27
5.22 %
Kenia
19
3.68 %
ungeklärt
18
3.48 %
Vietnam
16
3.09 %
Irak
15
2.90 %
Türkei
13
2.51 %
Nigeria
10
1.93 %
Tschad
7
1.35 %
Eritrea
5
0.97 %
Libyen
4
0.77 %
Jemen
3
0.58 %
Algerien
3
0.58 %
313
314
Hans Blokland: Migrationspolitik auf der Flucht
Libanon
3
0.58 %
Guinea
3
0.58 %
Afrika (unbekannt)
3
0.58 %
Verschiedene (unbekannt)
18
3.48 %
Georgien
2
0.39 %
Indien
2
0.39 %
Deutschland
1
0.19 %
Gambia
1
0.19 %
Ghana
1
0.19 %
Jordanien
1
0.19 %
Marokko
1
0.19 %
Mazedonien
1
0.19 %
Sierra-Leone
1
0.19 %
Uganda
1
0.19 %
Armenien
1
0.19 %
Serbien
1
0.19 %
Eritrea/Äthiopien
1
0.19 %
Bangladesh
1
0.19 %
Benin
1
0.19 %
Ukraine
1
0.19 %
Somalia/Eritrea
1
0.19 %
1.3 Alter Die überwiegende Mehrheit der erwachsenen Bewohnern von Flüchtlingsunterkünften in Teltow-Fläming (85%) ist jünger als 45 Jahre. In der Altersgruppe der 30bis 45-Jährigen gibt es die meisten Erwachsenen (47%). 38 % sind zwischen 18 und 30 Jahre alt. Der älteste Bewohner war 72 Jahre. Das Alter der Menschen aus den verschiedenen Herkunftsländern ist leicht unterschiedlich. Die Leute aus Tschetschenien und Iran sind manchmal ein bisschen älter, und die Menschen aus Afghanistan, Kamerun und Syrien relativ jung. So waren beispielsweise von den Personen aus dem Iran 27 % älter als 45 Jahre und aus der
1. Daten zu den Flüchtlingen in den Wohnheimen in Teltow-Fläming
Russischen Föderation 19 %. Bei Menschen aus Afghanistan war dies nur in 4 % der Fälle der Fall und bei denen aus Kamerun in 7 %.2
1.4 Familienstand Auch hinsichtlich der familiären Situation lassen sich Unterschiede feststellen. Personen aus Tschetschenien (63 %) sind in deutlich höherem Maße verheiratet als Personen aus Syrien (31 %), Afghanistan (22 %), Iran (12 %), Pakistan (17 %) oder Kamerun (7 %). Dementsprechend sind es Menschen aus Afghanistan (78 %), Pakistan (78 %) und Kamerun (77 %), die überwiegend allein reisen. Aber auch die weitaus meisten Menschen aus Syrien (71 %) und dem Iran (65 %) sind ohne Familie in den Flüchtlingsheimen. Dies trägt natürlich erheblich zur erlebten Einsamkeit bei.
1.5
Asylstatus
Etwa die Hälfte aller in den Unterkünften lebenden Erwachsenen wartete auf eine Entscheidung in ihrem Asylverfahren (48 %). Etwa 20 % hatten bereits einen Titel und konnten daher im Prinzip die Heime verlassen, ebenso wie einige mit Duldungsstatus (27 %). Den Sozialarbeitern war der Status von etwa 7 % der Bewohner nicht bekannt. Große Unterschiede zwischen den Herkunftsländern waren jedoch zu beobachten. Von denjenigen, die auf eine Entscheidung in ihrem Asylverfahren warteten, kamen die meisten aus dem Iran (72 %) und der Russischen Föderation (54 %). Überdurchschnittlich viele Flüchtlinge aus Afghanistan (38 %) und aus Kamerun (33 %) hatten den Duldungsstatus. Fast 40 % der Afghanen hatten bereits einen Titel und konnten daher die Unterkünfte sofort verlassen. Unklar ist warum sich viele Menschen aus diesem Land (45 %) im Frühjahr 2022 noch im Verfahren befanden: Im Sommer zuvor hatten die Taliban die Macht übernommen. Das Asylsystem hätte erheblich entlastet werden können, wenn allen Afghanen der Flüchtlingsstatus zuerkannt worden wäre, da es schwierig geworden war, ihr Herkunftsland als sicher zu bezeichnen. Dasselbe scheint auch für Menschen aus Tschetschenien zu gelten. Seit dem Einmarsch Russlands in die Ukraine im Februar 2022 muss es einfacher sein, anzuerkennen, dass Putin und Kadyrow, den er an der Macht hält, Diktatoren sind und dass Tschetschenien kein sicheres Herkunftsland ist.
2
Auf der Website von Social Science Works finden Sie die Grafiken, die diese und die in den folgenden Abschnitten vorgestellten Daten begleiten.
315
316
Hans Blokland: Migrationspolitik auf der Flucht
1.6
Aufenthaltsdauer
Viele Flüchtlinge sind schon lange in den Unterkünften, wobei auch hier Unterschiede zwischen den Herkunftsländern zu beobachten sind. Mehr als 30 % aller Menschen aus der Russischen Föderation sind seit mehr als fünf Jahren in den Heimen untergebracht. Bei Menschen aus Pakistan liegt der Anteil sogar bei 40 %. Die vielen Kinder der erstgenannten Gruppe, die überwiegend aus Tschechen besteht, kennen meist nur das Leben in Flüchtlingsunterkünften. Mehr als die Hälfte der Menschen aus Tschetschenien, Pakistan, Iran, Afganistan und Somalia lebt seit mehr als drei Jahren in Brandenburger Flüchtlingsunterkünften. Bei den Menschen aus Syrien sind es etwa 20 % und bei denen aus dem Irak 12 %. Auffallend ist, dass die meisten Menschen aus Kamerun nur relativ kurze Zeit in Heime wohnen. Dank einer starken Gemeinschaft von Landsleuten finden die Betroffenen relativ schnell anderswo in Deutschland eine Unterkunft. Bevor die Menschen nach Deutschland kamen, lebten sie regelmäßig zunächst in einem anderen europäischen Land. 22 % der Bewohner aus Pakistan hatte nach Angaben der von uns befragten Sozialarbeiter zuvor in anderen europäischen Ländern einen Wohnsitz. Das Gleiche gilt für einen Teil der Menschen aus dem Irak (22 %), Afghanistan (17 %), Kamerun (11 %), der Russischen Föderation (11 %) und Somalia (6 %).
1.7
Deutschkenntnisse der Bewohner
Wir haben die Sozialarbeiter gebeten, zu beurteilen, wie gut ihre Bewohner Deutsch und Englisch sprechen. Ein Drittel der Bewohner beherrschte die deutsche Sprache überhaupt nicht, ebenso viele hatten das Niveau A erreicht. 23 % hatten nach Angaben der Sozialarbeiter das Niveau B und 8 % das Niveau C. Es besteht also ein großer Bedarf an Deutschunterricht. Wie wir gesehen haben, gaben auch fast alle von uns befragten Personen an, dass sie sehr gerne an solchen Kursen teilnehmen würden. Soweit wir wissen, nahmen jedoch nur 26 Personen an einem Deutschkurs teil. Auch hier gibt es relevante Unterschiede zwischen den Nationalitäten. Personen aus Tschetschenien sprachen am meisten Deutsch auf dem Niveau C (13,4 %), aber es gab auch eine relativ große Anzahl von Personen, die überhaupt kein Deutsch beherrschsten (29,9 %). Die in den Unterkünften verbliebenen Personen aus Syrien sprachen ebenfalls nur wenig Deutsch (40 % auf Niveau 0 und 35 % auf Niveau A, nach Einschätzung der Sozialarbeiter). Bewohner aus Pakistan (39 %) und dem Iran (33 %) hatten vergleichsweise häufiger die Stufe B erreicht. Schließlich fragten wir nach der Englischkenntnisse. Die Beherrschung dieser Sprache erleichtert das Erlernen der deutschen Sprache, die Kommunikation mit der Außenwelt und könnte auch die eigene Position auf dem Arbeitsmarkt verbes-
1. Daten zu den Flüchtlingen in den Wohnheimen in Teltow-Fläming
sern. Vor allem Menschen aus afrikanischen Ländern wie Kamerun und Kenia sprechen zu Hause häufig Englisch. Auch in Berlin gibt es eine große Zahl von Expats, die nur Englisch beherrschen und trotzdem gut zurechtkommen. Tatsächlich schienen mindestens 10 % der Bewohner das Niveau C und 14 % das Niveau B erreicht zu haben, eine Fähigkeit, die im Integrationsprozess genutzt werden könnte. In etwa einem Drittel der Fälle waren die Sozialarbeiter nicht in der Lage, die Frage zu beantworten.
1.8 Kinder Im Frühjahr 2022 befanden sich insgesamt 255 Kinder in den Heimen. Nicht alle Bewohner waren mit ihren Familien oder Kindern nach Deutschland gekommen oder lebten mit ihren Kindern in einer Unterkunft. Insgesamt wurden 344 Kinder gemeldet. Vor allem Wirtschaftsflüchtlinge haben oft noch Familien im Herkunftsland, für die sie finanziell verantwortlich sind. 47 % der Kinder waren zwischen 0 und 6 Jahren alt, 27 % zwischen 7 und 12 Jahren und 26 % zwischen 13 und 18 Jahren. Insgesamt waren 93 Kinder weder in einer Kindertagesstätte noch in einer Schule. Im letzteren Fall handelte es sich um Kinder im Alter von 16 und 17 Jahren. Die Unterschiede zwischen den einzelnen Gemeinden waren groß. In Niedergörsdorf waren alle Kinder in der Schule oder in der Kita. In Am Mellensee (57 %), Trebbin (45 %) und in Blankenfelde-Mahlow (30 %) hingegen waren große Anteile der Kinder auch tagsüber im Flüchtlingsheim. Hierfür gibt es mehrere Erklärungen. Eine ist die Verantwortung, die die Kommunen für die Flüchtlingsunterkünfte in ihrer Gemeinde empfinden. In Blankenfelde-Mahlow ist dies im Gegensatz zu Rangsdorf und Niedergörsdorf kaum der Fall, wie auch ein Interview mit dem dortigen Bürgermeister ergab. Auch die Überzeugungskraft der Sozialarbeiter ist wichtig. Sie müssen zunächst die Kommunen und Kita-Träger davon überzeugen, dass auch Flüchtlingskinder einen Anspruch auf einen Kita-Platz haben und diesen dringend benötigen. Für einige Gruppen von Einwohnern ist es darüber hinaus weniger selbstverständlich, dass ihre Kinder in eine Kindertagesstätte gehen sollten als für andere. Aufgabe der Sozialarbeiter ist es dann, deutlich zu machen, dass der Nicht-Besuch der Kita in der Regel bedeutet, dass die betroffenen Kinder kein Deutsch lernen und sich nicht an einen Schulalltag gewöhnen und dass der Rückstand, den sie dadurch gegenüber anderen Kindern aufbauen, später höchstwahrscheinlich nicht mehr aufgeholt werden kann.
317
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Hans Blokland: Migrationspolitik auf der Flucht
1.9
Arbeit und Schulung
Von den 393 Männern waren 115 (29 %) erwerbstätig oder in Ausbildung. Das Gleiche galt für 13 von 124 Frauen (10,4 %). Von allen Erwachsenen waren 53 % arbeitslos, 4 % befanden sich in einer Berufsausbildung und 20 % waren vollzeitbeschäftigt. Bei etwa einem Fünftel war den Sozialarbeitern die Beschäftigungssituation nicht bekannt. Soweit wir wissen, absolvierten insgesamt drei Personen ein Praktikum, belegten 26 Menschen einen Deutschkurs und waren drei Menschen ehrenamtlich tätig. Der Abstand zwischen der Nachfrage des deutschen Arbeitsmarktes und dem Angebot an Kenntnissen und Fähigkeiten der Flüchtlinge ist in der Regel sehr groß. Die Anpassung von Angebot und Nachfrage im Rahmen der geltenden Arbeitsmarktvorschriften dauert in der Regel viele Jahre. Für viele ist es eine fast unlösbare Aufgabe, diese Lücke zu schließen. Auch hier gibt es Unterschiede zwischen den verschiedenen Nationalitäten. Die meisten Arbeitslosen kommen aus der Russischen Föderation (62 % dieser Gruppe ist arbeitslos) und Somalia (56 %), und die meisten Beschäftigten aus Pakistan (34 %), Somalia (29 %), Afghanistan (27 %) und Kamerun (25 %). Relativ häufig nahmen Personen aus dem Iran (9 %), der Russischen Föderation (7 %) und Afghanistan (5 %) an einer Ausbildung teil. Soweit den Sozialarbeitern bekannt war, nahm niemand aus Pakistan, Somalia oder Kamerun an einer Berufsausbildung teil. Es gibt mehrere Variablen, die diese Unterschiede erklären. Die wichtigste ist höchstwahrscheinlich der Asylstatus: Dürfen die Menschen überhaupt arbeiten? Insbesondere Menschen aus Tschetschenien und dem Iran, die sich, wie wir gesehen haben, immer noch in der größten Zahl im Asylverfahren befinden, scheinen in die Arbeitslosigkeit gedrängt zu werden. Da viele Menschen keine Arbeitserlaubnis haben, scheint es auch irrelevant zu sein, welchen Bildungs- und Berufshintergrund die betreffenden Personen haben. Daher ist darüber kaum etwas bekannt. Auf die Frage, wie lange ihre Bewohner die Schule besucht haben, konnten die Sozialarbeiter und Heimleiter in 82,6 % der Fälle keine Antwort geben. Ferner zeigt sich, dass nach Schätzungen der Betreuer etwa 1 % noch nie eine Schule besucht hatte, und dass fast 4 % ein bis sechs Jahre und 10 % sieben bis elf Jahre in der Schule waren. 2,5 % waren zwölf Jahre lang zur Schule gegangen. Wenn man dies auf die Gesamtzahl umrechnet, können alle diese Prozentsätze mit einem Faktor von etwa fünf multipliziert werden. Die gleiche Unsicherheit galt für die Frage, ob die Personen in ihrem Herkunftsland einen Arbeitsplatz hatten. In 84,14 % der Fälle hatten die Sozialarbeiter und Heimleiter keine Ahnung. Nur in 9,09 % der Fälle konnten sie diese Frage bejahen, und in 6,77 % der Fälle verneinten sie sie.
1. Daten zu den Flüchtlingen in den Wohnheimen in Teltow-Fläming
Auch die Frage, ob die Personen über Berufserfahrung verfügen, konnte in 90,91 % der Fälle nicht beantwortet werden. In 4 % der Fälle war man sich sicher, dass dies nicht der Fall war. 1,7 % der Bewohner hatten zwischen ein und fünf Jahren Berufserfahrung, 1 % zwischen ein und zehn Jahren, 2,3 % mehr als zehn Jahre. Wenn die 91 % der Personen mit unbekanntem Hintergrund mit den 9 %, deren Hintergrund bekannt ist, vergleichbar sind, könnte man diese Prozentsätze etwa mit dem Faktor zehn multiplizieren. Die Frage, ob die Personen in ihrem Heimatland oder in Deutschland eine Berufsausbildung erhalten haben, die in Deutschland anerkannt wird, konnte etwas genauer beantwortet werden. In 62 % der Fälle wussten die Sozialarbeiter nichts davon. Für 35 % der Bewohner war diese Frage jedoch zu verneinen und für 3 % zu bejahen. Wenn die 62 % der Personen mit unbekanntem Hintergrund mit den 38 %, deren Hintergrund bekannt ist, vergleichbar sind, könnte man diese Prozentsätze mit dem Faktor drei multiplizieren. Dies würde bedeuten, dass nur etwa ein Zehntel der Bewohner eine in Deutschland anerkannte Berufsausbildung erhalten hat. Derzeit befinden sich insgesamt 19 Personen (3,68 %) aller Erwachsenen in Ausbildung. Daher wird der Prozentsatz der Menschen mit Berufsausbildung in naher Zukunft nicht schnell steigen.
319
2. Themen in den Interviews mit Heimleitern und Sozialarbeitern
Wir haben mit insgesamt zwölf Heimleitern und Sozialarbeitern eingehende Gespräche geführt. Mit einigen von ihnen haben wir mehrmals gesprochen. Die Erkenntnisse, Erfahrungen und wahrgenommenen Probleme überschnitten sich weitgehend. Aufgrund der Corona-Maßnahmen waren sich die Beteiligten seit Jahren nicht mehr begegnet, so dass die Beobachtungen kaum voneinander beeinflusst wurden. Es wurden verschiedene Probleme auf unterschiedlichen Ebenen genannt.
2.1
Überlastung und Gleichgültigkeit
Fast alle beklagten sich über Überlastung. Viele stellten fest, dass sie und ihre Kollegen ausgebrannt waren, und einige dachten ans Aufhören. Man hatte zu wenig »Erfolgserlebnisse«, um motiviert zu bleiben. Resignation und Gleichgültigkeit auf allen Ebenen waren Strategien zum Überleben. Man fühlte sich im Stich gelassen. Man bedauerte, dass es keine Möglichkeiten gab, sich mit anderen auszutauschen. Man hatte das Gefühl, dass jeder für seine eigene Sache kämpfen musste und dass von Zusammenarbeit keine Rede sein konnte. Fast alle waren der Überzeugung, dass das System völlig ins Stocken geraten ist und die Situation ohne strukturelle Änderungen (in Bezug auf das Asylrecht, das Arbeitsrecht, die bürokratischen Strukturen, die personelle Ausstattung) ziemlich hoffnungslos ist. Die Asylpolitik hat sich nicht an die Zeit angepasst, und die Integrationsarbeit ist längst eingestellt worden. Es gibt keinen klaren Plan und keine kohärente Migrations- und Integrationspolitik, man kümmert sich nur um den Laden. Gleichgültigkeit ist für viele Betroffene zu einem notwendigen Selbstschutzmechanismus geworden. Dementsprechend waren sich fast alle einig, dass auch die Institutionen, mit denen sie zusammenarbeiten – Ausländerbehörden, Sozialamt, Jobcenter, Arbeitsagentur – völlig überfordert sind. Es wurde berichtet, dass diese Dienste »kaputtgespart« wurden, strukturell unterbesetzt sind, nicht (mehr) über das notwendige
322
Hans Blokland: Migrationspolitik auf der Flucht
Fachwissen verfügen, in der Bürokratie feststecken und regelmäßig keine Ahnung von der Realität in den Flüchtlingsunterkünften und der Lebenswelt der Flüchtlinge zu haben scheinen. Menschen verlieren ihren Arbeitsplatz oder können aufgrund bürokratischer Hindernisse nicht selbständig wohnen. Auf Anfragen nach Dokumenten wird nicht reagiert, oder es werden Dokumente angefordert, die nicht existieren. Das Unverständnis, das bei den Flüchtlingen regelmäßig über Entscheidungen oder deren Fehlen aufkommt, muss dann von den Sozialarbeitern aufgefangen werden, was zu einer weiteren Belastung beiträgt.
2.2 Unverständnis Vielen Sozialarbeitern selbst fiel es oft schwer, die Entscheidungen zu verstehen, die über Flüchtlinge getroffen werden (ob sie einen Asylstatus erhalten, arbeiten dürfen, einen Deutschkurs besuchen dürfen, eine eigene Wohnung finden dürfen). Ihrer Meinung nach hängen die Entscheidungen oft vom Zufall und von den persönlichen Vorlieben oder Interpretationen der beteiligten Beamten ab. Auch aus Selbstschutz, sagen sie, haben sie aufgehört zu versuchen, die Entscheidungen zu ergründen, geschweige denn zu rechtfertigen. Wie wir sahen, stehen Flüchtlinge manchmal in Kontakt zueinander und vergleichen die Entscheidungen, die in ihren Angelegenheiten getroffen werden, mit denen von Schicksalsgenossen, die scheinbar einen ähnlichen Hintergrund haben. Auch sie nehmen oft Widersprüche und Ungerechtigkeiten wahr und erwarten von den Sozialarbeitern, dass sie diese erklären. Viele Flüchtlinge, mit denen wir gesprochen haben, haben den Eindruck, an einer Art Glücksspiel teilzunehmen.
2.3 Vakuum Die Heimleiter und Sozialarbeiter haben nicht die Aufgabe, die Menschen in die Gesellschaft zu integrieren. Es steht auch nicht in ihrem Arbeitsvertrag. Dies ist ein weiterer Grund, warum nur selten Daten über die Bewohner erhoben werden. Es ist irrelevant, wie viele Jahre die Menschen zur Schule gegangen sind, welche Sprachen sie sprechen, ob sie einen Beruf ausüben können, welche Fähigkeiten, Kenntnisse und Ambitionen sie haben. Viele Bewohner sollten nicht integriert werden, weil sie keinen Titel haben und im Prinzip immer noch abgeschoben werden können. Eine erfolgreiche Integration könnte die Abschiebung erschweren. Dies hätte eine gewisse Logik, wenn die Asylverfahren innerhalb einer angemessenen Frist abgeschlossen würden und die Menschen nach einem erfolglosen Verfahren tatsächlich abgeschoben würden. In der Praxis dauern die Asylverfahren jedoch viele Jahre, und ist kaum jemand gezwungen, das Land zu verlassen, auch
2. Themen in den Interviews mit Heimleitern und Sozialarbeitern
nicht, wenn er einen negativen Bescheid erhält. So entsteht ein endloses Vakuum, in dem Menschen verhindert werden, sich zu integrieren, zu studieren und zu arbeiten, und in dem ein Großteil des Humankapitals vernichtet wird.
2.4 Geistige Gesundheit Nach Ansicht der Sozialarbeiter besteht ein großer, weitgehend ungedeckter Bedarf an Therapeuten, Psychologen und Psychiatern. Diese Notwendigkeit ergibt sich aus dem Flüchtlingshintergrund der Betroffenen und oft auch aus der Hoffnungslosigkeit, dem Stress und der Leere des Lebens in den Unterkünften. In jedem Heim gibt es durchschnittlich fünf bis sieben Menschen mit psychischen oder psychiatrischen Störungen, die in Kliniken eingewiesen oder auf andere Weise behandelt werden sollten. Ihre Anwesenheit stellt regelmäßig eine große Belastung für die anderen Bewohner (insbesondere die Kinder) dar und wirkt sich stark negativ auf das allgemeine Wohnumfeld aus. Oft werden diese Menschen ständig in andere Heime verlegt. Einige haben in fünf oder mehr Heimen gelebt. Damit ist das Problem natürlich nicht gelöst. Im Allgemeinen lebt in jedem Heim eine Minderheit von Menschen, die nach Einschätzung der Sozialarbeiter wahrscheinlich nie in der Lage sein werden, sich in die Gesellschaft zu integrieren oder ihr Leben selbst in die Hand zu nehmen. Sie sprechen oft die Sprache nicht, haben nur eine sehr geringe Bildung, keinen Beruf, sind arbeitslos, haben mit psychischen Problemen zu kämpfen und leben manchmal schon sehr lange in einem Vakuum der Isolation und Trägheit. Betreutes Wohnen scheint oft die einzige praktikable Lösung für die Betroffenen zu sein, auch auf lange Sicht. Die Wahrscheinlichkeit, dass sie auf der Straße landen, ist groß.
2.5 Arbeit Ein nicht unerheblicher Teil der Flüchtlinge, so der Eindruck der Sozialarbeiter, hat das unmittelbare Ziel, Geld zu verdienen, um es dann nach Hause zu schicken. Die Integration in die deutsche Gesellschaft ist für diese Gruppe kein vorrangiges Ziel. Sie wollen selten viel Zeit in das Erlernen der deutschen Sprache oder in eine Berufsausbildung investieren. Wenn sie nicht legal arbeiten dürfen, tun sie dies oft illegal. In Anbetracht der finanziellen Verpflichtungen, die sie gegenüber den Zurückgebliebenen haben, sehen sie keine andere Lösung. Diese illegale Beschäftigung in der Logistik, im Gastgewerbe oder auf dem Bau trägt übrigens auch zum deutschen Wohlstand bei. In jedem Heim wohnen schätzungsweise 10 % der Bewohner nicht wirklich dort. Sie kommen nur vorbei, um die Post abzuholen. Die Betroffenen sind in der Regel
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324
Hans Blokland: Migrationspolitik auf der Flucht
gezwungen, in Teltow-Fläming oder Brandenburg zu bleiben, haben aber bereits anderswo bei Freunden, Verwandten oder Bekannten Obdach gefunden. Neben einer Gruppe, die noch einige Aktivitäten entwickelt, gibt es eine viel größere Gruppe, die die Regeln akzeptiert und langsam in Trägheit und Apathie versinkt. Bequemlichkeit kann auf diese Weise entstehen: Man hat sich in seinem Heim eingelebt und unternimmt keine weiteren Anstrengungen. Oft entstehen psychische Probleme, die die Betroffenen dann gelegentlich mit Alkohol und anderen Substanzen zu unterdrücken versuchen. Dafür wird Geld benötigt, das im schlimmsten Fall durch Kleinkriminalität erwirtschaftet wird.
2.6 Corona Während der Corona-Pandemie ist die Integrationsarbeit für die Anspruchsberechtigten fast vollständig zum Erliegen gekommen. Alle Sozialarbeiter bezeichneten diese Jahre als verloren. Die Dienste waren nicht mehr zugänglich, das Personal fiel massenhaft aus, Entscheidungen wurden nicht mehr getroffen, Deutschunterricht wurde nicht mehr angeboten, die Freiwilligen (die selbst regelmäßig zu den gefährdeten Gruppen gehören) zogen sich vollständig zurück und hatten keinen Zugang mehr zu den Unterkünften. Corona war für die Flüchtlinge eine noch größere Belastung als für viele andere, da ihre Unterkünfte, in denen Küchen, Toiletten und Badezimmer in der Regel gemeinsam genutzt werden, die gewünschte Hygiene und auch die Isolierung fast unmöglich machten. Ein viel höherer Prozentsatz der Flüchtlinge als der der deutschen Bevölkerung blieb ebenfalls ungeimpft. Angst, Misstrauen, Desinformation, Unwissenheit und mangelndes Engagement der Behörden erklären dies. Auch die Impfrate schwankte von Heim zu Heim sehr stark (nach Angaben der Heimleiter zwischen 20 und 80 %). Offenbar waren einige Heime, Träger und Gemeinden erfolgreicher als andere, um die Bewohner zum Impfen zu bewegen.
2.7 Bürokratie und Kuriose Briefe Ein großes Problem, das von vielen genannt wurde, ist, dass die Flüchtlinge ständig mit amtlichen Schreiben bombardiert werden, die selbst für normale deutsche Bürger schwer zu verstehen sind. Die Sozialarbeiter verbringen viel zu viel Zeit damit, den Bewohnern den Inhalt dieser Briefe zu erklären. Wenn Flüchtlinge noch in Unterkünften leben, haben sie oft das Glück, Sozialarbeiter um Erklärungen bitten zu können. Sobald sie jedoch anfangen, alleine zu leben, fehlt oft diese Hilfe und es kommt zu Missverständnissen und Problemen. Dann kommen die üblichen Drohbriefe, gelbe Umschläge und Gerichtsvollzieher.
2. Themen in den Interviews mit Heimleitern und Sozialarbeitern
Mehrere Heimleiter berichteten in diesem Zusammenhang auch von Mietrückständen der Bewohner. Die Schulden entstehen, weil niemand den Bewohnern unmissverständlich mitgeteilt hat, dass sie Miete zahlen müssen, sobald sie ein eigenes Einkommen erzielen. Die Mietrückstände kommen erst ans Licht, wenn die Betroffenen in der Lage sind, umzuziehen. Die Rückstände bauen sich regelmäßig über mehrere Jahre auf und können Tausende von Euro betragen, was für Vermieter oft ein Grund ist, die Wohnung zurückzuziehen. Es wäre schon viel gewonnen, wenn die Beamten Briefe in verständlicher Sprache verfassen oder übersetzen würden. Dies würde viele Probleme verhindern. Ein positiver Nebeneffekt wäre natürlich, dass auch die deutschen Bürger davon profitieren würden. Vielleicht könnten Beamte und Flüchtlinge gemeinsam Deutschunterricht erhalten.
2.8 Diskriminierung Fast alle Sozialarbeiter haben mit Freude, aber auch mit Erstaunen und manchmal mit Unmut beobachtet, mit welcher Begeisterung Deutschland die Flüchtlinge aus der Ukraine aufgenommen hat. Wo bereits ansässige Flüchtlinge manchmal jahrelang vergeblich auf eine Wohnung oder die Erlaubnis, zu arbeiten oder zu studieren, warten, erhält diese Gruppe von Flüchtlingen all dies ohne jeden Vorbehalt oder Verzögerung. Plötzlich sind überall Wohnungen verfügbar. Diese Ungleichbehandlung wurde auch von vielen Flüchtlingen beobachtet. Viele Sozialarbeiter und Freiwillige warnten vor den Spannungen, die dadurch entstehen. Diskriminierung ist nach wie vor ein großes Problem. So berichteten alle Sozialarbeiter, dass es für berechtigte Flüchtlinge äußerst schwierig ist, eine eigene Wohnung zu finden. Vermieter weigern sich, ihre Türen für Flüchtlinge zu öffnen. Menschen mit einer anderen Hautfarbe sind auf dem Wohnungsmarkt praktisch chancenlos.
2.9 Ehrenamtliche Arbeit Nach Angaben der Sozialarbeiter haben die Ehrenamtlichen kaum noch strukturelle Kontakte zu den Unterkünften. Die Aktivitäten waren bereits nach 2016 deutlich zurückgegangen. Die Corona-Maßnahmen haben der ehrenamtlichen Arbeit in den Heimen einen scheinbar endgültigen Todesstoß versetzt. Darüber hinaus sind Sozialarbeiter bei ihren Kontakten mit Freiwilligen regelmäßig zurückhaltend geworden. Einigen wird Naivität, Ineffizienz, Unwissenheit, Starrköpfigkeit und Hintergedanken vorgeworfen. Ein sporadisches Musikfestival oder ein jährliches Grillfest tragen nicht zur Lösung der enormen strukturellen Pro-
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bleme bei, mit denen die Flüchtlinge konfrontiert sind, und können auch als Verharmlosung dieser Probleme wahrgenommen werden.
2.10 Ausschreibungen und Heime Kaum ein Heimleiter verstand die zweijährlichen Ausschreibungen und die Karussells, die sie auslösen. Die Vorteile dieses System waren ihnen nicht klar. Sie hatten den Eindruck, dass die Hauptmotive dahinter sind, Geld zu sparen, Verantwortlichkeiten zu verschieben und Sozialarbeiter und ihre Arbeitgeber gegeneinander auszuspielen. Statt Kollegen mit den gleichen Problemen und Idealen waren sie zu Konkurrenten um immer knappere Ressourcen geworden. Die Qualität der Betreuung, ihre Kontinuität, Vorhersehbarkeit und Kohärenz waren zunehmend unter Druck geraten. Investitionen in Menschen und Beziehungen waren weniger sinnvoll geworden, da die Gefahr besteht, dass diese Investitionen nach kurzer Zeit wieder rückgängig gemacht werden. Es ist höchst zweifelhaft, ob dieses System auch billiger ist, jedenfalls auf lange Sicht. Menschen, die nicht integriert sind, sind ohnehin teuer. Auf dieses System der Ausschreibungen komme ich im nächsten Teil dieses Buches zurück. Es wurde auch darauf hingewiesen, dass die Kreisverwaltung die Bedingungen in den Heimen in keiner Weise überwacht. Der Betreiber macht ein Angebot, das auch Ideen und Pläne für die Betreuung der Bewohner enthält, aber es wird nicht überprüft, ob dieses Angebot nach der Auftragsvergabe auch tatsächlich umgesetzt wird. Die Heime waren regelmäßig in einem sehr schlechten, manchmal, so die Aussage eines Heimleiters, »katastrophalen« Zustand. Für mehrere Gebäude (Blankenfelde-Mahlow, Ludwigsfelde, Rangsdorf, Am Mellensee, Luckenwalde/ Grabenstraße, Jüterbog) war die Schließung bereits vor Jahren geplant. Fast jedes Jahr wird jedoch der Beschluss gefasst, den Betrieb fortzusetzen. So wie man vielleicht damit gerechnet hatte, dass die Flüchtlinge nur vorübergehend in den Übergangsheimen bleiben würden, hatte man wohl auch damit gerechnet, dass die Heime nur für eine absehbare Zeit genutzt werden müssen. Notwendige Entscheidungen über Renovierungen oder Neubauten wurden daher immer wieder verschoben. In ihrer Verzweiflung alarmierten mehrere Heimleiter regelmäßig das Bauamt, die Feuerwehr und den Gesundheitsdienst – ohne großen Erfolg.
3. Themen in den Interviews mit Freiwilligen, Integrationsbeauftragten und Koordinatoren
Wir haben mit Integrationsbeauftragten, Ehrenamtsvereinen und Ehrenamtskoordinatoren sowie Vertretern kirchlicher Organisationen gesprochen, die in verschiedenen Gemeinden des Landkreises Teltow-Fläming in der Integrationsarbeit tätig sind. Insgesamt waren etwa 20 Personen und Organisationen beteiligt. Auch hier lässt sich eine Reihe von Leitmotiven erkennen. Die Beobachtungen unterscheiden sich nicht grundlegend von denen der oben diskutierten Sozialarbeiter und Heimleiter. Wir beschränken uns auf die Themen, die für diese Akteure spezifisch sind.
3.1 Zahl und Aktivitäten der Ehrenamtlichen Untersuchungen zeigen immer wieder, dass Ehrenamtliche eine entscheidende Rolle bei der Integration von Neuankömmlingen spielen können. Über sie erhalten Neuankömmlinge Zugang zu den Netzen, über die Arbeitsplätze, Wohnungen, Plätze in Kindertagesstätten, Schulmöglichkeiten und andere für die soziale Teilhabe unerlässliche Güter und Dienstleistungen verteilt werden. Die Freiwilligen bieten auch Zugang zur deutschsprachigen Gemeinschaft, zu sozialen Kontakten und Beziehungen sowie zur deutschen Sprache. Man kann die Sprache in einem Klassenzimmer lernen, aber nur wenn man sie aktiv benutzt, lernt man sie wirklich kennen. Die Zahl der Freiwilligen, die noch in irgendeinem organisierten Rahmen tätig sind, ist sehr gering geworden. Anfang 2022 wird die Zahl der Freiwilligen in TeltowFläming voraussichtlich nicht mehr als 80 Personen betragen. In den ersten Jahren nach der Ankunft einer großen Zahl von Flüchtlingen im Jahr 2015 war es noch ein Vielfaches davon (schätzungsweise 500). Nach einigen Jahren ließ der Enthusiasmus aus verschiedenen Gründen nach, und dann brachte die Corona-Pandemie, die Begegnungen mit Menschen meist unmöglich machte (auch wurde den Freiwilligen der Zugang zu den Flüchtlingslagern in den meisten Fällen völlig verwehrt), die Aktivitäten fast vollständig zum Erliegen. Unmittelbar nach dem Ende vieler CoronaMaßnahmen begann der Krieg in der Ukraine, und es setzte ein Flüchtlingsstrom
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aus diesem Land ein, der den Zustrom von 2015 übertrifft. Denjenigen, die früher nach Deutschland kamen, bleibt daher nicht viel Aufmerksamkeit. In Teltow-Fläming gibt es mehrere Orte, an denen Ehrenamtliche in organisierter Form tätig sind. In Luckenwalde (20.000 Einwohner) waren in 2022 sind noch etwa zehn Freiwillige aktiv, davon sechs mit Deutschunterricht und vier mit Alltagsbetreuung. Ursprünglich, vor der Pandemie, gab es etwa 30 aktive Freiwillige. Die Gemeinde koordiniert alle Aktivitäten. Der Koordinator geht davon aus, dass die Zahl der Freiwilligen noch weiter zurückgehen wird, da die Beteiligten keine ausreichenden Ergebnisse ihrer Arbeit sehen. Es gibt keinen Fortschritt und ein starkes Gefühl des Alleingelassenseins. In Blankenfelde-Mahlow (25.000 Einwohner) waren bis vor kurzem noch etwa zehn Personen aktiv, die vor allem Schulkinder betreuten, die nicht im Flüchtlingsheim wohnten. Ein Gespräch mit der Bürgermeisterin ergab, dass sich die Gemeinde für das Übergangsheim und seine Bewohner nicht zuständig fühlt. Dies bestätigte zu ihrem Bedauern u.a. auch die Integrationsbeauftragte der Gemeinde, die hier ehrenamtlich tätig ist. Das Heim in Blankenfelde-Mahlow, in dem etwa 250 Menschen lebten, befand sich in einem beklagenswerten Zustand. Nach Ansicht der Sozialarbeiter hätte es sofort geschlossen werden müssen. Ein halbes Jahr später verlor die Organisation, die sie beschäftigte, die Ausschreibung für das Heim. In Jüterbog (13.000 Einwohner) gibt es eine der aktivsten Freiwilligenorganisationen, die jedoch in einem wenig förderlichen Umfeld arbeitet.1 Derzeit gibt es noch etwa zwölf aktive Mitglieder, meist Rentner. Etwa 30 bis 40 Einzelpersonen und Familien werden von den Freiwilligen unterstützt, manchmal über einen Zeitraum von mehreren Jahren. Sie bieten u.a. auch Deutschunterricht für Frauen am Abend und eine Teestube an, in der man sich treffen kann. Während der Pandemie lag der Schwerpunkt vor allem auf der Hausaufgabenhilfe für Kinder. Die Freiwilligen haben vor allem Kontakt zu Menschen, die eine eigene Wohnung haben. Mit den Bewohnern des Übergangswohnheims in Jüterbog gibt es wenig Austausch. In Ludwigsfelde (27.000 Einwohner) gab es zwei Freiwilligengruppen mit insgesamt etwa einem Dutzend Mitgliedern. Eine Gruppe bestand aus fünf Ehrenamtlichen, die sich nach wie vor intensiv um die Menschen kümmerten und ihnen bei der Suche nach Wohnungen, Kindertagesstätten und Schulen halfen. Im Jahr 2015 waren es noch etwa 100. Die Leiterin hat selbst einen Migrationshintergrund und meint:
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Jüterbog ist ein Zentrum von rechtspopulistischen und rechtsextremen Gruppen. Der Bürgermeister ist Migranten gegenüber sehr unsympathisch und hat seine Bürger u.a. dazu aufgerufen, den Kontakt mit Migranten zu meiden, da die Gefahr bestehe, dass sie Krankheiten verbreiten.
3. Themen in den Interviews mit Freiwilligen, Integrationsbeauftragten und Koordinatoren
»Deutschland wird jedes Mal durch die Flüchtlingswelle überfallen. Man lernt nicht von der Vergangenheit. Wenn Menschen nach Deutschland kommen, brauchen wir einen Plan, was wir mit ihnen machen können, wie wir sie integrieren können. Einen solchen Plan gibt es nicht. Auch die meisten Zuwanderer haben sich keine Vorstellung davon gemacht, wie man in Deutschland lebt oder leben soll.« Die andere Gruppe in Ludwigsfelde hatte im Jahr 2022 sechs aktive Mitglieder und war 2015 mit 50 Freiwilligen gestartet. Die sechs noch verbliebenen Freiwilligen halfen einzelnen Flüchtlingen über einen längeren Zeitraum hinweg. Unter dem Einfluss der Ukraine-Krise meldeten sich zwar wieder viele Freiwillige, aber die meisten wollten sich nur ab und zu Zeit nehmen, um zum Beispiel Suppe oder Kleidung zu verteilen. Aufgrund früherer Erfahrungen nahm der Koordinator dieser Gruppe diese Hilfe nicht an. Er war der Meinung, dass eine Unterstützung nur sinnvoll ist, wenn sie über einen längeren Zeitraum angeboten wird. Die Verbindungen zum Heim in Ludwigsfelde waren, auch durch Corona, stark geschwächt. In Rangsdorf (12.000 Einwohner) waren noch etwa zehn Freiwillige wirklich aktiv. Sie starteten 2014 mit 130 Mitgliedern. U.a. begleitete man Einzelpersonen oder Familien und bot ein Frühstück für Frauen an. Ein langjähriger Streit zwischen den Mitgliedern über die Position eines der Heimleiter hatte die Zusammenarbeit und Motivation stark belastet.2 Neben den Freiwilligen, die in einem einigermaßen organisierten Rahmen Sprachunterricht anbieten, Menschen in ihren alltäglichen Anliegen unterstützen (insbesondere bei der Beantwortung von in unverständlichem Deutsch verfassten Briefen und Dokumenten) oder gemeinsame Aktivitäten entwickeln, gibt es natürlich auch Bürger, die versuchen, anderen neu zugewanderten Bürgern persönlich zu helfen. Diese Form der persönlichen Hilfe bleibt weitgehend unter dem Radar, sollte aber nicht unerwähnt bleiben. Oft geht es dabei um Hilfe für Nachbarn, Arbeitskollegen, Menschen, die man durch die Kontakte der Kinder kennengelernt hat und so weiter.
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Eine kleine Anzahl von Freiwilligen war der Meinung, dass einer der beiden in Rangsdorf tätigen Heimleiter sexistische und sogar rassistische Tendenzen hatte. Eindeutige Beweise dafür fehlten, aber die Beteiligten starteten dennoch einen Kreuzzug gegen diesen Heimleiter, an dem sich immer mehr Menschen und Organisationen beteiligten. Dieser Kreuzzug spaltete den örtlichen Verband der Freiwilligen und untergrub die Zusammenarbeit. Der betroffene Sozialarbeiter erkrankte schließlich für längere Zeit und wurde nach seiner Genesung versetzt. Seine Leidensgeschichte war den anderen Heimleitern und Sozialarbeitern in TeltowFläming bekannt und trug dazu bei, dass sie im Umgang mit den Freiwilligen sehr vorsichtig wurden.
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3.2 Konzentration auf relativ erfolgreiche Flüchtlinge Ein Großteil der Hilfe wird hauptsächlich Menschen angeboten, die die Flüchtlingsunterkünfte verlassen haben und in ihre eigenen Wohnungen gezogen sind. Die Menschen in den Unterkünften werden viel weniger erreicht. Es besteht eine starke Tendenz, insbesondere Neuankömmlingen außerhalb der Unterkünfte Hilfe anzubieten. Hierfür gibt es mehrere Gründe und Ursachen. Erstens ist der Zugang zu den Unterkünften oft beschränkt. Man kann nicht einfach hingehen und sich als Freiwilliger melden. Dies war sicherlich während der Corona-Pandemie der Fall. Darüber hinaus möchten die Freiwilligen auch ein Erfolgserlebnis ihrer unbezahlten Arbeit haben. Es besteht daher die Tendenz, insbesondere denjenigen Hilfe anzubieten, die in ihrem Integrationsprozess Fortschritte machen. Oft handelt es sich dabei um Personen, die die Lager verlassen haben, berufstätig sind, zunehmend die deutsche Sprache beherrschen oder anderweitig an der Gesellschaft teilhaben. Wie in so vielen Bereichen kann man auch hier beobachten, dass es eine Tendenz gibt, vor allem denen zu helfen, die es im Vergleich zu anderen vielleicht weniger nötig haben. Wie dem auch sei. Freiwillige leisten einen wichtigen Beitrag zur Integration von Neuankömmlingen. Ihre Bemühungen verdienen großen Respekt. Ihre Zahl ist jedoch zu gering und die Herausforderungen der Integration zu groß, um sich weiterhin zu sehr auf sie verlassen zu können.
3.3 Vergessene Flüchtlinge, die selbständig leben Es wurde mehrfach darauf hingewiesen, dass inzwischen auch eine große Zahl von Flüchtlingen außerhalb der Flüchtlingsunterkünfte lebt und dass weitgehend unbekannt ist, wie es diesen Menschen in der Zwischenzeit ergeht. In Luckenwalde zum Beispiel leben schätzungsweise 1000 Menschen mit Fluchterfahrung. 200 von ihnen leben in den beiden Flüchtlingsunterkünften. Die Gemeinde hat nur mit einem dieser beiden Heime regelmäßigen Kontakt. Das bedeutet, dass wir nur über die Situation von etwa 10 % der Menschen mit Fluchterfahrung einigermaßen Bescheid wissen. In Jüterbog leben wahrscheinlich 300 Menschen mit Migrationshintergrund. Der Datenschutz erklärt, warum über diese Menschen fast nichts bekannt ist. In anderen Gemeinden ist die Situation nicht anders. Aus den Kontakten, die vor allem von den wenigen Ehrenamtlichen noch geknüpft werden, erfährt man, dass Menschen, die selbständig leben, oft völlig überfordert sind mit all der Bürokratie und Verwaltung, die auf sie zukommt. Die Neuankömmlinge verstehen die Briefe nicht und lassen sie unbeantwortet. Sie verstehen auch die vielen Verpflichtungen nicht, die mit einem eigenständigen Leben in
3. Themen in den Interviews mit Freiwilligen, Integrationsbeauftragten und Koordinatoren
Deutschland einhergehen. Es gibt keine Hilfe von Sozialarbeitern, wie es sie in den Heimen gibt. Eigentlich brauchen die Neuankömmlinge ständige Unterstützung, damit die Probleme nicht immer größer werden. Es mangelt jedoch an den nötigen Mitarbeitern und Freiwilligen. Es gibt auch keine Schulungen für ein selbständiges Leben, was wünschenswert wäre. Die Ehrenamtlichen in Jüterbog erklärten, dass jede Stadt eine Anlaufstelle braucht, an die sich Flüchtlinge wenden können, wenn sie sich in der Nachbarschaft niederlassen. Hier sollten die Menschen darüber informiert werden, wie es ist, in Deutschland zu leben. Was ist mit Miete, Strom, Steuern, Versicherungen, Kitas, Schulen, Arbeitsagentur und so weiter? Viele Menschen haben davon keine Ahnung und geraten deshalb regelmäßig in große Schwierigkeiten. Uns wurde von einer Familie aus Äthiopien erzählt, die nicht wusste, dass in Deutschland Schulpflicht besteht. Sie hatten ihre Kinder zu Hause gelassen und waren überrascht, als eines Tages die Polizei kam, um sie abzuholen. In Jüterbog erhalten die Menschen bei ihrer Ankunft nicht einmal ein Informationspaket, das zum Beispiel einen Stadtplan mit den Adressen der zuständigen Stellen enthält.
3.4 Gleichgültigkeit, Resignation, Pragmatismus Die festgestellten Probleme überschneiden sich mit denen der anderen Stakeholder. Man stellt fest, dass sich viele Flüchtlinge noch im Asylverfahren befinden oder »geduldet« sind und ihnen somit der Zugang zur Gesellschaft verwehrt wird. Sie warten endlos, haben keinen Zugang zu Deutschunterricht, dürfen nicht arbeiten und nicht selbständig leben. Die Integration wird effektiv blockiert und die Menschen verfallen in Apathie. Und schließlich, um einige Fachkräfte zu zitieren: »Es gibt viel zu viele staatliche Vorschriften. Gleichzeitig gibt es kein Personal, das die Einhaltung der zahlreichen Vorschriften überwacht. Das System ist völlig überlastet und wir warten nur darauf, dass es komplett zusammenbricht.« »Es gibt zu wenig Personal, die Akten werden nicht bearbeitet und dann kommt es zu Resignation auf den unteren Ebenen. Teltow-Fläming soll sich wieder fit machen.« »Wir brauchen mehr Pragmatismus, um Probleme zu lösen, mehr Transparenz, mehr Austausch mit anderen Kommunen und mit dem Landkreis.« »Das größte Problem ist Gleichgültigkeit und Resignation. Es interessiert niemanden mehr. Man integriert nicht mehr, sondern verwaltet nur noch, ohne jede
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Empathie. Es fehlt die Wertschätzung für Integrationsarbeit. Man sollte viel mehr den Profis überlassen, ohne sie ständig mit Vorschriften zu belästigen.« Das letzte Zitat stammt von der Integrationsbeauftragten von Teltow-Fläming. Sie hatte dieses Amt 16 Jahre lang inne. Wir haben sie an ihrem letzten offiziellen Arbeitstag vor ihrer Pensionierung getroffen.
TEIL IV. Erwägungen, Empfehlungen und Ausblick
Sozialwissenschaftliche Forschung beschränkt sich oft auf die Analyse von Problemen. Wie diese gelöst werden können, überlassen die beteiligten Wissenschaftler nur allzu gerne den Politikern und anderen Entscheidungsträgern. Wissenschaftliche »Objektivität« würde dies erfordern. Damit entziehen sie sich nicht nur der gesellschaftlichen Verantwortung, sondern drohen auch, ihre eigene Disziplin gesellschaftlich irrelevant zu machen. Darüberhinaus ist diese Haltung bedauerlich, weil sich Probleme oft wesentlich besser verstehen lassen, wenn man nach möglichen Lösungen fragt (Lindblom 1990; Blokland 2018). In diesem letzten Abschnitt gehen wir daher der Frage nach, wie die Perspektiven sowohl der Migranten als auch der Aufnahmegesellschaft verbessert werden können. Viele der folgenden politischen Überlegungen und Empfehlungen lassen sich aus der zuvor vorgestellten Analyse der Interviews mit Flüchtlingen und Stakeholdern sowie aus den quantitativen Daten ableiten. Die wichtigsten zusammenhängenden Themen sind, wie wir sehen werden, vergleichbar.
1. Offene Kommunikation
Die Integration von Flüchtlingen ist in hohem Maße von der Zusammenarbeit verschiedener staatlicher und gesellschaftlicher Akteure abhängig. Um diese Zusammenarbeit erfolgreich zu gestalten, sind Kommunikation und Koordination erforderlich. Wünschenswert ist weiter eine tragfähige Übereinstimmung hinsichtlich der angestrebten Ziele und der dazu eingesetzten Instrumente. Die Kommunikation und Koordination zwischen den Beteiligten sind derzeit mangelhaft. Dies führt zu Ineffizienz, unzureichender Nutzung der vorhandenen Ressourcen, unklaren Verantwortlichkeiten, Frustrationen, Missverständnissen, Misstrauen, Konflikten und Stagnation. Oft arbeiten die Akteure nicht mehr miteinander, sondern gegeneinander. Die Wiederherstellung einer offenen Kommunikation scheint ein erster notwendiger Schritt zu sein, um die Koordination zu verbessern und die Stagnation zu durchbrechen. Natürlich können die gewünschten politischen Veränderungen nicht immer auf der Ebene der Gemeinden, Regionen, Bundesländer oder sogar eines Landes wie Deutschland vorgenommen werden. Eine Kreisverwaltung ist in hohem Maße von dem Bundesland abhängig, zu dem sie gehört, und dieses wiederum von dem Bund. Deutschland hat auch gelernt, dass es Flüchtlingskrisen oft nur dann wirklich bewältigen kann, wenn es auf europäischer und sogar globaler Ebene zusammenarbeitet. Dennoch kann es sinnvoll sein, Probleme und mögliche Lösungen zu formulieren, auch wenn diese Lösungen nicht in den eigenen Händen liegen. Es sind vor allem Menschen und Organisationen am unteren Ende der Pyramide der staatlichen Politikentwicklung, die über die Hintergründe, Probleme und Perspektiven von – in diesem Fall – Migranten informiert sind. Für die Qualität der Regierungspolitik ist es von größter Bedeutung, dass dieses Wissen offen an die Verantwortlichen weiter oben in der Pyramide weitergegeben wird (und werden kann). Nur dann können die erforderlichen Maßnahmen und Anpassungen auf der richtigen Ebene formuliert werden. Hunderttausende von Flüchtlingen, die vor allem im ländlichen Raum Deutschlands leben und keine klare Zukunftsperspektive haben, werden von der Bundespolitik in Berlin kaum oder gar nicht wahrgenommen. Diese Menschen scheinen
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einfach vergessen zu werden, auch von den Medien. Ebenso fehlt es an einer Interessenvertretung oder einem Sprachrohr für diese Menschen, was zu ihrer Anonymität und Hilflosigkeit beiträgt. Da man die Unterstützung der nationalen Entscheidungsträger benötigt, um die Situation dieser Menschen strukturell zu verbessern, scheint es, dass die unteren Behörden, einschließlich der Gemeinden und Kreise, Kommunikationskanäle zu diesen nationalen Entscheidungsträgern öffnen müssen. Leider muss festgestellt werden, dass die gewünschte offene Kommunikation auch in Teltow-Fläming selbst völlig fehlt. Dies gilt nicht nur für die Kommunikation zwischen direkt beteiligten Akteuren, sondern auch für die gesellschaftliche und politische Kommunikation im Allgemeinen.1 In der Kommunikation nach außen sollte man Probleme im Zusammenhang mit Migration und Integration benennen. Es gibt Probleme. Es sind Fehler gemacht worden. Dieser Problembereich muss zielgerichtet angegangen werden. Wenn man Probleme nicht offensiv diskutiert, überlässt man Rechtspopulisten das Spielfeld und bietet ihnen die Möglichkeit, sich als die Verkünder und Verteidiger der Wahrheit zu präsentieren.
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Darauf komme ich im Epilog zurück.
2. Die Beweggründe für das Verlassen des Heimatlandes
Obwohl Millionen von Menschen ihre Heimat verlassen haben, war dies selten eine freiwillige Entscheidung. Dies wurde auch in unseren Interviews deutlich. Migration bedeutet Entwurzelung, Unsicherheit, soziale Isolation, Einsamkeit, psychische Belastung, Arbeitslosigkeit und all die weiteren Probleme, die mit einer oft schwierigen Integration im Zielland verbunden sind. Die meisten Menschen ziehen es daher vor, zu Hause zu bleiben. Es scheint eine offene Tür zu sein, und doch wird oft vergessen, dass die erfolgreichste Flüchtlingspolitik darin besteht, die Gründe und Ursachen der unfreiwilligen Migration zu bekämpfen. Die Welt ist immer kleiner geworden, und deshalb haben Probleme an einem Ort oft sowohl Ursachen als auch Folgen an einem anderen. Armut, fehlende sozioökonomische Perspektiven, Krieg und Gesetzlosigkeit, Klimawandel in Afghanistan, Syrien, Pakistan, Ghana oder Eritrea haben oft Ursachen, die auch (aber nicht nur) in Europa und anderen westlichen Ländern liegen, und dieselben westlichen Länder leiden nun unter den Folgen. Die Übernahme von mehr Verantwortung für die Situation in den Ländern, aus denen die Migranten kommen, ist daher ein erster Schritt. Viele Menschen verlassen ihre Heimatländer, weil die bestehenden sozialen und politischen Strukturen sowie die Kultur ihnen keine oder nur unzureichende Möglichkeiten bieten, ihre Talente zu entwickeln und einzusetzen. Man denke hier an die von uns befragten Frauen aus Ländern wie dem Iran, Afghanistan und Pakistan. Als wichtigen Grund für ihre Ankunft in Europa nannten sie die Möglichkeiten der Emanzipation. Oder man kann an gut ausgebildete, mündige Bürger denken, die die autokratischen Verhältnisse in ihren Heimatländern nicht mehr akzeptieren wollen. Die Flucht dieser Menschen bedeutet für das Heimatland oft einen enormen Braindrain. Für Deutschland kann ihre Ankunft jedoch eine enorme Bereicherung sein: Schließlich handelt es sich in der Regel um gut ausgebildete, tatkräftige Menschen, die auch deshalb nicht in die europäischen emanzipatorischen und demokratischen Werte integriert werden müssen, weil sie selbst oft mehr an diese glauben als zahlreiche Europäer selbst. Die europäischen Länder täten gut daran, diese Menschen vor allem als Segen und nicht als Last zu betrachten.
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Die Öffnung der Grenzen für die letztgenannte Personengruppe kann auch indirekt Druck auf die autoritären und frauenfeindlichen Machthaber vor Ort ausüben. Jedes Land, auch eine Autokratie oder Diktatur, wünscht sich eine gut ausgebildete, tatkräftige Bevölkerung, weil dies zu seiner wirtschaftlichen Entwicklung und seiner Machtposition in der Welt beiträgt. Viele Machthaber nehmen daher die Abwanderung junger, gebildeter und motivierter Menschen übel. Politische und soziale Reformen sind oft die einzige Möglichkeit, dieser Entwicklung entgegenzuwirken. Machthaber, die zu spät reformieren, werden von der Geschichte überholt. Wenn alle Frauen des Irans eine Einladung der Europäischen Union annehmen würden, ihre Talente von nun an in diesem Teil der Welt einzusetzen, wird sich das Problem der Mullahs innerhalb einer Generation von selbst lösen. Um die Akzeptanz der Migration bei der bereits zugewanderten Bevölkerung und damit die Chancen auf eine erfolgreiche Integration der Neuankömmlinge zu fördern, ist es zunächst einmal sinnvoll, diese Motivationen und Antriebe der Migranten immer wieder sichtbar zu machen. Zweitens ist es sinnvoll, immer wieder zu betonen, welchen Beitrag Migranten für unsere Gesellschaften leisten können. Auch die lokalen Behörden haben hier eine Rolle zu spielen. Im Hinblick auf die verfügbaren politischen Optionen kann hier gleichzeitig auf die Verbreitung korrekter Informationen an potenzielle Migranten verwiesen werden. Bei der Analyse der Interviews mit Flüchtlingen haben wir festgestellt, dass Migranten, die nach Deutschland oder andere europäische Länder kommen, regelmäßig eine falsche Vorstellung davon haben, was sie hier zu erwarten haben. Einige hätten die Reise nicht angetreten, wenn sie besser informiert gewesen wären. Mehr als derzeit versucht wird, ist es sinnvoll, falsche Darstellungen der Realität zu bekämpfen. Wir hoffen, dass die von uns veröffentlichten Interviews (die übrigens überwiegend außerhalb Deutschlands gelesen werden) einen kleinen Beitrag dazu geleistet haben.
3. Regulierte oder unregulierte Migration, und Arbeitskräfte
Viele Menschen sind nach Deutschland ausgewandert und werden dies auch weiterhin tun. Dies wird wahrscheinlich in größerer Zahl geschehen als im letzten Jahrzehnt. Obwohl Deutschland einige Erfahrung mit dem Bau von Mauern hat, werden Mauern diese Auswanderung nicht aufhalten. Viele Interviews verdeutlichten die Entschlossenheit, mit der die Betroffenen die Reise nach Europa antreten. Regelmäßig waren die Menschen jahrelang unterwegs und mussten große Entbehrungen ertragen. Das hat sie nicht davon abgehalten, ihr Ziel zu erreichen. Auch in der Vergangenheit gab es bereits große Migrationsströme. Nach dem Zweiten Weltkrieg kamen Millionen von Menschen aus allen Teilen Europas nach Deutschland: etwa 14 Millionen Vertriebene zwischen 1944 und 1950, schätzungsweise 1,5 Millionen Aussiedler zwischen 1950 und 1987 und etwa drei Millionen Spätaussiedler nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion.1 Millionen von Ausländern, vor allem Polen, trugen ab Mitte des 19. Jahrhunderts zur Entwicklung des Ruhrgebiets bei.2 Das Wirtschaftswunder der Nachkriegszeit wurde teilweise durch Millionen von Gastarbeitern aus Italien, Griechenland, Spanien, Jugoslawien und der Türkei ermöglicht. Zwischen 1955 und 1973 waren es 14 Millionen. Etwa drei Millionen von ihnen blieben und wurden ein fester Bestandteil der deutschen Gesellschaft. Die Aussage von Bundeskanzlerin Angela Merkel, »Wir schaffen das«, hatte, kurz gesagt, einen historischen Hintergrund. Oft wird davon ausgegangen, dass es sich bei den Nachkriegsmigranten oder Vertriebenen um »Deutsche« handelte, die daher nicht integriert werden mussten 1 2
Panagiotidis, Jannis. 2018. Aussiedler. Dossier Migration. Bundeszentrale für politische Bildung. Neben Polen (etwa eine halbe Million Menschen bis 1914) kamen u.a. Italiener, Griechen, Spanier und Türken ins Ruhrgebiet. Viele blieben und bildeten gemeinsam eine besondere multikulturelle Gesellschaft. Adolf Winkelmann hat darüber mehrere Dokumentationen und Filme gedreht. Er erklärt: »Anscheinend sind wir Weltmeister in Integration, denn diese fünf Millionen Menschen fühlen sich nicht als Zugereiste, sondern fühlen sich als Ruhries.« https://www.deutschlandfunk.de/neuere-und-neueste-geschichte-das-ruhrgebiet-sei t-100.html
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und auch willkommen waren. In Wirklichkeit war die Vielfalt jedoch enorm. In einem Interview mit Von Lüpke (2016) erklärt der Historiker Andreas Kossert3 : »Es kamen nicht nur sogenannte Reichsdeutsche aus Ostpreußen, Schlesien oder Pommern, sondern auch Deutsche aus der russischen Wolga, aus dem Baltikum, aus Böhmen oder Rumänien, Donauschwaben aus Jugoslawien. Das war eine Mischung von Menschen, die das Schicksal des Heimatverlusts und eine Affinität zur deutschen Sprache und Kultur teilten. Trotzdem waren sie aufgrund von Bräuchen und der konfessionellen Zugehörigkeit sehr unterschiedlich.« Die Flüchtlinge waren auch nicht willkommen. Da sie aus dem Osten kamen, wurden sie meist als »Zigeuner« oder »Polacken« bezeichnet. Die nationalsozialistische Propaganda, in der »Slawen« als »Untermenschen« bezeichnet wurden, wirkte auch nach dem Krieg weiter. Im Übrigen hat sich die Demografie durch diesen Zustrom von Menschen regelmäßig erheblich verändert. Im Jahr 1939 zählte Schleswig-Holstein beispielsweise 1,6 Millionen Einwohner. Im Jahr 1946 waren es bereits 2,5 Millionen. Verglichen mit diesen Veränderungen in Schleswig-Holstein sind die demografischen Veränderungen in Deutschland oder Brandenburg aufgrund der »Flüchtlingskrise« im Jahr 2015 oder 2022 nicht wirklich beunruhigend. Migration ist also kein neues Phänomen, auch nicht in Deutschland. Außerdem braucht ein stark vergreisendes Land wie Deutschland heute schlichtweg Migranten, um seinen eigenen Wohlstand zu erhalten. Die Reproduktionsrate der deutschen Bevölkerung ist zu niedrig. Eine Reihe von Statistiken veranschaulicht dies. Im nächsten Jahrzehnt werden die Babyboomer (geboren zwischen 1955 und 1969) in den Ruhestand gehen.4 Vor allem zwischen 1958 und 1964 kamen in Deutschland Rekordzahlen von Menschen zur Welt, die sich nun von ihrem Arbeitsplatz verabschieden. Bis 2030 werden fünf Millionen Menschen mehr aus dem Arbeitsmarkt aus- als eintreten; danach wird sich der Trend noch verstärken. In den nächsten 14 Jahren wird etwa ein Drittel der deutschen Erwerbsbevölkerung (13 Millionen Menschen) in den Ruhestand gehen. Das Durchschnittsalter der Bevölkerung liegt derzeit bei 45,9 Jahren. In der Europäischen Union hat nur Italien eine ältere Bevölkerung (47,9). Bereits seit 1972 sterben in Deutschland jedes Jahr mehr Menschen als geboren werden. Die Bevölkerung hat nur dank der Migration zugenommen. Im Jahr 1964 waren 12,4 % der Bevölkerung der BRD und der DDR zusammengenommen über 65 Jahre alt. Bis 2030 wird dieser Prozentsatz bei 26 und bis 2045 sogar bei 29 liegen.
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Siehe sein Kalte Heimat. Die Geschichte der deutschen Vertriebenen nach 1945. (Berlin: 2008). Einen guten Überblick, auf dem auch das Folgende basiert, bieten Götz Gringmuth-Dallmer und Sebastian Schneider in ihrem Aufsatz Ein Land Geht in Rente (26. Oktober 2022).
3. Regulierte oder unregulierte Migration, und Arbeitskräfte
In Brandenburg ist die Situation noch schlimmer. Am 1. Januar 2022 waren 26 % der Erwerbsbevölkerung über 55 Jahre alt, der Durchschnitt in Deutschland liegt bei 22 %. In den nächsten zehn Jahren werden in Brandenburg voraussichtlich 220.000 Menschen in Rente gehen und nur 190.000 in den Arbeitsmarkt eintreten. Einige Berufe werden dabei stärker beeinträchtigt sein als andere. Die Zahlen der Arbeitsagentur zeigen, dass die folgenden Branchen besonders betroffen sind: Gebäudetechnik, Fahrzeugführung im Eisenbahnverkehr und im Straßenverkehr, Hauswirtschaft, Reinigung, Bau- und Transportgeräteführung, Forst-, Jagdwirtschaft und Landschaftspflege. Gringmuth-Dallmer und Schneider schreiben: »Werden die Lücken nicht zumindest deutlich verkleinert, könnte sich das nach dem Abschied der Babyboomer in die Rente anfühlen wie ein Dauerstreik zu Klaus Weselskys besten Zeiten. Aber auch Beschäftigte der Gesundheitsaufsicht (38,5 Prozent Ü55), Reinigungskräfte (36,9) sowie Berufskraftfahrer (33,7) werden fehlen. Menschen, die die Sauberkeit in Restaurantküchen kontrollieren, die Schultoiletten putzen, die Supermärkte beliefern.« Ich erwähne diese Berufe auch deshalb, weil es sich um Berufe handelt, in denen viele Migranten ohne übermäßig lange Ausbildungswege tätig sein könnten. Aus rein wirtschaftlicher Sicht ist es angesichts der demografischen Entwicklung in Brandenburg nicht nachvollziehbar, dass Abertausende von Menschen jahrelang in Flüchtlingslagern zum Nichtstun gezwungen werden. Deutschland hat es bisher nicht oder kaum geschafft, die Migrationsströme zu beeinflussen. Wer wann kam, wurde in erster Linie von Menschenschmugglern, Gerüchtemachern, opportunistischen autoritären Führern wie Lukaschenko und Erdogan oder von Despoten wie Putin und Assad geregelt. Soweit dies natürlich möglich ist, wird Deutschland schon aus wirtschaftlichem Eigeninteresse die Migration stärker selbst organisieren und regulieren müssen. Nach Angaben des Chefs der Bundesagentur für Arbeit, Detlef Scheele, benötigt Deutschland eine Zuwanderung von 400.000 Arbeitskräften pro Jahr. Um dies zu erreichen, sind umfassende Reformen des Migrations- und Arbeitsrechts unerlässlich. Allerdings hat sich lange Zeit wenig getan. Gringmuth-Dallmer und Schneider schreiben: »Um zumindest die Lücke ein Stück zu schließen sei dringend nötig, Berufs- und Bildungsabschlüsse aus dem Ausland unkomplizierter anerkennen zu können – und den ganzen Prozess drastisch zu entbürokratisieren […]. Das hat der Bund eigentlich seit Jahren angekündigt, passiert ist außer vielen Worten bisher trotzdem kaum etwas.« Im Oktober 2022 kündigte die Regierung Scholz jedoch ihre Absicht an, das Einwanderungsrecht zu reformieren. Für eine Beschäftigung in Deutschland würden u.a. nachweisbare Berufserfahrungen und im Herkunftsland erworbene Abschlüsse ausreichen, und das Verfahren zur Anerkennung der Abschlüsse könnte parallel zur Aufnahme einer Beschäftigung laufen. Für die Tausen-
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den von Migranten in den Flüchtlingszentren, die regelmäßig mehr als fünf Jahre lang ausharren mussten und deren Motivation, Energie und psychische Gesundheit oft nachgelassen haben, kommt dies etwas spät. Aber besser spät als nie.
4. Sprachkenntnisse
Nach diesen eher allgemeinen Überlegungen werden wir im Folgenden auf die verschiedenen Teilprobleme eingehen, die in den Interviews mit den Stakeholdern und Flüchtlingen genannt wurden. Das Erlernen der deutschen Sprache ist ein erstes Problem. Sprachkenntnisse sind eine zentrale Voraussetzung für die Integration. Die OECD berichtet: »Die Kenntnis der Sprache des Aufnahmelandes ist ein Schlüsselfaktor für die Geschwindigkeit und den Erfolg der Integration – sowohl wirtschaftlich als auch sozial. Sprachkenntnisse sind eine wesentliche Voraussetzung für die Fähigkeit der im Ausland Geborenen, Netzwerke mit der einheimischen Bevölkerung zu bilden und einen Arbeitsplatz zu suchen. Und da sowohl Netzwerke als auch die Arbeitssuche wichtige Wege sind, um weitere Sprachkenntnisse aufzubauen, können schlechte Kenntnisse der Sprache des Gastlandes einen Teufelskreis auslösen« (2014b: 7). Die Deutschkenntnisse vieler erwachsener Geflüchteter in Teltow-Fläming lassen sehr zu wünschen übrig, auch wenn sie schon seit vielen Jahren in Deutschland leben. Wobei die Sprachkompetenz wenig mit der Anzahl der Jahre zu tun hat, die jemand hier ist. Manche lernen die Sprache sehr schnell, andere machen über einen längeren Zeitraum überhaupt keine Fortschritte oder versuchen teilweise gar nicht, die Sprache zu lernen. Die Nationalität spielt dabei keine Rolle. Ausschlaggebend sind vielmehr die Vorbildung der Menschen, ihr Alter, ihre Sprachbegabung und natürlich ihre Motivation, welche wiederum von Faktoren wie Zukunftsperspektive, Stress, Trauma, Frustrationstoleranz und so weiter bestimmt wird. Mehrere Flüchtlinge erzählten uns in den Interviews, dass sie derart existenzielle Probleme hatten, dass in ihrem Kopf kaum noch Platz für das Erlernen von Sprachen war. Die Lebensbedingungen in den Zentren – die fehlende Privatsphäre und die fehlende Ruhe – erleichterten das Studium ebenfalls nicht. Einige äußerten auch, dass ihre Motivation nachgelassen habe, je mehr sie das Gefühl hatten, dass sie in Deutschland nicht wirklich willkommen waren. Der geringe oder fehlende Kontakt zu deutschsprachigen Menschen trug ebenfalls nicht zur Motivation
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beim Erlernen der Sprache bei und erschwerte die Anwendung und Weiterentwicklung der Sprache. Frauen mit Kindern gaben regelmäßig an, dass sie keine Zeit für Sprachkurse haben, insbesondere wenn sie keine Kinderbetreuung für die Kinder bekommen können. Nach Schätzung der Sozialarbeiter spricht etwa ein Drittel der erwachsenen Bewohner der Flüchtlingsunterkünfte in Teltow-Fläming kein oder nur wenig Deutsch. Ein weiteres Drittel befindet sich auf dem A-Niveau, das es ihnen ermöglicht, Einkäufe zu erledigen und einfache Gespräche zu führen. Nur ein Viertel hat die Stufe B erreicht. B2 wird im Allgemeinen als Voraussetzung für eine Berufsausbildung angesehen. Mindestens ein Viertel der Bewohner sprach einigermaßen bis gut Englisch. Für zahlreiche afrikanische Einwohner war es sogar die Muttersprache. Einige der von uns befragten Flüchtlinge sprachen mehrere Sprachen – Naseem zum Beispiel kam auf acht Sprachen, Gulshan auf fünf, Ali und Ines auf vier. Diese Sprachkenntnisse könnten sicherlich bei der Integration von Flüchtlingen in den Arbeitsmarkt genutzt werden. Die Teilnahme am Arbeitsmarkt ist oft ein geeignetes Mittel zum Erwerb von Sprachkenntnissen. Die meisten Frauen arbeiten jedoch nicht und die Männer arbeiten, soweit sie Arbeit haben, vorwiegend in einem Umfeld, in dem kein Deutsch gesprochen wird. In den Logistikunternehmen im Berliner Umland, in denen die meisten von ihnen tätig sind, kommen nach Angaben des Jobcenters 80 % der Mitarbeitenden aus dem Ausland, vor allem aus Polen. Die Arbeitsgruppen werden hier teilweise sogar nach Herkunftsländern eingeteilt, was die Wahrscheinlichkeit von Kontakten mit der deutschen Sprache weiter reduziert. Nicht alle Asylbewerber erhalten Zugang zu den durch das BAMF geförderten Sprachkursen. Ein Deutschkurs ist Teil des (in der Regel kostenlosen) Integrationskurses und umfasst 600 Unterrichtseinheiten zu je 45 Minuten. Darüber hinaus besteht der Integrationskurs aus einem so genannten Orientierungskurs (100 mal 45 Minuten). Man hat Anspruch auf einen Integrationskurs, so das BAMF, »wenn Sie Asylbewerber mit guter Bleibeperspektive (Eritrea, Syrien, Somalia, Afghanistan), arbeitsmarktnaher und vor dem 01.08.2019 eingereister Asylbewerber, Geduldeter mit einer Duldung nach § 60 a Abs. 2 Satz 3 AufenthG oder Inhaber einer Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 5 AufenthG sind.« In den Anhängen finden Sie die einschlägigen Rechtsvorschriften. Nach erfolgreichem Abschluss des Kurses hat man das Niveau B1 erreicht. Es gibt spezielle Sprachkurse für Menschen, die Analphabeten sind, die die lateinische Schrift nicht beherrschen oder große Bildungsdefizite haben. Danach gibt es zahlreiche Möglichkeiten, weitere Sprachkurse zur Integration in den Arbeitsmarkt zu belegen. Das Jobcenter und die Agentur für Arbeit entscheiden über die Anspruchsberechtigung und die Finanzierung. Die Komplexität des Angebots führt zu einer starken Abhängigkeit von der Hilfe Dritter, um ein (passendes) Angebot zu finden. Um einen Deutschkurs zu finden, ist
4. Sprachkenntnisse
man daher, wie die Befragten berichten, stark von der Motivation und den Kompetenzen der Sozialarbeiter abhängig, mit denen man zu tun hat, und von den eigenen Kompetenzen, geeignete Anbieter zu finden, meist über das Internet. Unabhängig davon ist es für die Geflüchteten sehr schwierig, Sprachkurse zu finden: Es gibt kaum erreichbares Angebot, die Wartelisten sind lang oder die Kurse haben lange Zeit pausiert wegen der Corona-Eindämmungsmaßnahmen. Das gilt sicherlich auch für die Deutschkurse, die von Ehrenamtlichen angeboten werden, ebenso wie für die Sprachcafés, die in der Zeit vor den Corona-Maßnahmen an zahlreichen Orten organisiert wurden. In der Zeit von Corona sind viele Freiwillige ausgestiegen. Viele frühere Aktivitäten wurden nach dem Ende der Epidemie nicht wieder aufgenommen. Kurzum, es besteht ein großer Bedarf an Deutschunterricht. Auch die von uns befragten Personen sagen fast alle, dass sie sehr gerne an solchen Kursen teilnehmen würden. Soweit wir wissen, nahmen aber im Frühling 2022 nur 26 Personen (von 517 Erwachsenen) an einem Deutschkurs teil. Zur Förderung der deutschen Sprachkenntnisse, die eine Voraussetzung für die Integration sind, sind mehrere Maßnahmen denkbar. Zunächst einmal müssen die Menschen so schnell wie möglich nach ihrer Ankunft in Deutschland mit dem Sprachunterricht beginnen, unabhängig von ihrem asylrechtlichen Status. Bis diese Rechtsposition geklärt ist, vergehen regelmäßig Jahre. Sehr oft machen die Menschen in dieser Zeit keinerlei Fortschritte in ihren Deutschkenntnissen, und die Betroffenen verlieren auch die Motivation und die psychische Belastbarkeit, diese Fortschritte noch zu machen. Eine Verpflichtung zur Teilnahme am Deutschunterricht besteht zu Unrecht nur für diejenigen, die eine Aufenthaltserlaubnis erhalten. Auch dies führt zur Unverbindlichkeit. Zweitens sollte das Angebot an Sprachkursen erhöht werden, um die Wartezeiten drastisch zu verkürzen. Auch sollten die Menschen besser über die vorhandenen Kurse informiert werden. Die überragende Bedeutung des Spracherwerbs für die Integration in die Gesellschaft und den Arbeitsmarkt muss allen Beteiligten – Flüchtlingen und Sozialarbeitern – noch einmal deutlich gemacht werden. Offenbar gibt es inzwischen große Unterschiede in der Energie und dem Aufwand, den die beteiligten Sozialarbeiter für die Unterbringung ihrer Bewohner in Sprachkursen betreiben. Doch die Flüchtlinge haben sich weder ihre Sozialarbeiter noch ihren Kreis oder ihr Bundesland ausgesucht. Wenn es um den Zugang zu Sprachkursen geht, haben sie Anspruch auf Chancengleichheit. Drittens scheint die Qualität der angebotenen Sprachkurse sehr unterschiedlich zu sein. Während einige Flüchtlinge sehr begeistert sind, berichten andere von Inkompetenz und Desinteresse seitens der Lehrer. Natürlich ist es die Aufgabe der staatlichen Stellen, die Qualität zu überwachen. Viertens gibt es Möglichkeiten des Selbststudiums über Internetkurse (man denke an das Angebot der Volkshochschule (https://www.vhs-lernportal.de)), die
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vielen nicht bekannt zu sein scheinen. Ein Problem ist außerdem, dass es oft schwierig ist, allein die nötige Motivation und Disziplin aufzubringen, um die Sprache auf diese digitale und damit relativ einsame Weise zu lernen. Die Einrichtung von Studiengruppen in Flüchtlingszentren, bei denen Sozialarbeiter die Vorreiterrolle übernehmen sollten, kann helfen. Fünftens berichten viele Flüchtlinge, dass in den Flüchtlingszentren nicht die nötige Ruhe zum Lernen herrscht. Man muss die Zimmer mit anderen teilen, es gibt Lärmbelästigung durch Kinder und Erwachsene. Neben einem Spielzimmer für Kinder, das in den meisten Zentren vorhanden ist, scheint es einen großen Bedarf an einem Arbeitszimmer zu geben. Hier könnten sich auch die oben erwähnten Studiengruppen treffen. Sechstens sollte für Eltern, deren Kinder nicht in einer Kindertagesstätte sind, eine Kinderbetreuung für die Zeit des Deutschunterrichts organisiert werden. Dies könnte durch Anbieter von Sprachkursen (wie das zum Beispiel in Berlin passiert) oder Flüchtlingszentren geschehen. Müttern mit traditionellem Rollenverständnis, die sich hinter ihren Kindern verstecken, sollte deutlich gemacht werden, dass auch von ihnen erwartet wird, sich über die Sprache in die deutsche Gesellschaft zu integrieren. Siebtens: Die vorhandenen Sprachkenntnisse werden zu wenig genutzt. Menschen, die Englisch, Französisch, Arabisch, Farsi, Türkisch oder Russisch beherrschen, haben manchmal direkten Zugang zum Arbeitsmarkt, entweder in Deutschland oder, über das Internet, außerhalb Deutschlands (cf. Blokland 2020). Statt darauf zu warten, dass sie in Sprachkursen die deutsche Sprache erlernen, kann die Integration und damit die Entwicklung von Deutschkenntnissen gefördert werden, indem man ihnen unmittelbare Möglichkeiten zur wirtschaftlichen Unabhängigkeit bietet. Achtens: Zahlreiche Unternehmen der Logistikbranche, in denen viele der beschäftigten Flüchtlinge Arbeit gefunden haben, bieten den Menschen kaum Möglichkeiten, ihre Deutschkenntnisse zu verbessern. Dies behindert die Möglichkeiten der vertikalen Mobilität innerhalb und außerhalb dieser Unternehmen erheblich. Die Behörden sollten mit diesen Unternehmen Gespräche darüber aufnehmen, wie diese Situation verbessert werden kann. Diese Unternehmen, die stark von der Anwesenheit von Migranten profitieren, können auch Sprachkurse während der Arbeitszeit organisieren und finanzieren. Wie in vielen anderen Marktwirtschaften sind auch in Brandenburg Wirtschaft und Politik eng miteinander verwoben (siehe Blokland 2022). Um wirtschaftliche Aktivitäten anzuziehen, stehen die politischen Entscheidungsträger im ständigen Dialog mit den Unternehmern. Teil dieser Gespräche kann auch die Verantwortung der Unternehmen sein, die soziale Integration von Neuankömmlingen zu fördern. Neuntens: Man muss die Möglichkeit haben, die Sprache zu benutzen und durch diese Benutzung zu entwickeln. Hier schmerzt es also, dass Migranten oft wenig
4. Sprachkenntnisse
oder gar keinen Kontakt zu Deutschsprachigen haben, oft sogar bei bezahlter Arbeit. Ich werde später noch ausführlich darauf zurückkommen, aber der Kontakt mit der deutschen Gesellschaft durch ehrenamtliche Arbeit in einem organisierten Rahmen kann hier eine der Möglichkeiten sein.
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5. Bildung der Erwachsenen
Über den Bildungsstatus und die mögliche formelle Berufsbildung der Geflüchteten ist oft wenig bekannt. Ein Sozialarbeiter schrieb uns: »Über den Bildungshintergrund der Leute weiß ich so gut wie gar nichts. Diese Daten habe ich niemals erhoben […]. Es ist mir auch kein Fall bekannt, der eine Ausbildung in Deutschland macht oder abgeschlossen hat. Es ist davon auszugehen, dass die Menschen in ihren Herkunftsländern irgendeinem Gelderwerb nachgegangen sind – wovon hätten sie sonst gelebt?« Es ist die Aufgabe des Jobcenters, Informationen über Qualifikationen und Kompetenzen zu sammeln, aber dies geschieht nur bei Geflüchteten mit guter Bleibeperspektive bzw. nach Abschluss des Asylverfahrens. Menschen mit laufendem Asylverfahren oder Duldung können sich bei der Agentur für Arbeit melden, wo auch eine Beratung angeboten werden kann, wenn die Ausländerbehörde signalisiert, dass sich der Asylstatus zügig klären wird. Alle übrigen Migranten werden vom Sozialamt betreut. Sie bekommen also keine Beratung und es werden auch keine Informationen über ihre Qualifikationen gesammelt. Auch aus datenschutzrechtlichen Gründen konnte uns das Jobcenter keine Auskunft über die Qualifikationen und Kompetenzen der Menschen geben, aber generell gilt, wie unsere eigene Umfrage und unsere Interviews zeigen, dass diese oft begrenzt sind. Auf die Frage, wie lange ihre Bewohner die Schule besucht haben, konnten die Sozialarbeiter und Heimleiter in 82,6 % der Fälle keine Antwort geben. Von denjenigen, von denen die Sozialarbeiter Bescheid wussten, hatten etwa 5 % noch nie eine Schule besucht, hatten etwa 20 % die Schule ein bis sechs Jahre lang besucht und über 50 % sieben bis zwölf Jahre lang. 15 % der Bewohner waren mindestens zwölf Jahre lang zur Schule gegangen. Die Frage, ob die Personen in ihrem Heimatland oder in Deutschland eine Berufsausbildung erhalten haben, die in Deutschland anerkannt wird, konnten die Sozialarbeiter in 62 % der Fälle nicht beantworten. Für 35 % der Bewohner war diese Frage jedoch zu verneinen und nur für 3 % zu bejahen. Wenn die 62 % der Personen mit unbekanntem Hintergrund mit den 38 %, deren Hintergrund bekannt ist, vergleichbar sind, könnte man diese Prozentsätze mit dem Faktor 3 multiplizieren.
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Dies würde bedeuten, dass nur etwa ein Zehntel der Bewohner eine in Deutschland anerkannte Berufsausbildung erhalten hat. Des Weiteren befanden sich im Frühling 2022 insgesamt 19 Personen (3,68 % aller Erwachsenen) in Ausbildung. Daher wird der Prozentsatz der Menschen mit Berufsausbildung in naher Zukunft nicht schnell steigen. In Anbetracht der Geschlossenheit des deutschen Arbeitsmarktes kann die Bedeutung der freiwilligen Arbeit für die Eingliederung in die deutsche Gesellschaft nur bekräftigt werden. Die Geflüchteten, mit denen wir gesprochen haben, äußerten einstimmig, dass sie arbeiten und ihr eigenes Einkommen verdienen wollen. Um dies zu ermöglichen, wollen sie zuerst (besser) Deutsch lernen. Die Möglichkeiten, dies strukturiert zu tun, sind jedoch, wie gesagt, begrenzt. Viele sehen keine Perspektiven in einer langfristigen beruflichen Weiterbildung: Sie wollen so schnell wie möglich ein Einkommen erzielen und unabhängig werden. Die in Deutschland gängige Logik, dass eine Ausbildung eine Investition in die Zukunft ist, lässt sich den Geflüchteten häufig schwer vermitteln. Und faktisch ist es leider auch so, dass viele die Prüfungen in der Berufsschule nicht bestehen, da ihre Sprachkenntnisse dem Fachvokabular nicht gewachsen sind und für die teilweise geringe Schulbildung auch die inhaltlichen Themen zu anspruchsvoll sind. Nur wenigen haben also eine in Deutschland anerkannte Berufsausbildung absolviert. In den Interviews haben wir festgestellt, dass die Menschen einen Beruf oft durch praktische Arbeit erlernt haben, regelmäßig von Familienmitgliedern oder Bekannten. Viele sind daher Friseure, Gärtner, Köche, Bauarbeiter oder Schneider. Manchmal übten sie mehrere dieser Berufe gleichzeitig oder nacheinander aus. Dabei waren sie oft in der informellen Wirtschaft unterwegs. Mehrere der von uns befragten Personen, insbesondere aus Afghanistan und afrikanischen Ländern, waren nicht oder nur selten zur Schule gegangen (cf. Rogers 2021). Dies betraf insbesondere, aber nicht ausschließlich, Frauen. Die Taliban, der Klerus oder die lokale Tradition hatten eine Schullaufbahn für Mädchen als unerwünscht oder unnötig definiert. Von Frauen wurde erwartet, dass sie zu Hause bleiben und sich um Kinder und Haushalt kümmern. In diesem Zusammenhang sprachen wir mit mehreren Personen, die sich in ihrem Heimatland weitgehend selbst versorgen konnten. Mit anderen Worten: Die Menschen hatten kaum an der formellen Wirtschaft teilgenommen und waren auch nicht durch Bildung darauf vorbereitet. Während einige Frauen kaum die Notwendigkeit sehen, sich weiterzubilden und auf eine Karriere in der formellen Wirtschaft vorzubereiten, sind andere, wie wir in mehreren Gesprächen feststellen konnten, tatsächlich hoch motiviert, diesen Weg einzuschlagen, ein Weg, der ihnen in ihrem Heimatland verwehrt war und der sie eigentlich dazu gebracht hatte, nach Deutschland oder Europa zu kommen. Wie bereits erwähnt, sollte Deutschland ihre Ankunft als Segen betrachten.
5. Bildung der Erwachsenen
Geflüchtete mit einer schlechten Bleibeperspektive können über eine berufliche Tätigkeit versuchen, in Deutschland Fuß zu fassen, also eigenes Geld zu verdienen und sich eine Wohnung zu suchen. Wenn die Menschen jedoch weder über eine gute Bleibeperspektive noch über eine gute Qualifikation und somit gute Chancen auf einen Arbeitslatz verfügen, ist die Integration am schwierigsten. Diese Menschen wohnen nach Jahren meist noch immer in Übergangsheimen. Vor allem explizit politische Flüchtlinge sind oft gut ausgebildet. Dies wurde in mehreren Interviews deutlich. Sie sprechen oft mehrere Sprachen, darunter auch Englisch. Ihr größtes Problem ist in der Regel, keinen Zugang zu Deutschkursen und zum Arbeitsmarkt zu bekommen. Viele Potenziale bleiben daher ungenutzt. Was die Erwachsenenbildung betrifft, so stehen wir vor mehreren politischen Entscheidungen. Ich möchte an dieser Stelle nur drei nennen. Erstens: Wenn Menschen aus politischen oder sozialen Gründen nicht in ihr Herkunftsland zurückkehren können und gleichzeitig aufgrund von Bildungsbenachteiligungen eine unüberbrückbare Lücke zum deutschen Arbeitsmarkt haben, ist es dann sinnvoll, die Betroffenen – oft wider besseres Wissen – auf einen Weg zu bringen, der sie durch eine Berufsausbildung auf diesen Arbeitsmarkt vorbereitet? Scheitern und Frustration sind dann so gut wie vorprogrammiert. Eine allgemeine Bildung, die sie in erster Linie dazu befähigt, als Bürger in unserer Gesellschaft zu funktionieren, erscheint sozial sinnvoller und würdiger. Und ein sinnvoller und produktiver Teil dieser Bürgerschaft könnte wieder die Freiwilligenarbeit sein. Zweitens scheint ein pragmatischer Umgang mit gut oder hoch qualifizierten Flüchtlingen ebenfalls angebracht. Anstatt jahrelang zu untersuchen, ob es sich bei den Betroffenen um »echte« Flüchtlinge handelt, sollte man ihnen schon aus Eigeninteresse einen direkten Zugang zum deutsch- oder fremdsprachigen Arbeitsmarkt im In- oder Ausland ermöglichen. Parallel dazu könnte man dann eventuell untersuchen, welchem asylrechtlichen Status die betreffenden Personen angehören. Drittens sollte eine Bestandsaufnahme der Qualifikationen und Kompetenzen aller Migranten unmittelbar nach ihrer Ankunft vorgenommen werden, und es sollte festgestellt werden, wo diese verbessert werden können oder müssen, um eine erfolgreiche Integration zu ermöglichen. Dies geschieht nun zunächst durch das Jobcenter nach Klärung des Asylstatus. So geht wertvolle Zeit, manchmal Jahre, verloren und Potenzial und Energie bleiben ungenutzt.
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6. Kindergarten und Schule
Bildung beginnt in der frühen Kindheit. Hier wird der Grundstein für die Integration in unsere Gesellschaft gelegt. Eltern aus unterschiedlichen sozialen Schichten erziehen und bilden ihre Kinder auf unterschiedliche Weise. Beim Eintritt in die Grundschule sind Kinder aus unteren sozialen Schichten gegenüber Kindern aus höheren Schichten oft schon erheblich benachteiligt. Das bestehende Schulsystem gleicht diese soziale Ungleichheit nicht aus, sondern verstärkt sie in der Regel noch. Die Bildungsungleichheit ist in Deutschland sehr hoch, höher als in vielen anderen westlichen Gesellschaften. Innerhalb des Systems gibt es kaum eine soziale Mobilität. Eine Erklärung für die Bildungsungleichheit ist das kulturelle Kapital. Eltern aus unteren Schichten haben andere Werte, Normen, Sitten und Erwartungen als Eltern aus höheren Schichten und statten ihre Kinder mit weniger oder anderem kulturellen Kapital aus. Da die Lehrer in der Regel aus der Mittel- und Oberschicht stammen, sind Kinder aus höheren Schichten in der Schule eher »zu Hause« (Passeron & Bourdieu 1970). Lehrer und Schüler aus der gleichen sozialen Schicht teilen kulturelle Codes und verstehen sich besser. Diese Codes bestimmen auch die Selektionsmechanismen. Die Bildungsungleichheit ist bei Menschen mit Migrationshintergrund tendenziell noch höher. Wenn Deutschland das Entstehen einer neuen ethnischen Unterschicht vermeiden will, sollten Kinder mit Migrationshintergrund so früh wie möglich eine Bildungseinrichtung besuchen können. Dort kann die Sprache erlernt werden, gibt es soziale Kontakte zu gleichaltrigen einheimischen Kindern und können die für die Integration wichtigen kulturellen »Codes« aufgenommen werden. Die Ausgangssituation zum Zeitpunkt der Studie in Teltow-Fläming war ernüchternd: Viele Kinder besuchten keine Kita. Im Frühjahr 2022 befanden sich insgesamt 255 Kinder in den Flüchtlingsheimen. Insgesamt 120 Kinder hätten eine Kindertagesstätte besuchen können. Insgesamt 93 Kinder waren weder in einer Kindertagesstätte noch in einer Schule. In letzterem Fall handelte es sich hauptsächlich um Kinder im Alter von 16 und 17 Jahren. Die Unterschiede zwischen den Gemeinden waren jedoch groß: Der Prozentsatz der Kinder, die weder einen Kindergarten noch eine Schule besuchten, lag zwischen 20 % und 60 %.
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Hans Blokland: Migrationspolitik auf der Flucht
Hierfür gibt es mehrere Erklärungen. Generell gibt es in Deutschland bereits einen Mangel an Kinderkrippenplätzen. Es fehlt an Personal mit entsprechender Berufsausbildung. Die relativ hohen Anforderungen, die die Behörden an das Personal und die Ausstattung der Kindertagesstätten stellen, erschweren die Eröffnung neuer Einrichtungen. Eine Rolle spielt auch, wie sehr sich die Kommunen für die Flüchtlinge in ihrer Gemeinde verantwortlich fühlen. In Blankenfelde-Mahlow war dies zum Beispiel kaum der Fall, anders als in Rangsdorf und Niedergörsdorf. Auch die Überzeugungskraft der Sozialarbeiter ist wichtig. Wie viel Druck sie auf Gemeinden und Kitas ausüben, um Plätze für Flüchtlingskinder zu schaffen oder anzubieten, ist von Sozialarbeiter zu Sozialarbeiter unterschiedlich. Zudem ist es für einige Bewohnergruppen weniger selbstverständlich, dass ihre Kinder in eine Kita gehen, als für andere. Aufgabe der Sozialarbeiter ist es dann, deutlich zu machen, dass der Nichtbesuch in der Regel bedeutet, dass die betroffenen Kinder kein Deutsch lernen und sich nicht an einen Schulalltag gewöhnen und dass der Rückstand, den sie dadurch gegenüber anderen Kindern aufbauen, später höchstwahrscheinlich nicht mehr aufgeholt werden kann. Die überwiegende Mehrheit der von uns befragten Personen wollte jedoch einen Betreuungsplatz für ihre Kinder. Sie konnten keinen bekommen, weil es zu wenige Plätze gab und weil die Erwerbstätigen, das heißt meist die Einheimischen, Vorrang hatten. So entsteht ein Teufelskreis: Weil man sich zu Hause um die Kinder kümmern muss, kann man keinen Deutschunterricht belegen oder eine Berufsausbildung machen, was die Arbeitssuche erschwert, was wiederum verhindert, dass man einen Krippenplatz bekommt. Die politischen Empfehlungen in Bezug auf Kindertagesstätten sind offensichtlich. Erstens ist es angesichts der ohnehin schon großen intersektionellen Ungleichheiten und Benachteiligungen gegenüber einheimischen Gleichaltrigen nicht hinnehmbar, dass so viele Flüchtlingskinder immer noch keinen Platz in einer Kita gefunden haben. Wenn wir ihre Chancen auf eine erfolgreiche Schullaufbahn etwas erhöhen wollen, ist die Schaffung von Möglichkeiten und Verpflichtungen zur Aufnahme dieser Kinder in Kindertagesstätten eine Grundvoraussetzung. Zweitens sind zusätzliche Programme wünschenswert, vor allem wenn sich bereits erhebliche Benachteiligungen entwickelt haben. Wer nicht rechtzeitig in Kinder investiert, wird in Zukunft eine ärmere Gesellschaft haben. Kinder von Flüchtlingen, insbesondere solche, die seit Jahren in Flüchtlingslagern leben, verdienen besondere Aufmerksamkeit in der Integrationsarbeit. Fluchterfahrungen und zusätzliche Traumatisierungen bei ihnen und ihren Eltern, die Lebensund Lernbedingungen in Flüchtlingsheimen sowie die bereits angesprochenen sozialen und wirtschaftlichen Benachteiligungen führen regelmäßig zu Entwicklungsverzögerungen und verminderten Bildungs- und Berufschancen. Um diesen Entwicklungen entgegenzuwirken, brauchen betroffene Kinder zusätzliche Unterstützung und Förderung. In den letzten Jahrzehnten wurden in den Vereinigten
6. Kindergarten und Schule
Staaten zum Beispiel viele Erfahrungen mit Programmen gesammelt, die sich auf »Social Emotional Learning« (SEL) konzentrieren. Damit sollen die Fähigkeiten gestärkt werden, die eigenen Emotionen zu verstehen und zu regulieren, persönliche und schulische Ziele zu definieren und zu erreichen, positive, empathische Beziehungen zu anderen aufzubauen und eigene durchdachte Entscheidungen zu treffen (Dusenbury et al. 2017). Programme zum sozial-emotionalen Lernen wurden bereits umfassend evaluiert und haben sich als kurz- und langfristig sehr effektiv erwiesen.1 Man könnte, drittens, auch an »Buddy-Programme« denken, wobei ein Flüchtlingskind eine Freundin oder einen Freund bekommt, zum Beispiel 17- bis 25-jährige Schüler und Studenten, mit der oder dem das Kind sich regelmäßig trifft und wobei die kulturellen Kompetenzen vermittelt werden, die Kinder brauchen, um in einem Schulsystem erfolgreich zu sein. Auch deutschen Kinder aus den unteren Schichten der Gesellschaft fehlen manchmal diese Kompetenzen, wodurch sie weniger Chancen in der Schule haben, unabhängig von ihren kognitiven Fähigkeiten.2
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Durlak et al. (2011) führten beispielsweise eine Metastudie über 213 SEL-Programme in den Vereinigten Staaten durch und stellten eine signifikante Verbesserung der sozialen und emotionalen Fähigkeiten sowie der schulischen Leistungen fest. Sklad et al. (2013) untersuchten dasselbe in Europa mit 75 Studien und fanden positive Auswirkungen auf »soziale Fähigkeiten, antisoziales Verhalten, Substanzmissbrauch, positives Selbstbild, schulische Leistungen, psychische Gesundheit und prosoziales Verhalten«. Eine Studie von Green et al. (2021) zeigte, dass Schüler, die an einem SEL-Programm teilnahmen, »signifikante Verbesserungen in Bezug auf das Wissen über Lehrplaninhalte und -prinzipien, Kommunikations-, Entscheidungs- und Problemlösungsfähigkeiten, emotionale Regulierung und Resilienz im Vergleich zu Schülern in der Vergleichsgruppe zeigten«. Mit Unterstützung des Deutschen Kinderhilfswerks und der Deutschen Postcode Lotterie führt Social Science Works nun ein Projekt mit sechs Kindergruppen in Brandenburg durch, bei dem ein Teil dieser Methodik zum Einsatz kommt. Berichte über dieses Projekt finden Sie auf unserer Website. In Deutschland gibt es das Programm »Arbeiterkind« (https://www.ArbeiterKind.de), in den Vereinigten Staaten bereits seit 1904 das Programm »Big Brothers, Big Sisters« (https://www .bbbs.org). Untersuchungen zu den langfristigen Auswirkungen dieser Programme zeigen, dass sich die schulischen Leistungen der Kinder verbessern, aber die Intervention muss von Dauer sein (Tierney et al. 1995; Herrera et al. 2011).
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7. Integration in den Arbeitsmarkt
Oben haben wir bereits einige allgemeine Entwicklungen im Bereich der Arbeitsmigration erörtert. Im Folgenden wird kurz auf die Schwierigkeit der Arbeitsintegration, auch im internationalen Vergleich, eingegangen, auf die Frage, wer eigentlich arbeiten darf, auf die Situation in Teltow-Fläming, auf die Erklärungen für die relativ geringe Erwerbsbeteiligung insbesondere der in den Übergangsheimen untergebrachten Menschen und auf die Verbreitung von Schwarzarbeit. Wie in jedem Abschnitt schließen wir mit einigen möglichen politischen Anpassungen.
7.1
Der lange Weg zur Arbeitsintegration
Die Integration von Neuankömmlingen in den Arbeitsmarkt ist ein sehr langer Prozess. Untersuchungen zeigen zum Beispiel, dass nur 65 % der Geflüchteten, die in den Jahren 1997 bis 1999 in Schweden ankamen, zehn Jahre später einen Job hatten (Robinson und Käppeli 2018). Ein wichtiges Problem ist, dass viele Geflüchtete und Migranten vergleichsweise gering qualifiziert sind und sich in einem hoch entwickelten Land in einem relativ kleinen Segment des Arbeitsmarktes behaupten müssen (Dustmann 2016: 25–8). In den Niederlanden ist die Situation nicht wesentlich besser. Dagevos, Schans und Uiters schreiben: »Obwohl sich seit 2015 in der Politik viel getan hat, ist die Arbeitsmarktlage von Statusinhabern weiterhin besorgniserregend […]. In den ersten zwei Jahren nach der Erteilung einer Aufenthaltsgenehmigung liegt die Erwerbsbeteiligung unter 10 % (Zahlen für Statusinhaber, die 2014 eine Aufenthaltsgenehmigung erhalten haben). Fünf Jahre nach Erteilung der Genehmigung gehen 45 % einer bezahlten Beschäftigung nach« (2021: 17). Besorgniserregend ist auch, dass die meisten Menschen kurzfristige Teilzeitverträge haben, die oft nicht genug Einkommen bringen, um völlig unabhängig vom Staat zu sein. Die Autoren schreiben:
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Hans Blokland: Migrationspolitik auf der Flucht
»Von den Inhabern des Arbeitsstatus sind 73 % teilzeitbeschäftigt und 84 % haben einen befristeten Arbeitsvertrag.1 Dies ist ein wichtiger Grund dafür, dass für nur 26 % der Inhaber des Arbeitsstatus die Arbeit die Haupteinkommensquelle ist (während 45 % beschäftigt sind). Obwohl die Beschäftigungsquote der Statusinhaber mit zunehmender Aufenthaltsdauer steigt, ist die Arbeitsmarktposition nicht stabil, und das Arbeitseinkommen ist häufig niedriger als die Leistung« (2021: 17). Deshalb setzen die Niederlande stark auf Freiwilligenarbeit: Sie bietet unmittelbarere Möglichkeiten zum Erlernen der Sprache, zum Sammeln einschlägiger Erfahrungen und zum Aufbau von Netzwerken, die für die Integration unerlässlich sind, als die sehr langen Ausbildungs- und Berufsschulzeiten, die in Deutschland im Allgemeinen angeboten werden. Ich werde später darauf zurückkommen.
7.2 Wer darf arbeiten? Es wird oft angenommen, sowohl von den Sozialarbeitern als auch von den Geflüchteten selbst, dass Geflüchtete nicht arbeiten dürfen. Dies ist aber nicht immer der Fall. Asylbewerber und Geduldete benötigen grundsätzlich eine Arbeitserlaubnis, die durch die örtliche Ausländerbehörde erteilt wird. Die Bundesagentur für Arbeit muss der Beschäftigung in der Regel zustimmen. Asylbewerber mit minderjährigen Kindern haben nach sechs Monaten einen Arbeitsmarktzugang. Im Übrigen kann Asylbewerbern drei Monate nach Asylantragstellung die Aufnahme einer Beschäftigung erlaubt werden (ausgenommen sind Asylbewerber aus sicheren Herkunftsstaaten). Wird der Asylantrag abgelehnt, aber eine Duldung erteilt, kann mit Erlaubnis der Ausländerbehörde nach sechs Monaten Aufenthalt eine Beschäftigung aufgenommen werden.2 Die Arbeitserlaubnis kann verweigert werden, wenn die Geduldeten der sogenannten Mitwirkungspflicht nicht nachkommen, zum Beispiel bei der Beschaffung ihrer Identitätsdokumente. Regelmäßig haben Flüchtlinge keine Ausweispapiere mehr, weil ihnen u.a. von Schleusern gesagt wurde, dass man nicht abgeschoben werden kann, solange man keine Papiere hat. In diesem Fall wissen die deutschen Behörden nämlich nicht, in welches Land die Betroffenen abgeschoben werden sollen, und das Land, in dem sie möglicherweise ankommen, kann die Einreise verweigern, weil sie keine gültigen Ausweispapiere haben. Dies führt zu einer PattSituation: Solange man keine Ausweispapiere hat, darf man nicht arbeiten (und sich 1 2
Kohorte der Inhaber des Arbeitsstatus, die seit 2014 eine Genehmigung erhalten haben, Zahlen für das erste Halbjahr 2020. https://www.bmas.de/DE/Themen/Arbeitsmarkt/Infos-fuer-Asylsuchende/arbeitsmarktzu gang-asylbewerber-geduldete.html
7. Integration in den Arbeitsmarkt
damit eine eigene Existenz aufbauen), aber sobald man diese Papiere abgibt oder erwirbt, riskiert man die Abschiebung. Diese Pattsituation kann nur durchbrochen werden, wenn man den Betroffenen die Angst vor dieser Abschiebung nimmt. Dies kann zum Beispiel dadurch geschehen, dass garantiert wird, dass diese Abschiebung nicht innerhalb eines bestimmten Zeitraums erfolgt, eines Zeitraums, in dem man die Möglichkeit hat, sich eine unabhängige Existenz aufzubauen. Man kann auch die Attraktivität der Rückwanderung erhöhen, indem man sie beispielsweise großzügiger unterstützt, als es derzeit der Fall ist.3 Wer genau unter welchen Bedingungen arbeiten darf, ist für viele nicht transparent und scheint auch zu einem nicht unerheblichen Teil davon abzuhängen, wie die zuständigen Beamten der örtlichen Ausländerbehörden die Gesetze und Vorschriften sowie die Situation des betreffenden Flüchtlings auslegen. Sie müssen z.B. beurteilen, inwieweit die Mitwirkungspflicht erfüllt ist. Diesbezügliche Urteile sind zwangsläufig teilweise subjektiv. Dies hat zur Folge, dass scheinbar ähnliche Fälle in verschiedenen Landkreisen oder Bundesländern unterschiedlich behandelt werden. Da die Flüchtlinge regelmäßig miteinander in Kontakt sind, führt dies zu Unverständnis und Frustration.
7.3 Erklärungen für die niedrige Erwerbsbeteiligung Wie wir gesehen haben, waren von den 393 Männern in unseren Daten 115 (29 %) beschäftigt oder in Ausbildung. Das Gleiche galt für 13 von 124 Frauen (10,4 %). Von allen Erwachsenen waren 20 % vollzeitbeschäftigt, 4 % befanden sich in einer Berufsausbildung und 53 % waren arbeitslos. Bei etwa einem Fünftel war die Beschäftigungssituation den Sozialarbeitern unbekannt. Folglich war die Gesamtarbeitslosigkeit höchstwahrscheinlich etwa 70 %. Im vorangegangenen Abschnitt haben wir gesehen, dass Flüchtlinge häufiger arbeiten dürfen, als oft angenommen wird. Offenbar werden die bestehenden legalen Möglichkeiten nicht voll ausgeschöpft. Wie wir auch in der Analyze von der Interviews bereits sahen, gibt es hierfür mehrere Erklärungen. Erstens wissen Flüchtlinge und Sozialarbeiter regelmäßig nicht oder nur unzureichend über die rechtlichen Möglichkeiten einer bezahlten Arbeit Bescheid. Die
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Wenn Menschen freiwillig in ihr Herkunftsland zurückkehren, können sie finanzielle Unterstützung für ihre Heimreise und den Aufbau einer Existenz im Heimatland erhalten. Wie hoch diese ist, hängt vom Heimatland ab, beträgt aber selten mehr als ein paar Tausend Euro. Im Jahr 2022 nutzten fast 8000 Menschen diese Regelung, 2016 waren es noch 55.000. Dabei handelte es sich im Jahr 2022 vor allem um Menschen aus Nordmazedonien (25 %), Irak (16 %), Albanien (15 %), Georgien (12 %) und Serbien (7 %) (https://www.bamf.de/DE/T hemen/Statistik/FreiwilligeRueckkehr/freiwilligerueckkehr-node.html).
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Hans Blokland: Migrationspolitik auf der Flucht
Flüchtlinge versuchen daher nicht, Arbeit zu finden, und die Sozialarbeiter und Ehrenamtlichen ermutigen sie auch nicht zu einer Arbeitssuche. Der Abstand zwischen der Nachfrage des deutschen Arbeitsmarktes und dem Angebot an Kenntnissen und Fähigkeiten der Flüchtlinge ist zweitens in der Regel sehr groß. Die Anpassung von Angebot und Nachfrage im Rahmen der geltenden Arbeitsmarktvorschriften dauert in der Regel viele Jahre. Für viele ist es eine fast unlösbare Aufgabe, diese Lücke zu schließen. Die meisten Bewohner verfügen drittens über keine Qualifikationen, die es ihnen ermöglichen würden, Arbeitsplätze mit wirklich attraktiven Arbeitsbedingungen und Entlohnungen zu finden. Die Menschen arbeiten meistens am unteren Ende des Arbeitsmarktes, das heißt mit prekären Arbeitsverträgen und ohne viele Möglichkeiten der vertikalen Mobilität. Damit zusammenhängend ist das Einkommen so niedrig und die Abgaben so hoch, dass sich die Erwerbsarbeit im Verhältnis zum ALGII (Arbeitslosengeld II oder Harz IV) kurzfristig nicht lohnt. »Wer gibt sich schon eine knallharte 40-Stundenwoche für 150 Euro mehr? Selbst diese sind ganz schnell wieder weg, wenn die ganzen Vergünstigungen wegfallen«, sagte uns ein Heimleiter. Langfristig könnte bezahlte Arbeit attraktiver sein, wenn die Arbeit eine Investition in die Zukunft wäre und vertikale Mobilität bei besseren Arbeitsbedingungen und Entlohnung erreicht werden könnte. Diese Perspektive ist jedoch nicht sicher, wenn es sich um prekäre Beschäftigung handelt. Hier stößt man auf ein allgemeines sozioökonomisches Problem – die soziale Ungleichheit der Einkommen –, mit dem auch deutsche Arbeitnehmer konfrontiert sind. Viertens: Viele Menschen haben gesundheitliche Probleme, die ihnen die Teilnahme an Bildung, Arbeit und Gesellschaft erschweren. Wir werden dies später näher erläutern. Unter Bezugnahme auf verschiedene Studien schreiben Odé und Dagevos über die Situation in den Niederlanden: »Die Flucht aus dem Herkunftsland, die Flucht selbst, der (längere) Aufenthalt in Aufnahmeeinrichtungen in den Niederlanden und die Ungewissheit über den Aufenthalt von Familienangehörigen anderswo; all dies sind Gründe, warum viele Statusinhaber mit depressiven Symptomen oder mit einem posttraumatischen Stresssyndrom zu kämpfen haben (Gezondheidsraad 2016; Schellingerhout 2011). Probleme mit der (psychischen) Gesundheit bremsen die Teilhabe in verschiedenen Bereichen, wie Bildung, Integration und Arbeitsmarkt (Dourleijn & Dagevos, 2011).« (2017: 452) Nach einer langen Phase der Untätigkeit und Unklarheit entsteht, fünftens, eine »Armutskultur« der zerbrochenen Hoffnung, der ständig wachsenden Enttäuschung, der Resignation, der Lethargie und Apathie. Wir haben dies in der Analyse der Interviews ausführlich behandelt und werden im Folgenden noch einmal darauf
7. Integration in den Arbeitsmarkt
zurückkommen. Mit der Zeit wird es immer schwieriger, die Beteiligten zu aktivieren. Dies ist kein Phänomen, das ausschließlich bei (spezifischen Gruppen von) Migranten oder Geflüchteten beobachtet werden kann. Arbeitslose, arbeitsunfähige Personen und andere Menschen, die nicht am gesellschaftlichen Leben teilnehmen können oder dürfen, sind Opfer des gleichen Trends, wie in der soziologischen Literatur allgemein bekannt ist. Im schlimmsten Fall führt die ständige Frustration zu einer Radikalisierung, bei der sich die Betroffenen in oft neu geschaffene Identitäten zurückziehen, auf deren Basis sie sich gegen die Gesellschaft abgrenzen. Nach Einschätzung der beteiligten Sozialarbeiter kann dieser Prozess bisher nicht beobachtet werden. Bei einer großen Minderheit überwiegt die Resignation. Einige Menschen haben, sechstens, ein mangelndes Verständnis für ihre Situation sowie ihre eigene Verantwortung für die Gestaltung ihres Lebens. In den ersten Jahren gab es auch keine klaren Signale für diese Eigenverantwortung. Die Umgebung aus professionellen und ehrenamtlichen Helfern übernahm in hohem Maß die Aufnahme und Versorgung, stellte aber kaum Bedingungen oder Forderungen. Eine Auseinandersetzung über solche Erwartungen wurde und wird aus Angst vor Konflikten und Kritik vermieden. Dadurch ist manchmal ein Leerraum, eine Kultur der Unverbindlichkeit, entstanden. Auch das Asylsystem zeichnet sich dadurch aus, dass den Menschen, solange sie sich im Asylverfahren befinden, keinerlei Druck gemacht wird, Schritte in Richtung Arbeitsaufnahme oder Spracherwerb zu gehen. Die Äußerungen von Sarah über ihre Erfahrungen in diesem Bereich illustrieren dies. Hier ist eine sehr hohe intrinsische Motivation gefordert. Zudem türmen sich dann oftmals schier unüberwindbare administrative Hürden auf, die nur mit sehr viel Hilfestellung genommen werden können. Ein klarer Integrationsplan, der auf den persönlichen Hintergrund der Betroffenen zugeschnitten ist, wird eigentlich nie erstellt.4 Ich werde später darauf zurückkommen.
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Alle Personen zwischen 20 und 64 Jahren, die eine Aufenthaltsgenehmigung erhalten haben, haben zum Beispiel in Schweden Anspruch auf ein Einführungsprogramm (Robinson und Käppeli 2018; OECD 2014). Dieser Zweijahresplan wird von der öffentlichen Arbeitsverwaltung koordiniert. Es beginnt mit einem Interview, um die Erfahrungen, die Ausbildung und die Ambitionen des Begünstigten zu beurteilen. Zusammen mit den familiären Umständen und der Gesundheit bilden diese die Grundlage für den Plan. Dieser besteht aus drei Hauptaktivitäten, mit denen die Teilnehmer 40 Stunden pro Woche beschäftigt sind: das Erlernen der schwedische Sprache, das Erlernen eines Grundwissens über die schwedische Gesellschaft, und Beschäftigungsvorbereitung, einschließlich des Sammelns von Arbeitserfahrung.
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7.4 Nicht angemeldete Erwerbstätigkeit Mehrere Befragte gaben an, schwarz gearbeitet zu haben oder dies noch immer zu tun. Auch die Sozialarbeiter berichteten über nicht angemeldete Erwerbstätigkeit. Dabei handelt es sich in der Regel um »Wirtschaftsflüchtlinge«, die den Status einer »Duldung« erhalten haben. Im Prinzip wird von ihnen erwartet, dass sie das Land verlassen, sie dürfen weder arbeiten noch studieren, werden aber nicht ausgewiesen. Ihre Motivation, nach Deutschland zu kommen, war, sich materiell zu verbessern und, wenn möglich, Geld an die Familie in der Heimat zu schicken. Auch diese Familie, die oft viel in die Reise investiert hat, rechnet mit dieser Hilfe. Wenn die Betroffenen nicht legal arbeiten können, tun sie es illegal. In seiner Masterarbeit Illicit Economic Asylum Seekers in Berlin and Brandenburg from Pakistan (Illegale Wirtschaftsasylanten in Berlin und Brandenburg aus Pakistan) (2019) hat Zaeem Mahmood Butt eine empirische Studie zur wirtschaftlichen Situation der großen illegalen pakistanischen Community in Berlin und Brandenburg durchgeführt. Schätzungen zufolge lebten im Jahr 2019 fast 33.000 illegale Pakistaner in Deutschland. Die überwiegende Mehrheit von ihnen arbeitet offensichtlich schwarz, schließlich ist man illegal (Butt 2019: 78). Butt befragte 40 Landsleute, die er in Geldbüros ansprach, in denen sie Geld nach Hause überwiesen. Alle Mitglieder dieser Gemeinschaft arbeiteten schwarz, und 38 der 40 Befragten schickten monatlich Geld an die Familie zu Hause, die im Durchschnitt aus acht Personen bestand (Vater, Mutter, Großeltern, Brüder und Schwestern). Im Durchschnitt gaben die Befragten an, in Deutschland 1298 € pro Monat zu verdienen, wovon durchschnittlich 791 € pro Monat an die Familie in Pakistan überwiesen wurden. Zuvor hatten die Beteiligten in Pakistan durchschnittlich 264 € verdient (Butt 2019: 48–9). Mehr als die Hälfte der Befragten gab an, dass die Familie in Pakistan ohne ihre finanzielle Hilfe nicht überleben könnte (Butt 2019: 64). Im Durchschnitt überstiegen ihre Lebenshaltungskosten und ihre Wohnkosten in Berlin und Brandenburg nicht mehr als 440 € pro Monat. Um nach Deutschland zu kommen, hatten die Pakistaner in den fünf Jahren vor 2019 zwischen 1000 und 9000 € investiert, im Durchschnitt 5175 €. In der Regel hatte die Familie dieses Geld zur Verfügung gestellt. Sie wollte diese Investition wieder ausgleichen. Daher konnte der Einzelne auch nicht nach Hause zurückkehren, ohne dort eine große Anzahl von verärgerten oder enttäuschten Menschen zu erwarten. Fast alle Befragten hatten einen Menschenschmuggler mit der Organisation der Reise beauftragt. Fast alle hielten sich für ein Opfer von Falschinformationen. Die Schmuggler hatten ihnen vorgegaukelt, dass sie in Europa leicht und schnell einen guten Job, eine gute Wohnung und eine Aufenthaltsgenehmigung bekommen würden (2019: 77). Interessanterweise neigte die Familie dazu, das Kind mit der geringsten Bildung ins Ausland zu schicken, um die Ausbildung der anderen in Pakistan zu ermöglichen (2019: 53).
7. Integration in den Arbeitsmarkt
Auf die Frage, warum sie Pakistan verlassen hatten, antworteten 28 bzw. 27 Befragte: »auf der Suche nach besseren Lebensmöglichkeiten für sich selbst« und »mangelnde Beschäftigungsmöglichkeiten im Land« (2019: 54). Fast keiner der 40 Befragten hatte die Absicht, Asyl zu beantragen. Sie waren sich im Allgemeinen darüber im Klaren, wie kompliziert und langwierig dieses Verfahren ist. Fidvi aus Pakistan, den wir interviewt haben, hatte dies am eigenen Leib erfahren. Die Beamten, die unsere Nachforschungen beaufsichtigten, wollten nicht, dass wir das Vorhandensein von Schwarzarbeit melden. Dies könnte als Kritik an der Behörde gewertet werden, die die nicht angemeldete Erwerbstätigkeit offenbar nicht ausreichend überwacht hat. Natürlich ist diese Verneinung keine strukturelle Lösung. Es scheint produktiver zu sein, die Politik zu stärken, die Wirtschaftsmigration ermöglicht und steuert, damit die Beteiligten Steuern zahlen, sozialversichert sind und aus der Illegalität herauskommen. Menschen jahrelang in einer »Duldung« verharren zu lassen, ist ebenfalls nicht sehr produktiv. Nach einer Ablehnung, auch im Berufungsverfahren, ist man als Asylbewerber »ausreisepflichtig« oder nicht. Eine Ausreisepflicht, die fünf bis zehn Jahre lang nicht durchgesetzt wird, ist bedeutungslos. Wenn man den Betroffenen gleichzeitig verbietet, sich zu integrieren und zu arbeiten, schafft man Illegalität. 25 der 40 befragten pakistanischen Männer gaben zudem an, dass sie durch die Heirat mit einer deutschen Staatsangehörigen eine Aufenthaltsgenehmigung erhalten wollten. Bei mehreren Frauen aus Ländern wie Kamerun und Nigeria wurde ebenfalls festgestellt, dass sie ein Kind mit einem deutschen Staatsbürger hatten. Da das Kind die deutsche Staatsangehörigkeit besaß, war der Aufenthalt der Mutter garantiert. In Ländern, in denen das Kinderkriegen – zum Teil aufgrund fehlender Sozialsysteme – auch eine Altersvorsorge ist, gibt es weniger moralische Barrieren als in einem Land wie Deutschland, in dem Ehe und Elternschaft vor allem romantisch betrachtet werden.
7.5 Was zu tun ist Soweit dies überhaupt möglich ist, wird Deutschland schon aus wirtschaftlichem Eigeninteresse die Wirtschaftsmigration in Zukunft stärker selbst organisieren und regeln müssen. Auf diese Weise kann auch der nicht angemeldeten Erwerbstätigkeit und den damit verbundenen Problemen für die Betroffenen, wie zum Beispiel dem Fehlen einer Sozialversicherung, entgegengewirkt werden. Darüber hinaus haben wir bereits gesehen, dass der Ruhestand einer großen Zahl von Babyboomern in den kommenden Jahren große Probleme auf dem Arbeitsmarkt verursachen wird. Dies ist ein weiterer Grund, warum die Regierung kürzlich eine Reform des Einwanderungsrechts angekündigt hat. Für die Aufnahme einer Tätigkeit in Deutschland reichen u.a.nachweisbare Berufserfahrung und im Herkunftsland erworbene Ab-
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schlüsse aus. Das Verfahren zur Anerkennung der Diplome könnte parallel zur Erfassung der Beschäftigung laufen. Bei vielen Bewohnern von Übergangswohnheimen bleibt jedoch das Problem, dass man keine nachweisbare Berufserfahrung und auch keine im Heimatland erworbenen Diplome hat. Oftmals erlernten sie einen Beruf durch praktische Tätigkeit und waren in der informellen Wirtschaft unterwegs. Angesichts der Erfolglosigkeit früherer Versuche, besser ausgebildete Arbeitskräfte nach Deutschland kommen zu lassen, bleibt abzuwarten, ob die angekündigten politischen Änderungen auch für diese Fachkräfte angemessen sein werden. Das Bewusstsein, dass hier ein Problem droht, scheint jedoch zu wachsen. Auf einer niedrigeren Ebene bleibt die Beherrschung der deutschen Sprache für viele eine Voraussetzung für die Integration in den Arbeitsmarkt, insbesondere wenn sie kein Englisch sprechen. Auch hier sind die Erfahrungen in den Niederlanden bemerkenswert. Von den Flüchtlingen, die zwischen 1995 und 1999 in dieses Land kamen, hatten 2015 nur 15 % einen niederländischen Berufsabschluss erworben. Fast alle diese Personen waren jedoch im Jahr 2015 beschäftigt. Außerdem besteht ein enger Zusammenhang zwischen der Beherrschung der Sprache und dem Erwerb eines Diploms im Ankunftsland (Odé und Dagevos 2017: 452). Dies ist ein weiterer Grund, warum, wie bereits erwähnt, die Bemühungen um die Vermittlung der deutschen Sprache für die Integration in den Arbeitsmarkt Priorität haben müssen. Zum Schluss: Die schlechte psychische Verfassung vieler Menschen behindert die Integration in den Arbeitsmarkt. Wenn man Letzteres fördern will, muss man zuerst an Ersterem arbeiten. Eine starke Verbesserung der Gesundheit tritt bereits ein, wenn die Menschen eine eigene Wohnung haben. Die Zeit die Menschen in Übergangswohnheimen verbringen, sollte schon deshalb so kurz wie möglich sein.
8. Verwaltung »Die formalen Zuständigkeiten für Migrations- und Integrationspolitik sind in Deutschland über alle föderalen Ebenen verteilt. Dies sorgt dafür, dass nicht nur Bürgerinnen und Bürger verwirrt sind, wer nun wofür verantwortlich ist. Selbst Verwaltungsmitarbeitende oder Bürgermeister sind sich nicht immer sicher, welche Aufgaben bei ihnen liegen. Im Zweifel bleiben sie passiv oder verweisen auf andere Ebenen.« (Schammann et al. 2020: 5).
8.1
Die Aufteilung der Zuständigkeiten
In Deutschland sind die Zuständigkeiten der verschiedenen politischen Ebenen – Bund, Bundesländer, Landkreise und Kommunen – durch das Grundgesetz geregelt. In Bezug auf Asyl und Integration, aber auch vielen anderen Arbeitsbereichen kann schnell der Überblick verloren gehen und der Eindruck entstehen, die Verantwortlichkeiten würden von den Akteuren hin und her geschoben. Dies wurde uns in Bezug auf die Arbeit mit Geflüchteten von unseren Interviewpartnern ebenfalls berichtet. Für die Asylverfahren ist der Bund (§74 Absatz 1 Nr. 4 und 6 GG) zuständig. Anträge werden vom Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) bearbeitet, das dem Innenministerium unterstellt ist. Das BAMF ist ebenfalls für die Integrationskurse und die Berufssprachkurse zuständig, die vom Bund finanziert werden und nur Asylbewerbern mit guter Bleibeperspektive zustehen, die wiederum verpflichtet sind, daran teilzunehmen. Über das Asylbewerberleistungsgesetz (AsylbLG) regelt der Bund weiterhin den Zugang zu Sozialleistungen und Gesundheitsversorgung. Zuständig ist hier das Bundesministerium für Arbeit und Soziales. Die hier angelegte Spannung zwischen einem wohlfahrtsstaatlichen und einem ordnungsrechtlichen Ansatz setzt sich bis auf die Ebene der Länder und Kommunen fort.
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Die Bundesländer übernehmen über die Ausländerbehörden hauptsächlich die Migrationsverwaltung, sind für die Unterbringung der Asylbewerber zuständig und können humanitäre Aufenthaltstitel vergeben. Auch die Umsetzung des AsylbLG hat der Bund an die Länder delegiert. Dafür erhalten die Bundesländer seit 2016 eine Pauschale von 670 € pro Asylbewerber. In der Praxis werden die unterschiedlichen Aufgaben dann häufig an die Kreise und Kommunen weiterdelegiert, wo die tatsächliche Integration stattfindet. Da sie grundsätzlich über große Handlungsspielräume in den Bereichen Bildung, Kultur und Religion verfügen, können die Bundesländer auch integrationspolitische Schwerpunkte setzen. Einige Bundesländer bieten Sprachkurse für Ausländer an, die (noch) nicht an einem Integrationskurs des Bundes teilnehmen konnten. In Brandenburg fördert das Sozialministerium (MASGF) über das Programm »Deutschkurse für Flüchtlinge« 600 Unterrichtseinheiten bis Niveau B2. Aufgrund von Personalmangel, Mangel an Räumen und der Pandemie wurden seit längerer Zeit in vielen Orten keine Kurse angeboten. Kommunen müssen die durch Bund und Länder zu ihnen delegierten Aufgaben erfüllen. Grundsätzlich wird zwischen Pflichtaufgaben und freiwilligen Aufgaben der Kommunen unterschieden. Pflichtaufgabe ist der Vollzug des Aufenthaltsrechts. Insbesondere nach Ablehnung eines Asylantrages entscheiden die kommunalen Ausländerbehörden über die Duldung, Abschiebehindernisse und können den Zugang zu Arbeit, Ausbildung und Studium verwehren, wenn der »Mitwirkungspflicht« nicht nachgekommen wurde. Weitere Pflichtaufgabe der Kommunen ist die Umsetzung des AsylbLG. Wie auch in diesem Fall ist die Unterbringung der Geflüchteten besonders heikel. Durch das Land werden Mindeststandards vorgegeben und eine Pauschale gezahlt. Ob Eigenmittel eingebracht werden, ob die Geflüchteten zentral oder dezentral untergebracht werden, entscheidet die Kommune, in diesem Fall die Kreisverwaltung. Die Gemeinde muss geeignete Liegenschaften nennen. Weitere pflichtige Aufgaben bestehen nicht. Aufgaben, die über die Verwaltung und Unterbringung hinausgehen, also auf eine langfristige soziale und kulturelle Integration der Geflüchteten abzielen, wie Sprachkurse, Beratungsstellen für Migranten, Begegnungsprojekte und Koordinierungsstellen gehören zu den freiwilligen Aufgaben der Kommunen.1 Hier wird auch das Spannungsfeld deutlich, das sich für die Kommunen als Orte, wo die eigentliche Integration stattfindet, ergibt. Das Asylrecht teilt Asylbewerber ein in Kandidaten mit guter und Kandidaten mit schlechter Bleibeperspektive. Wobei letztere
1
»Persönliches Engagement von Schlüsselpersonen und lokale Narrative bzw. Frames [spielen] eine wichtige Rolle« bei der Frage, inwieweit die lokalen Behörden diese Aufgaben übernehmen, ist das Ergebnis einer Umfrage unter einer großen Anzahl von Kommunen (Schammann et al. 2020). Auch in Teltow-Fläming waren die Unterschiede zwischen den Gemeinden bezüglich Engagement und Verantwortung beträchtlich.
8. Verwaltung
formal keinen Zugang zu den staatlichen Integrationsangeboten haben. Faktisch verbleiben aber große Teile dieser Gruppe auch nach einem negativen Asylbescheid in Deutschland, also in den Kommunen oder Landkreisen, wo sie anfangs untergebracht waren.2 Erfüllen Kommunen also nur ihre pflichtigen Aufgaben – vielleicht in dem Glauben, dass die Geflüchteten entweder das Land wieder verlassen oder in die Großstädte ziehen – werden sie nach einigen Jahren mit der Realität konfrontiert, dass in ihrer Gemeinde Menschen leben, die kein Deutsch sprechen, keine Arbeit haben und nicht am gesellschaftlichen Leben teilnehmen.
8.2 Erfahrungen von Flüchtlingen mit der Bürokratie Deutschland ist im internationalen Vergleich ein stark bürokratisiertes Land. Selbst deutschsprachige Einheimische verirren sich regelmäßig in einem Wald von Gesetzen, Verordnungen und zuständigen Verwaltungseinrichtungen. Die deutschen Staatsdiener sind außerdem dafür bekannt, dass sie zu Unnachgiebigkeit, Starrsinn und hierarchischen oder autoritären Denkmustern neigen. Pragmatische Lösungen, Kompromisse, Kritik annehmen, Fehler zugeben, Eigenverantwortung übernehmen, Kundenfreundlichkeit sind nicht selbstverständlicher Bestandteil der Berufskultur. Außerdem liegt Teltow-Fläming in Brandenburg: Es gehört nicht nur zu Deutschland, sondern auch zur historisch gesehen erst vor kurzem aufgelösten Deutschen Demokratischen Republik sowie zu Preußen. Die Erfahrungen mit der Demokratie und mit mündigen Bürgern, die für ihre Rechte eintreten, sind daher noch sehr jung. Vertreter des Staates und der Bürokratie riskieren daher regelmäßig, mit Vertretern der Zivilgesellschaft und einzelnen Bürgern in Konflikt zu geraten. Nicht selten werden letztere als »Feind« wahrgenommen, der die Autorität des Beamten und letztlich des Staates untergraben will. Dies sollte natürlich streng angegangen werden, was den Antagonismus nur noch verstärkt. Das Vertrauen in die Demokratie, das in Brandenburg ohnehin schon gering ist, wird dadurch weiter untergraben. Flüchtlinge kommen in der Regel aus deutlich weniger bürokratisierten Ländern und sind den Umgang mit der Bürokratie weniger gewohnt. Außerdem sprechen sie die Sprache nicht, schon gar nicht die Sprache der deutschen Bürokraten. Flüchtlinge, die in Deutschland ankommen und dann versuchen, sich zu integrieren, sehen sich mit einer großen Komplexität von Institutionen konfrontiert. Auf der öffentlichen Seite sind dies das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge, die Ausländerbehörde, das Sozialamt, das Standesamt, die Unterbringungsbehörde, die Arbeitsagentur, das Jobcenter, das Wohnungsamt, Schulen und Kitas. Zu den Aktivitäten 2
Aufgrund der Wohnsitzauflage können Ausreisepflichtige oder Geduldete ihren Wohnsitz nicht frei wählen. Während Migranten mit einem Aufenthaltstitel entscheiden können, wo sie wohnen möchten.
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auf privater und halböffentlicher Seite gehören Sprachkursträger, Bildungsträger, Migrationsberatung und ehrenamtliche Vereine für Integration. Von Flüchtlingen und Migranten wird erwartet, dass sie ihren Weg durch dieses Labyrinth größtenteils selbst finden. Flüchtlinge, die in Übergangsheimen leben, haben oft einen Vorteil gegenüber denjenigen, die eine eigene Wohnung haben, da sie mehr oder weniger auf die anwesenden Sozialarbeiter zurückgreifen können, wenn sie Briefe und Dokumente von den oben genannten Ämtern und Institutionen erhalten oder wenn sie u.a. Anträge für Studium, Arbeit oder Wohnen stellen wollen. Ein großer Teil der Arbeitszeit dieser Sozialarbeiterinnen und Sozialarbeiter ist daher mit Bürokratie und dem Übersetzen von amtlichen Schreiben für die Bewohner ausgefüllt, die in der Regel in ziemlich unverständlichem Deutsch verfasst sind. Einige Sozialarbeiter sind für diese bürokratische Arbeit geschickter oder motivierter als andere, was die ungleiche Behandlung der Bewohner verschiedener Flüchtlingsunterkünfte verstärkt. Diejenigen, die selbständig leben, erhalten weniger direkte Unterstützung in ihrem Kampf mit der Bürokratie und sind hauptsächlich auf ehrenamtliche Helfer und die Migrationsberatung von sozialen Organisationen wie der Diakonie oder der Arbeiterwohlfahrt angewiesen. Darüber hinaus sind sie mit weiteren Akteuren konfrontiert: Vermieter; Steuerbehörden; Anbieter von Gas-, Strom-, Wasser-, Internet- und Telefonanschlüssen; Müllabfuhr; öffentlich-rechtliche Rundfunkanstalten, die Rundfunkgebühren erheben; Banken; Versicherungen; Geschäfte, in denen man auf Kredit oder Ratenzahlung einkaufen kann; und natürlich eventuelle Arbeitgeber mit ihren Lohnabrechnungen. Über die Menschen, die die Übergangsheime verlassen haben, gibt es nur wenige oder gar keine Informationen. Die Ehrenamtlichen, Integrationsbeauftragten und Mitarbeiter von Migrationsberatungen, mit denen wir gesprochen haben, hatten jedoch den Eindruck, dass viele in dieser Komplexität untergehen. Die Frustration über die Bürokratie ist unter den Flüchtlingen groß. Zunächst einmal ist die Trägheit und Undurchsichtigkeit, mit der die beteiligten Institutionen in der Regel arbeiten, schwer zu ertragen. Wir haben dies bereits in Kapitel 4.3 erwähnt. In allen Interviews wurde das Wort »Warten« am häufigsten benutzt. Diese Langsamkeit und die zusätzliche Unvorhersehbarkeit und Ungewissheit verleihen den Prozessen einen kafkaesken Charakter und machen die Menschen buchstäblich krank. Zweitens gibt es eine Menge Unverständnis über die Entscheidungen, die diese Prozesse hervorbringen. Die Menschen verstehen diese Entscheidungen nicht, weil sie die zugrundeliegende Rationalität nicht begreifen, was im Prinzip behoben werden könnte; oder sie verstehen sie nicht, weil sie die zugrundeliegende Rationalität als irrational, willkürlich, ungerecht oder unmenschlich empfinden. Infolgedessen erleben viele die Entscheidungsprozesse als eine Lotterie. Die Teilnahme an Lotte-
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rien kann Menschen Befriedigung verschaffen, aber in der Regel nicht, wenn ihre Existenz auf dem Spiel steht. Drittens, und damit zusammenhängend, fühlen sich die Menschen regelmäßig diskriminiert. Man hat den Eindruck, dass Personen mit scheinbar identischem Hintergrund, die mit anderen Landkreisen oder Ländern zu tun haben, anders behandelt werden. In den verschiedenen Teilen Deutschlands gibt es unterschiedliche politische Kulturen, was dazu führt, dass unterschiedliche Regeln und Vorschriften formuliert werden oder dieselben Regeln und Vorschriften unterschiedlich ausgelegt werden. Die Flüchtlinge haben sich jedoch nicht ausgesucht, in Teltow-Fläming zu leben, diese Entscheidung wurde ihnen abgenommen. Während die Bürokratie also eigentlich dafür sorgen sollte, dass überall die gleichen Gesetze und Vorschriften gelten und somit gleiche Fälle gleich behandelt werden, ist dies in der Praxis nicht immer der Fall. Viertens fühlten sich die Menschen regelmäßig von den Beamten ungerecht und respektlos behandelt. Mehrere Flüchtlinge berichteten, dass sie in den Tagen vor einem Termin bei den Ausländerbehörden nicht schlafen konnten, und das nicht nur, weil viel auf dem Spiel stand. Die Menschen fürchteten, dass Beamte empathielos, herablassend, unhöflich und sogar grob handeln. Die Geschichten der Flüchtlinge wurden von zahlreichen Akteuren bestätigt, die im Besitz gültiger Pässe waren. Fünftens, und das ist vielleicht unnötig zu erwähnen, fühlten sich die Menschen von der Trostlosigkeit, der Menge und der Komplexität der Bürokratie überfordert. Regelmäßig wird der Sinn dahinter nicht erkannt und sogar der Verdacht geäußert, dass die Teilnahme der Flüchtlinge am gesellschaftlichen Leben absichtlich verhindert werden soll.
8.3 Erfahrungen von Sozialarbeitern, Freiwilligen und anderen Beteiligten mit der Bürokratie Sozialarbeiter, Heimleiter, Freiwillige und andere Beteiligte konnten kaum aufhören, über die gelegentlich bizarren bürokratischen Machenschaften von Beamten zu sprechen, die hinter ihren Computerbildschirmen manchmal jeden Bezug zur Realität verloren zu haben scheinen. Diese Praktiken kosten sehr viel Zeit, Energie, Geld und Arbeitsfreude und dienen nach Ansicht zahlreicher Beteiligter kaum oder gar nicht der Sache. Da die Menschen jedoch in einem Abhängigkeitsverhältnis stehen, haben sie Angst, dagegen zu protestieren. Fast alle Sozialarbeiter und Heimleiter beklagten sich über die bürokratische Überlastung, die dazu führte, dass die Menschen kaum dazu kamen, die Sozialarbeit zu leisten, für die sie eigentlich ausgebildet waren, und die ihnen einen Großteil der Freude an ihrer Arbeit nahm. Fast alle Beteiligten waren der Meinung, dass das System ins Stocken geraten war und ohne strukturelle Änderungen nicht wie-
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der in Gang gebracht werden konnte. Um sich zu schützen, hatten Resignation und Gleichgültigkeit eingesetzt. Strukturelle Veränderungen wurden im Asyl-, Migrations- und Arbeitsrecht, bei den bestehenden bürokratischen Strukturen und deren personellen Ressourcen sowie bei den Zuständigkeiten und der Vergabe von Flüchtlingsunterkünften und den dafür zur Verfügung stehenden Mitteln für notwendig erachtet. Wie wir gesehen haben, waren fast alle sich einig, dass auch die Einrichtungen, mit denen sie zusammenarbeiten, völlig überlastet sind. Man war der Meinung, dass diese Dienste strukturell unterbesetzt sind, nicht über das notwendige Fachwissen verfügen, in der Bürokratie festhängen und regelmäßig keine Ahnung von der Realität in den Flüchtlingsunterkünften und dem Lebensumfeld der Flüchtlinge zu haben scheinen. Das Unverständnis, das bei den Flüchtlingen regelmäßig über Entscheidungen oder deren Fehlen aufkommt, muss von den Sozialarbeitern aufgefangen werden, was die Belastung zusätzlich erhöht. Für viele Flüchtlinge ist der Heimleiter der Chef, der den deutschen Staat und alle ihm unterstellten bürokratischen Institutionen repräsentiert. Wenn der Staat versagt, bekommt der Chef die Rechnung.
8.4 Was ist zu tun? Im Prinzip ist die Bürokratie ein hochgradig demokratisches und effizientes Instrument zur Koordinierung und Kontrolle von Handlungen. In einer gut funktionierenden Bürokratie werden, wie es die Gerechtigkeit erfordert, gleiche Fälle gleich und ungleiche Fälle ungleich behandelt, und zwar auf der Grundlage eines vorher festgelegten, eindeutigen, überprüfbaren, vorhersehbaren, allgemein anwendbaren, kohärenten und konsistenten Systems von Gesetzen und Regeln (cf. Blokland 2006). Daher fördert die Demokratie, in der alle Bürger gleich behandelt werden sollten, im Allgemeinen die Bürokratie. Es gibt noch einen weiteren Grund, warum Bürokratien dazu neigen, sich auszuweiten. Eine Bürokratie ist intern rational, konsistent und kohärent organisiert und kann darum schlecht mit einer irrationalen und unberechenbaren Umgebung umgehen. Sie versucht daher, dieses Umfeld zu kontrollieren, indem sie ihm die gleiche (funktionale) Rationalität aufzwingt, von der sie selbst angetrieben wird. Alle denkbaren Fälle, mit denen der Beamte konfrontiert werden könnte, sollten in eine vorab festgelegte, rational begründete Kategorie fallen. Daher funktioniert die Bürokratie am besten in einem relativ homogenen, übersichtlichen und stabilen Umfeld. Wenn Vielfalt und Komplexität jedoch zu schnell zunehmen, besteht die Gefahr, dass sich die Bürokratie in Starrheit verliert. Es gibt dann zu viele neue Fälle, für die vorher keine Kategorien mit spezifischen Regeln und Vorschriften erdacht worden sind. Wie bereits von Max Weber (1922) eingehend analysiert, wird in
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idealtypischen Bürokratien von Beamten am unteren Ende der Verwaltungshierarchie in solchen Fällen erwartet, dass sie ihr Problem einem höheren Beamten in der Hierarchie vorlegen. Und dies gerade so lange, bis eine Ebene erreicht ist, auf der die notwendigen politischen oder substanziellen Entscheidungen zu diesem neuen Fall getroffen werden können. Wenn sich jedoch zu viele Veränderungen in der Umgebung ergeben, können die Informationskanäle schnell verstopfen. Und wenn die politischen Entscheidungsträger keine klaren Entscheidungen treffen, werden die Fälle von der Bürokratie endlos auf die lange Bank geschoben. Die Beamten wissen einfach nicht, was sie tun sollen. Unbestrittene Flüchtlinge aus Tschetschenien, Afghanistan oder Palästina finden sich dann plötzlich ein Jahrzehnt lang in einem »Übergangsheim« wieder. Arbeitsmigranten, die einen wichtigen Beitrag zur Bewältigung der sich abzeichnenden demografischen Katastrophe in Deutschland und Brandenburg leisten könnten, bleiben dann jahrelang zwangsweise auf ihren Plätzen sitzen. Die Lösungen bestehen in erster Linie darin, dass die politisch Verantwortlichen die inhaltlichen oder substanziell-rationalen Entscheidungen über Gesetze und Vorschriften treffen, die für das Funktionieren der Bürokratie notwendig sind. Die Politik hat sich beispielsweise jahrelang geweigert anzuerkennen, dass Afghanistan ein unsicheres Land ist. Denn das hätte das Eingeständnis bedeutet, dass die Bundeswehr zusammen mit ihren internationalen Partnern nicht für Stabilität und Sicherheit in Afghanistan sorgen kann. Außerhalb der nationalen Politik war jedoch fast jeder mit dieser Realität vertraut. Infolgedessen wurde afghanischen Flüchtlingen einerseits auf der Grundlage nationaler politischer Vorschriften kein Asyl gewährt und andererseits auf der Grundlage lokalen Realitätssinns in der Regel nicht aus dem Land abgeschoben. Sie wurden also geduldet, durften aber selten studieren, arbeiten, wohnen und sich integrieren. So bestand die größte Gruppe der Flüchtlinge in den Übergangsheimen in Teltow-Fläming im Frühjahr 2022 nach unseren Beobachtungen aus Afghanen (20 %). Mehr als die Hälfte war seit mehr als drei Jahren hier. Fast die Hälfte befand sich – auch sechs Monate nach der endgültigen Übernahme des Landes durch die Taliban – noch im Asylverfahren. Hätten die Politiker früher die grundsätzliche Entscheidung getroffen, dass Afghanistan nicht sicher ist, hätte dies die Belastung der Flüchtlingsunterkünfte und der Einrichtungen, die Asylanträge prüfen, erheblich verringert. Die gleiche Beobachtung lässt sich für andere große Flüchtlingsgruppen machen, man denke an Tschetschenen (14 %) und Iraner (9 %). Zweitens ist es nicht hilfreich, die ständig wachsende Komplexität nur durch die Schaffung von noch mehr Regeln oder Kategorien zu bewältigen. Anstatt Gesetze und Vorschriften zu verdichten und die Hierarchie zu stärken, kann den Beamten am unteren Ende der Pyramide mehr politischer Spielraum eingeräumt werden. Diese können besser über die spezifischen Umstände eines Kunden informiert sein, die durch allgemeine Regeln nur selten vollständig erfasst werden können, und
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können ihnen bei ihren Entscheidungen besser gerecht werden. Dezentralisierung, Pragmatismus, Flexibilität und Maßarbeit sind ebenfalls Antworten auf Überlastung. Eine Gefahr besteht darin, dass die Gleichbehandlung von Fällen weniger gewährleistet ist, wenn Beamte der unteren Ebene einen größeren politischen Ermessensspielraum haben. Andererseits können sie aufgrund ihrer besseren Kenntnis des spezifischen Kontextes besser beurteilen, wann es sich um wirklich gleiche Fälle handelt, auf die dieselben Regeln angewendet werden sollten. Wenn die Fälle ungleich sind, sollten sie auch ungleich behandelt werden. Dazu sollte es einfach empirisch anerkannt werden, dass es auch in der jetzigen Situation keine Gleichheit vor dem Gesetz gibt: Die Gleichbehandlung von Flüchtlingen mit gleichem Hintergrund wird durch zahlreiche Variablen beeinträchtigt, wie wir gesehen haben. Man denke an die zufällige Unterkunft, in der sie untergebracht sind, an die Sozialarbeiter und Ehrenamtlichen, die zufällig dort tätig sind, an die Gemeinde, in der sie zufällig wohnen, und an die Bemühungen, die in dieser Gemeinde zufällig für Flüchtlinge unternommen werden, an den Kreis, in dem sie zufällig wohnen, und an die Beamten, die zufällig in Diensten wie der Ausländerbehörde und dem Sozialamt arbeiten, sowie an das Bundesland, dem sie zufällig nach ihrer Ankunft zugewiesen wurden und in dem es zufällig eine spezifische Verwaltungskultur gibt. Wenn man diese Koinzidenzen anerkennt, kann man weniger Angst vor der politischen Freiheit einzelner Beamter haben, die versuchen, dem spezifischen Kontext und der Komplexität eines Einzelfalls gerecht zu werden, wodurch die Bürokratie weniger kalt und menschlicher sowie entscheidungsfähiger und effizienter wird. Drittens kann man für eine besser funktionierende Bürokratie auch bewusst andere Persönlichkeitstypen einsetzen. Bürokratien sind strukturiert, vorhersehbar und hierarchisch und ziehen daher Mitarbeiter mit Persönlichkeiten und Disziplinen an, die gut zu diesen Merkmalen passen. Dies trägt zu der Starrheit, Inflexibilität und auch Unempfindlichkeit gegenüber dem spezifischen Kontext eines jeden Falles bei, für die die Bürokratie bereits von sich aus anfällig ist. Karl Mannheim empfahl daher schon vor fast einem Jahrhundert, dass Bürokratien bewusst andere Persönlichkeitstypen einstellen sollten, um den bestehenden Tendenzen zur Unempfindlichkeit gegenüber menschlichen Maßstäben und menschlichen Bedürfnissen entgegenzuwirken. Nochmals: Die unpersönliche Bürokratie bietet oft eine gut gewählte Antwort auf Ineffizienz, Willkür, Klientelismus, Vetternwirtschaft und individuellen Machtmissbrauch. Gleichwohl gibt es Möglichkeiten, das Ausmaß der Abgehobenheit in Bürokratien zu begrenzen. Dies zeige sich, so Mannheim, an dem kundenfreundlichen Charakter, der häufig in Unternehmensbürokratien anzutreffen sei, sowie an dem Aufkommen des Sozialarbeiters im 20. Jahrhundert. Dieser ist einerseits ein altmodischer Bürokrat, der Verwaltungsaufgaben wahrnimmt, andererseits ist
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er Hilfe und Zuflucht für die Klienten und setzt eine neue organisierte Form der Wohltätigkeit in die Praxis um. Der moderne Sozialarbeiter »fügt dem alltäglichen Verkehr einen Hauch von Gefühl und Lebhaftigkeit hinzu, ohne sich persönlich zu involvieren oder zu binden« (1940: 324). Nach Ansicht Mannheims beweist die Etablierung des Sozialarbeiters, wie andere Mentalitäten in eine bürokratische Organisation integriert werden können. Er schlägt verschiedene Wege vor, um dies zu fördern, darunter die Vereinigung von Funktionen, die heute von mehreren Mitarbeitern wahrgenommen werden, in der Tätigkeit einer einzigen Person.3 Darüber hinaus plädiert er dafür, mehr Personen einzustellen und auszubilden, die in der Lage sind, persönliches Engagement mit professioneller Objektivität zu verbinden, und die darüber hinaus »nur Arbeiten verrichten, die einen Zweck haben« (1940: 324). Viertens könnten Beamte und Politiker in Erwägung ziehen, Ausflüge in die Übergangswohnheime zu unternehmen, um sich über die Lebensbedingungen der Menschen, über die sie entscheiden, und die Arbeitsbedingungen der dort eingesetzten Sozialarbeiter zu informieren. Dies gilt von oben nach unten. Auf diese Weise kann ein Gefühl für die Realität, für Verhältnisse und für die Dringlichkeit gefördert werden. Fünftens ist die Bürokratie in Teltow-Fläming, wie in vielen anderen Landkreisen und Bundesländern, schlicht unterbesetzt und unzureichend ausgestattet.4 Es gibt generell zu wenig Mitarbeiter und zu wenig Mitarbeiter mit den entsprechenden Qualifikationen. Die Beschwerden über die Unzugänglichkeit und mangelnde Kompetenz der beteiligten Stellen sind zahlreich. Dies ist ein weiterer Grund dafür, dass sich Fälle endlos verzögern, Fristen nicht eingehalten werden und auf lange Sicht immer mehr Arbeit anfällt. Wenn Fälle nicht rechtzeitig bearbeitet werden, entstehen enorme gesellschaftliche Kosten. Um diese langfristigen Kosten zu senken, ist es sinnvoll, kurzfristig in Menschen zu investieren.
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Darüber hinaus können die Beamten zusammengebracht werden, um die verschiedenen Probleme ihrer Klienten in ihrem Zusammenhang zu lösen. Normalerweise werden diese Probleme (Beschäftigung, Wohnung, Bildung, Asylverfahren und so weiter) von verschiedenen Beamten entsprechend ihren sorgfältig abgegrenzten bürokratischen Zuständigkeiten angegangen. Da die Probleme miteinander verknüpft sind, ist dies nicht immer produktiv (siehe § 18.1). Die Qualität der Bürokratie und ihrer Mitarbeiter variiert von Landkreis zu Landkreis, von Staat zu Staat und von Land zu Land. Dennoch ist ein allgemeiner negativer Trend in vielen westlichen Demokratien festzustellen. Dies lässt sich zum Teil durch die anti-staatliche Stimmung erklären, die sich seit den 1980er Jahren verbreitet hat. Infolgedessen sind der Status der Beschäftigten und die Gehälter in diesem Sektor im Vergleich zu denen des Marktsektors gesunken. Langfristig führt dies fast überall zu einer Verknappung des Personals und zu einem Rückgang seiner Motivation und Qualifikation.
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9. Wohnungsmarkt und ländlicher Raum
Es versteht sich von selbst, dass die Übergangswohnheime nicht in das Bild passen, das die Menschen in Deutschland von akzeptablem, menschenwürdigem Wohnraum haben. Eigentlich sind sie als Übergangslösung gedacht. Nach Beendigung des Asylverfahrens – unter bestimmten Voraussetzungen auch schon früher – wird die Wohnpflicht in Gemeinschaftsunterkünften aufgehoben. Die Geflüchteten werden dann aufgefordert, sich privaten Wohnraum zu suchen, und bei dieser Suche auch gelegentlich unterstützt. Tatsächlich sind die Asylverfahren in manchen Fällen jedoch so langwierig, dass die Betroffenen über Jahre in den Sammelunterkünften leben müssen. In vielen anderen Fällen erhalten Menschen einen Duldungsstatus, der es ihnen in den meisten Fällen auch nicht erlaubt, sich eine eigene Wohnung zu suchen. Doch auch nach einem abgeschlossenen Asylverfahren sind die Aussichten auf eigenen Wohnraum häufig schlecht. Der Mangel an bezahlbarem Wohnraum in vielen deutschen Gemeinden ist kein Geheimnis. So ist auch die Chance auf einen Umzug innerhalb einer Gemeinde wie Rangsdorf, Blankenfelde-Mahlow, Großbeeren oder sogar Ludwigsfelde äußerst gering, wie fast alle Beteiligten einräumten. Diese Kleinstädte gehören zum Speckgürtel von Berlin. Normalverdiener können sich hier kaum Häuser oder Wohnungen leisten, die Geflüchteten schon gar nicht. Bezahlbarer Wohnraum ist Mangelware, und Migranten gehören zu der wachsenden Gruppe von Menschen, die es schwer haben, diesen zu finden, nicht nur in Deutschland, sondern in den meisten westlichen Ländern. Die Auswirkungen der sozialen Ungleichheit werden hier deutlich. Flüchtlinge integrieren sich nicht überall in die deutsche Gesellschaft, sondern docken vor allem am unteren Ende des sozialen Gefüges an. Sie müssen in dieser wachsenden sozialen Schicht mit vielen anderen konkurrieren und sind zusätzlich von Diskriminierung betroffen. Flüchtlinge, Sozialarbeiter, Ehrenamtliche und andere Personen und Institutionen, die sich für die Integration von Neuankömmlingen einsetzen, berichteten in unseren Interviews von erheblichen Formen der Diskriminierung. Sobald den Vermietern klar wird, dass es sich bei dem neuen Mieter um einen Flüchtling handelt, bleibt die Tür oft verschlossen, insbesondere wenn der Neuankömmling eine dunkle Hautfarbe hat. Für viele war es äußerst frustrierend und irritierend zu beobach-
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ten, dass plötzlich überall Wohnungen für Flüchtlinge aus der Ukraine zur Verfügung standen, auch wenn die Vermieter erst kurz zuvor Vollbelegung gemeldet hatten. Die Bekämpfung und strafrechtliche Verfolgung von Diskriminierung ist wahrscheinlich eine größere Aufgabe für die Behörden, als sie derzeit wahrgenommen wird. Die dauerhafte Unterbringung in Sammelunterkünften ist der Integration nicht förderlich, da sie die Autonomie der Flüchtlinge und ihre gesellschaftliche Teilhabe einschränkt. Die räumliche Enge, der Mangel an Privatsphäre, die eingeschränkte Ausstattung und die schlechten Lebensbedingungen im Allgemeinen lösen bei traumatisierten Menschen regelmäßig eine erneute Traumatisierung aus, was die Wahrscheinlichkeit, dass sie ihr Leben selbst in die Hand nehmen können, weiter verringert. Die Geflüchteten wünschen sich eine eigene Wohnung, haben aber selten konkrete Vorstellungen, wie sie diesen Wunsch realisieren können. Viele möchten in dem Speckgürtel bleiben oder würden gerne nach Berlin gehen, aber auch Berlin ist für die meisten einfach nicht bezahlbar. Auch politisch scheint diese »zweite Flucht« nicht erwünscht zu sein, denn es spricht vieles dafür, dass die Chancen für eine erfolgreiche Integration im ländlichen Raum deutlich höher sind. Im Durchschnitt haben in deutschen Städten mit weniger als 20.000 Einwohnern 12 % der Bevölkerung einen Migrationshintergrund. In Städten mit mehr als 100.000 Einwohnern liegt dieser Anteil bei 27 %. Je mehr Migranten hinzukommen, desto größer wird dieser Unterschied, da die Migranten tendenziell dorthin gehen, wo sie mehr Menschen mit demselben Hintergrund finden (Bittner 2016). Damit wächst die Chance, dass sich »Parallel-Communities« entwickeln: Je größer die Migranten-Communities sind, desto geringer ist das Bedürfnis, mit deutschen Einheimischen in Kontakt zu kommen. Ebenso halten es die hochgebildeten »Expats«, die in den Innenstädten von Berlin, Prag oder Amsterdam leben, nicht immer für notwendig, die lokale Sprache zu lernen und sich in die lokale Gemeinschaft zu integrieren. Die »zweite Flucht« in die Stadt hat weitere Schattenseiten. Auf dem Land sind Dörfer und Städte zunehmend unbewohnt und könnten eine Belebung durch junge, tatkräftige Menschen, vor allem solche mit Familien, gebrauchen. Außerdem verläuft die Integration in kleineren Gemeinden oft reibungsloser als in anonymen Städten, wo sich leichter Parallelgemeinschaften bilden und halten lassen (Jentsch 2007). Bittner (2016b) schreibt: »Es braucht ein ganzes Dorf, um ein Kind großzuziehen, sagt ein afrikanisches Sprichwort. Genauso braucht es ein Dorf, braucht es die Unmittelbarkeit von sich kümmernden und anleitenden Menschen, braucht es gelegentlich auch die klare Aussprache und den direkten Konflikt, um Fremde in eine neue Gemeinschaft hineinwachsen zu lassen«. In kleineren Städten stehen oft mehr zivilgesellschaftliche Ehrenamtliche zur Verfügung, um Neuankömmlingen bei der Integration zu helfen, und der soziale Zusammenhalt ist größer. Aumüller und Gesemann (2016) beobachteten ebenfalls:
9. Wohnungsmarkt und ländlicher Raum
»Die Überschaubarkeit des lokalen Raumes, die Nähe und Intensität des Zusammenlebens können sich auch günstig auf die Integration auswirken, indem Alteingesessene und Zugewanderte im Alltag viel häufiger aufeinandertreffen sowie miteinander kooperieren, als dies in Großstädten der Fall ist. In den örtlichen Kindergärten und Schulen kommt es zu einer guten Durchmischung von Kindern aus den verschiedenen Herkunftsgruppen.« Je weiter man sich von Berlin entfernt, desto mehr bezahlbarer Wohnraum wird verfügbar. Viele Menschen, regelmäßig bis zu 40 % der ursprünglichen Bevölkerung, haben diese Dörfer und Städte seit 1989 verlassen (siehe Blokland 2020). Seit der deutschen Einheit hat Brandenburg etwa ein Drittel seiner (ohnehin geringen) Einwohnerzahl verloren. Vor allem die Jungen und die gut Gebildeten zogen nach Westdeutschland oder nach Berlin. Dies ging einher mit einer immer älter werdenden Bevölkerung, wie wir schon gesehen haben. Man erwartet, dass beide Prozesse auch fortdauern werden. Bis 2040 wird die Bevölkerung wahrscheinlich um weitere 10 % geschrumpft sein, und im Jahr 2030 wird mehr als ein Drittel der Bevölkerung älter als 65 Jahre alt sein.1 Zudem lebt die Mehrheit der Brandenburger in der Nähe von Berlin. Die Hälfte der Bevölkerung lebt in 15 % des an Berlin angrenzenden Brandenburger Gebiets, die andere Hälfte in den verbleibenden 85 %. Demzufolge ist das Land in Brandenburg ziemlich leer. Nach Mecklenburg-Vorpommern hat Brandenburg die zweitniedrigste Bevölkerungsdichte Deutschlands: 83 Einwohner pro m2 im Jahr 2014. Zum Vergleich: Die Bevölkerungsdichte in Nordrhein-Westfalen beträgt 517, in Baden-Württemberg 307 und in ganz Deutschland 227. Da die meisten Menschen in der Nähe von Berlin leben, ist die Dichte in Regionen wie der Uckermark (39) und Prignitz (36) noch erheblich geringer. Der Zerfall lokaler Gemeinschaften ist oft ein langsamer, sich selbst verstärkender Prozess mit mehreren Kipppunkten. Zunächst wandern die jungen und besser ausgebildeten Menschen ab, wodurch die Steuereinnahmen sinken. Die Zahl der Kinder geht zurück. Sekundar- und später auch Grundschulen werden geschlossen. Das Schwimmbad trocknet aus. Die Sportvereine haben nicht mehr genügend Mitglieder, um Mannschaften zu bilden. Mehr Menschen wandern ab. Die örtlichen Unternehmen finden keine Mitarbeiter. Der in den Ruhestand gehende Allgemeinmediziner findet keinen Nachfolger. Lokale Geschäfte schließen und werden durch Ketten ersetzt. Die Bäckerei und der Metzger werden zu teuer für eine schrumpfende Kundschaft und schließen. Die Wohnungspreise sinken. Die Menschen investieren immer weniger in ihre Umgebung, die immer unattraktiver wird. Immer mehr Menschen ziehen weg. Diejenigen, die bleiben, haben das Gefühl, von der Außenwelt betrogen worden zu sein.
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https://www.stk.brandenburg.de/media/lbm1.a.4856.de/demobericht.pdf
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Also, wie in vielen anderen ländlichen Regionen in Europa und den Vereinigten Staaten verfallen in ganz Brandenburg Städte und Dörfer, was den Bewohnern das Gefühl gibt, zurückgelassen zu werden und sozialen und wirtschaftlichen Prozessen ausgesetzt zu sein, die sie nicht kontrollieren können. Das führt zu politischer Entfremdung und Ressentiments (cf. Blokland 2017, 2021; Blokland und Münstermann 2018). Die Unterstützung für rechtspopulistische Bewegungen ist hoch. Die brandenburgische Regierung sieht explizit das Bedürfnis nach fundamentalen Antworten auf diese tiefgreifenden Veränderungen: »Der demografische Wandel zwingt vor dem Hintergrund enger werdender finanzieller Spielräume zu einem tiefgreifenden Umsteuern. Kurzfristige Aktionen können nichts bewirken. Gefordert sind neue und langfristig ausgerichtete gesellschaftliche Antworten.«2 Eine dieser Antworten könnte darin bestehen, die Ansiedlung von Migranten in den ländlicheren Teilen Brandenburgs attraktiv zu machen. Für viele verfallende Städte und Dörfer könnte der Zuzug großer Gruppen von Migranten ein Segen sein und den Abwärtstrend umkehren. Leider wird dies von den Bewohnern oder politischen Entscheidungsträgern dieser Orte nicht immer verstanden. Die Stimmung gegen Migranten und Flüchtlinge ist im Allgemeinen in ländlichen Gebieten am stärksten. Suketu Mehta nennt in seinem Buch This Land is Our Land dennoch mehrere US-amerikanische Beispiele für Orte, die dank Migranten vor dem fast sicheren Untergang bewahrt wurden (2019: 193–8). Schenectady zum Beispiel war eine Industriestadt in Upstate New York mit 66.000 Einwohnern. Nach der Schließung der örtlichen Fabriken um 2002 verließ mehr als ein Drittel der Bevölkerung die Stadt – hauptsächlich Polen, Deutsche und Italiener. Der Bürgermeister, Enkel eines polnischen Migranten, kam zufällig mit einer Gemeinschaft von Migranten aus Guyana in Kontakt und lud sie ein, in Schenectady zu leben. Damals kostete es die Gemeinde durchschnittlich 16 500 Dollar, ein verlassenes Haus abzureißen. Stattdessen bot sie die Grundstücke für einen Dollar an, unter der Bedingung, dass der Käufer das Haus renovieren würde. Weniger als zwei Jahrzehnte später lebten 10.000 Zuwanderer aus Guyana in Schenectady, 12 % der Gesamtbevölkerung. Ohne jegliche staatliche Unterstützung renovierten sie Tausende von Häusern und gaben der Stadt ein völlig neues Gesicht. Aber sie taten noch mehr: »Sie haben ihre eigene Wirtschaft aufgebaut und kleine Lebensmittelläden, Versicherungs- und Geldtransferunternehmen sowie Restaurants eröffnet. In Schenectady gibt es eine Cricket-Liga und guyanische Mitglieder im Stadtrat. Jedes Jahr wird der Guyana Day von den deutschen, irischen und guyanischen Bürgern der Stadt gefeiert. Sie haben der Stadt zu einem Aufschwung verholfen – weil die Stadt eine neue Würze in der Mischung aufgenommen hat« (2019: 194).
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https://www.brandenburg.de/de/demografischer-wandel/bb1.c.481763.de
9. Wohnungsmarkt und ländlicher Raum
Bürger und politische Entscheidungsträger3 im ländlichen Brandenburg heißen die Ankunft von Migranten in ihren Gemeinden nicht immer willkommen. Allerdings hatten die von uns befragten Migranten auch selten den Ehrgeiz, in die betreffenden Dörfer und Städte zu ziehen. Nicht ganz zu Unrecht hatten sie oft das Gefühl, dass sie hier nicht wirklich willkommen waren. Außerdem befürchteten sie, aufgrund der fehlenden öffentlichen Infrastruktur isoliert zu werden. Es gibt weniger Schulen, Sportvereine, zivilgesellschaftliche Organisationen, Geschäfte und öffentliche Verkehrsmittel. Wenn sie einen Job haben, dann oft in den Logistikunternehmen südlich von Berlin, die vom Land aus manchmal schwer zu erreichen sind. Schließlich waren einige Flüchtlinge bereits einigermaßen in ihre Nachbarschaft integriert, eine Errungenschaft, die sie nicht aufgeben wollten. Dies war vor allem dann der Fall, wenn ihre Kinder zur Schule gingen. Je weiter man von Berlin wegfährt, desto mehr bezahlbarer Wohnraum wird verfügbar. In den betroffenen Dörfern und Städten, die viele Menschen seit 1989 verlassen haben, sind Wohnungen vorhanden, die den Geflüchteten auch angeboten werden. Allerdings wollen die Betroffenen oft nicht dorthin ziehen, da sie – wohl zu Recht – den Eindruck haben, dass sie dort nicht immer willkommen sind. Außerdem haben sie Angst, an diesen Orten aufgrund der fehlenden Infrastruktur isoliert zu werden. Wenn Sie z.B. eine Arbeit haben (oft in den Logistikunternehmen südlich von Berlin), ist es sehr schwierig, ihren Arbeitsplatz von diesen Orten aus zu erreichen. Schließlich sind einige Geflüchteten derzeit einigermaßen integriert, was sie nicht aufgeben möchten. Dies ist vor allem der Fall, wenn ihre Kinder zur Schule gehen. Dennoch werden die meisten der geflüchteten Menschen, die jetzt im Speckgürtel von Berlin leben, in absehbarer Zeit keine Wohnung finden können. Sie werden daher umziehen müssen. Einige von ihnen haben uns gesagt, dass sie bereit wären, in eine andere, günstigere Wohnung in Brandenburg zu ziehen, wenn sie dies gemeinsam mit anderen Geflüchteten tun könnten und wenn sie in der Zielstadt gleich einen Kitaplatz für ihre Kinder hätten. Um die Betroffenen zu diesem Schritt zu motivieren, ist es daher notwendig, ihnen ein Gesamtangebot zu machen. Dazu kann es gehören, dass sie nicht allein umziehen müssen, dass die Schule und der Kindergarten arrangiert werden, dass man Kontakte zu Ehrenamtlichen vor Ort herstellt. 3
In den Jahren 2019 und 2020 untersuchte Social Science Works das Interesse verschiedener Organisationen an der Ermittlung von Möglichkeiten zum Aufbau neuer Gemeinschaften von Migranten und Berlinern in Dörfern und Städten in Brandenburg (für einige Ideen in dieser Richtung, siehe Blokland 2020). Dies hätte im Rahmen eines Forschungsprojekts der Europäischen Union geschehen können, das sich auf die Entwicklung des ländlichen Raums konzentriert. Wir haben in diesem Zusammenhang u.a. mit Ministerien und verschiedenen amtlichen Entwicklungsorganisationen gesprochen. Die beteiligten Beamten zeigten sich äußerst zurückhaltend. Große Ängste bestanden vor allem vor der Entwicklung von »Parallelgesellschaften«.
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Dies wiederum erfordert die Koordinierung verschiedenster Akteure und Institutionen. Dies kann nur auf der Ebene der Kreisverwaltung geschehen. Flüchtlinge sind in dieser Hinsicht nicht anders als Deutsche, die in Großstädten leben und mit dem Gedanken spielen, in Städte und Dörfer in ländlichen Regionen zu ziehen, weil sie sich nach Natur, Ruhe und Gelassenheit und wesentlich niedrigeren Mieten und Lebenshaltungskosten sehnen. Sie tun dies nur, wenn es dort eine ausreichende soziale, kulturelle und wirtschaftliche Infrastruktur gibt: Schulen, Gesundheitsdienste, Geschäfte, Bürgervereine und so weiter. Und sie tun dies nur, wenn sie sicher sein können, dass sie nicht die Einzigen sind, die diesen Schritt wagen.4 Ebenso bleiben Menschen, die heute in ländlichen Gebieten leben, nur dann, wenn sie die Gewissheit haben, dass andere auch bleiben oder dass andere kommen. Es handelt sich um ein Problem des kollektiven Handelns, ein Problem, das nur durch organisiertes Handeln gelöst werden kann, vorzugsweise durch den öffentlichen und den privaten Sektor zusammen. Der wichtigste Akteur, der dieses Handeln in Gang setzen kann, ist die Politik.
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Es gibt bereits Organisationen wie die Stiftung Trias, das Forum Gemeinschaftliches Wohnen e.V. und den Wohnbund, die versuchen, gleichgesinnten Bürgern zu helfen, gemeinsam neue Gemeinschaften und neue Formen des sozialen Lebens zu entwickeln. Sicherlich gibt es in Berlin viele relativ gut ausgebildete ökologisch und biologisch orientierte Menschen, die daran interessiert wären, aufs Land zu ziehen. Indem man Deutsche und Migranten auf diese Weise zusammenbringt, könnte man verhindern, dass Einheimische sich von Ausländern überrannt und verdrängt fühlen.
10. Die Situation der Frauen
Die Emanzipation von Mann und Frau in Deutschland lässt noch immer zu wünschen übrig. Männer und Frauen sind in vielen gesellschaftlichen Positionen unteroder überrepräsentiert, sie werden aufgrund ihres Geschlechts diskriminiert, und sexistische Rollenbilder bestimmen oft noch in hohem Maße das Denken und Handeln in der Gesellschaft, in Unternehmen, in Institutionen und Organisationen. Auf dem Weg zur Chancengleichheit wurden in den letzten 100 Jahren dennoch wichtige Fortschritte erzielt. Es gibt keine rechtlichen Unterschiede mehr zwischen Männern und Frauen, die Unterschiede in den Bildungschancen zwischen Mädchen und Jungen sind viel geringer geworden, mehr Männer und Frauen sind in Positionen zu finden, die früher ausschließlich dem anderen Geschlecht vorbehalten waren, es ist selbstverständlich geworden, dass auch Frauen eigene Karrieren entwickeln und versuchen, finanziell unabhängig zu werden (Blokland 2019). Für viele Frauen und Männer (nicht alle!), die in den letzten Jahren zu uns emigriert sind, ist der Weg der oben beschriebenen Emanzipation, wie wir sie in westlichen Gesellschaften verstehen, jedoch noch länger als der unsere und nicht immer selbstverständlich. Von den erwachsenen geflüchteten Frauen in den Gemeinschaftsunterkünften gehen nur wenige mehrere Stunden pro Woche einer bezahlten Arbeit nach, wie wir gesehen haben. Zum Teil hat das auch mit ihrem rechtlichen Status zu tun: Sie können teilweise nicht arbeiten, weil sie keine Arbeitserlaubnis bekommen. Außerdem fehlen ihnen die Qualifikationen und Kompetenzen, um in Deutschland einen Arbeitsplatz zu erhalten. Ein weiterer Grund ist die fehlende Kinderbetreuung. Es hat aber auch etwas mit Rollenbildern zu tun. Auf der einen Seite gibt es Frauen, das haben wir in den Interviews gesehen, die ausdrücklich nach Deutschland gekommen sind, weil sie hier viel mehr Möglichkeiten haben, sich zu emanzipieren. Auf der anderen Seite gibt es Frauen, die nicht den Anspruch haben, eine eigene Karriere zu machen, sei es in einem Beruf oder auch im Ehrenamt. Sie kümmern sich um die Kinder, haben ein Dach über dem Kopf, sind in Sicherheit, haben zu essen; damit ist das Hauptziel erreicht. Die Frauen sind, schrieb uns ein Sozialarbeiter, »zu weiten Teilen im traditionellen Rollenbild verhaftet, wonach die Beschaffung des Geldes Männersache ist. Wo dieser nicht vorhanden ist, wird diese Aufgabe an
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›Vater Staat‹ delegiert.« Die Emanzipation der Frau, wie sie in der westlichen Welt zunehmend verstanden wird, ist im Werteverständnis einiger geflüchteter Frauen noch nicht angekommen. Und wenn diese Idee vorhanden ist oder sich aufgrund der hier gewonnenen Freiheiten entwickelt, kann das Vorhandensein eines Partners diese Emanzipation noch erschweren: Oft möchten die Männer nicht, dass ihre Ehefrauen beruflich tätig sind. Auch nach Einschätzung der Mitarbeiterinnen des Jobcenters, die wir 2022 interviewt haben, sind die Frauen eine Gruppe, die besondere Unterstützung braucht. Sie sprechen häufig schlecht Deutsch, haben Angst vor der unbekannten Gesellschaft, in der sie jetzt leben, und vereinsamen zu Hause, auch wegen der Abwesenheit des Großfamilienverbands. Häufig müssen sie sich um alle Belange der Familie allein kümmern, da ihre Männer nicht dazu in der Lage sind oder aufgrund der Überforderung und des Statusverlustes im Zusammenhang mit der Migration in Lethargie oder sogar eine Depression verfallen. Manche sind so isoliert, eingeengt und überfordert, dass sie zuerst eine Therapie benötigen, bevor sie einer Arbeit zur Verfügung stehen können. Das Jobcenter bietet für alleinerziehende Frauen ein Zielcoaching an, um die Frauen zu vernetzen, aus der Isolation zu holen und auf das Arbeitsleben vorzubereiten. Dieses Coaching ist jedoch freiwillig und steht verheirateten Frauen und Frauen mit schlechter Bleibeperspektive nicht zur Verfügung. Ein weiterer komplizierter Aspekt ist, wie bereits erwähnt, die Kinderbetreuung, die nicht für alle Kinder gewährleistet ist. Manche Frauen verstecken sich hinter ihren Kindern, um nicht arbeiten zu müssen, wurde uns gesagt. Wieder andere würden gerne arbeiten oder mehr Deutsch lernen, können dies aber nicht, weil ihre Kinder keinen Kitaplatz haben und somit den ganzen Tag zu Hause betreut werden müssen. Auch hier sollte es zur Unterstützung der Flüchtlingsfrauen, aber vor allem mit Blick auf das Wohl der Kinder und die Integration der nächsten Generation oberste Priorität haben, alle Kinder so schnell wie möglich in einer Kita unterzubringen. Dies dient nicht nur der Entlastung von Müttern und Vätern, sondern auch dem Wohl und den Chancen der Kinder. Kurzum, einer bestimmten Gruppe von Frauen sollte besondere Aufmerksamkeit geschenkt werden. Sie sind aufgrund des traditionellen Rollenverständnisses schwerer zu integrieren. Sie sind zusätzlich belastet, weil sie sich sowohl um ihre Kinder als auch um ihre Ehemänner kümmern müssen. Viele von ihnen leiden unter Stress, Einsamkeit und psychischen Problemen. Hier müssen niedrigschwellige Angebote ansetzen, um den Spracherwerb zu fördern und sie zu außerhäuslichen Aktivitäten einzuladen. Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge unterstützt tatsächlich Integrationsangebote, um insbesondere Frauen und Mädchen in allen
10. Die Situation der Frauen
Lebensbereichen zu stärken.1 Ebenso gibt es mehrere Emanzipationsprojekte, die auf lokaler Ebene angeboten und von lokalen öffentlichen Förderern, privaten Stiftungen oder der Europäischen Union ermöglicht werden. Wendepunkt in Berlin beispielsweise versucht, Frauen mit Migrationshintergrund in die Gesellschaft zu integrieren, die mit ihren Ehemännern, oft vor Jahrzehnten, nach Deutschland gekommen und seitdem zu Hause geblieben sind, um sich um Haushalt und Kinder zu kümmern.2 Die Frauen haben einen einjährigen Arbeitsvertrag mit der Verpflichtung, 20 Stunden pro Woche an Kursen aller Art (Deutsch, Informatik, politische Bildung) teilzunehmen, die ihnen helfen, Anschluss an die Gesellschaft zu finden. Mit Unterstützung des Deutschen Kinderhilfswerks und der Deutschen Postcode-Lotterie führt Social Science Works ein Projekt mit zwei Gruppen von Mädchen im Alter von 14 bis 18 Jahren durch, die in Flüchtlingsheimen in Brandenburg leben.3 Gerade diese jungen Frauen kämpfen mit regelmäßig widersprüchlichen Vorstellungen von Emanzipation innerhalb der Kulturen ihrer Heimatländer und Deutschlands. Die Gruppen werden vier Monate lang drei Stunden pro Woche von drei Sozialpädagoginnen betreut und sind ein sicherer Ort, an dem sich die Teilnehmerinnen frei über ihre Ideen und Erfahrungen austauschen können. Im Mittelpunkt der Aktivitäten steht die Stärkung der individuellen Ressourcen wie Selbstvertrauen, Selbstwertgefühl (Empowerment), Selbstfürsorge und Selbstbestimmung. Themen sind unter anderem Sexualität, Schönheitsideale, Glück, Liebe, Karriere, Diskriminierung und Grenzsetzung. Es gibt also eine Vielzahl von Initiativen. Das Problem ist jedoch, dass alle diese Projekte zufallsbedingt sind und ausschließlich von der zufälligen Anwesenheit und der Initiative der lokalen Akteure abhängen, die sie beantragen und durchführen. Es gibt keine strukturellen Maßnahmen, die die Migranten strukturell erreichen.
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https://www.bamf.de/DE/Themen/Integration/ZugewanderteTeilnehmende/AngeboteFra uen/angebote-frauen-node.html https://team-wendepunkt.info/ https://socialscienceworks.org/starke-maedchen-eine-zwischenbilanz/
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11. Die Situation der Familienväter
Wenn Familien im Herkunftsland in traditionellen Geschlechterrollen sozialisiert werden, sind es oft die Väter, die am meisten unter der Situation der Übergangsheime leiden. Die Arbeitslosigkeit, von der sie manchmal betroffen sind, untergräbt zunächst die bisherige Selbstverständlichkeit, das Familienoberhaupt zu sein. Man verliert an Autorität, Stolz und Respekt, wenn man von Sozialleistungen abhängig ist, um zu überleben, und von Organisationen des öffentlichen Dienstes, um zu lernen, zu arbeiten oder zu wohnen. Zahlreiche von uns befragte Frauen und Jugendliche berichteten uns von Depressionen und Lethargie, die sich bei ihren Ehemännern bzw. Vätern oft eingestellt hatten. Wenn sie nicht durch religiöse Verbote davon abgehalten werden, verlieren sich manche auch in Alkohol und anderen Substanzen. Während für Mütter in traditionellen Geschlechterrollen das Leben weitgehend weitergeht, stehen Väter nach ihrer Ankunft in Deutschland plötzlich vor einer großen Leere. Mütter kochen, waschen, putzen, machen Einkäufe und kümmern sich um die Kinder. Väter ohne Arbeit hängen meist herum. Hier unterscheiden sich die Flüchtlinge übrigens in keiner Weise von den männlichen Arbeitslosen, die Marie Jahoda, Paul Lazarsfeld und Hans Zeisel in ihrem berühmten Buch Die Arbeitslosen von Marienthal. Ein soziographischer Versuch über die Wirkungen langandauernder Arbeitslosigkeit (1933) beobachtet haben. Zu einem Statusverlust kommt es auch, wenn sich die Kinder schneller integrieren als die Eltern, was in der Regel der Fall ist. Kinder sprechen gewöhnlich schneller Deutsch und werden manchmal schon in sehr jungen Jahren zu Dolmetschern und Sprechern der Familie. Sie begleiten ihre Eltern zu offiziellen Einrichtungen und sind häufig besser informiert als diese. Wissen ist Macht, und wenn Kinder mehr wissen als die Eltern, insbesondere der Vater, kann dies nur einen Verlust der Autorität des Letzteren bedeuten. Nicht alle Väter können damit umgehen. Und wenn insbesondere Töchter von emanzipatorischen Idealen beseelt sind, fühlen sich Väter in ihrer Autorität und ihrem Status manchmal noch mehr beeinträchtigt. Es kommt dann zu Reibereien zwischen Vätern und Töchtern, aber auch zwischen Schwestern und Brüdern. Dann sind klärende Gespräche erforderlich. Der türkische Migrant und Psychologe Kazim Erdoğan gründete unter anderem zu die-
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sem Zweck in Neukölln die »Väter- und Männergruppe«, die bundesweit Beachtung fand.1 Diesem Beispiel könnte man folgen.
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https://www.zeit.de/2015/46/neukoelln-psychologie-psychologe-tuerken-bezirksamt
12. Integration und Orientierung
Migration und Integration bedeutet in der Regel Neuorientierung. Die beiden vorangegangenen Abschnitte haben dies bereits veranschaulicht: Männer und Frauen aus Kulturen, in denen andere Geschlechterrollen dominieren, müssen sich manchmal neu orientieren, um sich in Deutschland zurechtzufinden. Doch welche Erwartungen bestehen hinsichtlich dieser Neuorientierung und Integration? Diese Erwartungen werden selten durchdacht und noch weniger ausgesprochen, wie wir in vielen Gesprächen mit Einheimischen und Migranten feststellen konnten. Aufgrund der deutschen Vergangenheit scheinen die Einheimischen Angst zu haben, über Werte zu sprechen, aus Angst, als eurozentrisch, rassistisch oder schlimmer eingestuft zu werden. Migranten werden oft im Unklaren darüber gelassen, was genau von ihnen erwartet wird. Sie machen sich regelmäßig große Sorgen darüber, was sie von ihrer Identität aufgeben müssen, haben einen übertriebenen Anpassungswillen (»Ich tue alles, um ein Deutscher zu werden«) oder greifen nach einer Reihe von Enttäuschungen bei der Integration auf eine Identität zurück, die sie in der Vergangenheit nie wirklich hatten. Um festzustellen, in welchem Sinne und in welchem Umfang die »Integration« von Neuankömmlingen gelungen ist, muss zunächst definiert werden, was unter Integration zu verstehen ist. Gerade in dieser Frage besteht jedoch in den Sozialwissenschaften und auch in der Politik keine Einigkeit. Alternativ zur Integration wird auch der Begriff Assimilation verwendet, der die vollständige Anpassung der Migranten an die Aufnahmegesellschaft bezeichnet. Oft wird auch von Integration gesprochen, aber Assimilation gemeint. Eher multikulturell orientierte Ansätze kritisieren dies und plädieren für die Akzeptanz und den Erhalt alternativer kultureller Traditionen. Dies vor dem Hintergrund einer zunehmend komplexen und vielfältigen Welt, in der sich die Menschen immer weniger durch ihre Zugehörigkeit zu einer einzigen oder wenigen Gruppen definieren und in der die Menschen mehrere oder hybride Identitäten besitzen. Es liegt auf der Hand, dass Menschen nur dann als »integriert« angesehen werden können, wenn sie in gewissem Maße an dem betreffenden sozialen Gefüge teilhaben. Integration könnte also als ein Prozess verstanden werden, in dem Menschen zunehmend in der Lage sind, am kulturellen, sozialen, wirtschaftlichen und poli-
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tischen Leben der Gesellschaft, der sie angehören, teilzunehmen. Um dies zu erreichen, benötigen die Menschen eine Reihe grundlegender Fähigkeiten oder Kompetenzen, die es ihnen ermöglichen, Tätigkeiten auszuüben, die in dieser Gesellschaft geschätzt werden. Um mit anderen Mitgliedern der Gesellschaft interagieren zu können, um eine soziale Tätigkeit zu entwickeln, muss man natürlich auch eine gemeinsame Sprache beherrschen. Ein zentraler Wert der westlichen Kultur ist die persönliche Autonomie, die Fähigkeit, das eigene Leben auf der Grundlage von selbst gewählten Werten und Zielen zu meistern (Blokland 1997, 1999). Integration in einem westlichen Land wie Deutschland könnte daher auch als ein Prozess definiert werden, in dem die Menschen zunehmend in der Lage sind, ihr Leben selbständig zu gestalten und zu bestimmen. Auch wirtschaftlich müssen sie in der Lage sein, ein selbstbestimmtes Leben ohne ständige Unterstützung durch andere oder durch den Staat zu führen. Um Selbstbestimmung zu verwirklichen, und das gilt für alle Menschen, muss man in der Lage sein, die Werte und Erwartungen zu reflektieren, die man durch Sozialisation erworben hat: Was genau sind diese (oft impliziten und unbewussten) Werte und Erwartungen, inwieweit spiegeln sie mein Selbstverständnis wider, würde ich sie selbst wählen, wenn ich die Freiheit dazu hätte? Migranten aus anderen Kulturen, die andere Sozialisationsprozesse hinter sich und eine Kultur mit möglicherweise teilweise anderen Werten und Erwartungen vor sich haben, erleben ein noch größeres Bedürfnis, sich neu zu orientieren, als Einheimische. Ohne diese Orientierung kann es zu Gefühlen der Verwirrung und des Identitätsverlusts, zu Reibungen mit der Aufnahmegesellschaft und zu Tendenzen des Aussteigens, der Isolation und sogar der Radikalisierung kommen. Die Integration in eine Gesellschaft hat daher viele Dimensionen: das Beherrschen der Sprache, das Erreichen eines Bildungsniveaus, das die Teilhabe an dieser Gesellschaft ermöglicht, eine sinnvolle bezahlte oder unbezahlte Arbeit sowie die kulturelle, soziale und politische Teilhabe. Darüber hinaus ist aber auch eine Werteorientierung ein wichtiger Bestandteil der Integration. In den Hunderten von Workshops zu Werten und verwandten Themen (von Pluralismus und Demokratie bis hin zu Respekt und von Identität bis hin zu Geschlechtergleichheit und Homosexualität), die Social Science Works seit 2016 mit Flüchtlingen aus mehr als 20 Ländern durchgeführt hat, haben wir festgestellt, dass es sowohl einen großen Bedarf als auch eine große Bereitschaft und ein großes Interesse gibt, über diese Werte und Themen zu sprechen (siehe Blokland 2018a, 2018b, 2019b, 2019c, 2019d). Dieses Gespräch, an dem vorzugsweise auch Einheimische beteiligt sein sollten, muss in viel größerem Umfang stattfinden, als es derzeit der Fall ist, und es muss eine kontinuierliche Aufgabe sein. Wenn Integration auf diese Weise definiert wird, muss die Integration von vielen Bewohnern der Übergangswohnheime in Teltow-Fläming im Moment als weitgehend gescheitert angesehen werden. Viele Menschen sind nicht oder nur
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geringfügig in der Lage, an der Gesellschaft teilzunehmen, und machen keine großen Fortschritte bei der Vorbereitung auf eine solche Teilhabe. Sie sprechen die Sprache nicht oder nur sehr mangelhaft, haben keine oder nur sehr eingeschränkte berufliche Qualifikationen, sind nicht oder nur geringfügig beschäftigt, haben keine würdige Unterkunft, sind stark von der Außenwelt abgeschottet und haben keine klaren Perspektiven. Die Situation vieler Flüchtlinge wurde von einigen Beteiligten als ein Vakuum beschrieben. Es ist unklar, wo die Menschen stehen, was die Erwartungen der Umwelt sind, welche Perspektiven es gibt. Es gibt keinen Plan, keine Orientierung, keine Verantwortung. Manchmal ist ein Leerraum entstanden, eine Kultur der Unverbindlichkeit. Dieses fehlende Engagement ist bei fast allen Beteiligten festzustellen. Was die Flüchtlinge und Migranten betrifft, so könnten einige von ihnen besser über ihre Situation informiert werden, und einige könnten stärker in die Verantwortung für ihre eigene Integration genommen werden. Mehr als in der Vergangenheit könnte vermittelt werden, dass die Integration große Anstrengungen erfordert und nicht von selbst erfolgen wird. Die Erwartungen sollten offener kommuniziert werden: Deutschland verlangt von den Flüchtlingen, dass sie sich in das gesellschaftliche System einfügen, ihr Leben aktiv gestalten und nach einer Starthilfe durch den Sozialstaat für ihr eigenes Einkommen sorgen und in die Sozialkassen einzahlen. Man wird sich auch der Tatsache stellen müssen, dass nicht jeder eine echte Chance hat, sich erfolgreich in die deutsche Gesellschaft zu integrieren. Es gibt eine Gruppe von Flüchtlingen, die aufgrund ihrer geringen Vorqualifikation und zum Teil geringen intrinsischen Motivation wenig oder gar keine Chance haben, sich in den Arbeitsmarkt zu integrieren und später eine eigene Wohnung zu beziehen. Ihre Chancen, ein selbstbestimmtes Leben zu führen, sind gering. »Geduldete« Flüchtlinge laufen zudem Gefahr, jahrelang als »Duldungsschläfer« ohne klare Perspektive in den Flüchtlingsheimen zu verbringen. Die Folgen sind oft Lethargie, Depressionen und andere psychische Probleme oder sogar ein Abgleiten in die Radikalität. Anstatt diesen Menschen falsche Hoffnungen zu machen oder sie zu ignorieren, sollte man sie offen und klar über ihre Integrationschancen in Deutschland informieren und ihnen als Ausweg aus der Sackgasse die Möglichkeit einer freiwilligen und würdevollen Rückkehr anbieten. Dies erscheint wesentlich humaner, als sie jahrzehntelang hoffnungslos am unteren Rand der deutschen Gesellschaft baumeln zu lassen.
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13. Der physische Zustand der Übergangsheime
Wie wir bereits gesehen haben, waren die Leiter der Flüchtlingsheime der Meinung, dass die meisten Heime in einem sehr schlechten Zustand sind. Für mehrere Gebäude war schon vor Jahren die Schließung geplant. Dennoch wird fast jedes Jahr beschlossen, das Gebäude zumindest für das nächste Jahr offen zu halten. Man ging wohl davon aus, dass die Bewohner nur für eine kurze Zeit bleiben würden und dass nach der Krise von 2015 keine neuen Flüchtlinge kommen würden. Obwohl beide Annahmen falsch sind, hatten sie den Effekt, dass notwendige Renovierungen oder Neubauten aufgeschoben wurden. Vielleicht gibt es auch ein politisches Kalkül: Wenn wir die Qualität der Unterkünfte verbessern, wird dies noch mehr Flüchtlinge anziehen und den Zorn unserer politischen Unterstützer hervorrufen. Die Bewohner wollten im Allgemeinen nicht undankbar sein, hatten aber dennoch viele berechtigte Beschwerden, wie wir in den Interviews gesehen haben. Die Menschen leben zu lange mit zu vielen Menschen in zu kleinen Räumen. Man hat keine Privatsphäre und es gibt viel Lärmbelästigung. Das Schlafen, Ausruhen, Zu-sich-Kommen und Lernen wird dadurch stark beeinträchtigt. Die Menschen müssen sich schlechte und unzureichende Anlagen wie Küchen, Bäder und Toiletten mit zu vielen Menschen teilen. Außerdem haben die Bewohner regelmäßig sehr unterschiedliche kulturelle, soziale und religiöse Hintergründe, was unweigerlich zu Reibereien führt. Die Unterkünfte und Einrichtungen sind schlecht gewartet, baufällig, schmutzig und unhygienisch. Es gibt Schädlinge, von Mauerläusen über Kakerlaken bis hin zu Ratten. Die Reinigung ist oft schlecht organisiert, und einige scheinen sich nicht (mehr) darum zu scheren. Manchmal sind die Unterkünfte auch physisch von der Außenwelt abgeschnitten, da sie mit öffentlichen Verkehrsmitteln kaum zu erreichen sind (man denke an Am Mellensee). Die gewünschten politischen Maßnahmen liegen auf der Hand. Deutschland ist ein Migrationsland. Die Krise von 2015 war kein Einzelfall. Der Krieg in der Ukraine und die unvorstellbaren Flüchtlingsströme, die er bis vor kurzem in Europa ausgelöst hat, haben dies einmal mehr bewiesen. Auch in Zukunft werden viele Menschen aus politischen, sozialen und wirtschaftlichen Gründen nach Deutschland kommen, die auch zur Bewältigung der demografischen Entwicklung dringend benötigt werden. Daher werden auch weiterhin Flüchtlingsunterkünfte
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benötigt werden. Um die Integration der Menschen zu beschleunigen – das Leben in diesen Einrichtungen macht im wahrsten Sinne des Wortes krank – müssen diese Unterkünfte daher an die Erfordernisse der Zeit angepasst werden. Investitionen sind notwendig. Dass es auch anders geht, zeigen zum Beispiel die vom Deutschen Roten Kreuz betriebenen Flüchtlingszentren. Auf die Frage nach einer Erklärung für die Unterschiede in der Qualität der Unterkünfte antwortete uns das Deutsche Rote Kreuz, dass es seine eigenen Standards hat, über die es nicht verhandelt. Warum sind die Standards des DRK höher als die der deutschen Regierung? Warum nicht alle Flüchtlingsheime dem DRK überlassen?
13.1 Ausschreibungen von Flüchtlingszentren Damit kommen wir zum System der Ausschreibungen, das, wie wir gesehen haben, bei den Sozialarbeitern zu großer Frustration geführt hatte. In der Regel gibt es in diesem System drei Parteien. Erstens die Kreisverwaltung, die in Teltow-Fläming alle zwei Jahre ein Übergangswohnheim ausschreibt. In dieser Ausschreibung wird ein zweijähriger Maßnahmenplan gefordert, bei dem die Kosten im Vordergrund stehen. Zweitens eine Organisation wie das Deutsche Rote Kreuz, der Internationale Bund oder die Living Quarter GmbH1 , die sich dafür bewirbt und anbietet, das Wohnheim während der Vertragslaufzeit zu betreiben. Und drittens eine Einrichtung, die Eigentümerin der betreffenden Immobilie ist und diese an die zweite Partei vermietet. Es könnte sich um dieselbe Kreisverwaltung handeln. Dieses System hat mehrere Probleme. Zunächst einmal ist die Vertragslaufzeit so kurz, dass es wenig Sinn macht, in die Bewohner und das soziale Umfeld der Unterkunft zu investieren (ehrenamtliche und zivilgesellschaftliche Organisationen, kommunale Einrichtungen, Unternehmen). Denn wenn man den Vertrag verliert, sind all diese Investitionen weitgehend umsonst. Dies ist eine der Erklärungen dafür, dass Sozialarbeiter oft kaum wissen, wer in ihrer Unterkunft lebt und welche Hintergründe, Fähigkeiten und Bedürfnisse die Betroffenen haben. Wir haben dies in unserer quantitativen Untersuchung ausführlich dargestellt. Außerdem scheint es sich bei den Einrichtungen zumeist um Raumschiffe vom Mars zu handeln, die zufällig irgendwo gelandet sind und im jeweiligen sozialen Umfeld weitgehend isoliert sind. Es lohnt sich nicht, Zeit, Energie und Geld in Beziehungen zu den in dem Gebiet ansässigen bürgerlichen, privaten
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Auf der Website von Living Quarter (The Place to Live), das 2015 gegründet wurde, ist zu lesen: »Im Jahr 2022 konnten wir einen weiteren Erfolg erzielen, denn in der Financial Times erhielten wir Platz 163 der wachstumsstärksten Unternehmen Europas. Wir sind wahnsinnig stolz solch tolle Ergebnisse gemeinsam im Team erreichen zu können.« (https://www.livingquart er.de/lq/auszeichnung-in-der-financial-times/).
13. Der physische Zustand der Übergangsheime
und öffentlichen Organisationen zu investieren, Investierungen die jedoch die Integration der Bewohner erheblich verbessern könnten. Dadurch werden die Vorteile, die die Integration in den ländlichen Raum bieten könnte, weitgehend zunichte gemacht. Zweitens sind immer mehr Anbieter auf den Markt gekommen, die offenbar hauptsächlich von kommerziellen Erwägungen geleitet werden und keinen Hintergrund und keine Erfahrung in der Sozialarbeit haben.2 Die beteiligten Organisationen mögen kurzfristig billiger sein, aber die angebotene Qualität ist geringer, auch weil sie nicht stark von Wissen, Erfahrungen, Ideen, Werten und Idealen in diesem Bereich geleitet werden. Längerfristig führt dies zu höheren sozialen Kosten. Je schlechter und länger der Integrationsprozess, desto teurer. Theoretisch könnte das Vorhandensein mehrerer Parteien, die auf einem offenen Markt miteinander konkurrieren, zu einer höheren Dienstleistungsqualität führen. Denn die Marktteilnehmer könnten sich durch ihre eigenen Ideen und Strategien zur Unterbringung und Integration von Flüchtlingen voneinander unterscheiden. Diese abweichenden Vorstellungen und Strategien könnten zu Unterschieden in der Lebensqualität in betreuten Unterkünften und im Erfolg der Integration führen. Hierfür sind verschiedene Indikatoren denkbar: die Dauer des Aufenthalts in der Unterkunft; die Anzahl der Personen, die arbeiten, Deutschkurse besuchen, eine Berufsausbildung absolvieren; der Prozentsatz der Kinder, die eine Kindertagesstätte besuchen, die erfolgreich die weiterführende Schule abschließen; der Prozentsatz der Bewohner, die in eine andere Unterkunft umziehen möchten und so weiter. Es werden jedoch keine Daten über all diese und andere mögliche Indikatoren erhoben. Die Betreiber von Flüchtlingsunterkünften werden also nicht nach ihren Ergebnissen beurteilt. Es wird nicht einmal überprüft, ob sie die Pläne, die sie in ihren Projektanträgen vorlegen, auch tatsächlich umsetzen. Bei jeder Ausschreibung fangen alle Anbieter bei Null an, unabhängig von ihrer bisherigen Leistung. Infolgedessen gibt es keinen funktionierenden Markt und somit auch kaum Qualitätsgarantien. Wenn es keinen funktionierenden Markt gibt, der die Anbieter dazu zwingt, qualitativ hochwertige Produkte zu liefern, sollte der Staat eingreifen. Schließlich ist er der einzige verbliebene Akteur, der dazu in der Lage ist. Denn die direkten Konsumenten der Produkte, nämlich die Flüchtlinge, die in einem normalen Markt
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Eines der größten Unternehmen in diesem Bereich ist das Familienunternehmen European Homecare (https://www.eu-homecare.com/de/), das rund 100 Flüchtlingszentren betreibt und etwa 2000 Mitarbeiter beschäftigt. Das Unternehmen war einer der größten Gewinner der Flüchtlingskrise. Im Jahr 2016 erwirtschaftete es einen Umsatz von 277 Millionen (gegenüber 39 Millionen im Jahr 2014) und einen Gewinn von 32 Millionen (https://www .stern.de/wirtschaft/news/fluechtlingsheime--umstrittener-betreiber-macht-millionengew inn-7925040.html).
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die Möglichkeit hätten, zu anderen Anbietern zu wechseln, haben keine Wahl: Es wird für sie von oben entschieden, wo sie sich aufhalten sollen. Verantwortung bedeutet nicht zwangsläufig, dass die Flüchtlingsunterkünfte von der Regierung verwaltet werden, auch wenn wenig dagegen spricht. Immerhin sind die Gefängnisse in Deutschland, anders als in den Vereinigten Staaten oder im Vereinigten Königreich, ebenfalls staatlich organisiert. Es gibt keinen Grund zu glauben, dass die Gefängnisse in den Vereinigten Staaten besser funktionieren als die in Deutschland. Öffentliche Einrichtungen werden politisch kontrolliert. Kommerzielle Organisationen, die von der Politik unabhängig sind und in einem nicht funktionierenden »Markt« arbeiten, werden von niemandem kontrolliert. Man kann die Unterkünfte auch in einer von der öffentlichen Hand »ferngesteuerten« Einrichtung unterbringen. Diese so genannten »Quangos« (QuasiRegierungsorganisationen oder quasi-autonome Nichtregierungsorganisationen) werden von der öffentlichen Hand finanziert und können innerhalb des von der staatlichen Seite gesetzten Rahmens bis zu einem gewissen Grad unabhängig arbeiten. Diese Quangos gibt es schon seit langem, aber ihre Zahl hat in der westlichen Welt vor allem seit den 1990er Jahren enorm zugenommen. Dabei spielten anti-staatliche und pro-marktwirtschaftliche Stimmungen eine große Rolle. Oft waren die Erfahrungen am Ende schlecht, weil die Verantwortlichkeit in diesen Konstruktionen verloren ging. Die Politik hatte sich selbst (oft mit Erleichterung) als Kontrollinstanz ausgeschaltet. Gleichzeitig agierten die fraglichen Organisationen nicht auf einem von den Verbrauchern kontrollierten Markt, für den man Rechenschaft ablegen müsste. Infolgedessen hatte die Führung der entsprechenden Quangos weitgehend freie Hand. Und für Fehlentscheidungen sollte der Staat trotzdem finanziell aufkommen. Es gibt auch deshalb keinen Beweis dafür, dass Quangos Kosten sparen. Die dritte Möglichkeit besteht also darin, dass die öffentliche Hand einen echten Markt organisiert, auf dem konkurrierende Produzenten innerhalb eines von der Politik festgelegten Rahmens nach eindeutigen Kriterien beurteilt werden. Ob man diese Kriterien erfüllt, muss dann tatsächlich kontrolliert werden. Zu diesem Zweck sollten Daten zu den bereits erwähnten Indikatoren erhoben werden. Außerdem können die Kriterien nicht hauptsächlich von kurzfristigen Kostenerwägungen bestimmt sein: Sie können bei Ausschreibungen und Bewertungen nicht ausschlaggebend sein. Erstens, weil die Werte und Ideale, die der Aufnahme von Flüchtlingen zugrunde liegen, nicht nur in Euro ausgedrückt werden können. Zweitens, weil, wie wir oben gesehen haben, die Integration ein sehr langfristiger Prozess ist. Die Verwirklichung dieses Ziels erfordert langfristige Investitionen. Diese notwendigen Investitionen verschwinden von der Bildfläche, wenn die Organisationen nach ihren Kosten über einen Zeitraum von zwei oder drei Jahren beurteilt werden. Die tatsächlichen Kosten werden dann auf die Gesellschaft abgeschoben.
14. Die soziale Situation in den Übergangsheimen
14.1 Das Fehlen einer Gemeinschaft Die Menschen in den Unterkünften leben in der Regel völlig nebeneinander her. Es gibt kaum soziale Interaktionen, die eine Gemeinschaft bilden. Die Menschen, so sagten uns viele Bewohner in den Interviews, bleiben meist unter sich. Eine Erklärung dafür könnten die großen kulturellen Unterschiede sein. Oft können die Menschen sich auch nicht untereinander verstehen, da viele nicht genug Deutsch sprechen, die Sprache, die den gemeinsamen Nenner bilden könnte oder sollte. Gleichzeitig hat man natürlich im Prinzip viel gemeinsam: Fast alle kämpfen mit der Vergangenheit, der Reise nach Deutschland, dem Asylverfahren, dem Erlernen der Sprache, dem Leben in der Unterkunft, der Wohnungs- und Arbeitssuche und so weiter. Die Bewohner könnten sich darüber austauschen, sie könnten von den Erfahrungen der anderen lernen und sich gegenseitig unterstützen. All dies kommt jedoch nur selten vor, selbst nicht unter Menschen derselben Nationalität. Auch im letzteren Fall können die Unterschiede in Religion, Sprache, kultureller Tradition, politischer Überzeugung und sozialer Schicht enorm sein und der Bildung einer Gemeinschaft im Wege stehen. Man könnte es als Aufgabe der Sozialarbeiter sehen, ein Gemeinschaftsgefühl zu fördern, indem sie Menschen durch eine Vielzahl von Aktivitäten zusammenbringen. Nur sehr wenige scheinen dazu in der Lage zu sein oder haben sich diese Aufgabe gestellt. Wir werden später darauf zurückkommen.
14.2 Diskriminierung Diskriminierung ist leider ein universelles Phänomen. Flüchtlinge wurden häufig in ihrem eigenen Land diskriminiert, werden von deutschen Bürgern und Beamten regelmäßig ungleich behandelt und diskriminieren sich gegenseitig. Es scheint naiv anzunehmen, dass gegenseitiges Verständnis und Respekt ohne Frage vorhanden sind, denn schließlich sind alle »Flüchtlinge«. Dieser gemeinsame Nenner ist vorhanden, aber darüber hinaus gibt es viele andere Variablen, die Animositäten her-
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vorrufen können. Das Gespräch über alle Arten von Diskriminierung – von Rassismus, Sexismus, Antisemitismus bis hin zu Homophobie – bleibt daher auch unter den Bewohnern von Flüchtlingszentren eine ständige Aufgabe.
14.3 Gewalt Mehrere Bewohner berichteten von Diebstahl und Gewalt. Einige meinten, dass die zuständigen Sozialarbeiter und Sicherheitsbeamten in den Heimen sowie die Polizei nicht ausreichend dagegen vorgehen. Das Flüchtlingszentrum scheint eher als Niemandsland wahrgenommen zu werden, in dem nicht die gleichen Gesetze und Regeln gelten wie in der übrigen Gesellschaft. Einige berichteten daher ausdrücklich, dass sie sich unsicher fühlten, und nannten dies als Hauptgrund dafür, dass sie die Unterkunft so schnell wie möglich verlassen wollten.
14.4 Unterstützung durch Mitbewohner, Sozialarbeiter und Freiwillige Gegenseitige Hilfe ist offensichtlich ein wichtiger Bestandteil des gesellschaftlichen Lebens. Da die Menschen weitgehend nebeneinander leben, ist dies selten. Natürlich gibt es wichtige Ausnahmen, wie Bewohner, die anderen ständig helfen, indem sie zum Beispiel für sie übersetzen und dolmetschen. Wir haben jedoch nicht viele solcher Ausnahmen gefunden. Wie viel Unterstützung die Menschen von Sozialarbeitern und Freiwilligen erhalten, ist sehr unterschiedlich. Einige Sozialarbeiter sind besser ausgebildet oder motivierter als andere. Gelegentlich sind die Freiwilligen andauernd anwesend, in anderen Fällen kommen sie einmal im Jahr vorbei, um ein Grillfest zu organisieren. Einige Flüchtlinge erhalten je nach ihrer Herkunft, ihrer Persönlichkeit, ihrem asylrechtlichen Status und ihrem Familienstand schneller und mehr Hilfe als andere. Die einen erwarten viel von ihrer Umgebung, die anderen wenig. Infolgedessen sind einige mit der Unterstützung, die sie erhalten haben, sehr zufrieden, während andere, unserer Einschätzung nach die Mehrheit, sehr unzufrieden sind. Wir haben in der Analyse der Interviews mehrere Beispiele dafür angeführt. In letzterem Fall beklagen sich die Menschen vor allem über einen Mangel an Unterstützung bei der Beantragung der zum Lernen, Arbeiten und Leben erforderlichen Dokumente. Im Allgemeinen scheinen die Verfügbarkeit von Hilfe, insbesondere von Freiwilligen, und die Bereitschaft, diese zu leisten, im Laufe der Jahre abgenommen zu haben.
15. Die psychologische Situation der Bewohner
Viele Bewohner der Übergangswohnheime haben Fluchterfahrungen und sind daher oft psychisch belastet oder traumatisiert. Darüber hinaus haben sie manchmal auch während ihrer regelmäßig sehr langen Aufenthalte in den Flüchtlingsheimen psychische Probleme entwickelt. Dies wirkt sich natürlich auch auf das Lebensumfeld in diesen Heimen aus. Psychisch belastete Menschen sind oft auch eine Belastung für ihr soziales Umfeld. Menschen, die unglücklich, deprimiert oder niedergeschlagen sind, nehmen anderen die Energie weg; Menschen, denen es gut geht, geben anderen Energie. Mehrere unglückliche Menschen zusammen können das gesamte Lebens- und Arbeitsklima in einem Heim, aber auch in einer Firma, Fakultät oder einer Kreisverwaltung negativ bestimmen. Außerdem werden sie gleichgültig, kümmern sich weniger um sich selbst und um ihre physische Umgebung. Da die Menschen in den Unterkünften wenig oder gar keinen Kontakt zu Deutschen haben und zudem aneinander vorbeileben, ist Einsamkeit eines ihrer größten Probleme. Viele der von uns befragten Bewohner äußerten sich dazu. Selbst wenn man Arbeit hat, führt dies selten zu zwischenmenschlichen Kontakten. Einsamkeit wiederum verursacht zahlreiche andere psychische und körperliche Probleme und Beschwerden. Die American Psychological Association hat in einer Metastudie festgestellt, dass Menschen, die einsam sind, mit größerer Wahrscheinlichkeit gesundheitliche Probleme haben; und Menschen mit gesundheitlichen Problemen leiden mit größerer Wahrscheinlichkeit unter Einsamkeit. Etwa 60 % der Amerikaner im Alter von 45 Jahren und älter, »bei denen Angstzustände, Depressionen oder andere Stimmungsstörungen diagnostiziert wurden, gaben an, sich einsam zu fühlen […]. Fast zwei Drittel derjenigen, bei denen Drogen-/Alkoholmissbrauch diagnostiziert wurde (63 %), fühlten sich einsam« (APA 2017: 12; Übersetzung HTB). Die Einsamkeit betrifft nicht nur Flüchtlinge. Manche nehmen wahr, so haben wir in den Interviews gesehen, dass viele deutsche Einheimische genauso leiden. Die Deutschen im Allgemeinen und die Brandenburger im Besonderen scheinen große Probleme damit zu haben, zwischenmenschliche Kontakte zu knüpfen und zu pflegen. Viele Flüchtlinge sind darüber auch sehr besorgt. Diese Sorgen erweisen sich als berechtigt.
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Da Einsamkeit und damit zusammenhängende psychische Probleme so prägend sind und viele Bemühungen um Integration und den Aufbau eines unabhängigen Lebens erschweren, werde ich etwas ausführlicher darauf eingehen.
15.1 Eine Epidemie von Einsamkeit und ihre Folgen In seinem Buch The Loss of Happiness in Market Democracies (2000) stellt der Politikpsychologe Robert Lane fest, dass alle westlichen Demokratien seit den 70er Jahren des vorigen Jahrhunderts eine starke Zunahme von Depressionen und anderen psychischen Erkrankungen sowie von Misstrauen gegenüber anderen Menschen und sozialen Institutionen zu verzeichnen haben. Überall nahm der Zukunftspessimismus zu und erodierte der soziale und familiäre Zusammenhalt. Lane zufolge gibt es »eine Art Hunger nach warmen zwischenmenschlichen Beziehungen, nach leicht erreichbaren Nachbarn, nach umschließenden, einschließenden Mitgliedschaften und nach einem solidarischen Familienleben« (2000: 9; Übersetzung HTB). Als Folge dieses Mangels an sozialer Unterstützung leiden die Menschen zunehmend unter Einsamkeit und sind viel anfälliger für Rückschläge im Leben, wie Arbeitslosigkeit, Krankheit, Stress, Enttäuschungen mit ihren Kindern, unerfüllte Wünsche. Ein allgemeines Unbehagen oder Angstgefühl ist die Folge. Die von Lane zitierten Forschungsergebnisse zeigen, dass Menschen, die sich in ihrer eigenen Haut wohlfühlen, mehr Kreativität, Problemlösungsfähigkeit, Kooperationsbereitschaft, Großzügigkeit, Gesundheit und Selbstverwirklichung an den Tag legen. Glückliche Menschen finden leichter Freunde, und Freunde machen die Menschen glücklicher. Sie haben auch weniger ethnische Vorurteile und stehen einer demokratischen Regierungsführung positiver gegenüber. Unzufriedene und depressive Menschen hingegen geraten in eine Abwärtsspirale: Sie haben ein negatives Selbstbild, ein mangelndes Selbstvertrauen und autonomes Verhalten, erbringen schlechte Studien- und Arbeitsleistungen, verlieren das Augenmaß, geraten in Streit mit Familienmitgliedern und Kollegen, sind schlechte Eltern und so weiter. Die persönlichen, aber auch die sozialen Kosten dieser Menschen sind enorm: »Sie zehren die Ressourcen der Gesellschaften auf, in denen sie leben«, schreibt Lane (2000: 330; Übersetzung HTB). In einem Interview, das ich im Jahr 2000 mit Robert Lane führte, erklärte er: »Im Gegensatz zu dem, was Kulturrelativisten gerne glauben würden, haben die Menschen sehr viel gemeinsam. Daher sind die Bedingungen für ihr Wohlbefinden weltweit sehr ähnlich. So zeigt die kulturübergreifende Forschung im Allgemeinen, dass die Zufriedenheit mit dem Familienleben und den Beziehungen zu Freunden zu den wichtigsten Erklärungen für Glück und das Fehlen von Depressionen gehören. Sie sind wichtiger als die Zufriedenheit mit dem Lebensstandard,
15. Die psychologische Situation der Bewohner
der Arbeit, dem religiösen Leben oder dem ›Vergnügen, das man hat‹. Vor allem die Depression ist kein reines Kulturprodukt. Unter Psychologen gibt es eine große kulturübergreifende Übereinstimmung über die Kriterien für eine Depression. Sie umfasst anhaltende und gleichzeitig auftretende Symptome wie Appetitlosigkeit, Schlaflosigkeit, chronische Müdigkeit, Verlust des sexuellen Verlangens, Gefühle der Minderwertigkeit oder Schuld, Konzentrationsschwäche, Unentschlossenheit und wiederkehrende Gedanken an Tod oder Selbstmord« (Übersetzung HTB).1 Die Auswirkungen von Einsamkeit auf die Gesundheit sind ein Thema von wachsendem Interesse für Forscher. Eine der gründlichsten und am häufigsten zitierten Studien war eine Meta-Analyse von 128 Studien, die in Europa, Asien, Nordamerika und Australien von der American Psychological Association (2017) durchgeführt wurde. Die Überprüfung ergab, dass Einsamkeit mit einem erhöhten Risiko für Herzerkrankungen, Bluthochdruck, Schlaganfall und Demenz verbunden ist. Insgesamt erhöhte Einsamkeit das Risiko eines früheren Todes um über 50 %. Mehrere Regierungen haben inzwischen Maßnahmen zur Bekämpfung der Einsamkeit eingeleitet. In Großbritannien wurde zu diesem Zweck sogar ein eigenes Ministerium eingerichtet. In Deutschland hat das Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend eine »Strategie gegen Einsamkeit« entwickelt. Einsamkeit entsteht, schreibt das Ministerium auf seiner Website, »wenn die eigenen sozialen Beziehungen nicht den persönlichen Wünschen und Bedürfnissen entsprechen. Der empfundene Mangel kann sich sowohl auf die Zahl der Kontakte als auch auf die Tiefe und Enge der Bindungen beziehen.«2 Entgegen der vorherrschenden Annahme sind es nicht nur ältere Menschen, die sich einsam fühlen. »Besonders gefährdet sind Menschen in Übergangssituationen im Leben, wie dem Einstieg in Studium, Ausbildung, Beruf und Rente oder wenn die Person von einem Schicksalsschlag ereilt wird, etwa einer Trennung oder dem Verlust eines geliebten Menschen.« Dass gerade Flüchtlinge ein hohes Risiko haben, von dieser Volkskrankheit betroffen zu sein, zeigt auch die folgende Aufzählung: »Alleinlebende, Alleinerziehende, Singles, pflegende Angehörige sowie Menschen mit Migrationshintergrund, eingeschränkter Mobilität, gesundheitlichen Problemen, niedriger Bildung oder geringen finanziellen Möglichkeiten haben ein erhöhtes Risiko, von Einsamkeit betroffen zu sein.« Das Ministerium hat 2022 ein »Kompetenznetz Einsamkeit« eingerichtet, das u.a. Forschung betreibt und Wissen bündelt und verbreitet. In einer ihrer Veröffentlichungen, Epidemiologie von Einsamkeit in Deutschland (2022), schreibt Theresa Ent1
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Facta: Sociaal-Wetenschappelijk Magazine (Vol.8, No.5, 2000). Ich habe Lanes Arbeit ausführlicher in Pluralism, Democracy and Political Knowledge (2011: 330–335) und in Unhappily trapped in the Emancipation-dilemma (2004) diskutiert. Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend. 2022. Strategie gegen Einsam keit. Abgerufen 16. Januar 2023.
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ringer, dass vor der Covid-19-Pandemie 14,2 % der in Deutschland lebenden Menschen angaben, einsam zu sein. Durch die Corona-Maßnahmen ist dieser Prozentsatz drastisch gestiegen: auf 42,3 im Jahr 2021.3 Die Bewohner der Übergangsheime wurden von diesen Maßnahmen mit Sicherheit auch hart getroffen, wie wir in den Interviews feststellen konnten. Vor der Pandemie litten vor allem Menschen mit niedrigem Bildungsstand, geringem Einkommen und Arbeitslosigkeit unter Einsamkeit. Während der Pandemie schlossen sich vor allem Frauen und junge Menschen dieser Gruppe an. In den dünn besiedelten ländlichen Gebieten Brandenburgs ist die Einsamkeit wahrscheinlich noch stärker verbreitet als anderswo. Neben einem kulturellen Problem besteht die große Schwierigkeit darin, dass die betroffenen Dörfer die Orte verlieren, an denen sich die Menschen früher getroffen haben – die Bäckerei, das Café, die Bank, den Supermarkt. Darüber hinaus brauchen die Menschen Geld, um sich an Orte zu begeben, an denen Menschen zusammenkommen, und Geld, um Zeit in Cafés, Restaurants und Coffeeshops zu verbringen. Doch gerade in Dörfern und bei älteren Menschen, von denen es in Brandenburg relativ viele gibt, fehlen diese finanziellen Ressourcen (Budde 2019). Susanne Bücker (2022) hat die Literatur über die gesundheitlichen, psychologischen und gesellschaftlichen Folgen von Einsamkeit analysiert. Einsamkeit und soziale Ausgrenzung werden, schreibt sie, »als starke Stressoren verstanden, die mit vielen Problemen im Bereich der psychischen Gesundheit in Verbindung gebracht werden (Zawadzki/Gavrilova 2021). Beispielsweise zeigen zahlreiche Studien, dass Einsamkeit mit einer erhöhten Anfälligkeit für depressive Störungen einhergeht (Achterbergh et al. 2020; Beutel et al. 2017; Cacioppo et al. 2006b, 2010; Jaremka et al. 2013).« Darüber hinaus gibt es Zusammenhänge mit Suizidalität, Angststörungen, Schlafproblemen und beeinträchtigten kognitiven Fähigkeiten (2022: 8–12). Außerdem zeigen wissenschaftliche Studien, »dass soziale Isolation und Einsamkeit mit schwerwiegenden langfristigen Folgen für die körperliche Gesundheit in Verbindung gebracht werden können, einschließlich eines früheren Todes (Holt-Lunstad 2021; Holt-Lunstad et al. 2015)« (2022: 12). Eine Metastudie der vorhandenen Forschung belegt, »dass Einsamkeit mit einem um 26 % erhöhten Risiko für einen vorzeitigen Tod, soziale Isolation mit einem um 29 % erhöhten Risiko und das 3
Die Daten beruhen auf denen des Sozio-ökonomischen Panels (SOEP). In der betreffenden Umfrage werden drei Fragen gestellt: 1. Wie oft haben Sie das Gefühl, dass Ihnen die Gesellschaft anderer fehlt? 2. Wie oft haben Sie das Gefühl, außen vor zu sein? 3. Wie oft haben Sie das Gefühl, dass Sie sozial isoliert sind? Es gibt fünf Antwortkategorien: Nie (1) bis Sehr Oft (5). Aus den drei Fragen wurde ein Index erstellt. Personen mit einem Durchschnittswert von 3 (manchmal) oder höher wurden als einsam eingestuft (2022: 12).
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Alleinleben mit einem um 32 % erhöhten Risiko verbunden waren (Holt-Lunstad et al. 2015)« (2022: 13). Eine aktuelle Studie des Progressiven Zentrums untersuchte insbesondere die politischen Folgen der Einsamkeit unter jungen Menschen, die sich zur Zeit der Corona-Epidemie enorm verschärft hat. Sie fanden heraus: »bei Menschen, die sich häufig einsam, unverbunden und unverstanden fühlen, ist die Wahrscheinlichkeit höher, dass sie Verschwörungserzählungen glauben, politische Gewalt billigen und autoritären Haltungen zustimmen« (2023: 4). Einsam, schreiben die Autoren, sind eher Jugendliche, die finanziellen Druck verspüren, die nicht mehr zu Hause wohnen oder die eine Migrationsgeschichte haben. Zu den Indikatoren für eine Verschwörungsmentalität gehört die Zustimmung zu der Aussage, dass die Regierung wichtige Informationen vor der Öffentlichkeit verbirgt, oder zu der Behauptung, dass die Regierung oft von Terroranschlägen weiß und sie geschehen lässt. Diese Überzeugungen sind bei Einsamen deutlich stärker ausgeprägt als bei Nicht-Einsamen (58 % gegenüber 47 % bzw. 46 % gegenüber 31 %). Der Aussage »Manche Politiker haben es verdient, wenn die Wut auf sie manchmal in Gewalt umschlägt« stimmen 25 % der Nicht-Einsamen, aber 34 % der Einsamen zu. Bezeichnend für autoritäre Einstellungen ist u.a. die Zustimmung zu der Aussage »Ich bewundere Menschen, die die Fähigkeit haben, andere zu beherrschen«. Dieser Aussage stimmen 46 % der einsamen, aber »nur« 35 % der nicht-einsamen Jugendlichen zu (2023: 5). Die Autoren kamen ferner zu dem Schluss, dass die von ihnen befragten jungen Menschen »nur ein vages Bild davon zeichnen [können], was sie unter Gesellschaft verstehen, und kaum kollektives Bewusstsein [aufweisen].« (2023: 4) Die Erhebung ergab, dass nur 57 % der Jugendlichen die Demokratie für die beste Staatsform halten (2023: 4). Wenn man all die oben genannten Faktoren aufzählt, die zur Wahrscheinlichkeit von Einsamkeitsgefühlen und sozialer Isolation beitragen, wird deutlich, dass die in den Übergangsheimen untergebrachten Geflüchteten extrem belastet sind. Wir haben festgestellt, dass insbesondere Menschen gefährdet sind, die eine große Veränderung in ihrem Leben durchmachen, die von ihrer Familie und ihren Angehörigen getrennt sind, die allein leben, die ihre Kinder allein erziehen, die keine Arbeit haben, die in ihrer Mobilität eingeschränkt sind, die gesundheitliche Probleme haben, die einen niedrigen Bildungsstand und geringe finanzielle Möglichkeiten besitzen. Häufig weisen die betroffenen Flüchtlinge alle diese Merkmale gleichzeitig auf. Hinzu kommen die oft traumatisierenden Fluchterfahrungen, die große Ungewissheit über die Zukunft, die schlechten Lebensbedingungen in den Unterkünften und die Tatsache, dass sie sich in einer fremden Umgebung wiederfinden, in der die Menschen eine Sprache sprechen, die sie nicht beherrschen. Die Isolierungsmaßnahmen während der Corona-Epidemie, die ohne große sozialwissenschaftliche Überlegungen durchgeführt wurden, haben all dies noch verstärkt.
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Die in der wissenschaftlichen Literatur erwähnten Auswirkungen der Einsamkeit lassen sich also in hohem Maße bei den Flüchtlingen in Teltow-Fläming beobachten. In den Interviews werden Stress, Schlaflosigkeit, Traumata, Angstzustände, Essstörungen, Apathie, Lethargie und Depression erwähnt. Je länger Menschen einsam sind, desto schwieriger wird es auch, sich aus dieser Situation zu befreien. Ursachen sind die bereits erwähnten psychischen und körperlichen Auswirkungen sowie das schwindende Selbstvertrauen, das man braucht, um auf Menschen zuzugehen, und die zunehmende Tendenz, die Welt als feindselig zu empfinden. Nach Angaben der Heimleiter besteht ein enormer Mangel an psychologischer und psychiatrischer Unterstützung, wobei in jedem Heim durchschnittlich fünf Personen untergebracht sind, die eigentlich in eine Klinik eingewiesen werden müssten. Eine wesentlich größere Zahl von Menschen wird nach ihrer Einschätzung nie (wieder) unabhängig leben können.
15.2 Erzwungene Untätigkeit Zahlreiche Bewohner der Übergangsheime dürfen weder arbeiten noch studieren. Wenn es ihnen erlaubt wird, finden sie oft keine Arbeit oder sind nicht mehr arbeitsfähig. Auch auf andere Weise, zum Beispiel durch ehrenamtliche Arbeit, nehmen sie nicht oder kaum am gesellschaftlichen Leben teil. Mit der Zeit führt der Zwang zum Nichtstun zu Lethargie und Apathie sowie zu psychischen Beschwerden bis hin zu Depressionen. Die Menschen haben das Gefühl, dass ihre Existenz und die Aktivitäten, die sie entwickeln könnten, in keiner Weise wahrgenommen und gewürdigt werden, wie viele in den Interviews zum Ausdruck brachten. Die bereits erwähnten Prozesse der Einsamkeit und sozialen Ausgrenzung und die damit verbundenen psychischen und physischen Beschwerden werden durch den Zwang zum Nichtstun noch verstärkt. Sobald Menschen Aktivitäten entwickeln (können), geht es ihnen in der Regel besser. Es gibt einen Grund, warum die »Beschäftigungstherapie« bei therapeutischen Behandlungen so weit verbreitet ist.
15.3 Warten Mit Müßiggang, Einsamkeit und sozialer Isolation verbunden ist das endlose Warten, zu dem viele verurteilt sind. In regelmäßig als kafkaesk empfundenen Prozessen warten die Menschen auf Entscheidungen über Aufenthalts-, Arbeits- und Wohngenehmigungen, über die Teilnahme an Integrations- und Deutschkursen, über Kindergartenplätze und so weiter. Dieses Warten trägt in hohem Maße zu Gefühlen von Unsicherheit, Machtlosigkeit, Einsamkeit, Nutzlosigkeit, Hoffnungslosigkeit, Verzweiflung und Respektlosigkeit oder Nichtgehörtwerden bei. Endloses
15. Die psychologische Situation der Bewohner
Warten macht die Menschen erst frustriert und wütend, dann apathisch und lethargisch und verstärkt die bereits erwähnten Folgen von Einsamkeit, sozialer Ausgrenzung und Untätigkeit: psychische und körperliche Gesundheitsprobleme.
15.4 Was ist zu tun? Hier wäre es naheliegend, mehr Therapeuten, Psychologen und Psychiater zu fordern. Selbst für die einheimische Bevölkerung gibt es jedoch zu wenige dieser Berater. Es ist auch eine Verschwendung von Zeit und Ressourcen, solange die Ursachen für psychische Probleme nicht strukturell angegangen werden. Dies gilt im Übrigen auch für die Gesellschaft als Ganzes. Einige Ursachen für psychische Probleme liegen in der Vergangenheit – die Gründe, warum man das Herkunftsland verlassen (musste) – und können nicht immer von Deutschland oder Europa beeinflusst werden. Andere Ursachen sind jedoch hausgemacht: die Lebensbedingungen in den Unterkünften, das Abgeschnittensein von der Gesellschaft, der erzwungene Leerlauf, das endlose Warten, das Fehlen von Sozialarbeit, bei der der Aufbau von sozialen Beziehungen und Gemeinschaft im Mittelpunkt steht. Ich werde später darauf zurückkommen. Zurück komme ich ebenfalls zu einer weiteren Teillösung für die in diesem Kapitel diskutierten Probleme der sozialen Ausgrenzung und Einsamkeit: die Freiwilligenarbeit. Freiwilligenarbeit kann Geflüchteten nicht verboten werden und bietet, zumindest kurzfristig, die Möglichkeit, sich sinnvoll zu betätigen, an der Gesellschaft teilzuhaben, Einheimische und Migranten kennenzulernen, Zeit zu strukturieren, die Sprache zu lernen und anzuwenden und Fähigkeiten zu entwickeln.
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16. Arbeitslosigkeit, Nichterwerbstätigkeit und ihre Auswirkungen
Menschen, die zur Untätigkeit gezwungen sind oder durch die Umstände dazu gebracht werden, geht es selten gut, wie oben erwähnt wurde. Es gibt eine lange Tradition der Forschung über Arbeitslosigkeit, die dies belegt. Eine der ältesten und bekanntesten ist Die Arbeitslosen von Marienthal. Ein soziographischer Versuch über die Wirkungen langandauernder Arbeitslosigkeit von Marie Jahoda, Paul Lazarsfeld und Hans Zeisel aus dem Jahre 1933. Ich habe sie oben bereits erwähnt. Sie gehört zu den Klassikern der Soziologie und ist die wohl bekannteste Untersuchung zu den Folgen von Langzeitarbeitslosigkeit. Mit der Schließung einer großen Textilfabrik wurde bis 1930 praktisch ganz Marienthal arbeitslos. Im Herbst 1931 hatte dieser Ort in Österreich 1461 Einwohner, die sich auf 478 Familien verteilten. 367 Familien waren völlig arbeitslos. Die meisten von ihnen erhielten Arbeitslosenunterstützung. Die Forscher hatten sich mehrere Fragen gestellt: Wie sind die Betroffenen mit ihrer Situation umgegangen? Haben sie versucht, Arbeit zu finden? Machen sie (noch) Pläne? Wie erlebt man »Zeit«, wenn man keine direkten Verpflichtungen mehr hat? Wie wirkt sich die Arbeitslosigkeit auf die Kinder der Betroffenen aus? Wie gehen die Betroffenen miteinander um? Die Untersuchung stützte sich auf die verfügbaren Bevölkerungsstatistiken, auf Beobachtungen (wie lange halten sich die Dorfbewohner auf der Hauptstraße auf1 , wie sehen die Haushalte aus), auf teilnehmende Beobachtung, auf Interviews (die Lebensgeschichten der Beteiligten) 1
Mit der Stoppuhr in der Hand untersuchten die Soziologen, wie lange die Menschen für einen Spaziergang auf der 300 Meter langen Hauptstraße von Marienthal brauchten und wie oft sie dabei stehen blieben, um zum Beispiel ein Gespräch zu führen. Es stellte sich heraus, dass vor allem die Männer endlos ziellos herumhingen. Die Frauen, die sich um Mann, Kinder und Haushalt kümmerten, hatten in der Regel noch etwas zu erledigen, was sich in einer höheren Gehgeschwindigkeit und weniger Pausen niederschlug. Von 68 Männern hielten beispielsweise 39 mindestens dreimal inne, von 32 Frauen (die weniger Zeit hatten, sich überhaupt auf der Hauptstraße zu bewegen) waren es nur drei. Dies rückt übrigens die häufig geäußerten Beschwerden deutscher Bürger über männliche Asylbewerber, die auf öffentlichen Plätzen herumlungern und die Anwohner verunsichern, in ein anderes Licht.
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und auf Umfragen (wie verbrachten sie die Woche, Stunde für Stunde; was aßen sie während der Woche). Die Langzeitarbeitslosigkeit führte bei den Marienthalern zu Resignation, Hoffnungslosigkeit und allgemeiner Lethargie. Die gewonnene Freizeit wurde für sie zum tragischen Geschenk. Die Forscher machen mehrere allgemeine Feststellungen: Viele Menschen verlieren die Fähigkeit, ihre Zeit produktiv einzuteilen, und lassen immer mehr Aufgaben für immer längere Zeit liegen. Viele nehmen immer weniger an sozialen Aktivitäten teil; das Vereinsleben, das früher in Marienthal blühte, brach daher zusammen. Viele verlieren das Interesse am Geschehen in ihrer Umgebung und in der Welt und ziehen sich mehr und mehr in ein immer kleiner werdendes Lebensumfeld zurück. Viele lehnen sich nur selten gegen ihre Situation auf (was Außenstehende, auch die sozialdemokratischen Auftraggeber der Studie, oft erhofft hatten), sondern verfallen meist in passive Resignation; statt Solidarität mit denen, die das gleiche Schicksal teilen, wächst die gegenseitige Feindschaft. Und je länger die Situation der erzwungenen Untätigkeit anhält, desto schwieriger wird es, die Betroffenen zu reaktivieren. Die Menschen schienen sich vor allem durch ihre Fähigkeit zu unterscheiden, Pläne zu machen, das Leben so gut und so schlecht wie möglich selbst in die Hand zu nehmen und weiterhin auf eine bessere Zukunft zu hoffen. Jahoda, Lazarsfeld und Zeisel unterscheiden hier vier Haltungstypen. Erstens die »Apathischen«: Die Betroffenen haben aufgehört, Pläne zu machen und einen geordneten Haushalt zu führen. Sie streiten, betteln und stehlen. Auf etwa ein Viertel der Menschen in Marienthal traf diese Charakterisierung zu, so die Autoren. Zweitens gibt es die »Verzweifelten«: Für 11 % der Menschen traf es zu, dass sie die Hoffnung auf eine Verbesserung ihrer eigenen Situation aufgegeben hatten. Die Menschen waren mutlos und deprimiert und versuchten nicht mehr wirklich, ihre eigene Situation zu ändern. Drittens gab es die »Resignierten«. Diese Menschen, die etwa die Hälfte der Arbeitslosen ausmachten, orientierten sich nicht mehr an der Zukunft und lebten von Tag zu Tag, ohne viel vom Leben zu erwarten. Dennoch führten sie weiterhin einen geordneten Haushalt, und die Kinder wurden nicht vernachlässigt. An vierter Stelle schließlich findet sich eine kleine Gruppe (16 %) von »Ungebrochenen«. Ihre Mitglieder schmiedeten noch Pläne für die Zukunft, waren optimistisch, diese Pläne verwirklichen zu können, führten einen sehr geordneten Haushalt und kümmerten sich intensiv um Familie und Kinder. Die Ergebnisse von Jahoda, Lazersfeld und Zeisel wurden durch viele nachfolgende Studien bestätigt. Arbeitslose, Erwerbsunfähige und andere, die nicht am Arbeitsprozess teilnehmen können oder dürfen, leiden manchmal unter erheblichen körperlichen und psychischen Gesundheitsproblemen. Sie verfallen u.a. in Apathie, Resignation und Hoffnungslosigkeit, leiden unter Einsamkeit, Lethargie und Depression und schotten sich zunehmend von der Außenwelt ab (SCP 1986, 1989; Verkleij 1988; Engbersen 1990; Kroll et al. 2015; Oschmiansky & Berthold 2020). Der So-
16. Arbeitslosigkeit, Nichterwerbstätigkeit und ihre Auswirkungen
ziologe Wout Ultee kam auf der Grundlage eigener Untersuchungen in den Niederlanden zu dem Schluss, dass Arbeitslose »einen niedrigeren Lebensstandard, einen schlechteren Gesundheitszustand und eine eingeschränktere Erfahrungswelt haben als Erwerbstätige« und dass es »eine Kumulierung ungünstiger Lebensbedingungen« gibt (Sociaal en Cultureel Planbureau 1986: 304). Der Soziologe Godfried Engbersen, der die Situation dieser Personengruppe in den 1990er Jahren untersuchte, argumentiert weiter, dass diese Auswirkungen vor allem bei Angehörigen der unteren sozialen Schichten auftreten. Sie haben weniger Freundeskreise und sind kaum im informellen Sektor tätig. Ihre angespannte finanzielle Lage setzt der gesellschaftlichen Teilhabe weitere Grenzen. Die isolierte soziale Lage führt zu weniger sinnvollen Aktivitäten, was die Wahrscheinlichkeit des Fortbestehens der betreffenden »modernen Armut« erhöht (Engbersen 1990: 133). Als Beispiele für den Rückzug aus der Gesellschaft nennt er das Abschalten des Telefons oder die Wahl einer nicht eingetragenen Nummer. Beispielsweise hatten 45 % der Langzeitarbeitslosen in einem Rotterdamer Stadtviertel Letzteres getan (der nationale Durchschnitt in den Niederlanden lag damals bei 7 %). Diese Menschen hatten sich buchstäblich von der Gesellschaft abgekoppelt.
16.1 Kurze und aktive Aufnahmezeit fördert den Integrationsprozess Es liegt auf der Hand, dass die Bedingungen für arbeitslose Migranten in Flüchtlingsheimen sogar deutlich schlechter sind als die der durchschnittlichen Arbeitslosen in Ländern wie Deutschland, Frankreich oder den Niederlanden. Wir haben dies bereits ausführlich behandelt: Die Betroffenen haben eine (regelmäßig traumatische) Fluchterfahrung, haben in der Regel keine Unterstützung durch Familie und Vertrauenspersonen, verfügen über keinen eigenen Wohnraum und keine private Lebenssphäre, können sich oft nicht oder nur unzureichend auf Deutsch verständigen, leiden unter sozialer Ausgrenzung und Einsamkeit, haben regelmäßig zu wenig Bildung, um schnell Anschluss an den deutschen Arbeitsmarkt zu finden, und verfügen über wenig finanzielle Ressourcen, die eine sinnvolle Zeitnutzung ermöglichen könnten. Der Anteil der ›Apathischen‹, ›Verzweifelten‹ und ›Resignierten‹ wird also sicher nicht geringer sein. Andere Untersuchungen über die Folgen erzwungener Untätigkeit bestätigen das hier skizzierte Bild. Arend Odé und Jaco Dagevos schreiben über die Situation in den Niederlanden: »Bis vor einigen Jahren waren viele Flüchtlinge einer langen und erzwungenen Untätigkeit ausgesetzt. Diese Untätigkeit hatte erhebliche Auswirkungen auf ihr Wohlbefinden und ihre Ambitionen. Nach Angaben des Adviescommissie voor Vreemdelingenzaken ACVZ (2013) führte die anhaltende Untätigkeit bei der Aufnah-
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me dazu, dass die sich dort aufhaltenden Personen zunehmend passiv wurden. Mehrfach führten sie ein isoliertes Leben und betrachteten ihre Lage mit der Zeit zunehmend als aussichtslos. Der ACVZ spricht von »verlorener Zeit« (siehe auch Ghorashi & Van Tilburg 2006 und Gezondheidsraad 2016). Analysen von Schellingerhout (2011) zeigen einen deutlichen Zusammenhang zwischen der Aufenthaltsdauer in Aufnahmezentren und der psychischen und mentalen Gesundheit« (Odé und Dagevos 2017: 455; Übersetzung HTB). In einem kürzlich erschienenen Übersichtsartikel kommen Dagevos, Schans und Uiters zu einem ähnlichen Schluss: »Es gibt eine umfangreiche Forschungsliteratur über den Zusammenhang zwischen dem Aufenthalt in der Aufnahmeeinrichtung und dem anschließenden Integrationsprozess nach der Aufnahmezeit. Sie zeigt ein klares Bild: Je länger der Aufenthalt, desto ungünstiger sind die Folgen für die psychische Gesundheit, die niederländischen Sprachkenntnisse und die Arbeitsmarktposition der Statusinhaber. Die Forschung deutet außerdem auf einen positiven Zusammenhang zwischen Aktivitäten im Rahmen der Aufnahme (Freiwilligenarbeit, Sprachunterricht) und der Verbesserung der niederländischen Sprachkenntnisse und der Beteiligung am Arbeitsmarkt hin. Der Integrationsprozess von Statusinhabern profitiert daher von einer kurzen und aktiven Aufnahmephase. Die Aufnahmepolitik ist daher ein erster Schritt in der Integrationspolitik« (2021: 6; Übersetzung HTB). Die politischen Maßnahmen, die auf der Grundlage der obigen Ausführungen ergriffen werden sollten, sind einfach: Die Zeit, die die Menschen untätig in einem Flüchtlingszentrum verbringen müssen, sollte so kurz wie möglich sein. Je länger die Menschen hier bleiben, desto schlechter geht es ihnen, und desto größer sind die Anstrengungen, die unternommen werden müssen, um sie in die Gesellschaft zu integrieren. Gleichzeitig sollte die Zeit in diesen Zentren so aktiv wie möglich verbracht werden, unabhängig vom Asylstatus. Hier bieten sich Sprach- und Integrationskurse, Berufsausbildung und Freiwilligenarbeit an. Ein wichtiger Teil davon ist die Erstellung eines persönlichen Dossiers und eines Plans, wie man die Zeit so produktiv wie möglich verbringen und die (eventuelle) Integration beschleunigen kann. Die anwesenden Sozialarbeiter und Sozialarbeiterinnen sollten dabei eine wichtige Rolle spielen.
17. Freiwilligentätigkeit als Alternative oder Weg zu einer bezahlten Beschäftigung
»In Zukunft möchte ich auch anderen Menschen mehr helfen. In Rangsdorf habe ich früher einigen jüngeren Burschen geholfen, aus dem Deutschen zu übersetzen und einen Job zu finden. Ich möchte noch mehr machen und anderen helfen, so gut ich kann.« (Ab, Gambia) »Unabhängig davon, ob sie mich unterstützen oder nicht, habe ich meine Leidenschaft, anderen zu helfen, nicht verloren.« (Yaqout, Syrien) »Ich bin seit 2015 mit so vielen Problemen und Schwierigkeiten konfrontiert, aber ich versuche immer noch, Menschen zu helfen. Als Mensch, als Flüchtling, ist das alles, was ich tun kann.« (Naseem, Afghanistan)
Vor allem in einer Kultur, in der Arbeit die wichtigste Form der sozialen Teilhabe und oft einer der wichtigsten Bausteine der eigenen Identität ist, hat die Nichtteilnahme am Arbeitsprozess erhebliche Auswirkungen. Die Beteiligung am Arbeitsmarkt ist oft der Königsweg zur Integration. Dies wurde in den Gesprächen immer wieder deutlich und ist oben weiter belegt. Untersuchungen zeigen jedoch immer wieder, dass der Weg zu einer regulären Beschäftigung für viele Migranten lang ist (siehe Abschnitt 7.1). Wie wir gesehen haben, liegen dem verschiedene Ursachen und Faktoren zugrunde: Die Betroffenen haben keine Arbeitserlaubnis, sie verfügen nicht über die von deutschen Arbeitgebern und Arbeitsvermittlern geforderte Schulbildung, Berufsausbildung oder Erfahrung, ihre Deutschkenntnisse sind unzureichend, sie müssen sich um Kinder kümmern, sie haben psychische Gesundheitsprobleme oder sie finden einfach keinen Arbeitsplatz. Deshalb setzen zum Beispiel die Niederlande stark auf Freiwilligenarbeit: Sie bietet unmittelbarere Möglichkeiten zum Erlernen der Sprache, zum Sammeln einschlägiger Erfahrungen und zum Aufbau von Netzwerken, die für die Integration unerlässlich sind, als die sehr langen Ausbildungs- und Berufsschulwege, die in Deutschland im Allgemeinen angeboten werden. Diekmann und Mindach
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(2017) schreiben ebenfalls: »Ehrenamtliches Engagement von Geflüchteten könnte eine Schlüsselrolle bei ihrer nachhaltigen gesellschaftlichen Integration spielen. Das sichtbare Engagement von Geflüchteten führt zu einer offeneren Haltung der Bevölkerung, beugt einer Radikalisierung vor, erleichtert den Spracherwerb und erste Kontakte mit der Aufnahmegesellschaft.«1 Freiwilligenarbeit verhindert ebenso, dass die Menschen in Apathie und Hoffnungslosigkeit versinken. Auch aus diesem Grund ist es bedauerlich, dass sich in Teltow-Fläming so wenige Menschen freiwillig engagieren (können). Das freiwillige Engagement ist generell rückläufig. Das zeigt zum Beispiel eine Studie zum sozialen Ehrenamt in Brandenburg, deren endgültige Ergebnisse 2023 veröffentlicht werden sollen. Die Partnerschaft für Demokratie TeltowFläming (2022) schreibt: »Ehrenamt und gesellschaftliches Engagement scheint in der Bürgerschaft Brandenburgs nicht mehr so hoch im Kurs zu stehen wie in der Vergangenheit. Diese Ansicht vertreten 45 Prozent der Befragten zur Ehrenamtsstudie Brandenburg.« Der Studienleiter Joachim Klewes hat eine erste Schlussfolgerung gezogen: »Wenn das Ergebnis stabil bleibt, deutet alles auf einen großen Handlungsbedarf in den Kommunen hin.« Erklärungen für die abnehmende Popularität der Freiwilligenarbeit sind wahrscheinlich die Individualisierung, die Verbreitung des ökonomischen Denkens, der Rückgang der Freizeit, aber auch die Überlastung. Ehrenamtliche Arbeit wurde von den Behörden häufig dazu missbraucht, unbezahlte Bürger Aufgaben erledigen zu lassen, die eigentlich in die Zuständigkeit des Staates fallen. Zu Recht argumentiert Claudia Pinl in ihrem Buch Ehrenamt statt Sozialstaat? Kritik der Engagementpolitik (2015), dass sich der Staat durch den Einsatz von Ehrenamtlichen regelmäßig seiner Verantwortung für die Lösung sozialer Probleme entzieht. Die Integrationsarbeit kann hier als Beispiel dienen: Anstatt Fachkräfte zu engagieren, setzt Deutschland bei der Integration von Neuankömmlingen stark auf Freiwillige. Überlastung ist eine der Erklärungen für den dramatischen Rückgang der Zahl der Freiwilligen, die sich in dieser Art von Arbeit engagieren. Wir haben bereits gesehen, dass die Zahl der aktiven Ehrenamtlichen in Teltow-Fläming seit 2015 auf etwa ein Zehntel geschrumpft ist. Ehrenamtliches Engagement kann also missbraucht werden. Dennoch kann diese Form der Arbeit auch positive Auswirkungen auf den Einzelnen und die 1
Die Autoren befassen sich mit den »Rechtlichen Rahmenbedingungen des ehrenamtlichen Engagements von Geflüchteten« und stellen fest, dass eine solche Beschäftigung rechtlich von einer Praktikumsstelle oder einem Arbeitsverhältnis unterschieden werden muss. Inwieweit dies der Fall ist, ist Auslegungssache und sollte im jeweiligen Einzelfall bei der örtlichen Ausländerbehörde erfragt werden. Andere Organisationen wie der Deutsche VolkshochschulVerband (VHS) sehen hier überhaupt keine Beschränkungen: »Geflüchtete Menschen dürfen sich uneingeschränkt freiwillig engagieren, unabhängig von ihrem Aufenthaltsstatus oder dem Stand ihres Asylverfahrens, es muss deshalb keine Arbeitserlaubnis vorliegen« (2023).
17. Freiwilligentätigkeit als Alternative oder Weg zu einer bezahlten Beschäftigung
Gesellschaft haben. Ehrenamtsvereine brauchen dringend neue Mitglieder. Neuankömmlinge haben ein großes Bedürfnis, mit der deutschen Gesellschaft in Kontakt zu kommen, und es gelingt ihnen selten, dies in kurzer Zeit durch die Teilnahme am Arbeitsmarkt zu erreichen. Ein Teil der Lösung liegt auf der Hand.
17.1 Leistungen von Migranten Migranten kommen im Allgemeinen aus Ländern, in denen die Individualisierung und die damit einhergehenden Einstellungen und Werte weniger ausgeprägt sind. Zentraler sind die gemeinschaftlichen Werte, also genau die Werte, auf denen die Freiwilligenarbeit beruht und an die man daher appellieren kann, um die Menschen dazu zu bewegen, sich in ihrem Umfeld zu engagieren. Hinzu kommt, dass Migranten und Flüchtlinge meist aus Gesellschaften kommen, in denen die Arbeitsteilung nicht so weit fortgeschritten ist wie in Deutschland. Daher verfügen sie oft in viel höherem Maße als deutsche Bürger über ein breites Spektrum an Kenntnissen und Fähigkeiten, die zum Überleben notwendig sind. Wenn das Dach undicht ist, eine Steckdose nicht mehr funktioniert, die Farbe abblättert, ein Fenster zerbrochen ist, die Tür klemmt, ein Wasserhahn tropft, der Gartenzaun einstürzt, die Haare der Kinder geschnitten werden müssen, das Auto nicht anspringt, wird nicht gleich ein staatlich zertifizierter Handwerksmeister beauftragt, die gewünschten Reparaturarbeiten auszuführen. Stattdessen gehen die Menschen selbst zur Arbeit. Diese Kenntnisse und Fähigkeiten können in Organisationen, Verbänden und Bürgervereinen, die die Zivilgesellschaft mitgestalten, von großem Nutzen sein. Man kann an zahlreiche Aktivitäten denken. Das Vereinsheim der örtlichen Taubenzüchtervereinigung muss gestrichen werden? Der Garten der älteren Witwe droht zuzuwachsen? Das antike Feuerwehrauto der Freiwilligen Feuerwehr muss renoviert werden? Der örtliche Fußballverein hat zu wenig Mitglieder für eine Mannschaft, die Spielerbänke sind renovierungsbedürftig und der Rasen muss gemäht werden? Müssen die Weiden entlang der öffentlichen Gräben beschnitten werden? Das Altersheim braucht Leute, die gelegentlich mit den Bewohnern spazieren gehen? Das qualifizierte Kita-Personal braucht eine helfende Hand in seinen überfüllten Kindergruppen? Wir schaffen das! Mittlerweile wird auch in Deutschland die Bedeutung des ehrenamtlichen Engagements von Flüchtlingen zunehmend erkannt und es gibt auch immer mehr Projekte zur Förderung dieser Tätigkeiten. Der Deutsche Volkshochschul-Verband (VHS) schreibt auf seinem Ehrenamtsportal: »Viele Organisationen, die zum Wohl der Bürgerinnen und Bürger arbeiten, suchen dringend Mitarbeitende, die ihnen helfen, ihre Aufgaben zu erfüllen. Alle,
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die helfen wollen, sind willkommen. Geflüchtete haben darüber hinaus noch eine besondere Aufgabe: Sie ermöglichen anderen Engagierten eine persönliche Begegnung mit neuen Lebenswelten. Sie bereichern das Team mit ihren Erfahrungen, ihren Kultur- und Sprachkenntnissen.« Die Autoren betonen weiter: »Das Wichtigste bei der Auswahl eines freiwilligen Engagements sollen die Fähigkeiten, Erfahrungen und Wünsche der künftigen Freiwilligen sein. Wer bringt welche Fähigkeiten mit? Wofür begeistern sich die künftigen Freiwilligen? Was machen sie gerne? Mit welcher Zielgruppe möchten sie arbeiten? Es gibt zahlreiche Möglichkeiten und Tätigkeitsfelder, in denen man sich engagieren kann.« Die Autoren führen zahlreiche Beispiele an. Ein Flüchtling erklärt: »Zu Hause habe ich viel mit meinen jüngeren Geschwistern gespielt. Ich glaube, ich kann gut mit Kindern umgehen.« Vorgeschlagen wird darum, dass die betreffende Person an eine Kinder- oder Jugendgruppe in einem Nachbarschaftszentrum angeschlossen wird, oder eine Kinder- oder Jugendabteilung eines Sportvereins, oder ein Kinder- oder Jugendzentrum. Ein anderer Neuankömmling berichtet: »Mein Onkel hat eine Autowerkstatt. Da habe ich gearbeitet. Er hat oft gesagt: ›Du bist technisch geschickt.‹« Die Autoren schlagen vor, die Person mit Reparatur-Cafés in Verbindung zu setzen, oder einer Fahrrad-Selbsthilfe-Werkstatt, dem Technischen Hilfswerk (THW) oder der Feuerwehr. Eine weitere Person erklärt: »Ich überlege, eine Ausbildung zur Pflegerin zu machen. Mal sehen, ob mir das gefällt.« Vorschlag: Seniorenzentrum, Krankenhaus oder Pflegeheim. Ein vierter Flüchtling gibt an: »Es tut mir gut, im Freien zu arbeiten, in der Natur.« Die Autoren schlagen vor, diese Person mit einem internationalen Garten oder einer Organisation in Verbindung zu bringen, die wertvolle Flächen ökologisch pflegt. Freiwilligenarbeit oder die Eigenverantwortung für das soziale Umfeld ist nicht nur für die Gesellschaft als Ganzes von Bedeutung. Was für die Gesellschaft gilt, gilt auch für die Gemeinschaftsunterkünfte. Seit 2015 haben die Mitarbeiter von Social Science Works mehr als 40 dieser Unterkünfte in Berlin und Brandenburg besucht. Nur in sehr wenigen Fällen waren die Bewohner in irgendeiner Weise an der Instandhaltung der Unterkünfte und an der Organisation ihres Gemeinschaftslebens beteiligt. Fast nirgendwo gab es so etwas wie ein Mitwirkungsgremium für die Bewohner. Fast überall wurden Reinigungsdienste, Gartenpflegebetriebe, Maler, Schreiner, Maurer, Klempner und so weiter von außen angeheuert, um die notwendigen Arbeiten zu erledigen. Da die Heimleiter in der Regel gesetzlich verpflichtet waren, zunächst drei Angebote einzuholen, war dies wiederum mit einem hohen bürokratischen Aufwand verbunden. Warum sollte man diese Zeit nicht in die Organisation und Betreuung der im Heim vorhandenen Kapazitäten investieren? War-
17. Freiwilligentätigkeit als Alternative oder Weg zu einer bezahlten Beschäftigung
um hat fast keines der Heime einen Garten oder einen Gemüsegarten, der von den Bewohnern gepflegt wird? In diesem Zusammenhang ist es offensichtlich, dass die Informationen, die die Geflüchteten selbst über ihre Situation liefern können, die Qualität des Entscheidungsprozesses erheblich verbessern können. Ebenso werden Entscheidungen eher akzeptiert, wenn die Betroffenen in die Entscheidungsfindung einbezogen werden. Außerdem fühlen sich die Menschen mehr für ihre Umwelt verantwortlich, wenn sie sie aktiv mitgestalten können. Es ist daher von größter Bedeutung, dass sich die Geflüchteten selbst organisieren, oder dazu ermutigt werden. In keiner der Flüchtlingsunterkünfte haben wir ein funktionierendes demokratisches Gremium der Bewohner vorgefunden. Auch im Rahmen der Vorbereitung der Betroffenen auf die Einbürgerung in Deutschland erscheint die Bildung dieser Gremien wünschenswert.
17.2 Vorteile des freiwilligen Engagements Freiwilliges Engagement trägt nicht nur dazu bei, Kontakte zu Einheimischen und zur deutschen Kultur zu knüpfen, die für die Integration notwendigen Netzwerke aufzubauen, die deutsche Sprache zu erlernen und anzuwenden, die Akzeptanz von Einheimischen zu fördern und die Ablehnung von Ausländern zu verringern, soziale Isolation und Einsamkeit zu durchbrechen oder Fähigkeiten zu entwickeln, die später auch beruflich genutzt werden können, sondern fördert auch die geistige und damit die körperliche Gesundheit der Beteiligten. Sie hilft den Menschen, aktiv zu bleiben, dem Tag einen Sinn und eine Struktur zu geben, das Selbstwertgefühl zu erhalten oder zu entwickeln und das Gefühl zu vermitteln, gesehen und geschätzt zu werden. Es gibt sehr viele Untersuchungen, die dies bestätigen. Gabrielle Denman (2019) schreibt: »Es hat sich gezeigt, dass die Freiwilligentätigkeit sowohl den Empfängern des Dienstes als auch den Freiwilligen selbst zugutekommt. Zwei Drittel der Freiwilligen im Vereinigten Königreich gaben an, dass sie sich durch die Freiwilligentätigkeit weniger isoliert fühlten und eine Untersuchung amerikanischer Witwen, die im Durchschnitt einsamer waren als verheiratete Frauen, ergab, dass sich ihr durchschnittliches Maß an Einsamkeit verringerte, nachdem sie begonnen hatten, mindestens zwei Stunden pro Woche Freiwilligenarbeit zu leisten, so dass es dem von verheirateten Erwachsenen entsprach« (McGarvey et al. 2019; Übersetzung HTB). Wir haben gesehen, dass soziale Ausgrenzung und Einsamkeit bei vielen zu psychischen Beschwerden und vermindertem Wohlbefinden führen. Freiwilliges Engage-
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ment stärkt jedoch das Selbstwertgefühl, die Selbstwirksamkeit und die soziale Verbundenheit und trägt damit zum persönlichen Wohlbefinden bei. Die Ergebnisse einer Umfrage von Brown, Hoye und Nicholson in Australien zeigten, »dass Selbstwertgefühl, Selbstwirksamkeit und soziale Verbundenheit signifikante Mediatoren der Verbindung zwischen freiwilligem Engagement und Wohlbefinden sind. Eine stärkere soziale Verbundenheit in Verbindung mit Freiwilligenarbeit erwies sich als der stärkste erste Schritt in diesen Zusammenhängen. Dies weist auf die Bedeutung sozialer Beziehungen für das Wohlbefinden hin« (2012: 468; Übersetzung HTB). Eine sehr große englische Längsschnittstudie ergab: »Diejenigen, die sich regelmäßig freiwillig engagierten, schienen ein höheres Maß an psychischem Wohlbefinden zu haben als diejenigen, die sich nie freiwillig engagierten.« Dieser Effekt trat in England vor allem bei Personen über 40 Jahren auf (Tabassum, Mohan & Smith 2016; cf. Stindt 2016; Übersetzung HTB). Eine Befragungsstudie von Lühr, Pavlova und Luhmann (2022) in Deutschland bestätigte diese Schlussfolgerung. Die Autoren wiesen jedoch darauf hin, dass dies vor allem für nicht-politische Aktivitäten gelte, dass es andere Aktivitäten, wie zum Beispiel Zeit mit Freunden und Familie zu verbringen, gebe, die einen größeren Einfluss auf das subjektive Wohlbefinden hätten, und dass der Hintergrund der Beteiligten, wie Alter und Familienstand sowie die Art der Aktivitäten eine Rolle spielten. Alles in allem gibt es viele Gründe für den Versuch, das Wohlbefinden, die Integration und die Zukunftsaussichten von Migranten zu fördern, indem deutlich mehr Anstrengungen in die Freiwilligenarbeit gesteckt werden, als dies derzeit der Fall ist. Damit vor allem die Migranten, die noch einen langen Weg vor sich haben, um eine bezahlte Arbeit zu finden, dies auch tun können, bedarf es einer Anstrengung insbesondere der Sozialarbeiter. Sie müssen die Fähigkeiten, Bedürfnisse und Wünsche der betroffenen Migranten ermitteln und Kontakte zur Außenwelt herstellen. Dies kann im Rahmen der Ausarbeitung einer persönlichen Akte und eines darauf basierenden Integrationsplans geschehen.
18. Ausarbeitung einer persönlichen Akte und eines Integrationsplans
Wie wir gesehen haben, ist es die Aufgabe des Jobcenters, Informationen über Qualifikationen und Kompetenzen zu sammeln, aber dies geschieht nur bei Geflüchteten mit guter Bleibeperspektive bzw. nach Abschluss des Asylverfahrens. Für viele Menschen, sicherlich für die Hunderttausenden, die in Übergangswohnheimen leben, ist es daher so, dass keine Informationen über ihre Hintergründe bekannt sind. Und wo Informationen gesammelt wurden, werden sie aus Gründen des Datenschutzes nicht weitergegeben.1 Infolgedessen kann die Hilfe vor Ort nur auf Zufälligkeiten beruhen und bleibt die Hilfe unkoordiniert und ohne klare Ziele. Es gibt keinen Plan. So ist kaum bekannt, woher die Flüchtlinge kommen, welche Fähigkeiten sie haben, was sie anstreben, ob ihre Ziele erreichbar sind oder welche Unterstützung sie für die Realisierung dieser Ziele benötigen. Einer der Eckpfeiler der Integration ist neben dem Spracherwerb die Aufnahme einer bezahlten oder auch unbezahlten Arbeit. Es ist daher von großer Bedeutung, zu erfassen, welche Qualifikationen, Kompetenzen und Fähigkeiten die betreffenden Personen mitbringen. Eine Möglichkeit wäre, mit jedem einzelnen Flüchtling ein persönliches Dossier sowie einen Zukunftsplan oder Fahrplan zu erstellen. Was können sie tun, was wollen sie, was brauchen sie, um ihr Ziel zu erreichen? Ein solcher Plan könnte in Absprache mit der betreffenden Person erstellt werden, und alle Parteien könnten sich dann dazu verpflichten: Er oder sie wird Hilfe erhalten, um bestimmte Ziele zu erreichen, 1
Aufschlussreich sind die Kommentare von Moorstedt (2022) zu den Vorschlägen der Studie Vernetzte Daten, Vernetzte Behörden? von Kühn und Gluns: »Viele Zugewanderte kennen spezifische Beratungsangebote gar nicht oder erfahren erst spät von diesen Angeboten. Eine Option für die Kontaktaufnahme wäre, alle Neuzugewanderten postalisch anzuschreiben. Aber es besteht Unsicherheit darüber, ob diese unaufgeforderte Zusendung des Angebots datenschutzrechtlich zulässig ist. Wenn ein flächendeckendes Beratungsangebot für Neuzugewanderte ein integrationspolitisches Ziel ist, sollte auch die Möglichkeit zur (postalischen) Kontaktaufnahme gesetzlich verankert werden.« Wenn Deutschland noch nicht gesetzlich geregelt hat, dass Migranten integrationsfördernde Informationen zugesandt werden können, ist zu befürchten, dass bisher kaum ernsthafte Integrationsarbeit geleistet wurde.
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aber unter der Bedingung, dass er oder sie auch die notwendigen Anstrengungen unternimmt.2 Die Heimleiter könnten den Menschen, die in ihrem Heim leben, zahlreiche Fragen stellen, um eine Personalakte anzulegen und eine Art Integrationsplan zu erstellen. Viele dieser Fragen beziehen sich auf die Fähigkeiten der Menschen, die nicht immer auf dem regulären Arbeitsmarkt beschäftigt werden können. Da viele für kürzere oder längere Zeit von diesem Arbeitsmarkt ausgeschlossen sind, ist es sinnvoll, den Tätigkeiten, die außerhalb dieses Arbeitsmarktes entwickelt werden können, viel mehr Aufmerksamkeit zu schenken. So kann verhindert werden, dass die Menschen in die oben beschriebene soziale Isolation, Einsamkeit, Lethargie und Hoffnungslosigkeit abgleiten. Die Fragen entsprechen teilweise denen, die wir zur Erhebung der qualitativen Daten aus Teil III gestellt haben: Geburtsland, Familienstand, Kinder in Deutschland und im Heimatland, asylrechtlicher Status, Zeit in Europa, in Deutschland und in der jeweiligen Flüchtlingsunterkunft, Bildung im Herkunftsland (Grundschule, weiterführende Schule, Berufsausbildung, Hochschulbildung), Bildung in Deutschland oder Europa (einschließlich Integrations- und Sprachkursen), Berufserfahrung (in welcher, wo, in welcher Position, wie viele Jahre), aktuelle Arbeitsmarktposition (Teil- oder Vollzeit, unbefristete oder befristete Beschäftigung) und Sprachkenntnisse (Sprechen, Lesen, Schreiben und in welchen Sprachen). Darüber hinaus sind alle möglichen anderen Kompetenzen für eine erfolgreiche Integration von Bedeutung. Dazu gehören Fähigkeiten wie Autofahren, Verwalten, Organisieren, Instandhaltung von Häusern (Streichen, Maurerarbeiten, Dachdecken), Umgang mit Kindern, Menschen oder Tieren, Gartenarbeit, Holzarbeiten, Nähen, Kochen und Backen, Umgang mit Computern und Softwareprogrammen und so weiter. Und schließlich haben Menschen neben spezifischen Fähigkeiten auch allgemeine Qualitäten, die gefragt werden können: Wie schätzen Sie auf einer Skala von 1 bis 5 die folgenden Eigenschaften (verbindlich, fröhlich, kreativ, lernbegierig, geschickt, hilfsbereit, verantwortungsbewusst, seriös, positiv) bei sich selbst ein? In welchen Situationen setzen Sie Ihre Qualitäten ein (vgl. COA 2019ab)? Um eine Vorstellung davon zu bekommen, in welche Richtung sich Menschen entwickeln können, kann man außerdem Fragen wie diese stellen: Was machen Sie in Ihrer Freizeit? Was machen Sie gerne? Was sind Ihre Pläne für die Zukunft? Was 2
In den Niederlanden führen Statusinhaber Einzelgespräche (insgesamt elf Stunden) mit ihrem »Case Manager«, der ihnen hilft, über ihre Zukunftspläne und die Schritte nachzudenken, die sie unternehmen können, um ihre Ziele zu erreichen. Gemeinsam wird eine »persönliche Informationsdatei« erstellt. Statusinhaber können ihre Datei mit der Stadtverwaltung oder einem Ausbildungsinstitut teilen und sie bei der Arbeitssuche verwenden (siehe Centraal Orgaan Opvang Asielzoekers 2019a). In der Gemeinde, wo die Geflüchteten Unterkunft bekommen, wird danach ein »digitales Kundenprofil« erstellt (siehe für ein Beispiel: Centraal Orgaan Opvang Asielzoekers 2019b).
18. Ausarbeitung einer persönlichen Akte und eines Integrationsplans
wollen Sie in Deutschland erreichen? Welche Schritte wollen SIE in naher Zukunft unternehmen, um dies zu erreichen (zum Beispiel eine bestimmte Ausbildung oder einen Kurs absolvieren, eine geeignete Arbeit finden)? Welche Unterstützung hätten SIE sich dafür von wem oder welchen Stellen gewünscht? Was ist Ihr Netzwerk? Welche Personen sind für Sie wichtig? Sind Sie mit Ihrem Netzwerk zufrieden? Kann Ihr Netzwerk Ihnen helfen, Ihre Ziele zu erreichen (zum Beispiel bei der Suche nach einer Arbeit oder einer eigenen Wohnung)? Würden Sie Ihr Netzwerk gerne erweitern und wenn ja, wie? Sind Sie bereit, sich ehrenamtlich zu engagieren? Wenn ja, wie viele Stunden pro Woche ungefähr? Welche Art von Freiwilligenarbeit könnten Sie angesichts Ihrer Kompetenzen und Qualitäten leisten und wären dazu bereit? Ich zähle all diese Fähigkeiten, Kompetenzen und Eigenschaften auf, weil die Praxis in Deutschland ist, dass niemand danach fragt. Die Relevanz entzieht sich offenbar vielen. Die Antworten auf die obigen Fragen können jedoch der Beginn eines leitenden und motivierenden Plans sein, um ein unabhängiges Leben im Ankunftsland aufzubauen.
18.1 Die Probleme Einzelner handlungsfeldübergreifend erörtern Bei der Erstellung eines Plans zur Integration von Flüchtlingen ist es sinnvoll, die Themen gleichzeitig und synchron zu behandeln. Die Probleme, mit denen Geflüchtete konfrontiert werden, sind schließlich oft eng miteinander verknüpft und können daher manchmal nur gelöst werden, wenn sie in verschiedenen Handlungsfeldern gleichzeitig angegangen werden. In unserem Sozialsystem werden die einzelnen Probleme jedoch häufig innerhalb der Handlungsfelder isoliert bearbeitet. Mitarbeitende verschiedener Stellen wissen häufig nichts von den anderen Problemen und Aktivitäten oder können – auch aufgrund von Geheimhaltungspflichten – nicht ausreichend miteinander kommunizieren und kooperieren. Auch für die Kunden, ob mit oder ohne Migrationshintergrund, ist es oft schwierig zu wissen, an welche Stelle sie sich mit welchem Problem wenden sollen bzw. wie einzelne Aktivitäten besser zu koordinieren wären. Daher ist es in bestimmten Fällen sinnvoll, die Lösungsfindung für die verschiedenen Probleme nicht dem Kunden zu überlassen, sondern handlungsfeld übergreifend an Lösungen zu arbeiten. Dafür müssen alle beteiligten Akteure aus den verschiedenen Institutionen (Sozialamt, Jobcenter, Ausländerbehörde etc.) an einen Tisch kommen. Natürlich kann dies die Rechte auf Privatsphäre der Klienten gefährden. Die Professionalität und Integrität der Beteiligten sowie die Zustimmung der Person, die ihre Probleme gelöst sehen möchte, könnten sicherstellen, dass diese Rechte mit Sorgfalt behandelt werden. Die Initiative für diese Besprechungen von Einzelfällen könnte von den Sozialarbeitern ausgehen. Von allen Beteiligten haben
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sie den besten Überblick über die Probleme, oder sollten sie den besten Überblick haben. Ein Beispiel hierfür ist das Thema Wohnen. Die Zusammenarbeit zwischen verschiedenen Institutionen ist erwünscht, um Flüchtlingen ein Angebot zu machen, das sie dazu bewegen könnte, an Orte zu ziehen, an denen bezahlbarer Wohnraum zur Verfügung steht und wo ihre Anwesenheit auch einen positiven Impuls für die lokale Gemeinschaft bedeuten würde.
18.2 Integrationsverträge Es könnte in Erwägung gezogen werden, mit jedem einzelnen Flüchtling einen Vertrag über die gegenseitigen Erwartungen und Verpflichtungen abzuschließen. Im Rahmen der geltenden Rechtsvorschriften (die im Übrigen jederzeit geändert werden können) gibt es möglicherweise nicht genügend Möglichkeiten, die Einhaltung dieser Verträge mit positiven und negativen Sanktionen zu fördern. Dennoch schafft eine schriftliche Formulierung der gegenseitigen Erwartungen Klarheit und Verbindlichkeit. Ein solcher Vertrag würde also zunächst eine detaillierte Bestandsaufnahme der Kenntnisse, Fähigkeiten, Möglichkeiten, Ambitionen und Bedürfnisse der betreffenden Person erfordern. Auf dieser Grundlage kann dann ein Integrationsplan für einen Zeitraum von einem oder mehreren Jahren erstellt werden: Woran wird der Betroffene arbeiten, in welchem Zeitrahmen, welche Teilziele werden erreicht, welche Unterstützung erhält er oder sie dabei und unter welchen Bedingungen. Ein solcher Integrationsplan hat auch den Vorteil, dass er ein frühzeitiges Eingreifen ermöglicht, wenn die Menschen Gefahr laufen, in Vergessenheit, Anonymität, Frustration, Apathie und Resignation abzugleiten. Daher sollten solche Pläne nicht nur mit denjenigen gemacht werden, deren Asylanträge vollständig geklärt sind. Dieser Prozess kann manchmal Jahre dauern. Wenn die Integration erst Jahre nach der Ankunft beginnt, wird sie zu einer scheinbar unmöglichen Aufgabe. Wir haben keine Zeit zu verlieren.
18.3 Professionelles Coaching Damit zusammenhangend könnte man jedem Flüchtling für einige Zeit einen Betreuer zur Seite stellen. Integration ist ein Hochleistungssport. In relativ kurzer Zeit muss man sich Kenntnisse, Fähigkeiten und Orientierung aneignen, für die andere normalerweise Jahre brauchen. Im Integrationsprozess ist es wichtig, motiviert zu bleiben, den Überblick zu behalten und sich nicht unnötig durch mangelndes Wissen über Chancen und Möglichkeiten frustrieren zu lassen. Spitzensportler und
18. Ausarbeitung einer persönlichen Akte und eines Integrationsplans
Spitzenmanager profitieren oft von einem Coach, den sie regelmäßig treffen und mit dem sie Fortschritte und Rückschläge besprechen können. Auch Neulinge sollten einen solchen Coach haben. Bislang waren es manchmal Ehrenamtliche, die diese Aufgabe wahrgenommen haben. Die Freiwilligen haben oft eine respektable Arbeit geleistet. Die Integration erfordert jedoch mehr Universalität, Kontinuität und Fachwissen, als von der Zivilgesellschaft verlangt werden kann. In vielen niederländischen Gemeinden wird Flüchtlingen mit Asylstatus nun ein persönlicher Betreuer zugewiesen, mit dem sich die Betroffenen regelmäßig treffen. Menschen, die versuchen, sich zu integrieren, stehen vor Problemen, die miteinander verbunden sind. Der Mentor versucht, diese Probleme in ihrem Zusammenhang zu betrachten. Die Betreuung, die Migranten hier erhalten, ist vergleichbar mit der Betreuung von Langzeitarbeitslosen. Gemeinsam mit dem Migranten erstellt der Mentor eine Informationsakte und einen Integrationsplan. Der Migrant erhält Informationen und Ratschläge zu verfügbaren Sprachkursen, er oder sie erhält ein Training für Vorstellungsgespräche und, falls gewünscht, einen Praktikumsplatz. Lokale Arbeitgeber werden aktiv angesprochen und mit dem Migranten in Kontakt gebracht. Wenn Menschen auf der Grundlage von Sozialleistungen studieren wollen, wird dies wohlwollend aufgenommen. In Leiden zum Beispiel werden die Statusinhaber durch vier Module von jeweils 24 Wochen geführt. Diese Module sind ganz auf Beteiligung, Aktivierung und Vitalität ausgerichtet. Die Gemeinde und ihre 75 Mentoren arbeiten eng mit Wiedereingliederungsunternehmen und einzelnen Arbeitgebern zusammen. In der Gemeinde Westland erhalten die Statusinhaber von dem Moment an, in dem ihnen eine Wohnung in dieser Gemeinde zugewiesen wird, Unterstützung bei der Regelung praktischer Angelegenheiten, der Organisation ihrer Integration und der Arbeitssuche. Allen Statusinhabern wird ein Arbeitslernprogramm angeboten, bei dem sie sofort für mindestens 16 Stunden pro Woche beschäftigt werden. Auch hier gibt es eine intensive Zusammenarbeit mit der Wirtschaft und zivilgesellschaftlichen Organisationen (Odé und Dagevos. 2017: 459–464). In all diesen Fällen gibt es mindestens eine professionelle Kraft, die einen Überblick über alle Hintergründe, Probleme und Möglichkeiten der zu integrierenden Person hat. Dies erfordert kurzfristig eine Investition, die sich aber langfristig auszahlt.
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19. Aktivierende Rolle der Sozialarbeiter
Ein Sozialarbeiter kann auch als »Community Builder« bezeichnet werden: Er oder sie baut soziale Interaktionen und Beziehungen, also Gemeinschaft, auf, wo diese zuvor fehlten oder unzureichend waren. In diesem Sinne gibt es in den meisten Flüchtlingszentren noch sehr viel zu tun. Wir haben gesehen, dass die meisten Flüchtlinge völlig nebeneinander leben und keinerlei Kontakt zur einheimischen Bevölkerung in Deutschland haben. Viele leben in sozialer Isolation und klagen über Einsamkeit. Regelmäßig führt dies zunächst zu psychischen Problemen wie Depressionen und Lethargie und dann zu körperlichen Problemen. Dennoch scheinen nur wenige Beschäftigte in Flüchtlingszentren eine Rolle für den Aufbau von Gemeinschaften zu sehen. Die meisten füllen ihre Arbeitszeit, ob gezwungenermaßen oder nicht, mit Verwaltung aus. Der bürokratische Aufwand, den sie zu tragen haben, ist enorm, auch weil viele Einwohner nicht in der Lage sind, die zahlreichen von den Behörden erstellten Dokumente selbst zu bearbeiten. Einige sind darüber sehr frustriert. Andere, und ihre Zahl scheint zuzunehmen, haben keinen Hintergrund in der Sozialarbeit und erleben ihre Verwaltungstätigkeit einfach als gegeben. Es ist äußerst wichtig, die Sozialarbeit in den Flüchtlingszentren wiederherzustellen. Wenn die Kapazitäten dafür heute nicht mehr vorhanden sind, dann müssen sie geschaffen werden, um große Kosten in der Zukunft zu vermeiden. Es ist die Aufgabe der Sozialarbeiter, die Bewohner von Heimen auf jede erdenkliche Weise zu aktivieren und zu verhindern, dass sie in soziale Isolation, Einsamkeit, Lethargie, Hoffnungslosigkeit und all die anderen oben genannten Probleme geraten, die dadurch verursacht werden. Um insbesondere denjenigen Migranten, die noch einen weiten Weg zu einer bezahlten Arbeit vor sich haben, Möglichkeiten zur Freiwilligenarbeit zu bieten, sollten die Sozialarbeiter die Fähigkeiten, Bedürfnisse und Wünsche der betreffenden Migranten ermitteln und Kontakte zu den Verbänden und Organisationen herstellen, in denen diese Arbeit geleistet werden kann. Zu diesem Zweck sollten eine persönliche Akte und ein Integrationsplan erstellt werden. Außerdem sollten die Selbstwirksamkeit und die demokratische Beteiligung der Bewohner in ihren Unterkünften gefördert werden.
20. Zum Schluss
Die Integration von Neuankömmlingen ist ein langfristiger, komplexer und notwendiger Prozess, der sowohl von den Neuankömmlingen als auch von der Aufnahmegesellschaft große Anstrengungen erfordert. Auch in Zukunft werden Migranten und Flüchtlinge nach Deutschland kommen. Aufgrund seiner eigenen demografischen Entwicklung profitiert Deutschland auch von diesem Zuzug. Wie diese neuen Bürger so menschlich, gedeihlich und effektiv integriert werden können, darüber hat man sich bisher relativ wenig Gedanken gemacht. Man schweigt, schaut in die andere Richtung, schiebt die Verantwortung von sich, hofft, dass sich die Probleme von selbst lösen und vermeidet die Diskussion. Notwendige, richtungsweisende Entscheidungen werden nicht getroffen. Es gibt keinen Raum für Pragmatismus. Investitionen werden nicht getätigt. Die Möglichkeiten und Potenziale sowohl der Neuankömmlinge als auch der Einheimischen versinken so in einem Sumpf der Gleichgültigkeit. Es tut weh, diesem Geschehen zusehen zu müssen.
Epilog
Das vorliegende Projekt wurde auf halbem Wege abgebrochen. Die Art und Weise, wie dies geschah, ist vielleicht bezeichnend für den schwierigen Umgang mit Migration, Integration und Kritik an Autoritätspersonen in Deutschland im Allgemeinen und in Brandenburg im Besonderen. Weil dieser Umgang die Lösung von Problemen erschwert, ist es sinnvoll, sich damit auseinanderzusetzen. Eine solche Auseinandersetzung bietet zudem einen vielleicht für manche überraschenden Blick hinter die Kulissen des politischen Betriebs in einem Teil Europas, der erst in den 1990er Jahren demokratische Strukturen erhalten hat und dessen demokratische Kultur sich noch entwickeln muss. In der allgemeinen Einleitung wurde bereits erläutert, aus welchen Phasen dieses Projekt bestehen würde. Zuvor hatten wir dieses Projekt in kleinerem Maßstab in der Gemeinde Rangsdorf durchgeführt. In der ersten Phase sammelten wir quantitative Daten über die in den Übergangsheimen lebenden Menschen, befragten eine große Zahl von Akteuren zu ihrer Einschätzung der Situation und den Zukunftsperspektiven dieser Bewohner und interviewten eine Vielzahl von Geflüchteten zu ihren Hintergründen, Erfahrungen, Erkenntnissen, Problemen und Ambitionen. Auf der Grundlage dieser Informationen wurde eine erste Analyse erstellt, die mit allen Beteiligten auf einer Konferenz erörtert wurde. Über einen längeren Zeitraum hinweg wurden dann die verschiedenen Problembereiche in separaten Arbeitsgruppen mit den jeweiligen Akteuren bearbeitet. In Rangsdorf waren dies: Wohnen, Arbeit, Deutschkenntnisse, Bildung und Berufsausbildung, Probleme der Frauen, Kinder und Kindertagesstätten, Gesundheit und psychosoziale Probleme sowie Beratung und Orientierung. Ziel war es, die Zusammenarbeit zwischen Institutionen und Organisationen, die im Bereich der Integration tätig sind, zu stärken und die Situation der Flüchtlinge durch bessere Kommunikation und Koordination zu verbessern. Über den gesamten Prozess in Rangsdorf wurde in zwei Artikeln ausführlich berichtet: Kein Plan, keine Hoffnung, keine Zukunft. Sackgassen für Flüchtlinge auf dem Lande (Blokland & Neebe 2021) und Wege aus dem Vakuum. Zukunftswerkstatt zur Integration Geflüchteter im ländlichen Raum (Blokland & Neebe 2022). Beide Artikel und die Treffen, auf denen sie diskutiert wurden, wurden von der Märkischen Allgemeinen Zeitung ausführlich kommentiert (Böhlefeld 2021). Diese Zeitung hat danach weiter über
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unser Projekt berichtet (Neugebauer 2021). In der Überzeugung, dass Probleme nur dann angegangen werden, wenn sie offen benannt werden, war diese Berichterstattung auch von der Gemeinde Rangsdorf bewusst gefördert worden. Am 1. Juni 2022 haben wir unseren Zwischenbericht auf einer Konferenz in der Kreisverwaltung in Luckenwalde vorgestellt. Anwesend waren rund 60 Akteure aus Teltow-Fläming sowie zwei hochrangige, auf einem Podium sitzende Verantwortliche aus der Kreisverwaltung. Die politische Leiterin, die Landrätin, war nicht anwesend, ebenso wenig wie ihre Stellvertreterin. Die Presse war nicht eingeladen. Wie die in diesem Buch dargestellten Erfahrungen, Erkenntnisse und Daten zeigen, konnte wenig Gutes berichtet werden. Teltow-Fläming unterschied sich in dieser Hinsicht nicht von der Gemeinde Rangsdorf. Zudem wurde von zahlreichen Akteuren, allen voran den Leitern der Flüchtlingsheime, aber auch von Vertretern der Kommunen und zivilgesellschaftlichen Organisationen, insbesondere die Kreisverwaltung heftig kritisiert. Ihr wurde vorgeworfen, wegzuschauen, Probleme nicht ernst zu nehmen, Gleichgültigkeit zu zeigen, Kritik aktiv zu unterdrücken, Menschen und Organisationen gegeneinander auszuspielen, strukturell unterbesetzt und unerreichbar zu sein und zu wenig Kompetenzen zu haben. Einige Teilnehmer bezweifelten auch, dass die Kreisverwaltung wirklich gewillt sei, die Situation zu verbessern. Der Beamte, der das Treffen organisiert hatte, war mit dem Verlauf des Treffens zufrieden. Viele Menschen hätten Interesse und die Bereitschaft gezeigt, gemeinsam an der Lösung von Problemen zu arbeiten. Die Möglichkeit, miteinander zu kommunizieren, zusammenzuarbeiten, Frustrationen auszudrücken und Probleme explizit zu benennen, wurde von vielen Teilnehmern als ein wichtiger erster Schritt zur Verbesserung der Situation angesehen. Die Anwesenheit eines unabhängigen Außenstehenden, nämlich von Social Science Works, sorgte in gewissem Maße auch dafür, dass die Probleme schwerer zu ignorieren waren. Die Presse war nicht eingeladen, erfuhr aber durch Kontakte zu zahlreichen anwesenden Akteuren von dem Treffen und seinem Verlauf. Die Märkische Allgemeine Zeitung berichtete relativ nüchtern darüber.1 Der direkt für das Projekt verantwortliche Beamte zeigte sich einige Tage später sehr zufrieden mit dieser Berichterstattung. Mit dem letztgenannten Beamten wurde ein Termin für ein erstes Treffen mit den relevanten Akteuren vereinbart. Um den entstandenen Schwung nicht zu verlieren, sollte das Treffen bereits vier Wochen später stattfinden. Thema sollten die psychischen Probleme der Geflüchteten sein. Es wurde auch ein Termin mit anderen
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Udo Böhlefeld. Teltow-Fläming: Analyse zur Situation von Geflüchteten zeigt Defizite in Heimen. Die Situation von Flüchtlingen zu verstehen und zu verbessern steht im Zentrum eines Projektes im Landkreis Teltow-Fläming. Eine erste Analyse des Ist-Zustandes erfolgte in der vergangenen Woche. Märkische Allgemeine Zeitung. 4. Juni 2022.
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Beamten der Kreisverwaltung vereinbart, um dieses Treffen inhaltlich vorzubereiten. Zu den weiteren Themen, die die Akteure diskutieren wollten, gehörten: Asylrecht, Arbeitsrecht, Überlastung des Systems, Bürokratie, Ausschreibungssystem, Unterbringung und Wohnen, Deutschkurse, Kindergarten und Schule, Arbeit und Berufsschulung, Gesellschaftliche Teilnahme, Personalausstattung in den Flüchtlingsunterkünften sowie deren Wohlergehen und Funktionieren, und Unterstützung der Ehrenamtlichen. Natürlich, wie schon gesagt, hat man auf der Ebene eines Verwaltungskreises nicht die Möglichkeit, zum Beispiel das Asylrecht, das Arbeitsrecht oder sogar das Vergabesystem zu ändern. Dennoch ist es sinnvoll, diejenigen, die mehr Entscheidungsbefugnis haben, darüber zu informieren, wie sich Gesetze, Vorschriften und Regelungen in der täglichen Praxis auswirken. Oft mangelt es an dieser Erkenntnis, was dazu führt, dass notwendige Änderungen nicht vorgenommen werden. So viel zu den guten Nachrichten. Doch dann wurde es still. Zunächst wurde die Sitzung, in der die nächste Stakeholder-Konferenz vorbereitet werden sollte, ohne Angabe von Gründen abgesagt. Dann wurde die Konferenz selbst, die für den 29. Juni 2022 geplant war, ebenfalls ohne Angabe von Gründen abgesagt. Eine substanzielle Antwort auf den Zwischenbericht blieb ebenfalls aus. Schließlich wurde am 14. Juni unter Berufung auf die oben erwähnte Veröffentlichung in der Märkischen Allgemeinen Zeitung eine Neubewertung der Zusammenarbeit schriftlich angekündigt. Diese eher wohlwollende Veröffentlichung wurde Social Science Works zugeschrieben und angelastet. Auf die Ankündigung, das Projekt zu überprüfen, reagierten wir am 20. Juni 2022. Wir wiesen u.a. darauf hin, dass wir die Berichterstattung nicht beeinflussen können, dass viele Stakeholder mit dem betreffenden Journalisten in Kontakt standen, dass er in der Vergangenheit zahlreiche kritische Artikel zum Thema Integration in Teltow-Fläming veröffentlicht hatte und dass es auch Aufgabe der Presse in einer offenen pluralistischen Demokratie ist, Politik und Verwaltung kritisch zu begleiten. Anstatt die Presse als Feind zu sehen und sie auszuschließen, sei es produktiver, mit ihr zu kooperieren. Man mache sich weniger angreifbar für Verdächtigungen aller Art, wenn man mögliche Probleme offen anspreche und auch bereit sei, Fehler und Mängel zuzugeben. Wir erhielten keine Antwort auf unsere Stellungnahme. Infolgedessen war völlig unklar geworden, ob und wie das Projekt weitergehen würde. Einige Akteure wandten sich an uns und fragten, wann das nächste Treffen stattfinden würde, und baten darum, den von uns verfassten Zwischenbericht zu erhalten. Wir verwiesen die Beteiligten an die Kreisverwaltung. Tatsächlich schickte die Kreisverwaltung allen Teilnehmern der Sitzung einen Monat später unseren Zwischenbericht, nachdem sie ihn zuvor »bearbeitet« hatte. Der Bericht wurde auf die Hälfte gekürzt. Was blieb, waren die quantitativen, demografischen Daten über die
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Bewohner der Flüchtlingsheime. Alle Erfahrungen, Beobachtungen, Ideen und Kritikpunkte der von uns befragten Stakeholder und Geflüchteten wurden aus dem Bericht entfernt. Da die Betroffenen unsere Powerpoints auf der Konferenz gesehen hatten, auf denen der Zwischenbericht basierte, konnten sie verstehen, dass Kritik nicht erwünscht war. Auch Kritik von Neuankömmlingen wurde nicht gewürdigt. Ab Februar 2022 hatten wir begonnen, unsere Interviews mit Flüchtlingen auf unserer Website zu veröffentlichen. Bevor dies jedoch geschehen konnte, verlangte die Kreisverwaltung Einsicht in diese Interviews. Mehrfach wurde gefordert, Passagen zu entfernen. In einigen Fällen wurde sogar die Veröffentlichung des gesamten Interviews untersagt. Zu den unzulässigen Äußerungen gehörten kritische Bemerkungen über den baulichen Zustand der Flüchtlingsunterkünfte, über mangelnde Hygiene und das Vorhandensein von Kakerlaken, Läusen und anderem Ungeziefer, über die Privilegierung anderer Flüchtlingsgruppen (zum Beispiel Menschen aus der Ukraine), über mögliches Fehlverhalten von Sozialarbeitern oder Beamten (vom Sozialamt, dem Jobcenter, den Ausländerbehörden), über Drogenkonsum und Schwarzarbeit von Bewohnern.2 Die Ungewissheit über den Fortgang des Projekts war für Social Science Works offensichtlich ein Problem, da wir keine Arbeit planen konnten. Außerdem meldeten sich ständig Interessenvertreter, die wissen wollten, wie es weitergeht. Ferner wurde die Zeit immer knapper: Das Projekt musste eigentlich im Haushaltsjahr 2022 abgeschlossen werden. Fragen zur weiteren Vorgehensweise des Projekts wurden von der Kreisverwaltung jedoch nicht beantwortet. Es war Sommer, sie waren abwesend. Also schrieben wir Ende Juli 2022 an die politisch letztverantwortliche Person in Teltow-Fläming, die Landrätin, ein Mitglied der Linken. Sie wurde ausführlich über die Geschichte, die Hintergründe und den Zweck des Projekts aufgeklärt und gebeten, die Situation zu klären. Die Landrätin meldete sich nicht, aber ihre Stellvertreterin lud uns nach einem Monat über ihre Sekretärin zu einem Gespräch ein, das jedoch erst zwei Monate später, Mitte September 2022, stattfinden konnte. Nicht viel später wurden wir auch zu einem Gespräch mit zwei Beamten der unteren Ebene eingeladen. Dieses fand am 22. August 2022 statt. Man teilte uns mit, dass das Projekt in seiner ursprünglichen Konzeption beendet sei. Es würde keine Treffen mit und zwischen den Akteuren aus Teltow-Fläming mehr geben. Es würden keine Arbeitsgruppen gebildet, um die verschiedenen Schwerpunktthemen zu diskutieren. Dafür bestand kein Bedarf. Stattdessen würde man die Kommunikation von der Kreisverwaltung zu den
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Dennoch hatten wir in Teltow-Fläming Zugang zu den Bewohnern der Flüchtlingsheime. In anderen Kreisen wurde uns die Befragung von Geflüchteten von den Heimleitern und ihren Arbeitgebern komplett untersagt. Dass hier ein grundlegendes Menschenrecht, das Recht auf freie Meinungsäußerung, mit Füßen getreten wurde, wurde nicht wahrgenommen.
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unteren Gremien verbessern. Social Science Works wurde gebeten, die Interviews mit Geflüchteten fortzusetzen und politische Empfehlungen zu formulieren. Letzteres beinhaltete die Präsentation eines Vorschlags für ein Aufnahmeformular, das die Heimleiter verwenden könnten, wenn neue Bewohner im Heim ankamen. Im anschließenden Gespräch mit der hierarchisch zweiten Beamtin des Landkreises Teltow-Fläming, der Ersten Beigeordneten, stellte sich heraus, dass sie darüber informiert worden war, dass die Beendigung des Projekts im Einvernehmen mit Social Science Works erfolgt war. Wir haben ihr erneut die ursprünglichen Pläne und die dahinterstehenden Ideen erläutert. Statt einer verbesserten Kommunikation von oben nach unten bräuchte Teltow-Fläming aus unserer Sicht vor allem eine verbesserte Kommunikation von unten nach oben. Es ging darum, das Wissen und die Erkenntnisse der Menschen, die sich alltäglich mit der Flüchtlingsintegration beschäftigen, ernst zu nehmen und zu nutzen. Es gelte, die Kultur der Gleichgültigkeit, die sich im gesamten Politikfeld schon aus Selbstschutz entwickelt hatte, durch einen konstruktiven Umgang mit allen Beteiligten zu durchbrechen. Dabei dürfe das Benennen von Problemen und Defiziten nicht unterdrückt werden, da dies das Vertrauen in die eigene Arbeit und die politische Führung untergrabe, und damit die Problemlösung. Die zweite Beamtin von Teltow-Fläming schien überzeugt. In der Tat erschien es besser, den ursprünglichen Plan umzusetzen. Dazu musste das Projekt jedoch verlängert werden – wir hatten nun vier Monate verloren. Um dies zu ermöglichen, boten wir an, einen erheblichen Teil des verfügbaren Budgets nicht auszuzahlen und auf das Jahr 2023 zu verschieben. Das hörte sich gut an. Die Beamtin müsste aber erst alles mit der Landrätin besprechen und würde uns dann Bericht erstatten. Die Zeit verging und niemand meldete sich zurück. In zwei Briefen im Oktober 2022 erinnerten wir die Beamtin an das Gespräch und boten an, das Projekt zu den gleichen Kosten weiterzuführen. Wir erhielten keine weiteren Antworten. Ein erheblicher Teil des Budgets wurde von uns nicht abgerufen. In der Zwischenzeit arbeiteten wir fortwährend an dem Abschlussbericht. Wir haben diesen Bericht den drei höchsten Amtsträgern Mitte Februar 2023 zur Verfügung gestellt. Ein gedrucktes Exemplar, so hatte man uns bereits im September 2022 mitgeteilt, war nicht erforderlich. Eine digitale Version war ausreichend. Wir haben nie wieder etwas dazu erfahren.
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Register
A Abschiebung, 34–36, 49, 36, 37, 51, 56, 105, 121, 128, 129, 154, 166, 169, 199, 200, 271, 305, 312, 322, 359 Adenauer, Konrad, 304 Adviescommissie voor Vreemdelingenzaken, 407, 433 Afghanistan, 13, 31–35, 37, 38, 40–45, 47–49, 51, 53–62, 64–67, 83, 98, 102, 103, 128, 188, 190, 191, 193, 195, 196, 199–201, 203, 206, 210, 218, 222, 225, 227, 228, 236, 239, 240, 242, 248, 260, 265, 268, 277, 284, 285, 290–293, 296, 313–315, 318, 337, 344, 350, 371, 409 Algerien, 31, 69, 203, 205, 208, 211, 313 Alkohol, 30, 79, 146, 280, 324, 385, 397 Am Mellensee, 25, 119, 317, 326, 391 American Psychological Association, 397, 399, 433 Analphabetismus, 32, 36, 42, 53, 55, 58, 127, 161, 221–223, 344 Angst, 36, 44, 51, 60, 62, 65, 69, 73, 82, 90, 93–95, 111, 123, 124, 128, 133, 163, 165, 166, 168, 171, 189, 196–198, 205, 238, 259, 267, 277, 278, 289, 294, 303, 312,
324, 359, 361, 369, 372, 379, 382, 387, 400 Anwalt, 37, 66, 81, 94, 95, 100, 101, 108–110, 119, 130, 146, 169, 206, 248, 255, 271, 274, 275 Apathie, 32, 139, 223, 271, 295, 311, 324, 331, 360, 402, 406, 410, 418 Arbeit, Bedeutung der, 47, 90, 96, 114, 123, 129, 139, 142, 148–150, 171, 402, 409–415 Arbeiterkind.de, 355 Arbeiterwohlfahrt, 368 Arbeitserlaubnis, 38, 83, 92, 94, 97, 108, 130, 154, 169, 175, 219, 221, 224, 227, 229, 262, 263, 273, 274, 278, 289, 290, 295, 318, 358, 381, 409, 410 Arbeitslosigkeit (Siehe auch Untätigkeit), 15, 20, 60, 65, 67, 95, 96, 263, 318, 323, 337, 359, 361, 385, 398, 400, 405, 406, 436, 437 Arbeitsmarkt, 20, 21, 227, 311, 316, 340, 341, 344–346, 351, 357, 358, 360, 363, 364, 389, 407–409, 411, 416, 434 Arbeitssuche, 38, 43, 48, 53, 54, 57, 60, 67, 69, 71, 76, 78, 81, 86, 87, 92, 104, 107, 111, 114–116, 118, 125, 131, 141, 143, 144, 147–149,
442
Hans Blokland: Migrationspolitik auf der Flucht
161, 164, 169, 175,181, 227, 228, 289, 341, 343, 354, 360, 395, 409, 416, 419 Armut, 20, 40, 50, 60, 127, 129, 160, 337, 360, 407 Arzt, 39, 47, 51, 52, 56, 57, 59, 76, 78, 94, 133, 147, 148, 156, 164, 196, 253, 254, 256, 261, 278, 281, 286 Assimilation, 387 Asylantrag, 52, 69, 81, 99, 100, 129, 132, 133, 141, 144, 151, 189, 201, 203, 208, 211, 212, 233, 248, 271, 274, 275, 291, 312, 358 Asylverfahren, 40, 52, 101, 110, 129, 144, 145, 176, 186, 195, 202, 229, 271, 273, 295, 315, 318, 322, 331, 349, 358, 361, 365, 371, 373, 375, 395, 410, 415 Aufenthaltsgenehmigung, 20, 36, 37, 40, 43, 44, 58, 66, 89, 94, 95, 97, 98, 103, 118, 160, 179, 187, 190, 199–201, 207, 212, 228, 240, 245–249, 261–264, 275, 280, 284, 285, 287, 311, 344, 345, 357, 361–363 Aumüller, Jutta, 376, 433 Ausbildung, 25, 32, 38, 48, 54, 57, 65, 72, 76, 77, 83, 86, 87, 104, 109–111, 113, 115, 117, 122, 125, 131, 141, 143, 157, 161, 169, 170, 173, 186, 191, 192, 194, 215, 218, 221, 225, 231, 275, 290, 292, 297–300, 318, 319, 349, 350, 359, 361, 362, 366, 399, 412, 417 Ausländerbehörde, 21, 29, 37, 64, 72, 77, 85, 87, 88, 93, 105, 110, 124, 128, 155, 158, 235, 255, 259, 262, 274, 302, 321, 349, 358, 359, 366, 367, 369, 372, 410, 417, 430
Ausländerfeindlichkeit (Siehe auch Diskriminierung), 15, 134, 138, 258 Ausreisepflicht, 130, 229, 271, 283, 312, 363 Ausschreibungssystem Unterkünfte, 312, 326, 328, 392–394, 429 Aussiedler, 339, 438 Australien, 187, 209, 399, 414 Ausweispapiere, 56, 192, 199, 358
B Balkan, 123, 199, 200, 205, 277 Bayern, 22 Behörden, Erfahrungen mit (Siehe auch Warten und Bürokratie), 36–39, 45, 50, 52–54, 66, 81, 85, 87–90, 94, 99–101, 108, 110, 124, 125, 134, 135, 158, 164, 170 Berlin, 19, 22, 30, 37–45, 50, 52, 56–59, 63–65, 70–72, 77, 85–87, 93–98, 100, 103–105, 108–111, 115, 117–119, 123, 125, 132–134, 139, 144–149, 159, 164, 171, 176, 178, 183, 184, 190, 194, 201–204, 207, 216, 218, 241, 245–249, 254–257, 262–266, 273, 275, 279, 287, 297–300, 302, 317, 335, 340, 346, 362, 375–377, 379, 380, 383, 412, 435, 437, 438 Berthold, Julia, 406, 437 Berufsausbildung, 14, 134, 169, 212, 221, 223, 224, 318, 319, 323, 344, 349–351, 354, 359, 393, 408, 409, 416, 427 Beruf im Herkunftsland, 25, 51, 56, 60, 65, 81, 82, 99, 101, 116, 118, 129, 150, 152, 319, 361, 363, 416
Register
Bildung, 21, 60, 102, 113, 178, 194, 221, 292, 304, 323, 339, 349–351, 353, 360, 362, 366, 373, 383, 395, 399, 407, 413, 416, 427, 433, 435, 437, 438 Bittner, Jochen, 376, 434 Blankenfelde-Mahlow, 22, 25, 317, 326, 328, 354, 375 Bleibeperspektive, 344, 349, 351, 365, 366, 382, 415 Böhlefeld, Udo, 21, 427, 428, 434 Böhmen, 340 Boko Haram, 204 Bosnien und Herzegowina, 167, 204 Bourdieu, Pierre, 353, 434 Braindrain, 337 Bücker, Susanne, 400, 435 Buddy-Programms, 355 Bulgarien, 42, 129, 200, 201 Bundesagentur für Arbeit, 21, 321, 331, 341, 358, 435, 367 Bundesamt für Migration und Flüchtlinge, 13, 22, 93, 146, 274, 344, 365, 367, 382, 435 Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend, 399, 435 Butt, Zaeem, 362, 363, 435 Bürokratie, 23, 135, 138, 158, 258, 263, 295, 321, 322, 324, 330, 367–373, 428, 429 C Centraal Orgaan Opvang Asielzoekers, 416, 435 Chancengleichheit, 345, 381 Coach, 419 Container, 19, 123, 124, 236 Corona Pandemie, 13, 50, 42, 59, 72, 86, 89, 90–92, 96, 123, 124, 131–133, 135–137, 139, 141, 143–146, 156, 157, 160, 179, 194,
216, 242, 259, 300, 321, 324, 327–329, 330, 345, 366, 400, 401 D Dagestan, 71, 197, 204, 207, 253, 278, 286, 292 Dagevos, Jacco, 357, 360, 364, 407, 408, 419, 435, 437, 438 Dänemark, 200 Dankbarkeit, 39, 40, 47, 53, 73, 75, 82, 113, 115, 122, 159, 162, 172, 184, 187, 189, 260, 261, 283, 287, 291–294 Das Progressive Zentrum, 401 Datenschutz, 25, 311, 330, 349, 415, 437 Deliberation, 21 demografische Wandel, 20, 340, 371, 378, 423 Denman, Gabrielle, 413, 435 Depp, Johnny, 301 Depressionen, 32, 35, 36, 43, 53, 94, 98, 122, 123, 140, 146, 147, 149, 174, 179, 227, 265, 271, 277, 279, 280, 285, 292, 382, 385, 389, 397–399, 402, 406, 438, 421 Deutsch lernen, 38, 39, 43, 44, 45, 51, 53, 54, 57, 58, 65, 67, 69, 70, 71, 75–77, 82, 83, 87, 90, 99, 105, 108, 110, 111, 113, 115, 119, 123, 128, 131, 148, 149, 157, 161, 184, 192, 195, 207, 209–218, 223, 225, 227, 231, 252, 265, 273, 279, 296, 297, 298, 300, 317, 343, 350, 354, 376, 382, 403 Deutsches Rotes Kreuz, 145, 392 Deutsche Volkshochschul-Verband, 411 Deutsche Demokratische Republik, 23, 340, 367 Deutsches Kinderhilfswerk, 355, 383 Deutsche Postcode Lotterie, 355, 383
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Hans Blokland: Migrationspolitik auf der Flucht
Deutschkenntnisse, 21, 23, 76, 179, 218, 210, 221, 226, 227, 316, 343, 345, 346, 409, 427 Deutschkurs, 38, 39, 45, 46, 50, 52, 54, 56, 61, 65, 66, 69, 72, 81, 83, 85, 87, 88, 91, 92, 99, 100, 108, 111, 115, 117, 119–122, 125, 128, 129, 133, 134, 141, 142, 148, 149, 157, 161, 164, 169, 175, 179, 184, 186, 209–214, 216–218, 219, 222, 223, 225, 227, 228, 231, 248, 260, 261, 272–275, 284, 285, 287, 290, 292–298, 303, 316, 318, 322–325, 328, 331, 343–346, 341, 354, 366, 393, 402, 416, 419, 429 Diakonie, 51, 86, 130, 271, 286, 368 Diaspora-Familie, 44, 82, 85, 99, 166 Diekmann, Maren-Kathrin, 409, 435 Diskriminierung (siehe auch Rassismus), 13, 58, 66, 94, 113, 128, 186, 187, 196, 245, 248, 251–258, 263, 265, 277, 289, 295, 325, 369, 375, 381, 383, 395, 400, 402, 403, 407, 413 Dourleijn, Edith, 360, 438 Drogen, 30, 166, 197, 211, 240, 246, 280, 397 Duldung, 40, 69, 77, 101, 104, 121, 122, 125, 128, 129, 166, 169, 176, 202, 208, 211, 218, 219, 227, 229, 233, 252, 260–262, 271, 275, 283, 289, 290, 291, 315, 344, 349, 358, 362, 363, 366, 375 Duldungsschläfer, 389 Durlak, Joseph, 355, 435 Dusenbury, Linda, 355, 436 Dustmann, Christian, 357, 436
E Ehrenamt, 15, 19–22, 26, 30, 32, 36, 37, 87, 89, 95, 96, 124, 133, 145, 164, 184, 217, 218, 258, 266, 283, 285, 287, 302, 306, 324, 325, 327–331, 345, 360, 361, 368, 369, 372, 375, 376, 379, 381, 392, 408–414, 419, 421, 429, 438 Eindrücke von der deutschen Kultur, 64, 72, 91, 103, 104, 107, 113, 115, 117, 131, 150 Einsamkeit, 29, 42, 44, 46, 47, 50, 51, 53, 61, 76, 81, 96, 109, 122, 128, 141, 147, 150, 170, 173, 186, 241, 253, 265–268, 277, 279, 292, 315, 337, 382, 397–403, 406, 407, 413, 416, 421, 438 Einspruch, 81, 101, 129, 141, 271, 275, 311 Einwanderungsrecht, 341 Eisenhüttenstadt, 37, 50, 52, 64, 72, 85, 88, 99, 107–109, 119, 121, 123, 129, 132, 141, 144, 150, 163, 166, 167, 174, 178 Emanzipation, 13, 191, 224, 337, 350, 372, 381–383, 385 Empathie, 137, 303, 304, 332 Engbersen, Godfried, 406, 436 England, 188, 414 Englisch, 20, 29, 33, 35, 37, 39, 40, 44, 45, 83, 85, 109, 111, 113, 115, 116, 141, 144, 145, 147, 148, 150, 169, 173, 210, 211, 213, 215, 217, 225–227, 254, 255, 268, 285, 298, 301, 316, 317, 344, 346, 351, 364 Enttäuschungen, 19, 69, 97, 107, 114, 117, 121, 138, 140, 159, 179, 186, 208, 221, 257, 258, 284, 289, 290, 291, 335, 351, 360, 361, 368, 387, 392, 398, 418, 428
Register
Erdoğan, Recep, 341, 385 Eritrea, 313, 314, 337, 344 Erwartungen, 14, 21, 25, 29, 32, 186, 206, 224, 239, 283, 289, 301, 353, 361, 387–389, 418 Europäischen Union, 63, 261, 304, 338, 340, 379, 383 European Homecare, 393 Expats, 317, 376 F Facebook, 149, 207, 302 Fachkräfte, 331, 364, 410 Familiennachzug (Siehe auch Kettenmigration), 93, 95, 153, 189, 229, 297 Familienväter, 272, 385, 386 Financial Action Task Force, 204, 436 Finnland, 34–37, 39, 40, 153, 178, 198, 200, 202, 227, 277 Flöhe, 102, 238 Frankreich, 20, 29, 44, 69, 82, 109, 111, 167, 201, 203, 211, 213, 255, 301, 305, 346, 407 Freiheit, 60, 68, 115, 117, 158, 165, 168, 170, 172, 252, Friseur, 92, 116, 118, 158, 224 G Gambia, 28, 75, 77, 78, 193, 203, 215, 216, 237, 240, 256, 291, 300, 314, 409 Geburtsurkunde, 77, 112, 274 Gefängnis, 34–36, 41, 52, 82, 93, 101, 153, 154, 166, 177, 178, 189, 197, 200, 206, 228 Gemeinschaft, 13, 146, 151, 183, 184, 190, 202, 218, 241, 327, 340, 362, 376, 378, 387, 395, 398, 403, 418, 421 Georgien, 13, 314, 359
Geras, Norman, 304–306, 436 Geschlechterrollen (Siehe auch Emanzipation), 214, 346, 350, 385, 387, 388 Gesemann, Frank, 376, 433 Gesetzlosigkeit, 187, 196, 242, 337 Gesundheitsprobleme, 23, 34, 56, 62, 90, 122, 131, 133, 147, 156, 163, 175, 180, 211, 235, 241, 277, 280, 286, 323, 360, 361, 364, 398–400, 403, 406, 409, 413, 427, 437 Gesundheitssystem, 113, 194, 292, 311 Gewalt, 13, 30, 112, 165, 171, 193, 197, 198, 205, 242, 295, 396, 401, 434 Gezondheidsraad, 360, 408, 436 Ghana, 206, 314, 337 Ghorashi, Halleh, 408, 436 Glauben, 138, 159, 173, 258, 306, 385 Gleichgültigkeit, 95, 98, 138, 139, 240–242, 289, 304–306, 312, 321, 331, 370, 372, 397, 423, 428, 431 Gluns, Danielle, 415, 437 Green, Amy, 355, 436 Griechenland, 43, 45, 46, 49–52, 56, 121, 123, 177, 178, 189, 191, 196, 199–203, 205, 225, 228, 277, 292, 339 Gringmuth-Dallmer, Götz, 340, 341, 436 Großbeeren, 25, 73, 76, 77, 216, 240, 375 Gründe für die Abwanderung, 34, 41, 44, 50, 52, 62, 65, 75, 82, 85, 88, 93, 99, 101, 116, 119, 121, 122, 127, 129, 131, 160, 163, 165, 166, 174, 177, 337–339 Guyana, 378 H Heard, Amber, 301 Heimatliebe, 40, 61, 69, 143, 151
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Hans Blokland: Migrationspolitik auf der Flucht
Heimleiter, 21, 42, 72, 91, 92, 94, 100, 102, 105, 109, 124, 130, 131, 139, 169, 170, 175, 202, 238, 239, 246, 266, 286, 312, 318, 322, 324–326, 329, 349, 360, 369, 370, 402, 412, 416, 431 Hochschule, 210, 435 Hoffnungslosigkeit, 20, 35, 94, 151, 277, 323, 402, 406, 410, 416, 421 Hohen Flüchtlingskommissars der Vereinten Nationen, 13 Holocaust, 304, 436 Homosexualität, 388, 396 I Identität, 13, 14, 361, 387, 388, 409 informellen Wirtschaft, 350, 364 Instagram, 207, 302 Integration, 13–15, 19–22, 29, 39, 47, 54, 73, 77, 78, 90, 108, 117, 119, 124, 131, 134, 135, 159, 180, 209, 214, 217, 227, 228, 231, 236, 247, 258, 283–286, 299, 302, 311, 312, 322, 323, 327, 330, 331, 335–339, 343–346, 351, 353, 357, 358, 360, 364–366, 368, 375, 376, 382, 387–389, 392–394, 398, 408–410, 413–419, 423, 427, 429, 433, 436–438 Integrationsbeauftragten, 327, 332, 368 Integrationskurs, 39, 92, 117, 118, 120, 214, 217, 225, 247, 260, 273, 275, 291, 344, 366 Integrationsplan, 361, 416, 418, 419, 421 Internationale Bund, 253, 286, 392 Irak, 13, 81–83, 128, 189, 201, 212, 252, 253, 260, 266, 275, 294, 297, 313, 359 Iran, 13, 41, 42, 44, 47–49, 51, 52, 54–59, 65, 83, 85–87, 90, 92–94,
97–99, 101, 104, 105, 189–191, 193–197, 199–201, 206–208, 213, 215, 217, 222, 223, 233, 235, 238–240, 246, 247, 251, 252, 257, 262, 265, 266, 274, 277, 278, 284, 286, 289, 290, 297, 313–315, 318, 337 Islamischer Staat, 61, 189, 204, 252 Islamisten, 60, 189 Italien, 71, 75, 119, 141, 142, 202, 203, 339, 340 J Jahoda, Marie, 385, 405, 406, 436 Jobcenter, 26, 38, 42, 58, 66, 76, 118, 134, 148–150, 156, 179, 210–212, 247, 248, 260, 273, 287, 302, 321, 344, 349, 351, 367, 382, 417, 430 Jugoslawien, 339, 340 Jüngst, Sandra, 20 Jüterbog, 22, 25, 76, 286, 326, 328, 330, 331 K Kadyrow, Ramzan, 168, 176, 241, 315 Kakerlaken, 102, 237, 238, 391, 430 Kamerun, 107–109, 111, 112, 114, 116, 118, 119, 193, 195, 202, 203, 208, 213–215, 223, 226, 241, 245, 247, 251, 252, 255, 272, 273, 278, 291, 292, 295, 297, 299, 313–315, 317, 318, 363 Kanada, 33, 96, 133, 187, 207, 209 Käppeli, Anita, 357, 361, 438 Kenia, 313, 317 Kettenmigration, 195, 196, 201 Kitaplatz, 20, 53, 72, 99, 112, 113, 119, 128, 141, 161, 164, 168, 170, 186, 191, 214, 224, 226, 231–233, 241, 273, 274, 295, 287, 317, 327,
Register
328, 344, 346, 353, 354, 379, 381, 382, 393, 427 Klewes, Joachim, 410 Klimawandel, 13, 337 Kolonialismus, 13, 187 Kompetenznetz Einsamkeit, 435, 436 Komplexität, 212, 221, 344, 367–372 Kopftuch, 124, 157–159, 175, 176, 180, 256–258, 298 Kossert, Andreas, 340, 437 Krankenversicherung, 57, 58, 123, 147, 152, 162, 196, 297 Kreisverwaltung, 15, 21, 22, 26, 238, 302, 312, 326, 335, 366, 380, 392, 397, 428–430 Krieg, 13, 40, 43, 53, 55, 60–62, 75, 103, 121, 127, 130, 143, 153, 154, 160, 171, 172, 183, 184, 187, 188, 190, 193, 260, 271, 295, 301, 307, 327, 337, 340, 391 Kroatien, 93, 201 Kroll, Lars, 406, 437 Küche, 48, 56, 58, 59, 66, 88, 102, 119, 121, 123, 128, 130, 137, 147, 157, 161, 175, 179, 214, 235, 236, 238, 247, 248, 266, 297 Kühn, Boris, 415, 437 Kultur der Unverbindlichkeit, 345, 361, 389 Küsters, Daniel, 26, 329 L Landrätin, 22, 428, 430, 431 Lane, Robert, 398, 437 Langeweile (Siehe auch Untätigkeit), 58, 69, 73, 86, 87, 96, 108, 109, 117, 120, 121, 124, 128, 129, 164, 173, 232, 266 Langzeitarbeitslosen, 405–407, 419 Lärmbelästigung, 40, 89, 214, 237, 346, 391
Läuse, 102, 238, 430 Lauterbach, Karl, 311 Lazarsfeld, Paul, 385, 405, 406, 436 Lebensbedingungen im Heim, 36, 37, 40, 50, 56, 64, 65, 72, 77, 87, 89, 92, 95, 97, 99, 102, 109, 123, 128, 146, 155, 174, 175, 178, 235–245, 391–396 Leibbrandt, Georg, 304 Lesbos, 46, 49, 56, 191, 199, 200, 203, 439 Lethargie, 20, 32, 223, 265, 271, 295, 311, 360, 382, 385, 389, 399, 402, 406, 416, 421 Levi, Primo, 306 Libanon, 121–123, 160–162, 190, 192, 205, 225, 236, 238, 247, 259, 261, 262, 271, 275, 279, 293, 299, 314 Libyen, 75, 127, 190, 202, 203, 205, 313 Liebe zu Deutschland (Siehe auch Dankbarkeit), 47, 53, 78, 113, 116, 163 Lindblom, Charles, 16, 334 Living Quarter, 392 Logistikbranche, 216, 344, 346, 379 Luckenwalde, 22, 25, 164, 213, 240, 247, 265, 277, 284, 287, 326, 328, 330, 428 Lüdde, Antje, 302 Ludwigsfelde, 22, 25, 72, 86, 184, 302, 326, 328, 329, 375 Luhmann, Maike, 414, 437, 438 Lühr, Matthias, 414, 437 M Mannheim, Karl, 372, 437 Marienthal, 385, 405, 406 Märkische Allgemeinen Zeitung, 21, 302, 427–429, 437 Marokko, 31, 127, 190, 203, 205, 232, 253, 266, 314
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Hans Blokland: Migrationspolitik auf der Flucht
McLuhan, Marshall, 207 Mehta, 188, 378, 437 Mekka, 174, 299 Merkel, Angela, 339 Mindach, Caroline, 409, 435 Misstrauen, 324, 335, 398 Mittelmeer, 205 Mitwirkungsgremium, 412 Mitwirkungspflicht, 358, 359, 366 Mohammed, 130, 191 Mohan, John, 414, 438 Mória, 52, 199, 203 Mullahs, 338 Münstermann, Florentin, 378 N Neebe, Mirjam, 21, 22, 427, 434 Niedergörsdorf, 25, 133, 135, 317, 354 Niederlanden, 44, 45, 47, 96, 205, 207, 245, 268, 305, 357, 360, 364, 407, 416 Niger, 75, 119, 202, 203 Nigeria, 141, 202, 210, 313, 363 Nordmazedonien, 359 Nordrhein-Westfalen, 22, 377 Norwegen, 34, 40, 200, 245 Nützliche wissenschaftliche Erkenntnisse, 16 O Objektivität, 334, 373 Odé, Arend, 360, 364, 407, 419, 437 OECD, 343, 361 Offene Kommunikation, 335 Orientierung, 21, 23, 387–389, 418, 427 Oschmiansky, Frank, 406, 437 P Pakistan, 44, 45, 59, 61, 65, 129–132, 139, 191, 193, 195, 199–201, 206, 210, 226, 229, 238, 245, 258,
271, 272, 298, 313, 315, 318, 337, 362, 363, 435 Palästina, 121, 122, 192, 217, 225, 245, 256, 266, 297, 371 Panagiotidis, Jannis, 339, 438 Parallelgesellschaften, 14, 376, 379 Passeron, Jean-Claude, 353, 434 Pavlova, Maria, 414, 437 persönliche Veränderungen, 151, 285, 298 Perspektivlosigkeit, 295, 307 Pinl, Claudia, 410, 438 Pläne, 44, 47, 90, 96, 105, 129, 132, 151, 174, 208, 246, 275, 295–297, 326, 389, 393, 405, 406, 408, 415, 416, 418, 427, 431 Polen, 62, 63, 82, 166, 167, 174, 183, 190, 198, 216, 305, 339, 344, 378 Politik im Herkunftsland, 33, 53, 64, 67, 93, 165 Polizei, 35–37, 42, 45, 49, 52, 63, 82, 96, 110, 130, 145, 153, 156, 159, 163–166, 196, 197, 199, 242, 243, 257, 280, 285, 292, 293, 331, 396 Polizeigewalt, 35, 36, 41, 52, 70, 153, 165 posttraumatischen Stresssyndrom, 73, 154, 278, 360 Potsdam-Mittelmark, 262 Pragmatismus, 331, 372, 423 Praktikum, 92, 103, 105, 115, 125, 176, 193, 225, 226, 298, 299, 318 Presse, 21, 428, 429 Privatsphäre, 31, 97, 119, 161, 235, 237, 343, 376, 391, 407, 417 psychische Probleme (Siehe auch Depressionen), 20, 35, 122, 186, 212, 221, 232, 242, 246, 265, 267, 271, 277, 279, 295, 303, 323, 324, 342, 355, 382, 389,
Register
397, 398, 403, 408, 421, 427, 428 Psychologen, 73, 94, 142, 146, 147, 246, 278, 280, 323, 399, 403 Putin, Vladimir, 165, 176, 197, 198, 315, 341 Q Quarantäne, 59, 102, 116, 132, 144, 145, 156, 160, 242 Quasi-Regierungsorganisationen, 394 R Radikalisierung, 361, 388, 410 Rangsdorf, 19–23, 25, 77, 100, 133, 134, 156, 317, 326, 329, 354, 375, 409, 427, 428, 434, 437 Rassismus, 14, 30, 36, 37, 39, 57, 66, 70, 77, 78, 83, 85, 88, 90, 104, 105, 109, 110, 113, 114, 117, 122, 125, 128, 134, 138, 150, 151, 158, 159, 162, 171–173, 175, 176, 179, 180, 252, 256, 257, 263, 292, 293, 387, 396 Rationalität, 368, 370 Rechtspopulisten, 14, 336 Reise nach Deutschland, allein, 33, 41, 43, 75, 108 Reise nach Deutschland, in einer Gruppe, 41, 121 Reise nach Deutschland, mit Familie, 50, 51, 55, 59, 65, 69, 71, 81, 85, 99, 112, 116, 167, 174 Reproduktionsrate, 340 Resignation, 321, 331, 360, 370, 406, 407, 418 Robinson, Lee, 357, 361, 438 Rückkehr, 104, 131, 226, 359, 389 Ruhestand, 340, 363, 377 Rumänien, 183, 340
Russland, 34, 35, 55, 63, 71, 153, 154, 158, 166, 167, 169–174, 176, 183, 198, 200, 205, 207, 224, 227, 253, 254, 267, 277, 301, 304, 315, 316, 318, 339 S Saudi-Arabien, 160, 192 Schammann, Hannes, 365, 366, 438 Scheele, Detlef, 341 Schellingerhout, Roelof, 360, 408, 438 Schenectady (NY), 378 Schimmel, 102, 238 Schisto, 52 Schlaflosigkeit, 39, 40, 58, 123, 124, 155, 163, 237, 239, 259, 279, 280, 399, 400, 402 Schleswig-Holstein, 340 Schleuser, 51, 58, 88, 101, 123, 153, 199–201, 204–206, 362 Schmutzigkeit Heime (siehe auch Ungeziefer), 65, 89, 91, 99, 102, 103, 108, 121, 130, 146, 174, 175, 236–239, 241, 247, 341, 391 Schneider, 56, 58, 152, 154, 157, 158, 223, 224, 350 Schneider, Sebastian, 340, 341, 436 Scholz, Olaf, 341 Schulpflicht, 161, 331 Schwarzarbeit, 30, 42, 44, 129, 221, 229, 230, 271, 357, 362, 363, 430 Schweden, 36, 200, 210, 245, 357, 361 Schweiz, 93, 119, 201, 202 Selbstwertgefühl, 383, 413, 414 Senegal, 75, 203 Serbien, 93, 201, 314, 359 Sexismus, 30, 396 sicheres Land, 199, 315, 371 Sicherheit, 60, 68, 69, 81, 82, 95, 122, 127, 128, 130, 139, 158, 187–190, 193, 196, 243, 278, 279, 294,
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Hans Blokland: Migrationspolitik auf der Flucht
298, 318, 337, 371, 381, 400, 402, 415 Sicherheitsdienst, 136, 144, 243 Sierra Leone, 141 Sklad, Marcin, 355, 438 Sociaal en Cultureel Planbureau, 407, 435, 438 Social Emotional Learning, 355, 436 Social Science Works, 15, 17, 19–22, 26, 302, 312, 355, 379, 383, 388, 412, 428–431, 433–435 Somalia, 313, 314, 318, 344 Sozialamt, 26, 85, 88–90, 99, 103, 111, 154, 164, 170, 224, 233, 235, 246, 259, 260, 281, 283, 302, 321, 349, 367, 372, 417, 430 Sozialarbeit, 36, 37, 63, 89, 92, 100, 113, 133, 137, 134, 149, 156, 167, 170–172, 176, 179, 299, 369, 393, 403, 421, 435, 436 soziale Isolation (siehe auch Einsamkeit), 32, 108, 186, 209, 246, 253, 265, 266, 277, 295, 337, 400–402, 407, 413, 416, 421 soziale Mobilität, 299, 353 sozialen Medien, 149, 207, 301, 302 Sozialleistungen, 14, 104, 160, 172, 197, 198, 221, 223, 272, 292, 365, 385, 419 Sozialstaat, aktivieren oder schützen, 15 Sozio-ökonomischen Panel, 400 Spanien, 39, 116, 202, 203, 339 Spätaussiedler, 339 Speckgürtel, 19, 375, 379 Sprachcafé, 171, 267 Sprachkenntnisse, 149, 217, 227, 317, 343–346, 350, 408, 416 Statusverlust, 385 Streit, 78, 86, 128, 130, 138, 146, 165, 175, 236, 406
Stress, 36, 38, 43, 47, 62, 64, 78, 87, 94, 115, 124, 163–165, 168, 235, 246, 259, 261, 268, 278, 279, 281, 296, 323, 343, 382, 398, 402 Studium, 33, 65, 67, 71, 72, 77, 82, 86, 99, 101, 107, 111, 115, 116, 131, 143, 148, 169, 173, 180, 189, 194, 202, 217, 227, 228, 233, 290, 297, 299 Sucht, 69, 79, 94, 98, 123, 146 Syrien, 13, 32, 35, 118, 143, 147, 150–152, 154, 155, 160, 161, 190, 192, 194, 200, 204, 205, 208, 210, 218, 223–225, 227, 232, 239, 245, 256, 261, 267, 285, 293, 298, 299, 313–316, 337, 344, 409 T Tabassum, Faiza, 414, 438 Taliban, 33, 40, 44, 53–55, 60, 65–67, 103, 105, 188, 193, 199, 200, 222, 225, 228, 236, 252, 260, 284, 290, 315, 350, 371 Technisches Hilfswerk, 412 Teltow-Fläming, 15, 22, 23, 25, 26, 29, 31, 32, 122, 217, 238, 262, 302, 306, 310, 311, 313, 324, 327–329, 332, 336, 343, 344, 353, 357, 366, 367, 369, 371, 373, 388, 392, 402, 410, 428–431, 434, 438 Therapie, 108, 122, 123, 203, 213, 278, 279, 323, 382, 403 Teilzeitarbeit, 101, 122, 206, 261, 357 Tierney, Joseph, 355, 439 Tilburg, Maria van, 408, 436 Toilette, 66, 102, 103, 123, 124, 135, 146, 161, 178, 179, 236, 248 Touristenvisum, 81, 189, 201, 203
Register
Trauma, 50, 73, 108, 132, 154, 203, 267, 277, 278, 343, 360, 376, 401, 402, 407 Trebbin, 25, 317 Tschetschenien, 29, 31, 32, 37, 71, 83, 103, 163–168, 170–172, 174, 196–198, 204, 214, 223, 235, 238, 245, 252, 253, 259, 261, 267, 268, 272, 280, 283, 285, 287, 297–299, 313–316, 318, 371 Tunesien, 205 Türkei, 13, 41–44, 46, 49, 51, 52, 58, 83, 93, 98, 101, 121, 123, 129, 153–158, 165, 167, 172, 177, 178, 189–191, 193, 196, 198–206, 208, 224, 225, 228, 239, 240, 248, 257, 267, 277, 292, 300, 313, 339 U Ukraine, 13, 32, 60–64, 66, 83, 93, 109, 118, 165, 170, 171, 176, 183, 184, 189, 190, 198, 218, 228, 245, 248, 255, 260, 261, 274, 293, 297, 301, 314, 315, 325, 327, 329, 376, 391, 430 Ultee, Wout, 407 unbegleitete Minderjährige, 42, 75, 215, 283 Ungarn, 129, 143, 150, 183, 194, 201, 305 Ungeziefer, 102, 130, 237, 238, 391, 430 Ungleiche Behandlung Flüchtlingen, 39, 66, 103, 109, 122, 176 Universität, 33, 38, 51, 61, 65, 69, 82, 99, 143, 183, 192, 210, 211, 215, 225, 227, 252, 296, 298, 299 Unsicherheit im Herkunftsland, 33, 34, 40, 41, 44, 59, 61, 69, 81, 82, 88, 101, 111, 155 Untätigkeit (Siehe auch Arbeitslosigkeit), 30, 58, 124, 186, 209, 271–277,
295, 341, 360, 402, 403, 405–407 Untermenschen, 178, 180, 340 Unterstützung, 14, 32, 38, 63, 76, 96, 99, 101, 104, 105, 113, 125, 133, 151, 152, 155, 156, 161, 162, 167, 175, 202, 209, 216, 218, 229, 253, 262, 283, 285–287, 289, 291, 293, 329, 331, 336, 354, 355, 359, 368, 378, 382, 383, 388, 396, 398, 402, 407, 415, 417–419, 429 Upstate New York, 378 Ü Überfahrt, 46, 56, 58, 69, 121, 123, 127, 155, 178, 201, 203, 205 Überlastung, 321, 369, 372, 410, 429 Überqualifizierung, 180 V Valk, J.M.M., 306, 439 Venezuela, 13 Vereinigten Staaten, 33, 40, 83, 96, 116, 151, 187, 207, 209, 291, 304, 355, 378, 394 Verkleij, Harry, 406, 439 Vertriebenen, 339, 340, 437 Verwaltungshierarchie, 371 Verzweiflung, 19, 326, 402, 406, 407 Vietnam, 183, 184, 190, 218 Volkshochschule, 169, 219, 345 Volkstumfragen, 304 Von Lüpke, Marc, 340, 439 Vorurteile (Siehe auch Diskriminierung), 180, 257–259, 398 W Wannsee Konferenz, 304 Warten (auf Entscheidungen), 32, 36, 45, 52–54, 66, 69, 81, 88, 89,
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Hans Blokland: Migrationspolitik auf der Flucht
94, 95, 99, 112, 122, 124, 125, 130, 144, 145, 150, 157, 158, 164, 166, 170, 172, 175, 176, 184, 186, 194, 209, 211, 216, 228, 232, 238, 243, 246, 254, 259–261, 271–275, 277, 278, 283, 285, 290, 291, 312, 325, 331, 346, 368, 402, 403 Weber, Max, 370, 439 Wendepunkt, 383 Willkommensklasse, 81, 91, 157, 179, 216 Willkür (Siehe auch Diskriminierung), 39, 66, 95, 103, 109, 122, 125, 176, 179, 263, 283, 322, 368, 372 Wirtschaftsflüchtlinge, 195, 229, 317, 362, 363 Wissen über Deutschland, 41, 47, 65, 69, 71, 85, 88, 92, 96, 119, 121, 123, 141, 151, 158, 174, 178, 206–208 Wohnungssuche, 31, 32, 39, 43, 56, 66, 67, 77, 82, 85, 87–89, 98, 111, 118, 119, 121, 122, 126, 141, 142, 147, 148, 156, 161, 165, 170, 175,
179, 184, 186, 225, 228, 237, 239, 246–249, 261, 262, 280, 281, 283, 284, 290, 291, 296–298, 322, 325, 328, 364, 368, 375–380, 389 Wünsdorf, 64, 82, 83, 99, 107, 145, 146, 240, 280 Y YouTube, 48, 67, 72, 110, 114, 117, 123, 129, 207, 208, 213, 215, 218, 229, 271, 279 Z Zeisel, Hans, 385, 405, 406, 436 Ziegler, Franziska, 49, 438, 439 Zukunftskonferenz, 21, 23 Zukunftsperspektive, 13, 20, 38, 40, 43, 60, 63, 65, 67, 79, 98, 107, 111, 116, 117, 134, 151, 157, 161, 192, 208, 279, 295–300, 335, 343, 415, 416 Zwangsheirat, 47, 127, 131, 191, 211, 258 zweite Flucht, 376
WISSEN. GEMEINSAM. PUBLIZIEREN. transcript pflegt ein mehrsprachiges transdisziplinäres Programm mit Schwerpunkt in den Kultur- und Sozialwissenschaften. Aktuelle Beträge zu Forschungsdebatten werden durch einen Fokus auf Gegenwartsdiagnosen und Zukunftsthemen sowie durch innovative Bildungsmedien ergänzt. Wir ermöglichen eine Veröffentlichung in diesem Programm in modernen digitalen und offenen Publikationsformaten, die passgenau auf die individuellen Bedürfnisse unserer Publikationspartner*innen zugeschnitten werden können.
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